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Pidagogische Revue.

Centralorgan

fiir Pidagogik, Didaktik und Culturpolitik.

Herausgegeben ~ vou

Dr. Mager,

Firstl. Schwarzburg-Sondershaus. Educationsrathe, Professor der franzds. Sprache und Litteratur an der-Cantonsschule zu Aarau, der konigl. preuss. Akademie gcemeinnitziger Wissenschaften zu Erfurt auswirtigem, des Frankfurtischen Gelehrten-Vereins far deutsche Sprache ordentiichem Mitgliede.

Finfter Band. \

Juli bis December 1842.

Stuttgart. Werlag der J, F. Cas t’schen Buchhandlung. 1842,

ERSTE SECTION. Abhandlungen.

Die Gymnasien unter stddtischem Patronat.

Von ** gu *** in Preussen,

Der Verfasser dieser Bemerkungen erinnert sich zwar, dass schon manche dffentliche Stimmen gegen die Einrichtung des stadtischen Patronats der Gymnasien nachdriicklich protestirt haben, theils aber kam die Wahrheit nicht eft genug und muss wenig- stens so oft wiederholt werden, bis sie Eingang gefunden hat, theils scheint die Kritik den tiefen Schaden dieser Einrichtung _uoch keineswegs ausfiihrlich und riicksichtslos genug und vor den wesentlichsten Gesichtspunkten aus aufgedeckt zu haben, dass nicht eine neue Anregung der Sache verdienstlich sein kénnte. Denn kaum steht in irgend einem andern Theile der Gesetzgebung das historische Herkommen mit der Vernunft der Sache in einem grésseren Widerspruche, als hicr und vielleicht ~ kann man nirgends so deutlich sehen, welchen Zwang es ver- ursacht, wenn man Einrichtungen, die ganz bestimmten histori- schen Bedingungen angehéren, auch dann noch festhalt, wenn diese Bedingungen im Verlauf der Zeit und der fortschreitenden Bildung Mingst verschwunden sind. Preussen namentlich hat in der letzten Zeit viel Rihmliches fiir die Organisation und Stel- lung der Gymnasien und ihrer Lehrer gethaa und hier ist nament- lich die Idee von der Selbstandigkeit des Gymnasiallehrerstandes . erwacht und Manches in diesem Sinne geschehen, was allgemeine Anerkenoung gefunden hat. Indess -darf wohl Jemand, der die Zwecke, die Thitigkeit und Erfolge in diesem Gebiete von ganzem Herzen anerkennt, doch auch.sagen, dass das Geleistete in Ver- gleich mit dem, was noch gethan werden muss, wenn Freiheit und Klarheit in die Verhiltnisse der Gymnasien kommen soll, nur als ein guter Anfang angesehen werden darf und es. muss in dieser Begichung eine allgemeine Bemerkung vorausgeschickt werden, wenn der in Rede stehende Gegenstand recht gewiirdigt

Padagog. Revue. 1842. b, Bd. V.- 1

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‘werden soll. Ich meine, und Niemand wird ja wohl hierin anderer ‘Meinung sein, dass der Lohn im Verhiltniss stehen muss zur Arbeit und zwar zum Umfang und zu der Schwierigkeit der Arbeit. Der Lohn aber ‘ist entweder ein materieller, d. h. ein bestimmter Gehalt oder cin ideeller, die Ehre, d. h. eine bestimmte der Arbeit entsprechende Rangordnung in der birgerlichen Gesellschaft. Was nun die Arbeit des Gymnasiallehrers anlangt, so wird von ihm einerseits das griindliche und immer fortgesetzte Studium minde- stens von einigen Wissenschaften (oft muss er sogar in 4— 5 Wissen- schaften unterrichten) erfordert, andererseits die methodische Mit- theilung seiner Kenntnisse an die Schiiler auf bestimmter Bildungs- stufe. Zunachst also muss der Gymnasiallehrer, ehe er in seinen Beruf eintreten und ihn wirksam ausfiillen kann, nicht bloss die allgemein wissenschaftliche Bildung, wie sie die Gymnasien geben, sich aneignen, und auf der Universitat eine bestimmte oder meh- rere Wissenschaften, wie Philologie oder Mathematik und Natur- wissenschaflen oder Geschichte umfassend studiren, sondern er muss auch die Methoden kennen gelernt haben, in denen die reine Wissenschaft mitgetheilt werden muss unter gegebenen Verhiltnissen, d.h. er muss den menschlichen Geist und seine Bildungsstufe genau kennen, also Psycholog, Padagog und Phila- soph genug sein, um nicht sein Wissen wie eine todte Masse den Schiilern einzugiessen und sie so im besten Falle zu Ge- lehrten des 17ten und 18ten Jahrhunderts zu machen, aber den lebendigen sich selbst begreifenden Geist vertrocknen zu lassen. Die Arbeit also, die dem Gymnasiallehrer als Vorbereitung zu seinem Berufe mit Recht zugemuthet wird, ist weder dem Um- fange noch der ideellen Tiefe nach geringer als die aller andern studirenden Stande, ja iibertrifft die letztern fast alle bei weitem. Ich kann natirlich darauf hier nicht genauer’ eingehen, auch ist es zu dem speciellen Zwecke nicht erforderlich, aber ich méchte _ doch noch diejenigen, die weniger damit vertraut sind, als die Standesglieder und etwa einen Blick in diese Zeitschrift thun, auf die preussische Instruction fair die Prifung der Candidaten des gelehrten Schulamts und sodann auf die allgememe Erfah- rung verweisen, dass das, was in dieser Instruction zur unbe- .dingten facultas docendi gefordert wird, héchst selten geleistet wird. Kurz! so viel ist gewiss, der Gymnasiallehrer muss erst einen langwierigen und schweren Bildungsweg durchmachen, ehe er fahig ist, fiir seinen hohen Beruf, und was die materiellen

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Kosten anbetrifft, so geht es ihnen gerade so, wie dei meisten studirenden Sténden, sie opfern ihr Vermégen, wenn es nicht sehr gross ist, sie opfern es, um sich Kenntnisse einzusammeln. Sind sie aber in ihr Amt eingetreten, so haben sie immerfort jene doppelte Arbeit; sie miissen erstens die Wissenschaften, die sie lehren sollen, immer tiefer ergriinden und ihre weitere Ent- wickelung in der Zeit verfolgen, so wie auch die Fortentwickélting der Padagogik und Didaktik im Allgemeinen, denn ohtié diese theoretische Fortbildung versinken sie gern bald in Mechanismus; sodann aber miissen sie sich auf ihren Unterricht vorbereiten, miissen die Stunden geben, die Arbeiten der Schiller durchsehen und corrigiren und auf deren sittliches Treiben und Leben ausser der Schule Acht haben. Selbst wenn ein Gymnasiallelrer wéchent- lich nur 16 Unterrichtsstunden zu ertheilen hat, welche Stunden- zahl etwa auch das verniinftige Mass sein méchte, so verursachen ihm schon seine praktischen Arbeiten, wenn er sie alle geistlig verrichtet, eine solche Miihe, dass er zu seiner eigenen wissen- schaftlichen Fortbildung kaum die Ferien tibrig behalt. Und doch ist hier erst der giinstigere Fall angenommen, wo der Gymnasial- lehrer nicht mehr Stunden zu erthzilen hat, als er geistig be- waltigen kann. Muthet man ihm mehr zu, lasst man ihn wochent- lich 22—26 Stunden ertheilen, so macht man ihn zu einem geistigen Lastthier und erdriickt in ihm die ideale Regung, die man durch alle mégliche Mittel in ihm wecken und entwickeln sollte, weil er ohne sie schlechterdings nicht geeignet ist, in der Jugend einen Sinn fiir das Ideale zu erwecken, denn ein Licht entziindet sich nur an dem andern. Aber selbst in dem giinstigen Falile, dass der Gymnasiallehrer bloss das Mass der Beschiftigung hat, was er im Interesse der Jugend vor Allem und nicht bloss in seinem eigenen Interesse haben sollte, selbst in diesem giinsti- gen Falle hat er einen Umfang der Arbeiten, dass er den Ver- gleich ‘mit keinem andern Stande zu scheuen hat, ja die meisten derselben sicherlich tbertrifft. Und was nun vollends die

Wichtigkeit seiner Arbeiten anbetrifft und ihren Einfluss auf das |

Gemeinwesen, so ist wiederum keinem Zweifel unterworfen, dass das geistige Leben des Volks, die Grundfesten unseres hoheren Daseins:-— Bildung und Gesinnung vornehmlich und ganz hauptsachlich durch die Wirksamkeit der Gymnasien * bedingt ist. * Die h. Barger(Real-) und die Volksschulen gefalligst nicht vergessen. D. H. 1*

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Die Gymnasien sind die Zeugungsstitte der héchsten, um- fssendsten und allgemeinsten Bildung, die ihren Werth und Zweck in sich selbst hat, die Zeugungstatte von wahrer Geistes- ' freiheit in Kunst und Wissenschaft und sie bilden daher auch diejenigen Individuen des Volks, die im Staatsleben Leiter, Ver- ‘treter, Firderer der idealen, reingeistigen und géttlichen Ange- legenheiten zu werden bestimmt sind, und sie bilden sie in dem- . jenigen Alter, in welchem es sich um Sein und Nichtsein des Geistes fiir das ganze Leben unwiderruflich, entscheidet, in der Zeit des Knaben- und Jiinglingsalters.

‘Vergleichen-wir nun den Lohn, welchen die Gymnasiallehrer fiir eine solche Arbeit empfangen, so steht zuerst ihr Einkommen in der Regel tief unter ihren Bediirfnissen und: sie miissen es. sich in der Regel versagen, die zu ihrer wissenschaftlichen Fortbildung erforderlichen Biicher zu kaufen, ihren Kindern eine umfassende Ausbildung zu geben oder gar an dem hohern gesell- schaftlichen Leben einen billigen Antheil zu nehmen, sondern sie miissen zufrieden sein, wenn sie die dringendsten Bediirf- nisse decken; sobald sie kein eigenes Vermégen haben, und das haben sie héchst selten, denn die Reichcn und Vornehmen werden keine Gymnasiallehrer und ich brauche den Grund davon nicht hinzuzufiigen.

Nun denn! So ist vielleicht die andere Seite des Lohns im biirgerlichen Leben die Ehre, d. h. die selbstandige Stellung den andern Standen gegeniiber um so bedeutender? Ich spreche nicht von einer gewissen Reprasentation der Gymnasiallehrer den andern Standen gegeniiber, denn zu einer solchen gehért Geld und das haben sie nicht, sondern nur yon einer persdnlichen Unabhingigkeit der Lehrer und von einer Unabhingigkeit der Anstalten von andern Corporationen? Da sieht es noch schlimmer aus. Wir wollen zuerst einmal die gliicklichen Gymnasien be- trachten, welche keinem stadtischen Patronate unterworfen sind, sondern unmittelbar unter der Regicrung stehen, also die eigent- lich freien, und wiederum wollen wir uns ein Land vorstellen, in dem die Gymnasiallehrer von den Vorgesetzten mit Achtung und Vertrauen behandelt zu werden pflegen, naimlich das Kinig- reich Preussen den Gegensatz von ‘einigen andern Staaten, wo den Offentlichen Mittheilungen zufolge die Gymnasiatlehrer wie Unmiindige behandelt werden sollen. Also wie steht es in

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Preussen und in dem giinstigsten und wiinschenswerthesten Falle, ~ ' dass die Gymnasien unmittelbare Staatsanstalten sind?

Sie werden auch da. so vielfach inspicirt, revidirt und con-, trolirt, dass sie schon hier an ihrer Freiheit und an ihrem guten Willen oft irre werden kinnten. Durch die dffentliche~Gesetz- gebung ist genau bestimmt, was jeder in seinem Amte und an seiner Stelle zu thun hat, und durch strenge Examina ist sorg- faltig ermittelt, dass ein angestellter Lehrer die Kenntnisse und die Geschicklichkeit hat, in den‘ Gymnasien zu _ unterrichten. Nichts desto weniger wird so streng beaufsichtigt, * als wenn das Erstere erst bestimmt und das Letztere erst ermittelt werden - sollte.

Wiahrend der Prediger , der Superintendent etwa alle. 2—3 Jahre revyidirt, wahrend er im Uebrigen ganz unabhangig und unbeachtet sein Amt verwaltet, geht der eifrige Director des Gymnasiums vielleicht alle Wochen oder wenigstens alle Monate durch die Classen, und doch ist am Gymnasium eine Controle viel weniger néthig, denn die Leistungen treten bei Versetzungspriifungen, Abiturientenpriifungen und andern Gelegen- heiten ohnehin deutlich hervor und in der enggeschlossenen Ge- meinschaft und der innig verschlungenen Thitigkeit der Gymna- siallehbrer liegt von selbst schon die michtigste Controle. Um so drickender aber kann oft dieses man muss bisweilen sagen Durchlaufen der Classen durch den Director, weil er hier nichts sieht und nichts sehen kann, was er nicht bei an- dern Gelegenheiten viel sicherer erkannt und weil diese Inspec- tion nur dazu dienen kann, in den Schiilern immerfort die Ueber- zeugung aufzufrischen, dass der Lehrer éin Diener des Directors ist, welche Ueberzeugung sie denn auch oft bestens zu benutzen suchen. Ich schweige von den Berichten, die der Director tiber die Lehrer zu liefern hat, denn diese werden ja wohl auch von allen andern Vorgesetzten gefordert, und noch viel mehr schweige ‘ich von den Conduitenlisten, weil sie ganz geheim sind, dass man gar nicht weiss und wissen kann, wie man mit ihnen daran

* Gott sei Dank, denn was kann dem Schulmanne angenehmer sein, als wenn die Regierung sich um das Schulwesen wirklich bekimmert? Dem tachtigen Lehrer muss fleissige Inspection aus:mehreren Grinden er- winscht sein. Einmal gewinnt er, wenn man sieht, was er leistet. Zwei- tens gewinnt die Schule, indem schwachere Lehrer, deren es iberall gibt, immer in Athem gehalten werden. D. H.

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- ist. Za dieser Beaufsichtigung der Gymnasiallehbrer durch den Director kommt nun noch die des Provinzialschulcollegiums, das von Zeit zu Zeit einen Rath entsendet, ferner des Generalsuper- intendenten der Provinz, der iber den Geist und Methode des Religionsunterrichts in den Gymnasien zu wachen hat. Ich meine, das ist zu viel Beaufsichtigung, insofern das Ideale, womit es die Gymrasien doch zu thun haben, darch allzuviel ausserlichen Drang und Zwang gar zu leicht gedriickt wird und keineswegs eine solche Behandlung vertragt, wie die Steuer und das mili- tarische Exercitium. Und das sind die freien Preussischen Gym- sien! Zu alle dem kommt bei den stadtischen Gymnasien die. Aufsicht und Leitung der, stadtischen Behérden, deren Natur nur erst nach den gemachten Bemerkungen aber die allgemeine Stel- lung der Gymnasiallehrer in dem rechten Lichte erscheinen kann.

Der Grundfehler des stadtischen Patronats der Gymnasien liegt darin, dass ihr zufolge die Gymmnasien als stidtische An- stalten. betrachtet werden, da sie ihrem Zwecke nach Staatsan- stalten sind; in diesem Grundfehler liegen alle Mangel, die man im Einzelnen auffihren kapn. Aus den Gymnasien bildet der Staat ganz im Allgemeinen seine Diener, nicht die besondere Corporation der Stadt. Die aus den Gymnasien kommenden In- dividuen ergreifen nicht ein besonderes Gesehaft oder Gewerbe, sondern sie verwalten in Folge ihrer wissenschaftlichen Bildung und allgemeinen Geistesfreiheit die allgemeinen Angelegenbeiten im Staate, wie die Justiz, die Culte, den Unterricht, die Finan- zen u.s.w. Und weil daher die Gymnasiallebrer als Lehrer der Wissenschaft im Interesse des Staats arbeiten, nicht im Interesse einer bestimmten stddtischen Corporation, so sind sie von Gott und Rechtswegen Staatsbeamte, und wenn man sie zu Stadt- beamten macht, so that man ihnen Gewalt und Unrecht an. Von der andern Seite, wenn man den stadtischen Behérden ausser der Verwaltung der stadtischen Polizei, der stadtischen Finanzen, der stadtischen Gewerbeangelegenheiten ete. auch noch die Aufsicht aber die Gymnasien und das Recht, deren Lehrer anzustellen, ertheilt, so muthet man ihnen Etwas zu, was weder in ihrem Interesse noch in ihrer Bildungssphare liegt. Aber selbst in dem allergiinstigsten Falle, dass die staédtischen Behorden der Sache vollkommen gewachsen und if jedem betreffenden Falle die zweckmissigsten Massregeln zu treffen im Stande wiren, so bliebe es immer eine unverdiente Demithigung und eine

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sachliche Ungerechtigkeit gegen den Gymnasiallehrerstand , dass er sich von einer ihm dusserlichen, nich{ aus ihm selbst erwach- senen Behiérde bestimmen und leiten lassen muss. Ein freier wnd selbstindiger Stand (und ein solcher zu sein, darauf hat der Gymnasiallehrer durch den Umfang und die Tiefe seiner Ar- beiten -gerechten Anspruch trotz einem) regiert sich selbst, d. h. seine Regierung ist aus ihm selbst hervorgegangen , die Vorge- setzten sind die edelsten, tiichtigsten, umsichtigsten und kennt- ‘nissreichsten desselben. Standes, der regiert werden ‘soll. * Machen doch jetzt selbst die Elementarlehrer den Anspruch, von der Vormundschaft der Geistlichen befreit und unter ihre eigne Controle, d. h. unter Manner, die aus ihrer Milte sich zu einem héhern Standpunkte emporgearbeitet haben, und man wird ihrem Verlangen wenigstens insoweit willfahren.miissen, dass man keine Geistlichen mehr anstellt als Schulinspectoren, welche das Wesen des Elementarschulwesens nicht verstehen, und Padagogik und Didaktik nicht theoretisch und praktisch inne haben. Nur wer vollkommen Einsicht hat in ihren Beruf, der kann sie beaufsich- tigen, der darf sie beaufsichtigen. Es empért mich immer, wenn ihr Verlangen, von den Geistlichen frei gegeben und unter eine eigene Behérde gestellt zu werden, von den Geistlichen so ohne Weiteres als Hochmuth bezeichnet wird. Wie? Ein Mann, der sich Tag fiir Tag in Leib und Seele anstrengender Arbeit aufopfert, dessen Thun das zukiinflige Wohl der Gemeinde so wesentlich be- dingt, und der trotz so miihevoller Arbeit oft nicht den diirftigsten Lebensunterhalt hat und daher auf dem Lande Ackerbau treiben und in der Stadt sich durch Priyatstunden erhalten muss, und so durch iibermassige Anstrengung sich Gesundheit und guten Muth so vielfach zerstért; ein solcher Mann sollte nicht den Wunsch hegen und aussprechen, von einem Wissenden beaufsich- tigt, geleitet und zurechtgewiesen zu werden? Ein Geistlicher

* Ich meine aber, das sei in Preussen der Fall: die HH. Joh. Schulze, Kortim, Briiggemann , Eilers u. A., im Ministerium die HH. Lange, Otto Schulz, Landfermann, Korten u. A, bei den Provinzialregierungen waren simmtlich Schulmdnner. -

Dann scheint es mir, als waére der Birgerstand in Preussen klug genug, um das eigentlich Administrative des Schulwesens (nicht das Technische, das misste ganz und gar Sache der Staatsregierung werden) durch seine Communal-, Kreis- und Provinzialbeamten besorgen zu lassen. Wir mis- sen uns von der Vormundschaft des Officiantenthams losmachen , nicht noch einernmhhi rennen. D. H.

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aber, der nicht P&dagogik studirt und sich einige Jahre im Schulunterricht getibt hat, ist kein Wissender. Ist aber schon in dieser Sphére eine solche Forderung nicht so ohne Weiteres von der Hand zu weisen, so ist das Verlangen der Gymnasien, nicht von einer andern Corporation beaufsichtigt und geleitet zu

- werden, doch noch viel weniger zuriickzuweisen, und doch existi-

ren noch so viele stidlische Gymnasien neben den kéniglichen und das Wesen oder yielmehr das Unwesen pflanzt sich von Jahrzehnt zu Jabrzehnt fort und untergrabt den heitern Muth der Gymnasiallehrer, denen hier Gewalt angethan wird, oder macht sie widerspenslig oder erfiillt sie, wie sich bei diesen Verhalt-— nissen gar. manche Beispiele finden, mit der tiefsten Resignation. Namentlich an grossen Anstalten der Art, die ein zahlreiches Lehrerpersonal haben, erzeugt sich durch dicsen aussern Druck ein gewisser Risonnirgeist, der das reine Gegentheil ist von der

‘wissenschaftlichen Ruhe und Freiheit und nicht ohne Einfluss-

auf Schule und Leben bleiben kann. Und- wie sollte es anders kommen? Wenn man einem Collegium von Gymnasiallehrern, und wenn es die gebildetsten, wohlgesinntesten und talentyollsten wiren, das Recht iibertragen wollte, etwa einen, Landgerichts- rath zu berufen oder einen Offizier anzustellen, oder einen. Geist- lichen oder einen Biirgermeister, oder was man sonst will, so wiirde alle- Welt und yor Allem der betreffende Stand selbst tiber Unrecht: schreien und man wirde das Alte: ,,Schuster bleib bei deinem Leisten,“ in allen Formen und Wendungen zu héren | bekommen. Aber ist es denn etwa ein geringeres Unrecht oder eine geringere Unangemessenheit, wenn die Gymnasien und die Gymnasiallehrer der Bestimmung und Leitung einer Corporation unterworfen wird, die ihrem Wesen nach ganz andere Interessen zu vertreten hat, als die ideellen der Wissenschaft? Wie in Preussen jetzt die Sachen stehen, so wird der Magistrat, in dessen Hand das Patronat der stadtischen Gymnasien liegt, von den Stadtverordneten gewahlt, die Jetztern aber yon den Birgern der Stadt. Nun gehdren bekanntlich zu den wahlenden Birgern bloss diejenigen, die ein stédtisches Gewerbe treiben, wie vor Allen die Kaufleute, Fabrikanten und Handwerker, und es gehéren nicht dazu die allgemeinen Stinde, wie die Prediger, Lehrer, Juristen, Aerzte, Offiziere u. s. f., und es kann sich bei der Wahl der Stadtverordneten und der Magistratsmitglieder auch nicht das Interesse und der Einfluss dieser Stinde geltend machen und

der Gymnasiallehrerstand kann demnach hier auch nicht. seine Rechte und Wiinsche selbst aussprechen. In Folge dieses: Wahl-. _princips wird denn nun das Collegium der Stadtverordneten und der Magistratspersonen ganz im speziell stadtischen, d. h.- ge- werblichen, kaufmannischen, finanziellen, materiellen. Interesse gewahlt und wenn es nun schon unangemessen wire, dass die Vorsteher der stidtischen Corporation, selbst wenn das Wahl- princip ein geistigeres ware, auch Vorgesetzte der wissenschaft- lichen Anstalten waren, so.ist.es unter den gegenwirtigen Ver-. hiltnissen doppelt unangemessen. Die meisten der Magistratsper- sonen sind unter den gegenwartigen Verhiltnissen selbst Glie- der der stadtischen Innungen, z. B. Kaufleute und dergl.,.und wenn sich auch etwa einer oder andre Jurist unter ihnen findet, so ist erstlich ein solcher auch nicht aus dem Stande der Gym- nasiallehrer hervorgegangen und hat sodann weder Zeit noch Gelegenheit je gehabt, noch hat er sie, noch wird und kann er sie haben, sich um das Wesen und die Entwickelung der Wissen- schaft und wissenschaftlichen Bildung oder um die Individuen, die theoretisch oder praktisch in diesen Gebieten sich hervor- thun, irgendwie zu bekiimmern. Ich brauche, eigentlich gar nicht weiter zu bemerken, doch will ich es ausdriieklich thun, damit Niemand diesen meinen Aeusserungen eine falsche Absicht bei- legt, dass die Glieder der Magistrate in der Regel ehren- werthe Manner sein werden, schon desshalb, weil sie durch das Vertrauen ihrer Mitbiirger auf ihre Stelle berufen worden sind. Es sind sicherlich im Durchschnitt die gebildetsten, ein- sichtsvolisten, woblgesinntesten und in allen Fallen wenigstens die einflussreichsten Manner der Stadt, aber damit sind es: ja- doch noch keineswegs Vertreter und Kenner der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Erziehung, ja das. kénnen sie nicht sein in Folge ihrer Vorbildung und Beschiaftigung,. und so kénnen sie auch nicht Leiter und Aufseher und Vorgesetzte von Anstal-. ten sein, die mit nichts Anderem als Wissenschaft und wissen- schaftlicher Bildung zu thun haben.* Und doch sind sie es.

* Die technische Aufsicht sollte allerdings der Staat ibernehmen ; wenn aber ein Gymnasium aus stddtischen Mitteln erhalten wird, so ge- bihrt dem Magistrat natirlich die Anstellung der Lehrer. Menschlichkeiten _bei Anstellungen kommen auch im Staatsdienste vor und warum nicht hier? Wird es arg, so ist der Staat daran Schuld, da ja die Magistrate nur solche Lehrer anstellen dirfen, die ihr Stantsexamen gemacht haben.. D. H,

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Nun ist zwar ih Einfluss auf die Organisation des Unterrichts ‘und der Disciplin ihres Gymnasiums im Ganzen wohl nur ein ‘sebr uuwesentlicher. und formeller, und es bleibt in: dieser Be- ziehung wohl im Ganzen nur der Ehrenpunkt, aber ein wesent- licher Ehrenpunkt, dass der Gymnasiallehrer den Schnittwaaren- hindler muss als seinen Vorgesetzten anerkennen. In dieser Beziehung nehmen sich auch die Patrone in Acht, dass sie ihr Recht realiter nicht so weit geltend machen, als sie es formell wohl geltend. machen kénnten, denn Niemand gibt sich. gern unnothiger Weise eine Blésse. |

. Praktisch und reel aber wird der Einfluss der Patronate ‘diber die Gymnasien bei der Besetzung vacant gewordener Stellen. Tritt dieser Fall ein, so nimmt die Sache etwa folgenden Ver- Jauf. Es melden sich zu dieser Stelle eine Menge yon Indivi- duen und documentiren dem Patrone zuerst durch Zeugnisse und sodann auch wohl durch eine Probelection ihre Qualification. Hier ist aber zuerst zu erwagen, was bei der zu einer entsetz- lichen Hébe. heranwachsenden Stellenjagd nur um so dringender 2U erwigen sein michte, sind es denn in der That immer die Tachtigsten, welche sich zu einer Stelle melden? Ich will gar nicht yon jenen privilegirten Meldern sprechen, die sich iiberall ‘melden, wo eine Stelle vacant ist, die mehr eintragt, als die ibrige und die fiberall hin lieber wollen, als wo sie sind. Aber es ist einem gesunden Sinne im Allgemeinen zuwider, sich zu einer Stelle zu melden und dann um so mehr, je mehr eine -sdlche wie eine feile Waare ffentlich ausgeboten wird.* Ge- schieht das Letztere aber nicht, so entsteht der entgegenge- -setzte. Uebelstand, dass sehr wenige von der Vacanz einer ihren - Wiinschen etwa entsprechenden Stelle eine geniigende Kunde erhalten, wenn sie ja sich tiberwinden und zu einer Meldung schreiten méchten. So ist denn aus entgegengesetzten Griinden -die Zahl der Competenten, mit denen die stadtische Behérde durch Zeugnisse und Probelectionen sich bekannt machen kano, sebr klein und die geeignetsten Candidaten werden aus den angefubrten

* Ganz umgekehrt. Es sollte in Preussen die Sitte der schweizeri- .schen. Republiken eingefahrt werden, dass schlechterdings jede Stelle mit _Ausnabme der Minister- und wirkl. Geheimeraths- und Staatsrathsstelten Sffentlich ausgeschrieben werden miisste. Das Protokoll misste 2 Monate offen bleiben und jedem Betheiligten gestattet sein, davon Einsicht zu nebmen. Ein andermal mehr dardber. D. H.

it

Griinden schwerlich unter ihnen zu finden sein. Wie ganz anders gestellt ist- in dieser Beziehung die Staatsbehérde. Sie besteht aus Mannern, die selbst aus dem Stande der Gymnasial- lehrer erwachsen und daher durch ibr Studium mit den 6ffent- lichen Leistungen der wissenschaftlichen Pédagogik und durch _ibren unmittelbaren Beruf mit den Fahigkeiten, Bedirfnissen und Arbeiten von einem sehr grossen Kreise: yon Gymnasiallehrern bekannt sind und eben so mit den nahern Verhiltnissen der An- stalten. Die Hauptsache aber ist, dass ihnen, als Mannern vom Fach, der Massstab zy Gebote steht, nach welchem in diesem Falle geurtheilt werden muss. Denn angenommen auch, dass zu einer Stelle stadtischen Patronats eine grosse Anzahl von Competenten sich eingefunden hat und unter ibnen die tichtig- sten und besten, hat denn nun die stadtische Behérde, auch wenn sie in ihrer Sphare die einsichtsvollste und kraftigste wire, den Massstab in sich, nach dem sie entscheiden kann? Die Herren Competenten schicken vielleicht ihre Bicher und Programme ein, aber Niemand kann sie lesen und beurtheilen. Sie balten Probe- lectionen, aber wenn sie z. B. in den héhern Classen gehalten werden und in wissenschaftlichen Gegenstanden, die dem biirger- lichén Leben und dessen gebildetsten Reprasentanten fern liegen, wie in der Interpretation der alten Classiker vollends in lateini- scher Sprache oder in der Mathematik, oder in fast jedem andern ‘Gegenstande der hohern Gymnasialclassen; dann spielen die Magistratsmitglieder, welche die Probelection abhalten, eine sehr miissige Rolle, und die Erfahrung zeigt es genugsam, welchen Stoff entweder fiir den Humor oder fiir die Verstimmung der betreffenden Lebrer ein solches Schauspiel an die Hand gibt. Verlassen sich aber diejenigen, die in einem solchen Falle gesetzlich zu entscheiden haben, auf das Urtheil und das Zeug- niss Anderer, sei es einzelner Manner, die fiir besonders sach- kundig gelten, oder der Staatsbehérden, die diesen Geschiaftszweig verwalten, so bekennen sie selbst damit, dass die ganze Ein- richtung ein leerer Formalismus ist und dass es viel besser und kiirzer ware, wenn die Entscheidung unmittelbar in andern Handen wire. Ich sage auch kiirzer, denn auch die Verzégerung des Geschiaftsgangs ist ein Moment, das bei dem stidtischen Patronate einige Beachtung verdient und da die Entscheidungen der stadtischen Behérden, wenigstens in Preussen, noch durch zwei andere Behérden, nimlich durch das Provinzialschulcollegium

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und das Ministecrium hindurchgehen miissen, ehe sie Gesetzes- kraft erhalten, so ergeben: sich zwischen diesen verschiedenen Willensmichten so haufige Collisionen, die den Beschluss ver- - gégern-und den Anstalten durch oft Jahre lange Vacanzen den ~ gréssten Schaden bringen. Kurz! man mag die Sache bei einem Ende anfassen, bei welchem man will, man kémmt immer zu- demselben Resultate. Und doch haben wir den schlimmsten Fall, zu welchem diese in sich fehlerhafte Einrichtung fihren kann, noch erst zu-erwdhnen. Wenn einem der rechte Massstab des, Urtheils fehlt und er soll und muss dennoch urtheilen, so legt er unwillkiirlich einen andern Massstab an, welchen ér eben hat, einen unwesentlichen statt des wesentlichen, einen dusser- ‘lichen statt des innerlichen, und wie oft mag es vorkommen, ‘dass die Beschaffenheit der ausserlichen Manieren, welche ein Lehrer gliicklicher oder ungliicklicher Weise von der Mutter Natur oder durch die Erziehung erhalten hat, oder Familien- und ge- sellige Verbindungen und anderes nicht aus der Natur der Sache Folgende in die Wagschale des abwagenden Richters, der nicht im Centrum der Sache steht, fallen, und sie um ein Bedeutendes ' oder ganz allein zur Erde driicken! _

Sind diese Bemerkungen gegen das stadtische Patronat nicht. etwa Folgen einer subjectiven Verstimmung, sondern ergeben sie sich aus einer umsichtigen Priifung der Erfabrung und aus der Natur .der Sache, so werden sie sicherlich bei solchen, in deren Handen die Leitung und Fortbildung des Gymnasialwesens liegt, -Beachtung finden und die nahe liegenden Mittel, dem Uebel abzuhelfen, werden gewiss. zeitig genug in Anwendung gebracht werden, damit den Gymnasiallehrern kein Unrecht ge- -schieht und die Gymnasien zu der Stellung kommen, die ihnen gebiihrt und die das Interesse der Wissenschaft und aller h6heren Bildung erfordert.

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_ Die Arbeiten der Jugend.

Von Dr, Ed. Kriager, Rector am Gymnasium in Emden. | Die gegenwartige Zeit, die vielbeschiftigte, mit allem Kraflen arbeitende, bis zur Erschépfung um die héchsten Giiler des Geistes ringende, hat mit ihrem gewaltigen Fligelschlag nicht allein die Lebenskreise der Gereiften ergriffen; nicht dem Manne allein ist sein tiichtiges Theil Arbeit zugemessen, der er Sinn und Seele weiht: auch die Jugend wird hineingezogen in- die rastlos strémende Geschiftigkeit, als solle auch sie schon mit- wirken an dem sausenden: Webstuhl der Zeit. Die goldnen Tage der reinen Natiirlichkeit, das Paradies des unmittelbaren Selbstgenusses, ein blosser einfalliger Mensch zu sein, ist langst dahin. Das ungeschlachte Mittelalter, ja selbst die neue Herrenzeit der letzten Jahrhunderte liegt fernab von uns, und die rohe frische Natur .darf sich heut weniger als jemals an- massen, durch sich selbst Geltung zu erwerben, nur selten, -in fernem 6dem Gebirge etwa haust noch ein. Titanensohn ‘in Strauch und Waldschlucht und schleift zwischen Dornen und Rosen ein urspriingliches Dasein unbekiimmert dabin, ohne dass die Cultur ihn bedeckt. Die allgemeine Arbeit, das Schicksal: der Zeit, die herbe Nuss, das Muss, hat der Jugend ‘sperrigen Nacken gebeugt,. und sie erfahren von Kind auf das alte Wort: im Schweiss deines Angesichts sollst du dein Brod essen. _

- Wir beabsichtigen nicht, ein diisteres Rousseau’sches Ge- malde der cultivirten Welt zu geben. Die Gegenwart widerlegt solche Klagen; wenigstens hat ein grosser Theil der Lorinser-. schen Mahnungen den Erkldrungen wohlunterrichteter Schul- manner ,weichen miissen, und selbst statistische Durchschnitts- rechnungen ergeben weder gréssere Sterblichkeit der Jugend als friiher, noch sind die rothen Wangen und iippigen Sinnen aus der Schiilerwelt so ganzlich verschwunden, wie es eine hypo- chondrische Liebe zur Jugend wohl darstellen méchte. Auch ist es mit den folgenden Worten nicht darauf abgesehen, aus missverstandener Philanthropie den derben Jungen das Arbeiten zu ersparen: ist die ganze Zeit drang- und unruhvojl, von Sehn- suchtsschmerz. nach. héheren Giitern ergriffen,.nun so. wird auch

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das werdende Alter sein Theil zu tragen haben von dem, was das allgemeine Schicksal auferlegt; und die Menschhcit ist zihe: sie hat ganz andere Leiden als die gegenwartigen durchlebt, und sich tausendmal aus der. Asche. verjiingt.

Dennoch fihlen wir die Verpflichtung, an die erste aller praktischén Wissenschaften zu erinnern, die uns Dringenden fast zu einer philistrésen Tradition geworden ist; den Griechen war sie die Mutter aller Lebenskunst: die Wissenschaft des Maasses. Grosser gefasst als jenes griechische Wort. ist es die Forderung harmonischer, ganzer Menschlichkeit. Dass. wir eine solche unserer Jugend an- und einbilden: wollen, darin stimmen, . wissentlich.oder nicht, alle liebevollen Lehrer iiberein. Aber das Wie, das Maass des Maasses, macht Schwie- rigkeit. Von der einen Seite. steht der Staat mit seinen Forde- derungen, die allgemein gebildete Welt, die Theilnahme des -Volkes: ihr gegeniiber die Besonderheit der Schulanstalten, die _ Individualitat ibrer Lenker und Jiinger. Die dusseren Bedingun- gen, um jener grossen Forderung zu entsprechen, sind seit

einem Menschenalter vorziiglich in Deutschland auf eine bisher - unbekannte Hohe gesteigert. Préussen machte den Vorgang mit dem weisen Maturitatsgesetze, von wo der Ausgangspunkt des neuen Aufschwunges der Gymnasien gerechnet werden. muss. Die Idee, ‘welche diesem wichtigen Gesetze zu Grunde liegt, eine allgemeine historisch-logische Bildung kiinftiger Staatsdiener gu erzielen, erwies sich so machtig und zeitgemass, dass die meisten deutschen Staaten, yoran die protestantischen, diesem Muster nachfolgten. Als das Gesetz etwa ein halbes Menschen- alter sich thatig erwiesen, wurden manche widerstimmige, manche beistimmende Urtheile laut: die widerstimmigen grossentheils von Staatsmannern, Aeltern und Pflegern, Geschaftsleuten so dass die Einwendung nahe lag, die aussenstehenden Nicht-Tech- niker, denen der innere Organismus in seiner Nothwendigkeit und Verniinftigkeit weniger klar sei, wiren es yornamlich, die dem modernen Schultreiben sich abhold erwiesen. Wenn nun

dagegen der gréssere Theil der Schulminner sich einverstanden '_erklirte,’ ja mit Begeisterung diese Erhebung und Beseelung des Gymnasiallebens pries, so mussten sie wohl hie und da den Vorwurf héren, sie stritten pro aris et focis, wollten die Welt zur Schule machen, ja es ist auch nicht tibersehen- worden, wie die Maturitatsgesetze dem Schulmanne sein Amt erleichterten

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indem sie ihm eine Fessel in die Hand gaben, ‘den Jugendgeist mit geringeren disciplinarischen Mitten zu Orduung und Ge- horsam zu zwingen, so. dass eine Lobpreisung jener-Gesetze, die ihn mancher lastigen Erziebangskiinste iberhdben, gar wohl erklarlich sei. : Es ist hier nicht nothig , zu untersuchen, wie weit jede dieser extremen Meinungen im Rechte ist.’ Vielmehr fragen wir

nach dem Inhalt und-der Tendenz jener Bildungsmittel, welche -

sich das Recht erobert haben, den’ ganzen Gymmasialhorizont

zu behierrschen. Es ist unzweifelhaft, dass zur Erwerbung der.

edlen Bildung ganzer Menschlichkeit, trotz alles Wider: streites der Reallisten und Philantropisten, kein anderer Weg sich erfinden lisst, als durch‘ein gewisses umfassendes Material historischer, linguistischer und mathematischer Kenntnisse; was ausserdem noch yon sinnlich-leiblicher Seite hinzukommen. muss, um die edle Menschheit zu vollenden, figen wir hinzu,. sobald wir uns iiber das Verhiltniss jener drei Grundpfeiler der huma- nen Bildung verstindigt haben. Dieses Verhiltniss ‘némlich ‘ist

noch immer der Streitpunct, an. dem sich die- Differenz. der In-

dividualititen, der Bildungsstufen, des Bediirfnisses entweder einzelner Gymnasien oder ganzer Provinzen und Lander offen- barte. Allgemein steht der Vorrang des Linguistischen

Unterrichtes fest: er nimmt den gréssten dusseren Raum |

der Unterrichtszeit, die tiefsten geistigen Krafte der. Jugend’ in Anspruch, und mit Recht. Aber dieses Quantum selbst schwand um so mebr, je mehr die iibrigen Disciplinen, sei es durch gesetzliche Bestimmungen und allgemeines Bediirfniss, oder durch die individuelle Richtung der Schule und des Lehrers,~sich. den linguistischen Studien gegeniiber erheben und méglichst .coor- diniren wollen. An den mir bekannten norddeutschen Schulen nimmt der gesammte Sprachunterricht, das Franzésische einge- schlossen, mehr als die Hialfte der: wéchentlichen Stunden ein; dem Lateinischen fallt ungefahr ein Viertel zu; die Mathematik nimmt etwa ein Zehntel oder Elftel, oder mit der Naturkunde zusammengerechnet, ein Siebentel fir sich: Die ibrige Zeit ist in Religion und Geschichte verschieden vertheilt, je nach Mass- gabe der Altersstufen oder der speciellen Unterrichtsanstalten. In Emden schwankt die Gesammtzahl der Stunden zwischen 88 und 33; der Sprachunterricht umfasst sieben Sprachen, wo-

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von jedoch das Hollindische und Hebriische facultativ sind, und das Englische nur den Nichtgriechen verpflichtend. | Wer die Musterkarte einer gegenwartigen Schule mit denen vor 30 Jahren vergleicht, oder auch nur mit heutigen von den deutschen Klosterschulen oder gar englischen und franzésischen, der wird, zumal wenn er nicht in das practische Schulwesen selbst initiirt ist, voll mitleidigen Erstaunens die frdhliche Ju- gend beklagen. Und von Schulmannern hért man auch hie und - da ein abnliches: Wort. Vorziiglich trifft der Tadel die Masse der Gegenstande, die Zahl der Unterrichtsstunden und die aus- gedehnten Privatarbeiten der Schiller. Von den ersten, den Gegenstanden des Unterrichts, lisst sich schwerlich etwas abdingen, wenn nicht der gegenwiartige Stand der Bildung iiber- haupt erschiittert, und ihre gerechten Forderungen vernachlaissigt werden sollen. Hichstens entschliesst man sich, allenfalls das Englische oder Hebriische als entbebrlich aus dem 6ffentlichen ' Unterrichte zu verbannen; wer den Gymnasialstandpunkt noch strenger absondern will, wirft allenfalls noch den Gesang, das Zeichnen und Schreiben hinaus, um es den Volks- oder den Privatschulen zuzuweisen. Ko6nnten wir uns wirklich so abson- dern welche Isolirung indess den Gymnasien in mehreren Riicksichten schadlich sein wiirde so hialten wir zwar an Zeit gewonnen, aber das specielle Bediirfniss wiirde sich dann durch. zeitraubenden Privatunterricht richen, und der grossen Masse der Schiiler ware wenig geholfen. Sind wir demnach iiberzeugt, dass weder dem linguistischen noch dem historischen oder mathematischen Unterrichte etwas abgedungen werden kann, wenn nicht die Gesammtbildung in Gefahr ‘gerathen soll, so werden wir untersuchen miissen, ob den speciellen Fachern eine solche Zahl von Unterrichtsstunden unentbehrlich sei, wie sie heutzutage im Durchschnitt darauf verwandt wird, Als mittlere Durchschnittszahl ist in Norddeutschland lange Zeit die 32 an- genommen; in Gotha war (bis zum Jahre 1828, so viel mir be- kannt); die Gesammtzabl der wéochentlichen Stunden in den oberen Classen 26, namlich des Morgens 3, an 4 Nachmittagen je 2 Stunden; und doch fehlte weder irgend ein Gegenstand der neuern Schuldisciplinen noch die Maturitatspriifungen. In, Hild- burghausen schwankt die Stundenzahl (Progr. yon 1840) nach den einzelnen .Classen zwischen 29 36; die héchste Zahl hat die Quarta, die niedrigste Secunda und Sexta. Da nun die beiden

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genannten thiiringischen Gymnasien, deren Muster (wie ich ‘nach. Hoérensagen berichte) die ibrigen derselben Gegend folgen, mit klei-

nerer Stundenzah! dieselbe Arbeilsmasse bewaltigen, so fragt sich,

ob wir Norddeutschen unserer Jugend nicht solche Raschheit und

Gewandtheit der Auffassung zutrauen diirfen, wie ihren stidlicheren

Briidern, oder ob wir vielleicht in einem odér anderen zu yiel

fordern. Ueber die Fassungskraft ist schwer vergleichend zu

urtheilen; sind die Thiiringer im Durchschnitt lebhafter und reg-

samer, so ist dagegen der Norddeutsche verstandig, willenskraftig,

hartképfig, und so mégen sich die provinciellen Neigungen und

Richtungen wohl ausgleichen. Der classische Unterricht z. B.

welcher auf manchen norddeutschen Gymnasien* in den eberen

Classen 14—16 Stunden in Anspruch nimmt, hat in Thiiringen |

nicht mebr als 12—14. Da heisst es denn hie und da, .dem -Plattdeutschredenden werde sowohl die hochdeutsche ‘Sprache als die fremden; namentlich classischen , schwieriger. Gleich- wohl haben wir treffliche Latinisten,. soweit diess dem Gymna- siasten erreichbar ist; und auch der hochdeutsche Schriflaus- druck gewinnt oft ziemlich rasch eine gewisse Scharfe uud Fe- stigkeit, weil die Schriftsprache als erlernte durch Reflexion -. gewonnene dem Norddeutschen gleichsam eine Eroberung des Willens ist. In diesem Punkte steht freilich Ostfriesland’ und Meklenburg noch am weitesten zuriick, und deshalb kann von dem deutschen Unterrichte dort nichts verkfirzt werden, ausser wenn man dem bekannten Grimm’schen Grundsatze gemiiss den

Unterricht io der Muttersprache iiberhaupt zu verbannen rathlich |

‘findet. Gewiss ist, dass durch die Interpretation deutscher Classiker, welche seit ungefahr 12 Jahren allgemeiner eingefiibrt ist, gwar das Bewusstsein und die Gedankenscharfe zugenommen, dagegen die jugendliche Frische in dem Ergreifen nationaler Kunstwerke, die erste duftige Begeisterung in dem Beriihren und Hineimleben ohne padagogisches Lenkseil seltener geworden ist. Nebmen wir indess die allgemeine Stundenzahl einst-

* Celle 8 lat., 6 griech., Gcsammizahl aller wéchentlichen Stunden 29—37 (nach den Classen yerschieden), “Rinteln: lat.9, griech. 6, Gesammtz, 29—34, Emden I: lat. 9, griech. 7; IL: lat. 9, griech. 6, Gesammtz.: I. 35, If. 36. Ilefeld: lat. 8, griech. 5, Gesammtz. 30. Hanau-I.: lat. 7, griech 5, Gesammtz. 29. Hildbarghausen I: lat.8., griech. 5, Gesammtz. 31; IL.: lat. 8, griech. 4, Gesammtz. 30. . Hersfeld: ‘lat. 95 griech 6, Gesammtz, 32, ee

Pidagog. Revue. 1812. b, Bd. ¥.. 2

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weilen auf 32 feststehend an, so ist leicht zu erweisen, dass die Jugend durch sie nicht fiberladen wird, wenn das Verhiltniss der Privatarbeiten der Schiller einer vernunftgemassen Norm unterworfen wird. |

Diess ist einer der wichligsten Puncte: ein Angelpunct, um den sich die Halfte des Gymnasiallebens dreht, und an dessen richtiger Behandlung die Bildung, Gesundheit und Menschlichkeit unserer Pflegebefohlenen hangt. Niemand wird zweifeln, dass . um den Schulunterricht fruchtbar zu machen, der Privatfleiss der Schiiler eintreten, und sie also zu einer gewissen Masse eigener Arbeiten verpflichtet werden miissen. Wir unterscheiden nach den gangbaren Rubriken Praparation, Repetition, Exercitium, freie Arbeiten. Die ersten drei sind fir alle Stufen gleich. un- _entbehrlich: nur muss man sich im Allgemeinen tiber die Aus- dehnung der Arbeiten und im Besonderen iiber die Verpflich- tung zu einzelnen Fachern verstaéndigen. Die gesammte Zeit fiir die hauslichen Arbeiten ist bei 32 6ffentlichen Stunden auf taglich-3 Stunden angeschlagen, billig, indem dann héchstens 9, wenigstens 7 Stundew, also durchschnittlich 8 Stunden tag- licher wissenschaftlicher Arbeit zu nehmen sind. Diess ist genug und muss hinreichen; wo nicht, so ist die Einrichtung ‘fehlerhaft, tiberladen, ein Unrecht gegen die Jugend. Die tiich- tigsten Geschafisminner wissen, was es heisst, 12 Stunden tig- lich arbeiten: wer sich in der Rechnung nicht tauscht (denn nur au oft werden 12 Stunden auf dem Bureau unrichtig fiir- vo lle _Arbeitsstunden gerechnet), der weiss es aus eigener Er- _ fahrung, dass dieses Maass wenigen Mannern in der besten milt- leren Zeit der Volikraft, die sich ungetriibter Gesundheit erfreuen, ~ gegeben ist. Man iibersehe auch nicht die yon allen Naturkun- digen anerkannte Wahrheit, dass geistige Arbeit den Kérper mehr anstrengt, als kérperliche: Braucht nun der ausgebildete Mann mitsehr wenigen Ausnahmen ungewohnlicher Kraft -die Halfte der 24-Tagesstunden zu Schlaf und Leibespflege, so ist dem Jugendalter nach billiger Rechnung ein Drittel, héchstens drei Achtel zuzumuthen. Dass auch einmal ein ausserordent- licher Fall ein Mehreres verlange, gestehen wir zu: die Normal- _ gahl jedoch muss durchaus auf 8—-9 Stunden taglicher Geistes- arbeit gebracht werden.

Man sollte- meinen, diess lige auf der Hand und bediirfe keiner Mahnung. Nun sind aber Falle bekannt, dass Secundaner

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und Primaner an manchen Schulen 4—5 {fagliche Privat- Arbeitsstunden nothig finden, um den Anforderungen aller Lehrer zu geniigen, zumal wenn eine Schule das Gliick oder Ungliick hat, lauter tiichtige energische Manner zu haben, denen itr Fach ein Heiligthum ist, ein Evangelium, das sie aller Welt verkiinden wollen und miissen. Der classische Interpret ver- langt griindliche, in das Innere dringende Préparation und Repe- tition, der Mathematiker Repetition und Erfassung des Entwicke- lungsganges seiner Abstractionen, der Historiker Memoriren der Facta und lebendige Reproduction des Zusammenhanges; und dazu nicht selten jeder unter ihnen eine schriftliche Arbeit. Ich weiss mehrere Schulen zu nennen, in denen die QOberclassen wochentlich 6 schriftliche Arbeiten liefern, ungerechnet 3—4 andere, welche ‘halbmonatlich , monatlich oder vierteljaihrlich ab- geliefert werden: Tertia hat 5, die Unterclassen schon 4 wé- chentliche in verschiedenen Sprachen abzugeben. Kechnen wir zu diesem, was mit eigentlichen Herzenswiinschen der einzelne Fachlehrer verlangt, dauernde subjective Versenkung des Schiilers in seinen Stoff und dann noch ausserdem die Anforderungen musikalischen Unterrichts, und wenns hoch kommt, des Tanz- und Turnlehrers dann liesse sich bald durch den einfach- sten Caleul nachweisen, dass ein Tag von 30 Stunden nicht ausreichen wiirde, um diesen Gigantenkampf auszukampfen. Gliicklicherweise ist die Jugend leichtfertig genug, hie und da ein Stiickchen Arbeit abzukippen, wo es angeht; auch lassen sie sich (ich stimme bei) schwer. tiberzeugen, dass Tanz, Musik. Turnen, Spazieren und Balgen entbehrliche Beschaftigungen seien. Nur leider finden sich manche. gewissenhafte Schiiler durch jene Anforderungen schon so sehr beengt, dass sie allen zuletzt ge- nannten napéeyorg keine Zeit widmen zu kénnen gestehen. Von freiem Erguss eigener Laune, von frohem selbstandigem Ge- nuss jugendlicher Traumereien, von eignen, wenn auch ver- fehlten poetischen Schépfungen, von stillem begeisterten Er- greifen der grossen Geisteswerke unserer Classiker will ich gar nicht reden, um nicht in den Geruch der Ketzerei zu kommen; aber wehe that-mir’s doch, als ich von zwei Dritteln der heu- tigen Primaner aus eigenem Munde erfuhr, wie wenig sie von Schiller wussten, den sie nicht Zeit hatten zu lesen, ausser in den officiellen Interpretationsstunden. Als wir, die wir heute Minner sind, zur werdenden Jugend gehérten, da wussten wir

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im 20. Jahre den Schiller auswendig, und mancher machte wohl oder iibel sein Verschen dazu; das war auch nicht so ganz schlimm.

Absichtlich habe ich die eigentlich sogenannten Privatar- beiten, d. bh. deutsche Aufsatze, Ausziige aus Schriftstellern u. s. w. noch nicht erwahnt. Dass freie Aufsitze iiberhaupt ein Schaden seien und dergleichen Aufgaben iiber die Schule hin- aus gingen, ist seit Voss wohl nicht wieder behauptet worden. - Wir wissen zwar, dass Géthe und Schiller ohnedas fertig ge- worden sind, erkennen aber eben so sehr die Verpflichtung heu- tiger Zeit, dieses wichtige Bildungsmittel Allen in die Hand zu geben, und nicht allein die Auserlesenen zu der Fabigkeit hinzufithren, ihre Gedanken in angemessener edler Form zu ge- stalten. Dabei fiirchten wir auch nicht, wie Voss, den pruritus

scribendi bei der Jugend zu erregen; denn endlich halt sich - doch der wahre Kern des Menschen starr und unberihrt gegen alle Zuchtruthen, und so brauchen wir kein Meer von Schrift- stellern zu fiirchten, wenn wir die Jungen zur Aussprache und Gestaltung des dunklen Innern bewegen. Aber sogenannte freie Arbeiten, d. h. selbstschépferische yon nicht allein positivem Inhalte, miissen mit moglichster Discretion gefordert werden. Vor dem Anfange der Pubertat also nach unseren Zustanden yor Secunda und Prima ist die eigne Schépferkraft auch in geistiger Hinsicht sehr sparsam, selbst bei hochbegabten Genien. Also lasse man die Buben in Tertia und Sexta nicht iiber Abstractionen derésonniren, die sie noch nicht an eigener Haut erfahren haben. Dort miissen die deutschen Aufsatze, wenn sie durchaus unentbehrlich sind, nicht tiber den nachsten posi- liven Stoff hinausgehen; auf den untersten Stufen ist die wért- liche Nacherzihlung, ja Abschrift aus einem Buche allein forder- lich, schadlich aber das Geschwatze tiber Unverstandenes. Ausser jenen freien Aufsaitzen wird nun sogar noch auf einigen Sehulen zeitweise das Privatstudium eines grésseren Abschnittes aus einém Classiker empfohlen, und hieriiber wiederum schrift- lich Rechenschaft gegeben. Diess ist ein Frevel an der Ju- gend. ‘Wem der Wissenschaftstrieb nicht tief im Blute sitzt, der wird durch solche Gangelei, durch diesen Raub an seiner eignen. freien Zeit eher entfremdet, als herangezogen; dem ta- lentvollen Individuum mag die Anregung, sobald sie seine innerste Neigung trifft, zuweilen forderlich sein; obgleich sie auch hier,

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je freier, d. h. ohne Lehrers Fingerzeig, ergriffen, desto wirk- samer sein wiirde. Bei dem wirklich Genialen wird zu jener © Entfremdung gar leicht ein lebendiger Hass gegen die aufge- drungene Arbeit Hinzutreten, wenn sie nicht in ihm selbst schon ppraformirt war.

Diese Ansicht, durch Privatarbeiten der letzt erwahnten Art, wamentlich fiir die Ferien, ‘den letzten Rest freier Selbstent- wickelung, der unserer Jugend noch geblieben, vdllig zu ent-_ reissen, beruhet auf einer anderen, die sich fiir eine tiefere aus- gibt, und die wir deshalb als die verderblichste an der _ Wurzel angreifen miissen. Da heisst es denn vorab man kénnte es das Schiboleth vieler pidagogischen Enragés nennen —: ,, Wir wollen den ganzen Menschen ergreifen: der Schiiler sei nur Schiiler, er gebe sich mit ganzer Andacht und Ergebung dem Geschiafle seiner Bildung hin, so wird ihm all diese Arbeit Lebenslust werden, und das Ideal des vollkommenen . Schilers, so weit diess menschenmdglich, erreicht! Lei- ; ‘der ein Schnitzer in thesi! der das. ganze kostbare Gebaude fiber den Haufen wirft. Der Schiiler ist nicht blos Schiler, ist nicht mit Leib und Seele an die Padagogik verkauft: er ist ein Mensch, und das ist nicht sein schlechtestes Theil. Er ist Mensch, und jung: die sinn-geistige Reizbarkeit von tausend fremden Kriaften umringt, von unendlich wogenden Gestalten bezaubert, von strémendem Leben iiberwaltigt sie will sich ibr eignes Reich erst erobern, den Boden erst suchen und be- festigen, auf dem dereinst zu beharren ist. Viel kénnen wir geben aber das Beste, Innerste muss er hinzubringen, und selbst taglich von Neuem erwerben; dieses Beste lehrt keine Schulz. ,,Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als wir in unseren Schulen traumea!“ Warum ist der Eng- lander meist selbstandiger, freier, mainnlicher als der Deutsche? Das ist nicht allein der Ausdruck der historischen Nationalititen; es ist eben so sehr das auf ihnen erwachsene Erziehungssystem beider Volker. Wir kKonnen das englische Schulwesen im All- gemeinen natiirlich nicht in Schutz nehmen, da es mit dem unseren weder an Tiefe noch an Reichthum verglichen werden kann. Aber in diesem einen Puncte kénnen wir von unseren alten Stammesbriidern lernen, dass sie nicht zu viel er- ziehen; jenes ewige hastige Di-rigiren (man hat sich den Calembour erlaubt, di-rigo nach Analogie. von di-ripio mit: in

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Stiicken, entzwei regieren zu iibersetzen) ist ihnen fremd. Der Englander behandelt die Schiiler strenge, und diese stehen in ziemlicher Entfernung von der ernsten Abgeschlossenheit der Lebrer, wahrend z. B. der italienische Institutor, Gubernator und Prefetto etc. wetleifernd das Ihre thun, in das Innere des Ziég- lings einzudringen, und es mit allen seinen Neigungen und Be- strebungen zu bewalligen. Unsere deutschen Paidagogen thun es diesen letzteren getreulich nach, wenn sie aus lauter Men- schenfreundlichkeit nichts als ihr edles Bild in dem Gemiithe der. Schiller abzudriicken suchen. Der Erfolg der englischen Erziehung zeigt selbstindige Charakterslarke; der Mensch wird gebildet, dem Gesetz unterworfen zu sein ‘und der Freiheit zu dienen, wahrend man anderswo den leidenden Gehorsam ohne Selbstbestimmung als Ergebniss der Gaingelei gar hiufig erkennt. (S. Friedemanns Parinesen I, 276). Alle Lehre und Schule ist Mittel, nicht Zweck, und hat nach dem Ziele hinzuarbeiten, dass der Schiiler selbstindig,' sie selbst entbehrlich werde. Wenn wir nun auch im praktischen Schulleben wie in anderen Lebenskreisen das Mittel einstweilen der drastischen Wirk- samkeit halber scheinbar zum Zwecke machen, so miissen wir als verniinftige Menschen, die sich ihrer Zwecke wahrhaft bewusst sind, zugleich tiber unseren beschrinkten Augenblick hinweg zu sehen wissen. Diess geschieht aber nicht, wo der arme Junge mit Haut und Hacren zum Dienste der Scholastik verspeist wird. Ist der Lehrer ein Mensch,: der da_ heirathet und Kinder zeugt, geselliger Lust geniesst, eventualiter studirt, Zeitungen liest tind etwas weiter schaut als in die vier Wande des Schulzimmers, nun so génne er auch der Jugend ihr Reich ein stilles, heimliches Reich voll reicher Traume, Hoffnung und . Genuss, das die fremde Hand nicht berithren kann, so sebr sie auch taglich daran riiltelt; wo sie es aber wirklich durchsetzt, etwa ein Aussenwerk, eine Vormauer zu durchbrechen, da stiirzt leichtlich ein Bollwerk der Kraft mit dahin. Wir sprechen mit Entsetzen yon einem Juristen, der zur ausgedérrten Acte, von dem Gecschaftsmanne, der zur Registerlinie geworden ist: ist ein wandelndes, verknéchertes Exeycitium etwa besser? Und die Herren der Menschheit waren jederzeit, ausser, -ne- ben und vor ihrem einseitigen Fache, in dem sie par excel- lence arbeiteten, vorab ganze Menschen: Hegel, Géthe und Napoleon haben’ auch ihr stilles Kimmerlein gehabt,

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wovon in den Blattern der Universalhistorie nichts geschrieben stehet. -_ | |

In die Kategorie der Privatarbeiten scheinen auch die Fe- rienarbeiten zu gehdren. Es ist ganz gut und léblich, wenn man dem Schiiler eine Zeit von 3—-4 Wochen, zumal die lockenden Sommerferien, nicht zum Verderben hingeben, wenn man ihn in der Gewohnung der. Arbeit festhalten und in dem bereits Gewon- nenen bestatigen will. Aber es finden Ausnahmen statt. Eine Familie unternimmt eine gréssere Reise, die die Ferienzeit aus- fillt; die Zéglinge der Schule werden nach ernstlicher Riick- sprache mit dem Lehrer fiir diessmal dispensirt; das wehrt auch der harteste Erzschulmeister nicht. Hier liegt es nun sehr nahe, dass sich die Daheimgebliebenen, denen das Schicksal die Reise versagt, liber Verkiirzung beklagen. Sind die Ferien mein, sollen sie ein eignes Leben neben der Schule bedeuten, spricht der Gebannte nun so muss ich sie auch als ehrliches unver- kiirztes Eigenthum empfangen. Kann ich nicht reisen, so will ich jeden Tag zw6lfStunden herumschweifen in Flur und Berg! oder auch es sind ja Ferien’ meine Gedanken eben so lange reisen lassen, wie jene Begliickten ihre leibliche Existenz. Gegen dieses Risonnement ist gar nichts einzuwenden, da selbst der Neid, den man etwa tadeln méchte, auf dem einfachsten Calcul beruht, und es sonst als Regel gilt, alle Schiiler gleich- massig zu belasten.: Und selbst wenn die Ferien die entgegen- gesetzte Wirkung thiten, bei geistvollen Leichtsinnigen als missige Schlenderzeit einen ungiinstigen Einfluss zu hinterlassen, so ‘kénnte auch dieses der allgemeinen Bildung auf indirecte Weise zu Gute. kommen, indem sich eben bei diesen, denen die Ferien am gefahrlichsten. sein miissten, endlich die Sehnsucht nach Ar- beit und Schule am dringendsten einfindet. Immer besser, durch eignes Bediirfniss, selbst auf dem Wege des Irrthums, zam Ver- niinftigen getrieben zu werden, als sein Leben lang am Lenkseile zu laufen. . oo,

Aber wir haben schon im Voraus zugestanden, dass die Jugend nicht weichlich vor der Arbeit gehiitet werden soll, und dass von den gerechten Forderungen der Zeit nichts abgedungen werden kann. Ware es unmoglich, diese zwiespiltigen Anspriiche | der jugendlichen Selbstentwickelung und der Bediirfnisse heutiger Bildung auszugleichen? Es muss erreichbar sein, hier wie tber- haupt in allen Gebieten wahrer Sittlichkeit Gesetz und Natur,

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-Freiheit und Nothwendigkeit in Uebereinstimmung zu bringen; und erreichen wir es nicht sogleich, so ist es immer das Postulat, das der Verniinftige zu verwirklichen strebt. Zunichst und vor Allem muss es die Methode zwingen, und der Lehrer an In- tension ersetzen, was ihm an Extension des Unterrichtes genom- men wird. Schon dieser dussere Gewinn der Niitzlichkeit und Raschheit des Unterrichtes muss dem ernsten liebevollen Lehrer. die Methodik wichtig machen, auch wenn er gar nicht aus reinem wissenschaftlichem Drange und um der inneren Noth- -wendigkeit willen die Methode suchte. Damit wir hier nicht in einen argen philosophischen Schnitzer gerathen, indem wir das Lebenvollste, Wissenschafterfillteste, die rechte Methode etwa gar ohne innere Theilnahme und geistig-sittliche Néthi- gung als méglich anzunehmen scheinen, bedarf es einer weiteren Erlauterung in Beziehung auf das Fachlehrerthum. Es ist ein grosses Gliick fir eine Lebranstalt, wenn alle Lehrer Kinstler in ihrem Fache sind: diesen wird. die Methode weniger Schwie- rigkeit machen, vielmehr gewissermassen angeboren sein; denn Leben, Liebe, Begeisterung zu wecken, geradesweges in die Seele des vorliegenden Wissenschaftsstoffes hineinfiihfen das ist am Ende die richtigste Methode, und diese gelingt nur dem eingeborenen Genius; selbst persdnliche didaktische. Schwachen werden oft durch solchen Kern vertuscht, und es gibt Beispiele -genug, wo ein genialer Fachlehrer ohne ausgezeichnete Redegabe oder energische Herrscherkraft doch den Hauptzweck, die Bildung der Schiller zu seinem Fache, erreicht hat. -Nun sind aber, wie in allen ibrigen Lebenskreisen, auch unter uns in jedem Fache Dilettanten und Laien genug, die man nicht alle auf einmal des ~ Landes verweisen kann; vielleicht ist dieser Umstand sogar in gewissen Verhiltnissen nicht so ungiinstig, wie es scheint. Kei- neswegs wollen wir hier der Halbwisserei das Wort reden, die iiberall in der Welt Unheil gestiftet bat: die Austbung einer ungehérigen, der innersten Natur unangemessenen Thitigkeit ist die nedragyog dry von jeher gewesen. Aber im Schulleben miissen, zumal im gegenwartigen Zustande, so mancherlei Tha- tigkeiten verwandt werden, und ihre dussere Oekonomie so wie ihre sittlichen Tendenzen machen so manche Modification noth-' wendig, dass es in einigen speciellen’ Verhaltnissen nicht noth- wendig, ia anderen unmdglich scheint, dem Anspruche an gelehrte wissenschaflliche Fachlehrer etwa in dem Maasse zu geniigen,

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wie eine Universitat. Wie viele sind denn unter unseren Gym- vasialphilologen —- denn mit diesem Brouillon- Titel pflegen sich im Allgemeinen ausser dem Mathemaliker und modernen Lin- guisten die meisten Lehrer benennen zu lassen wie viele sind unter ihnen, die simmtliche 1500 Werke die aus dem clagsischen Alterthum auf uns gekommen, durchstudirt haben? Upd das ist die Bedingung, an welche wenigstens Wolf den Ehrennamen des Philologen kpiipft, nicht zu gedenken der ‘archiologischen, mythologischen, paléographischen Kenntnisse, die dem ganzen - Philologen unentbehrlich sind. Soll nun ein Schulmann, dem diese ganze Philologie nicht gegeben ist (und. sie ist auch manchem renommirten Universitatsphilologen versagt) soll er deshalb weniger Recht haben, den Cicero und Sophokles zu expliciren? Sollte sein Unterricht weniger fruchtbringend sein, wenn er nicht das Meer der Varianten durchschwommen und den Titanenkampf der Kritik durchfochten hatte? Ich weiss mehrere ‘zu nennen, die ohne jenes unermessliche Riistzeug an den So- phokles und Tacitus gingen, die hohen Geister jener grossen Todten gar wohl ergriffen hatten und den Schiilern Liebe und Verstandniss eréffneten, was mancher Grundgelehrte nicht, konnte. Oder soll Niemand deutsche Sprache lehren, ohne den ganzen Grimm und die simmtlichen Minnesanger durchackert zu haben? So. werdet ihr in allen deutschen Gauen kaum 20 finden, die euren Buben ein ertragliches Deutsch bei- bringen; von diesen Zwanzigen auch schwerlich zwei, die sich . mit Leichtigkeit dem schweren Geschifte der Jugendunterweisung hingeben. Und eben. so wenig ist von dem Gymnasialhistoriker zu fordern, dass.er alle Quellen durchspahe, um den Schi- lern eine Ahnung von dem ungeheuern Leben der Vélkerent- wickelung zu. geben, oder von dem Religionslehrer, dass. er als griindlicher Theolog alle Kirchenvater und Dogmatiken ver- . schlungen habe. Es. ist an die triviale Wahrheit, dass das Gymnasium nicht lauter Grundgelehrte fordere, um so mehr zu erinnern, als wiederholentlich, und noch kiirzlich durch _ den g. Redacteur dieser Blatter, mit Heftigkeit das Gegentheil - gefordert ist, namlich nichts als vollkommene Fach- lehrer. Da diese Forderung an der Unméglichkeit scheitert, und ausserdem das Gymnasium noch Pflichten 2u erfillen hat, die nicht reinwissenschaftlicher Natur sind, so ver- suchen wir, diese streitigen Tendenzen zu versdéhnen, indem

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wir das Wesen und die Natur des Gymnasiums als’ Kriterium aufrufen. |

Hiertiber ist jetzt, nach manchen streitigen Erérterungen vergangener Zeit, wenigstens soviel als Wahrheit anerkannt, dass eS die Mittelschule zwischen dem allgemeinen Volksunterrichte und dem _ wissenschaftlichen Berufsunterrichte bedeute. Ent- spricht der niedere Volksunterricht der ersten Stufe sinnlicher Gewissheit, die Universitat der letzten des selbstbewussten Ge- - dankens, so ist der Mittelstufe des Gymnasiums die Darstellung des Geistes in kiinstlerischer Form zugewiesen. * Wenn nun auch, da das gesammte Unterrichtswesen einen tieferen Zusammenhang haben: muss, die- Unterclassen sich dem Volks- standpunkte, die oberen der Universitat nahern, so muss doch der-allgemeine Charakter des Gymnasiums immer seine kiinst- lerische Natur bewahren, d. h. in sinn-geistiger Weise, mit Schénheit und Lebendigkeit muss der Gedanke verkiindigt wer- den. Die reine Wissenschaft an sich verschmaht die Schénheit der Darstellung, und der begeisterte Lehrer derselben sucht den Jinger dem Bereich der Vorstellungen zu entreissen, nicht diese zu nahren oder gar in ihrer Form die Wahrheit zu bringen.’ Diess ist der Punct, wo sich die Thatigkeiten des Gymnasiums und der Universitét aufs Strengste scheiden. Wis- senschafiliche Versenkung ist, wie jede einseitige Berufstha- tigkeit, den Heranwachsenden unnatiirlich und schadlich. Das bei . erwachender Pubertaét gesteigerte Nervensystem macht dieses Le-— bensalter reizbar, empfanglich, erfiillt es mit verworrenem unbe- slimmten Sehnen und versagt ihm die concentrirte, einem Ziele - scharf zugewendete Kraft. Diese erwacht erst allmilig, sobald der Kérper anfangt, Ruhe: zu haben vor der gewaltigen Umge- staltung der Entwickelungsjahre. Es ist eine Siinde an der Na- tur, dieser Entwickelung vorzugreifen, und die Beweise der Kraft friher zu fordern, als sie selbst da ist. Desshalb ist es nun Sache des Gymnasiallehrers, dieser Stufe in ihrer eigenen Weise zu geniigen. Es werden immer und iiberall in der Welt unter den Regierenden, Verwaltenden, Lehrenden etc. jene zwiefachen Neigungen sich bekimpfen, die in einem friheren Aufsatze (iiber Gymnasialdisciplin, September 1841 dieser Zeitschrift) als Per-”

* Die ausfihrliche Begriandung dieser tieferen Auffassung in dem trefflichen Buche von Deinhardé: ,,aber den Gymnasialunterricht® wird - unseren Lesern bekannnt sein.

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sdnlichkeit und Wissenschaft einander relatiy gegeniber gestellt sind. Dem Gymnasiallehrer geziemt vor Allem persénlich zu. wirken, d. h. voll Ernst und Liebe die Jugend an die Seele des Wissenschaftsstoffes hinanzuleiten, nicht aber diese Anlei- tung als eine zielfiihrende, erfiillende, den reinen Gedanken dar- stellende zu geben. Sind auch unter unseren Collegen ein Theil sicherlich nicht der gréssere wirkliche Fachlehrer im emi- nenten Sinne des Wortes: so wird der bei weitem tiberwiegende Theil, wie jetzt die Sachen stehen, weit mehr Dilettant in. dem zu lehrenden Fache sein.

Dieses verrufene Wort nehmen wir keinesweges in dem odiésen Sinne eines delectans, delectatus, Ergétzlichen, der mit Wissen und Geist es nur auf sein Privatvergniigen abgesehen hat. Vielmehr bedeutet es im edleren Sinne alle diejenigen, welche zwischen der Einfalt des sinnlichen Volkes und dem ab- soluten Bewusstsein des héheren Gelehrten in der Mitte stehen. Eines nur muss der Lehrer nicht dilettantisch getrieben haben: die allgemeine philosophische Vorbildung und die specielle Rich- jung auf Jugendunterricht; ihm muss sowohl der allgemeine Weltzustand, der Standpunkt seines Wissens klar sein, als die kraftvolle vaterliche Liebe zur unvollendeten Menschheit, der Drang, die héchsten Giiter den Unmiindigen zu verkiinden, inne wohnen. Mit diesen Gaben geriistet, mag er immerhin lateinische Grammatik lehren, ohne Aristoteles’ Kategorien, Hermeneutik und Rhetorik nebst simmtlichen Grammaticis alexandrinis und romanis durehpfliigt zu haben. Und namentlich heute wird es dem Dilettanten (ich wahle das Wort in der besten Bedeutung, _ weil sich kein treffenderes findet) leichter als jemals friiher, mit redlichem Willen sich in eine Sache hinein zu arbeiten, die ihm urspriinglich ferner lag. Ist ihm durch philosophische Vorbildung tiberhaupt eine Ahnung von Methode aufgegangen, so wird selbst der fremde Stoff herangezogen und soweit iberwiltigt, dass er nicht ohne Nutzen unterrichten kann. Sind dann alle die me- thodischen Versuche, die wissenschaftlichen Bearbeitungen be- kannter Stoffe, die ‘uns jetzt so unermesslich zahlreich vorliegen, vergeblich gewesen? Soll ich, um Grimm zu verstehen, noch einmal Schritt fiir Schritt im dunklen Schachte zuriick steigen, um ihn zu controliren? An der Grammatik liegt der Stufengang der Forschung mitsammt ihrer Zurichtung fiir den Schulgebrauch recht vor aller Augen: von der hallischen Grammatik durch

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Bréder, Bultmann und Zumpt nach Becker, Schmitthenner, Bopp und Humboldt welche ungeahnte Fille der Entwickelung! Es ist dem Gymnasialgrammatiker nicht zu verargen, wenn er sich an die letzten Entwickelungen halt der invere Sinn und die wissenschaftliche Bildung muss ihm sagen, welche die letzten sind und wenn er diese redlich verarbeitet und das Ergebniss der Arbeit der Jugend darbringt, so hat er frucht- bar gewirkt. :

Aber neben jenem Dilettantismus, in dem sich eine ganze Natur des strebenden vollkraftigen Sohnes unserer Zeit nicht be- gnigen kann, wird sich immer noch bei irgend begabten Naturen ein eignes Reich finden, ja es ist nothwendige Voraussetzung, dass eine Besonderheit des Wissens da sei, wenn wir nicht fahle charakterlose Halbwisser in unsere Schulen einschwar- zen wollen. Dieses sein Innerstes, Bestes soll er nicht zuriick halten, sondern das sei seine Hauptthatigkeit; die Eirsicht

‘der Behérden wird Sorge tragen, dass diese Thiatigkeit des Leh-

rers in seinem Fache gehorig verwandt werde. In diesem Sinne gestehen wir die Nothwendigkeit des Fachlehrerthums zu, nur nicht, dass aller Unterricht aberhaupt demselben unterliege, denn diess wiirde nicht allein der gewohnlichen unabweislichen Oekonomie der Gymnasien zuwider sein (man denke an die Ordinarien und ibre hohe padagogische Pflicht) , sondern auch zu leicht nach jenen Extremen hinfahren, die wir vorbin als wissenschaftliche Ueberladung der Jugend bezeichnet haben. .

Das ist der Punkt, von dem wir ausgingen, um von hieraus die Abhiilfe der Bedrangnisse zu suchen, denen die Jugend bei allzugespannten Forderungen unterliegen miisste. Die Lehrer miissen ganz ihre Pflicht thun, so ist die Arbeit der Schiiler halb gethan. Der Lehrer aber thut seine Pflicht, wenn er die * sittlichen und wissenschaftlichen Zwecke der Schule mit voller Energie des Willens zu den seinigen macht, d. h. nach der sitt- lichen Seite hin seine ganze Personlichkeit zum Pfande einsetzt,

um den geistigen Sieg tber die Jugend zu erringen, das wissen-

schaftliche Lebén aber in der Weise zu erwecken sucht, dass er Sinn und Liebe zu den Heiligthimern der Menschheit hervorrafe, und mit Strenge zur Freiheit geleite. Hiedurch wird weder ein

-Widerspruch des sittlichen und wissenschaftlichen Lebens aus-

gesprochen, noch wird in dem Zwiespalt des Fachlebrerthums

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und des Dilettantismus der geistreichen Ungriindlichkeit die Bahn eréffnet. Denn jener Unterschied zwischen Sitte und Wissen- schaft ist kein feindseliger Zwist, und wird bei dem echten streb- samen Gemiithe alle Tage ausgeglichen zur héheren geistigen Kinheit ; und der andere schlimmere Widerstreit zwischen Fach | und Dilettantismus; Versenkung und Theilnahme, Liebe und Nei- gung mildert sich auch dem strengeren Blicke, wenn man Folgendes erwagt. In unserem iibervollen héchst complicirten Civilisations- leben ist jede menschliche Thatigkeit fir sich zu solchen Spitzen und Héhen ausgebildet, dass ein echter erfiillter Beruf nur in Einem moéglich ist. Will man hieraus die Forderung ableiten, dass ein Einziger sich desshalb auch mit einem Einzigen durchaus begniige, dass er in dem vorwaltenden Lebens- berufe auch alle Lebensthatigkeit erschépfe upd das ausser dem Fach liegende man kann das Alles ohne Unterschied als Dilet- tanlismus bezeichnen ganzlich fortwerfe: so erweist sich solche Forderung als unpraktisch, unnatiirlich und unerfillbar. Noch kein Musiker hat alle Instrumente mit gleicher Virtuosilat ge- spielt:, soll ihm desshalb verwehrt sein, neben dem Hauptexer- citium seines Berufes auch in Anderes hiniiber zu schweifen, was eben so erfreulich wie fir die ganze Bildung erspriesslich sein kann? Es hat Goethe’s Bildung durchaus nichts geschadet, sondern geniitzt, dass er sich dilettantisch mit Plastik, Malerei, Anatomie beschiaftigte, und wenn cin tiichliger Sprachkenner zwei, drei Sprachen nur obiter perstringiret, das ist ihm meist eigener Vortheil neben -der Ergétzlichkeit. Wiirde das Wort von der Berufsabschliessung im ganzen bittern Ernste genommen, so dirfte.keiner ein Buch lesen, das iiber seinen engen Horizont hinauslige, und dann hatten Goethe und Schiller umsonst gelebt, denn freilich werden sie nur yon wahlverwandten Gemiithern ganz gefasst: gehéren sie deshalb nur den Poeten an? Das eben ist die Griésse des Grossen, dass er sein eigenstes Gut der ganzen Welt zum Gebrauch hingibt, indem er es objectiv macht. Mit demselben Rechte nun, wie wir menschlicher Weise an allem Menschlichen Theil nehmen und geniessen was Zeit ‘und Welt zum Genusse beut, so diirfen wir auch thatig, han- delnd eingreifen selbst in denjenigen Berufsarten, die uns ‘nicht angeboren oder durchgebildet sind. Sonst wiirde kein ~ ‘Vaterlandsvertheidiger aufstehen ausser dem Soldaten, und jeder frommie Mensch miisste sogleich Theolog sein; Benvenuto Cellini,

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lini, der brave Goldschmidt, hatte nicht dilettantischer Weise Rom vor den Deutschen bewabren, und Aeschylus nicht bei Salamis ‘kimpfen diirfen. Wir halten es daher keineswegs fiir einen Schaden der Schule, wenn einmal ein Lehrer unterrichtet in dem, was er nicht bis auf den Grund ausgekostet hat. Allge- meine Bildung und redlicher Wille, auf eine tiichtige sittliche Grund-. lage gebaut, miissen die Masse und Tiefe des Wissens ersetzen; und sobald er auch nur die menschliche Theilnahme fiir die Grundziige einer so hinzugebrachten Wissenschaft zu wecken weiss, so erfullt er seinen Platz, und Niemand wird beweisen kénnen, dass um Quartanern und Tertianern den Florian zu ex- pliciren, man nothwendig Racine und Corneille und Rabelais. studirt haben miisse.* Ist nur als Grundlage des ganzen Menschen irgend ein bestimmter Beruf vorhanden, und dieser mit ganzer Energie ergriffen und bethatigt, so miissen aus ihm alle abgeleiteten Thiatigkeiten Nahrung saugen; so wird ein ganzer Mensch aus dem einseitigen.

‘Die Uebertreibung des Fachlehrerthums hat die Uebertrei- bung der Anspriiche an die Jugend zur Folge. Eine Schule mit lauter vollkommenen Fachlehrern ohnediess eine Chimare wirde in die unsinnige Forderung gerathen, von jedem einzelnen Schiller diejenige geistige Fille, Spannung und Regsamkeit zu verlangen, welche alle lehrenden Gelehrten zusammen genommen kaum haben kénnen. Um nun. endlich einen bestimmten Plan oder sogenannten guten Rath zu geben auf jene ‘wichligen Fra- gen, die uns yon Anfang beschaftigt haben, so scheint uns zur Milderung der Jugendarbeit der naichste Weg dieser zu sein, dass wochentlich nicht mehr als. 32 Unterrichtsstunden als Maxi- mum aufgestellt, und -an schriftlichen Arbeiten ‘nicht mehr als 4 fir die Oberclassen, 2 fiir die Unterclassen verlaggt werden. Scheinen durchaus mehr als 4 erforderlich, so miissen die schrift- lichen Arbeiten nich€ in wéchentliche, sondern in monatliche oder halbmonatliche Aufgaben zertheilt werden; ohnehin geschieht ' dieses bei zahlreichen Classen oft schon um der Lehrer willen, _ und diese sollen doch. billigerweise erst die zweite Riicksicht in Anspruch nehmen. Werden die Schiilerarbeiten jedesmal

* Um Gotteswillen, Herr Collega, nur andre Beispiele, lassen Sie das Franzésische vorlaufig aus dem Spiele. Es méchten sonst manche Lehrer des Franzésichen wieder wankend werden, die sich in der letzten Zeit alles Ernstes vorgenommen haben Franzésisch za lernen, D. H.

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griindlich corrigirt und dic Verbesserungen dem Schiiler wihrend des Unterrichts wirklich zum Bewusstsein ge- bracht (man.erzahit sich schreckliche Dinge, wie es-in diesen | Punkten hie und da gehalten werde!), so kann eine Arbeit so viel Gewinn ausliefern, wie anderswo zehen. Habt ihr der Jugend Leben und Kraft hinzugeben versprochen, so erfillet den hohen Beruf mit Liebe und Vernunft, indem ihr weder tyrannisirt noch fraternisirt, sondern denkend und wollend wirket!

Und bei allen jenen Aufgaben der vielgeplagten Jugend haben wir noch eine vergessen. Wollen wir einmal der Jugend die Gelegenheit eréffnen, ihre allgemeine Bildung bei uns ganz zu -empfangen, so darf die Leibespflege nicht feblen. Wo keine Turniibungen eingefiihrt sind, miissen die Aeltern Sorge tragen, dass der Leib nicht unter den geistigen Arbeiten vernachlassigt -werde. Die Turnanstalten werden jetzt haufiger, nachdem die Demagogenfurcht nachgelassen hat. Zur Heranziehung der Jugend, und damit keinem das késtliche Gut der Leibespflege entzogen werde, sind in einigen Staaten Gesetze erlassen worden, welche alle Schiiler verpflichten, ausser wo Aeltern oder Aerzte ausdriicklich widersprechen. Es ist nun, der vorhin entwickelten Ansicht zufolge, nicht gut méglich, zu den gesetzlichen Unter- richtsstunden noch andere hinzuzufiigen, ohne die Jugend unbillig zu beschrénken und ihr alle Freude der Selbstentwickelung zu nehmen. Desshalb scheint uns nur einer von zwei Auskunfts- wegen moglich. Entweder es wird ein ordentlicher Turn- lehrer, also ein Fachlehrer der Leibesiibungen angestellt; und wo diess geschieht, da fordert die billige Riicksicht auf diese Liberalitat der Behérden, dass alle Schiiler zur Theilnahme ge- setzlich verpflichtet werden, doch miissen dann von den 6ffentli- chen Unterrichtsstunden cinige, fir den Sommer wenigstens, weg- fallen, damit der Turnunterricht etwas Griindliches leisten kénne: _ ‘Man miisste namlich fir diesen Fa!l auf 4wéchentliche Stunden rechnen; das Baden, Reiten, Fechten, Tanzen aber, wo méglich anter demselben Lehrer, wiirde zu dessen ordentlichem Unter- richt gerechnet, diirfte wenigstens nicht ausserhalb der yerpflich- tenden Stunden noch hinzukommen. Das Tanzen ist das Ent- -behrlichste, * wenn iibrigens der Lehrer die Pflicht erfiillt, den - Leib zar Kraft, Gewandtheit und Schénheit der Bewegung zu

o *. s!

* Le superfilu, chose ‘si nécessnire. (Voltaire). , D. H.

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erziehen; das Reiten fallt ohnediess weg, wo nicht eine 6ffentliche Anstalt die Kosten erleichtert. Es ist leicht einzusehen, dass die Leibesiibungen nach so umfassendem Plane einzurichten nur unter besonders giinstigen Voraussetzungen méglich ist, und sie dess- halb wohl nur bei Padagogien und Alumnaten ihre Stelle haben kénnen, wo hinreichende Geldmittel vorhanden und die Zéglinge _ der Pflege der Anstalt ganzlich tiberantwortet sind. Oder es wird, wie bei den gewdhnlichen stadtischen Gymnasien schon , die ausseren Verhaltnisse gebieten, einem oder mehreren aus dem Lehrer-Collegium die Aufsicht anvertraut; dann ist nicht zu erwarlen, dass ein griindlicher Cursus der Turniibungen durch- gemacht werde; dagegen kapn das Band zwischen Lehrer- und Schiiler sich befestigen, indem der Lehrer mehr an den Spielen der Jugend Theil nimmt und sie nur im Allgemeinen an Ord- nung und Haltung gewéhnt. In diesem Falle muss das Turnen facultatiy gelassen werden, zur Erholung dienen, zwar so, dass wer einmal Theil zu nehmen gesonnen ist, auch bis zu Ende aushalte, aber doch nicht wider Willen gezwungen sei, eine mehr freie Unterhaltung mitzumachen. Von unendlicher Wich- ‘tigkeit ware, wenn in allen deutschen Staaten ebenso, wie in Preussen, der Landwehrdienst die ganze Jugend ergriffe. In Hannover ist zwar, den deutschen Bundesgesetzen gemiss, die allgemeine Conscriptionspflicht fir alle Unterthanen bindend, aber es ist so leicht, durch das geringste scheinbare Gebrechen oder durch theologisches Studium oder durch persénliche ' Riicksprache mit dem Arzte oder durch erkaufte Remplacanten sich dem augenblicklichen Dienste zu entziehen und, wie es heisst, in die Reserve gestellt zu werden: dass fiir die soge- nannten héheren Sténde die ganze Wehrpflicht zum Scheine hin- absinkt. Wie anders in Preussen, wo es sich Jung und Alt zur Ehbre rechnen, ihre Zeit als Freiwillige gedient zu haben! Wie wird Gemeingeist, Vaterlandssinn, Leib und Seele zugleich ge- starkt durch diess wetteifernde Ringen nach dem Ehrennamen eines Gedienten! Erst dann, wenn wir in Hannover eben so weit auch in diesem Punkte gekommen sind, wie Preussen seit einem Menschenalter dann erst kénnen wir sagen, dass die Bildung und Erziehung (nicht das Gymnasium allein!) den ganzen Menschen ergreife —- und doch muss selbst dann noch Zeit eriibrigt werden, dass der Jiingling die Arme™ frei habe, ein specieller Mensch, eine Indiyidualitat zu werden.

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Nimmermehbr soll weder Gymnasium noch Staat noch irgend eine Gewalt in der Welt das Recht sich anmassen, den Men- schen zu verschlingen: wir sind weder Romer noch Grie- chen, sondern germanische Christen, die es wissen, dass neben, in und tiber aller objectiven Allgemeinheit dem Menschen eine Subjectivitat gegeben ist, welche die Unendlichkcit in sich trigt. Dieses Reich der unendlichen Subjectivitat der Jugend zu vindiziren, da es unserer Tage nur zu oft in Gefahr stebt, ver- kannt zu werden, waren die vorhergehenden Betrachtungen be- stimmt. Mégen es sich alle aufrichtigen Freunde der Jugend ernstlich vor Augen stellen, dass die Jugend zwar nicht vor jeder Anstrengung zéartlich gehiitet werden darf, aber auch eben so viel Recht hat, ihren eignen Raum zu selbstandigem Leben und Thaten zu fordern. Meint ihr etwa alle Klagen der Jugend und ihrer Freunde iiber die Ueberfille der Arbeit zu widerlegen mit der Bemerkung, dass die Jugend sich jetzt nicht eben schlechter befinde als vor 100 Jahren; so lasst sich diess wie gar man- ches Andere, durch Beispiele recht wohl belegen. Denn gewiss, die Jugend ist zahe wie die Menschheit. Aber gedenket eurer eignen Jugend und verkiimmert nieht euren theuren Pfleg- lingen angeborene Rechte. Man braucht keinen prophetischen Blick, um einer allzuwohlgezogenen Jugend ihr Schicksal zu weis- sagen. Um der Vernunft willen miissen wir einlenken, was auch eine statistische Beispielsammlung dagegen an zufalligen Daten aufbringen moge. Der Jugend ihr Recht! Suum cuique! |

Zusatz des Herausgebers.

Ich erinnere mich der Stelle nicht, auf welche der Herr Verf. des vorstehenden Aufsatzes sich S. 25, Z.6u. 5 v. unten bezieht, muss indess bemerken, dass ich dem, was man so obenhin das Fachsystem nennt, nie zugethan gewesen bin, so dass ich vollkommen mit S. 28 (Mitte) iibereinstimme. Ueber- haupt ist es mir eine ~Freude gewesen, in dem vorliegenden Aufsatze einen Gegenstand, den ich fir hochwichtig halte (vgl. meinen Aufsatz: die grammatischen Kategorien, zweite Seite, Z.16 v. u.), so-trefflich bebandelt zu sehen.

——"—~2)> OG

P&dag. Revue. 1642 b, Bd. V. 3

Bemerkungen

zu Hrn. Dr. Ruthardt’s Kritik meiner Ansicht

vom Unterricht in fremden Sprachen. Vom Herausgeber.

Fortsetzung. |

Hr. R. ist, obgleich er fiir die synthetische Methode auf- tritt, ein so feiner Analytiker, dass ich mich fast wundre, wie er den Begriff des ,,Vocabellernens* hat von den Grammatisten | so unbesehens annehmen .kénnen. Auch der hatte eine sorg- faltige Analyse verdient.

Bevor ich nun hier diese Analyse vornehme, muss ich ein Wort iiber meine Vertheilung des Onomatischen yorausschicken. Ich gebe dieselbe hier als ein Factum, das sich durch das Fol- gende rechifertigen mag.

Der elementarische oder propddeutische oder anschauliche - Cursus hat einen doppelten Lehrstoff: den nach grammaltischen und onomatischen Riicksichten geordneten im Sprachbuche, dann die Lectiire im Lesebuche.

Es versteht sich von selber, dass im Lesebuche die Voca- beln bunt durcheinander stehen.

Theilweisé ist das auch int Sprachbuche der Fall.

Und zwar schadet das nicht nur Nichts, sondern es muss so sein, weil der propadeutische Curs bei den fremden Sprachen, falls die Lernenden noch nicht Jiinglinge oder gar Manner sind, die doppelte Aufgabe hat: 1. Einiges von dem zu thun, was das Leben fiir die Muttersprache vor der Schule thut, 2. diesen bunten Stoff zu ordnen. Weil wir in der Schule sind, so verstebt es sich von selbst, dass diese beiden Momente nicht, wie bei Hamilton und Jacotot, aus--oder nacheinander-, sondern zusammenfallen. D. h. wir geben nur grammatisch organisirten Stoff. | |

Dieser grammatisch organisirte Stoff ist aber auch yon einer onomatischen Organisation durchzogen. Es gibt in der Sprache unfruchtbare, arme, wenig bedeutende, und es gibt fruchtbare, reiche, vielsagende Worter, z. B. mensa pono. Ganz wic

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in andern Dingen. Die Familien Habsburg, Bourbon, Hohen- zollern, Dahlberg, Fiirstenberg, Montmorency, Rothschild u. s. w., muss man kennen, so Paris, London, Berlin u. s. w., die Fami-. lién Miller, Schneider, Schulz; die Oerter Treuenbriezen, Buxte- hude, Panckow u. s. w. kennen zu lernen, ist frih genug, wenn man zufallig damit zu thun bekommt. Nun gibt es in jeder Sprache eine Anzahl solcher wichtigen Wérter mit weilldufiger Verwandtschaft, und die Bekannischaft mit diesen soll metho- disch gemacht werden. .

' Ich habe schon in friiheren Artikeln den Vorschlag gemacht, zuerst mit den Stammvitern dieser guten Familien bekannt zu machen (mittere, ducere, facere, dicere etc.) und zwar zunachst das Stammwort in seiner urspriinglichen Bedeutung auf- treten zu lassen; dann die verschiedenen Bedeutungen dieser Stémme aufzuweisen, dann die Collateralen, die Descen- denten und die Alliirten (dux, ductus, ductor; ab-, ad-, circum-, con-, de-, di-, e- (Ill et 1.), in-, intro-, ob-, per-, prae-, pro-, re-, se-, sub-, tra(ns)ducere, con-, de-, introductio etc.) aufzu- fihren, und zwar zuerst wieder in der urspriinglichen, dann in den verschiedenen Bedeutungen.

Wie wenig also' schon hier, im Elementarcurs, der. reiche Gewinn des Vocabelnlernens nach etymologischer Ordnung yver- leren geht, ist klar.- Allerdings ist auch, und ganz besonders bei mir, auf die mittleren Classen gerechnet.” Was aber die Belehrung iiber die verschiedene Bedeutung der Worter betrifft, so bitte ich, in dem franz. Sprachbuche (ich gebe die Seitenzahl nach beiden Aufl. an) nachzusehen , wie dort verfahren ist:

104 N. 442113 S. tra:: Vouloir, répondre, feindre, S. jouir, jouer, con-

i16—117. 449—120? 16—1 S

121— venir, Juger, S. 55—5,: prendre, suivre, charger, S. 5.— nae > sou-

venir, rappeler, méler, réjouir, (s))apercevoir, occuper, com- porter, S. ae flatter, affronter, égaler, remercier, secourir, jouer, joindre, répondre, accuser, apercevoir, manquer, servir, assister, chasser, tenir, Ss. = : sécher, miurir etc.

Nicht alle Worter der Sprache miissen vorkommen, wie es denn auch nicht méglich ware, aber eine Anzahl der wichtigsten: der Zweck ist ein doppelter: einmal lernt der Schiller eben diese Worter griindlich kennen, dann wird er auf anschauliche Weise zum systematischen Studium der Onomatik vorbereitet.

Diess tritt dann in den mittlern Classen auf, und nun hat das elymologische Vocabelnlernen einen Boden. Sind z. B. aul.

Pal

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der elementarischen Stufe nur fiimf und zwanzip zablreiche und weit verzweigte Familien allseitig betrachtet und ist an ibnen gemerkt worden, welche Veranderung die Vor- und Nachsilben ab-, ad, con-, de- etc., ilis-, bilis etc. in die Bedeutung des Stam- mes bringen, dann hat die Aneignung der iibrigen Worter keine Schwierigkeit mehr, wenn anders gleichzeitig viel und gut gelesen und dabei fleissig componirt wird. Bei dem franzésischen Unter- richte in den mittlern Classen, den ich gebe, habe ich fir meine Person selten dariiber zu klagen, dass ein Wort, welches nicht ein unbedingtes Primitivum ist (z. B. Rococo), nicht ver- standen werde , dagegen bringen die Schiiler, weil sie den Instinct der Analogie haben, manchmal ein ganz richtig gebildetes Wort in ihren Arbeiten, das nur zufallig nicht im Dictionnaire steht, sei es, dass die Franzosen den Begriff entweder noch nicht, oder ein Adoptionswort dafiir haben, z. B. von compter, calculateur. *

* Man braucht kein Schiler » zudem ein Schiler in ciner deutschen Schule zu sein, um solche Dinge za erleben. So schreibt Villers: ,Un peu plus haut ma plume trop hardie vouloit écrire énervement. Le code de l’'Académie m’a averti (wir deatsche Autoren schreiben, ohne dass der Adelung auf dem Tische liegt) que nous n’avions relativement a cette idée principale que le verbe énerver, Pourquoi n’avons-nous pas éner- vément, adverbe? é€nervement, substantif, l'état, d’étre enervé? énervation, l’action d’énerver?“ Eben weil die franzésische Sprache durch cine verschrobene Civilisation hat za einer todten Sprache gemacht werden wollen (ein heutiger Latinist darf nur die in den Classikern’ noch vorhandenen Worter gebrauchen, keine neu bilden) and es noch lange, lange Zeit kosten wiid, wenn es adberhaupt nicht schon zu spat ist, bis die franzdsische Sprache wieder im Flasse ist, eben darum ist das Fran- zosischschreiben so miihsam , fast so mihsam, wie das chinesische Cere-_ moniel, Es ist gar zu Vieles rein zufallig, rein positiv. Dass Corneille getadelt wurde, als er statt des gebrauchlichen indompté, in vaincu bildete:

Vous étes invaincu, mais non pas invincible, mochte hingehen; der Grund, das Wort sei neu, war freilich damm, aber der doppelte Nasilismus in dem Worte empfiehlt es nicht. Dass aber, z. B. zu invincible, vincible, zu invulnérable, vulnérable, dass explicable, exprimable, placable, exorable etc. fehlt, wahrend die Negationen da sind (Corneille fehlte wieder, als er Cinna sagen liess: Rendez la, comme a vous, @ mes voeux exorable, wozu Voltaire bemerkt : exorable devrait se dire): das muss eben einfach gemerkt werden, und hilft da die Ana- logie-nicht. Wer sollte glauben, dass erst Segrais das Wort impardonnable, Corneille félicitation und Balsac kurz vorher das Verb daza: feéliciter bil- dete? Dass das Wort bienfaisance, von Vaugelas oder dem Abbé Saint- Pierre gebildet, nicht zweihundert Jahre alt ist? Balzac wurde seines feli- citer wegen angefochten,. er meinte aber (in einem Briefe an L’Huillier):

s

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Nicht, weil ich dachte, der Knabe sahe eine isolirt gelernte Vovabel als ein an sich Isolirtes an einen solchen Dumm- kopf diirfte es nicht geben, bin ich gegen das Vocabellernen, sondern darum, weil Vocabeln, mit Ausnahme der Namen fir sinnliche Dinge (mensa, Tisch) gar nicht isolirt zu lernen- sind, dieses Lernen eine schmahliche Tauschung ist.

-Sehen wir den Begriff der Vocabel einmal an.

Zuvéyderst wird mir- auch der beschrankteste Grammatist, so.wie er selber die Sache begriffen hat, zugeben; dass es un- endlich besser ist, wenn der Schiiler erfahrt, was die fremde Vocabel bedeutet, als wenn er nur hért, was sic bezeich- net. * So lange ich von einer Vocabel weiter nichts weiss, als dass sie dieses oder jenes Ding oder dieses oder jenes Gesche- hen, das wir so nennen, so ausdriickt, ist sie mir wie mit Brettern vernagelt; erst wenn ich weiss, was sie bedeutet, d. h. wenn ich die Beziehung zwischen dem Namen und der Sache, den Grund der Benennung erfasst, wenn ich eingesehen habe, wie die Sprache die Sache nimmt, erst dann wird sie mir durchsichtig, verstehe ich sie aus dem Grunde, In dem Stiicke , das ich heute Morgen mit der zweiten Gymnasii las dieselbe entspricht etwa einer norddeutschen Tertia Gymn. kamen die Wérter malade, plaisir, ecuyer, envoyer, routine, probable, arriver und équiper vor. Lernen nyn die Schiiler nicht mehr, als dass diese Wérter Aequivalente fiir uoser krank, Ver- gniigen u. s. w. sind, so ist es eben ein Elend und das beliebte Reden von dem Geistbildenden des Sprachunterrichts weiter nichts als eine leere Phrase. Die Schiiler lernen aber mehr: malade ist male aptus, (wie wir sagen: schlecht zu Wege), plaisir ist eine alte Nebenform des Infinitivs plaire, yon placere, also das Gefallen, id quod placet, écuyer kommt von écu Schild (scutum) Wappen, und bedeutet urspriinglich den Schildknappen, envoyer heisst, Jemanden auf den Weg (voie von via) bringen = schicken (voyager = auf den Wegen sein = reisen, wie toutefois weiter nichts als Corruption von toute voies = allerwegen, in jedem

Si ce mot n’est pas encore francois, il le sera l'année qui vient! Wahrhaft gebildete Franzosen freuen sich oft wie die Kinder, wenn dem Auslander, der abrigens gut redet, in der Hitze der Discussion von Zeit zu Zeit ein elfen durch den Instinct der Analogie gebildetes neues Wort entfallt.

* Gleiches gilt von den deutschen Wortern. Vgl. mein » Deutsches Sprachbuch“ §, 4 und S, 127 f.

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Falle, ist), routine kommt von route, so routinier, also Schlen- drian und Mann des Schlendrians (heilige Vernunft, erlése uns * davon!), probable, mit probe, probité, prouver (probare), ap-, é-, réprouver , preuve, épreuve, ap-, réprobation u. s. w. zu- sammenhangend, bedeutet das, was in der Erfabrung vorkommen kann, dann, was gern vorkommt, wabrscheinlich ist (wie probe denjenigen, der die Probe, die Prifung besteht, sich als recht- schaffen bewahrt, oder preuve als Beweis zunichst den factischen, cen Erfahrungsbeweis, nicht den logischen. démonstration bedeutet); arriver von ripa und rivus, stammverwandt mit dériver, sinnverwandt mit aborder (Bord) hat allmablich seine Bedeutung erweitert: zustossen, begegnen, geschehen, wabrend _ aborder seine engere Bedeutung behauptet hat; équiper endlich ist Verbum von dem altfranzésischen (spiter mit vaisseau = - Gefass , vertauschten) esquif, unser Schiff, und bedeutet urspriing- lich ein Schiff ausriisten. Jetzt hat es eine weitere Bedeutung.

Dass bei dem hergebrachten Vocabelniernen nicht von der Bedeutung, sondern pur von der Bezeichnung die Rede ist, das ist bekannt.* Und das ist Ein Fehler. Die sogenannte griind- liche und wissenschaftliche Methode zeigt sich in diesem Sticke _ just so viel und so wenig geistbildend als das Vorsprechen wie jede Bonne es tibt, wenn sie mit dem Finger auf ein Haus zeigt, und dann sagt: Charles, voila une maison. ** Es yerstelit sich iibrigens von selber, dass das Erklaren an einem Punkte seine Grenze finden muss: diess ist fir das Franzésische entweder das franzésische Stammwort (laboureur yon labourer) oder das lateinische oder das altdeutsche Wort; *** fiir das Lateinische das Stammwort, das allerdings dann soa wie es ist gelernt wer- den muss: Dico heisst eben: ich sage, und damit Punktum: dass man aber judex, judicium, judicare, index etc. nun wieder so lernen lasst, we ich es nur dem Schiller bei Stimmen zumuthe von vielen derselben kennen wir Linguisten ja nicht

* In den oberen Classen machen es freilich die besseren Lehrer besser. Ich erinnere an die schénen Erdfterungen, die der vortreffliche © Azt in seiner kleinen Schrift: ,Gymnasium und Realschule“ .gegeben.

** Maison == mansio, allgemein Aufenthalt, speciell Standquartier des Soldaten. ; -

#2% Tst denn das den Schilern nicht klar, so erklart cs der Lehrer schnelt beildufig, z. B. bruyant larmend ist mit bruit verwandt, dieses ist das altdeutsche prut (Windsbraut); oder die Silbe baud in franz, Eigen- namen, z. B. Thibaut, bedeutet kihn = unser palt == bold.

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einmal bis jetzt die Bedeutung, das ist ein Frevel an der Intelligenz der Schiller, und unser Reden yon Bildung klingt dabei wie Hohn. * Auch der Erfolg ist spasshaft genug: facilis, diffi- cilis ist leicht und schwer, apporter ist bringen. Nun iibersetzt der Knabe: Ce fardeau est difficile, j’ai apporté ma soeur. Mir geschieht das sogar bei den Schiilern der Gewerbschule fast nie, weil sie facile, faculté, facilité etc. in Verbindung mit faire kennen lernen, also wissen, dass facile == machbar, was. sich machen lasst, also in diesem Sinne leicht, nicht léger ist. Nun ein Zweites. Keine Sprache ist ein indischer Nabob, der fiir jedes Geschaft seinen besonderen Bedienten hat, sondern ein Wort muss oft gar vielerlei Vorstellungen ausdriicken. . Wir Philologen nun, welche gar viel gelesen haben, dabei logisch gebildet sind, wir kénnen allenfalls saémmtliche Bedeutungen eines Wortes (die Kenntniss verdanken wir der Lectiire, d. bh. der Analyse) uns vor den Geist stellen, und alsdann durch eine logische Operation in diesem Mannichfachen die Einheit, das allen Bedeutungen Gemeinsame, heraus pracipitiren oder - sublimiren, und dieses als die theoretische Grundbedeutung auf~ stellen. Das ist eine sehr niitzliche Beschaftigung, nimlich fiir uns, und ich fiir meine Person gabe Viel darum, wenn die Ver- fasser der Worterbiicher sich besser auf diese Logik verstiinden. Wollen wir nun aber den Knaben, wenn ein Wort sechs Bedeu- tungen hat, diese allgemeine Bedeutung lernen lassen, so kann er damit Nichts anfangen. Das Vocabular gibt also eine der particularen Bedeutungen an, bei pono etwa setzen, legen. Da- mit kann er dann ponere. arborem, fundamenta templi, statuam, ante oculos etc. wirklich yerstehen, wenn ihm diese Ausdriicke vorkommen; das halbe Dutzend anderer Bedeutungen ist ihm © fremd. Letzteres ist nun bei mir auch der Fall, indem der

* Hr. R. meint freilich (S. 123), ,das Material und die Formenlehro der Tochtersprachen schliesse eine rationale- Behandlung fir die Schule aus.* Beim Deutschen und Lateinischen trete dann ,die Zeit taglich naher, wo die Verbindung der etymologischen, Flexions- und syntaktischen For- men mit den ihnen zu Grunde liegenden Begriffen und der Wechselwirkung dieser Verhaltnisse, selbst dem Unmindigen, wenn auch immer nur an Proben, wird dargelegt werden kénnen.“ Diese Zeit ist in. meinen Clas- sen da, und wenn sie bei den mattres de langue nicht anbrechen will, so ist die Sprache nicht Schuld daran, Nur das Lateinische (auch eine Mischsprache) ist noch zu wenig durchforscht, es ist noch nicht durchsich- tig wie das Griechische nnd das Deutsche, (Vgl. S. 122 N. **).

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Schiller ein Wort zuerst in Einer Bedeulung kennen lernen muss. Was ist aber bei den Grammatisten anders als bei mir? Indem pono nun setzen und legen heissen soll, die deutschen Worter setzen und legen aber eine Unzahl von Bedeutungen haben, die nicht durch ponere iibersetzt werden diirfen, so bilden sich in dem Schiiler des Grammatisten (und desto mehr, je mehr der Schiiter brav ist, und zuweilen ausser der Schule sich bei diesem und jenem an seine Vocabeln erinnert) die wunderlich- sten Irrthiimer aus, und wenn er den Mund aufthut, ‘so fallt ein Barbarismus heraus, wie diess psychologisch nothwendig 4st. Hf. R. lobt mich, dass ich das Verstandniss der fremden Sprache nicht nach Weise der Interlinearisten durch eine Uebersetzung vermittele; hilte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, so wiirde er vielleicht mein Urtheil iiber das Lernen isolirter Vo- cabeln gegriindet gefunden haben. Hr..R. bleibt auf halbem Wege, ich bin radical (die hiesigen Radicalen werden das freilich nicht zugeben, die sagen, ich sei ein brandschwarzer Aristokrat), greife das Uebel-bei der Wurzel an. Das Uebel besteht aber darin, dass die grammatistische Methode es nicht versteht, den Schiiler gleich von Anfang an in die fremde Sprache selbst hineinzu- tauchen, dass sie ihn deutsch denken, seine deutschen. Vorstel- -lungen nur iibersetzen lisst was eben ein Unsinn ist, just s0 unsinnig, wie Jemand ware, der nach einem fremden Orte und doch seinen Ort nicht verlassen wollte. Nach der gram- matischen Methode kommt man nach zehnjahriger Arbeit tant bien que mal auch dahin, in der fremden Sprache zu denken; nach der meinigen fangt das in den ersten sechs Wochen an, weil ich die Wérter der Muttersprache, eben wegen ihrer durch- gingigen Incongruenz mit den fremden Vocabeln, nur fiir den ersten Anlauf als Vermittler benutze, sie aber, so wie diese Vermittelung geschehen, die fremde Vorstellung in ihrer Eigen- thiimlichkeit aufgefasst ist, fallen lasse. Vielleicht ist es jetzt klar, was das heisst: die Vocabel werde nur im Satze gelernt. Nicht darum, weil der Knabe noch nicht abstrahiren kénnte (so lange er das nicht kann, muss man ihn keine fremde Sprache lehren), sondern weil die Vocabeln, d. h. die wahrhaft wich- tigen Vocabeln, nur im Satze wahrhaft gelernt werden kénnen, *

* Wer wiirde den Nerven, Muskcln, Organen des menschlichen Kér- pers ihre Bedeutung ansehen kénnen, wenn er sie nur auf dem Secir- tische betrachtete-? a

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weil die Vocabel nur in Verbindung mit einer andern Vocabel

(Subject oder Object) ,,dem Schiiler eine Vorstellung oder An-

schauung vermittelt.“ Kommt in Sitzen vor: arma ponere, curas

ponere, vitam ponere, tirocinium ponere, pecuniam apud aliquem , ponere , curam, operam in re ponere, se in re contemplanda ponere, in laude, in vitiis, in beneficiis ponere, ponere hoc ita esse etc. und lernt der Schiiler das ponere mit den Complimen- ten, so hat er, und zwar erst dann, jedesmal eine concrete Vorstellung; vitam ponere ist-eben sterben, ut paulo ante po sui. Dann kann es zu Barbarismen gar nicht kommen, und die deutsch- lateinischen, deutsch-franzésischen Wérterbiicher werden in Wahr- heit Luxusartikel und héchst unniitze Mébel. Also die Gramma- listen tben ein anschauungs- und wurzelloses, ich tbe ein anschauliches und genetisches Vocabellernen. Die Grammatisten treiben beim Vocabellernen den Hamiltonianismus, den sie fiir die Erlernung der Wort- und Satzformen so sehr und mit Recht verdammen; ich bin anch auf dem Gebiete des onomatischen Unterrichts vom Hamiltonianismus frei. Der Schiiler des Grammatisten empfingt beim Vocabellernen zum deutschen Zeichen und zu der Vorstellung, wie sie im Kopfe des Deutschen existirt, nur ein neues Zeichen; mein Schiler empfangt mit dem fremden Worte meist eine neue Vorstellung, * wenigstens eine Modification seiner eigenen Vorstellung, wodurch ihm dieselbe klarer wird.. (Man bedenke unser Lieben, und dann im Franzésischen neben aimer, chérir.) Hat dann der Schiiler in Satzen die Bedeutung der Vocabel angeschaut, dann ist er befahigt, das so Angeschaute zu memioriren, und es -ist keineswegs nothig, dass er den Satz als solchen, just diese Verbindung von Subject und Pridicat in der Erinnerung behalte. Ob Cajus oder Titus vitam posuit, gestorben ist; ob Hans oder Kunz pecuniam apud Peter oder Paul posuit, sein Geld auf Zinsen ausgethan hat, ob Karl oder Fritz rudimentum seu tiro- cinium posuit, seine erste Probe abgelegt hat, ob die ebrietas

oder irgend ein Andres in vitiis ponitur, das ist gewallig gleich-

giiltig: wenn der Knabe die Vorstellung auszudriicken hat, so

‘N

* Infans ist nicht Kind, combattre ist nicht kampfen, obschon wir es so dibersetzen miassen. L’homme propose, Dieu dispose ist unserem: Der Mensch denkt, Gott lenkt, nur dhnlich die Proportion ist diesclbe, nicht congruent. .

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weiss er das rechte Wort. * Natiirlich hindert den Lehrer Nichts, ein so gelerntes Wort auch in Sexta schon vereinzelt zu nen- nen und es in jeden beliebigen Zusammenhang zu bringen. Ist aber so in Sexta und Quinta und noch in Quarta verfahren, ist neben diesem anschaulichen Unterrichte in den Anfangen der Grammatik und Onomatik noch ein hibsches Quantum gelesen worden: dann ist das Durchgehen eines etymologischen Lexikons und die Erginzung der noch unbekannt gebliebenen Worter im vierten und fiinften Schuljahre (IH inf. u. sup.) ein Spiel, und die Schiller kommen mit Kenntnissen nach Secunda, die sie bei der hergebrachten Methode in den seltensten Fallen auf die Universitat mitnehmen. Nicht erst ,in den mittleren Classen ist der Schiiler fahig, Wé6rter und Satzformen abstract aufzufassen ;“ aber erst inden mittleren Classen hat der Schiiler so viel ge- lesen, dass er nun eine Grundlage von concreten Anschauungen hat, die dem Lehrer erlaubt, aus Abstractionen (Allgemeinheiten) Concretes (den einzelnen Fall) zu deduciren.

Diess bringt uns auf das Erlernen der W ortformen.

Hr. R. sagt S. 293: ,,Fiir den gréssten Theil der Formen- lehre nun, und so lange man sich innerhalb des einfachen Satzes halt, also etwa wabrend des ersten Halbjahrs der Sexta, wird man sich mit der Bewegung in einem so beschrankten Kreise (S. 290: ,,Wir verwerfen also ein zweckmissig angelegtes Sprachbuch fiir die niedrigste Stufe nicht, nur miisste das- selbe héchst haushilterisch mit seinem Stoffe verfabren. Statt der mindestens tausénd Siatze, die Hr. M. fiir die unterste Classe haben mag [es sind viel mehr], wiirden wir viefleicht nicht tiber zwanzig oder dreissig aufstellen, die in stufenweiser Erwei- terung sich aus sich selbst auferbauten und durch stete, vielfache Umwendung der Formen-Erlernung zur Grundlage dienten. .. Auf einen Worter- und Phrasen-Schatz muss man [hier noch] _ verzichten.“ **) um so eher begniigen kénnen, als gerade durch

* Ich sage: er weiss, denn nach meinen Erfahruugen behalten die Schiler so gelernte Vocabelu leicht, wahrend das in den Schulen der Gram- matisten anders aussieht.- Hier soll ein nur Gegebenes und nicht wahr- haft Verstandenes auswendig gelernt werden, und das kostet Schelten und Schlige; dort wird ein lebendig Erworbenes nur in Besitz genommen und das thut fast jeder Schiler gern, ,,Das Auswendiglernen ist sehr noth- weadig; es kommt bei allen Wissenschaften in Anwendung; aber es darf nirgends das Erste sein.* Herbart, Umrisse §, 81.

** Hier stellt sich ein wichtiger Gegensatz heraus. Der hergebrachte

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die Ueberschaulichkeit des Gebietes dem kleinen Schiiler die Einfiihrung in die fremde Sprache ungemein erleichtert wird.“.... S. 294: ,Das entscheidende Moment fir die ganze Aufstellung aber ist der Umstand, dass die hier, wo es sich nicht zunachst um Aufsammlung von Kenntnissen zum Zweck der Befriedigung materieller Bediirfnisse, sondern um Bildung und Bildungs- anstalten handelt, tiberwiegende Wichtigkeit der Form, der . dtherischen Seele des Inhalts (Hegel’s Vermischte Schriften I. S. 141), anschaulich, kurz und schlagend, friihzeitig und doch nicht vorzeitig, an Geist und Gemiith des Knaben herantritt. In dieser Richtung liegt, meinen wir, der charakteristische Unter- schied zwischen wissenschaftlichem und empirischem Unterrichte, *

und diese Richtung muss und kann beim ersteren bereits von der niedrigsten Stufe aus angebahnt werden.“.... S. 295: ,Darum weil von dem einen und dem andern Lehrer mit der abstracten Form Missbrauch getrieben wird, das ganze Verfahren verwerfen und seinerseits bei ununterbrochenem Umherdrehen in Anschauun- gen die Auffassung des Begriffes ** noch durch Verwohnung -

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Unterricht in fremden Sprachen ist nicht nur in dem Sinne ein gramma- tistischer, dass er mit der systematischen Grammatik und zwar meist mit einer sehr unwissenschaftlichen Grammatik anfaingt, ér ist es auch darum, weil er die andere Seite des Unterrichts,. die onomatische, vernach- lassigt. Ich dagegen verlange von der ersten Stunde an Unterricht in der Sprache, d. h, in den Anfangen der Onomatik, der Grammatik und der Technik. Mit dreissig Satzen lasst sich nur die grammatische Seite erlau- tern, ufid das kaum; die onomatische aber ist eben so wichtig.

* Einen ,empirischen“ Unterricht, wie Hr. R. das Wort nimmt, sollte es meiner Ansicht in 6ffentlichen Schulen gar nicht geben; wer einen sol- chen haben will, nehme Privatunterricht. Der Anfang der Vorrede zum franzés. Sprachbuche spricht meine Meinung klar aus, und wenn ich den Unterricht auf der elementarischen, propideutischen oder Anschauungsstufe auch wohl empirisch, im Gegensatze zu wissenschaftlich genannt habe, so war das, was hier unter ,,wissenschaftlich“ verstanden wird, nicht ausgeschlossen.

** Ganz abgesehen vom Hegel’schen reinen Begriff (oh der mehr als Abstraction, mehr als Begriff des Begriffs ist, thut hier nichtsy kann im Elementarunterricht der Begriff (das Allgemeine, Wandellose, Ewige in der Vorstellung, die allgemein gefasste Substanz) gar nicht vorkom- men, Iir, R. hat allgemeine Vorstellang sagen wollen. Wic kommen wir aber zu eigenen Vorstellungen? Nur durch Anschauung. Der Ueber- gang der Anschauung in die Vorstellung darf dem J.ehrer keine Sorge machen; das macht sich im Geiste von selber, wie sich im Leibe die Ver- dauung von selber macht, wenn man nur erst Etwas zu essen hat. Aber fir die Nahrung muss gesorgt werden.

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verspéten und erschweren, heisst das Kind mit dem Bade aus- schiitten,“.... S. 296: »begniigt man sich nicht ‘mit einem sterilen Auswendiglernen der Paradigmen, sondern lasst den. Schiller am concreten Beispiele vorgingig und in fortgesetzter stiindlicher Anwendung Grund und Bestimmung der Declinations- und Conjugalionsformen erkennen, * so ist es ganz und gar iiber- fliissig, jede einzelne Form in einem besonderen Satze und im Buche zu reprasentirén; ** und noch gréssere Zeit- und Kraft- vergeudung ware es, was doch ausdriicklich gefordert wird, eine solche Unzahl kleiner Satze dem Gedichtnisse einzuprigen. ***

* Vortrefflich! Hier verlasst Herr R. die Grammatisten und tritt auf meine Seite, leider nur halb. Auch darin, dass Nominal- und Verbalflexion gleichzeitig gelernt werden missen, ist Hr. R. mit mir einig (S. 297). Warum ‘nun mein Leider? Weil Hr. R. sich noch nicht von dem Herkommen > losgemach€ hat, das erst die Formenlehre, dana‘ die Syntax lehren will. - Jede Wortform (Casus, Modus u. s. w.) ist lediglich Wirkung, Wir- kung eines syntaktischen Factums, das als Ursache erscheint. Die Wirkung kann nicht auf verstindige Weise ohne einen gleichzeitigen Blick auf die Ursache angeschaut werden. Und so wird Hrn. R.’s Zuge- standniss beinahe wieder fruchtlos, weil er sich nicht ganz auf meine Seite stellt, nicht, wie ich, die Formenlehre mit und in der Syntax lernen lasst. Der gewéhnoliche GrammatistJacht mich hier aus und sagt: Aber wie kann man die schwere Syntax schon in Sexta und Quinta lehren? Ich antworte: - Man kann es sehr gut, sobald man nar zwei successive Curse an- nimmt: einen auf Anschauung gegriindeten, und in Bezug auf den In- halt fragmentarischen far die untcren, und einen mehr systemati- schen und vervollstandigenden fir die mittleren Classen, Man wird das bei einer, wenn Gott will, dritten Auflage des franz, Sprachbuches be- greifen lernen. Bis jezt enthalt namlich dieses Sprachbuch noch den Lebr- stoff fir die untere und theilweise auch far die mittlere Stufe. Wie aber meine franz, Grammatik und Onomatik erschienen sein wird, soll das Sprachbuch von Allem, was nur fir die mittlere Stufe (und fir den Lehrer) bestimmt ist, befreit werden,

~ ** Wenn man in den beiden untersten Classen bloss Grammatik lehren will, so ist es dberflaissig; ich aber lehre mit und in den Anfangen der Grammatik zugleich Onomatik, fahre deg Schiler in den Wort- und Phra- senschatz der fremden Sprache ein, Und da ich nun natirlich viele Satze -dazu brauche, so kann ich sie sehr gut so wahlen, dass so ziemlich alle Wortformen im Sprachbuche reprasentirt sind,

**% Unten: soll vom Memoriren die Rede sein. Hier bemerke ich in der Kiirze, dass die (meisten) Sadtze des Sprachbuches der Wortform wegen so wenig auswendig zu lernen sind, als ich oben sagte, dass sie es der Vocabel wegen seien, Nur die constitutiven Elemente, das blei- bende-der (wechselnden) Sitze, also 1. Vocabel und 2. Wort- und Satzform muss ins Gedachtniss,

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Mit dem an Beispielen mindlich entwickelten Sinne fiir Analogie ist fir leichte Falle schon das Geschick zu selbsteigener Ab-. straction erlangt,* und es kann auf die Ein- und Uebersicht sowohl als auf Zeitersparung nur vortheilhaft wirken, wenn da- meben schon auf dieser Stufe die nackten Paradigmen unter gehoriger Anleitung fiir ihre Entwickelung aus dem Stamime dem Schiiler vorgefiihrt, eingepragt und an dem in Uebung genom- menen Stoffe in haufige verschiedenartige Anwendung gebracht > werden. ** In der That, sehe ich in (M.’s) Vorschrifl, nur im- mer lego librum u. dgl. zu conjugiren (Pid. Rey. I. S. 530), -wodurch iiberdiess der Schiller von dem jedesmaligen Haupt- gegenstande, der Endung, abgelenkt wiirde, nur einen neuen Mechanismus.“ *** | |

* Ganz einverstanden. In der ersten Lection des franz. Elementar- unterrichtes (Sprachb, S. 3—4) zeige ich den Schilern in einigen nackten Satzen neben den Urpronomen und einigen Substantiven, als Subjecten, die Endungen des Prasens I. Eine Stunde gendgt, um die Schiler zu be- fahigen, jedes regelmassige Verb der I, Conjugation von nun an im Pri- sens zu gebrauchen. Die Sache ist abgethan und wird in den folgenden Lectionen nur fortgeabt.

** Insofern von der Conjugation die Rede ist (das Verbam [finitun] ist ja Satz) fange ich mit dem nackten Paradigma an (vgl. franz. Sprach- buch S, 3, 4, 5, 6°ff.), um den Schiller nicht von der Form abzulenken, um ihm die. Abstraction zu erleichtern, Bei den abliquen Casus geht das nicht, weil sie nur durch das Beziehungswort zu verstehen sind,

*8® So wie aber diese Abstraction vollzogen ist, zwinge ich den. Schiler, das gewonnene Element in einen lebendigen Zusammenhang zu bringen, damit er Sprach-, nicht blos grammatikalischen Unterricht habe, Mein lego librum, legia litteras, Carolus legit epistolam etc, ist der un- merkliche Uebergang zum freieren, unbewussten Gebrauche der For- men, wohin es sobald als méglich. kommen muss. (Auch Hr, Drogan in seinem Commentar zu seinem so eben erschienenen lat. Schulbuche ist

> wenigstens in der Forderung des ,,satzweisen Conjugirens“ und des ,para- digmatischen Sprechens“ wenn ich diesen Ausdruck recht verstehe mit mir einig.) Die Sache hat mehrere Acte: “1. Anschauung der Form im Satze, 2, Analyse des Satzcs und Abstraction: Auffassung der Form, * 3. Erste Einibung der Form in der einfachsten Weise: bei subjectiven Verben also nur Subject und Verbum (dormio, je dors, tu dors_etc.), bei objectiven freilich Subject, Verb und Object (placeo mit einem Dativ, lego mit einem passenden Accusativ), 4. Fortgesetzte Uebung der nun mit mehreren Elementen verbundenen Form als Uebergang zum freieren Ge- brauche, z. B.: je me suis toujours bien porté, tu ne tes pas trop bien porté, aujourd'hui Charles s'est mieux porté qu’hier etc. Das sind die natirlichen Voribungen zum Schreiben und Sprechen bei jeder

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Das Citirte hat gezeigt, dass Hr. R. in Betreff des Formen- lernens nicht mehr ganz auf Seite der hergebrachten grammati- kalischen Methode steht. Dadurch spaltet sich meine Aufgabe. Ich habe das Formenlernen des reinen Grammatjsmus und den grammatistischen Rest in Hrn. R.’s Ansicht zu bekimpfen. Dieser grammalistische Rest in Hrn. R.’s Ansicht stiitzt sich auf ein. Quidproquo, er ist die Folge einer verséumten Analyse, der Ana- lyse -des Begriffes Form. Wir werden sie geben, diese Analyse und daran zugleich ein paar Bemerkungen iiber die sog. ,,for- male Bildung“ kniipfen, in Bezug apf welche Hr. R. und ich ebenfalls differiren.

Sehen wir zunachst zu, mit dem reinen Grammatismus fertig zu werden. Die Weise, wie die Grammatisten die Formenlehre beizubringen suchen, ist den Lesern bekannt. In den zwei oder drei ersten Jahren pflegt die Formenlehre gelehrt zu werden, die regelmassige und die unregelmissige Flexion, und die letzere unterscheidet sich von der ersteren nach H. Heine’s biindiger Definition dadurch, ,,dass man bei ihr mehr Priigel bekommt.“ *

Ganz wabnsinnig erscheint: dieses Lernen,: wo man, wie hier und da in Siiddeutschland, das grammatische Erlernen einer

fremden, alten und newen Sprache. Verséumt man sié,'so liegen dem Knaben die Formen todt im Kopfe und er kann weiter nichts mit ihnen anfangen, als sie auf geschehene Anforderung herbeten. Wie weit ent- fernt aber das paradigmatische Sprechen und Schreiben vom Mechanimus ist, kann-ich daraus abnehmen, dass solche Schiler, die etwas denkfaul sind, das einfache je vends, tu vends etc. recht gern, dagegen je te vends mon cheval nicht besonders gern conjugiren, weil sie hier aufpassen mis-~ sen, dass das Object stets ordentlich gedndert werde; tu me vends ton cheval, ils nous vendent leurs chevaux ete.

Noch bemerke ich zu dem Einwurfe S, 295: ,Zuadem ist das Herbei- ziehen des Inhalts-Interesse dem kleinen Schiler durch Ablenkung von der Form sogar schadlich: auch die Form hat fir ihn Interesse.“ Das Letzte ist gewiss, und es kommt noch dazu, dass die (Wort- und Satz-) Form in dem grammatischen Unterrichte eben der Stoff ist, da ja die Grammatik nichts anderes als die Wissenschaft von den’stehenden Formen der Sprache ist, Es ist kein Streit dariber, ob die Form wichtig sei oder nicht, sondern aber die Art, wie sie am besten gelernt und ver- standen wird. Uebrigens sehe ich nicht ein, wie ein interessanter Inhalt in den Muster- und Beispielsitzen schaden’ soll, ,Goldene Aepfel in silbernen Schalen.“

* Oder so: Bei welcher Nation werden die meisten Prigel gegeben? Bei der Declination. : |

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femden Sprache in einem Aller anfingt, da das Kind noch so wenig der Reflexion ‘und Abstraction fahig ist, dass man ihm die grammatischen Verhiltnisse (Kategorien, Modi, Casus, Satz- arten U. 8. W.) nicht einmal an seiner Muttersprache zum Be- wusstsein bringen kann. Ich habe in Stuttgart’ zwei Knablein sich eine Ewigkeit mit magnus, magna, magnum, magni, magnae, magni etc. qualen sehen; von dem was sie lernten (wenn man sas cin Lernen nennen darf), verstanden sie just so viel wie ein Staar von dem, was er naehspricht. Dieses Decliniren und Conjugiren ist eine systematische Verdummung; die Priceptoren, die es-treiben, sollten die Priigel, welche sie den ungliicklichen Buben so reichlich geben, selbst bekommen. .

Etwas besser, ja viel besser (aber darum noch lange nicht gut) geht die Sache, wenn man die erste fremde Sprache, wie _ es in Norddeutschland geschieht, erst mit zehnjahrigen und zwar mit solchen Schiilern anfangt, die in einer guten Elementarschule bereits einige Sprachbildung erhalten haben.* Hat ein Schiiler im deutschen Unterrichte die Kategorien, die Genera, Personen, Numeri, Modi, Tempora, Casus, die Arten syntaktischer Beziehun- gen u. s. w. kennen gelernt, und fangt er dann sein mensa, mensae, oder sein le pére, du pére an, s0 ist er wenigstens nicht ganz und gar verrathen und verkauft. Aber auch bloss nicht ganz. Denn so wenig die Vocabeln ‘im je zwei Sprachen congruent sind, so wenig sind es die Formen (ich Sagte =r 1. dicebam, 2. dixi; —- 1. je disois, 2. je dis; drohen, folgen u. s. w. c. Dativo; menacer, suivre c. Acc.). Was niitzt eg nun, Formen zu lernen, wenn der Schiiler sie nicht gebrau- chen kann? So ist, wie das grammatistische Vocabelnlernen, auch das grammatistische Formenlernen anschauungslos, todt und abstract: denn wie die Vocabel, so wird auch die Bedeu- lung der Form nur im Satze verstandlich. Dazu kommt der Umstand, dass die Formenlebre in den beiden untersten Classen abgethan, also eine Masse von Stoff auf eine ganz iiusserliche und héchst beschwerliche Weise gelernt werden soll, der, so gelernt, fiir den Schiller gar kein Interesse, vielmehr etwas Aengstigendes hat. : : |

Wie anders bei dem anschaulichen und genetischen ‘Ver: fahren! Der Schiller hat im deutschen Unterrichte aus analy-

* In der Schweiz begeht man meist den Fehler, das Lateinische zu Pat 2a beginnen. .

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sirten Lesestiicken die grammatischen Hauptthatsachen, wenigstens in den Umrissen, gewonnen; er yersteht, mich, wenn ich ihm sage: - Wir fangen mit dem einfachen und zwar mit dem nackten Satze an. Der nackte Satz hat nur Subject und Pradicat (die congruiren miis- sen): welche Worter kénnen nun Pradicat sein? Concrete Verben und abstracte Verben, letztere mit einem Adjectiv, Substantiv, Parti- cip, Numerale, Pronomen u. s.w. Welche Wérter kénnen Subject sein? Substantiva, Pronomen, Infinitive u.s. w. Weil nun das Verb das wichtigste Pradicatwort ist, so ist es billig, mit ihm anzufangen, wir nehmen die Grundpersonworter und Substantive als Subjecte, und haben gleich Satze, in denen die Wortform angeschaut wird. In jeder Lection nur Eins Anfanger kénnen Vielerlei nicht tibersehen; in der 1. Lection meines franzésischen Sprachbuches das Prasens J. Conj., in der 2. das Praes. IY. Conj., in der 3. das Prasens derjenigen Abtheilung der II., welche ‘ss. einschiebt,. in der 4. die den Charakter abwerfende Abthei- lung der II. In der 5. Lection die Negation (ne-pas, ne-point, ne-rien etc.) und hier wird klar, dass das Friihere positiv ge- sagt war; in der 6. die Frage, die positiv und negativ sein kann, in der 7%. den Imperativ, und nun zeigt sich, dass man affirmatiy, interrogatiy und imperativ reden kann. In der 8. das Futurum fiir IH, IV und I, und nun wird Klar, dass die friiheren Sitze im Prisens standen. In der 9. werden die vorgekommenen Pronomina geordnet. In der 10. das historische Prateritum (Défini), in der 11. das descriptive (Relatif), erst hier wird, mit dem Unterschiede, die Bedeutung beider Vergangenheitsformen klar. Lection 12 beginnen die Perfecta und zwar 2unachst das - Perfectum des Prisens, und nun zeigt sich, dass das Vorige actio imperfecta war, hier actio perfecta ist. Und.so durch das Buch hindurch. Es ist tiberall ein ‘Werden und Wachsen. *

* Dann wird auch auf.dicse Weise der. bekannten didaktischen Vor- schrift geniigt, dem Anfanger den Gegenstand in die kleinsten Theile zu zerlegen, wberall nur kleine Schritte zu machen, bei jedem Punkte die nothige Zeit zu verweilen. Wenn der Grammatist meint, diese Forde-

_rung erfaille auch er, denn er lasse die ersten acht Tage die erste De-- _ Clination lernen, in der zweiten Woche die zweite; so bedenkt er nicht, dass chen in seiner Art den Stoff zu vertheilen, das Unpaddago- gische liegt. Wovon spater. —- Um nun den Schiler zu zwingen, auf die Form zu achten und um ihm die Aneignung derselben zu erleichtern, habe ich in meinem franzdsischen (und so im deutschen) Sprachbuche die En- dungen und Formwérter, deren Betrachtung eben Gegenstand der Lection

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Das Lernen ist ein bewusstes, der Schiiler weiss, was er {hut, er weiss, wo er jedesmal steht und wohin er geht. Die Formen werden mit Lust gelernt,- weil sie dem Schiiler durchsichtig sind und weil jede Form sein Ké6nnen vermehrt. Der Schiiler weiss, indem er beim nackten Satze steht, schon, dass er die Art und Weise, wie die fremde Sprache das Attribut, das Object, das Adverbiale u. s. w. behandelt, noch lernen muss, und da er zu- gleich weiss, dass diese Dinge jeder Sprache wesentlich sind, so treibt es ihn innerlich vorwarts. Ich habe es bei. regsamen Schiilern nicht selten mit innerer Freude bemerkt, dass es ihnen in der Classe zu langsam giebg und sie zu Hause, um nur das Lesebuch besser zu verstehen, weit in das Sprachbuch hinein vordrangen. Ganz trige Naturen sind allerdings, wenn sie die Miihe scheuen, sich die angeschauten Formen griindlich zu eigen zu machen, durch dussere Antriebe zu reizen, und deren gibt es, die besser sind als die gewohnlichen: Ebrgeiz und Furcht. Ein Lehrer des Franzésischen in einer Madchenschule, die ich einmal besuchte, dankte mir kurze Zeit darauf, dass ich cine Sache zu Stande gebracht, bei der er sein Latein bereits ver- loren gehabt. Die Schiilerinnen verabscheuten la grammaire. Ich liess einige Satze bilden, unter andern: ,Jch hatte mir von dieser Reise viel Vergniigen versprochen.“ Die Gefragte fing an: ,,Je m’étois promis-e....“ Ich liess sie nicht ausreden und fragte wasch: Vous étes déja promise? Dic Lection hatte gewirkt, es wurde: der Classe klar, wie nothig la grammaire ist, wenn man sich nicht gelegentlich auslachen lassen will.

Wenden wir uns nun zu dem, .was Hr. R. iiber die Form aussagt. In der Hauptforderung, dass naimlich die Erlernung der Wortformen auf Anschauung griinden miisse, sind wir einig, obschon ich nicht zugeben kann, dass bei seinem Verfahren dieser Forderung geniigt werden kann. So bleibt das seltsame Quid- proquo: ,die Form, die atherische Seite des Inhalts,“ und die damit zusammenhingenden Aeusserungen iiber wissenschaftlichen und empirischen Unterricht und iiber sog. formale Bildung. Es heisst namlich S. 315 ff. ;:

»Wir wiirden aber diesem Verdienste eine noch viel unbe-

ist, far das Auge bezeichnet. Dadurch soll nach Hr. R. (S. 289 n.) die mechanische Auffassung beginstigt werden. Ich berufe mich auf die Er- fahrang der Lehrer, welche das Buch gebrauchen und es zu gebrauchen verstehen. ° ,

Padagog. Revue. {842 b, Bd. V. 4

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dingtere Anerkennung zollen, weon Hr. M. sich enthalten hitte, das namliche Verfahren fiir den Unterricht in den neveren und in den classischen Sprachen gleichmissig geltend zu machen. Was er auf seinem Wege erreichen kann, und also auch wobl yor allem.Anderen bezweckt; ist, den Instinct fiir Analogie (Pad. Rev. I. 531) vielseitig zu wecken, eine reiche Phraseologte zur _Anschauung und igs Gedichtniss zu bringen, und der Redefer-

tigkeit vorzuarbeiten. Bei den begabtesten Schiilern mag. sich

jener Instinkt wohl auch zum Bewusstsein erheben; als Regel . aber wird man diesen Fall nicht annehmen diirfen, wenn - die erst genannten Zwecke, deren Erstrebung schon sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, nicht zuriicktreten sollen. Auch wird man sich in keinem Falle schmeichein. diirfen, zu jenem praktischen Resultate schon auf der. untersten Stufe zu gelangen;. es wird dafiir noch der grésste Theil der mittleren erforderlich sein, und desshalb fiir diese, die angeblich theoretische; den Anspruch an Erkenntniss betrichtlich ermassigen miissen,* wetn man nicht die bis dahin erworbene Praxis wieder verloren gehen lassen will. Jene wesenilich materiellen und praktischen Zwecke also kinnen hier auf. eine Weise, welche daneben der formalen all- gemeinen und besonderen Bildung noch vielen Vor- -sehub leistet, erreicht werden, und wir miissen diess, wenn _ wir nicht in grobe Ungeniigsamkeit verfallen und mit Einem Schlage Alles verlangen wollen, schon als héchst dankenswerth anerkennen. Gerade das aber, was insolcher Weise erzielt wird, steht im umgekehrten Verhidltnisse zu dem, was bei den classischen Sprachen beabsichtigt und gefor- dert wird. - Bei den neueren Sprachen ist der Unterrichtszweck entweder wesentlich materiell (diesen Unterricht lehne ich ab, mag auch ‘nicht dafiir wirken), ,,oder gleichméssig materiell und formal“ (diesen allein lass ich gelten), ,,bei den classischen we- sentlich formal.“ (Dagegen protestire ich.) ,,Nun darf ich nicht

* Hr. R. schligt den Gewinnst an Einsicht auf der elementarischen Stufe zu niedrig an. Die Scheidung ist keine absolute: hier Praxis, dort Theorie ; sondern im propddeutischen Curs: Praxis und aus ihr Theorie, auf der mittlern Stufe: Theorie und aus ihr die Praxis. Deutlicher so: Auf der elementarischen Stufe werden aus ad-hoc ausgewablten Satzen die grammati- schen Hauptthatsachen deutlich gemacht und zur Eindbung Satze in die fremde Sprache ibertragen, Auf der mittleren Stufe wird dagegen Zusam- _menhangendes ibertragen, nicht mehr-Satze aber einzelne Regeln.

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firchten, bei dieser letzten’ Behauptung heutzutage von .irgend einem Gebildeten sO missverstanden zu werden, als hielte ich hierzu nicht auch einen betrichtlichen Grad praktischer Gewandt- heit erforderlich; aber méglichste Vertiefung und Vielseitigkeit der Auffassung und des Verstandnisses sind Hauptsache; Geschick und Gewandtheit im eigenen Gebrauche, so unentbehrlich sie sind, diirfen doch nicht von yorn herein mit aller Kraft“ (doch) »und auf Kosten der Erkenntniss erstrebt werden.“ (Sicherlich nicht; das geschieht aber bei mir auch so wenig, dass ich, ehr- lich gesagt, keine Methode und keine Lehrbiicher kenne, bei denen die Erkenntniss der Schiller mehr gewinnen kénnte, als bei den meinigen.).... Nun hat Hr. M. es auf ein bewusstloses. Richtigsprechen * abgesehen, wie er denn auch die Erlernung * der Muttersprache uns .zum tausendsten Male als Wegweiser fir die Erlernung fremder Sprachen anpreist. (Padagog.. Rey. I. S. 528). ** ., Wir wollen hier keine Consequenzen ziehen, wohin fiberhaupt ein bewusstloses Thun die Schule fahren wiirde, sondern nur auf die“ (yon mir ganz besonders) ,,anerkannte Wahr- heit hinweisen, dass die echte Fertigkeit im Schreiben und Sprechen nur durch Gewéhnung an unmittelbares Denken in der- selben. zu erreichen sei.“ (Wozu mein Verfahren besser anleitet als jedes andre mir bekannte.)

S. 123 n.: ,M.’s Behauptung: das Gerede von formaler Bildung, als einer Entitat ist nur ein Gerede u. s. w., ist eine -halbwahre, darum gefahrliche und den ganzen Gesichtspunkt ver- riickende. Sie schafft sich selbst erst den Gegner, der ad ab- surdum gefiihrt werden soll; ‘es sind aber alle Verniinfligen ohne- hin dariiber einverstanden, dass ein formaler Unterricht fiir sich allein keine Realitit habe. Aus der angefiihrten Stelle dagegen wiirde folgen-, dass aller Unterricht nicht nur seinem Wesen,

* Der Anfang ist ein sehr bewusster, der Schiler muss sich aber jede Silbe besinnent, Diese Nothwendigkeit dauert bei den Grammatisten fort; bei mir nicht. So wie ein Punkt angeschaut ist, fangt das Ueben an, und dann bringe ich es Gott sei Dank in der That ziemlich bald dahin, dass die Schaler das Richtige, ohne sich erst hesinnen zu missen, ganz me- chanisch und fast bewusstlos sagen. Dieser Mechanismus ist eben dic ‘Krone des Lernens; der grammatistische Mechanismus , wo erst aus- wendig gelernt und nach Jahren begriffen werden soll, ist"allein verwerf- lich, ja das Wort ist zu gut fair die. Sache. -

** Nie und auch an der citirten Stelle nicht. Nur das ist dort gesagt, dass der psychologische Process des Gicdachtnisses iberall derselbe sci.

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sondern auch seiner Bestimmung nach materiell sei, dass ein ‘tiichtiger, rein materieller Unterricht auch fiir formale Bildung | geniige und dann alle allgemeine Menschenbildung mittelst des Unterrichts aufgehoben sei, welches alles Hrn. M.’s An- und Absicht gewiss eben so fern liegt, als den einsichtigen Anhangern der grammatikalischen Methode die Einbildung, dass der Schiiler am blossen Schema die Form lerne; denn allerdings lernt er auf solchem Wege auch diese nicht, weil sie ibm ohne Inhalt vor- _gefihrt wird.“ |

Es ist die Rede von der Erlernung der grammatikalischen Formen, der Wortformen, der Formen fiir Genera, Numeri, Per- sonen, Casus, Modi u. s. w.

Hr. R. gibt dem Worte Form die. Apposition: dic ,,itherische Seele des Inhaltes.“ Es erhellt auf den ersten Blick, dass hier eine Verwechselung vorgegangen sein, dass Hegel von etwas Anderem als yon 0, is, it, imus etc. geredet haben muss. Und in der That ist es so: ,Den Inhalt (der antiken Schriftwerke) geben uns etwa Uebersetzungen, aber nicht die Form, nicht die itherische Seele desselben. Die. Sprache ist.... der feine Duft, durch den die Sympathie der Seele sich zu geniessen gibt, aber ohne den ein Werk der Alten nur schmeckt wie Rheinwein, der verduftet ist.“

Ich habe an dieser Hegel’schen Stelle nur Ein Wort aus- zusetzen: nicht nur der Alten, sondern iiberhaupt ,,jedes in fremder Sprache geschriebene Werk“ hatte es heissen sollen. | Uebersetzungen haben in meinen Augen einen hichst bedeuten- den Werth, nur in einem andern Sinne als diess gemeiniglich -genommen wird. Wer Vossens Homer, Schlegel’s Shakspear, Lange’s Herodot, Droysen’s Aristophanes, Streckfussens Dante, Rickert’s Orientalia u. s. w. liest, und an diesen Biichern ein Aequivalent fir die Originale zu haben glaubt, der rechnet falsch; diese Biicher sind ganz ausgezeichnete Werke der deut- © schen Sprachkunst, eine héchst schatzenswerthe Abtheilung der deutschen Litteratur. Die Muttersprache wird durch echtkiinstlerische Uebersetzungen ausgebildet (durch die Lobn- ‘iibersetzer misshandelt); das Fremde in seiner Eigenthiimlichkeit lernt man durch sie nicht kennen, weil die Sprachen nicht con- gruent sind, alles Uebersetzen in sich selbst ein Widerspruch ist. Dass diess nicht nur von den Uebersetzungen aus den alten Sprachen gilt, sondern auch von den aus den neueren, mag ich

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hier nicht weitlaufig beweisen, obschon ich natiirlich nicht leugne, dass die griechische und theilweise auch die lateinische Sprache in ibren Wortbildungen durchsichtiger sind, als es die neueren Mischsprachen selbst denjenigen Eingeborenen sind, welche die Stammsprachen nicht keinen? Also Hegel hat hier nicht die isthetische und die stilistische Form denn diese lassen sich wiedergeben noch weniger die Wortform im Auge denn diese gehorcht dem Gedanken und farbt ihn nur-selten, * son- dern die Vorstellungsform, die Form der Auffassung des sinnlichen und des intelligiblen Inhaltes.

Obschon es mich bedinken will, als sei dieses Quidproquo nicht ohne allen Einfluss auf Hrn. R.’s Ansicht yon ,,wissen- schaftlichem“ und ,empirischem“ Unterrichte und von ,,formaler“ - und ,,materialer“ Bildung gewesen wenigstens lassen es die eben citirten Wort: ,Das entscheidende Moment: ist der Umstand, dass die hier, wo es sich nicht zunachst um Aufsammlung von Kenhtnissen zum Zweck der Befriedigung materieller Bediirfnisse, sondern‘um Bildung und Bildungsanstalten handelt, iiber- wiegende Wichtigkeit der Form, der, atherischen Seele des In- halts u. s. w. vermuthen —: so will ich doch diesen Umstand nicht benutzen, sondern licber ganz einfach sagen, wie ich’s meine.

Was Hr. R. ,,empirischen“ Unterricht nennt, das nenne ich Dressur, eine Sache, die nur bei Pferden und Hundcn ange- wandt werden sollte. Ich argere mich jedesmal, so oft ich an einem Exercirplatz vorbeikomme, dass es noch keinem Kriegs- minister’ eingefallen ist, wie sich das Exerciren aus einer biossen Dressur recht wohl in einen wahrhaften Unterricht verwandeln liesse; in den Schulen sollte noch weniger dressirt werden. Will sich Jemand zum Franzosisch Parliren oder zum _ Buchhalten, oder wozu es immer sei, dressiren lassen, so mag er sich einen Privatlehrer suchen, der ihm den Willen thut; in den aus 6ffent- lichen Mitteln erhaltenen Schulen sollte man kein Dressiren dul- den. ** Sogar der Unterricht in. der Elementar- und in der

* Selten im Vergleich zu der Farbung, welche die Vorstellung durch die Vocabel erhalt. Denn allerdings congruiren auch -die Wortformen nicht, z. B. pendant la guerre, wabrend, chez lui (chez- im Ilause), bei, je vais éorire, ich bin im Begriffe, stehe auf dem Sprunge, will, scripturus sum, u. 8. W. -

*# Insofern hatte Hegel Recht, wenn er in seiner finften Gymnasial- rede (XVI, 193) von den in die latcinische Schule eintretenden Schilern

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Volksschule muss das sein, was Hr. R. wissenschaftlich nenot. Ich hatte das Wort in einem andern Sinne genommen, etwa so, wie der Katechismus noch nicht wissenschaftlich heisst, wohl aber ein Lehrbuch der Dogmaltik.

In Betreff des »formalen Unterrichts ergeht es mir mit den deutschen Padagogen wie in der Schweiz mit dem Worte Aristokrat. Seit sechs Monaten suche ich in diesem Lande, wo die Jungen auf der Gasse sich in Aristokraten und Liberale spalter®, nach einem Aristokraten, und ich kann keinen ent- decken; alle Leute frage ich, was denn ein heutiger schweize- rischer Aristokrat (englische, Ostreichische u. s. w. kenne ich) fiir ein Ding sei: hilft Alles nichts. Eine Zeitlang glaubte ich’s herausgebracht zu haben; ich hatte einige Herren, die man als Aristokraten ausschreit, beobachtet und mit andern verglichen, und war zu dem Resullat gekommen, ein Aristokrat sei ein Mann, der stets reine Wasche trage. Aber auch Das hat nicht ganz Stich gehalten, obschon etwas daran ist. So frage ich seit Jahren nach der ,,formalen“ Bildung, alle Welt redet davon, aber Nie- mand kann sie mir aufweisen. Gehe ich denen, welche von ihr als von einem guten Bekannten reden, zu Leibe, drange ich sie um eine Definition, so heisst es: die formale Bildung ist das. Ziel alles Unterrichts, die formale Bildung ist nicht die materiale: kurz die formale Bildung ist die formale Bildung. Da man einen Gegner, der sich nicht fassen lasst, nicht bekampfen kann, so kann ich wieder nichts weiter thun als sagen, wie mir die Sache erscheint.

Wenn es Jemanden,.der bisher Handelschaft getrieben, ein- fallt, eine Kattunfabrik zu errichten, so muss er, falls er das Geschift selbst fihren will, Kenntniss der Farberei, also chemi- sche und technische Kenntnisse besitzen, oder sich diese Kennt- nisse erwerben. Er geht also zu einem Chemiker und verlangt Unterricht in der Chemie. .Der Lernende kann hoch iiber dem Standpunkte, wo man nur.ad hoc dressirt sein will, stehen; der

verlangt, sic missten bereits decliniren und conjugiren kénnen, weil solche zuerst mechanische Erlernung mehr die Natur einer Privat -Unterweisung habe. Man begreift bloss nicht, wie Hegel das Unsinnige des mecha- nischen Erlernens nicht begriff, wie er sagen konnte: ,Man mag in die Erlernung der Elementarkenntnisse noch so vielen Geist hineinbringen wollen, der Anfang muss doch immer auf eine mechaniche Art geschehen,“ wahrend doch z. B. mir seine eigene Psychologie zu einer entgegenge- setzten Ansicht verholfen hat.

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Unterricht, den er begehrt, ist dennoch kein erziehender, kein Schulunterricht, kein Unterricht, bei dem die Bildung des Geistes eben so sehr Zweck ist, als die Gewinnung von Kennt- nissen. Auch ein solcher Unterricht beférdert natirlich mebr oder weniger die allgemeine Geistesbildung, nur geschieht ‘das mmwillkirlich, es ist nicht zunichst beabsichtigt. Unterscheiden vir also zuvérderst den Fach- oder Specialunterricht von dem \gemeinen, dem Schul-, dem padagogischen, dem erziehenden, lem bildenden Unterrichte. Es versteht sich von selbst, dass hier nur von dem letzteren die Rede ist. Elementar-, Volks-, nOhere Biirger- und Gelehrtenschule haben keinen anderen zu zeben. Eine Schulgrammatik, eine Schulgeographie u. s. w. ist stwas anderes als eine Grammatik, eine Geographie u. s. w. -fiir uinguisten, Philologen, Geographen.

Also der Schulunterricht ist wesentlich ein geistbildender, nicht nur Kenntnisse, sondern auch Bildung gebender. Nun ‘ragt es sich, worin besteht der geistbildende Unterricht? .

Die Humanisten von der stricten Observanz antworten: In Latein und Griechisch. Alte Sprachen und formale Bildung ist ihtien identisch. * Und da wirklich in den Sprachen und in bohem Grade in den alten Sprachen ungeheure Bildungsstoffe lie- gen, so haben die Humanisten in ihrem Unrechte zufillig viel Recht.

Die Realisten antworten; Warum soll an den realistischen Studien, Mathematik, Physik, Chemie, Naturgeschichte, nicht auch Bildung gewonnen werden kénnen? Hr. Schacht hat diese Ansicht formulirt: Es gibt jetzt zwei Bildungswege, den gym- nasialen und den realen.* Wie wahr es nun auch ist, dass die : natiirlichen Wissenschaften ebenfalls an Bildungselementen reich sind, so ist doch diese realistische Ansicht noch viel schadlicher als die humanistische.

_Die Englander antworten: In den Classikern und der Mathe- matik. Schon etwas besser.

Hr. von Thiersch antwortet: In den idealen Studien: Sprache, Geschichte, Poesie u. s. w. Noch etwas besser.

Die padagogischen Rationallisten, eine Abart des Pestalo- zianismus, die mehr Anhanger unter den Philologen als unter den Naturforschern hat, sagen: An Kenntnissen liegt iiberall Nichts, Kraftbildung ist die Hauptsache. Was in der Schule

* Ein locus classicus dafir findet sich Pad. Revue Bd. I. S, 251.

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gelernt worden ist, mag spiter wieder vergessen werden, es hat den Geist entwickeln helfen. ,,Mein Latein und Griechisch ist mir aus dem Gedachiniss in den Verstand iibergegangen“ wie jener englische Lord die Sache ausdriickte. Auch diese An- sicht hat Wahrheit, ohne jedoch die wahre zu sein.

Ich hatte gesagt: Gebt einen tiichtigen materialen Unterricht tiichtig, und die formale Bildung kommt yon selbst, wie der _ Schatten mit dem K6rper; oder der Leib mit: der Seele.

Das muss undeutlich sein, weil es Hr. R. so sehr hat miss- verstehen, so unangemessene Folgerungen daraus ziehen konnen.

| Dass ich unter materialem Unterrichte keinen professionellen, sondern hier einen Schulunterricht verstehe, bei dem der Schiller nicht bloss Verstandesbildung, sondern zugleich Sachkennt- niss, positive Kenntniss der Materie empfangt, ist gesagt.

Heisst dieses aber nun: Der Unterricht in jeder Materie ist geistbildend? denn dass aller Unterricht, auch der sog. for- male, eine Unterlage haben muss, versteht sich von selber. Ich mache mir nicht erst den Gegner, wie Hr. R. meint, sondern er ist da, und ich nehme ihn wie er ist. Nicht werfe ich dem Formalismus yor, er habe keinen Inhalt, sondern diess, dass er entweder nicht den rechten Inhalt (qualitativ und quantitativ) habe oder den Inhalt lediglich als Mittel auffasse.

Salz ist eine schéne Sache, Brod ist eine schéne Sache, Wasser ist eine schéne Sache, Wein ist eine gar schéne Sache; kénnt Ihr aber Euren Leib mit einem dieser schénen* Dinge allein erndhren? Wie der Leib, so der Geist: Sprachen thuns nieht allein, Mathematik und Naturwissenschaften allein thun es noch weit weniger: Natur und Geist, natirliche Wissenschaften und ethische, gehéren zusammen.

Daraus folgere ich, dass der Schulunterricht ein universaler ‘(in unum vertere!!) sein, die wesentlichen Gegenstande enthalten miisse; im Gymnasium z. B. nicht bloss die ethischen Facher, sondern auch die natiirlichen, nicht bloss zwei antike Sprachen und Litteraturen, sondern auch zwei neuere fremde Sprachen, in der hoh. Biirgerschule nicht bloss Mathematik und Naturwissenschaften, sondern auch und zwar ganz besonders denn des Menschen wichtigstes Studium ist der Mensch die ethischen Ficher. *

* Nur muss fast noch mehr als die Einseitigkeit die Zerstreuung

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Andrerseits ist Erwerben eine schénc Sache, und wer kein Dummkopf ist, der gebraucht und geniesst sein Erworbenes, be- nutzt es, beutet es aus. Nicht bloss Geld, auch Kenntnisse miissen Zinsen tragen; nicht bloss das Vieh im Stalle und auf der Weide muss man zusammenbringen, damit es sich vermehre, auch die Kenntnisse in unserem Kopfe miissen Junge hecken. Wie aber die Zinsen aufhéren, wenn man das Capital verloren sehen lisst, so nimmt es auch mit der wahrhaften Bildung bald in Ende, wenn das, was man gelernt hat, nicht bewahrt wird. * Jer starkste und bestorganisirte Kérper, wenn er viel Blut ver- iert, sinkt zusammen, ganz so wiirde der starkste Geist zum ‘ehwachen, wenn er sich plétzlich ohne Kenntnisse fande.

Und daraus schliesse ich, dass es unverslandig ist, die ,formale Bildung“ als Ziel aufzustellen. Wer die Substanz. hat, ler hat auch das Accidenz; wer das Capital hat, der -zieht die Zinsen; wer den Taubenschlag hat, der speist junge Tauben. Wer wird sich um den Theil bemiihen, wenn er fir dasselbe zeld das Ganze haben kann?

Ein ,,tiichtiger materialer Unterricht“ ist also ein solcher, yei dem alles Wesentliche gelernt wird, Positives in den Kopf comyt. .

Dieser tiichtige materiale Unterricht soll aber tiichtig ge- zeben werden. Es geniigt nicht, dass ich Jemanden ein Capital schenke, wenn ich nicht zugleich fir die Fihigkeit sorge, das Capital

vermieden werden, die ‘unausbleibliche Folge der gegenwartig in den mei- sten Schulen beliebten Zersplitterung. Wenn ich mich nicht sehr lausche, so habe ich in den Vorreden zu meinen beiden Sprachbichern ein Mittel angegeben, bei dessen Gebrauche alle Vortheile des vielseitigen Unterrichts erhalten und die Nachtheile des alles Interesse vernichtenden und bedeutende Fortschritte unméglich machenden Vielerlei auf einmal Trei- bens vermieden sind,

* Wohin es fahrt, zeigen unsre Geschaftsmanner, die studirten Prak- tiker und die abstracten Litteraten, die hommes de lettres. Wie viel Ta- lent, welch bedeutende formelle Bildung hat nicht so mancher Litterat, und er bringt Nicbts hervor, weil seine Bildung eben eine formale ist. ‘Auch viele unsrer Geschaftsmanner haben Talent, Tact, Gewandtheit, Routine, tiberhaupt formale Bildung; weil aber die Bildung wieder nur eine for- male (namlich bei vielen, manche haben mehr, manche auch diese kaum), so konnte Fichte sagen: sie seien ,seichte Schwatzer und aufgeblasene Prahler, Halbgelehrte, die durch die Schule nor hindurch gelaufen, blinde Zutapper und Fortschleicher im alten Gleise, und dic soust nichts wollen oder kénnen,“

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vortheilhafi zu benutzen. Und hier haben wir vielleicht das verborgene Wesen des Formalen entdeckt

Es gibt in allen Wissenschaften, den ethischen und den na- tirlichen, drei Elemente: zunachst ein reales, materiales, positi- ves, oder wie man es sonst nennen will; dann ein praktisches oder _ technisches , endlich ein logisches oder rationales.

Tachtig unterrichten heisst nun so unterrichten, dass der Schiler nicht nur die nothige Kenntniss des betreffenden Gegenstandes erwirbt, *. sondern dass er rugleich das Konnen lernt, und dass er ferner, indem thm das Logische (Grund, Zu- sammenhang, Wie, Warum wu s. w.) in allem Gelernten klar wird, nicht nur dieses begreife, sondern iberhaupt dazu komme, seinen Verstand bei Allem nicht nur gebrauchen zu wollen, son- dern auch zu kénnen. Weil aber die Entitaten der vulgaren Psychologie, die Vermégen, keine Wirklichkeit haben, sondern pur die Vorstellungsreihen existiren: so kann es keine Verstan- © des- und Geistesbildung iberhaupt geben, sondern pur eine Bildung an diesem oder jenem, fir dieses oder jenes, ** und. weil das ist, so ist die ,formale Bildung“ ein Hirngespinnst, das Existirende aber, was man damit meint, kann nicht durch Uebung an einem Stoffe, sondern es muss durch Uebung an den samnt- lichen wesentlichen Stoffen erlangt werden. ***

* Ueber das Nothige, d. h. iber das Maas, habe ich im I. Bde. der Padag. Revue, S. 225 226, meine Meinung gesagt. _

** Wenn unsre Padagogen und Didaktiker sich gewohnten, za ihren Systemen eben so viele Materialien aus der Gesellschaft, aus dem Leben zo holen, als aus Bichern and aus ihrem Speculiren, so hatte das Gerede von formaler Bildung nie aufkommen kénnen. Wer viele Menschen, Staats- manner, Juristen, Aerzte, Mathematiker, Philologen, Kauflente, Kistler . u. 8. w.. fiber mancherlei Dinge hat reden héren, der wird mir beistimmen. Damit ist immer nicht ausgeschlossen, dass die an einem Fache gewonnene Bildung und Urtheilsfahigkeit nicht auch der Einsicht aberhaupt za gute komme, nar irrt nan iber das Wie und das Wie viel.

“** Die Leser merken, dass ich hier auf die harmonische Bildung ziele. Harmonische Bildung heisst aber nicht, jedes Individaom soll in sich ein Gleichgewicht zwischen den Arten des Wissens darstellen, denn dieses gabe lauter Mittelmassigkeiten, und obendrein heisst Individuum Ein- seitigkeit. Sondern das ist gemeint: Man soll auf jedes Indixiduam, so lange es erzichenden Unterricht geniesst, die sammtlichen wesent- lichen Gegenstdnde wirken lassen, damit es sich von jedem so viel aneig- nen kénne, als seine Individaalitét nach dem Maasse ihrer Bildungsfahigkeit aufoehmen kann. Ueber diesen Punkt hat Herbart in seinen’ Umrissen §. 60, 61, 62 ff. das vollkommen Richtige gesagt,

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Ich hoffe, das geniigt, um die Folgerungen abzuweisen, die fr, R. aus meiner Ansicht vom formalen Unterrichte und yon | rmaler. Bildung gezogen hat: So bliebe denn noch eine Be- ierkung dazu zu machen, dass Hr. R. den Zweck des lateini- | then und griechischen Unterrichts, im Gegensatze zu dem fran- isischen und englischen (der im besten Falle nur gleichmassig - ateriell und formell sei), einen wesentlich formellen nennt. In- fern diese. Ansicht mein Verfahren beriihrt, dasselbe fiir den verricht in neueren Sprachen giinstiger sein soll, als far den - nterricht in den alten Sprachen, kann ich. weiter nichts thun, 3 dem Leser und der Zukunft das Urtheil tiberlassen. Finden ejenigen, welche nach meiner Weise in Gymnasien alte Spra- ien lehren und es gibt dieser Lehrer mehrere —, dass mein - erfahren auch nur den geringsten derjenigen Vortheile fiir Gei- esbildung, die man yon der hergebrachten grammatikalischen ethode mehr. erwartet als erhalt, seiner Natur nach aus- hliesst, so gebé ich es preis und fange in meinem Forschen wie- ¥ ganz von Vorne an. Steht aber bei der genetischen Methode cht nur das zu erreichen, was man ,formale Bildung“ nennt, sst sich fiir die Technik und das positive Wissen dabei mehr ‘winnen, als bei der grammatikalischen Methode, so habe ich t dem gesunden Sinne der Lehrerwelt. das Zutrauen, dass sie ch mit dem Spriichlein, ,,das, was bei Erlernung der neueren irache erstrebt wird, stehe zu dem, was beim classischen Un- rrichte beabsichtigt und gefordert werde, in umgekebrtem Ver- Itnisse, dieser Unterricht sei wesentlich ,formal,“ nicht mehr r lange Zeit wird beruhigen, dass sie sich mit solcher Ausrede er den dusserst geringen Erfolg des bisherigen Unterrichts nicht oge mehr wird trésten wollen. Der Fuchs ohne Schweif, der inen beschwanzten Briidern die bekannte Predigt hielt und das angelnde Glied als einen unniitzen, ja hinderlichen Ueberfluss hilderte, war auch so ein Vertheidiger der rein formalen Bil- ing. Lasst aber nur die classischen Studien auf unsern Gym- sien zwanzig oder dreissig Jahre weiter sein, und redet dann ich von formaler Bildung. -Der classische Unterricht vom funf- hnten bis zum achtzehnten Jahrhundert war -rein realistiscli * id technisch, ** die logische, rationale Seite wurde gar nicht

*-In dem Sinne, dass die Sprache selbst ein Reale ist. ** Der meiste Unterricht in neueren Sprachen befindet sich in diesem igenblicke noch in dieser Verfassung. 7

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gealint. Mit der Aufklarung und der Philosophie, besonders der kantischen, kam dann der Padagogik diese bisher unbeachtete Seite des Unterrichtes zum Bewusstsecin, und nun wurde die formale Bil- dung das Schiboleth der Pidagogen; es kamen die ,, Denkiibungen“ auf, jeder Dummkopf pries den Verstand und schalt auf das Gedicht- niss; kurz man warf sich gleich dem lutherischen Bauern auf das andre Extrem, und da ist es denn vor aller Philologie und Philoso- phie in den Schuley dahin gekommen, dass unsre Abiturienten die wundersamsten Phrasen iber Subjectivitat und Objectivitat und " Subject- Objectivilat, iber weltgeschichtliche Nothwendigkeit, Stel- lung zu ihrer Zeit u. s. w. der griechischen und rémischen Au- toren vorbringen, aber nicht sechs griechische Worter richtig verbinden kénnen, und ein Latein schreiben, dass einem die Haare dabei zu Berge stehen. Und das Allerschlimmste ist, dass fast Niemand mehr, dem nicht die Sache Brodstudium ist, in spiteren Jahren einen gricchischen oder rémischen Schriftsteller auch nur ansieht. Jetzt scheint die Zeit nahe, wo man dem padagogischen Publikum zumuthen kann, eine dritte Stufe didak- tischer Theorie und Praxis zu ersteigen, cine Stufe, auf welcher der Unterricht nicht mehr material, nicht mehr formal, nicht

mehr praktisch, nicht mehr thcoretisch, nicht mehr synthetisch,

nicht mehr analytisch, sondern genetisch, d. h. alles dieses - zusammen ist. OO

Soll aber diese dritte Stufe erstiegen werden, so ist so viel gewiss, dass der Sprachunterricht die sog. grammatikalische

-Methode verabsehieden muss. Nicht etwa, als sollte nun keine

Grammatik mehr, oder weniger Grammatik als vorher gelernt werden: umgekehrt viel mehr und viel besser. Nur das Ver- fahren muss anders werden. Man muss nicht mehr glauben, dass der Satz: zwischen zwei Punkten ist die gerade Linie die kir- zeste, bedeute, sie bilde den kiirzesten Weg.

Der tiefere Grund namlich, ‘warum die synthetische Unter- richtsmethode bei Anfangern so erfolglos ist, liegt in der Siinde gegen die psychologischen Gesetze, deren sich diese Methode, zur Unzeit angewandt, schuldig macht. Ein Erwachsener kann zur Noth beim Studium einer synthetisch dargestellten Wissen- schaft fortkommen, wenn er sich auf die kleinen Studirkniffe versteht;* Schiiler sind in andrer Lage. Dem Lehrer ist mit

* Alexander Jung im Kénigsberger Litteraturblatt: ,Zum Studiam einer

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der Psychologie des fertigen Individuums nicht geholfen, wie niitzlich sie ihm auch ist, zunachst braucht er eine genetische Psychologie, eine Naturlehre des zehnjahrigen, des dreizeln- jabrigen; des sechszehnjihrigen u. s. w. Geistes. Der Lehrer muss die Kunst des Apostels verstehen, wenn diescr den Ko- rinthern sagt: ,.Den Juden bin ich worden als ein Jude, auf dass ich die Juden gewinne.... Denen die ohne Gesetz sind, bin ich ohne Gesetz worden, auf dass ich die, so ohne Gesetz sind, gewinne. Den Schwachen bin ich worden als ein Schwacher, auf dass ich die Schwachen gewinne. Ich bin Jedermann Allerlei worden, auf’ dass ich allenthalben ja Etliche-selig mache.“ Ich kann hier nicht: in den Raum einer Octayseite eine solche ge- netische Psychologie zusammendrangen, um so weniger, als ich selbst mit einer solchen noch keineswegs im Reinen bin; ich muss also Jeden an seine eigene Erfahrung verweisen, wenn ich sage, dass‘bei der Mehrzahl der Knaben und Madchen bis etwa zum - gwolften Jahre nur ein anschauliches Begreifen, Urtheilen und Schlicssen gelingt, dass mit etwa.zwolf Jahren sich die Fahigkeit einstellt, mit Vorstellungen zu operiren, und dass mit etwa siebzehn oder achtzehn Jahren bei denjenigen Individuen, die theoretische Naturen sind, auch das begriffliche Begreifen, Urtheilen und Schliessei von stalten geht. Nun ist, um von der Syntax nicht zu reden, indem diese nach: der grammatika- lischen Methode erst in die mittleren Classen fallt, und Hr. RK. iiber ‘sie mit mir gleich denkt, die Formenlehre, das gewohn- liche Pensum der unteren Classen, nicht nur in der Art syn-

Wissenschaft (sollte heissen einer synthetisch dargestellten) ist nothwendig, sich nicht durch die Principien abwendig machen zu lassen, Sie sind all- gemein und bedeuten nicht viel. Wie es scheint, ‘erst der hat ihre Bedeu~ tang, der das Besondere hat. Oft sind sie auch schlecht. Sie sind das Bewusstsein aber die Sache, und die Sache ist oft besser als das Bewunsst- sein. Man studire fort. Zuerst ist das Bewusstsein trib, Nur nicht Schritt vor Schritt begriffen und béwiesen haben wollen, sondern man wirft das Buch weg, liest wie zwischen Schlafen und Wachen fort, resignirt auf sein Bewusst- sein, was peinlich ist. So habe ich Differenzialrechnung und Anderes studirt. © So von Andern gehért, die Kant’s Kritik der reinen Vernunft so studirten.“ Nur muss.man sich dann in Acht nehmen, wenn man mitten im Buche

Vieles findet, dem man unbedingt beistimmen muss, durch eine Art von

Rackschluss auch die Principien fir wahr anzunehmen. Sondern, wenn— man Mitte und Ende sechsmal durchgearbeitet hat, dann misst man an der

hier erworbenen Kenntniss. die Principien, und kommt dabei manchmal zu

sonderbaren Entdeckungen, . :

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- thetisch, wie es oben auseinander gesetzt worden ist, so dass dem Schiller bei diesem Lernen stets das Subsumiren des Einzel- nen unter ein Allgemeines, welches er nicht genetisch hat ‘kennen lernen, zugemuthet wird, die Formenlehre ist auch Theil des grammatischen Systems, selbst systematisch. Ich lasse jetzt Herbart reden (Umriss §. 68): ,,Was die Verbindung (der Kenntnisse im Anfange) anlangt, so kann diese nicht bloss, und am wenigsten zuerst, systematisch vollzogen werden. Im System hat jeder Punkt seine bestimmte Stelle; an dieser Stelle ist er mit andern Punkten, die zuniachst liegen, zunachst verbunden; aber auch von andern entfernteren Punkten um eine bestimmte _ Distanz getrennt, und mit denselben nur durch bestimmte Mittel- glieder verbunden; auch ist die Art dieser Verbindung nicht. iiberall die namliche. Ueberdiess soll cin System nicht bloss gelernt sondern auch gebraucht, angewendet, oftmals durch neue ‘Zusitze, welche an gehérigen Orten einzuschalten sind, vervoll- stindigt werden. Diess erfordert, dass man geiibt sei, von jedem | beliebigen Punkte ausgehend zu jedem andern vorwarts oder rickwarts oder seitwarts die Gedanken zu bewegen. Darum soll ein System theils vorbereitet, theils eingeiibt werden.“ * Mein Elementarcurs ist diese Vorbereitung zum grammatischen und onomatischen System, und zwar ist di¢se Vorbereitung durchaus nicht, wie die hamiltonische, systemlos, aber das System ist kein System der Anordnung, sondern ein System der Entwicke- _ lung. Hat der Schiller im Elementarcurs stets erst die Sache und dann‘ das. Zeichen, dazu Alles in einer tibersichtlichen Ord- - nung empfangen; deutlicher: sind im Elementarcurs die Wort- -formen in ihrér Bedeutung und in ihrem Zusammenhange mit - dem syntaktischen Fortgange betrachtet worden: dann ist beim Beginn der mittleren Classen (fiirs Lateinische schon in Quarta) die Fahigkeit und die Neigung da, nun auch die Wortformen als solche, nach formalem Princip zusainmenzustellen, und bei

* Warde mir hier der Grammatist einwenden: Wir verlangen ja auch vom Sextaner und Quintaner nicht, dass er schon den Zusammenhang der Theile der-FormesJebre einsehe und merke; es geniigt, wenn er die Theile als solche, ohne das geistige Band, in der Hand hat: so wirde igh ihm erwiedern , dass es allerdings im giinstigsten Falle nur dahin, kommt, dass ‘aber unter diesen Umstanden nicht abzusehen ist, warum man eine Sache, von der man weiss, dass der Schiiler sie noch nicht als System fassen kann, doch systematisoh lehrt, und nicht vielmehr in der Ordnung, in welcher der Schiller sie fassen kann,

_ 63 diesem Geschiifte, das nicht sechs Wochen kostet, - stellt sich dann dem Schiiler das Bediirfniss heraus, die bisher noch nicht | vor- gekommenen Formen nachtriglich zu lernen.

Die Grammatisten haben sehr Recht, dass sie fiir das Stu- dium der Grammatik eifern, geschihe es nur nicht mit Unver- stand. Nun frage ich aber, und bitte um aufrichtige Antwort: Wie viele Abiturienten entlasst Ihr, die sich nicht, nur in gege- benem Falle an eine grammatische Regel erinnern, sondern auch den systematischen Zusammenhang der grammatischen Paragra- phen im Kopfe haben? Wie viele Eurer Schiiler haben ein Be- dirfniss, nicht nur die verschiedenen Bedeutungen einer Vocabel, sondern auch die Filiation dieser verschiedenen Bedeutungen zu wissen? Beide Punkte sind im genetischen Unterrichte ein Gewiirz, das nie fehlt, und wenn man dergleichen formalen Unterricht nennen will, so bin ich ein Erzformalist. Also gesteht es offen: Eure Tertianer und hinauf, ‘wenn Ihr die Syntax mit ibnen durchgeht, haben sie Lust an diesen Stunden? Zeigen . sig unmittelbares Interesse an der Grammatik und un will- kiirliche Aufmerksamseit, oder bringen sie nur mittclbares Interesse und das willkiirliche, d. h. auf dem Entschluss aufmerksam sein zu wollen beruhende Aufmerken mit, das Ihr obendrein oft genug durch Ermahnungen ofler durch Verweise slarken miisset? * Ich schenke Euch die Antwort. Allerdings hat man die ganz alte Weise, wo die “syntaktischen Regeln un- verstanden auswendig gelernt werden mussten (wie jetzt noch die Formen), an vielen Orten abgeschafft: Gernhard und neuer- dings Drogan ** (und mit ihnen hundert Andre) verlassen die

* Vergl. Herbart, Umriss §, 73. und §. 79.

** In des Ersteren lehrreicher Commentatio grammatica de emendanda ratione, ‘qua’ pueri linguae latinae cognitione imbuuntur (Opuscula, p. 264—290.) heisst es: Grammaticae quotquot sunt rationes, non sunt, ut saepius dicam, ex grammaticae compendio discendae, sed inter legen- dum in media oratione, quantum quoque loco decuerit, pro puerorum fa- cultate et eruditionis incremento ab ipso interprete explicandae et quae ex frequenti lectione notissima sunt in imitationis periculo primum loquendi tum scribendi exercitatione confirmanda. Nam ubi grammaticas notationes et regulas suo quamque loco observatas intuitus puer fuerit et usum latini sermonis ex. frequenti lectione multaque repétitione cognoverit: tum denique decebit et jucundum erit disjecta illa membra eo ordine, quem optimum quodque graimmaticae compendium constituerit, culligere, ut totius syntaxis tanquam aedificium exstruatur.

Drogan im Commentar 2u seinem Lat. Schulbuche, S. 16 sagt: ,Sogc-

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stricte Observanz des Grammatikalismus , und Hr. R. machts noch besser, indem er seine loci memoriales als Trager und Repetitoren der Grammatik benutzt, den Schiilern eine Unterlage gibt. Ob nun diese Unterlage ausreicht, ob sie meinen propa- deutischen, elementarischen, anschaulichen Curs yollstandig zu ersetzen gceignet ist, das miissen die Leser entscheiden. Nur darauf habe ich noch aufmerksam zu machen, dass mein gene- tisches Verfahren bei den guten Schiilern eine Lust an dem~ Sprachlichen (Grammatik und Onomatik) als solchem, und auf der mittleren Stufe cine Einsicht in das Grammatische und onoma- lische System erzeugt, die bei der grammatikalischen Methode unerhort ist. |

| Indess muss man die genetische Methode nicht fir etwas dem Lehrstoffe Aeusserliches halten, fiir eine Sauce, die zu jedem Braten passe. So lange eine Wissenschaft als solche nur noch sehr unvollkommen ist, so lange, um mich so auszudriicken, die Philosophie eine Wissenschaft noch nicht in sich aufgenom- men, der Begriff sie noch nicht durchdrungen hat: * so lange |

nannte grammatische Regeln auswendig lernen lassen und, wie man das nennt, aberhéren, gehdrt vielleicht zu dem Wunderlichsten, was zuge- muthet werden kann Die Fassung der grammatischen Regel ist das Letzte, wobei der Grammatiker einstweilen stehen bleibt, nachdem er der Sprache in ihren concreten Aeusserungen das Plus oder Minus der Wiederkehr ab- gelauscht hat oder zu haben glaubt (wenn er diberhaupt von der Sprache selbst herkommt); denn von der Grammatik lasst sich auch aus der Gram- -matik eine ungefahre Kenntniss erwerben, woes denn aber bedenkliche Regeln geben muss, wenn schon die ersteren meist eine nur interimistische Geltung in Anspruch nehmen dirfen) uod der Anfanger sollte damit anfangen, dicses Letzte, in vielen Fallen Interimistische auswendig zu lernen? Doch wohl nicht. Schon G, J. Vossius nennt ein dem genannten sehr ahnliches Verfahren eine Carnificina far die Jugend. Wenn von einer geschriebenen oder gedruckten Regel in der Lection die Rede ist, so kann dieses angemessen nur so geschchen, dass sie exegetisch durchgelesen wird. Ist ihr Inhalt aufgewiesen und durch das zu Grunde licgende Material veranschaulicht, so hat sie ihren Zweck erfillt u.s. w.

Ich bemerke zu beiden Stellen, dass ich den Verfassern gegeniiber ein enragirter Grammatiker bin, ein Mensch, der die Grammatik als solche ge- lehrt und im Gedachtnisse der Schiler wissen will.

_* Was das heissen will, macht das in dem obigen Citat von Drogan gebrauchte Wort klar, wenn dort die Grammatik nur als Nachweis des Plas (Regel) und Minus (Ausnahme) gefasst wird, In der That als solche Nachweise erscheinen die meisten ,Grammatiken.“ D. h. die Forschung dieser Grammatiker (wenn hier beide Substantive passend sind) steht erst bei der Induction, ist noch nicht einmal vollstandige Analyse; die sogen.

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ist die genetiscke Methode unmdglich, und ein anschaulicher | Elementarcurs kann dann nur ein unsystematisches. Analysiren sein. (So noch theilweise die Physik und Chemie.) Vor finfzig Jahren war ein genetischer Sprachunterricht kaum méglich und darum gelang Pestalozzi die Anwendung seines richtigen Prin- cips bei den Sprachen nicht: seit den Arbeiten von Grimm, Bopp, Pott, Raynouard, Becker, Herling, Schmitthenner, Hum- boldt u. n. A. muss sich der Sprachunterricht von Grund aus andern, so gut Steiner's Arbeiten den geometrischen Unter- richt umwalzen werden.

Hr. R. hat sehr richtig eingesehen, dass das Verhiltniss von Analysis und Synthesis der wichtigste Punkt nicht nur fir die vergleichende Beurtheilung seines und meines Verfahrens, sondern fir die gesammte Reform des Unterrichts ist. Gegen die unsystematische Analyse, die sogen. Naturmethode, welche die Erfahrung, wie sie das gemeine Leben gibt, * nachahmen will, erkléren wir uns beide. Ich erklare mich dann weiter gegen

‘die Synthese, ciomal weil in ihr die Principien dem Schiller

gleichsam yom Himmel fallen, dann weil ihre Systematik dem Anfanger absolut unverstindlich ist. Hr. R. glaubt dagegen die Synthese halten zu kénnen, wenn er einen ibrer Fehler durch dic Unterbreitung einer vorlaufigen Analyse entfernt. Ich gehe weiter, und forsche nach der genetischen- Methode, und zwar nicht nur fir den Sprach-, sondern fiir allen und jeden Schul- unterricht. Ich will nun hier nicht wiederholen, was ich in frithe- ren Schriften iiber die genetische Methode beim mathemalischen,

Regeln dieser Grammatiker sind erst ein Allgemeines des Factums das Gemeinsame, nicht ein Allgemeines des Grundes. D. h. wenn der Lehrey selbst vom Conjunctiv nicht mehr weiss, als dass er in gowissen

Fallen steht, so kann er nur’ analytisch (eigentlich inductorisch) oder syn-

thetisch (eigentlich syllogistisch) unterrichten, aber nicht genetisch.

* Herbart (Allg. Padag. S. 155) schildert die Erfahrang: ,,Da ist kein bestimmtes Oben noch Unten, nicht einmal eine Reihe; Alles schwimmt durcheiriander, Die Gedanken haben nicht warten gelernt. Bei gegebenem. Avlasse kommen Alle herbei, so viel ihrer durch den Faden der Association angeregt werden, und so. viele auf einmal:Platz haben im Bewasstsein.... Kein Absondern dessen, was nicht dahin gehért! Kein Hervorheben des Hauptpunktes!“ Und im Umriss §. 110: Sich selbst allein aberlassen, ist die Erfahrung kein solcher Lehrer, der einen regelmassigen Unterricht er- theilte. Sie befolgt nicht das Gesetz, vom Einzelnen ausgehend zum Zu- sammengesetzten allmablich fortzugehn; sondern sie wirft Dinge und Be- gebenheiten massenweise hin, zu einer off. verworrenen ‘Auffassung.“

Padagog. Revue. 1842. b, Bd. Y. - 5

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beim Sprach- und Litteraturunterrichte u. s. w. gesagt habe; ich will nur noch einmal das Princip der Sache von der An- schauung zur Vorstellung, von da zum Begriff in zwei Worten darlegen:

Elementarische Stufe. Anschauungen, die so geord- net sind, dass ihre Folge nicht nur dem psychologischen Be- diirfnisse des Lernenden entspricht, sondern auch die Genesis des Gegenstandes darstellt, werden dem Schiiler vorgefiihrt. (Im Sprachbuche die Satze in der fremden Sprache.) Diese Anschauun- gen werden jedesmal analysirt, so dass von dem darin in vielen Exemplaren vorkommenden Factum eine Vorstellung gewonnen wird. (Im Sprachbuche das Theoretische.) Ehe zu einem neuen Factum iibergegangen wird, wird dieses anschauliche Wissen durch angemessene Uebung in ein Kinnen yerwandelt. (Im Sprach- buch die deutschen Satze.) Bei dem Sprachunterrichte ist hier nicht nur von Grammatik, sondern auch von Onomatik die Rede. In der Yereinigung beider Elemente, dann in der Vereinigung. und Durchdringung des praktischen und des theoretischen Moments liegt das Lebendige dieses Unterrichts. Gregor von Nyssa sagt: Erhebe dich zam Leben, Thun ist der Weg zum Schauen. Er hatte eben so gut sagen kinnen, dass das Schauen der Weg zum Thun sei.

Mittlere Stufe. Der elementarische Cursus in den An- fangen der Grammatik und Onomatik, daneben die Lectiire, hat den Schiiler mit den grammatischen und onomatischen Haupt- thatsachen der Sprache auf anschauliche Weise bekannt gemacht. Jetzt handelt es sich darum, das Gelernte einerseits zu erginzen, andererseits einen wesentlichen Schulzweck, Uebung im wissen- schaftlichen Verstandesgebrauche, und zwar noch nicht an rein geistigen Gegenstanden wie etwa Logik, sondern an einem sinnlich- _geistigen Gegenstande (wie die Sprache und die Grésse sind) zu erreichen. D. hb. wie in unsern Gymnasien die Schiiler, und zwar nicht zum Behufe ihrer kiinftigen Profession, Arithmetik und Geometrie lernen, so sollen sie auch Grammatik und Ono- matik lernen, rein um der Sache selbst willen, rein darum, weil es im Begriffe der Bildung liegt, dass der Geist auch an der Sprache geiibt worden sei. Wahrend nun im elementarischen Curs die Folge des grammatischen Unterrichts eine syntaktische Entwickelung der Rede aus dem nakten Salze war und die Wortformen, iiberhaupt alles Anatomische der Sprache, eben weil es zuvorderst in seiner physiologischen Function angeschaut

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werden musste, wenn es verstanden werden sollte, nur aus syn- taktischem Gesichtspunkte betrachtet werden durfte: sind wir hier an einem Punkte angelangt, wo Lautlehre , Prosodie, Flexion, Wort- bildungslehre fiir sich aufireten und weil da die Anschauung vorher gegangen, die Vorstellungen jetzt, um mit Herbart zu reden, frei steigen, in ihrem eigenthiimlichen und particulaéren Zusammenhange verstanden und gelernt werden k6énnen. Die Syntax wird theils vervolistindigt, theils aus einem neuen Ge- sichtspunkte betrachtet, nimlich in der Art, dass jetzt der Unter- richt von dem Gesetze dem Allgemeinen zum Besonderen geht, also wahrhaft synthetisch verfahrt. Denn das Subsumiren eines Besonderen unter ein Allgemeines ist am rechten Orte, namlich dann, wenn das Allgemeine im Bewusstsein erzeugt, nicht hinein geworfen worden ist, eine vortreffliche Geistes- Gymnastik, und ein Schiiler, der sie nicht durchgemacht hat, wird schwerlich ein guter Jurist. Wenn nun Hr. R. (S.313—314 n.) fragt: ,,Was sollen wir von der selbstthatigen Verarbeitung des vorangegangenen und nebenherlaufenden Unterrichts (auf der Elementarstufe), was von der Wirkung des Memorirens halten, wenn nun doch (auf der mittleren Stufe) ein neues Aufsammeln von Beispielen erforderlich ist? so scheint fiir die Nothwen- digkeit dieses Aufsuchens von Beispielsatzen durch die Schiiler ein Grund supponirt zu werden, der nicht der rechte ist. Zwar soll mein Elementarcurs (firs Lateinische Sexta, Quinta und theilweise Quarta; fiirs Franzésische das zweite Semester von Quinta, dann Quarta) nicht buchstablich alle Wort- und Sachfor- - men anschauen, merken und einiiben lassen, noch weniger ware diess mit allen Wértern der Sprache méglich, daher der mittlere Curs in einer Beziehung ihn zu ergainzen hat; das aber ist sicher: der nach genetischer Methode -wohlunterrichtete Lateinschiiler hat am Ende des dritten Jahres (beim Schluss der Quarta) mehr Fertigkeit und Einsicht als der Schiller des Grammatisten am Ende des fiinften, beim Austritt aus Ober-Tertia. Im lediglich prak- lischen Bediirfnisse liegt also der Grund nicht. Die Griinde sind padagogischer Natur. Im Elementarcurs war uns .jedesmal ein Quantum yon Sfatzen, die der Lehrer herbeigeschafft hatte (wie die Alten bei den Thieren ihren Kleinen ja auch im Anfange das Futter bringen), Ausgangspunkt unsres Thuns: die, Analyse ‘dieser Sitze erzeugte die Vorstellung, diese war Resullat. Jetzt treten wir in ein neues Stadium: der Schiiler soll jetzt die Vor- 5*

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stellung zur Grundlage, machen, mit Vorstellungen operiren lernen, wie bisher mit Anschauungen; * wir kehren den Spiess um; was uns Resultat war, das soll jetzt-Grundlage, Voraussetzung, Aus- -gangspunkt werden: und nun sollen die Jungen sich ihr Futter selbst suchen, sie sollen subsumiren, selbstindig im Einzelnen das Allgemeine recognosciren lernen. Eine Schulgrammaltik fiir mittlere Classen braucht dermalen noch Beispiele, weil der Verfasser nicht darauf rechnen kann, dass iiberall ein anschau- licher Elementarcurs vorausgegangen; sie braucht Beispiele fir die schwacheren Schiiler, die auch hier noch, nach dem Elemen- tarcurs, des Allgemeinen nur am Besonderen bewusst werden, bei denen die Vorstellung sich nicht recht von der Anschauung lésen, sich nicht auf eigene Beine stellen will; sie braucht sie vielleicht fir manche Lehrer. Die guten Schiiler bringen die Beispiele zu jedem Lehrsatze aus ibrer Lectiire. Dass diess-die Schiller zu einem oftmaligen Bedenken der syntaktischen Regel nothigt, dieselbe also tiefer erfasst wird, liegt auf platter Hand; dazu kommt aber, dass es den Schiilern grosse Freude macht, ‘so ins Interesse gezogen, gleichsam Mitarbeiter an der Gram- matik der Classe zu werden. Es erzeugt sich da ein Certiren, das alle guten, aber nicht die schlimmen Folgen des sonstigen Certirens hat. Dass hiebei auch die Lectiire gewinnt, dass die Schiiler aufmerksamer lesen, dass sie das Gelesene oft zu lesen genothigt werden, auch das ist kein geringer Vortheil. Was dann die technische Seite des Unterrichts betrifft das Schreiben, so hirt auf der mittleren Stufe das Uebersetzen abgerissener Sitze auf, es werden zusammenhingende Stiickc iibersetzt. ** In

* Beim mathematischen Unterricht entspricht dem der Uebergang vom Rechnen mit bestimmten Zahlen und von der sogen. Formenlebre zur all- gemeinen Arithmetik und zur eigentlichen Geometrie. Aber freilich wird auch bei diesem das Erwerben der anschaulichen Grundlage an gar vielen Schulen verséumt, was dann, in Verbindung mit der synthetischen Methode, - die bekannten Erfolge des mathematischen Schulunterrichts erklart.

** Hier noch ein Wort fiber ein zweites Missverstandniss in der Note §, 313—314. Hr. R. -bemerkt za meiner Aeusserung , dass ich in den oberen Classen keine sogen. freien Aufsétze machen lasse, sondern nur solche Arbeiten, dic sich an irgend eine Darstellung eines mustergiltigen Schrift- stellers anlehnen, und die nur dann gerathen kénnen, wenn die Schiler irgend einen Abschnitt irgend eines Autors wenigstens zwanzigmal gelesen haben: ,Hier ist nun erstens unbegreiflich, wie die Schiler, die Hr. M. bereits in den unteren Classen zum mechanischen Kdnnen der fremden

Sprache und aller Idiolismen derselben bringt, in den oberen nicht far

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Bezug auf die Lectiire wird auf der mittleren Stufe zugleich der Unterricht in der Poetik und Prosaik vyorbereitet. (Vgl. die Vor- rede zu meiner Franzésischen Chrestomathie. Stuttg. Cotta, 1842.)

Héhere Stufe: Hier geht der Unterricht einerseits aus- einander, andererseits treten die Lebrgegenstande in neue Ver. bindungen. Die Litteratur, die griechische, lateinische, deutsche. franzésische und englische Lectiire, ist das Erste. Bei dieser wird sich natiirlich fiir positive Grammatik und Onomatik Man- ches thun, die bereits gewonnene Kenntniss der :Metrik ; Syno- nyinik u. s. w. erginzen lassen, indess' tritt’ hier das Bedirfniss ein, wenigstens die Grammatik und Onomatik Einer Sprache historisch kennen zu lernen: ‘natérlich in deutschen. Lan-

einen freien Aufsatz in dieser Sprache reif sein sollten. Sollen wir uns ein so niederschlagendes Resultat als wirklich denken, so kann es nur in der Zerstreuung und Ueberfilling seinen’ Grand haben. Es bleibt dem Schiler keine Zeit, sich bei einem Gegenstande zu sammeln und ¢igene Gedanken zu haben. Um aber zur Hauptsache zu kommen; ist denn nicht die oben verzeichnete Vertauschung der Stilgattungen viel schwieriger, als eine einfache, in dem Tone des jedesmaligen Gegenstandes gehaltene freie Arbeit Hierauf habe ich Mancherlei zu antworten, zhnadchst dieses, dass meine Abneigung vor freien Arbeiten in fremder Sprache nicht in dem sprachlichen Nicht-Kénnen der Sehaler ihren Grund hat, Wie konnte - ich sonst das Schwerere verlangen? Nein} die Sache ist so. Mit den freien Arbeiten, zundchst mit den deutschen, wird ungeheurer Missbrauch getrieben. Jn der Schilderung der Folgen dieses Missbranches hat Gunther in seinem Buche aber den deutschen Unterricht dbertrieben, es ist aber sehr viel Wahres in seiner Carricatur, Wenn ich mich nun nicht gar zu sehr tdusche, so glaube ich, ddss mein ,Deutsches Sprachbuch* in der dritten Abtheilung die rechte Art angibt, wie man in den unteren Classen die Rede- und Schreibibungen betreiben soll, In den oberen Classen wirde ich den deutschen Unterricht spalten: mittelhochdeutsche Grammatik und Lectare (das Gothische wirde ich ausschliessen, Althochdeutsch nur bei- laufig vornehmen), dann Litteraturgeschichte und Interpretation ist Eins; das Andre: allgemeine Grammatik, Poetik, Theorie und Praxis der pro- saischen Composition, wirde ich mit der sogen, philosophischen Propa- deutik , Logik, Psychologie und Ethik, in Verbindung setzen. Hier nun missen allerdings freie Arbeiten gemacht, werden. In den fremden Spra- chen ists anders. Erlaube ich freie Arbeiten, so sagt der Schiler, was er ‘will, d. h. er bleibt bei den Vocabeln stehen, die er kennt; macht ihm der Ausdruck eines Gedankens Schwierigkeit, ¢o lasst er den Gedanken fahren, er verrennt sich in seine Manier? kurz er hat fir seine sprachliche und stylistische Bildung keinen oder-doch geringen Gewinnst von seiner Arbeit. Wie ganz anders bei Arbeiten , wo der Inhalt mehr oder weniger gegeben, die Form aber zu schaffen, resp. nachzuahmen ist! In ein paar Jahren mehr dariber, ~ -

hu .

den die deutsche. * Bei der griechischen Sprache sind die Dialekte genauer zu betrachten. Was dann das rationale Element in der spracblichen Bildung betrifft, so kann jetzt der Versuch gemacht werden, aus den gewonnenen Vorstellungen den Begriff heraus- zuschilen: das gibt eine allgemeine Grammalik, richtiger eine ver- gleichende Grammatik der deutschen, griechischen, lateinischen, franzésischen und englischen Sprache. Diese Grammatik leitet in die Logik, Psychologie und Ethik einerseits, andererseits in die Theorie der poetischen und der prosaischen Composition ein. In den Rede- und Schreikiibungen soll sich dann das jedesmalige Resultat alles Unterrichtes zeigen. Doch dariiber ein andermal.

Bevor ich zu den Bemerkungen tiber das Memoriren komme, habe ich noch ein paar Punkle zu erledigen.

Hr. R. sagt S. 299: ,,Ganz begreiflich wird von Hrn. M. auch alle Belehrung tiber die Gesetze des Genus an rein prak- tische Anschauung und Uebung gekniipft.“ (Der Einwurf, die Wortfolge betreffend, ist durch das Verfahren im Sprachbuche ‘beseitigt.) So ist es, und dieses Verfahren ist verstandig’ und thoricht. Théricht ist es, wenn man in den unteren Classen die Wortformen lehren, absolviren und spiter nicht wieder dar- auf zuriickkommen will; verstandig ist es, wenn man auf den propadeutischen Curs einen mehr systematischen folgen lasst. Wie bei den Formen und der Bedeutung der Vocabeln, so soll auch hier nicht der Lehrer das Allgemeine der Thatsache (die Genusregel) geben, sondern es soll im Bewusstsein des Schiilers entstehen. Und dazu brauchts keiner langen Zeit. Einmal gibt die Natur der Sache schon Regeln an die Hand ; dann aber merkt der Schiiler bald, dass die auf us Masculina, die auf um, die auf a atis Neutra u.s.w. sind. Die Ausnahmen mag er allmahlig lernen, nach Massgabe wie sie beim Lesen und: Schreiben vor- kommen, und was im Elementarcurs nicht vorgekommen ist, das wird dann auf der mittleren Stufe erginzt, und zwar kostet diess weder Lehrer noch Schiiler Mihe.

S. 301 wird eingewandt, die Bildung der Sprache sei zu verzweigt, um, wie die Mathematik, die Durchfiihrung einer

* Zu diesem Ende werden die Behérden mit der Zeit auch dafir sorgen miissen, dass der gegenwarlige Zustand, wo Jeder so wie er geht und steht, den deutschen Unterricht ibernehmen kann, ein Ende nehme, Nicht nur des Franzésischen und Englischen, sondern auch des Deutschen wegen brauchen wir Seminare fir moderne Philologie.

a

Methode zu gestatten, bei der jedes Moment isolirt auftrete.. Ich erinnere mich aber nur eines einzigen Falles in meinem Buche CLection 11 der neuen Auflage: elle vendait des pommes), wo, um das eben der Betrachtung unterliegende Moment (hier das Praeteritum Descriptivum im Gegensatze zum Historicum) zur Anschauung zu bringen, ein noch nicht Erklartes (das-des) her- cingezogen werden und dem Schiiler auf Hamilton-jacototsche Weise gesagt werden musste: des maisons heisst Hauser.) Im ‘Fortgange vermindert sich diese Verlegenheit, weil in der 1. Lec- tion ja gleich zwei Momente auflreten, in der zweiten ein drittes und diése beiden, in der drilten ein viertes und die drei vori- gen u.s.f. Wenn man die Wortformen. der Syntax unterordnet, d.h. die Wirkungen zunachst, nimlich im Elementarcurs (spiter mag und soll es geschchen), nicht abgetrennt von den Ursachen betrachtet, so ergibt sich ein sehr einfacher Fortgang. Freilich, wenn man erst zur Formenlehre, und zwar zur Formenlehre in ibrer hergebrachten juxtaponirenden Anordnung, dann zur Syntax Beispielsétze sucht, wie diess bei Meierotto und in der Berger- Rost’schen Beispielsammlung und in andern Bichern der Fall ist: dann gehts nicht. Der Forigang vom Substantiy, und zwar hier von der ersten zur fiinften Declinatton, zum Adjectiy, von diesem zum Pronomen undNumerale, von diesen zum Verb u. s. f. hat nichts Organisches; diese Zusammenstellung kann nur yon dem verstanden und iiberschaut werden, der auf anderem Wege das Ganze schon kennt. Bei meiner genetischen Methode aber geht es, und zwar recht gut. Freilich weiss mein Schiiler am Ende des ersten Jahres nicht sammtliche Masculina auf is, von amnis bis vomis aufzusagen, dagegen gibt er dem gebrauch- lichen dieser Worter sicherlich vorkommenden Falles das rechite Genus; fiir das Erginzen und Zusammenstellen des Gelernten nach etymologischen, prosodischen, formalen ‘Riicksichten ist eben der mittlere Curs da.

Ferner heisst es (S. 302), dass diese Methode den Gang des - Lehrers unziemlich einenge. * Ich kénnte hierauf erwiedern, dass

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* Hr. R, erinnert dabei an seine Aeusserungen tber Anordnung uod Folge sginer Loci memoriales. (S. 342—346.) Der Leser mége sie ver- gleichen. Ich enthalte mich des Urtheils dariber, da ich hier nur Bemer- kungen zu Hrn. R's Kritik, nicht aber eine Kritik seines Buches geben will.

Die Note auf S. 344 erledigt sich durch das Folgende. Gewiss soll mein Sprachbuch nicht so, wie Hr, R. annimmt, memorirt werden. Ob es

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es ja jedem Lehrer freisteht, meine Sprachbiicher zu gebrauchen oder nicht zu gehrauchen; wer in meinen Schuhen nicht gehen kann, -nun der sehe zu, passendere zu bekommen, oder er mache sich selbst’ welche far seinen Fuss, wenn dieser eine absonder- liche Figenthiimlichkeit haben sollte. Ich kann es natérlich nicht hindern, wenn es da und dort einem ganz unfahigen Lehrer ein- fallt, eins meiner Schulbiicher einzufithren, und so muss ich es schon in Gottes Namen tiber mich ergehen lassen, wenn es da und dort heisst: Nach dem Buche wird auch Nichts gelernt.. Ich kann aber diese Méglichkeit vermindern, indem ich durch die Einrichtung meiner Sprachbiicher die Lehrer néthige, dieselben entweder in der vorgeschriebenen Ordnung zu gebrauchen, oder ‘sie gar nicht zu gebrauchen.: Mein und meiner Verleger Geld- Interesse ist mir nicht das Erste. Das Erste ist mir, dass da, wo meine Biicher gebraucht werden, unter einem tiichtigen Lehrer mehr und besser gelernt werde, als nach andern Lehrbiichern. Hrn. R’s Bemerkung (S. 319-320 n) verriickt den Gesichtspunkt. Ich setze sie hieher und fiige meine Erwiederungen bei. ,,Wenn Hr. M. ein Lehrbuch und hier kommen doch natiirlich, zwar nicht allein, aber doch vorzugsweise, die Grammatiken in Betracht schlechthin die gedruckte Methode nennt, so mitssen wir diese Erklarung nicht nur bezweifeln, sondern ge- radezu abweisen. Das Lehrbuch ist etwas stehendes, festes, fiir die Dauer Berechnetes; es muss dem Schiiler im zweiten Jahre des Unterrichts nicht nur die naimlichen, sondern noch auverlissigere Dienste leisten als im ersten, es muss vieles um des spéteren Bediirfnisses willen bereits systematisch zusammen- stellen, was dem Schiller nur nach und nach und mit Unter: brechungen zur Anschauung gebracht werden kann; es kann folg- fich nicht den Weg mit dem Schiiler machen, es ist kein Fiihrer, hichstens -ein Wegweiser.“ Erwiederung: Ich rede von Lehr- biichern fiir die elementarische, d. h. fiir die Stufe,,wo der Schiiler noch kein (im gewdhnlichen Sinne) systematisches , sondern nur ein nach’ anschaulich-genetischer Methode verfasstes Lehr- | buch gébrauchen kann. Es ist eben meine These, dass auf der elementarischen Stufe eine systematische Schulgrammatik (und

nun wohlgethan ‘ist, jedes Buch, das nur zum Lesen (and n,'b. zum Ler-~ hen), nicht zum Memoriren bestimmt ist, mit H. R. Lesebuch zu nennen, ‘oder ob meine Unterscheidang zwischen Sprach- und Lesebuch dem Sprach- gebrauche mehr angemessen ist, das mag der Leser bei sich ausmachen. '

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eben so eine synthetisch-systematische Naturgeschichte, Geome- trie, Geographie, Religionslehre u. s. w.) nicht gebrauchen kann. Nun bin ich zwar auch Freund von der Oekonomie, ich sehe aber nicht ein, warum man einem zehnjabrigen Buben Rock und Schuhe so machen soll, dass sie auch fir ihn als fainfzebn- jihrigen passen, also jetzt nicht passen, Der. Bube ist ja nicht fiir den Rock, sondern der Rock fiir den Buben da, s0 ist das Lehrbuch fiir den Schiiler. Ahmen wir doch die Natur nach: ovdéiv 7a¢ 1] Pues Moret torovrov, oiov xahxorvinor ry Achp.- x7jV UAYALEAY, TEVLXOGS y GAA’ &v medg Ev ovTa yao dv amo- rekovro xdAdota tov deyaveav exacrov, pl) moAhoic Epyorg GAN ivi SovAsvov. * Also nicht das Werkzeug ist das Stehende und Feste, sondern der Zweck, dem es dient, und wenn es wahr ist, dass der Unterricht in den unteren Classen ein qualitativ anderer sein muss als in den mittleren, so wird es auch wohl richtig sein, dass man fiir jede Stufe ein eigenes Lehrbuch braucht. Hr. R. fabrt fort: ,Die Methode ist das Bewegliche, in jedem Moment Fortschreitende“ [die Methode ist der Weg, der Weg ist fest, nur der ihn wandelt, schreitet], ,nur dann und wann zum Behuf der Orientirung Stehenbleibende, in. der Aenderung ihrer. ‘selbst auf die wachsende Kraft des Schiilers Berechnete. So kann es geschehen, dass zwei unter sich séhr verschie- dene Lehrbicher bei einer und derselben Methode, oder ein Lehrbuch bei zwei verschiedenen Methoden gar fuglich als Unterlage gebraucht wird, was nicht gedaebt wer- den kénnte, wenn das Lehrbuch selbst die Methode wire.“ Ich _erwiedere: Als Euklid dem Ptolemaus, der eine leichtere Methode fiir die Geometrie begehrte, die bekannte stolze Antwort gab, von der uns Proklus berichtet, da hatte er factisch sehr Unrecht, - denn sein Weg ist nicht der rechte; begrifflich aber hatte er volikommen Recht: von einem gegebenen Punkte aus zu einem gegebenen Punkte hin wird Ein Weg der beste sein. Was Hr. Rk. Methode zu nennen scheint, das heisst nur Manier. In einem gewissen Sinne hat Hr. R..allerdings Recht. Die meisten Lehrbiicher sind weiter ‘nichts. als Sammelsurien von Factis: in einer gewodhnlichen Geographie, Naturgeschichte, Geschichte, Grammatik u. s. w. kann ich iiberall anfangen, weil nur Juxtapo- sition, keine Organisation, | keine Genese, kein. Werden und Wachsen in diesen Biichern ist. Aber nehme man einmal den

* Aristoteles, Polit.

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Euklid, oder Herlings oder Becker’s Syntax; wer nach dieser Biichern unterrichten will, dem ist der Gang vorgeschrieben, so gut wie bei meinen Lehrbiichern, Wie er aber den Weg gehen will, in welcber Manier er unterrichtet, das hangt theils yon der Individualitét des Lehrers, theils yon derjenigen der Schiiler, theils von mancherlei Umstanden ab, z. B. Stundenzahl, kinf- tiger Beruf u. s. w. Wenn ein Mann, wie Hr. R., seine Unter- richtsweise ausfiihrlich beschreibt, so ist das immer héchst dan- kenswerth und auch der Tiichtigste kann daraus lernen, dem weniger Tiichtigen aber sind solche Exercier-Reglements eine wahre Wohlthat. Nur wollen wir die Art, die Methode anzuwen- den, nicht auch wieder Methode nennen, weil wir sonst jenen guten Leuten und schlechten Musikanten Nichts zu antworten haben, die da,. wenn man ihnen sonnenklar beweist, dass sie das Pferd von hinten aufziumen, getrost sagen, jeder Lehrer habe eben seine eigene Methode. Hr. R.. fahrt dann fort und bemerkt, die sogen. Elementarbiicher (ein solches ist ja mein Sprach- buch) wollten allerdings die gedruckte Methode sein, konnten es aber der individuellen, localen und temporellen Abweichungen wegen selten (eine Anzahl von Schulen wird es immer geben, die es gebrauchen konnen) und noch seltener hatten sie sich des Bei- falls der Besten zu erfreuen. Letzteres wird wohl davon abhangen, ob der Elementarbuchschreiber zu dem Geschlechte der Wieder- kduer gehért, und ob er z. B., wenn es sich von einem Sprach- buche handelt, weiter nichts gibt, als was schon im Adelung und im Girault-Duvivier, oder auch in Diez oder Grimm oder Becker steht, oder ob er sowohl-das Alte neu zu organisiren als auch Neues zu bieten vermag. Dann sei der deutsche Gym- nasiallehrerstand schon durch seine Bildungsstufe zu der Forde- rung berechtigt, dass man es nicht versuche, ihn in die Fessel des Buchstabens zu schlagen. Ich erwiedere, dass das nicht die Absicht ist, wohl aber ist die Zeit zu kostbar, und das Schreiben nach Dictaten so unniitz, dass ein Lehrbuch, dem der Lebrer stricle folgen kann, ftir die Schiiler und auch fiir den Lehrer eine wahre Wohlthat ist. Unter dem ,,Genie von Conducteur, der die gebahnte Strasse verlasst und fiir den Wagen einen neuen Weg sucht, wogegen die Reisenden protestiren,“ verstand ich die Lehrer, die zwar ein Lehrbuch einfiihren, den Gang des Lehrbuches, wenn dieses ein methodisches ist, aber nicht einhalten, sondern bald hier bald dort im Buche herumirrlichterliren, bald hier bald dort ergan- zen, verbessern, was dann natiirlich zu stetem Dictiren ‘zwingt. Das Dictiren und Heftereiten war vor Guttenberg erlaubt, wer es jetzt noch treibt, ist ganz einfach ein schlechter Lehrer. Hier und ‘da muss freilich auch in den unteren Classen schon der Schiller ein- -zelne Bemerkungen und Erlauterungen, die der Lehrer zum Buche . macht, notiren, aber selbst in den oberen Classen sollte allem Un- terrichte ein Lehrbuch zu Grunde liegen und miisste sich der Lehrer selbst eins schreiben. (Schluss folgt.)

—__~_=«2oe-———

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ZWEITE SECTION.

Beurtheilungen und Anzeigen.

B. Hand-, Lehr- und Lernbiicher. -

Kit.

Zeitschrift fir vergleichende Erdkunde. Zur Forderung und Verbreitung dieser Wissenschaft far die Gelehrten und Gebildeten. Herausgegeben von Johann Gottfried Lidde (jahrlich 12 Hefte oder 72 Bogen.) Magde- burg bei Emil Baensch. 1842.

Die Geographie hat in neuern Zeiten, namentlich seit den geistreichen Darstellungen C. Ritters, eine solche Ausbreitung unter den Gelehrten und Gebildeten gefunden, dass eine Zeit- schrift schon lange ein Beditrfniss war, in der nicht allein die neuern Entdeckungen niedergelegt, in der nicht allein statistische Nachrichten, Schilderungen und Beschreibungen, sondern in der, neben diesem namentlich die Methodik der Erdbeschreibung besprochen wird, um gerade auf die grossen Erweiterungen aufmerksam zu machen, welche durch sie die Erdbeschreibung erhielt. Es war daher ein gliicklicher Gedanke, den Hr. Liidde hatte, als er zur Herausgabe dieser Zeitschrift schritt, und wir beeilen uns, eine Anzeige derselben hier um so mehr zu geben, da er auf das Bediirfniss der Lehrer besonders Riicksicht a0 mehmen verheisst.

Die Richtung und der Zweck, den Hr. Liidde bei der Her- ausgabe dieser Zeitschrift hat, geht zuerst auf allgemeinere Unterhaltung und Belehrung hin; um nicht missverstanden zu werden, erinnert der Herausgeber an die Arbeiten von Hum- boldt, Schouw etc., wir kénnen tbrigens uns nicht verbergen, dass gerade derlei Arbeiten zu erhalten, wohl die schwierigste Aufgabe der Redaction sein méchte. Dann will der Herausgeber durch diese Zeitschrift dem Schulmann ein Magazin gebev, »in welchem er fiir seine Zwecke zubereiteten Stoff antrifft und in welchem von der Art und Weise, der Behandlung und Ver- wendung desselben die Rede ist.“ Endlich soll diese Zeitschrift ein Repositorium fiir den eigentlichen Fachgelehrten sein,

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Diesen verschiedenen Zweck will der Herausgeber durch Ab- handlungen, Schilderungen und Beschreibungen, Ausziige, Kri- liken und durch kurze Mittheilungen erreichen.

| Es ist natiirlich, dass den verschiedenen Zwecken in den beiden uns vorliegenden Heften noch nicht nach jeder Richtung hin entsprochen ist, doch berechtigt uns das Mitgetheilte zur Erwartung, dass diese Zeitschrift wie Ritter sagt ,,fir das gleich dem Hyder-Haupte wachsende Gebiet der Geographie sehr erspriesslich werden kann! dass sie als Beitrag zu andern Beitragen sicher auch ihre ehrenvolle Stelle einnehmen werde, um entscheidend zur Fahne sich zu.erheben und an die Spitze der Wissenschaft zu treten.“ Wir schiiessen diese Anzeige mit dem Wunselr, dass recht viele Krafte sich vereinigen mégen, um unter einem grossen Publikum eine Wissenschaft auszubreiten, die geschaffen ist, um Geist und Herz gleichmassig anzuregen.

Dr. Ofterdinger.

IV.

Die Lehre von den Kegelschnitten, dargestellt fir das Bedirfniss des Forstwirths. Programm zor Erdéffnung der Vorlesungen an dem Jand- und forstwirthschaftlichen Institut in Hohenheim im Herbst 1841.

' Von F. J.-P. Rieke, Prof. der Math, und Physik. Stuttgart, Cotta

1841. IV u. 38 §.

An den meisten unserer Gymnasien, Realschulen u. s. w. wird die Lehre von den Kegelschnitten als’ zur héhern Ma- - thematik gehérig ausgeschlossen; und doch sind diese krum- men Linien in der Praxis von der gréssten Wichtigkeit. In der Physik und Mechanik, bei der Berechnung von Gewélben, von -Baumstémmen etc. wird von ihnen vielfacher Gebrauch gemacht. Daher ist der Lehrer bei derlei Anstalten so oft in Verlegenheit als derlei Anwendungen vorkommen, und da die Theorie dieser Linien nicht vorgetragen werden soll, so hat man zu versehie- - denen Auswegen seine Zuflucht genommen: einige nehmen die Satze der Kegelschnitte als Axiome an; andere unterstiitzen die- selben wenigstens mit Scheinbeweisen, und endlich fihren einige als Lehrsatze eine Reihe der wichtigsten Satze der Kegelschnitte an, und suchen dieselben mit aller Strenge:zu beweisen.

Der Verf. hat an der Forstlehranstalt in Hohenheim Unter- richt in der Mathematik zu geben, ‘wo die hdhere. Geometrie nicht in den Lehrplan aufgenommen ist, wo er aber in die oben angefiibrte’Verlegenheit kommen wiirde (indem er seinen Schiilern

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die Berechnung eines Baumstammes nicht in jedem Fall lehren kéonte), wenn er nicht die Hauptsatze aus den Kegelschnitten vorher so _entwickelt hatte, wie sie uns hier, ‘ohne dass der Griindlichkeit irgend was vergeben wire, auf ein paar Blattern vorliegen.

Der Verf. schickt eine > Einleitung voraus, in der er eine all- gemeine Erklarung der Kegelschnitte gibt, zeigt, wie man, wenn der Brennpunkt, die Direktrix und die Parimeter gegeben ist, beliebig viele Punkte eines Kegelschnittes bestimmen, wie man vermittelst eines Konikographen (dessen Construction angegeben ist) die Kegelschnitte zeichnen und endlich wie man ihre allge- meine Gleichung finden kann. Denselben Weg verfolgt der 'Verf. in den drei folgenden Abschnilten, wo er im Einzelnen die Parabel, Ellipse und Hyperbel betrachtet; nur setzt er zum ersten Abschnitt- die Aufgaben, den Inhalt eines Parabelstiickes, eines Parabeloid’s und eines abgekiirzten Parabeloid’s. zu finden und zum zweiten die, wo gezeigt wird, wie man den Inhalt einer Ellipse findet. Diess Alles bringt der Verf. mit einer Klarheit vor, die nichts zu wiinschen iibrig lasst, und jeder Forstmann wird leicht dieses Bichlein verstehen und alle Satze finden, auf die ihn seine Praxis fiihren wird. :

Der Verf. wihlte bald die geometrische, bald die algebraische Beweisart, wogegen eben so wenig einzuwenden ist als dagegen, dass der Verf. bei der Inhaltsbestimmung sich der Flachen- und Kérperelemente bedient hat. Bévor wir yon diesem sehr gut geschriebenen Buch Abschied nehmen, mége noch ein Wunsch . ausgesprochen werden; nimlich es méchte der Verf. diese Schrift einem gréssern Publikum iibergeben, als in der Regel .ein Pro- gramm hat, damit sich derselben alle Lehrer an aholichen An- stalten bedienen kénnen, und mége alsdann der Verf. ein paar Blatter noch hinzufiigen, damit die Lehre vom geometrischen - Ort, welche dem Schiiler doch noch nicht gelaufig ist, voraus- geschickt und die Inhaltsbestimmung yon Ellipsoiden, Hyperbel- stiicken und Hyperbeloiden (welche zwar nicht fir den Forst- mann, aber fiir Realschiiler, von Bedeutung sind) beigefiigt werden kann.

Druck und Papier, so wie die eingedruckten Holzschnitte, machen der Cotta’schen Druckerei alle Ehre.

Dr. Ofterdinger.

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“Wi. - Eichelberg , ‘Lehrbuch der Naturgeschichte fir hdhere Lehranstalten. Zirich und Winterthur, im Verlage des Litterarischen Comptoirs. 1842. *

Herr Prof. Eichelberg wird durch diese neue Arbeit den Bau, welchen er mit seinem ,,.Methodischen Leitfaden zum griind- lichen Unterricht in der Naturgeschichte,“ Zirich bei Meyer und Zeller, 1839 und 1840, griindlich und solid begann, fest und sicher, schén und wohnlich vollenden. |

Wahrend der Leitfaden mit dem méglich geringsten Aufwand an Hiilfsmitteln vor den Augen des Schiillers und unter dessen steter selbstthatiger Theilnahme das System durch Reiche, Kreise, Classen und Ordnungen entwickelt und aufbaut, zwar s0, dass er durch erschépfende Behandlung einer Anzahl passend ge- wahlter Individuen, durch Vergleichung ihrer Merkmale nach dey Reihenfolge ihrer allgemeineren oder specielleren Wichtigkeit, _ sammelnd und trennend die systematischen Begriffe der Kreise, Classen, Ordnungen und ihren Formeninhalt begriindet und fest- stellt; geht das Lehrbuch den reinwissenschafllichen Gang vom Allgemeinen zum Besondern, auf die Resultate, welche durch den Gebrauch des Leitfadens gewonnen wurden, sicher gestiitzt. Beide bilden ein im engsten Zusammenhange stehendes Ganzes, und verhalten sich, entsprechend der Entwickelungsgeschichte der Wissenschaft, wie synthetische und analytische Stufe.

Von dem Lehrbuche ist bisher die erste Abtheilung des ersten Bandes, enthaltend die Wirbelthiere, erschienen. Wir begniigen uns mit wenigen Andeutungen iiber deren Inhalt.

Das Allgemeine tiber Reiche und Kreise, und iiber Classen, Ordnungen und Familien der Wirbelthiere ist bei allem Streben nach Kirze, griindlich und yollstandig behandelt. Jedem Capitel folgt eine vyergleichende Uebersichtstabelle der untergeordneten Abtheilungen. Diese Tabellen sind mit diagnostischer Scharfe ausgefiihrt und vollkommen geeignet, einen klaren Ueberblick im Gebiete zu gewahren, und die Einzelwesen nebst ihren gegen- seitigen Beziehungen leicht und sicher kennen zu lehren. Der . Verf. nimmt,’ namentlich in den Capiteln, welche die Classen zum Vorwurf haben, neben dem dussern Bau und der Lebensart, auch auf den innern Bau lébliche Ritcksicht. Unter den Familien werden die Gattungen und Arten in ahnlich anschaulicher und iibersichtlicher Weise behandelt, Dass der Verfasser bei der

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* Ein ausfihrlicherer Artikel wenn das Werk vollendet. D. H.

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Behandlung der Gatlungen auch die wichtigeren der neuerdings so sehr vervielfaltigten Subgenera einfiihrt und begriindet, bei Behandlung der Arten neben allen europiischen auch die wich- ligsten und bezeichnendsten auslandischen beschreibt, und die ibrigen theils mit Namen, theils numerisch auffiihrt; diess gibt dem Werke eine bis dahin ganzlich vermisste Vollstaudigkeit. Noch wird der Werth des Werkes dadurch erhéht, dass auch der fossilen Ueberreste friiherer Schépfungen theils an den geeig- neten Stellen des Systems, theils anhangsweise gedacht wird.

So kamen wir endlich einmal in den Besitz eines naturge- schichtlichen Werkes, welches hinsichtlich der Methode, Voil- stindigkeit und Brauchbarkeit dem jetzigen Standpunkt der Wis- senschaft als Lehrbuch fir héhere Lehranstalten vollkommen entspricht und den Schiiler bei seinen Studien sicher zu leiten, mit gediegenen Kenntnissen auszustatten und zum selbstandigen Forschen vorzubereiten und anzuregen im Stande ist.

Aeusserlich empfiehlt sich das Werk durch gefalligen Druck und hiibsches Papier.

Wir sehen mit Erwarten der zweiten Abtheilung des ersten Bandes entgegen, welche die wirbellosen Thiere enthalten, und beim Beginne des Jahres 1843 erscheinen soll, und schliessen unsere Anzeige mit dem Wunsche, dieses Werk bald in unsere hodhere Lehranstalten eingefihrt zu wissen; die Folgen werden jedenfalls erfreulich sein. Den Verfasser aber ermuntern wir, auf dem betretenen Pfade wacker vorwarts zu schreiten; seine - Bemiihungen werden Erfolg haben und seine Leistungen Aner- kennung. finden.

Naturgeschichte der drei Reiche. Ein Hand- und Hialfsbuch fir Lehrer, ein belehrendes Lesebuch fiir Erwachsene und die reifere Jugend. Von Dr. H. Grdfe, Prof. der Philosophie und Dis. der Real- und Bargerschule in Jena. Eine neue Bearbeitung des Handbuchs der Naturgeschichte der drei Reiche fiir Schule und Haus. Berlin 1841. Verlag von Wilh. Hermes. 2 Bde. XX and 635 und XIV und 662 S. gr. 8, (3 Rthlr.)

Das vorliegende Buch, welches im Allgemeinen dem Plane des 1838 beendigten und bereits vergriffenen ,,Handbuches“ treu geblieben ist, erscheint nicht sowohl als eine neue Auflage dieses

Werkes, sondern will entschieden als eine neue Bearbeitung

angesehen werden, ,so dass die urspriingliche Arbeit auch neben

dieser noch brauchbar sein kann.“ Soviel liegt klar am Tage, dass ein Werk in so kurzer Zeit noch nicht veralten kann, sobald

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es sich einer so sorgfalitigen Bearbeitung erfreut, wie jenes Handbuch. Die Griinde der neuen Gestalt, in der es erscheint, miissen also in etwas Anderem gesucht werden. Vielleicht konnte sich der Hr. Verf. (Herrn Naumann’s, jenes berihmten deut- schen Ornithologs Name, der an dem Handbuche mit Theil hatte, ist auf dem Titel verschwunden) nicht mit dem Verleger Reichard in Eisleben iiber die z2weite Auflage einigen, und Hermes in Berlin, der neue Verleger, wiinschte dasselbe in einer abgekiirzten Bearbeitung das Handbuch 140, die Un- arbeitung 80 Bogen stark um des ermissigten Preises willen. Wie dem auch sei, Kef. darf versichern, dass das Werk sich seinem Zwecke eher gendhert, als sich von demselben entfernt hat, da es von vorne herein weniger eine ausfihrliche Beschrei- bung der Specialien im Gebiete der Naturgeschichte, sondera eine Einfiihrung in das Leben der Natur, wie es sich in den Thiezen, Pflanzen und Mineralien darstellt, beabsichtigte, da es zeigen wollte, wie die Natur in ihren Bildungen verfahrt, welche Gesetze sie befolgt, in welcher Stufenreihe sie fortschreitet. Es ist demnach nicht eine gewohnliche Naturgeschichte, wie sie fast jeder Messkatalog in nicht geringer Anzahl ankiindigt, und wodurch die Menge der bereits vorhandenen Naturgeschich- ten bis zum Ueberflusse vermehrt wird; sondern wir finden in derselben ein Buch, durch welches eine wesentliche Liicke in unserer Litteratur ausgefillt wird, das sich einen héheren Zweck vorgehalten, als durch Beschreibung von Einzelwesen die uner- fahrnc Jugend auf die Dinge der Natur ayfmerksam zu machen, oder sie mit Fabeln und Mahbrchen zu unterhalten. Wer es aber zu erfahren sucht, wie die Natur in ihren Bildungen verfahrt, welclien Gesetzen die Naturkérper unterworfen sind, durch welche mannigfaltigen Mittel die schépferische Kraft ihren Zweck, Leben unter den verschiedensten Formen und in den verschiedensten ~ Graden iiberall zu verbreiten, erreicht, und wie zusammengesetzt und doch einfach, wunderbar und doch natiirlich, seltsam und doch grossartig die Gebilde sind, welche die Natur unserm Auge darstellt: der nehme dieses Buch zur Hand, und er wird es ' nicht ohne Befriedigung wieder fortlegen; er wird, durch das- selbe geleitet, Gelegenheit finden, einen Blick in die Geheimnisse des goéttlichen Waltens in der sichtbaren Welt, in die Oekonomie der Natur, in den Plan der Schépfung zu thun. Wem es also ein wirklicher Ernst ist, um eine méglichst griindliche Kenntniss

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der Natur; wer sich ein nach dem jetzigen Standpunkte der Wis- senschaft méglichst treues Gemialde von den Wundern der Natur verschaffen und die unendliche und doch harmonische Mannig- faltigkeit der Geschopfe, sowie die steten Entwickelungen, Um- anderungen, Verwandelungen in der sichtbaren Schépfung itber- _schauen will, dem wird dieses Wort gewiss eine sehr willkommene Erscheinung sein.

Nach solchen Riicksichten hat der Hr. Verf. das ganze Buch bearbeitet, tiberall das Allgemeine in der Betrachtung dem Beson- deren yorgezogen und dieses nur insofern nicht unberiicksichtigt gelassen, als es zum Verstehen der allgemeinen Zusammenstel- lungen und zum Gewinnen von Ansichten und Naturideen durch- aus unentbehrlich ist. Er hat es vorziiglich fiir Lehrer an Gym-

nasien und héheren Biirger- oder Realschulen bestimmt, weil er

hauptsachlich der Meinung ist, dass in Anstalten dieser Art eben so sehr hohere Lebensbildung, soweit sie ohne tiefere Kenntniss des classischen Alterthumes moglich ist, bezweckt werden muss, wie in den Gymnasien, nicht aber blosse Ausbildung fir die birgerliche Gewerbthatigkeit gentigen kann, und Ref. muss be- kennen, dass er in dieser Beziehung die Ansicht des Hrn. Ver- fassers vollkommen theilt. |

Sehr richtig ist es auch, was er in der Vorrede iiber die Wichtigkeit des Studiums der Naturgeschichte auf Gymnasien, in denen dieser Unterrichtsgegenstand kaum auf dem Plane -stebt, sagt; Ref. muss es aber dem geneigten Leser selbst iiberlassen, sich durch das Buch davon zu unterrichten. Er wird im Allge- meinen die wichtigsten Gedanken’ von dem, was ich tiber den- selben Gegenstand vor Kurzem in diesen Blattern ausgesprochen habe , wiederholt finden.

Mit sehr wenigen Worten hat der Verf. der methodischen

. Behandlung dieses Unterrichtsgegenstandes gedacht; er glaubt es:

Anderen iiberlassen zu dirfen, die jetzt bereits schon’ seit

10 Jahren dieses Feld anzubatien begonnen haben. Die Zeit

wird ja auch hierin helfen.

Ueber den Gebrauch seines Buches sagt der Vert: »Das ‘gegenwartige Handbuch der Naturgeschichte ist nicht gerade zum unmittelbaren Gebrauche in der Schule bestimmt, obwohl in hoheren Unterrichtsanstalten (in den obern Classen niederer und héherer Birgerschulen, in Seminarien und Gymnasien) ein

solcher davon gemacht werden kann, sondern vorziiglich dazu, .

Padagog. Revue. 1842.b, Bd. V. 6.

-_

82 um die Lehrer selbst in die Natur einzufiihren, ihnen ein deut- liches Bild des gesammten Naturlebens vor das Auge zu stellen, sie die Natur kennen zu lehren“ und Ref. muss behaupten, - dass er bei genauer Durchsicht desselben die Ueberzeugung -gewonnen hat, es werde zur Erreichung eines solchen Zweckes bei sorgfaltiger Benutzung nicht wenig beitragen.

Die Bearbeitung selbst hat einen rein wissenschafthichen Cha- rakter, indem der Verf. zuerst in einer allgemeinen Einleitung die néthigen Vorbegriffe feststellt und eine allgemeine Uebersicht der Naturprodukte gibt; dureh die Einleitung in die organische Natur will er einfiihren in die eigentlich belebte Welt und in allgemeinen Ziigen das organische Leben darstellen; durch den allgemeinen Theil des Thierreiches lenkt er den Blick. auf das- Jenige Reich der organisirten Welt hin, welches durch die Voll- kommenheit der Organisation, durch die hohe Stufe des Lebens, durch die nahere Beziehung zum Menschen am wichtigsten ist. Auch bei der Betrachtung der einzelnen Thierclassen geht er, der Consequenz wegen, stets vom Allgemeinen zum Besondern fort, und beobachtet ein dbnliches Verfahren bei den andern Naturreichen. Die .elementare Behandlung dieses Gegenstandes ist ihm deinnach ferne gebliehen, aber er hofft, es werde Jemand . sich leicht seine Methode selbst abstrahiren kénnen, wenn er sich durch das Studium des Ganzen nur erst zum Beherrscher des Gegenstandes gemacht habe, um so mehr, wenn er iiber- hdupt fiir methodische Behandlung eines Unterrichtszweiges einen Sinn hat, und sich auch das seinen Zéglingen angemessene Material leicht selbst aus dem grossen Vorrathe auswahlen. Darin mag er nicht ganz Unrecht haben! Die dussere Ausstattung des Werkes ist sehr gut. | J. H. Schulz. Die deutsche Sprachlehre als Denklehre: fir die Volksschute. Von Joseph

Probst, Pfarrer in Dorneck. Basel, Druck und Veilag der Schweig- hauser’s¢chen Buchhandlung, 1842: *

Der Hr. Verfasser, als Volksschriftsteller durch seine ,Neu- dérfer“ und seine ,,Schweizergeschichte“ bekannt, wurde zur Abfassung dieser Schrift durch ein Bediirfniss hingeleitet, das sich ihm in derjenigen Schule, dessen Leitung ihm anvertraut ist,

* Die Revue wird nadchstens einen Artikel aber eine Reihe ahnlicher Schriften bringen. ; D. H.

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und in den Schulen seines Cantons tiberhaupt immer wieder auf- dringte. Es that dem Verfasser wehe, dass das gelehrte Geprige der Sprachlehre, das der Fassungskraft der Kinder ferne liegt, und in der Hand ungeschickter Lehrer ein todtes, abschrecken- des Gerippe ohne Leben und Kraft bleibt, die Schiiler gegen einen Unterricht gleichgiiltig macht, der, wie kein anderer, geeig- net wire, belebend auf Geist und Gemiith einzuwirken. Die vorliegende Schrift, welche diesem Uebelstande entgegenwirken soll, ist kein Buch, das den-Schiilern in die Hinde gegeben werden soll, sondern eine Anleitung fiir Volksschullehrer und: Mitter, ,,die.im Sinne einer Gertrud oder einer Anna in des: Verfassers Neudorfern als wohlthatjge Bildnerinnen auf ihre Kinder einwirken wollen.“ ,,Diese sollen in dieser Sprachlehre eine’ | richtige Spur fir diese ihre siisseste Pflicht finden.“

Von diesem Gesichispunkte ausgehend:, setzt der Hr. Verf. .

die Sprache nicht voraus, sondern constrairt das Gebaude erst,: indem er damit anfingt, die Baumaterialien vorerst aus der ‘Sin- : nenwell zusammenzusuchen und in der Seele des Kindes Vor- . - stellungen und Begriffe hervorzurufen (S. 1—15). Andie Auffin- - dung des Stoffes schliesst sich die Form an, d.h. die Abwandlung :~ des Namens und des Zeitwortes. Von diesem'Punkte an schreitet der Unterricht auf der Grundlage des Satzbaues fort, indem der Verf. auf diese Weise die Temporal- und Modalverhaltnisse zum Bewusstsein zu bringen sucht und die iibrigen Redetheile all- mablig in den Satz aufnimmt, bis er bei den mehrgliedrigen Saizgefigen anlangt. Zwischen dem einfachen und dem zusam- | Mengesetzten Satz ist ein Abschnitt tiber die Worthildung ein- geschaltet. Hat der Verf. anfangs die Schiller in die Sinnenwelt | eingefihrt, so macht er dieselben zum Schlusse noch mit den verschiedenen Erscheinungen des geistigen Lebens und mit dem Vermégen der Seele bekannt, durch welche die Sprache bedingt wird. Es werden die Funktionen des Verstandes, der; Einbildungskraft, des Gedichtnisses u. s. w. vorgefibrt, und selbst 00ch von der Vernunft und yom freien Willen geredet.

Hatten wir den Zweck, eine Recension, und nicht eine. An- Zeige des Buches zu schreiben, so kénnten wir tiber die Frage M8 aussprechen, ob dieser zuletzt bezeichnete Theil tiberhaupt 10ch den Grenzen einer Sprachlehre angehére; es liesse sich Tagen, ob bei dem einmal eingeschlagenen Gange es z. B. nicht PAS sender gewesen wire, die sogenannten relativen Zeiten erst

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beim zusammengesetzten Satze vorzufiihren, und zuletzt als eine Ast Recapitulation in einem Anhange das vollstindige Schema der Conjugation anzufiigen; es liesse sich fragen, ob nicht das im vorliegenden Falle véllig zu billigende sich: Losreissen von dem sogenannten gelehrten Geprage nicht auf der andern Seite wieder zu Nachtheilen gefiihrt habe, unter denen die Pricision zu Schaden kam. Doch wir wollen die Grenzen einer Anzeige nicht iiberschreiten. Wir haben uns vorgenommen, unsre Leser auf den Gesichtspunkt zu stellen, von welchem uns Hr. Pfr. Propst, der sich um Volksbildung schon so viele Verdienste erworben hat, seine Schrift beurtheilt wissen will. Wir glauben das Urtheil abgeben zu dirfen, dass Volksschullehrer und Miitter fir die Winke, die ihnen diese Schrift gibt, dankbar sein wer- den. Wenigstens hat dieselbe in den Hianden der verstin- digen Lehrerin an derjenigen Madchenschule, welche unter der Leitung des Hrn. Verf. steht, wie die letzte Schulpriifung zeigte, _ gu sehr erfreulichen:Resultaten gefiihrt. Es ist diese Schrift eine "um so erfreulichere Erscheinung, da eben leider nicht iiberall in unserem Vaterlande in derjenigen Kirche, welcher der Hr.~ Verf. angebort, ein Boden zu finden sein méchte, auf dem eine » Denklebre“ hervorsprossen und Wurzel schlagen kénnte.

: F.

DRITTE SECTION. Culturpolitische Annalen.

I Allgemeine Schulzeitung. A.” Deutschland.

a. Allgemeine deutsche Angelegenheiten. * Wniversititen.

Frequenz der Universitaten.

Nach den officiell ausgegebenen und von den verschiedenen Univer- sitdten wechselsejtig communicirten Verzeichnissen der Studirenden stellt sich die Frequenz der dreizehn hier verzeichneten deutschen Hochschulen am Wintersemester 1841—1842 wie folgt:** |

° . F a & 5 2 aoe Wniversitaten. Ess 3 Theologen. Juristn.” €& ‘a™s ° &~ & s 2 ‘eS = 3 s | o tag

au i « ' | No 4757 «©6519 361 protest, 573 386 437

Berlin’! . . .. . Manchen?, , 1325 ? 172 kathol. 403 198 552- Gottingen . . 728 238 481 protest, 247 210 90 Halle® . . . = 705 174 472 protest. 83 95 55

. 182 kathol. | Breslau* . . 639 10f "99 protest, 1412 118 128

* Ueber einige mit dem fainften Bande der Revue eiutretende kleine Aenderungen in dev Rubriken u. 8. w, nachstens ausfaibrlich. Hier bemer- ken wir vorldufig, dass wir die Nachrichten aus Deutschland hinfort in drei Hauptrubriken geben werden: @. wie oben, @. aus den Bundesstaaten, 7- aus den Nebenlandern Schweiz, Belgien und Holland, Deutsch-Frank- reich und Dcutsch-Russland. Als allgemein deutsche Angelegenheiten sehen wir die Universitéten, die Akademien, Vereine far Culturzwecke, die Turn- und Exercieribungen der Schuljugend, die rechtliche und sociale | Stellung der Lehrer, den Streit zwischen Humanismus und Realismus u, s. w. an. Originalabhandlungen iber irgend einen dieser Gegenstinde gehoren in die erste Section; Mittheilungen tiber Facta sowie Reproduction von anderwarts gedruckten Gedanken sollen hier Platz finden.

“* Dic Universitéten sind in obiger Tabelle zur bessern Uebersicht nach der Gesammtzahl der Studirenden geordnet. Auf allen dreizehn Uni- versitaten befinden sich zusammen 8534 Studirende.

1 Zu Berlin miassen noch 383 Nichtimmatriculirte, die aber zu den Vor- lesungen zugelassen sind, hinzugerechnet werden, unter welchen sich 85 Pharmacenten und 87 Chirurgen befinden, :

2 Die Zahl der Auslander fehit, dirfte aber kaum 150 betragen; xu den Juristen sind 12 Cameralisten hinzugerechnet, zu den Medicinern 69 Pharmaceuten; unter den Studirenden der philosophischen Facultat be- finden sich 77 forstcandidaten, 8 Architekten, 2 Berg-Eleven, 3 der In- - dustrie sich Widmende. Mt,

3 Ausserdem 13 Nichtimmatriculirte.

. * Ausserdem 54 Nichtimmatriculirte.

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23

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Universitaiten. Es5 2 Theologen. Jurister. s aés s3 3 3 ose

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Heidelberg > . 572 364 12 protest. 345 125 83 Bon... 388 115{ 0) Kathol 495 gg 18 Wiirzburg® . 485 105 88 kathol. 92 158 147 Jena . . . A449 216 130 protest. 163. 84 72

. rt AQ kathol. Giessen’? . . 446 111{ 71 protest, 126 St 124

Erlangen . . 303 16 144 protest, 103 40 16 Marburg*® . . | 294 38 73 protest, 112 16 - 33 Freiburg . . 273 83 107 kathol. 7i 93 2 Zu einer genauen statistischen Uebersicht der Frequenz in jedem Semester ware es von grossem Interesse, wenn die -sdmmtlichen deutschen Hochschulen, dann auch die Universitat Dorpat und die drei Universitaten . der deutschen Schweiz regelmassig Verzeichnisse ausgeben und sich solcbe .wechselseitig zusenden wirden, wie diess seit langeren Jahren mit den Dissertationen geschieht. Bei diesen Verzeichnissen ware jedoch ein gleich- massiger Plan zu Grunde zu legen, der eine genaue Vergleichung geatattete. Die genaue Specification der einzelnen Hauptfacher ist bisher selten berack- sichtigt. Nur Giessen hat hieriber Angaben. Auf diese Weise allein wird es méglich Vergleichungen anzustellen und oft falsche Urtheile zu berich- tigen. So erscheint z. B. die Frequenz von Miinchen und Giessen im Verhaltniss zu den andern Universilaten zu hoch, weil dort Architekten, Forstcandidaten, Veterindire hinzugerechnet sind, fir welche in andern Staaten eigene Lelranstalten bestehen. Bei obiger Tabelle ist so weit méglich in den Anmerkungen das Detail gegeben. In der Mehrzahl der Falle wurden die Cameralisten zu den Juristen, die der (héberen) Chirur- gie sich widmenden Studirenden zu den Medicinern gerechnet. Am schwie- rigsten stellt sich stets die Vergleichung der philosophischen Facultat bei deren heterogencr Zusammensetzung. In Minchen und Wirzburg erscheint die Zahl sehr gross, weil daselbst ein zweijahriger abgesonderter philo- sophischer Cursus besteht. Auf diesen beiden Universitaten ist auch eine fanfjahrige Studienzeit vorgeschrieben, wahrend sonst mcist nur ein vier- jabriger ,-ja selbst Sfters nur ein dreijahriger Cursus erforderlich ist. Von dea Universitaten Leipzig, Kénigsberg, Greifswalde, Rostock , Kiel, Tabin- gen lagen dem Einsender.zur Zeit noch keine Verzeichnisse vor. Schlagt inan nach friheren Verzeichnissen die Gesammizahl der Studirenden dieser sechs Universitaten auf 2520 an, so wiirden sich dermalen auf den acht- zehn deutschen Hochschulen 11,054 (8434 + 2520) oder in runder Zahl 11,000 Studirende befinden. (A. A. Z.) (Wniversititen.) Die Lehrfreiheit. Die Bruno Bauer’sche Angelegenheit wird fortwahrend in den Zeitungen besprochen. Besonders ist es die Rheinische Zeitung (die Herrn Bauer zu ihrem stetigen Mitarbeiter zahlt), welche far die Lehrfreiheit im Sinne der ,neuesten Wissenschaft“ in die Schranken trilt, Da die Frage von grosser cultur- politischer Bedeatung ist, so wollen auch wir -nachstens unsre Ansicht

> Ausserdem 7 nichtimmatriculirte Theologen; der philosophischen Fa- cultdt sind die Cameralisten beigezahlt, |

® Die 24 Cameralisten sind zur juristischen Facaltat gerechnet.

7 Ausserdem 2 jidische Theologen; 31 Cameralisten sind zu den Juri- sten gerechnet, ¢ Veterindrarzte zu den Medicinern; in der philosophischen - Facultat befinden sich (in die obige Zahl eingerechnet) 7 Philologen, 42 Forst- candidaten, 23 Architekten, 52 der Chemie und Pharmacie Beflissene.

® Hiezu kommen noch 20 Nichtimmatriculirte.

iiber dieselbe aussprechen. Fir heute reproduciren wir zwei Artikel, vou denen der erste dem Rh. Westph. Anzeiger, der andere der Rh. Zeitung entiehnt ist, In dem letzteren sind Gesichtspunkte aufgestellt, die aller- dings die sorgfaltigste Erwagung verdienen. |

| Nr. 1. Die Grenzen der Lehrfreiheit. Dem Hrn. Bruno Bauer in Bonn ist die Erlaubniss, theologische Vorlesungen zu halten, ent- zogen worden. Diese Massregel ist Einigen aufgefallen: sie glaubéen die Freiheit ‘der wissenschaftlichen Forschung dadurch gekrankt, und kénnen sich in die Aeusserung der theolugischen Facultét zu Bonn nicht finden, welche diese Freiheit gewahrt wissen will und doch die Entfernung Bauers fiir angemessen erachtet, Ueber derartige, an sich nicht zu tadelnde Be- denken sich hinwegzusetzen, ist auch ohne genauere Kenntniss der Sache nicht wohl méglich, und man wird desshalb zu der Frage gedrdingt: welche Richtung verfolgt dieser Mann, um derentwillen ihm der theologische Lehr- stubl versperrt ist? .

Bruno Bauer ist ein Hegelianer. Jedem, der die Entwickelung der neuesten Philosophie und Theologie begleitet ‘hat, kann nicht unbekannt sein, dass die Schule Hegels nach dem Tode des Meisters in eine rechte und linke Seite zerfallen ist, zwischen welchen noch ein Justmillieu hin und her schwankt. Wahrend die Manner der Rechten, wie Géschel, Mar- heineke v. A., die Grundsatze des Hegelthums mit dem Christenthume za vermitteln bestrebt sind, huldigt die Linke einer véllig zerstérenden Rich- tung, and nimmt dabei mit Recht den Ruhm einer gréssern Consequenz in Anspruch, da sie mit Entschiedenheit die Folgerungen zu ziehen sich nicht schent, welche sich aus den Hegel’schen Vordersdtzen ergeben. Dahin gehéren Manner, wie Strauss, noch entschiedener Feuerbach, und die friher in Halle, jetzt in Leipzig erscheinenden ,,Deutschen Jahrbicher, redigirt von Arnold Ruge. Durch diese ist an den Tag gekommen, woriber man sich friher bei der Dunkelheit des Meisters tduschen konnte: dass durch die Hegel’sche Philosophie keine Versdhnung, wie Hegel erwarten liess, sondern ein drgerer Bruch, als je, mit dem Christenthume herbei-— gefiihrt worden ist. Zu dieser Partei ist nan auch seit einiger Zeit Bruno Bauer tibergetreten. :

Was diese Partei will, ist nicht schwer za erkenmen; denn das ist wenigstens an ihr zu loben, dass sie ganz offen sich ausspricht. Sie kin- digt sich durchweg als eine widerchristliche an, Diess braucht man nicht etwa erst aus ihren Satzen zu folgern, sondern sie selbst erklart mit lauter, deutlicher Stimme dem Christenthume den Krieg, und zwar nicht etwa nur einer besondern Richtung: dem Pietismus, orthodoxen Kirchen- oder buchstablichen Bibelglauben, sondern allem Christenthime, ja, aller Religion aiberhaupt. Die Religion ist ihnen eine aber- wundene Stufe, tber welche hinausgegangen werden muss. Alles, was ihr nur adholich sieht, soll rein abgethan, und auf ihren Triimmern der -Hegel’schen Weisheit ein Thron errichtet werden, Sie nennen sich selbst, und sich allein, mit Anmassung die Wissenden, und bekennen, es sei swischen ihnen und den Glaubenden eine unibersteigliche, unausfihrhare Kluft befestigt. Sie sagen es hundertmal, dass die Religion und das (Hegel’sche) Wissen die beiden Gegensdtze seicn, die in unverséhnlichém Streite auf Leben und Tod lagen und von denen nothwendig einer das Feld réumen misste. ,Beide, Wissenschaft und Religion, sind endlich des Kalfakterns mide und wollen ganze Leute.“ Sie wollen von keinem Ak- kordiren mit der Religion Etwas wissen; denn ,,sonst nimmt die Egoistin, welcher man nur einen Finger bieten- wollte, gleich die ganze Hand. Darum rein ab, rein ab, bis auf den Boden! (Deutsche Jahrbicher Nr, 8. d. J.) |

Wenn aberhaupt noch Religion sein sollte, so liessen sie sich das griechische Heidenthum noch am ehesten gefallen; doch nein: rein ab! Da sie nun selbst das Christenthum als die vollkommene Religion ansehen, so richtet sich gegen dasselbe natirlich mit. bewusster Entschiedenheit ihr scharfster Angriff. Das ist noch nicht Alles, dass sie den Glauben an dic

besondcre gdttliche Warde des Erlésers, an seine wunderbaren Werke und Schicksale fir Albernheiten ausgeben und die ganze heilige Geschichte mit empdrendem Spotte abergiessen, sondern das ganze Christenthum ist ihnen eine complette Unverninitigkeit , eine wahusinnige Verirrung des mensch- lichen Geistes, ein seltsamer Traum von einem Vater im Himmel und einem zukiioftigen Leben. Sie wollen nichts aber sich, sie haben und kennen keinen andern Gott als den Menschengeist, und da das Wesen desselben . nach ibnen im Denken besteht, so ist im strengen Siune des Wortes das Denken ihr Gott. Das ist der Monismus (Alleinigkeit) des Gedankens, der far das Hegelthum zum Stichwort dient.

In Nr. 9. der Deutschen Jahrbiicher d. J. heisst es: Der Gegensatz zwischen uns und der Kirche ist ein unverséhnlicher, wie Diess von den Consequenten aller Parteien anerkannt und ausgesprochen ist.... Darum wollen wenigstens wir, die wir entschieden sind, nicht zogern und unsernAustritt aus der Kirche erklaren. Sonst warden wir den Vorwurf der Henchelei nicht langer von uns abwehren kénnen.... Aber der Staat, was wird der Staat dazu sagen? .... Entweder wird der Staat von seinen Birgern kein bestinmtes Glaubengbekenntniss, keinen Taufschein u, dgl. mehr vecjangen, und dann werden wir Barger bleiben, ohne Bekenner einer Religion zu sein, oder aber glaubt der Staat die KExistenz der Kirche mit seiner eigenen identificiren zu missen, und dann ist Verbannung unser Loos. ... Miermit ist, wie diese Jahrbacher neulich gewianscht haben, das Verhaltniss der anHegel’ schen und Hyperhegel’schen Theologen** zu Staat und Kirche, zwar nicht mit der gewanschten Aus- fihrlichkeit, aber so bestimmt und klar als méglich dargethan. Was durch sich selbst einleuchtet, kann durch viele Worte nicht deutlicher gemacht werden. Worte haben wir genug gehért, und~wer noch nicht genug gehort hat, will nicht béren.“

Demnach kann es dem Besonnenen nicht schwer fallen, zu ‘entscheiden, ob Manner dieser Farbe zum _ christlichen Predigtamte zuzulassen seien, Mag sie der Staat als Barger dulden; aber dass die christliche Kirche solche Manner, die ihrer ganzen Denkungsart nach keine Christen sind, die es auch eingestehen, und ihre Ehre darein setzen, keine zu sein, ja, die das Christenthum bitter verhéhnen, Manner, die von keinem Schopfer der Welt, keiner allweisen und giligen Vorsehung, keinem heiligen und ge- rechten Gott, keinem licbenden Vater , keiner Unsterblichkeit, noch viel weniger von einem Erléser Etwas wissen wollen, dass die Kirche solche Manner als Verkandiger des Christenthums in sich aufnebme, das - Ware doch in der That eine starke Zumuthung. Auch Strauss, der. unter ihnen noch am wenigsten weit geht, und desshalb von den Andern noch nicht als ganz ebenbiitig betrachtel wird, bekennt in seinem Leben. Jesu die Schwierigkeit, ja Unméglichkeit, bei seinen Ansichten ein Predigtamt zu verwalten, ohne entweder seinen Ideen untreu oder der Gemeinde und sich selbst gegeniber zum Ligner zu werden. Aber kénnen sie nicht als Lehrer der Theolggie an Universitéten fungiren? Diess ist die Bauer’sche Frage. Strauss selbst gestcht, ‘Diess ware ,aus abel nur arger gemacht,“ indem er nun ,viele solche heranzubildeun bekaime, die durch ihn zur geistlichen Praxis unfabig warden.“ -

Zum Ueberflusse noch cine Stelle aus den deutschen Jahrbichern: _ »Die Theologie ist endlich aus der wissenschaftlichen Encyklopadie ge-. strichen, und ibr Object, die Religion, theils der Philosophie , theils der Geschichte zugetheilt worden. Sie steht den abrigen Wissenschaften nicht _ wehr als selbstindige Wissenschaft gegeniber, sondern hat sich mit den- selben, die heilige mit den profanen, vermischt. Die theologische ..Facultdt ist nichts mehr, als eine unnatirliche Verbindung von philo- sophischer Facultét und Predigerseminar, welche es-unmdglich lange bei cinander aushalten kénnen, deren Trennung aber zugleich die Auflésung der theologischen Facuitat sein wird.“ |

Wie kénnen nun Manner an einer Facullat slehen, der sic das Recht, zu ¢xistiren, absprechen? Mogen sie immerhin die Ergebnisse ibrer

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Forschungen in Schriften vorlcgen; diess Recht mag ihnen unverkGmmett- bleiben, wie denn auch Neanders Gutachten dber das Leben Jesu von Strauss dahin ging, dass nicht durch ein Verbot, sondern durch Waffen der Wissenschaft gegen ein solches Buch gekampft werden -misse; denn wit vertrauen der christlichen Wahrheit, dass sie aus allen Angriffen nur glanzvoller hervorgehen werde. Auch mdgen sie etwa als Pocenten der Philosophie auftreten, aber Lehrer der Theologie kénnen sie nicht sein.

Wie weit auch die Grenzen der Lehrfreiheit nach protestantischen Grondsitzen gezogen werden: es gibt doch Grenzcen; und wenn auch aber ihre genaue Festsetzung noch Meinungsverschicdenheit obwaltet, so lasst sich doch vorab eine Linie bestimmen, aber welche sic nicht hinausgehen darf, So lange es sich nur um eine rationale Auffassung des Christenthums handelt, wobei die ernste Absicht leitet, das Wesen desselben festzuhalten, muss Lehrfreiheit gestattet werden. Wo. aber das Ganze des Christen- thums in Frage gestellt wird, da hért, wenigstens in der Kirche, die Lehrfreibeit auf.- Wer mit Bewasstsein und Entschiedenheit ausserhalb des Christenthums seinen Standpunkt nimmt und von duit aus dasselbe be- feindet, der kann nicht innerhalb desselben und fir dasselbe angestellt werden; wer die theuersten Giter der Christen mit Fassen tritt, kann nicht deren Hater uud Haushalter sein. Und wahrlich, man sollte sagen, Diess verstinde sich so sehr yon selbst, dass solche Manner erréthen miissten, von der christlichen Kirche ein Amt anzunehmen; sie missten es, wenn tsibnen geboten wirde, a's conscquente Wenker, mit Unwillen als eine Beleidigung zurackweisen.

Perorire,- wer da will, von Symbolenzwang und Buchstabenglaubcn: wir wissen, dass es sich in diesem Falle darum nicht handelt,

Nr. 2. Was ist Lehrfreiheit? Man sollte eigentlich fragen, was sie nicht ist, denn was sie ist, ist klar; * aber um zu sagen, was sie nicht ist, masste man Folianten schreiben, falls man alle die gewohn-

lichen Vorste!lungen von Lebrfreiheit. vornehmcn und von ihnen zeigen

wollte, dass sie irrig sind. |

_ Das gibt Jedermann zu, dass dic Gewissensfreiheit nicht Lehrfreiheit

ist, aber diejenigen, die dte letztere nicht zugeben wollen, vertrésten mit der andern; und selbst Staatsmanner vergessen sich zuweilen so weit, dass sie die Gewissensfreiheit als ein besonderes Geschenk zugestehen und sie. ‘ogar garantiren zu wollen erklaren, Allein das Gewissen, wenn eg einmal dahin gekommen ist, dass es nicht mebr mit dem Bestehenden sich in Kinklang befindet, ist far die starkste Staatsmacht unzuganglich. Das Ge- wissen kann sich unter dem hartesten Druck frei erhalten. Wenn das Bestehende hinter den Fortschritten des Geistes zurackbleibt , so kann es diesen vielleicht zu Manchem zwingen, was seiner Einsicht widerspricht, aber es kann ihh nicht zwingen, auch mit seinem Gewissen dabei zu sein. Sein Gewissen ist die Freistatte, in die er sich mit seinen besten Kraften zurickgezogen hat und wo er fir jede Gewalt unangreifbar ist. ;

Doch unter Gewissens-Freiheit versteht man jetzt nicht mehr die stoische Freiheit in Kelten oder die innere Freiheit, die auch in der asiatischen Despotie mdglich oder vielmehr hier gerade zu Hause ist, sondern die garantirte Gewissens-Frejheit, Wer aber hat diese Garantie ibernommen, wer hat sie zu ibernehmen? Kein einzelner Staat hat sie zu ibernehmen, lie Geschichte der Menschheit, die Geschichte, die fiber den einzelnen Staaten steht, hat sie ibernommen. Die rein persdénliche und innere Frei- heit des Denkens ist in der neuern Zeit so stark und sicher geworden, dass sie nicht erst noch garantirt zu werden braucht,

Es ware oberflachlich, wenn man bei dem Gedanken dieser rein per- s6nlichen Gewissens-Freiheit steben bleiben wollte; far den Staat’ware es | selbst héchst nachtheilig, auch wohl gefahrlich, wenn er sich dabei beru- higen wollte, dass seine Barger dusserlich ihre Pflichten thun, ihrem

* Nicht so klar wie der Ilr. Verf. meint, wio wir nachslens zeigen wollen. D. i.

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Gewcrbe nachgehen, ihre Abgaben entrichten, ihre sonstigen Leistungen richtig absolviren und dabei mit ihrem Gewissen nach freiem Belieben schalten und walten; das. Gewissen endlich beruhigt sich nicht bei seiner innern Freiheit, denn wahrhaft frei ist es erst dann, wenn der dussere Weltzustand seinen innern Gesetzen entspricht und wenn in dieser Ueber- . einstimmung des Innern und Aeussern seine Anerkennung liegt,

Das Gewissen ist jm Lauf der letzten drei Jahrhunderte eine welt- historische Macht geworden und unter den Schutz der Weltgeschichte dber- haupt gestellt. Es ist so zu sagen das allgemeine Ich geworden, das sich tiber die Schranken der friheren Geschichte erhoben hat. Ist es nun diese grosse Macht, so darf es der Staat sich nicht allein aberlassen, denn er besteht nicht bloss aus Leibern und er erhalt sich nicht nur durch die im Geld reprasentirten Leistungen, sondern seive wahre Starke beruht im Innern der Barger, er muss also deren Gewissen zu seiner Grundlage machen und es in sein Interesse hinein ziehen. |

Gesetzt nun aber den Fall, dass das Gewissen und das Bestehende nicht mehr schlechthin harmoniren (dieser Fall tritt aber za bestimmten Zeiten immer ein-und er bedingt die Méglichkeit der Geschichte und deren Fortentwickelung, da das Bestehende eben stehen bleibt und das Gewissen immer neue Ideen in sich aufnimmt und hohere Forderungen stellt) was _ soll dann der Staat thun?

Die naichste Antwort ist die: er darf die Ueherzeugang und das Ge- wissen sich nicht selbst Gberlassen, damit die Interessen desselben .und diejenigen des Bestehenden nicht endlich zu weit auseinander treten.

Er darf also die neu sich bildenden Ueberzeugungen weder zurick- dréngen noch sich in sich zuraickziehen lassen, denn jede geistige com- ‘primirte Grésse gewinnt eine Elasticitat, die mit dem Druck wiachst. |

Das einzige Mittel, welches hilft und die Gefahren einer zu grossen Elasticitaét beseitigt, antwortet man nun, ist die Druckfreiheit, d. h. die vom Staat garantirte Freiheit, dass die Ueberzeugungen, die sich von ~ dem Hergebrachten und Herkommen unterscheiden, vermittelst der Presse sich aussprechen und vor dem Publikum bewdahren oder als irrthamlich ausweisen kénnen.

Hier hat der Staat allerdings dazwischen zu treten, d. h. hier ist seine Garantie an der Stelle, da es sich nicht mehr um das zurackgezogene Ge- wissen, sondern um eine Erscheinung handelt, die éffentlich ist und bedeu- tend in die Oeffentlichkeit eingreifen kann.

Allein die Druckfreiheit ist noch nicht Lehrfreiheit and noch nicht das letzte Mittel, welches dic Collisionen zwischen dem Bestehenden und der Ueberzeugung aufhebt. Warum? Desshalb, weil sie die Sache immer noch auf dem Punkle stehen lasst, wo der allgemeinen Macht des Bestehenden die innere Macht der Ueberzeugung als etwas nur Persénliches gegeniiber- steht. Die Druckfreiheit lasst immer noch den Schein stehen, dass dieser © einzelne Mensch, dieser Autor, dieser Schriftsteller, obwohl er eine all- gemeine Idee reprasentirt, nur als diese einzelne Person dastehe; dieser Schein kann bei aller Druckfreiheit geltend gemacht und diese Ansicht am ' Ende sebr nachtheilig werden.

