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PAEDAGDGISCHRS JAHRBUCH 1900

(DER PARDAGOGISCHEN JAHRBÜCHER DREIUNDZWANZIGSTER BAND.)

HERAUSGEGEBEN

VON DER

WIENER PAEDAGOGISCHEN GESELLSCHAFT.

REDIGIERT von ANTON ZENS.

WIEN 1901.

MANZ’SCHE K. U. K. HOF-VERLAGS- UND UNTV.-BUCHHANDLUNG. I. KOHLMARKT 20.

or N ‚un 20 1904

K. und k. Hofbuchdrucker Fr. Winiker & Schickardt, Brünn

Vorwort.

Nach der bisherigen bewährten Einrichtung des Pädagogischen Fahrbuches blieb der erste Theil desselben den aus der Wiener paäda- gogischen Gesellschaft stammenden Vorträgen, Referaten und Debatten vorbehalten. Hieher wurde auch ein Vortrag aus der niederösterrei- chıschen Landeslehrerconferenz gestellt, der von eınem Mlitgliede unseres Vereines herrührt, eine vielseitig interessierende Zeitfrage behandelt, nämlıch die Reform des Volksschul-Lehrplanes, und zugleich dıe von der genannten Körperschaft hierüber gefassten Beschlüsse enthält. Im „Anhange“, der über verschiedene Schul- und Lehrerver- hältnısse, insbesondere über das Vereinswesen, sowie dıe Ergebnisse fachlicher Berathungen und literarischer Erörterungen berichtet, haben diesmal die „Thesen zu pädagogischen Themen“ einen größeren Raum zugewiesen erhalten, u. zw. ın der bestimmten Absıcht, eben- sosehr eine Probe der einschlagigen geistigen Regsamkeit ın der Lehrerschaft darzubieten, wie auch Anregung zu geben zu weılerer Prüfung und allfallıger Entgegnung namentlich dort, wo Form und Auffassung von den sonst üblichen Begrenzungslinien abweichen.

Da das Pädagogische Fahrbuch aus dem Wirken einer Vereint- gung erwächst und daher als eine gesellschaftliche Leistung er- scheint, so bedarf es keiner weiteren Erklärung, wenn die mıt der redactionellen Thatıgkeit betrauten Personen einander von Zeit zu Zeit ablösen, und wır finden uns veranlasst, dem vorjährigen Schrift- leiter, Herrn Victor Zwilling, für seine uneigennützige Mühewaltung die wohlverdiente Anerkennung abzustatten.

Es ıst uns bisher gelungen, auch die wirtschaftliche Seite unseres Unternehmens ın bestimmtem Grade sicherzustellen, was dem Zusammentreffen mehrfacher fördernder Umstände, ınsbesonders der seitens des hohen niederösterreichischen Landtages und der wohl-

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löblichen Wiener Gemeindevertretung durch eine Reihe von Fahren gewährten Unterstützung zuzuschreiben ıst; darum sei auch an dieser Stelle allen P. T. Förderern des Pädagogischen Fahrbuches der wärmste Dank des Vereines zum Ausdrucke gebracht.

Im übrıgen hofen wir, dass das Pädagogische Jahrbuch durch den 23. Band sıch die alten Freunde nıcht entfremden, neue dagegen gewinnen werde, und wiederholen die heute mehr als jemals zeil- gemäßen Worte, mıt denen dıe Vorrede zum zweiten Bande des- selben schließt: „Als ein Zeugnis, dass die der pädagogischen Streb- samkeit nichts weniger als günstigen Verhältnisse das pädagogische Leben und Streben in unserem Vaterlande nicht zu erdrücken ver- mocht haben, wird unser Jahrbuch -— das sprechen wır zuversicht- lich aus von allen, welche diese Verhaltnisse kennen und wür- dıgen, sıcher anerkannt werden. Möge es ihm nun auch gelingen, der guten Sache, welche wır mit Liebe und Ehrlichkeit vertreten, thatsachlıch zu nützen!“

Wien December 1900.

Die Redaction.

Der Ausschuss der „Wiener pädagogischen Gesellschaft.“

Inhaltsverzeichnis.

VOLWOrE an ee re ee

I. 1.

II.

IV.

N. VI vn.

VOL

X.

I; II. I.

Vorträge und Referate. Pestalozzi—Dittes. Von Victor Zwilling ; ; Concentration des Unterrichtes und concentrische Be Von D. Spion Über die Revision des Normallehrplanes für fünfclassige Volksschulen, in welchen jeder Classe ein Schuljahr entspricht. Von Josef Arapfenbauer Die Aufsatzübungen mit besonderer Berücksichtigung der Bürgerschule. Von S, Äuhner . i Johann Georg EN en die Shulkatorserhie, Von c. B. Krise. Die Aufgaben des naturgeschichtlichen Unterrichtes. Von Ferdinand Frank . Das Zeichnen nach der Natur. Von Alois Aunzfeld : Die Erwerbsthätigkeit schulpflichtiger Kinder. Von S, Kraus Referate. | . Neuere Werke über den FElementarunterricht. Von Anton Zens. 2. H. Lucas: Das Prang’sche Zeichenwerk. Von Alois Aunzfeld 3. F. Mohaupt: Allerlei Hobelspäne aus meiner Werkstatt. Von Richard Klement i . i . . 4. Melodie und Text a Sstesfeichischen Vollehnne Von M. Din 5. Albrecht Goerth: Friedrich Dittes in seiner Bedeutung für die Mit- und Nachwelt. Von Victor Zwilling Be 6. F. Buchneder: Schulzeit. Von M. Zens . ng nee, dr 7. Karl Schott: Lehrerarbeit und Lehrerlohn, Von Anton Druschba

. . . . . . . o . .

Anhang. Thesen zu pädagogischen Themen. Gesammelt von Anton Zens Schulchronik. Von Anton Zens ee ee de an a 3 Das pädagogische Vereinswesen in Österreich. Vor Anlkn Zens

Seite III

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Pestalozzi— Dittes.

Ein Rückblick auf die Entwicklung der deutschen Pädagogik im neunzehnten Jahrhundert. |

Festrede zur Pestalozzifeier, gehalten am 27. Jänner Igoo von VICTOR ZWILLING.

Heute vor hundert Jahren, welch trostlos trübe Stunden hatte da das Schicksal über das sorgenschwere Haupt unseres Meisters Pestalozzi verhängt! Der herrlichste Traum seines Lebens war mit der Auf- lösung des Waisenhauses zu Stanz zerstört worden; die übermenschliche Anstrengung, mit der er monatelang ohne fremde Hilfe die siebzig verlassenen und verwahrlosten Waisen betreut, gepflegt und erzogen, hatte die Kräfte des 54-jährigen Mannes aufgezehrt. Nach kurzem Auf- enthalte im Bade Gurnigel wieder gekräftigt, war er, losgerissen und verkannt von den Seinigen, verlassen und verspottet von Freunden und Feinden, in die Burgdorfer Hintersässenschule eingetreten, um an der Seite des würdigen Schulmeisters und Schuhmachers Dysli seine neue Unterrichtsmethode zu erproben und auch diese Zufluchtsstätte musste er nun verlassen, denn über Rathschlag Dyslis hatten die besorgten Väter der ihm anvertrauten Schüler beschlossen, »sie wollten mit der neuen Lehre die Probe nicht an ihren Kindern machen.« Wie ein unfassbares Märchen klingen aus dieser Zeit der größten Noth und Drangsal seine begeisterten Worte des felsenfesten Glaubens an die Möglichkeit einer Veredlung des Menschengeschlechtes. »Es wallt in meinem Busen, « schreibt er, »die Wuth über den Menschen, der es noch aussprechen könnte: die Veredlung des Volkes sei nur ein Traum. Nein, sie ist kein Traum! Ich will ihre Kunst in die Hand der Mutter werfen, in die Hand der Unschuld, und der Böse- wicht wird schweigen und es nicht mehr aussprechen: Sie ist ein Traum. Gott, wie danke ich Dir meine Noth! Ohne sie spräche ich diese Worte nicht aus und brächte ihn nicht zum Schweigen.«

Hundert Jahre sind seither verflossen, und siehe, das felsenfeste

Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1900. 1

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Vertrauen unseres Meisters hat sich glänzend bewährt. Welch groß- artigen Fortschritt weist die Entwicklung seines geliebten Schweizer- volkes auf, und nicht genug daran, soweit die deutsche Zunge klingt, arbeitet in Dorf und Stadt das Bienenvolk der Volksschullehrer in Pestalozzi’schem Geiste an der: Veredlung des Menschengeschlechtes, in allen Culturstaaten der Welt wird der Name Pestalozzis voll Ver- ehrung genannt. In diesem Geiste wirkt und schafft auch die » Wiener pädagogische Gesellschaft«, zum zweiundzwanzigstenmale sind ihre Mit- glieder zur »Pestalozzifeier« versammelt, um aus der Betrachtung der Worte und Thaten des Meisters frische Begeisterung für den Kampf um die heiligsten Ideale der Menschheit zu schöpfen.

Die Wende des Jahrhunderts möge den Stoff unserer heutigen Betrachtung bestimmen. Pestalozzis grenzenlose Liebe und Aufopfe- rung für sein Volk und die Menschheit lässt sein Bild in einer heroi- schen Gestalt erscheinen, der an übermenschlicher Größe ın der Welt- geschichte nur wenige Gestalten gleichkommen, die einzig von der Gestalt des Menschensohnes übertroffen worden ist. Bewundernd blicken wir gewöhnlichen Menschenkinder zu ihr empor, aber mit allen Fasern der Selbstliebe an der Entfaltung des eigenen Wohlseins hängend, entsinkt uns der Muth, ihr in gleicher Weise nachzustreben. Nur die Grundideen des Meisters sind es, die uns ıhm nähern, deren praktische Pflege und Ausgestaltung im Berufe uns berechtigt, den ‚Namen von Schülern Pestalozzis zu tragen. Und eben in diesen Ideen liegt objectiv die Unsterblichkeit des Meisters. Nicht das allein, was der Mensch thut, sondern auch inwiefern er seine Mitmenschen anregt, dıe Entwicklung der Menschheit zu fördern, bildet den wahren Wert des einzelnen. Die Geschichte weist eine unzählbare Menge von Menschen auf, die für ihre Ideen gelitten und sich verblutet haben; die Unsterb- lichkeit haben sie aber nur dann errungen, wenn diese Ideen keine Phantome waren, sondern mafigebend für die Entwicklung der Mensch- heit geworden sınd. Das charakteristische Merkmal solcher Ideen liegt in deren Entwicklungsfähigkeit. Als vollkommenster Organismus auf unserem Planeten schreitet die Menschheit unaufhaltsam vorwärts. Jedes als unabänderlich aufgestellte Dogma droht diese Entwicklung zu hemmen und wird im Laufe der Zeiten gewaltsam über Bord geworfen. Nur jene Ideen bleiben unvergänglich, welche nicht bloß dem momentanen Zeitseiste entsprechen, sondern die Wahrheiten der innersten Menschennatur enthüllen und auf den Gesctzen ihrer Ent- wicklung aufgebaut sind. Und so sei es denn unsere Aufgabe, jene

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Grundideen der Pestalozzi’schen Pädagogik, deren Richtigkeit im Ver- laufe eines Jahrhundertes erhärtet worden ist, an unserem Geiste vor- überziehen zu lassen, anderntheils aber zu untersuchen, welcher Be- kämpfung sie ausgesetzt waren, und welche Ausgestaltung ihnen zutheil wurde.

Was Pestalozzi in seinem Leben geschrieben, bezieht sich fast ausschließlich auf Pädagogik, und die Zahl seiner Werke und Auf- sätze umfasst eine kleine Bibliothek. Glühende Begeisterung quillt aus jeder Zeile, der ungezügelte Ausdruck eines überreichen Gremüths- lebens reißt den Leser zu ähnlicher Wärme hin, erschwert aber gar oft die klare, übersichtliche Auffassung des Gedankenganges. Diesem Übelstande ist es zuzuschreiben, dass viele, ja selbst hervorragende Kritiker nach flüchtigem Durchblick seiner Werke unbefriedigt blieben, oft sogar ein übereilt strenges Urtheil fallen ließen. Wir brauchen als Beleg hiefür nur auf Raumer, sowie auf die etwas hart klingenden Worte hinzuweisen, mit denen Friedrich Dittes in seiner »Geschichte der Erziehung und des Unterrichtese die Biographie des großen Meisters einleitet, und es hat sich Dittes ein ehrenvolles Denkmal seiner strengen, selbst gegen die eigene Person rücksichtslosen Objecti- vität gesetzt, wenn er wenige Jahre später offen erklärte, »er habe die schwachen Seiten des großen Mannes stärker hervorgehoben, als er es jetzt, nach tieferen Studien, für billig halte,e wenn er in seiner Ab- handlung »Pestalozzi für immer« diesen nicht bloß als einen der edelsten Menschen, sondern als den größten Bahnbrecher auf dem Gebiete der Pädagogik feierte. Und im Jahre 1887 erörterte Dittes von dieser Stelle aus den Mitgliedern der »Wr. pädagog. Gesellschaft« die »Grundgedanken der Pädagogik Pestalozzis« in einem Vortrage, der in seinem klaren, logischen Aufbaue, sowie in seiner hinreißenden Wärme zu den herrlichsten seiner Geistesschöpfungen zu zählen ist. |

Sein geliebtes Schweizer Volk aus dem tiefen physischen und moralischen Elend, in dem es sıch befand, zu befreien, war das Motiv, das Pestalozzi zum Pädagogen machte. Er erkannte sofort, dass diese Befreiung nur von innen heraus, durch naturgemäße Erziehung erfolgen könne. »Allgemeine Emporbildung der inneren Kräfte der Menschen- natur zu reiner Menschenweisheit ist allgemeiner Zweck der Bildung auch der niedrigsten Menschen.« Die wichtigste Aufgabe des Erziehers ist es, »den menschlichen Organismus in seiner Tiefe zu erkennen, die allgemeinen Wahrheiten als Leuchte im Dunkel des Lebens zu ergreifen,

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sie mit einem durch Erfahrung und Übung gebildeten psychologischen Takte auf die besondern Verhältnisse anzuwenden und das tiefe Problem von Entfaltungs- und Bildungsmitteln der Anlagen und Kräfte der Menschennatur zu lösen.«e »Es ist kein Beruf auf Erden, der tiefere Kenntnis der Menschennatur und größere Fähigkeit und Gewandtheit, sie zu behandeln, voraussetzt,«e als der Beruf des Erziehers. Eine willkürlich erdachte, eigenmächtige Abrichtung der Kinder durch Erwachsene ist keine Erziehung, die wahre Menschenbildung ist eine bloße Mitwirkung des Erziehers bei der Weckung und Pflege der im Kinde vorhandenen Anlagen und Kräfte. »Sie ist die Kunst des Gärtners, unter dessen Obsorge tausend Bäume blühen und wachsen. Siehe, er thut nichts zum Wesen ihres Wachsthums und Blühens. -— Nicht der Gärtner ist es, der die Wurzeln der Bäume öffnet, dass sie den Segen der Erde einsaugen. Er wässert nur die trockıne Erde, dass die Wurzel nicht an sie wie an einen Stein anstoße; er leitet nur das stehende Wasser ab, dass sie in seiner Stockung nicht verfaule; er hütet nur, dass keine äußere Gewalt weder die Wurzel, noch den Stamm, noch die Äste des Baumes verletze und die Ordnung der Natur störe, in welcher alle seine Theile nebeneinander wachsend das Gedeihen des Baumes begründen und sichern. So der Erzieher. Er ist es nicht, der irgendeine Kraft des Menschen in ihn hineinlegt, der irgendeiner Kraft Leben und Athem gibt; er sorgt nur, dass keine äußere Gewalt den Entfaltungs- gang der Natur in seinen einzelnen Kräften hemme und störe; er sorgt dafür, dass die Entfaltung jeder einzelnen Kraft der Menschen- natur nach den Gesetzen derselben ihren ungehemmten Lauf finde.«

Als die Formen und Stufen, in denen die Entwickelung des menschlichen Wesens naturgemäß erfolgt, bezeichnet Pestalozzi das Fühlen, das Denken und das Handeln, oder mit anderen Worten: Herz, Geist, Hand. Die erste Entfaltung des menschlichen Geisteslebens offenbart sich in Äußerungen seines Gefühles. »Das erste Zeichen des inneren Lebens des Kindes ist sein himmlisches Lächeln, es ist die erste Regung eines über allen Thiersinn erha- benen, menschlichen Sinnes, es ist der Ausdruck der innern Befriedigung, der menschlichen Erheiterung des Gemüths durch den Genuss von menschlicher Sorgfalt und Liebe, es ist die erste Spur der im Kinde entkeimenden Erkenntnis der Liebe.<« »So geht die wahre Erhebung unserer Natur zur Menschlichkeit wesentlich aus der Liebe hervor.«

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Nicht Vorstellungen, Begriffe und Ideen, sondern die aus der Liebespflege der Mutter hervorsprießenden Gefühle sind die Trieb- federn der sittlichen Erhebung des Menschen. Auf diese Erkenntnis baut sich der hohe Wert, den Pestalozzi auf das Familienleben legte, baut sich seine hohe Verehrung vor der echten Mutter, vor dem edlen Weibe überhaupt. »Schulerziehung ohne Umfassung des ganzen Geistes, den die Menschenerziehung bedarf, und ohne auf das ganze Leben derhäuslichen Erziehung gebaut, führt in meinen Augen nicht weiter, als zu einer künstlichen Verschrumpfungsmethode unseres Geschlechtes.«

An der Hand der belebenden und beseligenden Liebe schreitet das Kind allmählich zur Erkenntnis, zum Denken vor, kräftigt es sich endlich zum bewussthandelnden Wesen. Den einzig richtigen Weg zu dieser Erkenntnis bildet aber de Anschauung. Die Ver- mittlung von Worten ohne vorherige klare Anschauung erscheint Pestalozzi als ein Greuel, als ein Verbrechen gegen die Entwicklung des Kindes.

Die Anschauung nennt Pestalozzi das Fundament aller Erkenntnis, und er fasst den Begriff derselben nicht in dem beschränkten Sinne der Wahrnehmung durch den Gesichtssinn, er verlangt nachdrücklich dabei die Bethätigung der übrigen Sinne, ja er dehnt denselben auf alles unmittelbar Empfundene und Eirlebte aus. »Jede That der Liebe, Aufopferung und Treue, die das Kind im Vaterhause, in seiner Umgebung erlebt, jede Handlung der Frömmigkeit, welche seiner Wahrnehmung und seinem Gefühle nahetritt,«e gehört ins Gebiet dieser Anschauung. Ohne solche Anschauung der Tugend ist eine Entfaltung derselben unmöglich; alle noch so schulgerechten Begriffsentwicklungen von Tugenden, vom Glauben, von der Liebe nützen nichts, führen nur zu eitler Maulbraucherei darüber, wenn den Kindern das Lebensbild der Tugend, der freudige Muth des Glaubens und die Selbstaufopfe- rung der Liebe nicht im Erzieher zur Anschauung kommt und als solche wahrhaft vor die Seele tritt und ins Herz geht. Deshalb legt auch Pestalozzi dem Unterrichte einen weit geringeren erziehlichen Wert bei, als alle andern Pädagogen. Nur wenn derselbe auf voller Anschauung des wirklichen Lebens basiert, vermag er klärend und fördernd zu wirken. »Jede Lehre, deren Definitionen den Kindern wie Deus ex machina in die Seele gezaubert, oder vielmehr, wie durch Theater-Souffleurs in die Ohren geblasen werden muss, wird noth- wendig zu einer elenden Komödianten-Bildungsmanier versinken. Da, wo die Grundkräfte des menschlichen Geistes schlafen gelassen, und

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auf die schlafenden Kräfte Worte gepfropft werden, da bildet man Träumer, die umso schattenhafter träumen, als die Worte groß und anspruchsvoll waren, die auf ihr elendes, gähnendes Wesen aufgepfropft worden sind.«e Nicht Worte, sondern die selbstaufopfernde Liebe, das im Dienste der Tugend und Sittlichkeit stehende Handeln sind die Hauptfactoren der Menschenbildung; aus ihnen sollen erst die Worte als zusammenfassende Haltpunkte der gewonnenen Erkenntnisse her- vorsprießen, auf deren Grundlage dann der Geist zu neuen Begriffen und Ideen sich entfalten kann. Nur auf diesem Wege vermag der Erzieher sein Ziel zu erreichen, das Pestalozzi in die Worte zusammen- fasst: »Harmonische Erziehung und Bildung aller Kräfte des Menschen zum sittlichen Charakter.

Dies sind die in gedrängtester Kürze dargelegten Grundideen der Pestalozzi’schen Pädagogik. Mit Recht sagt Dittes von ihnen: »Seit Pestalozzi und außerhalb des Kreises seiner Nachfolger hat weder die allgemeine Pädagogik noch die Unterrichtslehre irgendeinen nennens- werten Fortschritt gemacht, d. h. nicht einen einzigen Satz gefunden, der von principieller Bedeutung und zugleich wahr wäre.«e So klar und überzeugend sind diese Grundideen für uns, dass sie fast den Charakter der Selbstverständlichkeit in sich schließen. Und doch, verehrte Versammelte, wie weit sind wir noch immer von dem Zeit- punkte entfernt, in dem diese Selbstverständlichkeit auch zum all- gemeinen Durchbruche gelangt sein wird. Schon das eben verflossene Jahrhundert gibt uns traurige Belege hiefür. So wenig dies zur heutigen Feststimmung passt, dürfen wir uns diese Erkenntnis nicht vorenthalten. Überall wird Pestalozzi als größter oder doch großer Pädagog gefeiert, dem gewaltigen Einflusse seiner Ideen danken wir hauptsächlich die großartige Entwicklung des Volksschulwesens in diesem Jahrhunderte, aber eben dieses Schulwesen und die dazu gehörige Lehrerbildung steht nicht im Dienste seiner Ideen, sondern ist größtentheils auf dem Ideenkreise eines andern Pädagogen, Herbarts, aufgebaut, dessen Schüler sich den Titel »wissenschaftlicher« Pädagogen beigelegt haben und jeden nicht auf ihre alleinselig- machenden Dogmen schwörenden Schulmann als unwissenschaftlichen Dilettanten mit einer wahrhaft unwissenschaftlichen Unduldsamkeit bekämpfen. Dass sie freilich damit dem Geiste ihres eigenen Meisters entgegenhandeln, dessen innerstem Charakter, dessen reinem Streben nach Wahrheit eine solche Unduldsamkeit fremd war, dass sie aus

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seiner Lehre Consequenzen zogen, die Herbart selber wohl nie unter- schrieben hätte, charakterisiert ihr »wissenschaftlichese System hin- länglich. Und so sei es mir denn gestattet, der Pestalozzi’schen Päda- gogik gegenüber jene des Philosophen Herbart und seiner Schüler in gedrängten Zügen gegenüberzustellen.

Ich sage ausdrücklich: des Philosophen Herbart; denn hierin liegt das unterscheidende Merkmal. Während Pestalozzi nur aus der Erfahrung schöpft und sein Lebenlang nach den Erscheinungen der Kindesseele forscht, um auf sie sein Erziehungswerk zu gründen, bildet ein selbstaufgebautes, metaphysisch-philosophisches System die Grundlage der Pädagogik Herbarts, verwertet dieser die Erkenntnisse der Erfahrung nur insofern, als sie sein System zu erhärten scheinen, weicht ihnen aber (wohl unabsichtlich) aus, wenn sie mit ihm in Widerspruch stehen. Als unwandelbares Dogma dieses philosophischen Systems ist die Einfachheit und Einheit der Menschenseele aufgestellt. Dieser Einheit widerspricht die Erfahrung, dass das Kind vom Anfange seiner Geistesthätigkeit an schon ein fühlendes, erkennendes und wollendes Wesen zugleich ist, und so musste denn die Erfahrung dem Systeme weichen. Wie Pestalozzi, so erkennt auch Herbart das Ziel der Erziehung in der Charakterstärke der Sittlichkeit. Den Boden aber, aus welchem die Charakterstärke der Sittlichkeit kräftig hervorsprießen kann, sucht Herbart ausschließlich im Gedanken- kreise. »Man hat,« schreibt er, >nur dann die Erziehung in seiner Gewalt, wenn man einen großen und in seinen Theilen innigst ver- knüpften Gedankenkreis in die jugendliche Seele zu bringen weiß, der das Ungünstige der Umgebung zu überwinden, das Günstige derselben in sich aufzulösen und mit sich zu vereinigen Kraft besitzt.«e Nicht zugleich mit der sich frühzeitig entwickelnden Gefühlswelt schreitet nach Herbart die Erkenntnis Hand in Hand vorwärts; die Erkenntnis ıst nach seiner Lehre das Ursprüngliche, und aus ihr erst quellen Gefühle und Willen hervor, durch sie wird ihnen die Bahn der Entwicklung bestimmt. Da aber die Erkenntnis am gründlichsten durch Unter- richt vermittelt werden kann, so bildet dieser den Mittelpunkt der Erziehung, die gewaltige Kraft, aus welcher alle wahre Menschen- bildung hervorsprießen muss. In den ersten Lebensjahren, in denen noch kein geregelter Unterricht möglich ist, gibt es auch keine eigent- liche Erziehung, sondern bloß eine Regierung. Beschäftigung, Aufsicht, Befehl, Strafe und Belohnung, nach Umständen auch Zwang sind die Mittel zur Regierung der Kinder; durch dieselben müssen die

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Kinder abgehalten werden, dass sie in ihrem wilden Ungestüm die Einrichtungen der Erwachsenen. nicht verletzen und sich selbst nicht in Gefahren stürzen. Erst später tritt der Unterricht in den Vorder- erund, und .die Frucht desselben, das Erwachen eines vielfachen Interesses, bildet dann die eigentliche Triebkraft des Wollens, des wahren Objectes der Erziehung. »Ist der Gedankenkreis so voll- ständig ausgebildet, dass ein reiner sittlicher Geschmack das Handeln in der Phantasie durchaus beherrscht, alsdann fällt die Sorge wegen der Charakterbildung mitten im Leben beinahe gänzlich weg.« Anfangs begleitet die Regierung noch den Unterricht, mit der wachsenden Kraft des Gedankenkreises weicht sie aber der Zucht, durch welche der Zögling allmählich zur Selbständigkeit hingeleitet wird.

Dies ist die Erziehung im Herbart’schen Sinne. Vergleichen wir sie mit jener Pestalozzis, so fällt zuerst wohlthuend auf, dass dem Unterrichte zu seinem Rechte verholfen wurde. Wenn. ihm auch nie- mals jener allumfassende Wert zugesprochen werden kann, so muss doch anderntheils zugegeben werden, dass die zu geringe Schätzung desselben bei Pestalozzi nicht ganz zu billigen ist. Neben dieser Licht- seite weist aber die Herbart’sche Erziehung durch ihre Überschätzung des Intellectes eine Einseitigkeit auf, die den ganzen Bau einer har- monischen, naturgemäßen Erziehung zu zerstören droht. Niemals kann es wahr sein, dass die eigentliche Erziehung erst mit dem Unterrichte zu beginnen hat. Welche Unzahl von Gefühlen, Vorstellungen und Neigungen hat sich in der reinen Kindesseele festgesetzt, bevor noch der Unterricht beginnen kann! Und niemals wird es irgendeinem Menschen gelingen, den Unterricht so zu gestalten, dass er alle Gebiete zu umfassen vermöchte, die für die harmonische Entwicklung des menschlichen Geistes, für die Erstarkung des sittlichen Charakters maßgebend sind. Im Lichte der großartigen Ideen Pestalozzi’scher Pädagogik besehen, haftet dem Herbart’schen Systeme bei aller Gründ- lichkeit in der Behandlung der einzelnen Capitel, bei aller Tiefe ein- zelner Gedanken, der beklemmende Geruch der Studierstube an, der den frischen Duft der Wirklichkeit nicht verträgt. Wenn es als Hauptmerkmal der wissenschaftlichen Behandlung eines Gegenstandes gilt, dass von einem einheitlichen Grundgedanken aus mit strenger Logik ein ganzes System aufgebaut und in seinen Einzelnheiten mit größter Schärfe ausgefeilt wird, dann gebürt der Herbart’schen Päda- gogik mit vollem Recht der Titel der »wissenschaftlichen Pädagogik« aber freilich nur bis zu dem Zeitpunkte, als das oberste Axiom des

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Systems, die Einheit. und Einfachheit der Seele, von der Wissenschaft überhaupt nicht widerlegt ist. Wenn die Zeichen nicht trügen, scheint aber der Zeitpunkt nicht mehr ferne zu liegen. Seit Herbart hat die Physiologie und experimentelle Psychologie großartige Fortschritte gemacht, und die Gelehrten, die heute noch als Vertreter des‘ Herbart’- schen Axioms zählen, gehören bereits zu den Seltenheiten. Die Pädagogik aber in die Fesseln eines streng ausgebildeten Systems zu legen, erscheint uns als ein vergebliches Bemühen. Ein und derselbe Unterricht, und mag er noch so allumfassend, noch so systematisch durchgebildet sein, wird bei verschiedenen Individuen infolge ihrer ver- schiedenen Veranlagung, infolge ihrer verschiedenartig ausgebildeten Gremüthswelt, infolge der zahllosen verschiedenartigen Vorstellungen. Ideen und Neigungen, die sie außerhalb des Unterrichtes von deı Außenwelt aufgenommen haben, zu verschiedenartigen Resultaten ihrer sittlichen Charakterentwicklung führen. Und wer von Ihnen, ver- ehrte Versammelte, diese meine Behauptung aus seiner Erfahrung bestätigen kann, ist damit in strenger Logik gezwungen, den aus-' schließlichen Aufbau der Erziehung auf den Intellect, auf den Pa richt als einseitig, folglich als unrichtig zu erklären.

Soweit von Herbart. Über seine Schüler aber lassen Sie mich kurz hinweggehen. Pädagogen, welche die gesammte Erziehung nicht bloß auf den Unterricht basieren wollen, sondern diesen Unterricht ohne Rücksicht auf die individuelle Entwicklung des Kindes in ein »culturhistorisches«e System von Concentrationsstufen pressen, ein Jahr lang Märchen, ein anderes Jahr Robinson, ein drittes Geschichten aus der Bibel u. s. w. zu Concentrationspunkten für die gesammte geistige Entwicklung der Schüler wählen; Pädagogen, welche, wie Ziller, nicht bloß besondere Schulen für Arme und Reiche, sondern sogar für die einzelnen Stände verlangen, welche die vollständige Bibel in der Hand der Schulkinder zu sehen wünschen, u. s. w.: solche Pädagogen stehen mit ihren Anschauungen in so grellem Gegensatze zu uns, dass es wohl zwecklos wäre, ihre Ansichten widerlegen zu wollen. Wir suchen in der Volksschule eine Stätte zu schaffen und zu erhalten, in der die allen Menschen innewohnenden Kräfte gleichartig bei arm und reich, vornehm und gering zum sittlichen Ideal herangebildet werden, sie bemessen hoheitsvoll, wie weit die Bildung bei den einzelnen Menschen- classen zu gehen hat. Wo wir vereinigen, wollen sie trennen. Während wir die Psychologie als die einzige Richtschnur für die Erziehung betrachten, haben sie der Richtschnuren mehrere: für die Katholiken

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die katholische, für die Protestanten die protestantische Theologie, für die Reichen den Lebenskreis der Reichen, für die Armen den Lebens kreis der Arbeiter; die Psychologie erscheint ihnen bloß als Dienstmagd, um in den einzelnen Sonderabtheilungen den Unterricht richtig aufbauen zu können.

Eilen wir nun zu dem letzten, lichteren Bilde, das uns zeigt, welche Förderung und Ausgestaltung die Ideen unseres Altmeisters Pestalozzi in diesem Jahrhunderte erfahren haben. Mit Freuden sei es gesagt: trotzdem die Lehrerbildung in Österreich und Deutschland größtentheils im Ideenkreise Herbarts steht, trotzdem die Zillerianeı ihre »Wissenschaft« so laut verkünden, steht die weit überwiegende Mehrheit der Lehrerschaft auf dem Boden Pestalozzi'scher Pädagogik. Dass dem so ist, danken wir aber vorzüglich drei bedeutenden Männern, die sich durch ihre geistige Schärfe, durch ihr muthiges Eintreten für ihre Überzeugung ein Ehrendenkmal in der Geschichte der Pädagogik errungen haben. Es sind dies Beneke, Diesterweg und Dittes.

Benekes Verdienste fallen vorwiegend in das Gebiet der Philo- sophie. Pestalozzi hatte seine Pädagogik ausschließlich auf die Erfab- rungen begründet, die er selbst am Seelenleben der Kinder gemacht, Herbart hat die Resultate derselben auf Grundlage seines philosophischen Systems widerlegt, und so musste die Austragung dieses Kampfes in die Hände eines Philosophen gelegt werden. Dieser Mann war eben Beneke. Die Anregung gab Herbart durch seine Psychologie und Ethik.

Es ist ein unsterbliches Verdienst Herbarts, dass er der erste das Princip der Induction auf das Gebiet der Psychologie übertrug und durch die Schöpfung seiner »empirischen Psychologie« dieselbe für die Pädagogik fruchtbar machte. Dass ihm dieses Werk nicht voll- ständig gelang, dass er bei seiner Empirik von der metaphysischen Grundidee der Einheit der Seele sich noch nicht zu befreien vermochte, war der einzige Fehler dabei. Diesen Fehler machte nun Beneke gut. indem er die .Herbart’sche Psychologie von ihrem metaphysischen Grundgedanken befreite und dadurch eine neue, rein empirische Psycho- logie und Ethik schuf. Und siehe, die Resultate derselben deckten sich, auf die Pädagogik angewandt, vollkommen mit den pädagogischen Grundideen Pestalozzis. Und so war es denn Beneke fast unbewusst beschieden, der wissenschaftlich philosophische Begründer der Pädagogik Pestalozzis zu werden.

Anders stand es um Diesterweg. Er war durch und durch

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Schulmann, und zwar ein Schulmann, der seine Begeisterung und Überzeugung direct aus den Werken Pestalozzis geschöpft hat, der den Geist des Meisters durch Wort und That in die Herzen der deutschen Lehrerschaft flößte und als einer der muthigsten und edelsten Kämpfer für die freie Pädagogik und freie Schule uns ewig in dankbarer Erinnerung bleiben wird.

Die Ideen beider Männer, Benekes und Diesterwegs, in sich zu vereinigen und zu voller Ausgestaltung zu bringen, war aber das unsterbliche Verdienst jenes Mannes, zu dem besonders wir österrei- chischen und Wiener Lehrer mit so großer Begeisterung emporblicken, unseres Meisters Friedrich Dittes. Ist es doch den meisten von uns, als ruhte sein durchgeistigt scharfer Blick noch immer auf uns, als ständen wir noch immer unter dem Banne seiner flammenden Worte, seines eisenfesten Charakters. Und weilt er auch nicht mehr unter uns, die Macht seiner Ideen wie seiner gewaltigen Persönlichkeit hat unsere Herzen so tief durchdrungen, hat uns den Weg gewiesen, den wir in unserem Berufe zu gehen haben, solange wir leben, dass, sowie er uns »Pestalozzi für immer!« zugerufen, uns die Devise »Dittes für immer!« als Leitstern unseres Lebenskampfes bleiben wird. Und so sei es mir denn noch gestattet, darzulegen, dass die Grundideen Pestalozzis mit jenen unseres Meisters Dittes sich decken, und inwiefern sie durch letzteren zur Ausgestaltung gebracht wurden.

Über die Grundlage, auf welcher Dittes seine Pädagogik basiert, über die Aufgabe, die er ihr stellt, über deren Verhältnis zum Staate und zu den anderen Wissenschaften lassen wir ihn selbst reden:

»Wie trivial es auch der blasierten Selbstsucht klingen möge, dennoch bleibt es eine unanfechtbare und eine der erhabensten Wahr- heiten, dass alle Menschen Brüder sind, gleichen Ursprung und gleiches Ende, gleiches Wesen und gleiche Bedürfnisse, gleiche Krätte und Anlagen haben; dass jedes Menschenkind Selbstzweck ist und nicht zu einem bloßen Mittel oder Werkzeug herabgewürdigt werden darf; dass die Bedingungen, Ziele und Gesetze der Entwicklung für alle dieselben sind, und dass es eben deshalb eine einheitliche und gemein- giltige Pädagogik gibt, welche zur planmäßigen und heilsamen Führung der Jugend die rechten Wege zeigt, vor Nachlässigkeit und Missgrifien warnt, insbesondere jede willkürliche Dressur, ebenso jede absichtliche Niederhaltung, ingleichen jede kastenartige Spaltung der jungen Gene- ration und damit die Zersetzung der Gesellschaft verhindern will. Die

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Idee der Menschheit rein und voll auszuprägen, sie vor Verdunkelung zu bewahren und stets im Bewusstsein der Gesellschaft zu erhalten, sie aus den in jedem Menschenkinde schlummernden Keimen nach den unwandelbaren Gesetzen der Entwicklung unseres Geschlechtes natur- gemäß, frei und allseitig herauszubilden, vor den falschen Bahnen zu warnen, die von ihr abführen, die Schäden zu heilen, durch welche ihr erhabenes Bild getrübt wird: das ist die Aufgabe der Pädagogik. Und diese Aufgabe bedarf einer eigenen, zielbewussten, plan- und berufsmäßigen Thätigkeit. Die Pädagogik nimmt jeden Beitrag zu ihrem Bau und jede Unterstützung dankbar an, nichts Menschliches darf ihr fernbleiben, sie muss sich in den Besitz aller Culturerrungen- schaften setzen, insbesondere mit den anthropologischen und philo- sophischen Wissenschaften den vertrautesten Umgang pflegen. Aber sie darf sich nicht in den Dienst der Einzel- und Sonderbestrebungen stellen, ihr Ziel ist nicht ein Bruchstück, sondern ein Ganzes. Daher muss sie sich vorbehalten, zu prüfen, was.Staatsmänner und politische Parteien, Theologen und kirchliche Genossenschaften, Gesellschafts- classen und Berufsstände, Privilegien und Privatliebhabereien, Fach- gelehrte und Künstler, Philosophen und Ärzte u. s. w. von ihr begehren ; sie muss sich vorbehalten, zu prüfen, ob dies alles gerechtfertigt, unter sich vereinbar, mit den pädagogischen Ideen verträglich, dem Heile des Ganzen ersprießlich, sowie ob und auf welche Weise es ausführbar sei. Wohin soll das Bildungswesen kommen, wenn von allen -Seiten an ihm gezerrt und gemodelt werden kann? Es bedarf des festen Richtmaßes einer Wissenschaft, die über den Parteien steht, die das Ganze überschaut und begreift, und die kein anderes Interesse hat, als den allseitigen und stetigen Fortschritt der Menschheit und die Wohl- fahrt der Gesellschaft.«

Verehrte Versammelte! Ist es nicht Pestalozzis Geist, der Dittes

zu dieser Feststellung der Aufgaben der Pädagogik geführt hat? Auch Dittes baut die Erziehung auf das Princip der Natur-

gemäßheit auf, aber er brauchte sich den Weg hiezu nicht mehr wie Pestalozzi mühsam durch ausschließlich eigene Erfahrung zu bahnen. Wir sehen ihn in seinen jungen Jahren gleichzeitig als Lehrer praktisch wirken und als Akademiker die Resultate der Forschungen Pestalozzis, Herbarts, vor allem aber Benekes in sich aufnehmen und verarbeiten. Für den hohen Ernst, für die bewundernswerte Tiefe, mit der: er sich dieser Aufgabe unterzogen, zeugen seine preisgekrönten Werke: »Das menschliche Bewusstsein,e »Das Ästhetische,« »Die sittliche

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Freiheit«, dann die Schrift: »Naturlehre des Moralischen und Kunstlehre der moralischen Erziehung.« Erst nachdem Dittes durch diese Werke die Fundamente des menschlichen Seelenlebens in ihrer gegenseitigen Wechselwirkung zur Klarheit gebracht, schritt er an seine eigentliche, große Hauptarbeit: »Die Schule der Pädagogik.«e So verlockend es wäre, die in seinen grundlegenden Werken ruhenden herrlichen Gedanken wenigstens auszugsweise zum Ausdrucke zu bringen, die Zeit und das mir vorgesetzte beschränkte Thema verbieten mir dies. Nur seinen Aufbau der Pädagogik darzustellen, sei mir noch gestattet. Gleich beim Anfang berührt ‘darin die Betonung der körperlichen Erziehung besonders wohlthuend. Ziller, der Hauptvertreter der Her- bart’schen Schule, negiert einfach die Existenz einer körperlichen Erziehung. Es sei wohl Pflicht der Erzieher, für die Gesundheit ihrer Zöglinge zu sorgen, doch habe die Gesundheitspflege mit der eigent- lichen Erziehung nichts zu thun. Dittes dagegen weist auf Grund- lage der neuesten Erfahrungen der Physiologie nach, wie die Ent- faltung alles Geistigen abhängig ist von der körperlichen Entwicklung des Menschen, welchen ausschlaggebenden Einfluss eine richtige Ernährung, Bewegung und Ruhe, eine entsprechende Pflege der Nerven und Sinne auf die Erziehung des Menschen ausüben. In seinen dies- bezüglichen klaren Rathschlägen gibt er uns ein treffliches Beispiel dafür, wie der Pädagoge vom Arzte zu lernen hat, um dessen Wissen und Können in den Dienst der Pädagogik zu stellen, ohne aber umgekehrt die Pädagogik den oft divergierenden Forderungen der Ärzte unterzuordnen. |

In der geistigen Erziehung stellt Dittes die menschliche Seele nicht als ein einfaches Wesen dar, sondern er zeigt uns, wie dieselbe sich gleichzeitig nach den drei Seiten der Erkenntnis, des Gefühles und des Wollens entwickelt, und in welcher innigen Wechselwirkung diese drei Seiten von allem Anfange an zueinander stehen. Deshalb darf die Erziehung nicht, wie es Herbart fordert, erst in einem späteren Alter beginnen oder einseitig ihr Hauptgewicht auf die Pflege der Intelligenz durch den Unterricht verlegen: die wahre Erziehung beginnt mit dem Tage, an dem der Mensch das Licht der Welt erblickt,und sorgt beständig für die harmonische Entfaltung aller in ihm schlummernden und rege werdenden Kräfte im Dienste der Sittlichkeit. Die Sittlichkeit ist aber nicht wie bei Herbart das Product | von fünf philosophisch entwickelten praktischen Ideen, sie ist eine im tiefsten Wesen des Menschen liegende Naturnothwendigkeit, zu der

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ein jeder Mensch gelangen kann und gelangen muss, wenn in ihm auf Grundlage einer normalen und ungehinderten Erkenntnis, sowie einer reinen Gemüthsbildung sich die richtige Wertschätzung der Dinge herausgebildet hat, und der Wille geübt worden ist, sich in den Dienst dieser richtigen Wertschätzung zu stellen. Deshalb ver- meidet es Dittes, die Aufgabe der Erziehung in ein einziges, unbe- stimmtes Schlagwort, wie »Gottähnlichkeit,e »Humanität,< »sittliche Selbstbestimmung« oder »Charakterstärke der Sittlichkeite zu pressen, sondern er definiert sie als »die gesammte Menschennatur in ihrer normalen Ausgestaltung, also ein gesunder und wohlgeübter Körper, ein kenntnisreicher und denkender Geist, ein sittlich reiner und that- kräftiger Wille, ein heiteres und für das Schöne empfängliches Gemüth, eine vernünftige Religiosität«. |

Zwei Factoren sınd es.vor allem, denen die Pflicht zukommt, absichtlich und planmäßig auf die Erziehung des Menschen Einfluss zu nehmen: die Familie und die Schule. Schon Pestalozzi hat diese Wahrheit erkannt und daher auch seine ersten Worte an die Mütter gerichtet. Erst in spätem Alter hat er seine Lieblingsidee, die Mütter zu richtigen Erzieherinnen zu bilden, zurückgestellt und den Schwer- punkt seiner Wirksamkeit auf die Entwicklung des Unterrichtes ver- legt. Auch Dittes concentrierte fast ausschließlich seine ganze päda- gogische Kraft auf die Ausgestaltung der Volksschule. Vielleicht ist dies der einzige Punkt, in dem wir theilweise eine Einseitigkeit in dem Wirken des Meisters erblicken könnten. Er anerkennt mit voller Klar- heit den immensen erziehlichen Einfluss der Familie, aber er fordert vom Staate hauptsächlich die planmäßige Reform und Ausgestaltung der Schule. Wäre es nicht zumindestens ebenso hehre Pflicht des Staates, dafür zu sorgen, dass seine Töchter insgesammt die richtige Vorbildung zu planmäßiger Erziehung ihrer Kinder erhalten? Wenn dem Staate das Recht des allgemeinen Schulzwanges, der allgemeinen Wehrpflicht zusteht, warum nicht auch das Recht des allgemeinen pädagogischen Bildungszwanges? Doch das sind Gedanken, die aus- zugestalten wir anderen Pädagogen überlassen müssen; einer kann nicht alles, und die Arbeit, die Dittes zu seinem Lebensberufe gemacht hat, die Fundierung des Schulwesens, hat er in einer Weise vollendet, wie sie in ihrer Tiefe und Allseitigkeit uns zu größter Bewunderung hinreißt.

Die allgemeine, freie Volksschule, wie sie Dittes darstellt, sie ıst ein Ideal, wie es herrlicher noch kaum ein Pädagoge geträumt hat. Frei ist sie im vollen Sinne des Wortes. Weder die Politik, noch die

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Theologie, weder die Philosophie, noch die Sucht nach ausschließlicher Vorbildung für einzelne praktische Zwecke dürfen ihre Herren werden. Ihre einzige wahre Herrin soll die auf Psychologie und Ethik basierte Pädagogik sein. Die Aufgabe der Pädagogik ist zugleich Aufgabe der Volksschule, deshalb muss sie aus allen Gebieten des menschlichen Wissens und Könnens die Stoffe für ihre Lehre und Übung ent- nehmen, um diese Stoffe zu sichten und auf ihre psychologische Auf- nahmsfähigkeit zu prüfen. Was nicht der Aufgabe der Pädagogik entspricht, was nicht in der kindlichen Fassungskraft der Schüler gelegen ist, und wenn es die höchste Wahrheit wäre, hat keinen Platz im Rahmen der Volksschule. »Nicht darum handelt es sich in der Volksschule, künftige Bauern, Dienstboten, Handwerker, Kaufleute u. s. w. zu bilden, sondern darum, in den Kindern die Kräfte und Eigenschaften zu entwickeln, welche für jeden Beruf, für jede Lebensstellung die nothwendigen Grundlagen sind. Für die Fach- bildung sind die Volksschüler noch zu jung, auch weiß man nicht, was aus ihnen werden kann. Aber das weiß man, dass sie Menschen werden sollen, und es ist gerade die rechte Zeit, sie dazu zu bilden.« Wohl ist es eine der ersten und höchsten Pflichten des Staates, seine Schulen zu erhalten und zu verwalten; die innere Organisation der- selben aber, die Bestimmungen über die Art und Weise des Unter- richtes ist nicht Sache der Verwaltung, sie hat ausschließlich Sache der Fachmänner, der Pädagogen zu sein. Für eine Gefährdung des ganzen Staatswesens würde man es halten, wenn Verwaltungsbeamte dem Richterstande Weisungen darüber geben würden, wie recht- zusprechen sei, oder den Theologen, wie sie ihre Religion lehren sollen, oder Medicinern, welche Recepte sie zu schreiben haben. Nur die Erziehung der Menschen zu Menschen soll nicht in den Händen von Fachmännern liegen, sondern von Bureaukraten am grünen Tische gemacht werden’?

| Aber eine so hohe Auffassung der Volksschule verlangt eine gleich hohe Auffassung des Berufes als Lehrer. Der Mann, dem die Entwicklung des theuersten Staatsgutes, der Jugend, anvertraut ist, er muss voll bei seinem Berufe sein, er darf nicht, wie der Bader in vergangenen Jahrhunderten, krampfhaft nach Recepten auslugen, mit denen er curpfuschen könnte, er darf nicht ängstlich auf Vorschriften von nichtpädagogischen Verwaltungsbeamten warten, um ihnen gemäß sein pädagogisches Handwerk einzurichten. Durch tiefes Studium der Menschenseele, durch volles Aufgehen in seinem Berufe hat er sich

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die Freiheit zu erringen. Die Geschichte der Pädagogik hat kauni einen entschiedeneren Freiheitskämpfer für die Lehrerschaft aufzu- weisen, als es Dittes war, aber auch kaum einen strengeren Mann mit Rücksicht auf die Forderung der vollen Selbstaufopferung in dem hohen Dienste des Berufes. Sein Ruf nach Freiheit hat volles Echo in den Herzen aller Lehrer gefunden. Möchte dies auch von seinem Rufe nach pädagogischer Vertiefung gelten!

Die Volksschule im Sinne Dittes’ ist ein Ideal, dessen Realisierung erst eine Sache der Zukunft sein wird. Sie hat ihm die begeisterte Verehrung aller klar und frei Denkenden, aber auch die rücksichtsloseste Feindschaft aller Bureaukraten, aller streng confessionellen Theologen, insbesondere aber aller Reactionäre eingebracht. Wer die Volksschule zu irgendeinem Sonderinteresse ausnützen will, muss naturgemäß sein Gegner werden. Und die Zeit, in der das allgemein menschliche Interesse über egoistische Parteiinteressen siegen wird, ist leider noch recht ferne. Dass aber diese Zeit einmal wird kommen müssen, diesen Glauben können und dürfen wir uns nicht entreißen lassen. Der Kampf, den Dittes gegen seine Gegner zu führen hatte, war der edelste, den ein Mensch zu führen vermag, und wie muthig er ihn geführt, ist uns allen nur zu gut bekannt. Trefflich hat er ihn selbst mit den Worten begründet: »Pädagogik ist nicht bloß Gedanke, sondern auch That. Kein einziger großer Pädagoge hat sein Leben ohne Kampf geführt. Wem es an Kampfesmuth gebricht, wer um jeden Preis Frieden haben will, der kann schon aus diesem Grunde unmöglich ein ganzer Pädagoge sein.«

Tief schneiden diese Worte in die Tage der Gegenwart hinein. Scheint es doch, als hätten alle Mächte sich zusammengeschart, um die herrliche Idee der Dittes’schen freien Schule bis zur letzten Faser aus unseren Herzen zu reißen! Da bedarf es des Kampfesmuthes vollauf für uns. Und so lassen Sie mich mit den Worten schließen,

7” die unser Meister Dittes vor dreizehn Jahren anlässlich seiner Pestalozzi- rede an uns gerichtet:

»Gibt es Leute, die sich zusammenkoppeln, um jeden Aufschwung des Menschengeschlechtes zu hemmen, so muss es auch Leute geben, die sich entschlossen die Hände reichen zum Bunde für alles, was den Menschen ehrt und schmückt und erhebt, zum Bunde für Wahrheit und Freiheit, für Liebe und Treue, für Licht und Recht, für Menschen- glück und Menschenbildung.«

II.

Concentration des Unterrichtes und concentrische Lehrgänge.

Vorgetragen von D. SIMON am 7. April Igoo.

Der Gegenstand meines Vortrages ist der Wiener pädagogischen Gesellschaft nicht neu; sie hat sich im Gegentheil recht viel mit ihm befasst. Vor mehr als einem Jahrzehent standen sich die Gegner über den Wert oder Unwert der concentrischen Lehrgänge gegenüber, ohne zu einer Einigung zu gelangen. Nachdem 1877 der um unsere Gesell- schaft verdiente Wawrik den Wert der Concentration des Unterrichtes gepriesen und versichert hatte, dass die concentrischen Lehrgänge die beste aller Methoden darstellen, wagte ich, ıı Jahre später, an der Hand der Erfahrung nachzuweisen, dass eine solche Stoffvertheilung, insbesondere in der Geschichte, das Streben, den Lehrstoff zu vertiefen und zu festigen, behindere. Zwei Jahre später unterzog Herr Emil Hain den Unterricht in der Physik einer Prüfung und kam zu dem gleichen Ergebnis. Sowohl ich, als Herr Hain fanden Anhänger und Gegner. Die Frage, sagten die letzteren, sei noch nicht geklärt; die Methode sei noch nicht lange genug in Anwendung, um die richtige Behandlung und geeignete Lehrbücher zu finden; man möge ıhr Zeit lassen, sich einzuleben.

Wenr ich nun die damals vergrabene Streitaxt neuerdings hervor- hole und die Angelegenheit zur Debatte stelle, thue ich es in dem guten Glauben, dass 30 Jahre eine genügende Zeit sind, um Klärung in die Frage zu bringen, inwieweit wir den Lehrstoff »concentrieren« sollen. Meines Wissens hat Herbart zuerst die Nothwendigkeit der Concentration des gesammten Unterrichtes betont, und seine Jünger haben vielleicht die Worte des Meisters gar zu genau genommen und dort concentrieren wollen, wo nichts zu concentrieren ist, nichts con-

centriert ‚werden kann. Der Grundgedanke war ja berechtigt; in meiner Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1900. 2

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Knabenzeit lehrte der eine Lehrer das »Lesen«, der andere die »Sprach- lehre<, der dritte die »Rechtschreibung« und endlich der vierte den »Gedankenausdruck«. Gegen diese Zerreißung der Ausläufer eines und desselben Faches musste eine Reaction eintreten. Wawrik meint, die concentrische Methode sei nothwendig geworden durch die große Menge des Stoffes, welchen die Volksschule zu bewältigen hat; aber ist es denn Sache der Volksschule, viel zu lehren, eine große Menge des Wissens zu vermitteln, nicht vielmehr den Stoff zu vertiefen, gründlich zu verarbeiten und praktisch zu verwerten? Dazu ist allerdings eine Concentration nothwendig, d. i. ein Zusammenfassen alles dessen, was nur irgendwelche Beziehungen zueinander hat, ein Ineinandergreifen des äußerlich Getrennten, eine Durchdringung des einen Gegenstandes durch den anderen, damit sie sich gegenseitigstützenundfestigen; das erreicht man durch häufige Wiederholungen, klare Übersichten und Vergleichungen. In der eigentlichen Volksschule muss sich der Lehrer in jeder Stunde als Lehrer aller Fächer fühlen und um die- selben ein geistiges Band schlingen; aber selbst in der Bürgerschule, wo die Lehrgegenstände schon mehr auseinandergehen und daher in verschiedenen Händen sind, muss doch immer ein enger Zusammenhang zwischen den einzelnen Fächern bestehen ; insbesondere darf der Lehrer des einen Faches nicht unterlassen, etwas zu wiederholen oder zu erklären, was, streng genommen, in ein anderes Gebiet gehört. Rich- tiges Sprechen, deutliche Sacherklärungen, Entwicklung aller Begriffe zu voller Klarheit ist die Aufgabe eines jeden Lehrers; die Verständigung derselben untereinander ist eben die besondere Aufgabe der Conferenz und des Directors. Es kann geschehen, dass ein Fach- lehrer dem anderen Hinweise auf Lücken und Mängel gibt, dass die collegiale Aussprache an Versäumnisse mahnt und den Lehrgang günstig beeinflusst, dass ein Fachlehrer dem anderen zu Hilfe eilt. Das allein ıst nach meiner Meinung Concentration des Unterrichtes. Was aber wollen die concentrischen Lehrgänge? Man müsse, sagt man, auf jeder Stufe des Unterrichtes aus jedem Zweige des betreffenden Wissens etwas bieten, wenn auch darüber der Zusammen- hang verloren geht. Ich frage: Warum muss man? In wessen Vortheil ist es gelegen? Wohl gibt es Gegenstände, deren Natur einen concentrischen Lehrgang zu fordern scheint; aber gerade bei diesen wird er nicht genügend eingehalten. Mancher der geehrten Anwesenden erinnert sich, wie klar Dr. Pick die concentrischen Ringe in der

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Himmelskunde in unserer Mitte entwickelt hat; die Durchführung haben wir noch zu erwarten. Die Somatologie sollte auf jeder Stufe je nach dem Grade der Empfänglichkeit und stets erweitert Lehr- gegenstand sein, damit sie vollständig verdaut werde. Die Arithmetik und Geometrie rufen vermöge ihrer Natur nach concentrischen Lehr- gängen; mir scheint aber, dass sie in der Bürgerschule nicht durch- geführt werden; jeder Jahrgang hat seine Aufgabe; was früher geschehen ist, geht die folgende Classe nichts mehr an. Wenigstens in den Lehr- büchern, welche ich kenne, ist es ängstlich vermieden, den jeweiligen Stoff des früheren Jahrganges zu wiederholen. Dafür wird in der Geographie jedes Land dreimal behandelt, und zwar immer von einer anderen Seite. Würde man in einer Classe ein Land so eingehend darstellen, als es auf der betreffenden Stufe überhaupt möglich ist, dann hätte man vielleicht dadurch ein unauslöschliches Bild im Geiste des Kindes erzeugt, welches zugleich das Verständnis ähnlicher oder entgegengesetzter Vorkommnisse auf Erden erleichtert. Allein man darf nicht zu lange bei einem Lande verweilen; der concentrische Lehrgang verlangt, dass wir mit Eilzugsgeschwindigkeit weiterrasen, um im Laufe eines Jahres den Erdball zu bewältigen.

Die Ziller’sche Schule geht allerdings noch viel weiter; unter dem . Vorwand, die Culturgeschichte als Mittelpunkt des Gesammt- unterrichtes hinzustellen, hat man in ein Lesestück Geographie und Naturgeschichte, Grammatik und Religion, Rechnen und Raumlehre hineingestopft; dieses »Schwören auf die Worte des Meisters« wirkte lange durch die Neuheit und Absonderlichkeit, aber schließlich merkte man doch die Verwirrung, welche in den Köpfen der Jugend entstand, und die Zerstreutheit, in welche sie verfiel, und gieng davon wieder ab. Die verdienstlichen Leistungen der Annaberger Lehrer sind allen bekannt; aber ihre concentrischen Lehrgänge in Geschichte sind nicht besser als alle anderen; sie leiden an Zerrissenheit und Zusammenhang- losigkeit. Immer, wenn der Schüler in den Geist einer Geschichtsepoche eingedrungen, darin warm geworden ist, wird abgeblasen; man springt von den Perserkriegen zu Alexander d. Gr., von den Öttonen zu Rudolf von Habsburg, von Ferdinand III. zu Maria Theresia. Die Fortsetzung kommt im nächsten oder zweitnächsten Schuljahre; dann mag man zusehen, den Zusammenhang herzustellen, indem man an das Gedächtnis die stärksten Anforderungen stellt. Zu welchem Zwecke ? Damit das Kind in jedem Jahre »von allem etwas« erhasche oder damit auch diejenigen Schüler »ein wenig Neuzeit« lernen, die nur

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eine Classe der Bürgerschule besuchen. Ja, macht man denn die Lehrpläne für die minderwertigen Kinder? Und wenn das der Fall sein sollte, kann man dann wirklich behaupten, dass die Kinder einen Gewinn davon haben, wenn sie geschichtliche Ereignisse ohne Zusammen- hang auswendig lernen? Ist das ein Vorgehen vom Leichten zum Schweren? Sind die Salier leichter zu begreifen als die Stauffen ? Oder ist Maria Theresia leichter zu fassen als ihr großer Sohn? Die fran- zösische Revolution lernt man schon mit ıı oder ı2 Jahren; aber die Kriege Napoleons kann erst ein 14-jähriges Gehirn erfassen. Und doch passt gerade das Alterthum mit seinen einfachen Verhältnissen aus methodischen Rücksichten besser für die untere Stufe; man versteht die Verfassung des Solon oder die des Servius Tullius viel leichter als das Statut der Wiener Gemeinde; der Bürgerkrieg in Griechenland wird eher begriffen als der dreißigjährige Krieg, der mit demselben eine merkwürdige Ähnlichkeit hat, aber durch die religiösen Triebfedern verwickelter erscheint. Also warum das zerstückeln, was zusammen- gehört? Unser eifriges Mitglied, Herr Dir. Zwilling, hat vor Jahren den Versuch entwickelt, den geschichtlichen Stoff nach Personen, Volksindividuen und Staaten zu gliedern; ich weiß nicht, ob mein geschätzter Freund heute noch an dieser Anschauung festhält. Seither hat sich die experimentelle Psychologie in ungeahnter Weise ent- wickelt, und Herr Dir. Zwilling verfolgt ja diese Entwicklung. Wir erinnern uns noch an die Darlegungen des für die Wissenschaft und unsere Gesellschaft zu früh verschiedenen Dir. Hannak. Wir wissen, dass die Vorstellungen durch Reize bestimmter Punkte auf der Gehirn- rinde entstehen, dass jeder Reiz eine chemische Umgestaltung der Zellen hervorruft, dass jede Art von Vorstellungen ihren bestimmten Sitz daselbst hat, dass Raumvorstellungen an einem anderen Orte zu suchen sind, als Zeitvorstellungen u. s. w.; dass die Verbindung von Begriffen verschiedener Art eine größere Denk- arbeit verlangt, dass daher nur Gleichartiges und innerlich Verwandtes nebeneinander genommen werden soll. Diese Thatsachen drängen ja förmlich zu einer wirklichen Con- centration, verbieten aber das Gegentheil davon, nämlich die angeblich concentrischen Lehrgänge. Nicht anders ist es in der Physik; die in der Wärmelehre entwickelten Begriffe kommen nicht zur voll- ständigen Verarbeitung; denn es muss rasch zum Magnetismus, zur Elektricität geeilt werden, nur damit das »Princip« gerettet erscheine. Das Publicum begreift diese Zerhackung dessen, was zusammengehört,

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nicht und betrachtet auch darum die Bürgerschule als minderwertig. Die concentrischen Lehrgänge sind das Kainszeichen der Bürgerschule, welche es verhindern, dass sie ein besseres Material erhält, dass sie in die Lage komme, zu zeigen, was sie eigentlich will und soll, nämlich die Hebung der Intelligenz des zahl- reichen Kleinbürgerthums.

Man hat gesagt, mit der Zeit würden schon die geeigneten Bücher kommen; Jahrzehente sind verflossen, ohne dass diese Voraus- sage sich erfüllt hätte; das Gegentheil ist aber eingetreten; befähigte Männer lehnen die Aufforderung eines Verlegers, ein Lehrbuch der Geschichte für Bürgerschulen zu schreiben, mit der Begründung ab, dass sie mit den concentrischen Lehrgängen nichts anzufangen wüssten. Aus diesen Gründen scheint es an der Zeit zu sein, dass die Wiener pädagogische Gesellschaft es einmal klar und unzweideutig ausspreche, was sie unter Concentration des Unterrichtes versteht; dass sie erkläre, die concentrischen Lehrgänge könnten in einigen Fächern, wie: Sprache, Rechnen, Geometrie, Somatologie und Himmelskunde, strenger als bisher durchgeführt werden, dass aber die Anwendung dieser Lehrgänge auf Geographie, Geschichte, Physik und Naturgeschichte entschieden auf einer missverständlichen Auffassung des Princips beruhe, denn die concentrischen Lehrgänge können da nicht nutz- bringend angewandt werden, wo das Wesen des Gegenstandes ein längeres Verweilen bei einem Abschnitte, eine Anknüpfung an das unmittelbare zuvor Gelehrte, verlangt.

Wenn die »Wr. pädagog. Gesellschaft« für diese gleichsam in der Luft liegende Verbesserung der Lehrpläne ihre Stimme erhebt, wird diese nicht verhallen; alle diejenigen, welche an der Hebung und Ausgestaltung der Bürgerschule ein Interesse haben, werden sich uns anschließen; und dieses Aschenbrödel unserer gesammten Schulorga- nisation wird endlich zu seinem Rechte gelangen, nämlich dem Rechte, an der Hebung des Bildungsgrades der Masse, an der Verbreitung nützlicher Aufklärung in den mittleren und unteren Ständen mit Erfolg zu arbeiten.

Ich beantrage daher folgenden Beschluss, indem ich mir vorbehalte, die endgiltige Formulierung erst nach beendeter Debatte vorzu- nehmen:

»Die » Wiener pädagogisshe Gesellschaft« drückt die Überzeugung aus, dass die möglichste Concentration des Unterrichtes auf allen Stufen der Volks- und Bürgerschule eine Nothwendigkeit sei. Die Concentration

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versteht sie dahin, dass alle Unterrichtsstoffe, nach Möglichkeit und ohne Verwirrung zu schaffen, ineinandergreifen, sich gegenseitig stützen und befestigen; dies geschieht durch fleißige Wiederholung des in früheren Jahren behandelten Stoffes, durch Zusammenfassung des Zusammengehörigen und Klarlegung solcher Begriffe, die etwa in ein anderes Fach gehören. Sie glaubt, dass in einigen Fächern der Bürger- schule eine stärkere Concentration angezeigt sei, als sie in den vor- handenen Lehrbüchern durchgeführt erscheint. Sie hält jedoch die Anwen- dung einer Art concentrischer Methode beim Unterrichte in Geographie, Geschichte, Physik und Naturgeschichte, wobei das Zusammengehörige willkürlich getrennt und die Wiederholung erschwert wird, für eine missbräuchliche Anwendung des Begriffes der Concentration.«

Aus der Debatte.

S. Kuhner. Zur Unterstützung der concentrischen Kreise wird angeführt, dass viele Schüler nicht die oberste Classe erreichen, daher in jedem Gegenstande das Wesent- lichste erlernen sollen. Aber nicht die concentrischen Kreise können hier Abhilfe schaffen, sondern die Errichtung von Abschlussclassen für diejenigen Schüler, welche nicht mit der nöthigen Reife für die Bürgerschule ausgestattet sind und nur mehr kurze Zeit hindurch schulpflichtig sind. Für diese Abschlusscelassen soll ein eigener Lehrplan aufgestellt werden, so werden die übrigen, aufgestiegenen Schüler leistungs- fähiger sein können. Dass die concentrischen Kreise sich nicht bewährt haben, muss zugegeben werden; selbst die Autoren der Geschichtsbücher sind unsicher und nehmen in der Gruppierung des Stoffes oft ganz merkwürdige Veränderungen vor.

M. Zens. Der H. Vortragende hat erklärt, dass er sich vorbehalte, die endgiltige Formulierung seines Beschlussantrages erst nach durchgeführter Debatte vorzunehmen. Meines Erachtens lässt sich die Frage der concentrischen Lehrgänge nicht derart in einen Satz kleiden, dass dieser für alle Unterrichtsgegenstände und besonderen Schul- verhältnisse genügend ausführlich und giltig ist, sondern es müssen, wenn anders die Berathung einen Gewinn für die Schulpraxis ergeben soll, die Lehrgegenstände einzeln und in Beziehung auf die für uns in erster Linie stehende Schulgattung besprochen werden. So z. B. wird meines Erachtens die Untersuchung bezüglich des Geschichts- unterrichtes an Bürgerschulen nicht zu dem Hrgebnis führen, welchem der H. Vortragende zustrebt.

Den geschichtlichen Lehrstoff in der Weise zu vertheilen, dass die Hauptabschnitte Alterthum, Mittelalter und Neuzeit auf je ein Jahr, bezw. eine Classe gelegt sind, hat sich überall dort bewährt, wo die Voraussetzung hiefür, nämlich eine ständige Schüler- zahl, gegeben ist, also in der Realschule, im Gymnasium; ja auch in der Bürgerschule

war diese Vertheilung ganz zweckmäßig, solange die Bürgerschule neben der Volks-

schule in sogenannten parallelen Jahrgängen sich aufbaute und darauf rechnen konnte, ihre Schülerschaft bis zum Abschlusse der obersten Classe und unbekümmert um die

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bei einzelnen Schülern eintretende Schulmündigkeit beisammen zu behalten. Unsere heutige Bürgerschule aber kann diese Auftheilung der geschichtlichen Begebenheiten nicht mehr gebrauchen, und zwar aus dem einleuchtenden Grunde, weil die übergroße Mehrzahl der Schüler die Bürgerschule vor Absolvierung aller drei Classen verlässt, und weil für die Stoffvertheilung trotz aller Einwürfe die Rücksicht auf die Mehrheit maßgebend sein muss. Der H. Vortragende hat jedoch bei Begründung seiner Forderung nach Änderung des gegenwärtig vorgeschriebenen Lehrganges geradezu vorausgesetzt, dass die Mehrzahl der Schüler bis zur Beendigung des letzten Jahrescurses ausharre.. Nach den Angaben des sehr verlässlichen »Statistischen Jahrbuches der Stadt Wien« berechnen sich die Procentzahlen für die Schülermenge in den Wiener Bürgerschulen, wenn der Durchschnitt für die Schuljahre 1891/92 bis einschließlich 1897/98 genommen wird, auf 51°29 für die erste, auf 32°04 für die zweite und auf 16°67 für die dritte Classe*). Es bleibt daher von den Kindern, welche in die erste Bürgerschulclasse eintreten, nur ein Drittel für die dritte Classe übrig, wobei noch zu bemerken ist, dass als Erhebungs- tag der erste October angenommen ist, also ein Zeitpunkt, in welchem der Austritt von Schülern (infolge erreichter Schulmündigkeit) noch nicht fühlbar wird, welcher Austritt bekanntlich am häufigsten im zweiten Jahre der auf die Bürgerschule entfallenden Schulzeit stattfindet. Angesichts dieser Zahlen kann an den concentrischen Tehrgängen nicht gerüttelt werden, es müsste denn eine andere Schulenorganisation vorausgesetzt werden. Es ist aber durchaus nicht zu empfehlen, die Frage der Umgestaltung unserer Bürgerschule, wenn sie auch in diesen Erörterungen eine primäre zu sein scheint, aus- führlicher in die Debatte einzubeziehen, und zwar deshalb, weil ein so wichtiger Gegen- stand nicht als Anhängsel zu einer methodischen Frage, sondern selbständig behandelt

*) Procentzahlen über die Vertheilung der Schülermenge auf die einzelnen Classen der Wiener Bürgerschulen, 1891—1897.

schnitt 902 32° 18:06 | 51°29 > 16°67

Anmerkung 1. Die Durchschnittsprocentzahlen für den zehnjährigen Zeitraum von 1880 bis 1389 betragen für Wien: 1. Classe 53:22, 2. Classe 31'237, 3. Classe 1551.

Anmerkung 2. Schülerzahl am 1. October 1897: 17.357 Knaben, 20.670 Mädchen, zusammen 33.027 Bürgerschüler in 763 Classenabtheilungen (353 Knabenclassen und 410 Mädchenclassen).

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werden soll, und weil die derzeitigen öffentlichen Verhältnisse, und hiebei sind poli- tische, sociale und kirchliche inbegriffen, nicht darnach angethan sind, die Lösung einer solchen Frage günstig zu beeinflussen. Wir müssen daher daran festhalten, dass sich das Unterrichtsverfahren nach der Unterrichtsstufe, nach den wirklich vorhandenen Verhältnissen zu richten hat. Und weil kein Bürgerschüler verpflichtet werden kann, alle drei Classen der Anstalt zu besuchen, und weil thatsächlich von der ersten bis zur letzten Classe die Schülerzahl gleichförmig im Verhältnisse von 3:2: 1 abnimmt, so muss jedes Schuljahr einen relativen Abschluss geben, so schwierig dies auch sein mag.

Der H. Vortragende ist der Überzeugung, dass namentlich im Geschichtsunterricht der concentrische Lehrgang große Schwierigkeiten schafft, und ich stimme ihm voll- ständig bei, wenn ich das landläufige Ausmaß des Geschichtsstoffes im Auge behalte. Aber hier sind wir am entscheidenden Wendepunkte angelangt: Unsere heutige Orga- nisation der Elementarschule verlangt eine ganz ausgiebige Beschränkung in Bezug auf den Umfang des Geschichtsunterrichtes. Diese Beschränkung braucht keinen besonderen Ausdruck in den ministeriell vorgeschriebenen Lehrplänen zu finden, denn die allgemeine Fassung derselben gestattet ausreichend die nach den jeweiligen Schulverhältnissen gebotene Bewegungsfreiheit. Dagegen muss ausgesprochen werden, dass diejenige Ausgestaltung des Geschichtsunterrichtes, welcher die Lehrerschaft in dem ganz außer- gewöhnlichen Berufseifer der ersten Neuschulzeit zustrebte, sowie die Form und Aus- dehnung, in welcher der Stoff in den approbierten Hilfsbüchern dargeboten wird, unmöglich für alle Bürgerschulen festgehalten werden kann. Was übrigens die Lücken- losigkeit anbelangt, die bei der Vertheilung je eines großen Zeitabschnittes auf je eine Classe angeblich erreicht werde, so kann dieselbe nur eine relative sein, und zwar ebenso relativ wie bei den concentrischen Lehrgängen. Unsere Wiener Bürgerschule hat schon verschiedene Entwicklungsphasen durchlaufen, ohne dabei etwas gewonnen zu haben; die Leistungsfähigkeit, welche die Bürgerschule zeigte, als mit ihr parallel die Alters- stufen und Classenabtheilungen der allgemeinen Volksschule giengen, war eine andere, als sie gegenwärtig sein kann, wo die oberen Jahrgänge der im schulpflichtigen Alter stehenden Jugend insgesammt der Bürgerschule zugewiesen sind; auch die strenge Vorschreibung der Schulsprengel, durch welche der Schülerkreis festgelegt und die Freizügigkeit der Schulparteien eingeschränkt oder aufgehoben wurde, hat sich an vielen Anstalten unangenehm bemerklich gemacht. Alle die Lehrer oder doch die meisten welche in der ersten Zeit der Bürgerschule an dieser Anstalt Geschichtsunterricht ertheilt hatten, und zwar zunächst nach der,von der Mittelschule überkommenen Stoffvertheilung, wurden durch die später anbefohlenen concentrischen Lehrgänge beunruhigt; zudem war in den ersten nach concentrischen Lehrgängen zugeschnittenen Lehrbüchern der zusammen- gehörige Stoff in unglaublich naiver, um nicht zu sagen leichtfertiger Weise zerstückelt worden. Die Lehrer waren nach und nach gezwungen, ihre Anforderungen an sich und an die Schüler zu ermäßigen, und sie thaten es in dem niederdrückenden Gefühle, nicht mehr auf der alten Höhe der Leistungsfähigkeit zu stehen. Dieses Gefühl aber musste bald der verstandesmäßigen Erwägung weichen, dass für die Bürgerschule der extensive Betrieb des Geschichtsunterrichtes überhaupt nicht zu empfehlen sei. Wir haben hier an die Bestrebungen zu denken, welche seit langem darauf gerichtet sind, aus der Fülle der verschiedenen Lehrstoffe das minder Wesentliche auszuscheiden, den ausgewählten Stoff aber der völligen geistigen Verarbeitung zuzuführen. Auch in den Kreisen der Wiener pädagogischen’ Gesellschaft kamen diese Bestrebungen vielfach zum Ausdruck, insbesondere aber erinnere ich mich noch recht lebhaft an den Mahnruf,

ni __ ii pie. mil; cl u.

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den Dittes im ersten Jahrgang der Monatsschrift »Pädagogium« unter dem Titel: »Sichtet die Lehrstoffe!« an die Lehrer gerichtet hat*).

In Würdigung der gegenwärtigen inneren und äußeren Schulverhältnisse müssen

wir uns manche fühlbare Beschränkung auferlegen, namentlich im Geschichtsunterrichte. Wir müssen eben mit der Thatsache rechnen, dass von den Schülern der ersten Bürger- Schulclasse nur mehr ein Drittel in die dritte Classe gelangt; und auch wenn die Wünsche derjenigen erfüllt würden, welche die Bürgerschule ihrer Eigenschaft als Pflichtschule entkleiden und zu einer Art Mittelschule gestalten wollen, so bliebe noch immer die achtjährige Schulpflicht und eine achtjährige Volksschule, deren obere Jahr- gänge, gleichgiltig, ob sie in eine einzige Classe vereinigt oder auf mehrere Classen auf- getheilt wären, dieselbe Erscheinung des allmählich eintretenden Schulmündigwerdens zu beachten hätten. Auf das tiefste zu beklagen ist, dass jedes Kind mit dem Tage, da es das 14. Lebensjahr erreicht, das Entlassungszeugnis erwerben und die Schule auch mitten im Schuljahre verlassen kann. Für jedes einzelne Schuljahr einen verhältnis- mäßigen Abschluss zu geben, ist möglich ; nicht möglich aber ist es, einen solchen Abschluss jedes Quartal, jeden Monat, für jeden Fall der Entlassung eines schulmündigen Kindes zu geben. Es ist nimmermehr eine achtjährige Schulpflicht, wenn die Kinder einen für den ganzen Jahrgang gemeinsamen Eintrittstag haben und den Austritt beliebig nach Vollendung des 14. Lebensjahres statt nach Beendigung von acht Unterrichtsjahren vor- nehmen dürfen. Freilich hätte das Gesetz schon vorsorgen sollen, etwa durch Aufnahme des in verschiedenen reichsdeutschen Schulgesetren enthaltenen Wortlautes: »Die Schul- pPficht beginnt mit dem auf das vollendete sechste Lebensjahr folgenden Aufnahms- termine und endet mit dem auf das vollendete 14. Lebensjahr folgenden Entlassungs- termin.« In den ersten Jahren der Neuschule war in Wien ein Austritt vor Beendigung des Schuljahres nicht üblich; erst durch Landesschulrathsbeschluss vom 29. December 1875, Z. 8085, wurde die derzeitige Praxis allgemein eingeführt, und nach dem ange- führten Erlasse der Landesschulbehörde bleibt es ausdrücklich der Einflussnahme der Schulleiter und Lehrer überlassen, »ihre Schüler dahin zu vermögen, dass sie auch über die Dauer der Schulpflicht bis zum Momente eines geeigneten Abschlusses die Schule freiwillig besuchen.« Aus dem gleichen Grunde sollten alle Befreiungen oder Schul- besuch sserleichterungen während des Schuljahres entfallen; die Entlassung gehört an das Ende des jeweiligen Schuljahres.

Wir sehen, wie sehr die Frage des methodischen Verfahrens mit der Organi- sationsfrage zusammenhängt; rechnen wir nun auf die Fortdauer der gegenwärtigen Schulgestaltung, so müssen wir im Geschichtsunterrichte bei den concentrischen Lehr- Sängen verharren, das stoffliche Ausmaß jedoch ganz bedeutend einschränken. Über die Art der Beschränkung des geschichtlichen Stoffes, beziehungsweise darüber, was @uszuscheiden und auszuwählen sei, und in welcher Anordnung das Ausgewählte für die Zwecke der Bürgerschule behandelt werden soll, rnüsste wohl eine besondere Debatte und ganz eingehend geführt werden.

Dr. J. Kraus. Der Ausdruck »concentrische Methode« ist unglücklich gewählt; ern _

*) „Zeit, hohe Zeit ist es gewiss, dass sämmtliche in unseren Lehrplänen gangbaren Unterrichts- aafe und Pensa einer ernstlichen Prüfung unterzogen werden, damit man die Spreu vom Weizen scheiden könne.“ „Unseren Schulen droht weit mehr die Gefahr, durch Überfluss an Lehrstoffen erdrückt zu werden, als die Gefahr, durch Mangel an Lehrstoffen zu verkümmern.“ „Manches wird sich auch bessern lassen durch eine zweckmäßigere Anordnung und Behandlung der Lehrstoffe.* »Sichtet die Lehrstoffe (Pädagogium I., p. 272.) a

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besser wäre dafür zu setzen: »Concentrische Lehrgänge.«e Die concentrische Methode ist eigentlich gar keine Methode und bedeutet nur eine Zerstückelung des Stoffes. Es ist nicht richtig, dass nach dem Gesetze der Schüler mit dem vierzehnten Lebensjahre die Schule verlassen kann, es besteht bis jetzt keine klare Verordnung, welche bestimmen soll, dass der Schüler das ganze Schuljahr absolviere.

A. Kunzfeld. Man kann mit vielen Ausführungen des H. Vortragenden einver- standen und doch ein Freund der concentrischen Methode sein, besonders was das Zeichnen anbelangt. Wie vor mehr als zwanzig Jahren diese Methode vielen als Ideal erschien, so wird heute gegen dieselbe angekämpft und einheitlichen Lehrbüchern der Bürgerschule das Wort geredet.

V. Zwilling findet, dass die Idee der Concentration des Unterrichtes im Sinne des Herrn Vortragenden nicht von Herbart, sondern von Pestalozzi herstammt, der die Gewinnung alles Wissens durch den Unterricht auf die im Leben gewonnenen Vor- stellungen aufgebaut wissen will. Die Idee der Concentration nach den Grundsätzen der Herbart’schen Schule strebt aber nach einer concentrischen Verquickung aller Unter- richtsgegenstände und droht dadurch die klare Übersicht in jedem einzelnen Gegen- stande zu gefährden. Noch gefährlicher sei die übliche Durchführung der sogenannten concentrischen Lehrpläne, da bei vielen Gegenständen das künstliche Auseinanderreißen zusammengehöriger Stoffe und das Auftheilen derselben in verschiedene Schuljahre jeder psychologischen Begründung entbehre. Wie könne man beispielsweise im Geographie- unterrichte begründen, dass in der I. Bürgerschulclasse nur die Oro- und Hydrographie aller Länder der Erde behandelt wird, der 2. Classe aber die politische Geographie zufällt, während es doch jedem Lehrer darum zu thun sein müsse, bei seinen Schülern ein harmonisches Gesammtbild jedes einzelnen Landes zu erzeugen. Die Vertheidigung der concentrischen Stoffvertheilung vom ausschließlich praktischen Standpunkte aus sei nicht gerechtfertig, wenn nicht vorher ihre psychologische Richtigkeit festgestellt sei, und auch ihr durch Jahrzehnte geübter praktischer Gebrauch habe nicht Erfolge aufzuweisen, die für dieselben zu erwärmen vermöchten.

M. Binstorfer. Die Angelegenheit muss auch vom praktischen Standpunkt aus geprüft werden; es muss alles klargelegt werden, was zum Verständnisse noth- wendig ist. In einigen Fächern könnte stärker »concentriert« werden, heißt es; doch ist die gestellte Frage nur an der Hand der Lehrbücher zu beantworten. Zugleich muss über die Stoffvertheilung in den einzelnen Gegenständen gesprochen werden, um zu einem gedeihlichen Abschlusse zu gelangen. Redner ist für eine vorläufige. »Zurkenntnis- nahme« der vorgelegten Entschließung, die eigentliche Beschlussfassung sei aber zu vertagen, bis die Versammlung in der Lage ist, an der Hand der einzelnen Lehrbücher ihr Urtheil über die concentrischen Lehrgänge zu begründen, bezw. über endgiltige Abänderungsanträge schlüssig zu werden.

Vortragender D. Simon. Von allen Seiten werde Missmuth und Verdrossenheit gegen die concentrischen Lehrgänge geäußert; es würden sich viele Kreise um die Fahne der Wiener pädagogischen Gesellschaft sammeln, wenn diese klipp und klar erklärte, dass es so nicht fortgehen dürfe. Der Einwand, dass zuvor für jedes Fach ein Berichterstatter zu ernennen sei, bevor man schlüssig werden könne, ist nicht stich- hältig, weil der Lehrgang in dem Wesen eines jeden Gegenstandes liege. Man behandle in der ersten Classe das Alterthum, in der zweiten das Mittelalter, in der dritten die Neuzeit. Die vaterländische Verfassung ist dann die Resultierende des angesammelten Wissens. Aus der Physik wären in der ersten Classe gleichsam als Vorbereitungs-

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unterricht die allgemeinen Eigenschaften der Körper nebst der Wärmelehre, in der zweiten Magnetismus, Elektricität und Akustik, in der dritten Mechanik und Optik zu nehmen. Die Zoologie werde in die beiden ersten Semester der ersten und zweiten Classe verlegt; die Botanik in die Zeit vom März bis zu Ende ebenfalls in beiden Jahren; der dritten Classe kommt Mineralogie in Verbindung mit Chemie zu. Es sei nur Zeitverlust oder ein »ehrenvolles Begräbnis« seines Antrages, den Gegenstand nicht zum Abschlusse zu bringen. Redner gibt dem von ihm beantragten »Beschlusse« folgenden endgiltigen Wortlaut: »Die Wiener pädagogische Gesellschaft erachtet die Concentration des Unterrichtes auf allen Stufen als unbe- dingt nothwendig; sie findet, dass der gegenwärtig geltende Lehrplan in einzelnen Fächernnach dieser RichtunghindieConcentration nicht genügend fördert; sie verwirft aber die sogenannten concentrischen Lehrgänge in Geographie, Geschichte, Naturgeschichte und Physik, als mit dem richtigen Begriff der Concentration in Widerspruch stehend, vollständig.«

(Die Versammlung nimmt den Beschlussantrag zur Kenntnis.)

III.

Über die Revision des Normallehrplanes für fünfclassige Volksschulen, in welchen jeder Classe ein Schuljahr entspricht.

Vorgetragen in der VI. niederösterr. Landes-Lehrerconferenz am 14. September 1898 von JOSEF KRAPFENBAUER.

Vorbemerkung. Das vorstehende Thema wurde vom hohen k. k. nieder- österreichischen Landesschulrathe auf die Tagesordnung der niederösterreichischen Landes- Lehrerconferenz gesetzt, in welcher Versammlung der Verfasser der nachfolgenden Abhand- lung als Hauptberichterstatter fungierte. Der Gegenstand ist auf Grund einer Denk- schrift des niederösterreichischen Landes-Lehrervereines, sowie der Protokolle derjenigen Wiener Bezirks-Lehrerconferenzen, die darüber eine Berathung geführt, endlich auf Grund der einschlägigen Beschlüsse des löbl. Wiener Bezirksschulrathes behandelt; die hierauf bezügliche Einleitung des Referates mit den Einzelnangaben der verschiedenen Forderungen und Beschlüsse wurden vom Abdruck ausgenommen.

Um von vorneherein meinen Standpunkt offen zu kennzeichnen, erlaube ich mir darzulegen, dass ich bei der Abwägung des den ein- zelnen Classen zuzutheilenden Lehrstoffes von anderen Leitmotiven ausgegangen bin, als es die Denkschrift (wenigstens in ihrer Ein- leitung) thut. Es heißt daselbst: »...., so hat doch die Erfahrung gezeigt, dass im Hinblick auf unsere wirtschaftlichen Verhältnisse, namentlich aber auf den in vielen Gegenden unseres Kronlandes noch sehr mangelhaften Schulbesuch und die ausgedehnte Inanspruchnahme der Schulbesuchserleichterungen eine Reform der bestehenden Lehr- pläne in hohem Grade wünschenswert wäre.« Darauf muss ich sagen: Nein! Die Erfahrung kann nur gezeigt haben, dass diese abnormalen Verhältnisse, welche freilich zum größten Theile das Land betreffen, aber doch auch in der Stadt sich fühlbar machen, unhaltbar sind und daher gebessert werden müssen; aber nie und nimmer kann jemand einen Normallehrplan auf Grundabnormaler Verhältnisse ausarbeiten. Unser Schulwesen käme da auf eine abschüssige Bahn, auf welcher es keinen Halt mehr gäbe, denn die Verschlechterung des Lehrplanes

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würde die wirtschaftlichen Verhältnisse gewiss nicht bessern, sondern eher beitragen, sie noch mehr zu verschlechtern, was wieder eine weitere Verschlechterung des sogenannten Normallehrplanes zur Folge haben könnte, wenn dieses Princip anerkannt würde.

Mein pädagogisches Pflichtbewusstsein sagt mir, es müsse aus- gesprochen werden, dass nur logische und pädagogische Gründe bei Revision des Normallehrplanes maßgebend sein können, von dem doch behauptet werden kann, dass er schon bei seiner ersten Anlage den pädagogischen Grundsatz der Culturgemäßheit genügend berück- sichtigt habe.

Lehrziele. Die in den Normallehrplänen gesteckten Lehrziele sollen, übereinstimmend mit dem Wunsche der Denkschrift, bei dieser Revision vollständig unverändert bleiben.

Für die einzelnen Classenziele der verschiedenen Lehrgegen- stände beehre ich mich nun, folgende Vorschläge einer geneigten Wür- digung zu unterbreiten.

Lesen. Im Sinne der Denkschrift und in Übereinstimmung mit sämmtlichen Bezirks-Lehrerconferenzen Wiens, sowie mit dem löbl. Wiener Bezirksschulrathe beantrage ich: »Die Kenntnis des Antiquadruckes sei erst im 2. Schuljahre zu vermitteln.« Um jedem Missverständnisse vorzubeugen, möge es im Lehrplane für Lesen, I. Schuljahr, heißen: »Einübung der Laute und deren Zeichen in deutscher Schreib- und Druckschrift;« und für das 2. Schuljahr möge im Lehrplan nach dem Satze: »Lautrichtiges Lesen mit genauer Beachtung der Satzzeichen« das Wort »Antiqua- druck « eingefügt werden.

Sprache. In diesem wichtigsten Gegenstande der Schule handelt es sich im Sinne der Denkschrift um drei Hauptpunkte: I. um eine Verschiebung einzelner Partien auf höhere Stufen; II. um eine Ver- minderung des grammatischen Stoffes; II. darum, ob eine Ver- mehrung der Sprachstunden, wie sie die Denkschrift später auf Kosten des Zeichnens fordert, in der 5. Classe einzutreten habe.

Aus praktischen Gründen will ich den letzten Punkt zuerst abhandeln. Unsere V. Classe enthält das 5. Schuljahr und hat wöchentlich drei Zeichenstunden; in fünfclassigen Schulen mit allen d Schuljahren umfasst die V. Classe das 6., 7. und 8. Schuljahr und

hat wöchentlich vier Zeichenstunden. Diese mystische Stelle der Denkschrift hat den Wiener Bez.-Conferenzen viel Debattenstoff gegeben. Sechs Conferenzen haben eine Vermehrung der Sprachstunden in der

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V. Classe um eine Stunde wöchentlich beantragt, aber woher sie nehmen, darüber war man uneinig. Die einen wollten sie vom Zeichnen, die anderen vom Schönschreiben, eine Conferenz wollte sie sogar den Realien nehmen. Ä

Der löbl. k. k. Bezirksschulrath geht auch ein auf eine Ver- mehrung der Sprachstunden in der 5. Classe, aber nicht auf Kosten eines andern Gegenstandes, sondern durch Erweiterung der wöchentlichen Unterrichtszeit um eine Stunde. Ich erlaube mir aber, gegen alle diese Vorschläge zu sprechen, und hoffe Zustim- mung zu finden, und zwar aus folgenden Gründen: ı. Weil jeder Lehrgegenstand die ihm zugewiesene Zeit braucht. Jeder Geschäfts- und Handelsmann braucht heutzutage Zeichenfertigkeit, tüchtige Real- kenntnisse und eine schöne Handschrift. 2. Weil ja ohnehin eine Verringerung des trockenen grammatischen Wissens vorgeschlagen wird. 3. Weil es im Belieben des Lehrers liegt, jede Stunde, besonders die Lehrstunden der Realien, dem mündlichen :und schriftlichen Gedanken- ausdrucke, also dem Sprachunterrichte, dienstbar zu machen. 4. Weil endlich eine Vermehrung der wöchentlichen Stundenzahl auch nicht zu empfehlen ist, da die 26 wöchentlichen Lehrstunden für das V. Schuljahr gerade genug sind und eine 27. Stunde einer Überbürdung nahe- käme.

Darum beantrage ich: Es möge das bisherige Stunden- ausmaß für den Sprachunterricht in der V.Classe, welche dem 5. Schuljahre entspricht, beibehalten werden, d.ı. 6 Stunden wöchentlich für Knaben und 5 Stunden für Mädchen. M

Nun komme ich zur näheren Ausführung der ersten 2 Haupt- punkte: Verschiebungen und Verringerungen. Da wurden die verschie- densten Vorschläge gemacht, und es war schwer, den Kern heraus- zuschälen. Der Kern aber war der: das trockene grammatische Wissen muss verringert werden, um Raum zur Übung des münd- lichen und schriftlichen Gedankenausdruckes zu gewinnen. Dem stimmt auch der löbl. Wiener Bezirksschulrath erfreulicherweise bei. Es ist nun bei Besprechung der Details streng zu unterscheiden zwischen Forderungen des Normal- und Detaillehrplanes (den Lehrgängen) und dem, was die Sprachbücher bringen. Wir haben heute den Normal- lehrplan zu besprechen und nur insofern die Lehrgänge und Bücher zu streifen, als der erstere maßgebend sein muss für die Verfassung der beiden letzteren.

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Die Klage, dass die IV. Classe, d. ı. das vierte Schuljahr, mit grammatischem Stoff überlastet sei, ist eine allgemeine. Eine Ent- lastung könnte eintreten, indem man die Stelle des Normallehrplanes: sämmtliche Redetheile« durch folgende ersetzt: »die Redetheile mit Ausnahme des Bindewortes, des bezüglichen und fragenden Fürwortes und des Empfindungswortes,< da man diese Wortarten erst beim zusammengesetzten Satze in der V. Classe zur Anwendung und zum richtigen Verständnisse bringen kann. Auch müsste logischerweise die Stelle: »Unterscheidung des einfachen vom mehrfachen Satze« gestrichen werden. Wenn es sich nur um eine mechanische Unterscheidung handeln soll, ist die Forderung überflüssig, denn so gut oder so schlecht als die Schüler der Unterstufe ein Gedicht von einem Prosastück unterscheiden können, so können auch die Schüler der IV. Cl. durch die genaue Kenntnis des erweiterten einfachen Satzes diesen vom mehrfachen Satz unterscheiden. Eine auf sprachwissenschaftlicher Grundlage ruhende Unterscheidung würde aber dem Durchnehmen der ganzen Formen- und Satzlehre in der IV. Classe wieder Thür und Thor öffnen. Was nun das Hinausschaffen des sogenannten trockenen grammatischen Wissens anbelangt, so kann sich das nicht allein auf die IV. Classe, sondern muss sich auf die ganze Volksschule beziehen; auch bietet sich in den einzelnen Classenzielen keine Handhabe zu einer Streichung dieserhalb, weil es ın den Normallehrplänen nirgends ausdrücklich verlangt ist, sondern hauptsächlich durch Verschulden der Lehrgänge und Lehrbücher in die Volksschule eingeführt wurde. Aus diesen Gründen werde ich beantragen, durch eine Anmerkung am Schlusse des Lehrplanes für Sprachlehre das bloß sprachwissenschaftlich inter- essante grammatische Wissen ohne praktischen Wert, natürlich genauer gekennzeichnet, aus der Volksschule auszuschließen.

Im Lehrplane der V. Classe, d. i. des V. Schuljahres, soll die Unterscheidung des zusammengezogenen Satzes von anderen Sätzen fallen gelassen werden. Es möge diese Stelle bloß lauten: ». . der zusammengesetzte Satz im allgemeinen« und dazu die aus der IV. Classe gestrichene Stelle: »ssämmtliche Redetheile.« Der zusammengezogene Satz ist thatsächlich oft schwer vom zusammen- gesetzten zu unterscheiden, es steht oft als gemeinschaftliches Satz- glied ein einziges Wort; oft kann man den sogenannten zusammen- gezogenen Satz gar nicht in jene Theile auflösen, aus welchen er angeblich zusammengezogen worden sein soll. (Beispiele: »Vater,

32 Mutter und Kinder bilden eine Familie.« »Zwei und zwei ist vier.e »Ich liebe meinen Vater und meine Mutter,« gibt logisch zusammen- gezogen: »Ich liebe meine Eltern jetzt ist aber der Satz grammatisch ein einfacher.) Was die rein sprachwissenschaftlichen Unterscheidungen, die sogenannten trockenen Partien der Grammatik, anbelangt, so ge- hören sie nicht in die Volksschule, denn sie verleiden den Kindern die Lust am Sprachunterrichte, was durch eine langjährige Erfahrung an uns selbst wie an unseren Schulkindern unwiderleglich erhärtet ist, und nehmen die Zeit weg für den so überaus nothwendigen münd- lichen und schriftlichen Gedankenausdruck.

Als solche Partien der Grammatik ohne praktischen Wert wären zu bezeichnen: ı. der Begriff Copula, 2. die Unterscheidung der Arten der Hauptwörter, 3. der Biegungsarten der Hauptwörter, 4. der Biegungs- arten der Eigenschaftswörter, 5. der Unterarten der Zahlwörter.

Ad ı. Der Begriff Copula wird in der Wissenschaft auf vierfache Weise aufgefasst, ist also schwankend und gehört schon deshalb nicht in die Volksschule, er ist aber auch unnöthig, weil man logischerweise die sogenannte Copula als zum Prädicat gehörig auffassen muss. (Beispiele: »Wir wollen ruhen.«e »Wir wollen Ordnung.«)

Ad 2. Die Unterscheidung der Arten der Hauptwörter ist oft für uns Erwachsene sehr schwer. Viele Stoff, Sammel- und Begriffs- namen sind zugleich Gattungsbegriffe.. Und ist schließlich nicht jeder Name ein Abstractum ?

Ad 3. Über die Biegungsarten der Hauptwörter gelten nicht überall die gleichen Regeln, und warum weibliche Hauptwörter in der Einzahl starke Biegung haben, das sieht kein Kind ein; auch wird an diese Unterscheidung nichts mehr angeknüpft.

Ad 4. Auch die Unterscheidung der starken und schwachen Biegung des beifügenden Eigenschaftswortes ist mindestens als über- flüssig zu bezeichnen.

Ad 5. Dasselbe gilt von den Unterarten der Zahlwörter.

Derlei Unterschiede sollen durch den Sprachgebrauch recht tüchtig eingeübt werden, bedürfen aber keiner besonderen Namengebung.

Darum beantrage ich, am Schlusse des Lehrplanes für den Sprach- unterricht zu setzen: |

»Anmerkung. Zuentfallenhaben in der Volksschule: der Begriff Copula, die Unterscheidung der Arten der Hauptwörter, der Biegungsarten der Haupt- und Eigen- schaftswörter, sowie der Unterarten der Zahlwörter.

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Und schließlich beantrage ich noch: Die Conferenz bittet den hohen k. k. n.-öst. Landesschulrath, seinen Erlass vom 27. December 1883 Z. 4800, womit derselbe der Volks- schule den Auftrag ertheilte, in der4.und 5. Classe auch die lateinischen Bezeichnungen der grammatischen Be- gsriffe einzuüben, aufheben zu wollen.

Die lateinischen Bezeichnungen verwirren diese Io- bis II-jährigen Kinder noch (wir brauchen bloß an die ähnlichklingenden Bezeichnungen: Subject, Substantiv, oder Adjectiv und Adverb zu denken) und werden bei der Aufnahmsprüfung in die Mittelschule nicht einmal verlangt, ganz abgesehen von jenen 95 und mehr Procenten, welche sie in ihrem ganzen Leben nie mehr gebrauchen. Mit derselben Berechtigung könnte gefordert werden, dass im Hinblick auf den Übertritt in die Bürger- schule, wo Französisch gelehrt wird, die französischen Bezeichnungen eingeübt werden.

Rechnen. Die Forderungen der Denkschrift gipfeln in zwei Punkten und zwar, I. dass dem Rechenunterrichte auf der »Oberstufe« auf Kosten des Zeichenunterrichtes eine Stunde mehr zugewiesen werde, und 2. dass in den bisherigen Classenzielen, was die zu behan- delnden Zahlenräume anbelangt, eine Verminderung eintrete.

Hinsichtlich des ersten Punktes spreche ich mich in Überein- stimmung mit fast sämmtlichen Bezirks-Conferenzen dagegen aus, und zwar aus denselben Gründen, welche ich bei Ablehnung der Vermeh- rung der Sprachstunden geltend gemacht habe.

Hinsichtlich des zweiten Hauptpunktes: »Verminderung der zu behandelnden Zahlenräume« haben sich 6 Wiener Bezirks-Conferenzen (nämlich der ı., 3., 4-, 6., 7. und 8. Inspectionsbezirk), das ist also die Mehrheit, gegen eine Verminderung der Zahlenräume in den ein- zelnen Classenzielen ausgesprochen, und der löbliche Wiener Bezirks- schulrath schließt sich mit seinem gewichtigen Votum dem Urtheile der Mehrheit der Lehrerschaft Wiens an. Dasselbe lautet: »In der I. Classe seien die vier Grundrechnungsarten im Zahlenraume von I—20 vorzunehmen mit der Einschränkung, dass jedes Messen und Theilen nur in den Vielfachen sich bewegen soll (Zahlen ohne Rest). Das Rechnen mit gemeinen Brüchen sei mit Rücksicht auf die Zehnertheilung der bei uns im Gebrauche stehenden Münzen, Maße und Gewichte vorwiegend ein Kopfrechnen und auf das Nothwendigste zu beschränken. Das bisherige Stundenausmaß ist als hinreichend zu erklären.«

Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1900. 3

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Diesem Votum kann ich mich vollinhaltlich anschließen, auch was die Einschränkungen anbelangt, gehe aber in dieser Hinsicht noch etwas weiter.

Zur Begründung dieser Stellungnahme hebe ich hervor, dass die bisher für die einzelnen Schuljahre festgesetzten Zahlenräume unserem dekadischen Zahlensysteme entsprechen. Es ist in gleicher Weise undenkbar, in höher organisierten Schulen im I. Schuljahre nur bis Io, im 3. nur bis IOO und im 5. Schuljahr nur bis I000 zu rechnen, wie es die Denkschrift verlangt, weil das praktische Bedürfnis höhere Anforderungen stellt. Die bisherigen Zahlenräume sind daher ganz gut gewählt; sie gestatten freie Bewegung, was zur Durch- leuchtung unseres Zahlensystemes mindestens ebenso nothwendig ist, wie die gründliche Einübung der kleinen Zahlenräume. Und dass diese gründliche Einübung durch die höhergewählten Zahlenräume verhin- dert werde, das lässt sich mit Recht nicht behaupten; denn nirgends steht geschrieben, dass z. B. im Zahlenraume bis Ioo gerade der letzte Zehner am gründlichsten behandelt werden müsse. Dass hie und da ein noch unerfahrener Lehrer glaubt, er müsse in der Hälfte des Schuljahres auch die Hälfte des vorgeschriebenen Zahlenraumes schon erledigt haben, das werden wir durch keine Herabminderung des Zahlenraumes verhindern, die Erfahrung wird ihn belehren, dass hier wie ja auch in andern pädagogischen Angelegenheiten der langsame Vorgang am sichersten und schnellsten zum wahren Erfolg führt.

Was den Vorschlag der Denkschrift anbelangt, in der I. Classe wohl den Zahlenraum von I—20, aber nur durch Zu- und Wegzählen behandeln zu lassen, so bedeutet dieser Vorschlag einen Eingriff in die Methode. Die Denkschrift erhebt damit die Hentschel’sche Rechenmethode auf das Piedestal und verwirft die Grube’sche Methode. Ich weiche einem Vergleich der beiden Methoden absichtlich aus, weil wir heute darin zu keiner Einigung kommen würden. Aber ich hoffe, dass dieses gefährliche Beispiel des Eingriffes in die Freiheit der Methode, welches hier leider von Lehrern, den Verfassern der Denk- schrift, gegeben wurde, eine einmüthige Zurückweisung finde.

Dass nicht unter allen Umständen, auch nicht in Wien, die jetzt vorgeschriebenen Zahlenräume bewältigt werden, das will ich recht gern zugeben, das ist aber auch sinngemäß auf andere Gegenstände anzuwenden, und wenn wir dieser Ungunst der Verhältnisse nachgeben wollten, so müssten wir für Wien allein viererlei Lehrpläne schaffen. Wir haben aber die Aufgabe, einen guten Normallehrplan zustande

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zu bringen, und derselbe, das liegt schon im Worte, kann aber nur normale Verhältnisse berücksichtigen.

Um aber der guten Absicht der Denkschrift zu entsprechen und ' das Körnchen Wahrheit nicht unbenützt zu lassen, stelle ich folgende Anträge:

I. Classe (1. Schuljahr). Nach dem Satze: »Die vier Grundrech- nungsarten im Zahlenraume von I—20o mündlich und schriftliche soll es heißen: »Das Messen und Theilen nur in den Vielfachen (ohne Rest).e II. Classe (2. Schuljahr). Dieselbe Bemerkung an derselben Stelle des Normallehrplanes. Denn ich bin der Überzeu- gung, dass das Rechnen mit den so verschiedenen Resten es ist, welches die sichere Einprägung des Einmaleins hindert, und nicht so sehr die Größe des Zahlenraumes. Um für diese Einprägung noch mehr Raum zu gewinnen, beantrage ich die Stelle: »Elemente des Bruchrechnens« von der Il. Classe zu streichen und in die dritte Classe hinaufzuschieben, wo merkwürdigerweise im jetzigen Lehrplan vom Bruchrechnen gar nichts steht. III. Classe (3. Schul- jahr). Zusatz: »Elemente des Bruchrechnens.« Allerdings hat die dritte Classe durch das neu auftretende schriftliche Rechnen einen großen Stoff, allein die Hauptschwierigkeit, der Kampf: mit dem Ein- maleins, dürfte jetzt durch die Entlastung der zweiten Classe auch für die dritte Classe vermindert werden, so dass im letzten Monat die Elemente des Bruchrechnens behandelt werden können. Außerdem be- antrage ich, die Stelle des Lehrplanes »sund bis zu den Tausend- stelne zu streichen, womitalso das Decimalrechnen aufdie vierte Classe verschoben würde, was keine wesentliche Belastung dieser Classe bedeuten würde, weil das Decimalrechnen im engen Zusammenhang mit dem für diese Classe vorgeschriebenen Rechnen mit mehrnamigen Zahlen, sofern es die Zehnertheilung betrifft, steht.

Der Lehrplan für die IV. und V. Classe, des 4. und 5. Schul- jahres, bleibe unverändert.

Aus denselben Gründen, wie beim Lehrplan für den Sprach- unterricht, beantrage ich die sonstigen Wünsche in Form einer Anmer- kung zum Lehrplan des Rechnens anzufügen. »Anmerkung. Dem Rechnen im ersten Hunderter ist auf allen Stufen große Sorgfalt zu widmen; das praktische Rechnen soll sich vorwiegendim Zahlenraume bis Tausend und bis zu den Tausendstelnbewegen.DemSchlussrechnen werde beson- dere Pflege gewidmet. Das Rechnen mit gemeinen

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Brüchen ist vorwiegend als Kopfrechnen zu betrachten und auf das Nothwendigste zu beschränken.«

Realien. Die Denkschrift verlangt: »Der Realienunterricht trete erst vom fünften Schuljahre an als selbständiger Gegenstand auf und bilde bis zu dieser Zeit nur einen Theil des Sprach-, beziehungs- weise Anschauungsunterrichtes. Natürlich entfalle auch dann die Classi- fication aus den Realien in den unteren Schuljahren.« Schließlich leistet sie sich den Satz: »Eine Begründung dieser Wünsche ist wohl kaum nöthig.«

Nein, so weit kann die Lehrerschaft nicht herabgesunken sein von den sie früher erfüllenden Ideen unserer pädagogischen Classiker, dass sie es als selbstverständlich hinnimmt, dass die Krone des herrlichen Baumes der Neuschule, die Realien, zu zwei Drittheilen abgeschnitten werde.

Weiter heißt es in der Denkschrift: »Der Lehrstoff aus Realien ist im dritten und vierten Schuljahre naturgemäß zu wenig ausgedehnt, ‚als dass es sich lohnte, ihn in den einzelnen Fächern zu gruppieren.« Nun, davon hat man noch wenig verspürt, sondern eher vom Gegen- theil. Unsere Detaillehrpläne oder Lehrgänge sind theilweise zu reich- haltig, theilweise ganz schlecht, weil zu wissenschaftlich, wie jener aus Naturlehre, und bedürfen einiger Striche und anderer Verbesserungen. Aber deshalb die Realien aus dem Normallehrplane zu zwei Drittheilen zu streichen, das heißt doch, das Kind mit dem Bade ausschütten.

Endlich heißt es in der Denkschrift: »Ja, es wurde sogar schon vielfach als Überhebung der Volksschule bezeichnet, dass sie ihren acht- bis zehnjährigen Schülern Noten aus Naturlehre u. s. w. ertheile.« Diese Classificierung geschieht mit derselben Berechtigung und gewiss ebenso leicht, als man sechsjährigen Kindern Noten aus Sprache, Rechnen, Singen oder Turnen gibt. Die Noten bezeichnen stets nur relativ den Standpunkt des Wissens oder Könnens oder auch nur der Bemühung des Schülers, sie sind ein einfaches, aber nothwendiges Anfeuerungsmittel und ein praktisches Verkehrsmittel mit dem Eltern- hause. Das sind pädagogische Gründe. Aber das Gerede von Leuten, welche sich herausnehmen, über das Schulgetriebe zu urtheilen, ohne eine Idee davon zu haben, als Grund in einer Denkschrift anzuführen, das ist gewiss sehr denkwürdig!

Einige der wichtigsten pädagogischen Gründe, welche die Päda- gogen aller Länder bestimmten, den Realien das Wort zu reden, und welche jedenfalls für die Regierungen maßgebend waren bei Einführung

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derselben, will ich nun angeben: ı. Die Realien bieten Gelegenheit zur Übung der Sinne und damit die Grundlage zur Schaffung einer klaren Weltanschauung. 2. Sie üben und stärken die Denkkraft und somit den Verstand durch die vielfachen Schlüsse, welche aus den Beobach- tungen gezogen werden, und bewahren dadurch vor Vorurtheilen wie vor Aberglauben. 3. Sie erheben das Gemüth, indem sie die Liebe zur Natur, und also mittelbar zu Gott, deren Schöpfer, wecken; sie bewahren also nicht nur vor Verrohung, sondern veredeln das Gemüth (Thier- schutz, Gottesfurcht). 4. Sie wecken die Liebe zum Heimatsorte, zum Vaterlande und damit für dessen weise Regenten, sie legen also den Grund zu einer der mächtigsten Triebfedern des guten und edlen Wirkens, zum Patriotismus. 5. Indem sie durch all dieses dem kind- lichen Geiste und Gemüthe neue Nahrung geben, beleben sie den Schulunterricht und machen ihn dem Kinde lieb und wert.

Diese und noch andere pädagogische Gründe müssen für uns maßgebend sein, den Realienunterricht nicht nur zu erhalten, sondern an seiner weiteren Ausgestaltung unermüdlich zu arbeiten. Denn gerade im Realienunterrichte im weiteren Sinne, wozu ich auch Zeichnen und überhaupt Handfertigkeit rechne, liegt noch eine glänzende Zukunft für die Volksschule. Außer den angeführten pädagogischen Gründen ist es aber auch eine Stelle der Ministerialverordnung vom 18. Mai 1874 Z. 6549, welche unsere Auffassung von der Wichtigkeit der Realien wesentlich unterstützt. Dieselbe lautet: »Hiebei verpflichte ich sämmt- liche Landesschulbehörden bei der Herausgabe der Normallehrpläne, beziehungsweise bei der Revision der schon erlassenen, sowie bei allen künftigen Anordnungen bezüglich der Lehrpläne streng zu beachten, dass kein Lehrgegenstand, welcher in den Ministeriallehrplänen für eine Classe vorgeschrieben ist, weggelassen werden darf.«

Aus all diesen Gründen, und um der Abstimmung den größt- möglichen Nachdruck zu geben, bitte ich, dem Antrage des löblichen Wiener Bezirksschulrathes beizustimmen, welcher lautet: »Der Realien- unterricht bleibe (wie bisher) als selbständiger Gegen- stand bestehen. Die Realien erhalten im Entlassungs- zeugnisse der Volksschule dieselbe Rubricierung wie gegenwärtig in den Schulnachrichten. Jede dieser Ru- briken ist nur mit einer Note zu versehen. BeiAnlage eines Lesebuches möge auf die inden Normallehrplänen enthaltenen Forderungen mehr Rücksicht genommen werden.«

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Die hier erwähnte Herstellung der »Übereinstimmung der Rubri- cierung des Volksschul-Entlassungszeugnisses mit den Rubriken der Schul- nachricht« halte ich für etwas Selbstverständliches. Auch der im Antrag enthaltenen Forderung nach Übereinstimmung des Lesebuches mit dem Normallehrplan können wir als selbstverständlich zustimmen. Ich bin bisher der Sprach-, Rechen- und Lesebuchfrage absichtlich ausge- wichen, weil sie uns vom Thema weit ableitet, nur möchte ich die Überzeugung aussprechen, dass nur die freie Concurrenz auf diesem Gebiete nicht allein die Wünsche der Lehrerschaft erfüllen, sondern auch diese wichtigsten Volksbücher bedeutend verbilligen wird.

Zeichnen. Die Denkschrift sagt hierüber: »Auch dieser Unter- richt möge gleich den Realien auf der Unterstufe als selbständiger Gegenstand entfallen und nur ein Hilfsmittel des Anschauungsunter- richtes bilden. Die hiedurch gewonnenen Stunden sollen dem Rechen- oder Sprachunterrichte zugewendet werden. Es dürfte sich auf der Oberstufe empfehlen« (welche Schuljahre”gemeint sind, sagt die Denk- schrift nicht), »dass vom Zeichenunterrichte eine Stunde zu Gunsten des Rechen- oder des Sprachunterrichtes abgetrennt würde.«

Diese letztere Forderung wurde schon früher zur Ablehnung empfohlen; auch gestattet der Erlass des löbl. Landesschulrathes vom 13. Mai 1893, Z. 4058, eine Verminderung der Zeichenstunden auf der Oberstufe nicht. Der Zeichenunterricht kann auch nicht »Hilfsmittel für den Anschauungsunterricht« sein, weil er solange nicht helfen kann, als keine zeichnerischen Erfolge vorhanden sind, die ja doch nur durch systematischen Betrieb und häufige Übung, da es sich um eine Fertigkeit handelt, erzielt werden.

Weiters erlaubt sich die Denkschrift zum zweitenmale einen Ein- griff in die Freiheit der Methode, indem sie gegen das Zeichnen nach Stigmen auf der Unterstufe zu Felde zieht. In der »Wiener pädago- gischen Gesellschaft« ist diese Sache wiederholt gründlich erörtert worden, und man ist zu keinem abschließenden Urtheile gelangt ; aber auch wenn die Angelegenheit spruchreif wäre, würde ich eindringlichst davor warnen, dass eine Landes-Lehrerconferenz beschließe, diese oder jene Methode sei als schlecht zu verbieten, denn wir alle wissen ja, dass ein Lehrer mit der schlechtesten Methode, die er seit Jahren kennt und übt, mehr leistet, als mit der besten neuen, die er nicht genau kennt. Eine schlechte Methode muss aussterben, das Gute bricht sich von selbst Bahn.

Es bleibt noch die Forderung zu besprechen: »Der Gebrauch von

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Lineal und Zirkel sollte für manche Arten von Zeichnungen aus- drücklich gestattet werden.«e Wie die anderen Forderungen eine fast einstimmige Ablehnung seitens der Wiener Bezirkslehrerconferenzen erfahren und verdient haben, so hätte diese Forderung eine einstimmige Annahme verdient. Allein es haben sich nur 3 Conferenzen, der 6., 7., 8., 9. und 10. Insp.-Bez. (also jene mit schlechterem Schülermaterial), dafür ausgesprochen. Diesmal stelle ich mich ganz entschieden auf die Seite der Denkschrift, denn sie will durch ihre Forderung die Zeichen- methode von einer Fessel befreien. Mit Recht weist sie auf die Min.-Verordn. vom 8. Juni 1883, Z. 10.618, hin, welche das Zirkel- zeichnen in Schulen, wo das Bedürfnis dazu vorhanden ist, gestattet. Und dieses Bedürfnis ist in Stadtschulen, wo sich gerade die von der 5. Classe austretenden Schüler dem Handwerkerstande widmen, ent- schieden vorhanden. Es soll ja kein Zwang, sondern Freiheit herrschen. Die Anhänger des absoluten Freihandzeichnens können nach wie vor die Anwendung jeglichen Hilfsmittels vermeiden; übrigens entdeckt das kundige Auge jede ungerechtfertigte Anwendung eines Hilfs- mittels.

Darum beantrage ich als Anmerkung zu dem sonst unverändert bleibenden Lehrplane: » Anmerkung. Der weise Gebrauch von Behelfen ist von der III. Classe an für manche Arten von Zeichnungen gestattet.«

Ferner beantrage ich: »Das Zeichnen ist als selbstän- diger Gegenstand von der I. Classe (2. Schuljahr) an beizubehalten. Das Stundenausmaß ist nicht herab- zusetzen.«

Der löbl. Wiener Bezirksschulrath steht mit seinen Anträgen auf demselben Standpunkte.

Gesang. In diesem Gegenstande will die Denkschrift die For- derung des Treffsingens: »auf Grundlage des Notensystems,« wie es heißt, aus dem Lehrplane entfernen. Es ist dies eine Forderung, die eigentlich nie erfüllt wurde, weil es unmöglich ist. Jeder Sänger wird zugeben, dass es unmöglich sei, von Io—Iıı-jährigen Kindern bei wöchentlich einstündiger Übung und Massenunterricht ein Treffen nach Noten zu erzielen. Unser Notensystem mit den vielen Vorzeich- nungen zeigt schon für das Auge die Tonhöhe nur ungenau an, es muss der reflectierende Verstand zu Hilfe genommen werden, und dann entsteht erst die größte Schwierigkeit, den gewollten Ton hervor- zubringen, denn es ist nicht, wie bei einem Instrument, eine Klappe

40 oder Taste hier, auf die man bloß zu drücken brauchte. Den Kehlkopf in diese Gewalt zu bekommen, kostet oft jahrelange Übung.

Aber die Notenschrift ganz aus der Volksschule zu verbannen, wie es die Denkschrift eigentlich will, fände ich nicht für gut: 1. Ist die Vermittlung der Notenkenntnis nicht sehr schwer, wie die Denk- schrift auch zugibt. 2. Macht es den Kindern Freude. 3. Fehlt es auch nicht an Anwendung. Es gibt doch ein Notenlesen nach der schon erlernten Melodie. Und mit Freude verfolgen die Kinder die auf- und absteigenden Noten, wobei zu bemerken ist, dass dieselben nach einiger Übung ein Unterstützungsmittel für den Rhythmus abgeben. 4. Ist die Notenkenntnis für manchen eine sehr willkommene Grundlage zu weiterer musikalischer Ausbildung.

Die Wiener Bezirksconferenzen waren in dieser Sache in drei Lager gespalten. Der 4., 7. und ıo. Insp.-Bez. waren für die Noten- kenntnis, aber gegen das Treffsingen. Diesem Standpunkte schließe ich mich an, und auch der löbl. Wiener Bezirksschulrath vertritt denselben.

Darum beantrage ich, dass es im Lehrplan der IV. und V. Classe lauten möge: »Kenntnis des Notensystems.« Die Stelle: »auf Grundlage des Notensystems,« solleinfach gestrichen werden,

Der Lehrplan für Schönschreiben und Turnen bleibe unverändert.

Die sehr geehrten Conferenztheilnehmer werden aus all diesen Ausführungen, so hoffe ich, ersehen haben, dass ich mich bemüht habe, im allgemeinen einen gemäßigten Standpunkt einzunehmen, ferner die Gooldkörner der Wahrheit zu heben, wo ich sıe auch antraf. Ich habe mich bemüht, der Denkschrift des löbl. n.-ö. Landes-Lehrer- vereines, aber auch den Beschlüssen der Wiener Lehrerschaft, wie jenen des löbl. Wiener Bezirksschulrathes, sowie den gesetzlichen Bestimmungen gerecht zu werden. Ich war bestrebt, durch pädagogische und einfache Vernunftgründe, ohne Weitschweifigkeit und ohne Citate, meinen Standpunkt klar zu machen.

Nun bitte ich, diese Gründe zu würdigen und meine, aus tiefster Überzeugung quellenden Anträge, wie ich glaube und hoffe, zum Wohle der Schule, welches uns ja allen am Herzen liegt, anzunehmen.

Anmerkung. Die vom Referenten gestellten Anträge wurden von der nieder österreichischen Landes-Lehrerconferenz angenommen.

IV.

Die Aufsatzübungen mit besonderer Berücksichtigung der Bürgerschule.

Vorgetragen am 4. November 1899 von S. KUHNER.

Für die Beurtheilung der Leistungen einer Schule und der Bildungsstufe der Schüler ist die Fähigkeit, Gedanken in geordneter Folge zu entwickeln und niederzuschreiben, das ist die genaue Kenntnis der Muttersprache, maßgebend. Diese Kenntnis zu vermitteln, ist Auf- gabe des Unterrichtes im deutschen Aufsatze. Die Fortschritte auf dem Gebiete des Schriftthums sind so bedeutend, dass auch die Schule nicht zurückbleiben darf, die ihr anvertraute Jugend im mündlichen und schriftlichen Gedankenausdrucke zu fördern und sie zu befähigen, den Anforderungen der Gegenwart auch in dieser Richtung zu ent- sprechen, um Gewandtheit und Schönheit des Ausdruckes in der Muttersprache, die höchsten Zierden des Gebildeten, zu erzielen.

Jeder Lehrer bemüht sich, in dieser Beziehung das Beste zu leisten. Dass aber die Schule mehr thun könnte, um auf diesem Gebiete erfolgreich zu wirken, wird wohl von allen Lehrern zuge- standen, und es bedarf der Klagen der Laien nicht, um die Lehrerwelt anzuregen, gewisse schreiende Missstände aus der Welt zu schaffen. Ganz besonders zeigen sich solche Missstände da, wo die Lehrenden nicht an die thatsächlichen Bedürfnisse denken, welche das praktische Leben an ihr Schülermaterial stellt. Dies beweisen Klagen, welche die Geschäftswelt über die Vorbildung der aus den Handelsschulen kom- menden Jünglinge und ganz besonders der Mädchen führt.

Ich erwähne dies deshalb, weil das Material der Handelsschule zum großen Theile aus der Bürgerschule kommt, und die Klagen treffen uns gerade so, wie die Lehrer der Handelsschule, und es ist nöthig, nachzudenken, wie es möglich wäre, auch auf dem Gebiete des deutschen Aufsatzes bessere Resultate zu erzielen.

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Trotz der großen Anzahl von Hilfsbüchern, welche die Schul- literatur aufweist, ist der Stilunterricht immer ein schwieriges Feld für unterrichtliche Thätigkeit und wird es wohl auch noch lange bleiben. Es wäre dankenswert, wenn die Fachlehrer jeder Schule nach einem einheitlichen Plane vorgiengen, der dem thatsächlichen Bedürfnisse ihrer Schüler entspräche, da es vielfach an einem einheitlichen Vor- gange fehlt, weshalb Schüler, bei welchen unglückseligerweise ein Lehrerwechsel stattfindet, durch diesen an ihrer Fortbildung Schaden erleiden. Als Mittel zur Erwerbung eines guten Stiles sind geeignet:

I. Bildung des Sprachgefühles ;

2. Entwicklung des Denkvermögens;

3. Pflege des Schönheitssinnes ;

4. Correctur der Arbeiten und Erlernung allgemein giltiger Regeln.

Diese Gesetze kennt und befolgt auch mehr oder weniger jeder Lehrer, und doch ist das Resultat ein so verschiedenes und oft auch schlechtes. Die Ursache liegt meiner Ansicht nach in der verschiedenen Methode des Unterrichtes in der deutschen Sprache, ganz besonders in der verschiedenen Auffassung des Stilunterrichtes. Wer Stilübungen nur in der dazu angesetzten Stunde betreibt und sich in den übrigen Stunden um den Gedankenausdruck nicht oder zu wenig kümmert, wer nicht jede Gelegenheit benützt, das Sprachgefühl zu bilden, den Gedankenreichthum zu mehren, Gewandtheit im Ausdruck der Gedanken- formen zu erzielen, ohne dabei den Schönheitssinn zu vernachlässigen und auf allgemein giltige und anwendbare Gesetze aufmerksam zu machen, der wird nie gut sprechende, nie correct schreibende Schüler haben. Die Aufsatzübungen beginnen in der ersten Schulstunde und werden in allen folgenden fortgesetzt. Wenn der Elementarschüler ein Wort erfasst hat, so muss er es in einem correcten Satze anwenden. Wenn Erzählungen behandelt wurden, so werden gewiss einzelne Kinder die Fähigkeit haben, sie erst nach Fragen und dann vollständig wiederzugeben. Die Grundlage zu Aufsatzübungen wird in der Elementar- classe gelegt, und es ist ein großes Glück für die Schule, wenn sie über tüchtige Elementarlehrer verfügt. Die Hauptaufgabe der Elementar- stufe ist, die Schüler sprechen zu lehren. Was der Geist erfasst hat, muss zum Ausdrucke gebracht werden, womöglich in verschiedener Weise; dann wird die Phrase: »Es liegt mir auf der Zunge, ich kann es nur nicht sagen,« aufhören. Schon der Elementarschüler muss ziel- bewusst sagen können, was er gelernt hat. Nichts soll der Schüler schreiben und sprechen, was er nicht verstanden hat. Auf den folgenden

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Stufen der Volksschule tritt bereits die Grammatik auf, dort wird man

schon besser auf Sprachreinheit und Sprachrichtigkeit sehen können.

Die Realienstunden sind eigentlich nichts anderes als Sprachstunden, in denen wohl keine schriftlichen, doch aber mündliche Sprachübungen vorkommen. Von eigentlichen Aufsatzübungen schreibt der Lehrplan vom II. Juni 1884, Z. 3903, für die 4. und 5. Volksschulclasse vor: Wiedergabe kurzer Lesestücke, Erzählungen (bloß für die 5. Classe), Beschreibungen, Vergleichungen und Briefe. Diese Aufsatzarten machen den Schülern, die von demselben Lehrer von der Elementarclasse an geführt wurden, nur geringe Schwierigkeiten, und es lassen sich bei einigermaßen gutem Material auch leichte, freie Aufsätze dieser Art verfertigen.

Ganz anders und viel schwieriger ist die Lage des Fachlehrers in der Bürgerschule. Zunächst steht er einem ungleichmäßig vor- gebildeten Materiale gegenüber: das Alter der Schüler, ihre Auffassungs- fähigkeit, ihre Lernlust ist sehr verschieden, wobei zu bemerken ist, dass die älteren Schüler der ersten Classe gewöhnlich das schlechtere Material bilden, da sie meist nur die Zeit bis zum 14. Jahre absitzen. Diese Schüler sind es, welche die Bürgerschule in Misscredit bringen. Vielen Schülern mangelt die Reife. Sie wurden wegen ihres Alters, nicht wegen ihrer Kenntnisse zum Aufsteigen in die Bürgerschule für reif erklärt; es kommen sehr häufig Schüler mit einigen »ungenügend« als »reif« in die Bürgerschule. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, dass in der Bevölkerung ganz irrige Ansichten über das Wesen der Bürgerschule und ihre Bedeutung herrschen. So wird der größte Theil der besseren Elemente der Volksschule noch immer in die Mittelschule geschickt, da den Leuten die erste Mittelschulclasse weit höher dünkt, als etwa die 3. Classe der Bürgerschule, und man hört häufig von einem durchgefallenen Untermittelschüler, er habe studiert, während der gute Absolvent der Bürgerschule keinen oder nur geringen Anwert findet. Es ist unsere Aufgabe, dieser falschen Auffassung entgegen- zuarbeiten, und das thun wir am besten, wenn wir Schüler und Schülerinnen ins Leben schicken, die dort ıhren Platz ausfüllen und mit gleichalterigen, anders vorgebildeten den Wettkampf mit Erfolg aufnehmen können. Nur wenn alle Fachlehrer unter gleichmäßiger Berücksichtigung der Materie und der Methode Hand in Hand arbeiten, einander gegenseitig unterstützen und keinen Fehler durchgehen lassen, dann ist die Erreichung dieses hohen Zieles möglich. Eine wichtige Aufgabe fällt hiebei dem Sprachlehrer zu.

4

Da im praktischen Leben das Hauptgewicht auf den mündlichen wie auf den schriftlichen Gedankenausdruck gelegt wird, so muss der Sprachunterricht in erster Linie Stilunterricht sein. Dieser Unterricht wird aber durch die geringe Zahl der Stunden erschwert. Sie ist in der ı. und 2. Classe mit 5 ziemlich karg, in der 3. Classe mit 4 ungenügend bemessen. Um bessere Resultate zu erzielen, wäre eine Vermehrung der Stunden, besonders in der 3. Classe, dringend geboten.

Es sollen Perlen unserer Literatur behandelt werden. Die Dichter sollen den Schülern so vor das geistige Auge geführt werden, dass unsere Jugend Lust bekommt, mehr von deren Geistesproducten zu lesen, und nicht zu den geschmack- und moralverderbenden Werken der Schund- literatur greift. Weiters gelangen poetische und prosaische Meisterstücke zum Vortrage. Hiezu kommt eine Menge theoretischer Erörterungen, grammatikalische und orthographische Übungen, Wortbildungslehre und allem voran Aufsatzübungen. Diese sollen die Schüler befähigen, kaufmännische und gewerbliche Aufsätze abzufassen, einen guten Brief zu schreiben, größere Aufsätze, wie: Biographien, Charakteristiken, Vergleiche und Abhandlungen etc., zu verfertigen. Überdies sollen ca. 20 Haus- und Io Schularbeiten gegeben, besprochen und nach der Correctur wieder besprochen werden; das alles in 4 wöchentlichen Stunden! Der Lehrgang theilt den Sprachunterricht in 2 Gruppen:

I. Lesen, wozu auch Memorieren, Poetik und Literatur zu rechnen sind;

2. Sprachübungen; dazu gehören: Orthographie, Grammatik, Wortbildungslehre und Aufsatzübungen.

Für jede Classe ist ein gewisses Pensum, das aufgearbeitet werden muss, vorgeschrieben. Jede Classe der Bürgerschule bildet eigentlich ein für sich abgeschlossenes Ganzes. Wir können nicht darauf rechnen, Schüler, die wir in der I. Classe vorfinden, bis zur dritten zu führen. Entsprechen doch gewöhnlich, besonders an Peripherieschulen, fünf starken ersten Classen drei zweite und zwei schwache, oft nur eine ein- zige dritte. Es sind daher auch hier in gewissem Sinne concentrische Kreise erforderlich, und der Lehrgang basiert auch, wie allgemein bekannt ist, auf solchen. Es lässt sich in einer allgemein gehaltenen Besprechung nicht leicht sagen, was vorgenommen werden soll und kann, auch nicht recht, wie es vorgenommen werden soll. Dies richtet sich nach dem geistigen Horizonte der Classe.

Ich will hier nur anführen, welche Wege ich einschlage, um jede

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Sprachstunde dem Stilunterrichte dienstbar zu machen, ohne dabei ihre anderen Aufgaben zu vernachlässigen.

Der Leseunterricht ist das Fundament für einen rationellen Stilunterricht. Beim Leseunterricht wird das Schönheitsgefühl durch gute Muster geweckt. Hier sehen die Schüler, wie ein Aufsatz anzu- fertigen und wie er zu disponieren ist. Aus jedem Stücke können die Schüler in Bezug auf Stil etwas lernen: an dem einen die Schönheit der Form, an dem andern die musterhafte Sprache, an dem dritten den Gredankengang oder die Durchführung des Grundgedankens. Wenn ein Lesestück so behandelt wurde, dass sein Inhalt geistiges Eigen- thum der Schüler geworden ist, dann wird bei geeigneten Stücken die stilistische Verwertung des Gelesenen die Hauptaufgabe sein. Diese ist eine verschiedene. Bei einem Stücke genügt oft eine kurze Wieder- gabe des Inhaltes, bei einem andern wird der Inhalt nach Feststellung des Grundgedankens und der Disposition erweitert oder verkürzt wiederzugeben sein. Ein drittes Stück wird uns Stoff zu Vergleichungen oder zu Charakteristiken bieten, ein anderes uns Gelegenheit geben, Nach- und Umbildungen anfertigen, oder eine Schilderung der Situation aus demselben ziehen zu lassen. Will ich z. B. Grillparzers » Versäumter Augenblick« behandeln und habe ich vorher die von dem Inhalte des Stückes abweichende, ihm zugrunde liegende Sage erzählt, so kann ich den Inhalt beider Stücke nacherzählen, vergleichen und erweitern, ich kann ihn disponieren und kann den Schauplatz der Handlung schildern lassen. Bei dem Stücke »Harras, der kühne Springer« von Körner wird nebst der Wiedergabe des Inhaltes die Schilderung eines den Harras- sprung darstellenden Bildes oder eine Beschreibung der Burg Lichten- walde die Schüler sehr anregen. Diese Übung lässt sich auch leicht in Briefform machen. Aus dem Stücke »Herr, du bist groß« von Gellert lasse ich die, eine schöne Periode bildenden Leitsätze zu Papier bringen. An »Kaiser Maxens Zweikampf« knüpfe ich Inhalt, Gedankengang und Form betreffende, überdies auch einige auf das Ritterwesen bezug- nehmende Übungen. Auf Schönheit der Darstellung ist bei Wiedergabe des Lesestoffes zu sehen. Hiebei werden die Schüler mit Tropen und Figuren bekannt gemacht und wird ganz besonderes Gewicht auf den richtigen Gebrauch und das Verständnis synonymer Ausdrücke und allgemein gebräuchlicher Redensarten gelegt. Eine der wesentlichsten Grundlagen zur Bildung des Stiles ist die Grammatik. Ohne gram- matisches Verständnis ist ein guter Stil nicht zu erwarten. Bei ent- sprechenden grammatischen Kenntnissen wird ein leichter Stil gewonnen

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werden können, weshalb eine gründliche Behandlung der deutschen Grammatik, welche auf allen Stufen den Charakter der Muttersprache ins rechte Licht setzt, von großem Werte ist. In der richtigen Anwen- dung der grammatischen Gesetze besteht die Correctheit des Stiles. Bei Behandlung des grammatischen Stoffes lege ich auf jene Capitel, gegen welche die meisten Verstöße gemacht werden, das Hauptgewicht, behandle dagegen gewisse nur Zeit raubende Capitel, wie die Ein- theilung der Substantive in Eigennamen, Gattungsnamen etc., ganz oberflächlich. Hiedurch gewinne ich Zeit zu viel nothwendigeren Übungen. Einige derselben will ich nun erwähnen. Von großer Bedeu- tung für den Aufsatz ist die Befolgung der Gesetze der Rection; Fehler gegen diese fallen recht unangenehm auf. Sie unmöglich zu machen, ist eine der schwierigsten Aufgaben des Unterrichtes. Ein geeignetes Mittel hiezu sind Übungen, welche der Schüler mit dem Verbum oder jener Präposition, gegen welche er gefehlt hat, anfertigen muss. Ein anderer ebenso häufiger Fehler, der nur durch fortwährendes, geduldiges Verbessern auszumerzen ist, besteht im falschen Gebrauch der Zeitformen, z. B. des Imperfectums, wo das Perfectum am Platze wäre, oder des Conditionalis statt des Tonjunctivs in mit »wenn« ein- geleiteten Sätzen. Bei Besprechung des hinweisenden Fürwortes werden Übungen über den Gebrauch der Fürwörter »dieser«e oder »jener« nothwendig, weil gegen dieselben ebenso häufig gefehlt wird, wie gegen den Gebrauch des reflexiven, reciproken und unbestimmten Pronomens. In der Satzlehre wird man auf die richtige Anwendung des Inter- punctionszeichens zu sehen haben; ebenso stellen sich Übungen in Betreff der Congruenz zwischen Subject und Prädicat als erforderlich dar. Alle diese Übungen sind so wichtig, weil sie auch ein Gegen- gewicht gegen die bösen Beispiele zu bilden haben, welche unsere Jugend aus der häufig sehr leichtfertig, oft auch mangelhaft ortho- graphisch geschriebenen Jugendliteratur zieht, und es ist Pflicht eines jeden Lehrers, dahin zu wirken, dass, so weit es nur möglich ist, nur correct geschriebene Werke den Schülern geboten werden.

In den Orthographiestunden bietet sich reichlich Gelegen- heit zu Übungen, welche für den Stilunterricht besonders nützlich sind. Wenn beispielsweise das Doppel-»r« geübt wird, lasse ich in alpha- betischer Folge alle mit diesem Doppellaut möglichen Wörter bilden und dieselben theils mündlich, theils schriftlich in Sätzen verwenden. Durch die Verwendung selten vorkommender Wörter bereichert man den Wortschatz der Schüler, durch die Bildung der Sätze fördert man

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den Gedankenreichthum und hat hiebei reichlich Gelegenheit, gram- matische Fehler auszumerzen, wie auch niedrige oder übellautende, veraltete oder unnütz gebrauchte fremde Ausdrücke zurückzuweisen. Sehr wichtig erweist sich hiebei die Wortbildungslehre, weil aus ihr nicht nur der Orthographieunterricht Vortheile zieht, sondern auch die Schüler zur Sprachreinheit angeleitet werden und Provinzialismen ver- meiden lernen. Heute macht sich neuerdings das Bestreben geltend, alle Fremdwörter zu beseitigen. Dieses Bestreben ist insoweit berechtigt, als passende, gut klingende Ausdrücke in der Muttersprache vorhanden sind; aber nie wird es gelingen, alles Fremde auszurotten. Wer z.B. nach Muster der Sprachreinigungsgesellschaften für Fagottist Tiefton- holzvergnügling, für Clavier Schwarzweißfingerklappenklingkasten, für Publicität Offenkunde, für Kloster Jungfernzwinger, für Kaleidoskop Schönbildschaurohr, für definitiv endgiltig setzen wollte, würde sich lächerlich machen. Wir thun gut, uns bei Auswahl der zu gebrau- chenden Fremdwörter auf den guten Geschmack zu verlassen und das Wort Goethes zu beherzigen, welcher sagt: »Ich habe im Leben und Umgang mehr als einmal die Erfahrung gemacht, dass es eigent- lich geistlose Menschen sind, welche auf die Sprachreinigung mit zu großem Eifer dringen.«

Die eigentlichen Stilstunden verwende ich zur Anfertigung schrift- licher Arbeiten. Die Aufgabe wird so gewählt, dass sie das Interesse der Schüler weckt und zur lebendigen Theilnahme anregt. Die Aufsatz- themen sind meist das Resultat des Gesammtunterrichtes und stehen jedenfalls zu demselben in inniger Beziehung. Nichts soll als Thema gewählt werden, was dem Erfahrungs- und Anschauungskreise der Schüler ferne liegt, und was über ihren geistigen Horizont geht. Dittes sagt: »Die den Kindern zu stellenden Aufgaben sollen nicht ısoliert neben dem Unterrichte herlaufen, müssen vielmehr aus dem- selben entspringen, aus ihm ihre Bedeutung und Erklärung erhalten.« Wichtig ist, dass die Stoffe auch dem praktischen Bedürfnisse ange- passt werden. Es soll nicht vorkommen, dass Absolventen der Bürger- schule ganz gut Vergleiche über fernliegende Dinge, langathmige Abhandlungen etc. abfassen können, aber einen Bestell- oder Mahn- brief, eine einfache Quittung oder ein Gesuch nicht einwandfrei zu schreiben in der Lage sind. Die Thätigkeit des Lehrers bei der Abfas- sung eines Aufsatzes richtet sich nach der Art und dem Grade der Schwierigkeit des Themas und der Qualität des Schülermaterials. Die Schüler müssen lernen, vor dem Niederschreiben die Gedanken zu

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sammeln und sie auf den Gegenstand zu lenken, über welchen gesprochen werden soll. Sie müssen in die Lage gesetzt werden, einen gegebenen Plan zu erfassen und eine Disposition anzufertigen, worauf erst das’ Einkleiden in Worte erfolgt. Jeder Aufsatz gliedert sich in mehrere Theile, die sich aus der Natur des zu behandelnden Gegen- standes ergeben. Die Haupttheile sind gewöhnlich: Einleitung, Aus- führung und Schluss, doch lässt sich Schülern der Oberstufe, welche angeleitet werden sollen, einen freien Aufsatz anzufertigen und selb- ständig zu disponieren, folgende, dem Aufsatzbuche von Rudolf ent- nommene, allgemeine Disposition geben: ı. Name nebst Sach- und Worterklärung. 2. Theile, das Allgemeine und Besondere. 3. Bezie- hungen, Vorangehendes, Folgendes und Begleitendes nach Ort und Zeit. 4. Ursachen und Wirkungen, Gründe und Folgen. 5. Hindernisse und Beförderungsmittel. 6. Ähnliches und Unähnliches, Vergleichungen mit sinnlichen und nichtsinnlichen Gegenständen. 7. Zusammenstellung mit dem Gegentheil. 8. Beispiele für und wider. g. Zeugnisse anderer für und wider. ıo. Wert oder Unwert, Nutzen oder Schaden, Lob oder Tadel.

Eine praktisch recht gut anwendbare Disposition geben auch die fünf Stufen, in welche jede methodische Einheit nach der Herbart- Ziller’schen Methode zerfällt. Diese sind: ı. Die Vorbereitung als Anknüpfung an dasjenige, was dem Schüler bereits bekannt ist. 2. Die Vorführung des Neuen, womit man erst bekannt machen will. 3. Die Verknüpfung des Neuen mit den im Gedankenkreise des Schülers bereits gebildeten Vorstellungsmassen zum Behufe der Aperception durch Wiederholung und Übung. 4. Die Zusammenfassung als Hervorhebung der allgemeinen Resultate aus den im 3. Punkte vorgeführten Einzel- fällen. 5. Die Anviendung auf Beispiele und Fälle des praktischen Lebens.

Die Reihenfolge der vorzunehmenden Gegenstände ist keine fest- stehende. Der bereits erwähnte Lehrgang schreibt wohl für jede Classe eine solche vor. Doch ist meiner Ansicht nach niemand an diese Reihe gebunden, da wohl die Art, aber nicht die Folge der Themen vorge- schrieben werden kann, weil letztere aus dem Gesammtunterrichte und der Methode des Lehrers hervorgehen.

Folgende ausführliche, recht empfehlenswerte Stufenfolge schlägt Dr. W. Sommer, Director des Lehrerseminars in Paderborn, in seinem Aufsatzbuche vor:

I. Reproduction: A. Kleine Erzählungen ı und Sagen. B. Anekdoten, Fabeln, Legenden, Märchen.

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I. Umbildungen: A. Übertragung von Gedichten in Prosa. * B. Übertragung von anderen Lesestücken. C. Umbildung von Lese- stücken, bei denen nur das Motiv bleibt.

III. Nachbildungen.

IV. Vergleichungen: A. Einfache, 2. ausführliche.

V. Beschreibungen: A. Lehrbeschreibungen. 2. Geschäftsbeschrei- bungen. C. Schönbeschreibungen.

VI. Schilderungen: A. Leichtere, 3. schwerere.

VI. Erzählungen: A. Freie Wiedererzählungen eines gegebenen Stoffes. I. Der Schüler liefert aus größeren Erzählungen kurz den Inhalt. 2. Erweiterung einer kurz gegebenen Erzählung. 3. Nur der Stoff wird kurz gegeben, und der Schüler bringt ihn in die eigentliche Darstellung. 2. Eigene Erfindung des Stoffes. ı. Erfindung von Erzäh- lungen zu Sprichwörtern. 2. Erfindungen von Fabeln zu Sprichwörtern. 3. Erfindungen von Erzählungen zu allgemeinen Wahrheiten und Überschriften. 4. Erfindung von Erzählungen zu einzelnen Begriffen, ver- wandten synonymen und contrastierenden Wörtern.

VII. Historische Darstellungen: A. Darstellung einzelner Begeben- heiten. 2. Darstellung einzelner Personen oder kurzer Biographien. C. Parallelen.

IX. Charakterzeichnungen.

X. Erklärungen, Begriffsentwicklungen und Definitionen; Unter- schiede synonymer Ausdrücke.

XI. Chrien.

XU. Abhandlungen: A. Erläuternde, 2. beweisende, C. anwendende.

XII. Briefe und Geschäftliches: A. Briefe: ı. Glückwunschbriefe: a) zu Neujahr, 5) zu Namens- und Geburtsfesten, c) zu anderen freu- digen Ereignissen. 2. Bittschreiben und Gesuche: a) Bittschreiben, d) Gesuche. 3. Danksagungsbriefe. 4. Trauer- und Trostbriefe. 5. Briefe verschiedenen Inhaltes: @) Einladungen und Antworten, Ö) Erinnerungen und Mahnbriefe, c) Entschuldigungsschreiben, Z) Empfehlungsschreiben, e) Benachrichtigungen, Erzählungen etc., /) Erkundigungen und Anfragen nebst Bitten um Rath und Antworten, g) Anträge und Bestellungen, h) Kündigungen. 6. Berichte. 3. Geschäftliches: I. Rechnungen. 2. Quittungen. 3. Schuldscheine und Obligationen. 4. Empfangscheine oder Recepisse. 5. Bürgschaftsscheine. 6. Reverse oder Verzichtscheine. 7. Verträge oder Contracte. 8. Zeugnisse oder Atteste. g. Frachtbriefe, Declarationen. Io. Öffentliche Anzeigen, Ankündigungen, Gesuche. Ir. Vollmachten. ı2. Anweisungen, Depositenscheine, Pfandscheine,

Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1900. \ 4

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Mortificationen, Cessionen etc. 13. Postanweisungen, Postkarten, Post- vorschüsse, Postaufträge etc. \

Diese Stufenfolge hat vor anderen den Vorzug, dass sie zum freien Aufsatz hinüberleitet. Ich wende sie, soweit es sich mit dem vorgeschriebenen Stoffe verträgt, auch an.

Es würde zu weit führen, wenn ich nun über die Thätigkeit des Lehrers vor, während und nach der Abfassung eines Schulaufsatzes sprechen und hiebei jede Aufsatzart besonders behandeln würde.

Ich will nur noch einige Worte über die Hausaufgaben, Schul- arbeiten und deren Correctur sprechen.

Nach dem Lehrplane sind ca. 20 Haus- und Io Schularbeiten, meistens stilistischen Charakters, zu geben. Ich wähle fast ausschließlich Stilarbeiten zu Haus- und Schulaufgaben und lasse überdies zeitweilig grammatische und orthographische Übungen ins Schulheft schreiben. Über den Wert der Aufgaben ist schon viel geschrieben worden; ich glaube, dass derselbe in keinem Verhältnisse zu der angewandten Mühe steht. Jedenfalls halte ich die Zahl der vorgeschriebenen Auf- gaben im Verhältnisse zu der geringen Zahl der Sprachstunden für zu groß. Jede der Aufgaben erfordert Zeit zur Vorbesprechung, Zeit zur Correctur, die vielleicht nutzbringender zu verwenden wäre. Ich halte es wenigstens bei dem Materiale, mit welchem ich seit ıı Jahren an der Bürgerschule arbeite, für unmöglich, ganz freie Aufsätze, die ohne Vorbesprechung zu arbeiten wären, zu geben, da der weitaus größte Theil der Schüler dazu die Fähigkeit nicht hat. Wenn ich dies ver- suchsweise thue, so gebe ich den Schülern mehrere Themen zur Aus- wahl und überlasse jedem, die ihm zusagende Arbeit auszusuchen. Ich rechne die Geschäftsaufsätze, die Nach- und Umbildungen einer Musterarbeit nicht zu den freien Aufsätzen, welche Auffassung seinerzeit in einer Conferenz bekämpft wurde. Meiner Ansicht nach lässt sich bei den gegenwärtigen Verhältnissen der freie Aufsatz bloß anstreben, aber nicht erreichen. Hoffentlich blühen uns noch bessere Tage, in welchen wir auch zu diesem Ziele gelangen werden.

Zu den Hauptlasten, unter denen der Fachlehrer für Unterrichts- sprache seufzt, gehört die geisttödtende Correctur der Schülerarbeiten, deren Resultat die aufgewandte Mühe nicht lohnt. Eine gründliche Durchsicht ist mit viel Zeitaufwand verbunden, doch ist eine wirklich eingehende Correctur aller Fehler gegen Grammatik, Logik und Ästhetik unmöglich, ebenso ist die Zeit, die zur Zurückgabe und mündlichen Verbesserung verwendet wird, fast ganz für die Allgemein-

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heit verloren. Manche Fehler erfordern eine so umständliche Erörterung, dass die Unterrichtstunde vorbei ist, ehe die Correctur ihr Ende erreicht hat; doch ist die Correctur unbedingt nothwendig und wichtig, denn ohne dieselbe wäre das ganze Resultat des Stilunterrichtes in Frage gestellt. Allenfalls kann man sich die Sache erleichtern, indem man nur gut vorbereitete Arbeiten gibt und durch gerechtes, aber nicht hartes Urtheil, durch lobende Bemerkungen für die angewandte Mühe etc. den Muth und die Lust der Schüler zur Arbeit hebt.

Auf Grund dieser meiner Ausführungen erlaube ich mir, folgende Thesen zur Annahme zu empfehlen:

1. Der Erfolg im Stilunterrichte kann gefördert werden:

a) Durch möglichst früh, bereits in der Elementarclasse beginnende Übungen im zusammenhängenden mündlichen Gedankenausdrucke;

b) durch Benützung jeder sich darbietenden Gelegenheit zur Vermehrung des Wortschatzes und Gedankenreichthums, also durch Dienstbarmachung des gesammten Unterrichtes für die Zwecke des Sprachunterrichtes;

c) insbesondere durch Heranziehung aller Zweige des Sprachunterrichtes für diesen Zweck, und zwar: I. des Lesens zur Übung im Erzählen, Disponieren und Vergleichen, sowie zur ästhetischen Bildung, 2. der Grammatik zur Erzielung eines correcten Ausdruckes, 3. der Orthographie zur Gewinnung neuer Wörter und Begriffe, 4. endlich der Wortbildung zur Förderung der Sprachreinheit.

2. Die Themen zu den Aufsatzübungen selbst müssen anregend, dem Fassungs- grade und dem Erfahrungskreise der Schüler entsprechend und wo möglich den Bedürf- nissen des praktischen Lebens angepasst sein.

3. Eine Verminderung der schriftlichen Arbeiten, zumal der Haus- aufgaben in der Bürgerschule überhaupt, die Vermehrung der Sprachstunden um eine speciell in der III. Classe der Bürgerschule wäre wünschenswert.

Aus der Debatte.

M. Zens spricht zu Punkt 3 der Thesen, indem er zunächst die beantragte Ver- mehrung der Sprachstunden für die dritte Bürgerschulclasse befürwortet; die Forderung nach Verminderung der schriftlichen Aufgaben erscheint ihm aber nicht ausreichend begründet, weil gerade der schriftliche Gedankenausdruck der ausgiebigsten Übung bedürfe und bekanntlich erst Ubung den Meister mache. Im besonderen führt Redner aus, dass die Correctur der Aufgaben, trotzdem soviel Zeit und Kraft des Lehrers darauf verwendet wird, für den Unterrichtszweck nicht genügend ausgenützt werde, und dass daher das methodische Verfahren bei der Aufgabencorrectur geändert werden müsse. Er verweist auf die seinerzeit in der Wiener pädagogischen Gesellschaft geführte Berathung »Über Aufgaben und Correcturen« (siehe »Pädagogisches Jahrbuch 1886«) und stellt folgenden Antrag:

4%

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a) Die Wiener pädagogische Gesellschaft spreche aus, dass es dem Zwecke der Sache vollständig entspricht, wenn die Verbesserung der von den Schülern der Bürgerschule gearbeiteten Sprachaufgaben in der Weise erfolgt, dass die monatliche Schularbeit wie bisher allgemein üblich einer schriftlichen Einzeln- correctur unterzogen wird, dass jedoch die Hausaufgaben von dem Lehrer bloß durchgesehen werden, damit dieser für eine wöchentlich anzusetzende, der Verbesse- rung der Aufgaben gewidmete Unterrichtsstunde, in welcher sowohl logische als auch stilistische, grammatische oder orthographische Mängel solcher Schülerarbeiten eine mündliche oder auch schriftliche Behandlung zu erfahren haben, die entsprechenden Beispiele sammle, um sie bei der Vorbereitung der durch den Schüler vorzunehmenden Verbesserung planmäßig zu verwenden.

b) Die Wiener pädagogische Gesellschaft möge auf geeignetem Wege zu erreichen suchen, dass die »Verbesserung der Sprachaufgaben in der Bürgerschule« durch die zuständige Schulbehörde im Sinne der in Punkt a) gekennzeichneten Auf- fassung, welche zugleich eine bestimmte Umgrenzung der den betreffenden Fachlehrern diesbezüglich auferlegten Lasten in sich begreift, auf Grund eines die nöthige Vor- bedingung hiefür bildenden Votums der Lehrerschaft geregelt werde.

Der Antragsteller gibt hiezu die nachfolgend skizzierte Begründung. Das Miss- verhältnis zwischen der Arbeit des Lehrers und dem Bildungserfolg für den Schüler, soweit beides aus der Aufgabenverbesserung hervorgeht, muss durch eine Änderung des derzeit üblichen methodischen Verfahrens beseitigt werden, und es soll das neue Ver- fahren von der Schulbehörde ausdrücklich für zulässig erklärt werden, damit verschiedene äußere Schwierigkeiten von vornherein abgewendet bleiben. Die gegenwärtig übliche Einzelncorrectur des Lehrers lässt der Selbstthätigkeit des Schülers nur geringen Spiel- raum, denn der Schüler findet die auf Zeichensetzung, Rechtschreibung, Wortfolge und Biegungsendungen bezüglichen Fehler schon mit rother Tinte angemerkt oder auch statt eines unrichtigen Ausdruckes den richtigen gesetzt, so dass er nur die entsprechende Verbesserung auf den Correcturrand zu schreiben braucht, und wenn ihn die neuerliche Durchsicht des Lehrers nicht noch einmal zu einer »Verbesserung«e zwingt, so ist für ihn die Sache erledigt, denn in den seltensten Fällen wird der Schüler über den Grund der geänderten Schreibung, des neuen Wortlautes u. s. w. selbständig nachdenken. Das Interesse des Schülers wird auch dann nicht mehr voll und ganz für den Gegenstand entfacht werden, wenn der Lehrer jeder schriftlichen Aufgabe eine Besprechung der auffälligsten Fehler nachfolgen lässt, weil der Schüler seine eigenen Fehler nicht erst zu suchen braucht, mithin auch keine Befriedigung über das Fiuden, bezw. über die gewonnene Einsicht empfindet. Wenn aber regelmäßig eine wöchentliche Unterrichts- stunde zur Besprechung und Verbesserung der verschiedenartigen Fehler verwendet wird, wenn jeder Schüler verhalten wird, selber nachzusehen und zu prüfen, wenn überall dort, wo sich eine sprachlehrliche oder logische Regel anwenden lässt, diese allgemeine Regel wirklich im besonderen Falle zur Anwendung gelangt und damit zur Lehr- meisterin für den Gedankenausdruck des Schülers wird: dann wird das Interesse des Schülers an dem Unterrichtsgegenstand erneut und vertieft werden, und es wird ein ungleich größerer Erfolg aus der ganzen Aufgabenarbeit zu gewärtigen sein. Der Ein- wand, dass der Schüler nicht alle Fehler entdecken und die entdeckten Fehler nicht immer tadellos verbessern werde, ist nicht stichhältig, denn es ist gar nicht unumgänglich nothwendig, dass jedesmal alles und jedes corrigiert werde; lieber weniger und gründlich als alles und flüchtig. Übrigens ist es minder bedenklich, wenn der Schüler Fehler

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übersieht, als wenn die Correctur des Lehrers lückenhaft ist, was bei der Überbürdung, unter welcher der Lehrer mit zwei Classen »Deutsch» zu leiden hat und nicht selten sind ihm sogar drei vollbesetzte Classen zugewiesen nicht nur nicht ausgeschlossen ist, sondern angesichts der ermüdenden, zeitraubenden und oft erfolglosen Correcturarbeit zu befürchten steht. Der Schüler wird ferner dadurch gefördert, dass seine Aufmerk- samkeit fort und fort auf die am meisten vorkommenden Fehler gelenkt wird, so dass es endlich gelingen dürfte, eine ganze Reihe von typischen Schülerfehlern, die durch ihre regelmäßige Wiederkehr die Geduld des Lehrers auf eine harte Probe stellen, aus- zumerzen, und der ins praktische Leben übertretende Schüler wird eine bessere Schulung für den schriftlichen Gedankenausdruck erlangt haben, als dies bei dem bis- herigen Correcturverfahren zumeist der Fall gewesen ist. Auch für den Lehrer ergibt sich ein Gewinn: er sieht seine Arbeit von einem merklicheren Erfolg begleitet, er braucht seine Kraft nicht an der oftmals unfruchtbaren Einzelncorrectur abzustumpfen, sondern kann sie für die eigentliche, lebendigmachende unterrichtliche und erziehliche Schulthätigkeit verwerten. Denn es ist eine Kraftvergeudung sondergleichen, wenn der Lehrer bei einer großen Zahl von Aufgaben immer wieder die gleichen Fehler anzeigen soll, während er bei der mündlichen Behandlung die Sache viel wirksamer erledigen kann. Endlich darf der Lehrer auch verlangen, dass ein bestimmteres Maß dafür vor- handen sei, was in Sachen der Correctur von ihm billigerweise gefordert werden kann, wie viel in seiner Arbeit einer strengen Prüfung oder einer nachsichtigen Duldung unterliegt, wie weit sich also die thatsächliche Verpflichtung des Lehrers zu einer außerhalb der Schulzeit vorzunehmenden und die angestrengteste Aufmerksamkeit erfor- dernden Arbeit erstreckt. Dass Haus- und Schularbeiten in verschiedener Weise corri- giert werden sollen, findet seinen Grund in dem verschiedenen Charakter der Aufgaben- arbeiten; die Schularbeiten sind immer zugleich Prüfungsarbeiten und kommen unter ganz anderen äußeren Bedingungen zustande als die Hausarbeiten, welche lediglich der Einübung dienen und auch nicht immer ohne fremde Beihilfe gearbeitet werden.

Die vorliegende Frage kann verhältnismäßig leicht gelöst werden, weil keine der bestehenden unterrichtlichen Vorschriften dem beantragten Correcturverfahren widerstreitet. (Angabe der hiefür bestehenden Verordnungen.) Zudem ist Aussicht vorhanden, mit Hilfe der Bürgerschullehrerconferenzen zu einem zustimmenden Votum der Lehrerschaft zu gelangen und damit zur nothwendigen Vorbedingung für eine von der Schulbehörde zu erlassende Regelung dieser Angelegenheit, denn $. 62 der Schul- und Unterrichts- ordnung besagt unter anderm: »Eine bestimmte Lehrmethode wird für keinen Gegen- stand der Volksschule vorgeschrieben“ und »Die Lehrer haben sich die von der Wissen- schaft und Praxis anerkannten und von der Bezirksschullehrerconferenz angenommenen Methoden anzueignen.«

M. Binstorfer. Redner erklärt sich zunächst mit den vom Vortragenden auf- gestellten Thesen I und 2 dem Inhalte nach einverstanden, beantragt aber hiefür fol- genden Wortlaut: |

»I. Zu den wesentlichsten Bedingungen für die Erzielung entsprechender Erfolge im Stilunterrichte gehört unter anderm:

a) Dass jede beim Unterrichte sich darbietende Gelegenheit zur Vermehrung des Wortschatzes und Gedankenreichthums, sowie zur Übung des Schülers im passenden Verbinden der einzelnen Gedanken bei der zusammenhängenden Darstellung derselben gehörig benützt, dass somit der Schüler durch den gesammten Unterricht in seiner sprachlichen Entwicklung möglichst gefördert werde;

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b) dass die mündliche zusammenhängende Gedankendarstellung, welche alle Momente des schriftlichen Gedankenausdruckes (ausgenommen das orthographische und interpunctionelle) in sich schließt, als die einfachere und deshalb mit verhältnismäßig geringerem Zeitaufwande in richtiger Form erzielbare Art des zusammenhängenden Gedankenausdruckes auf allen Schulstufen in ausgiebigem Maße gepflegt werde;

c) dass für die Zwecke des Stilunterrichtes alles hiefür Verwendbare aus dem Bereiche des gesammten Unterrichtes überhaupt, sowie aus jenem der verschiedenen übrigen Zweige des Sprachunterrichtes im besonderen nach Maßgabe des jeweiligen Bedürfnisses herangezogen werde.

2. Die Themen zu den Aufsatzübungen selbst sollen anregend, der Fassungskraft und dem Erfahrungskreise der Schüler angemessen und soviel als möglich den Bedürf- nissen des praktischen Lebens angepasst sein, welch letzterer Anforderung am meisten Themen zu Briefen und einzelnen Geschäftsaufsätzen entsprechen.«

Er bespricht sodann den Antrag Zens’, den er auf das entschiedenste unterstützt und hiebei unter anderem Folgendes ausführt: Bei der gegenwärtig für alle Sprach- aufgaben üblichen Einzelnverbesserung nimmt der Schüler gar oft Änderungen in seiner Aufgabe im Sinne einer wirklichen oder auch nur vermeintlichen Verbesserung vor, weil er die vom Lehrer schriftlich gegebenen Anhaltspunkte hiefür entweder versteht und richtig oder auch nicht richtig auffasst, ohne dass er auch stets darüber sich völlig klar wäre, warum das vom Lehrer als änderungsbedürftig Bezeichnete auch wirklich änderungsbedürftig ist. Wenn aber bei der mündlichen Hervorhebung einzelner Fehler in logischer, stilistischer, grammatischer oder orthographischer Beziehung stets auf die Gesetze hingewiesen wird, gegen welche die betreffenden Fehler verstoßen, dann wird es dem Schüler nicht nur nicht an der nöthigen Klarheit darüber fehlen, wieso er es im gegebenen Falle mit einem Fehler zu thun hat, sondern es wird auch zugleich die Kenntnis und das Verständnis der betreffenden Gesetze immer mehr zu einem unverlierbaren geistigen Eigenthum des Schülers werden und dieser dadurch in immer höherem Grade die Fähigkeit erlangen, die Sprache nicht bloß geschäftsmäßig, sondern auch zugleich bewusst in richtiger Weise zu gebrauchen. Redner schließt, indem er ein Vorgehen im Sinne des gestellten Correcturantrages als einen sehr bedeutenden Fortschritt auf dem Gebiete der Verbesserung der deutschen Sprachaufgaben in der Bürgerschule erklärt und deshalb den Antrag Zens’ wärmstens zur Annahme empfiehlt.

Bezüglich der vom Referenten aufgestellten These 3 aber sagt Binstorfer, dass es im Hinblick auf den Antrag Zens’ zweckmäßig sein dürfte, von einer Beschluss- fassung über diese These vorläufig abzusehen und umso kräftiger und entschiedener dafür einzutreten, dass das im zweiten Theile des Antrages Zens’ als Ziel Hingestellte sobald als möglich erreicht werde. Er beantragt deshalb, die Beschlussfassung über die von Kuhner aufgestellte These 3 zu vertagen.

J. Krapfenbauer tritt dafür ein, dass das vorgeschlagene Correcturverfahren auch für die der Bürgerschule vorausgehenden Volksschulstufen als zweckmäßig erklärt werde, denn in der fünften Classe z. B. seien die einschlägigen Verhältnisse ähnlich denen der Bürgerschule. Auf die Entgegnung, dass eine schleunige Lösung dieser Frage durch die Einbeziehung von Volksschulclassen gefährdet erscheine, dass ferner für die Art der Correctur vornehmlich die Unterrichtsstufe maßgebend sei, zieht Krapfen- bauer den gestellten Antrag zurück.

V. Zwilling erblickt einen Widerspruch darin, dass Referent zuerst fleißige

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Übung, dann aber eine Verminderung der Aufgaben fordere. Die Vermehrung der Sprachstunden in der dritten Classe aber müsse auf Kosten anderer Lehrgegenstände erfolgen, weil die Kinder ohnehin mit Unterrichtsstunden reichlich beladen seien. Der Antrag Zens’ bedeutet einen Fortschritt im Unterrichtsverfahren, die Durchführung des Antrages solle durch ausführliche Erörterungen in den Fachblättern unterstützt werden.

Haas meint, dass ein größerer Erfolg nur aus dem Antrag Kuhners (auf Ver- minderung der Aufgaben) nicht aber aus dem Antrage Zens’ (auf Änderung des Cor- recturverfahrens) zu erwarten stehe, da eine wirkliche Entlastung für Lehrer und Schüler nur durch Herabsetzung der Aufgabenzahl zu erreichen sei.

Referent Kuhner nimmt die Abänderungsanträge Binstorfers an und zieht endlich die These 3 zurück. |

Die Abstimmung ergibt die Annahme der Thesen nach dem Wortlaute Binstorfers sowie des auf die Änderung des Correcturverfahrens gerichteten Antrages, bei welchem über Antrag D. Simons in Punkt ı vor dem Ausdruck »bloß durch- gesehen werden« eingeschaltet wird: »zu dem Behufe.«

Anmerkung. Der vorbereitende Ausschuss für die Wiener Bürgerschul- lehrer-Conferenzen unterstützte die auf die Aufgabencorrectur bezügliche Anregung, so dass das Thema »Über das methodische Verfahren bei der Verbesse- rung der schriftlichen Schülerarbeiten aus der Unterrichtssprache« auf die Tagesordnung dieser Conferenzeu gelangte; die Beschlüsse der letzteren wurden unter die im Anhange dieses Buches verzeichneten »Thesen zu pädagogischen Themen« aufgenommen.

V.

Johann Georg Lehmann und die Schulkartographie.

Vorgetragen und demonstriert am 13. Jänner Igoo von C. B. KRATOCHWIL.

Johann Georg Lehmann stand wohl in keiner Beziehung zur Schulkartographie, denn sein Wirken fällt in eine Zeit, in der man an eine eigene Schulkartographie gar nicht dachte, aber seine grund- legenden Ideen haben auch in den Schulkarten allenthalben Eingang gefunden, und wer über diese sprechen will, kann und darf es nicht vermeiden, auch jenes Mannes zu gedenken, der vor hundert Jahren durch sein Werk über eine neue Methode der Terraindarstellung (»Darstellung einer neuen Theorie zur Bezeichnung der schiefen Flächen,« Dresden 1799) der Kartographie den Weg wies, auf dem eine gesetzmäßige Wiedergabe des Geländes mit der gewünschten Genauigkeit und Anschaulichkeit in, planum möglich ist. Wenn ich daher meinen Ausführungen eine kurze Skizze über das Wirken Leh- manns voranschicke, so geschieht dies in dankbarer Erinnerung an ihn und um seine bahnbrechenden Arbeiten der unverdienten Ver- gessenheit zu entreißen.

Unsere Zeit feiert die unterschiedlichsten Jubiläen, und besonders dıe periodische Presse lässt selten einen Gedenktag unbesprochen vor- übergehen, von Lehmann, respective von seinem vor hundert Jahren erschienenen Werke hat sie nicht mehr Notiz genommen, als der 7. internationale Geographencongress zu Berlin Idgg. Mag auch Leh- manns Schrift bei ihrem Erscheinen nicht gleich jene Beachtung in den gebildeten Kreisen gefunden haben, die sie im vollsten Maße verdient hätte, in militärischen Kreisen erkannte man alsbald den hohen Wert der Lehmann’schen Vorschläge, weil eine gute Karte eines der wich- tigsten Requisiten einer Armee ist.

Die bedeutendsten europäischen Staaten hatten schon damals ihre sogenannten Plankammern, militärische Institute, die mit der Her-

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stellung von topographischen Karten sie bildeten ein Staats- geheimnis und ihrer Evidenzhaltung betraut waren, und die auch von allen Fortschritten in der Kartographie Notiz nehmen mussten. Im allgemeinen aber konnten die damaligen Karten wegen ihrer primi- tiven Terraindarstellung für militärische Operationen ein bedenk- licher Mangel nicht genügen. Diesem Mangel abzuhelfen war Leh- manns Streben, und als er mit seiner Theorie vor die Öffentlichkeit trat, war ihm bereits der Ruf eines tüchtigen Topographen voraus- gegangen.

Zu Johannismühle bei Baruth am ıı. Mai 1765 geboren, diente er von seinem Ig. Lebensjahre an bei dem Militär als Compagnie- schreiber in Dresden, besuchte aber gleichzeitig fleißig die Kriegsschule daselbst, wo er bald als Topograph die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Er fand jedoch für seine Ideen nicht das erwartete Verständnis, und noch weniger Unterstützung. Der Mangel an Zeit und Freiheit hinderte ihn, durch eine größere Arbeit die Zweckmäßigkeit seiner damals noch nicht veröffentlichten Theorie einer neuen Terraindarstellung zu erproben, weshalb er 1793 seinen Abschied nahm und sich als Feld- messer bethätigte. In dieser Zeit trat er für die von Ducarla als rein mathematische Linien in die Kartographie eingeführten Isohypsen ein und legte ihre Beziehungen zu den Gefällslinien dar. Sein bedeu- tendstes Werk ist und bleibt aber die mit außerordentlichem Fleiße und großer Sorgfalt durchgeführte Aufnahme eines 1430 #m? großen Gebietes im sächsischen Erzgebirge (1796), dessen charakteristisches Terrain ihm eine Fülle neuer Formen, wie sie ihm bisher bei seinen Aufnahmen noch nicht vorgekommen waren, zeigte, und die er mit vollkommener Anschaulichkeit zur Darstellung brachte. Dieser Arbeit verdankte er 1798 die Stellung eines Officiers an der Ritterakademie zu Dresden, wo er als Lehrer für seine Theorie unermüdlich wirkte. Um seinen Ideen auch eine weitere Publicität zu geben, veröffentlichte er 1799 die bereits eingangs erwähnte Schrift, welche später Fischer in 2 Bänden, mit zahlreichen Bemerkungen und Zusätzen versehen, 1812 neu heraus- gab, und die bis 1843 fünf Auflagen erlebte. Lehmanns weitere Thä-. tigkeit übergehend, füge ich noch bei, dass er als Major und Director der militärischen Plankammer in Dresden bis zu seinem am 6. December I8ı1 erfolgten Tode thätig war. Seine Vorschläge bilden einen Markstein und Wendepunkt in der Geschichte der Kartographie, und seine Schrift blieb durch mehr als ein halbes Jahrhundert hindurch das wichtigste Lehrbuch für die Terraindarstellung.

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Um die Bedeutung Lehmanns richtig würdigen zu können, ist es nothwendig, vorzuführen, welch elementarer und naiver Mittel die Kartographie bis zum Ende des ı8. Jahrhunderts sich bediente, um das orographische Element mit zeichnerischen Mitteln zum plastischen Ausdrucke zu bringen. Es lassen sich da deutlich mehrere Epochen erkennen, welchen etwa folgende Stufen entsprechen: I. Die Darstellung der Bodenerhebungen durch sägezahnartige Formen (Karten des Ptole- mäos); 2. durch Haufenformen mit Selbstschatten; 3. durch schema- tische Profile in seitlicher Ansicht mit Schattierung; 4. durch raupen- artige Zeichnung; 5. durch Anwendung der Vogelperspective; 6. durch schattiertte Formen, wobei man die Geländeformen mittels eigener Formenlinien in den Grundriss der Karte einfügte und von Nordwest beleuchtet einseitig schattierte, und endlich 7. die weitere Ausgestaltung dieser Methode nach der Richtung, dass man von der einseitigen Beleuchtung absah und die Formen nach dem Grundsatze: hohe Berge mit starken Strichen, niedere mit feinen Strichen schraffieren, dar- stellen ließ. Wo diese gesetzlose Vorschrift nicht passen wollte, überließ man es dem Gefühle und Geschmacke des Zeichners, das Richtige zu treffen, und doch war diese Darstellungsart die gründlichere ; sie führte den Namen »deutsche Schule« im Gegensatze zu der unter 6 ange- führten »französischen Schule«, welche auf eine mehr effectvolle Dar- stellungsweise hinarbeitete.. Die deutsche Schule fand viel Anklang. Anfangs wurde laviert und geschummert, das Schraffieren gewann aber bald die Oberhand. Major Ludwig Müller brachte später insofern ein Princip in das Schraffieren, als er eine neunstufige Scala schuf, nach der die Böschung in Rücksicht ıhrer Neigung (je steiler, desto dünkler) schraffiert wurde, ohne jedoch der Willkür einen Damm setzen zu können. Erst Lehmann blieb es vorbehalten, die Schraffierung in ein streng gesetzmäßiges System zu bringen. Er behielt die neunstufige Scala bei, nahm eine verticale Beleuchtung an und ließ die tiefste Verdunklung schon bei einer Böschung von 45°, die ja bereits für Begehung und Verkehr unzugänglich ist, eintreten. Er gab der Strich- breite und dem weißen Zwischenraum in den Schraffen einen mathe- matischen Wert, erklärte die Bergstriche als Fallinien des Wasser- ablaufes und stellte sie senkrecht zu den äquidistanten Horizontal- linien, wenn er auch letztere in den Karten ungezeichnet ließ, nach- dem sie die plastische Wirkung nicht zu heben vermochten. »In dieser Vereinigung von veranschaulichender Kraft mit mathematischer Bestimmt- heit liegt die Ursache für die weite Verbreitung, welche die Leh-

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mann’sche Methode gefunden hat.< (Dr. Karl Peucker.) Die Aufgabe, in der zweidimensionalen Ebene die dreidimensionale Form des Geländes eindeutig darzustellen, war wohl schon 1771 durch Ducarla mittels der Einführung von Niveaucurven gelöst, allein die Höhen wurden dadurch in der Karte wohl messbar, aber nicht besonders plastisch wiedergegeben. Die Plastik wurde erst durch Lehmanns Schraffierung erreicht.

Bei dem Umstande, als Lehmanns Schrift nur mehr in größeren Bibliotheken zu finden und somit nicht leicht zugänglich ist, wird es nicht überflüssig sein, in Kürze den Weg zu zeigen, auf welchem er zu seiner gesetzmäßigen Schraffenscala gelangte. Er gieng von dem optischen Gesetze aus, dass die Stärke der Beleuchtung, d. i. die Menge des Lichtes lothrechte Strahlenrichtung vorausgesetzt welche auf die schiefe Fläche fällt, sich mit dem cosinus des Neigungs- winkels der Fläche ändert; es ist somit für die Geländedarstellung durch den cosinus des Neigungswinkels die Menge des Weiß und der Lichtverlust, d. ı. die Menge des Schwarz, durch den sinus versus desselben Winkels unzweifelhaft gegeben, wobei die auf die horizontale Fläche fallende Lichtmenge mit I angenommen wird.

Z. B.: Neigungswinkel der Ebene = 20°; cos. 20° = 0°93969 (Menge des Weiß); sinus versus 20° = 0'0603I (Menge des Schwarz).

Mit Rücksicht darauf, dass der Grenzwert bei Böschungen für loses Erdreich in normalen Verhältnisen 45° beträgt und Neigungen der Ebene über diesen Grenzwert hinaus nur im felsigen Terrain möglich sind, dessen Darstellung nach Böschungswinkeln aber sowohl aus militärischen wie auch allgemein praktischen Gründen nicht nöthig schien, beschränkte sich Lehmann auf Böschungen von 0—45°. Es ergaben sich aber in der praktischen Anwendung obiger Wiınkel- functionen Schwierigkeiten, weil Schwarz erst bei einer Böschung von 90° den Wert ı erreicht, Lehmann aber bereits bei 45° Schwarz erhalten wollte; ferner sind die Unterschiede in der Beleuchtungs- intensität von 0— 45° sehr gering. Er änderte daher seinen Schlüssel dahin ab, dass er sagte: Bei allen Böschungen von 0—45° muss sich der Antheil des Schwarz zum Antheil des Weiß verhalten wie der sinus versus des doppelten gegebenen Böschungswinkels zum cosinus dieses doppelten Winkels. Schließlich gieng er auch davon ab, weil sich für flache Abdachungen zu geringe, für steile zu große Unterschiede ergaben, während gerade für die meist anzutreffenden Böschungen von 0—20° große Beleuchtungsunterschiede wünschenswert wären. Eine brauchbare Scala, die nur bis 45° reichen soll und eine gute

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Abschätzung zulässt, ergab sich erst Lehmann durch das Studium der Reflexionsgesetze auf der Kugeloberfläche. Wenn auch die wenigsten der Terrainformen sich als Halbkugel oder Theile derselben auffassen lassen, so hielt Lehmann doch an den Reflexionserscheinungen fest und baute seine Scala auf dieselben auf.

Hat z. B. eine Ebene eine Neigung von Io’ und setzt man verticale Beleuchtung voraus, so bilden der auffallende und reflectierte Strahl mit dem Einfallsloth zusammen einen Winkel von 20°. Der Erfüllungswinkel:auf g0° ist 70°; es ergibt sich daraus das Verhältnis von Schwarz zu Weiß wie 20 :70 oder 2 : 7. In der Betrachtung der sich so ergebenden Reihe kam Lehmann schließlich zu folgendem Grundsatze für die Terrainschraffierung:

Bei jeder durch Striche angedeuteten, zwischen o und 45° liegenden Neigung einer Ebene verhält sich die Breite des Striches zur Breite des Zwischenraumes wie der gegebene Neigungswinkel zu seinem Erfüllungswinkel auf 45°. Dieser endgiltig von Lehmann acceptierte Schraffenschlüssel ist eine arithmetische Reihe, die sich jederzeit leicht construieren lässt und es leicht gestattet, annähernd den Böschungs- winkel zu beurtheilen.