Es ist wahr, dass ungeachtet aller Gewalt, selbst trolz dem Schein, sie seien nur persénlich, trotz dem Schein also, der fir sie noch weit . drackender als die Gewalt ist, alle tachtigen Ueberzeugungen sich endlich Eingang, Anerkennung ung Einfluss auf das Bestehende verschafft haben. Die Geschichte weiss bis jetzt noch von keiner tichtigen Idee 2u erzahlen, der es nicht gelungen sei, sich den ihr zustehenden Einfluss auf die Ge- schichte zu verschaffen, Aber soll und darf der Mensch immer nur wie ein Thier durch die unorganischen, ungcordneten Massen hindurcharbeiten? Auch der Ilund drangt sich durch das Menschengewihl hindurch. Auch der Wurm arbeitet sich durch den Staub, um das zu finden, was ihm gebihrt, Auch der Maulwurf wilt sich durch die Erdrinde. Ist der Mensch nicht mehr als ein- Wurm? Soll die Geschichte nur ein Gewohl sein? Sollen die Bewegungen der Geschichte -nur dadurch herbeigefihrt

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werden, dass die neuen Idcen sich wie cin Maulwurf durchwihlen und endlich die Rinde durchbrechen? - '

Der. Mensch ‘ist mehr als ein Wurm, Sein Adel ist die Form.

Und diese Form gibt ihm der Staat,

An dem Staat ist es, das Formlose, Gewihlartige, unorganische und. scheinbar Zufallige, was in den Bewegungen der Presse liegt, dadurch aufzuheben, dass er zur Druckfreiheit die Lehrfreiheit hinzufagt, d.h. far eine Offentliche, zum Staatsorganismus selbst gehdérende Form sorgt, ,in welcher sich die neuen Ueberzeugungen aussprechen kénnen,

' Diese Form nimmt allen Conflicten das Nachtheilige, welches sie haben . wirden, wenn sie der Staat mit ausserer Gewalt zuricKdrangen wollte.

Wenn sich auf dem unzerstérbaren Boden der Gewissensfreiheit das Gebdude der Druckfreiheit erhebt oder diese vielmehr erst dann zu einem Gebaude wird, wenn sie in der Lehrfreiheit sich zusammenspitzt und wenn nun diess ungeheure Gebéude mit dieser seiner Spitze in den Bau des Staats sich einfigt, so sind die Gegensdtze verséhnt, die Freiheit ist ge- sichert und der Staat kann sich zum Meister der Bewegung machen,

Wie aber, sagen Diejenigen, die nichts von Lehrfreiheit wissen wol- len, daher uns auch nur zu sagen wissen, was die Lehrfreiheit nicht ist, soll der Staat nun jedem neuen Einfall, jeder neuen Trdumerei seine 6ffent- lichen Lehrstihle frei geben? .

Nein! das: ware nicht Lebrfreiheit! Ist cin Einfall, eine Trdéumerei Lehre? Wiederum Nein! Lehre ist ein System, das sich nicht im Schlaf, nicht in einem Augenblicke machen lasst. Lehre ist die Entwickelung eines Princips und Principien lassen sich nicht aus den Fingern saugen. Prin- cipien bilden sich in der Bewegung und in den Conflicten der Geschichte, und kommen einem nicht wie ein Kinfall in den Kopf.

Ehe die Frage entsteht, ob cin Princip, ein System gelehrt werden kénne, muss es vor Allem da sein. Aber wie vieler Arbeiten und An- strengungen bedarf es, ehe dergleichen kostbare Sachen da sind. Von Einfallen und Tréumereien ist also gar nicht die Rede, wenn von Lehr- freiheit gesprochen wird, - sondern von geistigen, abgeschlossenen That- sachen. Ein Princip, ein System ist ein geistiges fait accompli.

Das Zugestandniss der Lehrfreiheit ist die Anerkennung, dass ein Princip eine vorhandene Thalsache ist, und die Weisheit der Regierung wird vor Allem sich darin beweisen, dass sie aus der Bewegung der Presse den Augenblick erkennt und wahrnimmt, wie cin Princip sich zu einer : unzerstorbaren Thatsache ausgebildet hat, und dass sie ihm die 6ffentliche Form freigibt, in der es sich ger letzten Feuerprobe unterwerfen und seinen probehaltigen Bestandtheilen nach der Bewegung des Staats ein- figen kann. |

Uebrigens ist hiebei nicht einmal auf das Gewihl der Presse zu re- flectiren, Bis jetzt haben wir an den Universitaten dffentliche Lehranstalten gehabt, in denen die Fortentwickelung der Wissenschaft sich in einem orgapischen Fortschritt gemacht hat. Die neuen Principien sind auf den Universitaten geboren, gestaltet und gelehrt worden. Soll die Lehrfreiheit beschrankt werden, so muss entweder geboten werden, dass kein Fort-, schritt auf den Universitaten geschehen soll oder dass diejenigen , die die Wissenschaft fortbilden, eben dieser Fortbildung wegen von den Univer- sitaten verwiesen werden sollen.' Einen Fortschritt machen, misste so viel heissen, als das consilium abeundi unterschreiben.

Der Fortschritt, sagt man weiter, kann aber zerstérend sein. Man unterscheide, antworten wir, was zerstért wird. Die Sache oder die bis- herige Hille der Sache! das Wachsthum der Pflanze ist dadurch bedingt, dass die Hilse zerbrochen und der Lebenskeim befreit wird.

Wer soll aber entscheiden, fragt man weiter, ob das Neue Recht hat? Die Anhénger des Alten, gegen welches der Bekenner und Lehrer eines neuen Princips auftritt,. gewiss nicht! denn sie verstehen nicht einmal das Neue, kéanen und dirfen es nicht verstehen, weil-sie nur im Allen be- fangen sind und sich selbst verloren glauben, wenn sie nicht mehr in ihrer

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alten Eierschale stecken. Auch die Regierung hat nicht anmittelbar. za entscheiden, wer Recht hat; sie ist nicht zum kritisiren da, sie darf nicht Partei nehmen, aber eben weil das Letztere unter ihrer Warde ist, darf sie nicht gegen ein neues System Partei nehmen; sie hat ihm nar Gelegen- heit zu geben, sich zu bewabren, und das Bewahrte wird sie dann weiter mit ihrem Organismus verarbeiten.

Aber, fragt man weiter, dann tritt ja Kampf ein, ‘dann: kimpft_das neve und alte Princip? Fragt doch, antworten wir, euern Leib; fragt euren Arzt, fragt ihn, damit ihr es ja behaltet, taglich, wie es in euerm Leib. hergeht, wenn ihr neue Speisen zu euch genommen habt, fragt ihn, was das fir ein Kampf und Arbeiten ist, fragt ihn, ob euer Leib, ehe er auf dem Kirchhof liegt, Rule hat und ehne Kampf ist,

Die Anhanger eines alten Princips wollen keine Lebrfreiheit gestatten sie denken: beati possidentes und sie wissen nicht was Lehrfreiheit ist.

Der Staat weiss, dass seine eigene Fortentwickelung an die Lehrfrei- heit geknapft ist, und weil er jene will, so will er auch diese. Er will die Lehrfreiheit, weil er nicht Partei ist. Nur die Partei, die von einem neven Princip her Gefakr farchtet, meint ein weltgeschichtliches Princip lasse sich unterdricken; nur sie meint durch Entziehung der Lehrfreiheit zum Ziel zu kommen, d. h. bei sich selbst stehen zu bleiben und die Ge- - _ schichte, die mit Sonnenrossen weiter stirmt, in ihrer engen Schranke zurickhalten zu kénnen.

Ja, die Gefahr ware wirklich vorhanden, wenn ein neues Princip _allein herrschen, ewig herrschen wollte.

Aber gesctzt den Fall,.es erbte dieser Irrtham des Alten: herrscht er desshalb ewig? Geht die Geschichte dennoch nicht weiter? Wird er nicht bald von einem andern Princip, fir dessen Entwickelung er nur den Boden abgibt, in der Geschichte abgelést werden?

Die Freiheit der neuen Principien, der wahren Principien kennt aber _ diesen Starrsinn des Alten nicht. Die neuen Principien haben viel zu viel aus der Geschichte gelernt, als dass sie nicht wissen sollten, dass ihr Sieg die Vorbereitung zu eitfem neuen Fortschritt ist, Sie sind nicht engherzig, und wenn sie wie alles Menschliche beschrankt sind, so crkennen sie das- jenige an, was jenscits ihrer Schranke liegt. Wenn jemals ein Princip Lehrfreiheit verdient hat, so ist es das der neuern Wissenschaft. ;

Schelling in Berlin. Auch von diesem fahren die Zeitungen fort za reden, Wir stellen zwei Artikel nebeneinander, einen aus der A. A. Z. (wenn wir nicht irren, so ist der unter dem Zeichen © = schreibende Ver- fasser ein Ilr. Dr. Hirschmann), einen andern aus der Rh. Z.

Nr. 4. Berlin. Von den mancherleit Ehrenbezeugungen, die Herrn t, Schelling nach dem Schluss seiner Vorlesungen sowohl von Studirenden als von alteren zu Theil geworden sind, sind sie durch die dffentlichen Blatter unterrichtet worden. Einer fraiheren Aufforderung von Ibrer Seite gemass kann ich annehmen, dass Sie auch Mittheilunger aber den Inhalt der Vorlesungen erwarten. Dieser Anforderung aber ‘ist schwer 20 genii- gen. Etwas Anderes war es, jene gewichtigen Worte, mit denen Schelling: seine Stellung und seine Aufgabe an cer hiesigen Universitat bezeichnete, mitzutheilen, und aber das Verhaltniss, in welchem er selbst sein zweites grosses Lebenswerk sowohl zur Identitatsphilosophie als zur, Entwicke- . Jung der deutschen Philosophie seit Kant tiberhaupt sieht, das Publicum durch einige Andeutungen zu unterrichten; etwas Anderes, uber eia wissenschaftliches Ganzes von solcher Originplitat und Consequenz, wie “die uns eben dargebotene Philosophic, in der Kirze referiren zu wol- len. Ejine.-Skizze wirde vieles: unversténdlich lassen, wag nur in’ sei- nem Zusammenhang, .in seiner Vermittlung durch das Vorangegangene in das rechte Licht tritt, Noch-mehr aber als die Leser, hatte sich der Meister daraibef.zu beklagen, dass man sich angemasst, sein Werk in so zufalliger ond willkirlicher Gestalt dem Pablicum vorzulegen, noch che er selbst den Entschluss gefasst, dasselbe in seiner-Totalitat bekannt

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zu machen, Erst wenn diess geschehen, wird auch die Wirkang vollstin- dig sein und sich dann besser schatzen lassen. Dass aber das gesprochene Wort in dem Kreise, in welchem es vernommen wurde, einen grossen

Eindruck gemacht und auch bei denen, die den hier entwickelten Wahr- ~

heiten alle Anerkennung versagen, bedeutende Aufregang verursacht habe, wird man umsonst zu leugnen sich bemihen. Eine Philosophie, die vor allem Anfang bekennt, dass die Offenbarung etwas enthalten misse, was nicht durch blosse Vernunfterkenntniss gewusst werden kénne, dass die Offenbarung einen héhern gottlichen Willen voraussetzt, dessen Méglichkeit sich zwar a priori beweisen liesse, dessen Wirklichkeit aber erst durch die freie That, die ihm folgte, bewiesen werden kann crhebt sich da-~ durch schon iiber den bisherigen Standpunkt, auf welchem es entweder darauf ankam, den Inhalt der Offenbarung als blosse Vernunftwahrheit zu betrachten, oder ihre Nothwendigkeit und ihren Process aus dem Kreise der vorhandenen systematisch geordneten Begriffe zu deduciren. Waren jene Systeme sich ihres Conflicts mit dem christlichen Glauben bewusst, oder war derselbe nachdem die Tauschung, man sei durch vdllig vor- auesetzungslose Entwickelung aus dem Begriff zur Einheit mit dem christ- lichen Dogma, ja mit dem Dogma irgend einer bestimmten christlichen Con- fession gelangt, eine Zeitlang genahrt worden war desto ,greller her-

vorgetreten, so ist diess mit der neuen Lehre ein Anderes. Dei jener .

Voraussetzung bedarf es keiner bloss ethischen Deutung, keiner rationa- listischen Verknécherung des eigentlichen Inhalts des Christenthums; es kann vom philosophischen Standpunkt aus bekannt werden, dass das Chri- stenthum nicht bloss Lehre, sondero That, und zwar die grésste That, dass sein Mittelpunkt Christi Person , Christus, wie ihn uns das Evangelium dar- stellt, ist. Diesd That, das Ende einer grossen Vergangenheit, die Ver- mittelung einer grosscn Zukunft durch freies Denken zu erklaéren, ist nun die Aufgabe. Obne eine Erweiterung der Philosophie iberhaupt, ohne die Auffindung neuer bisher far unmoglich gehaltener Vermittlungen ware die Lésung derselben unméglich. Diese Erweiterung bietet. nun eben die po- sitive Philosophie. In ihr ist das Prineip des Christenthums unabhangig von diesem nachgewiesen. Man sieht einen Gott, der, ohne in den Pro- cess der Schépfung einzugehen, durch die Spannung, in welche er die

schépferischen Potenzen zu einander setzt, die Schopfung vollbringt; man ~

sieht den Menschen, in dem diese Potenzen zur Ruhe kommen sollten, an Gottes Stelle treten, dieselben eigenmichtig wiederum in Spannung setzen, und ‘ihm desshalb dem schrankenlosen Sein, was ip ihm latent sein sollte , als seiner Macht verfallen. Mit diesem Umsturz -ist die Welt eine aussergoéttliche, aber in einem reellen Verhaltniss zn Gott. Diess Verhalt- niss begriindet die Religion, die von Weltzeiten her nur eine ist. Jene Potenzen, die in der Schépfung wirkten, sind auch die theogonischen; sie

wirken natirlich, kosmisch wahrend des Heidenthums, als Persénlichkei-—

ten in. Folge eines freien Willens der vermittelnden Potenz sich als solche zu setzen in der Offenbarung des Christenthums, Die Mythologie iss nicht mehr bloss ein Gewebe von Erfindangen oder eine Reihe von Symbolen, Personificationen; die Machte, die sie kennt, sind dem Be- wusstsein wirklich vorhanden; sie ist das Schicksal der alten Nationen. Die Wahrheiten der geoffenbarten Religion sind, obwohl diese Philosophie direct keinen Schritt thut, um sie zu erhadrten und zu-befestigen, jetzt nicht mehr bloss ausgesprochene, mit Bibelstellen belegte, sondern in Folge eines geschichtlichep Verlaufs vor unsern Augen entstandene. Wir erhalten einen Monotheismus, der in der All-Einheit Gottes die Mehrheit der Per- sdulichkeiten wirklich begriffen weiss, der eben sowohl aber den morali- schen Theismus hinausgeht, als er wenn wir uns des schlagenden Aus- drucks recht erinnern den Pantheismus ,,im Feucr des Geistes* verzehrt; wir sehen eine Homoousie nicht bloss als Kanon hingestellt, sondern durch die Momente der Autoousie und der Heterousie hindurchgegangen. Die betden Naturen in Christo werden ,hier nicht eine durch die andere ver- drangt, sondern wirkiich zusammen angeschaut. Christi Tod, Verweilen

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in der Geisterwelt und Auferstehung, sein grosses Erlésungswerk, seine Erhéhung alle jene vorziiglichsten Momente des Christenthums empfan- gen, in diesem Zusammenhang erldutert, ein neues Licht. Diess -grosse Werk, welches eine geistvolle. Ansicht aber die Geschicke der christlichen Kirche anf eine wirdige Weise schliesst, ist nicht allein das Produkt der kihnsten Speeulation, sondern auch das Resultat tiefer Studien. Die gee naueste Bekanntschaft mit.den litterarischen und Kunst-Denkmalern des Alterthams und mit den beiligen Urkunden des Christenthums tritt an jeder Stelle hervor; Schelling erspart sich nicht die Mihe, jede Behauptung und Entwickelung durch eine Reihe von Beweisen aus detr-Quellen zu unter- : stiitzen und in griindliche exegetische Untersuchungen einzugehen. Wer Haltbarkeit einzelner Interpretationen anzweifelt, wird dennoch diesetben nicht entbehren wollen; wer sie bekampft, wird zuvor ihre Eigenthimlich- keiten im Zusammenhang mit dem Ganzen wirdigen miissen. _ -

Die Vorlesungen aber Philosophie der Mythologie sind wohl schon vor beinahe zwanzig Jahren, die aber Philosophie der Offenbaruang nach Schellings eigener Bemerkung auf dem Katheter fast in derselben Ge- stalt im Winter 1831— 1832 in Manchen gehalten worden. Aber die neuern Entdeckungen der Kritik, die Verwistungen der gesammten theologischen Wissenschaften hat er sie unberiicksichtigt gelassen? Gerade um dieser Noth zu begegnen, um diese Widersacher zu vernichten, winschten viele Freunde der Kirche Schellings Auftreten in Berlin; in dieser Arena hofften viele von Parteieifer erfallte Gegner ihn zu treffen, ob er hier den dialek- tischen Kampf bestehen werde, das sollte zum Prffstein seines Werthes dienen. Auf den ersten Blick. haben sich nun beide getauscht, in der That - doch nicht. Schelling hat sein Werk vorgelegt, wie er es vor jenen Stirmes . gegrindet hatte. Jenen, denen von einer grossen Mehrheit der Rohm zuerkannt wird, eine Revolutidn im Denken hervorgebracht zu haben, hielt er entgegen, dass sie mit einigen unfertigén Saétzen einer in allen Punkten fir nnumstésslich, nirgends einer Erweiterung fahig gehaltenen Philosophie ausgeristet, das Christenthum zerstért zu haben glaubten; gerade darin, dass sie wihnten, in der Philosophic sei aller Tage Abend gehomnien, sieht er die Nichtigkeit ihres Thans in der Theologie. Der Kritik , vor der kein kanonisches Buch des neuen Testaments mehr sicher ist, darf er ent- gegnen, dass die Beurtheilung des Alters, der Glaubwardigkeit einer Schrift und der Schluss auf ihren Vorfasser von ihrem richtigen Verstdéndniss ab- hinge. Er finde in einzelnen Bichern der Schrift manches tber die gatt- lichen Dinge enthillt, was vor ihm nicht darin erkannt worden sei. Solche . Entdeckungen fordern nun vielmehr za einer neuen Wardigung des ange- zweifelten Buchs und seiner Verhdaltnisse- zu allen abrigen ‘Urkunden auf.

Diesem trotz aller eiteln Selbstiberschatzung so bornirten Treiben mit dem, was ibm selbst Resultat eines reichen innern Lebens und der Beob- achtung der Gesammtentwickelung der Philosophie ist, entgegenzutreten und dadurch demselben ein Ende zu machen, hielt Schelling fir seine letzte’ und héchste Mission. Ihr zu genigen, folgte er dem an ihn ergangenen Raf; diess aber sprach seine erste Vorlesung freimithig aus; diess macht sie zu einem wichtigen Document der Zeitgeschichte, und diess erklart auch, warum diese Vorlesung so sehr verkannt und angefeindet worden ist. Iaben seine Vortrége die Antwort auf das dic cur hic gegeben, hat er in der That eine grosse Wirkung gemacht, so kénnen vallerdings Freand und Feind ihren, durch einander entgegengesetzte Interessen hervorgerufe- nen Wunsch erfallt glauben. Manner, die von bestimmten Ueberzeugungen aus sich Leben und Wissenschaft erbaut, die zu einem mehr oder minder geschlossenen Kreise zusammengetreten die allgemeine litterarische Ent- wickelung eine Zeit lang gelcitet und jene- Ueberzeugungen von vielen- Seiten her wiederhallen gehért haben, werden sich immer gegen Fremdes, von aussen Eindringendes, ihrer Denkweise Entgegengesetztes strdéuben und dessen Werth darum viel zu gering anschlagen. Die Geschichte der deutschen Litteratur und Philosophie bestatigt diese Behauptung an mehr als einer Stelle; sie lehrt wie oft schon die nachste Zukunft jene Affirmatio-

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nen, ,hier sei nichts. zu lernen,“ widerlegt, und in dem, was man fiir Verwirrung und Irrthom gehalten, einen neuen Weg zur Wabrheit gezeigt hat, Langsamer freilich als die Erfolge des Krieges sind meistens die der Wissenschaft; nicht an bestimmte Tage, wie jene, kann. man sie knipfen. Der Entwickelung vorgreifen und hier die Rolle des Propheten aibernehmen za wollen, wairde uns nicht ziemen; aber dass bei vielen Zuhérern sich lebhafte Theilnabme,- bei,smanchen ja vornehmlich bei der jingern Genera- tion, der ja die Zukunft der Wissenschaft angehdrt wahre Begeisterung far den Lehrer und die Lehre gezeigt ha}, konnte dem unbefangenen Beobachter wohl nicht entgehen. .

Aber indem man eine Wirkung im Reiche der Wissenschaft ganz be- streiten will, sucht man die Gemither mit dem Glauben an die Existenz einer andern aussern Wirkung zu erfillen. Die Schelling’sche Lehre heisst es ware bun die officiell beginstigte; sie sei zur: Hof- und Ministerial- philosophie erhoben, Es ist begreiflich, dass man sich den Hof und das Ministerium im Bunde mit einem philosophischen System za denken gewohnt

hat, umd dass man sich leichter der Vorsteliung hingibt, ein Wechsel habe - stattgefunden, als sich iberzeugt, eine solche Allianz sei iberhaupt ver- |

werflich und solle eigentlich niemals stattfinden. Eine Philosophie aber, die im Christenthum nicht bloss eine Art politischer Emancipation sieht, noch dasselbe irgend welchen Begriffen der Zeit accommoditt, die keinem bestimmten Dogma huldigend nur die Totalitét der christlichen Entwickelung ins Auge fasst, die den Kampf gegen den Hochmuth der Orthodoxie und die confessionelle Beschrénktheit nicht damit beschliessen will, einen philo- sophischen Katechismus an die Stelle des bisher landesiiblichen zu setzen, die endlich eine héhere, den heutigen Formen entwachsene Zukunft der Kirche verkindet, ohne dieselbe durch die Mittel eines hequemen Staats- Absolutismus herbeifihren zu wollen bleibt von dem Ideal einer Staats- philosophie, wie man es in unserer Zeit zuweilen aufgefasst hat, weit, entfernt, Desto héher wird ihre Bedeutung fir das Leben der christlichen Kirche sein; befestigen sich ihre Resultate in Deutschland, so. wird auch sie vielleicht mitwirken, dass die ,Episode“ des Protestantismus in ganz anderer Weise endet, als man sich hie und da einbildet.

- Berlin, 7. Juni. Ob Schelling noch lange iu Berlin bleiben werde? Ob er nach Miinchen zurickkehren werde? Man fragt es, und Niemand weiss es zu beantworten, Es kommt aber auch gar nichts darauf an;

Schelling kann in Berlin und in Miinchen ruhig sterben. Aber er kann |

vielleicht in einer Stadt mehr. niitzen, als in der andern? Auch das _ nicht. Manchen ist dberhaupt vor der Hand kein Boden fir Wissenschaft und Philosophie,- Berlin aber ist offenbar kein Boden fir Schelling’sche Philo- sophie, ja far Schelling’sche Philosophie, mit der Schelling einst an der Spitze des deutschen Selbstbewusstseins stand und durch die er sich einen hohen Rang in der Geschichte der Philosophie erworben hat, aber nicht fir das, was der alte zurickgebliebene Herr jetzt denen, die es héren wol- len, als seine philosophia secunda auftischt, dieses wunderlich phantastisch- gnostische Gebrau, wodurch er die Forderungen des freien, forschenden Verstandes und des orthodoxen Koéhlerglaubens in gleicher Weise zu be- schwichtigen und zu beth6ren sucht. Man dammert nicht umsonst 26 Jahre lang, man desavouirt nicht umsonst die angestrengtesten Geistesarbeiten einer so langen Zeit; ehe maw sich’s versieht, bat Einem die Zeit einen

machtigen Zopf angehangt, und je weniger man dieses ahnt, je feierlicher .

und je grandioser man sich gebahrt, desto mehr dient man der Jugend zum Lachen, Herr von Schelling wird trotz den hohen Protektionen seine Person gewiss, aber sein Ansehen sicherlich nicht in Berlin behaupten kénnen, und gerade die Efforts der Augsburger A. Zeitung, seine Berliner Vorlesangen zu verherrlichen, dirften das Dementi beschleunigen und ver- grossern; denn der Widerwille gegen die verdeckten Operationen dieses zweideutigen Instituts nimmt von Tage zu Tage zn. Schelling kann sich iber seine Behandlung in Berlin wahrscheinlich nicht beklagen. Er kam und wurde von Allen als ein berihmter und verdienter Mann aufgenommen,

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von seinen hochstehenden Génnern and ihrem machligen Anhange, dene an seinem Prosperiren ungemein viel lag, als der Koryphae geistiger Kultu gefeiert. Er trat auf und gab Verheissungen, die die Erwartang uod Span nung in hohem Grade vergrésseiten, er versprach die neueste Philosophie die Wissenschaft, welche Manner und Janclinge aafs Héchste begeistert, di bereits so Grossartiges geleistet, viele Wissenschaften bereits véllig umge staltet und neu belebt hatte, andere schon mit ihren Blitzen za darchzacke begann, deren geistige Macht schon von Staat und Kirche als ein machtige und eingreifences Princip, das dem Bestehenden sehr gefahrlich sei, aner kannt werden musste, die man schon so vielfaltig and doch so vergeben zu widerlegen versucht hatte, diese Wissenschaft also versprach er als ein negative Verirrung des meuschliichen Geistes nackzuweisen. Trotz diese gewaltigen Pulemk sprach er gebildet und wandervoll, er verlangte, mai solle ibn zu Worte kommen lassen; er habe lange geschwiegen, jezt woll er reden und seine Philosopbie vullenden. Es war eine harte Probe fi die Anhanger der neuesten Philosophie, aber sie mussten, so fest auch ihr Ueberzeugung war, vor der Hand schweigen. Und nan kommt Hr. vo: Schelling und trégt uns: ,die Philosophie der Offenbarung* vor; wir stau nen schon aber diesen machtigen Widersprach; aber dieser grosse Wider sprach Idsst sich in tausend kleine Konfusionen auf. Das ist das, was e bereits seit seinem Abfalle von seiner frihern Philosophie in Mianchen do zirt hat, nichts Anderes; glaubt er damit Berlin aufklaren zu kéonen, wo mit er in Manchen so wenig Epoche gemacht hat? Glaubt er damit unser liefen, gréndlichen Arbeiten, unsere grossen geistigcn Anstrengungen uni ihre Resualtate widerlegt zu haben? Ist das sein neues, frisches Auftrete: nach langem Schweigen, dass er ein paar Yorlesungen halt, wie in Min. chen, eine Weisheit Jehrt wie in Manchen, und dass er daneben nocl ansserordentiicher Weise, Eine Vorlesung, als Einleitung, drucken lasst‘ Hr. von Schelling ist der Alte. Er schwieg and wird schweigen, den er muss schweigen. Und wenn die Katastrophe voriber ist, wa werden wir gewounen haben? QO, wir werden sehr viel gewonnen habex Dass man die Philosophie als eine angcheure Macht anerkennt, dass me sie pflegen and ehren zu missen glaubt, das beweisst Schellings Berufun, nach Berlin ond seine dortigen Ehrenbezeugungen. Dass man der neue: sten Philosophie im héchsten Grade abhold ist, das beweisst unter tausent andern Erscheinungen wiederam Schellings Berafung. Wie aber? Wenr nan Schelling unverrichteter Sache das Berliner Katheder verlasst wen hat man der neuesten Philosophie entgegenzustellen? Wird man's mit Fichte und Weise, oder gar mit Drubiseh versuchen wollen? Ich bezweifle es. Oder wird man mit Hengstenberg und Havernick die Philosophie ver- finchen? Ich glaube noch weniger, Nun so wird man sich wohl za Transactionen mit den vermeintliichen Gegnern verstandigen missen.

Bonn, 1%. Juvi. Das Bedarfniss nach einer von der hiesigen Univer- sitat herauszugebenden allgemeinen Litteratarszeitung tritt mit jedem Tage immer mehr hervor Eine Masse der verschiedensten Richtungen warden sich freilich far den ersten Blick in anscheinend vermittlungslosen Geges- sdtzen zeigen, ‘allein wir zweifeln nicht, dass schon die zwei ersten Jahre hinreichen wirden, die Krafte auf einen Mittelpunkt hinzudraéagen. Wir glauben nicht zu_irren, wenn wir als vorherrschenden Charakter der mei- sten hiesigen wissenschaftlichen Bestrebungen die historische Au ffas- sung bezeichnen, Diesen Charakter tragt auch die Mehrzahl der voo Mit gliedern der Universitat ausgehenden Zeitschriften, Indem wir eine nabere Beartheilung der einzelnen Anderen dberlassen, begnagen wir uns die Organe der verschiedenen Facultaten namhzft zu machen. Als Organ def evangelisch-theologischen sind die Studien und Kritiken; als solches def katholisch-theologischen die Zeitschrift far katholische Theologie und Phi- losophie bekannt. Letztere bringt zuweilen Aufsatze, die in die Kreis? des Alterthams hiniberspielen; so in einem der letzten Hefte einen aber Sophokles Ajas. Die juristische redigirt, so viel wir wissen, seitdem 4 rheinische Museum zu erscheinen aufgehéit, keine Zeitschrift, Von der

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medizinischen ist seit zwei Jahren das Organ. far Heilkunde erschienen, In der philosophischen war die Zeitschrift far speculative Theologie und Philosophie von Fichte bisher die einzige und wird vermuthlich durch dessen Abgang nach Tibingen verlegt werden. Die landwirthschaftliche Zeitung gehért wohl kaum der Universitat an, wenn auch ein Mitglied derselben an der Redaction besonders betheiligt ist. In der Philologie hat sich das rheinische Museum trotz aller Wechsel der an der Spitze stehen- den Gelehrten gehalten, -Den Naturwissenschaften fehlt es leider an einem passenden Mittelpunkte, indem die Acten der leopoldinisch-carolinischen Akademie schwerlich als derartiges zu betrachten sind. An dem Gedeihen allgemeiner Jabrbiicher wirde bei der Anzahl regsamer Krafte kaum zu zweifeln sein.

Bonn, 17. Juni. Nach dem eben ausgegebenen amtlichen Verzeich- nisse des Personals und der Studirenden der hiesigen Universitat besteht die katholisch-theologische Fakulat aus vier ordentlichen Professoren, einem ausserordeutlichen und einem Privatdocentei; die evangelisch-theo- logische aus drei ordentlichen, einem ausserordentlichen Professor und zwei Privatdocenten; die juristische aus sechs ordentlichen, zwei ausscrordent- lichen Prof. und zwei Privatdoc.; die medicinische aus acl.t ordentlichen, einem ausserordentlichen Prof. und drei Privatdoc.; die philosophische aus awanzig ordentlichen, siecben ausserordentlichen Prof. und neun Privatdoc. Hiezu kommen noch die Lehrer der neuern Sprachen, der Ton- und Zei- chenkunst und Exercitienmeister. Mit den in den Stataten III., §. 35 enthaltenen Bestimmungen verglichen, fehlen also in der evangelisch-theo- logischen Fakultét drei ordentliche Professuren, in der Katholisch-theologi- schen zwei, in der juristischen eine; hingegen ist in der medicinischen | aod philosophischen die urspringliche Anzahl um zwei fiberschritten. In der philosophischen feb!t dem neuesten hohen Ministerialerlass zufolge ebenfalls noch eine. ausserordentliche Professur, wahrend in der juristischen eine aberzabliche vorhanden ist. Die Frequenz der Studirenden ist in diesem Semester uin 35 gestiegen. Im Ganzen befinden sich hier mit den Chi- rurgen, Pharmaceuten und Hospitanten 619; innerhalb der katholisch-theo- logischen Fakultat 99, davon 97 Inlander, 2 Auslander; in der evangelisch- theologischen 67, darunter 33 Auslinder, 34 Inlander; in der juristischen 207, von denen 153 Inlinder, 55 Auslinder; in der philosophischen 135, und zwar 104 Inlinder, 31 Auslander. Wie man vernimmt, ist Prof. Welcker aus Griechenland nach Konstantinopel abgereist und wird ohne Zweifel die in neuester Zeit vielfach besprochenén Gegenden Kleinasiens besuchen. Prof. Perthes ist in diesen Tagen nach Berlin berufen worden, woriber die sonderbarsten Vermuthungen hier cirkuliren. :

Kinigsberg. Wie 6ffentliche Blatter berichten, hat der Senat hiesiger Universitat vom Ministctiam einen Verweis dafar erhalten, dass er einige Studenten * nicht strenge genug bestraft habe. Der Senat habe sich bei S. M. (Rector der Universitat) aber das Ministerium beschwert, die Antwort babe aber strenge und verweisend gelautct,

‘Berlin. Geh. Med. Rath Dr. Linck crhielt den R. A. O. IT. mit © Eichenlaub, a

Bonn. Denselben Orden der Geh. Reg. Rath Prof. Dr. Hiillmann.

Bonn. Prof. Welcker erhielt den franz, Orden der Ehrenlegion.

Akademien, Berlin. Die k. Akademie der Wissenschaften hatte vor einiger Zeit Hrn. Dr. Peter G. Riess zu ihrem ordentlichen Mitgliede erwahlt, (Hr. Riess ist Israelit.) Auf die geschehene Anzeige lief ein Schreiben des Mi-

nisteriums ein, durch welches die Akademie befragt wurde, ob dieselbe auch gewusst habe, dass Dr. Riess israclitischer Religion sei. Diese An-

* Was haben dieselben eigentlich gethan ? | Die Padag. Revue hat bis jetzt keinen Correspondenten’ in Kénigs- berg. . D, H. Padagog. Revue. {842 b, Bd. V. | .

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‘frage brachte cine stirmische Sitzung hervor, in welcher fast einstimmig eine Antwort votirt wurde, die mit Bestimmlheit aussprach, dass die Aka- demie schr wohl wisse, was sie gethan habe. Wie verlautete, hatte sich S. M. schon damals gegen Hrn. von Humboldt beifallig aber die Wahl der Akademie ausgesprochen. Auch scheint das Ministerium spater die Wahl nicht mehr fir ungeeignet gehallen zu haben, der k. Bestaligung vorgelegt zu werden, indem diese bald darauf erfolgte und der Gewahlte am 7, Juli, am Tage der Leibnitzischen Gedachtnissfeier in die Akademie eingefGhrt wurde, In der Festrcde nahm der Secretair der Akademie Veranlassung, auch yon solchen Gelehrten zu reden, die es auf einen herostratischen Ruhm abgesehen zu haben scheinen,

Die Schule und die Klerisei.

Flachsenfingen.* Im Firstenthum Flachsenfingen ist bekanntlich der Offentliche Unterricht der Jugend der Aufsicht und Leitung der Kir- chenbeamten anvertraut, die Schule ist cine Pertinenz der Sakrsistei. Be- greiflich prosperirt das Schulwesen ganz unglaublich unter dem Regiment so frommer Leute ; ganz besonders wohl ist den Lehrern dabei zu Muthe. Der Herausgeber dieser Blatter machte vor ein paar Tagen als Mitglied einer Commission, welche die Candidaten zu einigen aargauischen Pro- Gymnasiallehrerstellen zu prifen hatte, die Bekanntschaft eines Schulmannes aus dem Firstenthum Flachsenfingen, der sich ebenfalls prafen liess. Von ihm vernahm er Folgendes: ~

Vor einigen Jahren gieng der Stadtpfarrer des Ortes ab, wo besagter

Schulmann angestellt war; als sein Nachfolger ankam, wuyrde er von der Lebrerschaft bewillkommt, und zwar hatte der Erzahler als der alteste Lehrer der Schule die Anrede zu halten. Er entledigte sich dieses Auf- trages nach besten Kraften und bat im Namen der Lehrerschaft den Herrn Stadtpfarrer um seine Gewogenheit und Freundschaft. . Der Hr. Stadtpfarrer erwiederte der Lehrerschaft, von Freundschaft -kénne bier keine Rede sein, er sei der Vorgesetzte und habe zu befeblen; . sie seien die Untergebenen und hatten zu gehorchen, Und damit entliess sie der ,geistliche* Herr. (N, B. Kein katholischer Geistlicher.)

Der Hr. Stadtpfarrer betrachten ihr Scholarchat nicht als Sinecure, sondern Seine Wohlehrwirden kommen zuweilen in die Classen. Bei einem solehen Besuche lisst der ,geistliche Herr* die Schiler asinus decliniren: Nominativ asinus der Esel, Genitiv asini des Esels u. 8. w. Wie die Kna~ ben beim verhangnissvollen Vocativ: ,asine, o du Esel,* angehommen sind, belieben Seine Wohlehrwarden der Hr, Stadtpfarrer und Schulinspector zu sagen: ,Kinder, seht einmal euern Lehrer an.“

Man weiss nicht, was man mehr preisen soll, ob den Witz, oder die christliche Gesinnung, oder das gouvernementale Talent dieses Stadtpfarrers, Schade, dass ein solches Kirchenlicht nur Herr der Scbhulen einer kleiner Stadt ist; ein grosser Staat sollte den ausbindigen Mann zum Minister des éffentlichen Unterrichts machen, N. B. Wenn irgend ein deutsches Land auf ihn reflectiren sollte, so bin ich auf Anfragen bereit die Addresse mitzutheilen. -

Indess ist im Firstenthum Flachsenfingen. nicht nur der Pastor prima- rius Scholarch der Stadt oder des Fleckens; auch der zweite Pfarrer ist Vor- gesetzter der Lehrer, Nun geschah es vor einigen Jahren, dass auch diese Stelle in jener Stadt neu besetzt wurde, und dass der Ankémniing bald darauf sich iber jenen Lehrer dahin dusserte, dass er ihn striegeln wolle.

Ist das nicht gar schén? Und der zweite Pfarrer bat redlich Wort gehalten. Denn der Schulmann, dem diess begegnet, ist, nachdem er

* Die nicht deutschen Leser der Pidag. Revue warden das Firsten-— thum Flachsenfingen mit seinen Stadten Krahwinkel, Schilda, Schéppenstedt, Kubschnappel u. m. a. vergeblich in geographischen Handbichern anfsu- chen. Es ist eben ein. ideelles Land, das aber wie alle Ideen der Realitat nicht ermangelt, : a

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fast dreissig Jahre lang an derselben Schule gearbeitet hat, zuletzt abgesetzt worden und hat das Farstenthum Flachsenfingen verlassen, um wo mdglich in der Schweiz ein Lebramt zu finden, *

. § Deutsche Bundesstaaten. * I. Preussen.

(4. Behdrden.) Berlin, Juni, Das Ministerium hat vor Kutzem zwei Verordnungen erlassen, die allgemeinen Beifall verdienen. Die £ste bestimmt, dass jeder Candidat des hoheren Schulamts fortan cinem durch pidagogische Tichtigkeit ausgezeichneten Classen-Ordinarius zur Anleitung im Unterrichten tberwiesen werden soll. Im ersten Vierteljahr soll er den Lehrstunden desselben regelmassig beiwohnen, und zugleich bei den tibrigen | Lehrero der Anstalt fleissig hospitiren. Im zweiten Quartal soll er dann, im Beisein und unter der Leitung des Ordinarius, einige Stunden wi- chentlich unterrichten, und wenn er es so zu einer gewisscn Sicherheit gebracht hat, so soll ihm der cine oder der andere Lehrgegenstand tber= lassen werden. Man erinnert sich des Ministerial-Erlasses vom 24, Oc~ tober 1837, cine Stelle darin*** hat bei vielen Gymnasiallehrern béses Blut gemacht, das darin Gesagte ist nur zu wahr, nicht bloss far Preussen, Man muss manchmal Probelectionen von Examinanden beigewohnt haben, um von dem methodischen Ungeschicke eines guten Theiles der Lehrer an Gymnasien und héh, Birgerschulen sich cine Vorstellung zu machen, Lei- der ist die jetzt vorgeschriebene Massrege! auch nur ein Palliativ; grind- lich k6nnen uns nur pddagogische Seminare helfen, wozu dann noch fir den Lehrerstand honos et praemium kommen muss, damit so viele talent-_ lose Képfe abgewiesen werden kénnen und der Schule mehr Talente zu- strémen. Die zweite Verordnung bestimmt, dass die Candidaten des Predigtamts in Zukunft eine Zeit lang die Schullehrerseminare besuchen und dort einen Cursus der Padagosik machen sollen. Auch das ist héchst" dankenswerths; wenn der Pfarrer Prasident der Lokal-Schulpflege sein soll, so ist es winschenswerth, duss er von der Schule ein ganz klein Weniges: verstehe; obendrein ware es gut, wenn die HH. Pfarrer auch einmal uber: den Confirmandenunterricht, den sie zu geben haben, einige gute Gedanken in die Képfe bekdmen. Indess, wie ginstig auch die neue Verordnung wirke ,, das darf man nicht von ihr hoffen, dass durch sie die Creation technischer Volksschuleninspectoren aberflissig werde. | _

Berlin, 18, Juni, Die Regierung von Potsdam zeigt wegen der. Maturitdtsprafungen der nicht in héhern Biargerschulen (d. h.. sol- chen, welche Entlassungsprifungen zu gewissen Zweigen, mit Ausschluss jedoch der Examina behufs Uebergangs zur Universitat, auf Grund der Instruction vom 8, Marz 1832 vornelmen kénnen) vorbereiteten jungen., Leute an, dass, nach einer Bestimmung des Unterrichtsministers vom 7..Mai es denjenigen jungen Leuten, welche eine solche Schule zwar nicht be- sucht, jedoch anderweitig die Reife eines Schilers der Real- oder héhern: Bargerschulen erworben zu haben glauhben und diess zur Erlangung eines, Maturitdtszeugnisses und der auf Grund eines solchen ihnen zustehenden Berechtigungen darthun wollen, gestattet sei, sich der Prifungscommission einer héhern Birger- oder Realschule zu unterwerfen, Es folgt diese neue Einrichtung der schon bestehenden dltern in Betreff der Abiturientenpri- fungen far den. Uebergang zur Universitat, wonach es ndmlich, laut den

* Wir kommen auf diese Geschichte zurick. Diessmal haben keine Namen genannt werden sollen. Ich werde an Ort und Stelle die ‘genaue-. sten und vielseitigsten Erkundigungen einziehen lassen. Das Aergste ist verschwiegen worden. Erweisen sich die Data in allen Sticken als rich- fig, so sollen die Schuldigen der dffentlichen Verachtung nicht. entgehen.

** Sollte mir etn Statistiker entzegen halten, dass die Provinzen Preussen und Posen und Schleswig nicht zum Bunde gehéren, so wiirde ich ihm antworten , dass die Nation sie dazu rechnet. roe

#o@ Padag. Revue I. 5S, 81 —82 n.. |

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Reglements vom 4. Jan, 1834, denjenigen jungen Leuten, welche kein Gymnasium besucht haben, dennoch aber zur Universitit ibergeben wollen, nachgelassen wird, das Abiturientenesamen (das sie friher und bis 1834 vor der wissenschaftlichen Prifungscommission, derselben, welche auch die Oberlehrer prift, zu absolviren hatten) vor der Pi: ifungscommission eines Gymnasiums zu machen, Die potsdamer Regierung macht bei Ver- 6ffentlichung dieser neuen Bestimmungen ausdricklich auch auf die Mini- sterialverfagung vom 30, Oct. v. J. aufmerksam. Darin.war namlich yon dem lateinischen Unterricht in jenen hohern Barger - und Realscbulen die Rede. Es solle bei den Forderungen an die Examinanden, ,denen auch nach ausdricklichen neuern Bestimmungen die vorschriftsmassige Kenntniss der lateinischen Sprache nicht erlassen werden kann und darf,“ ganz nach _ der Instruction vom 8. Marz 1832 verfauhren werden. Die Gesuche um ‘Zulassung sind an die Directoren zu richten.

"Magdeburg. Landrath Sommer in Merseburg wurde zum Ober-Reg.- Rath und Dirigenten fir das Kirchen- und Schulwesen be: der hiesigen Regierung ernannt.

(2 Gelehrtenschulen.) Berlin. Prof. Siebenhaar am Fr. Wilhelms-Gymnasium den R. A, O. IV. Der Director des Collége francois, Prediger Fournier, wurde zum Consistorialrath und Mitglied des Consistu- riuns ernannt. ,

Stettin, Hier + am 27. Febr. der Gymnasialprofessor Dr. W. Boh— mer, als eifriger Fifofscher der pommerschen Geschichte (Kantzow’s Chronik, 1815), auch als Philolog (Bemerk. aber Pindar 1829) bekannt.

Manster, Der.bisherige Director des Gymn, zu Recklinghausen Dr. Stieve hierher.

Arnsberg. Prof. Dr. Hoegg zum Director des hies. Gymn.

Coblenz. Der Oberlehrer am hiesigen k, Gymnasium Hr. Peter Jo- seph Seul hat sich herabgelassen, die Stelle eines ,Studiendirectors der ‘von der Genossenschaft des Rheinischen ritterbartigen Adels neuerrichteten . Ritterakademie zu Bedburg* anzunehmen. Es gibt doch hindische Seelen- Ein Mann, der die Ehre hat, im Dienste des Landes zu stehen, der seines Gleichen dient; der obendrein einer Provinz angehért, die so glicklich ist, dass ihg Gesetzbuch keine privilegirte Caste anerkennt, wo jeder Bir- ger adlig ist; der endlich auch zu essen hat und nicht wie ein armer Schlucker aus Noth ein Unterkommen suchen muss ein solcher Mann wird Bedienter von Menschen, die die.Unverschamtheit haben, sich edler zu dinken, als die Nation. Nun de. gustibus non est disputandum,

Halle, Der bisherige College bei der lat. Hauptschule Dr. Friedr. - Stdger bei seiner Pensionirung den Professortitel.

(3. H. Biirger(Real)schulen.) Berlin, k. Realschule, Oster- programm 1842. Wir haben die Programme von 1840 und 1841 (Pad. Rev. II. S. 176—179, III, S. 64—65) angezeigt. Aus dem diessjahrigen Pro- gramm haben wir wenig hinzuzufagen; Prof. Kalisch dirigirte nach dem Tode des Directors die Schule, interimistisch bis der neue Director Prof. Dr. Ranke ankam; Oberl. Dr. Heussi ging ans Real- Gymnasium nach Par- chim; Prediger Rutzen wurde Pfarrer. Die a. 0. Lehrer Dr. Wernicke und Palm schieden aus, Cand. Cornelius kehrte, nach abgelegtem Probejahr, zu einer Anstellung in seine Heimath Westfalen zurick, Der a, o, Lehrer Dr. Heller wurtle confirmirt, auch kehrte Dr. Spilleke von der Ritter- Akademie zu Brandenburg nunmehr als ord, Lehrer an die Schule zurick. Ferner wurden Dr, Strack, Cand. Schneider und Hr. Gros angestcllt, Unter den mitgetheilten Verordnungen befindet sich eine (von uns schon fraher mitgetheille), durch welche der Realschule der lat. Unterricht wiederholt zur Pflicht gemacht wird, Voutrefflich ist die Rede, welche Prof. Ka- lisch an Spilleke’s Grabe gehalten und hier mitgetheilt hat; auch die vorit Oberl. Dielitz zum Geburtstage des Kinigs gehaltene Rede, welche eben- falls mitgetheilt wird, ist vorziglich,* nur hatte der Redner, indem er 60

* Hier cine Stelle: ys ist gundchst nicht von den persdnlicher- Eigenschaften zu sprechen,

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schén die Nothwendigkeit des Monarchen nachweist, zugleich zeigen sol-. len, wie die echte Monarchie nicht nur ein Centrum, sondern auch eine Peripheiie hat, ndmlich ein Birgerthum, das alle diejenigen dffentlichen An-

welche wir an unsrem theuren Konig verehren; vielmehr kommt es daranf an, die Bedeutung aufzufinden, die der Monarch dberall, und vorzugs- weise in Preussen fir den Staat und das Volk hat.“

; nibr Alley meine jungen Freunde, babt von den verschiedenen Staats- verfassungen gehdrt, unter denen die Vélker, welche die Weltgeschichte uns vorfahrt, sich entwickelt haben, Von der ersten und urspringlichen derselben brauche ich nicht zu sprechen; sie gehdrt dem Erdtheil an, wel- cher die Wiege des Menschengeschlechts ist, und dessen Bewohner zum gréssten Theil noch jetzt, wie zu allen Zeiten, in einem Zustande der Erstarrung sich befinden. Dort ist der First der allein Berechtigte im Staat; er ist Herr iber das Leben und das Eigenthum aller seiner Unterthanen, und diese sind ihm gegeniber willenlos und rechtlos. Anders war das Verhaltniss in den ersten Staaten, die in unserem Erdtheile sich ausbildeten, in den Republiken des schénen Griechenlands. Dort war die 6ffentliche Gewalt durch alle Birger vertreten, indem alle Barger an der Berathung der Staatsangelegenheiten theilnahmen, und mehr oder weniger zur Ver- -waltung der 6ffentlichen Aemter berechtigt waren. Doch war die Zahl derer, welche das Birgerrecht ausibten, nur gering, denn der grésste Theil der Griechen lebte in einem Verbaltniss driickender Abhingigkeit, und Tausende verloren selbst ihre persdnliche Freiheit, wenn sie sich der Fremd- herrschaft zu entzichen versuchten. Eine nothwendige Bedingung aber einer Verfassung, in der jeder Birger unmittelbar an den Staatsgeschaften theilnahm, war die Sklaverei; denn wenn der Birger die Vo!ksversammlung besuchen und zu Gericht sitzen, dann wieder das Vaterland vertheidigen und dabei die Bildung und die Kenntnisse, welche die Theilnahme an den Staats- angelegenheiten verlangt, sich aneignen und bewahren sollte, so mussten alle die Arbeiten, welche bei uns der gréssere Theil der Birger verrichtet, von Sklaven ausgefihrt werden. Noch schlimmer war das Verhaltniss in dem weltbeherrschenden Rom. Das Bargerrecht war hier, obgleich es nur einem kleinen Theil der Bevélkerung zustand, doch auch far diese Wenigen ohne Nutzen, da die Bestechlichkeit der drmeren Volksclassen die Entscheidung aller wichtigen Angelegenheiten in die Hinde der Optimaten gab. So wa~ ren viele Menschen der Willkar der herrschenden Familicn hilflos preis- gegeben, und als auch diese der Gewaltherrschaft eines Einzelnen unter lagen, endete die alte Welt wieder mit dem, womit sie begonnen, mit dem orientalischen Despotismus.“ ; .

»Erat das Christenthum rief im Menschengeschlecht das Bewusstsein hervor, dass der Mensch als solcher frei ist; die Trdger aber dieses neuen Geistes, der durch Christus in die Welt kam, waren die germanischen Nationen, Nicht, als ob mit der Annahme des Christenthums sogleich die” Freiheit im Staate herrschend und die Sklaverei vernichtet worden ware; es bedurfte eines Jahrtausends des Kampfes und des Ringens, ehe die welt- lichen Zustande vom-Geist des Christenthums durchdrungen wurden. Denn ‘die auf den Trimmern der rémischen Herrschaft errichteten germanischen Reiche waren eben so wenig der Sitz der Freiheit, als die Walder der alten Deutschen es gewesen waren, als die Steppen der Indianer es heut zu Tage sind. Die wahre Freiheit verlangt Beschrankung der Begierde, der Leidenschaft, der Willkir; jener rohe Naturzustand dagegen setzt die Herrschaft der Gewalt und des Unrechts voraus. In der Feudalherrschaft der germanischen Reiche gab es zwar von Anfang an eine Unterordnung unter einen hdheren Willen; aber es feblte der héchsten Staatsgowalt an - Macht, ihren Willen gleichmassig durchzusetzen, Da das Volk bei Kaisern und Kénigen keinen Schutz fand, 80 musste es bei den kleineren Herren Halfe suchen und kami so unter dic Herrschaft von Gewalthabern, die aus Beamten des Kénigs allmahlig fast unumschrénkte Herren wurden und die ihnen dbertragene Macht in eine crbliche Herrschaft verwandelten, Sa

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gelegcnheiten, zu deren Verwaltung es keines speciellen Fachstudiums be- darf, selbst in die Hand nimmt und nicht’ einem besonderen Stande von Vormindern dberlasst. Der farstliche und Ministerial-Absolutismus war

verschwand in den meisten germanischen Reichen der Stand der freien Manner ganz, und es gab nur noch Dienstleute, Vasallen und Oberherren. Die geistlichen und weltlichen Herren selbst, obgleich sie dber ihre Unter- gebenen unumschrankte Gewalt hatten, waren wieder Vasallen von Héberen und Machtigeren, und hatten mannigfache Verpflichtungen gegen dieselben zu erfallen; Rechte und Pflichten waren iberall verschieden; cin allge- meines Gesetz', ein allen Staatsangehérigen gemeinsames Recht, eine das Ganze gleichmissig ‘bindende Gewalt feblte. Denn selbst die Kaisermacht, die héchste der Christenheit, war zu einem leeren Schatten geworden, seitdem die Firsten bei jeder neuen Wahl neue, einschrankende Bedio- gungen machten,.“ "

»Welches war die Gewalt, die dem Zustande der Verwirrung, in welche das Lehenswesen in seiner héchsten Aushildung alle Lander Europas ge-— stirzt, ein Ende zu machen, die den Trotz der zuchtlosen Vasallen zu brechen, die Burgen der Ritter zu zerstéren, das Faustrecht zu vernichten und alle Staatsangehérigen einem allgemeinen Gesetz zu unterwerfen ver- stand? Es war die monarchische Gewalt, und ihre Entwickelung bezeichnet daher den Anfang der neueren Zeit. So mannigfach- auch die Art des Ueberganges von der Feudalherrschaft zur Monarchie in den verschiedenen Landern war, iberall begann mit demselben eine feste Staatsgewalt, deren Angchérige gleiche Rechte erhielten und einem allgemeinen Willen und demselben Gesetz unterworfen wurden. In einigen Landern, wie in Eng- land und Spanien, wurde die Macht der Vasallen in der Weise gebrochen, dass sie ganz in das Verhaltniss der Unterthanen traten, und bur in ihrer Gesammtheit noch eine bedeutende, jedoch gesetzliche Macht im Staate blieben; in anderen, wie in Frankreich, gelang es den Kénigen, die Herr- schaften ihrer grossen Vasallen auf friedlichem Wege mit der Krone zu vereinigen, die weniger machtigen aber mit Staatsamtern abzufinden. Ueberall ging bei dieser Umwandlung des 6ffentlichen Lebens das Interesse der Firsten und des Volkes Hand in Hand; denn die Firsten waren es, welche die Entwickelung des Birgerstandes beginstigten und unterstitzten, und die Bauern aus der Leibeigenschaftt entliessen. Bisher war der Adel der einzig freie Stand gewesen; seine Freiheit musste vernichtet werden, damit die Freiheit Aller entstehen konnte. Wo diess nicht geschah, wo dicse Fteiheit der Einzelnen nicht unterging zum Heil der allgemeinen, wahren Freiheit, da musste der ganze Staat zu Grunde gehen, wie uns das Beispiel cines unglicklichen Nachbarvolkes zeigt. Wenn aber die ganze Macht des Staats Einem dbertragen wurde, so durfte dieser Kine, der den Willen des Ganzen vertrat, nur durch eine dusserliche, von allen Leiden- schaften und Privatinteressen freie Gewalt, nicht nach der Einsicht und Wahl der Mehrzahl bestimmt werden. Eine solche dusserliche Macht, wie die Griechen sie in den Orakeln, die Romer in den Auspicien, die Volker des Mittelalters in der Hierarchie anerkannten, wurde den neueren Staaten in der Erblichkeit der Throne gegeben. Mit ihr erhielt die aufblihende Volksfreiheit eine feste, ,von jeder Willkir unabhangige Stiitze; den ein- zelnen Vélkern aber wurden ihre angestammten Farsten zu einem unwan- delbaren Mittelpunkt threr Bestrebungen.“ |

»Wahrend so dic Kénigsmacht auf der einen Seite die Willkir, auf der anderen die Knechtschaft hrach, und Allen die Freiheit verschaffte, welche in den Republiken des Alterthums nur Einige gehabt hatten; er- weckfe sie zugleich das Nationalgefahl und den Nationalstolz, welche nur aus dem Bewusstsein der Thcilnahme an allen Angelegenheiten des Staats hervorgehen kénnep. Das Lehnswesen hatte die Volker des Mittelalters so durchkreuzt, dass sie sich nicht nach ihrer Nationalitét, sondern nach Standen und Corporationen sonderten; der deutsche Ritter stand dem fran- zOsischen, englischen Ritterbirtigen naher, als dem deutschen Birger, und

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gut, um die Aristokratien aller Art zu brechen; ist dieser Zweck aber er= reicht, so braucht man ihn nicht mehr. Damit meinen wir nicht, als miasste man in Preussen die sog. constitutionelle Monarchie predigen; im Gegentheil wollen wir hoffen, dass dieser Kelch an uns vordber gehen wird. Fs ist genug, dass andre Staaten dieses Experiment machen; wir in Preassen wollen uns nicht die Finger daran verbrennen, So wenig wie der farstliche Absolutismus ist die constitutionelle Monarchie das Ietzte Wort in der Politik, stelle sie sich nun franzdsisch als liberaler Beamten- staat oder englisch als Aristokratenregiment dar. Die Beilage zu dem Programm (von Prof. Kalisch) ist dem Andenken Spilleke’s des Schulmannes gewidmet. Mdgen uns diejenigen Leser, welche Spillcke nicht persénlich gekannt haben, verzeihen, dass wir nun schon zum drit- tenmal Mittheilungen aber Spilleke machen eine kirzlich erschienene Bio- _graphie vom Schwiegersohne des Verstorbenen wird uns zum viertenmal auf iho zurickkommen lassen sie haben ihn eben nicht gekannt. Wir mdchten aber, dass ihneu sein Bild klar wirde, und darum theilen wir auch den Aufsatz von Kalisch im Augusthefte mit, (48. Farnen u. Exercieren.) Die Oberd. Ztg, schreibt aus | Preussen, 30. Mai. Wie so manches Andere, ist endlich auch das Turnen héhern Orts glicklich wieder zu Gnaden angenommen worden, und nun wundert sich alle Welk, wie man ein so nitzlich Ding jemals habe dchten kénnen. Man spéttelt iber die Zeit, wo die dngstlichen Leute hinter jJedem Busche einen jungen Menschen mit Leinwandhosen und langem Haare witterten, der nichts mehr und nichts weniger sein konnte und durfte, als ein Demagog und Hochverrather. Man fand in der Turnerei etliche polizeiwidrige Momente, wollte in ihr einen Geist systematischer Widersetz- lichkeit gegen dic Behfrden nachweisen kénnen, und glaubte fir die Ruhe der Welt etwas Grosses gethan zu haben, als man sie ohne weiteres mit einem Machtspruche verbot. Dadarch kam man aber in Schwierigkciten mit einem grossen Theile der Jugend, die sich weder freie Luft noch kér- perliche Uebungen nehmen lassen wollte; sie vermochte nicht einzusehen, dass ,Turnen die Leiber schwiche und der Gesundheit schade,“ oder, wie gleichfalls behauptet wurde, den ,guten Sitten“ nachtheilig sei. Auch et- was ,Unchristliches“ gewahrte kein Vorurtheilsfreier in der Turnerei, und dass diese eben nichts sehr Staatsgefahrliches war, hat die Folge gelehrt. Gefahrliche Einmischung in praktische Politik trieb ein Theil der akademi- schen Jugend erst zehn oder zwdolf Jahre nach dem Verbote des 6ffent- lichen Turnens, als sie sich nicht mehr frei ynd 6ffentlich ausleben durfte, sondern unter specielles Polizeiregimont gesetzt worden war. Seit mebreren Jahren aibrigens wurde bei uns dem Turnen Nichts mehr in den Weg ge- legt; die Beamtenhierarchie hatte sich aiberzeugt, dass man das Kind mit dem Bade verschittet hatte, und fand nur den Uebergang schwer, sich wieder einer Anstalt anzunehmen, welche einst. mit dem Banne be- legt gewesen, In unseren kleinen Nachbarstaaten, z, B. in Dessau, nah- men sich dagegen die Behérden der Sache lebhaft an, und auch hier schlug der gute Erfolg das Vorurtheil aus dem Felde. Jetzt kommt man immer mehr zu der Ansicht, dass das Turnen als Volkssache betrachtet, dass es in den Erziehungsplan aller Stinde aufgenommen werden muss. Es bildet in der That ein miachtiges Gegenmittel gegen alle Verweichlichung; es be- fordert den vaterlindischen Sinn der Jugend, die sich auf den Turnplatzen . schon frih als zu einem grossen Ganzen gehérig betrachten lernt; es ist

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dieser fahlte sich dem Barger italischer Stadte naher verwandt, dls dem deutschen Landmann; jeder war stolz auf seinen Stand, keiner auf sein Volk oder auf seinen Staat, Und konnte diess anders sein zu einer Zeit, die eben so wenig eine Einheit des Volkes als des Staates kannte? Als durch die Monarchie diese Einheit hergestellt wurde, da erwachte auch die Liebe zum Vaterland, und sie ist immer herrlicher aufgebliht in dem Herzen der Volker, je mehr dic Eimzelnen bei der Macht, der Ehre und dem Ge- deihen des Ganzen betheiligt worden sind.“

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die vorlreMichste Schule der Wehrhaftigkeit cines Vulkes,. und wird dem stehenden Heorc, wie der Landwebr iberall machtig unter die Arme greifen kénnen, weil es ein kraftiges und gesundes Geschlecht heranbilden hilft, das nicht an Versessenheit leidet und nicht von jedem rauhen Luftzuge auf das Krankenlager geworfen. wird. .

IT. Sachsen. 1, Kénigreich Sachsen.

(2. Gelehrtenschulen.) Die den Gymnasien zu Annaberg im

Erzgebirge und zu Plauen im Voigtlande schon lange drohende Aufhebung _ scheint nun nicht mehr abzuwenden, Das Ministerium hat wiederholt die Ansicht ausgesprochen, dass dicselben aberflissig seien und wenn nicht etwa ein ginstigcs Votum der Sténde auf dem bevorstehenden Landtage noch einmal, wie schon 1839, deren Existenz fristet, so dirfte ihre Kin- ziehung durch Entziebung der ibnen bisher gewahrten Unterstilzung aus Staatskassen in nicht ferner Zeit erfolgen. Ueberhaupt hegcn Manche die Ansicht, dass dem gesammten sachsischen Gymnasialwesen eine Umgestal- tung bevorstehe, dass das philologische Element, welches bisher allerdings uuf unsern Gelehrtenschulen noch immer ein ungebihrliches Uebergewicht gehabt hat, einem andern wirde weichen missen, welches mit den allge- meinen, sich mehr dem Leben, als der todten Gelehrsamkeit zuwendenden Bildung des Volks besser im Einklang stehe. ‘Diese Ansicht wird sogar von Solchen ausgesprochen, welche bedeutende Kenner und Verehrer der classischen Studien sind. * . _ Leipzig. Hier + 7. Marz der Cantor der Thomasschule Christ. Theod. Weinlig, geb. 1780 in Dresden, ein in Italien (unter Mattes in Bologna) aus- gebildeter gelehrter Musiker, bis 1804 Advocat in Leipzig. Er hinterlisst ein druckfertiges Werk aber die Kunst der Fuge.

(3. H. Biirger(Real)schulen.) Neustadt-Dresden (Rector Dr. Aug. Beger) Osterprogramm 1842, Um den Schilern der IV. Classe theils einen fir das glickliche Vorwartsschreiten in den aibrigen Kennt- nissen erforderlichen Umfang deutlicher Efementarvorstellungen, -theils einen nothwendig vurauszusetzenden Vorrath an wohlverstandenen Wortern und Ausdricken zu gewahren, ist fir ‘die jenem Zweck entsprechenden, an Anschauungen angeknipfte Denk- und Sprachibungen eine besondere Stunde festgesetzt worden, Das wesentliche Verdienst, welches sich der Hr. Collaborator Kohler durch diese, mit giinstigem Erfolge und beson- derer Liehe ausgefahrten Uebungen erworben hat, ist dankbar und dffent- lich anzuerkennen. Dass diese die Sinnenerkenntniss, den Verstand und die Sprachfertigkeit der Kinder zweckmassig entwickelnden Uebungen schon vor dem schulfahigen Alter wenigstens in gebildeten Familien oft angestellt werden kénnten und sollten, ohne der Natur und Kraft dés kindlichen Kérpers und Geistes Gewalt anzuthun, ist durch physiologisch- und psychologisch - padagogische Erfahrungen und Grundsdtze ausser Zweifel gesetzt, und soll yon dem Verf. mit besonderer Ricksicht aof Pestalozzi’s und Frébel’s Ideen nachstens etwas ausfihrlicher dargethan werden. Zweifel und Gleichgiltigkeit gegen cine natur- und vernunft- gemassere Behandlung der kindlichen Se ele von den frihesten Regungen ihrer Thatigkeit an, kénnen ihren Grund allein in dem Mangel an tieferer Kenntniss des menschlichen Geistes, seinen Anlagen und Entwickelungs- . gesetzen haben. In jener Behandlung aber, wie sie leider nur sehr selten angetroffen wird, liegt zugleich das einzige Mittel, den in jeder Hinsicht

* Lassen sich die beiden Gymnasien nicht halten, so verwandele man sie in solche boh. Birgerschulen, die zugleich Pro-Gymnasien sind. , * Verséumt man aber der Erlernung des Lat. und Griech. in den sach- sischen Gymnasien andre, ebenfalls wichtige Facher, so ist das freilich ein Uebelstand; der Stundenzah! nach wird man aber, 80 lange es Gymnasien gibt, den classischen Studien hoffentlich ein Uebergewicht eia- raumen. D. OH.

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immer hoéher gespanntcn Ansprichen der Zeit, die wohl Niemand herab- stimmen kann und mag, durch entsprechende Tachtigkeit der Leistungen zu genigen, liegt die einzig sichere Hoffnung, in dem gedrangvollen Wett- kampfe um eine achtbare Stellung und Stufe in der birgerlichen Gesell- schaft wenigstens nicht gleich beim’ersten Anlaufe durch ristigere und gewandtere Mitkémpfer erdriickt oder zurickgeworfen zu werden. Ge- bildetere Eltern, denen es bei allem Eifer auch fir die geistige Pflege ihrer‘Kinder zu deren frihzeitiger und nalurgemasser Sinnen= und Ver- s'andesibung an Zeit und Geduld, oder, was auch Manche fahlen und gern eingestehen, an Linsicht und Geschicklichkeit fehlt, finden jetzt auch in Dresden Gelegenheit, den Beruf und die Pflicht dieser Uebungen auf kun- dige und wissenschaftlich gebildete Manner dberzutragen. Mit Aufopferung | und begeisterter Liebe bat sich seit mehreren Jahren in Altstadt Hr, Fran- kenberg zur Aufgabe gemacht, dem natirlichen Spiel- und Thatigkeilstriebe der Kinder durch leichte, Geist und Korper gleicherweise kraftigende Be- tchiftigungen und Unterbaltungen die ndthige Nahrung und Befriedigung zu gewabren. In Neustadt aber wird vom 1. Mai d. J. an der Hr. Dr. Hofer in Verbindung mit seiner durch vieljabrige und umsichtige Leitung einer Lebr- und Erziehungsanstalt bewadhrten Gattin ebenfalls eine Spiel- und Beschaftigungsanstalt far Knaben und Madchen vor dem sechsten Le- bensjahre errichten. Den Schulnachrichten ist ein vom Rector verfasstes Schriftchen vorausgeschickt: ,Sokrates, Padagogische Charakteristik nach Xenophon und Plato.“ Der Verf. bat mit grosser Sorgfalt die betreffenden Stellen ans den beiden angefihrten Schriftstellern gessmmelt, aus denen der Charakter der sokratischen Lehrweise die scharfe Bestimmung, Ent- wicklung und Aufklayung der Begrifle, die Begrindung allgemeingiltiger | Urtheile auf solche genaue Begriffsbestimmungen, endlich die Anwendung dieser Methode auf solche Gegenstande, deren grindliche Erkenntniss von. wesentlichem und praktischem Nulzen fir den Menschen ist, besonders auf Gegenstinde der Moral und des 6ffentlichen Lebens anschaulich hhervorgeht, und seine Darstellung gewahrt daher ein getreues und ziemlich vollsténdiges Bild.von. dem Verfahren und dem Geiste dieses edlen Weisen. Vielleicht wire es Manchem, der mit dieser Litteratur weniger bekannt ast, erwinscht gewesen, wenn der Verf. einige der Stellen, in denen Sokrates seine Kunst der Begriffsbestimmung und Entwicklung vorzugsweise bewahrt, ausfihrlich beigesetzt hatte. Ein nicht geringes Verdienst wirde sich derselbe auch dadurch erwerben, wenn er vielleicht bei einer ahn- Jichen Gelegenheit cine Vergleichung zwischen dieser dchtsokratischen Lehrweise und der nach ihr bevannten, aber ibr haufig sehr ungleichen neuern Katechetik anstellen wollte.

Der Lehver an der Realschule zu Leipzig, Dr. Wagner, zum Civil- lebrer bei der Militér-Bildungsanstalt iu Dresden mit dem Titel eines Professors ernannt.

HiT. Hannover.

. (3. HI. Biirger(Realschulen.) Hannover, (Director Prof. Dr. Tellkampf), Osterprogramm 1842, Wir haben bereits zweimal iiber diese treffliche Anstalt Nachricht gegeben: Bd. II. S. 402—404 und Bd. III. S. 68—69. Das Lehrercollegium hat sich nicht verdndert, auch ist der Lehrplan der 6 Classen, deuen 3 Elementarschulclassen voransgehen, un-~ veradndert geblieben, nur sind einige Stunden fiir geometrische Voribungen, die cine Zeitlang ausgefallen waren, wieder hinzugekommen, Frequenz 14, 18, Wl 25, IV 38, V 50,* VI 44, * VIL 51, VIII 43, IX 42, Summa 305. Die Abgangsprifung bestanden 4 Primaner, welche sich dem Handel, der Pharmacie, dem Forstwesen, der Landwirthschaft widmen; 2 gingen obne Prifung ab, im Ganzen verliessen in &em Jahre 42 Schiler die Schule, Far die Erweiterung der Bibliothek, Lelmapparate u, 8, w. werden 300 Thir. verwendet, auch pflegen zahlreiche Geschenke gemacht

ad Fehlen die Mittel um Parallel-Coetus einzurichten ?

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‘zu-werden. Als eine gute Einrichtung ist zu rihmen, dass nun sémnitliche Schiler ihre Arbeiten- (die Beaufsichtigung ist Hrn. Dr. Reitse abertragen) in der Schule machen kénnen: Da die hausliche Erziehung , wie es scheint, in gar vielen Bamilien in Hannover sehr zu winschen ibrig lisst, so ware eine stirkere Benutzung dieser Einrichtung zu winschen. ,,Sehr zu bekla- gen bleibt, dass die Schule bei weitem nicht Raum far alle Schiler bat, die sich melden. Hinsichtlich der beiden oberen Classen kann der gegen- wartige Jahresbericht nur das in allen friheren ausgesprochene Bedauern wiederholen, sie von dem betheiligten Publicum noch immer picht auf die rechte Weise gewirdigt und benutzt zu sehen, da sonst die Frequenz der- selben eine ungleich bedeutendere sein miisste, Misst man aber ihre Be- deutung, wie billig, nicht nach der Anzahl, sondern nach den Leistungen und dem beim Abgange gewonnenen Standpunkte ihrer Schiler, so lasst ‘sich nicht verkennen, wie viel die Schule gerade hier schon in wenigen Jahren fair ihre Bestimmung erreicht hat, Was ihr dabei zu besonderer Genugthuung gereichen darf, ist das sehr giinstige Urtheil aber die prak- tische Brauchbarkeit, welche die Janglinge , die den bildenden Unterricht jener oberen Classen genossen, in ihrem gewiahlten Befufe an den Tag legen, da dasselbe auf dem Wege der Erfahrung ganz einfach und schla- gend die hier und da laut gewordene Besorgniss widerlegt, als ob die ‘Schule nach oben hinaus doch wohl zu weit gehen und ihre Schiler fir das spadtere Geschaftsleben verwébnen méchte. Es sind namentlich unter ‘-jenen Schilern mehrere, die in angeschenen Handelsstédten, wie in Ham- burg, Bremen, Braunschweig u.s. w. sich in der Praxis des Kauf- mannsstandes bewegen und uns zugegangenen, sicheren Mittheilungen zu- folge, diess mit eben 86 vielem Eifer als Geschick thun sollen, wobei der Werth ihrer tichtigen Schulbildung ausdricklich anerkannt wird. Dasselbe gilt nicht minder von einem jungen Manne, der in einem sehr angesehenen Geschafte hiesiger Stadt schon seine grosse Brauchberkeit bewiesen und _ sich die vollste Zufriedenheit seines Lehrherrn erworben hat, Diese Notiz mag hier um so mehr ihre Stelle finden, als wir leider noch immer 80 hadufig auf das Vorurtheil stossen, dem kanftigen Kaufmann sei nach der ‘Confirmation nichts heilsamer und nothwendiger, als ohne Zeitverlust in die niederen Dienstleistungen seines Berufs eingeweiht zu werden, . statt noch einige Jahre vol!standig auf eine héhere menschliche Ausbildung zu verwenden, die ihm spater auch als Birger eine hdhere Geltung geben wirde. Es darf aibrigens beim Rickblick auf das verflossene Jahr als er- freuliche Wahrnehmung ausgesprochen werden, dass das Vertrauen des Publikums nicht allein zu den Leistungen, sondern auch zu dem sittlichen _ Geist und Charakter der Anstalt sich vielfach in unverkennbarer Weise an den Tag gelegt hat. Ist jenes winschenswerthe Einversténdniss und Zu- sammenwirken der hauslichen Erziehung mit derjenigen der Schule, woriber das Vorwort dieses Berichts sich naher ausgesprochen, bis jetzt auch nur auf eine verhaltnissmassig geringe Anzahl von Familien beschrankt geblie- ben, so wird es doch hoffentlich eben durch deren Einwirkung in befreun- deten Kreisen sich allmahlig weiter erstrecken und das Werk der Jugend- bildung in erfreulicher Weise fordern helfen. Die Macht des verstandigen Worts und mehr noch des gegebenen Beispiels vermag hier, wie dberall, unendlich viel auf die Nebenstehenden, denen es haufig mebr an bestimmter Erkenntniss und Willensrichtung, als an gutgemeinter Absicht fehlt. Als eine jener in das Leben einer Schule vorzugsweise eingreifenden Mass- regeln, wodurch man das Bewusstsein eines gemeinsamen, wiirdigen Stre- bens in allen ihr Angehérigen mit immer neuer Kraft za wecken und auf das Gemiith der Jugend tiefer, als durch den gewdhnlichen Unterricht, einzuwirken hoffen darf, wurden mit Anfang des Schuljahrs Versamm- lungen gemeinsamer Morgenandacht eingefihrt und jede Woche mit einer solchen erdffnet, Diese fraher schon wiederholt besprochene und beabsichtigte Einrichtung konnte, nachdem die Anstalt in den Besitz eines krdftigen Instruments gelangt war, nunmehr in der ihr angemessenen Art ausgefahrt werden, indem man sich in den Stand gesetzt sah, den Cho-

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- ralgesang der veraammelten Schiler damit zu verbinden.“ Den’ ge- woholichen Conferenzen des Lehrer-Collegiums wurden einige Abendver~ sammlungen hinzugefigt, in denen der Religions- und der deutsche. Unter- richt besprochen wurden. Die beigegebene Abhundlung (vom Director) Kandelt vom Zusammenwirken des elterlichen Hauses mit der Schule, Sie scheint dem Verf. durch die Jaxe Erziehung in der Stadt Hannover abge- drungen worden zu sein und sagt viel Gutes, das nicht nur fir Hanno- ver passt. .

Wil, Die vier souverainen Stidte. a) Hamburg.

(4. Volksschulwesen.) Hambarg, 20. Juni. Eine von dem Katecheten unsres Waisenbauses, Hrn. Dr. Kroger, ausgegangene Bitte um Unterstitzung der hier ohnediess sehr schlecht gestellten Volksschul- und Privatlehrer, die durch das Feuer ihre Habe und theilweise ihre Be- echaftigung verloren, hat leider nur geringen Anklang gefunden. Gelder sind wenig eingegangen, doch haben einige Buchhandlungen Bicher gesandt.

y. Deutsche Nebenlander.

x. Schweiz.

Auws den Cantonen. | _ 1. Zurich. oo : (2. wu. 3. Cantonsschule.) Osterprogramm 1842. (Vgl. Pad. Revue Bd. If. S. 408—416.) Im verflossenen Schuljahr war Prof. Dr. Rud, Alb, Mousson Rector des oberen, Oberl. Fel. Casp. Weiss, Prorector des unteren Gymnasiums, Prorector der unteren Industrieschule vor Ober!. Hardmeier , Rector der oberen Prof. Dr. Hans Heinr. Végeli. Im Lehrplan bat sich im Wesentlichen Nichts verdndert: an der oberen ‘Jndustrieschulo hesteht noch immer .das absurde Garkiichensystem, d. h. es gibt keine ge- schlossene Classen (nur in solchen wird yon solchen Leutén etwas Rechtes gelernt, um von der Disciplin gar nicht zu reden), sondern die Schiler wahlen sich die Curse beliebig aus, Daraus und aus dem Umstande, dass man es bej dér Aufoahme nicht so genau nimmt, folgt Mancherlei: 1, Verliert die Schule den Charakter der Schule, wird eine Espece von Universitat auf kleinem Fusse, die Lehrer missen dociren, denn die Verschiedenheit der Schiler, ihre un- gleichartige Bildung macht: ein schulmassiges Unterweisen unmdglich, die Lehrer kGnnen darum nicht fir den Erfolg verantwortlich gemacht werden ; 2, werden diejenigen Facher, die zu Comptoir, Fabrik u, s. w. in keiner . directen Beziehung stehen, von den Schilern nicht benutzt ; anstatt, dass die Anstalt dem banausischen Sinne der Industriellen, und ware es nur darum, weil diese Leute Mitglieder der Rathe werden kénnen und vielfach-werden,

* Da viertehalb Millionen Mark nach Hamburg geflossen sind, zu denen auch wohl der deutsche Lehrerstand seinen, wenn auch seiner Einnahme proportionirten, d. h. geringen Beitrag geliefert hat, so ist es mdéglich, dass eine an die Lehrer gerichtéte Autforderung. zu Geldsendungen fir Hamburgische Volksschul- und Privatlehrer geringen Erfolg gehabt hat. Der Herausgeber der Revue erfahrt erst jetzt von dieser Aufforderung, sie ist also wohl obendrein. nicht recht bekannt geworden.

Vielleicht wirde ein anderer Vorschlag mehr Anklang finden. Nicht nur haben viele Lehrer ihre Bibliotheken verloren, auch die Gemeinnitzige Gesellschaft ist, glaub’ ich, in dem Falle, Wie wire es nun, wenn sich in Hamburg ein Comité bildete, um Sendungen anzunehmen und zu vere theilen, und an sdmmtliche deutsche Autoren ein Gesuch um Einsendung von Exemplaren ihrer Schriften erginge? Die Sendung warden die Buach- handlungen ibernehmen, Die Pad. Revue wird eine Aufforderung gern aufnehmen so wie sie kommt. - D. H.

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kraftig entgegenarbeiten sollte, leistet sie ihm Vofschub, woraus es sich dann erklart, dass ein Grosser Rath in Zirich, wenn Einfabrung des Re- ligionsunterrichts am oheren Gymnasium vorgeschlagen wird, nicht recht weiss, ob er Ja oder Nein votiren soll; 3. geht alle Disciplin za Grande | und wird auch in den Fachern, welche die jungen Leute zu héren sich entschliessen, nichts Rechtes gelernt, weil alle Bildung ein Ganzes und es jungen Leuten, deren Geist nicht vielseitig geabt wird, unméglich ist, einem wissenschaftlichen Vortrage mit Nutzen zu folgen. Man kéunte diese Betrachtungen sehr ausdehnen, indessen mag es daran genigen und ich will nur auf Eins aufmerksam machen, das vielleicht bei denen, die hier helfen kénnen, schwcrer ins Gewicht fallt als Argumente, die aus der Natur der Sache hergenommen sind. Wer von St. Gallen oder von Glarus nach Aarau reist, der muss durch Zarich, indem diess auf halbem Wege liegt. Nun ist es aber cin Factam, dass die Gewerbschule in ‘Aarau eine Menge von Glarnern und St, Gallern zu ihren Schilern: zahit, Man wird das in Zirich nicht missverstehen: Schreiber dieser Zeilen weiss recht gut, dass

die Ziricher Anstalt mehr Geld- und mehr Lehrerkrafte hat, als die Ge- .

werbschule in Aarau. Mehrere Mitglieder des Ziricherischen Erziehungs- rathes, eben so mehrere Lehrer der oberen Industrieschule, sehen das Un- zweckmiassige, ja Schadliche und Verkehrte der gegenwartigen Einrichtung ein, und zwar treffen (mirabile dictu) diessmal Radicele und Conservative zusammen. Am Gymnasium muss es ais ein Mangel, ja als ein Fehler bezeichnet werden, dass die Schiler fir das Franzésische auf die Industrie- schule oder auf Privatunterricht verwiesen sind, dass das Gymnasiuin kei- nen eigenen Lehrer fair das Fach hat. Entbehrt werden kann ein far allemal die Kenntniss des Franzdésischen nicht, am wenigstefi in der Schweiz: muss es aber gelernt werden, so ist es winschenswerth, dafir zu sorgen, dass es in angemessener Weise gelernt werden kénne. Fir Gymnasiasten, d. h. fir junge Leute, die eihe gelehrte Bildung em- pfangen, Lateinisch, Griechisch, Mittclhochdeutsch u. 8. w. Jernen, gibt es aber nur Eine angemessene Weise, und diese besteht darin, dass der Un- terricht im Franzdsischen sich ganz und gar auf die Kenntniss und Ver- gleichung der lateinischen und altdeutschen Grammatik und Onomatik griinde. Den Schulnachrichten geht eine anziehende Mittheilung von Prof. Dr. Ludwig Ettmiller voraus, namlich zwei mit schatzbaren Erlaute- rungen versehene Gedichte von Heinrich von Meissen, genannt Frauenlob. Bekanntlich hat Hr. Prof. Ettmiller schon vor mehreren Jahren eine kritische Ausgabe dieses dunkelsten der Minnesdnger angekindigt ; sie ist noch im- mer nicht erschienen, wesshalb die bier gebotene Gabe um so willkommener -ist. Hr. E. bat die zwei schwersten Gedichte ausgewahlt, den Kreuzleich und den Minneleich. Noch werde bemerkt, dass auf dem oberen Gymna- sium in Zirich der deutsche Unterricht nicht iber die Kenntniss des Mittel- hochdeutschen (Grammatik und Nibelungen hinausgeht, wahrend in Aarau, zwei Jahre hindurch, im ersten Mittelhochdeutsches (im letzten Jahre Iwain, im laufenden Reineke), im zweiten Althochdeatsches (Wackernagel) ge- lesen und erklart wird. Es ware von Wichtigkeit, einmal einlasslich die Frage zu besprechen, ob man bei der Kenntniss des Mittelhochdeutschen . 8tehen bleiben kann, oder ob man das Althochdeutsche hinzufaigen muss. Das Gothische muss jedenfalls ausgeschlossen werden. 4, Aargau,

(2. u. 3. Cantonsschule.) Programme von 1841 und 1842. Die hiesige Cantonsschule, deren interessante Geschichte einmal in diesen Blal- tern erzihlt werden soll, besteht. aus zwei Anstalten, dem Gymnasiom und der Gewerbschule, Jede dieser Anstalten hat vier Classen, die Schiler haben (mit Ausnahme des Turnens, Exercirens, Singens u. s. w.) keine Art Unterricht gemeinsam. Die Schialer treten mit 14—16 Jahren ein und

- werden durch die 3— 4 classigen Bezirksschulen, deren es in den 11 Be- zirken des Cantons dermalen 15 gibt, vorbereitet. Wenn das nach den preussischen Reglements gearbeiteto aargauische Schulgesetz dermalen schon ganz und gar™eine Wahrheit ware, so wirde die unterste Gymnasialclasso

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‘einer preussischen OLertertia cntsprechen; diess ist theilweise aber darum noch nicht der Fall, weil die Bezirksschulen Dreierlei zu than haben, was sich nicht wobl vercinigen lasst. Sie sind 1. fir die, welche studiren wollen, Pro-Gymnasien; 2. far die’, welche die Cantonal-Gewerhschule besuchen und sich der héheren Industrie widmen wollen, untere Classen einer héh, Birger(Real)schule; 3. fir die meisten Schiler hdhere Volks~ schulen. Kein Schaler der Cantonsschule bezahlt Schulgeld, nur fir die Bibliothek und die Sonstigen Sammlungen ziemlich betrachtlich so wie far die Reagentien und andre Kosten des. chemischen Laboratoriums | wird ein Beitrag bezahlt. Ueber die militérischen Uebungen der Cantons- schiler werden wir ndchstens einen ausfibrlichen Aufsatz und einige Mit- theilungen machen. Die Lehrer der Anstalt zerfallen in Hauptlebrer (Professoren) und Hilfslebrer (1. kath. und 2. evangel. Religionslehrer, 3. englische und italienische Sprache, 4. technisches Zeichnen und Modelliren, 3. Kunstzeichnen, 6, Gesang, 7. Schénschreiben), aus den ersteren wird zeit- weise der Rector (der Cantonsschule und speciell des Gymnasiums) und Conrector (der Cantonsschule und specicll Rector der Gewerbschule) ge- wahlt; seit Ostern 1842 ist Prof. Rud. Rauchenstein Rector, Prof. Dr. Bolley Conrector.

Die Schule hat zwélf Professoren: fiir alte Sprachen die HH. Rudolf Rau- chenstein und Friedr. Rauchensiein, fir deutsche Sprache die HH. Rochhols— (am Gymnas.) und Dr. Heinr. Kurz (Gewerbschule), fir franzésische Sprache Dr. Mager, fir Mathematik die HH. Moosbrugger (Gymnas.) und Ryts (Ge- werbsch.), fiir Geschichte. und Geographie die HH. Aebé und Hagnauer, far‘ Naturgeschichte Hr. Med. Dr, Zschokke, far Chemie Hr. Dr. Bolley ; die durch den im vorigen Jahre erfolgten Tod des Prof. Fein (eines kennt- nissreichen und taichtigen Lehrers, cr war aus Karlsruhe und starb jung) erledigte Stelle fir Physik ist dermalen unbesetzt und das Fach wird von den Prof. der Mathematik und Chemie provisorisch gelehrt. —- Die Schule hatte za Ostern finf reife Abiturienten, dermalen ist die Frequenz im Gymnasium J. 19, HH. 14, Hl. 7, FIV. 9 (49); in der Gewerbschule I, 18, Il, 17, Ul. 8,- IV. 4 (47), Summa 96. Von diesen Schilern gehért ein grosser Theil benachbarten Cantonen un, besonders Basel (Stadt und Land), St. Gallen, Appenzell und Glarus; einige Schiler sind aus Deutschland. Dem Programm von 1841 war eine anziehende Abhandlung von Professor Aebi (damals Rector) beigegeben: ,,Blicke in das Leben der Konigin Agnes von Ungarn.“ Die auf genauerem Studium der Quclien berubende kleine Schrift -ist fir den Canton Aargau, auf dessen Rechtsverhaltnisse die Kénigin Agnes eingewirkt hat, von besonderem Interesse; eine allgemein menschliche Theilnabme spricht sie dadurch an, dass Hr. Aebi iberzeugend nachgewiesen bat, dass die hergebrachte (auch von Schiller im Tell bei- behaltene) Charakteristik jener Tochter Albrechts ganz unhistorisch ist, * dass die von Tschudi berichtete und von dem unkritischen Johannes Miller ‘nacherzadhlite Blutrache, dieses ,Bad im Maienthau* ganz™unerwiesen ist. Von dem Programm fir 1842 Kénnen wir leider nicht auch etwas Gutes sagen, der Verfasser, Hr. Prof. Rochholz (fir 18*,, Rector) hat eine Uebersetzung des ersten Gesanges der Lusiaden des Camoéns gegeben, zu welcher er bemerkt, dass er 1. mit dieser vor manchen Jahren begonnenen Arbeit nun selber nicht mehr harmonire; und 2. dass dieselbe ungedruckt geblieben sei. Die letztere Assertion ist nicht wahr, wie ein mit der mo- dernen deutschen Belletristik vertrauter Mann versichert; als der Hr. Verf. sie niederschrieb, hatte er vielleicht vergessen, dass er diese Verse schon einmal hatte drucken lassen. Doch das ist am Ende nicht so wichtig und geht nur den Hrn. Verf. als solchen an, wesentlicher ist eine Bemerkung, zu welcher der amtliche Theil seines Programms Veranlassung gibt. Da lesen wir: ,Heuer ist der fir Physik angestellte Lehrer, Hr, Fein, gestor- ben, nad sein noch nicht wieder besetztes Fach u. s. w.“

Wir gestehen, wir haben unsern Augen nicht getraut, als wir dicse _ Worte lasen. In der ganzen gesitteten Welt ist es von jeher Gebrauch | gewesen, dass cine Schule in ihren Programmen einem im Laufe des Jahres

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verstorbenen (oder abgegangenen) Lehrer einige angetnessene Worle wid- met. Hr. Prof. Rochholz kennt diese Sitte nicht, abt sie wenigstens nicht, ihm fallt nicht ein, was er, als mit der Abfassung des Programms Beauf- tragter dem Andenken seines verstorhenen Collegen ist denn ein todter Lehrer ein todter Hund? schuldig wars; er denkt nicht daran, was er der Schule und dem Lehrer-Collegiam schuldig war, Einer Cultaranstalt kann es nicht gleichgiltig sein, wenn in ciner in ihrem Namen ausgegebenen amtlichen Schrift ein solcher Mangel an Cultur und eine solche Rohheit . hervortritt; das Gleiche gilt von den Mitgliedern des Lebrer-Collegiums; wenn von dem Geschaftsfibrer desselben ein solcher Verstoss gegen die edlere Sitte begangen wird, so ist es nur in der Ordnung, dass diejenigen, welche beim. Publikum nicht: gern far roh gelten mégen, ihre Meinung sagen. Von Hrn. Prof. Rochholz ware diese. Unterlassung schon darum nicht zu erwarten gewesen,; weil zwischen ihm und dem Verstorbenen eine Abneigung bestand. Wir sind indess weit entfernt, diese Abneigang far den Beweggrund jener seltsamen Unterlassung zu halten, denn Hr. R. hat auch aber den im verflossenen Jahre von der Schule abgegangenen Prof. Jeanrenaud (aus Neufchatel, set 30 Jahren an der Schule in Aarau und mehrmals Rector, vordem Lehrer an einem deutschen Hofe) kein freund- liches Wort, es wird einfach sein Abgang und die Ankunft des Nachfolgers angezeigt, der Name des Abgegangenen ist nicht einmat Subject des Satzes: »An die Stelle des freiresignirenden Hrn. Jeanrenaud trat u. s. w.“ ' 7% Basel (Stadt).

(2. u. 3. Gelehrten- a. Realschule.) Es warde schon friher berichtet, dass das obere Gymnasium hier Padagogium heisst und von dem Pro-Gymnasium, welches Gymnasium genannt wird, getrennt ist. Die diessjahrige Promotion des Padagogiums (am 30, Mai) leitete Prof. Fi- scher, Vom Gymnasium liegen uns drei Jahresberichte vor: 1840 (nebst einer Abhandlung von Conrector Kursteiner: Ueber Geschichte auf Schulen; 1841 (aber den zu frihen Besuch des Welschlandes; von Dr. Burckhardt); 1842 (die Realschule von Basel, von J. H. Frey S, M.C., Rector der Real- schule. Bei der Promotionsfeier sprach der Rector des Gymnasiums Hr. Laroche iber die allgemeine Befahigung fir das Berufsleben durch die Schule, wobei er sowohl Eltern als Schilern manche belehrende Winke fiber die Benutzung der 6ffentlichen Anstalten ertheilte. Das Gymnasium fasat far das laufende Schuljahr 496 Schiler in sich, wovon 140 auf die A obern Humanisten-, 149 auf die 4 obern Realistenclassen, 207 auf die beiden untern, in Parallelabtheilungen getheilten Classen fallen. Der Unter- richt wird, der untersten Classe in wéchentlich 28, den fibrigen in wé- .chentlich 3f Stunden, von 17 Lehrern ertheilt. Die statig wachsende Schilerzahl (voriges Jahr betrug sie 463, vor 11 Jahren kaum 270 und wenige Jahre friher nur 230) veranlasste im verflossenen Schaljahre einige bedeutende Verdnderangen, wohin die weitere Durchfahrung des eigeu- thiimlichen Lehrgangs der humanistischen und der realistischen Abtheilungen. des Gymnasiums, vorzaglich aber dessen ginzliche Losscheidung von der Realschule gehért, die mit Anfang des zweiten Semesters unter eine be- sondere Leitung gestellt worden. Trotz der schon vor laingerer Zeit vor- genommenen localen Trennung beider Anstalten sind die Gebéude des Gymnasiums jetzt fir dieses allein nicht mehr ausreichend und eite Erwei- terung des Raumes ist néthig geworden, wofir bereits die Plaine den be-. treffenden Behérden zur Berathung vorliegen. Mit Beibehaltung namlich des zu diesem Zwecke sich vorziiglich eignenden Schulgebéudes warde eit Anbau an dasselbe im Hofe der Amtswohnung des Hrn. Birgermeister Burkhardt errichtet werden, wogegen dann die Birgermeisterwohnuang in den Falkensteinerhof verleg¢ wirde, dessen Raume disponibel werden darften in Folge der nunmehr in. néhere Aussicht gestellten Erbauung eines neuen Museums, wozu der vor einiger Zeit zusammengetretene Museums- verein fortwahrend thatig ist und der Regierung einen Beitrag von 70,000 Fr. zu diesem Zwecke angeboten hat. Einen Massstab zur Beurtheilung des Fleisses der Schiler gibt der Umstand, dass am Ende-des ersten Semesters

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21 Preise, ‘am Schlusse des Jahrescurses ihrer 74 unter die Knaben ver- theilt werden konnten. Zur Erleichterung des Schulbesuchs fiir die Unbe- mittelteren wurden im. verflossencn Jahre an Stipendien 1910 Fr. 40 Rp, unter 154 Schiler vertheilt. Auch das sog, Schilertuch konnte aus dem Ertrage der tiblichen Collecte in der Minstergemeinde und der wohlthatigen Stiftungen der Vorfahren 55 unbemittelten Knaben gegeben . werden,“ Aus dem von Conrector Kiirsteiner verfassten Berichte aber das Gymnasium (das also auch jetzt noch Gymnasium und héh. Bargerschale ist, von der abgetrennten sog. Realschule unten) entnehmen wir folgende Data: |

Prof. Eckert verliess das Gymnasium und wurde Prof. an dem Pada-

gogium und an der Universitat; Lic. Schenkel wurde Prediger in Schaff- hausen, Cand, Stockmeyer im Canton, Cand. Frey ibernahm die Realschule. Dafir traten ein: Cand. Rumpf als achter Hauptlehrer und die HH. Dr. Roth, Dr. Tribet und Dessoulavy ala Hilfslehrer. Wir fagen einige Reflexionen inzu, os _

Dass die Gymnasiasten und Realisten in den beiden unteren Classen

(eigentlich Elementarschule). vereinigt sind, ware ganz recht, insofern man. auf die Unterrichtsgegenstande sieht. Dagegen ist nicht abzusehen, warum man die Trennung in den vier Classen nicht vollstandig macht, d. h. neben das Gymnasium eine volistandige sechsclassige Gewerbschule (der Name »bdbere Birgerschule“ - ist in einer Republik unschicklich und der Name nRealschule* ist schon von einer Volksschule in Beschlag genommen) stellt. Diese sechsclassige Schule wirde enthalten: 1) die vier Realistenclassen des Gymnasiums: a) die dritte (Frequenz jetzt 52), b) die vierse (jetzt 24), c) die fanfte (jetzt 19), d) die sechste (jetzt 6); 2) die zwei Realisten- classen des Padagogiums, was also 6 Classen machte (fir Schiler von etwa ,,—'S/, Jahren), und da dermalen jede der beiden Elementarclassen (lu. Il.) in. zwei Coetus hat getheilt werden missen, da die Erste A. 47, die Erste B.. 40, die Zweite A. 56 und B. 55 Schiéler enthalt, Summa 198. Schiler enthalt; so ist nicht abzuseben, warum man nicht auch die -Ele- mentarclassen in der Art trennen sollte, dass sowohl das Gymnasium als. die Gewerbschule ihre Elementarschule hatte. Viel mehr Lehrer warden. durch die Grindung einer solchen Gewerbschule, da sie ja schon jetzt, bur mangelbaft und mit dem Gymnasium zusammengeleimt, besteht, nicht. udthig, Der Rector dieser Schule, die nach dem jetzigen Schilerstande, berechnet in den sechs Classen c. 130 Schiller, dann in den beiden Ele- Wentarclassen noch 100 Schiler, also c. 230 Schiler haben wirde, hatte Wabrlich genug zu thun,

Diess sind nur. aus den dusseren Verhaltnissen hergenommene Grinde; sie allein waren hinreichend, die Scheidung anzurathen, zumal dic Direction des Gymnasiums, das alsdann noch c. 200 Schiler in seinen vier Classen und c. 100 in den beiden Elementarclassen behalten wirde, auch leichter und wirksamer werden, das Gymnasium gewinnen miisste. Eben so. sehr sprechen die inneren Grinde fir die Trennung. |

Der Finanzpunkt wirde auch dann nicht in Betracht kommen, wenn die Basler Birgerschaft nicht so gar reich ware. Wo man auf wenigstens 130 Schiller in sechs Classen rechnen kann ich zahle die 100 Elementar- schaler nicht mit da ist die Grindung einer Schule als besonderer An-. stalt gerechtfertigt, zumal wenn durch diese Grindung der Sehul-Organis- mus sowohl vervolistindigt als vereinfacht wird. Ce

(Aus einem Briefe.) Unsre Behérden sind dermalen mit der Or~ ganisation des Tochterschulwesens beschaftigt.

(4. Wolksschulwesen.) Dic Realschule. Auszug aus dem Pro- gramm: ,Unsre Realschule ist und leistet namlich nicht das, was anderwarts. Real- oder hoh. Birgerschulen sind und leisten und entspricht daher auch nur theilweise den Reallistenclassen des Gymnasiums, die jenen sich an die Seite setzen licssen. Sie ist eine untere Birgerschule, mit dreijahrigeny Cursus, die aber dem Bedirfniss einer grossen Classe unsrer Barger und Ein~ wohner entspricht, welche our kirzere Zeit und weniger Mittel auf Schul-. bildung zu yerwenden haben. Schon dieser karzere Gang, dem sich die

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Unterrichtsfacher, ihre Ausdehnung und die dabei angewandte Methode an- zupassen haben, wirde dieser Anstalt ein besonderes Geprage mit praktischer Tendenz geben, wenn sio uicht noch besondere Pflichten zu dbernehmen hatte, die anderswo dem Ilaus und dem hauslichen Leben iberlassen wer- den kénnen und die ausser dem an sich schon erziehenden Wesen des eigentlichen Unterrichts, hier noch dem erziehenden Element einen beson- dern Boden anwiesen. Wenn je eine unserer Anstaltcn, diesen durch das Bedirfniss ihrer Schaler, durch die Lebens- und Berufsstellung ihrer Eltern laut ausgesprochenen Charakter einer Erziehungsanstalt an sich tragt und tragen muss, so ist es unsere Realschule.

Daher denn: ganz besonders das Bedarfniss der Trennung beider An- stalten: nicht jedoch als ob unser Gymnasium nicht auch Erziehangsanstalt ware, zu zichen und zu erzichen, nicht Stoff und Anlass genug fande und thut diess doch auch jeder mit Liebe und Ernst, mit Geschick und Kennut- niss ertheilte Unterricht; aber es darf dasselbe die Erziehung dem Hause, der Familie und ihren mannigfach wohlthatigen Einwirkungen auf das junge Gemith mit Vertrauen anheim stellen und von ibr in dieser Be- ziehung die Hauptsache erwarten, es kann den Unterricht als seine alleinige Hauptaufgabe betrachten, den das hausliche Leben auch ausser der Schal- zeit vorbereilend, befestigend und férdernd mit in den Kreis seiner Tha- tigkeit aufnehmen kann, weil ihm dazu Zeit und Mittel, Geschick und oft noch guter Wille zu Gebote stehen. Nicht alsq unsere Realschule, deren Auf- gabe eben wegen dieses Mangels als eine veranderte sich darstellt,

Versuchen wir es, die Aufgabe unserer Anstalt nach Unterricht und Erziehung in kurzen Zigen darzustellen, insofern sie durch ihre Ablésuug vom Gymnasium nun eine bestimmt ausgesprochene ist.

Auch bei der beschrankten Schulzeit, bei der geringern Anzahl von Lehrfachern kennt unsere Anstalt im allgemeinen kein anderes Ziel, keinen andern Zweck, als den einen der Bildung aller Krafte durch Unterricht und Erziehung. Dass Bildung ein theures Gemeingut aller unserer Birger ‘und Einwohner werde, dass der Segen derselben zu allen Standen, niedern wie hohen durchdringe und sie beglicke, dass alle Krafte, die in unserm Volksleben schlummern, zu freiem Bewusstsein, zu froier Thatigkeit geweckt, gehoben, veredelt werden, dass wir alle in der Einhcit und Freiheit christ- licher Bildusg erwachsen méchten zu eincm wahren Freistaate, das ist ja die Aufgabe unserer hohen und niedern Schulen, als den Pflanzstatten, in denen Fahigkeit, Gesinnung und Wille des kommenden Geschlechtes erzogen werden sollen,

‘Kann nun zwar auch bei den frihzeitigen Anforderungen, die das Berofsleben an unsere Schiler macht, nicht jene Vollstandigkeit des Unter- richts erreicht werden, wie sie cin lingerer Aufenthalt in-dem reicher bedachten und reicher ausgestatteten Gymnasium darbietet, muss manches und vieles hier in der Schule erst zur Sprache kommen, dem Schéler mitge- theilt, erklart, veranschaulicht werden, was viele Gymnasialschiler von Haus aus als ihnen theils durch Lesen, theils durch Mittheilung bekannt gewordene Gegenstande mitbringen, muss alles mehr auf das praktische Leben und das darin Anwendbare hinzielen, so werden unscre Schiler die Schule doch so verlassen, dass fir ihren Lebenskreis die Krafte geabt, der Geist mit Kenntnissen aller Art bereichert und ausgeristet, mit der Fahigkeit auch die Liebe zur Arbeit ihnen eigen geworden. Die Erfahrung zeigt, dass an manchen und vielen Schilern, die unsere Anstalt verlassen, diess Unterrichtsziel auf héchst erfreuliche Weise erreicht worden ist.

Somit will auch unsere Schule allgemeine Bildung in der Ent- _wicklung, Starkung und Uebung aller Anlagen, aller Krafte an den gege- ‘benen Lehrgegenstinden, Allein sie will auch diese selbst in ihrer An- wendbarkeit im Leben, dem Schiler so zu eigen machen, dass sie nicht nur angelernter Stoff, somit unverdautes Stickwerk bleiben, sondern ins Fleisch und Blut der Schiler aibergehen, ein Stoff, mit dem sie durch viel- seitige Anschauung so vertraut geworden, dass sic ihn mit Freiheit und Ge- wandtheit auf die vorkommenden Fille des praktischen Lebens anzuwendep,

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uad denselben anzuformen im Stande sind. Diess verlangt nua von Seite des Lehrers eine Methode, die weder rein wissenschaftlich, noch aus+ schliesslich praktisch sein darf, sondern eine Durchdringung-beider Seiten des Lebrgegenstandes erstroben muss. ;

Wie verhalten sich nun unsere Lehrfacher zu dem angegebenen Zweck der Schule? Es sind derselben nicht wenige: Religion, deutsche uad fran- sisische * Sprache, Arithmetik und Geometrie, Geschichte, Geographio und die Elemente der Naturkunde, Schreiben, Zeichuen und Gesang, dio eo vertheilt sind, dass wéchentlich jede Classe 31 Unterrichtsstunden hat. 10 Lebrer thoilen sich in diese Unterrichtsfacher,“

KI. Belgien.

(il. Behdrden.) Brasscl, Juli. Folgendes ist der wesentliche Inhalt des neuen, von den Kammern bereits genehmigten Gesetzes fiber den Primar-Unterricht: Jede Gemeinde muss mindestens eine Primarschule ‘haben; es steht jedoch 1. zwei Gemeinden frei, sich tber eine gemein-

schaftliche Schule zu verstandigen; 2. eine Gemeinde kann von der Ver-~ plicbtung, selbst eine Schule zu errichten, befreit werden, wenn darch Privatanstalten hinlinglich fair den Primarunterricht gesorgt ist; 3. eine Gemeinde kann ermachtigt werden, eine oder mehrere Privatschulen in ibre Localitét aufzunehmen , um statt der Communalschule zu dienen. Die armen Kinder erhalten den Unterricht unentgeldlich; wollen jedoch die Ehern nicht, dass ihre Kinder die Communalschule besuchen, so steht es ihnen frei, sich das Schulgeld anszahlen zu lassen und ihre Kinder in eine beliebige Schule zu schicken. Die Leitung des Unterrichts in der Religion und Moral wird den Geistlichen dbertragen, und sie, 30 wie die Abgeord- neten ihrer Vorgesetzten , haben das Recht, -zu jeder Zeit die Schule zu besichtigen, Die in die Schulen einzufahrenden Bacher werden in Hinsicht auf Religion und Moral der Genehmigung des Bischofs der Didcese unterworfen,

B. Europa. a. Germanische Lander.

I. D&nemark und Island.

(2. Gelehrtenschulen u. Facultéten.) Kopenhagen. Hier + 26. Juni Geb. Leg. Rath Brédnstedt, der berihmte archdologische Reisende, geb. 1782. Er kam 1813 von seinen Reisen zurick, und wurde ausserord. Prof. der Philologie, 1832 ord. Prof., auch war er Director der Ninz- und Medaillensammlungen.

Die Jenaische Litteraturzeitung berichtet folgenden Vorfall als ein sprechendes Zeichen der Zeit“ aus Kopenhagen: Der 21jahrige Studiosus dor Theologie, Bréchner, meldet sich zum theologischen Amtsexamen und etklart sich in seinem Petitum, ohne dass solche Erklérung nothwendig sewesen ware, fir einen Straussianer. Die theologische Facultét, welche ties Examen in Gegenwart geistlicher Censoren halt, antwortet, nachdem Bréchner noch auf weitere Anfrage erklart hatte, dass er ein geistliches mt, wozu ja auch durch das Examen noch kein unmittelbarer Zutritt eréfaet werde, nicht suché, sondern sich ,ausschliesslich den Wissenschaf- tea widmen wolle, um sich zu einer akademischen Wirksamkeit auszubilden,

i welcher die religidse Ueberzeugung nicht.in Betracht kommt,“ Folgen- es: .Da es mit der Stellung einer theologischen Facultét in der Kirche Wie in dem Staate als unvereinbar angesehen. werden muss, das verordnete heologische Amtsexamen mit Studirenden anzustellen, welche der Facultét erhliren, dass ihre Ueberzeugung sie von dem christlichen Glauben hin- ee eee . .* So unzweckmiassig es in Deutschland ist, wenn man in stadtischen Volksechulen Franzésisch lehrt, so zweckmassig oder vielmehr nothwendig isk es in der Schweiz. Die Schweiz befindet sich in dem Falle wic das Mssherzogthum Posen, wo auch jeder Geschaftsmann die beiden Sprachen

Shen muss.

Pidagog. Revue. 1842. b, Bd. V. 8

114,

weggefihrt habe, und dass sic mit dieser Ueberzengung nicht ohne dea héchsten Grad von Gewissenlosigkeit ein geistliches Amt warden annehmen kénnen: so sieht sich die Facultét durch das von Ihnen eingereichte Peti- tum und die spater abgegebene Erkldrang in die unangenehme Nothwendig- keit versctzt, Ihnen den begehrten Zutritt zu dem bevorstehenden Examen zu verweigern.“ Brdchner beschwerte sich hierauf bei der kénigtichen Universitatsdtrection er hatte ja ausdricklich auf ein geistliches Amt Verzicht geleistet und verlangte nur Eréffnung der akademischen ‘Carriere. Desshalb trug er auf eine gesetzliche Bestimmung far kinftige Falle derselben an. Die Direction erwiederte einfach: ,sie sei mit der Faculté vollig einverstanden und auf den gethanen Antrag sei weiter keine Rick- sicht zu nehmen.“

KES. Grossbritannien und Irland.

(A. Behdrden.). Englische Blatter berichten, dass von Wales aus dringende Forderungen an die Regierang gestellt werden, Lehratible far galische Sprache und Litteratur in Oxford und Cambridge zu. errichten. *

Die Regierung hat 11,000 Pf, bewilligt, um in Glasgow und Edin- _ burgh Normalschulen zu errichten, (Litt, Gaz.) a,

- & -Romanische Lander. K. Frankreich.

(2. Colléges et Facultés.) Die Revue hat ia friheren Heften Lectionsverzeichnisse der Faculté des lettres und der Faculté des. Sciences in Paris so wie des Collége de France gegeben. Wir geben heute das diessjahrige (Dec. 1841 Octob. 1842) Lectionsverzeichniss der k6énigl. Specialschule fir die Iebenden orientalischen Sprachen, der Pariser Facaltat .. der Theologie und des naturhistorischen Museums. Ueber die kath. theo- logischen Facultaten, deren einige bestehen, bemerken wir noch -beilaufig, dass dieselben so zu sagen Luxusanstalten und bei den Bischéfen ganz und ger nicht beliebt sind. Die Kleriker werden in den kleineo und grossen

eminaren gebildet, jene sind eine Espéce lateinischer Schulen, diese eine Espéce theologischer Schulen. Einzelne Kleriker, die entweder besondern wissenschaftlichen Trieb oder die Absicht haben, Doctor zu werden (was eigentlich jeder Bischof sein soll), besuchen wohl die Vorlesungen der Facultéten. Im Allgémeinen ist das Publikum der Zuhdérer ‘ein. gemigch- tes, und die Professoren streben, diesem Publikum zu Liebe, mehr dar- nach, sich als brillante und erbauliche Redner denn als Gelehrte zu zeigen.

Ecole des langues orientales vivantes. } |

Cours d’arabe, M. Reinaud, professeur, expliquera les chapi- tres XXV_ et suivants de J’Alcoran, avec le commentaire de Beidhaws ; quelques morceaux de la Chrestomathie arabe de M. de Sacy, et les reat de Hariri, (Les mardis, jeudis et samedis, a deux heures et

emie. . -

Cours d’arabe vulgaire. M. Coussin de Perceval, professeur, exposera les principes de la langue arabe vulgaire, en indiquant la diffé- rence des dialectes d’Orient et de Barbarie, Il expliquera successivement _ les textes qui sont a la suite de sa grammaire, et des extraits du romen d’Antar, Il exercera en outre a& la conversation, et fera déchiffret et tra- duire des lettres manuscrites et des piéces diplomatiques. (Les lundis, mercredis et vendredis, & onze heures.) _.

Cours de persan. M. Quatremére, professeur, expliquera I'Hi- stoire des Seldjoucides de Mirkhond, lAnvari-Sohatli, le Bostan de Sadi, l'épisode de Sohrab. (Les lundis,: mercredis et vendredis, a sept heures du soir.) .

Cours de Turc M. le chevalier Amédée . Jaubert, professeur, aprés avoir développé les principes de la grammaire turque, expliquera les

* Ein franz, Journal (Le Quimperois) stellt dieselbe Forderang an die ' franz, Regierung.

{15

Anspales des guerres maritimes des Ottomans, par Kiutib Tché- lébi, et 'Histoire généalogique des Mongols et des Tartares, par -Abou'lghazi Behadur-khaa, (Les mercredis et vendredis a midi.) : Cours darménien, M. Le Vaillant de Florival , professeur, ex- pliquera l’'Histoire de Moyse de Khoréne, et fera faire des exer- cices de lecture, d’écriture et de conversation. (Les lundis, mercredis et vendredis, a quatre heures.) | Cours de grec moderne et de paléographio grecque. M. Nase, professeur, developpera les principes de la langue grecque moderne ; puis expliquera successivement des piéces de vers composées dans cette langue, des. morceaux choisis dans les ouvrages des prosateurs ies plus estimés, et plusieurs actes officiels, H donnera, en outre, des Jegons pour faciliter la lecture des manuscrits de grecs différents siécles, (Les mardis, jeadis et samedis, a onze henres.,) : , Cours d@hindoustani, M. Garcin de Tassy, professeur, develo pera, pour les commengcants, les principes de U’hindoustani, et expliquera les NMaontakhabati hindi de M. Shakspeare, les-Aventures de Kamrup, les oeuvres de Walt et lo Bhaktamal. Il exercera aussi ® le conversation et au style épistolaire, a lire et a écrire les caractéres: *chikasta ect nagari. (Les mardis, jeudis et samedis, a neuf heures:

trois quarts.) Faculté de Theologie. . Cours de théologie dogmatique, M. l’abbé Maret, professeuc Staargé de ce cours, traitera de la révélation primitive et des révélations “*ecsaique et chrétienne; il exposera ensuite la nature et les rapports de la arison et de la foi. Les jeudis, a deux heures. ‘Cours de théologie morale. M. l'abbé Receveur, professeur, q utinuera d’exposer les devoirs de la justice: en comparant les théories de = philosophie ancienne et moderne aux max:mes de I’Evangile; puis il <xpliquera les régles des contrats ou des obligations d'aprés les principes a droit naturel et da droit civil. Les mercredis et samedis a deux heures. Cours dhistoire ecctésiastique. M. labbé Jager, , -professour “=hargé de ce cours, continuera l'histoire des institutions ecclésiastiques, =t des hommes célébres au neuviéme siécle; il parlera en particulier des Wratriarcats d'Orient, de leurs rapports avec le Saint-Siége , et du schisme “Se Photius. Les mercredis, a trois heures. Cours de droit Canon. M......, professeur. , Cours d'écriture sainte. M. l’'abbé Dassance, professeur chargé «le ce cours, établira et défendra l’authenticité, Ja véracité, l’intégrité et R’inspiration des livres de Moise contre les objections des rationalistes mo- ajernes; il developpera ensuite les beautés littéraires du Pentateuque. Les Rundis, a une heure, - ' a Cours de langue hébraique. M. labbé Glaire, professeur, aprés avoir présenté quelques considérations générales de linguistique, nécessaires pour bien saisir la nature et le génie de ’hébreu, exposera en détail tes. wégles de la grammaire hébraique, én faisant ressortir leur merveilleux en- ehafnement; il expliquera ensuite la Genése et le livre des Psaumes, Les mardis et vendredis, a une. heure, | Cours déloquence sacrée. M. l’abbé Dupanloup, professeur chargé de ce cours, continuera a exposer les caractéres généraux et les eonditions essentielles de la prédication -évangélique ; puis il commencera

Vhistoire de. l’éloquence chrétienne au seconde siécle.. Les vendredis, & deux heures, * a

Muséum d'histoire naturelle. ** : Cours de physique appliquée. M. Becquerel , professeur.

* Diese Vorlesung ist im Mai gestért und seitdem ausgesetzt worden. - Die kath. Blatter erzahlen, die Voltairianer halten gepfiffen; die liberalen Blitter behaupten ; der Professor habe immer auf die Philosophie geschotten.

** Die Vorlesungen werden sehr unregelmassig gehalten. .

116 .

Le professeur traitera cette année de la coisstituliun moléculaire des corps- en général; de forces physiques qui président a cette constitution; de I’ élec- trochimie et de la phosphorescence. Ce cours commencera dans les pre- miers jours d’avril. L’ouverture en sera annoncée ultérieurement, .

Cours de chimie générale, M. Gay Lussac, profeseeur. —,Le professeur traitera cette année de. la chimie organique. Ce cours a com- mencé le mardi 1. février, et aura lieu les mardis et samodis suivants, de huit heures du matin a neuf heures et demie.

‘Cours de chimic appliquée, M. Chevreul, professeur. Le professeur traitera cette année: 1. de la matiére considérée dans les étres vivants; 2. de Ja chaleur, de la lumiére, de l'électricité sous le rapport chimique; 3. de l’attraction moléculaire. Ce cours commencera le 1. mars, a dix heures du matin, il wura lieu les mardis, jeudis et samedis, dans le grand amphithéatre.

Cours de mineralogie. M. Alexandre Brongniart, professeur. Le professeur ayant présenté, l’uonée derniére, avec détails, l'histoire naturelle des minéraux nommés vulgairement pierres et sels, traitera spécialement, cette année, des espéces métalliques et des com- bustibles fossiles, 1] commencera par l’exposé des propriétés générales, des propriétés caractéristiques, et de toutes les considérations générales qui apparticnnent aux minéraux. Ce cours commencera vers le 1. atril. il aura lieu les Jundi et mercredi de chaque semaine seulement, a neuf heures du matin. L’ouverture en sera annoncée ulterieurement.

Cours de Géologie. M. Cordier, professeur, Cette année, le professeur traitera des caractéres généraux que présente la constitution da globe terrestre. II fera ensuite connaitre la structure particuliére de l’écorce minérale. Ce cours commencera a la fia du mois de mai. Hi aura lieu les mardis et samedis, a dix heures et demie du matin. L’ouverture en ‘sera annoncée ultérieurement.

Cours de Botanique. M. Ad. Brongniart, professéur, Le professeur traitera dans le cours de cetle année: 1. de |’anatomie générale des végétaux on de la structure de leurs tissus; 2. de |’organographie ou de la forme, de la disposition et de la structure anatomique des divers organes de végétaux; 3. de la physiologic ou des fonctions des diverses parties de végétaux et de la maniére dont elles concourent a la nutrition, a laccroissement et a Ja reproduction de ees étres. Ce cours aura lieu les lundis, mercredis et vendredis, a huit heures du matin, il commencera dans le mois d'avril. L’ouverture en sera annotcée ultérieurement.

Cours de Botaniqne dans la campagne, M. de Jussien, professeur. Le professeur commencera ses herborisations le dimanche 8. Mai, et les continuera Ics semaines suivantes jusqu'a l'époque des va- cances. Elles auront lieu Je dimanche, en général, ou d'autres jours choisis de maniére a ne pas détourner les éléves des autres cours, Dans ces her- , borisations, le professeur exercera les éléves a Papplication des connais~ sances théoriques acquises dans le cours de botanique et de physiologie, et particuliérement a Fétude des familles naturelles des plantes, La série des herborisations, qui dépend de la marche de la saison, ne peut étre fixée longtemps d’avance et annoncée par une afficke générale, En con- seqaence, elles seront, chacune, indiquées chaque semaine, et quelques jours a l’avance. . mT

Cours de culture. M. Mirbel, professeur. Le professeur ex- posera, sous le point de vue le plus général, Jes procédés de la culture, et montrera Jeur accord avec les lois de la physiologie des plantes. Si le temps le permet, il terminera son cours par quelques considérations sur les espéces et variétés usuelles, Ce cours commencera en septembre. Il aura lieu les mardis et samedis, 4 une heure. L’ouverture en sera an- nencée ultérieurement. ' |

Cours d’'anatomie et dhistoire naturelle de 'hommé. M. Serres, professeur. Le professeur traitera: 4. de l’organisation da corps humain; 2. il cherchera, par des _digressions wtiles sur l’anatomic

en

117

comparée, a éclairer la structure de l'homme par celle des animaux; 3. il peésentera aux étudiants les découvertes récentes; 4. il exposera les ca- ractéres anatomiques des races humaines. Ce cours commencera dans le mois d’avril, il aura lieu Jes muardis, jeudis et samedis, a une hceure. L’ouverture en sera annoncée ultérieurement.

Cours danatomie comparée, M. H. D. de Blainville, pro- fesseur. —- Ce cours commencera vers la fin d’octobre. Il aura lieu tous les jours, le lundi excepté, a trois heures. _

Cours de physiologie comparé. M. Flourens, professeur. Le professeur traitera cette année des lois générales de l'économie animale.

Ce cours commenceca dans le mois de mai. Les Jegons auront lieu les.

mardi, jeadi et samedi de chaque semaine, a onze heures et demie. L’ou- verture en sera annoncée ultérieurement.

Cours de Vhistoire naturelle des mammiféres ct dés Qiseaux. M. Geoffroy Saint-Hilaire, professeur. Le professeur ayant traité, dans le cours précédent, des.principes de la zooiogie dans leur application a l'étude des mammiféres et des oiseaux, fera, cette année, DW histoire de la premiére de ces classes, II traitera ‘des caractéres généraux et distinctifs des mammiféres, de leurs moeurs, de leur distribution géo- gzraphique. I] exposera avec detail leur classification, en les considérant <omme divisibles en plusieurs séries paratléles, Le professeur consacrera

«quelques legons a l’examen des conditions de la domestication, ct de plusieurs |

aautres questions de zoologie générale qui se rattachent a |’bistoire des- wmnammiféres. Ce cours a commencé le mercredi 26, janvier, et.a lieu

es lundis, mercredis et vendredis, a dix heures et demie.

Cours de Vhistoire naturelle des reptiles et des pois- sons. M. Duméril, professeur. L’histoire naturelle des poissons en Particulier-sera le sujet du cours de cette année. Le professeur fera con- maitre leur organization en la comparant avec celle de tous tes animaux des autres classes, Dans ce but, il exposera la conformation, la structure et les usages des organes du mouvement, de la sensibilité, de la nutrition,

de la reproduction, pour indiquer les modification les plus remarquables

qui sont en rapport aveo-les moenrs, les habitudes et le milieu dans lequel les poissons sont appelés a vivre. La seconde partie du cours sera con- sacrée a l'histoire particuliére des poissous, et a leur classification dans une méthode naturelle. Ce cours commencera le premier lundi de septembre. H aura lieu tous les jours de la semaine dans la gualeric du Muséum. L’ouverture en sera annoncée ulteriérement. Cours de histoire naturelle des crustacés, arachnides

et insectes. M. Milne—Edwards, professeur. Le professeur traitera

cette année: 1. des rapports naturels des animaux articulés avec les autres divisions du régne animal; 2. de l’organisation et des fonctions des cru- stacés, des arachnides et.des insectes; 3. de la classification des crustacés, Ce cours commeycera en avril. L’ouverture en sera annoncée ulté- rieurement; oO

Cours de histoire naturelle des anélides, des mollus- ques et des Zoophytes. M. Valenciennes, professeur. Le pro- fesseur traitera des principes de ta classification des anelides, des mollus~ ques et des zoophytes, et il exposera avec détails Jes caractéres des classes, des ordres, des familles, et des genres récents et fossiles des zoophytes et des moWusques. Ce cours commencera en murs, Il aura lieu les landis, mercredis et vendredis, a midi. L’ouverture en sera annoncée ultérieurement,* |

Cours de Dessin appliqué a Vhistoire naturelle. M.

Chasal, pour les animaux. M. Lesoud de Beauregard, pour les plantes.. L’ ouverture de ces cours sera annoncée ultérieurement, 7

Rede des Ministers bei dem allgemcinen Concurs am Schlusse des Sehuljahres 1841.

Wir haben im vorigen Hefte eine charakteristische Mittheilung tber.

dic Natur des Pramien-Instituts der franzdsischen Colléges gemacht. Kennt

¢

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man das Wesen oder vielmehr Unwesen genaa; 90 kann ef Einem sienlich gleichgiltig sein, welche Phrasen daréber gemacht werden. Indess ist cine Rede von Urn. Villemain am Ende immer lesenswerth und diese besonders, weil sie der polytechnischen Barbarci entgegentritt. Wir hatten sie schon in einem der frihern Hefte mitgetheilt, aber der Raum hat stets gomangelt. Jeunes éléves!

Les hommes changent et passent rapidement; jes institutions demeureat et grandissent par la dorée. Depuis le temps ot, dans la gloire et Ie si- lence de Empire, um orateur, un poéte, et, pour dire encore ples, un sage et tutélaire ami de la jeanesse, M. de Foatanes, illustrait de sa neble parole les premiers concours de l'Université, récemment fondée par une main puissante, combien de chefs divers, combien d hommes eppelés a titres - différents, et quelques-uns 4a titres supéricurs, ont tomar a@ tour présidé cotter féte annuelle de l'enscignement!

Sous tant d'influences successives, et dans eette mobilité méme, grécam a la stabilite d’on corps enseignant et a la pensée perpétuelle de linai—— tation qui vons régit, jeunes éléves, toujours se sont maintenas la porete@== des traditions, l'esprit de discipline et d'étade, et cetlé émalation pour lam bien, cette ardeur jalouse de l’estime pobliqae, domt vos péres, 4 semblablaxam jour, faisaient |l’spprentissage; et que vous ressentez aujourd hui commana eux, jien suis sir.

Herédité de travail et dhonneur, innocent orgueil du foyer domestique —. joies incomparables que ces fils bien nés donnent a leurs parents, voila looms. impressions salutaires a |'ame que cette solennité raméue et quelle entretiest— - C'est poor cela que nous |’aimons; c’est par Ja qu'elle est morale ct dignaam= des écoles de l’Etat, qui ne recoivent en dépdt les enfants des citoyes que poor les rendre un jour a la famille et ala patrie, non-seulement plo sms instraits, mais plus dévoués et meilleurs.

»C est parce que l'Université de France, par le caractére méme de sam eréation, comprend et sait remplir cette double tache, qu'elle a traversai® tant d’épreuves difficiles, surmonté tant d’obstacles,* et qu’appuyée sur lease vérilés immortelles de la religion et de la morale, elle n'a craiut aucuxmm développement de la science et s est montrée si constamment réiée pooa élever et pour J’élendre.

La grandeur des devoirs qui lui sont imposés a cet égurd vous avertits jeanes gens, de tous ceux que vous-mémes aurez a remplir. Yous Mes formés pour une société dont la concurrence est la loi; vous entreres dans un monde libre et laborieux, oa l’'agitation des fausses espérances et dos fausses idées n’a pour contrepoids et pour barriére que l’activité. réelle et bien dirigée du patriotisme et du talent. Dans cette aréne, vous anrez 3 défendre, psr de nouveaux et continaels efforts, vous aurez & honorer,: par vos principes et vos mceurs ce commencement de supériorilé qui vous est assuré par le bienfait d'une éducation savante.

Quand l'instruction popularisée descend graduellement a tous les:esprits, quand I'heureuse chance de voir, du rang le plus obscur, monter parfois des intelligences d'élite, s’accroft et se multiplie par la diffasion univorselle de cet enseignement ¢clémentaire, qui suffit pour les exciter et pour les décou- vric ou Dieu les avait cachées, ne sentez-vous pas, vous, appelés dés is premicre heure du jour, que vous seriez ingrats, si vous éties négligents; que vons seriez dépassés bien vite, si vous ne vous hatiez encore, et. si vous ne gardiez, en l’augmentant, ‘l'avance que vous donne un sérieux emploi des plus favorables années? (Applaudissements.)

C’est aux intelligences développées de bonne heure par la réflexion et Pétude quil appartiendra surtout de servir, dans les voies: diverses de la société, les intéréts du pays, et de porter, dans leur age viril, le poids de la vie publique. Mais, pour que l'éducation prépare a cee épreuvo, il ne suffit pas qu'elle orne l'esprit de connaissances, il faut qu’elle Péléve et quelle l’épure, et qu’en l’exercant a un travail difficile, en lui imprimant,

rh

* Phrase; die universite hat das Monopol. | .

119

par une étude séverement choisie, la passion précoce da grand et du-bean, elle nourrisse et fortifie l'éme pour les devoirs a venir.

A ce point donc, messieurs, il était bon que les études fussent plus eoncentrées pour étre plus dominantes et plus approfondies; il était bon que les lettres devinssent une base plus essentielle encore de linstruction classique, les lettres, cette grande eulture de l'homme, les lettres, non pas capricieuses et faciles, mais confermes a& la vérité supréme, les lettres, dans leurs plus hauts modéles, dans les génies permanents de la patrie, dans les Descartes, les Pascal, les Bossnet, les Fénelon, les Montesquien, et dans ja double antiquité hellénique et chrétienne, qui lea avait inspirés de sa vive ou gracieuse éloquence, et éclairés de sa divine lumiére,

Non, sans doute, messieurs, que les sciences mathématiques et natu- relles, cette autre gloire de l’esprit Lumain, et cette gloire qui, par.un beau privilége, se reproduit et se continue sans cesse, doivent étre désor- mais moins cultiyées dans nos écoles: c'est la méthode et non J’objet qu’on a voulu changer; ce sont les forces de l’esprit qwon a voulu ne pas trop partager dans le premier age, pour les retrouver plus tard unies et vigou- reuses, et leur demander alors beaucoup de choses a la fois; ce sont les études de langues- qu'on a rendues presque exclusives d’'abord, pour que

les sciences aient ensuite une place plus utile,-fdt-elle plus restreinte. Et

toatefois il reste a perfectionner sous ce rapport, afin que teut soit uniforme et’ graduel dans l’instruction classique. |

Mais, a part les méthodes, c’est surtout dans le zéle éelairé des mattres, et nous les en remercions ici publiquement, c’est surtont dans leur travail inteHigent et spontané, dans l’autorité personnelle de lcur talent et de leur caractére que se tronyent la vie et la fécondilé de Venseigncement. Par la les obstacles sont aplanis, les essais difficiles deviennent heureux, et il se fait dans l’esprit de la jeunesse un progrés de jugement et de gout dont ce concours méme vient d offrir de remarquables exemples. Vous n’applaudirez

oint votre éloge, jeunes éléves, mais vous aimerez la justice rendue a vos maitres, méme les plus sévéres; et lorsque cette profession de |’enseigne- ment public, si désintéressée et si pure, qui veut tant de patientes études, tant d’efforts continus, et qui les récompense seulement par l’estime, est attaquée chaque jour avec violence, vous trouverez naturel que celui, dont le meilleur titre est d’y avoir jadis appartenu, soit fier. de la louer ct de la défendre dans ceux qui la représentent si dignement aujourd’ hui, (Ap- plaudissements prolongés,)

Que ia tradition de leur savoir et de leur déyouement se soutienne et s’étende. Qu’ils forment dans toutes les carriéres beaucoup d’héritiers de leurs saines maximes, ‘et, dans la leur, quelques émules de leurs talents et de leurs services, . ;

Le sort de l’enseignement public, dan& tout systéme de législation et de liberté, est aujourd’hui plus assuré que jamais. Cette Ecole normale, jetée, il y a plus de trente ans, a la base méme de l'Université, par ta prévoyance du fondateur, vient de recevoir enfin du vote des Chambres pt de Ja sanction royale ce que nous sommes heureux davoir obtenu pour elie, un établissement durable, et dont l’importance honore ses travaux, en lui permettant de les accroitre. Désormais, plus nombreuse, sans étre moins thaisie, elle contipuera, par l'application et l’exemple de ses fortes études ittéraires et scientifiques, a élever, sur tous les points du royaume, le niveau de l’enseignement; et, comme ces corps d’élite qui imposent de grands devoirs 4 tous leurs membres, elle voudra toujours que ses éléves, wient partout reconnus a leurs principes irréprochables, aatant qu’a leur savoir et a leur talent. - *

De telles pensées, de telles espérances si vivement acceptées par vous, eunes éléves, conviennent a ce jour; vous allez .recevoir ces couronnes, srécieuses surtout par engagement sacré qu’elles vous font prendre, sous es yeux de tant de chers et imposants témoins, S'il manque a ce dernier concours quelques rivaux a part dont les noms, mélés longtemps aux votres, venaient rehausser les suctés de collége, vos prix et vos souvenirs n'ont |

120

®

rien perdo de leur éclat ni de leur intérét. Les noms des jeunes princes, vos anciens camarades, inscrits maintenant sur les listes d’honnear de l’armée, n’ont pas besoin de retentir ici pour étre parmi vous présents et popu- leires; et Pauguste chef de famille et de dynastie, absent avjourd’hui de cette enceinte of vous avez vu sa joie paternelle, est taujours pour vous le roi sage, vigilant, courageux, dont I'élévation au tréne fut la victoire de tous les droits publics de la France et la garantie de cet avenir qui vous appartient et vous attend,“ (Applaudissements. ).

Baccalaureat. Ueber die letzte in Paris gehaltene Baccalaureate (d. i. Mataritats-) Prifung schreibt ein Mitglied der Prifangs-Commission : La plupart ont été éliminés a cause de la fuiblesse de la version latine. Les textes étoient écrits de maniére a révélet la plus compléte ignorance de la langue latine; Jes muts y sont tronqués avec ane barbarie effroyante, et Pon congoit, ce qui est arrivé plus d'une fois, que la traduction faite sur des textes semblables s'éloigne entiérement du sens que donne le texte -exactement rétabli. Quelqaes-unes de ces traductious fourmillent de fautes dorthographe francoise, a tel point que nous (die Examinatoren) nous sommes vus dans la triste nécessité de ne pas méme considérer ta tra- duction et de metire immédiatement de cdté les copies en question. N’est-il pas honteux en effet de se présenter aujourd hai a l'examen du baccalauréat, quand’on ne sait pas écrire un texte latin sous la dicti, et, ce qui est bien plus condamnable encore, lorsquion ne sait pas appliquer au francois les regles de la grammaire?

Im niichsten Hefte * ein paar Ursachen dieser curieusen Erscheinung. Wie wenig die Prifung auch zu bedeuten hat, so wurden doch bei den Prifungen im November v. J. 1380 Examinanden 400 gleich nach der Ueber- setzung, dann 385 nach der miindlichen Prafung ahgewiesen, also 785, und nur 595 bestanden.

Notiz.

Im Augenblicke, wo ich den letzten Bogen dieses Heftes revidire, kommt mic ein Libell zu,.das ich noch anzeigen will. Es heisst:

»Unpartheiische Erwiederung auf die Recension der R, J. Wurat’schen Sprachdenklehre im Februarheft des Jahrganges 1842 der Pddagogischen Revue von Dr. Mager, Educationsrath und Professor an der Cantonsschule zu Aarau. Ein Beitrag zur Charakteristik des litterarischen Sanscilotismus der Gegenwart.“ (Stuttgart, bei Weise und Stoppani, 1842. 48 S. gr. 12. Preis 12 kr.)

Da das Manuscript. zum Augusthefle schon in der Druckerei ist, so habe ich erst im Septemberhefte Raum zu einigen Worten iiber diese ,Erwiede- rang.“ Leider ist sie sachlich ganz gehaltlos, so dass ein Auszag daraus fir die ,Uebersicht der Flugschriften* sich fast darauf wird beschranken mis- sen, die Schimpfworter zu registriren und einige Verlaumdungen (denn der ungenannte Libellist ist ein Verliumder) abzuweisen. Spasshaft ist es, dass das Libell mich einen ,preussischen Strauchritter“ nennt, wahrend es selbst anonym erscheint und sogar die Firma ein Falsum ist. Es ist ndm- lich von Mackenin Reutlingen, dem Verleger der Wurst’schen Schriften, gedruckt (der Drucker ist nicht einmal genannt) und Weise und Stoppani in Stuttgart haben ihre Firma dem eigentlichen Eigenthimer nur geliehen.

Ich ersuche die verehrl. Redactionen padagogischer Zeitschriften, bei ihrer Anzeige dieser ,Erwiederung® auf die wenigen Bemerkungen Rack- sicht zu nehmen, die ich nachstens daza machen werde.

Cannstadt, 12, August. Mgr.

* Da ich dieses Heft selbst einmal wieder habe revidiren kénnen (indem ich nimlich die Ferien in Cannstadt zugebracht habc), so fage ich die Bemer- kung hinzu, dass das nachste Heft in seiner II. Section nicht viel mehr als das bringen kann, was fir die folgenden Rubriken dicses Monatshefts bestimmt war, aber keinen Platz mehr fand, weil des Manuscriptes zu viel war.

—— i Oa

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ERSTE SECTION. oe Abhandlungen. Die Aufgabe der Volksschule.

‘Vaterworte an die aystretenden Seminaristen des vierten Lehrcurses bei ihrer Schluss-_ priifung * den 28. April 1842.

Von Seminardirector Krast in Gais.

Liebe Séhne!

Wenn der Landmann seine Felder gepfliigt, geebnet, gerei- wnigt und mannichfaltigen Samen ausgestreut hat, so richtet er “wohl noch bedeulsame Blicke auf seine Giiter hin, froh sich @ihlend, dass die Arbeit vollendet ist; wiinschend,.dass eine weichliche Ernte dieselbe lohnen mége; bittend und hoffend, dass

der, welcher in die Felder Anlagen zur Fruchtbarkeit, in das Samenkorn einen lebensfahigen Keim, in den Sonnenstrahl und den Regentropfen Belebungskraft gelegt hat, aber auch Stiirme und Blitze als Boten braucht, seine Befehle auszurichten, die Felder und Saaten vor Unfallen schiitzen und iiber denselben mit Huld und Gnade walten mége. Aehnliches fahlt. der Lehrer und Erzieher, wenn er Schiiler und Zéglinge, die seiner Leitung und Pflege anvertraut waren, derselben entlasst, dass sie fortan ihre eigenen Wege wandeln und den empfangenen ‘Unterricht, die erhaltenen Lehren, Winke, Mahnungen, Waraungen selbstin- dig nach der ihnen yerliehenen Kraft anwenden sollen. Auch - er dankt dem Geber alles Guten fiir die ihm zur Loésung seiner Aufgabe verliehene Kraft, fiir allen Segen seines Wirkens und Strebens; auch er nahrt den innigen Wunsch in seinem Herzen,

* Bei jedem Lehrcors finden vier Prifungen statt, ndmlich a) bei der Aufnahme der Seminaristen nach dreimonatlicher Probezeit, b) in der Mitte des Lehrcurses, c) am Schlusse desselben, d) eine Specialprifung zur Er- | langung eines Wahlfahigkeitszeugnisses. Der ersten und zweiten wohnen Abgeordnete der Landesschulcommission bei; der dritten und vierten die ganze Behérde. Die dritte als Schlussprafung ist dffentlich.

Padagog. Revue. 1812. b, Bd. Y. . &9

. 122

dass die Entlassenen tiichtige Mitarbeiter im Felde der Menschen- bildung werden und so seine Miihen und die Opfer, die das Vaterland fir ihre Befahigung zum Lehrberuf gebracht hat, reich- lich lohnen mégen; auch er bittet und hofft, dass der Allmach- tige mit Gnade ob ihnen walte, sie in der grossen Schule des Schicksals und der Erfahrung immer mehr kraftige und veredle und vor Stillstand, Riickschritt, vor Abirrung vom richtigen Pfade und jeglichem Uebel bewahre, das unmittelbar auf die heran- wachsende Jugend, mittelbar aber auf das ganze Vaterland eben so verderblich wirken miisste, ala Dirre, Frost, Starm und Hagel auf die Gewachse der Erde ihren versengenden, entwurzelnden und zerstérenden Einfluss iiben.

In dieser feierlichen Stunde der Beendigung eines Lehr- curses und eurer Entlassung aus demselben wie Vieles hatte ich, liebe Sdhne, each zu sagen, zu wiederholen, noch recht warm und ernst euch ans Herz zu legen!

Aus dem unerschépflichen Stoffe, der fiir solche Anlisse sich darbietet, méchte ich heule tber ,die Bestimmung. der Volksschule und eure Aufgabe an derselben“ einige vaterliche Worte an euch richten.

Der Anstalten Gottes zur Bildung’ d des Menschengeschlechts sind mehrere, von denen jede in Ricksicht auf Ursprung, -Wir- kungskreis und Ziel ihr Eigenthiimliches hat, daher auch durch keine andern-ersetzt werden kann. In die Reihe dieser Anstalten gehéren das Vaterhaus, die Schule, die Kirche, der Staat, der Lebensberuf und das Schicksal. . Letztere unterscheidet sich von allen iibrigen dadurch, dass in. derselben der himmlische Vater unmittelbar als Erzieher und Bildner erscheint, indessen er sich in allen iibrigen dazu berufener Menschen als Mittels- personen bedient, sich selbst aber immer die Oberaufsicht und Oberleitang vorbehalt. Unter den menschlichen Bildungsanstalten hat das Vaterhaus, der Familienkreis, die Aufgabe, das Werk der Menschenbildung zu beginnen und zu begriinden, der Lebéns- beruf aber, dieselbe zu vollenden. -Aus,dem Vaterhause erhilt die Schule Séhne und Téchter als Genossen derselben, um sie, vereint mit dem Vaterhause,. zu thiatigen Gliedern der Kirche und des Staates heranzubilden und dieselben zu befahigen, in - beiden Anstalten das Wahre, Schéne und Gute, mit einem Worte, das Reich Gottes zu férdérn. Auf das Vaterhaus soll die Yolks- schule belebend, reinigend und veredelnd zuriickwirken, ihre

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Schiller durch Geistes-, Gemiiths- und Kunstbildung auf den Le- bensberuf vorbereiten, und so dieselben in den Stand setzen, in der grossen Schule des Schieksals und aller Lebensyerhilt- nisse zu erkennen und zu iiben, was zum Frieden dient. Daraus erkennet ihr, liebe Séhne, dass die Schule einem grossen Gan- zen angehért und in demselben ein einzelnes Glied bildet, das nur in ununterbrochenem Zusammenhang mit dem Wahren und Guten aller. aibrigen Glieder Kraft, Leben: und Bedeutung gewinnt, losgerissen yon jenem Ganzen aber so werthlos wird, als der von einer Kette getrennte Ring, oder die von einem Netze ge- trennte Schleife. Fasset also, liebe Séhne, die Schulanstalt im- mer im Zusammenhang mit den Gesammtanstalten Gottes zur Erziehung des Menschengeschlechts ins Auge. So erst werdet ihr zu jhrer richtigen Schatzung gelangen. -

In diesem Zusammenhange nun wie habet ibr, liebe Séhne, die Bestimmung der Volksschule, wie euch als Arbeitet in derselben anzusehen? 5

Vier Gesichtspunkte scheinen besonders geeignet, die vor- liegende Aufgabe in gehériges Licht zu stellen. Ich nenne sie euch, indem ich mich dahin auSspreche, die Volksschule habe ihre Wiirde und Wirksamkeit darin zu suchen: | ly

eine Werkstatte des Geistes,

eine Pflanzstatte der Sittlichkeit,

eine Anstalt im Dienste des Vaterlandes,

eine Anstalt endlich im Dienste des Allvaters der Menschheit zu sein. | 4

J. Zu einer Werkstatte des Geistes soll die Volks. schule sich immer mehr erheben. Dem Geiste nur wohnt wabres Leben in; denn: Lippenwerk uod Formenwesen : ‘ohne _jenen wer michte ihnen das Wort reden; wer Heil und Kraft von ihnen fiir Individuen und Vélker erwarteni Die Volksschulen als Werkstitten des Geistes wirksam zu machen usd ibnen hiefiir die néthigen Mitlel und Wege zu_ bereiten, daran -habén in alter und neuer Zeit die edelsten unsers Ge- schlechtes gearbeitet, dafjir mit Wonne und Erhebung ihre Zeit und Kraft verwendet. . Unter den Minnern unsers Vaterlandes, die dieser hohen Aufgabe ihr Leben widmeten, nannte ich euch oft schon Pestalozzi, Niederer und Nageli. Auch heute soll mein Scheidewort euch auf das Wollen und Wirken dieser Manner -hinweisen. Wie kénnte ich anders, da mein ganzes

| Q *

124

Denken , Fihlen und Wollen mit-dem ihrigen so innig verwo-

- ben ist!

Dass Pestalozzi die Volksschule auf das. Heiligthum der . Wohnstube griinden und dieselbe fortdauernd in steter und inni- ger Verbindung mit -diesem Heiligthum erhalten wollte, wisst ihr, liebe Séhne. Lasset es aber euch mit seinen eignen Worten nochmals gesagt sein:

»Der fruchtbare Boden so lauten dieselben ,,auf wel- chem christliche Volkserziehung allein gedeihen ‘kann, ist das Vater- und das Mutterherz, durch dessen Kraft alle Nei- gungen, Triebe und Krifle im Kinde zum Gehorsam in der Liebe und zur Thitigkeit im Gehorsam vereinigt werden. Im Heilig- .thum der Wohnstube wird das Gleichgewicht der menschlichen Krafte in ihrer Entwickelung gleichsam yon selbst gehandhabt und gesichert. Darum muss die ganze Erziehungskunst auf die Belebung und Veredlung des Vater- und Mutterherzens, auf dig Reinerhaltung und Veredlung der Wohnstube ge- richtet werden, wenn die Erziehung als Nationalsache dem Volke _ aum Segen werden und ihr Bildungseinfluss auf dasselbe das Kennen, Kénnen und Wollen seiner Glieder mit dem ewigen, géttlichen Wesen unserer Natur in Uebereinstimmung brin- gen soll.“

Was der Volksschule, welche die im Vaterhause begonnene Bildung fortsetzen, erweitern, steigern, dabei aber mit dem Vater- hause in steter Verbindung bleiben soll, vor Allem noth thut, ist ein tiichtiger Elementarunterricht. Dass Entwicklung der geistigen Anlagen, die Gott in die Natur des Kindes gelegt hat, der nichste und erste Zweck eines solchen Unterrichtes ist, moéget ihr, liebe Sdbne, ebenfalls in seinen eigenen Worten vernehmen ;

»Die Entfaltung der Anlagen“ so dussert er sich »ist in allem Unterricht das Erste, wonach der Lehrer in Volks- schulen streben soll. Alle Lehrfacher, in denen er Unterricht ertheilt, soll er zunichst und yorziiglich als Mittel der Geistes- entwicklung, folglich nur untergeordnet als Mittel der Erwerbung und Erweiterung der Kenntnisse fiir seine Schiller benittzen. Wenn Kenntnisse in irgend einem Fache fruchtbar sein sollen, so muss vorher die Geisteskraft des Schiilers auf den Punkt gebracht werden, der erforderlich ist, diese Kenntnisse in ihrem Wesen und in ihrem Umfange zu erfassen und zu verdauen.

125 - | Ohne: Festhaltung dieses Grundsatzes ist weder. Griindlichkeit

des Wissens, noch Harmonie in den Kriften des Schiilers zu .

erzielen; ohne jene und diese aber wird unser Geschlecht nicht menschlich stark, sondern bei der héchsten Anmassung schwach und erbaérmlich, und anmasslich bei der héchsten Schwache und Erbarmlichkeit. Auf der Elementarstufe soll alles Lernen der ' Jugend Frucht der Selbstthatigkeit, freies Erzeugen aus sich ' selbst, lebendige Schépfung sein. Bei einem Elementarunterricht, der. Entwicklung der Geisteskrafte sich zum nachsten Ziel setzt, kommen allie Kriafte. der Schiller zugleich in Anregung, so dass die Anstrengung, mit der sie sich der Arbeit widmen, sie nicht ermiidend angrcift, weil sie freiwillig, Frucht inniger Theilnahme und eigenen Strebens ist. Wo immer ein Lehrer seinen Unter- richt anregend, belebend, entwickelnd betreibt, da werden die Schiller sich wohl befinden, mit Lust lernen und Eifer in allen Uebungen zeigen, nicht etwa, weil das Lernen und Ueben spie- lend betrieben wird und keine Anstrengung verlangt, sondern weil Alles, was gelehrt und geitibt wird, den Kraften des Schi- lers angemessen ist und nur in dem Grad héhere Forderungen an dieselben stellt, als ihre Aufmerksamkeit, ihre Beobachtungs- gabe, ihr Urtheil und ihre Kraft an Freiheit und Starke gewonnen hat. Lernlust und Uebungseifer werden in einer solchen Schule wachsen, weil Alles, was in ihr gelehrt und getibt wird, aus der #ntwicklung der kindlichen Anlagen selbst, das Spatere, Schwerere aus dem Friihern, Leichtern entspringt und mit Allem, was der Schiiler. schon gelernt und gewonnen -hat, in stetem Zusammen- Fhange bleibt. Bei einem entwickelnden Unterricht wird der Schiler in Dem, was er lernt, leben und davon erfillt w2rden. Nur durch das Leben in der Lehre lasst sich die Lust des Schiilers am Lernen-obne alle Anwendung 4Ausserer Reizmittel erkléren und erzeugen. Ein solcher Unterricht’: kann und wird ‘aie zerstreuend, sondern sammelnd, nie taéndelnd, sondern er- ~ greifend, nie ermiidend, belistigend, sondern immer belebend, beseelend wirken.“

»Obschon indessen ein wahrhaft psychologischer. Elementar: 7

unterricht die Entwicklung der Anlagen und Krifte der Menschen- natur zum nichsten Ziel seines Strebens setzt, so wird dennoch

der Scbiiler im Gange der Entwicklung und durch denselben -

ein befriedigendes Mass von Kenntnissen erwerben. Es verhilt sich hiermit,, wie mit dem Reiche Gottes. Wer: zuerst

126 .

nach Geistesentwicklung trachtet, dem wird das Kennen und

Kénnen des -Nothigen im Leben als eine. Zugabe zu Theil werden.“

An diese Aeusserungen von Vater Pestalozzi fiber das Hei-

ligthum der Wobnstube im Vaterhause und die Merkmale eines

fruchtbaren Elementarunterrichts als Mittel, von vorn herein die .

Volksschulen zu Werkstatten des Geistes zu machen, méchte ich euch, liebe Séhne, einige Kerngedanken von Niederer beiftigen, . dass sie euch bei fernerem Nachdenken fiber diesen Gegenstand als leitender Stern dienen mégen.

Er zeichnete das Grundgesetz ¢ aller Entwicklung und Bildung in folgenden Worten:

»Alles im Menschen, wie in der ganzen Natur, wird und wachst, nahrt utd bildet sich nur aus dem Stoffe und nach der Form seiner eigenthiimlichen und urspriinglichen Beschaffenheit; das Kérperliche némlich nur aus Kérperlichem, das Geistige nor aus Geistigem, das Gemiithliche nur aus Gemiithlichem, das Sittliche nur aus Sittlichem, das Gétiliche nur aus Géttlichem. Jeder Samen, so gewiss er aufgeht, bringt nur Seinesgleichen, ' seine Art hervor, vervielfaltigt nur sich selbst.“

Sein Nachdenken iiber das Entwicklungs- und Bil-

dungsfahige in der Menschennatur fibrte ihn zu folgenden

Ergebnissen:

»lm Menschen als kérperlichem Wesen sind der Ent- wicklung und Bildung fahig seine Sinne und Glieder, durch die er die Natur aufnimmt und auf sie zuriickwirkt; im Menschen als geistigem Wesen seine Vernunft und sein Verstand oder die Kraft, das Wahre zu erkennen, sich anzueignen und ein geistiges Dasein zu schaffen; im Menschen als gemiithlichem Wesen sein Kunstsinn und seine Kunstkraft,. oder der Sinn und die Kraft, das Schéne zu fuhlen, sich anzucignen und darzustellen; im Menschen als sittlichem Wesen sein Willen und sein Gewissen, oder der Sinn und die Kraft, das Rechte zu wablen und das Gute zu iiben; im Menschen als religidsem

Wesen endlich sein Glauben, seine Liebe und seine Hoff- .

nung, oder der Sinn und die Kraft, das Gottliche in. sich auf- zunehmen, sich ibm hinzugeben und sich in sein Reich au erheben.“

Dem Bildungsfahigen in der Menschennatur entsprechen

iiberall Gegenstinde und Anstalten, denen die Kraft inwohnt,

Pa

127

Bildung zu bewirken. Ihrer aller bedient sich der Men- schenvater als Lehrer und Erzieher des Menschengeschlechts.

‘Vernehmet auch hieriiber in Niederer's eigenen Worten das Ergebniss seiner Forschungen. .

Von des Menschen Geburt an s0 ‘dussert er sich virken nach Gottes Anordnung bildend auf ihn: ein:

die Triebe und Bediirfnisse seiner eigenen: irdt- schen, menschlichen und gottlichen Natur;

die Aussere Natur oder die Sinnenwelt, so weit: sie mit ihm in Berihrung kémmt und ihn zur Thatigkeit ndthigt;

die Menschheit in. den Personen und Veréinen des Hauses, der Schule, der biirgerlichen und kirchlichen -Gemeine; so weit er mit ihnen in Berihrung und: Wechselwirkung steht;

der Unterricht mit Allem, was er als Kunst und Wissen- schaft an ibn bringt; 7 :

die Religion in der besondem Gestalt, in. welcher seine Kirche ihm dieselbe durch ihre-Lebrei und Gebrauche mittheilt ;

das Leben endlich als gittliche Fiihrung, oder das Walten der Vorsehung iiber jedem Mensehen, insofern es sich ibm als sein Schicksal offenbart. | |

‘Alle diese bildungbewirkenden Gegenstande und Anstalten kommen aber, liebe Sdhne, nicht erst auf héhern Bildungsstufen mit den bildungsfahigen Anlagen der Menschennatur in Berihrung: sondern wirken yom ersten Lebenstage an, jedes zu seiner Zeit und nach seiner Art, auf den Menschen ein. Schon in der Wohnstube des Vaterhauses wird der Saugling allseitig von ibnen: berihrt. Sinnig bezeichnet die Sprache die Geburt des Men- schen als das ,,Erblicken des Lichtes der Welt.“ Von da an Wird Licht ihm Bediirfniss und mit dem Lichte zugleich Warme, Nahrung, Pflege und Schutz. Alles dieses scheint anfanglich tur sinnliche Beziehung und Bedeulung zu haben; allein auch auf den héhern und héchsten Lebensstufen. wohnt den genannten. Gegenstinden die Kraft ein, Bediirfnisse unserer Natur mensch- lich und géttlich zu befriedigen und menschliche und gottliche Bildung zu bewirken. Wahrend das von Stufe zu Stufe sich ent- wickelnde Kind des Lichtes und der Warme der allbelebenden Sonne, der Nahrung des Leibes, der Pflege-und des Schutzes seiner Eltern bedarf, erwacht in ihm zugleich das Bedirfniss nach dem Genisse des Lichtes der Wahrheit, der Warme der Liebe, der Nahrung seines Geistes, der Pflege seines Gemithes

we

128

und des menschlichen und géttlichen Schutzes seiner Unschuld ‘und seines Rechtes. Ueberall ist das, was auf niedern Da- seinsstufen Anregung, Genuss und Bildung wirkt, auch Vorbote und Bild dessen, was auf héhern Stufen héhere Krafte bethatigt und héhere Bediirfnisse befriedigt.

So dussert vom ersten Augenblick des irdischen Lebens an bis. zum letzten desselben die géttliche Sehépfung ihre Anregungs- und Bildungskraft auf die ganze Menschennatur ; aber - erst dem entwickelten Geiste verklaren sich Berg und Thal, Himmel und Erde, Luft und Meer mit dem sie bewohnenden Ge- wimmel lebender Wesen zum Schauplatz des goéttlichen Waltens.

So wird yon der Geburt an bis zum Tode der Mensch als Einzelwesen von der Menschheit getragen, geleitet und fiir dieselbe in Auspruch genommen; als Kind von der Familie und fir dieselbe, als Schiller von der Schule und fir dieselbe, als Biirger yon der Gemeine, dem Staate, dem Vaterlande und fir dieselben, als Glied des Menschengeschlechts yon demselben und fiir dasselbe. So erweitert sich in Genuss und Leistung, im Nehmen und Geben, in den Bildungsbediirfnissen und Bildungs- kraften das Beschraénkte immer mehr zum Allgemeinen; so stei- gern sich tiberall die Anfange zu den Stufen hinauf, die der Vollendung sich niéhern. |

Ebenso erhalt der Mensch schon auf dem Mutterschoosse “Lehre und Leitung, aber beides in Pflege und Liebe gehiillt, als Vorbereitung auf die Schule, wo sein Wissen und Kénnen erweitert und gesteigert werden soll. Nach der Entlassung aus der Schule tritt dann die Ergreifung eines Berufes ein, wo wie- der des Lernens und Uebens viel gefordert und geleistet wird. : So eilt das Menschenkind von Schule zu Schule, bis endlich das ganze Leben zur Schule wird, und zwar zur hochwichtigen, _ alle Bildungszwecke und Bildungsmittel umfassenden V.orbe- reitungsschule zur Ewigkeit. '

In der Schule des Schicksals, die der Menschenvater selber halt, bilden Natur-, Lebens- und Weltereignisse Lehrmittel, die auch den Stumpfsinnigsten zum Horchen und Aufmerken zu er- schiittern vermégen. Je sinniger und williger der Mensch sich halt, einen desto reichern Schatz von Weisheit, Erkenntniss und Kraft kann er sich in dieser Schule erwerben. Dieser gottlichen Schule sollen alle menschlichen sich nachbilden, ihr aholich,

129:.

wenn auch in unendlich geringerem Grade und mit unendlich beschranktern Mitteln den Geist wecken, Weisheit, Erkenotniss und Kraft in ihren Schiilern und Zéglingen wirken.

- I. Indem aber die Volksschulen zu Werkstatlen des Gei- stes sich erheben, sollen sie auch, ihrer unwandelbaren Bestim- mung gemiss, zu Pflanzstatten der Sittlichkeit immer reiner und umfassender sich gestalten. '

In der Menschennatur sind Geist und Gemiith so innig ver- wandt, dass die Ausbildung -oder Verwahrlosung des Einen noth- wendig einen bedeutenden Einfluss auf die Ausbildung oder Verwahrlosung des Andern gewinnen muss. Die vorherrschenden. Krafte des Geistes sind der Verstand und die Vernunft; die anregenden Kriafte des Gemiithes bilden die mannichfaltigen. - Gefiihle, Neigungen, Triebe und Begierden; diejeni- gen Krafte aber, welche iiber alle Gefiihle, Neigungen, Triebe und Begierden unter allen Umstanden die Herrschaft gewinnen und behaupten sollen, erkennen wir in dem Willen und dem Gewissen.

Wahrhaft menschlich im Kinde sind die Gefiihle der Freude, det Liebe, des Dankes‘*und des Vertrauens. Wahrhaft menschlich in ihm ist die Freude an der farbeurcichen Blumen- welt und allem Schénen in Golles-Natur; die Freude am-Um- . gange mit trauten Gespielen und lieben Personen; die Freude an der Schule und dem Unterrichte, den er in derselben ge- niesst, die Freude an Allem, was Liebe ihm bescheert, was aus. der Hand Gottes und der Menschen ihm zu Theil wird. Wahr- haft menschlich in ihm ist die Neigung zur Theilnahme an den - Freuden und Leiden seiner Eltern, seiner Mitschiiler und aller Personen, mit denen es in Beriihrung kommt; die Neigung, durch Fleiss und Gehorsam die Zufriedenheit der Eltern und Lehrer zu erwerben; die Neigung, dienstfertig und gefallig zu sein und mit seinen Gespielen im Frieden zu leben.

Wahrhaft menschlich in ihm ist der Trieb zu_niilzlicher Thitigkeit, zur Uebung und Starkung seiner Krafte; der Trieb zum Lernen und Ueben alles dessen, was ihm Hoffnung gibt, ein niitzliches Glied der Gesellschaft zu werden. . 7

Wahrhaft menscblich in ihm ist die Begierde nach Fort- schritten im Wissen und Kénnen; die Begierde, die Achlutig und den Beifall derer zu erwerben, denen es die Kraft zutraut, seine Leistungen nach gerechtem Massstabe wiirdigen 2u konnen.

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"+ .- Alle diese walirhaft menschlichen Gefiihle, Néigungen, Triebe und Begierden kénnen und sollen in der Schule reichliche Nah- rung, sichere Leitung und treue Bewahrung finden. Alle kénnen ausarten und arten sicher aus, wenn hicht die zarteste Sorgfalt auf ihre Reinerhaltung und Veredlung verwendet wird. Das kindliche Gemiith gleicht einem Garten, wo neben den edleren Pflanzen leicht Unkraut sprosst und bei der Unkunde des-Gartners oder dem Mangel an steter Wachsamkeit desselben so tippig wuchert, dass es die edlern Gewachse zu ersticken droht. Mitten in dem Leben der Gefihle, Neigungen, Triebe und Begierden erwachen jedoch zum Heil des Kindes die beiden zur Herrschaft bestimmten, in ihrem Ursprunge schon sittlichen Krafte der Men- schennatur, nimlich der Willen und das Gewissen. Sie -bilden gleichsam die vollziehende und richterliche Gewalt im Organismus der Menschennatur. Was ‘der Verstand menschlich: fir gut und recht, persénlich aber fir Pflicht erkennt, gelangt: amr den Willen, es ins Werk zu setzen, und an das Gewissen,: den sittlichen Werth oder Unwerth der Handlungen und ihrer Beweggriinde zu beurtheilen. Bei falscher Richtung der Nei- gungen, -Triebe und ‘Begierden hat der Willen harte Kampfe zu: bestehen, indem der in Natur, Vernunft und besondern Anstalten’ geoffenbarte Willen Gotles dem menschlichen Willen als ewiges Gesetz, als einzige Richtschnur gélten soll, tiber dessen Befol- gung oder Abweichung vom vorgeschriebenen Pfade das Gewissen als unbestechlicher Richter ein strenges Urtheil fallt. Auch diese beidep héchsten sittlichen Gewalten finden wahrend des: Schullebens, ‘den Eltern, Lehrern und Mitschiilern gegeniiber, hiufig Gelegenheit, sich auszusprecher und ihre Kraft oder ihre Schwiche, ihre Reinheit oder ‘ihre Befleckung zu offenbaren. Auf alle diese Regungen und Richtungen des kindlichén’ Gema- thes habet ihr, liebe Séhne, mit Sorgfalt zu achten; sie alle habet ihr nit gelauterter Einsicht und sittlichem Takte 2u leiten, ihr Edles zu beleben, ihre Entartung zu verhindern, allen Sachten der Neigungen einen kraftigen Damm entgegen zu. setzen, alle Wildheit der. Triebe und Begierden: mit festem Willen und ge wissenhafter Treue im. Zaume zu halten. |

Schon in den Mitteln der Geistesentwicklung liegt, -wenn sie rechter Art sind und mit Weisheit: benutzt werden, eine un- verkennbare ‘Kraft, die Volksschulen zu -Pflanzstatten der Sittlichkeit erheben zu helfen. Wie das geschehen. soll tind

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kano, ‘méget ihr wieder aus den Ansichten und Aeusserungen yon Vater Pestalozzi selbst entnehmen.

»Der wahre Menschenbildner,“ so lauten sejne Worte, » ist von der innigsten Ueberzeugung durchdrungen, dass alle Be- mihungen zur Férderung und Hebung der Volkscultur in ein Luftgebild ausarten, wenn das Heiligste und Hoéchste, welches der Menschennatur inwohnt, nicht vor Allem uns belebt, gesi- chert und aller dussern Verstandes-, Kunst-, und Berufsbildung zum unabanderlichen Fundament gelegt wird.“

»Die wahre -sittliche _Elementarbildung fihrt vermége ihres Wesens zu reinem Fihlen, zu edlem Wollen, zu rich- ligem Handeln und zur Bewahrung eines guten Ge- wissens,“

»Man kann aber die Kinder das geweckte Leben héherer’ Gefiihle, gesteigerter Willenskraft und veredelter Gesinnung dem gemeinen Aug und Ohr des Neugierigen nicht vorweisen und aussprechen machen, wie man sie die geweckten Geistes- und Kunstkrafte durch das Darlegen ihrer Erzeugnisse vorweisen und aussprechen machen kann. Man soll es auch nicht. Wo man es will, gibt man gerade dadurch der reinen sittlichen und religidsen Gemiithsstimmung in ihrem Wesen den Tod, indem man, anstatt die Belebung des menschlichen Gemiithes in der Wahrheit, im Glauben und in der Liebe thatsiachlich und griind- lich zu-beférdern, das Gegentheil hiervon bewirkt; nach einer Richtung némlich Selbstdiinkel und Maulbraucherei; nach einer andern Kopfhangerei, Heuchelei und ,alle Arten eines blossen Formendienstes, der immer unser Geschlecht den verderblichsten Verirrungen preis gibt.“

»Obgleich man indessen das innere sittliche Leben der Schiller nicht wie die Resultate der Geistesbildung dem Neu- gierigen vorweisen kann, so liegen doch im Wesen der Ele- mentarbildung einfache und sichere Wege zum Herzen der Kinder, wie in derselben einfathe und sichere Wege zu ihrem Kopfe liegen. Die Erfahrung bestatigt diess auf vielfache Weise. Der Vorwurf, als ob die Methode der Menschenbildung auf ein- seilige Bethdtigung des Verstandes berechnet sei, weil Sprache, Zahl und Form als Schépfungen des menschlichen Geistes wieder als die Hauptmittel seiner Entwicklung und Bildung bezeichnet und beniitzt werden, beruht auf Mangel an Kenntniss ihres Wesens. Jedes elementarische: Mittel der Geistesentwicklung muss seiner

132

Natur nach den menschlichen Geist nach seinen urspriinglichen Thatigkeiten beim Denken und Erkennen darstellen. Wirkt aber diese Geistesentwicklung ihrem Wesen nach darauf hin, dié Mutter und den Lehrer dahin zu bringen, das Kind als ein freies Wesen und als Ebenbild Gottes anzusehen und zu behandeln, so miissen ihre Mittel auch in sittlicher und reli- gidser Hinsicht einen woblthatigen Einfluss auf das Gemiith und das Betragen der aufbliihenden Jugend gewinnen. Jede rein ent- wickelte Geisteskraft, so lange sie sich nicht selbstsiichtig ver- einzelt, ist schon an sich eine wahrhaft sittliche Kraft, indem keine ohne bedeutenden Einfluss auf das Gemiith des Menschen bleiben kann.“ '

»Die Mittel der Elementarbildung als Begriindung der Men- schenbildung ruhen ganz auf diesen Gesichtspunkten, indem sis einerseits die freie Geisteskraft der Zéglinge und Schiller dar-

stellen’, anderseits die Mutter, den Vater, den Erzieher und |

Lehrer mit dem zu erziehenden Kinde in ein sittliches und re- ligidses Verhiltniss setzen.“

lif. Wo die Volksschulen in Wahrheit zu Werkstatten. des Geistes und zu Pflanzstatten der Sittlichkeit sich erheben, da werden sie auch als Anstalten im Dienste des Vater- landes sich bewahren und dem Volke, dem sie ange-

héren, Segen bereiten. Die Familie, die Gemeinde unl

das Volk sind Menschenvereine, von denen jeder ein dem mensch- lichen Leibe ahnliches Ganzes bildet, das, wie jener, aus Glie-

dern besteht. Die Glieder, des gesammten Volkes sind die ein-—

zelnen Gemeinden, die Glieder der Gemeinden hinwieder die in ihrem Schoosse lebenden Familien, die Glieder yon diesen aber

die den haustichen Verein bildenden, von den heiligsten Banden ~

umschlossenen Personen, von denen jede in Folge einer gatt- lichen Anordoung die ihr nach Natur und Bediirfniss angewiesene Stelle einnimmt. In allen diesen Vereinen muss,: wenn Segen und Wohlfahrt dem Ganzen zu Theil werden soll, jedes einzelne

- Glied seine Kraft diesem Ganzen‘widmen und seine Pflichten

gegen dasselbe mit gewissenhafter Treue erfillen; zum .Lohn hinwieder fiir diesen Aufwand yon Kraft, diese Treue in der Erfillung ,seiner-Pflichten sollen alle einzelnen Glieder von dem sie umschlingenden Ganzen sich getragen, bei redlichem Streben unlerstiitzt, gegen. jegliche bése Gewalt aber geschiitzt fablen. So bedingt sich, wie das Wohl des Leibes und seiner Glieder,

, . 133

auch in gesellschaftlichen Vereinen das Wohl der Gesammtheit und des Einzelnen gegenseitig. . Nur in der Gesundheit simmt- . licher Glieder wird dem ganzen Leibe Gesundheit zu Theil; Verwundung oder Verwahrlosung des geringsten derselben fihrt - Stérung des Wohlseins im Ganzen herbei, so wie Krankheiten, die den ganzen Leib befallen, alle Glieder in ihren Verrichtungen hemmen. 7 Damit es aber allen Gliedern eines Vereins méglich werde, das Wohl des Ganzen zu begriinden, zu fordern und zu sichern, werden Einrichtungen und Anstalten erfordert, die alle Bestre- bungen seiner Glieder auf ein gemeinschaftliches Ziel hinleiten. - und in die Anwendung ihrer Krafte Ordnung, Zweck und Ueber- einstimmung zu bringen vermégen. Um in Staaten und Ge- meinden eine Ordnung zu begriinden, die Ruhe, Frieden und Wohlfahrt verheisst, miissen weise, die Bediirfnisse der Gegen- wart befriedigende, Vergangenheit und Zukunft beriicksichtigende Gesetze die Befugnisse und Pflichten der Gesammtheit und der Individuen mit Klarheit’ bestimmen. In Folge dieser Gesetze Werden Verwaltungs- und Rechtsbehérden, Versorgungs- und Bildungsanstalten eine unbedingte Nothwendigkeit. Alle Personen, die irgend cin Amt in Behiérden, ein Geschaft in Anstalten zu besorgen haben, stehen im Dienste des Vaterlandes. Dieses Bewusstsein allein schon ist fiir Jeden, dem das Wohl seines Volkes am Herzen liegt, ein machtiger Sporn zu treuer Verwaltung des.ihm iibertragenen Amtes, zu treuer Besorgung des ihm anvertrauten Geschaftes. Auch euch, liebe Séhne, sei dieser Gedanken ein Sporn! Welche Behérde euch eine Schule anvertrauen mag, von dem Augenblicke an, -in welchem ihr dieselbe iibérnehmet, habet ihr euch als Diener des Vater- landes anzusehen. Das Vaterland hat ausser den allgemeinen Anspriichen an jeden Biirger noch besondere ‘an euch, indem es euch Gelegenheit'zu eurer Bildung verschaffte$ euch in den Stand setzte, den Lehrberuf als Lebensaufgabe zu ergreifen und euch in yorziiglichem Masse Mittel darbietct, seinem Dienste - euer Leben zu weihen und auf das Wohl des ganzen Volkes ‘einen bedeutenden Einfluss zu gewinnen. Es wird von nun an fiber euch und euere Schulen wachen und das Nothige und Dienliche zum Gedeihen derselben veranstalten. Auch das: zur Zeit noch Mangelnde in der Organisation des Schulwesens und den Mitteln seines vollen Gedeihens wird es, so dirfen wir

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xuversichtlich. hoffen, immér ‘mehr vervollsténdigen. . Zu ‘diesem _ Mangelnden zéahle ich, ausser einigen, in hohem Grade wiinsch- baren Lehrmitteln, vorziiglich wirkliche Fortbildungsschulen an die Stelle der schon lange als unbefriedigend erkannten Re - petirschulen, welche iberdiess die den Alltagsschulen ohne- hin karg’ zugemessene Zeit bedeutend verkimmern. Schon lange trage ich in mir den Gedanken, wie wohlthatig es fir das Er- ziehungswesen unsers Volkes sein miisste, wenn in Gemeinden, die mehrere Schulen. besitzen, ein besonderer Lehrer an- gestellt wiirde, der die Repetirschiiler der ganzen Gemeinde nach ihrer Entlassung aus der Alltagsschule zu unterrichten hatte. Um wirkliche Fortschritte in der neu zu errichtenden Fortbil- dungsschule zu erzielen, miissten alle der Alltagsschule entlas- senen Schiller’ nach Fahigkeiten und.Leistungen, je nach der - Schiilerzahl fiberhaupt und dem zu entwerfenden Lehrplane im Besondern in Classen abgetheilt und die Schiler bei ihrer Ent- lassung aus der Alltagsschule durch die Schulbehérde der Ge- meinde nach den Ergebnissen der Priifungen und den Zeugnissen der Lehrer den betreffenden Classen zugewiesen werden. Da- durch wiirde nicht nur dem bisherigen Uebelstande abgeholfen, dass Fihige und Unfahige, Fleissige und Trage, Fortgeschrittene und Zuriickgebliebene in buntem Gemisch die Schule besuchten und dadurch die griindliche Behandlung irgend eines Lehrfaches unméglich machten, sondern es wiirde auch durch eine weise Abstufung dieser Classen. schon in der Alltagsschule der Eifer belebt werden, in einer héhern Classe der Fortbildungsschule den Zutritt zu erhalten. Diese neue Anstalt wiirde freilich Opfer kosten, aber gewiss auch dieselben reichlich lohnen. Ueberall, wo das Schulwesen einen Achtung gebietenden Aufschwung ge- nommen hat, wird auch fiir die Fortbildung der aus der Ele- mentarschule entlassenen Jugend gesorgt. Blicken wir zunichst auf die fortschfeitenden Cantone unsers gemeinsamen Vaterlandes hin, so tritt uns vielfach die Kunde entgegen, dass der Staat fir diese Fortbildung bedeutende Opfer bringt und dadurch die Gemeinden. anspornt, auch ihrerseits fiir diesen hochwichtigen

week die néthigen Opfer zu bringen. : _ Dureh solche Fortbildungsschulen waren mehrere Zwecke eugleich zu erreichén. Die wichtigsten derselben méchten in

Folgendem bestehen:. 7 : | . - a) Vorerst kiénnte bei Sehbilern, ‘welche nur schwache

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Geistesanlagen besitzen, bei einem auch den Aermsten er- sschwinglichen Aufwand -von Zeit das in der Alltagsschule Ge- ‘wonnene erhalten werden, was bei der gegenwartigen Einrichtung cer Repetirschule unmoglich ist.

b) Fahige und fleissige Schiiler, die den Elementarunterricht ° gnit Eifer und Erfolg benutzt haben, wiirden nicht nur das Ge- ‘wonnene durch Wiederholung erhalten, sondern auch in dem- welben sich. vervollkommnen.

c) Fir Schiller, die von Gott mit gliicklichen Anlagen be- ggabt sind und deren Eltern die Entwicklung und Ausbildung qderselben am Herzen liegt, wiirde sich die Aussicht eréffnen, Unterricht in Bildungsfachern, die in der Alltagsschule gar nicht oder nur in geringem Masse vorkommen, zu geniessen. Dahin gehéren Natur- und Vaterlandskunde, ferner das far die Entwickelung des Verstandes und des Kunstsinnes so wesentliche, in so vielen Berufsarten beinahe unentbehrliche Zeichnen und Messen. Unverkennbar schlummern in unserm Volke schéne Talente fiir Baukunst, Mechanik und mancherlei Gewerbe, die nur durch Geistesbildung iiberhaupt, durch Zeichnen und Messen im Besondern zum rechten Leben erwachen kénnen. Wer michte nicht Jedem, der solche Gaben besitzt, Gelegenheit und Antrieb wiinschen, die von Gott ihin verlichenen Krafle zu ent- falten und denselben in ihrer Entfaltung eine fiir den Schiler selbst und das Vaterland ehrenhafle und wohlthitige Michtung zu geben?

d) Der wichtigste Beweggrund aber zur Stiftung von Fort- bildungsschulen ist sittlicher Natur, und desshalb fir Eltern, Obrigkeiten, ‘Seelsorger und Vaterlandsfreunde, wess Namens und Standes sie sein mégen, der ernstesten Erwigung werth. Wie bejammernswiirdig ist es, die zu Jiinglingen und Jungfrauen her- anwachsenden Séhne und Téchter gerade in der fiir ihre Sitt- lichkeit gefahrlichsten Epoche (mit Ausnahme dessen, was recht- schaffene Eltern auch hiefiir forthin zu leisten vermégen), ohne geistige und gemiithliche Nahrung zu wissen; dagegen dieselben den Reizungen zu einem rohen und sittenlosen Leben so vielfach ausgesetzt zu sehen? Nicht dariiber ist es sich zu verwundern, dass bei dem nach mehrjdbriger Verwahrlosung eintretenden Religionsunterricht iiber Stumpfheit des Geistes und Gemiithes und iiber Rohheit des Betragens’ so viele und so ernste Klagen érhoben werden miissen, sondern vielmehr.dariiber, dass diese

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Stumpfhei€ und Robheit nicht noch einen héhern Grad erreicht. Gebe Gott, dass die Dringlichkeit der geistigen und gemiithlichen Fortbildung zur Befahigung fiir den Confirmationsunterricht und zur Vorbereitung auf den Lebensberuf immer mehr Anerkennung finde! Kénnte ich die Errichlung von Fortbildungsschulen we- nigstens in den gréssern und wohlhabendern Gemeinden unsers Landes noch erleben, so ware zum Heil des Volkes einer meiner innigsten Wiinsche erfiillt. Friiher oder spiter, dess bin ich-in meinem Innersten iiberzeugt, wird und muss es geschehen. Die Zeit ist ein machtiger Sprecher und das immer sich steigernde * Bediirfniss.der beredteste Sachwaller in solchen Angelegenheiten. Ihr aber, liebe Séhne, traget einstweilen das euere Aufgabe Er- schwerende und so wenig Befriedigung Gewiahrende mit Geduld, urd strenget aus allen Kriften euch an, bei den Repetirschiilern wenigstens das Gewonnene zu erhalten und zu sichern; dann - aber ermuntert sie auch zum eigenen Fleiss und Streben und trachtet iiberhaupt, sie durch Lehre, Mahnung und Warnung auf . den Pfad des Lebens zu leiten.

ihr kennet und achtet unser YVaterland als ein Land der Freiheit; Gott Lob, dass es sich dieses Himmelsgutes erfreut! ‘Aber. gerade die Freiheit stellt Forderungen an die Behdérden, die " Anstalten und die Sdhne des Vaterlandes, die da, wo - das Volk aus Herren und Knechten besteht, nimmer gestellt werden kinnen. Dieses Himmelsgut macht es jedem Genossen des Ya- terlandes zur heiligsten Pflicht, nach Erkeuntuiss, Kraft und edler Gesinnung, nach Wahrheit und Gerechtigkeit, nach Weisheit und Frémmigkeit zu ringen. Nur ein weises, gerechtes, Gott und Menschen liebendes Volk kann echte Freiheit gewinnen, und dieselbe, habe es sie durch harte Kampfe errungen oder von biedern Vatern als ein késtliches Erbtheil erhalten, als ein Hei- ligthum bewahren und auf seine Nachkommen fortpflanzen. Un- wissenheit, Irrthum, Aberglauben, Thorheit, Laster, Siinde und was immer dem Reiche der Finsterniss angthért, sind unver- sohniiche Feinde und Zerstérer der Freiheit. Wo jene herrschen, muss diese weichen. ; ;

Enthalt nun, liebe Séhne, das Gesagle unbestreitbare Wahr- heit, so werdet ihr bald die Ueberzeuging gewinnen, dass Volks- schulen im Dienste des Vaterlandes Pflanzstatten der Freiheit sein und als solche wirken sollen. Sie kénnen nur dann als solche sich bewaihren, wenn geistiges Licht und siltliche Kraft

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Lehrer und Schiler, Unterricht und Leben durchdringen. Wo solches geschieht, da wird auch das dussere.Erforderniss der Freiheit, Uebung und Steigerung der Kérperkraft seine Rech- nung finden. Im Dienste des Vaterlandes und der Freiheit. lobnt sich jede Mihe, jedes Opfer mit dem siissesten Bewusstsein.

So gehet denn hin, liebe Zoglinge, in die Kreise froher Kinder, Diener des Vaterlandes und der Freiheit zu werden und die euch anvertrauten Schiller zu Dienern des Vaterlandes und der Freiheit heranbilden zu helfen. Der Gott unserer Vater slirke euch dazu und krone euer redliches Streben mit reichem Segen.

IV. Was in Haus und Schule geschieht, um den Geist su wecken, die Sittlichkeit zu pflegen und dem Vaterlande in seinen wesentlichsten Angelegenheiten zu dienen, geschieht sicherlich ach im Dienste des Allvaters der Menschbheit.

In der Erzichyng unsers Geschlechtes durchdringt sich das Gottliche ‘und das Menschliche auf wunderbare Weise. Glaube, Liebe, Hoffaung, Gehorsam und Ergebung sind.die ersten Gefahr- ten des Menschen, wenn er an der Mutterhand die Reise durchs Leben beginnt; eben dieselben’ erweisen sich auf der garzen Lebensreise als die leitenden und schiitzenden Engel durch das Dunkel des Erdenthales; eben dieselben geleiten ihn-am Ziele der irdischen Wanderung aus dem Diesseits in das Jengeits hin- ber. Zuerst gelten sie der leiblichen Mutter, dann tragen sie sich auf den leiblichen Vater und endlich, durch Vermittlung des Sohnes Gottes, auf den Menschenvater tiber. So waltet ur- sriinglich' und immer das Gottliche im Menschlichen, so erhebt und verklért sich das Menschliche zum Gittlichen.

Dass auch ihr, liebe Séhne, diese Durchdringung des Gétt. lichien und Menschlichen immer klarer erkennen miget, dazu ° fihre euch fortgesetztes, redliches Streben, euch zu bilden und i iu vervyollikommnen; dazu fiihre euch das Walten Gottes in der

_ banzen Natur und in euern besondern Lebensschicksalen; dazu leite euch der Geist Gottes selbst, der allein die Kraft verleiht, im Hause, in der Schule, im Volke, in der Einsamkeit und in Gesellschaft gittlich zu leben und fir das Géttliche zu wirken!

Mein Schlusswort, liebe Séhne, endige mit Andeutungen und Winken, wie Eltern und Lehrer iiberhaupt, ihr aber im Besondern die Erziehungsaufgabe zu erfassen habet, um dieselbe in Gott, mit Gott und fiir Gott beginnen und lésen zu konnen,

Pidag. Revue. 1842 b, Bd. V. 10

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Eltern und Lebrer beginnen, erfassen und lésen ihre hoch- wichtige Aufgabe in Gott, mit Gott und fir Gott,

wenn sie sich den Kindern und Schiélern gegeniiber als Stellvertreter des himmlischen Vaters fihlen;

wenn sie auf das Gottliche, das in der Kindesnatur liegt, sorgfaltig achten;

wenn sie auf die Winke merken, die die Kindesnatur selbst ibnen fir die Entwicklung und Bildung der ibr inwohnenden Fahigkeiten ertheilt, die zu Kraften sich gestalten sollen;

* wenn eine sich selbst im Himmel der kindlichen Unschuld vergessende Liebe ihnen jegliche Sorge far die Entfaltang in Lust und jegliche Mithe in Wonne verwandelt;.

wenn sie das, was der Spanne des Erdenlebens angehért, demjenigen mit Sicherheit unterordnen, was ewige Dauer zu gewinnen vermag;

wenn sie die Harmonie des Geistes und Gemiithes durch kein einseitiges Treiben einzelner Krafte nach einzelnen Rich- tungen storen;

wenn die hébern Bedarfnisse des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung den Kriften und Bestrebungen, die im Irdischen ihren Spielraum finden, eine himmlische Weibe ertheilen; mit einem Worte, wenn die Kindschaft Gottes das heilige Band wird, das Eltern und Kinder, Lehrer und Schiiler als Genossen des himmlischen Vaterlandes auf der ganzen Lebensreise umschlingt.

Nun, liebe Séhne, entlasse ich euch mit dem innigen Wonséhe, dass ihr die Lésung der schénen und wichtigen Auf- gabe, die eurer wartet, in diesem Sinne versuchen moget. Euer redliches Streben wird der Vater und Erzieher der Mensch- heit mit seinem Segen begleiten. - Ueber euch, euern Schulen, “dem theuern Vaterlande, seinen Behérden und allen Anstalten zum Heil des Volkes walte er mit seiner Gnade fiir und fir!

Lal

-- ey ee

Bemerkungen

cu Hrn. Dr. Ruthardt’s Kritik meiner Ansicht vom Unterricht in fremden Sprachen. Vom Herausgeber.

Schluss,

Kommen wir nun zum Memoriren. Oder, da dieses Wort schon gleich Missverstandnisse erzeugt, zu der zweiten Seite des Lernens, zum Festhalten. Die erste Seite des Lernens ist das Auffassen. Wie wichtig das Behalten ist, haben die Griechen gar schén dadurch angedeutet, dass sie die Mne- mosyne zur Mutter der Musen machten, wie sie denn das Be- halten zu einer formlichen Kunst zar Mnemonik ausbil- deten; auch die Romer wussten es, wenn sie sagten: Tantum scimus quantum memoria tenemus. Die neumodische (jetzt nach-- gerade wieder altmodische) Paidagogik hat das_ vergessen gehabt, so sehr vergessen, dass Hr. R. und ich ordentlich gelobt worden sind, weil wir einmal wieder gesehen haben, was Jedem vor der Nase liegt. Dieses Verdienst ist nun freilich sehr unbedeutend, dagegen, hat Hr. R. der Unterrichtskunst dadurch einen wesentlichen Dienst geleistet, dass er bis ins Einzelne hinein gezeigt hat, wie das Memoriren zu betreiben und einzurichten ist. Da ich tiber das

_ Wie mit Hrn. R. im Wesentlichen einverstanden bin, so brauche:

ich hier nicht zu sagen, was Hr. R. bereits gesagt hat; ich be- schrinke mich demnach darauf, meine Ansicht yom Memoriren in der Kiirze darzulegen, und einige Missverstiéndnisse zu be-

* Die Philosophie nicht. Zwar hat hier und da ein Philosoph gegen das Auswendiglernen gesprochen, die meisten haben es in seiner Noth Wendigkeit begriffen. Um nur Ein Beispiel zu geben, .s9 sagt Herbaré ‘in seinem Umriss §. 82: ,So werden manche Capitel aus rémischen Schrift- Htellern auswendig gelernt, camit das-Latein-Schreiben und Sprechen besser in Gang komme.“ Ferner: ,Soll das Gelernte sich auf lange Zeit, wo Méglich auf immer einpragen, so gibt es nur Ein tichtiges Mittel, und das ist Uebung durch bestandige Anwendung, im Zasammenhange mit dem, Was wirklich interessirt , also die selbsteigenen Vorstellungen fortwahrend beachahtigt,“

10*

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seitigen, zu denen die yon mir friiher gebrauchten Termini * ' Veranlassung gegeben haben. | Das Lernen hat, wie eben gesagt, zwei Seiten: das Aaf- fassen , Verstehen, Begreifen einerseits, das Behalten anderer- seits. Der Zweck alles Lernens ‘in denjenigen Schulen, welche den -ganzen Menschen -in ihren Schiilern beriicksichtigen, ist Bildung (na:éela); diese aber hat drei Seiten. Sie ist - 1. eine philologische (dieses Wort ganz allgemein genommen) oder sprachliche: die Fabigkeit zu verstehen und seine eigenen Gedanken angemessen zu dussern.

2. eine philomathische oder reale: der leere Kopf muss mit wesentlichem Inhalte erfiillt werden, und zwar mit Inhalt aus der natiirlichen und:aus der siftlichen (oder geistigen

_ oder Menschen-)Welt.

3. eine philosophische oder logische oder die sogen. formale; _ die durch Uebung gewonnene Kraft, seinen Geist zu ge- brauchen. .

Natiirlich muss die zweite Seite des Lernens, das Behalten, ebenfalls Mittel zu diesen drei Seiten der Bildung sein, und 80 findet es sich, dass Verstehen und ‘Sprechen ohne Besitz von - Vocabeln und Formen (der Gedanken zu geschweigen) unmég- lich sind; dass ferner das Erwerben von Kenntnissen nichts niitzt, wenn das Erworbene nicht behalten wird; dass endlich © In dem far Diesterweg’s Wegweiser geschriebenen Aufsatze und in »Die moderne Philologie“ hiess es , Auswendiglernen ;“ in der Anzeige des R’schen Manuscripts sagte ich ,Judicioses“ und ,Mechanisches Memoriren.? Seitdem ich Hrn. R’s Bach, gelesen, befriedigen mich diese Bezeichnangen gar nicht mehr, auch der von Hrn. R. gebrauchté Name ,Reflectirendes," auch ,intensives Memoriren* wirde’ Missverstandnissen ausgesetat. sein, © wenn nicht das Buch ausfihrlich genug ware, um die Sache klac zu machen. | Man ist mit Namen oft abel genug dran. Die bestehenden Worter, einer. Sprache sind Ergebnisse einer vom Volksgeiste vorgenommenen Analyse, und diese Analyse ist, wenn es sich von Intelligiblem handelt, manchmal etwas roh. Hat nun ein Mann, der selbstandig und nicht bloss im Geleise der fertigen Worter denkt, irgend Etwas neu analysirt und habén sich ihm dabei andre Theile und Verbindungen ergeben, so fehlen far die neuen Vorstellungen oft passende Namen. Bei mir kam noun noch das hinzu, ‘dase sowohl der. Artikel far den Wegweiser als die Anzeige des R’schen Mana- scripts in Eile und Unruhe geschrieben wurden. Der erste entstand im December 1837 auf der Reise zwischen Berlin und Genf, und den letzteren schrieb ich im Herbste 1840 in Basel, wo ich , um meine damalige Schweizer- reise um ein paar Wochen verlangern zu kéntien, mich einige Tage fest- setzte und derweilen fir das Decemberheft der Revue Manuscript: schaffte..

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Erinnerung und Gedichtniss wesentlighe Functionen des Geistes- lebens sind Alles das ist fiir sich klar.

. Wenn wir aber die drei Seiten der Bildung unterscheiden, so miissen wir uns doch hiiten, sie auseinanderfallen zu lassen. Jedes dieser Momente hat die beiden andern an sich. Das Logi- sche oder Formale steckt in Allem; der Unterricht in den natir- lichen und ethischen Wissenschaften gibt zugleich sprachliche Bildung; und so muss man auch und hier finde ich Hrn. R. wieder ‘mehr auf der grammatischen als auf meiner Seite * den Sprachunterricht nicht nur als solchen, obgleich zunichst so, sondern auch als einen realen Unterricht, als einen Unter- richt in natiirlichen und ethischen Wissenschaften auffassen.

Betrachten wir jetzt das Lernen: Es ist recht artig yon unserer Sprache, dass sie die verschiedenen Stadien dieses Pro- ' cesses mit Wértern Eines Stammes bezeichnet: das goth. markan, ahd. merhan, auch marachén, yon marc (woher auch das franz. marquer, remarquer), bedeutet urspriinglich ein Zeichen machen, sotare, und beruht also auf derselben Anschauung, der auch das lat. nofio seinen Ursprung verdankt.

In der Vorhalle steht das Aufmerken, attentio, die Span- nung und Richtung des Bewusstseins auf das was vorgeht. Id einer padagogischen Abhandlung ist wohl die beiliufige Bemerkung -gestattet, dass wir Lehrer dafiir zu sorgen haben, dass die Auf- merksamkeit der Schiller eine unwillkiérliche sei. Mit det suf einem Entschlusse beruhenden kommen die Schiiler nicht weit.

Merkt man nun auf, so merkt oder bemerkt man, man: fasst auf, man gewinnt eine Empfindung, Anschauung, Wahr- nehmung, mente percipimus. Ein Objectives wird durch diesen Act. ein Subjectives, es trilt-ins Bewusstsein. Missverstehe ich Aristeteles nicht, so ist- diess das, was er Er-Innerung, pvyun, nennt. Das so zu einem Inneren Gemachte nimmt nun im Inne- ren mehrere Formen an: aus der Anschauung wird die © Vorstel- lung, aus dieser der Begriff. . a

Das Merken (Auffassen) geniigt aber nicht, man muss auch die Dinge sich merken, d. h. man muss das Erworbene fe st-

halten. Dieses Behalten hat nun zwei Formen: rte pe tiede

* 8. 310: “Nan sind aber beim Sprachuntertichte Ausdruck uod Form die Hauptsache , soll das judiciose Memoriren sich einzig auf die Vorstellung,.. tuf den Inhalt beziehen? Wir kénnen das nicht glauben missen es # aber dahin gestellt sein lassen.“ (Unten die Antwort.)

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‘J. Ein rechtschaffener Gelebrter ist nicht nur doctus cuin libro, sondern er besitzt seine Wissenschafl, wie die Fran- zosen sagen; der Mathematiker die Mathematik, der Historiker die Geschichte, der Philosoph die Philosophien. Jeder leidlich gebildete Mann kann sein vergangenes Leben erzahlen. Wenn nun ein Professor der Mathematik ohne Buch ein Semester hin- durch eine mathematische Disciplin, ein Professor der Geschichte eben so einen Theil der Geschichte vortragt; wenn der nach meinem deutschen Sprachbuch (vgl. S. 191 ff.) unterrichtete Schiiler als Voriibung zum Reden und Schreiben Erzahlungen, Beschreibungen u. s. w. seines Lesebuches reproducirt: wie wer- den wir das nennen? Aristoteles gebraucht den Terminus dvapyn- ovg, Wieder-Erinnerung (lat. elwa recordatio), und ich weiss kein passenderes Wort dafiir. Dasjenige Sich-Merken, -wobei man es dahin bringt, dass man einmal gehabte Anschauungen, Vor- stellungen und Begriffe, wann und so oft es beliebt, reproduciren kann, ohne jedoch genau die Worte, mit welchen man diesen Inhalt zuerst empfieng, ebenfalls reproduciren zu kénnen, diess nannte ich ,,Judicioses Memoriren.“ Ich gebe den Namen er stammt glaub’ ich von Kant preis, so wie man mir einen bessern gibt. * |

Hier wollen wir einen Augenblick Halt machen. Hr. R. hat dieses judiciose Memoriren nicht verstanden. Es fragt sich: was hat dieses Lernen mit dem Sprachunterrichte zu thun?

Sehr viel. Denn

: »' 1. ist mir der Sprach- und Litteraturunterricht zugleich Re al- unterricht: die Lectiire muss fir Naturkunde, Geographie, Ethno- logie, Geschichte, Moral, Religion u. s. w. vielfache Grundlagen geben. Ich bitte, meine sémmtlichen Lesebticher darauf anzu- sehen. In unteren Classen, wo es keine Fachlehrer geben sollte, ergibt sich die von Hrn. R. vermisste Benufzung und Controle (8. 811—312) dieses judicios Memorirten von selbst; in oberen Classen feblt sie allerdings, wenn sich die Lehrer der Geschichte, Geographie, der Naturwissenschaft, der philosophisehen Propé- deutik u.s.w. nicht um das: bekiimmern, was die Lebrer der

* Es liegt in der Natur der Sache, dass das, was beliebig reprodu- cirt werden soll, einem Vorstellungskreise angehéren muss, in dem man lebt, sonst werden die Vorstellungen nicht fest, und es kommt mit der Zeit dahin, dass man, wenh sie cinem zafallig begegnen , sie bloss recog- noscirt, wiedererkennt.

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Tat

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143 -

Sprachen und Litteraturen treiben. Sie sollen sich aber darum be- kiimmern: was wire das z. B. fiir ein elender Lehrerder Geschichte, der an einer Schule, wo ‘in einer der oberen Classen der zweite Band meines Tableau anthologique gebraucht wird, fiir die Ge- schichte Frankreichs dieses Buch nicht stiindlich benutzen wollte? Wie viele Stunden. brauchte ein Lehrer der Geschichte , wm den Schiilern eine Charakteristik des franzésischen bourgeois 2u geben, die am Ende doch nicht halb so klar wire als die, welche sich in meiner Franzés. Chrestomathie (HH. 8S. 138—145) befindet. So kann -dort alles Reden tiber die Jesuiten gespart werden, wo die Schiiler die in meiner Chrestomathie (II. S. 386— 899) mit- getheilten Auszfige aus den Provinciales lesen, u. 8. w. Wenn die Lehrer der sogen. Realien in den unteren Classen ein- mal die neue Auflage des franzésischen Lesebuches in zwei Bin- den ansehen wollen, so wird es. ihnen nicht entgehen, wie sehr der Lehrer des Franzésischen sie unterstiitzt. Wie denn

2. das judicidse Memoriren die Grundlage der deutschen Sprachkunst werden kann, zeigt mein Deutsches Sprachbuch. Die dritte Abtheilung dieses Buches weist nach, wie .der Lehrer des Deutschen das in der Muttersprache judicios Memorirte zu verwenden und zu controliren hat.. . |

_ 3. Férdert das judiciose Memoriren von solchem, was in fremden Sprachen ‘geschrieben ist, auch das Erlernen dieser Sprachen. Sind nur die Sachen, die so memorirt werden sollen, far die Schiiler interessant, ist dann die Darstellung so, dass ihre Vortrefflichkeit auch. schon yon den. Schiilern gefiblt wird, wirkt ‘sie: so geht bei der Arbeit, sich die Vorstellungen zy merken; ein guter Theil der Vocabeln und Formen etwas weiter als in die blosse Wieder-Erinnerung, sie gehen ins Gedachtniss.

Hr. R. macht yon diesem judieiosen Memoriren beim Sprach- unterrichte keinen Gebrauch, und ich glaube mit Unrecht. Die Lehrer aller Wissenschaften miissen es von den Schiilern ver- langen, warum nicht auch der Lehrer der Sprachen und Litte- turen?: |

' Kommen wir nun zur. zweiten Form des Behaltens.

Il. Der: Schauspieler lernt seine Rollen, der Virtuose lernt Compositionen , Marcher weiss: den halben. Schiller oder Homer wortlich ‘answendig. Dieses Auswendiglernen im engeren Sinne nannte ich mechanisches Memoriren und schrieb es dem Gedachtnisse (memoria, allenfalls nynuoourn) zu. Auf psychologische

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Sublilitaten lasse ich mich hier nicht ein: mir geniigt das .Factum, - dass hier zwei verschiedene Arten..des Behaltens vorliegen:. ein Anderes ist es, bloss die Sache, ein Anderes, die Sache mit den Worten, in der sie iiberliefert worden, zu wissen. Der von mir gebrauchte Name hat aber darum missyerstanden werden , kénnen, weil es zwei Arten des wortlichen Memorirens gM, von denen ich nur die eine im Auge. hatte.

Es gibt namlich ein anschauungsloses, todtes, vorkehries, unverstindiges, mittelalterliches Memoriren, ein wabres: Aus- wendig-Lernen, und zweitens ein wartliches Auswendiglernen, das ein Inwendig-, ein’ Par-coeur-Lernen, kurz von dem yo- rigen toto coelo verschieden ist. Jenes schlechte Auswendig- lernen hatte ich vergessen in Rechnung zu bringen, ich hatte nicht: daran gedacht, dass man denken kénne, ich hatte an dieses gedacht. Gegen dieses Auswendiglernen hat seit den Philanthropinisten die Padagogik mit Recht geeifert und es nur. darin versehen, dass sie zwischen schlechtem und gutem Aus- wendiglernen nickt unterschieden, die Nothwendigkeit-des lets-— teren verkannt hat. Aufgekommen ist jenes schlechte Memoriren im Mittelalter, im Sprachunterrichte dauert es mehr oder weniger bis auf den heutigen Tag fort: das oben bekaémpfte anschauungs- lose: Vocabeln- und Formenlernen ist ein Ueberbleibsel davon. Wenn in diesem Augenblicke die Aufgeklarten im Canton Zirich gegen Wiedereinfuhrung des Katechismus in die Elementarschule ankampfen, so wirkt bei Vielen nicht eigentlich Hass gegen die religissen Vorstellungen, die der Katechismus gibt, sondern der Widerwille gegen das schlechte Auswendiglernen, gegen das Auswendiglernen eines Inhaltes,.der noch fiber der Fassung.des - Lernenden steht. In den englischen Schulen steht dieses Aus- wendiglernen noch in schénster Blithe: da werden erst. ganze Stiicke vom Euklid unverstanden memorirt und spater erkiart. Auch in Nonnenkléstern kommt es vor:- ich habe Klosterfrauen _ gekannt, die ganze Psalmen nach dem Text der Vulgata recitiren konnten, aber kein Wort davon yerstanden. Man erzeigt diesem Auswendiglernen eine zu grosse Ehre, wenn man es ein mecha- nisches nennt (das Zweckmissige, das in jedem Mechanismus vorhanden, febit hier), es sollte das viehische Auswendig- lernen heissen, weil es weiter nichts als Dressur,-Unnatur ‘ist: ein von Gott zur Verniinftigkeit bestimmtes Wesen wird zum Thiere -degradirt, zum Papagai. Lehrer, welche es itiben, .und

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nicht Geist genug haben, um aus-dem Begriffe. der Sache das ° Unnatiirliche dieses Treibens zu erkennen, sollten wenigstens durch den Widerwillen der Jugend und durch den schiechten Erfolg. dieser Tortur klug werden. Noch besser, sie versuchen © es einmal an sich selber: Wer nichts von Mathematik . versteht, der nehme zwei Seiten von Euklid, wer irgend eine fremde Sprache . nicht versteht, der nehme zwei in dieser Sprache geschriebene . Seiten, und lerne sie auswendig. Bei den Meisten wird es nicht gelingen, weil die moralische Kraft nicht aushalt; die, denen es gelingt, modgen sagen, welche Seelenmarter es ist, zu einem Gegenstande ein ganz sclavisches Verhaltniss zu- haben, ikn im ‘Géiste und doch auch nicht darin zu haben, weil er dem Geiste ein Fremdes, ein Auswendiges, eine Last.ist; endlich mégen sie sagen, was denn ein solcher Schein-Besitz niitzt, ein Besitz, den man nur dufweisen (aufsagen), aber nicht gebrauchen kann. .

Nicht dies¢és Memoriren: meinte ich, da ich von mechani- schem Memoriren redete. Wie man an einen Laternenpfahl Birnen anheften kann, so kann man auch in das Gedachtniss Allerlei hineinstopfen, man kann dasselbe zu einem todten Behalter her- abwiirdigen: was kann man tiberhaupt nicht Alles in dex Welt, wenn man unyverniinflig ist? Wie ich es gemeint, geht aus den Auseinandersetzungen iiber die Art hervor, wie ich das Vocabeln-. wd Formenlernen betrieben wissen will. Wahrend das viehische Memoriren die Vorstellung vom Zeichen trennt, letzteres zum Ersten macht, da es doch das Zweite ist, ihm iiberhaupt eine falsche Selbststindigkeit gibt, dem Lernenden ein Geschenk auf- tothigt, das ihm unniitz diinkt und lastig fallt: ist das menschliche Memoriren nur ein durch haufige Repetition: bewirktes Befestigen des lebendig Erfassten, ein Einwurzeln, es ist, in einem juristi- schen Bilde, die Verwandlung des blossen Besitzes in legilimes - Rigenthum. Hat das Gedichtniss nur das zuvor Gedachte festzuhalten, 50 ist das Geschaft auch keine Qual mehr; eigene, selbsterworbene Anschauungen, Vorstellungen und Begriffe behilt man gern, sie sind unser Fleisch und Blut, Gefihl und Wille betheiligen ‘sich dabei und kommen der Intelligenz zu Hiilfe. | Auch Hr. RB. will nur dieses Memoriren, er nenut es das reflec- lirende, auch das intensive, nur scheint er mir noch ein wenig zu sehr auf Seiten der neumodischen Padagogik zu stehen, wenn er auch bei dem so Memorirten ,,ein geliufiges Hersagen nicht - gestatten“ will (S. 87). Hier kehrt eine schoh erwahnte Differenz

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zwischen ihm und mir wieder. Ich bin gewiss so sehr gegen allen sog. Mechanismus als nur Sanctus Rationalista immer es sein kénnte; wenn aber einmal die Sache wahrhaft gefasst,. ver- standen ist, dann fangt bei mir ein gottloses Ueben an und ich . Tuhe nicht, bis die Sache wie eine Maschine geht. Hr. R. fiirchtet dagegen alsbald Gedankenlosigkeit, so wie es zur Fertigkeit kommt. Es ist schwer etwas darauf zu sagen, doch will ichs versuchen. Die Blithe an jenem Baum da, ist sie nicht recht schin? Aber sie vergelt, es wird eine Frucht daraus. Auch die Frucht vergeht, wir verspeisen sie. D. b. Vieles, was an und far sich wohl Werth hat, wird im Laufe des Lebens zum Material, zum blossen Momente herabgesetzt. Gott ausgenommen, ist Alles in der Welt relatiy, einmal ein Fiirsichseiendes, dann wieder ein Fitrandersseiendes, ein Mittel. So geht es auch den Vorstellun- gen. Im Augenblicke, wo eine Vorstellung erworben wird , muss man sie recht bedenken; man geht aber za Anderem fort, und wer jeden Augenblick Alles auf einmal bedenken wollte, der wirde gar nicht zum Denken kommen. Hr. R. hat, als er sein Buch schrieb, sicherlich nicht tiber die Bedeutung jedes Wortes nachgedacht, sondern das richtige Wort ist ihm eine Sache, die sich ganz mechanisch einstellt. Wenn der angehende Kanonier das Exercitium am Geschiitze lernt, dann muss er freilich seine fanf Sinne stets zusammennehmen, dass er den Wischer oder die-Kartusche nicht verkehrt ins Robr schiebt, oder nicht auf den Platz von Nro. Zwei springt, wenn er Nro. Eins ist, just so ergeht es dem angehenden Schiiler: im ersten Jahre kommt wohl ein ,,a patre hortatus sum“ oder ein ,,jé m’ai trompé“ -heraus, wenn der Satz nicht bedacht worden ist. Dieses Sich-Besinnen- Miissen ‘ist aber eben ein Mangel, der mit der Zeit verschwin- ' den muss. Was zuerst jedesmal Kopfbrechen kostete, das muss darch die Uebung zur Gewohnheit eine von den .Pidagogen viel zu wenig beriicksichtigte psychologische Kategorie .— es " muss zum Mechanismus werden. Der Mechanismus,; dem das Wissen nicht vorausgeht, ist schlecht; der’ Mechanismus, den ich vertheidige und den Lebrern nicht genug empfehlen kann, hat das Denken als Moment in sich. Millor -und-Weber gehen ganz mechanisch; wenn es ihneii aber beliebt, so geben sie sich von ihrem Gehen Rechenschafl. Ganz so reden and schreiben ' wir, so setzen wir die Finger, wenn wir Klavier spielen: erst wenn die Operation auf ein Hinderniss stésst oder Jemand sagt,

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dieses oder jenes sei nicht recht, erst dann gehen wir auf die Principien zuriick. Leibnitz Susser! irgendwo einen dbnlichen Gedanken.

Gibt nun Hr. R. 2u, dass der Sprach- und Litteraturunter- ticht in der That nicht nur dieses, sondern zugleich Realunter- richt sein, dass rechtschaffen Geschichte, Geographie, Moral us. w. durch die Lectiire gelernt werden muss, so ist mein jadicioses Memoriren schon aus diesem Grunde gerechtfertigt; gibt er das nicht zu, so gebe ich ihm zu bedenken, dass mir das wOrtliche Memoriren fir die sprachlichen Zwecke nicht aus- reicht, dass ich auch fur diese des judiciosen Memorirens bedarf.

Ich hatte gesagt, es solle von aller Lectire * etwa ein

Sechstel wértlich, die Hialfte judicios memorirt werden, den Rest modge man fallen lassen.

Sehen wir, wie sich das im Einzelnen macht und zwar im Elementarcursus.

Wir haben zu lernen: ~

1. Grammatische Anfinge und zwar

a. Satzformen,

b. Wortformen. 2. Onomatische Anfange und zwar

a. Vocabeln,

b. Phrasen, Idiotismen, Spriichwérter u. s. w. - 3. Vorstellungen, den Inhalt der Lectiire.

Was nun die Wort- and Satzformen betrifft, so mfissen diese freilich ins Gedichtniss; Alles zusammen betrigt aber nicht drei Druekbogen, und das Lernen macht sich mit Hilfe des Sprach- buches so zu sagen von selbst, da das Grammatische successiy an Beispielsitzen angeschaut und dann eingeiibt wird. Und zwar ist das Ueben mit der Lection, wo ein Gegenstand zuerst vor- kommt, ja nicht abgethan, indem dieselbe Wort- oder Satzform in den spateren Lectionen oft genug wiederkebrt.

Auch die Vocabeln und Gallicismen miissen ins Gedachtniss und zwar sowobl die des Sprachbuches als zwei. Drittel der im Lesebuche vorkommenden.

Was nun die Vocabeln und Gallicismen derjenigen Sticke

me

* Dabei hatte ich, wie sich unten zeigen wird, nicht die abgerisse- Men Satze des Lehrbuchs, sondern die susammenhdngenden Stacke des ~ Lescbachs im Auge, obgleich einige svulcher Satze allerdings zu lernen sind.

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des Lesebuchs betrifft, die ich wértlich memoriren lasse (etwa ein Sechstel), so ist tiber diese nichts weiter zu bemerken..

Da ferney die Stiicke des Lesebuchs, welche ich nur judicios memoriren lasse, stoffliches Interesse baben, so werden’ auch aus diesen recht viele Vocabeln und Phrasen behalten. Mancher Lehrer des Franzésischen mag nicht wissen, . was fe bossoir an einem Schiffe heisst. Die Schiller, welche die Histoire du.cachet rouge in meiner Franzésischen Chrestomathie gelesen haben, | vergessen, glaub’ ich, das Wort nicht. (I. S. 166, Z. 19.) Ich nenne diess Beispiel statt vieler; die Lectiire sei nur interessant, und man wird finden, wie sehr Jean Paul Recht hat, wenn er sagt: ,Das beste Wérterbuch ist ein Lieblingsbuch.*

Yon den Vocabeln und Gallicismen, die. in den Satzen des Sprachbuchs vorkommen, miissen ebenfalls die meisten ins Ge- daichtniss. Es ist aber nie meine Absicht gewesen, und wenn man hat glauben kénnen, so habe ich mich schlecht ausgedriickt,* die im Sprachbuch enthaltenen Sitze als solche sammt und sonders von den Schiilern auswendig lernen zu lassen. Auf die- sem Missverstandniss beruhen die meisten Einwirfe,;, die Hr. R. gegen mein Verfahren vorbringt. Meine Absicht ist diese. Ich brauche Sitze, um die Bedeutung sowohl der Wort- und Satz- formen als der Vocabeln und Redensarten daran zu zeigen. Die Satze sind im buchstablichen Sinne Nahrungsmittel ; sie werden verzehrt, und der Schiiler assimilirt sich das Grammatische, das Onomatische und das Ethische darin. Das Uebrige bleibt nicht bei.ihm. Weil nun dieselbigen Vocabeln oft vorkommen und weil ich eine -gewisse Anzahl~ von fruchtbaren und bedeutuage- reichen Wortfamilien mit Vorliebe in den Satzen verwendet habe, so werden die Vocabeln eben so leicht behalten als die Wort: und Satzformen, .und: es kommt wirklich~ bei meinen Sehiilera . in nicht gar zu langer Zeit zu einem, wenn auch nicht gar gros-

* Dieses ist Pad. Revue I. 'S. 531 erste Zeile entschieden der Fall. Ich mache es so: Jede Lection im Sprachbuche (A) wird zweimal durch-. gemacht. Das erstemal lesen die Schiler die franzdsischen Sdtée und wir ibersetzen sie. Das sweitemal bleiben dié Bacher geschlossen, ich sage die franzésischen Satze deutsch, und die Schiler miissen des Franzésische sagen, dabei werden denn die Satze von den Geaibteren mannichfach vatiirt. © Ich hatte das deutlicher bezeichnen, nicht das vage ,Auswendiglernen® gebrauchen sollen. Aus jeder Lection werden allerdings einige sto@lick und sprachlich instructive Sdtze wértlich memorirt. Das Auswendigiernen ganzer © Abschnitte tritt nicht erst auf der mittleren Stufe, sondern schon hieg via. .

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sen Wort- und Phrasenschatz. Ueberhaupt unterscheidet. sich mein Verfahren yon dem gramtatistischen auch dadurch, dass die- ses die wissenschaftliche ‘Scheidung zwischen Grammatik und Ono- matik auch im Elementarcurs schon macht, wahrend ich beides hier noch nicht trenne. (Allerdings beim Unterricht in der Muttersprache.) - So scheint mir denn fir das Grammatische und Onomatische mein Verfahren allerdings ,,Mittelpunkt und ‘Controle“ zu haben; nur- die Controle dariiber, ob der Schiiler die bei der Lectfiire empfangenen historischen, geographischen und sonstigen Vor- stellungen bewahrt, kann der Sprachiehrer nur beim deutschen Unterrichte, und zwar dort vermittelst der Uebungen im’ Schrei- ben und Reden, iibernehmen; beim Unterrichte in fremden Spra- chen fallt sie hauptsachlich den Lehrern der betreffenden Dis- ciplinen zu. Einiges lasst sich freilich thun.

Hr. R. mag jetzt entscheiden, ob die furchtbare Addition, die er mir S. 308 vorhalt, in der That so firchterlich ist. Nehmen wir einmal die von mir geforderten Stunden an, so hat die unterste Gymnasialclasse 8 Stunden Deutsch und 10 Stunden Latein. Der erste Cursus meines deutschen Lesebuches, der etwa fiir anderthalb Jabre berechnet ist, hat 17 Bogen, also etwa 12 Bogen fiir dieses erste Jahr. Nehmen wir an, dass der erste Cursus des lateinischen Lesebuches 10 Bogen stark ist. Warum soll es nun nicht méglicb sein, neben den Formen und neben den Vocabeln ; die’ vori dem judiciosen Memoriren bleiben, an- derthaib Bogen Latein wortlich zu memoriren, zwei Bogen Deutsch ? (Hr. R. verlangt von der zweiten Classe [V.] 15.Seiten, Diffe- renz etwa 9 Seiten.) Freilich sind dano noch 5 Bogen Latein judicios zu memoriren (6 Bogen deutsch), aber das kann ja nicht erschrecken, da es, insofern hier die fremde Sprache in Betracht kommt, nichts’ weiter besagt, als diess: der Schiiler soll seine deutsche Uebersetzung oder das vom Lehrer ihm vor- gesagte Deutsche, ohne zu vieles Stocken in der frémden Sprache wiedergeben, ausserdem: abcr in seiner Muttersprache den Inhalt des Gelesenen reproduciren kénnen. .Im ersten Jahre des fran- sésisehen Unterrichts lasse ich bei 6.wéchentlichen Standen aus dem: ersten Cursus meines Lesebuches etwa 8 Seiten Fabeln, eins der Schauspiele und etwa 12 Seiten Erzahlungen und Be- schreibungen wortlich lernen, also. etwa.28—30 Seiten; -aller- dings miissen daneben etwa 90 100 Seiten von den Schiilern so gemerkt (judicios memorirt) werden, dass sie nicht nur. den Inhalt besitzen (ihn deutsch angeben kénnen), sondern auch das

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Riickiibersetzen leidlich von statten geht. Stockt der aufgerufene Schiiler, ist ihm die Vocabel entfallen, oder kann ér mit der Construction nicht fertig werden, so corrigiren ihn die, welche konnen..

Ob das wéortlich Memorirte, des sich also nicht, wie Hr. D. R. rechnet, auf sechsmal 15 Bogen belauft, sammt und sonders die ganze Schulzeit hindurch behalten wird, das weiss ich noch nicht. Ich vermuthe aber, dass es mdglich ist.

Denn was die Verwendung des wiortlich Memorirten betrifft, so stimme ich mit Hrn. R. ganz iiberein.. Ich bewundre die Art und Weise, wie‘er ausfihrlich, ins Einzelne gehend, und nichts vergessend, die allseitige Verwendung des Memorirten darlegt, ein wahres Exercier-Reglement; Lehrern, die vor Erschei- nung seines Buches iiber das Memoriren nicht nachgedacht hatten, hat er gewiss einen grossen Dienst geleistet; was mich. betrifft, so muss ich mir das Zeugniss geben, dass ich diese Kiinste seit ' Jahren geiibt habe. Das Memorirte hat mir stets als Trager der Grammatik sowohl als der Onomatik und als Grundlage der Technik gedient, und es wird Jedem so dienen, der das Princip der genetischen Methode erfasst hat. - |

Vielleicht ist Hr. R. jetzt schon geneigter zuzugebon, ‘dass die genetische Methode auch bei der noch sehr unvollkommenen Darstellung, die sie im franzésischen Sprachbuche hat, nicht ohne »Mittelpunkt und Controle“ ist. Der grammatistischen und der analytischen Methode fehlt in der That Beides (Hrn. R.’s Ver- fahren scheint mir nicht genug Peripherie zu haben), der gene- tischen nicht. Mittelpunkt ist die Sprache selbst, die swar intensiy ein Unendliches, extensiy aber, indem die Lectiire der Schiler einen nicht zu grossen Kreis umschreibt, doch nieht so gar weitliufig ist. Denn der Wort- und der Satzformen sind nicht. so gar viele, auch lassen sich die Vocabeln und Redens- arten, die in Dichtern, Historikern und -Rednern vorkommen, tibersehen. Indem aber diese Elemente iiberall, nur in neuen Combinationen, wiederkehren, so ist damit auch die Controle gegeber. ;

Zum Schlusse habe ich noch einige Ausstellungen su: be: seitigen, die weniger mein Verfahren an sich,. als die bisherige Darstellung desselben berihren. S. 290 sagt Hr. R.: ,, Wenn

' .

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Hr. M. geneigt und im Stande ist, seinen Stoff etwa auf den zehnten Theil zu beschranken, dann werden unsre Zweifel ganz oder doch zum gréasten Theile gehoben sein.“ S. 312—814 wird aus den von mir in den friihern Abhandlungen gegebenen Mittheilungen geschlossen, meine: Methode sei nicht eigentlich eine Methode iiberhaupt, sondern nur eine Methode fiir den sprachlichen Elementarunterricht, was dann S. 321 wieder so restringirt wird, dass meine Methode nicht Methode fir den Elementar-Sprachunterricht iiberhaupt, sondern nur fiir die erste fremde Sprache sei.

Alles das muss ich bis auf einen gewissen Punkt gelten Jassep, und doch muss ich auch widersprechen. Nur wenn unser Leben ein System der Logik wire, hatte Hr. R. Recht; das Ge- webe. ist aber bunter, die logischen Faden erhalten-vom Zufall ibren Einschlag.

Es ist richtig, dass ich mich bisher liber die Methode des Sprach- und Litteraturunterrichs auf der mittleren und héheren Stufe nur andeutend und etwas desultorisch geaussert habe. Ich musste erst das Erdgeschoss bauen, die héheren Stockwerke sollen folgen. Einiges Brauchbare hoffe ich schon diesen Herbst in der beyorstehenden dritten Auflage des Diesterweg’schen Wegweisers geben zu kénnen.

Der dritte Einwurf ist von der Ansicht des franzésischen Sprachbuches hergenommen. Hr. R. sagt: ,,Wir sehen_dasselbe fir untere Gymnasialclassen etc. bestimmt. Wir nehmen hier mit ihm selbst an, dass in einem Gymnasium der franzdsische Unterricht in.V. (die zweite von unten) beginne. * Nun ist aber der lateinische Unterricht schon in Sexta vorausgegangen, wo er doch billig anschaulicher als jeder folgende sein muss. Da fin- den wir aber Hrn. M.’s Anweisung fiir Quinta wieder so anschau- lich, dass sie nicht anschaulicher gedacht werden kann. Das ist an sich ein Vorzug, aber doch nur an seinem Platze. Soll

* In der Note bemerkt Hr. R., in Preussen beginne der franz, Unter- richt erst in Tertia (die vierte von unten), und er méint, far diese Classe sei das Sprachbuch wegen der ,Hunderte von kindigchen Sdtzen kaam zar wiederholten Lectire,.geschweige zum Memoriren ertréglich.“ Ueber das Memoriren ist geredet. Kindische Satze sind, so viel ich weiss, gar nicht im Sprachbuche, dagegen allerdings viele Satze, wie sie im gemeinen Leben vorkommen, Ob nun, wenn man das Franzésische in Tertia beginnt, das Sprachbuch in seiner gegenwfrtigen Gestalt nicht mit Vortheil gebraucht werden kann, das miissen die Lehrer entscheiden, Ich wenigstens glaube es.

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sich nun dieselbe Auschaulichkeit beim Griechischen und beim Englischen wiederholen ? .

' EBs freut mich gar sehr, dass ein Kenner der Grammatik und des Unterrichts wie Hr. R. das franzésische Sprachbuch so anschaulich nennt, dass es gar nicht anschaulicher gedacht wer- den kénne. Die Lehrer, welche das Buch gebrauchen, werden dieses Lob zwar bedeutend ermissigen und ich selber finde ein- zelne Abschnitte, z. B. den vom Pronominalobject, jetzt beim Gebrauche noch lange nicht anschaulich.genug. Indess konnte ich in der Krankenzeit, wahrend welcher ich das Bach schrieb, nicht mehr leisten. So viel wird richtig sein, dass es das an- schaulichste aller vorhandenen Elementar-Lehbrbiicher des Fran- . zisischen ‘ist. Hatte ich nun zwei Elementarbiicher geschrieben, eins fiir Quinta und Quarta (die zweite und dritte) der Gym- nasien, ein andres fiir Sexta und Quinta (1 und II) der héheren Bargerschulen, so hatte modglicherweise das erstere dieses und jenes voraussetzen kénnen: ich dachte aber an beiderlei Anstalten. Den Gymnasiasten schadet diese Anschaulichkeit hoffentlich nicht; sind sie in Sexta ian der hergebrachten Weise im Lateinischen unterrichtet worden, so ist sie ihnen so gut Bediirfniss als den Sextanern der hoh. Biirgerschule. Denn das Durchmachen der lateinischen Formenlehre nach irgend einer beliebigen Grammatik fahrt zu keinem Verstindniss der Sprache fiberhaupt. Uebrigens wird man in der zweiten Auflage eine Menge von Erklarungen, welche die erste enthielt, nicht wieder finden, weil jetzt mein Deutsches Sprachbuch vorliegt.

' Ich kniipfe an diesen Einwurf einen andern, nimlich den, dass das Sprachbuch auch jetzt noch Mancherlei enthélt, was nur der Lebrer wegen dasteht. Ich will ganz antrichtig sein, mag ich auch einen und den andern verletzen.

Als ich: in meinem 21. Jahre das Studium der Natur fir das ‘Studium des Menschen aufgab, da fibrten mich die Umstinde zunachst zur franzésischen Literatur. Zwei Jahre darauf daber- nabm ich eine Privatlehrerstelle, und. nun drangten sich zugleich mancherlei didaktische Probleme-auf, zunachst der grammatisehe; der niathematische und der naturgeschichtliche Unterricht. Feb weiss selber nicht genau mehr, wie das Alles im Kopfe gekeimt und gewachsen ist; als ich Ende 1833 nach Berlin kam, da stand ungefabr-Folgendes bei mir fest:

1) Gegen die Philologen, welche nur die’ Beschaftigung 1 mit

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Griechenland und. Rom. als Philologie wollen gelten lassen, die Behauptung, dass auch das Studium der modernen Culturvélker Philologie sei, resp. werden miisse. Gegen die Altdeutschen us. w., dass nicht nur die. Erforschung des -Mittelalters ger- manische oder romanische Philologie sei, sondern dass das Phi- ‘lologische mit.der Chronologie nichts zu schaffen habe. Gegen die belletristische Kritik, dass. dieses ganze leere und idber- schwengliche Wesen gegen. ein auf positives Lernen gegriindetes Arbeiten zu verlauschen sei.

2) Gegen die Humanisten, dass das rechte schulmassige Studium .der neueren Sprachen und Litteraturen auch Humanitits- _studjum .sei; gegen die Sprachmeister und dasjenige Publikum, welches mit ihrem Unterrichte: und mit ihren ,,Praktischen Gram- matiken“ u. s. w. zufrieden ist, dass dieses ganze Wesen ein Unkraut sei, das ausgerottet werden miisse; * gegen die Behér- den, dass endlich Etwas. geschehen miisse, um moderne Philo- logen zu Lehrern der neueren Sprachen und Litteraturen zu bekommen, und dass solchen Lehrern dann nicht mehr zugemu- thet werden diirfe, als neglocxo. an den Schulen zu leben.

3) Gegen die. Mebrzahl der Lehrer an. héheren Schulen, dass wir ganz ehrlich einmal mit dem Anfang anfangen und zu- nichst bei dem ‘aus Pestalozzi’s. Schule hervorgegangenen Ele- mentarpailagogen in die Lehre gehen miissten. Zwei-Jahre dar- auf meine ausfiihrliche Recension der ersten Auflage: yon Diesterweg’s Wegweiser in der Preussischen Volksschulzeiiung (1835) bezeugt es hatte ich mich in diese Litteratur hinein-,

aber auch zugleich in so weit wieder herausgearbeitet, dass ich

das Princip der Genese, als welches nicht nur das pestaloz-

zische Princip der Anschaulichkeit involvirt, sondern auch das.

* Hr, R. sagt (S. 45) mit seiner gewohnlichen Milde: ,.Wenn wir ehr- lich und. offen sein wollen, so werden wir uns gestehen missen, dass die Lebrer der neueren Sprachen, wie sie der Regel nach sind, einem einiger-

magsen wissenschaftlich vorgebildeten nicht leicht Genige za thun vermé- .

gen, und selbst wer die Wahrheit dieser Behauptung zugesteht, wird-darais nicht einmal einen Vorwurf far die Personen ableiten dirfen, so lange von Seiten des Staats ihrer Ausbildung und ihrer Stellung keine. gréssere Auf- merksamkeit als bisher.geschehen. ist, zugewendet wird oder werden kann, so lange also ibre Existenz lediglich von dem Urtheile, das ein grossen~

,

theils incompetentes Publikum aber ihre Befihigung fallt und von der Be-.

forderung der fast. einzig . materiellen Zwecke dieses Publikums. abhangig bleibt.“ . . .

Pidagog, Revue. 1842. b, Bd. Y. 14 _

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Wabre und Brauchbare der synthelischen und der analytischen Methode enthalt, far den sammtlichen Unterricht geltend machen konnte.

Alles, was ich seit 1836 iiber und far die Schulen ge schrieben, ist aus dem Bestreben hervorgegangen, eine oder mehrere dieser Ansichtea zur Anerkennung und Wirklichkeit zu bringen. So lange aber eine Ansicht noch um Anerkennung kampfen muss, kann sie nicht rein auftreten, sie muss mit allerlei polemischen Zuthaten angethan sein, Kriegslisten gebrauchen u. 8. w. Diess ist einerseits ein Nachtheil, aber was lasst sich ‘thun? Man kann sich seine Lage nicht machen, man muss sie annebmen wie sie ist.

Das habe ich bei meinen franzésischen Schulbiichern gethan.

Die sog. Humanisten schitzen in der Regel die neueren Sprachen gering; * eine franzdsische oder englische Grammatik (eine deutsche gilt nachgerade schon ein klein wenig mehr) mein Gott, wer hat Zeit, so ein Ding auch nur anzusehen? Da dachte ich nun, wie ware es, wenn man den Herren einmal Biicher yorlegte, vor denen sie Respect haben mitssen? Beim seligen Spilleke, der freilich ein ganzer Mensch und Pa- dagog war, kein blosser sog. Humanist, gelang mir das mit dem _ Tableau anthologique; so oft ich zu ihm kam, reichte er mir einen langen Zettel hin, worauf er die Wérter und Redensarten notirt hatte, die er nicht verstanden; er-hat, glaub’ ich, die neun und neunzig Bogen ganz durchgelesen. Mit dem Franzd- sischen Sprachbuch habe ich bei mehreren gewiegten Philologen abnliche erfreuliche Erfahrungen gemacht: ,Ja, wenn das Fran- 26sische so gelehrt wird, dann wollen wir es loben,“ -hiess es; ein Gymnasialdirector ich darf ihn nicht nennen, um die Ordinarien der Unter- und Ober-Tertia seines Gymnasiums nicht zu verletzen schrieb mir: Seitdem die Tertianer in Ihrem | Sprachbuché die Lehre vom Satzgefiige durchgearbeitet, geht es mit dem Lateinischen viel besser, namentlich mit den Modis * Natarlich folgen die Gymnasiasten den Lebrern; man weiss, wie sic den franzésischen Unterricht benutzen. (Ich selber erinnere mich recht gut, dass ich in der Secunda des Disseldorfer Gymnasiums fast regelmdssig die franzésischen Stunden verséumt habe. Und ich wer sicherlich keia unfleissiger Schéler.) Die Lehrer der neueren Sprachen an den Gymnasien réchen sich aber far die Unbill, die sie erleiden, Diese Rache bestebt darin, dass sie die Disciplin verderben, darin wenigstens zeigen sie Me- thode, ,,Denn alle Schuld racht sich auf Erden.“

,

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und den Conjunctionen; ein anderer hat das Elementarwerk ecin-— gefibrt, weil es ihm gar zu wohl gefiel, dass bei avant de (La conscience nous ayertit en ami avant de nous punir en juge, §, 292. N. A.) in einer Note an das TIpé tod c. Inf. und bei pour (weil) c. Inf. an das ac ro c. Inf. erinnert wird.

Auf die Lehrer war bei dem Franzdsischen Sprachbuche in doppelter Richtung Riicksicht- zu nehmen. Wer sind die Lehrer, auf die ich rechnen durfte? Zunichst nicht die mattres de langue: lasst die Todten ihre Todten begraben; auch nicht die gelehrten und erfahrenen Manner, welche die Sache vielleicht besser ver- stehen als ich. Ich dachte an die Gymnasiallehrer, welche auf der Akademie classische Philologie und Geschichte studirt, sich auch im Franzésischen umgesehen und neben andern Stunden auch franzésische tibernommen haben. Ich dachte ebenfalls an die Lehrer h. Birgerschulen, welche auf der Schule eine clas- sische Bildung genossen, dann Mathematik und Naturwissenschaf- ten studirt, vielleicht eine Reise nach Paris gemacht und nun den franzésischen Unterricht an ihrer Schule ganz oder theil- weise tibernommen haben. Endlich dachte ich, doch mehr bei- liufig, an die strebsamen Manner, welche sich in Siiddeutsch- land und in der Schweiz aus der Volksschule an eine Real- oder Secundafschule hinaufgearbeitet haben und nun Franzésis¢h lehren.

Das Sachliche machte die erste Riicksicht néthig. Schon in dem ersten, dem logischen Theile der Grammatik, stimime ich mit meinen Vorgangern nicht ganz iiberein; die Syntax hat bei mir eine ganz neue Gestalt. * So ist auch in der Formenlehre Vieles neu. Hitte ich nun gleichzeitig mit dem Elementarwerke ein Lehrbuch fit die héhere Stufe herausgeben képnen, so hatte der Lehrer auf dasselbe verwiesen werden und das Sprachbuch kiirzer wer- den mégen; ich konnte aber nicht. Dazu kam die Riicksicht auf

_ * Hr. Dr. Becker schricb mir damals: ,Es ist in dem Sprachunterricht iberhaupt ein grosser Fortschritt dadurch gewonnen, dass Sie die franzdsische Grammatik so durchgreifend und in solcher Klarheit in das grammatische System aufgenommen haben“ u. s. w. Sollte das Sprachbuch eine dritte Auflage erloben, so denke ich dem verehrten Manne fir die neue Bear-— beitung seines ,Organismus“ meinen Dank durch gewissenhafte Bericksich- lipung des darin gegebenen Neuen zu beweisen. Lehrer, welche meine Sprachbicher gebrauchen und das Beckers’che System noch nicht kennen, mochte ich bitten, es zu studiren, Ich weiche zwar if manchen und in einigen wesentlichen Punkten davon ab, indess ist es mein Ausgangspunkt, und es ist immer gerathen, dem Flass bis an die Quelle nachzugehen, 4 +

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das Methodische. Das Sprachbuch sollte den Lehrgang vorzeich- nen,.es sollte ein Beispiel. yon der Anwendung der. genetischen Methode auf der Elementarstufe sein: diess brachte mit sich, dass ich nicht, wie in dem deutschen Sprachbuche, nur das Ergebniss , gewissermassen den Niederschlag des Unterrichts gab, ich musste so zu sagen den Unterricht selbst aufschreiben. . Daher das Populire, das.Manchem vielleicht zu breit, zu platt erscheint. Diese Riicksichten auf die Humanisten und auf die Lehrer brachten es dann von selbst mit, dass das Sprachbuch als Schul-. buch fiir die elementarische Stufe dadurch etwas an seiner Brauch- barkeit verlor, dass es zugleich fir die mittlere Stufe brauchbar. wurde. Kommt es zu einer dritten. Auflage, so soll es diese doppelte Brauchbarkeit verlieren, es soll reines Elementarwerk werden. Den darin aufgehauften Stoff an Satzen kann ich zwar auch dann nicht, wie Hr. R. verlangt, auf ein Zehntel reduciren, _ aber auf die Halfte. Jetzt ist des Stoffes in der That von Lec- - tion 21 an zu viel da. _ Auf. einen Tadel, den Hr. R. vorbringt, dass namlich hier und da einem Satze die Uebersetzung beige- fiigt sei, -habe ich einfach zu erwiedern, dass diess geschehen ist, weil ich keinen Lehrer vor den Schiilern in Verlegenheit bringen méchte. Nicht jeder Lehrer hat den ganzen franzési- schen Sprachschatz im. Gedichtnisse, und in meinem Buche kommt gar viel franzésisches Franzésisch yor, - . Ich kann jetzt auf-Hrn. R’s Frage antworten, ob fiir jede der vier Sprachen, welche im Gymnasium zu lernen sind, ein. s0 ausfiibrlicher und anschaulicher Elementarcursus in meinem Plane liege. So ausfibrlich nicht: der griechische Elementarcurs muss in einem Jahre (in Quarta), der englische in einem Semester, jener bei 8—9, dieser bei 5 wéchentlichen. ‘Stunden absolvirt werden kinnen. So anschaulich ja und nein.. Die Anschauung. der Verhiltnisse, die der Sprache tiberhaupt angehéren, ist beim Beginn des Griechischen vorhanden, und braucht nicht mehr unter besonderen Veranstaltungen erst erzeugt zu werden; die An- | schauung aber von dem Gebrauche, den das Griechische und das Englische yon den Wort- und Satzformen macht, die Anschauung von der Bedeutung der Vocabeln, Phrasen und-Jdiotismen ist nicht vorhanden, und diese muss allerdings erzeugt werden, nur geht es schneller als bei der ersten und bei der‘zweiten fremden Sprache, weil die Schiiler an diesen schon Sprachsinn gewonnen haben, auch efwas alter sind. Der. Sprung von der Propadeutik

"457

za dem mehr systematischen grammatisch-onomatischen Unter- richte in den beiden mitlleren Classen macht ‘sich yon selber und ist die Sache so einfach, als Miinzsorten zu scheiden, wenn man erst welche hat. Nicht das unterscheidet die elementarische Stufe yon der mittleren, dass dort dem Schiiler kein Abstrahiren zugemuthet werde (S. 320—821), da vielmebr das Abstractions- _ vermégen die nachste Bedingung zum verstandigen Erlernen einer fremden Sprache ist; sondern das ists: auf der elementarischen Stufe werden die Vorstellungen (Vorstellung. ist: Abstraction) © durch Anschauung’ aus dem concreten Stoffe gewonnen: auf der mittleren werden sie als vorhanden vorausgesetzt und és wird mit ihnen operirt. Meine Elementarmethode ist der feste Unter- bau, der bis dahin dem Unterricht in fremden Sprachen gefehlt hat. Der Sprach- ‘und Litteraturunterricht nach der bisherigen Weise lasst auch in den mittleren und oberen Classen noch Manches zu wiinschen tibrig woran zum guten Theile der | perverse Unterricht in den drei unteren Classen Schuld ist, bei ibm kann aber, wenigstens fir das Lateinische und Griechische, von keiney Radical-Reform. die Rede sein. Die thénernen Fisse durch solidere zu ersetzen, das’ war das Néthigste. .

Hr.,R. sagt S. 312: ,Wer sich so zuversichtlich und un- umwunden, wie Hr. M., iber die Vorziiglichkeit seiner Methode“ (sagen wir lieber: der genetischen] ,,ausspricht, yon dem diirfen wir ohne Anmassung verlangen, dass er die Hauptgrundsatze und den Gang derselben nicht in vereinzelten vagen Andeutungen, sondern mit Bestimmtheit und der erforderlichen Ausfihrlichkeit im Zusammenhange darlege, und sich nicht begniige, Alles, was tiber jene Andeutungen hinausgeht, von dem Begriffe der Methode | auszuschliessen und fiir Manier zu erklaren, welche dem Lebrer zu iiberlassen sei.“ Ich muss es nun abwarten, inwiefern Hr. R. durch diese Bemerkungen zufrieden gestellt ist. Allerdings sind dieselbén nut Nachtrage und Erlduterungen zu dem, was ich friiher geschrieben; wahrend jenes sich mehr auf das Allgemeine der Methode beschrankte , habe ich, hier iiber das Besondere der- selben aufzukléren gesucht uber das Einzelne kann ich gar nicht schreiben, weil ich in der That da nichts als meine in- dividuelle Manier mitzutheilen hatte. Dass ich iiber die gene-

- tische Methode auf der mittleren und der oberen Stufe noch zuriickhalte, dass ich tiberhaupt nicht bereits ein systematisches ¢ Buch yon anderthalb oder zwei Alphabet tiber den Sprachunter-

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richt habe erscheinen lassen das muss man mir gu gute halte Besser ein ganzes Halbe, als ein halbes Ganze.

Den geneigten Leser bitle ich, diesen Bemerkungen i Formloses nachzusehen. Es sollten aber Bemerkungen zu Hr R’s Kritik sein, und da musste sich der Glossator nach de Texte richten. |

Dem verehrten Verfasser des ,Vorschlages“ noch einm meinen doppelten Dank, sowohl fiir die Priifung, die er meine Bestrebungen unterworfen, als fiir die edle Humanitat, mit. d er das gethan hat. Den Lehrern, welche meine Schulbiich gebrauchen oder auf verwandten Gebieten meine didaktische Ansichten mehr oder minder beriicksichtigen, will ich mich d durch erkenntlich zu bezeigen suchen, dass ich unabilassig | der Ausbildung der genetischen Methode fortarbeite.

Aarau , 7—18. Juni.

ZWEITE SECTION.

Beurtheilungen und Anzeigen.

B. Hand-, Lehr- und Lernbiicher.

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Elementargrammatik der lateinischen Sprache, nebst eingereihten lateini~ schen und deutschen Uebersetzangsaufgaben und den dazu gehérigen.- Worterverzeichnissen von Dr. Raphael Kihner, Conrector an dem Ly- ceum zu Hannover. Erste Abtheilung fair die unteren Classen. Hannover, Hahn 1841. (XII, 305 S. gr. 8.) *

Der Hr. Vert. , welcher bald nach dem Erscheinen der Dein- hardt’schen Schrift: ,,Der Gymnasialunterricht* durch das darin pag. 195 sq. tiber die Methode des Sprachunterrichts Gesagte angeregt, eine Elementargrammatik der griechischen Sprache her- ausgab, um dadurch einem dringenden Bediirfnisse abzuhelfen, hat im Wesentlichen nach denselben Grundsiatzen obige Gram- matik geschrieben. Dass Gang und Einrichtung jener griechi- schen Elementargrammatik aber den Anforderungen der Elemen- larmethode, welche Deinhardt schon, obgleich nur mangelhaft, bezeichnet, nur unvollsténdig und annaherungsweise entspreche, hat der Hr. Redacteur dieser Zeitschrift, der fiir die Ausbildung und Verbreitung der eigentlichen Elementarmethode so vielfach -gestrebt und gewirkt und ein Muster eines ihr entsprechenden Elementarbuchs in seinem franzésischen Elementarwerke gegeben hat, ** in mehreren Abhandlungen und Krijiken nachgewiesen. ***

* Ich habe im Prospect der Revue versprochen, dass ich als Heraus- geber keine Riacksicht auf mich als Mitarbeiter nehmen wolle. Die Leser ° werden sich erinnern, dass ich Aufsatze mitgetheilt habe, in denen An- - sichten, die mir als wahr feststehen, entschieden negirt wurden. Man wolle es darum nicht lacherlich finden, sondern es vielmehr far ein Zeichen volkommener Unbefangenheit halten, wenm auch diese Anzeige aufgenom- men .wird, deren Verfasser ein norddeutscher Gymnasiallehrer sich’ als entschiedenen Freund meiner Bestrebungen fiir Ausbildung der geneti- schen Mcthode darstellt. D. H.

** Ueber die Mangel meines Franzésischen Sprachbuches in seiner der- maligen Gestalt habe ich in den Bemerkk. zu Hrn. Dr. Ruthardts Kritik und in der Vorrede der neuen Avflage offen meine Meinung gesagt. OD. H. .

*** So viel ich weiss, habe ich iber Kihners Grammatiken in specie

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Der Hr. Verf. wird sich davon auch selbst tiberzeugen, wenn er . neben dem, was Hr. Dr. Mager tiber die Elementarmethode des Sprachunterrichts geschrieben hat, sich einmal bei den, von den Phildélogen leider zu wenig beachteten, eigentlichen Elemen- tarlehrern iiber das Wesen der Elemenfarmethode iiberhaupt Raths erholt- und yon den vielen nur die Schriften von Diesterweg (Streitfragen auf dem Gebiete der Padagogik und Diesterwegs Wegweiser Bd. I. p. 130 sq.) liest. Er wird sich dann auch selbst tiberzeugen, dass diese lateinische Elementargrammatik, die wir zum gréssten Theile mit Schiilern durchgemacht haben, gleich- falls hinter den Anforderungen der Elementarmethode weit zu- riickbleibt.. Es ist nicht unser Zweck, dieses Urtheil durch ‘das ganze Buch hindurch auszufihren und zu erharten, nur auf einige Hauptmingel, die wir uns neben vielen andern beim Gebrauche desselbéen angemerkt haben,, wollen wir hier aufmerksam machen. Die Ansicht, welche der Hr. Verf. pag. 1V ausspricht, dass eine systematische Folge der syntaktischen Regeln far das zarte Knabenalter ganz unangemessen sein wiirde, daher er dieselben so anordnet, wie es die Formenlehre mit sich bringt, ist irrig, falsch und widerspricht den didaktischen Regeln: Schreite vom Nahen zum Entfernten, vom Einfachen zum Zu- sammengesetzten, vom Leichtern zum Schwereren fort; welche alle befolgt werden, wenn man wie Mager in seinem franzosischen Elementarwerke es gethan, den Sprachstoff streng nach syntaktischen Riicksichten ordnet und vom pradicativen Satz- verhaltnisse aus nach und nach zum attributiven, objectiven und adverbialen und so weiter zum Satzgefiige fortschreitet. Hie- durch allein wird ein guter Erfolg des Unterrichts gesichert, weil es in den Schiilern das Bewusstsein eines stetigen Fortschritts hervorruft und somit Freudigkeit am Lernen erregt. Statt der Beispiele aus unserer Erfahrung verweisen wir auf die Aeusse- - rung des Knaben, welche Hr. Dr. Mager in seiner Birgerschule p. 137 Anm. anfiirt. | Doch selbst in dem Falle, dass des Verfs. Ansicht begrin- det ware, kiénnen wir die Anordnung der syntaktischen Regeln desselben nicht billigen und kénnen nicht begreifen, wie gerade die Formenlehre es an die Hand gibt,. dass bei der 1. Declin.

nicht geurtheilt; die zur Recension eingelaufenen Exemplare sind seiner Zeit verschickt worden und ich erwarte die Recensionen. Hoffentlich werden mich die betreffenden Herren nicht mehr lange warten lassen. D. H,

‘N

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esse c. Datiy = haben, ‘bei der 2. digntis und indignus, bei der 3. (§: 23 u. 24.) der Genitiv. possess. und qualitativus schon yvorkommt, Regeln, welche wir fiir den Knaben an diesen Stellen | desshalb far unpassend halten missen, weil sie Eigenthiimlich- keiten der lateinischen Sprache berihren, zu deren Auffassung der Knabe an den. Stellen noch nicht befahigt ist. Doch das hewusste Auffassen der Regeln von Seiten ‘der Schiiler will der Verf. auch nicht, nur kénnen wir es nicht billigen, dass er pag. V behauptet; dass die Syntax in der untersten Classe nur-eine unter- geordnete Stelle einnehme und es geniige, wenn der Schiiler sie durchiiest und der Lehrer sie, wo es Noth thue, erkliére und die eigentliche Erlernung (soll gewiss heissen:: ein bewusstes Auf- nehmen und Anwenden) der syntaktischen Regeln erst in die folgende Classe gehiére. Daher denn auch die Erscheinung, dass die Regeln ‘allerdings dastehen, aber weder in den lateinischen noch in den deutschen Aufgaben durch eine Masse von Beispielen zur gehdfigen lebendigen Anschauung gebracht werden,:* oder dass,-wie es pag. 38, 39, 45 und sonst der Fall ist, die Regeln ber den Aufgaben aus dem Deutschen ins Lateinische stehen, | in diesen angewendet werden, ohne dass deren Anwendung vor- her an lateinischen Beispielen geschieht, was aber der Hauptregel der Elementarmethode:** ,Unterrichte anschaulich,“ ge- radezu widerspricht. Ueberall tritt es zu deutlich hervor, dass dem’ Hrn. Verf. Einprigung der Filexionsformen Hauptsache ist, daher auch in den deutschen Aufgaben .haufig, ja fas{ in der Regel solche Beispiele, die. yon den,lateinischen nur in einer einzigen Casusform abweichen, so dass der Schiiler z. B. statt’ des Acc. Plur. nur den Acc. Singl. zu setzen hat, das tibrige mechanisch nachbeten kann. Das bildet aber zu Maschinen, nicht zu freier sélbstindiger Geistesthatigkeit, der Schiiler-wird dressirt, nicht unterrichtet. | : |

* - Wabrend der Hr. Verf. eine systematische Folge der syn- taktischen Regeln fiir unangemessen hilt, scheut er sich nicht von pag. 14 an fast-bei jeder Aufgabe dem zarten Alter zuzu- muthen, sich meist nur an einem Beispiele die Construction irgend eines Verbs oder Adjectivs einzuprigen. Die Worter

* So sind bei der Regel fiber dignus und indignus nur 2 lat. und nur Ein deutsches Beispiel! ©

Wir'bitten den Hrn. Verf. hieriber Diesterwegs kraftige , aber wahre Worte im Wegweiser I, p. ‘133 nachgulesen.

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abstineo c. Abl., studiosus c. gen., avidus ¢. gen., plenus$ studeo, consto, careo, confido etc. folgen schnell nach einander. Auch andere Regeln, wie der doppelte Accus. bei reddere, Abl. -der Zeit etc. kommen zur Anwendung, wabrend alle Regeln, die es zusammenfassen, erst spater vorkommen. Durch dieses Verfahren wird aber der pag. VI als streng beohbachtet angefiihrte Grund— salz, nie etwas noch nicht Erlerntes und Begriffenes zu antizi— piren, ganzlich aus den Augen gesetzt. Auch bei der Formen— lehre ist er 6fter dadurch yerletzt, dass Abweichungen von dem Genusregeln der 3. Declin. von pag. 27 an vorkommen, wahrendl die Regel erst p. 42 vorkémmt; ferner finden sich Comparative, ohne dass dem Schiiler diese Bildung bekannt ist: Wollen ‘wir diesen Grundsatz ausdehnen, so ist er auch bei den Forde- rungen, die Hr. Dr. Mager in Beziehung auf die Stufenfolge im Gebrauch der Worter, dass erst die Stammwérter, dann die abgeleiteten und zusammengesetzten . vorkommen miissen, 2U beobachten, doch davon findet sich im ganzen Buche keine Spur.

In mehreren Parthieen der Formenlehre muthet der Hr. Vert. den Anfaingern zu viel zu, wenn er alle Abweichungen, Ausnab- men und Unregelmissigkeiten anfibrt und in den Beispielen. zur Anwendung bringt. Viele dieser Formen, wie die gen..nummum, ingeni, echus, Neocli kommen dem Schiiler erst spater bei det Lectiire yor und kénnen da passend erklart und eingepragt wer- den. Zu viel Material, was das Gedachtniss der Schiller unniits belastet, haben in dieser Beziehung die §. 23. und .24., §. 28, §. 32. Eben so ist es zu viel, wenn schon der Anfanger sich bei jeder Conjugation fast simmtliche in ihrer Formation abwei- chepde Verba und bei den Genusregeln simmtliche Ausnahmen einpragen soll. Das ist zu grosse Griindlichkeit, aber mit Recht sagt Diesterweg I. p. 132: ,dass zu grosse Gritindlich- © keit das Grab eines guten Unterrichts sei;“ was Mager mit seinem Ausspruche Biirgerschule p. 129: ,Es gibt keinen gréssern Feind der Griindlichkeit, als Gritndlich keit zur Unzeit,“ ebenfalls sagen will.

Lehrbuch der Spanischen Sprache far Alle, welche Deutsch oder Franzésisch verstehen, von Charles Pompée etc, Bremen, Schinemann, 1840. Bei der nur kleinen Anzahl Spanischer Sprachlehren fir Deutsche, von denen bis jetzt keine uns bekannte den Anfor- _ derungen an eine Schulgrammatik geniigend entspricht, ware es

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wiss nicht iiberfliissig, wenn eine gute Spanische Sprach- wre herausgegeben wiirde, besonders da sich seit einigen Jahren shr Sinn fir spanische Sprache und Litteratur in Deutschland igt Im vorigen Jahre erschien obiges sogen. Lehrbuch, jedoch jssen wir gestehen, dass es sich uns nach genauerer Priifung ' die elendeste Arbeit, die je in dieser Art erschienen ist, wiés.

Dje neue Eintheilung der Redetheile beruht auf einem Prin- », welches sich entsehuldigen liesse, wenn Consequenz darin iré, aber mehrere Worter stehen unter zwei Classen*zugleich ; stehen z. B. die Cardinalzahlen unter der Benennung: zihlende tike] S.81 und die Orginalzahlen als Zahl anzeigende Adjec- e S. 95, beide stehen wieder als Zahl-Adjective S. 101. e §. 114 aufgefiihrten fragenden- und ausrufenden Fiirwérter tien S. 81 schon als fragende und ausrufende Artikel; so then auch 8. 81 die Pronomina demonstrativa als hinweisende tikel, waihrend sie S. 111 wieder hinweisende Farwérter ge- pnt werden.

Die-neue Benennung der Zeiten in der Conjugation der Verba ebenfalls auf einen vielleicht zu rechtfertigenden Grundsatz sirt, warum aber das Praeteritum perfectum durch die ganze ammatik Pasudo de epoca, und nicht wenigstens richtig Spa- ich Pasado de época genannt wird, ist uns eben so unerklarlich, | die (ausser auf jenem Worte) von S. 1—143 theils fehlen- n, theils fehlerhaft gesetzten circa 55 Accente. Viele davon ederholen sich so oft, dass man nicht umhin kann, sich er die Unwissenheit des Correctors zu wundern, da er die ite und dritte Pers. Sing. des Praet. perf. vieler unregelmis- ‘er Verba hat fehlerhaft stehen lassen kénnen, selbst da, wo 1 als Conjugation zur Belebrung des Schiilers stehen, so finden r z. B. vind, tuvé, tuvd, dijé, estuvé, estuvd, pusé, hizé und fiir vino, tuve, tuvo, dijo, estuve, estuvo, puse, hizo.

Dass der Verfasser durchaus-den Charakter der spanischen rache nicht kennt, beweist:

S.° 103: es tan jéven que yo statt como yo.

8S. 104: muy mas docto , mucho mas docto.

S. 127: yo era.escribiendo -— ,, staba escribiendo, d viele Andere, die aufzufiihren einen Band erfordern wiirden, her nur zur Probe die Correctur der Seite 82, wo steht:

Ȣ) der masnliche Artikel el steht statt des weiblichen

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la vor weiblichen Hauptwortern, wenn dieselben mit dem

Vocal a anfangen und endigen.

Ex. el agua, el dguila, el ave“ (S. 90 steht la Aquila). Jeder wird gleich einsehen, dass entweder die Regel oder das dritte Beispiel (da es sich nicht auf a endigt) falsch _ ist. Ersteres ist der Fall, denn es muss heissen:

Der mannliche Artikel el steht statt des weiblichen la -yor weiblichen Hauptwortern, wenn dieselben mit einem betonten a anfangen. ; ~ . Ferner: ,,e) die ‘Artikel tal- und cual weichen im Femininum

nicht ab, wie auch die zahlenden von 2 bis 101 nicht.

Doch nehmen die erstern im Plural es an, und die

. letztern tragen den Begriff der Mebrheit schon in sich.

Diess muss heissen: die zahlenden Artikel. haben nur fir die

Einheit: (uno, una) und fiir die Mehrzahl der Hunderte (doscien-

tos, doscientas; quinientos, quinientas ete.) fir das Femininum

“eine abweichende Form, und obgleich die andern den Begriff

der Mebrheit schon in sich tragen, so kénnen doch die, welche

sich nicht auf-s oder z endigen, nach der allgemeinen Regel einen Plural bilden, wie z. B. in den Phrasen:

| ‘contar por cincos, nuéves etc.

Ferner: ,,f) cada, jeder, bleibt unverindert in allen Geschlech-

tern und Zahlen.“ Diess sollte heissen: cada hat ftir beide Geschliechter nur eine Form, wird aber nur im Singular gebraucht.

Man sieht leicht, dass nach der Correctur dieser einen Seite ° es nicht wobl thunlich ist, das ganze Werk zu corrigiren. .Hr. Pompée hatte sich, bevor er sein Machwerk in die Druckerei schickte, an das erinnern sollen, was der Baccalaureus Carasco dem sinnreichen Junker iiber das bedenkliche Wagestiick des Druckenlassens sagt.

XX, C. F. Naegelsbach, die Homerische Theologie, in ihrem Zusammenhang: dar- gestellt, Niarnberg bei Stein, 1840.

Unter den Schriften, welche in neuerer Zeit auf dem Gebiete der Philologie Anerkennung fanden, weil sie dieselbe verdienten,, ist die vorliegende unstreitig‘eine der ausgezeichnetsten. Sie hat bereits Vorhandenes auf treffliche Weise verarbeitet, manche neue Resultate durch gliickliche und einfache Combinationen ge- funden, und steht zwar nach ihrem wahren Standpunkte ganz

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ausser.und tiber dem Werke, das ihren Gegenstand bildet, aber ohne dass dieses die sonst gewdhnlichen Nachtheile mit sich fihrte, weil sie zugleich ganz in diesem Werke steht. Wenn gleich auch schon Andere angefangen haben, Gesammtibersich- len uber. die Weltanschauung dieses oder jenes alten Schrift- sellers, 2 B. des Herodotos oder Tacitus zu liefern, so muss man doch gestehen, dass das bisher Geleistete kaum eine ent- fernte Vergleichung mit Hrn. Nigelsbachs Arbeit. ausbalt. Die Philologie an sich ist durch dasselbe wahrhaft bereichert worden, wie denn dieses Urtheil von allen Seiten aus nur be- slatigt wird. -

Indessen sind die wenigsten Freunde der Philologie zugleich Philologen vom Fache, da die letzteren besonders in einigen Theilen Siiddeutschlands noch gar keinen eigenen Stand bilden, ' sondern sich an die tibrigen Facultéten, -besonders die der. Thealogie anlehnen. Und gerade das Verhiltniss des vor-. liegenden Buches zu der letzteren gibt ihm in dem gegenwiar- tigen. Augenblicke einen besonderen Werth, sofern es-von einer Seite aus, da man in dem grossen Kampfe der Gegenwart nur auf die. andere Schlachtlinie Verstirkungen anriicken zu sehen gewohnt war,-niun vielmehr an dem Beispiele des gréssten antiken Dichters nachweist, wie auch im Alterthum.ein Suchen nach

Gott sich iiberall zeigt, aber ein Suchen, bei dem das Sehnen _

grésser war, als die Befriedigung, die erst durch Christus als. Gnade, nicht als eigene Errungenschaft der Menschheit zu Theil wurde, und wie eben darum die neuern Umwerfungsversuche der Kritik als ein monstréser Frevel. auch. gegen das Alterthum erscheinen,. sofern sie sich bemithen, das menschliche Geschlecht in die tantalische Qual eines ewigen Suchens ohne Finden zu-. riickzuwerfen. Diese positiv christliche Seite des. vorliegenden Werkes empfiehit es in der That.auch dem Studium des Theo-. logen als solchen auf das Eindringlichste und -ist geeignet, man- chem edlen und strebenden Jinglinge einen ‘bedeutsamen Wink, gleichsam einen Ariadnefaden in die Hand zu geben, der ihn aus den Wirren des wissenschaftlichen Labyrinthes an das wabre. Tageslicht. zuriickfihrt, wenn er anders ihn gebrauchen will. Mit dem Angedeuteten hingt eine dritte wichtige Seite der ,hosferischen Theologie“ zusammen, nimlich die padagogi-. . sche, auf welche Ref., wenn auch in wenigen Worten, doch. uin so nachdriicklicher aufmerksam machen michte, als dieselbe._

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bisher in anderen Anzeigen noch weniger, oder gar. nicht be- ribrt scheint. Der Mensch hat nur Eine Seele, und vyerlangt daher auch in seinem Denken nach Einheit. -Dass aber die ' Grundansichten des Alterthums in ihrem innersten Keime von denen der chrisilich-‘germanischen Zeit .verschiedene sind, be- darf keines weitern Beweises. Eben desshalb aber widerspricht es der héchsten Aufgabe der héheren Lebranstalten, wenn sie ihre Zéglinge, wie freilich oft genug geschieht, von- jenem Zwiespalte etwa dadurch frei zu erhalten suchen, dass ibsen das positiv christliche Element so ziemlich ganz ausser dem Gesichtskreise gehalten und Christus der Laune und den Usurpationsbefiirchtungen des rémischen Landpflegers in den deutschen Gymnasien immer aufs neue zum Opfer gebracht wird. Nicht minder fehlerhaft ist es, wenn zwar das classische und christliche Element in ihrer Scharfe entwickelt werden, aber der hieraus nicht nur in den Lehrobjecten, sondern auch in. den lernenden Subjecten naturgemiss hervorgehende Zwiespalt, der in den letzteren nur auf eine unangenehme und stérende Weise empfunden werden kann,- keine Erledigung und keine Vermitt- lung findet. -Letzleres muss er und letzteres kann er, wie Herr, N. nicht sowohl in als durch sein Buch aufs evidenteste bewiesen hat. Auf diese Weise behandelt kommt in die Lectiire der classischen Litteratur neben dem Unterrichte in andern Fachern, namentlich dem vielbesprochenen in der Religion, ein festes und sicheres Centrum, und die Bildungsanstalten gewinnen,, was ihnen am meisten gebricht. Fir diese Leistung, fiir dieses gegebene Beispiel spricht Ref. (und gewiss im Namen yieler wohlmei- nenden Pidagogen) dem Verf. seinen gefihltesten Dank aus und der gen. Leser hat nicht néthig, diess fiir gemeines Recensenten- lob zu halten; denn Hr. Nagelsbach hat vor einigen Jahren die ‘der Tendenz nach véllig mit ihm iibereinstimmenden Schriften” des Ref. nach allem Anschein so oberflichlich gelesen, so vé6llig missyerstanden und demgemass in den Miinchner Anzeigen ver- | unstaltet, dass besagter Ref. keineswegs sich in dem Falle be- findet, ihm erhaltene Complimente heimgeben zu miissen.