Es ist von Interesse, Lehmanns Schrift zu entnehmen, dass er von seinem aufgestellten Schraffenschlüssel keineswegs vollständig befriedigt war und darauf hinweist, dass es zweckmäßiger wäre, das Verhältnis von Schwarz und Weiß aus der sinus-Function des Böschungs- winkels zu entnehmen. Damit war er jener Schraffenscala, wie sie heute, mit wenigen Abänderungen, im Gebrauche ist, ziemlich nahe, hat aber den guten Gedanken nicht weiter verfolgt. Lehmanns Erzgebirgaufnahmen sind nach seinem Schlüssel schraffiert, zeigen aber trotz ihrer großen Sorgfalt in der Ausführung des Terrains eine gewisse Steifheit und Kälte, bedingt durch den Umstand, dass er Anfang und Ende einer Schraffe innerhalb zweier Isohypsen legte und die Böschungen bereits bei 30° ziemlich dunkel erscheinen. (Schwarz —= 2, Weiß = ı Theil.)

Die meisten mitteleuropäischen Staaten schritten alsbald daran, ihre Landesaufnahmen mit einigen Änderungen der Vorschläge Lehmanns nach diesen neuen Grundsätzen auszuführen. Die Aufnahmssectionen von Baden und Württemberg wurden vollständig im Sinne Lehmanns hergestellt; in Österreich konnte in den Aufnahmssectionen die Leh- mann’sche Scala nicht Anwendung finden, denn die Sectionen aus den Alpen und Karpaten hätten wegen der steilen Böschungen ein zu schwarzes Terrain bekommen, was dem Gerippe Eintrag macht und

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das Lesen erschwert. Das k. und k. militär-geographische Institut,. das bedeutendste und angesehenste Institut für Kartographie, hat daher die Ideen Lehmanns auf österreichische Terrainverhältnisse umgemodelt, indem es eine eigene, arithmetische Scala aufstellte, die, je nach dem Allgemeincharakter des Geländes, als Minimal- oder Maximalscala zur Anwendung gelangt. Karl Freiherr v. Müffling, preußischer GFM.*), hat die Lehmann’sche Scala auf 50° Böschung ausgedehnt (Decimalscala).

In jüngster Zeit geht das Streben dahin, im Interesse einer natur- gemäßen Erklärung der Schraffen, die sich auch elementar geben lassen muss, eine Scala nach der sinus-Function aufzustellen und in Anwendung zu bringen. Dieselbe hat zunächst das für sich, dass sie sowohl elementar wie auch mathematisch nach physikalischen Gesetzen (Fall auf der schiefen Ebene) erklärt werden kann, mit dem Begriffe der Schraffen als Gefällslinien sehr gut in Einklang zu bringen ist und keine nennens- werten Unterschiede im Vergleich mit den gebräuchlichen Schraffen- scalen ergibt. Für allgemein praktische Zwecke ergibt dieselbe in den Grenzwerten für die wichtigsten Böschungsarten (fahrbar, gangbar, steigbar, 15° 25° 45°) so leicht lesbare Verhältniszahlen (4, 4, 3), dass ihr dies nur zum Vorzuge gereicht. Ich hatte an dieser Stelle vor 2 Jahren Gelegenheit, über die Erklärung der Terrain- schraffierung im geographischen und heimatkundlichen Unterrichte zu sprechen und die Vortheile dieser Erklärungsweise auseinanderzusetzen **).

Seit Lehmann datiert der große Aufschwung der Kartographie. Seine Verdienste um dieselbe werden fortdauern, und seine Anregungen dürften kaum anderen Methoden der Terraindarstellung weichen.

Die vielfachen Wandlungen, welche das Landkartenwesen bis auf Lehmann aufweist, berührten die Schulkartographie, die ja eine Schöpfung unserer Zeit ist, nicht. Noch bis in die ersten drei Decennien des ıg. Jahrhunderts waren Karten in den niederen Schulen eine Seltenheit, da niemand das Risico für die Herstellung solcher Karten übernehmen wollte. Das Absatzgebiet war klein, die Herstellungskosten groß und das Quellenmateriale schwer zugänglich. Erst mit dem Auf- schwung des Schulwesens, mit der Vervollkommnung des Steindruckes und der Zugänglichkeit des Quellenmateriales trat eine durchgreifende Änderung ein. Anfänglich zeigten die Schulkarten geschummertes Terrain; nach und nach kam die Schraffenmanier zur Anwendung.

*) Hervorragend thätig bei der trigonometrischen Vermessung von Westphalen und bei der Gradmessung in Thüringen (1775— 1851). %*) Siehe »Pädagogisches Jahrbuch 1898«.

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Als einen der bedeutendsten Schulkartographen müssen wir Sydow nennen, der durch die Einführung der Regionalfarben in der Gelände- darstellung der Schulkarte besondere Anschaulichkeit gab. Er that jedoch diesen Schritt nicht auf einmal. Zuerst gab er den Karten bloß das Tieflandgrün, das er später in zwei Stufen theilte, um endlich auch das Bergland durch Schichtentöne abzustufen. Die methodische Ausgestaltung dieser Karten, ihr wissenschaftlicher Wert und ihre technisch vorzügliche Ausführung stellte diese Sydow—Habenicht’schen Karten in die Reihe der besten Erzeugnisse des Landkartenwesens. Diese Karten blieben bis in die neueste Zeit Vorbilder für eine Reihe von Schulkarten. Eine andere Richtung schlug in Österreich Anton Steinhauser (I802—ı8g90) ein, der, angeregt durch die Arbeiten des österreichischen FZM. Franz Ritter von Hauslab (1798 —-ı883), in den Jahren 1864--68 einen »Atlas zum geographischen Unterricht in den österreichisch-deutschen Schulen« in 48 Blättern herausgab. Diesen rein hypsometrischen Karten ließ er einen »Atlas zur Vaterlandskunde von Österreich-Ungarn«, eine Höhenschichtenkarte der Alpen, eine Karte von Mitteleuropa, Österreich-Ungarn und endlich in Verbindung mit Streffleur die »Schichtenkarten der österr.-ungarischen Länder« folgen. Ich muss darauf verzichten, des weiteren darzulegen, warum Steinhausers Karten nur in wenigen Schulen Eingang fanden und jetzt gänzlich aus dem Gebrauche gekommen sind; es wird sich hiefür gelegentlich Zeit finden.

Die Karten von Bauer, Kozenn, Chavanne, Kiepert u. a. sind Ihnen aus der Praxis ohnehin bekannt, ıch kann daher von einer Besprechung derselben absehen. Bei einigen ist der Einfluss Sydows _ unverkennbar. Von den jüngeren Erzeugnissen der Schulkartographie wurden die Wandkarten von Haardt sehr beifällig aufgenommen. In der Regel ist das Terrain in den Wand- und Handkarten dieser Autoren durch Schraffen dargestellt. Karten mit geschummertem Terrain blieben vereinzelt und entsprachen nur wenig den Anforde- rungen. Ihre plastische Wirkung ist gering, die Wiedergabe der Böschungsverhältnisse eine unzureichende und ihre Herstellung durch den Maßstab in gewisse Grenzen gewiesen. Es würde mich zu weit führen, diese Karten noch näher kritisch zu beleuchten, aber ich empfehle Ihnen wärmstens, eingehende Vergleiche von geschummertem und schraffierttem Terrain auf Karten anzustellen.

Gründe, die auseinanderzusetzen ich vor zwei Jahren an dieser Stelle Gelegenheit hatte, veranlassten eine stattliche Zahl von Schul-

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männern, die Versuche mit Schichtenkarten, denen ein Höhencolorit gegeben wird, neuerdings aufzunehmen. Die Erzeugnisse dieses Privat- fleißes blieben meist auf den engsten Kreis beschränkt, nur die von der Wiener pädagogischen Gesellschaft herausgegebene und von R. Walsch gezeichnete hypsometrische Wand- und Handkarte von Niederösterreich kam in den Handel.

Bedeutungsvoll für das Schulkartenwesen wurden die Karten von Dr. Karl Schober. Im k. und k. militär-geographischen Institute aus- geführt, zählen sie zu den besten Erzeugnissen ihrer Art. Sie haben eine Terraindarstellung, welche sich als eine Verbindung von Böschungs- plastik (Schraffenmanier) mit der Höhenplastik (Schichten mit Höhen- colorit) erweist, und zwar gelangen in der Höhenplastik im allgemeinen die Schichtentöne der hypsometrischen Karte Österreich - Ungarns I : 750.000 zur Anwendung. Wie nicht anders zu erwarten, ist das Terrain mit großer Sorgfalt und tüchtiger Sachkenntnis wiedergegeben. Die Generalisierung ist eine vollkommen zweckentsprechende, so dass nicht allein der allgemeine Terraincharakter der Landschaft gewahrt blieb, es blieben auch die Hauptformen der Heimatslandschaft ın der Landeskarte erhalten. Dieselbe sachkundige Generalisierung zeigt sich auch in dem hydrographischen Theile. Das Generalisieren ist eine Kunst und verlangt eine gediegene Kenntnis des Terrains überhaupt. Die Hauptfehler nach dieser Richtung zeigen sich in den Schulkarten ; entweder ist die Karte zu viel generalisiert, dann steht sie einer Karten- skizze sehr nahe, oder die Karte macht zufolge einer mangelhaften, unzureichenden Generalisierung einen unruhigen, verwirrenden Ein- druck. Wenn Karten, die mit ersterem Fehler behaftet sind, trotzdem einer unverdienten Beliebtheit sich erfreuen, so gibt dies zu denken. Jahrelange Übung, eine gründliche Fertigkeit im Terrainlesen, eine tüchtige Kenntnis der Bodenverhältnisse und nicht zu allerletzt eine verständnisvolle Erfassung alles dessen, was dem heimatkundlichen und geographischen Unterrichte noththut, geben die Gewähr, dass nur gute und beste Karten im Unterrichte zur Verwendung gelangen. Ich will mir in dieser Hinsicht erlauben, Ihre Aufmerksamkeit besonders auf diese Seite der Wand- und Handkarten für den Schulgebrauch zu lenken.

In der Karte des Heimatsortes und des Bezirkes (Heimatsland- schaft) muss der Schüler alles wiederfinden, was er im Freien geschaut, wohin ihn seine Füße getragen, und was er in der Ferne gesehen hat. In dem steten Vergleiche der Natur mit der Karte soll er diese

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lesen lernen. Wir haben deshalb an einer andern Stelle nachdrücklich betont, dass eine Generalisierung in diesen Karten nicht am Platze ist.

Was der Schüler in der Karte der Heimatslandschaft kennen gelernt hat, soll er in den Grundzügen in der Karte des Heimatslandes wiederfinden und wiedererkennen. Es hat daher seine volle Berechti- gung, wenn Sie in den Schober’schen Karten sowohl in dem oro- hydrographischen, wie auch topographischen Theile eine gewisse Detaillierung erkennen, was aber in diesem Falle besser als zweck- mäßige Generalisierung bezeichnet werden muss. Also nicht aus bloß äußerlichen Gründen finden wir eine so große Anzahl von Siedelungen und eine scheinbare Fülle an oro-hydrographischen Details. Das Bild des Heimatslandes ıst eben die Summe aller Heimatslandschaften, und nachdem es nicht möglich ist, für jeden Schulbezirk eine besondere Landeskarte zu schaffen, so muss jeder Schulbezirk in entsprechender Generalisierung bei der Darstellung in der Landeskarte mit seinen oro-hydrographischen und Siedelungsverhältnissen berücksichtigt werden.

Eigen ist den Schober’schen Karten der Gebrauch besonders her- vorgehobener Anfangsbuchstaben in den Ortsnamen. Ob diese Neuheit auch so zweckmäßig ist, dass sie den Nachtheil, den sie anderseits wieder der Terraindarstellung verursacht, wettzumachen vermag, lasse ich dahingestellt, denn damit würde die Frage: stumme oder beschrie- bene Karten, aufgerollt, was ich diesmal nicht beabsichtige.

Die beschränkten Raumverhältnisse und die kurze Zeit, welche mir zugewiesen ist, gestatten es nicht, an den verschiedenen Karten zu zeigen, wie eine Schulkarte sein und nicht sein soll, und eingehend darzulegen, was als zweckmäßig beibehalten, was als verwerflich aus- geschieden werden muss. Auf diesem Wege kämen wir schließlich dahin, uns ein Idealbild einer Schulkarte zu bilden, dessen Verwirk- lichung mit den derzeitigen technischen Hilfsmitteln gewiss nicht ganz außer dem Bereiche der Möglichkeit läge. Ich muss mich daher darauf beschränken, die Forderungen, welche wir an eine gute Schulwand- und Handkarte stellen, in kurzen Sätzen zu formulieren und es allen Collegen, denen es Bedürfnis ist, auf diesem Gebiete weitere Studien zu machen, überlassen, meine bescheidenen Anregungen weiter zu verfolgen.

Heimatskunde, Landeskunde und Geographie bedeuten nur Stufen eines einzelnen Unterrichtsgegenstandes: Erdbeschreibung. Die Heimats- kunde gibt die ersten Grundlagen und muss in dem Schüler die Fähig- keit, eine Karte lesen und verstehen zu können, ausbilden. Dies bedingt

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die Forderungen, welche ich früher bei dem Hinweise auf die Karte des Heimatsortes und der Heimatslandschaft stellte: detailliert, klar, übersichtlich, richtig, leicht lesbar und großen Maßstabes. Der Schüler muss in der Karte die Natur wieder erkennen und in der Karte lesen können. Die Aufgabe des Lehrers ist diesfalls keine leichte, und es bedarf allen methodischen Geschickes und zweckdienlicher Mittel, dieses Ziel zu erreichen, soll jede Unterlassung sich nicht späterhin rächen*).

Bei der Herstellung der Landeskarte tritt ein neues Moment auf; die Generalisierung. Ich habe schon früher erwähnt, dass die Landes- karte die Reichhaltigkeit der Heimatskarten in den Grundzügen wieder- geben soll, ohne durch zu viel Detail die Ruhe und Einheit des Kartenbildes zu stören, was nur durch eine zielbewusste Generalisierung möglich ist. Geht aber diese vom richtigen Wege ab, so wird sie derb, die Karte wird zur Caricatur, zu einem wässrigen Auszug, gleich dem Lehrtexte und doch wieder diesem nicht gleich, denn der Lehrer ver- mag den Lehrtext durch Schilderungen, Beschreibungen, Bilder und sonstige Veranschaulichungen zu ergänzen und lebensvoll zu gestalten, er kann aber nicht die falsche Anschauung, die der Schüler nach der schlechten Karte bekommt, verbessern. Wir dürfen dem Schüler nicht die schwere Aufgabe zumuthen, sich in eine schlecht generalisierte Karte die Wahrheit hineinzudenken! Wer aber glaubt, diese Forderung an den Schüler stellen zu können, dem sei empfohlen, statt Landkarten nur Kartenskizzen zu verwenden, sie kommen billiger und schließen sich eng an den Text im Lehrbuche an. Ob Karten, welche mit Außer- achtlassung jeder Charakterisierung der Bodengestaltung an Steifheit, Schematisierung und Unwahrheit Großes leisten, zur Grundlage des erdkundlichen Unterrichtes dienen können; ob solche Karten die Lese- fähigkeit des Schülers auf der Karte fördern und ihn befähigen, auch im Leben eine Karte zu verstehen; ob sie ihm im Leben weiter helfen können, diese Frage überlasse ich Ihrer Beantwortung.

Ähnlich gestalten sich die Forderungen, die wir an eine Reichs- karte stellen. Die Generalisierung geht einen Schritt weiter. Ein Haupt- fehler vieler Reichskarten ist ihr zu sehr eingeschränkter Inhalt. Wohl muss eine gewisse Menge Details einem höheren Gesichtspunkte geopfert werden, allein nie in dem Maße, wie es nur zu oft geschieht. Mangelt dem Schüler das Verständnis der Karte, so kann es auch durch eine noch so weit gegangene Generalisierung und Einschränkung des

*) Siehe »Pädagogisches Jahrbuch 1898*, pag. 82 ff. Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1900. 5

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Inhaltes auf den nackten Lehrstoff nicht gehoben werden. Eine gegen- theilige Ansicht muss als unrichtig bezeichnet werden. Es gibt Schul- karten von Österreich-Ungarn, in denen die Generalisierung ebenso stark als falsch ist. Hügelland darf nicht zum Plateau, Mittelgebirge nicht zum Hügelland, Massengebirge nicht zum terrassenartig sich aufbauenden Gebirgsstocke werden. In dieser Hinsicht erlaube ich mir, auf die gediegenen Ausführungen im 20. Jahrgange der Zeitschrift für Schulgeographie (Seibert-Becker) hinzuweisen.

Da es sich aus praktischen Gründen nicht empfiehlt, bei der Behandlung der Heimatslandschaft sofort eine Bezirkskarte zu benützen, vielmehr ein allmähliches Entstehen der Heimatskarte, entsprechend dem Weiterschreiten des Unterrichtes, zu ermöglichen, was übrigens auch bei der Behandlung des Heimatslandes und des Reiches Giltig- keit hat, so ist ein Hilfsmittel nothwendig, das jedem Lehrer gestattet, dieser methodischen Forderung Rechnung zu tragen. Ich hatte vor zwei Jahren die Ehre, dieses Hilfsmittel (die Blankettkarte) und seinen

_ Gebrauch vorzuführen. Leider waren damals die Proben und Grund-

lagen noch nicht ganz auf der Höhe, dass ich es vermocht hätte, dafür zu erwärmen. Ich war in den zwei Jahren nicht müßig und bin nun in der angenehmen Lage, Besseres vorführen zu können, hoffend, der neuen Sache Freunde zu gewinnen.

Es gelang mir, eine Blankettkarte des Kronlandes Tirol herstellen zu lassen. Meine Wahl war keine freiwillige, vielmehr musste ich mit dem Lande Tirol mich begnügen, weil eben die Ihnen hier vorliegende Karte Tirols von Dr. K. Schober ım Drucke war, daher der Druck der Blankettkarte unter einem gieng. Ich bin überzeugt, dass eine Karte Niederösterreichs zweckdienlicher gewesen wäre. Es soll mein

Bemühen sein, auch das noch bieten zu können.

Wie die Blankettkarte hergestellt und wie dieselbe entwickelt wird, habe ich bereits früher auseinandergesetzt. Ich verweise diesfalls auf meinen früheren Vortrag, will aber nichtsdestoweniger doch einen Theil der Blankettkarte vor Ihren Augen entwickeln. (Es folgen nun die praktischen Demonstrationen.)

Wie zu sehen war, verlangt dieses kartographische Hilfsmittel keinerlei künstlerische Begabung noch technische Fertigkeit im Zeichnen, wohl aber muss der Lehrer selbst ein guter Kartenleser sein, und auch an Verständnis des Terrains darf es ihm nicht mangeln. Die Materia- lien sind: Pastellkreiden oder Staubfarben, ein weicher Lederwischer, eventuell Pinsel und Farbe.

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Nachdem ein Relief der Natur ähnlicher ist als eine Darstellung in planum, und weil eine Karte mit Reliefwirkung der kindlichen Auf- fassungsgabe näher steht als die gebräuchliche Landkarte, so ist bei der Entwicklung des Terrains eine einseitige Beleuchtung vorzuziehen. Es bleibt dem Ermessen des Lehrers und besonderen Umständen frei gestellt, die Beleuchtung von SO, S oder NW zu nehmen, es sei aber gleich gesagt, dass unter Umständen zur Erzielung einer günstigen Beleuchtungserscheinung bei einzelnen Bodenerhebungen die Lichtebene etwas gedreht werden muss, was ja nicht ausgeschlossen werden darf, nachdem es sich weniger um eine streng wissenschaftliche als vielmehr um eine anschauliche Darstellung handelt. Die Schattenseiten des Geländes werden von der Thalsohle an in der Reihenfolge grau, blau- grau, dunkelgrau und schwarz überwischt, die Lichtseite erhält von unten nach oben die Farbtöne grün, gelbgrün, gelb, orange. Fehlt die Felsenregion, so bleiben schwarz und orange in der Regel weg. Die Ebenen werden grau überwischt. Wenn nur das Augenmerk auf die Böschungen, ihre Lage zur Lichtrichtung und auf die Höhe der Erhe- bungen gerichtet wird, so sind Fehler und ein Misslingen der Arbeit vollständig ausgeschlossen. Wie zu sehen war, geht die Arbeit auch rasch vorwärts, und ist dieselbe leicht auszuführen. Wie das Land mit vollständig entwickeltem Terrain sich in der Blankettkarte prä- sentiert, können Sie dem hier ausgeführten Muster (Tirol I : 150.000) entnehmen.

Worin liegen nun die Vortheile der Blankettkarte? Sie setzt uns in die Lage, die Karte entsprechend dem fortschreitenden Unterrichte zu entwickeln und auszuführen, und es unterliegt ganz unseren Wün- schen und unserem Belieben, diese Karte so reichhaltig, als wir wollen, auszugestalten. Vor allem ist sie ein sehr gutes Vorbereitungsmittel für die Wandkarte selbst. Sie rückt diese der Auffassung der Kinder näher und concentriertt die Aufmerksamkeit der Schüler auf das Gewünschte. Durch die Blankettkarte lösen wir die Vielheit der Schul- karte in beliebige Einzelbilder auf. Wir können z. B. im Sinne des methodischen Vorganges das Terrain nach und nach entwickeln und ihm die Gewässer einzeichnen. Dadurch erhalten wir eine physikalische Karte, welche unsern Wünschen, weil selbst hergestellt, immer ent- sprechen wird. Beabsichtigen wir eine Karte der -Siedelungen zu machen, so brauchen wir bloß diese mit Hinweglassung des Terrains einzuzeichnen. Aus den vielen Beispielen, welche zeigen sollen, was aus der Blankettkarte alles gemacht werden kann, greife ich bloß

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einige heraus. Wir können herstellen: Eine Karte mit verticaler Beleuchtung und schwarzen oder andersfarbigen Schraffen; durch Ein- zeichnung der Isohypsen und Anlage von Farbtönen eine Schichten- karte; wir können für den geologischen Unterricht an Mittelschulen die Karte nach dieser Richtung entwickeln; wir können durch Zusam- menfassung des Geländedetails generalisieren. Es unterliegt gar keinem Anstande, nach Bedarf aus diesem methodischen Hilfsmittel eine Geschichtskarte, eine ethnographische Karte oder Karten über Bevöl- kerungsdichte, Vertheilung der Industrie u. a. m. herzustellen.

Diese Vielseitigkeit eines Lehrmittels verbürgt auch seine Ver- wendbarkeit. Bisher musste die Schule sich mit einer topographischen und physikalischen Karte der einzelnen Länder, .des Reiches etc. begnügen. Haben wir zu jeder Wandkarte eine entsprechende Anzahl Blankettkarten, so können diese nach den unterschiedlichsten Gesichts- punkten ausgeführt werden. Selbstverständlich muss die Blankettkarte ein Abdruck der ım Gebrauche stehenden Wandkarte sein; diese selbst soll auf der Höhe der Zeit stehen. Ich will nur noch beifügen, dass eine Karte mit geschummertem Terrain zur Herstellung von Blankett- karten ungeeignet ist.

Meine Darlegungen haben mich etwas vom Hauptthema abge- lenkt; da jedoch die Blankettkarte in das Gebiet Schulkarten zu weisen ist, konnte ich über dieselbe nicht schweigend hinweggehen, zumal sie ein billiges, leicht herstellbares und auf allen Unterrichtsstufen brauch- bares Lehrmittel ıst. Es wird die Aufgabe der Lehrerbildungsanstalten sein, die Candidaten in der Herstellung der Blankettkarten zu unter- weisen, was umso nothwendiger ist, als ja das Capitel Terrainlehre und Kartenlesen im geographischen Unterrichte an diesen Anstalten bisher recht schlecht wegkam.

Ich stehe am Schlusse meiner Ausführungen. Ein Rückblick wird uns sagen, dass die Schober’schen Karten, von ihren wenigen Mängeln abgesehen, derzeit das Beste aus dem Gebiete der Schulkarten sind; sie sollen das Vorbild für jede Schulkarte und die Grundlage zur weiteren Ausgestaltung der Schulkarten abgeben. Die Schober’schen Handkarten sind eine getreue Wiedergabe der Wandkarten desselben Autors, eine Eigenschaft, welche alle Nachahmung verdient. Wenn nun noch der Gebrauch der Schulkarte durch die Blankettkarte vorbereitet wird, so sind alle Garantien gegeben, dass der erdkundliche Unterricht eine nachhaltige Förderung erfahren muss. Die Thatsache, dass er dem Lehrtexte einen zu großen Einfluss einräumt, wird umso eher

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schwinden, je mehr die gute Karte und die sie vorbereitende Blankett- karte in den Mittelpunkt der erdkundlichen und heimatkundlichen Unterweisung rückt.

Thesen: I. Auf die Darstellung der oro-hydrographischen Verhältnisse ist in den Schulkarten ein besonderes Gewicht zu legen:

a) Durch eine getreue und klare Wiedergabe derselben in der detailliert zu haltenden Heimatskarte;

b) durch eine, die Bodenconfiguration der Heimatskarte in der wesentlichen Gestaltung wahrende, maßvolle Generalisierung des Terrains der Landeskarte.

II. Der Gebrauch eines auf die Wandkarte vorbereitenden und mit derselben im Maßstabe und Terrain identischen Lehrmittels (Blankettkarte) ist nothwendig,

a) damit entsprechend dem Fortschreiten des Unterrichtes nur das Erwünschte zur Anschauung gebracht werden könne;

b) die Wiedergabe der orographischen Verhältnisse der Karte anfänglich in einer der Fassungskraft der Schüler angemesseneren Weise (einseitige Beleuchtung) möglich werde und das stumme Terrainbild sich dem Schüler besser einpräge.

III. Auf die wichtigsten Grundsätze der Terraindarstellung ist im geographischen Unterrichte an den Lehrerbildungsanstalten Gewicht zu legen; auch mögen die Can- didaten in der Herstellung einfacher kartographischer Unterrichtsbehelfe unterwiesen werden.

Aus der Debatte. M. Zens vermisst die directe Beziehung des vorgeführten Gegenstandes auf die einzelnen Stufen der Volks- und Bürgerschule; es bleibe unklar, ob die vom Vortragenden empfohlene Karte schon auf der Unterstufe, also beim ersten Unterricht in der Heimatskunde, oder erst auf der Oberstufe den Schülern vorgeführt werden solle. Die Kenntnis von der Bodenbeschaffenheit, wie sie die vom zeichnerischen Standpunkte interessante Karte vermitteln will, könne nicht für jede Jahresstufe die gleiche Wichtigkeit und Bedeutung haben. Es müsse daher bestimmter gesagt werden, was für jede Stufe durchzunehmen, was überhaupt als praktisch für Unterricht und Leben zu verwerten sei. Die sonst treffliche Karte von Schober mit ihrem reichen Detail gehört erst auf die Oberstufe. Die hypsometrische Karte von Walsch ist zwar genannt, aber nicht gewürdigt worden. Der Wert der vorgeführten Blankettkarte werde sich erst in der Schulpraxis feststellen lassen. Da die Thesen zu allgemein gehalten, sollen sie bloß zur Kenntnis genommen werden.

Vortragender Kratochwil erwidert, dass sein Hauptaugenmerk auf die Her- stellung einer guten, für die Kinder verständlichen Karte gerichtet war, die als Wand- karte gedacht sei und viel enthalten könne, ohne dass deshalb alles durchgenommen werden müsse. Vor allem sei ihm daran gelegen, Mittel ausfindig zu machen, wie die Schüler zu einer besseren Kenntnis der Bodenbeschaffenheit gelangen. Endlich sollen an den Rand der Karte perspectivische Panoramen gezeichnet werden.

(Die Thesen werden zur Kenntnis genommen.)

VI

Die Aufgaben des naturgeschichtlichen Unterrichtes. Vortrag, gehalten am 21. April 1900 von FERDINAND FRANK.

Zu wiederholtenmalen wurde die Reform des naturgeschichtlichen Unterrichtes behandelt, doch scheint man vielfach vor lauter Methodik eines aus dem Auge verloren zu haben: die Klarstellung und Fest- haltung der Aufgaben des naturgeschichtlichen Unter- richtes überhaupt, wie sie eine naturgemäße und praktische Erziehung der Jugend heischen.

Die Behandlung dieses Themas dürfte nicht unnütz und unzeit- gemäß sein, wenn man bedenkt, dass die einseitige Auswertung eines Schlagwortes bis zu den äußersten Consequenzen die Gefahr in sich birgt, den Blick auf das große Ganze zu verlieren, da sie den Fanatiker dieses Schlagwortes auf Irrwege leiten muss. Dieses Schlagwort heißt nun: der naturgeschichtliche Unterricht nach Lebens- gemeinschaften. |

Wir setzen die Kenntnis der Reformbestrebungen voraus und bemerken gleich eingangs, dass die österreichische Lehrerwelt an dem Widerstreit der Meinungen bezüglich der Bedeutung und Behandlung des naturgeschichtlichen Unterrichtes verhältnismäßig wenig Antheil genom- men hat. Es waren bisher immer nur einzelne Lehrkräfte, welche sich für die Fragen der Reform in diesem Zweige lebhafter interessierten; _ zu einer Behandlung der Naturgeschichte nach Lebensgemeinschaften ist man in Österreich noch nicht durchgedrungen, auch hat man in den Conferenzen und Vereinen noch keinen durchgreifenden Vorstoß auf diesem Felde constatieren können.

Es wäre jedoch gefehlt, die zögernde Haltung der Schulkreise auf das Conto der Schwerfälligkeit oder Interesselosigkeit zu schreiben. Bei uns wird eben die Sache reiflich erwogen, und man lässt erst

71 dann, wenn man zu klaren Ergebnissen gelangt ist, die Umsetzung in die Praxis folgen, mit einem Worte: wir wollen die reifen Früchte dessen ernten, was die deutschen Methodiker durch zehnjähriges Experimentieren auf diesem Felde errungen haben, und wir bleiben dadurch mindestens vor unreifen Versuchen und Scheinerfolgen bewahrt.

Im allgemeinen stellt man sich die Durchführung der Reform ziemlich einfach und leicht vor. Irgendein Autor gibt ein Werk über den naturgeschichtlichen Unterricht nach Lebensgemeinschaften heraus, drückt dem Schüler einen mageren Auszug daraus in die Hand, und nun geht die Sache ihren Weg. So einfach können wir uns allerdings die Lösung der Reformfrage im naturgeschichtlichen Unterrichte nicht denken.

Vor allem fehlt es trotz gedachter Behelfe, welche zu einer ganzen Literatur angewachsen sind, dem Lehrer an der sachlichen Girund- lage für den Unterricht, diese kann ihm kein Lesebuch im voraus bieten, denn die Stoffbilder müssen auf localer Grundlage aufgebaut werden, sie sollen Bilder aus der natürlichen Umgebung des Schulortes, Bilder der Heimat darstellen, und wo beispielsweise der Dorfteich oder der Laubwald gänzlich mangelt, kann auch von der Behandlung einer diesbezüglichen Lebensgemeinschaft keine Rede sein. Und wo der Dorfteich in seiner Umgebung dem todten Meere ähnlich sieht und lediglich als Pferdeschwemme dient, da wird es mit Junges feinen Beobachtungen auch gewiss seinen Haken haben.

Eines schickt sich nicht für alle. Das passt für die Aufstellung und insbesondere für de Aufzwingung derartiger Naturbilder. Diese Arbeit wird immer Individualleistung jedes einzelnen Lehrers bleiben müssen, und es dürfte nur wenige gottgesegnete Localitäten geben, wo sich das Naturleben so reich und harmonisch entfaltet, um für die gesammte Stoffausbeute hinreichen zu können. Zu dieser idealen Natur gehört aber auch das Ideal von Lehrer, welcher durch eigene Beobachtungen dem Pulsschlag der Natur lauscht und durch jahrelange, mühselige Arbeit die nothwendigen Details und ihre Beziehungen zueinander studiert.

Alle methodischen Vorarbeiten deutscher Schulmänner können ihm diese individuelle Arbeit nicht abnehmen, was ein Blick auf deren Werke ergibt; sie können sich aber in verschiedener Art nützlich erweisen.

Wenn auch viele der sogenannten Lebensgemeinschaften rein papierne sind, also lose Stimmungsbilder oder rein äußerlich gegebene

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Thatsachen darstellen, welche auch das alte Verfahren, nur mit mehr Ordnung und Deutlichkeit, betonte, so können doch derartige Natur- bilder in gewissem Sinne den Lehrer bei seiner Eigenarbeit leiten und ihm so gewissermaßen Vorbild werden. Hat der Lehrer ein solches Naturbild vor sich, z.B. die Wiese im Vorfrühlinge, so fällt es ihm nicht schwer, die Objecte, den örtlichen Verhältnissen entsprechend, auszuschalten, eventuell zu ergänzen, die Beziehungen derselben unter- einander zu modificieren, kurz, das Bild einer Wiese in N., wie es sich im Vorfrühlinge darstellt, für die Unterrichtszwecke seiner Schule gleichsam zu construieren.

Geben ihm so mehr allgemein gehaltene Naturbilder wenigstens in groben Umrissen den Rahmen für die Aufstellung heimi- scher Bilder, so sind andererseits auch local gefärbte Vorbilder nicht ohne Vortheil für das Studium des Lehrers. So besteht der Nutzen von Junges Dorfteich, der leider öfter gelobt als gelesen wird, nicht darin, dass der Lehrer den dort niedergelegten Stoff unterrichtlich behandelt, sondern vielmehr in der Anregung, welche er bietet, Beob- achtungen ähnlicher Art am heimatlichen Material zu machen. Die Methode solcher Beobachtungen ist dauernd dieselbe; es wechselt gleichsam nur die Scene mit den Schauspielern.

Nicht genug aber muss vor der Gefahr gewarnt werden, welche die Benützung derartiger Detailbilder mit sich führen könnte. Indem der Lehrer nämlich allzu geneigt ist, den oft verborgenen, wenn nicht gar problematischen Beziehungen einzelner Naturkörper nachzugehen, verliert er nicht selten die ethischen und praktischen Aufgaben des Unterrichtes ganz oder theilweise aus dem Auge; sie werden eben durch das Schlagwort »Lebensgemeinschafts einfach erdrückt.

Angesichts dieser Thatsachen kann es nicht eindringlich genug betont werden, dass der naturgeschichtliche Unterricht immer und überall sich seiner umfassenden Aufgaben bewusst bleibe, wie sie eine naturgemäße und praktische Volkserziehung zu stellen berechtigt ist. Der naturgeschichtliche Unterricht hat seinen Beitrag zu liefern zur allseitigen und harmonischen Geistesbildung unserer Schüler, er soll aus dem vollen Leben schöpfen und mit seinen Resultaten in das Leben hinausführen, er soll nıcht bloß bilden, sondern auch erziehen helfen.

Diese Aufgaben kann der naturgeschichtliche Unterricht nicht durch die Behandlung von Naturbildern allein leisten, sein Schwer- gewicht muss nach wie vor auf anschaulicher, charakterisierender Naturbetrachtung des Einzelnen, Individuellen ruhen, denn ein Unter-

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richt, der nicht bis zu geklärten Einzelergebnissen vordringt, kann auch nicht zu klaren Gesammtergebnissen gelangen. Zuerst muss das Was, das Sachliche, klargestellt sein, ehe das Wie, die Beziehung, mit Erfolg behandelt werden kann, und das ist einer der schwachen Punkte der Reform, sie drängt das Was, das Stoffliche, zurück und will gleichsam nur in der Welt der Beziehungen schwelgen. Indı- vidualanschauung und Individualbetrachtung müssen also auch in Zukunft den Grundstock für die unterrichtliche Behandlung der Naturgeschichte bilden.

Diese Individualbehandlung muss aber besser basiert und gründlicher ausgenützt werden, als bisher.

Gut basiert erscheint die unterrichtliche Behandlung, wenn sie es nicht versäumt, in Form einer zergliederten (analytischen) Vorbespre- chung alle Erfahrungen und Beobachtungen sorgfältig heranzuziehen, welche die Schüler an den Objecten gemacht haben. Versäumt der Lehrer das zu thun, dann wird der Unterricht von der Lebenserfahrung, von der belebten Umgebung des Kindes isoliert, der Unterricht unter- bindet sich selbst gleichsam damit den Lebensnerv, das kindliche Interesse, und es. ist kein Wunder, wenn man die Klage hört, der Unterricht überhaupt habe keine erziehliche Wirkung.

Es gibt leider viele Pädagogen, welche diese Ansicht, der Unter- richt könne für die Erziehung wenig oder gar nichts abwerfen, zum Dogma erhoben haben und jeden Vertreter der entgegengesetzten Richtung mit einem mitleidigen Lächeln abthun. Es ist auch gar nicht schwer, diesem Dogma Geltung zu verschaffen, man braucht es nur darauf abzusehen.

Man versuche es, den Unterricht recht papieren zu machen und das Vorstellungsleben vom Willensleben in der kindlichen Psyche zu trennen. Das ıst durchführbar, wenn man das Schulzimmer als herme- tisch geschlossenes Glashaus, die Kinder als Treibhauspflänzchen betrachtet, den Unterricht von der Erfahrungswelt, von Natur, Heimat und Familie sorgfältig abschließt, den Kopf der Schüler mit Buch- vorstellungen und abstracten Wissensbrocken vollpfropft und die Ver- dauung des Stoffes durch mechanische Vomitive, z. B. mechanisches Hersagen, einfach überflüssig macht. Geht es nicht nach Wunsch, dann tritt das Recept in Wirkung: »Wer nicht hören will, muss fühlen,«e womit man dann glücklich am Gegenpol obiger Forderung angelangt ist; statt dass der Unterricht die Erziehung fördert, muss die Zucht den lahmen Gaul des Unterrichtes anstacheln.

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Man mag ja mit vollem Rechte einwenden, es sei widersinnig,, mit Herbart das gesammte Seelenleben aus dem Verlaufe der Vor- stellungen allein abzuleiten und doch zugleich den erziehenden Unter-. richt zu propagieren, obzwar wir gerechte Bedenken tragen, Herbart. diesen oft nachgebeteten und bekämpften Satz zuzuschreiben. Es dürfte einmal an der Zeit sein, die Auffassung Herbarts in diesem Punkte quellenmäßig klarzustellen. Dass Herbart von seinen Schülern oft und sehr missverstanden wurde, muss allerdings zugegeben werden. Doch fragen wir: Wer ist einerseits gebunden, sich an ein bestimmtes psychologisches System zu halten, wenn dasselbe den thatsächlichen Verhältnissen widerspricht? Ist es andererseits erlaubt, uns das Recht zu nehmen, das Gute einer pädagogischen Richtung anzuerkennen, wenn auch die theoretische Fundierung des Systems theilweise anfechtbar wäre? Uns ficht die Psychologie Herbarts in diesem Falle nicht an, ' wir haben streng die Frage zu stellen: Kann der Unterricht erziehend wirken? Diese Frage könnte nur blinde Voreingenommen- heit gegen Herbart und seine Anhänger mit Nein beantworten.

Es ist unlogisch, im Hinblick auf die banausischen Auswüchse dieser Schule, im Hinblick auf die oft gekünstelten Mittel zur Errei- chung dieses Zieles, im Hinblick auf die etwas zu optimistische Auf- fassung der thatsächlichen erziehlichen Erfolge die Frage selbst fallen zu lassen. Hierüber muss das eigene Bewusstsein des Lehrers maß- gebend sein, und dieses sagt ihm: Die besten erziehlichen Erfolge in der Schule verdankt der Lehrer einem eindringlichen, anregenden Unterrichte. Fragen wir einmal, wodurch wir die Schüler erziehen ? Durch das Beispiel und Vorbild allein? Und gibt denn der Lehrer durch seinen Unterricht und Fleiß nicht selbst das beste Beispiel sittlicher und geistiger Zucht? Ist er hier nicht Vorbild für die Erzie- hung? Lässt sich aber die Person von der Sache trennen? Was sind dagegen alle sonstigen Mittel der Zucht, Aufsicht, Belohnungen, Strafen u. s. w.! Sie vermögen die Erziehung einzuleiten, im geregelten Gange zu erhalten, vor groben Ausschreitungen zu bewahren; die erziehliche Feinarbeit, den Einschlag, das eigentlich sittlich Organi- sierende, kann nur ein guter Unterricht bieten; das ist auch psycho- logisch nicht anders möglich. Die Bestandstücke des sittlichen Cha- rakters sind außer dem Willen die sittlichen Motive; Motive aber sind Vorstellungen, das steht fest. Allerdings nicht flüchtige Vorstellungen, wie sie etwa im (reiste eines eifrigen Romanlesers zu Tausenden an einem Tage vorüberziehen und mehr das Auge als den

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Geist beschäftigen; Motive sind Vorstellungen, welche nicht bloß im Gedankenkreis oberflächlich aufgespeichert liegen, wie das Samengut auf dem Schüttboden, sondern im Fruchtboden des Interesses Wurzel fassen und dauernd festhaften, also über andere Vorstellungsmassen das Übergewicht der Allgegenwart aufweisen, mit einem Worte Vor- stellungen, welche für die einzelnen Willensacte Regulatoren und Wegweiser darstellen. Es freut mich, eine Belegstelle dazu von niemand anderem als von Diesterweg anführen zu können: »Keine Ansicht ist schiefer und gemeiner als die, dass das Wissen im Kopfe sei, dass man es wie ein äußerliches Besitzthum habe, dass man es sich mit dem Gedächtnisse aneigne. Nein, das echte, wahre, lebendige Wissen ist Sinn, ist Substanz des Geistes, ist Charakter. Betrachten wir, um ein Beispiel zu geben, zu diesem Zwecke kurz das oberste Moralprincip, welches Schopenhauer in seiner Ethik aufstellt: »Neminem laede, imo omnes quantum potes, juval«e (Ver- letze niemanden, hilf vielmehr allen, soviel du kannst!) Analysieren wir dieses Motiv zum sittlichen Handeln! »Verletze nie- manden!« Einspruch: Der Arzt verletzt den Kranken, der strafende Vater das Kind. Handeln sie sittlich? Klärung: Verletzen ist nicht wörtlich zu nehmen, als körperlich weh thun etwa, sondern in dem Sinne, jemandem absichtlich Schaden zufügen. Die Motive dazu können sehr verschieden sein: Bosheit, Schadenfreude, Roheit, Übermuth, Ver- drießlichkeit, Sorglosigkeit, also die ganze Scala, von der einfachen körperlichen oder geistigen Verstimmung sich steigernd bis zur sitt- lichen Verworfenheit und teuflischen Bosheit. »Verletze niemanden ist aber nur der negative Theil der Maxime, sie verträgt sich recht gut mit sittlicher Gleichgiltigkeit. Dazu tritt die positive Seite: »Hilf allen aber zugleich mit der nothwendigen Einschränkung: »Soviel du kannst, « denn ohne diese könnte sich das Liebeswerk zur Schädigung der eigenen Person selbst verkehren. Die Exemplificierung einer derartigen Maxime sendet nun ihre Zweige tief hinein in das gesammte geistige und sittliche Leben des Menschen, in den Widerstreit seiner Vor- stellungen und Willensregungen, und so wird die Maxime zum geistigen Fluidum, welches alle psychischen Äußerungen gleichsam durchdringt. Kann nun der Unterricht derartige Motive erzeugen, kann er ihnen zur Vorherrschaft im geistigen Leben verhelfen? Das wäre aller- dings zu viel verlangt, das übersteigt auch die Wirkungssphäre des Unterrichtes überhaupt. Kein Unterricht maße sich an, den Neubau der gesammten Vorstellungswelt im kindlichen Geiste aufführen zu

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können; das vermag nicht einmal der Hofmeister in Rousseaus »Emile« zu leisten. Aber eines kann er, den Ursprung, die Quellen, die Ansätze zu solchen Motiven zu erforschen. Diese Ansätze hat er von den Schlacken des Unzulänglichen und Trübenden zu reinigen, er hat das, was Sache der schwankenden Gefühle ist, zu verdichten in klaren Gedanken, ohne diese Gefühlswelt durch dürre Abstractionen zu ertödten. Dazu bieten sich in allen Unterrichtsgegenständen günstige Gelegenheiten.

»Verletze niemanden Ist das nicht ein ganzes unterrichtliches Programm, nicht bloß in Bezug auf die Mitmenschen, sondern auch auf die gesammten Naturwesen ? Da versäume man nicht, dem Gedanken der individuellen Belebung einen möglichst weiten Ausdruck zu geben! Wie tief steht nicht das sittliche Bewusstsein der Mitwelt noch heute da in der Missachtung und Misshandlung der Thiere, deren Lebensfunctionen zum Unterschiede von denen des Menschen mit den gemeinsten Ausdrücken belegt werden, wie das Schopenhauer so treffend darstellt und rügt! Wie empört es uns, wenn eine rohe Hand eine Marmorsäule schändet oder zerstört; meinen wir da nicht, einen Ein- griff in persönliche Rechte zu spüren? Wenn die rohe Hand nutzlos eine Blume abreißt und mit Füßen tritt, empört sich da nicht auch unser Inneres? Man verlache derartige Regungen als sentimental, der tiefer Denkende sieht hinter oft belanglosen Äußerungen dem Charakter bis auf den Grund, und es ist eigentlich dieselbe Verworfenheit, ob jemand um Königskronen oder um Rechenpfennige falsch spielt. Warum empört es uns nicht, wenn eine fleißige Hand Tausende von Unkräutern ausreißt? Leuchtet da nicht das »juva!«e durch? Wenn sich also der Unterricht des Mittels begäbe, die Motive zum sittlichen Handeln im Kinde zu erforschen, zu beleben, zu klären, dann begibt er sich selbst eines großen Theiles seines Wertes und sinkt zum leeren Spiel mit Vorstellungen herab, und dazu wäre der Zeitaufwand und die Kraft des Lehrers, wären die Jugendjahre Tausender von Schülern zu kostbar. Der naturgeschichtliche Unterricht kann in dem Sinne, als er an der Grundlegung von Motiven für das sittliche Handeln mitwirkt, ein Moralunterricht genannt werden; doch bedarf dieser Begriff einer kurzen Klarstellung. Man denke nämlich hierbei nicht an eine Auffrischung der oft sehr gezwungen gegebenen Zweckmäßigkeits- lehre, noch an moralisierendes Predigen, das seı ausdrücklich betont, denn Moralunterricht wird nicht selten mit moralisierendem Unterrichte verwechselt. Der Moralunterricht im Sinne eines erziehenden Unter-

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richtes braucht nicht Moral zu predigen; ihm stehen zahlreiche Bei- spiele zugebote, welche durch den moralischen Hintergrund unge- zwungen wirken, und je weniger der Schüler die Absicht merkt, desto mehr Wirkung wird der Lehrer erzielen. So werden sich denn die Motive, an denen sich der Wille erprobt, wie der Farbenhintergrund eines Bildes durch wiederholtes Auftragen ähnlicher Töne ergeben, sie werden anfangs mehr Sache der Stimmung, also des Gemüthslebens, als des Verstandes sein, um später immer klarer und reiner hervor- zutreten und sich dem Verstande als Oberherrn unterzuordnen, was freilich dem reiferen Alter vorbehalten bleibt.

Schon daraus ist ersichtlich, dass der Moralunterricht nicht mit der Thüre ins Haus fallen darf, dass die Ausnützung moralischer Stoffe mit Vorsicht und Takt, vor allem mit Maß betrieben werden muss. Die Gemüthswelt des Schülers muss gleichsam in den Dienst des Intellectes gestellt, also organisiert werden, es müssen sich gewisse Verkehrswege für die leitenden Gedanken bilden, sich gewisse Kern- und Krystallisationspunkte ansetzen, Sammelpunkte der übergeordneten Motive, welche bestimmend auf die untergeordnete Gedankenwelt ein- wirken. | Wer möchte die hohe Wichtigkeit einer solchen Schulung des Geistes bezweifeln? Welch großer Unterschied ist zwischen einem ruhig und abgeklärt denkenden Geiste oder einem für alles Schöne und Edle begeisterten Gemüthe gegenüber einem von Vorurtheilen, Wahnvorsteilungen oder Selbstsucht zerrissenen, ruhelos bald voranstür- menden, bald muthlos verzweifelnden Menschengeiste! Die Beobachtung oder Deutung des Naturlebens mit ihrem Lebensdrang und Leiden, mit der liebevollen Erhaltung der Gattung und oft rücksichtslosen Zer- störung der Individuen vermag den Menschen vor Überschätzung seines Ich zu bewahren. Die Natur, die sicherlich nicht durch Zufall besteht, sondern an der Hand höherer Gewalten das Größte schafft, aber auch vernichtet, sie kann uns Lehrerin und Meisterin sein, Trost gibt sie, wenn wir ob unserer Schwäche und ephemeren Existenz sinnlos klagen wollen, sie ist aber auch Warner, wenn der Mensch, sich ein Gott dünkend, die seiner Natur gesetzten Grenzen zu überfliegen sucht. Und eine solche Betrachtung der Natur sollte zumal bei reiferen Schülern mora- lisch unwirksam sein? Durch unsere nicht naturgemäfße Lebensweise, durch vielfache gesellschaftliche Verirrungen der Zeit ist uns der rechte Blick auf das Ganze des Naturlebens abhanden gekommen, von dem sich zahlreiche Spuren in den Naturreligionen mancher Völker zeigen,

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denn bei vielen war die Religion Verehrung der Natur und ihrer geheimnisvoll waltenden Kräfte. Eine seichte, gewissenlose, derb mate- rialistische Auffassung der Natur, welche durch physische und che- mische Eingriffe allein alle Räthsel des Daseins leicht lösen zu können meint, hat leider eine falsche Richtung der Naturauffassung begünstigt und auf dem Gebiete der Naturwissenschaften einen förmlichen Dogma- tismus gezeitigt, welcher von gewissen Volkskreisen auf Treu und Glauben hingenommen wird.

Eine genaue Einsicht in das Naturleben thut ferner kund, dass Überfluss und Mangel in ihrer Abwechslung alle Lebewesen beherrschen, dass reines Glück, reine Daseinsfreude vielen nur kurze Zeit und da nicht immer zukommt, dass also Selbstbescheidung für alle Lebe- wesen, also auch für den Menschen, dann noch eine nothwendige Forderung sein müsste, wenn auch die socialen Reformen gelöst sein werden.

Der naturgeschichtliche Unterricht ist also dann besser basiert, wenn er an das lebendige Interesse des Schülers, an seine natürliche und gesellschaftliche Umgebung anknüpfend, auf die moralischen Grundlagen des Lebens, auf die Bildung sittlicher Grundsätze ent- scheidenden Einfluss nimmt.

Der Weg zu diesem Ziele führt durch die Gemüthswelt der Jugend, weil da das unmittelbar vom Wollen beeinflusste Interesse sich des Stoffes bemächtigen hilft.

Diese ethischen Aufgaben des naturgeschichtlichen Unterrichtes aber werden gerade bei der neueren methodischen Richtung nicht selten vernachlässigt, ja oft geradezu geschädigt. Anstatt die Gefühls- welt des Zöglings zu reinigen, wird die Gefühlsseligkeit nicht selten durch sogenannte Stimmungsbilder gezüchtet, der Schüler soll verhalten sein, ästhetisch zu sehen und zu fühlen, ohne dass eine ausgebildete Empfänglichkeit für die Schönheiten der Natur vorausgesetzt werden kann. Was beim Erwachsenen das Ergebnis von tausenderlei Ein- wirkungen und Stimmungen dieser Art ist, was bei ihm nach und nach zwanglos zum schönen Stimmungsbilde herauswächst, will man an den schwachen kindlichen Geist gleichsam heranbringen und erzielt damit das Gegentheil dessen, was man geplant hat.

Ebenso schädlich ist es, dem Schüler die Natur als Product des planlosen Zufalles darzustellen, dem alles trotz aller Gegenarbeit unter- liegt. Wundert man sich dann, dass derart erzogene Menschen ihr Dasein auch ruhig dem Zufalle überantworten, der nicht zu selten das Lebensschifflein einer Untiefe zulenkt?

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Direct verderblich aber wäre es, das Naturleben als reinen Kampf ums Dasein darzustellen, wo das Recht des Stärkeren allein gilt, und diesen Kampf mit seiner ganzen Brutalität auf die Menschenwelt über- tragen zu wollen, wobei man nur vergisst, dass der Kampf ums Dasein in der Natur nur ein relativer, oft mit passiven Mitteln (Schutzvorrich- tungen, Anpassung an die Umgebung) geführter ıst. Hier zeigt sich deutlich die schädliche dogmatische Auslegung eines Schlagwortes, die Forderung der Durchführung in absolutem Sinne, wo das Vorbild selbst nur relativ wirkt.

In diesem Sinne vermeide man beim Unterrichte und in Jugend- schriften Darstellungen von rohen Kampfscenen, zeige vielmehr die edlen Seiten dieses Kampfes, wie sie beispielsweise bei Fleiß und Geschick- lichkeit, Sorge für Nahrung und Brut u. s. w. auftreten. Dabei wird der Schüler zur Einsicht kommen, dass auch in der menschlichen Gesellschaft der Geübtere, der Fleißige ein sichereres Auskommen findet, dass sich also der Kampf ums Dasein im Menschenleben nicht auf die Anwendung brutaler Gewaltmittel bezieht, sondern auf die Aus- übung fruchtbringender Arbeit, auf rege Bethätigung der Kräfte hinaus- geht, wodurch sich der einzelne ein Übergewicht über seinesgleichen zu sichern trachtet.

Ohne Unterlass hört man das pädagogische Recept: »Nicht für die Schule, für das Leben!« und trotzdem kommt es noch häufig vor, dass der Schulunterricht nicht aus dem Leben schöpft und nicht für das Leben arbeitet, dass er die gehörige Anwendung auf das wirtschaftliche Leben, also die praktische Seite ganz vernachlässigt.

Zu dieser Vernachlässigung trägt auch die neue Richtung im naturgeschichtlichen Unterrichte ein gut Theil bei, denn sıe geht in (der Darstellung von Natur- und Stimmungsbildern, in der Darlegung der Beziehungen der einzelnen Naturkörper untereinander fast ganz ‚auf, höchstens betrachtet sie abschließend die Beziehungen des Menschen zur Thierwelt oder ähnliche Bilder, was meist auf eine schablonen- ‚hafte Überschau hinausgeht. Das reicht offenbar für die praktischen Zwecke des Unterrichtes nicht aus, denn es muss als pädagogischer ‘Grundirrthum erkannt werden, diese Zwecke im Unterrichte ignorieren zu wollen, er hält nämlich vor einer psychologisch gut fundierten Weltanschauung nicht Stich. Dr. Jerusalem sagt in seiner »Urtheils- functione: »Alle Wissenschaften sind aus praktischen Bedürfnissen ‘entstanden, oder sollen dazu dienen, das Leben des einzelnen und (der Gesammtheit zu erhalten und zu vervollkommnen.«

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Nutzen und Schaden der Objecte, Verwendung derselben im Haus- halte und in den Gewerben, müssen daher im Unterrichte eine gesicherte und ausreichende Stelle einnehmen, sie müssen schon bei der Stoff- auswahl ein entscheidendes Wort mitsprechen, denn gerade an solche dem Menschen nahestehende Objecte lässt sich der Unterricht leicht. anknüpfen, die praktische ‘Seite des Unterrichts ermöglicht es, dem Kinde wertvolle Vorstellungen in das Leben mitzugeben. Es ist allerdings richtig, dass der naturgeschichtliche Unterricht in diesem Bestreben seine übrigen Aufgaben nicht vergessen darf, dass er nicht etwa zur bloßen Materialien- oder Warenkunde herabsinke, die Schule kann auch nicht zukünftige Gärtner, Viehzüchter und Leim- sieder heranbilden, aber eines kann sie, Menschen heranziehen, welche die Gaben der Natur nach ihrem richtigen Werte schätzen können, denn diese Wertschätzung der Dinge ist eine wichtige Vorstufe für die sittliche Bildung, wie das Dr. Dittes genau darlegt. Durch die Naturgeschichte werde dem Schüler klar, dass die ganze menschliche Cultur, welche das Dasein des Einzelnen, wenn auch nicht immer behaglich, thunlich erträglich macht, auf der Verwendung der Natur- körper beruht, dass die Erhaltung und das Gedeihen des menschlichen Körpers, die Verbesserung vieler Mängel und Schäden ohne Mithilfe der Natur und ihrer Gaben nicht möglich wäre, dass die geistige und sittliche Herabgekommenheit gewisser Zeitalter, die hygienische Ver- wahrlosung ganzer Völker in nichts anderem begründet ist, als in einem mangelhaften Verständnis für das Naturleben und für die Verwertung der Naturproducte.

Es ist falsch zu behaupten, diese Art der Naturbetrachtung müsse immer elende Krämerseelen züchten, welche in der Befriedigung der Selbstsucht ihren ausschließlichen Lebenszweck sehen, sie kann auch Wohlthäter der Menschheit heranbilden. Man bedenke, welchen Segen Ordnung und Reinlichkeit für die körperliche Gesundheit bedeuten, wie manche schlichte Hausmutter, welche die heilsame Wirkung der Pflanzenstoffe kennt, vor dem Eintreffen des Arztes großes Unheil verhütet.

Es ist eine ständige Klage, und sie wird jetzt, wo die Realien ein vielumstrittenes Gebiet sind, nicht selten ins Treffen geführt, dass die Realien den Geist des Schülers abstumpfen, und sie ist leider da berechtigt, wo zwei Übelstände diese Zweige beherrschen, die verfrühte Einführung der wissenschaftlichen Behandlung der Realien und die nothwendig aus einer solchen Art der Behandlung erfolgende Abschließung des Unterrichtes vom Leben.

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Im Grunde sind beide Übelstände auf die Einfachheit und Bequemlichkeit bei der unterrichtlichen Behandlung zurückzuführen. Schon eine zergliedernde Vorbesprechung über ein naturgeschicht- liches Object macht nicht geringe Mühe, sie erfordert praktische Sach- kunde und Geschicklichkeit im Fragen, zielbewusste methodische Arbeit. Ebenso ist es mit der Stufe der Anwendung. Anregende Fragen hiezu, Vergleichungsmomente, Übersichten wollen zusammengestellt sein, sie sind in den Leitfäden nicht zu finden, man kann sie auch nicht ex abrupto aus dem Ärmel beuteln.

Es ist daher viel einfacher, jede Stunde 2—3 neue Objecte zu besprechen und etwas über dieselben zu erzählen, da hat man dank- bare Zuhörer, und der Unterricht schreitet ohne Mühe weiter.

So kommt es denn, dass oft der Schüler schon auf der Mittel- stufe von allem etwas weiß und nichts gründlich, dass er geistig naschen gelernt hat, wodurch sein Magen so verdorben wird, dass ihm solide geistige Kost nicht mehr munden will. Er sucht nur nach Neuem, Sensationellem, Aufregendem zu haschen, bringt der Lehrer das nicht, dann hängt er den Kopf und denkt sich: das weiß ich ohnehin alles, das haben wir schon in der 3. Volksschulclasse gelernt. Zu dieser Überreizung des Interesses, welcher eine völlige Übersättigung und Abstumpfung folgen muss, steht im Gegensatz die dürre, schablonen- hafte Manier, Naturkörper zu beschreiben, welcher Vorgang sich mit wenig Unterschied dreimal im Schulleben eines Volksschülers wieder- holt, beim Anschauungsunterricht, auf der Mittel- und endlich auf der Oberstufe der Volksschule. Das ist geistige Misshandlung der Schüler, Tödtung des Interesses und kann nicht scharf genug gegeißelt werden.

Ein wirksames Correctiv gegen diese und. andere didaktische Übelstände bietet nebst der ethischen eben die praktische Seite des Unterrichtes, welche aus dem Leben schöpft und für das Leben schafit, das Interesse wohl wachhält, aber weder lahmlegt, noch überreizt, die Ziele des Unterrichtes, den Stufen entsprechend, steigert, die Auf- frischung des Bekannten mit dem Darbieten des Neuen ins richtige Verhältnis setzt, vor allem aber den neuen Stoff so beschränkt, dass er vom Schüler gründlich verdaut werden kann. Geschieht dies, dann wird der Unterricht auf den oberen Stufen Schüler finden, welche für die geistige Arbeit geschult sind und nicht gleich bei einer kleinen Entwicklung von Gedanken erlahmen, er wird dort wirksam an die wenigen, aber klaren Vorstellungen anknüpfen können, er wird durch

Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1900. 6

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neue Seiten in der Behandlung, durch neue Ausblicke immer das Interesse der Schüler beleben. Das aber wird der Fall.sein, wenn _ der Unterricht dasjenige nicht gibt, das der Schüler schon hat, wenn er nicht alles fertig bringt, sondern fleißig zerlegt, den Schüler suchen lehrt und finden lässt, mit einem Wort, wenn er den geistigen Gehalt unter thätiger geistiger Mitarbeit des Schülers entwickelt und im Geben möglichst sparsam vorgeht. |

Die Hauptursache, warum der naturgeschichtliche Unterricht die praktische Seite zu wenig berücksichtigt, ist wohl die, dass es der junge Lehrer oft versäumt, nach Vollendung seiner Studien erst anzu- fangen zu lernen, nicht so sehr aus Büchern, sondern im Buche der Welt und des Lebens. Der junge Arzt muss von einem Krankenbett zum andern gehen, das ist für ihn die neue Schule des Lebens, der junge Jurist vernimmt Zeugen und geht auf Commissionen, nur der junge Lehrer legt sich nach der Reifeprüfung wieder in die Bücher, um seine Prüfung zu machen, oft auch noch eine zweite und dritte, oder er stürzt sich in das Parteileben und handelt mit Phrasen. Woher soll ihm dann die praktische Richtung des Unterrichtes kommen, wenn er nicht mit dem Landmann und Gärtner in nahen Verkehr tritt, wenn er nicht den Förster in den Wald begleitet, wenn er sich nicht in Werkstätten und Fabriken umsieht? Dort hat er seinen Cursus der Naturgeschichte, seiner Physik und Chemie, seiner Technologie, seiner Heimatskunde zu machen, und sei die Umgebung seines Schulortes noch so dürftig, im Buche der Natur wird es genug zu lesen geben.

Wendet er die so erworbenen Kenntnisse klug beim Unterrichte an, dann wird er sehen, dass es weit dankbarer ist, für das Leben zu lehren als ausschließlich für die Schule, und dass der Spott, welcher der trockenen Schulweisheit von jeher galt, auch noch heute seinen Stachel nicht verloren hat. Unsere Schule schleppt noch immer einen gewaltigen Ballast von Scolastik mit sich herum, und wie die Ver- hältnisse liegen, wird sie sich auch in der nächsten Zukunft seiner nicht entledigen können. Da muss als Gegengewicht der Realien- unterricht wirken. Der Realienunterricht darf nicht bloß nicht restrin- giert oder gar ausgemerzt werden, er muss vielmehr lebensfähig gemacht werden, indem er sich innig an Natur und Leben anschließt, sonst fällt er, wie es leider heute oft der Fall ist, einer scolastischen Ver- sumpfung anheim, dann wäre sein Ausfall kein Schaden. Also, entweder Realien, wie sie sein sollen, oder gar keine.

Messen wir die neue Richtung des naturgeschichtlichen Unter-

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richtes an den Forderungen der praktischen Seite, so können wir sagen: Die neue Richtung thut der praktischen Ausgestaltung der Natur- geschichte Eintrag, sowohl bei der Stoffauswahl, als auch bei der unterrichtlichen Behandlung. Die Lebensgemeinschaft ist eben bloß ein Theilgebiet und bemüht sich, wie es ganz consequent erscheint, allen Stoff auszuscheiden, der nicht in ihren Rahmen passt. Der Schüler sieht täglich die Straußenfeder auf dem Hute, das Elfenbein am Spazier- stock, das Fischbein ım Kleide, er darf von den Thieren, woher diese Stoffe stammen, nichts erfahren, denn sie passen nicht in den Rahmen der Lebensgemeinschaften. Noch auffälliger ist dieser Mangel bei den Pflanzen.

Auch weiß man bei der unterrichtlichen Behandlung nach Lebens- gemeinschaften nicht recht, wo man Nutzen und Schaden der Objecte ausführen soll, der Unterricht hat eben sein geschlossenes Programm, und ihn muss gerade diese Seite als heterogene Zuthat direct abstoßen.

Mit Rücksicht auf diese Erfahrungen ist es ganz und gar unmöglich, mit den heimatlichen Lebensgemeinschaften, mit der Behandlung der Beziehungen allein beim naturgeschichtlichen Unterrichte sein Auslangen zu finden, und es nimmt sich geradezu dürftig aus, durch gewisse Kunststücke die klaffenden Lücken des Lehrplanes nach diesen Grund- sätzen zudecken zu wollen, wie dies Scherer in seinem Wegweiser und Kießling und Pfalz in ihren methodischen Handbüchern thun.

Um diesen Mangel zu beseitigen, greifen nun neuere Methodiker zu sogenannten fremdländischen Naturbildern, sie führen das Eis- meer, die Wüste, den Urwald u. s. w. als ergänzende Lebensgemein- schaften ein, natürlich meist auf der obersten Unterrichtsstufe.. Damit gehen sie aber von ihrem Princip direct ab, denn das sind keine Lebensgemeinschaften mehr im Sinne der ursprünglichen Aufstellung, sonst müsste man die Alpen oder die sarmatische Tiefebene auch als solche betrachten, hier tritt das intime Naturleben, wie es sich zwischen Individuen abspinnt, zurück gegen die kosmischen Einflüsse im großen, es sind physikalisch-geographische Naturbilder im großen Rahmen, welche seit A. v. Humboldt wissenschaftlich construiert werden, der Autopsie aber gänzlich entrückt bleiben. Ihre anschauliche und ver- knüpfende Behandlung fällt daher naturgemäß der Geographie zu, die Naturgeschichte hat diese Bilder nur zu beleben, indem sie die ge- wonnenen Stoffe in den Dienst der geographischen Betrachtung stellt.

Am dürftigsten kam bei allen diesen Stoffplänen die Mineralogie weg, denn sie widerstrebt der Aufstellung von Lebensgemeinschaften.

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Etwas musste aber mit ihr geschehen, da fiel es Twiehausen ein, sie mit der Chemie zu verquicken. Wer da weiß, wie schwer die Elemente der Chemie ohne eine gewisse Ordnung in der Behandlung zu vermitteln sind, wie es vor allem darauf ankommt, streng die chemische Erscheinung und nur diese ins Auge zu fassen, um den Schüler auf diesem Felde zu klarer Einsicht zu bringen, wird diese Verquickung, welche weder die Mineralogie, noch die Chemie fördert, abweisen. Was würde der Rechenlehrer sagen, wenn er gleich nach der Vornahme der Multiplication sich mit allen Formeln zur Flächen- und Körperberechnung herumschlagen sollte? Ebenso ge- zwungen ist es, die Besprechung des Chlors und Natriums an die mineralogische Beschreibung des Kochsalzes, die Kohlensäure und das Kohlenoxyd an den Kalkstein anzuschließen, den Kohlenstoff aber erst nach der Steinkohle einzuführen. Für eine derartige gewaltsame Con- centration können wir keine Lanze einlegen, da doch der elementar- naturgeschichtliche Unterricht Anschauungsunterricht sein muss. Die chemische Constitution der einzelnen Mineralspecies ist zwar ein wichtiger, aber doch mehr verborgen liegender Factor, umsomehr, als auf dieser Stufe von einer praktisch durchgeführten chemischen Analyse nicht die Rede sein kann. Auch sind die physikalischen Eigen- schaften der Mineralien: Krystallform, Härte, Farbe u. s. w., von der chemischen Bestandform nicht beeinflusst (vom Glanze ist natürlich abzusehen, wenigstens in vielen Fällen). Und doch soll der minera- logische Unterricht den Diamant und die Kohlen, Korund. und Thonerde, Soda und Kalkstein, Flussspat und Koch- salz in einen Topf werfen. Man kann ja als Übungsaufgabe die chemische Eintheilung ım letzten Schuljahre aufstellen, aber sie zur Grundlage für den Jahrgang zu machen, halten wir für eine Verwirrung.

Auch die jüngsten Versuche, die Naturgeschichte mit der Natur- lehre zu amalgamieren, führen zu nichts, als zu einer nutzlosen Zer- reißung des Lehrplanes. Was für einen Sinn soll es beispielsweise nach Probst und Partheil haben, wenn nach dem Keimen und Blühen der Pflanzen die Lehre von der Elektricität eingeschoben wird, wenn der Regenbogen statt beim Lichte bei den wässrigen Meteoren zur Besprechung kommt? Eine derartige Zerstückelung des Stoffes entschädigt nicht für manche gelungene Details. So ist es allerdings naturgemäßer, die Nahrungsmittel und ihren Wert gleich bei der Verdauung, Stärke und Cellulose gleich beim Aufbau des

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Pflanzenkörpers zu besprechen, das lässt sich jedoch auch thun, ohne dass man Naturgeschichte und Naturlehre durcheinanderwirft.

Es ist eine gewisse Sucht in der neueren Methodik, nur solche Stoffreihen zuzulassen, welche angeblich das Leben, die Wirklichkeit selbst zusammenstellt, d. h. der Methodiker construiert diese Stoffreihen, ohne sich darum zu kümmern, ob der Schüler dieselben Erfahrungen und in derselben Zusammenstellung zu beobachten in der Lage ist. Dieser rein äußerlichen Anordnung zu genügen, verzichtet die neue Richtung lieber auf die sachliche Folge und ursächliche Ableitung der Materien. Das Kind soll den Kalk nur beim Hausbau, den Granit nur als Pflasterstein, den T’elegraphen und das Dampfschiff nur beim Welt- verkehr, das communicierende Gefäß nur am Dampfkessel kennen lernen, es hat aber diese Objecte und Apparate bei anderen Gelegen- heiten kennen gelernt, den Telegraphen bei der Feuerwache, das Dampf- boot bei der Überfuhr über den Donaucanal, den Kalk beim Maler oder Gerber. Nein, es wird gezwungen, das construierte Stoffbild, wel- ches ihm vom Lehrer theoretisch aufgenöthigt wird, zu acceptieren, so will es der Lehrplan. Die weitere Folge ist, dass die Objecte und Erscheinungen nicht in ihrer physikalischen Abhängigkeit, welche dem Verständnisse den naturgemäßen Schlüssel bietet, sondern bunt durch- einandergestreut, in der heterogensten Weise gruppiert, auftreten, was der gründlichen Betrachtung des Einzelnen, dem Verständnisse der concreten Erscheinungen nur Eintrag thun muss. So wird die Behand- lung des Telegraphen im Gesammtbilde »Weltverkehr« nicht selten sofort ins Weite und Nebelhafte gehen, während der übliche physikalische Unterricht vom Öffnen und Schließen des Stromes aus- gehend, zum einfachen Elektromagnet fortschreitend, die einzelnen Theile des Telegraphen zerlegt, erklärt, in ihrem Zusammenwirken an einfachen Modellen und schematischen Zeichnungen klarstellt. Hat der Schüler die Erscheinungen der Wärme, des Lichtes, des Schalles, des Magnetismus, der Elektricität, der Mechanik gründlich verstanden, dann ist es nicht schwer, von der Anwendung dieser Naturkräfte im Dienste des Menschen nach allen Richtungen hin zu sprechen, wo dem Schüler ein Object an sehr verschiedenen Stellen erscheint, in seiner Wirkung aber gleich bleibt und seinen Platz in der rechten Weise ausfüllt. Wenn beispielsweise die Schule von vornherein den Dampfkessel, das Wellrad, das communicierende Gefäß, den Hebel am Sicherheitsventil, den Luftzug im Schornstein, die Dynamomaschine, das elektrische Licht, die Bausteine, die Ziegel, das Kupfervitriol etc.

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in einen Topf wirft, so ist eine solche Zusammenstellung nichts als eine Spielerei, denn der Erwachsene sieht diese Gegenstände später in der Fabrik wieder. |

Hauptaufgabe des Schulunterrichtes ist es, dass der Schüler von jedem einzelnen dieser Gegenstände weiß, wie sie construiert sind, und wie sie wirken. Ob nun die elektrische Lampe im Hörsaal, in der Auslage, ım Theater, im Waggon oder im Souterrain erglänzt, das ist Nebensache; Hauptsache ist, dass der Schüler von der Erzeugung des elektrischen Lichtes, vom Glühkörper etc. das Nothwendige weiß.

Die Naturkunde durch eine sogenannte Arbeitskunde im Sinne Seyferts ersetzen zu wollen, halten wir für eine methodische Spielerei, welche den Realunterricht gänzlich misscreditiert, weil sie ihm, im Bestreben populär zu sein, den letzten Rest von wissenschaft- licher und ursächlicher Erfassung der Einzelerscheinungen raubt. Über Hausbau und Weltverkehr zu sprechen, hat der Unterricht noch immer Gelegenheit, auch wenn nicht der ganze Lehrplan auf dieser Grund- lage construiert wird. Was soll das heißen, beim Hausbau ein bisschen Mineralogie, beim Straßenbau wieder ein bisschen u. s. f.? Man gebe als Abschluss derartige umfassende Culturbilder über Wohnung, Klei- dung, und damit wird der Zweck des Vorhabens erfüllt, ohne den Unterricht zu schädigen. Mit derartigen Reihungen hat die geist- bildende Aufgabe des Unterrichtes nichts zu thun, diese wird durch die Methode selbst garantiert.

Lehrplan und Methode müssen bei genauer Erfassung der unter- richtlichen Aufgaben den geistigen Thätigkeiten des Zerlegens, Klarstellens und Zusammenfassens entsprechen.

Der Unterricht knüpft an das Bekannte an, zerlegt es in Theil- gebiete, behandelt eindringlich die Individuen nach ihrer Abhängigkeit und fasst dann körperlich Verwandtes nach dem System, Natur- verwandtes und Producte der Arbeit in Natur- und Culturbildern zusammen.

Er ist und bleibt vorwiegend Individualbetrachtung, nur mit dem Unterschiede: Die frühere Methode wandte sich direct an das isolierte Individuum, um es lediglich zu beschreiben und mit gewissen Zuga- ben, als Wohnort, Lebensweise, Nutzen (Schaden), zu versehen ; die neue Methode erschaut das Individuum im Natur- und Culturganzen, isoliert dasselbe nur so weit von diesem Rahmen, um es klarzustellen. An Stelle der schablonenhaften Beschreibung nach körperlichen Merk- malen tritt die functionelle Würdigung des Objectes, aus wel-

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cher sich alle früheren Zugaben, als im Leben und Wesen des Objectes

begründet, ergeben, so der Wohnort sofort im Rahmen des Umgebungs-

bildes, die Nahrung erscheint bedingt durch die Lebensweise, ebenso der Körperbau. Nutzen und Schaden fließen direct aus allen diesen Umständen, mit einem Worte: die Beschreibung erscheint nicht lose agglutinierend, sondern functionell sich durchdringend und bedin- gend wie aus einem Gusse, Theoretisches und Praktisches fließt aus einer Quelle: Erfahrung, Beobachtung, Anschauung, Vergleich, Abstrac- tion trennen sich nicht streng, sondern arbeiten einander in die Hände.

Darüber zur Klarheit gekommen, ist damit auch die Frage erle- digt, wie die Lebensgemeinschaft im Unterrichte zu behandeln wäre. Die Wiese im Vorfrühling kann der Lehrer nicht ins Schul- zimmer versetzen. Kann er mit den Schülern einen kurzen Spaziergang dahin unternehmen, so ist das wohl die beste Gelegenheit, Beobachtun- gen einfacher Art zu machen, die sich aber nicht bloß auf einige auf- fällige Frühlingsblumen zu erstrecken brauchen. Auf dem Lande betreten die meisten Kinder nach dem theilweisen oder ganzen Verschwinden des Schnees die Wiese und sehen den Wasserablauf, die zarten Gräser, die Thätigkeit des Maulwurfs, sie graben nach Grillen u. s. w. Diese Beobachtungen werden verwertet in Form einer kurzen Einleitung, dann werden frische Pflanzen, eventuell Thiere der Wiese beschrieben, mit Rücksicht auf dieses Fleckchen Erde in seiner Besonderheit. In der Großstadt wird man statt der Wiese einen Rasenplatz in den öffent- lichen Anlagen betrachten, man kann trotzdem auch wilde Pflanzen heranziehen. Als Abschluss ergibt zwanglos ein oder das andere ver- gleichende und zusammenfassende Bild: Wiese und Feld ım Vorfrühling, oder die Wiese im Frühling und Sommer, wo thunlich auch: Bergwiese und Sumpfwiese, wobei nicht bloß auf die Entwicklung der Gräser, sondern später auch auf Gräser und Halbgräser, Bewässe- rung und Entwässerung, Kalken und Düngen der Wiesen u. s. w. Rück- sicht genommen wird.

Die Mineralogie ist bezüglich der Aufstellung von Allgemein- bildern etwas spröder, doch lassen sich auch hier in Form von Zusammenfassungen manche Resultate erzielen, z. B. die Erdrinde als eine chemische Werkstätte, die Mineralien im Dienste der Gewerbe, der Kunst, die Beziehungen zwischen Pflanzen und Mineralien, der Aufbau der Erdrinde, die Veränderungen der Erdoberfläche u. s. w.

Niemand wird bezweifeln, dass die Erarbeitung (nicht der Vor- trag) dieser und anderer Bilder eine Schule für die Erprobung der

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intellectuellen Kräfte das Kindes ist, dass also dem naturgeschichtlichen Unterrichte neben der erziehlichen und praktischen Aufgabe das spe- cifisch geistbildende Moment nicht abgeht, nur müssen alle Seiten harmonisch abgestuft sein. |

Dieses harmonische Verhältnis wird gefunden im abwäsehkech Gleichmaß zwischen extremen Forderungen, welche den Unterrichtserfolg, als Ganzes betrachtet, schädigen könnten. So stände einem Unterrichte ohne jeden Anschluss an Erfahrung und Leben ent- gegen: eine allzustarke Betonung des praktischen Momentes; ästheti- sierende Schwärmerei und Gefühlsduselei: einer kalten, rein verstandes- gemäßen Betrachtung; allzu aufdringliche Behandlung des Ethischen: einer allzu grellen Beleuchtung der ethisch nachtheilig wirkenden Seiten; das Überwiegen der Systematik: dem Aufgehen des Unterrichtes in losen Einzelbeschreibungen.

Mit Zugrundelegung dieser EN denn eine genauere Ausführung derselben würde weit über den Rahmen eines Aufsatzes hinaus reichen, seien folgende Thesen der Beachtung empfohlen:

I. Der naturgeschichtliche Unterricht hat die allseitige und harmonische Geistes- bildung der Schüler zu fördern, indem er seiner ethisch-ästhetischen, geistbildenden und praktischen Aufgabe gerecht wird.

2. Der naturgeschichtliche Unterricht bleibe wie bisher ein selbständiges Lehrfach ;

eine Verquickung der Chemie mit der Mineralogie oder gar der Naturlehre mit der Naturgeschichte ist aus didaktischen Gründen nicht empfehlenswert.

3..Der naturgeschichtliche Unterricht kann, vorausgesetzt, dass seine praktischen und ethischen Aufgaben nicht geschmälert werden, einige geklärte Ergebnisse der neueren Methodenreform in diesem Zweige berücksichtigen:

a) Indem er bei der Stoffauswahl vorwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, die heimischen Naturkörper in örtlicher Gruppierung berücksichtigt;

b) indem er die Schüler zu Beobachtungen anleitet und diese, sowie die sonstigen Naturerfahrungen sorgfältig in den Dienst des Unterrichtes stellt;

c) indem er die schablonenhafte Beschreibung zu einem organisch aufgebauten Lebensbilde umgestaltet; |

d) indem er neben der bisher üblichen Vergleichung und der Einordnung der Naturkörper in systematische Gruppen auch Zusammenfassungen localer und praktischer Art in Form von übersichtlichen Natur- und Culturbildern zulässt.

Auch unsere Methodik kann sich den Strömungen der Gegenwart nicht entziehen, sie wird häufig Modesache und geräth dadurch in Modethorheiten. Ihre Vertreter streben nach dem Talmi-Ruhm, neue Methoden erfunden oder verbreitet zu haben.

Dieser Aftermethodik muss ein wuchtiges Gegengewicht geboten werden durch eine pädagogische Analyse und gewissenhafte Wert-

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reduction neuer Methoden an dem Maßstabe jener Forderungen, wie sie eine natur- und culturgemäße Pädagogik im gesammten stellen. Denn ewig wahr wird in solchen Dingen Lessings Meinung bleiben: »Das Neue daran ist nicht immer gut, Das Gute nicht neu.“

Aus der Debatte.

Dr. J. Kraus bedauert, dass der Referent auf die Vorarbeiten Sponners und Zoders (siehe Pädagog. Jahrb.) keine Rücksicht genommen habe, und betont die Wichtigkeit chemischer Versuche im mineralogischen Unterricht; diese Versuche sollen den Unterricht beleben und eine Stütze für die unbedingt nothwendige Eintheilung der Mineralien nach dem chemischen System bilden. Er tadelt die Verwendung anderer Eintheilungsprincipe, weil dadurch Verwirrung bei den Schülern entsteht. Er spricht sich gegen die vorgelegten Thesen aus und empfiehlt, die Ansichten Simons über die Stoffvertheilung, nach welcher in der ersten und zweiten Bürgerschulclasse im ersten Halbjahre Zoologie und im zweiten Halbjahre Botanik, in der dritten Classe aber Somato- logie und Mineralogie durchgenommen werden soll, in feste Thesen zu fassen. Derartige Thesen hätten umso leichter einen praktischen Erfolg, als auch an den Mittelschulen eine ähnliche Stoffvertheilung platzgegriffen hat.

E. Saxl ist zwar auch dafür, dass man in der Mineralogie einfache chemische Versuche anstelle, weil diese geeignet sind, den etwas trockenen Unterrichtsgegenstand mehr anregend zu gestalten, doch ist er gegen eine Verschmelzung der Mineralogie mit der Chemie. Die Mineralogie bleibe wie bisher ein selbständiger Gegenstand, wobei Gelegenheit geboten ist, praktische Concentration zu üben. So manche Kenntnisse, die in der Chemie, Physik und Geometrie vermittelt wurden, lernen die Schüler auf Mine- ralien anwenden, Die in neuester Zeit vorgenommene Änderung des Realschullehrplanes, durch welche die Mineralogie in den Unterclassen als selbständiger Gegenstand auf- gelassen und der Chemie in der vierten Classe zugewiesen wurde, kann Redner nicht als Fortschritt bezeichnen. Da die Stundenzahl für Chemie und Mineralogie dieselbe ist wie früher für Chemie allein, so müssen beide Gegenstände darunter leiden. Man sollte jedoch in der Bürgerschule die Chemie schon nach der Wärmelehre oder nach der Lehre von der Elektricität durchnehmen, damit ‘die Schüler chemische Vorkennt- nisse besitzen, wenn die Mineralien besprochen werden. Einem rein chemischen System in der Mineralogie, das wohl in der Wissenschaft das einzig richtige ist, sich jedoch für die Bürgerschule nicht eignet, sei ein gemischtes System vorzuziehen, in welchem nicht bloß die chemischen, sondern auch die den Kindern mehr in die Augen fallenden physikalischen Eigenschaften Berücksichtigung finden. Redner erklärt sich für die Thesen des Vortragenden, da die bisherige Grundlage des Naturgeschichtsunterrichtes, die sich im allgemeinen bewährt habe, nicht verlassen und von den Forderungen der neueren Methodiker nur dasjenige aufgenommen werden soll, was geeignet ist, den Unterricht lebendiger und mehr gemüthsbildend zu gestalten.

Referent F. Frank: Mit unseren geistig oft sehr schwachen Schülern lässt sich eine Verquickung der Mineralogie mit der Chemie nur schwer denken; was in der

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Mittelschule durchgeführt wird, muss nicht auch für die Bürgerschule passen: eines schickt sich nicht für alle. Die Chemie soll nicht aus der Mineralogie hinausgedrängt werden; es wird im Vortrage betont, dass überall die chemische Zusammen- setzung ein für den mineralogischen Unterricht unentbehrliches Merkmal bildet, das fordert schon die Concentration des Unterrichtes. Nur bleibt die Angabe hierüber oft Wortunterricht. Wie will man dem Bürgerschüler beispiels- weise zeigen, dass der Quarz aus Si und O, besteht? Für eine rein chemische Ein- theilung der Mineralien kann ich mich trotz aller Einwände noch immer nicht erwärmen, was eine Übersicht auf Grund der Chemie in der dritten Classe nicht ausschließt. Dass ich die Chemie nicht vernachlässige, zeigt meine Forderung, ein Culturbild: »Die Erde als chemische Werkstätte« aufzustellen. Das Thema macht auf Neues keinen Anspruch, es hat seiner Natur nach einen kritischen, überschauenden Charakter, und darin liegt sein Wert. Wenn Jahrzehnte lang in einem Fache experimentiert wird, dann darf es. wohl erlaubt sein, die Ergebnisse zu sichten und sich ein vorläufiges Urtheil darüber zu bilden. Ein anderer dürfte die methodische Bewegung in einem anderen Lichte auf- fassen. Die Thesen wollen daher kein Abschluss sein, sondern Stoff zu weiteren frucht- bringenden Discussionen bieten, und ich bin zufrieden, wenn sie von der Versammlung zur Kenntnis genommen werden.

(Die Thesen werden zur Kenntnis genommen.)

vi.

Das Zeichnen nach der Natur. U. Theil. Die Fortbildung des Lehrers betreffend.*)

Vorgetragen am Io. Februar 1900 von ALOIS KUNZFELD. »Woahrhaftig steckt die Kunst in der Natur,

wer sie heraus kann reißen, der hat sie!« Albrecht Dürer.

Diese Worte des größten Meisters der deutschen Kunst, mit denen ich meine heutigen Ausführungen beginne, haben durch 500 Jahre nichts von ihrer Kraft verloren, wenn ihn auch nur wenige seiner Zeitgenossen verstanden haben dürften, denn er fügt die Erklärung hinzu: »Niemand glaube, dass er etwas besser machen könne, als wie es Gott geschaffen habe.«ce Nimmermehr könne der Mensch aus eigenem Sinne ein schönes Bild machen; wenn aber einer durch fleißiges Nachbilden der Natur sein Gemüth vollgefasst habe, so besame sich die Kunst, und daraus werde der versammelte heim- liche Schatz seines Herzens offenbar. Zu Ende des achtzehnten und am Anfange des neunzehnten Jahrhunderts hatte man diese Lehren ganz vergessen, und erst in unseren Tagen ist man wieder daran, sie voll und ganz zu würdigen.

Ich habe mich vor vier Jahren an dieser Stelle bemüht, Ihnen, geehrte Herren und Damen, nachzuweisen, dass der Zeichenunterricht an unseren Volks- und Bürgerschulen nur dann der natürlichen Ent- wicklung des Kindes Rechnung trägt, wenn er auf das Zeichnen nach der Natur begründet ist, und diese meine Anschauung hat sich seit jener Zeit nur mehr gekräftigt, denn ich wurde darin durch hervorragende Fachgenossen und Künstler bestärkt. So weist Dr. Kon- rad Lange, Professor der Kunstwissenschaft an der Universität in Königsberg, in seinem außerordentlich lesenswerten Werke: »Die

*) I. Theil: »Pädag. Jahrbuch 1896«, S. 100 ff.

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künstlerische Erziehung der deutschen Jugend« nach, dass schon die ersten Zeichenversuche der Kinder im vorschulpflich- tigen Alter der Ausdruck des Kunstbedürfnisses im Menschen seien, und dass diese Ausdrucksfähigkeit entwickelt und ausgebildet, nicht im Keime erstickt werden sollte, wie das durch den gegenwärtigen Unterricht geschieht. Und Adolf Hildebrandt schrieb vor wenigen Monaten in der »Kunst für alle«: »Bedenken wir, dass die künst- lerische Vorstellung im Grunde nichts weiter ist, als die natürliche Entwicklung der Vorstellungsarbeit, die jeder Mensch in der ersten Kindheit vollzieht, und dass es gerade die Kindheit ist, wo die Phan- tasie und das Augenleben am lebendigsten ist, so lässt sich begreifen, welch jähen Abschluss diese Vorstellungsarbeit mit dem Eintritt in die Schule erfährt.«ce Wir stehen vor einer neuen Lehrplan-Reform des Zeichenunterrichtes. Ich fürchte sehr, dass sie dieser natürlichen Entwicklung nicht Rechnung getragen; wenn sie nur eines gethan hätte, wenn sie nur den Zeichenunterricht an der Lehrerbildungsanstalt reorganisiert hätte, dass wir endlich einmal Lehrer bekommen, welche nach der Natur zeichnen können, dann wird ja alles gut werden.

Wir stehen nicht nur vor einer Jahrhundertwende, wir stehen auch, wenn nicht alle Zeichen trügen, vor einem Wendepunkte im Gebiete der Kunst. Das scheidende Jahrhundert hat zu Beginne die Blüte der Literatur, um die Mitte die Blüte der Naturwissenschaften gesehen, und das Ende gehörte der Politik. Hoffen wir, dass im neuen Jahrhundert die Sonne der Kunst aufgehen werde, unser im Kampfe um seine Lebensstellung ermüdetes Volk zu erquicken. Schon zeigen sich die ersten Strahlen der Morgenröthe. Kunstbegeisterte Jünger erfassen die Natur in allen ihren Gestaltungen und suchen sie der Kunst dienstbar zu machen. Die Früchte dieses Studiums zeigen sich bereits, zunächst ın der Baukunst. »Wir haben also die dringende Pflicht,« sagt Dr. Konrad Lange in dem ebenangeführten Buche, »unsere allgemeine Erziehung mit den Forderungen der anderen Kunst- bewegung in Einklang zu bringen. Legen wir also Hand ans Werk, auf dass die jüngere Generation uns nicht später den Vorwurf machen könne, dass wir sie, mangelhaft vorbereitet, in den großen Wettkampf hineingestoßen haben, den die Völker demnächst um die Palme der Kunst beginnen werden.«

Ist es da nicht selbstverständlich, dass wir uns auch im Gebiete der Kunst umsehen müssen? Das Studium von Büchern über die Kunst und von Kunstwerken allein kann nicht genügen, wir müssen

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selbst mit dem Urquell aller Kunst, mit dem Studium der Natur beginnen, wäre es auch nur, um aus eigener Anschauung die Schwie- rigkeiten, welche die Künstler in der Ausübung ihrer Kunst begegnen, verstehen und die wichtigsten Techniken beurtheilen zu lernen. Wenn Jean Paul sagt, »eine Seite geschrieben ist mehr wert, als ein Buch gelesen,« so kann man in diesem Sinne wohl auch behaupten, ein Stück der schönen Natur gezeichnet ist mehr wert, als hundert bewundert. Welche Früchte das eingehende Naturstudium, vorausgesetzt, dass Talent sich ihm gesellt, tragen: kann, das sehen Sie am besten an dem deutschen Maler Menzel. Als armer Bursche kam er nach Berlin, wo er sich, aller Mittel entblößt, durch Anfertigung von Gratulations- karten und ähnlichen, auf das Gebiet des Steindruckes bezüglichen Arbeiten kümmerlich sein Brot verdiente. Die Umstände erlaubten es ihm nicht, eine Akademie zu besuchen, aber er hatte ein helles, scharfes Auge für die Natur. Seit seinem zwanzigsten Lebensjahre hat er sein Skizzenbuch nicht mehr aus der Hand gelegt. Wir haben es auf der vor einigen Jahren veranstalteten Menzel-Ausstellung gesehen, dass ihm kein Gegenstand zu gering; Hosen und Stiefel, Riemen und Knöpfe zeichnet er mit derselben hingebungsvollen Sorgfalt, wie seine Soldaten selbst. So ist er denn nicht nur ein Beherrscher der Gegen- wart, sondern auch der Vergangenheit geworden wie keiner, und man kann ihn mit Recht den »Meister der Meister unter den Modernen« nennen.

Ich weiß sehr wohl, liebwerte Amtsgenossen, dass den auf der heutigen Tagesordnung stehenden Gegenstand nur ein Künstler gründlich behandeln könnte. Wenn ich es aber doch gewagt habe, an denselben heranzutreten, so geschah es in der Erwägung, dass in einem verhältnismäßig kurzen Vortrage eine erschöpfende Behand- lung des Themas doch nicht möglich sei, dass hiezu vielmehr ein ein-, vielleicht auch mehrjähriger Unterrichtscurs gehören würde, und dass ich mich heute nur darauf beschränken muss, eine Anregung in dieser Richtung zu geben, und eine Anregung zum Zeichnen nach der Natur muss, glaube ich, umso wirksamer sein, wenn sie von einem Collegen ausgeht, der ebensowenig wie Sie eine akademische Bildung genossen hat, und seine bescheidenen Kenntnisse auf diesem Gebiete nur hartem Ringen und mühseliger Arbeit verdankt. Wie froh und glücklich wären wir gewesen, wenn wir die Elemente des Zeichnens nach der Natur schon als Rüstzeug zu unserer Schulweisheit aus der Lehrerbildungs- anstalt mitgebracht hätten; so haben wir uns aber nur durch Irrthum zur Wahrheit und Freiheit durchringen müssen, und das ist ein langer

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Weg. Sie, verehrte Amtsgenossen, namentlich die jüngeren unter Ihnen, vor gröberen Irrthümern zu bewahren und Ihnen den nach meiner Erfahrung kürzesten Weg zu zeigen, soll der Zweck meiner heutigen Ausführungen sein.

Man beginnt am besten mit einer Wiederholung der Kenntnisse in der Perspective, die man in der Lehrerbildungsanstalt gewonnen, und zwar an den einfachen geometrischen Körpern.

Grundsatz: Alles Zeichnen nach der Natur geschieht durchaus freihändig. In keinem Falle bediene man sich des Lineales oder der Mess- instrumente. Das Messen von Verhältnissen kann durch das Visieren vorgenommen werden. Das Visieren geschieht am besten mit ausge- strecktem:. Arme und mit dem Bleistifte oder einem anderen Zeichen- instrumente bei lothrechten Linien und Verhältnissen von unten nach oben, bei wagrechten von rechts nach links. Nach verschiedenen Richtungen schiefe Linien werden nicht in schiefer Richtung visiert, man begnüge sich, den Abweichungswinkel und die Entfernung von der Lothrechten oder Wagrechten festzustellen.

Zur Feststellung des Winkels bedienen sich manche anfangs des Goniometers, welcher für perspectivische Zwecke in folgender Weise hergestellt werden kann: Man nehme ein Cartonpapier, 20 zu I3 cm, und beschreibe in demselben einen Halbkreis mit der Öffnung von 7 cm, ziehe die Linien, welche den rechten Winkel und die Halbierung desselben vorstellen, in der Art, wie es beim Transporteur geschieht, schneide den Halbkreis aus und spanne an Stelle der bereits gezogenen Linien straffe Fäden, zu welchem Zwecke man sich unten im Mittel- punkte des Halbkreises ein kleines Dreieck stehen lässt. Wem es nöthig erscheint, der kann diese Winkel nochmals halbieren.

Für die Zeichenübungen, die man zur Wiederholung an geometri- schen Körpern vornimmt, dürften sich Modelle aus Pappe mit weißem Papier überzogen ihrer Billigkeit wegen am besten eignen, und ihre Größe dürfte am zweckmäßigsten sein, wenn sie der eines Würfels von ungefähr 20 Seitenlänge entspricht. Zunächst beginne man mit den eckigen Körpern: Würfel, vier-, drei-, sechs- und achtseitiges Prisma und die entsprechenden Pyramiden.

Der Würfel ist in verschiedenen Stellungen sowohl in der Seiten- als auch in der Kantenstellung rechts, links und vor dem Zeichner, unter und über der Augenhöhe, ebenso in gleicher Höhe mit dem Auge zu zeichnen. Der Würfel bildet die Grundform für das Studium aller späteren Körper und ist daher besonders eingehend zu

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behandeln. Insbesondere vergegenwärtige man sich schon an diesem Körper die wichtigsten Grundgesetze der Perspective:

ı. Alle Flächen, welche mit der Bildebene parallel laufen, bleiben unverändert, daher auch, die sie begrenzenden Linien unverkürzt.

2. Alle Begrenzungslinien von Flächen, welche auf der Bildebene senkrecht stehen, haben ihren gemeinsamen Fluchtpunkt im Augpunkte.

3. Alle Linien, welche die Bildebene unter einem Winkel von 45° treffen, haben ihren gemeinsamen Fluchtpunkt in einem der beiden Distanzpunkte. |

4. Jedes System paralleler Linien hat einen gemeinsamen Flucht- punkt.

>. Die Horizontallinie ist der geometrische Ort der Fluchtpunkte aller horizontalen Linien. U. a. m.

Fig. 1. Fig. 2.

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Um diese Gesetze desto sicherer zu erkennen, betrachte man auch einzelne Flächen des Würfels an und für sich, losgelöst vom Körper, denn diese Flächen treten auch in der Natur dem Zeichner sehr häufig gegenüber als Bilder an der Wand, Fußboden- und Deckentäfelung, als Wasserbecken, Felswände u. dgl. Es ist auch von Vortheil, einem Quadrate ein zweites einzuschreiben oder zu umschreiben; in beiden Fällen sind die Diagonalen zu benützen und die Entfernungsverhältnisse der Linien sorgfältig zu beachten. Nach dem Würfel nehme man das quadratische Prisma in Behandlung und zeichne dasselbe in den beim Würfel angegebenen Stellungen.

An das quadratische Prisma schließt sich das dreiseitige, sechs- seitige (Fig. ı) und achtseitige an, deren Grundfläche sich ebenfalls aus dem Quadrate entwickeln lässt. So ist z. B. auch die Aneinanderreihung der gewonnenen Dreiecke, Sechsecke und Achtecke, wie sie für Fuß- bodenplatten häufig Verwendung finden, zu beachten. In ähnlicher Weise wird die vier-, drei-, sechs- und achtseitige Pyramide behandelt,

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deren Spitze normal über dem Mittelpunkt der Grundfläche liegt. Es dürfte nicht nöthig sein, andere ebenflächige Körper zu üben, weil dieselben in der Praxis viel zu wenig verwendet werden. An die eckigen Körper schließt sich die Übung der runden Körper. Cylinder, Kegel und Kugel genügen.

Von Wichtigkeit für den Aufbau des Cylinders und des Kegels ist de Entwicklung derKreislinie aus dem Quadrat, wofür es mehrere einfache Methoden gibt. Besonders zu beachten ist, dass der Kreis, wenn er auch noch so flach gestellt ist, immer als Ellipse erscheint und nie Ecken aufweist, es sei denn, dass er sich zu einer Geraden verkürzt. Diese Bemerkung scheint ganz selbstverständlich, und doch wird dagegen sehr häufig auch in sonst guten Arbeiten gefehlt. Bei dieser Gelegenheit mögen auch concentrische Kreise geübt werden, deren praktische Anwendung außerordentlich häufig ist. Bei Kreisringen möchte ich insbesondere darauf aufmerksam machen, dass bei perspectivischer Verkürzung der eine Durchmesser des Kreises 3-, 4- und mehrmal kürzer erscheint als der andere, also auch die Stärke des Kreisringes an den Stellen der höchsten Ausbiegung drei-, vier- und mehrmal breiter sein muss.

Der Umriss der Kugel wird gewöhnlich als Kreis dargestellt; der Fehler, den man dabei macht, ist nur ein geringer; es wäre jedoch zu bemerken, dass bei richtiger Darstellung der Umriss der Kugel nur dann als Kreis erscheinen kann, wenn der Mittelpunkt derselben in der Richtung unseres Hauptstrahles (der Verbindungslinie zwischen Auge und Augpunkt) liegt. In allen anderen Fällen wird die Kugel als ein Ellipsoid erscheinen, dessen größte Achse in der Verbindungslinie zwischen ihrem Mittelpunkte und dem Augpunkte liegt.

Sind die geometrischen Körper einzeln fleißig geübt worden, so können sie nun zu zweien und mehreren in Gruppen zusammengestellt werden. Hat man dann in der Skizzierung geometrischer Körper eine hinreichende Sicherheit erlangt, so beobachte man nun die Beleuch- tungsverhältnisse, um zur Erkenntnis zu kommen, dass alle bisher gezeichneten Umrisse als solche eigentlich nicht vorhanden sind, sondern nur durch die verschiedene Beleuchtung der Flächen zur Geltung kommen. Es würde zu weit führen, wollte ich mich über die verschiedenen Beleuchtungen und die daraus hervorgehenden Erschei- nungen eingehend verbreiten. Sie werden übrigens mit mir die Erfahrung gemacht haben, dass das Schattieren im allgemeinen viel besser geht, als eine richtige Umrissentwicklung.

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Ich glaube, es dürfte sich empfehlen, die ersten Schattierübungen mit dem Bleistift und dem Wischer vorzunehmen, wobei die ganze Körpergruppe mit einem Mitteltone anzulegen ist, aus welchem die hellsten Lichter herauszunehmen und die tiefen Schatten einzusetzen sind. Auf Selbst- und Schlagschatten, Reflexlichter, Kern- und Halb- schatten ist gebürend Rücksicht zu nehmen. Für die ersten Schattier- übungen ist eine gute Beleuchtung durchaus erforderlich. Hat man gutes Tageslicht zur Verfügung, lässt man dasselbe nur durch die oberen Fensterscheiben von links auf die Körpergruppe einfallen. In den Wintertagen dürfte Lampenbeleuchtung wegen der bestimmten Schattenrisse noch vorzuziehen sein. Hat man genügend Übung in der Tonung der Flächen mit dem Wischer erreicht, so versuche man den Schatten durch parallele und sich kreuzende Strichlagen zu geben, wobei zu bemerken ist, dass eine Flächenwirkung sich kreuzender Strichlagen nur dann zu erzielen ist, wenn sich die Striche unter schiefem Winkel kreuzen. Schließlich verbinde man beide Manieren. Für größere Arbeiten verwende man Kohle, Kreide oder Röthel. Hat man auch in der Anwendung dieser Materialien eine gewisse Sicherheit erlangt, so gehe man zum Schattieren mit der Feder in parallelen und sich kreuzenden Strichlagen, besonders vortheilhaft für kleinere Arbeiten. Endlich gehe man zum Anlegen mit einem neutralen Farbtone, zum Lavieren. Als neutrale Farbtöne sind besonders vortheilhaft Lampen- oder Schinkel-Schwarz, Neutraltinte, Sepia, gebrannte Siena, Indigo und ähnliche Töne. Das Zu- und Abnehmen der Töne ist besonders zu üben, wobei die Manier, nass in nass zu arbeiten, heute der ehemals vielbeliebten Manier des Retouchierens vorgezogen wird. Immerhin wird man aber auch lernen müssen, Unreinheiten des Tones, Flecken u. dgl. durch eingelegte Striche und Punkte auszugleichen. Das ist nun freilich etwas mühevoll und handwerksmäßig, aber das »Handwerkliche«, sagt Muvther, »ist die Voraussetzung aller Kunst, die es nun einmal nicht duldet, dass man Meister wird, ohne gelernt zu haben.«

Die eben empfohlenen Übungen dürften hingereicht haben, die perspectivischen Kenntnisse aufzufrischen, eine gewisse Sicherheit im Skizzieren geometrischer Körper zu erzielen und mit den wichtigsten Beleuchtungserscheinungen vertraut zu machen. Nun kann man einen Schritt weiter gehen, und zwar zu Gegenständen aus der näch- sten Umgebung. Man wähle zunächst Dinge, welche in der Größe nicht allzusehr von den behandelten geometrischen Körpern abweichen und sich ihnen auch in der Form möglichst anschließen.

"Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1900. | 7

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Beginnen wir wieder mit dem Würfel, so dürfte sich beispiels- weise eine Kaffeemühle, eine würfelförmige Theekiste, ein Carton und Ähnliches für die nächsten Zeichenübungen empfehlen. Nun wird jeder Gegenstand zunächst in verschiedenen Stellungen skizziert und in einer derselben passend mit Licht und Schatten ausgeführt. Hieran reihen sich größere Gegenstände, denen die Würfelform zugrunde liegt: StockerIn, Tische und endlich Stühle (Fig. 2 u. 3), welche wieder den Übergang zu den prismatischen Gegenständen vermitteln. Die meisten Gegenstände unserer Umgebung haben das Prisma als Grundform. Beispiele: Schachteln, Bücher, Bänke, Kästen, Koffer u. s. w. (Der

S Fig. 4. Fig. 8. (Umriss siehe Fig. 1.)

geöffnete Deckel einer Kiste oder eines Koffers lehrt uns zu beachten, dass schief aufsteigende Linien ihren Fluchtpunkt zumeist in der Verticallinie oberhalb des Augpunktes haben, schief absteigende ihren Fluchtpunkt unterhalb des Augpunktes.) Auch prismatischen Gegen- ständen von drei, sechs und acht Seiten ist Beachtung zu schenken (Fig. 4). Pyramidenförmige Gegenstände kommen unter den gewöhn- lichen Gebrauchsgegenständen verhältnismäßig selten vor.

Nach den eckigen Gegenständen aus der Umgebung kommen runde an die Reihe, wobei das Speisezimmer, die Küche und der Keller eine schier unerschöpfliche Auswahl bieten. Ich nenne nur Teller, Schüsseln und Tassen, Schalen, Töpfe, Kannen und Flaschen. Trichter,

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Durchschläge (Seiher) und gewisse Pfannen erinnern an die kegelförmige Gestalt, gewisse Becken und Schöpflöffel an die Halbkugel. Die sichere Bewältigung der Schwierigkeit dieser Gegenstände erfordert viel Fleiß und Übung. Eine große Anzahl der Gebrauchsgegenstände ist eine Verbindung von eckigen und runden Körpern. Es gibt jedoch Gegen- stände im Hause, welche sich weder den eckigen noch den runden Körpern anreihen lassen, wie der Hammer, die Schere, das Bügeleisen, die Zange, das Beil u. s. w. Erleichtert wird die Auffassung aller dieser Gegenstände dadurch, dass man sich dieselben in ein Rechteck ein- geschlossen denkt, die Berührungspunkte sucht, bei parallel verlaufenden Umrisslinien den gemeinsamen Fluchtpunkt feststellt und verkürzte runde oder elliptische Flächen aus dem Quadrat oder Rechteck ent- wickelt. Wer sich auf diesem Gebiete weiter ausbilden will und der französischen Sprache mächtig ist, dem empfehle ich: Durrieu, »Cours pratique de Dessin,< ein vortreffliches Buch, das für die Lehramtscandidaten in Frankreich bestimmt ist, von dem aber leider bisher noch keine deutsche Übersetzung erschienen ist.

An den Gegenständen der nächsten Umgebung kann man auch sehr gut die Farbengebung studieren. Es empfiehlt sich für die ersten Versuche, die Gegenstände mit einem neutralen Farbtone (Schinkel- Schwarz oder Neutraltinte) zu schattieren und dann die Farbe des Gegenstandes dünnflüssig über Licht und Schatten gleichmäßig zu führen, später dunklere Stellen mit der Localfarbe nochmals zu über- gehen, bis der erwünschte Grad erreicht ist, zuletzt die hellsten Lichter einzusetzen, wenn dieselben nicht etwa ausgespart worden sind, und die Schatten mit Sepia oder einer anderen entsprechenden Farbe zu vertiefen. Kleine Gruppen der verschiedenen Gebrauchsgegenstände bieten ausgezeichnete Gelegenheit, die Regeln der Farbenlehre praktisch zu erproben und sich in die Technik der verschiedenen Materien (Holz, roher und glasierter Thon, Glas, Metall und verschiedene gewebte Stoffe) einzuführen ; denn schon der große Kant sagt: »Alle Erkenntnis von Dingen aus bloßem, reinem Verstande oder reiner Vernunft ist nichts als lauter Schein, und nurin der Erfahrung ist Wahrheit.

Sind die Studien nach Gegenständen der nächsten Umgebung mit Eifer und Aufmerksamkeit betrieben worden, so hindert den soweit herangebildeten Zeichner nichts mehr, sein Skizzenbuch zur Hand zu nehmen und hinauszueilen ins Freie, wo die ganze Natur in ihrer strahlenden Schönheit sein trunkenes Auge fesselt: sei es im ersten Frühlingsglanze, wo die Eisrinde des Winters unter dem schüchternen

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Kusse der Sonne schmilzt und Blüten und Knospen sich sehnend dem neuen Leben öffnen, sei es im Hochsommer, wo der heiße Odem der Erde über den reifenden Getreidefeldern zittert, im Spätherbste, wo die Natur die reichsten Farben über Wasser, Wiese und Wald breitet, und die fernen Gebirge im zartesten Dufte ersterben, oder in der tiefen Einsamkeit und schweigenden Melancholie des Winters; stets bietet sie dem Maler neue und unerschöpfliche Reize. Fast noch mehr als durch * den Wechsel der Jahreszeiten ändert sich der Eindruck, den die Natur auf den Beschauer hervorbringt, nach der Örtlichkeit. Der weite, schranken- lose Blick über die Ebene, die Anmuthigkeit des Hügellandes, Wald und Feld, Wiese und Wasser in reizender Abwechslung, die ehrfurchts- volle Majestät des Hochgebirges, die erhabene Unendlichkeit des Meeres begeistern Künstler und Dilettanten stets aufs neue.

Aber wie ist es anzufangen, sich in der verwirrenden Fülle der Erscheinungen zurechtzufinden ?

In einen Fehler verfallen fast alle Anfänger: sie stellen sich sofort zu schwierige Aufgaben, und wenn dann die erhaltenen Skizzen kaum ein schwacher Abklatsch sind all der Herrlichkeiten, die vor dem Auge des Zeichners ausgebreitet liegen, dann lässt die Muthlosigkeit den ungeschickten Griffel fallen, oder, was schlimmer ist, der Unmuth schleudert ihn hinweg. Vor einem kann man Anfänger nicht genug warnen, das ist vor den sogenannten »schönen Aussichten«, die Wan- derer und Touristen so sehr erfreuen. Wie sollte der noch ungeübte Stift die zartesten und duftigsten Fernen und die Wucht und Kraft des Vordergrundes in gleicher Weise beherrschen ? Darum gilt auch hier der Spruch: »In der Beschränkung zeigt sich der Meister.«e Sagt nicht Dürer selbst: »Die Schönheit, was das ist, das weiß ich nicht,e und hat nicht Rembrandt, einer der größten Maler aller Zeiten, bewiesen, dass kein Ding in der Welt so unbedeutend, dass es nicht ein Gegenstand künstlerischer Darstellung sein könnte ? Beginnen wir daher auch hier, einem alten pädagogischen Grundsatze gemäß, mit dem Einfachen und schreiten wir dann zum Zusammengesetzten weiter. Zu den einfachsten Dingen im Freien dürften die Baulichkeiten, hölzerne und steinerne Häuser und deren Theile, Brücken, Thürme etc. ge- hören. Ich will sogleich ein praktisches Beispiel vorführen. Begleiten Sie mich auf einer Fußwanderung durch Nord-Steiermark zum Hoch- schwab, so kommen wir bei Aflenz vorüber in die einsame Au. Wo unter all den malerischen Wasserfällen, alten Wehren und Eisen- hämmern findet sich der erste Gegenstand für die Kunst, der unser

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Wir bestimmen zunächst von unserem Sitze aus die Horizontale, die Verticale und den Augpunkt. Zur Ermittlung der Horizontalen heben wir unser Skizzenbuch wagrecht bis in die Höhe unseres Auges und verlängern seine Fläche, bis sie den Hintergrund in einer geraden Linie schneidet. Eine auf die Horizontebene durch unser Auge senkrecht gezogene Ebene stellt in ihrer Durchschnittslinie die Verticallinie vor, und ihr Durchschnittspunkt ist der Augpunkt. Die Grundgestalt des Häuschens selbst lässt sich auf einen Würfel und auf ein dreiseitiges Prisma zurückführen. Der Umriss ıst also nicht unschwer festgestellt. (Feststellung des Giebels senkrecht über den Mittelpunkt der vorderen Würfelfläche durch Diagonalen) Dann kommt die Einsetzung der Einzelheiten, das etwas vorspringende Stallgebäude (parallele Linien in den gemeinsamen Fluchtpunkt), die Aufführung des Schornsteines, dıe Abschrägung des vorspringenden Daches, die Fenster, der offene Gang vor den Fenstern, im Vordergrunde das etwas verfallene, aber umso malerische Vorgärtchen, im Hintergrunde, wenn wir es versuchen wollen, der Umriss der alten Linde. Wollen wir die Skizze weiter mit Beachtung von Licht und Schatten oder in Farben ausführen, so dürfen wir nicht vergessen, die Schlagschatten auf einmal gleichzeitig zu bestimmen, sonst würde der zuerst und der zuletzt gemalte nicht stimmen, da während unserer Arbeit, die vielleicht zwei Stunden in Anspruch nimrnt, eine bedeutende Änderung im Stande der Sonne vorsichgegangen ist. Dann also gehen wir erst, je nach Zeit und Lust, an die Ausführung in Bleistift, Federzeichnung oder in einem oder mehreren Farbtönen.

Zweites Beispiel: Viereckiger Thurm der Burg Kreuzen- stein (aus dem Schlosshofe), Fig. 6. Bestimmung der Horizontal- und Verticallinie. Entwicklung des aufrechten senkrechten Prismas aus dem Grundriss nicht möglich, daher von einem höheren Punkte, etwa vom Söller aus. Wir erhalten starke Verschneidungen, da wir nicht weit genug zurücktreten können. Aufsetzen des Daches. Entwicklung der Giebel- fenster und der übrigen Einzelheiten. Theile der angebauten Kirche, im Hintergrunde der gothische Kirchthurm sichtbar. Ausführung (Fig. 7). Beachtung der Beleuchtungsverhältnisse. Kräftige Lichtführung, Zusam- menhalten der Schattenmassen.

Drittes Beispiel. Wie bei Behandlung der geometrischen Körper und der Gegenstände der nächsten Umgebung, so schreiten wir auch bei der Darstellung von architektonischen Formen im Freien von den eckigen zu den runden weiter, obwohl dieselben verhältnismäßig seltener

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vorkommen. Nehmen wir beispielsweise den runden Thorthurm der Burg Kreuzenstein (Fig. 8). Horizontal- und Verticallinie. Augpunkt. Grundgestalt. Verbindung eines Cylinders mit einem Kegel. Senkrechte durch die Thurmspitze. Entwicklung der Basis des kegel- förmigen Thurmdaches. Kreislinie. Kreisring des vorstehenden Daches. Kreisringe des Wehrganges, getragen von mächtigen Consolen und Steinbogen. Einzeichnung der Einzelheiten, Fenster, Strebepfeiler und Erker. Hinweis auf die Beleuchtungsverhältnisse (Fig. 9). Die gesammte Burganlage von Kreuzenstein in Farben darzustellen wäre wohl etwas schwierig, aber besonders verlockend. Es liegt nämlich nicht nur eine besondere Farbenharmonie in dem bunten Sandstein der Mauern und den glasierten Ziegeln der Dächer, es weht aus dem ganzen Bauwerke der romantische und weıhevolle Duft des Mittelalters.

Sind auf diese Weise die ersten Schwierigkeiten überwunden und ist man im Stande, architektonische Gegenstände in der Natur gefühls- mäßig richtig im Umrisse und Schatten darzustellen, so begnüge man sich nicht mit dem Errungenen, sondern betreibe nun nebenher recht gründlich die Perspective und Schattenlehre auf Grund der darstellenden Geometrie, um wissenschaftlich zu vertiefen, was die Erfahrung gelehrt.

Um Inneneinrichtungen, einzelne Gebäude, öffentliche Plätze oder ganze Stadttheile perspectivisch richtig darzustellen, gibt Architekt Kolbenhauser folgenden Vorgang an: Man entwerfe zunächst den Plan in entsprechender Verjüngung, überdecke denselben mit einem genau nach Maßstab gearbeiteten Quadratnetze (jede 5. Linie stärker), setze dann dieses Netz selbst in Perspective, zeichne den Grundriss ein und berücksichtige sogleich alle sich ergebenden Fluchtpunkte und errichte dann in den betreffenden Schnittpunkten Senkrechte. Die Höhe derselben kann man an Ort und Stelle aus dem. Netze selbst entnehmen, ebenso die Größe von Nebenobjecten und sogar die der figürlichen Staffage. Ich habe dieses Verfahren wiederholt erprobt und vorzüglich gefunden. Freilich wird man bei dieser Arbeit mit Dr. Lange erfahren, dass »Kunst nicht nur ein Vergnügen, sondern eine harte Arbeit ist, und dass die Götter auch auf diesem Gebiete den Schweiß vor das Können gesetzt haben«. Ebenso sagt Walter Crane, einer der bekanntesten englischen Künstler: »Wissen, auch künstlerisches, erringt man nur mit dem Verstande, mit klarer scharfer Überlegung, nicht durch falsche Gefühlsduselei, doch wird das strenge Naturstudium die Basis für den hohen künstlerischen Ausdruck.«

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An das Studium der Baulichkeiten in der Natur, welche den geometrischen Grundcharakter am besten wahren, schließt sich das Studium der Bodenerhebungen, des Terrains, welches sich ebenfalls noch ziemlich leicht auf geometrische Grundformen zurück- führen lässt. Wir unterscheiden Flachlandschaft, Hügel- und Bergland- schaften. Beim Gebirge selbst unterscheidet man wieder das Profil und die Gliederung, ersteres befriedigt das Auge, die letztere beschäftigt den Verstand. Es würde der Gegenstand eines selbständigen Vortrages sein müssen, wollte ich über die einzelnen Formen der Bodenerhebung ausführlich sprechen. Die natürlichen Berg- und Hügelformen lassen sich auf geometrische Grundformen zurückführen, und auch bei der Einzeichnung von Flussläufen, Straßen und Eisenbahnen sind die bekannten perspectivischen Gesetze maßgebend.

An die Behandlung des Terrains wird sich die Erfassung und Darstellung von Waldmassen anschließen, denn diese folgen in ihren Hauptumrissen der Bodenbewegung, bekleidet doch der Wald wie ein grüner Rock Ebene, Hügel und Gebirge! Bei Erfassung der Waldmassen ist ebenfalls die geometrische Grundform aufzusuchen und darzustellen. Schwieriger gestaltet sich der Wald im Vordergrunde oder ein Waldinneres, zu dessen Darstellung bereits eine ganz sichere Hand in der Behandlung des einzelnen Baumes gehört. Ein Meister in der Darstellung des deutschen Waldes war Schwind, von dem Muther in seiner Geschichte der Malerei sagt: »Das Wald- weben hat kein Deutscher damals mit dieser Intimität aufgefasst. Der frische Morgensonnenstrahl bricht durch das lichte Grün der jungen Buchen und hüpft von Ast zu Ast, verwandelt in Diamanten den Thau- tropfen und in Gold und Edelstein den Käfer, der behaglich im weichen Moose kriecht. Da gehet leise nach seiner Weise der liebe Herrgott durch den Wald.«

Wollen wir uns an die Darstellung größerer oder kleinerer Wald- partien wagen, so müssen wir vorher dem Studium des einzelnen Baumes, seinem inneren Aufbau, Stamm- und Astbildung und seiner äußeren Erscheinung, der Bildung der Krone und des Blattwerkes unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Es ist das Studium des Baumschlages. Um sich in die charakteristische Darstellung eines Baumes einzuführen, zeichne man zunächst ein Blatt, dann eine Blatt- gruppe, bei welcher perspectivische Verkürzungen zu berücksichtigen sind, dann einen ganzen Zweig, eine einzelne Baumpartie und endlich den ganzen Baum (Fig. 10, a—d). Ich habe dabei seit langem ein Gesetz

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beobachtet, das ich nun auch vor kurzem von unserem großen Land- schaftsmaler, Meister Hlawatschek, aussprechen gehört habe, nämlich: Der Grundcharakter, der sich in der Anlage des einzelnen Blattes ausspricht, kehrt auch in einer größeren Blattgruppe, in der Ast-

stellung und im ganzen Baume wieder. Beispiele: Eiche, Ahorn, Fichte. Bei der Darstellung des ganzen Baumes halte man sich

Fig. 10, a—d.

vor Augen, dass die Aststellung ähnlich wie die Knospenbildung an bestimmte Gesetze gebunden ist, ganz ähnlich wie der Aufbau eines Krystalles, und dass dabei die Kettenbrüche, insbesondere die Reihe !/,, Y/» Va °/» ıs U. s. w. eine große Rolle spielen. Das auf- merksame Studium dieses Gesetzes und die Beobachtung des blatt- losen Baumes in seiner Stamm- und Astbildung werden zu einem sicheren Erkennen der Bäume auch im Winter führen. Man wird auch die Beobachtung machen, dass Bäume mit großen Blättern (Eichen,

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Linden, Platanen) eine bedeutend größere Ausladung ihrer unteren Äste zeigen, weil die Blätter an diesen über die oberen Blätter hinaus nach Licht und Luft streben müssen, während bei Bäumen mit schmalen Blättern (Weiden, Nadelbäume) auch ein schmälerer Aufbau des ganzen Baumes möglich ist, da hier die oberen Blätter leichter Licht durchlassen. Beim Studium des Baumschlages werden ins- besondere in jener Zeit, in welcher wir nicht sehr oft ins Freie gelangen, also im Winter, Vorlagen mit großem Nutzen verwendet werden. Ich nenne nur die unübertroffen schönen Etudes du pay- sage von Calame und die Baumschlagstudien von Höger, einem Österreicher, als vorzügliches Übungsmaterial. Nach gehöriger Vorübung wird auch die Bewältigung des Baumschlages in der Natur keine besonderen Schwierigkeiten machen. Bei der Darstellung eines ganzen Baumes in der Natur muss man zunächst den Hauptumriss in feinen geraden Linien wiedergeben, dann die Haupttheile und zuletzt erst die Einzelnheiten ausarbeiten. Und wenn es anfangs noch nicht recht gehen will, so tröste man sich, mit Lust und Liebe wird es bald besser werden. Wie sagt doch Schwind zu seinem Freunde Ludwig Richter? »Wenn einer an einem schönen Bäumle so recht seine Lieb’ und Freude hat, da zeichnet er all seine Lieb’ und Freude mit, und ’s Bäumle schaut dann ganz anders aus, als wenn’s ein Esel schön abschmiert.«

Ein besonderes Studium erfordert auch die Darstellung des Gebüsches, des Getreides, des Grases und der Blumen im Vordergrunde, ebenso des Wassers und der Luft mit ihren Wolken. Es würde jedoch zu weit führen, wollte ich über alle diese Einzelheiten eingehend sprechen. Ebenso würde es auch den Umriss meines Vortrages über- steigen, wollte ich ausführlich über die färbige Behandlung der Land- schaft sprechen. Das Zeichnen und Malen lernt man ja nicht mit den Ohren, sondern mit den Augen und der Hand. Nur so viel möchte ich noch bemerken: Luft und Licht, welche die Gegenstände im Freien einhüllen, erzeugen eigene Erscheinungen in der Perspective, die sogenannte Luftperspective, welche unsere ganze Aufmerksamkeit verdient. Was die, Behandlung der Gegenstände in Rücksicht auf ihre Beleuchtung im Freien anbelangt, so beachte man, dass Schlagschatten insbesondere der geometrischen Grunddarstellung unterliegen, und dass man dieselben nicht allzusehr zerreißen, sondern mehr durch ihre Masse wirken lassen soll. In der gegenwärtigen Aquarellausstellung im Künstlerhause hat sich ein Worpsweder Künstler mit einem Birken-

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haine eingestellt, der in seinen Schlagschatten großartig das Gesetz paralleler Beleuchtung zur Darstellung bringt.

Ich bitte, für heute mit diesen kurzen Auseinandersetzungen über das Landschaftszeichnen vorlieb zu nehmen und zu gestatten, dass ich noch ein paar Worte über einige andere Zweige des Zeichnens nach der Natur, als da sind das Blumenzeichnen, das Thierzeichnen und das figurale Zeichnen, hinzuzufügen.

Das Zeichnen und Malen von Blumen und Früchten, welches insbesondere die Frauen- und Mädchenwelt gerne pflegt, lässt sich naturgemäß an das Zeichnen von Gegenständen aus der nächsten Umgebung anschließen. Denn es ist ganz natürlich, dass man die eben gezeichnete Vase gerne mit Blumen versehen möchte oder einen frischen Blumsenstrauß auf das eben gezeichnete Tischchen stellen will, denn Blumen beleben die starre Umgebung. Auch beim Blumenzeichnen kommen .nicht neue, sondern nur die bekannten Regeln der Perspective, namentlich über Flächenverkürzung, insbesondere die Verkürzung des Kreises für Blüten und des Dreieckes und des Viereckes für Blätter zur Geltung. Lebende Blumen erschweren die Arbeit dem Anfänger durch ihre natürlichen Veränderungen: Die Blattknospen entwickeln sich, die Blätter wachsen, die Blütenknospen und jungen Blüten ent- falten sich, und die vollaufgeblühten verwelken. Da diese Verände- rungen bei einzelnen Blumen sehr rasch vor sich gehen, muss der Zeichner flink und sicher arbeiten. So lange man sich mit Bleistiftzeichnungen begnügt, macht sich dieser Übelstand nicht besonders geltend, wenn aber die Farbe dazu tritt, nach welcher die Blumen ja dringend ver- langen, dann wird eine rasche Technik zur Nothwendigkeit. Es empfiehlt sich daher, die ersten färbigen Studien nach künstlichen Blumen vor- zunehmen, man bekommt ja deren ganz ausgezeichnete. Auch wähle man für den Anfang großblättrige und großblütige Formen. Zur Ein- übung einer gewissen Sicherheit in der färbigen Behandlung kommen ja ausgezeichnete Vorlagen vor, z. B. die älteren von der Schweizer Aquarellistin Vouga, die neueren von der ausgezeichneten Kathi Klein. Das Zeichnen und Malen von Blumen nach der Natur hat für den Lehrer an unseren Bürger- und Mittelschulen eine besondere Wich- tigkeit, da unsere ganze moderne Ornamentik auf einem eingehenden Naturstudium der Pflanze beruht.

Noch schwieriger als das Blumenzeichnen ist das Zeichnen von Thieren nach dem Leben. Wer hiebei zum Ziele gelangen will, muss zunächst Thiere nach dem Modelle oder nach ausgestopften

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Exemplaren zeichnen. Man bestimme sich in feinen geraden, aber sicheren Linien die Hauptumrisse des Körpers, demselben ebenfalls geometrische Formen zugrunde legend. Dann erst werden die Einzel- heiten eingesetzt. Nebenbei wird fleißig Detailstudium betrieben, namentlich an Kopf und Füßen. Zunächst werden nur Umrisszeichnungen und nach Flinzers Rath wieder nur von einem und demselben Thiere gepflegt. Dann kommt die Betrachtung der Beleuchtungsverhältnisse, was wieder eine besondere Technik in der Wiedergabe der Körper- bedeckung (Fell und Gefieder) zur Folge hat. Es ist für Anfänger von besonderer Wichtigkeit, Thiere mit kurzen und glattanliegenden Haaren oder Federn zu wählen. Ein eingehendes Studium des Thier- zeichnens verlangt dringend die anatomische Kenntnis des Knochen- baues und der Muskelanlage, ferner die der natürlichen perspectivischen Verkürzung bei der Bewegung. Erst wenn man darin eine gewisse Sicherheit erworben hat, kann man mit Aussicht auf Erfolg das Zeichnen nach dem lebenden Thiere wagen. Zur Vorbereitung und Einführung in die Technik des Thierzeichnens können mitunter Hand- zeichnungen von Meistern auf diesem Gebiete gute Dienste leisten. Ich nenne nur den kürzlich verstorbenen französischen Künstler Meis- sonier, den deutschen Zeicheninspector Flinzer, den geistvollen Thier- maler Specht, von dem erst jüngst bei Ebner in Stuttgart eine Thier- zeichenschule erschienen ist, und den vorzüglichen Wiener 'Thiermaler Karl Reichert. Es darf nur nicht vergessen werden, dass Zeichen- vorlagen nie das wirkliche Modell oder Thier ersetzen können, und dass das Zeichnen nach der Natur und dem Leben die Hauptsache bleiben muss.

Das Endziel der Wünsche fast aller Jünger im Zeichenfache ist die Wiedergabe der menschlichen Gestalt, sei es nun ein bloßes Studium des Kopfes oder des ganzen Körpers. Wenn dies nun auch die schwierigste Arbeit sein mag, ich kann Sie, verehrte Fach- genossen, versichern, dass derjenige, der mit Lust und Liebe, mit Fleiß und Ausdauer die todte und lebende Welt seiner Umgebung studiert und dadurch sein Auge in der richtigen Erfassung der Maß- verhältnisse geübt hat, in der Darstellung der menschlichen Gestalt und in den feineren Umrissen derselben keinen unüberwindlichen Schwie- rigkeiten begegnen wird. Da ich mich heute mit diesem Zweige des Zeichnens nach der Natur nicht eingehend befassen kann, möchte ich nur noch betonen, dass ohne einige Kenntnis der Anatomie des menschlichen Körpers ein sicheres Erfassen seiner Theile nicht möglich

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ist, diese aber, vorausgesetzt fleißige Übung, rascher als man glaubt, ganz annehmbare Ergebnisse liefert. Nur nicht allzuviel nach dem todten Gips, lebende Modelle sind ja immer zur Hand, also fröhlich an die Arbeit! |

Es war mein Bestreben, Ihnen, liebwerte Freunde und Berufs- genossen, einen kurzen Weg zu zeigen, wie Sie, ausgehend vom Zeichnen einfacher geometrischer Körper, zum Zeichnen von Gegen- ständen der nächsten Umgebung und darüber hinaus zum freien Zeichnen in Gottes herrlicher Natur gelangen können. Ich würde mich glücklich schätzen, wenn es mir gelungen wäre, recht viele von Ihnen für den schönen Gegenstand gewonnen zu haben, der wie selten einer geeignet ist, nach des Tages Last und Mühe zu erfrischen und zu erquicken. Die Zeichenkunst ermöglicht es auch dem Lehrer, die herrliche Sommerfreizeit doppelt zu genießen, indem er die lieblichen Gefilde seiner Ferialwanderungen nicht nur schauen und bewundern, sondern auch mit Stift und Farben festgebannt nach Hause bringen kann, sich und seinen Lieben zur Lust. Durch vorübergehende Miss- erfolge und Irrthümer darf man sich freilich nicht abschrecken lassen, sagte doch selbst Michelangelo am Ende seines Lebens:

»Die mich die Kunst zur Gottheit ließ erheben, Zum einzigen Herrn, die Freude am Gestalten: Jetzt seh’ ich, wie viel Irrthum sie enthalten, Und wie wir gegen unser Bestes streben.«

Aber wem es nicht gelungen, seinem Werke den Stempel des Großartigen, Erhabenen oder realistisch Packenden aufzudrücken, der tröste sich, dass seinem Bilde wenigstens der Hauch »holder Intimität« nicht fehlt. Dazu kann man selbst in späteren Jahren noch gelangen, und die Beschäftigung mit der Kunst: ist es auch, die Herz und Geist jung erhält. In diesem Sinne möchte ich meine heutigen Ausführungen mit dem Verse schließen, den ein moderner Dichter der jungen ‚Bewegung in der Kunst widmet, er iautet:

»Wer in sich selbst nicht stecken bleibt, Wer immer rastlos vorwärts treibt, Vertrauend frohen Herzenschlags

Der Sonne jedes neuen Tags,

Der zählet zu der »Jungen« Schar,

Und wäre alt er hundert Jahr’.«

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Die Erwerbsthätigkeit schulpflichtiger Kinder*).

Vorgetragen am 2. December 1899 von S. KRAUS.

Wenn heute in unserer Gesellschaft jemand die spartanische Sitte befürworten würde, nach welcher schwächliche und kränkliche Kinder gleich nach ihrer Geburt getödtet wurden, würde er einen Sturm sitt- licher Entrüstung in der Öffentlichkeit wachrufen. Die Humanität unseres Jahrhunderts hat Anstalten für Blinde und Taubstumme ge- schaffen, sie beginnt ihre Fürsorge auch geistig abnormen Kindern zuzuwenden. Dieselbe Gesellschaft aber, die den siechen Kindern Schutz gewährt und ihre Entwicklung zu fördern sucht, ist fast gleich- giltig gegen das Verbrechen, das an Tausenden von entwicklungs- fähigen, gesunden Kindern verübt wird. Unsere Gesellschaft ist bereit, für die Erziehung der Krüppel zu sorgen, aber sie hat fast nichts gethan, um zu verhüten, dass aus gesunden Kindern Krüppel werden.

Das klingt wie Übertreibung. Wer aber nur ein Stückchen von dem Schleier gelüftet sieht, der über die Zustände gebreitet ist, unter welchen ein großer Theil des Volkes heranwächst, der wird keinen Ausdruck scharf genug finden, um diese Zustände zu kennzeichnen. Aber es ist nicht meine Aufgabe, heute das ganze Elend zu enthüllen, unter welchem die Kinder heranwachsen, die wır Lehrer zu offenen, edlen Charakteren heranbilden sollen. Nicht mit den elenden Wohnungs- verhältnissen, nicht mit der aller Hygiene spottenden Ernährung will ich mich heute beschäftigen, sondern nur mit einem Factor, der mit- arbeitet an der Degenerierung des Volkes, mit der Frage der Erwerbs- thätigkeit der Kinder.

*) Raummangels wegen in gekürzter Form; an Stelle der weggelassenen Citierungen findet sich die Quellenangabe.

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Was in der Macht des Lehrers gelegen ist, um die Schüler in ihrer geistigen und körperlichen Entwicklung zu fördern, muss er thun, wenn er sich seiner Pflicht bewusst ist. Es ist die Aufgabe des Lehr- standes, die öffentlichen Gewalten nachdrücklich auf alles aufmerksam zu machen, was dem erziehlichen Wirken der Schule entgegenwirkt, und die Abstellung der herrschenden Übelstände zu fordern. Nun gibt es freilich heute noch Menschen, die Schutzgesetze für Kinder für einen unberechtigten Eingriff des Staates in das sogenannte Elternrecht erklären. Das Elternrecht ist im Munde der Schulverderber aller Länder zu einem Schlagwort geworden, das immer herhalten muss, wenn der Staat die Interessen der heranwachsenden Jugend zu wahren sucht. Bluntschli, ein Anwalt der Elternrechte, sagt: »Soweit die Noth das Einschreiten einer obervormundschaftlichen Obsorge verlangt, weil die Familie ihre Sorge nicht erfüllen kann oder zu erfüllen grob ver- nachlässigt, ist die Obrigkeit verpflichtet zu helfen.<e In den Cultur- staaten Europas ist seit den Zwanziger-Jahren unseres Jahrhunderts immer dringender der Ruf nach dem Schutze der Kinder vor Aus- beutung in den Fabriken erhoben worden. Schon Pestalozzi hat die Gefahren der Fabriksarbeit gekannt. Er sagt: »Ach, wie sehen die Kleinen nach drei, vier Jahren aus! Kaum wiederzuerkennen! Die vollen Backen waren eingefallen und fahl, die Augen matt und scheu, die Röthe der Gesundheit war aus dem Gesichte und der frohe Lebensmuth aus dem Herzen verschwunden. Und wer hat diesen Wechsel verschuldet? Die Baumwollenfabrik! Um des kärglichen Erwerbes willen wurden schon die Kinder hineingetrieben. Die lange, geistlose Arbeit, die stickige Luft, die fliegenden Fasern, die schlechte Nahrung, die üblen Reden der Alten u. a. vergifteten langsam Leib und Seele.« Es würde viel zu weit führen, Ihnen den Kampf zu schildern, der in den einzelnen Ländern durch Jahrzehnte gegen die Profitwuth gewissenloser Menschen geführt werden musste, um das kümmerliche Stückchen von heute noch ganz unzureichendem Kinderschutz, das wir errungen haben, zu erreichen.

Werfen wir einen kurzen Blick auf die Grenzen, welche der Kinderarbeit durch die moderne Arbeiterschutzgesetzgebung gezogen worden sind. In Frankreich dürfen Kinder unter 13 Jahren, in der Schweiz unter I4 Jahren, in Belgien unter ı2 Jahren, in England unter 1I Jahren überhaupt nicht in Fabriken beschäftigt werden. In Deutsch- land gelten seit ı. Juni ı8gı folgende Bestimmungen zum Schutze der Kinder: »Kinder unter 13 Jahren dürfen in Fabriken nicht beschäftigt

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werden; Kinder über ı3 Jahre nur dann, wenn sie nicht mehr zum Besuche der Volksschule verpflichtet sind. Die Beschäftigung von Kin- dern unter I4 Jahren darf die Dauer von 6 Stunden täglich nicht überschreiten ; dabei ist eine Pause von mindestens einer halben Stunde zu gewähren. Die Arbeitsstunden dürfen nicht vor 5!/, Uhr morgens beginnen und nicht über 8!/, Uhr abends dauern.« Durch das Reichs- gesetz vom I2. August Idg6 ist das grundsätzliche Verbot jeglichen Feilbietens durch Kinder unter I4 Jahren ausgesprochen. Wenden wir uns jetzt Österreich zu. Die Kinder können vor frühzeitiger Ausbeutung geschützt werden durch strenge Handhabung der Schulgesetze und der Arbeiterschutzgesetze. Leider sind im österreichischen Reichsvolks- schulgesetze bis heute die $$. 60, g und 24 stehen geblieben, welche Bestimmungen über die Organisation der Fabriksschulen enthalten. Und wenn auch seit der 1883 in Wirksamkeit getretenen Gewerbe- ordnung diese Fabriksschulen nur mehr historische Bedeutung haber, so ist es doch sehr bemerkenswert, dass, während in Preußen die Errichtung einer Fabriksschule*) die Aufmerksamkeit der Regierung auf die Kinderbeschäftigung in der Spinnerei lenkte und den Minister v. Altenberg 1824 veranlasste, energisch gegen diese »unverantwort- liche Misshandlung unmündiger Kinder« aufzutreten, wir in Österreich 1869 die Fabriksschule Eingang in das Reichsvolksschulgesetz finden sehen. Selbstverständlich nahmen alle Landtage bei Schaffung des Landesgesetzes auf diese Bestimmungen Rücksicht. Als ım Jahre 1883 die österreichischen Ultramontanen bestimmenden Einfluss auf die Regierung erlangten und das Reichsvolksschulgesetz umgearbeitet wurde, gaben sie als Hüter der Interessen der Agrarier auch diesen die Möglichkeit, die Kinder vorzeitig zur Arbeit anzuhalten, und zwar durch die Schaffung der sogenannten individuellen und generellen Schulbesuchserleichterungen. Diese Erleichterungen sollten die Lage des Bauernstandes verbessern und die Schullasten der Gemeinden verringern. Dieselbe Partei, welche, um den Bauer zu retten, Kinder im Alter von 13 und ı4 Jahren zu landwirtschaftlichen Hilfsarbeitern machte, berief im Jahre der Schulnovelle eine »Enquete über die Arbeitergesetzgebung« ein, die vom 30. April bis inclusive 8. Mai 1883 im Gewerbeausschusse des Abgeordnetenhauses stattfand. Die Folge dieser Enqu£te waren Abänderungen der Gewerbeordnung. Im VI. Haupt-

*) Siehe »Gewerbliche Kinderarbeit«e von Konrad Weiß in der Monatsschrift »Die deutsche Schule«, I. Jahrg., 5 H.

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stück fand eine Reihe »Zusatzbestimmungen für jugendliche Hilfs- arbeiter« Aufnahme. So bestimmt der $. 94: »Kinder vor vollendetem zwölften Jahre dürfen zu regelmäßigen gewerblichen Beschäftigungen nicht verwendet werden. Jugendliche Hilfsarbeiter zwischen dem voll- endeten zwölften und dem vollendeten vierzehnten Jahre dürfen zu regelmäßigen gewerblichen Beschäftigungen verwendet werden, sofern ihre Arbeit der Gesundheit nicht nachtheilig ist und die körperliche Entwicklung nicht hindert, dann der Erfüllung der gesetzlichen Schul- pflicht nicht im Wege steht. Die Dauer der Arbeit dieser jugendlichen Hilfsarbeiter darf jedoch acht Stunden täglich nicht überschreiten.« Durch den $. 95 ist die Arbeit für jugendliche Hilfsarbeiter in den Stunden zwischen 8 Uhr abends und 5 Uhr morgens verboten. Nach $. 96 b) dürfen Kinder vor vollendetem vierzehnten Jahre zu regel- mäßigen gewerblichen Beschäftigungen in fabriksmäßig betriebenen Gewerbeunternehmungen nicht verwendet werden.

Diese gesetzlichen Bestimmungen bestehen nun I6 Jahre, aber es ist noch nicht gelungen, ihnen vollkommene Geltung zu verschaffen. Der Bericht der Gewerbeinspectoren für das Jahr 1898 besagt: »Ent- gegen der Bestimmung des $. 94, Abs. ı G. O., wurden im ganzen 184 Kinder vor vollendetem ı2. Jahre, u. zw. 95 (20 Knaben und 75 Mädchen) in nicht fabriksmäßig betriebenen Unternehmungen und 8g (27 Knaben und 62 Mädchen) in Fabriken zu regelmäßiger gewerblicher Beschäftigung verwendet. Die gesetzwidrige Verwendung von Kindern unter ı4 Jahren wurde in nicht fabriksmäßigen Betrieben bezüglich 106 Knaben und ı2 Mädchen constatiert; in Fabri- ken wurden 228 Knaben und 165 Mädchen, zusammen 393 Kinder unter 14 Jahren in regelmäßiger gewerblicher Beschäftigung angetroffen. « Wir sehen, dass die Gewerbeordnung doch den Erfolg hat, dass ver- hältnismäßig wenig Kinder in Fabriksbetrieben thätig sind. Aber es muss offen gesagt werden: Der Schutz, den man durch die Gewerbe- ordnung den Kindern gewähren wollte, er ist zum Fluch geworden; denn die aus dem geordneten Fabriksbetrieb entlassenen Kinder sind heute der uncontrolierten uneingeschränktesten Ausbeutung ausgeliefert. Die Noth hat manche Eltern zu Ausbeutern ihres eigenen Fleisches und Blutes gemacht. Es gibt Menschen, die gewisse sociale Erschei- nungen, die durch unsere Productionsweise bedingt sind, nicht ver- stehen oder nicht verstehen wollen. Ist es nicht z. B. fast allgemein üblich, ganz entrüstet zu thun, wenn ein rüstiger kräftiger Mann um ein Stückchen Brot bettelt? Man will einfach nicht daran glauben,

Jahrbuch d, Wien, päd. Ges. 1900. 8

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dass es Arbeitswillige gibt, die nicht den Bissen Brot verdienen können. Und gerade so gibt es eine Menge Menschen, die absolut verneinen, dass manche Eltern wirklich genöthigt sind, um das Leben der Familie zu fristen, die Arbeitskraft der Kinder übermäßig heranzuziehen. Leute mit solchen Ansichten lassen sich auch durch keinerlei 'Thatsachen- statistik überzeugen. Aber eines bitte ich zu bedenken: Wenn diese Arbeit der Kinder wirklich für diese Familien heute nicht nöthig ist, dann setzen sie bei. Iausenden von Eltern Eigennutz und Lieblosigkeit voraus. Ich aber glaube noch, mit Pestalozzi, an die »Mütter des Landes«. Es ist mir schon vorgekommen, wenn ich das vollständige Verbot jeder erwerbenden Thätigkeit der Kinder verlangte, dass man auf die erziehliche Bedeu- tung der Arbeit überhaupt hingewiesen hat. Ja, es ist sogar vorge- kommen, dass ein Arzt, Herr Abg. Dr. Julian Czerkawski, gelegentlich der Arbeiterenquäte erklärte, man könne z. B. die Werkstättenarbeit der Kinder schon deswegen nicht verbieten, weil sonst die Kinder in den Gewerbeschulen nichts lernen könnten. Allen diesen, sagen wir, merkwürdigen Einwürfen gegenüber muss auf den Unterschied hinge- wiesen werden, der darin liegt, ob die Arbeit eines Kindes einen ethi- schen und pädagogischen Zweck erfüllt, oder ob sie nichts anderes ist als die bloße Verwertung der billigeren Arbeitskraft.

Das, was die Gewerbeinspectoren über die Übertretungen der Gewerbeordnung berichteten, war bis vor kurzer Zeit fast alles, was man in Österreich über Kinderarbeit erfahren konnte. Angeregt durch die von einzelnen Lehrervereinen in Deutschland gepflogenen Erhebun- gen, vor allem durch die ausführlichen Arbeiten des Lehrers Agahd in Rixdorf, beschlossen im Sommer 1897 einige Mitglieder des »Central- vereines der Wiener Lehrerschaft«, einen Versuch mit Erhe- bungen in Wien zu machen. In kurzer Zeit gelang es, Dank dem Interesse, das ein Theil der Lehrerschaft der Sache entgegenbrachte, vollständig brauchbare Angaben von 53 Classen zu erhalten. Die »Freie Lehrerstimme« *) veröffentlichte die gewonnene Elendsstatistik. Durch diesen Artikel veranlasst, stellte Gemeinderath Tomanek im Wiener Gemeinderath den Antrag, die Gemeinde möge Erhebungen pflegen lassen. Dieser Antrag beschäftigte dann den Wiener Bezirks- schulrath, in welchem die Lehrervertreter sich mit dankenswerter Energie der Sache. annahmen. Zu Ende des Schuljahres 1898/gg coursierten die

*) IV. Jahrg., Nr. 12.

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ersten amtlichen Erhebungsbogen an den Wiener Schulen. Es sollten Vorerhebungen sein. Seitdem haben sich der Stadt- und der Bezirks- schulrath zu wiederholtenmalen mit der Sache beschäftigt, aber es ist bis jetzt noch nicht gelungen, den Stadtrath zur Bewilligung der Erhebungskosten im Betrage von 500 fl. zu bringen. Dem Beispiele der Wiener Lehrer folgend, hat im Schuljahre 1898/99 der Florids- dorfer Lehrerverein genaue Erhebungen über die Kinderarbeit in Floridsdorf gepflogen, die schon deswegen von großer Bedeutung sind, . weil es in Österreich die ersten brauchbaren Erhebungen sind, die sich über ein ganzes Gemeindegebiet erstrecken. Nur durch die beiden genannten Erhebungen ist es mir möglich, über die Erwerbsthätigkeit schulpflichtiger Kinder zu sprechen. Die Kinder, welche heute dem Erwerbe nachgehen, lassen sich in sieben große Gruppen theilen; diese sind: 1. Die landwirtschaftlichen HiHsarbeiter ; 2. die Hilfsarbeiter in der Hausindustrie; 3. die Hilfsarbeiter bei Kleinmeistern und im Gasthausgewerbe ; 4. die Gruppe der Austräger und Taglöhner; 5. die Gruppe der Kinder, welche schwere häusliche Arbeiten verrichten müssen; 6. die Gruppe der Kinder mit selbständigen Gewerben, wie Hausierer, Einsammler u. s. f.; 7. die bei Schaustellungen und in Vergnügungsetablissements thätigen Kinder. |

Einen beiläufigen Maßstab für die Anzahl der jugendlichen Hilfsarbeiter in unserer Landwirtschaft geben die amt- lichen Berichte der Schulbehörden über die Schulbesuchserleichterungen. Diese Erleichterungen werden gewährt in Nieder- und Ober-Österreich, Salzburg, Steiermark, Kärnten, Tirol, Böhmen, Mähren und Schlesien. Wie sehr die Landbevölkerung ihre Kinder zur Arbeit heranzieht, ersieht man daraus, dass die größte Anzahl der Gemeinden, welche das Recht auf Schulbesuchserleichterungen genießen, von demselben auch Gebrauch machen. Im Schuljahre 1894/95 genossen 105.II4 Kinder der zwei obersten schulpflichtigen Altersstufen generelle und 106.398 individuelle Schulbesuchserleichterungen. Es standen demnach im Sommer 1895 in den genannten 9 Kronländern allein 211.512 Kinder im Alter von ı2—ı4 Jahren der Landwirtschaft zur Verfügung. In den Kronländern mit sechsjähriger Alltagschulpflicht gab es nach der letzten Volkszählung im Jahre Iı8go 533.644 Kinder im Alter von 12—14 Jahren. Der größte Theil derselben ist gewiss auch in der Landwirtschaft beschäftigt, und es ist nicht zu hoch gegriffen, wenn man die Anzahl der Kinder im Alter von 12—14 Jahren, die in Österreich in der Landwirtschaft derzeit thätig sind, mit rund

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600.000 annimmt. Diese billigen Arbeitskräfte haben den größten Theil der Bauern zu Verehrern der Verkürzung der Schulpflicht gemacht. Aber diese billigen Arbeitskräfte stehen nicht allein den Eltern der Kinder zur Verfügung, sondern auch den Großgrundbesitzern, die sich dieselben mieten. Die generellen Schulbesuchserleichterungen, welche alle dreizehn- und vierzehnjährigen Kinder einer Gemeinde treffen, schaffen in den Kindern armer Kleinbauern und »Häusler« landwirt- schaftliche Hilfsarbeiter, die sich für einen Hungerlohn verdingen. Die Schulbehörde weiß aber, dass nicht nur die dreizehn- und vierzehn- jährigen Kinder zur Arbeit herangezogen werden, sondern auch jüngere. Das ersieht man aus amtlichen Schulberichten *). Auch die Thatsache, dass alljährlich gegen 300 Kinder **) durch den unter geistlicher Leitung stehenden »Tiroler Hütekinder-Verein« nach Würtemberg für den Dienst bei Kleinbauern importiert werden, ist bekannt. Ähnliche Erscheinungen zeigen sich übrigens auch in andern Kronländern, selbst in Nieder-Österreich. Die Schulbehörden könnten durch energisches Drängen auf Einhaltung der gesetzlichen Schulpflicht manche dieser Übelstände beseitigen. Dass die Kinder thatsächlich unter der über- mäßigen landwirtschaftlichen Arbeit leiden, ist daraus zu ersehen, dass im Sommer 1898 unsere Bezirksschulräthe sich der arbeitenden Kinder annahmen. So findet sich z. B. in Nr. 34 des Amtsblattes der k. k. Bezirkshauptmannschaft Krems (1898) ein Erlass ***), (Z. 1773), durch welchen die Ortsschulräthe in Kenntnis gesetzt werden, »dass die Zahl der Unfälle, von welchen Kinder bei der Verwendung in landwirtschaftlichen Maschinenbetrieben betroffen werden, eine überaus große ist. So befanden sich unter den in den Jahren 1890—96 in solchen Betrieben verletzten und von der n. ö. Arbeiter- Unfallversicherungsanstalt entschädigten Personen allein 10°79°/, Kinder im Alter unter I6 Jahren, ja sogar solche im Alter von 8 und g Jahren. Die Landbevölkerung ist daher auf die Gefährlichkeit der Verwendung von Kindern bei den landwirtschaftlichen Maschinen in geeigneter

*) Siehe: Jahresbericht über das Volksschulwesen in Kärnten 1894/95. Jahres- bericht über das Volksschulwesen in Görz und Gradiska 1895/1896, 96/97. Anhang zum Berichte Nr. IV. ex 1896 des niederösterreichischen Landesausschusses über das Volksschulwesen.

**) Siehe: »Das Recht auf Jugend« von S. Kraus in der Zeitschrift »Die Zeit« Nr. 221.

*%*%) Die Herausgabe dieser Erlässe erfolgte auf Veranlassung der Prager und Wiener Arbeiter-Unfallversicherungsanstalten. “:

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Weise aufmerksam zu machen und dahin zu wirken, dass die Verwen- dung von Kindern bei den landwirtschaftlichen Maschinenbetrieben vermieden werde.« |

Es ist ein allgemein verbreiteter Irrthum, in der Beschäftigung der Kinder in der Landwirtschaft nichts Schädliches zu finden, ja im Gegentheil, man hält die landwirtschaftliche Beschäftigung für sehr zuträglich. Als auf dem Züricher Arbeiterschutzcongress 1897 darüber gesprochen wurde, erklärte Dr. Rudolf Meyer: »Der Herr Referent scheint zu glauben, Landarbeit sei den Kindern ganz gesund. Ich glaube, der Herr hat Norddeutschland, Böhmen und Ungarn, hat nie- mals die großen Zuckerrübenfelder, die weiten Kartoffeläcker dort gesehen. Er hat nie gesehen, wie die Kinder im Herbste in Nässe und Kälte von früh bis spät auf der Erde herumkriechen, um Runkelrüben zu beschneiden oder Kartoffeln auszugraben.« Herr Andreas Wuksau, Oberlehrer in Leonfelden in Ober-Österreich, hat bei der 6. oberösterr. Landes-Lehrerconferenz über diese Sache gesprochen und unter anderm bemerkt: »Wir wissen, dass die Kinder in der günstigen Jahreszeit, bevor sie in die Schule kommen, Vieh hüten, Vieh füttern müssen, ferner, dass sie Gänge verrichten müssen«.... »Wir wissen auch, dass diese Kinder oft Arbeiten verrichten müssen, die der Entwicklung ihres Körpers gar nicht entsprechen. Ein großer Übelstand, der auch dazu beiträgt, dass arme Kinder ausgeschunden werden, ist der Halbtags- unterricht; vormittags heißt es arbeiten und nachmittags in der Schule schlafen, von einem Uhnterrichte ıst da einfach keine Rede.« Weiters leidet die Sittlichkeit der Kinder. »Wir wissen, dass beispielsweise in den Häusern, wo Dienstboten sind, nicht für jede einzelne Person ein Bett zur Verfügung steht, sondern dass Erwachsene mit Kindern schlafen müssen.«... »Wir wissen auch, dass Kinder im schulpflichtigen Alter, wenn sie bedienstet sind, zu verschiedenen Beschäftigungen ver- wendet werden: Nachtreiben zum Stier, Eber, Bock u. s. w.«

Nur eine einzige Thatsache über landwirtschaftliche Arbeit will ich noch mittheilen. Die Erhebungen der Pommer’schen Lehrerschaft haben gezeigt, dass für mehr als 46°/, von den in der Landwirtschaft beschäftigten Kindern, auf die sich die Erhebungen ausdehnten, eine gesundheitliche Gefährdung befürchtet wurde und mehr als 70°/, sittlichen Gefahren ausgesetzt waren. Aber all das Elend, in welchem diese Kinder leben, all die Verwahrlosung, der sie im »Interesse des Bauern- standes« anheimfallen, hält keinen Vergleich aus mit dem fürchterlichen Schicksal, welches das Kind des städtischen Proletariers trifft. Auf dem

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Lande wird das Kind mit Rücksicht auf die Arbeit vom Unterrichte dispensiert, in der Stadt aber heißt es für die unglücklichen Geschöpfe, die Schule besuchen und arbeiten. Freilich ist die Schule für viele Kinder eine Zufluchtsstätte, die Stunden, die sie dort zubringen, sind die Raststunden. Wer will es einem Kinde verdenken, das vom frühen Morgen oft bis spät in die Nacht hinein arbeitet, wenn es während des Vormittagsunterrichts schläft? Schleppt es ja oft seinen übermüdeten Körper nur zur Sue, weil es hofft, für sich eine Speise- marke zu erhalten!

Die erwähnten Erhebungen in Wien und Floridsdorf setzen mich in den Stand, ein annäherndes Bild von der Erwerbsthätigkeit der Kinder in den Städten zu geben. In Floridsdorf entfielen im Schul- jahre 1898/99 auf 5392 schulbesuchende Kinder 3812 Beschäftigungen, oft mehrere auf dasselbe Kind. Bei den ersten Erhebungen in W ien wurden Erhebungsbogen verwendet, wie ich solche zu Beginn der Versammlung circulieren ließ. Die Erhebungen dehnten sich leider nur auf 53 Classen aus und zwar auf 37 Mädchen- und 16 Knabenclassen in den Bezirken II, X., XIV.,, XVI und XVII. Unter den 2740 Kindern, von welchen diese Classen besucht waren, gab es 353, das sind bei 13 Procent, welche zum Theil zur Erwerbsarbeit, zum Theil zuschweren häuslichen Arbeiten verwendet wurden. 129 arbeiteten außerhalb des Elternhauses. Zu der ersten Gruppe von Hilfsarbeitern zählen zum Beispiel Kinder mit folgenden Beschäftigungen: Knöpfe annähen und Knopflöcher nähen, Perlenauffassen, Streifenschlingen, Anfertigen von Sparbüchsen aus Thon, Miederarbeiten, Fächermachen, Riemer- und Sattlerarbeiten, Papiermachearbeiten, Spulen, Papierfalzen, Legen und Anschrauben von Harmonikaplatten, Sesselflechten, Lockendrehen, Nähen von Mascherln für Herrenhüte, Nähen von Krägen und Manchetten, Jalousienbändchenannähen, Verfertigen von Cigaretten- hülsen, Cigarettenpapierschneiden, Cigarettentaschenkleben, Cartonage- arbeiten, Blumenmachen, Briefcouvertkleben, Fadenvernähen in Hem- den, Stricken, Häkeln, Drechslerarbeiten, Bernsteinputzen, Fransen- und Tücherknüpfen. Die Arbeitszeit dieser Kinder im Alter von 8—-14 Jahren ist sehr verschieden. An Schultagen 2-—Io Stunden, an freien Tagen bis ı4 Stunden. Ein zehnjähriger Knabe arbeitet täglich 4 Stunden an Cigarettenhülsen und erhält für 1200 Hülsen 45 kr. Ein anderes Kind arbeitet täglich 7—8 Stunden und verfertigt mit Mutter und Schwester täglich I2o Stück Blumen. Das Stück wird mit einem Kreuzer bezahlt. Ein dreizehnjähriges Mädchen ist täglich

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g Stunden mit Perlenauffassen beschäftigt. Während der Ferien arbeitet es I6 Stunden. Es fasst auf eine Schnur 60 Perlen auf. 12 Schnüre geben ein Büschel. (Täglich 53 Büschel!) Man bedenke, welche Folgen es für ein ı3-jähriges Kind haben muss, wenn es, selbstverständich gewöhnlich bei Lampenlicht, so 3600 und mehr kleine schwarze Perlen täglich auffassen muss! Nicht die Schwächung des Sehvermögens ist das ärgste, fürchterlich geisttödtend ist die Eintönig- keit dieser Arbeit. Und das geht so Woche um Woche, an freien Tagen muss noch mehr als an Schultagen gearbeitet werden... . Sehr viele Schulmädchen in Wien sind mit Fransenknüpfen beschäftigt ; diese Arbeit gehört zu denjenigen, bei welchen man angeblich die Kinderarbeit nicht entbehren kann *).

Eine zweite Gruppe lohnarbeitender Schulkinder bilden die Hilfs- arbeiter bei Kleinmeistern und im Gasthausgewerbe. Die Anzahl dieser Hilfsarbeiter ist in Wien eine außerordentlich große. Es gibt eine Reihe von Kleinmeistern, die ihre Selbständigkeit nur mit Hilfe der Ausbeutung mehrerer Lehrlinge behaupten können. Es gibt aber auch solche, die auch Wohnung und Kost für ihre Arbeitssclaven nicht aufbringen. Diese verwenden fremde Kinder im Alter von 8—ı4 Jahren und entlohnen sie mit ein paar Kreuzern. Es dürfte in den meisten Handwerken solche Existenzen geben. In 16 Wiener Knabenclassen fanden sich schon ı Maurer, ı Tapezierer, 2 Tischler, 1 Schuhmacher, I Anstreicher, ı Seiler. Die Arbeitszeit dieser Kinder richtet sich nach den Aufträgen, die ihre Arbeitgeber erhalten. So bemerkt ein Lehrer im II. Bezirke bei seinen Angaben über den 13-jährigen H. E.: »Schuh- macher; bleibt bei dringenden Arbeiten an Schultagen zu Hause; schlecht ernährt; trinkt hie und da Brantwein, raucht oft.« In Florids- dorf fanden sich 63 Knaben als Hilfsarbeiter bei einem Handwerk; davon gehörten 4 der Unterstufe, 34 der Mittelstufe und 25 der Ober- stufe der Volksschule an.

Zu den entsittlichendsten und der Gesundheit äußerst nachtheili- gen Beschäftigungen gehören die Kinderarbeiten im Gasthausgewerbe. Hiezu sind zu zählen: Aushilfskellner, Brot- und Cigarrenverkäufer, Esszeugputzer und Kegelaufsetzer.

Ein Lehrer im 2. Bezirke, in dessen Classe 1897/98 von 22 Schülern 6 Kegelaufsetzer waren, schreibt auf den Erhebungsbogen: »Von allen in Gasthäusern beschäftigten Kindern gilt, dass sie an den auf ihren

*) Aussage des Experten Abg. Wolfrum bei der Arbeiterenqygte 1883. Steno- graphisches Protokoll, Seite 135.

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»Dienst« folgenden Tagen schläfrig, zum Unterrichte nicht befähigt sind. Oft treten Üblichkeiten ein, da ihnen die Gäste mit Bier und Wein aufwarten. Die in den Localen geführten Gespräche und die Scenen, die sie mit ansehen, äußern auch deutlich einen nachtheiligen Einfluss auf ihr sittliches Verhalten.« Diese 6 Kegelaufsetzer haben an freien Tagen eine Arbeitszeit von 13—ı4 Stunden. In Deutschland ist in den letzten Jahren gegen diesen Unfug energisch von Seiten der Polizeiverwaltungen eingeschritten worden. Die Wiener Polizei hat sich mit lobenswertem Eifer ebenfalls der Sache angenommen, das war aber anno dazumal, als man schrieb 1778. In diesem Jahre erschien eine Polizeiverordnung, in der es heißt: »Schulfähige Kinder von 6—ı2 Jahren sollen nicht bei Wirten unter Strafe zum Kegelaufsetzen gebraucht werden.« In Deutschland haben die Polizeiverwaltungen ein- zelner Städte, wie z. B. Hamburg und Spandau, alle Verrichtungen von Kindern im Schankgewerbe verboten. In unserm Vaterlande gilt aber folgende Verordnung: »Verordnung des Handelsministers im Ein- vernehmen mit dem Minister des Innern vom 27. Mai 1885, womit auf Grund des $. 95 des Gesetzes vom 8. März 1885, R. G. Bl. Nr. 22, die Nachtarbeit jugendlicher Hilfsarbeiter für bestimmte Kategorien von Gewerben gestattet wird.« Unter Punkt 3 findet sich: 3. Gast- und Schankgewerbe: »Es ist gestattet, die als Kellner und dergleichen beschäftigten männlichen jugendlichen Hilfsarbeiter auch in den Stunden von acht Uhr abends bis längstens zwölf Uhr nachts zu verwenden.«e Die Wiener sind so an ihre »Brotschanis« gewöhnt, dass ihnen das Essen nicht so gut schmecken würde, wenn sie nicht von einem solchen das Brot kaufen würden. Aber wer sich der Mühe unterzieht, diese oft nur acht- bis zehnjährigen Jungen einen Sonntagsnachmittag in einem Praterkaffeehause zu beobachten, den packt die Entrüstung und der Zorn über die Gleichgiltigkeit der großen Menge, die sich an der Musik ergötzt, isst und trinkt und nicht einen Augenblick daran denkt, dass da zwischen den Tischen ein paar junge Menschenkinder herumirren, die doch auch eigentlich das Recht hätten, sich des Sonntags zu freuen, die aber das »Recht auf Jugend« verwirkt haben. Aus Floridsdorf waren Knaben und 5 Mädchen mit Brot- und Cigarrenfeilbieten oder als Kellner in Floridsdorf selbst oder im Prater beschäftigt.

Eine andere Gruppe lohnarbeitender Schulkinder bilden: Lauf- burschen, Laufmädchen, die zu Lieferungsgängen benützt werden, Milchausträgerinnen, Zeitungsausträger, Wagen- und Pferdeputzer und

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dergleichen. Zeitungsausträger und Milchmädchen sind oft schon drei Stunden vor Beginn des Unterrichtes thätig. Die Zeitungsausträger sind gewöhnlich von den Personen angestellt, welche diese Arbeit von den Expeditionen übernehmen. Sind nun schon diese schlecht gezahlt, so kann man sich denken, was für Löhne die Kinder erhalten. Diese Kinder gehören gewöhnlich zu denjenigen, welche regelmäßig zumindest von acht bis neun Uhr in der Schule schlafen. Auf den Bahnhöfen werden kleine Jungen zum Warenabladen verwendet. So hatte ein College im zehnten Bezirke zwei Knaben im Alter von elf und drei- zehn Jahren in seiner Classe, die während der Schulzeit Waren am Staatsbahnhofe abluden. Sie waren vollkommen verwahrlost. Der eine stahl dem Lehrer Speisemarken aus versperrter Lade. Vom 16. Sep- tember bis ı5. Februar versäumte der eine Knabe ı42, der andere ı30 Halbtage. In Floridsdorf fanden sich 26 Laufburschen und 58 Lauf- mädchen. 36 Knaben und 23 Mädchen waren mit Milchaustragen, ı0 Knaben und 2 Mädchen mit Zeitungsaustragen beschäftigt.

Eine große Gruppe bilden die Kinder, welche schwere häus- liche Arbeit bei ihren Eltern oder bei fremden Leuten zu verrichten haben. In Wien gibt es hunderte zehn- bis yierzehnjährige Mädchen, die schon eine »Bedienung« haben. Ja, oft verrichten sie vor dem Unterricht ihre Arbeit bei der einen Partei, nach dem Unterrichte bei einer zweiten und am Abend bei einer dritten. Ganz besonders muss aber darauf hingewiesen werden, dass in Wien zahlreiche Prostituierte Kinder als Bedienerinnen halten. Die Erhebung in Floridsdorf weist 240 Kinder aus, die fremde Leute gegen eine kaum nennenswerte Entlohnung bedienen mussten. Darunter 175 Knaben und 65 Mädchen.

Eine Reihe von Kindern trägt auf eigene Weise zur Vergrößerung des Familieneinkommens bei. Dazu wären zu zählen: Planetenverkäufer, Hausierer mit den verschiedensten Dingen, wie Streichhölzchen, Bildern, Veilchenpulver u. s. f., dann die Holz-, Coaks-, Kohlen-, Eisen- und Hadernsammler. Die Gruppe der Hausierer kann man täglich in den Gasthäusern beobachten, im Sommer vor allem in den Praterwirtschaften. Die Gruppe der verschiedenen Sammler muss man bei ihrer Beschäftigung erst aufsuchen. Zu den Orten, wo man des Morgens und Abends sicher Kinder mit Einsammeln von Kohle und Holz findet, gehören unsere Bahnhöfe. Am Morgen, wenn die Kohlenwagen zum Beispiel aus den Nordbahnmagazinen ausfahren, harren schon die Kinder, am Arme ein Körbchen, und gehen ruhig den Wagen nach, um jedes herabfallende Stückchen aufzuheben. Zu Hause frieren oft kleinere Geschwister. Wer

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will den Knaben strenge verurtheilen, wenn er vor Kälte zitternd, unge- duldig, dass die Kohlenstückchen so langsam fallen, seine Hand aus- streckt und sich vom Wagen ein Stückchen nimmt’?

In Floridsdorf beschäftigen sich 450 Kinder (354 Knaben und 96 Mädchen) mit dem Sammeln von Kohle, Coaks, Eisen, Knochen etc. auf den Straßen und namentlich auf der »Wiener Miststätte«. Diese die Gesundheit gefährdende Beschäftigung könnte sofort abge- stellt werden, da nach dem Hofkanzleidecret vom 20. Februar 1823 und nach dem Ministerialerlasse vom ı7. November ı855 den Sammlern die Lösung von Licenzen zur Pflicht gemacht wird.

Nun noch zur Gruppe jener Kinder, welche bei eine mitwirken. Nach der Ministerialverordnung vom 26. September 1856 ist die Verwendung schulpflichtiger Kinder zu Schauvorstellungen, insoferne diese den Charakter der Öffentlichkeit und eigentlicher Kinder- Schauvorstellungen an sich tragen, verboten. Heute gilt für Wien der Erlass des Wiener Bezirksschulrathes, nach welchem die Mitwirkung von Schulkindern an öffentlichen Schaustellungen nur mit Genehmi- gung des Bezirksschulrathes von der Schulleitung zugelassen werden kann. Der Erlass enthält detaillierte Bestimmungen, von welchen Sachen sich der Schulleiter Kenntnis verschaffen soll, ehe er die Bewil- ligung ertheilt; so soll er z. B. die Bewilligung nur ertheilen, wenn vor vollkommener Durchführung des Programmes Speisen und Getränke nicht verabreicht werden u. s. f. Ich glaube, es gibt sehr wenige Schulleiter in Wien, die so viel Zeit erübrigen können, um allen Vor- schriften dieses Erlasses nachzukommen. Aber dieser ganze Erlass hat geringe praktische Bedeutung. Die kleinen Balletmädchen z. B. treten zum Zwecke ihrer Ausbildung aus der Schule aus und genießen Privatunterricht.

Es sei noch darauf hingewiesen, dass es unter den arbeitenden Kindern eine große Menge Saisonarbeiter gibt. Dazu sind vor allem die Verfertiger des Weihnachtsschmuckes, der »Krampusse« und »Nikolos«e zu zählen. Damit sich die Kinder der Besitzenden freuen können, müssen arme kleine Geschöpfe bis tief in die Nacht hinein arbeiten.

Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, ein annäherndes Bild von : den Zuständen zu entwerfen, unter welchen ein großer Theil des Volkes heranwächst. Ich werde mir jetzt erlauben, kurz die Gründe anzuführen, die uns bestimmen müssen, in der Erwerbsthätigkeit der Kinder ein Hindernis der körperlichen und geistigen Ent- wicklung der Jugend zu sehen.

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In den letzten Jahren hat die Überbürdungsfrage die Aufmerk- samkeit namhafter Pädagogen und Ärzte auf sich gelenkt. Zahlreiche Versuche über Ermüdung und Erholung sind bereits gemacht worden, und die neue experimentelle Psychologie hat auf diesem Gebiete ihren ersten großen Erfolg aufzuweisen. Es ist heute experimentell nachge- wiesen ich citere aus einem Vortrag des Herrn Dr. Bum*, »dass der Schüler während des Unterrichtes eine relativ bedeutende Gehirnarbeit verrichtet oder doch verrichten soll, und dass die Ermü- dung des Centralnervensystems nicht, wie vielfach geglaubt wird, durch nachfolgende Muskelermüdung beseitigt, sondern im Gegentheil gestei- gert wird.« Leider sind die Ermüdungsmessungen bisher nur an höheren Schulen, an Gymnasien und Realschulen gemacht worden, aber man kann mit Sicherheit behaupten, dass dieselben auf erwerbs- thätige Kinder ausgedehnt das Resultat geben würden, dass diese Kinder schon vor Beginn des Unterrichtes vollständig übermüdet, d.h. nicht unterrichtsfähig sind. Ich stimme vollständig jenen Collegen bei, die einzelne Schüler ganz ruhig die erste Stunde schlafen lassen und den Nachbarn untersagen, den armen fleißigen Burschen zu wecken. Konrad Agahd führt in seiner Broschüre »Über die Erwerbsthätig- keit schulpflichtiger Kinder« an: »In Schule und Haus sollen Kinder nach Key im Alter von 7 Jahren 2—3 Stunden, von 8 Jahren 3—4 Stunden, von g Jahren 4—35 Stunden, von ı0—ıı Jahren 6 Stunden, von 1ı2— 13 Jahren 7 Stunden, von ı4 Jahren 8 Stunden arbeiten. Unsere Kinder aber? Sie arbeiten oft bis zur körperlichen Erschlaffung bis zum Beginn des Unterrichtes, dann geistig weiter, 3, 4 Stunden; eine Mehrzahl wird zwischen Vor- und Nachmittagsunterricht einge- spannt, wieder andere arbeiten weiter bis in die Nacht hinein. Nach den bisherigen Ausführungen dürfte es denn kein Wunder sein, dass in allen Orten geklagt wird hinsichtlich der allgemeinen Folgen über Mattigkeit, Stumpfsinn, Zerfahrenheit und Theilnahmslosigkeit einer bedeutenden Anzahl erwerbsthätiger Kinder. Solche Eigenschaften zei- tigen dann ihre Früchte in Misserfolgen des Unterrichtes. Ob kateche- tisch, ob formal, ob mit oder ohne Anschauung, und wenn Sie zu den Kindern mit Engelzungen redeten: es ist alles vergeblich! Die armen Kinder schlafen mit offenen oder geschlossenen Augen.« Dazu kommen noch häufige Schulversäumnisse und überdies Mangel an

*) Wiener medicinische Presse, 37. Jahrg. Nr. 48. »Über periphere und centrale Ermüdung,«

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Zeit für häusliche Beschäftigung mit den Schulgegenständen. An eine Erreichung des Lehrzieles ist da wohl nicht zu denken.

Die körperliche Entwicklung wird durch die verschiedenen Be- schäftigungen sehr beeinträchtigt. Lange Arbeitsdauer, Arbeit am frühen Morgen oder bis spät in die Nacht, noch dazu in ungesunden Räum- lichkeiten, oft in Massenquartieren, tragen dazu bei, dass in den über- dies schlecht ernährten Körpern die Keime zu Siechthum und Gebrechen aller Art sich entwickeln. Und wie steht es mit der Entwicklung des sittlichen Charakters dieser Kinder? Eine Reihe von Erwerbsarten gefährdet direct die Sittlichkeit. Agahd führt an: »Schlachten ist keine Beschäftigung für Kinder, Sondercabinetts zu bewachen noch viel weniger.« Diesen Beschäftigungen können wir in Wien vor allem anreihen: die Bedienung von Prostituierten. Der nächtliche Aufenthalt der Kinder in Localen und auf den Straßen lässt die Kinder Dinge sehen, bei deren Anblick jeden sittlichen Menschen Grauen und Ent- setzen fassen muss. Von den Kindern, welche außerhalb des Eiltern- hauses arbeiten, verwendet ein großer Theil das verdiente Geld für seine eigenen Zwecke. Denken Sie aber dabei nicht an Näschereien, das Ideal dieser Jungen ist der Schnaps und die Dramacigarette. Unter solchen Bedingungen sollen sich gesittete Menschen entwickeln! Wer will sich wundern über die zunehmende »Roheit der Jugends«, wenn vor den Augen der Öffentlichkeit, vor den Augen der Behörden das Verbrecherthum gezüchtet wird? Das soll so sein müssen ? Wenn ein entmenschtes Elternpaar ein Kind zu Tode martert, so ist das gewiss etwas Furchtbares. Ich sage aber: weit furchtbarer und entsetz- licher ist es, dass ‚Tausende von Eltern, die ihre Kinder lieben, so lieben, wie nur Eltern ihre Kinder lieben können, genöthigt sind, ihre Kleinen arbeiten und dabei hungern zu lassen. Es scheint aber, dass wir ın einem Lande wohnen, wo man diese Unmenschlichkeit für unbedingte Nothwendigkeit hält. In dem an fast allen k. k. Lehrer- bildungsanstalten eingeführten »Lehrbuch der allgemeinen Erziehungs- lehre von Lindnere« ist auf Seite ı3 zu lesen: »Das volkswirtschaft- liche Gleichgewicht zwischen den Kosten der Erziehung und der Pro- duction der Erzogenen kann in der Gesellschaft leider nur dadurch hergestellt werden, dass man bei ganzen Volksschichten einen großen Bruchtheil der Zöglinge noch vor Abschluss der Erziehungsperiode zur wirtschaftlichen Arbeit heranzieht. Die Kinder der Armen müssen oft unerzogen in die Werkstätten und Fabriken hinaus, weil man die Kosten ihrer Erziehung nicht erschwingen kann.« ı00 Jahre nach

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Pestalozzi wird solches in Lehrerbildungsanstalten gelehrt! Ohne Kinderarbeit sollte diese Welt nicht bestehen können? Können Sie an die Wahrheit des Wortes glauben, dass die Gesellschaft die Kosten der Erziehung der Jugend nicht zu tragen vermag? Es gehört eine Kühnheit dazu, solches zu behaupten zu einer Zeit, wo Tausende von erwachsenen Menschen arbeitslos sind, wo Tausende es nicht nöthig haben, zu arbeiten. Der citierte Satz aus »Lindner« enthält aber, und das ist gewiss nicht zu unterschätzen, alles, was an österreichi- schen Lehrerbildungsanstalten die Candidaten von Nationalökonomie und Socialpädagogik hören. |

Wenn ich nun als Lehrer die Forderungen formuliere, die sich aus meinen Darlegungen ergeben, so gibt es eigentlich nur zwei:

ı. Essindeingehende Erhebungen seitens der Lehrer und Behörden über die Erwerbsthätigkeit der schul- pflichtigen Kinder zu pflegen.