Was einzelne Punkte des ‘Buches betrifft, so werden, wie immer, freilich manche Gelehrte da und dort tiber Untergeord- netes verschiedener Ansicht sein. Solcherlei aufzutreiben, ver- bietet uns der Raum, wie es uns denn auch an der néthigen Lust gebricht zu solcher Kleinmiinzerei. Dagegen findet sich

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in deny Werke ein Excurs eingeschaltet; der unbeschadet des " Ganzen entbehrlich gewesen wire, und dessen Einfigung eben desshalb beweist, dass Hr. N. gerade hier wesentlich neue und wichtige Resultate zu geben hofft. Dagegen scheint dem Ref. gerade dieser Excurs die grésste Inconsequenz und Unwahrheit in dem ganzen Bache zu enthalten. Er betrifft die Sage von Proteus und Eidothea, mit welcher Atlas und Kalypso zusam- mengenommen und parallel gestellt, ja der folgenden Deutang nach identificirt wird. Wir bitten nachzulesen Od. &. 365—570 und Nigelsb. p. 80—84. Der kurze Inhalt seiner Auslegung ist folgender. Proteus und Eidothea sind Bild der phénikischen Schifffahrt. . Das Pradicat: Sakacong naong Bevtec. orev schreibt aber Homer auch dem Atlas, wie dem Proteus, zu. Auch Atlas ist Bild dieser Schifffahrt. Er ist nach Hermann ,der duldende Mann,“ der im Westen wohnt, eyse ds re xvovag avrog, d. h. ,und die Séulen des Hercules, den Ausgang in den grossen Ocean allein hat, oder besitzt,“ aber Vater der Kalypso ist, dh, andern Vélkern seine Handelswege und Factoreien im ' _ Westen verbirgt zudem ein dAoogeay, ,, Teufelskerl“ ist, der Alles wagt:: Diess wird auch bestiatigt durch spatere Sagen, womach Atlas Vater der Plejaden, Wachter der Hesperiden, d. h. Schiétze im Westen, der Astronomie kundig ist etc. und nur yon- dem tyrischen Herakles abgelést wird, der am weite- sten umherkam und Bild des phénikischen Volkes ist. Diesem Atlas mit Kalypso im Westen entspricht nun Proteus und Eido- theaim Osten, wo Proteus auch Siulen hat, von denen Virg. Aen. XJ, 262 bemerkenswerth ist, dass von Proteus keine Ver- wand{schaft angegeben wird etc.

Soweit in Kiirze Hrn. N.’s Ansichten, die fir den ersten Anblick &berraschend und plausibel genug scheinen, bei naherer ~ Betrachtung aber kaum haltbar sein dirften. Schicken wir die Velites unserer Gegengriinde voran! Bei Atlas wird auf spatere Sagen ein Gewicht gelegt, aber auch auf solche, welche nicht hicher gehéren. Wenn es eine Bedeutung haben soll, dass Atlas, Bild der phénikischen Schifffahbrt, Vater der Plejaden ist, 80 kinnen letztere nur von mAew abgeleitet und fiir Schiffersterne erlirt werden. * Dagegen hat Miiller in seiner Schrift: Or- thomenos nachgewiesen und auch Nitzsch die Ansicht ange-

* Wie Hr. N, auch erklirt,

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nommen, dass die Plejaden zu der Sage von dem Jager. Orion gehéren, der auch noch als Sternbild am Himmel sein Revier um sich hat, einen agxrog, der auf ihn lauert, Eber (Yadag, suculos), einen Flug Tauben (neAeradac, per syncopen mAgadag) etc. -Hiemit erscheint die Berufung auf jene alten Sagen bereits theilweise wenigstens zweifelhaft. Indessen geben wir gerne zu, dass auch nach diesem und etwa noch einigen andern kleinen Abziigen immerhin noch genug von der ganzen Argumentation iibrig bleibt, um zu zeigen, dass Proteus und Eidothea, Atlas und Kalypso als Bild des phonikischen Volkes aufgefasst werden kénnten, wenn ein Dichter diesen Gebrauch yon ihnen machen wollte. Aber die Frage ist: ob Homer -dieses wirklich that? Hr. N. setzt diess zwar voraus, muss aber eben die falsche Krihe mit fremden Federn schmiicken.. Dean in Homer. selbst . findet sich von einer Beziehung der beiden mythologischen Paare, zu den Phénikern auch nicht eine Spur, Eben so wenig von ihrer Zusammengehorigkeit, von. den Sdulen des Proteus, von dem Verhéltniss zu Hercules und der ganzen Masse yon Sagen, die angefiihrt werden, um das Unwahrscheinliche wabrschéinlich 2 | machen. _ Niemand hat besser, als Hr. N. selbst, nachgewiesen, dass Homer ein klarer Dichter sei,. der sich durch sich und aus sich selbst erklart; denn auf diesem vollig ‘richtigen Satze ruht sein ganzes iibriges Buch; und hier plétzlich sollte man so vielen fremden Apparat néthig haben, um zu merken, was Ho-. mer eigentlich meine? Diess ist offenbar eine Inconsequenz, die ich a priori dem Ausleger beimesse. Denn yon Homer denke ich su hoch, als dass ich sie ihm zutrauen dirfte. Aber nicht. genug!. © Eine Menge weiterer Fragen reihen sich nun yon selbst an, deren wir nur einige bertihren. Nach Hrn. N.’s Darstellung ist offenbar Atlas die Hauptperson und Kalypso ihm untergeordnet; ist in der Odyssee die Wichtigkeit beider nicht gerade die. entgegengesetzte? Wenn Kalypso die verborgenen Factorien der Phoéniker im west- lichen Weltmeer bezeichnet, so wird also der e&@xeavopog des Odysseus angenommen; wie verhalt sich diess zu den neuesten Resultaten der Forschung, wonach Ogygia nur im einfachen Nord- westen von Ithaka gelegen sein kann? Und warum denn lasst Homer, der doch gewiss keine Bezeichnung adoptirte, ohne sie wenigstens einjgermassen zu verstehen, seinen Helden nicht we-. nigstens Einiges von den Merkwiirdigkeiten der tyrischen Factoreien auf Scheria erzahlen, abgesehen davon, dass die Menschenleerheit

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Ogygia gar wenig zu der lebendigen Beweguug eines Handels- platzes sich schickt?* Diese und noch, mehbrere Punkte wird man, wie gesagt, yon dem Standpunkte des fraglichen Erklarungs- versuchs aus, ohne Zweifel unaufgelést lassen. Man muss aber noch weiter gehen und sogar ablaugnen, was Schwarz auf Weiss geschrieben steht.’ So soll z. B. Proteus dem Menelaus_,,durch- aus nichts anderes gesagt haben, als was ein weitgereister Schiffer berichten kann!“ Und doch weissagt er demselben von seinem spiteren Lebensschicksal in grosser Ausfiihrlichkeit (Od. &. 561—569) und in einer Weise, die ganz den Verlauf der menschlichen Dinge tibersteigt, und Kenntniss des geheimen Gotlerwillens voraussetzt, wihrend ein Schiffer doch nur Ver- gangenes und Menschliches, nicht aber Kiinftiges und Gdottliches berichten kann.

Ohne in weitere Erérterungen des Einzelnen elnzugehen, ist durch das Gesagte gewiss so vicl.erhartet, dass Hr. N.’s Ansicht die fragliche Sache noch, keineswegs definitiv entschieden - hat und einer weiteren Hypothese immerhin noch Raum genug lasst. Eine solche erlaubt sich Ref. in Kiirze zu entwickeln.

Vor Allem trennt er Kalypso, und Atlas, Proteus und Eidothea von einander, da’ auch Homer sie nie und nirgends in Zusammenhang bringt. Was nun zunichst Proteus betrifft, so ist er nocsdawvog Unoduwg. Wenn nun Poseidon urspriing- lich die Personification des Meerganzen war, 80 ist Proteus tnoduas, ein untergeordnetes Meer, und zwar hier das agyp- tische. Dass dieses in seiner Reprasentation durch eine gitt- liche Person gerade Proteus heisst, hat vielleicht seinen ausse- ren Anlass darin, dass, wie man aus Herod. IJ. sieht, dieser Name iiberhaupt in der alten Geschichte Aegyptens eine Rolle spielt und zwar gerade bei dem Verhiltnisse zu Menelaos be- theiligt ist. Es liegt aber noch ein tieferer Wink duf kosmogo- nische Vorstellungen darin, sofern das Wasser schon fiir Homer, wie spater ftir die jonische Philosophenschule, der Urgrund aller Dinge, das modrov, das Erste war (oxsavog yeveorg mavredor

ow

* Wenn ferner Proteus phonikische Schiffer bedeutet, wie kommt es, dass Menelaos ohne alles Weitere mit ihnen Streit und Kampf beginnt, da diess doch weder der leichteste, tioch der ehrenhafteste Weg ist, um Kunde, welche man wiinscht, zu erhalten? Wie erklart sich die Erschei- mung der Eidothea, die als Verratherin ihres eigencn Vaters eine hdchst ' z2weideutige Rolle spielt?

_-Piidag. Revue. 1642 b, Bd. V. 12

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reruxrace Il. &..244 sq.). Allein wozu, fragt man, dieser mehr naturphilosophische Zug? Dazu, um eine poetische Anschauung zu gewinnen; denn eben durch jenen Zug ist Proteus bereits als yeoav dAcog gesetzt und motivirt. Fir einen yegav aber schickt sich eine reiche Erfahrung und umfassendes Wissen yon selbst. Ihm dieses zuzuschreiben, verlangt die ganze Natur seines Elements. Es ist durchsichtig, darum kennt Proteus die verbor- genen Tiefen des Meeres (Sadasong BevSec) schon in der sinn- lichen Region; auf dem Meere ist nach allen Seiten die weiteste Aussicht ohne Hinderiss offen, darum weiss Proteus iberali, was geschieht und geschehen ist; das gleiche Meer bespiilt die entlegensten Ufer und Proteus hat daher Odysseus auf seiner Insel gesehen und weiss yon Ajax und Agamemnons Untergang; auf dem Meere sieht man riickwarts und Proteus “kennt das Ver- gangene, man sieht in unendlicher Ferne vorwarts und Proteus durchschaut die Zukunft, hat die Gabe der Weissagung und ist hierin untriiglich, vyueorjg. Dass aber das Meer das verdander- lichste Element ist, verlich unserem Proteus die Gabe der Ver- wandlungen. In dieser Unsicherheit ist es voll Gefahren far den Menschen; darum heisst Proteus oAoogeay, odAogaica’ agac. Der Mensch, der sich unterfangt es zu befahren, lasst sich gewisser- ° massen mit Proteus, als einem listigen und gefahrlichen Gegner in einen Kampf ein. Auch Menelaos that diess. Aber, hilt man uns hier entgegen, ,,Menelaos kampft ja mit Proteus auf dem Lande; dieser einzige Satz wirft die ganze Hypothese in “ihr Nichts 2uriick!“ Keineswegs. Wir wollen dabei gar nicht in die Wagschale legen, dass nach den Ansichten der Alten ein Gott auf seinem Elemente iiberhaupt nicht leicht zu iiber- winden war und desshalb Homer sich. accommodirt. haben konnte, nachdem er einmal aus dem Naturelement eine selbst- stindige, freihandelnde Persénlichkeit geschaffen hatte. Nein, wir bleiben viel naher an der Sache. An dem Ufer sind '—

man vergleiche nur den Schluss des fiinften Gesangs mei- ~ stentheils Klippen und Untiefen, die um so mehr Gefahr dro: hen, wenn man in die See stechen wollte zur Zeit der Ebbe, da das Meer um eine betrichtliche Strecke zuriickge- treten ist und diese Strecke blossgelegt hat. Wenn nun aber Mittagszeit gekommen ist, zu der man-die Witterung des Tags zu schatzen im Stande ist und die Fluth zuriickgekehrt, dabei _das Meer dennoch still und ruhig ist, d. h. wenn Proteus wieder,

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wie laglich, ans Land gegangen ist und schlift, dann ist es der | rechte Augenblick, da der Schiffer, der schon zuvor auf diesen Proteus lauerte, und in Gespanntheit wartete, riistig mit Ihm den Kampf beginnt, d. h. ohne Verzug in die See sticht. Das that nun auch Menelaos und nicht leicht wiirde sich eine schénere dichterische Darstellung finden lassen, als die -homerische yon diesem Gange der Sachen. Bald aber erhebt sich ein Sturm

und hier eben ist nichts natiirlicher, als dass Proteus die Ge-— stalt aller méglichen Bestien annehmen muss, oder sich ,,baumt“ wie eine Pappel u. dgl. und den wenigen Menschen, die ihn bezwingen sollen, auf alle Weise bange macht. Sie wiirden auch ‘wirklich im Sturme untergehen, und unfahig sein den Proteus zu bemeistern, wenn ihnen nicht von ihrer Seite xaprocg re Bun te zu Gebote stiinde (Od. 6, 415), und wenn nicht, wie zu diesem, so zu vielem andern die rathselhafte Eidothea ihnen mit Rath an die Hand gegangen wire. Diese Eidothea heisst sonst auch Theonoe. Geht man von ihrem Namen aus, so erscheint als das wesentliche Element in ibrer Erschejnung beides Mal der vac, das evdevar, das Verstehen einer Sache. Sofern sie aber Tochter des Proteus selber ist, die nun dessen Feinden beisteht, so ist sie offenbar nichts anderes, als die auf dem Meere selbst gesam- melte Erfahrung, die etwas Gegebenes ist, und die in Verbindung mit der eigenen Kraft, xagrog re:@n re, allein befahigt, unbe- schaédigt durch Wetter und Sturm hindurchzukommen und also den Proteus zu iiberwaltigen. Wenn wir uns nicht irren, so haben in unserer Darstellung nun alle bedeutenderen Ziige ihren Ort und ihre Erlauterung gefunden. Diese Erklirung, die von dem ‘einfachen Namen ihren sicheren Ausgang nimmt, hat nicht nothig irgend liber die Grinzen des Schriftstellers hinauszugehen, sie lisst sich durch das Ganze verfolgen und stellt Homers schépferische Poesie in ein neues glanzendes Licht, wahrend bei Hrn. N.’s Erklérung von allen diesen Punkten nur das Gegentheil statt findet. ,Aber die Seehunde!“ hére ich einen Theil meiner Kritiker ausrufen. Nun, mit denen wiisste ich wohl, was anzufan- gen und wo sie einzureihen? Aber ich will die Seehunde diesen meinen Kritikern diessmal zum Anhaltspunkt grossmiithig belassen, sammt der ohowratog odun ; fiir die Ambrosia mégen sie selbst sorgen. Es ist noch Kalypso und Atlas iibrig, iiber welche wir kiirzer sein werden. Vor Allem erscheinen sie uns als selbstindig,

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wie oben schon bemerkt. Auch ist Kalypso bei weitem die Haupt- person, wahrend bei Hrn. N. dieses Verhialtniss sich geradezu umkehrt. Wir abstrahiren ferner von jeder phoénikischen und - andern Intervention, welche lediglich im Dichter nicht begriindet sind. Auch glauben wir nicht von geographischen Untersuchungen iiber Ogygia ausgehen zu miissen, die bis heute noch zu keinem Resultate gefiihrt haben. Vielmebr nehmen wir unsern Standpunkt wieder in dem Namen und in der Sache. Lesen wir die vier ersten Biicher der Odyssce, so ist nur am Eingang des Werks in der Géttersitzung von Odysseus so die Rede, dass der Leser vorlaufig iiber sein Schicksal: beruhigt sein kann. Ausserdem spielt dic Handlung immer bei Penelope und Telemach, die um - den Verlorenen schon viele Jahre trauern, alle Miihe anwenden, um zu erfahren, wo er, wenn er etwa noch am Leben ist, sich befinde, jedoch ohne Erfolg; er ist fiir sie und Jedermann wabrend dieser ganzen Zeit im ,,Lande der Verborgenheit,“ oder um das Abgeschiossene noch naher zu bezeichnen und statt des deutschen sogleich einen griechischen Namen zu setzen: ,er ist auf der Insel der Kalypso.“ Diese Insel aennt Homer: Ogygia, wel-— ‘ches:‘Buttmann von cynv==cxeavog ableitet (wobei wir nur noch ‘fr den zweiten Theil des Worts den Stamm dygog beiftigen miéchten, wie denn das Meer oft vyen heisst, zB. Od. V, 45; das @ gehort bekanntlich zur Form, wie in xudeo¢, atcyeog U. 8. W. Unter Oceansinsel ist aber nicht sowohl die Lage selbst ‘ange- zeigt, als vielmehr nur ausgesagt, dass sie iiberhaupt in das Gebiet des Unbekannten gehére. Hat man nun einmal die Ver- borgenheit als Kalypso personificirt, so erscheint ihre géttliche Wiirde (Sia Sedov) nicht nur als das in solchen Fallen ohnehin Gewohnliche, sondern wird auch gefordert durch die Macht und den Einfluss, den diese Verborgenheit auf Od. und seine Ange- hérigen ausiibt. Dass er nun in dieser Verborgenheit so lange verblieb, heisst in dichterischer Sprache ausged?iickt: Kalypso. wollte ihn nicht mehr von sich lassen. Warum diess? Sie war ein Weib, er ein ausgezeichneter Mann; also lag als Grund sehr nahe anzunehmen, dass sie ihn als Gemahl zu behalten wiinschte, Unméglich aber konnte sie hoffen, ihn hiezu zu bewegen, wenn sie ihm nicht fiir dasjenige, was er zu entbehren hatte, einen hinreichenden Ersatz biefen konnte. Desswegen wird der Umstand, dass Odysseus auf der Insel seiner Robinsonade nicht nur Ret: tung seines Lebens, - sondern auch ein in dusserlichen Dingen

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wohlbesorgtes, gemiachliches und .angenehmes Lebén fand, von

dem Dichter beniitzt, um die Insel mit alle Reizen auszustatten,

die im fanften Buche selbst ein Gott bewundern muss, und um

ihm von Kalypso die schénsten Anerbietungen auch fir die Zu-

kunft machen zu lassen, sofern er sich-entschliessen kinnte, bei

lbr zu bleiben. Und hier ist die Stelle, wo der bei Kalypso nur

beildufig erwahote Atlas gleichfalls beilaufig bereinigt werden kann.

Wenn Odysseus iiberall auf seinen -Irrfahrten der noAvriag ge-

nannt wird, so ist dagegen Kalypso, bei der er verweilt, eine

Tochter des “ArAac, das heisst, sein einsames, verborgenes Leben

ist doch aufs engste verwandt, verbunden und Eines mit einem

leidensfreien (a priv. und rAnjue), so dass die nahere Be- zeichnung der Kalypso als Tochter des Atlas nur als der kurze

Ausdruck erscheint fiir die iibrigen Schilderungen ihrer Pracht und Herrlichkeit. Es hat dennoch auch-der Name durch ein gewisses Witzwort, oder besser durch einen bei Homer nicht selte- nen Wortwitz vermége der Antithese von noAvrAag und ard@g seine gule poetische und innerliche Bedeutung ‘fir die Sache gewonnen, wahrend bei Hrn. N. Alles viel zu ausserlich und historisch bleibt.

Uebrigens verbergen wir uns nicht, dass sowohl in dem letzteren Mythus, als auch bei Proteus und Eidothea immerhin noch Einiges nicht véllig aufgelést ist. Irgend auf die Schifffahrt-muss doch Proteus bezogen werden. Mag man nun mit Nitzsch ,,an die Schifffahbrt im unbekannten Ostmeere, wo‘man die Robben fangt und oft-erst nach vielen Kampfen mit Elementen und Stiirmen heimgelangt“ oder mit Stuhr an atmosphiarische Erscheinun- gen auf dem Meere oder mit Hro. N. an phénikisches Schiffs-. wesen denken, so bleibt es immerhin unbequem, dass yon v. 571 an gleichsam die Fahrt des Menelaos in prosaischerer Poesie

nochmals wiederholt wird. Diese Schwierigkeit lasst sich heben von. dem Gedanken aus, dass der Proteuskampf jedenfalls von der gemeinen Anschauungsweise so weit in seiner schépferischen Darstellung entfernt liegt, dass er wirklich nur wie eine Art selb- staindiger Episode noch aussieht und sich daher eine einfachere Beschreibung des Hergangs nicht als Wiederholung, sondern nur - als Fortsetzung liest; jedenfalls bleibt sie fiir alle Arten der Auf- fassung die gleiche und kann-daher gegen unsere Ansicht eine Instanz um so weniger bilden, als gewiss bei derselben der Dichter mehr, als bei anderen, in seiner Glorie als Dichter sich unserem Blicke zeigt.

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Aber wir kehren zu Hrn. N. zuriick, jedoch nur um uns von ihm mit einem freundschaftlichen Drucke der Hand, die im Ganzen so Treffliches geschrieben, unter Wiederholung unseres Dankes fir seine Arbeit und mit dem Wunsche zu verabschieden, dass er noch manche dbnliche Arbeiten zum wahren wissen- schafilichen und pidagogischen. Nutzen unserer Jugend uns zu Theil werden lassen mdge. _ Ed. Eyth. Platonis opera. Recognoverunt J. G. Baiterus, J. C. Orellius, A. G. Win-

kelmannus, Turici, impensis Meyeri et Zelleri. 1838 1842. XIX.

Voll. 16. Mit dem 19. Bandchen ist nun die kleinere oder Schulaus—

gabe des Plato nach der Bearbeitung der Zitiricher Herausgeber beendigt. Da diese Ausgabe mit dem gleichen, nur in kleineres Format umgebrochenen Satze, wie die Quartausgabe gedruck&- ist, so ist auch der Text derselbe ohne Veranderung. Bekannt— lich sind dem Texte des Plato nach Imm. Becker und Stallbaurm noch viele Berichtigungen und Verbesserungen durch die Ziiricher- Herausgeber zu Theil geworden, so dass derselbe eigentlich ales eine ganz neue Recension erscheint und wohl fiir geraume Zeit als. Grundlage fiir alle weitern kritischen Bearbeitungen der Pla— tonischen Schriften gelten wird.. Zu diesem wesentlichen innerrm Vorzuge muss auch das Lob einer wabrhaft musterhaften Correct— heit und einer das Verstandniss sehr firdernden, klaren und gut durchgefiihrten Interpunctionsweise hinzugefiigt werden. Das gleiche giinstige Urtheil kommt also auch dem Texte der anzu- zeigenden kleinern Ausgabe zu gute. Wer itiberdiess die Erfah- rung gemacht hat, wie sehr ein angenehmes Aeussere geeignet. ist, Schulbiicher der Jugend zu empfehlen, und wie sehr es den Reiz bei ihr vermehrt, sich mit solchen Biichern zu beschaftigen, der wird auch das niedliche Format, den schénen und zarten Druck und die Weisse des Papiers an dieser Schulausgabe sehr schatzbar finden, die also im Innern und Aeussern Plato’s wiirdig und fiir die Jugend ansprechend ihr vor Augen tritt. Die anno- tatio critica der Quartausgabe ist zwar in der kleinern weggefallen, dafiir aber sind viele Bandchen der letztern mit Zugaben ausge- stattet, deren die gréssere Ausgabe entbehrt, und welche auch dem gelehrten Leser willkommen sind. Wir meinen die Prae- fationes, Epistolas criticas und éhnliche Zugaben, theils von den Herausgebern, theils von den Herren Hermann Sauppe und Salomon Voégelin, in denen meistens Stellen des Plato kri-

| 175 tisch erdrtert und erklart werden. Fiir den Credit, den die Aus- gabe bereits geniesst, spricht auch der bedeutende Absatz, den sie nicht allein in Deutschland und in der Schweiz, sondern auch im Ausland, namentlich, wie wir vernehmen, in England gefunden hat, dergestalt, dass ungeachtet der starken Auflage einzelne Bandchen, denn die kleinere Ausgabe wird -auch in einzelnen Bandchen verkauft, in kurzer Zeit vergriffen waren, und von denselben schon 1839 eine editio altera herausgekommen ist. Auch der Preis ist nach Verhiltniss des Geleisteten sehr missig. Ganz abnlich eingerichtet, wie die Ausgabe des Plato, und im gleichen Verhalinisse zur Quartausgabe der Attischen Reduer Sind auch die Schulausgaben der: Oratores Attici, recognoverunt Jo. Georgius Batterus et Hermannus Seuppins. Turici. Impensis.S. Hoebrii. 1838 1842... Davon sind bis jetzt erschienen Pars I. Antiphon. P. I. ~Andocides. P. Il. Lysias. P. IV. Vol. I. et Il. Isocrates. P. V. Ksaeus. P. VI. Lycurgus et Dinarchus. P. VII. Aeschines. P. VIII. ‘Wol. I, II, II. Demosthenes. Da die letzte Rede des Vol. IIL. Clie gegen Aristokrates ist, so sind noch drei Bandchen De- Xwosthenes zu erwarten. Format und dussere Ausstattung ist gzleich, wie bei Plato, nur ist das Papier von minderer Weisse. Wruckfebler sind auch hier dusserst selten zu finden, wie etwa. Antiph. tetral. B. 3. §. 10 dmoxsivavra, oder de caede Herodis §. 29, wo die Quartausgabe richtig sig ryv Aivov, die kleine aber den Febler sig tyv oivoy hat. Noch in héherm Maasse, als bei Plato, haben die Herausgeber eine neue, eigene und selbstan- dige Textesrecension der Redner geliefert, und es ist kaum ein Blatt, welches nicht wichtige Abweichungen von der Bekker’schen Recension und bedeutende Verbesserungen enthielte. Dieses Ur- theil gilt zwar von allen in der Sammlung enthaltenen Rednern, am meisten aber von Demosthenes, wo die Umgestaltung des Textes eine durchgreifende war. Die Herausgeber hatten sich namlich tiberzeugt, dass von den Textesrecensionen des Dem., die uns aus dem Alterthum in den Handschriften tiberliefert sind, jene des Cod. Par. 2, von welchem wie von andern Hand- schriften des Dem. Hr. Rector Vémel in Frankfurt in seinem schitzbaren Programme Schriftproben gegeben hat, als die beste und glaubwiirdigste zur Grundlage zu nehmen sei, von der man fast nur nothgedrungen abgehen miisse. Der verdienstvolle J. Bekker war hier noch zu eklektisch verfahren und auf halbem

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Wege stehen geblieben, und natiirlich, weil es Anfangs schwer fiel, von dem angenommenen und von Jugend auf angewéhnten Texte sich zu weit zu entfernen. Da aber an vielen Stellen der besagte Codex anerkannt die trefflichsten, tiefgriindigsten und bei naherer Untersuchung durth ihre Giite tiberraschendsten Les- arten gibt, so war kein Grund, ihm zu misstrauen, wo er ent- behrliche Ausfillsel weglisst, bei deren vielen es einem diinkt, dass man die Art ihrer Veranlassung und Entstehung probabel nach- zuweisen sich anheischig machen kénnte. Dem. verliert dadurch nicht von seiner rhetorischen Fille und Rundung; sein Ausdruck | wird darum weder abgebrochen noch eckig, sondern er gewinnt ' an Korn, an Biindigkeit und Nachdruck. Es bekommt bei Be- trachtung der andern Familien fast das Ansehen, als ob der im Alterthum viel gelesene und in den rhetorischen Schulen behan- delte Dem. schon friith die Hinde von ausplattenden und fiber- ‘arbeitenden Rhetoren erfahren hatte, woher eine gewisse Abthei- lung der Handschriften stammt, wahrend in dem Cod. Par. 2 sich eine reinere und unverfalschtere Recension wunderbar er- halten hat. Wir glauben daher, dass Franke in seiner gut gear- beiteten Schulausgabe der Philippischen Reden wohl noch etwas weiter hatte gehen diirfen, und glauben auch beim Durchmusterr mehrerer Reden wenige Stellen gefunden zu haben, wo nach un- serm Dafirhalten die Zéricher Herausgeber dem Cod. = zuliebe zu viel gewagt hitten.

Hieraus ist abzunehmen, wie ganz anders gestaltet in ‘dieser Ausgabe Dem. aussieht; und wie an vielen Stellen schon die Bekker’sche Recension ungeniigend erscheint, die nach der Reiske’- _ schen Recension aber gefertigten Textesabdriicke, wie die Tauch- nitzer und auch die Weigel’schen, grossentheils nicht mehr brauch- bar sind. Ebenfalls durchgreifend und eigenthiimlich, wenn schon in geringerm Masse als bei Demosthenes, nach Mitgabe der vor-. handenen und zum Theil von den Herausgebern erst griindlich gebrauchten Hiilfsmittel, sind auch die Bearbeitungen der iibrigen _ Redner, insbesondere des Isokrates, des Lysias und des Antiphon. - Zu bedauern ist, dass bei dem letztern Matzner’s Ausgabe nicht mehr benutzt werden konnte. Wiewohl Hr. Sauppe den von Mitzner bevorzugten Cod. Oxon. N. stark in Verdacht bringt, von | einem zwar kundigen und. ingeniésen Abschreiber interpolirt worden zu sein; ein Verdacht, den er in seiner epistola critica - ad Hermannum mit Mehrerem begriindet, und zeigt, dass Cod. -

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Oxon. N. oft aus purer Conjectur das Rechte haben mige. Auch in vielen andern Punkten ist jene epistola critica iiber die in der Ziiricher Ausgabe der Redner geiibte Kritik sehr lehrreich. Ueberhaupt bei der Ansicht ihrer Arbeit tiberzeugt man sich bald, wie die Herausgeber neben dem Jedermann Zuginglichen und einigem Seltenen die Masse der besonders seit J. Bekker’s Ausgabe angelaufenen Zahl grésserer und kleinerer Schriften tiber | die Redner in seltener Vollstandigkeit besessen und benutzt haben, und dass ihnen, wenn auch an einzelnen Stellen Einiges, doch im Ganzen Weniges entgangen ist. Die griindliche und feine Keontniss der Sprache, die sie schon in friihern Arbeiten, z. B. Baiter zum Isokrates, und er mit Sauppe zum Lykurg bewahrt hatten, verbunden mit sicherm gliicklichem Blick und richtigem Gefibl, beweisen die Herausgeber auch in der umfassénden Arbeit trefflich; und diese Eigenschaften -sammt dem Fleisse und der rihmlichen Ausdauer haben in der so solid und verhaltnissmassig so-rasch geférderten Ausgabe ein schénes Denkmal dessen gelie- fert, was unsre Zeit fir diese edeln Ueberreste des Alterthums . 2 leisten fabig war. Auch in Conjecturen 2u verdorbenen Stellen sind sie, besonders Sauppe, oft sehr gliicklich gewesen.. Die amotatio critica der Quartausgabe gibt davon Zeugniss. Dunkle und unverdauliche Stellen sind oft wie durch einen plétzlichen Lichtstrahl in die wahre Beleuchtung versetzt und geniessbar gemacht worden. Wir haben an der kleinern Ausgabe einzig das - als Mangel auszusetzen, dass in derselhen nicht unten am Rande ‘eine Auswahl fremder und eigener Conjecturen, wenn schon nicht bei Demosthenes, wo es minder nithig ist, so doch bei mehrern andern Rednern ist beigefiigt worden. Dem zur Wissenschaft sich vorbereitenden Schiiler, der bei rauhen Stellen nicht yom Flecke kommt, ist es schon erwiinscht, durch eine unten beigefiigte Con- jectur die Stelle bezeichnet zu sehen, wo wahrhafte und nicht | bloss in seiner eigenen Unzulanglichkeit liegende Schwierigkeiten © sich finden. Er schreitet freudiger fort in seiner Vorarbeit, wo - ihm zu -einigem Verstandniss einer schlimmen Stelle durch eine Conjectur ein Schliissel in die Hand gegeben wird, wahrend ihn bei vergeblichen Bemiihen auf holprigem Wege bisweilen Muth- _losigkeit tiberfallt. Besondere Zugaben, als wie bei Plato, haben tibrigens die kleinern Ausgaben der Redner keine, ausgenommen, dass dem Aeschines eine vollstindige Collation des Helmstadter, jetzt Wolfenbittler Codex, den der Bibliothekar Karl Schénemann den Herausgebern mit geriihmter Gefalligkeit nach Zirich gesandt hatte, beigegeben ist. : R. Rauchenstein.

bd

DRITTE SECTION. Culturpolitische Annaien.

I. Allgemeine Schulzeitung. A. Deutschland.

a. Allgemeine deutsche Angelegenheiten. Universitéiten.

Herbart und seine Philosophie. *

Die grossen Verdienste, welche sich Herhart praktisch und theoretisch um die Padagogik erworben, veranlassten ats, den Nekrolog der Pr. St. Z, (Nr, 250) hier zu reproduciren. Und da Herbarts padagogische Apsicht ein Ausfluss seiner Philosophie ist, so figen wir einen (wabrscheinlich von Prof. Drobisch geschriebenen) Artikel der A. A. Z. zur Charakteristik der Herbart’schen Philosophie bei. Nachstens werden wir auch dber den von Prof. Hartenstein herausgegebenen, fair Padagogik sehr interessanten Herbart’schen Nachlass berichten.

Vor kurzem schied aus der Reihe’der Lebenden ein Mann, der, £0 entgegengesetzt die Urtheile des Beifalles und Missfallens sind, welche iber iha ergingen, nach allgemeiner Anerkennung zu den ausgezeichnet- sten Denkern unseres Vaterlanides und unseres Zeitalters gerechnet wird. Wie auch einst die Geschichte den denkwirdigen Zei#raum in der Ent wickelung der Philosophie auffasse, welcher von der durch Kant begor- - penen Reformation in ununterbrochener Kette bis in die Gegenwart hinein- reicht; was sie auch im Ueberblicke des Ganzén als den wesentlichen Ertrag der Gegensatze und Kampfe ansehen mag: dem Namen Herbarts wird die Tiefe, die Besonnenheit, der Umfang seiner philosophischen Untersuchung und ihr eigenthamliches Verhdlamiss zur vorherrschenden philosophischen Zeitrichtung immer eine bedeutende Stelle darin sichern.

Johann Friedrich Herbart wurde 1776 zu Oldenburg geboren,, wo sein Vater die Stelle eines Justizrathes bekleidete. Wie frahzeitig schon eia selbstandiges Nachdenken in ihm erwachte, erfahren wir mittelbar von ihm selbst; denn in dem Vorworte zu der ersten Ausgabe seiner ,Hauptpunkte der Metaphysik,“ welche er 1806 far seine Zuhdrer drucken liess, sagt er: ,In der Stille sind die-Gedanken, deren karzeste Bezeichnung hier erscheint, wdahrend des Laufes von achtzehn Jahren auf eigenem Boden gewachsen und gezogen, Seien sie nui auch anderen Denkern empfohlen!* Der Religionsunterricht hatte dem zwdlfjahrigen Knaben die Veranlassang zu ernsteren Fragen gegeben und zu einer Gedankenvertiefung, in welcher noch der Mann den Anfang seiner philosophischen Entwickelang erkannte. Mit dem achtzehnten Jahre bezog Herbart die Universitat Jona. Es war diess die Zeit, wo Fichte durch die Festigkeit seiner Ueberzeugung, durch die Energie seines Charakters und durch die hinreissende Kraft seiner Rede eine Begeisterung fir Philosophie unter der akademischen Jugend erregte, der an Lebhaftigkeit kaum die Zeit der kraftigsten Wirksamkeit Hegels in

* Dic beiden hier folgenden Artikel schickte ich im October v. J. von Augsburg zum Abdrucke. Sie wurden in der Druckerei verlegt and haben sich erst jetzt bei meiner Anwesenheit in Stuttgart wiedergefunden. Daher die sonst unecrklarliche Verspatung. D.

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Berlin gleichkommen méchte. Wenn Fichte aber die meisten seiner Zohérer die geistige Gewalt ubte, dass er sie, seiner eigenen Forderung gemiss, ram Verstindniss, und diess hiess ihm zugleich zur Beistimmung, zwang: ‘© war dagegen sein Einfluss auf Herbart der entgegengesetzte; denn je nebr sich dieser in Fichte’s Speculation vertiefte, um so fester ward ihm lie Ueberzeugung, dass das Ich nicht das Absolute sei, welches die Welt, las Nicht-Ich aus sich producire, sondern vielmehr ,,von tausendfaltigen ledingungen umwickelt“ und nur aus ihnen begreiflich. Eine Hauslehrer- telle in der Schweiz, welche Herbart nach seinen Studienjahren annahm, rachte ihn in eine Bekanntschaft mit Pestalozzi, welche zu einer seiner rahesten litterarischen Arbeiten ,,Pestalozzi’s A B C der Anschauung* den achsten Anlass gab, ohne den Inhalt und Charakter dieser interessanten ebrift wesentlich zu bestimmen. Nach Deutschland zurickgekebrt, hielt r seit 1802 philosophische Vorlesungen an der Gdttinger Universitat und vard 1805 daselbst zum ausserordentlichen Professor ernannt, Im J. 1809 sigte er einem Rufe als ordentlicher Professor an der Universitat za Kénigs- erg. Was er dieser Universitat wahrend der vierundzwanzig Jahre seiner brthatigkeit war, das bewahren alle diejenigen in dankbarer Erinnerung, relche, bloss als Zuhdrer in seipen Collegien, oder in naherer Beziehung a ihm, besonders durch seine paddagogischen Uebungen, seine philoso- hische Anregung erfubren; zugleich aber lebt in allen gebildeten Kreisen er Stadt das Bild des Mannes, dessen vielseitige Bildung den Gelebrten ergessen liess, und dessen grossartige Persénlichkeit, wo sie Hochachtung ebot, zugleich Liebe einflésste, Der Wunsch Herbarts, nach Hegels Tode n einen Platz gestellt zu werden, der ihm eine ausgebreitetere Wirksamkeit = sichern schien, ging nicht in Erfillung. Im J. 1833 folgte er dem Rufe Is ordentlicher Professor und Hofrath nach Gottingen. Hier wirkte er in mermideter, durch das Alter nicht geschwachter Thatigkeit als Lehrer und hriftsteller bis in die letzten Jahre, ja bis in die letzten Tage seines ebens. Anfille von Podagra, von welchem er im letzten Jahre dfters zu siden hatte, brachten darin keine wesentliche Stérung, und die Ristigkeit einer dusseren Erscheinung tduschte selbst néher Befreundete mit falschen loffnungen. Er selbst hatte in der letzten Zeit die bestimmte Ahnung eines nahen Todes und sprach dabei gégen einen nahen Freund. nur den Vansch aus, dass es ihm vergénnt sein mdge, eine psychologische Unter- wchang, die ihn eben besehaftigte und zu der er sich vorziglich berufen Jaube , abschliessen zu kénnen. Noch am 11. August las er seine Colle- ieu mit der edeln, kraftvollen Bewegsamkeit, welche seine Schiler an hm gewohnt waren; in der folgenden Nacht traf ihn ein Anfall von Stick- lass, der, nach scheinbarer Genesung am 14, des Morgens wiederholt, ein Leben endete. ~ . - , Wollte man diese einfachen Umrisse von Herbarts dusserem Leben reiter im Einzelnen ausfihren,. wollte man noch die ausgebreiteten Stu- ion hinzufigen, welche er den Philosophen aller Zeiten, besonders denen ‘es Alterthums und der letzten Jahrhunderte, der naturwissenschaftlichen forschung, der Mathematik in ihrem ganzen Umfange widmete, man wirde lamit nur den Umfang des Gebietes, den Reichthum des Stoffes bezeich- en kénnen, welchen er beherrschte; die Eigenthimlichkeit des Geprages, velches er jedem Stoffe gab, bleibt, daraus unbegriffen, die selbstandig freie ‘hat seines phildsophischen Geistes, Und in diesem eigenthimlichen Gé- tige ist bei Herbart wabrend einer vierzigjihrigen schriftstellerischen mufbahn kein Wechsel zu bemerken; so wenig irgend eine seiner Schrif- pa mit einer anderen so zusammenstimmt, dass sie dieselbe ersetzen oder arch sie. entbehrlich werden kénnte, so sind es doch dieselben Grund- deen, welche alle seine Schriften, selbst die in weiteren Abstanden von inander entfernten, durchdringen, Schon seine frihesten Schriften,. einer- eits praktischen Inhalts (Allg. prakt. Philosophie 1808. Allgem. Padagogix 806 un. a.), andererseits theoretischen (Ueber philosophisches Studium 1807 lanptpunkte der Metaphysik 1808, LEinleitung in die Philosophie 1813, te Auflage 1837, u, a.), enthalten eine zwar gedrangte, aber vollstandige

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Darstellung der: Grandzfige seines philosophischen Systems, und in der Ueberzeugung, die Einsicht in das Wesen seiner Speculation und die un- befangene Prifung dem ndlichen Forscher damit erdffnet xu haben, wendete Herbart dann alle seine geistige Kraft auf die Ausbildung der Psychologie, Aber ,die schéne charaktervolle Sprache“ in den praktischen Schriften, welche Jean Paul einmal rihmt, schien den meisten Lesern die Scharfe der darin herrschenden Begriffe zu verdecken, und die Gedrangen- heit der Gedanken in dem wichtigsten Werke der sweiten Reihe, den metaphysischen Hauptpunkten, brachte mehr Missdeutangen als Vorstaéndnis hervor. Herbarts Philosophie blieb grossentheils unverstanden oder unbe- merkt. Erst als er in der ,Psychologie als Wissenschaft, neu _ gegrindet auf Erfahrang, Metaphysik und Mathematik. 1824. 2 Bde.“ das Werk seines Lebens dem Publikum dbergab und bald darauf die ausfabrliche Darstellu der Metaphysik nebst den Anfangen der Naturphilosophie folgen liess (4 2 Bde.), erdffnete er sich ein Verstandniss auch in weiteren Kreisen, wor- auf gestitzt er in seinen folgenden Schriften einzelne Seiten der Philoso- phie einer weiteren Ausbildung zufahrte. Und wenn seitdem auch andere Denker bemiht waren, selbstandig die von Herbart aufgestellten Prinzipies su entwickeln, so hat man nicht mit Unrecht zuweilen von einer Herbart’schen Schule gesprochen. Es ist hier nicht der Ort, den Reichthum und die Vielseitigkeit von Herbarts litterarischer Thatigkeit auch nur andeutend sa bezeichnen. Schon der flichtigste Blick darauf wirde uns nicht nur dic Energie des Geistes zeigen, mit welcher er ein halbes Jahrhundert hin- durch, unbekimmert darum, was auf das Zeitalter Eindruck machen und seinen Beifall gewinnen kénne, der Erforschung der reinen, dber allen Wechsel der Zeit erhabenen Wahrheit sich hingab, sondern eben so sehr ein kanstlerisches Talent der Darstellang, wie es sich mit dem philosophi- schen Genie selten vereinigt findet. Herbart besass in der miandlichen ‘Rede, im zusammenhangenden Vortrage wie im Gespriche, eine Gewalt des Gedankens fiber die Sprache, welche bewaltigend wirkte, ehe sie erhob. In seinen Schriften bekundet sich diese Herrschaft zunachst in der Mannigfaltigkeit der Darstellung; denn von der gedrungenen Kernsprache der metaphysischen Hauptpankte bis zum Tone des anmuthigen Gespraches, in welchen Ironie und Humor leicht eingehen, oder der erhobenen Rede, welche Ueberzeugung fordert und erzwingt, werden alle Formen der Dar- stellung durchlaufen, deren die Prosa im wissenschaftlichen Gebrauché | fahig scheint. Jeder Gedankenkreis findet wie von selbst die ihm eigea- thimliche Darstellungsform, und alle Kunst der Sprache dient wieder nur der Sache, der Darstellung einer Gedankenwelt, deren willkirliche Fest- stellung seines Lebens Werk und Tugend war. Ein Bild dieser Gedanken- welt, eine Skizze des philosophischen Systems wirde erst die geistige Gestalt des Denkers uns vor Augen stellen, Wir missen uns diess hier versagen und kénnen nur die Stellung, in welcher Herbarts Philosophie za der gesammten philosophischen Entwickelung der neueren Zeit steht, nach ein paar Hauptgesichtspunkten im Allgemeinen bezeichnen. Kant spricht einmal den Gedanken aus, die Philosophie sei bisher von der Voraussetzung ausgegangen. unsere Erkenntniss misse sich nach den Gegenstaénden richten, doch habe sie auf diesem Wege zu keinem wesent- lichen Fortschritte gelangen kénnen. ,Man versuche es daher cinmal, ob wir nicht in den Anfgaben der Metaphysik damit besser fortkommen .k6a- nen, dass wir annehmen, die Gegenstinde miassen sich nach unserer Er- kenntniss richten.“’ Kants eigene philosopbische Richtung ist in diesen Wortes nur‘uneigentlich und halbwahr bezeichnet, aber es ist, als habe der Ausspruch eine prophetische Wahrheit gewinnen sollen. Denn Fichte's Idealismus , Schellings Identitats-Philosophie, Hegels absolate Dialektik, in ununterbrochener Folge und in steter Steigerung und Scharfang des Ge- dankens einander fortsetzend , verfolgen den hier bezeichneten Weg bis dahin, wo die nothwendigen Momente des Denkens zugleich die des Seins selbst, die Dialektik des Denkcns die immanente Dialektik der Sache: ist. In mannigfachen Modificationcn schliessen sich den genannten drei Heroen

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der neueren Philosophie fast Alle an, welche auf diesem Gebiete mit eini- ger Bedeutung aufgetreten sind. Herbarts Philosophie bildet zu dieser ge- sammten Richtung den entschiedensten Gegensatz; sie kann keiner ibrer einzelnen Erscheinungen yntergeordnet werden, sie lasst mit keiner, selbst mit der Kantischen nicht, eine wesentliche Vergleichung zu. Denn wo es sich um die Erkenntniss dessen handelt, .was ist, ist die Erfahrung, welche uns gegeben und an deren Auffassung wir gebunden sind, fir Herbart die einzige sichere Grandlage, und der Gedanke, aus dem reinen Denken zum Sein za gelangen, ist aus dem Bereiche seiner Speculation verbannt. Die Erfabrung ist ihm aber nur die Basis der Erkenntniss, nicht selbst schon Erkenntniss, denn ihre Auffassung fihrt auf widersprechende Begriffe, welche einen Fortschritt im Denken verlangen, um richtig, d. h. wider- sprachsios dénkbar zu werden. Die zugleich widersprechenden und durch die Erfahrang gegebenen Begriffe sind fir die Herbart’'sche Metapbysik die Probleme, welche ein nothwendiges Fortschreiten des Denkens iber die Erfahraumg binaus motiviren. Der Widerspruch in den Begriffen ist daher ein eben so bedeutendes Moment in der Herbart’schen, wie in,der Hegel’- schen Speculation; aber die verschiedene Stellung zu demselben charak- terisirt am leichtesten den Gegensatz der beiden Systeme. Bei Hegel ist der -Widerspruch in die Sache selbst verlegt, und dem dialektischen Denken ist es wesentlich, dass es den Widerspruch festhalte; Herbart dagegen sicht im Widersprache nur eine unvollendete Reflexion aber die Erfahrung, welehe noch die Ergénzungen suchen muss, darch die jene Erfahrangsbe- griffe widerspruchslos denkbar werden. Heraklit und Parmenides scheinen in ihrer alten Grésse, erfallt mit der gesammten neueren philosophischen Bildung, auferstanden zu sein. Hegel verwickelte die Knoten immer fester, welche Herbart su lésen bemiht ist; Hegels Resultate sind Herbarts Pro- bleme. Dasselbe Ueberschreiten der Erfahrung, welches schon im ge- wohniichen Denken vorkommt, wenn man zu der an sich undenkbaren | Verdnderung die Ursache voraussetzt, welche doch als solche niemals Gegenstand der Erfahrung ist, dasselbe Ueberschreiten, aber mit methodischer Nothwendigkeit, hat bei Herbart die Metaphysik durchzufahren, um za den Voraussetzungen zu gelangen, durch welche die Erfahrung begreiflich wird, und so ,die Erfahrung mit sich selbst za verséhnen.* Am aus- fihrlichsten hat Herbart in diesem Sinne die Psychologie bearbeitet. Die Thatsache der inneren Erfabrung, dass uns das Selbstbewusstsein als Iden- titat des Sabjects und Objects gegeben ist, als Identitdt also dessen, was nur im Gegensatze zu einander seine Bedeutung hat eine Thatsache, welche Fichte zuerst mit der ganzen Scharfe seines Geistes herausstellte und mit genialer Kihnheit zum Principe seines Systemes erhob fibrtin nothwendigem Gedankengange za den Voraussetzungen, unter welchen die Entstehung solcher Identitét denkbar wird. Der Charakter der Psychologie wird damit wesentlich umgestaltet; denn wenn diese Wissenschaft von Aristoteles bis auf unsere Zeit allgemeine Classenbegriffe der Seelener- scheinungen, wie Verstand, Vernunft, Gefahl u. a. als reale Krafte der Seele bald offen, bald verdeckter, bald als neben einander bestehend, bald als Entwickelungen aus einander, darstellt, so fahrt dagegen Herbarts psychologische Theorie auf die einzelnen, individuellen Zustinde der Seele, die einfachen Empfindungen und Vorstellungen zuraick, welche erst darch ihren Gegensatz in der Einheit der Seele zu Kraften werden und durch die mannigfaltigsten Verhaltnisse der gegenseitigen -Hemmung und Verschmelzung den ganzen Reichthum der psychischen Phinomene von den einfachsten Anfdngen bis zu ihrer héchsten Spitze im Selbstbewusstsein erzeugen. Da die individuellen Vorstellungen ihrer Intensitét nach eine Grédssenvergleichung schon erfahrungsmassig zulassen, so ist hiermit der hypothetischen Anwendung der Mathematik der Zugang erdffaet, wodurch den gefundenen Gesetzen mit leichterer Beweglichkeit zugleieh hdhere Bestimmtheit gegebon wird. Die Grossartigkeit des Gedankens, der Natur- lehre der Seele dasselbe Mittel wissenschaftlicher Scharfe za geben, durch welches die Erkenntniss der gesammten Natur erstarkt ist, die Ausdauer

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in dessen Ausfahrang und die dadarch gewonnene dberraschende Einsicht in die gewdholichsten und darum wichtigsten Seélenerscheinungen; diess Alles sollte dahin fihren, nicht, wie es bisher mannigfach geschehen ist, das Bequeme und Gelegene aus dem Zusammenhange herausgerissen zu -entlehnen und sich anzueignen, sondern die Theorie im Ganzen-~und Ein- zelnen zu prifen, um sie, wenn ihre Grundlage fest ruht, in ihrer Ent- wickelang weiter zu faibren. Herbart, der von den Jahren seines akade- mischan Studiums bis zu seinem Todestage unablassig mit dieser Unter- suchung‘beschaftigt war, sah in dem, was er gearbeitet, nur die ersten einfachsten Grundlinien zu einem kinftigen System der Psychologie, wel- ches sich mit der Ausbildung der Naturwissenschaften einigermassen ver- gleichen liess. ~~

Einen zweiten Hauptgegensatz der Herbart’schen Philosophie za der von Fichte bis auf die Gegenwart hauptsachlich herrschenden -Richtang bezeichnet die Stellung der Ethik in seinem Systeme. Seit Fichte gilt es als unbezweifelt, dass ein philosophisches Wissen, welches diesen Namen verdienen solle, nicht nur in seinen Resultaten sich za einem zusammen- stimmenden Ganzen abschliessen, sondern eben so aus einem Principe her- vorgehen miisse, dass Metaphysik und Ethik zwei Aeste seien, die aus demselben Stamme sich erheben. Bei dem Vorberrschenden des theoreti-- schen Interesses war die nothwendige Folge hiervon, dass die Ethik ihre Selbstandigkeit verlor und mit der Erweiterung des philosophischen Gesichts- kreises zu einer Weltanschauung oder Welterkenntniss das sittliche Urtheil aber das einzelne Wollen und Handeln, das nur ein Moment in der Gesammt- Entwickelung des Weltgeistes ist, za verschwinden schien. Anders Herbart. Die Wissenschaft als solche weiss bei ihm nichts von Beifall oder Miss- fallen, von gut oder bése; das sittliche Urtheil dagegen ergeht aber die Qualitét des bloss gedachten Willens nicht anders, als aber die des wirklichen. Die Wirklichkeit des Willens ist da, wo es sich um seine Beur-~ theilung handelt, vollkommen gleichgiltig, denn die Beurtheilung trifft our sein Bild, seine Qualitét; und die Erfahrung, die einzig sichere Grund- lage zur Erkenntniss dessen, was ist, hat keine Stimme bei der Frage nach dem, was sein soll, Die Principien der Metapbysik und Ethik sind alsd volikommen selbsténdig und uaabhdngig von einander, und Aufgabe der Ethik wird es, in den sittlichen Ideen diejenigen méglichen Willens- Verhaltnisse rein und vollstandig darzustellen, welche um ihrer selbst willen - Beifall oder Missfallen triff¥, und deren Vereinigung dem Begriffe des sitt- lich Guten seinen Inhalt gibt, eine Gedankenwelt zu schaffen, die ein Meisterbild sei des Einzelnen und der Gesellschaft, Nicht erwachsen auf dem ‘Boden der Wirklichkeit und von ihr unabhangig, tritt diese Idealwelt doch in die genaueste Beziehung zur Wirklichkeit, Denn jedes wirkliche Wolien und Handeln fallt unvermeidlich der Beurtheilung nach den sittlichen. Ideen anheim, so dass die theoretische Einsicht in den natarlichen und nothwen- digen Verlauf menschlichen ‘Strebens, nicht beruhigt im Zuschauen des Weltlaufs, vielmehr den Willen leitend und stéhlend, in den Dienst der Ideen treten muss. Nicht der blosse Glaube daher an die Méglichkeit des Besserwerdens, sondern die Erkenntniss der Méglichkeit des Bessermachens aus reinem, durch Einsicht gewaffneten Willen gibt den ethischen Schriften Herbarts jenen tiefen und edlen Ernst, so dass ihr Licht zugleich erleuch- tend und waérmend wirkt. Entwickelt sind aber von Herbart nur die ersten Grundzige; kaum dass ihre Anwendung auf Padagogik gezeigt ist; su ihrer Ausfahrung aher in einer Philosophie des Staates und der Geschichte ' enthalten die dahin einschlagenden Schriften Herbarts nur vinige Andeutungen. Mehr als eine andere Seite der Herbart’schen Philosophie bedarf diese noch einer weiteren Entwickelpng, deren sie nach ihrer Vielseitigkeit und der Eigenthamlichkeit ihrer Principien in hohem Grade fahig scheint.

Endlich 'drittens hat die Philosophie seit Fichte nicht bloss eine absolute Gewissheit in bestimmtem, begrinztem Gebiete sich als Forderung gestellt, sondern auf ein dem Umfange nach absolutes Wissen, auf eine Erkenntniss der Welt und Gottes Anspruch gemacht, Wie weit hiervon die Herbart’sche

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Philosophie in ihrer behutsamen Beschrankung entfernt ist, liegt schon deutlich im Bisherigen. ,,Weltansichten gehdren dem Glauben; die wahre Philosophie sagt nicht mebr, als sie weiss.“ Diess bezeichnet zugleich den Gegensatz der Herbart’schen Philosophie zu den genannten Systemen, na- mentlich zum Hegel’schen, in Betreff der Religions-Philosophie. Die prak- tische Philosophie Herbarts weist das religidse Bedirfniss und den sitt- lichen Gehalt desselben’ nach, die Metaphysik gibt in der Rechtfertigung der teleologischen Naturbetrachtung zugleich eine Begriindung des religid- sen Glaubens; aber, der Offembarung ibre durch keine Philosophie zu er- setzende Stelle ausdriicklich sichernd, weiss die Herbart’sche Philosophie nichts von einer absoluten Erkenntniss Gottes, ,Es gibt,* heisst es an~ einer Stelle der Metaphysik, wo von den Schranken des Wissens geredet wird, ,noch eine unendlich héhere Sphére unserer Unwissenheit, die der héheren geistigen Natur. Sie ist dber uns; aber der Abgrund der Schwar- merei erdffnet sich neben uns, sobald wir uns nicht ausdricklich verbieten, in jene uns hineindenken zu wollen.“

Wir wollten nicht eine Kritik des Herbart’schen Systems geben, die nicht dieses Ortes ist, sondern einige Ziige zu dem Bilde des Mannes, der mit ungeschwachter Geisteskraft einen Titanen haben ihn seine Gegner

enannt, in seiner Sphdére dem Strome des Zeitalters entgegenarbeitete. s wird hierdurch nur eine Pflicht erfillt, welche er selbst einmal von seinem Zeitalter in Ansprach nimmt, indem er sagt:

»Wenn sich ein Individuum lange Jahre hindurch auf einer und der nimlichen Linie des Forschens mit mdéglichster Behutsamkeit fortbewegt, $0 entsteht daraus far dieses Individuum Ueberzeugung, fir Andere zunachst nur eine Thatsache auf dem Gebiete des wissenschaftlichen Denkens, die ibnen rein und vollstandig, nur von zufalligen Nebenumstaénden gesondert, muss vorgelegt werden. Die Thatsache nach ihrer Art za betrachten, ist ihre Sache; als ihre Pflicht aber kann man ihnen zumuthen, dass sie dieselbe. aufbewahren und unverfalscht weiter mittheilen, damit sie noch in spaterer zeit von anderen Augen kénne gesehen und vielleicht anders ausgelegt werden,“ . -

Zur Charakteristik der Herbartschen Philosophie.

Herbart nannte die Philosophie im Allgemeinen eine ,Bearbeitung der Begriffe* und setzte diese letztere theils in eine bloss logische Verdeutli- chang, theils in eine speculative berichtigende und ergdénzende Umbildung derselben, Mit dieser bloss formalen Bestimmung wollte er, in Ueberein- simmung mit andern Philosophen, nur diess anzeigen, dass die Philosophie sich nicht sowohl durch die Besonderheit ihres Gegenstandes als durch die Behandlangsweise, das Philosophiren, von andern Wissenschaften unter-

‘Mheide. Wer aber meinen wollte, dass far Herbart die Philosophie ,ledig-

lich“ nur eine solche formale Beschaftigung gewesen, der kénnte in seinem Studiam wohl kaum aber die ersten Blatter des Lehrbuchs zur Einleitung in die Philosophie hinausgekommen sein. Allerdings Jegte Herbart auf die Energie, Ausdaner, Genauigkeit, mit der die Arbeit des Philosophirens Yollzogen werde, das grésste Gewicht, sah den dadurch errungenen. Zu- Wachs an Starke und Gewandtheit des Denkens fir einen bleibenden Ge- winn des Geistes und insofern das Studium der Philosophie als ein durch keine andere wissenschaftliche Beschaftigung zu ersetzendes Bildungsmittel a; aber seine zahlreichen Schriften zeugen unwiderleglich dafar, dass er, wie jeder andere grosse Philosoph, zum Ziel seines Philosophirens sich die Erforschung des Wahren, Schdnen und Guten setzte und darin den Inhalt der Philosophie fand. Herbart war nicht ein sophistischer Dialek- tiker, dem es gleichviel gilt, welche Ansicht er mit der Scharfe und Gewandtheit seines Gcistes verficht: seine Philosophie zeigt eine Weltan- ticht von der entschiedensten Farbung und athmet durchgingig die charak- tervoliste Gesinnung. Als Metaphysiker war Herbart weder Empirist noch Idealist, sondern sein System war das eines rationalen Realismus. Er hielt weder die Erfahrung far untriglich, noch die Theorien der Natarforscher

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far unfehlbare Orakelspriche, denen man sich gidabig zu unterwerfen habe, "am allerwenigsten liess er sich Hypothesen fir Thatsachen verkaufen; er war aber auch nicht Idealist, dem sich alles thatsdchlich Gegebene sam blossen Begriff verflachtigt. Ein Kenner und Verehrer der- Natarwissen- schaften, deren methodischer Gang ihm in seinem Philosophiren vielfach zum Vorbild diente, beeiferte er sich nur mit aller ihm za Gebote stehen- den Energie nachzuweisen, dass alles empirische Wissen einer speculativen Erganzung bedirfe, die ihm durch keine Erfahrung gewahrt werden kénne, dass die Astronomen, Physiker, Chemiker, Physiologen nicht bloss mit Beobachtungswerkzeugen und Experimentirapparaten, sondern auch ~mit Begriffen arbeiten, und dass sie, die doch sonst den Bau ihrer Instrumente . so sorgfaltig prifen, deren Fehler zu bestimmen und in Rechnung su brin- gen suchen, sich des Instruments des Denkens mit einer Sorglosigkeit bedienen, die nothwendig befremden muss. Und sun seigte Herbart mit seltenem - Scharfsinn, dass die Erfahrungsbegriffe der Materie, ihrer Elemente, ihrer anziehenden und abstossenden Krafte, dass die Begriffe der Bildungskraft, des Lebens, der Organisation, nicht minder als die abstracteren der Suab- stantialitat, Causalitét, Ichheit a. s. w. voller Widerspriche sind und daher einer wissenschaftlichen Berichtigung bedirfen, die ihnen nur durch spe- culatives Denken, durch Metaphysik zu Theil werden kann, eine Berich- tigung, die, wenn sie anerkannt wirde, auch einen rickwirkenden Einfluss auf jene Wissenschaften auszuiiben nicht verfehlen kéante, In diesem Sinn . ist, nach Herbart, die Metaphysik die Lehre von der Begreiflichkeit der Erfahrung, der dusserlichen im Raame wie der inneren des Bewusstseins. Resultat der metaphysischen Untersuchungen ist eine monadologische Welt- ansicht, die im schroffen Gegensatz gegen allen Pantheismus, das Sein nicht bloss dem Einen und Unendlichen beilegt,-aus dem die endlichea Wesen wie Schaum des Meeres sich auf kurze Zeit ablésen, um bald wieder in das Ganze zuriickzufallen und sparlos in ihm zu verschwinden, sondern als das Seiende unbestimmt Yieles, die realen Wesen, die Monaden aner- kennt, die einfach, raum- und zeitlos, und darum ewig sind und zu denen eben so gat die Elemente der belebten wie der unbelebten Materie, als die Seelen der Menschen und Thiere gehéren. Daher war fir Herbart die Hauptaufgabe der Metaphysik nicht, die Mannichfaltigkeit und den Wechsel des Daseins aus Einem Ursein abzuleiten, sondern vielmehr die, za be- greifen, wie das urspringlich Viele und Mannigfaltige zu den Einheite- formen der Erfahrung gelange. Und so steht Herbart als Metaphysiker un- gefahr in dem gleichen historischen Verhaltniss zu Leibnitz, wie Hegel zu Spinoza. |

Zweige der angewandten Metaphysik sind, nach Herbart, die Natar- philosophie und die Psychologie. In diesen Disciplinen, aber auch nur in diesen, besonders in der letztern nahm er ausser den Methoden und Lehr- sitzen der Metaphysik auch noch die Hilfe der Mathematik in Anspruch. Wenn der Géttinger Correspondent sagt, Herbart habe ,seinen unzweifel- haft sehr grossen Scharfsinn daraaf verschwendet, alle philosophischen Probleme auf Mathematik zurickzafihren und durch Mathematik za ldsen,* so lisst sich ein grésserer Irrthum nicht denken. Herbart, der es sich zum Gesetz gemacht hatte, jeden Gegenstand nach der durch seine Eigen- thimlichkeit bedingten Methode zu behandeln, er, der eine einzige Methode fir alle philosophischen Probleme far einen’ geistlosen Mechanismus hielt, konnte nie in den Fall kommen, mathematisehe und philosophische Probleme und Methoden mit einander zu verwechseln. Er wandte die Mathematik nor da an, wo sie durch die Natur der Sache herbeigerufen wurde, und und nie eher, als bis rein philosophische Erérterungen zum Princip der An- wendung gefihrt hatten. Was namentlich seine vielbesprochene mathe- matische Psychologie betrifft,-s0 konnten die, welche sich in dem Wahne befinden, dass Mathematik nur da in Anwendung kommen kénne, wo za- vor etwas gemessen und gewogen sei, freilich hierin nar ein von vora- herein verfehltes Unternehmen erblicken; diejenigen aber, denen bekannt ist, dass in der Physik die allgemeinen mathematischen Theorien sich ~

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volistandig entwickeln lassen, ohne dass die Méglichkeit der empirischen Messung der ihnen zam Grunde liegenden Gréssen in Nachfrage zu kom- men braucht, ja dass die scharfe Messung derselben meistentheils erst durch eine zureichende Entwickelung der Theorie bedingt, und dass die Frage nach der Messbarkeit jener Grdssen erst dann an der Stelle ist, wenn es sich um eihe genaue Vergleichung der Theorie mit der Erfahrung handelt, werden sich mindestens zu einem behutsameren Urtheil aafgefor- dert finden. Dass aber die héchst verschieden abgestufte Stdrke unserer Empfindungen, die gréssere oder geringere Scharfe unserer Aufmerksam- keit, das Erscheinen und Verschwinden unserer Vorstellungen aus dem Bewusstsein, der Wechsel unseres ganzen Gedankenkreises, das Wogen der Gefahje in den Gemithsbewegungen u. s. f. geistige Phinomene sind, welche nar als theils unveradnderliche, theils veradnderliche intensive Grés- sen kdnnen volistindig begriffen werden, und die an den psychologischen Forscher die Aufgabe stellen, die mathematischen Gesetze ihres Zusammen- hangs aafzusuchen, muss jedem Unbefangenen -einleuchten. Diess aber. und nichts anders hat Herbart durch seine mathematische Psychologie zu leisten versacht, die, trotz dem, dass sie eine ,Mechanik des Geistes“ besitzt, doch weit entfernt ist, das freie Spiel der geistigen Regsamkeit zu einem todten sich einférmig wiederholenden Mechanismus herabwiardigen zu wollen, die allerdings noch gar mancher Vereinfachungen und Verbes- serangen bedarftig und unermesslicher Erweiterungen fahig sein mag, allein ein viel zu reiflich durchdachtes, streng in sich zusammenhangendes Lehrge- baude ist, als dass sie wie ein blosses Kinderspiel ihres Urhebers nunmehr bei Seite geworfen werden kénnte. Vielmehr wird die Zukunft Herbart dem Psychologen nicht nur das bloss negative Verdienst zugestehen, die falsche Hypothese von den Seelenvermégen (wie Kepler in der Astronomie die der Ptolemaischen Epicyklen) ein fair allemal gestirzt zu haben, son- dern ibm auch den Ruhm zuerkennen, der Begrinder der wahren Psycho- logie geworden zu sein. Diese wahre Psychologie beruht aber noch nicht einmal auf der Zuziehung der Mathematik: denn die Herbart’sche Gruand- ansicht vom geistigen Leben ldsst sich auch ohne allen Calcul vollkommen verstehen, gerade so wie sich von vielen astronomischen und physikali- schen Lehren, die streng wissenschaftlich behandelt der Rechnung bedir- fen, auch unabhdngig hiervon richtige Begriffe geben Jassen. Es ist dabei nar ndthig, dass man beachte, wie Herbart die Erscheinungen des geisti- gen Lebens, anstatt aus den unbeholfenen, einer individuellen Charakteristik unfaéhigen abstrakten Seelenvermégen der Vernunft, des Verstandes, der Einbildangskraft, Sinnlichkeit etc., aus den Gegensdtzen, Verbindungen, freien und gehemmten Zusténden der Vorstellungen und deren stetigen Uebergangen aus der Klarheit des Bewusstseins in die Nacht der Verges-— senheit erklirt, auch Gefihle und. Begehrungen als Zustinde gehemmter Vorstellungen nachweéeist und diese letztern als-Acte der Selbsterhaltung der Scele gegen die im Zusammentreffen mit den Aussendingen an sie gebrachten Stérungen bezeichnet, . Wenn ausser dem eigenthimlichen Gebrauch, den Uerbart in der Psycholugie von der Mathematik machte, diese letztere Wissenschaft ihm noch sonst ein Object philosophischer Betrachtung war, wenn er nament- lich den Hialfsmitteln, durch welche die Mathematik gross geworden, auf das sorgfaltigste nachspirte, um davon fir die Philosophie so viel als mig- lich Nutzen zu ziehen, so hatte er diese Untersuchung und diess Bestre- ben mit den gréssten Philosophen dlterer und neuerer Zeit gemein, die in ihrem Unternehmen, dic Philosophie iber den Streit der Schulen hin- auszufihren und zu einer durch eintrachtiges Zusammenwirken der Philoso- phirenden sich fortbildenden, nicht immer wieder in den alten Principienkampf zuriickfallenden Wissenschaft zu erheben, sich jederzeit an dem vorleuch- tenden Beispiel der Mathematik zu orientiren suchten. In diesem Sinn strebte nun allerdings auch Herbart die Philosophie den Wirren der Zeit za entricken und in die Sphdre des ewig sich Gleichen zu versetzen. Die Art-aber, wie er dio Ausfihrung dieses Gedankens unternahm, gab ihm Padag. Revue 1842. b, Bd. Y. 13 :

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und seinem System eine sehr bestimmte Stellung zu seiner Zeit. Denn nicht bloss derjenige, welcher der Traiger einer herrschenden Idee ist, sondern auch der, welcher mit einer solchen sich in muthige Opposition setzt, um einer neuen Idee den Eingang zu erkampfen, hat ein bedeuten- des Verhaltniss zu seiner Zeit, In diesem Fall befand sich Herbart, des- sen Opposition gegen die herrschende Philosophie in der That keine bloss negative reagirende war, sondern den positiven Gehalt eines neuen und eigenthimlichen Gedankensystems in sich trug. Und hier ist vor allen, den Anmassungen des absoluten Idealismus gegeniiber, Herbart’s Beschran- kung der Aufgabe des Wissens auf die Erfahrung und diejenige Specula- tion, welche zur Begreiflichkeit der Erfahrung dient, so wie seine An- erkennung der Berechtigung des Glaubens in Sachen der Religion erwahnen eine Begranzung, die er dem Wissen nicht willkiarlich setzte, sondern die, nach ihm, eine gegebene ist. Hiermit steht in engem Za- sammenhange seine energische Opposition gegen die pantheistischen . Richtungen der Philosophie unserer Zeit. Diese Opposition statzte sich einerseits auf seinen Monadismus, demgemass er dem Einzelwesen nicht bloss ein scheinbares und voriibergehendes, sondern ein wahrhaftes, selb- stindiges Dasein zuerkannte, andererseits auf den absoluten Werth, den er dem Sittlichen beilegte, Die reale Selbstindigkeit, die er den Indivi- duen zugesteht, gibt den bewussten Handlungen der zur Sittlichkeit befahig- ten Wesen eine ganz andere Bedeutung als den Geschépfen des Pantheismas, die nur willenlose Werkzeage der absoluten Macht des Weltgeistes sind. Wenn daher bei Hegel wie bei Spinoza dieser Macht-als solcher eine Be- rechtigung beigelegt wird, so stésst Herbart diesen Begriff des Rechts als eine unwirdige Entstellung mit der gleichen Indignation zurick, mit der er gegen die Zurickfihrung des Gegensatzes zwischen dem Guten aad Bésen auf den bloss logischen Unterschied des Allgemeinen und Besonderm protestirt. Nach ihm ist das Sittliche urspriinglich dsthetischer Natar, und beruht die Tugend auf der Schénheit der Gesinnuugen und Handlungen, ‘deren Werth oder Unwerth jedoch nicht nach unbestimmten Gefdhlen, sondern nach dem Beifall und Missfallen 2u beurtheilen ist, das gewissen einfachen Verhaltnissen des Willens, aus denen der tugendhafte Charakter gleich als aus seinen Elementen zusammengeseltst ist, mit unmittelbarer Evidenz zu Theil wird. “Den hieraus hervorgehenden sittlichen Musterbe- griffen (praktischen Ideen) gemass kann sich der Wille bestimmen and wird, indem er seine natirliche Abhangigkeit von den Trieben und Begierden iiberwindet, um sich dem Dienst des Guten zu widmen, frei. Das Gelingen oder Misslingen der Handlungen,. der Einzelnen wie der Massen, darf alf@r auf die Beurtheiluog ihres sittlichen Werthes nicht den geringsten Einfluss ausiben; vielmehr ist nftcht zu verheblen, dass im Leben der Individuen wie der Vélker unsaglich vieles nicht nur unternommen, sondern auch gelungen ist, was unbedingt verwerflich und verabscheuungswerth war, und dass keine Ungerechtigkeit in dem Besitze der Macht eine Rechtfer- tigung oder auch nur Entschuldigung findet, .

Hatte Herbart es far die Aufgabe seines Lebens gehalten, auf die Meinung seiner Zeitgenossen einen machtigen Einfluss auszudben, so warde ihm die Reinheit und Unabhangigkeit seiner Ethik, welche Kraft und Zart- heit auf eine bewundernswirdige Weise vereinigt, und die den Geist acht sittlicher Freiheit athmet, die reichsten Mittel dargeboten haben. Es bedarfe hierzu nur, dass er seine geistreiche Lehre yom Staate, den er zwar zur Forderung aller sittlichen Zwecke bestimmt, zugleich aber auch als das Werk einer psychischen Naturnothwendigkeit betrachtete, und in dessen Organismus und Kraftespiel er die Gesetze des geistigen Lebons des Indi- viduums im Grossen wiederholt fand, es bedurfte nur, dass er diese Lehren weiter entwickelte, mit den Zustanden der Gegenwart wie mit der Ge- schichte der Vergangenheit verglich und daraus far die Zukanft Folgerun- gen zu ziehen wagte.. Allein Herbarts Natur war eine andere als etwa

ie eines Fichte, wie ja auch die Géthe’s eine andere als jene Schillers war. Obgleich der Kraft des Gedankens so unbedingt vertranend wie irgend

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jemals ein Denker, betrachtete er doch die Philosophie dem praktischen Leben gegeniber zundchst nur als einen theoretischen Versuch, aber die Rathsel der Welt ins Klare zu kommen; mit der Einfaihrung der Resultate dieser Untersuchungen ins Leben diarfe aber so meinte er nicht iiber- eilt und unbehutsam verfahren werden. Fast angstlich vermied er es in seinen Schriften, Gegensténde, welche die Leidenschaften der Gegenwart bewegen, zu besprechen: denn er firchtete gewiss nicht mit Unrecht dass bei solchen die Reinheit und Unparteilichkeit der wissenschaftlichen Untersuchung nur zu leicht getribt werde. Er wollte, wo méglich, alle hohere Wissenschaft aus der schwilen Atmosphare des irdischen Daseins in den reinen Aether des Geistes versetzen, in dem Mathematik und Natur- wissenschaften sich bereits lange schon mit Glick angesiedelt haben; darum hitte er die Philosophie seiner Zeit weit lieber mit naturphilosophischen,; psychologischen und ethischen Forschungen als mit theologischen und po- litischen Streitigkeiten beschaftigt gesehen. In stillem Unmuth aber die verfebiten Richtungen seiner Zeit schrieb er schon im Jahr 1822: ,Man kann das Zeitalter nicht wihlen, in dem man leben und wirken méchte; ich gebrauche meine Tage nach Gelegenheit uad Kraft; wie Andre da’ benutzen werden, was ich darbiete, das fallt ihrem Willen und ihrer Verantwortung anheim.“ ' Es mag nicht in Abrede gestellt werden, dass seine Ansichten von der Natur und der Wirde der Wissenschaft etwas Aristokratisches an sich hatten, indem er in Sachen der Philosophie der Menge keine Stimme zu- gestand, sondern, um dazu befugt zu sein, eine ernste strenge Vorbildung sforderte, allen blossen Naturalismas und Dilettantismus aber, durch wie viel Talent er auch unterstizt sein mochte, verachtete, Wer mochte ibn“ aber desshalb tadeln? Befand er sich im Irrthum, wenn er sich diberzeugt hielt, dass es nur Wenigen gegeben sei, zu den tiefsten Grinden des Wissens hinabzusteigen, und weit geneigter war, die Fortschritte der Mensch- heit als das Werk einer geringen Anzahl grosser Manner zu betrachten, - als anzunehmen, dass diese ihre Weisheit und Einsicht dem Geiste ihrer Zeit verdankt hatten? Vielleicht ging er in der Uebertragung dieser Ansicht . von der Wissenschaft auf die dffentlichen Angelegenheiten, auf Staatsleben und Volksthum zu weit, und blieb hier. hinter den gerechten Forderungen unserer Zeit zurick. Allein es war weder Servilismus, der um die Gunst der Machtigen buhlt, noch blinde Devotion gegen die Vorrechte der Ge- burt, die ihn hier weniger freimithig erscheinen liess, als man es von einem Philosophen zu erwarten pflegt, sondern die Ueberzeugung von der mingelnden Berechtigung des Einzelnen sich mit den Organen des Staats in Widerspruch zu setzen, und von dem unermesslichen Unheil, das aber die Staaten durch innere Zerwirfnisse komme und oft auf eine lange Reihe von Jahren. hinaus die Férderung der hdheren geistigen Cultur lahme ‘es waren solche Grande, die ihn.zu einer Nachgiebigkeit und Schweig- samkeit bewogen, die von Vielen nur fiir Schwiche und Indolenz gehalten wurde. Ueberhaupt aber scheute sich Herbart, eine blosse Meinung aus- zusprechen,-wo nichts Sicheres wissen zu kénnen er ohve Hehl bekannte. Vielleicht that er unrecht daran: denn auch der blossen Meinung eines grossen Denkers muss eine gréssere Reife heigemessen werden, als den Meinungen untergeordneter Geister. Jedenfalls liegt aber hierin ein schénes Zeagniss far die Reinheit seines wissenschaftlichen Sinnes, der da keine | Antoritét ausiben wollte, wo er sich nicht dazu berechtigt fand, und der einer blossen geistreichen Ansicht weder das Gewicht eines Lebrsatzes noch eiger Thatsache beizulegen vermochte. Wenn aber die absichtliche Concentration des Philosophirens auf die Richtung nach den exacten Wis- senschaften zu den persdnli¢hen Eigenthimlichkeiten Herbarts gehérte, so charakterisirt sie doch keineswegs den Geist seiner Philosophie, welche universell , wie alle wahre Philosophie, auch auf die Erérterung historisch- pelitischer und kirchlich-religidser Fragen einzugehen und ihre Stimme in den allgemeinen Angelegenheiten der Menschheit abzugeben, in sich die vollkommene Befahigung besitzt, Diese Aufgabe hat one Schilern

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hinterlassen, nicht als eine armliche Nachlese, sondern als die reiche Ernte ciner fruchtbaren Aussaat,

B. Europa.

G. Romanische Lander. I. Erankreich. (4. Behirden.) Hier ist das Budget des Unterrichtsministeriums

far 1843 mit den Reflexionen des Ministers. , L’ensemble des crédits demandés pour les dépenses da département

de instruction publique, en 1843, s’éléve a 16,503,233 £, La loi de finances du 25, Juin 1841 a alloué, pour.

Yexercice 1842, des crédits montant a 16,026,133 , Difference en plus a l’exercice 1843 477,100 ,

Mais il importe de remarquer que les centimes votés par les conseils généraux, pour les dépenses de l’instruction primaire, n’on été évalués, au budget de 1842, qu’a la somme de 3,930,000 f. tandis qu’ils sont portés au budget de 1843 pour - 4,043,000 ,, Les dépenses imputables sur ce produit ont dd, en conséquence, étre augmentées de 113,000, 113,000,

et les augmentations a Ja charge du trésor ne sont, en réalité, que de | 364,100 ,

M, le ministre de l'instruction publique, dans une note prélimiuaire, annexée au budget, développe ainsi qu’il suit les motifs de chacune de ces augmentations: .

Conseil Royal.

L’augmentation de 10,000 fr. a pour objet le traitement d’un neuviéme membre du Conseil royal de l'instruction ‘publique. Cette augmentation avait été présentée sans résultat l'année derniére. On m’hésite point a la repro- duire, nul motif péremtoire n’en ayant repoussé l’admission. Il suffit de rappeler que cette accession d’un nouveau ‘membre laissera te Conseil royal de l’instruction publique encore inférieur numériquement au cadre fixé par le décret du 17, mars 1808, et que, néanmoins, les attributions de ce conseil se sont considérablement étendues depuis cette époque. L’organi- sation récente des écoles préparatoires de médecine et de pharmacie, ‘le: création successive de nouveaux colleges royaux, la destination nouvelle donnée a un grand nombre de colléges communaux, par l’adjonction de cours primaires supérieurs, augmentent incessamment la juridiction da con- seil et le travail particulier de chacun de ses membres,

On doit ajouter, sous un point de vue général, que l’existence d'un , conseil plus nombreux, et rapproché de linstruction premiére de 1808, est _en accord avec l’intérét de lenseignement, V'importance du corps auquel il est confié, et le nombre des talents qui se sont produits avec éclat dans cette carriére depuis |’établissementt de I'Université. On est assuré *que It place créée pourrait étre trés-dignement remplie. *

Services généraux,

Dans le budget de 1842, une demande avait été faite pour élever & 3,000 fr. le traitement de quatre agrégts, maitres de conférences a l’Ecole normale, qui ne recevaient que 1,500 fr. chacun. La commission de finances pro- posa seulement I’allocation des fonds pour les deux plus anciens; mais le rapporteur fit remarquer a la Chambre que les deux autres devraient étre appelés a jouir des mémes avantages, dés qu’ils auraient accompli le méme temps de service. Il ne serait pas juste, en.effet, de priver indéfiniment

* Die mit der Prifung des Budgets beauftragte Commission der Depu- tirtenkammer hat die 10,000 fr. fir den neunten Rath diessmal aus Rack- sicht auf die Finanznoth gestrichen,

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quelques fonctionnaires du traitement complet dont jouissent leurs collégues, Lallocation de 3000 fr., qui doit faire cesser cette inégalité, paratt donc dautant plus motivée, qu'elle est conforme a un principe précédemment reconnu par la commission de la Chambre, et que, de plus elle s’applique a des fonctions permanentes ‘qui, par l’importance de leur objet, ont droit a lintérét bienveillant de l'état. _ Une autre somme de 1500 fr, est demandée pour porter a 3000 fr. le - traitement spécial du directeur des études de l’Ecole normale, qui ne recoit actuellement que 1500 fr. en cette qualité, a laquelle il réunit le titre et les fonctions de maitre de conférences, Cette réunion est bonne a-main- tenir dans une école savante; mais il semble juste que le double meérite et le double travail qu’elle exige soient convenablement rétribués. Le taux qui résultera de cette disposition avait été admis a l’époque du rétablisse- went de l’école en 1830; nous proposons de le rétablir pour la fonction actuelle de directeur des études de I'Ecole normale, dans un moment ow les travaux de cette fonction sont accrus par l’extension considérable du nombre des éléves, | a os ° Inspection des Ecoles primaires,

-On-reconnait niieux de jour en jour l’utilité et la nécessité de la‘sur-. veillance exercée sur les établissements d’instruction primaire, par les in- specteurs et sous-inspecteurs, Mais ces fonctionnaires ne sont pas en nombre suffisant; et il n’a été alloué jusqu’ici qu'un crédit trop faible pour

". indempité de frais de tournée, Il faudrait qu’il fat fait, au moins une fois par année , une inspection de toutcs les écoles communales ou privées, de tontes Ies salles d’asile, et de toutes les classes d’adultes. L’ensemble de es établissements forme un total de 59,300. Pendant l’année 1840, 44,813 seulement ont pu étre visités; en sort que 14,487 sont restés sans inspeetion. année derniére encore, l’insuffisance du crédit porté au budget pour frais de tournée a empéché les‘ inspecteurs de quelques départements de con- Hower l'inspection des écoles pendant les mois de novembre et de décem- bre 1841. Il importe d’empécher que de semblables interruptions ne se retouvellent, au grand préjudice des écoles,

La nécessité d’augmenter le nombre des inspecteurs et sous-inspecteurs est reconnue par guiconque s'est occupé des intéréts de linstruction pri- maire: plusieurs conseils généraux ont méme émis le vou qu'il y edt un inspecteur par arrondissement de sous-préfecture; et le méme désir a été manifesté dans les Chambres. Aprés avoir examiné sous ce rapport les besoins de chaque département, j'ai reconnu que la création de 32 sous- inspecteurs de plus était indispensable a la régularité et a l’activité du servige. Cette augmentation dans le personnel, la nécessité de porter a une ‘classe plus élevée quelques-unes des inspections et sous-inspections actuelles, le surcroit de frais de tournée qui résultera d’inspections -plus nombreuses entrainent une dépense totale que j'ai di évaluer a 100,000 fr. Le crédit ouvert. au budget pour linspection des écoles primaires serait ainsi fixé a 500,000 fr., au lieu de 400,000 fr.

L’emploi de ce crédit aurait lieu comme il suit:

2 inspecteurs hors classe (Seine) a 3000 fr. 6,000 fr.

fen! 1

20 inspecteurs de ‘ere classe a 2000 ,, 40,000 ,, 29 inspecteurs de classe a 1800 ,, 52,200 , 36 inspecteurs de classe a . 1600 ,, 57,630 ,,

4 sous-inspecteur hors classe (Seine) a 1800 ,, 1

9 ”? AO sous-inspecteurs de ire classe a 1400 ,, 36.000 ,, 72 sous-inspecteurs de classé a 1200 ,, 86,400 ,, 203°—Ci«s , 300,000 ,, Les 200,000 fr. restants seraient affectés aux frais de tournée. Le nombre des écoles existantes et de celles qu’il reste a créer, en y comprenant les salles d’asiles et les classes d’adultes pour leur chiffre actuel, peut étre évalué a 63,310. _Le nombre des communes qui entre- tiennent seules une école primaire, et de celles qui sont réunies pour le

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méme objet, est de 36,733, Les inspecteurs ayant visité, terme moyen, 257 écoles en 100 jours, pendant l'année 1840, il en résulte qu'il faudrait environ 23,000 jours pour visiter toutes les écoles. Les frais de tournée donneraient lieu, d’aprés les bases fixées par l’arrété ministériel du 21. mai 1840, aux dépenses ci-aprés:

23,000 journées a 6 fr. ci : oe 138,000 fr.

63,310 écoles a 50 centimes . . . 31,655 ,

36,734 communes ou réunions de communes

a50c . . es 18,367 ,,

, 188,022 , Le crédit porté au budget étant de . . 200,000 ,,

il resterait une somme de... . . . 11,978 , : qui servirait a acquitter les frais des missions extraordinaires que les pre- ! fets ou les recteurs peuvent confier aux inspecteurs, lorsque quelque fait | grave rend -nécessaire l’envoi immédiat d’un de ces fonctionnaires dans les communes du département. Le surplus serait consaeré a payer les frais

d’une seconde visite annuelle des écoles les plus importantes, * Instruction secondaire.

L’ administration , conformément aux principes qui ont obtenu l'appro- . bation des Chambres, et qui ont'été consacrés par les deux derniéres lo - de finances, se propose de créer, en 1843 de nouveaux coléges royaer.

Les établissements de cet ordre sont aujourd’hui au nombre de 4, . dont deux, récemment autorisés par ordonnance royale, seront organists dans le courant de l’année 1842. On en compte 5 a Paris; les 41 autres sont répartis dans les départements, Il reste donc beaucoup d efforts a réa- liser, si on veut doter d’un grand établissement d’instruction secondaire ,¢hacun de nos départements. L’éducation donnée au nom de l'état doit conserver tous ses avantages, et étre aussi rapprochée qu'il est possible des familles qui en sentent Ie besoin et en comprennent la supériorité.

- Mais un développement semblable de l’enseignement secondaire ne peut étre utile qa’autant qu’il est graduellement accompli. Il faut du temps aux villes pour se préparer aux conditions qui Jeur sont imposées; et l’Univer- sité ne pourrait placer tout a coup dans un grand nombre d’établissements nouveaux des fonctionnaires pourvus des grades exigés.

Cette année, comme les années précédentes , plusieurs villes se mot- trent empressées a supporter toutes les avances qui leur seraient imposées pour l’obtention d’un collége royal, achat de terrain, constraction de ba- timents nouveaux, appropriation d’anciens locaux, acquisition d’an mobilier usuel et scientifique dans les conditions déterminées, création de boarses communales, ' Ces villes présentent des moyens d’exécution qui doivent étre appréciés, ainsi que le plus ou le moins de facilité et de temps qu’exige- rait la réalisation de leurs offres. Bien que la plupart de ces propositions soient sérieusement motivées, il a paru que les créations de colléges a effectuer pour 1843 pouvaient encore étre limitées 4 deux. On ne demande, a cet effet, que la somme de 50,400 fr., calculée sur J’organisation du personnel nécessaire dans un collége royal de 3e classe. Mais on doit remarquer que, les nouveaux colléges déja créés diminuant pour chacua des colléges actuels le contingent de bourses, une allocation plus forte pourra étre nécessaire pour les créations qui seraient demandées dans Ia suite, et que, de plus, avec l’extension du nombye des établissements, il sera juste de porter a ane classe plus élevée, et par conséquent plus rétribuée, quelques-uns des colléges de second et de troisiéme ordre actuellement existants, Les efforts continus et la prospérite de plusieurs de ces établis- sements justifieraient cette amélioration en faveur des hommes qui les diri- gent. Elle aurait un grand avantage, en permettant de récompenser le

* Die Commission genehmigt das Mehr von 100,000 fr,

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zéle et le talent sur le lieu méme ou ils se sont distingués, et sans déplacer dcs chefs et des maftres habiles, afin de les avancer. * ' Instruction primaire (Fonds généraux de |'état.).

En 1840, la Chambre des Députés a spontanément porté au budget du ministére de Vinstruction publique, pour l’exercice 1841, une somme de 200,000 fr., destinée a la création de nouvelles salles d’asile. Ce crédit a été maintenu au budget de 1842, et il a produit les plus heureux résul- tats. Le nombre des salles d’asile, qui n’était, il y a quelques années, que de 161, s’éléve maintenant 4 555. Mais ces établissements, si utiles

dans les villes industrielles, ou les petits enfants des classes indigentes sont’ généralement abandonnés sans surveillance pendant une partie de Ja journée, -

et dans les communes rurales, ot le méme abandon a lieu pendant lété, sont encore loin d’étre partout en rapport avec les besoins des populations, Cependant l’exemple donné aux autorités municipales par la généreuse initiative des Chambres n’a pas 6élé6 infructueux. Il existe en ce moment un_ grand nombre de projets de salles d’asile réguliéres, qui ont été déja soumis a l’examen du Conseil royal; et d’antres demandes arrivent jour- nellement. La, comme ailleurs, les secours accordés par l'état, méme dans une proportion modique, sont un grand moyen de provoquer les sacrifices des villes. Cette impulsion, une fois donnée, ne se ralentira certainement pas. Les salles d'asile sont des établissements populaires, dont les bienfaits

sont d’autant facilement appréciés, que les parents, comme les enfants,

en éprouvent les heureux effets. Il est donc permis de croire que ces petites écoles de l’enfance se multiplieront de plus en plus. Diverses me+ . sares peuvent avoir pour effet d’en simplifier beaucoup la forme, en les " apnexant, dans certains lieux, a des écoles primaires, et en les mettant en activité pendant ane partie de |'année seulement, d’aprés Jes besoins des habitants, Ce seront encore des occasions d’employer utilement quelques portions du nouveau secours qui serait fourni par l'état, dans Vintérét de cette classe nombreuse et pauvre’ dont il recherche le bien-étre matériel et moral avec un soin si constant. Par ces motifs, j'ai cru devoir porter 4 300,000 fr., pour -l’exercice 1843, le crédit spécial de 200,000 fr. affecté aux salles d’asile. **

Instruction primaire, (Fonds départementaux.)

. Une difference en plus, de 113,000 fr., provient, ainsi que nous l’avons dit, de l’augmentation des centimes votés par les conseils généraux pour les dépenses ordinaires et obligatoires de |’instruction primaire.

. Voyages et missions scientifiques,

Le crédit affecté par le budget de 1842 aux voyages et missions scien- tifiques n’est que de 12,000 fr. On propose de le porter a 112,000 fr., d’ow il résulte une augmentation de 100,000 fr.

Cette augmentation a pour objet de constituer un systéme de voyages dirigés vers des recherches physiques et géographiques, ou des études appliquées aux langues, a l'histoire, a tout ce qui peut en général interesser notre civilisation, Le principe d'une dépense si bien justifiée est depuis longtemps admis par des votes législatifs; mais l’extreme modicité du crédit affecté a cet emploi ne permettait de rien organiser de considérable et de suivi, quoiqu’on ait obtenu quelques resultats partiels d'une haute importance. Dans certains cas, ce crédit a été augmenté en vue d'une personne, et temporairement, C’est ainsi qu'un fonds additionnel de 12,000 fr.

a été voté, pendant quelques années, pour un voyage dans |’Asie Mineure, -

trés-digne, en effet, d’étre encouragé par une subvention spéciale.

Des motifs divers, et l’intérét des sciences avant tout, réclament au- jourd’bui une mesure plus générale, qui permette d’envoyer sur plusieurs points éloignés du globe des hommes instruits et dévoués qui soient pré- parés & toute espéce d’investigations scientifiques. Ce n’est pas que déja, poor un objet particulier, les recherches d'histoire naturelle, il n’existo

* Die Commission genehmigt, ** Genehmigt.

492.

une allocation annuelle comprise dans Jes dépenses du Muséum, et qui doit y rester annexée; ce n’est pas non plus que d'autres étudgs importantes - p’aient été utilement servies par les navigations de. découverte exécutées sous les auspices du ministére de la Marine. On pourrait citer a cet égard de récents exemples; mais il faut reconnaitre que les voyages de circum- navigation n’ont pas, pour les informations de tout genre, le méme résultat que les voyages continentaux. Leur objet n’est pas d’explorer les terres éloignées des cdtes; et c’est la que de nouvelles acquisitions peuvent étre faites pour la science, et de précieux renseignements recueillis,

On sait avec quelle magnificence de pareilles observations sont en- couragées par plusieurs gouvernements étrangers, Tout le monde connatt les voyages scientifiques que l’illustre Humboldt a entrepris, a diverses époques, sous les auspices de son gouvernement, et qu'il a publiés en partie dans notre langue, pour les rendre plus populaires.

C’est a la France de suivre, sous ce rapport, les exemples qu’elle- méme avait autrefois donnés, dans un temps ou les esprits étaient cepen- dant moins préoccupés de semblables intéréts,

Il serait trop long de rappeler les nombreux voyages scientifiques in- spirés ct protégés par Louis XIV, On sait quelles furent,- sous ce prince, les savantes explorations de Picard, de Lasalle, de Galland, de Plumier, de Feuillée, et les curieux récits de Chardin, de Bernier, de Thévenot, de Tournefort. Mais, indépendamment de ces entreprises particuliéres, il y avait alors la grande et perpétuelle activité des missions religieuses de France, répandues dans tout le Levant, établies a la Chine avec tant d’éclat, explorant l’Amérique, et envoyant de tous les points du globe les plus précieux documents pour la science, la politique et le commerce, L’histoire atteste comment Louis XIV sut employer et diriger ce puissant secours, sans négliger cependant aucun autre moyen d'information et d’influence,

Sous les régnes suivants, ot ladministration fut moins active, il ne sen fit pas moins, avec les encouragements des divers ministéres, un trés-grand nombre de voyages déterminés: dans l’intérét des études physi- ques, historiques, philologiques; et-on a gardé, entre beaucoup d’entre- prises semblables, le souvenir des voyages de Sevin et de Fourmont, de - Chappe , de La Caille, de Maupertuis, de La Condamine, de Borda, de Pingré, de Duhamel, de Richard, de Beauvoir, sans parler de la célébre et malheurense navigation’ de la Pérouse. Le méme esprit de curiosité scientifique s’est retrouvé dans les époques de nos plus violents troubles civils et de nos plas Jointaines conquétes. Une de nos grandes expéditions guerriéres fut en méme temps une exploration scientifique; oa n’a rien a ajouter aux noms des savants quis y distinguérent et qui formérent |’Institat _@ Egypte, Plus tard, Empire ne laissa pas tomber ce moyen de progrés et d’informations au dela du vaste cercle ou il était souvent enfermé par ses victoires mémes,. On n’a point oublié Jes voyages qu'il fit alors faire en Orient, et les importantes missions confiées 4 M, Amédée Jaubert, au général Romieu, au colonel Boutin.

La paix, en favorisant de semblables entreprises, doit en multiplierle - nombre; il est alors facile de Jes lier a-des études de sciences, de langues orientales, et d'histoire commerciale et politique. Si des fonds sont assurés . a cet effet dans une juste proportion, si les facilités offertes 4 esprit de

recherche et d'entreprise ne sont pas accidentelles, ne dépendent pas ¢ une volonté rare et passagére, les hommes capables ne manqueront pas pour de tels travaux: ils se renouvelleront sans cesse. |

On sait ce. qui, dans l’absence presque de tous secours, a été fait par le courage opinidtre de Caillé, découvrant Tombouctou que d’autres cher« chaient a grands frais; on a admiré les récits de Victor Jacquemont, et ses infatigables explorations parmi tant de souffrances; le nom et les dé- couvertes de Champollion sont un titre national. De pareils hommes sont difficiles a retrouver; et toutefois, dans notre pays si rempli d’intelligences fortes et actives, dés qu'une issue sera ouverte a |’émulation. scientifique,

a

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il y aura foule, et succés pour quelqu’un, On peut citer en preuve tout ce que la Société de géographie a provoqué d’efforts honorables et d’entre- prises utiles, au moyen de quelques prix qu’elle décerne. On peut rappeler aussi. les travaux récents ou non terminés de MM. Combes, D’Abbadie, Nestor L’Hite, Eugéne Boré. Ce sont de pareilles tentatives qu'il s’agit de rendre plus réguliéres et plus continues; c’est un pareil emploi du talent et du courage auquel il faut assurer justice et secours. |

A ce titre, j'ai pensé qu'une augmentation de 100,000 fr. pouvait étre demandée, et facilement justifiée par des destinations sur lesquelles seraient toujours consultés l'Institut et les représentants spéciaux de ja science. Ces destinations, soumises a un contréle sévére, se lieraient naturellement aux études du Collége de France et de I’Ecole des langues orientales vivantes; elles donneraient un intérét et un but nouveau a plusieurs des cours qu’on y professe, en méme temps que ces cours formeraient les candidats les mieux préparés pour entreprendre avec fruit des voyages scientifiques. Les Facultés de médecine produiraient également, parmi les éléves qui se - distinguent dans les concours annuels, plus d’un jeune homme disposé par la passion de la science a se dévouer aux explorations lointaines, et par~ ticuliérement destiné a y réussir par le genre de convaissances le plus utilement applicables dans une pareille tache., .

_ J’ajouterai qu’en supposant méme qu’une institution semblable pour lencouragement des voyages d’étude et de découvertes ne doive pas étre indéfinement prolongée, il y a, dans les circonstances actuelles du monde, un grave motif d’essayer cette création pendant plusieurs années, et de I'ap- pliquer a ces grandes et riches parties de l’univers dont |'Europe se rapproche chaque jour davantage, et quelle envahit par son commerce et ses arts.

Je.crois donc utile, indispensable, que l’administration, qui est chargée de seconder le progrés de l’enseignement et l’activité scientifique, soit poorvue de quelques moyens nouveaux pour faciliter et rémunérer des travaux dirigés dans le but sérieux et doublement patriotique dont j'ai in- diqué Jes avantages; et j'ai pensé que la sagesse des Chambres et leur dévouement au pays en jugeraient ainsi, *

. (2. Collégwes et Facultés.) Das Baccalanreat, Wir theil- ten im Tetzten Hefte eine Stelle aus einem Briefe eines franzdsischen Schul- beamten mit, aus dem hervorgeht, dass viele jange keute bei der Maturitats- _ prafang etwas Lateinisches, das ihnen dictirt wird, nicht richtig schreiben, dass Manche sogar ihre Muttersprache nicht richtig orthographisch schreiben kénnen. Wir wollen ein paer Ursachen dieser seltsamen Erscheinung nennen,

- Dieselben sind: ;

4, sachliche. Ein grosser Theil der Gymnasiallehrer in Frankreich hat nicht die entfernteste Achtung und Ahnung der Wissenschaft als solcher. Auch die Wissenschaft ist ein Geschaft so gut wie das Lichterzieben . oder das Strumpfwirken. Begreiflicherweise lernt man bei solchem banau- sischen Sinne nicht mehr als man schlechterdings im Examen wissen muss. Die Schialer sind noch mehr in diesen Gesinnungen.

2. Methodische. Vielleicht in keinem Lande-der Welt wird mehr von Methode geredet als in Frankreich, unter une nouvelle méthode versteht man dann stets den alten Quark und Schlendrian mit einem winzigen Mo- dificatiénchen. Wenn Jemand, anstatt mit Europa anzufangen, eine Geo- graphie mit Afrika erdffnet, so ist das eine neue Methode. Was Methode eigentlich ist, das wissen in Frankreich vielleicht drei oder vier Manner, der Rest hat keine Ahnung davon. Und so wird wieder Nichts gelernt.

Diese beiden Satze kénnten mit gar vielen Beispielen belegt werden; ich mache nur auf zweierlei aufmerksam. |

Das Erste ist der auf den Concurs und nicht auf die Bildung der Schiler berechnete Unterricht. .

Der Director (Proviseur) eines der Knabenzuchthauser, die man jen- seits des Wasgau Collége nennt, hat nur,zwei Dinge, die ibm am Herzen

* Genehmigt.

194 ;

liegen. Das Erste ist, dass in seiner Anstalt Ruhe und Disciplin sei; das Zweite, dass seine Anstalt am Ende jedes Schuljahres mdglichst viele Preise und Accessits davon trage.

Was fir die Anstalt als Ganzes gilt, das gilt fir die einzelne Classe, dazu wird ein Lehrer leichter beférdert, wenn er viele Preistrager anter seinen Schilern hat.

Das Verfahren ist nun einfach folgendes: Von den 30—40 Schilern einer Classe werden 8—10, die Talent haben, Gegenstand der Arbeit des Lehrers, die andern médgen sehen, wie sie thun; man kann sich nicht um sie bekimmermd. So ist es méglich, dass man in einem franzésischen Collége 10 Jahre zabringt und nicht mehr gelernt hat, als der Calefactor, der unterdess die Ofen geheizt hat. *

Natirlich kommt das Mitleid buchmachender Professoren diesen durch Schuld ihrer Lehrer und theils auch durch eigene Schuld unwissenden jungen Leaten zu Hilfe, und diess ist das Zweite.- Die Hilfe besteht in einer instructio asinaria, fir welche die Industrie der Professoren sorgt. Und zwar sind es nicht etwa bloss litterarische Lumpe, die diese Industrie betreiben, es sind Leute von Namen und Ruf darunter. So ist kirszlich erschienen von Prof. Lefranc ein ,,Nouveau Manuel des aspirants aa bac- calauréat és-lettres, rédigé d’aprés le programme da 14. juillet 1840% (1 Bd. von 1000 S. gr. 18., 7 fr. 50 C.), welches die Antworten auf die Fragen des friher von uns mitgetheilten Programms enthalt; far die ganz Schwa- chen ist cin Auszug erschienen. Dann haben die HH. Ph. Lebas, Geruses, Mottet u. A. ,Traductions interlinéaires de tous les auteurs grecs prescrits pour le baccalauréat*® herausgegeben, z. B. ,,Homeére, Iliade, premier chant, par M. Gérusez“* (2 fr. 50 Cs.), ,,Théocrite, la premiére idylle, par M. Lécluse“ (1 fr. 25 Cs.), ,,.Xénophon, Mémoires sur‘ Socrate, quatriéme livre, par M. BMottet“ (3 fr.), eben so ,,Traductions littéraires de tous les auteurs latins prescrits pour le baccalauréat.

Wenn dieses Alles nicht so gar traurig ware, so ware es sehr Instig.

Paris, Prof. Michelet, von dessen Gbermassigen Arbeiten wenige Gelehrte sich eine Vorstellung machen, hat sich dieses Jahr im Collége de France missen vertreten Jassen. Sein Supplent, ein Hr. Yanosky, liest -tber die Geschichte der ackerbauenden Bevélkerung vom 10. bis zam 15, Jahrhunde:t. Die Ac. des Inscriptions krénte 1839 eine Abhandlung des Hrn. Yanosky sur histoire des milices bourgeoises au moyen age, die Ac. des sciences morales in demselben Jahre eine zweite sur l’abolition de lesclavage ancien et la transformation de cet esclavage en servage.

Paris. Es macht unter den Physikern u.s. w. grossen Larm, dass der Kriegsminister, wie.es scheint, auf den Antrag des Unterrichtsmini- sters, eingewilligt hat, von den jungen Leuten, welche sich zur école polytechnique melden, in Zukunft das Maturitdtszeugniss (dipléme de ba- chelier és-lettres) zu verlangen. In Frankreich, wie dort einmal der clas- sische Unterricht in den Colléges ist, wird das nicht sonderlich natzen; in Dentschland aber sollte man eine solche Massregel treffen. Zwar ist erst neulich in Preussen angeordnet worden, dass die, welche sich zum freiwilligen Dienste meldcn, um auf Avancement zu dienen, ein Zeugniss bringen sollen, dass sie fir Prima reif sind; friher geniagte II inf. ; man sollte noch weiter gehen, und das Abiturienten-Examen entweder bei einem Gymnasium oder bei einer h. Birgerschule verlangen. | Die geistigen und sittlichen Nachtheile, welche der zu frahe begon- nene ausschliessliche Betrieb der mathematischen und Naturwissenschaften mit sich fahrt, werden auch in Frankreich von den Besseren gefahit. Der noch stehende Brief von Hrn. Fayet, Lehrer der Mathematik an der Schule zu Colmar, setzt sie recht gut auseinander.

L’inconvénient est d'autant plus grave qu'il peut avoir les suites les * Daher auch die Nothwendigkeit, seine Knaben nicht nur ins Collége zu schicken, sondern sie gleichzeitig einem Institut zu dbergeben, wo Nachhilfe geleistet wird. | cS

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plus déplorables pour les jeunes gens dont [instruction est incomplete, l'éducation tronquée, et par suite la carriére plus ou moins entravée dés son début, et pour Ja société en général qui se trouve ainsi sur- chargée d’une foule d'intelligences mal développées et par suite déplacées dans quelque position qu’elles puissent se trouver en dehors des écoles spéciales destinées 4 compléter leur instruction, Car, il ne faut pas loublier, l'homme est en grande partie ce que le fait son éducation. Si donc on emploie tous les moyens d’éducation a pousser un jeune homme vers un carriére speciale et que cette carriére lui manque, que de- viendra-t-il ainsi déplacé dés le début? Si encore a ses études scienti- fiques il avait joint des études morales et religieuses assez solides pour lui donner Ja force et le courage de recommencer ses études littéraires, ou de se résigner a la position inférieure que lui assigne sa non-admission dans les écoles spéciales, la société n’aurait rien a craindre pour l’ordre, et on n’aurait a déplorer qu'un inconvenient particulier. Mais loin de la, en lui laissant abandonner ses études littéraires, on lui laisse aussi aban- donner. tout ce qu’il peut y avoir de moral ct de religieux dans l'étude des grands mattres de la littératare, de )’éloquence et de l'histoire, sans aucune compensation. Le voila donc avec quelques connaissances plus ou moins incomplétes sur une seule partie; connaissances insuffisantes pour la carriére quil a ponrsuivie, et presque compléfement inutiles poar celles qu il pourrait embrasser, si son éducation avait été moins exclusive. Le voila a charge a lui-méme et a la société qui devra se trouver trop “heu- reuse, si elle n'a a reprocher a cet enfant perdu que son inutilité.

Mais ce n’est pas seulement a ceux qui sont refusés, que cette édu- cation tronquée est nuisible; elle l’est encore a ceux qui sont admis. Et en effet l’éducation de l'homme doit avoir pour but le développement nor- mal et hiérarchique de ses facultés physiques ,, intellectuelles et morales, bien plus que l’acqaisition de, quelques connaissances qui, quoi qu’on fasse, sont encore bien incomplétes et bien superficielles au sortir des écoles. Cette éducation sera donc d’autant moins imparfait que le développement . des facultés sera plus complet et plus harmonieux. Mais comment ce dé- veloppement serait-il complet, quand on ne fournit qu'une espéce d'aliment, et a une seule faculté? L’éducation, il est vrai, ne peut pas plus créer les facultés que les anéantir, mais elle duit les exciter, et, quand elles ont para., dans l'enfant et l‘adolescent, Jeur fournir un aliment convenablement approprié a leur degré de développement. C'est ainsi que, dans tout systéme d’éducation bien entendu, on excite et on exerce d’abord l'imagi- nation et la mémoire de l'enfant sur des images, des récits simples et gra- cieux, sur les mots et les formes du langage; c'est ainsi que plus tard on forme et développe la raison et lintelligence de l’adolescent par l’analyse de la pensée, par Ja transmission des idées d’une langue dans une autre, par les études plus sérieuses de la littérature en général, de la philosophie, des sciences ecxactes et naturelles. C’est ainsi qu'on développe et qu'on dirige le affections du cceur et les tendances de la volonté, a mesure qu'on Jes voit naitre dans l’enfant et le jeune homme, par le bon exemple, par Yhabitude de la discipline et de la soumission a la régle et par les enseigne- ments de la doctrine morale et religieuse, et plus tard par l’exposition des lois civiles et politiques,

' Mais si nous prenons un enfant de douze a treize ans (ainsi que cela se pratique souvent aujourd hui dans les institutions préparatoires *), au moment. ou son imagination et sa mémoire demandent a étre nourries et développées, au moment ot toutes les puissances natives de son ame le portent vers ce qu'il regard comme beau, comme juste, comme grand et héroique, si au lieu de développer, d’entretenir et de diriger ces facultés et ces nobles tendances, nous les sevrons de toute espéce d’ étude littéraire, artistique , morale et religieuse, pour lui imprimer une direction purement

. # In_Prenssen denke man dabei an die Fahnrichsfabriken, wie sie da und dort bestehen. |

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scientifique, * si de toutes les facultés qui naissent et commencent 4 se développer en lui, nous nous attachons 4 une seule, la faculté de raisonner, si de toute cette variété d’aliments que demandent lame et le cceur de VYhomme a cet age, nous ne leur en fournissons qu'un seul, les sciences exactes, et si nous le faisons prendre avec excés, quel résultat pourrons- nous obtenir? Obtiendrons-nous un homme complet, normal et harmonieuse- meut constitué, quand nous ne développons qu ane faculté? Et c’est pour- tant ce que nous faisons, quand nous engageons un éléve de troisiéme ou de seconde a quitter complétement ses études littéraires, et a renoncer a ses études philosophiques pour se livrer tout entier a l’étade des sciences qui font l’objet des programmes de nos écoles spéciales, et que nous le sevrons ainsi subitement et complétement de tout ce qui conviendratt le mieux au degré de développement de son esprit et de son cur, pour le bourrer, passez-moi |’expression, de théorémes, de solutions, de formules, etc., ‘et cela pendant Jes cing ou six ans qu'il emploie a se préparer aux écoles, et pendant les trois ou quatre ans qu'il y passe. C’est justement - les huit ou neuf années pendant lesquelles ses facultés auraient le plus grand besoin d’étre dirigées par un enseignement varié, étendu et général. ©

Aussi qu’arrive-t-il? C’est que ces jeunes gens, accoutumés aux dé- ductions rigoureuses des sciences exactes, jugent mal de tout ce qui ne rentre pas dans les formules abstraites dont leur mémoire et leur intelligence sont exclusivement meublées, et par conséquent de presque tout ce qui seért de base a la société politique, religieuse et domestique, de tout ce qui en fait le charme dans Ja prospérité et la consolation dans le malheur, de tout . ce qui nourrit l’'dame et le coeur et exalte les plus nobles passions de |’homme pour le bean, le bien, Je juste et Je divin. C’est qne ces gens concoivent une foule de préjugés sur les réalités du monde moral, au milieu daquel ils sont appelés a vivre, et qui certainement n'est pas régi par les lois mathématiques; sur les véritégs de la morale et de la réligion qui devraient régler les actes de leur volonté désordonnée, sur les beautésde la littérature et des arts qui font le charme deg hommes dont le développement a été normal et l'éducation bien dirigée, et méme sur les lois civiles et politiques qui nous régissent, et qui, quelque imparfaites qu’eHes puissent étre, doivent étre respectées et consciencieusement obéies, sous peine de mort pour la société, Les faits ne manqueraient pas a l’appui de ces assertions; qu'il nous suffise de rappeler que c’est parmi les éléves de nos écoles spéciales que Saint-Simon et Fourrier ont trouvé leurs plus ardents et leurs plus zélés disciples,

Si du moins les sciences exactes gagnaient a cette préférence exclusive, si leurs progrés devaient y trouver une puissance accélératrice, ce serait une espéce de compensation a tous ces inconvénients. Mais, loin de la, la . plupart des jeanes gens qu’on a ainsi bourrés de résultats et de formules pendant sept ou huit ans de leur jeunesse, au lien de continuer a se for- tifier par des études sérieuses aprés leur sortie des écoles, se hatent bien vite de mettre de coté tout ce qui n’est pas rigoureusement nécessaire a l’exercice des fonctions qui leur sont confiées, C'est donc en pure perte pour la science que |’éducation de ces jeunes gens a été tronquée; mais il y a plus, comme a l’age ou ils sortent des écoles, l'esprit et le coeur demandent une nourriture intellectuelle et morale, et que ces jeunes gens n’ont pas acquis en littérature, en histoire, en philosophie, en morale et en religion, assez. de connaissances pour apprécier les ouvrages sérieux qui. - paraissent sur ces matiéres, ils passent les moments de loisir que leur laissent les fonctions qu’ils ont a remplir, a lire des romans frivoles et licencieux, ou des écrits irréligieux , immoraux ou séditieux.

- Voila quelles peuvent étre les tristes conséquences d’ane simple dispo- © sition réglementaire pour l’admission & nos grandes écoles; pour les uns, ceux qui sont rejetés, entrave au début de lacarriére; pour tous, éducation

* Nicht ,,wissenschaftlich;“ les sciences == Mathematik und Naturwis- senschaft; Philologie, Geschichte, Philosophie u, s. w. = les lettres,

mM mee eae

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incomplete, développement anormal, et par suite fausses appréciations dans la société au milieu de laquelle ils vivent, dans la littérature et dans les aris qui font le charme de la classe a laquelle la position de ces jeunes gens les rattache , dans les lois civiles, politiques, morales et religieuses qui doivent régir tous les citoyens, et par conséquent enfin. erreurs, pré-. jugés et fausse direction sous presque tous ces rapports essentiels et tout cela sans aucun avantage pour les sciences. exactes qui, en général, trou- vent lears plus dignes représentanls parmi les hommes dont l'éducation a

été la plus compléte. )

Nous savons bien quil y a de nombreuses exceptions a ces géniéralités,

nous savons qu'un certain nombre des jeunes canditats a nos écoles spéciales, complétent leurs études et passent leur examen de bachelier avant de se presenter aces écoles; (et pour notre compte, quoique professeur de mathé- matiques, nous faisons tout ce qui dépend de nous pour que nos éléves ne se présentent pour les écoles que lorsqu’ils sont bacheliers). Nous savons que beaucoup d'autres, sans avoir complété leurs études littéraires, ont ce- pendant recu, sous le rapport intellectuel, moral et religieux, un développe- ‘Ment assez avancé pour marcher de pair avec leurs contemporains qui suivent d'autres carriéres, nous savons enfin que dans beaucoup de ceux dont |’édu- cation a été ainsi tronquée, i) se trouve un esprit assez pénétrant, une 4me. assez élevée et un cceur assez noble pour suppléer plus tard, par des études particuliéres , 4 ce que leur éducation pouvait laisser a désirer sous ces diffé- rents rapports. Malgré les nombreuses exceptions, il n’en est pas moins Vivement a désirer que l’autorité prenne des dispositions pour que tous les ‘Candidats a nos grandes écoles complétent leurs études,

Paris, 10. Jun. Die Vorlesangen des Abbé Dupanloup an der Sor- bomne haben vor ein paar Tagen zu Demonstrationen fir und gegen den= 8elben, su Applaudiren und Pfeifen Veranlassung gegeben. Die Geschichte dieses kleinen Scandals ist des Nacherzahlens werth. Der gelehrte Abbé liest aber ,geistliche Beredtsamkeit* und benutzt diesen Titel zu einem Colleg iber dio verschiedenen philosophischen Schulen. Natarlich kam bei der Gelegenheit die Schule des 18, Jahrhunderts schlecht weg. Dagegen . Garf sich Niemand beklagen, und wenn ein Abbé des seligen Voltaire Schatten zu Leibe geht, so hat dieser sich nicht zu beklagen. Wie man- cher selige Abbé hat seine scharfe Feder fahlen missen. Aber Abbé Du- Panloup scheint Voltaire noch viel zu gut zu sein, und so macht er sich | €inen, der ein wahres Scheusal ist, und nachdem er ihn sich eingerichtet hat, beginnt er den Kampf. In einer der jener lauten Sitzung vorherge- headen Vorlesungen hat Hr. Dupanioup zur gréssten Belustigung seiner

Zuhorer mit allerlei Zusaétzen erzahlt, wie der Chevalier de Rohan Voltaire Tait Fusstritten behandelt, Aber er vergass zu sagen, dass die Ursache dieser Misshandlung eher zur Ehre als zur Schande Voltaire’s gereichte, und dass die Antwort: ,je ne traine pas un grand nom, mais je sais ho- orer celui, que je porte“ den Ritter ganz anders traf als die thatliche.

isshandlung den Dichter. Diese Anekdote und die Art, wie sie erzahlt Worde, scheint einen Theil der Studenten vefletzt-zu haben, und daher ‘tag es kommen; dass sich in der letzten Vorlesung eine Opposition ein- fand; der dann Abbé Dupanloup die beste Gelegenheit gab, sich geltend tu machen. Nach einer Menge mehr oder weniger scharfer Hiebe las der gelehrte Abbé zuletzt einen Brief Voltaire’s vor, der also Jautete: ,,Lettre de Voltaire a M. Thiriot, 21. oct. 1736. Le mensonge n’est un vice que quand il fait du mal: c’est une trés grande vertu, quand il fait du bien. Soyez done plus vertueux, que jamais. II faut mentir comme un diable, on pas timidement, non pas pour un temps, mais hardiment et toyjours,

entez, mes amis, mentez; je vous le rendrai dans l'occasion.“ Diese Stelle Warde als Beleg der grasslichen Grundsatze, die dcr Philosoph von Ferney Sepredigt habe, ausgegeben, und der die Lage hassende Abbé rief mit

€nélon aus: ,Ce n’est pas une secte de philosophes, mais une secte de Menteurs.“ Das haben denn die Einen beklatscht, und an diesem Beifall-

atechen haben die Andern ein Aergerniss genommen, Erst wollten die

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Freunde des Abbé iber seine Gegner hergehen, aber dieser selbst legte sich ins Mittel, und so kam ein Friedensschluss zu Stande, nach dem die Freunde in Zukunft sich des Klatschens enthalten missen, wogegen die Feinde nicht mehr pfeifen zu wollen stipulirt haben. Gestehen wir zu, dass sich die franaésischen Studenten bei dieser Gelegenheit mit mehr Ruhe und Warde benommen haben, als diess sonst meist der Fall ist. Das Bei- fallklatschen bei polemisirenden Vortragen ist stets eine Beleidigang far den Gegner, dem man meist nicht erlaubt, sich zu vertheidigen. Wo nur Einer das Recht hat, zu reden, ist es Unrecht, diesem Einen grosses Lob ertheilen zu wollen; wo man nicht tadeln darf, ist es eine Armesiimder- schmach zu loben. Doch lassen wir das; man kénnte sonst glauben, wir sprdchen von der Politik oder gar, Gott sei bei uns! von der Censar, Desswegen zu unserm Philosophen zurick. Der Brief Voltaire’s ist aber doch auch gar.zu arg. Ich habe diesen Philosophen nie lieben kénnen, er hat meine schénsten Traume zerrissen, meine feinsten Gefahisnerven durch- schnitten. Dennoch habe ich ihn nie fir einen so gottesldsterlichen Bése- wicht, der sich ganz ruhig den Teufel zam Master nimmt, gebalten. Auch entsinne ich mich dieser crassen Ligentheorie nicht recht. Bes welcher Gelegenheit er nur das System aufgestellt haben mag? Schlagen wir doch einmal nach. Brief an Thiriot 21. Oct. 1736.... O! Hr. Abbé, wer hatte hinter dem Schafpelze des Abbé Dupanloup den Wolf suchen sollen? In dem obigen Briefe fehlen cin paar Phrasen. Vor dem mentez, mes amis

~

etc, steht: quimporte a ce malin de public qu'il sache qui il doit punir -

d’avoir produit une-Crouppillac? Qu’il la siffle, si elle ne vaut rien; mais que auteur soit ignoré, je vous en conjure au nom de la tendre amitié qui nous unit depuis vingt ans, Envoyez les Prévost et les La Roque a détourner le soupcon qu'on a du pauvre auteur, Ecrivez-leur un petit mot tranchant et net. Consultez avec l’ami Berger. Si vous avez mis Sauveau du sécret, mettez-le du mensonge. Mentez, mes amis etc. Was sagen Sie nun zu dieser grisslichen Ligentheorie? Voltaire hatte damals ein Stick, ,L’enfant prodigue,* geschrieben, das nicht grade sonderlich war, und das die Censur adberdiess noch jammerlich zusammengeschnitten hatte. Er wollte nicht, dass man wisse, wer der Verfasser sei, und schrieb in Folge einer Correspondenz, von der nur die Briefe Voltaire’s dbrig sind, den obigen Ligenbrief, der in seinen Kinzelnheiten sich iiberdiess noch wahrscheinlich auf einzelne Phrasen eines Briefes Thiriot’s bezieht, wie diess héchst wabrscheinlich mit der: Soyez donc plus vertueux que jamais, der Fall sein wird. Der Hr. Abbé Dupanloup hat nicht gelogen, bei Leibe nicht, seine ganze Anklage ist lautere Wahrheit. Voltaire, der grassliche Sunder, hat es, ohne vor dem jingsten Gerichte zurickzuschaudern, ge- schrieben, ja wortlich geschrieben: I! faut mentir comme un diable. Der

Hr. Abbé hat die Sache nur etwas verdreht, in ein anderes Licht gestelit |

und so ihr ein anderes Ansehen gegeben. Und wer ist nun der Liagner! Wahrlich, diese Leute wissen nicht, was sie thun. Als ob es nicht gendgte, Voltaire der Wahrheit treu zu schildern, um dem menschlichen Gefahl eine ihm widerstrebende Erscheinung bieten, *

(8. Kcoles primaircs supérieures.) Auf den Bericht des Ministers verordnet eine kénigl. Ordonnanz, dass in neau Stddten eine Birgerschule mit dem Collége communal verbunden werde,

* Vor der Hand haben die Invectiven der klerikalischen Journale gegen die weltliche Bildung das bewirkt, dass die Académie des sciences morales et politiques in einer ihrer letzten Sitzungen mit Majoritét beschlossen hat, einen Eloge de Voltaire zur nachsten Preisaufgabe zu machen,

N

199 Il. Pidago gische Zustinde.

Der Unterricht im Lateinischen und Griechischen : in der Realschule zu Bern.

Die Errichtung der Realschulen ging iberall, in Deutschland und der Schweiz, von dem Einen Princip aus, Schule und Leben einander naher zu racken, Die Schule hatte, sofern sie hauptsdchlich unter dem Einfluss und der Leitung der Philologen stand, ihre Bestimmung, fir das Leben im umfassendsten Sinne des Worts, in intellectueller, moralisch-religiédser und bargerlicher Hinsicht, vorzubereiten, gar haufig aus den Augen verloren. Die alten Sprachen, denen man allein die Fahigkeit zutraute, alle aibrigen Vorbereitungswissenschaften, Kenntnisse und Fertigkeiten reichlich zu er- setzen, hatten der Mathematik und den Naturwissenschaften allen Raum vorweg genommen, und der Unterricht in denselben tberwucherte alle andere Facher dergestalt, dass der Schulunterricht, wenig verschieden von dem in den alten Klosterschulen, zum einseitigsten Pedantismus ausartete, Hatte die kirchliche Reformation uns gelehrt, dass die allein selig- machende Kirche sich atberlebt habe, so lehrte die Reformation der Scbule, ihre Tochter, dass es ebenso wenig ein allein bildendes wis- senschaftliches Schulfach gebe, dass daher die classische Philologie, die sich dieses Vorzugs berihmte, sich ihrer exclusiven Stellung iber allen andern Bildungsmitteln begeben und sich an ihren rechten Ort, neben andern Schulfachern, stellen misse. Anfangs freilich ging man in dem Kampf zwischen Humanismus und Realismus auf beiden Seiten zu weit, zu weit namentlich auf Seiten des Realismus, wenn man die lateinische und grie- chische Sprache im Allgemeinen fir ganz entbehrlich hielt, und die Noth- wendigkeit ihrer Erlernung nur fir den Gelehrtenstand einréumte. Man ging hierbei von der gangbaren Unterscheidung zwischen Gelehrten und

aien oder Nichtgelehrten aus, eine Unterscheidung, die an vorreforma~ torische, an hierarchische Begriffe erinnert. ‘Man vergass, dass zwischen Gelehrten und Ungelehrten kein specifischer Unterschied im Leben statifindet und auch nicht stattfinden darf, dass wir alle, welchem Stande wir uns auch bestimmen, einen gemeinschaftlichen Beruf haben, Gebil- dete zu werden. - (Was die Englander Gentlemen, die Deutschen Ge- bildete nennen, dafir bat die franzdsische Sprache bis jetzt noch kein entsprechendes Wort, eine natirliche Folge davon, dass die Franzosen die Sache im Allgemeinen noch nicht haben.)

Der Gesichtspunkt, dass die Real- oder héhere Birgerschule eine Schule fir Zéglinge ist, die ,Gebildete* werden wollen, ist nun bei der stddtischen, Realschule von Bern vor allen Dingen festzuhalten. Zu diesem ihrem Begriff; als Schule fair kainftige Gebildete, hat sich die Berner Realschule im Lauf einer zwélfjahrigen Entwicklung erhoben. Werfen wir einen kurzen Rickblick auf die Geschichte ibrer Entwicklung. Sie. ~ war bei ihrem Entstehen fir Bern etwas vollig Neves, Die Kunst-, die Handwerkerschule waren wohl aus einem ahniichen Bedirfniss, wie sie, entstanden, waren aber im Vergleich mit ibr nur beschrankte, |jeinseitige Institute. Anfangs, von 1829 bis 1835, glaubte man in der Realschule noch ohne die alten Sprachen seinen Zweck erreichen zu kénnen. Man stand noch in zu_ schroffer Opposition gegen die Anstalten alten Schnitts, wie diess bei jeder neuen Erscheinung der‘Fall ist. Unnachgiebiges, zihes Festhalten an dem neuen Princip, eine Basirung der Schule auf bloss ma- thematischen, oder bloss naturwissenschaftlichen Grund hatte am Ende zu einer ebenso grossen Kinseitigkeit gefihrt, als die war, zu deren Beseitigung man die Anstalt gegrindet hatte, Publikum und Behédrde fablten die Nothwendigkeit der Einfihrung des Latein-Untere- richts in den drei obersten Classen der Realschule, Der Unterricht war nicht obligatorisch; die Lateinclassen von der abri- gen Classencintheilung unabhangig, so dass Jeder Schiller in diejenige Lateinclasse eintreten konnte, fir die er gehérig vorbereitet war,

200

Man ging von der richtigen Ansicht aus: so gut wie die Litterar- schule* es sich seit lingerer Zeit gefallen lassen musste, den Unterricht in der Mathematik, den neuern Sprachen, der Naturgeschichte und Geo- graphie in ihren Kreis aufzunehmen, so werde wohl auch die Realschale, ohne dabei irgend Etwas von ihrem Hauptprincip einzubissen, einigen Unterricht im Latein aufnehmen kénnen, Eine Einwendung machte man sich schon damals, dass nach dem gleichen Grundsatz auch noch das Griechische einzufihren ware, Man fand diess allerdings winschenswerth, wenn auch im Augenblick noch nicht méglich, glaubte aber mit Recht, desswegen, weil man noch nicht Alles thun kénne, das- jenige, was damals schon geschehen konnte, nicht unterlassen za darfen, Die Schule trug von Anfang an den Keim einer organischen Fortent- wickelung in sich, weder nach Aussen noch Innen bezweckte man far die Anstalt Stabilitat, eine Eigenschaft, die andre Anstalten als Vorzag von sich zu rihmen nicht unterlassen. Man trug daher auch keine Scheu, auf eine Concurrenz mit der Litterarschule einzugehen, die fir beide Austalten nur segensreiche Frichte tragen konnte. Das Ziel des Lateinunterrichts bestimmte man vorldufig auf das Verstehen eines Schriftstellers von mitt- lerer Schwierigkeit, wobei die Anleitung zam Lateinschreiben ausdracklich ausgeschlossen war. .

Bei der im folgenden Jahre abgehaltenen Prifung ftibersetzten die Schiler der dritten Classe aus Cornelius Nepos, die der zweiten aus Casar, die der ersten aus Livius und Horaz, Man hatte 4—95 wochentliche Stun- den far die Lectiire der Jateinischen Autoren verwandt. Bei der an Ostern 1838 abgehaltenen Prifung tibersetzten die Lateinschiler der ersten Classe aus Livius und Ovid. |

Dieses Jahr war fir die Berner Realschule'Epoche machend, die Real- schule realisirte ihren Begriff. Statt drei, spdter vier Classen, erhielt sie sechs, so viel als die preussischen héhern Birgerschulen auch besitzen. War die Realschule bisher nur auf der Stufederjenigen Anstalten gestan- den, die man z. B, in Wirttemberg so nennt, Anstalten, die nicht viel mehr als héhere Volksschulen sind, so vérdiente sie von nun an erst ihren Namen mit vollem Rechte. Was ihr aber sogar noch einen Vorzug vor den deutschen (hdbern) Birgerschulen gibt, diess ist die Einfihrung des Unterrichts in der lateinischen und griechischen Sprache in einer dieser Anstalt eigenthaimlichen Weise, Der (von den Lelrern jedesmal auf drei Jahre gewahlte) Director der Realschule , Hr. Hugendubel, sagt im Eingang seines Schulberichts vom J. 1838: Die Ent- stehung der Schule fiel in eine Zeit, wo der Kampf der Philologen gegen die Realschulen gerade am lebhaftesten gefahrt, ihr Bedarfniss und ihre-Er- folge in mancher Hinsicht in Zweifel gestellt wurden. Jetzt ist die litterarische Palastra far Humanismus und Realismus verédet: (?) aber nicht frachtlos war der Kampf beider Systeme. Reiner, gelduterter stehen sie nan neben einander: der Humanismus ist realistischer, der Realismus humani- stischer geworden,

Fir die letztere Behauptung waissten wir in Deutschland und der Schweiz kaum einen schlagenderen, thatsdchlichen Beweis, -als eben die Realschule von Bern in ihrer jetzigen Organisation ar.zufihren. Der Unter-. richt in den beiden alten Sprachen ist hier in folgender Weise eingerichtet. Der Latein-Unterricht beginnt, far alle Schiler gemeinschaftlich, in der- vierten Classe, in der die ganzo Formenlehre, mit Ausnahme des un- regelmassigen Verbs, und diejenigen syntaktischen Regeln gegeben werden, welche far die zu tbersetzenden Uebungsstiicke erforderlich sind, In der_ dritten: Wiederholung des Nomens und Verbs, Erklérung und Ein- tibung der der lateinischen Sprache eigenthimlichen Constructionen, 80

wie dor syntaktischen Grundregeln. :

In der zweiten Classe trennen sich nun Real- und Litterar-Schiéler in zwei parallele Abthetlungon. Der Latein-Unterricht wird mit den Real-

* Name des Pro= Gymnasiums, D. H.

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schilern nur noch in dieser Classe, in zwei wichentlichen Stunden, fort- gesetzt, and gewdbniieh Cornelius Nepos gelesen. .

Far die Litterarschiler aber beginnt in der zweiten Classe der stren g- methodische Unterricht in den alten Sprachen, als Vorbereitung far daz obere Gymnasium. Das Griechische wird angefangen. In vier wéchentlichen Stunden wird (dermalen nach Kihkners Elementargram- matik) das Nomen und das regelmassige Verbum cingeabt, Acht wéchentliche Stunden sind fir den Latein-Unterricht festgesetzt; In diesen: genauere Entwickelung und ‘systematische Einabung aller wesentlichen syntaktischen Regeln durch Uebersetzung von Uebungsstiicken aus dem Deutschen in das Lateinische. Ins Deutsche wird Casars gallischer Krieg abersetzt, Mit diesem wird auch in der ersten Litterarclasse noch fortgefahren , spdater kémmt Ovid, manchmal auch Livius und Virgil dazu. Die Aufnahmsforde- ranges des hiesigen Gymnasiums machen zahlreiche Exercitien far das _Lateinschreiben néthig. Diese Uebungen, sich in den alten Sprachen moéglichst correct schriftlich auszudriicken, kénnen, aus jenem- dussern Grunde, auch im Griechischen nicht erlassen werden, doch dienen sie hier mehr zar Einibung der Formenlebre und Syntax, und zur Ansammlung _eines hinreichenden Wortervorraths, als zur Erlernung des Griechisch-- Schreibens. Neben zusammenhdngenden grésseren.Sticken aus den grie- chischen Autoren der rein~attischen Prosa wird der jonisch-epische Dialekt gelehrt und Homer gelesen. Fir das Lateinische hat die erste Classe 10, far das Griechische, wegen der Nothwendigkeit, den attischen und den jonischen Dialekt neben einander zu iben, acht Stunden, fraher nur sechs.

Ob hier das rechte Mass getroffen sei, dariber muss theils eine Ver- gleichung mit andern verwandten Anstalten, theils der Erfolg entscheiden,

Statt durch vier, geht z. 3. im hiesigen Pro-Gymnasium das Latein durch alle sechs Classen durch, das Griechische, statt durch zwei, durch drei Classen. Das Verhaltniss ist dieses:

Progymnasium. Realschule. woch. Stunden, Latein. woch. Stunden. Classe VI. . . . 12 VI... 6h CUO Vv... 10 -_ Vv. «. ;~ OO IV. ° e e 10 lV. e ® e 4 - Wh. . . 10 _ Im . 4 iI... 10 | | Pr 8 fk... 10 I... 10 . Griechisch. a Til, e e e A _ Ill. ° e * 0 —~- DT. ... 5. I. 2. 6A I 5 I, ry 7

Trotz dieser bedeutenden Verschiedenheit in der Zeitdauer und der Standenzahl des lat. und gricch, Sprachunterrichts haben die Schaler der Realschule bei der Aufnahmsprifung ins Gymnasium mit denen des Pro- Gymnasiums bis jetzt mit. Glick concurrirt, obgleich noch keine Classe © den vollstandigen vierjahrigen Curs durchgemacht hat. Fir die zuletzt abgegangene Classe war in Folge der 1838 vorgenommenen neuen Classen- eintheilung die Schulzeit noch um ein halb Jahr verkirzt worden. Die friher aus der Realschule ins Gymnasium tbergegangenen Litterarschiler hatten zu ihrer Vorbereitung fir dieses noch weniger Zeit gehabt. Es lasst sich also mit Sicherheit erwarten, dass dic Litterarschiler der Real- schule, wenn sie irgend die néthigen Anlagen besitzen und den vollstin- digen vierjahrigen Curs mitmachen, nie ihr Zicl verfehlen werden. Dicss zu erreichen, tragt theils die geringe Anzahl der Schiler, deren bis jetzt noch nie aber 12, in der Regel weniger, in einer Litterarclasse waren, theils aber auch die Methode, welche von den Lehrern der betreffenden Facher * beobachtet wird, das ihrige bei. Alles Mechanische, Geisttddtende,

* Det Hr. Verfasser und Hr, Dr. Borberg. Padag. Revue 1842. b, Bd. Y. 14

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aller Schlendrian ist ferne. Die Knaben sind, wenn ‘sie das Latein anfangen, schon durch die Zucht des deutschen und franzésischen Sprach- unterrichts gegangen, sie kennen die ndthigsten sprachlichen Begriffsbe- stimmungen, das Erlernen fremder Sprachen ist ihnen nichts Fremdes mehr, Mathematik, Geschichte und Geographie hat ihnen Stoff zum Denken gegeben, sie haben sich gewohnt, in fremde Zustande, Vorstellungsweisen und Ideen sich hincinzudenken, In jeder neuen Sprache, die sie zu lernen anfangen, finden sich tausend Ankndépfungspunkte, denn das ihnen darch anderweitigen Unterricht geléufig Gewordene, auch das Latein, noch vielmehr das Griechische, ist fair sie nichts absolut Neues. -Der Unterricht in diesen Sprachen ist dadurch ungemein erleichtert, und hat sich somit leicht auf eine viel kleinere Stundenzahl beschrauken lassen. Was die Methode selbst betrifft, so bindet man sich durchaus nicht an irgend eine der gegenwartig cursirenden, sie nimmt aus der Hamilton’schen und Jaco- to’schen, was diese Gutes gebracht haben, und verlasst diese auf dem Punkte, wo sie zur mechanischen Dressur werden. Es ist die von dem Herausgeber dieser Blatter ins klarste Licht gesetzte Elementarmethode, an die man sich zunachst halt, Man fangt nicht mit Vocabeln, sondera gleich nach Eindbung des Néthigsten aus der Declination und Conjuga- tion mit Saétzen an; durch Auswendiglernen von Satzen, mit bestandiger - Nachfrage nach den Formen, wird das Gedachtniss geabt, das alles Zu- summenhangende, was einen ansprechenden Siun und Gedanken hat, leichter fasst und behailt, als abgerissene Wérter. Einaiben dcr Formen und mind- liches wie schriftliches Uebersetzen geht immer Hand in Hand. Eine wissen-- schaftliche Grammatik kann die Grundlage des elementarmethodischen Un- © terrichts nicht bilden; wissenschaftliche Ordnung ist es nicht so sehr, worauf hier Alles ankommt, als vielmehr die psychologische, die subjective Ord- nung das Bedirfniss des Schilers entscheidct dariber, was heate yor- kommen muss; was er heute braucht, muss ihm heute gegeben werden, aber auch uur dieses, Er empfangt keincn Kreuzer Capital, den er nicht -sogleich umzusetzen im Stande wire, Alle Sprachtheile kénnen fast zu gleicher Zeit zur Sprache und Anwendung kommen. Aber man vermuthe desshalb nicht, dass hier, was dic wissenschaltliche Grammatik geordnet hat, willkarlich durcheinander geworfen werde. Die wissenschaftliche Grammatik behalt Sitz und Stimme, aber ihre Entscheidung hat far die Elementarmethode nur secundares Gewicht, Sprachkunst steht fir den Elementarschiler hoch aber der Sprachlehre oder Sprachwissenschaft. Zuerst. wird der grammatische Stoff gegeben, in einer, eben nur fair den Schiller, scheinbar zufalligen Aufeinanderfolge; far den Lehrer und also mittelbar immer.auch fir den Schiler ist allerdings die Wissenschaft mass- gebend, aber die Wissenschaft wird dem Knaben.nicht auf synthetischem, sondern auf analytischem Wege zuganglich gemacht und mitgegeben. - Der Schiler wird bald den wissenschaftlichen Stufongang ahnen, und am Ende sich zam klaren: Bewusstsein bringen, er erhalt alse die Grammatik zwar in Fragmenten, aber aus diesen Sticken setzt sich zuletzt wie von selbst ein musivisches grammatisches Gebéude zusammen, das die richtig geleitete Selbstthatigkeit des Schilers gebaut hat, die Grammatik ist in ihm gewachsen, sie ist ihm nicht cin Fremdes, sie ist sein selbsterwor- benes Eigentham. Und nun erst, gegen den Schluss des Unterrichts hip, lernt er die verschiedencn Faden zu Einem Gewebe verbinden, das ihm nie wieder zerreisst, Man spricht so viel von der Weckung und Uobung der Selbstthatigkeit, und am Ende, wenn man néher hinsieht und nach- fragt, lauft Alles auf die sog. sokratische Hebamnienkunst hinaus, auf das Katechisiren. Aber diese Kunst entbehrt alier positiven Unteriage, wenn nicht der Stoff zum Katechisiren, zum Herauslocken und Abfragen auf die oben -geschilderte Weise zum Eigenthum'des Schilers geworden ist. Man gibt sich die Miene, als ziehe man aus dem Schiler nur heraus, was in ihm ist, lasst es aber dabei nicht an Suggestivfragen fehlen, die das Ganse zu einer zeitraubenden Spielerei machen. Die Elementarmethode ist der einzige Weg, auch fir die alfen Sprachen, diesen Unterrichtszweig frucht-

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bar und geistbildend zu machen, und, wo sie angewandt wird, zeigt auch der Erfolg, dass so unterrichtete Schialer nicht nur an geistiger Reg- samkeit den mechanisch dressirten weit voraus sind, sondern dass aueh der gesammelte grammatische und lexikalische Stoff nur bei ihnen cin un- verlierbarer, far das praktische Leben scgensrcicher Besitz geworden ist. Beati possidentés, aber glicklicher noch die, welche nicht nur erworben, sondern auch gelernt haben zu erwerben. Dr. .L, Seeger,

Ill. Uebersichten. KX. Webersicht der. Zeitschriften.

Der Unterricht in der Naturkunde.

Breslauer Zeitung, (1841 Nr, 65 a, Nr. 89.) Zwei recensirende Anzeigen naturhistorischer Lehrbacher von- Président Prof. Dr. Nees von Esenbeck,

° I.

Constantin Gloger's gemeinnitziges Hand- und Halfsbuch der Naturgeschichte, in 12 bis 14 Heften.

So lautet der Titel eines Buchs, von welchem die beiden ersten Hefte vor mir liegen. Diesem Titel entspricht auch der Inhalt und Geist des Werks so ziemlich, und man kann héchstens im Interesse desselben win- schen, dass sein Aushdngeschild weniger an Beckers Noth- und Hilfs- buch fir den Landmenn, und an Cl. Brentano's drolliges Wortspicl, dass es zur Noth besser als zur Halfe sei,“ erinnern mége. Lassen wir den Zusatz ,Halfsbaché hinweg, so kann ein Werk wie dieses gemein- Bitzig durch allerlei Hinde gehen. Es beginnt gteich Seite 8 mit den Sangethieren , und wird in dieser Weise fortschreiten, bis der concrete Stoff ausgeht. Es enthalt von den Thieren, die der Verfasser historisch Sehr gut kennt, viel Unterhaltendes, zum Theil vom teleologischen Stand- Punkte aus zur Erbaulichkeit Anleitendes; es hat dberall ein kurzgefasstes Verstandesurtheil aber Voryrtheile und irrige Ansichten, Mittel und Zweck im organischen Leben betreffend, bei der Hand, es abt das conservativ- heitere Absprechen, das der Gesellschaft zugagt, ein, und vergisst den Natzen nicht; aach werden anmuthige Thierahekdoten eingewebt, welche Stch hier nicht weniger geltend machen, als die Novellen in Cervantes berihmtem Heldenroman.

_ Solche Werke sind dem grossen Publikum recht sehr zu empfehlen.

te Natur ist ein classisches Gedicht im gréssten Styl und weitesten Um- @ag, und die Naturgeschichten im Geiste der vorliegenden sind Chrestoma-

teen, aus denen Jeder, der lesen kann, sich etwas herauslesen mag; freilich wohl muss er ‘einigermassen Lesen kénnen. '

Ich wirde keinen Beruf in mir finden, dber ein Werk, dessen Brauch- barkeit darch viele dhniiche, zum grossen Theil weniger gute, hinlénglich

Wéahrt ist, mieh zu dussern , wenn nicht in der Ankdndigong etwas stinde, Welches die Tendenz des Werkes unter einen ganz anderen Gesichispunkt Ingt, and den Zusatz: Halfsbuch auf eine aiberraschende Weise deutet. a -Nachdem namlich vorangestellt worden, dass es dem Hrn, Verf. auf - €8 Anziehendmdchen und auf die Erleichterang des Gedachtnisses ankomme, Smit dieses cine ,gréssere Anzahl von Eindricken oder Gegenstdnden,* Clehe hier auch ,Dinge“* genannt werden, und worunter Hr. Gl. offen- "tr Thier-, Pflanzen- und Steinarten meint, behalte, fahrt dio. Nkimdigung (die doch sicherlich nicht ohne des Autors Zustimmung er-

lien) so fort:

»Bei: der gesammten Bearbeitang wurde ganz vornehmlich Ricksicht vat die grosse Zahi derjenigen genommen, welche als Offentliche und Pri- ptlebrer selbst Belehrung suchen, aber so haufig weder Zcit, noch rechte,

Get (!), weder gute Gelegenhcit, noch hinreichende Vorbildung (!) far @a naturhistorische Fach haben, um die ihnen etwa za Gebote stehenden

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litterarischen und artistischen Hilfsmittel mit der gehérigen Sichtung und Auswahl zu benutzen.“.... .

»Diesem grdsseren Werk soll nun sobald als méglich, und aiberall genau sich anschliessend als Auszug ein Grundriss oder Lehr- buch far die Schulen folgen, um den Schailern wahrend des Unter- richts in die Hande gegeben zu werden.“..

yo wird der Lehrer, auch wenn er selbst gar nicht durch eigene Studien fir das Fach vorgebildet ist, durch gehérige Benutzung des Hauptwerkes doch in den Stand gesetzt sein, mit Leichtigkeit und Erfolg zu unterrichten.“

So sehr also kann ein Mann, der lange bei einem Gymnasium gelehrt hat, den Zweck seines Berufs an dieser Stelle verkennen! * Geschieht das am grinen Holz, was mag am dirren geschehen! Niemand wuandere sich also, wenn wir die Jugend von den meisten Gymnasien ganz unvorbereitet zur Universitat kommen sehen, wenn keiner auch nur zwei Zeilen eines streng naturhistorischen Werkes richtig auslegen, keiner ein Thier, eine Pflanze, ein Mineral im System auffinden ,~ noch viel weniger das Bild eines solchen Naturkérpers methodisch in angemes- sene Worte fassen kann; wenn die Jugend, an zerstreutes Aufhorehen und blindes Hingaffen beim spielenden Unterricht in der Natargeschichte gewohnt, nur noch héheres Amusement von dem Universitatsvortrage er- wartet, und das Trockene, das sie auf der Schule nicht gelernt, nan nicht mehr nachholen mag, sondern lieber ein Fach aufgibt, dessen ideale Hohe sie wohl ahnet, aber zu erreichen verzweifelt!

Und welchen Begriff missen die Rectoren, die Lehrer alle an allen

_ * Diese Aeusserungen enthalten zugleich eine Entschuldigung des Ver- fassers, indem sie zeigen, wie allgemein die umgekehbrte Richtung des Unterrichts in der Naturgeschichte auf Gymnasien ist, und dass eben dess- halb selbst manche anerkannte Naturhistoriker, insbesondere Zoologen, sich gar nicht bewusst wurden, weder wie sie zu ihrem Vielwissen anf dem Gebiete ihreg Fachs gekommen sind, noch was ihnen selbst vielleicht an Vielseitigkeit des Wissens abgeht, In diesem Cyklus yon Grand und Folge bewegt sich dann der Unterricht, ohne vorwarts zu kommen, und wenn man dabei fortwahrend das Thierreich vorzugsweise bericksichtigt findet, so hat das abermals denselben Grund, namlich den, dass man sich hier ‘Teichter des mangelnden Grundes unbewusst bleiben Kann, als in der Bo- tanik, welche ohne einige allgemeine Formenkenntniss gar nicht 2u fassen ist; daher denn das mechanische, zersplitterte Anlernen des Nothbedarfs aus der sogenannten Terminologie hier sowohl Lehrer, die nicht Lust noch Vorbildung haben, als Schiller ermidet, Dass man aber auch in der Zoologie und Mineralogie ohne die wissenschaftliche Vorbil- dung, welche eben das methodische Auffassen und Aufgefassthaben der Formenlehre, das freie Produciren- und Reproduciren-Kénnen der Thier-, Pflanzen- und Mineral-Gestalten ist, einseitig bleiben misse, und bloss am Aeusseren hafte, zeigt gerade der in der Zoologie herrschende telealogische Rationalismus, welcher sich einer Einsicht in die Zweck- massigkeit der Natur rihmt, indem er z, B. den Schnabel- und Zabnbau auf die dadurch prastabilirte Nahrung, den Fussbau auf die dem Thier vor- geschriebene Bewegung bezieht, da doch gerade die umgekehrte Beziehung die richtige ist, wie Jedem einleuchten muss, der das Thier nicht bioss nach seinem Aussehen beurtheilt, sondern sich der prastabilirten Har- monic seines inneren Baues, der harmonischen Stofenleiter der Grund- systeme des Thierkérpers (des Nahr-, Bewegungs- und Besinnungs-Apparats) und damit der Besinnung selbst als des Zauberspiegels bewusst wird, welcher die Harmonie des Universums in die Besonderheiten der Thierleben (in jede nach dem Masse ihrer Bestimmung) reflektirte, daher denn auch jJedes Geschépf sich nach des Schépfers Willen (in Harmonie mit dem Naturgesetz) eben so bildet als bewegt, weil es keine andere Welt als die seiner Bestimmung hat,

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Gymnagien, von der Naturgeschichte bekommen, wenn ein Mann von Fach eine Eselsbricke baut und Offentlich behauptet, ,es bediirfe nur dieser, um, ohne alle Vorbildung durch eigene Studien, mit Leich- tigkeit und Erfolg in der Naturgeschichte zu unterrichten!*

Das Bild eines Autors ist volig passend. Die Natur'ist ein Autor. Sie hat ihre eigene Sprache. Jede Sprache hat ihre Elemente, und diese werden dargestellt in der Grammatik. Die Philolugie beginnt mit der Gram- matik; sie lehrt die Formen, die Wortfigung; sie schreitet fort, indem sie Satze ausirgen und zusammensetzen lehrt. Nun geht sie zum Autor oder . zur Chrestomathie. Und immer leichter geht der Geist der Jugend in den Geist der Sprache ein, -immer weiter bewegt er sich in ihren gefalligeren Formen, bis endlich Wortbau und Gedankengang zur Unmittelbarkeit in beiden Geistern verschmelzen.

So lehrt die Philologie, und die classische Litteratur bliht und gedeiht iberall in der cultivirten Welt,

Die Mathematik hat das Glick, nicht anders verfahren zu kénnen; die Religion hat ihren Katechismus; die Geschichte geht nicht ohne Erfolg von syncbronistischen Uebersichten dér allgemeinen Weltgeschichte aus.. Alle diese Wissenschaften blihen auf den Gymnasien und senden wohlvor- bereitete Schiéler zur Hochschule. .

Aber es wird auch Keiner zum Lehren einer dieser Wissenschaften berufen, der nicht eben diese Wissenschaft grindlich studirt und sich dar- tiber gehdrig ausgewiesen hatte. .

Und wenn Einer kame und sprache: Ich habe zwar die Sprachen der Rémer ond Griechen nie studirt, weiss auch nichts von denselben, und trage kein Gefallen an ihrem: Studium; aber ich habe hier eine grosse Chrestomathie und da eine kleine, welche aus jener grossen gut ausge- ~ zogen ist. Die eine werde ich den Knaben in die Hinde geben, und aus der andern werde ich die Licken im Texte der kleinen Chrestomathie aus- fallen, und die Knaben werden so, wenn wir dieses vollbracht, etwas aus allen griechischen und rémischen Classikern vorlesen gehért haben.

_Wirde dem, nicht der Sprachgelehrte antworten: Und ware dein Noth- und Hilfsbuch noch so gut, so habe ich dennoch nichts gemein mit dir, hebe dich von dannen!

, Um noch karzlich auf die Hinweisung zu kommen; ,dass 6ffentliche Lehrer so haufig weder Zeit, noch Lust, noch Gelegenheit, sogar nicht einmal hinreichende Vorbildung fit das naturhistorische Fach haben,“ so muss ich, der ich das Lehramt kenne und ehre, gegen diesen Vorwurf meine Stimme erheben, wenn nadmlich dieser Satz das sagen will, was die Worte besagen, namlich: dass solche, die nicht Lust, nicht die néthige Vorbildung u.s. w. zum naturhistorischen Fach haben, wirk-. lich offentliche Lehrer sind. Denn diss es Viele gibt, die ohne diese wesentlichen Bedingungen Offentliche Lenrer werden oder bleiben méchten, wenn sie es zufallig wurden. daran ist weniger zu zweifeln. Bald aber wird auch diese letztere Voraussetzung unter die zweifelhaften gehdren. Denn unser Staat, dem gewiss nicht entgangen ist, was dem Aufblihen der Naturstudicn auf Gymnasien noch im Wege steht, iat, nachdem er diesem Eehrfach eine bestimmtere Stelle unter den Lehrgegenstanden bei dem Gymnasialunterricht angewiesen bat, sicherlich auch beschlossen, dass die Anfangsgriinde in den Naturwissenschaften, gleich denen anderer Hauptfacher, fortan nicht spielend und in der glatten Unterhaltungsform, sondern wissenschaftlich und ernst, wie es die Vorbereitung far eine hohe Aufgabe des Lebens und der Bildung erheischt, eingeabt werden sollen.

Ich weiss, dass ich hier einen Freund anfechte , doch konnt’ ich nicht anders. Uebrigens haben sich vor Kurzem mehrere gewichtige Stimmen aber das, was dem Gymnasialunterricht in den Naturwissenschaften Noth thue, in unsern Blattern auf eine Weise vernehmen lasse®, .die beweist, dass meine Ansicht dieses Gegenstandes nicht isolirt stehe.

Nees von Esenbeck.

206 IT. .

Methodischer Leitfaden zum grindlichen Unterricht in der

Naturgeschichte fair héhere Lehranstaléen von F. Eichel-

berg, Professor der Naturgeschichte an der obern und Qberlehrer der

Physik und Naturgeschichte an. der untern Abtheilung der Cantonsschule

in Zirich. ister Theil: Thierkunde, 138 Seiten. 2ter Theil: Pflanzen-

kunde, 155 Seiten. 3ter Theil: Mineralogie, 159 Seiten. Ziarich 1839

und 1840, 8.

Dieses naturgeschichtliche Schulbuch gehért zu den bessern, ja zu den besten, die mir zu Gesicht gekommen. Es hat Methode, und die Idee, welche der Methude zum Grunde liegt, ist, so weit sie sich selbst: begriffen hat, gut. Daher will ich dieses Buch vorerst loben, und zwar ganz ein- fach dadurch, dass ich kurz berichte, wie es ist.

Schon in der Vorrede steht viel Rihmenswerthes, ,Der natargeschicht- liche Unterricht hat zum Zweck die Erlernung der Natursprache, und durch die im grossen Naturbuche niedergelegte Geschichte Geist und Gemiaéth des Schilers zu bilden.“ . ,

Sehr schmeichelhaft far mich, dass schon im August 1839 Einer in der Schweiz sich genau eben so ausdrickte, wie ich am 18. Marz 1841 in der Breslauer Zeitung, wenn ich nicht etwa gar meinen Ausdruck ihm. entwendet habe!

Ferner, nachdem gezeigt worden, dass man in der Naturgeschichte nichts habe, wenn man nicht Aussen und Innen beisammen habe, und dass die Knaben gar woh! auch den innern Thier- nnd Pflanzenbau, so weit er zum Begriff des Thiers u. s. w. gehért, begreifen kénnen, wenn . man ihnen denselben begreiflich zu machen weiss, und selbst dea Begriff in sich tragt, fahrt er fort: ,ein naturgeschichtlicher Unter- richt ohne Hindeutung auf den Ursprang der Dinge faibrt jenes gehaltlose Treiben herbei, welches sich in einem neugierigen Jagen, Sammeln und Sondern kund thut.“ .

Seine Methode legt es also auf ,cine erschépfende Betrachtung der dusseren und inneren Organisation der Individuen* an und bleibt die- ser Idee, mutatis mutandis, auch in der Mineralogie treu.

Worin besteht nun die Methode des Verfassers? Sie ist fir jeden Theil dieselbe, also z. B. im ersten Theil: iste Abtbeilung. Organographie oder Beschreibung der thierischen Organe. 2te Abtheilung. Systemkunde (als blosser Rahmen zum Memoriren, ohne dass er noch begriffen sei.) Ste Abtheilung. Beschreibung der Hauptthierformen und deren Vergleichung. Erste Stufe. Vergleichende Darstellung der Kreise und Classen des Thier- reichs. Und hier als Beispiel fir die Wirbelthiere: A. Vorbereitung. Beschreibung des-dussern und innern Baues folgender Thiere: 1, die Haus- katze, Felis domestica: a, dusserer Bau; b. innerer Bau (sehr ausfihriich, 1%, eng gedruckte Seilen); ¢. Lebensart (kurz). 2. Die Garten-Elster, Corvus Pica, Ebenso; ferner 3, die gemeine Eidechse, Lacerta agilis, 4. Der Flussharsch, Perea fluviatilis, B. Vergleichung: a. nach ge- meinschaftlichen Merkmalen; b. nach Unterscheidungsmerk- malen. So geht es nun durchs ganze Werk in guter Ausfihrung aller Parthien. Der Sachkundige erkennt ‘einen selbstdenkenden Schiler Oken’s,

So habe ich denn das Werk durch sich selbst gelobt, nnd mache Dur noch darauf aufmerksam, dass eben diese Kirze des Lobes die Lubens- wirdigkeit des-Gegenstandes am ersten bewahrt; denn ein Lob, das sicn nicht kurz fassen lisst, hat etwas zu verdecken, -

Indem ich aber unbedingt lobte, erganzte ich etwas, das der Titel des Buches andeutet, aber nicht deutlich auszusprechen brauchte: dieser Leitfaden ist zn loben fir Real- und héhere Bairgerschulen. Es feblt ihn aber fir die wissenschaftliché Schule noch ein Glied, oder doch die Bezugnahme anf dasselbe, und dieser Mangel beruht auf einem Missverstehen , oder richtiger, auf einem Missunterscheiden der Richtung des Lebrgangs. -

Jiesen Tadel will ich erléutern, 80 gut sichs in der Kirze thun laset.

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Der Verfasser spricht, gleich Vielen in unseren Tagen, von den Vor- .

zigen einer sogenannten synthetischen Methodo in der Naturgeschichte vor der friheren, die er die analytische nennt, und zeigt zugleich, indem er diese ohne Untersuchung verwirft, dass die erstere, wie sie bisher behandelt worden sei, auch nichts Gutes gestiftet habe, daher er sie denn hier verbessert. ;

Nan sollte aber doch so viel schon von der Philosophie in alle Welt durchgeschwitzt sein, dass Jeder im Voraus wiisste, was es mit.diesem Unterscheiden eines Analytischen vom Synthetischen eigentlich fir eine Bewandtniss habe, und namentlich sollte doch der Naturforscher lingst ein- qggesehen haben, dase er tberall auf seinem Gebjet beides beisammen Ihabe, Dass man dieses nicht beachtete, hatte seinen guten Grund, aber

@ine bése Folge. Indem man die Synthesis ribmt, dreht man sich nur inr . Sattel um und reitet dann weiter. Warum sollte nun Einer, der den ge- -

Hhorigen Schluss hat, nicht- auch so anstandig sitzen kénnen? Hatte aber “Gottes Firsehung es nicht also gefiigt, dass das Pferd dennoch die «Augen ~worn behielte und daher ohne den Reiter den Begriff des Riltes weiter azanalysirte, so blieben Pferd und Mann in der synthetischen Methode sitzen Kis an den jangsten Tag.

Wollte man’s nun naber betrachten, so wirde man Folgendes finden. —Beder Naturgegenstand ist ein Begriff im Sein, und ist eben derum nicht mm Begriff, sondern muss erst begriffen werden, und das ist die @eschichte seines Begriffwerdens, Wir pflegen zu sagen: der @segenstand werde uns deutlich. In der That geschieht.such nichts anders, waind unser Begriff von der Fiche z. B. bringt nichts zur Eiche hinzu (wie Wxdunte er sonst zu ihr passen?), sondern die Eiche waichst, indem sie ‘Wegriff wird, so zu sagen, in das Denken des Geistes hinein und nimmt _ Geistesgestalt an. Wenn sie nun im Geist ist, ist sie freilich als Eins in

ibm, deno im Geist wird Alles Eins, wie es auch erschcine; und die Eiche,

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che sie zum Begriff erwuchs, war auch eins, némlich der nicht aualy- |

sirte, folglich auch noch unbegriffene Naturbegriff; ihr Wachsen in den Begriff aber ist, wie man’s nimmt, synthetisch oder analytisch; die Fiche geht dabei in ihre Analysis, ihr stummer Begriff oder ihre Einheit entfaltet sich in die Vielheit ihrer Theile, die zusammen eben ihre unbewusste Ein- heit sind; der Geist hat seinerseits den deutlichen Begriff der Eiche, denn er hat die Kinheit der Etche durch die Allheit ihrer Ent- faltung oder durch alle ihre Theile. Mag er nun seinen Begriff, als solehen, in die Einheit ciner bestimmten Eiche setzen, oder mag er den Begriff einer bestimmten Eiche-in ihre Theile setzen, so verfahrt er in beiden Fallen analytisch, zagleich aber synthetisch, weil er ja die bee stimmte Eiche als Fiche begreift, und die Theile der Eiche als Theile ihres Inbegriffs. | Es ware Unrecht, hierauf zu kommen, da es ja allgemein bekannt sein muss, Wenn man aber von zwei'Methoden, die sich gar nicht trennen lassen, die eine verwerfen, die andere preisen hért, so muss man billig erst zusehen, was denn eigentlich verwourfen oder gepriesen werde. ~ . Wenn man bun von einer analytischen Methode des Unterrichts in der Naturgeschichte spricht, so kann man damit nur meinen, entweder: dass man die Vorstellung (den seienden Begriff) eines Naturgegenstandes, oder (was gleich viel bedeutet, aber mehr ist) eines ganzen Natur-

gebiets, durch die Entwickelung in die Theile oder Merkmale zum.

deutlichen Begriff machen wolle, oder: dass.man dberall von einem vorausgesetzten Begriff eines Naturgebiets in die einzelnen Natur- kérper desselben, als seine Theile, hinausgehe.

Rihmt man* aber die synthetische Methode, so kann dieses vernanf- _tiger Weise nur heissen, entweder: dass man bei der Erkenntniss der Theile oder Merkmale eines Naturkorpers nur deren Kinheit im Begriff dieses Naturkérpers vor Augen habe, oder: dass man auch in Bezug

auf das Natursystem jedes Naturreichs, von den vorauserkaonten .-

»

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Begriffseinheiten der besonderen Naturkorper ausgehend, das System des Gebiets erkennen wolle,

Ist es nun nothig, dass man die dunkle Vorstellung eines Natar- gegenstandes zuvérderst zum deutlichen Begriff erhebe, ehe man iberhaupt dardber zu denken versucht, so ist die Analysis im ersten Sinn Grundbedingung.

Der deutliche Begriff aus dieser Analysis selbst aber is} eben der Be- griff des deutlich bestimmten Naturgegenstandes. Wie kéonte man also von diesem ausgehen wollen ohne jene?

Die Kenntniss (die deutlichen Begriffe) der Naturgegensténde vor- ausgesetzt, bliebe nun die zweite Frage: kéunen wir, von dem Begriff eines Naturgebiets (von einem systematischen Grundpringip) ausgehend, analytisch za allen besondern Theilen oder Einzelnheiten desselben ge- langen, oder ist das Gegentheil wahr, dass man nur von den eingel- nen Naturkérpern eines Gebiets aus sur Einheit seines Begriffs gelangen kénne ?

Man sieht leicht, dass diese zweite Frage die erste voraussetzt, und dass eben so der Zweck des Systems nur unter der Voraussetzung, dass die Naturkérper jedes Gebiets, und also auch das ganze Gebiet, abgese- hen von der Darstellung seines Systems, schon begriffen seien, iberhaupt zur Aufgabe gemacht werden kénne. *

Wie es aber wohl Deutsche gibt, denen unsere liebe Muttersprache so geldufig ist, dass sie gar nicht begreifen kdnnen, dass es Menschen gebe, die sie erst lernen miissen, so geht es vielen Naturforschern, be- sonders auf dem Gebicte der Naturgeschichte; sie setzen zu vieles als bekannt voraus. .

Wenn’'s nun nicht recht damit fort will, so soll die Methode Schuld sein.

Freilich war die frihere Methode auf falschem Wege: man analysirte ein Naturreich in seine Theile und Merkmale ohne allen Leitfaden ins Unbestimmte hinein, haufte Kunstausdrock auf Kunstausdruck ohne Ziel und Mass, Der Leitfaden, welcher fehlte, war der Begriff des Gebiets,

Wenn nun die sogenannte synthetische Methode die cinzelnen Natar- kérper als deutlich begriffen voraussetzt, so muss sie entweder wissen, dass und wie sie begriffen seien, und hat dann freilich das Gethane nicht nochmals zu thun; oder sie weiss nicht, dass jenes ge- schehen, thut’s auch nicht selbst, sondern nimmt die duankle Vor- stellung, wie sie sich gerade findet, in der Meinung, sie kénne mit dem unklaren Stoff geradezu ins Licht des Natursystems bineinfahren, sie babe ihn ja, und was bedirfe es weiter?

Das ist das andere Extrem; und beide Extreme taugen nicht; das ge- dankenlose Verwiissern aus cinem Besondern ins Andere und das dumm- dreiste Einschleppen der concreten Dinge in die Idee eines Systems ver- schwinden beide in nichts, ;

Hr. Etchelberg hat nun, im tiefen und richtigen Gefah! des Erstarrens im Gegebenen, diesem die Analysis einverleibt; er beginnt jedes Naturreich mit der Organographie desselben. Weil er diese aber selbst als eine gegebene aufoimmt, nicht aus dem Begriff des Gebiets (des Thiers, der ' Pilanze u. s. w.) entwickelt, so hat er hier des Unterschiedenen zu viel und verfallt selbst in den Fehler, den er der analytischen Naturbetrachtung vorwirft. Die Begriffe der Pilanze, des Thiers, haben nur wenige Merk- . Male; das Thier und die Pflanze haben also auch nur wenige The ile, dic ihr Wesen ausmachen und ohne deren Zusammensein sie nicht Thier, nicht Pflanze waren. Diese Theile missen zuerst erkannt und zusammengefasst werden. Nun hat aber der Begriff jedes Theils auch wieder seine verschiedenen Merkmale, und zwar theils wesentliche, theils unwesentliche, gleich dem Ganzen, Jedcr Theil kann demnach, seinem

* Wohin wollte man wohl die Theile eines Ganzen setzen, che man das Ganze hat, ohne sie dabei ausser dem Ganzen, d. h. nicht ip das Ganze, zu setzen?

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wesentlichen Begriff unbeschadet, in verschiedener Gestalt anftreten, und so immer weiter. Wer den Begriff des Thiers u. 8. w. adberhaupt and eines jeden Thiers oder einer Pflanze insbesondere auf solche Weise analy- sirt, orientirt sich diber denselben, indem er ihn wachsen sieht; wer anders verfahrt, hat immer nur Organe ffir sich, und Thiere, Pflanzen u. s. w. fir sich, und bedarf noch eines deus ex machina, der diese aus jenem rusammensetzte.

Wie nun das belobfé synthetische Verfahren, wenn es mit Selbstbe- wusstsein verfabrt, gezwungen ist, Schonbegriffenes vorauszusetzen, 80 gerath es dadurch in Gefahr, ouch dasjenige vorauszusetzen, was es, onter gegebenen Unistanden, nicht voranssetzen kann, ein Fall, in welchem sich auch unser Autor befindet, der doch schon ziemlich hoch tber ahdern Synthetikern steht. -

Was ndmlich nicht vorauszusetzen ist, und doch immer und immer wieder vorausgesetzt wird, ist die allgemeine Uebung in der Na- luranschauang, in dem Begreifen und in dem Benennen, so wie in dem freien Reproduciren der Anschauungen.

Das ist es, was ich unter den Flementen der Naturgeschichte verstehe , und was man, das Kind mit dem Bade verschittend, zugleich wit der analytisch genannten Unterrichts-Methode in der Naturgeschichte verwarf. Oken und seine Nachtreter haben dazu das Beispie!l gegeben, nicht weil sie dieses wollten, sondern weil sie sich gar nicht auf diesen Standpunkt einlassen wollten. Der falsch aufgefasste Begrif des angenehmen Unterrichtens* hat auch dieses Beispiel falsch benutzt. -

__ Wie alle Naturreiche nach ihrem Gesetze grindlich gebildet sind, so sieht sich auch durch die ganze Natur eine Entwickelungsreihe der Grund- formen, Diese Anschsuungsweise muss geibt sein, und man muss in der Naturgeschichte davon Rede und Antwort geben kénnen. Man Muss z.B. nicht acuminatus sagen, wo map cuspidatus sieht, und nicht ‘rifidus sehen und tripartitus aussprechen. ** Heisst das eine Sprache ver- Stehen, wenp man zwar ihre Worte kennt, aber nicht weiss, was sie 2edeuten , oder wenn man von Allem, was man sieht oder denkt, nichts Sicher in ihr bezeichnen kann? So steht es aber in der Naturgeschichte

2um Theil, so weit der Unterricht reicht. I Man sagt aber freilich: eben aus dem Besondern soll die Forme n-

@hre entwickelt werden;“ ,das Allgemeine kommt nach;“ ,,das

Wear und ist der geschichtliche Gang der Wissenschaft“ u. s. w.

Freilich war und ist er das. Wer aber Jebrt, soll nicht lehren, wie ©€r etwas gelernt hat, sondern was er gelernt, wohin dann das Lehren Selbst wieder gehért. indem er zeigt, wie er lehren kann. Die Mathe- Mmatik kann uns hier am besten zurechtweisen. Ihre Grundanschauungen Bind freilich in dey Natar und mit ihr gegeben, doch fat es dem Mafhe- matiker nicht ein, aus einem Quaderstein oder einem Vogelschnabel die

* Das Angenehme des Unterrichts liegt gar nicht in-der Sache, son- dern in der Person des Lebrers, der iber seinem Gegenstand steht, und dem nicht entgegengewirkt wird. Man koénnte so einen wahren Enthusiasmus fir die trockenste Grammatik erwecken, wo ein Anderer die Classen durch den Homer langweilte.

** Von einer lebendig aufgefassten Beziehung darf, trotz der syn- thetischen Methode, noch weniger die Rede sein. Denn wie Wenige wer- den sich, ausser denen vom Fach, finden lassen, denen aus allgemeiner Bildung bei einem angeschlagencn Ton dessen Grundaccord vorschwebt, die beim Anblick eines Farrnkrautes sich dessen eigenthimliche Fructifi- cation deatlich denken, bei einem Stack Holz die Blithe und Frucht seines Stammes, ja nur den allgemeinen Ausdruck desselben, vorstellen, oder bei einem Karpfen das Charakteristische des Kiemenbaues, das Verhaltniss des Fischschédels zu dem anderer Thierordnungen, wie seiner Theile za einander?

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Linien oder Winkel etc. abzuleiten und von jenen ,Realitdten“ auszuge- hen. Er hat die Linie, die Kérperausmessung o. 8, w.. ecinmal in seinem Begriff, er geht alao davon aus, und dberlasst Jedem, sie aberall wie- der zu finden, oder auf die Gefabr, an sich selbst irre zu werden, nicht finden za kénnen und zu bezweifeln.

So lduft auch die Naturbetrachtung auf einfache Operationen des an- schauenden Geistes hinaus. Die Bewegung, das Ineinanderibergehen der Naturanschauungen hat Gothe gemcint, als er das Wort Metamorphose brauchte, Er konnte nicht sehr weit mit seiner Betrachtang und seiner © Metamorphosenlehre fortgehen, weil er selbst nur wenige Zeichen der Me- tamorphose vernommen hatte, upd nur wenige Worte ans ihrer Sprache ver- stand. Was wide er uns nicht gesagt haben, wenn er hattereden kéanen!

Und was Géthe nicht in sich fand, weil er’s nicht auf der Schule ge- lernt hatte, das sollte unsern Quartanern von Gott im Schlafe verliehen sein? Unsere Zeit in Ehren, aber das-glaub’ ich nicht,

Der Mensch muss sehen, héren, riechen, schmecken, kosten lernen; er muss sagen kénnen, was er sieht, hért, riecht, schmeckt und kostet, und wie sich die Wahrnehmung der Betrachtung ergibt, und das muss er richtig sagen kénnen, dass es Jeder, der die Sache versteht, auch recht versteht, und muss nicht seiner Menschenwirde schon genug gethan zu haben glauben, svenn. er den Ton der Orgel von dem der Geige, und das Blatt eines Grases von einem Kohlstrunk unterscheiden kann.

Sind aber die Formen der Natur durch das Naturgesetz all gemein geregelt, und ist das Gesetz des Anschauens in Allen dasselbe, das An- schauungsvermégen aber bildsam durch das Begreifen, so gibt es auch allgemeine Elemente der Naturanschauung und ibrer.Bezeich- nung, welche um so leichter und reiner aufgefasst werden kénnen, je weniger sie in spezieller Beziehung (auf Thiere, Pflanzen u.s. w.) betrachtet wérden,* wobei gar nicht ausgeschlossen wird , dass jeden Augenbick ein Beispiel aus der speziellen ,Erfahrung zur Hand sein gad beigebracht werden kénne,

Dieses Verfahren nun ist das rein synthetische Element der Naturge— schichte, in welchem das Produkt einer letzten Avalysis jederzeit zum Begriffe reif in des Menschen Gedanken schwebt, Nees von Esenbeck.

Vorstehende Recensionen sind uns durch Hern, Gymnasialdirector Dr. Fr. Kapp in Hamm gitigst mitgetheilt worden, der sie, auf Veranlassung des Hrn. Verf., zuerst mit einigen einleitenden Worten dem Publikum seiner Provinz im Rheinisch - Westfdlischen Anzeiger mittheilte, Dr. Kapp, durch philosophische Studien frah zur Naturwissenschaft gefabrt, macht bei dieser Gelegenheit suf seine Schrift: ,der wissenschaftliche Schul- unterricht als ein Ganzes, Oder die Stufenfolge des natuekundlichen Schul- | unterrichts als des organischen Mittelgliedes zwischen dem der Erdkunde ond der Geschichte, Zweiter Beitrag zur welthistorischen Ansicht alles Unter- richts“ (Hamm 1834, 182 S, 8.) ** aufmerksam und hemerkt aber dieselbe:

»Diese Schrift legt zuerst dic allgemeine Methodologie der Erd-, Natur- und Geschichtskunde als eines eng zusammenhangenden und in seinen Theilen

* So gilt z, B. teres vom Knochen, von der Ader, vom Blatt und vom Pflanzenstengel; gelappt, lobatus, ist die Leber, das Hirn, det. Schwamm, der. Pilz, das Blatt; genabelt, umbilicatus, gebuckelt, umbo- natus, gegliedert, articulatus u,s. w. sind Formen, welche nach ibrer reinen und richtigen Begriffsbestimmung in allen Naturreichen vorkommen und, eiomal richtig erkannt, dberall schnell und sicher wieder erkanat werden missen, .

** Der Herausgeber der Revue bekennt mit Bedavern, dass ihm so- wohl diese Schrift als deren erster Theil bis jetzt unbekannt ist Von zwei andern Schriften von, Hin. A. Kapp erfahren wir in seinem diess- jahrigen Programm (wovon nachstens): ,Lehrgang der zeichnenden Erd- kunde* (Minden, Essmann 1837) und ,,Hegel als G:ymnasialrector, oder die Héhe der Gymnasialbildung unserer Zeit,“ (Ebendas, 1835.)

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unterschiedenen Ganzen von der Heimath jedes Menschen bis zu dem aka- demischen Unterricht wissenschaftlich dar, weist dann die Ausfahrbarkeit dieses Plans in Bezug auf die ndthige Stundenzahl, erforderlichen Lehrer und unentbehbrlichen flalfsmittel praktisch nach und entwickelt zuletzt die Folgen, welche daraus far die, gegen das vorschnelle Einmischen ober~ flichlicher Realbildung in Schutz zu nehmenden gelehrten Schulen, far den gesammten, in seinem Ansehen zu erhaltenden Gelehrtenstand und fir unsre, von jeder verderblichen Richtung von der untersten Schulbank an zu reini- gende Zeit nothwendig hervorgehen miassen,“

Ueber den Unterricht in der Naturkunde selbst bemerkt dann Hr. Kapp,

. Welebem inzwischen Nees v. Esenbeck selbst seinen Entschluss, dem daf~

tiederliegenden Elementarunterricht in den Naturwissenschaften durch ein - von ihm selbst zu verfassendes Lehrbuch zu Hilfe zu kommen, nebst dem Prospektus des letztern, d. d. 28. Apr. 1841, mitgetheilt hatte, weiter: »ilit der Beseitigung der Yorurtheile jeder Art nadmlich hat es eine eigene Bewandtniss. Sie ruhen, je alter in der Zeit, oder je tiefer in den Kinzelnen eingewurzelt, zuletzt deasto’ grandlicher auf dem Charakter der Volker wie der Jodividuen, und da ist ihnen weder durch sinnliche Evi- denz, noch durch Verstandesgriinde beizukommen, weil sie vom Hause aus die Vernunft desavouiren. Wir sehen das an den obschwebenden politischen und kirchlichen Fragen der Gegenwart im Grossen se gut, wie im Kleinen au dem wiedererwachten Streite des Realismus und Humanismus auf dem Gebiete der Schule; nur dass, und das ist gerade das Freiherrliche unserer Zeit, die Gedanken, jetzt zu Prinzipien erstarkt, ihre vollen Consequenzen tichen und somit dberall und unaufhaltsam die entscheidendsten, also wohl- thitigsten Krisen herbei- und dicse der endlichen Heilung und Lésung ent- gegenfahren. Sagt man nun z, B., wie es auch schon in der oben be- haonten Schrift geschehen, zu den sogenannten Humanisten: Thut die Augen auf, sehet zu, die Naturgeschichte ist hier in diesem neuen Lehrbuche in cian Grammatikale verwandelt, ist alao auch ein formales, mit den reichsten Vocabulariep , Terminologien, Paradigmen, und Denkformen aus- gestattetes Bildungsmittel des (ieistes, nehmet demnach die langst Verkannte, Geschmahte , als die Eurige freundlich auf und an; 60 ists, als de- mogsirirte Einer einem Blinden die Farbe. Sagt man aber zu den soge- manaten Realisten: Richtet Eure Ohren empor, hdret zu, die Grammatik it hier in diesem neuen Lehrbuche in ein Reale verwandelt, ist also inch ein materiales, nur aber anthropvlogisch, zoolugisch , hotanisch Und mineralugisch redendes Bildungsmittel des Geistes, farchtet Euch nicht, Verzweifelt nicht, stellt Euch nicht gleich so ungeberdig, wenn's Euch bicht auf einmal gelingen will, als ginge die Welt unter, sondern nehmet duch Ihr den Gedanken Eurer Sache, also Eure eigenen Gedanken- bestimmungen in riistigen Empfang, es ist das cinzige Mittel, dass auch lhr'und Eure Anstalten fit der Zeit zu litterarischen Ehren und Wardeo gelunget, greifet zn; s0 ist’s, als predigte Einer tauben Obren,

So steht es mit der Vergangenheit, folglich auch jetzt noch mit den Leuten einer von der Idee der héheren Sehulbildung bereits antiquirten Geistesstufe. Solche Leute muss man stehen lassen; es ist mit ihnen héch- stens zu handeln, nicht zu reden, denn sie berufen sich zuletzt auf ihr Gefah!, als ihr inwendiges Orakel, und treten so mit dem beliebten Schlagwort: ,Ich mag nicht davon horen* die Wurzel der Hu- manilat mit Fissen, deren Natur ist, anf -die Ueberciakunft mit Andero zu dringen und deren Existenz nur ist in der zu Stande gebrachten Gemeinsam- keit der Bewusstsein, wogegen eben das Wide: mensehliche, das Thierische darin besteht, im Gefihle stehen zu bleiben und nur durch dieses sich mit- theilen zu kénnen, Das hat der alte Hegel schon vor 40 Jabren und sonst ber jeder Gelegenheil premist, und wie viel ist denn davon durchgedrungen ?

Also misste man am Ende in alle Ewigkeit die Sache lassen, wie sie ist? Mit nichten. Wir miissen eben die so zarthch grossgezogenen Zeitverurthede jeder Art auch in der Warzcl mit Fassen treten, ehe diese bei den Einzelnen zu dem Stamme verhulzt, und ehe dieser dann wieder

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‘in Aesten und Zweigen sich ausbreitet. Oder, begriffsmassig gesprochen, wir miissen zunachst gegen alle abstracten, also selbstfestgepfléckten Gegensadtze zu Felde ziehen, bevor solche Einseitigkeiten zu Principien gemacht, den Irrthum gebéren, und bevor dieser aus den vermeintlich unschuldigen Denkbestimmungen zu Willensbestimmungen, also tu Charakterfehlern erstarrt. Das ist die Genesis der Vorurtheile. Die missen wir nicht aufkommen lassen. Aber wodurch? Mit einem ein- zigen recht gehandhabten Worte. So rathet doch. Es ist der Unter- richt, der machtigste Hcbel in der Hand des freien und leider auch die dichteste Nebelkappe in der Hand des unfreien Geistes, wie man an en rein germanischen Staaten und den Landern romanischer Zunge- sehen kann. ;

Mit den Abstractionen, diesen blossen Rechthabereien, welche darin bestehen, dass man nur eine Bestimmung einer Sache fest-, und die an- dere mit Gewalt von sich abhalt, haben wir nur leichte Gefechte. Da ist unsere Waffe die Dialektik, kraft welcher wir ein weil nur Gesetztes in sein gleichberechtigtes Entgegengesetztes hiniberjagen, und dieses wieder in jenes, somit beide als Reflexionsbestimmungen an eipander zerreiben und sich zur héhern speculativen Einheit, als der ganzen Wahrheit, aufheben lassen. Denn so viel sollte allerdings schon von der Philosophie in alle Welt durch- geschwitzt sein, dass bestimmt Entgegengesetztes wesentlich schon an sich Beziehung auf sein Anderes ist; oder, um recht klar zu reden, eben desswegen, weil zwei Dinge, wie z, B. Analysis und Synthesis, einander entgegengesetzt sind, sind sie auch wesentlich eins; sie unterscheiden sich, aber sie unterscheiden sich; keines yon beiden ist ohne sein Anderés,

Mit dem Irrthum, diesem Erzmephisto, hat die Kritik schon einen bdrteren Stand. Er liebt es namlich, sich in das Gewand der Speculation selbst zu hillen und deren Maske vorzuhalten, um von Zeit zu Zeit den Schwachen als mittelalterlicher Ritter, oder als Phorkyas zu imponiren. Da aber die Fackel der Wabrheit das Wahre und das Falsche finden Jebrt, so entdeckt sie auch bald das Theilchen Wahrheit, das in ihm steckt, knapft daran an, legt es aus, und diese Auslegung ist seine wirksamste Wider- legung.

Ven alten Vorurtheilen gegeniber, lassen wir es erst zu solchen Ver- steinerungen kommen, is} aber alle Dialektik und Kritik machtlos und am Ende. Beide kommen mindestens zu spat. Da nun diese Massen, wie wit an einem grosscen, provinziellen Beispiel gesehen, auch nicht durch dussere Gewalt zermalmt werden kénnen, so bleibt nichts Gbrig, als factisch -iber sie hinweg zu schreiten, wie wir es Ja auch mit den Berges machen, oder, wenn uns diess zu unbequem werden sollte, ihre Basis. die einfiltige Pietét, welche sie so unerschitterlich, so unangreiflich macht, mit einem Tunnel zu durchbohren und, je nachdem Ernst oder Spass da- mit gemacht werden misste, eine Hegel’sche oder Nante’sche Lokomo- tive vorzuhdngen, um in reizendere Gefilde zu gelangen.

Diese reizenden Gefilde sind die immer fort und fort neu aufblihenden Geschlechter der Menschen, ond jenes Hinwegschreiten oder Durchfahren ist wiederum —- der Unterricht, Nur aber, dass wir Lehrer der Jugend dann nicht irgend eine ultramontane Nebelkappe umhangen oder uns um- hangen lassen, sondern eben, nun such praktisch gesprochen, nur un) s0- energischer das Umgekehrte von dem thun, was z. B. der sich wieder ein- schmeichelnde Jesuitismus, dieser modernste Proteus und concentrirteste Ausdruck des Katholizismus, stets mit so glinzendem Erfolge gethan hat und nun wieder mit Einstimmung grosser, selbst deutscher Volker thun will, Bedenken doch auch wir, mindestens so gut wie die Jesuiten, dess das stille, von der Mitwelt immer noch nicht nach Gebahr geachtete, in unsern Schulsalén gesprochene Wort, wie in Schallgewélben, an dem fer- nen Ende laut und in der Regel schon von der nachsten Generation gehért und zu unserer Ehre oder Schande gelebt wird, Vertrauen aber auch wir, wie die Jesuiten aller Sorten, die protestantischen Pietisten mit eingeschlossen,

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iinet tee Beh ute a

a 213

nicht vertrauen kénnen, dass wir die reine Atmosphare der wabrhaften Aufklarung , als des Prinzips der noch nicht geschlossenen Reformation, um so sicherer mitheranfiihren werden, je selbstbewusster, also je verninf- tiger unsere Zwecke, je sittlicher, also je wirksamer unsere Mittel sind. So werden wir von Menschenalter zu Menschenalter die grossen und klei- nen Vorurtheile, wie ein steinernes Meer, immer weiter hinter uns zurick- lassen, und, entstehen dennoch neue, was dialektisch gar nicht zu be- tweifeln ist, so wird hoffentlich dann auch die Kraft des Geistes gewachsen ‘sein, sie am‘ Ende in Dampfballons mit Hochdrack zu dberfliegen.

Doch zuraick und zum Schluss, Also fir einen bisher ziemlich oder vielmehr unziemlich vernachlassigten Gegenstand unseres Unterrichts, fir die Naturkunde auch cine grosse Gegnerin des Orthodoxismus aller Vor- urtheile besonders von Copernikus an wird uns hier ein neues Lehr- buch dargeboten. Es wird Epoche machen. Die Methode fir diesen Unterricht, so weit sie bis jetzt begriffen, ist nun objectiv geworden. Was ihr Geist in einem jeden Lehrer von Innen erzeugt, wird er sxugleich ‘tlsein Aeusseres an alle Schiler gelangen lassen, Auf diesem Wege der Ueberliefernng wird dieser Geist -an einen Jeden kommen und wird naa so auch'der seinige werden. Wer diese Bedeutung eines jeden aus- gezeichneten , folglich die jedesmalige begriffene Methode objectivirenden tnd auf Generationen hinaus fortzeugenden Lehrbuchs zu wardigen versteht, wird also auch dieses neue Lehrmitte! nicht nur aufmerksamst begrissen, sondern auch dankvollst in den betreffenden Schulen alsbald einfahren und tinfabren lassen, Midge es in den Handen der betheiligten.Fachlebrer, in die es zundchst gelegt werden muss, die schdnsten, die reichsten Frichte tragen | ;

Und wer schenkt uns diese freundliche Gabe?’ Lasst uns unserer Schul- Literatur ‘Glick winschen! Bisher wurden bei uns dergleichen Bacher meistens von solchen Personen geschrieben, fir welche sie eigentlich geschrieben werden sollten; denn nichts ist schwerer, nichts setzt mehr die meisterhafte Beherrschung der ganzen Wissenschaft voraus, Nun aber eigt ein Heros seiner Wissenschaft, um ein Elementarbuch derselben zu verfassen, nicht etwa, wie wohl auch in Frankreich und England geschieht, von seinem bohen Standpunkte herab, sondern er zeigt ind beweist uns und andern gerade dadurch die Hohe seines Standpunktes; denn er gedenkt sein dem wissenschaftlichen Unterricht in der Naturkunde mit treuester Hingebnng gewidmetes Leben mit dieser Beschaftigung zu _beschliessen. Stimmt uns diese Erdffoung our ernst und nachdenkend, so wissen wir dagegen, dass dieses thatenreiche, den Naturforschern aller Zonen bekannte Leben sich nun erst auch unter uns, wer mag berechnen, in wie grossen Kreisen und Bahnen, desto allseitiger erfillen, ausbreiten und fortleben wird. Oder wo ware ein gutgearteter Schiller, der ein ihm einmal lieb und werth gewordenes Lehrbuch je vergasse, der die Ehbrfurcht und den Dank gegen den, def es ihm gab, nicht mit in sein spateres Leben hin- fiber naéhme ?

Wir lassen nun die Ankindigung des Nees von Esenbeck’schen Lehr- buches folgen:

gin methodisches Lehrbuch der Naturgeschichte scheint noch immer

unter die Bedirfnisse des Unterrichts zu gehdéren. Denn wenn man die allgemeine Theilnahme erwaigt, welche die Naturgeschichte in unsern Tagen io Anspruch nimmt, und dennoch sieht, wie wenig die fleissig angeregte und gefdrderte Lehre auf diesem Gebiete unter uns fruchtet, und wie die Naturkande bei weitem nicht so verbreitet ist, oder sich so einflussreich far die allgemeine Bildung erweist, als sic sollte und kénnte, so wird man den Grund des Misslingens nur in der verfeliten oder tbereilten Unterrichts- - weise auf diesem Gebiete, hauptsadchlich in den frahesten Perioden des Lebrgangs, suchen und finden kénnen; denn wo kein methodischer Anfang ist, da ist auch kein sicherer und gedeihlicher Fortgang.

Dieses weckte vorlangst in dem Verfasser des hier angekindigten Werks den Wunsch und regte in ihm den Vorsatz an, ein auf dem

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Boden der Wissenschaftlichkeit rnhendes und durch die verschiedenen naturgemassen Stufen des Unterrichts con- sequent durchgefihrtes Lehrbuch der Naturgeschichte her- auszugeben, welches dem Unterricht dberall zum Grunde gelegt werden und sowohl den Lehrer als den Schiler, jenen im Lernen und Lehren, diesen im Lernen und Begreifen leiten kénnte, Die fast zahllosen Werke dber Naturgeschichte, welche mit dem ausdricklichen Zusatze: ,,far Schulen* alljahrlich erscheinen, sind ohne Ausnahme nur Handbacher sum Behelf des Lehrers, aus denen er nun seinen Bedarf selbst heraussuchen muss, und die, wenn sie dem Schiler in die Hinde gegeben werden, densetben bei jedem Schritt dber die Sphdre des eben jetzt, an dieser Stelle des Lebrganges zu Lernenden hinausfibren.

So gewiss nun alles Lernen methodisch behandelt und auf einen noth- wendigen Anfangs—- und Ausgangspunkt zuriickgefihrt werden muss, wenn es wirklich bildend und firs Leben forderlich sein soll, so gewiss kann jenes dem Zufall dberlassene Mittheilen fragmentarischer Kenntnisse nicht die Aufgabe des Unterrichts in der Naturgeschichte sein.

Das Lebrbuch, welches hier beabsichtigt wird, soll folgende Eigen- schaften haben: Es soll kurz und Schritt vor Schritt dem Schiler in die

Hande zu geben sein; es soll durch Kirze, wenn es nur einigermassen Absatz findet, woblfeil sein; es soll, seiner Kirze ungeachtet, das Ganze der Wissenschaft umnfassen, und dieses dadurch mdglich machen, dass es einen aus dem Begriffe der Naturwissenschaft unmittelbar hervor- gehenden grindlichen Lehrgang verfolgt, welcher nichts voranssetzt, was nicht durch Lehre erkannt worden, und keinen Uebergang zu einer folgenden Stufe gestattet, bevor die frihere vdllig erlernt und gelaufig ist; - endlich soll es anschaulich sein, d. h. nie etwas von einem Gegenstande der Natur aussagen, was es nicht unmittelbar und gleichzeitig anschauen liesse, oder in einem friheren Cursus schon zur Anschauung gebracht hatte, @ umgekehrt aber auch nichts anschauen lasscn (als Lehrgegenstand), was nicht zugleich gedacht und ausgesprochen wiirde. « Nach diesem Begriff wird nun das Lehrbuch der Naturgeschichte in drei Curse zerfallen, denen sich noch ein vierter Theil, dem Lehrer gewidmet, anschliessen dirfte, um diesem die Prinzipien der Naturgeschichte, wie sie den Lebrgang derselben begrinden, und die Gesetzlichkeit, nach welcher dessen Glieder aus jenen hervorgehen, zu erlautern.

Die hier angedevfeten Abtheilungen ergeben vier Hefte oder kleine Bande, aber von ungleicher Stdrke, von denen jedoch die meisten aur etwa 10—12 Bogen in 8. fallen warden, wenn nicht die einzadruckenden xylographischen Stécke manche Abtheilung mehr erweiterten.

Das Material liegt grésstentheils vor. Der Text wurde theils aus innerem Bedirfniss, theils far den Zweck akademischer Vurlesungen, langst voll- endet, oder der Ausarbeitung ganz nahe geriickt; der Verleger wird nach den Angaben des Verfassers fir die Holzschnitte, an andern Orten far die eifurderlichen Lithographien Sorge tragen,

Das Werk wird demnach in vier Banden oder Lieferungen, joder Band unabhangig von dem andern, erscheinen.

1. Wissenschaftliche Einleitung, den Lehrenden gewidmet,

2. Elementarlehre, oderGrammatik der Nataranschauung fir die unteren Classen und dberhaupt fir den ersten Anfang. Dieser Theil bildet die Grundlage der dbrigen. Durch ihn soll der Schiler die Anschauung des Objectiven nach allen Seiten des Anschauungs- und Vor-

. stellungsvermégens ausbilden und methodisch einfihen, er soll das Ange- schaute in Worten ausdricken und mit dem rechten Kunstausdrock benen- nen, aber’ auch die jedem Kunstausdrock entsprechende Anschauung dareh freie Thitigkeit der Einbildungskraft wieder bildlich und anschaulich repro- duciren und in Worten erklaren lernen. Dieser Theil, muss also typogra- phisch von solcher Beschaffenheit sein, dass jeder Anschauung im Raume, wie aberhaupt allem Sinnlichdarstellbaren, eine Figur entspricht and dieser Wort and Begriffsbezeichnung unmittelbar sur Seite steht, Wie aber der

.

?

215

Gang vom Einfachsten zum Zusammengesetzten fortschreitet, so missen auch die bildlichen Zugaben einfach oder zusammengesetzt sein, und jede muss fir ihre Stelle geniigen, aber auch nur das darstellen, was auf ihr zur Betrachtung kommt.

3. Allgemeine Darstellung der concreten Naturformen nach ihren wesentlichen Theilen oder Gliederm bis zur Charakteristik der Naturreiche, sowohl des unorganischen Reichs, als der organischen Reiche. Dieser Theil enthalt, was man gewohnlich als Organographie und als Theil der Oryktognosie bezeichnet, beide Zweige aber nur in ihren wesentlichen, die Begriffe der Naturreiche charakterisirenden Momenten und gestitzt auf den vollendeten ersten Cursus.

_ Man wird mit diesem Theil des Lehrbuchs, welcher die sinnliche Anschauung der Organe und Kristallformen zur Seite haben wird, den zweiten Gymna- sialcursus in den hdhern Classen beschliessen kénnen.

4. Lehrboch der Naturgeschichte fir den héhern Unter- richt (auf Universitadten und Realschulen) ig den vier Abtheilun- gen als Anthtopologie, Zoolopie, Botanik und Mineralogie. In diesem Cursus wird die Erkenntniss jedes Naturreichs nach der héch- sten Ausbildung, welche sie in unsern Tagen erreicht hat, wissenschaftlich (philosophisch) zum vollstandigen Begriff erhoben und in ihrer Gliederung so weit entwickelt, dass sie sich an Jede Form, unter Welcher sich ihr die Erfahrung darbietet, mit dem vollen Be- wusstsein des innern Zusammenhanges gelaufig anschlies- sen kann. Auch diesen Theil soll,. wenn die Umstande das Unternehmen beginstigen, eine bildliche Zugabe, als Atlas zum Gebrauch bei Vorlesun- gen, begleiten. *

Fir diejenigen, dic bei der Naturgeschichte an eine Produkten- wd Waarenkunde denken, kénnte noch durch ein solches Werk fir Schuflen, als fanfte Abtheilung gesorgt werden.

Und unter solchen Beschaftigungen dirfte ein Leben, das sich mit beuer Hingebung dem wissenschaftlichen Unterricht in der Naturkunde gewidmet hat, nicht ohne eine nitzliche Frucht beschlossen werden. ~ Breslau, am 21. April 1841.

Dr. C. G. Nees von Esenbeck , Professor und Prasident der Akademie der Naturforscher.

Unter allen Umstanden werden wir fir das angekiindigte Werk dank- ar zu sein haben. Indess kann der Herausgeber der Revue ein kleines Bedenken nicht unterdracken. Ware ich im vollstandigen Besitz des Matérials Und schriebe ich ein Lehrbuch der Organik, so wirde ich es folgender- Massen einrichten: -

- Den Anfang mackte ein fir untere Classen bestimmtes Elementar- werk nach elementarisch (anschaulich)-genetischer Methode,

Dieses Elementarwerk -wiirde eine miissige Anzahl von charakteristi-~ ‘chen und instructiven Mineralien, Pflanzen und Thieren allseitig beschrei- ben und dadurch neben mannichfachen positiven Kentnissen das Beob- achten lehren.

Das Lehrbuch selbst (fiir mittlere und obere Classen) wirde zwei Theile enthalten, die den zwei Theilen der Sprachwissenschaft, der Grammatik und der’ Onomatik entsprechen warden. .

Der grammatische Theil wirde erthalten:

* Dass diese drei Curse sich unter cinander verhalten, wie der ety- mofogische Theil der Grammatik, die Syntax und die héhere Philo- logie mit ihren verschiedenen Zweigen, wird unscrer Sache bei denjeni- gen zur Empfeblung dienen, welche den blihenden Zustand der classischen Philologie nicht hloss dus der Mehrzahl der ihr auf den Gymnasien gewid- meten Unterrichtsstunden herleiten, sondern auch zu der Einsicht gelangt sind, dass die Philologie wesentlich darum gediehen sei und gedeihe, weil sie von jeher ihr Geschaft recht, d. i, methodisch und grandlich, betrieben hat,

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I. Die Lehre von den Elementen. (Bestandtheilen.) II. Die Lehre von den Formen und zwar a. dusserer, b. innerer Bau. (Organographie und Anatomie.) III, Die Lehre vom Leben und zwar a. die Functionen, b. die Ent- wickelung (Physiologie und Biologie.) , Der onomatische Theil gabe dann die sogen, Naturbeschreibung, ndmlich Darstellung der wichtigsten Mineralien, Phlanzen und Thiere nach Classen, Ordnungen, Familien u. s. w. Vielleicht auf ein andermal mebr davon.

Ki. Webersicht der Flugschriften.

Ernst Morits Arndt. Das Turnwesen. (Leipzig. 1842.)

Deutschland hat dic schéne Bestimmung, dass in dem Leben seines Volkes nichts Grosses von oben herab gemacht werde, sondern alles von unten herauf wachse; wir brauchen mehr Zeit eur Entwickelung, aber dann hat sie auch mit um so festeren Wurzeln in den Boden der Natar sich eingepflanzt. Wir haben nach einem herrlichen Aufschwung des Volks- geistes Jahrzehnte vertrdumt und in kraftloser Ruhe verstreichen lassen, konnep uns aber jetzt um so sicherer einer stolzen Hoffouug des Besser- werdens hingeben, wo die Tendenzen jener Tage mit dberlegter Massigang und Besonnenheit wieder aufgenommen werden, nachdem wir demathigende Lehren genug erhalten baben, dass nur in der selbstbewussten Einheit einer. gesunden kraftigen Nationalitat Heil zu erwarten ist. Zu jenen Bestrebae- gen gehdrte auch die einer neuen Erziehung zu gleichmassiger freier Starke des Geistes und Leibes. Fichte hatte diesen Gedanken in den Tagen der Erniedrigung ausgesprochen, man bemiachtigte sich theilweise desselbes zur Zeit der Erhebung, die Restaurationsperiode liess ihn fallen. Ein Mann, der diess alles erlebt hat, rath jetzt die Wiedcraufnahme an; hoéren wir sein Wort. Bewogen durch Verkennung und Verketzerung, die der alte Turnmeister Jahn erfahren, hat Arndt einen Aufsatz zur Vertheidigung des Turnens aus dem Geist der Zeit wicder abdrucken lassen, -der kurz und schlagend widerlegt, was alles gefaselt ward von desseu Schadlichkeit, Unchristlichkeit , Sittenverderbung uud Staatsgefabrlichkeit; und hat diesem Aufsatz einen Anhang heigefiigt, der auf die Nothwendigkeit hinweist, ia ansern Tagen durch das Gleichmass geistiger und kérperlicher Kraft and ihre Uebung volle und tichtige Manner zu werden, Es beginnt mit einer Stello aus Lucans Pharsalia iber die Deutschen :

Traun, die Volker, auf welche der Nordstern herabschaut, Selig durch ihren Wahn, weil jenes grisste der Schrecken

Sie nicht bedranget, die Furcht vorm Tode. Daher der Manner Muth in das Eisen sich stirzend: daher die Herzen des Todes Freudig, daher die Schmach unsterblichen Lebens zu schonen.

»Der Sinn des Eisens, der Sinn des edlen eisernen Todes fir edle und hobe Dinge lebt gottlob in allen Vélkern von diesem Stamme noch unverloren und unerloschen; aber was die kriegerische und barbarische Einfalt in jenen altesten Tagen unbewusst und gleichsam wie von selbst durch den innersten Lebenstrieb liebte und ibte, muss in unserer Zeit, wo mancherlei edle und unedle Kunst der Bildung schénerer und zarterer aber auch weicherer und faulerer Sitten pflegt, mit bewusstem Verstand gefasst und genahrt werden.“ ,Wir wohnen unter einem kalten und fouchten Himmel, det leicht etwas Trages und Schlottriges, namentlich bei Sitten und Zustadndea mit sich fahrt, die von den Gefahren der Weichlichkeit und Ueppigheit wimmeln; wir missen uns im Norden die geistige und leibliche Gewandt- heit erarbeiten, die unter der Sonne des Sidens die Natur selbst entwickelt. Man hat uns Deutsche die Hellenen der Neuzeit genannt und gesagt, dass wir fair die andern Volker denken und erfinden; aber wir dirfen nicht vergessen, dass wir vor allen ibrigen Europaicrn die Tréumer sind, denen mehr als allen andern Aufschittelung und Zusammenschittelung noth thut, damit wir unser selbst, unseres Muthes und unserer Kraft in rechter Klarheit

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bewusst werden. Und dann missen wir an den dstlichen und westlichen Marken immer mit geziicktem Eisen stehen und kénnen der Uebungen nicht missen, welche die Arme far das Eisen tichtig und die Herzen far den Sturz ins Eisen freudig machen. ,Aus diesen gewichtigen Grinden, wel- chen noch viele andere hinzugefiigt werden kénnten, muss jeder Freund des Vaterlandes den Wunsch aussprechen, dass das deutsche Turnwesen als eine Bildungsanstalt der edleren Wehrhaftigkeit der deutschen Leiber _und Geister ibér das ganze grosse Vaterland verbreitet und nach Einem Muster geordnet und eingerichtet werde, Alle die Anstalten wenigstens, wo diejenigen, welche kinftig die Lehrer, Leiter, Regierer and Helfer des Volks sein sollen, gebildet und unterwiesen werden, dirfen nicht ohne Turnplatze sein; die Gelehrtenschulen, Kunstschulen, Kriegsschulen, Ge- werbschulen, kurz alle die Anstalten, welche sich in grésseren Stadten - und Gemeinden finden, missten ihre Turnmeister haben, d. h. die Turn- plitze und die Turnmeister warden ihnen als“nothwendige Erganzung der menschlichen Bildung von Staatswegen zugeordnet.

Aber dasPolitische? ,Ich meine nur, man soll dem Knaben und Jingling nicht mit anversténdiger Einseitigkeit eine politische Richtung

eben; man soll ihn nicht zu frih aus jenen seligen und unbestimmten ‘Tréamen reissen, welche diesem Alter angehéren, man soll ihn vor dem raurigen eitlen Wahn bewabren, als dirfe er schon gleich dem Manne mitspielen and mithandeln. Aber alles und jedes Politische meiden, allem Politischen so ausweichen, als ob ein Greuel und Abscheu darin laure wie, wer einen Menschen menschlich zu erziehen meinte, wie kénnte, wie sollte er das ibers Herz bringen? Ja, wer ein Herz bat, muss das Yerz wohl auch tiber die Zunge bringen; er muss nothwendig vieles aiber _ die Zange bringen, was politisch gedeutet und verdeutet werden kann. Gott bewahre uns, dass so nichterne und herbe Zeiten nicht wiederkom- men, wo man warnte die hohen Namen Freihest, Vaterland, Volk vor der Jugend auszusprechen! Wer kénnte und wer wollte diese heiligen Kldnge, die wie alle heiligsten Gefiihle gerade desto heller tonen, je reiner und anschuldiger die Herzen der Hoérer sind, vor der Jugend verdummen und verstummen? Dass ein herrliches grosses Volk ist, welches das deu t- sche Volk heisst, dass ein freies glorreiches Deutschland sein soH, dass der deutsche Mensch frei, stolz, edel sein soll, dass er fir Freiheit und Vaterland und alle die hohen Giter, welche tausendjahrige Arbeiten der Alten den Urenkeln gewonnen, muthig und gottesfreudig in den gewissen blatigen Tod gehen soll das muss der Knabe schon hoéren und in sein jugendlich glihendes Herz als eine heilige Saat far die Zukunft aufnehmen. Aber dass Demuth in dem Stolz, dass Stille in der Freude sei, dass Zucht und Ehrfurcht vor allem Uebermathigen behite, dazu verlangen wir ‘ehrwirdige Turnwarte und strenge ernste Turnmeister. Das meinen wir als unerldsslich, dass durch die zarteste und zichtigste Hegung und Pilegung innigster und heiligster Gefahle, deren der Mensch fihig ist, schon in dem Kuaben ein hohes Gesammtgefihl gepflegt. und erzogen werden muss, wo- durch der kanftige Mann einst als deutscher Mann in Ehren und Kraft stehen und wandeln kénne.“

Im weiteren Verlauf der Schrift redet Arndt auch noch iber die Rein- -heit und Reinigung der deutschen Sprache; schliesslich theilt er die- Deu~ tung mit, welche der Geschichtschreiber Richter, ein Zeitgenosse der letzten Sachsenkaiser, dem Namen Germanien gab: ,Germania multarum gen- tium ferax a germinando nomen accepit: Deutschland von mannich- faltiger Volkskraft wimmelnd hat vom Spriessen den Namen bekommen.“ Er nimmt, wiewohl nicht grammatisch, die Ableitung an, ‘weil sie eine machtige Wahrheit hat, ,Wir haben uns oft gepriesen, dass wir in Deutschland geboren sind, dass wir Kinder eines einfaltigen , red- lichen , tapfern Volkes sind, welches jeder kahnsten und edelsten Erhebung und Begeisterang fahig das Wort und die That, die Gemeinde und das Haus mit Liebe und Treue durchdringt und erfillt. In diesem frdblichen Gefahl wollen wir auf die Germania germinans hoffen, wollen far uns und

Padag. Revue. 1812. b, Bd. Y,

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unsere Kinder und Enkel an die unverganglich spriessenden und grinenden Krafte unsers Volks glauben, wollen hoffen, dass in einem so spriessenden und spriesslichen Volk jedes kleinste Samenkorn, das wir ausstreuen, seine befruchtende Luft und Sonne finden werde.“

Das Turnen. Ein deutsch-nationales Entwicklungsmoment. Von Dr, F. W. Klumpp, Prof. (Stuttg. 1842.)

Diese kleine Schrift (54 S. 8.) ist aus der deutschen Vierteljabreschrift besonders abgedruckt. Sie geht mehr auf die Sache ein als die vorige und wird sicherlich nitzlich wirken, Da die Pad. Revue von einem der HH. Mitarbeiter nachstens eine beurtheilende Anzeige einer .ganzen Reihe von Turnbiichern bringen wird, so kommen wir auf die vorliegende Schrift zuriick,

Chr. Kapp, Die Weltgeschichte. Ein Vortrag. (Heidelbg. 1842.)

Der hier ,, auf Verlangen dem Druck aberlassene“ Vortrag bat den Schluss des Collegiums aber Philusophie der Geschichte gemacht, welches Hr. Prof. Kapp im letzten Wintersemester in Heidelberg gehalten hat. Wir gehen auf den historiosophischen Inhalt der Broschire nicht naber ein und beréhren nur den Schluss (S. 43—46), worin Hr. Kapp dussert, es sei diess viel- leicht fir geraume Zeit das letztemal, dass er das Katheder betrete.

' Der Grund ruht einfach und ruht allein.darin, dass es einem Manne, der seiner selbst und seiner Stellung Herr ist, zuletzt doch zum Ekel werden, ihn eigentlich mit dem Mischgefahl erfallen muss, in welchem sich Ekel, Verachtung und Erbarmen um den Rang streiten, endlos sich ausgesetzt zu sehen niedrigen Intriguen einer fernher schleichenden Kaste einer Kaste, welche weltschlau. und unablassig und ungezachtigt Alles aufbietet und kein feiges Mittel scheut, jeden. gesunden Athemzag des Gedankens zu verleumden und in Scheinheiligkeit zu verpesten Alles, was nicht ihres Geblites ist“ u. s. w.

Es ware zu winschen, dass diese Angelegenheit aufgeklart warde die Padag. Revue steht offen. Wir wollen unsererseits Jeden glauben lassen, was ihm beliebt, dafir verlangen wir aber, dass man auch uns so wenig oder so viel glauben lasse als uns beliebt. Bleiben die Gldubigen in ihrer Sphaére, so geht ibr Glauben uns weiter nichts an; wollen sie aber ibre Ansicht in der Art im Gemeinwesen geltend machen, dass sie unsere Frei- heit verkirzt, so missen wir uns unserer Haut wehren und wir wollen sehen, wer am Ende der Sieger bleibt,

IV. Webersicht der amtlichen Schriften.

Bericht an S, M. den Kaiser von Russland aiber das Ministe- rium des é6ffentlichen Unterrichts fir das Jahr 1838, (Ham- burg, Nestler u. Melle, 1840..— 101 S. gr. 12.)

Derselbe far 1839, Ebendas. 1841, 117 S,)

Wir Earopaer haben zu den Moskowiten kein recht menschliches Ver- haltniss. Und so wollen wir uns begnigen, dicjenigen Leser, welche sich vielleicht doch fir die Fortschritte des 6ffentlichen Unterrichts in Rass- Jand interessiren mdchten , auf diese beiden amtlichen Schriftea hinzuweisen. Bekanntlich haben die Russen vicl Talent zur Nachahmung von Aeusserlich- keiten, und so erscheint der Schematismus der Administration des Unter- richts gar reinlich und nett. Ob nun in diesen Halsen ein Kern steckt, das ladsst. sich aus den Berichten--des Hrn. Ministers natartich nicht ent- nehmen, Die Berichte selbst sind sehr gut geschrieben, Ueber die Zweck- massigkeit der darin. berichteten Massregela haben wir kein Urtheil.

1 Wir heben einige Data-aus._ , |

Russland hatte 1839 6 Universitaten , 1 padag. Hauptinstitut, 3 Lyceen, 2 adlige Institute, 72 (iymnasien (1838 71), 435 Kreisschulen (1838, 430), 911 Pfarrschulen und andere (1838, 873; in Preussen aber 22,000), 475 Privatanstalten (zehn weniger als 1838). Bei den Lyceen, Gymnasien and Kreisschulen sind 42 Pensionen, daneben 26 Convicte. Der Lernefden sind auf den Universititen 2465, im paddag. Hauptinstitut 163, in dea Lyceen 136, in den Lehrbezirken 95,119, .Zahl der Lehrer und Beamtes |

~

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(beides sollte getrennt sein): Univers. Petersburg 58 (1838, 55), Moskwa 106 (100), Dorpat 65 (1838, 78), Charkow 77 (71), Kasan 79, des h. Wladimir 54 (63); im pad. Hauptinstitut A4, im Bichelicu’schen Lyceum 18, im Demidow’schen 20, im Besborodko’schen 18, Summa 539 (1838, 545),

In den deatschen Provinzen (Dorpat’scher Lehrbezirk) gibt es 4 Gym- nasien, za Dorpat, Riga, Mitau, Reval, zus. mit 690 Schilern.

Im K. Polen (Warschau'scher Lehrbezitk) waren 4 Specialschulen: 4. Er- ganzungscurs , 2. landwirthschaftliches Institut, 3. Institut far Elementar- lehrer, 4. Rabbinerschule; dann 11 Gymnasien und 22 Bezirksschulen (der kleine Canton Aargau hat deren 15); ferner 60 Sonntagsschulen fir Handwerker und 934 Elementarschulen (daneben 67 private), ausserdem 6 Knaben- und 55 Madchenpensionen. Die 11 Gymnasien waren von 4327 Schilern besucht.

Man scheint auf allmahlige Unterdrickung der Privatanstalten auszu- gehen. Auch ist die Zahl der Hauslehrer und Gouvernanten auffallend gering: es werden in Russland (mit Ausschluss von Polen) 44 Erzieher in Hadusern, 75 Hauslehrer, 136 Hauslehrerinnen, 56 stellvertretende Haus- lehrer , 9 atellvertretende Lehrerinnen, und daneben 292 nur far Elemen- tarunterricht berechtigte Hauslehrer und 326 solche Hauslehrerinnen auf- gefabrt, Summa 1240.

-. W. Webersicht der Schulschriften. Programm der kénigl. Realschule in Berlin, 1842, *

Dem Andenken Spilleke’s, des Schulmannes,

Ein Denkmal der Pietét, sollen diese Zeilen das Bild der geistigen und sittlichen Eigenthimlichkeit des Verewigten im Kreise seiner dffent- lichen Wirksamkeit vergegenwartigen. Wo kénnten sie diess besser, wo, um es aufgustellen, das Bild des Schuimannes , eine wardigere Stelle fin- den, als hier zundchst inmitten unserer Vereinigung, die in der gemein- samen Aufgabe der Erziehung und des Unterrichts das Band ihrer (:esellig- keit, und in deren freier, freimithiger Besprechung Genuss und Erholung findet ! ** Ein Denkmal, sage ich, der Pietat, die weder mit der Gemiithsruhe des Untersuchers ihren Gegenstand zergliedert und zwischen Far, und Wider kaltblitig zu Gerichte sitzt, noch andererscits durch Ein- mischung persénlicher Beziehungen das Urtheil trabt, und,. statt des Gegen- standes ihrer Theilnahme, diesé sammt ihren Empfindungen dariber Andern als beachtenswirdig anmuthet. Das Eine, auch wenn ich mich aberwin- den wollte, kann ich nicht, und vor dem Andern will ich mich, so viel ich kann, zu hiten suchen. me

Zwar wird die Vergegenwartigung dessen, was er war und wir an ihm verloren haben, das Gefahl des Verlustes ernenen, denn er hat auch diesem unsern Kreise, so viel ers ermissigen konnte, thatig mit seiner ganzen Theilnahme angehért, und diess in der Fille einer Kraft, die von ihrer eigenen Fruchtbarkeit so bald, so plétzlich iberwaltigt werden sollte. Viele aus unserer Mitte gehérten ihm an, als Freunde, Amtsgenossen, dorch Vergangenheit und Zukunft auf dag Innigste mit ihm verbunden, und ibre Klage wirde auch ausserhalb unsers Kreises Anklang finden; wir haben das geschen in den Tagen der ersten Trauer: Aber wozu die Wunde wieder Offaen und veréffentlichen? Sie hat geblutet damals, wir haben

* Auszige aus dem trefflichen Aufsatze von Dieltts (Programm von 1841) Gber Schulerziehung in einem der nachsten Hefte. Das Andenken Spilleke’s ging uns vor.

Dorch Zufall verhindert, ihrer ersten Bestimmung gemass in der pidagogischen Gesellschaft gelesen zu werden, behalten diese Blétter die Form, in der sie entworfen worden, als ein Zeichen der Er- kenntlichkeit far die vielsvitige Anregung, die deren Verfasser ihr zu verdanken hat. Spilicke war die letzten Jahre seines Lebens Mitglied, . und im J. ‘1838 Ordner der pidagogischen Gesellschaft, ad

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kein Hebl gehabt, und die Nasbe schmerst aach ohnediess, zuma] wenn béses Wetter werden will! Nein! das Verdienst unsers verewigten Fremades ist gross genug, um ibn uicht bloss vermissen, und das Ver- machiniss seines rasilesen Lebens reich genng, um in der Wiardigung uad Esfalteug desselben auch seinen Verlust sogar verschmerzer 20 lassen.

In diesem S:nne unternchme ichs, aus meinem Verhaitsiss za ihm die letzten Jahre seimes Lebens za beschreiben. Sind es fir cin Menschenleben auch mur wenige dean der Tag, an welchem er mir, sieben Jahre vor seinem Tode, mit zuvorkommendem Vertrauen Antheil an der Leitung seiner Realschule gewabrte, dieser war auch der erste unserer persénlichen Be- kanntschaft; so sind doch diese wenigen Jahre, die mir mit ihm ver- gonnt waren, seine reifsten ond erfahrangsreichsteu, dicjenigen, wo er, in seiner ganzen Kraft gesammelt, mit immer grésserer Sicherheit von Versuchen za Ergebnissen hindurchdrang, also, dass der Abechluss scines Lebens auch als Inbegriff desselben za betrachten ist.

Aber diess ist nicht die einzige Schrankc, die ich mir selzen mas, wens ich nur aus meinem Erlebniss mit ibm berichten will, Ich muss es Andern iberlassen, ihn als Lehrer und Gelehrten zu schildern. Dean Lehrer ist er an der Realschale, meines Wissens, niemals gewesen , des ich Gelegenheit gehabt hatte, auch als solchen ihn aus eigemer Erfabrung . kennen zu lernen, und Gelehrter, so viel kann ich versichern, von Pro- fession war er es nicht und wollte ers nicht sein. Seine theologischea

und philosophischen Stadien und seine philvlogische Gelehrsamkeit sind ihm - niemals hinderlich gewesen, Schulmann zu sein. Wie er noch im spé- teren Alter, um der Realschule willen, auf Wissenschaften einging, die bis dahin seinem Kreise fremd gewesen waren, so war die Schule aber- haopt sein Wissen, seine ganze Wissenschaft. Es geschah wohl, dass er Andere um ihre Musse beneidete, und am der Gemithsruhe willen , mit der sie, anderer Sorgen sich entschlagend, dem Genuss shres wissenschafllichen Studiums sich hingeben darften; aber er war taram nichts weniger als ungehalten, wenn selbst der frihe Morgen und die Stunden des spaten Abends, die ihn, mit den Fortschritten der Wissenschaft Schritt zu halten, und mit vorbereitenden Stadien fir seinen Unterricht beschaftigt fanden, wenn auch diese oft durch Geringfigigkeiten gestért wurden. Nor musste es die Schule sein, die ihn stérte. Ich bin davon unzahligemal nicht bloss Zeuge, sondern nicht selten auch der Storer selbst gewesen. Jene Abende, wo nach Beseitigung der Tagesangelegenheiten das Gesprich sich freier ergehen und iber die wichtigsten Interessen der Schule verbreiten durfte, werden mir ewig unvergesslich bleiben,

Und so stehe ich denn an meiner Aufgabe; ich stehe sogar schon mitten darip. Denn die Schranke, die ich mir zu meiner Schilderang su setzen habe, sie ist nichts anderes, als eben die Begrenzung, welche dem zu entwerfenden Bilde seinen eigenthamlichen Charakter gibt. Unser Spilleke war Schulmann im ganzen Sinne des Wortes; er war es nicht bloss haupt- sichlich, nicht von Amtswegen allein, und ausserdem gelegentlich noch diess und das; nicht bloss, wenn er sich besonders dazu in Verfassung gesetzt hatte, sondern unwillkirlich, immer und in jeder Faser seines Le-

ens und sciner Thatigkeit, Die Schule war ibm, was der Kern dem Baume, der aus ihm seine Wurzeln io die Tiefe und seine Zweige bis zum Wipfel frei nach allen Seiten hin verbreitet.

Es lassen sich in der normalen Entwickelung der menschlichen Anlagea, von den ersten Kindesjahren bis zur Reife des Mannesalters, vornamlich drei Uebergangsstufen unterscheiden. Die erste des Kindes, wenn es, in das Knabenalter eintretend, sich zuerst seines Willens als auch einer Macht bewusst wird, uud diese, bis es durch Schaden klug wird, dem Willen Anderer gegeniber, nach den Antrieben seiner Natur, nach Gunst und Gelegenheit geltend zu machen sucht. Es ist die Zeit, in der ansre Kinder so iberaus liebenswirdig unartig, und, wo sie es duarcheetser ‘koénnen , eigenwillig und widerspenstig sind. Auf dieser ersten Stufe des

eberganges entwickelt sich das Temperament,

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¢

Nach diesem kommt der Knabe zu uns in die Schule, um za Jernen, was er nicht weiss, und ‘sich unterrichten zu lassen in allerhand Gegen- standen, die far ibn weder Zweck noch Zusammenhang haben. Aber er lernt und lasst sich unterrichten, weil es einmal nicht anders ist, auf Trea und Glauben, und «wo dieser feblt oder zuletzt nicht mehr ausreichen | will, da gibt es verschiedene Mittel der Gate und des Zwanges. Er muss und mass, bis endlich, bei dem Einen friher, beim Andern spater, je nachdem es ihm gelingt, sich mit der Einsicht auch der Wille vereinigt, und den fremden, bisher ihn bestimmenden Willen, -als einen leitenden, | in die Selbsthestimmung aufnimmt. Dieses geschieht in der Regel nicht sowohl allmahlig, als ruckweis in wiederholten Ansatzen, zuerst hie und da aufblitzend und wieder verschwindend; aber der aufmerksame Beobach- ter wird bei Knaben von ausgezeichneten Anlagen fast, ich méchte sagen, Tag und Stunde angeben konnen, wo die Entscheidung ein- fir allemal eingetrelen ist, und die gesammte Willenskraft ergriffen hat. In diesem Uebergange entwickelt sich, wir haben kein Wort dafir, ich will es die geistige Temperatur des Jinglings nennen, .

Abgesehen von den dusseren Umstanden,.die darauf férdernd oder stérend einwirken kénnen, ladsst sich annehmen, dass da, wo das Licht der Erkenntniss zuerst auf diese Weise hervorbricht, wohl auch der Keim der urspringlichen Anlage gesucht werden miisse, oder auch nicht; gleich viel. Die Einsicht bleibt, wenn Alles mit rechten Dingen zugeht, dabei - nicht stehen, sondern’ verbreitet sich von da aus nach atlen Seiten hin, auch die entfernteren Gegenstinde erleuchtend und in den Bereich der Theilnahme hereinziehend, Gegen ein solches Lernen ist das frihere nor Schein und Schatten; ein blindes Umhertappen unter den Gegenstin- den, die nun erst im geistigen Horizont des -lernenden Subjectes ihre Stelle and Bedeatang erhalten.

Ich darf unter uns Schulmaénnern im Vorbeigehen noclr hinzusctzen, der Zustimmung unsers verewigten Freundes bin ich gewiss: Dieser Ueber- gang vom glaubigen Lernen des Knaben durch den Zustand, wo der Glaube nicht ausreicht und der Wille noch nicht zur Einsicht gekommen ist, bis zu dieser des Jinglings, ist selbst wieder dreifach, und-jede vollstindige Schule zerfallt dadurch von selbst in drei Abtheilungen, deren jede im Zasammenhange mit den andern ihre besondere Aufgabe, die nicht unge- straft aibersehen werden darf, und ihre eigenthimliche Methode hat. Was aaf der ersten Stufe, oft in bester Absicht, die Einsicht zu verfrihen, in der ihr angemessenen Weise versiumt worden, muss alsdann auf der zweiten mit Widerwillen niachgeholt, oder auf der dritten gar, nicht .. ‘ohne Ueberwindung und Zeitverlust, wieder eingebracht werden, Und mit der Zucht ist es dasselbe. Man weiss, wie namentlich die mittlere Stufe besondess die Willenskraft und Festigkéit, die erste und dritte dagegen vor- némlich dic Vorsicht und Behutsamkeit des Lehrers in Anspruch nimmt u., s. w,

Den Jingling, bei dem auf dieser zweiten Uebergangsstufe die Schule zam Durchbruch gekommen ist, entlassen wir als reif, damit er nun in der Welt des Berufes, unserer unmittelbaren Leitung und Beobachtung entzogen, sich aus sich selbst zum Mano entwickle. Denn helfen kann und soll hier Niemand. Das Temperament kann vom Erzieher beherrscht, die geistige Entwicklung vom Lehrer gelenkt und geleitet werden; aber der Charak- ter denn dieser ist es, welcher mit der bestimmten sittlichen Lebens- aufgabe, und, gleichsam wie um seinen Kern, um sie herum sich gestaltet, der Charakter des Mannes ist, allein mit Gottes Hilfe, sein eigenes Werk. Umstinde kénnen ihn modificiren, verfrihen oder verspdten, indem sie ihm Schranken setzen, Temperament und vorherrschende Geistesrichtung geben ihm Form und Farbe; aber sie selbst empfangen durch ihn erst ihren Gehalt. Nan werden dic Traume des Knaben und die Gedanken des Jing- lings wirksam im Kampf mit der Wirklichkeit, und mit wunderbarer Kraft bricht oft das stille Gemith, oder gesammelt das leichtsinnige in dem Augen- blick hervor, wo es gilt, sigh von ihr in ihren Schranken die Stelle des Berufes zu erobern. Es liesse sich diess nachweisen im Leben der aus-

. 222 - gezeichneteren Charaktere, die so glicklich waren, mit gesundem Geiste der Vorsorge, die sie vor der Zeit zu Mannern machen wollte, zu ent- gehen; aber ich will statt dessen lieber, versteht sich, nur im Durchschnilt und. mit Vorbehalt unendlich vieler Modificationen, .auf einen Unterschied der Charaktere aufmerksam machen, der uns naher angeht. Dieser Unter- schied liegt in dem persénlichéen Verhaltniss des Mannes zu‘der Jdee, die ibm zur Sache des Lehens geworden ist, entweder, indem er darin auf- geht mit Leib und Seele, méchte ich sagen, und mit seiner ganzen Per- - sdolichkeit sich darin verleugnet, wic diess besonders bei vorherrschend theoretischen Anlagen der Fall ist, oder, wo die praktische Anlage dber- wiegt, die Idee zu Fleisch und Blut und zur Person wird, wie sie leibt und lebt.

Ich wahle unter den Beispielen, die ich zur Erlduterung dieses Unter- schiedes anfahren konnte, zwei Manner aus, deren Bekanntschaft nicht bloss zu meinen wichtigsten Erlebnissen gehért, sondern auch mit dem dritten Beispiel, das wir selbst an unserm verewigten Freunde haben, in naherem Zusamnmenhange steht.

Der Eine von diesen, Fichte, lebend und webend so ganz in seiner wissenschaftlichen Consequenz, und mit aberwiegender Sicherheit und Unerschrockenheit fortschreitend von Schluss zu Schluss und von Folge zu Folgerung ; kein Lebensverhiltniss, das ihn nicht zu Urtheil und Recht bestandig, keiu Ereigniss, das ihn nicht mit der Scharfe des Begrifis geristet fand. Aber vielen seiner Zeitgenossen, die unter einander nur mit der Scheideminze der unmassgeblichen Meinung zu verkehren gewobst waren, ist die durchgdngige Strenge seiner Consequenz zum Anstoss, auch gelegentlich, wie bekannt, zum Aergerniss geworden, Der Andere, das gerade Gegentheil von jenem, Pestalossi; seine Pidagogik nichts als Nerv und Gefahl und Empfindung, wie sie ihm denn unwillkirlich auch aus dem unbestinmten Drange seines menschenfreundlichen Herzens entstanden war. Sie war seine Leidenschaft. Mit Furcht und Zittern hat er sie ge- hitet, und sie vertheidigt, wenn Gefabr und Angriff drohte, mit dem Muth der Lowin, der man ihre Jungen raubt, Er war mit ihr gesund ond krank, auf ihr Gedeihen, auf ihr Anerkenntniss stolz, vor ihren Mangela muthlos, durch ihre Entstellung und Verunglimpfung leicht gereizt und verwundet, Auf Entwickelung der Methode ausgehend, blieb er- gew6bn- lich unterwegs hei dem Genuss ihrer Wirkung stehen; denn er besass darin

“den feinsten pddagogischen Geschmack, der an der geordneten Thatigkeit seiner geistig erregten Knabenwelt Genuss, und.in ihren Augen, die von dem ersten Schimmer der aufleuchtenden Einsicht: glinzen, seine Auget- weide hatte. Lehrer und Art und Kunst des Lebrers gingen ihm dar- tiber ganz verloren, und die zustrémenden Besucher, die um der Methode willen kamen, wussten zuweilen nicht, was sie davon denken selltea, - wenn er plétzlich, wie um sein Geheimniss far sich zu behalten, absprang, und sie nach seiner Weise mit dem Besten, was er hatte, za bewirthen dachte, Daher Missdeutungen aller Art und Missverstandnisse bei seinen Gegnern ohnediess; aber auch seine Umgebung, seine eifrigsten Janger sind an ihm, ja er selbst, und in den letzten Jahren seines Lebens dieses nicht zum erstenmal, sogar an sich selber irre geworden, Sie hatten sich von ibm die Idee der allgemeinen Menschenbildung abstrahirt, nur allza geneigt, auch ihn selbst in Person als ein Abstractaum zu betrachten, uad ihre Anforderungen darnach abzumessen, so dass er bei entstehenden Conflicten dieser Art um Schonung, wie um eine Gnade bat, und seine . Freunde beschwor, ihn doch auch mit seinen Schwachen in concreto and , mit seinem Fleisch und Blute gelten zu lassen. Und als unter solchen Kampfen zuletzt sein persénlicher Wirkungskreis gesprengt worden wal, zu einer Zeit, wo unsere Schulen auflebten durch ihn, ist er mit dem Gefahl eines verfehlten Lebens zu Grabe gegangen. So verwachsen wat das Ziel und der Gedanke seines Lebens mit seiner Persdnlichkeit, seine Schwache mit seiner Starke, und seine Fehler verwandt mit seinen Tugendes.

Unser Spilleke war, wie der Aufgabe seines Lebens, sv auch in ibrer

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Gsung seinem Charakter nach dem Letzteren naher verwandt, als dem wateren; nur dass seine wissenschaftliche Bildung und seine Stellung in er gelehrton Welt ihm eine Consequenz und eine Haltung gab, die jenem dllig abging. Uebrigens war auch ihm seine Schule nicht bloss zum Ge= | anken seines Denkeus, sondern auch zym Bedirfniss seines Herzens, sein igliches Brod geworden; sein Trost in triiben Tagen und seine Trauer, 2ia Muth und sein Verzagen, Auch er verstand es zu geniessen, wo andere nur zu arbeiten wissen, und sieh far seine Mahe zu entschadigen ; ach er, im engen einférmigen Kreislauf der Schuldisciplin mit jeder neuen eneration sich immer frisch und neu und unverdrossen zu erhalten.

__ Es war ihm ernstlich und nicht mioder angstlich, als jenem, um den uf seiner Schule, wie um seinen eigenen zu, thun; er wollte, dass sie werkennung finde, und er hat, wo sie ihr ward, seine Genugthuung dar- ber nicht verhehlt, Waren es doch die héchsten Behdrden, unter deren ugen er so glicklich war zu wirken, und unter den Einwohnern der lauptstadt die gebildetsten Familien, die ihm ihre Séhne und Téchter ver- ‘auungsvoll ubergeben hatten; wie sollte er nicht? Allein auch die eschwerden und Verunglimpfungen der Eiofalt und “des unverstandigen orurtheils waren ihm nicht gleichgialtig, Nicht dass sie ihn bloss geang- igt und betrabt und gekrankt hatten auch das! denn es war ihm, ach wo er im Recht war, nicht gegeben, sich daraber hinwegzusetzen, reil er, abgesehen von dem Schaden, den selbst ein falsches Gericht ewirken kann, farchtete, dass dasselbe dennoch nicht ganz ohne Grund pin méchte, Es deutet immer auf irgend ein Missverhaltniss und aaf Mangel, renn auch nicht immer die gerigten, die zu verbessern sind, . Er nhahm avon Veranlassung, nach der wunden Stelle zu suchen; er untersuchte, m auch den Schein, die blosse Méglichkeit eines Missverstaéndnisses zu eseitigen , und der ungerechte Tadel hat ihn oft auf Verbesserungen ge- ihré, die in der Freude des Gelingens unbemerkt geblieben waren, Man- er, der diese seine Empfindlichkeit, diese Bericksichtigung der dffent- chen Meinung nur in ihrer ausseren Erscheinung, in ihrer Unruhe kannte, der, ohne sie zu theilen, persénlich wohl gar davon berflhrt wurde, mag e far Schwache und Nachgiebigkeit gehalten haben. Mir, der ich viel- tig Zeuge ihres Verlaufes, und oft mit Rath und That darin verwickelt far, ist immer die Kraft bewundernswirdig gewesen, mit der er gerade arin der Sache seines Lebens zu dienen wusste.

Spilleke war von lebhaftem, leicht erregbarem Temperament; seine timmungen wechselten sehnell, auch zwischen Gegensitzen , und sichtbar, reil_er nicht damit zuriickhalten mochte. Aber die Bewegung war. nur uf der Oberflache; in der Tiefe seines Gemithes, von Zweifel und Zufall uberahrt, ruhte die unerschitterliche Zuversicht, aber welche sich ebnend ie Wellen der Furcht und Hoffoung bald ihr Gleichgewicht wieder fanden, | eicht betraibt und leichter noch getréstet, war seine Grundbestimmung in unbedingtes. Vertrauen, welches, geiner Sache fir die Zukunft :gewiss, ach ohne das Ende abzusehen, nur das Nichste, Gegenwartige bedenkt; ie war es so sehr, dass er dieses Vertrauen sogar far Andere hatte. Er etzte es unwillkirlich voraus, wenn er Verheissungen machte, deren Er- dang nicht immer von ihm allein abhing, und es bedurfte erst mancher irffahrung, um ihn darin vorsichtiger zu machen, und ihn zu belehren, lass es nicht Jedermanns Sache sei, zu sden mit Fleiss, und die Ernte in rottes Namen abzuwarten, bis der Herbst sie bringen werde.

Am bezeichnendsten fair diese Eigenthamlichkeit seines Temperaments st eine seiner lebhaftesten Jugenderinnerungen, die er gern zu erzahlen flegte, und die auch Andere gelegentlich von ihm gehdrt haben mégen. ber er selbst hatte keine Ahnung davon, dass er damit recht eigentlich lie Art und Weise seines kindlichen Lebensmuthes aussprach, der in ihm rewaltet und gewirkt und mit ihm ausgehalten hat bis 2u seinem letzten Athem- age. . Sie musste ihm vielmehr als Beispiel aus eigener Erfahrung dienen, wenn er gegen die Gedankenlosigkeit der Lehrer in Abmessung der hausli- then Arbeiten: ihrer Schiler zu Felde zog. Die Geschichte ist einfach diese:

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Nach dem frihen Verlust des Vaters von seiner trefflichen Mutter mit strenger Sorgfalt erzogen, ward ihm bei seinem ersten Besuch der 6ffent- lichen Schule seiner Vaterstadt, gleichsam zum Imbiss fir den folgenden Tag ein Psalm zum Auswendiglernen mit nach Hause gegeben, ein ganzer Janger Psalm, wenn ich nicht irre, der achtundsiebzigste. Und als er nach Hause kam frohlich und guter Dinge, und die gute Mutter von seinem Glick in Kenntniss setzte, diese jedoch mit bedenklichen Blicken ihm ihre Be- sorgniss nicht verhehlte, trdstete er sie mit der Versicherang, dass er be- reits denn er hatte sich unterwegs schon daran gemacht, den ersten Vers auswendig wisse, von zweiandsiebzig Versen den ersten! Ich frage: Wo in aller Welt hat jemals Einer etwas Grosses und Weitaussehendes, darum es der Mahe werth ist gelebt und gelernt zu haben, anders ange- - fangen, denn auf diese Weise? Und so denn auch, von diesem Tage an, hat er gelernt und gelebt, unser Freund, und seines Berufes gewartet, so lange es ihm hienieden vergénnt-war, von heut auf morgen, Vers fir Vers, und bis zum letzten Yerse standhaft ausgehalten, wie sauer. es ihm auch ward, also, dass es auch von ihm, wie dort im letzten jenes Psalmes von David, heissen konnte:

»Von den sdugenden Schafen holete er ihn, dass er sein Volk weiden sollte, und sein Erbe Israel.“

»Und er weidete sie auch mit aller Treu, und regierete sie mit allem Fleiss.“ War unser Freund fir Lob und Tadel, wenn dieser zugleich die Sache traf, die zu vertreten war, keinesweges onempfindlith, so war er es doch fir einen, und gerade fir den Tadel, der bei der Lebhaftigkeit seines Temperaments ihn, seiner Neigung zu neuen Versuchen und seiner Unbe- standigkeit wegen, am haufigsten getroffen hat, ganz und gar, Und in der That es ist diess ein Vorwurf, den sich der Schulmann am wenigsten anfechten lassen darf. Lehrer, wie Erzieher, haben es bei weitem mehr, als der Arzt z. B., mit einem Gegenstande zu thun, der seiner Natur nach sich aller Bérechnung im Voraus entzieht; sie haben es mit der Freiheit . zu thun, und mit der Entwickelung der Freiheit, der geistigen, wie der sittlichen, aus Naturanlagen, die erst im Verlauf, und kaum nach vielen oft vergeblichen Versuchen der Beobachtung zuganglich werden, Wer da nicht, wie unser Freund, in dem unerschitterlichen Vertrauen lebt, wel- ches das Ziel seiner Winsche mehr als erreichbar voraus-, denn als voraus- bestimmt aus sich heraussetzt, wer immer nur sehen will,‘ wohin er fahrt, und unterwegs nicht auch in hoher See dem Wind und Wetter nachzugeben weiss, der wird auf den Wellen der Pidagogik kein Columbus werden. -

Auch ihm begegnete es wohl, dass Augenblicke des Misslingens seinen Blick verdasterten; aber alsdann war er gerade am muthigsten, sein Schiff in die entgegengesetzte Richtung plétzlich herumzuwerfen. Zu anderen Zeiten glaubte er auch wohl das Ziel erreicht zu haben, seins, das ihm erreichbare Ziel. Es war dieses merkwirdiger Weise die Stimmung seiner letzten Tage. Aber am letzten Abend noch, als ich langer als gewéhnlich festgehalten, erst in spdter Stunde ibn verliess, waren bereits wieder auf Jahre hinaus neue Entwirfe gemacht. ;

' So ist er, die Erfahrenheit des Greises mit der unruhigen Sehnsucht des Janglings vereinigend, gleichsam zwischen Ernte und Anussaat in das Grab gegangen, und die Bestandigkeit der durch ihn plotzlich verwaistes Anstalten hat es genugsam bewieson, mit welchem Rechte er den Vorwarf der Unbestandigkeit ruhig und unbekimmmert dber sich ergehen lassen

urfte,

Sehen wir ihn im Verhaltniss zu den Lehrern seiner Anstalten. Wie jedes Neue, als ein Versuch mehr, etwas unwiderstehlich Anziehendes far ihn hatte, so durften denn auch neue Lehrer, wenn sie sich nur .einiger- massen zu benehmen und durch Persénlichkeit ihrem Verfahren Nachdruck zu geben wussten, seines ganzen Beifalls sicher sein. Vielen, besonders Anfangern hat er dadurch Muth and Zuversicht gegeben,: die far ihre Zu- kunft entscheidend wurden, Selbst sein Beifall trug nicht wenig dasu bei,

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ihren ersten Versuchen einen ertréglichen Erfolg zu verschaffen. Aber es kam die Stunde der Prifung, wenn hie und da die erwartete Wirkung ausbliob, ond mancherlei Hindernisse and Anstdnde nicht langer unbemerkt bleiben koonten, Fand er seinen Mann alsdann noch immer bei demselhen Leisten und in der belobten Weise fortfahrend , lieber mit den Schilern, - als mit sich selber unzofrieden, so liess sich mit noch grésserer Sicherheit, wie der Beifall zu Anfang, nun die. ganzliche Verwerfung voraussehen. Denn in diesem Ponkte war er fest und unbeweglich. Wo die Methode mit der Schale in Conflict gerieth, da war ihm die Methode Schuld daran. Klagen Gber Dummheit und Tragheit, und andere scheinbare Grinde der _ Rechtfertigung liess er nicht gelten; denn eben dazu sei die Methode, dass sie king mache, und die Kunst des Lehrers, dass sie durch Erregung der Theilnahme fleissig mache u. 8, w. r Man hat.von jeher den Padagogen mit dem Arzt verglichen. Nun gibt es aber, wie bekannt, far den Kranken kein grésseres Uebel, als einem Arste in die Hande zu fallen, der da verlangt, dass die Krankheit sich nach seinen Recepten richten soll. Man verlangt vom. Arzt vielmehr, dass er nicht nur beobachte, ehe er verordnet, sondern auch die Wirkung seiner Verordnungen aufmerksam verfolge, um zu andern und aufzuhéren, wenn es Zeit ist. Vom Lebrer ist dasselbe zu fordern; denn auch die beste Mo- thode ist einseitig und: von bedingter Zweckmassigkeit,

So geht die eine Methode z. B. und ich wéahle diese, weil sie

berichongsweise ohne Zweifel als die beste anzuerkennen ist von der Anschanung aus, und beschrankt darom den Schiler auf einen engen Kreis des Wissens, den dieser, sobald er nur die Macht des Begriffes in sich Verspirt, es koste, was es wolle, zu sprengen sucht, um mit ihm in die Weite zu erobern. Pestaloszi pflegte von einem solchen seiner Lehrer zu sagen, er sei gut far die Kinder: er kénne sie ein Blamchen stundenlang ansehen und wieder ansehen und betrachten lassen, dass es fir den Dritten tum Verzweifeln sei, Wer also nicht im rechten Momente und diesen uu treffen, bedarf es vor allen der freien, unbefangenen Beobachtang wer da nicht im Stande ist, zu rechter Zeit und gerade’ wenn alles im besten Zuge ist, aufzuhéren, hier dem Yersuche des Schalers nachzugeben, dort zum Versuche anzutreiben, und zuletzt sogar das entgegengesetzte Verfahren vorwalten zu lassen, dem ergehts im besten Falle wie dem Arzt,

-dessen Kranke seinen Mitteln zum Trotz gesund-werden, Dieselbe Bewandt- . hiss hat es mit der sogenannten liackenlos fortschreitenden Methode , die Jener nahe verwandt ist, als ob der menschliche Geist nicht. vielmebr sprungweis, und dadurch nachzuholen genéthigt, mehr rickwarts, als vor- Warts schreitend sich entwickelte! Glicklicherweise ; denn der Schnecken- Sang dieser Methode wirde bei gehériger Consequenz ein ganzes Menschen-

, alter kaum aber die Elemente des menschlichen Wissens hinauszubringen Vermégen. Ueberhaupt; es gibt kein Verfahren, das nicht um seiner

timmtheié willen und durch diese unmittelbar auch seinen Gegensatz herausfordert; ‘die Freiheit liegt zwischen beiden, und das méthodische Geschick des Lehrers beruht in der Leichtigkeit und Sicherheit, mit welcher er von der Handhabung des einen zum andern adberzugehen versteht.

. In dieser Betrachtung, dem Resultate meiner vertrautesten Bekannt- schaft mit ihm, liegt der Schlassel far alle die scheinbaren Widerspriache, durch die sich Spilleke um seine Lehrer, wie durch sie um seine Schulen, mit der ihm eigenthamlichen Schnelligkeit und Entschiedenheit ein Verdienst: erworben hat, das ihm, aus begreiflichen Grinden, von Wenigen auf der Stelle, von den Meisten nachmals um so herzlicher verdankt worden ist, In fraheren Jahren mag es ihm wohl ofter begegnet sein, dass er in der ersten Aufwallung Manier fir Methode, und Pedanterie far Consequenz gehalten, und in der entgegengesetzten Aufwallung alsdann sein Wider-

spruch nur um so scharfer und schroffer zum Ausbruch gekommen ist. In

den letzten Jahren war es, durch Erfahrung gereift, ein schnelles und sicheres Urtheil, das bei ihm die Stelle der Vorsicht und Zaréckhaltung vertrat, und der ordnende Verstand, der jeder Eigenthimlichkeit ihre Stelle

e

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. ¢ anzuweisen, ond Emseitigkeiten, die sich nicht beseitigen lassen wollten, die eine durch die andere méglichst zu neutrajisiren wusste.

Habe ich in dem Bisherigen versucht, dem Bilde unsers verewigten Freundes durch Andeutung der hervorstechendsten Farben seines Tempera- mentes Licht and Schatten zu geben, so sei es nun auch gewagt, dasselbe durch den Ausdruck der eigenthimlichen Geistesrichtung, in so weit sie den Schulmann in ihm charakterisirt‘, zu beleben.

Wenn es erlaubt ist, von der Art und Weise, wie seine wissenschaft-

liche und gelehrte Bildung bei ihm Wurzel gefasst hatte, den Riackschluss zu machen, so hat er sich sein Lernen in der Schule sauer werden lassen. Denn was er wusste, das hatte er zugleich mit Fleisch und Blut gelernt;

-es war ihm nicht bloss ein problematischer Gedanke, sondefn, in seinen Willen aufgenommen, ein ihm besténdig gegenwartiges und in jedem Au- genblick zu Gebote stehendes Vermégen. Gedanke, Wort and Wille waren .

. bei ihm Eins und in Kinem Schlage. Auch sein Kifer gegen alles unge- fahre Wissen, dem es eben nur noch am Ausdruck fehit, lasst vermuthen, was. er sich selbst in dieser Hinsicht angemuthet hatte, und die unermad- liche Sorge, mit der er immer von neuem wieder auf Mittel and Wege bedacht war, die Hindernisse einer fruchtbaren, die Organe des Lerneas zu seiner Verarbeitung anregenden Mittheilung des Unterrichtsstoffes zu beseitigen, ging nicht bloss auf die Losung eines padagogischen Problemes -aus; sie hatte einen tieferen Grund ohne Zweifel in dem Gefahl- der Ver-

' lassenheit ond Rathlosigkeit seiner eigenen Jugendjahre. | |

Wie dem auch sei, das letzte Jahrzehend des verflossenen Jahrhunderts, als Spilleke,.im Uebergange von der Schule zur Universitat zunachst der Kirche sich widmend, seine ‘geistigen Bezige selbsténdig zu ordnen hatte, ist bekanntlich die Zeit, wo, durch Lessing vorbereitet, die kritische Philosophie, mit der Macht des wissenschaftlichen Gedankens durchdringend und zur grandlichen Umgestaltung des Ueberlieferten anregend, mit Aus- nahme der Vorschnellen, die bei dem ersten Anstoss mit der Thar in’s Haus zu fallen pflegen, der ganzen deutschen gelehrten Welt die padago-~ gische Richtung gab. Spilleke selbst war Schiler des geistreichen Mannes, der in diesem Sinne die Alterthumswissenschaft durch Rath und Beispiel behandeln lehrte, und die philologische Reform unsrer gelehrten Schalen- vorbereitete, Aus dieser Schule, die seinem praktischen Geiste aberall das Fruchtbarste sich anzueignen darbot, in Gedike’s Haus aufgenommen, ward _ er in seinem zwanzigsten Lebensjahre durch diesen nicht bioss in die pa-

dagogische Laufbahn, sondern auch in die weiteren Kreise der gebildeten, damals in regster Entwicklung der neven Kunst und Wissenschaft begriffe- nen Hauptstadt eingefihrt. Von allen Seiten Nahrung und Genuss, und wie empfanglich er dafair! Noch im spateren Alter gedachte er mit Wohl- gefallen jener Nacht, die er im handschriftlichen Besitz des Wallenstein vor seiner Offentlichen Auffahrung durchwacht. Er hatte mit seinen Alters- genossen das Glick, unter einer Sonne zu reifen, deren Umlaaf Jahr far

Jahr durch eine neue wichtige litterarische Erscheinung bezeichnet. wurde. Wir, die wir damals zu jung waren, und nicht reif genug, um selbst daran Genuss zu haben, hatten wenigstens den Vortheil, die Wirkung an ihren Reflexen wahrnehmen za kénonen, Aber die jetzige Jugend, die das Alles fertig und vollendet in Gesammtausgaben vorfindet, sie entbehrt leider auch noch von einer anderen Seite her eines wichtigen Bildungsmittels,

das anserm Spilleke, wie seinen Altersgenossen, immer zu rechter Zeit sa Gebote stand. ; ;

Er war eine Knabe, als Friedrich starb, ein Jangling, als die fran- zdsische Revolution den Umsturz aber die blutig getrdnkten Grenzen fahrte, ein Mann mitten im Hauptlager des unter der Fremdherrschaft sich rege- nerirenden Deutschlands. Damals galt es, wo jeder Rath wusste, Hand anzulegon, die kostbaré Zeit nicht in massigen leeren Hin- und Widerreden, die Gedanken nicht in das Grenzenlose, und die Gesammtkraft nicht in Meinungen far die Langeweile sich zersplittern zu lassen.

Unter solchen Finflassen, wie sie sieh selten so vereinigen, erzogen,

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sehen wir. ibn nach schweren Krankheiten, die so haufig mit gewissen Lebensibergingen in Verbindung stehen, in seinem vierten Decennium, mit der Sicherheit und Entschiedenheit des gereiften Mannes dem Rafe folgen, der ihn denn bis dahin war seine ‘Thatigkeit noch zwischen Kirche und Schule getheilt gewesen in der Leitung des Friedrich- Wilhelms-Gymnasiums und der sogenannten Realschule zum gan- zen Schulmann machen sollte. ;

Der Rof fand ihn vorbereitet, wiewohl er sich bis dahin des Schreibens und dffentlichen Redens daraber gern en salten hatte. Denn was er wollte, war nichts Neues; es war vielmebr die allgemeine padagogische Zcitauf- gabe, und schon langst zum Ueberfluss besprochen und beschrieben worden, Auf That and Ausfahrubg kam es an. Dazu, hatte er im stilleren Kreise seiner bisherigen Wirksamkeit fir die Schule sich selbst zundchst geibt, und die Mittel und Wege, die er nun zu weisen abernahm, selbst durch- messen. ~ ; °

Auch ist der-leitende Gedanke far sich allein héchst einfach; derselbe, der in seiner eigenen geistigen Entwicklung gowirkt und gewaltet hatte: Vereinigung des Wissens und Kénnens, der Ueberlieferung und der Erregung, des Unterrichts und der. Disciplin.

Wenn er auf jeder Stufe des Unterrichts demnach entsprechende Re- sultate zu sehen verlangte, so geschah diess nicht aus blosser Ungeduld, nicht dieser Resultate wegen, sondern weil er ajlem provisorischen Lernen abhold war. Mochte er doch nebenbei auch seine Freude daran haben; wer génnte sie ihm nicht? Und wenn er Andere sie mitgeniessen lassen wollte, so ist das auch nicht zu verwundern, Aber vor allen wollte er sulche Reaultate, die dem Schiler selbst zum Bewusstsein kémep, und ihm zu neven Fortschritten Antrieb wirden. Da hinaus gingen alle seine Ver-~ ‘suche, seine Wansche und Hoffoungen, unbefriedigt, wo das Verstindniss pichf auch bis zur Bestimmtheit und Angemessenheit des Ausdruckes ge- dieh, wo die Aufnierksamkeit, der Fleiss mehr durch dussere Mittel des Zwanges u. 8. w., als durch den Unterricht selbst, und neben diesem die Zucht noch als ein besonderes Geschaft betrieben werden musste.

Es war seine Ueberzeugung aus eigener innerster Lebenserfahrung,

dase die moderne Bildung in der des Alterthums die Wurzel ihres Ursprungs hat. Er selbst verdankte ihr den Sinn und Geschmack fir Alles, was die neuere Zeit in Kunst und Wissenschaft, wabrhaft Gedtegenes hervorgebracht _ hat, Wie er selbst auf diese Weise mit seiner ganzen Bildung in der Mitte beider-Welten stand, so sollte nach seiner Absicht, durch bestandige Ver- mittelung hindber und heriber, auch die Schule Kunst und Sprachen des Alterthums zum Bildungsmittel eines gesunden Sinnes fir die Interessen der Gegenwart machen, und der Gewinn in dieser wiederum das Interesse far jene beleben. |

| Aber das Feld, das er mit diesen Saaten vorziglich anzubauen hatte, das Gymnasiam, liegt ausser dem Bereich meiner eigenen Beobachtung, Ich wirde nur ans Unterhaltungen mit ihm daréber das Weitere berichten kénnen. Dazu kommt, dass auf dem Felde dagegen, wo ich Augenzeuge war, und in seinem Sinne mit ihm zu wirken das Glick hatte, der Weg, ‘auf dem jener leitende Gedanke zur Stiftung der Realschule gefihrt hat, wenn nicht lehrreicher, doch gewiss fir die Charakteristik eigenthim- licher ist, insofern hierfir eine ganz neue Zeitaufgabe zu erfinden, dort nur in der gegebenen Richtung zweckmissig einzugreifen war. Ja es ist mir vorgekommen, als ob in der Lésung dieser Aufgabe Spteke sich mit grosserer padagogischer Klarheit bewegte, wo er auf einem ihm bis dahin fremden Gebiete mit freier Ueberlegung und aus vorbedachten Vordersatzen zu folgern, zu verfahren und Erfahrungen zu machen hatte, als dort, wo er mit seinem eigenen Selbst in der Voraussetzung befangen war. .

' Ich habe schon bei seinen Lebzeiten Veranlassung °. gehabt, auf die

* Jahresbericht der Realschule, 1840. Ueber das Lateinische in der Realschule. a | ¢

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eigenthimliche Wendung jenes Weges aufmerksam za machen, und ich brauche wobl nicht erst za versichern, auch mit seiner Zustimmung. Aber was ich damals nicht durfte, will ich jetzt. Sptlleke ist nicht nar, im Vergleich mit deren fraberer Verfassung, als Stifter der hiesigen Real- schule in ihrer gegenwartigen Bedevtuag zu betrachten; er gehdrt dadurch auch zu den ersten Stiftern der Realschule aberhaapt. Was er dariber vor etwa zwanzig Jahren bei ihrer Uebernahme 6ffentlich im Drack hat ausgehen lassen, war, meines Wissens, wenn nicht das erste, doch das grindlichste und verstandigste Wort, das in dieser Angelegenheit unter uns laut geworden ist, und wird als solches auch immer seinen Werth und seine Wahrheit haben; nur muss man es als einen Anfang, nicht als Re- sultat, nicht als Bach, sondern als Vorrede zu einem Buche, das von Seite zu Seite erst erlebt und nach den Dictaten der Erfahrong und Beobachtung geschrieben werden sollte, za verstehen und zu wirdigen wissen. In- dessen, was geschrieben ist, steht geschrieben, und wird sich bei anderer Gelegenheit mit Musse weiter besprechen lassen, Zundchst kommt es darauf an, den Weg und die Weise, wie er von jenen Anfangen thatsachlich zu seiner Kealschule, als einem vorhandenen Resultate gekommen ist, Anderen zur Lehre, and der Sache der Realschule aberhaupt zu Nutz und Frommen, nicht spurlos verschwinden zu lassen. ~

Auch der Verstand hat seine Phantasten; aber der Enthusiasmus des ' Verstandes, wo er die Spitze nimmt; bat immer etwas Verderbliches; sein Eifer tédtet, und seine Wohlthaten wollen dem Empfanger nicht immer nach Absicht des Gebers zum Segen gedeihen. Ich weiss nicht sogleich, vor wie vielen Jahren die Erfindung gemacht worden, den Abfall der Knochen von den Tischen der Reichen in kraftige Brihen za verwandeln, und damit auf das grindlichste und wohlfeilste zugleich die Armuth sa péhren. Vergebens, dass nach den ersten Versuchen die Armen mit Ekel und Widerwillen gegen diese Nahrung protestirten. Der Verstand weiss zu Allem Rath, und hat fir Alles seine Erkldrung. Es gelaste sie nur -noch von alten Zeiten her nach den Fleischtépfon Aegyptens; .das werde sich geben, meinte man; sie werden mit der Zcit sich schon gewohnen, und die Wohlthat schatzen lernen! Gegen Unverstand und Vorurtheil dirfe man allenfalis auch Zwang gebrauchen, Was doch die Menschennatur Alles iberwinden kann! Denn nach Jahren findet sich jetzt, -dass Thiere wenigstens sich nicht daran gewohnen und gewohnen kénnen, weils eben keine Nahrung ist, weil sie¥’daran verkimmern , daran sterben.

Nun hat in unsern Tagen der Verstand far den Verkehr der Menschen unter cinander mit den Kinsten seiner Mechanik Erfindungen gemacht und in der That geleistet, was noch vor Jahrzehenden unglaublich schien, ond ich wasste nicht, was sich dagegen einwenden liesse, wenn nur sonst Alles in Ordnung dabei geschieht, und der Vortheil davon nicht Einzelnen zum Nachtheil des allgemeinen Besten zu gute kommt. Aber dagegen ist Vieles einzuwenden, wenn sich derselbe mechanische Verstand in seinem Enthusiasmus an Erziehung und Unterricht vergreift, und nach der Pesta- lozzischen Methode die Lancasterschule erfindet; wenn er der Jugend eine Wohlthat damit zu erweisen gedenkt, dass er sie sogleich. aus den Kinderschuhen in seinen Verkehr und in alle Formen und Bedarfnisse desselben mit hineinzieht, wenn er sich ecinbildet, er, der nur verzehren und verbrauchen kann, an seinen Bristen sie mit Wissen und Weisheit zu ndhren! Ganze Jugendgeschlechter missten an seinen Brihen zu Grande gehen, wenn nicht zum Glick auch das zu seinen Einbildungen gehdrte, dass er Alles machen kénne. Die Menschennatur ist starker, als er, und das Gelisten nach den Fleischtépfen Aegyptens ihr nicht sogleich aus dem Sinn zu bringen; wir Padagogen wissen am besten, wie unverwistlich sie ist, Aber veréden kann er sie lassen, wenn er’s darauf anlegt; er kann sie, so viel an ihm ist, in geistiger Armuth and Willenslosigkeit verkém- meron, oder in unbefriedigtem Bildungsdrange verwildern lassen.

Ich kann and will nicht leuguen, dass die Realschule als solche selb- standig, der gelehrten Schule gegeniiber, eine Erfindung eben dieser der-

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229. ,

malen aberwiegenden Verstandesrichtung unsrer Zeit und der Tummelplatz ihrer paddagogischen Versuche geworden ist. Die Gymnasien haben sich diese Versuche gefallen lassen, einige, weil sie mussten, andere wohl gar, wie das ostrémische Reich die Volkerwandrung in das westliche ab- leitete, um die eigenen Grenzen zu fristen, Wegweiser dazu mitgegeben. Wer aber-unsern Spilleke etwa far einen solchen Wegweiser gehalten hatte, mége seines Irrthums inne werden. Ein Verkindiger des lebendigen Wortes _ war er auch-unter den Heiden. Er hat fir die geistige Nothdurft’ des realistischen Reichthums nach Nahrung und Bildang gesucht, wie Pestalosst. vor ihm, der da ausgegangen war, der Armuth zu helfen, und seine Me- ‘thode fand fir alle Menschenkinder, reich und arm.