2. Es ist das vollständige Verbot jeglicher Erwerbs- arbeit schulpflichtiger Kinder zu erwirken.

Das vollständige Verbot der Erwerbsarbeit der Kinder als unver- rückbares Ziel im Auge behaltend, sehen wir uns durch die Verhält- nisse genöthigt, den Kampf gegen den unerhörten Raubbau, der mit der jugendlichen Kraft getrieben wird, zunächst dadurch zu führen, dass wir vor allem ein Verbot für jene Arbeitsverrichtungen zu erwirken trachten, die uns als besonders schädlich bekannt sind z. B. die im Gasthausgewerbe und solche, deren Durchführung uns überdies leicht controlierbar erscheint, z. B. das im Hausiergewerbe. Die Er- wirkung solcher Verbote möchte ich dringend jenen Vereinigungen als vornehmste Aufgabe zuweisen, welche sich den Kinderschutz zum Zwecke gesetzt haben. Mit der Errichtung eines Asyls für misshan- delte Kinder, wie sie jetzt in Wien geplant wird, scheint mir wenig gethan. Fälle von Bestialität kommen doch nur vereinzelt vor, und man könnte die betreffenden Kinder wohl auch in Familien unter- bringen. Was uns noththut, ist die Schaffung eines Vereines, der es sich zur Hauptaufgabe macht, Schutzgesetze für die Kinder zu erringen. Eine alle politischen Parteien umfassende Organisation der Menschen muss geschaffen werden, die bereit ist, sich einzusetzen für »das Recht der Kinder auf Jugend«. Wir Lehrer aber sind die berufenen Anwälte dieses Rechtes. Wir wissen, dass die Wohlthätigkeit und Opferwilligkeit der Besitzenden im Stande ist, in Einzelfällen Abhilfe zu schaffen, niemals aber allen Kindern Antheil

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an den Freuden der Jugend verschaffen kann. Nicht den guten Willen Einzelnergilt eszuerwecken, sondernden Willen der Gesammtheit! Nicht die Wohlthätigkeit Einzelner kann uns unserm Ziele näherbringen, sondern das Ein- stehen der Gesammtheit für der Kinder Wohl, für der Kinder Recht! Diese Überzeugung muss uns ein Antrieb sein, unsere Kraft nicht. dadurch zu zersplittern, dass wir Gnade für die Kinder erbitten, sondern dass wir sie voll und ganz dafür einsetzen, dass allen Kindern ihr Recht werde: das Recht auf ungeschmä- lerte geistige und körperliche Entwicklung!

Leitsätze.

I. Die Erwerbsthätigkeit schulpflichtiger Kinder ist verwerflich, da sie

1. die Erreichung des Lehrzieles hindert:

a) durch die Übermüdung schon vor Beginn des Unterrichtes;

b) durch den Mangel an Zeit, sich mit den Schulgegenständen in ausreichendem Maße zu beschäftigen;

c) durch die häufigen Verspätungen und Versäumnisse;

2. die körperliche Entwicklung beeinträchtigt :

a) durch die Arbeitsdauer;

b) dadurch, dass sie den Kindern jegliche Spielzeit entzieht;

c) durch die sanitären Übelstände im Arbeitssaale;

3. dem erziehenden Einfluss der Schule entgegenwirkt:

a) durch die Art der Arbeit selbst;

b) durch das Fehlen der Aufsicht;

c) durch die fehlende Controle des Lohnes;

d) durch unpassende Gespräche und Handlungen seitens Erwachsener.

II. Die Kenntnis der herrschenden Zustände auf dem Gebiete der Erwerbs- thätigkeit schulpflichtiger Kinder ist dringend nothwendig. Außer Erhebungen seitens der Lehrer sind amtliche Erhebungen und regelmäßige Berichte seitens der Behörden anzustreben.

III. Solange ein vollständiges Verbot der Erwerbsthätigkeit schulpflichtiger Kinder nicht zu erreichen ist, soll angestrebt werden: | Streichung des $. 60 des R. V. G. bezüglich der Fabriksschulen.

. Die Aufhebung der Schulbesuchserleichterungen.

Die Auflassung des Halbtagsunterrichtes,

Die strenge Durchführung der achtjährigen Schulpflicht in allen Kronländern. Die Ausdehnung der Gewerbeaufsicht auf die Hausindustrie.

Die Aufhebung der vom Handelsministerium erlassenen Verordnung vom 27. Mai 1885, welche die Nachtarbeit jugendlicher Hilfsarbeiter gestattet.

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7. Die Erwirkung von Polizeiverordnungen, welche die Verwendung von schul- pflichtigen Kindern als Taglöhner, Austräger, Kegelaufsetzer u. s. f. untersagen.

8. Die Aufnahme dieses zeitgemäßen Themas in die Tagesordnung der amtlichen Conferenzen.

9. Die Gründung von Kinderschutzvereinen, welche sich vor allem die Aufgabe stellen, die Kinderschutzgesetzgebung zu erweitern und zu verbessern.

Aus der Debatte.

Referent S. Kraus betont, wie nothwendig es sei, die vorgeführte Angelegenheit in allen Lehrerversammlungen zur Sprache zu bringen, damit gegebenenfalls desto wirk- samer die vorhandenen Übelstände bekämpft werden können. So schwierig es auch sei, diesbezüglich sichere Erhebungen zu pflegen, so soll doch deriLehrer davon unterrichtet sein, wem von seinen Schülern die Jugend bedroht und der vorzeitige Kampf ums Leben aufgebürdet ist. In diesem Jahre sollen gelegentlich der amtlichen statistischen Aufnahme der Volksschulen in Österreich auch Erhebungen über die erwerbsmäßige Kinderarbeit stattfinden, und es stehe zu hoffen, dass damit ein zuverlässiges Ma- terial gewonnen werde. Hauptsache sei, das Verbot jeder Art von erwerbsmäßiger Kinderarbeit anzustreben. Frl. K. Ullmann bespricht die Kinderschutzvereine, die gerade in jüngster Zeit anlässlich mehrerer aufsehenerregender strafgerichtlicher Fälle von Kindermisshandlung gegründet wurden. Es wäre zweckmäßig, wenn die Lehrer- schaft auf die Thätigkeit dieser Vereine Einfluss nehmen und das Augenmerk der Bethei- ligten auf Abstellung der erwerbsmäßigen Kinderarbeit lenken würde, Auch die Kinder- vorstellungen in Theatern u. dgl., die man jeden Winter auf allen Anschlagsäulen ange- kündigt finde, sollten behördlich unbedingt verboten werden. —C. Kratochwil stimmt diesen Ausführungen bei und beantragt die stilistische Änderung einer These, welcher Änderung der Vortragende zustimmt. J. Antscherl tritt dafür ein, dass in Bezug auf Punkt III, 7 der Thesen in besonders berücksichtigungswerten Fällen Ausnahmen gestattet seien; der Kampf ums Brot sei ein überaus schwieriger, oft erkranke der Vater oder die Mutter, und die Kinder müssten zur Aushilfe herangezogen werden, denn wo fremde Hilfe fehle, müsse zur Selbsthilfe geschritten werden. Referent S. Kraus entgegnet, dass es äußerst schwierig wäre, die richtige Instanz zu finden, welche die Nothwendigkeit einer Ausnahme zu beurtheilen und auszusprechen habe. Der erzieh- liche Wert der Arbeit überhaupt stehe nicht in Frage, es handle sich um Abstellung erwerbsmäßiger Kinderarbeit und damit um einen Schutz gegen die Ausbeutung der schulpflichtigen Jugend. Auch die Kinderschutzvereine, die älteren und die neueren, haben nach dieser Richtung hin noch wenig gethan, so gut auch ihre Leiter und För- derer es sonst mit der Jugend meinen. Die Wiener pädagogische Gesellschaft aber

werde mit der Annahme der Thesen bekunden, dass sie unentwegt an Pestalozzi’schen Ideen festhalte.

(Die Thesen werden von der Vollversammlung angenommen.)

IX. Referate.

1. Neuere Werke über den Elementarunterricht.

Der Streit, welcher Methode in der Elementarclasse der Vorzug gebüre, hat einer fast merkwürdigen Ruhe Platz gemacht; hieß es früher: »Hie Schreiblesen!« »Hie Normalwörter!e so fragt man gegenwärtig nicht mehr viel darum. Die Grundsätze, auf denen der erste Unterricht beruht, sind beiden Methoden gemeinsam, sie wurzeln in der Anschauung, von der jeder Unterricht ausgehen muss. Da kommt es nun vor- zugsweise auf die praktische Ausgestaltung, auf das oft unscheinbare und doch so wesentliche Detail des Lehrverfahrens an, sowie auf die Möglichkeit, dass der Lehrer sein Wirken mit dem anderer vergleichen könne, um aus dieser Vergleichung den ent- sprechenden Nutzen zu ziehen. Diesem Zwecke sollen bekanntlich auch die amtlichen Conferenzen dienen, doch sind dieselben ihrer allgemeinen Natur wegen nicht immer dazu geeignet; persönlicher Verkehr und Hospitieren wären sicher von bedeutendem Vortheil, aber nicht überall durchführbar. So muss der Einzelne allein nachdenken, vorsichtig versuchen um nicht den etwas zweifelhaften Ausdruck »experimentieren« zu gebrauchen dass er das Richtige treffe und für seine mühevolle Arbeit den oft ein- zigen Lohn ernte: die Befriedigung, welche die erfüllte Pflicht gewährt, und die Wahr- nehmung, dass seine Schüler mit Lust und Liebe dem Unterrichte folgen und gute Fortschritte machen. Gerade der Unterricht in der Elementarclasse ist der feste Grund, auf dem das ganze Gebäude der Schulbildung ruht; Plan’ und Baumaterial muss gleich trefflich, die Arbeit eine genaue und sichere sein. Daher sehen wir es gern, wenn erfahrene Schulmänner ihre im Laufe einer langjährigen Thätigkeit erworbenen prak- tischen Kenntnisse uns mittheilen und uns auf diese Weise die Vergleichsmomente, bezw. willkommene Hilfen bei der schwierigen Berufsarbeit darbieten.

Von den in der letzten Zeit erschienenen, hieher gehörigen »Handbüchern« soll nun eine Anzahl derselben einer kurzen Besprechung unterzogen werden.

A. Vertheilung des Lehrstoffes der Elementarelasse auf Wochen- und Halbstunden. Zusammengestellt von Hans List und Hans Mühlfeith, Bürgerschul- lehrer in Graz. Wien, Pichler. Preis I X 60 A.

Was der Titel besagt, ist streng durchgeführt, nichts mehr, aber auch nichts weniger auf II5 Seiten enthalten. Vom ersten Schultage des Kindes angefangen findet sich für jede Halbstunde des Stundenplanes in Schlagworten angegeben, was der Lehrer vorzunehmen hat. Die Verfasser haben dabei nur die Vertheilung des Unterrichtsstoffes im Auge, überlassen aber die methodische Verarbeitung und Durchführung der sub- jectiven Einsicht des betreffenden Lehrers. Der Anschauungsunterricht ist als

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selbständige Disciplin behandelt; vom Schulzimmer und den darin befindlichen Gegen- ständen ausgehend werden der Reihe nach betrachtet: Das Schulhaus, der Herbst als Jahreszeit, die Einrichtungsstücke, mancherlei Geräthe, die Familie, der menschliche Körper, der Winter als Jahreszeit, Beschäftigungen der Menschen u. s. w. In beson- deren Sprechübungen gelangt der bereits durchgenommene Stoff zur Wiederholung. Der Leseunterricht schließt sich nicht immer unmittelbar dem Anschauungsunterrichte an; zur Gewinnung der nöthigen Normalsätze und Normalwörter werden entsprechende Erzählungen herangezogen. Die Anordnung des Stoffes ist genau nach der Fibel von Ambros durchgeführt. Mit Sorgfalt werden die Wörter mit zusammengesetztem Anlaut behandelt und am Setzkasten geübt; selbstverständlich muss hiebei an einer größeren Anzahl von Beispielen die Übung erfolgen. Im Rechnen finden wir den üblichen Lehrgang, wie ihn Mo£nik seinem Buche zugrunde gelegt hat; auffallend erscheint es, dass schon in den ersten zwei Wochen nicht nur die allgemeinen Begriffe »viel, mehr, wenigers«, sondern auch die Veranschaulichung der Zahlbegriffe 1—10 angesetzt sind. Übungen im Erkennen der Zahlbilder, im Aufsuchen von Zahlen der Reihe nach, vor und nach einer gegebenen Zahl, sowie zwischen zwei Zahlen folgen und leiten zum eigentlichen Rechnen über, zur Behandlung der einzelnen Zahlen. Den Schluss bilden allgemeine Dispositionen für die Behandlung eines Normal- wortes bezüglich des Lesens und Schreibens, für die Behandlung einer Zahl, eines Anschauungsobjectes, eines Gedichtes und eines Liedes. Eine kleine Liedersammlung (14 Lieder enthaltend) ist als Anhang beigegeben.

B. Führer dureh den Elementarunterricht. (Specielle Methodik der Elementar- classe.) Verfasst und zusammengestellt von Josef Czerny, Übungsschullehrer und Lehrer der speciellen Methodik am niederösterr. Landes-Lehrerseminar in Wiener- Neustadt. Karl Blumrich, Wr. Neustadt. Preis 3 A” 60 A.

In dem Vorworte zur ı. Auflage bezeichnet der Verfasser sein Werk »als ein gereiftes Product eigener Erfahrungen und sorgfältiger Studien der einschlägigen Lite- ratur«, welche Bezeichnung wir ganz gerechtfertigt finden. »Zum Wohle der Jugend!« ist als Motto dem Buche vorgesetzt, und wir fügen hinzu: »Und zur Freude des Lehrers!« Denn es ist ein wahres Vergnügen, die eindringliche, warme, zu Herzen gehende Sprache des Verfassers zu vernehmen, welcher, durchdrungen von der hehren Aufgabe des Lehrers und Erziehers, wie von der Wichtigkeit des grundlegenden Unter- richtes für die folgenden Stufen, den Gegenstand nach allen Seiten auf das genaueste beleuchtet. Das Buch ist nicht nur für Zöglinge eines Lehrerseminars bestimmt, sondern überhaupt für Lehrer, welche in die Lage kommen, eine Elementarclasse zu führen. Nach einigen Auszügen aus schulbehördlichen Verordnungen bezüglich des Unterrichtes und der Führung der untersten Stufen der Volksschule begründet Verfasser die Nothwendigkeit eines durchgreifenden Vorbereitungscurses und weist auf die Foigeübel hin, welche bei oberflächlicher Behandlung der Vorübungen und bei zu frühem Beginn des Lesens und Schreibens zutage treten. Da man Wesen und Gang dieser Vorübungen aber nur selten eingehend behandelt findet und der Wert und der Zusammenhang der einzelnen Übungen nicht immer deutlich erkennbar ist, hat der Verfasser hfefür eine eigene Broschüre geschrieben: »Die erste Lehrthätigkeit des Ele- mentarlehrers. (Die ersten Schulwochen. Vorübungen.)« Wien, Pichler. Ebenso empfehlenswert wie das größere Werk.

Der Anschauungsunterricht erscheint als selbständige Disciplin und bildet den Mittelpunkt des gesammten Unterrichtes; der Stoff richtet sich nach den Jahreszeiten

Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1900. 9

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und ist nach concentrischen Kreisen geordnet. Wird beispielsweise im ersten Viertel- jahre vom Leben im Hause gesprochen, von den Personen, die darin wohnen, von Thieren, welche das Kind bereits kennt, so treten im zweiten Vierteljahre hinzu: Alter, Geschlecht, Thätigkeiten; im dritten Vierteljahre: Besprechung des menschlichen Körpers u. s. w. In ausführlicher Weise begründet Verfasser die Aufstellung dieses Planes; freilich muss die Schule auch in der Lage sein, die entsprechenden Anschauungsobjecte zu besitzen. An den eigentlichen Anschauungsunterricht reihen sich die formalen Sprachübungen. Sehr ausführlich ist das Schreiblesen behandelt, da dies auch der Hauptgegenstand ist und zu den schwierigsten (regenständen der Volksschule gehört. Zwei Vorbedingungen werden dem Lehrer gestellt: Gründliches Studium der Lautlehre und Studium der Geschichte der Leselehrmethoden nach ihrem Wesen. Der Verfasser gibt übersichtlich die Entwicklung des Kindes und seiner Sprache bis zum schulpflichtigen Alter an und erwähnt im besonderen die Hemmnisse der Sprachentwicklung durch physische Einflüsse. Nach einem geschichtlichen Rückblick auf die Lesemethoden spricht sich Verfasser für die analytisch-synthetische als natürliche Methode aus und verlangt auch für den ersten Schreibleseunterricht nur Normalwörter, keine inhaltslosen Formwörter. Lehrreiche praktische Beispiele geben über die Vorführung der ersten Normalwörter und die sich daranschließenden Leseübungen Aufschluss; eine Reihe methodischer Thesen soll die Richtschnur geben für die einzelnen Stufen der Laut- gewinnung, für die Behandluug der Lese- und Memorierstoffe.e. Ebenso werden beson- dere Regeln für den Schreibunterricht aufgestellt. Bei dem Capitel »Singen« erregt ein Auszug aus dem Lehrgang der Seminarschule in Weißenfels (Schweiz) die Auf- merksamkeit des Lesers. Der Lehrgang im Rechnen ist der soust übliche. Der Verfasser bemerkt dazu: »Lehrer, werde ja nicht müde, das Allereinfachste immer und immer wieder zu veranschaulichen, denn das Rechnen ist und bleibt ein schwerer Gegenstand für die Kinder! Darum ist die Parole des ersten Rechenunterrichtes: Langsam und gründlich!« Wir stimmen ihm vollinhaltlich zu.

Im II. Theil des Werkes werden nach den einzelnen Disciplinen die besonderen Verhältnisse einer ersten Classe mit zwei Schuljahren besprochen; eine beigefügte Musterlection in Rechnen und Sprache gibt dem Leser ein Bild von dem Vorgange in einer »niederorganisierten«e Schule, welch letztere an die Unterrichtskunst bekanntlich mehr Anforderungen stellt als eine »höherorganisierte*. Der III. Theil enthält Abhand- lungen, u. zw. über Erzählen in der Elementarclasse (dazu ein fesselndes Muster- beispiel »Die Sternthaler«), das Chorsprechen und die gute Betonung im Sprechen, den Wechselverkehr zwischen Lehrer und Schüler, die Behandlung des Räthsels, des Sprich- wortes und der Fabel, über Hausaufgaben (Verfasser warnt vor einem Übermaß und lässt zwischen Vor- und Nachmittagsunterricht auch Fleißaufgaben nicht gelten), endlich über die anregende und bildende Einwirkung in religiöser und moralischer Richtung.

C. Speeielle Methodik der Elementarelasse (1. Schuljahr) von Josef Mann und Johanna Czermak. Wien, Pichler. Preis 3 X 60 A. |

Nach allgemeinen geschichtlichen Bemerkungen über den Anschauungsunter- richt und nach einer kurzen Besprechung des ersten Schultages führen die Verfasser einzelne Anschauungsobjecte vor und stellen zur Behandlung derselben Fragenreihen für den Lehrer auf, der somit einen genau vorgezeichneten Weg wandeln soll. Es muss hervorgehoben werden, dass die Durchführung eine recht sorgfältige ist und dass darauf Bedacht genommen wird, den Gegenstand in allseitiger Beleuchtung dem Kinde zur An- schauung zu bringen. Der Nutzen solcher Dispositionen und »Musterlectionen« wird

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aber desto größer sein, je unabhängiger der Lehrer sich seinen Stoff zurechtlegt und diesen, nach allfälliger Einsichtnahme in mustergiltige Anleitungen, den jeweiligen Ver- hältnissen angemessen verarbeitet. Als specielle Methodik nimmt das Werk auch auf die Normalwörter Bezug, ist aber vorzugsweise für Leser geschrieben, die nach der Schreiblesemethode und Steilschrift arbeiten. Als einen Vorzug müssen wir die vielen Beispiele zum Heraushören der verschiedenen Anlaute bezeichnen; es sind da nicht beliebige Wörtergruppen gegeben, sondern sie beziehen sich auf den in der Fibel ent- haltenen Stoff und lassen sich leicht in Sätze einkleiden. Es werden ferner mehrere Lesestücke behandelt, dann das Rechnen, sowie die übrigen Unterrichtsgegenstände in recht anregender Weise vorgeführt. Einige Zeichnnngen für den Anschauungsunterricht beschließen das Werk, welches auf Grund des für Böhmen geltenden Lehrplanes aus- gearbeitet ist.

D. Praktische Anleitung zur Behandlung des Schreiblese- und des Anschauungsunterrichtes wie der Lesestücke in der 1. Classe. Auf Grundlage der Fibeln von Dr. Kummer, Dr. Ullrich, Em. Reinelt, Josef Heinrich bearbeitet von Eduard Blitz, Lehrer in Prossnitz. Tempsky, Wien und Prag. Preis 3 X.

Der Verfasser nimmt einen von den bisher besprochenen Autoren etwas abwei- chenden Standpunkt ein. Es bleibt zwar die Anschauung das erste und wichtigste Moment im Unterricht, aber der Anschauungsunterricht darf keine selbständige Dis- ciplin sein, nur in den ersten Wochen, in der Zeit der Vorübungen, soll er selbständig auftreten. Verfasser ist nämlich der Ansicht, dass der Anschauungsunterricht unmittelbar in den Dienst des Lese- und Schreibunterrichtes zu treten, diesen zu beleben und zu fördern habe. Das Werk, welches nicht nur einer, sondern mehreren Fibeln als Commentar dient, enthält deren Stoffe fast zur Gänze ausgearbeitet, doch könnte es manche Kürzung vertragen. Es brauchen die Kinder auf dieser Stufe noch nicht all das Angegebene zu wissen, wohl aber sollen sie alles angeben, was sie wirklich schauen. Die Katechese ist nur theilweise angewendet, meistens wird nur das Material zur Besprechung gegeben. Zur Belebung der ersten Anschauungsübungen werden kleine Erzählungen verwendet; es soll damit den Leseübungen vorgearbeitet werden, indem die ohne inhaltlichen Zusammenhang stehenden Wörter und Wörtergruppen dadurch in einen solchen Zusammenhang gebracht werden. Auf diese Art soll auch dem gedankenlosen Lesen, dessen üble Nachwirkungen sich noch in späteren Classen bemerkbar machen, gesteuert werden. Nur ist darauf zu sehen, dass der Zusammenhang nicht gezwungen erscheint, weil sonst Härten in der Ausdrucksweise entstehen, demnach der angestrebte Zweck nicht .erreicht wird. Es können ja einzelne Wörter für sich erklärt werden, wenn sie der Erklärung bedürfen, und müssen nicht um jeden Preis in einer Erzählung stehen. Jedenfalls hat sich der Verfasser einer sehr schwierigen Arbeit unterzogen, und mancher Lehrer wird das Dargebotene mit vielem Erfolge zu nutzen verstehen.

E. Das erste Schuljahr. Von Josef Ambros, Oberlehrer in Wr. Neustadt. Wien, Pichler. Preis 2 X’ 40 A.

Als Autor der bekannten und weitverbreiteten Fibel hat, mindestens in Nieder- österreich, Ambros einen sehr guten Namen. Das vorliegende Werk bezieht sich zu- nächst auf die genannte Fibel, doch sind die theoretischen und praktischen Ausfüh- rungen für jeden Elementarlehrer ohne Rücksicht auf dessen Lehrgang und Methode gleich wertvoll. Der Verfasser bezeichnet den Anschauungsunterricht als den grund- legenden Unterricht, der zwischen Schule und Haus zu vermitteln hat und als selb- ständiger Unterrichtsgegenstand die übrigen Disciplinen passend in Beziehung bringen

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soll. Wie der Stoff aufgetheilt und behandelt werden soll, ist in mehreren Leitsätzen zusammengedrängt ausgeführt. Verfasser beginnt immer mit Einzeldingen und schließt mit Scenendarstellungen oder Gruppenbildern ; letztere lassen sich besonders bei Wieder- holungen gut verwerten. Der Leser findet eine Fülle von Stoffen für den Anschauungs- unterricht vor, theilweise als Lehrproben ausgeführt, wobei in der Besprechung auf folgerichtige Disposition gehalten wird, damit der Schüler dem Gegenstande stufenweise näherkomme und das Geschaute richtig und denkend in Sätzen ausdrücken lerne. Über- haupt wird bei jeglichem Anschauungsunterrichte auf geeignete Sprechübungen gesehen. So lernt der Schüler nach und nach die Natur anschauen und ihre Schönheiten erfassen, eine Kunst, die oft Erwachsenen unbekannt ist. Die gegebenen Stoffe sind mitunter so inhaltsreich, dass sie wohl für mehr als bloß die erste Stufe ausreichen; auch der Lehrer der späteren Classen kann noch manch Lehrreiches daraus schöpfen.

Verfasser bespricht dann die Schreiblese- und die Realmethode, nimmt in dem Streite um »Schreiblesen« und »Leseschreiben« Partei für das erstere und behandelt im besonderen die Realmethode, welche Bezeichnung er nach Jütting für die Normalwörter- methode gebraucht. Bei Besprechung der Schwierigkeiten, welche der Lehrer zu Anfang des Schuljahres zu überwinden hat, wird empfohlen, nicht sofort mit Normalwörtern, sondern mit Formwörtern zu beginnen, schon um dem Schreiben den genetischen Gang

- zu sichern. Entschieden wendet sich Ambros gegen das, wie er meint, »fast ganz abge-

thane Verfahren«, aus einem Worte einen Laut heraushören zu lassen. Die Vorübungen sind nach Inhalt und Reihenfolge sehr eingehend behandelt, der durchzunehmende Stoff in einer Reihe von sogenannten »Unterhaltungen« bis ins Detail ausgearbeitet, das Elementieren und Lautieren in sehr praktischer, anschaulicher Weise dargestellt. Es folgen zwei Lehrproben zu den »Leseübungen« der Fibel, an denen gezeigt wird, wie der Sprechstoff des Anschauungsunterrichtes zur Verwertung kommen soll. Die Lesestücke selbst werden nach vier Hauptpunkten besprochen: Vorbereitung (Suchen schon vorhandener Vorstellungen im Kinde, um das Neue passend damit verknüpfen zu können), Darbietung (Vorlesen und Lesen), Vertiefung (Aufsuchen und Hervorheben des Hauptgedankens, der Lehre etc.) und Verwertung (Anwendung auf das Kind, um sein Gefühl zu veredeln und seinen Willen zu kräftigen) welche Reihenfolge an die bekannte Herbart-Ziller'sche Scala: »Klarheit, Association, System und Methode« erinnert.

Die anderen Disciplinen werden nur in den Hauptpunkten besprochen. Bezüglich des Rechnens warnt der Verfasser davor, die Ziffern vor Beendigung der Vorübungen zu bringen oder die Öperationszeichen zu früh vorzuführen; die russische Rechen- maschine möge nur dort angewendet werden, wo ein besserer Apparat nicht vorhanden ist. Er spricht sich ferner für Beschränkung des Rechenstoffes auf den ersten Zehner- kreis aus, besonders in Landschulen; wenn aber in der Stadt darüber hinausgegangen werde, so solle das Pensum bis 20, nicht aber bloß bis 12 oder I5 erweitert werden; ebenso sei die Einschränkung vortheilhaft, das Enthaltensein nur bis zu den Fünfern, das Theilen nur bis zu den Fünfteln durchzuführen. Der Lehrgang ist eine Verarbeitung nach den bekannten Vorbildern Hentschels und Grubes. Eine Sammlung von 39 Liedchen beschließt das Werk.

Wir sehen in den besprochenen Werken den Elementarunterricht von den ver- schiedensten Seiten betrachtet und nach den zwei gegenwärtig herrschenden Methoden behandelt. Der Lehrer findet eine Summe von Anregungen, die ihm gewiss von großem

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Nutzen sind, wenn er sie selbständig zu verarbeiten versteht; eine nur mechanische Nachahmung der vorgeführten Muster aber müsste ihm zur hemmenden Fessel werden. Jedenfalls soll. aber den genannten und auch anderen ähnlichen Werken in jeder Schul- bibliothek ein bestimmter und leicht zugänglicher Platz gesichert sein. Der Lehrer der Gegenwart darf nicht in einer handwerksmäßigen Routine sein Heil erblicken; daher muss er sich mit den methodischen Ausgestaltungen, die seiner Berufsthätigkeit .den größtmöglichen Erfolg versprechen, vertraut machen, insbesondere aber muss dies der Elementarlehrer thun. Manche Herrschaften sowie das Gesinde derselben haben zuweilen keine große Meinung von der grundlegenden Bedeutung des Unterrichtes in der soge- nannten Fibelclasse; der verständige Fachmann aber weiß den Wert eines guten Unter- richtes in der ersten Classe zu würdigen, denn die ganze Volksschule hindurch macht sich die günstige oder ungünstige Nachwirkung des ersten Schuljahres fühlbar, die gleich lichten Sonnenstrahlen oder aber trüben Schatten auf die Arbeit der nachfolgenden Unterrichtsstufen fällt.

Im allgemeinen wäre nur noch ein Wort anzuführen über den Einfluss der äußeren Schulverhältnisse, soweit sie durch die Größe der Unterrichtsräumlichkeiten, die Zahl der Kinder, die Stetigkeit des Schulbesuches und das Vorhandensein von Anschauungsobjecten gekennzeichnet werden. Wenn das Schulzimmer so groß ist, dass die Schüler der rückwärtigen Bankreihen die vorgezeigte Abbildung nicht mehr zu erkennen vermögen; wenn die Schülerzahl so bedeutend ist, dass neben den gemein- schaftlichen Sprechübungen nicht mehr jedes Kind einzeln, u. zw. wiederholt, zu Worte kommt; wenn es an genügenden Lehrmitteln im Anschauungsunterrichte mangelt; wenn sich dazu noch ein vielfach unterbrochener Schulbesuch gesellt: dann werden die Unter- richtserfolge auch bei der besten Lehrmethode manches zu wünschen übrig lassen. Nur wenn alle berufenen Factoren zusammenwirken, um die gewissenhafte Thätigkeit des Lehrers wahrhaft zu fördern, wird dessen redliche Mühe zu schönen Früchten führen.

Anton Zens.

2. Das Prang’sche Zeichenwerk,

in deutscher Übersetzung vom k. k. Professor Hermann Lukas, Fachinspector für den Zeichenunterricht in Salzburg. In zwei Theilen. Preis ı X 50 A und 3 ÄX 50 A.

Der erste, der meines Wissens uns Wiener Lehrer auf die Methode Prangs aufmerksam machte, war Dr. Arnold Dodel, Professor der Botanik an der Univer- sität in Zürich, der im 7. Hefte des Pädagogiums vom Jahre 1889 mit wahrem Feuer- eifer und großer Herzenswärme für die Ideen Prangs eintrat. Vier Jahre später erstattete an dieser Stelle Director Karl Lang ein gehaltvolles Referat über diese Methode, und der Abend des 2. März 1893 gestaltete sich durch diesen Bericht und die sich daranschließende Debatte zu einem der anregendsten der pädagogischen Gesellschaft. Im Jahre 1894 erschien in der »Zeitschrift für Zeichen- und Kunstunterricht« eine aus- führliche Besprechung des Zeichenunterrichtes in Nordamerika von Massopust und Neumann. In jüngster Zeit trat der Professor an der k, k. Lehrerbildungsanstalt in Komotau, Josef Hiersche, in seiner Schrift »Auf zur Umgestaltung des Zeichen- unterrichtes an Volksschulen!« in eingehender Weise und mit begeisterten Worten für diese Methode ein.

Trotzdem trifft man in der Lehrerschaft nur eine geringe Kenntnis, hie und da geradezu ein Verkennen dieser in ihrer Art einzigen Methode, da die Originalwerke in englischer Sprache geschrieben, nur wenigen deutschen Lehrern direct zugänglich waren,

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und eine deutsche Übersetzung bisher noch nicht veröffentlicht worden ist. Diesem Übel- stande ist nun abgeholfen. Der Zeicheninspector Professor Herm. Lukas in Salzburg . hat die beiden grundlegenden Werke Prangs »Über den Gebrauch von Mo- dellen« und dessen »Kurzen Lehrgang im Formstudium und Zeichnen« übersetzt, und dieselben sind voriges Jahr bei Johann Künstner in Leipa (Böhmen) erschienen.

Prang ist bekanntlich ein Deutscher, der im Jahre 1850 nach Amerika aus- wanderte und nun in Boston eine große Kunstverlagsfirma besitzt. Seine Methode ist daher auch deutsch, d. h. sie baut auf die Grundsätze der Pädagogen Pestalozzi und Fröbel auf, und der amerikanische Geist zeigt sich nur in dem praktischen Ausbau der Methode und in der dadurch erzielten weiten Verbreitung, welche dieselbe in allen größeren Orten Nordamerikas gefunden. Über die Grundidee seiner Methode spricht sich Herr Prang selbst in einem Briefe, den er an Professor Hiersche richtet, unter anderm wie folgt aus: »Es handelt sich bei unserer Methode nicht um bloße Hand- fertigkeit, sondern wir streben höhere Ziele an, zu deren Erreichung wir uns des Zeichnens nur als Mittel bedienen. Der Hauptzweck ist, den Kunstsinn zu wecken, der in jedem Kinde verborgen liegt, ihn in die richtigen Bahnen zu leiten und ihn, zum Heile des ganzen Menschen, wie einen rothen Faden in alle Fächer der Erziehung zu weben«. Sehen wir nun, wie diese Idee in die That umgesetzt ist. Das erste der hier vorliegenden Werke, »Über den Gebrauch von Modellen«, nennt sich eine Anleitung zur Verwendung der Prang’schen Modelle, ist aber ein geradezu ausgezeichnetes Methodenbuch für den Unterricht im Formstudium und im Zeichnen in den ersten beiden Schuljahren. Was vor allem beim Durchblättern des Buches auffällt, ist die klare Übersichtlichkeit und Eintheilung desselben. Das Buch beginnt mit allgemeinen methodischen Winken, welche sich von unseren methodischen Anleitungen bereits wesentlich unterscheiden, besonders dadurch, dass sie mehr das ganze Kind und seine körperliche und geistige Erziehung ins Auge fassen. Der Lehrstoff selbst, der das Studium gewisser typischer Körperformen umfasst, wird gruppenweise vorgenommen, so dass jedem Halbjahr eine Gruppe von drei Körpern zukommt.

) Jahr: | 1. Kugel, Würfel, Cylinder. 2. Halbkugel, quadratisches Prisma, rechtwinkliges dreiseitiges Prisma. ‚f$ .. Ellipsoid, Ovoid, dreiseitiges Prisma mit gleichseitiger Basis. 2 Jahr: 1 2. Kegel, Pyramide, Vasenform.

Jede Gruppe wird in sechs Capiteln abgehandelt, u. zw. zuerst die allgemeine Form, dann nach den Begrenzungsflächen, dann nach den Kanten und Ecken. Die allgemeine Form des Körpers wird aufgefasst durch den Gesichts- und den Tastsinn *). Darum sagen auch die Verfasser dieses Schriftchens mit Recht: »Das Befühlen eines wahrzunehmenden Gegenstandes mit der Hand ist der kürzeste Weg und das beste Mittel, sich mit der Außenwelt in die engste Beziehung zu bringen.«

An die Auffassung eines Körpers schließt sich die Darstellung im Raume durch das Modellieren und das geschmackvolle Anordnen der fertigen Körper-

*) Ich kann mich erinnern, dass anlässlich der erwähnten, hier vor sieben Jahren stattgefundenen Debatte einer der Herren Fachgenossen sich lebhaft über die Verwendung des Tastsinnes als über eine unnütze Spielerei aufgehalten hat. Ich glaube, jeder der Herren Collegen, welcher den Kindern Naturgegenstände, seien es ausgestopfte Thiere, getrocknete Pflanzen oder Mineralien gewesen, einmal gezeigt hat, wird die Erfahrung gemacht haben, dass die Kinder die Dinge vor allem andern betasten wollen.

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an die Betrachtung der Begrenzung eines Körpers: das Ausschneiden der Flächen, womit der Übergang vom Darstellen im Raume zur Darstellung in der Ebene angebahnt wird. Die gewonnenen runden, quadratischen und rechteckigen Flächen werden sofort zur Darstellung von Reihungen und verschiedenartigen Bandverzierungen verwendet. Methodische Regel: »Man nähre auf jede Weise bei den Schülern das Verlangen, gefällige Anordnungen zu erfinden.« An die Betrachtung der Kanten und Ecken reiht sich das Stäbchenlegen an und endlich das Zeichnen. Metho- dische Regel: »Die Schüler zeichnen nach den Gegenständen selbst, nicht nach Vor- zeichnungen. Der Lehrer hüte sich, die Schülerzeichnungen zu kritisieren, studiere sie aber genau, um auf die Fähigkeiten und individuelle Begabung der Schüler schließen zu können.«

Dass schon von den ganz kleinen Schülern verlangt wird, Gegenstände mit drei Ausdehnungen so zu zeichnen, wie sie erscheinen, ist nach der Erfahrung berechtigt, und die Ausführbarkeit der Forderung ist bewiesen, denn gerade in der frühesten Jugend ist der Drang, die Dinge so zu zeichnen, wie sie erscheinen, sehr kräftig, weil dieses Bild durch die Erkenntnis der wirklichen Beschaffenheit der Körper noch nicht getrübt ist; denn wir wissen, dass das sogenannte »orthogonale Vorstellungsbilde in späteren Jahren das größte Hindernis für das perspectivische Zeichnen ist. An die Analysis der Körper schließt sich bei der Wiederholung die Synthese. Die Körper werden aus den Kanten, aus den Flächen wieder aufgebaut. An die geometrischen Körper und ihre Flächen schließen sich bekannte Gegenstände aus der Umgebung des Kindes an, welche ebenfalls modelliert und gezeichnet werden; auch natürliche Zweige mit Blättern, Blumen und Früchten werden zu diesem Zwecke verwendet. Wie aus den Begrenzungs- flächen und Kanten geometrischer Körper das geometrische Ornament, so werden schon auf dieser Stufe aus den natürlichen Blättern und Blüten Rosetten, Füllungen, Dessins und Borduren einfachster Art abgeleitet und der Grund zum vegetabilischen Ornamente gelegt.

Es ist ganz unmöglich, in der kurzen mir zugewiesenen Frist den reichen Inhalt dieses kleinen Werkes erschöpfend darzulegen, insbesondere die reichen Beziehungen, welche die Verfasser zum Sprachunterrichte und zu den anderen Unterrichtsgegenständen herstellen, zu berücksichtigen; noch weniger aber kann ich den innigen warmen Ton schildern, in welchem es die Verfasser verstehen, mit den Kindern zu verkehren und in ihr Seelenleben einzudringen. Dieser Umstand allein würde hinreichen, die An- schaffung dieses Werkes jedem Lehrer zu empfehlen.

An das Buch »Über den Gebrauch von Modellen« schließt sich dann der zweite Band: Prangs kurzer Lehrgang im Formstudium und Zeichnen, ein Handbuch für den Lehrer von Clark, Hicks und Perry, in deutscher Übersetzung von Hermann Lukas.

Der Inhalt des Buches stellt eine Erweiterung und Verallgemeinerung des in den ersten zwei Schuljahren behandelten Stoffes dar, u. zw. sowohl was die vorgeführten geometrischen Körper anbelangt, als auch bezüglich der anschließenden Natur- und Kunstformen. Die Methode bleibt dieselbe. Jede neue Form wird zunächst im Raume aufgefasst, analysiert und nach den Begrenzungsflächen und Kanten betrachtet, dann im Raume dargestellt und in der Ebene, d. h. gezeichnet. Hiebei kommt vom 3. Schul- jahre ab eine dreifache Verwendung eines vorgeführten Gegenstandes in Betracht:

I. Die Construction (der Aufbau), d. h, die geometrisch genaue Darstellung nach Grundriss, Aufriss und Netz, und die wirkliche Herstellung des Gegenstandes aus diesem.

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II. Die Repräsentation (bildliche Darstellung), d. i. das perspectivische oder malerische Zeichnen in verschiedenen Stellungen, einzeln und in Gruppen.

III Die Decoration (Ausschmückung) oder ornamentales Zeichnen, als Anwen- dung der gebotenen Formen im geometrischen oder freien vegetabilischen Ornamente.

Diese drei Arten des Zeichenunterrichtes werden nebeneinander betrieben und stellen ein auf natürlicher Concentration des Unterrichtes beruhendes, allseitiges und lückenloses Gebäude dar. Es würde heute zu weit führen, das Bild vollständig zu 'entrollen. Die ausführliche Darstellung des Prang’schen Lehrganges, auf einzelne Schul- jahre vertheilt, findet sich in der schon angeführten Schrift Hiersches »Auf zur Umge- staltung des Zeichenunterrichtese, die ich allen Collegen aufs wärmste empfehle.

Prangs kurzen Lehrgang begleiten fünf Zeichenhefte, welche dazu dienen sollen, den Lehrer in die in dem Buche entwickelte Methode praktisch einzuführen und ihm selbst den entsprechenden Übungsstoff zu bieten. Dieselben sollten aber nicht allein, d. h. ohne das begleitende Buch, verwendet werden, da man sonst leicht zu mancher irrigen Auffassung verleitet würde. Es kommen in diesen Heften auch einige fehlerhafte Zeichnungen vor, z. B. die Halbkugel in Heft ı, Seite 3, die Körpergruppe in Heft 4, Seite ı, der Blumentopf in Heft 4, Seite 4. Das ganze Buch, dem sich noch eine kurze Farbenlehre anreiht, zeigt nicht nur eine warme Liebe für die Kinder, sondern auch eine große Begeisterung für den Gegenstand. Ich bin überzeugt, dass kein College, auch wenn er sich gegen die Methode selbst zweifelnd oder ablehnend verhalten sollte, das Buch ganz unbefriedigt aus der Hand legen wird, da es dem Lehrer für jede Alters- stufe seiner Schüler von der ı. Volksschülclasse bis zur 3. Bürgerschulclasse wertvolle Anregungen nach jeder Richtung hin bietet. Herr Zeicheninspector Lukas aber hat sich mit der Übersetzung dieser beiden Werke ein großes Verdienst um die Methode unseres Zeichenunterrichtes erworben.

Wenn wir uns nun fragen, welche Bedeutung die Prang’sche Methode des Form- studiums und des Zeichnens für uns in Österreich hat, so müssen wir zunächst zugestehen, dass das Ziel des Zeichenunterrichtes, wie es Prang aufstellt, für uns nicht völlig neu ist. Die Kinder in den Raum einzuführen, Jd. i. von früher Jugend auf räumliche Vorstellungen zu wecken und zu pflegen, wurde bei uns schon lange von tüchtigen Schulmännern und Zeichenlehrern angestrebt. Moderner ist die damit verbundene Richtung, den Zeichenunterricht vom ersten Tage an als Kunstunterricht zu gestalten, d. h. die Sinne der Kleinen für alles Schöne in Natur und Kunst empfänglich zu machen. Bezeichnend sagt in dieser Beziehung Dr. Konrad Lange: »Man lebt doch nicht allein, um sich nur zu plagen, man will doch auch genießen; das Kind soll nicht nur einmal ein nützliches, es soll auch ein glückliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft werden.«

Die Methode Prangs zeigt ferner, dass der Zeichen- und Kunstunterricht mit dem ersten Tage des Eintrittes in die Schule beginnen muss, soll nicht in der geistigen Entwicklung des Kindes eine unausfüllbare Lücke entstehen. Das Kind hat sich vor dem Eintritte in die Schule schon eine eigene Welt aufgebaut, es hat die Dinge seiner Umgebung betrachtet und viele von ihnen mit Liebe in sein Herz geschlossen, mit gleicher Liebe die unscheinbare Wiesenblume und den goldenen Schmuck. Und was einmal durch das Triumphthor der Liebe in sein Herz gezogen, das bleibt unverlierbarer Besitz. Und darum sind Kinder so reich. Viele von ihnen, die im glücklichen Besitze von Zeichenmaterialien waren, sind auch schon vor der Schulzeit im Stande, die Bilder ihrer Lieblinge festzuhalten, und die Methode des Zeichenunterrichtes, die nun einsetzt,

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muss ein schützender Wall sein, der diesen Reichthum des Kindes erhält, nicht eine Schuttmoräne, die die alte Liebe und den glücklichen Garten des Paradieses unter den Trümmern verknöcherter geometrischer Begriffe verschüttet. Die Prang’sche Methode zeigt aber auch in geistvoller Weise den Weg, wie die mitgebrachten Begriffe der Kinder, ihr Reichthum an rohem Golde, in klingende Münze umzusetzen sind, damit sie fast unvermerkt dem Zeichen- und Kunstunterrichte dienstbar gemacht werden.

Wenn wir daher zur Einsicht kommen, wie verkehrt unser gegenwärtiger Elementar- zeichenunterricht ist und darüber sind ja alle Lehrer und auch unsere Schulbehörden einig, so geht es doch auch nicht an, ihnen einfach den Zeichenunterricht zu rauben, das hieße ja, einem Kinde ein unpassendes Kleidungsstück nehmen und nun den armen Wurm nackt in die Welt hinausschicken, Ich habe in meinem ersten, vor vier Jahren gehaltenen Vortrage*) nachgewiesen, und es wurde ja auch in neuerer Zeit wiederholt dargethan, dass dieses Lebensalter dasjenige ist, in welchem die Phantasie am mächtigsten und die Empfänglichkeit für die Wahrnehmung richtiger Gesichtsbilder die größte ist. Es wäre daher ein Verbrechen an der geistigen Entwicklung des Kindes, ihm in diesem Alter den Zeichenunterricht zu nehmen. Es ist freilich bequem zu sagen, wie es beispiels- weise der niederösterreichische Landeslehrerverein gethan hat: Wir erkennen, dass die gegenwärtige Methode des Zeichenunterrichtes eine falsche ist, und weil wir nicht wissen, welche Methode wir an ihre Stelle setzen sollen, lassen wir den Zeichenunterricht auf dieser Altersstufe überhaupt fallen. Ja, hat man denn, als man erkannt, dass die Buch- stabiermethode dem Geiste des Kindes nicht angepasst sei, mit der Methode auch zugleich den Leseunterricht fallen lassen? Nein, man hat die dem kindlichen Geiste mehr zusagende analytisch-synthetische und die Normalwörtermethode an ihre Stelle gesetzt. Dabei müssen wir bemerken, dass das Kind nicht einmal das Bedürfnis hat, lesen zu lernen, aber das Bedürfnis hat es, zu gestalten im Raume und in der Ebene. Es ist also mindestens ebenso wichtig, diesem Bedürfnisse des Kindes Rechnung zu tragen, als es wichtig ist, dasselbe lesen oder schreiben zu lehren. Was aber die Normalwörter- methode für den Lese- und Schreibunterricht ist, ist eine Methode im Sinne Prangs für den Zeichenunterricht. Sie muss von Gegenständen der Umgebung des Kindes ausgehen, muss durch Analyse die Formen den vorgeführten Gegenständen entnehmen und durch Synthese aus ihnen neue Gebilde aufbauen. Sie muss dem Darstellen in der Ebene, dem Zeichnen, das leichtere Darstellen im Raume vorangehen lassen und die Grundlagen des geometrischen und freien vegetabilischen Ornamentes aus den geometrischen Körpern und den Gegenständen der Natur ableiten.

Es ist aber leicht einzusehen, dass ein derartiger Zeichenunterricht nur dann mit Erfolg betrieben werden kann, wenn derselbe auch in diesem Sinne in der Lehrer- bildungsanstalt ertheilt wird, d. h. wenn die jungen Lehrer wirklich zeichnen lernen. Sie müssen vom ersten Jahrgange an nach der Natur zeichnen und durch vier Jahre fleißig skizzieren, so dass ihnen das fehlerlose Zeichnen von Gegenständen ihrer Um- gebung ebenso selbstverständlich wird, als das Schreiben eines fehlerlosen Aufsatzes. Die Lehramtszöglinge müssen aber auch angeleitet werden, das geometrische und das vegetabilische Ornament in seinen Grundlagen aufzufassen und darzustellen, wobei die Kenntnis der historischen Stilarten und das Wichtigste aus der Farbenlehre vermittelt werden muss. Wenn die Kenntnis von der Entwicklung der Kunst, die Kunstgeschichte, schon für jeden anderen gebildeten Menschen fast ebenso wichtig ist, wie die Kenntnis der Weltgeschichte überhaupt, so muss ihre Wichtigkeit für den Zeichenlehrer umsomehr

*) 5. Päd. Jahrb. 1896, S. 100.

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erhellen. Um eine Vertiefung des Zeichenunterrichtes im Sinne des Zeichnens nach der Natur und der künstlerischen Erziehung des Kindes überhaupt herbeizuführen, müssten die Zöglinge in der Lehrerbildungsanstalt auch in die Darstellung im Raume, d.h, in den Handfertigkeitsunterricht eingeführt werden, wie es gegenwärtig in England, Amerika, Frankreich, Schweden, Norwegen u. a. L. der Fall ist. Nur dann ist eine gedeihliche Entwicklung des Zeichenunterrichtes in unseren Volksschulen und damit auch die Grund- lage für die Entwicklung einer blühenden Kunstindustrie in Österreich angebahnt worden.

Dass zu diesem Zwecke eine Vermehrung der diesem Unterrichte in der Lehrer- bildungsanstalt zugewiesenen Unterrichtsstunden eintreten muss, ist wohl selbstverständlich. Wir müssen daher verlangen, dass man den Zeichenunterricht bei uns nicht stiefmütter- licher behandeln möge, als beispielsweise in Frankreich, wo diesem Gegenstande ir den Ecoles normales in den unteren Classen 6, in den oberen 4 Stunden wöchentlich zuge- wiesen sind.

Ich empfehle die nachfolgende Entschließung zur geneigten Besprechung und Annahme:

»A. Gegenüber den von verschiedenen Seiten aufgetauchten Bestrebungen, welche dahin zielen, den Unterricht im Freihandzeichnen auf der Unterstufe der Volksschule zu beseitigen, spricht die »Wiener Pädagogische Gesellschafte ihre Überzeugung dahin aus, dass der Zeichenunterricht in der Elementarclasse und in den unteren Classen der Volksschule für die Entwicklung des räumlichen Vorstellungsvermögens und der im Kinde schlummernden Kunstkräfte unentbehrlich und unersetzlich ist. Der Zeichenunterricht kann aber auf dieser Stufe nur dann seine Aufgabe erfüllen, wenn er:

ı. an den vor dem Eintritte in die Schule erworbenen kindlichen Vorstellungs- kreis anschließt,

2. im Sinne der Methode Prang mit dem Anschauungsunterrichte innig verbunden von Gegenständen der nächsten Umgebung des Kindes und.den einfachsten geometrischen Körpern ausgeht,

3. das Formen im Raume dem Darstellen in derEbene, dem Zeichnen, vorangehen lässt,

4. das ornamentale Zeichnen aus dem Zeichnen nach der Natur ableitet.

B. Soll der Zeichenunterricht in diesem Sinne mit Erfolg betrieben werden, so muss er in den Lehrer- undLehrerinnenbildungsanstalten vom I. Jahrgange an auf das Zeichnen nach der Natur aufgebaut und in jeder Beziehung eingehender und fruchtbringender gestaltet werden. Dazu ist eine Vermehrung der dem Zeichnen an diesen Anstalten zugewiesenen Unterrichtsstunden dringend erforderlich.«

A.Kunzfeld.

Aus der Debatte, S Kraus spricht über die Hemmnisse, welche der Schulthätigkeit namentlich im Zeichnen infolge des Mangels an Lehr- und Lernbehelfen, sowie infolge der häufig hohen Schülerzahl einer Classe entgegenstehen; in Ansehung des letzteren Übels solle, so lange es nicht behoben sei, dem Lehrer eine assistierende Lehrkraft beigegeben werden. Er stellt folgenden Zusatz- antrag: „Es soll in den Bezirkslehrerconferenzen darauf gedrungen werden, dass die größten Hinder- nisse für die Entwicklung des Zeichenunterrichtes, nämlich die Überfüllung der Schulclassen und der Mangel an Einzelnmodellen sowie an Zeichenrequisiten, behoben werde.“ O. Lang wünscht die Erörterung nach der Richtung hin auszudehnen, bis zu welchem Grade eine künstlerische Anregung auf der kindlichen Altersstufe möglich sei. Die Lehrerschaft habe kein Mittel in der Hand, selbständig den von S. Kraus berührten Übelständen abzuhelfen. Wo eine Classe überfüllt ist, sollte sie besser in zwei parallele Abtheilungen getheilt werden. Ref. Kunzfeld: Der gestellte Zusatzantrag gehe über den Rahmen des Themas hinaus, sei übrigens nur die Wiederholung der These II, 3, welche Referent selber am Schlusse des Vortrages „Das Zeichnen nach der Natur, I. Theil“ aufgestellt hatte. (Die gestellten Anträge werden angenommen.)

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3. Allerlei Hobelspäne aus meiner Werkstatt.

Gesammelte Aufsätze allgemein pädagogischen, sowie didaktischen Inhalts, geschrieben für Lehrer und Erzieher. Von Franz Mohaupt, Bürgerschuldirector in Böhm. Leipa. Verlag von Johann Künstner, Böhm. Leipa, 1897. Preis 2 K 60 h.

Seit Jahren macht sich in der Welt der Lehrer und Erzieher der Ruf nach wirklich praktischen Behelfen für Erziehung und Unterricht geltend. Dem Lehrer, ins- besonders dem jungen, noch wenig erfahrenen Lehrer genügen die meist theoretischen Werke, mit welchen er in der fachlichen Bildungsanstalt bekannt gemacht wird, nicht, denn das praktische Schul- und Erziehungsleben tritt mit einer Menge der verschie- densten Aufgaben an ihn heran und will in jedem besonderen Falle eigenartig behandelt sein. Das vorliegende Werk ist ganz besonders dazu geeignet, dem jungen Lehrer zu zeigen, wie es in der Werkstatt der Schule zugeht, wie er es anstellen muss, um selbst ein tüchtiger und mit Erfolg schaffender Meister zu werden. In 25 Abschnitten behandelt Mohaupt die wichtigsten Themata aus Erziehung und Unterricht und gründet seine Ausführungen auf seine reichen Erfahrungen als Lehrer und Institutsvorsteher. Der Autor nennt seine Arbeiten in bescheidener Weise nur »Hobelspäne«, doch fühlt man bald heraus, dass es sich nicht um Hobelspäne, sondern vielmehr um ganze, feste Balken handelt, die dem jungen Lehrer und Erzieher den sicheren Übergang zu rich- tiger Erkenntnis vermitteln,

Mohaupt spricht zunächst über die beste Methode und gelangt hiebei zu dem Satze: »Die beste Methode ist der Lehrer selbst!« Er spricht ferner über die Aufmerk- samkeit und die geistige Ermüdung der Schulkinder, über die Pflege des Gredächtnisses, über die Verknüpfung des Gelernten und dessen freie Anwendung, über die Erziehung zum Gehorsam und dessen Grenzen (letztere Arbeit von Mohaupt schon behandelt im »Pädagog. Jahrbuch 188g9«). Der Verfasser wählt als Thema zu einem »Hobelspan« den Leseunterricht und gibt ausgezeichnete praktische Winke zur Bekämpfung der »lernäi- schen Schlange«, wie er das Rechtschreibkreuz nennt. Dem Unterrichte im Rechnen sind drei Hobelspäne zugedacht, wieder mit sehr praktischen Winken und Rathschlägen ausgestattet. Mit welch einfachen Mitteln der Verfasser zu wirken versteht, zeigt er bei der Entwicklung elementarer Begriffe aus der astronomischen Geographie, indem er eine Käseglocke oder eine Butterdose benützt und mit Seife die entsprechenden Hilfs- linien darauf zeichnet. Der Hobelspan 22 betitelt sich: »Meine zwei Geschichtstraversen«. Die erste Geschichtstraverse heißt: »Die Zeitlinie und einige wichtige Jahreszahlen«. Es wird an die Tafel eine lange wagrechte Linie gezogen und mit der Zahl 4000 bezeichnet; diese Linie wird gedrittelt und zu der Marke des ersten Drittels die Zahl 2000, zu der zweiten Marke »Christi Geburts gesetzt. So ist den Schülern sofort ein verständliches Bild dafür gegeben, was vor oder nach Christi Geburt zu sagen hat, und wie die Geschichtsjahre zu zählen sind. Hierauf werden die wichtigsten geschichtlichen Ereignisse an der entsprechenden Stelle eingesetzt, so dass die Aufein- anderfolge der historischen Thatsachen klar ersichtlich wird. Durch drei große Bogen- linien wird Alterthum, Mittelalter und Neuzeit abgegrenzt; da tritt dann die Länge des Alterthums in Gegensatz zur Kleinheit unseres Zeitalters, und die Kinder ahnen, welche winzige Größe ein Menschenleben im Strome der Zeiten ist. Ebenso anschaulich ist die zweite Traverse, »die Entwicklung Österreichs«, durchgeführt. Nun noch ein Geschichts- büchlein in die Hand des Schülers Mohaupt spricht ausdrücklich von einem Geschichtsbüchlein und schöne große geschichtliche Bilder, die in den Classen

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fleißig spazieren geführt werden, und es müsste merkwürdig zugehen, sollte der unter so günstigen Umständen betriebene Geschichtsunterricht nicht von den besten Erfolgen begleitet sein. Die letzten Hobelspäne enthalten Ausführungen über Schüleraufführungen, über ein wichtiges heikles Thema, endlich über ein ABC des Anstandes.

Möchte doch das Werk eine recht große Verbreitung finden! Es sei dem Lehrer ein treuer Rathgeber für sein erziehliches und unterrichtliches Wirken; dann wird der junge Bruder, beziehungsw. die Schwester in Pestalozzi die Äußerungen der Kindesseele genauer verstehen lernen, weiter- und tieferschauend an die Berufsarbeit schreiten und dem verheißungsvollen Ziele, der Meisterschaft, entgegengehen. Richard Klement.

4. Melodie und Text der österreichischen Volkshymne. Wien, k.k. Schulbücher-Verlag. Preis 30 Ar, einzelne Blätter 2 A.

(Skizze.) Über Auftrag des hohen Ministeriums für Cultus und Unterricht (Erlass vom II. Juni 1896) erschien im staatlichen Verlage eine fünffache Bearbeitung der richtig gestellten Haydn’schen Melodie der Volkshymne (ein- und mehrstimmig, mit oder ohne Begleitung), und die Schulleitungen erhielten die Weisung, »dass beim Schulunterrichte ausschließlich diese Melodie zu gebrauchen ist.«e Im großen Publicum scheint die erfolgte Berichtigung nicht oder nur theilweise bekannt geworden zu sein, wie aus dem Spiel von Kirchenorganisten, Musikkapellen u. a. zu hören ist; umso nachdrücklicher muss die Schule für die Einprägung der geänderten Melodie Sorge tragen, und es dürfte manchen Lehrpersonen nicht unerwünscht sein, eine Zusammenstellung der durch die neue Lesart berührten Stellen der Hymne vorgeführt zu erhalten. Die bisher am meisten unbemerkt gebliebene Änderung liegt im letzten Viertel des vorletzten Taktes, ja der Vorschlag zu der ersten Achtelnote verleitet manchen geradezu, diesen Takttheil nach der alten Form zu lesen. Es braucht aber nur beachtet zu werden, I. dass der Vor- schlag mit der letzten Achtelnote gar nichts zu thun hat, diese daher ihren vollen Wert behalten muss, und 2. dass die vorausgehende Achtelnote durch den »kurzen Vorschlag« nicht so weit entwertet werden darf, dass sie nicht mehr zur Geltung gelangen kann. Es empfiehlt sich, bei der ersten Einübung und beim Massengesang überhaupt den kurzen Vorschlag wegzulassen. Die übrigen Änderungen sind: ı0. Takt (den Auftakt nicht mitgezählt), zwei Viertelnoten im zweiten Halbtakt (Textwort »schirmen«) statt der früheren punktierten Viertelnote mit Achtelnote; 11. Takt, erste Viertelnote punktiert, hierauf Achtelnote, dann für den letzten Viertelschlag die Stimmführung der zwei Achtel- noten; 13. Takt, erste Viertelnote statt der früheren zwei Achtelnoten; 14. Takt, in der zweiten Takthälfte zuerst die punktierte Viertelnote und darnach die zwei Sechzehntel- noten (gilt allgemein als schwierige Stelle). Außerdem wäre in Erinnerung zu bringen, dass im Auftakte sowie bei der Wiederholung im 4. Takte zuerst eine punktierte Viertel- note steht und hierauf eine Achtelnote folgt, dass im zweistimmigen Satz die dritte Vier- telnote im 3. und 7. Takte für beide Stimmen gleich, also unisono zu singen ist (hier schleicht sich sonst sehr leicht ein »falscher« Unterton ein), endlich dass es sich empfiehlt, in den Oberclassen der Volks- und Bürgerschulen nur die zweistimmige Bearbeitung zu üben, damit kein Lehrer in Verlegenheit komme, wenn ihm zur Zeit, wo er’s gerade am nöthigsten brauchte, die seltener vorkommenden tiefen Stimmen fehlen.

M. Zens.

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5. Friedrich Dittes in seiner Bedeutung für die Mit- und Nachwelt,

dargestellt von Albrecht Goerth, Schuldirector a. D. in Königsberg in Preußen. Leipzig, Julius Klinkhardt. Preis ı X 80 A.

Unter diesem Titel erschien ein neun Druckbogen umfassendes Werk, das in der deutschen und insbesondere in der österreichischen Lehrerschaft die größte Beachtung verdient. Als unerschrockener Vorkämpfer für die Freiheit der Schule und der Lehrer bleibt Dittes wohl allen Berufsgenossen unvergesslich; aber die besondere Hervor- hebung dieser ihm aufgedrungenen Kampfstellung lässt das Bild des verblichenen Meisters der Pädagogik in eine einseitige Beleuchtung tauchen, so dass es der Nachwelt nicht mehr in voller Treue überliefert wird. Die Schüler, die unter dem unmittelbaren Einflusse der hinreißenden Beredsamkeit Dittes’ ihre Begeisterung für den hohen J.ehrerberuf geschöpft haben, altern und sterben ab, die Werke des Meisters stehen nicht auf der officiellen Liste der Lehrbücher für Pädagogik, ihr gründliches Studium ist daher bloß dem zufälligen Privatfleiße jedes Einzelnen überantwortet: und so liegt die Gefahr nahe, dass der herrliche, wissenschaftliche Aufbau der Pädagogik im allge- meinen und der Volksschulpädagogik im besonderen, wie ihn Dittes sein ganzes Leben hindurch verfochten, sich nicht in jener Allgemeinheit zur Erkenntnis der Gesammt- lehrerschaft durchringen könnte, wie er es verdient. Dieser Gefahr zu steuern, ist die Aufgabe, die sich Goerth in seinem vorliegenden Werke gesetzt hat, und die Worte, die Dittes vor wenigen Jahren an ihn gerichtet: »Ich kenne kaum einen Menschen, mit dem ich in der Denkungsart und im Schicksal mich so ähnlich fühlte, wie mit Ihnen,« können dem Verfasser als beste Sanctionierung für diese hohe Mission gelten.

Ein gewaltiges Lebensbild rollt Goerth vor den Augen des Lesers auf. Wir sehen Dittes von früher Jugend an systematisch nach den Grundlagen der Pädagogik als Wissenschaft forschen. Psychologie und Logik, Ethik, Ästhetik und Religion werden in naturgemäßer Weise aufgebaut und in harmonischer Verbindung in den Dienst der Pädagogik gestellt. »Dittes, der Lehrer der Pädagogik als philo- sophischer Wissenschaft« betitelt sich dieser Theil des Buches, aber er bietet mehr, als er verspricht, er umfasst einen Grundriss der Pädagogik, wie er in gedrängten Zügen kaum irgendwo klarer wiedergegeben worden ist. Jeder Lehrer, der ihn mit Sorgfalt durchstudiert hat, wird mit Freuden nach den Originalwerken des Meisters greifen, um die reichen gewonnenen Anregungen vertiefen zu können. Erst der zweite Theil des Buches zeigt uns »Dittesim Kampfe für die Freiheit und Selb- ständigkeit der Volksschule und der Volksschullehrer« und rückt die persönliche Geschichte des Meisters in den Vordergrund. Sein tragisches Schicksal als Director des Wiener »Pädagogiums« ist uns österreichischen Lehrern wohlbekannt. Indem wir es aber in seiner Zusammenfassung wieder betrachten, taucht das Bild des Helden, der unerschüttert als Fels mitten in der reactionären Brandung feststehen bleibt, in frischem Glanze vor unseren Augen auf und begeistert uns zu gleichem Festhalten an den hohen Ideen, deren Verwirklichung allein die Menschheit und den Staat zum Glücke führen können. Allgemein wird Dittes als Kämpfer gepriesen oder verurtheilt. Thatsächlich erscheint er aber bloß als der muthige Vertheidiger der Pädagogik und der Schule gegen jene vordringenden Mächte, die sie ihrer Selbständigkeit berauben und als untergeordnete Dienstmagd der Theologie, des Bureaukratismus, der Medicin, der Landwirtschaft, des Kastengeistes u. s. w. hinstellen wollen. Es sind die herrlichen Ideen unserer Meister Pestalozzi, Beneke und Diesterweg, die er zu einem

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harmonischen Baue vereinigt hat, zu einem Aufbau, der trotz der Ungunst der gegenwär- tigen Verhältnisse sich doch einmal volle Geltung verschaffen wird. Und so sei das Studium desselben mit Hilfe des vorliegenden Buches nochmals allen Lehrern wärmstens empfohlen. Victor Zwilling.

6. Schulzeit. | Von Franz Buchneder, Volksschuldirector, Wien, 1897, Manz; Preis ı K 80 A.

Der Verfasser behandelt vorerst ziemlich allgemein die selbstgestellte Frage, wie an den Wiener Elementarschulen die Nachmittage vom Unterrichte entlastet werden können, dann aber als Hauptthema und in erschöpfender Ausführlichkeit die gegenwärtige Ein- richtung der sogenannten Hitzeferien. Zur Vergleichung werden aus 25 Städten Mitteleuropas alle auf die Schulzeit bezüglichen Umstände und Maßnahmen in über- sichtlicher Anordnung beigesetzt. Es erwuchs diese Abhandlung aus einem Berichte, den der Verfasser 1895 in der amtlichen Lehrerconferenz des IV. Wiener Schulbezirkes unter Zustimmung der versammelten Lehrerschaft erstattet hatte, und welcher Bericht auch die Aufmerksamkeit der Schulbehörde, u. zw. insoferne auf sich lenkte, als diese über Ansuchen des Berichterstatters die vorgenannten Vergleichswerte aus den mittel- europäischen Städten im amtlichen Wege einholen ließ.

Die Broschüre vertritt in überzeugender Darlegung die Hauptforderung, dass die als zweckdienlich erkannten »Hitzeferien« unabhängig von der schwankenden Lufttem- peratur zu machen seien, oder mit anderen Worten, dass der sommerliche Nachmittags- unterricht in der Großstadt gänzlich entfallen solle. Hiebei wird der hygienische, pädagogische und sociale Wert der »Hitzeferien« in gründlicher Weise erörtert, und selbstverständlich werden auch die schwachen Seiten entdeckt, welche der gegen- _ wärtig bei uns üblichen Form dieser Einrichtung anhaften. Der Verfasser beobachtet aufmerksam verschiedene äußere Begleiterscheinungen, so z. B. die üble Stimmung be- stimmter Bevölkerungsschichten, welche dadurch hervorgerufen wird, dass die Thermo- meter der einzelnen Schulen öfters nicht völlig übereinstimmen, u. dgl. »Der Wert der Hitzeferien,« bemerkt der Verfasser, »wird nach jeder Richtung am allermeisten durch den Umstand herabgedrückt und in sein Gegentheil verkehrt, dass dieselben in unbe- stimmbarer und ungeregelter Weise eintreten und eine im vorhinein unmess- bare Dauer und Erstreckung haben. Die planmäßige Vertheilung der häuslichen Ver- richtungen, der freien Bewegung und der Arbeiten für die Schule und für das Haus lässt sich nur bei genauer, schon auf weit hinaus feststehender Zeiteintheilung regeln. Die Einflüsse des Unterrichtes und der Erziehung, die von Wind und Wetter abhängig gemacht werden müssen, sind in ihren Wirkungen ebenso unberechenbar, als diese selbst.« Und a. a. O.: »In jedem Jahre gieng es in der SchwWe mit der Ordnung und Gesetzmäßigkeit zu Ende, sobald der Monat Juni in Sicht kam.... Es kommt in Lehrer und Schüler eine Aufregung, welche der Schule nicht zum Vortheile gereicht.«

| Wir müssen die Richtigkeit der Beobachtungen des Verfassers bestätigen. Uns ist mit den »Hitzeferien«s ein Element der Unordnung in die Schule getragen, das möglichst rasch beseitigt werden muss, und deshalb können wir dem Vorschlag des Verfassers, den sommerlichen Nachmittagsunterricht gänzlich aufzulassen, unbedenklich beistimmen. Nach den Ausweis®en der Wiener meteorologischen Anstalt handelt es sich, vom 1. Juni an gerechnet, um durchschnittlich 15 Nachmittage, an denen der Nachmittagsunterricht, dessen Wert unter den dargelegten Verhältnissen mehr als zweifelhaft erscheint, zu entfallen hätte. Die näheren Ausführungen, sowie die Angaben

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über die hierauf bezüglichen Vorkehrungen in 25 größeren Städten Mitteleuropas wird jeder Schulmann mit regem Interesse in dem Büchlein selber nachlesen.

Ob der gesammte Nachmittagsunterricht einzuschränken oder ganz zu streichen sei, darüber dürften die Meinungen noch für lange hinaus getheilt bleiben; auch die Frage, ob die Ferien nicht zweckmäßiger auf die Zeit vom ı. Juli bis I. September gelegt werden sollen, wird sich nicht abweisen lassen ; vorläufig begnügen wir uns damit, dass das unumgänglich Nothwendige in gedeihlicher Weise geregelt werde, d. h. dass uns durch die »Hitzeferien« der Vormittagsunterricht nicht beeinträchtigt werde.

Es scheint die Broschüre bei uns bisher keine weiterreichende Wirkung erzielt zu haben, zum mindesten wurde bisher von keiner »competenten« Seite auf eine Abän- derung der jetzigen Einrichtung gedrungen; auch die im Vorjahre anbefohlene Führung von »Hitzeferien-Temperaturtabellene, welche der Ungleichmäßigkeit in der Freigebung von Nachmittagen steuern soll, entspringt nur einem äußerlichen und keinem inneren Grunde, wird daher in der Hauptsache nichts zu bessern vermögen und ist vielfach als Ausdruck des Misstrauens der Schulbehörde gegen die Schulleitangen aufgefasst worden. Möchte doch jeder, der es thun kann, darauf Einfluss nehmen, dass diese leidige Ange- legenheit möglichst bald eine allseitig befriedigende Lösung finde. Die Buchneder’sche Broschüre aber sei hiermit allen, die dieser Sache aus Beruf oder Neigung ihr Interesse leihen, zur vollen Würdigung empfohlen. M. Zens.

7. Lehrerarbeit und Lehrerlohn.

Eine volksthümliche Studie über das gemeinnützige Wirken der Lehrerschaft. Im Auf- trage des n.-ö. Landeslehrervereines verfasst vonKarlSchott. Zu beziehen von Johann Lipp, Oberlehrer in Matzendorf, Post Steinabrückl bei Wiener-Neustadt. Preis I X 20 A.

Das Werk setzt sich die Aufgabe, die amtliche und außeramtliche Thätigkeit der Lehrerschaft ins rechte Licht zu rücken und diese mit dem Lohne zu vergleichen, der derselben für ihre Leistungen zutheil wird. Dass zwischen den Leistungen und der Entlohnung der Lehrerschaft ein arges Missverhältnis obwaltet, ist leider eine bekannte Thatsache. Zudem hatten die Lehrer an den durch die geänderten Zeitverhältnisse noth- wendig gewordenen Gehaltsaufbesserungen aller Beamtenkategorien bisher keinen oder doch nur sehr geringen Antheil, was zu vielfachen Petitionen Anlass gab, die die Lehrerschaft in ihrer drückenden Nothlage an die betheiligten Körperschaften richtete. Leider blieben die daran geknüpften berechtigten Erwartungen und Hoffnungen viel- fach unbefriedigt, ja es haben sich sogar Stimmen erhoben, die den Lehrern das Recht auf eine Gehaltserhöhung mit Rücksicht auf ihren geringen Bildungsgrad, ihre geringe Arbeitsleistung gegenüber anderen Berufsständen, ja selbst mit Bezug auf ihre politische Haltung absprachen.

Auf alle diese Einwendungen gibt das genannte Werk von Karl Schott ausgie- bige Antwort, indem es die Bildung, sowie die Arbeit des Lehrers mit der anderer Berufsstände vergleicht und viele absichtlich oder unabsichtlich verbreitete Irrthümer ziffermäßig richtigstellt. Es wäre nur zu wünschen, dass diese Schrift eine recht große Verbreitung fände, dass sie namentlich ihren Weg auch ins Volk nähme, das zwar tag- täglich Gelegenheit haben könnte, sich von der ersprießlichen Thätigkeit seiner Lehrer, sowohl was die Schule im besonderen als auch das Gemeinwohl im allgemeinen anbelangt,

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zu überzeugen, dieselbe aber doch nicht sieht oder sehen will, am wenigsten aber die Consequenzen daraus zieht.

Als Ursache, dass die Schularbeit des Lehrers so wenig geschätzt und so häufig - unterschätzt wird, ist im II. Abschnitte des Buches dargelegt, wie des Lehrers Thätig- keit sich mehr in der Stille und Zurückgezogenheit vollzieht, während die Arbeit anderer Berufsstände mehr öffentlich geschieht.

Im III. Abschnitte bespricht der Verfasser den Unterschied zwischen physischer und geistiger Arbeit und vergleicht im folgenden Abschnitte die Arbeit des Lehrers mit der anderer geistiger Arbeiter, wobei er zu dem Resultate kommt, dass der Lehrberuf zu den schwierigsten und nervenaufreibendsten Berufsarten gehört, was er durch statistische Nachweise über die durchschnittliche Lebensdauer der Lehrpersonen erhärtet. Im V. Ab- schnitte kommt der Verfasser zu den so oft herangezogenen und vielbeneideten Ferien und Ferialtagen und weist darauf hin, wie viel Mühen und neue Arbeiten den Lehrer in dieser sogenannten Erholungszeit erwarten. Diese Nebenarbeiten bespricht er einge- hender in den folgenden Capiteln und zählt u. a. dazu: I. Die Vorbereitung für den Unterricht, 2. das Studium pädagogisch-didaktischer Werke, um sich mit den Fort-' schritten der Unterrichtskunst im Laufenden zu erhalten, 3. die Einsammlung und Her- stellung von Anschauungsmitteln, sowie die Instandhaltung der Lehrmittelsammlungen, 4. die leidigen Correcturen, 5. die Evidenzhaltung der Amtsschriften, 6. die Pflege des Schulgartens und 7. die Conferenzen. Capitel VIII ist der Besprechung der Bildungs- stufe der Lehrer und ihrer Fortbildung (unter Vergleichung der einzelnen Stände) ge- widmet, während der nächste Abschnitt eine Aufzählung und die kurze Biographie berühmt gewordener Lehrer enthält. Von ganz besonderem Interesse ist der X. Abschnitt, be- titelt: »Der Lehrer ein Volksfreund.« Er befasst sich mit den Arbeiten, welche die Lehrer für das allgemeine Volkswohl, und zwar zum größten Theile unentgeltlich, ja häufig sogar mit mehr oder weniger großen Geldopfern leisten. Zur Verarbeitung standen dem Verfasser nur die Daten von 723 Lehrern Niederösterreichs zur Verfügung, und doch ergeben schon diese wenigen Daten, dass sich die Lehrerthätigkeit außerhalb der Schule auf mehr als 70 verschiedene Gebiete volkswirtschaftlicher, volksbildender, ämtlicher, sanitärer, kirchlicher, wohlthätiger und wissenschaftlicher Richtung erstreckt. Man muss staunen, welche Summe von Talent und Arbeitsfreudigkeit hier in trockenen Zahlen wiedergegeben ist, nicht minder aber auch über die opferwillige Selbstverleug- nung, die die karg besoldete und von ihren Feinden so oft verunglimpfte Lehrerschaft in ihrem Idealismus zu leisten vermag, wenn es dem gemeinen Wohle gilt und es heißt, echten und wahren Patriotismus zu bethätigen. Den verhältnismäßig geringsten Theil seines Buches widmet der Autor dem Capitel »Lehrerlohn«. Er beklagt darin die Kargheit desselben, sowie die miserablen Avancementsverhältnisse der Lehrer.

Alles in allem ist die Arbeit Karl Schotts ein dankenswerter Versuch, die Forderungen der Lehrerschaft »populär« zu machen. Möge darum das Büchlein trotz seiner hie und da etwas scharfen Auslassungen, allenthalben aufklärend wirken; möge, es aber auch in den Reihen der Gesetzgeber gewürdigt werden, auf dass da erfüllet werde, was uns im $. 55 des R. V. G. vom 14. Mai 1869 verheißen wurde, dass wir frei von hemmenden Nebengeschäften unsere ganze Kraft dem Berufe widmen und auch eine Familie den örtlichen Verhältnissen gemäß erhalten können.

Anton Druschba,

Anhang. I. Thesen zu pädagogischen Themen.

Gesammelt von ANTON ZENS.

1. Unsere Gehaltsforderungen.

Die Gehaltsfrage der Lehrerschaft ist eine Nothstandsangelegenheit. Deshalb ist dieselbe auch im Reichsrathe und im Landtage als solche zu behandeln. Im ersteren ist noch in dieser Session eine Gesetzesvorlage einzubringen, in welcher der 8.55 des Reichs-Volksschulgesetzes vom 14. Mai 1869 folgende Fassung zu erhalten hat:

$.55, Punktı: »Die Grundgehalte, unter welche keine Schul- gemeinde herabgehen darf, sind so zu bemessen, dass der Anfangs- gehalt eines Lehrers oder einer Lehrerin vom Tage der abgelegten Lehrbefähigungsprüfung für Volksschulen dem Mindestgehalt eines k. k. Staatsbeamten der XI. Rangsclasse gleich ist. Die Vorrückung der Lehrer und Lehrerinnen hat nach ihrer Dienstzeit innerhalb der vier untersten Rangsclassen dieser Beamten zu erfolgen. Jene Lehr- personen, welch e nurein Reifezeugnisbesitzen, erhalten dasExistenz- minimum von 600 fl. pro Jahr.«

Die Regierung hat ferner Vorsorge zu treffen, dass die Regelung der Lehrer- gehalte auf eine der ersten Sitzungen der Landtage gestellt werde.

Um die Kronländer bei der durch diese neue Bestimmung vorgeschriebenen Gehaltsregelung zu entlasten, hat der Staat einen jährlichen Beitrag von 33°/, zu den Schulauslagen derselben zu leisten.

(Angenommen von der außerordentlichen Versammlung des deutsch-österreichischen Lehrerbundes zu Wien am ı. November 1899; Referent B.-L. Schreiter-Graslitz.)

2. Die Gehaltsfrage.

a) Der deutsch-österreichische Lehrerbund bedauert, bei den Bundesversamm- lungen immer wieder auf die vollständig unzulänglichen Gehalts-, Beförderungs- und Pensionsverhältnisse hinweisen zu müssen, weil diese den in allen österreichischen Kronländern durch die Theuerungsverhältnisse hervorgerufenen Ansprüchen in gar keiner Weise entsprechen.

db) Der deutsch-österreichische Lehrerbund ist sich der Schwierigkeit der Auf- bringung der nothwendigen Mittel seitens der Länder und Gemeinden zu einer that- sächlichen Regelung der Gehalte der Lehrer wohl bewusst, allein der Lehrerstand bezieht unvergleichlich schlechtere Gehalte, als die der Beamten vor deren Gehalts- regulierung waren; eine befriedigende Regelung der Lehrergehalte ist nur durch eine

Jahrbuch d. Wien, päd. Ges. 1900. 10

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Gleichstellung der Lehrpersonen mit den Beamten in den Bezügen der II., IO, 9. und 8. Rangsclasse zu gewärtigen.

c) Da es in dem ureigensten Interesse des Staates liegt, durch wirklich gute Schulen in allen Theilen des Reiches eine allgemeine und gute Volksbildung zu sichern, so soll den Ländern und Gemeinden durch entsprechende Staatszuschüsse zu den Lehrer- gehalten die nothwendigste Unterstützung gegeben werden.

d) Insbesondere wird die hohe Regierung auf das dringendste gebeten, in den Vertretungskörpern auf die vollkommen unzulänglichen Gehalts-, Beförderungs- und Pensionsverhältnisse der österreichischen Lehrerschaft mit allem Nachdrucke hinzuweisen und durch entsprechende Gehaltsvorlagen die Regelung der Lehrergehalte als unerläss- lich nothwendig zu befürworten.

e) Der deutsch-österreichische Lehrerbund spricht die Hoffnung aus, dass die österreichischen Lehrer auch unter den schwierigen Verhältnissen, unter denen sie der- zeit leben, den Muth nicht verlieren und mit voller Pflichttreue ihrem verantwortungs- vollen Berufe wie bisher nachzukommen ernstlich bestrebt sind, denn es ist unmöglich, dass die aufopferungsvolle Arbeit der Lehrer in dem größeren Theile der Bevölkerung nicht endlich die gerechte Würdigung und Wertschätzung erfahre.

/) Endlich wird denjenigen Abgeordneten und Körperschaften, die laut der von ihnen abgegebenen Erklärung bereit sind, mit Entschiedenheit für die Aufbesserung der Lehrergehalte einzutreten, und den Lehrern dadurch die Hoffnung auf eine baldige gerechte und entsprechende Lösung dieser wichtigen Frage geben, Dank und Anerken- nung ausgesprochen, und es wird erwartet, dass die betreffenden Herren Abgeordneten sowohl im Landtage, als im Reichsrathe ihr gegebenes Wort einlösen werden.

(Angenommen in der Hauptversammlung des deutsch-österreichischen Lehrer- bundes zu Aussig am 7. August 1900; Referent O.-L. Joh. W. Holczabek-Wien.)

8. Gehaltsverhältnisse der Wiener Bürgerschul-Lehrerschaft.

1. Die Gehalte der Bürgerschullehrer Wiens sind im Hinblicke auf die gegen- wärtige Höhe der Wohnungs- und Lebensmittelpreise völlig unzureichend.

2. Alle an den Wiener Bürgerschulen thätigen provisorischen Fachlehrer in was immer für einer Diensteseigenschaft sollen eine Zulage von 300 fl. erhalten.

3. Für Bürgerschullehrer sind drei Gehaltsstufen zu schaffen, und zwar: 3. Gehalts- stufe mit 1200 fl. und 400 fl. Quartiergeld; 2. Gehaltsstufe mit 1300 fl. und 500 fl. Quar- tiergeld; ı. Gehaltsstufe mit 1400 fl. und 600 fl. Quartiergeld. "Die Vorrückung erfolgt ohneweiters bei entsprechender Dienstleistung nach fünf in einer Gehaltsclasse zuge- brachten Dienstjahren.

4. Für Directoren ebenfalls drei Gehaltsstufen: 3. Gehaltsstufe mit 1600 fl., 2. mit 1700 fl., I. mit 1800 fl.

5. Die ersten zwei Quinquennien sollen je 100 fl., die vier letzten je 200 fl. betragen.

6. Die Dienstzeit ist auf 30 Jahre, conform den Verhältnissen bei den Bürger- schullehrern Steiermarks, herabzusetzen und die provisorische miteinzurechnen. Das ganze Quartiergeld ist in die Pension einzubeziehen.

7. Mit 30 Dienstjahren kann ein Bürgerschullehrer oder Director in Pension gehen, mit 35 Jahren muss er gehen.

8. Bezüglich der Durchführung dieser Vorschläge ist ein Landesgesetz zu erwirken.

9. Um die Vorrückungs- und Dienstverhältnisse zu regeln, ist eine Dienstpragmatik, wie sie die Staatsbeamten haben, anzustreben.

10. Zur Durchführung dieser Beschlüsse ist der Ausschuss des Vereines »Bürger-

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schule« zu ermächtigen, und zwar hat derselbe ein Memorandum an den Bezirksschul- rath, den Landtag und den Gemeinderath zu richten.

(Angenommen von der allgemeinen Bürgerschullehrer-Versammlung zu Wien am 21. October 1899; Referent B.-L. Oswald Hohensinner-Wien.)

4. Forderungen, die Reform der österreichischen Bürgerschule betreffend.

A. 1.Das Recht der Aufnahmsprüfung bei zweifelhafter Reife und der Rückver- setzung in die Volksschule bei schlechtem Fortgang oder schlechtem Schulbesuche.

2. Die allgemeine Volksschule und die Bürgerschule sind als zwei ganz selbstän- dige Anstalten auch räumlich zu trennen und nicht unter einer gemeinsamen Leitung zu vereinen.

3. In den Entlassungszeugnissen der Bürgerschule hat der Gegenstand »Lesen und Schreiben«, sowie die Entlassungsclausel zu entfallen.

4. Die Ergänzung der Bürgerschule durch eine IV.Classe, in deren Lehrplan insbesondere Algebra (neu) und Sprachunterricht mit vermehrtem Ausmaße aufzuneh- men sind.

5. Die Bestimmung der Höchstzahl von 40 Schülern für eine Bürgerschulclasse.

6. Bei Supplierungen an Bürgerschulen sind nur solche Lehrkräfte zu verwenden,, die für diese Anstalt befähigt sind. Die von den Mitgliedern der Lehrkörper sup- plierten Unterrichtsstunden sind wie die Überstunden zu entlohnen.

7. Der Austritt aus der Bürgerschule istnur am Schlusse eines Semesters zu gestatten.

8. Das Recht ihrer Absolventen zum Eintritte in alle Fachschulen, die die absol- vierte Obermittelschule nicht voraussetzen.

g. Das Recht zum Eintritte in die Cadettenschulen.

10. Die Vorschreibung der Bürgerschule zum Antritte eines öffentlichen Dienstes in den Fällen, wo das vollendete Gymnasial- oder Realschulstudium nicht gefordert wird.

11. Die Gewährung des zweijährigen Militärdienstes.

B. 1. Zeitgemäße materielle Besserstellung der Lehrer an den Bürgerschulen.

2. Schaffung eines den modernen Rechtsanschauungen entsprechenden Disciplinar- gesetzes, sowie Regelung der Dienstverhältnisse durch eine Dienstespragmatik.

3. Errichtung von zweijährigen Cursen an den Hochschulen zur Heranbildung von Bürgerschullehrern; Ablegung der Lehrbefähigungsprüfungen an diesen Anstalten.

4. Ausübung der Bezirksschulinspection durch Directoren und Fachlehrer der Bürgerschule.

5. Das Recht der Bürgerschullehrer, in ihren Conferenzen Vertreter in die Bezirks- und Landesschulbehörden zu wählen.

6. Die Bürgerschule bedarf als selbständige Anstalt eines Vertreters im Orts- schulrathe.

(Angenommen auf dem IV. österreichischen Bürgerschultag zu Wien am 12. April 1900; Referent B.-D. Anton Püchl.)

5. Die Regelung der Lehrverpflichtung an Bürgerschulen.

1. Als Grundlage für die Festsetzung der wöchentlichen Höchstleistung gelten 24 Stunden, hievon sind mit Rücksicht auf die Correcturen für je eine Classe Sprach- unterricht zwei Stunden, für je eine Classe Rechenunterricht eine Stunde in Abzug zu bringen.

2. Als normales Verhältnis gilt die Belastung mit Sprach- oder Rechenunterricht in zwei Classen.

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3. Sollte ausnahmsweise und vorübergehend eine Belastung mit drei Classen Sprache oder Rechnen vorkommen, so hätte auf Grund der unter Punkt I angegebenen Berechnung die wöchentliche, Belastung höchstens 18, beziehungsweise 2I Stunden zu betragen. Bei Beanspruchung eines Fachlehrers für Sprache und Rechnen ist von der Ausgangszahl (24 Stunden) die Summe der betreffenden Abzüge abzurechnen.

4. Die Stunden, die über irgend eine der auf die angegebene Weise (Punkt ı und 3) ermittelten Höchstleistungen hinausgehen, sind als Überstunden zu entlohnen.

5. (Zusatzantrag.) Jede supplierte Stunde ist zu honorieren. Die Fachlehr- kräfte können zur Supplierung in Volksschulclassen nicht verhalten werden.

(Angenommen auf dem IV. österreichischen Bürgerschultage in Wien am 12. April 1900; Referent B.-L. Karl Schrimpf-Wr. Neustadt.)

6. Die staatsbürgerlichen Rechte der Lehrer.

1. Die Staatsgrundgesetze enthalten keinerlei Clausel, welche den Lehrern die Staatsbürgerschaft abspricht oder auch nurbeschränkt. Die Lehrer sind demnach ebenso vollberechtigte Staatsbürger wie jeder andere und haben ebenso vollen Anspruch auf all die im Staatsgrundgesetz den Staatsbürgern zugesprochenen Rechte.

2. Die Stellung als Lehrer legt ihnen geradezu die Pflicht auf, von diesen staatsbürgerlichen Rechten jederzeit Gebrauch zu machen, und zwar aus Patriotismus und aus Standesrücksichten.

a) Aus Patriotismus: Der echte Patriot muss nach Möglichkeit mitthun und mitarbeiten, wenn und wo es das Wohl des Vaterlandes gilt. Das kann er aber nur, wenn er ausgiebigen Gebrauch macht von den ihm zustehenden Rechten,

Er kann dies thun durch die Theilnahme am politischen Leben, durch Ausübung des passiven und activen Wahlrechtes, durch den Anschluss an eine politische Partei und durch Förderung derselben durch Wort und Schrift.

b) Aus Standesrücksichten: Der Lehrer verkehrt unmittelbar mit den Volke; er kann auf dasselbe Kinfluss gewinnen und fördert damit gewiss die Interessen der Schule und der Volksbildung überhaupt. Anderseits schädigt cs ihn tief in der Achtung des Volkes, wenn er entweder aus eigenem Antriebe theilnahmslos sich zeigt, oder wenn ihm engherziger Bureaukratismus diese Theilnahme geradezu verbieten oder mindestens nur auf die bloße Stimmenabgabe beschränken will, im Gegensatze zu den Priestern, denen in dieser Hinsicht der freieste Spielraum gelassen wird.

3. Um sein Recht jederzeit wahren zu können, soll der Lehrer eingehende Kennt- nis von all den diesbezüglichen Gesetzen und Verordnungen sich erwerben.

4. Er soll seine allzugroße Bescheidenheit und oft auch Furcht besiegen und überall, wo immer die Gelegenheit sich bietet, als Wahlcandidat in der Gemeinde, für Landtag und Reichsrath auftreten, um dem Volke unten wie oben die Erkenntnis bei- zubringen, dass er dieselben Rechte und dieselbe Fähigkeit besitzt wie andere.

(Angenommen in der Versammlung des Lehrervereines Leibnitz am 5. April 1900; Referent Josef Killer-Friesach bei Stübing.)

7. Fortbildungsceurse für Bürgerschullehrer.

Der Centralverband der deutsch-österreichischen Volksbildungsvereine begrüßt die Fortbildungsbestrebungen der Volks- und Bürgerschullehrer mit Befriedigung; auch er erblickt in der Erhöhung der Lehrerbildung im allgemeinen die sicherste Grundlage einer entsprechenden Ausbildung der Volks- und Bürgerschullehrer und schließt sich ganz der Auffassung an, ‘dass die Lehrerbildung mit der Ablegung der Prüfung für das

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Lehramt an Bürgerschulen nicht abgeschlossen sein kann. Als zunächst erreichbares Ziel erscheint, dass zur Erweiterung und Vertiefung derselben an den Hochschulen Lehrerfortbildungscurse zu errichten sind, die auch die Heranbildung tüchtiger Lehrer- bildner aus dem Kreise der Volks- und Bürgerschullehrer zu übernehmen haben. Er spricht zugleich die bestimmte Erwartung aus, dass die maßgebenden Factoren den diese Bildungsfragen betreffenden Wünschen der Lehrerschaft, als im ausgesprochenen Interesse des Volkes und des Staates gelegen, ehethunlichst Rechnung tragen werden, und erklärt sich bereit, diese Bestrebungen in jeder Hinsicht zu unterstützen und zu fördern.

(Angenommen in der 3. Hauptversammlung des Centralverbandes der deutsch- österreichischen Volksbildungsvereine in Wien am 15. October 1899; Referent B.-D. Julius Pohl-Prag.)

8. Definitive oder provisorische Bezirksschulinspectoren ?

Der provisorische Charakter des Bezirksschulinspectorates kann als etwas Unbestimmtes und Unfertiges dem Definitivum nicht als das Bessere und Zweck- mäßigere entgegengestellt werden.

Unser gesammtes Volksschulwesen hat nichts in sich Gefestigtes, auf sicherer Grundlage Beharrendes, befindet sich daher in einem Zustande fortdauernden Proviso- riums und muss sich Umgestaltungen im Sinne der herrschenden Parteiströmung gefallen lassen. Es müssen somit definitiv geregelte Schulzustände angestrebt werden.

Das wichtigste Organ der Schulaufsicht, der Inspector, nimmt eine provisorische Stellung ein, während der jüngste Lehrer in kurzer Zeit das Definitivum erreicht. Dieses sichert ihm seinen Posten und hebt seinen Muth. Die gegen die definitive Bestellung der Inspectoren gerichteten Gründe könnten ebensowohl gegen die definitive Anstellung der Lehrer angeführt werden.

Das Provisorium bewirkt keine größere Actionsfähigkeit, Redefreiheit und Unab- hängigkeit nach oben.

Das Definitivum macht den Inspector nicht im mindesten abhängiger von der Regierung, als er es jetzt schon im Provisorium ist.

Durch das Definitivum der Inspectoren geht die »Freiheit« nicht verloren, weil man nicht verlieren kann, was man nicht besitzt. Das Provisorium ist kein Bollwerk der Freiheit. Dass der Inspector jederzeit in seine frühere Stellung zurückkehren kann, ist nur ein Vortheil auf Seite der Regierung, die einen weniger gefügigen Inspector auf einfache Weise los wird.

Eine Vermehrung des Bureaukratismus ist schwerlich zu fürchten, da derselbe in der Zeit des Inspectorenprovisoriums so schön gedieh.

Der mehr oder minder coulante Verkehr der Inspectoren mit den Lehrern liegt weder im Definitivum, noch im Provisorium, ist vielmehr Charakterzug der Persönlich- keit des Inspectors,

(Nach dem gleichnamigen Aufsatze im »Österr. Schulboten«, Jahrg. 50, Nr. 4, vom Verfasser O.-L, Wilhelm Taschek-Vöslau.)

9. Einheitlicher Schulbeginn und einheitliche Ferien.

I. Da der verschiedene Schulbeginn der Einheit des Unterrichtes im großen widerstrebt und bei Übersiedlungen Ursache einer fortwährenden Störung des Unter- richtes ist, sei der Schulbeginn in ganz Österreich ein gleichzeitiger, ohne Rücksicht auf örtliche Verhältnisse, welche hintanstehen müssen.

2. In Erwägung, dass das Schuljahr eine feststehende Zeit umfassen sollte, durch

150 den bisher auf dem Lande üblichen Schulanfang zu Ostern aber eine Schwankung von 1—2 Wochen erleidet, da ferner dieselbe Zeit in den Alpenländern sehr rauh, stürmisch und regnerisch, für die neuen Schüler höchst ungünstig zu sein pflegt, werde in ganz Österreich der Schulbeginn mit 15. September festgesetzt.

3. Um die geregelte, fortlaufende Arbeit des Schuljahres nicht durch eine sechs- wöchentliche Pause in dessen Mitte unterbrechen zu müssen, ist es nothwendig, die Ferien naturgemäß am Schlusse des Schuljahres, d. i. vom I. August bis 15. September festzusetzen. In der heißen Jahreszeit ist der Unterrichtserfolg überhaupt in Frage gestellt, weil die dumpfe Stickluft der Schulzimmer auf die Kinder erschlaffend wirkt.

4. In Erwägung, dass infolge der minder organisierten Schulen vielen Kindern ohnehin nur ein Minimum von Wissen und Können geboten werden kann, gerade aber die Schüler des 7. und 8, Schuljahres also jene, deren geistige Fähigkeiten in der besten Entwicklung begriffen sind von dem Schulbesuche befreit sind; in fernerer Erwägung, dass diesen Kindern während der Zeit der Sommerbefreiung vielfache Gefahren, wie Krank- heit, Verkrüppelung durch Überanstrengung, geistige Schäden und sittliche Gebrechen durch freien Umgang mit unmoralischen Erwachsenen drohen: ist die Sommerbe- freiung in der Form einer vollständigen Enthebung vom Besuche des Unterrichtes während der Sommermonate, oder gar von Ostern bis Allerheiligen, als schwerer Schaden für die Schule absolut zu verwerfen.

(Angenommen vom Ennsthaler Lehrerverein am 7. December 1899 zu Steinach; Referent F. Kutalek-Wörschach.)

10. Schulversäumnisse.

I. Es ist strengstens darauf zu dringen, dass die gesetzliche Bestimmung, laut welcher jeder einzelne nicht entschuldigte Halbtag zu ahnden ist, durchgeführt werde.

2. In der Local-Lehrer-Conferenz sind die einzelnen Fälle zu besprechen. Der Schulleiter wird dann bei der Verhandlung mit den Parteien vor dem Ortsschulrathe den Standpunkt der Conferenz einnehmen.

3. In Fällen, wo das Kind krank gemeldet ist, die Angabe jedoch nicht glaub- würdig erscheint, ist die gemeindeärztliche Untersuchung des betreffenden Kindes zu veranlassen. Diese Untersuchung ist unentgeltlich. Der Verkehr des Schulleiters mit dem Arzte ist ein directer, also nicht durch das Bürgermeisteramt.

4. Der Referent im Bezirksschulrathe nimmt die Anträge des Ortsschulrathes und der Schulleitung zur Grundlage seiner Strafanträge.

5. Die Strafe des Verweises habe zu entfallen.

6. Der Vollzug der einzelnen Strafen, besonders aber der Arreststrafen, ist nur bei dem zuständigen Bezirksgerichte zulässig.

7. Die Straferkenntnisse sind dem Classenlehrer zur Einsichtnahme in die Hand zu geben.

8. Für besonders starke Fälle, wenn z. B,, wie es vorgekommen ist, ein Kind die Schule vom 15. August bis 31. December gar nicht besucht, sind besondere Maß- regeln einzuführen.

(Angenommen in der Versammlung des »Lehrervereines für den Schulbezirk Mistelbach« in Zistersdorf am ı1. März 1900; Referent Josef Berger-Ladendorf.)

11. Die Erwerbsthätigkeit schulpflichtiger Kinder.

(Thesen hierüber siehe S. 126 ff. dieses Jahrbuches; angenommen von der Wiener pädagogischen Gesellschaft am 3. März 1900; Referent Siegmund Kraus-Wien.)

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12. Erwerbsmäßige Kinderarbeit und deren Folgen in Bezug auf Erziehung und Unterricht.

Resolution: Die am 21. December 1899 in Mistelbach tagende Ver- sammlung des »Lehrerclub Mistelbach« (1. Club des »Lehrervereines für den Schulbezirk Mistelbach«) erkennt in der Verwendung von Kindern zu erwerbsmäßiger Arbeit jeder Art einen Factor, der im höchsten Grade geeignet ist, die geistige, körper- liche und sittliche Entwicklung der Jugend auf das empfindlichste zu schädigen. Die Versammlung fordert im Interesse einer gedeihlichen Entwicklung des körperlichen Organismus der Jugend, sowie im Interesse des Unterrichtes und der Erziehung auf das entschiedenste, dass schulpflichtigen Kindern jedwede Erwerbsarbeit untersagt werde. Die Verhältnisse im Schulbezirke Mistelbach berücksichtigend, fordert die Versammlung strenge Durchführung der betreffenden Verordnungen bezüglich der Verwendung von schulpflichtigen Kindern als Dienstboten. (Die übrigen Forderungen sind dem Sinne nach gleichlautend mit den von Siegm. Kraus in der »Wiener päd. Ges.« aufgestellten Thesen.)

(Angenommen zu Mistelbach am 21, December 1899; Referent Othmar Knoll- Gaunersdorf.)

13. Schule und Gesundheitspflege.

I. Nachdem ohne die gewissenhafte Ausbildung des Körpers weder eine voll- kommen intellectuelle noch eine vollkommen religiös sittliche Bildung denkbar ist, unsere Zeit aber zur Realisierung ihres Culturwerkes auf die weise Ausnützung der körperlichen und geistigen Kräfte jedes Individuums angewiesen ist, hat man die Schulhygiene in ihrer wichtigen socialprophylaktischen Bedeutung mit Recht zu würdigen.

2. Obwohl es »Schulkrankheiten« im wahren Sinne des Wortes nicht gibt, man auch zugeben muss, dass im Schoße der Familie in hygienischer Beziehung Missgriffe von weittragender Bedeutung unterlaufen, so muss doch weiter zugestanden werden, dass in dem Getriebe der Schule manches liegt, was auf das körperliche Befinden der Schüler unbedingt Einfluss nimmt.

3. Um den Anforderungen der modernen Hygiene gerecht zu werden, hat die Schule darauf zu achten, |

a) dass die Kinder nicht zu früh in das Schulleben eingeführt und die gesetz- lichen Bestimmungen über den Anfang des schulpflichtigen Alters daher streng gehand- habt werden;

d) dass der Elementarlehrer das erste Jahr der Schulzeit als eine Art Probejahr für die körperliche und geistige Lebensfühigkeit des Kindes ansehe;

c) dass die Schulräume in ihrer ganzen Einrichtung den modernen hygienischen Anforderungen entsprechen, besonders in Ansehung zweckmäßiger Subsellien, ausreichend ınilden, gleichmäßigen Lichtes und tadelloser Beschaffenheit der Luft, sowohl hinsicht- lich der Temperatur, als auch der stofflichen Zusammensetzung (Heizung und Ventilation);

d) dass jede zu große und lang andauernde Anstrengung des Gehirns vermieden werde und daher im Unterrichte von Zeit zu Zeit zum Zwecke der Erholung Pausen Eintreten;

e) dass die Pflege der Leibesübungen bei beiden Geschlechtern, dass ferner Turn- spiele, Schwimmen, Schlittschuhlaufen, Fußreisen und längere Promenaden in frischer Luft eine wesentliche Förderung erfahren;

J) dass die Zahl der Aufgaben auf das Maß der wenigen, die eine weitere Aus- bildung des selbständigen Denkens zum Zwecke haben, beschränkt werde;

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£g) dass in der Anwendung der zur Aufrechterhaltung der Disciplin nothwendigen Strafmittel mit einer peinlichen Vorsicht vorgegangen werde;

h) dass die Lehren vom menschlichen Körper, vom Wesen der Krankheiten und von den Mitteln zur Verhütung derselben, zum Gemeingut der Angehörigen aller Stände werde.

4. Der Lehrer sei die gesunde Seele im gesunden Leibe der Schule. Er befleiße sich einer guten Methode, wirke der allzufrüh beginnenden Dressur der Kinder, sowie den Modethorheiten entgegen, pflege Heiterkeit und Frohsinn und suche in der Ge- sundheit des Geistes- und Gemüthslebens seiner Kinder eine ‚vollständige Harmonie der körperlichen und geistigen Anstrengungen herbeizuführen.

(Aus dem »Österr. Schulbotene, Jahrg. 50, Nr. 2, vom Verfasser Ü.-L. W. Inner- huber-Teschen.)

14. Zur Schularztfrage.

Es ist wünschenswert, dass man der Schulhygiene eine größere Fürsorge angedeihen lasse, als es bisher geschah. Um dies zu erreichen, scheint jedoch der Schularzt, wie er gegenwärtig geplant ist, nicht jene Institution zu sein, die zum gewünschten Ziele führt.

Der natürliche Förderer und Wächter der Schulgesundheitsbestrebungen ist der Lehrer. Damit er dieser Thätigkeit mit Erfolg nachkommen kann, muss der hygienischen Ausbildung des Lehrstandes eine größere Aufmerksamkeit als bisher zugewendet werden.

Sollte gegen den Wunsch der Lehrerschaft ein Schularzt bestellt werden, soll derselbe dem Lehrer nicht über-, sondern nebengeordnet sein. Seine Thätigkeit darf in keiner Weise störend auf den Unterricht einwirken.

(Aufgestellt im Reichenberger Lehrerverein am 7. April 1900; Referent Josef Ölkrug-Reichenberg.) |

15. Ist die eigentliche Aufgabe der Schule die Erziehung oder der Unterricht?

Die eigentliche Aufgabe jeder Art von Schule ist der Unterricht; zur Er- ziehung der Kinder sind in erster Linie die Eltern berufen. Wo die an erster Stelle und gleichsam von naturwegen zur Erziehung des Nachwuchses Berufenen ihre Pflicht mit Erfolg erfüllen, da entfällt auch für die Schule die Nothwendigkeit, aus dem ihr angemessensten Gebiete herauszutreten. Der Grad der Ablenkung der Schule von ihrem eigentlichen Feld auf das Erziehungsgebiet ist demnach stets ein Maß für den socialen und sittlichen Stand eines Volkes. Je mehr die Verbesserung und Veredlung des Familienlebens es der Schule gestattet, sich auf das reine Unterrichtsgebiet zu beschrän- ken, umso besser wird diese ihrer eigentlichen Aufgabe, Wissen und Fertigkeiten zu vermitteln, entsprechen. Es kann sonach erst die allgemeine Veredlung des Personen- charakters jenen Gesellschaftszustand herbeiführen, wo dann die Schule den höchsten Grad ihrer Leistungsfähigkeit erreichen wird.

(Aufgestellt in der »Österr. Bürgerschul-Zeitunge, Jahrg. 25, Nr. 6, von B.-L. Franz Schütz-Wien.)

16. Über Schülerreisen und ihre pädagogische Bedeutung.

1. Schülerreisen (mehrtägige Reisen der Schuljugend unter Führung von Lehrper- sonen) sind wichtige Concentrationspunkte im Schulleben. In ihrer Durchführung stellen sie die Nutzanwendung der Erziehungsergebnisse sowohl in körperlicher als auch in geistiger Beziehung dar.

2. Unsere Jugend ist gegenwärtig wegen mangelnder praktischer Schulung und

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vernachlässigter körperlicher Erziehung zur Durchführung solcher Reisen ohne weitere Vorbereitung nicht geeignet.

3. Diese Vorbereitung kann nicht wenige Wochen vor Antritt der Reise begon- nen werden, sondern sie muss in der Form der »natürlichen Erziehung« die gesammte Schulthätigkeit durchdringen.

4. Die »natürliche Erziehung« würde in unserem Schulwesen eine Fülle von Re- formen nöthig machen. Hierher gehören u. a,: Theilweise Umgestaltung unserer Schul- gesetzgebung, Lehrpläne und Methoden; Bau hygienischer Schulhäuser, Turn- und Spielplätze; Hygiene des gesammten Unterrichtes; Übung in kleineren Wanderungen und Märschen bei allmählicher Verdrängung gesundheitsschädlichen Turnens; Einfüh- rung des Badens, Schwimmens und Eislaufens; Anleitung zur Selbstthätigkeit.

5. Die pädagogische Bedeutung der Schülerreisen ist

a) im Hinblicke auf die directe Erziehung:

Die Erziehung muss den ganzen Menschen umfassen. Erziehungsmängel zeigen sich auf der Reise sofort. Der Lehrer kommt völlig zum Verständnis der Eigenarten des Schülers. Offenheit, Vertrautheit mit der Natur, praktischer Sinn und Geistesgegen- wart wird erzeugt. Förderung der Gesundheit durch Rückkehr zur freien Naturbe- kämpfung der Sinnlichkeit durch Abhärtung (Alkohol und Tabak) stellen die rein physischen Vortheile der Reisen dar.

db) im Hinblick auf den Unterricht:

Das verderbliche Wortwissen, das auf mangelnder Anschauung beruht, wird be- kämpft. Die Kenntnisse aus der Geschichte, der Geographie, aus den Naturwissen- schaften, der Technologie, Land- und Völkerkunde etc. werden erweitert, berichtigt und neuerworben.

6. Der Durchführung solcher Schülerreisen stellen sich, wie die Erfahrungen ein- zelner Fachmänner beweisen, keinerlei eruste Schwierigkeiten entgegen. Die Geldmittel werden im Laufe des Schuljahres mit kleinen Beträgen in Schulsparcassen angesammelt. Die Heranziehung öffentlicher Mittel erscheint nur in seltenen Fällen (als kleine Unter- stützung würdiger Schüler) geboten.

(Aufgestellt in der »Wr. pädagog. Gesellschaft« am 4. November 18gg9; Referent B.-L. Victor Pimmer-Wien.)

17. Die Erziehung zum Staatsbürger.

Der moderne Staat kann seine Aufgabe nicht mehr allein in der Befriedigung des Wohllebens einzelner bevorrechteter Stände erblicken, sondern hat sich die Wohl- fahrt aller Staatsbürger, somit der Massen, zum Ziele zu setzen.

Obwohl nun die Staatsgrundgesetze jedem Staatsbürger den Schutz der Person und seines Vermögens, sowie die Förderung seiner Wohlfahrt gewährleisten, so ist doch in den breiten Schichten des Volkes noch eine derartige Unkenntnis in Bezug auf seine Rechte und Pflichten dem Staate gegenüber zu beobachten, dass es nicht wundernehmen kann, wenn ein großer Theil der Bevölkerung sich von politischen Parteien, die sich eben nur auf den ungebildeten Haufen stützen können, als Spielball gebrauchen lässt.

Die Massen des Volkes müssen daher durch Belehrung zum Bewusstsein ihrer staatsbürgerlichen Stellung gebracht werden. Diese Belehrungen sollen schon durch die Volksschule, dann vorzugsweise durch Fortbildungsanstalten, populäre Vorträge, wo- möglich von Fachgelehrten, durch Verbreitung von volksthümlichen Schriften einschlä- gigen Inhaltes erfolgen.

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Der Stoff zu diesen Unterweisungen hat der Rechtslehre, Volkswirtschaftslehre und Verfassungskunde entnommen zu werden.

Da einstweilen größtentheils nur die Volksschule für die Erfüllung der genann- ten Aufgabe zur Verfügung steht, so soll diese hier mit Kraft einsetzen und alle ihre Lehrgegenstände und Erziehungsmittel in den Dienst der Erziehung der Jugend zu tüch- tigen Staatsbürgern stellen.

(Angenommen von der Bezirkslehrerconferenz zu Perg am 5. Juli 1899; Referent Karl Panhofer-Baumgartenberg.) .

18. Über den Unterrichtsbetrieb nach eoncentrischen Stoffkreisen. (Beschlussantrag hierüber siehe S. 2I und 27 dieses Jahrbuches; aufgestellt in der »Wr. pädagog. Gesellschaft«e am 7. April und 5. Mai 1900 von Dir. D. Simon- Wien.) 19. Die übertriebene Pflege der äußeren Form der schriftlichen Arbeiten ein Hemmnis des Unterrichtes.

I. Die Zahl der Hefte und schriftlichen Arbeiten ist im Vergleiche zu der lehr» planmäßig verfügbaren Unterrichtszeit eine viel zu große.

2. Die schriftlichen Arbeiten arten an manchen Schulen in reine Schönschreib- übungen aus, bei denen zum großen Schaden des Unterrichtes die äußere Form die Hauptsache, der Inhalt aber Nebensache ist. Insbesondere wird das Eintragen der Haus- arbeiten in die sogenannten Reinhefte von den Lehrern geradezu als ein Hemmnis empfunden,

3. Die Correctur und Nachcorrectur aller schriftlichen Arbeiten ist für Lehrer und Schüler zu einer wahren Plage geworden, und es steht der dabei verwendete Zeit- verbrauch mit dem thatsächlichen Erfolge in keinem Einklange.

4. Auch die besondere Pflege des Äußeren der Hefte durch Beschreiben und Einfassen derselben seitens des Lehrers, durch Aufbewahrung der Hefte in einem besonderen Schranke während des ganzen Schuljahres kann weder mit Rücksicht auf den Zweck der Schülerhefte, noch in Hinsicht auf die erziehliche Aufgabe der Schule, die Selbständigkeit des Schülers anzustreben, gebilligt werden.

5. Die übertriebene Pflege der schriftlichen Arbeiten vertheuert den Unterricht, raubt demselben sehr viel Zeit und belastet Lehrer und Schüler in geradezu schädigender Weise; es ist deshalb eine Einschränkung derselben dringend nothwendig.

6. Die Zahl der Hausarbeiten muss verringert werden, um dafür mehr Zeit für Schularbeiten und Übungen zu gewinnen; Hausaufgaben aus Rechnen, welche einen sehr fraglichen Wert besitzen, haben ganz zu entfallen.

7. Auch die Zahl der Hefte sollte verringert werden; für die Derek würde ein Aufgaben- und ein Übungs-, für das Rechnen nur ein Übungsheft genügen.

In das Aufgabenheft sind die Hausaufgaben, in das Übungsheft die Übungen und Schularbeiten zu schreiben, Es wäre für die Pflege der äußeren Form bei diesen schrift- lichen Arbeiten gewiss hinreichend, wenn monatlich nur eine Hausarbeit eingetragen und hiebei auf eine besonders sorgfältige Form geachtet würde.

8. Die Einzelcorrectur beschränke sich auf die Haus- und Schularbeiten, bei den Übungen werde nur Massencorrectur angewendet, Bei den Schularbeiten soll nur die Leistung, bei den Hausarbeiten Leistung und Form classificiert werden.

9. Die Schönschreibhefte sollen nur Übungshefte, keine Paradehefte sein.

10. Auch im Zeichnen kann durch Beschränkung der Ausstattung des Zeichen-

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blattes, durch Vereinfachung der Zeichenmanier im Interesse des eigentlich bildenden Momentes dieses Unterrichtszweiges an der äußeren Form gespart werden.

11. Die Kartenzeichnungen sollen nur in der einfachsten Form entsprechend den Forderungen des geographischen Unterrichtes der betreffenden Classe ausgeführt werden.

12. Um durch solche Maßnahmen den Unterricht gedeihlicher gestalten und ver- billigen, Lehrer und Schüler entlasten zu können, wodurch gleichzeitig die Zeit für den eigentlichen Unterricht gewonnen würde, muss die Lehrerschaft eine Änderung der Lehrpläne anstreben.

13. In vielen Fällen ist die »Ausstellung«e von Schülerarbeiten der Grund einer übertriebenen Pflege der schriftlichen Arbeiten; solche Ausstellungen sollten nur dann vorgenommen werden, wenn hiedurch ein bestimmter, wesentlicher Erfolg für die Schule zu erwarten ist, wobei aber Sorge zu tragen ist, dass durch eine erhöhte Pflege der äußeren Form der Unterricht selbst keinen Schaden erleide.

(Aus der »Fr. Schul-Zeitung«, Jahrg. 26, Nr. ı5, vom Verfasser B.-L. Emil Walter-Auscha.)

20. Welches sind die Folgen allzugroßer Nachsicht bei Beurtheilung des Fortganges und des Aufsteigens der Schüler?

1. Der Schüler selbst wird geschädigt, denn seine Kenntnisse bleiben oberfläch- lich und lückenhaft, seine körperliche Entwicklung leidet, und schließlich wird sein weiteres Fortkommen durch ein schlechtes Entlassungszeugnis gehemmt.

2. Die ganze Classe wird geschädigt, weil das Lehrziel der schwachen Schüler wegen herabgedrückt, der Lehrstoff vermindert wird, und weil Fleiß und Eifer abnehmen, wenn das Kind sieht, dass seine Leistungen allzu nachsichtig beurtheilt werden.

3. Die Arbeit des Lehrers auf den Oberstufen wird immer schwieriger und bezüg- lich des Erfolges geradezu entmuthigend. |

4. Das Ansehen der Schule wird untergraben, die Leistungen und die Mühe der Lehrkräfte werden verkannt und gering geschätzt; denn die übel angebrachte Milde ist schuld daran, dass die Kinder den Lehrstoff der Classe, aus welcher sie das Entlassungs- zeugnis besitzen, nicht beherrschen.

(Beschlossen von der Bezirkslehrerconferenz des 5. Wiener Inspectionsbezirkes 1899; vom Wiener Bezirksschulrathe mit dem Bemerken den Lehrkörpern der Wr. Volks- und Bürgerschulen bekanntgegeben, »dass die Lehrerschaft durch die auf das Aufsteigen der Schüler bezugnehmenden gesetzlichen Bestimmungen vollkommen berechtigt ist, dieselben in den Kreis ihrer Berathungsgegenstände einzubeziehen.«)

21. Der Sprachunterricht in der Bürgerschule.

1. Das Aufsteigen in der Volksschule darf nicht nach dem Alter oder mit beson- derer Berücksichtigung desselben, sondern nach den erworbenen Kenntnissen und Fer- tigkeiten geschehen. Besonders streng ist beim Aufsteigen in die Bürgerschule darauf zu achten.

2. Das Lehrverfahren ist den Lehrern an der Volks- und Bürgerschule freigestellt, insofern dasselbe nicht gegen allgemein giltige Unterrichtsgrundsätze verstößt.

3. Es werden auf öffentliche Kosten Lehrer in deutsche Schulen des Auslandes geschickt, um die fremden Methoden im Sprachunterrichte an Ort und Stelle zu studieren.

4. Es ist durch Lehrer an Volks- und Bürgerschulen eine Untersuchung darüber anzustellen, was aus dem Sprachunterrichte wirklich zweckmäßig und bildend ist. Diese Untersuchung soll sich insbesondere auf die Sprachlehre erstrecken.

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5. Die Zahl der wöchentlichen Sprachstunden in jeder Classe der Bürgerschule wird auf mindestens 7 festgesetzt.

6. Den Fachlehrern jeder Gruppe muss auch ein angemessener Einfluss bei der Neueinführung von Lehrbüchern und Lehrplänen gewahrt werden; wenigstens darf eine solche Maßregel nicht gegen den Willen derselben verfügt werden,

7. Den Fachlehrern für Sprache sind auch die Verbesserungen der Aufgaben in die Lehrverpflichtung in angemessener Weise einzurechnen.

8. Die Landes- und Bezirksschulinspectoren für Volks- und Bürgerschulen sind dem Stande der Volks- und Bürgerschullehrer zu entnehmen. Dabei sollen nur charak- terfeste, tüchtige Schulmänner Berücksichtigung finden.

(Aufgestellt in der »Österr. Bürgerschul-Zeitung«, Jahrg. 25, Nr. ır.)

22. Der Sprachunterricht der Bürgerschule als Prügelknabe.

I. Der Sprachunterricht, der für Schüler gleichen Alters an anderen Lehranstalten (z. B. Mittelschulen) die alles überwiegende Hauptsache bildet, ist in der Bürger- schule dem Zeitausmaße nach allzu stiefmütterlich bedacht. Bezüglich des Deutsch- unterrichtes der Mittelschule muss die fördernde Rückwirkung des fremdsprachlichen Unterrichtes in Anschlag gebracht werden,

2, Der Realienunterricht soll sprachbildend wirken. Für den Lehrstoff der Bürgerschule kann das häusliche Lernen der Schüler nicht entbehrt werden; doch ist bei vielen Schülern ein solches nicht zu erreichen. Zudem lässt die Ausführung der Lehrpläne in den Lehrtexten das wünschenswerte Maßhalten vermissen. Daher vermag der Realienunterricht der Bürgerschule den Sprachunterricht nicht allzu wirksam zu fördern. Die Mittelschüler, für welche das Studium Mittel zur Erreichung gewisser Lebensstellungen ist, müssen auch die Realienstoffe zu Hause gründlich lernen, was eine mächtige Förderung der Sprachbildung bedeutet.

3. Sehr viele Mittelschüler genießen Nachhilfeunterricht (auch für Aufsatz). Bezüg- lich der Bürgerschüler gehört Nachhilfe zu den größten Seltenheiten,

4. Der Mittelschüler lebt oft bezüglich der häuslichen Verhältnisse in einem Milieu, das die Schulzwecke kräftigst fördert. Bei den Bürgerschülern ist oft das gerade Gegentheil der Fall.

5. Der schriftliche Gedankenausdruck, in dem die absolvierten Bürgerschüler zum Theile thatsächlich nichts Befriedigendes leisten, muss ganz besonders als Prügelknabe beim Aburtheilen über die Thätigkeit der Schule herhalten,

6. Zur Behebung der Übelstände sollten die bekannten Forderungen der Bürger- schullehrer nach Reform der Bürgerschule erfüllt werden, Den Lehrern der I. Fach- gruppe ist eine Herabsetzung des wöchentlichen Stundenausmaßes unter jenes der übrigen Fachlehrer zuzugestehen, u. zw. mit Rücksicht auf die Correcturen.

(Aus der »Österreichischen Bürgerschul:Zeitung«, 25. Jahrg, Nr. 2; Auszug besorgt von B.-L. Karl Schrimpf-Wr.-Neustadt.)

23. Zum Sprachunterrichte an unseren Bürgerschulen.

1. Die Ausbildung unserer Bürgerschüler hinsichtlich der deutschen Sprache steht nicht auf der wünschenswerten Höhe,

2. Die gegenwärtige Stundenzahl für den Sprachunterricht ist für die Erreichung des Lehrzieles in allen Classen unzureichend.

3. Die wöchentliche Stundenzahl für diesen Unterricht muss in jeder Bürgerschul- classe mindestens sechs betragen,

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4. Die nöthigen Mehrstunden für Sprache könnten durch Verminderung der Zeichenstunden, eventuell (im Lehrplane 3) der naturgeschichtlichen Lehrstunden ge- wonnen werden.

5. Für die als Folge dieser Änderung nöthige neue Gruppierung der Lehrgegen- stände in den einzelnen Fachgruppen diene folgender Vorschlag:

I. Fachgruppe: Sprache, Geographie und Geschichte; dazu als Ergänzung ein Gegenstand der 2. oder 3. Gruppe,

II. Fachgruppe: Naturgeschichte, Physik und Chemie; als Ergänzung ein Gegen- stand der 2. oder ı. Gruppe.

III. Fachgruppe: Mathematik, geometrisches Zeichnen, Freihandzeichnen; als Er- gänzung ein Gegenstand der 2. oder I. Gruppe.

Zusatz: Für Schreiben, Gesang und Turnen genügt die Lehrbefähigung für Volksschulen.

(Aus der »Österr. Bürgerschul-Zeitung«, Jahrg. 25, Nr, 5, vom Verfasser B.-S.-I. Joh. Blaschke -Amstetten.)

24. Der Aufsatzunterricht.

1. Der Aufsatzunterricht, dessen Ziel es ist, den Schüler der Oberstufe zu befähi- gen, seine Gedanken und Empfindungen in Wort und Schrift wiederzugeben, ist der schwie- rigste Theil des Sprachunterrichtes und erfordert die größte Mühe von Seite des Lehrers.

2. Er gliedert sich in den mündlichen und in den schriftlichen Gedankenausdruck ; die sorgfältige Pflege des mündlichen Gedankenausdruckes ist die wichtigste Vorbedin- gung zur Erzielung eines Erfolges beim Unterrichte im schriftlichen Gedankenausdrucke und muss schon auf der untersten Unterrichtsstufe beginnen, besonders beim Anschau- ungsunterrichte und beim sachlichen Lesen.

3. Der schriftliche Aufsatz findet eine wertvolle Unterstützung durch das Lese- buch; bei jedem behandelten Gedichte und Lesestücke sollen die bildlichen Redewen- dungen besonders ins Auge gefasst und hernach von dem Schüler in eigene Notizhefte übertragen werden.

4. Zur Förderung des stilistischen Unterrichtes dient ferner die Correctur; es sind bei solchen Aufgaben nicht nur die Verstöße gegen Orthographie, Interpunction und Syntax, sondern auch Fehler gegen die Art der Darstellung zu berücksichtigen, und es ist die entsprechende Verbesserung von Seite des Schülers zu verlangen.

(Aufgestellt im Lehrer-Club Gr. Siegharts am 3. März 1900; Referent B,-L. K. Witzmann-Gr. Siegharts.)

25. Weisheit und Witz in alten deutschen Reimen und Sprüchen.

I. Die meisten Erzeugnisse der Spruchweisheit vergangener Jahrhunderte sind ganz wie dazu geschaffen, durch ihren gesunden Sinn und ihre einfältige Weisheit eine Vermittlung zwischen den künstlichen Erziehungsresultaten unserer aufgeklärten und aufklärenden Zeit und dem ursprünglichen Adel der unverfälschten Natur einer rühm- lichen Vorzeit zu versuchen.

2. Aus diesem Grunde wäre es auch angezeigt, solche Erzeugnisse der deutschen Spruchliteratur in die Schullesebücher aufzunehmen, umsomehr, als der Sinn der meisten ohne lange Erklärungen von den Schülern oft selbst ganz allein ohne Beihilfe des Lehrers herausgefunden werden kann. |

3. Viele altdeutsche Reime und Sprüche regen nicht bloß den Geist in trefflicher Weise an, sondern erheitern auch das Gemüth durch ihren schlagenden Witz, durch

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ihren oft köstlichen Humor und sind daher ganz gut geeignet, eine Abwechslung in jene oft trockenen Abschnitte der Lesebücher hineinzubringen, welche Sprichwörter und Denksprüche behandeln,

(Aufgestellt im »Pädagog. Verein Hostnau« am 17. April 1900; Referent Franz Roith-Hostnau.) 26. Die deutsche Rechtschreibung.

1. Das Hauptgewicht des Sprachunterrichtes soll auf die gesprochene und gehörte, nicht auf die geschriebene, gedruckte und gelesene Sprache gelegt werden.

2. Der Rechtschreibunterricht ist daher in die ihm gebürende höchst untergeord- nete Stellung zurückzudrängen.

3. Die dazu nöthige Vereinfachung unserer jetzigen unbeholfenen, oft unwahren, an Widersprüchen reichen Schreibung muss auf die gegenwärtige Musteraussprache voll- ständig Rücksicht nehmen, zum mindesten im Sinne des Vereines für vereinfachte Rechtschreibung.

(Angenommen in der Versammlung des Lehrervereines Auscha am g. Mai 1900; Referent E. Proschwitzer-Auscha.)

27. Über die Zahl der schriftlichen Arbeiten in der Bürgerschule.

I. Die heute tagende Abgeordnetenversammlung des »Deutschen Landeslehrer- vereines in Böhmen« erklärt als unerlässlich nothwendig, dass die Zahl der schriftlichen Arbeiten aus Stil an Bürgerschulen monatlich auf zwei, nämlich eine Haus- und eine Schularbeit, beschränkt werde.

2. Die Abgeordnetenversammlung erklärt, es sei im gesundheitlichen Interesse der Schüler und im Interesse des Gesammtunterrichtes nothwendig, dass die der Einzel- corrrectur zu unterziehenden Hausaufgaben aus dem Rechnen zu entfallen haben, da dieselben a) die schulfreie Zeit der Schüler und durch die erforderliche Vorbesprechung und Ver- besserung auch die dem Rechnen zugewiesene Zeit übermäßig in Anspruch nehmen, b) die Selbständigkeit der Schüler nicht wesentlich fördern und c) die äußere Form der Aufgaben infolge der damit verbundenen Vielschreiberei und der bei der Mehrzahl der Schüler ungünstigen häuslichen Verhältnisse nachtheilig beeinflussen.

Die Pflichtaufgaben aus dem Rechnen sind auf monatlich eine Schularbeit zu beschränken.

3. Die Versammlung empfiehlt den einzelnen Lehrkörpern, beim Streben nach Abänderung ihrer Lehrpläne sich genau an den Absatz 3, Punkt 4, der Ministerial- verordnung vom 8. Juni 1883, Z. 10.618, zu halten.

(Angenommen in der Abgeordnetenversammluug des »Deutschen Landeslehrer- vereines in Böhmen« zu Aussig am 6. August 1900; Ref. B.-L. Franz Prade- Gablonz und B.-L. Gustav Thorand-Kratzau.)

28. Über das methodische Verfahren bei der Verbesserung der schriftlichen Schülerarbeiten aus der Unterrichtssprache.

1. Die Verbesserung der schriftlichen Sprachaufgaben lässt sich ganz zweckmäßig in der Weise durchführen, dass die allgemein übliche Einzelncorrectur seitens des Lehrers auf die monatliche Schularbeit beschränkt wird, die vorgeschriebenen Haus- aufgaben aber einer bloßen Durchsicht, und zwar nur zu dem Zwecke unterzogen werden, damit der Lehrer für eine wöchentlich anzusetzende, der Verbesserung der Aufgaben gewidmete Unterrichtsstunde, in welcher sowohl logische als auch stilistische, grammatische oder orthographische Mängel solcher Schülerarbeiten eine mündliche oder

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schriftliche Behandlung zu erfahren haben, die entsprechenden Beispiele sammeln und letztere bei der Vorbereitung der durch den Schüler vorzunehmenden Verbesserung planmäßig verwenden könne.

2. Die Bürgerschullehrer-Conferenz des ... Inspectionsbezirkes unterbreitet dem löblichen Bezirksschulrath das Ansuchen, derselbe wolle dieses methodische Verfahren in bestimmter Weise als zulässig erklären, ohne dass dadurch eine anderweitige, zweck- mäßigere Gestaltung des Aufgabenwesens behindert werden soll.

(Angenommen von den Bürgerschul-Conferenzen des I., II., III., IV., V., VIIL, IX., X. und XI. Inspectionsbezirkes in Wien am 4. Juli 1900; abgelehnt von der B.-Conf. des VI. Insp.-Bez. mit dem Beschlusse, dass die Aufgaben auf monatlich eine Haus- und eine Schularbeit beschränkt werden sollen; endlich zur bloßen Kenntnis genommen von der B.-Conf. des VII. Insp.-Bez., u. zw. mit dem Beisatze, dass der 1öbl, Bezirksschulrath ersucht werde, die gedruckten Berichte schon einige Zeit vor Abhaltung der Conferenz den Mitgliedern derselben bekanntzugeben.)

29. Die Verbesserung der Sprachaufgaben in der Bürgerschule.

(Thesen siehe S. 52 dieses Jahrbuches. Angenommen von der Wr. päd. Ges. am 13. Jänner 1900; Antragsteller B.-D. M. Zens.)

30. Die Zerstreutheit unserer Zeit.

Unsere nervös überhastete, oberflächliche, mit Luxusware überfüllte Zeit der Übercultur mit ihrem Mangel an sinniger Freude und inniger Vertiefung ist dem gründ- lichen Unterrichte und der gediegenen Bildung der Jugend nicht günstig und erzeugt jene immer mehr sich steigernde Zerstreutheit, welche ein modernes Haupthindernis gedeihlicher Jugenderziehung bildet.

Es möge diesbezüglich von Haus und Schule vorgesehen werden:

A. ı. Eltern und Lehrer mögen nicht selbst der Jugend Zerstreutheit zeigen.

2. Der Überfluss an Spielwaren, Büchern, Bildern, wie sie massenhaft und in blendender Ausstattung erzeugt werden, ist den Kindern ferne zu halten und ihnen nur wenig, aber Gediegenes zu bieten.

3. Es ist der Jugend die Gelegenheit zu entziehen, an den betäubenden Vor- gängen auf der Straße, den unkindlichen Schaustellungen, Vergnügungen etc. theil- zunehmen.

4. Sie ist hingegen häufig in die Natur zu führen und mit Gartenarbeit zu beschäftigen.

.5. Die einheitliche Grundstimmung der kindlichen Seele ist möglichst zu schonen durch Ruhe und Einfachheit der Lebensführung im Hause.

B. ı. Der Unterrichtsstoff werde auf das Nothwendigste beschränkt. Zu rascher Wechsel in den Gegenständen und Überbürdung mit Aufgaben und Strafarbeiten ist zu vermeiden.

2. Der Unterricht ist möglichst fesselnd zu gestalten, und da man von dem Kinde nicht für jedes Fach die gleiche Hingabe verlangen kann, was Abneigung gegen die Schule überhaupt hervorrufen würde, so biete man ihm Gelegenheit, sich zunächst in einem Gegenstande auszuzeichnen, für den es besonders veranlagt ist.

3. Das geistige Beharrungsvermögen ist stetig, mit Geduld und pädagogischer Einsicht zu üben und zu kräftigen.

(Aus der »Deutsch-österr. Lehrerzeitung«, Jahrg. 4, Nr. 21, vom Verfasser O.-L. J- Jelem-Unter-Eggendorf.)

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31. Das Vergessen.

1. Die alte Methode des Unterrichtes war im allgemeinen auf Weckung und Übung der Gedächtniskraft berechnet.

2. Die Bildung der Urtheilskraft, die Entwicklung zur Selbständigkeit und die Bildung der Phantasie wurden vernachlässigt.

3. Gedächtniswissen ist überhaupt kein Wissen; nur bei gleichzeitig sich gut entwickelnder Denkkraft wird das geübte Gedächtnis seinen vollen Wert erreichen.

4. Der moderne Lehrer nimmt zwar auch das Gedächtnis bezüglich seiner Dienst- barkeit, Treue und Dauerhaftigkeit in Schulung; seine eigentliche Aufgabe ist aber eine weit höhere: er hat zur selbständigen Auffassung der Dinge zu erziehen, er soll den Grund legen zur gesetzmäßigen Angliederung von Vorstellungen zu denksicheren Vor- stellungsgruppen, die das »freie Merken« ermöglichen, er soll das Urtheil schärfen, das Vorurtheil beseitigen und hinüberleiten zu jener Höhe geistiger Ausbildung, auf welcher die Beziehungen der Begriffe treffsicher erkannt werden, er soll die Einbildungs- kraft auf schönen Wegen erstarken lassen und die oft wenig form- und farbschönen Gebilde derselben zu regeln suchen, er soll dass Gemüth in weise, zarte Aufsicht nehmen und die Stigmen des späteren Charakters, die gut vermittelten Lehren (die späteren Grundsätze) in den kindlichen Geist einsenken.

5. Alle hierauf abzielenden Bestrebungen nehmen ihren Ausgangspunkt von der guten Vermittlung der Vorstellungen (der Erinnerungsbilder an die gehabten Empfin- dungen).

6. Die Summe dieser Erinnerungsbilder ist die Grundlage für den großen geistigen Schatz, über den wir gebieten; von dem Reichthum und der Güte der Vor- stellungen in Hinsicht auf ihre Wahrheit und Treue, Sittlichkeit und Schönheit hängt die Qualität unseres Seelenlebens überhaupt ab.

7. Die Gefühle, das Begehren und Wollen sind in letzter Reihe von Vorstellungen abhäugig und werden durch sie geregelt.

8. Gedächtniswissen ist für die flotte Bewegung unserer Vorstellungsmassen eine Hemmung.

(Nach der »Fr. Schul-Zeitung«, Jahrg. 26, Nr. ıI, vom Verfasser B.-D. Konrad Moißl-Aussig.)

32. Die Wiederholung im Unterrichte.

I. Wiederholt, zurückgeholt kann nur das werden, was schon geistiges Eigenthum der Schüler geworden ist.

2. Der Unterricht muss auf die Wiederholung in geeigneter Weise vorbereiten, indem Wichtiges oder Schwieriges ausdrücklich als solches bezeichnet wird.

3. Jedem Unterrichte hat sich sofort die Wiederholung anzuschließen ; diese muss. abschnittweise vorgenommen werden.

4. Nach jedem »Ganzen«, gegen Ende eines Quartales oder des Schuljahres, sind zusammenhängende Wiederholungen anzustellen.

5. Jede Unterrichtsstunde beginne mit einer Wiederholung im kleinen, jedes. Schuljahr mit einer Wiederholung im großen; zu Beginn des Wintersemesters sind besonders die »Sommerbefreiten« zu berücksichtigen.

6. Der Lehrer muss trachten, für jede Wiederholung die nöthige Zeit zu erübrigen.

(Angenommen von der Bezirkslehrer-Conferenz Feldbach am 13. September 1899: Referent Jul. Schroll-Kirchbach.)

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33. Reform der Lehrpläne.

I. Die Sprachlehre verlangt im Sinne der in der Landeslehrer-Conferenz vom Jahre 1896 aufgestellten und vom k. k. schles. Landesschulrathe zur Darnachachtung herausgegebenen Sätze über den Betrieb des grammatischen Unterrichts in der Volks- und Bürgerschule eine Änderung der Lehrstoffvertheilung und der in Verwendung stehenden Lehrbücher.

2. Der heimatkundliche Unterricht bedarf eines noch engeren Anschlusses an die Natur und an das Leben als bisher.

Mit der unterrichtlichen Verwertung der zu diesem Zwecke planmäßig vorbereiteten Excursionen ist stets das Zeichnen zu verbinden, wodurch der sinnliche Eindruck ver- tieft, die Auffassung mehr gesichert und das Kartenverständnis angebahnt werden soll.

Mit dem erdkundlichen Unterrichte in der 3. und 4. Classe ist als wichtiger Bestandtheil der Heimatkunde heimatliche Sage und Geschichte aufs innigste zu ver- binden; ein gesonderter Geschichtsunterricht soll erst in der 5. Classe auftreten und sich hier auf die Vorführung einzelner Geschichtsbilder aus der österr. Geschichte beschränken.

Die einfache zeichnerische Darstellung soll in den Realien zum mindesten bei topographischen Gegenständen thunlichste Anwendung finden. Skizze und kurze Zusam- menfassung des verarbeiteten Stoffes werden in ein Merkheft eingetragen. |

Den besten Erfolg im heimatkundlichen Unterrichte sichert sich der Lehrer, wenn er im Rahmen des allgemeinen Lehrplanes den einschlägigen Stoff sich selber sucht und nach mustergiltigen Vorbildern zusammenstellt. (Prüll, Kerschensteiner, Heimatkunde für den Schulbezirk Bielitz, städtische Urkunden, die österr.-ungar. Mon- archie in Wort und Bild.)

3. Die geographische und geschichtliche Lehrstoffvertheilung wird gegenwärtig von den concentrischen Kreisen beherrscht; an Stelle dessen sollte eine fortschreitende Lehrstoffvertheilung wenigstens in der Bürgerschule treten. Unter dieser Voraussetzung würde sich für die Bürgerschule etwa folgende Stoffvertheilung ergeben (abgesehen von der astronomischen Geographie):

I. Classe. Geographie: Die Erdtheile; physikalische und politische Geographie mit Ausschluss der politischen Geographie Europas. Geschichte: Von dem Auftreten der Germanen bis zum Schlusse des Mittelalters.

II. Classe. Geographie: Europa mit besonderer Berücksichtigung Mitteleuropas. Geschichte: Die Neuzeit bis zur französischen Revolution.

III. Classe. Geographie: Österreich-Ungarn in allen culturellen Beziehungen im Inlande und zum Auslande. Geschichte: Von der französischen Revolution bis zur Gegenwart; geschichtlicher Rückblick auf das Gesammtgebiet der Geschichte mit beson- derer Berücksichtigung der territorialen Entwicklung und Verfassung Österreichs.

4. Die Durchführung einer solchen oder ähnlichen Lehrstoffvertheilung hat natür- lich die Änderung der im Gebrauche stehenden Lehrbücher zur Voraussetzung, und es ist hiebei die Ausarbeitung und Einführung eintheiliger Realienbücher anzustreben.

(Angenommen von der Bezirkslehrer-Conferenz Bielitz-Stadt am 28. März 1900; Referent Dir. Böhm-Bielitz.)

34. Über die Revision des Normallehrplanes für fünfelassige Volksschulen, in. welchen jeder Classe ein Schuljahr entspricht. (Beschlüsse der VI. n.-ö. Landeslehrer-Conferenz zu Wien am 14. Sept. 1898, siehe S. 28 ff. dieses Jahrbuches; Referent V.-L. Jos. Krapfenbauer-Wien.) Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1900. 11

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35. Streiflichter aus der einelassig-getheilten Volksschule.

ı. Da der Halbtagsunterricht an Landschulen nur als ein Überbleibsel aus den Zeiten der Concordatsschule betrachtet werden muss und weder dem modernen Zeit- geiste noch dem Bildungsbedürfnisse der Landbevölkerung entspricht, da er sogar eine Zurücksetzung und Verkürzung letzterer im Verhältnisse zur Stadtbewohnerschaft bedeutet; da er ferner die Erreichung des Lehrzieles bei geringer Veranlagung des Schülermateriales ganz und gar ausschließt, bei mittelmäßig veraulagten Schülern (dem Gros der meisten Landschulen) auch bei ununterbrochenem Schulbesuche und aufreibender Thätigkeit des Lehrers nicht vollständig sichert; da weiters vorstehende Übelstände größtentheils dem bei Halbtagsunterricht ganz unzureichenden Zeitausmaße für den directen Unterricht entspringen, und da durch denselben infolge zu vieler den Schülern zur Ver- fügung stehenden schulfreien Zeit und im Verkehre mit leichtsinnigem Gesinde die Mo- ralität der Schuljugend stark gefährdet wird: so ist derselbe ganz und gar abzuschaffen,

2. Solange dies nicht erreicht werden kann, ist an der einclassig-getheilten Volks- schule jede Art von Schulbesuchserleichterung aufzuheben, da der Halbtagsunterricht ohnehin schon die denkbar ausgiebigste Art einer solchen ist, von der Bevölkerung aber als Schulbefreiung angesehen noch dazu den Schulbesuch schädigt, weil das Schul- besuchserleichterung genießende Kind in der Regel außer Haus (in eine Lehre, in den Dienst u. s. w.) kommt und das nächstältere Kind infolge der ihm nun zufallenden Arbeitsmithilfe in Haus und Feld häufig dem Unterrichte entzogen wird.

3. Solange man an der veralteten Einrichtung des Halbtagsunterrichtes noch fest - hält, setze man behufs leichterer Erreichung des Lehrzieles die Maximalzahl der Schüler an der einclassig-getbeilten Volksschule auf 60 herab und sorge bei größerer Schüler- zahl für die Vermehrung der Classen an diesen Schulen. |

4. Für die Beschaffung der nöthigen Lehr- und Lernmittel hat der Bezirk zu sorgen.

5. Der verwerfliche Brauch, schulpflichtige Kinder in Dienst zu nehmen, was einer vorzeitigen Ausnützung ihrer Kräfte gleichkommt, und womit gewöhnlich ein körperlicher, geistiger und moralischer Verfall derselben herbeigeführt wird, ist gesetz- lich zu verbieten.

6. Es ist unausgesetzt zu fordern, dass auch auf dem Dorfe sämmtliche Schul- localitäten in einen zweckentsprechenden Zustand gesetzt werden.

7. Die Lehrerschaft spricht den Wunsch aus, dass über die in Dienst befind- lichen Schulkinder statistische Erhebungen gepflogen werden, auf dass die Ausbreitung dieses unmoralisc.:en Brauches amtlich festgestellt, hernach aber auch strenge be- kämpft werde.

(Aufgestellt im Bezirkslehrerverein Römerstadt am 2ı. November 1899; Refe- rent S.-L. Franz Kranich-Doberseik.)

36. Vorgang beim Abtheilungsunterrichte in der Sprache und im Rechnen.

A. Allgemeine Thesen. ı. Der Abtheilungsunterricht ist nach dem Ufrtheile hervorragender Fachmänner nur ein »trauriger Nothbehelf«; die »stille Beschäftigung« kant niemals als gleichwertig mit dem directen Unterrichte angesehen werden.

2. Wo und wann immer thunlich, sollen die Abtheilungen ein und derselben Classe zusammengezogen werden und gemeinsamen directen Unterricht erhalten.

3. Der. indirecte Unterricht stehe mit dem directen in unmittelbarem Zusammen- hange; die »stille Beschäftigung« werde so gewählt, dass sie einerseits auch vom

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schwächsten Schüler ausgeführt werden kann, andererseits aber für begabte Schüler immer eine Erweiterung zulässt. |

4. Die Vertheilung des directen und indirecten Unterrichtes ergibt sich aus dem Unterrichtsbetriebe und kann nicht immer strenge nach dem vorgezeichneten Stunden- plane erfolgen.

B. Besondere Leitsätze. ı. Im Lesen wird in allen Classen aller Schul- kategorien, in denen das ı. Schuljahr nicht eine eigene Abtheilung bildet, nur directer Unterricht ertheilt. |

2. Der Unterricht in der Sprachlehre ist in den obersten Classen der 3-, 4- und 5-classigen Volksschulen beiden Abtheilungen gemeinsam und direct zu ertheilen, wobei auf die gesteigerten Anforderungen der höheren Abtheilung gebürende Rücksicht zu nehmen ist. In den übrigen Classen, sowie an ein- und zweiclassigen Schulen ist eine Verbindung der Abtheilungen von Fall zu Fall behufs Einübung und Wiederholung des Stoffes zu empfehlen.

3. Im Rechtschreiben findet an den sub 2 bezeichneten Schulkategorien in allen Classen, mit Ausnahme der ı. Classe der dreiclassigen Schule, nur directer Unterricht statt, und es empfiehlt sich, den Lehrstoff in einem mehrjährigen Turnus zu behandeln.

An ein- und zweiclassigen Schulen wird der hierauf bezügliche Lehrstoff so angesetzt, dass für die höhere Abtheilung gleichzeitig eine Wiederholung des mit der unteren Abtheilung zu behandelnden Stoffes eintreten kann.

4. Die Stoffe für den mündlichen und schriftlichen Gedankenausdruck werden nach Thunlichkeit mit allen Abtheilungen derselben Classe gemeinsam besprochen; die Zusammenfassung und schriftliche Verwertung erfolgt abtheilungsweise. In der 2. und 3. Classe der dreiclassigen, sowie an 4- und 5-classigen Schulen wird der Abtheilungs- unterricht jedoch ganz aufgelasscn.

5. Der Rechenunterricht ist in der 2. Classe der dreiclassigen Schulen unter Zusammenlegung des Lehrstoffes beiden Abtheilungen gemeinsam und direct zu erthei- len; in allen andern Classen und Schulkategorien ist eine zeitweise Zusammenziehung der Abtheilungen besonders beim Kopfrechnen zu empfehlen.

(Angenommen in der Bezirkslehrer-Conferenz zu Nikolsburg am 4. Juli 1900; Referent J. Horntrich-Muschau.)

37. Über den ersten Leseunterricht.

I. Im ersten Leseunterrichte verursachen die Vorübungen und die allerersten Leseübungen (1.—8.Schulwoche) besondere Schwierigkeiten, da sie aber für die weiteren Erfolge des Unterrichtes von außerordentlicher Bedeutung sind, so müssen sie mit beson- derer Sorgfalt betrieben werden.

2. Die eingeführten Fibeln sind nicht darnach angethan, den Lehrer bei dieser Arbeit hinreichend zu unterstützen; zu früh in Gebrauch genommen, hindern sie ihn geradezu, der eigenen, besseren Einsicht zu folgen.

3. Von den bestehenden Leselehrmethoden gestattet nur die gewöhnliche Schreib- lesemethode eine zweckentsprechende Anordnung des Stoffes für die ersten Leseübungen. Hiebei ist der Grundsatz geltend, nicht zu trennen, was seiner Natur nach zusammengehört.

4. Damit diesem Grundsatze entsprochen werden könne, ist es nothwendig, dass der eigentliche Leseunterricht mit der Vorführung der Reinlaute und der Zeichen hie- für beginne. Im Interesse leichterer Silben-(Wort-)Bildung tritt noch »ei« ‚hinzu. Die Reihenfolge ist folgende: a, e, i; a, 0, u; ei.

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5. Der Lehrer dringe auf correcte Aussprache der Laute, lasse die Mundstellung beachten und belehre die Schüler, soweit dies thunlich ist, in welcher Weise die ein- zelnen Laute hervorgebracht werden. Die Laute werden gesprochen (gesungen) und geflüstert.

6. Von den Mitlauten kommen zunächst jene, welche gedehnt gesprochen (ge- sungen) werden können die sogenannten Halbvocale zur Behandlung; am besten wird es sein, mit »m« zu beginnen und dann etwa »1« oder »s« folgen zu lassen. Zu vermeiden ist, dass »n« und »m« unmittelbar nacheinander behandelt werden.

7. Das pausenlose Verbinden der Laute zu Silben muss entsprechend gelehrt, unter Umständen richtig vorgemacht werden. Es liegt in der.Natur der Silben, zum mindesten der betonten, dass der Vocal stärker hervortritt als die“\Consonanten. Geht der tönende Consonant dem Vocale voraus, so finde ein Anschwellen, im entgegen- gesetzten Falle ein Abschwächen des Tones statt.

8. Die ersten Leseübungen sind so zu gestalten, dass zunächst die Buchstaben für die Selbstlaute an die Tafel geschrieben und gelesen werden und dann\durch Hin- zufügen schon vorgeführter Mitlaute eine Leseübung, durch weiteres Hinzufügen von Mitlauten, eventuell Vorsetzen oder Anreihen schon behandelter Wörter ei zweite Leseübung u. s. w. entstehe. (Tafelbilder.)

g. Auch bei den weiteren Leseübungen ist das Augenmerk zuerst auf die zu richten, da durch diese die Mundstellung für die vorausgehenden oder nachfolgenxden Consonanten bedingt erscheint und die Schüler einen Überblick gewinnen, der ihn&n das Lesen wesentlich erleichtert. (Z. B. »aus-la-chen die Schüler lesen zuerst: »au, a, und dann erst »auslachen«.)

(Aufgestellt im Grazer Lehrerverein am 23. Mai 1900; Referent ÜU.-L. Josef Gauby-Graz.)

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38. Dietatvorbereitung als Hausaufgabe.

I. Die Erfahrung lehrt uns, dass bei einem Theile der Schüler das Auge, bei einem andern Theil das Ohr die Hauptstütze für ein richtiges Schreiben ist; daher hat der Lehrer beide Sinne gleichmäßig zu berücksichtigen.

2. Wenn man im gesammten Unterrichte auf lautrichtiges Sprechen dringt, wenn der erste Leseunterricht auf dem Zerlegen der Sätze bis auf die Laute und auf einem deutlichen Hören der letzteren beruht, wenn der gesammte spätere Leseunterricht in den Dienst der Rechtschreibung gestellt wird, so ist hiebei ausschließlich das Ohr in Anspruch genommen.

3. Obwohl das Ohr auch beim Rechtschreibunterricht im engeren Sinne nicht unberücksichtigt bleibt, so soll doch hier das Auge ganz besonders in Anspruch ge- nommen werden.

4. Schon auf der Unterstufe sind die Übungen im Abschreiben zu beschränken und durch Dictate zu ersctzen.

5. Auf dieser Stufe sind den Schülern die Dictate vorher bekanntzugeben, damit sie eingehend vorbereitet werden. Mittel zur Vorbereitung sind: Aufmerksames stilles Durchlesen, lautrichtiges lautes Lesen, fehlerloses Abschreiben, Dictieren von Seite der Eltern, Geschwister oder Bonnen, allenfalls Niederschreiben aus dem Gedächtnisse, Aus- besserung durch andere oder nach dem Buche.

6. Zum ganz freien (unvorbereiteten) Dictate auf der Oberstufe aht die Mittel- stufe den Übergang zu bieten.

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(Aus dem »Österr. Schulboten«, Jahrg. 49, Nr. ıı, vom Verfasser Anton Kollitsch, k. k. Übungsschullehrer in Klagenfurt.)

39. Der mündliche und schriftliche Gedankenausdruck in der Volksschule.

ı. Der Gedankenausdruck ist ein wichtiger Factor im Volksschulunterrichte, indem er zur Pflege der formalen Geistesbildung wesentlich beiträgt.

2. Der mündliche Gedankenausdruck wurde früher sorgfältiger gepflegt als heute, wo die Verarbeitung des übrigen Lehrstoffes eine sehr geraume Zeit in Anspruch nimmt.

3. Die Befähigung zum mündlichen Gedankenausdruck ist in der Schuljugend in sehr ungleichem Maße vorhanden. Der Grund hievon liegt sowohl in der verschieden- artigen Vertheilung der Geistesgaben, als auch in der äußeren Gestaltung des Unter- richtes überhaupt.

4. Der mit Erlass des hohen Landesschulrathes von der Lehrerschaft geforderten größeren Pflege des Gedankenausdruckes könnte Rechnung getragen werden:

a) Durch Anschluss des mündlichen Gedankenausdruckes an den Anschauungs- unterricht in der Elementarclasse,

5) durch die Wiedergabe kleiner Erzählungen abschnittweise sowie im Zusammen- hange im 2. Schuljahre,

c) durch die Wiedergabe längerer Lesestücke erzählenden Inhaltes im 3. Schul- jahre mit gleichzeitiger Anbahnung der Wiedergabe des Gelesenen mit eigenen Worten,

d) durch häufige Übung der freien Wiedergabe in den folgenden Schuljahren.

6. Die dialectische Ausdrucksweise ist mit Rücksicht auf den Hauptzweck des Sprachunterrichtes, nämlich die Pflege der Schriftsprache, in der Volksschule zu vermeiden.

7. Die Befähigung zum schriftlichen Gedankenausdruck wird vorzugsweise durch Aufsätze erreicht, deren Vorbereitung in solcher Weise erfolgt, dass die Selb- ständigkeit der Schüler bezüglich der Gestaltungsfreiheit nicht behindert wird. Die Aufsätze müssen dem Erfahrungskreise des Schülers, insbesondere dem Lesestoffe ent- nommen werden.

8. Auf der Mittelstufe der Volksschule soll die Bearbeitung der Aufsätze nach gestellten Fragen erfolgen, um die Kinder allmählich an eine correcte Ausdrucksweise zu gewöhnen. (Wer richtig schreiben will, muss erst richtig sprechen lernen.)

g. Bei Abfassung von Briefen, Bittgesuchen und Geschäftsaufsätzen muss nicht nur auf richtige stilistische Formen, sondern auch auf die rechtlichen Erfordernisse gesehen werden.

(Angenommen im Lehrerverein Knittelfeld und Leoben zu St. Lorenzen am 3. Mai 1900; Referent M. Plaichinger-Konittelfeld.)

40. Der Aufsatzunterricht in der Volksschule.

1. Die Elementarstufe ist grundlegend für jeden Unterrichtszweig, mithin auch für den Aufsatzunterricht; deshalb muss schon hier der Schwerpunkt auf die Bildung und Veredelung des für einen gedeihlichen Aufsatzunterricht unentbehrlichen Sprach- gefühles gelegt werden. Die Fähigkeit der schriftlichen Wiedergabe der Gedanken kann sich nur aus der sorgfältigen Pflege einer gediegenen mündlichen Sprachgewandtheit und Ausdrucksfähigkeit ergeben.

2. Die Aufsatzübungen der Volksschule können nur Reproductionen sein; nur der Oberstufe dürfen Stilibungen vorbehalten bleiben, welche in Bezug auf selbständige Bethätigung des Schülers an denselben erhöhte Anforderungen stellen.

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3. Jeder Aufsatz erheischt eine gründliche Vorbereitung, und es kommt haupt- sächlich auf eine ganz besondere Sorgfalt bei der Auswahl des Stoffes an. Diesem müssen die Schüler von vornherein ein hohes Interesse entgegenbringen können.

4. Die Stoffe zu Aufsatzübungen ergeben sich vorzugsweise aus der Lesestunde, aber auch aus dem übrigen Unterricht, sowie durch Beobachtung von Naturerschei- nungen. Auf Grundlage einer in gemeinschaftlicher Arbeit aufgestellten Disposition wird die mündliche Vorbereitung getroffen und hierauf die Niederschrift vorgenommen.

5. Geschäftsaufsätze gehören ihrer feststehenden Form wegen nicht in das Gebiet des eigentlichen Aufsatzunterrichtes.

(Aufgestellt im deutsch-pädagog. Vereine Bielitz-Biala am 10. März 1900; Refe- rent K. Stefko.)

41. Die Aufsatzübungen mit besonderer Berücksichtigung der Bürgerschule.

Thesen siehe a) S. 51 dieses Jahrbuches (aufgestellt in der Wr. päd. Ges. am 4- November 1899 von B.-L. S. Kuhner), 5) S. 53 daselbst (angenommen von der 273. Plenarversammlung der Wr. päd. Ges.).

42. Anregungen zur Pflege der Heimatskunde.

I. Die Pflege der Heimatskunde beschränke sich nicht auf eine geringe Zahl von Schuljahren, sondern finde ihre Stätte vom 3. oder 4. Schuljahre an in allen Classen der Volks- und Bürgerschule. |

2. Die Heimatskuude umfasse nicht nür die Gebiete der Erdkunde und Geschichte, sondern auch das Bereich der Naturkunde.

3. Die erdkundliche Kenntnis der Heimat gehe vom Schulzimmer, dem Schul- hause und dessen Umgebung zum Heimatsorte, zum Bezirke, Kronlande und Kaiser- staate über und werde durch Rundgänge im Schulorte und in dessen nächster Nachbar- schaft, sowie durch stufenmäßig angelegte Pläne und Karten vermittelt.

4. Der geschichtliche Theil der Heimatkunde beginne mit den in der Gegend des Heimatsortes üblichen volksthümlichen Sagen, denen sich orts- und culturgeschicht- liche Belehrungen über die Entwickelung des Heimatsortes, immer mit passender An- lehnung an den behandelten Geschichtsstoff, anschließen.

5. Die Naturgeschichte werde so behandelt, dass dem Schüler zuerst die Bekannt- schaft mit den Thieren, Pflanzen und (Gesteinen der nächsten Umgebung vermittelt werde und später eine Erweiterung der gewonnenen Kenntnisse erfolge. Wirkliche Anschauung, Wanderungen im Freien, Anleitung zur Beobachtung der Natur werden. zum gewünschten Ziele. führen. Daran reihe sich die Vorführung der fremden Cultur- pflanzen, deren Gebrauch sich im Hause eingebürgert hat, oder welche für Gewerbe oder Industrie des Heimatsortes von Bedeutung sind.

6. Der Unterricht in der Naturlehre befasse sich auf der Oberstufe eingehend mit der Behandlung der im Heimatsorte bestehenden gewerblichen und industriellen Unternehmungen und erkläre die bei deren Betriebe in Verwendung befindlichen Maschinen, so weit es das Verständnis des Kindes zulässt. Besuche in Fabriken und größeren Werkstätten sind dabei unerlässlich.

7. Was auf den unteren Stufen gelehrt und gelernt worden, muss in den oberen Classen und Abtheilungen stets wiederholt und erweitert werden.

8. Im 8. Schuljahre erfolge die Zusammenfassung des gesammten bewältigten Stoffes zu einem klaren Bilde des Heimatsortes und seiner Entwickelung, das den scheidenden Schüler in das Leben hinausbegleiten soll.

167 (Aufgestellt in der Bezirkslehrer-Conferenz zu Hohenelbe am 6. October co Referent B.-D. Emil Weiss-Hohenelbe.)

43. Der Geographieunterricht. . Bei Ertheilung des Geographieunterrichtes ist Geist und Gemüth des Kindes in a Weise zu berücksichtigen,

2. Der heimatkundliche Unterricht hat das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das Stammesbewusstsein zu wecken und zu beleben.

3. Bei Verwendung von Plänen im Unterrichte stellt ‚man an das Kind eine dreifache geistige Anforderung:

a) Das Kind hat sich das im Plane Dargestellte räumlich vorzustellen.

b) Es hat das räumlich Vorgestellte geistig in die Wirklichkeit zu übertragen.

c) Es hat die Weltgegenden einzuordnen.

Um diese dreifache geistige Arbeit in eine einfache zu verwandeln, sollen Pläne nur in Verbindung mit einfachen Modellen des betreffenden Objectes vorgeführt werden.

4. Schon beim ersten Geographieunterrichte ist das Verständnis der Karte anzu- bahnen, u. zw. geschieht dies am besten durch besondere Lehrmittel.

5. Bei der Lehre vom Heimatsorte und seiner !Jmgebung ist die plastische Tafel zu verwenden. (Ein nach Art des plastischen Tisches hergerichtetes rechteckiges Brett mit Rahmen, das an die Schultafel angehängt werden kann.) An dieser Dar- stellung müssen sich die Kinder erst vollauf zurechtfinden, dann folgt die Unterweisung durch die Planskizze und dann erst durch die Plankarte.

6. Die Bezeichnung des Berges geschieht naturgemäßer durch zwei Schichten- linien, als durch das von der projectiven Darstellung der Pyramide abstrahierte Kreuzchen.

7. Von der Erzählung, Beschreibung und Schilderung ist der weitgehendste Gebrauch zu machen, um Leben zu schaffen, wo Leben sein soll.

8. Die ausschließliche Verwendung von Relief- oder Reliefbildkarten kann nicht unser Ideal im Geographieunterrichte sein, sondern in dieser Hinsicht das volle Ver- ständnis der im praktischen Leben in Verwendung stehenden Plankarte (einschließlich der Generalstabskarte der Heimatszone auf der Oberstufe).

g. Die Leitsterne des Geographieunterrichtes müssen sein: Freiheit des Geistes, Stammesbewusstsein, Vaterland.

(Angenommen von der Versammlung des »Freien Lehrervereines des Schulbez. Gabel« zu Postrum am 9. December 1899; Referent B.-L. Paul Abraham- Zwickau i. B.)

44. Unsere Schulkartographie.

Thesen siehe S. 69 dieses Jahrbuches. (Aufgestellt in der Wr. päd. Gesellschaft

am 3. März 1900 von B.-L. Karl Kratochwil.)

45. Inwiefern ist der Lehrplan der Geographie, insbesondere der

mathematischen Geographie, reformbedürftig?

I. Im Interesse eines erfolgreicheren Unterrichtes ist es höchst wünschenswert, dass der Lehrstoff der Geographie, den der Lehrplan vom ı. April 1834 vorschreibt, zweckmäßiger auf die drei Jahrcesstufen der Bürgerschule vertheilt werde.

2. Unbedingt nothwendig ist die Beseitigung der sogenannten concentrischen Kreise aus diesem Lehrplane.

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3. Die Bürgerschule muss auf der von der Volksschule geschaffenen Grundlage weiterbauen. Der Übergang vom geographischen Lehrstoffe der V. Volksschulclasse zu dem der I. Bürgerschulclasse ist nach dem gegenwärtigen Lehrplane höchst lückenhaft, da es dem pädagogischen Grundsatze »Schreite vom Nahen zum Fernen, vom Bekannten zum Unbekannten!« u. s. w. gänzlich widerspricht, wenn nach der Besprechung der 'österreichisch-ungarischen Monarchie und der politischen Eintheilung Europas sogleich die mathematische Geographie behandelt wird. |

4. Das Interesse der Schüler für Geographie erlahmt, wenn gleich nach dem Austritte aus der Volksschule, in der jeder Unterricht auf Anschauung basiert, mehrere Wochen hindurch nur mathematische Geographie betrieben wird. 11— 12-jährige Schüler haben auch noch nicht das nöthige Verständnis für den Lehrstoff aus der astronomischen Geographie, mit dem nach dem BESOTAIEER Lehrplane die I. Classe der Bürgerschule überlastet ist.

5. Die Kenntnis des Vaterlandes und seiner Nichbatländer ist für das praktische Leben viel wichtiger, als die für die I. Classe der Bürgerschule vorgeschriebene allge- meine Übersicht der Erdtheile nach horizontaler und verticaler Gliederung.

6. Dadurch, dass der officielle Lehrplan für die I. Classe die Kenntnis der hori- zontalen und verticalen Gliederung, hingegen erst in der II. Classe die politische Ein- theilung der gesammten Erdoberfläche verlangt, werden physikalische und politische Geographie eines jeden Landes getrennt, während doch auf die innigen Wechselbezie- hungen zwischen Bodenbeschaffenheit, Bewässerung, Klima, Producte, Beschäftigung der Bewohner, Staatenbildung etc. stets hingewiesen werden muss.

7. Der Lehrstoff für die II. Classe ist entschieden zu umfangreich, da nebst dem Pensum aus der astronomischen Geographie die ganze Erdoberfläche in politischer Hin- sicht durchgenommen werden soll, wobei man aber Bodenbeschaffenheit, Bewässerung, Klima, Natur- und Kunsterzeugnisse etc. nicht unberücksichtigt lassen kann.

8. In der I. Classe der Mittelschulen ist bei größerem Stundenausmaße (wöchent- lich 3 Stunden nur für Geographie) und besserem Schülermaterial der Lehrstoff, namentlich der mathematischen ‚Geographie, Berner als in der I. Classe der Bür- gerschule.

(Aus der »Österr. Bürgerschul- "Feitungs Tabs: 25, Nr. 5, vom Verfasser B.-L. Joh. Reichert-Wien.)

46. Zum Unterrichte in der astronomischen Geographie.

1. Die Kenntnisse aus der astronomischen Geographie (bez. Weltkunde) sind in vielen elementaren und mittleren österreichischen Schulen im Durchschnitte nur geringe.

2. Die Ursachen liegen darin, dass durch diesen an sich schwierigen Unterricht die sinnliche und geistige Anschauung theils nicht ausreichend gefördert werden kann, theils nicht entsprechend gefördert wird. Sie kann nicht gefördert werden mit Rück- sicht auf die gegenwärtige unbegründete Stellung dieses Unterrichtszweiges in vielen Lehrplänen; sie wird nicht entsprechend gefördert wegen Mangel an directen Beobach- tungen, wegen der Geringschätzung jedes Veranschaulichungsmittels oder aber wegen des ausschließlichen Gebrauches von Demonstrationsapparaten.

3. Die astronomische Geographie, der grundlegende Unterrichtszweig der Erd- kunde, sollte vom 3. Schuljahre an auf jeder Unterrichtsstufe gelehrt werden.

4. In der Volksschule mit 4 bis 5 Schuljahren, wo bloß die Orts-, Landes- und Vaterlandskunde gelehrt wird, sollten gar keine Veranschaulichungsmittel gebraucht

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werden. Der Unterricht in der astronomischen Geographie muss sich auf dieser Stufe nur auf gelegentliche Beobachtungen der Wirklichkeit beschränken; wo solche Beobach- tungen nicht möglich sind, dort verzichte man auf diese schwierige Disciplin. Lieber gar nichts, als etwas Unklares und Unverständliches.

5. Auf der Oberstufe der Volksschule wie in der Bürgerschule, wo abgerundete Gemälde aus der Erdkunde ‚vorgeführt werden, sollen zur Ertheilung eines mehr syste- matischen anschaulichen Unterrichtes in der astronomischen Geographie auch Ver- anschaulichungsmittel benützt werden. Bei dem Gebrauche derselben muss man in der Regel an gelegentliche Beobachtungen (des Schülers) anknüpfen, in jedem Schuljahre mit den Elementen beginnen und nur ganz allmählich von den scheinbaren Bewe- gungen über dem heimatortlichen Horizont und über fremden Horizonten zu den wirk- lichen Bewegungen fortschreiten. Die Veranschaulichung der doppelten Bewegung der Erde und jener des Mondes kann nur als letzte Demonstration angesehen werden.

(Aus der »Fr. Schulzeiteitung«, Jahrgang 26, Nr. 25, vom Verfasser B.-L. F. Weczerza-Brünn.)

47. Schraffen- und Höhenlinienkarten.

1. Schraffen besagen auf Karten in größerem Maßstabe (1 : 75.000) wenig, auf Handkarten im Maßstabe I : 750.000, I : 1,000.000 oder gar I : 3,000.000 nichts Ver- lässliches mehr.

2. Schraffen mit Höhenlinien vereinigt sind deshalb nicht gut brauchbar, weil die Schraffen nicht selten die unteren helleren Höhenschichtentöne (in Farben) verdunkeln und so die angestrebte Klarheit wieder in Frage stellen, wenn nicht ganz aufheben. Auch wendet man gewöhulich bei dieser Art von Karten Höhenlinienstufen von 300 zu 300 m an, die bei gänzlicher Weglassung von Schraffen vermehrt und zwar von 200 zu 200 »: fortschreiten, in der Ebene von 100 zu 100 angewendet werden können,

3. Ein klares, technisch genaues Kartenbild geben nur die reinen Höhenlinien- karten mit vermehrten Höhenlinien.

Schraffenkarten sind zwar billig und leichter herstellbar, lassen aber Schleuder- haftigkeit und Oberflächlichkeit zu, während Höhenlinienkarten nur mit höheren Kosten herstellbar, aber sehr wertvoll sind. Auch ist im letzteren Falle der Kartograph schon wegen der technischen Herstellungsweise (photogr. Verkleinerung, Messtisch etc.) durch größte Genauigkeit gebunden.

4. Die Höhenlinien zeigen die Gestaltung der Höhenrücken, ihrer Breite, ihre Einschnürung, ihre Verzweigung, verdeutlichen die abgetrennten Höheninseln, sie be- weisen die Krümmung der Flüsse, erklären die Tracierung der Eisenbahnen, machen die Function der Pässe ersichtlich, lassen bei jedem Punkte auf der Karte einen deut- lichen Schluss auf dessen Höhenlage zu, von der ja sehr viel: das Klima, die Bebauung, eventuell auch die Beschäftigung der Bewohner u. s. w., abhängt.

5. Reliefbildkärtchen als photolithographische Copien von wirklichen plastischen Kartenkörpern verdienen in der Jetztzeit beim Streben nach getreuen Anschauungs- behelfen immerhin ihre Würdigung, und würde eine reine Höhenschichtenlinienkarte als technisch wertvolle Hauptkarte, die in einer Ecke oder an einer sonst günstig gelegenen Stelle auf dem Kartenblatte ein kleines Reliefbildchen brächte, eine ziemlich hohe Vollendung bez. der Anschaulichkeit im geographischen Unterrichte bedeuten.

(Aus der »Fr. Schul-Zeitung«, Jahrg. 26, Nr. 24, vom Verfasser H. Stelzig- Aussig.) |

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48. Inwiefern ist das Kartenskizzenzeichnen für den geographischen Unterricht von Bedeutung ?

I. Den Ausgangspunkt für die Belehrung in der physischen und politischen Geographie hat in der Bürgerschule die Landkarte zu bilden; die Skizze ist erst nach gründlicher Betrachtung derselben zu entwerfen.

2. Das Zeichnen von Kartenskizzen ist ein geeignetes Mittel zur Unterstützung der . Anschauung, und es wird durch dasselbe der Sinn für die räumliche Ausdehnung gebildet.

3. Durch das Entwerfen von Kartenskizzen wird die Selbstthätigkeit des Schülers gefördert, der Unterricht gewinnt an Leben und Interesse.

4. Das Zeichnen von Kartenskizzen unterstützt wesentlich das Kartenlesen, einen sehr wichtigen Theil des geographischen Unterrichtes.

5. Das Zeichnen von Kartenskizzen ermöglicht dem Schüler die richtige Auf- fassung und sichere Einprägung des behandelten Unterrichtsstoffes und ist ein wichtiges Hilfsmittel zur Wiederholung desselben.

6. Die Kartenskizze bringt Abwechslung in den Unterricht, zu der rein geistigen Thätigkeit kommt noch die der Hand hinzu; das Kartenskizzenzeichnen beugt der Ermüdung der Schüler vor und erhält diese in fortwährender reger Anspannung und intensiver Thätigkeit.

7. Von dem Schüler werde aber nur das in Form von Skizzen gezeichnet, was von ihm leicht entworfen werden kann und für die Einprägung des geographischen Stoffes wünschenswert ist. Insbesondere ist das Zeichnen von geographischen Individuen zu pflegen.

8. Von einem mechanischen Durch- und Abzeichnen mit gründlicher Ausnützung aller Verschönerungsmittel kann nie die Rede sein, das wäre thatsächlich geschäftiger Müßiggang und unnützerweise die Zeit dem Unterrichte entzogen.

(Als Ergebnis der Berathung in den amtlichen Wiener Bürgerschullehrer-Con- ferenzen 1898 vom Wr. Bezirksschulrathe an die Lehrkörper der Wr. Bürgerschulen mit der Aufforderung versendet, diese Thesen beim geographischen Unterrichte als me- thodisch-didaktischen Behelf zu berücksichtigen.)

49. Kartenskizzen im geographischen Unterrichte.

1. Kartenskizzen erfordern die Bethätigung verschiedener Seelenkräfte seitens der Schüler, lassen eine praktische Verwendung des geographischen Wissens zu und machen dieses dauerhafter; daher ist ihre Verwendung als Lehrmittel im geographischen Unter- richte nothwendig.

2. Die Kartenskizze steht der Landkarte an Vollkommenheit nach, deshalb soll jedes Land zuerst im Kartenbilde vorgeführt und nach demselben besprochen, dann erst gezeichnet werden.

3. Der, geographische Unterricht kann durch rasch und nett Auer äführie Skirren, die jedoch nicht für die Hand der Schüler bestimmt sind, belebt und verdeutlicht werden.

4. Zu zeichnen sind vor allem die Länder der österr.-ung. Monarchie, die übrigen geographischen Gebiete nur insoweit, als sie durch ihr Verhältnis zum Heimatstaat von besonderer Wichtigkeit sind.

5, Folgende Vertheilung wird empfohlen:

I. Classe: Der Heimatbezirk, Nieder- und Oberösterreich, Salzburg, Kärnten, Krain, Küstenland, Mähren und Schlesien.

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1I. Classe: Niederösterreich, Steiermark, Tirol, Dalmatien, Böhmen, der Rhein und die Elbe mit ihren Nebenflüssen, die lombardische Tiefebene und der Unterlauf der Donau.

III. Classe: Niederösterreich, das österreichische Alpen-, Karst-, Sudeten- und Karpathengebiet, der Donaustrom und Skizzen der Grenzgebiete, wie die Nordgrenze Böhmens, Mährens und Schlesiens mit der Elbe und Oder u. s. w.

6. Jede Skizze soll klar, deutlich, übersichtlich sein; sie darf also nur das Wich- tigste enthalten. Namen entfallen am besten gänzlich oder werden nur mit dem Anfangs- buchstaben eingetragen. Niemals darf von der Zeichnung gefordert werden, dass sie ein getreues Bild der Karte sei. |

7. Dem Faustzeichnen gebürt der Vorzug vor dem constructiven Zeichnen, vor allem dem ohne alle Hilfslinien.

8. Die Anfertigung jeder Skizze ist mit dem Zeichnen des Hauptstromes, als der wichtigsten Verkehrsader des Landes, zu beginnen. Eine Ausnahme bilden nur Küstenländer, bei denen zunächst die Küstenlinie zu entwerfen ist.

9. Dem Zeichnen geht immer ein genaues Anschauen der Karte voran. Vor- gang: Der Hauptstrom, die Verhältnisse seiner Abschnitte; die grenzbildenden Flüsse und Gebirge; Einzeichnen der anderen Flüsse, Seen, Canäle, Gebirge, Berge, Pässe, Städte; Prüfen der Skizze auf ihre Richtigkeit durch Aufsuchen der unter gleichem Meridian, bezw. Parallelkreise liegenden geographischen Punkte.

10. Zur Darstellung sind die einfachsten Zeichen, die sich möglichst an die Karte anschließen, zu verwenden.

Il. Um sinnloses Copieren hintanzuhalten, sind Kartenskizzen als häusliche Be- schäftigung im allgemeinen nicht zu verlangen; höchstens kann die Verbesserung und reinere Herstellung einer Skizze eine Hausarbeit ergeben.

ı2. Auf der obersten Stufe empfiehlt sich die Anfertigung von Skizzen der Um- gebung des Schulortes nach der Natur.

(Aufgestellt in der Bürgerschullehrer-Conferenz zu Mistelbach am 24. Juni 1899; Referent B.-L. Jos. Sladek-Laa a. d. Th.)

50. Centrallinienkarte.

1. Die geistbildende Frucht des gesammten geographischen Unterrichtes liegt einzig. und allein in der von der Wissenschaft schon lange für sich, jedoch keines- wegs für die Allgemeinheit erkannten Centrallinie. Sie allein führt uns zur Höhe der einen Welt- und Zeitanschauung.