Diess konnte jedoch nicht hindern, dass auch Spilleke, ehe or Hand an’s Werk gelegt, in seinem Vorbegriff nach dem Gesetz des unterschei- denden Verstandes vom Gegensatz auszugehen, und zundachst die der ge- lehrten Schule entgegengesetzte Richtung einzuschlagen gendthigt war. Aber dem aufmerksamen Leser seines Vorworts witd es nicht entgehen, wie in und zwischen den Zeilen iberall der leitende pédagngische Gedanke, der unserm Freunde zum eigenen Selbst geworden war, hervorbricht. Er hatte sich nicht nur selbst verleagnen, er hatte sich negiren missen, wenn es anders ware. Dagegen ist auch von der andern Seite der Ernst nicht gu verkennen, mit dem er die eingeschlagene Richtung festzuhalten und za verfolgen suchte. Ein blosses Nachgeben, ein vorléufiges Accommodiren . warde sich nicht mit solchem Eifer der dahin einschlagenden wissenschaft- lichen Disciplinen zu bemachtigen, und von den verschiedenartigsten Ge- werben und ihren Erfordernissen und Bedirfnissen Kenntniss zu erlangen,

- sich bemaht haben,

Und hier inmitten dieses, dem reflectirenden Verstande unvereinbar scheinenden Widerspruches zwischen den intellectuellen und materiellen Zwecken der Realschale ist es nun, wo sich, wie gesagt, Spilleke’s Paida- gogik Schritt vor Schritt zu immer hoherer Klarheit des Bewusstseins erhob,- Hier waren andere Glieder des Gegensatzes zu vermitteln, als im Gymna- sium, und Weg und Mitte! erst zu finden, dié dort gegeben und bereits im Gange waren. Vor jener Vericrung des Verstandes vom ersten Ausgang an bewahrt ‘durch das Beddrfniss seines Herzens eben so sehr, als seines Geistes, das nur durch Resultate za befriedigen war, lelirte ihn die fort- schreitende Beobachtung, das Nahrhafte und Wirksame in den angewandten Bildungsmitteln, als das der Jugend Angemessene, von dem zu unterschei- den, was der Verkebr daran zu ihrer Handhabung an Rinde und Schale absetzt, Was nicht unmittelbar eingriff und ergriff, was nur Fahigkeit vor- aussetzt, ohne selbst zu beféhigen, ward aufgeschoben, beschrankt,, ersetzt, das Specielle dem Allgemeinen, Vorbereitenden untergeordnet, und in dem Grade als die Robheit Bildung, die Wildheit Zacht angenommen, die Wirk- samkeit des Unterrichts, als an ihrer Frucht, erkannt..

Man sieht, es ist diess der Weg, der, wenn man sich Zeit ladsst, unter allen Umstanden am sichersten, weil am natirlichsten, vorwarts bringt, indem er rickwarts von dem Bedingten zu seinen Bedingungen zurickfibrt. Aber ich misste die Geschichte der Realschule in ihren letzten zwanzig Jahren schreiben, wenn ich hier auf das Einzelne naher eingehen wollte. Dafar wird sich an einer andern Stelle hoffentltch Zeit und Ort und Ge-_ legenheit finden. ;

Indem' ich jetzt zu dem dritten und letzten Theile meiner Aufgabe ibergehe, um aus den einzelnen Zigen des Bildes nun das vollstindige Charaktergemalde des Schulmannes in Einen Blick zusammenzufassen, theile ich mit unser verewigten Freunde den Vortheil, den er im Leben davon hatte, dass sein Amt zugleich seine Neigung war, und mit seinem eigen- sten und innersten Berufe vdllig aufging. Nun spricht sich aber der Cha- rakter des Mannes am deutlichsten aus, nicht in dem, was und wie er arbeitet, wie er sich dazu anstellt, und mit welchem Erfolg, mit Einem Worte, nicht in seinen Werken, sondern in der sittlichen Beziehung, die er aus seiner individuellen Wirksamkeit zu anderen dadurch mit ihm néher

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oder ferner in Verbindung stehenden Individuen einnimmt. Und so hatte ich denn unsern Freund gerade in demjenigen zu charakterisiren, wo der Charakter Eins und Alles ist; als Director der Realschale.

Es ist bekannt, dass Kenntnisse, Gelehrsamkeit, Kunstfertigkeiten u. s, w. Bedingungen sind, durch die man noch keinesweges, sei es nun als First oder als Schulmann, hier gleichviel, im Stande ist, eine Menge zu gemein- samen Zwecken zu vereinigen, oder vereinigt in der Ausfdbrung ‘derselben- zusammenzuhalten, also dass ein Jeder an seiner Stelle das Seine thue und zu thun habe. So wenig ist diess der Fall da, wo geleitet und regiert wird, dass vielmehr ein specielles Interesse nur befangen macht, ja, dass im Ge- gentheil ein Mangel an jenen Bedingungen ohne erleblichen Nachtheil far das Ganze durch den Charakter des Leitenden und Regierenden gar wohl ersetzt werden kann, und wenn man will, war diess bei Spéilleke in Beziehung auf einzelne speciellere Disciplinen der Realschule mehr oder minder wirklich der Fall. Aber schwerlich wirde er, im einer oder der anderen von diesen befangen, mit der von ihm bewiesenen Umsicht das allgemeine Beste seiner Schule wahrgenommen haben.

Vereinigte Spilleke als Schulmann fir seine Person, mit einem leicht erregbaren Temperament die Rube der Zuversicht, und mit dem leb— haftesten Eifer far den Fortschritt von Versuchen ga Versuchen eine Ste— tigkeit und Ausdauer, die ihr Ziel daraber nicht aus den Augen verliert,, so wusste er auch als Schuldirector die Vollmacht, die ibm aber Lehre und Schiler im Interesse des Ganzen gegeben war, auszugleichen mit dem Anforderungen und Befugnissen, die dem Einzelnen zur freien und selb— stindigen Anwendung und Entwicklung seiner Fahigkeiten far sich uodi fir das allgemeine Beste zugestanden werden miissen. |

Das Bewusstsein der Freibeit, mit der er auch die Last und Zwangs— = pflicht seines Amtes abernahm, trug er auf andere tber. Er wollte, dass auch sie, nieht aus Zwang und Noth, sondern aus Einsicht und um der Sache willen das Rechte thaten; er setzte es voraus, als ihren Willen, uad liess sich nur mit Widerstreben vom Gegentheil aberzeugen. Wo es Noth that und die Pflicht gebot, auch das Machtwort nicht scheuend, ja dasselbe oft schon auf der Zunge, war er noch beindht, wie wenn ihm persdnlich daran gelegen ware, durch Vorstellungen und mit Grinden za tiberzeugen, hier zu massigen, dort zu bewegen und anzutreiben. Seine Zeit kam ihm | dabei nicht in Anschlag; er hatte sie dazu und ermidet fithlte er sich nur, wenn er Musse hatte. - |

In seiner padagogischen Schatzung der Personen, wie der Dinge, kannte er keinen Unterschied, als den zwischen mehr oder minder tiéch- tigen Lehrern. Ob an der Warzel die Einen der Schésslinge, oder aa der Rebe die Andern der reifenden Traube pflegend, alle waren sie ihm seine Mitarbeiter im Weinberge des Herrn. Wie gern er frohlich war mit ihnen, dass wissen Alle; wie sehr er aber auch im Stillen besorgt war far sie, ja bis zu seinem letzten Federzuge, bei dem in dieser Liebessorge ihn der Tod adberraschte, um auch die durch dussere Umstainde herbeigeféhrten Unterschiede auszugleichen, wo nur der geringste Schimmer der Hoffnung war, das wissen die nur, denen er von dem glicklichen Ergebniss seiner Bemihung Nachricht zu geben hatte, und werden sich erinnero, mit wel- cher Herzensfreude er es gethan. Ich aber habe auch seinen Kummer ge- theilt, und kann von seiner Betribniss zeugen, die ihm jede vereitelte Hoffnung dieser Art gemacht hat. |

Die Schiler der Realschule waren unmittelbar die seinigen nicht, sie waren es durch ihre Lehrer; aber seine Zoglinge waren sie, so nannte er sie auch am liebsten und wussten, was er ihnen als solcher war, wenn es galt, sich ihrer anzunehmen, und wie sie sich auf ihn verlassen durften, Ja die Mehrzahl von ihnen brachte diess Vertrauen schon aus dem elterlichen Hause mit. Nun ist es aber nicht die Milde allein, und nicht die Strenge allein, auch nicht die dussere Gerechtigkeit in vorsich- tiger Abwagung der einen und der andern, wodurch man den Sinn det

Jugend leitet, und sie erzicht, indem man sie far sich gewinnt; sondern

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das Herz ist es, das man dabei selber zu ibr hat, und das sich ebensowohl

ia der Strenge ausspricht, wic in der Milde, und immer am deullichsten, habe ich gefunden, wenn man alsdann verfabrt, wie einem zu Mathe ist. Auch bedarf es dabei der Redensarten und Versicherungen nicht. So etwas Yersteht sich ohne diese besser; es liegt im: Accent der Worte, far den die Jagend im Ganzen, wie bekannt, das leiseste Gehér hat.

Auf diesen Vordersdtzen beruht die Sichecheit, mit welcher Spilleke eben nach seiner Weise verfahren und sich allenfalls auch gehen lassen durfte, ob er zu billigen oder zu verwerfen, zu loben oder zu strafen hatte. Mit der Zunge jedes Alters wusste er, wie in seiner Muttersprache, zu reden; davon wussten sie, dass ér mit ihnen war, und in ihren Fehlern und Tugenden , in ihren Winschen und Bedirfnissen, wie ein Vater, bei ibnen zu Hause war. Aus seinem Wohlgefallen an ihrem Lernen und aus seiner Sorge, dass ihnen ihr Lernen auch erspriesslich wirde zu ihrer eigenen Freude, verstanden sie seine Strenge, wenn er ihnen-sein Miss- fallen bezeugen, wenn er ihnen zirnen, wenn er strafen und auch wohl sichtigen musste. |

> Aber auch dieses that er nicht, ohne dass ihnen bekannt sein musste, wie er aber sic wachte, und sichs angelegen sein liess, sie vor der Strafe, und sich vor der Nothwendigkeit zu strafen méglichst zu bewahren. Wo eine solche Gefahr vorhanden, da-war er ihnen zur Seite, ungerufen; ja nicht selten fand ihn die Gefahr schon auf dem Platze, wehrend und war- nend, um ihrer Straffalligkeit durch Zurechtweisung vorzubeugen, Zwischen dem Vergehen, als einem Uebel, auf das die Schule eben in jedem Augen- blick mit ihrer Strafe gefasst sein muss, und dieser Strafe selbst, als einem nicht geringeren Uebel, das sie méglichst zu vermeiden suchen muss, in bestdndiger Spannung schwebend, hatte er durch Uebung und Erfahrun sein Auge so dafair gescharft, dass er an den leisesten Symptomen die Krankheit in. ihrem ersten Ausbruch, ja oft vor demselben schen wie darch Vorahnung erkannte. .

Unter allen den vielen Verlusten, welche die Realschule in seinem Verlust erlitten hat, ist diess der grdésste. Aber ganz ermessen mag ihn nur, wer Zeuge war des Vertrauens und der Ebrfurcht, mit der seine Zoglinge ihn in ibrer Mitte sahen. Jener unscheinbare Betsaal der Real- schule, in dessen engen, niedrigen Réumen er sie an festlichen Tagen und zur Censur um sich versammelte, ward dadurch erhoht und geadelt zu einer Statte der wiardigsten Feier. Dicht um ihn her gedrangt und ihrer Leb- haftigkeit vergessend, so lange er sprach, horchten sie in athemloser Stille seiner Rede, die in freiem Erguss, der Stimmung des Augenblickes folgend, bald mit der Stimme des Richters sie beherrschte, bald mit vaterlich freand= lichen Worten sie, warnend und rathend, mit Muth und Hoffnung starkte,

: ,Und er weidele sie mit aller Treue! * Und er regierte sie mit allem Fleisse!* *

E. W. Kalisch.

V. Bibliographie. (October, November, December, 1841.) . A. Pidagogik , Didactik , Culturpolitik.

Braubach, Fundamentallehre der Padagogik u.s..w. gr. 8. (XII u. 2365S.) - Giessen, Heyer. 20 gr. —-Raudniz, phisiologisch-padagogische Heilkunde u.s. w. 8. (x 4. 374S.) Leipzig, Michelsens 1 Thir. 6 gr. Beyhofer, kleines paédagog. Vademecum. 16, (VI u. 7—131.8.) Heidelbg. Groos. 8 gr, Zeller, Lehren der Erfahrung f. christliche Land- und Armenschul- lebrer u.s. w. 3 Bande. 8. (XII u. 256, 292, 176 S.) Basel, Bahnmeier. 1 Thir. 8 gr. Maeder, Manuel de V’instituteur primaire, ou_principes généraux de pédagogie u. s. w, 3. Edition, in= 12, (VIII u, 194 S.) Stras-

232

bourg, Vve Levrault. 18 gr. Preusker, Ueber Jugendbildung, Unter- richtsanstalten, Berufswahl u.s.w. 5. Heft. gr. 8. (167 S.) Leipzig, Hein- richs, 10 gr. Fritz, Ueber Unterweisung und Erziehung der Kinder vom 2. bis zum 5. Jahre. gr. 8. (24 S.) Rottweil a/N. Herder, 4 gr. Munch, Universallexikon der Erziehungs- und Unterrichtslehre u.s..w. 2. Band. 3. bis 6, Heft. gr. 8. (S.193—576) Augsburg, Schlésser 1 Thir. Lange, Die Musik, als Unterhaltungsgegenstand in Schulen u. s. w. Ein Beitra z. Unterrichtswesen. 8. (VIII u, 145 S.) Berlin, Plahn’sche Buchh. 16 gr. Ruthardt, Vorschlag u. Plan einer dussern u. innern Vervollstandigung der grammatikal. Lehrmethode u.s. w. gr. 8. (XXIV u. 336 S.) Breslau, Max u. Comp. 1 Thir. 8 gr. Menke, Bedeutung u. Methode des Geschichts- unterrichts u. 8. w. gr. 8. (XIV u. 186 S.) Weilburg, Lanz. 16 gr. Lauff, Ueber die Methode des Elementaranterrichts im Lateinischen. 4. (28 S.) Manster, Hast u. Riese, 8 gr. Frdsdorff, Anleitang zor planmassigen Behandlung des Religionsunterrichts. 1. u. 2. Lehrgang. Brandenburg, Wieske, 12 gr. Hieke, Der deutsche Unterricht auf deatschen Gymnasien a. s. w. gr. 8. (XV u. 296 S.) Leipz., Eisenach. 1 Thir. 8 gr. Schneider, Ein Wort aber die Schreiblehr-Methode u. s. w. 8. (448.) Minster, Deiters. 8 gr. Weiss, Gymnasien u. Realschulen in ihrem gegenseitigen Ver- hiltnisse. gr. 8. (48 S.) Leigeig, Wunder. 8 gr. Sause, Versuch einer _ Einrichtang der Schulen aus dem Gesichtspunkte des Lebens im Staate. 2. Theil. gr. 8. (VII u. 154S.) Halle, Mablmapn. 20 gr. Battner, Nach © richt aber die Bittner’sche Téchterschule zu Stettin. gr. 8. (64 S.) Kénigs— berg i. d. Neumark. Windolf u. Striese in Commis, 8 gr. Kurze Nach— richt tber die, mit dem kénigl. Seminar f. Stadt- und Landschulen ver— bundene Provinzial-Taubstummenanstalt. 8. (24 S.) Anclam, Dieze. 3 gr.— Das Edikt vom Jahre 1832 und die darauf folgenden Instractionen aber das Volksschulwesen u. s. w. des Grossherzogthums Hessen, gr. 8. (968.) Darmstadt, Pabst, 12 gr. ; ;

\ .

-_

VI Miszellen.

Von Carl von Raumer in Erlangen wird in der nachsten Zeit (bei S. Liesching in Stuttgart) der erste,Band einer ,Geschichte der Pi- dagogik- vom Wiederaufblihen classischer Studien bis auf unsere Zeit* erscheinen, Der Name des Hrn. Verfassers dirfte hinreichen, um das pa- dagogische Publicum darauf aufmerksam zu machen. Sobald die Schrift die Presse verlassen haben wird, soll die Revue eine ausfaihrliche Anzeige davon geben.

. ERSTE SECTION. “is. Mbhandlungen.

Ueber eine Anschauungslehre der mathematischen Erdkunhde, vermittelt durch

einen wan delnden Globus. Von Herrn Tobler in Nyon.

1. Einleitung.

Keine Ansicht ist wohl bei Erziehern .und Lehrern allgemeéi- ner, als die, dass der Unterricht in der mathematischen Erdkunde fir die gewéhnliche Schuljugend zu schwer sei, weil er ihre Fas- sungskraft tibersteige. Sie griinden diese Ansicht auf die Erfah- ring, dass die Schiiler bei diesem Unterrichte, wie fast bei keinem andern, meistens ohne Aufmerksamkeit und Theilnahme bleiben und jeden Anlass suchen und benutzen um sich zu zerstreuen; 80 dass sich der Lehrer vergeblich abmiihe und fast jedes seiner Worte leer zur Erde falle. Aus diesem Grunde klagen so viele liber die Entartung der Kinder, ja tiber die kindliche Natur selbst, als wire sie an all diesem Unheile Schuld.

Allerdings ist es sehr wahr, was sie in dieser Hinsicht ber die Flichtigkeit und “Unthatigkeit der Kinder klagen. Ist aber diese Klage auch gerecht weil sie wahr ist? diirfen wir, Ohne an unsre eigne Schuld zu denken, den ersten Stein der Verdammung auf die Entartung oder gar auf die Natur der Kind- heit werfen? Ist es denn vollkommen hinlanglich zu behaupten: Wir haben Alles gethan, und darf die Frage gar nicht aufkom- Men: ,Haben wir auch das Rechte zu rechter Zeit, auf rechte Art und in rechtem Maasse, gethan? Sollte denn nicht einmal in Zweifel auftauchen dfrfen, ob unsre Fahrungs- und Bildungs- Weise wirkligh naturgemiss, d. h. dem Bediirfniss, dem Grade Ntfalteter Kraft, dem kindlichen Entfaltungsgange und dessen Esetzen angemessen sei? Soll nicht die Frage jeder andern YOrangehen, ob sich das Kind gegen das Lernen und Fort- ®Chreiten des Geistes, oder gegen die Unnatur seiner Fihrungs-

Pidagog. Revue. 4842. b, Bd. Y. 16

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weise strdube? Wenn es aber das Letztere ist, wer verdient dann Anklage, Strafe sogar, und wem gebiihrt es an die Brust zu schlagen und erst zur Natur achter Menschenbildung -zuriick- | zukebren ? . Arme Jugend, wie oft klagt pidagogische Unkunde iiber dich, wo sie iiber sich selbst klagen sollte, wie oft klagt sie deinen “Kampf gegen die Unnatur ihrer: Fiihrung als Kampf gegen Gott - und das Gottliche an. Aber dieser Kampf der Kinder gegen die Unnatur, zeige sie sich nun in der Pflege, in der Zucht oder im Unterrichte, ist gerecht, weil natirlich, Und wenn der Unter- richt in der mathematischen Geographie an vielen Orten gar nicht gedeihen will, wenn die Kinder dagegen reagiren, so ist das kein Wunder. Die Ursache wird uns klar werden, wenn wir die gewohnliche Lehrweise bei derselben naher ins Auge fassen. Zunichst beschrankt sich dieselbe nur zu oft bloss auf das Kennen- | und Benennenlernen der Punkte und Linien auf dem mathemati- schen Globus- und Kartennetz, ohne nihere Kenntniss von ibrer Entstehung und Bedeutung, was natiirlich fiir. den Schiiler, wie ‘Alles was keinen tiefern Sinn enthalt, weder Werth noch Reiz hat. Ueberdiess besteht dieser Unterricht meistens im blossen Do- ciren von Dingen, fiir die der Schiiler keinen Hintergruod von Anschauungen besitzt, und die ihm. mithia zu hoeh und zu tief sind, als dass er sie zu begreifen verméchte. Wo aber der Schiler nur héren, nicht schauen, nur nachbeten, nicht ‘selbst suchen und finden darf, da erlahmt sein Geist _ Wo aber der Geist mangelt, da ist Buchstabe und Wort ~ todt an sich selber, da sind Worte gar nichts niitze. Diess ist besonders in der mathematischen Erdkunde der Fall, wenn eine fortlaufende Anschauung dessen mangelt, was der Schiiler auf- nehmen und wieder darstellen soll, wenn der Schiiler nicht Ge genstande, Eigenschaften und Thatigkeiten vor seinen Augen erblickt und ihre Wirkungen entstehen’ sieht, so dass er si¢ . selbst zu finden und anzugeben vermag. Das Kind, dag freudig und anhaltend lernen, ja vom Innern heraus zum Lernen gereiat sein soll, muss so gefiihrt werden, dass es-jede Wahrheit, in riumlichen Dingen zumal, selbst zu suchen, zu finden,- au verarbeiten und darzustellen -vermag. Wie soll es aber das ver- indgen, wenn es ihm durch eine verkebrte Methode unméglich gemacht wird? Wem unser Urtheil zu hart scheint, der be- - trachte neben der gewdhnlichen Lebrweise in diesem Lebrfache

y) :

235 -

das, was Hand- und Lehrbicher fiir Lehrer hieriiber enthalten, pebst den Resultaten, die sich aus beiden ergeben. Die beiden ersten werden bald genug tiberzeugen, dass sie einen bereits stark vorgeriickten Bildungsgrad erfordern; das Resultat aber, - dass es meistens ein wenig oder gar nicht verstandenes Nach-- beten fremder Ansichten ist, also cin sehr verkiimmertes Wissen. Der Verfasser hatte.in seiner Laufbahn sehr oft Gelegenheit, oder war verpflichtet, Schulen in diesem Lehrfache zu priifen, selbst solche, die nach der gewohnlich docirenden Methode einen wackern Unterricht genossen hatten. Fast immer aber fand er, dass sie. die Namen von Diesem -und Jenem fest inne hatten, Ursachen und Wirkungen aber nicht anzugeben wussten, weil sie keine klaren Anschauungen gewonnen hatten. Selbst Lehrer und sonst gebildete Erwachsene gestanden ihm, dass sie bei dem gewohnlichen Unterrichte in der Erdkunde keine ganz klaren Begrifie erhalten hatten. | .2. Ist-eine Anschauungslehre der mathematischen

Geographie nothwendig? * |

Sie ist dringendes Bediirfniss fiir Lehrer, wie fir Kinder, sie ist es fir alle, welche eine klare Ansicht tiber r diesen Gegen- stand suchen.

- Bekenntnisse, die wir oben angefiibrt von Personen, deren vielseitige Bildung sich nicht bezweifeln liess,- und selbst yon - Lehrern, die, wie der Verfasser, klar machen solften, was ihnen selbst unklar war, trésteten ihn nicht wenig, besonders da er liber diesen Gegenstand niemals Unterricht genossen hatte, und sich also. bloss auf mathematisch-geographische Hand- und Lehr-| biicher verlassen und aus ihnen, so wie auf die Art, wie andre dieses Lehrfach mit ihren Schiilern behandeln, schépfen musste. Er ersah daraus, dass andern Lehbrern, wie ihm, eine Anschauung abging, deren doch alle unbedingt bedurften, er sah, dass die Handbiicher Andern, wie ihm, das nicht gewidhrten, was ihnen mangélte, dass sie nicht Klarheit gaben fiir das, was sie den Schiilern klar zu machen verpflichtet waren. Diess fiihrte , za dem noch gréssern Uebel, dass auch den Kindern und mit ihnen dem Volke, weder klare Anschauung noch Erkenntniss, sondern blosses Halb- oder nachbetendes Scheinwissen iiber

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* Antwort des Herausgebers: Natarlich, weil jeder Unterricht auf der ersten Stufe anschaulicher Unterricht sein muss.

4

1A %

236

einen der wichtigsten Theile der Erdkunde zu Theil wurde, von dem nicht bloss eine richtige Eintheilung der Erdoberflache, nicht nur die genaueste Bestimmung der Lage von Landern und Orten, sondern auch die Bestimmung. von Sonnenstand und Warmegrad und organischer Lebenskraft auf allen Breitengraden abhangt und mit diesem wohl der richtigste Schliissel zur rich- tigen Ansicht und Beurtheilung von Landern und Staaten. Um aber diesen Maassstab zu erlangen, bedarf es unerlasslich einer Anschauungslehre der mathematischen. Erdbeschreibung far Lehrer und Lernende, die méglich macht die Mangel zu_beseitigen, welche richtige Ansicht und yolle Erkenntniss beim Lernenden hemmen.

Tiefey und schmerzlicher konnte diesen Mangel wohl Nie- mand empfinden, als der Verfasser dieses Aufsatzes, als ihm Pestalozzi den Unterricht in der Geographie an seiner: Anstalt mit dem Wunsche ifibergab, ihn den Grundsiatzen seiner Men- ' schenbildungslehre gemass, zu behandeln. So begeistert er dies¢ Aufgabe tibernahm, so sehr seine ersten Verstiche in der phy- sischen und politischen Geographie Jedermann ansprachen und so erfolgreich, ja iberraschend alle Uebungen, die er dem Geiste der Methode gemiss mit den Schiilern vornahm, in ibren Resultaten sich kund gaben,* so sehwierig wurde ihm die Lé- sung der Aufgabe im mathematischen Theile der Geographie. Der physische und politische Theil derselben, das rein Histo- rische derselben abgerechnet, griindeten sich grésstentheils auf Raumliches, mithin bildlich in Karten, Zeichnungen und Modellen u. s. w. Darstellbares. Die Gegenstainde konnten, wie der menschliche Kérper im Buche der Miter, als ein Ganzes und nach seinen Theilen, nach Lage, Zusammenhang, Zahl u. s. w. ins Auge gefasst und aufgenommen, beschrieben, sogar gezeichnet werden.

Die Gegenstande gaben sich, wie alles Leblose, wie Steine und Pflanzen, der ruhigsten Anschauung hin. Nicht so die Ge- genstinde der mathematisclfen Erdkunde. Wohl gab es da Punkte und Linien im Globus und Kartennetz, sogar den Globus mit seinen Kreisen, Allein die Linien und Kreise yon beiden waren Resultate einer Anschaaung des Menschengeistes, die allerdings

* Fir diejenigen, welche die Padagog. Revue nicht scit ihrem Beginn lesen, bemerke ich, dass Bd. I. und H. von Hrn, Tobler Aufsatze aber die Methodik der Erdkunde enthalten, . D. H..

ld

937

auch von raumlichen Erscheinungen, namlich von der Be- wegung, also gleichsam vom Leben der Natur ausgegangen und in Zeichnungen und Modellen dargestellt waren. Allein fiir die Anschauungslehre blieben sie doch bloss starre Kdr- per, -denn gerade die Bewegung, das Lebendige fehlte ibnen. Allein Zeichen und Bilder, deren Entstehung und Be- deutung ausser der Anschauung liegt, sind todt an sich und lassen todt. Was von der Bewegung ausgeht, kann nur durch die Be- wegung anschaulich gemacht werden. Und diese Bewegung und deren Anschauung war es gerade, die uns mangelte, um das was man gewOohnlich mathematische Erdbeschreibung nennt, klar zu machen.

Wohl hitte der Verfassér dem Beispiele Anderer folgen und seinen Schiilern bloss die Namen der Punkte und Linien auf Globus und Kartennetz geben kénnen, und ihnen dieselben un- ausléschlich einpragen, ohne sich zu bekiimmern, ob sie etwas

davon verstehen. Allein dagegen empérte sich sein Innerstes,

als gegen einen Verrath an der Pestalozzi’schen Idee und einen © Betrug an Kind und Volk.

Heute noch wie damals ist es Aufgabe aller achten ‘Jiinger Pestalozzi’s, durch geeignete Anschauungsmittel eine solche Anschauung fir jedes Aufzunehmende méglich zu machen, dass es vom.Kinde selbst als Wahrheit, nicht als Schein und Nach- beterei gefunden und eingeiibt werde. Nichts hat der Ausbrei- tung und Allgemeinmachung der Pestalozzischen Idee der Men- | schenbildung gréssere Hindernisse in den Weg gelegt,- als das ‘ungliickselige Streben so vieler falschen Jiinger, die mit einem leeren Formenwesen in die Welt. hinauswanderten und charlata- nisirend ehr- und geldsiichtig iiberall ausposaunten: ,,Hier ist Pestalozzi.“ Hiatte man doch friiher schon die Geister gepriift, und méchte man es-heute thun, ob sie aus der Wahrheit sind, gur Wabrheit fihren und durch sie lebendig machen! Denn nur der, der im Unterricht lebendig macht, gibt Zeuguiss dass er Pestalozzi’s Idee kennt und will.

Eine Anschauungslehre der mathematischen Erd- kunde ist ein dringendes Bediirfniss, weil eine solche bisher fast ganzlich mangelte. Wir haben oben schon den eigent- lichen Mangel einer solchen bezeichnet und das Ungeniigende, was Handbiicher, gewohnlicher Unterricht und selbst die Globus- lehre hiertiber angeben. Sie ist dringend nothwendig, weil

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die Anschauung nicht nur von Gegensténden, sondern von der Bewegung der Erde um die Axe und um die Sonne mit schiefer Axenstellung ausgeht und mithin diese Bewegungen und Wir- kungen zunichst anschaulich gemacht werden miissen, was bisher noch nie so geschah, dass selbst Kindern klar wird,.was bisher nur dem tiefern Forscher zu erkennen méglich war, darch t unsern wandelnden Globus aber allen klar wird.

Sie istnothwendig, weil gerade in diesem Fache das Meiste nicht auf wirklichen, sondern meist auf scheinbaren Erscheinungen | und Bewegungen beruht, die dann durch Ansehauung wirklicher Bewegungen gehoben werden kénnen, Ist doch die tagliche = Bewegung des Himmels um die Erde bloss scheinbar und Folge —= der Rotation def Erde, ist doch die jahrliche Bewegung der Sonne-—= um die Erde bloss scheinbar und Folge des jihrlichen Umlaufea= der Erde um die Sonne, ist endlich selbst die Schiefe der Erdbsbumam zur Ebene des Aequators nur Schein und reine Folge der bestaa-— dig nach Norden gerichteten schiefen Stellung der Erdaxe, waa unser wandelnder Globus auf das Anschaulichste darthun wird_—

‘Sie ist nothwendig der griindlichern Erkenntniss selbst willen. Hangt doch von ihr eine riehtige Anschauang unCall Beurtheilung der Erde, ihrer Eintheilang in Laéngen- und Breiten—— grade, die mathematisché Bestimmung der Lage von Landercom und Orten; die Méglichkeit, den Einfallswinkel des Sonnenstrahlis die Warme .und die organische Befruchtungskraft auf allen Giirtelc= _ der Breite zu bestimmen, ab. Oder soll nieht endlich auch dass Volk dahin gefiihrt werden, durch einfache Anschavangsmitte 2 die Ursachen und Wirkungen dessen, was sie im Unter— richt aufnehmen sollen, selbst zu schaven und als Wahrheit zu finden, sollen sie ewig bloss fremde Ansichten aufnehmen, nie eigene Wahrheit finden, sich derselben erfreuen und im Liebte des Geistes wandeln lernen? Eine gentigende Anschauangslebre des mathematischen Theils der Erdbeschreibung ist endlich auch desse— wegen unerlasslich nothwendig, damit durch die Jugend im Volke und besontlers in den kiinftigen Generationen eine klare Erhenntniss® Gottes und seines anbetungswiirdigen Anordnens und Wakens er— blithe. Diess kann aber nur dann geschehen, wenn ibr daribes™ die Augen gééffnet werden und dem Lehrer méglich gemach® wird, eine solche ins Leben zu rufen. Wir betrachten diese Auf— gabe als die héchste, glauben aber auch, dass sie nur durch eine naturgemisse Anschauungslehre zu erreichen méglich sei.

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§ Ist eine Anschauungslehre der mathematischen Geographie méglich?*

-Die Nothwendigkeit einer Sache entscheidet indessen noch keineswegs fiber die Méglichkeit der Ausfihrung. Unterdess ent- schloss sich der Verfasser bald, das selbst zu suchen und zu

- schaffen, was ihm und Hunderten mit ihm so sehr mangelte. Allein er erfubr nur zu bald, wie viel leichter es ist, einen Ent- schluss zu fassen, als ihn auszufihren. Das erste Hinderniss, das. ihm aufstiess, war, wenn nicht die ganzliche, doch die theil- weise Unméglichkeit, das anschaulich zu machen, wovon die ma- thematischen Verhaltnisse und Wirkungen vorziiglich ausgehen, wir meinen die Bewegung.

Der starre Globus konnte die Bewegung nicht anschaulich machen. Diess néthigte ihn, sie durch kinstliche Bewegungen za ersetzen, die aber nur héchst unvollkommene Wirkungen her- vorzubringen vermochten. Diese Mitte] setzte er jedoch za be- nutzen fort, und gab sich alle Mithe, sie auf jede Weise zu ver- volikommnen und zu vermehren. Ein zweites Hinderniss zeigte sich im Vereinigen des Historischen mit dem Raumlichen. Das Letztere allein liess sich anschaulich machen. Dadurch unter- schied sich der geographische Unterricht wesentlich von demjeni-

gen in Zahl-, Form- und Wortverhiltnissen, der in den Anstalten betrieben wurde und machte die Lisung der Aufgabe schwieriger.

Dermoch ergaben sich bei seinem anhalienden’Suchen manche

Resultate, die an der Miglichkeit, eine geniigende An-

sschauungslehre za bilden, nicht mehr zweifeln liessen. Ein drittes

Biemmungsmittel stellte sich ihm in der Langsamkeit des Ganges

ar, den er zu befolgen gezwungen war, um seinen Anschauungs- gang mit seinen Anschauungsmitteln und Erfolgen zu suchen, zu riifen und za bewshren. Schon das unermiidete Suchen der wichtigen Mittel war kein Leichtes. Wie oft war der Verfasser genéthigt, auf immer tiefere Elementarpunkte auszugehen und Teichtere Mittel der Anschauung zu finden, wenn er sich schon am Ziele glaubte. Wollte er aber nichts Halbes, nichts Nach- gebetetes, nichts was nur auf dem Katheder leicht erscheint, sondern durch die Erfahrung Bewiahrtes, so musste er nicht fliichtig fiper so Wesentliches hinwegeilen. Die Resultate, der freudig suchende, findende, selbstthitige Geist der Schiiler,

* Gans gewiss; ,,Du kannst, denn da sollst.“ D. H.

»

240

so wie die tiefste Anschauung und Erkenntniss jeder: Wabrheit, musste Zeugniss geben, dass er auf richtiger Bahn wandle, um der Idee Pestalozzi’s vollstandig zu geniigen.

Man -hat den ersten Gehiilfen und Jiingern Pestalozzi’s ein zu empirisches Suchen und zu langes Verweilen beim Einfachen und, viele glaubten, Unwichtigen oder gar Unhéthigen vorgeworfen. Man warf auch das dem Verfasser in Bezug auf sein geographisches Thun vor. Allein man bedachte nicht, dass das Griindliche nicht ohne Grund, das Finden nicht ohne Suchen méglich war, und dass gerade dieses vielseitige Suchen, Finden, Priifen und ‘Bewahren auch seine Zeit forderte; man vergass, dass man - sich bei so Heiligém’ nicht mit Halbem, Oberflichlichem oder mit Schein begniigen durfte, wenn man das Wahre und Ewige in den Geist der Menschenbildung tiberhaupt und in den Unter- richt insbesondere legen wollte. Was im Allgemeinen gilt, das darf der Verfasser auch fir sein besonderes Fach ansprechen. Entschuldigung fiir. langes Warten * verdient sicher der Manno, der bei so vielen andern “Aufgaben, bei der Leitung grosser An-. stalten, dennoch nie das Rechte zu suchen aufhorte, und our Bewadhrtes geben wolte.

Indessen sah er mit jedem Versuche, den er machte, die Méglichkeit immer wachsend, eine Anschauungslehre der ma- thematischen. Erdkunde zu Stande zu bringen, welche dem Be- diirfniss zu entsprechen geeignet ware. Zu jeder Aufgabe fand er oft geeignete Anschauungsmittel fiir sein Ziel, in jeder~cine Gelegenheit das Gefundene zu priifen und zu bewahren.

Besonders wichtig wurden ihm die Winke, die er in der Behandlung von Zahl und Form, vorziiglich aber des Wortes in Pestalozzis Buch der Mitter fand, die ihn lehrten, jeden einzelnen Gegenstand nach Lage, Theilen, Zusammenhang, Zahl, Eigenschaft, Wirken u. 8. w. besonders speziell in’s Auge zu fassen, und von_ da aus sein Sein und Wirken schauen zu lehren. Die Ansicht lehrte ihn vorziiglich zum Behuf der mathematischen Erdkunde zuerst die Rundung der Kugel und ihre Wirkungen, dana ibre Rotation mit allen ihren Folgen, nachher den jahr- lichen Umlauf der Erde um die Sonne, mit dem was aus ihm hervorgeht und endlich die Axenstellung der Erde

* Die Leser wissen aus Hrn. Krasi's Erinnerungen (Padag. Revue. Bd. I.), dass Hr. Tobler vor nun 42 Jahren bei Pestalozzi, damals in Burg- dorf, Erdkunde zu lehren begann. . - D. H.

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_ “mit ihren Wirkung en gesondert zu betrachten, fir jeden dieser

Haupttheile und fiir jede sich ergebende Aufgabe derselben geeig- nete Anschauungsmittel zu suchen. Es gelang ihm immer mehr. - - Doch langsam wie sein Suchen, Priifen und Bewiahren, be- sonders fiir sein Ahnen und Streben wuchs der Glaube an diese Méglichkeit. Immer noch war sein Glaube nicht yolle Zuversicht und noch kein Schauen dessen was er hoffte und anstrebte, his er wahrend und mit seinem Suchen den wandelnden Globus und mit ihm Rotation, Umlauf und Axenstel-

| lung der Erde vereinigt, in gleichzeitiger Bewegung

uid Wirkung gleichsam-als ein lebendiges Anschauungs- witfel fiir Alles, was er bedurfte und anstrebte, vor sich stehen und wandeln sah. Die Rundung der Erdgestalt ausgenommen

~ gah er, sahen seine Schiiler, die .Wirklichkeit der Rotation, des

- Erdumlaufes um die Sonne und die Axenstellung vor ihren Augen, und mit ihm das Entstehen ihrer. Wirkungen. Die Madglichkeit einer Anschauungslehre der mathematischen Geographie war nun zur Wirklichkeit geworden.

4. Die ersten Versuche mit der Kugelform fiir

unsern Zweck und deren Erfolg. : Wir befolgten im Anfang den Gang mit Aufsuchung der Ku- gelgestalt der Erde nach Anweisung der geographischen Lehrbii- cher und suchten die Rundung der Erde aus ihrem runden

Schatten bei Mondfinsternissen zu beweisen. Wir fanden aber bald, dass es nicht geniige den Kindern zu sagen, dass nur die Kugel einen runden Schatten wirft, wir mussten ihnen auch

-anschaulich machen, dass keine andere Kérperform dieses unter

allen Stellangen vermége, damit sie zu keinem voreiligen Urtheil verleitet wurden. Wir wahliten daher die wichtigsten Kérperfor- men, namlich die Wiirfel-, Teller-, Walzen-, Ellipsen- und Kugel- form, hielten eine nach der andern in allen miglichen Stellungen fiber ein Licht und liessen ihren Schatten auf die Biihne fallen. Sogleich spracben die Schiller selbst aus, was sie sahen, dass det Wiirfel immer einen eckigten, die Scheiben einen runden, ovalen, strichformigen, die Walze einen runden, strich- oder band- formigen, der Kegel einen runden und trichterférmigen, die Ellipse einen runden und elliptischen, die Kugel allein endlich bloss einen runden Schatten werfe. Der Uebergang, die Ursache' des runden Schattens der Erde bei Mondfinsternissen zu finden, war daher leicht und der Schluss eine angeschaute und selbst-

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gefundene Wahrheit, die Erde mtisse eine Kugelge- Stalt haben.

Dergleichen Kérperformen bedienten wir uns, um die Schiiler- selbst suchen, finden und angeben zu lassen, dass nur ‘die Kugel. zahilose, lauter runde und sich beim Hohersteigen erweiternde ' Gesichtskreise zulasse. Nachher suchten wir auch das Sicht- barwerden und Erleuchtetwerden hoher Gegenstande und ibr spa- testes Verschwinden und Verfinstern yon den Ursachen aus den Schiilern anschaulich zu machen, was sich auch bloss von dea Kérperformen aus bestimmen liess. Wir befestigten nimlich kleine | Wachskérper auf die Theile der genannten Kérperformen, be wegten jeden vielseitig um sich selbst und liessen die Schiibe beobachten, welche Theile der Wachskérper zuerst sichtbar und erleuchtet werden, nachher, welche sichtbar und erleuchtet blei- | ben. Auch hier fanden die Schiiler selbst, dass diess nur suf den Theilen einer Kugeloberfliche ‘méglich sei, weil die Runduog " derselben die tiefern zu sehen hindere.

So fanden unsre Schiiler einen Grund nach dem ander, welcher nur eine Wirkung der Erdrundumg sein kénne, wie Morgen- und Abenddémmerung, der angleiche Auf- und Untergang der. Gestirne, der ungleiche Stand der- selben am Himmelsgewélbe, die Méglichkeit threr dop- pelten Bewegung um die Axe und Sonne, der Tages- Tange und Jabreszeiten u. 8. w.

Nebst diesen Beweisen der Erdrundung wagten wir noch einen hdhern Grund den Kindern anschaulich 2u machen, der nicht bloss als Wirkung der Kugelform, sondern als eine der wesentlichsten Ursachen derselben anzusehen sei, wit mreinen die wunderbare, noch immer geheimnissvolle Kraft der An: ziehung.

Zuerst machten wir den Schélern das Dasein derselben anschaulich durch den Magnet, durch das Anhauchen der Fer- sterscheiben und im Festhalten des Dunstes am Glas oder Topf, _ der das diberfliessende Wasser anzieht u. s. w. Dann zeigtes wir ihnen im gréssern Wassertropfen auf Barlappenmeht, im gréssérn Dunstblischen am Fenster, am kleinen Quecksilber- kiigelchen auf dem Tisch, wie der gréssere Kérper den kleinert anziehe, und liessen sie den Grund in der gréssern Summe as- zichender Stofftheile finden. Bei den Quecksilberkiigelchen liessen wir sie schauen, wie sich durch das Anziehen die Kugel bilde

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und vergréssere, in einem mit klebrigtem Stoffe als Element

bestrichenen Kiigelchen liessen wir sie schauen, wie sich stark- bewegter Mehlstaub auf dem Kiigelchen nach allen Seiten gleich-

artig ansetze, wenn es sebr schnell um seine Achse bewegt werde, |

und zur Kugel werde, und endlich liessen wir sie folgern, wie die Erde selbst wohl auf diese Weise zur Kugel geworden, und der gleichartigen Summe anziehender Theile wegen auch eine gheichartige Anzichungskraft auf allen Theilen ihrer Oberflache habe gewinnen miissen.

Nuw erst hiessen wir die Schiiler diese gleichartige Anzie- hungskraft als Beweis ibrer Kugelgestalt und als eine Folge der- selben mit ibren Wirkungen aussprechen, indem wir auch dieses darch unsre Aufgaben und Uebungen anschaulich machten. An den itbrigen Kérperformen erkannten wir nun ohne Miihe, dass die Scheibenfliche ihrer Ausdehnung in die Breite wegen bis sum Rande eine Menge, an der Unter- und Oberflache hingegen fast keine anziehenden Theile hiatten, ihre Anzichungskraft daher im héchsten Grade ungleich sein miisste. In jeder Ecke und Seite des Wiirfels fanden sie ebenso ungleiche Vertheilung des anzichenden Stoffes, noch grissere in der Walzen- und Kegel- form, selbst in der Ellipsenform fanden sie die anziehenden Stof- theile noch zu ungleich, als dass eine gleichartige Anziehungs- kraft moglich wiirde. Sié sprachen mit dem klarsten Bewusstsein= aus, weder die Teller-, Wiarfel-, Walzen- und Kegelform, noch die Ellipsenform gewéhren eine gleichartige Anziehungskraft, sondern die Kugelform allein, weil sie von ihrem Mittelpunkte an nach allen Seiten ihrer Oberflache eine gleiche Summe an- sichender Stofftheile enthalte., Nun zejgten wir thnen im Fallen jedes Korpers gegen die Oberfliche der Erde, im senkrechten Festhalten aller Natur- und Kunstgegenstinde auf ihr, im Druck

von Luft und Wasser gegen sie und ihren Mittelpunkt, wie die’

Erde als grosster Kérper alle kleinern um und éber sich anziehe und festhalte, wie diess auf allen Theilen: ihrer Oberflache gleichartig geschehe und liessen sie dann selbst die Lehrsatze Anden und als selbstgefundene Wahrheit aussprechen: die Erde muss eine Kugelgestalt besitzen, weil sie auf allen Theilen ihrer Oberfliche jeden andern Kérper an sich sieht, auch muss das wahre Unten derselben im ihrem Mittelpunkte sein, da alle Kérper ausser ihr senkrecht nach ihrem Mittelpunkte dringen.

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Die tibrigen Wirkangen der Kugelform zeigt die Anschauungs- lehre selbst. . 5. Unsre Versuche iiber die Rotation der Erde.

Wie bei der Kugelgestalt der Erde, so suchten wir den Schiilern auch bei der Rotation erst die Wirklichkeit derselbem und dann erst ihre Folgen anschaulich zu machen. Wie dort die Kugel, so machten wir hier die Bewegung derselben. um eine Axe zum Anschauungsmittel. .Dass wir bei unserm Gange oft zu kleinlichscheinenden Mitteln der Anschauung,. wie sum | Avhauchen yon Fensterscheiben, zum vielseitigen Auffassen von, Koérperformen: griffen, um von ihnen aus schwere Aufgaben an- schaulich zu lésen, wird vielleicht manchen befremden. Allein der Schiiler bedurfte einfache und kKlare Anschauung, wit aber als Lehrer einfacher, passender und klermachender An> - schauungsmittel. Wollten wir den Schiilern tiefe Grund- lagen geben, so bedurfte es auch achter Grundanscbauungen, usd je naher dem Grunde sie kamen, desto mehr fihiten wir wie die Schiiler uns befriedigt. Je mehr und leichter die Schiiler Ursache und Wirkung, fast ohne wesentliche andere Nachhiilfe, als durch das Anschauen dessen, was die Natur und die Ap- schauungsmittel darstellten, selbst fanden, um so naber fanden wir uns unserm vorgesteckten Ziele, den Schiiler selbst suchen, selbst finden zu machen, was er aufzunehmen hatte, ihn. selbst verarbeiten und selbst darstellen zu lassen, was er aufgenommen _ hatte. Sie fihlten sich fortwahrend hiezu gereizt, weil nichts ihre Krifte tiberstieg und yom eigenen Geiste getrieben, weil sie Alles geistig beschiftigte und belohnte.

Bei der Rotation nun hatten wir den Schiilern zunichst al- schaulich zu machen, ob der Himmel sich alle 24 Stunden eis- mal um die Erde, oder diese sich bloss um ihre Axe bewege. Vorher liessen wir die Schiiler angeben, was taglich am Himmel | und auf der Erde vorgehe; sie sahen einen .tiglichen Umlauf voa jenem und eine tigliche, sich wiederholende und regelmiassig fort- riickende Erleuchtung und Verfinsterung von dieser. Es entstand daher die Frage, ob die letztere nothwendig einen Umschwung des _ ganzen Himmels erfordere, oder ob sie auf eine andere Weise mog- lich sei. Die Frage war bald entschieden. Wir bewegten zuerst bloss ein Licht, als Sonne, um einen der Schiiler, als Erde, und sahen dea Letztern bald beleuchtet, bald verfinstert. Dann liessen wir aber das Licht still stehen, und den Scbiiler, abermals die Erde yorstellend,

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sich gegen das Licht um sich selbst oder seine Achse bewegen, und siehe er wurde gleichartig zur Halfte erleuchtet und ver- dunkelt. Die Wirkung war dié naémliche und die Schiiler sprachen sogieich: Die allmiblige Erleuchtung ist auf eine doppelte Weise moglich, durch einen Umschwung des Himmels, oder durch eine Umdrehung der Erde um ihre Achse. Dann stellten wir die Kugel auf dié Mitte des Tisches und bewegten erst -das Licht um sie, nachher aber nahm die Kugel den Platz des Lichtes ein, und drehte sich ihm gegeniiber um ihre Axe, um die gewonnene Ansicht za bestarken.

Nun entstand die Frage, welche von beiden Weisen die leichtere und gotteswiirdigere sei, da beide die gleichen Wir- kungen hervorbrachten. Zuerst stellte sich der Lehrer in einen . Mittelpunkt auf einem freien Platze, nannte sich die Erde, jeden Schiller aber einen Stern, und liess sie in vollkommen gleicher Entfernung von sich einen Kreis bilden, und die Schritte zahlen ' wd angeben wie gross die Base sei, die jedes Gestirn zu durch- wandeln habe, wenn sie gleich weit yon ihm abstehend ihn um-. kreisen. Dann liess er den Kreis stille stehen, er selbst aber bewegte sich blos um seine Axe. Natiirlich fanden die Schiiler erst bloss durch Anschauung, dann durch Berechnung, dass die Drehung der Erde um ihre Axe nicht nur viel leichter, sondern auch Gottes Weisheit angemessener sei.

Um ihnen aber auch anschaulich zu machen, welches von beiden dem Abstande der Erde nach méglicher, wahbrscheinlicher und glaubwiirdiger sei, stellte er sich abermals in den Mittelpunkt, liess die Schiiler sich die Hande geben, eine gerade Linie bilden, den Nichsten selbst an seiner Hand haltend, und dann Alle gleichzeitig forischreitend ihn umkreisen. Dann gab er jedem wieder den Namen tines Sternes, und liess die Schiller bestimmen, welche Bahn jeder . auf diese Weise zu machen habe, und wie dieselbe fiir jeden weiter abstehenden sich vergréssern miisste. Am Ende bestimmte er die Wirkliche Entfernung von den ‘Gestirnen, und welche Bahn jeder lglich und stiindlich zu durchlaufen hatte, bis sie selbst: er- kannten, dass hier die Rotation der Erde das Einfachere sei:

Dagegen aber stritt immer noch die tagliche Anschauung deg Umschwungs der Gestirne und ihr Fortwandeln am Himmel. Es musste den Schiilern daher durch Beispiele gezeigt werden, dass dieser Umlauf ein bloss scheinbarer sei und bloss von der’ Umdrehung der Erde um ihre Axe herrithre,

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Zu diesem Ende lassen wir die Schiiler zunaéchst einen Stock an der Bithne des Zimmers festhalten, an ihm hinauf nach sei- nem Drehpunkte sehen, sich endlich so schnell als mdglich um den Stock drehen und dann beim Stillstehen angeben, was um sie vorgehe. Sie bemerkten bald, dass sich das ganze Zimmer um sie herum zu bewegen scheine. Das Gleiche bemerkten sia auch, wenn sie sich schnell und lange auf ihrem Absatze herum drehten. Auf Briicken liessen wir sie steif und senkrecht auf das unten schnell durchstrémende Wasser bijcken, bis sie wahnten der Fluss stehe still, und das Land mit der Briicke gehe auf. wirts; so wie sie tauschend im schnellfahrenden Wagen das . Land voriiber eilend wahnten. Endlich unterliessen wir, wo es méglich war, nicht, sie die éhnliche Bewegung des Landes sehen zu lassen, bei der Fabrt auf einem streng fliessenden Flusse. ‘Alle diese Anschauungen brachten sie wenigstens vorerst auf den Glauben, dass eine Taéuschung miglich sei, und dass ein Menseb, der 60—70 Jahre auf einem Strome abwarts fahre, ohne je sal .das feste Land zu treten, zuletzt behaupten kénnte, das Land | bewege sich aufwirts, nicht aber das Wasser abwirts. 7

Auf diese Weise war es schon leichter zu zeigen, dass der fortwabrend ruhige Lauf der Gestirne ebenso den Glauben erzet- gen kénne, die Gestirne bewegen sich um die Erde, wabrend sich in ruhigem, unmerklichem Laufe die Erde nur um ihre Are - bewege. Da. uns die russische Schaukel mangelte, versuchten wir es auf der Kreutzschaukel, ihnen anschaulich zu machen, wie auch dann die Gegenstinde in immer kreisférmiger Beweguog erscheinen und verschwinden, oder auf- und unterzugeher scheinen, bis sie endlich selbst den Ausspruch wagten: Der tigliche Umschwung des Himmels sei nur schein- bar, und mitsse nothwendig von dem Umschwung der Erde selbst herrtihren. So hatten unsre Schiler auf dem. Wege der Anschauung die Rotation der Erde als Wahrheit, den Umschwung des Himmels als Tiuschung gefunden.

Die Wirkungen der Rotation fanden sie leichter und wahrend ‘der Umdrehung selbst, indem alle vor ihren Augen gleichsam . sich selbst darstellten. Zuerst bemerkten sie selbst an der ro- tirenden Kugel zwei gleichsam stillstehende oder sich bloss um einen Punkt drehende Stellen oder Drehpunkte und lernter in diesem Bilde die Pole der Erde kennen. Sie sshen alle Theile der Kugel sich am eine Linie solcher Puukte bewegen,

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| 247 wie dio Theile des Rades um seine Axe. Diess machte ihnen auch die Erdaxe anschaulich. Von der Mitte der Kugel als. Erdaxe aus liessen wir sie, wahrend die Kugel sich drehté , den scheinbaren Umschwung des Himmelsgewdlbes schauen, und es bildete sich von den Drehpunkten der Erde aus eine verlingerte Line, bis in die dussersten denkbaren Himmelsraume hinaus, um die sich die Hohlkugel des ‘Himmels bewegte, sie fanden also das Dasein einer Himmelsaxe mit zwei Endpunkten, die ebenfalls bloss um sich selbst sich bewegten, oder die Dreh- puokte, Pole des Himmels in der Nahe zweier Sterne, die still

gu stehen scheinen, namlich den Polarstern en. Sie fanden

-- in dieser Axe fiir die Erde die Weltaxe, welche die Himmels-

- usd Erdaxe in eine Linie vereinigt. Mit den Drehpupkten fanden

sie zwei Hauptpunkte und Gegenden am Himmel und auf der Erde. Genau an den Mittelpunkt, Axenlinie, brachten wir jetzt eine senkrecht stehende Scheibe an, deren Peripherie eine griésste Linie um die Kugel oder den Aequator der Erde, und eine noch gréssere Scheibe, deren Randlinié den Aequator des Himmels darstellte, den wir als Mittelkreis zwischen den Himmelspolen auch im fernsten Himmelsraum so anschaulich als miéglich machten. Mit beiden erhielten wir nérdliche und sédliche Halften des Himmels und nérdliche und siidliche Halbkugeln der Erde; an jenen nordliche und stidliche Gestirne, an diesen nérdliche und siidliche Meere, Linder, V61l- ker, Produkte u.s.w. An den Aequator ketteten wir zuerst eine unbestimmte Zahl Parallelkreise, weil jeder Punkt einen besondern Kreis zu bilden erlaubte, dann eine bestimmte Zahl derselben und zwar am Himmel wie auf der Erde gegen die Nord- und Siidpole von beiden hin. Wir theilten so beide in nérdliche und siidliche Breitengrade des Himmels und

der Erde, um auf jenen die Lage der Gestirne, auf dieser die-

jenigen von Gebirgen, Gewissern, Natur- und Staatsgebieten UW. 8 W. genau anzugeben und zugleich den Sonnenstand, den Einfallswinkel hres Strahles, und einen gewissen Wirme- und Befruchtungsgrad auszumitteln. Zugleich erhielten die Schiiler die Pole, den Aequator und die Parallelkreise mit ihrer Bedeutung fiir das Globus-. und Kartennetz. So wie diese. ge-— funden waren, suchten wir auch die iibrigen Linien der Erde. Wir fanden sie in zwei Hauptlinien, welche sich vermittelst der Rotation der Kugel gegen ein Licht, als Sonne, bilden, wenn

die Axe der Kugel senkrécht steht. So wie wir ihr diese Stellung, gegeben und sie einem Lichte gegentiber gebracht hatten, warde die Kugel genau bis zur Halfte erleuchtet, und es bildeten sic}, eben so genau vom Nordpol bis zum Siidpol- der Kugel zwe;

Halbkreise, welche durch Licht und Schatten getrennt wurden,

Die eine Linie bezeichnete die vyorriickende Grinze der Er. leuchtung, die Aufgangslinie, die andere die vorriickende Grainze des Schattens, die Verfinsterungs- oder die Unter- gangslinie. Beide zusammen bildeten einen genau durch die Pole gehenden groéssten Kreis, der uns spiter zum Meridian- kreise wurde. Beide, die Licht- und Schatteriseite, bezeichnetea wir durch eine sichtbare Linie auf der Kugel. So war die Grand- linie zur Auffindung und Anzeichnung aller Meridiane gefunden. Nun drehten wir die Kugel fortwahrend in gleicher Richtung ud bei gleicher Stellung gegen das Licht, und wir saben die Licht- und Schattenlinie gleichartig vorriicken, d. bh. auf der einen Seite Erleuchtung, Tag entstehen, auf der andern Seite aber Finster- niss und Nacht eintreten. -So trat immer ‘ein Theil der Kugel in Tag und Nacht iiber, bis die Aufgangslinie wieder zur Unter- gangslinie wurde. In bestimmten Absiatzen errichteten wir von Pol zu Pol eine neue Bogenlinie und bezeichneten sie durch eine Linie auf der Kugel. Spater lernten die Schiller diese Kreise

als Mittags- und Mitternachtslinien kennen, daher as |

Mittagslinien, Meridiankreise, die mit dem vorhingefundenen die Kugel erst in vier gleiche Theile theilten, jeder yon 90° Lange, spiter auch in Langengrade. Bei einem neuen Umlauf der Kugel um ihre Axe fanden die Schiiler zuerst die Morgendamme- rung, im Annahern der im Schatten liegenden Theile der Kugel gegen das Licht tiber derselben den Anfang des Tages und dea Aufgang der Sonne genau iiber dem Gleicher der Erde und mit ihm den Morgen- oder Ostpunkt; mit einer Ostgegent des Himmels mit éstlichen Gestirnen, sowie mit einem Osten der Erde, nebst éstlichen Meeren; Landera, Stadten, Volkern, Produkten u.s.w. Mit der fortgesets- ten Rotation riickte auch die Lichtlinie fir einen Punkt der Kugel vor; die Sonne stieg héher, der Einfallswinkel ihres Strahls wurde kleiner, Licht und Warme nahmen zu: Sie sahen also ein Steigen der Sonne, einen héhern und immer héhern Sonnen- stand, einen immer kleinern Einfallswinkel und mit dem- selben einen steigenden Warmegrad entstehen. So wié

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aber die Kugel den vierten Theil ihres Laufes vollendet hatte, sahen sie die Sonne wieder sinken, ihren Stand niedriger, . den Einfallswinkel ihres Strahls grésser und den Warmegrad geringer werden, bis die Schattenlinie naher riickt. Hier er- blickten sie den Untergang des Lichts als Bild der Sonne im Punkt des Gleichers, wo sie den Untergang, den West- punkt des Himmels und der Erde, mit diesem eine west- liche Himmels- und Erdgegend, mit diesem am Himmel westliche Gestirne, auf der. Erde aber westliche Gewisser, Linder, Stidte, Volker u. s. w. kennen lernten. Es bildet sich mit dem weitern Vorriicken der Schattenlinie das allmahlige Ent- feraen der, Gegenstinde von der Lichtlinie, die Abenddim- merung und voller Anfang der Nacht. Wibrend diese Hiifte der Erde immer tiefer in Nacht versinkt, steigt- die ent- gegengesetzte immer hoher ins Licht, und wahrend diese wieder immer héher gegen das Licht vorriackt, sinkt jene wieder gegen den Schatten.

Zuletzt erst suchten wir das eigentliche Entstehen der Meridiane anschaulich zu machen. Hier diente uns ebenfalls Wieder die Licht- und Schattenlinie oder die Morgenlinie, die wir schon bezeichnet hatten. Sie wurde zur Mittellinie zwischen der des Morgens und Abends, in welcher auch der Sonnenstrahl senkrecht auf einen Korper fiel, der in dieser Bogenlinie lag, so dass er. keinen Schatten mehr warf. Die Zeit, in der dieses geschah , bezeichneten wir ihnen als Culmination, als Mittag,

a ‘ie ganze Linie als Mittagslinie oder Meridian, alle Orte und Punkte, die in diesem Augenblicke unter ihm lagen, ‘batten also gleichzeitig Mittag. Die Schiler saben, dass auf diese Weise jeder Punkt um die Kugel einen besondern Meridian er- - hielt, dass es deren zahllose geben wiirde, wenn man iberall alle Halbkreise- ziehen wollte, und dass es nothwendig sei, deren hor eine bestimmte Zahl zu bilden, um sie der Ordnung nach benennen zu kénnen. Mit denselber? fanden sie denn auch die Laingengrade der Erde, fiber ihnen die des Himmels und das Mittel die geographische Lage aufs genaueste -anzugeben. So auch fanden die Schiller das mathematische Kartennetz bis auf die Wende- und Polarkreise erginzt.

Da bei der senkrechten ‘Stellung der Erdaxe der Sonnen- strahl immer senkrecht auf den Gleicher der Erde fiel, so fanden ~ die Schiller bei unserer FGhrungsweise auch, dass bei jedem

Pidag. Revue 1842. b, Ba. V. 17

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der 89 iibrigen Breitengrade der Sonnenstand um einen Gradi, niedriger, der Einfallswinkel ug einen Grad grosser und dex Warmegrad um ein bestimmtes geringer wiirde. Doch es mag das Gesagte hinreichend sein, um zu beweisen, welche Mihe wir uns gaben, auch die Wirkungen der Erdrotation den Kinderw, zur selbstgefundenen Wahrheit za machen. Wir tibergehen ea, die iibrigen Wirkungen anzufiihren, obschon noch Manches tber das Finden der Tagesklimate, tiber die Grisse der Parallelkreise, die Abnahme der Meridiangiirtel gegen die Pole, die scheinbar langsamere oder schnellere Bewegung der Himmelskérper zu bemerken ware. -

6. Unsre Versuche aber den Umlauf der Erde om

die Sonne.

Wir hatten nun die scheinbare Bewegung der Sonne wih- rend einem Jabreslauf ins Auge zu fassen und den Schiilern a- schaulich zu machen, dass auch dieser nur scheinbar sei, wie die tagliche Bewegung des Himmels um die Erde. Wir versuchten dabei eine &abnliche Weise; wie beim Anschaulichmachen der Rotation und liessen die Schiller die Wirkungen schauen, die durch den Umlauf der Sonne um die Erde und durch eine Be- wegung der Erde um jene entstehen. So wie sie selbst erkannten, dass die Wirkungen vollkommen die gleichen seien, fabrten wit sie eben so anschaulich zur Ueberzeugung, dass der Umlauf des einzigen Erdballs im Jahreslauf viel leichter und Gottes Waltea wirdiger sei, als der Umlauf des gesammten Weltbaues um die kJeine Erde. Um dieses anschaulich zu machen, bewegten wir erst ein Licht, als Sonne, um die Kugel, als’ Erde. Wir liessen dabei die Schiiler beobachten und Schritt fir Schritt angeben, welche Wirkungen das Licht auf der Kugel hervorbringe, in wel- cher Lage Licht und Kugel sich gegenseitig erscheinen. Des Gleiche liessen wir sie beobachten und angeben, da wir nun das Licht in die Mitte des Tisches stellten und die Kugel um das-. selbe in moglichst kreisférmiger Entfernung bewegten. Am Ende, da sich genau die gleichen Wirkungen ergaben, da das Licht, als Sonne, von der Erde aus beobachtet und die Kugel als Erde von dem Lichte aus, genau durch die gleichen Himmelszeichen, dic wir ebenfalls auf der Tafel anbrachten, in bestimmter Folge erschienen, wie sie die mathematische Geographie angibt, liessen wir sie selbst folgern, welches glaubwiirdiger, ja nothwendiger sei, der Lauf aller Weltkorper um die Erde, oder der Erde um

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die Sonne. Die Kugel liessen wir aber bei all diesen Bewegun- gen bestindig in senkrechter Stellung. Dann liessen wir die Schiller die Wirkungen des jahrlichen Umlaufs der Erde um die Sonne betrachten. Um dieses méglich zu machen, bedurfien wir vor allem einer Bahn, in welcher die Kugel zu laufen genéthigt war, um die bestimmteste Ordnung und unveranderlichste Folge im Gang der Erscheinungen zu erhalten. Wir bildeten eine solche und ver- vollkommneten sie nach und nach, so. dass die tagliche Rotation wahrend des Umlaufes der Erde ‘gleichzeitig stattfinden konnte, jedoch yorerst bloss mit bestindig senkrechter Axenstellung der Kugel. So schon bildete sich der wesentlichste Theil des wandeln- den Globus. Ausserhalb ihrer Flache bildeten wir einen Kreis. im 12 Theile getheilt, jeder 30.Grade enthaltend, uml gaben jedem. den gewéhnlichen Namen, der im Zodiakus vorkémmt. Dann stellten wir das Licht als Sonne ip die Mitte, die Kugel sber auf den Punkt der Bahn, in welchem das Licht von der Kygel aus gesehen im Zeichen des Widders, die Erde oder: die Kugel aber yom Licht, als Sonne, aus beobachtet im Zeichen ler Waage erschien. Als leitende Linie zur Auffindung der Wesentlichsten Wirkungen, welche der senkrechte Sonnen- Strahl andeutet, wurde eine Licht- oder Schattenlinie um das Licht angebracht. Die Schiiler fanden, dass derselbe auf dem Punkte, auf den wir die Kugel gestellt, genau auf den Gleicher des Globus oder der Kugel fiel. Wir machten hier die Schiller auf den Sonnenstand aufmerksam, der iiber dem Aequator 90° betrug und liessen sie denjenigen der 89 iibrigen Grade bis zu beiden Polen ableiten; eben so den Einfallswinkel, der auf dem Aequator 0 war, aber mit jedem der iibrigen Grade um einen Grad grésser wurde und endlich selbst die bestinmte Summne Warme ausmitteln, die sich auf jedem ergeben diirfte. Nun erst bewegten wir die Kugel auf ihrer Bahn, liessen die Schiiler vestandig,. wihrend der ganzen Umlaufszeit, den senkrechten 3onnenstrahl beobachten, nach ihm den Sonnenstand, ‘Einfalls-

winkel und Warmegrad auf allen Gradgiirteln wiederholend an- .

geben. Sie fanden, dass er bestandig wabrend des ganzen Um- aufs auf den Aequator falle, und dass mithin bei dieser Axen- stellung, jeder Grad yvollkommen gleichen Sonnen- stand, Einfallswinkel und Warme erhalten miisste, auch

Fage.und Nachte immer gleich lange bleiben wir-. - 17*

252 °

den. Eben_so wurden sie durch eigene Anschauung iiberzeugt,, dass das Licht oder die Sonne von der Kugel oder Erde vorm “Lichte aus beobachtet von Sternzeichen zu Sternzeichen vorrtickes und also in allen und durch alle gehend gesehen werde. Endlicl fanden sie noch, dass bei der senkrechten Axenstellung der Erd © bei solchem jahrlichen Umlauf die nérdlichsten und siidlichstey, Gradgiirtel der Erde aus Mangel an Warme, wenn auch nickag ganz yor Kilte erstarren, doch unfruchtbar und unbewoh wp. bar blieben, dass diejentgen um den Aequator durch zu anhal- tende Hitze austrocknen und ebenfalls unbewohnbar wiirden. Als wir nachher das Licht, als Sonne, in die Bahn, die Kugel als Erde dagegen in die Mitte stellten, und das Licht auf gleicher Beha um die Kugel bewégten, ergaben sich yollkommen die gleichea Resultate. -

7. Unsre Versuche mit der schiefgestellten Erdare.

Noch mangelten uns die Wende- und Polarkreise; wir fa- den in dieser Axenstellung weder ungleiche Tageslange noch verschiedene Jahreszeiten mit ihren Wirkungen-- Diese aufzusuchen und mit ibren Ursachen selbst den Schilerm anschaulich zu machen, war also die vierte Hauptaufgabe. Wir gaben zuerst der Bahn die schiefe Richtung gegen die Ebene des Aequators der Kugel oder Erde. Wir fanden indessen bald, dass dieser Versuch auf unserer Maschine nicht méglich sei. Da wit die Wirkungen der senkrechten Axenstellung bereits kannten, die Stellung der Bahn selbst nicht zu andern vermochten, so nabmen wir zur schiefen Stellung der Axe unsre Zuflucht, um unsre Schiller von dieser aus die Wirkungen derselben schauen und angeben zu lassen. Natiirlich gaben wir ihr die Neigung: von 231, Graden, welche man der Erdbabn zuschreibt und fingen an, die Kugel auf der Exdbahn fortzuschieben, nur hielten wir die Axe, so gut méglich, in bestindig gleicher Richtung gegen Norden.

Sobald wir die Kugel auf ihrer Bahn auf diese Weise fort- bewegten, zeigten sich sogleich ganz andere Resultate als die friiheren und zwar auch ganz die gleichen, welche der schiefen Stellung der Erdbahn zugeschrieben- werden. Der.senkrechte Sonnenstrahl fiel im ersten Viertel des Umlaufes auf die nérdlichen Breitengrade bis auf den 23'/,°, im zweiten Viertel durchlief er riickwarts alle 231/, nérdlichen Grade, bis er wieder auf den Aequator fiel. In dem dritten Theile ihrer Bahn riickte

259 ' der senkreclite Sonnenstrahl auf die 2314, dem Aequator zunichst liegenden siidlichen Grade vor, in dem vierten Theil ihres Um- Jaufes dann wieder riickwarts. Es entstund, wie die mathema- tische Erdbeschreibung es der schiefen Erd- oder Sonnenbahn suschreibt, ein wechselnder Sannenstand, Einfallswinkel, Wirmegrad, Tageslinge, fir jeden einzelnen Ort und Grad, es entstunden auch Jahreszeiten und Zonen; selbst die Bildung des Thierkreises, und das Wandeln yon Sonne und Erde durch seine Grade oder Zeichen zeigte sich. Diese Er- scheinung fiel uns billig auf, da wir nicht der Erdbahn, sondern der Erdaxe eine andere Richtung gegeben, Erde oder Kugel, so wie das Licht, als Sonne, ihre Ebene vollkommen beibehalten hatten, ohne gegen Norden. oder Siiden im_Geringsten abzuwei- chen. Wie konnte denn der senkrechte Sonnenstrahl auf solche Weise abweichen? Es fiihrte dieses uns natiirlich auf die Ver- muthung, dass auch die Schiefe der Erdbahn nur scheinbar sei? Natirlich lag unos daran, hieriiber ins Reine zu kommen: ‘Die Grande 2u dieser Vermuthung waren folgende: |

a. Bei der senkrechten Stellung der Erdaxe blieb die Ebene der Erdbahn wibrend des ganzen Umlaufs der Kugel bestandig in gleicher Richtung mit der Ebene des Aequators' und der senk-- rechte Sonnenstrahl fiel whverdndert auf den Aequator und alle Breitengrade behielten gleichen Sonnenstand, gleiche Warme und Tageslange bei.

b. Wir hatten nicht die Erdbahn, sondern die Axe der Erde Schief gestellt; dadurch war diese, nicht aber jene schief gewor- den, die Ebene des Gleichers, nicht die der Erdbahn hatte ihre Richtung gegen jene verandert. Die Schiefe der Erdbahn muss also bloss die scheinbare, nicht die wahre Ursache des ab- Weichenden Sonnenstandes , Warmegrades, der ungleichen Tages- . lange und Jahreszeiten sein. Unser wandelnde Globus setzt diess Ausser allen Zweifel.

c. Als wir den Ursachen dieser Veriinderungen nachforsch- ten, fanden wir noch einen andern und. wohl den wahren und Wiehtigsten Grand derselben. Nach Versuchen mancher Art hielten wir auch die Axe, auf der die Kugel stand, in allen Richtungen gegen das Licht zu- and abgeneigt. Bald zeigten uns die Zeichen- linten des senkrechten Sonnenstrahls Resultate, die uns nicht wenig tiberraschten. Es zeigte sich, dass der senkrechte Sonnen- : strabl, sobald sich der Nardpol gegen das Licht, als Sonne,

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neigte, tiber den Aequator hinaus nach Norden, auf einen Punk: nach dem andern fiel, sobald wir aber der Axe wieder cing riickwarts gehende Richtung gaben, fiel er wieder eben so riche warts yon einem auf den andern, bis zum und auf den Aequatay Vollkommen das Gleiche geschah sfidlich vom Aequator, wer, die Neigung der Axe die Grade. siidlicher Breite dem senkrechten Sonnenstrah! gerade gegeniiber. stellte.

Uns schien es ausgemachte Sache, dass es auf diese Weise kein Abweichen von Sonne oder Erde iiber dem Aequator be- dirfe, um die senkrechten Sonnenstrahlen zweimal auf die Grade der heissen Zone fallen zu machen; ausgemacht, dass auch die schiefe Lage der Erdbahn eine bloss scheinbare sei und des einzig die schiefe Axenstellung mit einer Neigung von 23'/,° ud eine bestindige Richtung nach Norden, die wahre Ursache aller obgenannten Veranderungen sei. Am sichersten erprobte sick. das Alles auf unserer Maschine, so wie wir einmal gefundex= hatten die Erdaxe in bestaéndiger Richtung nach Norden za er— halten, obne Veranderungen in der Erd- und Sonnenstellmgs zu einander, ohne Veranderung in der Bahn wahrend des Un— laufs einzig durch die Schiefstellung der Erdaxe; dennoch fe® der senkrechte Sonnenstrahl auf alle 23'/,° nérdlich. und sidlicht vom Aequator genau so, wie sie die mathematische Erdkunio von der Schiefe der Erdbahn aus beschreibt. Der ganze Unter- schied der Sache liegt also nach unserer Ansicht bloss in der Zu- oder Abneigung der Axe gegen den Aequator. Es entstand also das Bediirfniss ein Mittel zu finden, das diese Axenstellung mit bestandiger Richtung nach Norden méglich mache. Nach langem Suchen gelang es uns dasselbe zu finden. Unser wandeln- der Globus wird es darstellen und besser als unser Wort dat- thun, ob uns unsre Anschauungsmittel auf die rechte oder auf eine Irrbabn geleitet haben. Wiirde man uns das Letztere eben so klar machen, als wir unsre Ansicht, so werden wir uns gerne belehren lassen, ohne zu streiten. Wir verkindigten ja nu, was unsre Augen gesehen haben.

d. Das oben Gesagte aber bestatigen auch die Wirkungen, welche aus der angegebenen schiefen Axenstellung und ihrer Richtung nach Norden sich ergaben. Damit fir die Schiler keine Uchberladung erfolge, sind wir gendthigt, die Resultate theilweise aufoehmen xu lassen, mithin den Umlauf der Erde um die Sonne mehrere Male zu wiederholen.

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Hier wie bei der senkrechten Axenstellung bedienten wir uns als des vorziiglichsten Anschauungsmittels der oben bemerk- ten Vorrichtung, welche den senkrechten Sonnenstrabl anzeigt, um alle wesentlichen Aufgaben zu lésen.

Wir stellten die Kugel abermals auf den Punkt der Erd- bahm, auf dem sie und die Sonne den 21. Marz erscheinen. Die

Schiiler liessen wir angeben, in welchen Zeichen des Thierkreises Sonne und Erde gesehen werden, wohin der senkrechte Sonnen-

strah! falle, welchen Sonnenstand und welche Tageslange man in diesem Augenblicke auf allen Breitegiirteln besitzt u. s. w.

- Khe wir die Kugel auf ihrer Bahn fortriickten, forderten wir die Schiiler auf, auf jede, auch auf die kleinste Verinderung, aber besonders auf Licht und Schatten, genau zu achten tind unsre Fragen zu beantworten.

Nun bewegten wir die Kugel auf ihrer Bahn von Osten nach ' Westen vorwarts und fragten, welche Veranderung sie am senk-

rechten Sonnenstrahl, an der Neigung der Axe, der Licht- und Schattenlinie oder der Tageslinge bemerkten. Sie fanden, der Senkrechte Sonnenstrahl falle senkrecht ndrdlich vom Aequator ;

_ Gie Axe neige sich gegen den Aequator, am Nordpol gehe das Licht, am Siidpol der Schatten eben so weit ‘tiber die Axenlinie hinaus, als der senkrechte Sonnenstrah! fiber den Aequator vor- | Tiicke, auf den nérdlichen Breitengraden seien die Tage schon ttwas linger, auf den siidlichen etwas kirzer geworden. Natiir- lich leiteten wir sie so, dass sie auch die Ursachen dieser Er- scheinungen finden und angeben mussten. Sie fanden auf diese Weise, dass die Annaherung des nérdlichen Theils dieser Axe gegen den Aequator, und die Abweichung der siidlichen Hilfte derselben die nérdlichen Breitengrade dem senkrechten Sonnen- strahl so gegeniiberstelle, dass er auf sie fallen miisse, und also von den siidlichen immer mehr abweiche, dass dieselbe Neigung der Axe die nérdliche und siidliche Abweichung’ von der Licht- und Schattenlinie verursache, so dass diese schon eine schiefe Linie fiber die Erde als Kugel bilde und dadurch nicht bloss eine ungleiche Tageslange, sondern um den Nordpol einen bestindigen Tag, auf dem Siidpol dagegen eine bestandige Nacht bewirke, weil dort die Sonne nicht mehr untergehe, hier nicht aufgehe. Da mit dem Fortriicken der Kugel sich immer diese Erscheinungen wiederholtén, weil der Sonnenstrahl nach und nach alle bis auf dén 23. Grad. senkrecht beschien, die Grade

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um den Nordpol eben so viele Grade ins Licht; um den Siidpo” dagegen eben so weit in Schatten ibergingen und endlich dig Licht- und Schattengranze eine so schiefe Linie ber die Kuge= bildete, dass die Nordhalfte der Kugel immer lingere, die Sidy halfte aber immer kirzere Tage erhielt, so liessen Wir die Schile fortwabhrend auch die Ursachen derselben wiederholend angebew Sie fanden sie alle in der nérdlich allmahligen Annaherung dee Axe gegen den Gleicher, und siidlich in ihrer Abweichung von ihury _ Auf einmal bemerkten die Schiiler, dass der senkrechte. Sag, nenstrahl immer Jangsamer, zuletzt gar nicht mebr gegen Nordie; vorriickte, sondern still zu stehen schien, ja sogar, wenn wis die Kugel weiter zu bewegen anfingen, schon wieder gegen Sider zuriickkehrte. Wir nannten den Punkt, wo das Vorriicken aufhirte, den Stillstandspunkt der Sonne, oder das ndérdliche Solstitium, siidlich, wo das Gleiche geschah, das siidliche Solstitium, zugleich den Wendepunkt des senkrechten Sonnenstrables; liessen die Schiiler ein zeichnendes Stift auf diesen Punkt fest anhalten, und drehten, wahrend dieses geschah, die Kugel um . ihre Axe und es bildete sich: der nirdliche Wendekreis; das Gleiche thaten wir auf der Lichtgranze um den Nordpol und es entstand der nérdliche Polarkreis; auf der Siidseite aber, auf der dussersten Schattengranze, der sidliche Polarkreis im Kartennetz. Die Schiler sahen hier auf der Kugel fir alle Breitengrade der Nordhilfte der Kugel den lingsten, auf _ denen der Siidhilfte den kiirzesten Tag eingetreten. Fiir die Polargegenden aber machten wir ihnen” bemerklich, dass die -pérdliche die Mitte ihres langen Tages, also ihren Mittag, die 23Y, Grade um den Siidpol die Mitfe ihrer angen Nacht oder die Mitternacht erreicht hatten.

Auf dem zweiten Viertel des Erdumlaufs, als wir die Kugel ‘diese Bahn durchlaufen liessen, verfuhren wir auf gleiche Weise. So wie die senkrechten Sonnenstrahlen riickwiarts auf einen Grad nach dem andern fielen, liessen wir sie abermals angeben, was mit der Axe, der Licht- und Schattenlinie, der Tageslange und um die Pole: geschah und fortwahrend die Ursachen der neuen Erscheinungen angeben, bis der senkrechte Sonnenstrehl wieder auf den Aequator fiel, die Sonne im Zeichen der Wage, die Erde, von der Sonne aus gesehen im Zeichen des Widders erschien, alle Breitengrade Tag- und Nachtgleiche, Aequi- noctium, die nérdlichen Polargegenden das Ende ihres

?

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lengen Tages, und den Anfang ihrer langen Nacht, die siidlichen dagegen das Ende ihrer langen Nacht und den An- fang ihres langen Tages erhielten, wenn schon nicht gerade gleichzeitig. -

Auf dem dritten Viertel des Umlaufs bemerkten die Schiiler

genau alle Erscheinungen auf der Siidhalfte der Kugel, die sie |

fir die Nordbalfte im ersten Theile des Umlaufs angeschaut hat- ten und bewiesen das Enf{stehen derselben mit den gleichen Ursachen , jedoch in umgekehrtem Verhiltniss der Neigung des sidlichen Theils der Axe, bis der senkrechte Sonnenstrahl iiber dem 231/, Grad siidlicher Breite ebenfalls still zu stehen schien, als im siidlichen Solstitium. Hier bemerkten die Schiiler aber- mals die, Axe der Erde um 23'/, Grad gegen den Aequator ge- neigt, die schiefe Licht- und Schattenlinie, die den siidlichen Graden den langsten, den nérdlichen den kiirzesten Tag,

und den Graden um den Siidpol ihren Mittag, denen um —.

4

den Nordpol aber ihre Mitternacht bilde. Wir lassen hier

am siidlichen Stillstandspunkt die Schiller durch dds Festhalten

des zeichnenden Stiftes, mit Drehung der. Kugel, den siidlichen

Wendokreis. bilden und mit ihm das Kartennetz vollstindig érgénzen.

Die gleiche Behandlung trat t jetzt, de der senkrechte Sonnen- Strahl wieder gegen den Gleicber auf den vierten Theil des Um- laufs rickte, wie auf dem zweiten, doch hier auf der Siidseite der Kugel ein, bis er wieder auf den Aequator fiel und Tages- und Nachigleiche wie im Anfang bewirkte.

.Im zweiten Umlauf der Kugel sollen die Schiiler den Weehseladen Sonnenstand, Einfallswinkel und Warmegrad der Breitengrade durch die gchiefe Axenstellumg veranlasst, wie bei

Ger senkrechten Axenstellung, den mittleren, aufsuchen und an--

@eben lernen.

Vom Erfahrungssatze ausgehend, dass von dem Grade an,

auf welchen der senkrechte Sonnenstrahl fallt, jeder nérdlich oder siidlich liegende einen hdheren oder tieferen Sonnenstand, - Warmegrad hat, liessen wir die Schiller nun fir jeden Breitegrad- Giirtel den héchsten und tiefsten Stand der Sonne, den kleinsten und gréssten Einfallswinkel und Warmegrad-suchen. und angeben, was ibneo um so leichter wurde, da sie das Medium von beiden bereits zu suchen und zu finden gewohnt waren.

Den dritten Umlauf benulsten wir dazu, die Schiller

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das Entstehen und die Dauer der mathematischen unm, klimatischen Jahreszeiten finden und bestimmen su lassew- Schon bei der senkrechten Axenstellung hatten sie den mittlea-, Sonnen- und Warmestand der Breitengrade kennen gelernt, Dey erste Umlauf der Kugel machte sie mit der ungleichen Tageg. linge, und der zweite mit dem tiefsten und hiéchsten Grade von Sonnenstand und Warme derselben bekannt. Lernten sie noch den Zuwachs oder die Abnahme von Warme kennen, wel- ches durch Linge oder Kiirze der Tage bewirkt wird, so musste ihnen leicht werden, auch die Entstehung und Wirkungen der Jahreszeiten und ibre Dauer kennen and angeben zu lernen. In Beziehung auf den Zusatz und Verlust der Warme, den die Tages— lange verursacht, konnten wir bloss einen allgemeinen Maassstal> fir die gemiassigte Zone angeben, wenn wir auf jede Stunde> lingern Tages einen Grad mehr Warme ansetzen und umgekehrt = was freilich fir die heissen und kalten Zonen besonderer Yer—— haltnisse wegen nicht passend ist. Indessen bestimmt dicsemm® Umstand die Jahreszeiten nicht wesentlich. |

Zuerst liessen wir die mathematischen Jahreszeitemm™ bestimmen. Wir .bewegten die Kugel abermals yom Standpunktes™ des 21. Marz aus und liessen die Schiller wieder angeben, wo— hin der senkrechte Sonnenstrahl falle und bis zu welchem Grade das geschehen wiirde. Da die Schiller wussten, dass es bis zum Solstitialpunkt geschehe, bemerkten sie bald, ob dadurch die Warme zu-oder abnehme, und dass mit solcher Zunalme von Warme auch das Wachsthum beginne, und dass sich die Jahreszeit bilde, welche man den Friihling nennt. Sie fanden selbst, dass der Friihlingsanfang auf der Nordhilfte der Erde, mit dem Uebertritt des senkrechten Sonnenstandes iiber den Aequator nach Norden (21. Marz) eintrete, das Friihlingsende auf den Tag, da der senkrechte -‘Sonnenstand nach Norden zu steigen aufhére, also in den Sonnenstillstandspunkt falle (21. Juni.) Sie fanden, dass mit dem -héchsten Sonnenstand auch die héchste _und anhaltende, die reifende Wiarme eintrete, erkannten darin fir die nérdlichen Grade den Sommer. Der Sommersanfang fiel mit dem Friihlingsende zusammen, er dauert fort, wabrend der senkrechte Sonnenstrahl wieder gegen den Aequator zuriick- kehrte, allmahlig wieder abnehmend bis (23. Sept.) auf die Zeit des Aequinoctiums. wo er wieder senkrecht tiber dem Gleicher steht. Hier fiel fiir die nérdlichen Grade das Sommersende

259

und der Anfang von abnehmender Warme ein, oder der Herbst. Das Ende des ndérdlichen Sommers fiel nicht bloss mit dem Herbstanfange desselben, sondern auch mit dem Frihlings- anfang fir die siidliche Halbkugel zusammen, weil der senkrechte ‘Sonnenistrahl jetzt ebenfalls bis auf den 23'/, Grad vorriickte und dort den Friéhling bildete. Das Frihlingsende trat daher ein, so wie die Sonne abermals, aber in das siidliche Solstitium gestiegen war (21. Dez.). Wihrend den nérdlichen Graden jetzt Wirme und Wachsthum mangelten, und ihr Herbstende und ihren Win- tersanfang hatten, erhielten die siidlichen ihr Frihlingsende, und den Anfang ihrer héchsten Warme oder des Sommers. Die ‘Schiller sahen jetzt den senkrechten Sonnenstrahl wieder gegen den Aequator zuriickkehren und endlich abermals auf den Gleicher fallen und das siidliche Sommersende und den Herbstanfang an den Friihlingsanfang des Nordens sich ankniipfen (21. Marz). In der Behandlingsweise liessen wir jedesmal die Schiiler Jahres- zeit, ihren Anfang und ihr Ende selbst suchen, ihre Ursachen angeben, wahrend sie fortwihrend anzugeben hatten, welche _ Jehreszeiten auf der entgegengesetzten Kugelhilfte anfingen und endeten. Unsre Schiffer sahen mithin die mathematischen Jahres- zeiten, selbstthatig, entstehen und miteinander wechseln. =

Dass es aber neben den mathemathisches auch klimati- .

8che Jahreszeiten gebe, muss jedem einleuchten, der da Weiss, wie ungleich der Anfang des Wachsthums eintrete, je ent-. fernter ein Breitegrad vom Aequator absteht, z. B. in Spanien, Kalien, Norddeutschland, Norwegen, Petersburg u. 8. w. und wie Viel friher Herbst und Winter sich einstellten. Offenbar hingt Steigendes und sinkendes Wachsthum, von einem .bestimmten W drmegrad, dieser aber von einem bestimmten Sonnenstand, Physische Beschaffenheit abgerechnet, ab.

Die Erfahrung zeigt, dass das eigentliche Wachsthum erst beginnt, wenn der Wiarmegrad 5'/,° R. betrigt und dieser erst Cintritt, wenn der Sonnestand oder der Einfallswinkel -43° betrigt. Es kénnte mithin -das Wachsthum z. B. auf dem 60° NB. in Petersburg erst eintreten, wenn der senkrechte Sonnen- Strahl auf den 13° nérdlich fallt, oder etwa 50—52 Tage spiter, Was auf die erste Woche Mai fallt, und. was auch wirklich der Fall ist. Eben so tritt auch die, kaltere Jahreszeit friher ein, Weil die Sonnenstrablen tiberhaupt schief fallen und der Sommer

-

nicht bloss durch die Hohe des Sonnenstandes allein, sonder mehr dureh die Lange des Tages bewirkt wird.

Wir gaben daher den Schiilern folgenden ungefahren Maasa stab der Beurtheilung in die Hand, dass wir sagten, der Ein- tritt des -wahren Frihlings beginne mit ungefabr 5'/,° derjenige des wahbren Sommers mit 164, des wahre. Herbstes mit blass noch 11° und derjenige des klimatische Winters mit einer Wirme, welche unter 51/,° sinke. Da Steigen und Fallen der Wirme um einen Grad setzten wir ay 4 Tage, oder etwas weniger an. Sie fanden, dass der 43s% Breitengrad mit dem 21. Marz die wahre Friblingswarme erhalte der 44ste Grad um 4 Tage spater oder den 25. Marz u. 8. w Da der klimatische Sommer mit dem langsten Tag oder dem hdchsten Sonnenstand beginnen muss, weil die Warme. von da an wieder abnimmt, so fanden die Schiller leicht, dass jeder nord- lich liegende Grad auch einen, um die dem Abstand angemessene Zabl von Tagen, kiirzern Frihling erhalte, so dass nach obigem Maassstab der 60° einen Frébling von nur 39 Tagen _erhielte. Unsre Schiiler hatten daher yon Grad zu Grad, vom 43° néré licher: und .siidlicher Breite an zu bestimmen, um wie viele Tage spater der klimatische Frihling desselben und an welchem Tage er eintreten miisse, so auch wie lange er daure. Sie hatten es jedesmal yom Sonnenstand und dem mittleren Warmegrad aus zu beweisen. Auf gleiche Weise hatten sie auch den Eintritt des klimatischen Herbstes, der mit dem kiirzesten Tage endet, auszumitteln und anzugeben. Wie sehr solche Einsicht eine Menge Naturerscheinungen beleuchtet und eine richtige Beur- theilung der Lander méglich macht, darf nicht erst gesagt werden.

Endlich liessen wir die Schiller auch die Zonen aufsuchen, in welche man gewohnlich die Erde in mathematischer Hinsieht eintheilt. Erst wurde die heisse Zone gusgemittelt, und in den 47 Graden gefunden, unter welchen der Sonnenstrahl zweimal im Jahre senkrecht fallt. Diese wurde eingetheilt in die 231/, Grade nérdlich vom Aequator und die 23, Grade siidlich von dem selben, also in die nérdliche und siidliche Tropenzone mit ihren Tropenjabreszeiten, ‘deren Ursachen wir sie kennen lehrten. Die gemissigte fanden sie zwischen den nérdliches und siidlichen Wende- und Polarkreisen, denen die Sonne nié senkrecht. stand, aber auch nie ganz unterging. Die kalten Zonen endlich fanden sie in den Graden um die Pole, denen die Sonne

f ,

261: ein halbes Jahr, oder doch Monate und Tage lang nie mehr. auf- oder unterging, wovon sie die Ursachen schon hatten ken- nen lernen.

- Eine Eintheilung von den Jahreszeiten und Zonen aus in Girtel des ewigen Sommers, des ewigen Winters und - Frahlings, denn Gtrtel des Sommers,» Friblings und Herbstes U.s.w. tibergehen wir des Raumes wegen und weil sie in der Anschauangslehre selbst vorkommen wird.

- 8. Uebersicht. dér mathematisch- geographischen Anschauungslebhre. .

Aus diesem Suchen und Versuchen gingen zwei uns nicht unwichtig scheinende Resultate hervor. Das erste ist eine An- schauungsliehre der mathematischen Geographie, die bisher. in dieser Art und Weise fiir Schulen yon 9—12 Jahren Siozlich mangelte. Das zweite ist das Anschauungsmittel selbst, das jedes Resultat vollstindig darstellt und den Schiller. unter geringer Nachhiilfe selbst finden und angeben lasst, was er aufzunehmen. hat. Es ist der wandelnde Globus, welcher alle obigen Elementar-Anschauungen méglich’macht.

-Die Methode, die wir in demselben befolgten, diirfen wir:

- als bewahrt angeben, weil sie uns selbst und unsre Schiiler

zur Klarheit fihrte. Sie gibt den Gang an, den wir selbst uns Suchten, um zur Wahrheit zu gelangen. Es ist die gleiche, -Welche wir, obschon modifizirt, unserm Horizont- * und Karten- Endpunkt * zum Grund legten. Hier wie dort setzen wir in das Selbstanschauen, Selbstsuchen und -Finden und Selbstverarbeiten und -Anwenden den eigentlichen Werth unsrer Lehre.

Die Erscheinung dieses Werkes wird bald Offentlich ange- kiindigt werden. Es mag auch obne unsern wandelnden Globus rscheinen, weil wir dafiir sorgten,: dass die Aufgabe auch ohne diesen durch die Benutzung anderer angegebenen Anschauungs-

' Mittel, welche in jedes Lehrers Hand. licgen, gelést werden

Mége, obschon nicht so schnell und weniger vollkommen. Der wandelnde. Globus bleibt immer ein Hauptresultat Unsers Forschens. Wir haben schon bemerkt, dass besonders die Behandlung des Buchs der Miitter in der Pestalozzi’schen Anstalt uns zur Leuchte durch das dunkle Thal unsers geogra-

Phischen’: Suchens wurde; wie das Leblose, Unbewegliche ins —__

* Pad, Revae Bd. I und II.

262

Auge gefasst werden miisse durch ein vielseitiges Anschauen_ seines Wesens, aber auch das organisch Belebte yon, seinema Thun aus. Wir sahen darin, dass die mathematische Erdkunde= auch von raumlichen Anschauungen aus entstanden sei, jedocky von Anschauungen, denen Bewegliches, gleichsam Lebendigeas, zum Grunde lage. So entstand unser Globus und wurde durcl, sein Wandeln und Bewegen gleichsam ein lebendiger, ein lebery_ dig machender. Er lebt, weil er sich bewegt und lebendigeg Anschauung erweckt; er lehrt, weil er erklart, was bisher-deyy Kinde nur vorgesagt wurde. Er macht durch seine Bewegung Ver. haltnisse anschaulich und lasst Wirkungen vor Lehrenden und Lernenden entstehen, dass blind sein miisste, wer sie nicht zy sehen vermichte, sobald das Mittel gehorig behandelt und geistig entfaltend benutzt wird. Durch seine Einfachheit und weisen Gebrauch wird er selbst im Munde der Unmiindigen dem Schipfer der Erde ein heiliges Lob bereiten und im Volke ein Licht an- ziinden iiber das Schaffen und Walten Gottes auf seiner Erde. Sobald sich uns eine schickliche Gelegenheit darbietet, soll der

‘Globus erscheinen.

Wie noch vor wenigen Jahren manche Schulen beschaffen waren. Erinnerungen aus meinem Schiiler- und Lehrerleben.

Von *

I Mein Schilerleben.

Betrachtet man die staunenerregenden Fortschritte , welche mit allem Uebrigen auch die Padagogik und Didaktik in den. letsten Decennien gemacht haben, so richtet man gern den Blick rickwirts auf die fritheren Zeiten; denn es stellt sich dann durch den Gegensatz um so mebr heraus, wie unermesslich der Ab- stand des Jetzigen und des Friiheren ist. Da mein Leben reich ~ ist an mancherlei Erfahrungen, die ich als Schiiler und Lehrer in verschiedenen Provinzen des deutschen Vaterlandes zu machen - Gelegenheit gehabt habe, so glaube ich, den verehrten Lesern dieser Blatter keinen unerwiinschten Dienst zu leisten, wenn ich. dieses Leben in seinen: Umrissen der strengsten Wahrheit gemass schildere. -Dabei verschweige ich - sowohl meinen. eigenen, .als die Namen Derer, welche in dasselbe verkniipft Waren, weil die meisten noch jetzt leben.

Geboren in einem kleinen Dorfe Thiiringens zu Anfange “dieses Jahrhunderts, wurde ich von meinem Vater, dessen ein- ziges Kind ich war, um so sorgfaltiger -unterrichtet, je weniger ihm das Predigtamt, welches er bekleidete, Arbeit machte. Ein so biederer, braver Mann mein Vater auch war und so lange er auch als Hauslehrer besonders in Nordwestdeutschland gelebt hatte, 80 wenig war er doch zum Lehrer geeignet. Wie die meisten P tediger des mittlern Thiiringens, erhielt er wenig Notiz von den Bewegungen der dussern Welt; die der Wissenschaft blieben ihm ganz und gar fremd, da eines Theils in einem Umkreise. YOn mehreren Meilen nicht einmal ein Journalcirkel bestand, 4ndern Theils aber die Einnahme seiner Stelle so gering war, dass, so weit ich mich erinnere, nie ein neues Buch iiber die Schwelle unseres Hauses kam. Selbst die deutschen Classiker fehiten, und dass Schiller, G6the und Herder in dem nur wenige Meilen entfernten Weimar gelebt hatten oder noch lebten, das

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erfubr ich erst mebrere Jahre nachher, als ich das viterliche Haus verlassen hatte. Uebrigens besass mein Vater eine sehi bedeutende Bibliothek, die zum Theil vom Vater auf den Sohu durch eine lange Reihe von Jahren war vererbt worden: - alle meine Vorfahren nimlich waren vom dreissigjahrigen Kriege ar Prediger gewesen. Daher bestand diese Bibliothek grésstentheilt aus Altern theologischen Schriften; von den verhiltnissmassig neuern fand sich nur Einiges: aus der Bahrdt’schen Periode. Dic ganze Thatigkeit meines Vaters war nun getheilt zwischen den Studium dieser Biicher, meinem Unterrichte und der Oekonomie, die er observanzmissig betreiben musste, 80- ‘wenlg er far die- selbe eingenommen zu sein schien.

Der Unterricht, den ich empfing, wurde seh? vegolmbsil ertheilt. Im Lateinischen musste ich die Formen aus einer alten Grammatik ohne Titelblatt erlernen; daneben wurde Gedike’s Lese- buch durchgenommen. Im Griechischen beschiftigte mich die Hallo’sche Grammatik nebst Gedike’s Lesebuche. Im Franzdsischen war es Peplier’s Grammatik und ebenfalls das Lesebuch ron Gedike. Nachdem ich so durch anhaltendes Uebersetzen in die Muttersprache, ohne der Formen sicher zu sein und ohne von der Syntax irgend etwas gehért zu haben, war getibt worden, kam ich, kaum 10 Jahre alt, auf die Schule des benachbarten Stidtchens, welcher damals ein Mann vorstand, der spater als Schriftsteller eine bedeutende Celebritaét erlangt hat. Nach der eigenthiimlichen Einrichtung dieser Schule vereinigte die Prima beinahe Alles yon den ersten Elementen bis zum Abgange sur Universitat. Ein grosser Theil der Schiller benutzte sie auch als Schullehrerseminar. Obgleich nun die Schule fanf Classen ziblte, so hérte man diese doch kaum nennen ausser der Prima. Wab- rend des Zeitraums yon dritthalb Jahren, die ich dort za- brachte, ist mir nicht ein einziger Fall vorgekommen, dass eit Knabe oder Jiingling, der von auswarts auf die Schule gebracht wurde, in eine andere’ Classe, als in die Prima ware gesetst worden; ja es wiirde bei dieser Observanz mehr als ehrenrihrig gewesen sein, ware diess mit -irgend einem geschehen. Hieraus wird nun klar, wie ausserordentlich verschieden die Schiller dieser Prima waren. Da gab es biartige Lette von 35 bis 40 Jahren, die nach einem Schullehrerdienste auf dem Lande seuft- ten, wihrend sie jeden Morgen gendthigt waren, mit dem ganzen— Coelus Gedike’s Lesebuch za exponiren; es gab aber auch Knaben

265 .

von 9 bis 12 Jahren, die mensa und runre lernten, vor dessen Passiv sie sich firchteten, wenn sie es praktisch empfanden; endlich waren Jiinglinge jedes Alters da, und es glich diese Prima in ibrer -bunten Mischung und in ihrer Stirke von 40 bis 50 Schilern einem Jahrmarkte, auf dem sich allerlei Leute durcheinander dringen, ohne dass in diesem Gedringe jeder ein- selne klar weiss, wesshalb. Zu gleicher Zeit wurden Cicero und Livius, Phadras und Horaz, Tacitus und Eutrop tractirt; im Griechischen, dem wéchentlich nur 2 Stunden bestimmt waren, ging es Selten fiber den Gedicke hinaus; einmal nur erinnere ich mich, dass die Iliade vorgenommen wurde. _ Welch ein Unterricht fand da Statt! Jeder Schiller musste laglich eine yon ihm selbst gewahlte Regel zuerst aus der kleinen, dann, nach Beendigung derselben, aus der grossen Bréder’schen Grammatik hersagen. Die Praparation wurde nach Yinem nach und nach entstandenen und systematisch durchgebildeten Ritus 80 betrieben, dass daraus auch gar kein Nutzen geschépft wer- den konnte. Jeder Schiiler nimlich schrieb sich eine beliebige - - Anzahl von Vocabeln. iiber das bestimmte Pensum auf, doch so, dass er in Zwischenraumen, die nach Erforderniss bald grésser, bald kleiner waren, ihre Zahl yerringerte. Hatte z. B. ein Schiiler bei seinem Eintritt.in die Schule begonnen,’ etwa 20 Vocabeln zu schreiben, so schrieb er deren nach Verlauf eines Jahres etwa _ hoch 6 bis 7, und so immer weniger, bis er zuletzt gar keine mehr schrieb. Das Erste, was nun der Rector in der Stunde Yornahm, bestand im Abhéren der so geschriebenen und gelernten Vocabeln. Dabei verfuhr er ohne irgend eine Ausnahme so: Er nahm nach der Reihe das Vocabelnbuch jedes Schilers - Und sagte diesem das lateinische oder griechische Wort vor, Worauf die deutsche Bedeutung sogleich folgen musste. Weil ft nun aber auch yon der Reihenfolge der Vocabeln, so wie sie in den Heften standen, nicht abwich oder gar jemals deutsch Yorsagte, um die lateinische Vocabel zu erfahren, so war es Hatirlich , dass der Schiiler nur die Zahl der deutschen Worter letnte, wie sie den lateinischen in seinem Hefte gegeniiber stan- den, in ununterbrochener Reihenfolge. So konnte man Jahre lang Sprachen trejben, und man‘ wusste oft weniger von ihnen als vorher,-ehe man diese Schule ‘besuchte; und es war daher _‘Ratirlich, dass diejenigen, welche studiren wollten, nach sechs- Pidag. Revue. 1642. b, Bd. Y. 18

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' jahrigem Besuche der Prima diess war die Normalzeit sehr unvorbereitet den Universitaéten zuflogen.

Die Aelteren und Geiibteren mussten voribersetsen, eben. falls in unverriickt feststehender Reihenfolge; die Jiingern und Schwichern wiederholten eben so, Bei der grossen Schitlerzahi -mussten aber die yvoriibersetzten Pensa oft in drei oder mebr Theile zerlegt werden; hierdurch entstand nun eine gar grouse Erleichterung, welche darin bestand, dass der untensitzende-Schi- _ ler abzahlte, welcher Theil ihn treffen musste. Heimlich schrieb er sich nun die deutsche Uebersetzung auf, und ehe an ihn die Reihe kam, lernte er sie auswendig, las sie yon seinem szwischem den Biichern liegenden Zettel ab oder von dem Riicken seines Vormannes, dem er ihn unter den Rockkragen steckte. Jeder -war ftir einen solchen Liebesdienst bereit; denn

Hane yeniam petimusque damusque vicissim.

Ausserdem war es erlaubt, sich auf einen Platz zu setzen, asf welchen man wollte; je schwicher man sich fihlte, desto ticker setzte man sich, und man hatte dann um so mehr Zeit, die Uebersetzung zu schreiben oder zu lernen. Der Reetor hicl@ . sich nur an das Wirkliche und Bestehende; er nahm die Schilex” stels und ohtie -Ausnahme so, wie sie gerade sassen. Desshalk» ist es nicht zu verwundern, dass oft Kampfe tiber die unterstes® Platze entstanden.

Diess war besonders Sonnabends der Fall, aber aus einer ® ganz verschiedenen Grunde. An diesem Tage war die ent<= Lection die einzige franzésiéche der ganzen Woche. In diesem -wich nun der censequente Rector eben so consequent yon seine “stereotypen Gewohnheit des Abfragens der Vocabeln ab. Eur” nahm in dieser Lection kein Heft eines Schiilers, sondern ee fragte aus dem aufgegebenen Pensum die Vocabeln nach eigene#™ Wahl, und zwar so, dass er von dem untersten Schitler anheb- Weil nun hier gelernt werden muste, so eilte Jeder oft ein€ Stunde vor dem Anfange des Unterrichts-in das Schullekal, um dadurch den niedrigsten Platz zu gewinnen; denn je tiefer man Sass, um so friiher wurde man gefragt, und es bedurfte dann - nur einer Priéparation auf eine bis zwei Reihen des Pensums, um alle Gefahr siegreich zu bestehen. Bei der Uebersetaung galt ‘die iibliche Reihenfolge von oben, so dass es mit der Repetition gehalten werden konnte, wie beim Lateinischen und Griechisehen. Uebrigens war keine Grammatik im -Gebrauche; die wenigen

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Bemerkungen vor Gedicke’s Lesebuch geniigten vollkommen. Die ganze grammatische Kenntniss beschrankte sich auf das einma- lige Hersagen der Formen. Repetirt wurden diese, waren sie erst einmal nach der Reihe durchgelernt, niemals. Im Deut- schen fand gar kein Unterricht Statt, auch nicht im Hebriischen.

Was nun die Schreibetibungen betrifft, so wurde wochent- lich ein Jateinisches Exercitium von dem Umfange einer Octay- seite, welches der Rector dictirte, gemacht und in der Schule corrigirt. Diese Correctur geschah schweigend, indem der Cor-

rigent strich und verbesserte, wie es ihm recht schien. Ehrer- bietig entfernten wir uns von dem Tische, an welchen wir zu diesem Zwecke nach der Reihe treten mussten, und es war bei 10 bewandten Umstinden die Frage eines meiner Mitschiiler an mich sehr natiirlich, ,ob ich nicht wiisste; wo und wie man richtige Exercitien machen lernte: ich kénne das vielleicht von meinem Vater erfahren.“ Als mir dieser auf die desshalb an ihn “Betichtete Frage erwiederte: ,das miisse auf der Schule erlernt werden; auf der Universitat werde es vor- ausgesetzt:* war es da ein Wunder, dass wir sinnend staun- tea, weil wir, so jung wir auch waren, doch einsahen, dass wir suf unserer Schule die grosse Kunst nicht erwerben konnten?

Dass an Scandiren der Dichter, Prosodie und Metrik eben 80 wenig gedacht wurde, als an die zur Alterthumskunde sonst Boch gehérigen Wissenschaften, bedarf kaum einer ausdriick- lichen Erwahnung.

Fir mich war dieser Unterricht noch besonders desshalb Dachtheilig, weil ich die bei meinem Vater erworbene Fertigkeit im Latein-Sprechen. er sprach mit mir, von Kindesbeinen an Rur Lateinisch fast ganz verlor. Sie hatte den sonst mangel- haften Unterricht sehr ausgeglichen, Ware derjenige der Schule Quch nur irgend ertriglich gewesen, so wirde mir leicht zum Bewusstsein gekommen sein, was unbewusst in meinem Gedicht- aisse lag; so aber vergass ich nur und lernte nichts Neues.

Jetzt noch ein Wort iiber die Art, wie die Wissenschaften betrieben wurden. Fiir sie waren nur 3 Stunden wéchentlich bestimmt, namlich eine fir Religion, eine fir Geschichte und eine fir Geographie. :

Die Religion trug der Rector nach einem sehr flachen Buche vor. Ungeachtet ich, der ich durch meine Mutter, welche in - gewissem Sinne dem Mysticismus hold war, fiir die Wunder ~

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Christi schwarmte und oft bei ihren Erzahlungen von den Leiden des Heilandes Thranen der innigsten Riihrung vergoss, es als frevelhaft und gottvergessen betrachtete, wenn der Rector yon diesen Wundern nichts wissen wollte; begeisterte er mich doch oft wieder durch seinen Vortrag iiber die Pflichtenlehre, und es schwebt mir noch sehr lebhaft vor der Seele, dass ich einst, als er yon der Collision der Pflichten gesprochen und ein Bei- spiel von einem ins Wasser gefallenen Menschen hergenommen hatte, den man zu retten suchen miisse, wenn.ein solches Be- _ginnen nur wahrscheinlich die eigene Gefahr des Ertrinkens herbeifiihren méchte, aus der Schule nach Hause zuriickkehrend mit einer inbriinstigen Sehnsucht von der Briicke eines das Stadt- chen durchschneidenden Baches hinuntersah, ob ich nicht einen Ertrinkenden erblickte: ich ware in der Begeisterumg ganz gewiss hinabgesprungen.

Die Geschichte trug, glaube ich, der Rector sehr in- teressant vor. Da er aber nur erzahite, nie fragte, nie Etwas lernen oder repetiren liess, so gab fast kein Schuler Achtung, sondern jeder that, was ihm beliebte.

Eben so ging es in der geographischen Lection. So vorbereitet fir diese der Lehrer war und so lebendig er zu-schil- dern verstand, so trug Alles doch keine Frucht. Nie habe ick eine Karte gesehen, nie yon der mathematischen Geographie dat Geringste gehért. Nach Fabri's Lehrbuche begannen wir die Reise yon Portugal aus, wir waren aber noch nicht in Deutschlaoc angelangt, als ich abging und ich genoss diesen Unterrich’ doch 2', Jahre lang. Im letzten Jahre trat einst eine gewaltige Neuerung ins Leben, tiber die sich die Altesten Schiler schie! verwunderten. Der Rector namlich fubrte ein, dass, versteh sich der Reihe nach, in jeder geographischen Stunde ein Schile zehn dictirte Fragen aus dem vorhergehenden Pensum schriftlic] beantwortet haben musste. Er nahm das Heft und gab nus wieder der Reihe nach jedem Schiiler yom obersten an ein¢ dieser Fragen zur miindlichen Beantwortung. Gleich zahltes nun die Unteren die Fragen ab und fanden mit mathematischer Bestimmtheit, welche Jeden treffen musste. Schnell wurde di¢ Antwort einem diese Frage gerade lésenden Schiller nachge- schrieben und resp. geschwind gelernt oder abgelesen.

So viel von der Methode des Unterrichts. Ribmenswerth war aber die Pracision und Ordnung des Rectors in der Erfil

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lung seines Berufes. Nie kam er um eine Minute zu spat; nie setzle, er die Lectionen’ aus. Auch handhabte er die Disciplin meisterhaft, was wirklich bei den heterogenen Ingredienzien seiner Prima keine Kleinigkeit war. Kaum habe ich gehért, dass er -ein Wort des Verweises sprach: gestraft hat er zu meiner Zeit gar nicht. Gleichwohl herrschte bei allen seinen Vortragen eine yél- lige lautlose Stille, und jeder fiirchtete, den kleinsten Anstoss "gu geben. Was hilte dieser Mann leisten kénnen, ware seine Methode nicht so sonderbar und griindlich verkebrt gewesen! Noch muss ich des Conrectors gedenken, eines in seiner Art wahren Originals. Er gab in der Prima zwei Stunden, deren ‘eine dem Neuen Testamente in der Ursprache, die andere dem Virgil bestimmt war. Er hielt sie aber nicht. Nur, als einst der Ephorus, ein iiber alle Begriffe heftiger Mann von schénen Kenntnissen er priigelte oft die Schiiler mit seinem Prediger- mantel oder mit seinem dreieckigen.Hute, erschien und den Conrector nicht traf, wie gewéhnlich, kam dieser gleich in Pan- (offeln und in einem grossen Mantel von dickem Wollenzeuge, den er Winter und Sommer trug, mit tiefen Biicklingen schon aus weiter Ferne besinftigend, gerannt, indem er ein Mal iiber das Andere lispelte: ,Horsamer Diener! horsamer Diener!“ Auf die erste Frage von Seite des Ephorus, warum er denn die Lection nicht gebe, erwiederte er zogernd: ,Jch glaubte, die Jungens waren nicht da“ Er liess sich auch den Schrecken nicht zu Herzen gehen; denn er beharrte dabei, die Standen auszusetzen.

Einzig in seiner Art war es, diesen Mann schimpfen zu biren, Wir verschafften uns -oft diesen Genuss dadurch, dass Wit yor dem Anfange der. Lectionen: im Lehrzimmer, welches 6Fade iiber der einzigen Stube seiner Amtswohnung war, spran- BM und tobten, dass ihm unten der Kalk yon der Decke fiel. Yorher aber zogen wir den Driicker des Schlosses ab, so dass ef nicht zu uns dringen konnte. Er musste dann draussen stehen bleiben, und es ergoss sich yon seinem beredten Munde ein so Teissender Strom selbst der niedrigsten und gemcinsten Schimpf- worter, dass. ich nie etwas Aehnliches gehért habe.

Der Mann hatte ein starkes Gedichtniss. Er wusste alle hebraischen Psalme auswendig und einen grossen Theil des [erenz, seines Lieblinges.

Bei ihm hatte ich Privatlectionen, was bewirkte, dass ich

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mir bei weitem mehr erlauben durfte, als meine Mitschiiler. Diese schoben daher gern jeden Unfug auf mich, was ich mir | denn auch willig, um des allgemeinen Besten willen, gefallen liess. Es ist wirklich unbegreiflich, wie der eben geschilderte Zu- stand der Schule noch in diesem Jahrhunderte -méglich sein konnte; dennoch hat er bis zum Jahre 1820 gedauert, obgleich meine persénlichen Erfahrungen etwa 10 Jalire friher gemacht wurden. Er wird nur einigermassen erklarlich durch die héchst driickenden Verhiltnisse, unter denen die Lehrer schmachteten. So hatte der Conrector eine feste Besofdung yon 80 Meissnischen Gulden (a 21 Ger.) und einige Fuder Holz. Seine Amtswohnung umfasste nur ein einziges Kleines Zimmer, éine Kiiche und eine Kammer. Hierdurch wurde der Mann gendthigt, Kohl und Peter- silie aus seinem Garten zu ‘verkaufen und, wie der Rector, um. Neujahr mit dem Singchore der Schiler vor den Théren det Barger umherzugehén, weil gewisse Quoten der sparlichen Gaben beiden gehérten. Privatstunden um Spottpreise ffillten den ganzen Tag: Taglich eine Stunde wurde im Vierteljakr dem Rectot und dem Conrector mit 1 Rthir. bezahlt. Wie sollte nicht unter dem Drucke einer so unwiirdigen Lage der Muth auch des Starksten endlich gebrochen werden! Auch kann nur die gentie- same, elastische Natur.des Thiringets solche Prifungen beste- hen: in Norddentschland wate es wirklich unmédglich, Jermanden zu finden, der es jenen gleichthun kénite. Dazu kam, wenig- stens damals, die tiberaus einfache Lebensweise. In den kleinen Stadten und auf den Dérfern reichte far Schutminner und Pre- diger ein schwarzer Frack fir das ganze Leben aus. An Mode wurde gar nicht gedacht, mochte der Schnitt aach einem halben Jahrhunderte friher angehéren. So war és damals in Allem. Das Leben der Schiller war eben so einfach. Alle hattet nach alter Sitte den sogenannten mensam ambulatoriam; dent es gehdrte in jeder anstindigen Familie zum guten Tone, alle Mittage einen oder einige Schiller am Tische za haben. Diese wurden datiel aber Kaum beachtet und mussten.schweigend bis zur Beendignung des Mahles bleiben, za dem sie auch Messtt, - Gabel und Léffel selbst mitzubringen hatten. Seltet warden si¢ angeredet. Nur mit mir wat es anders. . Weil mein-Grossvater Prediger in dem Staédtchen. gewesen war und ein so gutes At: denken hinterlassen hatte, dass ich mich bei dem ungeheuchel- ‘ten Lobe, das ihm sehn Jahre ach seine Tode of

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gospendet wurde, hiufig der Thrinen nicht enthalten konnte, so dringten sich alle Honoratioren des Stédtchens dazu, mich am Tische zu haben, und -behandelten mich mit so vieler Riicksicht, dass ich in mehreren Familien sogar nach Tische gin Glaischen des trefflichsten Biers erhielt, das daselbst gebraut wird.

Auch war es sehr gewohnlich, dass wéchentlich (regelmassig jedem damit bevorzugten 2 Ger.) Schiilern Geld gegeben wurde.. Man nannte diese Gabe einen Geldtisch,. und sie musste an einem bestimmten Tage in Person von dem Geber abgeholt werden. |

Jeder Schiller miethete eine Kammer fiir 2—3 Rthlr. jahrlich, ‘wo sein Bett, sein Biicherbrett und das- nie fehlende Clavier stand,-wo er schlief, studirte und wohnte. Nur im Winter fand or Zutritt in der allgemeinen Familienstube, in der ihm ein Winkel angewiesen war zur Betreibung seiner Studien, ohne dass irgend Jemand sich sonst weiter um ihn kiimmerte. Er musste sich an: jedes Gerausch gewéhnen. Das Bett machte er sich taglich selbst, Klopfte' seine Kleider aus, putzte die Stiefeln und holte sich Weechwasser. - Brot, Butter, Wurst u. dgl. wurde wéchentlich von Hause geschickt, oder er holte es sich in einem Ranzel selbst; denn ‘Sonnabends schloss die Schule um 11 Uhr Vor- mitiags und begann erst wieder Dienstags; der ganze Montag war fei. Alle Schtiler der Prima, Gross und Klein, wurden mit Monsieur (Musje) angeredet und Er genannt von Lehrern sowohl wie von Biirgern. Es wurde nicht an Balle gedacht, nicht an— Casino's oiler, Clubbs; vielmehr war der Schiiler in fortwahrender Uebung der hingebendsten Demuth, einer Tugend, die jetzt unter der jiingern Generation taglich seltener wird. Es war ausseror- dentlich wenig Geld in unsern, wie in den Handen unserer Eltern. So habe ich mehrere Jahre lang gearbeitet, mir 18 Ggr. zu ver- Schaffen, die ich zu einer Harzreise mit mehreren gleich unbe- Mitelien Freunden so gerne machen wollte; aber ich wurde ibrer nicht Herr, ungeachtet der besondérn Unterstiitzung meiner Mut- ler, die mit mir dieses Capital fir geniigend zu.dem Unternehmen hist, und die bei der naturgemiissen, nicht verweichlichenden sichung, die wir genossen, nichts dagegen hatte, dass wir auf lieser beabsichtigten Reise jede Nacht im Freien unter dem ichutze des Waldes zubringen wollten. Caffee, Thee, Bier der gar Wein benetzte nie unsere Lippen; klares, frisches Wasser ildete Winter und Sommer, frith und spat unser einziges Getrink !

-Je mehr ich zu Verstande kam, um so mehr musste ich

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einsehen, dass diese Schule nicht geeignet war, meine Bildug gu firdern; auch mein Vater mochte sich trots der tiefen Achtung, die er dem Rector, wie dem Conrector, weil sie meine Lehrer waren, nollte, uod die er mir durch Wort und That anablissis eineupragen suchte, davon Gberzeugt haben. Wear ich gicich nie bitte wagen diirfen. in seiner Gegenwart imgead Etwas a meinen Lehrera 2a tadele. und stets. so oft ich civen von iketa nannte, seinem Titel. der in meinem Vaterlande noch beste be stehenden Sitte cemiss. das Wort .Herr“ verseizen masse, | sa waren doch entweder darch die Mutter. bei der ich mit ge- hariger Vorsicht schon mebr unlernchmen keante, eder durch Andere. welche aaf hesserea Scholes enternchict, mithin bei higt waren. das Unwrsen der unserce za beentheilen, alierici Vinge en dea Qhren des Vaters eodrumere. die iim den Wee achen des Sobnes. emer andrrn Schale dbergeben va werda, genvigt ynachtien. Mein Nrehen war vorzaebch aef Pforta ec richtet: Ga indess in ganz Thirmesn dit Ansicht bestand, welch warengewaie weeen amiger achr hetribenden Yodesille sict- wer Varwandien, dit diree chrwi-dier Scbulsnstalt besncht baties, teeing Wrrn theiliwn. dass man m Pinte acine Geseedbat a hijeae: SD Inasait wh mick hexcheiien. cme andere Seadiechek wn wihlien. dre nor wenize Stunden wan meinem Gobarteot anifrnt war. Sor bhatir act Jaiveiane des beste Bates esfredt

Wir nen wa: mr dom alies Es war mir mianes ger seb &- neeiivecht. nachder. wh so ianer achon Primaner erwesen war, 8 er weil feferr Classe versei2: ex were: : belt seh ich mber, das vot anch fitz dear weit mangelhalies wornereiet war. ak die mente meine Mitchiikes Sar memer Anven breitee sith sm nee Role am Rev Clee wm walche ict gebure . stand cin joao Jebre ver. de> sich nest wiz: des Renmes efivent. sino do eetebtiester ane gecchmasiwtalter fridare: cmes viel gplescece wimiscker Doshters Br cor. der ec sch amet eps gpliter ors. aves was dereelnc Neat. war ett eneekest und encerel. Merht: a latemikah,. Nreaeisat, Franeiesct wet Dratech. od ac shichty nee Neagraekh Darn. ur ka a seme Fiend, wai © pins celta Netadhonrsi de Wiecem mit emer Ne trad: verheng tiy mi, Rast IN. mast pene eo iempen Bethe war, Jsiwer pigene- Jarentaitingsi. ab Maste: weeschrenit. Die Fweeiehkesi seat. bee VE wiat ee Benders Thal

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nahme zu erfreuen, da ich einen unbesiegbaren Trieb des Wis- sens in mir fiblte, und er die-Meinung von mir hatte, dass in mir yorziigliche Anlagen schlummerten. Nur Eins stiess mich ab: es war die sogenannte Erasmische Aussprache des Griechi- schen. Ueberhaupt haben mich immer sebr starke Sympathieen - und Antipathieen beherrscht. Bis zu meiner Aufnahme in diese Schule hatte ich das Griechische nur nach dem IJtacismus gele- sen, wie diess damals in dem Theile Thiiringens, in welchem mein Geburtsort liegt, ganz allgemein geschab. Erst viel spater séhnte ich mich mit dem Etacismus aus, und ich habe yon dieser lin- geren Uebung beider Aussprachen den Vortheil, dass mir beide gleich gelaufig sind.

- Neben dem eigentlichen Classenlehrer unterrichtete uns noch der Conrector in. einigen lateinischen Lectionen und in der Ma- thematik. Noch jung, wie unser Lehrer und seelengut, wie dieser, vermochte er aber nicht, Disciplin zu fiihren. Es war ihm eigen- thiimlich, leicht zu lachen. Kaum hatten wir diess bemerkt und wer hitte ein feineres Sensorium fiir die Schwa- chen oder Eigenheiten des Lehrers, als der Schiler? so boten wir Alles auf, ihn zum Lachen zu reizen, was uns denn oft nur zu gut gelang. Sahen wir, dass er zu lachen be- gann, so entstand ein férmliches Brillen des ganzen Chors, das wie Donnergetése klang. Nur selten konnte ihn dieses zum Ernst stimmen, wie arg: wir es auch trieben und so viel Miihe er sich auch zu geben schien. ~

Die Kenntnisse dieses Mannes in den alten Sprachen waren sehr bedeutend. Er war auf einer Klosterschule gebildet worden und theilte seine Vorliebe fiir solche Anstalten mit Allen, die sie besycht haben. Da auch dieser Lehrer mich ausgezeichneter Theilnahme wiirdigte, so wurde meine Sehnsucht nach einer geschlossenen Schule so sehr gesteigert, dass sie an wahre Schwarmerei grinzte, die alle Schranken tiberschritt. Mit mir an einem Tage war der Sohn eines andern Predigers in die- selbe Classe, wie ich, aufgenommen worden, eine so liebe, gute, unschuldige Seele, wie ich deren wenige gekannt habe. Seine Anlagen waren ausgezeichnet und sein Fleiss musterhaft. Uns verband vom ersten Tage unserer Bekanntschaft an die herzlichste, innigste Freundschaft, so dass wir gar nicht ohne einander leben konnten. Dieser aber verliess nach einem Jahre unsere Schule, weil sein Vater allzuangstlich als preussischer Unterthan fiirchtete,

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dass der Besuch der Schule eines andern Landes als des: preussischen, dem Sphne einst im seinem Fortkommen nach- theilig werden kénnte; denn es wurde damals gerade eines der Gesetze publicirt, nach denen preussischen Unterthanen der Besuch auswiartiger Universitaten zum Theil yerboten war. Aller unserer vereinten Bitten ungeachtet blieb der Vater meines Freandes eben so fest bei seinem Entschlusse, den Sohn einer preussischen Schule zu tibergeben, wie der meinige, mich dem- selben dahin nicht folgen zu lassen. So wurden wir getrennt. Fiir mich war dieses Ereigniss entscheidend; denn ich konnte an dem Orte nicht mehr ausdauern, an dem ich mit meinem lieben, licben * so selige Stunden verlebt hatte; wo ‘mich jedes lauschige Thal, jeder sonnige Berg an unsere traulichen Spazier- ginge erinnerte. Meine Lust zu lernen schwand; ich wurde dister und in mich gekehrt, da ich doch sonst stets heiter, ja ausgelassen fréblich war. Sogar meine Lehrer bemerkten meine .’ Schwermuth, und der eine suchte. sie durch zarte Theilnahme zu lindern, indem er mich sogar aufforderte, in sein Haus su ziehen, wo ich mit einem seiner Pensionire ein Zimmer theilen Sollte. Alles vergebens. ©

Es war-mir aus den 6ftern Erzahlungen meiner Mutter be- kannt, dass mein Grossyater, ihr Vater, lange Zeit zuerst als Schiiler, dann als Lehrer einer berithmten Schule angehért hatte, die zwei Tagereisen yon meinem Aufenthaltsorte entfernt lag. Da mejne Mutter nun stets mit der riihrendsten Pietét und mit wahrer Ehrfurcht von meinem Grossvater sprach und erzahlte; da er als Stadtprediger allgemeine Begeisterung erregt hatte durch den Ernst seiner Lehre und seines Lebens und durch die Liebe, die sein ganzes Thun verklart hatte: so besuchte ich sein Grab oft als Knabe denn ich habe ihn nicht gekannt und weinte auf ihm heisse Thranen der Sehnsucht und der Liebe. Einsam, wie ich damals war, ergriff mich der Gedanke mit magischem - Zauber, wo moglich auf die Schule zu kommen, auf der er ge~ lebt und gewirkt hatte. Diese Schule war zwar ebenfalls eine sogenannte geschlossene; ich konnte mir aber von Seifen meines Vaters kein Hinderniss denken, da ich voraussetzte, Jeder miisse meine Gefihle theilen, zumal wenn ich die Méglichkeit erwog, _. wohl gar auf der Stube, die mein Grossvater bewohnt hatte, su leben. Ausserdem war es bekannt genug, dass diese Schule tiber sehr viele Beneficien gebot, die nicht allein den Schiller

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im gfinstigen Falle ganz umabhangig von der Casse der Eltern stellten, sondern die auch oft fiber die Grenzen ihrer Mauern hinaus ibn darch das Universitétsleben hiélfreich begleiteten. Auch wusste ich, dass sie keine Landsmannschaft und keine Confes- sion irgend berticksichtigte, sondern alle ihre Glieder mit gleicher Liebe umscbloss.

Wie aber sollte ich den Weg finden in dieses Paradies? Theils wagte.ich nicht, mich den rechten Leuten anzuvertrauen ~~ denn ich musste mit Allem auf dem Reinen sein, wollte ick meine Wimsche erreichen; theils konnte ich yon denen, die ich befragte, keinerlei Auskunft erhalten. Da kam mir einst der plétzliche Entschluss, selbst an Ort und Stelle mein Heil za ver- Suchen. Es. gelang mir, durch den Verkauf einiger Bitcher etwa EY, Thaler zu erschwingen, und mit ihnen begab ich mich in B anger Erwartung, aber in herzlichem Vertrauen auf Gottes Hilfe, tam die ich knieend an meinem Bette am Morgen der Abreise Rwbrinstig gebetet hatte, als noch nicht dreizehnjahriger Knabe “bhne Brief, ohne Pass, ohne Bekanntschaft, selbst ohne des —Weges sicher zu sein, auf die abenteuerliche Reise. Mit Zagen wedachte ich zwar, vor welche Manner ich wiirde treten miissen, nd dass ich eine mir angeborne Schiichternheit kaum wirde bemeistern kénnen; aber das Bewusstsein, dass mein Beginnen recht und léblich sei, stirkte mich doch immer wieder und Fichtete mich auf. Mit schanerlichem Entziicken, dem zu ver- gleichen, welches die Kreuzfahrer beim Anblicke Jerusalems mé- gen empfunden haben, sab ich am Abend der zweiten Tagereise die hohen Thtirme der Stadt meiner Sehnsucht, und hatte sich nicht ein Polizei- oder Steueroffiziant, der dieselbe Strasse mit mir wanderte, zu mir gesellt, ich wire ohne Zweifel auf die Knie gesunken und hatte gebetet. Der erwahnte Mann, der ver- muthen mochte, dass ich kleiner Knabe ihn fir eine bedeutende Person hielt, wie ich auch that, suchte mir einen hohen Begriff vop sich beizubringen, indem er gar viel von dem Treiben der Anstalt erzahite, die ich fiir meine Studien erringen zu wollen erklarte, und die er selbst Jahre lang besucht haben wollte. Das wat mir nun hiéchst wichtig. Offenherzig theilte ’ich ihm mit, was mich zu dieser Reise bestimmte, und fragte ihn um Rath fiber Alles, was mir bei meiner Ankunft zunachst zu thun ob- ldge, und an wen ich mich wenden miisste. Er gab mir die gewlinschte Auskunft, die mich freilich am andern Tage zum

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Ziele ‘fihrte, wenn gleich nur sebr indirect. Auch bezeichnete. er mir eine meiner Casse angemessene Herberge, in die er mich_ selbst einfiihrte, um mich dem Wirthe besonders zu empfeblen.

Am Abend meiner Ankunft starkte ich mich durch ein Butter— brod und schlief auf einer harten Streu ohne Betten vortrefflich . Die bedeutende Fussreise hatte mich eben nicht angegriffem wozu auch wohl die grosse Spannung, in der ich mich befand das ihrige beitrug. Des andern Tages gegen 9 Uhr trat ich nny den verhangnissvollen Gang an. Ich schweige tiber das Entziickem, mit dem ich die Hallen betrat, die mich aufnehmen sollten, und_ iiber die Angst, die mich befiel, wenn ich mir dachte, dass eg mir nicht gelingen kénnte. Ohne Schwierigkeit fand ich den Mann, an den mich mein Begleiter am vorigen Tage gewiesen hatte; doch erklarte mir derselbe auf den schiichternen Vortrag meiner heissen Wiinsche ziemlich barsch, dass er damit nichts zu schaffen hitte; ich moéchte vielmehr zu einem Andern gehen, den er mir nannte, und an den er mir, milder gewerden durch meine kindlichen Gestandnisse, einen Zettel mitgab. -Von diesem wurde ich sehr herzlich empfangen, und bei ihm léste sich das Band, das meine Zunge gefesselt hielt. Die Warme, mit der ich sprach, mochte ihm keinen Zweifel iber die Wahrheit meiner phantastischen Confessionen lassen; er sprach freundliche Worte zu mir und schickte mich mit einem Briefe an den berihmten Director des Instituts, der kaum eine Frage an mich that, son-. dern ein paar Worte unter den empfangenen Brief schrieb, ibn schloss und mich wieder zu dem zuriickschickte, von dem ich eben gekommen war. Die Ungewissheit, in der mein Schicksal schwebte, machte meine Augen feucht, und ich yermochte nur unter Schluchzen den Brief abzugeben.. Wie selig aber fuhlte ich mich, als ich nun erfuhr, meiner Aufnahme stehe nichts im Wege; nur Beneficien kénnte ich nicht gleich erhalten; man miisse erst sehen, ‘ob ich mich derselben wirdig machte. Da aber meine ganze Erscheinung Vertrauen erweeke, so mége ich nur wohlgemuth nach Hause gehen und wiederkommen: es habe kein Bedenken, dass ich erlangen werde, was ich wiinsche.

Es mochte gegen 12 Uhr Mittags sein, als ich diese frohe Nachricht vernahm. Ohne mich um die Stadt mit ihren Merk- wiirdigkeiten zu kiimmern, war ich schon eine Viertelstunde dar-

- auf wieder auf dem Heimwege, und ich eilte in der Erfallung meiner Wiinsche so gliicklich, wie ich es nicht aussprechen kann,

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schnell, als hatte ich Schwingen, so dass ich schon am Abend

des folgenden Tages an meinem bisherigen Aufenthallsort ankam,

von wo ich in der ersten Frithe des nichsten Morgens dem

vaterlichen Dache zuwanderte. Daselbst angelangt, tibermannte

mich doch ein unheimliches Gefiihl bei dem Gedanken, dass ich nun meinem Vater gegeniiber wiirde gestehen miissen, was ich gethan, Auch vermochte ich diess nicht ohne weiteres, sondern ich vertraute mich erst der Mutter an, die bei meiner Erzahlung ‘weinte und mich in ihre Arme schloss. Sie eilte sofort zum “Water und theilte ihm mit, was sie eben yernommen. Dieser mnochte auch ergriffen werden yon meinem Thun, und er gab germ seine Zustimmung. Mitten in den Vorbereitungen zur Abreise erkrankte ich aber; denn ich war geistig und kérperlich zu heftig angegriffen, als dass es anders hitte sein kénnen. Mich quialte bei diesem Unfalle nur der Gedanke, dass vielleicht

die nothwendige Verspatung meiner Ankunft auf der Schule. meine

Aufoahme gar riickgingig machen kénnte, und ich ruhte nicht

eher, bis der: Vater schrieb und eine -tréstliche Antwort einging.

Es mochten etwa 6 Wochen nach dem Anfange der Lectio-

hen des Wintersemesters sein, als ich aufgenommen wurde. Die-

Schule bliéhte in grosser Frequenz; ich konnte mir indess nicht

verhehlen, dass sie in gar vielen Riicksichten unter der stand,

die ich yerlassen hatte. Viele junge Lehrer hatten weder, - wie

€s mir schien, das rechte Mass des Wissens, noch eine genii- ‘Sende Methode, und weil das Parallelsystem herrschte, fehlte Jeder Classe die nothwendige wissenschaftliche und moralische . Einheit, ohne welche der Unterricht der Jugend nun einmal nicht Sedeihen kann. Fiir mich war es besonders driickend, dass ich © in einigen Fichern in sehr tiefe Classen kam. Diess spornte Mich nicht an, sondern lahmte mich vielmehr, zumal da ich Wusste, dass.ich in diesen Fachern doch bei der Ascension in Gen Hauptfichern mit versetzt werden musste. Ein sehr giin- Stiges Ereigniss, welches ich seitdem jedem neu Aufzunehmenden der Anstalten, an denen ich arbeitete und noch arbeite, wiinsche, ‘war das, dass ich in den Hauptfachern fiir meine Kenntnisse zu tief gesetzt warde. Dadurch wuchs mein Muth, und meine Kraft erstarkte; denn ich iberfliigelte alle meine Mitschiler der- gestalt,-dass ich in dem ersten Monate den ersten Platz erhielt. Diess bewirkte natiirlich auch, dass die Lehrer auf mich auf- merksam wurden, wenn sie mich gleich, da ihnen der wabre

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‘Grund verborgen war, gewiss iiberschalzten. Darin lag die nachste Veranlassung, dass ich nach ungefahr sechs Monaten eine ganze Freistelle erhielt, so dass meine Eltern nur fiir die Kleidung, die Wische und das Bett zu sorgen hatten. Essen, Wohnung, Unterricht, Biicher, Schreibmaterialien u. a. gl. gewabrte mir die Schule unentgeltlich.

Damit ich die Granzen nicht allzusebr libérschreite , welche mir diese Blatter vorschreiben, will ich mich nur auf Einiges von dem beschrinken, was mir merkwiirdig scheint; deno im Allgemeinen war-doch auf dieser Anstalt der moderne wissen- schaftliche Geist lebendig, dessen Wehen nicht einmal die erste Schule, die ich besuchte, verspiirt hatte.

Ein auch als Schriftsteller nicht ganz unbekannter Mann er- klirte den Phidrus. Um sich nun recht zu uns herabzulassen und um recht: kindlich zu sein, wurde er kindisch. ,,Seht einmal, ibr Jungen, welch eine Sprache die lateinische ist!“ pflegte er oft 7; ' -guszurufen. ,Sie ist eine Spitzbuben- und Raubersprache. Da haben wir lupus. Kaum habt lhr das angesehen, g0 verdodert = 68 sich in lupi, dann in lupo u.s.w. Das sieht doch nicht aus, _, wie ein ehrliches Gesicht; das ist Spitzbubenart.“ In dieser—amr Weise waren seine Erklérungen, und so ging es stundenlang== fort, so dass wir Knaben selbst Ekel empfanden.

Kin anderer Lehrer des Lateinischen las in 4 Stunden wi -—w- -chentlich, die einer kleinen Schrift des Cicero bestimmt waren, Jabr aus Jahr ein nur die 6 ersten Capitel. Als einst das Som-sm- " .mpersemester durch friihe Ostern allzulang wurde, so dass all Kaeste, die Sache in die Linge zu ziehen, doch nicht vermochumm- ten, das Pensum mit der Zeit auszugleichen, dictirte er ein —x¢ -alphabetisch-geordnete, von ihm selbst fabricirte lateinische Grans—- -matik, deren Hefte natiirlich zu ganz andera Zwecken benute===t worden, als wozu sie bestimmt schienen. Wir glaubten, er vem stinde nichts yom Cicero ausser den angegebenen 6 Capitelh———., _ auf die sich geniigend zu prapariren ihm einst durch fremde HiiE&=e ,gelangen wire. Auch herrschte unter uns die feste Ueberzeccmm- _@ieg, dass er die Hefte einer von ihm dictirten Lebensgesehich&- Jesu, die er am Schlusse jedes Semesters als Andenken. vo seinen Schiilern abforderte , dazu benutzte, sie in die Papiermih zu sehicken und dafir Papier einzutauschen.

. Der Mann bot tiberhaupt ein merkwiirdiges Schauspiel dar. Ungeachtet er manchen armern Schiilern unaufgefordert Wohlthatez

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ex wies; uageachtet sein ernstes, gemessenes Wesen Nichts gis Liebe athmete; trauten wir ihm doch. gar nicht. Wir hielten Alles - fir berechnet und gleissnerisch. Gleichwobl war die Disciplin in seinen Lectionen fiber alles Lob erhaben; denn kein Schiiler wagte Etwas, wodurch er auch nur im Entferntesten dem Manne suz nahe zu treten scheinen konnte, obgleich ihn jeder wirklich. verabscheute. Ein solches Rathsel ist die menschliche Natur, ‘Yielleicht lag der Grund unseres Abscheues sowohl in dem Mangel am Vertrauen auf des Mannes Griindlichkeit und Wissenschaftlich- keit, wiewobl fiir diesen nur indirecte Beweise vorlagen denn unnittelbare Bléssen konnte er sich gar nicht geben, weil er stets héchst langsam und bedichtig sprach und weder in den exegelischen, noch stylistischen Sprachlectionen, die er gab, je- mals irgend eine Frage zu beantworten brauchte, weil kein Schiiler ibn bei aller Lust, ihn ad absurdum zu fahren, zu fragen W a gte, als besonders und hauptsachlich wohl in dem Kiinst- li chen und Gemachten seiner ganzen Erscheinung, die eben dadurch dem natiirlichen Geiste der Jugend zuwider war. Von ‘iim habe ich xar’ dvrigeaow erlernt, wie man Schiller behan- den muss, und ich rathe jedem jiingern Lehrer stets, ‘in voller, : Near veredelter Natirlichkeit des ganzen Wesens Yor die Schiler zu treten. Ist man wissenschaftlich & © wappnet, wie man es sein muss, will man Lehrer § @in; hat man Liebe fiir seinen Beruf und fir die J Wagend, so dass man also nicht um seinet-, sondern ‘@ wn ihretwillen lebrt: so wird nach der Schrift alles Andere Venn selbst sufallen. Die Natur wird nie durch die Kunst ersetzt; ie Tiinche schwindet sicher durch die Zeit. .

Ich iibergehe beriihmte Schriftsteller, die ich zu schlechten SLehrern hatte und weniger bekannte oder.gar unbekannte Manner, Welche meine besten Lehrer waren, und bemerke nur noch, dass

die Oberelassen am diirftigsten yersorgt waren. In ihnen wirkten zum Theil wirdige Manner von damals schon verschollener Bil- dung, und machten den Mangel erst recht fiblbar, weil in den

- .Mittelelassen einige ausgezeichnete jiingere thitig waren. Beson- ders Ein Bild steht mir in der gediegenen wissenschaftlichen Tiefe und Milde des ganzen Seins, die ihm eigen war, lebendig ‘yor der Seele. Er war ein itiberaus feiner Kenner der Latinitat, and sein Bejspiel hat mir stets in jedem Betrachte zur Nach- eiferung gedient. Gegenwarlig wirkt er an einem andern blihenden

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Gymnasium , wohin ihm -der Segen gefolgt ist, den er sich durch sein Streben gesichert hat.

Ehe ich diese Mittheilungen schliesse, will ich noch einen Blick auf die Methode eines jungen Mannes werfen, die mir einen griindlichen Widerwillen gegen alle historischen Studien damals einpragte. Er trug in 4 wochentlichen Stunden die Specialge- schichte eines deutschen Staates vor. Kein Lehrbuch lag zum Grunde, keine Tabellen wurden gebraucht, sondern als Dictater perpetuus that er Nichts, als dass er das ganze Semester hin- durch sein aus allerlei Biichern compilirtes Heft uns in die Feder sagte. Die letzten 8 Stunden waren zur Repetition bestimmt, ‘und es wurde gefordert, dass alle Namen und Zahlen, wie unbedeutend sie auch sein mochten, im Gedichtnisse der Schiiler festsitzen sollten. Weil es mir nicht gegeben ist, zu so fast passiver Thiatigkeit wenn es erlaubt ist, ein solches Oxymoron zu gebrauchen mich zu verstehen: so wusste ich richtig in jenen entscheidenden Stunden gar nichts, und der Mann kam auf den Gedanken, ich sei wirklich stupid, was er auch einst vor der ganzen Classe aussprach. Natiirlich’ ascen- dirte ich nicht, und ich sah mich im nachsten Semester durch- aus gendthigt, bei Zeiten Namen und Zahlen zu lernen. Mit unbeschreiblicher Ueberwindung und Qual that ich diess, und es gelang mir so gut, dass ich bei dem fir die letzten 8 Stunden aufgesparten Certiren sogleich den ersten Platz erlangte. Weil ich mich auf diesem Platz behauptete, so wurde das Urtheil des Lehrers rectificirt; denn anfangs meinte er offenbar, ein Spiel des Zufalles habe mich so hoch erhéht. Desshalb fragte er mich wohl eine Viertelstunde lang mit Sturmeseile; indess auf jede Frage war meine Antwort im Augenblicke da. Schon damals nahm ich mir aber yor, nie, sollte ich einst Geschichte lehren, so zu handeln, als bestehe diese nur aus Namen und _&Sahlen; ferner nie zu grosse Zwischenrdiume der Repetition eintreten zu lassen; endlich entweder gar nichts, oder nur sehr Weniges zu dictiren.

Ein anderer Lehrer glaubte mir einst aller heiligen Betheu- rungen zum Trotz durchaus nicht, dass ich ein mir wohl ge- lungenes franzésisches Exercitium sélbst gemacht hatte. - Ich hatte es aber ganz allein gemacht. Der Lehrer blieb bei allen meinen Versicherungen nur dabei, dass er sagte, er glaube es nicht. Tief in meinem Ionern verletzt, verlor ich gleich

-_ - .

281 alle Lust zum Franzésischen, und ich wurde so obstimat, dass ickn in derselben Stunde, die mir eine solche Krankung gebracht hatte, statt der rechten Antwort auf die Frage nach dem Part.

passé von mourir hartnickig bei der blieb, dass es: ayant mouru heisse, ‘wodurch ich mir dann den letzten Platz in der Classe

erwarb. Diess hat mir aber die erfolgreiche Lehre gege-

bem, nie der Aussage eines Schiilers, wenn ich keinen Gegenbeweis fithren kann, zu misstrauen; sondern mich lieber téuschen zu lassen. Es ist bes- ser, eine als solche erkannte, aber nicht gerade nachweisbare Tauschung zu ertragen, als ein Junges Gemiith durch un- gerechten Zweifel zu-verletzen. Wie grausam, wenn der Lehrer es ist, der einem noch ungetriibten Gemiithe einen Vorschmack von dem Schmerze gibt, der in der Verkennung des redlichen Strebens und der besten Absichten liegt und der jedem Menschen, um so besser er ist, spiter nur um so weniger er- spart wird. Von der Parteilichkeit und der systematischen Spionirerei, die manche Lehrer durch Schiler und Schulwarter treiben, schweige ich; denn sie findet man leider! auf vielen Schulen auch noch heute. Auf mich haben solche Erfahrungen die Wir- kung gehabt, dass ich nie parteiisch gewesen zu sein iber- zeugt bin; nur bei Séhnen vornehmer und einflussreicher Eltern muss ich auf meiner Hut sein, damit ich nicht unbillig und all zustreng gegen sie werde. Der Sohn des Fiirsten, wie der des Bettlers beide stehen sie vor mir. wenn ich ihr Lehrer bin, auf gleicher Stufe. Bin ich gegen Schiiler geringerer Eltern vielleicht etwas nachsichliger, so wird dieses in der natirlichen eneigtheit, mangelhafter Erziehung etwas zu gute zu halten, wohl gar Entschuldigung finden. Verlange ich von jedem Schiller auf meine Fragen riicksichtslose Wahrheit, gilte es, was es wolle, 80 werbiete ich zugleich jeder neuen Schiilergeneration alles Ern- sles; mir heimlich Djess und Jenes iiber Mitschiiler zu hinter- orimgen, und meine eigenen Séhne und Pensionire verpflichte Ich, so bald sie in die Classen versetzt werden, in EC men ich wirke, zum unbedingten Schweigen zu "use iiber Alles, was in der Schule vorgeht, mag €S léblich oder tadetnswerth sein. Bei einer etwa vor- °rwamenden Nachfrage oder Untersuchung iiber irgend Etwas 8 hliesse ich sie stets ausdriicklich aus. Sdéhne Um q Ziglinge der Lehrer werden sonst leicht Spione °@ er von den Schiilern als solche betrachtet und 8& hhasst. : Darf ich hoffen, durch diese Erinnerungen aus meinem Schii- eben den Lesern dieser Blatter nicht unangenehm geworden sein, so sollen die aus meinem Lehrerleben bald nachfolgen.

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Pidag. Revue 4842. b, Bd. V. 19

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ZWEITE SECTION.

Beurtheliungen und Anzeigen.

A. Schriften sur Pidagogik, Didaktik und Cultarpolitik, zur Psychologie und zur Geschichte des Bewusstseins.

jabrbuch der deutschen Universitéten von Heinrich Wuttke, akademischem Lehrer der Geschichte. I. Sommerhalbjahr 1842. Lpz. Weidmann’sche Buchhandlung 1842.

Der durch treffliche Arbeiten iber die Geschichte. Schlesiens bereits riihmlichst bekannte Verfasser unternimmt hier ein Werk, fiir welches ihm aufrichtiger Dank gebihrt und dem ein guter Forigang nicht nur zu wiinschen, sondern auch wohl zu verspre- chen ist. Die deutschen Universitéten waren, sind noch immer und werden hoffentlich auch in Zukunft sein die Brennpunkte unserer gesammten héheren Cultur, und da sie in.der That ein Ganzes ‘bilden, so ist es héchst wiinschenswerth, dass ein Organ vorhanden sei, welches' den Zusammenhang der Universitaten sowohl unter sich als mit dem gebildeten Publikum unterhilt, dabei diese Anstalten der durch Unwissenheit und Uebelwollen so oft und leicht verfiihrten Sffentlichen Meinung gegeniiber durch Darlegung des wahren Sachverhalts und Aufstellung der richtigen - Gesichtspunkte bei jedem gegebenen Anlasse in angemessener Weise vertritt.

Wenn auch im Allgemeinen feststebt, was Hr. W. in seinem Jahrbuche bezweckt, so ist doch der Plan in seinen Einzelnheitem - aus diesem ersten Bande noch nicht zu entnehmen, und der Hr— Herausgeber erklirt sehr verstandig, dass die Zeit selbst ihm bilden werde. Natiirlich gilt diess hauptsachlich vom statistischers Theile. Wer Statistik in denkender Weise betreibt, der weiss. dass dieselbe zu ungeahnten Ergebnissen fihrt; um aber Folge- rungen aus statistischen Berechnungen ziehen zu kénnen, mis- sen die Data ‘vollstindig sein und zu dieser Vollstandigkeit so gelangen, das ist eben das Kreuz der Herausgeber, Auch Hr. Dr. W. klagt, es sei ihm fiir dieses erste Heft nur déusserst wenig eingesandt worden, ja die wenigsten Dekane und Gelehrten,.an die er sich gewandt, hitten ihm geantwortet. Die Pidag. Revue ist ein

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renig in demselben Falle. An Abhandlungen u. s. w. hat es ihr nie ‘efehit, dagegen sind die Mittheilungen iiber die laufende Geschichte ler Schulen bisher nur sparlich geflossen. Es ist das um der Sache willen zu bedauern. Ich mache nur auf zwei Dinge aufmerk- sam. An sehr vielen Schulen sind far die Anzahl der Schiiler und der Lehrstanden, welche zu geben sind, offenbar zu wenig Lehrer angestellt; andererseits sind die Gehalter der Schulménner in der Regel durchaus unzulanglich. Eine Zeitschrift, welche das Interesse der Schulen zu vertreten hat, wirde diese und abn- liche gravamina und desideria von Zeit zu Zeit berihren, sie kinnte es aber snamlich in rechter Weise nur dann, wenn ihr die Facta die Zahlen in einer gewissen Voll- | slandigkeit bekannt wiren. Mit allgemeinen Satzen ist Nichts ausgerichtet. Wird z.B., wie es kirzlich auf dem preussischen (Kénigsberger) Landtage geschehen, von einem ehrenwerthen Mitgliede ein Antrag auf Erhéhung der zu geringen Besoldungen der Gymnasiallehrer (und die Lehrer an h. Biirger- und die an Volksschulen?) gestellt, so ist die Mehrheit im Stande zu vo- liren, der Landtag sei der Meinung, dass fir Besol- dung der Gymnasiallehrer bereits auf angemessene Weise gesorgt sei, wie es in Kénigsberg .geschehen. D.h. Man stellt einer Versicherung eine Gegenversicherung entgegen. Kommt man aber mit Zahlen in der Hand, so ist man auf ‘Positivem Boden, denn Zahlen entscheiden.

Nach einer gehaltvollen und sehr lehrreichen Einleitung, in welcher Hr. W. theils seine Ansicht von der Natur der Univer- sitAten und sein Urtheil aber neuere Beurtheiler derselben (z. B. Ru ge) darlegt, theils Nachricht iiber seine Vorginger gibt, theils ‘die Natur seines Unternehmens erklart, folgt I. das Verzeichniss der akademischen Lehrer und Vorlesungen fiir das Sommerhalb- hr 1842 auf den Universitaiten Basel, Berlin, Bern, Bonn, Bres- lu, Erlangen, Freiburg, Giessen, Gottingen, ...... * Halle, Heidelberg, Jena, Kiel, Kénigsberg, Leipzig, Marburg, Miinchen, Strasburg, Tubingen, Wurzburg, Ziirich. Fir den Statistiker Ware e8 vielleicht bequemer, wenn die Hefte die angekiindigten Vorlesungen nicht des bevorstehenden, sondern des abgelanfenen Halbjahres mittheilen wollten, wo dann die nicht zu Stande

* In meinem Exemplar findet sich Bogen 7 zweimal, wogegon Bogen 8 fehit, Bogen 9 fangt mit Halle an. Gratz und Greifswald scheinen auf Bogen 8 zu’ stehen,

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gekommenen Vorlesungen bezeichnet werden. kénnten. Natifrlich ‘muss der Hr. Herausgeber aber auch auf angehende Studirende Riicksicht nehmen und diesem ist die eingeschlagene Weise be- quemer. Eine Reihe solcher zusammengesteliten Verzeichnisse, wenn. die Betreffenden sie studiren, muss den Universitaten sebr niitzlich werden. Die Behérden sehen. welche Liicken im Lehrer- personal auszufillen, welche Facher iibersetzt, welche ungenii- gend besetzt sind; die Facultiten gewinnen eine Uebersicht iiber die ndthigen Vorlesungen und kénnen es vermeiden, dass z. B. Jabrelang zehn Vorlesungen iiber dasselbe Fach gehalten werden, wiahrend andere Ficher ganz unberiicksichtigt bleiben. -— Dann folgen II. die Bundestagsbeschliisse von 1819 und 1834. Der Hr. Herausgeber macht zu §. 2 des ersten eine kraftige Note. der Beriicksichtigung zu wiinschen ware. In der That sollte mam _Meinen, dass es jetzt, nach dreiundzwanzig Jahren, méglich seine sollte, das Rechte zu finden. Es ist wahr, der Wahnsinn. der sogenannten Demagogen (wir sagen sogenannte, weil das Volk sich nie von diesen Leuten hat fahren lassen) war uner- triglich, ein yerbrecherischer Wahnsinn, es ist aber auch wahr, dass die Massregeln der deutschen Regierangen gegen diese Leute der Kritik empfindliche Bléssen bieten. Fiirs erste ist es uner- ' hort, dass ein ganzer Stand um einiger seiner Mitglieder willen nun schon beinahe ein Viertel-Jahrhundert hindurch exlex ist, dann war das unbedingte Verbot der akademischen Verbindungen ein schwerer Missgriff. Nicht umsonst hat die Natur dem Menschen, hesonders dem jungen Menschen, den Geselligkeitstrieb einge- pflanzt; wenn man ‘nicht Egoisten erziehen will und ein Steat, dessen Birger Egoisten sind, sinkt leicht zusammen, so muss man Vereine aller Art unter der Jugend beférdern. Turnvereine, Schwimmvereine, Gesangvereine, Leseyereine, poetische, phile- sophische, theologische Kraénzchen, sonstige freundschaftliche Zusammenkiinfte, Alles der Art sollte man unterstiitzen', nicht hemmen. , Sie befriedigen ein unabweisbares Gemiithsbediirfniss | - der Jugend und ihr Nutzen ist unerinesslich. Erst das Verbot, das aufgezwungene Geheimniss vergiftet das sonst Gesunde; Yer- bindungen, die dffentlich sind, schaden nicht, ja sie sind mit ihren objectiven Zwecken vielleicht das einzige Mittel, um die viehischen Saufgelage unter den Studenten zu unterdriicken: Die Wirthshausverbindungen miissen unterdrickt werden, die Vérbindungen zur Liederlichkeit; aber auch das lasst. sich dgrch

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blosse Verofdnungen nicht erzwingen: wenn die Menschen das Un wiirdige verschmahen sollen, so miss man gemeinsame Be- scfhdftigung mit Wiirdigem befordern, nicht aber verbieten. Jeden- fall's liegt-die Culturpolitik dermalen noch in den Windeln, wenig- stems die dbliche Praxis.

- Rubrik Ill. bringt die Veranderungen und Vorfalle des Winter- semesters 18*'/,, auf den Universitéten. Die Padag.’ Revue hat bisher auch Personalnachrichten iiber die Lehrer. der 13>) hischen Facultiten gebracht; wir glauben diess seit dem ‘Bestehen dieses Jahrbuches unterlassen und uns lediglich auf die

. Schulen beschranken zu kénnen, da diese einen iiberreichen

Stoff bieten und es unndthig ist, dasselbe zweimal zu drucken.

_ Dagegen werden wir die geistigen und culturpolitischen Verhilt- uisse der Universitéten und insonderheit der philosophischen Facultiten. auch in Zukunft beriicksichtigen. Leider hat das Jahr- buch neben vielem Erfreulichen auch manches Unerfreuliche mit- tutheilen, dahin rechnen wir die Bestimmungen itiber die Leipziger

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Privatdocenten (S. 287—288). Allerdings wird auch an andern

Orten den Privatdocenten das Leben schwer gemacht; Hr. W. berichtet zwei betriibte Faille: ,,Wir saben an einer Universitat tinen ungewoholich talentvollen Privatdocenten buchstablich aus Mangel und in Folge der Ueberarbeitung im 33. Lebensjahre sterben; seine unvollendeten Arbeiten, die ihm viele Jahre ge- kostet, sind nun verloren; wir sahen einen andern, der durch seinen grossen Scharfsinn sich schon einen Namen gemacht hatte,

sSsstentheils wegen Mittellosigkeit in die Nacht des Irrsinns 7 fillen um zwei bedeulende Schrifisteller, die an Elend unter- 7 gingen, war Deutschland adrmer.“ Sicherlich sind die hier er- 5

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tihlten Falle nicht die einzigen. Ware unser Staatgleben voll- kommener als es dernialen noch ist, so wire bald geholfen. e Das Culturministerium hatte alsdann einen Fonds zu ¢ Pensionen fir solche Gelehrte und Kiinstler ohne Vermégen,

die keinen Gehalt von einer Stelle beziehen, aber der Wissen-

schaft oder der Kunst wesentliche Dienste leisten. Wenn eine Lampe brennen soll, so muss man ihr Oel aufgiessen. Freilich miissten solche Pensionen nicht Sache der Gnade und der Will- kiir, noch weniger geheim sein; die Gesuche um Pension missten vor der Ertheilung im Regierungsblatte angezeigt, die Bewilligung miisste von einem Collegium von Experten begutachtet und die Liste der Pensionére und der momentan Unterstitzten und die

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Jedem zuerkannte Summe alljahrlich gedruckt werden. Ohne solche Veranstaltungen wire es nicht unméglich, dass ein solcher Fonds dem Lande, das ihn bewilligt, schadete statt. zu niitzen.

Rubrik IV. gibt eine tabellarische Uebersicht der Lehrer und Studirenden auf den deutschen Universitéten, eben so der Vor- lesungen. | .

Nun folgen Aufsatze. In‘V. gibt Dr. Melzer, in Breslau (von dem erst kiirzlich eine interessante und gedankenreiche Schrift tiber die Umgestaltung der weltlichen Facultaten , Lpz. Brockhaus, erschienen ist) ,Desiderien der siatistischen Nach- richten iiber das Verhaltniss der Versorgungen 2u der Zahl der Studirenden.“ Der Hr. Verf. bespricht einen fir unser Familien-. Cultur- und Staatsleben héchst wichtigen Punkt. Da, wie einmay die Dinge stehen, nur sehr Wenige bloss zu eigener persérm~— licher Ausbildung akademische Studien machen, die Meisten vie mehr sich durch Studien zu einem Berufe tiichtig machen umd von diesem dereinst leben wollen, so ist es allerdings hoc h- wichlig, dass die politische ‘Arithmetik die Fluctuationen der

, Frequenz der Uniyersitéten bestandig tiberwache und dberhaupt dafiir gesorgt werde, dass das Verhaltniss zwischen méiglicher Versorgung durch Studium zu der Studentenzahl bestindig zu Sffentlicher Kenntniss komme. Sehr wahr bemerkt Hr. M., dass Ueberfiillung der Aspiranten zu Aemtern die Aemter selbst her- . untersetzt, wogegen Mangel an studirten Aspiranten die Geschafte

_. stocken und die Greise im ausschliesslichen-Besitze amtlicher

Wirksamkeit lisst. Der Hr. Verf. schliesst mit einem Satze, der

einen ungerechten Vorwurf enthalt: ,Die politische Arithmetik liegt so-darnieder, weil die Statistiker so trage und ungenau sind.”

Richtiger wire es zu sagen, dass die Staaten (mit Ausnahme von

Frankreich) zu wenig fiir Statistik thun und dass dem blossen Schriftsteller in der Regel die néthigen Notizen gar nicht 20 Gebote stehen.

Nr. VI. gibt eine interessante Charakteristik Dahlmano’ von Albrecht. Sie macht dem Schreiber und dem Geschildertes und den braven Leipziger Biirgern und Professoren Ehre, welche diesen Aufsatz hervorriefen, um ihn der Petition beizulegen, die sie Ende 1840 an die k. s. Regierung gelangen liessen und i0 welcher sie um Berufung D’s zu einer Professur baten. (Die A. 4. 2: hat den Aufsatz abgedruckt.) Hoffen wir, dass Dahlmann bald wie- der College seiner alten Freunde Jaceb und Wilhelm Grimm wird.

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Nr. VII. ist eine ,,Nachricht von der Vorlesung des Prof. Hin-

ri’ chs in Halle tiber religidse und politische Freiheit.“ | Unbe- dexitend, wie denn der ganze dermalen gefihrte Kampf zwischen dem Hegelianern und Hrn. von Schelling ohne allen Werth ist. Die studierende Jugend ist zu bedauern, wenn sie, bevor sie in pO sitiven Wissenschaften etwas Tiichtiges gelernt hat, von der gzannzen Geschichte Notiz nimmt. Ueberhaupt sollte man endlich eiz»mal einsehen, dass man erst ein gehériges Quantum von oF clentlichen Begriffen im Kopfe haben muss, ehe man sich mit dewn Regriffe des Begriffs zu -schaffen machen darf. Die Philo- 8 phie ist, padagogisch gesprochen, d. h. fir den subjectiven Ge jst, nicht die Grundlage der iibrigen Studien, sondern die Spitze, das Ende, die Blithe. Und hat denn ein junger Theo- lO ge, Jurist, Mediciner, Philologe a. s. w. Neigung zu philoso- Phhischen Studien, fuhlt er das Bedirfniss darnach, so lernt er bei einem Mame wie Tren delenburg in einem Jahre mebr als wenn er sich zehn Jahre in der Phraseologie Schelling’s oder

im dem Jargon der ordinéren Hegelianer unterweisen lasst. Von

Hegel selbst ist freilich unendlich viel zu lernen. In Nr, Vill. bringt Hr. Julius Heintze einen Gegenstand zur Sprache, der allerdings schon langst und vielfach hatte be-. sprochen werden sollen, namlich Die Nothwendigkeit, auf den Universitaten Professuren der neueren Spra- chen zu begriinden. Der Hr. Verf. hat sich durch Zusam- . Inenstellung des Factischen Anspruch auf unsern Dank erworben,

dagegen befriedigt seine Betrachtungsweise nicht. Wenn ein ~_ yerstandiger Indlstrieller in irgend einer Zeitung den Wunsch ausdriickt, es méchte an seinem Wohnorte eine h. Biirgerschule neben dem Gymnasium (falls eins da ist) gegriindet werden, da- mit seine ebenfalls fir das Gewerbsleben bestimmten Sohne nicht auf dem Gymnasium ,,sich bloss unfruchtbare Gelehrsamkeit, son- dern zugleich: solche Kenntnisse aneignen, die fir das Leben reellen Nutzen bringen und die praktischen Interessen der Gegen- wart fordern helfen,“ so verzeiht der Einsichtige, wenn er sonst billig ist, dem Manne das Beschrinkte seiner Ansicht, weil der- selbe von seinem Standpunkte aus wirklich Recht hat, indem ' - es fiir eine gewisse Kategorie von Staatsbiirgern so gut Real- schulen geben muss wie ftir eine andere es Gymnasien gibt. In einem Jahrbuche der deutschen Universitéten dagegen sind diese Reflexionen nicht. am Orte; allerdings ist die Forderung des

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Hrn. H. gerecht, aber sie muss durch andere Griinde gestiitzt werden. Unsre Universitéten brauchen Professoren der moder- nen Philologie (nicht bloss der Sprachen, das ist Sache der Gymnasien und der h. Biirgerschulen), theils weil die Er- forschung des Lebens der modernen Culturvélker wissenschaftlich eben so wichtig ist als die Alterthumswissenschaft, dann, weil die Gymnasien und h, Biirgerschulen philologisch gebildete Lehrer der neueren Sprachen und Litteraturen brauchen und einem Theile der kiinftigen Lehrer zu diesen Studien die Mittel dargeboten werden miissen, endlich weil den auf eine vollstandigere Bildung ausgehenden Studenten der Jurisprudenz, Cameralistik, Medicin, Theologie u. s. w., ganz so wie ibnen in den historischen, clas- sisch-philologischen, philosophischen Vortragen u. s. w. Bildungs- mittel dargeboten sind, auch die Gelegenheit nicht fehlen sollte, bei Lehrern, wie sie fiir Universitaten passen, eine tiefere Bildung durch Interpretation, Kritik und Geschichte der neueren Litteraturen, so wie Fertigkeit im kunstmassigen Ge- brauche der neueren Sprachen zu erwerben.

Dass die meisten ,,Lectoren“ auf den Universitaéten eben so wenig auch nur den allerbilligsten Forderungen entsprechen, als die ,,mattres“ auf den Gymnasien, ist Jedem bekannt. Sogar mit manchem ,,Professor der modernen auswartigen Litteraturen“ sieht es betriibt aus, sintemalen ein Belletrist ,; auch wenn man ihn zum Professor macht, und ein Gelehrter, dazu ein Gelehrter, der zugleich lehren soll, manchmal zwei sehr verschiedene Dinge sind. Uebrigens soll es nach Hrn. H. nur auf fiinf Universi- titen besoldete Professoren fiir den Vortrag einiger neueren Sprachen geben, auf den andern vierzehn Lectoren oder auch Niemand. Dass es den Lectoren noch schlechter geht, als den maitres de langue an vielen Schulen, erfahren wir hier auch. Sie lebten meist von Privaltstunden, bezogen’ vom Staat einen , héchst geringen oder auch gar keinen Gehalt, erhielten indessen zuweilen eine gelegentliche Gratification. Fast unglaublich ist, was S. 346 zu lesen steht. ,Auf einer der bedeutendsten deut- schen Universititen sah sich ein Lector noch in der neuesten Zeit gezwungen, aus Mangel an anderem Verdienst, der seinen - Kindern Brod brachte, an 6ffentlichen Orten niederen Ranges in der Stadt und auf dem Lande aufzuspielen; und wen nicht schon die Unwissenschaftlichkeit seiner Vortrige von demselben zuriick- gehalten, der besuchte, wenn er den armen Maan bei dieser

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mit seinem Lehramte allerdings unvertriglichen Arbeit beschéaftigt gesehen, gewiss keins seiner Collegien wieder,-um ihm und sich selber die Schamréthe zu ersparen.

In Nr. IX. wird eine Flugschrift eines Candidaten der Theo- logie iiber akademische Freiheit zermalmt. Die eigenen Ideen des Hrn. Verf. bediirfen indess auch da und dort der Kritik. -Was _ er tiber Lernfreiheit sagt, ist vortrefflich. Nr. X. enthialt alte

Stadentenlieder, von Hoffmann (von Fallersleben) mitgetheilt. In Xl. bespricht. der Hr. Herausgeber so einsichtsvoll als billig einige kleine Schriften iiber Universititsangelegenheiten.

Mer. J. J. Rousseau’s simmtliche Werke. Deutsch von K. Grosse und Dr. J. G.

Hanschmann. Leipzig, Schreck. Bd. I1—IV. Emil. 1840— 41,

Dem Referenten sind die friihern Uebersetzungen des Emil unbekannt, er kann also die vorliegende nicht mit ihren Vor- gangerinnen vergleichen, sondern_nur sagen, dass sie sich ziem- lich gut liest. Wer das Original lesen kann, der wird sich freilich an dieses halten.

Wenn der Emil ein neues Buch wire, so ware bei der An- zeige der Uebersetzung auf_den Gehalt der Urschrift, einzugehen. Bei einem Buche, das vor achtzig Jahren érschienen ist und so Sewirkt hat, scheint diess unnéthig; wer allenfalls tiber Rousseau Und den Emil Auskunft begehrt, den erlaube ich mir auf meine » Geschichte der franz. National-Litteratur neuerer und neuester Zeit“ Bd. 1. S. 90 —100 (Berlin 1837) zu verweisen. Kir solche Keser, die etwa-den Emil lesen méchten, ‘ohne ihm gewachsen Zu sein, citire ich eine Aeusserung Rousseau’s, die uns Julie Bondeli aufbewahrt hat: ,,Der Emil sagte Rousseau ent- hilt den Plan einer negativen Erziehung fir einen abgesonderten Menschen. Fir einen Mann zu biirgerlichen Geschiiften wiirden zwar die Grundsatze einerlei, aber die Anwendung miisste ver- schieden sein. In einer Nationalerziehung miisste man alle Hilfs- mittel zum Guten benutzen, die man in den Sitten und in der Verfassung einer “jeden Gesellschaft findet, und die Liebe zum Ruhm nicht ausschliessen.“ Wie Rousseau das versteht, zeigt sich in seinen Considérations sur la Pologne, * wo er nicht ein- gebildete, sondern wirkliche Verhiltnisse zu besprechen hat. Der.

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* Das Capitel Education findet sich Abthl. Il. S. 489 491 meiner - »Franzés. Chrestomathie.“ (Stuttgart 1842.)

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Emil gleicht so ziemlich der Platonischen Republik, nur mit dem ‘Unterschiede, dass Plato nur den Staat im Auge hat, den Men- ‘schen nur als Birger fasst und nur eine Staatspidagogik gibt, Rousseau dagegen, in einer Zeit des theoretischen und praktischen Atomismus lebend, den Staat ignorirt, den Menschen nur als Particulier, als egoistisch rein auf sich bezogenes Wesen auffasst und somit nur von einer Individualpadagogik eine Vorstellang hat.

Freilich ist es nicht die rechte. Das ,,Natur-Evangeliam der Erziehung,“ wie Goethe treffend den Emil nennt, ist eben

_ pur das Natur-Evangelium und wir brauchen ein Geistes-Evange~

lium. Wie aber die Naturreligionen den geistigen Religionen yor—

ausgegangen sind, so war es auch néthig, dass das von Rousseamy

_vertretene Element einmal fiir sich hingestellt und mit aller Macm ¢ geltend gemacht wurde. Und jedenfalls lernt der Denkende am Rousseau’s Irrthiimern wohl eben so viel, als an seinen Wah wz - heiten. Solche Leser endlich, in denen Neiguag und Fahigketie ist, Accidenzen nicht als Substanzen aufzufassen, sondern welclhne die Accidenz nicht von der Substanz trennen, das Buch nicht vom Autor, solche finden bei Rousseau ganz besonders ihre Rech- nang. Rousseau selbst meint zwar in seinen Bekenntnissen, er sei nicht wie wir andern Menschen, er sei eine ganz eigene Gattung; das ist aber nicht wahr, ‘er ist ein Mensch wie wir, nur darum widerspruchsyoller als wir Andern, weil seine Seele nach grésseren Dimensionen gebaut war. R. ist heftig gehasst und heftig geliecbt worden; bei einer Natur, wie die seinige, kanw dgs ‘nicht anders sein. Wenn man Alter wird, 80 erleiden unsre Gefiihle eine Ermassigung, und wie sich der Gedanke, vom ein-

- seitigen Dogmatismus losmacht und den Gegensatz in sich auf- nimmt, so neigen sich auch die Gefiihle dem Zustande zu, dea die Psychologen gemischten Affect nennen. -Mir ist es mit Rousseau so gegangen: Liebe und Hass haben sich in Mitgefihl aufgelisst Vielleicht verzeihen mir nur Diejenigen-meine Betrachtungen, welche sich ebenfalls Jahre lang mit Rousseau beschéftigt haben. Die iho nur vom Hérensagen kennen, wenn sie anders selbst gelebt habeo, verstehen mich vielleicht, wenn ich mit einem ‘Worte des Genfer

' Biirgers schliesse: Ich unternahm es sagte er mit dea Menschen iiber ihre wichtigsten Interessen zu reden. Sie wollen

lieber singen héren; darum schrieb ich Noten fir sie ab.“ Mer.

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Fuss damentallehre der Pidagogik, oder Begraindung derselben zu einer strengen Wissenschaft. Von Prof. Dr. Braubach, Director der grossh. Realschule zu Giessen. Giessen 1841. Heyer.

. Den Lesern der Paidag. Revue ist Princip, HaHung und

Standpunkt dieser neuen Schrift des verdienten Verf. bereits be-

kammnt, da der -erste Band dieser Zeitschrift S. 236 —243 und

33 1 —348 zwei Fragmente daraus vorlaiufig mitgetheilt hat. Wir be gniigen uns daher bier mit einer Anzeige, ohne eine moglicher- weise spiter erfolgende eindringliche Beurtheilung ausschliessen zx wollen.

: Der Hr. Verf. setzt voraus und mit grossem Rechte, dass die Padagogik sowohl das Bediirfniss als die Fahigkeit habe, eime strenge Wissenschaft zu werden, bis jetzt sei sie es noch nicht.- Das vorliegende Buch soll nun die Grundlage, wenn man Will, die Philosophie der Paidagogik geben, die Principien; die Lehre yon der Anwendung der Principien ist einem spateren

Werke aufbehalten.

Wir geben in der Kiirze den Gang an. _ Nachdem die Padagogik als Wissenschaft und als Kunst

charakterisirt worden, wird Natur und Bestimmung des Menschen

dargelegt, wobei die Bediirftigkeit der Erziehung und die Fahig- keit dazu hervorgehoben wird. Die Erziehung ist verschiedener _ Art, eine dieser Arten ist die Erziehung durch Kunst, oder die absichtliche Erziehung, die eine allgemeine und eine besondere ist, nimlich Erziehung zum Menschen und Erziehung zum Birger. Nuno wird nach dem héchsten Grundsatze gesucht; der Hr. Verf. geht die von Andern aufgestellten héchsten Grundsatze: Gliick- seligkeit, Vollkommenheit, Sittlichkeit, Religiositat durch und fin- det sie simmtlich untauglich und widersprechend. Die Abschnitte, in welchen sein eigenes Princip (,,Erziehe den Menschen zu sci- nem eigenen Erzieher“) so wie die Anwendung desselben auf den

Unterricht auseinandergesetzt ist, hat die Revue mitgetheilt. Der

Hr. Verf. fordert eine Wechselwirkung zwischen Erziehung und Unterricht, so wie zwischen Denken, Fihlen und Wollen, und so begriindet er die unterrichtliche Erziehung und den er- ziehenden Unterricht.“ Nachdem’ dann von der Wechselwir- kung des Materiellen und Formellen in Erziehung und Un- " terricht gehandelt ist, bespricht der Verf. die Naturgemassheit der Erziehung und des Unterrichts, dann beider,- jedoch ein- _geschrankte, Allgemeinheit; dann die Forderung des Huarmo-

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nischen, und darauf die Wirksamkeit der Erziehung. Hierauf wird die Natur der Anlagen, ihre Gleichheit oder Ungleichheit untersucht der Hr. Verf. behauptet urspriingliche Gleichheit, hierin Jacotot beistimmend —, dann.wird von der objectiven und von der subjectiven Methode gehandelt. Diess —. §. 1—75 ist die erste Abtheilung, welche die ,allgemeine Begriindung“ enthalt.

Als ,,specielle Begriindung“ erhalten wir eine allgemeine Theorie des Gefiihls, in welcher der Hr. Verf. sehr- richtig das Fundament aller Erziehung und alles Unterrichtes erblickt. Die Disciplin zerfallt in drei Theile: Allgemeine Naturkunde, Bildungskunde, Heilkunde des Gefihls. Leser, welche fir psy- chologische Untersuchungen Sinn haben und dieser Sinn darf wohl bei jedem Lehrer vorausgesetzt werden —, werden besonders den ersten Abschnitt, die Naturkunde des Gefiihls, mit grossem Genusse lesen. Manche Bestimmungen gehéren dem Verf. eigenthiimlich, so z. B.: ,Der Trieb wird Gefiih] durch die innere Wahroehmung.

Wenn ein denkender Mann, der iiberdiess wie Hr. B. eine finfundzwanzigjahrige Praxis zur Unterlage seines Denkens hat, uns eine Theorie seiner Kunst gibt, so ist immer Viel daraus zu lernen. Zundchst diirfte diese Fundamentallehre solchen Lesern zu empfehlen sein, die ebenfalls Mancherlei und zwar denkend erfahren haben (man kann sich, wie Harnisch sagt, auch dumm und todt erfahren); Neulinge im Lehren und Erziehen’ miissen sich, bevor sie rein principielle Schriften mit Vortheil benutzen kénnen, erst in den Besitz eines weitschichtigen Materials setzen. Wiinschenswerth ware es, wenn der Hr. Verf. auch den ange- wandten Theil ausarbeitete. Fiir Viele wiirde er wohl die Vor- bereitung zur Lectiire dieser Fundamentallehre. Mer.

Die Aufsicht des Geistlichen aber die Volksschule, nach den Grundsétsen des deutschen Schulrechts. Ein Beitrag zur Pastoralklugheit von Karl Kirsch, Diakonus, Hospitalprediger und erstem Madchenlehrer ‘su K6- nigsbrick, Als Anhang: Entwurf eines Untetrichtsplanes far Volks- schulen, Lpz. Reclam, 1840.

Da ist einmal wieder ein ,,Geistlicher,“ mit dem sich reden

_ lisst. Hr. K. geht von dem Grundsatze aus, dass die Oberauf-

sicht iiber das Schulwesen ein Recht und Ausfluss der Staats-

gewalt ist, und dass mit Hebuig der Bildung der Schullehrer die

- Zeit kommen werde. wo der Staat selbstindige Kreisschulrathe,

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die wissenschaftlich vorgebildet und in der Volksschule selbst prektisch ausgebildet sind, anstellen muss. Fiir jetzt brachten es noch die Verhialtnisse mit sich, dass die Schulaufsicht den Kirchenbehérden und den Ortsgeistlichen fast iiberall iibertragen sei. Fir diese Verhaltnisse nun ist Hrn. K.’s Schrift berechnet, Sie ist eine Volksschulkunde ,fir einfaltige Pfarrherren“ und in ihrer Art recht brauchbar und. dankenswerth. _

Derjenige Theil der Culturpolitik, der die Lehre von der Verwaltung der Schulen darzulegen hat von welcher die Lehre vom der Verwaltung der Volksschulen wieder ein Theil ist —; kann in doppelter Weise bearbeitet werden. Einmal so, dass der Yerf. nur die Natur der Sache, nicht aber die bestehenden Ge- s¢tze und Verordnungen im Auge hat; dann wieder so, dass der Verf. angibt, was da und dort Rechtens und unter den obwalten- dem Umstinden zu thun ist. Den letzten Weg hat Hr. K. ein- geschlagen und wir miissen vor Allem den grossen Fleiss rihmen, mit denen er die gesetzlichen Bestimmungen mehrerer Staaten zu- - 8Amamengebracht und vergleichend zusammengestellt hat. Méchte der Hr. Verf. das in Aussicht gestellte. ,,allgemeine deytsche Schul- Eecht“ nur recht bald nachfolgen lassen.

Wenn Ref. in die Mittheilung des Positiven den gréssten - Werth “des vorliegenden Buches setzt, so’ ist diese Werthbestim- Mung nur eine individuelle; Hr. K. ist weit entfernt, nur eine geordnete Sammlung von Gesetzes- und Verordnungsparagraphen zu geben, er gibt zugleich eine eigene Anweisung zur Beauf- sichtigung der Schulen, nur keine auf dem Gedanken der Sache, sondern eine auf den bestehenden Verordnungen beruhende und | in ihrem Geiste gedachte Anweisung. Damit ist gesagt, dass man nicht eigentlich Ideen, iberhaupt nichts Reformatorisches in dem Buche zu suchen hat, wie denn der Hr. Verf. ,die grosse Zahl der Lebrbiicher der Padagogik nicht vermehren, sondern nur zum tieferen Studium dieser noch immer von manchen Geistlichen zur Ungebiihr vernachlissigten Wissenschaft anregen wollte,“ wesshalb er auch eine reiche Litteratur besonders was sehr dankenswerth der Journalartikel beigefiigt hat.

Die Oekonomie des Buches ist folgende. In der Einleitung gibt der Verf. das Allgemeine iiber die Schulaufsicht an und un- terscheidet dann eine unmittelbare und~ eine mittelbare Schulaufsicht. Unter jener versteht der Hr. Verf. ,das Wirken der Geistlichen in der Schule;“ zur ,,mittelbaren Schulaufsicht“

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-— ein Ausdruck, der uns fibel gewéhlt scheint rechnel der Hr. Verf. ,,Alles, was der Geistliche, theils zufolge seiner amt- lichen Verhaltnisse iberhaupt, theils in seiner besondern Stellung, durch seinen Einfluss auf Andre, also ausserhalb der Schule fir die Schule thun kann.“

Die unmittelbare Schulaufsicht besteht dann I. in der Auf- sicht tiber das Innere der Schule, und zwar 1. iiber den Unter- richt (Lehrplan, Lehrgegenstande, was hat der Inspector bei jedem einzelnen Lehrgegenstande besonders zu beachten: Lesen, Schrei- ben u. s. w., Lebrform, Lehrmitiel: Handbiicher, des Lehrers, Schulbiicher, Inventar u. s. w.); 2. tiber die Schulzucht, zu wel- cher der Hr. Verf. auch die Aufsicht tiber die physische,. die asthetische und die sittlich-religidse Erziehung rechnet (Gebrauch der Bibel, Andachtsiibungen u. s. w.). Das Il. Capitel handelt von der Aufsicht iber das Aeussere (Schulgebaude, Schulordnung, Schulhaushalt), im II. werden dem Geistlichen liber seine Schul— besuche Regeln gegeben.

Im zweiten Theile (Mittelbare Schulaufsicht) wird I. die | Stel— lung des Geistlichen zum Schullehrer, Il. zu den Kindern, [J_— 2u den Eltern, IV. zu den tbrigen Aufsichtsbehérden besprochen_—

Wie seltsam es uns Andern, die wir nicht Pfarrer sind, nugam auch vorkommen mag, dass die Lehre von der Local-Inspectionmm iiber die Volksschule mit der ,,Pastoralklugheit“ etwas zu schaffemm haben soll, * und wie sehr wir es ungehGrig finden miissen, wennm die Local-Schulinspection, werde sie nun durch den Pfarrer oder durch den Biirgermeister geiibt, sich auf das Technische des Schulhaltens (Lehrplan, Lehrform, Lehrgegenstinde u. s. w.) ein— zulassen hat: so wire es doch unbillig, mit dem Hrn. Verf. aber~~ diese Dinge rechten zu wollen, indem sein Buch nun einmal fir die dermalen an den meisten Orten bestehenden Verhiltnisse bestimmt ist und ohne diese Verhiltnisse schwerlich entstanden _ware. Jedenfalls ware vor der Hand schon Viel gewonnen, wenn jeder Pfarrer, der eine Schule zu beaufsichtigen hat, Hrn. K.’s Buch zur Hand nehmen und sich daraus aber die Natur und den Umfang ihrer Inspectorspflichten ein wenig belehren wollte. Frei- lich ist es-nicht nur die vollkommenste Unkunde des Gegen-

* Viele Laodpfarrer sind darauf angewiesen Landwirthschaft zu treibes. Ich wundre mich, dass dieser Umstand nicht bereits ein Buch veranlasst hat: ,Anweisung sur rechten Betreibung der Landwirthschaft far Geistliche. Ein Beitrag sur Pastoralklugheit.“ -_

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stamdes, was die Schulinspection der Geistlichen in sehr vielen Falken unniitz, ja schidlich macht, noch viel mehr schadet der the ologische Hochmuth,. der sich nicht selten auf die empérendste Weise gegen die Schullebrer geberdet, wozu dann noch bei sehr " Vielen. die vollkommenste Gleichgiiltigkeit gegen die Schule kommt, Das Stiickchen, das Hr. K. S. 215 erzghit, hitten wir ‘indessen doch kaum. fir méglich gehalten. An vielen Orten nimlich hat der Pfarrer als Local-Inspector zu bestimmen, ob ei Kind aus der Schule entlassen werden darf oder ob es noch bleiben muss. Ein solcher liess sich in. der Schule also ver- nelhmen: ,Hort, ihr grossen Kinder! wer heuer-nicht auf meinem Felde Kartoffeln ausmachen -hilft, der darf zu Ostern nicht mit aus der Schule.“ . | Der Anhang gibt den ,,ggistlichen* Amtsbriidern des Hrn. Verf. ein Modell zu einem Unterrichtsplan. Auch hier schliesst sich Hr. K. durchaus an das Bestehende an, er folgt besonders Denzel und Dinter. Nun liegt es aber in der Natur der Sache, dass auf eincm Gebiete wie die Didaktik, das Bestehende, wenn es eine Reihe von Jahren bestanden hat, zu einem Gewe- senen wird. Und so- wollen wir nicht bergen, dass wir den vorliegenden Lehrplan fiir theilweise veraltet halten. Als eine Sonderbarkeit fahren wir noch an, dass Hr. K. Lesen, Schreiben, Deutsche Sprache, Rechnen, Singen, formale, Religion, Ge- Me Anniitzige Kenntnisse und Anschauungsunterricht materiale Le hrgegenstande nennt. / Mgr.

He imo Martine, oder Merkwirdige Bildungsgeschichte eines Schulmannes - im Hannoverschen, nebst dessen Amts- und Lebenserfahrungen. Nebst vier Beilagen. Hannover 1839, Hahn’sche Hofbuchhandlung.

Die Lebensgeschichte einer innerlich und dusserlich be- ®@ Bhrankten Natur, ohne wissenschaftliches Interesse fir hoher bildete, wahrend sie allerdings fiir ein recht zahlreiches Publi- “Am so interessant als lehrreich sein mag. Eine menschliche T heilnahme spricht das Buch immerhin an. Es ist merkwiirdig: sen wir eine unzulingliche wissenschaftliche oder kiinstlerische Arbeit,.sq argern wir uns iiber den Verfasser, es ist als hatte €r uns eine persdnliche Beleidigung angethan. Macht dagegen ein nicht eben. geistreicher Mann, wenn er sonst nur wacker ist, sich selbst zum Gegenstande seiner Darstellung, so fallt uns die kritische Feder aus der Hand, wir fiihlen, dass wir es weniger mit einem Buche als mit einem Menschen zu thun haben. Mgr.

Ueber Nacherziehung und Nachschalen, von K, Preusker. A.u.d.T.: Ueber Jugendbildung u. s. w. Fianftes (letztes) Hoeft. Lpz. Hinrichs, 1842. -

Es ist recht dankenswerth, dass nicht nur Lehrer und Theo- logen, sondern auch verstindige Geschiflsminner von Zeit zu _ Zeit aber Erziehung, Unterricht und Schulwesen einmal ihrem Meinung sagen. Hr. Rentamtmann Preusker ist vor Vielen dazr-— berufen. Er hat ein Herz fir das Volk, den Kopf auf dem rechtemmg- Flecke und gute Augen darin, und dann ist er weder ein Kopi hanger noch ein Philister. So erklart er sich nicht nur daftime, dass die jungen Leute Schwimmen, Schlittschuhlaufen, Tanze= m und Turnen lernen, auch das Reiten sollte nach ihm und m iat Recht Jeder lernen, der es vermag, und eben so das Fechte 22, weil ,dem Manne die Waffe in der Hand gebihrt.“ Unsrer A wa- sicht nach hatte Hr. P. noch etwas weiter gehen sollen: uns m-e ganze heranwachsende Schuljugend muss nicht nur in Wisse =2- schaften, sondern auch in den Waffen geiibt, manoeuyrirfénig gemacht werden, und ware es auch nur darum, weil das AB C der militéarischen Ausbildung Knaben von 13—17 Jahren eixze Lust eine Langweilerei fir Einundzwanzigjaébrige ist und wean auch diese Einundzwanzigjahrigen Bauernburschen sind.

Ref. kennt die ersten vier Hefte dieser Schrift nicht, indess kann er die Titel mittheilen. In den drei ersten Heften wird die Erziehung im Hause der Eltern besprochen, im vierten das Schulwesen (Volks-, Realschulen, Bewahranstalten u. s. f.) AucB auf eine verwandte Schrift des.Hrn. Verf. wollen wir aufmerksax™ | machen, da der Gegenstand wichtig ist und Mancher hier in seinex™ Kreise nitzen kann. Sie heisst: Ueber ffentliche, Vereins- uw @ Privatbibliotheken, so wie andre Sammlungen, Lesezirkel um & verwandte Gegenstande, bis jetzt zwei Hefte.

Hr. P. thut sehr wohl, dass er sich mit seinen Ansichte ™* und Vorschlagen im Wesentlichen an die Masse der Gebildete # wendet, an die Eltern, die Lehr- und Dienstherren, die Ortsbe— hérden, die Schulvorstinde, die Gewerb- und Wohlthatigkeits vereine, weil von diesen in der That zunachst die Hilfe kommer?

- muss. Die rechte Hilfe ist die Selbsthilfe. Indess wire es sa bedauern, wenn die Gelehrten und die mit der Schulverwaltang betrauten héheren Behérden von dem Buche nicht auch Kenntniss nehmen wollten. Hr. P. muss das heutige Leben in ausgezeich- neter Weise kennen, er betrachtet es von allen Seiten und ist unerschépflich an Verbesserungs- Vorschligen, die, wie es mit

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scheint, meistens bei gutem Willen ausfithrbar waren und von de-wzen manche ladngst ausgefiihrt sein sollten. Biicher, wie sie He. P. schreibt, machen ihren Urheber um die Nation verdient. Mer. B. Mand-, Lehr- und Lernbiicher. f. . Hellenica. Die Geschichte Gricchenlands his zum peloponnesischen Kriege mach ihren Hauptmomenten in Ausziigen aus griechischen Schriftstellern far mittlere Gymnasialclassen zusammengestellt und mit Anmerkungen erléutert, von Dr. Friedr. Kraner, Oberlehrer an der kénigl. Landes- sschule zu Meissen. Drack und Verlag von C. E. Klinkicht und Sohn. 1842. Gr i echisches Elementarbuch far untere und mittlere Gymnasialclassen. Von A. F. Gottschick, Oberlehrer des Friedrichs-Werderschen Gymnasiums zu Berlin. Zweite Abtheilung. Berlin 1842. Plahn’sche Buchhl. (L. Nitze.) Auch unter dem besondern Titel: Griechisches Lesebuch far antere und mittlere Gymnasialelassen. Von A. F. Gottschick.

Es bleibt immer eine schwierige Aufgabe, ein ganz geeig- netes Uebungsbuch aufzustellen, welches den Anfanger im Er- learmen der griechischen Sprache zu seinem Ziele hinfiihrt, ohne ihex durch gréssere oder kleinere ihm ganz unbekannte Partieen dex Sprache wandern zu lassen. Benutzt man aber bei dem

Unaterrichte in untern Classen eines der gebrauchlichen Uebungs- . -

biicher, so findet- man nur gar zu oft, dass in ihnen bei den Schiilern vieles vorausgesetzt wird, was sie nach dem angenom- menen, selbst in Ueberschriften angedeuteten Standpunkte ihres Wissens noch nicht kennen kiénnen. Die unregelmissigen Verba kommen schon in Satzen vor, in denen die erste und zweite oder hichstens’ die dritte Declination eingeiibt werden sollen. H&tie man nun fir den Unterricht in einer Sprache genug Zeit, KG wnnte man an jedem Tage anfangs eine Stunde der Formenlehre Ura ci eine andere dem Lesen widmen, so wiirden jene Uebelstinde © ‘8am nichts schaden, wie sie auch friher nichts geschadet haben; €&~° wiirden die einzelnen unbekannten Erscheinungen einander bald erginzen, erklaren und in das gehdrige Licht stellen, ohne dzass yon aussen auf den Schiiler eingewirkt wiirde. Dieses Ver- falbren war in einer Zeit modglich,’ wo leider die Sprachen fast Xen einzigen Unterrichtsstoff bildeten; jetzt wo im Gegentheil die Unterrichtsgegenstinde sich gehiuft haben, und die Sprachen auf

. ine kleine Stundenzahl beschrankt sind, muss durch die Methode F manches bewirkt werden, was frither durch die gréssere Stunden-. gah yon selbst kam. Die Lehrer nun, welche einige Beobach- fangsgabe haben, werden wahrend des Unterrichts bald: auf die

Padagog. Revue. 1842. b, Bd. V. 20

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Miangel der Lebrbficher aufmerksam, suchen sie zu vermeiden un zu verbessern, es erzeugt sich bei ihnen nach und nach da Ideal eines Schulbuches, und erlauben es ihre sonstigen Geschifte so legen sie wohl auch Hand an, um jenes Ideal zu verwirklichen Daher die grosse Anzahl von Uebungsbiichern. Einem 4&hnlichei Streben verdanken auch die vorliegenden Biicher ihre Entstehung die zwar beide fir das Bediirfniss der unteren und besonders de mittlern (rymnasialclassen bestimmt sind, aber, wie schon der Tite zeigt, in ihrer Einrichtung doch ganz verschieden sind. Herr Gott schick sucht vor Allem das Sprachmaterial zum deutlichen Bewuss sein der Schiller zu bringen, wabrend Hr. Kraner die Sprache unterordnet und das griechische Volk in seinem Wesen und Sei und in seiner Geschichte dem Schiiler vorfiibrt. Wir misse daher beide Biicher besonders beurtheilen.-

Herr G. strebte bei Ausarbeitung seines Buches darnach, de: Schiiler eine Form vorzufiihren, welche er nach dem bereits E lernten nicht zu erkléren wiisste, und bestimmt dasselbe das dem Schiiler méglichst bald die Formen, welche er gelernt ha in ihrer Anwendung in zusammeohangenden Beispielen zu zeige Er fibrt daher die. Schiiler nicht erst dann zur Lectire, wer sie die Declination des Substantjvs, Adjectivs, des Pronomes und das regelmassige Verbum gelernt haben; sondern macht b seinem Unterrichte, und so auch in diesem Uebungsbuche, dr Curse der Formenlehre. In dem ersten lisst er sogleich nee der Einiibung der regelméssigen Substantiva und Adjectiva.d: Verbum sivi nur als Vocabel auswendig lernen ‘und fiihrt dar die Schiller zum Lesen der fiir diesen Zweck eingerichtete Sitzchen. Sodann geht er in der Grammatik zu dem Verbu purum, die contracta noch ausschliessend, zu der regelma sigen Comparation der Adjectiva in og und lasst die Cardins und Ordinalzahlen lernen. Der zweite Curs erganzt den erat durch die contrahirte und attische zweite, durch die zusamme gezogene und anomale dritte Declination, durch die vollstandi Comparation der Adjective und die iibrigen Zahiworter. Ne hinzugelernt werden-die Verba contracta, impura, liquic und die Pronomina. Der dritte Curs endlich umfasst d Verba in we und die sogenaunten unregelinassigen.

Wir ‘gestehen, dass dieser Unterrichtsplan sowohl in Rie sicht auf das Nothwendige, als auf das Fortschreiten vom leicht Fasslichen su dem Schwierigern verstindig cntworfen ist. D

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Beispiele hat der Hr. Verf. grésstentheils aus miustergiiltigen Schrifistellern gewahlt, aber um sie fir den Unterrichtsplan geeig- pet zu machen, ist nicht selten an ihnen geandert, immer in_ passender Weise, soweit wir uns an die Originalien erinnerten; Eimazelnes hat der Hr. Verf. selbst gebildet und keinen Anstand gemnommen, gute Beispiele aus andern Lesebiichern, als Gemein- gut , in das seinige aufzunehmen. Fir die Verba in we und die unregelmiassigen Zeitwérter sind keine besondern Satze, son- derm Erziéhlungen und Anekdoten aufgefihrt, welche zur Ein-* ibeang der einen oder andern Form besonders geeignet sind. Diess miissen wir nun tadeln. Der Hr. Verf. wird durch Erfah- tung wissen, wie schwer es haufig den Schiilern wird, diese Verba genau kennen zu lernen, und wie sie die einzelnen Formen selbst dann nicht leicht erkennen, wenn sie dieselben auch ohne Anstoss hinter einander hersagen kénnen. Er hatte desshalb den Plan seines Unterrichts nicht our fir den ersten und zweiten, | somdern auch far den dritten Curs durchfibren sollen. 7

Auffallen muss es, dass in diesen Cursen weder der Pri- positionen noch der Syntax gedacht wird, welche man doch bei gamzen Sadtzen keiner Sprache entbehren kann. Was die Pri- -

_ Positionen betrifft, so scheint der Hr. Verf. sie als blosse Vo-

tabeln betrachtet und daher in das angehingte zu kurz gehaltene W6rterbuch verwiesen zu haben, welches fir 213 Seiten Text nar 57 Seiten fullt, Hat er nun etwa in Riicksicht der Syntax bar Sitze ausgewahlt, in welchen die Construction mit der deut- ‘chen iibereinstimmt? dann kénnten wir dem Hrn. Verf. glauben, dass er viele Zeit und Mie auf das Buch verwendet habe, denn er hatte wirklich eine dusserst schwierige Aufgabe gelést. Aber das hat Hr. G. nicht gethan; er hilft sich leichter tiber die Schwie- rig Ieeit ‘weg. Er beriicksichtigt sie namlich entweder gar nicht, Oder er britigt sie in kurzen Anmerkungen unter dem Texte an, oes er bemerkt bei einzelnen Worten wohl auch im Lexikon, Wie sie construirt werden. Wahrend er nun an dem ,in vieler

RG oisicht trefflichen Uebungsbuche* von Halm tadelt, dass gleich

AF der ersi..<Seite éEetoev mit der Erklérung erfand, an “am von Rost bearbeiteten, dass in ihm nageyévero mit nothi- 8@r Erklirung vorkommt; finden wir hier schon in der ersten bung (S.°2.) frejlich auch mit einer Erklarung: 4 guy aioyedv. ~ “glei¢h in der ersten Uebung (1, Il, 24.) steht das Neutrum

dey Plurals mit dem Verbum im Singular und mit dem Optativ 7 20 *

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zum Ausdruck der gemilderten Behauptung. Es kommen schon die ‘Superlative jxcora und nodrog vor, die, gwar beide in dem Woarterbuche erklért werden, aber wenigstens letzteres nicht geniigend; denn es findet sich das Wort (1, I, 14.) in dem Salzchen: Didunnog ro wiv nodrov roig OnBalosg qpidog jy, Enevra, 08 moAgusog, und in dem Woarterbuche ist unter nodrog nur bemerkt ,,1gdrov, zu erst, rd mewrov, das erste Mal.“ Dass rd nowrov auch adverbial in der Bedeutung zuers.t gebraueht werde, muss: der Schiiler also errathen, oder er wird den Satz nicht verstehen. In demselben Uebungsstiicke kommen auch

schon die Participia- é¢éapuévog und xexaprouevog vor. Erstereamm.

steht zwar im Lexikon, ohne dass dabei auf Oadvvup. verwiesemr-p wire, aber das zweite, welches auch 2, I, 20. und 2, IIT, 10m. wiederkehrt, fehlt sowohl! selbst im Worterbuche, als auch das Verbum ycolZozar. Wie soll sich nun der Schiéler helfem 7 Seite 7, 11. finden wir schon einen hypothetischen Satz: él pax "AhéiEavdeog Hv, Aroyévnc dv fv, mit der Bemerkung: ,,So sag te Alexander der Grosse in seinem Urtheile tiber Diogenes.“ Alle #n damit ist dem Schiller nur wenig gedient, wenn er den Simn nicht versteht. Die Formen der Worter sind ihm hekannt, und auch ay hat er nachgeschlagen und bringt doch nur heraus: Weran ich nicht Alexander war. so wtirde, kénnte oder dirfte ich Diogenes sein. In der zweiten Uebung (2, I, 13.) kommt nicht nur das Neutrum des Artikels im Nominativ mit dem Genitiv eines Substantiv (ra rev pedrcoodv) mit der Bemerkung vor ,das Verfahren, verg]. Buttmann Gr. §. 115. Anm. 2;“ nicht nur finden sich fast alle Casus von. még und das Pronomen indefinitum rig, sondern auch schon, ein Accusativ cum Infinit. (2,-II, 16.) und drei verschiedene Arten des Gebrauchs vom Accusatiy, in wel- chem die griechische Sprache weder mit der deutschen rioch ~ Jatein. iibereinstimmt, nimlich 1. “Hpavorog to ndds Horde iv (2, 11,.5.), ohne .Bemerkung; 2. exedrng qv mdvra tedno esq hijiog toicg plaorg (2, Il, 17.), mit der Bemerkung, den Acct- sativ durch auf zu iibersetzen, 3. dvdgcavreg &DAnrav rev Odve- nea xal Tvdia vevixnxdrov (2, 1, 12.), mit de ~Uebersetzung: der Sieger in den olympischen-und pythischen Spielen. Wein nun auch iiber* die Schwierigkeiten in den beiden letzten Bei- spielen dem Schiiler durch die Anmerkung weggeholfen wird; ‘so steht er doch am ersten rathlos da, und findet anch im Worter- buche keine Hiilfe. In derselben zweiten Uebung (2, HI, 20.)

—-_ op me oe 2 wR “S- aes OOP U6 Oe

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ist nicht nur ovééy gebraucht, das nach dem Unterrichtspliane

- noch unbekannt sein soll, wie denn auch Hr. G. noch in spatern

Beispiclen auf ovdeig verweist, wenn eine Form dieses Wortes vorkomml, sondern es ist eine grammatische Regel angewendet, yenuatav dnanotog (2, I, 15.3, hei welcher sich der Schiiler um so weniger wird helfen konnen, als das Wort dmhnorog im Worlerbuche feblt.

Auf der 10, 11 und 12 Seite, auf welchen das Activum des Verbum purum mit Wortern der ersten und zweiten Declination verbunden ist, finden sich nicht nur die dem Schiiler noch un- bekannten Formen ovdeyia und nodAdy (wegen welcher er auf obdcic und moAvg verwiesen wird) und die syntaktischen Regeln ber die Verba des Beherrschens .und Uebertreffens (GaovAeveu, Tupawvevey xpatiotevev) angewendet, iiber welche das Nothige

. im Lexikon steht; nicht nur die Regeln aber die Verba des Tren-—

nens und Befreiens (6 Sdvarog dnoAver rovg dvIeanove novev. ‘al xaxov), ohne dass der Schiller durch das Wérterbuch unter- stitzt wiirde; nicht nur steht der Accusativ zum Ausdruck der_ Zeit, wihrend welcher etwas geschieht (érvedvysuce paxodv yeo- vov, 2, IT, 20.), wo ungefabr die Kenntniss der latein. Sprache helfen kann: sondern es sind schon eigentliche Gracismen (wie xivduvoy xivdvveverv, 2, 11, 15 und 21.) angebracht, ohne dass der

, . Schiller tiber dieselben belehrt wiirde; es findet sich nasdevew

mit dem doppelten Accusativ, und in dem Warterbuche ist weder liber diese Construction etwas bemerkt, noch auch die Bedeutung Uhterrichten bei dem Activ aufgefiihrt, so dass der Schiler

bei aller Bekanntschaft mit ‘den Formen doch mit dem Satze

nichts anfangen kann; es stehen wiederholt Optative in abhin- tigen Sitzen (2, 1, 11. 19. II, 17%.), ohne dass der Schiiler dar- _ Gber etwas erfahrt; es kommt xaradvew (2, Il, 1 und 12.) in der Bedeutung untergehen vor, und in dem Lexikon fehlt dieselbe; ¥ es findet sich endlich der Aorist, welcher durch eine Um-

Shreibung mit dem Verbum. pflegen iibersetzt werden muss,

angewendel (1, 20. rag trav paviav ouvndsiag dAiyog yedvog bdAvoe), was doch der’Schiiler nicht begreifen kann, wenn ihm bicht die Grundziige des Gebrauchs vam Aorist entwickelt wer- den. Wie man weiter fortschreitet, kommen immer mebr syn- laktische Regeln in Betracht und in der Formenlehre wird mit sleicher Verletzung der aufgestellten Curse verfahren. Verdienst- lich ist es, dass der Hr: Verf. bald kleine Erzaéhlungen, mit még-

x

lichster Entfernung des noch nicht Gelernten, einmischt, aber es ;

kommt doch ebenfalls sogleich in der ersten ein Accus. c. Infinit. vor. Das angehangte Worterbuch ist fir diese Uebangen weder

an Wortern, noch in Angabe der Bedeutungen und Constructionen volistindig genug. Der Hr. Verf. sagt, er habe sich gendthigt gesehen, im Worterbuche die méglichst grésste Raumersparniss zu erzielen, um den Preis des Buchs niedrig zu stellen und dabei doch an dem reichen Lesestoffe nichts zu verkiirzen: allein er hat dadurch weder im Interesse des Schiilers gebandelt, der - sich noch ein Worterbuch dazu kaufen muss, noch seiner selbst _g und des Buchhandlers, denn schon wegen dieses Fehlers méchte =<,

es schwer sein, das Buch in deo Schulen einzufihren. Ja, wenn

das Buch Eingang finden sollte, so wird der Schiler, welche < auch bei redlichem Fleisse die syntaktischen Schwierigkeiten am welche das Buch darbietet, nicht iiberwiltigen kann, und sicli” | auch nicht durch einen Wiak in dem Worterbuche oder eine—== Anmerkung unterstiitzt sieht, welcher sich qualt und seine Mih _ ¢ nutzlos verschwendet, endlich entweder in seinem erfolglose —am Bestreben nachlassen, oder er wird zu fremder, nicht erlaubte==r Hilfe seine Zuflucht nehmen, um dem Lehrer scheinbar zu ge=- niigen; und so kann gar leicht der Fall eintreten, dass dure ™& dieses nicht genau systematisch cingerichtete Schulbuch de= 7 Charakter des Schiilers verdorben wird. . a

Wir behaupten also, dass Hr. G. zwar in der Vorrede einea® 4 nicht tiblen Schematismus fir ein elementares Uebungsbuch auff?— gestellt hat, dass demselben aber leider die vorliegende Schrif'® gar nicht entspricht. Hr. G. spricht in der Vorrede noch vor® einer Elementargrammatik, welche mit genauer Beriicksichtiguogy des praktischen Zweckes von ihm fiir solche Schiler ausgearbeite€ worden ist, welche dieses Lesebuch benutzen wollen, allein sie ist uns nicht zu Handen gekommen. Sollten wir sie noch er- halten, und sollte sie in der Methode etwas Eigenthimliches enthalten, was die Verstésse des Uebungsbuchs erklart, so wer- den wir sie nachtraglich anzeigen.

Herr Kraner wollte dagegen ein Lesebuch geben , in wel-

_ ehem ejne mégtichst vollstindige griech. Geschichte von den fltesten Zeiten bis auf den peloponnesischen Krieg enthalten ware und durch dasselbe im Geiste des Schilers ein Bild des griech. Volks erzengen. Da dieses sich nicht durch Ausziige aus einem oder zwei Schrifistellern bewirken liess, so beniitzte er zwlf

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(Apollodoros, Aristoteles, Diodoros, Dionysios v. Halikarnassos, Herodotos, Isokrates, Lysias, Pausanias, Plutarchos, Strabo, Thukydides, Xenophon) iiber welche S. 254-257 das Nothige beigebracht ist. Bei der Auswahl von Stellen dieser springt er besonders in dem ersten Buche oft schnell yon den Worten des einen auf die eines andern iiber, aber im Ganzen sind die Sticke gut verbunden, ja zuweilen' liest man. eines andern Schrift- glellers Worte ohne es zu merken. Aber immer ist es nicht gselungen, erginzende Stellen einzumischen, ohne dadurch. den Sinn zu unterbrechen odér die Construction zu stéren. So ist es namentlich S:.46, 5 ff, wo zwischen die Worte Diodors eine Stelle Strabos eingesetzt wird, welche bewirkt, dass man nicht gleich weiss, wie man die auf Linie 16, 17 folgende Construc- lion erkléren soll. Ware der Hr. Verf. nicht fir seinen Plan Voraus eingenommen gewesen, so wiirde er auch gemerkt haben, dass wirklich sehr oft der Unterschied der Sprache und Darstel- lung bei den verschiedenen Schriftstellern bedeutender ist, als er versichert. Wie sonderbar wird man oft afficirt, wenn man.

‘Yom einer Stelle aus Strabo und Apollodor zu den Worten des Thutydides, Dionysios oder Aristoteles tibergeht! Mag es ganz wahr sein, was Hr. K. versichert, dass er besonders jetzt, wo die moderne Richtung angelegentlich der alten Litteratur als Bil- dan gsmittel entgegenarbeitet, an der Zeit sei, auch das Sein und Wesen der alten Welt, ihre grossen Persdénlichkeiten, die Ent- Wickelung und stufenweise Gestaltung der alten Vélker zum Be- Wusstsein der Schiller zu bringen, und diese nicht nur durch den Zauber der Sprache, fiir den nicht alle ein offenes Obr haben, 2u bilden; so scheint es uns doch, als ob Hr. K., ohne dass er es weiss, von der modernen Richtung ergriffen ist und nicht wider sie, sondern zu ihrem Nutzen arbeitet, indem er das ge- wahrt, was sie fordert: Massen von Kenntnissen auf Kosten der Harmonie des Geistes. Den gesammten Stoff hat der Hr. Verf. in vier Bucher vertheilt. Im ersten behandelt er kurz die Geo- graphie und Ureinwohner, die Einwanderungen aus dem Orient und die althellenischen Einrichtungen und 6ffentlichen Institute.’ Das szweite beginnt mit der dorischen Wanderung, schildert die . Verfassung Lykurgs und die Geschichte Athens bis zur Verfas- sung des Kleisthenes. Das dritte stellt die Kimpfe der Griechen gegen die Perser bis zur Schlacht bei Mykale dar und das vierte umfasst die Zeit bis zum Ausbruche des peloponnesischen Krieges.

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Die Anmerkungen, welche der Hr. Verf. beizuftigen far gut befunden hat, beziehen sich grésstentheils auf die Sachen, und verhaltnissmassig nur wenige gehen auf die Sprache. Wir-.wollen zuerst tiber die letztern unser Urtheil aussprechen and dabei besonders das erste Buch beriicksichtigen, jedoch auch die andera— gelegentlich mit beurtheilen. Wir werden uns dabej erinnertumg, miissen, dass die Lesestiicke fiir Mittelclassen, . etwa fir die dritte—, zur Lectiire in der Schule, fiir die zweite zum Privatstudiur~w,, bestimmt sind. In diesen Classen ist nach dem Hrn. Verf. (S.JI _y der Schiiler noch ganz in der Arbeit’ und Mithe des Erlernen ye befangen, und das Verstehen der Worte an sich nimmt seimme ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Hr. Kr. hat nun die graaw- matischen und sprachlichen Bemerkungen nur da angebracht, ~eo sie unumganglich néthig waren, und verweist dabei auf die Gram- matiken. von Buttmann, Rost und zuweilen auch auf Matthia. Nicht selten hat Hr. Kr. die Anmerkungen benutzt., welche die Herausgeber der ganzen Schriftsteller beibrachten, ohne dass er dieses anzeigte, aber auch durch diéses Verfahren hat er wohl schwerlich das Stiick aus Thukydides S. 1422 den Schiilern - der dritten Classe verstandlich gemacht. S. 21, 4 ist bei dno maoncg ‘EAAadog mepndpevor und 21, 6 aber te, “welchem énevd7, O& entspricht, wie an manchen andern Stellen, . Giller benutzt. Bei Worterklirungen ist in vielen Stellen geradezu das wiedergegeben , was sich in Passows Lexikon findet, und nua? einige Beispiele sind beigefiigt. So S. 26 Anm. 6 tiber vopitet7> S. 40. Anm. 4 iiber xadgiod as éni rwog’, S. 2% Anm. 1 iiber di © jonische Verbindung von weyoig ov mit dem Genitiv, wo nick®t nur die Beispiele, sondern selbst die Verweisung anf Hermans © Anmerkungen zum Viger aus Passow genommen und nur beige=~

fiigt ist, dass wie sonst der Genitiv, so an der zu erklarende #? ‘Stelle neanv re xal ySég gesetzt sei. Wie der Hr. Verf. hie>* wohl besser gethan hatte, wenn er geradezu auf Passow ve® ~ wiesen und dadurch Raum erspart hatte; so hatte er an ander Stellen die Bemerkungen wenigstens zum Theil weglassen koe®~ nen, wie S. 37 Anm. 6. iiber die von Stallbaum an einer Stel ¥€ aufgenommene Lesart; S. 26 ist Anm. 2. der erste-Theil nutzloS: weil er nur wiederholt, was deutlich im Texte steht, und déF zweite Theil, dass nimlich Plato ded¢ von Jéew ableite, dem Laufe der Gestirne, als der iltesten Gottheiten, wird nur Ver witrung erzeugen. Da der Schiiler nicht wissen, kann, dass die

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Alten fiberhaupt, und so auch Plato, sehr ungltickliche Etymo- logen waren, so kann er durch den Namen des Philosophen wohl verleitet werden, diese Ableitung fiir die richtige zu halten, wodarch nicht nur eine falsche Ansicht von der griech. Etymolo- gie begriindet, sondern auch der Glaube erzeugt wird, als hatten die Griechen die Sterne verehrt, von denen doch selbst Sonne ‘und Mond in dem alten Cultus sehr untergeordnet waren, und an eine Verehrung der andern Gestirne ist in der altesten Zeit um so weniger zu denken, als Homer und Hesindos nur wenige Sternbilder kennen. Durch den Wegfall dieser und aholicher Bemerkungen hitte Raum fiir anderweitige Bemerkungen gewon- nen werden sollen, um entweder sprachliche Eigenthimlichkeiten, Welche gar nicht berihrt sind, zu erklaren (wie z. B. S. 18 Linie ‘ber obre re ovx, S. 20, 11. tiber dAAog re xal, S. 43, 15. xal 87 xal), oder berithrte Schwierigkeiten naher zu besprechen; so wiirde z. B. S. 11 Anm. 13. bei der Construction @no é&7- xovra oradlev rig noAs@o, die dadurch nicht erklart ist, dass gesagt wird, die Priposition stiinde statt bei dem Gegenstande, ¥on welchem etwas entfernt ist, bei dem Maasse der Entfernung, wenigstens an den entsprechenden latein. Sprachgebrauch zu erin- berm gewesen, welchen Zumpt §. 396. Anm. 1. 5. 356 bespricht. S. 35 Aum. 5. geniigt die Bemerkung iiber rore und andere WGrter, welche ,,des Nachdrucks wegen haufig-nach dem Particip ei geschaltet werden“ nicht, da der Schiiler wohl schwerlich Wind begreifen kénnen. wie durch diese Wérter ein Nachdruck emtsteht. Es war dabei auf die abnliche, nicht erklarte Erschei- MA wag S. 12. Linie 4: Aevxadeov rexrnvapevog Adevaxa, xal re ént- 1 Bea WwFéiuevog, sig ravtny eioéBn zu verweisen und zu sagen, €s5 diese demonstrativen Adverbia und Pronomina das im vor- he rgehenden Particip u. 8. w. ausgesprochene kurz zusammen- fas sen und bei dem Hauptverbum wiederholen. So ist also elg Feedrny nicht etwa stalt eig avrnv gesetzt, wie der Schiiler ge- Neigt sein méchte, es aufzufassen, sondern es ist: in diese, Welche in der angefiibrten Weise zubereitet war. Eine ahnliche | Erscheinung ist auch S. 25 Anm. 4., wo nach einem vorausge- henden Relativsatze oder Particip odrog eingeschoben wird. Da hun dieses odrog nur den Sinn des Vorausgehenden wiederholt, 80 wird auch bei ovrog das 82, welches beim Relativ oder Par- licip stand, noch einmal gesetzi. S. 48 Anm. 4. ist zwar iiber SijAov dé. yag gesprochen, aber der Gebrauch des yao keines-

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wees erklart. Es stehen namlich rd 6) utyrotov, pbyrctov 8h rexunovov, to 2 xepadasov, tO 8s Onpsiov, pavepdv 38, SHAov db, to 83 goyatov u. a. mit Weglassung von éori als .selbstandige Sitze, dasjenige , was eigentlich zu ihnen als Pradikat hinzutreten sollte, wird als Erklarung beigefagt und daher mit yog verbunden. S. Wolf zur Leptinea 459, 28. An manchen andern Steller hatte . eine Bemerkung oder Verweisung auf die Grammatik beigefiigt . werden sollen, wie S. 22, 8. ‘EAAd¢ éBacrAevero tiber die pas- sive Construction der Verba, welche im Activ mit dem Genitiv verbunden werden; S. 24, 2. hatte zu vogowg 6Mya yoopevos und - S. 25, 13. zu voplfovor e@or ovdéiv wegen des adverbialen Ge- brauchs von ovéév und dAlya entweder auf die Grammatik, oder besser auf S. 17 Anm. 1. (Asi yoopevor) verwiesen werden sollen. Zuweilen ist der Hr. Verf. in seinen nicht zablreichen Sprachbemerkungen sogar in Irrthum-gerathen. S. 17, 14. Mivag nadaoratog ov dxoy lopev vavrixov éxrroaro ist das Wort . NaAdacorarog nur auf vavrixdv éxrno. bezogen und tibersetzt: er ‘war der 4lleste (erstey, der eine Flotte ausriistete, wabrend es doch auf den Relativsatz hinweist und bedeutet, er .war der alteste von denen, von welchen wir gehért haben etc. Bei seiner grossen Abhangigkeit von den Ansichten anderer bringt Hr. Kr. zuweilen an einer Stelle die richtige Erklarung vor, an einer andern ‘ganz aébnlichen aber vergisst er sie. So ist S. 21 Anm. 2. ta déxa érn dvretyoy richtig erklirt die bekannten zehn Jahre, welche der Krieg dauerte; aber S. 12 Anm. 5. verliert er sich bei dem in dem Satze Aguzadiov aiowv EBadds rovg Alsoug gleich gebrauchten Artikel (die bekannten Steine) in ein myste- rioses Dunkel. S. 23 Anm. 5. wird iiber ra xard tiv now Foyov bemerkt, dass der Accusativ ra nicht von jeyov abhingig sein kénnte, weil dieses Wort nicht den Accusat. regierte, sondern es ware der Accusativ der Beziehung. Wie ein sogenannter Acct- saliy der Beziehung zu erklaren ist, ist nach dieser Bemerkung dem Hrn. Verf. eben so wenig deutlich, als. die Construction der Neutra der :Pronomina und Adjectiva. Da naimlich diese haufig neben Adjectiven, die sonst den Genitiv eines Substantivs regieren, im Accusatiy stehen (Xenoph. Cyrop. 3, 3, 9. -drvorn poveg oay ta Meogrxovea Mem. Socr. 3, 6, 18. tva pq rovro Lady ot nore 1) nog évdene yevopévy.), wie im Lateinischen quod du bito, statt qua'de re dubito; so wird auch deyew mit dem Accusativ des Neutrum vom Artikel verbunden keinen Anstoss

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erregen diirfen. Die Uebersetzungen der Stelle, welche der Hr. Verf. noch bespricht, sind beide nicht richtig, denn ra xord ry moAw Hoyov bedeutet res civitatis oder urbis guberna- bant. Nach diesen und andern Proben glauben wir, dass der Hr. Verf. die Schwierigkeiten der griech. Sprache noch nicht genau erforscht hat, und dieses méchte wohl auch der Grund davon sein, ‘warum er in so geringer Anzahl selbstandige An- merkungen gibt. -

Auf die Sacherklaérungen hat der Hr. Verf. unverkennbar einen grossen Fleiss verwendet und namentlich hat er aus der hellen. Alterthumskunde von Wachsmuth. und Hermanns Staats-— alterthiimern grésstentheils die Stellen beigebracht, welché zur Erklarung geeignet sind; ja! wie er ‘anfahrt, hat er sich sogar versagt, viel besprochene Stoffe selbst zu bearbeilen und bat daher auch die fremden Worte gegeben, wo er Eignes bringen konnte. Bei alledem ist durch diese Anmerkungen der Hr. Verf. mit sich selbst in Widerspruch gerathen, denn er bestimmt das Buch fiir ein Alter, ,wo die Jugend noch nicht. geeignet . Sein michte, ein Ganzes zu iiberschauen, weil sie noch ganz in der Arbeit und Miihe des Erlernens befangen ist, und das Verstehen der Worte an sich ihre ganze Aufmerksamkeit in An- Spruch nimmt,“ und dennoch soll sie in denselben Jahren im. Stande sein, so viele Realkenntnisse , wie ‘ihr hier geboten wer- den , in sich sufzunehmen? Sie soll nicht” bloss die Worte und ibre Construction erforschen, nicht bloss den einfachen Sinn derselben, sondern auch die verschiedenen Darstellungen des- ‘Selben Gegenstandes bei andern Schriftstellern? Sollte dieses Nichi schwieriger sein, als ein ganzes mehr oder minder geglie- dertes Buch zu tiberschauen? Wir wollen iber diesen Punkt Mit Hen. Kr. nicht rechten; miissen’ aber bemerken, dass, wie "tas diesem Widerspruche nicht gerade auf grosse Klarheit in PA dagogischen Dingen zu schliessen ist, so aus den Anmerkun- S€n hervorgeht, dass dem Hrn. Verf. eine deutliche Anschauung des. -griech. Alterthums in seiner wahren Wesenheit noch mangelt. Schon der Begriff des Mythus im Gegensatz der altesten Geschichte laq_ ibm nicht ganz deutlich, wie wir aus S. IX. schliessen kénnen. Er bemerkt hier, er habe in den Abschnitten aber die Urgeschichte die Beweisstellen zusammengefasst und den eigentlichen histor. Grund, nach Ausscheidung alles dessen, was die mythologische Ueberlieferung hinzugethan (die desswegen als Gegensatz gegeniiber™

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gestellt ist), festzustellen und der Jugend einzuprégen gesucht. Allein eine derartige Trennung ist nicht méglich. Wenn der Verf. glaubt, Thukydides habe fiir sein erstes Buch und andere Geschichtschreiber fiir. ihre Werke iiber die alteste Geschichte ganz andere Quellen, als wir, beniitzen kénnen, etwa gar Ueber- ‘lieferungen in historischer Form,.so irrt er sebr‘stark. Wie Otfr. Miiller in seinen Prolegomenen und andern Werken mehr- fach bewiesen hat, abstrahirten sich die Geschichtschreiber auf | yerschiedene Weise aus dem Mythus einen historischen Stoff, z. B. tiber die Sitze der Dorier unter Aegimios in Thessalien, iiber ihre Wanderungen u. s. w. und wir kénnen noch dieselbe Operation vornehmen, welche jene Alten vollfihrten. Der Mythos schliesst sich auch nicht etwa mit der dorischen Wanderung ab, wie Hr. Kr. S. 55 Anm. 1. andeulet, sondern die Geschichte die- ses Zugs, wie Wir sie kennen, ist nach Buttmann nur nach episch _ behandelten Sagen in den Anfangen der wissenschaftlichen Ge— schichtskunde abgefasst, und fast die ganze Geschichte bis Pisi— stratos durch wissenschaftliche Speculation aus’ Sagen uad Epopéen ms welche wir nicht mehr priifen kénnen, und aus wenigen Monu— menten gezogen. S Otfr. Miillers Proleg. S. 328 und Buttmanc— tiber die Minyé und iiber die Aleuaden. Der Hr. Verf. glaubamml nun, dass: besonders die Einwanderungen aus dem Orient ein—— flussreich auf Griechenland eingewirkt haben, tiber welche daher—~ nicht nur der Text S. 25—38 handelt, sondern. auch in den-An— ' merkungen vieles beigebracht wird. Die Stelle bei Thukyd. 1, 2— thy “Arcinny éx tod én) mAsiorov d&vIpono. xovv of adrot desk (vergl. II, 33.) erklart er nach dem Vorgange von Wyttenback und Géller wahrhaft schlau dahin, dass man nur insofern sagem kénne Attika, ,,in welches bekanntlich fremde Stamme einwan- derten ,“ habe immer dieselben Bewohner gehabt, als die Urbe- wohner nicht auswanderten. Wie aber das unfruchtbare Attika die Menschen erndhren konnte, wird nicht erklirt. Die einge- wanderten Vélker kénnen nun nicht etwa diejenigen sein, welche ' die att Tetrapolis besetzteh, sondern es sind nach Hrn, Kr. eigentliche Fremde, namentlich Kekrops der Aegypter. Dass diese Ansicht aber ganz gegen den attischen Glauben verstisst, beweist Plato Menex. S. 245 D. ob BaoeBagor ovvorxovow tuiv GAN -adrol "EAAnveg, ov wEoBaeBaoor olxovpev, und Hr. Kr. bringt selbst - noch auf S. 96 die néthigen Stellen aus Isokrates und Lysias bei, so dass er nun ganz mit sich und seiner Erklaérung in

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Widerspruch gerathen ist. Diese Sage- iiber die Coldnisirung Athens von Aegypten aus hatte Hr. Kr. weglassen sollen, da keiner der altern Griechen etwas davon weiss, selbst nicht Herodot, welcher doch allenthalben Aegyptisches erblickt S. Voss Anti- symbolik 1, S. 307. Otfr. Miiller Orchom. S. 106. Prolegom. S. 175. Aehnlich ist es mit der phénikischen Colonie unter Kadmos in Theben S. 32, 33. Im boéotischen Cultus deutet nichts auf Phonikien, und Onka (‘Oyxa), welche der Hr. Verf. aus den Scholiasten des Euripides alg ein phénikisches Wort anfihrt, ist wohl pelasgisch. Ein Onkos (Oyxog), Sohn Apollos, kommt auch

in Arkadién vor, dort finden wir eine Stadt Oyxsvov (Pausan. 8, |

25, 4.) und iiberhaupt ist jene Gegend Arkadiens der béotischen

in Riicksicht der Culte und Namen sehr ibnlich. Da, so viel uns |

bekannt ist, noch niemand auf diesen Umstand aufmerksam ge-

macht hat, so ergreifen wir diese Gelegenheil, um darauf hin- ~

zudeuten. In der Nahe von Oyxeeov in Arkadien war die Sage von "Oyxog, dem Sohne Apollons, es fand sich dort eine Stadt- und ein Quell O&Anovoa (S. Welcker kret. Colonie S. 45), ein Cultus des Poseidon inntog und der Demeter, welche hier das Schnelle Ross Arion geboren haben soll. In Béotien war in der Umgegend von ‘Oyyeorog (vergl. Oyxetov) eine Sage -von ‘Oyxae, es war dort ein Quell TiAgotooa und. ein Apollon Tidqovorog, der Cultus des Poseidon war hier uralt und an seinen Tempel Schloss sich eine Amphiktyonie an und alte Spiele im Wagen-

remnen, so dass [ooeidwv inniog und das Ross Arion hier nur

in anderer’ Gestalt auftritt. Es. sind demnach an beiden Orten

gleiche Culte und nihme man in Béotien eine phénikische Colo-

MIG an, so miisste man wegen des ‘Oyxog u..s. w. sie auch nach Arkadien versetzen., Der Name ‘Oyxa, und was damit zusammen- hAngt, ist mit dem griech. éyyog COgyousvos, ‘Eoydpevos) ver- Wandt, nicht phénikisch, denn einige der Spatern verfuhren in Abieitung des Griech. aus orientalischen Sprachen sehr frei,

rachten “Oyxa mit Kanaan in Verbindung, und behaupteten éAdotle

Hejsse auf phonikisch die Jungfrau, und 37@a syrisch die Kuh

~ CS: Welcker a. a. St. S. 64). Wie Welcker nachgewiesen hat, - War in Theben keine phénikische, sondern eine kretische Colonie. Bas von Hrn. Kr. angefiihrte Orakel, welches dem Kadmos ge- eben worden sein soll, schreiben wir nicht mit Welcker dem Romelos zu, sondern wir legen seine Entstehung wegen der in demselben éfters wiederkehrenden bukolischen Tetrapodie (V. 1,

310, : 4. 6. 8. 10. 17. 18.) in die Zeit des Antimachos von Kolophon. Jedenfalls hatte Hr. Kr. daran erinnern sollen, dass derartige Orakelspritche grésstentheils aus einer verhaltnissmassig sehr spaten Zeit sind. Wie wir schon oben ein Beispiel von der Ver- drehung des Sinnes hatten, so finden wir ein zweites S. 6, 5, Strabo spricht dort von der Herrschaft der Pelasger in Thessalien und sagt: Tov te Ala tov Amdovaiov avrog 6 nounryng évopaten IleAcoyixov? Zest ava Aodwvais Mehaoyixé. Iohdoi 88 xal ra ntevoarina ESvn eAacyixe sionxaow. Hr. K-: glaubt hier, der Vers Homers solle zum Beweise dienen, dass auch um das Orakel 2u Dodona in Epirus Pelasger wohnten. Da: jedoch Strabo erst mit den folgenden Worten auf Epirus fbergeht, so kann sick diese Stelle nur auf Thessalien beziehen, also auf einen dodo naischen Zeus in Thessalien. S. 9 Anm. 1. und S. 38 mein —® der Hr. Verf. und seine Gewahrsmanner, man habe ein Dodon =m in Thessalien angenommen. Allein diess ist keine Annahme, denmmr Dodona steht bei Homer (Iliad. 2, 748) in Verbindung mit dermme Peneios und Titaresios, mit Kyphos und den Enianen, welch «© wir alle in Thessalien zu suchen haben. Es wiirde auch scho mm desshalb unpassend sein, an Dodona in Epirus zu denken, we &- ches Homer allerdings auch kennt, weil epirotische Volker vo» ¥ Troja‘nicht vorkommen. Wenn Hr. Kr. den pelasgischen’ Ursprun 2 des dodonaischen Orakels dargethan hatte, so ware es dann be= 1 der Herodotischen Erzaéhlung iiber die Stiftung von Aegypten au =” seine Pflicht gewesen, das Kindische in dieser Sage nachzuweisers

. Bei dem delphischen Orakel (S. 42 Anm. 4. 5.) hat. Hr. Kr. vor

seinen Gewahrsmannern die sonderbare Ansicht angenommen © als beruhe Alles auf Betrug. Es ware doch merkwiirdig, wenrs bei der Oberaufsicht der Amphiktyonen und dem Wechsel der Priester und Priesterinnen nicht mehr .von diesem Betruge bekannt geworden wire, als was Demosthenes sagt, und das geistreichste

. Volk des Alterthums sich Jabrhunderte lang hatte tauschen lassen.

Auch in andern mythologischen Dingen lasst er sich yon seinen

-Gewahrsminnern irre leiten, wie er z. B. S. 22 Anm. 1. nach

‘Hermanns Vorgange behauptet, Zeus ware dem. Schicksal unter- worfen gewesen, eine Ansicht, welche zur Geniige von E. R. Lange (Einleitung in das Studium der Mythologie S. 100—1387) - widerlegt worden ist. Den Zevg dnarog erklart Hr. Kr. S. 29, 8. fir den hdchsten Vorstand,“ was wohl Zevg Unaros xessovrew sein mag. Sonst ist Zeds vnarog derselbe mit Zsug dxevos, den

-—————

3it

auf den Héhen der Berge verehrten, und erhielt- ats sotcher auch sein Opfer auf der Akropolis in Athen und bei Glisas°in Béotien auf dem Berge Hypatos, wo er einen Tempel und eine Bildséule hatte. (Pausan. I, 26, 6. VIII, 2, 1. IX, 19, 3.)

Was die Bemérkungen iiber griechische Staatsalterthimer betrifft, so hangt Hr. Kr. ganz von seinen Quellen ab, bringt

aus ibnen Gutes und Schlechtes. Nur an einer Stelle (S. 45

Anm. 7.) emancipirt er sich und irrt.auf eigne Faust, wenigstens _ ohne Citat. Er bemerkt namlich, Pylagoren ‘hatten die Abgeord- neten der einzelnen Staaten zu ‘der Amphiktyonie geheissen; doch habe es auch andre, Hieromnemonen, gegeben, deren Na- men sich mebr auf religidse Beschaftigung zu beziehen scheine. In Riicksicht der Pylagoren spricht er ungefahr die Ansicht Her- manns aus (Staatsalterthiimer §. 14.), der jedoch etwas andres, was auch nicht richtiger ist, als das von Hrn. Kr. vorgebrachte, liber die Hieromnemonen lehrt. Wir haben-den wahren Unter- Schied zwischen den Pylagoren und Hieromnemonen zuerst in Paulys Realencyclopadie der classischen Alterthumswissenschaft u. d. W. Amphictyonie aufgestellt, doch. beharrt Hr. Hermann bei dem yon ihm angenommenen, auf gar nichts beruhenden Unterschiede beider Gesandten.

Wenn das Buch von Hrn. Kr. niitzlich werden soll, su muss er jedenfalls kinftig in der Auswahl der Stiicke viel strenger Sein, und muss eine bestimmte Ansicht yon dem griech. Alter- thume gewinnen, damit er nicht yon seinen Gewahrsm{innern wie Gin Rohr hin- und hergetrieben werde. Er muss danw eine grosse Anzahl fir die Schiller nutzloser Bemerkungen ganz wegstreichen (wie S. 22, 2. iiber den sklavischen Charakter der Asiaten, 8. 33, 3. tiber Dirke und Kastalia und S. 53,- XXXVI. wo nichts YOrkommt, was nicht schoh im Texte sttinde), andere bedeutend abkarzen (wie S. 27, 2. itiber Homer und Hesiod., S. 34, 13. tiber

die Hochzeit des Kadmos, S. 35, 1. tiber die Buchstaben, S. 37, 7%. |

er Myrtilos u. s. w.) und wenigstens in Citaten fir die Lehrer "Och einen gréssern Kreis von Werken beriicksichtigen. Daneben Muss auch der Sache ihr volles Recht widerfahren, und das er- lart werden, was ein Schiiler auf dem von H. Kr. beriicksich- - tigten Standpunkte noch nicht wissen kann. Eine genaue Correo- tay’ wird ebenfalls néthig sein, denn es kommen noch viele von @m Hrn. Verf. nicht bemerkte Druckfehler vor, wie S. 5 Anm. IV. Muss es heissen Strabo V.’ Die Stelle steht in der Tauchnitzer

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Ausgabe V, c. 2. 8. 357. —-S. 15 Anm. 6. Scholiast st. Scholast, S. 26. Anm. 2. der 4ltesten, st. den dltesten. S. 32, 7. raic st. roic. S.50 Anm. yoédyoay st. noétnoay u. 8. w.

7 K. M. i. B. tte |

Griechische Heroengeschichten. Von B. G@. Niebuhr an seinen Sohn er- zabit. -Hamburg bei Friedrich Perthes. “1842. 46S. 24 Kr.

Niebuhr als Mythenerzahler!’ Das scharfe, zersetzende, kri- tische, Talent stellt die griechischen Heroensagen far Kinder— dar! Und doch ist es so. Schon in einem Briefe vom 19. Jen— ner 1822, an seine Frtundin Henslér gerichtet, meldet er, dasamm - er die griechische Mythologie fiir seinen damals vierjéhrigen Sohmm Marcus bearbeite, und ‘ein Stiick dieser Bearbeitung hat sic “y erhalten. Nicht jeder vierjahrige Knabe méchte. sich jedoch yor 3 diesen Sagen, gesetzt auch, dass sie gut erzadhlt wiirden, so amy gesprochen finden und sie so lebendig auffassen, als der junga== Niebuhr, welcher in einem reichen Leben unter der Aufsicht da= ausgezeichneten Vaters aufwuchs.

Der Mahrchenton ist zum Theil vortrefflich getroffen, b <2 sonders in der Erzaéhlung von der Fahrt der Argonauten. [»D. heisst es vom Anfange: ,Es war ein Kénig in Griechenland, d «2: hiess Athamas und. seine Frau hiess Nephela; die hatten zw @ Kinder, einen Sohn und eine Tochter, die waren sehr gut und hatten sich*sehr lieb: Der Sohn hiess Phrixus und die Tochter Helle. Der Vater aber war bése und verstiess seine Frau, die Mutter der .guten Kinder, und heirathete eine andere Frau, die hiess Jno und war sehr bése. Die behandelte die armen Kirider sebr schlecht und gab ihnen schlecht zu essen und schlechte Kleider und schlug sie, obgleich sie gut waren, weil sie nach ihrer Mutter weinten. Sie war eine sehr bése Stiefmutter. Zulets! wollle sie den Knaben Phrixos opfern. Als er aber zum Altare | gebracht war, brachte der Gott Hermes einen schénen grossen Widder, der hatte Wolle von Gold und konnte auf den Wolkea laufen. Auf diesen Widder mit dem goldnen Vliess setzte Her- mes Phrixus und auch seine Schwester Helle: und sagte ihnen, sie sollten nach dem Lande Kolchis durch die Luft gehen. Der Widder aber wusste den Weg. Die Kinder mussten sich mit. ~ einer Hand am Horn festhalten, und- den andern Arm schlugen- sie eines um des andern Leib: aber Helle liess den Bruder los” und fiel herunter in die See. Phrixus weinte sehr, weil seine

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gute Schwester todt war, ritt aber immer fort und kam nach Kolchis u. s. w.“

Allenthalben sind Beziehungen eingestreut, welche den Kna- ben bekannt sind; an Spazierginge in Albano, und an die Kunst- sale Roms wird er erinnert, und manche Beschreibung ist doch wieder so eigenthiimlich popular kindlich gehalten, dass sie jedem Knaben verstindlich ist und ihn érfreuen muss, wie S. 6.: ,Da ward denn ein Tag bestimmt, an dem Jason die Stiere anspannen und die Zahne sien sollte; und friih am Morgen, ehe die Sonne aufging, kam der Konig Aeetes mit seiner Tochter- und seinen Ministern,. Kammerherrn und Hofleuten’ und setzte sich auf seinen Thron bei dem Platz, wo Jason pfliigen sollte, und die andern seizten sich auf Banke, wie im Corso bei dem Pferderennen, . und alle Leute aus der Stadt kamen heraus, um zu sehen, wie es geschehen wiirde, und die Jungen kletterten auf die Baume um besser sehen zu kénnen.“ Oder S. 7: ,Da nahm er den Stieren das Joch ab und liess sie los; die Stiere waren so bange, dass sie wegliefen, wie eine Katze, die Schlage bekommen hat, Und so liefen sie ohne sich umzusehen auf die Berge.“

- In der zweiten Mythe, der Geschichte des Hercules, ist zwar weniger kindlich erzdéhlt und weniger ausgemalt, aber es tritt dagegen eine moralische Farbung hervor, die oft recht gut an- gebracht ist, wie S. 11: Hercules war schon als Kind sehr gross tnd ass viel Braten und Brod, aber gar keine Leckereien. Er lernte leSen und schreiben und reiten und mit der Bige und Quadrige fah- rem und mit dem Bogen schiessen u. s. w. Er war sehr gut, nur latte er einen Febler, dass er rasend ward, wenn er bése ward, 4d dann that er Béses und weinte nachher sclir tiber das was er ‘than hatte, aber es war zu spat und er konnte es nicht wieder Qt machen.“ Oder S. 29: ,,Daritber war Hercules sehr bése, lemn wenn er etwas versprach, so hielt er immer sein Wort, ‘tad verlangte, dass alle andere es auch thun sollten: aber er *©zwang seinen Zorn und ging weg nach Thessalien.“ Auch zur Krheit ermunternde Stellen kommen, die fiir dieses Alter vor- Tefflich gewendet sind, wie auf derselben Seite: ,,Aber sein Vater Vallte nicht, dass er vergniigt leben sollte, ohne die Krafte- zu. S@brauchen, die er ihm gegeben hatte, um die Bésen zu bestrafen 2Md denen zu helfen, welchen Unrecht geschah; sondern er sollte 88 sich sauer werden lassen, so lange er auf der Erde lebte, “nd sollte seinen Zorn bezwingen, und wenn er das nicht that,

Paidag. Revue. 1842. b, Bd. V. yA

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die Strafe dafiir tragen, wie er es gethan hatte, als er Eurystheug diente; und wenn er bis. zuletzt gut gewesen, so wollte er ibn in den Himmel aufnehmen und ihn reichlich belohnen fir alle - Miihe, die er auf der Erde ausgestanden.“ Nur an zwei Stellen ist etwas Politisch-Vaterlindisches eingestreut, aber doch in ganz eigenthiimlicher Weise, namlich S. 38 sagt er bei dem Heran- ziehen der Dorer: ,Die Kénige und Vélker im Peloponnesus waren auch nicht einig unter einander: denn die Joner und die- Arkadier machten Frieden mit den Herakliden und Dorern und liessen sie durch ihr Land ziehen, und das war sehr dumm und bekam ibnen sehr schlecht,“ und S. 43: ,,Da fibrte Tisamenus - alle Achaer gegen die Joner und jagte sie aus ihrem Lande und wohnte daselbst mit seinen Achaern. Das war die Strafe dafiir, ' dass die Joner ein fremdes Volk hatten in den Peloponnesus kommen lassen, ohne sich zur Wehre zu setzen.“

Der dritte Abschnitt, die Herakliden und Orestes, ist weniger gut gelungen, weil er sich nicht gut ig Mahrchenton .und Hal- tung bringen lasst, obgleich alles gethan ist, um iho fir das ge- nannte Alter schmackhaft zu machen. Jedenfalls sind die hier _ gelieferten Erzahlungen ‘nicht nur ein wesentlicher Beitrag 2ur_ Charakteristik von Niebuhr, sondern sie sind gewiss auch allen denen erwiinscht, welche ihre Kinder neben den Méhbrchen der Gebriider Grimm noch mit etwas anderm unterhalten wollen, als mit den saft- und kraftlosen moralischen Erzihlungen vom bésen. Fritz, fleissigen Lottchen und dérgleichen ledernem Zeuge, wel- ches weder das Gemiith noch die Phantasie des Kindes in At- spruch nimmt, sondern nur den gemeinsten hausbackenén Ver- - stand beschiaftiget. Wir beeilten die Anzeige dieser eben erst etschienenen Schrift, um das padagogische Publikum und die Verehrer Niebuhr’s baldigst auf dieselbe aufmerksam zu machen.

X. Griechische Heroengeschichten. Von B, G. Niebuhs an seinen Sehn erzahit,

Hamburg, bei Fr. Perthes. 1842. |

Die Leser von Niebuhr’s Briefen wissen, wie viel sich seine Gedanken mit.der Erziehung seiner Kinder beschiftigen, wie of er sich iiber den Unterricht dussert, den er seinem Sohne Marcus in ganz eigenthiimlicher Weise ertheile. Bd. 2. S. 486 lesen wir in einem Briefe aus Rom an Nicolovius vom 19, Jan. 1822: »Fiir das Deutsche schreibe ich ihm Sticke der griechischen | Mythologie; zuerst die Geschichte der Argonauten, jetzt bin ich

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an Hercules’ Geschichte; ich schreibe Alles sehr frei und aus- gemalt, so ‘dass es ihm wie Poesie anschaulich ist. Auch liest er mit Jubel, so dass ihn sein Freudenschrei oft am Lesen stért.“ Diese Aufsitze, die 46 Seiten fillen, hat der Sohn jetzt aus des Vaters Papieren herausgegeben. Es sind die beiden genannten Sagenkreise, die Argonautensage. von Athamas beginnend, bis ‘sur Heimkehr des Jason mit der Medea nach Jolkos, und die Sage von Herakles, welche fortgesponnen ist bis‘ zur Eroberung des Peloponnes durch die Dorier und bis auf die Herakliden Eurysthenes und Prokles, die Kénige von Sparta. An sich erweckt es Interesse, zu erfahren, wie der tiefsinnige-Historiker, dessen Forschungen und Darstellungen bedeutende Kenntnisse auf Seiten des Lesers voraussetzen, es verstanden hat, die antike Sagen- und Heroengeschichte passend fiir Kinder zu erzaéhlen. Aber es ist auch wirklich die Ausfihrung vortrefflich gerathen, und ist vicht allein als eine Reliquie von Niebuhr sehr schatzbar, sondern liefert ein Muster, wie dieser, Stoff, als Inhalt schon fiir die Jugend geeignet, durch die Form der Behandlung héchst anre- geod ‘und bildend fiir sie gemacht werden kann. Dag Kind wird tunichst durch das Wunderbare der Begebenheiten angezogen, und so erzahit Niebuhr seinem Knaben die Sage ganz wie aus- gemachte. historische Wahrheit, und nirgénds erscheint eine Spur von Deutung, dass dieses Sagen oder Mahrchen waren, sondern die Erzihlung ist auf naiven Glauben berechnet. Demgemass finden sich auch keine Digressionen, ausser wo es darauf ankam, geographische und topographische Notizen zu geben, welche dann selbst in Gestalt von kleinen Gemialden erscheinen, in kur- zen Ziigen lebendig hingestellt, und gemeiniglich, wo Dimension Oder Form gegeben werden sollte, durch Parallelen aus Gegenden erliutert, die dem Knaben bekannt waren, als aus der Umgegend Roms, aus Tivoli, Frascati, dem Sabinergebirge u. s. w. ' Der Knabe hatte Abbildungen vieler’ mythologischen Scenen, er hatte. \ntiken, Bassirilievi u. s. f, gesehen, und auf solche Anschauun- ten des Kleinen verweist dann der Vater. - So drangt die Dar- fellung fiberall zur Anschauung hin, und auf den gleichen Zweck it auch der Ausdruck berechnet, der durch séine Einfachheit nd: Naivetat dem Verstindnisse des Kindes sich. anschmiegt, ugleich aber mit seiner Kérnigkeit und Geradheit geeignet ist, ibendige Bilder hervorzurufen. Diese erhalten sich und befe- ‘igen sich nur noch besser durch den thatsaichlichen Zusammen- . 21 *

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hang, in welchen sie durch die schéne Erzahlung gebracht werden. So wird der Stoff vortrefflich gelernt, Anschauungen von Be- kanntem kniipfen sich daran, und die Phantasie des Kindes wird beschafligt durch poetische Nahrung, die so reichlich aus der Masse dcr Mythen fliesst. Aber der weise und wohlbeobachtende Vater unterliess nicht, auch den ethischen Gehalt, der in der Sage liegt, in Wirksamkeit zu rufen. Es geschieht diess theils mittelbar und verborgener, theils unmittelbar in eingestreutes kurzen directen Urtheilen, z.B. tiber Eurystheus Feigheit und _ Wortbriichigkeit, oder in kurzen Hindeutungen, wie Trotz und Uebermuth, oder wie Falschheit und Unwahrhaftigkeit sich in ihren eigenen Folgen verstricken. Gewiss hat der Vater richtig gesehen, dass es hier an einer noch so wohl gerathenen in schénen Gestalten sich einpragenden Darlegung nicht geniigt,

dass mit einer bloss objectiven ‘unpartheiischen Erzahlung weder

der Stoff ausgebeutet, noch dem Bediirfnisse des Kindes ent- ' sprochen wird, welches den Drang in sich spiirt, ttber die Hand- lung ein sittliches Urtheil abzugeben oder zu vernehmen. Dieses Gefiih! aufzurichten, diesem Urtheile Direction zu geben und‘es

so friih schon zu starken, betrachten wir als Niebuhr’s woblbe-

griindete Absicht, und sein Verfahren hierbei verdient nach unserer Meinung in miindlichen und schriftlichen Erzahlungen fir die Jugend,. je nach der Stufe des Alters, an welches dieselbe ge- richtet sind, Nachahmung. Viel kann hier freilich verdorben werden durch Breiltreten und Moralisiren, aber wie’ es mit Ge- schmack und mit Tact geschehen kénne, hieffiir erscheint ons diese Probe von Niebuhr ein Muster. Schade nur, dass sich seine Arbeit nicht auf einen gréssern Umfang von Sagen erstreckt. Es wird darum bald Nachfolger gehen, die die Liicke wenigstens materiel! zu fiillen beflissen sein werden. Méigen diese doch nr, bevor sie sich an die Arbeit machen, Niebuhr’s Leistung griind- lich studiren und in ihren Geist und Charakter, in ihre Tendess recht eindringen. Es ist nicht leicht, der warmen Erzahlung eines Vaters und eines solchen Vaters an, seinen Sobn es nachzuthun. Das wird jeder fahlen, der von den vorhandenen Mythologiebiichern fiir die Jugend eins oder das andre zur Hand nimmt, um es mit Niebuhr zu vergleichen. R. Rauchenstein.

IV.

' . Geometrie fir héhere Volksschulen und Schullehrerse-

minarien, von G. W. Straub, Lehrer an der. Bezirksschule 4

= or -

ee

317

‘Baden im Aargau und Gemeindeschul- Inspector, Mit finf Figuren-

tafeln. Zirich, bei Hébr und Langbein. 1841.

Es darf wohl mit Recht behauptet werden, dass ein Leitfaden der Geometrie, welcher auf entwickelnde, rationelle Weise seinen Gegenstand behandelt und sich zugleich vollkommen eignet in die Hand des Anfaingers gelegt zu werden, bisher gianzlich ge- mangelt hat. Namentlich war das Bediirfniss einer solchen Schrift in den Schweizercantonen, wo seit zehn Jahren die Volksbildung und das Schulwesen einen Aufschwung erhalten und eine Aus- dehnung erlangt, wie noch friiher nie, besonders fihlbar. Der Herr Verfasser vorliegender Schrift verdient daher schon unsern Dank fiir den Entschluss, einem so tiefgefiihlten Mangel méglichst m begegnen, namentlich aber fiir den Fleiss und fiir die Art ‘und Weise, wie er der gestellten Aufgabe geniigt hat. Eine dem wweck der genannten Anstalten entsprechende Auswahl des Stoffes und die Gestalt der Vorfih- rung, auf dass sie den Forderungen der heutigen Unterrichts- Wissenschaft geniige, waren dabei namentlich ins Auge zu fassen. Des Herrn Verfassers Vorrede driickt sich iiber letzteres -folgen- dermassen aus: ,,1. Die Darstellung habe im Allgemeinen den lernstoff in der Weise vorzufiihren, dass er vor dem Geiste des Schiilers gut gegliedert aus seiner Wurzel aufwachse: das Léhrverfahren muss also ein genetisches (schaffendes) sein; der Lernstoff darf nicht als ein Fertiges oder Gegebenes yorgekaut werden, damit der Schiiler wieder nachkaue: Darin liegt eben der Unterschied zwischen dem Jetzt und dem Einst des mathemati- tchen Unterrichts.“ (Man lese dariiber z. B. was Dr. Mager p. 167 is 193 seines Werkes: ,,die deutsche Biirgerschule“ sagt.) .

Den Unterricht beginnt die Schrift (im Ganzen 180 Seiten lark) mit einer geometrischen Formenlehre als Vorschule (bis eite 46), in welcher durch gehorig gestellte Fragen und ange- essene Zeichnungsaufgaben die geometrischen Begriffe entwickelt id durch Anschauung die ‘Wabrheit der einfachsten Lehrsatze, weit es im Plan des Werkes liegt, zur Anerkennung gebracht srden. In dem zweiten Theil, der eigentlichen Geometrie, wird 6 systematische Gebiude von dem bisher gelegten Grund weiter rtgefiibrt. Nachdem hier in einer Einleitung §. 24 die logischen instworter, mit welchen man die Satze bezeichnet, aus denen th die Geometrie aufbaut, auf eine gemeinfassliche Weise erklart wrden, ist der Gang im Allgemeinen folgender :

318

Damit der Schiller die Wahrheit des betreffenden Lehr- satzes selbst entdecke, wird auf die zugehérige Figur hingewie- sen. An dieser wird der Schiiler bei erlangter Uebung in der Anschauung das Uebereinstimmende mit Leichtigkeit auffinden, bei steter Vergegenwartigung aller bisher vorgefiihrten Lehrsitze aus den leisesten Andeutungen des Lehrers, welcher Gang zum Ziele eingehalten werden solle, dieses Ziel, die Einsicht in die Wahrheit des Lehrsatzes erreichen, ohne dass er selber recht weiss, wie er dazu gekommen ist. Ein freudiges, lohnendes und aufmunterndes Gefiihl aber wird den Knaben iiberraschen, wenn er unmittelbar nach dem Lehrsatz auch die Folgesatze entdeckt, ihm dadurch das dunkle Gebiet, das vor ihm liegt, wieder auf weite Streeken hin entschleiert wird, wenn er sich das entdeckle Land durch Uebungsbeispiele zum Eigenthum macht, wenn er dabei an die Anwendung erinnert wird, die er einst als Mann - von dem Erlernten machen werde. Muthig wird er nun weiter vorwarts schreiten, furchtlos den Thalschaften sich nahern, in denen noch Nacht fiir ihnen waltet, in der Hoffnung, dass ¢s auch da bald Licht, werde. Dieses sind Erfabrungen, die der - Verfasser dieser Zeilen in seiner Schule, in welcher er Herm Straub’s Geometrie, mit Bewilligung der Oberbehérde und bald nach ihrem Erscheinen eingefihrt, bisher zu machen Gelegenheit hatte. Im Einzelnen ist noch zu bemerken: Ueber Punkt, Winkel, Parallellinien u. s. w. sprechen §§. 25 bis 29. Congruenz oder »Einerleiheit“ der Figuren §. 29 u. flg. Der Kreis wird behan- delt in §. 33 u.s. w. Die Aehnlichkeit der Figuren findet ibre Stelle in den §§. 35 bis 40 (S. 85—99). Der Flacheninhalt wird besprochen bis §. 43. S. 116. Hierauf folgt der Abschoitt tiber Richtung gerader Linien zu Ebenen und der Ebenen 10 einander §. 43— 48, bis S. 132. Den Schluss bildet das Ce | pitel: Oberfliche und Inhalt der Kérper, S. 182 147. -\Geo- | metrische Aufgaben, bestehend in geometrischen Constructionen, S. 147 —164. NVerwandlungen der Figuren, S. 164, und Thei- | lung der Figuren, S. 171—180 sind eine erginzende Zugabe des Werkes, die jedem Lehrer héchst wiinschenswerth sein miissen.

nsere Empfehlung unterstiitzt eine dem Fleiss in Ausart- beitung entsprechende Ausstattung des Buches. Wenn wir dem- selben allgemeine Anerkennung zuzusichern wagen und allgemeine Einfihrung in die Schulen wiinschen; so kénnen wir nicht umbio, den Lehrer, der es mit seinen Schiilern zu benutzen gedenkt daran zu erinnern, dass dem Menschen die Wissenschaft nicht als ein Gegebenes zur Hand lag, sondern dass sie sich im Laufe der Jahrhunderte aus dem Menschen heraus entwickelt hat, dass eben so dem Schiiler die in ibm freilich noch schlafende Wissen- schaft, wie dem Stein der Funke, entlockt werden miisse. In diesem Sinne hat Herr Straub geschrieben, in diesem Sinne nur darf seit Werk benutzt werden, Das ,Jetzt“ und nicht das ,Einst!“

Oa —ig

‘DRITTE SECTION. Culturpoilitische Annalen.

TI. Allgemeine Schulzeitung. A. Deutschland.

a Allgemeine deutsche Angelegenheiten. . Universitéten.

Berlin, 18. August. Nach dem so eben erschienenen Lectionsver- seichnisse der hiesigen Universitat far das bevorstehende Winterbalbjabr kandigen 148 Docenten zusammen 336 Vorlesungen an, darunter 100 pu- blica. Die philos. Facultaét zaéhit 27 ord., 24 ausserord. Professoren, 23 Pri- vatdocenten und 5 lesende Mitglieder der Akademie. Hr. von Schelling feblt im Katalog, wird aber doch wobl lesen, Jakob Grimm wird wieder Institutionen der deutschen Sprache vortragen; Privatdocent Dr. Cybulské wird publice aber die heutige polnische Poesie lesen und privatim Altslavisch, (Fir sonstige moderne Philologie: Franzésisch, Englisch u. s. w. existiren keine Professoren.) Dem Katalog geht eine Einleitung voraus, in der den Stadenten unter anderem empfohlen wird, sich vor Allem in der Freiheit za - bilden. (,,Ut ante omnia ad libertatem formetis et in libertatem vindicetis animos vestros,“)

Berlin. Die Pr. St. Z. schreibt vom 11. Aug. ,Es sind seit einiger Zeit in Offentlichen Blattern Mittheilungen aber einen von Studirenden der Theologie an der hiesigen Universitat begrindeten sogenannten Bund des historischen Christus veréffentlicht worden, welche in mehbrfecher Hinsicht ungenau genannt werden miassen. Das Sachverhaltniss - ist Folgendes: Im Anfang des laufenden Semesters suchten einige Studirende der Theologie auf hiesiger Universitat, nachdem dieselben zuvor den Rath eines geachteten Lehrers eingeholt und sich dessen Beifalls versichert hat- ten, bei dem akademischen Senat um die Erlaubniss nach: einen theologisch- wissenschaftlichen Verein zu grinden, dessen Tendenz eine gegenseitige Anregung zum tieferen Eindringen in die Wissenschaft der evangelischen Theologie sein sollte, Naher wurde, als der bestimmtere Ausdruck dessen, wis die Mitglieder vereinige , der Glaube an den geschichtlichen Erléser bezeichnet, ein Glaube, welcher seines guten Grundes gewiss, eben dess- halb vor der Speculation nicht. zurickscheue , -vielmehr derselben ihr unge- schmilertes Recht widerfahren zu lassen, fir seinen eigenen Vortheil er- achte. Im Uebrigen sollten alle. Formen und Gesetze ausser den unwesente lichen Anordnungen, welche sich immer da von selbst ergeben, wo mehrere sich zu einem Zweck verbinden, als aberflassig ausgeschlossen werden, auch der Beitritt jedem Stadirenden offen stehen, der sich nur-—nicht in abgeschlossenem Widerspruch zu der oben angegebenen gemeinschaftlichen Grandlage und wesentlichen Richtung des Vereines befindet. Der akade- mische Senat erkannte auch die Léblichkeit des ausgesprochenen Zweckes gern an, ertheilte den Unterzeichnern des Gesuchs das Zeugniss eines untadelhaften Wandels und dusserte sich dahin: dass ein Verein, wie der hier in Rede stehende, nicht unter die Bestimmung des §. 13 des Gesetzes vom 7, Janaar 1838 tiber die Bestrafung unerlaubter Studenten-Verbindun- _ gen zu gehéren scheine. Indessen nahm derselbe Anstand, die nachge- suchte Erlaubniss zu ertheilen, weil bei dem Zwiespalt, der gegenwartig iu Hinsicht theologischer Ansichten stattfinde, ein solcher Verein unter

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anders denkenden Studirenden voraussichtlich die Bildung eines Vereins mit entgegengesetzter Tendenz hervorrufen méchte, dem alsdann die Er- laubniss des Bestehens ebenfalls nicht figlich werde versagt werden kén- “nen, Def? Senat berichtele in diesem Sinne an das vorgesetzte Ministe- rium und legte die Eingabe der Studirenden zu dessen Entscheidung vor. Letzteres konnte die Ansicht des Senats nor als begrindet erachten, dass die Zulassigkeit eines solchen durch kein schriftliches Statut gebaundenen, vielmebr vdéllig freien und formlosen, bloss auf wissenschaftliche Anregung abzweckenden Vereins, bei der erklarten Léblichkeit des Zweckes, nach Massgabe des Bundesbeschlusses vom 14. November 1834 und des Gesetzes vom 7, Januar 1838 in rechtlicher Hinsicht nicht in Frage gezogen werden kénne. Dagegen theilte das Ministerium die von dem Senat gedusserten Bedenken fiber die Consequenzen einer solchen Zulassung nicht. Die aas- gesprochene wissenschaftliche Tendenz des Vereins: theologische Fortbil- dung auf der Grundlage des Glaubens an den ges¢hichtlichen Erléser, steht in wesentlichem Einklange mit der Bestimmung, welche die evangelisch- theologischen Facultéten an den inlandischen Hochschulen in der Behand- lang des theologischen Jehrstoffes statutenmassig zu erfallen haben; man -kann daher einem auf gleicher Grundlage stehenden formlosen wissen- schaftlichen Verein die Zulassung nicht faglich versagen, ohne eine wohl- thatige Freiheit der Erérterung und gegenseitiger Anregung, die sich voll- kommen innerhalb der Linie des Gesetzlichen halt, zu verkimmern. Aus diesem in der Natur der Sache begrindeten Gesichtspunkt sind auch bereits friher formlose Vereine von dbnlicher Richtung auf den Universitaten Bonn und Halle unbedenklich gestattet worden. Ein Verein von entgegengesets:- ter Richtung unter den Studirenden wirde dagegen eine Abweichung von dem christlichen Glauben, als Grundlage der evangelischen Kirche und Theologie , sein, mithin eine Tendenz verfolgen, die mit der Bestimmung der evangelisch-theologischen Facultéten und der durch sie zu férdernden Wissenschaft in Widerspruch trate, und der daher in keinem Falle nach- gesehen werden dirfte. Das Ministerium hat daher den Senat ermachtigt, den Unterzeichnern des Gesuchs zu eréffnen, dass ihrem Verein kein Hinder- niss im Wege stehe, wofern derselbe mit Sorgfalt darauf bedacht sei, bloss den ausgesprochenen léblichen Zweck wissenschaftlicher Weiterbildutig zu verfolgen und seinerseits allem verwerflichen Pacteiwesen fern zu bleiben. In letzterer Hinsicht ist ibrigens der akademischen Behérde noch eine ganz besondere Aufmerksamkeit auf die Bestrebungen des Vecreins anempfohles worden.“ .