2. Diesem hohen Zwecke entsprechend ist die Schulkartographie durch An- passung und Ausgestaltung des auf den Karten zum Ausdrucke gelangenden Linien- netzes einer gründlichen Vertiefung zu unterziehen, und zwar wie folgt:

a) Die bisher üblichen Meridiane (nach Greenwich u. s. w.) sind aufzulassen. Dafür haben die vierundzwanzig Stundenlinien des Volltages vom betreffen- den Orte (z. B. Wien) ausgehend Aufnahme zu finden. Dadurch werden mit einem Schlage sämmtliche Orte der Erde der Zeit nach in die engste Beziehung zu uns gesetzt; durch diese Stundenlinien wird die ganze Erdoberfläche in vierundzwanzig Stunden- streifen zerlegt, in denen die einzelnen Tages- und Nachtstunden durch die ein- geschlossenen Länder- und Meerestheile eine ungeahnt anschauliche, feststehende Ver- örtlichung finden: der abstracte Zeitbegriff wird concret.

db) Bei der Aufnahme der Breitenkreise ist nicht mehr, wie bisher üblich, das

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bloße arithmetische Verhältnis (von zu 50, von 10° zu 10°) zu berücksich- tigen, sondern die Aufnahme derselben ist lediglich von der den Breitekreisen inne- wohnenden natürlichen Wichtigkeit abhängig zu machen.

c) Endlich müssen die Gesichtskreisorte der betreffenden Erdstelle (z. B. Wien), sowie die Süd-, Nord-, Ost-, West-, Südost-, Südwest-, Nordost-, Nordwestorte derselben in Linien zu bildungskräftigem Ausdrucke gelangen.

‘3. Der Standpunkt unserer bisher üblichen Kartenbetrachtung ist überhaupt ein verfehlter: Unser Auge hat nicht nach Norden, sondern nach dem bedeutungsvollen Süden zu schauen. |

(Aufgestellt am g. Februar 1900 zu Wien im »Vereine der in Wr. Neustadt herangebildeten Lehrer« und am ı0. März im »Lehrervereine Liesing und Umgebung«e ; Referent Jakob Uhlmann-Wien.)

51. Ergebnisse der neueren Bestrebungen auf naturgeschichtliehem Gebiete.

I. Die Forderung des Lehrplanes nach Kenntnis der wichtigsten Körper in den drei Reichen mit Rücksicht auf die praktische Verwendung und deren Bedeutung im Haushalte der Natur im Sinne des gegenwärtigen beschreibenden Verfahrens ist nicht hinreichend, um für die Dauer ein nachhaltiges Wissen, eine Freude und ein lebhaftes Interesse an der Natur und hiemit eine Veredlung des Gemüthes hervorzurufen. Wie man die übrigen realistischen Fächer aus den Fesseln leeren Wortschalles in das Licht der Erkenntnis rückte, so empfiehlt sich gleich gründliche Behandlung auch für das naturgeschichtliche Fach, weil hier «) eine der reichsten Fundgruben für die Erklärung der interessantesten Erscheinungen, 5) durch die Betrachtung der herrlichen und groß- artigen, der Fassungskraft so naheliegenden Schöpfungswerke eine mächtige Anregung des Gemüthes, und c) in der Befähigung, die erworbenen Kenntnisse zu selbständiger Anwendung zu ziehen, eine mächtige Quelle für das Wollen und Handeln geboten wird.

2. Zur Erreichung dieses Zieles suchte man im Anschlusse an das beschreibende Verfahren der Mittelstufe, welches als solches für die aus reiner Anschauung ent- standenen Gedanken höchst wichtig ist,. für die Oberstufe an Stelle der Systematik und mit ihr der Auswahl der Repräsentanten alle die Individuen, wie sie sich in Garten, Feld, Wiese, Wald befinden und unter sich die sogenannten Lebensgemeinschaften bilden, hinsichtlich ihrer gegenseitigen Förderung und Bekämpfung zu besprechen und neben dieser Anordnung, die an und für sich ein praktisches Interesse besitzt, die ein- zelnen Thier- und Pflanzengestalten einer eingehenden Behandlung zu unterziehen, wobei die zur Lebensäußerung zugebote stehenden Mittel einer besonderen Berücksichtigung wert erachtet werden und die charakteristischen Merkmale die Grundlage für die Ein- reihung in ein System abgeben sollten. Neben der Beschreibung sollte sonach die Begründung des Wahrgenommenen, insofern dadurch das Causalverhältnis der Indivi- duen nachzuweisen wäre, in Behandlung treten.

3. Die Mannigfaltigkeit der in einer einzelnen Bebenpemengchatt stehenden Objecte und das Bestreben nach Frgründung ihrer gegenseitigen Beziehungen führte jedoch zur Erkenntnis, dass die rein äußerlichen Beziehungen der Individuen unter- einander ebensowenig ein bleibendes Interesse, als auch Anregungen für den Natursinn abzugeben fähig sind, sondern dass das Zusammenleben der Individuen auf Einrichtungen und Lebensverhältnisse zurückzuführen ist, die zu ergründen, eine mächtige Anregung und Schärfe des Geistes zur Folge hat, die den Begriff »Lebensgemeinschaft« nicht nach zufällig äußerlichen Merkmalen, sondern aus überzeugender Einsicht klarstellt.

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4. Inwiefern die Volksschule diese Ziele zu erreichen im Stande ist, hat die Er- fahrung unter Anwendung einer geeigneten Methode in glänzender Weise bewiesen und den eingeschlagenen Weg allseitiger Berücksichtigung für wert erachtet. In diesem Sinne werden nach Maßgabe der Schulkategorien und sonstiger Verhältnisse mehrere Individuen derselben Lebensgemeinschaft nacheinander einer eingehenden Behandlung in der Weise unterzogen, dass sämmtliche aus der Beschreibung sich darbietenden Wahrnehmungen auf ihren Grund ermittelt, dann die Einrichtung am einzelnen Wesen in Beziehung auf das Zusammenleben, wie nicht minder die Gestaltung desselben als Folge des Standortes ergründet wird, und die Zusammenfassung all der übereinstimmen- den Wahrnehmungen ein klares Bild der Zusammengehörigkeit, der Mittel zur gegen- seitigen Förderung, der Vertheidigungs- und Schutzvorrichtungen im Kampf ums Dasein, der weisen Gesetzmäßigkeit im Bau, überhaupt das Leben der Thiere und Pflanzen ein so inniges Bild der Wechselbeziehungen ergibt, dass neben der Mannigfaltigkeit der erworbenen Kenntnisse und der Fähigkeit zu selbständiger Anwendung alle geistigen Kräfte des Schülers die wohlthuendste Förderung finden.

5. Alle Ergebnisse werden abgeleitet: a) Durch Schlussfolgerungen auf die äußere Gestalt (Blattform und Blattstellung, Körperform und Farbe bei Thieren, u. dgl.); db) durch Schlüsse auf vorhandene mechanische Mittel (Blattfaltung, Blüten- und Frucht- schutz u. s. w.); c) durch Schlüsse auf physikalische Gesetze (Blattscheiden, dunkle und lichte Farbe etc.); &) durch Schlüsse auf individuelle Veranlagungen (Milchsaft, Gerüche, Samenbeschaffenheit u. s. w.). |

6. Die Grundsätze für die Behandlung in neuester Richtung bewegen sich in folgenden Forderungen: a) Erklärung des Wahrgenommenen, b) Ergründung der Zu- sammengehörigkeit der einzelnen Individuen, c) ergiebige Anwendung des Erworbenen auf die mannigfachen Erscheinungen der umgebenden Natur.

7. Die Einbeziehung der Stoffe aus dem Mineralreiche in den Kreis der Bespre- chung wird nach Möglichkeit berücksichtigt. Die Wichtigkeit der im Hause und in der Industrie vorkommenden Mineralien weist die Behandlung derselben den Wintermonaten zu, wo die Naturbetrachtung unmöglich ist.

(Aus dem »Deutsch-mährischen Schulblatt«, Jahrg. 2, Nr. 23, vom Verfasser O.-L. Emil Hausotter-Kunewald.)

52. Über die Aufgaben des naturgeschichtlichen Unterrichtes.

Thesen siebe S. 88 dieses Jahrbuches. (Aufgestellt in der Wr. päd. Gesellschaft von B.-L. Ferdinand Frank.)

53. Zum Lehrplane aus Naturgeschichte und Naturlehre.

A. Naturgeschichte. ı. Der Schulgarten ist in ausgiebiger Weise zur Vermittlung naturgeschichtlicher Kenntnisse zu benützen. Im Laufe des Jahres sollen die Kinder mehrmals die Bäume, Sträucher, Gemüsearten und Blumen im Schulgarten benennen lernen; über das Beerenobst (die Weinquelle des Nordens) und über die Gemüsearten sind Cultur- und Verwendungsanweisungen zu geben.

2. Um das lebendige Buch der Natur als Anschauungsobject benützen, recht lebenswahre Vorstellungen von den Naturkörpern und ihren gegenseitigen Beziehungen den Schülern vermitteln und so eine recht anschauliche Vertiefung, Erweiterung und Verbindung des naturkundlichen Unterrichtes anbahnen zu können, soll dem Lehrer gestattet sein, mehrmals im Jahre während der Unterrichtszeit Ausflüge mit den Schülern zu unternehmen, wobei naturkundliche und geographische Unterrichtsziele zu vereinigen

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wären. Auch benütze man die Schülerausflüge, die jedoch wohl vorzubereiten sind, dazu, um zur Pietät gegen die Pflanzenwelt zu erziehen.

Auf diese Weise lernen die Kinder sämmtliche Laub- und Nadelbäume im Thal- grunde nach Laub und Rinde, einzelne Sträucher, unsere Getreidearten und Feldfrüchte, die wichtigsten Futtergräser und Kleearten und die bekanntesten Feldblumen an Ort und Stelle kennen.

3. Gewisse Stoffe des naturgeschichtlichen Lehrplanes sind alljährlich zu behan- deln. (Siehe Punkt 1.) Am Beginne eines jeden Schuljahres (Mai) wird das Keimen der Pflanzen an Bohnen und Getreidekörnern betrachtet und die Ernährungsweise der Pflanzen erläutert. Ebenso sind die Knaben alljährlich in den Veredlungsarten zu unter- weisen, über Aufzucht, Versetzen, Beschneiden und Düngen der Obstbäume zu belehren. Zur Übung im Veredlungsverfahren benütze man, nachdem Vorübungen an Weiden- ruthen gemacht wurden, die Wildlinge der Baumschule.

In Betreff des Thierschutzes sind bei Behandlung der Individuen die nöthigen Belehrungen zu ertheilen, insbesondere sind die Kinder alljährlich zur Anfertigung von Nistkästchen und zur Fütterung der Vögel im Winter anzuleiten und mit den wich- tigsten Bestimmungen des Vogelschutzgesetzes bekanntzumachen.

4. Die Gesundheitslehre ist ausführlicher zu betreiben. Besonders wichtige Capitel von volkswohlfahrtlicher Bedeutung sind: Athmung und Lüftung, Verdauungsorgane, Verdauung, Zahnpflege, Nährwert der Nahrungsmittel (Blut- und Fettbildner) und künst- lichen Getränke, Regeln über das Essen und Trinken, Schädlichkeit des Alkoholgenusses, Wert der Reinlichkeit, die Kleidung’ und Wohnung, die Gesundheit.

5. In den Lehrplan für einclassige Volksschulen sind nur inländische Objecte aufzunehmen, der Lehrstoff selbst ist (in einclassigen Volksschulen) mit Rücksicht auf die Jahreszeiten so zu vertheilen, dass die Behandlung (einschließlich Gesundheitslehre ) in einem Vierteljahre etwa acht halbe Stunden erfordert.

6. Der landwirtschaftliche Unterricht soll in der Schule mehr berücksichtigt werden, da vor allem ein intensiverer Wirtschaftsbetrieb dem Bauernstande aufhelfen kann; die Schule muss daher mithelfen, richtigen landwirtschaftlichen Theorien den Weg zu bahnen. Wo das 7. und 8. Schuljahr oder das 8. Schuljahr eigene Abthei- lungen bildet, sollen denselben vorwiegend landwirtschaftliche Themata zugewiesen werden (Erfordernisse zu einer richtigen Aufzucht und Pflege der verschiedenen Haus- thiere, Rassenkenntnisse, Bienenzucht, Ackerboden, Arbeitsgeräthe, Ernährungsweise der Pflanzen, Düngerlehre, Getreidebau, Culturbedingungen der verschiedenen Futter- gräser und Kleearten, etc.).

B. Naturlehre. ı. Die Erfindungen der neuen und neuesten Zeit sind mehr zu berücksichtigen. An Stelle der Reibungselektricität, welche als Culturfactor belanglos, soll die strömende Elektricität mit ihren verschiedenen Anwendungsformen im Lehr- plane erscheinen. (Element, Batterie, elektr. Klingel, Telegraph, Telephon, Hinweis auf die dynam. Elektricität, elektr. Licht.)

2. Damit die Kinder den neuen Verkehrsmitteln nicht rath- und gedankenlos gegenüberstehen, sollen sie in elementarer Weise über die bewegenden Kräfte und über die Wirkungsart Jerselben beim Dampfwagen und Dampfschiff, beim Motorwagen und bei der elektrischen Bahn unterrichtet werden; auch müssen VErBAIUNERIBSBTegEhn für Eisenbahnfahrten gegeben werden.

3. In den J.ehrplan aus Naturlehre sind auch einige Themen aus Chemie, welche in elementarer Form das Verständnis der Nahrungsmittellehre vermitteln, bezw. anbahnen;,

175

sowie Themen über die Herstellung von Nahrungsmitteln, Kleidungsstoffen und Gebrauchs- gegenständen aufzunehmen. (O, Z, C, N als Elemente, Wirkungen des O, Zusammen- setzung der Fett- und Blutbildner, Brot-, Zucker-, Bier-, Most- und Essigbereitung, Her- stellung von Leder, Glas, Papier etc.)

4. Der Lehrstoff aus Naturlehre wird (wie der Lehrstoff aus Naturgeschichte) auf vier Jahrescurse vertheilt; der Stoff aus Naturlehre ist auf dreißig halbe Stunden per Schuljahr zu berechnen, um zur Einübung und Wiederholung genügend Zeit zu erübrigen.

(Aufgestellt in der Versammlung der Zweiglehrervereine Kirchdorf-Grünburg-Win- dischgarsten zu Klaus am 2. Mai 1900; Referent S.-L. Hans Hueber-Windischgarsten.)

54. Über den Elementarzeichenunterricht.

Thesen siehe S. 138 dieses Jahrbuches. (Angenommen von der Wr. pädagog. Gesellschaft am 7. April 1900; Referent B.-L. Alois Kunzfeld-Wien.)

55. Zur Umgestaltung des Zeichenunterrichtes an Volksschulen.

1. Das Zeichnen ist von der Unterstufe angefangen auf das selbstthätige Studium der Formen am Körperlichen zu gründen.

2. Der Hand-(Kunst-)Fertigkeitsunterricht soll den Zeichenunterricht auf allen Stufen begleiten, ist daher nachdrücklichst zu fördern.

. 3. Das Zeichnen, beziehungsweise die Formauffassung ist auf allen Stufen nach den Gesichtspunkten des Bauens, der bildlichen Darstellung und der Verzierung zu pflegen. (Risszeichnen, Bildzeichnen, Schmuckzeichnen.)

4. Das Zeichnen nach der Natur und nach historischen Vorbildern ist Gegen- stand des Zeichenunterrichtes auf allen Stufen; ebenso sind planmäßige Übungen des Farbensinnes vorzunehmen.

5. Das Zeichnen in Netzen und Stigmen ist nicht gestattet.

6. Das Zeichnen ist mit freier Hand zu betreiben. Vom sechsten Schuljahre (mindestens) angefangen ist auch das Zeichnen mit Lineal und Zirkel zu üben. Mit dem Freihandzeichnen kann dann das gebundene Zeichnen in bescheidener Weise ver- bunden werden.

(Aufgestellt in der »Fr. Schulzeitung«, 25. Jahrg., Nr. 50—52, von H.-L. Josef Hiersche-Komotau, Verfasser der Schrift »Auf zur Umgestaltung des Zeichenunter- richtes an Volksschulen !«, verlegt bei Künstner in Böhm.-Leipa.)

56. Die nothwendige Reorganisation unseres Zeichenunterrichtes. _

Die Bedeutung des Freihandzeichnens wird fast allgemein unterschätzt. Der heutige Concurrenzkampf im Gewerbewesen verlangt die höchstmögliche Ausbildung und Veredlung des Formensinnes, ein gesundes Urtheil über Kunst- und Naturformen, so- weit diese in das praktische Leben ragen, und Sicherheit in der Darstellung ebener wie räumlicher Gebilde, damit die etwa auftauchende Combinationsfähigkeit kein Hin- dernis finde.

Unser Zeichenunterricht muss das Schwergewicht vom ideal Classischen, Stil- gerechten auf das Praktische verlegen: weniger mühselig ausgeführte Ornamente, dafür sorgfältige Ausbildung im Erfassen und Wiedergeben der Körperform.

Nur das Körperzeichnen lässt eine vollständige Ausbildung der Abschätzungs- fähigkeit des Auges zu und weckt auch bei weniger veranlagten Schülern erhöhtes Interesse. Die Fähigkeit des Schülers, sich selbst von Gegenständen aus dem prak-

176 tischen Leben, Objecten des Bau- und Maschinenwesens, Naturkörpern etc. ein perspec- tivisches Bild anzufertigen, kann als cines der vorzüglichsten Veranschaulichungsmittel angesehen werden, um den Begriffskreis des Schülers zu erweitern.

Die Schwierigkeit des Perspectivzeichnens wird vielfach überschätzt. Das Kind verlernt schon im zartesten Alter das richtige Sehen. Es bringt unwillkürlich die dem Auge sich darstellenden Verkürzungen der in die Tiefe laufenden Formen mit der eigentlichen Gestalt dieses Theiles des Körpers in Einklang, indem das Abschätzungs- vermögen mit Zuhilfenahme des Gedächtnisses das perspectivische Bild allsogleich in die wirkliche Gestalt des Körpers verwandelt. Dieses momentane, unbewusste Zurück- führen des perspectivischen Bildes zur wirklichen Körperform muss durch das richtige Sehenlernen verhindert werden. Mit den allgemein üblichen Methoden des Körper- zeichnens ist kein richtiger Erfolg zu erzielen. Das Perspectivzeichnen tritt viel zu spät auf.

Die Verwendung der Drahtmodelle ermüdet und ist ganz zwecklos. Ein oder zwei große Holzmodelle vor die Bankreihen zu stellen, ist ebenso verfehlt, da in diesem Falle beinahe jeder Schüler ein anderes Bild erhält und statt Massenunterricht Einzeln- unterricht betrieben werden muss. Jede nachhelfende Skizze an der Tafel wird illu- sorisch, das Verbessern wächst zu einer Riesenarbeit, und bei gefüllten Classenzimmern erhalten die vorn und seitlich sitzenden Schüler Zerrbilder. Das einzig Richtige ist: Mit dem Würfel beginnen und im Anfange jedem Schüler ein Modell (Kantenlänge 10 cm) zur Verfügung stellen. Größere Holzmodelle in entsprechender Zahl vor die Bankreihen gestellt, können später erst Verwendung finden zur Erlangung von Darunter- sichten (am Stativ) und behufs besserer Belichtung bei Modellgruppen (auf dem Modell- tisch). Ein weiterer Fehler ist die zu frühe Schrägstellung der Körper und der gänz- liche Ausschluss des Zeichnens nach Kunst-, Bau-, Maschinen- und Naturobjecten (das Gipsmodell ist selbst nur eine starre Nachbildung solcher Objecte).

Das Körperzeichnen sowie auch das Zeichnen von stilgerechten Ornamenten kann aber nie von Erfolg begleitet sein, wenn die technische Einübung der Formenelemente (Gerade, Winkel, Kreis, Ellipse, Spirale etc.) nicht bis zur vollständigen Sicherheit betrieben wird, daher diese Elementarformen bis zur völligen Unabhängigkeit von jeder Hilfslinie zu üben sind. Meistens lernen die Schüler nur die Art und Weise kennen, wie man beispielsweise einen Kreis zeichnet, sie können ihn aber nicht zeichnen.

Dass neben dem Körperzeichnen auch das stilgerechte Ornament zu pflegen ist und letzteres an Mädchenschulen besonders berücksichtigt werden muss, ist selbst- verständlich. \

(Aus der »Österr. Bürgerschul-Zeitungs«, Jahrg. 25, Nr. g, vom Verfasser B.-L. Joh. Langer-Wien.)

57. Der Unterricht im Freihandzeichnen an Bürgerschulen.

I. Zur Erreichung des Lehrzieles im Freihandzeichnen an den Bürgerschulen ist eine enge und organische Verbindung der Lehrpläne und Detaillehrgänge für das Zeichnen an Volksschulen (namentlich den fünfclassigen) mit denen an Bürgerschulen, sowie eine einheitliche, planmäßige und gründliche Vorbildung der Volksschüler im Freihandzeichnen unerlässlich.

2. Für jedes Schuljahr (Classe) einer jeden Volks- und Bürgerschule sollen ausgearbeitete Detaillehrgänge im Freihandzeichnen als Unterrichtsbehelf vorhanden sein.

3. Für den Zeichenunterricht sei die Zahl der Schüler in den Classen eine

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normale, eventuell tritt eine Theilung der Schüler einer Classe bei einer Überzahl aus unterrichtlichen Gründen ein; beim Modellzeichnen soll die Zahl der Schüler nicht über 30 betragen.

4. An jeder Bürgerschule sei ein Zeichensaal vorhanden.

5. Folgende unerlässlich nothwendigen Unterrichtsbehelfe seien unbedingt vor- handen: a) Formensammlungen, 5) Detaillehrgänge, c) Vorlagenwerke für das Farben- zeichnen, d) zureichende Anzahl von Holz- und Gipsmodellen, Veranschaulichungs- apparaten, Combinationskörpern, architektonischen Elementarformen, Thongefäßen und Kunstobjecten; die elementaren Holzmodelle für den ersten Gruppenunterricht doppelt, beziehungsweise mehrfach.

6. Das Flachornament werde grundsätzlich eingeschränkt auf die wichtigsten Typen der Schmuckformen nach Tafelvorzeichnungen und der farbigen Flächenzier nach Musterblättern oder Objecten in natura; dagegen erfahre größere Berücksichtigung das Freihandzeichnen nach Holz- und Gipsmodellen, nach Combinationskörpern und den Erzeugnissen des Kunstgewerbes.

7. Das Zeichnen nach Drahtmodellen hat grundsätzlich zu unterbleiben, Mit dem Zeichnen nach Holzmodellen hat das Modellzeichnen überhaupt zu beginnen. Das Draht- modell dient nur zur Veranschaulichung der perspectivischen Grundsätze und Erschei- nungen. Im Freihandzeichnen gibt es kein perspectivisches Linearzeichnen : Alles Modell- zeichnen ist freies Zeichnen nach der Anschauung.

8. Von den Darstellungsarten im Körperzeichnen werden geübt: a) Die Contour in Blei oder ausgeführt mit Tusch (Rohrfeder) und Disponierung der Licht- und Schattenverhältnisse in einfachem Farbentone (T.ampenschwarz, Sepia roth, gebr. Siena), bei Gipsmodellen auch in zwei abgesetzten Tonstufen ; 5) Schummern auf weißem Papiere; c) Wischen auf Tonpapier mit Wischer und Kreide.

9. Alles Zeichnen in der Volks- und Bürgerschule ist grundsätzlich freihändiges Zeichnen, ausgenommen das geometrische Zeichnen.

xo. Das polychrome Ornament wird nur nach guten, approbierten Musterblättern betrieben. Tafelvorzeichnungen oder in bloßer Contour gegebene Ornamente dürfen vom Schüler nicht nach bloß mündlicher Angabe über die Farbenstimmung coloriert werden.

ı1. In der Regel ist nur ein Theil eines Ornamentes, zumeist das Viertel des Ganzen, in der Ausführung wiederzugeben. Bei centralsymmetrischen Ornamenten ist nur das zu einer Symmetrieachse gehörige Ornament zu zeichnen und von diesem nur die Hälfte in Farbe auszuführen.

ı2. Die Herausgabe eines geeigneten polychromen Vorlagenwerkes für allgemeine Volks- und Bürgerschulen ist schr wünschenswert. |

13. Desgleichen die möglichst baldige und allgemeine Einführung des Handfertig- keitsunterrichtes auch im Dienste des Zeichenunterrichtes.

14. Die Einführung einer eigenen Fachinspection für den gesammten Zeichen- unterricht an den Volks- und Bürgerschulen zur Wahrung der einheitlichen Grund- sätze, zum Schutze der Interessen des Zeichenunterrichtes und der Zeichenlchrer ist ebenso nothwendig als zeitgemäß. | |

15. Empfehlenswert ist die Herstellung und der Verschleiß einer Sammlung von kunstgewerblichen Gegenständen durch das österreichische Museum für Kunst und Industrie in Wien in 4 Serien a 5—ı0 Stück, und zwar: I. Serie, Keramisches, II. Serie, Textiles, III. Serie, Holztechnik, IV. Serie, Metalltechnik.

Jahrbuch d. Wien, päd: Ges. 1900, 12

ad

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16. Dringende Bedürfnisse für den Zeichenunterricht sind:

a) Die Herstellung und der Verschleiß von geeigneten Combinationskörpern aus einfachen geometrischen eckigen und runden Körpern.

b) Die Herstellung einer größeren Anzahl elementarer Gipsmodelle mit kräftiger Modellierung (Halbreliefs) für den ersten Unterricht im Zeichnen nach Gipsmodellen.

c) Die Herstellung der elementaren Gipsmodelle in größeren Dimensionen, so dass Anfänger im Verhältnisse ı : ı nachbilden können und nicht sofort vergrößern müssen.

d) Die Anlage einer Sammlung von geeigneten Kunstobjecten und guten Abbil- dungen derselben an den Volks- und Bürgerschulen für unterrichtliche Zwecke.

17. Der Zeichenunterricht erfahre größere Förderung durch den Unterricht in der Geschichte (Cultur- und Kunstgeschichte), Naturgeschichte (Pflanzenkunde), Geometrie und Naturlehre (Raumvorstellung), durch Excursionen nach den Kunststätten, durch Vorträge, im Unterrichte in der Unterrichtssprache durch Beschreibungen und Schil- derungen.

18. Der Lehrer beachte ein planmäßiges, stufenweises Fortschreiten im Unter- richte, ein strenges Einhalten des einmal aufgestellten methodischen Lehrganges, er beachte stets die Leistungsfähigkeit der Schüler. (Kein Rivalisieren!) |

19. Volks- und Bürgerschullehrer seien auf eine rege Fortbildung im Zeichnen in praktischer und methodischer Hinsicht eifrig bedacht; diese werde durch periodische Ferialeurse bei entsprechender Subventionierung durch die Schulbehörde gefördert. Ermöglicht seien Fachstudienreisen im Vaterlande und nach dem Auslande, der Besuch von Schulen, von Fachzeichenausstellungen und von Kunstmuseen durch Gewährung entsprechender Reisestipendien.

(Aus dem »Österr. Schulboten«, Jahrg. 50, Nr. 3—5, vom Verfasser Prof. Heinr. Halbgebauer, B.-S.-I. in Saaz.)

58. Das Ornamentzeichnen in der Bürgerschule.

Der Unterricht im Ornamentzeichnen ist in der Bürgerschule zu betreiben, denn durch denselben werden den Schülern Formen vorgeführt, an denen sie auf die ein- dringlichste Art die Schönhcitsgesetze für die Linien-, Formen- und Farbenzusammen- stellung kennen und die Formensprache verstehen lernen.

Um den Erfolg des Unterrichtes zu sichern, sind die Formen unter Befolgung der Regeln der Didaktik in ein System zu bringen, wobei man nur solche Formen wähle, die einen formalen Wert haben, und solche, die in der Heimat oft zur Ver- wendung gelangen.

Zu beginnen ist mit der Geraden und ihrer Verwendung im Ornament, anzu- schließen ist das Kreiszeichnen, weil die Gerade und die Kreislinie auf ihre Richtigkeit, Gesetzmäßigkeit und Schönheit am leichtesten zu prüfen sind. Beim geradlinigen und beim Kreisornament vermag der Schüler jede Abweichung von der regelrechten Form als unrichtig zu erkennen, als hässlich zu empfinden und sie selbst zu corrigieren; auch werden die gewöhnlich aus mehreren Volksschulen kommenden Schüler durch solches Zeichnen auf eine annähernd gleiche Stufe zeichnerischer Fertigkeit gebracht.

Beim folgenden Ornamentzeichnen mit pflanzlichen Motiven sind zuerst die Motive selbst zu besprechen und zu zeichnen, dann erst die Anwendung vorzuführen. Das Maß der Zeichnung muss in ihr selbst liegen und anfangs leicht zu bestimmen sein. Es kämen zur Behandlung z. B. in der II. Classe: Die Spirale und ihre Anwendung bei Gittern, Wandarmen und Zierankern, das Herzblatt und seine Renaissanceformen,

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das Kastanienblatt, die Palmette, das Weinblatt und das Akanthusblatt.e. In der III. Classe wird das Ornament als solches besprochen, sein ornamentaler Ausdruck beleuchtet und zu jeder Gattung von Ornamenten eine oder mehrere Zeichnungen gelie- fert; zu behandeln wären somit die Bänder, die Füllungen, die Muster, die Stützen und die freien Endigungen.

Zum Nachzeichnen werden nur solche Formen den Schülern dargeboten, deren Charakteristik sie völlig erfasst haben und deren Linienführung sie aus dem organischen Aufbau der Form bis ins Detail erklären können. Außer den zum Nachzeichnen bestimmten Formen werden den Schülern einige schwierigere Ornamente vorgeführt, die von den Schülern analysiert werden.

Der Vorgang beim Untersichte ist folgender:

Vorführung der zu zeichnenden Form an Gebrauchsgegenständen oder an der Pflanze, von der sie abstammt, und auf der Wandtafelvorlage.

Besprechung derselben in fragend entwickelnder Form bezüglich der Charak- teristik. Vergleich mit ähnlichen Formen.

Angabe von Gegenständen, zu deren Verzierung diese Form Verwendung findet, und welche Functionen sie ausdrückt.

Angabe des Vorganges beim Nachzeichnen durch die Schüler.

Die merkenswerten Sätze werden in ein eigenes Zeichentagebuch eingetragen und die zu zeichnende Form daselbst skizziert. Diese Skizzen sieht der Lehrer sofort durch, um zu beurtheilen, inwieweit die Form von den Schülern aufgefasst wurde. Fehlerhafte Formen werden nach nochmaliger Besprechung verbessert.

Reinzeichnung auf das Zeichenkärtchen. Das Vorzeichnen des Lehrers auf der Tafel tritt immer mehr zurück und macht der »Wandtafel« Platz.

Als Hausaufgabe haben die Schüler ähnliche Figuren aufzusuchen, sie in das Zeichentagebuch zu skizzieren und auf den Zweck ihrer Verwendung zu prüfen,

Ein solcher Zeichenunterricht ist in intellectueller, .ästhetischer, technischer, ethischer und wirtschaftlicher Hinsicht überaus wertvoll, stellt wohl an Zeit und Kraft des Zeichenlehrers große Anforderungen, ist aber auch würdig, jedem anderen Unter- richtsgegenstande an die Seite gestellt zu werden.

(Aufgestellt im »Pädagogischen Verein Bielitz-Biala« am Ig. Mai 1900; Referent B.-L. Jos. Pindur.) |

59. Das Zeichnen im Kindergarten.

1. Hauptzweck des Zeichnens im Kindergarten sei die Wiedergabe eines Gegen- Standes mit einigen Zügen nach dem Gedächtnis und der freien Phantasie des Kindes unter der Anleitung der Kindergärtnerin.

‚2. Das Zeichnen schematischer Lebens- oder anderer Figuren in ein Netz, wie es Fröbel gedacht und verwertet hat, ist auszuscheiden.

3. Es ist nothwendig, dass die Kinder den darzustellenden Formen lebhaftes Interesse entgegenbringen, dass sie durch dieselben zum Denken und Sprechen ange- regt werden und an den gezeichneten Formen ihre Einbildungskraft bethätigen können.

4. Als Behelfe zu dieser Beschäftigung sind zu verwenden:

Eine Schiefertafel ohne Netzlinien und Punkte,

ein Griffel (am besten in Holzverkleidung),

ein kleines Schwämmchen,

ein Leinwandläppchen.

5. Die Kindergärtnerin muss auf richtige Körper- und Griffelhaltung genau achten.

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6. Die Vorzeichnung seitens der Kindergärtnerin ist keineswegs als Vorlage zum treuen Copieren, sondern nur als Mittel zur Pflege des Thätigkeitstriebes aufzufassen.

(Angenommen auf dem Kindergartentage in Hohenau am 25. Mai 1899 und im »Vereine für Kindergärten und Kinderbewahranstalten in Österreich« am 17. März 1900; Referentin Adele Teltscher.)

60. Zum Mädchenturnwesen.

I. Schulbehörden und Lehrkräfte sollen mit allen gesetzlichen Mitteln auf eine erhöhte Frequenz des Mädchenturnens hinarbeiten, bis die obligatorische Einführung desselben erreicht sein wird. Hiezu wären folgende Mittel dienlich:

a) Eine zeitgemäße Reform der Lehrpläne.

b) Ausarbeitung eines einheitlichen Leitfadens für das gesammte Schulturnen in Österreich (mit einheitlicher Turnsprache).

c) Bestellung besonderer Turninspectoren.

d) Heranziehung und Interessierung der Ärzte für das Schulturnen. (Nicht in den wenigsten Fällen stellen gefällige Hausärzte den Eltern eines bloßen Vorurtheiles halber Dispensationszeugnisse zur Verfügung, ohne eine Ahnung vom Turnstoff der betreffenden Classe zu besitzen, ja es gibt Ärzte, welche von den einfachsten Grund- übungen keine Vorstellung haben.)

e) Turnerische Vorführungen im Kreise der Schulparteien und schulbehördlicher Personen.

fp) Allgemeine Verwertung der Musik als Begleitung geeigneter Turnübungen, wodurch mit der Schönheit und Feinheit und dem Rhythmus der Bewegung die Turn- lust wesentlich gesteigert würde. |

2. Das Turnen müsste, mehr als es bisher geschah, nach hygienischen Rück- sichten betrieben werden; das wäre zu erreichen:

a) Durch eine bessere Reinigung der Turnräume, Beschränkung im Gebrauch der Matratzen auf solche Übungen, welche im Schwung ausgeführt werden oder ein gewisses Maß der Sprunghöhe überschreiten; Einführung von Turnschuhen.

d) Durch thunliche Verlegung der Turnübungen ins Freie.

c) Durch eine bessere Vertheilung der Turnzeiten in der Weise, dass die ı. Classe täglich !/, Stunde vormittags, die übrigen Classen 4-mal wöchentlich !/, Stunde turnten. Das Zimmerturnen wäre wo thunlich durch Turnen im Turnsaal, beziehungs- weise im Freien zu ersetzen.

d) Durch unbedingtes Corsetverbot während des Turnens.

e) Durch Einbeziehung des Badens und des Schwimmunterrichtes, des Eislaufens, der Marschübungen und Jugendspiele in den Rahmen des Schulturnens.

(Aus der »Zeitschrift f. d. österr. Volksschulwesen«, Jahrg. X., Heft 10, von der Verfasserin V.-L. Clara TluChor-Sperlich-Wien.)

61. Der Handfertigkeitsunterricht in der Volksschule.

1. Der Handfertigkeitsunterricht unterstützt die Schulerziehung, weil durch ihn die Schüler insbesonders zu Fleiß, Sparsamkeit und Ordnung erzogen werden.

2. Der Handfertigkeitsunterricht unterstützt den Zeichenunterricht,: schärft den Sinn für das Beobachten, lehrt mit Zahl und Raumgrößen umgehen, fördert die Tüch- tigkeit und stärkt die Willenskraft.

3. Der Handfertigkeitsunterricht leitet die Schüler an, Anschauungsmittel selbst herzustellen, und fördert daher die Zwecke der Schule unmittelbar.

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(Angenommen im Lchrervereine Mauerkirchen - Braunau am 19. October 1899; Referent Fr. Hrubesch-Altheim.)

62. Über den Handfertigkeitsunterricht in der Volksschule.

1. Der Handfertigkeitsunterricht soll dem Handwerke nicht Concurrenz bieten, sondern die harmonische Erziehung der Jugend fördern, indem er die allgemeine Hand- geschicklichkeit, körperliche Kraft, Gewandtheit und Anstelligkeit übt und bildet, die geistige Ausbildung unterstützt, die Charakter- und Willensbildung festigt.

2. Die Einführung des Handfertigkeitsunterrichtes muss hauptsächlich in unserem Bezirke angestrebt werden, da nach dem Aufhören des Braunkohlenbergbaues Tausende von Menschen zu Erwerben greifen müssen, bei denen der Hände Geschicklichkeit benöthigt wird.

(Angenommen im Duxer Lehrerverein am ı. November 1899; Referent B.-L. Alex. Hönig-Dux.)

63. Das Stottern und die Behandlung stotternder Kinder.

Ad. Die Ursachen des Stotterns. Die Nerven jener Muskeln, welche beim Sprechen in Thätigkeit sind, gehen von einem Centrum im Gehirne, dem Wort- bewegungscentrum, aus, welches durch Nervenbahnen mit den Empfindungscentren, ferner mit dem Begriffscentrum und dem Centrum des Willens in Verbindung steht. Beim Stottern treten Krämpfe in der Sprachmuskulatur auf. Die Ursache dieser Krenpe liegt in den Nervenbahnen, ist also eine centrale Störung.

B. Die Erwerbung dieses Sprachfehlers: ı. Durch Angewöhnung. Die Sprechlust eines lebhaften Kindes ist sehr groß; es will so schnell wie die Er- wachsenen sprechen, allein seine noch wenig entwickelte Sprachfähigkeit hindert es daran, es stockt und stottert. Bei Nichtbeachtung des Fehlers seitens der Eltern kann er ein dauernder werden. 2. Durch Nachahmung, wenn eines von den Eltern mit dem Übel behaftet ist, oder wenn das Kind mit einem Stotterer zusammenlebt. 3. Andere Ursachen: Die Veränderungen im Blutkreislauf zur Zeit des Zahnwechsels und der eintretenden Geschlechtsreife, Infectionskrankheiten, Erschütterungen.

C. Vorbeugung und Heilung. Durch systematische Übungen der Athem-, Stimm- und Articulationsmuskulatur wird auf die beim Sprechen in Thätigkeit kommen- den Nervenbahnen eingewirkt. (In den methodischen Werken über das Stottern finden sich solche Übungen zusammengestellt.)

D. Allgemeine Leitsätze: I. Die Schule muss stotternde Kinder besonders berücksichtigen und die Heilung des Übels anstreben.

2. Der Lehrer erhält oft schon vor eintretender Schulpflichtigkeit der Kinder Kenntnis von den Sprachfehlern derselben und kann dann schon frühzeitig belehrend auf die Eltern einwirken.

3. Beim Schuleintritte der Kinder überzeuge sich der Lehrer, ob und welche Sprachfehler vorhanden sind, und mache sich hieraufbezügliche Anmerkungen,

4. Sind in der Classe Stotterer, so muss er alles vermeiden, was den nervösen Zustand derselben erhöht, z. B. Anschreien, plötzliches Aufrufen u, dgl.

5. Es muss sorgfältig beobachtet und verhütet werden, dass der Stotterer keine Nachahmer findet.

6. Die besondere Behandlung des Übels darf selbstverständlich nicht in die Unterrichtszeit der übrigen Schüler fallen.

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7. Bei Behandlung der stotternden Schüler muss auf die Mitwirkung des Eltern- hauses besonderes Gewicht gelegt werden.

(Aufgestellt in der Bezirkslehrer-Conferenz zu Mähr. Schönberg am 28. Juni 1899; Referent Joh. Losert-Mähr. Schönberg.)

64. Über Schulen für Schwachsinnige.

ı. Die Volksschule ist nicht im Stande, auf die geistig abnormalen Schul- pflichtigen in Erziehung und Unterricht diejenige Rücksicht zu nehmen, welche deren geistiger Zustand erfordert.

2. Die idiotischen Kinder sind in einer Landespflegeanstalt unterzubringen, in welcher sie ärztlicher und pädagogischer Behandlung unterstehen.

3. Für Erziehung und Unterricht schwachsinniger Kinder sind besondere Ver- anstaltungen zu treffen. In Städten mit mehreren Schulen ist im Anschlusse an diese eine Hilfsschule einzurichten, für das flache Land hingegen erscheint die Schaffung von Landesschwachsinnigenanstalten dringend nothwendig.

4. Da das Schwachbegabtsein ein Folgezustand einer abnormen Beschaffenheit des Gehirns ist und sich durch verlangsamten Rhythmus in Apperception und Repro- duction kennzeichnet, so muss beim Schwachsinnigenunterrichte auf die Individualität ganz besondere Rücksicht genommen werden. Bei Aufstellung des Lehrplanes für den- selben muss die peinlichste Veranschaulichung, das möglichst weite Hinausschieben der Abstraction und ein sehr langsames Vorwärtsschreiten innerhalb des beschränkten Lehr- ziels zur Richtschnur genommen werden.

5. Um die Erkennung und zweckmäßige Behandlung der geistig abnormalen Schüler während ihrer Anwesenheit in der Volksschule zu ermöglichen, ist das Studium der pädagogischen Pathologie zu empfehlen. Insbesondere erweist sich die Bekannt- machung der angehenden Lehrer mit den Errungenschaften des genannten Wissens- zweiges für nothwendig.

(Angenommen von der Abgeordnetenversammlung des deutsch- mähr. Lehrer- bundes zu Brünn am 12. April 1900; Referent B.-L. Heinr. Laus-Brünn.)

65. Bildung der Taubstummen.

In Erwägung, dass es eine Forderung der Humanität ist, für das Wohl der Nichtvollsinnigen zu sorgen; dass die Zahl der Anstalten für nichtvollsinnige Kinder viel zu gering und die Zeit der Ausbildung in vielen bestehenden Anstalten zu kurz ist; dass für die Eltern nichtvollsinniger, aber bildungsfähiger Kinder keine gesetzliche Verpflichtung besteht, diese Kinder einer Anstalt zu übergeben; dass von der Volks- schule eine genügende Ausbildung solcher Kinder nicht erwartet werden kann; dass solche nicht ausgebildete Personen meist den ärmsten Volksclassen angehören und später den Familien und Gemeinden zur Last fallen; dass sie vielleicht auch Hand- lungen gegen das Strafgesetz begehen, für die sie eigentlich nicht verantwortlich gemacht werden können: erkennt die am 7. October 1899 in Teplitz tagende Bezirks- lehrer-Conferenz es für nothwendig,

a) dass der Ausbildung der laut ärztlichen Zeugnisses bildungsfähigen blinden und taubstummen Kinder die größte Aufmerksamkeit zugewendet werde;

5b) dass die Eltern solcher Kinder gesetzlich verpflichtet werden, ihre Kinder einer bestimmten Bildungsanstalt zu übergeben;

c) dass nichtvollsinnige Kinder einen vorbereitenden Unterricht in der Volks- schule ihres Wohnortes erhalten;

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d) dass die Lehrpersonen der Volksschule, welche einen solchen Unterricht ertheilen, Anspruch auf eine entsprechende Remuneration haben;

e) dass die eigentliche Ausbildung der Nichtvollsinnigen in besonderen, vom Staate erhaltenen Instituten unentgeltlich erfolge und etwa 6 Jahre dauere;

f) dass die betreffenden Institute nach Bedarf zu vermehren oder zu vergrößern sind (für Böhmen wären solche Institute mit deutscher und czechischer Unterrichts» sprache in verschiedenen Theilen des Landes, u. zw. vornehmlich in solchen Städten zu errichten, wo sich Lehrerbildungsanstalten befinden, damit allen Lehramtszöglingen Gelegenheit geboten werde, sich mit dem Unterrichte taubstummer und blinder Kinder bekanntzumachen);

g) dass für die Heranbildung von Blinden- und Taubstummenlehrern Vorsorge zu treffen ist;

h) dass die Taubstummen und Blinden auch in einem Handwerke oder einer anderen nützlichen Beschäftigung auf Staatskosten ausgebildet werden.

(Angenommen von der Bezirkslehrer-Conferenz in Teplitz am 7. October 1899; Referent O.-L. Heinr. Forchner-Obergraupen.) Ä

66. Nothwendlgkeit einer Taubstummenanstalt in Schlesien.

Resolution: Die am 5. Juni in Odrau versammelte Lehrerschaft Schlesiens erachtet sowohl vom pädagogischen als auch vom humanitären Standpunkte die Errich- tung einer eigenen Taubstummenanstalt für Schlesien als eine dringende Nothwendigkeit und begründet dies in Folgendem:

ı. Das taubstumme Kind hat dasselbe Anrecht auf Erziehung und Bildung wie das vollsinnige.

2. Zur Erreichung dieser Forderung ist es dringend geboten, eine Taubstummen- anstalt in Schlesien zu errichten.

3. Die Nothwendigkeit dieser Forderung ist dadurch begründet, dass von den beiläuig Iı5 schulpflichtigen taubstummen Kindern Schlesiens nur 2I in eigenen Erziehungsanstalten untergebracht sind, während der weitaus größere Theil ohne einen planmäßigen, fürs Leben dieser Unglücklichen unerlässlichen nutzbringenden Unterricht bleibt.

(Angenommen in der Hauptversammlung des schlesischen Landeslehrervereines zu Odrau am 5. Juni 1900; Referent L. Alois Kuntschik-Wigstadtl.)

Beschlüsse des VII. deutsch-Österreichischen Mittelschultages. (Wien, 9.—ıı. April 1900.)

A. Aus den Vollversammlungen.

67. Psychologische Untersuchungen über Prüfen und Classifleieren.

Der heutige Mittelschultag spricht sich principiell dafür aus, dass im Prüfungs- wesen wesentliche Einschränkungen anzustreben seien, und dass er es vorläufig der literarischen Erörterung überlasse, nach welcher Richtung diese Einschränkungen ein-

zutreten haben. (Referent Dir. Dr. Eduard Martinek-Graz.)

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68. Der Lehrermangel an Mittelschulen.

Der VII. deutsch-österreichische Mittelschultag sieht die vorläufig sicheren Mittel den herrschenden Lehrermangel zu beheben,

a) in der zeitgemäßen Reformierung und Ausgestaltung der Schulaufsichts- behörden und der dadurch bedingten Möglichkeit besseren Avancements für die Mittel- schullehrer,

b) in der Verbesserung der Stellung der Supplenten, besonders nach der Rich- tung, dass die Anrechnung der Dienstjahre im allgemeinen milder gehandhabt, im besonderen aber darin, dass ihre Einrechnung für die Quinquennalzulagen auf breiterer Grundlage erfolgen möge, als es nach dem Gesetze vom ı1g. September 1898 mög- lich ist.

Resolution: Es ist wünschenswert, dass eine Centralmeldestelle für die Supplenten im Ministerium errichtet werde.

(Referent Prof. Dr. A. Polaschek-Czernowitz.)

69. Vorschläge zur Einführung einer allgemeinen Versicherung der Activitätszulagen.

1. Der Mittelschultag erklärt es als wünschenswert, dass eine obligatorische Ver- sicherung der Activitätszulage für den Pensionsbezug bei allen Mittelschullehrkräften eingeführt werde.

2. Der Mittelschultag beschließt, an das hohe k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht die Bitte zu richten, der Staat möge auf Grund des Umlageverfahrens diese Versicherung durchführen.

3. Der Mittelschultag wählt zur Überreichung einer Petition und zur Erstattung eines versicherungstechnischen Gutachtens über die Berechnung der Prämien an die hohe Regierung einen Ausschuss von fünf Mitgliedern.

(Referent Prof. Georg Schlegl-Wien.)

70. Der Kampf gegen dle Sinnlichkeit.

1. Der VII. deutsch-österreichische Mittelschultag setzt eine Commission zum Studium jener Mittel und Wege ein, die geeignet sind, die Widerstandskraft der Jugend gegen die sinnlichen Versuchungen zu steigern und sie vor den frühzeitigen Versuchungen thunlichst zu bewahren, und erwartet auf dem nächsten Mittelschultage positive Vor- schläge hierüber.

2. Der VII. deutsch-österreichische Mittelschultag ersucht gleichzeitig das hohe k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht, dieser für die Erziehung so hochwichtigen Frage seine Aufmerksamkeit zuzuwenden.

(Referent Dir. Franz Kemeny-Budapest.)

B. Aus den Sectionen. Zu dem Berichte des Prof. Dr. Karl Wotke-Wien:

71. Über die Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte.

Die hohe Regierung wird ersucht, bei den künftig erscheinenden Bänden des Jahrbuches für das höhere Unterrichtswesen dahin zu wirken, dass die historischen Angaben desselben erweitert und berichtigt werden. Es ist nach Möglichkeit die Geschichte der einzelnen Anstalten bis zur ältesten feststellbaren Nachricht über den Bestand einer Studienanstalt an dem betreffenden Orte zurückzuverfolgen.

(Pädagogische Section; Antragsteller Dir. Dr. W. Toischer-Saaz.)

185 72. Über die französischen und englischen Fortbildungseurse für die neusprachlichen Lehrer an Mittelschulen.

Da sich die von der hohen Unterrichtsverwaltung versuchsweise in Wien ein- gerichteten Fortbildungscurse für die Lehrer der modernen Sprachen an Mittelschulen durch die Erfahrung als höchst wertvoll und nutzbringend erprobt haben, wendet sich die philologische Section des VII. deutsch-österreichischen Mittelschultages an das hohe k. k, Ministerium für Cultus und Unterricht mit der Bitte, diese Curse in Wien dauernd zu erhalten und durch Eröffnung ähnlicher Curse in den größeren Provinz- städten auch den dort wirkenden Lehrern der modernen Sprachen an Mittelschulen die Vortheile dieser Institution zuzuwenden. Die Zahl der Theilnehmer soll möglichst be- schränkt werden.

(Philologische Section; Referent Prof. Dr. A. Polaschek-Czernowitz.)

73. Der geographische Unterricht im österreichischen Lehrplane.

I. In den Semestralzeugnissen der II., III. und IV. Classe sind Geographie und Geschichte getrennt zu classificieren.

2. Bei Auftheilung der Lehrmitteldotation ist der Geographie und Geschichte ein bestimmter Betrag, getrennt von der Dotation für die Bibliotheken, zuzusprechen und die Lehrmitteldotation überhaupt zu erhöhen.

(Geographisch-historische Section; Referent Dir. Dr. G. Juritsch-Mies.)

74. Die formale Auffassung der physikalischen Begriffe und ihre Bedeutung für den Unterricht.

Die Einführung der physikalischen Grundbegriffe in den Unterricht hat in einer Weise zu erfolgen, dass über deren rein begriffliche Bedeutung als Hilfsmittel zur Dar- stellung von Thatsachen kein Zweifel obwalten kann.

(Naturwissenschaftliche Section; Referent Prof. Dr. H. Kleinpeter-Prossnitz.)

75. Über physikalische Lehrmittel.

Es ist wünschenswert, dass die Ministerialverordnung vom 4. Januar 1874, Z. 12.237 ex 1873, aufgehoben werde. Den Custoden der physikalischen Cabinette ist bei der Anschaffung von Apparaten in der Verwendung sowie Verrechnung der Dotation ein größerer Spielraum zu gewähren.

(Naturwissenschaftliche Section; Referent Prof. H. Arbes-Mies.)

76. Einheitliche Bezeichnung in der darstellenden Geometrie.

I. Punkte sind mit großen Buchstaben, Linien mit kleinen Buchstaben und Ebenen mit griechischen Buchstaben zu bezeichnen.

2. Das Raumelement sowie dessen Zuordnungen (Projectionen, Spuren, Schatten, Drehungen, Umlegungen etc.) sind mit demselben Buchstaben zu bezeichnen.

(Realschulsection; Comitereferent Prof. F. Schiffner-Wien.)

77. Die sphärische Trigonometrie an Realschulen als Vorbereitung zum Hochsehulstudium.

Eine eingehende Behandlung der Geometrie auf der Kugelfläche, insbesondere Aufgaben aus der mathematischen Geographie und der Astronomie und Probleme der Kegelschnitte auf dieser Fläche zeigen, dass der Sinussatz, der Cosinussatz und die Napier’schen Regeln des rechtwinkeligen sphärischen Dreieckes als Grundlage dieses Gebietes genügen, und, darauf gestützt, spricht die Section die Ansicht aus, dass die

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genannten Sätze die wichtigsten elementaren Sätze der sphärischen Trigonometrie sind, und dass deren Kenntnis als Grundlage der sphärischen Trigonometrie für die Mittel- schule genüge.

(Realschulsection; Referent Prof. T. Hartwig-Wien.)

78. Unser gegenwärtiges Mittelschulturnen.

Mit Rücksicht auf die in früheren Mittelschultagen gefassten Beschlüsse wird der hohen Unterrichtsverwaltung empfohlen, den obligaten Turnunterricht mit thun- lichster Beschleunigung an allen Gymnasien einzuführen.

(Section für Körperpflege und Schulhygiene; Referent Prof. A. Böhm -Weiß- kirchen.)

79. Die gegenwärtige Stellung der Turnlehrer an den Mittelschulen.

Der Mittelschultag beschließe: Das hohe k. k. Ministerium für Cultus und Unter- richt wolle dem hohen Abgeordnetenhause und den hohen Landtagen Gesetzentwürfe vorlegen, durch welche den Turnlehrern das Vorrücken in höhere Rangelassen und eine 30-jährige Dienstzeit bei 20 wöchentlichen Stunden gewährt wird.

(Section für Körperpflege und Schulhygiene; Referent Turnlehrer L. Glas- Wien.)

80. Die Errichtung von Studentenconvieten im Lichte der Praxis.

ı. Die Studentenconvicte seien Erziehungsanstalten, nicht bloße Unterkunfts- häuser (Bursen)!

2. Die Convicte, sowie insbesondere ihr Erziehungsplan unterstehen der Staats- aufsicht!

3. Das Präfectenwesen werde auf eine sichere, würdige Basis gestellt!

(Section für Körperpflege und Schulhygiene; Referent Prof. A. Sobotau- Stockerau.)

81. Die Bedürfnisse unserer Schülerbibliotheken und Lehrmittelsammlungen.

1. Bei der Aufnahme von Werken der speciellen Jugendliteratur in unsere Schüler- bibliotheken ist eine größere Strenge als bisher in der Beurtheilung ihres ästhetischen und ethischen Wertes anzuwenden.

2. Die Schülerbibliothek muss dem Ganzen der Schule besser eingegliedert werden, vor allem durch Einrichtung von Classenbibliotheken unter Verwaltung der Ordinarien, wenigstens auf den unteren Stufen der Mittelschulen.

3. Damit die Schülerbibliothek und die Lehrmittelsammlungen ihren Zweck erreichen können, sind größere Mittel erforderlich, die durch Erhöhung des Lehrmittel- beitrages auf 4 K unter gleichzeitiger Erhöhung der Normaldotation zu beschaffen sind.

Beschluss der Vollversammlung: Das Präsidium des VII. deutsch-öster- reichischen Mittelschultages wird beauftragt, die Beschlüsse der Section für Bibliotheks- wesen bezüglich der Erhöhung der Lehrmittelbeiträge auf 4 Ä unter gleichzeitiger Erhöhung der Normaldotation von 880 X auf 1280 X der hohen Unterrichtsverwaltung in geeigneter Weise zu unterbreiten.

(Section für Bibliothekswesen; Referent Dir. Dr. W. Toischensan)

Zusatzresolution, betreffend »die Bibliothekswünsche der Mittelschullehrere: a) Das hohe k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht wird gebeten, jedem öster- reichischen Mittelschullehrer das Recht einräumen zu wollen, den kleinen Lesesaal der k. k. Universitätsbibliothek in Wien mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage täg-

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lich auch während der Bibliotheksferien in der Zeit von 9 bis 5 Uhr ohne weitere Förmlichkeiten zu benützen, beziehungsweise in der Zeit von g bis I Uhr Bücher aus den Depöts in denselben bringen zu lassen. (Antragsteller Prof. Dr. W. Weinberger- Iglau.)

d) Zugleich spricht die hiesige Section den Beamten der Wiener Universitäts- bibliothek für die Unterstützung der wissenschaftlichen Arbeiten der Mittelschullehrer den herzlichsten Dank aus. (Antragsteller Prof. Dr. V. v. Kraus-Wien.)

II. Schulchronik. (Vom 15. September 1899 bis 15. September Igoo.)

Von ANTON ZENS.

I. Die Schule und das Öffentliche Leben.

Patriotlsche Kundgebungen. Am ı8. August Igoo hatte Se. Majestät Kaiser Franz Josef I. sein 70. Lebensjahr vollendet. Vereint mit dem kaiserlichen Hause feierten die Völker Österreichs in regem Wetteifer diesen Tag als Freudentag; galt es doch, den edlen Monarchen zu ehren, der, als Sinnbild der Einheit der Monarchie dastehend, seit mehr als einem halben Jahrhundert sein Leben der Wohlfahrt des Staates und seiner nach Stamm und Sprache so verschiedenen Völker gewidmet hat. Ungebeugt trotz aller schweren Schicksalschläge, ist er in bewundernswerter Pflichttreue und nimmermüder Thätigkeit jedem Bürger ein hohes Vorbild, dem letzterer in Ehrfurcht und Liebe nach- zuahmen strebt. Dass die Lehrerschaft an dieser dynastischen Feier ganz besonderen Antheil nahm, ist ja selbstverständlich ; obliegt sie doch immer und jederzeit mit Treue und Hingebung ihrer Aufgabe, in die Herzen der Kinder den Samen des Patriotismus und der Loyalität, wie zu allem Guten und Edlen zu senken; insbesondere aber verehrt sie den Kaiser als Geber des Reichsvolksschulgesetzes, durch welches die naturgemäße Entwicklung der Volksschule angebahnt und den Lehrern dieser Volksschule die ihnen gebürende sociale Stellung zugesichert wurde. Die Lehrer blicken daher mit vollem Vertrauen zu dem edlen Monarchen auf, und es entringt sich ihren Herzen der heiße Segenswunsch und wecket tausendfachen Wiederhall: Heildem Kaiser!

Reichsrath. Infolge der politischen Verhältnisse war jede Thätigkeit des Reichs- rathes gehemmt, dieser selbst wurde zuletzt aufgelöst. Nachdem der Unterrichtsminister Graf Bylandt-Rheidt demissioniert hatte, wurde am 2, October 1899 Sectionschef Dr. Wilhelm Ritter v. Hartel mit der Leitung des Ministeriums für Cultus und Unterricht betraut (im Ministerium Clary). Ein neues Beamtenministerium wurde aber eingesetzt, und vom 22. December 1899 bis 18. Jänner 1900 hatte Sectionschef Alfred Ritter v. Bernd die Agenden des Unterrichtsministers zu versehen. Endlich erschien im Mini- sterium Koerber wieder Dr. v. Hartel als Minister für Cultus und Unterricht. Im Regierungsprogramme, das der Ministerpräsident Dr. v. Koerber in der Sitzung des

neueröffneten Reichsrathes am 22. Februar 1900 entwickelte, fand sich keine auf die Volksschule bezügliche Stelle; es heißt darin nur: »Die Unterrichtsverwaltung wird auf eine zeitgemäße Ausgestaltung des mittleren und höheren Unterrichtes, sowie des niederen und höheren Gewerbeschulwesens bedacht sein und insbesondere die Institute der Hoch- schulen dem heutigen Stande der Wissenschaften gemäß erweitern.« Auch das hohe Haus der Abgeordneten kam nicht in die Lage, sich mit der Schule oder mit der Nothlage der Lehrer zu beschäftigen; die in den Sitzungen vom 28. October und 6. December 1899 gestellten Anträge auf Verbesserung der materiellen Lage der Lehrerschaft und die Durchführung des $. 55 des R. V. G. kamen nicht einmal zu einer Ausschussbehandlung.

Niederösterreichischer Landtag. Der Schulausschuss hatte über die Initiativ- anträge der Abgeordneten Dr. Ofner und Genossen berathen und folgenden Beschluss- antrag vorgelegt: »Der Landesausschuss wird beauftragt, noch in dieser Session Bericht zu erstatten, ob die Finanzlage des Landes ohne Erhöhung der Umlagen die Gehälter-, beziehungsweise Pensions-Erhöhung für die Lehrer möglich erscheinenlässt». Vor Berathung dieses Antrages wurde von dem Abgeordneten Dr. Weißkirchner und Genossen der Dringlichkeitsantrag gestellt: »Der niederösterreichische Landesausschuss wird aufgefordert, noch im Laufe dieser Session einen Gesetzentwurf einzubringen, durch welchen die Pensionsansprüche der Lehrer, sowie deren Witwen und Waisen neu geregelt und ins- besondere die Einbeziehung der Hälfte des zuletzt in der Activität bezogenen Quartier- geldes in die Pension Berücksichtigung findet«. Beide (!!) Anträge wurden nach bewegter Debatte angenommen; desgleichen ein vom Schulausschusse gestellter Antrag: »Sämmtliche auf das niederösterreichische Volksschulwesen bezughabenden Landesgesetze sind seitens des niederösterreichischen Landesausschusses einer durchgreifenden Revision und Um- gestaltung in der Richtung zu unterziehen, dass dem Landtage und Landesausschusse bei Handhabung dieses Theiles der Landesgesetzgebung die der Beitragsleistung des niederösterreichischen Landesfonds zu den Schullasten angemessene Ingerenz auf das niederösterreichische Volksschulwesen gesichert wird.« Der Antrag des Abgeordneten Kick, den bereits in einer früheren Session vom Schulausschusse ausgearbeiteten Gesetz- entwurf zu berathen, wurde abgelehnt. Die Rechtsverhältnisse derIndustrial- lehrerinnen wurden in folgender Weise geregelt: Lehrerinnen ohne die vorgeschriebene Lehrbefähigung erhalten für jede wöchentliche Unterrichtsstunde eine Remuneration von jährlich 20 KA (wie bisher) ; lehrbefähigte Lehrerinnen für weibliche Handarbeiten erhalten für die wöchentliche Unterrichtsstunde an Volksschulen jährlich 30 K, an Bürgerschulen jählich 40 K Remuneration. Nach einer zehnjährigen ununterbrochenen, zufrieden- stellenden Dienstleistung erfolgt eine Erhöhung um 10 K, nach zwanzig Jahren abermals um ı0o K. Eine Altersversorgung erhalten jene Lehrerinnen für weibliche Hand arbeiten, welche die vorgeschriebene Lehrbefähigung besitzen, den Unterricht zu ihrem Beruf gemacht und denselben durch mindestens zehn Jahre in einem Ausmaß von wöchentlich zehn Unterrichtsstunden in zufriedenstellender Weise ertheilt haben. (Verchelichte Lehre- rinnen haben keinen Anspruch auf eine Unterstützung.) Die Altersunterstützung wird nach dieser Zeit mit 40°/, der Jahresremuneration bemessen und steigert sich mit jedem folgenden Jahre um 2°/,; die Höhe von 600 K darf jedoch nicht überschritten werden, Auch Industriallehrerinnen mit geringer Stundenzahl sollen eine Altersversorgung erhalten- können. Auf Wien findet das Gesetz keine Anwendung.

Oberösterreichischer Landtag. Der Antrag auf Gleichstellung der Lehrer mit den entsprechenden Beamtenkategorien in Bezug auf Gchaltsbezüge wurde a limine verworfen. Landeshauptmann Dr. v. Ebenhoch aber glaubte zu der Erklärung berechtigt zu sein,

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dass die Vorbildung der Lehrer unter der der betrefienden Beamten stehe, gegen welchen Ausspruch zahlreiche Vereine energisch protestierten. Übrigens wurde eine gewisse Aufbesserung der Bezüge vom Landtage »in Aussicht genommen“, aber es müssen die erforderlichen Mittel im Betrage von 600.000 Kerst beschafft werden, u. z. soll eine selbständige Landesauflage auf den Verbrauch von Bier gelegt und dadurch nicht nur die Kosten der Regulierung der Lehrergehälter, sondern ausdrücklich auch die Kosten für die Wild- bachregulierungen, für die Ausgestaltung und den Neubau von Krankenhäusern, für ver- schiedene Landesanstalten (Obst- und Ackerbauschulen, Renten- und Rinder-Versicherungs- anstalten) sowie für Subventionen mancher Art gedeckt werden (!!). Endlich wurde noch beschlossen: »Der Landesausschuss wird beauftragt, bis zur nächsten Session des Land- tages einen Gesetzentwurf betreffs definitiver Regulierung der Rechtsverhältnisse der an den Volks- und Bürgerschulen angestellten I.ehrpersonen mit der Wirkung ab I. Jänner 1901 vorzulegen.«

Salzburger Landtag. Ein vom Abgeordneten Haagen eingebrachter Gesetz- entwurf, betreffend die Neuregelung der Ruhegenüsse für die Lehrpersonen des Landes Salzburg, erhielt nicht die Mehrheit, da einige Abgeordnete fehlten, die Clericalen aber geschlossen dagegen stimmten. $. 35 des Schulaufsichtsgesetzes wurde dahin geändert, dass in den Stadtschulrath drei Fachmänner im Lehramte entsendet werden, von welchen je einer von der Versammlung der Volksschul-, beziehungsweise der Bürgerschul-Lehr- personen des Bezirkes zu wählen ist; als dritter Fachmann tritt der Director der etwa im Bezirke befindlichen J.ehrerbildungsanstalt, in Ermanglung einer solchen aber der Director der Mittelschule des Bezirkes ein.

Steiermärkischer Landtag. Die Petition des steiermärkischen Lehrerbundes betreffs der Einführung zeitgemäßer Dienstes- und Disciplinarvorschriften, betreffs der Vollanrechnung der in der Eigenschaft als Unterlehrer zugebrachten Dienstzeit für die Erlangung von Dienstalterszulagen, ferner eine Petition des Verbandes deutscher Lehrer um Ausarbeitung eines neuen Pensionsgesetzes fanden in dem Abgeordneten Dr. Buch- müller (Leoben) einen warmen Fürsprecher, während der Berichterstatter des Unterrichts- ausschusses, Graf Stürgkh (Großgrundbesitz), sich vollständig ablehnend verhielt, so auch der Landtag; nur betreffs der letztgenannten Petition sollen »Erhebungen« ge- pflogen werden.

Kärntner Landtag. Dieser beschloss, die k. k. Regierung zur Bestellung ständiger Bezirksschulinspectoren aufzufordern und zur Deckung der Kosten für die derzeitige Einrichtung der Inspection einen Staatsbeitrag von 4000 A’ anzusprechen, da es Sache des Staates sei, die Kosten der Schulinspectionen zu tragen. Ferner beschloss der Landtag, dass Aushilfslehrer nach mindestens zehnjähriger tadelloser Dienstleistung, falls sie wegen vorgerückten Alters oder schwerer körperlicher oder geistiger Gebrechen und anderer berücksichtigenswerten Verhältnisse dienstuntauglich erscheinen, von diesem Zeitpunkte an eine in Monatsraten zu gewährende jährliche Unterstützung erhalten, und zwar 40°;, nach 10 Jahren, für jedes weitere Jahr 2°/, mehr von der zuletzt bezogenen Jahres. remuneration. Obwohl die Bestimmung über Schulanfang und Ferien innerhalb der Volksschulgesetzgebung dem Verordnungswege überlassen ist, nahm der Landtag einen Gesetzentwurfan, demzufolge das Schuljahr an Orten, in denen sich Mittelschulen befinden, gleichzeitig mit dem der Mittelschulen beginnen und schließen solle; in den übrigen Orten habe das Schuljahr 46 Wochen zu dauern und in der Regel am Mittwoch nach Östern zu beginnen; die Hauptferien seien vom 13. September bis 2. November; Aus- nahmen können für einzelne Orte über Antrag des Bezirksschulrathes vom Landes-

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schulrathe verfügt werden. (Wurde nicht sanctioniert.) Aus dem im Voranschlage des Landesschulfonds mit 2900 Ä” festgesetzten Betrage für Bezirks-Lehrerbibliotheken wurde vorderhand für die Zeit von drei Jahren ein Betrag von je 1000 X jährlich ausgeschieden und der Studienbibliothek in Klagenfurt zugewendet.

Das neue Gehaltsgesetz vom 1g. September 1899 bestimmt folgende Bezüge: I. Classe (20°/, der definitiven Lehrer) mit 1600 X, II. Classe (30°/,) mit 1400 X, III. Classe mit 1200 A, Lehrerinnen mit 80°/, dieses Betrages, Unterlehrer und Unter- lehrerinnen mit 800 A. Die Vorrückung muss bei zwei Drittheilen nach der Dienstzeit erfolgen. Functionszulage für den Leiter an einclassigen Volksschulen IOoo K, an mehr- classigen 60 Ä per Classe (zusammen nicht über 300 Ä), an selbständigen Bürgerschulen 300 Ä, an Volks- und Bürgerschulen 400 Ä. Die Lehrkräfte an Bürgerschulen erhalten: I. Classe (40°/,) 2000 Ä, II. Classe 1800 A, weibliche Lehrkräfte 80°/, dieser Bezüge.

Krainer Landtag. Die Pensions-Bestimmungen des Gesetzes vom 29. April 1873 wurden dahin abgeändert, dass in Hinkunft die Lehrer (Lehrerinnen) nach 10 Jahren definitiver Dienstzeit 40°/, des jeweiligen Gehaltes als Pension erhalten, und dass diese mit jedem weiteren Dienstjahr um 2°/, erhöht wird. Der Landesausschuss wurde beauftragt, a) in Erwägung zu ziehen, wie und in welchem Maße es möglich wäre, der Lehrerschaft die Quinquennalzulage zu erhöhen und Quartiergelder zu gewähren, ohne den Landes- fonds zu sehr zu belasten, 5) sich an die k. k. Regierung unter Nachweisung der Entwicklung und des Erfordernisses des Volksschulwesens um einen Staatsbeitrag zu dem stets steigenden Erfordernisse beim Normalschulfonde zu wenden.

Böhmischer Landtag. Der deutsche und der czechische Landeslehrerverein hatten mittelst Petition dem Landtage einen Gehaltsgesetzentwurf überrreicht. In der Sitzung vom 30. März dieses Jahres gelangten die Entwürfe zur ersten Lesung, wobei die Bericht- erstatter (czechischerseits Abgeordneter A n y ,deutscherseits AbgeordneterDr.W erunsky) warm für die Lehrerschaft eintraten. Auch Abgeordneter Opitz (christlichsocial) unter- stützte die Forderungen der Lehrer und bemerkte, dass speciell Böhmen so niedrige Lehrergehalte besitze, dass es wirklich eine Schande sei; solche Gehalte gebe man in jeder größeren Stadt jedem Taglöhner; er wünsche also auch für die Lehrerschaft eine: Neuregelung der Gehalte im Sinne der socialen Gerechtigkeit. Es erfolgte ordnungsgemäß die Zuweisung beider Gesetzentwürfe an die Schulcommission, in welcher zunächst in einer Generaldebatte die Ansichten der einzelnen Abgeordneten als Vertreter ihrer Parteien zum Ausdruck gelangten. Der czechische Abgeordnete Stastny berechnete hiebei die Arbeitszeit des Lehrers auf 87 Tage und fand eine Entlohnung von 200 fl. für hinreichend, die Lehrerin aber verdiene seiner Meinung nach, noch weniger zu erhalten. Graf Zedtwitz meinte, die Schulgemeinden sollten selbst Functions- und Personalzulagen übernehmen, um zu einer gewissen Sparsamkeit im Schulwesen beizutragen ; die Lehrer könnten Ersparungen ermöglichen durch Einführung des Halbtagsunterrichtes an bisher zweiclassigen Schulen mit 80— 100 Kindern, in mehrclassigen Schulen aber könne man für 5 Classen mit vier Lehrkräften auskommen. Die Mehrzahl der Redner erkannte die Gehaltsregulierung als nothwendig und dringend an, bezeichnete aber die in der Petition, beziehungsweise im Gesetzentwurfe enthaltenen Gehaltsansätze als zu hohe. Dem gegenüber erklärte Abgeordneter Ritter v. Holzinger, Rector der deutschen Universität, dass er sich betreffs der Gehaltsforderungen vollständig auf Seite der Volks- und Bürgerschullehrer stelle ; das Verlangen derselben sei bescheiden und gerechtfertigt; man solle die Lehrer zufriedenstellen. Staat und Land haben ein wesentliches Interesse daran, dass dies geschehe‘ die Lehrer dürfen nicht durch Noth den extremen Parteien in die Hände getrieben werden. Man

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darf die Lehrer wegen des Lärms, mit dem ihre Forderungen hie und da vertreten werden, nichttadeln;ohnedenselbenwürdensiesichkaumGehörverschaffen. Auch ihm habe man seinerzeit, als er für die Forderungen der Hochschullehrer eintrat, zugerufen, sie seien unerfüllbar; und doch sind sie heute erfüllt ! Es sei nicht wahr, dass die Grehaltsansprüche der Lehrer unerfüllbar sind; der Staat müsse in geeigneter Weise mithelfen, die Budgetcommission werde schon Mittel und Wege ausfindig machen. Auch die Abgeordneten Legler und Vollgruber sprachen für die Annahme der Gehaltsentwürfe; Abgeordneter Celakovsky wies insbesondere darauf hin, dass eine Anzahl Petitionen aus Bürgerkreisen zu Gunsten der Gehaltsfrage eingelaufen seien; dies entspringe nicht einer leichten Gefälligkeit, sondern einem wohlverstandenen Interesse am Schul- wesen. Die Schulcommission stellte nach Ablehnung der Legler’schen Minoritätsvota folgende Grundsätze auf, nach denen erst der Landesausschuss einen Gesetzentwurf aus- arbeiten soll: ı. Sämmtliche Unterlehrerstellen werden in Volksschullehrerstellen um- gewandelt. 2. Lehrpersonen mit Reifezeugnis werden als provisorische Lehrer angestellt und erhalten eine Jahresentlohnung von 900 A. 3. Lehrbefähigten Lehrpersonen an allgemeinen Volksschulen gebürt, ob sie provisorisch oder definitiv angestellt sind, in den ersten fünf Dienstjahren ein Grundgehalt von 1200 A’; nach dieser Zeit erhöht sich der Grundgehalt auf 1400 A, in Prag, Karolinenthal, Smichov, Königliche Weinberge, Zizkov und Karlsbad, sowie in den übrigen Ortsgemeinden mit mehr als 30.000 Einwohnern auf 1600 A. 4. Der Grundgehalt der an Bürgerschulen bestellten Lehrpersonen beträgt in den ersten fünf Jahren ihrer Wirksamkeit an der Bürgerschule 1600 A; er erhöht sich nach dieser Zeit auf 1800 A, in den im Punkt 3 angeführten Orten auf 2000 A. 5. Sämmtlichen definitiv angestellten Lehrpersonen an den allgemeinen Volks- schulen und den Bürgerschulen gebüren bei pflichtgemäßer und ununterbrochener Wirk- samkeit, beginnend vom Zeitpunkte des Anfalles des erhöhten Grundgehaltes der Volks- schullehrer, von 5 zu 5 Jahren sechs Gehaltserhöhungen im Betrage von je 200 A”, 6. Den lehrbefähigten Lehrpersonen an den allgemeinen Volksschulen, sowie den an den Bürgerschulen wirkenden Lehrpersonen gebüren in die Pension nicht einrechenbare Dienstzulagen von 10 bis 30°/, des jeweiligen Grundgehaltes. 7. Die Functionszulage der Leiter einclassiger Volksschulen ist auf 200 A” zu erhöhen; im übrigen sind die Functionszulagen im bisherigen Ausmaße beizubehalten. 8. Die weiblichen Lehrpersonen sind in allen ihren Bezügen den männlichen Lehrpersonen gleichzustellen. g. Die Ent- lohnungen und Gehaltsbezüge der Industriallehrerinnen sind auch fernerhin im allge- meinen nach den im Gesetze vom Jahre 1899 normierten Beträgen zu bemessen. 10. Die Entlohnungen und Gehaltsbezüuge für die Ertheilung des Religionsunterrichtes sind gleichzeitig nach den in der Resolution des Landtages vom g. Mai 1899 ausgespro- chenen Grundsätzen zu regeln. ıı. Die zur Erlangung der vollen Pensionsbezüge bisher vorgeschriebene Dienstzeit von 40 Jahren bleibt aufrecht. Nach 10-jähriger Dienstzeit beträgt die Pension 40°%/, der anrechenbaren Jahresbezüge, nach jedem weiteren Dienst- jahre 20/, mehr. Im Falle der Dienstunfähigkeit ist bei wenigstens 5-jähriger anrechen- barer Dienstzeit eine Lehrperson betreffs des Pensionsbezuges und der Versorgung der Hinterbliebenen so zu behandeln, als ob sie bereits IO anrechenbare Dienstjahre zu- rückgelegt hätte.

WelchenEindruck die Commissionsbeschlüsse auf die Lehrerschaft ausübten, ersieht man aus der von der Abgeordnetenversammlung des deutschen Landeslehrervereines ein- hellig gefassten Entschließung: »Die am 24. Mai in Prag versammelten 125 Vertreter der 79 Zweigvereine des deutschen Landeslehrervereines in Böhmen geben namens der

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gesammten deutschen Lehrerschaft des Landes ihrer bitteren Enttäuschung und tiefen Missstim mung darüber Ausdruck, dass die Anträge der Schulcommission so weit hinter den berechtigten Ansprüchen der Lehrerschaft zurückgeblieben sind. Die deutschen Lehrer Böhmens beharren nach wie vor auf ihren von den deutschen Land- tagsabgeordneten als berechtigt anerkannten und in dem von denselben eingebrachten Gesetzentwurfe niedergelegten Forderungen und werden daher mit allen Mitteln dahin wirken, dass diese Forderungen, die schon vor zwei Jahren gestellt wurden, und die infolge der seit jener Zeit eingetretenen außergewöhnlichen Preissteigerung aller Lebens- bedürfnisse gegenwärtig nur um so dringender und berechtigter geworden sind, bereits in der nächsten Tagung des Landtages der sicheren Erfüllung im Gesetzeswege zuge- führt werden. Die Lehrer arbeiten mit Treue und Hingebung, mit dem Aufgebote ihrer ganzen Kraft in ihrem Berufe; dafür muss das Land auch seiner im $. 55 des Reichs- volksschulgesetzes ausgesprochenen Verpflichtung in gerechter Weise nachkommen.«

Aus dem Berichte des Landesausschusses über den Zustand des Volksschul- wesens in Böhmen für das Jahr 1898 bis 1899 ergibt sich die höchst auffällige That- sache, dass neben 482 czechischen die große Zahl von 71I deutschen einclassigen Schulen besteht, da doch die Czechen zwei Drittel der Bevölkerung ausmachen. Die Zahl der zwei-, drei- und vierclassigen Schulen ist czechischerseits fast doppelt so groß wie die Anzahl der deutschen. Der unobligate Unterricht in czechischer Sprache wird in 79 deutschen Schulen ertheilt, dagegen die deutsche Sprache an 446 czechischen Schulen gelehrt.

Die deutschen Privatschulen werden von 8638 deutschen und 3217 czechi- schen, die czechischen Privatschulen von 12.590 czechischen und nur 52 deutschen Kindern besucht. Die Kinderzahl stieg in den letzten zwei Jahren in den deutschen Landschulbezirken um 15.792, in den czechischen um 5769. Auf die deutschen Land- schulbezirke entfielen 97.144 (24'5°.,), auf die czechischen Landschulbezirke 279.843 (70°7°,) Schulbefreiungen.

Mährischer Landtag. Endlich wurden auch die Bezüge der Brünner Lehrper- sonen einer Neuregelung unterzogen: I. Kategorie (Bürgerschullehrer). Stammgehalt 1700 A (-} 200 A’ aus Gemeindemitteln), 1800 A (+ 100 A’ aus Gemeindemitteln), 2000 A, dann sechs Dienstalterszulagen (400, 200, 400, 200, 300, 300 A’) und als Wohnungsbeitrag: für Lehrer 500 A, für Directoren 800 A}; Functionszulage der letz- teren 400, bezw. 600 A’; Personalzulage für Lehrer nach zwanzigjähriger Dienstzeit (Lehrer, welche keinen Leiterposten erhalten können) 200 AR. II. Kategorie (Volks- schullehrer). Stammgcehalt 1200, 1400, 1600 A’ (dazu aus Gemeindemitteln je 200 A’); dann sechs Dienstalterszulagen (320, 160, 320, 160, 200, 200 A’) und als Wohnungs- beitrag: für Lehrer 380 A’, für Oberlehrer 700 A’; Functionszulage der letzteren 400 A}; Personalzulage für Lehrer nach zwanzigjähriger Dienstzeit (die Zulage entfällt aber bei Erreichung einer Oberlehrerstelle) 200 A, III. Kategorie. Stammgehalt 1000 A, Quinquennalzulage 320 A, Wohnungsbeitrag 300 A) Provisorische Unterlehrer ohne Lehrbefähigungsprüfung beziehen einen Gehalt von goo A’ und einen Wohnungsbeitrag von 240 A, Unterlehrer mit Befähigung 1000 A’ Gehalt. Die Katecheten an Bürger- schulen erhalten 2000 A, jene an Volksschulen 1600 A’ Gehalt und die gleichen Zulagen wie die weltlichen Lehrkräfte (ohne Functionszulage). Die Industriallehrerinnen beziehen eine Remuneration von 600 A’ und einen Wohnungsbeitrag von 100 A.

Schlesischer Landtag. Nach langen Verhandlungen kam endlich ein Gehalts- gesetz zustande, welches auf Grund des Versonalclassensystems den .Lehrpersonen fol- gende Bezüge in Aussicht stellt:

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Für Bürgerschullehrer 2200 A” (50°/, der Gesammtzahl) und 2400 A (auch 50°/,) ; Quartiergeld für den Director 800 X, für Bürgerschullehrer 600 X, Functionszulage für den ersteren 600 Ä, Die Gehaltsansätze für Volksschullehrer sind 1400 X (30°/, der Gesammtzahl), 1600 X (40°/,) und 1800 X (30°/,). Quartiergeld für den Oberlehrer soo X, für den Lehrer 500 X in Städten und Industrieorten und 250 Ä an allen anderen Orten. Sieben Dienstalterszulagen werden mit 1ı0°/,; des Grundgehaltes bemessen werden. Dieses Gesetz ist aber ein sogenanntes »Lage rgesetz«, da es erst dann in Wirksam- keit treten soll, wenn die nothwendigen Mittel aufgebracht sind. (!!) Da es hinter den Erwartungen der Lehrer weit zurückblieb und dazu noch die bis jetzt in Schlesien unbekannten »Versetzungen aus Dienstesrücksichten« enthält, ist die Lehrerschaft des ganzen Kronlandes wieder um eine große Enttäuschung reicher geworden.

Obergerichtliche Entscheidungen. Der Verwaltungsgerichtshofhataner- kannt, dass der Gemeindevertretung das Recht zusteht, unter Umständen auch confessionelle Schulen zu subventionieren. Entscheidungsgründe: Das Gesetz vom 25. Mai 1868 entzieht nach seinem Wortlaute und seiner Absicht einzig und allein die confessionellen Zwecke als solche der Beitragspflicht der Andersgläubigen, wollte im übrigen aber auf den selbständigen Wirkungskreis der Gemeinde keinen weiteren Einfluss ausüben, wenn außer confessionellen Bestimmungen noch ein anderes in den Kreis der Aufgaben und Zwecke der Gesammtgemeinde fallendes specielles Interesse der Gemeinde befriedigt wird. Bestünde die betreffende confessionelle, mit dem Rechte der Öffentlichkeit ausgestattete Privatschule, die von einer Anzahl von Kindern der Gemeinde besucht wird, nicht, so "müsste für den Unterricht der letzteren in anderer Weise Sorge getroffen werden, wodurch in absehbarer Zeit eine Erweiterung der allgemeinen Volksschule, somit eine Erhöhung der Schullasten bewirkt würde. Daher dient eine solche Anstalt unmittelbar einem allgemeinen Gemeindezwecke, erfüllt eine Gemeindeaufgabe für die Gemeinde selbst und gereicht der Allgemeinheit zum Vortheil, indem sie die Schullasten erleichtert, beziehungsweise eine Steigerung derselben hintanhält.

Zeitungsberichten zufolge hat der Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass der Landesschulrath zur Besetzung erledigter Lehrstellen im Wege der aus Dienstesrücksichten erfolgten definitiven Versetzung einer Lehrperson auf einen anderen Dienstposten ohne Rücksicht auf das Präsentationsrecht des Bezirksschulrathes berechtigt ist.

Einige Mitglieder eines Ortsschulrathes wohnten nicht nur dem Schulunter- richte bei, sondern stellten auch Fragen an die Kinder und wollten den Lehrern Ver- haltungsmaßregeln geben. Daraus erwuchs ein Competenzstreit, den in letzter Instanz der Verwaltungsgerichtshof dahin entschied, dass der Ortsschulrath als niedrigste Behörde wohl über materielle Fragen und über die Disciplin in der Schule zu wachen, seine Wahrnehmungen aber den höheren Behörden mitzutheilen und keineswegs direct einzugreifen habe, womit der Einspruch des Ortsschulrathes abgewiesen war.

Das Reichsgericht hat in einer Schulstrafangelegenheit ein überraschendes Erkenntnis gefällt, die eigentliche strittige Sache aber nicht entschieden. Eine Schul- partei schickte ihr Kind nicht in die Kirche und wurde dafür vom Bezirksschulrathe mit einer Geldstrafe belegt, welches Straferkenntnis vom Landesschulrathe und in wei- terer Folge vom Ministerium bestätigt wurde. Die verurtheilte Partei wendete sich an das Reichsgericht, dieses aber wies die Beschwerde mit der Begründung ab, dass dem

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Beschwerdeführer vom Landesschulrathe kein Zwang auferlegt wurde, denn nicht er, sondern sein Kind sollte zum Kirchenbesuch verhalten werden. Über die Frage, ob der Kirchenbesuch als Bestandtheil der im Reichsvolksschulgesetze normierten religiösen Übungen anzusehen und deshalb von der zur Aufsicht berechtigten Schulbehörde zu überwachen ist, könne das Reichsgericht nicht entscheiden, weil diese Frage vor die Competenz eines anderen Gerichtes gehöre.

Der Wiener Bezirksschulrath stellte an das Bezirksgericht das Ansuchen, eine confessionslose Partei zu veranlassen, eine gesetzlich anerkannte Religion zu bestimmen, in welcher das gegenwärtig die Schule besuchende Kind dieser Partei zu unterrichten wäre, im Weigerungsfalle derselben gegen sie wegen Ver- letzung der elterlichen Pflicht vorzugehen. Der Richter wies das Begehren damit zurück, dass die Frage, in welcher Religion ein Kind zu erziehen sei, von der politischen Be- hörde zu entscheiden ist. Auch das Landesgericht lehnte ein Einschreiten mit der Begrün- dung ab, dass das Gericht als Pflegschaftsbehörde nur darüber zu wachen habe, dass der Vater seine mit der väterlichen Gewalt verbundenen Pflichten nicht vernachlässige. Dieser Fall sei nicht eingetreten, da eine gänzliche Vernachlässigung der Erzie- hung des Kindes nicht vorliegt. Was sodann die Pflicht des Vaters anbelangt, durch Unterricht in der Religion und in nützlichen Kenntnissen den Grund zur künftigen Wohlfahrt seines ehelichen Kindes zu legen, so kommt hiebei einerseits der häus- liche, andererseits der schulmäßige Religionsunterricht in Betracht. Betreffs des häus- lichen Unterrichtes kann mit Rücksicht auf die staatsgrundgesetzlich gewährleistete Glaubens- und Gewissensfreiheit ein Zwang auf den Vater nicht ausgeübt werden, damit er sein Kind in einer Religion selbst unterrichte, der er nicht angehört. Was jedoch den schulmäßigen Religionsunterricht betrifft, so sind den politischen und Schulbehörden genügende Zwangsmaßregeln eingeräumt, um die in ihren Verpflichtungen säumigen Eltern zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Pflichten zu verhalten. Der oberste Gerichts- hof bestätigte die untergerichtlichen Beschlüsse und fügte noch hinzu, dass die Frage, welche der Bezirksschulrath angeregt habe, nur nach dem Gesetze vom 25. Mai 1868 über die interconfessionellen Verhältnisse der Staatsbürger beurtheilt werden könne, nach Artikel 18 dieses Gesetzes aber die Vollziehung der darin enthaltenen Bestimmun- gen zunächst der Cultusbehörde zugewiesen ist, daher die Entscheidung solcher con- fessioneller Fragen allerdings in den Bereich der Verwaltungsbehörden gehört, derzeit also, wo eine Entscheidung der Verwaltungsbehörden hierüber, ob und in welcher Religion das minderjährige Kind eventuell zu erziehen sei, noch nicht vorliegt, die Vormundschaftsbehörde zu dem begehrten FEinschreiten keinen Anlass findet.