Wenn der deutsche Liberalismus nicht so ganzlich albern und die Auf- klérung nicht so gar langsam von Begriffen ware ,- 50, misste man es an- begreiflich finden, dass Stimmen laut geworden sind, das Ministerium mdge diesen ,,Bund des historischen Christus“ verbieten , wobei sich diese ,,Frei- sinnigen* sehr consequent auf die bekannten Bundestagsbeschlisse gegen alle Studentenverbindungen berufen haben. Lasst doch um Gottes willen jedem Menschen seine natirliche Freiheit und arbeitet lieber aaf Aufhebung jeer Bundestagsbeschlisse hin. Freilich kann man es auch dem Senate, wenn er iiberzeugt war, das Ministerium werde einen déhn- lichen Bund von rationalistischen Studiosen der Theologie nicht dulden, nicht ibelnehmen, wenn er seinerseits jenen Bund nicht aufkommen lassen wollte. Die Ansicht des Ministeriums aber die Unzuldssigkeit andrer theo- logischen Vereine wird von Vielen dagegen nicht getheilt werden. Es kommt freilich auf die Definition an, welche die Preuss. evangel. Landes- kirche, iber sich selbst gibt, Will diese nicht ein specifisch Neues, will sie nicht bloss eine Fortsetzung der lutherischen oder der reformirten Ortho- doxie des Reformationszeitalters sein: dann freilich hat das Ministerialschrei- ben an den Senat Recht; dann aber stehen auch mehrere Millionen Preus- sen, die sich bisher bona fide fir Evangelische gehalten haben, ausserbalb der Kirehe, zunachst wahrecheinlich die meisten Mitglieder des Senate. Wenn man nur stets bedenken wollte, dass si tout le monde-a tort, tout le -monde a raison. Mit den Pfarrern kann die Altglaubigkeit, falls es ibr

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elingt, die Staatsgewalt mit ihren vielen Mitteln in ihren Dienst zu brin- en, allerdings auf eine oder die andere Art mit der Zeit fertig werden; ber'mit der durch und durch rationalistischen Majoritit der Gebildeten, ie sich den alten Glauben auch nicht einmal mehr vorstellig machen, ge- shweige denn aneignen kénnten, mit dicsen wird man nicht fertig wer- om. Welche von beiden religidsen Ansichten die rechte ist, das mag sich m jangsten Tage zeigen, auf Erden ist es nun einmal nicht in der Art aszumachen, dass alle Theile aberzeugt warden; und da es nun thatsaich- ch viele Gemeinden in Deutschland gibt, in denen ein ,orthodoxer“ Pre- iger das bedauerliche Schicksal des orthodoxen K dnigsberger Prof. Havernick aben, d.b. keine Zuhérer finden wirde, so thut man wohl, auch fir ine convenable Anzahl rationalistischer Theologen zu sorgen. Nicht dass san solche express machen sollte: sie machen sich von selbst, es liegt, lanb’ ich, in der Luft. Auch sollte man sich hiten, orthodoxe Theologen nd fromme Theologen fir dasselbe zu halten, oder auch nur bei den so- enannten Orthodoxen in der Regel eher fromme Gesinnung vorauszusetzen le bei den Rationalisten. Abgesehen davon, dass darin eine Impertinens egt,’so liegt auch ein.sehr gefahrlicher Irrthum darin, wie Jeder weiss, er das Leben kennt. So roh es ist, wenn der ,aufgeklirte* Janhagel a Jedem, den dieses Volk einen Pietisten schilt, nur einen Heuchler isht, eben so unchristlich,. ja ungeschickt ist es, den Rationalisten als olchen die Frémmigkeit abzusprechen, Man-kdonte dber ein solches Vor- rtheil lacheln, wenn es nicht fortwadbrend viel Unheil in unserm Cultar- sben anzurichten verméchte. Man hat viel von Toleranz geredet, man ollte endlich einmal tolerant bandeln.' Ueberdiess wird man an Menschen- Opfen nicht etwa das Kunststick fertig bringen zu kénnen glauben, das vari V. nicht einmal bei seinen Uhren gelang, Wie man hért, soll der esubund zwischen dem Ministerium und dem Senat einen nicht ganz an- enehmen Schriftenwechsel hervorgerufen haben, der Hr. Minister habe das ‘emehmen des Senats befremdlich gefanden, und dieser beschwere sich, ass es in der St. Z. heisse, er, der Senat, habe die Loblichkeit des ‘andes anerkannt. ;

Berlin, 10, August. Vorgestern Abend brachte eine grosse Anzahl on Studenten dem Professor Marheineke eine Nachtmusik , wobei sie ihm arch eine Deputation ihren Dank far die ernsten, wirdigen und zeitge- tdasen Bestrebungen ausdricken liessen, mit welchen er sie auf die schwie- ige Bahn der theologisch-christlichen Wissenschaft zu leiten bemiht sei. * fanden sich nicht nur viele Studenten der andern Facultéten, sondern uch dltere Manner, welche dem Gange der Wissenschaft nachgehen, zu lieser Feierlichkeit ein. Zugleich ward dem Prof. Marheineke ein Ehren- echer mit folgender Inschrift aberreicht :

Nur eins ist worth, das halt ich fest, / find will es nicht verlieren

Das ist mein christlicher Protest, fein christlich Protestiren.““ *

larheineke erschien darauf unter den versammelten Studenten und hielt ime Anrede an dieselben. (L. A. Z.) ;

Berlin, 17. Juli. Von der Kénigsberger Universitat ist, wie man drt, eine sehr kihne Denkschrift ausgegangen, welche den gegenwartigen iastand der Wissenschaften in Preussen ausfahrlich erdrtert, und in schr charfer Weise die Unmdglichkeit darthut, Rackschritte auf den Bahnen es Geistes zu machen, der so gewaltig tiberall nach Vorwarts drangt. liese Denkschrift versteckt sich unter ein Gutachten tber einen Privat- ocenten, der gern Professor werden méchte, und soll von einem der be- ihigsten Gelehrten, dem Dr. Sacks, herribren. Der Minister hat die chrift der hiesigen Universitat Gbergeben, zur abermaligen Begutachtung, b die zahlreich darin hervorgehobenen Mangel und Unvollkommenheiten, amestlich im Medicinalwesen, wirklich vorhanden gind.

* Diese Herwegh'schen Verse hatten sich such wohl nicht tréumen Jas- om, noch einmal so benutzt zu werden. . D. H.

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Kénigsberg, Aug. Der bekannte Prof, Advernick hat in diesem Semester auch nicht Einen Zuhérer gehabt. —~ Breslan, 8. Juli. Heute war, nach mehrjdhriger Pause, den Sta- . direnden der grosse Commers in Zobten am Berge gleichen Namens, dem ein Maskenzug derselben durch unsere Hauptstrassen vor- angeht, endlich wieder erlaubt worden, Man sah in diesem Zuge einen Ochsenwagen mit dem ,,deutschen Michel“ in seiner vielfarbigen gestachten Kleidung, er sass auf seinem Wiegenpferde eingenickt, Wachte er auf und_ griff nach dem Bierkrage, um sich durch einen frischen Trunk-2a erquicken,,, so ward er gleich mit der Ruthe von seinen ihn umgebenden Erziehern imp Frack, Uniform und Kammerherrengala zurechtgewiesen. Ein Kosak geleitetes den Wagen, Ein langer Ristwagen war vorn und hinten mit einem Ka— theder geziert.. Den vordern Stuhi mit der Ueberscbrift ,Lebrfreibeit“ hatte ein mit dem Orden der Freiheitskriege, dem eiscrnen Kreuze, geschmickte » Professor inne, der sich jedoch vergebens mahte, zu seinen gedringt vo » ihm sitzenden Hérern zu sprechen, da ihm der Mund mit einem Schlosse, gesperrt war, wiahrend der Professor am hinteren Ende des Wagens, trot] der Umschrift ,,Hérfreiheit ,“ vor leeren Banken.gestikulirte. Ein anderer Wagen enthielt mehrere Herren mit verschiedenartigen wolligen und ge— hérnten Thierképfen, dic vor einigen Bichern jammernd und abwehbrend die Hande rangen und einander auf ein in seinem Kafig-wild heramsprin- gendes Eichhérnchen aufmerksam machten und: sich vor demselben ver- neigten.. Dann folgten als Ochsen- and Pferdegespann eine mibsam ver . dem Auseinanderfallen bewahbrte Locomotive mit mehreren angehangten Diingerkarren, dirftig mit Passagieren besetzt, die aber, laut angehangtes Zetteln, nebst Kleidung und Gepack in allen Feuer-Assekuranzen versichert waren, Nebenher liefen bettelnde Strassenjungen. Eine gewisse Reanion ward reprasentirt durch einen Mann in abgetragener Staatsuniform mit einem verdorrten Baum in der Hand, der nur noch an einem Aestchen grinte; ihm zur Seite sass eine Jungfrau in‘dem Costim der Bargerstéchter, voo Geldsicken umgeben. Die harmlosen hiesigen Blatter und Zeitschriften sasscen zum Theil mit Brettern vor der Stirn, zum Theil affectirt selbstge- fallig in ihren Anzdgen von fremden Zeitungen. Mehrere alte halbbartige Jungfern hatten sich die Ueberschrift erwahlt: ,Billiger Ausverkauf um sa riumen ,“ und Jiessen von dem hintenaufstehenden, sehr abgemagerten Amor fleissig ihre Geldsicke schwingen, wihrend sie selbst Kusshandchen., Seuf- zer und Liebesblicke austheilten. Die 4 Musikdirectoren, vem Berliner Volkswitz als. gehalt-, wirkungs-, tact- und gedankenlos bezeichnet, -ver- trugen sich recht gut in Einem Wagen. Ernst und Liszt liessen ihre Vir- tuositat bewundern, inmitten von Geldsicken und Konzert-Annoneen. Det Letztere war von Damen umlagert und gefolgt. Die Wasserkur, die Zweigutegroschenschnellgaloppfabrication, die Athletinnen, die Moden, die Wettrennen, ja selbst die Sonnenfinsterniss-Beobachter Alles war da, nur zwei Dinge wurden vermisst, die gerade far Schlesien chrakteristisch gewesen waren: die rothen Rebhihner namlich und die Rankelrdbenzucker- Fabriken. Die zur Hélle fahrende deutsche Poesie, der Verein gegen die Schnirmieder: bei Mannern und Frauen, ja selbst das auf den Hund ge- kommene Studentenleben war réprasentirt, und somit ein recht anschau- liches humoristisches ‘Bild unserer Zustande, frommen Wansche und Stim mung gegeben, ~ (A. Z.)

Greifswald, 17. Augast. Auf unsrer sehr reich dotirten Université hat die Zahl der Studirenden in der letzten Zeit auffallend abgenommen. - So waren im letten Halbjahre bei der theologiechen Facultat nur viersig, . bei der juridischen gar nur sieben Studirende inscribirt. Im Ministerium soll man ernstlich beschaftigt sein, Mittel aufzufinden, um diese Hochschale. wieder zu heben. Diess hat begreiflicherweise grosse Schwierigkeiten. Eine Universitat kann nicht in der Luft schweben: wie sie selbst Cultar verbreitet, so muss sie sich auch auf cin vorhandenes Culturcapital statzen . kénnen, Nun fehlt es zwar auch in Pommern nicht an Intelligenz, aber die Bildung ist doch in diesem sonst so wackern Lande noch kein Bestandtheil

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der allgemeinen Atmosphare geworden. Meklenburg findet sich in gleichem . Faille, ist wohl noch mehr zariick , und so kann auch Rostock nicht recht aufkommen auch die geographische Lage dieser Ostsee—-Universitaten ist za bedenken, indem aber Meklenburg einen Staat bildet, so ndthigt dieser Umstand die jungen Leute, wenigstens einen Theil ihrer Studien auf der Landesuniversitét zu machen, wogegen die Pommern, da Preussen techs Universitéten hat, ohne Umstdnde nach Berlin oder nach Bonn gehen kénnen. Indess liessen sich immer Mittel auffinden, um nach Greifswalde Studenten zu zichen, °

Jena, Juni. Die von mehreren Zeitungen verbreitete Nachricht, Hof- rath Dahimann habe den Fortbezug seines ihm durch Subscription gesicher- ten Géttinger Gehalts abgelehnt, wird von der ,A. Z.“ fir reine Erdich- tang erkidrt. Was die Geraichte von Dahlmanns Berufung nach Berlin anlangt, so habe man allerdings den Minister genannt, welcher sie betreibe, ued auch eine sehr offenherzige und keineswegs ablehnende angebliche Antwort des Kénigs sich erzahit; weiter aber habe zur Zeit nichts ver- lautet. Dagegen ist Dahimann auch von der Universitat Bonn’ kfralich ohne Erfolg in Vorschlag gebracht worden, ; .

Jena, 16. Augnst. Hier hat ,die Hoffnung des Vaterlandes“ wieder

einmal cinen Krawall mit den Handwerksburschen gehabt. Nach einer von einem Studenten ausgegangenen Prigelei mit einem Handwerks-Gesellen versammelten sich die Studirenden am 25. Juli, um den ihnen unbekannten Handwerker ausfindig zu machen, wobei die Herbergen der Schuster und Tischler untersucht und in der erstern einige Fenster eingeworfen wurden. _Am folgenden Tage, da indessen der Handwerksgeselle sich von Jena entfernt hatte, entstunden am Abend neue Versammlungen der Studirenden, welche, durch frihere Differenzen mit den Handwerkern aufgeregt, durch die Stadt zogen, mit Steinen die Annaherung der Polizeibeamten verhin- derten, und an mebreren Hausern die Fenster einwarfen; jedoch war um 11 Uhr die Ruhe hergestellt. An den Nachrichten von Excessen gegen einen vermeintlichen Hauptmann der Handwerksgesellen durch Bart- und Haar- | abschneiden, so wie gegen den Universitatsamtmann oder akademische Lehrer, ist kein wahres Wort, Auf Anmahnung der Lehrer zur Ruhe wurde diese sogleich hergestellt. In Folge dieser auf Akademien nicht seltenen Reibung zwischen den ibr Verhaltniss zu der Akademie verkennenden Hand- werkern und den Studirenden sind gestern, gemass der strengen Ausfabrung der akademischen Gesetze, finf Studenten’ von der Akademie entfernt und 12 mit viertigigem Carcer und Erstattung alles Schadens bestraft worden.

Wir wollten aber diesen Vorfall einige Bemerkungen machen; was wir ungefahr zu sagen hatten, findet sich indessen schon in der Ober- deutschen Zeitung vom 20. August von einem Pariser Correspondenten der- selben gesagt._ Es heisst dort: ,Ich war einst ein flotter Bursche, und aus der Zeit blieb mir eine schwere Sinde auf dem Gewissen. Es ist gerade kein Todtschlag, sondern bios eine ,Holzerei* gegen die ,Knoten“ von

' Bonu, Damale kam mir das fast natirlich vor, und ich schlug mit zu. - Spater aber habe ich nie mehr die Stintmung begreifen kénnen, durch die ich mich mit fortreissen liess. Und ich versichere Sie, dass die Briefe der deutschen Blatter aus Jena ndthig waren, um mich zu dberzeigen, dass unser Jugendunsinn nicht rein und allein in der Zeit und den dunkeln Zu- standen der Restaurationsepoche lag. Diese aufgeblasene Robheit, die sich dem ebrlichen Handwerksburschen gegeniber fir etwas Besseres halt, ist ein Unglick, ein Erbstick der Zeit, wo noch die Studien ,adelten.“ Hat der Bursche ein Recht, auf den Handwerker stolz hinabzusehen, dano hat der Adelige dasselbe Recht gegen den Nichtadeligen, der héhere Beamte gegen den niedern, der Reiche gegen den Armen. In einem Lande, das an seine Wirde denkt, an seiner Zukunft baut, auf Freiheit und Grésse hofft, missen alle Barger sich gleich achten, und so lange das Gefahl nicht wenigstens die Elite der Jugend durchdruygen hat, ist ein grésseres, wirdigeres Volksleben unméglich.: Wahrlich, wenn diese Geschichte in Jena nicht eine Ausnahme auf den deutschen Universilaten ist, dann lasst

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die Dombau-Feste bei Seite, und lehrt die Jugend, in jedem ebrlichen Birger den Gleichberechtigeten, in jedem Arbeiter den durch seine Arbeit selbst Geadelten sehen. Noch grasslicher aber ist es, wenn man nicht errothet, dariiber zu jammern, dass die Polizei in Jena den Handwerkern erlaubt habe, bunte Matzen zu tragen und Kommerse zu halten. Ich habe seit vielen Jahren manchen schénen Unsinn zu uns herdberklingen héren, aber diese Stimmen aus Jena sind doch vor allen diejenigen, die mich am schmerzlichsten berihrten, denn Nichts kénnte mehr die Furcht rechtfer- tigen, dass die Regungen der neuen Zeit nur die Oberflache berahrt haben, als diese Nachklange tausendjahrigen Unsinus und Hasses zwischen den ristigsten Standen desselben Volkes.

Giessen, Juli. Hofkammerrath Hofmann hieselbst hat sich durch Bekannt- machung von Rissen, Ansichten und einer Beschreibung unsers weltberdhmten chemischen Laboratoriums ein Verdienst erworben, welches gewiss iiberall seine Anerkennung finden wird, wo ahnliche Institute neu gegriindet werden sollen. In der That ist er auch dazu veranlasst worden durch die vielfaltigen Nachfragen ijber die Einrichtungen der hiesigen chemischen Anstalt, die in neuester Zeit von Staasbehérden und Privaten immer hau- figer gestellt wurden. Hr. Hofmann ist der Erbauer des Laboratoriums, also vor Allen befahigt, die yenaueste Auskunft dariber zu geben. Fir die friher und jetzt hier arbeitenden jiugern Chemiker ist eine Ansicht vom Ionern des Laboratoriums: noch besonders interessant, weil darauf viele

vom Hrn. v. Trautschold, einem trefflichen Maler aus Disseldorf, portraitirt-——— sind. Selbst des Laboratoriumdieners umfangreiche Gestalt ist dabei nicht——= vergessen. Um dieses Institut zu benutzen, sind jetzt 60 Chemiker und . Pharmaceuten hier versammelt, darunter 43 Auslinder, Liebig besitzt darch_.m/7 sein Genie eine Anziehungskraft, wie sclten einem Einzelnen zu Theil geworden, Aus allen Landern kommen fort und fort junge Chemigten hier——— zusammen, Liebig weiht sie ein in die Geheimnisse seiner Kunst, Liebig——— sendet sie iberall hin wieder aus als vollendete Chemiker. Als Director——

dieser Anstalt kann er allein in dem grogsartigsten Styl arbeiten. So werden jetzt die vorzéglichsten thierischen Nahrungsmittel untersucht, eine Unter— suchung, die trotz ihrer Umfassung in verhaltnissmassig kurzer Zeit voll- endet wird, und die theilweise die experimentelle Grundlage abgibt zu der Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie, welche demnachst er- scheinen und das physiologische und arztliche Publikum in grosse Bewegung versetzen wird.

Heidelberg, 3. August, Gestern Ahend begab sich der grésste Theil der hiesigen Studenten mit Musik und Fackeln nach dem Hause des Professors Gervinus, um dem seit einigen Tagen daselbst weilenden Hol- rath Dahimann, als einem der Vorkampfer freien Lebens und freier Wissen- schaft, ihre Verehrung und Huldigung darzubringen. Dahlmann erschien unter den Versammelten und sprach etwa folgende Worle: ,,Nehmen Sie meinen herzlichsten Dank fir Ihre schéne Theilnahme, die sich an das Ereigniss anschliesst, welches vor fanf Jahren den Faden abriss, der meine Thatigkeit mit dem dffentlichen Leben verband, und noch sehe ich die freundliche Hand nicht, die ihn wieder anknapfen wird. Viele dunkle Wolken sind seitdem aber mein Haupt dahingezogen, aber seien Sie tber- zeugt, dass weder ich, noch einer meiner Collegen aber jenen Schritt jemals Reue empfunden. Wir hatten uns an die Politik nicht herangedrangt, sie kam uns ins Haus geriickt, sie ward uns zur Gewissenssache; es galt keinen Parteikampf, sondern fir Recht und Wahrheit mussten wir auf- treten. Und so gewiss die leuchtenden Sterne dort oben glinzen und mit ihrem Licht durch den Dunst der Welt dringen, so gewiss wird ein Tag der Gerechtigkeit iiber die irdischen Dinge hereinbrechen. Ich spreche nicht weiter. Aber behalten Sie mich in gutem Andenken und vergessen Sie einige meiner Worte nicht, Reiche mir Einer von Euch die Hand.“ Ein lautes Vivat erscholl dem Gefeierten; spater war ein anderes fir Ger- vinus, ein drittes far alle Sieben ausgebracht. Das Ganze schloss mit dom

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Gesange: ,Wo Muth und Kraft in deutscher Seele lammen, fehlt nie das blanke Schwert beim Becherklang.“ (Mannb. Abendz.) -Freiburg, 6. August. Eine schéne Sitte hat sich an hiesiger Uni- versitat erhalten. Jedem verstorbenen Professor wird nach Umlauf des ersten Jahres nach seinem Tode eine 6ffentliche Gedachtnissrede , mit einem solennen Gottesdienste verbunden, gehalten. Eine solche Feierlichkeit hat- ten wir am letztverfiossenen Mittwoch; sie galt einem ausgezeichneten Lehrer wind Schriftsteller im botanischen Gebiete: Spenner, Die Rede wurde von Fromherz gehalten, der darin ein ausgezeichnetes Bild von dem verstor- benen Gelehrten gab, indem er ihn als Mensch, Lehrer und Schriftsteller mit treffender Feder zeichnete , und Jedermann iiberzeugte sich, dass der im A3, Jahre seines Lebens Dahingegangene eine Notabilitét in der bota- mischen Wissenschaft war, und dass er mitten in seinem kraftigen Wirken und mit Hinterlassung grosser schriftstellerischer Entwirfe, welche die Wissenschaft entschieden bereichert und ihm grossen Ruhm erworben haben

wirden, von der Welt abtrat, (K. Z.) Wiarzburg, 9. August, Hier erregt es Aufsehen namlich bei den streng Katholischen, dass die vom Bischof zu der durch das Jubiléum

fir die bedrangte spanische Kirche veranlassten Bussprocession cingeladene Wniversitats-Corporation diese Einladung abgelehnt hat, Die Majoritat des Senats fasste diesen Beschluss,

B. Deutsche Bundesstaaten. I. Preussen.

(A. Behdrden.) Berlin, Juli. Der Konig hat der graflichen Fa- milie Stollberg unlangst einen besonderen Beweis der Gnade dadurch ge- geben, dass er die als Staatsgesetz geltende Verfigung, nach welcher kein auf einem auslaindischen Gymnasium erzogener Preusse auf preussischen Universitaten studiren kann, ohne ein Abiturienten-Examen vor der Com- mission abzulegen, fir das hanndversche Gymnasium ,zu Ilfeld aufgehoben hat, wo die Familie Stollberg Stiftungen besitzt und ihre Sdhne erziehen lisst. Die zu Ilfeld erzogenen jungen Manner legen daher kein Examen weiter ab, weil, wie als Grund angegeben wird, die Vortrefflichkeit des dortigen Gymnasiums genigende Birgschaft fir ihre Befahigung leiste.

* Posen, 9. Juli. Zu den Hauptklagen der Polen in unserer Provins gehdrte die vielfach ausgesprochene’ Besorgniss, als strebe unsere Regie- rang dahin, die polnische Bevédlkerung des Grossherzogthums Posen auf cousequentem Wege nach und nach zu germanisiren. Besonders trafen diese Beschwerden die hdhern wie die Primarschulen, in denen, wie be- hauptet wurde, durch das Uebergewicht des deutschen Elements das pol- nische mehr und mehr zurickgedrangt werde, Der Konig, der seinen Unterthanen polnischer Abkunft zeigen will, wie sehr er ihr Nationalheilig- thum , ihre Sprache, achte, hat jetzt eine "hochst merkwirdige Instruction ‘far das kénigliche Provincial-Schulcollegium und die Regierungen der Pro- vinz Posen in Beziehung auf die Anwendung der deutschen und polnischen Sprache in den Unterrichtsanstalten der Provinz erlassen, die heute erschie- men ist. Hiernach sollen 1. in allen Landschulen, welche sowohl von Kin- dern deutscher als polnischer Abkunft in bedeutender Anzahl besucht wer- dep, kinftig nur solche Lehrer. angestellt werden, welche der deutschen ond ‘polnischen Sprache vollkommen miachtig sind, so dass jedes Kind den ‘Unterricht in seiner Muttersprache empfangen kann. In Schulen, welche vorherrschend von polnischen (oder deutschen) Kindern.besucht werden, soll die polnische (resp. deutsche) Sprache die Hauptunterrichtssprache sein ; in allen Schulen ist sowohl das Polnische als das Deutsche Unterrichtsgegen- ‘stand, 2. In. den stddtischen Schulen ist der Gebrauch der Unterrichts- sprache nach der iberwiegenden Abstammung und dem Bedarfniss der sie besuchenden Kinder zn bestimmen; auch da sind, so weit méglich, nur solche Lehrer anzustellen, die beider Sprachen machtig sind. In den obern Classen aller stddtischen Schulen. muss bei dem hiefir besonders sprechen~-

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den Bedirfniss des Gewerbe- und Handelsstandes der Unterricht in deut- scher Sprache ertheilt und dafir gesorgt werden, dass die Zéglinge bei ihrem Abgange von der Schule sich im Deutschen mindlich und schriftlich geldufig ausdriicken kénnen. 3. An den Schullehrerseminarien sollen von jetzt an ebenfalls nur solche Lehrer angestellt werden, die mit beiden

Sprachen vertraut sind. Fir die katholischen Seminarien sollen behufs der |

Heranbildung einer erforderlichen Zahl_befahigter Lehrer angemessene Unter- stitzungsgelder ausgesetzt werden. Mit einem Seminar dem za Paradies ‘soll eine Anstalt fiir Waisen polnischer Abkuoft verbunden werden. 4. Von den Gymnasien der Provinz werden das Friedrich-Wilhelms-Gymna- sium zu Poseny das Gymnasium za Bromberg und die Realschule zu Meseritz, welche fast nur von Schialern deutscher Abkunft besucht werden, in ihrer bisherigen Verfassung belassen; an dem Marien-Gymnasium (dem katholi- schen) zu Posen, dem Gymnasium zu Trzemeszno und dem nen zu errichten- den Gymnasium (wahrscheinlich zu Ostrowo), die auch katholisch sind, sollen aber kanftig in den vier untern Classen nur solche Lehrer fungiren, die beider Sprachen durchaus kundig sind; den Religionsunterricht erhalt jeder Schiler in seiner Muttersprache; in allen a&brigen Fachern ist in den ' vier untern Classen die polnische Sprache die Hauptunterrichtssprache, doch wird neben dieser die deutsche in dem Masse angewendet, dass die Schiler beim Eintritt in die Secunda za einem leichten und richtigen Verstaindniss der deutschen Sprache gelangt sein sollen. In den beiden obersten Classem ist die deutsche Hauptunterrichtssprache, doch sollen die griechischen und Jateinischen Schriftsteller abwechselnd deutsch und polniseh erklart werden. Bei der Mathematik, der Physik und dem Unterricht im Franzésischen kann auch in den beiden obern Classen das Polnische als Unterrichtssprache an- gowanct werden. Bestimmungen aber das Gymnasium zo Lissa und die reisschule zu Krotoschin sind noch zu erwarten. So ist der Kénig aach in dieser Beziehung den Wiinschen der Polen, so weit irgend médglich, nachgekommen,

Uebrigens war die Gefahr, dass der potnische Bauer deutsch lerne, |

auch vor diesem Edict nicht so gar gross. Nach dem letzten Jahresbericht der Posener Regierung konnten von 45,282 Kindern polnischer Abkunft, welche die Schulen besuchten, nur 5702 deutsch sprechen; ein Theil ver- stand das Deutsche ein wenig, die Ucbrigen gar nicht. Die Polen der gebildeten Stande haben sich in dem Edict ein fir sie keinesweges niitz- liches Geschenk machen lassen, .Wollen sie und das ist billig ihre Nationalitat exhalten, so missen sie dafir sorgen, dass die meisten Beam- ten im Lande Polen sind. Um aber Aemter tibernehmen zu koénnen, muss man Studien und Examina gemacht haben, dazu Deutsch verstehen. Berlin, Juli. Behufs Ableistung der Militarpflicht’ von Seiten der Studenten an Universitatsorten werden die Regierungsbevo:lmachtigten _aufgefordert, den Universitatsrector anzuweisen, Zeugnisse des Inhalis ~ auszustellen: es stehe der Aufnahme des Studirenden in den Truppentheil in jeder Hinsicht kein Bedenken entgegen. Zur méglichsten Sicherung bei Befolgung der Cabinetsordre vom 10, August 1832, wonach die mit Rele- gation, Consilium oder Exclusion bestraften Studenten an einem Universi- titsorte ihrer Militarpflicht nicht genagen darfen, hat das Kriegsministerium auf Antrag des Unterrichtsministeriums den in Universitatsstadten garniso- nirenden Commandeuren vorgeschrieben, sich vor dem Eintritt eines Stu-

direnden das obgedachte Zeugniss vorlegen zu lassen. Da sich die Univer- .

sitdten die ihrerseits erkannten Strafen gegenseitig mittheilen miassten, 80 hatte die Ausstellung eines solchen Attests gar keine Schwierigkeit, In Gemassheit eines vom Cassationshofe wegen Zulassigkeit der Civilklagen

gegen Schullehrer wegen angeblicher Ueberschreitung des Zichtigungs- |

rechts erlassenen Urtels werden die rheinischen Regierungen angewiesen, in vorkommenden Fallen die Schullehrer gegen ungegrindete Anspriche der Aeltern zu schitzen, und-wirde eine Verurtheilung des Lebrers auf die erhobene Civilklage nur dann erfolgen kénnen, ,wenn der Lehrer sich einer Verletzung schuldig gemacht und dadurch dem Kinde und dessen Aeltern

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eines wirklichen Schaden zugefagt hat.“ Wegen Beaafsichtigung der - Privatlehr-, Schal-, Erziehungs- etc, Anstalten sprechen sich die

' Minister des Innern und des Unterrichts in einer Circularverfigung an

simmtliche Regierungen und das, hiesige Schulcollegium dahin aus: Wegen der Pensionsanstalten fir Schiler, die bereits anderweitig Unterricht er- halten, bedarf es keiner besondern Bestimmung, da die Vorsfeher der Unterrichtsanstalten, ,,falls sie den Pensionsanstalten einen nachtheiligen Einfluss auf die Sittlichkeit und Fleiss der Zéglinge beizumessen Ursache finden,“ die Aeltern davon benachrichtigen miissen. Privatlehrer, welche Kinder in ihren Wohnungen in einzelnen Gegenstanden unterrichten, mis- sen, wie alle andern Privatlehrer, dazu um Erlaubniss nachsuchen. Den noch nicht entlassenen Seminaristen kann die Ertheilung des Privatunter-

_ tichts nus mit specieller Genehmigung ihres Directors bewilligt werden.

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Candidaten des hobern Schal- und des Predigtamtes, die ihr Examen noch nicht gemacht, darfen nur wahrend des e:sten Jahres nach ihrem Abgange von der Universitat. mit besonderer Genehmigung der Behorde als Privat- lehrer zugelassen werden. Nachher missen sie ihre pddagogische Quali- fication in den Prifungen dargethan haben. Falls die Prifung der Privat-. schulvorsteher und Lehrer bei den bestehenden Préfungscommissionen Schwierigkeiten finden sollte, so wird gestattet, in einzelnen Fallen die Schulinspectoren, unter Zuziehung eines geeigneten Rectors oder Lehrers einer hohern Schule, damit zu beauftragen, und nach dem ginstigen Resultate der Priifung die Qualification anzuerkennen.

Berlin, August. Wie es heisst, beabsichtigt das Ministerium, R e~ petitorien der auf den- Universitaten gehaltenen Collegien einzufihren. Den Brodstudenten wiirde das sehr angenehm sein. Auch wird erzahlt, es sei eine Verordnung im Werke, nach welcher die Universitatsvortraige in Zukunft nach vorgeschriebenen.Compendien zu halten seien. Eine solche Maassregel konnte sehr gut wirken und sebr schadlich, es kommt auf den Sinn an, in dem sie gegeben wird, _

(2. Gelehrtenschulen.) Aus Preussen vom 314. Juli. Bisher wurde der Religionsunterricht auf den Gymnasien grésstentheils von solchen Lehrern, die bereits in andern Fachern unterrichteten, oder von Geistlichen aus der Stadt besorgt. In neuerer Zeit ist es aber fir erspriesslicher gehalten worden, besondere Religionslebrer anzustellen, und es hat sich dadurch den Candidaten der Theologie eine Gelegenheit zur Anstellung bei Gymnasien er6ffnet, die sie, bloss auf den Grund threr theo- logischen Kenntnisse, bis dahin nicht gehabt haben. Ein Ministerialrescript Verfagt , dass die Candidaten der Theologie, welche sich zur Uebernahme eines hOhercn Schulamtes melden und schon vor einer theologischen Prifungs-

mmission vorziigliche Kenntnisse in der Religionswissenschaft und der hebraischen Sprache documentirt haben, bei der wissenschafllichen Prifungs- Ommission von einer abermaligen férmlichen Piifung cntbunden sein . Sollen und zur Erlangung der facultas docendi in denselben bloss ihre Lehr- gabe und Methode durch ein geeignetes Colloquium und eine Probelection ‘t den Tag zu legen haben, wonach ihnen dann die facultas docendi far untern und ~mittlern oder auch far die obern Classen in diesen Religions- tweigen zuerkannt wird. Sonach befahigen vorzigliche theologische und Cbraische Kenntnisse und der Nachweis der Lehrgabe zur Stelle eines Cligionslehrers; wiinscht ein Candidat der Theologie auch in andern Fachern ©i dem Gymnasium zu unterrichten, so bleibt es ihm unbenommhen, seine €fahigung dazu vor der wissenschaftlichen Prafungscommission geltend zu Machen, welche ihm die facultas docendi in den betreffenden Fachern ohne Racksicht auf seine Lehrfahigkeit in der Religion und hebraischen Sprache, arch demselben Masse zu-ertheilen oder zu verweigern hat, wie es bei Roe weltlichen Candidaten in Gemassheit der bestehenden gesetzlichen €stimmungen geschieht. (L, A. Z) Berlin, 17. August. Die L. A. Z, schreibt: Wahrend die hiesige Synode sich eifrig mit Berathungen beschaftigt, um unter Anderem auch tn Religionsunterricht auf Gymnasien nutzbarer und eingreifender

a

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zu machen, ist vom Cultusministerium jetzt verordnet worden, dass der Religionsunterricht ‘auf Gymnasien kinftighin nur den Handen_ ,,frommer“ Candidaten anvertraut werde. Im Falle die Schulvarstinde wegen daza tauglicher Manner in Verlegenheit sein sollten, mdchten dieselben sich an den hiesigen Predigerhilfsverein wenden, welcher seit einem Jahr unter der Oberleitung des Hrn, yon Voss durch den Cultusminister in das Leber gerufen worden ist, und bei einer reichen Auswahl die Mittel besitzt, wodurch eingehenden Ersuchen der Art stets auf das Beste, entsprochen werden kénne. Der, hiesige Prediger Pischon, ein anerkannt freisin~ niger Mann und Schiller Schleiermachers, hat dem Cultusminister seine Entlassung als Assessor des triesigen Consistoriums eingereicht, * Wie ver- lautet, wollen nun noch Mehrere diesem Beispiele folgen, da ihre Ap- sichten mit der gegenwartig befolgten Richtung nicht dbereinstimmen.

Kénigsberg, Juni. Der Umstand, dass der hiesige Gymnasialober- lehrer Wit die Kénigsberger Zeitung redigirt, hat in letzter Zeit hier viel zu reden gemacht. Bekanntlich vertritt die Kénigsberger Zeitung und zwar auf eine sehr geistreiche Weise ein System politischer Ansichten, welches dent Regierungssystem in vielen wesentlichen Punkten schnurstracks ent- gegensteht, Nun ist es ganz gewiss, dass es in der Staatsregierung Manner gibt, vielleicht ganze Behdrden, denen die Kénigsberger Zeitung unbe- quem und unangenehm ist, und diess scheint das Gericht hervorgerufes zu haben, man denke Hrn. Witt im Administrationswege von seiner zu entlassen. Wahrscheinlich ist das Gericht vor der Hand nicht; sollte - es sich aber bestatigen, so ist man darauf gespannt, wie der Staaterath (vor den solche Sachen kommen missen) entscheiden wird.

Hamm, K. Gymn. (Director Dr. Friedr. Kapp), Osterprogramm 1842. Die Schule hat 6 Classen, von denen die beiden oberen je zweijabrige Curse haben, Folgendes gibt eine Uebersicht des im Schuljahr 18*'/,, fe- lehrten (a bedeutet Sommer 1841, b Winter 18*'/,,, c das Ictzte Quartal des Schuljahrs): '

A. Sprachen.

I, Lateinische Sprache in 6 Classen,

1. a Taciti Ann, lib. I II] c. 26, b Horatii Carmina lib. 1, mit Auswahl 4 St. Kapp; Ciceronis Brutus von c. 80 bis zu Ende, dann de oratore lib. I, lateinisch erklart 2 St, mit 2 St. Stilibungen (Specimina und Extemporalien wéchentlich, freie Arbeit monatlich) 1 St. Grammatik nach Zumpt, Stern. -o.

2. Cicero’s 4 catilinarische Reden und die Rede pro Annio Milone zur Halfte mit Memoriribungen und Variationen (meist schriftlich), 3 St; Syntax nach Zumpt, von §. 76 bis zur Syntaxis ornata, 1 St., Specimisa oS. Rempel; Virgil. Aen. lib. f, IJ, I, IV und VI, 3 St. Remped und ¢

eiling. ' 3. Jul. Caes. b. g. Buch I bis c. 34, 2 St. mit 2 St. miindl. und schriftl, Uebungen u. 2 St. Grammatik nach Zumpt, Stern; Ovidii Metam. mit Auswahl, mit Bericksichtiguug der Prosodie und Metrik, schriftl. Ver- sionen und Memoriren einzelner Pensa, Stern und c Seiling.

4, Cornelius Nepos, Miltiades Dion, 3 St.; a Phadrus lib. I ond Il mit Auswahl, b Jakobs’ Anthologie mit Auswahl, 2 St. Grammatik nach Zumpt, Specimina und Extemporalien 3 St. Tross.

3. Aus Burchard’s latein. Lesebuch v. S. 281—290 und von -296—304 ibersetzt und theils contravertirt, theils auswendig gelernt, 3 St.; mandi und schriftl, Uebungen aber die Casuslehre, 2 St. ; Grammatik und Auswen- diglernen der, Stammwéorter, 2 St. Hopf; aus Burchard’s Lesebuch, mytho- logische Notizen, nebst mindl, Uebungen, 1 St. Tross.

6. Declination und Conjugation der regelmassigen Verba, Uebersetzung

* Etwa darum, weil Hr. Hengstenbéerg Mitglied desselben geworden ist? Gerade unter solchen Umstanden muss man bleiben, nicht aber dea Gegnern ohne Kampf das Feld rdumen. D. H

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sus dem Lateinischen nach Burchard’s Schulgrammatik §. 323 336; ins Lateinische nach Dictaten; 2 St. fir Specimina; 2 St. fir Grantmatik u. | St. zum Uebersetzen ins Deutsche; Viebahn. :

Il. Griechische Sprache in 3 Classen.

1. a Sophoclis Ajax statarisch, b Homeri Ilias XIX—XXI1V cursorisch, St., Kapp ; Platon, Laches zweite Halfte, Euthyphro, Charmides u. Anfang es Menexenus, 2 St. und 1 St. schriftl Uebungen und Contraversionen ur Eindbung der Syntax, Rempel.

' 2, Xenophontis Anabasis 2 St. mit 2 St, mindl. und schriftl, Uebun- fen, Contraversionen u. Grammatik nach Buttmann, Stern; Hom. Ilias lib. K—XII, 2 St. Hopf. ;

.3. 1. Abtheilung; Jacobs’ griech, Elementarbuch, Curs. II. S, 124—158 o, Homeri Odyssea lib, IX, v. 100 bis zu Ende, 3 St.; Grammatik, mindl. wad schriftl, Uebungen pnd Auswendiglernen der Stammworter nach Rost, 2. Hopf; 2. Abtheilung: Jacols Curs, I, 3St.; Grammatik und wéchent- liche Exercitien, 2 St. Tross.

- + TN. Deutsche Sprache in 6 Classen.

1. Literaturgeachichte nach Koberstein 4te —6te Periode u. Rhetorik ach Richter, 1 St.; Stil (monatlich eine freie Arbeit) mit Uebungen im Jeclamiren und freien Vortrag, 1 St. Kapp.

.@ Rhetorik aber Dispositionen, Definitionen, Uebergange, Abwech- lang im Ausdracke, Beschreibungen, Schilderangen und Erzahlungen mit faktischen Ucbungen, 1 St.; Stilabungen (monatlich eine -freie Arbeit), St.; Poetik nach Dieckhoff: Theorie des epischen, lyrischen und drama- sehen Gedichts,.1 St., Erklarung von Mustersticken, vorziglich aus Klop- ock’s, Schiller’s und Géthe’s Gedichten. auch von Schiller’s Wilh. Tell, ywechselnd mit Declamations- und Vortragsibungen. 1 St, Rempel. _

3. Grammatik nach Burchard 1 St., Lesen, Erklérung and Vortrag St., Aufsdtze halbmonatlich 1 St. Stern. - A, Grammatik und Uebungen in kleinen Anufsétzen 2 St.; Deklamiren, Gndlicher Vortrag leichter prosaischer Sticke, Lesen (Bremer Lesebuch ) und Erklérung des Gelesenen 2 St. Tross. _

5. Mandl. und schriftl Uebungen in der Satzbildung, im Erzaéhlen und eschreiben, 2 St,; in der Orthographie 1 St.; im Lesen, Erkldéren und ersagen 3 St. Hopf. . " ,

Uebungen im Lesen, Erzahlen, Declamiren und Satzbilden 6 St.

.

n. ~ IV. Franzésische Sprache in 4 Classen.

4. und 2. Schluss der Athalie von Racine, Bruchsticke aus Quinault’s edichtc, Boileau’s Sat. IV, Epitre IX und Art. poetique, liv. I et II, Spe- mina, Sprechibungen, mindliche Uebungen im Uebers, aus dem Deutschen is Franzésische u. umgekehrt, 2 St. Rempel.

3. Charies XII liv. VI u. VIII, verbunden mit mandlichen und schrift- chen Contraversionen, Einaibung der Syntax schriflich und miindlich, St. Rempel. = : .

4. Grammatik nach Hirzel, etymolog. Theil mit Einschluss der unregel- issigen Zeitwoérter und wochentl. schriftl. Uebungen, 2 St.; Numa Pompi- as von Florian B. 1 u. 2, 2 St., bis Weibnachten Tross, von da an Sesling.

V.. Hebradische Sprache in 2 Klassen.

1. a einen Theil des Buches Josua, b ausgewalrlte Psalmen, 2 St. Tross.

2. Buch der Richter, Cap. 1— 16, nebst Grammatik nach Gesenius, St. Tross.

B. Wissenschaften.

I, Philosophische Propddeutik in 1 Classe. 4.. Psychologie oder die Wissenschaft vom subjectiven Geist, 2 St. Kapp. IH, Religion in 6 Classen. 4) Far die evangelischen Schiler. 1. u. 2. Der christlichen Glaubenslehre ister u. 2ter Theil, die Lehre yn Gott dem Vater und von Gott dem Sohn, nach Marheineke, 2 St. Kapp. Pidagog. Revue. 1842. b, Bd. V. | 22

' 3.0. 4. Grundzige der christl. Glaubens- u. Sittenlehre nach-Luther's Katechismus a. Bibellehre, 2 St. Stern.

5. u. 6. Das alte Testament nach Kohlrausch’s Geschichten und Lehre wz

der heiligen Schrift, Verse und Bibelsprache memorirt, 2 St. Viebahn. 2) Fir die -katholischen Schiler:

1. 2. 3. Christliche Sittenlehre; Tugendmittellehre, nach Palleuberg* s Religionshandbuche, 2 St. Lohmann.

4. 5: 6. Biblische Geschichte ; christliche Sittenlebre, nach Bats’ Ka- techismus, 2 St. Lohmann.

Il, Mathematik in 6 Classen. .

1. Arithmetik: a Wiederholung der Arithmetik, 1 St., b. Combi- nationslehre, Binomischer Lebrsatz 3 St.; Geometrie: a Stereometrie, 3 St., b Wiederholung der Geometrie, 1 St. Haedenkamp.

2. Arithmetik: a Wiederholung der Gleichungen, 1 St., b Potenzes, Logarithmen, Progressionen, 3 St.; Geometrie: a Ausmessung der Fii- chenrdume, 3 St., b Wiederholung der Arithmetik, 1. St. Haed

3. Arithmetik: a Wiederholung des Pensums der Quarta, 1 &,

b wissenschaftliche Begrindung der 4 Species, Buchstabenrechnung, Glei- - chungen vom ersten Grade, 3 St.3 Geometrie: a Lehre vom Kreis, Aehnlichkeit, 3 St., b Wiederbolung der Planimetrie 1 St. Haed

A. Arithmetik: a Anwendung der 4 Species, 1 St., b Deciml- briiche, Ausziehung der Quadrat- und Kubikwurzeln, 3 St.; Geometrie:

a Linien, Winkel, Congruenz der Dreiecke etc., 3 St., b Wiederholung der Geometrie, 1 St, Haedenkamp,

9. Briche, Lehre von den Proportionen, Regeldetri, umgekehrte Be- geldetri, Zinsrechnung, Kettenregel, Gesellschaftsrechnung u. 8. w. 48 - Viebahn,

6. Lehre von der Rechnung mit Briichen, die 4 Species mit mehr- fach benannten und gebrochenen Zahlen, nebst leichten Proportionsaufgebea, in Verbindang mit dem Kopfrechnen, 4 St. Schellewald.

IV. Naturkunde in 6 Classen,

1. u. 2. a Optik, Wellenlehre, 2 St., b Statik fester, flissiger und luftférmiger Kérper, Bewegungslehre, 2 St. Haedenkamp,

3. u. 4. a Gattungs- und Systemkunde , 2 St., b Hauptlehren der Chemie, 2 St. Haedenkamp.

5. u. 6. a Beschreibung von Pflanzen und Insekten, 2 St., b Natur- | geschichte der Sdugethiere, 2 St. Haedenkamp.

V. Erdkunde in 4 Classen.

3. Earopa speciell, 1 St, Viebakn. .

A. Deutschland und den preussischen Staat speciell, 2 St. Viebaka. VI. Geschichte in 6 Classen.

1. u. 2. Rémische Geschichte, dann allg. Geschichte bis auf Karl d. Gr. verbunden mit Geographié und Culturgeschichte , mindl. u. schriftl. Repe- titionen, 3 St. Rempel. fo

3. ‘Deutsche Geschichte von der Vélkerwanderung bis incl. Friedrich des Grossen Zeitalter, 2 St. Stern.

A. Griechische Geschichte bis zum Jabr 146 v. Chr., nebst Geographie des alten Griechenlands, 2 St. Hopf. -

5. u. 6. Geographie und deutsche Geschichte bis zur franzdsischen Revolution, nach E. Kapp’s Leitfaden, 4 St. Hopf.

C. Fertigkeiten.

I, Schénschreiben in 3 Classen.

A. 1 St. Viebahn, 5. und 6. 2 St. Schellewald.

Il. Zeichnen in 4 Classen. 3. u. 4. 2 St. Viebahn, 5. u. 6. 2. St. Schellewald,

Ili, Singen in 6 Classen. 2., 3. u. 4. je 1 St., 5. 1 St. Buhlmann, 6. 2 St. Schellewald, mit \ einer Chorstunde far 1., 2. 3. u. 4. Buhimann.

Das Lebrer-Collegium besteht aus folgenden HH,: Dr. Friedrich Kapp,

331

Director und Ordinarius in Prima, Friedrich Rempel, Oberlebrer, Rector und Ordinarius in Secunda. Dr. Reinhard Stern, Oberlehrer, Professor und Ordinarius in Tertia, Dr. Ludstg Tross, Oberlehrer und Ordinarius in Quarta, Ir. Hermann Haedenkamp, ordentlicher Lehrer der Mathematik und Physik. Jakob Hopf, Conrector und Ordinarins in Quinta. Johann Christian Vie- bahn, Conrector und Ordinarius in Sexta. Heinrich Lohmann, Kaplan, katholischer Religionslehrer, Peter Buhklmann, Gesanglehrer. August Sei- ling, Candidat des héhern Schulamts, Clemens Schellewald, Schulamts- Candidat and Lehrer der Vorbereitungsclasse.

_ Mit dem Gymnasium ist eine unter der persénlichen Leitung des Di- rectors stehende Vorbereitungsclasse fir 6—9jahrige Knaben verbunden, in der in finf taglichen Stunden, mit Ausnahme der beiden freien Nachmitlage, Elementarunterricht gegeben wird. Frequenz 115, zu Michaelis 6 reife Abiturienten, Bibliothek und Sammlungen wurden vermebrt. Unter den milgetheilten Verordnungen ist dicjenige bemerkenswerth, dass die Stelle ‘des §. 3 der Dienstinstruction fir die Gymnasialdirectoren vom 2. Jan. 1827, wornach sich der Director bei der Verweisung eines Schilers des ihm in diesem §. zierkannten Vorrechtes bei den Lehrer-Conferenzen auch dann, wenn die Mehrzahl seiner Lehrer mit seiner Ansicht nicht dberein- simgt, dasjenige, was seiner gewissenhaften Uebergeugung nach, fir das Wohl des Ganzen das Bessere ist, ‘festzuhalten begeben soll, aufgehoben sei. Als wissenschaftliche Abhandlung hat der Director, ,wo médglich zu freandlicher Anregung allgemeinerer Debatte,“ sein amtliches Gutachten aber Hra, Dr. Ruthardt’s ,,Vorschlag und Plan“ mitgetheilt. Dasselhe ist vom Standpunkte der- Hegel’schen Philosophie aus gefasst.“ Wir werden es spiter mittheilen, mfissen aher erst einige Monate vergehen lassen, da sich dio Revae erst in den letzten drei Heften mit dem Sprachunterrichte and Dr. Rathardt’s Vorschlag beschaftigt hat.

Disseldorf. Hier + am 22. Juni Dr. Frans Wallner, Director des

nasiums, als Sprachforscher geachtet,

(3, Hl. Béirger(Real)schulen.) Die geh. Registratur des Mi- Bisteriums hat das vervollstindigte Verzeichniss derjenigen hdh, Bar- ger- und Realschulen verdffentlicht, welche zu Entlassungsprifuiigen nach

‘dem Reglement vom 8. Marz 1832 berechtigt und deren far Prima ‘reife Secundaner (vgl. Pad. Revue IV, S, 279) zum einjahrigen freiwilligen Mi- liirdienste zuzulassen sind, Es sind folgende:

I. In der Provinz Preussen.

1) Die héhere Birgerschule auf der Burg zu Kénigsberg. 2) Die héhere Bargerschule im Lobenicht daselbst. 3) Die hdhere Bargerschule in Pillau. 4) Die hohere Birgerschule in Memel. . 5) Die héhere Bargerschule in Insterburg. 6) Die héhere Bargerschule in Graudenz. 7) Desgleiehen die- jenige in,Culm. 8) Die Petrischule in Danzig. 7 . Anmerkung, Die Progymnasien zu Réssel und Deutsch-Crone haben: diese Berechtigung nur in Beziehung auf die Zulassung ihrer Zoglinge zum einjabrigen freiwilligen Militardienste, .

; Il. In der Provinz Posen.

Die héhere Barger- und Realschule zu Meseritz. |

Anmerkung. Das Progymnasium in Trzemeszno ist in ein vollstin- diges Gymnasiam umgewandelt worden, gehért also nicht mehr hierher.

; If, In der Provinz Schlesien. .

t) Die hdhere Bargerschule in Breslau. 2) Desgl. in Neisse. 3) Desgl. in Landshuat. '

e IV. In der Provinz Pommern.

1) Die hdhere Birgerschule zu Treptow an der Rega. 2) Die bdhere Birger= und Realschule zu Stolpe.

' V. Inder Provinz Brandenburg.

1) Die kéniglicho Realschule in Berlin. 2) Die stadtische Gewerbe- schule daselbst. 3) Die kénigsstadtische héhere Stadtschule daselbst, 4) Die Dorotheenstadtische Stadtschule daselbst. 5) Die Realclassen bei dem Gymnasiam zu Potsdam. 6) Die hdhere Stadtschule ae 7) Die

332 '

hébhere Birgerschule zu Frankfort. 8) Desgl, zu Castrin.. 9) Desgl. 2a Libben. 10) Desgl. zu Landsberg an der Warthe.

Anmerkung. Dem kéniglichen Gewerbeinstitute in Berlin und deh Gartner-Lehranstalten zu Schéneberg und Potsdam ist diese Berechtigung nur in Beziehung auf die Zulassung ihrer Zoglinge zum einjabrigen frei- willigen Militérdienste beigelegt. .

, VI. Inder Provinz Sachsen.

1) Die héhere Gewerb- und Handelsschule in Magdeburg. 2) Die héhere Birgerschule in Halberstadt, 3) Desgl. im Aschersleben. 4) Die Realschule in den Franke’schen Stiftungen in Halle. 5) Die héhere Biar- gerschule in Nordhausen.

Vil. In der Provinz Westphalen.

1) Die hohere Bargerschule in Warendorf. 2) Die mit dem Gysmnasion zu Minden verbundenen Realclassen, 3) Die héhere Bargerschule in Siegen, VIM, In der Rheinprovinz,

1) Die héb.. Bargerschule in Coln. 2) Die stidtische Realschule is Disseldorf. 3) Die Stadischule.in Barmen. 4) Desgl. in Crefeld. 5) Die mit dem Gymnasium verbundene Realschule in Duisburg. 6) Die hohbere Birgerschule in Elberfeld. 7) Desgl. in Aachen. .

In einer nachtraglichen Bemerkung wird an die Circularverfaigung aber das Lateinische vom 30. Octob. 1841 (Paidag. Revue IV, S. 573—574) noch besonders erinnert,

Berlin, Juli. Es ist auffallend, wie stiefmitierlich die gate Sted Berlin ihre hob. Bargerschulen behandelt, Fir ihre Gymnasien, derea Frequenz indess nichts desto weniger bedeutend abnimmt, gibt die Sta jabrlich sehr viel Geld aus, dagegen geschieht fir die wenigen vorhandenea hob, Stadtschulen fast gar Nichts, obgleich sie so stark besucht sind, das die Kosten dieser Anstalten durch das Schulgeld ziemlich gedeckt werdes. Ganz schlecht sind die Lehrer bezahlt: 650—700 Thaler der Director, 400 Thir. ein Oberlehrer das ungefahr ist die Regel. Die Stadt bedirfe in diesem Augenblicke noch wenigstens 2—3 solcher Schulen; indess scheist man darum keine neue zu errichten, weil man die ersten Kosten schevt

(4. Wolksschulwesen.) Die Verhaltnisse der Lehrer. Schon vor mehreren Jahren versuchte der nun verstorbene Schullebra . Nehm in Westphaten far Verbesscrupg der Lage seiner Berufsgenossen 1 wirken; die an sich schon schwierige Angelegenheit stiess, in der Form wie Nehm sie betreiben wollte, iberdiess auf Schwierigkeiten seitens der Behérden.* In Schiesien hat der Stadtschallehrer Wander in Hirschberg Wiansche fir Hebung des Volksschulwesens und verbesserte Lage der Schu- lehrer ausgesprochen; sein in Leipzig bei Wigand erschienenes letstes Schriftchen (,,die Volksschule als Staatsanstalt“)** scheint ebenfalls bei dea Behérden nicht den gewinschten Findruck gemacht zu haben eher dss Gegentheil. Seit dem neuen Pressedict regt es sich nun im ganzen Staate; von allen Seiten werden Klagen laut. Im Juni war ein Lehrer aus Wesl- phalen in Berlin, um dem Ministerium eine Denkschrift der Lehrer jeacr

rovinz zu iberreichen. Rheinpreussische Blatter und in Rheinpreassen steht es nicht am schlimmsten bringen vielfache Klagen tiber Lebrer- elend, Die Schullehrer der Provinz Brandenburg beschlossen unter dieset Umstanden, diesen Herbst eine allgemeine Versammlung in Berlin zu haltes. Seminardirector Diesterweg ware der natirliche Prasident dieser Versamm- lung gewesen. Obgleich nun das Elend der Schallebrer dem Ministerias in keiner Weise verborgen ist und dieses auch sicherlich alle ihm za Ge bote stehende Mitel anwendet, um zu helfen: so scheint dasselbe es dock bedenklich zu finden, dass die Lehrer endlich auf den ganz natarlichen Gedanken gekommen sind, sich selbst unter sich einmal aber die Mittel st berathen, wie ihre Leiden zu mindern seih mdchten, indem der Yereia

* Es ist eine kleine Biographie des verstorbenen Nekm “erschienen, die wir ndchstens anzeigen werden. ** Wird ebenfalls nachstens angezeigt.

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naimlich untersagt worden ist. Wir haben den Gedanken einen natirlichen nannt, wir hatten ihn auch einen verninftigen nennen kénnen, obendrein

hatte die Ausfihrung desselben den Behdrden selbst nitzlich werden, die-

selben erleichtern kénnen., . . !

Natirlich muss man es’ nennen, wenn Standes- oder Berufsgenossen zur Wahrang ihrer gemeinsamen Interessen zusammentreten. Die Industriellen thun das, und suchen auf die Regierungen und auf die Offentliche Meinung za wirken, Warum nicht auch die Schullehrer?

So verninftig es aber ist, dass die Industriellen sich aber ihre In- teressen aussprechen und die Sorge dafir nicht lediglich den Finanz- und Verwaltungsbeamten der Regierungen anheimstellen: so verniinftig -ist es auch, dass die Lehrer ihre Interessen selbst berathen. Bei aller und zwar sehr aufrichtigen Hochachtung vor der Einsicht z, B. des preussi- schen Ministeriums und der Provinzial- und Bezirksregierungen wird es doch heutzutage keinem Menschen einfallen zu glauben, diese Bebérden hétten die Intelligenz gepachtet, so dass dieselbe sich nur an den grinen -‘Tischen finde. Wenn von Ackerbau, Gewerben und Handel die Rede ist, so thut die gebildetste Staatsdienerschaft wohl die Landwirthe, Fabrikanten und Kaufleute zu héren, und so, meinen wir, kénnten auch die Schullebrer einer Provinz der Behérde aber die beste Weise ihre Lage und das Schul- wesen dberhaupt zn verbessern, recht nitzliche Rathschlage geben. Vier Augen sehen eben mehr als zwei.

Obendrein waren solche Versammlungen aber auch den Behoérden selbst ‘natslich. Die Voraussetzung, auf welcher der bevormundende Beamtenstaat berubt, ist nicht ganz unrichtig, es ist wahr, dass das Volk und eben so diesor oder jener Stand, dieser oder jener Beruf im Volke nicht immer weiss, was ihm gut ist. Es ist aber nicht minder wahr, dass der ganz- lich Bevormundete jedes Unangenehme, das er zu tragen hat, dem Vor- monde zur Last legt, auch dann zur Last legt, wenn dieser es nicht ent- - fernen kann. Sicherlich gibt es Tausende unter den preussischen Lehrern aller Classen, welche das Betribte ihrer Lage geradezu der Staatsregierung aefbairden, welche glauben, diese brauche nur einen Federstrich zu thun, und man sei auf einmal im Schlaraffenlande. Kamen nun die Lehrer zu- sammen, beriethen sie unter sich, 80 wirde die Discussion bald eine Menge von irrigen Vorstellungen entfernen; es wirde sich zeigen, dass sich die

winschten Verbesserungen nicht ohne Weiteres decretiren lassen, dass ieselben mehr von der Gesinnung des Volkes als von der Regierung aus- en missen, dass die Regierung fortwahrend das unter den gegebenen erhaltnissen Mogliche zu thun sucht, u, s. w.

' In der That, anstatt diese Bestrebungen der Lehrer zu hemmen, sollte die Regierang sie eher beférdern und in jeder Provinz alle 2—3 Jahre Generalconferenzen der Schullehrer genehmigen, und zwar Conferenzen, ‘deren Prasidenten von den Mitgliedern frei gewahlt wirden. Und sollte sich heute oder Morgen in Deutschland irgendwo eine ,Gesellschaft der Schulfreunde* bilden, so thate man wohl, einen solchen Verein ruhig wirken zu lassen, Wenn ein solcher Verein durch ganz Deutschland verbreitet ware, wenn an vielen Orten Localsectionen regelmissige Sitzun- . gen hielten, wenn der Verein Schriften herausgdbe u. s. w., 50 hiatten wohlmeinende Regierungen daran eine grosse Hilfe fir ihre Verbesserungs- line. Das nachste Problem ist dieses, in der ganzen Nation den Schu-

Freunde zu schaffen, die Gebildeten und selbst den wohlhabenden Handwerker und Landmann far die Schulen und ihre Lehrer thatsdchlich ga interessiren: sind wir so weit nun dann haben die Behdrden leichte Arbeit.

Vor der Hand hat man den Himmel zu bitten, dass nicht Missgriffe, werden sie nun Iliacos intra muros vel extra begangen, das so néthige

genseitige Vertrauen stéren. Die Lehrer miissen bedenken, dass nicht Poser Wille der Schulverwaltungsbehérden ibren Winschen entgegensteht, sondern dass diese Behérden selbst jede Verbesserung mihsam den andern Branchen des Staatshaushalts so wie der Armuth und Indifferenz der Ge-

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meinden abringen missen; die Behdrden ihrerseits sollten bedenken, dass ein Schulmeister, der dber seine traurige Lage klagt oder auch von der ,geistlichen’ Inspection nicht sonderlich erbaut ist, daram noch nicht zu einem Jakobinerclub gehort.

Wie schlimm es aibrigens steht und wie sehr Hilfe noth thut, zeigen folgende Data, welche wir der in Coblenz erscheinenden Rhein- und Moselzeitung entnehmen: ,Wer von uns kennt nicht das von Rebhigela und Garten prachtig eingeschlossene Dorf Pfaffendorf? Die Gemeindeschule zahlt 130 Kinder beiderlei Geschlechts. In derselhen arbeitet ein thatiger junger Mann, der vor einigen Jahren daselbst angestellt, weil sein Vor- ganger pensionirt wurde. Der jetzige Lehrer bezieht als solcher, nach Abzug der Pension * fiir seinen Vorganger, jahrlich 12 Thaler, sage und schreibe: zw6lf Thaler jahrliche Lehrerbesoldang, mona lich 1 Thaler, fir jede Unterrichtsstunde 3 Pfennige!!** Von dieser Wahrheit kann man sich jeden Tag dberzeugen.

Zweiter-Fall: In der Gemeinde Niederberg wurde ebenfalls der

frihere Lehrer pensionirt. *** Der gegenwartige, ein junger, fleissiger -

Mann, erhielt die. Stelle, und bezieht jahrlich -als Lehrer zwanzig

sieben Thaler 7 Sgr, 10 Pf., monatlich 2 Thir. 8 Sgr. 2 Pf., far jede:

Unterrichtsstunde 6°/, Pf. Die Wohnung ist ihm im MNiethswege zu 14 Thin, angeschlagen. Die Schalerzahl betragt 86 Képfe beiderlei Geschlechts, Dritter Fall: In Karden verliert' der jetzige Lehrer durch Pensioni- rung seines Vorgangers jahriich 100 Thir., die dem Pensionaér baar au- bezahlt werden, Da nun der grésste Theil des Gehalts in Naturalien be. steht, und der Wein heutigen Tages, so zu sagen, Nichts gilt, so mas

jener Verlust um so driickender sein. Warum itberweiset man dem Pea -

sionaér nicht etwa fir 100 Thir. Naturalien, da dieser 1) die Qekonomie besser versteht, als jener, und es ihm 2) nicht an Zeit fehlt, das Bauea der Giiter zu besorgen?

. Wir kénnten solcher traurigen Falle noch mehrere aufzdhlen, wolles uns aber auf diese drei beschrinken, und aus Achtung fir das going Geschaft der Lehrer und sie selbst keine Vergleiche anstellen, um sie ni zu entmuthigen, die, hatten sie ihr trauriges l.oos vorausgesehen, gowiss keine Lehrer geworden waren.“

(S. Bewahranstalten.) Berlin, August. Mit unseren Kia- derbewahr-Anstalten steht es nicht, wie es seyn sollte; wahrend einige Offentlich gestehen, dass sie aus Mangel an Theilnahme ihre Institate einschranken missen, beschrankt sich die Theilnahme auf andere, die we- niger leisten, sich aber mehr bemerklich zu machen wissen.

(48. Turnen, Exerciren u.s. w.) Berlin, August, Der neue Turnplatz wird immer belebter durch die zunehmende Zabl det Jugend, welche diesen so wohblthatigen Uebungen zugefahrt wird. Man will die Turnplatze vermehren und ihnen eine allgemeine Bedeutsamkeit geben, indem man sie mit zum Gegenstand der Schule und Erziehung fir Alle macht. Der Kénig soll diesen trefflichen Gedanken hegen, wesshalb auch Professor Massmann hieher berufen wird, Der alte Jake wird zom

Besuch berkommen; er sieht im spaten Alter sein Werk neu und frisch

aufleben,

-”

* Diese betragt jabrlich 72 Thr.

** Ausser den 12 Thirn. jabrlicher Besoldung ist diesem Lehrer is seiner Competenz eine beschrankte Wohnung zu 20 Thirn. und ein Gdrtchea zu 3 Thirn. angesetzt.

**= Die Pension dieses nur 50 Lebensjahre zahlenden, aber nicht gans.

gesunden Lehrers betragt 107 Thir. Waren diese Lebrer nun nicht Kaster, Gléckner, Organisten etc. etc., wovon dann leben? Und so auch umge- kehrt. Und wie traurig sieht es auch mit diesen Gefallen aus? Da haben die Lehrer jahrelange Rackstande zu fordern, die sich auf 20 bis 45 Thir, belaufen! Das Einziehen dieser Gefalle ist far die Lehrer das traurigste Geschaft. Und doch ware es so leicht zu dndern!

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Berlin, 31. Juli. Heute war die Feier des fanfundzwanzig- jahrigen Stiftaungsfestes der vom General-Lieutenant v. Pfuel ge- randeten Schwimmanstalt. Es haben in der Anstalt seit 1817 22,364 ersonen schwimmen gelernt, darunter 14,686 unentgeltlich, wobei etwa 1200 vom Civilstande, der Rest Soldaten. Ausserdem aber haben sich zahl- lose Anstalten nach: dieser ersten gebildet, und somit ist die Kunst des Schwimmens gewiss auf den bei Weitem grdésaten Theil der militérpflich- ligen Bevélkerung Gbergegangen. Schon um 5 Uhr Morgens versammelte man sich auf dem Kasernenhofe neben der Anstalt. Mit Musik, unter Vortragung der Fehne von 1817, wurde nach 6 Uhr auf die Anstalt mar- schirt; gegen 1000 Personen, mit Einschluss der 200 Schwimmer, waren togegen. Nachdem der Sanger Zschiesche, welcher za den Haupt-~ schwimmern gehért, eine. Festrede gesprochen, und von einem andern Redner, Professor Schott, die obigen statistischen Mittheilungen gemacht waren, wurde ein Festlied gesungen und dann dem General von Pfuel ein dreifaches, donnerndes Lebehoch- gebracht. Hierauf begaben sich die Schwimmer-am Ufer eine Strecke stromaufwarts, um sich dort umzukleiden und eine grosse Schwimmfahrt in Kostimen zu unternehmen, Die einge- ladenen Gaste und die vielen Tausende von Zuschavern vertheilten sich theils.am Ufer, theils in zahllose gréssere und Kleinere Gondlen, welche die Spree bedeckten. Gegen 8 Uhr begann der Schwimmzug, beginstigt darch schénes, mildes Wetter und abwechselnden Sonnenschein, Ein grosses, reich drapirtes, mit Tannengebiischen in einen Garten verwandeltes Fahrzeug mit Militdrmusik erdffnete ihn. Ihm folgte eine Muschel, von hohem Schilf umgeben , gezogen von zwei Delphinen, auf der Neptun mit dem Dreizack in graner Schilfkrone und langem Schilfbart thronte. Zwei aller- liebste Genien standen zu seinen Fissen yorn an der Muschel im Schilf and lenkten die wasserspeienden Delphinen. Ringsum schwammen Tritonen mit Schilf- und Lilienkronen und Muschelhdrnern. Die zweite Abtheilung bestand aus Indianern mit hohem Federkopfputz und Korallenhalsbandern. Dann folgten, Sektionen in verschiedenen Volkstrachten, als Schotten, Nea- politaner, Wilde, alle durch die Kopfbedeckung, zum Theil durch Waffen und Attribute, z. B. Keulen, kenntlich, Einen prachtvollen Zug bildete ein auf einer grossen schilf- und weinbekranzten Tonne schwimmender Baechus mit seinen Bacchanten, die, mit Weinlaub bekranzt, seinem Thyr- susstabe gehorchten. Gegen den Schluss erschien auch ein Froschkénig auf hohem Schilfthrone, von grotesken Riesenfréschen umgeben, die sich kopfaber in das Wasser starzten und-die seltsamsten Geberden und Panto- mimen ausfibrten, unter Anderem auch lastig zechten. Ein Zug Matrosen, die von der Bracke in voller Kleidang herabsprangen, vollendete das ebenso mannichfaltige, als neue und héchst anmuthige Schauspiel. Viele Tausende von Zuschauern begrissten die ristigen Schwimmer vom Ufer und aus den Gondeln her mit Jautem Jubel und geschwungenen Hiten und

Taéchern, (Lpz. allg. Z.)

Berliner Zeitangen berichten einen -interessanten Fall aus Potsdam, der beweist, was im Schwimmen dieser so wichtigen Kunst! ge- leistet werden kann. Am 12. Juli wurde in Potsdam von dem Freiherrn von Golsch, Offizier des Garde~Reserveregiments, eine interessante Schwimmwette zur Ausfahrung gebracht. Die zurackzulegende Strecke von der Bracke bei Ki. Glienecke, dem Lustschloss des Prinzen Karl, bis zur Teltower oder langen Bricke betrdgt eine starke halbe Postmeile. Der Schwimmende ging mit dem Strom, welches aber auf der so langsam fliessenden Havel nichts bedeuten will, und hatte die Verpflichtung, die Strecke in vollstindiger Uniformirung zurickzulegen. Der Frhr. v. Gotsch teat mit Schuhzeug, leinenem Beinkleid, Tuchaberrock nebst Achselstick, Matze ‘auf dem Kopf und sonst noch durch Cigarrentasche, Hausschlissel und einem Thaler kleinen Geldes beschwert finf Minuten nach 8 Uhr Abends die Wettschwimmfahrt an. Ein grosser Theil des Offizierkorps falgte, zur Hilfe bereit und mit einem Arzte versehen, im Fall irgend ein Unglack eintraéte, in mehreren Fahrzeugen. Das Wasser hatte 17. Grad

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Warme und die Witterung war darcheus ginstig. Der Frhr. v. G. legte die bedungene Strecke in 2 Stunden 50 Minuten zurdck, und leistete noch mehr, als er versprach, indem er durch die Teltower Briicke hindarch- ' schwamm und erst jenseits derselben landete. Es geschah diess unter dem Donner der Kanonen von dem Dampfboote und tausenfachem Jubelruf der zahlreich versammelten Einwohner, Der Wettgewinner war aber von der Schwimmfahrt so wenig ermattet, dass er noch bis 2 Uhr Nachts in einer Gesellschaft von Freunden verweilte. -

, XK. Sachsen. 3. Sachsen- Meiningen - Hildburghausen. (8. Behirden.) Die Sammlung der landesherrlichen Verordnungen

theilt eine Verordnung vom 11. Mai d. J. mit, durch welche fir die bei- .

den Realschulen in Meiningen und Saalfeld, 1) die Schulordnung, 2) der Lehrplan, 3) die Dienstinstruction fir die Directoren and die Lehrer, 4) das

Prafungsreglement bestimmt wird. Im Wesentlichen hat man sich fiber diese |

Verurdnung sehr zu freuen, da es bei gegenwartiger Zeit schon Viel ist, eine feste Norm fir eine Realschule zu haben. Ueber Einiges, das die Verordnung festsetzt, lasst sich streiten, doch ist za bedenken, dass der

Rector Hr. Gymnasialdirector Dr. Kiessling sich an das Gegebene -

anzuschliessen hatte, namentlich auch auf die Gymnasialordnung von 1836 Ricksicht nehmen musste, Die Paid. Rev. wird das Wesentlichste der Verordnung sie nimm 76 S. in 4.°tin im Archiv mittheilen und auf dieselbe zurackkommen.* KV. Norddeutsche Staaten. 1. Meklenburg. a. Schwerin.

(@. B 4.) In dem Artikel eines Meklenburgers fiber Meklenburgische Zustinde in der L. A. Z. (Nr. 182, Beilage) heisst es: Meklenburg ist cia schénes fruchtbares Land, auf Ackerbau und Handel angewiesen, darck einen trefflichen Menschenschlag bevélkert; dennoch kénnte es weit mebr sein als es ist, wenn ihm nicht Das abginge, worin das henachbarte Preussen

ihm zum. Muster dient und was man mit Einem Worte Intelligenz neasmt. .

Man verstehe uns nicht falsch; wir léugnen nicht, dass in Mecklenburg auf- geklirte Képfe, ja Gelehrsamkeit zu finden sei, aher es herrscht im Lande eine geistige Armuth, besonders in den untern Classen ein so veralteter, abgeschmackter und doch enggeschlossener Ideencyklus, dass man wobl erkennt, ,die Cultur, die alle Welt beleckt,“ habe nach Mecklenburg noch

eigentlich nicht den Weg gefunden. Hier ist die Reform ndéthig, sie mas

ganz von unten beginnen und aufsteigend bis in alle Staatsinstitutiones sich verbreiten. Es kann weder unsere Absicht noch unsers-Amts sein, det Regicrung ihre kanftigen Bahnen bezeichnen zu wollen, wir beschrankes uns daher nur auf einzelne Andeutungen, die das Gesagte rechtfertigea solien, Fir die Verbesserung der Dorfschulen ist unter den bisheriges - Regierungen sehr Bedeutendes gelcistet und dadurch der eigentliche Grand-

stein zu einer nachhaltigen Volksbildung gelegt; dennoch aber .ist der Uebelstand immer noch nicht beseitigt, sei es auch nur auf den adeligta Dérfern, dass die Schulmeister zugleich irgend einem Handwerk obliegen und sich dadurch ibrem eigentlichen Amte, das gewéhnlich als Nebenwerk gilt, entfremden. Wenn der Jugendlebrer heute einen Rock: oder Stiefel fiickt und morgen die Bibel erklart, so hat das etwas eben so Komisches als Betribendes, Die Aufmerksamkeit misste hier um so grésser sein, als die Nachhildung, welche andere Staaten ihren Unterthanen im Militar er- theilen, in Mecklenburg. aus den oben angefihrten Griinden gewOhnlich wegfallt. Die stadtischen Schulen sowie die gelehrten Gymnasien befindea sich in einem bessern 4ustande, desto klaglicher aber sieht es mit def Landesuniversitét Rostock aus. Sie ist reich dotirt, hat zahlreiche Lehrer

See

* Far die freundliche Zusendung besten Dank, so wie fur das gatige Versprechen in Betreff der Programme. D. H

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und Anstalten, dennoch wird unbeschreiblich wenig gelernt, Referent hielt sich selbst mehre Jahre studirenshalber dort auf, lebte in den sahlreichsten Verbindungen, kann aber nur mit Trager und Unwillen an den trostlosen Geist denken, der sich aus deu Horsalen dber die Studirenden verbreitete, Da war keine Liebe zu den Lehrern, keine Achtung vor ihrer Wissen- schaftlichkeit, robes, ungeschliffenes Wesen gewann allein Ansehen. Diess wirkte wesentlich auf die Privatstudien zurick, und wenn man nun be- denkt, dass viele der Studirenden nicht im Stande sind, das Ausland zu besuchen, so mag man die Einflisse auf das birgerliche Leben berechnen. Der Staat hat Dem durch gescharfte Examina besonders fir die Juristen entgegenarbeiten wollen, aber statt Eines jetzt zwei Uebel erhalten. Das Examen ist die dusserste Spitze des Brotstudiums, wahre Wissenschaftlichkeit wird daher hierdurch allein nie erreicht, Der Candidat lernt unter Mabe und Angst tausend Dinge, die ihn eigentlich anwidern, die er aber doch wissen muss, um etwa acht Tage hindurch davon Rechenschaft geben und sie hernach vergessen zu kénnen, Nun sind in der That die Anfoderungen in Meklenbarg so enorm, dass sie von der Mehrzahl der Examinanden ab- solut nicht geleistet werden kdnnen; drei Viertel der. Gemeldeten fallen darch, stiirzen sich und ihre Familien ins Unglick und sind nach einigen Jahren der Qual und Angst zur Ergreifung eines andern Berufszweiges, oft im vorgerickten Alter; gendthigt. Diejenigen, die dagegen aJle Mahen ‘und Sorgen aberstehen, haben gewdhnolich ihre Gesundheit zerrittet, sind lebensmide und am wenigsten geeignet, dem Staate praktische Dienste.zu leisten. Dennoch aber, und das ist die eigentliche Ironic auf jene Massregeln, stellt sich die mecklenburgische Justiz keineswegs als eine Iébliche dar. 2. u. 8.) Gistrow. Das zu Ostern d. J. erschienenc sechste Stick der Gistrow’schen Schulschriften, welches als wissenschaftliche Ab- handlung de aetate Oedipi Colonei disputatio von dem Prorector Dr. Raspe liefert, emthalt zugleich Nachrichten von einigen mit der dorligen Dom- schule vorgenommenen Verdnderungen, die nicht unerheblich sind. Um Michaelis 1840 nemlich ist die bisherige Gesammtschule des Doms in zwei abgesonderte Anstalten, ein Gymnasium mit vier Classen und sechs Lehrern und eine Birgerschule mit vier Classen und fanf Lehrern zerfallen; der Bargergchule ist von Seiten des Landesherrn das Gebdéude des vormaligen . Hof- und Landgerichts zum Locale diberwiesen; die beiden ersten Lebrer der Birgerschule miissen studirte sein; der Landesherr ist Patron des Gym- wasiums, der Magistrat der Birgerschule. Der jetzige Director des Gym- nasiums, Prof. Dr. Besser, bleibt einstweilen auch noch Organ. des Vor- standes fir die Bargerschule, déren Specialinspection jedoch an den ersten Lehrer derselben, Rector Jahn fallt. Am 12. Oct. wurde die neue Ein- richtung eingefabrt; sie gab das Resultat, dass dem Gymnasium 63, der Biargerschule 102 Schiler verblieben. In jenem ist zugleich jetzt statt des bisherigen Fach- oder Parallelsystems, das seit A, H, Franke von dem hallischen Waisenhause ausgegangen, in Gistrow seit der Schulordnung von 1786 eingefahrt worden war, das Classensystem eingerichtet worden. Aus der zweiten Classe der Birgerschule findet bei erlangter Reife far die erste der Uebertritt in die vierte des Gymnasiums statt, nachdem in der Bargerschule selbst 4 St. w. die Elemente des Lateinischen gelehrt und darauf in einer fauften Privatclasse des Gymnasiums 6 St. w. ein vorbe- reitender Unterricht im Lateinischen ertheilt worden ist. Oberschulbehérde ist die Grossherzogliche Regierung, Ephorus der Superintendent, unmittelbar vorgesetzte. Behérde das Scholarchat, bestehend aus dem Ephorus, einem Magistratsdeputirten und zwei Predigern, fair jetzt auch noch aus dem Director des Gymnasiums, Der Director ertheilt wéchentlich 16, der Con- rector (Wendhausen) 20, der Prorector 22, der Subrector (Kriickmann) 24, der fainfte (Matthai) und sechste (Reuter) Lehrer 26 Stunden Unterricht. Als eine dem Ref. beifallswardig erschienene Einrichtung ist es hervorzu- heben, dass wichtige Tage durch geeignete Vortrage den Schilern wichtig und eindringlich gemacht werden, so der 18. Oct, 1839 vom Collab. Reuter, 4840 vom Director; das Reformationsfest den 31. Oct. beide Male vom

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Director; bei der Geburtsfeier des Grossherzogs Redeactus der Schiler und Entlassung der Abiturienten durch den Director; bei der.Trennung der beiden Schulen folgte auf die Rede des Directors eine lat. Gegenrede des Conrectors und eine kirzere deutsche des Prorectors,

2. Lauenburg- Holstein «. Schlessteig.

(2.) Altona, Der vormalige Prof. am hiesigen Gymnas. Dr. Gottl. Ernst Klausen erbielt den Titel eines Etatsrathes. *.

(3.) Friedrichsstadt. Hier + 9. Dec. 1841 Dr. Tadey, Rector und Prediger, durch seine Schriften aber das héh. Birgerschulwesen vor- theilhaft bekannt. Auch gab er das Schleswig-Holsteinische Schulblatt beraus.

(4. Volksschulwesen.) Der Altonaer Merkur enthalt ein Schreiben aus dem Lauenburgischen vom 8, Aug., klagend iber allzu karge Dotirung der Landschulstellen. Die Ritterschaft will die zur Verbesse- rung der Lehrergehalte erforderlichen Gelder nicht aus dem Landessackel gewabren, und es wird darum Berufung eingelegt an den Kénig, der, wie ein Abgeordneter in der holsteinischen Standeyersammlung’ jangst ge- sagt, selbst auf einer hohen Stufe wissenschaftlicher Bildung stehend, gewiss mit landesvaterlicher Huld auf den Lebrstand seines christlichen Volkes herabblickt. Das Schreiben schliesst wie folgt: ,Von dem frommen Sinne Konigs Christian VIII., unsers thenern Landesherren, kénnen wir Gott Lob es zweifellos erwarten, er werde es nimmermehr billigen, dass, obschon bereits seit linger als dritthalb Jahrhunderten in unserer Landeskirchen- ordnung von 1585 geschrieben steht: ,dass an den Schulen recht und wohl zu bestellen und erhalten allen Aemtern und Stdénden auf Erden hoch und viel gelegen sei, bedarf nicht langer Ueberweisung noch vieler Worte, sintemal zu jeder Zeit die Erfahrung und Noth hiervon genugsam zeuget. Denn wo die Jugend nicht von Kéndesbeinen auf christlich, wohl und ehrbarlich erzogen wird, kann nichts anders, denn nur 4rech, wild und ungeheures Gesinde daraus werden; die Schulen sein, wie Basilius sagt, Zucht- und Lehrkduser, darin die Jugend zu aller wahren Gotteserkenntniss, Tugend und Ehrbarkeit unterwiesen und gezogen wird: derowegen, 80 wenig man der Sonne aus dem Firmamente des Himmels entrathen kann, mag auch der Mangel an Schulen geduldet, und was zu ihrer Beforderung, Handhabung und Nutz gehérig, umgangen werden“ dennoch fir unsere Lauenburgischen Schulen und deren Lehrer seither immer nur noch s0 wenig gethan ist. Und seine Weishcit wird es nicht verkennen, dass alle Schulen obne tichtige und berufseifrige Lehrer nichts frommen; die Zabl dieser aber nur klein sein kann in einem Lande, wie leider noch das unserige, wo es an jedweder Offentlichen. Anstalt fir die gehdrige Aus- bildung kanftiger Volksschullehrer ganzlich fehlt, und wo die aberwiegende Mchrheit des Landesschullehrerstandes in dusserster Noth darben muss, 80, dass es in dieser Beziehung allerdings nicht unpassend erscheint, weon hier und da ein adeliger Patron seinem Schullehrer nur eine elende Celle des Dorfarmenhauses zur Dienstwohnung angewiesen hat. Die Verewigung dieses traurigen Zustandes unsers Landschulwesens gehdért jedoch, Gott sei Dank, nicht zu den verfassungsmassigen Rechten und Freibeiten der Lauenburgischen Ritter- und Landschaft. Es wirde also ein demselben abhelfendes landesherrliches Gesetz wohl einer vorgdngigen Communication mit diesem stdndischen Corps, aber doch nicht dessen Einwilligung bedir- fen; das dessfallige Gutachten unserer Stinde vielmehr eben so, wie in Holstein, von dem Gesetzgeber nur insofern zu beachten sein, als er die Ueberzeugung gewonnen, dass deren Rath fir das allgemeine Wohl heil- sum und mit héhern Staatsricksichten vereinbar sei.“

V. Mitteldeutsche Staaten. 1. ‘Anhalt. a. A, Bernburg, (f, Bw. 8.) Der Geist des Fortschritts, der sich jetzt in den man- nichfachgten Beziehungen durch ganz Deutschland hemerklich macht, het

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sich in neuerer Zeit auch bei uns auf das lebendigste geregt, und wie schon jetzt sehr erfreuliche Resultate gewonnen sind, so dirfen wir auch fir die Folgezeit einer sichern und ungestérten Entwickelung um so zuyersicht- licher entgegensehen, als es die Regierung selbst ist, welche den ersten Impuls zur vorwirts strebenden Bewegung gegeben und sich an die Spitze derselben gestellt hat. Durchdrungen von der Ueberzeugung, dass ein Land nur dann wabrhaft glicklich zu nennen ist, wenn es sich in einem den Anforderungen der Zeit genifgenden Culturzustande befindet , bietet sie alle Krafte auf, sowohl die rein geistige wie die industrielle Bildung nach den verschiedensten Richtungen hin zu‘ heben und zu férdern, und scheut selbst die gréssten Opfer nicht, wenn es gilt, die Mittel dazu herbeizuschaffen. Ausgehend von dem Grundsatze, dass ein solcher Fortschritt nothwendig von innen heraus sich entfaltep muss und dass jeder Effect daran gewen- deter Bemihungen durch den Zustand dér Unterrichts- und Bildungsanstalten bedingt ist, hat sie ihr Augenmerk vorzugsweise auf die Hebung und reve Organisation der Schulen gerichtet und wabrend des Verlaufs von noch nicht zwei Jahren im Vergleich mit den Mitteln, dic ihr zu Gebot stehen, wahrhaft Bewunderungswirdiges geleistet. Der erste segensreiche Schritt, den sie far cine erfolgreiche Ausfahrung ihrer Absichten that, war, dass sie in der Person des frihern Corpspredigers der Provinz Posen, nun- mehrigen Superintendenten Dr. Walther, einen Mann an die Spitze des Con- sistoriums stellte, der, eben so ausgezeichnet durch umfassende Gelebrsam- keit wie durch geistigen Scharfblick und constructive Thatigkeit, mit dem rastlosesten Eifer und der klarsten Umsicht diese Reformen geleitet hat. In Folge seiner Wirksamkeit und Fiarsorge hat vor Allem das Gymnasium des Landes einen neuen, frischen Aufschwung genommen und sich dabei ‘der, hdcheten Liberalitét von Seiten des Herzogs zu erfreuen gchabt. Diese zeigte sich zunichst darin, dass der zeitherige Director, dem nach ¢inem vieljahrigen Wirken bei seinem Alter eine gesteigerte Thatigkeit, wie sic jetzt Noth that, nicht anzumuthen war, in einen wohlverdienten ehren- vollen Ruhestand versetzt und die’ dadurch erledigte Stelle dem bisherigen Conrector Dr. Herbst abertragen wurde, der in Uebereinstimmung mit dem gesammten Lehrercollegium vor Allem dahin wirkte, eine innigere Einheit im Organismus des Unterrichts herzustellen, den wissenschaftlichen Stand- pankt sémmtlicher Classen zu steigern, die Disciplin in einer zwar freand- lichen, aber dabei energischen Weise zu handhaben und in den Schilern einen lebendigen Sinn far das Edle und Schéne, sowie fir eine griindliche und freio Wissenschaftlichkeit zu erwecken, Damit dieser Sinn von aussen und innen gendbrt werde, schenkte der Herzog zu gleicher Zeit dem Gym- nasiom und den damit verbundenen Realclassen ein neues, in jeder Hinsicht stattlich und geschmackvoll eingerichtetes Gebaéide, das besonders durch seine gerdumige Aula cinem lange gefihiten Bedarfniss abhalf, und bewilligte einen Fonds far die Bereicherung der bis dahin zicmlich dirftig ausgestatteten Bibliothek. Auch mehrere neue Lehrerstellen wurden begrindet, nament- lich far den Real-, Zeichen- und Gesangunterricht, und in neuester Zeit hat sich die zeitgemasse Firsorge der Regierung auch noch durch Errichtung einer Turnanstalt bewahrt, die unter der Leitung des als Improvisator ribmlich bekannten Urn. Volckert im fréhlichen Aufbliben begritfen ist und auf die Gesundheit und kérperliche Gewandtheit der Schiler, sowie auf die Kraft und Elasticitat des Geistes den wohlthuendsten Einfluss auszuiben verspricht. In gleicher Weise wie fir das Gymnasium ist auch fir das - Seminar und die hdhere Téchterschule gesorgt. Auch diese Anstalten sind durchaus neu organisirt und sehr bedeutend erweitert, neue Lebrer und Lehrerinnen angestellt und neue Locale dafair angekauft. So steht zu hoffen, dass in kurzer Zeit unser gesammtes Schulwesen mit dem der in dieser Hinsicht bestorganisirten Staaten wird in die Schranken treten kénnen und dass sich daraus der winschenswertheste Zustand der allgemeinen Bildung entwickeln wird. -- . (L.A - c. <A, Céthen. | . (@.) Kéthen. Hier ¢ 27. Jan. der seit 1836 emeritirie Rector der

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Hau ule, Chr. Friedr. Rad. Vetterlein, geb. zu Warmsdorf 17. Sept. 1758. Er hat das Verdienst einer der Ersten gewesen xu sein, welche die Interpretation deutscher Dichter in die Schalen eiugefihrt haben. (Chresto- mathie; Handbuch der poet. Litt. der Deutechen; Klopstocks erkldért u. 8. w.) ; ;

VWI. Westdeutsche Staaten. 2. Grosshersogthum Hessen.

(4. Behirden.) Landstinde. Auf dem heutigen Landtage ist ein Antrag auf Verbesserung der Schullehrerhesoldungen gestellt wordes, Hr, Geb. Reg. Rath Prof. Schmiithenner hat als Mitglied des Ausschusses den Bericht aber den Antrag abgefasst. Er beginnt mit folgenden Worten: »Gewiss ist kein Mitglied der Kammer, welches nicht die Ansicht des An- tragstellera theile, dass das Einkommen der Lehrer in Volksschulen in keinem richtigen Verhaltnisse zu den hoben Anforderungen steht, welche gegen- wirtig an sie gemacht werden, und welche nicht wanschen sollten, das auf irgend eine Weise die Lage derselben verbessert werde. Nur dariber kénnte die Frage entstehen, ob die Erhéhang der Gehalte aus allgemeinen Staats- oder aus Gemeindemitteln, welche beide der Antragsteller hennt, zu bewirken sei.“ Hierauf beschdftigt sich der Ausschussbericht mit der Frage, ob die Erhéhang der Gehalte aus Staatsmitteln ‘geschépft werden solle; er verneint sie und fagt hinz¢: ,Dagegen theilt er den Wunsch des Antragstellers, dass, wo nur immer mdglich, eine Erhéhung der Lehrer- gehalte aus Gemeindemitteln eintreten mége. In dieser Hinsicht enthilt aber der Erlass des Regierungscommissaré die tréstliche Zusicherung, dass _ die Staatsregierung den Betrag von 155 fl. stets nur als Minimum einer Lehrerbesoldung angesehen und sich desshalb seither bemaiht habe, dberall, wo die Mittel der Gemeinden es irgend gestatteten, eine Erhéhung des gegebenen Betrags durch Leistung eines Zuschueses aus den Gemeindecas- sen zu bewirken, welche Bemaihungen auch grossentheils nicht erfolglos . gewesen seien, indem schon jetzt ia vielen Gemeinden die Schullehrer einen héhern Gehalt zu beziehen hiatten; in diesen Beméihungen werde die Staatsregierung fortfabren, und es sei zu hoffen, dass auf solche Weise nach und nach die Gehalte der Schullehrer an Volksschulen im Allgemeines

verbessert wirden. Bei diesen officiellen Versicherungen glaubt der Aus-. schuss nicht, dass weiter ein besonderes Ansinnen an die Staatsregierung zu stellen ist.“ Der Bericht gedenkt noch der Grindang und Dotirung eines allgemeinen Schulfonds, worin die Staatsregierung ein Beddarfniss erkenne, spricht sich in gleichem Sinn aus und bedauert, dass die grossen Staatsausgaben nicht gestatteten, schon jetzt einen Antrag auf Dotisung eines solchen Fonds zu stellen. . .

In dem Landtagsabschiede (Juli) heisst es nun aber jenen Antrag: S. K. H. vermégen nicht, dem ausgesprochenen Wunsche in der Allige- - meinheit, wie er vorgetragen worden, zu willfahren, werden aber kanf- tig, wie seither, die-orforderliche Aufklarung aber die fraglichen Verhalt- nisse ertheilen lassen, wenn dieselben bei der Berathung darauf beziglicher Propositionen angemessen erscheinen sollten.* Fir die Erbauung- einer. neuen Anatomie in Giessen waren vom Landtage 60,000 fl. votirt worden; auch warden der Mainzer Realschule jahbriich 1000 4, sugelogs.

- Gymnasialdirector Thudichum in Bidingen wurde sam Mitgliede des _ Oberstudienraths ernaunt. |

VI. Miszellen.

Der Philologencongress zu Bonn. . Nachtraglich liefern wir-noch einen Artikel der L.A. Z, und die von

Hr. Oberschulrath Friedemann verfasste Votivtafel fir A. W. Schlegel. Vom Rhein, 10, Oct.. So wie unter grossen Kampfen Staat und Kirche einer Wiedergeburt entgegen gehen, so steht eine solche sichtbar

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auch der Schule bevor. Die Idee einer Nationalersiehung, einer hdheri Einheit von Politik und Paddagogik, von Wissenschaft und. Leben fasst immer ticfer Wurzel in den Geistern der Gegenwart... Aus diesen und ahn- lichen Ideen ist der Verein der Philologen und Schulmanner Deutschlands hervorgegangen, Es ist ein Zeichen des innern Lebens, dass diese Manner es,zu dieser Gemeinsamkeit gebracht haben. An einem bedeutungsvollen . Feste gestiftet, hat der Verein durch mehrere Jahre an Festigkeit und Umfang gewonnen. Es ist interessant zu sehen, wie die Versammlungen desselbep, in verschiedenen Staédten des deutschen Vaterlandes abgéhalten, diesen Oertlichkeiten gemass eine andere Faérbung annahmen; natiirlich, da ein grosser Theil der jeweiligen Mitglieder immer aus den nachst umwoh- . nenden Schulmannern besteht. Fir dieses Jahr konnte es als glickliches Ereigniss angesehen werden, dass gerade Bonn gewahit worden war. Sind ja die Rheingegenden seit einem Jahre so recht eigentlich dem deutschen Genius vindicirt worden, und Bonn ist es, welches dicses glickliche Er- - eigniss besonders vorbereitet. Es konnten daher die Bestrebungen fir deutsche Wissenschaft und Nationalerziehung nach keiner schénern Statte werlegt werden, Aber auch noch in einem andern Sinne ist diese Wahl * eine glickliche zu nennen. Seit lange bewegt der Kampf zwischen Huma- nismus und Realismus die Gemither. Wie konnten die Philologen Deutsch- lands auf eine sinnigere Weise eine Verséhnung mit den Interessen der -Gegenwart und ibr Vertrauen in die fortschreitende Zeit offenbaren, als indem sie ihren Sitz in diejenigen Provinzen verlegten, in welchen ein so gowaltiger Aufschwung der sogenannten materiellen Interessen stattfin- det? Der Gedanke, dass die deutschen Philologen und Schulmanner sich in den Rheinlanden versammelten, musste einem jeden Vaterlandsfreunde das Herz erwarmen. In dem schénen Rheinthal, in dem freundlichen Bonn . goliten die Manner zusammen kommen, welche es sich zum Berufe gesetzt, . den ernsten Rémergeist und die heitere Griechenwelt mit den Bedirfnissen der Gegenwart zu vermitteln, Und gerade Bonn ist der Ort, wu dicss in umfassenderen Sinne geschieht, als an vielen andern Musensitzen; denn hier wirken und wirkten Niebuhr, v, Schlegel und Welcker. Zum Em- pfange der Gaste hatten Kénig, Stadt, Universitat und Prasidium des Ver- eins auf das grossmithigste und aufopferungsvollste gesorgt. Die stattlichen _Lorale der Stadt und Universitat konnten far die wissenschaftlichen und erheiternden Zusammenkinfte der Gesellschaft nitht geeigneter gewiinscht werden. Nach der vorbereitenden Sitzang wurde auf einem Dampfboote nach dem am Fusse des so schén gegliederten Siebengebirgs gelegenen Konigswinter gefabren, wo durch die Munificenz des Kénigs ein grosses Gastmahl der Gesellschaft harrte. Es waren die Manner der Wissenschaft aus den entferntesten Gauen Deutschlands und der umliegenden Lander erschienen, Der Mittelpunkt der Geister und Herzen an diesem Tag aber war Arndt, der sich als Rector der Universitat in unserer Mitte befand. Nach den adblichen Toasts und nachdem mekrere antike Gesainge gut vor- getragen worden waren, erténte Arndt’s: Wo ist des Deutschen Vaterland?“

nach dessen Beendigung jedermanniglich voll Begeistefung zu dem Sanger, eilte. Es war ein ergreifender Augenblick, far Manchen gewiss einer der . schdnsten des Lebens, besonders wem der kraftig schéne Greis nach seiner Art so herzlich die Hand schittelte, Ohne Zweifel ist es Vielen an diesem Tage zu hellerm Bewusstsein gekommen, dass eine wohlverstandene Natio- nalitat die Grandlage aller tichtigen Erziehung ist. Den folgenden Tag begannen die regelmassigen Sitzungen, auf welche im Einzelnen einzugehen hier nicht der Ort ist, wo nur die Bedeutung der Versammlang far das Sffentliche Leben und ihre: Haltung aberhaupt angedeutet werden darf. Wir erlauben uns daher nur einige allgemeine Bemerkungen, die wir aber im Kinzelnen zu begrinden bereit sind. Die Erdffnungsrede Welckers als Pra- sidenten, welche wegen seiner durch Kranklichkeit veranlassten Abwesen- beit von einem Stellvertreter verlesen wurde, verlangte dem heutigen Stand- punkte der Wissenschaft gemiso eine allseitige Erfassung des Lebehs und der Kunstwerke der Alten, so.wie sie auch gute Winke gab iiber die Bedeu-

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tung des antiken Geistes far die Bildung unserer Zeit. ‘Die einzelnen Vor- trége wurden von der Gesellschaft in rcin wissenschaftliche und padagogische getheilt, Es darf im Allgemeinen von. ihnen gesagt werden, dass sie sich den Anforderungen der heutigen Wissenschaft anzuschliessen suchten, ju dieselbe zum Theil in Wabrheit erweiterten. Wenn wir vorlaufig Einiges tadelIn, so kann diess nur aus der innigsten Liebe zur Sache und zum Vater- lande hervorgehen. Es erscheint uns diess um so mehr als Pilicht, da sich hier und dort eine allzu grosse Selbstgefalligkeit tiber die Leistungen des Vereins kund geben wollte. Die meisten Vortrage fibrten za keiner rechten Discussion, im. Gegensatze zu den Versammiungen der Naturforscher, denen beizuwohnen wir Gelegenheit hatten: Es hatte diess seinen Grund theils in der ibermassigen Lange der Vortrige, die meist bedeutend hiatten ab- gekirzt werden kénnen, wenn man Allbekanntes nicht zu breit aufs neue - vorgebracht, sondern nur das als neu Vorzulegende gehérig hervorgehoben hatte; theils indem man sich unter Complimenten aus dem Wege ging, theils auch in einem von dem Prasidium zuweilen unterstitzten Abschneiden ' der Discussion durch einen ,Matador,“ wie die Notabilitéten scherzweise von der Versammlung genannt wurden. Als fernerer Misstand trat aaf dieser Versammlung ein gewisses Selbstgefabl mancher Universitatemitglie- der, selbst unbedeutender Privatdocenten gegen die Gymnasiallehrer herveor, wihrend doch, was auch diese Versammlung wieder und vorziglich in Privatdiscussionen darthut, oft das vielseitigere und lebendigere Wissen, ‘der durchgebildetere Charakter, sowie das Eingehen in die Fragen der Gegen- wart sich auf Seiten dieser fand. Uebrigens hat diese Versammlung wieder manchen Schritt gethan zur Belebung der Wissenschaft und Wardigung der Praxis, wenn auch noch hier und da ein hochgelehrter Professor bei oiner solchen praktischen Frage lachelte, “Auffallend war es aber, dass manche vorzugsweise sogenannte Gelehrte in die geistige Fortbewegung der vor- liegenden Fragen nicht einzugreifen wussten,; sondern stumm dasassen, - wenn diess nicht etwa geschah, weil ihnen die ganze Sache zu geringfigig erschien. Um die Sitzungen mehr zu beleben, ist es durchaus nothwendig, dass die Vortrage -abgekirzt und fir die Discussionen mehr Zeit gewonnen -wird; denn man reist doch nicht hundert Stunden, um etwas schlecht ab- lesen zu héren, was man besser gedruckt lesen kann. Manchen treibt aber die Kitelkeit, mit einem Jangen Vortrage die Zuhérer zu martern. Dieses nothwendige Zurickdréngen des unbedeutendern wird indessen erst dann méglich werden, wenn von den meisten Philologen und Schulmannern eine tiichtigere philosophische Bildung angestrebt werden wird. Dann erst wird der Vortragende die Schlagpunkte mit scharferem Bewusstsein hervorheben kénnen. Bisher ist aber das Studium der Philosophie von den Philologen im Allgemeinen nicht allein vernachlassigt worden, sondern auf dieser Ver- sammlung offenbarte sich sogar ein entschiedener Widerwille gegen die Philosophie der Gegenwart, welche doch gerade die orgahische Erfassung und Durchdringung der Alterthumswissenschaft, die bisher noch nicht 2a Stande gekommen, anstrebt. Das ist noch immer ein beklagenswerthes Uebel unserer deu® chen Zustande, dass wir dasjenige, um welches uns andere Nationen zu bewundern und zu beneiden anfangen, gering achten, und dadurch nur uns selbst bei denselben in Missachtung bringen. Doch genug. tiber die wissenschaftlichen Vortrige und ihre Discussion. Nur Das sei noch bemerkt, dass viele der Vortriége auf eine unverstindliche und ungebildete Weise vorgetragen wurden, eine neue Mahnung, die. Rede- ‘ibungen auf unsern Schulen eifriger'zu betreiben. Besonders machte Thiersch ‘hiervon eine ribmliche Auspahme, sowie aberhaupt die persdnliche Bekannt- ‘schaft mit ihm manche Vorurtheile zerstreut, welche er sich durch seine ‘Schriften zugezogen; obgleich es Vielen befremdlich vorkommt, dass er den Verein oft zu bevormunden suche. Jedenfalls war er indessen die her- vorragendste Persénlichkeit auf demselben. -Zu den wissenschaftlicheu und padagogischen sowie didaktischen Vortragen kamen noch Berichte Ober Unternehmungen und Stiftungen von Vereinen, wie z. B. eine Gesellschaft far rheinische Alterthimer gestiftet ward. Die auf dem vorigen Vereine

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beschlossene Denkmifze auf Otfried Miller ward vorgelegt. Leider ist der- selbe aber schwer wieder zu erkennen. Fir das ndchste Jahr soll eine Denkminze auf Niebuhr geprigt werden. So wie auf der vorigen Ver- sammiung der Verein in einer Votivtafel dem im tiefsten Sinne des Worts humanen Jacobs seine Dankbarkeit fir weitgreifende Leistungen in der . ‘Wissenschaft ausgedriickt, so war es keine unglickliche Wahl, dass diess- mal A, W. v. Schlegel ausersehen ward, die Anerkennung des Vereins ent- gegenzunehmen: der Mann, der das Studium des indischen Alterthums nach dem Vorgange seines Bruders bei uns begriindete, zur geistigen Auffassung des classischen Alterthums hinleitete und uns tiefer in die Poesie des Mittel- alters einfahrte. Oberschulrath Friedemann ward zum Organ der Gefihle der Gesellschaft erwahit und hob diese Verdienste gebihrend hervor, sowie -er aach aaf die nationale Bedeutung Schliegels hindeutete, indem derselbe ‘in den Zeiten der Fremdherrschaft den Deutschen zum Bewuestsein ihres nationalen Geistes und damit zum Vertrauen zu sich selbst zu verhelfen ** bemaht war, Dieser Schritt des Vereins ist um so erfreulicher, da in un- sern Tagen wegen Persénlichkeiten oft die Verdienste eines Mannes verkannt werden. Moye dieses Wort der Philologen eine bessere Zukunft in dieser Hinsicht erdffnen! Zugleich ist es dankenswerth, dass der Verein derselben sich einen Mann gewahlit, der iber die engen Grenzen ihrer Wissenschaft hinausschritt, und‘dass er hierdurch eine immer innigere Verschmelzung aller Gebietc der Wissenschaft einzuleiten gesucht. Fir das nachste Jahr ward Ulm zum Versammlungsort erwahit, wodurch den so tiichtigen Schul- mannern Witrttembergs Gelegenheit gegeben wird, sich pachdricklicher als Moment der deutschen Cultur geltend zu machen. Nur war es sehr zu bedauern, dass es iber diese Wahl nicht zur freien Discussion kam, wie diess bei den Naturforschern Sitte ist, indem durch das Prasidium umd mit ihm verbundene Manner die Wahl zu sehr vorgezeichnet war, und in Bausch und Bogen vor sich ging. Far das Jahr 1843 muss eine Stadt im ' Nordosten des Vaterlandes gewahlt werden, wenn sich der Verein als all- gemein deutschen geltend machen will.

Nun noch einige Worte aber die geselligen Beziehungen. Die Mittags- tafel dauerte zu lange, indem sie taglich die schénste Zeit yon 2 bis 5 Uhr wegnahm, welche zum Theil besser zu freierer Bewegung hatte verwendet werden kénnen. Wir gehen bei der dussern Gestatung des Zusammenlebens | so sehr ins Einzelne ein, weil es wichtig ist, in Zukunft solche Uebelstande zu beseitigen, zumal da uns sehr viele Klagen aber diesen Punkt zu Obren gekommen sind. Die Toaste waren meist geistreich und wohl gesetzt; doch geschah auch hier des Guten zu viel. Eine von dem Oberbergrath ‘Noéggerath in einem Toast angeregte Frage, ob die Philologen nicht auch wie die Naturforscher ihre Frauen und Téchter zur Veredlung der Gesel- ligkeit mitbringen sollten, verdiente eine nahere Besprechung, Es ist un~ laugber, dass man nicht den ganzen Tag angestrengt geistig thitig sein , kann, wenn nicht am Ende die néthige Schwungkraft verloren gehen soll. Auf der andera Seite méchte aber die Gefahr drohen, dass das mannliche Wort aber Wissenschaft zu sehr beeintrichtigt werden mdchte, wahrend die Abendunterhaltungen auf dieser Versammlung, wo nur Manner zugegen waren, gewiss einen Jeden mehr geférdert haben als die oft ermadenden Morgensitzungen; da man den Abend sich einem Jeden frei naéhern und eine Unterredang aber die Lebensfragen der Zeit anknapfen konnte, sowie ja auch die persénlichen Berihrungen bei diesen Vereinen die Hauptsache sind. Wer das hellenische Leben in den Freuden des Tanzes einmal in sich zu erneuern winschte, fand die beste Gelegenheit auf dem Balle, welchen die Stadt Bonn am letzten Abend zu Ehren der Gesellschaft veranstaltete. Ueberblicken wir die genussreichen Tage unsers Zusammenlebens, so dréngt sich uns die Ueberzeugung auf, dass, wenn auch Vieles dem menschlichen Loose gemass unvollkommen blieb, doch der Eindruck des Ganzen ein héchst erhebender ist; dass der Geist sich starkt und verjangt, wo deutsche Manner vereinigt sind; dass wir Alle freudiger zu unserm Berufe zurick- kehren, und dass uns der Reichthum unserer schénen Erlebnisse in der Zu-

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kunft.immer mehr zu fruchtbringendem Bewusstsein kommen wird. Die Kirche, welche berihmte Vertreter in unsere Mitte gesendet hatte, darf sich freuen aiber das redliche Streben der Schule, die héchsten Interessen der Menschheit za férdern, und wird zugleich erkennt haben, wie das Leben an classisch gebildeten Mannern eine kraftige Stiitze gegen alle Wirren und Verdisterungen besitzt, Das ganze Vaterland wird ruhiger werden iber sein héchstes Interesse; die Erziehung seiner Jugend, wenn es ver- nimint, wie seine Lehrer es sich Ernst sein lassen mit ihrem Beruf und es immer mehs zu begreifen suchen, wie der Lehbrstand besonders in so gahrender Zeit, wie die unsrige ist, an der Spitze aller geistigen Bewe— ‘gung stchen soll, um eine gréssere Zukunft herbeizufihren. Das deutschen Nationalgefihl, aber darf sich befriedigt finden durch die Anerkennung , welche deutsehe Gelehrsamkeit und Erziehungskunst durch die Vertreter an— derer Nationen , zum Theil auf officiellem Wege, gefunden. Mégen daher die’ zahlreichen Toaste auf das Gedeihen des Vereins deutscher Philologen und Schulmanner reichlich in Erfallung gehen! 4 »Viro perillustri, Gust, Aug. de Schlegel, qui philologiae campos, arctius olim constrictos graecarum romanarumque litteraram finibus, Orientem et Occidentem versus protulit, illustravit, firmavit; qui poesis et artium elo- gantiorum vim ac naturam per omnes orbis terrarum oras accuratius inda- gare et nationis uniuscujusque virtutes sincerius perspicere, sine ira eb studio inter se comparare, ac facunde sollerterque explicare primus instituit; qui, in poetis Germanorum famam eximiam adeptas, non solum inveniendi artem summa suavitate condiyit, verum etiam modorum ad recentiam vete- rumque linguarum indolem rectius componendorum rationem rara scrutandi sagacitate atque exempli constantia monstravit; qui quid sit pure, simpli- citer, terse ac populorum moribus convenienter scribere, neque uno in sermone, sed germanico, latino, francico, neque in uno aliquo orationis genere, nec dubiis obscurisque praeceptis tradendis, sed multo certius lauculentiusque re ipsa praestitit; qui indicarum linguarum studia, antea’ neglecta ac paene contempta, in Germaniam intulit, eorumque cami neces- sitatem tum jucunditatem atque usum multiplicem docte ingenioseque ostendit, et, in scriptoribus edendis explanandisque severum artis criticae ac philo- logae morem secutus, alios ad hoc genus acriter colendum felidissime ex- citavit; qui, patefacta antiquarum ac recentiorum litterarum communiose. interiore, philologorum nomen ab inveterata doctorum umbraticorum syspi- cione vindicatum in lucem et ad justae lautaeque eruditionis laudem pro- duxit, .et sic etiam in gymnasiorum spatia eam disserendi elegantiam ac docendi salubritatem, quae magis magisque quotidie agnoscitur et expetitar, invexit; qui auctam germanicarum literarum gloriam ad vicinas nationes pro- pagavit et praeteritarum rerum recordatione populares suae dignitatis, non sine sudore ac sanguine nunc demum recuperatae, admonuit et iniquissimo tem- pore labantes animos ad spem futurae prosperitatis et immortalitatis erexit; qui-denique communem illam societatem, quae, dum pacis otium constiterit, populos cultiores omnes artium humanarum vinculo exoptatissimo arctius in dies copulabit, leni vocis suae invitamento praeparavit et adjuvit; hance tabulam, tanquam pietatis ac reverentiae testem, obtulerunt philologi ex- Germania vicinisque terris Bonnae a. 1841 congregati.“ cS

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ERSTE SECTION. Abhandlungen.

Ueber die Erziehung nach phrenologischen Grundsiitzen.

Von Gustav von Siruve.

Die Worte: mens sana in corpore sano sind in dem Munde aller Erzieher. Allein es geht ihnen, wie so vielen anderen: es ist leichter, sie auszusprechen, als in ihrem Sinve zu handeln. Wer keine Kenntniss des menschlichen Geistes, des menschlichen _Korpers. und ihrer Wechselbeziehung hat, kann, mit allem guten Willen nicht nach dem Ziele streben, welches jene Worte dem Erzieher der Jugend vorzeichnen. Das grosse Verdienst der Phrenologie besteht darin, eine genauere und tiefer eindringende Kenntniss des menschlichen Geistes in seiner Verbindung mit dem Kérper erschlossen zu haben; und wie so manche andere. Wissenschaften, so wird auch die Erziehungs-Wissenschaft sich des Lichtes zu erfreuen haben, welches die Phrenologie ibhnen bietet.

Dass das Gehirn das unmittelbare Organ der Seele sei, dar- iiber sind jetzt so ziemlich alle Philologen und Anthropologen einig. Nur dadurch unterscheidet sich die Phrenologie von der . alten Schule, dass sie den Grundsatz der Specialitét, welcher sich im ganzen iibrigen Koérper bewahrt findet, auch auf das Gehirn anwendet, wiahrend die alte Schule das Gebirn noch immer als ein Ganzes behandelt und die besonderen Verrichtungen seiner Theile noch nicht kennt. Es ist hier nicht der Ort, die Phre- nologie gegen die Verunglimpfungen der Unwissenheit und des: Vorurtheils zu rechtfertigen. Die Wissenschaft hat in England, Nordamerika, Frankreich, Danemark und Italien bereits einen so hohen Standpunkt eingenommen, dass dieses iberflitssig ist. Allein da in Deutschland selbst gelehrte und verdienstvolle Manner von den Fortschritten dieser Wissenschaft in andern Landern keine Abnung haben, und sie noch immer ven demselben Stand- punkte aus betrachten, von welchem aus die dsterreichische

Padagog. Revue. 1842.b, Bd. V. 23

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Regierung im Jahre 1802 die Vorlesungen Galls uber seine Ent- deckungen schloss, so erklaére ich hier zum voraus, dass ich jedes Urtheil, das sich nicht griindet auf eine genaue Kenntniss der phrenologischen Litteratur Englands und- der anderen Lander, welche diese Wissenschaft gepflegt haben, als ein anmaassliches guriickweise. Wer fiber eine Wissenschaft urtheilt, ohne zu wissen, was im Laufe von vierzig Jahren aus ihr geworden ist, zeigt nur, dass er, nach den Umstinden, ihr giinstig oder un- giinstig gestimmt ist, keineswegs aber, dass ihm. die Materialien zur Fallung eines solchen zu Gebote stehen. * Lo Die Phrenologie lehrt, dass, wie wir ohne Nerv der En- pfindung nicht empfinden, ohne Nerv der Bewegung keine Bewe- gung machen kénnen, wie nach Durchschneidung des in derselben Scheide liegenden Nerves der Bewegung der Nery der Empfin- dung noch fortwirkt, wahrend der Nery der Bewegung aufhort zu witken, wir ohne ein entsprechendes Organ nicht denken nicht musiciren oder sonstige geistige Thatigkeit tiben k6nnen.

Sie lehrt, dass dagegen durch locale Verletzung des Organs des

emer -

“Ich fahre hier einige Litteratur an, weil ich nicht voraussetzen dari,

dass die Leser dieser Zeitschrift sie kennen,

Gall , lés fonctions du cerveau, iibersetzt ins Englische und ins -Deutsche unter dem Titel: Vollstandige Geisteskunde, Nirnberg 1833.

Spursheim, essay philosophique sur la nature intellectuelle de [Homme. Paris 1830, | -

Phrenology or the doctrine cf the mental operations. London 182

Elementary principles of Education. Edinburgh 1821, 1828, _

George Combe, a System‘of Phrenology. Ate Fdit. Edinburgh 1837, Ins Deutsche iibersetzt von Dr. Hirschfeld. a

the Constitution of Mam@considered in Relation to external Qbjects. Zte. Edit. Ins Deutsche abersetzt von Dr. Hirschfeld.

-— Lectures on popular Education. 2te. Edit, Edinburgh 1837,

—.— Moral Philosophy or the duties of Man. Edinburgh, 2te Edit. 184.

Andrew Combe, a treatise on the physiological and moral management of Infancy. -

Phrenological Journal, Vol. 1—15. Edinburgh. 1823—1842,

James Simpson, the philosophy of Education with its practical application. 2te Edit. 1836.

Caldwell, on the application of Phrenology to Education.

The American Phrenological Journal 1838-1842. Philadelphia.

Broussais, Hygiéne morale ou application de la Physiologie 4 la morale et a Véducation. Paris 1834,

Luigi Ferrarese , Memorie risguardanti la Dottrina Frenologica. Napoli 1838.

Tidskrift for Phrenologien-Udgiven of C. Otto Kjobenjaven. 1827.

Phrenologien of C, Otto, Kjébenhaven. 1825.

=-_— a.

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347 -

Fdonsinns die Organe des Denkvermégens nicht nothwendig in sleichem Maasse leiden, und umgekehrt durch Ausbildung jenes Jrgans dieses nicht nothwendig auch ausgebildet werde. Bildete las Gehirn als ein untrennbares ~Ganzes das Organ der Seele, ‘0 miisste es anders sein. Eine theilweise Verletzung, eine theil- veise Ausbildung wire unmdglich. Eine Trompete z. B. wird in len ihren Tonen leiden oder gewinnen, je nachdem sie eine ferletzung oder eine Verbesserung erfahrt.” Ein Clavier dagegen vird durch Beschidigung oder bessere Beziehung der Saiten eines fons unmittelbar nur eine auf diesen Ton beschrankte Beschi- ligung oder -Verbesserung erfahren. Es fragt sich nun: ist das nenschliche Gehirn einer Trompete oder einem Clayier zu ver- sleichen, d.h. bildet es, was den Einfluss des Geistes auf das- selbe betrifft, ein untrennbares Ganzes, oder ein-ih besohdere ~ Pheile zerfallendes Ganzes? Die Erfahrung spricht fir das letztere. Wir sehen taglich Menschen, welche in einer Beziehung ausge- teichnet, in den ‘iibrigen Beziehungen ganz gewohnlich sind: Ausgezeichnete Musiker sind oft ganz gewohnliche Denker, grosse Maler sind oft ganz gewéhnliche Rechner. Ja! wir finden noch mehr. Nicht selten sind Menschen in gewisser Bezichung geistes- krank, in anderer Beziehung geistesgesund. Die Falle sind nicht selten, dass derselbe Mensch, welcher sich -einbildet, er sei ein Kaiser oder ein Konig, ohne es zu sein, und welcher daher in Betracht dieser Einbildung geisteskrank ist, in anderer Beziehung x. B. was den Farbensinn, oder den Zahlensinn petrifft, ausge- zeichnet geschickt ist. Wie wire dieses méglich, wenn das Organ des Geistes gleich einer tropfbaren Fliissigkeit ein in seinen Theilen untrennbares Gapzes ware? Die ganze Masse miisste entweder krank, oder die ganze Masse gesund sein. Taglich begegnen wir Menschen, die ein sehr gutes Gedichtniss in einer Beziehung und ein sehr mittelmassiges in anderer haben, die sich 2. B. der gehérten Musik vortrefflich, der gehérten Worte dagegen sehr mangelhaft erinnern, Ware, wie die alte Schule annimmt, das Gedachtniss eine Grundkraft des Geistes, so miisste sie sich in jeder Beziehung bewihren, wie sich z. B. der Ton- sinn, der Zahlensinn u. s. w. in jeder Beziehung bewabrt. Wer den Tonsinn in ausgezeichnetem Grade besitzt, wird sich nicht nur der Tone richtig bewusst werden, er wird sich ihrer auch erinnern, und wird im Stande sein, selbst wohlklingende Tone hervorzubringen. Wer den Zahlensinn in hohem Grade besitst, - oe 23 *

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wird nicht bloss im Stande sein, ihn in Betreff der Arithmetik, sondern auch in Betreff der Mathematik, der Musik, der Archi_ tektur, kurz in jeder Beziehung, in welcher er wirken Kann, ary den Tag zu legen. - |

Allein nicht blos das Gehirn -ist als unmittelbares Orgary des Geistes von der héchsten Bedeutung, sondern da dasselb qq mit dem ganzen iibrigen Kérper in der innigsten Wechselbezie. _ hung steht, so ist sein Verhaltniss zu diesem gleichfalls von hoher Wichtigkeit. Abgesehen von den verschiedenen Krank- heitszustanden, welche eine Riickwirkung auf das Gehirn iiben,

> : ist auch im gesunden Zustande das Temperainent des Kindes ein

hochwichtiges Element seiner geistigen Thitigkeit. Denn es be— stimmt die Art und Weise der Thatigkeit simmtlicher Theile des Kérpers und daher auch des Gehirns, des unmittelbarecm Organs des Geistes. Die Wissenschaft nimmt vier Temperamente=> an. Dieselben sind bedingt durch das Vorherrschen gewisse m= Systeme im Korper, welche sich an dusseren Zeichen erkennee—=® lassen. Ist das Nervensystem in einem Korper vorherrschen® so bildet sich das nervése Temperament, dusserlich erkennbaaa durch feines, diinnes Haar, zarte Haut, kleine Muskeln, Schnel ligkeit der Muskelbewegung, blasse Gesichtsfarbe und oft zarte= Gesundheit. Das Gehirn ist verhaltnissmassig grésser als dice Langen und die Bauchhéhle. Das ganze Nervensystem, das Ge— hirn mit eingeschlossen, ist vorzugsweise thitig, und die Aeus- serungen. des Geistes sind verbiltnissmassig lebhaft. Es ist das Temperament des Genies und der Verfeinerung.

Herrschen die Lungen, das Herz und die Blutgefasse vor, so entsteht das sanguinische Temperament. Es gibt sich su erkennen durch bestimmt ausgesprochene Formen, massige Fiille - des Kérpers, ziemliche Festigkeit des Fleisches, helles zum _ Nussbraunen hinneigendes Haar, blaue Augen und frische Ge- sichtsfarbe. Es zeichnet sich durch eine grosse Thitigkeit der Blutgefésse, Lust an. kirperlicher Bewegung und ein belebtes “Ansehen aus. Das Gehirn nimmt an dem allgemeinen Zustande Theil und ist thitig. Es ist das Temperament der Freudigkeit.

Beim Vorwalten der Driisen- und Assimilations-Organe bildet sich das lymphatische oder phlegmatische Temperament, Es ist Gusserlich erkennbar an einer gerundeten. Form des Kérpers, Weichheit der musculésen Theile, einem angefiillten Zustande des Zellgewebes, hellem Haare -und einer blassen zarten Haut

| 349 ist von, matten Lebensiusserungen, mit Schwache und Lang- nkeit in der Circulation begleitet. Das Gehirn, als ein Theil s ‘Kérpersystems, ist ebenfalls langsam in seinen Verrichtun- a und die Geistesthatigkeit ist verhiltnissmassig schwach. Es

das Temperament der Langsamkeit.

- Das vierte Temperament, das bilidse, ist in seinen Grund- sachen weniger bestimmt erkannt, als die tibrigen. Doch nimmt | in an, dass es durch das Vorherrschen des fibrésen Systems d des Muskelsysfems sich bilde. Nicht unwahrscheinlich ist, ss die vorwallende Thitigkeit der Leber die Grundursache des- ben sei. -Man erkennt dieses Temperament an schwarzem ar, dunkler Hatt, massiger Fille, aber grosser Festigkeit des | ‘isches, und stark gezeichneten Umrissen des Kérpers. Die rrichtungen des Gehirns nehmen an der bedeutenden Energie + tibrigen Kérpers Antheil. Diese ist stark und ausdauernd. 8 Gesicht zeigt daher starke, markirte, ausdrucksvolle Ziige.

ist das Temperament der Thatkraft.

Diese Temperamente kommen iibrigens selten unvermischt

' Gewdhnlich sind zwei oder drei, bisweilen alle vier in icher Weise verbunden. In diesen Vereinigungen sind jedoch Grundtemperamente zu unterscheiden, und es lasst sich 8timmen, in welchem Maasse die Bestandtheile des einen oder 8-andern sich finden.

Das Temperament 4Andert natiirlich nichts an den Organen, ¢Gehirns, es deutet ans nur an, in welcher Weise dieselben

itig sind, und da in der Regel alle Organe des Gehirns das- . ~

be Temperament haben, und das grésste bei sonstiger Gleich- t der Verhiltnisse das starkste, das kleinste das schwichste , 80 erfahren wir durch Ermittelung der Grésse der ver- tiedenen Organe des Gehirns die Stirke der entsprechenden stigen Vermégen, und durch Ermittelung des Temperaments Art und Weise, wie sie in Thatigkeit treten: in leicht er- barer, in lebenefroher, in thatkriftiger, in langsamer Weise. Sollen die Kinder in -kérperlicher und geistiger Riicksicht ht verndchlassigt, sollen sie nicht in die gréssten Gefahren ge- - rzt werden, so muss bei der Erziehung auf die Verschieden- ( des Temperaments Riicksicht genommen werden. Wenn das_ id ein grosses Gehirn, kleine, durch eine enge Brust ange- itete Lungen, diinne, zarte Muskeln und eine feine Haut hat, wird das Gehirn vorherrschend thatig sein; und somit auch

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der Geist. Das Kind wird mit Freuden lernen, unaufhérlich an seinen Biichern sitzen, seine Fahigkeiten werden in reger Thitig-. keit, seine Gefiihle lebhaft bewegt sein. Die Eltern, erfreut fiber die Regsamkeit seines Geistes und die Zartheit: seiner Geftihle sind versucht, das Kind in seiner Bahn anzuspornen,. ohne au bedenken, dass Erschépfung die unvermeidliche Folge seiner tibergrossen geistigen Thatigkeit sein muss. Die Nerventhitigkeit, welche sich in dem Gehirn concentrirt, laisst die Lungen und den Magen unangeregt,' und bringt sie so in einen Zustand von Schwiche, dem sie friiher oder spater erliegen, - insofern nicht noch zeitig Einhalt geschieht. Auch die Augen solcher Kinder leiden gewébnlich, und keine Curen spiterer Zeiten sind im Stande wieder gut zu machen, was in Betreff derselben wahrend der Kinderzeit verfehlt worden ist. Solche Kinder nervésen Tem- peraments miissen daher nicht zu geistiger Thatigkeit, sondern zur Bewegung im Freien,..zu gymnastischen . Uebungen, zum Schwimmen und zu jeder Art muskuléser Thatigkeit angehalten werden. Man muss nicht suchen, ‘ibre Gefaible, die schon yon Natur zu rege sind, noch aufzuregen, sondern das. Streben der Erzieher muss darauf gerichtet sein, sie zu beruhigen, damit sié sich naturgemiéss nach und nach entwickeln. kénoen, und nicht au einer Zeit erstarken, da die Organe des Kérpers noch nicht im |Stande sind, die Arbeit zu verrichten, welche die Aeusserung miachtiger Gefiihle voraussetzt.

Wenn dagegen die Lungen in der Korperbeschaffenheit eines Kindes vorherrschen, und daher das sanguinische Temperament sich bildet, so wird es sich gern im Freien bewegen, mit Appetit essen und gesund schlafen. Das wohlgenahrte Blut erzeugt eine | grosse Geneigtheit fiir Muskelbewegung. Wenn daher ein solches Kind nach gesundem Schlafe und. gutem Frihstiick, ohne sich ~ yorher bewegt zu haben, in die Schule geschickt wird, so mag es wohl eine kurze Zeit stille sitzen, aber bald wird das Be-

' diirfniss muscularer Thitigkeit 2u stark sich yegen. Das Kind

kann es, mit dem besten Willen, nicht unterdriicken. Es wird . anfangen, sich auf seiner Bank hin und her zu bewegen, mit dem Ellnbogen zu_ stossen, mit den Fausten zu schlagen, mit den Beinen 2u stampfen. Der Lehrer straft dann gewoéholich ein solches Kind. Allein die Bediirfnisse der Natur regen sich trols der Strafe, kénnen daher durch keine Strafe beseitigt werden. Wer Wirkungen beseitigen will, muss deren Ursachen bekampfen. .

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Solchen Kindern gebe man, beyor sie in die Schule gehen, Gelegenheit, ihre Muskelkrafte zu tiben. Ist dieses Bediirfniss befriedigt, so werden sie ruhig sitzen und mit Freuden geistig . thatig sein. In Nordamerika, England und Schottland, woselbst die Phrenologie besser als in Deutschland gekannt ist, haben bereits viele Vorsteher von Schulen mit dem grossten Erfolge auf diese Bemerkungen Riicksicht genommen.

Andere Kinder sind yon dem lymphatischen Temperamente. Ihr Blut bewegt sich langsam, reizt das Gehirn wenig, und ihr Verlangen ist besonders: zu essen, zu trinken und Ruhe zu geniessen. Sie haben weder fiir kérperliche, noch fiir geistige Thatigkeit Vorlieébe. Auch diese Naturanlagen glauben die meisten’ Lehrer durch Strafen bekaémpfen zu kénnen, als ob dieselben Mittel, dieselben Strafen, ganz entgegengesetzte Wirkungen her- beifiihren kénnten! als ob die Gesetze der Natur, was die Be- handlung der Kinder betrifft, gar nicht vorhanden waren! Das Gesetz der Natur ist, dass dieselbe Ursache dieselbe Wirkung hervorbringt, aber die meisten Lehrer denken noch heutzutage, dass dieselbe Strafe (dieselbe Ursache) zu gleicher Zeit ganz entgegengesetzte Wirkungen hervorbringen: das sanguinische Kind beruhigen, und das trige beleben kénnte! Die Phrenologie lehrt dagegen, auf Verminderung des lymphatischen Temperaments und Erweckung der sanguinischen und nervésen Bestandtheile des- selben hinwirken. Dieses kann dadurch geschehen, dass man solchen Kindern verhaltnissmassig wenig, aber nahrhafte Speisen gibt, dass man sie zuerst zu geistiger Thatigkeit anhalt, und erst spater zu kérperlicher Bewegung, dass man sie anhalt, immer mit Eifer zu lernen, und lieber die Zeit des Lernens abkiirzt, um den Eifer nicht erkalten zu lassen. -

Das bilidse Temperament endlich faihrt am wenigsten leicht auf Abwege. Es fihrt weder zu fibergrosser Aufregung, noch zur Unruhe, noch zur Tragheit, und schliesst die entschieden- sten Elemente ruhigen Laufes in sich. Uebrigens versteht es sich von selbst, dass in demselben Maasse, in welchem ein Kind ein Temperament bloss theilweise besitzt, auch nur theilweise die aufgestellten Grundsitze auf dagselbe anwendbar sind. Hier war es natiirlich nur méglich, allgemeine Gesichtspunkte zu geben. Dem besonnenen Erzieher bleibt es anheimgegeben, dieselben nach den Verschiedenheiten des Falles zu modificiren.

Schon die Beobachtung der Verschiedenheit der Tempera-

352.

mente fihrt also zu wichtigen praktischen Resultaten, weit be- deutungsvoller sind aber diejenigen, zu welchen die Betrachtung des unmittelbaren Organes des Geistes, die Betrachtung des Gehirns selbst fihrt.

Die Phrenologie fing nicht damit an, den menschlichen Geist einzutheilen und dann dieser Eintheilung die Erscheinungen seiner Thatigkeit anzupassen, sondern sie entdeckte nach und nach im Laufe vieler Jahre durch angestrengte Beobachtungen, dass ge- wisse Bildungen des Schidels bezugsweise des darunter liegen- den Gehirns unwandelbar in Verbindung stiinden mit gewissen geistigen Anlagen. So gelangte man dann durch Beobachtung zu einer Reihe geistiger Vermégen, welche bereits zu der Zabl von fiinfunddreissig herangewachsen sind, und welche daher eine Zusammenfassung unter gewissen Gesichtspuncten eine gewisse Gruppirung, oder in der gewohnlichen Redeweise eine Einthei- lung nothwendig macht. - 7

Den untern und hintern Theil des Kopfes nehmen eine Reihe von Organen ein, welche am besten unter dem Namen der Sinn- lichkeit oder Triebe zusammengefasst werden kénnen, * weil sie sich sammtlich durch einen Drang auszeichnen, der sich zunachst auf das irdische Treiben bezieht, und nur unter dem Einflusse der héheren Organe eine erhabenere Richtung erbalt. Die Wal- bung des Kopfes bildet eine Gruppe yon Organen, welche sich unter dem Namen Empfindungsvermdgen oder Gefihle zusammen- fassen lasst. ** Sie unterscheiden sich yon den Trieben einestheils

s]

* I. Sinnlichkeit oder Triebe. 1. Geschlechtstrieb, 2. Kinderliebe.

3. Einheitstrieb. 4, Trieb des Zusammenhaltens oder Anhanglichkeitstrieb.

5. Bekampfungstrieb. 6, Zerstérungstrieb,

7. Verheimlichungstrieb. 8. Erwerbstrieb.

9, Nahrungstrieb. ** II, Empfindungsvermégen oder Gefahie.

‘40. Selbstgefahl. * 41. Beifallsliebe.

12. Sorglichkeit. 13, Wohlwollen.

14, Ehbrerbietang. 15, Festigkeit.

16. Gewissenhaftigkeit. 17. Hoffoung.

18. Sinn fir das Wunderbare. 19. Idealitaét oder Schénheitssinn.

* Die Nummern der Organe sind dieselben, wie sie sich in dem 5y- stemo von G. Combe bisher fanden, wahrend Eintheilung und Namen der Organe hier und da verandert sind. ;

353. -

durch ihr geringeres Ungestiim, anderntheils dadurch, dass sie einen héhern Charakter und mehr Innerlichkeit besitzen. Die Organe, welche ich unter den Namen des Darstellungsvermégens oder der Talente gestellt habe, * stimmen damit zusammen, dass sie das Talent begriinden, dusserlich darzustellen, was man innerlich empfindet, sei es durch Zusammensetzung von Kérpern (Sinn fiir mechanische Kunst), durch heitere Einfalle (Witz), durch Reproduction des schon da gewesenen (Nachahmungstalent), durch harmonische Zusammenstellung der Dinge der Aussenwelt (Ordnungssinn), durch Téne -(Tonsinn), oder durch Worte (Sprachsinn). Die Talente stehen in der Mitte zwischen Em- pfindungs-, Denk- und Erkenntniss-Vermégen. Dieses letztere umfasst alle die Anlagen, welche uns in den Stand setzen,.-die Aussenwelt mit ihren Erscheinungen zu erkennen. Ihre Organe liegen am untern Theile der Stirn. Das Denkvermégen endlich, dessen Organe den obern Theil der Stirn fallen, verarbeitet durch Zusammensetgung (Vergleichungsgabe) oder Zérlegung (Schluss- vermégen), durch Synthesis oder Analysis den gebotenen Stoff.

Das Gehirn ist allen Gesetzen der Physiologie unterworfen, gleich den anderen Theilen des Kérpers. Es gilt also in Betreff derselben namentlich auch die Regel, dass wenn irgend ein @ Kérpertheil thatig getibt wird, eine gréssere Menge Bluts sich : darein ergiesst, und es auch einen héhern Grad yon Anregung } durch die Nerven erhilt.. In Folge dessen nehmen seine Theile - d@ © Festigkeit und Starke, und, bis zu einem gewissen Grade,

5 &. neepenneemmnanassiiimeles

! * I, DarstellungsvermoOgen oder Talente. 9, Zusammensetzungssinn, Sinn far 20. Witz. mechanische Kunst, Bausinn.

' 41, Nababmungstalent. _ 29, Ordoungssinn.

?, %4. Tonsinn, 33. Sprechsinn, - ; IV. Erkenntnissvermégen oder Fahigkeiten in ihrem ; Gegensatze. : a. Nach dem Raume. » 22, Gegenstandssinn. 23. Gestaltsinn.

- Gréssensinn, 27, Ortsinn.

* Gewichtssinn. 36. Farbensinn.

b. Nach der. Zeit. 31, Zeitsinn. 30. Thatsachensinn.

c. Nach der Zahl. 28, Zahlensinn. V. Denkvermégen oder Gaben. 34, Vergleichungsgabe. ; 35. Schlussvermdgen.

g54

auch an Grésse zu. Allerdings kann kein Grad von Uebung einen

Mann, dessen Muskelsystem von Natur sehr schwach ist, su

einem Hercules machen; allein Uebung kann dasselbe doch einiger-

maassen starken, wahrend es ohne alle Uebung in immer grossere

Schwiche versinken wiirde. Die Grenze, welche der Uebung eines

-Organes durch die Natur gesetzt ist, wird bestimmt durch die

Thatsache, dass iibermissige Anstrengung schwicht, statt su

stirken. Die Uebung darf daher das Maass der Kraft einés Or-

ganes nicht iibersteigen, um starkend zu wirken, und so wird

allerdings die natirliche Grésse eines Organs und seine nattir-

liche Starke uns auch einen Maasstab kraftigender Uebung ge- wébren. Den Mann mit starken Muskeln wird dieselbe Uebung

krafligen, welcher der Mann mit schwachen Muskeln ertiegem wirde. Daher muss die Uebung eines Organs immer mit seines natirlichen Stirke in Verhiltniss stehen.

Alle diese Regeln finden auch’ ihre Anwendung auf das Ge— hirn. Wenn wir lebendig fahlen oder tief denken, ergiesst sickkm mehr Blut in das Gehirn, als wenn unsere Gefihle minder leben dig, unsere Gedanken minder tief bewegt sind. Die Organe der— jenigen Geistesvermégen, welche wir in einer ihrem natirlicherm Starkengrade entsprechenden Weise tiben, werden daher an Grésse zunehmen und folgeweise die entsprechenden Geistesvermdgexs an Kraft. Aber eine die Entwickelungsfahigkeit eines Organs fiber- steigende Uebung wird es ermatten, und, geschieht es gewohn- heitsmassig, so wird sie durchaus erschlaffend wirken. Wer ohne die Anlagen eines Mozart, eines Géthe durch Uebung ein musi- kalisches oder dichterisches Genie werden wollte, wiirde nach dem Starkegrade seiner Orgarfe friiher oder spater seine natir- lichen Anlagen zum Musiker oder Dichter geradezu-durch Ueber-. Anstrengung aufreiben. Wenn wir jedoch auf der andern Seite unsere geistigen Vermégen nicht in einem ihrer natirlichan Starke entsprechenden _Maasse iiben, so werden die entsprechenden Organe des Gehirns an Grésse abnehmen, und folgeweise die geistigen Anlagen an Energie. Dieses ist ein sehr wichtiger Grundsatz fiir die Behandlung der Kinder. |

Eine wohlberechnete Uebung bewirkt iibrigens nicht bloss Zunahme an Grésse und demzufolge Starke, sondern auch Zt- nahme an Bewegungsfahigkeit, und so bringt auch die Uebung der Geisteskrifte nicht bloss gréssere Starke, sondern auch gréssere Gewandtheit, gréssere Leichtigkeit geistiger Bewegung

355:

hex-wor. Es ist daher bei Ziehung der Schbliisse von der Grisse eines Organs auf die Sfarke:.der ihm entsprechenden geistigen Anlage natirlich von demjenigen Elemente nicht die Rede, wel- ‘ches.die Uebung verleiht. Der Phrenolog wird daher entweder ' bei seinen Beobachtungen sich iiber den Grad stattgehabter Uebung verlassigen, oder wo dieses nicht méglich ist, seine Urtheile in entsprechender Weise beschranken. |

Der Erzieher muss sich immer vergegenwirtigen, ‘dass, wie der Mensch fiberhaupt, so insbesondere auch das Kind, ohne Gehirnthatigkeit nicht handeln kann. Das erste Erforderniss der Erziehung ist aber, das Gehirn in einem Zustande vollkommener Gesundheit, und den Kraften -entsprechender Thitigkeit zu er- haléen. Eine Reihe von Fallen sind beobachtet worden, da man, - nach Entfernung des Schadels und der Hirnhaute bemerkte, dass, sobald der Kranke durch Gemiithsbéwegung, lebhaftes Gesprach, - Oder Triume aufgeregt wurde, mehr Blut in das Gehirn strémte, wodurch ein Anschwellen der Gehirnwindungen veranlasst wurde. Das Gehirn, wie jeder andere Theil des Kérpers, wird durch das Blut ernahrt und in Thatigkeit erhalten. Desshalb bietet sich die Frage dar: was hat man zu thun, damit das .Gehirn fort- Wibrend mit der gehérigen Masse gesunden Blutes versehen ‘werde? Das Blut leitet seinen Stoff und seine Eigenschaften - Qus zwei Quellen: aus der Nahrung, die ihm nach der Verdauung . Yermittelst hierzu bestimmter Gefasse zugeleitet wird, und dem _Sauerstoffe der fusseren Atmosphire. Die vorziiglichen Nah- rungswerkzeuge sind der Magen, die Eingeweide, die Leber und die Gallenblase. Ist die Nahrung schlecht, oder nicht zureichend, oder tbermissig, oder sind die Verdauungswerkzeuge schwach und unfahig, ihre Verrichtungen gehérig auszuiiben, so ist die Folge, dass das Blut mit schlechtem Nahrungsstoffe versehen und seine Fahigkeit, das Gehirn zu nabren und in Thatigkeit zu erhalten, vermindert wird. Dadurch wird das Gehirn langsam . und trige, seine Reizbarkeit nimmt zu, wihrend seine Kraft ab- nimmt. Gleichen Schritt mit der Herabstimmung des Organes des Geistes halten die Aeusserungen seiner Thiatigkeit. Die zweite Nahrungsquelle des Bluts ist, wie erwahnt, der Sauerstoff der dussern Atmosphire. Das Blut nimmt, bei seinem Kreislauf durch den Kérper, die verbrauchten Theile aus dem Gehirn und allen andern Organen in sich auf, und seine Farbe geht von einem hellen Roth in dunkel- oder purpurroth tiber. In: dicsem

356

Zustande ist es unfahig,.irgend ein Organ 2u erregen, so dass, ‘wenn es das Gehirn in demselben erreichte, augenblickliche Ge- fihllosigkeit, und ohne rasche Hiilfe der Tod: eintreten wiirde. Diese tédtliche Beschaffenheit des Blutes wird bei seinem Lanufe durch die Lungen entfernt. In diesen kommt es naémlich mit der ' jusseren Atmosphire in Beriihrung und wirft viel Koblenstoff aus, wofiir es von der Luft eine neue belebende Eigenschaft em- pfangt.: So wird es fahig, das Gehirn, die Muskeln und alle andern Theile des Kérpers zu erwecken und zu erregen. In dieser Weise ist das Gehirn von den tibrigen Theilen des Ko6r- pers abhangig. Allein nicht minder bedeutungsvoll ist die Ein- wirkung, welche seinerseits das Gehirn auf diese ausiibt. Wird der Nery, welcher den Magen mit dem Gehirn verbindet, durch- schnitten, so ist augenblicklich die Verdauungskraft gehemmt. Aus derselben Ursache wird die Verdauung ebenfalls gehemmt, wenn der Geist gerade zur Zeit, da das Gehirn dem Verdauungs- werkzeuge den erforderlichen Impuls geben soll, dieses ganz im Anspruch nimmt. Die Riickwirkung mangelhafter Verdauung auf das Gehirn kann nicht ausbleiben, Im_ giinstigsten Falle ist es in demselben:Maasse als ihm zuvor zu viel zugemuthet wurde, spater weniger im Stande zu leisten. Bei. wiederholter iber- massiger Anstrengung bilden sich jedoch dauernde: Krankheits- zustande. Die Natur lasst sich keine Gewalt anthun. Was von dem Gehirne des Erwachsenen, gilt auch von demjenigen des Kindes, nur ist dabei zu bedenken, dass dieses schwacher ist, und,-wie die andern Theile seines Kérpers, z. B. die Arme und Beine, nicht die Arbeit ertragen kann, deren es zur Zeit seiner vollen Ausbildung fahig ist. Man darf ihm daher nicht mehr zu- muthen, als es zu leisten yermag, und namentlich soll man ein und dasselbe Organ nicht zu lange ununterbrochen anstrengen.

In dieser Riicksicht wird der Grundsatz der Phrenologie, dass das Gehirn in eine Mebrheit yon Organen zerfalle, von hoher Wichtigkeit. Er lehrt uns nicht nur, wie durch Vertheilung der Arbeit iiber alle Organe des Gehirns ihm méglichst viel Arbeit, ohne Gefihrdung der Gesundheit, zugemuthet werden kann, son- dern gibt uns auch die bedeutungsvollsten Winke iiber die Art und Weise, wie der Erzieher am besten die bedenklichen Anlagen des Kindes bekampfen, die guten entwickeln und alle zu harmo- nischem Zusammenwirken heranbilden kénne. |

Selbst der fruchtbarste Boden wird aufhéren, ergiebig zu

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sein, wenn laingere Zeit dieselben Friichte darauf gebaut werden. So wird auch bei dem begabtesten Kinde der Unterricht aufhéren Friichte zu tragen, wenn er zu lange bei demselben Gegenstand -verweilt, oder mit anderen Worfen, wenn er zu lange sich an dieselben geistigen Krifte und ihre Organe richtet. Wie daher -der Landwirth mit grossem Fleisse' sich bemiiht, zu erproben, ~ in welcher Reihenfolge die verschiedenen Friichte auf demselben Boden am besten gedeihen, so soll auch der Erzieher sich be- mihen aufzufinden, in welcher Reihenfolge die verschiedenen Unterrichtsgegenstinde dem Kinde mit dem gréssten Erfolge ge- boten werden kénnen. Der Unterricht in den Sprachen’ wendet sich zunachst an den Sprachsion, im Zeichnen an den Gestalt- . sin und Zusammensetzungssinn, im Malen ausserdem an den ; Farbensinn , in der Naturgeschichte an den Gegenstandsinn, in der Geschichte an den Zeit- und Thatsachensinn, in der Erdbe- schreibung an den Gréssensinn und Ortssinn, im Rechnen an den Zahlensinn, in der Musik an Ton- und Zeitsinn und bei allen ~ Instrumenten an den Gewichtssinn, an den letztern tiberhaupt bei allen Lehrgegenstinden, welche eine zarte Abwigung des aus- .%aibenden Drucks voraussetzen. Insofern jedoch ein solcher hoher Gegenstand nur durch Worte mitgetheilt wird, nimmt er _ &unachst nur den Wort- oder Sprachsinn des Kindes in Anspruch, und das ist bei den meisten der genannten Lehrgegenstande der gewohnliche Fall. Daher wird dieser Sinn bei den Kindern ge- wohnlich tibermassig stark angestrengt. In demselben Maasse, in welchem man andere geistige Krifte bei dem Unterrichte be- theiligt, z. B. den Gestalt- und Farbensinn durch Vorzeigung der Bildnisse der besprochenen Gegenstande, den Gegenstandssinn durch Vorzeigung des besprochenen Gegenstandes selbst, die Vergleichungsgabe durch Anregung des Schilers, den Lehrgegen- stand. mit anderen zu vergleichen, das Schlussvermégen durch Aufforderung desselben, nach den Ursachen einer Erscheinung zu forschen u. s. w., in demselben Maasse wird der Sprachsinn erleichtert nach dem Grundsatze, dass mehrere Finger eine Last leichter heben, als ein einziger. Ein Unterricht, welcher in der angegebenen Weise auf méglichst gleichmassige Vertheilung der Arbeit iiber alle Richtungen des Geistes und alle seine Organe hinwirkt, wird nicht nur weit gréssere Resultate erzielen, sondern auch die Kinder in stets wachsender Freudigkeit beim Lernen © erhalten. Denn jede Thitigkeit einer geistigen Kraft ist so lange

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mit angenehmen Empfindungen verbunden, als sie ihrem nattir- lichen Starkegrade entspricht, und erst mit dem Augenblicke tritt Unbehaglichkeit ein, da man ihr mehr zumuthet, als sie leisten kann. Ein grosser Fehler unserer Erziehung bestecht darin, dass man gewdéhnlich die miachtigen Krafte, welche das Empfindungsvermégen in sich schliesst, und wenigstens mehrere der zum Darstellungsvermégen gehérigen nicht auffordert, die Last des Unterrichts mittragen zu helfen. Sie erleichtern also nicht nur den fibrigen nicht ihre Arbeit, sondern bleiben tiber- diess selbst auch ungeiibt.

Allerdings erhalten die Kinder Religionsunterricht, allein dieser besteht nur in Worten, welche man an sie richtet, und welche man sie auswendig lernen lisst. Worte richten sich unmittelbar nur an den Wortsinn. Der Anblick menschlichen Ungliicks dagegen wendet sich an das Wohlwollen und ruft dieses’

um Hiilfe und Theilnahme an, der Anblick der Wunderwerke

Gottes erweckt Ehrerbietung und den Sinn fiir das Wunderbare, . der Anblick der schénen Natur und menscblicher Kunstwerke

regt den Schénheitssinn an. Sind auf solche Weise die Gefihle

des Kindes angeregt, dann werden Werte des Ernstes und der

Belehrung tiefen und ergreifenden Eingang finden, ausserdem

nicht. Allein nach der jetzt herrschenden Methode soll durch

Worte alles geschehen. Durch Worte wird der Athlet nicht

stark, sondern durch Uebung seiner Muskeln; durch Worte wird

kein Musiker gebildet, sondern durch tagliche Uebung in der

Musik. Allein den wichtigsten, erhabensten Kraften des Mer-

schen werden nur Worte gewidmet. |

~ In Grossbritannien sind iibrigens bereits mehrere Schulen

nach den hier geltend gemachten Grundsatzen eingerichtet. Da_ begleitet der Lehrer die Kinder nach den Schulstunden auf den

Spielplatz, und veranlasst die alteren unter ihnen, fir die jén-

geren zu sorgen ‘und sie zu unterhalten. So wird-Wohlwollen -

und Kinderliebe geiibt. Er versieht sie mit Spielsachen und —lehrt ein jedes das Eigenthum des andern achten, die Hauser, die es aufgefihrt hat, nicht verletzen. So wird der Erwerbstrieb und die‘Selbstsucht in die rechten Schranken verwiesen und die Gewissenhaftigkeit getibt. Durch diese und viele andere abnliche Mittel werden die Gefiihle der Kinder bei Zeiten gebildet und entwickelt, so dass nicht selten Kinder, wenn sie ihre Eltern

-

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auf unrechten Wegen sahen, sie zurecht weisen und selbst auf deren moralische Besserung einwirken komnten.

Auf der andern Seite ist es oft nothwendig, zu stark ent- wickelten Vermégen, z. B. Bekimpfungstrieb, Zerstérungstrieb u. Ss. w. entgegen zu wirken. Dieses geschieht nicht dadurch, dass man sie reizt, dass man Strafen verhangt, zankt und schlagt, sondern dadurch, dass man sie unangeregt lasst. Jeder Theil des Gehirns wird schwicher und weniger zur Thitigkeit geeignet, “wenn man ihn in dauernder Ruhé. erhilt. Demgemiiss lebrt man in jenen Schulen die Kinder nicht-blos, dass es unrecht und siindhaft sei, den niedrigen Gefiihlen nachzuhingen, sondern: man vermeide{ auch sorgfaltig jJede Gelegenheit, welche dieselben anfregen kénnte.

Die Aufgabe der Erziehung besteht ‘ibrigens nicht blos darin, _ die geistigen Krafte zu entwickeln, zu starken, und wo néthig, sie zu schwachen, sondern auch sie zu gemeinsamer Wirksamkeit heran zu bilden. Beginnt ein Kind schreiben zu lernen, so sind die Bewegungen seiner Finger langsam und eckigt, und die Gestalten der Buchstaben entbehren Gleichformigkeit und Anmuth. Diese Unvollkommenheiten riihren aus zwei Ursachen her. Firs Erste gibt es némlich eine Mannichfaltigkeit von Muskeln in der Hand, und gewisse Gruppen derselben miissen daran gewohnt werden, im Einklang mit einander zu handeln, bevor die Hand - die -Fertigkeit erlangt mit der Feder umzugehen. Dann miissen aber auch die Organe des Gestalt-, Gréssen- und Zusam- mensetzungs-Sinnes gewoéhnt werden, in harmonischer Weise zusammen zu wirken. Auf dieselbe Art miissen, bevor Jemand mit Erfolg auf der Violine spielen kann, seine Organe- der Zeit, des Tons, des Gewichts und der Nachahmung an eine gleich- zeitige, entsprechende Thatigkeit gewohut werden. Und so ver- halt es sich mit allen Zweigen der Wissenschaft und der Kunst, bei der Beredtsamkeit und Malerei wie beim Lesen und Schreiben. Ueberall. sind zu gleicher Zeit verschiedene Organe thatig, von deren harmonischem Zusammenwirken jeder Erfolg abhangig ist, Ein solches ist aber ohne vorgangige Uebung nicht mdglich.

" “Diese Regel gilt nicht blos far die Sphire der Intelligenz, sondern mit gleicher Stérke von derjenigen der Gefiihle. Wenn die Erzieher die Kinder nicht bei Zeiten daran gewohnen, ihre Triebe nur in harmonischer Zusammenwirkung mit den héheren Empfindungen und dem Denkvermégen thitig werden. zu lassen..

»

360 ° so werden sie nie mit Erfolg wirken. Unter der Leitu Ehrerbietang, der Gewissenhaftigkeit, des Wohlwollens u Festigkeit wird der Erwerbtrieb und der Bekampfungstrieb | Irrwege gerathen, wie Ehrerbietung und Wohblwollen u anderen héheren Empfindungen unter dem Einfluss des und Erkenntnissvermdgens ihre Gefiihle nicht an .unwiirdi genstinde verschwenden werden. Nur harmonische Entwit aller geistigen Krifte des Kindes fabrt zu einem schénen

* Wer diese Lehren nicht beachtet, wird ihre Wahrheit empfinden. Natur und Schicksal, oder freundlicher gesp die géttliche Weltordnung lasst nicht mit sich spielen. Verletzung ihrer Gesetze ist unerbittlich mit Schmerz ver wie jede naturgemasse Thatigkeit Freude bereitet. Der zweck einer gediegenen Erziehung soll ‘sein, das Kind bei in die von der gottlichen Weltordnung vyorgezeichnete B leiten, damit es nicht zu spit durch die schweren Schila Schicksals: durch Armuth, Krankheit und Leiden jeder Ar erinmnert werden miisse, dass es auf unrechter Bahn wan

, Verdienen die griechischen Kirchen - Viter _Beriicksichtigung auf Gymnasien ? Von Dr. Chr. Walz, Prof. der Philologie in Tabingen,

So. geneigt wir Deutschen sind, franzésische Sitte und Bil- dung nachzuahmen, so herrschend noch 'bei Vielen der Glaube is, dass ein junger Mann, der in die Welt treten will, die Ma- neren der guten Gesellschaft nur in Paris erlernen, dass heran- wachgende Madchen die Vollendung ihrer Bildung nur-in einer franzésischen Pension erreichen kénnen, so allgemein ist man . dariiber einverstanden, dass der classische Unterricht in-Frankreich ' auf der niedersten Stufe stehe und nicht einmal der flichtigsten Beriicksichtigung wiirdig seie. Herr von Sinner, der vor Kurzem in Frankreich nationalisirt worden ist, sagt in der Vorrede zu seiner in diesem Jahr erschienenen Ausgabe von Xenophon’s Memorabilien seinen Landsleuten hieriiber die unumwundene Wahrheit: ,,il ne-faut pas que méme un jeune éléve de quatriéme, et encore moins un futur bachelier, croie que, pour savoir le grec d'une maniére approfondie, nos grammaires et nos diction- naires classiques suffisent; car, dans ce pays, nous sommes, de ce C6ié-la, dans une dépendance presque absolue des travaux alle-

Mands; les Allemands fournissent les matériaux ; les Frangais en font

des livres: tel est aujourd’hui, 4 peu d’exceptions prés, chez nous, état de la philologie grecque; et plus d’un savant de l’université de France a dans les dernidres années appris &. ses dépens Quil est périlleux de s’aventurer seul dans une voie non encore battue. Reconnaissons enfin qu’en littérature et en philologie | On n’est ni Frangais ni étranger, mais, pour nous servir d’une Iocution devenue presque triviale, ni plus ni moins que simple Sitoyen de la république des lettres.“ | So wahr diess gesagt ist, 8o scheint uns doch eine Einrichtung der franzésischen Gym- hasien Aufmerksamkeit zu verdienen. Durch eine Verordnung des Conseil Royal de V'instruction publique vom 20. Sept. 1836 wurde befohlen, dass in der dritten Classe der Gymnasien einige. auserwihlte Reden der griechischen Kirchenvater gelesen werden sollen. Bedenkt man, dass diese Yerordnung von Villemain " Padag. Revue. 1842. b, Bd. V. : 24

362

ausgegangen ist, der in seinem Essai sur l'Oraison funébre (in Melanges historiques et littéraires Bd. I.) und in seinem Werke: de I’éloquence chrétienne dans le IV® siécle die Bedeutung der chrislichen Redner vortrefflich gewiirdigt hat, und als aufge- klarter Mann in ganz Europa bekannt ist, so wird man den Ver- dacht einer yon priesterlicher Seite beabsichtigten Verdrangung der classischen Schriftsteller fern zu halten, und vielmehr den litterar-historischen Gesichtspunkt ins Auge zu fassen haben. Gehen wir yon diesem aus, so muss es als ein wirklicher Mangel erscheinen, wenn auf-den deutschen Gymnasien die classischen Schriftsteller so ausschliesslich gelesen werden, dass daneben die Patristik als ein barbarisches, der néhern Ansicht unwiirdiges Gebiet bezeichnet wird. Vor hundert Jahren beschrankte sich der griechische Unterricht in den wiirttembergischen niedera

Seminarien auf das Neue Testament und den Chrysostomus © de Sacerdotio. Langst musste diese klésterliche Beschranktheit

den Fortschritten des Unterrichtswesens weichen; ob man aber Recht gehabt habe, die Lesung der Kirchenviéter aus diesen In- stituten ganz zu verbannen, daran zweifeln wir. Sehen wir auf die Wirkungen. Es gehdrt zu den grossen Seltenheiten, dass

ein Theologiae Studiosus vom gewodholichen soliden Schlage eine.

- Probe der christlichen Beredtsamkeit aus den ersten Jabrhunderten im Original gelesen hat: und was Hanschen nicht gelernt hat, das kann ‘Pastor Hans schon aus dem Grunde nicht mebr nach- holen, weil es ihm an den Biichern fehlt. Bei' den katholischen Facultaéten wird darauf noch mehr Gewicht gelegt; daher haben sich einzelne Lehrer die Aufgabe gestellt, ihre Schiler nicht nur in die Litteratur, sondern auch in die Lecture der Patristik ein- sufibren. Auf diese Art. wurde Herr Custos Krabinger durch Herrn Professor Déllinger in Manchen veranlasst, eine Special- , ausgabe zu veranstalten von der dogmatisch sehr interessanten

S. Gregorii Nysseni Oratio Catechetica. Grdece et latine. Ad .

Codicum: Monae. fidem recensuit et cum Front. Ducaei suisque annotationibus edidit J. G. Krabingerus. Accedit ejusdem Gre- gorii Oratio funebris in Meletium, Episcopum Antiochenum. _Monachii MDCCCXXXV. in-libraria J. Lindaueri. 8: X. 306. Ebenfalls zum Gebrauche akademischer Vorlesungen erschienen Patrum Apostolicorum Opera. Textum ex editionibus prae- stantissimis repetitum recognovit, adnotatione instruxit et in usum praelectionum academicarum edidit C. J. Hefele. Tu-

4

ene

363

bingaé jn bibliopolio Henrici Laupp. MDCCCXXXIX. 8. XXII, 260.

tir deren Zweckmassigkeit wir kein besseres Zeugniss anzufiihren yissen, als dass bereits nach drei Jahren. eine neue Auflage né- hig geworden ist, welche betrichtlich yermehrt und: verbessert nit schéneter typographischer Ausstattung in diesen Tagen er- schienen ist. Nun hat zwar der Katholicismus vermége seines Glaubens an die Tradition von jeher ein dem Protestantismus mangelndes Moment fir die Lesung der Patres gehabt; allein das Streben, die Manifestation des christlichen Geistes in seiner Entwicklung von den ersten Jahrhunderten an kennen zu lernen, ist seit geraumer Zeit auch in dem Protestantismus rege geworden, und dadurch hat das Studium der Dogmengeschichte eine noch vor zwanzig Jahren nicht geahnte Bedeutung erhalten. Dieses Gebiet ist aber seiner Natur nach so ausgedehnt, dass schon die Professoren der Dogmengeschichte Mihe haben, wenn sie ibr Material aus den Quellen schépfen wollen, der Student da- gegen sich auf das, was ihm im die Feder dictirt wird, be- schrinken: muss.. Zudem hat sich der, Stoff aller theologischen Disciplinen so sehr angeschwellt, dass fir Einfihrung neuer Pensen keine Zeit zu finden sein wiirde. Soll aber daraus fol- gen, dass der junge Theologe von der Patristik gar nichts lesen soll? So gar nicht, dass wir vielmehr glauben, einige Proben der christlichen Beredtsamkeit diirften zum Vortheil far. jeden Gymnasisten ohne Riicksicht auf seinen kiinfligen Beruf nach dem Sinn der oben angefihrten Verordnang auf Gymnasien m die Lectire des Isokrates und Demosthenes angereiht werden, Awa in dem Umfange, dass von zehn der Lectiire der Oratoren f©widmeten Schulmonaten einer dem genannten Pensum gewidmet irde. Der Schiiler, ja selbst mancher Lehrer, der in Folge lites traditionellen Vorurtheils die Patres nie eines Blickes ge- ‘Girdigt hat, und in ihnen nur zelotische Verachtung und Be- fimpfung der heidnischen Weisheit, in ungebildeter Sprache vor- Etragen, zu finden glaubt, wiirde iiberrascht sein, wenn er bei ‘Arysostomus, Basilius und den beiden Gregoren. tiberall die MAaklinge classischer Bildung hért, welche diese Herolde des ©uen Glaubens zu verlaugnen nicht im Mindesten fir néthig 4elten, welche aber von den Theologen entweder aus Ignoranz f&r nicht verstanden, oder aus stupider Orthodoxie nicht anerkannt 24 *

364 -

wurden. * Es gereicht uns zu grosser Befriedigung, in dieset ' Ansicht mit dem ebenso geist- als gemiithreichen Geh. Hofrah . “Niisslin zusammenzutreffen, der im J, 1838 als Programm des Mannheimer Lyceums herausgab: Rede des heiligen Basilius des Grossen an christliche Jiing- linge iiber den rechten Gebrauch der heidnischen Schrifisteller fibersetzt und erlautert von J. A. Nisslin. 8. 36S. womit er einerseits den blinden Eiferern zeigte, mit welch aaf- geklartem Blick dieser gefeierte Kirchenlehrer die heidnischen Schrifisteller angesehen hat, andererseits seinen Zéglingen einen trefflichen Vorschmack von dem, was bei diesen Kirchenyatern « zu finden sei, darbot. Dem langst gefiihlten Bediirfniss einer neuen Specialausgabe dieser Rede, wozu in neuester Zeit auch_a ein deutscher Gelehrter Anstalten macht, ist auf eine sehr dan— kenswerthe Weise durch Herrn von Sinner abgeholfen worden— welcher in Paris bei L. Hachette herausgab : Tod peyakov Baodsiov medg tég vées, énawg év 8& ‘EM qixcme epedoivro Aoyov. S. Basilii Magni Oratio ad. adolescentess : quomodo possint ex gentilium libris fructum capere. Ad op— timos libros denuo recensuit et adnotatione jllustravit L. de Sinner. 184%. 8. 36 S. .

Herr Niisslin’s Arbeit ist in dieser neuen Ausgabe fleissig beniitzt, und die Anspielungen auf Stellen der Alten piinktlich nachgewiesen. An einer einzigen Stelle scheint uns ein Anklang alter Rhetorik tiberhért zu sein; c. 2. init. heisst es: susic, @ maidec, ovdév sivas xenuee TLAVTATAOL TOV dvF- panivov Biov rétoy trohapBavousr, ott dyadtov te vo pls ower dhoog, ovr é vopa- Sowev, & ryy ovverddgav juiv dyer tate nagéyetar. Hier ist offenbar eine Paronomasie , wie sie die’ alten Rhetoren und So- phisten liebten, z. B. Heliodor Aethiop. 2, 23. naréga pe éxeivor xed dvdproarv xal dvopacay., 2, 32. suavrod Ivyaréga xal Evo pilov xal dvopwatorw.

Von demselben Herausgeber sind seit einer Reihe von Jahren

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* Wer glaubt, wir sprechen hier von tempi passati, der lese die Vor- ede von Alb. Jahn zu seinen Animadversiones in S. Basilii M. opera, supplementum editionis Garnerianae alterius Pars 1. Bern, 1842., wo sich der gelehrte Verf , beschwert, wie der franzdsische Pater, welcher -die wabrhaft grossartige Unternehmung einer nenen Ausgabe der K. V. dirigirt, fir ungeeignet gehalten hat, die Nachweisung des platonisirenden Sprach- gebrauchs bei Basilius in die neue Ausgabe aufzunehmen.

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nzelne Reden der griechischen Kirchenvater herausgegeben prden. | 1) S. Gregorii Nazianzeni Theologi in Caesarium fratrem Oratio . fuoebris. Graece. Secundum editionem D. Clemenceti ad opti- morum Codicum MSS. fidem denuo recensuit, annotatione illustravit, Scholiaque Graeca Basilii minoris Caesareensis hac- tenus inedita adjecit L. de ‘Sinner. Patisiis apud Gaume fratres. 1836. 8. 39.S.

S. Jo. Chrysostomi in Eutropium Eunuchum Patricium ac Con- sulem Homilia. Secundum editionem D. Bernardi de Mont- faucon. Varietatem lectionis selectam e tribus codicibus MSS.- Parisinis Regiis adjecit L. de Sinner. Parisiis apud Gaume fratres. 1836. 8. 24 S. : | §, Jo. Chrysostomi quae fertur de beato Abraham Oratio, ® codice Coisliniano CXLVIT emendata et suppleta. Parisiis apud Gaume fratres 1835. 8. 24 S.

' §. Jo. Chrysostomi in Flaviani Episcopi reditum Oratio gtaece cum Boissonadii suaque adnotatione edidit L. de Sinner. Parisiis apud L. Hachette. 1842. 8. 24 S.

S. Basilii Magni et S. Gregorii Nysseni contra feneratores Orationes binae Graece ad codicum fidem denuo recensuit Notasque adjecit L. de Sinner. Parisiis apud L. Hachette. 1842. 8. 46 S. oe

Die letztgenannte Ausgabe kiindigt sich zugleich als Specimen t einem SS, Patrum Graecorum Delectus novus an, ' sich bereits unter der Presse befindet. Wir halten es fiir ‘Ignet, unsere Landsleute auf diese nachstens zu erwartende, vie auf die bereits erschjenenen Ausgaben einzelner Reden griechischen Kirchenvater aufmerksam zu machen, denn diese d die erste Bedingung, wenn auf diesem Felde irgend etwas Sntlich oder privatim gethan werden soll. Will irgend ein: arer den Versuch machen, auf die Lesung einer christlichen de einige Wochen seines griechischen Curses zu verwenden, bedarf er yor allem wohlfeiler und nach dem gegenwartigen ind der Philologie berichtigter Textesabdriicke; will man aber m Studiosus Theologiae oder dem angehenden Prediger rathen, h mit den Reden dieser kraftigen Wortfihrer seiner Religion kannt zu machen, so muss mar ihm vorerst den Schauder nehmen, der ihn bei dem Anblick der Foliantenreihen befiallt, d in der Regel die Wirkung hat, dase er auf die Lesung so

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umfangreicher Werke von vorn herein verzichtet, und nach dem Abgang von der Universitat seine Gleichgiiltigkeit damit entschul- digt, dass ihm diese Schiétze in seiner (gewdhnlich) isolirten Lage unzuginglich seien.

Der Unterzeichnete ist weit entfernt zu glauben, die Frage mit diesen wenigen Zeilen erschépft zu haben; er weiss auch wohl, was sich dagegen einwenden lasst; er erlaubt sich daher nur noch Eine Bemerkung. Wenn ein Blick in den organischen Entwicklungsgang der griechischen Litteratur von ihren Anfangen - an bis zu ihrem Absterben von einsichtsyollen Schulmaonern, wie Dilthey in seinem Vortrag bei der vierten Versammlung der deutschen Philologen (in den Verhandlungen p. 10— 20), als Bediirfniss fiir die oberste Stufe der Gymnasialbildung ausge- © sprochen worden ist, so diirfen diese von einer heiligen, leben- digen Idee beseelten Reden gewiss in die Schranken treten mit den grésstentheils matten Producten der gleichzeitigen Rhetorik and Sophistik, die auf einem fiir die Beredtsamkeit ungiinstigen Boden entsprossen sind, und sich daher in einem langweilenden Kreislaufe mit Gegenstinden einer langst entschwuadenen Zeit, mit Vergleichung des Themistokles und Perikles, Lobpreisung des Achilles, Schmahung des Thersites und ahnolicher Themen | beschaftigen. Und doch waren Werke’ dieser Art lange Zeit in den Schulen eingefiihrt,- wie die zahlreichen Ausgaben und Bearbei- tungen von.des Aphthonius Progymnasmata bezeugen. Aus dem- selben Grunde ist wohl auch die Seltenheit der Aldinischen Aus- gabe der Rhetores Graeci zu erkléren: wahrend andere minder allgemein gelesene Schriftsteller in grosser Anzahl der Exemplare auf uns gekommen sind, wurden diese durch den starken Schul- gebrauch aufgerieben. Diese werden zu der genossenen Ehre nie mehr erhoben werden, allein die christlichen Redner haben die Zeit einer gerechten Wiirdigung noch zu erwarten, und sie _ dazu zu empfehlen, diess ist der niachste Zweck der obiges Zeilen. .

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Die Schule und die Zeitinteressen mit beson- derer Berticksichtigung der Bestrebungen von Friedrich List.

. Von Collaborator Fr. Schuls in Weilburg.

Die padagogische Revue hat sich ihrer Ankiindigung zufolge - das Ziel gesetzt, die von der Gegenwart gebieterisch. geforderte Ineinsbildung der Politik und Padagogik beobachtend zu begleiten, und so vermitteln zu helfen. Die Politik wird immer mehr als Nationalerziehung zu den héchsten Zwecken der Menschheit er- fasst, wie sie es schon im Alterthum gewesen. Die Padagogik kann sich ihrerseits bei dem erwachten Staatsbewusstsein nicht mehr von der Bewegung der gesammten Volksentwickelung ge- trennt halten. ‘Vielleicht hat die Revue in der Mehrzahl ihrer bisherigen Artikel das sich vorgesteckte Ziel nicht immer fest genug im Auge behalten. Es wird daher zweckmissig sein, von Zeit zu Zeit scharfer darauf hinzuweisen.

Die Schule hat vor Allem das ewig Menschliche i im Jing: ling auszubilden; wird aber, wenn sie ihre volle Wirksamkeit im Sffentlichen Leben haben will, nicht umbin k6nnen, auch auf die besonderen Bediirfnisse der Zeit einzugehen. Sie wird diess immer thun, wenn auch oft unbewusst. So herrschte im ‘Avfang des vorigen Jahrhunderts, als die Theilnahme des Volks an seipen Sffentlichen Angelegenheiten noch nicht erwacht war, in den Lehrbiichern der Geschichte eine dusserliche Regenten- und Kriegsgeschichte vor. Dann kam mit dem fortschreitenden Geist der Zeit die sogenannte Culturgeschichte dazu, welche aber por Wissenschaft und Kunst umfasste, da die Deutschen auf sie . vorzugsweise ihre Krifle wandten. In der neueren Zéit ward die Verfassungsgeschichte mebr hervorgehoben; in der allerneuesten auch in den kiirzesten Abrissen (Petz) der Geschichte die Schick- sale der Industrie und des Handels nach Gebahr beriicksichtigt- Was also von selbst schon geworden ist, muss nur zum rechten Bewusstsein und dadurch zur rechten Macht des Lebens erhoben werden. In unserer Zeit nimmt'nicht die Theologie, und nicht mehr die Kunst die vorwiegende Thiatigkeit des deutschen Geistes

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in Anspruch, sondern das staatliche Leben ist in die erste Reihe unserer Nationalinteressen getreten, und in ihm wieder seit einem Jahrzehent die nationdlékonomischen YVerhiltnisse. Unsere er- leuchtetsten Politiker haben erkannt,, dass von der gehorigen Entwickelung unserer nationalékonomischen Zusténde unsere-Na- tionalwohlfahrt, unsere Nationalgrésse abhingt, oder wenn wir diese Lebensfragen vernachlissigen, Nationalohnmacht und Natio- naltod die unvermeidlichen Folgen sind. Diess haben die Regie- rungen vor zehn Jahren lebhafter als sonst empfunden. Diese Einsicht hat sie die auf unweisen Ideen fussende Opposition der Kammern iiberwinden lassen, und ihnen das Vertrauen des Volkes gewonnen. Nicht allein in Deutschland, sondern in ganz Eu- ropa und den meisten Lindern der Welt beschiaftigt man sich in diesem Augenblick vorzugsweise mit Fragen der Industrie und des Handels, weil man weiss, dass von ihnen die Blithe und Macht der Nationen abhangt. Mitten in dem Kampf der wider- streitendsten Ansichten: der unbedingten Handelsfreiheit und des volligen ‘Sperrsystems, ist ein Deutscher, Friedrich List, mit seiner internationalen Handelspolitik aufgetreten, welcher in der lebendigen Anschauung der franzésischen, englischen und beson- ders der nordamerikanischen Zusténde eine grossartige Schule durchgemacht, und auf seine eigenen reichen Lebenserfahrungen’ gestiilzi, uns zum ersten Male die Lehren der Geschichte tiber diese Seite der Menschheitsentwickelung in ihrem wahren Ver- halt enthillt hat. Schon sind seine Lehren in mehr als einer deutschen Standeversammlung geistreich angewendet worden (First von Solms-Lich und Sander) und von ibrer weitern Verbreitong ist fiir das deutsche Vaterland viel zu hoffen. Die tiefere Idee des Zollvereins (der Zollverein nicht als blosse finanzielle Maass- regel) berubt auf seiner Geschichtsansicht. List hat die Praxis der blithendsten Staaten der Erde zur Theorie erhoben, im Gegen- satz zu einem sonderbaren Hirngespinnst, welches A. Smith in England ,zur Ausfubr“ aufstellte, durch dessen Verschmahung England selbst gross und machtig, und durch dessen Befolgung andere Staaten arm und ohnmichtig geworden sind. List’s Lehren sind so einfach und naturgemass, dass sie an das Ei des Colambus erinnern. Da sie aber doch noch von solchen, welche ihre frié- heren Ansichten nicht gern so schnell aufgeben michten, oder sich nicht zur Betrachtung eines Ganzen erheben kénnen, wie es doch die Anschauung. einer gesammten Nationalthatigkeit ver-

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langt, viel Widerspruch erfahren, wollen: wir unsere Leser auf einige’ Hauptpunkte aufmerksam machen, um alle Lehrer der

Geschichte auf die Wichtigkeit des Buches von List hinzuweisen. Seine Hauptlehre, welche von der ganzen Geschichte be- statigt wird, besteht darin, dass nur dasjenige Volk eine wahr- hafte und harmonische Ausbildung und Macht erlangt, welches Agricultur, Industrie und Handel gleichmassig in sich entwickelt hat, z. B. England, wie dagegen Portugal, weil es seine Industrie . im Methuenvertrage an England Preis gegeben, zum Weinberg der stolzen Britten’ herabgesunken ist, und damit gegen friiher verarmt; wie ferner Polen, indem es keine Industrie und damit keinen tiichtigen Birgerstand pflanzte, dem Nationaltode verfallen ist. So wirft List eine Menge der iiberraschendsten Lichtblicke in das Gebiet der Geschichte. Keine Nation ohne Industrie hat - einen activen Handel, entbehrt so der Pflanzschule der Schiffs- - mannschaft und hiermit der in heutiger Zeit so unenthehrlichen Kriegsflotte. Die ganze Geschichte lebrt, wie nur mit Industrie und Handel sich eine mannliche und gesunde Geistesbildung in den Nationen entwickelte, und der Kampf mit dem Meere die - herrlichste Schule fiir einen tiichtigen Nationalcharakter ist. Indem List die Volker der gemissigten Zone Agricultur, Industrie und Handel gleichmassig ausbilden lassen will, tritt er Adam Smith enigegen, welcher den Deutschen rath, die Schaafhirten und Holz- hacker der Englander zu sein, welche allein dén rechten Instinct zur Industrie hitten. Und diesem Adam Smith haben die Deut- schen so lange angehangen, und hingen ihm zum Theil noch an! Zugleich aber unterscheidet sich List yon diesem englischen Nationalékonomen und der bisher herrschenden Schule in Deutsch- land dadurch, dass er den Nationalreichthum nicht nur in den physischen Werthen bestehen lasst, sondern vielmehr in der Kraft und den geistigen Besitzthiimern; der wissenschaftlichen Erkennt- niss, Religiositit, Sittlichkeit, tiichtig ausgebildeter Nationalitat, dem Fleiss. freien Institutionen etc., nach welcher Ansicht der Lehrer nicht mehr blos ein consumirendes Wesen ist, wie in der alten Schule, sondern im hichsten Sinne der: Nationaléko- nomie producirend, namlich die Einsicht des Volks, ohne welche nichts im Leben. geschaffen werden kann. Ueberhaupt lasst List die geistigen Schatze einer Nation ohne Auspahme zu ihrem Rechte kommen, wodurch seine Lehre von der héchsten ethischen Wichtigkeit wird. Wie einflussreich solche geistige Giilter, wie

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wir sie oben erwihnt, fir das Gedeihen und Bestehen einer Nation sind, zeigt List vortrefflich an der Geschichte Italiens und der Hansa, welche durch Vernachlissigung der National- einheit und -dessen, was damit zusammenhangt, zu Grund gegan- gen, wabhrend England durch die sorgliche Pflege dieser geistigen Capitalien so gross geworden, dass manche seiner Theologen glauben diirfen, Altengland sei yon der Vorsehung berufen, statt ihter den Erdball zu verwalten. Mit seinen Flotten umspannt es auch wenigstens unsern ganzen Planeten und beherrscht so man- ches Land, welches sich ausserlich frei nennt. Die Allg. Augsb. -Zeitung bemerkte im vorigen Semmer mit Recht, dass von Lists Werk aus eine Umgestaltung der gesammten Staatswisseuschaft beginnen werde, durch List -ist die Nationalékonomie von ihrem materiellen Anstrich befreit worden, unl-zur hichsten geistigen. und sittlichen Wiirde erhoben. Nach dem Auftreten dieses Mannem. und seinen populiren Erérterungen noch gegen die materiellemm Bestrebungen der Zeit kanzeln zu wollen, kann nur als alberrum erscheinen; denn eines Theils ist ja die Industrie die siegreichste= Bewiltigung und Durchgeistigung des todten, sinnlichen Stoffes > auf der andern Seite kann sich ein freieres,’ stolzeres Geistes- - leben nur auf der Grundlage einer gréssern sinnlichen National- wohlfahrt und héheren Nationalmacht und der damit gegebenen Nationalehre erheben. Wir wollen nicht naher auf den Inhalt des so héchst interessanten Werkes eingehen, 80 sehr es uns auch ..immer von Neuem anzieht, indem durch dasselbe nicht nut die ganze Vergangenheit der Vélker' mit ihren bestimmenden Michten klar vor uns liegt, sondern indem es auch mehr als ein anderes die kiinftigen Schicksale der Nationen enthillt. Diess liegt in der Natur des behandelten Stoffes; denn die ganze abrige Cultur eines Volkes hingt ja yon den Grundlagen seines Lebens, dem Ackerbau, der Manufacturkraft und dem Handel ab. Die Entwickelung des Nationalreichthums steht dem Verlauf des im Gegensatz zum geistigen Leben leichter in seiner Nothwendigkeit zu erfassenden Naturprocesses unter allen Seiten des National- lebens am niachsten. Fiir das Gedeihen der Industrie und des Handels miissen daher die Regierungen vorzugsweise Maassregeln _schon fiir die Zukunft anordnen. Nirgends rachen sich derglei- chen Vernachlassigungen schwerer.

So deutlich nun auch List die Geschichte sprechen lasst, und wie donnernd das Beispiel Englands, Frankreichs, ja auch

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Russlands den Deulschen zuruft, ihre Manufacturkraft nicht durch die Fremden erdriicken zu lassen, um nicht das Schicksal yon Polen zu theilen, so glauben doch noch Viele, manche aus sen- timentalem: Festhalten an den alten Zusténden, deren Poesie sie durch Eisenbahnen und Dampfmaschinen gefahrdet glauben, wih- rend sie zu schwachlich sind, die kiithnere Poesie der neuen Lebensverhiltnisse zu ihrem Herzblut zu machen, Andere als ' ‘sweideutige Parteiginger Englands, dass Deutschland nur ein Volk von Bauern und Beamten sein diirfe. Diese Ansichten werden noch taglich in bekannten Zeitungen gepredigt, und sind in diesen Tagen wieder in mehreren Kammern wiederholt worden. Ja, manche Professoren der Nationalékonomie, so wie: hochgestellte ~ Staatsmanner theilen sie noch. Das Volk zittert, ob seine héch- sten Nationalinteressen bei den jetzt obschwebenden Fragen gegen die Fremden gewahrt werden sollen, oder ob man. sie einer ‘ver- staubten Schultheorie, in welcher aber die jetzigen Staatslenker - gross geworden sind, und yon welchen sich loszureissen manchen- schwer zu fallen scheint, zum Opfer bringen wird. Hoffen wir zu Gott, dass der Zollverein sich nicht nur fir eine Finanz- maassregel halten mége, sondern die Nationalkraft zu heben berufen; dass er nicht an die augenblickliche Fiillung der Staats- kasse denke:, sondern yor Allem das ganze Volk reich und mich- tig zu machen strebe, um in Kurzem selbst zehnfachen Gewinn auch fiir die Staatskassen zu drndten. Welche Ansichten aber auch_in den niachsten Jahren noch Deutschlands Schicksale be- stimmen mégen, die mosaischen yvierzig Jahre wird es nicht dauern. Fiir die Zukunft muss eine Nationaleinsicht, eiri National- wille iiber diese Dinge gebildet werden. Hier ist es die Schule, © welche eingreifen muss, wenn sie ihrer Stellung im Organismus des Nationallebens nicht unwiirdig werden will.. Der Lebrerstand muss an der Spitze der Zeit stehen. Er lebt eigentlich ganz fir die Zukunft. Indem er die Keime derselben in der Gegenwart erkennt, die sittlichen Machte, die Machte des Lebens, welche ~ die Weltgeschichte weben, muss er die Jugend fur die Zukunft bilden. Er muss sie darauf aufmerksam machen, wie das Schicksal . der Vélker im Ganzen und Grossen von der Ausbildung ihrer Manoufacturkraft abhing, wie England ihrethalben so viele Kriege gefthrt -und alle Friedensvertrage hauptséchlich in Beziehung auf seine Handelsinteressen geschlossen; wie es Napoleons hichste Idee war, den Continent von Englands Handelstyrannei zu befreien,

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wie in Zukunft immer mehr Krieg und Frieden von den Interessen der Industrie und des Handels abhangen werden. Zum Verstind- niss dieser Seite der Geschichte muss unsere heutige Jugend besonders gebildet werden; denn in diesem Gebiete ist sie einst gu handeln berufen. Es kann hiermit nicht gesagt sein sollen, dass der Lehrer. seinen Geschichtsvortrag zu einem Collegium tiber Nationalékonomie machen solle, aber ihre ewigen Wahr- heiten soll er in den grossen, einfachen Resultaten der Geschichte vorfihren, und so in der Jugend den Instinct fir die Wichtigkeit dieser Fragen bilden. Und wie herrliche Andeutungen gibt tiber diese Punkte gerade List in dem historischen Theil seines Buchs! Treffend bemerkte uns ein namhafter Professor aus der Schweiz auf der Philologenversammlung zu Bonn, dass ihm durch die wenigen Seiten in List’s Buch iiber die Geschichte der Hansa dieselbe zu besserem Verstindnisse gekommen, als durch das ganze Werk von Sartorius. |

List’s Bestrebungen sind, wie Jeder sieht, von der aller- héchsten Bedeutung fiir die deutsche Nation. Seine grossen Yer- dienste um die Begriindung des Zollvereins, welcher nach dem Ausdruck eines geistreichen Franzosen schon eine europdische Macht geworden, so wie um die Idee eines nationalen Eisenbahn- systems fiir Deutschland sind bekannt. Ferner ist es seit langer als einem Jahre, nachdem er seine Ansichten friiher schon in kleineren Aufsaizen in Journalen ausgesprochen, in einem grésseren Werke als Lehrer seines Volkes, dessen Grésse ibm so sehr am Herzen liegt, aufgetreten. Obgleich schon die dritte Auflage dieses Buches vorbereitet wird, so ist er doch noch lange nichf’ nach Wiirden von seiner Nation anerkannt. List wird, wenn Deutsch- land sich: seiner nicht als unwiirdig erweist, bald als einer seiner gréssten Wohlthiter anerkannt werden. Er wird neben Heinrich I.

‘und dem Minister Stein genannt werden. Jetzt stellen ihn noch

manche deutsche Blatter als einen wirren Kopf dar, der nicht wisse, was er wolle, wahrend er von einer nordamerikanischen wissenschaftlichen Gesellschaft schon ein Zeichen der offentlichen Anerkennung erhalten, so wie auch von der franzésischen Aka- demie. Es ist hier nicht der Ort, auf einen Ehrenbecher nicht sowohl seinet- als der Nation willen fiir ihn anzutragen ; aber in die Herzen der Jugend miissen die Lehrer der Gymnasien und Bargerschulen seinen Geist und seine Lehren pflanzen, zur Biirgschaft einer grossen Nationalzukunft. Es ist um so wichtiger,

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dass die Jugend friihe zu der richtigen, gesunden Geschiclis- anschauung gebildet werde, da unsere meisten Historiker noch von den falschen A. Smith’schen Ansichten angesteckt sind, und selbst der sonst auf den Grund gehende Schlosser yon der Be- deutung der Industrie in der neuern Geschichte so einseitige Ansichten hat, dass er gewéhnlich nur die Schattenseite sieht und hervorhebt. Ausserdem schickt das Gymnasium seine Zig- linge nach den Universitéten. deren Lehrer oft nicht auf einmal ihr bisher mit so vielem Beifall vorgetragenes nationalékonomi- sches System andern kénnen, und daher den Sinn der Jugend mit Irrlehren, um es gerade heraus zu sagen vergiften, und hierdurch der Entwickelung der ganzen Nation unberechenbaren Schaden bringen. Es ist ziemlich allgemein anerkannt, dass das Gymnasium schon viel weiter in seiner Wiedergeburt durch den modernen Geist gekommen ist, als die oft noch von mittelalterlichen ' Formen und von Brodstudien beherrschte Universitat. Kein grés- seres Verdienst aber kann sich das Gymnasium erwerben , als-dass es seine Schiler bewahrt, wehrlos in die Hinde von National- ékonomen aus der abgelebten Schule der Handelsfreiheit zu fallen, welche auf A. Smith’schen Sophismen erbaut ist. : Wir werden uns gliicklich schatzen, wenn wir die Lehrer der Geschichte unter unsern Lesern auf List aufmerksam machen kénpn- ten, im Fall sie ihn nicht schon kennen gelernt, diesen Mann, - welcher das Leben Englands ohne seine Auswiichse in das deut- sche Vaterland zu-verpflanzen sucht, der eine so kiihne, freudige Weltanschauung lehbrt, der da will, dass die Menschheit ihre reichen Kréfte in fréhlicher Arbeit auf dieser schénen Erde ent- falten soll. Die Schule stellt sich, indem sie List’s grosse Vélker- lehren beriicksichtigt, so recht an die Spitze der Zeitbewegung, welche die materielle genannt wird, in Wahrheit aber die meiste Lebenskraft und die héchsten Interessen der Nation fiir den Augen- blick in sich schliesst. Indem wir die Bestrebungen von List besprochen, glaubten wir fiir heute am besten die Aufgabe zu lésen, die Schule in ihrem Verhaltniss 2u den Interessen der Gegenwart zu betrachten. :

Ueber die philosophische Propideutik auf . Gymnasien.

Von Dr. Biedermann, Professor der Philosophie in Leipzig.

Die Pidag. Revue enthalt, in dem Januarhefte ihres gegen- wartigen Jahrganges, eine Abhandlung des Professors Niese in Schulpforte ,,iiber die Berechtigung der philosophischen 'Propi- deutik im Gymnasialunterrichte.“ Der Verfasser dieser Abhand- lung kniipft dieselbe an einen friiher (in der Centralbibl. fir

' Padag. 1839 Juni) erschienenen Aufsatz von J. H. Deinhardt an

und erklart’ sich, im Einklang mit dem Letzteren, fiir eine solche Berechtigung, ja sogar fiir eine Erweiterung des _philo- sophischen Gymnasialunterrichts iber die von Deinhardt gezoge- nen Grenzen hinaus.

Das iibereinstimmende Urtheil dieser zwei Manner, denem ihr Lehrerberuf Gelegenheit gibt, die Richtigkeit ihrer Ideern™ upmnittelbar durch deren Ausfihrung zu erproben, vermichte

_ wohl, einen befangen ‘zu machen, der Zweifel gegen die obige

Behauptung hegt; indessen kann ich doch nicht umhin, einexs

-solchen zu dussern, faible mich aber auch um so mehr ge—-

drungen, meine Ansichten, welche mit denen der beiden ge— nannten Herren nicht ganz zusammenstimmen, etwas ausfabr—- licher zu begriinden und zu. entwickeln. Was mir dazu dew Muth gibt, ist, dass ich theils durch mein Studium veranlasst worden bin, tiber Werth und Einfluss des philosophischen Unter-

yichts auf die iibrigen Wissenschafien und die gesammte Geistes—-

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bildung sorgfaltig nachzudenken, theils auch durch meinen Beruf

_als akademischer Lehrer vielfache Gelegenheit gehabt habe, jene@

Einfluss, namentlich des propadeutischen Unterrichts in der Philo- sophie, an den jungen Leuten, bei ihrem Uebertritt in die aka- demischen Studien, zu beobachten.

Ich habe mehrere Jahre hindurch die Uebingen philosophi- ‘scher Gesellschaften geleitet, an welchen eine ziemliche Anzabl Studirender Theil nahm. In der Regel waren diese, beim Ein- tritt in eine solche Gesellschaft, noch Neulinge auf der Univer-

_ sitit, kamen eben erst vom Gymnasium und hatten oft noch

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nicht einmal ein philosophisches Collegium gehdrt. Auf diese Weise habe jch den Stand der philosophischen Vorbildung, wie sie das Gymnasium seinen Zéglingen zu geben pflegt, ziemlich -gemau kennen gelernt, und zwar nicht blos von einem solchen Institute, sondern von vielen, sowohl inlandischen als auslin- dischen. Um mich dariiber naher zu unterrichten, habe ich such Gelegenbeit genommen, hier und da dem Gymnasialunter- richte in der Philqsophie beizuwohnen. Endlich ist mir aus meiner eigenen Schulzeit Art und Wirkung dieses Unterrichts noch recht wohl erinnerlich. Nehme ich alle diese verschie- denartigen Beobachtungen zusammen, sO glaube ich wohl, darauf_ ein einigermassen gegriindetes Urtheil tiber den fraglichen Gegen- sland bauen zu kénnen. Ich werde mich daher fir diessmal ~ auf die Mittheilung einiger solcher Beobachtungen und Betrach- tungen iiber die factischen Resultate der philosophischen Propa- deutik beschranken, ohne mich tiefer auf die Frage einzulassen, inwiefern tiberhaupt der Weg, den wir bei-unsern Studien durch die Philosophie hindurch zu nehmen pflegen, der richtigste oder. ‘kiirzeste sei, eine Frage, die ich vielmehr einer besondern Erdrterung vorbehalte. Meine gegenwartigen Betrachtungen glaube ich am passend- Sten an die einzelnen Punkte des erwibnten Aufsatzes von Niese @nzukniipfen, um so zugleich eine Kritik der in diesem aufge- : Stellten. Ansichten zu geben. Der Verfasser bezeichnet als die nichsten und wesentlichsten Gegenstande der philosophischen Propadeutik auf Schulen die - gewohnliche Logik und die empirische Psychologie. Was die letztere betrifft, so ware dawider gerade Nichts einzuwen- den, insoweit sich die psychologischen Belehrungen darauf be- schranken wiirden, dem Schiiler die mannigfaltigen Erscheinungen seines ‘innern Seelenlebens, die Gesetze der Ideenassociation, die Mysterien der Traumwelt, den Sinnenschein, die wunder- baren Verschlingungen ‘der pathologischen und geistigen Empfin- dungen u. dgl. m., in anziehenden und interessanten Dar-' _ stellungen vorzufiihren. Freilich geht es damit nicht viel anders als mit den physikalischen und abniichen Unterrichtsgegenstaénden auf den Gelehrtenschulen, bei denen ebenfalls in der Regel die Experimente mit der Electrisirmaschine, mit den Klangfiguren oder mit dem Hoblspiegel, als die Hauptsache angesehen wer- den. Beides ist eine angenehme und unstreitig in vieler Hinsicht:

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niitzliche Beschaftigung der Phantasie ; Beides gibt eine geWisse allgemeine Bildung, d. h. eine gewisse Erregbarkeit und Theil- nahme fiir allerlei Erscheinungen und Vorkommnisse, ein durchaus nicht zu verachtender Vortheil sowobl fiir die gesellige Erziehung des jungen Mannes, als iiberhaupt fiir die Heraus- arbeitung einer mdglichst vielseitigen, méglichst beweglichen und erregbaren Individualitét. Nur méchte ich von jenen psycholo- gischen Experimenten ebensowenig ein allgemeines~Resultat fir die Geistes- und Charakter-Bildung des Jiinglings, als von diesen physikalischen einen directen praktischen Nutzen fiir dessen kiinftige Berufsthatigkeit in Aussicht stellen. Ja gerade in der Tendenz,. die psychologische Propadeutik fir den Zoégling des Gymnasiums zu mehr. als einer blossen Erzihlung und_Der- , stellung zu machen, sie zu einer wirklich philosophischen Wis- senschaft, zu einer ,,Vorbereitung fiir die Wissenschaft der Philo- sophie“ zu erheben, sehe ich ein® sebr bedenkliches Moment _ dieses psychologischen Unterrichts auf dem Gymnasium. Und eine solche Tendenz bleibt gleichwohl selten aus, wie wir diéss aus der eigenen. Erklarung Niesé’s sehen, welcher sogar dem psychologischen Unterricht eine Anleitung zur Metaphysik bei- figen will. Es hat fiir jeden geistvollen Lehrer etwas sehr Ver- fiibrerisches, den Zégling in die Geheimnisse der héhern Specu- lation tiber das innere, geistige Leben des Menschen, in ,die reine Region der Wissenschaft des bei sich- seienden Geistes“ einzufihren; ihn mit den Vorstellungen und Ideen vertraut 20 machen, welche das eigene Denken des Lehrers vielleicht lange und anhallend beschaftigt haben. Und doch halte ich diess fir héchst bedenklich. Der jugendliche Geist hat gerade in der Zeit, wo der Gymnasialunterricht sein letztes Stadium erreicht, einen ausserordentlichen Reiz und Drang nach allem Hohen und Tiefen, nach ausserordentlichen, - iiberfliegenden Ideen und Er- kenntnissen; er liebt es, sich selbst zu beobachten und zu be- spiegeln, und méchle gern tiefe Blicke in-sein innerstes, geheim- nissvolles Wesen thun. Soll der Lehrer diesen .Drang des Schiillers unterstiitzen und steigern, indem er ihm _nachgibltp ihm entgegenkommt? Kann er hoffen, demselben einen gefabr— losen, wohlthatigen, naturgemassen Ausweg zu_ verschaffens indem er selbst den Wissensdurstigen, Forschenden, Zweifela— den in die Welt der Gedanken und Ideen einfiihrt, indem ¢F ihm yon dem Geiste des. Menschen, seinem Wesen und seiner

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Bestimmung, von der Welt, von Gott, philosophische Begriffe beisubringen versuchte? Herr Professor Niese bejaht diese Fragen, indem er als den grossen Gewinn der philosophischen Propideutik auf Schulen diess darstellt, dass dem Schiller zum ersten Male die Welt des Geistes, die Werkstitte aller seiner Gedanken und die Wobnung aller héchsten Ideen aufgethan, dass der ganze wissenschaftliche Mensch in ihm fir diese innere, unsichtbare Welt gewonnen werde, dass er erkenne,

: _ Wie auf diesem ‘Gebiete allein die letzte wissenschaftliche Wahr-

heit und Gewissheit sei.“ Und weiterhin sagt er: ,Die Schiler: und gerade die besten und strebsamsten werden durch diesen Unterricht von den vielen Widerspriichen befreit werden, in

_ welchen sie sich, bei ihrem Nachdenken iiber héhere und allge- _ weinere Fragen, unaufhérlich verwickelo und welche in ihnen

of su den nachtheiligsten religidsen und wissenschaftlichen Zweifeln, oder gar zur Verzweiflung an aller Auffindung der

' Webrheit, Veranlassung werden. Denn die Widerspriiche, in .

welche die sich selbst iiberlassene Vernunft der Jugend an den Begriffen yon Raum und Zeit, Geist und Materie, Seele und Leib, Freiheit und Nothwendigkeit,-so leicht gerdth, treiben in den heranwachsenden Jiinglingen ihr Wesen auf eine bedenk- lichere Weise, als man gewdhnlich glaubt, und kénnen nicht frihzeitig genug auf ihren Ursfrung zauriickgefibrt und ausge- slichen werden.“

Nach den Erfahrungen, welche ich hieriiber an vielen jungen Leuten, mit denen ich in wissenschaftliche Verbindung kam, gemacht habe, kann ich allerdings. dieser Ansicht nicht so ganz beipflichten. Ich fand namlich, dass die metaphysischén Begriffe, Welche dieselben auf der Schule schon in sich aufgenommen hatien, keineswegs abgeklart und verarbeitet genug waren, um die Widerspriiche ihres Innern auszugleichen oder ihnen zur Richt- echnur bei der Erwerbung von Kenntnissen und Einsichten fir ihren kiinfligen Lebensberuf zu dienen. Im Gegentheil habe ich mehrere Fille erlebt, wo strebsame und talentvolle Jiinglinge durch jenen zu friih ausgebildeten und genabrten Hang zum Speculiren, zur Selbstbeschauung, zum metaphysischen Griibeln, fir jede geregelte und praktische, Geistesthatigkeit untauglich gemacht, in ein Chaos verworrener, unklarer Ideen und Empfin- dungen gestiirzt und in einen excentrischen Zustand versetzt wurden, welcher einmal sogar mit villiger Geistesverwirrung

Pidegog. Revue. 1842. b, Bd. V. | «

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endete. Ich bin weit entfernt, dergleichen Falle den Schulen oder dem philosophischen Unterrichte auf denselben im Allge- meinen zur Last zu legen, da ich wohl weiss, dass abnliche Verirrungen sich haufig, sogar gewéhnlich erst ayf der Univer- sitét ausbilden; auch erkenne ich vollkommen an, dass, wenn auf der einen Schule durch die falsche Art des philosophischen Unterrichts das Uebel vergréssert wird, auf einer andern, bei einer zweckmissigeren Leitung der jungen Geister, demselben vorgebeugt oder doch es vermindert werden kénne; allein so viel scheint mir doch sowohl durch die Erfahrung bestiatigt, als auch in der Natur der Sache selbst begriindet, dass die Re ge— lung jenes speculativen Dranges (denn von einer Befrie— ' digung desselben kann hier fiiglich noch nicht die Rede sein>> durch die philosophische Propadeutik der Schule weit seltenem- gelingen kénne, als durch die umfassenderen Hiilfsmittel dess -akademischen Studiums, dass daher aber auch wohl zu iiber— legen sein méchte, ob eine solche-Propideutik nicht vielmeha das Gegentheil yon Dem erreiche, was sie bezwecke, ob sie nicht dem jugendlichen Geiste eine Richtung und Spannan ga gebe, welche die reifere Bildung dann erst mit Mihe wiede= 2 entfernen muss. Die philosophischen Studien auf der Univem sitét finden ein heilsames Gegengewicht, einen Regulator an, de = praktischen und empirischen Lehrgegenstinden, mit denen. de=r Student sich gleichzeitig beschéftigt, an der Anschauung de=s wirklichen Lebens und seiner Verhialtnisse, welche ihm jetz! zuerst in reicherem Masse zu Theil wird; in dem nuomebbr ebenfalls erwachenden Bediirfniss, diese Aussenwelt, in die er sich gestellt sieht, sich zuginglich und nutzbar zu machen. Hier kann also méglicherweise ein wohlgeleitetes philosophisches Str dium von heilsamen Folgen sein, und die Gefahren eines tiber- | schwanglichen, die Wirklichkeit und ihre Anforderungen ver- kennenden Speculirens sind geringer. Gibt man dagegen dem speculativen Hange der Jugend schon auf der Schule zu sehr nach, oder ruft man ihn geradezu hervor und ermuntert ihn durch eine systematische Vorbereitung zum Philosophiren, so hat man weit weniger Mittel.in Hinden, um Einseitigkeiten und Verirrungen desselben yorzubeugen. Entweder lasst der Schiller, ohne eigenes kritisches Talent, sich von den Ideen des Lehrers fortreissen, zumal wenn diese eine gewisse Begeisterung und Er- -habenheit athmen; und wie leicht wird ebendadurch hinwiederum

: , 379 dew Lehrer zur Einseitigkeit, zu einem beschrankfen und will kit Inrlichen Dogmatismus verfiihrt, zumal auf Schulen an kleineren Orten, wo die Beriihrung mit den grésseren Lebensyerhiltnissen und der fortschreitenden geistigen Bewegung geringer ist. Oder der Schiiler versucht, selbstandig zu denken und zu forschen; aber ohne Erfahrung, ohne Kenntniss der Wirklichkeit, bisher fast nour mit. idealen, formellen Gegensténden des Unterrichts beschiftigt gewesen, wird er es wohl zu etwas Anderem bringen, als zu einem phantdstischen Schwérmer, oder einem kecken, absprechenden Skepsis?

Nicht minder unzweckmissig aber, als das vorzeitige trans-

_ , scendente Philosophiren auf Schulen, ist die geistlosmechanische Behandlung der Psychologie, welche ebenso haufig bei dem vor- seschriecbenen propddeutischen Gymnasialunterricht vorkommt, wie ich aus eigener Erfahrung und Beobachtung weiss. ‘Wird durch Jenes der Hang zum Philosophiren zur Unzeit angespornt, 80 kann durch dieses einem strebsamen Geiste jede Beschaftigung mit der Philosophie auf immer verleidet werden. Ich habe ‘es Selbst mit angehért, wie den Primanern eines Gymnasiums die, Vorher auswendig gelernten, Krug’schen Definitionen iiber Ver- Stand, Willen, Gefiihl u. s. w. nach der, falschlich sogenannten, Sokratischen Methode abgefragt wurden. Dadurch kann freilich das Denken schwerlich geweckt werden.

Aehnliche Bedenken, besonders der letztern Art, erheben sich auch gegen den zweiten der vorgeschlagenen propadeutischen Gegenstinde, die Logik. Hier ist. es besonders der formelle Charakter dieser Wissenschaft, welcher mich an deren Niitzlich- keit fir den Schulunterricht zweifeln lasst. Dasselbe -Bedenken . trifft allerdings auch den akademischen Unterricht in der Logik, und ich mag auch gar nicht Hehl. haben, dass ich denselben,

‘in der Weise, wie er gewobnlich ertheilt wird und wie ihn die Studienordnungen in der Regel verlangen und voraussetzen, d. h. als eine Darstellung der formalen Denkgesetze, der Begriffe, Urtheile, Schliisse, Definitionen, Divisionen u. s. w., dass ich © den Nutzen. dieses Unterrichts fiir sehr problematisch ansehe. Mindestens wiirde man, wenn der Unterricht in der Logik ein- . mal auf dem Gymnasium eingefihrt ist, dann dem Studenten das nochmalige Héren der Logik erlassen kénnen, da uberdiess die tagliche Erfahrung lJehrt, wie unfleissig die logischen Vor-

_ lesungen besucht werden und . wie wenig tiecferes Interesse fiir

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den Gegenstand selbst bei den regelmassigeren Besuchern der- selben anzutreffen ist. Logisch zu denken und seine Gedanken geordnet und klar auszudriicken lernt der Student und der Schiller weit besser und sicherer, als durch den formalen Unter- richt in der Logik, dadurch, dass man ihm die Gegenstande seiner Auffassung und Verarbeitung in derjenigen Ordnung und Reihenfolge darbietet, in welcher sie sich naturgemass und leicht an einander faigen und aus einander entwickeln lassen; dass man ihn veranlasst, sich dieselben durch eine fdussere Reproduction oder eine praktische Anwendung klar zu machen, und dass man ihn hierbei, durch ein Eingehen in seinen eigenen Gedanken- gang, durch eine stufenweise Entwickelung seiner Ideen, an ein umsichtiges und consequentes Denken, an ein Aufmerken auf alle Momente eines Gegenstandes, Trennung der wesentlichen -von den unwesentlichen und sachgemiasse Verkniipfung jener sm einem wohlgeordneten Ganzen, praktisch gewoéhnt. Diese wird. erreicht theils durch die Art des Vortrags der einzelnen Lebr— gegenstande, theils ganz besonders durch die praktischen Uebun— gen, welche auf der Universitat den eigentlichen Lehrvortrager— zur Seite zu gehen oder nachzufolgen pflegen, durch Examina— torien, Repetitorien, Disputatorien u. s. w. Diese -dialogischas= Form des Unterrichts, welche, nach meiner Ansicht, auf des Universitéten noch zu wenig angewendet wird, welche abem- den Schulen vorzugsweise zu Gebote steht, scheint mir, be# richtiger Benutzung, dasjenige vollkommen szu_leisten, was man von einem Erlernen der formalen logischen Regeln, Seitens der Schiller, zu erwarten pflegt. Wenigstens kann ich versichern, dass, nach den Beobachtungen, welche ich hierfber, zumal in meinen philosophischen Disputatorien, angestellt habe, Diejenigen keineswegs die gewandtesten oder klarsten im Auf- fassen, Entwickeln und Wiedergeben philosophischer oder anderer Stoffe waren. welche den meisten Vorrath logischer und dialek- ‘fischer Regeln inne hatten. Wohl aber bemerkte ich an Diesen haufig einen grossen Hang zum minutidsen Disputiren, sum gelehr- ten Klopffechten, ein steifes Festhalten an der Form, ohne Ein- dringen in den Geist der Sache.

Noch weniger freilich, als die blos formale Logik halte ich Dasjenige fir geeignet zum Gymnasialunterrichte, was die neueste Philosophie unter dem Namen Logik versteht, namlich eine, rein speculative Entwickelung der Denkbestimmungen und der Ideen

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aus einem obersten metaphysischen Grundgedanken. Gegen diese speculative Logik ist dasselbe zu sagen, was ich oben iiber die Metaphbysik auf Gymnasien bemerkt habe. |

Endlich hat man auch noch einen drilten Zweig des philo- sophischen Studiums fir den propadeutischen Unterricht auf Gymnasien yorgeschlagen und an manchen Orten wirklich zur Anwendung gebracht. Es ist diess die Geschichte der Phi- losophie. Diese wurde wenigstens auf dem Gymnasium, wel- chem ich meine Bildung verdanke, in Prima vorgetragen; doch war der Unterricht darin ziemlich diirflig und beschrinkte sich auf die alte Philosophie. Eine Unterweisung der Schiller in Dem, was der menschliche Geist auf dem Gebiete der philosophischen Lebensbetrachtung bisher geleistet hat, scheint sich indessen in mancher Hinsicht noch am Ersten zu empfehlen und kénnte _ Vielfachen Nutzen haben. Einmal tibt es den jugendlichen Geist nicht wenig, wenn er gendéthigt wird, sich in einen fremden Gedankengang zu versetzen, die Ideen eines Andern in sich aufzunehmen, zu reproduciren und weiter zu entwickeln. Der kritische Blick wird gescharft und zugleich lernt doch der Schiler Massigung und Zuriickhaltung in seinen Urtheilen, indem er sieht, wie die gréssten Wahrheiten nur ganz allmablig, durch die unablassigen Bestrebungen einer langen Reihenfolge ausge- zeichneter Denker, entwickelt und zam Bewusstsein der Mensch- heit gebracht werden sind; er gewéhnt sich, jede Meinung zu prifen, bevor er sie annimmt, und wird gegen Tauschungen, gegen Scheingriinde und Scheinwissen vorsichtiger; er gibt sich weniger schnell an ein einzelnes System gefangen, sondern sucht sich durch Vergleichung der verschiedenen Systeme mit einander , auf einen freiern Standpunkt zu erheben; ja er kann sogar, durch die Einsicht, welche er gewinnt, dass die meisten Philosophen darum irrten, weil sie zu sehr fiir die Schule und zu wenig fiir’s Leben philosophirten, zu einer sorgfaltigen Priifung der philosophischen Resultate nach ihrem Nutzen fiir’s Leben, nach ihrem Einfluss auf die Sitten und das Verhalten der Men- “schen, hingeleitet werden. Die Anleitung zu einer solchen ge- schichtlichen Kenniniss der Philosophie, durch einen Lehrer, hat aber vor dem Selbststudium und sogar vor dem akademischen Vortrag dariiber insofern manchen Vortheil, als die Schwierig- keit eines richtigen Verstindnisses der philosophischen Systeme und einer vorurtheilslosen Kritik ihrer Resultate eine stets gegen-

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wartige Unterstiitzung und Belehrung, durch Frage und Wechsel- rede, wiinschenswerth macht. Leider aber stellt. sich neben “diesen Vortheil eine Schwierigkeit und ein Bedenken, wodureb derselbe in den meisten Fallen ganzlich aufgehoben, haufig soga in einen offenbaren Nachtheil umgekehrt wird. Es ist diess die Schwierigkeit, Lehrer zu finden, welche- diese Leitung philo- sophiegeschichtlicher Studien bei ihren Schiilern auf die rechte und zweckmassige Weise zu fithren verstanden; es ist die Ge fahr, welche aus einer falschen Leitung gerade bei diesem Lehr. gegenstande unabwendbar entspringt. Der philosophische Unter richt auf den Gymnasien ist in der Regel entweder Philologen oder Theologen anvertraut; von beiden aber ist ein so tiefes und unbefangenes Eindringen in den Geist der philosophischer Systeme, wie es fur. den obigen Zweck erfordert wiirde, nich wobl zu verlangen. Ein wahrhaft’ philosophisch gebildeter une zur Leitung des philosophischen Unterrichts in jeder Hinsich geeigneter Gymnasiallehrer ist immer ein sehr seltenes Glick Ist aber auch ein solcher gewonnen, so ist es wieder ebense selten, dass er sich, bei seinem Lehrerberufe, die ganze Frei heit, Unbefangenheit und Strebsamkeit erhalte, welche zu ‘eine! richtigen Auffassung und Behandlung philosophischer Gegenstand« so unentbehrlich ist. Die Vereinzelung, das Beschranktsein au Biicherstudium, selbst das Verhiltniss des Lebrers zu seines Schiilern, denen er als einzige und héchste Autoritaét in Sachez des Denkens gegeniibersteht, diess Alles iibt einen Einflus: auf die geistige Richtung des Lehrers aus, welchem nur Wenigs widerstehen; er wird einseitig, fiir gewisse Ansichten eiugenom men, gegen andere absprechend und unduldsam. Bei dem theo logisch gebildeten Lehrer kommt hierzu die sehr natiirliche Riick sicht auf seine Hauptwissenschaft; bei dem Philologen eine Vorliebe fiir diejenigen Ideen und Systeme, welche in dem classisches Boden des Alterthums wurzeln, eine Gleichgiiltigkeit, wo nich gar Abneigung gegen die neueren Schulen. Diese Betrachtung begriindet_ein gewichtiges Bedenken, wie gegen den philosophi: -schen Unterricht auf Gymnasien tiberhaupt, so ganz besonders gegen den Unterricht in der Geschichte der Philosophie. Dens so wohithatig auf die Entwickelung philosophischer Ideen in dex jugendlichen Geiste durch eine unbefangene, griindliche unc klare Darstellung und Kritik geschichtlicher Systeme gewirk werden kann, so verderblich ist auch andererseits der Einfluse

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exper oberflachlichen, beschrankten, absprechenden und schiefen Belnandlung dieses Gegenstandes. Der jugendliche Geist hat eirsen grossen Hang zum Absprechen, zum Verspotten oder doch Ge ringachten Dessen, was ausserhalb seines gewohnten Bildungs- kreises liegt, und wenn man weiss, wie gern besonders der Gymnasiast sich fiber Das erhebt, was nicht auf dem Boden seimer philologischen Studien steht oder was durch die Meinung des Lehrers verdammt wird; wie gern und wie ‘leichtsinnig er seinen Witz an den Lehrgegenstanden tibt; wenn man dazu bedenkt, wie leicht es ist, gerade philosophische Ansichten,

durch eine oberflachliche -oder absichtlich verdrehte Darstellung,

in's Licherliche zu ziehen, so wird man wohl Anstand nebmen,

der Schule das so delicate Geschaft der Einfahrung der Jugend

in die philosophischen Wissenschaften anzuvertrauen. Zwar ist

auch auf der Universitat der Unterricht, namentlich in der Ge-

schichte der Philosophie, oftmals nicht minder unvollstandig;

allein hier, wo der Student sich an mehrere Lehrer gewiesen

findet, wo iiberhaupt die freiere Form des Studiums dié Priifung

des Gehérten erleichtert, ist die Gefahr einer solchen Einseitig- keit mindestens um Etwas_ geringer.

Diess ungefabr sind meine praktischen Bedenken gegen den

von den Herren Niese und Deinhardt empfohlenen philosophischen

_ Unterricht auf Gymnasien. Was die von dem Herrn Professor

Niese jener Anempfeblung zu Grunde gelegte Behauptung betrifft, dass das Gymnasium unbedingt die Verpflichtung habe, seine Schiller fir die Wissenschafl der Philosophie vorzubereiten, weil diese iiberbaupt das letzte Ziel aller Wissenschaft sei, also, all gemeiner gefasst, den Werth der Philosophie fir die wissen- schaftliche Ausbildung des Menschen, so ist diess eine so tief-

Cimgreifende und schwierige Frage, dass dieselbe, wie schon

bemerkt, einer besondern Betrachtung billig vorbehalten blei- ben: mag. .

s

ZWEITE SECTION. Beurthellungen und Anzeigen.

A. Schriften zur Pidagogik, Didaktik und Culturpolitik, zur Psychologie und zur Geschichte des Bewusstscins.

Geschiehte der Pidagogik vom Wiederaufblihen der classischen Studien bis auf uusre Zeit, von Karl von Raumer. F Theil. Stuttg., Verlag von - Sam. Gottl. Liesching. 1843. -

Selten noch ist dem Ref. seine Aufgabe 80 éngenehm ¢¢-

worden, wie bei der vorliegenden Schrift. Denn die Erwartung, . mit der er dieselbe schon in die Hand genommen, ist durch die

Lectiire selbst nicht nur erfillt, sondern zum Theil noch fber-

boten worden, und er will desswegen bios versuchen, den Eindruck,

den sie nicht blos bei fliichtiger Ansicht, sondern bei sorgfaltiger Durchlesung auf ihn gemacht hat, getreu wieder zu geben, um auch das pddag. Publicum dadurch zu naherer Bekanntschaft mit

ees aT |

einem, Werke einzuladen, das als eine wahbre Bereicherung ¢ der .

pidag. Litteratur betrachtet werden darf,

Ueber die Wichtigkeit solcher historischen Arbeiten im Ge- biete der Padagogik erst noch zu sprechen, ware fiberflissig. Die Erziehungswissenschaft wurzelt auf dem Boden der Erfahrung, ohne diese schwebt alle Theorie in der Luft, und je mehr, nach einem Stillstande von einigen Jahrzehnden, gerade io der neusten Zeit wieder fiir eine tiefere philosophische Erfassung und Begrin-

dung der Padagogik als - Wissenschaft Schritte gethan worden

sind, desto wichtiger wird es, dass dieser auch durch fortgesetste Forschungen und neue Ausbeute aus den reichen Fundgruben der Geschichte ihr natiirliches Fundament immer tiefer und breiter -gelegt werde. Es erscheint diess um.so nothwendiger, als die

vielfach verdienstliche Arbeit des ehrwiirdigen Schwarz wohl die

Bahn gebrochen hatte, aber noch gar viel zu, thun tibrig liess. Denn nach diesem ersten Versuche musste nun erst eine Bear- beitung aus weit umfassenderem Quellenstudium hervorgehen, die aber zugleich yon einer selbstandigen, geistig gestaltenden Kraft beherrscht und gewaltigt wurde, so dass das Original so viel als

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miglich in seiner ganzen Urspriinglichkeit und Frische aus dem Bilde hervortrat. Der Bearbeiter musste den Mannern, die er schildern wollte, an geistiger und sittlicher Kraft méglichst eben- biirtig seyn; denn wer Geschehenes wiirdig schildern will, muss bekanntlich mit dem Darzustellentlen eine gewisse innere Verwahat- echaft haben. So begann denn vor einem Jahrzehend Cramer die Hand ans Werk zu legen, und mit grosser und umfassender Kenntaiss der Quellen und wissenschaftlicher Auffassung eine neue Arbeit su gestalten, so dass seine Geschichte der Pidagogik su- ' gleich den interessantep Charakter einer wahren Culturgeschichte gewanp. In welchem Verhiltniss nun steht aber unsere Schrift zu der Cramer’schen? Hier kénnen wir nur bedauern, dass der Hr... Verf. sich nicht selbst dariiber geaiussert hat, und miissen es gleich zam Voraus cinigermassen als Tadel aussprechen, dass er seine Leser nicht selbst auf den rechten Standpunkt stellen wollte. Sie kénnen diess freilich einigermassen schon aus. der nur dusseren Vergleichung beider Schriften. Erwagen wir nam- lich, dass der Umfang des ganzen Werkes, das Cramer begonnen hat, eben um des miihseligen und umfassenden Quellenstudiums willen, das dasselbe erfordert, fiir die Kraft eines einzigen Men- schenlebens beinahe zu gross ist, und erinnert man sich daran, dass die Cramersche Arbeit bis jetzt auch wirklich so langsam fortgeschritten ist, dass diese Ansicht nur bestatigt werden kann, - go sollte man fast glauben, dass beide Manner sich gewissermassen in die Arbeit hatten theilen wollen. Denn Hr. v. Raumer beginnt an einem Punkte, bei welchem Hr. Dr. Cramer noch lange nicht ankommen wird, und so kann es denn vom piadag. Publicum nur mit Dank anerkannt werden, wenn zwei Maoner, welche wenn auch jeder mit individueller Selbstindigkeit doch beide so viel Beruf zu dieser Arbeit haben, wenn diese sich in das grosse Feld

gewissermassen theilen, und man so doch eher die Wabrschein- .

‘fichkeit hat, in nicht zu entfernter Zeit ein Ganzes zu bekommen.

Betrachten wir nun unsre Schrift selbst genauer, so empfiehlt sie sich, ehe wir noch auf das Einzelne eingehen, dem Leser sogleich durch eine Eigenschaft, welche bei jeder tichtigen Per- sénlichkeit sich ,bald fihlbar macht und Achtung erwirbt, wir meinen das Geprige von Selbstaindigkeit und Charakter, das aus dem ganzen Ton und Geiste derselben uns entgegentritt. Man bat einen originellen, selbsténdigen und iiber das, was er will, klaren und bestimmten Charakter vor sich. Ob aber dadurch die

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bei einem Geschichtschreiber so wichtige Objectivitét der Be- bandlung ‘nicht verloren geht? Hr. v. R. bertihrt dieses Be- denken selbst in der Vorrede; ,Man verlangt, sagt er, vom Geschichtschreiber eine objective Darstellung, insbesondere eine Darstellung frei von Liebe und Hass. Aber frei von Liebe und Hass bin ich nicht und will es nicht sein, ich will nach bestem Wissen und Gewissen das Bése hassen und dem Guten anhangen, auch Sauer nicht siiss, noch Siiss sauer nennen,“ womit unbedenklich jeder ernste Leser einstimmen wird. Sodann aber bemerkt er noch weiter: ,es wird auch wohl zur Objectivitat gefordert, dass der Historiker nie persénlich hervortrete, nie seine Meinung iiber die mitgetheilten Thatsachen dussere. Auch einer solchen Objectivitét kann ich mich nicht riihmen, ich trete hin und wieder offen mit Urtheilen vor. Unid sollte nicht die Objectivitét der Geschichte gerade durch ein freies, persénliches Dazwischenreden des Historikers mehr gewinnen, als wenn er méglichst hinter den Thatsachen und ihrer Erzaéhlung Versteck spielt?“ Gewiss, und man-darf eine solche Objectivitét geradezus ein Unding nennen. Oder sollte es irgend méglich sein, dass ein Schriftsteller sich der ihm eigenthiimlichen Anschauungs- und Auffassungsweise, tiberhaupt seiner ganzen Individualitat-so ent— ajusserte, dass dieselbe, auch wenn er sich alles Raisonnirens enthielte, nicht dennoch unwillkihrlich und mit einer gewissers innern Nothwendigkeit auch in die rein historische. Darstellung iiberginge, wie sich der Lichtstrahl bricht, sobald er durch eim Medium hindurchgeht? Vielmehr -je selbstindiger diese Eigen- thiimlichkeit ist, desto bestimmter wird sie sich ausprigen; und eben damit ist der Wahrheit am meisten gedient. Denn je wabrer und unverhiillter die~ Porsénlichkeit des Darstellenden vor uns hintritt, desto leichter wird es, durch sie hindurch die Thatsachen selbst, so weit diess iiberhaupt méglich ist, in ibrer nackten Objectivitit zu erkennen. Uebrigens hat unser Verf. in nicht gemeinem Grade die Gabe, seinen Stoff wirklich objectiv zu halten und meistens Thatsachen reden zu lassen; wo er aber Urtheile giebt, eben so selbstindig in eigener Person aufzutreten, als er die Persénlichkeit der geschilderten Magner zu zeichnen versteht. Dass aber, und davon sind wir oben ausgegangen, das Auftreten einer solchen kraftigen Mannlichkeit, eines Charakters, etwas Ansprechendes und Kriltigendes hat, bedarf keiner Eror- lerung; auch verfchlt sie in der Litteratur ihre Wirkung 80 wenig,

—-—— = Pane Sa -

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als: im Leben, und einer solchen Persénlichkeit begegnen wir in unserer Schrift, und fiihlen uns deswegen auch gleich mit all der Frische und Lebendigkeit angesprochen, welche bei einem | soleben Charakter natirlich ist.

Als leitendes formelles Princip stellt der Verf. den ebenso wahren als interessanten Satz voran: ,Das Bildungs-~ .ideal eines Volkes bestimmt Ziel und Wege des Unter- tic hts.“ So einfach diese Wahrheit ist, und so nahe sie zu liegen scheint, so tiberraschend ist doch das Licht, das sie auf manche Erscheinungen der Culturgeschichte, iiberhaupt tiber den ganzen Entwicklungsgang der Menschheit verbreitet. Jedenfalls ist sie. in demjenigen Abschnitte der Erziehungsgeschichte sehr gliicklich durchgefiihrt, den eben die vorliegende Abtheilung behandelt. Altein es springt in die Augen, wie sich ihre Richtigkeit auch bei jeder andern Wendung der geistigen Richtung bewahbrheiten muss. Freilich stehen dieses Bildungsideal und die dadurch be- stimmten. Bildungsmittel in steter Wechselbeziehung, und das erste bestimmt nicht nur die letztern, sondern diese wirken auch ‘mmer wieder.einigermassen auf jenes zuriick, Doch aber hangt é8 allerdings noch weit mehr von andern und bedeutendern Fac- loren ab, und man darf wohl sagen, dass eben das Bildunge- . ideal, das in einer Zeit hervortritt, einen sehr richtigen Maassstab fir die tiefere oder oberflachlichere, fiir die ideale oder materielle Erfassung ihrer Interessen, iiberhaupt alles geistigen Lebens abgebe.

Neben diesem formalen Princip herrscht aber durch das fanze Werk hindurch noch ein zweites, materiales, und zwar mit grosser Entschiedenheit, und diess betrachten wir, wie als Bedingung, so’ zugleich als wesentlichen Vorzug dieses Werkes; 8 ist das Evangelium, das den Mittelpunkt der ganzen Padagogik des Verfassers und somit. auch ihrer Geschichte bildet. Nicht aber, als ob er diess etwa an die Spitze gestellt und sich weit- liufig dartiber ausgesprochen hatte; es erscheint bjoss als der natirliche Ausdruck seiner Gesinnung, als die Bedingung seiner ~ Lebensanschauung, und somit auch als der nothwendige Massstab ~ seines Urtheils; es ist die Atmosphire, in welcher der Verf. und somit auch sein Werk sich bewegt. Und so muss es auch sein, wenn das Christenthum Leben erzeugend und neu gestaltend wirken will. Aber eben diese Entschiedenheit des Glaubens, ‘diese offene Freudigkeit des Bekenntnisses, diese daraus hervor- gehende Klarheit und Einheit des Bewusstseins, wie sie durch

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das ganze Werk hin sich aussprechen, haben etwas, ungel - Wohlthuendes, und tragen vorzugsweise dazu bei, der Sc den Charakter der Einheit und Entschiedenheit zu geben, sich unwillkirlich Achtung’ und Zustimmung gewinnt.. Noch. interessanter wird dieser Grundtypus ohne’ Zweifel in dem le! Theile, dem praktischen, hervortreten, der, Allem nach schliessen, constructiv sein und die Grundziige der Erziebu wissenschaft enthalten wird. Eine solche Erziehungslehre a die nicht blos im Allgemeinen auf christlichem Standpunkte s! sondern vom christlichen Geiste durchdrungen und lebendig macht ist, und in’ welcher das Wort vom Kreuze als die ( sende, neugestaltende und seligmachende Gotteskraft ersch diese haben wir erst noch zu erwarten.

_Gehen wir nun auf die Einrichtung des Werkes @ so hat diese fiir den ersten Anblick etwas Befremdendes. I wabrend man eine fortlaufende Geschichte der Padagogik erwa die schon durch ihre aussere Construction sich als ein Gai ankiindigte, zerfallt sie vielmehr in dieser Hinsicht in eine R einzelner grésstentheils biographischer Darstellungen; wah der Leser auf ein. grosses historisches Gemalde sich ge macht, in welchem er den Gang des Ganzen im bequemen ‘sammenhange iiberblicken und verfolgen kénne, findet er Gallerie von einzelnen Bildern. Ref. gesteht, dass er diese ordnung anfangs nicht ohne einiges Misstrauen betrachtet muss aber auch hinzusetzen, dass er, je mehr er sich in Schrift hineinlas, desto mehr diesen Mangel, wie er ihm anf ,erschien, vergass, desto mebr angesprochen wurde, .und ihn fir keinen Mangel mehr erkannte. Der Hr. Verf. sagt in Vorrede dariiber: ,,In ausgezeichneten Mannern tritt das Bilda ideal ihrer Zeit wie personifizirt auf, sie iiben daher den grda Einfluss auf die Padagogik, selbst wenn sie nicht Padagogen | Diese Betrachtung bestimmte mich in dieser Geschichte vors weise Charakteristiken ausgezeichneter Padagogen zu _ ge welche bei ihren Zeitgenossen im grdssten geistigen Ans standen, und deren Beispiel Vielen vorleuchtete.“ Ihre Sch rung wird immer aus den Quellen unmittelbar entlehnt; es die eigenen Aosichten,: Grundsatze, Ausspriiche der Man welche wir hier finden, und da diese immer mit feinem, ‘richt Takte gewahlt und zu einem Ganzen verbunden sind, so man wohl sagen, es ist der Mann selbst, welcher so vor

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hintritt. Auf diese Art gewinnt die Schrift, wie wir oben be- merkt haben, ganz besonders den Charakter der Objectivitit,

- -yund wenn dabei auch dem Leser mancbe Reflexion déberlassen

bleibt, so bekommt das Bild, das er so erhalt, doch daftr mehr Anschaulichkeit und Lebendigkeit. In dieser Art der Auswahl und Behandlung des reichen Stoffes erscheint gewiss ‘mehr historische Kunst als in Betrachtungen dariiber. Was der Verf. selbst dazu gibt, zeichnet sich durch treffende und gedankenreiche Kiirze aus, es sind wenige aber kraftige Pin- selstriche, die mit sicherer Hand das Bedeutsame hervorheben und in das rechte Licht stellen. Besonders gliicklich ist er in Schilderung tiichtiger Charaktere, wie eines Trotzendorf, Sturm u. A. m. Dass er bei seinen Darstellungen nicht auf der Ober- fliche stehen bleibt, lasst sich von selbst erwarten. Man ver- gleiche z. B. die Chargkteristik von Erasmus, welche Hr. v. R. gibt, mit der von Schwarz, wie sicher unser Verf. die tiefere Eigenthiimlichkeit des Mannes erkennt und hervorhebt, wie ent- schieden und markig er ihn zeichnet, wie scharf er den wohl- thittigen, aber auch den nachtheiligen Einfluss dieses beriihmten, aber leider auch zweideutigen Gelehrten auf die Geistesrichtung seiner bewegten“Zeit nachweist. Damit konnten nun aber die einzelnen Gemilde immerhin jedes fir sich eine gewisse Vollendung haben, und dennoch nour Bruchstiicke bleiben, kein Ganzes bilden. Es ist dem aber nicht also. Nicht nur sind sie durch den leitenden Grundgedanken verbunden, sie reihen sich auch an einander an, wie wohl behauene Bausteine zu einem ‘schénen Bauwerke sich zusammenfiigen, so dass man dentioch fihlt, man hat ein organisch verbundenes Ganze vor sich.

Wir haben oben gesagt, dass die Darstellung unmittelbar aus den Quellen geschépft sei. Dieses umfassende und griind- lidhe Quellenstudium miissen wir nun als einen weiterer und hochanzuschlagenden Vorzug der Schrift hervorheben. Nicht jeder Historiker ist bekanntlich so gewissenhaft, und man hat schon sonst beriihmten Namen den Vorwurf gemacht, dass sie zu viel blos abgeleitete Hiilfsmittel benutzt haben. Es mag: frei- lich sehr verfahrerisch sein, in einem an sich so miihsamen und nicht selten auch unerquicklichen Geschafte, wie ein griindliches Quellenstudium ist, Andere far sich arbeiten zu lassen, und dann die Frachte dieser Arbeit zu beniitzen. Und doch ist es uner- lassliche Bedingung einer richtigen Auffassung und einer getreuen .

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Darstellung, doppelt unerlasslich auf einem Gebiete wie das vor- liegende, auf welchem verhaltnissmassig noch so viel zu thun ibrig ist. Wenn -von dem einzigen Melanchthon sieben Quartanten “nur Briefwechsel zu durchlesen sind, so méchte freilich der Muth Manchem zum Voraus entsinken. Hr. vy. R. verdient daher um so mehr unsern Dank, dass er sich diese miihselige Aufgabe gesteckt und sie so gewissenhaft gelést hat. Dass er.es aber wirklich gethan, ergibt sich keineswegs blos aus der Versicherung_ in der. Vorrede,. oder aus der unmittelbaren Angabe dieser Quellen, im Verlaufe des Werkes, oder endlich blos aus demjenigen Ein~ gehen in so manches Detail, welches eine genauere Bekanntschaft mit demselben voraussetzt, sondern eben so sehr auch aus dem © Gesammteindrucke, den die ganze Darstellung macht, und aus welcher die genaue und griindliche Kenntniss des Gegenstandes durch die Fretheit, Klarheit und Sicherheit, die in jedem Urtheile - so wie in der anzen Bewegung herrscht, dem Leser recht lebendig entgegen tritt. Man sieht wohl, dass ihm bei seinen Gemilden grosser Manner die Originale immer selbst gesessen, ; dass er sich in ihre Eigenthiimlichkeit recht hineingelebt hatte. Je. bedeutender eine Persénlichkeit ist, desto tiefer fiihrt er seine . Leser in die Quellen ein, aus denen er geschépft hat. So istes denn auch méglich, nicht nar dass er uns Wahrheit gibt, sondera - auch, dass er.sie uns ganz gibt, und gar viele Liicken erganst, die uns bei Schwarz empfindlich auffallen. Wir verweisen- die Leser z. B. auf Luther, bei welchem mit eben so viel Geist als feinem Takte eine wabre Quintessenz dessen zusammengestellt wird, was der grosse Mann in seinen Schriften so vielfach- theils unmittelbar, theils mittelbar iiber Erziehung und Unterricht aut gesprochen und gethan hat. Wir verweisen nochmals auf den - schon oben citirten Erasmus, eben so auf Baco und andere Manner, die. eben so vollstindig als treffend charakterisirt sind. In Be- ziehung auf materielle Volistandigkeit aber diirfen wir uns z. B. auf das berufen, was iiber den Unterricht in Arithmetik uad Geometrie, in Geographie und Astronomie im 16. Jahrhundert gesagt wird, iber was wir bis jetzt beinahe nichts wissen, und was doch zur Charakterisirung jener Zeit wichtig genug ist. Die Beniitzung der Quellen geht allerdings einige mal so weit, dass der Leser sich unwillkirlich fragt, ob bier nicht am Ende doch zu viel gegeben sei. So z. B. bei den Citaten in der Schilde- yung Sturms. Wollte man uns freilich aus der griechischen und

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rémischen Welt solche Urkunden in extenso vorlegen, so miissten wir sie fur iiberfliissig erkliren, weil hier Jedem die Quellen selbst nach Belieben zu Gebote stehen. Ein ganz anderes ist es mit den Zeiten Sturms, Trotzendorfs und ihrer Zeitgenossen, welche fiir die meisten Pidagogen nahezu eine terra incognita, und deren Quellen beinahe unzuginglich sind. Und doch ist eben diese Periode nicht blos fiir den Padagogen, sondern auch fir die ganze Fortentwicklung der Culturgeschichte von grosser Bedeutung. Wenn uns nun Hr. y. Raumer eben durch ausfihr- - liche Citate gewissermassen in diese Quellen selbst einfiihrt, so miissen. wir es ihm am Ende doch danken, zumal da diese Mit- theilungen, wie wir schon oben bemerkt haben, so treffend ge- wahlit, so passend zu einem Ganzen zusammengestellt sind, dass sie uns wirklich ein recht anschauliches und belehrendes Bild der damaligen Schulzustinde geben. Er dussert sich selbst. auch in der Vorrede dariiber: ,,.Eine aus den Quellen geschépfte, genaue Darstellung dieses Normalrectors (Sturm’s) gewabrt meines Er- achtens viel mehr Anschaulichkeit und Belehrung, als wenn ich mich in ein zerstiickeltes Charakterisiren vieler mittelmiassiger, nach Sturm’s Vorgang eingerichteter Schulen verloren hatte.“

Wenn er dagegen tiber Melanchthon’s Scliulbiicher, nament- lich seine Grammatiken, welche allerdings lange Zeit eine bedeu- tende Rolle im gelehrten Schulwesen gespielt, und dadurch eine historische Bedeutung gewonnen haben, iiber die verschiedenen Ausgaben derselben u. s. w. ebenfalls so viel Detail gibt, so ist er nach dem Gefiih! des Ref. darin doch zu weit gegangen. Es ist diess wohl fir die specielle Litterargeschichte yon Interesse, und mag einzelnen Lesern zu besonderem Danke sein, zumal da iiber solche Fragen die Quellen gewoéhbnlich ganz fehlen, und pur bei den um wichtigerer Zwecke willen unternommenen For- schungen sich manchmal als gelegentliche Zugabe ergeben, was Hro. y. R. auch zur Mittheilung solcher Funde bestimmt haben ‘mag; fiir die Aufgabe dieser Schrift aber scheint es uns doch zu speciell zu sein, wenn gleich die dabei ausgesprochene Be- merkung: ,,wie interessant und belehrend eine Geschichte der Grammatiken von Donat bis Zumpt tnd Schulz sein miisste,“ _einigermassen damit aussibot.

Wir haben eine Geschichte der ,Pidagogik* vor unos. In Beziehung auf diesen Titel hat sich dem Ref. eine grosse Bedenk- lichkeit aufgedrangt, die er sich nicht zu beantworten vermochte,

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Wenn das Bildungsideal einer Zeit, sofern eben dadurch auch die Bildungsmittel, soferne Ziel und Weg derselben bestimmnit werden, als leitende Idee das Ganze beherrscht, so geht schon aus: diesem Prinzip hervor, dass es vorzugsweise Unterricht. uad Schule sind, deren Entwicklung und Gestaltung verfolgt wird. Nun macht allerdings die Cultur des Geistes nicht nur an sich einen Haupttheil der Erziehung dberhaupt aus, sondern sie steht auch mit der gemiithlichen und religiésen Bildung des Menschen in einer so engen Wechselbeziehung, dass die Darstellung des Unterrichtswesens bis auf einen gewissen Grad immer auch die Geschichte der Erziehung im engern Sinne enthalt. Allein diese | letztere hat doch auch ibr eigenes Gebiet. Die Bildung des Gemiithes, namentlich soferne dasselbe durch -die Kraft des Chri- stenthums in seinen tiefsten Wurzeln erfasst werden muss, und so die Erziehung fiir das Reich Gottes, erst bedingt wird, steht der Ausbildung des Geistes nicht nur gleich, sondern, wenn beide einmal auseinander gehalten werden sollen, noch weit hdher. Sie darf deswegen in einer Geschichte der Padagogik nicht blos in die Darstellung des Unterrichtswesens eingeflochten werden. sondern yerlangt auch eine eigene Beriicksichtigung, um so mehr als das Gebiet der hauslichen Erziehung, von welcher die Sffent- liche, wie sie sich theils in Gesetzen, theils wenigstens in Sitte und Gewohnheit kund gibt, wieder nur einen Reflex bildet, das- Jenige ist, in welchem dieser Factor am meisten vorherrscht, und welches doch von der Schule leider meist nur zu sehr getrenst bleibt. Eben dahin gehort ferner das wichtige Capitel von der physischen Erziehung, dahin endlich beinahe die ganze Erziehung des weiblichen Geschlechts. Darauf aber eben lasst sich unsre Schrift nicht direct ein, ausser soferne, wie wir schon bemerkt haben, die dahin einschlagenden Fragen in der Darstellung des Unterrichtswesens und namentlich in der allerdings charakteri- stischen und lebendigen Schilderung der bedeutendsten Schul- ‘manner sich gewissermassen von selbst beantworten, oder wenn Ueberblicke gegeben werden. Ref. kann es also nicht anders denn als -eine nicht gleichgiiltige Liicke in diesem wichtigen Ge- biete betrachten.. Dass aber ein Mann, wie Hr. v. R. eine solehe Liicke nicht blos wie zufallig gelassen, sondern seine guten Griinde dazu gehabt haben mag, wollen und miissen wir vor- aussetzen. Allein der Leser musste wiinschen und diirfte deswegen auch erwarten, dass der Hr. Verf. diesen ihm so nothwendig sich

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aufdringenden Scrupel irgendwie beantworten wirde, und Ref. muss die Unterlassung einer solchen Rechenschaft als einen Mangel ‘bezeichnen, dessen Beseitigung in einem spitern Hefte der Hr. Verf. gewiss nicht im Anstande lassen wird.

* Zum Schlusse geben wir noch eine Uebersicht des In- haltes, mit einzelnen Bemerkungen, wie sie sich uns bei sorgfaltiger Durchlesung der Schrift da und dort ergeben haben.

Als Einleitung erdffnet das Werk ein Rickblick auf das Mittelalter, das in seiner grossartigen Eigenthiimlichkeit kurz aber wabr und gerecht charakterisirt wird. Da nun aber yom 14, Jahrhundert an der allen (germanischen wie romanischen) Vélkern des Mittelalters gemeinsame européische Charakter mehr zuriicktritt, die Volksthiimlichkeit der einzelnen Vélker sich mehr ausbildet, und die Bildung des Mittelalters einer neuen, der classischen, allmalig Platz macht, hier aber die Ita- liener zuerst Bahn brechen, und von ihnen’ aus diese neue Richtung erst auf die Deutschen u. s. w. iibergeht, so gibt der Verf. wegen dieses grossen, wenn gleich mittelbaren Einflusses der Italiener auf deutsche Erziehung einen Ueberblick der geistigen . Entwicklung Italiens vom 14—16. Jahrhundert, und kniipft diesen’ suerst an die drei hervorragenden Gestalten Dante’s, Boc- caccios und Petrarca’s, tiber ‘welche dann noch ein interes- santer vergleichender Riickblick gegeben wird. Nach diesen schildert er in einem zweiten Abschnitte die Entwicklung der classischen Bildung in Italien vom Tode des Petrarca . und Boccaccio bis auf Leo X., abermals reprisentirt durch die Stimmfiibrer jener Zeit: Johannes von Ravenna und Emanuel Chrysoloras, Guarino und Vittorino von Feltre, Philelphus, Pog- gius und Laurentius Valla, Lorenzo von Medici, Ficinus, Politianus und den merkwiirdigen Picus von Mirandola. Ein weiterer Ab- schnitt umfasst Leo X. selbst und. seine Zeit, nach welchem noch- ‘mals ein Riickblick auf Italien genommen und dann der Ueber- gang zu Deutschland gemacht wird, das der Verf. von nun an, wie er-es auch in der Vorrede bemerkt, vorzugsweise ins Auge fusst, eine Beschrinkung, die sich wohl von selbst recht- fertigt. Schon in dieser Einleitung (sie umfasst 60 Seiten) tritt das Eigenthiimliche der -ganzen Arbeit entschieden hervor: die Gabe, Persénlichkeiten gliicklich aufzufassen und sie durch oft scheinbar unbedeutende Ziige zu charakterisiren, das treffende Urtheil und der Ernst der Gesinnung, namentlich auch die

Padag. Revue. 1842. b, Bd. V.- 26

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christliche Anschauung aller Verbiltnisse. Neben dieser Beob- achtung aber kann Ref. noch eine andere, wenn gleich, wie es scheinen kénnte, ausser der Sache liegende, nicht unterdrécken, die sich ihm gelegentlich aufgedrangt hat. Es ist neuerdings mit einer Art von Berechtigung der Satz ausgesprochen worden, Philologen seien geborne Rationalisten, so dass der Unglaube ge- - geniiber von den positiven Wahbrheiten des Christenthums gleichsam als freiwillig und nothwendig aus den classischen Studien hervor- gehend dargestellt wird. Die Geschichte in der vorliegenden Periode unserer Schrift bewegt sich nun in einer Zeit, in welcher auf der einen Seite die classischen Studien mit einem Durste ergriffen. mit einer so frischen reinen Begeisterung betrieben wurden, wie. seitdem wohl nie mehr, auf der andern aber die sinnliche Le-~ benslust des Siidens aiberhaupt, und noch mehr die schamlose Sit-

tenlosigkeit der Geistlichen so viel Entschuldigung, ja beinahe

Berechtigung geboten hatte; und dennoch lernen wir mitten in diesem Stande der Dinge in Italien mehrere gerade der berihn-

testen Philologen und Freunde und Génner dieser Studien kennen,

welche sich durch die ungeheucheltste Frémmigkeit und den ent-

schiedensten Glauben an das geoffenbarte Wort Gottes auszeichnen.

Bei den Deutschen findet diess ohnediess in einem noch gan - : _ anderen und erhéhteren Masstabe statt. Schon der fir ‘die rémischen Classiker so begeisterte Petrarca sagt: ,Lasst uns vor AllemChristen sein! Nur auf das Evangelium kann der menseb- liche Fleiss sicher bauen.“ Guarino und Vittorino von Feltre, zwei Philologen, die sich zugleich als Lehrer und Erzieher aus- zeichneten, und mit classischer Gelebrsamkeit eine ungeheuchelte . Frémmigkeit verbanden, liessen ihre Schiller zum Schutz gegen die gefabrlichen Stellen der Classiker, die tibrigens wo médglich tibergangen wurden, die Bibel eifrig lesen. Der talentvolle, uni- verselle Picus von Mirandola, den seine Zeitgenossen als ein _ ‘Wunder der Natur anstaunten, und der ein ausserordentlich schéner junger Mann schon im 32. Jahre starb, sagte von der heiligen Schrift, ihre Worte schaffen den ganzen Menschen mit wunderbarer Kraft um, und bewahrte auch diesen Ausspruch an sich, indem er die letzten acht Jabre seines Lebens sich ent- schieden vom Irdischen ab dem Himmlischen zuwandte. Der grosse Lorenzo von Medici, sein Freund, war ihm atch hieria Shnlich.“ Der Brief des Politianus, in welchem er Lorenzo’s Ende beschreibt, heisst es p. 52, muss jeden Leser ergreifen. ‘Es ist

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als wenn ‘sich in den letzten Stunden des grossen Mannes die Schinheit und Kraft classischer Bildung auf wunderbare Weise mit der tiefsten Demuth und Reue eines innigen christlichen Gemiithes verschmolzen hitten.“

' To dem ,,Rickblicke auf Italien“ wird die bis dahin darge- stellte Periode ungefahr so charakterisirt: ,,Die mittelalterliche Bildung , besonders die Scholastik, wird allmahlig von der clas- sischen verdringt. Eine leidenschaftliche Liebe ergreift die Italiener zu den. alten rémischen Autoren, in denen sie ihre Vor- fahren sehen; das Verstandniss der griechischen Classiker geht ihnen durch griechische Lehrer auf. Durch Plato steigert sich, wie ihr Enthusiasmus fir das Schéne, so ihr Widerwille gegen die bissliche Form der Scholastik. Durch die Bekanntschaft mit dem Aristoteles im Original jedoch sehen sie, dass er von dem Aristoteles der Scholastiker ganz verschieden ist. Nur wenige Philologen erkennen die Tiefe und die ernste Wabrheitsliebe der bedeutendsten Scholastiker. Die Schénheit der classischen Form iiberwiegt, und macht sie oft zu inhaltlosen Nachahmern. Heidnische Gesinnung, heidnisches Leben und heidnische Schriften _ charakterisiren viele italienische Gelehrte, oft seltsam, mit kirch- lichem Glauben und frommem Enthusiasmus verbunden, vielleicht ° ohne Arg verbunden, weil die Geistlichkeit die Gewissen ein- schlafert und beruhigt. Diese Italiener waren die Muster der Deutschen, und das italienische Ideal classischer Bildung wurdé von den letztern ebenfalls ibernommen und als das achte aner- kannt. Uebrigens war das classische Studium der Deutschen von einem andern Geiste beseelt. Der Ernst christlicher Gesinnung und christlichen Lebens im deutschen Volke, seine fromme Ver- ehrung der Bibel war der Grund, dass bei ihm die classischen .- Studien einen Charakter erhielten, welcher von dem italienischer | elassischer Studien grundwesentlich verschieden war.“

Nun treten dann die. Deutschen und Niederlander auf, deren Reihe die Hieronymianer eréfinen, die Mitglieder dieser demiithigen, frommen, wohlthatigen Briderschaft, welche sich, wenn auch Anfangs nicht durch Gelehrsamkeit auszeichnen, so desto mehr fiir Volksunterricht wirken, schon damals die Bibel - in der Landessprache unter das Volk zu verbreiten suchen, und damit Anfang und Fundament. des christlichen Volks- unterrichts legen. Das erste Bruderhaus entstand 1384 im December und .am Ende des 15. Jahrhunderts zog -sich bereits

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eine Kette solcher Hauser von den Niederlanden bis Westpreussen. Das beriihmtesté Mitglied derselben ist Thomas von Kempen. Nach diesen wird die Gallerie durch Schiler der Hieronymianer. forigefiihrt: Johann Wessel, Rudolph Agrikola, Alexander Hegius, Rudolph von Lange und Hermann von dem Busch, und end- lich Erasmus. Ueber Lange fihren wir die charakteristische Stelle an: ,Im hohen Alter noch las er Luthers Thesen . und sagte: die Zeit naht heran, dass die Finsterniss aus Kirche und Schule vertrieben wird, Reinheit in die Kirche zuriickkehrt und reine Latinitat in die Schulen. Ein Wort, welches das Ideal der ernstern deutschen Gelehrten jener Zeit bezeichnet.“ Erasmus wird, wie wir schon oben bemerkten, ausfihrlich, und mit eben so grossem Ernste als unpartheiischer Wahrheitsliebe geschildert ; seine grossen Verdienste um die Belebung, Berichtigung und Befreiung

der classischen Studien von den Missidealen seiner Zeit werdes

_eben so dankbar anerkannt, als das Schwankende und Zweideutige

seines ;Charakters, und namentlich die Leichtfertigkeit und Fri-

volilat in seinen Schriften fiir die Jugend geriigt werden. ,,Der

ungliickliche Mann, schliesst die ganze Schilderung, hatte kein

- Vaterhaus, kein Vaterland, keine Kirche, er hatte nichts, wofir

er sich selbst hitte aufopfern mégen. So ward er selbstsiichtig, furchisam , zweideutig; es fehlte ihm die Liebe. Kein Wunder,

dass er mit dem aufrichtigen, tapfern Luther, diesem _treuen,

liebevollen Seelsorger seiner Deutschen, vollig zerfiel.“

Die bisher geschilderten Manner waren vorziigiich Nieder- lander und Norddeutsche; der Verf. fiihrt uns nun auch in den Siiden und hebt hier besonders drei geistige Centralpunkte her vor: die zu ihrer Zeit beriihmte Schule in dem kleinen elsassi- . schen Schlettstadt, ferner-Heidelberg und Titbingen. Die schlett- stadter Schule hob sich unter Sapidus so sehr, dass sie im | Jahr 1517 an 900 Schiiler zahlte. Von einem Schiiler des Sapidus Thomas Platter ist ein Auszug aus einer Selbstbiographie geliefert, die ein eben so lebendiges als treffendes Bild des damaligen Schullebens gibt, und uns in die schweren Mihsale, mit denen das Talent damals vielfach zu kaémpfen hatte, recht’ hineinblicken lasst. Die interessante Jugendgeschichte dieses Mahnes ist be- kanntlich auch als Jugendschrift behandelt worden. Den Schluss dieser Perjode bildet Reuchlin, und nun werden wieder in einem Riickblicke kurz und treffend die Hauptmomente her- ausgehoben und interessante Gesichtspunkte. gefasst. Die bisherige

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Zeit: bildet eine Uebergangsperiode, in welcher die Elemente alter und neuer Zeit sich zum gewaltigen Kampfe vorbereiten, der zuerst in einem Angriffe gegen die entheiligte Kirche. ‘ausbricht, aber: auch als Bildungskampf zwischen der mittelalterlichen scho- lastischen und der neuen classischen Bildung erscheint. Zur Férde- tung dieser neuen Bildung werden die Schulen metamorphosirt, aber erst durch Melanchthon erhalt man tichtige Lehrer, verstandige Lehrbiicher und eine feste Organisation der Gelehrtenschulen.

Mit Luther und der Reformation beginnt nun ein neuer Abschnitt. Mit Recht ist dem: grossen Manne ein be- deutender Raum gewidmet, da er nicht bloss die Kirche reformirt, sondern aueh die deutschen Schulen gewissermassen neu ge- griindet hat. Die Schrift gibt Ausziige aus seinen Schriften (Predigten, Bibelerklirungen, Briefen, Tischreden und unmittel- baren Abhandlungen fiber den Gegenstand), in welchen nach folgenden Rubriken die Quintessenz dessen gegeben ist, was er fiber. Erziehung und Unterricht: ausgesprochen hat: Hausregiment ‘und Kinderzucht, schlechte Kinderzucht, ménchische Kinderzucht, Aergerniss, ungerathene Kinder, erlaubter Ungehorsam, Schulen, Ermahnung, die Kinder studiren zu lassen; Préis und Schwie- rigkeit des Lehramts, Luthers Schuleinrichtung, tiber Universi- laten,. Bibelstudium, Sprachstudium, Realien, Geschichte, Dialektik und Rhetorik, Mathematik, Leibesiibungen, Musik. Dass man hier vieles Treffende, ja mitunter Késtliche findét, versteht sich von selbst; Auswahl und Zysammenstellung sind - vortrefflich. ,»Luthers Ermahnungen, heisst es zum Schlusse, gingen unzah- ligen Deutschen zu Herzen, weckten schlafende Gewissen und starkten. miide Hinde; seine Urtheile galten bei Firsten und Vélkern wie Gottes Stimme.“

Weniger als das Bisherige befriedigt Melanchthons Cha- - ‘rakteristik. Treffliche Ausziige aus seinen Schriften findet man ‘auch hier, aber die Quellen scheinen nicht itiber Alles, was man wiinscht, geniigende Auskunft zu ertheilen. Namentlich erfabrt man fiber seine Schulorganisationen, besonders die wichtigste, die der niirnberger Schule nichts Befriedigendes. Da nun gerade die' nirnberger Quellen dem Hrn. Verf. vor andern nahe lagen, so ist es um so wahrscheinlicher, dass diese ihm hier versagten. Uebrigens sind auch die Resultate seines Wirkens nicht so be- stimmt und biindig zusammengefasst, wie man es von den andern bisher geschilderten Mannern gewohnt ist. Ist es doch, als ob

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der weiche, minder scharf ausgepragte Charakter Melanchthons auch auf die Darstellung einigen Einfluss gehabt hatte.

Nach ihm treten seine beiden ausgezeichneten Schéler, der originelle Trotzendorf und Neander auf, und endlich, wie ibn Hr. v. R. in der Vorrede nennt, der beriihmte ,,Normal- rector,“ Johannes Sturm von Strassburg, dessen SO0Ojabrige Jubelfeier seine dankbare Vaterstadt erst vor vier Jahren festlich begangen hat. ,Der Mann, heisst es von ihm, war aus Einem Guss, ein ganzer Mann. -So klar er wusste, was er wollte, so klar erkannte er die Mittel zur Erreichung, so entschlossen, um- sichtig und bewundernswiirdig ausdauernd arbeitete er auf seinen Zweck hin.“ Die ausfihrliche Darstellung seiner ganzen pada- gogischen Wirksamkeit ist hochst interessant und vielfach beleh-: rend, belehrend auch in ihren Verirrungen.

Sturm richtete noch mehrere Schulen ein, und namentlich hatte er auf die Organisation des wiirtembergischen, so wie des séchsischen Schulwesene grossen Einffuss.' Was in dem tibrigen Deutschland mehr nur von einzelnen ausgezeichneten

_ Mapnern geschah, das ging in diesen beiden Staaten von der

Regierung aus, und die grosse Kirchenordnung Christophs mit ihren trefflichen Massregeln zur Begriindung und- Hebung der wiirtembergischen Schulen, die Klosterschulen mit ihrem so tief- gehenden Einflusse auf den Culturstand des ganzen Volkes u. s. w., so wie die mit der wiirtembergischen zum Theil wortlich tber-

-einstimmende Schulordnung des Churfiirsten August von Sachsen,

und die dadurch bedingte Organisation des altberiihmten sach- sischen Schulwesens sind ehrenvolle Denkmale dieser beiden Farsten. Unser Verfasser widmet desswegen diesen beiden Staaten hier besondere Abschnitte, und geht dann auf die welthistorische Erscheinung der Jesuiten iiber, welche wohl wussten, dass sie neben dem Beichtstuhle ihre Macht am sichersten durch dia Erziehung begriinden konnten. Auch hier lasst sich ein griind- liches Quellenstudium nicht verkennen, man erfahrt neben Be- kanntem auch manches Neue, und wenn auch die tiefa sittliche Gefahr, welche in ihrer erziehenden Wirksamkeit unter der gréssten dussern Sorgfalt verborgen liegt (Steigerung des Ehrgeizes durch jedes, auch das schindlichste Mittel, Beférderung der nieder- trachtigsten Angeberei u. s. w.), wenn diese auch sonst ‘schon mehr geschildert worden ist, so ist es doch ein Verdienst, die Sache auch hier wieder mit so strenger griindlicher Wahrheits-

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liebe berauszustellen, und jedenfalls ist eine andere Thatsache minder ‘bekannt, und wird Manchen iiberraschen: dass der dlteste Lehbrplan der Jesuiten vom Jahr 1588 bis auf den heutigen Tag die Grundlage ihres ganzen Unterrichtssystems geblieben ist, und dass es in dem offiziellen Lehrplane von 1832 ausdfiicklich | heisst: ,e8 handle sich nicht um neue Gestaltung, sondern um jenen namlichen alten Plan, der- unserer Zeit nur angepasst wer- den solle.*. Vergleicht man nun damit die Beschranktheit und Armseligkeit des urspriinglichen und des damit beinahe ganz conformen neuesten Planes, so erkennt man auch daraus, was unsere Zeit von dem Einflusse dieses Ordens auch in dieser Beziehung zu gewarten hat. '

Es folgt nun noch ein Abschnitt iiber die Universitaten des 16. Jahrhunderts mit manchen interessanten Aufschliissen, die man sonst nicht leicht finden wird. Unsere Zeit hat beinahe keinen Maasstab mehr dafiir, wie Vieles damals nicht gelebrt ‘wurde. Die Classiker wurden beinahe ausschliesslich der Sprache wegen und namentlich fir rhetorische Zwecke studirt, Geschichte ‘und Geographie fehlten gewohnlich ganz, und dic Mathematik spielte die klaglichste Rolle. Ref. kann sich nicht versagen, eine merkwiirdige Thatsache dariiber hier anzufiihren. ,,Ein witten- berger (also akademischer) Docent ladet zu einer Vorlesung fiber die Arithmetik ein, und bemerkt zur Ermuthigung et- waiger Zuhoérer: die ersten Elemente seien leicht; Multiplication und Division verlangen etwas mehr Fleiss, doch kénnen sie wohl noch gewiltigt werden. Freilich gebe es noch Schwierigeres, er spreche aber nur von dem, was er sie lehren wolle.“ (!!)

_ Ein interessantes Wort iiber den Charakter des damaligen (der Verf. heisst ihn verbalen), Realismus schliesst. Es geht auch daraus heryor, was freilich sonst bekannt genug ist, wie richtig und geistreich Hr. y. R. die Realfécher auffasst. Hat er doch zu der neuern Gestaltung eines wahrhaft geistig bildenden Realunterrichts einen nicht unbedeutenden Beitrag gegeben.

Gerade io dieser wichtigen Beziehung schildert er nun noch .Baco ,deu Stammvater wie der Reéealisten iberhaupt, so atch der realistischen Unterrichtsprincipien,* und macht bei aller Anerkennung seines ungemeinen Verdienstes und seines beinahe unberechenbaren Einflusses, doch mit scharfem uod richtigem Blicke auf die Mangel und Gefahren des so leicht sum Mechanismus fiihrenden, blos methodischen Abmihens,

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das die Geister zu egalisiren suche, und dadurch den Tiefblick des Genies ertédte.

Endlich schliesst den vorliegenden ersten Band Montaigne, »der Vorliufer der neuen, durch Locke und noch mehr dureh Rousseau charakterisirten Weise der Erziehung; und die ganze Auffassungsweise des Mannes und seiner Grindsatze lasst eine ebenso ernste und geistreiche Wiirdigung der spiater daraus her- _ vorgegangenen Schule erwarten, der wir denn, so wie Gberhaupt der Fortsetzung des Werkes mit Interesse entgegensehen.

Druck und Papier sind ausgezeichnet und beurkunden wie den Schénheitssinn der Verlagshandlung, so die wiirdige Gesin— nung, mit der sie gediegenem Inhalt auch durch die Schénheit der Form entsprechen wollte. | | F. W. Klumpp.

B. HMand-, Lehr- und Lernbiicher. XK. Handworterbuch der lateinischen Sprache, besonders far _ Gymnasien und Lyceen, von Dr. Ernst Karcher, grossh. bad. Geh. Hof— - rath, Direetor des Karlsruher Lyceums, Mitglied des grossh. Oberstudien=

rathes, Ritter des Zahringer Lowenordens. Stuttg., J. B. Metzler. 1842. 61 Drackb. gr. Lex. -Octav.

Indem der Unterzeichnete im Begriff ist, voranstehendes, der auf Gymnasien etc. studirenden Jugend gewidmetes Werk an- zuzeigen, dringt sich ihm ein Gemeinplatz auf, den schon der alte Scheller in der Vorrede zur ersten Auflage seines latei- _ nisch-deutschen Handlexikons fir Schulen 1791 hat, der aber nach der Erfahrung viel zu wenig beachtet zu werden pflegt, in dem es sonst z. E. nicht méglich ware, dass oft die Jugend in mehrern Jahren, die sie auf Gymnasien zubringt, nicht so weit kommt, dass sie eine leichte lateinische Stelle yon einigen Zeilen fiir sich selbst sicher verstehen und dariiber urtheilen, oder davon Rechenschaft geben kann. ,,Lateinische Wé6rterbiicher, gesetzt sie hatten auch eine gréssere Vollkommenheit, als Sterb- liche ihnen zu geben vermdgen, niitzen der Jugend wenig, wenn sie nicht zum fleissigen und zweckmassigen Aufschlagen, wozu der Lehrer Anlass und Anleitung geben muss, zeitig gewohnt wird, und wenn iiberhaupt Unterricht und Lehrmethode nicht mitwirkt.“ Diese Worte des ehrwiirdigen Orakels unsrer theils angehenden, theils ausgebildeten Lateiner seit bald einem Jahrhunderte mégen so lange wiederhallen und in Rede und Schrift fortgepredigt werden, als noch Schaaren yon Jiinglingen in allen Landen die Gymnasien verlassen , ohne im Stande zu

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401.

sein, selbst mit einem Lexikon z. B. ein Capitel des Livius richtig | und ganz zu verstehen. Wer auf Gymnasien classische Autoren mit der Jugend zu lesen und zu erkliren hat, fiir den ist es - doch gewiss erste Pflicht, dass er derselben durch zweckmassige Anleitung zum selbstandigen Verstehen und Vertiren immer mehr su verhelfen, und nicht damit zufrieden, dass die bessern Képfe mit natiirlichem Geschick den Sinn des Autors ertraglich auffinden, oder in einem gezwungenen kaum verstaindlichen Lateinisch- oder Griechischdeutsch wiedergeben, auch die schwacheren Krifte anzuregen, zu leiten, zu staérken suche, und mit Lehrergewissen- haftigkeit den Genuss bei der Schullectiire’ der Alten darein setze, . dass die ihm anvertraute Jugend gewinne und fortschreite. Es braucht kaum erinnert zu werden, dass ein Hauptmittel, um diess zu erreichen, darin besteht, dass man die Schiiler streng und stetig anhalte, auf den jedesmal vorkommengen Abschnitt sich gehdrig vorzubereiten. Zu dieser Vorbereitung aber ist gerade ein solches Wérterbuch, wie das vorliegende, ‘ist: iiberhaupt jedes Worterbuch dieser Kategorie geeignet und hiefiir besonders ein- gerichtet, wiewohl es auf der andern Seite dazu dient; dass daraus der strebende Jingling beim Lateinischschreiben iiber die Classicitit dieses oder jenes Ausdrucks sich Raths erholen, ja Noch ‘anderweitigen Nutzen schépfen-kann. Soll aber die Pr a- Paration nicht ein blosses, verstandloses Ausziehen von Vo- Cabeln bleiben, wobei der Schiiler gewohnlich sein Capitel bloss Gberfliegt,¢ die unbekannten Worter aufschreibt und: aus dem Wérterbuche die erste beste oder ein Paar der ersten .Bedeu- lungen ohne Wahl! beisetzt; soll diese Vorbereitung ihm wahrhaft afitzen und diess kann sie recht getrieben in hohem Grade, Ja sie den jungen Geist veranlasst, sich selbst zu helfen und mzustrengep, Versuche zu machen, tiber die Construction nach- tudenken etc. und ihn zum Bewusstsein bringt, wie viel oder wie wenig er weiss so muss ihm Anleitung zu derselben regeben werden, d. h. er muss vor allem andern dahin gefuhrt werden, dass er so sich priapariren kénne. Und zwar ist diess richt bloss Sache der Elementarclassen ihn hiefiir zu befahigen ; ein! so wenig es bloss diesen zukommt, die Selbstthiatigkeit les Lernenden zu erregen und zu fordern, so wenig darf sich rgend ein Lehrer dieses Geschiafts tiberheben; oder er hat nicht vegriffen, dass an sich das bloss’ passive Percipiren seines Vor- rags von Seiten der Lernenden diese zu blossen gelehrten Nullen

- 402 machen kann, und dass nur das Selbstlernen ein wahres Lernen ist. Oder darf der Lehrer, und wire es in der obersten Classe, eine Miahe scheuen, die dem Schiller niitslich ist, einen Zeit- aufwand scheuen, wann die Sache dessen werth ist, und er auf anderm Wege lohnende und erfreuliche Friichte seines Unter- richts zu erblicken unméglich hoffen kann, wenigstens in weit geringerm Maase, als dann, wenn er sich selbst verldugnet, undl seine Geduldsproben in der bewussten Sache durchmacht. Ich wirde unbescheiden werden, wenn ich hier weitere Vorschlige machen wollte, éber die Art, wie eine solche ‘Vorbereitung ‘ein-

- zurichten ware, und erinnere nur, dass die erste Bedingung hiesa

‘so oft ibersehen und unbeachtet bleibt, dass namlich beim Gffent- lichen Unterricht nicht genugsam darauf gedrungen wird, die ra_— vertirenden Satze des Autors erst zu construirena, d. h. die Bezichung der Worter im Satze zu einander auf natfirliche und - logisch -richtige Art aufzusuchen eine Uebung, welche ma nicht lange genug fortsetzen kann, die aber am Ende sichre usd | reiche, auch bei dem schwachern Kopfe reiche Friichte tragt Der Zweck gegenwartiger Anzeige lasst ein weiteres Eingehea auf den letztern Gegenstand nicht zu. Man sebe aber darfiber die treffliche Schrift: Beitrage zu einer Methodologie des lale- nischen Elementarunterrichts, von M. Reuss, Rector des Pads- gogiums zu Esslingen (jetzigen Ephorus des Seminars su Blat beuren im wiirtemb. Donaukreise), Stuttg. 1812, die auch nebenbei gesagt in der Hauptsache ganz mit den Mager schen Principies zusammentrifft, auf S. 72—'75. Um iiber das vorliegende Lexikon selbst unsre Meinung 1 sagen, so wird fiirs Erste dessen Nutzen, unter den bisheriges Voraussetzungen, desshalb um so ‘ausgebreiteter sein, als 66 gegeniiber von den andern durch Preis und Umfang dem gewohs- lichen Gebrauch fernerliegenden Worterbiichern seines Ranges, denen von Scheller, Georges, Freund etc. ein Bediirfniss befrie- digt, das zwar jeder Gymnasist hat, das .aber bisher wenige - befriedigt sahen, indem nur Bemitteltere sich ein -grosseres It teinisch-deutsches Lexikon anzuschaffen vermochten. Durch die Ausgabe dieses Worterbuchs ist nun dafiir gesorgt, dass jedet Gymonasialschiiler ein lateinisches Lexikon besitzen kann, das ihm zum Lesen der lateinischen Schriftsteller im Allgemeinen aus- reicht, und das sich um seiner compendidseren Gestalt willeo auch leichter handhabt. Die Verlagshandlung hat durch eine an-

i.

403 | gemessene Ausstattung das Ihrige dazu beigetragen, dass auf Kleinerem Raume des Wesentlichen so viel gegeben werden

_konnte, dass es in dieser Hinsicht wohl mit abnlichen Werken von stirkerem Volumen und grésserer Ausfthrlichkeit sich messen darf, ohne dass’ durch allzu compressen Druck und zu kleine Sehrift die Augen leiden. In der 26 Seiten fallenden Vorrede verbreitet sich der Hr. Verf. zuerst fiber den Zweck, Umfang und das Kigenthiimliche des vorliegenden Buchs, bei dessen Ausar-

- beitung er zunachst unsre sogenannten Gelehbrtenschulen im Auge hatte, wobei er darauf aufmerksam macht, dass eine Reihe bedeutenderer Wérter, namentlich auch die Praépositionen und Conjunctionen von ihm ausfihrlicher behandelt sein, als der bichste Zweck des Buchs zu verlangen oder zu ertragen scheinen Wnnts. Niemand wird desshalb mit dem Verf. rechten, da einerseits unsre bisherigen Lexika gerade hierin noch Vieles vermissen liessen, andrerseits aber jene Artikel hauptsaehlich den Faden bilden,' an den sich der grésste Theil des Uebrigen mehr

oder weniger anreiht. Hatte der Verf. nur das Allgemeine und dem nachsten Zwecke des Buchs entsprechende ins Auge ge- | fesst, Selteneres oder mehr den Gelehrien und eigentlichen

Sprachforscher Interessirendes mehr im Hintergrunde gehalten, kurz, sich nur auf das Nothwendigste beschrinken wollen, so war es ihm nicht méglich, wie er meint, die Grundsatze, die ihn bei Ausarbeitung des. ganzen Werkes leiteten, getérig und auf eine Art zu bethitigen, dass daraus ersehen werden kann, was er eigentlich zu erreichen suchte und was jedes Buch dieser Art zu erreichen suchen solle. Das Verhiltniss, worin vorliegendes Buch su dem Scheller- Liine- mann’schen, neuerdings von Georges herausgegebenen Handlexi- kon steht, besprechend weist sodann der Verf. nach, dass sich bei ihm nicht nur im Texte selbst Vieles und nicht immer Unerheblicheres finde, was in jenem fehlt oder weniger richtig gefasst ist, sondern, dass auch manche Wérter bei ihm aufge- fibrt sind, die Georges iibergangen hat.

Diess ist besonders hinsichtlich der mythologischen, ge- schichtlichen und geographischen Artikel in die Augen springend, da bier nicht nur die vollsténdigsten Sachnotizen in gedringter Kfrze, sondern z. B. alletn vom Buchstaben Th Z .iiber 200 Artikel (NB. Substantive), die auch in dem Freund’schen Lexi- kon fehlen, gegeben sind.

404 iy

‘Die iussere Oekonomie des Buchs betreffend, wobei mig- _lichste Raumersparniss Grundsatz war, scheint es doch, als hatte unbeschadet der Deutlichkeit hier und da gespart werden kénnen,,, vor allen Dingen die Verdeutschung von zahllosen Phrasen, dies der Schiiler yon selbst treffen wird, weil sie ganz wértlich denry lateinischen Ausdruck entspricht, vgl. bei corpus suum publicare, innuba permaneo, murmura famae, manibus pedibusque, virtuteg inter se nexae, nullo modo, pace et bello, pace tua, N. 5 steht ja Genehmigung, Erlaubniss; in periculis aliquem defendere, peccare in remp., permiscere divina et humana, permulti imite. tores, perrarum erat, procurare sacrificia, prodit talus, prosequi exequias, pollicitationibus incitare, perquam pauci, potentiora arms, in apertam perniciem incurrere, pertaedet negolii, u. 8. w.

Ebenso unzihlige Citate in der Art wie: Penuria-frumeali, .Liy.; arborum, Colum., mulierum, Liv.; argenti, id. Auch die Worté: ,,so0 z. B. im Griech.,“ wenn das Griechische selbst a- gefiibrt wird, und ausserdem manche Kleinigkeiten, die zusammes doch etwas Grosses gemacht hitten.

Die von Eigennamen abgeleiteten Wérter, namentlich Ad jective, sind im Anfange des Buchs besonders aufgefithrt, in der Folge aber stets unter die Substantive gestellt worden, von denen sie abgeleitet sind. Durch letzteres ist allerdings viel Ream

gewonnen. Die abgeleiteten Wérter miissen aber dann allem ‘wenigstens in die Reihe nach dem Alphabet aufgenommen, und nur die néthige Verweisung auf das Primitivum, unter dem sich das Nahere findet, beigesetzt sein; sonst stutzt der -gewdhnliche Schiller, zumal in den untern Classen, um so mehr, wenn & bei einem Theile sich verwiesen ‘sieht, bei andern nicht; woher . weiss er sonst, dass er Lesbis unter Lesbos, Phthioticus . unter Phthia, Pyrrhias unter Pyrrha, Germanicus unter Germani, Clat- dianus (exercitus) unter Claudius suchen soll?

Warum so ausserordentlich viele Artikel aus Plin. Naturge- _schichte, mit, dem Beisatz ,eine unbekannte Pflanze,“ oder ,,cin uns unbekannter Edelstein“ in diesem fir Gymnasien vorsugt weise bestimmten Buche Platz gefunden haben, ist nicht wohl zu ersehen, da die auf solchen Anstalten befindliche Jugend weder éffentlich noch privatim mit Plinius Naturgeschichté (héchstens

- in Ausziigen?) sich zu beschaftigen hat. Wollte man aber itber - die Schuljahbre hinaus ein besonderes Berufsfach beriicksichtige, dass das Buch etwa fiir einen Apotheker, Botaniker, Mineralo-

wesw:

- ee wee

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gen etc. brauchbar ware, so hatte mit demselben Grunde auch fir andere Leute durch Anfihrungen aus den Kirchenvitern, Rechtsgelehrten u. a. gesorgt, oder nicht gar solche Worte, die our Letztere gebrauchen, ausgelassen werden miissen.

»Die lateinischen Phrasen, sagt der Verf., wurden, wo sie irgend eine Schwierigkeit oder Eigenthiimlichkeit . boten, . ins

- Dentsche tibersetzt.“ Dass diess sehr oft unndthigerweise

geschehen ist, ist schon gezeigt; dass aber die Uebetsetzung

* nicht immer deutsch ist, beweist unter vielem anderem Folgendes:

nayigavit impetus, der Kriegssturm ist dahin gesegelt, equitatu omnia tenente, da die Reiterei alles inne hatte, periculum subire, . Gefabr auf sich nehmen, perstringit horror, durchlauft statt iiber- lauft, pulvere perfusus, iibergossen, implicari morbo, in Krankheit filen, pallor obit ora, umgibt den Mund, statt iberzieht das Gesicht. Hierher gehért auch die Verdeutschung der fremd- ~namigen Adjective, welche der lateinischen Endung noch die deutsche beifiigt, wahrend in den meisten Fallen dieser Art der Deutsche kein Adjectiv gebraucht, oder, wenn man auch Sfters

' der Anfanger wegen eines bilden will, doch keine solche Mon-

Strosititen zulassen sollte, wie ,,ligarianisch, marzellianisch, me- leagreisch, patrensisch, phidiacisch (von Phidias), phliasisch (von

_ Phiius), saliarisch, sosianisch,, tarraconensisth, terracinensisch,

terindisch, teuthrantisch (von Teuthras), thucydideisch u. s. w.

Was die etymologischen Beisatze betrifft, die sich bei ein- seinen Artikeln finden, so bemerkt der Verf., dass er sie nur da gegeben habe, wo sie zur. Erklarung und Begriindung der Bedeutung des Worts und der dadurch modifizirten Anordnung desselben ndthig erschienen. Diese Beisitze sind eine wahre

Zierde des Buchs, um so’ mehr, als sie einerseits sehr anspre-

chend, ungezwungen und von der Art sind, dass die Abkunft oder Seitenverwandtschaft von und mit dem lateinischen oder fremden Etymon unverkennbar ist, iiberhaupt’ die Hohe der ver- gleichenden Sprachforschung beurkunden, auf welcher der Hr. Verf. steht; andrerseits den Gesichtskreis des strebenden Jiing- lings ungemein zu erweitern und dessen Nachdenken zu wecken’ und anzuregen geeignet sind.

Was sodann die innere Einrichtung des Buchs anbelangt, so sollte es nach des Hrn. Verf. Absicht gewissermassen eine zweite Auflage des im J. 1826 bei Hahn erschienenen, 80 wie der fir Holland gemachten Bearbeitung desselben, welche 1833

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406

in Leyden, Amsterdam und Haag herauskam, werden, jedoch ay seinen wichtigeren Partien, namentlich auch durch Aufnahme der Realien, so yerdndert und vermebrt, dass es als ein durchaus neues und selbstandiges Werk gelten kénnte. Und der Hr. Vert wiinscht das Buch angesehen, als einen Versuch die lateinische Lexikographie aus ihrer Stagnation, worin sie ihm trots der neuesten Arbeiten in diesem Felde noch grossentheils befangen. scheint, weon auch nur einen Schritt vorwarts zu fahren, da man die lateinische Sprache fir ein organisches Gebilde und ein Lexikon derselben. fiir etwas mehr halten miisse, als fur eia blosses Vorrathshaus von Notizen, welche Gewohnheit oder Be- quemlichkeitsliebe oder eine mebr Einzelnes bericksichtigende - Gelehrsamkeit hier niederlege, unbekimmert, ob das Niedergelegte sich auch am rechten Orte befinde oder dasselbe mehr nach sv falligen und dusseren Eintheilungsgriinden ordnend.. Er machle sich dagegen eine Durcharbeitung: des Sprachstoffes nach einem der eigentlichen Sprachphilosophie und der natirlichen Entwiek- lung der Sprache gemissen Principe, zur Aufgabe, und vermisst z.E. auch an der neusten Ausgabe des Scheller-Liinemann’schen Handworterbuchs, dass sie eine Reorganisation des Ganzen von Innen heraus noch nicht versucht, und sich dem gréssten Theil nach noch damit begniigt habe , Zusatze zu den fritheren su geben.

Der Raum dieser Blatter erlaubt es nicht, auf die Grundsitse und Hauptrichtungen die er bei seiner Arbeit befolgte. und asf die Anwendung der ersten im Einzelnen, besonders - bei grossern und wichtigern Artikeln, genau einzugeben. Hier haben wir blos den Wunsch auszudriicken, dass die vielfache Miihe, die sich der Hr. Verf. mit Entwicklung und Anordnung der Wert- bedeutungen gegeben, dadurch belohnt werde, dass-die Lehrer . im 6ffentlichen Unterricht sichs zum Geschift machen, die Auaf- merksamkeit der Schiiler auf die Entstehung der einzelnen Be- deutungen aus und nach einander mittelst deutlicher Béispiele hin zu lenken, und iiberlassen es dem Hrn. Verf, seine, schon aus friihern Schriften ‘bekannten lexikographischen Grundsitse, welche er in der Vorrede bei etlichen und vierzig Artikeln aus- fibrlich aufzeigt, gegen die Einwendungen, welche bei dem schwie- rigen Streite iiber historische und logische Methode und die Verbindung beider bei Entwicklung und Anordnung der Wort- ~

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bedeutungen, nicht ausbleiben werden, anderweitig mit siegender Stirke zu vertheidigen.

Den Beschluss macht eine dankenswerthe Untersuchung tiber ewei Arten von Adjectivformen, namlich die auf icius md farius endenden, in Bezug auf die Quantitat ihrer ante- penultima, welche bisher in den Worterbiichern wenig genau, sam Theil gar nicht bestimmt wurde. Das Resultat ist, dass bei den Adjectivformen auf.icius, welche von Formen der dritten. Declination kommen, der thematische Vocal abgestossen und tcius angehingt ward, z. E. sodalis, sodal icius; aedilis, aedil-{cius; patris, patr-icius; sonach alle aus dieser Kate- gorie die Antepenultima kurz haben; hingegen die von Formen der zweiten Declination gebildeten Wérter auf icius, bei de- nen der thematische Vocal sich mit dem { der Adjectivendung sur Lange verband, die Antepenultima stets lang haben, gleich- viel ob sie vom Supinum oder Nomen (gegen Ramshorn!) ab- geleitet sind, z. E. novus, novi-icius, zusammen gezogen novicius, was metrisch ermittelt werden kann; tribunus, tribuni-icius; tribunicius; fictus, ficti-icius: fictitius. Was sodann die Wort- formen auf farius (und fariam) betrifft, so scheint dem Verf. eine Verwandtschaft zwischen farius und varus, Adj., = paseinander gedehnt gehend, verschieden, abweichend, (oder rarids) natirlich, indem der Wechsel xwischen f und v (vel. rates, fatar, noopyryg) nichts Ungewohnliches sei. Hiermit stimmte such die aus einer Stelle bei Plantus erweisliche Linge von vidhriom zusammen, wogegen’ die Kiirze in virius nichts beweist,

HE. Gervinus, Handbuch der Geschichte der poetischen Nationallitteratur der ' Deutschen. Leipzig, bei W. Engelmann. 1842,

Eines der bedeutendsten Zeichen des frischeren, thatkriftige- ren Lebens der deutschen Nation ist die Erscheinung von Gervinus, Er vor Allen dringt auf Vermittlung der Wissenschaft mit dem Leben, und kimpft unter den Ersten, dass die Deutschen endlich sinmal von Geschichtsforschern zu Geschichtschreibern sich er- heben. Er hat kfhner als ein Anderer in der historischen Be- rachtung der Dinge uns eine bisher ungeahnte Weltanschauung srschlossen. Sein vielseitiger Geist, mit einem tiichtigen Character rerbunden, stellt uns bei der Betrachtung iiber das Geringste, xo wie ber das Héchste auf den historischen Standpunkt, auf velchem Alles erst in seinem rechten Lichte erscheint. Er weiss

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gleichméssig den tiefen Ernst, so wie das heitere Spiel des Lebens zu wiirdigen. Er erweckt in uns Freude am thatkraftigen Leben. Nachdem er in dem formenherrlichen Italien an Macchiavelli zum Bewusstsein der historischen Kunst durchgedrungen, legte er, nach dem historischen Gottingen berufen,:,welches er za einem neuen Geistesfriihling hatte erwecken kénnen,“ dieses Bewusstsein der historischen Kunst in seiner Historik nieder, deren prachtiger Schluss als eine stolze Siegeshymne anzusehen ist, welche er am Anfang seiner Laufbahn sich selber singt, um sein erhabenes Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.

Schon friiher hatte er seine Bestimmung erkannt, der Ge- schichtschreiber der deutschen Nationallitteratur zu werden. In- dem er bei der Betrachtung unserer Poesie sich entschieden auf den rein historischen Gesichtspunkt stellte, da er, ein Feind von allem seatimentalen Aesthetisiren, die Nation zu einem mannlichen Blick in Kunstangelegenheiten zu bilden suchte, machte er Viele stutzig. Selbst Grimm wusste sich nicht. sogleich in ihn zu finden, Grasse hat bis auf diesen Augenblick noch nicht begriffen, wohin denn eigentlich Gervinus steuert: auf das Verhiltniss der Poesie zum gesammten Nationalleben, und der von diesem Standpunkt aus nothwendig sich ergebenden Beurtheilung derselben. Die Nation aber hat sein Werk in vollem Maasse anerkannt. Das Ge- richt, welches er in demselben tiber unsere Dichter gehalten, wird immer mehr als das wahre angenommen. Die dltere Poesie hat er sowohl yon iiberschatzenden als geringschatzenden Urtheilen gereinigt. Dass er durch den hellenischen Maassstab den Forde- rungen der Kunst nur ‘Geniige gethan, wird immermehr einge- standen werden, sowie sich der moderne Geist freiere Bahn bricht. Was er iiber den Humanismus und Christianismus -der neueren Litteratur beibringt, wird Viele schmerzen; aber. die lange Ent- wickelungsreihe unserer Poesie durch die ersten Geister der Nation wird erkennen lassen, dass hier nichts Wwillkirlich zu andern ist, sondern ein grosses welthistorisches Ereigniss anzuerkennen. Ger- _Vinus zeigt am Schlusse des Werkes, dass, sowie .mit Klopstock’s Zeit die deutsche Bildung und Geistesrichtung aufhérte, eine vor- zugsweise religidse zu sein, sondern zur poetischen tiberzugehea anfing, so am Anfang dieses Jahrhunderts die kinstlerische: Bil- - dung der Deutschen ihre Entwicklung durchlaufen und in Schiller , Schon begonnen hat, zur politischen umzuschlagen. Gervinus legt dar, wie alle poetischen Bestrebungen seitdem zu nichts Tiichti-

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gem gefiihrt, wie die That jetzt die Losung der deutschen Ent- wicklung geworden ist, zu welcher sich der Einzelne an den bisher errungenen Geistesschatzen seines Volkes zu stairken habe. Ausser seinen allgemein historischen und insbesondere litte- rar-historisehen Bestrebungen hat Gervinus sich in der Behand- lung mancher anderen Seiten der Kunst und der Wissenschaft vereucht, und ein vorziigliches Augenmerk auf das Schulwesen gerichtet, indem er die Wirksamkeit auf die Jugend als die wich- tigste.und segensreichste ansieht, welcher man sich our irgend witerziehen kénne, und in diesem Sinne besonders das Gymnasium als die Pflanzstatte des modernen Geistes erkannt hat, auf deren immer lebensvollere Gestaltung er mit dem gréssten Eifer dringt. Er fordert beredt, dass auf dem Gymnasium alle natiirlichen krafte des Menschen sich frei entwickeln sollen, dass besonders der Einbjldungskraft langere und frischere Nahrung gegeben wer-

, ‘den miisse; da sie es vorziiglich sei, durch welche wir uns

organisch weiter bilden. Er will die moralischen Wissenschaften, am meisten die Geschichte, gehoben haben, indem sie -vorzugs- weise den Character bilden. Er will nicht geizen in der Mitthei- long von geist- und gemiitherhebenden Ideen, indem die meisten derselben mit dem ersten Jugendfeuer angeeignet werden niiissten, Wenn sie recht Wurzel schlagen und reiche Friichte im Leben bringen sollen. Als Hauptmittel hierzu sieht er die deutsche ‘Litteratur an, welche am segensreichsten bei dem Schlusse der Gymnasialzeit und am Beginne des Universitatslebens auf das jugendliche Gemith wirke.

_ Nachdem er nun seine gréssere Geschichte der deutschen Nationallitteratur vollendet, besorgte er, indem er die Wirksamkeit auf die Jugend als die schénste betrachtete, selbst einen Auszug as dem grésseren Werke fiir ein weiteres Publikum’ und die Jugend, gewiss ein seltenes, und um so dankenswertheres Beispiel in der Gelehrtenwelt. Mit Recht war Deutschland auf dieses Buch -héchst gespannt, und die erste Auflage geniigte nicht den zahlreich eingegangenen Bestellungen, so dass wenige Wochen darauf die zweite Auflage erscheinen konnte. Mancher hofite, dass vielleicht die im ersten Bande des grossen Werks verspro- chene, rein kiinstlerische Behandlung in diesem kleineren einge- freten sei. Wenn auch diese kiinstlerische Form bei dem gedrangten Handbuche nicht erreicht werden konnte, sondern einer Umarbeitung des grésseren Werkes selbst vorbehalten blei-

Padagog. Revue. 1842. b-, Bd. V. ' 27

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bea mass, so ist doch natirlich an Durchsichtigheit der Archi- tekionik schon Vieles in dem Auszage geleisiet. Die Eatwicklong unserer Nationallitteratur zieht in grossen woblgeordacien Massen as uns voriber. Ueber Einzelnes wird immer sestritten werden kénnen, 2. B., ob es dem Bache und dem grisseren Publikum, far welches es bestimmt ist, nicht vortheilhafter gewesen, wean das Nibelungenlied und andere hervorrageade Gedichte etwas ausfabriicher nach Inhalt und Form waren behandelt worden; wenn besonders auf die grossen Charaktere des Nibelungenlicdes mit mebr Ausfihriichkeit und Liebe ware eingegangen wordem, Es wurde das Bach hierdarch mehr im Bewussisein der Natiom geziindet haben. Ferner hatte es demselben nicht zum Schadem gereicht, wenn die Beziehung der einzelnen Dichter und Kanst. werke noch mehr hervorgehoben worden ware. Doch wolles wir tiber Einzelnes nicht mit dem Verfasser rechien, welcher die Abbangigkeit dieses Buchs von dem grésseren durch die zabireichen Hinweisungen genugsam angedeutet. Bei Vielen wird . es dem Buche sebr zur Empfehlung dienen, dass die oft schari Sprache des grosseren Werkes ganzlich vermieden ist. Die Schale kann nicht dankbar genug sein far eine Litteraturgeschichte, weleher nicht pur Namen, Zahlen und Titel der Personen asd Bacher, oder asthetische Reflexionen enthalten sind, sondern és Werden unseres gegenwartigen Bewusstseins in allen seine Kampfen dorch die Jahrhunderte uns vorgefihrt wird. Diese cinzige wahre Behandlung der Litteraturgeschichte, welche erst der Ge genwart zu erkennen und auszufibren vergonnt war, muss asch segensreich auf die Behandlung der antiken Litteratur zurack wirkes. Gervinus, schon durch seinen historischen Geist im Allgemeines, als fasbesondere durch seine Geschichte der Nationallitteratar, ist als ein friscber Quell zu betrachten, dessen erquickende Gewit ser das-Gymnasium so viel als modglich auf seine Gefilde leita muss, um nicht hinter dem frischen Leben der Gegenwart zurick- zubleiben. Gervinus hat in dem letzten Bande des Hauptwerkes auf bewundrungswiirdige Weise die Hohepunkte der Zeit zusar mengefasst, sdwie Gberhaupt der eigne Ausspruch des Verfassert fiber sein Werk fast keine Anmassung ist: ,Ich glaube, das wahre Mark unserer poetisehen Schépfungen, und was so nahe dare liegt, den Kern der schénsten Empfindungen, und wie Vieles yoa wahrer Weisheit unseres Volkes, so weit es sich in den Dich tungen niederlegte, darin gesammelt zu haben, so dass einer dea

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ganzen reichen Vorrath mit verhaltnissmaSsig kleiner Mihe zu seinem Eigenthum machen kann. Der Geist des Volkes steht in dieser raschen Uebersicht der Bildung von Jahrhunderten wie lebendig da, und spricht uns aus tausend beredten Stimmen zu Herz, Gemiith und Verstand, dass wir in ihm uns selbst lieb

* baben, uns selber niemals aufgeben sollen.“

Friher hatte es den Anschein, als wollé er die Speculation

--der Gegenwart, gegen deren einseitiges Vorherrschen in allen

Gebieten der Wissenschaft seine historische Natur allerdings ein gutes Gegengewicht abgeben kénnte, ganz ignoriren, zum grossen Schaden seiner Werke. Wenn er den dialektischen Process der

. meueren Philosophie energischer in sich durchlebt hatte, wiirden

z. B. viele Bestimmungen in seiner Historik mit weniger Worten scharfer festgesetzt worden sein. Doch trat es im Verlauf seiner Geschichte der Nationallitteratur immer mehr hervor, dass seine

" geistige Thatigkeit von der Idee des Organismus, der grossen

Entdeckung der neueren Philosophie, getragen sei, zu-deren le- bendiger Aneignung er durch Werke, wie Burdachs Physiologie, gekommen zu sein scheint. Die Schranke seiner Geistesrichtung bleibt aibrigens doch mehr oder weniger, ebenso wie die seines

* Lehrers Schlosser, nach der ideellen Seite hin die Abwendung

von der reinen Speculation, indem er yon der Aesthetik,- wie sie sich,auf Schellings und Hegels Ideen aufgebaut hat, keinen Nutzen

ffir sich ziehen zu kénnen glaubt, und unter den Neueren nur

yon W. vy. Humboldt lernen will; und nach der realen Seite des Nationallebens, in der Verkennung der grossen Bedeutung des meueren Aufschwungs der Industrie, durch welche er das: Ge- werbswesen in seiner mittelalterlichen Form bedroht sieht. Diese Beschraénkung nach beiden Seiten lasst ihn an manchen Bestre- bungen der Gegenwart irre werden, und hindert ihn, in vollem . Sinne ein moderner Charakter zu sein. Er will ferner gar. nicht mehr gesungen haben, da ihm die neueren Dichter alle

_krank erscheinen, bis ein grosses Staatsleben gegriindet, und so

der Kunst ein neuer Boden urbar gemacht sei, anstatt dass er es der Kunst vergénnen sollte, wenigstens im Dienste des han- delInden Lebens mitzukimpfen fir eine grossere Zukunft, um dann auch des Segens derselben desto wiirdiger zu sein. So will er der Gegenwart die -Befahigung zum Drama ganz absprechen, wahrend doch in derselben tiefere und gewaltigere Gegensatze als in irgend einer andern Zeit gegeben sind, und so auch ein | 27 *

gewaltigerer ‘dramatischer Kampf méglich sein muss. An Auf regung fehlt es nicht einer Zeit, welche ihre heiligsten Giiter wanken und neue Formen annehmen sieht. Auch ohne dusseren Krieg wird es moglich sein, der Bihne ein kraftigeres Leben

einzufléssen. Der heissen Sehnsucht der Nation muss die Er-

fiillung werden, dem Gesetz aller Vélkerentwicklung nach. Eine

grosse Nation hat noch nichts vergebens gewiinscht. Es komat nur darauf an, diese Sehnsucht in helle Flammen auflodern zu

lassen. Die Geschichtschreibung hat der tragischen Kunst schon

_bedeutend vorgearbeitet. Die Geschicke der Volker liegen deut- - licher als je vor unsern Augen. Insbesondere ist es die philose-

phische Geschichtschreibung, welche ein neues Aufbliihen der tragischen Kunst vorbereitet hat, sowie in Griechenland der Mythus diese Arbeit tibernommen. Die Geschichtschreibung hat schon einen Cyclus von ungeschriebenen Tragédien vor dem deutschen Volke ausgebreitet und es wird nicht die Hand fehlen, welche ihnen die dussere dramalische Form gibt. Dieser Glaube . muss in der Jugend, der Trigerin der Zukunft, geweckt und auf— recht gehalten werden. Im vorigen Jahrhundert haben die Gym- nasien, z. B. Schulpforta, nicht geglaubt, dass ibnen das Interesse fir die Forlentwicklung des nationalen Dramas fern liegen diirfe. Niemand wird’ meinen, dass mit Géthe und Schiller das deutsche Volk das Hoéchste' im Drama erreicht habe. Seit Schiller hat sich die Geschichtsbetrachtung, und damit die Anschauung des Lebens, so vertieft und gescharft, dass eine entsprechende Be- handlung des Dramas nothwendig erfolgen muss. Mit dem-har delnden Leben, welches jetzt bei uns erwacht, geht das Drama ,- Hand in Hand. . Selbst an einer Komédie in Aristophanischem Sinove diirfen wir nicht verzweifeln, wenn nur der Karnevalslast in Kéin und anderwarts freiere Bahn gelassen wird..-

Indem wir auf diese Weise mehr die allgemeine Geistegrich- tung von Gervinus, sowie das Verhialtniss dieser kiirzeren Litte raturgeschichte zu seinen iibrigen Leistungen der Betrachtung _ unterworfen haben, als an Einzelnheiten seines Buchs gemikelt glauben wir auch von diesem selbst eine tiefere Anschaaung. gegeben zu haben, als es auf dem andern Wege méglich geweeen ware. Das griéssere Werk setzten wir als bekannt voraus, 80 dass wir den Auszug daran anlebnen zu diirfen glaubten. Wir fassen unser Urtheil iiber Gervinus Bestrebungen noch einmal zusammen in den Worten: dass in demselben den Gymnasiea ein frischer Lebensquell geboten werde. ‘FS.

DRITTE SECTION.

Culturpolitische Annalen.

I. Allgemeine Schulzeitung. - A. Deutschland. . | 8& Deutsche Bundesstaaten.

WHIT. Stiddeutsche Staaten. 4, Warltemberg.

(2.. Behirden.) Bei unserem evangel. Consistorium und bei dem Sadienrath sind mehrere Personalverdnderungen eingetreten, die vielfach besprochen werden. Von des Pralaten und Studienrathsdirectors Dr. ov. Flatt Anstritt haben wir schon berichtet. Man hat den ehrwardigen Mann mit auf- tichtigem Bedauern aus den Collegien scheiden sehen, deren Zierde er war, Insbesondere verlieren die noch unangestellten Geistlichen sehr viel ‘a8 ihm, da er sich immer mit grdsster Humanitat ihrer annahm. (Flatt ist geb. 1772, wurde 1803 Helfer in. Cannstadt, 1804 Professor der Thevlogie tad Frihprediger in Tabingen, 1812 0.-Cons.-R. und Stiftsprediger in

: Stuttgart, 1828 zugleich Pralat von Ulm, 1829.neben diesen beiden Aemtern

w

Director des Studien-R.) Die durch diesen Austritt erledigte Pralatur

(Sits in Ulm) ist noch nicht wieder besetzt, dagegen die Directorstelle beim

Stadienrath provisorisch durch das jangste Mitglied dieser Behérde, Dr, jur.

(durch seine Thatigkeit in der letzten Kammersaison sehr bekanat geworden), ein Mann voll Talent und Energie, mit der er auch bereits sein neues Amt angetreten hat. Getduscht wurde abrigens durch diese Besetzung dio Erwartung des Publicums, das den Ober-Cons.- und Ober-Studien-R, Dr. *. Klaiber schon lange als den einstigen Nachfolget Flatts anzusehen ge- wobnt war, and von diesem um Kirche und Schule unseres Vaterlandes échon so hochverdienten Manne sich auch mit Recht viel Gutes verspro- chen hatte. Die neu geschaffene Stelle im Studien-Rath (fir das Real- Schulwesen), ist dem Rector des Gymnasiums und der Realschule zu Heil- bron, Dr. Kapff abertragen worden. Unser neu aufblihendes Realschul- wesen hat in ihm einen tichtigen-Vertreter zu erwarten. Der Prasident des Consistorinms , Staatsrath vo, Mohd Exc., ist auf sein Ansuchen Alters- halber in den Ruhestand versetzt worden. Er wird seine Thatigkeit, soviel ihm noch vergénnt sein mag, oun ausschliesslich der Kammer der Standes- herren, deren Mitglied er ist, widmen. Noch jingst als Vorstand der ausser- ordentlichen Synode fir Gesangbuch und Liturgie hat er sich den Dank unserer evang. Kirche in hohem Maasse verdient. An seine Stelle wurde der Obertribunalrath von Scheuerlen ernannt, noch vor wenigen Jahren Pro- fessor des Kirchenrechts in Tibingen, in der letzten Kammer Referent der Commission aber dié bekannte bischdfliche Motion. Der Assessor des 'Consistoriums und Studienraths Ehrmann ist zum Regierungsrath in Ludwigsburg ernannt worden. (Seine Stelle wird demnachst einem jingeren Regiminalisten abertragen werden.) Auch der katholisché Kirchenrath hat seinen bisherigen Vorstand verloren; Staatsrath ». Soden ist zum Pra- sidenten der Kreis-Regierung in Ludwigsburg ernannt worden, und es warde seine bisherige Stelle dem Oberjustizrath v. Linden von Ulm aber- tragen. Moge darin aber nur der Alte vom Berge ja keine Nachgiebigkeit von Seiten der Regierung gegen sein System sehen! .

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(9. Universitdt u. Gelehrtenschulen.) Tibingen. Ende des Sommersemesters. Unser nun schon geraume Zeit erledigter Lehr- stuhl fair protestantische Theologie scheint auch fir das nachste Winter- semester noch nicht besetzt zu werden. Wenigstens haben sich die Ver- handlungen mit Dorner ganz zerschlagen, da unsere Regierung auf seine Forderungen (hinsichtlich des von ihm verlangten Eintritts in das Inspectorat des theologischen Seminafs) nicht eingegangen ist. Hatte man ihn vor drei Jahren nicht fortgelassen! Von einem andern Candidaten ist nan nicht bestimmt die Rede, Beck von Basel ist in den Hintergrand getreten. Hase von Jena dagegen soll nun auch in Aussicht genommen sein und wirde einem etwaigen Rufe wohl gerne folgen, wiewohl, wie Dorner, auch einst vor Tibingen verkannt., Doch vielleicht findet man auch noch einen Warttem- berger im Lande selbst, Indessen aber leidet eben das Studiom der Theologie Noth wegen Mangels an gehdrigen Collegien; wahrlich der Catalog far das- nachste Semester bietet einen traurigen Anblick; kaum eine exegetische Vorlesung! Der kaum erst aufgetretene Privatdocent der evang. Theo- logie, Dr. Zeller, vorher Repetent am Seminar, zieht sich bereits nack und nach ins Gebiet der Philosophie zurick, da ihm in der Theologie kein Glick zu blihen scheint. Er liest im nachsten Semester aiber Geschichte der griechischen Philosophie. Ob er dadurch dem beliebten Privatdocenten Raf Eintrag thun wird, muss erst die Zeit lehren. Nach dem Sione der § direnden nicht. Begierig ist man auch, ob Fichte Anklang finden wird. Das Ephorat am protest. theologischen Seminar ist noch nicht besetzt. Wals, der Philologe, versieht immer noch die Stelle provisorisch, dbrigens m grosser Zufriedenheit der Seminaristen, Ob die definitive Bestallung ihm zu Theil wird, oder ob er sie iberhaupt nur sucht, weiss man nicht, Vor Roth in Niroberg oder einem bestimmten Andern ist nicht mehr die Rede. Das diessjahrige Programm zur Feier des K, Geburtsfestes hat der Professor der kathol. Theologic, Joseph Gehringer, geschrieben, und zwar eine Ab- handlung aber die biblische Aere, deren kurzes Resultat ist, ,,dem das Jahr 4001 der Welt das Jahr 1 der christlichen Zeitrechnung, ferser dass Christus im Frahlinge des Jahres 3 vor dem Anfange der christlichea Zeitrechnung geboren und im Frablinge des Jahres 30 gekreuzigt wordea.* Zur Feier des Geburtstages selbst hat derselbe Professor in dem Universi- tatsgebiude eine Rede iber die biblische Lehre von den Grand- tugenden gehalten. Unsere beiden Universitatsbeamten, der Amtmann Dr. Riecke und der Universitatscassier Ammermuller sind aus ihrem bishe- rigen Wirkungskreis getreten, ersterer wurde zum Hofdomainenrath (Hof- richter) in Stuttgart ernannt, letzterer auf sein Ansuchen pensionirt, Die Stelle des erstern ist durch den bisherigen Finanzrath Dr, jur. Waaser wieder besetzt, ebenso die zweite durch einen Cassebeamten aus Stuttgart.

Stuttgart. Der ordentl. Lehrer der franzésischen Sprache am obers Gymnasium, Prof, Dr. Holder. ist auf sein Ansuchen Krankheitshalber in den Ruhestand versetzt worden, Die Lehrstelle an der zweiten Classe des untern Gymnasiums wurde dem bisherigen Lehrer’ der ersten, Prie. Brandauer ,.und die dadurch erledigte Stelle dem Prac. Zimmermann vos Heilbronn aibertragen. Der bisher von drei Lehrern ertheilte franzés. Sprachunterricht am mittlern Gymnasium (Cl, IV, V u. VI) soll nun xweck- massigerweise auf einen, neu anzustellenden ordentlichen Hauptlebrer concentrirt werden. - ,

Heilbronn und Reutlingen. Prof. Schnitzer erstern Orte ist sum Rector des neu geschaffenen Lyceums letzteren Orts ernannt worden, and der bisherige erste Hauptlehrer an dieser Anstalt, Oberpraceptor Kapf hat (nunmebr als zweiter Lehrer) den Titel Professor erhalten.

Herbstprogramme der Gymnasien zur diessjahrigen Feier des K, Geburtstages; zugleich Schulnachrichten, ~ .

Stuttgart: ,Die vierte, achte und dreizehnte Satyre des Juvenalis, metrisch ibersetzt von Ludwig Bauer, Prof. der alten Litteratur am obern Gymnasium.“ Eine glickliche Uebertragung, Fortsetsung vom vorigen Jahr. Die Zabl der Schiler des obern Gymnasiums betrug

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im Wintersemester 187, im Sommer 156, wovon 39 far die Theolugie, 27 far die Rechtsgelehrsemkeit, 15 fir das Cameral-' oder Forstwesen, 5 far die Medicin, 4 for das Regiminalfach, 3 far das Lehrfach bestimmt, und 63 noch keinem bestimmten Berufe gewidmet sind. Im mittleren Gymnasium befinden sich 150, im untern 176 Zéglinge, zusammen also im letzten Se- mester: 482 Schiler mit 30 Haupt- und Fachlehrern, Am K. Geburtstage bielt Dr. Schott, provisor. Lehrer ‘der deutschen Sprache und Litteratur am obern Gymnasium eine Festrede iber die Nibelungen-Sage, .

Ulm: ,,Proponuntur quasi prolusionts loco admonttiones quaedam scho- lasticae ,“ auct, Christ, Schwars, gymn. super, profess. ord. Betrachtungen aber latein. Schulwesen und Methode, angeregt insbesondere durch Baum-— leins jingste Schrift und die Walz’ sche Inauguralrede, welche beide unsern Lesern bekannt sind. Dedicirt ist dieses Programm dem dicsen Herbst in Ulm versammelten Philologenverein, welchen Schwarz jedoch noch in einem besondern Schriftchen begrisst hat, ein Gruss freilich, den er lieber unteriassen hatte, denn er zeigt sich darin in alter und gewohnter Leiden- schaftlichkeit und Grobheit seinen wirklichen und vermeintlichen Gegnern , gegeniber, die er, wohlgemerkt, ebenfalls als Gaste erwartete, so dass ihm in einer der Versammiungen von einem Mitgliede in Bezichung darauf gesagt wurde, er begrisse ja die Versammlung, wie man Straflinge bei ihrer Ankunft im Zuchthause empfange. Uebrigens wird von der Versamm- lung, von. Hrn. Schwarz und seinem Schriftchen spadter wohl noch die Rede sein in der pad. Revue. Die Zahl der Schiler im obern Gymnasium (Cl. Vu. VI) im Sommer 1842 betrug: 50, im mittlern Gymn, (Cl. III u. FV) 79, im untern Gymn, und der Elementarclasse: 125, Also Gesammtzahl : 254, Im Realinstitut (4 Realclassen und 2 Elementarclassen) waren es zu- sammen 246, also im Gymn. und der Realschule: 500 Schaler mit 23 Haupt- end Fachlehrern. Es hat sich seit 16 Jahren die Zahl der Lehrer, der Classen und.die Frequenz der Schiler beinahe verdoppelt, und in allen diesen Stacken ist die Anstalt auch gegenwartig fortwahrend im Steigen begriffen. Das Gymnasium entlasst im Durchschoitt jahrlich 15—18 Schiler aaf die Universitét, nachdem sie zuvor die Maturitatsprifung bei dem K, Stadienrath erstanden haben, Mit dem Beginne des neuen Schuljahres soll ‘die seit 1835 suspendirte héherc Bargerschule (oder finfte Realclasse) pro- visorisch wieder ins Leben treten, tiberdiess im mittlern und untern Gymn. weben 1., 2. und 3. Classe provisorisch Parallelclassen errichtet, und zu diesem Zwecke 4 neue Lehrer angestellt werden, In den Lectionsplan ist durchaus das Turnen aufgenommen worden.

Heilbronn. Ueber die Stellung und Bedeutung der Freund- schaft im Alterthum und in der neuen Zeit, von Prof. Dr. Mark- lis ,-eiue mit Geist, Geschmack und Belesenheit: geschriebene Abhandlung des durch seine Schrift Gber den Pietismus bekannten Verfassers, Neu angestellt wurde an der Realschule ein zweiter Lehrer mit 650 fl. Gehalt. Die Zahl sémmtlicher Schiler (Gymn, und Realanstalt) betrug in Cl. VII 41 und 1 Hospes; Cl. VI 10 und 1 Hospes; in der Oberrealclasse 19 mit - 44 Hospites; in Cl. V Gymnasisten 22, Realschiler 37; in Cl. [IV Gymn. 15, Realschaler 17; in Cl. II Gymn. 19; Realschiler 24; in Cl. 1118; in Cl, 1 38; szauskmmen: Gymn. 135; Realschiler 108; im Ganzen 243 Schiller. Darunter sind 13 Katholiken, 3 Israeliten, 8 Auslander, 48 Auswartige aus Warttem- berg. In Vergleichung mit dem vorigen Jahr hat die Zahl der Gymnasisten um 1f ab-, die der Realschiler um 25 zugenommen. Zum Schlusse ein kréftiges Wort des Rectors beider Anstalten (nunmehrigen Oberstudienraths) Dr. Kopf: yin der Realschule erhalten die Schiler auch Gelegenheit das Latein fortzusetzen, Nun ist allerdings die Vorbildung far den Gewerb- stand ein Zweck, den die- Realschule an ihren Schilern erreichen will, and dazo ist zundchst die Kenntniss der latein. Sprache eben nicht noth- wendig. Allein der Hauptzweck der Realschule, wie aller Schulen, ist alilgemeine , menschliche Bildung; es soll das in der Jugend entwickelt werden , was sie. nicht in einem bestimmten Stande bedirfen wird, son- dern in allen: geibter Verstand, offener Sinn far alle geistigen Gatern

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for Wahrheit, Recht und Tagend. Ja ohne einen gewissen Grad von all- gemeiner Bildung ist sogar eine tachtige Vorbildung fir einen bestimmten Stand gar nicht méglich. Das Hauptmittel zu solcher allgemeineren Bildusg ist in den Gymnasien der Unterricht im Lateinischen; und ein Unterrichts- fach, das in der Realschule den Nutzen des Lateinlernens mit gleichem Erfolge ersetzen kénnte, ist bis jetzt nicht entdeckt worden. Desswegen ist es wanschenswerth, dass die Realschiler, die sich eine etwas héhere Bildung aneignen sollen, auch das Latein lernen; und ich finde mich durch ~ verschiedene Erfahrungen veranlasst, die Eltern dringend :za ermahnen, ihre Séhne, die Talent fir Sprachen zeigen, schon im achten, nicht orst im zwolften oder dreizebnten Jahre, der Anstalt zu ibergeben, besonders aber wenn dieselben in den unteren Classen schon einen guten Anfang im Latein gemacht haben, bei ihrem Uebertritt in die Realabtheilung nicht Dispen- sation von dem Unterricht im Latein far sie zu verlangen, und so der Tragheit derselben nachzugeben. Ohnediess reisst die gemeine Gesinnung, die bei allem zucrst fragt: was wird mir dafar? auch bei der Jugend immer mehr ein; und wenn die Schialer nichts mehr Jernen wollen, von dem sich nicht der Nutzen nach Procenten voraus berechnen lasst, so ist diess das Grab nicht allein aller wahren Scholbildung; es ist das Grab jeder edleren Gesinnung, das Grab der Tugend und Religiositat.“ Ein schones, wohl- zubeherzigendes Wort! .

Ehingen: ,Ueber die orographischen und klimatischen Verhaltnisse des Alpengebirgs* von J, Rogg, .Prof. am obers Gymn., eine tichtige und kenntnissreiche Zusammenstelung , namentlich der verschiedenen bisherigen Héhenmessungen, Schulnachrichten fehlen.

Eliwangen: ,Jahrbicher der rémischen Geschichte* mit erliuternden historischen, mythol. etc.~Anmerkungen von A. Scheiffele, Professor, If. Heft. Republik bis zam Jabr 367 v. Chr Auch die beiden friheren Hefte davon sind vom Verfasser als Programme ausgegeben worden, zugleich aber mit diesem néuen Theile im Buchhandel erschienen, Schul- nachrichten sind keine beigegeben.

Esslingen. Das hiesige Paidagogium gibt keine jabrlichen Pro- gramme mit Schulnachrichten aus, wie es denn itberhaupt keine héhere Anstalt ist; dagegen hat diesen Herbst einer der an ihm angestellten Lehrer, der als Historiker bekannte Conrector Dr. Karl Pfaff, den Ulmer Philologes zum Gruss, eine sebr interessante Broschire geschrieben., die tiber das Schulwesen Wirttembergs in dlterer Zeit schatzenswerthe Beitrége gibt. Die Schrift erschien vor einigen Tagen: ,Versuch einer Geschichte des gelehrten Unterriehtswesens in Wairttemberg in dltern Zeiten.“ (Ulm bei Wagner. -— S. 79 und LXIII Anhang) und zerfallt is 2 Abschnitte: 1. das gelehrte Schulwesen in Wartt. von den dltesten Zeiten bis zur Einfibrung des Studiums der class. Litteratur. 2. Von da bis ram 30jahrigen Krieg. Der Verfasser gedenkt seine Darstellung spater noch bis auf die neuern Zeiten fortzuféhren. .

Rottweil: ,Versuch, die Gesetze eciniger Boweguager mittelst Elementar-Mathematik darzustellen* von Qberrealk- lehrer Lerch, -— Die Schilerzahl in simmtlichen Classen, welche im -voriges . Winterhalbjabr 142 betrug, belduft sich gegenwartig auf 137; von denea 79 am obern, und 58 am untern Gymnasium sich befinden. (Zu den ersteren sind die Zéglinge des in Rottweil wie in Ehingen befindlichen ke- tholischen Convictes gerechnet.) Die Zahl der Lektionen betrag in der Sten und 6ten Classe 34, in der 4ten und 3ten 32,-in der 2ten und istes 32. Im Ggnzen ertheilen am obern und untern Gymnasium mit Eis schlues der Fachlehrer 14 Lehrer Unterricht. Am-obern Gymn. wird demniachst eine 6te Jehrstelle errichtet, um dadurch den bisher mit sa vielerlei Fachern und Correcturen aiberhauften Lebrern eine wesentiiche Erleichterung zukommen zu lassen, was auf die Anstalt selbst nur génstig einwirken kann, Das Lehrerpersonal hat im verflossenen Schuljahr zwei Verluste erlitten. Der bisherige Vorstand des Gymn. Rector Keller hat sich bewogen gefunden ,- seinen Lehrerberuf, den er seit 23 Jahren am Gymo.

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zu Rottweil bekleidete, mit der im Decanat Riedlingen gelegenen (kathol.) Pferrei Offingen zu vertauschen, welche ibm mit dem Titel und Rang eines Kircbenratbes ibertragen wurde. Sodann starb Ignaz Bundschuh, ordent- Richer Prof. der Mathematik und der alten Litteratur, und zugleich Convicts- vorstand, in einem Alter von 36 Jabren. Das durch Rector Kellers Abgang erledigte Rectorat ist dem Professor Ruckgaber prov, ibertragen worden, die andere Stelle aber noch nicht besetzt,

(3. Hl. Biirger(Real)schulen). Stuttgart. An unserer poly- technischen Schule ist eine neue Hauptlehrerstelle fir practische Mechanik geschaffen worden, die demnachst besetzt werden wird.

(48. Turnen.) Stuttgart. Am Schlusse des verflossenen Schul- halbjabres feierten die hiesigen Turner in Abwesenheit ihres unmittelbaren Vorstandes, des Prof. Frisch unter der Leitung des Prof. Dr. Klumpp ihr jéhrliches Turnfest mit Gesang, Reden und Wettturnen, diessmal jedoch mit besonderer Auszeichnung, naémlich in Anwesenheit der Ober- Studienbehérde , der Schulvorstinde und stadtischen Collegien. Die Er- nennung des als Turnfreund bekannten Dr. Knapp zum Studienrathsdirector wird far die baldige allgemeine Einfahrung des Turnens in unsern Schulen sebr fdrderlich sein, Hr. Knapp kann auf diesem Wege nun mebr far die Sache than, denn bisher als Mitglied der sténdischen Commission aber das Turnen, die tbrigens gleich beim Beginne der wiedererdffneten Sitzung ihren Bericht der der Sache sehr giinstig ist vortragen wird, und . Preussens nunmehr erfolgter Vorgang wird auch fir unsere Regierung ein Sporn sein.

I. Uebersichten. : KX. Webersicht der Zeitschriften.

' Gymnasial-Zeitung. Beiblatt der Zeitschrift fir Alterthumswissen- schaft, Ueber das Januarheft s, Pid. Rev. IV. S, 270—271. Im Februar- hefte tritt ein Philalethes III. auf und spricht milde aber wahr aber die darftige Besoldung der Gymnasiallehrer, die so oft vor Nahrungssorgen gar nicht za Schulsorgen kommen kénnen. Im Marzhefte erfreut eine abfertigende Recension von Hrn. Bossier in Zeitz tiber des Bargermeisters Neumann in Libben bekannte Scharteke: ,Ueber die Nothwendigkeit einer Abstellung u.s. w. Im Aprilhefte werden die kurhessischen Osterpro- gramme gemustert. Im Maibefte finden wir eine héchst interessante Ab- handlung von Prof. Fuss in Littich aber den lateinischen Reim, daneben eine gedankenreiche Rede von Diilthey (s. u.) Das Juniheft bringt Re- censionen und Notizen,- wogegen das Juliheft neben solchen eine kleine ‘Abhandlang von Dr, Fr. Zimmermann iiber die Methode des historischen Unterrichts auf Gymnasien und von Director Wiegand in Worms eine héchst erfreuliche Nachricht aber das erweiterte Gymnasium in Worms nebst einer wackeren Rede von demselben enthalt: ,Ueber die Aufgabe des erweiter- ten Gymnasiums zu Worms und die hauptsichlichsten Bedingungen ihrer Lésung.“ Wenn der Verf. (S, 226) sagt, ,,unsre Zeit suche sich die Er- ziehungsaufgabe gleichsam zu theilen, indem man einerseits besondere Unter- richtsanstalten fir Vielseitigkeit und Niatzlichkeit, andererseits ebenfalls hesondere fir Grindlichkeit umd Tichtigkeit zu errichten bestrebt sei,“ so ist dieser Gesichtspunkt wohl nicht der richtige, obschon es allerdings noch lange Zeit hindurch Realschulen geben wird, in denen nichts Grind- liches und Tachtiges gedeiht. Natirlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn eine Stadt, der zur Erhaltung zweier Anstalten die Mittel fehlen, za einer combjnfrten Anstalt ihre Zuflucht nimmt, einen Vorzug kénnen wir aber in einem solchen Werke der Umstande nicht sehen, ,obgleich aach eine solche Schule unter guten Lehrern vortrefflich sein und herrliche Erfolge erzielen kann. ~

ie Rede von Qberstudienrath Délthey (Gymnasium und Realschule in ihrer Verbindung zu Worms) warden wir gern hier mittheilen, aber sie ©

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nimmt 15 Spalten ein, tberdiess ist sie besonders gedruckt. Aus einer fraher erschienenen Schrift des Hern. Verf. ist bekannt, dase er das Gym- nasium als allgemeine Schule aller Gebildeten erhalten winechkt, in welchem Falle alsdann das Gymnasium xzugleich die Bedirfnisse der kéanf- tigen Kaufleate, Landwirthe, Fabrikanten u. s. w. zu befriedigen hat.

Es wird sich far den Ref. ein anderer Aniass finden, diese Arnsicht za b euchten; hier wollen wir nur auf einen kleinen Irrthum in der Note 8. 160—.161 aufmerksam machen. Da heisst es, die Hegelsche Philosophie babe der Elementarschule die Anschauung, der Realschule die Vorstellang, dem Gymnasium den Begriff, der Universitat den Complex des An sich, und des An- and fir sich zugewiesen. °

Das ist nicht ganz richtig: Gymnasium und h. Bairgerschule versirea in ihren unteren Classen in der Anschauung, in den mittleren und oberer in der Vorstellung , jedoch so, dass das Gymnasium in seinen oberen Clas- sen Perspectiven in dio Welt des Begriffes erdffnet.

HI. Webersicht der Flugschriften.

Ueber das Verhaltniss der Musik zur Péidagogik. Eine Vor-— lesung vor der Akademie der Wissenschaften zu Erfurt gehalten von Dr. G. A. Keferstein. (Lpz. Breitkopf und Hartel 1841.)

Es ist bis jetzt Gber das Verbdltniss der Kinste zu der Erziehung so wenig nachgedacht worden, dass jedes Blatt, welches tber dieses Ver- haltniss auch nur ein paar gute Gedanken ins Publikum bringt, freundiich zu begrissen ist wie ein grines Blatt im Winter. Natérlich kann eine 16 Seiten starke Vorlesung den Gegenstand nicht genigend behandeln, indess das Gegebene ist ‘schon dankenswerth, weshalb wir Padagogen auf das Schriftchen aufmerksam machen, Sehr zu winschen wére, wenn der Hr. Verf. die Frage, ob and inwiefern die Musik zu einer echt mensch- lichen Erziehung gebhort, ausfibrlich behandeln und dann zogleich die Me- thodik des musikalischen Untetrichts in der Art aufstellen wollte, dass dieser Unterricht als Bildungsgegenstan« betrachtet wirde. :

ZurVerstandigung aber den von mir bearbeiteten Kateochis- mus der christkhatholischen Religion. Von Dr. J. B. Hirscher. (Tibingen, Laupp 1842.)

Bekenntlich hat der ehrwiardige Professor v. Hirscher in Freiburg eine Katechetik geschrieben, die bei den katholischen Theologen in hohem An- sehen steht und vielleicht auch bei den protestantischen, dem Ref. ist sie unbekannt. Jetzt gibt Hr. H. einen Katechismus heraus, und das vor- liegende Schriftchen ist so zu sagen eine Vorrede far Katecheten. Sie kommt aus einem frommen Gemithe und spricht sich dabei sehr verstandig aber das aus, worauf es hier ankommt. Zuvérderst ist der Hr. Verf. der Ansicht, dass erst in der dritten Elementarschulclasse, also erst bei. 11—12jahrigen Kindern , ein Katechismus gebraucht werden dirfe; in der ersten und zweiten Classe svi biblische Geschichte der einzig passende Religionsunterricht; Geschichte sei anschaulich und der Anschaaung bedirfe das frihere Alter, Die Kieinen Jernen wohl Worter und Satze, aber diese Worter und Sitze sind zuverldssig nicht verstanden und noch weit weniger in das Gemith aufgenommen.* Eben so erklart sich der Hr. Verf. gegen die nachtheilige Gewohnheit, Kinder mit neun Jahren schon beich- . ten zu lassen. Ferner spricht Hr. H. den Grundsatz aus, dass ein Katechis- mus Nichts aufnehmen dirfe, was ohne praktischen Werth sei, dass er dagegen Alles enthalten miisse, was als Fundament und Trager des christ- lichen Lebens zu betrachten ist. Ref. freut sich, bei einem katholischen Theologen hier fir den Religionsunterricht eine Consequenz deseelber Grundsatzes ausgesprochen zu finden, den er selbst (Pddag. Rev. L S. -225—226) fir allen Schulunterricht aufgestellt hat. Auch aber der Gebrauch des Bichleins werden vortreffliche Rathschlige gegeben, Rath- schlage, die fir allen und jeden Unterricht passen, wesbalb wir die be- treffende Stelle hier folgen lassen:

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Dese-ciu Religionsunterricht, welcher sich nicht an einen Kate- chismus anschliesst, nur sehr wenig Frucht bringen kéune, liegt auf der Hand, und: wird wohl von sehr Wenigen bestritten werden. Aber wenn der Katechet einen Katechismus hat, so ist das noch nicht genug; er muss sich an denselben auch wirklich anschliessen. Er darf nicht . Fechts und links heramreden, wie es ihm eben gut dinkt; er muss sich vielmehr streng an die Katechismusworte, wie die Katechumenen dieselben mit Augen vor sich sehen, halten, Er muss sonach vor Allem die Frage vorlesen, wie sie im Katechismus steht, oder sie von den Katechumenen vorlesen lassen. Er mass sodann, wo es néthig (nach den Regeln der katechetischen Erklarung), den Sinn der Frage erldutern und bestimmen , und sich, ob dieser Sinn von den Katechumenen gefasst sei, Gberzeugen. Auf dieses muss er die Antwort, ganz so wie sie im Katechis- mus steht, vorlesen oder vorlesen lassen, und dieselbe Stick fir Stick abermal nach den Grundsdtzen der katechetischen Erklérung erldutern, Er muss bei jedom Resultat seiner Erlauterung auf die betreffenden Katechismus- worte suriickweisen, und bei jedem Fortricken der Erklérung auf jenen Passus der Katechismusantwort , von dem es sich jetzt handle, hinweisen. Ja, er muss nicht nur selbst fort und fort auf die Katechismusworte. hin- weisen, sondern die Katechumenen auch usaufhérlich auffordern, die be- treffenden Stellen des Katethismus vorzulesen, oder auch auswendig an- zugeben. Er muss 2, B. fragen: was antwortet der Katechismus auf dieses? - .wie liesest du? wie verstehst du diese und diese Worte, die du gelesen? u.s.w. Auf diese Weise, aber auch auf diese Weise allein werden die Zoglinge lernen, bei den Worten des Katechismus etwas Bestimm- tes und Kiares zu denken, und ihre Gedanken und Begriffe in den Worten des Katechismus zu denken und auszusprechen. Bei diesem Ver- fahren allein kann man sagen, dass der Katechismus der Text der kate- chetischen Unterweisung sei, und der kirchlich autorisirte Lehrweg bei dem Unterricht der jungen Christen. Ueberlasst sich dagegen der Katechet sich selbst, so héren die Katechumenen wohl allerlei, aber es fixirt sich nichts, es kommt zu keiner Klarheit und Bestimmtheit weder des Gedankens, noch des Ausdrucks; es prigt sich nichts nacbhaltend ein, und es bildet sich nirgend ein fester Anhaltspunkt far ibre Gedanken.

Von der héchsten Wichtigkcit ist das Auswendiglernen. Es kann hier der Ort nicht sein, diese Wichtigkeit auseinander zu setzen: die Ka- techetik thut das. Was hieher gehért, ist bloss die Frage, was in vor- liegendem Ketechismus von den Kindern auswendig zu lernen sei? Vieles in demselben ist bloss zum Erkldren und Verstehenlernen da, nicht aber zum Augswendiglernen. Es genitgt, dass der Schiler die Sache wisse, and soiche mit was immer fir Worten wiedergeben kénne. Doch wird es immer das Leichteste und Natirlichste sein, so die Antworten, wenn auch nicht genau, doch anndhernd mit den Verbalien des Katechismus gegeben werden, Was dagegen jedenfalls und streng auswendig gelernt werden muss, sind die Schrifttexte, und in der Regel auch die Definitionen. Ueber manches Weitere muss mit Racksicht auf Bedirfoiss und Fahigkeit der Katechumenen das gesunde Urtheil des Katecheten entscheiden.

Von gleicher Wichtigkeit mit dem Auswendiglernen ist das Repeti- ren. Was einmal begriffen und erlernt ist, soll bleiben. Darum so lang und oft wiederholen, bis es sich im Bewusstsein der Jugend befesti- get hat! Dass man so, besonders im Anfang, nor sehr allmahblig voranrickt, ist kein Verlast, sondern zuverldssiger Gewinn. Was nitzt der scheinbar schnelle Fortschritt, wenn inzwischen das Fundament des Fortbaues weicht, and im Kopf der Kleinen Friheres- und Spateres verworren und dunkel durch einander lduft! Das Wenigere fest wissen, bat ungleich mehr Werth, als das Viele halb und unsicher, Man wird daher zur ersten Durchnahme des Katechismus entschieden mehr Zeit brauchen, als zur folgenden. Doch mag man sich. den ersten Cursus hinwiederum damit abkirzen, dass man Finzelnes, was entweder von geringerem Belang, oder far die Krafte der

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Kleinen noch zu hoch ist, auf den zweiten Cursus und die folgenden zuricklegt.

Bei dem grossen Umfang der dem Katecheten gesetzten Lehraufgabe ist es cine Sache voin héchsten Belang, dass der Katechet mit seiner Zeit sowohl in der Schule, als in der Kirche gewissenhaft haushalte. Man kano sich beim Unterricht selbst gehen .lassen , man kann sich beim Unnéthigen aufhalten, bei Nebensachen verwcilen, aaf Fremdartiges, da nicht Hergehdriges, abschweifen, durch weit ausholende Fragen das, was mit swei Worten gesagt werden konnte, berauslocken wollen, und so Tage und Wochen verlieren, ohne dass man etwas Ta¢h- tiges gelehrt hat, oder in seinem Cursus vorgerickt ist. Ach, wie sehnell ist eine Stunde vorbei! Und doch ist deren Zahl so gering und jede der- selben so kostbar. Gleichwie also jeder tichtige Lehrer sein Pensum auf die ihm zu Gebot stehenden Stunden vertheilt, so auch der Katechet. Nicht als ob die der Stunde angesetzte Aulfgabe immer and ohne Ausnahme gelést werden kénnte und unnachsichtlich gelést werden misste; aber ein Plan und eine den ganzeon Cursus umfassende Vertheilung der - Materien, ja eine Festsetzung des in dieser oder jener be- stimmten Stunde Abzuhandelnden ist unerlasslich, wenn dem vagen, ladssigen, unvorbereiteten, rein zufalligen und nichts férderndes Gerede sorgloser Katecheten gesteuert werden soll.“

Denkschrift iber die zunehmende Nabrungslosigkeit und Mitte! zu deren Abhélfe. Von F. v. Poseck, Essen, Badecker 1841.

Diese kleine Schrift ist ein Versuch, die bekannte von der K, Akade- mie zu Erfurt gestellte Preisfrage zu beantworten. Sic hat den Preis nicht erhalten, indess hat die Akademie viel Wabres und Tachtiges in ihr ge- sehen. Da die in der Schrift behandelte Frage nicht der Culturpolitik an- gehért, so begnigen wir uns mit dieser Anzeige.

WE. Webersicht der Schulschriften.

Das Ziel der Gymnasialbildung, eine Rede von Dr. C. A. Morits Azt, K. Prof. und Director des Gymnas. zu Wetzlar. (Wetzlar 1841,

J. Brauneck.) ; -

Gruod und Ziel der Wissenschaft, Eine Rede von Dr. Azt, ge- halten am 4. April 1842 bei seinem Amtsantritt als Director des J. : - Gymnas. zu Kreoznach. Kreuznach, Kehr, 1842.)

Mit der zweiten dieser beiden Reden hat Hr. Director Axt auch eis lateinisches Programm (Commentationum philologarum particula altera, Gies- sen, Heyer) erscheinen lassen. Da die Pad. Revue nachstens eine altere Schrift von Hrn, Axt anzeigen wird (,,Beitrége“), auch noch von seinem »Gautachten*® aber den Dilthey-Schachtschen Streit reden muss, 80 sind wit fiber diese beiden Reden kurz, Besonders die erste verdient in recht.viele Hande zu kommen. Wir geben ein paar Fragmente daraus, Nachdem der Redner ausgesprochen, dass das Gymnas. die mdglichst volikommene Vor- weihe zur christlichen Wissenschaft geben, dasselbe seine Schiler durch die Vorhalle des classischen Alterthums in die Kirche Christi fahren soll (doch wohl auch in das Staats-, so wie in das Nationalleben?): fahbrt er fort: °

»Die Wahrheit, welche von der Wissenschaft gesucht wird, ist cine einige Wahrheit; sie ist der Inbegriff, die Harmonie aller einzeluen Wahrheiten, so viele in der Schdpfung rutien und in die Erscheinung tretwn, mdgen sie diese oder jene Seite des durch Monschennamen zerstickten selbst auch einigen Menschengeistes berdhren; Gott aber ist die Wahrheit.

Die Wissenschaft, d.i. die Betracktung und Erkenntniss der Dinge, der einzelhen als des Einen, sucht mithin Gott; und diese Anstalt ist den Anfangsgranden derjenigen Fertigkeit and Kunst gewidmet, welche das Leben erklart, Die Erfurschung dea Gottes, in welchem wir leben, webeu und sind, yon welchem, durch welchen, far welchen Alles ist; * das Jagen

* Apostelgesch. 17, 28. Rom. 11, 36. .

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und Ringen nach der Heiligung,*” ist der Gegenstand und das Geschaft der christlichen Wissenschaft; sie sucht Gott im Sein und im Leben, in . der Natur und im Geiste, in den Werken und Stimmen der Weisen und Kinstler, in der Geschichte aller Volker und Zeiten, vor Allem aber im Evangelium.

Der Idiot ** hat die Wahrheit nicht; er hat nur einzelne Wahrheiten und Erkenntnisse oder oft gar nur Kenntoisse; grammatische, geschicht- liche , gewerbliche , theologische, mathematische, medizinische , handwerk- liche, philologische, juristische, und wie die verschiedenen Bestrebungen des Menschengeistes heissen mogen. Aber die Wahrheit hat er nicht; so wie es far ihn auch keine ganze Scele“gibt, sondern nur einzelne Seelen- krafte. Er hat von der Wahrheit nur eine mehr oder weniger unklare . Empfindung und sieht sie nur immer auf dem Einen Punkte, auf welchen der matte Schimmer seiner einseitigen Subjectivitét fallt. Immerhin mag es seine Richtigkeit haben, wenn der Dichter sagt:

Was kein Verstand der Verstandigen sieht,

‘Das fibet in Einfalt ein kindlich Gemith. . am wenigsten wollen wir mit dem Dichter aber ein Wort rechten; denn mit dem Verstande sieht man derlei Dinge tiberhaupt nicht: aber die Einfalt kann das hdéchste Ziel des Menschengeistes nicht sein; auch eine solche Einfalt nicht, sondern Erkenntniss Gottes, Verstandniss: des Lebens , Selbsthewusstsein der Tugend, Gottesdierst im Geiste und in der Wahrheit. .

Dem Idioten offenbaret Gott sich~und seine Heimlichkeiten vom An- fange der Welt our in Gleichnissen , *** und anders als in Gleichnissen redet er nicht zu ihm; + denn mit sehenden Augen siehet er nicht, und mit hérenden Ohren hoéret er nicht: denn er verstehet es nicht, ++

Als Ganzes, Allgemeines und Zusammenhangendes liegt die Wahrheit, _in dem ihrem Wesen eigenthimlichen Glanze, nur vor den Blicken des wissenschaftlich Gebildeten da, nur er hat die Wahrheit, als ein Verbain- deter, nein, als ein Inhaber des Geistes, der alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit erforscht. +++

Gott sich hinzugeben, von ihm sich leiten und durchdringen zu lassen, seinen Willen im Herzen, im Wort, in der That zu vollziehen, in seiner Liebe das ganze Wesen und Leben zu verklaren, in seiner Liebe die alte _patirliche Robheit, das Arge, die Selbstsucht, die Leidenschaft, den Wahn, den Aberwitz, die Sinde auszutreiben, darnach trachtet der Jinger der christlichen Wissenschaft, der héchsten, besten Menschenbildung, der Lieb- haber der Gottlichkeit, des Christenthums, ' -. .

' Christenthum ist wabre Philosophie , und wahre Philosophie Christen- tham. Das Sittengesetz in des Menschen Brust stellt an. diésen ideale For- derungen und gebietet ibm unablassig nach dem Hochsten zu trachten; die Sittlichkeit des Menschen aber ist ein Resultat der ganzen Beschaffenheit seines Geistes. Ebenso verlangt das Christenthum von seinen Bekennern die mdglichst grésste Cultur ihres ganzen Geistes nach allen Richtungen, des Verstandes, des Gemathes, der Phantasie, der Vernunft, der Erkennt- niss and des von diesen bedingten Willens; ein jegliches Ding im All ist Object christlicher Beschauung; es gibt kein anderes Maass der Verninftig- keit, der Verstandigkeit, des Scharfsinnes, der Klarheit, der Gemithlich- keit, des Gedankenschwunges, der Willensreinigkeit, des Wissens, von dem man sagen kénnte, dass es den Anforderungen des Christenthums genagte, als das héchste absolute Maass selbst. Der geldutertste Christen- wille, die gottgefilligste Christenthat ist bedingt von der geldutertsten

* Hebr. 12, 14. ; . - ,

-** Das Horazische: Wage es weise zu sein (Epist.1, 2, 40.) er- geht an Jedermann, an jeden Stand, aber nach Paulus (2. Thess. 3, 2.) ist der Glaube nicht Jedermanns Ding.

*e* Matth. 13, 35. + Matth 13,34. +4 Metth. 13, 13.

+++ 1 Cor, 2, 10. . a

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Erkenntniss aller Dinge ohne Ausnahme ; Niemand kann sagen, dass er um ein vollstindiger Christ in Gedanken nnd Handlangen zu sein, Etwas nicht kennen und wissen dirfe. Soll der Christ dberali das objectiv Gute den- ken, wollen und thun, so darf ihm auch nicht das Kleinste der Momeate verborgen sein, welche dazu gehéren, um das objectiv Gute in den ge- napnaten, sich gegenseitig motivirenden , Bezichangen darzustellen.

So wie es keine Faser am ganzen Menschen gibt, kein Gliedlein, hein Gedankenatom, welches nicht vom Christenthum ergriffen und in den -Be- reich seiner erweckenden oder beschwichtigenden, seiner heiligenden Ge- walten gezogen wirde, ebenso gibt es keine Bestrebang des Menschen- geistes, welche nicht eine Rickwirkang dusserte auf die Entfaltung der christlichen Idee. Der menschliche Geist gleicht der Fiéte; Da magst in diese oder in jene Oeffnung biasen, immer (dnt das ganze Instrument; doch den Einklang der Téne vermag nor der Kundige hervorzerufen. Ebenso ist bei jeder Wahrnehmang und Erkenntniss die ganze Seele thatig und betheiligt; jede fliesst ein auf ihre vernotnftige Substanz, wenn auch zu- nachst und unmittelbar nicht immer das Reich der Ideen, des Sittlichen selbst, beriihrt wird. Die ewig wachsende Grésse ist von unermesslicher Einwirkung aaf die Idee des Gottlichen, des Guten, Heiligen, Schdnen, von unermessiich sichtender, anweisender, erfallender Macht. Die .Resal- tate der Natur- und der Geistesphilosophie, der Mathematik, Physik uud Chemie, der Infinitesimalcalcul Newtons und Leibnitzens, wurden zu be- deutenden Werkstacken an dem Lehrgebdéude der Glaubens- und der Sitten- lehre der beutigen Menschheit, ja zu Eckstcinen an dem Gebaade der speculativen Theologie; was aber die Wissenschaft ausbeutet , dessen Kin- flassen kann sich nimmer die populare Gotteslehre und die Meinung des Volkes entziehen. Was die Loft fir die Kérper und ihre Gesundheit ist, das ist die Atmosphare der Wissenschaft fir die Geister und ihre Gosund- heit. Die Schiffe des Columbus brachten nicht allein einen neuen Welttheil und seine késtlichen Erzeugnisse zurick, sondern auch eine unsichtbare,

-angeheure Fracht von Merkmalen fair den Gottesbegriff; der Gottesbegriff aber ist das Centrum der Volkscultur. Als Savary im Jahr 1700 die erste Dampfmaschine lehrte, schleuderte er zugleich gewaltige Momente zur Hei- ligang und Verschénerung des Lebens und der Sitten in die Welt hinaas, und er verwaltete, trotz dem Fluche der Industrie und dem teuflischen Vor- schube, den sié leistet, trots der Flachheit und Erbarmlichkeit dieser Art von Civilisation, wenn sie allein und vom Hoéchsten losgelést Etwas sein oder sich an die Stelle des Hichsten setzen will, trots dem so war es wohlgefallig vor Gott verwaltete er ein Apostelamt fir das Evangelism.

Denn die Predigt vom Gekreuzigten ist fortan, seitdem sie erschollen, der bestaindige Mitte!punkt alles geistigen Lebens auf Erden; von ibr sus aad

‘nach ihr werden rickwarts and vorwarts alle sittlichen Erscheinungen be- messen; auf ihr zundchst ruht die ganze Hohe der modernen Cultur. So wie aber das Evangelium selbst auch geschichtlich ward und in die Erschei- nung trat, so wie die ganze frihere. Geschichte Gottes und der Mensobheit als seine Basis und Einleitung gelten muss; so wie in jeder Periode der Gottes- und Menschengeschichte ein Bleibendes, far alle Folgezeit Galtiges, Ewiges, geordnet ist und sich herausstellt denn Gott that Nichte um- sonst; die Geschichte aber, das heisst die geistig vermitteke Natar, ist, jedenfalls anbestreitbar in ihren Resultaten , That Gottes ebenso muss der wissenschaftlich gebildete Christ die Geschichte Gottes und der..Menschheit noch einmal in seinem Geiste mit durchleben, die bleibenden Momente in sich aufnehmen und auf diesen sein individuelles Christenthum als auf einer Basis und Einleitung grinden.

Solch ein bleibendes, ewig gialtiges Moment fir das Christegthum ist aus der alten Welt namentlich die Litteratur und Kunst, das Leben and die Geschichte des griechischen und des rémischen Volkes, sonderlich des griechischen , dieses holdesten Lieblings der segnenden Gottheit, in dem sie noch eine solche Faille ihrer schdpferischen Unmittelbarkei$ walten lassen wollte, dass kein Volk der Erde mit ihm auch nar im Entfernten hier sich

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vergleichen darf; selbst die Laster der Griechen wollte der Genius nicht ohne seinen mildernden Anhauch lassen,

Die Weltanschauung aber des Evangeliums und ihre Darstellungsform ist dem Alterthume aus geschichtlichen Grinden in vielfacher Hinsicht sehr ver- wandt; der modernen Welt in vielfacher Hinsicht ganzlich fremd und unver- standlich: da dient denn das Altertham zur Verstandigung. .

Allein, was das Bedeutendste ist, das Evangelium dringt als Idee mit Uebermacht auf den reinen Geist, der Kreis seines Lebens und Wirkens er- scheint nar als ein innerlicher; alles Aeusserliche scheint hier von dem Gciste als Nichts zuriickzutreten. Wohl soll das Innere in das Aeussere herausgear- beitet werden und sich in jeder Lebensbeziehung darstellen; aber der Ab- stand zwischen dem Geistigen und Sinnlichen, zwischen dem Gedanken und dem Leben erscheint allzu schroff und weit; die Forderung des Geistes allzu

gross, die Versdhnung des Unendlichei mit dem ‘Irdischen und‘ Wirklichen ©

unmdglich. Da ist denn leicht die Folge, dass das Christenthum gar nicht als ein thatiges, alle Erscheinung ergreifendes Princip des Lebens betrachtet wird; es zieht sich zurick in dig Tiefe des Gemfithes als dberschwengliche, wenig fruchtbare Beschaulichkeit, gleichsam als erhaben iber die Gegenwart mit ihren materiellen Bestrebungen und Verstandesberechnongen, die es ja eben seiner reinigenden Kraft unterwerfen soll; oder es hangt dusser- lich todt und Jose im Geédichtnisse, wenn es nicht ganz ignorirt wird. Da tritt nun das Alterthum zwischen die christliche Idee und das

Leben der Gegenwart und vermittelt den Bund zwischen Beiden, indem es die Idee in das Leben hindberleitet, das Leben in die Idee hiniber verklart.“

Iv. Archiv der culturpolitischen Gesetzgebung.

¥. Preussen.

Circnlarverfigung an die K. wissenschaftlichen Prifunge- Commissionen, betrefffend die Prafung der Candidaten der Theologie pro facultate docendi, vont 21. December 1841.

In der aonvter dem 3. Februar 1838, (Annal, S, 655—657) an die K. wissenschafilichen Prifungs-Commissionen ergangenen Verordnung, welche die Bestimmungen des §. 22. des Reglements fir die Prifungen der Candi- daten des hoheren Schulamts in Betreff der Ertheilung der bedingten -facultas

docendi modificirt, ist zu den Hauptlehrgegenstinden, welche das Resultat

' der Prifung wesentlich bedingen, auch die Theologie und die hebraische

_ Sprache in der Voraussetzung gezahlt worden, dass die Commission den

Candidaten auch in diesen Gegenstdnden, unter Bericksichtigung der im

§. 21, enthaltenen Bestimmungen, selbst prife , und dadurch in den Stand |

gesetst werde, die Kenntnisse desselben in der Theologie und in der he- braéischen Sprache beurtheilen zu kénnen. Da indessen von denjenigen

-Cendidaten der Theologie, welche sich zur Prifang pro facultate docendi .

Behufs der Ucbernahme eines héheren Schulamtes melden, die evangelischen . hédafig, die katholischen in der Regel bereits die theologische Prafung bei den betreffenden Prifungs-Commissionen bestanden haben; so sollen die far sie ausgefertigten Zeugnisse dieser Commission, wenn sie dem Candi- daten ein vorzigliches Pradicat ertheilen, zur Verleihung der facultas do- condi fir den Unterricht in der Religion und in der hebraischen Sprache insofern schon genigen, dass eine die Kenntnisse des Candidaten in diesen Gegensténden erforschende Prifung nicht erforderlich, sondern durch ein angemessenes Colloquium und durch Probelectionen allein die dem Candi- - daten beiwohnende Lehrgabe und Methode naher zu ermitteln und nach dem pflichtmassigen Ermessen der K. wissenschaftlichen Prifungs-Commission die facultas docendi auf die uateren oder mittleren Classen za beschrénken, oder auf die oberen Classen auszudehnen ist, In dem Falle, dass das Zeugniss der theologischen Prafungs-Commission sich bloss aber die Kennt-

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nisse des Candidaten in der Theologie, nicht aber Gber seine Kenntnisse in der hebrdischen Sprache ausspricht/ bleibt eine fdrmliche Prafang in derselben auch kinftig vorbehalten, ;

In Betreff der von der K. wissenschaftfichen Prafungs-Commission ab- zuhaltenden Prifung pro facultate docendi gelten dagegen fair diese Cas- didaten nur die beiden alten Sprachen und die Muttersprache, oder die Mathematik und Naturwissenschaften, oder die Geschichte und die Geogra- phie, als Hauptlehrgegenstande, und ist die Prifang genau nach denselben Grundsatzen abzuhalten, und die unbedingte oder bedingte facultas docendi. in diesen Gegensténden ihnen, ohve Ricksicht auf die facultas docendi in der Religion und in der hebrdischen Sprache, nach demselben Maasstabe zu ertheilen oder zu verweigern, wie es bei den Cundidaten weltlichena Standes in Gemassheit der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen geschieht, so'dass den Candidaten der Theologie in dieser Beziehung die Prafang weder erleichtert noch erschwert wird. .

Die K. Provinzial-Schulcollegien sind von dieser Verfagung in Kennt- niss gesetzt, um die Directoren der Gympasien zu veranlassen, dieselbe _ den Schilern der oberon Classen bekanot zu machen.

Berlin, den 21, December 1841.

Der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicival- Angelegenheiten: Eichhorn.

Circularverfigung an simmtliche K, Regierungen, sowie abschriftlich zur Kenntnissnahme an simmtliche K, Ober- prasidenten, betreffend die Recursinstanz in Disciplinar- Untersuchungssachen wider Elementarschullehrer und Lehrer des héhern Schulfachs, vom 20. December 1841.

Die allerhéchste Cabinetsordre vom 29. Marz 1837 (Gesetzsammlung S. 70.) verordnet, dass die Entscheidung in der Recursinstanz bei Disviplinar- Straffallen wider Elementar-Schullehrer in jeder Provinz dem Ober- * Prasidenten zustehen soll, wabrend es in Ansehung héherer Lehrbeas- ten bei dem friheren Verfahren, wonach der Recurs an das Ministerianm der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten gerichtet wird, sein Bewenden behalt. .

Diese Unterscheidung macht es nothwendig, um entstehenden Zweifela far die Zukunft za begegnen, die Grenze zwischen den Elementar-Schul- lehrern. und héheren Lebrern in Beziehung auf das Recursverfahren in Disciplinarsachen , naher festzustellen. ;

Zu der Classe der Elementar-Schullehrer kéunen alle diejenigen Lebrer nicht gerechnet werden, welche an den hédheren Birger-, Real-, allge- meinen Stadtschulen, und an den solchen gleich zu achtenden dffentlichea Lehr- und Erziehungs~Anstalten als Directoren, Rectoren and Lehrer, interimistisch oder definitiv angestellt sind, und welche entweder vor den K. wissenschaftlichen Prifungs-Commissionen, oder vor den von den Re- gierungen ressortirenden Prifungs-Commissionen zur Prifung der Literati pro schola ihre Befaéhigung zur Verwaltung des Schulamts dargethan haben, indem diese nicht allein persénlich eine héhere Ausbildung nachgewiesen haben, sondern auch an einer héheren Unterrichtsanstalt thaétig sind. Is Disciplinarfallen gegen diese Classe von Lehrern .wird daher der Recurs an das Ministerium gestattet. .

Dagegen bleibt die Entscheidung auf den Recurs derjenigen Lehrer, welche jene héhere Befahigung nicht nachgewiesen haben, und bei einer Schule der angegebenen Art nicht angestellt sind, dem Oberprasidenten der Provinz dberlassen. 7

Sollten die in einzelnen Provinzen obwaltenden besonderen Verhaltnisee noch eine nahere Bestimmung nothwendig machen, so wird daraiber der - Bericht der K. Regierung erwartet. Berlin, den 20. Decbr. 1841.

Der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicihel- Angelegenheiten. Eichhorn.

RRL ET I TTT

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Verfagung an die K. Regierung zu K&nigsberg in Pr., die Dotationen der Schullehrerstellen auf den Dérfern mit Land betreffend, vom 28. Januar 1842,

Auf den, die Dotationen der Schullehrerstellen auf den Dérfern mit Lend betreffenden Bericht der K. Regierung vom 31. v. M. wird derselben hiedurch* erdffaet, dass das Rescript des Ministeriums der geistlichen, Unterrichte- and Medicinal-Angelegenheiten vom 8. October v. J. die Do- tationen betrifft, durch welohe der Unterricht in neu errichteten Kolonien sicher gestellt werden soll, und daher fair andere Faille, namentlich bei Gemeinheitstheilungen, nicht massgebend sein kann. Nur in sofern darf dagelbe fir die Auseinandersetzungen Richt ganz unbeachtet bleiben, als dasselbe auf denselben Grinden der Gesetzgebung beruhet, aus welchen der §. 101. der Gemeinheitstheilungs-Ordnusg hervorgegangen ist. Nach diesem sollen Dorfschullehrerstellen, welche mit Land- und Hatungsrechten sur gering dotirt siod, mindestens so viel Gartenland erhalten, als eine Femilie zur Erziehung des Gemisebedarfs und des Futters far zwei Kibe béthig hat. Auch hiernach ist also nicht die Absicht des Gesetzes, den Schallehrern Gelegenheit zum Betriebe von Feld- ond Landwirthschaft zu geben; nor Gartenb:u und einige Viehhaltung zur mehreren Sicherung der Subsistenz einer landlichen Familie ist der Zweck, und geht derselbe auch schon aus der Allerb. Kab.-Ordre vom 95. Novbr. 1812 (Ges.-Samml. S. 194),

,Welche in der spdteren Gesetzgebung nur weiter ausgebildet ist, deutlich

-hervor. Diesem ist es daher ganz entgegen, wenn der Schullehrerstelle tine grosse Flache unergiebigen und entfernt ‘gelegenen Landes zugetheilt wird; die Dotation muss in mdglichster Nihe bei der Wohnung des Lehrers - ‘ats Lande exmittelt werden, welches sich nach seiner Beschaffenheit zu Gartenland eignet, und unter diesen Voraussetzungen genigen nach dem -Derchschnitte der in andern Landestheilen gesammelten Erfahrungen, je nech der Gitte des Landes, mindestens 3 und héchstens 5 Morgen Preus- siseh , um das im §. 101. a. a. O. bezeichnete Maass zu erfillen.

Ist nan der Reinertrag dieses Landes geringer zu veranschlagen, als der des Landes und des Hiatungsrechts, welches der Lehrer zu benutzen bis- her berechtigt war, so tritt der §. 102. in Anwendung. Es wird zwar auch in diesem Falle angemessen sein, die Abfindung in der Nahe und in bessern Grandsticken zu geben , so weit diess ohne Verletzuog der ibrigen Interes- senten geschehen kann; der Umfang muss aber ganz nach der Bonitirung und dem Werth der Weideberechtigung, also nach dem Sollhaben bestimmt werden, wie bei jedem andern Interessenten, Der Ansicht, dass eine grossere Landwirthschaft den Lehrer von seinen Amtspflichten abziehen kénnte, kann auch keine so ausgedehnte Einwirkung beigelegt werden, dass man daraaf Bedacht nehmen misste, die urspringlich mit Land- und Hatangsrecht reichlicher dotirten Stellen auf das Normalmaass des §. 101. zu reduciren, und ihnen fair das Mehrere, was sie zu fordern haben, eine Rente zu ermittein. Der §. 102.. weist vielmehr auf das Gegentheil bin, und nach §. 66. bleibt die Abfindung in Land die Regel, und nur beson- dere Umstinde oder Ucbereinkunft beider Theile kénnen Ausnahmen begrinden,

Nach diesen Grundsatzen hat auch die K. Regierung die Abfindung der Schullehrerstellen aus den Gemeinheiten zu beurtheilen.

Berlin, den 28. Januar 1842.

Ministeriam des Innern. Landwirthschaftliche Abtheilung.

; v. Meding. Circularverfigung an simmtliche K. Regierungen, die Her-_ anziehang der Geistlichen und Schullebrer zur Classen-

steuer betreffend, vom 30. December 1841.

Es sind Zweilel dariber erhoben worden, ob und in welchem Maasse die ibres persdnlichen Standes wegen von der Classensteuer befreieten Geistlichen und Schullehrer, wenn sie ausser dem Einkommen aus ihren geistlichen und Schuldmtern sonstiges Einkommen beziehen, zu dieser Steuer

heransusfehen sind. ; Pid. Revue 1842. b, Bd. V. 28

- 426 .

Wir sehen uns veraniasst, der K. Regierung dieserhalb Folgendes su eréffnen: ° ' 1. Der Bestimmung des §. 2. d. des Classensteuer-Gesetzes vom 30. Mai 1820 analog, wird die Befreinng von der Classensteuer der ihres persdn- lichen Standes wegen dieser Steuer nicht unterliegenden Geistlichen and Schollehrer ‘nur dann aufgehoben, wenn sie selbst, oder die in ihrea Haushaltungen lebenden Angehdrigen, auf anderen als den Dotalgrund- sticken Landwirthschaft oder aber Gewerbe betreiben.

2. Der Besitz von Hadusern und Garten ausser den Dienstgrandsticker, von Capital- und beweglichem Vermégen, der Genuss von Renten, Geld- und Natural-Prastationen, von Einkommen aus anderen Aemtern verpfichtet Geistliche und Schullehrer nicht zur Classensteuer,

4. Der Besitz von Grundsticken (ohne Ricksicht auf deren Grésse), welche von den Geistlichen und Schullehrern, oder von den in ihren Haus- haltungen lebenden Angehodrigen nicht selbst bewirthschaftet, also zs, B. durch Zeitverpachtung benutzt werden, hebt die Classensteuerfreiheit gleich- falls nicht auf. - ;

4, Die Steuerpflichtigkeit tritt auch dann nicht ein, wenn die selbst- bewirthschafteten Grundsticke unerheblich, oder deren Benutzung von der Art ist, dass der Begriff einer se'bstindigen- Landwirthschaft darauf nicht Anwendung findet. Ob eine selbstandige Landwirthschaft vorhanden ist, muss in den einzelnen vorkommenden Fallen, wo dariber Zweifel statt- . finden , nach den obwaltenden Verhaltnissen von den Veranlagungsbehorden, beziehungsweise der K. Regierung, geprift und festgestellt werden. |

5. Als Gewerbe, deren Betrieb Geistlichen und Schullehrern die Cle- sensteuerfreiheit entzieht, sind nur diejenigeh anzusehen, von welches Gewerbsteuer zu entrichten ist. -

6. Steht hiernach die ClassensteuerpQichtigkeit eines Geistlichen und Schullehrers fest, so bestimmt sich das Maass der Steuer nach. den allge- meinen gesetzlichen Veranlagungsgrundsdtzen. Unvereinbar hiermit warde es sein, wenn bei der Bemessung des Classenstenersatzes steverpflichtiger Geistlicher und Schullehrer das Einkommen aus dem geistlichen oder Schu- amte bei der Besteuerung unbericksichtigt blicbe. | .

Die K. Regierung wird beauftragt, die Bestimmungen durch das Amt- blatt zur dffentlichen Kenntniss zu bringen, und deren Beachtang Seiten ' der Classenstéuer- Veranlagungsbehérden zu adberwachen. _

Finanzministerium. Graf v. Alvensleben. Ministerium der geistlichen , Unterrichts- und Medicisa- Angelegenheiten. Kichhorn.

V. Bibliographie. (October, November, December. 1841.) (Schluss. )

8. Hand- und Schulbticher. 1. Alte und neue Sprachen.

Goltschick, Griechisches Elementarbuch far unt. und mittlere Gymnasial- elassen. 1. Abth. gr. 8. (VII und 150 S.) Berlin, Plahnsche Buchh. 10 gr. Jacobits und Setler, Handwérterbuch der griech. Sprache, 4. Bandes 2. Abth, Z—K, Lex-8. (§. 929—1502). Leipz. Heinrichs, 4 Thir. 12 gr. Crusius , Vollstandiges griechisch-deutsches Worterbuch iiber die Gedichte des Honieros und der Homeriden a. s.w. 2, verm, Aufl, Lex-8.. (XII und 540 S.) Hannover, Hahn, 1 Thir. 16 gr. Theiss, Vollsténdiges Wérter- buch zu Xenophons Anabasis u. 8. w. gr. 8 (IV und 180 8.) Hannover, Hahn. 12 gr. August, Lateinisches Uebungsbuch f. d. erst. Unterricht in d, Gramm, und im Uebersetzen u, 6, w. gr. 8. (72) Berlin, Trautwein und

427

Comp. & gr. Kéhner, Elementargrammatik d. latein. Sprache. {. Abth. gr. 8. (XIU und 305 S.) Hannover, Hahn. 20 gr. Gossmann, Lateinische Gremmatik far Anfanger, gr. 8. (65 S,) Warzburg, Yoigt und Mocker in Commiss, 6 gr. Schuls, lateinische Synonymik u.s. w. 8. (XII und 321 S.) Arnsberg, Ritter. 21 gr. Schulse, Die Lehre von der Bedeu-- tang und Aufeinanderfolge der Jatein. Tempora u. s. w. gr. 8. (6 S. ohne Pag. und 8 5S.) Prenzlau, Kalbersberg. 8 gr. Silbertt, Latein. Schul- -

ammatik, 2. Ausg. gr. 8. (VIII und 303 S.) Bonn, Habicht, 14 gr. Sudendorf. Regeln Ober das latein, Verbum ws, w. gr. 8. (VI und 58 S.) Leipzig, Fleischer in Comm. 8 gr. Karcher, Handworterbuch der Jatein. Sprache. 1. Abth. A—J. Lex.-8. (840 Sp.) Stuttgart, Metzler. Beide Abth, 2 Thir, Ranke, Chrestomathie aus-latein. Dichtern, 2, verm. Ausg. gr. 8. (VIII und 183 §.) Quedlioburg, Franke in Comm. 14 gr. Holdufer. La- teinisches Lesebuch zur Einvadbung der syntaktischen Regeln u. s, w. 8. (5 &. ohne Pag. und 162 S.) Berlin und Kistrin, Enslin’sche Buchh. 10 gr. Moénnich, Aufgabensammlung zum ersten Curs der Schulgrammatik der . deut. Sprache. 8. (101 S.) Narnberg, Korn. 6 gr. Ritsert, deutsche Sprachlehre mit zahlreichen Uebungsaufgaben. 2. Aufl. 3. -Abtheil, (VIII und 568 S.) Darmstadt, Diehl, 1 Thir. 6 gr. Becker, Organism der Sprache. 2. Aafl., gr. 8. Frankf. a/m. Kettenbeil. 3 Thir. Mayer, Synonymisches Hendwé6rterbuch der deutschen Sprache. 8—10. Lief. gr. 8. (753—1182 Schluss) Kempten, Dannheimer. 18 gr. Puts und Remacly, Deutsches Lesebuch far die obern Classen héherer Lehranstalten, gr. 8. (XVI und 316 &.) Kéln, Weller. 1 Thir. 8 gr. Wackernagel, Wilhelm, Deutsches Lesebuch, 3. Theil. 1, Band,. Breit. gr. 8, (IX S, und 1076 Sp.) Basel. Schweighduser, 2 Thir. 4 gr. Tetsner, Lesebuch fir Mittel- und Ober- classen u.s. w. 2, Aufl. 8. (VIII und 307 S.) Leipzig, Eisenach. 12 gr. Deutsches Lesebuch u.s,w. 5. Aufl. gr. 8, (XVI und 848 S.) Bremen, Heyse. 1 = Thir, Certmann, Vorschule des franzés.-Unterrichts u. s. w. 2. Aufl. gr. 12. (XXIV und 239 S.) Offenbach, Heinmanu 8 gr. Derselbe, Wore terbuch zu den deutsch-franzés. Uebungen. gr.8, (110 S.) Offenbach, Heine- mann 6 gr. Exercices élémentaires de langte francaise u. 6. w. 12. (104 S.) Strasburg, Vve Levrault. 4 gr. Zoller, Franzés. Sprachbuch, 3. verbess, Aufl, 1. Theil. gr. 8. (XXVIII und 208 S.) Stuttgart, Schwcizer- bart, 14 gr, Fries, Kleine, praktische, franzésische Sprachlehre u. 8, w. 8. (222 8.) Bern, Fischer. 12 gr. Derselbe, leichtfasslicher Unterricht in. der franzés. Sprache u. s. w.:2. vermehrte Aufl, 8. (VIII und 138 S.) Narnberg, Zeh. 9 gr. Otto, Lehrbuch der franzés. Sprache far Schulen u, », w. 1. Theil, gr. 12. (VIII und 160 S.) Heidelberg, Winter. 8 gr. Taiilefer, neve franz, Grammatik u. s. w. 2 Bde. gr. 8. (XX und 394, IV und 106 §.) Leipzig, Zirges. 18 gr. Tauber, der neue Lafoss, Vollstan- dige Anleitung, die franzds. Sprache u. s. w. zu erlernen, 3. verb. Aufl. - gr. 12, (274 S,) Wien, Mausberger. 14 gr. Wahlert, Anleitung zum Sprechen des Franzésischen, 2. Anfl. 8. (188 S.) Paderborn, Krivell. 12 gr. Frankel, Lesebuch fir den ersten Unterricht in der franzés, Sprache, _In 2 Abschn, 2, Aufl. gy. 12. (84, 87S.) Berlin, Heymann, 4 gr. Tatiles, Kurzgefasste franzés. Grammatik u.s, w. 4 Aafl. 2. Heft. gr. 8. - (129—296). Manchen, Fiusterlin. 10 gr. Carl, Einleitung und Ergin- zung gu der Gramm. von Noéi et Chapsal. gr. 8, (146). Elbing, Rahnke, Berlin, Nikolai. 10 gr. Noél, lectures francaises u. 8s. w. Tome 1. In—8. (XX und 364 S.) Bertin, Reimer. 21 gr, Lehmann, franzés, Laut- und Leselehre. 8. (96 S.) Basel, Neukirch. 6 gr. Frankel, Anthologie franz. Prosaisten des XVIII. und XIX. Jahrhunderts, [. Curs. 3. verb. Aufl, 8. (IV und 2008S) Berlin, Klemann, 12 gr. Dictionnaire francais-allemand- anglais u. 8, w. 3. Aufly Breit. 8. (281 S,.) Leipz. Brockhaus. 20 gr. Mosin,. kleines deutsch -franzdsisches y. 8. w. Worterbuch. 1. Theil. 8. _ KU and 4808S.) Stuttgart und Tabingen Cotta. 1 Thir. 4 gir. Schuster, dictionnaire des langnes allemande et francaise u. 8. w. 2—6. Lieferung. Lex.-8. (VIII uod 161{—1014). Leipzig, Weber. 1 Thir. 16 gr. Mole, Neuveaw dicti: naire frangais-allemand et allemandrfrangais u.s.w. 2. Theil,

“a.

428

deutsch-franz, Stereotyp. Lex.-8. (586 S,) Braunschw. und Leipz. Wester- mann. i Thir, Vinet, Chrestomatie francaise u. s. w. 8, (XVIII usd 482:S.) Basel, Neukirch. 3. Theil. 1 Thlr. 22 gr. Maeder, Yami des écolicrs, livre de lecture a l'usage des écoles primaires, 12. (VI u. 2865S.) Strasburg, Wwe. Behnsch, the teacher’s assistant u. s. w. gr. 8. (VI und 194 S,.) Breslau, Kern. 16 gr. Sérete, Anleituog zar leichtern Ke- lernung der engl. Sprache. gr. 8. (IV und 123 S.) Wesel, Klénne. 10 gr. Hoffa, Halfsbuch zum Erlernen der engl. Sprache. gr. 8. (VI u. 233 S.) Marburg, Elwert. 16 gr. Grieb, Neues deatsch-engl, und engl.-deutsches Worterbuch. 1. Bd. deutsch-englisch. 1. Abthl. Imp.-8. (8, 1—320), Stattg., Hoffmann. 1 Thir. 20 gr. A complete Dictionary English-German and French u. s.w. 3. Ausg. Breit. 8. (572 S.) Leipz , Brockhaus. 1 Thlr. 16 gr. Hundeiker, Neues englisches Lesebuch. 1. Theil. 4. Aufl. gr. 8. (XII and 922 .S. nebst 140 S. Wérterbuch.) Bremen, Heyse. 1 Thir. 16 gr. Filig-

pi's ausfihrliche theoretisch-praktische Grammatik der italienischen Sprache.

12. Aufl. gr. 8. (IV und 476 S,) Nirnberg, Zeh. 1 Thir. 8 gr. 2. Litteratur. a. Schulausgaben.

. Aristotelis, de imputatione actionum doctrina.. Ad scriptorum Ariste- telicorum fidem recognovit, exposuit et illustravit Dr. Fred. Geogr. Afzelias. 8. (XXXVI upd 103 S.) Upsalie. 21 gr. Plutarch Vitae ,. Tom II 8 maj. (290 S.) Monachii, Libraria scholarum regia (Regensburg, Manz io Comm.) 1A’gr. Ciceronis (M. Tullii), De finibus bonorum et malorum libri V. 6940. | 8 maj. (205 S.) Monachii, Jibraria scholarum regia. (Regensburg, Manz. _ in Commiss.) 10 gr. Derselbe, paradoxa graece versa et explicata u.s8,.w. - 8 maj. (VIII und 75 S.) Halis,Saxonum libraria orphanotrophei. 12 gr. Eutroptt breviarium historic Romane, mit kurzen theils grammatischen, ‘theils geschichtlichen Anmerkungen u.s.w. 4. Aufl. 8, (469 S.) Lemgo, Meyer. 8 gr. Virgilit Maronis opera, herausg. v. Karl Sipfle. gr. 12. (3325) Karlsruhe, Gross. 16 gr. ; .

o. Anthologien.

Bach, deutsches Lesebuch far Gymnasien, QObere Lehrstufe. 1. Abth. Lex.-8. (XIV und 545 S.) Leipzig, Einhorn. 1 Thir, 18 gr. Kletke, Denteche Fabeln des XVIII und XIX Jahrhunderts. Schulausgabe. gr. 16. (XXIII und 287 S.) Berlin, Klemann. 12 gr.

-e, Litteraturgeschichte,

Grdsse, Lehrbuch einer allgemeinen Litteraturgeschichte aller bekann- ten Volker der Welt. 2. Band, 2. Abthl. 2. Halfte. gr. 8. (S. 531—124a Schluss.) Dresden und Leipzig, Arnold. 3 Thir. 20 gr. ov. Schlegel's Geschichte der alten und neuen Litteratur , fortgefibrt v. Theodor Mundt, 1. Theil, 3—5. Lief. 8. (I. XII und S. 193—482. Schluss.) Berlin, Simion. 1 Thir. Miller, Otfried, Geschichte der griechischen Litteratur bis auf das Zeitalter Alexanders, 2 Bde. gr. 8. (VIH und 395, 431 S.) Breslau, Max und Comp. 4-Thir, 12 gr. Gervinus, Neuere Geschichte der poeti- schen Nationallitteratur der Deutschen, 2. Theil. gr. 8. (VIII und 787 S.) Leipzig, Engelmann, 4 Thir. 12 gr. Gelser, die deutsche poetische Lit- teratur seit Klopstok und Lessing. gr. 8. (XII und 494 S.) Leipzig, Weid- mann. 2 Thir, 12 gr. Ettner, Synchronistische Tabellen zur vergleichen- den Uebersicht der Geschichte der deutschen Nationallittetatur. 1, Liefer. Qu. gr. 4. (IV und 32 S.) Breslau, Kern. 9 gr. .

3, Lander- und Vilkerkunde , Alterthiimer und Geschichte.

Vogel, Naturbilder. Ein Handbuch zum geogr. Unterricht. gr. 8. (VIII und 421 S.) Leipzig, Heinrichs. 1 Thir. 12 gr. Cannabich, Lehrbach der Geographie, 15, Aufl. gr. 8, (XVI und 1262 S.) Weimer, Voigt. 1 Thr. 16 gr. Brettner, Mathematische Geographie. 2. Aafl, gr. 8. (VI und 106 S.) Breslau, Max und Comp. 8 gr. Nésselt, Handbuch der Geogra- phie far Tochterschulen und die Gebildeten. 3. Aufl. 2. und 3. Lief. gr. 8.

| , 429. [ S: und 149—386, Schluss.) Kénigsberg, Gebr. Borntrdger. 1 Thir. ‘ecammerer, Handbuch der neuesten Erdkunde a. 3, w.: 9. Aufl. gr. 8. (IV - wad 440 S.) Kempten, Dannheimer, 16 gr. Eyth, die alte Geschichte, ystematisch geordnet u. s, w. 8. (X und 54 S.,) Basel, Spittler und Comp. : gr. Stein, chronologisches Handbuch der allgem. Weltgeschichte bis asf die neuesten Zeiten, 3, Abthl. gr. 12, (24.S.) Berlin. 4 gr. Schmidé, Sebersicht der Weltgeschichte u.s. w. gr. 8. (VIII und 123 S.) Berlin, “wautwein und Comp. 8 gr. Kruse, Atlas und Tabellen zur Uebersicht i@r Geschichte aller europdischen Lander und Staaten u.s.w. 6. Auflage. te Heft, Halbroyalfol. (30 BI. und 5 Charten in Kpfrst.) Leipzig, Renger. - - 6Thir. 12 gr, Lérnes, Methodischer Leitfaden zum ersten und progres- R-wen Unterricht in der Weltgeschichte u.s.w. gr. 8. (VIII und 201 S.)

©@nstanz, Glikher. 12 gr. Oeser, Weltgeschichte far Téchterschulen a. 8s, w. 4. Theil, alte Geschichte. ‘gr. 8. (XIV und 268 S.} Leipz. Einhorn. 1S gr. Peter, Zeittafaln der rémischen Geschichte u. s. w. gr. 4. (VIII amd 252 S.) Halle, Buchhandl, des Waisenh. 1 Thir. 18 gr. Lochner; Lehrbuch der Weltgeschichte. 3. Abthl. die neuere Zeit. gr. 8. (VIII, IV and 321—646 S.) Kempten, Dannheimer. 12 gr. Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte u. s. w. 5. Band, der neuern Geschichte erste Halfte. gr. 8. (659 S. Halle, Anton. 2 Thir, 12 gr.

4. Elementarmathematik.

Grunert, Lehrbuch der Mathematik u. s. w. 2. Theil, 2. Abth. gr. 8. OX und 486 S.) Leipz. Schwikert. 2 Thir. 12 gr. Katsfey, Lehrbuch der hematik fir Gymnasien. gr. 8, (VIII und 176 S, mit 2 lith. Taf.) Kéln, J. G. Schmiz. 16 gr. Wunder, Lehrbuch der Mathematik. 4. Theil, die Stereomet., ebene und sphdar. Trigon. u. s. w. gr. 8. (XVI u. 428 8.) Lpz. Engelmann: 2 Thir. Stmesen, Grundriss der elementaren Algebra u, 8. w. . 8. (6 S. ohne Pag. und 2088S.) Altona, Blatt. 1 Thir, 6 gr. Fischer, hrbuch der Elementar-Mathematik u. s. w. 2. Theil, dic Elemente dér Zahl- and Buchstabenrechnung. 2. Thi. gr, 8. (XII und 292 S.) Leipz. Nauk. 4 Thir. Reber, Handbuch der Arithmetik, Geom., Stereom. und Trigo- nom. 2. Abthi. 1. Abth. die reine und angewandte Arithm. gr. 8. (VIII und 296 S.) Kempten, Dannheimer. 1.Thlir. 8 gr. Pflants, Geometrie fir Real- schalen u.s. w. 1. und 2. Theil. gr. 8. (VI und 180, 58S.) Stuttgart, Hall- berger, 1 Thir. Libsen, Ausfaihrliches Handbuch der analytischen oder héhern Geometrie u. s. w. gr. 8. (XVI u. 222 S.) Hamburg, Badeker. 20 gr. Rummer, Lehrbuch der Elementargeometrie, 2. Thi., Stereometrie, gr. 8. (VI und 77 S.) Heidelberg, Mohr. 14 gr. Schénemann, die geometrisch. Constructionen u. s. w. gr. 8. (75 S.) Berlin, Veit und Comp. 16 gr.

5. Physik und. Chemie. |

Bruhn, Technologie in chemischer Hinsicht u. s. w. 3. Aafl. 8. (330 S.) Dresden und Leipz., Arnold. 16 gr. Kirchbach, Chemie und Mineralogie a.s.w. 3 Bde. 2. Aufl. gr. 8. (XH und 584, VIII und 480, ‘XIV und 786 S.) Leipz., 0. Wigand. 3 Thir. 8 gr, Eisenlohr, Lehrbuch der Physik. 3, Aufl. gr.8. (VI und 664 S.) Mannheim, Hoff, 2 Thir. 8 gr. Gmelin, Handbuch der theoretischen Chemie u.s, w. 4. verm, Aufl. 1. Band, 1. Liefer. gr. 8. (S. 1—128.) Heidelberg, Winter. 12 gr. Nagel, Lehrbuch der Klemen- tarphysik. 1. Abtheil. Allgemeine Naturlehre, gr. 8. (XVJ und 215 S.) Ulm, Wagner. 20 gr. _

6. Naturgeschichte:

Schmidt, Grundriss der Naturgeschichte u.s.w. 1, Abth. Anthropolo- ie und Zoologie. gr. 8. (VI und 166 S.) Danzig, Homm. 16 gr. Grdfe, aturgeschichte der drei Reiche. 2. Band, das Pflanzenreich und Mineral-

reich. gr. 8. (XIV und 662 S.) Berlin, Hermes. 1 Thir, 12 gr.

v. Krassow und Leide, Lehrbuch der Naturgeschichte, 1. Thl. 2. Ausg. r. 8. (XII und 334 S.) Berlin, Posen und Bromberg, Mittler. 18 gr.

Volger, Lehrbuch. der Naturgeschichte far Realschulen und mittl. Gymnasial- Classen. gr. 8. (276 S.) Hannover, [lahn. 18 gr. Wartmann, Leitfaden

430

zum Unterricht in der Naturgeschichte u.s.w. gr. 8. (XIU und 154 5) St. Gallen, Scheitlin und Zollikofer. 9 gr. Ruess, Handbuch der Natar-

(S. 209—381.) Weinfelden u. St. Gallen, Huber und Comp. in Comm.

Breithaupt, Vollstindiges Handbuch der Mineralogie u. s. w. 2. Bend, es speziellen Theiles 1. Abthl, gr, 8. (VIII und 406 §.) Dresden a. Leips, Arnold. 2 Thir, 12 gr. Goldmann, Grundriss der Botanik. Ein Leitfades fir den Unterricht auf hoéheren Schulanstalten. gr. 12. (VI und 985S,) Berlin, Heymann. 8 gr. Milne Edward’s Handbuch der Zoologie u. e. w. 1. Bd, mit einem zoologischen Handatlas gr. 8. (VIII und 464 S.) Berlin, Rubech. 2 Bde. bir, -

.geschichte fir hodhere Lehranstalten. 2. Lief. Botanik und Mineralogie. gr. 6. 16 gr. -

7%. Logik Psychologie, Ethik, Religion. | - Satori, Leitfaden zam Gebrauche der christl. Religions- und Kirchen- geschichte fair katholische Schiler u. s. w. gr. 8. (VIII und 106 S.) Karl ruhe, Braun. 7 gr. Schell, Katechismus der christkatholischen Religions lehre far Gymnuasien. 8, (VIII und 159 8.) Leipz. Einhorn, Sgr. Fras dorff, Lehrbuch der christ]. Religion, nach den Grundsitzen der evangel. Kirche. 1, Abthl. 8. (VI und 7—80 S.) Brandenburg, Wiesiké. 3 gr. 8. Ton-, Zeichen-, Schreib- und Turnkunst. Liedersammlung u. s. w.. zam Gebranche in Realschulen, Gymnasiea und Schullehrerseminarien. gr. 8. (50'8.) Darmstadt, Pabst. 6 gr. Uber, Englische und deatsche Vorlegeblatter zum Schul- und Privatgebrauch u.s. w. quer-8. Reutlingen , Fleischhauer und Spohn, 14 gr. . 9. Biicher fiir die Elementar- und Volksschulen. - b. Anschauungsunterricht, Grassmann, Anleitung zu Denk- und Sprachibungén,. 3. Aufl. gr. 8. (IV und 362 S.) Berlin, Reimer. 1 Thir, 6 gr. Maller, der Schreib-Les- unterricht in Lektionen dargestellt. 8. (VI und 7—72 S.) Kinszelsau. (Re vensburg, Gradmann und Knapp.) 5 gr. c. Muttersprachunterricht.

_ Weinmann, Elementarbuch der Denk~, Sprech, Sprach-, Schreib- and Stilabungen, 1. Cursus, die Voribungen enthaltend, gr. 8. (16%/, Bogen.) Blaubeuren, Mangold. 10 gr. Derselbe, Allgemeines Lesebuch zur Er- werbung and Bewahrang der gemeinnitzigsten Kenntnisse . far Stadt- ued Landschulen. gr. 8. (208 S.) Ebend. 9 gr. Desaga, erste Begriffe der

deutschen Sprache fir den Elementarunterrjcht. 2. Aufl. 8, (VIII und 1515. ~

Uebungsaufgaben 50S.) Mannheim, Bensheimer. 9 gr. Sparfeld, deut- sche Sprachlehre far Schulen, 1. Thi. Vorschule. 8. (XJI und 80 S.) Leips., Friese. 8 gr. Karzer, grindlicher und Jeichtfasslicher Leitfaden der deutschen Sprachlebre u. s. w. von einem badischen Schulmanne. gr, 42. (46 S.) Karisr. Maller, 3 gr. Diesterweg, Anleitung zum Gebrauche des zweiten Theiles des Schullesebuches, gr. 12. (99 S.) Crefeld, Funke. 8 gr. Derselbe, Schullesebuch, 2. Thi., nach der Verwandtschaft des Inhaltes gusammengestellt. yr. 12, (VIII und 301 S.) Ebend. 8 gr. Welmsen, Der deutsche Kinderfreund, Ein Lesebuch far: Volksschulen. 162. Auflage. 8. (15, Bogen.) Berlin, Reimer, 414 gr. Erster Unterricht von Gol, Mensch, Natur, ein Lehr- und Lesebichlein far Kinder von 7—8 oder 9 Jahren. 1..Bdchn, 1. Hauptabthl. gr. 12. (VIIF und 159 S.) Freiburg i/B. Emmerling. 4 gr. Hitisener, Lesebuch far Elementarschulen. In 4 Theilen. 3. Thi. Anleitung zum dsthetischen Lesen. 8, (176 S.) Manster, Hast and Riese. 8 gr. Lesehuch fir mittlere Classen in katholischen Elementar- -schulen u. 8. w. gr. 8. (X und 194 S.) Kéln, Da Mont-Schauberg. 4 gr, Otto, der sdchsische Kinderfreund, ein Lesebuch far Stadt- und Landschol. 8. verbess. Aufl. (X und 293 S.) Dresden und Leipzig, Arnold. 6 gr. Teuscher, Das auf Erfahrung gegrandete Elementarbuch zur Erleichterung des Lesenlernens. 4. Aufl. 8. (66 8.) Dresden und Leipz. Arneld. 4 gr. Fischer, Kleines Handbuch der Realkenntuisse und deutschen Sprachkunde

431°

far Schialer in Volksschulen, Neueste Aufl. gr. 12. (120 S.) Darmstadt, Jong- haus 4 gr. Derselbec, Lesesticke fir die beiden obern Abthl. der Volks- schulen. gr. 8. (VI und 288 S.) Ebendas, 6 gr. Harnisch, erstes Lese- und Sprachbuch oder Uebungen , um richtig sprechen, lesen und schreiben gu lernen u.s. w. 28. Aufl. 8, (88 S.) Breslau, Gross, Barth und Comp. -2. gr. Derselbe, zweites Lesebuch u. s. w. 9. Aafl. 8, (VIII und 380 S.) Ebendas. 9 gr. Ménnich, Aufgabensammlung zum erst, Cursus der Schul- mmatik der deutschen Sprache, 8, (101 8.) Nurnberg, Korn. 6 gr. tizthum, Sammlung von Beispielen 2u Dictirdbungen u. 8, w. 2. verbess. Aafl. 8. (IV und 124 8.) Regensburg, Manz. 3 gr. —- Bumiiler, Sprach- lehre fir d. Elementarlehrer. gr, 8, (VIII und 148 S.) Weinfelden (St. Gallen, Hober und Comp. in Comm.) 8 gr. Hackstdtte, Kurze und fass~ liche , ziemlich vollstandige deutsche Sprachlehre u. 5s, w. 8. (X u. 168 S.) Vechta (Bremen, Kaiser in Commiss.) 6 gr. Stern, Lehrgang der zu- sammengesetzten Satz- und Aufsatzibung u.s. w. gr. 8. (X und 278 S.) Karlsruhe, Gross. 1 Thir. Derselbe, Erstes Sprach- und Lesebuch fir die Elementarschulen, 5. unverdnd. Aufl, gr. 12, (80 S.) Ebendas. 3 gr. -

d. Weltkunde,

Desaga, kleine Geographie f. Elementarschulen, 6, Aufl. gr. 12. (VII wu, 87 S.) Mannheim, Bensheimer. 4 gr. Ramisch, Naturgeschichte des Thierreichs f. Kinder. 3. Abth. 1. u. 2, Lief. gr. 8. (S. 1—28.) Prag, Haase uw. Séhne. 10 gr. Naturgeschichte der Thiere in Bildern u. 8. w. zum Anschauungsunterricht f. d, Jugend. 2—A, Lief. Séugethiere. 2—3, Heft, Végel. 1. Heft, Fol. (S. 9—18 u. 20 litb. Taf.) Esslingen a/N. Schreiber. Subscr.-Pr. 2 Thir. Reichenbach, natarhistorischer Bilder-Atlas f. Schule u. Haus od. Wandtafeln zum Unterrichte in der Naturgeschichte des Thier- reichs. 2—5, Lieferung. Qu.-Fol. Leipzig, Baumgartner. 1 Thir, 16 gr.

e. Rechnen,

| Zimmermann, Aufgaben z. Zifferrechnen. 1. u. 2. Heft. 8. (21, Bgn.) Friedland, Barnv wiz, 2 gr. Dersedbc, Auflésungen hierzu. 2 Hefte. (2%/,. Bgn.) Ebendas, 4 gr. Weinhold, Halfsbuch z. Rechnen in den obera Classen sachsischer Volksschulen u. s, w. 8, (156 S.) Leipzig, Lauffer in Commis. 4 gr. Muller, Kopfrechnenexempel u. s, w., ein Handbuch fir Schule u. Haus. 2, verb. Aufl. Qu. gr. 4, (IV u. S. 5—66) Riga u. Mitau, Gétechel. 21 gr. Schiise, Aufgaben z. Zifferrechnen f. sichsische Barger- ‘a. Landschulen, 3, Hft. 8. (101— 200.) Dresden, Naumann. 4 gr. -Der- selbe, Auflésungen z. d. Aufgaben. 3. Heft, 8. (S. 47—83.) Ebend. 4 gr. Derselbe, 200 Rechnentafeln enthaltend Aufgaben z. Zifferrechnen u. s. w. a. Lief. 101—200 (auf Pappe gezogen). 8. Ebend. Praktisches Re- ehenbuch, enthalt: 20,000 Aufgaben u. 8s. w. 2. Curs. gr. 12. (94 S.) | Meissen, Klinkicht u. Sohn. 4 gr. Derselbe, Auflésungen hiezu. 1. Curs. r. 12. (XII u. 56S.) Ebend. 6 gr. Derselbe, 88 Rechentafeln z, zweiten Core des Rechenbuches, enthalfend 20,000 Aufgaben u. s. w. 12. (8 Bgn.) Ebend. 8 gr. Kohlheim, Praktisches Rechenbuch der Numeration u. 8. w. 1. Theil. 3. Aufl. 8. (XII u. 204 S.) Berlin, Hayn. 8 gr. Derselbe, Re~ sultate der Aufgaben des praktischen Rechenbuches. 1, Thi. 3. verm. Aufl, 8.. (56 8.) Ebend., Stark. Schrbpap. 6 gr. Niepoth, praktisches Rechen~ »buch u. s. w. IV. Lebrgang, gr. 12. (107 S.) Darmstadt, Pabst. 6 gr. Rohde, methodisch bearbeitetes Rechenbuch f. d. Elementarclassen. 8. (36S, Facite 15 S.) Hamburg, Herold. 4 gr. Wilde, Rechenaufgaben u. s. w. Danzig, Gerhard. 3 gr. Fdsch, Aufgaben z. Zifferrechnen f. schweize- rische Elementarschulen, 1. Abth, 8. (IV u. 88 S.) Basel, Neukirch, 8 gr. ‘Rechenbtch far Elementarschulen vy, Richter u. Gronings, 1. Thi. 3. Aufl. © 2. Theil. gr. 12, KéIn, Schmiz, I. 33/, gr. II. 5 gr. Dasselbe, Ant- worten z. dem zweiten Theil, gr. 12, (XII a. 88S.) Ebend. 4 gr. Wendt, Rechnonbuch f. Elementarschiler, 1130 Aufgaben zum Tafelrechnen u.s. w, gt. 12. (24:8.) Celle, Schulze, 2 gr. Fritsch, Resultate z. d. systematisch geordneten Aufgabenbuch f. d. Rechenunterricht. gr. 8. (64 S.) Heidelberg, ohr. 6 gr.

~

432

f. Religion. .

Diedrich, Hialfsbuch f. d. Religionsunterricht u. s. w. 1. Theil. gr. 8, (20, XVIII u. 384 S.) Halle, Buchhdig. d. Waiseohauses. 1 Thir. 12 gr. Baumgarten, Katechesen mit Schilern der untersten Classe einer Ele- mentarschale, 8, (IVn. 106 S.) Leipz., Lauffer. 8 gr. ‘Welker, Religions- lehbre in biblischen Sprachen. 3, verb. Aufl. 8, (X u. 94S.): Giessen, Heier. 3 gr. Burkart, Populares Religionehandbuch z. Gebraache f. Katecheten in Kirchen u, Schulen. In 3 Thin.: Die Glaubens-, Sitten- und Heilsmitte!- lehre. gr. 8. (XIV u. 461, VII u. 317, VI u. 2768.) Villingen, Forderer. 2 Thir. 20 gr. Offner, Das Nothigste aus der biblischen Geschichte des alten und neven Testaments in Fragen und Antworten. gr. 12. (71 S.) Manchen, Lindauer. 3 gr. Lesebuch f. obere Classen katholischer Stadt- und Landschulen z. Weckung eines religids-sittlichen Lebens. 2. verb. Aufl. gr. 12, (VIIL u. 304 S.) Koln, Schmiz. 6 gr. .

g. Ton-, Zeichen-, Schreib- und Turnkunst.

Gersbach, 25 Kinderlieder f. d, untern Classen d. Volksschulen. 16. (28 S.) Karlsruhe, Braun. 3 gr. Linke, 12 Gesdnge f. Elementarclassen. gr. 8. (15 S.) Berlin, Plahnsche Buchhdlg, 2 gr. Idler, Melodien des Gesangbuches der evangel.-protestant. Kirche des Grossherzogthums Baden. Far 2 Kinderstimmen. 8. (III und 32 S.) Karlsruhe, Gross. Dasselbe fir drei Kinderstimmen. 8. (46 S.) Ebendas. 5 gr. Wolff, erste Grund- lage des rationellen Zeichnenunterrichts, Mit 44 (lith.) Blatt. breit 8, (8 8.) Narnberg, Schrag. 16 gr. Hoffmeister, Wandtafeln f. d. Elementarunter- richt im Zeichnen u. 8. w. I, Abth. 1 Lief. Esslingen, Dannheimer. 2 Thir.

ERSTE SECTION. Abhandlungen.

Ee

Der kleine Katechismus Lutheri und. unsre schlesischen Schulen. Yon einem Schullebrer.

»Alles richtet sich gern nach Ort und Zeit und Bedarfoiss ; Der Katechismus allein bleibt bei der alten Gestalt,“

Es fehlt nicht an Leuten, die jede Priifung einer lange be- Stehenden Einrichtung als revolutiondr verschreien, jede abwei- chende Ansicht, besonders, wenn sie sich emancipirt hat von © Ger Leibeigenschaft des todten Buchstabenthums, als irreligiés verdammen. Unter solchen Umstanden scheint die Klugheit dem- Lehrer Schweigen iiber Gegenstande anzurathen, iiber die eine vom Hergebrachten abweichende Ansicht zu haben ihn verdachtigen kann. Allein ich hasse ein fiir alle Mal diese Klugheit der Welt, und liebe die Wahrheit mebr, denn sie. * Darum werde ich hier meine Meinung offen iiber die obige Frage aussprechen, unbekiimmert um das Ach und Web Derer, welche darin einen Angriff auf die Religion erblicken. Die Frage ist von.der gréssten Wichtigkeit fir die Schulen; und ich hoffe wohl, dass mir, als einem pro- testantischen Lehrer, eine Erérterung dariber vergénnt sein werde, besonders wenn ich versichere, dass ich mich dabei auf ‘dreissigjahrige Erfahrungen stiitzen kann. Denn zehn Jahre hab’ ich mich als Schiiler und .zwanzig Jahre beinahe lehrend mit dem Lernen desselben geplagt. Muss es so sein? Ich be- zweifle es. Fragen wir, welches die Veranlassung zur Abfas- sung des Katechismus gewesen, so erzahlt uns die Geschichte, dass die grosse Unwissenheit in religissen Dingen, welche Luther - bei einer (1528) vorgenommenen Kirchenvisitation bemerkte, in seiner Seele den Entschluss zur Abfassung des kleinen, mit dem allein wir es hier zu thun haben, wie des. grossen Katechis-

* Ich muss bemerken, dass der Hr. Verfasser dieses Aufsatzes sich auf seineny Manuscript genannt hat. Indem ich den Namen weglasse, habe ich im Interesse des:Hrn. Verf. zu handeln geglaubt.

Pid, Revue 1812. b, Bd. V. 28

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mus hervorgerufen hat. Dem von mir hochverehbrten Luther schwebte als Hauptzweck bei der Abfassung wohl nur vor, den Lehrern einen Leitfaden beim Religionsunterrichte in die Hande zu geben und dem Mangel guter Lehrbiicher fir die damalige Zeit abzuhelfen, indem er das Wichtigste aus der Christenthums-

lehre zusammenstellte, mit den Zehngeboten. beginnend, zum

Glauben fortschreitend, daran die Erklarung des Vaterunsers kni- pfend und endlich mit einem kurzen Unterrichte fiber die Sacra- mente schliessend. Luther schrieb, wie Jemand bemerkt, seinen Katechismus fiir die einfaltigen Pfarrherren seiner Zeit, ohne im Reformgeiste, dessen wesentlichstes Element stets der Fortschritt ist, im Entferntesten daran zu denken, dass ihn dic im Wissen fortgeschrittenen und weit héher stehende Geistlichkeit der Geger-

wart nach dreihundert Jahren fort brauchen wiirde. Die Lehrer |

zu Luthers Zeit waren so unwissend, dass man Unmdgliches yoo ihnen gefordert haben wiirde, hatte man verlangt, sie sollten eines selbstindigen freien Religionsunterricht ertheilen. Der kleine Kr techismus war ein Product der Nothwendigkeit fir solche Leb

rer. Sie hatten dabei nichts zu thun, als ihn auswendig lernet |

zu lassen,, Die Fragen, welche sie vorzulegen hatten; waren! im Buche enthalten; und eben so die Antworten, welche ihre Schiller darauf geben mussten, und die sie bloss zu memoriren breuct-

ten; dabei geschah immer mehr, als frither geschehen war. Da

die Sprache des Katechismus die Sprache jener Zeit war, wurde sie wohl meist ohne weitere Erkl§rung verstanden; und és kam durch das Lernen desselben wenigstens der Abriss der evang. Christenthumslebre in die Seele; und zwar wurde dadurch auch, da der Katechismus allgemein gebraucht wurde, eine ¢¢ wisse Gleichheit und Uebereinstimmung des Lehrbegriffs erzeugt

Muss nun aber wohl Etwas, weil es sich zu einer gewissea Zeit und unter gewissen Umstinden als heilsam erwiesen, stets und fiir alle Zeiten anwendungswerth und zweckmissig sein?

des Lutherischen Katechismus bis jetzt mehr denn dreihundert Jahre verflossen; und ein Lehrbuch aus jener Zeit als solches in unsern Schulen zu gebrauchen, wiirde schon sehr bedenklich sein. Aber es ist unpadagogisch und unprotestantisch zugleich, es auswendig lernen zu lassen. |

Es ist unpdidagogisch. Der Lehrer, der seine Lebens- aufgabe versteht und sie lésen will, wird nie etwas von seinen

_Niemand wird diess bejahen. Nun sind aber bei der Abfassung

J 435

Schfilern verlangen, wovon er iberzeugt ist, dass sie es nicht eigten kinnen, Nun bin ich aber der Meinung, dass es fir {inder der Elementarschulen fast unméglich ist, den Lutherischen Katechismus vollstandig auswendig zu lernen. Alle darauf ver- wendie Miihe ist so gut wie verloren. Zwar hab’ ich Schulen gefanden, wo er im Chor in Einem Tone, ohne irgend eine durch Satzzeichen bewirkte Unterbrechung hergeschrieen wurde, zum Theil zu grosser Zufriedenheit derer, welche ein solches padag. Mensitrum erzeugt hatten; aber noch ist mir in meinem ganzen Leben nicht Eine Schule begegnet, in der er so gelernt und ge- sprochen worden wire, wie es im Interesse der guten Sache gewiinscht werden muss. Alle Lehrer, die ich dariiber gespro- chen und es sind deren viele haben mir versichert, sie briebten es nicht dahin, dass ihre Schiiler den Katechismus ordent- lich lernten. Ich habe iibrigens selbst als Schiller die Erfahrung gemacht, dass er nicht gelernt wird, und als Lehrer das Schwierige dieser Aufgabe aufs Neue empfunden. Es kénnen indess bereits sehn Jahre sein, als meine Aufmerksamkeit durch eine Kinderlehre, io welecher meine Schiiler eins der Hauptstiicke, das ich erst vor tin paar Wochen mit méglicher Sorgfalt dem Gedichtniss ein- geprigt zu haben glaubte, zu meiner Unzufriedenheit hersagten, §enz besonders auf diesen Gegenstand gerichtet ward. Wie ich denn das, was ich begonnen, geneigt bin, eifrig zu verfolgen: 80 bab’ ich seitdem mit einer an Eigensinn grenzenden Strenge uid mit eiserner Beharrlichkeit darauf hingearbeitet, dem Ge- dichtniss meiner Schiller den Lutherischen Katechismus als- etwas Unverlierbares und Unentreissbares zu tibergeben, um in Betreff les Lernens zu einem padagogischen, wenn auch nur zunachst udividuellen Resultat zu gelangen. Obgleich nun die Schiiler, ie ich erbalte, in dem Normalalter von zwélf Jahren sind‘ und ereits' seit 4 bis 5 Jabren bei-meinen Collegen, welche dem yogensiand ebenfalls viel Zeit und Fleiss widmen, tiber dem iatechismus gelernt haben; so kann ich doch- in dem langen ‘eitraum nur wenig Schiiler aufweisen, welche, als sie aus der. rsten Classe schieden, den Katechismus nach zweijahriger Ge- &chinissarbeit so inne hatten, wie man nach so viel Zeit- und raftopfern voraussetzen konnte und wiinschen musste, wenn er berhaupt als eine Gabe fiir die Zukunft angesehen werden soll. od in der That habe ich auch mehrfach die Erfahrung zu machen elegenheit gehabt, dass ihn selbst die wenigen Schiller, welche

28 *

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436

ihn endlich anstossfrei und mit Verstande herzusagen im Stande waren, nach kurzem Austritt aus der Schule, wie Einzele mir versichert, wieder vergessen hatten. Wenn es nun miglich ist, Lieder und Bibelspriiche, die in der Schule mit weit weniger Zeit-, Kraft- und Schweissaufwand gelernt werden, fir das ganze Leben zu bewahren; 80 muss doch wohl im Katechismus selbst der Grund zu dem unvollkommenen und schwierigen Auswendig-

lernen, wie zu dem schnellen Vergessen des Gelernten liegen. .

Und das ist in der That der Fall, so dass ich mich wundere, wie man diese Arbeit Luthers, mag sie immerhin nicht nur von

seinen Zeitgenossen, sondern auch von neuern Theologen fir -

ein Meisterwerk gehalten worden sein und werden, bis auf unsere Tage als Gegenstand der Gedaichtniss itibungen in unsern Sebu

len hat bestehen lassen. Die Sprache ist den Kindern fremd; sie |

klingt ihnen aus fernen Jahrhunderten. heriiber.: Unsere Begriffe

sind tiber viele Dinge anders als zu Luthers Zeiten; und es ist ©

schwer etwas zu lernen, was man nicht versteht. Nun weiss ieh zwar sehr gut, was zwei Ansichten darauf erwiedern werdea. Die eine wird sagen: der Lehrer muss zuvor das Dunkle er- klaren und das Verstaéndniss von dem geben, was er lernen laset. So etwas ist leicht gesagt; aber ich ware doch begierig zu sehen,

wie man Kindern von 8—14 Jahren, sollen die Erklarungen nicht |

wieder Gediachtnisswerk-sein, die schwierigsten Begriffe der Dog- matik in einer Vorstellungs- und Darstellungsweise vergangenet Jabrhunderte zu einem fruchtbaren Verstandnisse bringen wolle, ohne dass die ganze Schulzeit dieser Aufgabe geopfert werde. Ja selbst unter der letztern Voraussetzung zweifle ich noch an der Moglichkeit, da ich es, so weit meine padag. Erfahrungen reichen, mindestens fir sehr unwabrscheinlich halte, das. in der Gegenwart lebende Kind der Elementarschule empfanglich fw

ae Se Sy et eS Om Oe Pe re ene

die Anschauungs- und Ausdrucksweise des Zeitalters der Refor-

mation zu machen. Und wo man es thut, halt’ ich es far eine padag. Verkehbrtheit, da man die Knospe der Kindesseele gewalt- sam zur Aufnahme von Mannesbegriffen aufsprengt. * Die Natar,

* Der Hr. Verf. erlaube mir, dass ich iha hier auf einen Augenblick unterbreche. Ich will nur applaudiren. Indem ich diess thue, fallt mir ein, dass der heutzutage in den Volksschulen grassirende grammatische Uater- richt eine eben so grosse Verkebrtheit ist, ja eine noch gréssere. Dens was im Katechismus den Kindern nicht begreiflich zu machen ist, das missen sie halt glanben; beim sog. grammatischen Unterrichte aber handelt

437

mithin auch die Entwickelung des menschlichen Geistes, lasst sich: von der Dogmatik keine Gesetze yorschreiben. Man tausche sich doch ja nicht, indem man glaubt, einem solchen Schiiler eine Dunkelheit erklért zu haben. Oft hat man nichts ‘anders gethan, als einen Luther’schen, allerdings unverstandenen; Kern- ausdruck gegen eine wasserige Umschreibung, die aber eben so ‘wenig verstanden wird, vertauscht. Es kann Einem begegnen, dass man sich eine Stunde abgemiht und alle Kiinste der Kate- chetik und Sokratik angewandt hat, um einen Begriff ins rechte Licht zu setzen, und der Schluss beweist, dass man sich noch ‘uf dem. Ausgangspuncte befindet. Dass ich hier nur von ein- selnen Theilen des Katechismus rede, und nicht von jedem Ab- schnitte, bedarf kaum der Erwéhnung ; denn es gibt auch leicht | verstindliche Theile darin. Und diese sind es auch, welche, wenn nicht ein zweiter, unten angefiihrier Grund dagegen wirkt, leicht gelernt und wohl behalten werden. Eine andere An- sicht wird bemerken, es sei gar nicht pothwendig, dass das Kind Alles: verstehe, was es lerne; man kénne der Zeit schon Etwas sur Erkldrung ‘tiberlassen. Ich selbst bekenne mich mehr zu der letztern als zu der vorangegangenen Ansicht, aber nur in gewis- ser Weise. Macht sie sich als pidag. Princip geltend, so erlaubt (ader verlangt?) sie, dem Kinde das unerklart- zu ‘ibergeben, wovon man weiss, dass es eine wohlverstandene klare Unterlage von Grundbegriffen findet, mit deren Hilfe jenes in Folge der tigenen, naturgemiiss fortschreitenden Geistesentwickelung den - ‘ichtigen Sinn des vorldufig Gegebenen oder eine allgemeinere An- wendung einer beschrankten Auslegung von selbst naturgesetzlich finden muss. In diesem Falle ist das Erkliren, wie alles un- niitze Gerede iiberfliissig, ja der sich entwickelnden Geistesselb- standigkeit nachtheilig. Es fragt sich, ob das Dunkle des Luth. Katechismus in diese Kategorie gehért. Sind in die Seele des 8—14jahrigen Elementarschiilers durch anderweitigen Unterricht, durch das Leben ausser der Schule, im hauslichen und geselligen Kreise Anschauungen und Begriffe gelangt, welche im Stande waren, unterstiitzt. von fortgesetzter Geistesentwickelung und den Einfliissen des bildenden Umgangs, die dem Kindesgedichtniss aus dem Katechismus iibergebenen Begriffspuppen zu beleben, so, dass. die Psyche eines fruchtbaren Gedankens daraus sich

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os sich um ein Wissen. Sollten aber grammatische Begriffe viel letchter sein . als dogmatische? . . D. i.

438

entwickele? Ich glaube nicht. Was anders ist es, das Kind ‘einen biblischen Ausspruch auswendig lernen zu’ lassen, den es noeh nicht (absolut) versteht, d. h. dessen tiefen Sinn es noch nicht vollstandig fasst, den es aber immer als Kind (relativ) verstehen muss, so dass Bedeutung und Versténdniss mit ihm wachsen, weil das Letztere in der Seele wurzelt. Todte Begriffe treiben aber keine lebendige Sprossen. Weil nun aber fiir die

grosse Mehrzahl der Elementarschtiler das Auswendiglernen des .

Luth. Katechismus von keinem Nutzen ist, vielmehr ihr Gedécht- niss nur mit einer Masse todten Stoffes anfillt, der darum, da er verwandte ‘und lebende Anschauungen und Gedanken, mit denen er sich associiren kénnte, nicht vorfindet, todt bleibt; so halte ich das Lernen desselben nicht mehr fiir zeitgemass. - Aber nicht nur der Inhalt allein ists, welcher.den Lath. Katechismus fiir ungeeignet zu Gediachtnissiibungen erklart; in gleichem, wenn nicht erhéhterem Grade ist es die sprachliche Darstellung eines grossen Theils. desselben, die an sich schon zur Gentige beweist, wie Luther nicht die Absicht gehabt haben kann, seine Arbeit zum Memoriren der Jugend, -am wenigstes

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der spitern Jahrhunderte zu bestimmen; und wenn er sie gebabt

hitte, dass-es unpadagogisch sein wiirde, ihr unsere Kinder zum Opfer zu bringen. Jeder Lehrer wird mir darin beistimmen, dass. es nicht gleichgiiltig fiirs Gedachtniss ist, in welcher Ausdrucks- form ihm ein Gedanke iibergeben wird; ob er sich organiseh sa einer kunstgerechten Periode ausgebildet, oder ob sich die ein- zelnen Vorstellungen bloss nach Art der Mineralienbildung an ein- ander angehingt haben. Das Letztere ist bei vielen und gerade den langsten Erklirungen des Luth. Katechismus der Fall. Wenn es nun freilich keines Beweises bedarf, dass sich leichtgebaute Perioden, wie sie Schiller und Herder, Lessing und Githe

lieben, die keine zu grosse Gedankenmasse in einen Glieder- '

satz pressen, noch die Subordinationsgesetze ungewohnlich ver wickeln, oder endlich einen zu haufigen Gebrauch von sebr unter geordneteu Nebensatzen machen, leichter dem Gedachtnisse dber- antworten lassen, als Klopstocksche, Jean Pau!l’sche und besonders Wieland’sche Perioden, die sich durch die schmuck- volisten Verwickelungen, durch Verkettungen, Verschlingungen und Anejnanderreihungen der verschiedenartigsten Sitze charak- terisiren: so glaub’ ich doch in meiner Behauptung nicht zu weit zu gehen, wenn ich bemerke, dass sich die schwierigsten Perioden.

439

der zuletzt genannten Stilisten leichter lernen lassen und dem Gedichtniss treuer verbleiben., als viele der lingern Stitcke des Luth. Katechismus. Wenigstens erbiete ich mich, die Probe zu machen, wenn man mir ein Kind dbergibt, das den Katechismus noch nie gelernt und eine Periode dazu, deren Inhalt nicht ge- radezu iiber dem ganzen Ideenkreis des Kindes liegt. Ich werde an der Tafel die Perioden zergliedern, wobei sich denn zeigen wird, wie ein Theil nothwendig in den andern greift; wie die Nebensatze um ihren Hauptsatz sich schaaren, und was jeder der- selben fiir einen Dienst bei seinem Hauptsatze, dem Trager des Gedankens, hat. Wer will das, z. B. mit den Erklirungen des ersten Art., wo man keinen Punct findet, -als am Ende; die jeder Abdruck anders interpungirt und wovon Niemand zu sagen

weiss, welche Gliederung die richtige ist! Hier lasst sich fir .—

das Gedichtniss des Kindes, das durchs Auge michtig unterstiitzt wird, von Seiten der Satzzeichnung keine Hiilfe, erwarten, Auch in logischer Hinsicht kann man dem Kinde nicht 2u Hilfe kommen , indem man die Masse der aufgefiihrien Gegenstande in ge- wisse Gruppen ordnete; denn sie sind gar nicht zu ordnen, geist- liche und leibliche Giiter, Gattungs- und Artbegriffe liegen gesetz- los durcheinander und diese Unordnung ist von der Zeit geheiligt. _Erst werden Augen und Ohren Sinneswerkzeuge genannt, spater, neben der Vernunft, die Sinne; Kleider und Schuh sind © einander nebengeordnet, obgleich die Jetztern in den erstern mit begriffen sind. Erst ist vom Essen und Trinken und weiter unten von der Nahrung des Leibes die Rede etc. Der Aus- druck ,Weib und Kind“ beweist ferner, dass Luther Erwachsene vor sich hatte, als er schrieb. Was ich iiber die Stilisirung der Erklirungen zum ersten Artikel gesagt, findet mehr oder weniger auch auf die der beiden iibrigen Artikel Anwendung, wenn auch hier die logische Anordnung des Stoffes weniger Schwierig- keiten firs Gedichtniss hat. Rechnet man nun noch dazu, dass viele Erklérungen sehr verwandt sind, z. B. 1. Art. und 4. Bitte, oder 3, und 6. Bitte, worin sich Fleisch und Teufel gemein- schaftlich befinden, so wird man wobl die Schwierigkeiten be- greifen, welche das Lernen dieser lutherischen Schrift fir Schiiler der Elementarschule * hietet. Diese werden nun noch da-

* Der Hr, Verf, versteht darunter die Elementarschule im eigentlichen Sinne (6—10 Jahre), und die Volksschule (11— 14 Jabre). D. H.

440

durch erhoht, dass wir, so viel mir bekannt, noch nicht Binen

Abdruck des lutherischen Katechismus besitzen, der durch eine

gleichmissige, fnéglichst sinngemasse Interpunction, durch Angabe

der richtigen Betonung und eine firs Auge wohlthatige Anordoung des Stoffes dem Auge etwas iibersichtiich vorgefubrt, ist halb gelernt jene Uebelstinde in Etwas minderte. Vielmehr sind

unsere Katechismen, so zahlreich wie der Sand am Meer, ebenso

verschieden in ihren Satzzeichnungen, wodurch das Lernen in

einer Schule abermals erschwert wird. Ist nun wohl der Nutzer,

welcher durch das Memoriren des lutherischen Katechismus er-

reicht wird, den Opfern, welche es kostet, angemessen? Fehit

es heut so an guten Lehrbiichern, wie zu Luthers Zeiten?

Sind die Lehrer etwa heut so wenig wie damals im Stande einige

Fragen zu bilden? Vermégen sie nicht nach einem zeitgemissea

Lehrbuche einen angemessenen Religionsunterricht zu ertheilen? Wiirde Luther, wenn er heut lebte, seinen Katechismus schrei- ben? Wiirde er’, war’ er Schulinspector und noch beseelt yon jenem alten reformatorischen, progressiven Geiste, auch nur erlauben, dass er gelernt werde? Oder wiirde er nicht vielmehr, wenn cr Kunde hatte von der Be- und Missband- lung seiner fiir damalige Zwecke und Zeitumstinde heilsamen Schrift, in der Verzweiflung iiber seine jetzigen Anhianger sich von ihnen lossagen? Wer vermag die Zeitopfer zu berechnen, welche er seit 1529 gekostet, wer die Thrinen zu zahlen, die er ausgepresst hat! Wer ist im Stande uns iiber die seinet- wegen verhangten’ Einsperrungen, Nachsitzungen, Knieungen, Kopfstiicke, Handschitze, Obrfeigen und wie jenes ungliickselige Heer von Strafen und, Zwangsmitteln heissen mag, das eine friihere Schuldisciplin mehr als die gegenwartige zu ihrer Ver- fiigung hatte, Rechnung zu thun? Doch von fritherer Zeit ganz ‘abgesehen und auf die Gegenwart den Blick gerichtet, findet man, dass ihm mehr denn irgend einem andern Gegenstande Zeit und Fleiss geopfert werden muss. Nach der Zahlung von 1887 hat Schlesien 1,396,760 evangelische Bewohner. Es ist anzunehmen, dass bei dem geordneten Sehulbesuche jedes ach te Individuum ein Schulkind ist. Wenn ich nun jedes zehnte als katechis- muspflichtig betrachte, so gibt das eine Summe von 139,676 Schilern. Aber ich will nur die runde Summe von 100,000 evang. Kindern unserer Provinz sich damit beschiftigen lassen denn die Anwendung auf die Million in Deutschland lasst sich ja leicht

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_machen -— und aniehmen, dass diess wéchentlich, . io vielen Sehulen ist das Hersagen desselben Tageslection * nur drei- . -mal geschehe, dass sie jedes Mal nur eine halbe Stunde auf das Lernen oder Wiederholen verwenden, -so kostet es wéchentlich 150,000 Stunden Privatzeit der Schiiler. Dabei gehen diese hunderttausend Kinder jabrlich 156 Mal mit dem triiben Gedanken an den lutherischen Katechismus schlafen, stehen, anstatt den - jungen Morgen und den ersten Blick der Sonne freundlich und fretidig zu begriissen, mit der Furcht vor dem Katechismus wieder . auf und plagen sich aufs Neue. Der Vater ermahnt, die Mutter fiberhért; und wenn die Geplagten in die Schule kommen, so muss in den meisten Fallen der Lehrer den schmerzlichen Spruch than: ,Du kannst es, nicht!“ Denn es ist dem Kinde sehr schwer die Gesetze gegen Fleischeslust und Welt, gegen das Verliumden tind Liigen, gegen den Teufel und den alten Adam in. die Seele zu bringen und noch dazu in der Sprache eines langst verflossenen Jahrhunderts. Aber es koste, was es wolle, sie miissen hinein. Zu jenen 150,000 Stunden kommt die Zeit, welche . wéchentlich etwa 2000 evang. Elementarschulen der Provinz darauf . verwenden. Und was wird durch solche enorme Opfer gewon- ‘nen? Leider nichts, als dass die Kinder, sobald sie die Schule verlassen haben, nie mehr an diess Plagebuch denken und sobald als miglich auch die im Gedachtniss niedergelegten und unver- daut gebliebenen Fragmente der Vergessenheit iibergeben. Warum lernt man nun ein Buch aus der ersten Halfte des 16. Jahrh. - jetzt, nachdem wir in der Mitte des neunzehnten leben? Die lutherische Erklaérung des siebenten Gebotes hat noch keinen Dieb vom Stehlen zuriickgehalten. Unsere Zuchthiuser und Ge- fangnisse mégen es: heweisen. Ja es ist mir schon vorgekommen, dass ein Kind, welches die Gebote gelernt und auch das siebente _ recht wohl wusste, einem Mitschiiler seinen Katechismus sammt dem siebenten Gebote entwandt hat. Wen der ,,Baum nicht ruft in seiner Pracht“ zu erkennen, dass ,ihn Gott gemacht,“ den wird der 1. Artikel sicher auch nicht zur Gotteskenntniss fiibren

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* Luther schreibt zwar auch (V. 147.): ,Ich bin ein alter Doctor der heiligen Schrift, noch muss ich zum Kinde werden und taglich des Morgens frihe bei mir selbst daher mindlich zihlen die Zehngebote, den Glauben, das Vateranser etc.;“ allein es darf angenommen werden, dass er sie ohne seine Erklarung, wovon hier allein die Rede ist, hergesagt hat.

442 | | oder darin erhalten. * Doch ich spreche ja hier gar nicht gegen diess ehrwiirdige Denkmal aus der grossen Reformationsepoche als Lehrbuch in unsern Schulen, sondern nur insofern e& Gegenstand der Gedachtnissiibungen ist. Ich habe zu zei- gen gesucht, dass das Lernen desselben-in jedem Bezuge unpé- dagogisch ist, weil zwecklos und einen grossen Theil der Schul- " zeit fruchtbarer Verwendung entziehend. Aber ich habe oben auch behauptet, dass es unprotestan- tisch sei. Und auch dariiber will ich -ein paar Worte, die Be- hauptung unterstiitzend, sagen. .

Dadurch, dass die lutherische Erklérung der zebn Gebote, des Vaterunsers etc. mit dem Dekalog und dem Gebet Jesu selbst, wie mit andern biblischen Stellen auswendig gelernt wird, stellt man die AnsichtLuthers dem Bibelworte vollkommen gleich; ‘man verleiht ihr eine Autoritaét, die in der protestantischen Kirche ** nur die Bibel haben darf. Ja man thut mehr. Wab- | rend dem Lehrer freigestellt ist, sich die passenden Stiicke und Spriiche, die er lernen lassen will, aus der Bibel aus zuwahleo, ist er gendthigt, den lutherischen Katechismus voll standig. ‘Wort fir Wort, selbst wenn er es nicht fiir gut fande, und ganz gegen den Geist des echten *** Protestantismus, dem Ge- dichtniss zu tiberantworten. Ist das Lernen dieses ehrwiirdigen Documents aus dem grossen geistigen Freiheitskriege von dem padagogischen Standpunkte aus durchaus nicht zu rechtfertigen; kann es ferner nicht durch den Mangel anderer die christlichen Glaubenswahrheiten enthaltenden’ Schriften geboten werden: so erscheint es als ein Zwang, der sich weder mit den Ansichten des Reformators iibereinstimmend erweist, noch der Protestation der evangelischen Stinde von 1529 auf dem Reichstage zu Speier gemass ist, worin es heisst: ,,Die heilige Schrift sei allein die untriigliche Regel des Glaubens und Lebens der Christen; Menschensatzungen (wozu doch auch die lutherischen Katechis- | muserklarungen gehéren) beruhten auf-keinem festen Grunde.“

* Das scheint mir cinseitig. Allerdings ist Gott auch in der Natur -za schauen, aber zundchst im Menschen und im Mensthenleben. , Da.

**: Was ist das: protestantische Kirche, naimlich heutzntage? OD. H.

‘9 Jet das auch noch die eben erwahnte ,,protestantische Kirche,® in der die Bibel Autoritat hat? Der Hr, Verf. verzeihe diese Querfragen; es ist nicht die Schuld irgend eines Individuoms, also auch die seinige nicht, wenn einem auf einem ganz confus gewordenen Gebiete die Begriffe ein wenig durcheinander taumeln. D. H.

443° .

Dieser Zwang aber ist unevangelisch, unprotestantisch, so wie es die Gleichstellung der Lutherworte mit dem Bibelworte ist. Jetzt dominirt Luthers Katechismus in den Schulen, nicht die Bibel, weil wir nie mit dem Lernen, Ueberhéren, Erkléren, Wiederholen desselben fertig werden. Das war gewiss nicht Luthers Absicht, die unsers Jesu auch nicht, der zwar die Kind- lein zu sich kommen liess, sie aher nicht mit dem Lernen rab- binisclher Gelehrsamkeit, die sie nicht verstanden, plagte; der zwar seine Zuhérer auf die Lilien des Feldes, aber nicht auf den lutherischen Katechismus verwies, was gewiss geschehen ware, wenn es wesentlich zum Christenthum gehérte.

Will_man mir sagen, dass in dem kleinen Biichlein das ganze Christenthum enthalten sei, und dass Dinter zehn Bande Katechisation dariiber geschrieben habe; so werde ich erwiedern, dass in den Spriichen —- wie in vielen andern auch Gott sprach: ,Es werde Licht; und es ward Licht,“ und: ,,Halte was du hast, dass etc.“ das ganze Christenthum enthalten ist, obgleich sie noch viel kiirzer sind, und dass man kein ,,Dinter“ zu sein braucht, um mebr als zwanzig Bande dariiber zu schreiben.

Wie aber bereits oben erwahnt, schreib’ ich ja gar nicht gegen Luthers Katechismus, als Lehrbuch, sondern als Stoff zu Gedachtnissiibungen, den man auf die Polenz biblischer Au- toritét erhoben hat. Man gebe zunichst das Lernen desselben frei; man iiberlasse die Auswahl der zu lernenden Stellen dem Lehrer; dann tritt das Buch in die Kategorie unserer Gesang- biicher, dit auch nur menschliches Ansehen behaupten und daher von Zeit ‘zu Zeit einer Reform unterworfen sind, obwohl sie ebenso, wie Luthers Katechismus -sich auf die Bibel stiitzen. Es gibt se ausgezeichnete Stellen im Katechismus (z. B. die erste Bitte), dass jeder Lehrer sie wird auswendig und inwendig lernen lassen. Wie man aber auch dariiber denken mag, in | jedem Falle wird es erlaubt’ sein, dagegen zu protestiren, Men- schenwort und Menschenansicht uns als etwas Bleibendes, Un- antastbares fiir alle Zeit aufzudringen; oder Luther hatte selbst nicht das Recht, dagegen zu protestiren. Jenes verneinen, heisst diess verneinen, heisst vom Protestantismus sich los sagen. ° '

Es ist yorauszusehen, dass sich eine Menge Stimmen fir das Lernen und gegen meine hier ausgesprochene Ansicht er- heben werden. Damit man mich nun nicht etwa mit lutherischen

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Kraftstellen selbst darnieder zu donnern meint, bemerk’ ich, dass mir dieselhen sehr wohl bekannt sind. Ich weiss, dass er be- hauptet, ,wer den Katechismus nicht kénne, der soll zu den Christen nicht gerechnet, zu keinem Sacrament gelassen werden, er soll kein Kind aus der Taufe heben, man soll ihm Essen und Trinken versagen, ibn aus dem Lande jagen uod zum Teufel weisen.“* Ich weiss, dass er fordert, ,man solle ihn taglich predigen (Tischr. Kap. 3.), man solle ihn immerdar treiben und von Wort zu Wort fordern (VIII. 430 b.) und dass, wer ihn einen Tag nicht von Stiick zu Stiick wiederhole, kalt werde.“ Aber ich weiss auch, dass alle diese und eine grosse Menge anderer Ausspriiche Luthers iitber den Gegenstand das Geprage ihrer Zeit tragen; dass sie ferner gar nicht, wohl verstanden, mit meiner Ansicht im Widerspruch stehen, da Luther unter ,Katechismus“ nur einen kurzen Auszug aus der heiligen Schrift versteht** und ich dieser nicht entgegen bin, sondern eben Zeit zu gewinnen suche, um den Unterricht in der Bibel und die Bekanntschaft damit vollstindiger zu machen; ich weiss endlich, dass Luther nicht unser Papst tid infallibel ist, um auf seine Worle schworen zu miissen. Mit den Griinden, die man fiir das Auswendiglernen des lutherischen Katechismus geltend machen kann, bin ich auch nicht ganz unvertraut. Wenn man sie mir aber auch in geord- neter Schlachtreihe entgegenfiihrt, so fircht’ ich nicht den morsch- ‘gewordenen Piken zu erliegen. : Zusatz des Herausgebers.

Der Hr. Verf. des vorstehenden Aufsatzes hat, wie mich diinkt, mit padagogischer Einsicht, das Unzweckmissige in der | Art nachgewiesen, wie man in unsern Schulen die Katechismen gebraucht, und damit sicherlich im Namen vieler tausend Lehrer geredet. Indem er aber den lutherischen Katechismus seinem dogmatischen Inhalte nach gelten lasst, so hat er sich zwar den Voliblut - Orthodoxen gegeniiber gestellt, aber doch nur die An- sicht eines Theiles der Andern ausgesprochen, namlich derjenigen, welche supranaturalistische Religions- und rationale didaktische Begriffe haben. Nun gibt es aber auch eine sehr zahlreiche

_ Classe (den Supranaturalisten aus Einem Stiick fallt dabei ‘Evangelium Marci, V, 9 ein: ,Legion heisse ich, denn unser

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~ # Bisleb. IV. 385 a., 426 a,; VIII. 381. ** Der Katechismus ist der ganzen heiligen Schrift kurzer Auszug und Abschrift.“ (IV. 228 b., 387 a.)

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ist viel“) yon Lehrern an Volks- und an héheren Scnhulen, welche nicht nur in padagogisch-didaktischen, sondern auch in religidsen Dingen Ratjonalisten: sind. Stinden diese Lebrer allein, so miissten sie in Gottes Namen sich fiigen; so aber ‘verhalt es sich nicht, denn es stehen Millionen hinter ihnen. Jetzt entsteht fiir unsre Schulen die Frage: Wie solien es diese Lehrer mit dem lutherischen, oder mit dem Heidelberger, oder mit sonst irgend einem Katechismus halten, der die religiése Ueberzeugung des 16. Jabrhunderts, nicht aber unsre dermalige religisse Ueber- zeugung ausspricht? Die Religion ist ein Factum, so gut wie die Natur, und da der Mensch nun einmal das Bediirfniss hat, itber die in den Kreis seiner Erfahrung fallenden Thatsachen ein Bewusstsein zu gewinnen, so thaten unsere Vorfabren sehr . wohl daran, tiber die Religion zu einem Bewusstsein zu kommen.. So wenig aber der einzelne Mensch auf seinen verschiedenen Altersstufen tiber denselben Gegenstand dasselbe Bewusstsein hat, so wenig hat.ein ganzes Volk auf seinen verschiedenen Alters- stufen iiber denselben Gegenstand dasselbe Bewusstsein; und wie es geschehen ist, dass das Bewusstsein tiber die Natur oder das ~Recht oder: den Staat im Laufe der Jahrhunderte ein anderes ' geworden ist, so jst auch das religidse Bewusstsein nichts we- niger als dasselbe geblieben. So wenig nun das religiése Be- wusstsein der Reformatoren des 16. Jahrhunderts das religidse ‘Bewusstsein des 14. oder 4. Jahrhunderts war, so wenig ist das - religidse Bewusstsein des 19, Jahrhunderts dasjenige des Zeit- alters der Reformatoren. Dass man heutzutage die Physik nicht mehr nach einem im 16. Jahrhundert geschriebenen Buche lebrt, das findet man natirlich, und gibt man zu, dass unser Bewusst- sein iiber die Natur seitdem gewonnen hat; sollten wir nicht auch das religidse Factum seitdem tiefer ergriindet haben? Die Majoritat der Gebildeten scheint diese Frage zu bejahen, wiah- rend ein grosser Theil der Schulbehérden sie zu verneinen scheint. Sie glauben,: durch solches Conserviren des Alten der Sffentlichen Religiositit und Moral Gott weiss welch grossen -~Vorschub zu leisten, scheinen aber nicht zu bedenken, dass zwi- schen Zweck und Mittel eine Art von Verhbiltniss besteben, das _ Mitlel in der That ein Mittel sein muss. Sollte aber ein Ka- techismus des 16. Jahrhunderts Geist und Gemiith der heutigen Jugend mit dem Gdttlichen vermitteln kénnen? Oder sollte nicht Yielmehbr der in der That erschreckliche Mangel an echter Re- ‘ligiositat heutzutage daher kommen, weil das Mittel aufgehort hat ein Mittel zu sein?

Das Micken’sche Pasquill.-

Meine Beurtheilung der Wurst'schen ,Sprachdenklehre ‘nach Dr. Beckers Ansichten bearbeitet* (Padag. Revue, Februar 1842) hat heftiger gewirkt, als ich geglaubt hatte hoffen zu diirfen. Mehrere an héheren Schulen lehrende angesehene Gelehrte gaben mir entschieden ihren Beifall zu erkennen: ‘ich hétte ihnen das Wort aus dem Munde genommen;- schon langst habe man den Unfug, der seit Jahren in den Elementar- und Volksschulen mit der deutschen’ Sprache getrieben werde, Ein- halt thun sollen; die Pestalozzische Schule stimmte mir eben- falls bei, und die seit Juli d. J. zu Minster erscheinenden und von Dr. Johann Hast redigirten ,Rheinisch-Westphal. Blatter fir Erziehung und Volksbildung* debiitirten damit, meine Argu- mente gegen das Buch von Hrn. Wurst in ihrem Kreise zu ver- breiten. Dagegen gab es Andere, denen meine. Beurtheilung ein Aergerniss und eine Thorheit war, besonders ein Theil der Volks- schullehrer fand sich tief verletzt: auf allen Seiten wurde Allarm geschlagen, und das nicht nur in padagogischen Zeitschriften, sondern sogar in politischen Zeitungen und in Volksblattern, z. B. im Rheinisch-Westphialischen Anzeiger (Augustheft Nr. 63 u. 64). Obgleich ich nun, bei verschiedenen Anlissen, meine Hochaeh- | tung nicht nur vor dem Volksschullehrerberufe, sondern auch vor dem Corps der heutigen Volksschullehrer so deutlich an den Tag gelegt und den gerechten Anspriichen der Volksschullehrer auf eine geniigendere Bildung und Stellung so entschieden das Wort geredet habe, dass ich billigerweise bei Volksschullehrern gegen den Verdacht sicher gestellt sein sollte, als meinte ich es mit der Volksschule nicht gut, oder als wollte ich in Hrn. Wurst die Bestrebungen der Volksschullebrer tiberhaupt lacherlich machen: *

* Auch einige Zanftgenossen scheinen das geglaubt zo haben so schrieb mir ein bekannter Phildlog, der zu der Zeit wo Hr. Wurst der Seminarabtheilung der S. Gallischen Cantonsschule vorstand, an der Gym- nasialabtheilung derselben Professor war: , thre Vernichtung des Warst’schen - Schulmeisterdiinkels habe ich mit grosser Freude gelesen.“ Indessen ist mir einZsolcher Gedanke ganzlich fremd gewesen, ich habe nicht gegen. den Diankel Dieses oder Jenes, sondern gegen einen paddagogisch-didakti- schen Missgriff geschrieben, durch den der Volksschule geschadet wird.

; 447 so kenne ich doch die menschliche Natur zu gut, um mich dar- Giber zu formalisiren, ;wenn manche Volksschullehrer,. namlich diejenigen, die mehr eitel als verstindig sind, mich fir ein wirk- liches geheimes Mitglied irgend einer Volksverdummungsgesell- schaft halten,* und wenn andre, die zwar billiger, aber aber den Begriff der Volksschule ebenfalls in. der herrschenden Unklarheit sind, wenigstens den Kopf tiber mich schiitteln. Eben so finde ‘ich’ es natirlich, wenn Hr. Wurst auf meine Beurtheilung seiner Schrift nicht gut zu sprechen ist, und ganz und gar erscheint es in der Ordnung, wenn der Verleger der Wurst’schen Schriften, Herr Macken in Reutlingen, mich aus Grund der Seele ver- abscheut und den Hund von Recensenten, der ibm seine Waare verschimpfirt, der ihm seine Kunden abspenstig machen will, zum Henker, oder wenigstens dahin wiinscht, wo der Pfeffer wachst. ‘Was ich aber nicht in der Ordnung finde, vielmehr als ein Buben- stiick bezeichnen muss, das. ist, wenn Hr. Macken in Reutlingen, anstatt der missliebigen Kritik auf wissenschaftlichem Wege ent- gegen wirken zu lassen, irgend einen Lump fiir ein paar Kronen- thaler dingt, damit derselbe einen mcralischen Meuchelmord an mir begehe. Das, nicht mehr und nicht weniger, hat Hr. Macken durch sein Pasquill ** gethan. Der gegen mich intendirte Mord wird zum Meuchelmord, weil sich nicht nur der gedungene Schrei- ber des Pasquills nach Banditenart verbirg!, sondern weil auch Hr. Macken selbst sich yerborgen halt. Er hat das Pasquill bestellt und bezahlit, er hat es gedruckt, aber er wagt nicht, es mit seiner Firma zu versehen, es selbst zu debitiren. Ein Stutigarter Ge- schaftsfreund muss ihm seine Firma leihen und die Schmahschrift verbreiten, damit das Publikum iiber den Ursprung des Schrift- chens getiuscht werde. Der Titel muss eine ,,Unparteiische Erwiederung® versprechen, damit_ das Publikum leichter in die.

* So zx. B, schliesst der (anonyme) Verf. des oben erwabnten Artikels im Westphalischen Anzeiger, obgleich er selber sagt: , Tausende von prak- tischen Lehrern sind zwar auch der Meinung, es sei nicht zwockmassig, Kinder von 7~8 Jahren in der Weise mit der Sprachlehre zu beschaftigen, wie es Wurst will,“ mit den Veraen: ,Tumb machen lassen wir uns nit; Wir merken , dass wir's werden ‘sollen.“ Unnéthige Furcht. * ,Unparteiische Erwiederung auf die Recension der R. J. Warst'schen Sprachdenklebre im Februarhefte des Jabrganges 1842 der paddagogischen evne von Dr. Mager, Educationsrath und Professor an der Cantonsschule in Aarau. Ein Beitrag zur Charakteristik des litterarischen Sanscilottismus’ der Gegenwart. (Stultgart, bei Weise und Stoppani. 1842. 48 S. gr. 12.)

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Falle gehe. Denn was ist es anders als eine Falle, ein Betrug, wenn eine Aolikritik versprochen und eine Schmiahschrift voll Schmutz und Verleumdung gegeben wird ?

Es ist nicht das erstemal, dass ich vor dem Publikum in ungeziemender Weise angegriffen werde. Da ich jiinger war, achtete ich nicht darauf. Als Schiller, argerlich fiber einen un- anstandigen Angriff, einst zu Gothe sagte: Jetzt werde ich aber auch dem Volke nicht mehr antworten, bis es von mir drucken lasst, ich hatte silberne Léffel eingesteckt, erwiederte der: ,,Auch dann nicht.“ Eben so sagt Jean Jacques irgendwo: ,,Un bon livre est la meilleure reponse & des injures imprimées. Goethe ist eine grosse Autoritat, Rousseau auch; ein junger Mensch, der sich etwas zutraut, macht solche Maximen gern zu den seinigen. Ganz verrechnet habe ich mich nun dabei nicht, denn weder haben die gedruckten Angriffe meiner Feinde mir bis jetzt auch nur Einen Freund oder Génner geraubt, noch haben sie meine Wirksamkeit gehemmt cher befdrdert, und ich glaube gar, meinen Verlegern ware es gar nicht unvortheilhaft, wenn alle Vierteljahre so ein recht saftiges Libell gegen mich erschiene. Indess habe ich doch die Erfahrung gemacht, dass wenigstens ein Theil des Publikums das Schweigen auf Angriffe missverstebt Und wenn auch ein 6ffentlicher Charakter, der sich ‘eines auf ein wiirdiges Ziel gerichteten redlichen Strebens bewusst ist, iiber die Zukunft ganz beruhigt, wenn er auch versichert sein darf, dass sich auf die Dauer fiber ibn ein Endurtheil feststellt, das durch abgeschmackte oder auch verleumderische Angriffe nicht verfalscht werden kann: so ist doch nicht abzusehen, warum man. erst von der Zukunft sein Recht hoffen, warum es sich nicht gele- geuitlich auf dem Flecke selbst nehmen soll. Wer offentlicher Lebrer ist, hat Gberdiess Riicksicht auf seine Schiiler zu nehmen, die ja in unserer Zeit mehr lesen als ibre Classiker. Ziehen wir also in Gottes Namen Handschuhe an und nehmen das Macken’sche Pasquill vor.

Zuvorderst muss ich die Leser mit dem Ehrenmanne bekannt machen, der dem Hrn. Macken die ,,Unparteiische Erwiederung* verfasst hat. Wie tief der Ungliickliche auch heruntergekommen ist, so hat ihn doch ein Rest von Scham gehindert, sich als Verfasser zu nennen. Vielleicht ist’s Furcht gewesén, vielleicht hat Hr. Macken aus richtiger Berechnung den Namen auf dem Titel nicht geben wollen; was indess auch der Grund sei, auch von mir mag der Name ungenannt bleiben.

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Der Ungenannte nun ist ein. verunglickter Student der Theo- logie, der vor ungefahbr zehn Jahren zu Titbingen im Stift war und relegirt wurde. Es. muss schon damals weit mit ihm gekom- men sein, da er keinen andern Ausweg wusste, als nach Stras- burg zu gehen und sich dort fir die Fremdenlegion anwerben zu lassen. Er blieb drei Jahre in Algier und hielt sich dann eine Zeitlang in der Schweiz auf, iiberall seltsame Erinnerungen hinter- lassend. 1838 erhielt er bei einer Stuttgarter Zeitung Beschif- tigung ,- bodenloser Leichtsinn brachte ihn aber nach wenigen Monaten schon wieder in die Nothwendigkeit, ,,durchbrennen“ su miissen. Er wandte sich wieder nach-Strasburg, diessmal nicht allein, denn er verleitete zwei Zoglinge. der Stuttgarter polytech- nischen Schule ihn zu-begleiten. Der Vater setzte augenblicklich nach, und da er die jungen Leute in Strasburg noch fand, so konnte ef es schon verschmerzen, dass ihre mitgenommenen Effecten bereits ,verkeilt“ waren. Der Entfiihrer war verschwun- den, tauchte aber bald darauf wieder auf, und zwar als Missionir in. Lyon und anderwirts Betstunden haltend, dann in der Schule der Genfer Separatisten (Methodisten , momiers) Unterricht gebend. Begreiflicherweise merkten die Pietisten bald, wess Geistes Kind der neue Mitbruder war; derselbe kehrt also wieder nach Wirt- lemberg zuriick, halt sich zuerst in Reutlingen, dann in Esslin- gen auf, kann sich aber nicht halten und macht sich wieder auf len Weg nach Strasburg (1840). Nun aber nimmt sich die Polizei vainer an, man schickt ihn nach Stuttgart: zuriick, hier wird er wsgewiesen, und nachdem er einige Wochen bei seiner Familie mn der Nahe von Tibingen gelebt, geht er nach Frankfurt und wird dort Stadtsoldat. Nach einigen Monaten indess kommt er a halber Montur- wieder in Wiirttemberg an; diesen Sommer sielt er sich in der Nahe von Reutlingen auf.

¢ Teh befand mich just im Bade zu Cannstadt, als die ,,Un- sartelische Erwiederung“ in Reutlingen fertig wurde und in Stutt- sart ankam. Da ich bald erfubr, wer Hrn. Macken seine Feder seliehen,, so zog ich Nachrichten tiber den Schreiber ein, und la theilte mir ein Stuttgarter Bekannter, ein Studiengenosse des Betreffenden, das Berichtete mit, dessen Richtigkeit von mehre- ‘en andern glaubwiirdigen Mannern bestatigt wurde. Ich habe las Gehérte in der mildesten Form wiedergegeben, ohnediess st jeder Leser Psycholog genug, um sich zu sagen, was fiir einen Sbarakter dieses Schicksal bedingt, welches Bild in dem Rahmen Padagog. Revue. 1842. b, Bd. Y. 29

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steckt. Es ist grasslich, dass ein Mann, der eine liberale Bil- dung genossen hat, der jetzt glficklich und von seinen -Mitbir- gern geehbrt leben und niitzlich wirken kénnte, es ist grasslich, dass der dahin gebracht ist, um einen Siindenlobn von ein paar Kronenthalern im Dienste eines solchen Macen Pasquille schreiben zu miissen.

Ein Pasquill nenne ich die ,,Unparteiische Erwiederang,* weil Schimpfwérter und Verleumdungen ihre Substanz sind; was sich als Antikritik darstellt, ist theilweise Missverstindniss und Verdrehung, theils blosser Widerspruch, das Ganze armselig.

Ich gehe tiber das Geschimpfte schnell hinweg. Es wird mir litterarischer Sansciilottismus, verruchteste Heimtticke, Bosheit, Charakterlosigkeit, Stupiditat, bétise u. s. w. zugeschrieben; ich werde Don Quixote, Ritter von der traurigen Gestalt, fader Egoist, preussischer Strauchritter (ich schreibe nie anonym) u. 8s. w.. ge- nannt. Hoffentlich hat, wie sonst die sachsischen Advocaten fir jedes in ihren Processschriften angebrachte Citat zwei Ggr. be- rechnen durften, der Pasquillant von seinem Macen fur jedes angebrachte Schimpfwort ein kleines Extradouceur bekommen.

Der Verleumdungen sind auf den 48 Seiten so viele, dass ich sie classificiren muss. Charakteristisch ist die Weise, wie der Pasquillant auf die meisten dieser Verleumdungen kommt. Ein Beispiel mag es vorlaufig zeigen. | .

_ In meiner Recension findet sich die Stelle: ,,die Wurst’sche Sprachdenklebre, in der Volksschule gebraucht, macht den Ein- druck auf mich, als wolle man die Volksschiiler mit Schnaps nahren. Nicht bloss gegen Branntweinschenken, auch gegen den Debit von Abstractionen in den Volksschulen thun uns Missig- keitsvereine noth.“ Schnaps das bringt den Pasquillantes (dem iiberdiess die Sache nahe liegt) auf eine ,,Idee ;“ dieser yidee“ associirt sich die ,Idee“ Trunkenbold. Ein solcher ist _ (wie Pasyuillant aus Erfabrung weiss) verachtet: flugs macht er mich dazu: ich ,weiss am besten von Schnaps und Fusel 8 _reden“ (S. 6), ,der viele Schnaps, von dem der Hr. Educationr rath spricht, hat auf die logischen Kategorien in seinem Gehirs, und auf sein Gedichtniss, wenigstens in den Stunden, die ér seiner antiwurst’schen Recension widmete, zerrittend eingewirkt (8. 47.)

Da es nun wirklich manchmal vorkommt, dass Gelebrte Tri-

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ker sind, so will ich fir alle Falle hier bemerken, dass ich in meinem ganzen Leben noch nicht betrunken gewesen bin.

"Die Verleumdungen der ersten Classe treffen mich als Autor. . | Ich hatte in meiner Recension (letzte Seite) gesagt, dass Mr. Richon die in seiner Grammaire befindlichen Beispielsatze grossentheils der Bescherelle’schen grammaire nationale entnom- men habe. . Der Pasquillant hat schwerlich je die grammaire nationale noch mein franzésisches Sprachbuch gesehen. Aber was thut das? Er hat von Hrn. Macken den Befehl, mich anzugreifen, und da er als Anonymus von seinen Worten keine Rechenschaft abzu- legen braucht, so liigt er ins Gelag hinein. Die Stelle in meiner Recension bringt ihn wieder auf eine ,,Jdee,“ und so schreibt er - §. 42: ,Hr. M. hat in seinem Franzésischen Sprachbuche die meisten Mustersditze aus der grammaire nationale abgeschrieben ;“ S. 34 fiigt er dem Titel meines Buches bei: ,,Das Meiste eine Copie aus der grammaire nationale.“

Ich will dem Pasquillanten eine Gelegenheit zu einem ehr- lichen Verdienste geben. ;

Er fihre etwa auf dem Raume eines Druckbogens -den Beweis fir seine Behauptung; glaubt er diesen Beweis ge- fibrt zu haben, so sende er seine Arbeit an einen achtbaren Kenner des Franzésischen nach Stuttgart; ich werde auch meiner- seits einen achtbaren Experten stellen; beide vergleichen nach Anleitung seiner Arbeit die gramm. nationale mit meinem Buche, und wenn sie erkliren, dass der Beweis geliefert, dass die gr.

pat. bei meinem Buche auch nur im Geringsten benutzt ist, so ~ yerpflichte ich mich hiermit, nicht nur den Nachweis in die Padag. Revue aufzunehmen, sondern der Verleger der Revue soll aus- ser dem Honcrar fiir jenen Artikel dem Verfasser auf meine Rechnung 100 Gulden uszahlen:

Ein zweites Stickchen. |

In meiner Recension nenne ich auch die Methode, die Hr. Wurst’ in seiner Sprachdenklehre befolgt, unzweckmassig und fabre dann fort:

»Das ist aber zu arg,“ hore ich hier einen Leser mir ein- werfen. ,,Sie haben selber ein franzésisches Sprachbuch geschrie- ben, welches wenigstens darin mif der Sprachdenklehre tberein- ‘stimmt, dass es den, freilich anders organisirten, grammatischen . Stoff in Capitelchen theilt, die sammtlich aus A, B und C

Los 99 *

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bestehen, d. h. sie haben zuerst Beispielsitze, dann Theorie, endlich Praxis.“

Man begreift, dass der Einwurf, den ich mir da mache, nur eine rhetorische Figur ist, eine hdfliche Weise, weniger aufmerk- same Leser auf die specifische Differenz aufmerksam zu machen.. Mein Buch und das Wurst’sche gleichen sich in zwei Stiacken: einmal tritt dort wie hier in jeder Uebung Ein Moment hervor, dann hat dort wie hier jede Lection drei Stadien: Anschauung eines gegebenen Factums, Erérterung desselben, praktische Uebung. Beide Grundsitze sind weder meine noch Hrn. Wurst’s Erfindung, * von ihnen bandelt es sich also nicht. Unzweckmissig nannte ich Hrn, Warst’s Methode, weil er in jedem ersten Stadium seiner Lectionen, anstatt die der Anschauung des Schiilers darzubieten- den Thatsachen in zusammenhangenden und gehaltvollen Lese-' stiicken irgend eines Lesebuches aufzuweisen, unzusammenhin- gende (dabei obendrein ganz gehaltlose, selbstgemachte) einzelne Sitze gibt, was beim Elementarunterricht in einer fremden Sprache zulassig, beim Unterricht in der Muttersprache aber. nichts we-. _ niger als absurd ist. Wie sich in Hinsicht auf Anordnung und, | Folge des grammatischen Stoffes mein Verfahren von dem Warst’schen unterscheidet, will ich gelegentlich an einer ebén- falls bei Macken erschienenen ,,Begleitschrift zu Wurst’s Hané- buch der Sprachdenklehre: Prakt. Unterricht in der franz. Sprache nach Wurst’s Ideen von J. D. Steinmetz“ zeigen.

Wire ich oun nicht gewiss, dass der Pasquillant mein frans. Sprachbuch nie im Hause gehabt, es also auch mit der Wurst- schen Sprachdenklehre nie verglichen hat, so wiirde ieh das, was so wieder eine Verleumdung ist, fir einen Irrthum haltes

* Diesterweg im Wegweiser (zweite Aufl. [. S. 264): ,Seitdem Pe- stalozzi auf die Elemente der Unterrichtsstoffe mehr and mehr aufmerksap gemacht hat, haben die Padagogen angefangen, die einzelnen Unterricht: stoffe zu zerlegen und stufenweise anzuordnen, so dass in jeder Uebung Ein Moment hervortritt, um desswillen die Uebung gemacht wird, and dass jede folgende wieder cin neues Moment enthalt mit Beibehaltang and fernerer Eintibung der vorhergehenden. Alle neueren Lebrgdnge, die sich den Beifall des ILehrerpublikumhs erworben, befolgen mit mehr oder minder Vollstindigkeit, diese Vorschrift.“ Und S. 132—135: ,Unterrichte as- schaalich.“ (Ver rechte Lehrer) ,,beginnt dberall mit einer Thatsache, cines Beispiel, nie mit einer Regel, einem Princip, Regeln sind Abstractionen aus Beispiclen u. 8, w. Sulcher Stellen liessen sich Hunderte seit Roas- seau und Pestalozzi anfahren.

| 453 Er sagt n&mlich, nachdem er eine Stelle von mir citirt (S. 36): Nun aber hat Hr. Wurst ganz dieselbe Methode befolgt und in seiner Sprachdenklehre ein Buch fir den deulschen Unterricht geliefert, von welchem Mager’s Buch, wie aus der Uebersicht seiner Anordnung erhellt, our als eine dein Franzésischen an- gepasste Copie * erscheint.“

Ein drittes Stiickchen.

Im Anfange der Recension erklare ich, fiber das Gramma- tische in der Sprachdenklichre hinweggehen zu wollen. Der Grund

_ liegt auf offener Hand: der grammatische Inhalt in dem Buche

gehort Hrn. Wurst nicht , sondern Becker. Hatte Hr. Wurst eini- ges grammatische Neue oder Eigene gegeben, so musste ich es besprechen; indem er aber alles Grammatische aus einem wohl- bekannter Buche nimmt, so hatte ich mich nicht darauf einzu- lassen, weil nur das, was dié Sprachdenklehre zum Schulbuch macht, zu beurtheilen war. Ich wiirde eben so yerfahren sein,

- wenn Hr. W. anstatt Becker zu Griinde zu legen, eine andere

bekannte Grammatik zu seiner Quelle gemacht hitte. Dabei be- merke ich dann, dass eine so offene Anerkennung der eigenen

- Upmiindigkeit und Unselbstindigkeit die Kritik fast entwaffne , wenn ' sie etwa Lust bekommen sollte nachzusehen, ob der Bearbeiter

sein Original auch wohl! iiberall verstanden habe, ob nicht auch hier das ,,traditori, traduttori* sich bewadhre, und ich verhehle nicht, dass es um Hrn. Wurst’s Kenntniss. der Grammatik aller- dings misslich steht, dass er namentlich von der positiven deatschen Grémmatik nicht das Geringste versteht, ** wozu ich

*-Welcher Maler, der ein Bild copiren will, wird die Copie eines Sehalers copiren, wenn er das Original (hier Becker's Schriften) im Hause hat? Uebrigens arbeite ich gern nach der Natur, freilich mit sorgfaltiger Borficksichtigung der Werke der Meister, za denen allerdings Becker gehért.

* Es hat dieser unumwundene Ausdruck Hro. Warst durchaus nicht persdalich treffen sollen; mit vielleicht ganz wenigen Ausnahmen (ich kenne nur Eine) verstehen sémmtliche deutsche Volksschullehrer, auch die, welche »Sprachlehren ,“ ,Lebrgange,“ ,,Leitfaden“ u. dgl. haben dracken lassen, nicht das Geringste von dem, was den Namen deutsche Grammatik -ver- dient, Ich mache ihnen keinen Vorwurf daraus, denn es ist ihnen bei ihrem dermaligen Bildungsgange in der Regel su wenig mdglich, dout- sche Grammatik als chinesische Sprache zu lernen, and die Lehrer sollten sich durch das ungenirte Aussprechen dieser Thatsache eben - so wenig verletzt fahlen, als sich Jemand, der gut riecht, schmeckt, hort, sieht, verdant and schlaft, auch die Glieder scines Leibes benennen uad unterschviden kann, darum schon far einen Kenner der Physiologie halt.

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"ein paar charakteristische Bélege beibrachte, die mir concludent schienen. Was thut der Pasquillant? Er folgt wieder der Ideen-

Dass ein Theil der Volksschullehrer Becker's Ausf. Grammatik , vielleicht gar den Organism gelesen, macht die Sache nicht besser. So wenig Jemand nur aus Bichern die Natur stadiren kann, so wenig kann man nur au ‘sprachwissenschaftlichen Werken die Sprache studiren, und um die Gram matik Einer Sprache wissenschaftlich zu fassen, muss man neben der Mattersprache wenigstens zwei fremde Sprachen lernen, eine fremde Sprache genigt nicht. Den Volksschullehrern, wie sie dermalen noch sind, geht diese Kenntniss in der Regel ab; in den meisten Fallen fehit auch noch Anderes, was sich einstellen wird, wenn der Weg zu den Seminarien einmal durch vollstandige sechsclassige héhere Bargerschulen gehen wird. Wagt sich dermalen ein Volksschullehbrer an das Stadium de Ausfihrlichen Grammatik oder des Organism von Becker (oder an ahnliche Schrifteny, so unternimmt er Etwas, was aber seine Krafte geht. Da grammatische Formen nur dadurch begriffen werden kénnen, dass Men ilre Genesis und Function in verschiedenen Sprachen, so wie in verschiedenen Zeiten derselben Sprache betrachtet, so kann der Volksschullehrer von von herein dem Grammatiker nicht folgen; denn da er die Belege nicht verstebi,

da ihm die Anschanungen fehlen, welche dem Denken des Grammatiken ©

zur Grundlage dienen, so versteht er theils die begrifflichen Feststel- langen desselben gar nicht, theils missversteht er sie, und das We- nige, was er sich aneignen kann, muss er blindglaubig annehmen, é er den Grammatiker nicht controliren, nicht Kritik aben kann, Hr, Wurst, der sicherlich mehr Fleiss auf das Studium der Becker’schen Werke ver wandt hat, als den meisten Volksschullehrern zugemuthet werden kana, spricht das Gefibl dieses Zustandes aus, wenn er einerseits sagt, das ihm Becker’s System als ausgemachte Wahrheit gilt, und er andererseits erzablt, er babe gesucht, so tief in den Geist der B’schen Sprachwerke einzudringen, als es seine beschrankten Halfskenntnisse erlaubt hatten, Mas kann also sagen, dass das eigentlich Grammatische in Becker's (oder im jedes andern Sprachforschers) untersuchenden Werken dem Verstandnise der allermeisten Volksschullehrer durchaus unzuganglich ist; was sie sich anzueignen vermégen (und was z. B. Hr. Worst sich angeeignet hat), das ist das logische Geraist und Gerippe; diese leinenen Faden im Zucker- Candis halten sie fir den Kern, Man kénnte iiber eine solche Selbst- ‘téuschung lacheln (man drgert sich auch bei Gelegenheit daraber, wie ic mich denn als Examinator von Pro-Gymnasial- und Realschallehrern manck mal gedrgert habe, wenn sie, um Grammatik gefragt, immer nur Logik— Subject, Pradicat, Attribat, Wirklichkeit, Méglichkeit, Nothwendigkei u. 8. W. antworteten), wenn es nicht besser ware, die Leute aber sich selbst aufzukléaren, Diese Aufklérung, ‘hier ist sie. Die strebsamen Volks schallehrer, Wenn sie nach Becker's und dhnlichen Schriften greifen, habes eigentlich ein logisches Bedirfniss, kein sprachwissenschaftliches, si¢ wollen hinter den Organismus, nicht der Sprache, sondern des Denkess kommen. Diese Sehnsucht, ein Bewusstsein aber die Natur des Geistes 30 gewinnen, ist nun bei den Lebrern eine ganz vortreffliche Sache und aller

« -_ oe

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Association, bringt wieder eine sog. ,,Returkutsche:“ 5. 10 u. 11 gibt er su verstehen, ich sei ,ohne Klare Einsicht in die Natur des Becker’schen Standpunktes, und klatsche nur darum, weil Andre aueh kKlatschen“ u.s.w. Ich citire die Stelle bloss, weil sich auch hier wieder die merkwiirdige Methode des Pasquillan- ten. zeigt - was die Idioten von meinen Kenntnissen halten', ist uatiirlich sehr gleichgiiltig.

Die Verleumdungen der zweiten Classe betreffen meine 6ko- womischen Umstande, die natirlich mit dem Unterricht

Ehren werth; sie kann aber direct befriedigt werden, der Umweg durch eine gelehrte Grammatik ist ganz unndthig. Freilich steht dieses Verlangen nach Kenntniss der Logik mit den sprachlichen Bestrebungen der Volks- schullehrer in Verbjndung und sie mdchten die sprachlichen Thatsachen, wie sie dieselben kennen d. h. empirisch in einer gewissen logischen Ordaung hesitzen , sie méchten Kategorien haben, denen sie die Thatsachen subsumiren kénnten, Auch dieses Streben ist hdchst lobenswerth, weno nur nicht gemeint wird, man misse Alles das, was man so eben selbst gelernt hat, auch an die Volksschule bringen, wie es Hr. Wurst thut, und die, welche nach seinem Buche oder nach aholichen Bachern unterrichten. Um nan dieses logische Bedirfniss zu befriedigen, ist Hrn. Wurst’s Buch ‘SBanchen Lehrern sehr zu empfehlen; mein (fair untere und mittlere Classen hoherer Lehranstalten bestimmtes) Deutsches Sprachbuch leistet be- gabteren Volkeschullehrern viclleicht noch bessere Dienste. Nur muss man, wenn man ein selches Buch verstanden hat, nicht glauben, man verstehe nun deutsche Grammatik man hat our eine logische (irundlage , auf der, unter ginstigen Umsténden, dag Studium des Positiven beginnen kann. Jedenfalls aber sollte der Volksschullehrer, als gebildeter Mann, diese Logik der Sprache im Kopfe haben. Nor muss er zwischen dem, was er wissen, und dem, was er lehren muss, sorgfaltig unterscheiden, ganz wie der gelehrte Gymnasiallehrer, der selbst in den oberen Classen das Meiste von dem, was er weiss, zurackhalten muss, Jeder muss einen bedeutenden Wissensdberschuss haben, um das, was er lehrt, nicht falsch sa lehren.

Vielleicht sind die Geférdertstea ynter den Volkaschullehrarn mit. dem hier Gesagten zu verséhnen; Viele werden es zurickstossen. Irre ich nicht, so sind diess einerseits die Dummen, andererscits die Eitlen. Letztere ‘sind cine wahre Pest, sie -ruiniren ihre Schulen ganz auf dieselbe Weise wie friher mancher kleine First sein Landchen, indem auch er sein Ver- sailles, seine Armee, sein corps diplomatique haben wollte. Der eitle Schul- meister will ein Stick Gelehrter sein, er will wissenschaftlichen Unterricht geben. Bei Mechanik, Physik, Naturgeschichte, Geschichte u, s. w. kann er nun diesen Versuch nicht machen, nur die Sprache bleibt abrig und so versucht man es an dieser, und der eitle Lehrer wirft sich auf die Grammatik. Hat er nun sich die Becker’sche Terminologie mehr oder min- der zu cigen gemacht, so hat er eine wissenschaftliche Bildung.“ Curtmann. (Schule und Leben, S. 57) erzahit dariber gute Anekdofen.

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in der deutschen Sprache ganz genau zusammenhangen. Auch hier hat sich der Pasquillant wieder von der Ideenassociation leiten lassen. oe .

Hr. Wurst reproducirt, um nur diess Eine ‘anzufihren, die von Becker gemachte Eintheilung der Wortarten in Begriffs- und Formwérter. Sieben- bis achtjihrige Elementarschiiler, und wenn nicht diese, so doch ganz gewiss zebn- bis vierzehnjibrige Knaben und Madchen in der Volksschule sollen also diesen Unterschied fassen, sie sollen ($. 43.) verstehen und lernen: ,,Die Formwirter driicken nicht Begriffe aus, sondern bezeichnen nur die verschie- denen Beziehungen der Begriffe.

Nun frage ich Jeden, der nicht der Becker’schen Grammatik ein specielles Studium gewidmet hat, ich frage wissenschaftlich gebildete Manner: Mathematiker, Naturforscher, Juristen, Theo- - logen, ja Philologen, ich frage Hermann, Lobeck, Bockh, Orelli: Kénnen Sie mir- nicht sagen, was Formwoérter sind, die nur Beziehungen der Begriffe, nicht aber selbst Begriffe ausdriicken sollen? Sie werden antworten: Nein, Formwvérter, das ken- nen und verstehen wir. nicht. :

Nun gut, wenn die Alten es nicht verstehen, vielleich | kénnen die Jungen Bescheid geben. | | ‘Ich habe den Versuch gemacht. Ich kenne eine. von_vier- zehn- bis achtzehnjabrigen jungen Leuten besuchte Realschule, _ deren deutscher Lehrer, wie Hr. Wurst, den gedruckt vorliegen- den Versuch gemacht hat, der Becker’schen Schulgrammatik eine leichtere Fassung zu geben, und der einen improbus labor daran setzt, die logischen Bestimmungen und Eintheilungen , welche Becker in seiner deutschen Grammatik aufgestellt hat, in die Kiépfe der Schiiler zu bringen. Ich habe Umfrage. gehalten, die Namen sind ihnen bekannt, tiber die Sache wissen sie keine Auskunft zu geben und begehren dieser Wissenschaft auch gar nicht. Natiirlich haben diese Schiiler keine Ahnung davon, dass die ihnen vorgetragene Theorie von den Begriffs- und den Form- wortern unrichtig * und darum nicht zu begreifen ist, sie halten

* Ich glaube diess in meinem Artikel aber die grammatischen Kategorien (Padag. Revue, Bd. III: S,-321—371) aberwiegend nach- _ gewiesen zu haben, Schon friher. hatte Hofmeister Einwendungen gemacht, _ und Diesterweg sagt im Wegweiser (2. Aufl. I, 440), nachdem er Becker's Werke unentbebrlich genannt: ,Wir wollen damit nicht sagen, dass alle Untersuchungen, denen B. seinen Scharfsinn gewidmet. hat, | dadarch zu

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Sie bloss ffir ganz absonderlich schwer und schicken sich darein, so hohe Dinge nicht fassen, noch weniger behalten zu kénnen- Wie mag es nun erst den Volksschullehrern bei den §§. der Sprachdenklehre gehen!

Setzen wir indess, jede Masche des Jogischen Netzes, in welchem die Becker’sche Grammatik die Sprache festzuhalten gedenkt, sei unzerreissbar; setzen wir, die von Becker gesche- hene Dissection des Sprachieibes sei iiberall gelungen: miissen denn wirklich Volksschiiler diese ganze subtile Anatomie lernen? Hr. Wurst will es, wie seine Sprachdenklehre beweist; ich halte dafar , dass es yollkommen hinreicht, wenn den Volksschiilern die allerhauptsaichlichsten Denk- und Wesensbestimmungen, solche, die nicht nur der Sprache, sondern allem Seienden angehéren, bekannt werden. Sie lassen sich auf ein Octavblatt schreiben. Fir subtilere Distinctionen und Divisionen hat der Volksverstand nicht hinlinglich geiibte Organe: il prend les choses en bloc.

Dieses nun driicke ich in der Recension durch ein Gleichniss aus: ,Kisten und Kasten, hiibsch numerirt und mit Etiketlen ver- sehen, sind ein werthvoller Besitz fir den, der die Mittel hat sie zu fiillen; wenn ich aber Jemanden, der voraussichilich nie zu Reichthiimern, sondern im giinstigsten Falle zu einem kleinen Besitze gélangen wird, der ibn leidlich nahrt, eine Anzahl. yon Geldkoffern und schén liniirte Biicher schenke, so wird der Mann nichts Kiligeres zu thun haben, als den ganzen, fir ihn unnitzen Plunder baldméglichst an einen solchen zu verkaufen, der ihn gebrauchen kann.“ Leider haben die Volksschiiler nicht einmal dieses Mittel; wenn sie die Schule verlassen, so vergessen sie die unniitze Weisheit ihres Lehrers.

Wie mich, weil in der Recension das Wort ,Schnaps“ (auch in einem Gleichnisse) vorkam, der Pasquillant oben zu einem _ Trinker machte, so macht er mich hier, ganz nach derselben

Methode, za einem ,,Walter yon Habenichts, der am besten von Jeeren -Kisten und Kasten zu sprechen weiss.“

Ganz so an einer andern Stelle. Anstatt die Sprachgesetze in zusammenhangenden sinn- und gehaltvollen Lesestiicken an- ‘echauen zu lassen, nimmt Hr. W. einzelne Sitze, meist selbst-

einem endlichen Abschlusse gekommen seien , vielmebr glauben wir zu wis- sen, dass nicht bloss die Lehre von den Formwértern, sondern auch die wichtigste von allen, die von den Beriehungsverbaltnissen , von Neuem untersucht werden muss,“

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gemachte und in der Regel so plattes, inhalt-.und gelankenloses Zeug, dass es ein Elend ist, jedenfalls kénnen junge Gemiither © ‘aus einem so armseligen Gedankensurrogat keine Nahrung zieben, sich nicht ihre bessere Substanz bereiten. Da ich mich nun gern so concret als méglich ausdriicke, so gebrauchte ich, um dieses Unwesen zu charakterisiren, wieder ein Bild. wks gibt irgendwo ein barbarisches Volk, das, wenn es an Nahrung Mangel leidet, eine Art Thonerde frisst. Die Schiiler, denen man Hrn. Wurst’s Schriften in die Hande gibt, scheinen mir in aholicher Lage zu sein, sie werden behandelt als ware eine intellectuelle Hungersnoth iiber uns hereingebrochen.“ Damit hat der Pasquillant wieder eine ,Idee,“ S. 34 ist er ,geneigt zu glauben, es habe sich ein Individuum aus dem barberischen Volke, das, wenn es an Nahrung Mangel leidet, eine Art Thonerde frisst, dieser dirftigen Kost iiberdriissig nach Stuttgart und von da (wie und warum will ich nicht sagen) mach Aarau verirrt, um sich auf Kosten Jleicht- glaubiger Verleger’ und Leser ein schmackhafteres Brod durch leichtfertiges Zusammenschmieren sehr geschmackloser Bitcher und Recensionen zu verdienen.“

Hatte sich ein sonst ansténdiger Mann, in einem Anfalle von Wuth, hinreissen lassen, eine so niedertrachtige. losinuation gegen mich ausgehen zu lassen, wie sie in der Parenthese vor- liegt, so wire die Sache sehr einfach: wir explicirten uns irgendwo auf einer Grenze. Was aber gegen einen Menschen anfangen, der ehrlos ist? Ich kénnte die Justiz gegen den Unglicklichen in Bewegung setzen, aber wozu? Ist er doch nur ein armer ‘Lump, der von seinem Reutlinger Macen gedungen worden ist, mich nach besten Kriften zu verlaumden, und das thut er nun. Der eigentliche Schuldige ware dem Gesetze nicht erreichbar: Macken wiirde den Schreiber nennen, und der arme Schelm ist schon ‘elend.genug. Die Schande schiitzt ihn vor der Strafe.

So bleibt mir denn Nichts iibrig, als auch. iiber diese Ver- laumdung ein. Wort-zu sagen. Ich ‘thue es weniger fiir mich, als aus esprit de corps. Jahrhunderte lang haben in Deutsch- land (und auch anderwérts) -diejenigen Schriftsteller, die nicht zugleich ein Amt bekleideten oder von ihren Renten leben konnten, in gedriickten Verhiltnissen gelebt; noch in der Weimarischen Litteraturperiode bewarben sich beriihmte Schriftsteller an allen Héfen um Pensionen. Die Zeiten haben sich, Gott sei Dank, geindert, da aber manchmal die Wirkung dié Ursache iiberdauert,

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-man auch noch von Zeit zu Zeit auf ussern Bithnen den armen Poeten gibt; so hat: sich bei Vielen die Tradition erhalten ,. ein Schriftsteller sei eigentlich ein armer Teufel. Obgleich ich nun ‘fir meine Person neben meiner Stelle in der Litteratur zugleich eine Stelle an einer Schule habe, so fithle ich mich doch so sehr als Schriftsteller, dass ich keinen Irrthum aufkommen lassen michte, der jene Tradition bestérken kénnte. Der reinen, d.-h. von der Litteratur lebenden Schriftsteller gibt es nun dermalen zwei Classen: die Einen machen was der Buchhindler. bei ihnen bestellt: Uebersetzungen, Compilationen u. s. w.; die Andern machen was sie wollen und der Buchhindler druckt es. Ist nun der blosse litterarische Mechaniker geibt, dabei fleissig und suverlassig, frei yon ungeregelten Leidenschaften, so ist die dko- nomiseche Lage schon eines solchen gar nicht iibel, und ich kenne in Leipzig und Stuttgart Leute, die gar - nichts’ anders thun, als Leihbibliothekenromane iibersetzen und dabei bequem jabrlich ihre tausend Thaler verdienen. Schriftsteller, die auf © eigenen Fiissen stehen, befinden sich natiirlich in aller Hinsicht in einer besseren Lage, und wenn auch nicht gerade Jeder, wie der Redacteur der Europa auf das Ameublement seiner Wohnung gehn- bis zwélftausend Gulden verwenden kann oder mag, so ist es doch gewiss, dass Wissenschaft und Talent, mit Ar- beitsamkeit im Bunde, sich bheutzulage in der Litteratur vielleicht noch um einige Procente hdher verwerthen als in den meisten Branchen des Staatsdienstes freilich bezahit das Publikum invalidea Autoren keine Pension; das hat die ,,Republik der Wissenschaften“ mit andern Republiken gemein. Ich fiir meine Person wenigstens habe in der Zeit, wo ich nicht Staatsdiener, sondern reiner Autor war, in keinem Jahre unter zweitausend Gulderf verdient, und als ich im vorigen Herbste, weil ich zur Wei- | terfuhrung meiner didaktischen Untersuchungen wieder ein Lehr- amt brauchte, meine jetzige Stelle annahm, da bot mir der Verleger -der Revue ein monatliches Fixum von hundert Gulden, wenn ich in Stuttgart bleiben wollte, und gleichzeitig trug mir das Comité der damals vorberteiteten Rheinischen Zeitung die Hauptredacteur- stelle mit tausend Thalera Gebalt und fiinf Procent Tantiéme an. Ich nahm die weniger eintraégliche Professur weil ich, wie gesagt, wieder eine Gelegenheit zu neuen didaktischen Er- - fabrungen gewinnen ‘wollte. Es geht uns ,armen Gelebrten“ also nicht ganz so iibel, wie da und dort geglaubt wird; —— was

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den Pasquillanten betrifft, so hat der nur die Unverschamtheit gehabt anzunehmen, ‘ich stecke in seinen Schuhen.

In. den Verliumdungen der dritten Classe wird meine Ge- sinnung angegriffen. Hier andert der Pasquillant seine Methode : es ist ‘nicht mehr. die blosse Ideenassociation, -die ihm den Stoff gu seinen. Verlaumdungen gibt; es ist die Interpretation.

Zuvérderst erklart er meine Recension aus Neid gegen Hrn. Worst? ,Muss nicht heisst es S. 8 ein Educationsrath, welcher Sprachbiicher herausgibt, die Niemand gebraucht und nur selten Einer kauft, einen gerechten Aerger empfinden, wenn das Sprachbuch eines simpeln Schulmeisters in ktirzester Frist drei Auflagen und zwélf Abdriicke derselben Auflage erlebt, ja . sogar, wie jener neidisch bemerkt, stereotypirt wird? Muss er, wenn er etwa seinem franzésischen efnen deutschen Krebs nach- zuschicken gedenkt ,,Ein deutsches Elementarwerk soll nich- stens erscheinen,“ hat M. S. 136 seiner Birgerschule gesagt. Ist es erschienen? ist es bald fertig? ader findet sich kein Ver- leger? —, nicht vorher sein Méglichstes thun,.um den Credit seines Rivals zu zerstéren? .

So weit meine Erinnerung reicht, habe ich nie auch- aur die leiseste Regung des Neides in mir empfunden. Und warum sollte ich Hra. Wurst beneiden? Einmal erkenne ich ibn nicht far meiven Rival. Wer Hrn. Wurst’s Lehrbiicher gebraucht, dem sind die meinigen mit sieben Siegeln verschlossen. Dann finde ich es. in der Ordnung, dass Volksschulbiicher, also auch die Wurst- schen Sebriften, mehr gekauft werden als Lehrbiicher, die nur fir Gymnasien und hoh. Birgerschulen bestimmt sind, sintemal es z. B. im preussischen Staate, um nur diesen zu nennen, c. 23,500 Elementar- und Volksschulen, aber nur ¢. 250 Gym- nasien und héh. Birgerschulen gibt, und auf eine ganze Volks- schule noch nicht Ein Gymnasiast kommt. Uebrigens sind meine Verleger mit dem Erfolge meiner Schulbiicher zufrieden, und so kann es Hr. Macken in Reutlingen auch sein, um so eher als ich ihm nie ein Buch zum Verlag angeboten habe.

Ferner soll meine unangenehme Recension in einer persdn-| lichen Verstimmung gegen Hrn. Wurst ihren Grund haben, weil ich diesen bei Griindung der Padag. Revue vergeblich um Bei- (rage fir dieselbe angegangen. ,,Fihlt man Verachtung gegen die Arroganz des Mannes,: so fiihlt man auf anderer Seite Mit- ~ leiden mit seiner Geistesschwiache. Paule, du rasest! mdchte

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man dem Hrn. Educationsrath zurufen. Denn wer sonst, als ein Rasender, wird wohl den tollen Versuch machen, auf solche Art vor aller Welt einen Mann herabzusetzen, der noch die Briefe * in Handen hat, worin er von seinem Recensenten héflichst ein- geladen wurde, ihm Beitrage fiir seine Zeitschrift zu liefern ? So S. 6, abnlich S. 7 und S..47 noch einmal emphatisch: ,,Es wird nicht iiberfliissig sein, Soilche, die ihn nicht kennen, yor einem Manne zu warnen, welcher mit dem Versuche anfangt, padagogische Notabilitaéten in sein Interésse zu ziehen, und wenn sie ihm nicht erlauhen ihre Namen auf den Schandpfahl seiner . Revue su kieben; damit aufhért, dass er sie mit seinem Geifer beschmutzt und im Kothe herumziebt,“ .

Gut gebriillt, Lowe. Dem Passus verspreche ich den meisten Erfolg, und ich erlebe es noch, dass er mehr als einmal gegen mich citirt wird. Zur Theilnahme an der Revue sind die Lehrer- Collegien fast aller deutschen Gymnasien und héh. Birger(Real)- schulen zu seiner Zeit eingeladen worden; ** von mehr als einem dieser Herren hat die Revue Biicher oder Programme angezeigt, fiber die nichts Giinstiges zu sagen war. Wer sich jetzt oder in Zukunft irgendwie dufch die Revue verletzt fihlt, der darf sich nur fiir eine ,,.Notabilitst’ halten und er hat alsbald ein prachtvolles Argument gegen mich. Pour revenir 4 nos-moutons, so wird es wohl richtig sein, dass der Prospect der Revue nebst einem gedruckten Briefe, worin um Beitrage ersucht wurde, auch an Hrn. Wurst gesandt worden ist; hatte nuo Hr. Wurst Beitrige zu liefern versprochen und gelegentlich etwas Passendes geschickt, so wirde mir das angenehm gewesen sein, obschon, wie jeder Mit- arbeiter der Revue weiss, mit der Mitarbeiterschaft keine Assecuranz gegen kritischen Hagelschlag verbunden ist; Hr. Wurst hat keine Beitrige versprochen, und so hat die Padag. Revue schon den Ver- such machen miissen, ohne Hrn. Wurst zu bestehen. ***

* Soll wohl heissen: den (gedrackten) Brief.

** Freilich wird manches Exemplar des Circulars, weil es auf dem Bachhéndlerwege verbreitet wurde, verloren gegangen sein.

*** Ich thue Hro. Wurst nicht den Schimpf an 2u glauben, er habe an dem Pasquill geholfen; da aber der Pasquillant der an Hrn, Wurst ergan- genen Einladung erwahnt, so steht zu vermuthen, dass der letztere, wenn auch nicht mit dem Schreiber des Pasquills, so doch mit Hrn. Macken aber die ,Erwiederung“ correspondirt, von dem Schriftchen gewusst hat. Hat ° mun Hr. Warst die Schmahschrift vor dem Drucke nicht gelesen, so war das héehst unking von ihm; hat er sie aber gekannt, so mag ich seinen

_

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Endlich dichtet mir das Pasquill Inconsequenz an; es. macht zu dem Ende auf zwei Umstinde aufmerksam.

Erstlith soll ich selbst in meiner Schrift: ,,Die deutsche Biirgerschule,“ die Sprachdenklehre empfohlen haben. Da heisst es nun S. 133.: ,,Fiir den elementarischen Muttersprachunter- richt der beiden ersten Jabre (niémlich der hob. Biirgerschule) hat: man nun die Wahl, ob man den Schiilern ausser einem deutschen Lesebuche eine kleine Grammatik, etwa die Sprach- denklebre von Wurst, in die Hinde und mit Hilfe dieser beiden Biicher den Unterricht geben, oder etwas versuchen will, was ich vorschlage.“ Hatte der Pasquillant das Blatt umgewendet, so fand er gleich auf S. 184 einen Hauptfehler des Wurst’schen Buches bezeichnet, indem es dort heisst: ,Ein andrer Vortheil, den man dadurch erreicht, dass man dem Muttersprachunterricht eine Sammlung classisch geschriebener und inhaltsyoller Aufsatze zu Grunde legt, ist der, dass die Schiiler-sich nicht mit. leerem Stroh, wie ,,.Feuchter Lehmen ist weich. Mein Buch ist neu. Dieser Griffel ist spitzig* (Wurst, S. 26) zu beschiftigen haben.“

Man sieht, auch mit der Inconsequenz ist es nichts, ich dachte Ende 1839 iiber die Sprachdenklehre wie Anfang 1842, da ick sie recensirte. Wer sich die Mihe geben will, meinen Ende 1837 fiir die zweite Auflage yon Diesterweg’s Wegweiser geschriebenen Artikel: ,,Ueber den Unterricht in fremden Sprachen,“ zu ver- gleichen, der wird dort, ohne dass jedoch Wurst genannt ist, dieselbe Ausstellung finden.-_.Und wer noch weiter zuriickgehen will, der schlage nur meine Recension der ersten Auflage des Wegweisers von Diesterweg in der Preuss. Volksschulzeitung

~ (1835, No. 30—45.) nach, * und er wird die Entdeckung machen,

Fehler gar nicht qualificiren. Im ersten Falle hatte er unmittelbar nach dem Erscheinen einer solchen Vertheidigung seiner Sache. in einer offenen Erkldrung das Pasquill desavouiren missen. Wenn ihn nicht sein -Rechte- gefahl dazu trieb, so musste er es aus Klugheit thun, denn solche Freunde, wie er sie in dem Pasquill gefunden hat, muss man wie Ungeziefer ab- schatteln, Eine derbe Antikritik war Hrn. Wurst oder einem seiner Mei- nungsgenossen erlaubt, da ja auch ich ohne Umstaénde meine Meinung sage, wie wit denn nicht da sind um Artigkeiten, sondern um die Wahrheit za sagen; aber ein Pasquill? Injurier n'est pas répondre.

* Preuss, Volksschulzeitung, 1835, No. 34, S. 266 ff.: Lassen wir jetat die saécularisirte Grammatik der Zeiten vor Grimm und Becker beiseite liegen, so ist vorlaufig klar, dass die Behandlusg, des Sprachanterrichis einmal von der neuen Gestaltung der Wissenschaft, dann aber.und za meist von dem zeitlichen Zustande der Methodik abhangen musste. -Ich habe

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~

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dass ich schon damals den didaktischen Standpunkt, auf dem Hr. Wurst mit der heutigen Majoritat der Elementardidaktiker

oben der Fortschritte dieser mit gebihrendem Lobe gedacht, allerdings aber auch nicht verhehlen mdgen, dass das Interesse fir die Methode nicht selten andre Interessen beeintrachtigt und mitunter eine wahre Methodo- manie den realen Zwecken des Unterrichts Nachtheil gebracht hat. Dann aber machte die vielfach bearbeitete Methodik auch an ihrem Theile gréssere und raschere Fortschritte als mehrere der Wissenschaften, auf welche man sic anwandte. Es ist nun allerdings eine. positive Weiterbildung der Wis- senschaften von den Schullehrern far gewoholich nicht zu erwarten!, ,und wenn der Stoff, den sie bedurften, noch nicht gehérig wissenschaftlich durchgearbeitet war, als sie sich desselben fir ihre unterrichtlichen Zwecke und Bedirfnisse bemachtigten, so kann das wohl bedauert werdeni, aber nicht Gegenstand des Vorwurfs sein. Verhielte sich indess die Sache, so wie sie hier dargestellt worden, and es wird wohl so sein, so liesse sich aus diesem Umstande fast a priori auf mancherlei Unvolikommenheiten und Unzweckmassigkeiten in den far den Sprach- (und andern) Unterricht erschienenen Schulbiichern schliessen, und in der That wird diese Vermu- thung durch die Erfahrung gerechtfertigt. Denn allerdings zeigen eines Theis mehrere Verfasser anterrichtlicher Sprachschrifien sonst gar acht- bare und unterrichtete Manner, an denen nicht bloss der gute Wille za loben mehr Kenntniss der Methodik als der Sprache; dann, aber wird fast von allen szeitgendssischen elementar-didaktischen Autoren ein sz grosser Werth gelegt auf eine gewisse Art, Reihe und Folge von Uebun- gen, wie sic nun einmal von den gegenwartig geltenden Axiomen und Theoremen der Methodik vorgeschrieben werden, und somit ist selbst da, wo die praktische Kenntniss der Sprache in den Vordergrund. gestellt ist ick erinnere nur an Krause und Scholz —, diese Praxis doch nur eine | andre Art von Theorie: aber die lebende Sprache wird nach wie vor das eiserne Netz der dazu oft genug unrichtigen Begriffsschemata geworfen, und wie plausibel die Sache auch anfanglich aussieht: nfan ist aus der Charybdis des Formenlernens doch nur in die Scylla des Syntaktisirens gefallen. Die friheren Sprachlehrer trugen Cellen, Adern, Tracheen, Rinde, Splint, Holz, Mark, Kelch, Blumenblatter, Staub- gefasse u. s. w. zusammen, schoben diese Dinge an- und ineinander und nannten ihr Compositum Baum pder anders; das hat aufgehdrt; heutzutage bringt man Warzel, Stamm, Blatter, Blithe, Frucht, und will daraus das lebendige Gewachs construiren, und das muss auch aufhéren,... Um das Gleichniss zu verlassen, so ist die Sprache ebenso wenig ein Aggregat von S&tzen als sie ein Aggregat von Wortern ist, und hat man eingesehen, dass _ die Function der Wortarten erst im Satze begriffen werden kann, so sollte man nun auch einsehen, dass der Satz selber nur in der Rede sein eigent- liches Leben und seine wahrhafte Bedeutung erhalt.“

Ich denke, dieses Fragment geniigt; der Aufsatz, dem es entnommen, reicht bis S. 292. Manches darin modchte ich jetzt, nach mehr als sieben Jahren , freilich nicht mehr unterschreiben.

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steht, hinter mir hatte, schon damals im Besitze derjenigen Prin- cipien des Muttersprachunterrichtes war, die ich erst sieben Jahre spater in einem Lehrbuche zu realisiren die Zeit gefunden habe. Ich constatire dieses Factum bei diesem Anlasse, nicht weil ich es fir ein so Grosses halte, Etwas gesehen zu haben, was Jedem vor der Nase liegt; auch nicht, weil ich zu verstehen geben méchte, als waren die HH. Provincial-Schulrath Dr. Otto Schulz (Brandenb. Sebulblatt 1837, I. 33.) und das Schul-Collegium der Provinz Brandenburg (Verfagung vom 13. Juli 1838), Director Dr. Diesterweg (Wegweiser, zweite Aufl. I, 357), Professor Hieke (der deutsche Unterricht, S. 206 ff.) u-m. A., welche seitdem Aehnliches geaussert, bei mir in die Schule gegangen, da ich recht gut weiss, dass derselbe Gedanke gleichzeitig in mehreren Képfen keimen kann und vom post hoc nicht auf propter hoc geschlossén werden darf;.— aber es hat auch der Hr. Semi- narlebrer Kellner in Heiligenstadt das ,grammatische Formen- wesen in sehr empfohlenen Lehrbiichern neuerer Zeit“ nicht billi- gen kénnen, auch er hat eingesehen, dass ,,der alte Unfag mit Silben- und Wortstecherei“ als Unfug ,,mit Saétzchenbildung nach | gegebenen Leisten unter der Aegide dieses oder Jenes berithn- ten Namens“ wiederkebrt, und da hat er denn einen ébrigens fir Volksschullehrer gewiss vielfach lebrreichen ,,Praktischen Lebr- gang fiir den gesammten deutschen Unterricht“ (Erf., 1837—1840) drucken lassen, in welchem ,die Spracherscheinungen aus 2zu- sammenhangenden Aufsatzen, nicht aber an einzelnen Satzen ent- wickelt werden sollen.“ Das ist nun sehr léblich; dass er aber in der Vorrede des 1839 erschienenen dritten Theiles sagt: »Angenehm ist es mir zu sehen, dass Dr. Mager in Diester- wegs Wegweiser (1838) mit mir die Ansicht ausspricht“ u. s. w., das kam mir, wie ich es las, etwas seltsam vor, und da ich jetzt in der Vorrede zur zweiten Auflage des ersten Theiles wie- der lese , wie er seiner methodologischen Einleitung noch insofern einen besondern Werth beilege, als dieselbe, 1836 geschrieben, einer der ersten Aufsitze gewesen sei, welcher in so umfassen- der Weise den bisherigen Missgriffen entgegengetreten sei, wor- auf es dann weiter heisst: ,Mein Vorschlag, die Spracherschei- nungen an gutgeschriebenen Musterstiicken zu entwickeln, ist keinesweges schon friiher in dieser allerdings eigenthiimlichen Weise gemacht worden:“ so muss ich Hrn. Kellner allerdings die triviale Wahrheit zu Gemiithe fihren, dass das Jahr 18385

| 465 | . dem Jahre. 1836 yorausgegangen ist. Ob er mit mir der Mei- nung geworden ist, weiss ich nicht, dass ich aber 18385 nicht mit ihm einer Meinung sein konnte, die er erst 1886 aufschrieb und 1837 drucken liess, ist klar. Diess beiliufig.

YVielleicht wird nun Matcher fragen, warum ich die 1836 erschienene Sprachdenklehre, da ich schon damals ihre Gebre- chen erkannt, erst 1842 recensirt habe.

Ich will’s nur ehrlich. sagen, ich freute mich gar sehr fiber die Erscheinung des Buches und trug nach Kraflten zu seiner Verbreitung bei. Noch jetzt empfehle ich es einer gewissen Classe yon deutschen Lehrern angelegentlich , und mehr als fiinfzig Fran- rosen, Englinder und Italiener, die mich seit sechs Jahren be- tacht, sind durch mich mit dem Buche bekannt und von mir srmuntert worden, etwas Aehnliches fiir die Schulen ihres Vater- andes zu schreiben. Um diese scheinbare Inconsequenz zu er- liren, muss ich den Leser bitten, sich seine Naturgeschichte sin wenig ins Gedachtniss zuriickzurufen. Das Krokodil ist be- tanntlich ein abscheuliches ‘Thier; den Kindern in Aegypten tben so schrecklich wie den unsrigen die Grammatik nach Donat xder Adelung. ‘‘Zum Glitcke gibt es nun eine andre Eidechsen- Gattung, die Warn-Eidechsen (monitor. Cuvier.),. welche zwar an md fiir sich betrachtet auch nicht sonderlich liebenswiirdig sein négen, aber das Gute haben, dass sie ihren Vetter, das Kro- ‘odil» bekriegen* und durch ihr lautes Geschrei den Menschen ror dem Ungethiim warnen. Einen 4hnlichen Dienst erwartete ch von der Sprachdenklehre Hr. Seminardirector Diester- veg, mit dem ich 1836 und 1837 manchen lieben langen Abend iber Unterricht gesprochen, wird sich noch erinnern. ‘Jetzt, nach iechs Jahren, scheint es mir, als sei die alte Grammatik und ler in ihrem Sinne gegebene Declinations- uid Conjugations- Jnterricht aus den besseren Schulen yertrieben, und als ware ‘8 nun Zeit, auf die Mangel auch der rationalistischen Grammatik ind des in den letzten Jahren aufgekommenen Muttersprachunter- ichts aufmerksam zu machen, und zu einem neuen Fortschritte len Grund zu legen. Dass ich der Kritik des letzteren die Sprach- lenklehre und nicht ein ihr ahnliches Buch zu Grunde legte 8 gibt deren bereits eine grosse Zahl, darin sollte man eher in Compliment far Hrn.-Wurst als ein Zeichen von Geringschitzung

* Die Warneidechsen zerstéren namiich viele Krokodileier. Pid. Revue (842. b, Bd. V. a 30 -

®

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sehen. In grammatischer Hinsicht ist sein Buch der erste durcb- .

greifende und yerbreitetste Versuch, Beckers Logik der Sprache den Volksschullehrern und ihren Schilern.zuganglich zu machen; in methodischer Hinsicht ist es die consequente Ausbildung und Spitze der auf den Grundlagen der mehr oder weniger verstan- denen Pestalozzischen Didaktik von Krause, Wander, Sehols, Rossel u. A. in ihren Sprachbiichern eingeschlagenen Richtung: meine Kritik bekimpfte nicht ein Buch, noch weniger eine Person, sondern eine Sache, die in Hrn. Wurst einen ihrer Reprasentanten hat; sogar in dem, was in Hrn. Wursts Buche indiyiduell scheint

(z. B. die Gehaltlosigkeit der Beispielsatze, der Missgriff, die -

Volksschule mit den unteren Gymnasial- und Realschulclassen 0 cenfundiren), hat er zahlreiche Genossen , so dass ich auch in dieser Beziehung die Sprachdenklehre als Typus einer ganzea Gattung von Biichern betrachten und behandeln durfte. -Meino Recension ist mit Einem Worte ein Manifest der (dermalen) neuesten Ansicht von Sprache und Sprachunterricht gegen die ~neuere Ansicht.

Wie weit ich tberhaupt davon entfernt bin, gegen den Ver- fasser der Sprachdenklehre die geringste Abneigung zu haben, geht aus der Hrn. Wurst betreffenden Stelle meiner ,,Deutseben Birgerschule“ (S. 104 n.) hervor, welché das Pasquill (S. 6)

a

héchst ungeschickt als den zweiten Beweis fiir meine Inconse -

quenz gegen mich anfiihrt. Nachdem dort gesagt ist: ,,Die wiit- tembergischen Realschulen werden erst dann ihren Zweck -erfillen kénnen, wenn man eingesehen haben wird, dass der Weg nach Titbingen nicht iiber Esslingen geht,“ * heisst es in einer Ar ‘merkung: ,Ausnahmsweise muss es den Behirden allerdings ge stattet sein, hervorragende Talente hervorzuziehen. So méchte Hr. Wurst, der, nachdem er in St. Gallen mit grossem Erfolge das Seminar dirigirt, jetzt wieder Schullehrer in Ellwangen ist, passender an einer Realschule zu beschiftigen sein.“ Wenn das -Pasquill nicht recht begreifen kann, wie ich ,an einem Orte, ‘wo es gar nicht einmal hingehdrte, dieses fast ibertriebene Lob des Hrn. Wurst wie an den Haaren herbeiziehen“ mochte, 80 begreift es. wahrscbeinlich Hr. Wurst selber,. wenn ich hier ver- ‘rathe, dass ich gewiss. war, die ,,Biirgerschule“ werde von Hr. -Minieter Schlayer gelesen werden, und dass dieselbe Ministeriel-

cee ee:

* In Esslingen ist das evang. Volksschullehrerseminar, in Téabingen - befindet sich,. als ein: Annex der Universitat, das Reallehrerseminar.

, ps °

-Apfragen.u. s. w. an deo K. Stadienrath u. a. m.. veranlasst hat. ‘Uebrigens halte ich noch: jetzt das damalige Lob nicht fir ibertrieben, d.b. bei den heutigen Bildungsverhaltnissen der -Volksschul- und der wiirttembergischen Reallehrer. In zwanzig Jahren gilt hoffentlich ein anderer Maassstab.

Damit das Pasquill indess doch einigermassen das Ansehen, wenn auch nicht einer ,,Unparteiischen Erwiederung,“ so doch -einer Erwiederung gewinne , bringt es einen Haufen Widerspruch, Missyerstandniss und Albernheit vor, der fiir Widerlegung gelten soll. Der Schreiber des Pasquills war hier allerdings in einer , schwierigen Lage. Er ist yon Hause aus gar nicht ohne Geist and Talent, und wie sehr beides auch bei seiner Lebensweise gelitten haben mag, so ist ihm noch immer genug davon dbrig geblieben, um -gegen die Sprachdenklehre vollstindig meiner ' Meinung zu sein. * Nun weiss ich nicht, ob ihm die Materialien. zu dem Antikritischen in dem Pasquill durch Hrn: Macken geliefert _ worden sind, oder ob er dieses Antikritische im Sinne seines Patrons selbst verfasst hat. Begreiflicherweise war es ihm leich- ter, gegen seine Ueberzeugung zu schimpfen und zu verleumden als gegen seine Ueberzeugung zu raisonniren, und.so erklart sich die Unredlichkeit und Armseligkeit auch dieser Partie leicht. - ich fihre nur ein Beispiel an. Die Stelle, worin solche Sitze, wie sie die Sprachdenklebre gibt, leeres Stroh genannt und iiber- haupt statt zusammenhangloser Satzchen fiir den Muttersprach- unterricht gehaltvolle Aufsatze _gefordert werden (weil ja diese eben so gut als abgerissene Satze verstanden-werden und man ‘aus Aufsatzen ja Satze herausheben und einzeln betrachten kann), ist bereits oben citirt. Das Pasquill fiihrt die Stelle S. 40 an und Jasst auch das unmittelbar Folgende nicht aus; ,Leeres Stroh menne ich solche und ahnliche Satze nur, wenn sie dem Schiiler in einer Sprache vorgelegt werden, die er von Hause aus ver-

; * So sandte er mir, wahrend ich diesen Sommer in Cannstadt badete, einen Artikel fir die Revue und schrieb dazu: ,Die wé&rttembergischen Schulmeister werden nachgerade zu albern, als dass man ihnen nicht zu- weilen eine Schlappe geben sollte, und eine solche Zichtigung dirfte ‘in Ihrer Revoc, die doch einmal das einzige Organ ist, das sich des guten Geschmackes in padagogischen Dingen annimmt, wohl am Orte sein.* Ich musste die Aufnahme jenes Artikels ablehner, weil den allermeisten Lesern der Revue der Aufsatz, gegen den er gerichtet war, nicht bekannt sein konnte. Dass von demselben Manne za derselben Zeit ein Pasquill gegen mich unter der Presse war, davon ahnte ich damals nichts.

30 *

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sieht, denn wo es sich um eine fremde Sprache handelt, sind solche Sitze héchst inhaltsyoll und im Anfange- duarchaus zuldssig.“ Das Warum liegt auf offener Hand, und der Pas- quillant ist nicht so albern, den Unterschied nicht einzuseben: | er stellt sich aber so albern und fragt gelassen: ,,Die verspot- teten Sitze sind in einer fremden Sprache héchst imhaltsvoll, warum nicht auch in der Deutschen? Es gibt also doch etwas dabei zu denken und zu lernen.“ Ich gestehe, dass ich diesen Zug seiner Kihnheit wegen bewundere; impertinenter ist mit dem Publikum nie umgesprungen worden.

Der Pasquillant hat seine Antikritik richtig gewiirdigt, indem er es fir néthig gehalten hat, seinen Gegenbemerkungen durch Schimpfwérter und Verleumdungen mehr Gewicht zu geben. Aber auch damit glaubf er seiner Sache noch nicht sicher zu sein, er bringt auch Autorilaten gegen mich bei. Auch Gdber - einige von diesen etliche Worte.

Dr. Becker hat Hrn. Wurst das Zeugniss gegeben, dass er ihn besser verstanden und gliicklicher popularisirt habe als irgend einer seiner Vorganger. Wir wissen, wie. weit dieses Verstandniss gehen kann, lassen das aber auf-sich beruhen, und wollen uns auch das zweite als richtig gefallen lassen. Aber was folgt daraus fiir die Brauchbarkeit der Sprachdenklebre in der - Volksschule? Ich weiss aus Beckers eigenem Munde, dass ‘et nur Sprachforscher sein will und nicht im Geringsten Anspruch darauf macht, iiber die Unterrichtsweise etwas bestimmen 2 konnen; ganz fern steht ihm die Volksschule. Auch Diesterweg (Weegw. I. 356) sagt: ,Becker versteht sich auf den wissenschaft- lichen, dogmatischen oder constructiven Unterricht besser als auf den elementarischen, oder vielmebr, er versteht sich nur auf jenen.“

Mit Dr. Diesterweg, den der Pasquillant nach Becker gegen mich aufmarschiren lasst, verhalt es sich anders; der ist Schulmann mit Leib und Seele und hat in Erziehungs- und Unter- richtsangelegenheiten ein competentes Urtheil. Um nun meiner- seits nicht in den Fehler des Pasquills zu verfallen, das S. 5. eine lobende, Aeusserung D’s tiber die Sprachdenklebre anfihri, dagegen die Einwendungen und Bedenken desselben verschweigt, will ich, bevor ich einige dieser Einwendungen hier zusammen- stelle > ‘gum Voraus bemerken, dass Diesterweg, wie ich aus einem eben- heute, da ich diess schreibe , angekommenen Briefe vom 38. Noy. ersehe, mir nicht in allen Stiicken gegen Hrn, Wurst

-

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Recht gibt. ,Nach meinem Bediinken schreibt er haben Sie Wurst zu Viel gethan. Ich bin damals erstaunt und begriff nicht, wie Sie Alles an der Sprachdenklebre verwerfen mochten. Gegen die grammatische Einseitigkeit des W. haben Sie Recht. Aber Sie miissen das erst durchkampfen. Man wird Ihnen nichts schenken; das ist deutsche Art und Unart. Aber eine solche Fege thut den.... Noth“ u. s. w.

: Hier also einige Stellen yon Diesterweg, sammtlich aus dem ersten Bande des Wegweisers fiir Lehrer (1838).

S. 266. ,Durch -die Bemerkungen erfahrener Schulminner _.2.. bin ich auf die Nothwendigkeit, in Volksschulen den Sprach- unterricht an gas Lesen anzuschliessen, noch recht aufinerksam gemacht worden. Friher erkannte. ich- nur die Méglichkeit,

relative Zweckmassigkeit dieses Verfabrens.“

S. 347: ,,Nach unserem Ermessen gebért keine eigentliche Sprachlehre in die Hande der (Volks)schiler.“

S. 355:. ,,Mit unbedingter Anerkennung haben wir Wurst's _Sprachdenklebre und die Anleitung dazu’ aufgenommen, empfeb- len sie unbedingt zu weiterem Studium, bedingt aber ihren Gebrauch. Nach unserem Ermessen gebéren sie in

-héhere Birgerschulen wie in Gymnasien, und hier wird man sie.

fernerhin kaum entbehren kénnen, * aber in die Elementarscbulen gehéren sie nicht.“ (D. nennt hier Elementarschule, was ich Elementar- und Volksschule nenne).

- §.356. ,,Das Zweite ist: Wurst nicht in Elementarschulen.“ (Vgl. die eben gemachte Bemerkung.) Er gibt: zu viel; er legt

* Jetzt, wo Andere die Becker’sche Grammatik popularisirt haben, ist das wobl nicht mehr ganz richtig, wenn man auch annehmen wollte, in allen héheren Schulen misse Grammatik nach dem reinen Becker’schen System gelehrt werden. Wenn aber diess nicht ndthig ist, so entsteht die | Frage, ob nicht ein deutsches Sprachbuch, das wie z. B. das meinige, 4. nicht nur Anfange der Grammatik, sondern auch der Onomatik und der Technik gibt, 2. auf fremde Sprachen aberall Racksicht nimmt, 3. an einem Sprachbuch wenigstens vor der Hand Einer fremden Sprache einen Begleiter und 4. an einem pussenden Lesebuche eine Unterlage hat, das dann 5. mehrere wesentliche Irrthimer Becker's nicht lebrt and 6. dberall, wo die heatige Sprache nur: durch die dltere Sprache zu verstehen ist, aus der alteren Sprache die erklarenden Belege beibringt es entsteht die Frage, sege ich, ob nicht ein solches Buch den-hoheren Anstalten, namentlich aber den Gymnasien, niitzlicher ist etc. Freilich: hat auch mein Bach Fehler‘uod Mangel, und ich méchte in der bevorstehenden dritten Auflage des Wegw. Diesterwegs Urtheil daraber héren. -

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ein Fundament, auf dem-in diesen Schulen nicht weiter gebaut wird; er lebrt systematisch.

»in der Elementar(Volks)schule muss man .... auf jedes grammatische Lehrgebaude verzichten. Nur in héhere Schulen gehért eine Uebersicht der. Grammatik. Wenn ein Elementar- schiiler (d. h. Volksschitler) Schriften, welche in seinem Le- benskreise liegen, versteht, -mit Sicherheit fremde Gedanken auffasst und seine eigenen, wenn auch nur nach sicherer Leitung des Gefihls, richtig darstellt: so ist an ihm das We sentlichste der Sprachbildung geleistet. Geleistet kann und soll dieses aber werden ohne das System der Grammatik. Vielmebr kann der ganze Sprachunterricht an das Lesebuch * und an die tbrigen Biicher, welche der Elementarschiler in Héanden hat, angeschlossen’ werden.... . Eines systematischen Sprachunter- richts kann der Elementarschiiler faiglich entbehren. -Man_ sehe sich auch nur in den Elementarschulen (verstehe dberall Volks- schulen) nach den Friichten eines solchen um, und man wird davon zurtickkommen. Hr. Wurst ist allerdings entgegengesetster Ansicht u. s. w.“

Ich denke des Abschreibens ist genug. ©

Noch einen Andern gibt es, den. der Pasquillant ebenfalls

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* Ich mache hier cine Anmerkung fir Diesterweg, die ich seiner Erwi- gung unterstelle. Etwas tiefer auf S. 357 heisst es: ,Dann aber muss des Lesebuchs Inhalt sprachlieh geordnet sein. Sonst entbebrt der Unterricht aller Einheit; der gewéhnoliche. Lehrer schifft auf dem Sprack- ‘meer nach allen Weltgegenden zugleich, und das Resultat ist ein Chaos in dem Kopfe des Schilers.“ Die neulich in Wirttemberg gestellte Preisaaf- gabe eines Lesebuchs geht von derselben Ansicht aus.

Ich halte dieselbe nicht far richtig, Allerdings entstinde dasselbe Chaos, um dessen willen ich die Hamilton~-Jacototsche Methode fremde Sprachen zu lehren verwerfe, wenn der Lehrer die Lesesticke. vollstia- dig -grammatisch analysiren wollte. So meine-ich es aber beim deutschen Unterrichte nicht. Der Lehrer hat die Ordnung -der grammatischen Begrifle, die ex durch Abstractionen vom Gelesenen in seinen Schilern erzeugen will, im Kaopfe, sonst in einem Leitfaden, meinetwegen in Hrn. Warst’s Sprach- denklehre. (Natirlich dirfte er nur die H aup tbegriffe an die Schile brisgen wollen, Wurst gibt viel su‘ viel.) Gesetzt er wollte nun in der Leetion = das Genus der Substantive ,. in Lection y die Tempora, in Lec- tion x das :Adjectiv u, s. w. behandeln, warum sollte er das nich? fast an jedem Aafsatze kénfien? Er hebt nur das heraus, was gerade in dieser Stunde granimatisch zu besprecken ist. Vielleicht gewinne ich noch einmeal Zeit, das praktisch in einem Buche su zeigen.

po ATL - und zwar mit Vorliebe als Autoritét gegen mich anfibrt, und zwar so, dass’ derselbe immer schon vor langen Jahren gesagt haben soH, was ich jetzt sage: diess ist der ,Schullehrer des neunzebnten Jahrhunderts.“ Ich will nun herzlich gern glauben, dass der Gelehrte, welcher unter diesem Titel schreibt, sein grosses Verdienst als padagogischer Schriftsteller hat, und ich habe vielleicht Unrecht gehabt, mit seinen Schriften bis auf die heutige Stunde unbekannt geblieben zu sein. Der Grund ist einfach dieser; yor drei oder vier Jahren‘sah ich einmal in cinem Buchladen ein ungefahr in Hamiltonscher Weise -bearbeitetes lateinisches Buch yon ihm, ich glaube, es war ein Gesang der Aeneis. Ich bin mit den Hamiltonianern ein- fiir allemal fertig. und war es schon damals, und so verséumte ich, die andern Arbeiten des ,Schullehrers“ kennen zu lernen. Erst vor einigen Tagen habe ich wirkliche Bekanntschaft mit einem Werke des »Schullehrers“* gemacht, es sind diess die ,,Schulirrthiimer.“ (Hamburg 1843.) Auch daraus einige Stellen, zunachst aus dem S. 153— 164 iiber meine ,,Deutsche Birgerschule“ Gesagten.- S. 153. ,Der Verf. von ‘dem ,,,,Brief an eine Dame ther die Hegel’sche Philosophie“ (Berlin 1837) ist als Padagog eine sehr merkwiirdige Erscheinung, weil er, meines Wissens, der erste ist, der tins den Einfluss dieser Philosophie auf Erziehungs- und Unterrichtswissenschaft im Einzelnen zeigt; und eine erfreu-. cliche Erscheinung, weil er in Darlegung desselben eine Neuheit, Kraft und Klarheit beweist, welche Hegel’s Schule eigen und zur Ausfegung des alten Sauerteiges unentbehrlich ist. Um s0 wichtiger war mir diese Mittheilung, als sie gerade mit meiner Bearbeitung des namlichen Gegenstandes in -diesem Hefte zu- sammentraf. Der Staatsmann, der den Hrn. Dr. Mager iiber. die Bargerschule zu schreiben veranlasste, hat also den rechten Mann gewahit und eben dadurch sich ein grosses Verdienst um die Schule... erworben u. s. w.“ : S..156. ,,Wer seine Ansichten so vermiltelt, darf sicher auf die Zustimmung des ganzén Zeitalters rechnen. Das Ergeb- niss stimmt ganz mit Schull. 2. Bd. S. 1— 42 iiberein, ohne dass-tibrigens eine Spur unserer Bekanntschaft im ganzen Buche zu finden ware. In der Anlegung der _ : * Ich nenne-Hrn, Dr. K. so, weil ich kein Recht zu haben glaube,

seinen Namen hicrher zu setzen, da er sich selbst auf dem Titel seiner Schriften nicht nennt.- | . Sg .

472 Biirgerschule, der mein gegenwirtiges Heft gewi¢- _metist, ist Dr. Mager nicht ohne Einfluss auf mich gewesen.”

S. 158. ,,Was der Verf. iber Geschichte und Mathematik und Behandlung der ibrigen Lehrfacher sagt, das ist so gelehrt, so methodisch, dass kein Leser seinem Gedankenstrom wider- stehen kann, und ich zweifle nicht, ob er gleich in héheren Re- gionen sich halt, dass er in Bezichung auf die Volksschulen mit dem Schullebrer u. s. w.“ a

Von Aeusserungen des ,Schullebrers,“ in so weit sie mich betreffen, geniigen die vorstehenden, um nachzuweisen, dass der Pasquillant auch hier nicht gliicklich im Citiren gewesen ist.

In Bezug auf den Sprachunterricht fihre ich nur folgende Stellen an:

S. 97. ,Becker’s Schulgrammatik gab zu bedeutenden . u- glaublichen Missgriffen Anlass; ein Lehrer, der kaum Seines- gleichen hat, Wurst, legte. es seinen Sprachdenkitbungen in der Volksschule zu Grund. Das Buch ist ein Meisterstick in— seiner Art; aber ausserdem, dass ich die Sprachlebre in der Volksschule auf blosse Uebungen und héchstens auf Bruchstiicke beschranke u. s. w.“ ; ; |

. &. 100. ,,Die Eintheilung der Beziehungen der Begriffe aufeinander u. s. w. ist kistlich. Aber wer fahlit nicht, dass die Auffassung dieser Beziehungen eine Geisteskraft voraussetzt, die bei Knaben nur. séelten gefunden wird? In der Volksschule, glaub’ ich, gar nicht; selbst fiir die Biirgerschule, die erst ge- schaffen werden soll, musste ich auf Vereinfachung denken; ist sie vollkommen, so mag vom 14— 16yéhrigen. Jiingling dieses System ergriindet werden.“

So sieht es um die Autoritéten aus, die fiir Hrn. Wurst citirt werden, die ihm ,,als schlagfertige Macht zur Seite stehen.“ Wie wiirde es erst stehen, wenn ich nun auch Autoritaten her- beirufen wollte, némlich Autoritaten ge gen die Sprachdenklehre? In Curtmann’s gekronter Preisschrift: ,Schule und Leben,“ allein steckt ein ganzes Arsenal. Aber Hr. Macken fiirchte Nichts, ich bin eitel genug zu glauben keiner Hiilfstruppen zu bediirfen. Ich vermuthe fast, dass Hr. Macken jetzt zur Einsicht gebracht ist, dass sein Pasquill ,,étoit plus qu’un crime, que c’étoit une faute.“ Die gefiirchtete Recension sollte unschadlich gemacht, und damit diess sicherer gelinge, sollte der Recensent mit ver-

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teten Waffen meuchlivgs ermordet werden, und nun wird die | cension erst recht unter die Leute kommen, und zwar mit ner Vorrede wie diese hier. -

Mancher Leser mag es getadelt haben, dass ich in der Re- osion der Wurst’schen Schriften so hart und schroff im Aus- icke gewesen bin. Aber damals schrieb ich rein im Interesse ier Sache, welche ich durch die Richtung des Hrn. Wurst und ner zablreichen Meinungsgenossen nachgerade gefahrdet glaube. ess entschuldige mich. Hier habe ich mit viel kalterem Blute hreiben kénnen; wenn mir aber dennoch ein und das andere ort entfalien ist, das man in guter Gesellschaft nicht gern sspricht, so erwage man, von welchem Gesindel ich hier zu Jen hatte. J’ apelle un chat un chat et Cottin un fripon,“ hreibt Boileau, und auch ich sehe nicht ein, was Euphemismen xr geholfen haben wiirden. Dazu bringe man in Anschlag, dass ? Mann, der alle Hinde voll zu thun hat, wohl argerlich wer- n muss, wenn er die Nebenstunden von vier kostbaren Tagen rschwenden soll, um auf solche Macken sche Nichtswiirdig- iten zu antworten.

‘Und damit denn dieser ganze Handel doch wenigstens Je- wnden niitze, so bemerke ich schliesslich, dass das Geld, was r den besondern Abdruck der Recension und dieser Vorrede okommen wird, fiir abgebrannte Hamburgische Volksschullehrer stimmt ist und seiner Zeit an Hrn. Dr. Kréger in Hamburg gesandt werden soll. ,

Noch ein Wort fiir Hrn. Wurst und seine Meinungsgenossen. . Ich bin zwar kein Freund von langwierigen Debatten, wie 3 sich oft bandwurmartig durch ganze Jahrginge padagogischer. itschrifien hinziehen. Es mag indess sein, dass auch sie ihren atzien haben, und wenn man niitzen kann, so soll man es thun, pon auch die- Art wie es geschehen muss, gegen die eigene Bigung léuft. Wollen also Hr, Wurst und seine Meinungsge- yssen ihre Ansicht von dem deutschen Unterricht in der Ele- entar-_ und Volksschule gegen meine Ausstellungen vertheidigen id rechtfertigen; wollen sie meine Ansicht durch Griinde be- mpfen, sei és in paidagogischen Zeitschriften oder in eigenen ‘oschiren: so verspreche ich ibnen hiermit, auf salche Dis- ission eingehen zu wollen.

Aarau, 9 —12. Noy. 1842. _ Mgr.

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ZWEITE SECTION. -

Beurtheilungen und Anzeigen. | B. Hand-, Lehr- und Lernbiicher. Elementargrammatik der lateinischen Sprache nebst eingereihten lateinischea ° und deutschen Uebungsaufgaben und den dazu gehdérigen Worterver- zeichnissen von Dr. Raphael Kibner, Conrector an dem Lyceum is Hannover und ordentlichem Mitgliede des Frankfurter Gelehrtenvereins far deutsche Sprache. Erste Abtheilung far die unteren Classen. Han- nover, Im Verlage der Hahn’schen Hofbuchhandlung. 184.

Schon manches Uebungsbuch entstand durch das Bestreben - der Verfasser, das Erlernen der Sprachen, welches lange Zeit hindurch nur. in einem mechanischen Einpragen von Formeln bestand, belebender und erweckender zu machen; andere wur- den nur desshalb geschrieben , weil der Verfasser Geld erwerben wollte und meinte, durch Zusammenstellung einer derartigen Schrift wire dieses am leichtesten méglich; bei noch andern Ver- fassern wirkten beide Ursachen zusammen. Ob dieses Buch witt- lich nur der ersten Ursache seine Entstehung verdankt, wird sich spater herausstellen. Bei der Ausarbeitung dieser Elementargran- matik benutzte der Hr. Conrector Kiihner. nicht nur den Rath mehrerer seiner Collegen, sondern er ertheilte auch selbst fir einige Zeit den lateinischen Unterricht in der untersten Classe des Lyceums in Hannover, ,,um dem erstrebten Ziele sicheren und festen Schrittes entgegen zu gehen.“ Dass diese Zeit jedoch | ur eine sehr~kurze geweésen sein kann, und dass die Herren, © welche ihm ihren Rath ertheilten, nicht ganz mit der Sprache herausgingen, werden wir unten sehen. Herr Kiihner trachtete nun darnach in diesem in zwei Curse getheilten Buche den Knaben auf dem miglich kiirzesten und sichersten Wege zu einer leben- digen Auffassung und griindlichen Erlernung des grammatischen Stoffes zu fiibren und ihn zugleich auch mit einem reichlichen lexikalischen Materiale bekannt zu machen. Dieses glaubt er dadurch zu erlangen, dass er die dem Gedachtniss eingepragten Formen und Regeln sogleich durch Uebersetzungen aus dem

—_

A75 .

Lateinischen in das Deutsche und aus dem Deutschen in das Lateinische einiiben lasst, weshalb er die Formenlehre mit eini- gen Verbalformen eréffnet, und den Uebungsaufgaben einige syn- taktische Regeln ohne systematische Folge; nur wie es das Be- dirfoiss erheischt, einmischt, nimlich dem ersten Cursus 47, dem sweiten 36 Stick. Es ist eine 11 Seiten fillende Ueber- sicht der hauptsichlichsten grammatischen Regeln, dann auf 30 Seiten ein lateinisch-deutsches und auf eben so vielen Seiten ein dentsch-lateinisches Worterverzeichniss in drei Spalten ge- | druckt angehingt. Die Beispiele zum Uebersetzen, hat Hr. K. grosstentheils selbst gebildet, weil er nicht etwas noch nicht. Gelerntes anticipiren wollte u.s.w., wovon weiter unten das Nothigste kommen wird.

Dass Hr. K. fiir die Bildungsstufe der Knaben, fiir welche diese Elementargrammatik bestimmt ist, nicht genug Erfabrung oder Uebung besitzt und sich daher gar nicht sellen ungeniigend ausdriickt, ist uns durch fast alle einzelnen Theile des Buches. deutlich geworden. So soll das Verbum ,der Ausdruck eines Thiatigkeits-Begriffs,“ das Substantiv ,der Ausdruck einer, Person oder Sache“ sein, oder nach einer andern Erklarung driickt das Verbum ,eine Thitigkeit aus, welche von einem Gegenstande ausgesagt wird.“ Von dem Substantivum concretum wird gesagt: es bezeichne einen Gegenstand, der in der Wirklichkeit vorhanden. ist,“ das Substantivum abstractum dagegen bezeichyet einen Gegenstand, der nicht in der Wirk- lichkeit besteht, sondern nur als ein selbstandiger ge- dacht wird.“ Die Pronomina possessiva sollen ,,einen Gegen- stand als den Besitz der ersten, zweiten oder dritten Person,“ die Zahlwérter aber ,das Verhaltniss der Zahl ausdriickén.“ Wir haben zehn Jahre an einem Gymnasium die Elemente der Grammatik gelehrt und wissen daher, dass keine dieser Erklarun- gen den Knaben ,,zu einer lebendigen Anschauung und zu einem. klaren Bewusstsein“ fiihbrt, aber es ist uns auch nicht unbekannt,- wie schwer es ist, Erklirungen aufzustellen, welche die Knaben nicht gedankenlos nachschwatzen, sondern wirklich begreifen. So lange nun Definitionen, wie sie Hr. K. aufstellt, nicht mit- einander selbst im Widerspruche stehen, mag es imnier noch hingehen; wenn aber die dargebotene Erklirung in der Regel nicht :mebr passt, so werden die Schiller und die Lehrer, welche: diese Elementargrammatik gebrauchen, in .gleiche Verlegenheit.

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hommen. So heisst es z. B. S. 232: ,,das. Subject ist entweder ein Substantiv, oder ein anderes Wort, welches substantivisch gebraucht wird, z. B. ein Pronomen.“ Wie nun ein Pronomen, welches (S. 73) ,,nicht, wie die Substantiva, den Begriff eines Gegenstandes ausdriickt, sondern nur die Besiehung eines Gegenstandes zu dem Sprechenden,“ substantivisch gebraucht werde,. und tiberhaupt, was der substantivische Gebrauch, eines Wortes bedeute, wird nirgend gelebrt. Dass tibrigens der Begriff des Subjects zu eng gefasst ist, wird schon der Knabe merkea, wenn er S. 236 Regel 11 liest; denn da wird ja vom Infinitiy und Accusativ cum {nfinitivo etwas ausgesagt.

Es kommt zwar bei éiner Elementargrammatik nicht sowohl darauf an, dass der Verfasser derselben den Sprachstoff allseitig durchforscht habe, als vielmebr darauf, dass der gewdholiche bekannte Stoff in richtiger Weise fasslich dargestellt werde; allein mit Bedauern miissen wir gestehen, dass Hr. K. weder in der. ersten Bezichung genijgt und in der zweiten hinter jeder billigen Erwartung weit zuriickgeblieben ist. Wir wollen zuerst die zweile . Beziehung besprechen. S. 59 sagt Hr. K.: ,,alle Substantiva der fiinften Declination sind weiblichen Geschlechts mit Ausnahme der beiden Masculina: dies der Tag und meridies der Mitteg;. jedoch ist dies weiblichen Geschlechts, wenn es einen bestimmten Tag, einen Termin, oder iiberhaupt die Zeitdauer ausdriickt; es wird aber auch in beiden Bedeutungen als Masculin gebraucht." Ist es nicht wahrhaft lacherlich zu sagen, das Masculin ist io gewissen Bedeutungen auch Feminin, und doch auch wieder nicht, sondern ein Commune? Wenn nach dieser Regel ein Schiiler sagt, ambabus diebus, an den beiden Terminen, oder dies dictas, die bestimmten Tage, so ist er gar nicht zu tadeln und doch ist es falsch. Es ist namlich nicht gesagt, dass dies nur im Singular ein Masculinum und Femininum ist, im Plural aber immer eig Masculinum.. Wir rechnen dieses Hrn. K. nicht fiir Unwissenheit an (denn wie sollte man bei dem achtbaren Herausgeber der Tusculanen diese voraussetzen kénnen?), aber wir halten es fur eine héchst tadelnswerthe Nachlassigkeit. In der vierten Regel heisst es: ,das Verbum sum in der dritten Person (est, sunt) ist durch haben, besitzen zu iibersetzen. Der Dativ bezeichnet die Person, die Etwas hat; die Sache aber, die die Person hat, steht im Nominativ.“ Diese Regel ist nur dadurch so undeutlich geworden, dass sie in drei Satze zerlegt ist. Ganz einfach hatte

AZ

gesagt werden kénnen: Wenn bei der dritten Person von eum ein Datiy steht, so iibersetzt man es oft der deutschen Sprache angemessener durch haben. Das im Dativ Stehende wird dann das Subject-zu haben, und das im Nominativ Stehende das Object. Mihi multi sunt libri, ich habe viele Biicher. Seite 31, 4. wird bemerkt, dass im Accusativ des Plurals die Wérter, welche den Genitiv des Plurals auf ium bilden, in der classischen Zeit is statt es haben, und dazu als Beispiel angefiihrt omnis gentes. Warum, wird der Schiiler fragen, gentes, da gens doch ein ein- sylbiges Wort mit einem Consonanten vor dem s ist, und also regelmassig die Endung ivm im Genitiy hat? Auch wir fragen Hro. K., warum er-es fiir gut gehalten hat gentes zu schreiben, da doch gerade von diesem Worte Varro behauptet, man habe stets gentis gesagt? S. 63 Anm. 4. wird von den Adjectiven auf er, is, e gelehbrt, dass die Endung is zuweilen auch fir das Masculin gebraucht werde; allein es hatte st. zuweilen heissen solien fast durchgehends. Die 26ste syntaktische Regel lautet : Wenn zwei Comparative mit einander verglichen werden, so wird dem einen Comparativ quo, oder quanto, je, und dem andern eo, oder hoc, oder tanto, desto, um so, vorgesetzt.“ Nun folgen aber nach noch einigen andern Regeln tiber den Compa- raliv Beispiele, welche nicht hieher passen, wie ,,die gottlosesten Menschen pflegen die schmiahsiichtigsten zu sein.“ Wir vermuthen, dass Hr. K. hier noch die Regeln von quo quis oder quisque mit mit dem Comparativ, und von ut quisque ita mit dem Superlativ angebracht hatte, sie aber dann weiter hinabsetzte, ohne die Beispiele zu andern; denn in dem Beispiele: ,,Um so kiirzer ist jede Zeit, je gliicklicher sie ist,“ soll doch quo quodque mit dem Comparativy, oder uf quodque mit dem Superlativy stehen. Auf jeden Fall wiitde der Schiller nicht auf die Uebersetzung von quo oder ut quodque kommen, da dieses Pronomen erst spater behandelt wird. In den Bemerkungen fiber die Comparation der Adjectiva ist der Ausdruck so ungeschickt gewahlt, dass man giauben muss, der Hr. Verf. habe dabei geschlafen, oder gar auf die schlechte Wendung studirt. Ein richtig organisirter Mensch kann schwerlich auf solche Wendung verfallen: ,,die von Adjecti- ven abgeleiteten Adverbien gebrauchen im. Comparativ das Neutrum des adjectivischen Comparativs auf ius, im Superlatiy aber verwandeln sie die adjectivische Superlativendung us in e.“ Wozu diese Adverbien dieses Neutrum gebrauchen, und in welcher

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Absicht sie jene Verwandlung. vornehmen, wird nicht gesagt. Das mag denn der Kmabe errathen. Auch sonst hatte in den Regeln fiber die Comparatioén der Adjectiva manches deutlicher. sollen ausgedriickt werden. So wird z. B. von dem Comparativ veterior gesagt, er ware ungewohnlich. Soll dieses bedetten unge- briuchlich, warum ihn dann bilden? soll.es aber bedeuten, ‘er ware weniger im Gebrauch (was richtig ist), warum denn einen so zweideutigen Ausdruck wihlen? Dann hitte su superss, nuperrimus auch maturrimus und maturissimus um so eher bei- - -gefiigt werden sollen, als auch tmbecillimus und tmbecillissiows angefihrt werden. Von den Adjectivis, welche keinen Comparatir -haben, sind nur vier angefibrt; es fehlen aus unbekannten Griin- den prior, potior, otior und deterior. Beit Erwibnung der Un- schreibung des Comparativs und Superlativs hitten nicht blosdie - ‘positiven Formen magis und mazime ,-sondern auch die negatives | _ minus und minime angeftihrt werden sollen.

Wihrend auf der einen Seite Hr. K. auch die veuern For-’ .schungen beriicksichtigt, hangt er auf der andern an dem Ueber- lieferten fest. S. 62 bemerkt er, ,,dass man alterius, nicht (wie man aus Dichtern ausfibrt) alferius sprechen miisse.“ Es ist - gwar erwiesen, dass ¢# in dieser vorletzten Sylbe auch lang ist; (s. Jahns Jahrb. 1834. 4. Heft, S. 412), aber sollten denn die Dichter ganz gegen das rémische Gefiih] allerius gewagt haben’ sollte nieht schon urspriinglich diese Sylbe einen. zweideutigen Ton gebabt haben? Géhért endlich diese Bemerkung in eine Ele- mentargrammatik? In den Regeln -iiber die Comparation der Ad- jectiva ist Hr. K. bei dem alten Schlendrian geblieben, was um so tadelnswerther ist, da sich die Sache leicht auch fiir Knaben begreiflich darstellen lésst, wenn jemand anders die Gabe der Darstellung besitzt. Es wird naimlich, um die Sache in ihren Grundziigen auzudeuten, eine Eigenschaft einer Person oder Sache ~- 1. ohne weitere Riicksicht auf andere beigélegt, welche dieselbe Eigenschaft besitzen, oder 2. mit besonderer Beziehung auf an- dere. Im ersten Falle stellt man nun a. entweder die Kigen- sehaft geradezu hin; oder b. man erhebt: sie in einem besonders hohen Grad.. Ersteres geschieht durch den Positivus, hic homo pauper est, er ist arm; das zweite durch den Elativus, pauper- rimus est, er ist sehr arm. 'Wenn man aber eine Eigenschaft einer Person mit Riicksicht auf andere beilegt und sagt, dass sie ‘an ibr besonders hervortrete, so kommt es darauf an, ob -man

acy

_ dabei nur eine andere. bericksichtige, oder mehrere. Im erstern Falle steht der Comparativus, fratre pauperior est, er ist armer, als sein Bruder; im zweiten der Superlativus, omnium pauperri- mus est, er ist der Aermste von allen, in welcher Bedeutung freilich das Wort immer den Ton auf sich zieht. S. Gérenz zu Cicero de finib. 2, 3, 8, S. 123. Es tritt also in der lateinischen, -wie in. der griechischen Sprache der Begriff der Zweiheit und Vielheit noch in ganzer -‘Schirfe gesondert hervor ,- wihrend dieses im Deutschen nicht mehr der Fall ist. Deno mégen die Gram- ‘matiker immer lehren, dass .man bei zweien frage: Welcher ist der Gelehrtere? Das Volk, die Masse der Nation wird doch stets _ sagen: Welcher ist der Gelehrieste? mag es nun ausdriicken wollen quis doctissimus, oder uter doctior est. Dass der Super- (ativus und Elatious im Lateinischen und Griechischen dieselbe Form haben, thut nichts zur Sache; factisch sind sie verschieden. Da der Grund einer Regel dieselbe in dem Knaben eigentlich erst zu klarem Bewusstsein bringt, so hatte Hr. K. denselben nie ‘weglassen sollen, wo er mit wenigen Worten Matte angefibrt .werden koénnen. So hatte bei den mit per (permagnus) und prae (praedives) zusammengeselzten Adjectiven gesagt werden sollen, dass sie desshalb keine Comparation zulassen, weil sie schon an sich einen hohen Grad bezeichnen, und bei den Deminutivis und Compositis mit sud, dass sie keine Gradus hilden, weil sie fiir sich einen geringen Grad ausdriicken. In - gleicher Weise hatte gar leicht der Grund der vierzigsten syn- _tactischen Regel, warum die Pronomina, quisquis, quicunque, qua- iscunque u. s. w. im Lateinischen (und Griechischen) mit dem Indicatiy verbunden werden, wahrend sie im Deutschen (wenig- . stens scheinbar) den Conjunctiv bei sich haben, beigefiigt wer- den kénnen. Das Pradicat nimlich ist immer wirklich vorhanden (indicatiy), und nur iiber das Subject, welchem dieses beizulegen _ ist, existirt Zweifel. Diese Ungewissheit oder Allgemeinbeit driickt der Rémer durch seine Verdoppelung (quisquis, utut) oder durch Anhingung von cungue aus, wahrend wir entweder eine Um- schreibung mit mégen, oder mit auch immer wahlen: Wer dieses auch gethan haben mag, oder: Wer dieses auch immer gethan hat; guicunque hoc fecit, pessimum facinus perpetravit. Wir wenden uns zur Begriindung unserer zweiten Bebaup- tung, dass Hr. K. den Sprachstoff nicht gehérig durchforscht habe. S. 56 bebauptet er domi, zu Hause, ware eigentlich aus domut

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in dieser Beziehung alles auf den Lebrer und auf die Provinz Deutschlands an, in welcher der Lernende lebt. Unter den Re- geln itber-die Quantitét der Sylben wird als Beispiel daffir, dass der. kurze Vocal vor j lang wird, alicijus angefihrt; allein wo- durch will Hr. K. die urspriingliche Kiirze dieser Sylbe cx beweisen? Von diesem « lasst sich weder darthun, dass es urspriinglich karz, noch dass es lang war. Wir wiirden die Regel etwas an- ders ausgedriickt haben, namlich: In der Mitte der Warter wird oder bleibt jeder Vocal vor 7 wegen der eigenthiimlichen Aus- sprache dieses Buchstabens bei den Roémern lang, und nur die Composite bijugus und quadrijugus machen eine Ausnahme. Die Regeln tiber die Betonung und den Accent der Sylben waren besser weggeblieben, da dem Knaben fir das richtige Auffassen derselben die prosodischen Vorkenntnisse fehlen; ja Hr. K. selbst scheint mir hier in ein Fehlen gerathen zu sein. Das a der ersten Conjugation ist doch, nach aller Analogie zu schliessen, vori Natur lang, und nur in améé tritt es als Kiirze auf, wie wohl auch in dieser dritten Person Ennius, freilich immer in der Arsis, versal, servat sagte. Als lang erscheint das @ auch in amétur, und diesem nach ist auch das a in der vorletzten Sylbe von amantur nicht durch Position, sondern von Natur lang. Nun lehrt Hr. K., dass in drei- und mebrsylbigen Wortern auf der vorletzten Sylbe der scharfe Ton stehe, wenn sie nur dareh Position lang sei, die letzte Sylbe mége lang oder kurz sein; dagegen der gedehnte Ton, wenn die vorletzte Sylbe von Natur lang, und die letzte kurz sei. Nach dieser Regel accentuirt et richtig amdntés , aciltus, amdre, aber aller Analogie nach fehler- haft amadntiir, wofir amdntur stehen miisste. Auf diese spitsige, selbst von den alten Grammatikern (S. Gellius, N..A. 13, 25.) vielfach in Zweifel gezogene Accentlehre kommt Hr. K. wieder S. 19 zuriick, wo er fiber den Genitiv ingéni statt iegénsi und den Vocativ Mércuri spricht, und dann bezeichnet er gar in den Genitiven des Plurals nummam, sestertium, fabrum die End- sylbe mit dem Zeichen: der Linge. Zwar hat auch A. Grotefend in seiner lat. Grammatik I, S. 98. fabrém drucken lassen, wovor Billroth 53, 4. a. geradezu warnt; Ramshorn §. 27, 5. §. 26, 4. setzt kein Zeichen, aber Zumpt spricht sich ¢. 51, 4. ganz be- stimmt gegen das Zeichen der Lange und den Circumflex auf det Endsylbe aus. Reisig (Vorlesungen, herausgegeben von Fr. Haase ‘S. 106) sagt: Dag. hier (in coelicolum, doch gilt dasselbe auch

e

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vom Genitiv des Plurals der zweitén Declination) lang zu spre- chen, ist fehlerhaft, und eben so wenig gehért das sogenannte Wetterdach hieher, das man dartiber zu setzen pflegt.

Die vorletzten Sylben der zum Auswendiglernen bestimmten Wéorter. bezeichnet Hr. K.~ ohne alle Grundsatze bald mit den Quantititszeichen, bald nicht. Da finden wir S. 36 und 37 in- sclus, regio, audacia, misericordia, consilium, castanta, idontus, exaudio, tranquillitas, probttas , celeritas, fortitido bezeichnet, aber ohne Andeutung der Quantitét prudentior ,* imprudentior, cogitatio, solea, viator, poéma und andere. So sind auf S. 26 und 27 nicht bezeichnet avaritia, beatus, calamitas, careo, cor- rectio, cupiditas, elegans, facundia, firmitas, legislator , memoria, oceasio, orator, patria (aber philosophia), pietas, praemium, pulchritudo (aber consuetido), stabilitas, venator und so fort das ganze Buch hindurch. Ueberhaupt ist in diesen Wérterverzeich- nissen gar Vieles wabrhaft schiilerhaft ausgefallen. S. 36 und 255 wird gelehrt, fauz bezeichne den Schlund, fauces den Engpass, wabrend doch der Nominativ fauz gar nicht, und iiber- haupt von dem Singular nur selten der Ablativ fauce vorkomumt, und der Pluralis fauces in der Bedeutung von Kehle, Schlund und Engpass gleich gebriuchlich ist. S. 34. XXIII. wird afque, welches sich auf den Satz: virtus pari studio a principe et divite .atque a humili et paupere colitur, bezieht, durch und erklart, wahrend es hier doch als bcdeutet. Es ist dieses nicht ein mo- mentanes Irren oder Versehen, sondern ein fester Fehler, wie man aus den deutschen Beispielen auf S. 61 sieht. In dem Satze: w#Nichts ist so angemessen fir * die gliicklichen und widrigen Verhaltnisse des Lebens, als die -Freundschaft,“ ist zu als in Parenthese beigeschrieben ,,== und, atque,“ und S, 41 zu ,,auf gleiche Weise, wie“ ebenfalls atqgue. Glis wird in den angehing- ‘ten lateinisch-deutschen und deutsch-lateinischen Wérterverzeich- nissen und S. 36 durch Siebenschlafer, Ratte, S. 30 durch Bilchmaus iibersetzt. Der Name Bilchmaus yom Mittelhoch- deutschen pilech ist gut, aber wohl nicht gebrauchlich, obgleich auch Prof. F. S. Voigt in seiner sehr abgeschmackten ** Zoologie

* Wir missen hierbei Hra. Kabner, das Mitglied des Frankfurter Ge- lehrtenvereins far deutsche Sprache fragen, ob es denn logisch richtig ist, angemessen mit far zu construiren, wie er es hier, 8, IV der Vorrede

sonst thut.

* Zor Begrindung dieses Urtheils aber Voigts Zoologie kénnten wir

; 31 *

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Bd. 1. S. 364. diesen Namen auffibrt. Ratte und Siebenschlafer sind aber ganz verschieden, und man zweifelt sogar ,,ob die Griechen und Rémer in ibrer classischen Zeit schon Ratten. hat- ten.“ Die Tiber schreibt Hr. K. S. 48 Tiberis, hingegen wird S.55, 273 und 298 Tyburnus (,,zur Tiber gehérig, in die Tiber fliessend“) geschrieben. Der Hr. Verf. hatte sich fir eine Schreib- weise entscheiden und entweder mit Manutius und Gruber Tideris, Tibur, tiburnus, oder mit. Tortellius Tyberis u. s. w. schreiben sollen. Aber _es ist noch ein bedeutenderer Fehler da, denn Tiburnus heisst nicht ,,zur Tiber gehérig,“ sondern ,,zu Tibur gehérig.“ Man sagt daher eben so wenig Tiburnum ostium, Ti- burna insula. als Tiberinus Anio.* S. die Stellen in einem . grossern Worterbuche.

Was nun die den Regeln beigefiigten Beispiele und Ueher- setzungsaufgaben betrifft, so behauptet Hr. K. S. VI, er habe sich bemiiht, dberall nur solche zu wahlen, welehe der Fassungskraft und dem Wesen des Knaben angemessen waren; er habe sie zwar grosstentheils selbst gebildet, aber sich streng zum Gesets gemacht, iiberall nur classische Wendungen und Ausdriicke zu wihlen. Wir versichern, dass wir selten eine gleich unangenehme Beispielsammlung gefunden haben. Da sie dem Knaben fast{gar keinen neuen Gedanken zufibrt, so muss sie ihm das Uebersetzen in das Lateinische oder Deutsche nicht nur verleiden, ‘sondern die hiufigen Absurditéten miissen bei ihm sogar Ekel erzeugen.

unzablige Stellen hersetzen, doch wir geben nur seine Charakteristik der Ratte: sie ist ein abscheuliches, nunverschamtes , freches, zorniges Thier, ein Muster von Schlechtigkeit und stiehlt in der That; sie katin einen halben Kornboden (versteht sich, wenn er klein genug ist), fortschleppes,- aber dennoch vertrégt es sich mit ihrer Gemeinheit, dass sie mitleidig ist. Die Philologen sollten den Naturforschern keine Blésen geben, dena eine grosse Anzahl dieser Manner, welche die Naturgeschichte gern és extenso in die Gymnasien einfibren méchten’, benatzen jede Schwache der Philologen auf nicht ebrenhafte Weise, wahrend sie die tausend Absardi- taten ihrer Collegen, wie des Professor und Hofrath Voigt in Jena stilt- schweigend hionehmen. Es versteht sich, dass wir vor tachtigen Natar- forschern allen Respect haben.

* Im Verzeichniss der unregelmassigen Substantiva der dritten Decii- nation wird auch aufgefabrt Anio, masc., G. Anienis. Wenn einmal dieses Wort aufgenommen wurde, so hatte doch auch des Nominativs Asien und des Genitivs Antonis gedacht werden sollen, weil durch jenen Nominativ erst der Genitiv Anienis erklart wird, Die Form Anitenus konnte allerdiags wegfallen.

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. Nothdtirftig mit einander verbundene Worter iibersetzen zu lassen, ist eine Versiindigung an dem Knabenalter, und es ist nicht wahr, was Hr. K. S. 86 in einem Beispiele sagt: ,Einem guten Schiller - ist jede beliebige Arbeit angenehm.“ Man wihle Siatze, durch welcbe der Knabe, ausser den Wortformen, noch etwas anders lernt, die ihn anziehen, man vermeide besonders die Abgeschmackt- heiten und man wird finden, dass der Schiiler seine Arbeiten in hohem Grade mehr zur Zufriedenheit des Lehrers macht. Nur das iibersetzen die Schiiler gut, was sie gern machen; was sie gar nicht anzieht, wird nachlassig ausgearbeitet. Die deutschen Beispiele sind haufig in so schlechter Sprache gegeben und die Worte ‘so wenig im Geist unserer Sprache gesetzt, dass es em- porend ist. So z. B.:,,die Feinde bewegen an die Stadt einen hoben Thurm (S. 41). Die Nieren sind angefiillt mit Feuchtig- keit (S. 58). Die Felder der. weiten Ebene sind angefillt mit frdhlicher (?) Saat (S. 61). Die Zahl der des Umgangs mit treuen Freunden untheilhaftigen Menschen ist gross (S. 40). Nach der Richtschnur wird das Holz von dem Zimmemann be- hauen (S. 41). Der Knabe bringt Senf in einer silbernen Schiissel herbei (S..42) u. 5. w. u.s.w. Der Inhalt der Beispiele ist ‘nicht nur oft einschliferad, sondern haufig sogar absurd. Ein kaltes Herz halt man fir ein Zeichen des Todes (S. 46. Welche Dumm- - heit!). Gewalt vertreibt Gewalt mit Gewalt (S. 40). Die Kinige kleiden sich. mit (in?) vergoldeten Purpur (53). Die losen Taue des Schiffes werden durch den Wind angespannt (S. 53. Die Ségel kénnen durch den Wind angespannt werden, aber die losen Taue nie, héchstens die schlaffe n Taue). Die niedrig- sten Birger werden die Hefe des Volks genannt (S. 71. So recht, damit doch der Knabe gleich die Sprache der tibermiithigen ré-. mischen und modernen Aristokratie lerne. Aehnliche Beispiele, und es kommen viele in dieser Sammlung vor, halten wir ge- radezu fir unsittlich; sie-vergiften den Geist des Knaben, wie andere schlimme Beispiele.) ,In einem- zweifiissigen (doch - wohl: zweibeinigen) Eselein ist oft eine gréssere Arbeitsscheu, als in einem vierfiissigen (S. 41):. A bipede asello litterae non amantur (S. 33).“ Zu diesen zwei abgeschmackten Beispielen wird noch ein drittes beigefiigt: ,,vom Dichter Juvenal wird ein _ einfaltiger und trager Mensch ein zweifiissiges Eselein genannt.“ Hier ist sogar der Ausdruck des nicht gerade geschmackvollen Satirikers falsch verstanden, denn Juvenal (1X, 92. und daselbst

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die Erklarer) versteht. unter dipes asellus nur einen Thoren, der doch seiner ganzen Natur nach die Wissenschaften nicht lieben kann. Glaubt Hr. K. denn, dass die folgenden drei Beispiele dem Wesen des Knaben angemessen sind? ,Wenige Leute erfreuen sich an einem ehelosen Leben (S. 41). Pherimi homines abhor- rent a vita caelibe (S.34). Caelibum sors tristis est (S. 38).“ Man sollte glauben, ein Mann hatte diese Beispiele geschrieben, welcher mehrere heirathsfahige Téchter besisse und sie durch die Grammatik an den Mann bringen wollte. Dass man jedoch diese Vermuthung iber Hrn. K. nicht hegen darf, zeigt ein andetes Bei- spiel: Ab infante querulis vocibus aures nostrae implentur,“ wel- ches gewiss sehr bildend auf das ,zarte Knabenalter“ einwirkeo wird. Fast alle Beispiele, die Hr. K. aus der Naturgeschichte | bringt, sind unpassend und abgeschmackt: ,,Die Gegend ist reich an Mausen, an Siebenschlafern und Ohreulen. (S. 40. Da muss der Aufenthalt ja héchst reizend sein!) Die kleinen Mause ge- reichen den Kornbéden zu grossem Schaden (S. 52). Die Ratten sind, wenn sie auch klein sind, dem Landmanne sehr schadlich. Die wilden Geier sind den TurtelItauben verderblich. Das Ganse- fett ist von siissem Geschmack (S. 52). Die -kleinen Eidechsen stechen heftig“ (S. 53). Hat. Hr. K.-je eine. Kidechse stechen sehen? Womit stach sie denn? Doch nicht gar mit dem Schwanse? Beissen kénnen sie wohl, aber nicht stechen. Nicht wenige Bei- spiele beziehen sich auf einen fiir Westphalen sebr wichtigen Gewerbszweig, nimlich auf die Schweinzucht und Schwein- mast. ,,Die fehlerhafte Milz qualt die Schweine mit grossen Schmerzen. Sues furfurem aqua mixtum avide devorant. Die mit Wasser gemischte Kleie tst niitzlich zur Mastung der Schweine* (S. 51, 52). Wohl miglich , dass die Kleie hiezu passend. ist, aber keineswegs sind diese Beispiele fiir Erweckung und Bildung des Geistes eines Knabens niitzlich- Und warum muss der arme Knabe dieses Futter zu sich nebmen? Nur damit er efniibt, dass furfur und lien Masculina sind, zwei Worter, die er vielleicht in§seinem ganzen Leben nicht gebraucht, ja vielleicht nicht eix- mal in einem Sehriftsteller liest. Wir hielten es fir geniigend, wenn der Knabe ungefahr wusste , welches Geschlecht diese Warter hatten; ja wir wurden nicht ungehalten, wenn ibm diese Wrter einmal wieder entfallen waren, weil dieses bei so wenig vor- kommenden Wortern selbst Verfassern von Grammatiken zustésst. Seien wir offen! Das as Romanwn und die sentes. asperae auf

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S. 48, 49 sind keine Druckfehler, sondern daher entstanden, dass der Hr. Verf. bei Verfertigung dieser Beispiele sich nicht genau erinnerte, welches Geschlecht as und senfes hatten. Hr. K. plagt aber die Sehiiler nicht nur. mit dem Ass, den Kleien und dem Dornbusch, sondern er verwendet oft eine ganze Reihe von Beispielen nur dazu, um ein ganz bekanntes Wort, bei wel- . chem sich keine Unregelmassigkeit findet, durch alle Casus, selbst durch den Vocativus hindurch zu decliniren, wie z. B. S. 57 erst lusus, sensus, tonitru und genua und dann auch noch die entspre- chenden deutschen Wirter; S. 60, spea und res, dann Treue und Tag; S. 81, rez und dann auch noch Kd nig.

Was die lateinischen Beispiele betrifft, so sind diese 1. zum Theil ganz hohl und ertédten durch Einférmigkeit den mun- tern Geist des Knaben, wie S.34, A Felice felici fortuna bellum geritur. A Pertinace pertinaci studto bellum geritur u.s. w. 5. 36 folgen auf einander: Vocum multa sunt genera; glirium magnus est nUMNETUS ; ingens murium numerus in horreis. est u.s.w. Carminum _ varia sunt genera; lusus varia sunt genera.. Ja! damit der Knabe sogleich in die Tiefen der deutschen Politik eingeweiht-werde, wird © ihm S. 35 gelehrt: Vectigalia sunt varia. Vectigalium magnus est numerus. 2. die Beispiele sind wahrhaft unsinnig; denn was soll bedeuten: Gubernator convertit: navem ad puppem (lies puppim) ? Ein Schiff zum Hintertheil wenden? Zerbricht er dann das Schiff in der Mitte, so dass Vordertheil tud Hintertheil einander berihren kdénnen? Dann wiirde aber der Steuermann eher das Hintertheil zum - Vordertheile wenden. Kurz: Davus sum, non Oedipus. Ich kann den tiefen Sjnn nicht ergriinden, welchen Hr. K. hier ausdriicken wollte. In prosperis rebus multi sunt amici, in adversis pauci (S. 61). Was soll das wieder bedeuten? Viele Freude sind im Glick, wenige tm Ungliick! Sollte hier schon wieder durch einen - Druckfeblor nobis weggefallen sein? Multi nautae omnem terram ab- extremo Oriente usque ad extremum occidentem peragrant (S. 50). Ich und andere Leute glaubten, Seefahrer machten ihre Reise zu Schiffe auf dem Meere, aber Hr. K. lasst sie die dus- serst beschwerliche Reise zu Fusse machen. Warum ist: ferner Oriens und Occidens mit einem grosser Buchstaben geschrieben? S.1 wird doch gelehrt, ,,der grossen Buchstaben bedient map sich nur a. zu Anfange eines Satzes, nach einem Punkte, Frage- und Ausrufungszeichen und-nach einem Colon; b. bei Eigenna- men.“ Larum custodiae aedium et agrorum cura committitur (S.35).

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Das ist doch sonderbar: Der Wache der Laren ist die Sorge anvertraut!. Sagt das wohl ein Lateiner? Ich dachte es wire genug: Laribus aedium et agrorum cura committitur. Sensibus florum odor est gratus, (S. 57). Ich dachte nicht den Sinnen, sondern der Nase wire er angenehm; oder wirkt der -Geruch auf die Augen, Ohreén u. 8. w. ein? 3. Ist die lateinische Wort- stellung in diesen Beispielen oft ganz unlateinisch, woftir man fast auf jeder Seite Belege findet. 4. Sind in ihnen nicht selten die Genitive auf sprachwidrige Weise gehauft, wie: Hominun omnis amicorum consuetudinis exsorium fortuna misera est. Wen auch Casar an einigen Stellen die Genitive sehr gehauft hat, soist dieses doch gewiss nicht das Nachahmungswirdige seines Stils. Das. Verhiltniss, unter welchem bei andern Schriftstellern mehrere Genitive verbunden werden, ist grésstentheils ein anderes. 8. —Sanctii Minerva Il, c. 3. not. 15. 5. In dem lateinischen Ausdrucke ist der Hr. Verf. nicht seinem Versprechen nachgekommen (S. VI) ,nur classische Ausdriicke und Wendungen zu wiahlen und dich- terische Ausdriicke nur dann anzuwenden, wenn.man es fur einen blossen Zufall ansehen kann, dass dieselben nicht auch in Prosa vorkommen.“ . Denn wenn auch Horaz nach dem theokritischen nousiv te 8st, olg yovy ylwodv zu sagen wagt: dum genua virent, so ist_es doch gewiss nicht -blosser Zufall, dass kein Prosaiker ‘sich wie Hr. K. S. 57 ausdriickt: Genua dum vo tient, intendile vires vestrgs. Wenn Plinius auch sagt: Humore omnia hortensia gaudent, so ist es doch unlateinisch zu schreiben: Montes salubri aére gaudent. (S. 82, vergl. 8. 55, Juvenilis aetas gaudet firmis viribus). Obgleich Terenz sagt: damnum apportare, und Cicero pestem und solicitudines importare alicui, so hat doch gewiss ausser Hrn. K. Niemand gesagt: Glires elsi parvi sunt, tamen magna damna agricolis important. Kime auch nur eine Stelle bei einem lateinischen Classiker vor, welche entfernte Aehnlich- keit mit folgendem Satze Hrn. Kiihners hatte: Hominum anim musicorum instrumentorum acroamatis permulcentur (S. 38), 80 wiirde niemand, wie Ernesti in dem bekannten Excurs, daran haben zweifeln kénnen, dass acroama auch von einer Sache, welche man hért, gesagt werde. Das Plinianische interdum acroqmate audiebamus ist nicht ganz beweisend. Wie versteht nun Hr. & das Wort? In seinem Wérterverzeichniss wird es durch Ohren- weide erklart. Also: ,Das Gemiith des Menschen wird durch die Ohrenweide musikalischer Instrumente besinftiget.“ Welcher

N

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Gedanke. und welche Latinitat) Bei den Quotientivis, wie -sie Grote- fend nennt, oder den Adverbiis numeralibus Hrn. Kiihners bemer- ken wir vielfache Febler. . Er fragt unter anderm, welche Summe entstehe, si 743352 thaleros bis multiplicgs. Diess soll bedeuten mit zwei multipliciren, bedeutet aber im Lateinischen z wei- mal vervielfaltigen oder multipliciren. Das, was Hr. K. sagen will, -heisst geminare, duplicare. Statt ter oder quater multiplicare, was bei Hrn. K. mit drei und vier multiplici- ren bedeuten soll, sagt der Romer (riplicare. und quadruplicare - (Gellius I; 20, 5. idem ipse numerus tripligatur.) Wollte Hr. K. ja multiplicare gebrauchen, so musste er nicht ter und quatter - beisetzen, sondern den Ablativ von ¢ernio und quaternio, oder er weise uns ein Beispiel nach, in dem quater multiplicare nu- merum bedeutet mit 4 multiplicirem Am Grausamsten, ist Hr. K. mit dem gutmiithigen Vulcanus verfahren. Dieser Gott hat als Kind traurige Schicksdle gehabt, war als Jiingling in der Liebe ungliicklich und erlebte in der Ehe das Missgeschick gehahnreit ‘gu werden;- aber grausamer als Zeus und Mars behandelt ihn S. 49 Hr. K., denn er lasst ihn feurige Asche ausspeien: Vul- canus igneos cineres evomit, und S. 53: ,,Feurige Asche wird aus dem Vulcanus ausgeworfen.“ Wahrscheinlich nahm Hr. K. _Vulcanus fir einen feuerspeienden Berg. Welcher alte Dichter oder Prosaiker hat das Wort in der Bedeutung gebraucht?

Die vielen Absurditéten, welche sich in dieser Grammatik . vereinigt finden, haben uns gedargert, aber vorziiglich hat uns doch eine Geschmaklosigkeit empért, welche Hr. K. Seite 211 mit dem Namen eines hochverdienten Mannes vorgenommen hat. ' Man liest namlich auf dieser Seite; Plato Athenis in Academia sepultus est. Eodem loco nostra memoria sepultus est Carolus ‘Odofredus Miillerus vir praestantissimus et de antiquitatis disci- plina immortaliter meritus.“ Die Worte Carolus bis meritus sind auf eine ein Drittheil der Seite einnehmende Figur gedruckt, ' welche’ wabrscheinlich einen Altar darstellen soll. Sie erinnert uns an die Neujabrwiinsche, Liebesbriefe und dergl., welche man | auf Jdbrmarkten, Dorfkirmsen-u. s. w: von Bilderhandlern und _ andern Hausirern den Bauerburschen anbieten sieht. Fir Auf- -nabme des Namens sind da auch ahnliche Figuren eingedriackt. Hr. K. hat sich hier ein monumentum aere perennius errichtet.

' Ausser den S. 306 von Hrn. K. bereits berichtigten Fehlern

haben wir noch viele andere bemerkt, wie 8. 58 cornu, mst. n,

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S. 66 dua st. duo: S. 69 beneficientia st. beneficentia. S. 235 Index st. Judex. Wir kénnen es nicht fiir einen Druckfebler an- sehen, wenn S. 91 auf die Frage: quot dies habet unus annus? geantwortet wird: ,,Centum sexaginta quinque,“ denn es miisste ja heissen frecentos.

Wir haben Hrn. Conr. Kihner, welcher uns persdolich un- bekannt ist, bisher als Gelehrten geachtet, und nur sein Name _veranlasste uns, dieses Buch genauer durchzusehen ; andere Schul- manner werden durch denselben Namen vielleicht verleitet, das Buch in die Schulen einzufabren. Wir hielten es daher fir un sere Pflicht, dasselbe in verdienter Weise zu wirdigen, szogea aber dann doch vor, gegen den Herrn Verfasser in grisserer Schonung zu verfahren, als er durch Herausgabe dieser Schrift es mit der Jugend will thun lassen und mit seinem gulen Namen durch den Druck dieser Elementargrammatik es bereits gethan hat. Wir haben uns bei unserer Beurtheilung nur auf den ersten Cursus beschrankt; sollte das Buch aber trotz seiner Fehler in dieser Gestalt eine neue Auflage. erleben, so werden wir gegen den zweiten Theil die Kritik ganz frei schalten lassen. Dizi.

F. F.

Praktischer Unterricht in der | franzdsiachen Sprache nach R, J. Wurst's Ideen und mit bestandiger Ricksicht anf dessen praktische Sprach- denklehre abgefasst von Joh. Daniel Steinmets, Vorsteher eines Lebr- und Erziehungsinstituts zu Altona, Mitglied uod d. Z. Vorsteher der Gesellschaft far deutsche Sprache zu Hamburg. Eine Begleitschrift su R. J. Warst’s theoretisch - praktischem Handbuche der Sprachdenklehre. Erstes Bandchen: Der reine einfache Satz. Reutlingen, ~Mackes. 1842. (X und 86 S. 8.)

Das Werk, dessen erstes Bindehen hier besprochen werden soll, ist eine Arbeit, iiber deren Erscheinen der Schulfreund sich aufrichtig freuen kann. Nicht als ob Hr. Steinmetz uns ein gutes Buch brachte ich werde zeigen, wie viel daran fehlt —, aber er bringt ein Buch, das besser sein wird als die meisten der bisher in den Schulen gebrauchten ,,praktischen Grammatiken.“ Wahbrend die Verfasser dieser Biicher von der Logik der Sprache gar nichts wissen und immer nur das uralte, langst unbrauchbar und den heutigen Grammatisten selbst unverstindlich gewordene Schema ausfiillen, kennt Hr. Steinmetz wenigstens das Becker'sche Schema was schon Etwas ist; wahrend jene héchstens die franzésische Sprache’ verstehen, aber iiber die Grammatik der franzésischen Sprache so unwissend sind wie ein Franzose,

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und darum immer nur die narrischerweise fir Grammatik gehal- tenen Sprachpolizeireglements der in Frankreich erscheinenden »arammaires“ ab- und ausschreiben, hat-sich Hr. Steinmetz, wenn. auch erst Behufs seiner Arbeit, mit den Schriften Derjenigen bekannt gemacht, welche die franzésische Sprache wissenschaft- lich zu erforschen bemiiht sind was.mehr ist; wahrend endlich jene ihre Lehrbiicher entweder fiir den bei Anfangern so ganz unzweckmissigen altgrammatistischen oder fiir den nicht zweckmassigeren, nur noch confuseren Hamilton’schen Unterricht - oder auch fir eine aus beiden zusammengestoppelte Mischmascb- methode einrichten, trennt sich Hr. Steinmetz von diesem Un- wesen und macht in seinem Buche einen Schritt auf die rechte Methode zu. Freilich ist besonders dieses Letztere nicht gegliickt, freilich hatte Hr. Steinmetz auch Diezens romanischer Gram- matik, Fuchsens unregelmassigen Zeitwortern, und meinem franzésischen Sprachbuch ein langeres und eindringlicheres Stu- dium widmen sollen: item es ist doch ein kleiner Fortschritt da, und ich fiir meine Person freue mich besonders darum fiber sein Buch, weil es den Kreisen, auf die bei meinen Schulbiichern nicht gerechnet ist, so wie denjenigen, welche in Hrn, Wurst’s ' Sprachdenklehre vorlaufig das non plus ultra grammatischer Wissenschaft und didaktischer Kunst sehen, etwas einigermassen Besseres bietet als in den nach der grammatistischen oder nach der Hamilton’schen Methode yerfassten Lehrbiichern oder auch in der Bar’schen Nachahmung der Scherr-Wurst’schen deutschen Sprachschriften vorliegt. Wenn ich nun dennoch die Gebrechen auch dieses Buches eben so offen hier aufzuzeigen gedenke, _ wie ich vor neun Monaten es bei seinem Vorbilde und einigen andern Nachahmungen desselben gethan, so wolle Ht. Macken

in Reutlingen darin nicht wieder eine Veranlassung sehen, ein - Pasquill gegen mich schreiben zu lassen. Ich bitte gar schin darum. . Hatte Hr. Macken seinen Pasquillanten nicht sagen lassen, mein franzésisches Sprachbuch sei ,,eine der franzdsischen Sprache angepasste Copie der Wurst’chen Sprachdenklehre und befolge denselben methodischen Gang“ (S. 36), so hatte ich, ganz wie ich es bei dem Wurst’schen Buche gemacht, die Schrift des Hrn. Steinmetz ein paar Jahre wirken lassen, ehe ich sie recensirt. Jetzt aber liegt mir daran, dem Publikum zu zeigen, welche Methode des Elementfarunterrichts auch in fremden Sprachen nach Hrn. Wurst'’s ,ldeen*

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entsteht,* und dass die von mir ausgebildete Methode,. wie sie, obgleich dermalen noch sehr unvollkomnien, in meinem

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* Hr. Worst hat mit seiner Sprachdenklehre ein 38 Seiten starkes Heftghen: ,,Der erste Unterricht in der franzdsischen Sprache“ erscheigen lassen, von dem ich in meiner Recension sagte, ich wolle aus Schonung dariber hinweg gehen. Hr. Steinmetz hat dieses Heftchen seiner Arbeit zu Grunde gelegt, Hro. Wurst’s Plan ‘treu in dessen Sinne, jedoch mit grésserer Kenntniss der franzésischen Sprache, ausgefahrt. Obgleich nun bei der . Beurtheilung der Schulbicher von Hoegg und Bar schon auf das Ungeeig- nete des Wurst’schen Ganges beim Unterrichte in fremden Sprachen auf- merksam gemacht wurde, so findet sich doch erst hier Gelegenheit diess einlasslicher zu thun. Noch grindlicher kénnte es wahrscheinlich ge- schehen, wenn die Arbeit des Hrn. Steinmetz vollstandig oder doch ein zweites Bandchen derselben vorlége. Von den ,Ideen“ des Hrn. Warst, die hier in Betracht kommen, fihre ich aus dem ,Ersten Unterricht‘ folgende an: Hr. W. setzt Schiller von 7—8 Jahren voraus, die nach seiner Sprachdenklehre unterrichtet und durch diese mit den Grundverhéltnisses des Denkens und Sprechens, welche in allen Sprachen ganz die namiicher seien, bekannt gemacht werden, Sind diese Grundverhaltniese in und ap den entsprechenden Ausdriicken der. Muttersprache nachgewiesen, so soll dann auch die franzésische Sprache als eine besondere Art von Ge- dankenausdruck, mit dem Deutschen verglichen werden, was dem Schiler ein Leichtes ist. (Die deutsche Sprache ist also keine” »besondre® Sprache.) ,Denh die fremde Sprache erscheint bei diesem Unterricht dem Schiler nicht eigentlich als. etwas Fremdes, sondern als ein Bekanntes: in besonderer Kleidung, welcher etwa noch ein fremder Schnitt, eine besondore Nationaltracht eigen ist, mit der er sich aber leicht -vertraut ‘macht, ‘weil er eine bekannte Stimme vernimmt.“ Darum erscheint es auch Hrn. Wurst , nicht schwierig, zwei bis drei fremde Sprachen nebes und mit der deutschen (soll heissen: neben und mit seiner Grammatik der deutschen Sprache) zu lernoen, wenn man von den Graundverhiltnissen der Sprache iberhaupt ausgeht, und bei den fremden Sprachformen bloss nachweist, wo und wie sie von den® Sprachformen der Muttersprache ab- weichen oder mit diesen dibereinstimmen; denn auf diese Weise braucht der Schiler nur Eine Grammatik, die Muttersprache als Sprachmutter verstehen zu lernen, und er findet sich dann leicht in das Eigenthamliche der besonderen Sprachen.“ So weit Hr. Warst.

»Higendinkel und allgemeine Begriffe sind immer auf dem Wege ent- setzliches Ungliick anzurichten.“ So Goethe, der alte Praktikus. Der Kundige sieht leicht, wie Hr. Wurst zu diesen ,Ideen* gekommen. Die alte, nur empirische Grammatik- versah es darin, dass sie keine Abnang von der logisch-metaphysischen Grundlage alles Sprechens, von dem vinculam commune aller Sprachen hatte; neuere Denker haben diess eingeseben uad gerigt, sie haben nach diesen Grundlagen geforscht und mebr oder weniger davon gefunden ; jetzt kommt ein Quidam, den man freilich keinen Empi- riker schelten darf, weil er nichts weiss, rafft einige missverstandene Re- gultate der Sprachphilosuphie auf, und baut guf solchen Missverstand eine

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franzdsischen Sprachbuche vorliegt, sich von dem durch Hrn. Wurst angedeateten und von seinen Nachahmern eingeschlagenen Wege fundamental unterscheidet so ungefabr wie Verstandniss und Missverstandniss.

Betrachten wir zuvérderst den Lehrgang. Er-stimmt § fiir § mit dem in der Sprachdenklehre eingeschlagenen iberein, und zwar liegen in dem erschienenen ersten Bindchen. §. 1—8 (der reine. einfache Satz) vor was den ersten 69. Seiten der ersten, den ersten 65 Seiten der neuen Auflage meines Franz. Sprachbuches entspricht. (Hr. Steinmetz hat fiir das vorliegende Heft die.neue Auflage meines Buches noch nicht benutzen kénnen.)

_ Damit uns nun spater die Vergleichung des Wurst’schen Lebrganges mit dem meinigen erleichtert ‘sei, gebe ich hier den Inhalt meiner ersten $2 Lectionen (in der ersten Auflage 39) summarisch an. |

.Zuvyor indessen noch eine. kurze Bemerkung, In einem Lehrgange ist Zweierlei- zu unterscheiden: die Anordnung des Stoffes und die Darstellung des Stoffes. Die Darstellung des ‘Stoffes ist wieder aus doppeltem Gesichtspunkte zu betrachten: aus dem wissenschaftlichen und aus dem didaktischen. Frage ich nach der wissenschaftlichen Darstellung eines Stoffes, so geht das auf den Inhalt; die didaktische Frage geht auf die Lebrform, welche analytisch, synthetisch oder genelisch sein kann. In der Lehrform stimme ich nun ‘in der That mit Hrn. Wurst und folglich mit Hrn. Steinmetz (wie. mit allen neueren Didaktikern) im Wesentlichen tiberein. Ich sage im ‘Wesent- lichen, weil sich auch bier ein kleiner Unterschied zeigt. Der

_Methode, die tausendmal mehr nach Links sindigt, als die alte nach Rechts gesiindigt hatte.. Aber so geht es, wenn die lehren wollen, die lernen ‘goliten. Hatte Hr. Wurst je ein paar fremde Sprachen griudlich erlernt, so dass er nicht nur tant bien que mal ihre Verba conjugiren und ihre Nomina decliniren kénnte, sondern auch die Kraft ihrer Worter fahite, iberhaupt die Sprachen versténde: so wirde er weder den Ejinfall gebab} haben, ein 7--8jahriger Knabe kénne neben und mit der Grammatik seiner Mattersprache gleichzeitig zwei bis drei fremde Sprachen lernen, noch warde er die Wort- und Satsformen der fremden Sprache far Kleider halten, die bloss durch ihren Schnitt von deutschen. Récken und Hosen unter- schieden seien; endlich wirde ihm eingefallen sein, dass in den fremden Sprachen nicht bloss Wort- und Satzformen, sondern ganz besonders das, was in diesen Formen steckt, fremd ist, némlich die Worter und der in ihbnén lebende Geist. Hr. Wurst spricht von fremden Sprachen und ihrem Stadium, wie der Blinde von der Farbe.

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Unterschied zwischen mir und Hrn. Warst (oder Hro. Steinmetz) liegt im Lehrgange und _ in der Darstellung des Stoffes, insofern es sich dabei um den Inhalt handelt. Zunachst also mein Lehr. gang im Gebiete des nackten Satzes.

Es soll also zuerst der Satz in seiner einfachsten Gestalt be- trachtet werden, von Attribut, Object und Adverbiale noch keine Rede sein. Da nun im Satze das Pradicat nicht nur syntaktisch, sondern auch didaktisch das wichtigere.Glied ist (weil es mit dem Subject in Person, Numerus, oft auch im Genus congruiren muss, dabei an ihm die Tempus- und Modusflexion haftet), so ist es angemessen, das Capitel vom nackten Satze so einzutheilen. dass die Verschiedenheit des Pradicats das principium divisionis angibt. So habe ich denn drei Rubriken: Praedicat ist Verb Pradicat ist Adjectiv (und Particip) Pradicat ist Sub- stantiv (Pronomen, Numerale, Infinitiy).

Von den Wortarten, die Pradicat sein kinnen, ist das Verbum das wichtigste, und das wieder aus syntaktischen und aus didak- tischen Griinden. Ich stelle also den Fall: Pridicat ist Verb an die Spitze. (Lection 1 —24.) °

In welcher Tempus- oder Modusform das Verb nun auch erscheinen mag, es hat immer dieselben Personen und dieselben Numeri.’ Ich stelle also diese voraus. Da der Unterricht aber nicht elementarisch, sondern schon halb-wissenschaftlich (wie er-fiir mittlere und. obere Classen passt) sein wiirde , wenn ich wollte die Schiler die persénlichen Pronomen (in der Subjects- form) und die Personalendungen im Singular und Plural abge- sondert lernen lassen, so verbinde ich sie mit wirklichen Verben, und da diese nun in einem bestimmten Tempus und Modus erscheinen kénnen, so wable ich das Praesens Indicativi, ohne dass jedoch der Schiller hier schon fiber Tempus und Modus’ belehrt wiirde. Eben so miissen die Verben irgend einer der vier Conjugationen angehéren, Ich wahle die erste. So entsteht mir die erste Lection, worin die Schiiler die Grundpronomen in der Subjectsform, etliche Substantiva, die Conjugation des Praes. Indic. I. Conj.-nebst dem Nothigen tiber Stamm, ‘Charakter, Hiatus und Elision, und ehdlich etliche Verben lernen und das Gelernte einiiben.

In Lection 2 wird das Praes. der IV. Conjug. gelernt und geiibt.

Lection 3 das Praes. der HI. Conjug., und zwar derjenigen Yerben dieser Conjugation, welche ss einschieben.

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Lection 4 das Praesens der den Charakter (i) abwerfenden | Verben der Il. Conjugation.

‘Da nun die Negation (ne .... pas, ne.... plus, ne... jamais, ne .... rien etc.) fiir alle Tempora dieselbe ist, so kann sie hier gelernt und von nun ander Schiiler darin getibt werden. Lect. 5 gibt also Satze, deren Praedicate Verben der I, IV. und li. a. b. Conjugation sind, im Praesens und zwar positiv und negativ stehen. Indem hier der Schiiler iiber die Negation belehrt wird, macht er die Erfahrung, dass wir in den bisherigen - Lectionen positiv redeten. °-

Weil ferner die interrogative Rede in jeder Tempusform dieselbe Gestalt hat, so kann schon hier dem Schiiler gezeigt werden, wie er fragen und antworten soll. Indem diess nun Inhalt der 6. Lection und damit wieder ein Mittel gewonnen ist, die Satze der folgenden Lectionen mannichfaltiger zu machen, erfahrt der Schiiler, dass wir bisher, positiy und negatiy, affir - mirt batten. An der Frage wird ibm die. Affirmation klar.

Weil nun der Imperativ aus dem Praesens, das wir ken- ' nen, stammt, so lassen wir ihn in Lection 7, natiirlich positiv . und negativ, auftreten und fortan jiben. Bei dieser Gelegenheit merkt der Schiller, dass man nicht nur von Wirklichem positiv und negativ reden, nimlich Etwas als wirklich geschehend affir- miren oder nach ihm fragen, sondern; dass man auch den Willen, etwas moége verwirklicht werden, aussprechen, also im_Imperativ © reden kann. Der Schiiler erfabrt also hier, dass die bisherigen Sitze im Indicativ standen, und er kennt jetzt zwei Modi. Ueber den dritten, den Conjunctiv, wird er erst spater unterrichtet.

Was sich mit und an dem Praesens Indicativ und dem von ihm abgeleiteten Imperativ machen liess, das ist gemacht. Zu- gleich ist damit das Mittel gegeben, den Beispielsitzen mehr Mannichfaltigkeit zu geben, als hatte geschehen kinnen, wenn die Negation und die Frage erst spaiter vorgekommen waren. . Wir gehen also zu einem neten Tempus tber und zwar zum _Futurum (Lect. 8). Da diess fiir alle Conjugationen auf die- , selbe Art gebildet wird, so ist es in Einer Lection gelernt. Bei dieser Gelegenheit.erfabrt der Schiiler nun wieder, dass die bisherigen Satze ein Gegenwirtiges aussprachen. Wie ihm an der Negation die Position, an der Interrogation die Affirmation, am Imperativ der Indioatiy klar wurde, so lernt er das Praesens am Futurum verstehen und gewinnt damit die Vorstellung von

»

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Tempus. Der menschliche Geist ist einmal so geartet, dass 5 er Alles durch den Gegensatz erkennt.

Weil aber der menschliche Geist ferner 80 gemecht i is #, - dass er, besonders in der Jugend, viel Neues auf einmal nici» * aufnehmen kann, wenn kein Wirrwarr im Kopfe entstehen soll - so hat eine kleine Anzahl von oft wiederholten Verben wed Substantiven die Beispielsatze bilden miissen. Um nun suck den aufgenommenen grammatischen Begriffen Zeit zu les sen sich zu befestigen, bringt Lect. 9. kein neues Tempus, son— dern nur'‘ein paar Bemerkungen tiber Pronomen uw. s. w.

- In Lect. 10: stehen die Sitze der Vergangenheit, der Schiller erhalt hier zu Gegenwart und Zukunft das dritte Glied, und lernf fir die IV., If. und I. Conjugation die Form.

In Lect. 11. kommt aber die Vergangenheit wieder, Form und Bedeutung ist eine andere. Hier nun zeigt es sich, dass man Vergangenes historisch und descriptiy darstellen kann, . und der Schiiler fasst das Auffallendste des Unterschiedes zwischen dem sogenannten Défini und dém sogenannten Relatif und ébt sich in dieser Unterscheidung.

Lect. 12 kommen Siatze vor, wie j’ai commencé, -je n'ai pas dormi etc. Indem der Schiller die Bildung dieser neuen Form aus jai und dem Particip lernt, macht er die Erfahrung, dass men ein Geschelien nicht nur als Praesens, Praeteritum und Futurum, sondern auch als actio imperfecta oder als actio perfecta aussprechen kann.- Hier also erfahrt er, dass die bisher gebrachten Satze eine actio imperfecta in temp. praes. (Lect. 1—6), in temp. fat. (Lect. 8), in temp. praet. (Lect. 10 u. 11) dussprachen, und dass wir hier actio perfecta haben.

Lect. 13 kommen Siatze vor, wie je suis tombé(e), ils sont _ parti(e)s etc. Der Schiiler sieht, dass gewisse Verba ihre Per- fecta mit étre bilden, und dass in diesem Falle das pradicative Particip mobil ist.

Lect. 14 wird j’avais und jétais mit Particip, also Prael. perf. descript. gelernt und geiibt; Lect. 15 kommt jeus und je fus mit Particip, also Praet. perf. hist. und wird wieder am Gegensatze das Wesen der beiden Formen klar: il était malade, it fut malade, il avait son argent, il eut son argent. Lect. 16. kommt das Fut. perf. mit j’aurai und je serai.... -Damit sind Tempora des Verbums fir den Indicatiy gelernt,~ indess muss Lect. 17 gezeigt werden, wie die Verben je vais, je viens de,

je dois ihre urspringtiche- Bedeutung ablegen und Hilfsverben werden kénnen, worauf Lect. 18 Avoir und Etre, deren Imperfecta wir bisher nur als Hilfsverba gebraucht, als selbstindige Wérter auftreten und vollstandig conjugirt und gelernt werden. . | Bisher ist nur Indicativy und Imperativ da gewesen, und zwar jener in allen Zeitformen, affirmativ und interrogativ, daza beide tberall positiy und negativ; Lect. 19 und 20 tritt ein Stick Von dem dritten Modus, dem Conjunctiv, auf, namlich der Con- . ditionalis in seinen beiden Formen. Hier wird die Vorstellung des Modus bereichert, am Conditionalis lernt der Schiiler, dass Indicativy und Imperativ auf ein Wirkliches gingen und hier von Solchem Geschehen geredet wird, das zur Wirklichkeit im Gegen- Satze steht. Zugleich wird si und quand anterschieden.

Lect. 22 —24 wird nun das bisherige_fortgeiibt, jedoch an solchen Satzen, an dener einiges in anderer Hinsicht Neue zu lernen ist. |

Lect. 21 lehrt den Laut- und Tonwechsel und die Ortho- graphie der Verben, wie jeter, acheter, céder , nager, com- mencer ete. |

Lect. 22 belehrt iiber das y in W6rtern wie essayer etc. .

Lect. 23 behandelt eine Reihe von Pronomen und Lect. 24 die Numeralia. | :

Schon bei den Perfectis der Verben, weil dic franzésische Sprache keine einfachen Perfectformen hat, trat der Fall ein, der von nun an naher betrachtet wird. Von 25—29 ist namlich das Pradicat Adjectiv und Particip. Hier ist natirlich von der Motion und Gradation, dabei von dén sog. indef. Pronomen die Rede; L. 30—32 ist das Pradicat Substantiv, Pronomen, Numerale und Infinitiv; hier ist von Genus und Motion der Substantiven, vom Infinitiv als Subject und Pridicat, von tonlosen und betonten Pronomen (je-moi) und von dem pradicativen le die Rede, worauf eine Belehrung fiber die Congruenz zwischen

. Subject und Pridicat den Abschnitt vom nackten Satze beschliesst.

Sehen wir jetzt den Wurst-Steinmetz’schen Lehrgang ‘an. Das Buch beginnt wie die Sprachdenklehre mit deh unvermeid- lichen Redensarten iiber Denken und Sprcchen, Begriffe und | Worter ; zum Gliicke nehmen sie nur drei Seiten ein. Warum sie da sind, weiss ich nicht; eben so wenig begreife ich, warum Hr. Steinmetz diese Einleitung, anstatt aus der Sprachdenklehre,

aus Mr. Richon’s grammaire genommen hat. Es kommt krauses Pad. Revue 1842. b, Bd. V. 32

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Zeug darin vor. Penser, c’est comparer deux idées entr'elles®>= pour affirmer ou pour nier Vune de l'autre. Erst sind les mot ganz richtig les signes des idées, dann heisst es, dass une idéae= est la représentation d’une étre dans |’esprit, und solcher étream soll es Dreierlei geben: Dinge, Qualitaéten und Thiatigkeiten, wor— auf wir dann vernehmen, qu’on appelle mots idéels (Begriffsworter an Becker) les mots qui expriment des idées. Es -ist spasshaflen dass so eben alle Wérter Vorstellungen bezeichneten, und nun bloss die Substantiva, Adjectiva und Verba diess Privilegium habenm sotlen, so dass noch die mots formels iibrig bleiben, welche= sind tous les mots qui ne sont pas des mots idéels. Puissamment raisonnée! Wie hat nur Hr. Steinmetz diesen Un— sinn an die Spitze seines Buches stellen mégen!

Seine eigene Arbeit, die aber Vieles aus dem von Hrn. Wurse 4 selbst friiher herausgegebenen Hefte aufgenommen hat, beginm# _mit §. 3., der den reinen einfachen Satz tiitberhaupt betrachted, ganz wie die Sprachdenklehre ¢. 3. Wo es sich vom Unterrichte in einer Sache handelt, welche der Schiiler schon besitzt, se dass sie ihm nur zum Bewusstsein gebracht werden darf, da mégen solche Ueberblicke des Ganzen am Anfange gestattet sei, obgleich im Elementarunterrichte kaum, wie es denn ein Haupt satz der Didaktik ist, bei Anfangern von “einem Einzelnen aus- : zugehen und das Allgemeine aus vielen Einzelnen resultiren 20 lassen. Was aber beim Anfangsunterrichte in einer Sache, die dem Lernenden nach Materie und Form, ale Wissen und Konnen fremd ist, davon zu halten ist, wenn der Unterricht das Allge- . meine dem Einzelnen yorausgehen lasst, dariitber kann die Ant- wort nicht zweifelhaft sein: ein solches Verfahren ist Pfuscherei, und das nicht nur bei Hrn. Wurst oder bei Hrn. Steinmets, sondern auch bei Tausenden unserer Gymnasiallehrer, die es it unteren Classen eben so machen was Gott geklagt sei.

In diesem §. tiber den reinen einfachen Satz éberhaupt finden wir nun A. franzésische Satze, B. Betrachtung der in diesen Satzen zur Erscheinung gekommenen Facta, C. Uebungsaufgaben.

Ueber A und C gleich hier eine Bemerkung, die fur alle Paragraphen gilt. . os | | _Ich zahle nur auf S. 4 und 5 in den hier vorkommenden

Satzen 184 Substantiva und Adjectiva (die wenigen, welche einige mal vorkommen, sind natirlich nur einmal gezéhit); da nun die Sétze zu diesem §. noch S. 6 und 7 fortlaufen, so diirfte der

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er gering angeschlagen 250 Vocabeln fiir diesen §. zu Jernen , wobei mir der Verstand still steht. Doch der Leser sehe lie Satze selbst an; ich setze sie hieher , weil ich spiter inem andern Grunde darauf zuriickkommen muss. Lr a. |.- Le canif est un’instrument. Le rabot est un outil. Le it un métal. Le brochet est un poisson. Le peintre est un », Le taiHeur est un artisan. Le voleur est un criminel. Le. jeux est un vaurien. Le mensonge est un péché. Le rossig- t un oiseau. Le pére est un homme. Le fils est un garcon. ais est un édifice. Le professeur est un savant. Le jeudi est ur. Le chéne est un arbre. Le Nord est un vent. Le Rhin n fleuve. Le Portugal est un royaume. Le pain est un at. Le bois est un combustible. Le Havre est un port. t. La mére est une femme. La soeur est une fille. La rose 1e fleur. La terre est une planéte. La modestie est une La salade est une plante. La mémoire est une faculté. ‘vre est une maladie. La ‘haine est une passion. La reine ne dame. La Bretagne est une province. La Corse est e. La Noél est un féte. La Meuse est une riviére. La lle est une forteresse. | : . Lofficier est un militaire. E’eau est une boisson. L’aigle | 1 oiseau. L’herbe est une plante. Lhiver est une saison. ice est un vice. L’enseignement est un bienfait. L’Oise ie riviére. L’homme est un étre. L’agriculture est une ion. L’arsenic est un poison. L’Europe est un continent.

Le pére est empereur. La mére est impératrice. re est roi. | ‘La soeur est reine.

e est électour. ~ La tante est électrice.

s est comte. ‘La fille est comtesse.

c est serviteur. _ La duchesse est servante. mpagnon est gouverneur. La compagne est gouvernante. ‘ori est bailli. La favorite est baillive. vin est larron. _La devineresse est larronesse. © snfaiteur est Juif. - La bienfaitrice est juive. nseur est veuf. ' La danseuse est veuve. assadieur est menteur. ~ L’ambassadrice est menteuse. anteur est voleur. . La cantatrice est voleuse.

ir est trompeur. Lactrice est trompeuse. -

isin est paysan. - _ La voisine est: paysanne,

32"

500

Le prince est abbé. La- princesse est abbesse.

Le prétre est traitre. . La prétresse est traitresse. Le jardinier est negre. | La jardiniére est négresse. Le berger est ivrognue. La bergére est ivrognesse. Le grand-pére est héte. La grand’ mére est hdtesse. Le fiancé est noble. La fiancée est noble.

Le neuveu est témoin. La niéce est témoin.

Le cousin est auteur. . La cousine est auteur. L’ami est sculpteur. L’amie est sculpteur.

5. Socrate est un philosophe. Punir est un tourment. . Février est un mois. Aimer est un besoin. Mars est une planéte. _ Mentir est un vice. Londres est une capitale. Médire est une infamie. Vienne est une résidence. Travailler est un devoir. Hambourg est un port. Pardonner est un plaisir. Valence est une ville. Courir est une fatigue. Jemappe est un village. Kiudier est un travail.

b. - 1. Le chemin est étroit. La rue est étroit-e. Le menteau est court. _ La queue est court-e. Le ton est sourd. La voix est sourd-e. Le pays est grand. : La Chine est grand-e. Le lit est dur. , La chaise est dur-e. Le frére est mineur. - La reine est mineur-e. © Le domestique est impoli. La paysanne est impoli-e. Le baton est. menu. La corde est menu-e. Le ciel est bleu. - La violette est bleu-e. Le -javelot est aigu. Liaiguille est aigu-e.

2. Le pére est aimable. La mére est aimable. Le juge est juste. ' "La sentence est juste. L’homme est avare. y La femme est avare. L’esclaye est libre. La yolonté est libre.

Le vent est favorable. 7 L’occasion est favorable. -

Le coup est sensible. La douleur est sensible. 3. Le cheval est bon. L’oie est bon-ne.

Le chateau est ancien. La ville est ancien-ne.

Le poisson est muet. La niéce est muel-te. |

Le garcon est sot. La cousine est sol—fe.

Le veau est gras. ' La vache est gras—se.

Le brouiilard est épais. La nue est épais-se.

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‘st cruel. 7 La louve est cruel-le.

t nul. | La cession est nul-/e.

i est heureuz. La province est heureu-se. est précieuz. La vie est précieu-se. _

st généreuz. L’action est généreu-se.

‘st montagneuz. La Suisse est montagneu-se. lier est attentif. Liécoliére est attenti-ve. Lest captif. La duchesse est capti-ve. est inventif. L’imagination est inventi-ve. t neuf. | La maison est neu-ve.

est bref. La syllabe est bré-ve.

est cadue. La vie est. cadu-que.

» est long. . La chambre est long-we. . ait est douz. La cerise est dou-ce.

st fauz. La tigresse est fau-sse.

| est rouz. -* La barbe est rou-sse.

‘st beau. _ La tulipe est bel-/e.

st nouveau. L’estampe est nouvelle.

it for. Caroline est fol-le.

est mou, ‘La nation est mol-le..

pére est vieuz. La femme est vieil~le. 3 yénin. _ La providence est béni-gne. . est'malin, = La maladie est mali-gne.

st grec. La lettre est grec—que.

it sec. _ La feuille est s-che.

st frais. _. La figue est frat-che.

est blanc. La neige est blan-che.

-est franc. La dame est fran-che.

C. re ‘abeille bourdonn-e, Lalouette ‘grisoll-e. Le boeuf La brebjs bél-e. Le buffle souffl-e. La cuille carcaill-e. ! nasill-e. Le -cerf -bram-e. Le chat miaul-e. Le ogn-e. Le corbeau ‘croass-e, Le cigne siffl-e. La nt-e. Le coq coquelin-e. La grenouille coass-e. Le e. Le jars jargonn-e. Le loup hurl-e. Le pigeon

La poule glouss-e. Le poulet piaul-e. Le paon

e perdrix cacab-e.. Le serpent siffl-e. Le serin

Le singe cri-e. L’homme parl-e.

: marchand vend. Le garcon répond. Le joueur perd. nord. Le pont romp-¢. La lecture instrui-¢, Le maitre

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3. Le cheval ‘henni-t. Le lion rugi-t Le taureaa mugi-t L’once frémi-é. |

Le milan hui-t. Le renard glapi-t. La colombe gémi-t La rose fleuri-¢t. Le pré verdi-¢. Le grand-pére vieilli-t La grappe méari-é. " Le malade guéri-¢. L’enfant obéi-t. Le Juge puni-—<,

In C finden sich zehn ganze Seiten Vocabeln, die also der ~ Schiler zu den obigen zu lernen hat.

Bevor wir jedoch die Zweckmissigkeit dieser Vocabelanbit- fung untersuchen kénnen, miissen wir erst sehen, was Hr. Stein- . metz mit ibnen bezweckt. Wir nehmen also B zu Hilfe.

Da findet sich denn, dass die Schiiler lernen sollen, 1. dass die Beziebung des Pridicats auf das Subject im Franzésischen wie im Deutschen theils durch Formworter (est), theils durch Biegungen (e, t) ausgedriickt wird; 2. dass es zwei Genera und zwei Artikel gibt; 3. dass das pradicative Substantiv nur dann den unbestimmten Artikel erhaélt, wenn es zu seinem Subject in ~ dem Verhaltniss von Gattung oder Art steht, 4. dass der Infini- - tiv als Subject keinen Artikel bekommt; 5. dass die Adjectiven movirt. werden und wie; 6. dass die’ Endung des Pradicats, wenn diess ein Zeitwort, e, oder t oder keine ist. (Wie aber, | wenn ich statt Pécolier écrit, sage: j’écris, oder vous écrives, oder mes amis écriront, écrivirent etc., was doch auch reine einfache Satze sind?)

Man sieht, die Sitze in a entsprechen ein wenig meiner Lection 30 (Alte Aufl. L. 36), die Satze in b ein wenig meiner Lection 25 (A. A. L. 31), die Satze in c wirden den Lectionen 1, 2,3 bei mir entsprechen, wenn sich bei mir nicht alle Per- sonen fanden und hier bloss die 3. Person Sing.

Nun frage ich alle Lehrer, die sich auf den kleinen Dienst der Didaktik verstehen: Ist es néthig, zur Einiibung dieses_dinf- tigen Theoretischen diese Masse von Vocabeln za verwenden? . Mir kommt das vor, als schickte man ein Armeecorps gegen eit halbes Dutzend Feinde aus. Diess sei bemerkt, insofern es sich um Erlernung des Grammatischen handelt. Es bandelt sich aber auch um die Erlernung des Onomatischen, und da frage ich wie- der die obigen Lehrer: Kann man diese’ Masse Vocabeln in den Kopf der Schiller bringen, wenn sich weiter nichts an sie kniipfi, als der diirftige Inhalt in den hier vorliegenden Satzchen und die wenigen grammatischen Belehrungen, welche der §. enthilt?

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Meine Erfahrung antwortet entschieden Nein, indess braucht es hier keiner Schulerfahrung, ein wenig psychologische Einsicht thut dieselben Dienste. Was der Geist lernen soll, das muss ihn interessiren, und von Interesse kann bei einem solchen Haufen solcher Sitzchen keine Rede sein; ferner wird nur das gern und leicht gelernt, was mit Vielem in Beziehung zu setzen ist. Diese Siatze sind aber das rein Beziehungslose.

Eine zweite Unzweckmissigkeit, die gleich dieser ersten durch das ganze Buch geht, finde ich in C. Es ist eine alte Erfabrung, dass man nicht zu Viel auf eimmal wollen muss, son- dern nur immer Eins, diess aber recht. Ich will nun, wenn ich an das Uebungsstadiam jeder Lection beim ersten Unter- richte in fremden Sprachen komme, dass die Schiiler die Satz- und Wortformen, welche sie eben gelernt und begriffen haben, einiben, nicht mebr, nicht weniger. Damit sie nun auf dieses Ueben die ganze Kraft ihres noch zarten Geistes richten kénnen, gehe ich ihnen fertige deutsche Sitze in die fremde Sprache zu ‘fibertragen, nicht aber nebenbei noch ein zweites Geschift, son- dern eben nur das Eine. Hr. Steinmetz aber verlangt mehr. Hr. | _ Wurst lisst im §. 8. C. die Schiller aus Feuer, brennen; Eisen. rosten“ u. 8. w., ,Schaf, ‘geduldig ; Esel, trag“ u. s. w., Stubl, Zimmergerath; Schopfléffel, Kichengeraéth“ u. 8. w., Sitze bilden ' was in der Muttersprache darum nicht besonders zu empfehlen ist, weil solches Satzebilden theils zu leicht, theils man denke an Perioden zu schwer fiir Kinder ist; also lasst Hr. Stein- metz auch Satze bilden, nadmlich franzésische, z: B. La fleur die Blume, tomber fallen, le brigand der Rauber, assassiner morden, le sanglier der Eber. grommeler brummen, la mére die Mutter, intercéder Firbitte einlegen, -— Le fils der Sohn, dégénérer ' entarten, livre Buch, plume Feder, mauvais schlecht u. s. w. Solches Satzbilden ist. von Zeit zu Zeit als Voriibung zum Schrei-. ben und Sprechen zu gestatten, aber nur von Zeit zu Zeit und dann mit Vocabeln, die den Schiilern schon. gelaufig sind.

Hr. Wurst in seinem franzésischen Hefte (S. 11—16) hat - Hrn. Steinmetz dieses Verfahren vorgezeichnet, dieser ~ist also, da er einmal nach Hrn. Wursts Ideen hat arbeiten wollen, ganz so. ausser- Verantwortung, wie Hr. Wurst es ist, wenn er Irr-: thiimer der Becker’schen Grammatik in seine Sprachdenklehre aufgenommen hat. ‘Habe ich nun schon nicht finden kénnen, dass Hr. Wurst die uns Allen dermalen gemeinsame elementarische

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Lebrform beim deutschen Elementarunterrichte mit mebr als ganz gewohnlichem Geschicke handhabt, und musste ich in die- sem Stiicke anders urtheilen als Andre gethan, die ihn einen Meister genannt: so muss ich Hrn. Wurst als Lebrer einer frem- den Sprache ganz und gar ungeschickt nennen. Mit A, B, C ist es nicht gethan, in Elementarbichern so wenig als in philp- sophischen Schriften; die elementarische Lebrform ist freilich gegeben, aber man muss sie mit Verstand anwenden. Und das ist hier versdumt. |

Wir kommen zu §. 4., in welchem das Zahlverhaltniss des Subjects betrachtet werden soll. Auch hier finden sich in A wieder vier Seiten Sétzchen, meist aus neuen Vocabeln gebil- det, und simmtlich in der 3, Person Sing. und Plur. . Stehend, z. B. Le marquis est généreux, Les marquis sont généreux; Le paresseux est séditieux, Les paresseux sont s6- ditieux; Le lyox est gras, Les lynx sont gras; Le voeu est ac- cordé, Les voeux sont accordés; Le m-al (!) est génér-al, ' Les m-aux sont génér-aux; L’anim-al est gras, Les anim-aur sont gras;-Chaque prunelle est Acre, Toutes les prunelles sont Acres; Beaucoup de pain est perdu; Peu de vin est versé, Pea d'eau est dégelée; Peu de livres sont trouvés, Peu daffaires sont finies~ wobei es merkwiirdig ist, dass est und sont wohl zehnmal so oft vorkommen als Verben: z. B. La reine palit, Les reines palissent. In B wird gehandelt vom Plural der Sub- - stantiven und. Adjectiven und von einigen unbestimmten Zabl- wortern. | | | -

In §. 5 kommt das Personenverhiltniss des Pradicats an die Reihe, die Schiler lernen je, tu, il, nous, vous, ils. Wab- rend in meinem Buche die Subjectsformen der Grundpronomea mit dem Praesens dér I, Conjug. gleich in der ersten Lection gelernt, aber dem Schiiler das Praesens der IV. Conjug. erst in der zweiten, das der II. erst in der dritten und vierten Lection gegeben wird, werden hier pens-e, vend-s, fini-s, sor-s unter je zusammengestelit, das andre unter tu, il u. s. f. Merkwéar- digerweise ist hier A an Beispielen sehr arm, man findet fast nur das Conjugationsschema des Praesens; Hr. Steinmetz muss _die 3. Person: Singul. und Plur. fiir viel schwerer gehalten haben, als die 1. und 2. Person Singul. und Plur. Dafiir ist B auch desto reichhaltiger. Hr. Steinmetz gibt namlich schon hier,-wo die Schiiler eben dabei sind, die Conjugation des

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Praesens zu lernen, in alphabetischer Ordnung 56: Stick halb- regelmassige Verben (S. 32—37), die in meinem Franz. Sprach- buche erst von S.. 103. N. Aufl. (S. 110. A. Aufl.) an, naimlich beim objectiven Satzverhialtniss, auftreten. Was Hr. Steinmetz, oder vielmehr' Hr.-Wurst denn dieser hat es in seinem Hefte (S. 22-25) eben so gemacht schon hier mit diesen Verben, - die fast alle einer Erganzung bediirfen (acquérir, battre, ceindre, conduire, connoitre, construire, contraindre etc.) machen will, ist mir nicht klar, und ich weiss nicht recht, wie die Schiiler _ sichanstellen sollen, um C zu geniigen, wenn es hier heisst: Bilde aus jedem der folgenden Verben acht Sitze, und nun objective Verben dastehen, wahrend der Schiiler noch kein Object kemnnt. Von. den 56 halbregelmissigen Verben ist freilich in C. keine Rede, was wieder nicht ganz mit den Fordertingen der Elementar- methode ihereinstimmt, welche da will, dass man den Schiiler nichts lehren soll, was bloss ein Wissen bleibt und nicht. von ‘Stand ap zu einem Kénnen wird. |

In §. 6 tritt das Zeitverhaltniss des Pradicats ‘auf, die Rubrik A enthalt wieder sehr wenig Beispiele. Merkwiirdig lernen die Schiller nur drei Tempora bilden: das Praesens, das sie schon .kennen, das Futurum und das Perfectum mit j’ai oder je suis. (Wir haben dabei einige grammatische Bedenklichkeiten, wovon _ unten.) Wenn aber die beiden Praeterita imperf. (je vendis, je vendais), ferner die andern Perfecta (j’avais ...., jétais -...., jeus ...., je fus...., ferner j’aurai .....und je serai.... fehlen, so entschadigt Hr. Steinmetz die Schiiler dadureh, dass er. Je viens de .... und je vais .... schon hier gibt.

In -§. 7 kommt das Verhiiltniss der Aussageweise, also der Modus zur Sprache. Wir kommen auf das Theoretische in diesem §. zuriick, bemerken aber schon hier, dass der. Imperativ sich gefallen lassen muss, vou Hrn. Steinmetz in einen Anhang. zu diesem §. verwiesen zu werden. Hr. Steinmetz geht ,,philoso- _ phisch“ zu Werke: er fangt mit ne ..: pas, -also mit der ,ver- neinten Wirklichkeit,“ an, kommt dann zur Moglichkeit, als welche die Franzosen vermittelst der .,Hilfsyerben“: pouvoir und savoir ausdriicken, und geht dann zur Nothwendigkeit tiber, die durch devoir, vouloir (!), il faut, jai u. s. w. aus- gedriickt werden. Der Imperativ steht wie gesagt im Anhange.

In §. 8 wird die Wortfolge des -reinen einfachen Satzes gelebrt, und dann folgt noch einmal ein Anhang, in welchem

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die Frage und die Antwort behandelt wird. Damit schliesst . der Abschnitt vom reinen einfachen Satze und das vorliegende Bandchen | :

Der geneigte Leser_halte hier einen Augenblick ein, und vergleiche diesen Wurst’schen Lehrgang mit dem meinigen, wel- cher letztere, wie Hr. Macken in seinem Pasquill sagen Jasst, nur eine Copie des Wurst’schen sein~ soll. Vielleicht hat-bei © dieser Vergleichung beider Lehrginge der Leser auch einige ganz absonderliche Gedanken fiber die methodische Kunst, welche sich in diesem Wurst’schen Lebrgange zeigt. Ich fiir meine Person halte ihn fir sehr verkehrt, indess freilich noch immer fiir besser als den altgrammatistischen oder den Hamilton’schen Weg. Worin das Unmethodische dieses Wurst-Steinmetz’schen Lehrganges besteht, liegt fir den Kenner fremder Sprachen auf offener Hand: zum Unterricht in der Grammatik der Muttersprache bringt der Schiller das Material mit, und so kann er seine . ganze Geisteskraft auf die Auffassung der Construction des logi- schen Netzes concentriren, das der Lehrer. vor seinen Augen liber die Sprache wirft; Unterricht in einer fremden Sprache ist aber ein Andres; hier bringt der Schiiler gar Nichts mit als seinen guten Willen; er kennt keine Vocabeln und keine Flexions- formen; wirft nun der Lebrer Vocabeln und Flexionsformen ia buntester Confusion durcheinander, wie es gerade fir sein logiseb- syntaktisches Schema passt, so verliert der Schiller den Kopf, wenn nicht etwa ein Caisarskopf auf seinen Schultern sitzt. Wenn - doch sonst ganz brave Leute, die aber nicht philosophisch geschult sind, nur das Methodenmachen bleiben lassen wollten!

Wir haben den Lehrgang betrachtet, dig Darstellung des Stoffes in so weit, als sie didaktisch zu beurtheilen: also die Lehr- form. Kommen yir nun zur Darstellung des Stoffes, in so weit dieselbe wissenschaftlich zu beurtheilen ist. Hier ist nuo Zweierlei zu beriicksichtigen: das Logische und das_positiv Sprachliche, welches letztere theils grammatischer, theils onc- inatischer Natur ist.

Ueber das Logische wollen wir kurz sein, da Hr. Steinmets Hrn. Wurst und dieser Becker folgt. .Da wir fiber den Unsina in der aus Mr. Richon’s Grammaire entlehnten Einleitang schoo geredet, so wollen wir nur zwei Punkte hervorheben: Tempas und Modus. oo |

In der Grammatik der lateinischen Sprache werden Praesens,

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Perfectum und Futprum (cano, cecini, canam) als die absoluten Zeitformen angegeben, und das mit vollem Rechte. Denn da der lateinischen Sprache eine eigene Form fir das absolute Prae- teritum fehlt (griech. der Aorist, franz. das sog. Défini), so muss sie schon eine andere Tempusform dazu verwenden, und indem sie ‘nun die Form des Praesens Perfectum dazu inAnspruch nimmt, bewcist sie mehr Geist als die deutsche Sprache, welche in der Noth um ein Praeteritum imperf. relativum ihr Praet. imperf. abso- utum, ihren Aorist (ich sang): zugleich als relativum gebraucht. Dass aber cecini diese Doppelfunction hat, dass es 1. actio perfecta in temp. praes. (cecin-i ich habe gesungen = ich bin mit dem Singen jetzt fertig) ausdriickt und in diesem Sinne zu cecin-eram and cecin-ero, als den Perfectis des Praet. und-Fut. gehort, 2. aber Aorist ist, historisches, absolutes Praeteritum, in welchem Sinne die lateinische Grammatik es Perfectum historicum nennt; diess . ist ein Satz, der nachgerade die Geltung eines Axioms hat. (Vgl. iibrigens die allerneueste lateinische Grammatik, namlich die von Kriiger in Braunschweig umgearbeitete Aug. Grote- fend’sche, §. 75 und §. 444, oder die ebenfalls ganz kirzlich erschienene latein. Elementargrammatik von Berger in Gotha.)

Becker aber hat Unrecht, wenn er (Schulgrammatik §. 96), durch die lateinische Grammatik verfihrt, das Perf. Praes. (er hat gesprochen) zwischen Praes. und Fut. schiebt, indem die deutsche Sprache ein absolutes Praeteritum hat, das freilich zu- gleich als relatives dienen muss. (Vgl. mein Deutsches Sprach- buch S. 15, §. 11 bis S. 18.) Wir wollen nun Hrn. Wurst nicht tadeln, dass er (Sprachdenklehre §. 6) diesen Irrthum reproducirt ‘hat, da ihm Becker's Grammatik ein- fir allemal ausgemachte Wahrheit und er selber grammatisch unzurechnungs- fahig ist; in §. 6 seines franzésischen Heftes hatte er aber sich doch die Frage aufwerfen kénnen, was denn wohl das sogenannte Défini in der franzésischen Sprache zu bedeuten habe; hat er es zufallig befragt, so scheint er in der Antwort keine ,,bekannte

Stimme“ vernommen zu haben. Hrn. Steinmetz scheint es eben

so ergangen zu sein. Und doch fallt einem nur halbwegs intel- ligenten Schiiler auf, dass je vends, je vendis (je vendais), je vendrai gerade so ausammengehoren , wie die Perfecta j'ai, j’eus .(javais), j’aurai vendu. Eine Logik der Sprache, gegen welche sich die sprachlichen Thatsachen so rebellisch beweisen, muss schon dem Unkundigen Bedenken erregen. Das Daseiende richtet

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sich nicht nach unseren Systemen, sondern unsere Systeme miissen sich nach ibm richten. Ganz so verhalt es sich bei der Moduslehre. Was Becker im §. 11 der Schulgrammatik als Modusyerhaltnisse aufstellt . A. Wirklichkeit. _ B. Nichtwirklichkeit. a) schlechtweg verneinte Wirklichkeit, b) Méglichkeit, aa) unbedingte Moglichkeit, - bb) bedingte Wirklichkeit, ' ec) fragliche Wirklichkeit, dd) angenommene Wirklichkeit; a) fragliche oder gewiinschte, | 8) durch eine ebenfalls nur angenommene | Wirklichkeit bedingt, _ €) Nothwendigkeit, ist eine ibrigens durchaus nicht gliickliche Verarbeitung der kantischen Kategorientafel und zwar so, dass Becker den kantischen Kategorien der Modalitat, der Beziehung des Geger- standlichen auf unser Denken (Moglichkeit, Dasein [Wirklich keit] und Nothwendigkeit), die Kategorie Negation aus den Kategorien der Qualitét hinzugeffigt hat. Nun fallt aber die allgemeine Logik mit der Logik der Sprache durchaus nicht zusammen, und so findet sich, dass diese ganze kiinstliche Schematik unfahig ist, auch nur den Gebrauch der Modi in éiner einzigen Sprache zu erkliren. Das Positive und Negative hat mit dem Modus nichts zu schaffen, Sprache und Arithmetik braa- chen das Positive gar-nicht zu bezeichnen; wollen sie negiren, so versehen sie das Positive mit dem Zeichen der Negation: il ne trayaille pas; (ma) us, w. Affirmation und Interrogation haben ebenfalls mit dem Modus nichts zu schaffen, sondern gehen die'Form der Mittheilung an und sind dem Indicativ und dem Conjunctiy gemeinschafilich. Die Nothwendigkeit ist keine grammatische, sondern nur eine metaphysische Kategorie, gegen ist das Wollen eine sprachliche Kategorie und hat als directes, als Befehl im Imperatiy, als indirectes im Conjunctiv seine - Form. Hr. Steinmetz muss es in einen Anhang verweisen. Ich weiss - nicht, ob es mir gelungen ist, die Natur. der Modi richtiger zu fas- sen (vgl. deutsches Sprachbuch S. 66—70; franzésisches Sprach- buch. N. Aufl. S. 241—246, A. Aufl. 8; 208—218), ich ver-

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muthe es aber. Ich stelle mir die Sache so vor: Der menschliche Geist verhalt sich in Allem, was er thut, entweder erkennend oder wollend, theoretisch oder praktisch. Als erkennend er- kennt aber der Geist Etwas als wirklich und wabr (oder unwirk lich, unwahr, was dasselbe ist), und er spricht es so aus, oder fragt in diesem Sinne darnach; oder aber ein thatséchliches ist fiir ihn bloss ein Vermutheles, Ungewisses, das er bezweifelt, far unwabrscheinlich hilt u. s. w.; als wollend kann der Mensch einem Andern direct befehlen, dass er Etwas verwirkliche befichit er Etwas, das sich nicht verwirklichen lasst, so ist er eben ein Thor, oder aber es bleibt bei dem: Das sollte sein. In diesem Falle wird das Wollen zum Wiinschen, Bitten, Hoffen, Firchten, Erwarten, Verzweifeln u. s. w. So haben wir denn A. Zam Ausdrucke des Wirklichen * :

1. far das Erkannte den Indicatiyv,

2. fir das Gewollte den Imperativ.

B. Zum Ausdrucke dessen, was als Gegensatz zur Wirklich- keit, als ein Ungewisses oder ein Gewolltes oder Gesolltes dargestellt wird

. 8. Den Conjunctiv. **

Betrachten wir jetzt das positiv Sprachliche, zunichst das Grammatische. Hier ist nun Hr. Steinmetz viel weiter als Hr. Wurst, der das Grammatische in seinem Hefte irgend einer ordindren franzésischen Grammaire entlehnt hat, wogegen Hr. Steinmetz die romanische Grammatik von Diez, so wie Fuchs Varegelmassige Zeitworter ein paarmal nachgeschlagen, vor allem aber aus meinem 1840 erschienenen Franzésischen Sprachbuch geschopft hat, so dass der Titel, auf dem nur von Hrn. Wursts Ideen die Rede ist, unvollstindig genannt werden muss. Da ich die Ergebnisse meiner wissenschaftlichen Forschungen darum drucken lasse, damit sie unter die Leute kommen, so nehme ich es natiirlich Keinem abel, wenn er sich dieselben aneignet; auch mag er sie seinerseits wieder durch die Presse an Andre bringen. Indessen wire es doch schicklich gewesen,. wenn Hr. Steipmetz, statt mich bloss zu loben, *** in seiner. Vorrede einen

* Positiv oder negativ. ** Der Conjunctiv ist also ein theoretischer und ein praktischer. o*¢ Nachdem Hr. Steinmetz die Hoffnung ausgesprochen hat, ,einen nicht ganz dberilissigen Beitrag far den grammatischen Unterricht ee liofert su haben, fabrt er (Vorr. S. VIII) also fort:

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schdnen Dank fir den braven Mann gehabt hatte, aus dessen Keller er die feinsten von den Weinen holt, die er-seinen Gasten vorsetzt. Damit aber der geneigte Leser sieht, dass ich in der That der Hauptlieferant dessen gewesen bin, was in dieser Be- gleitschrift der Sprachdenklehre grammatisch neu ist, mache ich hier auf einige §§. aufmerksam. . S. 9—10 findet sich dés Theofetische meiner a Leclion (nach der ersten Auflage, in der neuen ist Einiges davon aus- gelassen), sogar meine beiliufige Anmerkung (S. 4), déss yon den c. 5000 franz. Verben c. 4500 nach der I. gehen, febit nicht. S. 27 schreibt Hr. Steinmetz fini-t, wahrend alle friiherm Grammatiken’ (auch Diez) fin-it abtheilen. Vgl. meine Lection 3. S. 30 sub 4 findet sich das Theoretische meiner 3. Lection, nimlich die Bemerkung, dass die Verben der Il. in zwei Ab theilungen, eine einschiebende und eine abwerfende zerfallen, und dass bei den-Verben der ersten vor allen vocalisch anlautenden Endungen, um Hiatus zu vermeiden, ss eingeschoben wird: nous fini-SS-ons,. je fini-SS-ais, fini-SS-ant, wogegen Jene den Charakter abwerfen: dormi-r, dormant. Das geniige; wer die Citate ‘nachliest und aberhanpt beide

»Vor Kurzem sind mehrere Werke ersckienen, die nach gleichem Ziele streben. Unter diesen steht das gedicgene ,Franzdsische Elementarwerk’ von Dr. Mager unbedingt oben an, das wir allen Schulmannern dringend unempfehlen. Sie werden darin eine Kenntniss des franzdsischen Idioms finden, wie wohl wenige Franzusen sie’ besitzen. Mége Dr.- Mager ups nur bald mit der in jenem Werke versprochenen Grammatik erfreuen; si0 darfte far den Sprachunterricht Epoche ‘machen, wie einst Meidinger far den franzésischen; und wie in.neuerer Zeit Becker fir den deutscheo. Wenn wir auch in einigen Punkten nicht mit Dr. Mager ganz gleicher Meinung sein kénnen (z. B. adber die Bildung des Futurums), so vermin- dert diess unsre Hochachtung durchaus nicht, sondern mag nur su nened Forschungen Anlass geben.“ 7

‘Hier nimmt sich Meidtnger neben Becker gar curios aus; eben so spast- haft ist es, ‘was Hr, Steinmetz von meiner Franzds. Grammatik erwarte. Was Meidinger’s Franz. Grammatik vor vierzig Jahren beliebt machte, da war die darin versuchte bessere Lehrform; Meidingers ,Grammatik® wr ein Elementarbuch wie mein Sprachbuch eins ist; sollte ich demnach ,fit den Sprachunterricht Epoche machen, so muss diess durch das Sprachbuch - geschehen, Meine franz. Gramm. , wann sie erst erscheint, wird in Léhrgang und Lehrform aussehen, wie andere Grammatiken auch, das Neue kann not im Stoffe liegen. Dass Hr. Steinmetz in einigen Punkten mit mir nicht glei- cher Meinung sein kann, will sagen, dass er in einigen Sticken nicht meine Ansicht, sondern Diezens oder Fuchsens Ansicht zu der seinigen gemacht hat.

Stt

ficher mit cinander vergleicht., wird finden, woher das Neue ommt. * |

© Hr. Steinmets muss es dem Pasquil! seines Verlegers zuschreiben, us die kleinen Anleihen, die er bei mir gemacht hat, hier sur Sprache skummen sind, ich ware unter andern Umstanden dardber hinweggegan- 2m. In keinem Falle gestatte ich irgend einem Dritten, der vielleicht ich mir an Hrn. Steinmetz zum Ritter werden méchte, die bezeichneten

‘ellen seines Buches als Plagiate auszuschreien, da es solche nicht in

'erken geben kann, die den Charakter von Compilationen offen tragen,

so ihren Inhalt nicht als Resultat eigener Forschung geben. Bei dieser

elegenheit will ich mich indess beildufig dber eine Reihe von Plagiaten sschweren,. die von Andern seit ein paar Jahren an mir begangen wer-

23. Es muss etliche in Frankreich lebende Deutsche geben, welche die

wunzdsische Nation, anstatt sie selbst zu erforschen, wie ich es zu thur

ich bestrebt habe, aus meiner ,Geschichte der neueren franzés. itteratur* (Berlin 1837—40, 4 Theile) studiren, und diese ihre Stu- en, namlich mehr oder minder wortliche Auszige aus meinem Buche, als orrespondenzen und Artikel aus Frankreich an deutsche Blatter schicken. |

b mache aof Einiges aufmerksam.

Il. Morgenblatt, Marz 1842. Nr. 51 ff. Dieser Artikel ber die fran- gdsischen Moden enthalt cine ganze Blumenlese von Stellen aus meinem Buche. Man vergl. nur im Morgenblatt S, 202 mit meinem I. Bande S. 92 ff., Nr. 53 (vom Adel) mit Bd. I. S. 141-142 n., Nr. 55, S. 219 mit Bd. I. S. 204 und Bd. II. (die romantische Schule) S. 258, Nr. 67, S. 266 mit Bd. II, S. 287—289. Der Artikel ist E(duard) C(ollof) anterzeichnet.

2. Ausland, Marz 1842: Briefe aus dem Westen von Frankreich, eben- falls von E, C. Nr. 68, damit vergl. man mein Buch Bd. IV (Philo- sophie), S. 8—9. Fs ist hier dem Plagiarius ein spasshaftes Unglick begegnet, Weil ich namlich vom 2., 3. und 4, Theile meines in Berlin gedruckten Buches in Genf keine Revision lesen konnte, und der Cor- rector der Berliner Druckerei ein Dummkopf gewesen sein muss, so hat fast jede Seite Druckfehler, Nun sage ich in dem Artikel aber Nolney: ,Die Majuritét der Franzosen zu leichtsinnig und su faul, um

gelbst zu denken, bedarf eine Autoritét, welche das, was fir wahr gelten soll, praparirt und fertig verkauft.“ Durch einen Drackfehler heisst es heilig, und so im Ausland; einige Zeilen weiter stehs angewiesen, was angepriesen heissen soll, im Ausland eben so (S. 271).

8. Leipziger Allgemeine Zeitung 1842, Nr. 160 Der Artikel mit dem vorgesetzten Warzelzeichen, d.d. Paris 4. Juni, anfangend: Der eng- lische Dichter Coleridge, Seite 1874 bis S. 1875 bis Pedanterei, ist in meinem I. Bande S. 107, 111 (unten) 112 (oben), 108 oben, und die anderen Stellen an anderen Orten meines Buchts zu lesen. Der Correspondent hat wenig von dem Seinigen hinzugethan, nur so viel, _ wm die disjecta membra zw verbinden.

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Wie bei dem Logischen, so will ich auch bei dem Gram- - matischen nur ein paar Punkte besprechen.

Die Natur des franzésischen y, die ich doch in meinem Sprachbuch (L. 22.N. A, L. 27 A. A.) ziemlich deutlich gemacht, hat Hr. Steinmetz nicht recht begriffen, wie sich S. 30 zeigt, wo er sagt: ,diejenigen Verben, welche zum Charakter einen mit y gebildeten Diphthong haben, z. B. ay, oy, -nehmen statt des y vor dem stummen e (oder vor einem Consonanten) ein i.“

Er ist hier Diez II S. 187 gefolgt, dieser hat das™Warum nicht gesagt, weil er gedacht hat, seine Leser wiissten es schon. S. 34 theilt Hr. St. nous croy-ons, S, 35 nous fuy-ons. Das Richtige ist, dass der Spirant Jota, fir den das franzésische Alphabet kein eigenes Zeichen hat, den Silben ai, oi, ui ete. angefiigt wird, wenn eine vocalisch anlautende Endung folgt, z. B. Roi, roi-aume, dafiir roi-l-aume, geschrieben royaume, Voie, voi-age, daftir voi-I-age, geschrieben voyage. So bei den Verben: je croi-s, pous croi-l-ons (croyons), Jenvoi-e, vous envoi-I-es (envoyer) etc. Mit dem y in den dem Griechischen entlehnten Wartern, z. B. la physique, verbalt es sich natérlich anders.:

S. 32 gibt Hr. Steinmetz nach Fuchs ganz richtig die Gr- nesis, von je recois, dagegen nimmt sich “das y-oir 8. 37 wur derlich aus, als wenn ein einzelner Buchstabe Stamm sein kiénnte, wie er denn auch den Schilern, namentlich Schilem,

k. Dieseltbe, Nr. 180, Beilage. S, 2122. Von demselben Correspondenten, Was auf S. 2123 steht, findet sich bei mir Bd. I. S. 116—117 no.

5. Dieselbe, Nr. 181, von demselben Currespondenten S. 2162—2163. | Hier sind einige Stellen aus meinem Buche entlebnt.

6. Augsb. Allg. Zeitung. Nr. 208, Beilage, d.d. Paris, 21. Juli, Der mt-Correspondent gibt hier bei Gelegenheil des Todes des Herzogs von Orleans Reflexionen, die ich schon 1836 in meinem Artikel aber Guizot (der zuerst in den BI. f. litt. Unterh. erschiem) gemacht habe. Vergl. mein Buch Bd. HI (Historiker), “den Artikel Guizot, und Bd. I. dea Abschnitt: Politische Schulen und Parteien.

Nun ist es mir freilich eine grosse Ebre, dass die Ansichtgn, welche ich vor sechs und vor fainf Jahren fiber die politischen Zustaénde Frank- reichs und die in diesen Zusténden und in den Staatsmannern wirkende Logik sich so sehr bewdlirt haben, dass man sie im Jahr 1842 in Corte- spondenzartikeln reproduciren kano; da aber Viele wissen, dase ich seit Jahren ‘mit den Verlagshandlungen der genannten Zeitschriften in Verbia- dung stehe, und da von diesen Vielen wieder Viele mein Buch geleset haben: so kénnten diese auf die Vermuthung gerathen, ich sei es, der diese Correspondenzen geliefert, und hatte so mich selber abgeschriebea. Und das wire mir ualieb. Darum bei dieser Gelegenheit diese Notis.

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die sein Buch gebrauchen, ohnediess iiberfliissige Bemerkung (S. 32), die Ill. Conj. sei eine Nebenart der IV., hatte unter- driicken sollen. Er hat sie Diez entnommen, der Bd. II. S. 198 sagt: Zu dem Infinitiv der 2. Conjug. (vend-re) tritt noch der auf oir. Es ist hier nicht der Ort, einzelne Ansichten von Diez zu bestreiten; indess hat sich Hr. Steinmetz bei der II. Conjug. so ganz und gar von Diez ab- und mir zugewendet, dass ich ihm auch fiber die III. Conjug. Aufschluss geben will, bei welcher Gelegenheit ich dann den Lehrern, die mein Franz. Sprachbuch gebrauchen, die Correctur eines Fehlers mittheilen will, den ich in’ jenem Buche absichtlich begangen habe vielleicht mit Unrecht. Ich wagte die Wahrheit nur halb. zu sagen.

Wenn man von der franzésischen Conjugation reden will, so muss man auf die lateinische zuriickgehen. Bevor wir nun die lateinischen Verba ansehen, miissen wir uns iiber den sog. vo- calischen Charakter der Verben I., II. und IV. Conjugation ver- stindigen. Wurzeln sind im Lateinischen. wie im Deutschen ein- silbig, und wenn wir acuere finden, so ist nicht acu, sondern ac die Wurzel, * acu ist bloss Verbalstamm. Wie bei den Werbis puris, so bei den Verbis contractis: lauda, aude, audi sind nur die Verbalstimme, die a,c, i gehdren dem Worte nur an, weil und insofern dasselbe als Verbum, nicht als Nomen fungiren soll, denn in laus (fir lauds, gen. laudis) febIt diess a, in aur-is fehlt das i des audio, in ac-ies das’ u des acuo. Wir unterscheiden also Wortstamm und Verbalstamm. Wenn man von audire die Infinitivendung abzieht, so hat man den Verbalstamm audi, zieht man den Charakter i ab, so hat man den Wortstamm; man muss diesen aber nicht ohne Weiteres far eine Wurzel halten, wie denn z. B. in dem eben erwihnten audio das audi urspriinglich aus-di ist, wie aus dem verw. Goth. haus.jan héren, auso Ohr (lat. au-ris), gr: Wurzel ovg, erhellt. Diess festgesetzt, zerfallen uns die lateinischen Verben zunachst in zwei Classen, in solche mit consonantischem und solche mit

vocalischem Charakter. Die Verba mit vocalischem Charakter sind

entweder V. pura (Charakler u), diese schliessen sich den Verben mit consonantischem Charakter an, und bilden zusammen die in drei Gruppen (i. V. muta,.2. V. liquida, 3. Y. pura) zerfallende

* Sanskrit W. ag: aceri, Scharfe des Schwertes; griech, W. @x: dun, 1) axle, 7 axun, Gxpog, a, ov, axéopae x. T. A. - Padag. Revue 1842. b, Bd. V. - 33

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Il. Conjugation; die Verba mit solchem vocalischem Charakter, der mit der Endung zusammengeht, bilden die V. contracta, nam- lich die sog. I. oder A-, die II. oder E-, die IV. oder J-Conjugation.

Die lat. III. Conjug. (Inf. re; das e vor re, z. B. reg-E-re scheint nur euphonisch; in fer-re fehlt es) hat sich nun in der franz. sog. IV. erhalten: batt-re (batuere), coud-re (consuere), prend-re (prehendere), fai-re (facere), plaire (placere) etc. Sie ist in der franz. Sprache die vorzugsweise lateinische. Sie, in der lateinischen Sprache die Haupt-Conjugation, hat im Franzi- gischen diesen Rang verloren: es gehen nicht 20 regelmassige Verben nach ihr (obendrein befinden sich noch etliche Verirrle aus der E-Conjugation darunter: mordre [mordeo], répondre [respondeo]), dagegen halten sich ziemlich viele der sog. unregel- missigen Verben zu ihr. Bemerkenswerth ist, dass diese Con- jugation allein die lateinische Infinitivendung hat (re), wahrend die andern Conjugationen das Schluss-e abgestossen. Es komnt daher, weil die Wérter dieser Conjugation Contraction erfahren haben; wie die Beispiele oben zeigen. | | Die 1., II. und IV.. lateinische, haben a, e, i zum Charak- ter; ihnen entsprechen die I., HI. und IV. franzdsische, wobei jedoch zu bemerken 1. dass lateinische Wéftter sich in unrechle franz. Conjugationen verirrt haben, 2. dass die J. franzésische - Conjugation die echt franzésische ist, die Il. (der lat. II. entspre- chend) sehr wenig Worter, hat und wenigstens darin der IV. gleicht.

Ueber die II. franz. Conjug. (lat. 1V.) babe ich im Sprach- buch ‘das Richtige gesagt, und Hr. St. hat es angenommen. Dass i gehért namlich nicht zur Endung, sondern es ‘ist Conjugations- Charakter, also fini-r, je fini-s, je fini-raj. Man sieht es gleich, wenn man aus Nominalstimmen Verba. der II. bildet: grand, gross, i angehangt, entsteht ein Verbalstamm, nun: grandi-t gross werden, wachsen, so- rouge, rougi-r ete.

Ueber die J. franz. Conjug. (lat. I.) habe ich wegen derje nigen Schiiler, die kein Latein wissen, die Wahrheit nicht s sagen gewagt; ich bin bei der gewdhnlichen Darstellung, von def sich auch Diez (lil. S. 189) noch nicht los gemacht hat, stehea geblieben. Hier das Richtige.°

Der Charakter ist lat. a, und dieses a am Ende wird den franz. Wértern bald zu e (regina, reine), bald zu é (ai) and 2, z. B. carus, cher; pater, pére, bald bleibt es; vor einem Vocal fallt es ab. -Die I. Conjug. stellt sich demnach also dar:

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Praesens Imperf. «= jaime, * am(a)-o tu aime-s, ama-s il aime, ** ama-t nous aim-ons. , . Praeteritum Imperf. hist. ;

Jaimai, *** ama-V-i tu aima-s, ama-~sti il aima, ** ama-V-i . D. aima-mes, ama-V-imus. v. aimd4-fes, ama-stis ils aimé-rent, ama-runt. _ Praeterit. Imperf. descript. s. relat.. jaim-ais, + ama-(e)bam. + | Futurum Imperf. Jaime-rai, ama-ro tu aime-ras, ama-ris il aime-ra, ama-rit 7 ‘D. alme-rons, ama-rimus. Infinitiv: aime-r , ama-re. Participia: aim-ant, ama-(e)ns. aimé , t+ ama-tus. Die Ill. franz. entspricht der II. lateinischen, und wie aus lex, roi, loi wird, so wird aus dem Charakter E oi, aus re, voi-r, debere, devoi-r, aus dem hieher verirrten recipere, voi-r. Hier treten nun freilich gewaltsame Synkopen ein, entlich bei den. aus der III: lat. in diese der Il. lat. entspre- aide Ill. franz. Conj. verirrten Verben. Wir miissen uns hier, ; Captre, ein capére denken, also recipere , dabei aus der en Anmerkung uns erinnern; dass lat. eb zu ev, dieses zu

.

* Ohne die antietymologische Endung s, welche frihere Unwissenheit Praesens der If., III. und IV, Conjug. angebangt hat.

** Die Endung t ist verloren.

‘* Ai wie é zu lesen; die Endung s, welche in der II., ITI. und IV. indet, feblt hier. . + Aus abam musste eve werden und so hiess es fraher :- Certes si paiz sessevet (si quidem non cessabat par), S. Bernard, citirt von Orelli 90; ich spielte findet sich als: ju jueyve Gocabam) , aus ev wurde oi daraus ai mit der Endung s.

+} -Lat. at franz, é, z. B. pauperta(t)s, pauvreté; die Endung t ist falien, in andern Participien , 2. B. fai-t, ist sie: geblieben.

: , (33 *

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ai oder zu oi wird, * also dev zu doi, voi dagegen wieder (im Fut.) zu (je verrai). ** Das ganze Kunststiick besteht nun darin, zwei oi oder ey und oi im Verbum finitum nicht zusam- menstossen zu lassen, und vor Vocalen und vor r ev, vor an- dern Consonanten oi zu setzen, dabei das ev im hist. Praet. inu zu verwandeln. (Man schrieb friiher eu, also veu [vu] wie noch jetzt eu, gehabt); je regoi-s (statt recev-s, das Charakter-oi fort), nous recey-ons, je recev-ais, je recev-rai etc.; je doi-s (aus ev vor 8, oi, das Charakter-oi weicht), nous dey-ons (jetzt nicht oi wegen des Vocals) etc.; je vois (friiher veoir, das oi ist nicht das Charakter-oi, diess ist abgefallen) je vé-rai (ge schrieben verrai) etc. |

Wir haben Hrn. Steinmetz einen Augenblick aus dem Gesichte yverloren, kehren aber, nach diesem Excurs, zu ihm zuriick, um wieder yon den Verben zu reden, namlich yon den halbregel- missigen S. 32—37. Auch ich habe in meinem Sprachbuch (von §. 238 an) die Conjugation dieser Verben nicht durch lange Auseinandersetzungen , sondern nur durch einfache Beifiigung des lateinischen Stammwortes erlautert; Hr. Steinmetz hat mich darin nicht nachgeahmt, was ich nicht tadeln will, dagegen muss ich es tadeln, dass er durch seine Bezeichnung, z. B. nous condui-8- ons, nous connai-ss-ons etc. einerseits die Schiiler irre_leitet, . andrerseits zu vermuthen gibt, das Wie und Warum bei diesen sog. Unregelmassigen , die er, wie ich es ihm vorgethan, Halb- regelmiassige nennt, sei ihm selbst nicht bekannt. Da es wahr- scheinlich mehr-Lehrer der franzésischen Sprach6 —. und das nicht -nur in Deutschland gibt, die das punctum saliens bel diesen Verben nicht kennen, als solcher, die es kennen, so mag es in Kiirze hier stehen. |

Die entstehende franzdsische Sprache fieng damit an, den lat , Wértern die Endvyocale abzunehmen; nun riickten die Consonan- ten zusammen und man bekam, wie im heutigen Deutschen, con- sonantische Auslautungen, oft harte. Dem half man dadurch ab, dass man die m und n durch Nasilirung wegschaffte, z. B. san-us, sain; andre Consonanten aber quiesciren liess, z. B. sanct-us, saint. Folgt nun ein Vocal oder ein Schewa, so erwachen die yuiescirenden Consonanten wieder: un saint homme, une sainte,

* Man denke an: le roi, la reine. | ~ ** Bei Joinville findet sich fdr voyage veage, spr, veage. —. S. meinen » Versuch einer Gesch, der franz, Litt, bis zur Revolation.“-Wismar 1834. S. 367.

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and, la grandeur, grandir; tritt der Vocal unmittelbar hinter n nasilirten Laut, so erbalt auch dieser seinen urspriinglichen ‘erth wieder: sain, une saine nourriture; prendre, nous prenons.

Nun muss man noch bemerken, dass Jat. inlautendes b und franz. zu Vv, C zU 8, Sc zu Ss wird U. Ss. w.

Und dann hat es mit der Unregelmissigkeit ein Ende. Ich ige diess an einigen der von Hrn. Steinmetz gegebenen Warter.

Kennlaut c, franz. weiches s. Sammtliche yon dico, duco id facio gebildete Worter, eben so placere, tacere, nocere, lucere.

Je fai-s, fai-re, Charakter wird nicht geschrieben, weil er cht auszusprechen, aber nous fais-ons, je fais-ais, fais-ant. So nfi-re u. a.

~ Je condui-s, condui-re, dédui-re etc., aber nous conduis-ons.

Je di-s, di-re, aber nous dis-ons, un dis-eur.

Je plai-s, plai-re (placere ging vor Alters auch nach der IL, ‘von noch plaisir), aber nous plais-ons, plais-ant, plais-anterie. _ Je nui-s, nui-re, aber nous nuis-ons, nuis-ible ete.

Je lui-s, lui-re, aber elle luis-ait, luis-ant. * | Kennlaut b, franz. v. Beispiele bibere, scribere.

_ Pécri-s, écri-re (das y ware doch nicht aussusprechen) aber us écriv-ons, |’écriy-ain ete.

Je boi-s, boi-re, aber nous buv-ons, un ‘buy-eur etc.

Kennlaut sc, franz. ss. Beispiele cognosco, cresco, pasco, scor.

Je connoi-s, connot-T-re (das ss nicht auszusprechen), aber us connoiss-ons, une connoiss-ance, un connoiss-eur etc.

Je croi-s, ** crol-T-re, aber nous croiss-ons, le croiss-ant etc.

Je pai-s, pat-T-re, aber nous paiss-ons. (Der Circumflex diesen Wortern vor dem eingeschobenen t wegen des aus- fallenen s; so ist z. B. die echt franzésische Bildung von dem

. pastor das freilich als pasteur auch vorhanden patre, her pastre.)

Je nai-s, nai-T-re, aber nous naiss-ons, la naiss-ance.

Kennlaut g, franz. Jota. Beispiel fugio. ,

Je fui-s, fui-r, aber nous fui-I-ons = fuyons.

' Kinige Verba pura gehen durch Affalogie eben so, z, B. die Familie ao. Hier ist das s in Wahrheit Bindelaut, ganz wie das Jota nach oi, ai, (croi-I-ons == croyons), also: nous constrai-S-ons, je détrui-S-ais ete.

** Man sieht hier, wie lang e zu oi wird und wie dieses oi 2u seiner gpelten Aussprache gekommen ist.

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Kennlaut s, Beispiel consuere.

Je cou-D-s, cou-D-re (hier ist der Aussprache . wegen _ vor r das D eingeschoben, wie oben das T; es ist eine ln- consequenz der Orthographie, es anders als vor r zu schreiben, wie man dann auch sonst je pren-s schrieb), aber nous cous- ons, je cous-I-s, cous-u.

Kennlaut |, Beispiel molere. .

Je mou-D-s, mou-D-re, aber nous moul-ons, moul-u, ~ Ie moul-in etc. .

Kennlaut ng, franz. gn. Lateinische Verba auf angere, ingere , —- ungere. |

Je plain-s, plain-D-re, aber nous plaign-ons.

Je cein-s, cein-D-re, aber nous ceign-ons. '

Je join-s, join-D-re, aber nous joign-ons, je joign-]-s, dann wieder je join-D-rai, d. h. das g verschwindet vor einem rt.

In grammatischer Kenntniss fehlt also, wie wir gesehen, Hrn. Steinmetz noch Viel, doch zeigt sich in seinem Buche, wie schon bemerkt, ein kleiner Fortschritt vor andern Lehr- biichern. Fiir den Zweck aber, die Schiiler auf methodische Weise in die franzésische Onomatik einzufiihren, hat er, nur die Grammatik beriicksichtigend, sogar weniger gethan als in hundért und aber hundert alteren Lehrbiichern geschehen ist. Meidinger, Sanguin, Debonale, Hirzel, Schaffer u. A. haben we nigstens den Tact gehabt, den Schiiler nicht mit Vocabeln zu erdriicken; sie geben kleine Pensa. Freilich haben auch die eben Ge-, nannten und so viel ich weiss, simmtliche Verfasser yon franz. Lehr- _ biichern von dem wichtigsten Hilfsmittel, dem Schiiler die Bekannt- schaft mit dem Wortschatze zu erleichtern, nichts gewusst; denn Kei- ner stellt, so wie ich es in vielen Sectionen meines Sprachbuchs gethan, Satze zusammen, in denen einmal dasselbe Wort in seinen verschiedenen Bedeutungen vorkommt, dann aber mehrere Worter derselben Familie vorkommen. (Man sehe die Lectionen tber ° das objective Satzverhaltniss an.) Freilich wird dieses Verfahren erst dann Naehahmung finden, wenn die Verfasser von Leht- biichern. selbst der Onomatik ein ernstliches Studium gewidmet haben, wenn sie den gesammten Wortschatz der fremden Sprache ganz vor dem Geiste stehen haben und ihnen der Ursprung (Etymologie), die verschiedenen sinnlichen und die verschiedenen tropischen Bedeutungen, so wie die Sinnverwandtschaft jedes Wortes und jeder Phrase genau bekannt ist. Wahrend der Aus- arbeitung eines Lehrbu¢hes, wenn man die Beispiele braucht oder schon gefundene zusammenstellen soll, lasst sich das nicht Jernen, man muss Jahre lang studirt, dabei neben dem Diction- naire de Académie noch das Dict. de Trevoux, das von Fu- rétiére, das Schmidt’sche Catholicon, Boiste, Gattel, Laveaux u. a. franzdsisch-lateinische, franziésisch-englische, franzésisch- griechische Worterbiicher von A bis Z durchgelesen und excer- pirt, endlich was das Allerwichtigste die Sprache in den

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Hauptwerken sammilicher Litteraturgattungen verschiedener Zeiten studirt haben. Wie ein Handelsmann schwerlich zu hunderttausend Thalern kommt, wenn er sich nicht vorsetzt, eine Million zu verdienen, so geht es auch mit Kenntnissen. Wer nicht viel mehr weiss, als er in einem Elementarbuch sagen darf, der kann kein gutes schreiben.

Endlich sind noch die Beispielsitze in dem Buche des Hrn. Steinmetz zu betrachten, nadmlich ihr Inhalt. Da oben eine Probe dayon gegeben ist, so brauche ich sie-hier nicht zu charakteri- siren. Nun ist es richtig, dass Hr. Steinmetz seiner. Beispiele wegen nicht den hundertsten Theil des Tadels yerdient, den ich Hrn. Wurst nicht habe ersparen kinnen, denn, wenn der Schiiler liest: le rabot est un outil, so lernt er wenigstens zwei Dinge, namlich was Hobel und Gerath auf Franzésisch heisst, und man muss in einer fremden Sprache auch die Vocabeln solcher Dinge wissen, wihrend ein deutscher Knabe bei: Feuchter Lehmen ist weich, nichts Neues lernt und statt dieses Wohlbe- kannten und Trivialen einen guten Satz lesen kénnte, aus dem irgend eine historische Notiz oder eine Anregung fiir Geist und Gemiith zu gewinnen wire. Aber auch in einem franzésischen “(oder lat.) Elementarbuche muss das Triviale seine Grenze haben und das Leere wo méglich vermieden werden, und dies ge- schieht, wenn man die Beispielsdtze (zuweilen ists nicht zu an- dern) nicht macht, sondern sie sucht. [ch will Hrn. Stein- metz sagen, wie ich zu meinen Beispielsatzen gekommen bin. Als ich 1832 den Plan fasste, mit der Zeit einmal Lehrbiicher far den Unterricht in einigen fremden Sprachen .zu_ schreiben, da legte ich mir ftir jede Sprache einige hundert Bogen weisses Papier zurecht und tiberschrieb diese Bogen mit dem Inhalte der §§. der Becker’schen Syntax denn damals war ich noch ein stricter Anhanger der Becker’schen Grammatik. So oft ich nun bei meiner Lectiire auf einen Satz stiess, der seinem Zu- sammenhange entnommen verstandlich blieb, der dabei entwe- der einen realen (historischen, geographischen, ethnographischen, polilischen, ethischen, religidsen) Inhalt hatte oder onomatisch merkwirdig war, so 6{fnete ich mein Paket, suchte den Bogen mit dem §., wohin der Satz grammatisch gehorte, und trug ihn ein. So kam ich zu Beispielen, und als ich im Sommer 1839 zu Cannstadt an die Ausarbeitung des franzdsischen Sprachbuches gieng, da fanden sich derselben so viele, dass ich kaum ein Drittel meines Vorrathes aufnehmen konnte, und auch dann noch - viel zu viel gab. Ich halte diesen Weg aus vielen Griinden fir den besten; um nur Eins zu sagen, so wiirde das grésste Genie der Welt nicht Geist genug haben, um zu grammatischen Para- graphen Silze zu erfinden, die sich lesen lassen. Mehrere Mei- nungsgenossen des Hrn. Wurst haben dies auch eingesehen, wie denn z. B- Hr. Honcamp in seiner »Vollstindigen Anleitung zum Elementarunterricht in der Sprachlehre“ (Essen 1841) von

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seinen Beispielen’ selbst bemerkt: ,kein einziges sei & &€ macht worden.“

Vielleicht wird mancher Leser jetzt nicht wohl! begreifess” dass ich im Anfange dieser Beurtheilung diesen franzdsische Pendant zur Sprachdenklehre eine erfreuliche Erscheinung ge nannt. Manchem fallt wohl gar das horazische Humano capiti cervicem pictor equinam etc. ein, und da er einmal spectatum admissus ist, so lacht er. Ich denke, mit Unrecht. Die Fabri- cation der Lehrbiicher neuerer Sprachen ist zum grossen‘Theile in so unwissenden und liederlichen Handen, -dass man Biicher wie das vorliegende, deren Verfasser doch ein redliches Streben haben und alles Ernstes ein Besseres hervorbringen mbchten, loben muss was freilich eine betriibte Sache ist. Und -ich bleibe dabei, dass in vielen Schulen viel schlechtere Biicher eingefiihrt sind, womit ich nicht sagen will, als gabe es nicht auch bessere Elementarbiicher: ich nenne nur Schaffer’s ,,Gram- matik,“ Schifflin’s ,,Anleitung“ u.e. a. Es kommt aber ein An- deres hinzu. Alles Lebendige und was wire lebendiger als die Wissenschaft und Kunst des Unterrichts in Deutschland? hat eine oft schmerzliche Enjwickelung durchzumachen, auch treten zufallige ‘Stérungen ein. Nicht bloss das leibliche Leben,: auch das geistige, ist Krankheiten ausgesetzt. Hat aber eine Krankheit eines sonst lebenssaftigen Organismus ihre Spitze er- - reicht, so tritt die Krisis ein, der gesunde Theil des Organis- mus reagirt und der Genesene fihlt sich bald neu gestarkt. Mir nun scheint diejenige Art des Elementarunterrichts in der Gram- _ matik, die, seit Jahren von Vielen versucht, in der letzten Zeit durch Hrn. Wurst auf die Spitze getrieben und nun auch auf den Unterricht im Franzésischen angewandt worden ist, eine, solche Entwickelungskrankheit der didaktischen Wissenschaft und Kunst zu sein, und da ich in Hrn. Wurst’s und seiner Nach- ahmer Schriften den dussersten Punct dieser Entwicklung su sehen glaube, so freue ich mich, méchte aber nun auch die Krisis beschleunigen helfen, und die Reaction des gesunden Theiles unterstiitzen. Als einen Versuch zu diesem Zwecke wolle man diese und meine frithere Beurtheilung selbt beurtheilen.

Dass ich es Hrn. Wurst und seinen Meinungsgenossen nicht getroffen habe, ist in der Ordnung, da ich das, was ihnen die prachtvollste Gesundheit daucht, fir eine Krankheit halte, freilich fiir eine vor den Krankheiten,-die keinem Organismus erspart werden koénnen. Wer nun hier der richtig Sehende, wer der Irrende ist, das wird der Erfolg lehren, der nicht bloss der Thoren, sondern auch der Weisen Lehrer ist.

Mer.

“DRITTE SECTION: Culturpolitische Annalen.

. Allgemeine Schulzeituneg. * - A. Deutschland.

WIKI. Stiddeutsche Staaten. 1, Warttemberg. - .

(2. Université&t u., Gelehrtenschulen.) Tibingen. Als vor »m halben Jahre das Ephorat am hiesigen evang. theol. Seminar, das ler letzten Zeit der nun verstorbene Dr, Kern versehen hatte, erledigt de, erschien eine kleine Broschire ,zur Reform des Seminars Tabingen,“ geschrieben , wie man ziemlich sicher jetzt weiss, von im talentvollen jungen Theolugen, mit der Forderung an den Staat, das” inar in seiner bisherigen Beschrankung auf Theologen aufzuheben, und zu einer fair alle Facultdéten bestimmten Anstalt zu machen, zugleich r auch die aus alter Klosterzeit noch sich herschreibende strengere Dis- in durch Gleichstellung der Seminaristen mit den sogenannten Stadtstu- nden unserer Zeit gemaéss zu mildern, d. h, unbedingte Ausgangs-- neit' etc, zu gewdhren. Gegen die erste dieser Forderungen erhob sich ald der allgemeine Ruf und Einwurf, der Staat habe zu einer solchen iuderung des Seminars kein Recht, weil die Bestimmung desselben fir dus lium der Theologie auf einer Stiftung beruhe, Von der zweiten Forderung regen gab man Manches gerne zu. An die Stelle der ersteren setzten die unde des Seminars und im weitern Sinne der Kirche das begrin- » Ansinnen an die Behérde, neben der bisherigen Férderung wissen- ftlicher Studien auch fair die practische Bildung der angehenden Geist- keit des Landes etwas mehr zu thun, ein Vorschlag, der wirklich keiner teren Begriindung bedarf. In diesem Sinne erschien kurz nach der obi- Broschire ein zweites Schriftchen, das mit vieler Gewandtheit und 2m Ejifer seine Ansicht begrindet: und wirklich hat ihm die Mehrheit Betheiligten, d. h; der Seminaristen selbst, der bereits angestellten itlichen und Behdrden ihren Beifall gegeben. In den letzten Tagen nun ein dritter Reformvorschlag ans Tageslicht, der, basirend auf dem ‘iten Schriftchen, noch specieller,, mehr religidses Leben im Seminar irdert wissen méchte , dabei. aber freilich von vorn herein zugibt, dass das nicht trzwingen lasse, sondern lediglich abhénge von dem Sinn Geist derer, in deren Hinde man das erledigte Ruder lege. Fir dis- imarische Reformen ist auch der Schreiber von Nro. 3, und namentlich ischt er die Handhabung der in jeder derartigen Anstalt bis auf einen 'issen Grad nothwendigen dusseren Disciplin in der Gewalt einer aus inaristen gewahlten Jury. Ein nicht abler Vorschlag. Um die drei

* Die Rubrik ,Ajlgemeine Schulzeitung“ hatte im vorigen, wie jetzt gegenwirtigem, Hefte nur geringen Umfang, wesshalb sie im Decem- iefte um so starker und auch im Januarhefte ansehnlich sein wird. Zur ichuldigung sei bemerkt, dass der Herausgeber, nachdem er in den bstferien den Strasshurger Congress und Baden-Baden besucht, auf der kreise erkrankte und vierzehn Tage in Zirich an keine Arbeit denken te. | D. H.

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genannten Schriften nun gruppiren sich alle vorhandenen Ansichten, Winsche und Hoffnungen aber und fir das Seminar, so jedoch, dass Nro. 2 und 3 sich leicht in eine Meinung werden vereinigen lassen, um ibres Sieges tber Nro. 1 desto sicherer zu sein. Erwarten wir, was die Zeit bringt, oder vielmehr, was die Behérden than. Reformvorschlage sind'nicht schwer zu machen; zeitgemisses -Reformiren selbst ist ungleich schwieriger. Dass aber etwas zu reformiren ist, scheint klar zu sein, und zwar nicht blos io dusserlich disciplinarischer Beziehung. Nach unserer Meinang werden wohl Nro, 2 und 3 in ihrer Grundansicht den Sieg davon tragen und mit Recht.

(&. Bewahranstalten etc.) Unser Land ist wobl reicher ao wohlthatigen Erziehungsanstalten, als die meisten andern, und es asst sich diess mit Zab'en nachweisen. Vielleicht, dass wir es bald than, Fir diess- mal nur die Nachricht von zwei neu ins Leben getretenen derartigen An- stalten, die wir aus Offentlichen Blattern entnehmen:

1. Die Rettungsanstalt Sophienpflege in Lustnaa bei Tabingen. Einem Vereine edler und thatkraftiger Manner in Tabingen is es gelungen, die schénen Klostergebéude in der Ausmindung des Beber- hduser Thalgrundes gegen Lustnau nebst'den dazu gehérigen Grundstickea _von der Staatsfinanzverwaltung zu dem Zwecke der Errichtung einer Ret-

. tungsanstalt far verwahrloste Kinder zu erwerben. Die Zéglinge sollen in derselben auf die Grundlage einer christlichen Erziehung far die Pflichten ‘und den Beruf ihres spateren Lebens herangebildet werden. Die Stelle der Hauseltern ist einem Schullebrer mit seiner Gattin ibertragen, welche beide, mit freundlicher, treuer Liebe an den ihnen zugewiesenen Kindern hin- gend, Lehrer, Erzieher und Eltern zugleich far dieselben sind. Zur Ueber- wachung der Ordnung, besonders ausserhalb des Hauses, sowohl als Be- gleiter der Kinder, als auch Nachts im Schlafsaale der Knaben, hat die Anstalt noch einen zweitcn Aufseher angenommen, Dadurch wird erreicht, dass der Hausvater ungetheilt dem Unterricht der Zéglinge und ihrer sitt- lichreligiédsen Erziehung sich widmen kann, dass aber auch die andere fir das Leben so wichtige Seite nicht verkimmert wird, dic dussere Ordnung, Reinlichkeit, Anstelligkeit, Gewandtheit und Thatigkeit. Wie wohlthatig diese harmonische allseitige Ausbildung der geistigew und leiblichen Gaben nnd Krafte dieser Kinderwelt auf die Einzelnen zurackwirkt, lasst sich aa dem geordneten und bescheidenen Verhalten und an dem so frohen glick- lichen Aussehen der Kinder. nicht ohne Beifall und Rahrung wahrnebmes. Gleich gehorsam und freudig eilen sie zum Gebet und zur hauslichen An- dacht, wie zur Schule, zur Hausarbeit, zu Spiel und Erbolung. Zu den weiblichen Arbeiten, wie zum Kouchen u.s. w., versammeit die Hausmutter die Madchen um sich; zu den dbrigen dkonomischen Geschaften, Garten- arbeit, Holzspalten, halt der Aufseher die Knaben an; zum geistigen ewi- gen Lebensberufe versammelt alle die Schule. Die piinktlichste Ordnung und eine musterhafte Reinlichkeit erfreut den Besucher beim Eintritt ia das Haus, wie in allen Raumen desselben. Gewiss wird diese Anstalt ihr schénes segensreiches Ziel erreichen, aus den verwahrlosten Unglick-- lichen, die sie erhalt, geordnete und brauchbare Menschen, treue Dienst- boten und dereinst glickliche Birger fair diese und jete Welt zu gewinnen. Moge die Liebe und Treue, die das Werk ins Leben gerufen hat, fort und fort reiche Quellen der Wohlthat und des Segens finden!“ Zum Besteo der Sophienpflege ist dieser Tage eine sehr empfehlenswerthe kleine Volke schrift erschienen: ,Johannes Osiander. Eine Volksschrift, worin erzabl

- wird von einem wirttembergischen Magister, der nachcinander Professor, Oberkriegscommissir, Oberkriegsrath, Commandant des Schlosses und det Stadt Taibingen, Pralat, Director des Consistoriums, Geheimerrath etc, ge- worden ist, und sich insbesdhdere in schweren Kriegszeiten als Beschitzer und, Retter der Stadt Tabingen grossen Rahm erworben hat. “Von Pfarrer Schmidt. Tab. bei Fues. S, 32, Br. 9 kr.“ Wir besitzen von demselbes Verfusser bereits eine sehr gut geschriebene und vom wirtt. Volksschul- verein gekronte Arbeit: Das Leben Herzog Eberhardts im Bart Stuttg. bei Kohler 1841. .

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2. Das israelitische Waisenhaus Wilhelmspflege in Ess- lingen. Zur Erinnerung an das Regierungsjubilium unseres Kénigs baben die Israeliten des Landes (ausser ihren Beitragen zu der allgemeinen Landes- stiftung sus Veranlassung jener glicklichen Feier) durch freiwillige Bei- trdge der einzelnen einen Fonds gestiftet, um far die , bisher den verschie- denen israelitischen Lehrern auf dem Lande zur Verpflegung und Erziehung anvertrauten israelitischen Waisen ein eigenes, gemeinschaftliches Waisen- haus zu griinden, Mit diesen Geldern wurde ein geeignetes Haus nebst Garten zu Esslingen angekauft, dasselbe in guten baulichen Stand far seinen Zweck hergerichtet und die innere Einrichtung einfach, bescheiden, aber durchaus zwekdienlich angeschaift. Hiefir musste freilich ein Theil der bisher von dem schon seit langerer Zeit bestehenden Verein fir Versorgung israel, Waisen ersparten Gelder verwendet werden , doch bleibt besonders in Folge eines neuerlichen betrachtlichen Vermachtnisses der Anstalt immer noch ein kleiner Fonds, und fair Deckung der grossen Ausgaben, die ihr obliegen, darf sie wohl mit Zuversicht auf das fort- dauernde Wohlwollen und die Beitrage ihrer Gonner und der Vereinsmit-

lieder zaéhlen, Bei der Einrichtung des Hauses zahlte der Vérein 27 Pileg- - inge (arme jidische Waisen und verwahrloste Kinder) beiderlei Geschlechts, welche vorzugsweise der Obhut und Erziehung des von dem Vereinsaus- schusse als Hausvater angestellten Lehrers anvertraut sind, Ueberdiess ist ein Aufseher fir die Knahen und eine Aufseherin fir die Madchen aufge- stellt. Die Einweihung, welcher der Ortsvorsteher und Mitglieder der stédtischen Behérden von Esslingen und mehrere héhere Staatsbeamte an- wohnten, war einfach, aber herzlich und ergreifend. Es hatten sich Israc- liten’ aus allen Theilen des Landes dazu eingefunden. Nach beendigter Feierlichkeit (Reden und Gesang) besuchte eine grosse Auznhl von Waisen- freunden aus allen Standen die verschiedenen Sale, die Schlafgemiicher und Lehrzimmer der Kinder, Hof und Garten, oder sah die Kleinen zu Mittag essen und ergétzte sich an der Munterkeit und Fréhlichkeit der armen Waisen. Jeder Menschenfreund wird das fortdanernde Erblahen dieser wohlthatigeu vaterlandischen Anstalt mil Freude und. Befriedigung vernehmen.

(Volksschul- und Gesangbuchsache.) Stuttgart. Der wartt. Volksschulverein, der am 1, und 2. Oct. dahier seine Jahresver- ‘sammlung hielt (er zahlt iber 100 Mitglieder, meistens Geistliche), setzte cinen Preis von 350 41. fir die Abfassung eines Sprachlesebuchs aus, das neben der Bibel so soll eingefiihrt werden kénnen, dass der Gebrauch jener mehr blos auf den eigentlichen Religionsunterricht beschrankt wirde, In einer am Oster- montag zu Esslingen abgehaltenen Versammlung von Mannern aus dem Schul- fache war beschlossen wordén, an die Stelle des seit 1828 bestehenden har- monischen Satzes den vierstimmigen Kirchengesang einzufihren, und gleichzeitig ein Ausschuss von 7 Mitgliedern erwahlt, um die schon 19 Jahre in der Choralbuch-Angelegenheit thatigen Musiker: Kocher, Silcher und Frech in der Bearbeitung eines nenen Choralbuchs und zwar vorerst in der Form von Singheften fir das Bedarfniss der Kirchengesang-Vereine zu unterstitgen. Das Ministerium des Kirchen- und Schulwesens hat nun die Genehmigung des Statuts, so wie seinen Schutz fir die Bestrebungen des Vereins ertheilf. Die Einfahrung unseres neuen Gesangbuches in Schule und Kirche schreitet erfreulich vorwarts; namentlich verbanden mehrere Geistliche auf eine sehr zweckmassige Weise mit der Feier der Uebergabe des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses am 5, Sonnt. p. Trin. den erstmaligen dffentlichen Gebrauch dieses iicht evangelischen Kirchen- boches, wozu vornehmlich die Erfahrung ermuthigte, dass, wo immer das- selbe in einer Gemeinde naher bekannt wird, durch die jedém Freunde krdftiger Geistesnahrung in die Augen springende Gediegenheit desselben etwa noch vorhandene Vorurtheile schnell beseitigt werden. Hier, in unserer Residenz, wird es am ersten Advent allgemein eingefihrt.

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524.

Il. Uebersichten.

I. Webersicht der Zeitschriften.

Die Suspension des Oberlehrers am Kneiphdfischen Stadt-Gymnasium zu Konigsberg in Preussen, Hrn, Dr. Witt, hat Aufsehen gemacht und neben einer Menge von Zeitungsartikeln bereits eine Broschire hervorgerufes,

Die Padagogische Revue wird selbst im Falle sein, den Fall zu be- sprechen; vor der Hand geben wir hier eine der Berliner Litterarischen Zeitung vom 26, Octbr. entnommene Kritik der Broschire. Der Verf. der Kritik ist wahrscheinlich ein hoéherer Beamter des Ministeriums und seine Kritik insofern wichtig, als sie uns mit der Gesetzgebung uber den Gegenstand bekannt macht. .

Was bestimmt das Gesets aber die Absetsbarkett der Geistlichen und Schul- lehrer? Ein juristisches Gutachten. Kénigsberg, 1842. 8. 24 S.

Seit der eingetretenen Censurerweiterung sehen wir das Interesse an den dffentlichen Angelegenheiten sich taglich mehren. Die eigenen Zustande, das eigene Staatsleben, die eigene Verwaltung, das eigene Recht sind be- reits und werden yon Tag zu Tag mehr die nachsten Objecte Sffentlicher Besprechung und damit allgemeinerer Theilnahme. Aller Anfang aber ist - schwer; wie sollte er es unserer Tagespresse nicht sein! Es feblt nicht an einseitigen Auffassungen, schiefen Darstellungen, beschrankten und unreiféa Urtheilen der absichtlichen Entstellungen, gehassigen Verdrehungen und offenen Ligen nicht zu gedenken ,. womit eine Reihe bekannter Tagesblatter die Ohten eines nach Neuigkeiten ladsternen Lesepublikums tagtaglich 2u kitzeln ‘sich zur Aufgabe gestellt hat. Vielen der neu aufgegangenen Pu- blicisten sieht man es denn auch gar bald an, dass sie ihre ersten Versuche machen und mit der Eierschale auf dem Kopf aus dem Neste gelaufen sind. Mit dem Pliegen gehts nicht, so kriechen sie auf dem Boden herum und bringen, unter grossem Geschrei, zur Publicitét, was sich dort eben findet, stempeln jede Bagatelle zur Zeit- oder gar Lebensfrage, Jedes neue Raths- patent zur Manifestation: eines Wechsels im Regierungssystem. So kommen

' Ereignisse, die sonst kaum in den nadchsten Umgebungen der unmittelbar

Betheiligten von sich reden machten, zur Publicitét durch ganz Deutsch- land, zu 6ffentlicher Erérterung nicht allein in Zeitungen, sondern auch ia besonderen Broschiiren. Zur Classe dieser letzteren gehért auch die obeo angezeigte Schrift, veranlasst durch die Suspension des Oberlehrer Witt 20 Konigsberg. Da der Verf. die aufgestellte Frage nicht als Publicist, soa- derp als Jurist behandelt, so begreift man kaum, wie er mit deren Beaat- wortung vierundzwanzig Seiten hat fillen kénnen. Der Breite ist mehr als der Tiefe, statt juristischer Scharfe finden wir eine ordinaére Advocates- Dialektik, Bevor wir naher auf den Inhalt eingehen, miissen wir dea Witt’schen Fall kurz angeben. So viel uns bekannt, ist derselbe einfach folgender: W. fungiite als Oberlehrer an’ dem Altstidtischen Gymnasium 30 Koénigsberg und tbernahm neben diesem seinem Schulamte die Redaction geschafte der Kénigsberger politischen Zeitung, ohne hierzu die Genebmi- gung seiner vorgesetzten Behérde wachgesucht zu haben. Das Ministeriom der Geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten hielt die Theilnahme des Witt an der Redaction dieses politischen Blattes fir unvereinbar mit dessea Beruf und Stellung als Lehrer und Erzieher der Jugend, und forderte ibs desshalb auf, dieselbe niederzulegen. Witt bestritt seiner hochsten vorge- setzten Behérde das Recht hierzu und setzte seine Redactionsgeschiafte fort. Das Ministerium suspendirte ihn desshalb ab officio und beautragte bei dem K. 0.-L.-Gericht zu Kénigsberg, als dem ordentlichen persénlichen Gerichts- stande des Witt, die Einleitung der gerichtlichen Untersuchung. Dies Verfahren findet der Verf. nicht gerechtfertigt, weil den Gymnasiallebrers die Uebernahme von Privat-Nebenbeschaftigungen im Gesetz nicht untersagt sei, den Witt also wegen Fortsetzung der Redactionsgeschafte kein Vor- wurf treffe, namentlich nicht der einer Insubordination, Er sucht diese seine Ansicht aus zwei neuern Gesetzen zu begrinden, aus den Cab.-Ordr. vom 13, Juli 1838 und 25. Juli 1840, Die erstere, meint er, binde swear

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die Beamten bei Uebernahme von Nebendmtern und Beschaftigungen an die Einwilligung ihrer vorgesetzten Behdrde , jedoch nur ricksichtlich eigent- licher Staatsimter, die letztere aber schranke noch diese Bestimmung wieder .. auf unmittelbare Stastsbeamte ein, wozu Witt nicht gehére. Auf diese Deduction ist zunichst zu erwiedern, dass der Sprachgebrauch zur Zeit noch Staatsimter nicht als blosse Beschiftigungen bezeichnet, jene Cab.- Ordre also, indem sie ausdricklich der Nebendmter und Nebenbeschaf- - tigungen erwahnt, nach gewohnlicher Verbalinterpretation, auf eigent- liche Offentliche Aemter nicht eingeschrinkt werden kann, ihre Anwend- barkeit auf den Witt'schen Fall aber durch die declaratorische Verordnung vom 25. Juli 1840 keineswegs ausgeschlossen wird, indem eine spatere Cab.-Ordre vom 25, August 1841, die der Verf. vergeblich unter einem blossen Circulay des Kénigsberger Provinzial-Schulcollegiums zu verstecken bemiaht ist, den Geistlichen, denen die Lehrer in Disciplinarvergehen durch- weg gleichstehen, oiime Unterschied, ob sie Kénigliche oder, wie Witt, Patronatstellen innehaben, die Uebernahme von Nebenamtern und Neben- beschaftigungen schlechterdings nur nach erhaltener Genehmigung ihrer vorgesetzten Behérde gestattet. Es ist daher unrichtig, dass den Gymnasial- . Lehrern die Uebernahme von Privat-Nebenbeschaftigungen im Gesetz nicht. untersagt sei, unrichtig also auch, dass Witt, ohne gegen ausdrickliche gesetzliche Bestimmungen zu verstossen, seine Redactionsgeschafte habe fortsetzen-kénuen. Ware dem aber auch nicht so, ware kein specielles Gesetz aber den beregten Gegenstand vorhanden, so wiirde diess in dem Witt’schen Fall durchaus nichts andern. Denn die’ Befugniss, daraber zu entscheiden, ob ein Beamter eine dauernde, fortlaufende, und wie im vorliegenden Falle, eine tagliche, seinem amtlichen Beruf fremde, ihn von dem Willen cines Dritten abhdngig machende Beschaftigung abernehmen k6nne, ist offenbar in dem Aufsichtsrecht enthalten und ganz untrennbar damit verbunden. Diess erkennt der Verf. insofern auch selbst an, als es ibm unbedenklich erscheint , dass Beschaftigungen von entehrendem Charak- ter von der Aufsichtsbehérde untersagt werden kdénnten. Dass er damit aber der Anfsichtsbehérde dbe:haupt das Recht zuspricht, dber dic Zulas- sigkeit der Privat-Nebenbeschaftigungen der Beamten in jedem einzelnen Falle zu entscheiden, leuchtet ein, weniger, warum er bloss die entehren- ‘den Beschaftigungen untersagt wissen will.’ Wir warden beispielweise der Meinung sein, dass die Functionen eines Lohnschreibers, Lohnbedienten, Aufwarters etc,, die doch an sich keineswegs cntehrend sind, mit Staats- &mtern nicht wohl vereinbar seien, immer dber. dafir halten, dass die Ent- scheidung je nach den einzelnen Fallen der Aufsichtsbehérde zu dberlassen, ein Satz, den der Verf. nunmehr vielleicht selbst unbedingt zugibt. War derselbe ubrigens unfahig, sich den Umfang des Aufsichtsrechts in Bezug auf Privat-Nebenbeschaftigungen aus dem Begriff und der Natur der Sache gur Anschauung zu bringen, so hatte er sich denselben an einem Beispiel aus seiner eigenen Berufssphire klar machen sollen, wir meinen an der Bestimmung, welche den Referendarien das Arbeiten in den Bireaux der Advocaten.untersagt. Aus dem desshalb ergangenen Rescript vom 16, Febr. 1804 hatte er sich auch aber den Begriff der Insubordination belehren und ersehen kénnen, dass, was freilich fiberdiess klar genug ist, darunter keineswegs. bloss der Ungehorsam bei den Amtsverrichtungen selbst, son- dern jede absichtliche Renitenz gegen bestimmte Befehle der Vorgesetzten za verstehen ist, indem sub Nr. 4. des gedachten Rescripts die-Nichtbe- folgung jenes Verbots mit klaren Worten als eine Verletzung des Pflicht- und Subordinations-Verhaltnisses -bezeichnet wird. Dass uhter diesen Be- griff die Handlungsweise des Witt fallt, wird ‘ausserhalb Kénigsberg denn auch wohl Niemand bezweifeln, Mit Bezug auf den tbrigen Inhalt der Schrift missen wir auch der Form des Verfahrens noch mit Wenigem Er- wahnung thun und zu diesem Behufe die einschlagenden Gesetze kurz an- fobren. Der §. 532. Tit, HI, Th. II. A. L. R. ermachtigt bei Amtsvergehen der Pfarrer die geistlichen Oberen zur sofortigen Suspension, zur Fahrung der Untersuchung und je nach deren Ergebnissen zor Amtsentsetzung. Den

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Pfarrern in dieser Beziehung gleichgestell wurden, wenn nicht schon durch die Cab.-Ordre vom 17. Octbr. 1805, so doch durch die von 10. Octbr. 1809, die Gymnasiallchrer, deren vorgesetzte Behdrden das Provincial- Schulcollegium und das Ministerium des Unterrichts sind. Diesen letzteren also steht bei Amtsvergehen der Gymnasiallehrer die Befugniss zur Suspes- sion zu, und zwar jeder dieser Behérden. Denn das Prov.-Schalcollegium ist an die Stelle der Consistorien, der geistlichen Oberen des A. L. RB, ge treten und das Unterrichts-Ministerium an die Stelle des Oberconsistoriuns resp. des ehemaligen Ministeriums des Inneren, denen die oben angefibr- ten Cab.-Ordres jenes Recht ausdricklich beilegten. Auch liegt es in der Natur der Sache, dass die Oberbehérde bei Sachen der Aufsicht uad Dir ciplin Gber die Beamten nicht weniger Befugniss hat, als die Unterbehdrde, zumal diese in blossen Aufsichtssachen den Anweisungen jener unbedingt Folge leisten muss, bekanntlich sogar in der Justiz, indem blogs die Enl- scheidungen durch Urtel und Recht der Einwirkung des Justizministers entzogen sind. Die Competenz des Ministeriums zur Suspension des Wit unterliegt daher in Gemassheit der allgem. landrechtlichen Bestimmung und der angefahrten Cab.-Ordres von 1805 und 1809 nicht dem mindesten Be- denken. Wir wirden diess naher auszufihren far unndthig gehalten haben, hatte der Verf. nicht versucht, durch Herbeiziehung uod breite verwirrende Darlegung eines andern Gesetzes (der Cab.-Ordre vom 12. April 1822) dem gegen Wilt eingeschlagenen Verfahren den Schein der Formverletzang 1 geben. Diess Gesetz bestimmt, dass den im Wege der Disciplinar-Unter- suchung von der Provincialbehérde abgesetzten Lehrern nicht mehr, wie nach dem A, L. R. die Provocation auf férmliche, gerichtliche Untersuehung und Entscheidung, sondern statt dessen der Recurs an das Ministerium und von diesem an den Konig zustehen solle. Gegen diese Bestimmung ereifert sich der Verf. sehr und erklart sie auf den vorliegenden Fall unter Andem desshalb fir unanwendbar, weil das Verfahren gegen den Witt nicht von dem Provincial-Schulcollegium, sondern von dem Ministerium ausgegangea sei. Es bedarf nun kaum der Bemerkung, dass von einer Anwendung jener Bestimmung auf den Wittschen Fall in seinem jetzigen Stadium g# nicht die Rede sein kano, Denn Witt ist bis jetzt blos suspendirt ond nicht, was die Cab.cQrdre vom 12, April 1822 voraussetzt, im Wege det Disciplinar-Untersnchung entsetzt. Was das Gesetz ihm versagt form liches gerichtliches Verfahren und gerichtliches Erkenntniss hat ihm das Ministerium aus freien Sticken gewdhrt. Dass aibrigens die Disciplinar- Untersuchyng unmittelbar von diesem letztern hatte verhangt und nicht destoweniger in der Recursinstanz hatte entschieden werden kénnen, unler- liegt aus den oben entwickellen Grinden keinem Bedenken. Versagen abe! kénnen wir es uns nicht, schliesslich das des Verf. anzufihren. Es bestebt darin, dass das Ministerium im Wege des Recurses nicht wiarde. entsebel- den kénnen, weil es selbst die Initiative ergriffen habe, mithin dem ersten Erfordernisse des Strafverfahrens zuwider Ankliger und Richter in einer Person vereinigt sein warde. Und der Verf, entblédet sich nicht, def- gleichen drucken zu Jassen? Das Zusammenfallen des Richters und Anklagers in Einer Person sollte ein Grund sein, die Competenz des Ministeriums auszuschiliessen ? Trate dieser Fall denn nicht auch ebenmassig ein bei der Provincial-Behérde, sofern diese das Verfahren erdffnet hatte, und tritf ef nicht fir gewéhnlich hier ein? Besteht hierin nicht gerade das Eigenthim- liche und das Wesen der Disciplinar-Untersuchung? Hatte der -Verf. jene Phrase nicht mit grossen Lettern drucken lassen, wir warden glauben, ¢& sei ein Druckfehler untergelaufen. So aber bleibt nichts dbrig, als ansa- nehmen, er habe sie entweder selbst gedankenlos geschrieben, oder fir ein gedankenloses Publikum, das bei solchen aufregenden Stichworten 80- gleich aber Despotismus und Rechtsverschrankung schreit, Solche Leset mag der Yerf. gewinnen, ruhige und einsichtige werden die Nichtigke! seiner Argumentation leicht durchschauen. Beklagenswerth aber bleibt ¢, ‘dass ein Mann von Fach, wie der Verf. zu sein scheint, sich daza her- ‘geben konnte, eine materiell und formell unzweifelhaft rechtmaéssige Maass-

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regel, dio im Interesse der Ordnung und Disciplin unabweishar nothwendig geworden war, Offentlich zu verdachtigen.

VI. Miszellen.

Die fanfte Versammlung deutscher Philologen und Schulmanner zu Ulm und fiber eine véllig neue Methode des Jateinischen Elementarunterrichts. "Von Prof. Dr. Eyth. | .

', Die diessjahrige Versammlung der deutschen Philologen (und Schul- , maoner *) wurde bekanntlich za Ulm gehalten, dieser ehrwirdigen alten’ Reichsstadt, welche sich auch bei dieser Gelegenheit ihrem Ehrentitel , einer guten Stadt“ gar wohl zu wahren wusste, Diese Stadt soll den Namen davon tragen, dass sie einst. V (quintae) L(egionis) M(ansio) gewesen war. Treffend wurde in einem Toaste darauf aufmerksam gemacht, wie auch jetzt wieder unter rémischen und griechischen Adlern die Ste Legion jhr altes Standquartier gefanden habe; denn es war zufallig die 5te Versamm- lung. Dieselbe unterschied sich von den friheren auf mebrfache Weise, Vor allem herrschte das siddeutsche Element schon den Kdépfen nach vor, was auf die Gemithlichkeit und freie Bewegung nur wohlthatig wiiken konnte, wie wir Sidlichen auf der andern Seite gerne gestehen wollen, dass wire im Durchschnitt an dusserer Form von unsern noérdlichen Bridern toch Manches zu lernen haben. Ausserdem waren so ziemlich alle gekrén- ton Hadupter, auch die gerne erwarteten, aus verschiedenen Grinden weg- geblicben, was einerseits nur bedauert werden konnte, andrerseits dieser ephemeren Gelehrtenrepublik anstatt der aristokratischen Verfassung eine wesentliche und angenehme Beimischung von Demokratie verlich. Indessen die Offentlichen Blatter baben bereits Manches berichtet, die Protokolle selbst wird man in einiger Zeit gedruckt erhalten; wir wollen darum nichts Ueberfliissiges thun. Wohl aber mag es etwa erlaubt sein, aber einen. Gegenstand einige Worte zu sagen, aber den eine genauere Debatte ge- fahrt worden scin wairde, wenn nicht die unerwartete Ankunft des grie- ehischen Staatsraths Schinas dazwischen getreten ware. Dieser mit Jubel .oufgenommene Gast, der als Gesandter dec athenwischen Universitat in anserer Mitte sich befand, theilte zu allgemeiner Freude einen ausfahr- lichen Bericht aber die Bildungszustinde seines Vaterlandes mit— ein Gegen- stand, gegen welchen natirlich jeder andere mit vélligem Rechte in den Hintergrund gestellt wurde.

Docb zar Sache! ** Neben mehreren Schriften, welche der Versammlung '-dedicirt warden, befand sich auch von dem Ref, eine kleine Schulschrift, welche kirzlich bei Chr. Belser in Stuttgart unter folgendem Titel erschie- nen war: Kteines lateinisches Elementarbuch nach einer vél- lig neuen Mothode bearbeitet von Dr. Ed. Eyth. (VI, 140 S. Pr. 30 kr., fir Schulen 24 kr.) Es war dabei meine Absicht lediglich, dem Vereine meine Hochachtung zu bezeugen, keineswegs die, irgend eine Streitigkeit hervorzurufen. Letzteres um so weniger, als ungefahr sechs Methodologen *** anwesend waren, welche schwerlich unter Einen Hut gebracht werden konnten, In der That war zu befiirchten, dass wir

* Diese Worte sind absichtlich in Klammern gesetzt, da die Interessen der praktischen Schulmaénner denen der héheren Philologie auf diesen Ver- sammliungen mehr and mehr zu weichen scheinen. (A. d. Verf,)

** Die Padag. Revue erwartet noch von anderer Seite her einen Bericht aber die in Ulm geépflogenen Verhaudlungen; fiber das Aeusserliche werden wir nach den Mittheilungen, die uns auf dem Congresse-in Stras-~ burg durch einige von Ulm kommende Freunde gemacht wurden, und nach © den Zeitungen nachstens einen kurzen Bericht geben. D. H.

7#@ Der Hr. Verf. erwabnt sich, den Hamiltonianer Hrn. Dr. Tafel, Hrn. Prof. Schwarz; aus dem Programm haben wir gesehen, dass auch Hr. Dr. Ruthardi aus Breslau anwesend war; wer sind nan die beiden andern Methodologen? Welche didaktische Principien machten sie geltend? D. H.

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neben das schéne Ulmer Minster mit unserer Sprachverwirrung noch einen babylonischen Thurm gebaut haben warden. Aber diess war nieht das, Einzige. Es liess sich noch mehr befarchten. Unter den sechsen befand sich namlich auch Hr. Prof. Schwarz von Ulm, welcher eine Bewillkomm- nungsschrift far die fremden Gaste geschrieben hatte, die darin etgentham- lich ist, dass der Willkomm in geistiger Weise far einzelne Theilnebmer ungefaéhr so beschaffen war, wie er in physischer Weise den Straflingen in einem Zuchthause bei ihrem Eintritt zu Theil wird. Ich habe ihm dieses persdnlich mit den gleichen Worten gesagt und kann es auch hier nicht zuricknehmen. Wenn z. B, der Hamiltonianer Tafel schon stark genug angelassen wird, so erhalt der bei uns als einer der ausgezeichnetetes Schulménner anerkannte Rector Schmid zu Esslingen die Versicherung: Schwerz nehme sich gar oicht die Mahe, seine Schrift zu lesen! Ist das ruhige Prifung? Ist das Humanitat? * Am schlimmsten wird Klumpp behas- delt, der komischer Weise mein , Nachbeter“ heisst, weil er gleichfalls, aber aus eigener Ueberzeugung, die Pflege des christlichen Elements* in den Gelehrtenschulen verlangt. Uievon schweige ich. Mir selbst warde’ zor Begrissung ,,eine Jerndische Schlange“ unter das Stadtthor zu Ulm gelegt. Sie hat mich aber auch nicht abgeschreckt, und, da ich ausserdem aa

persénlichem Umgange tberzeugt zu sein glanbe, dass Hr. Schwarz nor ,pro consuetudine sua“ und weil es so ,seine Art und Weise“ ist, in der

bewussten pikanten Weise schreibt, ohne es eigentlich so gar bése m

meinen, so gebe ich ihm hiemit die Beruhigung, dass mich auch jess

Schlange bisher weder gebissen noch gestechen hat. Der geneigte Leser

aber merkt nun bereits, warum eine methodologische Debatte von mir und

Anderen nicht gewanscht werden kunnte, und von dem Viceprasidentes

(Prof. Walz) fast mit Gewalt herbeigezogen werden musste. Es war gliick-

licherweise fast keine Zeit mehr Gbrig. Denn man _ hatte’ bei 6 Stunden . lang gesessen, gehért und gesprochen, Auch zeigte das Publikum sowoll unter als auf den Gallerien eine sehr begreifliche Neigung nach den Fleisch- topfen Aegyptens, welche bereits in der Nahe harrten, Somit wurde das Nothigste kurz abgethan. Der strenge Hamiltonismus musste sich voa

simmtlichen Uebrigen verleugnen lassen; Dr, Tafel, sein einziger Verfechter, berief sich auf ein zu bestellendes Gericht Gber die kinftigen Resultate | und der Viceprasident glaubte diess Gericht als ,Todtengericht“ bezeichaea

zu dirfen. kinige mich betreffende Angriffe warden nur nach Plankleratt

von beiden Seiten behandelt und endlich schied man so ziemlich einig fir

Kreusers Ansicht: dass fast bei jeder Methode durch einen gateu Lehrer

viel, durch einen schiechten wenig geleistet werde, und faigte nur noch

den Wunsch hinzu: dass demnach jede Methode fleissige und gute Repri-

sentanten finden méchte! ***

Soviel aus der Ulmer Chronik! Mir mége es jetzt erlaubt sein, neck

* Ich kenne die Schrift von Hrn- Schmid nicht; wenn es sich aber von einer neuen Darstellung oder Vertheidigung der Hamiltonischen s0g. Methode handelt, so kann ich es nicht inhuman finden, wenn Hr. Prof. Schwarz dic Lectaire derselben ablehnt, Es gibt Dinge’, die ein far alle- mal abgethan sind, wenigstens fir die Kundigen, Und wenn Etwas, 80 gehért dahin der Hamiltonianismus, D. Hi.

** Die Leute sind eben dber das Christliche im Christianismus nicht einig; ich far meine Person kann mir nicht vorstellig machen, dass all- jadische Mythen und Sagen, wie sie das A, T. und Hro. Eyths lat. Elemen- - tarbuch enthalten, mit dem Christenthum etwas zu schaffen haben. D. H.

** Ich bin fiberzeugt, dass Hr. Prof. Kreuser bei einem Glase Wein unter gutem Freunden gern gesteht, dass er sich iber Methodik des Sprach- unterrichtes nie den Kopf zerbrochen hat. Worte machen (,, Verba facere*) kann man freilich aber Alles, Wenn aber die Philologenversammlung sich bei Hrn. Prof. Kreuser’s Ansicht beruhigt hat, so condolire ich geborsamst, denn auf eine solche Ansicht kann nur ein Kopf kommen, der sehr schwach

und im logischen Denken ganz ungeiabt ist. ~ DA. Pa

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Einiges dber meine Schrift beizufigen, um das lehrende Publikum mit diesem neuen methodologischen Versuche bekannt zu machen. Bei der: - gewohbnlichen Flichtigkeit der Recensenten und ihrer Parteilichkeit in utramque partem thut man ohnehin besser, seine Schriften wo mdglich selbst anzuzeigen versteht sich mit Nachternheit und Anstand und ‘gedff- netem Visir,

_ »Ich setze einen Knaben etwa im Alter von 8—10 Jahren, der nicht alizuschnell nach Latium und in die Fremde getrieben wird, ehe er in seiner Mutter Zimmer die néthigen Schritte zu machen gejernt hat. Er muss. fertig lesen und schreiben kénnen, dabei auch durch Anschauungs- unterricht, biblische Geschichte and Aehnliches seinen kleinen Geist in Etwas genadhrt und geiibt haben. Und nun fahrt ibn der Weg von Deutsch- land nach Italien nicht unmittelbar, sondern dazwischen liegen die Alpen. Das will sagen: eine nicht ganz leichte Vorschule, die noch im deutschen Rayon liegt, aber den Uebergang bildet, ist unerlasslich, um nachher sicher und schnell weiter zu kommen. In dieser Vorschule soll er vor Allem dje Redetheile kennen lernen, soll in der Muttersprache decliniren und conjugiren, soll einen Satz bilden und auflésen, also im doppelten Sinne construiren lernen, Das wird freilich Zeit kosten und -sehwierig sein; es wird aber auch unendlich mehr Nutzen schaffen, als das mechanische mensa, mensae. Setzen wir: es gebe mit diesen Uebun- gen, fir welche in meiner Schrift einige Beitrage, meist in Memorialver- fen und Tabellen, gegeben sind, etwa ein Vierteljahr dahin, so mag man im sweiten Vierteljahbr zum ersten Cursus in der lateinischen Sprache weiter gehen. a ;

. Dieser erste Carsus besteht aus einem Stoffe, der vielleicht manchem.— Lebrer seltsam, vielleicht gar wieder mystisch und -pietistisch vorkommt. Er ist namlich aus dem Alten Testamente und zwar grdésstentheils nach der in 160,000 deutschen Exemplaren verbreiteten, in mehrere europdische - und aussereuropiische Sprachen tbersetzten, im Uebrigen héchst einfachen Calwer biblischen Geschichte entnommen, und warum denn diese Materie? Antwort: ich wollte und musste Geschichte geben, ,,Es gibt viele Ge- schichten!“ sagt man. Ich wollte zusammenhdngende Geschichte. Aehnlicher Rinwurf, Ich wollte Geschichte mit sittlichen. und religidsen Momenten, Abermals der gleiche Einwurf, den ich nicht bestreiten kann. Aber endlich. ich wollte bekannte Geschichte geben, und hiemit glaube ich durchzudringen; denn keine andere kann bei dem angenommenen Alter als gleich bekannt, vorausgesetzt werden * und wahr bleibt der Satz, der allzuawenig im Praktischen hervortritt: dass man das Unbekannte am leichtesten an dem Bekannten lernt. Dieser Satz gilt besonders beim Knabenalter, dem man die Schwierigkeiten noch nicht doppelt und dreifach, an Inhalt und Form zugleich, sondern einfach je an dem Einen oder Andern vorhalten muss. Also divide et impera!

Ist in der Vorschule gewissermassen’ der alten Methode gefolgt, nur

mit dem Unterschiede, dass es in der Muttersprache geschah, so. ehen -wir nun, wie gesagt, far das zweite Vierteljahr zu dem ersten | eareus der fremden Sprache tber, den wir den lexikalischenu nennen, _ © Wenn es nur darum zu thun ist, dass der Stoff bekannt sei, so liesse sich recht gut anders helfen. Man darf nur solche lateinische Geschichten geben, welche die Knaben zuvor deutsch gelesen haben. Ich glaube aber, dor Hr. Verf. tduscht sich hier. Nicht weil alltestamentliche Erzahlungen bekannt, sondern weil sie ,religids* sind, hat er gie benutzt. Wir Andern denken aber das, was religids ist, freilich anders; ich z. B. méchte die Phantasie keines Kindes mit Graueln, wie z. B. Isaaks Opferung (die freilich nicht zur Ausfihrung gekommen) besudeln, wogegen ich von der Selbst- anfopferung des Leonidas und seiner Gefahrten eine echt religidse und-tief sittliche Wirkung auf junge Gemither erwarte, weshalb ich denn auch die Herodotische Erzéhlung dieser That sowohl in mein Franzdsisches als in mein Deutsches Lesebuch aufgenommen habe.

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weil hier bloss die Aufgabe vorliegt: Worter zu lernen. Hier hat bloss das Gedichtniss zu arbeiten, welches unterstitzt wird durch dep Umstand, dass es nicht isolirte Worter, sondern Warter im Satze behalten soll® und zwar an einem bereits bekannten Stoffe. Findet hier eine gewisse Annéherung an die Hamiltonianer Statt, sofern auch wir eine Interlinear- Uebersetzung geben, so ist doch die Differenz noch grésser, als die Aehn- lichkeit, sofern wir uns nicht bestreben, einen vorgefundenen lateinischen Stoff mit daguerrotypischer Genauigkeit im Deutschen wiederzugeben, sone dern geradezu die Sache umkebren. Die Muttersprache ist das vermittelndé. Glied fiir die fremde, sie ist der Dolmetscher, und mass also dem Knabes verstdndlich reden, sie muss in ihrer Einfachheit und Natadrlichkeit mdg- lichet erhalten werden und Rom muss sich yorerst vor Germania beages. Ich gebe ein kurzes Beispiel:

_ Nachdem diess geschehen war, begrub Abraham seine Frau Sara_

Postquam hoo factum erat, sepelivit Abrahamus suam urorem Saran

bei lJlebron in der Héhle Machpela, welche dem mamrensischen Haine prope Hebfonem in spelunca Machpela, quae mamrensi hice: gegenaber gelegen ist.

exadversum stta est

Bei solcher Fassung hat der Schiler durchaus keine weitern Erklaranges nothig, um die vorkommenden Worter zu lernen und nur. dieses sol] er. Dagegen wendet man allerdings ein, dass die eigenthamliche Stellung der Worter leide, wie denn sepelivit vorn stehe, Ja dass sogar gramme tische Unrichtigkeiten hereinkommen, wie z. B..postquam factum erat stat factum cst. Ich muss sogar zugeben, dass noch gréssere néthig werden, wie denn die Construction des Accus. mit dem Infin., fir welche de Deutsche: dass setzen muss, nur etwa durch quod gegeben werden kana, das zuweilen diese Construction umsciiteibt. Pragt man hiedurch nich dem Knaben von Anfang an Falsches in den Kopf? Allerdings je nachdem man die Sache betreibt, naémlich wenn man darauf dringt, dass er die Sates als Sdtze‘memorirt und sie als Ganze aufsagen lasst; dagegen wen man bedenkt, dass er vorerst nur Worter, einzelne Waorter (went gleich im Satze) zu lernen: hat, und also in dieser Weise ihn auch abbdr, eo werden ihm die zuweilen nicht véllig wichtigen Verbindungen wedet zum lebhaften Bewusstsein kommen, noch zur andern Natur werden, utd der Vortheil, ohne Anstoss, ohne néthige Erlauterungen fortfahren s kéonen in Erreichung des ndchsten Zweckes, wird weit grésser seis, als der durch die Verschiedenheit der Sprachidiome herbeigefihrte Uebel- stand, welcher, gegen das Hamilton’sche Kauderwelsch gehalten, h6eb#t gering ist und zudem bald darauf sethe bestimmte Compensation findet Uebrigens ist uns bis dahin mit unserer Methode nicht einmal der Vorwerf gu machen, dass wir rerum novarum studiosi seien; denn in seiner neue- sten Schrift hat Dr. C. Pfaff von einem ,Grammatellas cum glosa almanica® vom Jahr 1501 berichtet, in welchem bereits ein dhnlicher Versuch ge- macht wird.

Und nun, nach Beendigung des lexikalischen Carsus ist die rechte Zeit gekommen, um die grammatische Formenlebre in ihrer systematiaches Ordnung beizubringen. Der Schiler soll jetzt Lateinisch decliniren, cor- jngiren und Aehnliches Jernen. In concreter Weise bat er aber die meister Formen schon kennen gelernt; somit wird er sie, an die deutsche Vor- sebule anschliessend, gar bald in ihrem Zusammenhbange begreifen und hiufig an dem zweiten Abdruck des lateinischen Textes ohne Interlinear- Uebersetzung selbst zusammenstellen kdnnen, einem Abdruck, der abrigess schon néthig war fair die Repetition der Wérter im ersten Cursus. Wit giauben gewiss, dass nach den gegebenen Vorarbeiten dieser zweite gram-

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* Dieser lexikalisehe Cursus ist wenigstens nichts Nenes. Absolut in derselben Art sind von Gouvernanten ein Unzahl von deutschen, franzési- schen und englisohen-Sprachbéchern far Kinder. bearbeitet. Es ist die Bonnenmethode. ; D. H.

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matisohe Cursus gleichfalls ia dem Laufe eines Vierteljahts beendigt sein kann. Zweokmassig wire es swar gewesen, wenn in unserer Schrift. dis néthigen Paradigmata etc. noch beigefiigt sein wirden; allein sie wire dadurch nur vertheuert worden und swar unndthigerweise, da der Schaler doch einige Monate nachher sich mit einer férmlichen Grammatik ver- sehen muss, |

: Endlich folgt der dritte syntaktische Cursus, welcher vielleicht am meisten Eigenthimliches bietet. Man erinnere sich, dass im ersten und sweiten Cursus allerdings die lateinische Sprache suweilen nach Stellung and Construction etwas beeintrichtigt wurde, Nun muss die restitutio in integrun erfolgen. Ks ist daher dem Texte des sweiten Cursus eine dritte

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Version geradezu gegeniber gedruckt, s. B. - Il. | |

Postquam hoc factum erat, sepe-;' Postquam hoc factum est, oder: livit. Abrahamas suam uxorem Saram | Quo facto, Abrahamus Saram uxorem prope Hebronem in spelunca Mach- prove Hebronem iu Machpela spe- pela, quae Mamrensi luco exadver- | lunce, luco Mamrensj opposita, se- sum sita est. pelivit.

. Hier het nan der Schiler die Aufgabe, nicht bloss sein Gedachtniss spielen su lassen, sondern selbstthatig seinen Scharfsinn su dben. Dean er soll vergleichen und die Unterschiede finden. So findet er denn statt postquam factum erat, nun factum est, oder gar quo facto, er @adet sepelivit anders gestellt, suam ausgelassen, uxorem Saram, spolunca Machpela versetst, statt exadversum sita beilaufig ein Synonymoh, und dazu das Participium. Sollte das nicht vor Allem eine. vortreffliche Denkibung sein? Und hat hier nicht det Lehrer Gelegenheit, alle méglichen Kigen+ thimlichkeiten der fremden Sprache zu berihren und zu erldutern? Und ist dieses nicht fair Lehrer und Schiler ungemein dadurch erleichtert, dass die Unterschiede der beiden Sprachen nicht sowohl in abstracter Regelform vorgebracht werden, sondern gleichsam in concreter Lebensform zur An- schauung kommen? Freilich ist diess noch keine zusammenhangende Syn- taxe; sie :oll es aber auch nicht sein, sie darf es nicht. Der Schiler muss suerst Einzelnheiten , aber die hiufigsten , wichtigsten, am meisten aus dem Leben der Sprache gegriffenen, sich bekannt machen; und soweit wollten wir ihn leiten; die systematische Syntaxe folge dann nach, in einem Ele- méntarbuche aber findet sie keine Stelle mehr.

Hoffentlich wird hiemit der Leser einen deutlichen Begriff von diesem méuen.methodologischen Versuche sich machen kénonen. Die in meinem Elementarbuche vorkommenden Zeichen werden sich selbst erldutern. Klei- nigkeiten, wie 2. B. dass ich das lat. Perf. als Tempus historicum nicht mit dem deutschen Perf., sondern Imperf. als deutschem Tempus histor. aber- setze, und Aehnliches rechtfertigen sich wohl ebenfalls. Beitrige, um die Grammatik auf dem Wege des Lexikons zu vereinfachen (indem z. B. parco nicht mit: schonen, sondern: Schonung geben, dbersetzt wird, wo- darch die Regel von parco mit dem Dat. unndthig gemacht ist), warden vielleicht Nachahmung verdienen.

- Doch genug! Ich will weder anpreisen, ndch auf fremde Urtheile mich berufen,* noch gemachte Erfahrungen als Zeugen citiren, sondern einfach

* Leider hat diess der Verleger des Eyth’schen Buches in seiner An- kandigung gethan, und zwar in einer Weise, die mir. nicht lieb sein kann, Er sagt némlich, ,,nicht nur Freunde hatten Hrn E. zur Herausgabe auf-

fordert, sondern sogar’ Feinde, wie z. B. Dr. Mager.“ Nun denkt aber edermann bei dem Worte ,,Feind,“ wenn auch nicht gerade Jeder weiss, dass es Particip von dem goth. A(jjan, dem ahd. off)ién = Abneigunog haben, hassen, ist, an einen solchen Gegner, der es aus Abneigung gegen den Andern ist, mit der Absicht ihm Uebels zuzufaigen. Ich far meine Person bia nie cinés Menschen Feind gewesen, manchmal Gegner, und auch nor selten Gegner von Personen, sondern meist nor dieser oder jener Ansicht

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vorlegen far das*allgemeine Urtheil. Moglicherweise ist auch der sa Grande liegende Gedanke besser, als-die Ausfihrung. Denn jener Gedanke liegt in der Natur, die ich an der Kinderwelt zu erforschen suchte, wie dem diess und Aehniiches schon friher im dritten Hefte meiner Schrift: Classiker und Bibel, und zwar in dem dortigen methodologischen Aufsatze ausfihr- licher dargelegt wurde, so dass ich dahin verweisen muss, Soviel also auf schriftlichem Wege za Erganzung dessen , was in Ulm wegen Mangels an Zeit nicht mehr miindlich dargelegt und besprochen -werden konnte. Mit Vergnagen, und nicht bloss der Symmetrie willen, ge- ‘denke ich hier am Schlusse meiner Zeilen, wie an ilirem Anfang, noch mals jener schénen Tage, wo Wissenschaft und Leben, Ernst und Heiter- keit in so lieblicher Weise sich vereinigten, gedenke an das: ganw grosse Corpus philologorum, das an Moser ein ,hohes Haupt,“ an Kreuser noch éaza ein vortreffliches Mundstiick, an Kampanis den antiken Bart, a den Secretéren Pahl und Fortsch eine Acissige Hand, an dem Geschaftsfabrer Hassler einen regsamen Fuss hatte. Die Uebrigen bildeten Aug’ und Otr, zuweilen nach der Ulmer Weise fast auch den Magen. Mdgen solche Ver- eine immer nur auch das rechte Herz und die rechte Seele finden!

in dieser oder jener Person. Ich bin sogar denen nicht ,,Feind“ geworden, die, weil ich einer oder der andern ihrer Ansichten entgegentreten musste, gegen mich als Feinde sich betragen haben. Hatte Hr. Eyth die Anzeige seines Verlegers zuvor durchgesehen, so war diese Bemerkung unndthig, _ 80 aber war ich sie mir schaldig. Hoffentlich wird es mit der Zeit se ' einem Fundamentalartikel des litterarischen Kriegsrechtes bei uns werden, dass man eines Mannes Ansichten bekampfen und persénlich von den freund- lichsten Gesinnungen gegen ihn erfallt sein kann. os .

ERSTE SECTION. Abhandliungen.

Ueber die dem weiblichen Geschlechte zuge- sprochene Fihigkeit zum Unterrichten in wis- senschaftlichen Disciplinen in der Schule. * Von J. H. Schulz,

Oberlehrer an der kénigl, Real- und Elisabethschale in Berlin.

Als ich vor einigen Jahren es versuchte, den Mitgliedern der Berlinischen padagogischen Gesellschaft meine ,Gedanken . fiber die dem weiblichen Geschlechte zugesprochene Fahigkeit zum Schulunterricht in wissenschaftlichen Disciplinen mitzu- theilen, machte ich die freudige Erfahrung, dass dieselben mit allgemeinem Wohlwollen, mit fast ganzlicher Einstimmung der anwesenden Mitglieder aufgenommen wurden. Nur Hr. Rector Bormann, Director der Friedrichstadtischen héheren Téchter- schule und zugleich auch des mit dieser Anstalt verbundenen Seminars fiir Lehrerinnen, hielt es fiir seine Pflicht, einen Versuch zu machen, ob es ihm nicht gelingen méchte, mich in den verschiedenen Punkten, welche ich als Griinde hingestellt hatte, aus deren Beriicksichtigung ich das weibliche Geschlecht nicht fir befahigt zum Unterrichte in wissenschaftlichen Gegen- stinden in der Schule erklarte, zu widerlegen. Es wurde zu diesem Zwecke die nachste, vier Wochen spiter stattfindende Sitzung bestimmt, zu welcher sich nicht nur sémmtliche Mitglieder der Gesellschaft, sondern ausser diesen auch noch eine nicht geringe “Anzahl anderer Schulmanner als Gaste eingefunden hatten, wo- durch der ganzen Sache eine bedeutend gréssere Wichtigkeit gegeben wurde, als ich sie mir bei dem Versuche der Zusammen- stellung meiner Gedanken fiber dieselben hatte denken k6nnen.

Bei der Eréffnung der Sitzung erklarte der zeitige Ordner,

* Der Hr. Verf. hat schon vor einigen Juhren aber diesen Gegenstand eine Abhandlung drucken lassen (Berlin, Hayn 1837), zu welcher die vor- liegende cin Sapplement ist.

Pidag. Revue 1842. b, Bd. V. 35

534

Hr. Director Dr. Di'este rweg, dass es wiinschenswerth sein

dirfte, wenn zuerst nur Hr. Bormann seinen Widerlegungsyer- such vortrage und Jeder der Anwesenden seine Meinung 80 lange zuriickhalte, bis der Kampf zwischen ihm und mir als beseitigt angesehen werden diirfe, was fiir uns beide natérlich nur erwiinscht sein konnte, insofern aus einer Unterredung selten etwas resul- tirt, wenn nicht Einzelne ihre Meinung ganz zu Tage fordem kénnen, sondern sich stets von den verschiedensten Seiten und darch die sich oft durchkreuzenden Bemerkungen .in ihrem ‘Ge- dankengange unterbrochen sehen. . Ungeachtet Hr. Bormann meinen Aufsatz einige Wochen in seiner Behausung gehabt, mithin jeden einzelnen Punkt des

selben selbst nach der Art seiner Verbindung und Folgerung 1u:

priifen und dariber adch mit Anderen zu Rathe zu_ gehen Ge- legenheit hatte, und ungeachtet es nach der Art des Einganges

in seinem Widerlegungsversuch, bei dem ihn der Hr. Schulrath’

O. Schulz, sowie theilweise auch Hr. Diesterweg ziemlich kriftig unterstiitzte, fir mich fast den Anschein hatte, als wiirde

es ihm gelingen, mich mit seinen Ansichten aus dem Felde 2

schlagen: so muss ich jedoch gestehen, ohne ruhmredig zu sein, dass es ihm io den Hauptpunkten gar nicht, und in nebensich- ‘lichen Dingen nur theilweise gelang, mich eines Besseren su belehren. Auch die Meinung der meisten tibrigen Anwesenden neigte sich auf meine Seite. Was Hr. Bormann also versuct,

was ich fast gefiirchtet, und was mir, wenn es aus _triftigen

Griinden hatte geschehen kénnen, gar nicht weiter unangenebm gewesen sein wiirde, war nicht gelungen; vielmehr war ich doreh’ die ganze Unterredung nur noch mehr in meinen Ansichten be- starkt worden, und glaubte in Folge dessen auch nicht den zahl-

reich an mich ergehenden Aufforderungen, meinen Vortrag drucken

zu lassen , ‘langer widerstehen zu diirfen.

Das Schriftchen rief einige andere Arbeiten hervor, yon denen mir bisher eigentlich nur zwei wichtig genug geschienen hahen, um sie zu beachten, da eine dritte von G. F. W. Gericke,

Vorsteher einer Lehr- und Erziehungs-Anstalt fir S8hne und

Tochter zu Berlin, in einem so unwirdigen Tone abgefasst ist, dass ich es meiner fir unwiirdig erachten muss, auf ihren. [n- halt naher einzugehen.

Die eine derselben, welche eine Lehrerin selbst zum Ver- fasser hat, findet sich im ersten Hefte des siebenten: Bandes der

535,

neuen Folge der ,,Rheinischen- Blatter* vom Jahre 1838, und ist, wie es sich yon einer Dame nicht anders erwarten lisst, zwar mit Lebendigkeit und Frische, aber doch mit Wiirde ‘und Massigung abgefasst, wiewohl fast in keinem Theile geeignet, mich von meiner Meinung abzubriugen oder mich zu iiberzeugen, dass ich mich so ganz im Irrthume befunden hatte. Vielmehr gibt sie Vieles von dem zu, was ich behauptet habe und beschrankt sich im Ganzen auf den einen Punkt, dass es keine unbillige Forderung sei,, wenn .man es wiinsche, auch dem weiblichen Geschlechte die Zoflucht zu lassen, sich im Falle der Noth eine anstandige Existenz zu sichern. Die Hauptsache selbst aber, um die es sich handelt, ist zu wenig beriicksichtigt, ‘da die geehrte Verfasserin sich so lange in Nebensachlichem aufhielt, wodurch fir die Sache nichts Sonderliches gewonnen ‘ist. Die andere ritbrt von dem Hrn. Schulrathe O. Schulz, dessen ich kurz savor schon gedachte, her und findet sich in dem ersten Hefte des Schulblattes fir die Provinz Brandenburg vom Jahre 18388. Auch aus dem, was dieser fiber die Sache selbst sagt, habe ich keinen Grund hernehmen kénen, um mich .zu fiberzeugen, dass ich mich in der Darlegung der Griinde fiir meine Behauptung so sebr geirrt hatte, wie er es zu glauben scheint, und seine Ver- sucbe, mich zu widerlegen, treffen gleichfalls nur unvollkommen oder gar nicht zu, so dass ich noch immer hoffen darf, es werde bei griindlicherer Erwigung der Sache sich die Haltbarkeit meiner ° Behauptungen klarer noch herausstellen und die Wahrheit der- selben immer mehr bestitigen. -Seine Bemerkungen tragen iiber- haupt so ein eigenthiimliches Geprige von Ironie und wegwerfen- der Geringschatzung an sich, wie sehr viele seiner beurtheilenden Mittheilungen in dem genannten Blatte, und sollen, nach seiner eigenen Erklirung, nur eine Beruhigung far die Eltern, deren Téchter sich dem Lehrstande zugewendet haben oder noch zu- wenden wollen, und eine Befestigung des -Urtheils derer, die sich far das Lehrfach auszubilden gedenken, als auch der Schul- vorsteher sein, welche sich weiblicher Lehrgehiifen bedienen. Ich konnte. dieselbe daher auch als fair mich nicht existirend betrachten, wenn ich gewollt hatte. Indess das wollte ich nicht, um so weniger, als der Hr. Schulrath es nicht verschmaht hatte, seine Bemerkurigen an eipzelne meiner Behauptungen’ anzukniipfen, und mich selbst sogar einer falschen Auffassung seiner Aeusse- rung in der ‘genannten Sitzung zu beschuldigen, die ich hiermit 35 *

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entschiedéen auf ihn zuriickwerfen muss, indem ich an die Mit- glieder der Gesellschaft appellire, welche zufallig seme eigenen, Worte gehért baben. |

. Anderweitige Entgegnungen sind mir bisher nicht zu Gesichte gekommen, wohl aber habe ich von ausgezeichneten Manner miindlich und schriftlich Anerkennung meiner Behauptungen er fabren. Um so unerwarteter und auffallender ist es mir gewesen, dass Hr. Bormann in einer kurzen Andeutung ,,Geschichtliches iiber Bildung von Lehrerinnen* in dem Schulblatte fir die Pro- vinz Brandenburg im vierten Hefte 1841 auf-S. 420 die Bemer- kung macht, es sei bereits die Zeit gekommen, in der, schlager- der als durch Rasonnement, die Unhaltbarkeit der von mir auf gestellten Ansichten sich durch Thatsachen wiirde widerlegen lassen.» Und nun erzahit er, dass die mit der kéniglichen neuen Téchterschule auf der Friedrichsstadt verbundene Bildungsanstalt far Lehrerinnen mit dem Jabre 1842 in das zehnte Jahr ihres Bestehens getreten sei, dass sie wahrend dieser Zeit die Bildung von dreiunddreissig Lehrerinnen vollendet habe, und in diesem Augenblicke zwanzig Mitglieder zable. Von den ersteren, sagt _ er sodann, haben sich mehrere verbeirathet, andere sind an hiesi- gen und auswiartigen Schulen als Lebrerinnen thatig, noch. as- . dere, aber die geringere’ Zahl, wirken als Erzieherinnen. —, Nehme ich nun an, dass von diesen dreiunddreissig Lehrerinnea, welche wihrend einer Zeit von neun Jahren in dem Seminare gebildet wurden, sich sechs verheirathet haben und .sechs als Erzieherinnen thatig sind; so bleiben noch einundzwansig brig, also fair jedes Jahr etwa zwei, da von denen, welche gegenwartig noch Mitglieder der Anstalt sind, in dieser Berechnung nicht die Rede sein kann. Und unter solchen Umstinden glaube ich wohl hinsichtlich der Thatsachen, durch welche sich die Unhaltbarkeit - meiner Ansichten widerlegen lassen werde, vollkommen ruhig bleiben zu kénien!! Wenn Hr. Bormann’s Bemiihungen um die Bildung von Lehrerinnen, an deren Redlichkeit wohl. Niemand weniger zweifeln kann, als ich, in einigen Jahren kein giinstige- res Resultat ergeben sollten, dann werden die Besorgnisse, welche mit mir manche andere Padagogen hinsichtlich dieses verfehiten Strebens hegten, sich wohl von selbst beseitigen. * Dass Hr. B. es aber als einen schlagenden Beweis fiir die Unhaltbarkeit meiner

_* Ich gestehe, weder die eine noch die andere Argumentation au verstehen. Ob das Seminar in zehn Jahren zehi oder -hundert jange

;

Ansichten. apfabren kann, wenn man ia Frankreich mit dem Ge- danken umgeht, nach einem regelmiassigen Systeme welltliche Lebrerinnen su bilden, will sich mit meinen Begriffen nicht recht vertragen. *

Ohne die Einzeloheiten, von denen in meiner fritheren Ar- beit bereits die Rede gewesen .ist, hier umstandlicher noch ein- mal zu wiederholen, und der gegen des Hrn. Schulraths Arbeit bereits_in der Centralbibliothek von Brzoska gemachten Aus- _ Stellyngen weiter zu gedenken, will ich nur das beibringen, was: ich selbst seit der Verdffentlichung meiner Bemerkungen iiber den in Rede stehenden Gegenstand noch gedacht habe, und was mir su angemessener Begriindung meiner dort aufgestellten Be- hauptungen von Wichtigkeit erschienen ist. |

‘Wenn ich schon in meiner fritheren Darstellung es versuchte, in allgemeinen Umrissen die Geschlechtsverschiedenheit zwischen dem Weibe und dem Manne naher anzudeuten und in derselben einen nicht unwichtigen Grund fiir meine Behauptungen zu finden: so.bat es mir doch scheinen wollen, als wenn aus einer Zu- | sammenstellung der gefundenen Resultate im Gebiete der mensch- lichen Anatomie und Physiologie die feststehenden Abweichungen, welche. durch die Geschlechtsverschiedenheit an dem mensch- lichen Korper heraugtreten, deutlicher noch und klarer erschei-— nen werden, um zugleich auch aus denselben gewisse Resultate fir die ps. ycehische: Verschiedenheit beider Geschlechter mit vollem Rechte folgern zu diirfen.

* Es gebért namlich zu den allgemeinen Naturgesetzen, dass alle organischen Kérper von ihres Gleichen hervorgebracht wer- den, und wiederum*ibres Gleichen hervorbringen sollen, d. hb. zur Hervorbringung eines neuen organischen Wesens derselben Gatiung auf der einen Seite gehért die Idee der Méglichkeit, dass ein solches bervorgebracht und bestimmt zu eben demselben ausgebildet werden kénne, also ein Keim, der die einfachste Anlage zur ‘Kinftigen Frucht enthalt, und dann auf der andern

Madchen zu Lehrerinnen gebildet hat, was hat das mit der Frage xu schaffen, ob sich Frauen aberhaupt zu Schullehrerinnen eignen? . D. H.

* Kin Argument ists immer, denn man wird doch in Preussen nicht glauben,.die Franzosen verstinden gar nichts vom Schulwesen? Freilich ° maseen sie mehr von uns lernen, als wir jetzt von ihnen lernen kénnen, aber wir k6égnen Mancherlei von ihnen lernen. Indess ist ein Argument -der Art kein starkes Argument. . D. H.

038

auch die Idee der Verwirklichung jener Méglichkeit, der erste Anstoss, welcher das schlummernde Leben im Keime weckt, damit derselbe in der Bildung zum organischen, Wesen dersel- ben Gattung forischreiten kénne, woraus dann die Entsweiung der Gattung in die beiden Geschlechter, in das zeugende, Schaffende, und in das empfangende, bildende, oder was dasselbe ist, in das minnliche und weibliche sich von selbst ergeben muss.

Zwei polare Formen, die beiden Geschlechter sind es den- nach, welche zur Zeugung eines Individuums nothwendig sind. Von dem mannlichen geht der erste Anstess zur Fortbildung des Keimes aus, und haucht demselben gleichsam den Geist des Lebens ein; das weibliche dagegen ernahrt denselben bis zu der Periode, in welcher seine Individualitét zu dem Punkte ausge- _ bildet ist, dass er sich losfeissen kann von seiner bisherigen Ernahrerin, um sein eigenes mehr oder weniger selbststindiges Leben zu beginnen..

Solch’ ein gewisses Streben nach Trennung und Vereinigung herrscht durch die ganze Natur. Bei den meisten Pflanzen findet noch eine Vereinigung der beiden Geschlechter in einer Bléithe statt; auch bei den Thieren wird dieselbe hoch in einem und demselben Individaum wahrgenommen, aber sie gebért hier nicht mehr in demselben Grade zur Regel, vielmehr zeigt sich bei « den meisten Thiergattungen die Trennung beider Geschlechter als herrschend. Es treten demnach bei den Thieren die geschlecht- lichen Verhaltnisse am bestimmtesten hervor und offenbaren sich nach der Stufenreihe der Thierelassen in mannichfaltigen Ver- schiedenheiten unter einander, bis zu dem die héchste Stufe in der uns sichtbaren Schépfung einnehmenden Menschen.

‘Vor allen organischen Wesen ist aber der Mensch unter anderm vornaémlich dadurch ausgezeichnet, dass er nicht nur seinem eigenen Ich dient, sondern dass er der Menschheit angehort, nicht zeugt, um zu zeugen, und einer eiteln Lust su frdhnen, der er Befriedigung verschafft; er will vielmehr dem Menschengeschlechte dadurch niitzen und seiner Bestimmung, die ihm von dem Schépfer angewiesen ward, geniigen. Der Mensch dient mit Einem Worte seiner Gattung; wenn sein eigener Or. ganismus soweit ausgebildet ist, dass er fiir sich selbst nichts weiter zu erstreben hat. so tritt er im den Zustand der Zeugung.

* Die Grundcharactere beider Geschlechter, die aus ihrem Be-

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' griffe und ihrer Bestimmung nothwendig hervorgeben, schimmern in verschiedenen Graden von Helligkeit bei allen Gattungen leben- _ der Wesen durch, bis sie im Menschen .auf eine der mensch- lichen Wiirde angemessene Weise am hoéchsten gesteigert, und in den feinsten Schattirungen, sowohl im K6rperlichen, als auch bis zum-Geistigen fiberschreitend, sich am klarsten offenbaren. Schon im Physischen erscheint -dauher der Mann als der Krif- tigere. Das Weib dagegen tritt in séiner ganzen Erscheinung auf als das Zartere. | . : Demnach entspringt aus der Form des Mannes mehr die Idee der Kraft, aus der des Weibes mehr die der Schiénheit, und schon in dieser Beziehung gebiihrt dem weiblichen Geschlechte mit Recht der Name des schénen. Doch auch in physi-— scher Hinsicht tragt jegliches Geschlecht sein eigenthiimliches _Geprige. Der Geist des Mannes lautert sich immer mebr und mebr zu der ihm erreichbaren Vollkommenheit und Reife empor} seine Vernunft strebt darnach, die ihr gebiihrende Herr- schaft fiber die Sinnlichkeit. ihre Triebe, Begierden. und Lei- denschaften zu gewinnen; sie halt die Phantasie in den nothigen Schranken, durchschaut das Eitle und Blendende ihrer Gauke- feien , findet in den ernsten Angelegenheiten des Lebens, in dem Verkehr mit solider Wissenschaft und reellen Einsichten die _ ihrer wiirdigste Beschafligung; sie versenkt’ sich in die stillen -Tiefen der Forschungen nach des Lebens wahrer Bedeutung und des Daseins héherem Zwecke, und fahlt sich, frei von den be-. engenden Banden des thierisch-sinnlichem Genusses, sehnend em- porgehoben zu den héheren Regionen, in denen sie einst freier zu walten hofft. Das Weib dagegep ist mit seinem Geiste auf einen kleineren Kreis beschrankt, den es aber meist viel klarer tibersieht; es hat mehr Geduld und Ausdauer in kleineren Arbeiten, ist geschaftig immerdar in nimmer ruhender Betrieb- sainkeit, siedelt in seinem Innern der stiirmenden Begierde des Mannes gegeniiber die stille Sehnsucht an, sucht da zu erhalten, wo der Mann erwirbt, findet sein héchstes Gliick nur im stillen - hauslichen Kreise, beugt willig sein Haupt, wo der Mann sich dem Schicksale entgegenstemmt, und findet Trost und Hilfe noch bei den schwersten Leiden, die das Leben thm auferlegt in seinen sanft und still fliessenden Thranen. Auf diese Weise allein sprechen die wahren Charaktere bei- der Geschlechter sich in ihrer Gegenseitigkeit aus, wenn gleich

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die Individualitaten mehr oder weniger dabei zu beriicksichtigen sein werden, da die Erfahrung lehrt, dass leider oft die schénsten Organisationen nur einem kindischen: Wesen zur Hille dienen, . sowie nicht selten die volleste geistige Kraft an einer schwich-. lichen physischen Hille die sehr disproportionirte Begleiterin’hat- Wer es aber behaupten- wollte, dass der weiblichen Natur auf abnliche Weise eine Kraft inwohne, wie der manaolichen, wiirde nur seine Unkenntniss derselben an den -Tag legen.

Jener physische Hauptunterschied der beiden Geschlechter, welchen man schon sehr frih, selbst an Embryonen bemerken kann, tritt aber um so mebr noch heryor, je schéner der mann- liche und weibliche Kérper sich gegen die Jugendjahre hin ent- wickelt. Es ist aber, wenn man die Sache noch niéher be- trachtet, diese dussere Verschiedenheit in der Form des Rumpfes selbst nur der Ausdruck eines weit tiefer liegenden, urspriing- lichen Unterschiedes, Wie naémlich bei dem Manne die Brusthéble

" vorzugsweise entwickelt und ausgebildet ist, so ist es auch bei ihm das Athmungsgeschift iiberhaupt. Es geschieht das Athmen . in den grésseren, geréumigen Lungen vollétindiger, tiefer, die . Umwandlung des arteriellen in vendses Blut vollkommener, der Herzschlag kraftiger, daher findet bei ihm iberhaupt ein Vor. . walten des arteriellen Blutes statt, daher ein hdberer Stand des Lebensprocesses, gréssere Muskelkraft, straffere Faser, Neigung 2u entziindlichen Krankheiten. Bei dem Weibe ist es die Bil - dung, welche iiberwiegend ist, daher die Bauchhéble geraumiger, die Organe der Verdauung, namentlich die Leber yorzugsweise entwickelt, Athmen und. Kreislauf dagegen mebr zuriiekgedrangt, schwicher und unvollkommener. Die Bildung yon Nahrungsstoff tiberhaupt geht daher yollstindiger von statten, so dass Neigung zur Fettbildung (als Ueberschuss des Nahrungsstoffes) weit mehr, als bei dem Manne, vorhanden ist;. die Galle wird reichlicher ‘abgesondert, und. es findet ein Uebergewicht des venésen Blutes statt, daher im Ganzen ein weniger rascher Lebensprocess, ge- ringere Muskelkraft, weiche, nachgiebige Faser, Neigung su- Krenkheiten der Leber, zu Hemmungen des venésen Blutlaufes. und zu iibermassiger Ernibrung. . _ _ Dieser Unterschied im Vorwalten der Respiration oder der Ver- dauung, des arteriellen oder venésen Blutes, der héberen oder « niederen Stoffbildung ist..also die eigentliche fundamentale Ver- ‘schiedenheit des Geschlechts, sie ist im Embryo friher ausge-

. S4t ! ssprochen, als die Bildung derjenigen Theile selbst, auf welche znan sonst die eigentliche geschlechtliche Verschiedenheit zu be- ziehen. pflegt, und die Verschiedenheit des Geschlechtes geht wabrecheinlich erst yon ihr, als von ihrem tiefsten Grunde aus.

Allen diesen geschlechtlichen Verschiedenheiten entspricht nun aber, wie schon bereits vorhin angedeutet wurde, auch jener-psychische Unterschied, der dem verschiedenen Lebens- zwecke beider Geschlechter eben so gemiass ist, und sich schon im Kinde, wenn gleich in schwiacherer Andeutung, bemerken lasst. Der Mann ist mit seinem ganzen geistigen Streben nach der Aussenwelt hingerichtet, und er verlangt, diese selbst nach seiner Weise mitgestalten zu helfen; das Weib ist geistig mehr auf den engen Kreis der eigenen Persénlichkeit und der ihr zu- pachst stehenden. Lieben beschrénkt, und ist daher vermigend, ihren Lebenskreis weit mehr abzuschliessen und ayszufiillen, als es der Mann je bei der regsten Kraft, der vollsten Thatigkeit und dem giinstigsten Geschicke hoffen darf; der Mann kann sei- nen Zweck nur unter der Mitwirkung Vieler, ja seines ganzen Geschlechtes erreichen oder wenigstens zu erreichen streben, er kann sich daher auch nur als das Glied einer grossen Kette, nur als- Theil eines grossen gemeinschaftlichen Ganzen betrach- ten, wabrend das Weib in ibrem Kreise allein das Bild ihres ganzen Geschlechtes darstellt; denn. jede Einzelne erreicht als Hausfrau und Mutter das héchste Ziel, das die Natur jhrem ganzen Geschlechte vorgesetzt hat. Daher das ruhelose, nie be- granzte Streben des Mannes.und das Gefiihl nie erfallter Wiinsche ; dagegen die Ruhe und heitere Zufriedenheit des Weibes, selbst bei ausseren Bedringnissen, sobald ihm uur der dussere Lebens- kreis als Weib nicht verkiimmert ist. Aus diesem Grunde mussten dann auch wohl beim Manne die vorzugsweise der | Aussenwelt zugewendeten Seelenvermégen, Verstand und Wille, vorwaltend entwickelt sein, waihrend dagegen bei dem Weibe das Gemiith, die Beziehung der Aussenwelt auf die eigene Per- sdnlichkeit, vorherrscht; scharfe Trennung der. Begriffe, folge- rechtes Urtheilen und kraftiges Entschliessen ist nie eigentlich Sache des Weibes, wohl aber gehdrt diesem das dunkle Reich der Gefiihle an, in welchenr es von_unsichtbarer Hand meistens sicherer geleitet wird als der Mann von jenen Kriften.

Die Verbindung zwischen Leib und Geist im Menschen ist

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aber ein dem menschlichen Verstande so. unerforschliches Rath sel, dass es schon in den frihesten Zeiten zu den verschieden- sten Meinungen und Ausspriichen der Philosophen Veranlassung gab. Geben wir das Unerforschliche hier fiir unsere Betrachtung . auf, oder tiberlassen wir wenigstens das den Kreis menscblicher Erkenntniss tibersteigende den transscendentalen Wissenscliaften ausschliesslicher, so bleibt fiir uns nur noch die gegenseitige Einwirkung iibrig, welche der ganz unleugbaren, taglichen Er- fahrung gemass Geist ‘und Kérper wechselseitig auf einander austiben. | | Hier bemerken wir zuvoérderst, dass die geistigen -Féhig- . keiten sich nur mit der Vollkommenheit der kérperlichen Organe zugleich entwickeln, dass nur erst in bestimmter Zeit bei dem Kinde sich die Aeusserungen der Seelenkrifte’ einstellen , und auch von den spiateren Lebensaltern jedes seinen eigenthim- lichen Kreis geistiger Vermégen besitze. Ja es ist dieses Gleich- laufen geistiger und kérperlicher Entwickelung ein so bestimmtes Gesetz, dass ein unnatiirliches Vorauseilén der geistigen Ent- wickelung vor der kérperlichen entweder von Krankheit ausgeht, oder, wenn es kiinstlich erzwongen wird, zu ihr fibrt. Ebeo so seben wir, wie im tiglichen Leben die Geschifte des Kérpers den wesentlichsten Antheil an den Ktaften und Thitigkeiten der Seele zeigen und wie umgekehrt die Seele wieder auf das’ Ge- deihen und Befinden- des Kérpers den wesentlichsten Einfluss hat. Nach der Mahlzeit, also zur Zeit der Verdauung, finden wir uns meist unfahig, mindestens unaufgelegt zu geistigen Ar beiten, namentlich aber zu Anstrengungen des Verstandes; Mé- digkeit, Kalte, Hungex, und ahnliche Beschrankungen sind auch den Thatigkeiten des Geistes hinderlich. Der missige Genuss geistiger Getrinke erhéht die -Seelenkrafte fir eine Zeitlang, der . Rauseh steigert die Phantasie und den Willen bis ins Unnatir- liche und binterliss{ Abspannung, wohl auch bleibende Schwache und Lahmung der geistigen Thitigkeiten. Die Uebung der Seelenkrafte stirkt diese nicht nur selbst, sondern zeigt auch auf den Kérper eine giinstige Einwirkung, wahrend eine gans- liche Vernachlissigung der Seelenkrifte auch den K6rper selbst von seiner vollkommensten Ausbildung zuriickhalt, ihm den Che-- rakter der thierischen Natur einpraigt, der vorziiglich in den Ge- sichtsziigen, aber auch in der Haltung des ganzen Kérpers be-

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morkbar -ist. Im auffallendsten Grade kann man diess an dem kérperlichen Ansehen Blédsinniger bemerken. *

Es tibt demnach Geistiges und Korperliches im menschlichen Organismus ganz unléugbar die wesentlichste Einwirkung auf einander aus, mége auch der Grund, der dieses hinreichend er- lautert, noch so schwer zu erweisen, das Band, welches Geist und K6rper verbindet, noch so schwer zu erkennen sein. Ja selbst das, was man mit dem Worte Temperament zu be- zeichnen pflegt, sind nur gewisse, das Kérperliche und Geistige eines einzelnen Menschen gleichmissig betreffende Verschieden- heiten, welche. ihm angeboren sind, und nach welchen sich seine Art za leben und zu handeln, selbst seine Krankheiten richten. In den meisten Fallen ist das Temperament freilich nicht so deutlich und scharf ausgepragt, dass es sogleich in seiner Eigen- thiimlichkeit erkannt werden kénote; vielmebr ist es theils durch die Annaherung an ein anderes, also durch einen gewissen Mit- telzustand , verwischt, theils durch die Cultur mebr oder weniger ausgeglichen, da die Herrschaft desselben keineswegs eine so

a . . ra

* Mehr natirlich ond unbestreitbarer tritt diese wechselseitige Ein- . wirkang. von Geist dnd Kérper noch hervor, wenn man von dem gegunden Zustande des Menschen absieht und auf krankhafte Erscheinungen in dem- selben Ricksicht nimmt. Der Fieberkranke z. B. redet irre, tobt oder ist auch wohl geistig gelahmt aus rein kérperlichen Ursachen; der rettungslos liegende Lungensichtige ist von freudiger Hoffnung auf Genesung erfallt aod voll von Planen far die noch zu hoffende Lebenszeit ; ger an gewissen Krankheiten des Unterleibes, die an sich nichts weniger als gefthrlich sind, Leidende schwebt in bestandiger Todesfurcht und angstlicher Ver- zagtheit; ja manche Krenkheitszusténde stimmen unser geistiges Wesen so um, dass wir bei dem besten Herzen und dem gebildetsten Verstande un- sern Umgebungen im hdchsten Grade lastig werden. Bei den eigentlich sugenannten Geisteskrankheiten zeigt sich diess noch deutlicher, welche, wenn auch im Innern des Geistes durch Anlage begrindet, doch gauz offen- bar in den meisten Fallen durch kérperliche Zustinde hervorgerufen und ausgebildet werden, und zum Beweise dafar oft allein nach Hebung jener kérperlichen Zustande verschwinden , oft allein durch materielle Arznei- mittel zu heben sind. Auf der andern Seite bemerken wir eben so deut- lich, dass:von der Seele selbst aus nachtheilig auf den Kérper gewirkt, kérperliche Krankheit aus geistigen Ursachen erzeagt werden kénne. Lei- denschaften und Affecte kénnen in ihrem Uebermaasse Krankheit und Tod oft plétzlich (wie Schlagfluss, Obnmacht, Nervenkrankheiten) , oft auch allmalig (wie Abzebrungen, Lahmungen , Leberkrankheiten) herbeifahren; die ibermassige Anstrengung der Denkkraft kann die kérperliche Entwicke~ lung stéren, die Ernaéhrung des Korpers beeintrachligen a, 8. w.

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unbeschrinkte ist, dass sie nicht Fabigkeit zur allseitigen Au:- bildung und zur Freiheit des Willens zulassen sollte. Haben wir aber auf solche Weise erkannt, dass in dem gesammten Organismus der beiden Geschlechter sich so wesentliche Fun- damentalverschiedenheiten herausstellen, so darf es auch in dem Ferneren nicht auffallen, wenn sich demselben angemessen fir jedes eigenthiimliche Folgerungen herausstellen. . | Gesetzt, es waren die eigenthiimlichen Anlagen in beiden Geschlechtern dieselben, so muss doch, wie sich von selbst versteht, die gréssere kérperliche Schwiche, die von Natur bei dem weiblichen Geschlechte angetroffen wird, gar Vieles ver- indern. Und eben dieser Mangel an Kérperkraft macht es dem Weibe auch unméglich, weit aus sich selbst herauszutreten, mit - seinen Arbeiten viel zu umfassen, und sich gleichzeitig uber eine grosse Menge von Gegenstinden zu verbreiten. Darum setst ibm der bausliche Kreis in der Familie dieselben engen Grenszen, die ihm sein natiirliches Vermégen angewiesen hat, innerhalb desses es sich mit Ruhe und Besonnenheit: zu bewegen vermag. Um es aber schadlos zu halten fir jenen Mangel entwickelter Starke und eines grésseren Maasses von Kraft, sollte es mehr Innigkeil, mehr Gefiihl, eine regere Einbildungskraft und’ einen empféog licheren Sinn fiir das haben, was sich in diesem kleineren Kreise, in dem Leben in der Familie ereignet, d. h. es sollte die Welt des Gemiithes bei ihm reicher und lebensvoller sein als die des Erkennens und des Verstandes, da durch seinen zarteren Ner- venbau jeder leise Misslaut und jede feinere Harmonie dem 6Ge- fiihle leichter bemerklich werden. Das ganze Nervengebiude des Weibes ist durch die grossere Feinheit und Zartheit zu mebreren Schwingungen aufgelegt und als fluidum nervorum, wenn diess auch nicht ad oculos demot- strirt werden kann, dinner und beweglicher,. als dieses Alles im Bau des mannlichen Koérpers, welcher der Festigkeit, Be- harrlichkeit und Starke mehr bedarf, der Fall ist: Solche ver- gschiedenen Kérperbeschaffenheiten miissen dann natiirflich auch die geistige Kraft gar mannigfach bestimmen und Erscheinungeo ‘in der Natur der beiden Geschlechter hervorrufen, welche gat sehr verschieden von einander sind, die uns zugleich aber auch zu der Behauptung berechtigen, dass kraft der natiirlichen Be- stimmung das weibliche Geschlecht ausschliesslicher mit seiner Thatigkeit auf den engen Wirkungskreis in der Familie hinge-

. 545 wiesen,. aber keineswegs dazu berufen ist, auch seine Kraft so weit nach aussen zu verwenden, dass es in wissenschaftlichen Disciplinen in einer éffentlichen Madchenschule Unterricht ertheile. Wir. wollen es bier nicht weiter untersuchen, wie wenige won den Frauen, die sich in der literarischen Welt einen Namen erworben haben, seien es auch eine. Bailly, Carter, ‘Dacier, Ed- geworth, Gore, Martineau, Montague, More, Sevigné, Somer- ville, Staél; oder auch. eine Necker de Saussure, Niederer*® uv. A., sich zu Lehrerinnen michten geeignet haben, obgleich wir in der. Art, wie solche gelegentlich als ein Beweis weiblicher Gei- steastirke | vorgefiihrt ‘wurden, eine. hinreichende Veranlassung finden, darzuthun, wie gerade das leichte Extravagiren, das mit

sehr wenigen Ausnabmen fast bei allen weiblichen Heroinnen, |

upd der Mangel an Conseyuenz bei Verfolgung eines’ gewissen Zieles. sowie. das unsystematische Wesen, das dem ganzen Ge-

schiechte in. vorherrgchentiem Grade eigen ist, sie sehr wenig

fr einen solchen Beruf beféhigen. Nur gar zu leicht tiberlassen sie sich dem Spiele ihrer Phantasie, und zeigen eine gewisse Unsicherheit in dem, was sie wollen und was sie eigentlich miissten. Auch-die nicht unerfreuliche Wirksamkeit der. ,, Bonnes

Seeurs“, welche in Klosterschulen so haufig vorkommen, hat man’ _ uns entgegen gehalten, indess glauben: wir, dass solche in dem:

-Verhaltnisse, welches wir. zu besprechen und zu beleuchten uns

vorgesetzt hatten, gar nicht in Betracht kommen’kinnen, da ibre:.

pédagogische Wirksamkeit, wenn nicht ganz Nebensache, doch gewiss von geringem Belange ist; denn dass vielleicht Einmal Bine derselben mit giinstigerem Erfolge in ihrem Wirkungskreise arbeitete, als-ein schlechter Dorfschulmeister oder auch ein ab- gelebter, stumpfer Lehrer in einer Stadtschule , kann nicht als Norm, oder auch nur als Gegenbeweis fiir unsere Meinung gelten. Wir sprechen ja nur von der Regel und nicht yon Ausnahmen; und da méchte es denn doch wohl richtig sein, dass ein guter Lehrer mit seiner Thatigkeit in einer Mad- chenclasse bedeujend mehr zu leisten Vermag auf

* Ueber Frau Niederer kann ich Auskunft geben. Der Unterricht

in ibrem Institat wird von Lehrern gegeben, sie selbst erzieht. Will -

man gemitblich-didaktische Unterhaltungen mit den Zéglingen Unterricht nennen, so unterrichtet sie auch 4 la Socrate. Dagegen gibt. sie den Zéglingen, die sich unter ihr zu Erzieherinnen ausbilden, einen formellen Unterricht in der Kunst der weiblichen Erziehung und Bildung. 0D. H.

~

546

dem Felde des wissenschaftlichen Unterrichts,* als die beste Lehrerin.

Wir miissen daher auch an unserer gewonnenén ‘Ueberzet- gung einstweilen noch festhalten, und so lange mit Entschieder- heit behaupten, dass das weibliche Geschlecht nicht. dazu bert- fen ist, eine mebr Sffentliche Thatigkeit auszuaiben, wie der Beruf einer Lehrerin an einer 6ffentlichen Unterrichts- und Er. ziehungsanstalt, wofir wir doch auch unsere Madchenschulen ausgeben, es erfordert. Denn ganz, abgesehen davon, dass junge oder altere Damen sich auch den Vorrath von materiellem Wissen aneignen kénnten, der dazu gehért, um selbst mit Vortheil junge Madchen in den Elementen: der verschiedenen Unterrichtszweige, | welche in Madchenschulen behandelt. werden, zu unterrichten: so liegt doch. in der ganzen Art der Beschaftigung unleugbar etwas, das sich mit ihrer physischen wie moralischen Kraft nicht vertragt. Ein Heraustreten aus sich selbst ist durchaus nicht -Sache des Weibes und soll es nicht sein; denn warum wiirde sonst die mannliche Selbstindigkeit eines weiblichen-Wesens 10 unangenebm beriihren?** Der Beruf einer Lehrerin aber fordert diess und muss es fordern. —.

Méchten doch Andere, die sich berufén fihten, ihre Ge- danken iiber diesen Gegenstand auszutauschen , die Gelegenheit, welche diese Blatter darbieten,“** benutzen, und mich, fells es geschehen kann, von meinem Irrthume dberzeugen, falls ¢ es einer ist. Die Sache selbst ist Ja von Wichtigkeit.

* Und des Sprachunterrichts, erlaube ich mir binzuzasetzen , da man ie den meisten Lectionsplanen ja Sprachen und Wissenschaften treant. D. HL. *?* Das kéonte ja auch ein auf mannlichem Egoismus beruhendes (e- fahi der Manner, und, sofern es sich auch bei Frauen findet, eine Folge der ihnen von uns anerzogenen Vorurtheile sein. D. H.: _ #** Sollen offen stehen. ' - Pp. ob

ZWEITE SECTION. Beurtheilungen und Anzeigen.

B.° Hand-, Lehr- and Lernbiicher. ¥. °

Vie Perfecta und Supina der lat. Conjugation , nach den Analogien ihrer Bildung zusammengestellt von Dr. Christian Bossler, Lehrer am gross- herzogl. Gymnasium zu Darmstadt. Darmstadt 1842, #G, Jonghaus.

- 27S, 8. ' | Von diesem kleinen und niitzlichen Schrifichen, das far tinige Kreuzer zu kaufen ist, sagt das Néthige der Titel und las ‘kurze Vorwort. Hr. B. geht naémlich von der Ansicht aus, lass die Perfecta und Supina irgend einmal auf einer Unter- iehisstufe durchgegangen, auswendig gelernt und an Beispielen singefibt werden miissen. Er stellt. die Bildung der Perfecta ind Supina nicht nach dem Auslaute des Stammes, sondern nach Analogien zweckméssig zusammen, wodurch dem Anfanger Ueber- sicht und Auswendiglernen sehr erleichtert wird. Wenn freilich ahsre Grammatiken in dem Stick eingerichtet waren, wie sie sollten,-so ware das Schriftchen entbehrlich, denn es ist nicht su loben, dass die Schiiler neben ihrer Grammatik noch Schriften kaufen miissen, um Theile dieser Grammatik besser zu verstehen und verniinftiger zu lernen. Hr. B. hat die fraglichen Formationen den vier Conjugationen untergeordnet, gibt die Grundsitze der Bildung der Perfecta und’ Supina zuerst tiberhaupt, dgnn die be- sondern einer jeden Conjugation an, und ordnet die Abweichungen in jeder Conjugation in Gruppen gut zusammengestellt ein. Als Probe geben wir die Eintheilung der. Perfectbildung der dritten Conjugation: 1. Perfectbildung auf si, 2. auf ui und vi, a. auf ui, b. auf vi; 3. Perfectbildung mit Dehnung des Stammvocales ; 4. Durch Reduplication. Ueber die Anordnung des Ganzen sind wenige Ausstellungen zu machen. Zu wiinschen ware, die gleich mit zu lernenden Composita waren vollstindiger. §. 14 erscheint unter den Verben, die Perfect und Supinum haben und nach careo, carui, caritum, carere gehen, auch cleo, ich bin warm, wovon jedoch das Supinum nie vorkommt, zwar wohl davon

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gebiidet caliturus. Eben so ist’s mit valere und mit ‘carere -selber, wo das Supinum nur wegen der Participbildung in urus von den Grammatikern angefihrt wird, welches hatte bemertt werden diirfen. Unrichtig ausgedriickt ist jedenfalls §. 15: wFol- gende setzen im Sup. die Sylbe tum (sum) -ohye.Bindevocal a den Stamm;: bei censeo (?), misceo, torreo wird alsdapp eine Buchstabenveriinderung nothwerdig.“ Ein’ Druckfebler ist S.8 | §. 17 palleso. .

Grammatisches Lehrbuch far den ersten Unterricht i in der hebraischen Spracke far Gymnasien und Universitaéten. Von H. W. J. Thiersch, Dr., Repet. und Priyatdocent in Erlangen. Erlangen, Enke. 1842. (XVI und 238 S. gr. 8.) . ° ,

Da das Hebriische nicht eigentlich um der ailgemeinen

Bildung willen, sondern mehr als Vorbereitung auf ein Beruls-

-studium Lehrgegenstand der Gymnasien ist, so muss es sich die

-Padag. Revue versagen, eine ausfabrliche Beurtheilung dieses

neuen Lehrbuches zu geben. Indem wir dasselbe kurz anzeigen,

bemerken wir, dass der. Hr. Verf. Sohn des Miinchner Phi- lologen einen Mittelweg zwischen Gesenius, Freitag und Ewald zu halten gesucht ‘hat. In der Elementarlehre schlieast er sich der Lehrweise der Rabbiner an, in der Formenlehre Gesenics - und Freitag, jedoch so, dass er alles dem Anfanger nicht gans ' Néthige tibergeht; die Syntax gibt in manchem § nur Resultate der Ewald’schen Forschungen, jedoch ist der Verf. aueh. seinen eigenen Ansichten gefolgt und hat in Begug auf die Anordoung des Stoffes die griechische Grammatik seines. gelehrfen Vaters gum Vorbilde genommen. -Er unterscheidet (Cap. V) Einfachen und Zusammengesetzten (VI) Satz, gibt im Einfachen 1. Ver- haltniss des Nomen zum Nomen (also das adnominale Verhiltniss, Becker's attributives), 2. Verhaltniss des Verbs sum Nomen -- richtiger wire: des Nomens zum Verb (also das objective und: adverbiale Verhaltniss, Beckers objectives); 38. Verhaléniss des Subjects zum Pridicat, also die Concretion, Becker's . pradi- catiyes Satzverhiltniss. Im sog. Zusammengeseizten Satz finden wir: zyerst die Syntaxis oder Unterordnung der Satze (das. Sats- gefiige),:‘doch redet der Hr. Verf.-nur von dem Relativam, Tem-

_ poral-, hypothetischen, Absichts- und Causalsitzen.: Der Syn-

taxis schliegst er an die Parataxis, die Gleichetellung der Satze (Becker's Nebengeordnete Sidtze). Wenn man einmal einen Fehler machen will, so .wird er geringer, weno man,: wie hier, die Pa

549 \

rataxis ans Ende stellt; Ref. begreift indess nicht, wie gelehrte Manner nicht langst eingesehen, dass die Parataxis sowohl im einfachen Satze (der Mensch denkt, Gott lenkt), als im Satzgefiige (der Arzt, den du gerufen hast, der aber nicht gekommen ist, war verreist) statt findet, also dem Satzgefiige nicht coordinirt werden darf. Zu bedauern ist, dass Hr. Th. neben der For- mationsiehre nicht in einem eigenen Capitel einiges. aus der Etymologik gegeben hat. Gibt er, wie er dazu Hoffnung macht, zu dieser Grammatik ein Lese- und Uebungsbuch, so diirfte das von ihm dargebotene Lehrmittel in vielen Schulen Eingang finden. Mer. Heyse’s deutsche Schulgrammatik. Dreizehnte verb. Aufl. Hannover 1842, Hahn'sche Hofbuchhdlg, (XX und 416 S. -gr. 8,) oo, Vor nicht ganz zwei Jahren zeigten wir die zwélfte Auflage dieses Buches an (Pad. Rey. Bd. II. S. 141—143); hier ist die dreizehnte. . Das Buch ist seitdem in den 6ffentlichen Schulen Baierns zufolge kéniglicher Entschliessung.zum obligatorischen Lehrbuche -gemacht worden. (Wie lange wird man in einigen deutschen Staaten das Schulwesen noch so 4 la russe regieren? | _In Frankreich ists schon arg, aber da lisst der Studienrath doch wenigstens ‘den Schulen noch die Wabl zwischen mehreren ,,ap- probirten“ Biichern. Ist denn das Schulwesen eine Sache, die man so schlechtweg administrirt wie die Finanzen oder die Polizeiangelegenheiten? Fiblt man’ den Unterschied nicht?) Wir ‘wiissten zu-dem, was friiher Gber die 12. Aufl. gesagt worden, bei dieser 13. Nichts hinzuzufiigen. Ein Schulbuch ist diese Grammatik nun einmal nicht, wenigstens kein gutes Schulbuch, weil sie fir untere Classen zu Viel gibt und der Lebrgang nicht elementarisch ist, und weil sie fir obere Classen nicht ausreicht; dass das Buch dennoch florirt, beweist nur, dass in keinem Berufe so viele Stiimper sind, als im Lehrerberufe. (Und in den Behérden, die .das Schulwesen yerwalten.) Wenn die Ubrmacher eben solche Stiimper waren und sich solcber Instru- mente bedienten, so wiirden unsre Uhren schén gehen. Dagegen .ist diese Grammatik jetzt auf dem besten Wege, solchen Leuten, © die keine Schiller mehr sind und der deutschen Sprache auch kein gelehrtes (philologisches) Studium widmen wollen, eine angemessene Unterweisung im Deutschen zu werden, und wir wiirden es schon fiir einen ganz artigen Fortschritt halten, wenn die Schullehrer, welche, wie Hr. Wurst u. A., deutsche «Elemen- Pidag. Revue. 1842. b, Bd. Y. 36

oo

550

tarbiicher schreiben, zuvor Alles lernten, was in diesem Buche steht. Was auch vielen Lehrern des Deutschen an deutschen Gymnasien und hoh. Bargerschulen nicht schaden kénnte. Im Einzelnen ist Manches richtiger als es sich bei Becker findet, z. B. die Lehre von den Temporibus S. 227 finden sich die drei Imperfecta und die drei Perfecta; ,er hat geleson“ ist hier wenigstens kein Praeteritum —- und so manches andre; dagegen ist die Eintheilung des Stoffes hochst confus, und hat der Hr. Herausgeber in diesem Stiicke von Becker noch Viel zu lernen. Die Verlagshandlung hat diese Auflage recht hiibsch ausgestattet und der Preis (20 gGr.) ist fir 26 Bogen sehr miassig su nennen. : ° , Mer.

| Stieffeltus, Lehrbuch der franzdsischen Aussprache. Dritte, verm. Aufl.

Berlin, H, Schultze, 1841. (XII und 227 S. kl. 8.)

Ref. erinnert sich dieses Biichleins schon durum mit Ver- gniigen, weil er vor finf Jahren eine Revision der zweiten Aut lage gelesen hat, wofir Hr. Stieffelius so gatig war, eine Revision des Tableau anthologique zu lesen. Die verschiedenen Schriften des Hrn.- Verf. Grammaire, Vocabulaire, la meilleure école de conversation francoise, Recueil de poésies, Manuel de lecture (Pad: Rey. Bd. Ill. S. 250—251) und ihre Richtung sind dem Publikum zur Geniige bekannt. Hr. St. gehért in gramme- tischer und didaktischer Hinsicht der alten Schule an; was wir | Jiingere Theorie nennen, ist ihm Luxus, er will rein praktisch sein; wir wollen zwar auch praktisch sein und meinen es su sein, aber wir sind es auf andre Art. Lehrer, welche. mit Hrn. St. auf gleichem Boden stehen, werden sich bei seinen Schul- biichern sehr wohl befinden Hr. St. ist selbst ein sehr.glick- licher Lehrer, namentlich leisten seine Schilerinnen Aussordent- liches und da Hr. St. zugleich ein sehr feiner Kenner der. franzésischen Sprache ist und in Bezug auf Geschmack und Ge- fihl fiir das was in der franzésischen Litteratur das Franzdsische zu heissen verdient, es mit jedem membre de I’Academie auf- nehmen kann; so werden auch solche Lehrer, die seine Lehr- _biicher in der Schule nicht gebrauchen konnen, wohl thun, sie zu lesen und zu excerpiren. Was denn dieses. Syllabaire insbesondere betrifft, so sind der Lesekunst (S. 1—79) Lese- tibungen (recht artige Lesestiicke), eine kleine Grammatik (S. 97—151) und wieder Lesestiicke mit Vocabeln und Erklarungen (4562 —214) angehingt. . Fir ‘Schulen, in denen man das frap-

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zdsische schon mit 7 Sjibrigen Kindern beginnt, wiissten. wir

kein besseres Buch zu nennen. | Mer.

Schifflin, Anleitung zur Erlernung der franzésischcn Sprache, Dritter Cur- sus: Syntax. Elberfeld 1840, Becker. (VIII u. 244 S. kl. 8.)

Wie zwischen Classen- und Fachsystem, so besteht auch ein Streit dariiber, ob man Qualitaéts- oder Quantitaétscurse machen soll. Die alte (und hoffentlich bald veraltete) Didaktik kennt im Sprachunterrichte nur Qualititscurse; zuerst lernt man die Aus- sprache, dann die Formenlehre, dann die Syntax u. s. w. Die neuere -unterscheidet Bildungsstufen und gibt auf jeder Stufe gewissermassen das Ganze, jedoch jedesmal anders und so, dass irgend eine Seite der Sache das Uebergewicht hat. Hr. Sch. hat eine Mitte zu halten gesucht. Sciner beiden ersten Curse erinnert sich Ref. nicht mehr genau; wenn mir recht ist, so. lasst sich schon der erste auf einiges Syntaktische ein, beschaftigt sich aber hauptsichlich mit den nothigsten Formen, wahrend der zweite die Formenlehre volistandiger gibt. Ref. verfibrt bekanntlich anders: auf der elementaren Stufe ordnet er die Formen der Syntax unter, auf der grammatischen Stufe erginzt er beides ,’ trennt aber nun Laut-, Formen-, Wortbildungs- und Satzlehre. Er wiirde also diesen III. Cursus vor den zweiten gestellt, dann aber im III. eine vollstandige Laut-, Formen- und Satzlehre, also- eine Grammatik gegeben haben. Was nun diesen dritten Cursus hesonders betrifft, so muss Ref. zunichst seine Freude dariiber aussprechen, dass endlich einmal wieder ein Mensch da ist, der selbst gedacht und sich nicht damit be- gniigt hat, die’ ,,grammaire des grammaires“ oder die ,,2rammaire nationale® auszuschreiben, oder, wenns hoch kommt, die Ent- scheidungen ‘der neuesten Auflage der Académie zu sammeln. Auch kénnen wir versichern, dass die Syntax hier besser dar- gestellt ist, als in sebr vielen dlteren und neueren Biichern, wobei es jedoch dem Buche schadet, dass es nur franzésische . Beispielsatze, nicht auch Stoff zu Uebersetzungen aus dem Deut- schen ins Franzésische gibt. Da Hr. Schifflin auch eine gréssere ,,wissenschaftliche Syntax der franz. Sprache“ heyaus- gegeben hat, so kénnen wir die Beurtheilung dessen, was in dies€m dritten Cursus neu ist, auf die Recension fenes Buches versparen, miissen aber Lehrer des Franzésischen vowdiufig auf jene gréssere Schrift aufmerksam machen.

36 *

¢

952

J. Lendroy, Elementarbach rar leichten, schnellen und grindlichea Erier- nung der franzésischen Sprache. Zweite verb. Aufl. Frankfart, Sauer- lander. 1842. (VIII and 303 S. gr. 12.)

Hr. Prof. Lendroy in Offenbach hat ftnfzig Jahre lang in der franz. Sprache unterrichtet und zeigt uns in diesem Elemer- tarbuch seine Weise. (Er hat auch an Curtmann’s Buche von dem nachstens Antheil.) Sie ist, wie man schon ver- muthen kann, die durch Meidinger und seine Nachfolger modif- cirte alte, und Hr. L. wendet dieselbe sehr geschickt an. Wenig Regeln was iiberhaupt das Beste ist, wenn der Lehrer in den organischen Gesetzen der Sprache nur ,Regeln“ sieht —; viele und recht instructive, dem gemeinen Leben entnommene Bei- spiele; ein Lehrgang, der zwar noch kein echt genetischer ist, aber doch auch nicht mehr ganz der synthetische das sind die Vorziige dieses Biichleins, das ausser der kleinen praktischen Grammatik auch noch deutschen und franzdsischen Uebersetzungs- stoff, eia doppeltes Worterbuch und eine Sammlung Gespriche enthalt, und dabei wohlfeil ist. (45 kr. 10 gGr.) Schulen, die von jungen Leuten besucht werden, welche am Franzdsigchen sich nicht eigentlich bilden, sondern das Franzésische nur 80 lernen wollen, wie sie bald darauf ihr Handwerk oder ihre Gast- wirthschaft, ihre Kramerei u. s. w. lernen, kann das Biichlein sehr empfoblen werden. Vielen Lehrern wird es iberdiess. an- genehm sein, zu vernehmen, dass Hr. L. sehr genau auf das halt, was die franzdsischen grammairiens der franzésischen Sprache vorgeschrieben haben. So z. B. tadelt Hr. L. (S. 128) den Gebrauch des absoluten Gerundiums im Franzésischen und nennt denselben, obgleich er sich bei den besten Autoren findet, unfranzésisch. (Die versuchte Begriindung es seien da zwei Nominative hitte er besser unterlassen, da das Subject der Gerundialverkiirzung, z. B. il ne laura pas, moi vivant, me vivente, ein absoluter Accusativ ist.) Wie Boileau dem Malherbe nachrihmt, dass _,il réduisit la Muse aux régles du devoir, so werden auch hier der franzésischen Sprache ihre Wege gewiesen, was vielen Lebrern grosse Freude machen wird, da ein siisses Gefiihl der Superioritét damit. verbunden ist, wel- ches z. B. des Ref. franzésisches Sprachbuch Niemanden -ver- schaffen kann.

~ 353

Exercices élémentaires‘de languo francaise, a l'usage des écoles primafres | de l’Alsace; d’aprés la méthode. de Seidensticker. Par un instituteur de Strasbourg. Strasbg., Levrault, 1844. (104 S. kl. 18.)

Vor einigen Wochen, da die Protokolle der diesjahrigen Versammlungen der beiden elsissischen Generalconseils bekannt wurden, haben wir wieder die késtliche Versicherung. gelesen, dass im Elsass das Primarschulwesen zwar Fortschritte mache, indess das Franzésische noch immer nicht in Aufnahme kommen wolle. Gott sei Dank, dass die elsissischen Bauern und Klein- sladter sehr hartképfig sind und ihre gute Hauptstadt - Strasburg nicht nachahmen, wo das Franzésische nahe auf dem Punkte steht, dem -Deutschen das Gleichgewicht zu halten..

Mr. J. L. in Strasburg denkt anders. Er beginot die Vor- rede zu seinem opusculum also:

L’enseignement de la langue frangoise a passé par le zdle éclairé de l’Administration supérieure dans les salles d’asile de PAlsace, ot malheureusement l’allemand est jusqu’au- jeurd’hui la langue exclusive du plus grand nombre.

Il est désormais du deyoir de chaque instituteur de faire tous les efforts, afin de donner le plus grand développement possible 4 l’enseignement de la langue nationale .... Man -‘michte. einem solchen Menschen, wenn er ein Elsasser, nicht ein Walscher ist, ins Gesicht spucken. Seien wir indess billig gegen die Elsasser. Im Mittelalter hat sie das deutsche Reich -nicht gegen die Unterdriickung des Adels schiitzen kénnen; ware es im Anfange des sechszebnten Jahrhunderts den Bauern ge- lungen, sich frei zu machen, so hatten die Franzosen nie das _ Elsass bekommen. Jetzt ist das Bewusstsein des gemeinen Man- nes verwirrt, uod in den Gemiithern der Gebildeten liegt die | Pflicht, die man dem Staate schuldig ist, mit der Pflicht gegen die Nation, zu der man gehért, in herbem Conflicte, ein Con- flict, den man 1814, oder doch 1815 hatte enden lassen sollen. Nicht auf die Elsisser wollen -wir schelten; an uns liegt die Schuld, an der Schneidereiwirthschaft unserer Diplomatie.

Der einzige Trost, den man als Deutscher beim Anblick des so herrlichen Elsasses und der braven Elsasser noch em- pfinden kann, ist der Gedanke, dass ein Stiick Nation ein zahes Leben hat. Auch wird dieses Leben noch jetzt, nach andert- halbhundertjahriger Vereinigung yon den franzdsischeh Franzosen deutlich empfunden. So vernahm Ref. vor zwei Monaten im

554 -

Casino zu Strasburg, dass die auch in der Pad. Revue (Bd. Ill, S. 590—594) besprochene Esquisse d’un systéme complet d’ir- struction et d’éducation et de leur histoire von Prof. Frit: beim kénigl. Studienrath nicht nur keinen Beifall gefunden hat, sondern es den Schullehrerseminarien formell untersagt worden ist, dieses Buch ihren Bibliotheken einzuverleiben. Das ist prichtig! Was dem Ref. aber eine unsagliche Freude gemacht hat, das ist das leur auf.dem Titel des Buches gewesen. Gott sei Dank, auch die gebildeten Elsisser sind noch keine Fran- zosen, das Franzésische ist ihnen noch etme fremde Sprache. Wenn wir indess noch 150 Jahre warten, dann fiirchte ich, sieht’s schlimmer im Elsass aus. Hora ruit. Mgr. Praktische Uebungen zur Jeichten und schnellen Erlernung der franzésischen Sprache, systematisch geordnet in drei Curse von Vastlles. Dritter Cursus. Hof und Wunsiedel, Grau. 1842, (280 S. gr. 8.)

Das Gute, welches wir seiner Zeit von den beiden erstea Cursen dieser Uebungen sagen konnten (Pad. Rev. Bd. IL S. 151 —'152), miissen wir hier wiederholen. Ganz besonders— ist es auch Hrn. V. nachzurihmen, dass der von ihm zusam-. mengebrachte franzésische und deutsche Uebersetzungsstoff nicht trivial, sondern meist gehaltvoll ist. Unndthig wire es gewesen, so oft die Religion der Philosophie als das Bessere entgegen- zustellen; einmal lisst sich beides gar nicht vergleichen, dann aber ist es. héchst iiberfliissig, in Bayern vor der Philosophie zu warnen. Bei einer neuen Auflage thite der Hr. Verf. viel- leicht wobl, in der Anordnung seines Stoffes mehr den Fortgang vom Leichteren und Einfachen zum Schwereren und Zusammen- gesetzten ins Auge zu fassen. So z. B. sind die Satze S. 145 unbedingt schwerer als: L’étude des langues éclaire l’esprit. Le soleil éclaire la terre etc., was sich S. 224 findet. Mer. . Ife, Deutsch -franzdsischer Sprachschatz. Berlin, Logier. 1842. (VI und

206 S. 12.)

Wenn man erwigt, wie wenig die jungen Leute bei der gewobnlichen Methode und bei den ordinaren Lehrbiichern an Vocabeln und Phrasen erwerben; wenn man dazu die Ditrftigkeit der Worlerpbiicher erwégt, deren sich die Schiller zu bedienen pflegen, und wie, wenig es Sache von Schiilern ist, ein Worter- buch und wire es auch ein gutes zu durchgehen: so muss man diese Sammlung willkommen heissen und den Lehrern anempfehlen, davon Gebrauch zu machen zuerst fur sich

555 _

selber,. denn sebr viele der Herren kennen wohl die ,,grammaire“ tant bien que mal, aber kein Zwanzigstel des Lexikons, es ist, © als ob die Worlter gar nitht zur Sprache gehérten.

Pod

Was man in dem Bichlein findet, wollen wir zeigen, indem |

wir ein paar Paragraphen (ein paar der kiirzesten) abschreiben.

Immer. Du magst immerhin etc. .Tu as beau parler, je n’en ferai rien. Er mag mich immerhin etc. Qu’il me haisse tant qu'il voudra. Immerhin, ich achte es nicht etc, A la bonne heure! je ne m’en soucie pas. OO

Inne. Die Feinde etc. Les ennemis occupaient- toute la province. © Sie hat etc. Elle sait parfaitement cette langue. Er | hielt etc. Il starréta au milieu de son discours. Du wirst es schon inne werden. Tu lapprendras bien. U. s. w.

Man sieht, hier ist fiir Viele viel zu lernen. | Ref. ist fiir seine Person von der Ansicht ausgegangen, man miisse auf der elementarischen Unterrichtsstufe schon die Schiller in den Besitz eines massigen Wort- und Phrasenschatzes bringen, © und so findet mam in seinem franz. Sprachbuche einen grossen - Theil der wichtigsten Redensarten, die sich auch hier finden, _ bur nicht alphabetisch, sondern grammatisch geordnet. Fir- die _ héhere Unterrichtsstufe ist auch Ref. der Ansicht,. die Onomatik miisse von der Grammatik getrennt behandelt werden, jedoch _ wiirde er einer solchen Onomatik nicht nach Art der Lexika und dieser Sammlung eine alphabetische Ordnung geben, son- dern den Versuch machen, aus den Bausteinen des Lexikons ein Gebiude zu machen. Natiirlich haben gar Viele nicht den allergeringsten Wunsch nach einem solchen Gebiaude, der Besitz der nothwendigsten Materialien geniigt ihnen. Solchen geniigt denn auch dieses Biichlein. Niitzlich wird es auch sol- chen sein, die System darin vermissen, so lange eine systema- tische Onomatik der franz. Sprache nicht vorhanden ist. Der Verleger hat das Biichlein recht hiibsth ausgestattet. Mgr. .

Bellengersche Methode, Vollstindiger Unterricht in der franzdsischen und deutschen Conversation. Gdnzlich umgearbeitet, verm. und verb. von J. G. Fries, Prof. in Paris, Verfasser einer franz. Gramm, u. 8. w. Bern, Jenni, Sohn. (X a. 241 S. 8.)

"Was. die Bellengersche -Methode ist, die, hier von Hrn.

Fries verbessert erscheint, weiss Ref. eben so wenig, -als er

weiss, wer Hr. Fries zum »Professor“ gemacht hat, Im ,»Al-

manach de Yuniversité royale de France .et des diversea établis-

956

sements d’instruction publique,“ der jedes Jahr bei Hachette

_erscheint, hat sein Name unsers Wissens nie gestanden. Uebri-

gens ist vorliegendes sehr nett gedrucktes Buch nicht echlechter und auch wohl nicht sonderlich besser als eine Menge abnlicher Biicher, und Leuten, die solche Biicher brauchen, 2u empfehlen. Wenn nicht der Preis den Unterschied wieder auf- hebt, so méchten wir sogar diese Gesprache dem Manuel von Coursier, das weniger Stoff gibt, und jedenfalls den platten Mo-

zin’schen Dialogues vyorzuziehen anrathen. Ob nicht dieses Buch |

schon auch in einer andern Ausgabe existirt, wissen wir nicht: es sollen Falle vorgekommen sein, dass Hr. Fries Ein Manv- script gleichzeitig an zwei Verleger ‘verkauft hat, so dass bei Lebzeiten seine Werke schon eine Ebre erleben, die sonst nur Schriften yon beriihmten Verstorbenen widerfahrt. Mer. Recueil de contes et de nouvelles pour la jeunesse. ‘Extraits des ouvrages des auteurs contemporains les plus distingués par J. J. Steck. Lissa, Ginther, 1840. (X u. 323 S. 18.) Die bis vor ungefahr zehn Jahren im Gebrauche gewesenen franzésischen Lesebiicher (z. B. Gedike, Hecker u. s. w.) und

»Handbiicher der franz. Litteratur* (z. B. Sieffert, Ideler und -

Nolte) schienen gegen 1830—31 langweilig- zu werden, und 80 kam Vielen der Gedanke, es einmal mit Ausziigen aus ‘zeitge- néssischen Autoren zu versuchen. So entstanden die Handbiicher von Kaumann, Hermann und Bichner, dem jiingeren Ideler * mein Tableau anthologique de la littérature francaise contemporaine darf ich nicht dahin zahlen, obgleich es ebenfalls nur die Litte- ratur seit 1789 darlegt, weil es von anderem Gesichtspunkte aus abgefasst ist; so entstand auch dieses Recueil, Hr. Steck ein Schweizer, der lange Jahre am Gymnasium zu Lissa lehrte, seit zwei Jahren aber in sein Vaterland zuriickgekehrt und an der biirgerlichen Realschule zy Bern angestellt ist hat noch mehr thun wollen, er gibt nicht nur bloss Stiicke von zeitge- ndssischen Schriftstellern, er Jasst auch die ernsten Prosaiker bei Seite und gibt nur Erzahlungen und Novellen, und zwar 35

derselben, denen ein Vocabular und Gallicismen angehingt sind.

Ref. legt auch grossen Werth darauf, dass die Schiiler, besonders Anfanger, in dem Inbalte, den sie fibersetzen sollen, einen Sporn finden, sich des Inhaltes zu bemachtigen, und derum fehlen in

* Der kenntnissvolle und dberaus thatige Mann ist vor einem halben Jabr, noch jung, gestorben. Auch Bachner ist schon seit.5 Jahren todt.

557

‘seinem franzés. Lesebuche fiir untere Classen die Schwanke nicht, und. selbst in der Chrestomathie und im Tableau antholo- _ gique findet sich noch dergleichen; indess méchte-er eben so wenig ein Schullesebuch ausschliesslich ‘aus Unterhaltungsstoff bestehen lassen. Desshalb wiirde er dieses Recueil eher solchen 11—14jéhrigen Knaben und Madchen, die schon leidlich Fran- zdsisch verstehen, zur Privatlecture empfehlen. Man findet recht - artige Erziblungen darin, ‘erfundene und wahre. Eigzelnes dirfte bei einer neuen Auflage zu entfernen und gegen Anderes zu -vertauschen sein, so z. B. Le génie bonhomme yon Nodier | §. 96 ff. Ich meine das so: Marchen sind hiibsch, auch ge- machte, nimlich Kunstmarchen kénnen hiibsch-sein. Indem aber Kunstmarchen eben keine Volksmiarchen sind, so fallen sie ent- weder kindisch aus und dann taugen sie gar nichts, oder sie sind geistreich, stecken voll Allusionen, Pointen, parodiren, satirisiren u. 8. w., und dann verstehen sie. Kinder nicht. Ref. z. B. hat in seinem franz. Lesebuche fiir untere Classen Volks- marchen nach Ch. Perrault’s Redaction (Contes de ma mére ’'Oie) gegeben; die witzige Histoire de Fleur d’Epine yon dem geistyollen Hamilton hat er erst in der Chrestomathie zu geben gewagt. Das hier in Rede stehende Nodier’sche Marchen hat nun den grossen Fehler, dass Nodier es fiir Kinder geschrie- ben und doch Dingé eingestreut hat (z. B. spéttische Wortspiele fiber génie = Genius und Genie), bei denen wohl wir lachen, nicht aber Kinder. Vielleicht kénnen Madchenschulen noch am besten Gebrauch von diesem Recueil machen. Eine artige Sammlung ist und bleibt es. Mgr. Theoretisch-praktische Grammatik der franz, Sprache far den 6ffentlichen und Privatgebrauch, Von Dr. Claude, Prof. an der Universitat in Min- chen, und P, Lemoine, Lehrer am Gymnas, etc, Vierte verb, und verm. Auflage. Kempten, Dannheimer. 1842. (VIII und 459 S. gr. 8.) - Vollstandiges Lehrbuch der franzésischen Sprache , fir Studienanstalten und zum Privatgebrauch. Von Bettinger, ehemal. Lehrer der franz, Spr. am ‘Gymnas. in Zweybriicken, jetzt Studienlehrer an der latein. Schule in Speyer. Dritte, ganzlich umgearb, Aufl, Mannheim, Bensheimer, 1840. (IV und 552 S. gr. 8.) Franzésische Sprachlehre fir Schulen und yum Selbstunterricht. Nach den

Grundsa&tzen des Dictionnaire de l’Académie frangaise voi 1835, ‘Von Beauvais, Berlin 1842, Hr. Schultze. (X und 493 S. gr.- 8}

Es gibt bekanntlich Kunst- und Nothbauten, Kunstmusik und - Tanz- oder Tafelmusik, Kunstmalerei uid Wirthshausschildmalterei u.s.w. Da nun nicht Jeder in einem Palaste wohnen kann,

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vielmehr Mancher zufrieden sein muss, wenn er nur nothdiirfig unter Dach und Fach ist; da ferner die Leute, welche tanzen wollen, kaum noch Kunstmusik verlangen und ein Wirth, der sich ein Schild bestellt, ein 'Gemiilde von einem Kunstmaler nicht . bezahlen mag, indem etwas Geringeres den Dienst auch thut: so ware es Unrecht, den Geschmack. dieser Leute zu schelten und denen, welche fiir ihr Bediirfniss arbeiten, zu sagen, sie seien Stiimper. Anders verhilt es sich, wenn sich Tanzmusiker, Schildermaler, Zimmerleute und Maurer an Dinge wagen, die nur von echten Baumeistern, Tonkiinstlern und Malern auszu- fiihren sind.

Die drei praktischen Grammatiken, die uns hier vorliegen, _ zeigen durch ihren Umfang schon, dass sie hoéber zielen als nach niederen Biirger-, siiddeutschen Real-, schweizerischen Secundar- oder auch Midchenschulen. Und da fordern sie die Kritik heraus. Da aber diese Kritik schon in der Pédag. Revue im I. Bande, in dem Artikel: Die moderne Philologie und die deutschen Schulen ——- gegeben worden ist, so haben wir hier pur zu .sagen, dass die ,G@rammatiken“ von Claude und Lemoine und die von Beauvais verbesserte Meidinger und Hirzel sind, wahrend das Buch von Bettinger die Redetheile zweimal ab- handelt, einmal als Formenlehre, dann unter dem Namen einer Syntax. Ref. hat nicht entdecken kénnen, worin das_besteht, was Hr. Bettinger seine Methode nennt. Dehn dass man mil Kindern nur die Formenlehre durchmachen und erst spater zur Syntax kommen soll, das ist eine Weisheit (oder Thorheit), die schon die Jesuiten kannten, wenn sie die I. Classe Principia, die II. Syntaxis benannten. '

Ref. geht franzésische Unterrichtsbiicher sorgsam durch, nicht nur, weil er sie anzeigen soll, sondern auch, weil er von ‘der Hoffnung nicht lassen kann, er miisse auch in einem nicht eben vorziiglichen neuen Buche da und dort ein gutes Beispiel, da und dort eine brauchbare grammatische Bemerkung ‘findes, | also Etwas lernen. In diesen drei Bichern hat er nichts Neues -entdecken kénnen: das Logische der Grammatik ist der alte con- fuse Kram, das Syotaktische ist das wohlbekannte alte Polizei- reglement, die Formenlehre ist ebenfalls das Alte: “kurz die

° HH. Verfasser.verbalten sich etwa so zur Grammatik wie Bader

zur Medicin,-und ich bin iberzeugt, dass sie, wenn sie diess lesen sollten, mich entweder fir neidisch erklaren werden

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weil ich ja ihr Concurrent sei, oder aber fiir toll, weil sie unmoglich begreifen kénnen, was denn ein Recensent noch mehr von ihnen yerlangen. kénne. ,,Conjugiren wir etwa unrichtig? _ Moviren wir nicht das Particip, so oft es vorgeschrieben ist? Setzen wir etwa nach afin que den Indicativ? Mein Gott, was

will denn der Mensch?“ Von Ihnen Nichts, meine Herren, _—

vom Grammatiker Hunderterlei, von dem Sie Keinerlei leisten. ‘Wenn Hinz und Kunz gut verdauen, gut sehen, héren, gehen u. 8. w., so hat man an sie, insofern es sich von ihrem Magen hhandelt und von ihren finf Sinnen. oder von ihren Beinen, keine weiteren Pratentionen zu: machen; von einem Physio- logen verlangt man aber, dass er-nicht nur verdaue, sehe, hére, gehe u. s. w., sondern auch eine Theorie des Verdauens, - Sehens, Hirens, Gehens u. s. w. habe. ,, Aber was ist denn unsre Grammatik anders als eine solche Theorie, freilich eine mit Praxis verbundene?“ Verzeihen Sie, meine-Herren, sie ist etwas ganz anders: eine Anleitung fir einen-Fabrikarbeiter, sich einer- Maschine, etwa eines Jacquard’schen Webstuhls zu bedienen, ist noch keine Unterweisung in den Principien der Mechanik, nach welchen besagte Maschine construirt worden ist. ,,Aber was Sie da verlangen, das gehért nicht in ein Schulbuch.“ Das ist bis auf einen gewissen Punkt richtig, aber es gehért in den Kopf desjenigen , der ein Schulbuch schreibt, damit die Anleitung einerseits richtig werde, und andrerseits so rationell als néthig ist, auf'dass die Schiiler sich bilden kénnen. Kann auch ein - Blinder einen Blinden fahren? —. ,,Aber Herr Recensent, Sie werden anziiglich, um nicht mehr zu sagen.“ Es ist wahr, meine Herren, und darum wollen wir abbrechen.

Fiir Leser einer gewissen Classe wenn Leser dieser Classe die Revue lesen sollten bemerke ich noch, dass Hr. Lemoine und Hr. Beauvais die sechste A Auflage der Académie bcnutzt

haben. Riihrend ist, was Hr. Lemoine dariiber sagt; »die sechste Aufl. des Dict. de Ac. war schon erschienen, als diese Gram- matik zum drittenmale gedruckt wurde.. Die Furcht, diese Auf- lage méchte eben so wenig echt sein, als die vorhergehende -yon 1798; die noch griéssere Furcht, mich so sehr von den ‘andern Grammatikern zu entfernen; vielleicht noch mehr als alles dieses die Gewohnheit, die mich selbst an die allgemein ange- nommenen, von: mir immer befolgten Regeln,’ die ich fir die besten hielt, fesselte, hinderlen mich, obenbenanntes Dictionnaire

a

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so viel zu benutzen, als es méglich und vielleicht auch noth- wendig gewesen ware. Nachdem ich mich aber durch die Schrif- ten der neueren besten Schriftsteller iiberzeugt hatte, dass diese sechste Aufl. des Dict. de l’'Ac. als Richtschnur von ibnen an-- genommen wird, nachdem mir die Echtheit desselben aus den ' Werken der neueren Grammatiker und Lexikegraphen klar darge- - than war, so zauderte ich nicht mehr“ etc.

Wie gesagt, dergleichen ist riihrend zu lesen. Ich erinnere mich, in meiner: ganz friihen Jugend, etwa im zwélften Jahre, auf tholichem Standpunkte gegeniiber der deutschen Sprache gewesen zu sein. Ich hatte bis dahin sein (suus) yon seyn (esse) unterscheiden miissen, aber ich durfte in andern Wortern, das ‘y nicht schreiben. Da kam Heyse auf, und der schrieb: frey, bey u.s.w. Jetzt wurde speculirt, raisonnirt und disputirt, ob man frei oder frey schreiben, er kommt oder er kommt sprechen miisse: die Griinde fiir das Eine und das Andre wutr- den nicht aus der Sache, sondern aus Heyse, Heinsius, Ade- lung u. s. w. genommen. | - Ich war damals ein zwélfjabriger Bube, der zuweilen au einen Samstag von dem Schullehrer in die ,Conferenz“ mitge- nommen wurde, wo, unter dem Prasidium (praesidium et dulce pecus, nach Horaz) eines Pfarrers, der Schulpfleger war, derlei schwere quaestiones debattirt wurden. Denk’ ich jetzt daran, 80 ergétzt mich die Erinnerung daran wie eine Scene-im Moliere. |

Seh’ ich aber jetzt Leute, die Biicher schreiben, in einem dbnlichem Verhiltnisse 2u einem wissenschaftlichen Stoffe, und sind es nicht Volksschullehrer (denn wenn diese iiber deutsche Orthographie statuiren, * so thun sie mir leid und ich argere mich nur iiber die Einrichtung der Seminarbildung), dann ver- wundere ich mich doch ein wenig sehr. Ich habe auch die neue Auflage der Académie, als sie erschien, von A—Z durech-

-

* Z. B. wenn sie die wichtige Entdeckung machen, dass man nicht Wor-te, sondern Wort-e abtheilen miisse, dass man: er ging, er fing an u. 8. w., nicht aber er gieng, er fieng u.s. w. schreiben masse. Woher soliten die Guten auch wissen, dass das Wort Wort schon nichts Kinfaches mehr und das t ein Bildungsbuchstabe ist? dass das i im Praeteritam von ich fange , ich gehe (ahd. gangu) ein Vorlaut ist, fiang, giang geschriebeo wurde. Dass es aber auch Lehrer der deutschen Sprache an héhern Barger- echulen gibt, welche ihren Schilern Fehler anstreichen, wenn sie richtig fieng statt fing schreiben, das ist ein wenig stark, beinahe so stark, als wenn ich gieng Ablaut von ich gehe sein soll.

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gemacht und mit der Auflage yon 1798 und der von 1762 ver- glithen, und fiir Grammatik nicht so viel Ausbeute bekommen, als man. auf einen Kreuzer schreiben kann, oder’ man miisste denn Dinge, wie die Orthographie von. ais und ois und Aehn- liches rechnen wollen, wobei es spasshaft ist, dass die Académie, nachdem sie siebzig Jahre gegen die Voltaire’sehe Orthographie protestirt, just da sich far dieselbe entscheidet,- wo die philo- logisch gebildeten franzdsischen Schriftsteller, die wissen, dass z. B. reconnattre von recognoscere stammt, dieselbe aufzugeben und wieder zu dem etymologischen oi zuriickkehren. Leute wie Hr. Lemoine kommen mir wie Garnisonssoldaten vor, die heute die Halsbinde so tragen, morgen anders, weil im Kriegsministe- rium ein neues Model fiir ordonnanzmissig erklart worden ist, . Auch ist. der Zweifel an der ,,Echtheit“ der sechsten Auflage lustig genug: dass Hr. Villemain, der immerwahrende Secre- fair der Academie, im Namen der Academie eine Vorrede zu dem neuen Dictionnaire geschrieben, das tiberzeugte Hrn. L. noch nicht; erst mussten industridse Pariser kommen und dem guten franzdésischen Publikum, das zwar nicht mehr an die Priester, aber -dafii ran die yierte Seite des Journals, die Réclame und den Puff glaubt, neue ,grammaires selon Académie“ gemacht haben, ehe er die neue Ordonnanz fiir eine officielle, -authen- tische, echte, kanonische, glaubwiirdige halt. Man sollte so vorsichtige Leute auf der Polizei oder als Zahlmeister anstellen. Immer indess ware ich begierig, zu erfahren, welche Revolutio- nen oder Reformationen die Académie im. Jahre des Heils 1835 eigentlich iu der grammaire francoise gemacht hat; ich weiss von Nichts, weiss tiberhaupt nur, dass seit Raynouard’s Tode in der Academie kein Mensch mehr sitzt, der von franzésischer Grammatik mit der Sprache ists anders auch nur das Geringste versteht..‘ Die ,grammaire“ mag freilich ein Theil der Herren im Kopfe haben.

Hr. Beauvais hat die neue Auflage der Acad. so benutst, wie sie allein zu benutzen ist: er hat seine Beispielsitze daraus genommen. (Beispielsitze sind aber nicht ,,Grundsitze,“ von denen der Titel redet.) Nun ist.es sicher, dass das Dict. de YAc. eine zuverlissige Quelle yon Beispielsatzen ist, aber weder die zuyerlassigste,“ noch ,die reichhaltigste,“ noch iiberhaupt die beste. Was den Gehalt der Beispielsatze betrifft, so ist Boiste viel besser;. und was die Zuverlissigkeit und

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den Reichthum betrifft, so kenne ich nichts Reicheres, als eine gute franzdsische Bibliothek von ein paar tausend Banden; die . selbe ist auch zuverlassig, wenn der Beispielsammler zu unter- scheiden versteht, was in den Schriftstellern wirklich fehlerhaft ist.

Was die Beispielsijze und den Uebersetzungsstoff betrifft, so scheint mir das Lehrbuch von Bettinger den Vorzug zu ver- dienen. Uebrigens will ich nicht entscheiden: Lehrer, welche solche Biicher brauchen, miissen sich die Miihe nehmen, selbst zu vergleichen. Ctaude und Lemoine geben zu dem,. was sie _ Grammatik nennen, auch noch Gespriche und franz. Anekdoten, Beauvais eine Sammlung von Lesestiicker aus dem Gebiete der Weltgeschichte, der Geographie, der Naturwissenschaft und der Sittenlehre. Beauvais ist sehr schén gedruckt und kostet nur 16 Ger., Bettinger, ebenfalls gut gedrackt, kostet 1 Thir., was Lemoine kostet, ist nicht angegeben.

Man wird Ref. einmal wieder recht barbarisch nennen, weil er wackere Leute so ,misshandelt.“ Aber man hatte Unrecht. Es geht mit den Biichern wie mit Staatsverfassungen: nicht Alles _ —passt fiir Alle. Ref. z. B. kénnte nicht in Russland oder im Canton Schwyz leben, andern Leuten gefallt es recht wohl da. So wird es auch sehr viele Lehrer geben, welche die hier angezeigten Biicher vortrefflich finden die neuen Auflagen beweisen’s, Ref. kénnte nicht nach ihnen lehren, er wiirde fiberhaupt lieber auf einer Kanzlei abschreiben, als einen Unterricht geben, wie ihn solche Biicher yoraussetzen und bedingen. Da es nun natir- lich eine grosse Menge von Lehrern gibt, die nach des Ref. Weise weder unterriehten kénnten noch méchten, so kann mein Urtheil nur bei einer ziemlich kleinen Minoritat, die, wenn sie die Biicher sihe, obnedies gerade so wie ich urtheilen wiirde, Eingang finden, also den besprochenen Biichern gar nicht schaden. - So lange das Studium der neueren Sprachen (der deutschen mit eingeschlossen) auf unseren Schulen bleibt, was-es ist, wird ein Verleger, der etwa eine kleine deutsche Schulgrammatik von einem gewissen Jakob Grimm zu yerkaufen hatte, immer nur Ein Exemplar in derselben Zeit absetzen, wo Hr. Macken in Reutlingen von seinem R. Jakob Wurst hundert Exemplare absetzt. Und nun sage noch Einer, wir liessen unsern Gegnern ‘nicht Anerkennung widerfahren! : _ Mgr.

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Deutsche Uebungssticke zum Ucbersetsen ins Italiinische, mit Noten, Yop L. Herkules Daverto, Oberlehrer an der obern Industriesebule in Zurwh. Zarich und Winterthur, Lit.-Comptoir. 1842. (XIV und 286 §. gr, 8.)

Gott sei Dank, da ist endlich einmal wieder ein Buch, dag man von Herzen loben und vor dessen Verfasser than Respeet haben kann. Hier vereinigen sich Sachkenntnisse und Geschmack., Auch die Verlagshandlung hat das Ihrige gethan, das Buch ist prachtvoll ausgestattet.

Hr D. bemerkt schr richtig, dass jedes Jabr etliche italia- nische Lesebiicher, Chrestomathien und Anthologien efscheinen, dagegen nur ganz wenige Compositionsbiicher vorhanden sind. Er ist zu hoflich, um die Ursache dieses Factums auch nur an- zudeuten. Da ihm nun die bekannte Anleitung von Fornasari fiir seinen Unterricht nicht mehr geniigte, so gieng er selbst an. die Ausarbeitung eines Buches.

Jn der'I. Abtheilung finden wir S. 1—15 Anekdoten, Maxi- men und Reflexionen von Goethe, Menzel und Lichtenberg yProphete rechts, Prophete links, Menzel in der Mitten* (S. 15— 26), Erzahlungen aus Hebel’s Schatzkistlein (S. 26—46), Scenen aus Minna von Barnhelm (S. 46—66), Fabeln, Allego- - rien und Parabeln yon Lessing (S. 66—72), Herder (73—84), Krummacher (84—87), aus den Palmblattern (87—-100); Briefe (S. 101—140), Reisebeschreibungen yon Baumann (141—158), Goethe (158—164), Rengger (164—168); endlich Charakter- schilderungen von Lichtenberg, Schiller und Fortmann (168—198). Die Il. Abtblg. ist italianischen Texten entnommen, sie gibt Anek- doten, Gesprache, Briefe, Erzahlungen und Reisebeschreibungen von Goldoni,.Gozzi, Perticari, Baretti und Pecchio (S. 199-—282).

‘Ref. wiirde es lieher gesehen haben, wenn auch die Noten . zur ersten Abtheilung, ganz wie béi der zweiten, hinter dem Texte standen, statt darunter. Die jungen Herren prapariren sich besser, wenn sie nicht pfuschen kénnen, und tiberhaupt soll man Niemanden in Versuchung fihren. Auch scheint es mir fir ein solches Buch zweckmassig zu sein, neben onomatischen Noten grammatische zu geben, oder vielmehr, auf eine systematische Grammatik zu verweisen. Letzteres ich weiss es wohl lisst sich am besten thun, wenn man auf eine eigene Grammatik verweisen kann; doch sollte der Hr. Verf. bei einer zweiten Auflage, die fir ein solches Buch nicht ausbleiben kann, io Erwagung ziehen, ob nicht grammatische Andeutungen zu geben

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waren. Vielleicht auch méchte alsdann die zweite Abtheilung

zur ersten zu machen sein, da es unvergleichilich: leichter ist,

etwas aus einer fremden Sprache Uebersetztes, also urspriinglich in derselben Gedachtes in dieselbe zuriick zu fibersetzen, als einem urspriinglich Deutschen ein fremdes Kleid zu geben. Die

Auswahl ‘selbst ist vortrefflich. Welches Verhaltniss Hrn. D's

Arbeit zu den italiinischen Uebersetzungen deutscher Werke von

- Valentini hat, kann Ref. jetzt nicht angeben. Uebrigens zeigt sich auf jeder Seite, dass Hr. D. ein sehr feiner Kenner des

Italiapischen ist. Damit méchten wir nicht sagen, er habe es

immer getroffen. So z. B. bezweifelt Ref., ob die Ausdriicke

»Magenpflaster,.Herzsalbe und Augentrost“ (Hebel, ,,Ein gutes

Recept“), wenn man ,empiastro per lo stomaco., unguento del -

cuore, consolazione per gli occhi“ ‘iibersetzt, auch nur ein .

Weniges von der vis comica behalten, die den deutschen Aus-

driicken inwohnt; so will uns essere bilioso fiir ,,Galle haben,"

_d. h. zornig werden kénnen, nicht einleuchten, u. so m.@

Ref. gesteht Hrn. D. gern ein’ feineres Gefiihl fir die virtus

italidnischer Worter und <Ausdriicke zu, als er selbst sich ha

erwerben kénnen, indess michte doch far eine neue Auflage mancher der gegebenen Ausdriicke entweder mit Wwahrhaften

Aequivalenten oder solchen, die ein Aebnliches -ausdriicken, 20

vertauschen, oder in der Note zu bemerken sein: Hier ist das

Uebersetzen am Ende. Ich verstehe leidlich Deutsch, wie of

aber komme ich in den Fall, meinen Schiilern sagen zu miissen:

je suis au bout de mon allemand, fallt Each nicht zufallig ein

Wort ein, so lassen wir die Sache uniibersetzt und begniigen

uns mit dem Verstandniss. Will man aber aus dem Deutschen

oder Griechischen in eine romanische Sprache fibersetzen, 80

muss sich der Text schon manchmal etwas gefallen lassen. | | Mgr.

Neues theoretisch-praktisches Lehrbuch der Hollandischen Sprache und Lit- teratur. Von Dr. Friedrich Otto. Erlangen 1839, Palm.

Auch unter dem Titel: ;

Miller's Anleitung zur Hollandischen Sprache. Dritte ginzl. umgearb. Auf. von Otto. (VIII u. 269 S. 8.). Geschichte der niederlandischem Litterater. Frei nach dem Hollindischen des van Kampen von Otto (X u. 148 S. 8)

Kin recht brauchbares, dankenswerthes Buch. Die ,,At- leitung“ ist sehr reichhaltig. Zuerst kommt (S. 1 76) eine kurzgefasste Grammatik, nach dem alten Schnitte, namlich nach

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der Ordnung der Redetheile - abgefasst, so dass die zwei letzten Capitel eine Art Syntax geben. (Beiliufig gesagt, ist es zum Verwundern, dass noch Niemand auf den Gedanken gekommen. ist, ein Lehrbuch der hollandischen und der flimischen Sprache auszuarbeiten, fir welches Grimm’s deutsche Grammatik und die _ Forschungen der heutigen belgischen Gelehrten {im- belgischen Museum, im Middelaer und andern Zeitschriften zu finden) be-— nutzt waren.) Der ~weite Theil enthalt Uebungsaufgaben zum Uebersetzen aus dem Hollandischen ins Deutsche und vice versa und die Correctur dazu (S. 79— 134), Alles ganz auf den nichsten Gebrauch berechnet, so dass die hollandischen Stiicke mit spreekwijzen, 2. B. Men klopt aan de deur Wie is daar? Wie. is het? —- Ik ben het Wat vraagt gij? etc. beginnen und dann 15 zusammenhangende. Gespriche (Zamenspraak) aus dem Kreise des gemeinen Lebens folgen. Die deutschen Stiicke ‘gleichen denen, die man in den franz. ,Grammatiken“ findet: »EM® Buch. Ein gutes Buch. Gute Biicher,“ 'u. s. w.; da das Verbum in der Grammatik nicht den Anfang macht, so bleibt - nichts anderes iibrig. —- S..137 202 findet sich ein recht _ brauchbares Hollandisches Lesebuch, dem als vierter Theil (S. 205. 269) ein deutsch-hollindisches Waorterbuch beigefiigt ist. Sehr verstandig hat der Verf. diesem Worterbuch eine kurze praktische Belehrung iiber Vor- und Nachsylben (baar, te, rij, -aar etc.), die haufigsten Compositionen u. s. w. vorausgeschickt, so dass der Lernende nur die Stammwérter zu haben braucht, | um auch die Derivata und Composita zu verstehen, so aus leen, huis, achterleen, achterhuis zu bilden. Bei der Durchsicht des Lesebucths, das wirklich interessant ist natiirlich nur fir Einen, der sich fiir unsern etwas unfreundlichen Bruder Mynhcer in- teressirt ist mir wieder schwer ‘auf’s Herz gefallen, wie. viel die deutsche Hauptsprache von diesem Dialekte lernen kénnte, namentlich wie man fremde Begriffe mit echt deutschen Wértern ausdriicken soll. Es ist iiberhaupt merkwiirdig , dass die hollan- dische Sprache, welche sich in ihrer Grammatik dem Einflusse des .Franzésischen nicht hat entziehen kénnen, wie denn z. B. der Geniliv mit van den, van de, van het das dei, der, . @ei sehr in die Enge getrieben hat, der Wortmengerei besser - widerstanden hat als das Deutsche. Freilich wiirde es nicht angehen,

hollandische Ausdriicke ohne Weiteres aufzunehmen, ‘elwa fiir Padagog. Revue. (42. b, Bd. ¥. . 37

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»klimatische Beschaffenheit oder Beschaffenheit des Klimi’ 5“ ass hollandische ,luchtsgesteldheit* nur zu iibersetzen.

Die van Kampen’sche Litteraturgeschichte ist bekannt, sie erscheint hier in einer recht brauchbaren Bearbeitung, nur ist m bemerken, dass das Biographische und Bibliographische fehlt, ° dasselbe jedoch von dem deutschen Bearbeiter in einem andem 1838 im bibliographischen Institut zu Hildburghausen erschienenen Werke ‘zusammengestellt worden ist. Natiirlich findet sich in dieser Geschichte nicht nur die Litteratur des jetzigen Hollands, sondern saimmilicher Niederlande, also auch des. jetzigen Bel- giens ,“behandelt; ebenso wird nicht nur.von der sogenannten | schénen Litteratur geredet, sondern die Litteratur nach ihrem ganzen Umfange ist dargestellt. Freilich ist das Buch nar ein Leitfaden, keine ausgefiihrte Geschichte.

Ref. fiir seine Person kann sich fiir das Niederlandische _ hur so interessiren, wie er sich auch fiir die sonstigen deutschen Dialekte interessirt; die Meisten, welche in Deutschland holfan- disch lernen, thun es ,- weil sie Kaufleute sind und mit Holland in Verbindung stehen; poetisches Interesse an der hollandischen Litteratur nehmen wohl die Wenigsten, und wir kénnen den Enthusiasmus, den die Hollander fir ihren Vondeé), ihren va- der Caets fiihlen, nicht begreifen, noch weniger theilen. Einer der besten hollindischen Dichter neuerer Zeit, der wirklich. ly- rischen Schwung zeigt und Gefihl hat, Da Costa, ist ein por- tugiesischer Jude jetzt Pfarrer. Schrieben und dichteten alle Hollinder so, so wiirden gewiss viele Deutsche Hollandisch ler- nen. Die Hollinder begreifen dagegen eben so wenig unsere Theilnamlosigkeit, sie fassen nicht, warum nicht auch wir in Entziicken gerathen, wenn wir in Corneliszoon’s des Hauptes der Rotterdamer Schule Winteravonds-Zang lesen:

Het Oosten blaast, het wintert fel, *t Is buiten vinnig koud:

God dank! wij hebben turf en-hout, Wij sitten warm en wel, etc.

, Wie gross die Niederlinder selbst von ihrer Sprache stets dach- ten und denken, ersieht man am besten aus Reiner Anslo’s (geb. 1622 zu Amsterdam) O Neerland! Klopstock, in seinem bekannten: ,,Dass keine,’ welche lebt u. Ss. W. nimmt den Mund: nicht voller:

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O Neerland! wie is u io spraak gelyk! Zoo kort, 200 net, 200 zin-, z00 woordenryk! etc,

7 Und sie haben Recht, wenigstens auf ihr Neerland stolz zu sein. Spandaw (geb. 1775) singt:

Vreemdeling! kent ge "t land, waarvan de faam u Waarheén , als waren het wondren, verkondde? Neem eens de wereldkaart, zie daar dat stipje, Vreemdeling! dat stipje slechts dat is ons Neérland.

°s Land, dat Natur niet, uit haar volheid Met haar bezielenden adem bevrucht heeft. . Eigene schepping is ‘t! moed en volharding Hebben dit plekje aan de golven ontwoekerd.

~

. Vrijheid! o vrijheid! gij dochter des Hemels! Godlijke, in ambergeur daaldet gij neder! Hier, aangeledene! hier rees uw tempel, Toen nog Enropa in keteneb zuchtte.

Ref. dankt es noch heute dem noun langst verstorbenen Schullehrer Bingen in Wald bei Solingen, dessen Elementar- schule er vor 21 Jahren besuchle, dass er jeden Sonnabend eine. hollandische Stunde gab. Der ‘Unterricht war héchst einfach. Es waren in der Schule einige fiinfzig Exemplare einer in Fragen und Antworten abgefassten kleinen biblischen Geschichte in hol- lindischer Sprache vorhanden; diese wurden zur Hand genom- men, gelesen und iibersetzt. In einer oberdeutschen Schule mochte die Methode freilich nicht ausreichen. Erwachsene indess lernen das Hollandische leicht genug, und ich habe einige Citate beigebracht, um einen und den andern Lehrer der deutschen Sprache anzureizen, sich mit dem Niederlandischen bekannt zu machen, und wire es aucn nur aus grammatischen Griinden. Fiir Manchen kommen auch wohl noch nationale dazu: die Via- mingen kampfen- seit einigen Jahren mit echt niederlindischer volbarding (Beharrlichkeit, Ausdauer) fir ihre Sprache gegen die Tyrannei des Franzésischen; wir kénnen und miissen sie unter- stiitzed, kénnen das aber nur, wenn wir ihre Werke lesen kén- nen. Stossen wir uns nicht daran, wenn Spandaw sein Ne- derland mit der Strophe schliesst:

Vreemdling! dat stipje ja dat is ons Neérland! Klein is ’t, maar rijker nog dan heel Europa; Rijker in wijzen, in staatelién en helden,

Rijker in dichters, die de ed’len besingen.

4 37%

568 Allerdings macht der dritte und vierte Vers dieser Strophe eine komische Wirkung auf uns, da wir den Reichthum zugeben, aber dabei erwarten, dass: nur von Ducaten und Staatsscbuld- scheinen die Rede sein werde: indess die Niederlander sind Deutsche, und wenn auch die Hollander dermalen. noch etwas patzig gegen ihre iibrigen deutschen Briider thun (machen’s denn die deutschen Schweizer anders?), so sind doch die Vlamingen - schon geraume Zeit zur lebendigsten Erkenntniss gekommen, dass sie reines deutsches Blut, dass sie Niederdeutsche sind (wie ‘die Schweizer Oberdeutsche), und das legt uns Pflichten auf. | Fiir Leser, die mit dem Citate gar nicht zu rechte kommen kénnten, bemerke ich, dass vinnig grimmig, stipje Stiickchen, bezielend beseelend, plekje Fleckchen, aan de golven ontwoekerd den Wellen entrissen, ambergeur Ambraduft, daaldet hernieder-. stieg , rees erhob sich, zuchtte schmachtete (von Sucht), heel ganz (mit heiler Haut) heisst. Bei dem koud (spr. kaut) von kalt erinnert man sich wohl an das romanische Gesetz, dass aus al yor. einem Consonant au (je vaux = je val-s) wird. - ) Mer. WX. | Homeri Ilias. Mit erklérenden Anmerkungen von G. Chr. Crusius, Subrector am Lyceum in Hannover, I.u. IT. Heft. Hannover, Hahn’sche Hofbuchh. Der Herausgeber beruft sich in der Vorrede vorliegenden Buches auf mehrere giinstige Recensionen, die einer abnlichen Bearbeitung der Odyssee zu Theil geworden seien, und auf mehrseitigen Wunsch, der ihn veranlasst habe, die Ilias auf gleiche Weise zu bearbeiten. Wie allgemeine Geltung diese Griinde auch haben mégen und Schreiblustige nur zu oft zum Biichermachen veranlassen, die rechten und allein entscheidenden sind sie nicht. Auch hatten wir noch gern zu wissen gewinscht, ob dieser mehrseitige Wunsch wirklich von Schulmannern des Fachs an den Herausgeber ergangen sei. Wir kénnen es fast nicht glauben, da jeder Lehrer auf den ersten Blick erkennt, _ dass das Buch nothwendig mehr Schaden als Nutzen in der Schule stiften muss. Wir sagen ,in der Schule,“ weil wir’ gern zugestehen, dass es in den Handen eines Erwachsenen, der sich selbst fortbilden will oder muss, und der zuweilen gern den in den Schuljahren lieb und bekannt gewordenen Homer ohne das schwerfallige Lexicon zur Hand nehmen mochte, gute und angenehme Dienste leisten kann.

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Da aber der Herausgeber nach eigener Angabe zunichst fir Schulen diese Hefte bestimmt hat, so hatte er bei einer Bear- beitung der Ilias weniger auf giinstige Recensionen der fiir untere Classen bearbeiteten Odyssee oder auf ,,mehrseitige Wiinsche“ als vielmehr darauf achten sollen, ob seine Arbeit vorgeriickteren Schiilern denn mit diesen pflegt man in der Regel erst die Ilias zu lesen wahrhaften und bleibenden Gewinn bringe. Der ‘Herausgeber wird es mit uns yerneinen miissen, wenn auch er wabrhaften Nutzen nur da erkennt, wo ein Schulbuch’ selbstin- - diges Denken und Urtheil und, was das Héchste im Jugendun- terrichte, aber schwer zu erringen ist, geistige Selbstthatigkeit anregt; denn gering und verginglich ist der Gewinn, wo der Schiller nur anlernt, und ihm recht bequem auf dem Teller servirt wird, wo er nur accipirt, nicht percipirt. Dass nun vor- liegendes Buch es wirklich dem Schiller zu leicht und bequem mache, ist, ohne: das ganze Buch zu durchgehen , unschwer nachzuweisen.

Wir nehmen gleich den Anfang des isten Gesanges und finden auf:38 Linien Anmerkungen zu den 3 ersten Versen neben © mancher passenden sachlichen Bemerkung auch folgende, die fiir den ersten Unterricht in einer Bearbeitung der Odyssee eher Platz finden sollte: ITjAni&édew, lies IInAnicde, dann Citate zu dieser Bil- dung der Patronymika aus drei Grammatiken; gleich darauf,,,Ay:Ajog st. “dyAAyjog des Versmaasses wegen“, dazu die héchst iberflissige Bemerkung: ,,Achilleus , Sohn des Peleus und der Thetis, Konig der-Myrmidonen im Thessalischen Phthiotis, war der schénste und tapferste Held der Hellenen und zog mit finfzig Schiffen nach Troja;“ ,,ovAouévyy poet. dAopevnv. Dieses Partic. hat bei Homer gewohnlich active Bedeutung: verderblich, unheilbringend“ etc. Darauf wird der Unterschied zwischen pvoia und piesa ange- geben, was der Schiiler weiss oder wissen soll, ehe er die Ilias liest. Zu nootawev wird bemerkt, es sei gleich noonéuneu, eigent- lich fortstossen, hinschleudern, und die Scholien, wird dazu bemerkt, erklaren es unrichtig: noo rijg eiucopévng Exneprpev.“ So unrichtig ist diese Erklarung nicht, und der Herausgeber hatte besser gethan, zu nootawev einfach die Erklarung der Scholien hinzuzufiigen. Ein denkender Schiiler wiirde dann bald. gemerkt ‘haben, dass die Scholien damit ‘bichts anderes andeuten wollten, als dass der Dichter statt des matten meongpn.. das kriaftige

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_mooianrey zur Bezeichnung des jaéhen und ‘gewaltsamen. Todes - der Helden gewahlt habe.

Ueberhaupt ist nichts unpassender ond so aller Acsthetit zuwider als die auch in diesen zwei Heften haufig. vorkommen- den flachen Bemerkungen: ,das und das Wort ist gesetzt statt des gewohnlichen.“ Setze :man lieber das gewéhnliche oder

_ prosaische Wort und ein Frogezeichen hinza, so hat der Schiller ‘doch was zu denken. .

In der Weise, wie wir von der ersten Seite es gezeigt haben, geht es fort, fiir den Schiiler freilich durch die Ver- deulschung jedes nicht ganz bekannten Wortes dusserst bequem, weil er sich noch in der Schule pripariren kann, aber obne geistigen Gewinn, der nur dem Ernste im Denken und Wollen und der treuen Hingabe an die Sache zu Theil wird.

Ob Bemerkungen, wie 2u ’évysras civar a, 91. 2u nodcexys, v. 121, zu nagedsvosar @, 132, zu 188, oder um eine instar omnium anzufiihren wie die zu 157, wo es also heisst: ovoea. oxevra. schattige Berge, d. i. waldige, weil sie in der Ferne dunke] aussehen!! oder endlich die dftere Angabe des Verglei- chungspunktes den Schiiler das Denken lehren oder es ihm wehren sollen, weiss man nicht. recht. Es geniigt wohl, diese wenigen Stellen herausgehoben zu haben, um zu zeigen, dass eine Aus- gabe mit gutem Text und den néthigsten kurzgefassten Erliute- rungen tiber Gegenstinde -der- Mythologie besonders, den Schi-

ern, zumal wenn sie Passow’s treffliches. Lexikon in Handen haben, einen bessern und dauerndern Dienst leisten wirde, als so eine Art von Eselsbriicke, die nicht iiber, sondern in die

Lethe hineinfiihrt. Moége der Herausgeber, ehe er wieder solches -

Gepick, das die Rémer impedimenta nannten, den Schulen 2u-

schickt, Horazens Worte beherzigen und darnach bei seinen

Schulausgaben sich einrichten:

Qui studet optatam cursu contingere metam, ; Multa tulit fecitque puer: sudavit et alsit. F. R. a | & :

Lehrbuch der Naturgeschichte fir héhere Lehranstalten und zum Hausge- branch von Dr. M. A. F. Prestel, Oberlehrer am Gymnasium zu Emden. Emden bei Fr. Rakebrand. 1840.

Von diesem Lehrbuche- tiegén zwei Theile vor uns, das Thier- reich nach Oken und das Mineralreich. : Das erstere ist ein Auszug aus der Aligemeinen Naturgeschichte Oken’s. In wiefern dieser Aus-

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zug dem Verf. gelungen ist, géht daraus hervor, dass Hr. Prof. Oken seinen Zuhorern denselben-als Handbuch bei seinen Vorlesungen em- pfohlen hat. Ueber Inhalt, systemattsche Eintheilung und Anordnung des Stoffs in demselben konnen wir hier nicht eintreten, weil wir das Original selbst, die Allgem. Naturgesch. von -Oken, beurtheilen miissten, was offenbar iiber die Grenzen hinausginge, welche der Padag. Revue gesteckt sind. In der Vorrede bezeichnet der Verf. mit wenigen aber schénen, wiirdigen Worten das Ziel, welches dio Naturforschung zu erreichen bestrebt sein muss, hebt -die schéne, fruchtbare Idee Oken’s hervor, dass das Thierreich der in seine Theile zerlegte Mensch sei, und -nennt dessen System, obgleich durch Speculativa entstanden, ein-eben so leicht verstindliches als wabrhaft naliirliches. Ferner bezeichnet er den Zweck des Buches: 1) sall dasselbe solche Leser, denen Zeit und Umstinde nicht er- lauben, die gréssern Werke der neuern Naturforscher zu studiren, einerseits mit dem jetzigen Stande der Wissenschaft bekannt ma- chen und denselben andrerseits dazu dienen, sich vor Eingang in das Studium der naturgeschichtlichen Werke des oben genannten Nalurforschers auf dem zu-durchlaufenden Gebiete zu orientiren ; 2) soll dasselbe und hauptsachlich bestimmt sein, als Lehrbuch bei dem .Unterrichte der Naturgeschichte auf Gymnasien zu dienen. Ref. kennt die Allgemeine Naturgeschichte Oken’s ziemlich genau, hat auch diesen Auszug mit Vergniigen durchgangen, und stimmt mit der Ansicht,des Verf’s. insofern iiberein , dass wenn tiberhaupt der Grundriss einer Wissenschaft geeignet ist, den Leser mit dem Standpunkt derselben bekannt zu machen und ihd auf dem Felde . derselben zu orientiren., so ist es dieser Grundriss. Ich bin tiber- zeugt, Oken hatte ihn selbst nicht besser geben kénnen. Auch fir die obern Classen der Gymnasien, aber auch nur.fiir diese, halte ich das Buch zweckmiassig,, in sofern demselben ein methodi- scher Cursus in den untern und. mittlern Classen vorhergegangen ist. Dies ist unerldsslich. Hierauf scheint der Verf. am Schluss | der Vorrede auch hibzudeuten, wo er sagt, dass es in der mensch- lichen Auffassungsweise liege, dass das Ganze nur aus dem Ein- zelnen, die Einheit aber nur aus dem Ganzen begriffen werden kénne. Er wendet diesen Satz zwar speciell auf die Stoffanordnung -seines Buches an, wir wollen aber hoffen, dass er denselben auch in seiner AHgemeinheit erkannt hat und der Einheit eine Vielheit (eme Anzahl von Iadividyen) gegeniiberstellt:

. Unsere besondere Aufmerksamkeit hat der. erste Theil, die

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Mineralogie, auf sich gezogen. Die Terminologie, bier Anorgano- logie genannt, wird ziemlich ausfihrlich behandelt, die termino- logischen Ausdriicke sind durchweg gut definirt und besonders die Krystallographie ist recht klar, genau und logisch entwickelt. Daran sollten Andere, welche ahnliche Lehrbitcher schreiben, ein Beispiel nehmen, dann wiirde viel vages Geschwitz aus der Schule verbannt werden. Auffallend ist es uns aber gewesen, dass der Verf. in dem zweiten Theile, in der besondern Naturgeschichte der Mineralien, nicht alle Gruppen charakterisirt hat. Die sogenannten Reihen ver- . treten hier,im Allgemeinen die Stelle der Familien anderer Systeme und keine derselben hat einen Charakter erhalten. Dies halten wir fir einen grossen Mangel in einem naturgeschichtlichen Lehrbuche fiir Schulen.- Der Schiiler muss bei jeder Gruppe genau wissen, wo er steht, wenn er mit Bewusstsein in das Einzelne eindringen soll. Auch hatten wir gewiinscht, der Verf. hatte die einfachen krystallographischen und alle bekannten chemischen Formeln bei | jeder Gattung und Art aufgenommen. Darauf kommt in sofern viel an, als der Schiiler unméglich sonst eine richtige Vorstellung der mineralogischen Art und Gattung erhialt. Der Verf. bemerkt auf Seite 49, um , wie er sagt, alle Unbestimmtheit iiber die mineralo- gische Art oder Species zu beseitigen, dass alle Minef (Mineralien), welche bei einer gleichen oder gleichmissigen chemischen Consti- {ution ein gleiches Krystallisationssystem besitzen, oder bei dem _ Mangel der Krystallisation, m andern, mit der Mischung im ge- nauen Verhiltnisse stehenden, aussern Eigenschaften tberein- slimmen, zu einer Species gezahit werden. Diese Definition macht gerade die Species unbestimmt, indem die Grenze ihres Begriffs zu weit gezogen ist. Daher mag es auch kommen, dass der Verf. mit Hausmann zu dem Namen Mineralsubstanzen, - Formation und Varietat seine Zuflucht nimmt und diese in der Weise auf die der Gattung untergeordneten Einheiten anwendet, dass sie gar keine Analogie-mehr mit den Gattungen, Arten und Varietéten des Thier- und Pflanzenreichs haben. Die Folge davon ist, dass seine Mineralsubstanzen (Gattungen) bald Formationen und Varietiéten zugleich erhalten, bald nur die letztern oder die erstern haben. Die Entschuldigung dafiir ist die auf die oben angefiihrte Definition gegriindete Verschiedenheit »der Mineralspecies von den Arten und Gattungen der Pflanzen und Thiere.“ Men hat bis auf den heutigen Tag diese Verschiedenheit noch nicht geniigend begriindet ;. daher die grauliche Confusion,

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welche tibrigens nicht bloss hier, sondern fast in allen Lehrbiichern der Mineralogie herrscht und so lange dauern wird, bis bestimmte Kriterien fir die Grenzen des Art- und Gattungscharakters gefun- den'und nachgewiesen worden sind, welche denen der Gleichartig- keit und Fortpflanzung in der organischen Natur entsprechen. Zu diesem Ende muss zunichst dargethan werden, worin der Grund- typus besteht, der jedem Naturkérper eine eigenthiimliche Physio- gnomie verleiht; ferner, woher es komint, dass diese um so Jeichter von unserm Vorstellungsvermégen aufgefasst wird und sich dem Geiste um so tiefer einprigt, je zusammengesetzter und um 80 _schwerer, je einfacher derselbe ist; und dass wir im erstern Falle weniger im Stande sind, die gesetzliche Vereinigung seiner ge- sanrmten Eigenschaften und Merkmale zu erkennen, als im andern Falle; Da die Beantwortung dieser Fragen auch von besonderer Wichtigkeit fiir die Methode des Unterrichts-in der Naturgeschichte ist, so wire za wiinschen, dass dieser Gegenstand einmal wieder

- aufs Neue, und zwar vor einem gréssern Publicum als dasjenige ist, welches die Mineralogen vom Fach bilden, zur Sprache ge- bracht wiirde. Letzteres miissen wir um so eher wiinschen, als wir die Beantwortung derselben weniger yon der Naturgeschichte als von der Psychologie zu erwarten haben. Vielleicht werden wir spater in diesen Blattern darauf zuriickkommen.

Schliesslich halten wir uns noch verpflichtet, alle Lehrer der Naturgeschichte auf ein Werk des Vfrs. aufmerksam zu machen, . welches neuerdings erschienen und uns zufallig zu Gesicht gekom- men ist. Es ist betitelt: Die Gestalten der Individuender unorganischen Natur, als Gebilde eines Ganzen, in ihrem gegenseitigen Zusammenhange und ihren

- Uebergingen, combinatorisch vollstandig darge- stellt von Michael Aug. Friedr. Prestel, Dr. Oberlehrer ete. Erste Lieferung: Die ein-, zwei- und dreifachen ‘vollzahligen Combinationen des isometrischen Sy- stems. Emden bei F. Rakebrand: 1842. Durch dieses Werk wird einem lange gefihlten Bediirfnisse abgeholfen. Dasselbe soll nach seiner Vollendung alle Crystallformen, welche nach den Naturgesetzen , so weit wir letztere bis jetzt kennen, mdg- lich sind, enthalten und in ihrem gegenseitigen, mathematischen Zusammenhange und ihren Uebergingen darstellen. Zu diesem Ende hat der Verf. alle Figuren, deren die vorliegende Tafel _ allein 169 enthalt, durch grade und krumme Linien so mit ein-

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ander verbunden, dass man die Entstehung der einen aus den andern und aller aus einer,- der Grundform des Systems, er- kennen kann. Es ware zu wiinschen, der Verf. gabe zu jeder Tafel noch erklérende Anmerkungen fiir soleche,. welche in die Krystallographie nicht so tief eingedrungen sind, um diesen bloss durch Liniea bezeichneten Zusammenhang zu erkennen. Jede Figur hat eine Nummer und die Flachen der zusammengesetzten Gestalten sind auch mit Buchstaben versehen, welche man anf einer zu der Figurtefel gehérigen Tabelle wiederfindet und neben denselben nicht nur die gebrauchlichsten Benennungen, sondern auch die’ Bezeichnungen, die krystallographischen Formeln, von Hausmann, Nauman, Mohs und Weiss. Hierdurch wird Jeder in den Stand gesetzt, sowohl fir alle beobachteten Krystajle die Namen und Formeln, als auch zu einem beschriebenen Krystall fiir den Namen -und die Formel die Gestalt zu finden. Diess ist der eigentliche Zweck des Werkes, fiir welches wir dem Verf. grossen Dank schuldig_sind.. Tafel und Tabelle sind so eingerichtet, dass man sie auf Karten ziehen und an die Wand hingen kann. Jeder Mineraloge sollte sein Zimmer damit zieren. Wir haben dhnliche Zusammenstellungen der Gestalten von fran- zosischen Mineralogen gesehen, welche dieser aber weit nach- stehen. Wir schliessen in der Erwartung, der Verf. werde die folgenden Lieferungen so viel als méglich beschleunigen. J. F. A. Eichelberg.

a

x.”

Orbis Pictus. Ein Volksbuch von Kauffmann, eingefabrt yon G. H. 2.

Schubert, Mit mehr als 400 erlauternden Abbildungen, Stuttgart, Balz 1840.

I. u. Il. Lieferung. (Die If. fehit uns.)

Obgleich dieses Buch mehr fiir das Haus als fir die Schule bestimmt ist, so stellen wir es doch hieher. Es ist ein wabrer Schatz fiir 9— 13jaébrige Knaben und Madchen. Die Bilder sind zahlreich und gut gemacht, der Text riihrt von einem kenntniss-

* Es liegt uns noch eine lange Reihe von Elementar- und Volksschul- Bichern zur Beurtheilung und Anzeige vor, namentlich Sprach-, Lese-, Geschichts- , Religions-. und Rechenbiicher. Da die Padag. Revue von sehr wenigen Volksschullehrern gelesen werden dirfte, so missen wir ausfabrliche Beurtheilungen von allen Elementar - ‘und Volksschulbachern, ' wenn sie nicht neue Bahnen brechen oder doch durch eine dus- serst glickliche Behandlung des Ueberlieferten bedeutend sind, den dem Volksschulwesen speciell gewidmeten Zeitschriften Gberlassen und uns auf kurse Anzeigen beschranken.

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teichen Manne her und ist dabei gut geschrieben. Anstatt dass abnliche Biicher ein buntes Allerlei geben, treffen wir. hier ein geordnetes Lehrbuch der Weltkunde, das successiv die Ge- stalt der Erdoberflache, die Erscheinungen in der. Atmosphire, die drei Naturreiche und dann den natiirlichen und sittlichen Menschen behandelt. Maghte der (an und fiir sich geringe) Preis nicht die Einftihrung in Schulen unmdglich, so ware hier fir stidtische Volksschulen (s. g. Biirgerschulen) ein prachtigés Real-: buch gegeben. Indess, was Schulen nicht kénnen, das kénnen Privat- und Hauslehrer und Vater. ‘Wer. seinen Kindern . eine gute moralische Unterhaltungslectiire geben will, der schehke ibpen dieses Buch. ~..

Rebau, H. (Verfasser der Naturgeschichte fir die deutsche Jugend und vieler anderer Schul- und Jugendschriften) Die merkwirdigsten Sduge~ thiere nach ihren Stammen, ihrem Naturell, ihrer Lebensweise, ‘ihrem. .. Notzen und Schaden, nebst ausgewahblten Erzdhlungen zur Erlauterung. ihres Charakters und ihrer geistigen Fahigkeiten, Belehrendes und yn- terhaltendes Lesebuch fiir die Jugend beiderlei Geschlechts, Mit schwarzen ' Kaupfern. 8. cartonirt.’ 4 fl. 45 kr. oder 4 Rthlr. 7

-— ditto ditto. Mit illum, Kupfern, 2 fl. 30 kr. oder 1 Rthir. 12 ger.

Diese Arbeit des als Volksschriftstellers sehr verdienten Verfassers (Hofrath Geb auer), beschreibt einen engeren Kreis als der eben genannte Orbis Pictus, ist aber in seiner Art nicht minder empfehlenswerth. Wir Alle erinnern uns, mit welchem Jubel wir als Kinder den Raff durchstudirt haben, und wie uns die Bilder ‘ergotzten. Auch dieses Buch hat natiirlich Bilder und zwar colorirte, und Referent, der es schon zweimal verschenkte, ' hat Gelegenheit gehabt, zu-sehen, wie eifrig es von den Be- schenkten gelesen wird. Namentlich ergotzen die vielen einge- streuten Anekdoten von Thieren.

Liben , Naturgeschichte fir Kinder in Volksschulen. Enxster Theil. Thier-. Kunde. (58 S. kl. 8,) Zweiter Theil. Pflanzenkunde. (48 S.) Dritter Theil. Mineralienkunde. (46 S.) °

Ueber den Realunterricht in Volksschulen streitet man, et adhuc sub judice lis est. Ref. getraut sich nicht zu entscheiden, ob in gewdhnlichen Volksschulen auf dem Lande und in kleinen . Stidten ein Lesebuch der Naturgeschichte, das 58 + 48 + 46 = 152 Seiten zahit, durchgearbeitet werden kann. Von stadtischen Biirgerschulen, welche nach .absolvirtem Elementar- curs noch 3 4 Classen haben und die Schiiler erst mit der:

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Confirmation entlassen, ist es schon eher zu hoffen. Jedenfalls miissen auch unsere Landschulen aufhéren, blosse Elementarschulen zu sein; man wird ihr oberes Stockwerk. ausbauen, und auf jede landliche Elementarschule (6 10 Jahre) einen vierjahrigen Curaus setzen und die Schiller bis zum vollendeten vierzehnten Jahre behalten miissen. Ob auch dann die Realien als besondere Facher, nach Art hoherer Lebranstalten, gelehrt werden kénnen; ob es vielleicht nicht besser ist; fir ein gutes, aus zwei Abtheilungen bestehendes Volksschulbuch zu sorgen, dessen ‘eine Abtheilung einen fasslichen Unterricht tiber die Natur, den Menschen und die Gesellschaft (das Familien-, Gemeinde-, Staats-, National-, Vélker-Leben und das Leben im Geiste) enthalt, wagen wir nicht zu entscheiden, méchten aber eher das letztere annehmen. Wie dem auch sei Hrn. Liben’s Ansichten vom naturhistorischen Unterrichte sind bekannt, und wir wollen diese drei Biichlein hier nicht recensiren, sondern anzeigen und sie den Lehrern zur Beachtung empfehlen. Dagegen wiirde die Revue Hrn. Laben’s -methodologische Ansicht gelegentlich durch ¢inen ihrer Milar- beiter, der Naturforscher und Schulmann ist und sich selbst um die Methode des naturkundlichen Unterrichts verdient gemacht hat, zur Sprache bringen lassen. Die Fragen tiber die sog. synthetische und sog. analytische Methode (wie man es genannt hat) sind noch lange nicht entschieden. Mer.

~Noth- und Halfsbachlein, oder belehrende Vorschriften aber die Behand- lung scheintodter und in plétzliche Lebensgefahr gerathener Mengchen. Zum Gebrauche in Schulen, unter steter und genauer Zugrundlegung -der hieriber von Grossh. Badischer Sanitatscommission verfassten und herausgegebenen Belehrungen, von einem Schulmanne bearbeitet, Mit Abbildungen der wichtigsten Giftpflanzen. Karlsruhe 1842, Gutsch und Rapp. (20 S. gr. 12.) Preis 6 gr. Der Titel sagt, was das hiibsche Biichlein enthalt. Schrieb Ref. eine Recension, und nicht eine kurze Anzeige, so wirde er hier Gelegenheit haben, sich recht tiber die gottlose Zeit

auszulassen, in der die ,,materiellen Interessen,“ den Huma-

nisten und Frommen zum Trotz, zu soleh enormer Herrschaft-

gelangen. Ist’s nicht abscheulich, dass heutzutage, nachdem s0 viel geschehen ist, die ,,seichte“ Aufklirung der Philanthropie des vorigen Jahrhunderts mit ihrer faden Belehrung iiber so ,,ge- meine und niitzliche“ Stoffe auszurotten, so-ein Bichlein fir Volksschulen erscheinen darf? Katechismus und Bibel sollen sie lernen, nicht solche weltliche Sachen, wie’ man Ertrunkenen,

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-- Erfrorenen, Erhangten, Vergifleten u. s. w. beistehen soll. Dazu sind die Aerzte da, an denen depn sie sind meist. gar un- glaubig doch Nichts zu verderben ist; dem Volke geniigt das Christenthum , und wenn ja hier und da einmal Einer durch Wasser, Feuer, Dampf oder Gift umkommt, so soll man sich trésten, weil der liebe Gott es so gewollt, oder doch dem Teufel- die Anrichtung des Ungliickes nachgesehen hat. (Vergl. puther’s Werke: X, S. 1234. XIII, S. 2550.)

_ A propos, dabei failt mir eine Anekdote ein, die das Ver- dienst hat, wahr zu sein. ‘In Elberfeld gibt’s Reformirte und Lutheraner; die Rechtglaubigen unter den Reformirten glauben noch an die Pridestination. Ein versoffener Schuster, seines Zeichens ein Lutheraner, kommt eines Abends benebelt aus dem Wirthshause, und muss, um nach Hause zu kommen, iiber die Wupper. Vor ihm war ein Sfeg, die grosse Briicke lag eine halbe Viertelstunde hoher. An dem Stege bleibt .der Mann stehen, besinnt sich und halt dann folgenden Monolog: ,,Gehe ich hiniiber und ich falle hinein, so sagen die Reformirten, es - hat so sein sollen. Nun soll es mir aber nicht so sein,“ und so machte er Linksum und suchte die grosse Briicke. Weiss Gott, der Glaube wird alle Tage kleiner in Israel. Daran hat mich dies Bichlein erinnert. Mgr.

" Ebensperger (Reallehrer am K. Schullehrerseminar zu Altdorf): 1. Kurze Geographie der finf Erdtheile und Zeittafel der biblischen Geschichte und christlichen Kirchengeschichte, Ein Lehr- und Uebungsbichlein far Schiler’ Nirnberg, Stein, 1841. (48 S.) 2. Kurze Geographie und Ge- schichte Teutschlands. 1840, (31 S.) 3. Kurze Geographie und Ge-— schichte Bayerns, Zweite, verm. und verb. Aufl. 1840. (36 S.)

Ref. hat grossen Respect vor einigen Gymnasien im bayrischen Franken, die haben sich noch gehalten, sind noch deutsche Bildungsanstalten. In Ober- und Niederbayern und in der Ober- pfalz dagegen gibt’s nur bayrische Gymnasien im bayri- schen Schwaben ist man auf gutem Wege —: hier hat man das . Problem zu lésen verstanden, eine Species darzustellen, welche mit-dem Genus fast Nichts mehr gemein hat, oder vielmehr: diese meist von Klerikern geleiteten Schulen sind sui generis. Die Zeit, wo Bayern einen Aufschwung nehmen zu_ wollen schien, ist langst dahin: die Einen der damals Berufenen sind lingst fortgegangen, Andere sind -gestorben, noch Andere (z. B. Niethammer) verdorben. In. den Gewerb- und polytechni- schen Schulen sieht es nicht besser aus als in den Gymnasien ;

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die meisten Lebrer. sind ohne allen wissenschaftlichen Sinn, n- _mentlich von aller edleren litterarischen und philosophischen Bildung entblésst. ‘Das Volksschulwesen mag in Franken, wo Graser, auch als er langst quiescirt war, nachhaltig gewirkt hat, besser sein; im Ganzen ist es, bei aller dusseren Geschaf- tigkeit der Bureaukratischen Maschinerie, die jedes Jahr eine -Unsumme von Reglements, Ordres und Contreordres fabricirt, im klaglichsten Zustande, weil eben der Geist fehit.- Friedrich il. meschantes Wort: La Baviere est le pays de l’Allemagne Ie plus fertile et ou il y a le moins de génie; c’est le paradis terrestre habité. par des bétes, scheint wieder wahr werden zu wollen.

Sieht nun unser Eins in solche Biichelchen, wie sie hier Herr | Seminarlehrer Ebensperger verfasst hat., so schaut man in eine neue Welt. Dass Herr E. mit der wissenschaftlichen Erdkande nicht bekannt, auch kein absonderlicher Historiker ist, wollen wir ihm nicht aufmutzen, da es mit den positiven Kenntnissen bei sehr vielen Seminarlehrern dermalen noch nicht weit her ist; das8 aber Hr. E. ein solches Gerippe (z. B. die deutsche Geschichte auf 10 Seiten) den Schiilern in die Hande gebeo will, das kommt uns seltsam vor von einem Seminarlehrer. Die politische Geographie vertragt noch eber diese diirre Notizenform, die Geschichte vertragt sie nicht. Bei dem historischen Volke- unterrichte kann man nur zwei Wege einschlagen: entweder man gibt ausfithrliche, lebensvolle Darstellungen von Einzelnheiten und destillirt aus diesen die historische Bildung heraus, oder man legt den Schiilern in ausgewahlten Beispielen die Principien und Elemente des socialen Lebens vor Augen, gibt eine ele- mentarische Grammatik der Historie -— wie Haupt in Ziirich es versucht hat. Aber solche kahle Abrisse geben weder An- schauungen noch Vorstellungen, noch Begriffe. -Ein Anderes ist . es fiir hohere Schulen, deren. Lehrer férmliche Vortriige halten und diese. an einen Leitfaden kniipfen. Hiatte Herr _E. -seine Biichlein fiir seine Seminaristen bestimmt, so ware nichts da- wider einzuwenden, als elwa die Dirftigkeit des Inhalts. Es scheint somit, dass die bayrischen Schullehrerseminare yorlaulig auch dann nicht viel zur inneren Verbesserung des Volksschul- wesens beitragen kénnten, wenn -in der Regierung und Admini- stration des Landes ein anderer Geist und Sinn lebte als der- malen der Fall zu sein scheint. Schade um das schéne Land; was kénute es sein, wenn es nie Jesuiten gegeben hitte.

| Mgr.

?

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M. Renkewits (zweiter standiger Lehrer an der Madchenschule zu Pegau),

' Kleine Geographie und sichsische Vaterlandskunde far Mittelclassen nie-

_ derer Bargerschulen und zum Selbstunterricht (Fir wen ?) Leipzig, Heclam, 1838. (82 S. kl. 8.)

Das Biichlein belehrt uns zunichst, dass »die Geographie uns iiber:die gegenwiartige Beschaffenheit der Erdoberfliche belehrt“ und. der orbis: terrarum antiquus? und medii aevi? S. 19 ,,gehéren-die Bewohner Europa’s zu den. Gebildeten, indess ist auch unter ihnen die Stufe der Bildung noch sehr versehieden“ das auch macht einen schénen Eindruck »rob sind die gemeinen Russen und Griecben, aber noch roher die meisten Tiirken;“ ,,die Ureinwohner von Australien sind

(S. 82) simmtlich sehr roh, dabei aber ausserordentlich

kunstfertig.” |

In allem Ernste, ist es denn ein s0 dringendes Bediirfais s der- Herren Schullehrer (das Publicum. hat dieser Biicher langst

genug, auf seiner Seite ist also das Bediirfniss nicht) und ibrer -

\

Verleger, aus drei oder vier dicken Schulbiichern diinne Aus- -

ziige zu machen und diese drucken zu lassen? Wozu nun diese neue Compilation wieder? Bringt Hr. Renkwitz neuen geographi- schen Stoff? Hat er neue geographische Principien? Nein. Bringt er einen neuen Lehrgang? eine neue Methode? Auch nicht. Wozu also altem Stoff in alter Form die Gestalt eines neuen Buches geben? : .

Auch den Titel begreifon wir nicht. Das Buch gibt zwar nur ziemlich diirftige Notizen iiber das K. Sachsen ist’s aus-

' fabrlicher —- wiirde aber auch bei grésserem’ Stoffreichthame

keine geographische Bildung geben, weil Bildung an Notizen nie gewonnen werden Kann; aber sollen die Mittelclassen niederer Biirgerschulen diese Notizen lernen? Wenn die Oberclasse damit fertig wird, so hat sie das lbrige gethan.

Es ist traurig, dass im Lehrfache so viel gestiimpert wird. Wenn mun doch nur endlich einmal begreifen wollte, dass alles Lernen von Dingen, die nicht durchdrungen und verarbeitet wer- den kénnen, nichts.Bildendes hat! Das ist einer der Hauptgriinde, warum ich gegen Hrn. Wurst geschrieben habe. Jede Art von Schulen steht unter gewissen Bedingungen, an denen der Unter- richtsstoff sein Maas (Qualitét und Quantitit) hat. Wer sich mehr aufladet, als er tragen, wer mehr isst und trinkt, als er verdauen kann, der wird im. gemeinen Leben fiir einen Thoren

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gehalten; wer inp der Schule mehr lehrt als er seine Schiller in der zu Gebote stehenden Zeit und unter den vorliegenden Umstanden kann verarbeiten, in succum et sanguinem vertiren, transsubstanziiren lassen, so dass das Wissensmatérial in den Schiilern zu Geist und Kraft wird, der ist mehr als ein Thor, er schadet.

Und auf diese Art schaden Tausende von Lehrern. Wenn : nur die scholastische Praxis iiberall heute so weit ware als der gesunde Menschenverstand der Hellenen zur Zeit der sieben Weisen schon gekommen war: »Maass zu halten ist gut, diess -lehrt Kleobulus aus Lindus.“ : Mer.

Die Weltgeschichte. Ein Elementarwerk far das Volk und seine Schulen, von Dr. Friedrich Hauss, Oberlehrer am dem Gymnasium in Ziarich und Lehrer an dem Schullehrerseminar. Erste Abthei- lung. Biographischer Cursus, S. 84. Zweite Abtheilang. Die organischen Erscheinungen des Staats- und Volkslebens. Kirchen- und Culturgeschichte. Ueberblick der Geschichte der Menschheit. S. 99. Dritte Abtheilung, Anhang. Grundzige der Staatsverfassungen der Schweiz, oder des Schweizerbirgers Rechte and Pflichten. S. 42.. Zurich, bei Orelli, Fissli und Comp. 1843. *

Des Verfassers grésseres Geschichtswerk (,,die Weltge- schichte nach Pestalozzi’s Elementargrundsatzen und von christ- licher Lebensanschauung aus bearbeitet, im Verlag des bibliogra- phischen Instituts in Hildburghausen, 1841“) erfreute sich einer so giinstigen Aufnahme von Seiten des lesenden und lehrenden Publikums, dass schon nach drei Monaten eine zweite Auflage nothig geworden. Hierin erblickte derselbe .eine Aufforderung, einen schon im Anfang gehegten Plan in Ausfihrung zu bringen, durch eine kleinere Ausgabe namlich den Bediirfnissen der wei- teren Kreise des Volks und der Volksschule selbst entgegen zu kommen, Und diese Ausgabe ist es, die er hiermit dem theil- nehmenden Publikum tibergibt.

War, so weit mir bekannt, jenes gréssere Werk der erste durchgreifende Versuch einer elementarischen’ Behandlung der Weltgeschichte, so steht es jetzt schon keineswegs mehr allein. Lange, Schulze, Schwarz und mehrere andre “denkende Schul- manner haben in mehr oder weniger eigenthiimlicher Weise die gleiche Aufgabe zu losen versucht, und die geschichtliche Ele- mentarmethodik selbst hat geistvolle Discussionen hervorgerufen;

* Wir kommen auf diese bemerkenswerthe Arbeit zurick, D. H.

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wir erinnern nur- an Ad. Schmidt’s Darstellung in der Schul-_ seitung, Apri] 1841 (auch in der padagogischen Revue wieder abgedruckt). Nach solchen Leistungen musste ‘ich, da ich zur Ausarbeitung der kleineren Ausgabe schritt, mir die Frage vor- legen, ob der von mir zuerst eingeschlagene Weg noch geniigen kénne oder nicht. Dankbar bekenne ich, insbesondere durch Ad. Schmidt's Ausfiihrungen manche Belehrung gewonnen zu haben. Auch ich bekenne mich zu dem von ihm ausgesprochenen obersten Grundsatze aller Elementarmethode, ,,dass das am besten und sichersten in das objective Wissen des Lernenden iibergehe, was fiir denselben das grésste subjective Interesse hat;“ auch ich halte die Eintheilung in die drei Stufen: a) Staunen, b) Bewunderung, ¢) die objective Wissbegierde erregende Ereig- nisse“ fiir psychologisch begriindet; demungeachtet schien es mir bei dieser auf wenige. Bogen beschrankten Ausgabe weniger zweckmassig, nach ihr den Stoff zu ordnen. Es schien mir in die erste Abtheilung zu viel aufgenommen werden zu miissep, was dein Gesichtskreis der Volksschule wenigstens im Verhilt- niss zu dem idbrigen Stoff zu ferne stehe. Die von mir ge-— wahite Abstufung: a) hauslicher Kreis, b) geselliges Leben, c) Volks- und Staatsleben nach-seiner org anischen Entwick- lung, d) Kirche, e) Erfindungen, Gewerbe, Kunst und Wissen- schaft, f) Ueberblick der Geschichte der Menschheit nach ihren Entwieklungsstadien, schien mir mehr Beschrankung auf das Noth- wendige, so wie ein innigeres Anschliessen an die héchsten Be- diirfnisse der ethischen Seite des Menschen zu gestatten Weniger noch konnte ich mich mit der von Andern .yorgenommenen Eintheilung des Stoffs befreunden, nach welcher der erste Curs weltgeschichtliche Biographien in chronologischer Reihen- folge, der zweite griechische, rémische und deutsche Geschiehte, und der dritte allgemeine Geschichte enthielt. Offen gestanden, ich halte diese Zerlegung weder fiir elementar, noch iiberhaupt fiir einen Gewinn. Bleiben namlich, die in dem ersten Curs gegebe- nen Riographien und die in. dem zweiten erzihlte Geschichte der Griechen, Rémer und Deutschen im dritten Curs ohne alle wei- tere Ausfihrung, und nach héhern Gesichtspunkten vorschreitende Behandlung, werden sie vielmehr nur einfach zur Einschaltung } in der weltgeschichtlichen Gesammtentwicklung der Vélker citirt so ist ja klar, dass die Darstellungen schon auf der ersten und zweiten Stufe ganz in der Ausdehnung, und von dem universellen |

Pidagog. Revue. 1842. b, Bd. ¥. | “38 _

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Gesichtspunkt aus gegeben wurden, wie sie eben auf der dritten Stafe im Zusammenhang der welthistorischen Entwickelung noth- wendig sind; es ist klar, dass in dem ersten und zweiten Cars nicht elementare, sondern fragmentarische Behandlung der Geschichte Statt gefanden hat. Denn die welthistorischen, in der Regel so vielfach zusammengesetzten, und daher nur dem schon Gebildeten verstandlichen Erscheinungen sind nicht in ihre einfachen Bestandtheile auseinander gelegt, und diese dann wieder so gruppirt worden, wie sie dem psychologischen Entwicklungsgang des Lernenden entsprechen; sondern jene welt- geschichtlichen Erscheinungen sind in ihrer Totalitat wieder gegeben, nur ausser ihrem Zusammenhang, dort mit dem ihnen Vorausgehenden oder Nachfdlgenden, hier mit den ihnen, wenn auch noch so beziehungsyollen gleichzeitigen Ereignissen und Entwicklungsvorgingen andrer Nationen. Ist denn aber das Frag- ment verstandlicher, als sein Ganzes?

Ferner, gern geben wir zu, dass der Elementarschiiler das Leben einer Person leichter, als das Leben eines ganzen Volks . auffasst, dass darum mit biographischen Darstellungen zu_be- ginnen sei. Wenn aber jene Personen als Trager historischer Ideen, demnach als vorziiglichstes Abbild’ und Triebrad der eine Zeit beherrschenden Bestrebungen dargestellt werden, so wird ja dem Schiiler zugemuthet, eben nicht die Person, sondern die Zeit derselben, den innersten Pulsschlag des Volkslebens selbst zu begreifen. Und dennoch ist auch hieraus klar, dass -die ele- mentare Behandlung nur scheinbar gewesen. Eine wahrhafte Elementarisirung des geschichtlichen Materials bedarf offenbar eines mebr innerlichen Princips, sowohl zur Ausscheidung als zur Gruppirung desselben. Was ich hieriber seiner Zeit in dem Vorwort zu meinem grésseren Geschichtswerk ausgesprochen habe, .ist auch jetzt noch meine Ansicht. ,,Ist Geschichte,“ heisst es dort unter Anderm, ,,Darstellung des Menschenlebens in der Gesellschaft als Offenbarung Gottes, so tibersieht man leicht, welch ein Reichthum von Begriffen hier zur Erlauterung gebracht werden musste. (Gott und waltende Vorsehung; die Erde als mannigfach gestalteter und ungebildeter Wohnplatz des Menschen: der Mensch selbst in den drei Grundformen des Vereinslebens, Familie, Staat, Kirche, mit al] seinen Feblern und Tugenden; die ewigen Gesetze der im Volks- und Staats- leben sich kund gebenden Weltordnung; die Manifestationen des

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Geistes im Gebiete der Kunst und Wissenschaft; die Fortschritte in Industrie und Erfindungen; die Organisation der Menschheit in die Mannichfaltigkeit der Nationalitéten, und endlich das Ziel derselben, ihr Streben und Ringen darnach durch tausend Stiérme, Kriege, Vernichtungen und wiedergeborne Lenze, sich darstellend in den die welthistorischen Zeilraume umzeichnenden historischen Ideen Alles dies sind Elemente der Geschichte; und Aufgabe der Elementarmethode mu8s sein, sie in solcher Anordnung dem jugendlichcn Geiste vor- zufithren, dass er einerseits zu héherer Kraftent- wickelung in naturgemasser Fortschreitung gefihrt werde, und dass andererseits keine wesentliche Erscheinung des menschheitlichen Seins ohne Erladuterung bleibe.“

Aber auch geradezu nachtheilig scheint mir die oben be- zeichnete Zerstiickelung des Stoffs. Wird z. B. die Gesetzge- bung des Lykurg, die Geschichte Karls des Gr.,; oder gar der franzosischen Revolution schon auf der ersten Stufe erzahit; so ist wohl schwerlich zu vermeiden, weil man doch die Bildungs- stufe der Elementarschiiler nicht ganz ausser Acht lassen kann, dass man nicht diese weltgeschichtlichen Gréssen dem kindlichen . Auge etwas naher zu bringen bemiiht sein sollte, so dass man hier und da Manches zum wahren Verstandniss der Erscheinung ‘sonst Unentbehrliche bei Seite lassen wird. Wird nun auf der dritten, der universalhistorischen Stufe. sich lediglich auf die Er- zahlungen der ersten Stufe berufen, ohne sie unter hébere Ge- sichtspunkte zu ordnen, und die néthigen Erganzungen einzu- schalten; so liegt auf der Hand, dass die griindliche Kenntniss der Geschichte bedenklich gefahrdet ist. /

Ferner, gerade in der neueren Zeit steht kein Culturvolk mebr isolirt da; darum kann auch die Geschichte keines Volkes ohne die der andern ganz begriffen werden. Heisst es nun das Verstandniss der Geschichte erleichtern, wenn z. B. die Geschichte der Deutschen fir sich allein in aller Vollstandigkeit in dem zweiten Curse erzahit wird? Welche Beziehungen finden nicht zwischen Deutschland und Italien, Ungarn, Palastina, der Ent- . deckung Amerika’s, der Eroberung Constantinopels, und yor Allem der geistigen und politischen Entwickelung Frankreichs Statt! Wie kano aber ein Product verstanden werden, wenn man seine Factoren nicht hinreichend kennt? z : 38 *

584,

Endlich noch liegt die Frage sehr nahe, warum denn das Verstindniss der Geschichte emes Volks durch alle Entwicklungs- ' gtadien des religiésen und politischen Bewusstseins hindurch leichter sein solle, als das Verstindniss der Geschichte mebre- rer Vélker, die -in den einzelnen Perioden von den gleichen historischen Ideen in ihrem Entwickelungsgange beherrscht wer- den, und durch Kriege und Entdecktingen im Gebiete des geisti- gen, wie des materiellen Lebens An engster Wechselbeziehung stehen?

Dieses etwa sind die Griinde, um derentwillen mir -es un- méglich war, jener mehrfach betretnen Bahn mich anzuschliessen. Wenn ich nun im Allgemeinen dem frither von mir befolgten _Gange treu glaubte bleiben zu miissen; so bedurfte es doch im Einzelnen allerdings wesentlicher Nachbesserungen: Méchte es mir gelungen sein, hierin billige Wiinsche zu befriedigen. Die hauptsachlichsten Abanderungen bestehen darin, dass ich die einzelnen Erzihlungen mehr concentrirte, die weniger wichtigen ausschied, einzelne durch zweckmissigere ersetzte, vorzitglich aber dass die Begriffsentwickelung und allgemeine Tendenz kind- licher und gemeinverstiindlicher nicht bloss, sondern auch, wie ich hoffe , gehaltvoller und gereifter , der Ton der Erzahlung selbst aber gleichmassiger gehalten ist. Die von mir gewahlte ele- mentare Gruppirung des Stoffs ergibt sich aus folgender Uebersicht.

Erater oder biographischer Cursus. |

Erste Abtheilung. Der hausliche Kreis, S. 1—13.

1. Romulus und Remus, oder wunderbare Lebensrettung. 2. Cyrus oder der liebenswiirdige Gerettete. 3. Der. Schweizer- jiingling, oder kindliche Liebe. 4. Der béhmische Jiingling, - oder Edelsinn und Kindestreue. 5. Psammenit oder das Vaterherz. 6. Paulina oder Muttertreue. ‘7% Otto und Adelheid, oder der -edle Mann ist des zarten Weibes Schutz. 8. Die Frauen von Weinsberg, oder Weibertreue. 9. Rudolf von der Wart, oder Treue. bis in den Tod. ;

Zweite Abtheilung. Das gesellige Leben S. 13—36.

1. Damon und Phintias, oder Freundschaft bis in den Tod. . 2. Solon und: Krésus, oder verlass dich nicht auf Schitze. 8. Ludwig von Baiern und Friedrich von Oestreich, oder deutsche Treue. 4. Fabricius und Pyrrhus, oder eher weiche die Sonne von ijbrer Bahn, als du von dem Pfade der Tugend. 5. Gellert,

~

985

oder der Herr ist mein Hort! 6. Lavater, oder die Weihe des Christenthums. ‘7. Sokrates, oder heidnische Grosse. 8. Der Grieehen Kampfspiele, oder Kraft. und Muth dem Vaterland zu Gut. 9. Der Deutschen Turniere, oder frisch, fromm und fret ist die Turnerei, 10. Columbus, ‘oder der kiihne Seefahrer.

Dritte Abtheilung. Der Stadt, oder birgerliche Verein. Erster, Abschnitt. Der Firstenspiegel. §. 36—74. Oo

1. Wohlthiater ihres Volkes. 1. Titus, 2. Karl d. Gr. 3. Rudolph von Habsburg. 4. Peter d. Gr. 5. Friedrich Il.

2. Die Schrecken der Despotie. 1. Kambyses. 2. Phi-

—— dipp IE | |

3. Merkwiirdige Firstinnen, 1. Elisabeth. 2. Maria Stuart mS

4. Welteroberer. 1. Alexander d. Gr. 2. Napoleon. ,

5. Gottesfurcht, die schénste Perle der Firsten- krone. Gustay Adolph.

Zweiter Abschnitt. Das Birgerthum. S. 74—84.

1. Gross und herrlich ist’s, firs Vaterland zu sterben. 1. Leo- nidas. 2. Arnold von Wiukelried.

2. Gehorsam gegen das Gesetz ist des ‘Staatsbiirgers” erste Pflicht. Der Consul Brutus.

3. Auch das Weib hat Pflichten gegen das Vaterland. Zwei deutsche Jungfrauen. 1813.

Zweiter Cursus. Erste Abtheilung, Die orga- pischen Erscheinungen des Staats- and Volks- lebens. S. 1—36. | 7

1. Der Staat ist eine Anordnung von Gott. Dejaces. Nation, Volk, Volksthum. Staatszweck und Staatsformen. -

2. Freier Lebensentwickelung bedarf jedes Volk, um wahrhaft zu gedeihen. Oft wird sie verkiimmert durch die Herrsch-_ und Eroberungslust andrer Volker. Kein kriftiges Volk

_ wird solche Einmischung dulden. Es greift zum Schwerte fiir Selbstandigkeit, Freiheit und Nationalitét. Diese Kriege | bieten in der Regel die grossartigsten Erscheinungen, oft

' jedoch nicht obne traurigen Ausgang. 1. Rom und Karthago.

2. Armin, oder Rom und die Deutschen.

3. Doch der gefihrlichere Feind droht nicht von Aussen, er erwachst im Innern, wenn namlich die Grundpfeiler aller Wohlfahrt wanken: Frémmigkeit und Tugend. Mit der sitt-

| 386 lichen geht dann auch die biirgerliche Freiheit unter. Unter- gang der rémischen Republik.

4. Ueberall mit der zunehmenden Bildung erwuchsen Staats- Verfassungen, d.h. gesetzliche Bestimmungen der einem Staate eigenthiimlichen Einrichtangen und Zustande. 1. Die Lykurgische. Verfassung. 2. Die englische Verfassung.

5. Stadtsverfassungen, wie alles Menschliche, sind mangelhaf.. Darum bediirfen auch sie jeweiliger Verbesserung. Unter- bleibt diese, dann entsteht grosses Ungliick fir Fiirsten und Volker. 1. Untergang eines selbstandigen Staatslebens, Polen. 2. Die franzésische Revolution von 1789.

Zweite Abtheilung. Das religidse Leben. Die

Kirche. S. 37—859.

Das innere Leben eines Volkes offenbart sich uns aber nicht bloss im hauslichen, geselligen und birgerlichen Leben: seine erhabenste Seite kommt zur Darstellung in dem weder durch - Sprach- noch Stammgenossenschaft beschrankten religidsen Ver- ein, in der Kirche. Auch das fromme Leben erscheint in den ~ yerschiedensten Abstufungen. Das reinste ‘und erbabenste von allen tritt uns in der Kirche Jesu Christi entgegen.

1, Fetischanbeter. Thier- und Sterndienst. 2, Vielgétterei. Religion der alten Deutschen. - Rel. der alten _ Griechen. © 8. Das Christenthum: a. Der Erléser. b. Die Kirche. Urspriing- liche Reinheit. Spaterer Verfall. c. Die Reformation. ‘Dritte Abtheilung. Gewerbe, Kunst und Wissen-

schaft. S. 60-68.

1. Das Glas. 2. Das Schiesspulver. 8. Schreibekunst. Papier.

Boshdrerkerkanst 4. Dampfmaschinen. 5. Kunst und Wissen- . schaft.

Ueberblick der Geschichte der Menschheit. | | S. 69 99. an & Die alte Welt. 1. Das Kindesalter der Menschheit. 1. Indier und Aegypter. 2. Die Juden. 3. Die Phonizier. 4. Assyrer, Babylonier. Meder. - Perser. | 2. Die Blithe des Heidenthums. 1. Die Griechen. 2. Die Romer. | IL Die christliche Welt. .

387

1. Das deutsche Volk. Erster Zeitraum. Der Kampt

der Kirche. 476—1648.

Erster Abschnitt, Begriindung der Kirehenherrschaft und | des ersten christlichen Staats. 476—814. Zweiter Abschnitt. Kampf der Kirchenmacht gegen den “Staat. Ibr Sieg und ibre héchste Blithe. 814—1273. Dritter Abschnitt. Verfall der Reichseinheéit. Erstehen biirgerlicher Freiheit in den Stédten. Sinken der Kirchen- |

macht. 1273—1517. Oo

Vierter Abschnitt. Sturz des Pabstthums. Die -Einheit

des Staats véllig gelést. Reformation. 1501—1648.

Zweiter Zeitraum. Der Kampf fiir bessere Ge- staltung des Staatslebens. Erster Abschnitt. Die _ unumschrankte Fiirstenmacht. 1648—1789. _ weiter Abschnitt. Die Revolution. Die Vélker erwachen zum Bewusstsein ihrer Volksthiimlichkeit und gewinnen staats- biirgerliche Rechte. 17S9—1830. 2. Frankreich. 3. England. 4. Der Norden Europa’s. 5. Der _ Siiden Europa’s. ON Fir Schweizerschulen schliesst sich hieran noch ein drittes Baindchen, enthaltend eine Erlauterung der schweizerischen Verfassungsurkunde. In den Schulgesetzen simmtlicher regene- rirter Cantone wird namlich von den Schiilern auch Kenntniss | des Wichtigsten.aus der Verfassung gefordert. Natiirlich. Was ware ohne sie der freie Staatsbiirger? Ich unterlasse es um so mehr, hier mich des ‘Weiteren iiber diesen Gegenstand zu ver- breiten, als einerseits dieses Heft nur fir das Schweizerpubli- kum bestimmt ist, und andererseits dieser Gegenstand nicht mit 80 kurzen Worten sich abthun liesse.

Wie mein grosseres Geschichtswerk, so will auch dieses kleinere nur von dem Standpunkt christlicher. Lebensanschauung aus alle menschliche Grésse und Niedrigkeit gemessen wissen. . Dass die Volksschule eine christliche sein solle, ist die immer lauter werdende Korderung unserer Zeit. Jene wird es aber nur werden, wenn Lehrmittel. und Lebrer in gleichem Maasse in diesem Principe wurzeln.

Noch Einen Punkt méchte ich hervorheben, bevor ich diese Anzeige schliesse: Der Unterricht in jedem Fache muss wesent- lich und nothwendig sprachbildend sein, und je mebr er es ist, um so schoner sein Erfolg. Wie wenig aber leistet in der

988

Regel hierin der Geschichtsunterricht , und zwar vorztiglich durch ungenfigende Ejinrichtung der Lehrbiicher. Offenbar muss die Selbstthatigkeit des Schiilers, seine Sprach- und Productions- kraft schriftlich und mimndlich mehr in Anspruch genommen wer- den. Es kann nicht geniigen, wenn der Lehrer bei Repetitionen wieder erzaéhlt, und dem Schiiler nur einen Namen, eine Jahr- zabl, oder sonst ein Wértlein zu ergénzen iibrig lasst. Erfab-

rung lebrt vielmehr, wie wohlthatig es wirkt, wenn das jiingero

_ Alter.zu wértlich getreuer Reproduction grésserer Stiicke angehalten wird. Ja schon auf der Stufe der Volksschule soll und kann die herrliche Gabe der Rede und freien Vortrags Oeffentlichkeit ist Bedirfniss und Ruf der Zeit! elementar begriindet werden. Vorziiglich im ersten Curs sind die Erzab- lungen so gehalten, dass sie derartigen miindlichen und sebrift- lichen Uebungen reichen Stoff darbielen. LErfahrung hat auch davon fiberzeugt, wie ausserordentlich der dadurch erzielte Gewino in ethischer, intellectueller und sprachlicher Beziehung ist.

Auch der allgemeinen Klage der Geschichtslebrer, dass, wenn man am Ziele angelangt sei, das Vordere grossentheils oft wieder vergessen sei, eben weil dem Lehrer sich keine Gelegenheit dar- biete, auf das friihere einlasslicher zuriickzukommen, dirfte durch das organische Ineinandergreifen der einzelnen Abtheilungen, und besonders dadurch abgeholfen sein, dass die letzte Abtheilung die Entwickelung der allgemeinen geschichtlichen Ideen, und somit gleichsam den allgemeinen Rahmen darstellt, in welchem alle friiheren einzelnen Organismen zu einem Gesammtbilde, dem Organismus der Menschheit, sich zusammen ordnen, dass also das Letzte nothwendig die Repetition alles Friheren bedingt.

Mége- auch diese Ausgabe ibre Freunde und theilnehmende Aufnahme finden. Mége es ihr insbesondere noch vergénnt sein, zur Entfaltung eines kraftigen nationalen Bewusstseins, das wit so verheissungsvoll iiberall auflodern sehen, auch bei dem er- wachsenen Geschlechte mitzuwirken. ' Dr. Haupt.

- DRITTE SECTION. Culturpolitische Annaien.

I Allgemeine Schulzeitung. A. Deutsche Linder.

6. Deutsche Bundesstaaten.

I. Preussen.

(i. Behirden.) Berlin, 24, Nov. Ein neuer Ministcrialerlass bestimmt, dass fortan das Prageln durch den Pedell anf den Gymnasien abgeschafft werden, und kanftig der jedesmalige Lehrer selbst und auch nur in dussersten Nothfallen, diese Execution vornehmen solle. Diese Vorschrift findet hier viele Gegner. Bisher war es Sitte, dass, wenn ein Schiler sich. arg und grob vergangen hatte, der Lehrer dem Director An- zeige davon machte, und dieser dann, entweder nach eigener Entschei- dung oder nach der Entscheidung der gesammten Lehrerconferenz, und nachdem alle andern Mittel vergeblich gewesen waren, dem Schiler eine . kérperliche Strafe durch den Pedell vor der Classe und in seiner und des Lehrers Gegenwart nach Befinden der Umstande schwer oder leicht er- theilen liess, - ;

Vielleicht liesse sich hier eine Auskunft treffen. Vor einiger Zeit zeigte ein Yanken in Boston an, er habe eine ,,pddagogische Prigelma- schine von Einer Pferdekraft“ erfunden, die er gegen billige Bezahlung Eltern zur Benutzung empfehle, Die Preise seien, je nach Zahl und Qua- litat der Prigel , auf 2— 12 Cents festgesetzt. Man kdnnte fir Schulen, in denen geprigelt wird, solche Maschinen. kommen lassen, Uebrigens ware es nachgerade an der Zeit, zur Einsicht zu kommen, dass Prigel in der Regel nur in solchen Schulen nothwendig werden kénnen, deren Lehrern es an piidagogisch-didaktischer Befihigung fehlt. Wo aber in guten Anstalten ein Knabe so.weit ist, dass er geprigelt werden muss, da schickt man denselben besser fort. .

Ueber die Ministerialverfaging, dass die evangelischen Predigtamts- Candidaten vor der zweiten Prifung ein Schullehrerseminar besuchen und sich in denselben befahigen sollen, Unterricht ertheilen, eine Methode und einen Lehrer beurtheilen zu kénnen, bemerkt ein Breslauer Correspondent der L, A. Z. Folgendes: ,,Sie bietet: zwei Seiten, die eine zum Angriff, die andere zum Lobe, Seit das Schulwesen als eine der héchsten Aufgaben fortschreiteuder Staaten. betrachtet wurde, fehlte es nicht an Padagogen, grossen , gewichtigen Mannern, die auf eine Scheidung zwischen Schule und Kanzel drangen, wahrend die Regierungen es bequem fanden, die Schule unter die Kanzel zu stellen. Dieser Streit ist bis zur Stunde noch nicht beendet, und es steht bloss so viel fest, dass die Schulmanner gegen eine Beaufsichtigung von Seiten der Geistlichen sind; .wahrend die Geist- lichen mit allem Eifer daraber halten, die Richtung der Schulen nach ihren Ansichten zu lenken. Gewiss ist es, dass bisher die Schulen von den Geistlichen, die in_ihrer frihern Vorbildung grésstentheils ohne alle Kennt- niss der neuern Methoden blieben und der. bestehenden Einrichtung nach bleiben mussten, wenig profitirt haben, in nicht seltenen Fallen in ihrem Aufechwunge suriickgehalten worden sind, ware es auch nur dadurch, dass

7 \

590 inniger Friede zwischen methodisch gebildeten Lehrern und unmethodi- schen Geistlichen selten oder nie herrschte. Der. Einfluss der Geistlichen war demnach nur ein stérender, und in dieser Hinsicht war der Wunsch: tichtige Schuldirectoren bei den Regierungen anzustellen, diesen die sémmt- lichen Schulen des Departements zur speciellen Revision zu unterstellen und die Geistlichen auf den blossen Confirmandenunterricht zu beschranken, gerechtfertigt, In diesem Sinne dirften Angriffe auf die neue Verordnung, die das Aufsichtsrecht der Geistlichen auch ferner verbirgt, erfolgen. Nimmt man aber an, dass das religidse Element die Grundlage aller Ele- mentarschulen sein: solle und kénne, so Jasst sich’ nicht laugnen, dass die Aufsicht der Geistlichen keine ungeeignete ist. Und in diesem Fall ist die Verordnung sebr léblich, namentlich wegen ihrer Strenge, da_ einerseits der Geistliche nicht mehr wie ein Blinder von der Farbe sprechen wird, wenn von neuen Lehrmethoden die Rede sein dirfte, und andererseits die Lehrer Vertrauen zu ihren vorgesetzten Geistlichen fassen kénnen, in- dem die Geistlichen gesuchlten Rath zu ertheilen im Stande sein werden, was his jetzt nicht oder nur selten der Fall ist und in der Regel durch vornehmes Ueberheben iibef die ,kleinliche Schulmeisterbeschaftigune“ ab- _ gemacht wurde; beide Theile werden jetzt Achtung vor einander gewinnen, die vielleicht in christliche Liebe, mit Ricksicht auf die Schulen, abergeht. . Posen, October. Es ist seit einem balben Jahre in vielen Zeitangen davon die Rede, man habe den Plan, die Verwaltung des Elementarun- terrichts den Bezirksregierungen abzunehmen und in jeder Provinz eine _ eigene Behdrde fir Schulsachen zu_stiften. Es scheint, dass dies Gericht ungegrindet ist. Dagegen steht im hiesigen Grossherzogthum, wie ver- lautet, der Aufsichtsbehérde insofern eine Verdnderung bevor, als ‘kinf- ' tighin die Schulen nicht nach’ ihrer Grtlichen Lage, sondern nach ihrer Confession, von evangelischen oder katholischen Rathen ressortiren sollen. Bisher hatten die Schulrdthe bestimmte landrathliche Kreise. zu verwalten, und demnach fihrte ein evangelischer Rath auch die Aufsicht tber die katholischen Schulen seines Bezirks, und so umgekehrt. Die seitherige ‘Administrationsweise mag manche Inconvenienzen zur Folge gehabt haben, die durch diese Veranderung beseitigt werden; indessen diarfte ‘dagegen mit Recht zu besorgen sein, dass durch diese Neuerung die christlichen Confessionen immer schroffer gesondert werden, und dass dann die Zukunft Decennien néthig haben wird um das wieder aufzubauen, was die Gegenr- |

wart in kurzer Zeit niederreisst. |

Posen, Nov. Der Consistorial- und Regierungsrath, Jacob, der seit 1824 in dieser Stelle wirkte (seitdem hat sich die Zahf der hdheren Un- terrichtsanstalten verdoppelt), ist auf sein Ansuchen quiescirt worden. An seine Stelle tritt der bisherige Director des hiésigen Friedrich-Wilhelms- Gymnasium Dr, Wend, ein noch junger, arbeitskriftiger Mann, der sich um das Schulwesen in unserer Provinz schon mannigfache Verdienste er- worben hat. .

Posen. Sept. In Folge des in dem letzten Landtagsabschiede von dem Kénige den Polen gegebenen Versprechens ist dem Provinzial-Schul- Collegiam und den K. Regierungen der Provinz Posen die Instruction dber die Anwendung der polnischen und der deutschen Sprache in allen Unter- richtsanstalten der Provinz ertheilt, Dieselbe lautet also:

I. ‘Landschulen. 1) In: allen Landschulen, welche sowohl von Kindern deutscher als polnischer Abkunft in bedeutender Anzahl besucht werden, sollen, soweit die erforderliche Anzahl von Schulamtscandidaten vorhanden ist, nur solche Lehrer angestellt werden, welche sich bei dem Unterrichte sowohl des Deutschen als des Polnischen mit Fertigkeit bedienen kénnen. 2) Die Lehrer miassen in diesen Schulen von beiden Sprachen in der Weise Gebrauch machen, dass jedes Kind den Unterricht in seiner Muttersprache empfaéngt. 3) In Schulen, welche vorherrschend von polnischen Kindera besucht werden , ist die polnische Sprache, und in Schulen ; in welchen sich vorherrschend deutsche Kinder befinden, ist die deutsche Sprache Haupt-Unterrichtssprache. 4) Da die Kenntniss der deutschen Sprache den

591.

polnischen Efnwobnern der Provinz in allen Lebensverhaltnissen fast unest- behbrlich ist, und deshalb in vielen polnischen Gemeinden die Lehrer auch _ schon bisher auf den Wunsch der ‘Aeltern im Deutschen unterrichtet und _ die Kinder im Deutschsprechen geibt haben, so soll die deutsche Sprache in allen Schulen Unterrichtsgegenstand sein. Ebenso soll auch in vorherr- schend deutschen Gemeinden der Lehrer Unterricht im Polnischen. ertheilen, wenn es von den Aeltern der Kinder gewinscht wird. II. Stadtische Schulen. 1) In den stadtischen Schulen ist der Gebrauch der Unterrichts- sprache nach der tiberwiegenden Abstammung und dem Bediarfnisse der sie besuchenden Kinder zu bestimmen. Auch bei diesen ‘Schulen sind so viel als médglich solche Lehrer anzustellen, welche beide Sprachen ver- stehen. 2) In den obern Classen aller stddtischen Schulen muss bei dem

hierfar besonders sprechenden Bediirfnisse des Gewerbe- und Handelsstan- _ des der Unterricht in deutscher Sprache ertheilt und dafir gesorgt werden, dass die Schiler bei dem Abgange von der Schule sich im Deutschen miindlich und schriftlich geldufig ausdricken kénnen. III. Schullehrer- seminare, 1) An den Schullehrerseminaren sind von jetzt an mdglichst ‘nur solche Lehrer anzustellen, welche sich beim Unterrichte der deutschen und polnischen Sprache mit Fertigkeit bedienen koénnen, 2) Um fir die katholischen Schullehrerseminare der Provinz die erforderliche Anzahl bei-.

der Sprachen kundiger, geistig und sittlich gehdrig vorbereiteter Aspiran- ~~

ten zu gewinnen, sollen geeignete Janglinge, welche sich dem Schal- lehrerberufe widmen wollen, nach ihrer Entlassung aus der Elementarschule zur Aufnahme in die Schullehrerseminare von tachtigen Lehrern vorbereitet werden. Im Falle der Darftigkeit erhalten dieselben wahrend dieser Zeit eine Unterstitzung, die Lehrer aber, welche ihre Ausbildung dberaehmen, far ihre Bemihung eine angemessene Entschadigung. 3) Da allen Semi- naristen die Kenntniss der deutschen Sprache und eine hinreichende Fer- tigkeit im miindlichen Gebrauche derselben fir. ihren Beruf unentbebrlich ist, diese aber von den Seminaristen polnischer Abkunft ohne anhaltende Uebung nicht gewonnen werden kann, so muss der Unterricht in den Seminarien, ‘mit Ausnahme des Unterrichts in der Religionslehre und. bib- lischen Geschichte, welche jeder Zégling in seiner Muttersprache empfangt, wie bisher, in deutscher Sprache ertheilt werden. Indess miissen die Lehrer bei allen Unterrichtsgegenstanden , welche mittels der deutschen Sprache ertheilt werden, fortwahrend auf das sorgfiltigste darauf achten, . ob auch alle Zéglinge polnischer Abkunft ihren ganzen Vortrag -richtig und -volistindig verstanden haben. Wo ihnen diess zweifelhaft ist, missen sie ihren Zéglingen das deutsch Vorgetragene nochmals in polnischer Sprache wiederbolen, und sie dann veranlassen, dasselbe sowohl polnisch als deutsch, wie sie es aufgefasst haben, wiederzugeben. 4) Es ist dahin zu wirken, dass die. Lehrbicher, welche beim Unterrichte, zu Grunde gelegt - werden, in deutscher und zugleich in polnischer Sprache abgefasst wer- den. 5) Die Seminaristen sind zu iben und anzuweisen, den Unterricht in der Uebungsschule des Seminars, je nach dem Bedirfnisse der Kinder, . sowohl in polnischer als deatscher Sprache zu ertheilen, 6) Die Seminar- - lehrer sind zu verpflichten, mit den Seminaristen haufige Wiederholungen in polnischer Sprache abzuhalten , um sich die Ueberzeugung zu verschaffen, dass diese den deutschen Vortrag richtig aufgefasst haben und im Stande sind, das mittels der deutschen Sprache Erlerate sowohl in polnischer als .in deutscher Sprache klar und bestimmt wiederzugeben. 7) Mit dem Se- minar zu Paradies soll eine kleine Anstalt far Waisen polnischer Abkunft verbunden werden, damit die Zéglinge dieses in véllig deutscher Gegend liegenden Seminars Gelegenheit erhalten, sich vor polnischen. Kindern unter Anwendung der polnischen Sprache iben zu kénnen. IV. Gym- nasien, 1) Das Friedrich-Wilhelms-Gymnasium za Posen und das Gymna- _ sium zu Bromberg, sowie die Realschule zu Meseritz, welche fast’ nur von Schilern deutscher Abkunft besucht werden, sind in ilrer hisherigen}Ver- fassung zu belassen. 2) An dem-Marien-Gymnasium zu Posen, an dem Gymnasium su Trzemeszno und an dem far die sidlichen Kreise des Gross-

" , Unfahigkeit, dem deutsche

592

herzogthums neu zu errichtenden Gymnasium gelten folgende Bestimmungen: a) Es sind an diesen Anstalten von jetzt an, so weit es méglich ist, und vorziglich fir die untern Classen, solche Lehrer anzustellen , welche bei- der Sprachen in hinreichendem Maasse kundig sind; b) den Religionsun- terricht erhalt. jeder Schaler in seiner Muttersprache; c) in allen Gbrigen Lehrgegensténden bedienen sich die Lehrer in den vier untern Classen bei dem Unterrichte vorzugsweise der polnischen Sprache, wenden aber die deutsche Sprache neben jener in dem Maasse an, dass vor allen Dingen der Zweck alles Unterrichts, namlich die klare und bestimmte Aaffussung des Vorgetilagenen von Seiten fedes Sohilers sicher erreicht werde, die Schiler jedoch auch spatestens bis zu ihrem Austritt aus Tertia zu dem leichten und richtigen Verstandniss der deutschen Sprache gelangen; d) es ist daher in den vier untern Classen der Unterricht und die Uebung im Deutschen in. der Weise anzuordnen, dass die Schiler nicht durch dio °

q Vortrag zu folgen, von dem Aufsteigen in die beiden obersten Classen zuraickgehalten werden; e) von der Secunda an tritt die deutsche Sprache als Hauptunterrichtssprache ein, Die latei- nischen und griechischen Schriftsteller werden jedoch abwechselnd, jo nachdem sich die Lehrer dazu eignen, polnisch und deutsch dbersetzt und auch mittels derselben Sprache erklért. Beim Unterricht in der polnischen. Sprache und Litteratur bleibt das Polnische Unterrichtssprache; bei der Mathematik und Physik, sowie bei dem Unterricht im Franzésischen kaon dasselbe auch in den obern Classen angewendet werden. 3) Inwieweit diesc Bestimmungen auch auf das Gymnasium zu Lissa und die Kreisschulo gu Krotoschin Anwendung finden sollen, dariber wird die Bestimmung bis dahin vorbehalten,, dass die Errichtung des neuen Gymnasiums erfolgt und der Einfluss erkannt sein wird, den dasselbe auf jene Anstalten dussert, Indess soll einstweilen anch bei dem Gymnasium zu Lissa and der Kreis- schule zu Krotoschin méglichst auf die Anstellung beider Sprachen kun- diger Lehrer Bedacht genommen werden. Indem die in vorstehender In- struction enthaltenen Bestimmungen von jetzt ab an die Stelle der hierdurch aufgehobenen, friher erlassenen Vorschriften tuber den Gebrauch der deutschen und polnischen Sprache in allen Unterrichtsanstalten der Provins treten, ist es nicht die Absicht, darin eine fair immer unabdanderliche Regel hinzustellen: vielmehr bleibt es vorbehalten, diese Instruction jeder- zeit nach den bei ihrer Ausfahrung zu sammelnden Erfahrangen und nach dem wahren Bedirfnisse, wie es die Zeit ergeben wird, im Ganzen oder ‘in einzelnen Theilen aufzuheben oder zu modificiren.

Aus Schlesien, Nov. Unser Bisthumsverweser Dr. Ritter hat nan auch in Sachen der gemischten Ehen einen entscheidenden Schritt gethan. Die schlesischen Geistlichen sind nunmehi angewiesen, keine gemischten Ehen mehr einzusegnen, bei denen nicht die kirchlichen Garantien vor- handen sind. Als Grundlage dieser Anweisung soll das Breve Pius VIII. vom 25, Marz 1830 gelten, das mit Beriicksichtigung der Staatsgesetze zu beachten ist.’ Herr Ritter erklarte zugleich, dass diese Verginstigungen des Breves aber den Schullehrern und allen Kirchenbeamten vor- zuenthalten seien, weil diese ,auch durch ihr eheliches Leben der Ge- meinde nicht nur kein Aergerniss geben, was bisher vielfach durch deren gemisclite Ehen. geschehen ist, sondern durch ihr gutes Beispiel vorleuchtes sollen. Die Schullehrer sind demnach nicht zu trauen, wena sie auch von selbst die vorgeschriebenen Cautiones lei- steten, im Gegentheile, wenn sie in der evangelischen Kirche sich trauen lassen, sind sie vom Genuss der heiligen Sacramente ausgeschlossen.

Bravo! Der Herr Bisthumsverweser hat ganz Recht. So lange die Schulen nicht allgemeine Aostalten der Civilgemeinden, son- dern katholisch oder evangelisch sind, so lange kann niemand etwas da- gegen haben, wenn die Klerisei die Schullebrer mores lehrt.

_ Coblenz, 6. Dezbr. Hier + Regierungs- und Schulrath Pr. Korten, friher Oberlebrer in Aachen. og

(9. a. 3. Gymnasien und h, Biirgerschulen.) Minster,

; ; 993 -

Novemb. Die Frequenz der hoheren Lebranstalten der Provinz Westphaten im Winterhalbjahr ist: :

A. Auf den Gymnasien: Arnsberg 105, Bielefeld 172, Coesfeld 106, Dortmund 123, Hamm 98, Herford 115, Minden 154, Manster 350, Pader- born 398, Recklinghausen 111, Soest 119.

B. Auf den hob. Bargerschalen: Warendorf 67, Siegen 120.

. C. Anf den: Progymnuasien: Dorsten 36, Vreden 41, Rheine 42, At- tendorn 62, Brilon 50, Rietberg 14, Warburg 40.

Von den Gymnasien sind im Sommerhalbjahre 1841 entlassen 273, daranter 90 zur Universitat; aufgenommen im Wintersemester 335. Von “den héh. Bargerschulen sind abgegangen 70, aufgenommen 77.

(Orden.) Den R. A. O. II. m. d. Schl. der emeritirte Seminarin- spector Dr. Kriger in Bunzlau.

(9. Seminare.) An die Stelle des (beférderten? oder auf sein An- suchen in Ruhestand versetzten?) Directors Dr. Harnisch iu Weissenfels ist Superintendent Hennicke in Schkeuditz ernannt worden, Ein Artikel der L. A. Z. vom 24. Nov. sagt aiber den Neuernannten: ,,Pietisten und Nichtpietisten stimmen darin adberein, dass derselbe weder friher an irgend einem Seminar gcarbeitet, noch sich jemals besonders mit dem Volksschul- wesen beschaftigt habe. Die Pietisten meinen jedoch, dass sein Glaube das padagogische Wissen und die Kraft seiner Gebete dic Geschicklichkeit in Handhabung der Disciplin ersetzen werde, wabrend die Andern ente gegnen, selbst bei ‘einem Glauben, der Berge versetze, kénna man Das nicht lehren, was man nicht gelernt habe, und wenn auch das Gebet viel vermége, so feble doch bis jetzt noch ein Beispiel, dass es auch eine grosse Anstalt in Zucht und Ordnung zu erhalten im Stande sei. Ueber- haupt, meinen sie, werfe diese Berufung ein ganz eigenthaimliches Licht anf das preussische Volksschulwesen, wenn dasselbe trotz des angeblich hohen Grades seiner Ausbildung und trotz der vom Ausland ihm gezollten Anerkennung nicht einen einzigen Mann aus seiner eigenen Mitte aufzu- bringen vermochte, der zur Uebernahme einer solchen Stelle befahigt er- schienen ware. - -

Dieselbe Zeitung bringt dann in.Nro, 338 eine Entgegnung, in der es heisst: Der Superintendent H. sei allerdings friher weder Volksschul- lehrer noch Seminarlehrer gewesen, indessen werde derjenige nicht daran Anstoss nehmen, der die Fahigkeit des Menschen nicht bezweiflo, sich in den Jahren der manniichen Kraft in ein Fach der padagog. Thatigkeit praktisch einzuarbeiten, welches ihm bisher von dieser Seite entfernter gestanden hatte. Ferner: ,,Wir glauben nicht, dass Superint. H. sein neues Amt ohne Gebet antreten und fahren werde; diess wird ihn daza kraftigen und ihm den Muth aufrecht halten, die Schwierigkeit des Amts zu besiegen.“ (Das Gebet in allen Ehren, aber es heisst nicht nur Ora, sondern auch Labora und zwar in einem Fache muss man lange vorher gearbcitet haben, ehe man Andre in diesem Fache zu unterweisen unter- nimmt.) Gleichzeitig gibt die Redaction eine zweite Berichtigung, von der wir vermuthen, dass sie einen officiellen Ursprung hat. Wir theilen sie hier mit und wollen winschen, dass Hr. Seminardirector Hennicke mit der Zeit halb so viel leistet als Harnisch (besonders in friheren Jahren) geleistet hat.

»Wegen der engen Verbindung, in welcher das Volksschulwesen mit der Kirche steht, ist das Ministerium der geistlichen und Unterrichts-An- gelegenheiten bisher immer bemiht gewesen, zu den Directorstellen an den Bildungsanstalten fir Volksschullehrer vorzugsweise Manner zu berufen, die als Geistliche oder wenigstens mittels ihrer theologischen Ausbildung das Bedarfniss der Volksschulen und das Verhaltniss derselben zur Kirche kennen und wirdigen zu lernen Gelegenheit gehabt haben und daher auch die Fahigkeit besitzen , bei der Unterweisung der angehenden Lehrer den . kanftigen Beruf derselben nicht bloss in didaktischer Beziehung, sondern in seinem ganzen Umfang in’s Auge zu fassen und zu leiten. Bei der _ Wiederbesetzung erledigter- Seminar-Directorstellen handelt es sich daher

; a) oe

nicht darum, aus der gewiss nicht geringen Zahl ehrenwerther Manner, die ein Seminar in didaktischer Hinsicht zu leiten befahigt sind, einen beliebigen auszuwdhlen. Es kommt aber ferner noch hinzu, dass, wenn eine Anstalt unter langjdhriger Leitung eines ausgezeichneten Vorstehers zu einer besonders segensreichen Wirksamkeit gelangt ist, der oberauf- “sehenden Behérde eine ganz besondere Pflicht obliegt, bei der Auswahl des Nachfolgers ihre Aufmerksamkeit auf einen solchen Mann zu richten, der vorziglich geeignet erscheint, die Leitung der Anstalt ganz in dem Geiste des Vorgangers fortzusetzen, welcher ibr die allgemeine Anerken- nung segensreichen Wirkens zugewendet hat. Dass bei der Wiederbe- setzung der Directorstelle zu Weissenfels von diesen Gesichtspunkten aus- gegangen und der dessfallsige Beschiuss nicht ohne sorgfaltige Prifung und ohne den Beirath Derer, die den Zustand und das Bedirfniss des Seminars aus eigener Erfahrung genau kennen, gefasst ist, darf aus gater Quelle versichert werden.“

‘WIKK. Stiddeutsche Staaten. 1. Wirttemberg.

(2. Gelehrtenschulen.) Stuttgart. Die Stelle des Lehrers der franzés, Sprache am Obern Gymnasium ist dem~Prof. Borel von der - polytechnischen Schule, die am mittleren Gymnasium dem bisherigen pro-

visorischen Lehrer Endtner Gbertragen worden.

y. Deutsche Nebenlinder. K. Die Schweiz.

Vorbemerkung. Im Prospectus der Pidagog, Revue ist unter den Zwecken unseres Unternehmens auch der angefihrt worden, zur Wieder- anknipfung der zu unser Aller Schaden unterbrochenen Verbindung zwi- schen der Schweiz und dem ibrigen Deutschland Etwas beitragen zu helfen. Wir dachten den Schulmannern und Erziehungsrathen der Schweiz kénne es nicht schaden, wenn sie mit dem, was in dem grossen deutschen Lande fir schulmassiges Studium der verschiedenen Wissenschaften, fir allge- meine und specielle Methodik, fir Organisation, Gesetzgebung und Ver- waltung der Schulen von Schulmannern und Behérden geschieht, regel- massig bekannt gemacht wirden; wogegen durch Berichte tiber die schweizerischen Unterrichtsanstalten den deutschen Schulmadnuern und Be- hérden wieder mancher Dienst geschehen misste, da man in Manchem da und dort in der Schweiz entschieden weiter ist, als in irgend einem der Staaten des deutschen Bundes, Auch schien es uns, als miisse es fir das deutsche padagogische Publikum angenehm sein, Arbeiten von manchen schweizerischen Autoren zu lesen, so wie letzteren, vor einem grdésseren Publicum reden zu k6nnen, als ihnen irgend ein schweizerisches Blatt dar- bieten kann. Der Herausgeber ist nun zwar seitdem nicht auf andere Gedanken gekommen, und doch hat er seit Monaten die Rubrik ,,Schweiz" unbericksichtigt gelassen. Der Grund liegt in dem Ekel, den ihm die Art und Weise einflésst, wie in den meisten schweizerischen Zeitungen die "Sprecher der Parteien Offentliche Angelegenheiten behandeln. Fars Erste besteht neben dem ingrimmigsten Hasse, deu sich die Parteien gegen- seitig weihen,; die -wahnsinnigste Verblendung: jede Partei hat sich die Lige eingeredet, die Gegner seien absolut nichtsnutzig: die Je- suitenblatter tractiren die ‘sogenannten Radicalen wie Diebe und -Moérder (die Lucerner Staatszeitung zum Beispiel sagt ,veraarauern*, weun sie »stehlen sagen will wegen der aufgehobenen Kléster); die radicalen Blatter machen es ihren Gegnern nicht besser, sie stecken eben so tief im Jesuitismus als die Jesuiten, welche sie bekimpfen, und auch ihnen gelten Ligen, Verdaichtigungen, Verlaumdungen, wenn man der eigenen Partei dadurch.nitzen, den Gegnern schaden kann, nur far rhetorische Finten und im Ganzen fir héchst erlaubte Kriegslisten. Die weniges ehten Radicalen, die ehrlichen Deémokraten, welche (wie s, B.

Staatsrath Druey in Lausanne) die in den Verfassungen als _politisches ‘Axiom ausgesprochene ,,Volkssouverainetét“ ernstlich nehmen, dieselbe auch dann acceptiren, wenn das Volk anderer Meinung ist, als sie; die zwar die Jesuiten bekdmpfen, aber. bei diesem Kampfe nicht selbst als Jesuiten (Jesuiten der ,Cultur“) sondern ehrlich verfahren: diese Wenigen werden entweder als Trépfe bemitleidet, oder man. gibt zu verstehen, sie seien im Geheimen verkauft, bestochen u. s. w.. Firs Zweite werden in der Schweiz alle Principrenkampfe persénlich was bei der Kleinheit der Staaten nicht wohl anders sein kann —; nun kénnen sich unsre Leser ausserhalb der Schweiz unmdglich eine Vorstellung von der Weise machen, wie jede Partei mit besonders missliebigen Personen der Gegenpartei um- springt. Die Zeitungen sind die Hetzpeitschen der Parteien, Wir wollen vorlaufig keine Beispiele dieser Publicistik mittheilen. Da nun der Heraus- geber der Revue dermalen in der Schweiz lebt, so ware das Gesagte véllig hinreichend, um ibn zu veranlassen, mit den Berichten aus diesem Lande aufzuhéren, da fast jeder Bericht einen Theil der Betreffenden ver- letzt. Es kommt aber drittens noch dazu,“dass der Herausgeber der Revue ganz besonders geeignet ist, durch seine Urtheile Missfallen zu erregen. _ Nicht etwa darum, weil seine politischen Ansichten im Allgemeinen keine schweizerisch - republicanischen, sondern monarchische sind: denn er vere ‘mag sich auf den Standpunct der schweizerischen Zustinde zu stellen und findet es natirlich sehr natarlich, dass die Dinge in Polyarchien anders organisirt und geleitet werden, als in Monarchien; sondern darnm, weil er, auch wenn er vom Standpunkte des schweizerischen Bedirfnisses aus die Dinge ahsieht, nur in seltenen Failen die Bestrebangen und Thaten einer der beiden Parteien unbedingt loben kann, Es ist schwer zu sagen, auf welcher der beiden Sciten mehr Unvernunft ist, auf welcher der beiden - Seiten mehr Ungerechtigkeiten begangen werden. Unter solchen Umstan- den wire der Herausgeber der Revue einigermassen entschuldigt, wenn er es vermiede iiber die Schweiz zu reden. Indem er nun dennoch die Mittheilungen aber dieses Land fort- und sich damit der Gefahr aussetzt, - von radicalen und antiradicalen Schimpfblattern gelegentlich aus allen Ton- arten ausgeschimpft zu werden, hofft er von den besonnenen und recht- lichen Mannern, sowohl der liberalen als der conservativen Partei und von den achtbaren Zeitungen, deren es glicklicherweise doch auch etliche gibt, dass sie ihn vorkommenden Falls gegen unbegriindete Angriffe wer- den schitzen helfen. Der Herausgeber der Revue glaubt dies um so eher hoffen zu dirfen, als er in. seinen eigenen Mittheilungen dber die Schweiz stets Wohlwollen far Land und Volk und Billigkeit gegen die Wohlge- sinnten beider Parteien bewiesen hat, was freilich nicht ausschliesst, unter allen Umstinden jedes Ding-bei seinem Namen zu nennen. | Schliesslich sei tber -allenfallsige Inconsequenzen bemerkt,/dass der _ Herausgeber nicht nur eigene, sondern auch von Mitarbeitern gelieferte _ Artikel gibt, Manches auch den Blattern der einzelnen Cantone entlehnt.

; 1. Zurich. |

- (4. Behtrden.) Erziehungs- und Regierungsrath haben das Jahr 1842 hindurch der radicalen Opposition gegeniber einen harten Stand gehabt; Bis zum Frihjahr prophezeiten die radicalen Blatter, der neue grosse Rath werde eine radicale Majoritat zeigen, und diesé wérde als~ dann in den ,Septemberbehérden“ aafrdumen, Der grosse Rath ward ge- wahlt und die Radicalen kamen zu keiner Mehbrheit. Nun’ war von dieser Seite keine Hilfe zu hoffen und so mussten dann ,,Republikaner* und ,,Land- bote*, von. den radicalen Blattern anderer Cantone unterstitzt, in Gotte Namen allein fir die ,,Freiheit“ und die ,Cultur“ kampfen. ° Die Kirchmayersche Geschichte gab eine willkommene Gele~_ .

genheit. Am 26. Mai, Abends gegen if Uhr, wurde ein betrunkener. Student, da er larmte, von zwei Nachtwachtern aufgegriffen. Auf sein Hialferufen kamen zwei andere Studenten, die sich so eben von ihm, den sie bis an seine Wohnung begleitet, entfernt hatten, herbeigeeilt und

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| «OG .

baten die Nachtwachter om Freilassung ihres Commilitonen, dessen Namen so wie die ihrigen sie anzugeben sich erboten. Da die Nachtwachter ihren Arrestanten aber fortrissen, suchten sie ihn los zu machen, in wel- chem Kampfe der eine Nachtwachter mit dem einem der helfenden Studen- ten, Kirchmayer von Stéifa, etwas zuriickblieb, worauf sich, nach der Aussage von sechs nabe stehenden Birgern, Folgendes zutrug. Der Nacht- wachter versuchte Kirchmayern mit dem Stock einen Streich zu versetzen; denselben parirend schlug K. dem Nachtwachter Stock und Hut weg, worauf dieser ohne weiteres seinen Saébel zog, nach Kirchmayern stach - und, indessen dieser seinem Kameraden rief: ,ich bin verwundet!“ dem andern Nachtwiachter nacheilte. Der Stich, in den Schenkel gedrungen, hatte eine Arterie zerschnitten, der aus der Nahe geholte .Arzt fand eine Leiche, ° | _ Man sieht, das ist ein Unglack, wie deren in jeder Universitatsstadt von Zeit zu Zeit leider vorfallen und so lange vorfallen werden, als es Studenten gibt, die sich betrinken und man nur Leute aus dem ungebil- detsten Theile des Yolkes zu Polizeidienern und Nachtwachtern machen kann, Jedenfalls war die Regierung an dem Unglicke sehr unschuldig.

Was das Ungliick drger machte, war das entweder héchst ungeschickte, oder hdchst parteiische Verfahren des Bezirksstatthalters. Derselbe liess einen der Studenten sogleich, einen andern den folgenden Morgen ver- haften, wahrend der Nachtwachter fast zwei Tage lang frei blieb. (Er wurde spiater wegen fahrlassiger Todtung zu 15 Monaten, und in zweiter Instanz zu einem Jahre Gefangniss verurtheilt.) Ueberhaupt soll die Ziricher Stadtpolizei gegen die Studeuten aibelgesinnt sein, wie denn auch mebrere der Heftigsten von der antiradicalen Partei so weit gingen, dem Nacht- wachter Recht zu geben.

Der Senat der Universitat beschwerte sich bei der Regierung und stellts mehrere Antrége; die Zuschrift war nicht in allen Theilen-zu bil- ligen, die Antwort des Regicrungsrathes war es eben so wenig. Der Se- nat remonstrirte, jedoch ohne Erfolg. Ein Schreiben von der Lehrerschafe der oberen Industrieschule wies die Regierung einfach ab.

Was aber die Sache am meisten vergiftete, das waren die Artikel im Republikancr und im Landboten. Beide Blatter suchten das Ungliick ,,aus- zubeuten“, den politischen Hass zu schiren. Man scheute sich sogar nicht, bei dieser Gelegenheit an die Antipathie der Landbewohner gegen die Stadt zu appelliren als wenn der Nachtwdchter in der Nacht dem Ge- tédteten hatte ansehen kénnen, ob er ein Stadt- oder ein Landbarger sei. Finer der Artikel des Republikaners war von einem der Haupter des ziricherischen Cultus-Radicalismus, dem Prof. der Rechte Dr. Keller. Es ist unbegreiflich, wie dieser ausgezeichnete Gelehrte und seine gleich-

- gesinnten Freunde noch nie auf den Gedanken gekommen sind, dass ihre Ansicht von Justiz, Administration u. dgl. mit den Fundamentalbedingangen ,einer demokratischen Polyarchie im schneidendsten Widerspruche steht. So schrieb Keller im Mai, als er die Wahl in den Grossen Rath ausschlug: ,»Getreu dem Sinne meiner Wirksamkeit von 1830 strebte ich die Bewe- gung dieses Jahres fir unsern Canton auf geistige Bahnen za leiten und demselben fir immer diejenigen Institutionen zu gewinnen, welche durch die Erfahrung aller gebildeten Vélker als die Grundbedingungen von Ord- nung und Freiheit anerkannt sind. Es handelte sich dabei, wenn man nur die Sache nach dem Leben und nicht nach Traumen auffassen wollte, nicht um neve Erfindungen auf den Hohepunkten republicanischer Eigen- thimlichkeit, sondern um Erkampfung derjenigen Institutionen, in deren vollem Genusse sich fast alle Monarchien Europa’s, absolute wie constitu- tionelle, seit langster Zeit befanden. Oder hat nicht die Trennung der Gewalten, namentlich die Emancipation der Gerichte von dem beherrschen- den Einfluss der vollziehenden Gewalt den wesentlichen Gegenstand unse- rer Verfassungsdiscussion ausgemacht und ihr eigentlich den Charakter - verlichen? .War nicht die Hebung des beispiellos versunkenen Unterrichts- wesens und was za ihrer Vorbereitung und Bewerkstelligung ndthig war,

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das Hauptgeschaft der an die Verfassung sich anschliessenden Gesetzgebung? Genug, mein offenes Bestreben war stets dahin gerichtet, Werke der Ci- vilisation hervorzurufen und dadurch solide Versdhnung der Parteien zu begriinden, dagegen ultrademokratische Tendenzen, die ich fir Freiheit wie far Ordnung gleich verderblich halte, zu bekampfen und zu beseitigen. Daher hatte die Partei, welche sich in unserm Lande die conservative nennt, der Natur und politischen Wahrheit gemass, sich an mich an-. schliessen missen. Allein ibre Wortfahrer, durch persénliche Leidenschaf- ten verblendet, zogen vor, sich zu Werkzeugen des Spiessbirgerthums, dem sein Neid und Hass und Unmuth bekanntlich allenthalben sogar aber die eigenen wohlverstandenen Interessen geht, herzuleihen und selbst ganz | in diesem Geiste, nachdem sie auf dem Felde ehrlicher Discussion (wel- ches nie verlassen zu haben mein Stolz ist) nicht ausreichten, zu persdn- licher Anschwareung ihre Zuflucht zu nehmen und sich daraus entweder selbst gegen meine Freunde und mich Waffen zu schmieden oder wenn andere es far sie thaten, die Vortheile davon mit hochnasiger Frommigkeit und Sittsamkeit, schmunzelnd und gegen besseres Wissen: und Gewissen schweigend, einzustreichen. So haben sie, im crassen Widerspruch mit ihrem vorgeblichem Princip, die schlechtessen Elemente der VolKskraft entfesselt, die Herrscbaft der rohen Gewalt herbeigefaihrt und geibt, und so geht es noch immer fort.“ Ref. kann sich nur freuen, wenn ein Re- publikaner zugesteht, dass fast alle Monarchien absolute wie constitu- tionelle sich seit langster Zeit im vollen Genusse mehrerer sehr win- schenswerther Institutionen befinden, die in Zarich bis 1830 gefehlt haben; aber er muss sich wundern, dass es einem so gelehrten Manne nicht ein- fallt, einmal daraiber zu reflectiren, ob das nicht vielleicht daher kommt, weil die Monarchien eben nicht Polyarchicn sind, und ob man vielleicht der Republik nicht ihren Charakter nehmen miisste, um ihr gewisse Insti- tutionen zu geben. So mag es z. B. sehr richtig sein, dass in Zirich Polizei und Gerichte * viel zu wianschen dbrig lassen, und dass der Bey zirksstatthalter seines Zeichens ein Thierarzt die fragliche Uater- suchung nicht secundum legem artis gefahrt hat: es fragt sich nur, wie man es in einer demokratischen Republik, in der fast Jeder zu jedem Amte gewahlt werden und Niemand seine Existenz auf ein administratives oder gerichtliches Amt granden kann, anstellen soll, um fir jede Stelle jedesmal durch Fachstu 'ien vorgebildete Beamte za haben. Eben so wirde sich Derjenige sehr verdient machen, der ein Mittel ausfindig machte, wie man eine Demokratie haben kann, die nicht gelegentlich zu einer ,,Ultra- demokratie“ wird. Unserer Ansicht nach liegt es eben so in der Natar der Demokratie, absolutistisch zu sein, als dies in der Natur der Auto- kratie liegt. Geschriebene Verfassungen sind schon in Monarchien eine sehr schwache Garantie fir den jeweilen schwachern Theil, in demokra- tischen Republiken sind sie ganz und gar keine, da eine siegende Majo- ritét noch’ viel weniger Ricksichten nimmt, als eine siegende Hofpartei. Freilich ware es bequem fir die, wahren oder vermeintlichen Culturtraéger eines Landes, wenn sie far sich die Annehmlichkeit geniessen kénnten, als Bruchtheile eines Souverains zu leben und dabei die Masse nicht als Minister, sondern als Bruchtheile eines Souverains gat monarchisch zu re- gieren. Dergleichen kann man probiren, aber es lasst sich nicht ausfahren, wie der 6, Sept. 1839 bewiesen hat. -

"Am wirdigsten sprach sich aber die unselige Kirchmayersche Ge- schichte der. von den Radiealen so verschriene ,Beobachter aus der dst-. lichen Schweiz“ in dem Artikel ,Die Studiren:ten und die Polizei“ aus. (No. 66.)

* Prof. Keller, der in diesen Tagen, seines Artikels gegen den Be- zirksstatthalter wegen, vor dem Bezirksgerichte stand, erzeigte dem Ge- richte nicht einmnl die Ehre vor ihm reden zu wollen. Er verzichtete auf die Vertheidigung, liess sich verurtheilen und appellirte ans Qber- gericht. | .

Padag. Revué 1812. b, Bd. V. | 39

«

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Auch die vom Erziehungs- and vom Regierungsrathe vorgeschia- gene Grindung einer Religionslehrerstelle am oberen Gymnasium gab is der Junisitzung des Grossen Raths zu unerfreulichen Debatten Anlass.

Dann gab die Einweibung des - neuen (grossartigen und pracht- vollen) Cantonsschulgebaudes * im August wieder Anlass za Misshelligkeiten, ja sogar za einem Pressprocess zwischen dem Redactor des ,Deutschen

‘Boten“ und dem Prof, Mousson, Ref. kann nicht ermessen, ob es zweck-

miassig war, folgende Worte der Mousson’schen Rede bei dieser Gelegen- heit und vor Schilern zu dussern; dem Inhalte nach pflichtet er ihoen durchaus bei, Hr. Mousson sagte: ,Ich gehére nicht za denen, welche die Schule zom Mittelpunkt des Staates, zur Lenkerin und Beherrscherin

- anderer birgerlicher Lebensverhéltnisse machen wollen. Wie die reifern

Jugendjabre nach ewigen Naturgesetzen nur eine kurze Vorbereitung und Vorentwickelang sind auf die linger dauernden Jahre maonlicher- Thatigkeit, so soll auch die Schule ihre bescheidene Stellung als weckende, vorbil- dende, in das Leben einfahrende Anstalt nicht verlassen, um auf Staat und Kirche, auf Recht und Politik tberzugreifen. In -ersterer Stellang bleibt sie, wie auch die Erfahrungen unserer Anstalt es beweisen, des Schutzes und Beifalles aller Guten und Verstindigen gewiss, durch die letztere Handlungsweise dagegen wirft sie sich in den Strudel‘ der Leiden- schaften, aus dem leider nur Weniges rein und unverdorben hervorgeht. Zu heilig ist das uns anvertraute Gut, um ohne Noth den Launen des Zufalles oder den Angriffen des Muthwillens preisgegeben zu werden.

' Noch eine Bemerkung mége uns, Lehrer, warnen, das freundliche, fried-

liche Gebiet der Schule in unserm Streben nicht mit dem unruhigen Trei- ben des politischen Lebens zu vermischen. Die menschliche Einsicht, das menschliche Herz, die menschlichen Krafte sind nun einmal ein- zelne hochbegabte ausgezeichnete Geister mégen allerdings eine Ausnahme bilden so geschaffen, dass sie nicht zwei Gebieten geistiger Thatigkeit sich mit Erfolg widmenh, nicht zwei Herren dienen kénnen. Unwillkabr- lich, uns unbewusst, wirft sich die Neigung und mit ibr die Seele unserer Handiungen der einen Macht in die Arme, wabhrend die andere, unabsicht- lich vielleicht, zum Knechte erniedrigt wird. Und welche von _ beiden, die Arbeit fordernde, strengbindende Schule oder das lockende, ungebun- dene politische Treiben, wird bei den ungleichen Ansprichen Herrin blei- ben, welche Pienerin werden? Ich firchte, die Erfahrung hat bereits entschieden.“ . : .

Ein anderer Stein des Anstosses ist die Schulsynode, (Die Revue wird gelegentlich den Gegenstand theoretisch besprechen, and bei der

Gelegenheit zeigen, dass das alte Gesetz den Begriff einer Schulsynode

eben so wenig realisirte, als das jetzige es thut; die jetzige Scbulsynode ist eine General-Conferenz der Primar- utid Secundarlehrer.) Die am 29. Aug. zu Uster versammelte diésjahrige Synode hat mit starker Majori- tét fir Aufhebung der neuen ihr gegebenen Organisation und restitatio in integrum zu petitioniren beschlossen (fir Errichtung einer. Alters-, Wittwen - und Waisencasse seigte sich in der. Versammlung weniger Sion; ein jugendlicher Sprecher fand es sogar unzweckmassig, in der Jugend Geld zusammenzulegen, von dem man erst so spat, und bei frihem Tode gar keinen (Gienuss habe.) Die Petition wird in der Decembersitzung des Grossen Rathes vorgelegt werden. . | .

Das bedeutendste gravamen gegen die Regierung war die Scherr’sche Sache, obgleich weder die Regierung noch so eigentlich der Grosse Rath Arn. Scherr’s Missgeschick verschuldet baben, sondern dieses lediglich eine Folge davon war, dass einé der radicalen Partei, zu welcher Hr. Scherr sich hielt, entgegengesetate Partei im Herbst 1839 im Staate Mei- ster wurde. Die Behérden, die Hrn. Scherr entliessen, constatirten nur ein Factum. Die Haupter der radicalen Partei und ihre hauptsachlichsten

‘Werkzeuge waren oder galten doch beim Volke nun einmal far unchrist-

* Unten ein eigener Artikel aber das Fest.

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lich, far ,,Straussen“ ; die siegende ,,conservative" Partei ist, oder gilt‘doch |

far christlich; natiérlich konnte unter solchen Umstanden Hr. Scherr nicht Seminardirector bleiben. Die Art und Weise, wie indess die Behédrde

Hro. Scherr beseitigte, dieser formell legale Weg, ist von uns schon friher .

charakterisirt und einer Behérde unwirdig genannt worden. Vielleicht konnten indess damals Regierung und Grosser Rath nicht mehr thun. Hr. Scherr nahm die 4400 Fr. Entschadigung nicht an, seine radicalen _ Freunde versprachen ihm, die Sache im nachsten Grossen Rath zur Sprache

zu bringen, ihm glinzende Satisfaction zu verschaffen u. s. w. Unterdess |

versammelte sich der Grosse Rath zwei- oder dreimal, die Radicalen fahl- ten sich.entweder zu schwach, oder sie fanden es nitzlich, die Wunde offen zu halten. Unter solchen Umstanden’ kam (wie zu vermuthen) ganz im Stillen zwischen der Regierung und Hrn. Scherr folgende Uebereinkunft tu Stande, aber die sich jeder Wohldenkende freuen muss:

Art. 1. Der Regierungsrath stellt eine Ruhestandsversetzungsakte in

Form und Inhalt aus, wie folgt:° .

»» Der Regierungsrath des K. Zirich, in Betracht, dass durch ein Ge- setz vom Jahr 1840 das Schallehrerseminar reorganisirt, die Lehrstellen '. als erledigt erklirt, und der 1832 berufene Seminardirector Dr, Thomas Scherr, wegen wésentlichen Aenderungen in den Diensverhiltnissen, nicht wieder auf die Directorstelle gewahit worden ist,““ .

, » beschliesst:

nis sei derselbe in Ruhestand versetzt, mit Anerkennung, dass er wahrend seiner ganzen Dienstzeit von den damaligen Aufsichtsbehdrden stets die ebrenvollsten Zeugnisse erhalten habe und unter Vorbehalt des emtlichen Titels und der persénolichen Vortheile, welche den Mitgliedern des zircherischen Lehrstandes gesetzlich zugesichert sind.“

Art. 2, Der Regierungsrath abernimmt das dem Hrn. Dr. Scherr in.

Kissnacht zugehérige Heimwesen, in scinem ganzen gegenwartigen Be-

stande, an Liegenschaften und vorhandener Fahrhabe, Kaufsweise um den

- aus vorgelegten Verzeichnissen ersichtlichen Kostenpreis von 13,295 f1., schreibe dreizehntausend zweibundert fanfundneunzig Gulden. ;

Art. 3. Hr. Director Scherr stellt hierauf folgende Erkldrung zu Han-

den des Regierungsrathes: . .

»Der Unterzeichnete, in Folge einer durch seinen Bevollmachtigten, Hrn. Statthalter Sulzer von Winterthur, mit einem Bevollmachtigten der hohen. Regierung, Hrn. Regierungsrath E. Sulzer abgeschlossenen Ueber-

einkunft, nach welcher er durch die competente Behdrde in den Ruhe-—

stand versetzt worden, und die hohe Regierung sein Heimwesen in Kiss- nacht am die Kostensumme von 21,272 Frk., schreibe einundzwanzigtausend ‘gweihundert zweiundsiebzig Schweizerfrauken kéuflich dbernommen hat erklart zu Handen der hoben Regierung, dass er die ausgesetzte Entschi-. digang von 4400 Frk., schreibe viertausendvierhundert Schweizerfranken als befriedigend annehme und auf alle und jede weitern Anspriche hin- sichtlich seiner Staatsdienstverhaltnisse hiermit férmlichst Verzicht leiste.“

Sowohl dem Regierungsrathe als Hrn, Scherr muss man Glick win-

~

schen, dass bie den Verstand gehabt haben, diesem Handel ein Ende zu .

machen; unbegreiflich ist es dagegen, wie der ,Beobachter der dstlichen Schweiz“ (No. 143, 2. Dec.) bei dieser Gelegeuheit wieder aber Hra. Scherr spdtteln kann. Dass ein Theil der Radicalen sich aber die Ueber- einkunft drgert und Hr. Scherr von ihnen bereits spdttische Worte héren muss (er hatte ihnen vertraven, d. h. er hatte ihnen die Gelegenheit zu giftigen Angriffen nicht nehmen-sollen), das ist in der Ordnung. Begreif-

licherweise hat die Regierung das gekaufte Haus so hoch bezabit, dass

Hr. Scherr, wenn er die bereits fraher bewilligten 4400 Fr. dazu rechnet, jetzt cin Capital empfangen hat, das, zweckmassig angelegt, ihm dieselben Dienste leistet, wie eine Pension. * \

* Auch fir die Pidag. Revue ist es erfreulich, das die Scherr’sche Angelegenheit endlich abgemacht ist, Hr. Scherr ist oer wagten

~

600 Oo :

(2.u.3. Cantonsschule und die Schule in Winterthur) . Wir feierten im August zwei Schulfeste: das erste (15. Aug.) galt der neuen Cantonsschule: es verliessen namlich oberes und unteres Gymnasium, obere und untere Industrieschule die engen und theilwe:se dankeln Raume, in welchen seit einem Jahrtausend die Hauptschule Ziarichs ihre Herberge genommen hatte. Wie ein Schwalbennest an den ausgezahnten Thom sich heftet, war die Schule an den byzantinischen Dom des grossen Min- sters angebaut: anfanglich eine Klosterschule der Chorbrider, dann ein Gymnasiom, Carolinum geheissen, weil viele Sagen den Napuleon der germanischen Cultur als den Stifter der ersten Schule bezeichneten ; Zwingli hat diese Erweiterung der Klosterschule in eine Lehranstalt der Theologie und Philologie zu Wege gebracht; er der erste Rector, welcher das neue Gymnasium zu einer schénen Blithe brachte. In dem far die Schulen der Schweiz fruchtbaren vierten Decennium unseres Jahrhunderts entstand die Industrieschule wnd ward in ihren beiden obern Abtheilangen mit dem Gymnasium zu der ,Cantonsschule* vereinigt, Da muaste ein neues Ge- baude geschaffen werden; denn dic Schule ist nicht mehr bloss Bildnerin von Kirchendienera, ihre Wohnstatte darf nicht mehr linger in einer Ecke des Domes gesucht werden, dachten die Radicalen von Zirich (also ge- nannt, weil sie mit hoffendem Sinn viele Wurzeln von wissenschaftli- chen lustitutionen in das Erdreich des Staatslebens setzten). Nun krént auf der siiddstlichen Seite der Stadt einen ansteigenden Hagel die Can- tonsschule , deren Vorbild die Bauschule in Berlin ist; wer die Treppe zur Cantonsscbule mit ihren 32 Stufen, jede 56’ breit, “erstiegen ‘hat, ist bezaubert von der. herrlichsten Fernsicht auf Feld und Wald, auf die Stadt und den Fluss, auf den See und die Alpen. Das Gebiude miset 148! in die Lange 129 in die Breite und 64’ in die Habe; es ist das schénste Ge-: _ biude des Landes,

Die Zimmer sind hoch, hel! und gerdumig, in jedem Stocke wobni eine der vier Abtheilungen der Schule bequem; die Laboratorien der Che- mie und die Zimmer der Physik lassen fir den wissenschaftlichen Betrieb nichts zu winschen dbrig, oben sind die Raume fir die Sammlungen.

Wie sich in jeder Hervorbringung der bewegende Geist spiegeit! un- sere Cantonsschule steht, wo sonst der Kénigsbau; man sieht, dass ei Geschlecht sie errichtet, welches die Schule fir das @ und @ hilt , erin- nernd an das Wort jenes Mannes , der sagte: der ganze Prensgische Staat ist eine grosse Schule.

Vier Lenze waren entsehwonden seit dem Begion des Baues und aof Anfang August dieses Jahres ward er vollendet,

,uott schitze das Haus! Geweiht seien seine Réiume, ein Hans fir die Ebenbilder Gottes! Die Priester desselben sollen geloben, eifrig ond ernst an diesem Altar zu dienen der Wissenschaft und den guten Kinsten, ' gu belehren und erregen die Jugend durch begeisterte Darstellung ibres Wissens, durch die Kraft ihres geistigen Strebens den jagendlichen Sinn auf die Bahn des Edeln und Schénen zu ziehen.“

,Vas Haus wird stehen, wenn die jetzt Lebenden schon lange zu den Vitern versammelt sind: mége dasselbe je einen tichtigeren Samen ‘and Stamm dem andern folgen sehen, auf dass die Schweizer immer mehr zur schénen Darstellung des Menschengeistes beitragen,“

Also sollen die Manen von Brun, Waldmann, Zwingli und Usteri ge- sprochen haben, als sie am Tage der Rinweihung ihre Blicke auf diesen Punkt richteten, -

Es war aber an diesem Tage wenig Festliches zu sehen und in dem eintrachtigen Baue, der nicht nur concordia lapidum, sondern auch civium aufgefilrt worden war, sollten unglicklicherweise die ersten Lante vom

wir seine Schriften nicht cigentlich zu recensiren, weil zu farchten war, ein unginstiges Urtheil aber den Autor kénne dem Privatmanne schaden. Dieser Sorge sind wir jetzt ledig. D. H.

schrillenden Pfeifeo des Parteihasses accompagnirt sein, nachdem gerade vorher aus Schillers Glocke das Lob der Eintracht nach Rombergs Compo- sition gesungen worden war. Da‘ dic Anstoss gebeunde* Redé gedruckt “vorliegt, so kano jeder sich selbst ein Urtheil fallen, der um die Sache sich bekammert: wir fiigen lediglich bei, dass teider die Schiller nur zu gut die einem Theile der Lehrer zugemessenen Hiebe verstanden.

Den ganzen Gehalt beider Festreden aber kénnen wir an diesem Tage nicht billigen; war doch der 15. August fiir unsere Cantonsschule Hochamt; tausend Jahre wohnt wie am grossen Minster, tausend Jahre, so Gott will, im neuen Gebaude: in dem hochheiligen Augenblicke der Wandelung ans dem Alten in das Neue begeistige sich der -Redner und spanne dic Jahrhunderte zusammen; vor seinem Blicke breite sich die Schule als hauptsdchliches Mittel zur Erziehung des Menschengeschlechts aus, im grossen Ganzen fasse er die Tiefen und Breiten der Merischheit auf: er erfille die Seele mit der Hoheit unserer Bestimmung und weise - der Institution, deren Dienst sein Lebensberuf ist, die Stelle darin an, gross und weit wie die Gefahle in der Brust des Redners werde die Seele des jugendlichen Hérers. -

Oder wie? wenn in dem Augenblicke, da die Wolken des Weihrauchs stcigen, die Orgel die vollen Accorde erténen laisst, wo die heil. Glocke ruft, alles Volk auf die Knie fallt und sich kreuzt, wenn in diesem Augen- blick der Priester der Menge sagen wiirde: Traget dem Tempel Sorge und verunreiniget ihn nicht -..,. neben Anderem unbestreitbar Richtigem !

Prediget doch in feierlichen Augenblicken, in welchen das Herz der Jugend ergriffen ist, nicht Dinge, welche in. die Reglements gehdren und deren Nichtachtung eben einfach Strafe heischt, Erfallet in solchen Augen- blicken das jugendliche Gemith mit dem heiligen Geist der Schule, . dass Begeisterung fir ein sittliches, ideales Leben, Liebe zur Wissenschaft und unbedingtes sehnliches Verlangen nach dem Schauen des Schénen die Ge-~ mither ergreift. Da bauet die Seclen positiv an, senket in sie die Triebe des Guten, macht sie wachsen diese kleinen Federn, wie Platon sagt, un- | ter dem Hauche euerer Begeisterung, eurer Warme far die idealen Giter des Lebens: das Uebrige wird alsdann schon hinzugethan werden.

Wir kénnen geschichtlich nachweisen, dass schoc vor mehr als zwei Jahrtausenden geklagt wurde, wie der zweite Redner es that, bei der jetzigen Jugend seien ,Bescheidenheit ,“ ,das glaubige Vertrauen ,“ ,die offene Kindlichkeit* ,seltene Erscheinungen* geworden; schon diese Wahr- nehmung miéchte uns manchen Zug der Jugend in einem andern Lichte erblicken lassen; aber gesetzt, diese Fehler kleben unserer Jugend in: stér- kerem Grade an als friherern Generationen, so wird dieser Feind, soweit. er die Schule beschlégt, nur dadurch aiberwunden, dass wir Lehrer die Bescheidenheit der Schiler durch unsere tiefe Gediegenheit , das Vertrauen derselben durch die Ueberzengungskraft unseres Wissens, die Offenheit durch Verstandniss und durch Liebe zur Jugend erregen.

Es ward dem tausendjahrigen Sitze der Schule kein Augenblick des Scheidens gegénnt: kénnen wir auf Pietdt rechnen , wenn wir solche Bei- spiele geben? und doch sagten am gleichen Abend die jugendlichen Turner ihrem alten Turnplatz ein feierliches Lebewohl; wir werden die Veranlassuang dazu sogleich sehen. .

Acht Tage spater hielt Winterthur das Fegt der Einweihung seines Schulgebaudes: in dieser kleinen aber reichen Stadt kindigt sich ein reger Sinn fir das Schulwesen an; man sagte mir, dass die Stadt jahrlich 24, Gulden auf die 6ffentliche Bildung ihrer Jugend verwende und dass das neve Gebdude 140,000 Gulden gekestet habe. Ein stattliches, festes Haus, in schéne Anlagen hineingestellt, mit gerdumigen Zimmern und Salen fir die Bibliothek. An dem Feste nahm die ganze Bevdlkerung mit Jubel Theil, die Jugend ward dabei bethitigt, die Freuade ward durch keine Disharmonie gestért. -

* Von Prof. Dr, A. Mousson, Zirich bei-Meier und Zeller.

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Zwischen diese beiden Feste fallt das Schweizerische Turnfest, den 17, und 18. August. .

Die einzelnen Turngesellschaften der Schweiz stehen in einem Yer- band, welcher der Schweizerische Turnverein heisst: jihrlich findet eine Zusammenkunft derselben statt} den Ort, wo das Schweizerische | Turnfest kinftiges Jahr abgebalten werde, bestimmen jedes Mal die sum Feste versammelten Turner. Da jetzt die Zircher’sche Abtheilung ihren neuen Turnplatz und Turnschoppen zu beziehen hatte, wollten die Schwei- zerturner ihren Briidern die Freade erhdhen und verlegten das Tursfest von 1842 nach Zirich.

Der diesen Impuls gebende Turnplatz breitet sich in einer Lange vor 500’ mit 240’ Breite an dem Fuss der Terrasse aus, auf welcher das nene Cantonsschulgebaéude steht, so dass an unserer Cantonsschule auch die an- tike Bedeutung des Gymnasiums wieder in’s Leben gétreten ist. Langs den Strassen, welche die Arbeitsstétte der Gymnastiker umgeben, wird eine Baumanlage von kraftigem Hochwuchs gepflanzt, um das Turnen vos dem Verkehr auf den Strassen etwas abgesondert zu erhalten. Aaf der Seite gegen die Stadt steht das neue Turnhaus, der Turnschoppen; sein Styl ist so viel méglich analog mit demjenigen der Cantonsschule gehalten und wie oben im Steinbau, so hier unten im Holzbau das gleiche Bau- system rein durchgefahrt, Derselbe gewahrt einen freundlichen Eindrack und hat schon als Holzbau etwas Nationales in seinem Aussehen: die Grosse eniigt, da das Viereck desselben 80’ lang und 48’ breit, mit einem Gie- Beldecke tiberdeckt ist, dessen First 30’ aber dem Boden steht.

Die Turnarbeit bei dem Schweizerischen Feste besteht in gemein- schaftlichem Turnen und im Wetttarnen, jenes wird am ersten Tage, dieses am zweiten vorgenominen. a

Es gehen namlich der Ankunft der éinzelnen Abtheilungen die Qaar- tiermeister voraus, um die Zahl und Namen der das Fest: Besuchenden den Freunden am Sammelorte zu ébergeben, Far jeden derselben wird eine Karte ausgefertigt, welche neben dem Festprogramme ihm seine Wok- nung, seine Riege und seinen Vorturner anwejst. .

Auf diese Weise ist die ganze Schaar organisirt, ehe sie nur don . Turnplatz betritt. . |

Als die 19 Riegen * Mittwoch Vormittag arbeiteten, war ein Leben und geordnete Kraftthatigkeit auf dem Turnplatz, die einen herrlichen Anblick gewdlrten. Die Febler und die Vorzige der einzelnen Abthei- lungen traten bei dem gemeinschaftlichen Turnen ans Licht; denn wiewobl die Riegen aus Angehérigen aller Turngesellschaften nach Maassgabe der Stirke zusammengesetzt werden, so erkannte man bald bei den Einzelnen, auf welchem Turnboden sie gebildet worden waren. Im Alligemeinen konnte man bemerken, dass die Vorabungen und die Freiibungen haufig nicht grindlich eingearbeitet worden sind: ** ferner dass oft an den Gewerken nicht die eigenthimlichen Uebungen gemacht worden; es giebt Uebungen, welche am Reck, am Barren und am Schwingel getrieben werden kénnen, allein jede von ihnen soll an dem Gewerk gemacht werden, welches den arbeitenden Leibestheil am meisten in Anspruch nimmt, mithin ihm auch den gréssten Spielraum gibt, z. B. die Thatigkeiten des Drehens und Wer- dens am Schwingel; die Schwungiibungen des Rampfes am Reck; die der Kraft und des Wippens am Barren. Endlich tadeln wir es sehr, wenn die Uebungen durchgewirgt, wenn sie unter Zucken der Beine, Beissen anf die Lippen , Verzerren der Gesichtszige, Zittern des ganzen Leibes ge- macht werden. Der Turner soll allerdings den innern Antrieb haben, | diese oder jene Uebung will ich nun heute machen und ich will sie herausbringen: aber er soll auch mit gediegener Kraft sich bemeistern, und zu neuen Uebungen nicht gehen, bis er die bereits erlernten fehler-

* Etwa 240, namlich 180 Gaste und etwa 60 Ziricher. ** Wabrend doch gerade diese Reihen von Uebungen es sind, welche die Kraft und die Schénheit des Leibes entwickeln.

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603 frei austben kann. Es soll schon getarnt werden: dieser und jener turnt schon, sagen auch Kenner, alte Turner; wer turnt aber schon? derjenige, welcher dahin gelangt ist, die Uebungen leicht and sicher zu machen, welchem sie eine Vergniigen gewahrende Arbeit geworden sind, und welcher dabei in sich einen Rhythmus verspirt, so dass er die einzelnen Bewegungen theils scharf zeichnet, theils in einem gewissen Tact ausfahrt. . Aller diesen Ausstellungen ungeachtet durfte man mit der Leibesaus- bildang der verschiedenen Turngemeinden, wie sie sich thataichlich zeigte, -zafrieden sein, namentlich, wenn man bedachte, wie wenig vor zwei Decennien in der Schweiz noch geturnt ward; im Ganzen trat mehr Kraft als Gewandtheit hervor, wiewoh! wir bei dem Schwingen, * welches Ber- ner dbten; sahen, dass wenigere Kraft mit Gewandtheit die gréssere Kraft ohne Gewandtheit unfehlbar besiegt, Sehr erwinscht ware, wenn durch die-Bernsche Turngemeinde das Schwingen yerbreitet wirde, da dasselbe vier Eigenschaften zamal entwickelt, die Kraft, die Gewandtheit, die Aus- dauer und die Geistesgegenwart. Den zweiten Tag findet das Wetturnen Statt,.welches die Menge der Zuschauer sehr ergétzt, denn da treten nur die Ergebnisse der Arbeit her- vor, nicht das Lernen und Ueben selbst. Nach den eingelegten Verzeich- nissen hdtten etwa 60 als Wettturner auftreten wollen, es erschienen aber nur 40, weil Viele von den Anstrengungen der Reise und des Turnens bei der dbergrossen Hitze ermattet waren und den Kampf nicht wagten. Als Gewerke ersahen sich die Kampfrichter ** Barren, Recke, Schwingel, Springel.und Klettergeriste: .am:‘Barren und Recke ward Jeder einzeln | aufgerufer und konnte die Uebungen machen, welche er wollte, wenigstens zwei nach einander, wo méglich eine Gruppe verwandter Arbeiten kunst- gerecht in Zusammenhang gebracht, Eine Gruppe von Uebungen am Reck jedoch ward von einem der Kampfrichtervorgeturnt and von allen gefordert. Am Barren fand eine Kraftentfaltung Statt, die prachtvoll war; am Reck hin- gegen wurden keine besondere Fortschritte gegen frihere Leistungen wahr- genommen; am Schwingel machte man zuerst frei Uebungen, hernach bei sehr hochgestelltem Gewerk die Langenspriinge. Am Springel Freisprung, dann Hoéhensprung mit der Stange auf 8 Fuss Schweizermaass, endlich noch Klettern, nachdem bereits die Glocke Ein Uhr geschlagen hatte, so dass die Arbeit mit kurzem Unterbruche 5 Stunden gedauert hatte; auf dem baumlosen Platze-und bei der diessjahrigen Hitze war es keine geringe Leistung jetzt noch den dicken Mast zu ersteigen, oder an den Stangen mit blosser Handhilfe zu klettern, oder am Seil einarmig sich hinaufzuar- beiten; da bewdhrte-sich der unerschépfte Born der Jugendkraft, die schéne Frucht von Jahrelanger unausgesetzter Anstrengung, die Gediegenheit des durch Turnen an. der Sonnenhitze und im Winterfrost gestahiten Leibes, - Die Kampfrichter, welche mittlerweile bei jeder Uebung ihre Aufseich- myngen gemacht hatten, zogen. sich nun zar Berathung zurick, um zu entscheiden, welchen die Kranze mit den Preisen und welchen Preise zu- getheilt und. welche mit Ebren genannt werden sollen. Der Kranze (Lor- - beerkranz mit den weiss und rothen Banden) sind zehn, der Preise ohne Kranz vier, und der Sprachgebrauch der Turngemeinden bezeichnet als Preiserlangend nur die zehn Ersten, oder die, welchen der Kranz auf das Haupt gesetzt wird. oo . Ueber die Grundsatze, welche festgehalten werden sollen, vereinten sich die Kampfrichter bald, dass erstes Aagenmerk namlich die Gesarmmt- bildung des Leibes oder allseitige Einturnung sei, mithin orfreuten

* Die Eatlebucher, Emmenthaler, die im Hasli, die Simmenthaler nen- neu ihre (kunstfertigen).nationellen Ringibungen schwingen, einen Sehwung machen; sie. haben auch fir die verschiedenen Gattungen und Arten der Schwiinge feste Namen, Begriff von nicht erlaubten Schwingen.

** Die drei ehevorigen Prasidenten des Zircherschen Turnvereins, Dr. Alexander Schweizer, Dr. H. H. Végeli, Architekt A. Wegmann und Med. Dr. Egglin von Basel. . bee, a ;

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sich einseitige Glanzleistungen wenigen Beifalls, sodann nebeb der Sehda-

heit in der Arbeit die Frische und Freadigkeit dabei auch etwas gelteo

solle; so ward der Erste der Sieger besonders-desswegen eipmithig ab

der erste erkirt, weil er neben unerschépflichcr Kraft und Falle der Ge-

wandtheit unbedingte Hingabe und Fréblichkeit des Gefabr. verachtenden - Turnsinns erwies.

Da-wir hier nur dasjenige am Feste berjhren, was auf Entwickluag des Turnwesens sich bezieht, so verweisen wir auf die Schweizer Zeitungea, welche die Feierlichkeiten und das Aeusscre schildern; nur noch beifagend, dass wie diese Zusammenkunft der Schweizerturner die zahblreichste war, also dieselbe hier auch einen ausserordentlich ginstigen Eindrack auf die nicht turnende Jugend machte, and dass in der 6ffentlichen Meinung der Schweiz das Turnen vielfach an diesen beiden Tagen gewonnen hat,

. Dr. Voegels. |

. (4. Volkssehulwesen.) Io den 11 Bezirken und 159 Schulkrei- sen befinden sich, mit Ausnahme der Stadte Zirich und Winterthur, 382 Schulgcnossenschaften mit 452 Lehrstellen. Im Schuljahre 18*',, besuachten die Schule 27,892 Alltagsschiler, 10,562 Repetirschiler, 9620 Singschiler; im Ganzen 48,074, Absenzen kamen durchschnittlich etwas Gber 15 auf den einzelnen Schiler, Als gute Schulen zeigen sich 281, mittelmasaige 135 und schlechte 36. Unbefriedigende Schullocale sind noch 27, befriedi- gende 93 und wirklich gute 292. Die Lehrerwohnungen haben sich auf 220 vermebhrt. . Von 11 Schulgenossenschaften ist eine Summe von 89,114 Fr. an Schulbauten verwendet worden, woran der Staat 11,920 Fr. beigetragen hat. Der ganze Staatsbeitrag an das Primarschulwesen belauft sich aof 99,051 Fr. 18 Rp. Secundarschulen gibt es 47 fir 50 Kreise mit 52 Leh- rern. Darunter werden 38 als gat, 1 als sehr gut, 1 als ziemlich gut und 6 als mittelmassig bezeichnet.

(Nachrichten aus den andern Cantonen im ndchsten Februarheft.)

B. Europa. 8. Romanische Lander.

I. Frankreich.

(2. Behirden.) Da die ,Ecoles primaires supérieures* in den meisten Stddten nicht wohl zu Stande kommen wollen, so ist man auf den Ausweg gefallen, sie mit den ,,Colléges communaux“ (lateinische Stadt- schulen) zu verbinden, was bis jetzt in etwa 36 Stddten ygeschehen ist. Leider ist diese Verbindung von der Art, dass man sie nicht rihmen kano. Diese écoles annexées erhalten namlich einen eigenen institutear primaire du degré supérieur und daneben sollen die Lehrer des Collége einige Stunden geben. Dabei kommt nichts heraus. - ar,

Normalschule in Paris. Aus folgender Ministerialverfagung sind die Bedingungen zu ersehen, unter welchen Junge Leute in dieses Professoren- - Institut aufgenommen werden, (Es ist das Programm far 1842.)

L’Ecole normale est destinée a former des professeurs pour les diverses parties de lenseignement universitaire.

Dans les deux premiéres années, les éléves doivent avoir obtenu le grade de licencié soit és-lettres, soit és-sciences; ils se présentent aux concours d'agrégation 4 la fin de la troisiéme année.

Les places d’éléves a |’Ecole. normale sont données au concours. Tous Jes candidats admis jouissent d'une bourse entiére ou d'une demi-bourse. Les bourses entiéres reviennent de droit a ceux qui spnt placés les pre- miers sur Ja liste d’admission; les autres payent une pension annuelle de 485 francs, Cette pension est payable par trimestre et d’avance, Les éléves - . dont les pére, mére ou tuteur ne résident point a proximité de Paris, doivent avoir un correspondant désigné par eux ou par le directeur de Ecole, et qui sera chargé d’effectuer le payement de la pension. Le nombre des places mises au concours est réglé chaque année par le mini- stre, selon les besoins de l’enseignement,

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Les inscriptions pour le concours ont lien du 15 juin au 15 juillet. | Un registre est ouvert, a cet effet, au chef-lieu de toutes les: Académie’ du royaume. « oe

Les piéces a produire- par le candidat pour l'inscription, sont: 1. l'acte de naissance constatant qu’au 1. janvier de l’année dans laquelle il se pré- sente, il était agé de 17 ans au moins ou de 23 ans au plus; 2. un cer- tificat de vaccine ; 3. si l’éléve est majeur, l’'engagement de se vouer pour dix ans a l’instruction publique; en cas de minorité, une_déclaration du pére ou tuteur, diment légalisée, et |’autorisation de contracter cet en- gagement; 4. un certificat de moralité délivré par le chef de létablissement auquel il peut avoir appartenu; 5. un certificat d’études, constatant qu’il a fait ou qu iil a terminé son cours d'études classiques, y compris Ja philo- sophie, et, sil se destine a l’enseignement des sciences, son cours de ma-- théematiyues spéciales et son cours de physique

Avant le 1 aoadt, la décision prise en Conseil royal sur Jes candidats inscrits est ‘notifiée aux recteurs, qui en donnent immédiatement avis aux jeunes gens qu’elle concerne, .

Le concours d’admission a |’Ecole normale se compose de deux séries _ d’épreuves; les unes portent sur la totalité des candidats autorisés a con- courir, et déterminent au préalable l'admissibilité ou la non-admissibilité de chacun d’eux; les autres ont lieu entre les candidats jugés admissibles, pour décider de leur admission définitive.

- Les épreuves d’admissibilité sont subies dans les Académies ov les in- scriptions ont eu lieu; elles commencent le 5, aodt, et doivent étre termi- nées au plus tard le 10. | ae

Ces épreuves consistent en compositions écrites qui sont faites chacune le méme@ jour, durant le méme espace de temps, sur le mgme sujet, dans toutes les Académies. . 4 Il y a, de plus, des interrogations et des explications orales, dont

procés-verbal est dressé par le recteur. _ -

Les compositions écrites pour la section des lettres sont: une disser- tation philosophique en francais, un discours latin, un discours francais, une version latine, un théme grec, une piéce de vers latins.

Les interrogations et explications porteront sur le texte des auteurs étudiés dans les classes, et sur Jes notions ordinaires de philosophie, de rhétorique et d'histoire. —— |

Les compositions écrites pour la section des sciences sont, avec la - dissertation de philosophie et la version latine imposées aux candidats des lettres: la solution d’une ou de plusieurs questions de mathématiques; la solution d’une ou de plusieurs questions de physique.

_ Les interrogations orales auront pour objet les matiéres de l’enseigne- ment des cours de mathématiques et de physique de seconde année dans les colléges royaux, y compris certaines matiéres qui, bien que faisant partie de ces cours, n’ont point été jusqu’a présent rigoureusement exigées, a savoir: les éléments de géométrie descriptive relatifs a la ligne droite et au plan; les éléments de statique; les éléments de chimie. .

Les candidats déclarés admissibles, en vertu de cette premiére série d’épreuves, sont convoqués par les recteurs 4 l’effet de se trouver présents a I’Ecole normale le 15. octobre, heure de midi. Ils y justifieront des piéces suivantes: 1..le dipléme de. bachelier és-lettres, ou le dipléme de bachelier - és-sciences, selon la section d'études a laquelle ils se destinent; 2, |’engae gement légalisé de se vouer pour dix ans a l’enseignement-public; 3. l’en- ‘gagement légalisé des pére, mére ou tuteur, de payer la demi-bourse, dans le cas ou l'éléve ne serait point admis a bourse entiére, et de resti- tuer a l’Etat le prix de la pension ou demi-pension dont il aura joui, dans tous les cas ou l’éléve serait, par son fait, dans limpossibilité de remplir- lengagement de se vouer pour dix ans a l’enseignemeht public.

Si l’éléve est majeur au moment de son admission, ou sil atteint sa majorité durant son séjour a l’Ecole, il s’oblige solidairement avec see parents a faire, auxdits cas, le remboursement du prix de la bourse, dont

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il aura jeui. Si I’éléve est majeur et jouit de ses biens, il comtracte seo * les engagements pécaniaires. "

Tout engagement fait pour an concours nest plus valable poer us autre, dans le cas od le candidat sy présenterait de nouveau.

Les candidats qui n’aaront point, au 15 octobre, produit lesdites piéces, ne pourront dtre admis a subir la seconde série d'’épreuves, qui a peur résultat le rejet ou l'admission définitive.

Ces derniéres épreaves consistent en examens oraux sur les diverses parties de l'enscignement littéraire ou scientifique ci-deseus déterminées pour les examens d’admissibilite. .

Ka outre, les candidats admissibles pour la section des scicaces ex- écateroat dans une salle commune, sous la surveillance d'un des membres de la commission d’examen, une épure sar l'une des questions de géomé- trie descriptive.

Les mémes candidats copicront ane téte an trait sous la surveillance da maitre de dessin de I'Ecole nurmale. Cette épreave n'est pas oblige- toire; mais il en sera tenu compte pour la fixation du rang d'admission.

Les candidats qui, en verte de cette derniére stric dépreaves, se trouveroat sar la liste d'admission par ordre do mérite, seront pré- sentés par le ministre a le nomination da roi, comme éléves -de IEcole normale, et admis défnitivement. ,

Gesande Laft in Schalen. Der Minister des 6ffcatlichen Unter-

richts hat im verga eine Broschiére aber dice einer reieen wad Left in dea vertheilen lassen und den Bebérdean an , derselben so vicl als miglich au verbrei- ten, damit die daria zu diesem Zwecke beld-

we Renntaiss wnsténdtiiche Beschretbang Syotese | ya; “Teguagen uns aber dienes beferu; wir ms

wit etner kerzen und eberfiaichichen wm so cher. als wit erfabres haben, scheteen vol. Der Ofen aes sehr starkemn Eiseablech ). besser ans Gusveisen ) und ven render Geta (ewenrguiens tber seimer Basis) it wea einem was Eienbloch wmngeben, der wit drei Thsdren verschen wt, de etme fir dem Aschenbobdtter des Ofens, die andere fir den Herd and die Qr@ie. um Stabenieh rwachee den Gectel und den Ofen trove wa lassen, die eredeet oben ues Ocaunges. welche on dear Mantel os- gebrackt sed, we ade: Zaemer veréclore. Deese Grate Thr sowie die wndera wiwwen bei AukeeR dor Schiller geschiaswen und cm durch die Maser leafeedier Canal goiflect werden. der aunere Leh cevischen den Haste wed den Ofen Mhat, welche erwarat self angegebree Wess ies Zaemeer wroak, wihrend dor Ruach durch Qiea sich crbebende, im omer

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ist; aber das héagt von der Localitét ab, und es kann eben so gut Torf, Gerberiohe, Holz, Coke verbrannt werden, und derselbe gibt das jabriiche Ersparniss aw Brennmaterial auf ungefaéhr 100 Fr. an, wahrend: der ganze Apparat, alle méglichen Kosten mitgerechnet, sich auf nicht mehr als 117 Thir,

_belauft. Schliesslich zeigt der Verfasser noch, wie die schon bestehenden :

Apparate benutzt und die angegebenen Kosten vermindert werden kénnen. Die université de France und die Klerisei. Wir haben schon mebrere- Artikel aber diesen Gegenstand gebracht. Zur Abwechseluog

einmal ein Artikel ans der A. A. Z. von ihrem bekannten 9-Corre- spondenten (Baron Eckstein), ,Zwischen dem Klerus und der Univer- sitat hat sich ein langwieriger Krieg entsponnen. Will man ihn gehdrig wirdigen , thut es noth das Wecen , welches man die franzdsische Universitat nennt und datin die Constitution des Klerus wie sie seit dem Kaisertham bebteht, ins Auge zu fassen. In der Schépfung der Universitat wie in der heutigen Constitution des Klerus ist dieselbe Hand im Spiel, welche, unter dem Vorwande die franzdsische Revolution prakticabel zu machen, im Jabre 1802 einen vollkommenen Despotismus organisirte, aber welchen man die Charte von 1814 und von 1830 geschraubt hat, Gott weiss wie, was eben der Grund so ungeheurer Anomalien ist. Die ersten Ausbriiche der franzésischen Revolution waren Vesuvausbriche eines lange verhaltenen Kraters; hinter diesen gewaltsamen Ausbrichen kam aber bald eine wahre Schale des Despotismus zum Vorschein, welche damit begann, alle alten -mebr oder minder verfallenen Freiheiten und Individualitaten, alle Stadte- und Gemeindeverfassungen zu vernichten, und sie durch eine allgemeine Form zu ersetzen, ein universelles Municipalsystem ohne Verstand, wo- durch Anarchie erwuchs, welche die nothwendige Concentration aller Gewalt

/

in der Hand cines Demagogen, Robespierre, und eines endlichen Despoten, ©

Napoleons, zur Folge hatte. Dieser, consequent, liess sich durch Worte nicht aufhalten. Despot und Demagog sind innige Verwandte; der Despo- tismus besteht nur darin, dass sich die Demagegie von der Masse abzieht -und in einem grossen Demagogen concentrirt, In dieser Hinsicht gab es keinen drgern Demagogen als den Kaiser. Ueberali war seine Sprache so insultirend als verwegen. Ich will, sprach er, und so wollte er einen Clerus, um den kaiserlichen Despotismus zu predigen , und eine Universitat, um den kaiserlichen Despotismus von Kindesbeinen an unter die Leute zu bringen. Von wahrer Religion wie von wahrer Wissenschaft war keine Rede; die Freiheit der Kirche wurde mit der Freiheit der Schule zugleich unterdrackt. Was wusste dieser Mann von Menschenwirde, er der in der Schule den Tacitus zu verstimmeln gebot, und in der Kirche die Semi- naristen zu Soldaten machte, weil ihre Héapter nicht aberall ihn als Pabst anerkennen wollten! Die Schdpfungen :von 1814 und 1830 haben das ganze napoleonische Wesen beibehalten, aber der napoleonische Geist ist ver- flogen. Die beiden Charten stehen in geschworenem Widerspruch mit den Formen der Regierung, uad dagegen ist kein Mittel; die Administration mag in der Theorie absolatistisch sein, in der That ist sie die Creatur nicht der Deputirtenkammer als Kammer, sondern der Deputirten als Individuen, der ministeriellen wie derer von der Opposition. Daher die Creditlosigkeit ‘der Prafecten und Unterprafecten; sie sind allmachtig und null; sie ge- bieten, aber Wahler -und Gewéahlte haben sie zu ihren Diensten. Univer- sitat und Klerus, wie das Kaiserthum sie constituirt hat, empfioden mehr oder minder dieselben Folgen wie der Rest der Verwaltung. Die Universitat ist nichts als eine weitldufige Administration, rein und unniatz far eine echte Organisation der Schulen als solcher, von denen diberhaupt gar keine Rede ist; es handelt sich darum nur zu wissen, in welcher Localitat dieser oder jener Lehrer angestellt, dieser oder jener Lehrer protegirt werden soll oder nicht, und daraber haben als echte Herren der That nach die Deputirten mehr oder minder zu bestimmen. Doch ist natirlich, was den Klerus und die Universitat betrifft, der Einfluss der Wahlcollegien und der Deputirten etwas geringer anzuschlagen als in Hinsicht des Systems der Prafecturen. Wissenschaft und Religion lassen sich nicht so ganz ond darchaus in did

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Bande der Verwaltung echlagen wie man sich oft einbildet, ein spiritus vitae, ein charakteristischer Eigensinn bricht oft aus ihnen hervor, wie Winde in den Bergen oder auf den Seen, wenn man um eine Ecke dreht und sich um nichts versieht. So hat sich in der Universitat die doctrinire, heutzutage die eklektische Schule emporgehoben und pocht auf ihren Ein- fluss in Lehre und Wissenschaft. So regt sich im Xleras bei den einen der Gallicanismas, bei den andern ein ultramontanistischer Geist, bei jenen jansenistische, bei diesen jesuitische Vorliebe. Die Schiler des Hrn. Cousin und die Gallicaner, Jansenisten, Jesuiten, Ultramontanen k6nnen sich durchaus nicht verstehen. Die Schule des Hrn. Cousin will herrschen, der Klerus will auch herrschen; die Philosophie des Hrn. Cousin will die Ge- danken in den jungen Gemathern formiren, der Klerus hat gleichen An- spruch. Grosse Verlegenheit dariber in der Universitat, Dazwischen treten dann die Journalisten; einige als Verfechter der Universitat und besonders der Philosophie des Hrn, Cousin, so der Constitutionnel weil Cousin Minister war im Cabinet Thiers; andere als Gegner der Universitat aus Hass gegen die Eklektiker, wie die republikanischen Joarnale, der National voran. Diese wirden die Universitat als ein Wunder preisen, wenn sie beherrscht wirde von der Philosophie des Hrn. Laromigniére und dem System Con- dorcets. Wiederum andere wollen alle Schnien in den Handen des.Klerus haben. So kommen denn die buntscheckigsten Systeme zum Vorschein, wo Republik und Legitimitat sich so gern die Hand reichen’ médchten gegen Universitat und Ministerium, aber innerer Unmdglichkeiten wegen nicht kénnen. Gabe es in Frankreich einerseits ein Schulsystem wie in Deutsch- land, hatte andrerseits der Clerus seine freie Verfassung im katholischen Geiste, so wirde das meiste von allem diesem Wirwarr mit der Zeit sich selber entwirren, Daza hat es keine Aussicht. :

Die classischen Studien, Der katholische Klerus und seine An- hanger sind der weltlichen Bildung herzlich feind; die protestantische Orthodaxie ist aber noch viel arger. So hat vor Kurzem Graf -Agenor de Gasparin ein Buch aber ,,die Interessen des franzésischen Protestantismus“ herausgegeben, das beilaufig gesagt von den Journalen der momiers in der welschen Schweiz sehr gerahmt wird. Ia diesem Buche schlagt der Verf, den franzésischen Protestanten ver, eigene confessionelle Schulen zu grinden. In der ,Espérance,“ einem Genfer politisch-religidsen Journal, heisst'es; °

»Es wird ein Grund des Erstaunens far die Zukunft sein, wenn sie einst vernimmt, dass ein Verein von Menschen, die sich Christen nano- ten, sieben bis acht der schénsten Jahre der Jugend ihrerKinder dem ausschliessenden Studium der heidnischen Schriftsteller widmen, dass sie dieselben nur mit ihren falschen Lehren, mit ihren falsghen Tugenden, mit ihrem falschen Ruhm nabrten, und sie langsam und miabevoll mit Gesin- nungen erfallten, die mit den Lehren des Evangeliums im gréss- _ ten Widerspruch sind. Diesem Evangelium wird eine so untergeord-

nete Stelle angewiesen, dass es selten den verabscheuungswirdigen, unserp natdrlichen bésen Neigangen frdhnendcn Lehren der heidnischen Autoren das Gegengewicht halten kann, und im Namen von Jesus Christus wird alles aufgeboten, um Schiler des Socrates und des Zenon zu bilden.“

Wirklich sind die meisten lateinischen und griechischen Schriftsteller nichts als Annalen der Menschenschlachterei. Sie bilden einen Curs von Grausamkeit, Unmenschlichkeit, Verrath, Bestechlichkeit, Mord- und Raab- sucht und allen erdenklichen Lastern, und im.Gewahl von beschriebenen Abscheulichkeiten glanzt nur hier und da ein seltener Zug von Tugend. Der Werth eines’ Romers oder Griechen wurde gewdholich nach seiner Fahigkeit beurtheilt, Menschen und Stadte und Lander zu serstéren. Es ist nichts Schlechtes, Niedriges und Verdorbenes, das nicht in den Alten gelernt werden kann. Die Anbetung des Apis in Aegypten beruhte kaum auf einem gréssern Aberglauben als der von den Europdern den todten Sprachen gewidmete Cultus. Es ist daher ein wahres Glick su nennen, dass von so vielen tauseod zur Erlernang der todten Sprachen

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verurtheilten unglicklichen Zéglingen nur eine dusserst geringe Zahl eur Fahigkeit gelangt, die alten Autoren zu lesen. Aber die verschwendete kostbare Zeit der Jugend, wer gibt die zurick?

Die Stadirwuth ist vielleicht in Frankreich noch arger als in Deutch- land. Mr. Ourlsac gibt in seinen ,Les Frangais peints par eux-mémes“ folgende Schilderung: -

sEin Hausvater aus der Provinz erréthet bei dem Gedanken, seinen Knaben dem gleichen Beruf zu widmen, den er selbst ausabt. Es ware ihm anertraglich, wenn sein Sohn sich durch Ausmessen von Leinwand oder Oel bereichern sollte. Das wenigste, was er aus ihm machen will, ist ein Advocat oder Arzt. Hat er zwei Knaben, so bestimmt er den, einen zum Arzt, den andern zum Jurist. Diess ist eine der unglaublichsten Verkehrt- heiten unserer Zeit, Sagen wir es offen. Man findet die Erschlaffung der politischen Bande in den Privatverhaltnissen wieder. Der Vater hat sich mit dem Staat, der Sohn mit seinen Eltern Gberworfen. Dieser duzt seinen Vater und bei der ersten Gelegenheit werden wir ihn in offenem Aufrubr gegen des Vaters Gewalt sehen, so wie dieser sich dberall. gegen die Regierung auflehnt. -Aus den gesellschaftlichen Verhaltnissen ist die ehemalige Massigung und Weisheit gewichen. Bartlose Jungen hoffen und trdumen schon die hédchsten Gipfel im Staat zu erklimmen. Dieses mon- stroose Streben kann moglicher Weise den Staat umwialzen, aber einst- weilen ruinirt es sicher die Familien.

Lasst einen Barger aus Gascogne ein bescheidenes, maihsam erwourbe-~ nes Vermégen besitzen, Sein Sohn kénnte als sein Nachfolger im Beruf dasselbe erhalten und vermehren, Doch man schickt ihn schon frih in die Schule. Meistens lernt er nichts. Die Unwissenheit der Eltern, die Sorg- losigkeit der Lehrer und schlechte Lehrmethoden verschworen sich mit den schlechten Anlagen des Zéglings. So erreicht er das 20ste Jahr und hat sich kaum in die Anfangsgrinde einer wissenschaftlichen Bildung hinein- gearbeitct. Man darf behaupten, dass er zu nichts taugt. Und doch ist - er jetzt im Fall, mit mehr als 20,000 Individuen, welche alle Aerzte und Advocaten werden wollen, zu concurriren. - -

‘Er wird zum Studiren nach Paris geschickt und im gefahrlichsten Alter allen verfahrerischen Lockungen der Hauptstadt blosgestellt. Der achtjahrige elende Schulcurs, den er unter den Augen seiner Eltern gemacht, hat ihn an den Missiggang gewohnt. Er hatte mit Ungeduld dem Augenblick entgegengesehen, wo er von jeder vaterlichen Aufsicht befreit sein wirde, © Jetzt hat er diesen seinen Wunsch erreicht. Seine schlechte Aussprache, seine vernachlassigte Haltung, sein schlechter Ton, sein Mangel an Geld ‘werfen ihn in die niedrigsten Verenigen and in die schlechteste Gesell- schaft. Er spielt ,-trinkt, raucht Tabak, larmt im Theater und im Esta- minet. Er vermehrt als neuer Ankémmling die rohe und schmutzige Be- ‘vélkerung des Quartiers, welchcs das lateinische heisst, obschon jedes Rothwelsch dort gesprochen wird, nur nicht.Latein. Dieses Quartier, man muss es den guten Bargern der Provinz sagen, ist ein berichtigter Ort, dessen Sitten mitten in der sittenlosen Stadt sich durch das Uebermanss von Verdorbenheit auszeichnen. Die crasseste Prostitution zieht hinter den Musenséhnen her, wie im Gefolge einer undisciplinirten Armee. Man muss es den Eltern sagen, welche auf den Aufenthalt ihrer Séhne in Paris zahlen, um ihnen einen Pariser-Anstrich zu geben. Sie bringen ihnen doch nur die Gewohnheiten des Pébels zurick. Jetzt sind vier Jahre vor- fibergegangen, mit Ausschweifungen aller Art, mit Schulden, mit Ziehen von Wechseln auf die Leichtgliubigkeit. und die Entbehrung der Eltern, die sich, um eine solche Unordnung zu naéhren, durch den Vorwand der Studien und eine Menge anderer Ligen sauer erworbene Ersparnisse ent- reissen lassen. Der junge Mann iberlasst sich mit der Leidenschaft seines Alters den Ausschweifungen und leichtsinnigsten und gefahrlichsten Strei- chen, Allem, nur nicht den Studien. Er ist besonders ein gutes Element in den politischen Unordnangen des Augenblicks. Die Eltern miissen sich glicklich schaétzen, wenn er nicht plétzlich durch ein Duell, durch eine

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politische Verurtheilung, durch eine Kugel in einem Aufruhr aus seiner Laafbahs geworfen wird. Ein junger Mann verschwindet in Paris, nie- mand kennt ihn, niemand spricht von ihm als einmal das Tagblatt, und alles ist aus. Aber wie viele Thranen, wie viele lange Schmerze’d in der bedanernswerthen Familie dort weit im Innern von Frankreich! -

Doch selhst wenn ein janger Mensch zwischen so vielen Klippen hit- durch endlich seine Studien gut oder schlecht vollendet,.so hat er dann ‘poch weder Anstellung noch Auskommen. Die erschépfte- Familie mass

~ den 26 bis 30jabrigen Aspiranten, der unfahig ist, sich .zu ernabren,

unterstiitzen, ihm Vorschiisse machen. Die Sébne verzeliren den vaterlichen Wohlstand ohne den eigenen zu granden.“

-y. Slaven, Ungarn und Neu-Griechen. KI. Russland und Polen.

. (4. Behdrden.) Petersburg. Der Minister des Sffeutl, Unterricht ist ermichtigt worden: 1. alle Lehr- dnd Unterrichts-Anstalten der Hebraer im Reiche, welthen Namen sie auch fahren mégen, selbst die- jenigen nicht ausgenommen , in welchen sie sich mit der gelehrten Auslegung des mosaischen Gesetzes, ihrer heiligen Bacher, wie mit dem Unterricht ihrer Jugend beschéftigen, als der Gerichtsbarkeit dieses Ministeriume anter- worfen, nach der aber das Lehrwesen im Reich bestehenden allgemeinen Grundlage zu reorganisiren. 2. Zur Ausfihrung dieser Maassregel- ist in St. Petersburg eine Commission, bestehend aus vier Rabbinern, su begrinden. Sie sind den.vier General-Gotivernements, deren wesentliche Bevélkerung aus Juden besteht, nach Gutachten des Ministers und dem der Sérllichen General-Gouverneure zu eutnebmen. Der Commission liegt der héchste Auftrag ob, die in dem ‘russischen Kaiserstaat lebenden Juden geistig zu reorganisiren. Hat sie diese wichtige Aufgabe gelist , so wird sie wieder entlassen, die bei ihr betheiligt gewesenen Glicder aber wer- den far ihre gehabten Bemihungen zweckmassige Belohnungen erhalten.

Warschau, October. Nach der Berichterstatlung des Ministers der Volksaufklarung tiber die Verwaltang seines Departements im Jahre 1841 gehéren zu den neu vorbereiteten Verordnungen zur Erginzung des Volks- Unterrichts-Systems im Kénigreich Polen: 1. Ein Censurgesets; 2. eine neue Organisation des Rathes far den Offentlichen Unterricht; 3. ein’ Gesetz aiber die Zusatzcarse und die Prifungscommission; 4. endlich eine neue Einrichtung des Elementarlehrer-Instituts in Lowicz. Alle diese Ent- wirfe sind bereits im Ministerium entworfen und grésstentheils auch schon durchgesehen. Als allgemeine Regel ist angenommen, dass die Zéglisge | _ des Kénigreichs nach Beendigung des Lehrcurses an den rassischen Uni- versitaten bei Besetzung der Lehrerstellen an den Gymnasien des Warschauer Lehrbezirks, im Fall aber hier keine Vacanzen vorhanden sind, an den Bezirksschulen, mit Versetzang derselben bei der ersten sich darbietenden Moglichkeit an die Gymnasien vor anderen Candidaten den Vorzug haben sollen. Von den Lehrbachern, welche im Kaiserreiche im Gebrauch sind, wurden schon vor einiger Zeit einige auch an den Gymnasien und Schuler des Kénigreichs eingefihrt, und es sind die néthigen Schritte gethan,. um allmablich die ibrigen ebenfalls umzutauschen. Auf die im Jahre 1840 . erlassene Preisausschreibung ist auch nicht ein einziges Handbuch zam Vortrag der Geschichte Poleps in dem bestimmten Jahrestermin eiogegan- gen; die Concurrenz ist daher noch auf ein balbes Jahr verlangert worden. Ueber die Fortschritte in der Erlernung der russischen Sprache im War- -‘schauer Lebrbezirk hat der Minister im Allgemeinen befriedigende Zeug- nisse von der Behdrde dieses Bezirks erhalten. | ,

Der russische Minister der Volkseufklirung hat ,,Behufs der Ausarbei- tung einer polnischen Geschichte fir die Schulen des Kénigreichs Polen“ -einen Preis von 10,000 polnischen Guiden ausgesetzt. Das mag eine curiose ,Geschichte* werden.

KEK. Neu-Griechen. .

Athen. Der Beobachter schreibt: Za der Wiedererdffaung der

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Vorlesungen an der Universitat zu Athen- strémten von allen Seiten lern- begierige Jiinglinge herbei:. die einen von Triest, allbereits beseelt von dem Geschmacke an erusten Studien und von der reinen Moral, die sie unter den heilsamen Einflissen einer deutschen Erziehung eingesogen haben; Andere kamen von Trapezunt, noch angethan mit dem Nizamgewande und ohne alle Idee, was man unter einem Lehrcursus versteht: Andere aus der Wallachei, aus Aegypten, von Smyrna, von den jonischen Inseln, kurz von allen Seiten, wo es Griechen gibt.

Athena. Auch in Griechenland zeigt sich der Klerus intolerant. Es besteht ein von einem Englander gegrindetes Erziehungsinstitat hier, das bei der Geistlichkeit Anstoss fand. Die heilige Synode hat nun die Nieder- setzung einer Commission bewirkt, welche das Hill’sche Institut untersuchen soll. Die Commission hat folgende 9 Punkte in vorziigliche Erwagung zu ziehen und daraber gutachtlichen Bericht zu erstatten: 1, Ob und wie oft . des Tages die Madchen ihr Gebet verrichten? 2. Ob sie bei Verrichtung - desselben nach Morgen oder nach Abend sich wenden? 3, Welches Glaubens- bekenntniss bei ihnen im Gebrauch ist, ob das der griechisch-katholischen oder der protestuntisch-evangelischen Kirche? 4. Welcher Unterricht im Betreff der heil, Mutter Gottes ihnen ertheilt wird? 5. Ob im Erziehungs- Institute Heiligenbilder vorhanden sind? 6. Ob, wo und wie die Madchen zum Kirchenbesuch angehalten werden? 7. Ob sie knieend ihr Kirchen- gebet verrichten? 8, Was fir Schulbicher im Gebrauche sind? 9. Ob diese Schalbiicher den Dogmen und Gebrauchen der griechisch-katholischen Kirche widersprechende Grundsatze enthalten?

Athen, Zeichnenschale. Die Regierung hatte seit mehreren Jahren hier eine polytechnische Schule gegriindet und sie der dbern Leitang des verdienstvollen Ingenieurhauptmanns v, Zentner unterstellt, in welcher Anstalt von allem Anfang an auch Zeichnungsunterricht ertheilt wurde. Einige Eleven machten sich durch ausgezeichnete Talente bemerkbar, welche jedoch durch eine Stunde woéchentlichen Unterrichts nicht hinldnglich ent- wickelt werden konnten. Beseelt von jener lebhaften Vorliebe fir die Kunst, welche die Herzogin von Plaisance schon friher veranlasst hatte, ihren Aufenthalt auf griechischem Boden za wihlen, beschloss diese edle Dame, durch Errichtung einer Zeichnungsschule aus eignen. Mitteln zur Wiedergebart der Malerei in dem neuen Athen beizutragen. Auf ihr Verlangen empfahl ihr Hr, Ingres von Rom aus einen seiner Schiler, Hrn. Bonirote aus Lyon, welcher unter Hrn. Bonnefond den Preis in der Malerei erhalten hatte. Da die Herzogin v. Plaisance noch dberdiess eine Samm- lung ausgezeichneter Vorlegeblatter und hinlangliche Zeichnungsmaterialien und Requisiten hatte kommen lassen, so war die Schule bald im Gange. Seit zwei Jahren ist. sie von einer grossen Anzahl Schiller regelmassig_ _ besucht worden, welche an allen Unterrichtstagen im Zeichnen unterwiesen werden. Die Schule naht sich dem Ende ihres zweiten Schuljahres und ist zur Zeit in drei Classen, in die Elementar-, in die Modell- und in die Akademieclasse eingetheilt, In der Modellclasse sind Eleven bemerkhar, welche, obgleich sie noch nicht ganz zweijdhrigen Unterricht genossen haben, darch ihre Leistungen mit den Schialern der ersten Schulen Europas bei Preisvertheilungen concurriren kénuen. In der Akademieclasse stehen die Fortschritfe in gleichem Verhdaltniss, obgleich auch hier die Schiler kaum eines zweijahrigen Unterrichts theilhaftig wurden. Die Herzoyin v. Plaisance konnte ihte hochherzigen Bemihungen von keinem glicklichera Erfolge gekrént sehen und wird in dea von den Eleven gemachten Fort- schritten, welche in der That nur Verwunderunmy erregen kénnen, ihren schénsten Lohn finden, In zwei Jahren wird diese Schule auch Maler auf- weisen kénnen, Die Regierung hat durch Einrdumung eines passenden Locals und durch Bewilligung von Stipendien an mehrero héchst hialfebe- dirftige Eleven dieses gemeinnitzige Unternehmen wesentlich geférdert, Es steht zu erwarten, dass die hellenische Jugend unter so weisen und klugen Anleitungen ihren Geist den ihm zu verleihenden wissenschaftlichen . Formen anpassen und ibr Vaterland auf dem von der Vorsehung bezeichneten

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Weg cinem kinftigen Glick entgegenfihren wird. Was den Charakter der von der Herzogin v. Plaisance gegrandeten Zeichnungsschule betrifft, so ist er ganz derjenige der Schule des Hrn, Ingres in Rom. Die bisher gebildeten Eleven entwickeln ein empfangliches und hoherer Ausbildung fahiges Gefahl fir Formen, wodurch das Bestreben nach Nachahmung zweckmiassig beschrankt wird; die Art der Ausfaihrung ihrer Arbeiten ist kraftig zu nennen, und weiteres Studiam wird diese vielversprechenden Anlagen ausbilden. :

Il. Uebersichten.

EX. Webersicht der Flugschriften.

1. Ueber die Antigone des Sophokles und ihre Darstellung auf dem kénigl. Schlosstheater im neuen Palais bei Sans- souci. Drei Abhandlungen von A. Bockh, E. H. Tolken, Fr. Forster. Berlin 1842. Verlag von E. H. Schréder.

2. Ueber des Sophokles Antigone von Konrad Schwenk. Frank- furt a/M. 1842, (Programm des Frankfurter Gymnas.)

Gewiss hat mancher Schulmann mit neugierigem Interesse im Spatherbst vorigen Jahres in den Zeitungen -die Nachricht von der Auffahrung der Antigone im Theater von Sanssouci gelesen, und halte gerne etwas Meh- reres fiber diesen Versuch zu erfahren gewdnscht, die antike Tragédie so viel mit modernen Kunstwerken geschehen kann, neuerdings lebendig vor die Augen. za fahren, Angenehm also wird es ihm sein, dass sein Wansch. durch diese Broschire erfallt wird. Er kann daraus ersehen, wie diese Tragddie, die thn im einsamen Studirzimimer, oder in seiner Schule zu- sammt seinen Schilern ergriff und begeisterte, eine Wirkung-that da, wo sie vermittelst der liberalen Unterstatzung eines Kénigs, unter Leitung von kunsterfahrnen Mannern, aufgefahrt von geschickten Kinstlern auf wir- dige und sinnyolle Weise dargestellt wurde, Einstimmig sind alle+drei auf verschiedenen Standpunkten stehende Berichterstatter &ber die Grossartig- keit, aber das Ergreifende und Hinreissende, bis auf den letzten Moment Spannende des Findruckes, der sich aus dem Genusse unmittelbarer An- schauung beim Zusammenwirken aller hier hineinspielenden kinstlerischen Mittel ergab. Schon die einfache Betrachtung, sagt Hr. Forster, dass nun bereits vor mehr als 2000 Jahren eine solche Dichtung geschrieben wurde, und dass es schon zu jener Zeit ein Volk gab, aus dessen Geiste ein sol- | ches Kunstwerk hervorging und von dem es und zwar nicht (wie in ‘Sanssouci) in einem ausgewdhlten Kreise sondern in grosser Festver-. saminiung bewundert und verstanden wurde, das muss-jene Anmassung, als seien wir heut zu Tage allein die Erwahlten und Er- -weckten, in bescheidene Grenzen zurickweisen.“ °

Jeder der drei Berichterstatter bat seinen besondern Standpunkt ge- wahit, und zwar nimmt Forster den pbilosophischen Standpunkt, Télken hat das Architektonische und Béckh das Scenische und Musikalische be- trachtet, und so wie die Gaben alle drei werthvoll sind, so sind doch - besonders die zwei Artikel von Télken nach unserm Ermessen die wichtig- sten , da sie aiber das Architektonische ein vortreffliches Licht verbrciten, und mit Wegraumung gewisser allgemein verbreiteter Vorurtheile , die Manchem die Anschaulicthkeit erschwerten, ganz neue und sehr natirliche Belehrung geben. Hr. Forster, nachdem er in einer Vorrede éber die Veranlassung der Auffihrung am 28. October, die dann am 6. Nov. wie- derholt wurde, aber die aussern-Bedingnisse, iber den Kreis der Zuschauer, aber Tieks Verdienst bei der Anordnung, aber Mendelssohn Bartholdy’s geistvolle Composition, aber die Leistungen der Schauspieler und Kaustler gesprochen, liefert in seiner Abhandlung eine gelungene Exposition und Beurtheilung des Stickes. Wir wollen davon einige Punkte daram heraus- heben, weil wir eine gute Abhandlung des Hrn. Conrad Schwenk fiber den gleichen Gegenstand vor uns haben, welche im Osterprogramme des Frankforter Gymnasiums 1842 enthalten ist, welches Referent, so wie die

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Provramme froherer Jahre, der Gitte des Hrn. Director Vomel in Frankfart verdankt. Richtig bemerkt Forster, dass, wenn auch im Conflicte des gottlichen und des weltlichen Gebotes, der zwischen der Antigone ond dem Kreon entsteht, sich unser Mitgefihl mit vorwaltender Neigung det Antigone zuwende, wir die Antigone dennoch, und zwar mit Berufang auf ihr eigenes Bekenntniss, auch far schuldig erkennen missen, Ihre Schuld sber bestehe darin, dass ihr die Gebote der Liebe far ibren Bruder so hoch stehen, dass sie diese allein fir géttlichen Ursprungs, dagegen Gesetze und Ordnung des Staates fir Menschenwerk erklare, dem sie keine Geltung zugestehe, Wire sie die unschuldig Leidende, so ware sie kein tragischer Charakter. Das ist ganz richtig. Wenn er aber sagt, unsre Zuneigung wende sich der Antigone zu nicht ohne das innere Zugestand- niss: sie befinde sich vollstandig in ihrem Rechte, .so dass bei ihr von einer einseitigen Tugend nicht die Rede sein kénne, so widerspricht diess dem Vorigen, oder ist wenigstens nicht scharf genug gefasst, um Miss- versténdnisse zu verhiten. Wir werden allerdings auf die Seite der An- tigone hingezogen, und abgesehen davon, dass der schwachere, aber so edel gesinnte Theil unser Mitleid ergreift, so fahlen wir, sie hat eine héhere Berechtigung als Kreon, Indem sie, sich aber, da er seine Berech- tigung mit Hitze und Einseitigkeit yerfolgt, .mit Schroffheit entgegenstellt, so wird auch sie einseitig, und wir fahlen, dass, wenn sie schon im héhern, doch nicht im vollstindigen Rechte ist. Umsichtiger verfahrt in diesem Punkte Schwenk, indem er die Aeusserung des Dichters Oehlenschlager in seiner | Selbstbiographie mit vollen Granden widertegt: ,Auch ist ja die Antigone des Sophokles vollkommen unschaldig und weicht kéiner Christin an edler Gesinnung.“ Mit Recht sagt Schwenk: Ihre Gesinnung ist zwar edel und tugendhaft, aber christlich ist sie nicht, weil Antigone dem Kreon mit Stolz gegenaber steht und seine krinkende Rede mit gleich krankender Rede vergilt. Ein anderes Moment, worauf Schwenk aufmerksam macht, liegt darin, dass Kreons, des rechtmassigen Herrschers, Gsebot kein. willkar- liches war, weil heilige Sitte dem entarteten Sohne, welcher mit frevic- rischer Hand, sein Vaterland zu verwdsten kam, die Wohlthat des Grabes nicht zusprach. Ein drittes Moment, das Schwenk mit der Bemerkung, dass in Antigones Adern das stolze Blut des jahbandelnden, unnachgiebi- gen Labdakidengeschlechtes fliesst ,“ wenigstens angedeutet hat, ist zwar dem freien Willen der Antigone nicht zuzurechnen, ist uber echt tragisch und antik, indem es uns ein geheimnissvolles schon vor dem Anfange liegendes Motiv, den Fluch des Labdakidenhanses im tiefen Causalnexus erkennen Jasst. .

Richtig urtheilt dagegen Férster , dass er den Vers 572 nicht mit Béckh und Tiek, die sich auf ein Scholion berofen, der Antigone zugetheilt wissen will, sondern nach gewdholicher Annahme die Ismene sprechen lasst: O'theurer Haimon, wie entehrt dein Vater dich! Der Vers dinkt Férstern nicht angemessen dem Charakter der Anfigone, ,,die so sehr von der frommen Liebe zu dem Bruder erfillt ist, dass sié Hamon nie erwahnt.“ Allerdings, denn ihr ganzes Denken und Lieben geht jetzt einseitig in die Pflichterfillung far den Bruder auf, weswegen dann auch die krinkende Kalte gegen die Ismene in der. ersten Scene schon. Die Hoheit und Macht, mit welcher die religidse Pflicht und Liebe zum Brudet in ihr, einem eben so edel als selten gearteten Wesen, wirkt, spricht sich auch darin aus, dass sie, als sie zum Tode abgefihrt wird, so fern ste auch ist von falschem Heroismus, und so schén sie auch die Giter ‘des Lebens , das sie verlassen muss, wirdigt und achtet, dennoch des Himon mit keinem Wort gedenkt. Hr. Schwenk sagt hieraber: ,Sie sowohl als Hamon exgiessen sich nicht in Liebesklagen, wie es in einer modernen Tragodid Warde geschehen sein; dass aber dem Gang dieser Tragddie damit _geschadet sei, ldsst sich nicht in Wahrheit behaupten. Das Furchtbare ‘ihres Geschickes kann nicht durch Liebesklagen gesteigert werden, da sie von dem Leben, mit Alleth, was es dem Menschen Erfrealiches hat, schei- den muss.“ Wie wollte der Dichter, fragen wir, die einmal so gestaltete

Pad. Revue 1842. b, Bd.¥.

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Antigone der Liebe 2zom Hadmon erwahnen lassen? Warde diese Liebe stark und beinahe gleichgewichtig, wie die Liebe zum Brader erschieneo sein, 80 hatte dieser innere Zwiespalt die Starke und Ueberzeugung der Idee geschwacht, fir welche sie sich opfert. Unschén aber ware es ge- wesen, dber diese Liebe die Antigone zwar verhandeln, aber doch nar als aber Secunddres verhandeln 2u lassen, Das-enthaltsame Schweigen ist weise und wohlerwogen am Dichter, und an der Antigone erbaben. Wenn sich dagegen der leidenschaftlich liebende Hamon den Tod an ihrer Leiche gibt, so ist dieser Tod einerseits Strafe fir seinen Vater Kreon, aber zugleich ein neues Zeugniss fir dic Hoheit der Antigone.

. Wir fagen diesem noch zwei Bemerkungen des Hra. Schwenk bei, die eine fein und inhaltreich: ,,Beide, Antigone und Kreon, siad schuldig durch Unnachgiebigkeit und Stolz, Wie klein auch solche Schuld verglicheo mit schwerer Verschuldung oder mit Verbrechen erscheinen mag, im Sitt- lichen ist jede Schuld unberechenbar, wodurch eben die kéchste tragische Erschitterung hervorgebracht wird.“ Minder einverstanden sind wir da- , gegen mit seiner Ansicht aber Shakespeare’s Othello. Der Mohr, der offene biedere, ecinsichtige und verstindige Krieger und Staatsmann tédtet seine geliebte Desdemona, wahrend der Hauptbeweis gegen sie, das von ihr verlorene und in Cassio’s Hand gelangte Taschentuch ist. Hatte Othello nur einmal ernstlich mit seinem Weibe oder auch mit Emilien gesprochen, so ware die Sache an den Tag gekommen, Diess sei quélend, und die blinde Wath erklare sich abel aus dem heissen afrikanischen Blute des Mobren, der als klarer und besonnener Mann, wie er ja sei, in Staats- und Kriegs- geschdften auf solche Beweise hin wohl nicht so gehandelt hatte, Nur eine sophistische Kritik kénne dergleichen als hohe Trefflichkeit darstellen. Qualend ist zwar die Katastrophe, das ist wahr; aber doch méchten wit erinnern, die Frucht des Argwohns ist Verkennen, und Eifersucht wird auch einen sanst klaren Mann mit Blindheit schlagen. Und wo er nichts mebr erkennt und sieht, als furchtbaren Verrath ven Seiten der Theuersten, da wird wohl keiner der Leidenschaft und ihren Folgen die Grenszea bestimmen. :

Wir wenden uns zu den zwei kurzen Abhandlungen von Falken, die wir als die wichtigsten bezeichnet haben, weil sie nus aber die Construc- tion des griechischen Theaters, besonders der Buhne und der Orchestra eine ganz neue Ansicht gewahren. Er liefert darin einige Resultate aus seinen ldngern Studien und Untersuchungen, indem er das Ganze einer allgemeinen Schilderung des griechischen Theaters vorbehalt. Doch schon das Mitgetheilte genigt, um die ziemlich allgemein verbreitete und ange- pommene Darstellung Genelli’s, die uns, wenn wir uns ein Stack aufgefahtt denken, so vicl Unbegreifliches zuricklisst, zu widerlegén. Ungeachlet kein Plan beigegeben ist, wird doch Télkens Darstellung sehr anschaulich und dberzeugend. Nur leiden seine Abhandlungen keinen Auszug, da man sic fast ganz abschreiben misste, um richtig za zeigen, was er Neues tehrt. Es genaigt aber bei der Wichtigkeit der Sache auf das Schriftchen aufmerksam gemacht zu haben, und einige seiner Resultate kurz anzumer- ken. Nach Genelli sind die beiden Eingaéage von rechts und links auf die Orchestra, die Coopoe oder Nagodor, bis en 30 Fuss breit, wdvon man die Zweckmassigkeit nicht einsehen kann. Nicht allein der Chor, sonders auch die Mehrzahl der Schauspieler soll durch dieselben eintreten, so dass aur dio aus dem Palast im Hintergrund kommepden nicht durch die Orche- stra eintrdten, Nach Télken aber gehen die. Sitzreihen bis ans Proscenium, in dessen Nahe aber die untersten Sitzreihen abgeschnitten sind, um da die Thire anzubringen, durch welctie man rechts und. links auf der nicht breiten Parodos auf die Orchestra gelangte. Auf diesem Wege trat der Chor ein, Und diejenigen Schauspieler, die nicht ans dem Hintergrande eintraten, kamen durch Thiren der beiderseits decorirten Seiten waade, wie bei uns durch die Coulissen. Die Seitenwiénde sind namlich formirt

durch die bekanaten. méglaxrot, d. bh. durch div auf metalienen Zapfen,

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wie man sie heut zu-Tuge noch gefunden hat, sich. drehenden, aufrecht stehenden, dreiseitigen, und auf allen drei Seiten bemalten hohen Prismen,

vermittelst welcher die Decoration verdndert wird. Die TACKOKNYE sind nicht nackte hohe Wande, sondern Raume zu beiden Seiten des Prosceniums, durch Decorationen verdeckt, wo die Schauspieler unter an- - derm Kleider und Masken wechseln, Die Schauspieler treten nicht auf

die Orchestra. Der oft vorkommende Altar ist nicht die JupéAn, sondern befindet sich auf der Bahne vor dem Palast, es wire denn, dass yom Altar, an dem der Chor sich befindet, die Rede ist, wie in Aeschylus Schutzflehenden. Ueberhaupt sind die scenischen und thymelischen Kinst- ler auch durch die Lokalitat wesentlich verschieden, Far die Behauptung,

dass auch die Schauspieler durch die Ogdpou oder %ae000s eintreten, fibre man den Uinstand an, dass die Ankunft einer Person vom Chor gemeldet za ~ werden pflege, welches sich am schicklichsten durch das Eintreten der Schau- spieler auf Jenem Wege erkléren fasse, Allein der auftretende Schauspieler braacht so wenig vom Chor als vom Publikum wirklich erblickt zu werden, wie er allmahlig naher kommt. Vielmehr waltet der Nebenzweck, einers seits die Zuschauer nicht im Ungewissen zu lassen aber die erwarteta Person, andererseits dem Schauspieler ein Zeichen zu geben, er solle sich fertig halten aufzutreten, Einzig aber die -von Vitrav erwa&hnten ver- surae procurrentes, welche die nach vorn sich wendenden Grenzen. des - Prosceniums, oder die Grenzlinie der Seiten-Decorationen bedeuten sollen, sind wir, vielleicht nur aus Abgang einer Zeichnung, nicht vollig .im Klaren. Wir schliessen den Bericht aber diese lehrreiche und klare.Ab- handlung mit dem schénen Ausspruche des Hrn. Télken: ,So viel ergibt sich schon jetzt: Das griechische Theater, erfunden und ausgebildet sue Zeit der héchsten Blithe des hellenischen Geistes, war in allen Theilens Poesie , Musik, Tanz und Architektur, das harmonischste, in sich .vollen+ detste Kunstwerk, welches der schaffende Genius der alten Zeit ins Leben gerufen.“ ; Zwar minder reich an neuen Resultaten, aber eben so angenehm als belehrend ist die dritte Abhandlung, von Béckh: aber die Darstellung der Antigone. Boéckh hatte schon vor Erscheinen des Télkenschen Aufsatzep die Ansicht, dass alle Schauspieler, wiefern sie nicht aus dem.. Palaste: kommen, Eingang und Ausgang nicht darch die Orchestra ,. sondern durch die Seitendecorationen des Vordergrundes nehmen. Dabei spricht er aber mehrere Punkte, dass Aeussere .betreffend und erganzt unsre Vorstellungen hieriber. Man habe in neuern Zeiten die Vorstellung von der Prunk- losigkeit der Tragddie der Griechen dbertrieben, wahrend sie die Pracht des Choragiums keineswegs verschmabt hatten.. In der Beurtheilung der Darstellung und in der Kritik des Einzelnen verfahrt er so, dase er mit seinen Vorstellungen von der Auffahrung, wie sie etwa wirklich, bei den Griechen mochte Statt gefunden haben, die heiden Aaffihrongen in Sans- _ souci vergleicht, und angibt, was etwa bei weitern Auffahrungen, besonders auf gréssern Theatern, mit Vortheil kannte abgedndert and verbessert werden. Auch nach seinem Urtheil war der Eindruck macbtig, und die Darstellung wesentlich gelungen; man wollte aber mit Recht, wie er bemerkt, keine sklavische und pedantische Nachahmung des Alterthimlichén bezwecken, sondern die Heryorbringung des Gesammteindrucks dieser Kunstwerke mit den Mitteln, welche uns zu Gebote stehen. Ueber die Wirkung dep Chors hegen manche mit dem antiken Drama minder Vertraute oft wunder- liche Meinungen, so dass sie ihn als das finfte Rad am Wagen ansehen, - Diesem Vorurtheil widerspricht schon im ersten Aufsatze Forster, und Bockh sagt, die Eindracke der Situationen warden zu heftig sein, wenn nicht der Chor Ruhepunkte gewabrte, und Musik die Leidenscheft reinigté und die Dissonanzen des dargestellten Lebens in ihre Hermonie tauchte, obse sie aufzuheben. Hierauf haben auch die alten Dichter den schon aus andéta Grinden nothwendigeu Choy berechnet, ond wir kénnen nicht einsehen, wesshalb dieser unserm Publikum nicht zusagen sollte, und warem sich: dad

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ganz willkabrliche Vorurtheil nicht sollte ablegen lassen, dass. eiae Tra- goédie nichts Opernartiges haben dirfe. Bemerkenswerth ist, wie die Kinstlerin Crelinger die Rolle der Antigone auffasste. Ziemlich dberein- stimmend mit Forster sagt Béckh; Antigone war grossartig und leidenschaft- lich und doch nicht unweiblich aufgefagst, das Abstossende derselben gegen die Schwester mit feincm Maass gehalten. Der unsern Schauspielern sonst minder gelaufige Trimeter erwies sich fir die Warde des Vortrags nur férderlich, und die Stichomythien dberzéugten von der Zweckmassigkeit dieser Form in den tragischen Redekdmpfen, Far die Vorstellung war die Donner’sche Uebersetzung gewahlt worden, mit wenigen néthig befundenen Abdnderungen. Die Mange! dieser Ucbersetzung, Abschwachung, Verwi- schung manchen Ausdrucks und Missverstindniss des Sinnes wirkten freilich an einigen Stellea nachtheilig, besonders dann im Melischen, wo darch unvolikommenen Ausdruck dem Componisten sein Werk erschwert, der Darsteller aber in der Auffassung seiner Rolle oft irre geleitet wird. Allein mit manchem Vorzug der Donner’schen Uebersetzung erkennt Boéckh auch an, dass keine Uebersetzung die rhythmische Malerei im Sophokleischen Chore wiederzugeben im Stande sei, fir welche unsere Sprache ficht geeignet ist. Zum Schlusse spricht Hr. Béckh noch dber das Musikalische und Orchestische , vom letztern nur kurz and so viel, dass man sieht, dass hierin wenig dem Antiken Aehnliches oder ihm Entspre- ehendes versucht worden. Die Bewegungen und Stellungen der modernen Choreuten boten geringen Ersatz far die orchestischen Evolutionen und ' Aufstellungen der alten Chére, wozu freilich weder Raum noch Uebung war. Billig unterliess man es auch, eine antike Conjecturalmusik zu pro- biren. Hr. Bockh sagt: Die Griechen haben im der Musik, wie in der Malerei, in welcher sie sonst ebenfalls fir Stimper galten, durch Mittel, die wir nicht hinlanglich kennen, grosse Wirkyungen hervorgebracht. Wollen wir solche Wirkungen wieder erreichen, so miissen wir unsre Mitte] an- wenden, und diese hat Hr. Mendelssohn-Bartholdy so in Bewegung gesetszt, wie es dem Charakter der Chorlieder und den darin ausgesprochenen Ge- danken gemass ist.“ Wir miassen hier Béckh’s ins Einzelne gehende Urtheile und seine Rectification der einseitigen Ansicht, als ob sich der riechische Rhythmus mit dem Tacte nicht vereinigen lasse, tibergehen. gegen bemerkt er, die anapdstiechen Systeme des Chors habe der Com- ponist meistens als Recitativ fir den vollen Chor, seltener fir den Chor- fahrer behandelt, Wo aber das Letztere geschehen sei, habe es sich ganz vorziglich ausgenommen, dergestalt, dass er winscht, es ware durch- gehends geschehen, woraus sich eine schéne Abstufung gegen den vollen Chorgesang der lyrischen Strophen und Artistrophen ergibe. Man sieht, wie weit Hr. Béckh entfernt ist, die neulich auf die Bahn gebrachte Be- hauptung gat zu heissen, als ob der Chor lyrische Strophen, Anapasten, Jamben, selbst im Dialog, im vollen Tutti gesangen und gesprochen habe, Als etwas Merkwirdiges and Neues ist noch anzufibren, dass die Lieder von der Scene, und. was von den Kommen dem Schauspieler zufallt, ge- sprochen wurden, aber unter melodramatischer Begleitung, [die genial gesetzt war und cine grosse Wirkung machte.. - - Prof. Rud. Rauchenstein.

WK. Uebersicht der Schulschriften.

Ueber die erziehende Kraft der Schule. Von Oberl. Dielits. (Osterprogramm 1841 der K. Realschule in Berlin.) *

»Der sittliche Geist eines Volkes stellt sich in den drei Sphdren der Familie, der Kirche und des Staats dar. Die Familie ist dadurch die erste

* Hat, wie das bei dem spirlich zugemessenen Raume so oft geht, Menate lang suriickgelegt werden missen. Wir theilen die vortreffliche Abhandlung, da sie rein pidagogischer Natur ist; und Programme nor in einém kleineren Kreise bekannt werden, fast ganz mit, was die Leser uns danken werden. -

617 und unmittelbarste Gestalt des sittlichen Geistes, dass ihre Einheit, die ip der Sorge fir die Erhaltung und Vermehrung des Vermdégens nur eine dus- serliche ist, durch die Erziehung der Kinder auch zu einer geistigen wird. . Die Erziehung ist dberall ein wesentliches Moment der Familie. Da namlich die Einbeit der letzteren in der Liebe wurzelt , und jedes Volk, adch das -roheste, seine Kinder liebt, so winschen alle Eltern ihren Kindern das Beste zu geben, was sie in sich selbst: finden. DasRecht der Kinder aber, erzogen ‘zu werden, und die Pflicht der Eltern, diese Erziehung zu be- sorgen, ist unmittelbar in der menschlichen Natur begrindet, indem der Mensch nichts durch Instinct wird, sondern Alles, was er werden soll ihm entweder gegeben oder von ihm erworben werden‘ muss.

Die Erziehung in der Familie hat die doppelte Bestimmung, durch Erweckung von Liebe, Dankbarkeit und Gehorsam das Gemith der Kinder zu bilden, and dadurch in ihuen den Grund zu einem sittlichen Leben zu legen , sodann aber die Kinder zur Selbstandigkeit und freien Persénlich- keit zu erheben und sie auf diese Weise zu befahigen, aus der urspring- lichen Einheit der Familie in die gréssere der Kirche und des Staats aberzugehen. .

Wie der Zweck der Familie die Erziehung der Kinder, so ist der Zweck der Kirche die Erziehung des Volkes zur Gemeinschaft mit Gott und | zur Freiheit in Gott, Dort ist die Liebe za den Eltern, hier die Liebe zu Gott die Quelle der Sittlichkeit, Der Form nach ist die [Kirchen-Er- ziehuog der Familien-Erziehung gleich, denn beide erziehen vorzugsweise durch Einwirkung auf das Gefihl. |

Die dritte Sphare der Sittlichkeit , die, wo die sittliche Idee zur Wirk- lichkeit wird, ist der Staat. Der Staat ist mehr, als die Unterwerfang eines Volks unter einen gemeinsamen Willen, er ist die Darstellung des menschlichen Willens selbst in seiner Freiheit. In ihm kommt die Idee

der Freiheit zur Wirklichkeit, nicht nach der subjectiven Willkar der In- dividuen, sondern nach dem géttlichen und allgemeinen Charakter des menschlichen Willens. Die Freiheit, die sich im Staate realisirt, ist eine doppelte: sie besteht erstens darin, dass jede Individualitat ihre vollstin- dige Eniwickelung erhalte, zweitens aber auch darin, dass jedes indivi- duelle Interesse in das allgemeine Gbergehe und jedes Individuum far das Allgemeine wirke. In dieser doppelten Beziehung verlangt die Idee des Staats, dass das ganze Volk erzogen, und zwar in einem Geiste erzogen werde, der dem jedesmaligen Culturzustande entspricht, Ejinerseits ist es Sorge des Staats, dass keinem seiner Birger die allgemeinen Menschen- rechte entzogen werden. Zu diesen aber gehdrt das Recht, erzogen zu werden; denn nur durch die Erziehung wird das Kind befabigt, dereinst zur sittlichen Freiheit zu gelangen, und in diesem seinem Rechte muss der Staat es schitzen, wenn etwa verblendete oder béswillige Eltern es ibm entziehen wollten. Andrerseits ist fir den Staat die Erziehung des heran- wachsenden Geschlechts Bedingung seines Daseins, denn durch die Er- ziehong allein wird im Menschen der blinde, thierische Lebenstrieb erstickt und der Mensch befahigt, die Idee des wahren Lebens zu fassen und nach dieser Idee far das Allgemeine zu wirken, Der altrémische Rechtsgrund- satz ,inferna non curat praetor“ bleibt aber in sofera wabr, als der Staat ~ erst dann straft, wenn die Verletzung des Rechts eine dusserliche Existenz bekommen, d. h. wenn ein Verbrechen stattgefunden hat. Auch in dieser Beziehung ist er nur richtig, weil die Strafe an und fir sich nicht bessert; im Uebrigen ist dem Staat, als dem Mittel, darch welches ein Volk seine sittlichen Zwecke realisirt, die Gesinnung eben so viel werth, wie die That.

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Ueber die Abhandlung zum Mablhduser Programm von 1841: Ueber Schulgesetzgebung, vom Gymnasialdirector Dr. Hawn, dagegen kénnen wir weiter Nichts geben als die Notis, dass sie erschienen ist. Sie ist ein gar schwaches Product einer gedankenarmen und angebildeten Reflexion, mit Prediger-Logik gedacht. Wenn nicht etwa das Beste am Ende steht, denn wir haben es nicht vermocht,.sie zu Ende zu lesen. pH -

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In der Idee des Staats liegt ferner die Beantwortung der alten Streil- frage, ob wir far die jetzige Welt, oder fir eine ideale Zukunft, oder endlich, wie Rousseau wollte, far eine ideale Vergangenheit, d. b. fir einen von den verderblichen Einflissen unserer Cultur freien Naturzustand erziehen sollen. Jedes erziehende Element im Staate ist namlich selbst ein Product der Zeit, und kann nichts weiter als sich selbst reproduciren. lo sofern aber die Realisirung der sittlichen Idee, die noch nicht zur Wirk- lichkeit geworden ist, in dem heranwachsenden Geschlechte angestrebt wird, hat die Erziehung eine ideale Zukunft zum Zweck; und da dieses Streben auch darauf gerichtet ist, alle Verbildung. der Zeit abzustreifen, so fahrt die Erziehung in ibrem Fortschrilt zugleich wieder zur unver- derbten Natur zorick. .

Zwischen der Familie einerseits und der Kirche und dem Staat andrer- seits steht die Schule. In ihr findet das ganze Jugendleben seinen Mittel- punkt; in ibr sind jene drei Spharen des sittlichen Geistes vereinigt. Die Schule soll mit der Familie erzieheu und die Familie ersetzen, wo diese die verlangte Einwirkung auf das Gemith der Kinder unterlasst, ja sogar den oft schddlichen Einfluss der Familie neutralisiren: Sie soll ferner durch den in ihr waltenden Geist die Kirche reprasentiren und die Jugend zum Leben in der Kirche vorbereiten. Sie soll endlich durch ihren Orgapismos

* gin Abbild des Staats sein, und die sittlichen Zwecke des heranwachsendes

Geschlechts. verwirklichen , wie der Staat die des ganzen Volkes realisirt, zugloich aber die Jugend durch das Leben in der Schule su einem ver- ninftigen Leben im Staate heranbilden.

. ‘Dieses Verhdltniss der Schule ist in der Preussischen Gesetzgebung durchgehends anerkannt. Zum ersten Male ist es ausgesprochen in des Gesetz vom 3, Juli 1798, in welchem es heisst: ,,Beides (Unterricht und Erziehung des Bargers) ist den Schulen anvertraut, so dass ihr Einfluss auf die Wohlfahrt des Staats von der héchsten Wichtigkeit ist.“ Die Mi- nisterialverfagung vom 24. October 1837 sagt u. a.: ,dass schon bei Be- folgung der friberen Vorschriften die Jugend durch den Ernst des Unter- richts und die Strenge der Zucht selbst gegen die verderblichen Einflisse der oft verkebrten hauslichen Erziehung ond der materiellen Richtunges der Zeit erfolgreich geschitzt wird.“ Weiter heisst es in derselben Ver- fagung: ,Zu Clagsen Ordinarien sollen solche Lehrer gewdhit werden, welche durch die Reinheit und Warde ibres Charakters und durch des Ernst ‘ihrer ganzen Haltung eine unausléschliche Ebrfurcht vor der sittlichen Macht, welche das Leben der Menschen-regiert, in der ihrer vaterlichen Obbut und Pflege Gbergebeuen Classe zu erwecken vermdgen.* Endlich lautet die Vereidigangsformel far die 6ffentlichen Lehrer: ,Ich schwore, dass ich die mir anvertraute Jugend nicht nur wissenschaftlich 20 bilden, sundern auch za gottesfarchtigen, guten und versténdigen Men- schen zu erziechen mit Ernst und Eifer bemabt sein werde.“ ,

- Von einer Ab'ehnung aller erziehenden Kraft von Seiten der Schule kann demoach nicht mehr die Rede sein; es hpndelt sich vielmehr nar darum, zu untersuchen, durch welche Mittel die. Schule die ihr gestellte Aufgabe lést, und zngleich zu zeigen, dass die Schule ein notbwendiges, anderweitig nicht zu ersetsendes Moment des Staates ist. Man kénate sonst mit Recht einwenden, dass eine Sache dadurch noch nicht ihre Wirk- lichkeit erhalt, weil sie durch die Gesetze gefordert wird, sondern erst dadurch, dass sie in sich als nothwendig und verninfltig sich darstellt. Wir heben als Zweck der Familie die Erziehung der Kinder zum Lebes

in der Kirche und im Staate gesetst. Das erstgenannte Ziel kano sie

durch Einwirkung auf das Gemith und durch ernste, stille Gewohnung erreichen; das letztere nur io sebr seltenen Féllen, namentlich bei der Gestalt, welche das dffentliche Leben za unserer Zeit unter allen civili- sirten Nationen angenommen hat, Ein segensreiches J.eben im Staat setzt ndmlich zweierlei voraus: theile die Kenntniss des wahren Lebens, die nur aus einem systematischen Unterricht hervorgehen kann, theils die Gewdhnung ap ein Leben, in welchem die individuellon Interessen in einen allgemeinen,

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sittlichen Zweck sich auflésen. Diess ist die doppelte Aufgabe der Schule. Kann die Familie, der immer und dberali die Pflicht bleibt, durch Beispiel - und Gewohbnung auf den sittlichen Geist der Kinder zu wirken, auch diese beiden Aafgaben lésen, so ist es ihr unbenommen; in den meisten Fallen vermag sie es aber nicht. Es ergibt sich dies, wenn wir die drei Arten der dffentlichen Schulen, die den drei Stinden im Volke entsprechen, néher betrachten. _

Der erste Stand, den Hegel den substantiellen oder unmittelbaren nennt, hat-die Aufgabe, durch kérperliche Arbeit auf die Kérperwelt ein- zuwirken. Wer ihm angehdért, hat zwar die kérperliche Arbeit eu seiner Hauptthatigkeit; aber er soll nicht als Maschine arbeiten, sondern als Mensch, d.h. mit Bewnusstsein und Einsicht. Daza soll ihn die Elementar- echule befahigen, wahrend er alles Technische,. was sein kanftiger Beruf erfordert , ausserhalb der Schule lernt,* Der zweite Stand, der reflectirepde, wirkt durch geistige Thatigkeit auf die Kérperwelt ein, und erhalt seine Ausbildung in der héheren Birger- oder Realschule. Der dritte Stand endlich, der allgemeine, hat die geistigen Interessen des Staats zu férdern; er wird in den Gymnasien gebildet. |

Die Elementarschule heisst auch Volkeschule *, weil die von ihr ere zielte Bildung dem ganzen Volke, ohne Racksicht auf Stand and Gebart, eigen ist. thre Schéler gehéren zum grossen Theil einer Volksclasse an, die ihren Kindern nicht einmal das mitzugeben vermag, was nach der Natur der Sache der hauslichen Erziehung angehort. Beispiel und Gewodh- nung, die Hauptmittel der Famitien- Erziehung fehlen entweder ganz, oder sie sind, was noch schlimmer ist, von verderblichem Einfluss. Sie fehlen, wenn sowohl Vater als Mutter den ganzen Tag mit schwerer Arbeit be- schafligt Sind, und die Kinder nat sehen, sobald és gilt, ihre leiblichen Bedirfnisse zu befriedigen; sie sind verderblich, wenn in der Familie selbst ein umsittlicher Geist weht. Und sind diese Familien so selten? Kann dberhaupt bei den tausend und tausend Familien, die nur mit dus- serster Anstrengang den Kampf um die materiellen Bedingongen des Da- seins bestehen, kann bei diesen von geistiger Freiheit die Rede sein? Eben so wenig wie bei einem Volke, dessen ganze Thatigkeit auf die Be- waltigung der Natur gerichtét ist, dessen ganze Kraft in diesem Kampf mit der Materie verzehrt wird. Und kénnen die, denen selbst die geistige Freiheit fehlt, ihren Kindern dazu verhelfen? Sie kénnen es nicht, und darom muss der Staat es thun, um Gottes willen und um seiner selbst: willen. Alle diejenigen, welche ihren Kindern Erzieher sein kdnnen, werden es auch sein, und wo etwa die Geschicklichkeit fehlt, da wird sie durch die Liebe ersetst werden. Aber die Masse des Volkes kann es nicht, Daher die mit jedem Jahre sich mehrende Zahl der Warteschulen, die hlos aus dem Bedirfniss hervorgegangen sind, auch Kindern vor dem echulfahigen Alter die fehlende Familien-Erziebung zu ersetzen; daher der zwar uvausfihrbare, aber doch auf sehr wabren Principien beruhende Plan Fichte’s, das ganze heranwachsendo Geschlecht, ohne Ausnahme, if - éffentlichen Erzichungshaéusern, fern von dem verderblichen Einfluss der Familien, heranbilden zu lassen.

Die Volksschule hat auf diese Weise in den meisten Fallen die Auf- gabe, die Familienerziehung theils zu ersetzen, theils in ihren schadlichen

* Solite nicht meine Ausicht die richtigere sein, nach welcher die Elementarschule (fir Kinder von 6—9 Jahren) allen Sténden gemeinsam und erst die Volksschule (10 14 Jahre) Standessehule und der h. Barger- and der Gelehrtenschule coordinirt ist? Als Fortsetzungen der Volksschule sollte man so viele Fortbildangsschulen als médglich errichten: Abend-, Sonntag-, Compagnie-, Bataillons-, Fabrikschulen u. s. w. Auch sollté der gemeine Mann nicht alles Technische, wag. sein kinftiger Beraf fordert, ausserhalb der Schule zu lernen haben: : niedere Gewerbeschulen fir Lehrlinge und Gesellen bestehen schon da und dort, auch Ackerbau- schulen sollte man grinden. D.

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Einfldssen zu neutralisiren, indem sie gegen die Vorurtheile uad die a- sitdichen GewOhnangen ankampft, die der Schiler von Hause mitbringt, Ueberall aber bleibt ihr dio Erziehung darch dea Unterricht, den die Masse des Volks, weil es ibr sowohl an Geschicklichkeit als an Zeit feblt,

nirgend zu besorgen vermag.

Anders ist das Verhaltniss bei den Realschulea and Gymaasien. fhre Schiler gehéren in der Regel den gebildeteren Stinden an, ia denen die Familie sich als sitlliche Einheit bewusst ist * und zugleich die ausserlichen Mittel hat, ihre sittlichen Zwecke zo erfallen. Hier wird der Familie ia allen Fallen der negative Theil der Erziehung anbeimfallen, der in der fortgesetzten Sorge besteht, dass das urspringlich Gate im Menschen nicht uatergehe und béses Beispiel auf iha nicht Einfluss gewinne. Der positive -Theil der Erziehungsthatigkeit aber, der theils in der Zacht, theils im Uaterrichte besteht, kaan auch in don gebildetsten Familien nicht vollstén- dig ausgefahrt werden. Die Zuacht hat zandchst den Zweck, den Eigen- willen des Kindes zu brechen, and dadarch das blos Sinaliche und Natir- liche in ihm auszurotten, und begisnt daher mit dem Gebot, das ohne alle Grinde hingestellt und dessen Befolgung durch Strafen erzwaagen wird. Die Grande sind Anfangs aberflissig, da eben der unmittelbare Wille nach uamittelbaren Gelisten handelt; ja sie sind nachtheilig, da es dem Kinde Uberlassen bleibt, ob es dieselben anerkennen will, oder nicht. Es hiesse aber die Rechte des Kindes als Vernunftwesens verietzen, wollte man im- mer blinden Gehorsam von ihm verlangen, es hiesse das Kind abrichten, and nicht erziehen, weun man ihm haadert and aber handert Dinge als erleubt gestatten, und eben so viele als verboten darch Strafen verileiden wollte, ohne ihm ein Allgemeines zu geben, das ihm ia allen Fallen zur Richtschaor dienen kann. Dieses Allgemeine gibt ibm der Unterricht. Er tritt ein, sobald die geistige Entwickelung des Kindes es gestattet, und geht dann mit der Zucht Hand in Hand. Beide kénnen nicht von einan- der getrennt werden, sondern gehen, je weiter die Entwickelung vor- schreitet, immer mehr in einander auf. Ob die Familie den Unterricht ihrer Kinder in der néthigen Vollendang ertheilen kann, ergibt sich aus dem Begriff des Unterrichts. Wir mdgeo zar Divinitét oder sur Verniof- tigkeit, zur Gottesfarcht oder zur sittlichen Freiheit erziehen was, 80 verschieden es klingt, eins und dasselbe ist immer ist das menschliche Leben in der Gestalt, die es za unserer Zeit and bei unserem Volke aa- genommen hat, die Form, in welcher jenes Ziel erreicht werden mass, Die Idee des menschlichen Lebens also ist. der Mittelpunct des Unterrichts. Sie kann aber nar bhervorgeben aus der Keantniss der Natur, des Men- schen, Gottes. Ohne diesen dreifachen Unterricht kann der Mensch nicht zar Kenntniss des wahren Lebens gelangen, ohne ihn kann er den Zweck seines Daseins nicht erfassen, ohne ihn muss nothwendig der anverniof- tige, thierische Lebenstrieb in ihm wirken, welcher weiter nichts will, als das eigene Wohibehagen, welcher Unterwerfung anter einen béberen Willen nicht keant, welchem die Licbe so fremd ist, wie das Gesets. Diesen Unterricht kann die Familie nicht ertheilen, and wenn sie es that, so tritt sie aus ihrer Sphére heraus. In der Regel aber ist dieser Unter- richt der dffentlichen Schale iiberlassen, die also schon deshalb Erziehangs- anstalt ist, weil sic unterrichtet, Um jedoch zu beweisen, dass der Un- terricht die Freiheit des Geistes hervorbringt, in welcher die Sittlichkeit wurzelt, haben wir das Verhéltniss der intellectuellen zur sitlichen Aus- dildang naher za betrachten,

Der Einfluss der iatellectuellen Bildung auf dea sittlichen Zastand eines Individaums und eines Volks lasst sich aur ermitteln, wenn zavor festgestellt worden, was dem Menschen angeboren and was das Werk der . Ersiehung ist. Es ist- bekanat, dass die Psychologie in jedem Stadiam ihrer Entwickelung das Angeborne auf ein Geringeres redacirt hat. Plato wahm angeborne Ideen an; Aristoteles leugnete diese, indem er alle Vor-

* Nulla regula etc. OD. H.

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gtellangen von dén sinnlichen Wahrnehmungen ableitete. Locke erweiterte die: Aristotelische Ansicht durch seine Lehre von der Association der Vor- stellungen, und Leibnitz setzte an die Stelle der angebornen Idcen Plato’s die angebornen Dispositionen. Die neuere Psychologie will auf empirischem Wege zu dem Resultat gelangt sein, dass der Seele nur gewisse Urver- mégen angeboren sind. Darin ctimmt sie mit der speculativen Philosophie tiberein, dass Gemiths- und Charakterbildung noch weniger praédeterminirt sind, als die Entwickelung des Erkenntnissvermégens, und dass weder eine einzeine Vorstellung, noch ein einzelnes Begehren und Wollen ange- boren ist,

So ist denn der Wille das Werk der Erziehung im. weitesten Sinne.

Es ‘ist eine alte Bemerkung, dass wir ausser den Menschen, die uns er- ziehen, noch zwei Erzieher haben, die-uns umgebende Natur und unsere Schicksale. Die Natur hat auf die Entwickelung ganzer Nationen einen eben so grossen Einfluss, als die Sahicksale anf das Leben der Menschen in der hirgerlichen Gesellschaft: fir die Jugendzeit des Individuums sind beide nicht von besonderer Wichtigkeit, Vielmehr sind sie dem erziehen- den Menschen dienstbar; denn dieser benutzt die Anschauung der Natur zu seinen Zwecken, und faibrt, wenn gleich kleine, doch far das Kind im- mer einflussreiche Schicksale mit Bewusstsein und Ueberlegung herbei. Die Erziehung dureh Menschen also ist es, die den Menschen macht, und zwar durch drei Mittel, ‘durch das Beispiel, die Zucht und den Unterricht. Durch Beispiel und Zucht sucht der Erzieher die niedern Neigungen des Kindes zu beschranken, die hdheren zu férdern, und dadurch bahnst er

der Sittlichkeit den Weg, die, wie wir nun zu zeigen haben, nur durch

den Unterricht hervorgebracht werden kanu. Die Sittlichkeit ist, nach Hegel, die Idee der Freiheit, als das leben; dige Gate, das in dem Selbstbewusstsein sein Wissen, sein Wollen und

seine Wirklichkeit hat. Der Unterricht erzielt zuerst das Wissen des Guten.-

Von Natur ist dieses Wissen dem Menschen nicht gegeben; denn das mo=- ralische Gefahl, das, wenn auch unentwickelt, doch in jedem Menschen liegt und das Gewissen genannt wird, entspringt theils aus den Eindriicken der Erziehang, theils aus den Erfahrungen, die Jeder aber sich und an- dere Menschen macht. Daher kann bei einem Menschen, der unter einem civilisirten Volke ohne allen Unterricht aufwachst, eben so wenig von Sittlichkeit die Rede sein, wie bei einem wilden Volke. Zwar machen auch die rohesten Vélker einen Unterschied zwischen Recht und Unrecht, zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem; aber oft ist das Schlechte erlaubt,

das Gute verboten; ja, es gieht keine Schandlichkeit, die nicht za ge- ©

wissen Zeiten und bei einzelnen Volkern fir recht ond gut gegolten hatte.

Auch das zweite Moment der Sittlichkeit, das Wollen. des Guten, ist ein Product des Unterrichts; denn der Wille ‘ist selbst nur eine -besondere Weise des Denkens: ,das Denken als Trieb sich Dasein zu geben.“ Wer das Gute kennt, muss es auch wollen, oder es ist nicht das Gute; wer das Gute kennt, dem ist es auch, was es den Stoikern wur, das einzig Nitzliche. Ware der Mensch blos ein verninftiges, nicht auch ein sinn- liches Wesen, so misste nothwendig der Gebildetste auch der Beste sein, so ware Sittlichkeit nichts weiter, als Intelligenz, so hiesse das Gute ken- nen, auch das Gute wollen,-so ware das Maass des Wissens auch das Maass der Tugend. Erkenntniss ist also in sofern Sittlichkeit, als ein Mensch bei grésserer intellectueller Bildung in sonst ganz gleichen Verhaltnissen noth- wendig besser sein misste, als er es jetzt ist, ware es auch nar, weil er dann deutlicher erkennen wiarde, dass er nur durch das Gute wahrhaft glacklich werden kann. Dammit ist um so weniger gesagt, dass beides - gleichbedeutend ist, da eben alles Bése in der Welt aus der Sinnlichkeit entspringt. , tos .

‘Das dritte Moment der Sittlichkeit, die Verwirklichung des Guten durch die Handlungen, ist nichts weiter als die Einheit der beiden ersten in ihrer Objectivitat. Wenn diese Kinheit sich nicht darstellt, wenn der Wille nicht zur That wird, so: ist es die Sinnlichkeit, die. den Menschen daran hiadert,

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q@ie sie immer es ist, die ibn unfrei macht. Wir kénnen die Sinnlichkeit nicht vernichten, aber wir kénnen den Willen stérken in diesem Kampf, der jeden Menschen erfillt. Je mehr der Mensch das Wahre, Gute und Schone. kennen und lieben lernt, je mehr er sich gewébnt, seine ganze Kraft auf das Géttliche und Ewige zu richten, desto leichter wird ibm der Sieg in dem Streit des Geistes mit dem Fleisch, des Ewigen mit dem Irdi- schen. ,Ein klares Bewus8tsein der Menschheit“, sagt Schleiermacher, ,|asat kein anderes, als ein der Menschheit wirdiges Handeln ru.“ Das Alterthum kennt kein anderes Moralprinzip als die Intelligenz. Nach Plato beruht die ganze Sittlichkeit auf der Erkenntniss, und hat ihren Ursprung in der Vernunft. Die Thatigkeit des Erziehers besteht also darin, die Seele fir die Tugenden zu rhythmisiren. Die Anlagen dazu sind Jedem gegeben, und sie werden ausgebildet far den Kérper durch die Gymnastik und Jatrik, fair die Seele durch die Musik und die Philosophie, Durch letgtere , besonders durch die Dialektik, welche die Vernunftideen erote- matisch entwickelt, wird die Vernanft befahigt, sich selbst und das ganze Leben nach der Idee des Besten zu bestimmen, und so. wird die Gerech- tigkeit, d. h. sittliche Harmonie im Leben des Menschen, erzeugt. Eben so setzt Aristoteles als Prinzip aller Tugend und aller Glickseligkeit, dass man der Vernunft gemiiss handle, Er zeigt, dass die Tugend uns nicht angeboren, dass uns aber in der Vernunft die Antage daza gegebea sei, die dann durch die Menschen selbst ausgebildet werden masse, Der Schiechte ,“ sagt er, ,erkennt nicht, was zu thun und was zu lassen ist, und eben dieser Mangel ist es, der die Menschen bése macht.“ Auch Ci- cero bringt, indem er aus den'‘vier unterscheidenden Kennszeichen der _ menschlichen Natur ( Wissbegierde, Geselligkeit, Edelmuth und Sinn fir Ordnung) die vier Cardinaltugenden des Alterthums (Klogheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Massigung) ableitet, die ganze Sittlichkeit auf Wahrheit oder richtige Erkenntniss zurdck. Von der Klugheit versteht sich dies von selbst; in Bezug auf die Gbrigen Tugenden zeigt er, dass der Mensch, der das Verhaltniss der Menschen zu vinander richtig erkennt, nicht anders als gerecht handeln kann; dae3 durch die Erkenntniss dessen, was wahr- haft gefadhrlich ist, der Mensch tapfer wird; dass endlich die richtige Schatzung der Gegenstdnde unserer Begierden uns massig macht, Das christliche Moralprinzip wurzelt nicht weniger in der Erkenntniss. Die Summe der christlichen Moral, dass wir Gott aber alle Dinge . und unsern Naichsten wie uns selbst lieben sollen, kann nur dem gegeben wer- den, der Gott, seinen Nachsten und sich selbst kennt. Denn was ich nicht kenne, kann ich nicht lieben; je mehr ich aber Gott erkenne, in seiner Schépfung, in seinem Walten aber die Menschheit, in -seiner Gate ‘gegen mich, desto mehr muss ich ihn lieben. Der Wilde kann seinen Gott, den lieblosen, strafenden, rachsichtigon Gott, nicht iber alle Dinge lieben; der ‘Neger, der die meisten Menschen nur als Mérder, Rauber and Sclaven- _ handler kennt, muss jeden fir wahnsinnig halten, der ihm Liebe za solchen ‘Nadchsten predigt. Zeigt ihm also erst cinen Gott, gebt ihm einen Nach- sten, den er lieben kann; dann dirft ihr auch Liebe von ihm verlangen. So verdndert sich mit dem Leben das Sittengesetz; so vervollkommnet sich ~ das Prinzip, das ihm zam Grunde liegt, je mehr der Mensch. in der Lebens- ~ kenutniss vorschreitet; und so hat sich das Moralprinzip, von dem egoi- stischen Streben nach physischem Wohlbefinden: ausgehend, bis sum Gesets der allgemeinen Menschenliebe entwickelt.

Wenn wir in dem Vorstehenden gesehen haben, dase der Wille nicht vom Denken getrennt werden kann, dass die Beférderung der Lebens- kenntniss auch die Gesinnung erzeugt, dass also die Sittlichkeit in der Erkenatniss wurzelt, so bedarf es kaum noch eine Beantwortung der Fragen, was die Schule zu Jehren, und wie sie es zu lehren hat, Der Unterricht soll im Menschen die Idee des wahren Lebens und ein klares Rewusstsein der Menschheit erzeugen, und zwar durch die. Erkenntniss det Natur, des Menschen, Gottes. So ist also sowohl der Gegenstand, als die Art des Unterrichts bestimmt. mo Ho " .

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Was den ersteren betrifft, so haben wir vorzugsweise die Anhdoger dea Nitzlichkeitsprincips zu bekdmpfen, Diese gehen von dem Gedanken aus, dass jeder Unterricht den Gedankenkreis erweitert und, indem er auch immer eine dsthetische Seite hat, die Gemithsstimmung veredelt, dass es demnach zweckmassig ist, nur solche Gegensténde des Unterrichts zu wahblen, deren Kenntniss dem Schiler in seinen kinftigen Lebensverhiilt- nissen férderlich sein kann. Wenn das richtig ware, so misste die Re- ligion, als das unniitzeste unter allem, was man dem Menschen lehren kanu, von den Unterrichtsplinen aller Schulen gestrichen werden. Und doch hat die Gottseligkeit die Verheissung dieses und des zukinftigen Lebens. Allerdings soll die Schule nur lehren, was der Mensch braucht, aber nur, was er als solcher braucht, d. h. Kenntojss des wahren Lebens. Auch wir folgen also dem Natzlichkeitsprincip , machen jedoch zwischen Nutzca und Natzen einen Unterschied. Und das ist gewiss nicht nitzlich, wenn die Schulen zu Werkstatten gemacht werden, in denen die Jugend an Geist und Herz verédet. Darum sei, was Hegel sagt, die Ucberschrift aller Lectionsplane: ,Nuy ein geistiger Inhalt, der Werth in sich hat, starkt die Seele.“ an

Die Art des Unterrichts ‘folgt gleichfailla aus dem Begriff desselben. Der Unteiricht erzielt nicht eine Kenntniss des Wissens wegen, sondern er will durch die Kenntniss zum Leben bilden. Je mehr er also den gan- zen Menschen erfasst, je mehr er den geistigen Organismus concentrirt, desto fruchtreicher ist er. “Hierin liegt zugleich die Entscheidung der alten Streitfrage aber formale und materiale Bildung. Man hat dieso dberaus treffend mit dem theologischen Streit fiber den Glauben and die guten Werke verglichen: wie der Glaube todt ist, wenn er nicht Werke hervor- bringt, und die Werke nichts taugen, die nicht eine Frucht des Glaubens sind, so ist auch-die formale Bildung etwas Verkebrtes, wenn sie nicht ein rechtschaffenes Wissen zur Frueht hat, und eben so sind die Kennt- nisse unnitz, die nicht aus der Weckung aller geistigen Krafte hervor- gehen. Glicklicherweise ist die ganz cinseitigc Bildung eines besonderen Seelenvermégens unméglich, da diese Seelenvermdgen selbst nicht getrennt existiren. Vor Zeiten stellte man besondere Gedachtnissibungen an, als ob das Gedachtniss in dem einen Kasten, der Verstand in dem anderen lage, und man nun mit dem einen operiren kénne, wahrend man den an~ deren verschlésse. Das hat wohl dberall aufgehért. Eben so werden die abgesonderten Denkabungen, die man hier und da noch nicht hat aufgeben wollen, tber kurz oder lang weichen missen, Jeder Unterricht namlich muss eine Denkibung sein; ist er’s nicht, so ist er Zeitverschwendung. Auf gleiche Weise bieten alle Lehrobjekte Stoff zur Bildung der Phantasie und des Gefahls, und missen immer auch nach diesen beiden Seiten hin behandelt werden. Dies wird um so lejchter sein, da beide, die gesunde Phantasie und das wahre Gefahl, nur aus der wahren Erkenntniss ent- springen. Graser hat in seiner trefflichen ,Elementarschule fir’s Leben“ ausfahrlich nachgewiesen, wie der Volksschullehrer schon bei den ersten und einfachsten Unterrichtsgegenstanden den ganzen Menschen zu erfassen vermag, wie Verstands- und Gemithsbildung immer und dberall Hand in Hand gehen kénnen, und wie aus einer Schule, wo dies geschieht, noth- wendig gute Menschen hervorgehen missen.

Legen wir nan den aufgestellten Maasstab an die Schulen unseres Vaterlandes an. Die hdheren Lehranstalten, Gymnasien und Realschulen, unterscheiden sich von der Volksschule dadurch, dass ihre Grandlage die Wissenschaft ist. Sie sollen zwar nicht die Wissenschaft selbst geben,

_aber sie sollen den .Schiler zum Studium aller Wissenschaften befahigen,

sie sollen ihm Neigung und Kraft geben, sich dereinst wissenschaftlich weiterzubilden, sie sollen also wissenschaftlichen Sinn erzeugen. Beide Arten von Anstalten kénnten diesen Zweck erreichen, ohne sich in ihrem Material so weit auszudehnen, als es geschieht, Dass aber eine Beschrin- kung der Lehrgegenstande, des Lehrstoffs und der hduslichen Arbeiten von dem heilsamsten Einfluss auf die Jugend sein warde, dariber herrscht nur

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Eine Stimme. Zwar hat die schon erwahnte Ministerialverfégang vom 24. Oktober 1837 eine heilsame Beschrankang des Lehrstoffs zur Folge ge- habt; dennoch werden auch jetzt noch Klagen erhoben, ,wie durch die Masse des Materials die Beschrankten dumm, die Mittelképfe verwirrt und unklar, die Begabten gieichgiltig werden, wie die Vielheit der Gegenstaode den Geist tberlade ond nicht nahre, wie sie statt der Vielseitigkeit ungrand- liche Flachheit, statt der geistigen Anregung Ermattang erzeuge, wie end- lich durch die Menge der haduslichen Arbeiten jede freie, selbstandige Tha- tigkeit vernichtet werde.“ Wenn diese Anklagen gegen die Gymnasien erhoben werden, so treffen sie noch viel mebr die Realschulen. In den Gymnasien wird der jugendliche Geist durch das ihm am meisten Verwandte und Angehdrige gebildet, d. i. durch seine eigenen Gedanken und Gefihle, sie mogen sich nun zu Kunstgebilden der Rede oder zu menschlichen Hand- lungen gestalten. Hier ist ein Uebermaass nicht so gefahrlich, wie bei den Realschulen, welche jede Wissenschaft und in jeder derselben jede neue Erfindong zum Uebangsplatz far den jugendlichen Geist benutzen. Géthe klagt in den Gesprachen mit Eckermann: ,Friher wurden Chemie and Bo- tanik als zor Arzneikunde gehdorig betrachtet ; jetzt sind sie eigene, uniiberseh- bare Wissenschaften geworden, deren jede ein ganzes Menschenleben er- fordert, und man will sic dem Mediciner mit zumathea.“ Was wirde er erst gesogt haben, wenn er gesehen hatte, wie wir sie vierzehnjahrigen Keaben samuthen , und zWar in schénster, systematischer Form und in mdg- licbster Volistandigkeit, mit dem Linné’schen und dem natirlichen System, mit den neuesten Elementen, die vor zwanzig Jahren die gelehrtesten Pro- fessoren nicht kanoten , weil sie noch nicht aufgefanden waren. Ich dachte, was Jabrtausende lang far die Welt nicht da war, kénnen unsere Jungen fars erste auch noch entbehren, die dberdies an ihren vier Sprachen, ihrer Mathematik und Physik , ihrer Zoologie und Mineralogie, ihrer Geschichte und Geographie immer noch genug zu lernen haben. *

Wenn aber die ganze’ paidagogische Welt in diese Klagen einstimmt, warum wird’s nicht anders und besser? Weil die Schulen ein Produkt. der Zeit sind und die Zeit‘nicht dndern kénnen, die cinmal das Wissen an dic Spitze aller Tugenden stellt. Dies zeigt sich in der grossen Ausdehuung, welche die Examinationswath im lieben Deutschland genomnen hat. Sie ist. dem Volke schon so sehr in Fleisch und Blut ibergegangen, dass man neuer- dings allen Ernstes vorgeschlagen hat, die Gewerbefreiheit durch Einfibrang von Gesellen- und Meisterprafangen zu beschranken.** In den Schalen hat dieses System freilich sein Extrem erreicht. Da man die Lehrer nach der Masse des Materials zu beurtheilen pflegt, das sie ihren Schalern beibringen (wobei die Resultate sogar oft die angewandten Mittel rechtfertigen), 80 bleibt den Lehrern nichts abrig, als ihrerseits wieder die Schiler vorzugs- weise nach dem Maass des Wissens abzuschitzen. Und um ihre eigene Ge- lehrsamkeit auch vor einem grésseren Publikam za documentiren, schreiben sie dann noch faustdicke Schulbécher, aus denen die armen Jungen zu ' Hausé nachstopfen missen, was in den Lebrstaoden trotz aller Mahe ihnen bicht hat eingepfropft werden -kénnen. Dabei ist alle Welt dariber einig, dass die Tichtigkeit des Lehrers sowohl als des Schalers nicht nach der Masse des Materials, sondern nur nach der Kraft, mit der das Material gehandhabt wird, beurtheilt werden kann, °

Wahrend wir auf diese Weise die héheren Schulen anklagen missen, dass sie dadurch an erziebender Kraft verlieren, weil sie za viel and zu vielerlei lehren, so triff™t dagegen die Volksschule der Vorwarf, dass gic den Unterricht nicht weit. genug ausdehnt. Von dem moralischen Ein- fuss eines Unterrichts, der sich auf die Anfange im Lesen und Schreiben,

- * Cest selon, ja und nein. So wie man mit dem Herausgeber daraber eivig sein wird, dass Gymnasium, h. Barger - und Volksschale die Elemente aller Hauptwissenschaften za lehren haben (wie das zu verstehen, Pad. Revue Bd. I. S. 225 226,), findet sich das Ma ass von selbst. Ein Leh- rer, der dieses Maass in sich tragt, kann in Gottes Namen das Neueste gebon. D.H.

** Und waram nicht? °

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die Elemente des‘Rechnens, einige halbverstandene Bibelspriche und einen missverstandenen Katechismus beschrankt, kann kaum noch die Rede sein. ® Das muss anders werden. Wem blatet nicht das Herz, wenn er den Pébel betrachtet bei- seiner Arbeit oder bei seinen Genissen, wie er in Rohbheit und Stumpfsinn, unter Lastern und Elend sein Leben hinschleppt? Wenn der Staat die Erziehung aller seiner Barger verlangen darf und verlangen muss, wie wit diess gezeigt zu haben glauben, so muss er sie auch in solcher Ausdehnung verlangen, dass sie ihren Zweck erfillen kann. Die Familien kann er nicht anders machen als sie sind, wohl aber dié Schulen, und durch sie zuletzt auch die Familien. Was wirden wir zu einem Gart- ner sagen, der dem jungen Baum die Stitze nimmt, wenn die Zeit der Stirme herannaht? Wir machen es nicht besser, wenn wir die Kinder schon im dreizehnten, vierzehnten Jahre aus der Schule entlassen.

Aber wenn wir auch das, was uns als unerlasslich nothwendig er- scheint, noch in vielen unserer Yoiksschalen vermissen, in allen wird doch unterrichtet, in allen wird doch der Gedankenkreis der Jugend om etwas erweitert, in allen geht es doch auf das eine Ziel der Menschenbildung los, freilich bisweilen mit grossen Umwegen, auch nicht immer im Sturm- schritt. Und die Erfahrang bestatigt, dass duch dieser von ‘uns als unge- nigend erkannte Unterricht nicht ohne Erfolg geblieben ist. In Frankreich, wo die Zahl derer, die ohne Schulbildang aufwachsen, zwar noch immer viel grdésser ist, als in Preussen, aber doch nicht mehr den vierten Theil des Volks ausmacht, betrug im Jahr 1834 die Zahl der Angeklagten ungefabr 7000. Von diesen konnten 4000 gar nicht, 2000 sehr unvollkommen, 600 gut lesen und schreiben, wahrend nur 200 eine lréhere Erzichung genossen hatten. Man wird hier einwenden, dass das Wesen des Pébels ausser ia der Unwissenheit auch in der Armuth besteht; aber Armuth und Noth, die Erzeuger der meisten Verbrechen, sind auch eine Folge der vernachlassig- ten Erziehung. Und wenn der Staat seine Barger auch nicht wohlhabend machen kann, so kann er sie doch durch Unterricht und durch Gewéhnung an Ordnung und Fleiss in den Stand setzen, dereinst wohlhabend zu werden. .

So mége denn immerhin ein Theil der jugendlichen Schulblathen ab- fallen; wir kénnen es nicht hindern, Aber wir darfen daram den Baum nicht umhauen; wir haben ihn zu pflegen, auf dasg er mit jedem Jahre mehr Frichte trage. ;

Es ist jetzt der Einfluss za betrachten, den die einzelnen Lehrgegen- stinde auf die sittliche Bildung ausiiben. Was die Kunstfertigkeiten betrifft, welche die Schule mittheilt, so sind sie theils, wie das Lesen und Schreiben, nur als Mittel zur Fortbildung, theils, wie das Singen und Zeichnen, wegen ibrer Einwirkung auf Gefahls- und Geschmacksbildung von Wichtigkeit. Hier haben wir es vorziglich mit den Unterrichts-Gegenstdnaden zu thun, welche sittliche Ideen hervorbringen , und wir betrachten zu dem Ende die drei Spha- ren, in denen die objektive Welt als Gegenstand der menschlichen Erkenntniss ~ erscheint, Diese drei Spharen sind: die Natur, der menschliche Geist, Gots. ** .

Als man die Naturkunde in die Schule einfihrte, wollte man eine far das praktische Leben niitzliche Kenntniss beférdern. So wichtig aber auch die Naturwissenschaften fir alle mit der Gewinnung und Bearbeitung der Naturprodukte beschaftigten Staénde sind, so kommt hier doch nur ihre ideale

Seite in Betracht. Jede Wissenschaft hat, wie ein geistreicher Naturforscher _

sagt, zwei Hinde: mit der einen zeigt sie nach dem Himmel, mit der an- dern spendet sie irdische Gaben. Wenn aber ein grosser Astronom erklift, er habe das ganze Weltall durchspaht und nirgend die Spur eines Gottes gefunden, wenn ein Lehrer der Chemie sein Glaubensbekeantniss dahin ablegt, dass er aus Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff bestehe: wo ist da

——ae oe

* Unterstitzt. -D, H. - ** Sollte es nicht hesser.sein, Mathematik und Naturkundg als Eines, den Menschen -als das Andre und Gott als das Dritte zu. nehmen, sittliche Ideen .aber von.dem Ersten ‘nicht direct zu erwarten? Ich meine ‘602 Mathematik und Naturkunde ‘erwecken sicherlich in dem, der sie recht treibt,

sittiche Ideen, aber sie enthalten keine sittliche Ideén. ©

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die Hand, die nach dem Himmel zeigt? Diese allein ists, die wir in der Schule brauchen.* Die Naturkunde soll dem Kinde die Offenbarung Gottes in der Natur enthillen, eine Offenbarung, die alter und unmittelbarer und dem kindlichen Geist verstandlicher ist, als die durch das Wort; sie soll das Kind und den Jingling zur Anschauung des in der Natar waltenden Gottesgeistes. fahren und dadurch Liebe zu Gott erzeugen. Wer Gott nicht liebt in seinen Werken, die er sieht, wie will der Gott selbst lieben, den er nicht sieht! Wem aber die Offenbarung Gottes in der Natur enthallt worden ist, far den werden alle Beobachtungen der Natur, die er unwillkarlich bis an das Ende seines Lebens macht, zu einem fortgesetzten Religionsunterricht.

Die Naturkunde hat ein doppeltes Feld: in der Naturgeschichte macht sie mit den Naturprodukten, in der Physik mit den Naturerscheinungen and ihren Gesetzen bekannt, Die erstere soll Jehren, die Natur als ein leben- diges Ganze su betrachten, und dberall Leben, Zweckmassigkeit und Ge- setzmassigkeit zu erblicken. Das kann an einem sehr beschrankten Material erreicht werden, Warum den Schiler. mit Hunderten von Thieren hekannt machen, wean an wenigen die Uebereinstimmung des Organismus und der Lebensart dargethan werden kann? Warum ibm Tausende von Pflanzen und Steinen vorfihren, wenn sich an einer kleinen Zuhl die unendliche Schén- heit und Zweckmassigkeit der Schépfung erkennen lisst? ** Wer vollends nichts weiter geben kann, als Terminologie und System, der Jasse den Unterricht in der Naturgeschichte lieber ganz fort. Mehr hoeh., als diese, muss man die Physik vor dem Uebermaass warnen. Sie lehrt, in der Er- scheinung das Gesetz zu sehen, und erfordert also an sich schon eine gréssere geistige Kraft. Ibr gibt Axt in seiner kernigen Schrift dber den Gymnasial- Unterricht den freundlichen Rath, ,ihr schénes Licht nicht unter den mathematischen Scheffel zu setsen; nicht mit eincm tantalischen Schauessen, statt mit nahrhafter Lebenskost zu speisen; nicht, statt zur grossen-Allmatter selbst', zu cinem todten Fratzenbilde derselben aus Kreide und Buchstaben za fabren.” Die Chemie gehért, auch nach Géthe’s und Mitscherlich’s An- sicht, in die Berufsschule. Jedenfalls hat sie unter den Naturwissenschaf- ten die geringste allgemein bildende Kraft, da sie, wenigstens far Schulen, fast nur Gedachtnisswerk darbietet. +

Die Erkenntniss des menschlichen Geistes hat far die Schule die drei Gebiete der Sprache, der Geschichte und der Mathematik. ++ Die Sprache ist in zwiefacher Beziehung, sowohl der Form, als -dem Inhalt nach, der bildendste Lehrstoff far den jugendlichen Geist, Der formale Spract» Unterricht oder die Grammatik ist das beste.Surrogat fair die Philosophie, und gibt, wie Deinbard in seinem trefflichen Werke ausfahbriich nachge- wiesen hat, die vollstindigste Logik, deren die Jugend fahig ist. Zwar kommen in jeder Wissenschaft, auch bei der eleomentaraten.Behandlang, die Kategorien des Begriffs, des Urtheils und des. Schlusses zur Anwendung; keine aber gewahrt so mannichfache Uebungen in denselben, wie die Gram- matik. Doch tritt diese Seite des Sprachunterrichts far unsern Zweck zurick. Auch als Uebungeplatz fir die Kunst der Darstellung ist die Sprache far ns von geringerer Wichtigkeit, obgleich sie in dieser Beziehung als die einfachste Form erscheiut, an der das asthetische Gefahl sich awsbilden kann, _ das, wenn auch nicht in so enger Verbindung, wie die Griechen glaubten,

* Nicht ganz, Thun wir nicht so gar spréde gegen das Irdische, Ks ist die solide Grundlage des Héheren, , D. H. _*# Warum wollen, dass die Schéler so schrécklich viele lateinische und gtiechische Wérter wissen, da man doch die Grammatik an wenigen Pa- radigmen zeigen kann?“ Wie gefallt Each des? D. BH. + Gieng es nach mir, so hatte nicht nur jede h. Biargerschule, son- dern auch jedes Gymnasium sein Laboratorium, | D. H. t+ Ich habe keine Vorstellung davon, wie. die Mathematik zur-Erkennt- niss des menschlichen Geistes ein Verbdltniss haben soll. Sie hat ein sol- ehes nur zur Natar, wie denn die Mathematik die erste der Naturwissen- achaften ist. Statt der Mathematik wirde ich.als:Drittes Psychologie, ‘Logik und Ethik gesetzt haben. © re D. Hi...

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doch in genauem Zusammenhang mit dem moralischen Gefihle steht. Wie haben hier die Sprache ihrem Inhalt nach zu betrachten. Wie der-Mensch durch die Sprache seine Gedanken offenbart, so hat jedes Volk den Aus- druck alles seines Denkens, seine ganze geistige Substanz, in seiner Sprache niedergelcgt. Das Sprachstudium ist also der Schlissel zu dem geistigen Reichthum einer Nation. Welche Wirkung es auf den jugendlichen Geist haben muss, wenn er durch das Studium der alten Sprachen befahigt wird,

das ganze reiche Leben der Griechen und Rémer in der schénsten Form -

anzuschauen , die der menschliche Geist je seinen Gedanken gegeben, dariber sind alle Manner der Wissenschaft einig. Die Freunde ‘des Nitzlichkeitse

Princips aber, die den Realschulen ihr Bischen Latein nehmen mochten,.

will ich noch an das erinnera, was Lord Chatam sagte: ,,Mein Grieehisch _ und Latein ist mir aus dem Gedachtniss in den Verstand abergegangen.* Eine Substanz, die das. vermag, ist nicht unndtz.*- Der Unterricht in der Muttersprache hat aber noch einen doppelten Einfluss auf die Gesinnung. Da die Sprache nebst der Geschichte das vorziglichate Merkmal der Natio- nalitat ist, so muss die Kenatniss der geistigen Schatze unseres Volkes auch zur Liebe dieses Volks und damit zum wabren und echten Patriotismus fahren. Auf der andern Seite gibt die Beschaftigung mit den Meisterwer- ken der Litteratur dem idealen Streben des Jainglings die schénste Rich- tung, die es nehmen kann, indem sie ihm die Ideale der gréssten Geister seines Volkes in den mannichfachsten und erhabensten Gestaltungen vorfahrt.

Die Geschichte stellt die Ertwickelung des menschlichen Geistes dar. Obgleich hiermit schon ausgesprochen ist, welchen Einfluss ihr Studiam auf die geistige Entwickelung jedes Menschen ausiben muss, so hat man doch, namentlich in der neuvesten Zeit, vielfach behauptet, dass das sittlich bil- dende Element derselben nur unbedeutend sei, indem sowohl Individuen als Vélker niemals durch fremden Schaden klug werden. Hegel dritckt dies mit den Worten aus: ,Was die Geschichte lehrt, ist dieses, dass Volker und Regierungen niemals etwas aus der Geschichte gelernt und nach Lehren, die aus derselben zu ziehen gewesen waren, gehandelt haben.“ Die Lebens- klugheit also ist es, die aus der. Geschichte nicht gelernt werden kann. Das ist auch leicht erklarlich; denn Jeder denkt, wo die Geschichte ihn warnt, sein Fall ware ein ganz anderer, wahrend er sich.ein anderes Mal wieder durch Aehnlichkeiten tauschen lasst, die keine sind. . Wie soll auch

o .

yim Gedrdnge der Weltbegebenheiten ein allgemeiner Grundsatz oder eine |

fahle Erinnerung Kraft genug besitzen gegen die Lebendigkeit und Freiheit der Gegenwart!“ Lebensklugheit wollen wir aber auch unseren Schilero nicht geben; wir wollen sie durch den Geschichtsunterricht in das Lebén der Menschen, der Vélker und der Staaten, und somit auch in das Lebea des Vaterlandes einfiihren. Darum beginnen wir mit dem, was dem kind- lichen Geist am verstdnadlichsten ist, mit dem biographischen Element der Geschichte, lassen dann an die Stelle hervorleuchtender Individuen die ge- schichtlichen Vélker.treten, und zeigen zaletzt die Entwickelang des mensch- lichen Geistes in dem orientalischen, griechischen, rémischen und germa- nischen Weltalter, Das Alterthum mit seinem idealen Leben und seiner Fille grossartiger Gedanken sollté in keiner Schule tibergangen werden, schon weil dort die Verhaltnisse ejnfacher und der Einfluss: der Einzelnen auf das Ganze unmittelberer ist,. als in der-neueren Zeit. Wo indessen die Zeit nicht ausreicht, da ist die Geschichte des Vaterlandes das Wichtigere. Auch darf nicht yergessen werden, was Géthe so. treffend bemerkt: , Dic Geschichte unserer Zeit ist nicht- weniger bedeytend, als die des Altura thums. Die Schlachten von Leipzig und Waterleo ragen so gewaltig her~ vor, dass jene von Marathon und Salamis durch sie fast verdanke!t wer- den. Auch sind unsere Helden nicht zurickgeblieben: die franzdsischea

* Dawider liesse sieh viel sagen. Natelich ist ein gar weiter Begriff. Wenn Einer in seiner Jugend das Drechslen gelernt hat, so kann ihm :das spater mittelbar nitzen, wenn er etwa Einanzminister oder Professor ist. Da es aber des Nitzlichen so viel gibt, so wahlen wir lieber das unmittel- bar Natzliche. D. H.

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_ Marschéle und Blacher und Wellington sind denen des Alterthums villig ,

an dic Seite zu setzen.“. Das Wesentlichste aber, was der Geschichts- Unterricht zu erzielen hat, ist. die Kenntniss des Landes, des Volkes und des Staates, dem wir angehédren, denn in dieser Kenntniss wurzelt die Vaterlandsliebe. ,,Patriotismas ,“ sagt Hegel, ,ist nicht, wie man es ge- wohnlich fasst, die Aufgelegtheit zu ausserordentlichen Aufopferungen und Handlungen, sondern die Gesinnung, welche in den gewéholichen Lebens- verhaltnissen das Gemeinwesen -fir die substantielle Grundlage und den Endzweck des eigenen Lebens zg wissen gewohnt ist.“ Diese Gesinnung kann nur aus der Kenntniss des Vaterlandes hervorgeben, und zwar nur aus einer Kenntniss, die jedem Birger eine lebendige Anschanung von dem Organismus des Staats verschafft, die ihn befahigt, sich als Glied des Ganzen zu fihlen.

Die Geschichte hat aber auch ihre ideale Seite, und in dieser liegt die gewaltige Anziehangskraft, die sie auf den jugendlichen Geist ausibt. Denn das Jinglingsalter ist die Zeit des idealen Lebens, des Strebens ins Weite und Unendliche, ,,Gibt es irgend eine Zeit,“ heisst es in der Levana, »in der ein zweiter Mensch dem ersten als Erzieher néthig ist, so ist es die, wo der Halb- und Drittels-Jingling seine neue Welt des Geschlechts ent- deckt, und wo auf dem welkenden Kinde cio blihender Mensch aufschiesst.

m Glick gesellte die Natur selber dieser Zeit der geistigen Frihlings- stirme cin Gegengewicht zu: die Stunden der schénsten Trdame, der Ideale, . der héchsten Begeisterung fir alles Grosse. Aber noch ein Gegengewicht hat der erziehende Wachter dem Herzen zuzufiigen, namlich den Kopf, d.h. er spare auf dahin irgend eine neue Wissenschaft, eine neue Thatig- keit, eine neue Lebensbahn auf. Zwar wird diess den Vulkan nicht er- sdufen, aber seine Lava wird in diesem Meere nur zum Vorgebirge erkalten.“ Keine Wissenschaft ist zu diesem Zweck geeigneter als die Geschichte. Sie fahrt dem Jingling gestaltete Ideale vor, an denen er das falsche, gottlose Leben verabscheuen, das wahre, menschliche aber lieben lernt. Und so bleibt denn wabr, was Johannes von Miller yon der Geschichte sagt, dass sie in der Jugend Hass aller Unterdriickung, Liebe zur Freiheit, -wie zur Arbeit und Ordnung, Begeisterung fir alles Grosse, mit einem Worte Humanitat erzeugt.

Das dritte Gebiet, auf dem die Schule zur Erkenntniss des mensch- lichen Geistes fahrt, ist die Mathematik. So wicbtig sie aber auch als anentbehrliches Werkzeug fir die meisten birgerlichen_Gewerbe ist: von einem moralischen Einfluss derselben kann nicht die Rede sein, da sie die Wissenschaft des reinen Verstandes ist. Wir warden sie hier ganz uber- gangen haben, wenn es nicht Pflicht zu sein schiene, gegen die grosse Ausdehnung ibres Studioms in Gymnasien und Realschulen za protestiren. Warum wiederholen, was Seneca und Sixtus der Fianfte, Voltaire und Franklin, Fr. A. Wolf und Jean Paul, Hegel und Géthe und so viele Av- dere tiber die Mathematik gesagt haben? Wer sich dafiar interessirt, kann es in der schon erwahnaten Schrift von Axt in genigendcr Vollstandigkeit beisammen finden. Unserer Meinang- nach gilt alles Ueble, was ihr nach- gesagt wird, nur von dem Uebermaass ihres Studiums; dieses aber kann um so leichter vermieden werden, da die meisten Mathematiker selbst eingestehen, dass die fermal-bildende Kraft ihrer Wissenschaft vorzugsweise in den Elementen steckt. cs .

Alle Unterrichtsgegenstinde finden ihren Mittelpunkt in der dritten und hdchsten Sphaére menschlicher Erkenntnies, in der Erkenutniss Gottes; denn das Objekt jeder Wissenschaft ist Wahrheit, und jede Wissenschaft hat ,,eine Hand, die nach dem Himmel zeigt,“ als nach dem Urbilde der Wahrheit. Es erscheint iiberflissig, von dem sittlichen Einfluss: des Religionsunter- richts zu sprechen; denn er umfasst alle menschlichen Zwecke und Bestre- bungen, and bezweckt selbst nichts anderes, als die Freiheit des Menschen in Gott. Sy oa ;

. 20a

\

Oo Inhalt.

ERSTE SECTION.

Abhandlungen.

Die Gymmasien unter stidtischem Patronat, You ** xu **# Seite in Preussep, , i— 12 Die Arbeiten der Jugend, Von Dr. Ed. Kriger Rector am Gymnasium in Emden 13— 33 Bemerkungen zu Hrn. Dr. Ruthardt’s Keitik meiner Ansicht yom \ Unterricht in fremden Sprachen, Vom Herausg. Fortseteung, 34— (4 Dasselbe, Schluss. 139—158 Die Aufgabe der Volkeschule, Von Seminardirector Krasi inGais 122—138 Ueber eine Auschauungslehre der mathematischen Erdknode, ) vermittelt durok einen wandelnden Globus, Vou Hrn. Tobler in Nyon . 233—262 . Wie noch vor wenigen "Jahren mauche Schulen beschaffen | waren, Eringerungen. I. Mein Schilerleben. Von * , 263—281 Ueber die Erziehung nach phrepologischen Grundsatzen. Von - Obergerichts-Procurator Gustav von Struve in Mannheim . 345—360 Verdienen die griechischen Kirchenyéter Beracksichtigung auf Gymnasien? Von Dr, Chr. Wals, Prof. der Philologie in Tabingen . 361—366 Die Schule und die Zeltinteressen mit ‘Berficksichtigung ‘der | Bestrebungen von Friedrich List. Yon Collaborator Fr. Schuls in Weilburg . . 367—373 Die philosophische Propadeutik auf Gymnasien ‘yon Dr. Bieder- mann, Prof. der Philosophie in Leipzig . 3TA—383 Der kleine Katechismus Lutheri und unsre Schulen. Von ‘einem Schallehrer .-. . oe ° . . . 433—A44 Zusatz des Herausgebers . . ee AA 4S Das Macken’sche Pasquill. Vem. Herensgober . | 446—AT3 Ueber Frauen als Lehrerinnen. Von Oberlebrer J. i. Schule ooo im Berlin e e e e .. e o o / @s 534—546

630

ZWEITE SECTION.

Beurtheilungen und Anzeigen.

A. Schriften sur Pddagogik , Scholastsk und Culturpolitik etc.

Seite Wuttke, Jahrbuch der deutschen Universitaéten, [Mgr.] . » 282—289 Rousseau’s Emil. Deutsch von Grosse und Hanschmann, [Mgr.] 289—290 Braubach, Fundamentallehre der Padagogik. [Mgr.]’ . 291—292 Kirsch, Die Aufsicht des Geistlichen aber die Volksschale. [Mer.] 292 —295 Heino .Martine, Bildungsgeschichte. [Mgr.] . -. . - 295— Preusker, Nacherziehung und Nachschulen, [Mgr.] . - ~296—297 C. von Raumer, Geschichte der Padagogik. [Prof. Klumpp.] » 384—A400 B, Hand- und Schulbicher. a © Thiersch, Grammat. Lehrbuch fay den. Unt. im Hebrajschen, [Mgr.] 548—549 Kraner, Hellenica. . Gottschick , Griechisches Elementarbuch } [K. M. i, B] . - 297-312 Kuhner, Lateinische Elementargrammatik ° . . ~ 159—162 Derselbe, Dasselbe [F. F.] . . . . : . » ATA—AI0 Bossler, Die lat. Perfecta und Supina- 547—348 Karcher, Handwé6rterbugh. dar Jatein-: , Sprache. ‘{Dr, , Schweiser] 400—407 Heyse, Deutsche Schulgrammiatik, ° [Mer.] 549—550 Steinmets, Prakt. Unterricht in der franz. Sprache. ‘[Mer.] 490 —520 Stieffelius, Lehrbuch der franz, Aiskprache, [Mgr.] - 590—551 Schifflin, Anleitung zur franz, Sprache. Dritter Cars. [Mgr.] . 551— Lendroy, Franz, Elementarbuch, [Mgr:] ’. ~ 552— Exercices élémentaires de langue frangoise. Strasb. -Levrault. oo, [Mgr.] . e (993-554 ‘Voilles , Praktische Uebungen. " Dritter Curs. Mer] . . 554~— dfe, Deutsch-franz, Sprachschatz. (Mgr. | '. 554—555 Fries, Belléngersche Methode. Vol t Unter, in der Conver- sation. [Mgr]. . 555-556 Steck, Recueil de contes et de nouvelles. [Mgr] ‘s 956 —557 Claude u. Lemoine, Theor.-prakt. franz. Granimatik.y a Bettinger, Vollstand. Lehrbuch der franz, Spraché. $ (Mgr.] . ‘587562 Beauvais, Franz. Sprachlehre . | . Daverio, Uebungsstictke zum Uebers,: ing Italignische. ‘[Megr.] 563564 Fr. Otto, Lehrbuch der holland. Sprache u. Literatur. [Mer - 564—568 Pompée, Lehrbuch der Spanischen Sprache ew - 162—164 - Ce mo Nagelsback , Homérische | Theologie. Prot Dr. Eyth') . 164—174 Platonis opp. edit. Baiter, Orelli, Winckelmana, | [Prof.. R. . Rauchenstein,] . y .- 174-16 Batter & Sauppe, Oratores”Attici. [Ders.] 2 wee ATK ITT Homeri Ilias, von: Crusius, [F. R.] , | ~ 368—570 | ervinus, Handbuch ‘dor Geschichto. der’ ‘port, ‘Najionallitte- SS Yator [FL S.J. 0 1. we kw wt ww | OT ANB ° ; ' ENE, , so ; . Lidde, Zeitschrift fir Erdkande, [Dr., Ofterdinger.} « 6 1 1S— 76 Niebuhr , Griech, Heroengeschichten, [XI] Se. te ta ee )©=6 BIZ —314 Derselbe, Dasselbe. [Frof. R, Raychenstein.].. . . . . «| 314-316

7 Ws otk

Rieke, Lehre von den Kegelschnitten. (Or. Ofterdinger.) . Straub, Geometrie ry e ry * e ° ry es ) ne

Eichelberg, Lehrbuch: der Naturgeschichte.’ [Mensel.] Grafe, Naturgesehichte. [J. H. Schulz.] . : . . : Prestel, Letrbuch der Natutgeschichte.

Derselbe, Die Gestalten der Natyy,, . t [Prof. Eichelberg.]

rx.

Probst, Deutsche Sprachlehre als Denklebre IF] , _ _ .

Kauffmann, Orbis pictus [Mgr R . . Rebau, Die merkwardigsten e Sdugethiere [Mer] oe . Luben, ‘Natyrgeschichte far- Volksschulen.. [Mgr] |.

Noth- und Halfsbichlein. Karlsruhe, Gutsch et Rupp. [Mer] Ebensperger , Geographie' und Geschiebte, 3 Hefte. [Mgr.] . Renckewitz , Kleine Geographie. [Mgr.] . .

Haupt , Die Weltgeschichte. Ein Elementarwerk fir das Volk

und seine Schulen., ° [Solbstanneige.} - nr .

DRITTE SECTION. =. Culturpelitische -Annalen,: I. Allgemeine Schulzeitung.

A. Deutsche Lander. oo

a. Allgemeine deutsche Angelegenheiten. -

Universitaten, Freqpenz . .. Die Lehrfreiheit, Zwei Artikel.

e e ©. <

Schelling in Berlin. Zwei Artikel . : . 7” . . Bonn, Kénigsberg . ‘eel ee Akademie zu Berlin . eek . : 3% . Die Schule und Kleriset . rare ot, ° Herbart und seine Philosophie. - ss .

Berlin, Kénigsberg, Breslau, Greifswald, ~ Jena, - Giessen, Heidelberg, Freiburg, Warzbarg. s 6

8. Deutsche Bundesstaaten. 4k. Preussen.

1, Behérden . 5 ww lke

2. Gelehrtenschulen . 9... 6 ew

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3. H. Barger(RealJschulen. . 25. 1. ow le

A. Volksschulwesen y ; . oe ° «© '

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3. Bewahranstalten. . . . .. . 1 ° 1 9. Seminare . ° . oe

di, Turneo und Exerciren . . «ws

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Seite. 76— 77

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- 4331-332 | (592-593

$32—334

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+. (3345-386

o 632

IX. Sadiesen. Késigreich Saghsen. 8 —s_.._—._ Seite

2. Gelebrtenschulen . ° ._* . @ . @ .- ° e 2 e 104 3. H. Barger(Real)schulen . «© «© + «© ~ 404-105

1, Behérden e e ° o e e e ° w ¢ 336

XXX, Mannover. 8. H. Barger(Real)schulen . . « «© © © « 105—107

IV. Norddeutsche Staaten, 4 Meklenburg( Schwerin). , 2. 3. 4. Gelehrten-, h. Barger-, Volksschulen, . . . 336

. 2, Lawenbusrg-Holsteia-Schleswig. 2. 3. 4, e 9 e ° ° ° . . ° ° e s 338

_W.. Mitteldeutsche Staaten. 1. Anhalt. a. Anhalt-Bernburg, _ 1. 2. 11. Gel., b. Baérgersoh., Turnen. .. « «. . #£338—339

_ | ¢. Aabalt-Kithes. . 2. Gelehrtenschulen ., -. « > . : . . 339—340

Wi. Westdeutsche Staaten. 2. ~Grosshersogthum Hessen. 1. Behérden e e .- r e r) e r e e 340

WEE. Die souverainen Stkdie.

a. Hamburg. A. Votkssehulwesen. Die Abgebrannten .. . «4 107

‘WHII, Stiddeutsche Staaten. | ; a, Wiarltemberg. | 1. Behérden . a . . oe : . » «6 A183

2. Gelehrtenschulen. . | . . : . . . 922

3. Realschulen. . . . ee . . . AIT A. Volksschalwesen. . . oe ° ° . 524 . 5%. Bewahranstalten . . . oo eg . .

if, Ternen _ e e ° e . e . ® . e , e e . e . ® AMT

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ye Deutsche Nebenlander.

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4. Volksschalwesen ee oe

« A Aargas,’ os _ 2,3. Cantonschile ©... ee ew ew 1084110

633

Bickh, Tolken wu. Forster, Ueber die Antigone und ihre Dar- stellung. Schwenk, Ueber die Antigone. (Von Prof, Rad, Rauchenstein, e ® ° @ ® e ®

e

2. 3. Gymnasiom und Realschulo . . 3 . 2 si eti(i‘ e:~StC«CK O18 . | ae. Belgien. 1. Behérden . ) é e ¢ . e 113 _ | B. Ewropa, . a, Gernianische Linder. KK Déisemark und Island. : 2. Gelehrtenschalen und Facnitéten =. © 6 «© » 143-114 KKK. Grossbritanien und Irland. . 4, Behdrden Py " ° e ry * ee e e e e 144 8. Romanische Lander. 7 I, Frankreich. . 4. Beh6érden . . . ° e . ° e ry 6 i88— 193 oe ' 114—120 2. Colléges and Facultés oe eee * $193—198 608 —610 ‘3, Ecoles primaires supérienres . .. =... « 4 y. Slaven, Ungarn- und Neu-Griechen. I. Russiand und Polen . . 61 KiI, Neu-Griechen. » « 610—612 Il. Padagogische Zustande. Der Unterricht im Lateinischen und Griechischen in der barger- ~ lichen Realschule zu Bern. Von Dr. L. Seeger. . . 199-203 | Ill. Uebersichten KX. Webersicht der Zeitschriften. Breslauer Zeitung und Rh. Weetph. Anzeiger: der Unterricht in der Naturkunde . 1. Nees von Esenbeck, Recension von Gloger’s Handbuch der Naturgeschichte . . \ 903—216

2. Derselbe, Recension von Eichelberg’s Leitfaden : :

3. Derselbe, Prospectus seines Lehrhuches . . .

A, Fr. Kapp, Bemerkungen dazu, . . .

5. Eine Bemerkuag des Herausgebers * ° Gymnasialzeitung: Februar Juni. . « ALlT7—4I8 Berliner Litterarische Zeitung: Anzeige einer Bro-

schiire, die Suspension des Oberlehrers Witt betreffend . 524-527

Ki. UWebersicht der Flugschriften. E. M. Arndt, Das Turnwesen. F, W. Klumpp » Das Turnen.' ° ° ° ° - 216-218 Chr. Kapp, Die Weltgeschichte . . . . +. =. 218 Keferstein, Musik nod Pidagogik . . . - « «+ Af8 Hirscher , Ueber seinen Katechismus . . ~ « 418—420 © v. Poseck, Ueber die Nahrungslosigkeit . ~ « A420

. om —_— - wm

634 KV. Webersicht der ‘amiélichen Schriften.

Bbiicht an §. M. den Kaiser: von Russland aber das Ministerium Seite - des 6ffentlichen Unterrichts far 1838 und 1839 . » 218—~-219

Wi. Uebersicht der Schulschriften.

Programm der kénigl. Realschule zu Berlin 1842. Dem An-

_ denken Sptllecke’s, des Schulmannes. Von Prof. Kalisch. 219—231 Zwei Reden von Dr. Azt, Director des Gymnasiums zu Kreuzgach. 420—A23 Programm der kénigt. Realschule za Berl 1844. —- Ucher die

erziehende Kraft. der Volkisobale. Von Obetl, Ditlits . 616—628

‘Ty. Archiv der culturpolitischen Gesetzgebung. Preugsen. Vier Verfagungen . .- © + . o ©423—426

Vy. Bihliographre

Pstobor November, December 1841 ae re he

a VI. Miscellen.

Der Philologen-Congress zu Bonn, Friedemanns Votivtafel

far A, W.v,.Schlegel . . -. $4O—344 Die fanfte Versammlung deutscher Philologen 20 Ulm; und aber

eine vollig neue Methode des lat. Elomontarantesrichits,

Von: Prof, Dr, Eyth ,- - © ° 2 : on” e e " 597-599

|