Die Geschäftsordnung des Wiener Bezirksschulrathes wurde mit Genehmigung des n. 6. Landesschulrathes in der Weise abgeändert, dass den Verhand- lungen einer bestimmten Fachsection jene Mitglieder des Bezirksschulrathes, welche dieser Section nicht angehören, nur dann anwohnen dürfen, wenn sie vom Sectionsobmanne eigens geladen sind. Dadurch fühlten sich die fortschrittlichen Lehrervertreter in ihren Befugnissen beschränkt, und sie wandten sich deshalb mit einer Beschwerde an die Ober- behörde. Eine diese Sache besprechende Anfrage des socialistischen Abgeordneten Berner an den Unterrichtsminister beantwortete dieser dahin, dass er weder in der Abänderung der Geschäftsordnung, noch in der Handhabung derselben ein gesetzwidriges Verhalten erblicken könne. Eine andere Frage sei es, ob die vorgenommene Abänderung in ihrem vollen Umfange nothwendig und zweckmäßig erscheine, oder ob es nicht vielmehr an- gezeigt wäre, die Änderung auf die Disciplinarcommission zu beschränken. Auf letzteren

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Umstand habe der Minister den n. ö. Landesschulrath aufmerksam gemacht und ihn zu dessen näherer Erwägung aufgefordert.

Der Wiener Gemeinderath beschloss eine Petition an den Landtag, damit die Zahl der von der Gemeinde Wien in den Landesschulrath zu entsen- denden Vertreter von drei auf fünf erhöht werde, da in dieser Schulbehörde neben ı2 Mitgliedern mit Beamtencharakter nur g Mitglieder autonomer Körperschaften sitzen. Gemeinderath Prof. Fiegl stellte den Zusatzantrag, dass auch von der Lehrer- conferenz drei Mitglieder gewählt werden sollen. Die Gemeinderäthe Steiner und Dr. Gessmann (beide Landesausschüsse), wie der Referent, Vicebürgermeister Dr. Neu- mayer, bekämpften diesen Antrag, worauf derselbe abgelehnt wurde.

Über die Leistungen der Bürgerschüler. Die Schriftleitung der »österr. Bürgerschulzeitung<« richtete an einige fachliche Anstalten die Anfrage, welche Fort- schritte die Bürgerschüler im Vergleich mit ihren aus Mittelschulen gekommenen Kameraden aufweisen. Die k. k. önologische und pomologische Lehranstalt in Kloster- neuburg, zu deren Besuch statutengemäß von dem Schüler der Nachweis der entspre- chenden Absolvierung der vier unteren Classen der Mittelschule verlangt wird, wogegen absolvierte Bürgerschüler von der Direction zur Aufnahmsprüfung zugelassen werden können, gab nachstehendes Urtheil ab: »Auf Grund der bisherigen Erfahrungen kann gesagt werden, dass die absolvierten Bürgerschüler in der Mehrzahl der Fälle bessere Resultate aufzuweisen hatten als die Absolventen der unteren Abtheilung einer allge- meinen Mittelschule, was sich vielfach darauf gründet, dass die von der Realschule oder dem Gymnasium übertretenden Schüler geringere Studienerfolge zeigten und glau- ben, dass man in landwirtschaftlichen Fachschulen weniger zu lernen habe, während bei den übergetretenen Bürgerschülern die Absicht vorherrscht, sich wirklich fachlich auszubilden.e Auch von den Directionen des »Francisco-Josefinum« in Mödling, dann der Wiener Handelsakademie liefen günstig lautende Urtheile ein, und es unterliegt keinem Zweifel, dass die mit einem guten Zeugnisse ausgestatteten Absolventen durchweg concurrenztüchtig sind; wenn aber ein Schüler nicht die vollständige Bürger- schule besucht hat, sondern etwa nur die erste Classe derselben, dann sollte das lob- liche Publicum die Summe oder den Mangel an Kenntnissen eines solchen Schülers niemals als Ergebnis der Bürgerschulbildung ansehen und sich auch nicht zu irrigen Fol- gerungen verleiten lassen.

Resolution eines Bauerntages: »Die am 6. December 1899 zu Linz ver- sammelten Bauern fordern eine vernünftige, dem Volkswohle untergeordnete Militärwirt- schaft, und zwar vorläufige Verkürzung der Dienstzeit, unbedingten Ernteurlaub, Ein- reihung assentpflichtiger Bauern in die Ersatzreserve, Maßhalten in der Vorrückung und Vermehrung der Officiersstellen und Pensionierungen, Verbesserung der Mannschafts- kost, Reform der Militärstrafrechtspflege; Sorge für einedurchgreifende Volks- bildung und Erziehung des Volkes zur .Gottesfurcht, deutscher Sitte und wahrem Christenthume, Übernahme der Schullasten durch den Staat, Unentgeltlichkeit des Unterrichtes, der Lehr- und Lernmittel, Hebung der allgemeinen und landwirtschaftli- chen Fachbildung, vollwertige mehrjährige Fortbildungsschule, Erweiterung des Lehrstoffes vor allem durch vaterländische Geschichte, Gesetzeskunde und Verfas- sungslehre.«

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II. Amtliche und außeramtliche Thätigkeit der Lehrer; Schul- und Standesfragen; Personalien.

Die Landesausschussberichte über das Volksschulwesen lauteten, soweit die Thätigkeit und methodische Tüchtigkeit, der Eifer und die Unterrichtserfolge, wie auch das sonstige Verhalten der I.ehrer in Betracht kamen, seit Jahren übereinstimmend günstig, und man war es gewohnt, dass die Landtage die Berichte »mit Befriedigung« zur Kenntnis nahmen; im Vorjahre jedoch wurde im n, 6. Landtage bei der Kenntnis- nahme des vorgelegten Berichtes die »Befriedigung« gestrichen, und zwar namentlich mit Beziehung auf das außerdienstliche Verhalten mancher Lehrpersonen. Auch der steiermärkische Bericht berührt die politische Thätigkeit der Lehrerschaft im beson- deren und tadelt nachdrücklich die Heftigkeit, mit welcher die Verbesserung der materiellen Lage angestrebt wird. Die Fachblätter erwiderten auf diese Vorwürfe, wie nothwendig es in erster Linie sei, dass die löbliche Behörde die Ursachen ergründe, warum so manches nicht besser sei, als es wirklich sein könnte und sollte. So ist in den genannten Berichten auch das Unterrichtsverfahren sehr eingehend behandelt, und es könnte der Fachmann daraus die entsprechende Nutzanwendung ziehen; allein seit jeher wurde der Lehrerschaft das über sie gefällte Urtheil nicht zur Kenntnis ge- bracht, und sie war diesbezüglich auf irgendein politisches Blatt angewiesen, welches diese Dinge nur von der ihm zweckdienlichen Seite zu betrachten pflegt.

Die von der Lehrerschaft in den Vereinen entwickelte Thätigkeit ist in Anbe- tracht der gegenwärtigen höchst ungünstigen Zeitverhältnisse als recht befriedigend zu bezeichnen. War es die Aufgabe der großen Vereine, der Landesverbände, in erster Linie die rechtliche und materielle Stellung des Lehrstandes und die Nothwendigkeit der freien Schule zu vertreten, s9 blieb den Zweigvereinen die umfängliche Kleinarbeit für sämmtliche Gebiete der pädagogischen Interessen zugewiesen. Es fehlte hiebei nicht an den für die Vereinsthätigkeit so wesentlichen »Debatten«. In Bezug auf die Schul- methodik wurden insbesondere der Sprachunterricht (Aufsatz etc.), die Heimatkunde und der Zeichenunterricht behandelt. Dass die anzügliche Bemerkung mancher Schulfreunde: in den Vereinen handle es sich nur um Gehaltsaufbesserungen, den Thatsachen nicht entspricht, lehrt schon die oberflächlichste Lectüre der Vereinsberichte in den Fach- blättern; die politischen Blätter und die politischen Parteien aber, die kümmern sich freilich nur um die für ihren politischen Zweck passenden Vorkommnisse und haben daher für die stille Arbeit auf dem Gebiete der methodischen Ausgestaltung weder Verlangen noch Verständnis.

Der deutsch-österreichische Lehrerbund hielt am ı. November 1899 zu Wien eine außerordentliche Versammlung ab mit dem einzigen Thema: »Unsere Gehaltsforderungen« (Ref. Schreiter—Graslitz). Der Eindruck dieser von Tausenden von Lehrern besuchten Versammlung war ein umso größerer, als in derselben die Ver- treter der slavischen Landeslehrervereine erschienen waren und sich in der Gehaltsfrage dem d. ö. Lehrerbunde ganz anschlossen und auch Vertreter freisinniger Parteien des Abgeordnetenhauses das Wort ergriffen. Es wurde beschlossen, Abordnungen zu ent- senden an das Unterrichtsministerium und an Abgeordnete verschiedener Parteirich- tungen, damit einmal von reichswegen etwas zur Besserung der materiellen Lage der Lehrer geschehe; diese Bemühungen hatten keinen praktischen Erfolg, und es erregte in Lehrerkreisen die größte Sensation, dass die Abordnung, welche die gesammte öster- reichische Lehrerschaft, deren Patriotismus und Loyalität nicht dem leisesten Zweifel

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unterworfen sein kann, zu repräsentieren hatte, die Pforten des hohen Unterrichts- ministeriums im eigentlichen Sinne des Wortes verschlossen fand.

Die ordentliche Hauptversammlung wurde am 6., 7. und 8. August zu Aussig abgehalten und war eine der glänzendsten großen Lehrerversammlungen. Die Bevölkerung der Stadt Aussig bereitete der Lehrerschaft den herzlichsten Empfang und bewies in jeder Weise die Achtung und Zuneigung, welche sie der Schule und deren Lehrern entgegenbringt. Zu den Hauptversammlungen, denen Vertreter der Stadt Aussig und Abgeordnete der deutsch-politischen Parteien anwohnten, hatten sich ungefähr 1800 Theilnehmer eingefunden; in allen großen Fragen wurde volles Einverständnis erzielt, so dass sich die Entschließungen des Lehrertages zu einmüthigen, mächtigen Kundgebungen gestalteten. (Siehe Vereinsbericht.)

Auch die zu Ostern Igoo in Wien abgehaltene Hauptversammlung des deutsch- österreichischen Bürgerschullehrerbundes nahm Gelegenheit zu erklären, dass sie unentwegt auf dem Boden des Reichsvolksschulgesetzes stehe und für die freie Schule und die wahre Bildung des Volkes einzutreten stets bereit sei. (Siehe Vereins- bericht.)

Der Verein »Bürgerschule« in Wien feierte den Gedenktag des 25-jährigen Bestandes unter Theilnahme von Vertretern der fortschrittlichen Lehrervereine, mehrerer Abgeordneten und Gemeinderäthe. Nr. 6 der »Österreichischen Bürgerschulzeitung« erschien als Festnummer.

Der II. tirolische Lehrertag wurde am 26. September 1899 zu Wilten unter nicht geringer Theilnahme der Lehrerschaft abgehalten, obwohl der »katholische Lehrerverein« dieser Versammlung feindlich gegenüberstand und in der »Kath. Volksschule« die freisinnige Lehrerschaft als vaterlands- und religionsfeindlich verdächtigt worden war. Lehrer Lobenstock-Asam als Vorsitzender der Versammlung wies in würdiger Weise die sich selbst richtenden Angriffe der Gegenpartei zurück und ersuchte die Theil- nehmer, sich nicht zu allzuscharfen Entgegnungen hinreißen zu lassen, damit niemand der Versammlung falsche Tendenzen unterschieben könne. Auf den Kaiser als den Geber des Reichsvolksschulgesetzes wurde ein begeistertes »Hoch!« ausgebracht, dann die Volkshymne abgesungen. Lehrer Silber sprach über die Gehaltsfrage der Lehrer, Lobenstock über die Geschichte und Entstehung des zweiten Lehrertages. Zwei Resolutionen, betreffend die Festhaltung an den beim ersten Lehrertage aufgestellten Forderungen und die entschiedene Abwehr unwürdiger Angriffe, fanden einstimmige Annahme.

Der VII. deutsch-österreichische Mittelschultag fand zu Wien am 9., 10. und ı1. April statt und wurde namens der Regierung von Hofrath Dr. Huemer begrüßt. Tagesordnung der Hauptversammlungen: Die Vorarbeiten zur Dienstpragmatik (Dressler-Wien); psychologische Untersuchungen über Prüfen und Classificieren (Mar- tinak-Graz); der Lehrernangel an Mittelschulen (Polaschek-Czernowitz); Vorschläge zur Einführung einer allgemeinen Versicherung der Activitätszulagen (Schlegl-Wien); der Kampf gegen die Sinnlichkeit (Keme&ny-Budapest. Außerdem wurden in einer Reihe von Sectionen (Realschule, philologische, philosophische, naturwissenschaftliche, historisch-geographische, pädagogische, für Körperpflege und Schulhygiene, für Biblio- thekswesen) Specialberathungen geführt. (Siehe Thesen.)

Für die Schaffung eines Reichslehrerbundes resolutionierte der Florids- dorfer Lehrerverein: Die letzten Ereignisse im schulpolitischen Leben mussten die ein- zelnen österreichischen Lehrervereinigungen ohne Unterschied der Nation überzeugt

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haben, dass sie in ihrem Kampfe gegen den gemeinsamen Feind der Schule und um eine materielle und politische Besserstellung der österreichischen Lehrerschaft nur dann auf sicheren Erfolg rechnen dürfen, wenn sie zu einem Reichsbunde vereinigt, als eine Macht und nicht als einzelne Trümmer aufzutreten vermögen. Die Schaffung eines Reichslehrerbundes, der die Lehrer aller Nationen umfasst, ist daher ernstlich anzustreben.

Die im August 1899 zu Prag stattgefundene Abgeordnetenversammlung des czechischen Landeslehrervereines in Böhmen fasste den Beschluss, mit der slavischen Lehrerschaft Schlesiens und Mährens in Verbindung zu treten und die Satzungen für einen »Bund der czechisch-slavischen Lehrerschaft« vorzubereiten. (Im Jahre ı89g hatte der czechische Landeslehrerverein in Böhmen 120 Zweigvereine mit 8172 Mitgliedern.)

Die dritte ordentliche Versammlung des Centralverbandes der deutsch-österreichi- schen Volksbildungsvereine fand in Wien am 15. October 1899 statt und behan- delte u. a. das Thema »Fortbildungscurse für Bürgerschullehrer« (Ref. Dir. Pohl-Prag). Dem Verbande gehören an: Wiener Volksbildungsverein, allgem. n. ö. Volksbildungs- verein, deutscher Verein zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse in Prag, deutsch- mährischer und steirischer Volksbildungsverein, österr. Verein gegen Trunksucht, Verein zur Pflege des Jugendspiels, »Skioptikon«, die ethische Gesellschaft und der Docenten- verein der Wiener Hochschulen. |

Betreffs der Frauenbildung leitete der Verein der Lehrerinnen und Erziehe- rinnen an das Unterrichtsministerium eine Denkschrift, in welcher drei Arten von neuen Bildungsanstalten als nothwendig bezeichnet werden, und zwar: 1. Eine höhere Fortbildungsschule für Mädchen der gebildeten Stände auf hauswirtschaftlicher Grund- lage mit besonderer Berücksichtigung der Hygiene und Erziehungslehre, mit einem Worte: eine Schule, aus welcher Frauen hervorgehen, die neben fremden Sprachen, Literatur, Mathematik etc. noch soviel gelernt haben, dass sie dem Berufe des Gatten, Vaters oder Sohnes Verständnis entgegenbringen können, die ihren Lebenszweck nicht in Putz, Vergnügen und Luxus suchen, die an Kunst und Wissenschaft Freude haben, die ihre höchste Aufgabe in der Erziehung ihrer Kinder suchen und soviel vom Haus- halte verstehen, dass sie nichts Unmögliches von den Untergebenen fordern, sondern die Räder des Haushaltes in Gang zu bringen vermögen und dabei lästige Reibung und Karren vermeiden. 2. Hauswirtschaftliche Curse für Mädchen, welche dereinst als Frauen voraussichtlich einen Haushalt führen, in welchem bezahlte Arbeitskräfte fehlen; Frauen, die durch Sparsamkeit, Ordnung und Geschicklichkeit den Mann ans Haus fesseln, für ihn und die Kinder verständnisvoll sorgen, dass das Erworbene zureicht und das Leben doch nicht ganz freudenleer verfließt. 3. Schulen für Frauen, die einen selbständigen Beruf ergreifen, sei es aus Neigung, sei es aus Nothwendigkeit, um die Familie zu entlasten.

Im n. 6. Landtage stellte Abg. v. Freudenthal den Antrag: Die hohe Regierung wird aufgefordert, in Rücksicht auf die allgemein anerkannte Überlastung der Jugend an unseren Gymnasien, sowie auf die geänderten Anforderungen der Zeit den Unter- richt in der griechischen Sprache als nicht obligaten Gegenstand zu erklären und an Stelle desselben den Unterricht in einer modernen Sprache zur Einführung zu bringen.

In einem Erlasse des Unterrichtsministers vom 13. December 1899, Z. 34-448, an alle Landesschulräthe werden diese ersucht, »bei Gelegenheit aufzuführender Neu- bauten für die Unterbringung von allgemeinen Volksschulen auf die leistungsfähigen

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Gemeinden dahin einzuwirken, dass hiebei auch auf die Schaffung ausreichender Räum- lichkeiten, insbesondere eines Zeichensaales für den Bedarf des gewerblichen Fortbildungsunterrichtes, sowie auf entsprechende Ausstattung dieser Localitäten mit geeigneten Schuleinrichtungsgegenständen entsprechend Rücksicht genommen werde.«

Der kärntische Landtag hatte im Jahre 1898 beschlossen, den Fortbil- dungsunterricht als beruflichen Unterricht einzuführen. Schon im Decem- ber 1899 richtete der Landesausschuss an die Ortsschulräthe die Anfrage, ob sie der Einführung des landwirtschaftlichen Unterrichtes in ihren Sprengeln zustimmen, zu- gleich wurde eine Unterstützung des Landes bei Erfüllung nachfolgender Bedingungen versprochen: Die Anerkennung des Lehrplanes einschließlich einer jährlich mindestens 60-stündigen Unterrichtszeit; die Theilnahme von wenigstens ı2 Schülern; das Vor- handensein eines fachlich geprüften Lehrers und die Übernahme der Kosten für die. fachlichen Erfordernisse durch die Gemeinde. Die Anfrage ergieng an 351 Ortsschul- räthe; 20 gaben keine Antwort, 100 sprachen sich für, 227 dagegen aus (bei 4 war die Antwort in Verlust gerathen). Furcht vor neuen Lasten, Mangel an Arbeitskräften und die Besorgnis, die erforderliche Zahl der Schüler nicht auftreiben zu können, waren die Beweggründe der Gegner.

Der Unterrichtsminister hat mit Erlass vom 8. März 1899, Z. 5589, die probe- weise Einführung, bezw. Wiedereinführung des Stenographieunterrichtes an Bürgerschulen in Böhmen vorläufig bis zum Schlusse des Schuljahres 1900’1901 unter der Voraussetzung gestattet, dass I. ausschließlich geprüfte Lehrer den Unter- richt ertheilen, 2. nur begabte Schüler der zweiten und dritten Bürgerschulclasse, welche die Rechtschreibung vollständig innehaben, zur Theilnahme am Unterrichte in der Stenographie zugelassen werden, und dass daher über die Zulassung der Schüler die Lehrerconferenz zu entscheiden hat, 3. nicht mehr als vierzig Schüler einem Lehrer zugewiesen werden, 4. die Kosten der Ertheilung des Stenographieunterrichtes ohne Inanspruchnahme der für den öffentlichen Schuldienst gesetzmäßig bestimmten finan- ziellen Mittel bestritten werden. Durch Ministerialerlass vom 27. August 1900, Z. 21.843, wurde der an einzelnen Wiener Bürgerschulen probeweise bestehende Steno- graphieunterricht in seinem gegenwärtigen Umfange unter den oben genannten Bedin- gungen als eine dauernde Einrichtung genehmigt. Diese Curse sind zweijährig, daher weiters auf solche Schüler zu beschränken, welche noch zwei Jahre schul- pflichtig sind.

Bezüglich der von vielen Bürgerschullehrern geforderten Aufnahmsprüfungen an Bürgerschulen erklärt ein Ministerialerlass vom ı6. Juni 1899, Z. 8365, dass es unzulässig ist, Kinder, die durch die betreffenden Schulnachrichten oder Zeugnisse den Nachweis liefern, dass sie mit genügendem Erfolge den 5. Jahrescurs irgend einer allgemeinen Volksschule besucht haben, einer Aufnahmsprüfung für Bürgerschulen zu unterwerfen. Bezüglich jener Kinder, die über den zurückgelegten 5. Jahrescurs einer allgemeinen Volksschule Schulnachrichten oder Zeugnisse beibringen, die in einzelnen Gegenständen, insbesondere in jenen, denen für das gute Fortkommen der Schüler in einer Bürgerschule eine besondere Bedeutung beizumessen ist (Religion, Unterrichts- sprache und Rechnen), die Note »kaum genügend« oder »ungenügend« aufweisen, wird die Prüfung zugelassen, um nach dem Ergebnisse derselben über die Reife des Schüler® entscheiden zu können.

Im Badener Amtsblatte verlautbart der Bezirksschulrath in Betreff der reli- giösen Übungen: ı. Während der Schulferien ist eine Verpflichtung zum Besuche

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des Gottesdienstes seitens der Schule nicht auszusprechen; es obliegt den Eltern, die Kinder zur Kirche zu führen. Eine Verpflichtung, den Kirchenbesuch während der Ferienzeit zu überwachen, besteht für die Lehrerschaft nicht. 2. Wenn infolge einer Epidemie die Schulsperre verhängt wird, ist den Kindern von der Lehrerschaft der Kirchenbesuch geradezu zu untersagen, und die Kinder sind darauf aufmerksam zu machen, dass zu solcher Zeit Ansammlungen überhaupt zu vermeiden sind. 3. Auffällige, durch die Schuld des Kindes herbeigeführte Vernachlässigung des Kirchenbesuches kann in der Sittennote, nicht aber in der Note für Religionslehre zum Ausdruck gebracht werden. Andererseits sind über alle Versäumnisse der religiösen Übungen, namentlich der Schulmesse, Anzeigen an den Ortsschulrath zu erstatten; diese werden wie strafbare Schulversäumnisse behandelt.

Der n. 6. Landesschulrath hat die Wiedereinführung der »Schulprämien« in einem Erlasse befürwortet und hiebei besonders erwähnt, dass hiebei nicht der Unter- schied zwischen guten und schwachen, sondern nur zwischen gesitteten und ungezogenen Schülern zu machen sei.

In Bezug auf die Elternconferenzen waren die Meinungen in der Lehrer- schaft getheilt; während der eine Theil davon eine merkliche Besserung der häuslichen Erziehung erwartet, meinen die anderen, dass die Stellung des Lehrers noch immer eine zu unsichere sei, um einen solchen Einfluss auszuüben, dass auch andererseits in großen Bevölkerungsschichten das Verständnis und Interesse hiefür fehle. In Wien wurden wiederholt solche Versammlungen abgehalten, in denen Schul- und Erziehungs- fragen zur Besprechung gelangten und das regste Interesse der ungemein zahlreich erschienenen Zuhörer erweckt wurde. Auch anderwärts beginnt man die Angelegenheit praktisch durchzuführen, so z. B. in Oberösterreich; während aber in Linz die Abhal- tung einer solchen Elternconferenz in allseits zufriedenstellender Weise vor sich gieng, wurde sie für Klaus vom Bezirksschulrathe Kirchdorf einfach untersagt.

Die Frage der Schülerausflüge ist im verflossenen Schuljahre wiederholt in Vereinen und Fachblättern behandelt worden, und es lässt sich ihr geistbildender Zweck und Nutzen für den Schüler, abgesehen von der günstigen physischen Wirkung, nicht bestreiten. Solange hiebei die Schule nicht durch die Behörden und Verkehrsanstalten unter- stützt wird dies gilt namentlich in den größeren Städten bleibt ein Ausflug mit Schülern immer ein Wagnis des einzelnen Lehrers.

In den Schulzeitungen sind hie und da Ankündigungen von Lehrern und Schul- leitern zu lesen, dass sie Stadtkinder zur Erholung die Ferien hindurch in Kost und Pflege nehmen. In Deutschland wird die Unterbringung der Stadtkinder während des Sommers planmäßig in großem Maßstabe durchgeführt; so befindet sich z. B. in Frankfurt a. M. eine Vermittlungsstelle für den Ferienaufenthalt der Stadtkinder auf dem Lande. Gleich zu Beginn des Unternehmens wurden Hunderte von Kindern ange- meldet. Die Feriencolonien gewähren satzungsgemäß nur schwächlichen Kindern arıner Eltern die unentgeltliche Aufnahme. Viele Eltern würden zwar cinige Opfer für die Erholung ihrer Kinder bringen, sind aber durch Berufspflichten etc. verhindert, selbst mit ihnen aufs Land zu gehen. Die Institution in Deutschland verdiente auch bei uns Nachahmung.

Das Unterrichtministerium hat seinerzeit mit Erlass vom 22. Jänner 1897 die Landesschulbehörden aufgefordert, unter Würdigung der besonderen Verhältnisse der einzelnen Schulorte Erhebungen zu pflegen, ı. ob rücksichtlich der Studenten- quartiere Übelstände bestehen und welcher Art sie sind; 2. was seitens der Schul-

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leitungen, bezw. Schulbehörden in dieser Hinsicht bereits veranlasst wurde; 3. was zur Abstellung bestehender Übelstände eventuell vorgekehrt werden könnte. Nach dem weiteren Erlasse vom 17. December 1897 hatten die Lehrkörper der Mittelschulen eine »Belehrung für Kost- und Quartiergeber« zu verfassen, in welcher Aufklärungen und Weisungen in sanitärer und moralisch-erziehlicher Richtung gegeben werden sollten. Da der hygienische Theil dem Ministerium nicht zu genügen schien, wurde der Landes- sanitätsrath betraut, »Sanitäre Winke für Kost- und Quartiergeber von Mittelschülern« auszuarbeiten. Es wurde hiebei ausdrücklich ausgesprochen, dass hiedurch das Studium unbemittelter Schüler weder vertheuert noch erschwert werden sollte. Der Landessanitätsrath hat nun die hygienische Seite der Studentenquartiere sehr eingehend und ausführlich behandelt und hiebei Anforderungen gestellt, die den vorgenannten Billigkeitsforderungen des Ministeriums nicht nur nicht entsprachen, son- dern :bezüglich der betreffenden Vergleichungspunkte bis jetzt weder von den großen Gemeinden noch vom Staate selbst eingehalten werden. Diese hygienischen » Winke« gelangten nun wieder an die Mittelschuldirectoren, u. zw. mit der Weisung, dieselben den localen Verhältnissen und Bedürfnissen entsprechend anzupassen.

Der »Verband der deutschen Lehrer und Lehrerinnen in Steiermark« befasste sich in seiner Hauptversammlung vom 14. September ı899 mit der Errichtung von Heimstätten für Lehrerkinder in Graz und anderen Orten (Ref. Karl Gassa- reck). Die Ortsgruppe Graz des Wiener Lehrerhausvereines hat nun Aufnahms- bedingungen, Hausordnung und Geschäftsführung genau festgestellt und zeigt die Erö ff- nung des »Heims für Lehrersöhne« mit 15. September 1900 für 20 Zöglinge an.

Bezüglich der Verwendung schulpflichtiger Kinder in gewerbli- chen Betrieben wurden seitens des Centralvereines der Wiener Lehrerschaft Erhe- bungen eingeleitet, um einen genaueren Einblick in diese für Erziehung und Unterricht so wichtige Angelegenheit zu erhalten. In Wien untersagte der Bezirksschulrath den Schulleitern, die zugeschickten Fragebogen zu beantworten; dagegen wurden in mehreren Schulbezirken auf dem flachen Lande sowohl Erhebungen über die Erwerbsthätigkeit der Kinder, als auch über die Lebensverhältnisse derselben ohne Behinderung gepflogen (Verköstigung, Nothwendigkeit der Betheilung mit Lernmitteln etc.).

Justizminister Dr. Kindinger fordert in einer Verordnung vom 3. December 1899 die Gerichte zur genauen und ernsten Anwendung der Gesetze und Vorschriften auf, die einen wirksamen Kinderschutz bezwecken. Es heißt darin u. a.: »Das Gericht kann wegen schwerer Misshandlung oder drohender Verwahrlosung der Kinder auf den Ver- lust der väterlichen Gewalt erkennen und die Unterbringung der Kinder in einer anderen Familie oder in einer Besserungs- oder Erziehungsanstalt verfügen. Die bestehenden: Executionsprivilegien zu Gunsten der auf dem Gesetze beruhenden Unterhaltungsansprüche ermöglichen. es ferner bei strengem und energischem Vorgehen, die schuldtragenden Eltern auch zur Bezahlung der Kosten der Unterbringung heranzuziehen und dadurch zu verhindern, dass sie die gerichtliche Maßregel etwa gar als eine wirtschaftliche Er- leichterung oder als eine Befreiung von einer lästigen Pflicht hinnehmen.« Dem Gerichte müssten vorher von Seite der Nachbarn, Verwandten u. a. Wahrnehmungen mitgetheilt werden, die ein Einschreiten rechtfertigen und Veranlassung zu gerichtlichen Fürsorge- maßregeln geben; daher sind von den Strafgerichten alle Acte von Misshandlungen oder Verwahrlosung von Kindern, insbesondere Acte, aus denen die Verleitung oder Ver- wendung von Kindern zum Bettel hervorgeht, jedesmal dem zuständigen Pflegschafts- gerichte zu übermitteln. »Da Organisationen der Privatwohlthätigkeit, die sich den

202 Kinderschutz zum Ziele gesetzt haben, das Gericht bei Lösung seiner Aufgabe aufs wirksamste unterstützen können, sollen die Gerichte derartigen Vereinen dienstlich in jeder Weise entgegenkommen und ihre Thätigkeit und Entwicklung möglichst zu för- dern suchen.«

In der Bezirksvertretung Neubau (Wien, VII.) wurde folgender Antrag einge- bracht: »Der löbliche Stadtrath werde ersucht, an die competenten Schulbehörden und an den n. ö. Landtag heranzutreten, damit im Gesetzeswege Verfügungen getroffen wer- den, nach welchen in allen Volks- und Bürgerschulen, an welchen zehn Classen und darüber bestehen, ein Stellvertreter des Directors oder des Oberlehrers mit dem Range und den Bezügen derselben ernannt werde.« Begründet war dieser An- trag mit den schlechten Vorrückungsverhältnissen der Lehrerschaft, welchem Übel aber, abgesehen von anderen Bedenken, mit der geplanten Einrichtung durchaus nicht abgeholfen würde. In der von der Behörde herabgelangten »Umschreibung der Dienstverpflichtung der Leiter der öffentlichen Volks- und Bürgerschulen in Wien« wird die Nothwendig- keit der einheitlichen Leitung vorzugsweise betont, und es heißt daselbst: »Die Schule ist ein äußerst complicierter Organismus, der nur dann seiner Aufgabe voll und ganz gerecht werden kann, wenn alle Theile richtig ineinandergreifen, wenn stets recht- zeitig, richtig und umsichtig eingegriffen wird. Das kann nur durch eine Person und nur dann geschehen, wenn ihr auch eine gewisse Machtvollkommenheit eingeräumt ist.« In Brünn hat man diesbezüglich eine andere Bestimmung getroffen: Verdienstvolle Lehrkräfte, welche keinen Leiterposten erreichen können, beziehen eine Personalzulage.

Mehrere Bezirksschulräthe, wie die von Troppau, Salzburg, Hallein, Cilli, Loitsch, Klagenfurt und Völkermarkt haben bereits die Aufhebung der geheimen Ouali- fication beschlossen und den Lehrpersonen die Einsichtnahme in die Qualifica- tionstabelle gestattet.

Der kärntische Landesschulrath hat unter Hinweis auf die im Zuge befindliche Umarbeitung der Instruction für die k. k. Bezirksschulinspectoren folgende Vorschrift erlassen: »Nach beendeter Inspection hat der Inspector die Ergebnisse seiner Wahrnehmungen mit dem Lehrer, an mehrclassigen Schulen mit der Lehrerconferenz, eingehend zu besprechen und aufklärende und rechtfertigende Äußerungen, Wünsche und Beschwerden der betreffenden Lehrpersonen entgegenzunehmen. Über die Besprechung ist ein Protokoll aufzunehmen, welches auch die Schlussurtheile des Bezirksschulinspec- tors in präciser Fassung zu enthalten hat; dasselbe ist von den inspicierten Lehrper- sonen und von dem Bezirksschulinspector zu unterzeichnen und dem Bezirksschulrathe binnen vierzehn Tagen berichtlich vorzulegen. Der Bericht hat zu enthalten, was der Bezirksschulinspector an Ort und Stelle selbst veranlasst hat, und Anträge zu stellen, was vom k.k. Bezirksschulrathe zu veranlassen wäre. Diese Inspectionsprotokolle haben die Grundlage aller über die Lehrpersonen abzugebenden qualificierenden Äußerungen zu bilden und sind nach erfolgter amtlicher Erledigung den betreffenden Bezirksschul- inspectoren zur Verwahrung und Evidenzhaltung zu übergeben.«

Wegen Übertretung des $. 24 der Schul- und Unterrichtsordnung, bezw. nach einschlägigem strafrechtlichen Anhalt, hatten mehrere Lehrpersonen sich dem Urtheils- spruche des Richters zu unterwerfen; es waren übrigens die freisprechenden Erkennt- nisse überwiegend, da in jedem einzelnen Falle die besonderen Umstände den Aus- schlag gaben, endlich weil auch das kaiserliche Patent vom Jahre 1852 ein gewisses Maß von körperlicher Züchtigung zulässt. Dem erziehenden Lehrer aber wird jeder derartige Bericht eine Mahnung und zugleich eine Warnung sein.

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Ein trauriges Capitel in der Schulgeschichte dieses Jahres bilden die zahlreichen Lehrermaßregelungen, welche durchwegs wegen des außerdienstlichen Verhaltens der betreffenden Lehrer erfolgten, u. zw., wie sich den verschiedenartigen Angaben der Zeitungen entnehmen lässt, wegen schulpolitischer Agitation für die Freiheit der Schule, für die politische und confessionelle Unabhängigkeit, wie für die wirtschaftliche Besser- stellung des Lehrstandes. Alle Grade der Disciplinarstrafen: Verweise, strafweise Ver- setzungen aus »Dienstesrücksichten«, Entziehung des Nebenerwerbes an Wiener Gewerbe- schulen, ja sogar Entlassungen aus dem Schuldienste, wurden verhängt. Einige dieser Maßregelungen harren noch der oberbehördlichen Bestätigung. Es ist kein zufälliges Zusammentreffen, dass in den letzten größeren Lehrerversammlungen so eingehend und dringlich über die Reform des ‘gegenwärtig geübten Disciplinarverfahrens verhandelt wurde. Durch öffentliche Aufrufe in den Zeitungen wurde seitens des Centralvereines der Wiener Lehrerschaft eine Sammlung zu Gunsten der einer Unterstützung bedürf- tigen Gemaßregelten eingeleitet.

»Die Flucht aus dem Lehrstande« ist zu einer ständigen Rubrik in den Fachzeitungen geworden. Viele jüngere Lehrer suchen und erreichen eine andere Er- werbsstellung, die ihnen, ihrer Vorbildung entsprechend, eine bedeutend höhere Ent- lohnung gewährt, als der mit so viel Anstrengung verbundene und mit dem kargsten Gehalt bemessene Schuldienst.

Dittes-Denkmal. Der Ausschuss des deutsch-österr. Lehrerbundes hat die Enthüllung des Grabdenkmales, welches die österreichische und reichsdeutsche Lehrer- schaft auf dem evangelischen Matzleinsdorfer Friedhofe zum Andenken an ihren uner- schrockenen Vorkämpfer errichtete, auf Sonntag, den 21. October 1900, angesetzt. Mit Entwurf und Ausführung des Monumentes war der Wiener Bildhauer Rudolf Schröer betraut.

Der Vicepräsident des n. ö. Landesschulrathes, Dr. Erich Wolf, wurde in den Ruhestand versetzt, wobei ihm in Anerkennung seiner vieljährigen ersprießlichen Dienst- leistung der Orden der Eisernen Krone II. Classe ‚verliehen wurde, Gleichzeitig erfolgte die Ernennung des Ministerialrathes Dr. Richard Bienerth zum Vicepräsidenten des n. 6. Landesschulrathes.

Paul Hübner, Taubstummenlehrer, Gründer und langjähriger Leiter des Asyles für Findlinge und verlassene Kinder in Zillingsdorf, starb am 26. August ı8g99 zu Langenschönbichl.

Schulrath Eduard Kittel, ehem. Director der Lehrer- und T.ehrerinnenbildungs- anstalt in Linz, pädagogischer Schriftsteller, starb am 14. August 1900 zu Leitmeritz.

Dr. Adalbert Falk, der Minister der preußischen »Maigesetze«, seit 1882 Ober -Landesgerichtspräsident in Hamm, ist dortselbst am 7. Juli gestorben. Am 22. Jänner 1872 erhielt Falk das Cultus-Portefeuille und machte es sich zur Aufgabe, die unveräußerlichen Hoheitsrechte des Staates gegenüber den Ultramontanen aufrecht zu erhalten und die Übergriffe der kirchlichen Partei zurückzuweisen. Zu diesem Zwecke schuf er die »Maigesetze« und das Schulaufsichtsgesetz. Allein sein Unterrichtsgesetz, welches das preußische Schulwesen ein- für allemal gegen Verwaltungswillkür sicher- stellen sollte, scheiterte wegen der hohen Kosten an dem Widerstande des Finanz- ministers.

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Ill. Das pädagogische Vereinswesen in Österreich.

Zusammengestellt von ANTON ZENS.

Deutsch-österreichischer Lehrerbund. 7 Landeslehrervereine (Niederöster- reich, Oberösterreich, Salzburg, Kärnten, Vorarlberg, Böhmen, Mähren), 274 Zweig- vereine, 17.343 Mitglieder. Zahlreiche dringende Arbeiten nahmen die volle Kraft des Bundesausschusses in Anspruch. Die wichtigsten hierunter sind die Arbeiten zur Erlan- gung einer Gehaltsregulierung und zur Schaffung eines modernen, gerechten Disciplinar- gesetzes. Um die erste Frage ins Rollen zu bringen, wurde am I. Nov, 1899 eine außerordentl. Bundesversammlung nach Wien einberufen mit der Tagesordnung: Unsere Gehaltsfor- derungen (Ref. Schreiter). Der Bundesausschuss arbeitete ein Rahmen-Gehaltsgesetz für die einzelnen Kronländer, ferner ein vollständiges Disciplinargesetz aus. Die Arbeiten zur Errichtung eines Dittes-Denkmales kamen zum Abschlusse. Weiters beschäftigte sich der Ausschuss mit Vorschlägen zur Abänderung der Schul- und Unterrichts- ordnung, mit der Aufstellung eines »Programmes«, das die Aufgaben des Bundes ge- nauer feststellen und besonders den freien, deutschen und fortschrittlichen Charakter betonen sollte, mit der Änderung der Satzungen und endlich mit dem Plane, das Bundesblatt »Deutsch-österreichische Lehrerzeitung«, Schriftleiter A. Ch. Jessen, sämmt- lichen Mitgliedern als Vereinsgabe zukommen zu lassen.

Die ordentliche Hauptversammlung fand am 7. und 8. August 1900 zu Aussig statt und hatte den großen, doppelten Erfolg, dass der Bundesgedanke in den ver- schiedenen Lehrergruppen mächtig gestärkt und das Einvernehmen mit großen und intelligenten Bevölkerungskreisen neuerlich vor aller Welt bekundet wurde. B.-L. Strebl-Wien sprach über das Thema: »Die Schule ist Volks-, nicht Parteisache« Um die Schule zur Volkssache umzugestalten, müsse gefordert werden: Befreiung der Unterrichtsgegenstände von confessioneller Beeinflussung, Reform des Geschichtsunterrichtes und anderer Unterrichtsgegenstände, Belehrungen auf dem Gebiete der Volkswirtschaftslehre; dazu ein Lehrstand, der gesellschaftlich geachtet ist und wirtschaftlich unabhängig seines Amtes walten kann. Behufs Schaffung eines Disciplinargesetzes (Berichterstatter B.-D. Kurz-Wien und V.-L. Seitz-Wien) wurden folgende Grundsätze angenommen: I. Es werde ein Reichsgesetz geschaffen, das möglichst genau mit dem Gesetze für die Disciplinarbehandlung der richterlichen Beamten übereinstimmt. 2. Die endgiltige Rechtsprechung geschehe nicht durch das Ministerium, sondern durch einen Reichssenat, der nach Art der Bezirks- und Landessenate zu- sammengesetzt ist. 3. Die Versetzungen aus Dienstesrücksichten sollen der Überprüfung des Disciplinargerichtes unterliegen. 4. Die Entlassung könne nur erfolgen, wenn gegen die Lehrperson ein Urtheil gefällt wurde, welches sie im Sinne des $. 48, Abs. 3 des Reichsvolksschulgesetzes vom 2. Mai 1883, von der Anstellung ausschließe. Den Glanz- punkt der 2. Hauptversammlung bildete der Vortrag: Der Lehrer als Staats- bürger von B.-L. Franz Schreiter-Graslitz. Redner wies nach, dass der $. 55 des Reichsvolksschulgesetzes keine Einschränkung der in den Artikeln ıı bis ı6 des Staatsgrundgesetzes gewährleisteten Rechte der Staatsbürger enthält, trotzdem aber die Grundlage der Lehrermaßregelungen bilde. »Solange die Forderungen der Lehrer nicht erfüllt werden, solange müssen diese im Kampfe um ihre Rechte ausharren.« Über die Gehaltsfrage referierte O.-L. Holczabek-Wien, die von ihm auf- gestellten Leitsätze wurden einhellig angenommen. Auch die Nebenversammlungen

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(Versammlung der »deutschgesinnten Lehrer« und der »Jungen«) waren sehr gut be- sucht; eine von mehr als tausend Personen besuchte Volksversammlung sprach in einer Entschliedßung die Zustimmung zu den Forderungen der Lehrerschaft aus. Bundesleitung. Obmann O.-L. Anton Katschinka-Wien; Ausschussmitglieder, u. zw. aus Böhmen: Rudolf, Legler, Pohl, Mautner, Schreiter; aus Mähren: Knaute, Netopil; aus Schlesien: Proksch, Pratschker; aus Niederösterreich: Kessler; aus Ober- österreich: Flir, Fischer; aus Salzburg: Simmerle; aus Kärnten: Mattersdorfer; aus Steiermark: Pröll; aus Vorarlberg: Drexel; aus Wien: Jessen, Strebl, Bruche, Petzel, Seipel, Freiinger, Honigmann, Stanzl, Köhler, Püchl, Herbe. (3 Mandate erledigt.)

Deutsch-österreichischer Bürgerschullehrerbund. ı250 Mitglieder. Der IV. Bürgerschultag wurde am ı2. April 1900 zu Wien abgehalten. Nach einer feier- lichen Kundgebung zu Gunsten des Fortbestandes der freiheitlichen Neuschule sprachen : B.-D. Püchl-Wien über das Thema »Zur Reform der österreichischen Bürgerschules, B.-L. Schrimpf-Wr. Neustadt über die Regelung der Lehrverpflichtung, B.-L. Jos. Kramny über die von der Unterrichtsverwaltung geplante Reform des Zeichenunter- richtes. Letzteres Thema wurde dem Bundesrathe zur neuerlichen Berathung und Stel- lung von Anträgen für die nächste Bundesversammlung zugewiesen. In Angelegen- heit der Regelung der Lehrverpflichtung für Bürgerschullehrer und der Reform der Bürgerschule wurden Denkschriften an das h. Ministerium für Cultus und Unterricht geleitet. Da die Unterrichtsverwaltung die Errichtung von sechsclassigen Mädchen- lyceen beabsichtigte, aufbauend auf die 5. Volksschulclasse, leitete der Bundesausschuss eine Besprechung sämmtlicher interessierter Factoren ein, über deren Resultat, dass bei Mädchenlyceen nur die Bürgerschule als Grundlage zu nehmen sei, ebenfalls dem hohen Unterrichtsministerium eine Denkschrift überreicht wurde. Präsident: B.-L. Oswald Hohensinner-Wien, Vicepräsidenten: B.-D. Franz Böhm-Znaim und B.-L. Albert Katschitschnig-Graz, Schriftführer: B.-L.. W. Pausa-Wien, Zahlmeister: B.-L. Johann Binder-Wien, Bundesorgan : »Österr. Bürgerschul-Zeitung« (VerwalterP. Unter- kofler, Wien, XII., Pohlg. 32).

Niederösterreichischer Landeslehrerverein. 42 Zweigvereine, 4636 Mitglie- der. Neu eingeführt wurden Obmännerconferenzen, in denen insbesonder die Organisa- tion der n. ö. Lehrerschaft zur eingehenden Berathung gelangte. In Angelegenheit der Gehaltsfrage veranstalteten die Zweigvereine Demonstrationsversammlungen, um die Be- völkerung von der Nothlage der Lehrer und der Berechtigung ihrer materiellen For- derungen zu überzeugen. Alle diese Versammlungen sind erfolgreich verlaufen; überall gelangten Entschließungen zur Annahme, welche die volle Zustimmung zur materiellen Besserstellung der Lehrer, sowie zu ihrer persönlichen Unabhängigkeit aussprachen und überaus lebhaft für eine freie Schule eintraten.

Vom Vereine wurden herausgegeben: Lehrerschematismus (niederösterreichischer Standesausweis) von B.-D. Walter-Gmünd; »Lehrerarbeit und Lehrerlohn« (Verwalter J- Lipp-Matzendorf); eine Flugschrift »Die Schule und die Lehrer des Volkes«. Vereinsorgan »Österr. Schulzeitung« (Schriftleiter Ed. Jordan). Centralausschuss: Ed. Jordan, Obmann; Th. Walter und J. Knopf, Stellvertreter; Hoffmann v. Aspernburg und Fr. Glammer, Schriftführer; Ignaz Großschopf, Cassier; J. Lipp, M. Gutlederer, G. Ribing, O. Katschinka, Ausschüsse.

Wiener pädagogische Gesellschaft. 26. Vereinsjahr; ı86 Mitglieder (167 ordentliche, 10 correspondierende, 6 beitragende und 3 Ehrenmitglieder). 270. Plenar- versammlung am 7. October 1899: Rechenschaftsbericht. Ergänzungswahlen in den Aus-

er.,

schuss. Schülerreisen als Concentrationspunkte der gesammten Erziehung (Victor Pimmer). 271. Plenarversammlung am 4. November: Die Aufsatzübungen mit besonderer Berück- sichtigung der Bürgerschule (S. Kuhner). Debatte zu Pimmers Vortrag. 272. Plenar- versammlung am 2. December: Die Erwerbsthätigkeit schulpflichtiger Kinder (Siegm. Kraus). Debatte zu Kuhners Vortrag. 273. Plenarversammlung am 13. Jänner 1900: J. G. Lehmann und unsere Schulkartographie (Karl Kratochwil)j. Debatte über »Correcturene. 274. Plenarversammlung (Pestalozzi-Feier) am 27. Jänner: Pestalozzi- Dittes (Victor Zwilling). 275. Plenarversammlung am 10. Februar: Das Zeichnen nach der Natur (Alois Kunzfeld). 276. Plenarversammlung am 3. März: Debatten zu den Vorträgen von Kraus und Kratochwil. 277. Plenarversammlung am 7. April: Ernennung eines Ehrenmitgliedes. Über die concentrische Methode des Unterrichtes (D. Simon). Referat über Prangs Zeichenwerke (A. Kunzfeld); Debatte. 278. Plenar- versammlung am 21. April: Über die Aufgaben des naturgeschichtlichen Unterrichtes (Ferd. Frank). Debatte zu Simons Vortrag. 279. Plenarversammlung am 5. Mai: »Dr. Friedrich Dittes in seiner Bedeutung für Mit- und Nachwelt von Albrecht Goerth« (V. Zwilling). »Schulzeit von F. Bucheder« (M. Zens). »Allerlei Hobelspäne aus meiner Werkstatt von F. Mohaupt« (Richard Klement). Debatte zu Simons Vortrag. 2830. Plenarversammlung am 19. Mai: »Das pädagogische Jahrbuch 1899« (V. Zwilling). Debatte zu Franks Vortrag. »Lehrerarbeit und Lehrerlohn von K. Schott« (Anton Druschba). Neuere Werke über den Elementarunterricht (Anton Zens). Der Verein sprach dem wohllöblichen Gcmeinderathe der Stadt Wien geziemenden Dank aus für die zur Herausgabe des »Pädagogischen Jahrbuches« gewidmete Subvention von 200 fl. Ein chrendes Andenken bewahrt die Wr. päd. Ges. den im letzten Vereinsjahre verstorbenen Mitgliedern: V.-L. Frl. Johanna Stein (im Gebirge durch Absturz ver- unglückt), O.-L. Ernst Woble, endlich dem vormaligen thätigen Mitgliede Paul Hübner. Wie alljährlich wurde auch diesmal am Todestage des Ehrenmitgliedes Dr. Friedr. Dittes ein Kranz auf dessen Grab niedergelegt. Beglückwünscht wurden anlässlich des 40-jährigen Dienstjubiläums das Ehrenmitglied B.-D. M. Binstorfer und das corresp. Mitglied Prof. Dr. Wendt. Zum Ehrenmitgliede wurde einhellig B.-D. Matthias Zens ernannt, u. zw. in Würdigung seiner durch ein Vierteljahrhundert für den Verein geleisteten Dienste. Ausschuss des 26. Vereinsjahres: B.-L. Ferdinand Frank, Vorsitzender; B.-D. M. Zens, IL, und B.-D. D. Simon, II. Vors. Stellv. ; V.-L. Josef Krapfenbauer, V.-L. Anton Zens (Redacteur des pädagogischen Jahr- buches), B.-L. Karl Sponner und T.-L. Anton Druschba, Schriftführer; B.-D. Karl Salava, Cassier; O.-L. Eduard Rybiczka und V.-L. Moriz Baumann, Bibliothekare; außerdem B.-L. Rudolf Aufreiter, V.-L. Adolf Fischer, V.-L. Friedrich Jenny, B.-L. Alois Kunzfeld. V.-L. Emil Urban und D. Victor Zwilling. „Bürgerschule“ in Wien. Obmann B.-L. Ludwig Arnhart, 390 Mitglieder, Bei der diesjährigen Hauptversammlung sprach der Verein mit Zweidrittelmehrheit der Stimmen aus, dass er im Sinne einer fortschrittlichen Entwicklung der Schule, nicht aber im Sinne des der Reaction dienenden »Vereines der Lehrer und Schulfreunde« wirken wolle. Der fortschrittliche Gedanke kam besonders zum Ausdruck, als über Anregung und unter Mitarbeit des Vereines »Bürgerschule« eine allgemeine, sehr gut besuchte Lehrerversammlung zustande kam, in welcher Referate über die moderne Schule und die wirtschaftliche Lage der Lehrer erstattet wurden. Gleich dem d. ö. Bürgerschul- lehrerbund nahm der Verein Stellung zur Frage der Mädchenlyceen, stimmte dem Vor- gehen des Bundesrathes zu und überreichte dem h. Unterrichtsministerium eine hierauf

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bezügliche Petition. Ferner wurden den competenten Behörden Denkschriften in der Gehalts- und Pensionsfrage übermittelt. Andere Verhandlungsthemen: Welche Mittel und Wege sind dermalen einzuschlagen und zu gebrauchen, damit die berechtigten For- derungen der Bürgerschullehrer berücksichtigt werden? (Unterkofler); die letzten Lehrer- ernennungen; Dienstespragmatik (Binder).

Wiener Lehrerverein. (Ehemals: Erster Wiener Lehrerverein »Die Volks- schule«.) Obmann B.-L. M. Strebl, 412 Mitglieder (1899). Der »Wr. L. V.« umfasst der- zeit diejenigen Lehrer Wiens, welche auf die Förderung des völkischen Gedankens auch auf dem Gebiete der Schule Gewicht legen, und einen Theil der altliberalen Lehrerschaft, beide mit dem Bestreben, an der freiheitlichen Gestaltung der Schule Antheil zu nehmen.

Die Kräfte des Vereines waren vorwiegend thätig in der Abwehr der durch die Christlichsocialen geförderten clericalen Bestrebungen, in der Zurückweisung der gegen den Lehrstand gerichteten Anwürfe und im Kampfe für Recht, Freiheit und Ehre. Eine Folge dieses Kampfes waren mehrere Maßregelungen; die Bestrebungen der völkisch gesinnten Lehrer wurden missdeutet, letztere bei Vorrückungen übergangen,. Der Verein war auch auf die Wahrung und Förderung der wirtschaftlichen Interessen der Lehrer- schaft bedacht und betheiligte sich an den Vorarbeiten zu allen größeren Lehrer- versammlungen. In pädagogischer Beziehung beschäftigte sich der Verein mit den Themen der Bezirkslehrerconferenzen; im besonderen ist der anregende Vortrag des Prof. Rusch über »Geschichte der deutschen Bürgerkunde« hervorzuheben.

Centralverein der Wiener Lehrerschaft. 614 ordentliche, 493 außerordent- liche Mitglieder. Obmann Karl Seitz. ıı Bezirkssectionen (für je 1 Wiener Inspections- bezirk), 2 Kategoriesectionen (Section der Bürgerschullehrer und Bürgerschullehrerinnen und die Section der jüngeren Lehrerschaft, nämlich der Unterlehrer und Unterlehre- rinnen). Berathungsgegenstände: Gemeinderath und Volksbildung; Protection bei den Stellenbesetzungen; Forderung nach freigewählten Lehrervertretern im Landesschulrathe; Maßregelung von Gewerbeschullehrern; Forderungen der Lehrerschaft an die Gemeinde- rathscandidaten; das Schulprogramm der Jungen; Stellungnahme gegen den Ausschluss von Lehrervertretern aus den Sitzungen der Disciplinarsection des Wiener Bezirksschul- rathes. Als über Aufforderung des Landeslehrervereines das Thema »Der Wert der Volksbildung und die materielle Stellung des Lehrstandes« in allen Zweigvereinen be- sprochen werden sollte, beriefen die Sectionen des Centralvereines innerhalb dreier Tage elf allgemein zugängliche Versammlungen ein, in denen Tausende den gerechten Forderungen der Lehrerschaft begeistert zustimmten. Auch sonst stellten sich die Sec- tionen in den Dienst der Volksaufklärung und wussten in mehreren Versammlungen die Eltern für die Schulfragen zu interessieren. (Z. B. Schularztfrage, Hemmnisse der Volksbildung, Wert der Realien u. a. m.) In der Kategoriesection der jüngeren Lehrer- schaft gelangten zur Besprechung: Anstellungsverhältnisse der provisorischen Lehr- kräfte; gerechte Stellenbesetzung (dieses Thema wiederholte sich in jeder Versamm- lung); Entziehung des politischen Wahlrechtes der Unterlehrer; Einfluss der Nothlage des Lehrstandes auf Erziehung und Unterricht. Wie im Vorjahre leitete der Verein- auch in diesem Jahre eine Action ein zu Gunsten solcher Substituten und Substitutinnen, die keine Ferienremuneration erhielten, und vertheilte die eingelaufenen Gelder an die Bewerber. Zu den wichtigsten Arbeiten auf social-politischem Gebiete gehören die Erhebungen des Vereines über gewerbliche Kinderarbeit, die unter Leitung des Blinden- lehrers S. Kraus über ganz Deutsch-Österreich ausgedehnt wurden; auch die Collegen anderer Zunge wurden dadurch zu ähnlichen Arbeiten angeregt.

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Verein der Lehrerinnen und Erzieherinnen in Österreich. (Gegr. 1870; Vereinshaus und Lehrerinnenheim Wien, IX., Eiseng. 34.) 3 Ehrenmitglieder, 50 unter- stützende und 799 ordentliche Mitglieder (683 Lehrerinnen und 116 Erzieherinnen). Die Hauptthätigkeit des Vereines bezog sich auf die Wahrung der besonderen Interessen der Lehrerinnen, auf die Mädchenfortbildung und die Rechtsverhältnisse der Erzieherinnen und Privatlehrerinnen. Vorträge: Dänemark und die dänischen Frauen (Fr. Pachness) ; Kinderschutz- und Rettungsgesellschaften (Frl. v. Wolfring): Mädchenfort- und Fach- bildung in England und Frankreich (Fr. Hainisch); die Kunst des mündlichen Vor- trages (Cyklus von 6 Abenden, Hofschauspieler Lewinsky). Präsidentin B.-D. Frl. M. Schwarz. Vereinsorgan »Lehrerinnenzeitung« (Schriftleiterin Frl. Borschitzky).

Verein zur Förderung des physikalischen und ehemischen Unterrichtes. (Gegründet 1894.) 318 Mitglieder (darunter 151 Lehrkräfte von Volks- und Bürger- schulen). Obmann Univers. Prof. Hofrath Dr. v. Lang. Lichterscheinungen in elektro- lytischen Zellen (Ing. Eichberg). Die actinischen Wirkungen elektrischer Entladungen (Univ. Doc. Schweidler). Experimente mit flüssiger Luft (Univ. Doc. Tuma). Lichte Scheine und Schatten (v. Obermayer). Neue Apparate für physikalische und chemische Laboratorien (Leiser). Die Goldschmid’schen Versuche (Prof. Bamberger). Elektrosta- tische Drehfelder (Dr. v. Lang). Der Wehnelt’sche Unterbrecher und andere physi- kalische Apparate (Prof. Höpflingen). Excursionen: Schuckertwerke; Fabrik Wage- manu, Seybel u. Comp.; Telephoncentrale; Fabrik Hutter u. Schranz; medic. Institut für Radiographie und Radiotherapie; k. k. Staatsdruckerei.

„Pädagogische Lesehalle.“ (Wien, VIII, Georgsgasse 1.) 250 Mitglieder. Obmann Friedr. Jenny. Der Verein bezweckt die Fortbildung der Lehrer und die Pflege der Geselligkeit durch Veranstaltung von Excursionen (mit Besichtigung interes- santer Gebäude, Institute, Etablissements u. dgl.), durch belehrende Vorträge, Discus- sionen, ganz besonders aber durch die täglich von 5—8 Uhr abends geöffnete Lese- halle. In dieser liegen auf: die wichtigsten Wiener Tagesblätter, alle österreichischen, sowie die meisten ausländischen Schulblätter, Wochen- und Monatsschriften, Revuen, mehrere pädagogische, social-pädagogische, politische und national-ökonomische Werke.

Verein der in Wr. Neustadt herangebildeten Lehrer. (Sitz: Wien, XII./2, Schönbrunnerstraße 176.) 308 Mitglieder. Obmann Otto Glöckel. Gegründet im Octo- ber 1894, entwickelte dieser Verein alsbald eine rege und erfolgreiche Thätigkeit, die dahin zielt, die Freundschaft, welche die Studiencollegen einstens enge verband, im Leben zu erhalten und zu kräftigen. Um den in Noth gerathenen »Neustädtern« rasch zu helfen, wurde ein »Brank-(Unterstützungs-)Fond« gegründet, der schon wiederholt einzugreifen Gelegenheit hatte. Allmonatlich finden Vereinsversammlungen in Wien, all- jährlich eine Wanderversammlung auf dem flachen Lande statt. (1895 Eggenburg, 1896 Gmünd, 1897 Themenau, 1898 Wr. Neustadt, 1899 Gloggnitz, 1900 Berndorf.) Vorträge und Discussionen (Juli 1899 bis Juli 1900): Eugen Dührings Stellung zu Schillers philosophischer Lyrik (Pollak). Die Alkoholfrage vom pädagogischen Standpunkte (Dr. Rudolf Wlassak). Forschungen und Erlebnisse meiner letzten Afrikareise (Dr. Emil Holub). Der naturalistische Roman Emile Zola (Zwinger). Die Centrallinien- karte und die auf ihr fußende, vollständig neue Betrachtungsweise des Himmels (Uhl- mann). Woran krankt unsere heutige Lehrerbildung? (Glöckel.) Der Vegetarismus (Pollak). Excursionen: Schwechater Brauhaus, Papierfabrik Schlöglmühl, Blindeninstitut Yurkersdorf, Wiener Telephoncentrale, Wiener Sternwarte, Zeitungsdruckerei der »Neuen Freien Presse«. Allmonatlich »Mittheilungen« des Vereines.

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Verein für Kindergärten und Kinderbewahranstalten in Österreich. (Sitz des Vereines in Wien.) ıg. Vereinsjahr. 567 Mitglieder. Vermögensstand: 2629 A bar und 10.000 X Renten. Freibeschäftigungen im Kindergarten (Frl. Schönbach); Ästhetische Erziehung im vorschulpflichtigen Alter (Fr. J. Sponner); Bilderbogen für Schule und Haus (Frl. Schraitl); Erinnerungen an Friedr. Fröbel (Pfarrer Baehring aus Minfeld-Rheinpfalz); der internationale Kinderschutzcongress in Budapest (Frl. Nagy); Stufengang für das Modellieren (Frl. Schmuck). Obmann B.-D. Jos. Kraft. Vereins- organ »Zeitschrift für das Kindergartenwesen« (Schriftleiter J. Kraft).

Katholischer Lehrerbund für Österreich. Bericht fehlt.

Verein der Lehrer und Schulfreunde in Wien (mit Ortsgruppen in den einzelnen Gemeindebezirken). Organ des Vereines: »Deutsche Schulzeitung,« Schrift- leiter Karl Haller. Bericht fehlt.

Oberösterreichischer Lehrerverein. 45 Zweigvereine mit 1180 Mitgliedern. Centralausschuss: Vorstand Alfred Böck-Gallneukirchen, Vorstandstellvertreter Raim. Flir-Linz, Schriftführer Jos. Aumayr-Linz und Bertha Hoffmann-Linz, Cassierin Marg. Gassenmayr-Linz, Schriftleiter der »Zeitschrift des o. 6. L. V.« Josef Niemetz-Linz, Margarethen; Ausschüsse; A. Fischer-Frankenmarkt, Horninger- Linz, Wiesenberger-Vöcklamarkt. Die Pflege und Führung der wirtschaftlichen Angelegenheiten wurde dem oberösterr. Lehrerhausvereine übertragen, dem statuten- gemäß alle Mitglieder des Lehrervereines angehören. Dadurch wurde es ermöglicht, dass beide Vereine auf ihrem engeren Gebiete eine intensivere Thätigkeit entfalten. Der Centralausschuss gliedert sich zur Arbeitstheilung in fünf Sectionen, die sich mit anderen Mitgliedern des L. V. cooptieren können: ı. Bildungssection, mit einer Reihe von Fachreferenten, denen die Fachblätter zur Verfügung gestellt werden; sie besorgt alle einschlägigen Angelegenheiten im Rahmen der weiteren Fortbildung der Mitglieder, die Regelung der Vortragsordnung und Unterrichtscurse. 2. Rechtssection. Diese befasste sich mit den vereins-gesetzlichen Bestimmungen, arbeitete eine Geschäftsordnung für die Zweigvereine aus und ertheilte in allen rechtlichen Fällen Rathschläge. 3. Presssection. Sie sorgt für die Abfassung und Übermittlung zeitgemäßer Aufsätze für die Tagesblätter und das Vereinsorgan. 4. Organisations-(Verwaltungs-) und 5. statistische Section. Im besonderen Maße beschäftigte den Verein wieder die leidige Gehaltsfrage (Ref. Aumayr). Die Generalversammlung trat anlässlich des 30-jährigen Bestandes des Reichsvolksschulgesetzes laut und feierlich für dieses Juwel unter den österreichischen Gesetzen ein. Andere Verhandlungsgegenstände: Über die Organisation (Flir), das Jugendschriftenunternehmen (Wiesenberger), Erziehung zur Kunst (Jos. Gräber).

Salzburger Landeslehrerverein. ı8 Zweigvereine, 349 Mitglieder. Obmann B.-L. Ed. Baumgartner-Hallein. Der Centralausschuss leitete durch den Abgeordneten Dr. Sylvester beim hohen Unterrichtsministerium die nothwendigen Schritte ein, um die Sanction des neuen Grehaltsgesetzes zu erwirken. In Angelegenheit der Pensions- verhältnisse wurde für den Landtag ein Gesetzentwurf ausgearbeitet. Behufs rascherer Arbeitserledigung setzte der Ausschuss ein Rechts-, Press- und Arbeitscomite ein. Der Schematismus wird künftig selbständig BEA: Vereinsorgan »Zeitschrift des Salzb. L. L. V.« (Schriftleiter Simmerle).

Steiermärkischer Lehrerbund. 24 Bezirkslehrervereine, 1100 Mitglieder. Ob- mann O.-L. Josef Killer-Friesach bei Stübing. Seit der vom V.-L. Horvatek-Guss- werk i. J. 1896 einberufenen allgemeinen Lehrerversammlung entfaltete der Bund durch

Jahrbuch d. Wien. päd, Ges. 1900. 14

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seine Zweigvereine eine rege Agitation, um die Gehaltsfrage einer befriedigenden Lösung zuzuführen, wie auch eine gerechte Dienstespragmatik und ein zeitgemäßes Disciplinar- gesetz durchzusetzen. Ersteres gelang theilweise, doch enthält das neue Gesetz manche Härten, so hält es u, a. noch an dem veralteten Systeme von Ortsclassen fest.

Dem steirischen Landtage wurden Petitionen übergeben, betreffend die Verbesse- rung der Lage der Arbeitslehrerinnen, die Vertretung der Volks- und Bürgerschullehrer im Landesschulrathe, die Einrechnung aller Dienstjahre für die Bemessung des Gehaltes der früheren Unterlehrer, die Errichtung von Erziehungsanstalten für sittlich verwahr- loste Kinder. Doch wurden alle diese Petitionen »aus principiellen Gründen« abschlägig beschieden. In diesem Jahre wurden noch mehrere Volksversammlungen veranstaltet und dabei Vorträge gehalten über Volksbildung und Volkswohlstand, Lehrerarbeit und Lehrerlohn. Vereinsorgan »Steirische Schul- und Lehrerzeitunge (Schrift- leiter Jos. Killer).

Verband der deutschen Lehrer und Lehrerinnen Steiermarks. ı3 Zweig- vereine mit478 Mitgliedern ;4 außerordentl. und 262 Einzelmitglieder. Obmann O.-L, Clement Pröll-Gleisdorf. Vereinsorgan »Pädagogische Zeitschrift« (Schriftleiter Ferd. Fellner-Graz).. Berathungsgegenstände der am 14. September 1899 zu Graz statt- gefundenen Hauptversammlung: Warum ist an der achtjährigen Schulpflicht festzuhalten ? (Schuster.) Errichtung von Heimstätten für Lehrerkinder (Gassareck) ; Rechtsverhältnisse der Lehrerschaft (Baumgartner); Gehaltsfrage (Camuzzi).

In Ausführung der Beschlüsse dieser Versammlung wurden Bittschriften geleitet: an den steierm. Landtag um Regelung der Pensionsverhältnisse, an den Landesausschuss und Landesschulrath, um die Anweisung der neuen Gehaltsbezüge zu beschleunigen. Zu gleicher Zeit ergieng an die gesammte steierm. Lehrerschaft die Aufforderung, alle Fälle der Verschleppung von Geldangelegenheiten, dann unrichtiger Gebürenbemessung dem Verbande mitzutheilen, damit dieser entsprechende Abhilfe veranlassen könne. Um den Erfolg der Gehaltsregulierung ziffermäßig nachzuweisen, wurden alle Lehrpersonen Steiermarks ersucht, die nöthigen Daten einzusenden. Gleich dem deutschen in Böhmen richtete der Verband an die Leitung der deutschen Volkspartei im Abgeordnetenhause das Ersuchen um eine zeitgemäße Änderung des &. 55 des R. V. G.

Grazer Lehrerverein. ı30 Mitglieder (8 Ehren-, 118 wirkliche und 4 unter- stützende Mitglieder). Obmann B.-L. Frz. Kawan. Über die Grenzen der Öffent- lichkeit bei der gewünschten öffentlichen Qualification. Über das Einspruchsrecht. Das Versicherungswesen im allgemeinen und die Versicherungsabtheilung des Wiener Lehrer- hausvereines im besonderen. Über Schulhausbauten. Petitionen wurden überreicht: an den Landesschulrath um Aufhebung der geheimen Qualification; an den steir. Land- tag um volle Einrechnung der Unterlehrerjahre behufs Erlangung von Dienstalterszulagen ; an den Grazer Gemeinderath um Trennung der bestehenden Doppelbürgerschulen; An- suchen an den Stadtschulrath um die Gewährung zweier Stipendien zum Besuche der Pariser Weltausstellung. Der Verein ist Eigenthümer und Herausgeber der »Päda- gogischen Zeitschrifte (Schriftleiter Ferd. Fellner).

Kärntner Lehrerbund. 23 Zweigvereine, 417 ordentliche und 3 Ehrenmitglieder. Obmann B.-D. Rud. Mattersdofer-St. Veit a. d. G. Den Zweigvereinen gehören 633 Mitglieder an. Die Bundesmitglieder beziehen als Mitglieder des d. ö. Lehrerbundes das Bundesorgan. Die Berathungsgegenstände der Ausschusssitzungen und der Haupt- versammlung bildeten Fragen über die rechtliche und materielle Stellung des Lehrstandes, Revision der Landesschulgesetze, Disciplinargesetz und Statutenänderung.

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Lehrerverein des Landes Vorarlberg. ı25 ordentliche Mitglieder. Gegen die früheren Jahre ist ein starker Rückgang der Mitgliederzahl zu verzeichnen. Die Ursache ist darin zu suchen, dass einerseits der Nachwuchs der Lehrerschaft fast ausschließlich aus dem geistlichen Schulbrüder-Lehrerseminar Feldkirch-Tisis stammt, andererseits bei Beförderungen vorwiegend Mitglieder des katholischen Lehrervereines berücksichtigt werden. Der Verein verhielt sich dem Disciplinargesetzentwurfe des d. ö. Lehrerbundes gegenüber ablehnend, u. zw. aus localen Gründen. Bei Berathung der Landesschulgesetze im Landtage wurden die Wünsche der Lehrerschaft trotz des vorsichtigen, maßvollen Tones nicht berücksichtigt. Außer allgemeinen Standesfragen kamen noch zur Vereins- behandlung: Die Schlacht bei Franstanz vor 100 Jahren; der schweizerische Lehrertag in Bern; Grundsätze bei Anwendung von Schulstrafen. Obmann B.-L, Peter Winkel- Bregenz. Vom Vereine werden herausgegeben: »Der junge Bürgere (Schriftleiter J. Peter-Bludenz), eine sehr empfehlenswerte Schrift, und »Liederbuch« Die Vereinsmitglieder beziehen insgesammt das Bundesorgan des d. ö. Lehrerbundes.

Landeslehrerverein der Grafschaft Görz und Gradisea. Einer ansehn- lichen Zahl Berufsgenossen ist es endlich gelungen, mit Außerachtlassung jedweder nationalen Rücksicht am 17. April Igoo den Verein zu gründen, indem sie, müde der leeren Versprechungen der Abgeordneten, die Nothwendigkeit eines engen Zusammen- gehens einsahen und zur Erkenntnis gelangten, dass sie nur durch eigene Kraft das erstrebte Ziel erreichen können. Draußen für sein Volk arbeiten, im Vereine aber sich nur als Lehrer fühlen und mit aller Kraft für die Rechte des Standes und die Berufs- ehre eintreten, ist die Richtschnur des Vereines, der hoffentlich bald alle Lehrer des Landes umfassen und dadurch Erfolge erzielen wird. Verhandlungssprache ist die deutsche Sprache, welche allein von allen Mitgliedern verstanden wird. Die »Deutsch- österr. Lehrerzeitung« gilt als Vereinsorgan. Präsident Rudolf Peerz, Lehrer an der deutschen Schule in Görz, Stellvertreter O.-L. F. Bajt.

Deutscher Landeslehrerverein in Böhmen. (Sitz in Reichenberg.) .Der ge- nannte Verein vermag nun auf ein Vierteljahrhundert ersprießlicher Thätigkeit zurück- zublieken. Dieser Umstand bewog den Ausschuss zur Herausgabe eines Gedenk- buches, welches jedem Leser einen gründlichen Einblick in die Geschichte und die Bedeutung des Vereines, sowie in die von ihm ins Leben gerufenen Einrichtungen ermöglicht. Dieses ausgezeichnete und umfassende Werk (Verfasser B.-L. R. Erben- Reichenberg) erfreute sich in der in- und ausländischen Fachpresse der günstigsten Beurtheilung, während dem Landeslehrervereine ob seiner hervorragenden Erfolge eine Anzahl der schmeichelhaftesteen Anerkennungen seitens der verschiedensten Kreise zutheil wurde. Auch das 26. Vereinsjahr reiht sich seinen Vorgängern in würdiger Weise an. Die drückende Noth der Lehrerschaft des Landes, die einen bis auf das äußerste gesteigerten Missmuth gezeitigt, erheischte es, dass sich die Thätigkeit des Verbandes vorwiegend auf die Behebung dieses Übelstandes erstreckte. Zu diesem Zwecke wurde ein im Ausschusse des d. L.-L.-V. vorberathener und von der Gesammt- lehrerschaft genehmigter Gesetzentwurf von Abgeordneten beider Nationalitäten der Wintersession des Landtages vorgelegt und zur ı. Lesung gebracht.

Als in der nächsten Session die Verhandlungen fortgesetzt wurden, glaubte man bereits das Morgenroth einer anbrechenden besseren Zeit am düsteren Himmel des Lehrerlebens zu erblicken; bald zeigte es sich jedoch, dass dieses Bild eine Fata mor- gana gewesen. Schon die schleppenden Verhandlungen der Schulcommission, welche endlich. Gehaltsansätze zutage förderten, die beiweitem nicht den Forderungen der

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Lehrerschaft entsprachen, ließen erkennen, dass der Mehrzahl der Volksvertreter der ernste Wille mangelte, die Lehrerschaft aus ihrer traurigen Lage zu befreien. Doch auch dieses Wenige sollte der Lehrerschaft noch nicht beschieden sein, die vorzeitige Schlie- Bung des Landtages raubte der Lehrerschaft den ganzen Hoffnungsschimmer. Der Landes- lehrerverein setzte deshalb seine Thätigkeit nach dieser Richtung hin fort.

Am 24. Mai 1900 hielt der weitere Ausschuss eine Sitzung in Prag ab, an wel- cher auch Abordnungen des czechischen L,-L.-V. theilnahmen, und in welcher über die Schritte berathen wurde, welche in der nächsten Zeit zu unternehmen sind, um die Forderungen der Lehrerschaft in der kommenden Session des Landtages zum Durch- bruch zu bringen. In der jüngsten Zeit verfügten sich Vertreter beider Landesverbände zu den Mitgliedern des Landesschulrathes und des Landesausschusses, um durch persön- liche Rücksprache mit denselben die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes und die Vor- lage desselben in der nächsten Sitzung des Landtages zu erwirken.

Die vom Vereine ins Leben gerufenen Hochschulcurse erfreuten sich im ersten Jahre einer regen Theilnahme, so dass dieselben für die Zukunft gesichert erscheinen. Die Zahl der Hörer betrug 40. Zu der im 2. Jahre weiter verbleibenden II. Fachgruppe treten nun noch die Gegenstände der III. Fachgruppe hinzu.

Die Forderung nach erhöhter Lehrerbildung brachte der L.-L.-V. durch seinen Vertreter (B.-D. Pohl-Smichow) auch in der Hauptversammlung des Centralverbandes der deutsch-österr. Volksbildungsvereine in Wien zum Ausdrucke und wurde in der, daselbst gefassten Entschließung einhellig anerkannt. Nach wiederholten Berathungen wirtschaftlicher Angelegenheiten wurde beschlossen, den selbständigen Ausbau der eigenen wirtschaftlichen Unternehmungen zu bewerkstelligen, u. zw.: a) Die Hilfs- cassa. Derzeitiger Vermögensstand 151.600 Kronen. Aus dieser segensreichen Institution wurden allein im abgelaufenen Vereinsjahre unverzinsliche Darlehen .in der Höhe von 72.790 Kronen und nicht rückzahlbare Unterstützungen in der Höhe vou 2908 Kronen gewährt. d) Die Kaiser Franz Josefstiftung. Barvermögen 75.354 Kronen; die Zinsen in der Höhe von 2990 Kronen wurden an Witwen und Waisen nach verstor- benen Lehrern zur Vertheilung gebracht. c) Die Lebensversicherung beim L.all- gemeinen Beamtenvereine, (2434 Polizzen, Versicherungscapital 4,950.000 Kronen.) d) Die Studienrentenversicherung. e) Die Studentenheime /) Die Brandschadenversicherung beider »Concordias. g) Die Diesterwegstiftung zum Zwecke der Unterstützung von Lehrern bei Studienreisen, literarischen Arbei- ten u. s. w. A) Die Spar- und Vorschuss-, z) die Krankenunterstützungs- cass. Auch die literarischen Unternehmungen erfreuten sich im abgelaufenen Vereinsjahre eines stetigen Wachsthums. Obenan stehen: Das Vereinsorgan »Freie Schulzeitunge« (Schriftleiter Friedr. L.egler, Verwalter Ölkrug), »Österreichs deutsche Jugend« (Schriftleiter Rudolf, Verwalter Erben) und der Lehrer- kalender (verfasst von Mautner). Außerdem: Der Familienkalender, das »Vaterländische Liederbuch«e, der »Jugendschatze, das »Kaiserjubelfeste, der Schematismus, die Gesetzessammlung (zusammengestellt von Mautner).

Der Verein umfasst am Schlusse des 26. Vereinsjahres 80 Zweigvereine mit 6232 Mitgliedern. An der Spitze desselben steht B.-D. Franz Rudolf -Reichenberg. Abgeordnetenversammlung zu Aussig am 6. August Igoo: Berichte über die Unter- nehmungen. Wahl der Functionäre. Die Gehaltsfrage (F. Legler). Über die Zahl der schriftlichen Arbeiten (Thorand und Prade). Über die Vor- und Fortbildung, sowie über die außeramtliche Wirksamkeit der deutschen, Lehrer Böhmens (Böhm). Über

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Antrag Friedr. Leglers spricht sich die Versammlung entschieden für die Aufhebung der geheimen Qualification aus.

Deutscher pädagogischer Verein in Prag. 199 Mitglieder (2 Ehren-, 17 stif- tende, 130 ordentliche und 50 außerordentliche Mitglieder). Obmann August Malley. Die Gehaltsfrage (Srp). Die Sprache der Gestirne (Univ. Doc. Spitaler). Über die Be- deutung geographischer Namen (Hackel). Auf welche Weise trägt die Chemie zur Ver- besserung unserer Lebensmittel bei? (Univ. Prof. Brunner.) Über Elektricität und elek- trisches Licht (Univ. Prof. Lecher). Der Lehrertag in Reichenberg (Peuker). Goethe und Böhmen (Univ. Prof. Sauer). Die Ruheperiode in der Vegetation (Dr. Mitschka). Die Körperübungen in der Schule (Dr. Hueppe). Reisebericht über Schottland (Nefuka). Übersichtstabellen zur Sprachlehre (Feifar). Die Aufgabenfrage (Peuker). Halbjahres- schulnachrichten (Hauptmann). Die vom Vereine langerstrebten Hochschulcurse für Lehrer wurden im verflossenen Jahre eröffnet, wozu der deutsche Landeslehrerverein die Mittel gewährte. Die in Karolinenthal und Königl. Weinberge bestehenden Jugend- spielplätze (vom Vereine seinerzeit eingerichtet) erfreuten sich eines guten Besuches, obwohl wegen der schlechten Witterung nur 42 Spieltage waren. An den Jugendspielen nahmen im ganzen 6313 Knaben und 7298 Mädchen in 712 Gruppen theil. (Obmann des »Deutschen Jugendspielausschusses in Prags Aug. Malley. Leiter der Spiele: Hauptmann, Heller, Kriegelstein, Paul, die Damen Bistficky, Panhans, Röckl.) Für unbemittelte deutsche Kinder wurden Bade- und Eislaufkarten ausgegeben.

Deutscher mährischer Lehrerbund. 38 Zweigvereine mit 2330 Mitgliedern (1869 Lehrer). Obmann B.-L. Karl Frank-Brünn. Delegiertenversammlung am ı2. April 1900 zu Brünn: Gründung eines Kaiser Franz Josef-Jubiläumsfondes (6800 A). Errich- tung von. Schulen für Schwachsinnige (Laus). Verlag von Theken und Schuldrucksachen (Maurer). Beschluss, dem mähr. Landtage eine Eingabe zu überreichen, betreffend ı. Ab- schaffung des Titels »Unterlehrer«e, 2. Rückwirkung der Dienstalterszulagen, 3. Vor- rückung nach fünf Jahren zu Lehrern, 4. Fallenlassen der Bezirksabgrenzungen (bei Stellenbewerbung), 5. Einrechnung der provisorischen Dienstzeit, 6. Gleichstellung der Lehrer mit den Staatsbeamten der vier letzten Kategorien. Vereinsorgan »Deutsch- mährisches Schulblatt« (Schriftleitung in Brünn).

Brünner Lehrerverein. (33. Vereinsjahr.) 215 Mitglieder (9 Ehrenmitglieder). Obmann B.-L. Josef Manda, Sectionen: I. Dittes-Club, 1897 aus der ehemaligen Section »Geselligkeits-Club Brünner Lehrer« neu gebildet und mit Vorbedacht zu Ehren des freisinnigsten deutschen Pädagogen benannt. Der Club stellt sich neben der Pflege geselligen Frohsinns als schönste Aufgabe, jüngere Standesmitglieder zu gesinnungs- treuen, offenen Charakteren heranzubilden und zählt über 70 Mitglieder. Ernste pädagogische und Standesfragen, musikalische und declamatorische Vorträge lösen einander im Programme der Clubabende ab. 2. Club für Naturkunde, 1896 gegründet, um das Studium der Naturwissenschaften zu pflegen, den naturgeschichtlichen Unterricht in methodischer Hinsicht ausbauen zu helfen und denselben durch Errichtung einer Lehrmittel-Sammel- und Tauschstelle zu fördern. Die Thätigkeit der Section ist eine äußerst rege und umfasst alle Zweige der Naturwissenschaften. Vorträge im Vereinsjahre 1899/1900. Abhängigkeitsverhältnis zwischen Pflanzenwelt, Boden und Klima (Freude); Blumenpflege in Schule und Haus (Tonner); die Geschichte der Elementarmathematik (Kiesswetter); Pilzliche Parasiten (Laus); Emaillierverfahren (Freude); Auers Gasglühlicht (Schenk); Mineralien zur Herstellung von Glühkörpern (Laus); die Natur der Moldawite (Laus); Goethe und die Naturwissenschaften (Manda); Symbiose (Gerischer); Physikalische

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Chemie (Schirmeisen); Gefiederte Feinde der Telegraphie (Tonner); Insectenfressende Pflanzen (Freude); Vorkeim der Bärlappe (Leneczek); Geologischer Aufbau des Ätna (Zdara) ; Pontische Flora Südmährens (Laus); Acetylen (Wlczek); Geologische Verhältnisse Südafrikas (Laus). Außerdem zahlreiche Referate über einzelne Thierindividuen, Pflanzen und Mineralien, wie über naturgeschichtliche und naturwissenschaftliche Werke. 3. Musik- Club. 4. Unterlehrer-Section. Zur Auftheilung der inneren Vereinsarbeiten 10 Arbeitsabtheilungen. Der Lesezirkel (Stephanieschule) enthält 5620 Bände und Io2 Zeitschriften. Zur weiteren Ausbildung bestehen 5 Fortbildungs- und 3 Elementarcurse, geleitet von Collegen. »Diesterwegstiftung für nothleidende Brünner Lehrer und Lehrerwitwen« 3500 Ä. Der Verein verwaltet die»Dr. Alois NowakslHilfscassa« des deutsch-mährischen Lehrerbundes. Über Lehrerkammern (Kunesch); Brünner Schul- und Standesangelegenheiten (Seyfried); Lässt sich eine Verrohung der heutigen Schuljugend constatieren, und kann für eine solche Erscheinung die Neuschule ver- antwortlieh gemacht werden? (Czischek); Die jüngsten Ergebnisse der Erforschung des unsichtbaren Lichtes (Schirmeisen); Das Schulwesen in Südafrika (Manda); Zur Anlage eines Brünner Schulgartens (Laus); Über sehr hohe und sehr tiefe Temperaturen (Schirm- eisen); Ad. E. Roßmäßlers Ideen über Schule und Lehrer (Laus); Disciplinargesetz und Qualification (Seyfried); Die Comenius-Bibliothek in Leipzig (Manda); Horace Mann, der Schulreformator Nordamerikas (Müller); Das Schulwesen auf der Pariser Welt- ausstellung (Mikulasch); Die naturwissenschaftlichen Institute Wiens (Laus); Schul- einrichtungen der Mongolenstaaten Ostasiens (Manda); Die Methode Prangs im Zeichen- unterrichte (Frank).

Verein „Bürgerschule“ in Brünn. 128 Mitglieder (davon 64 auswärtige); Obmann Alfred Klofant. Die Ausgestaltung der Bürgerschule (Errichtung einer IV. Cl.). Gehaltsregulierung der Bürgerschullehrer. Einführung des unobligaten Unterrichtes in der Stenographie. Besprechung neuer Lehrbücher und Lehrmittel.

Schlesischer Landeslehrerverein. 17 Zweigvereine mit 847 Mitgliedern. Obmann O.-L. Heinr. Schulig-Jägerndorf. Abgeordneten-Versammlung am 8. December 1899 zu Troppau; Stellungnahme gegen die häufige Änderung der Bücher des Schulbücherverlages (Czermin). Über den Beitritt, beziehungsweise vollständigen Anschluss an den deutsch- österreichischen Lehrerbund. (Die Versammlung beschließt, die gegenwärtige Organisation nicht zu ändern.) Hauptversammlung zu Odrau am 5. Juni Ig00: Debatte über das neue Gehaltsgesetz. Nothwendigkeit einer Taubstummen-Anstalt in Schlesien (Kuntschik). Nothwendigkeit einer Anstalt für verwahrloste Kinder (Böhm). Vereinsorgan »Schlesisches Schulblatt« (Leiter J. Proksch-Jägerndorf).

Schulheller-Verein in Inzersdorf bei Wien. Gegründet 1899. 224 Mitglieder. Obmann Ed. König, Güterverwalter, Obmannstellvertreter Fr. Stuppöck, Oberlehrer Cassier Fr. Richter, Lehrer. (Um die Theilnahme der Bevölkerung für die Schulinteressen anzuregen und wachzuerhalten, Bildung und Aufklärung im Volke zu verlrreiten, wurden Schulheller-Vereine ins Leben gerufen. Sie stellen sich zur Aufgabe, mittellose Kinder mit Schulbüchern und anderen Lernbehelfen, auch mit Kleidungsstücken zu betheilen, und sind bemüht, die Ortsschulen mit Lehrmitteln, die Lehrer- und Schüler- bibliotheken mit entsprechenden Werken auszustatten; außerdem: Gründung von Volks- bildungsvereinen, Volksbibliotheken, Unterstützung des Fortbildungsunterrichtes, der Schulgärten und Schülerfeste.)

Die Gesellschaft Lehrmittelcentrale in Wien, I., Werderthorgasse 6 (gegründet 1894) hat sich die Ausrüstung der Schulen Österreichs mit Lehrmitteln und die wirt-

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schaftliche Einigung der Lehrmittel erzeugenden Lehrer, sowie die Vereinigung aller gleichstehenden Lehrerorganisationen zur Aufgabe gestellt. Bei der Lösung dieser Aufgabe wird die Lehrmittelcentrale in anerkennenswerter Weise von vielen Lehrmittelsammelstellen unterstützt. Die größten Sammelstellen sind: ı. Die Lehrmittelsammelstelle des Oberlehrers Gustav Settmacher in Petersdorf bei Trautenau. 2. Die L.-S.-Stelle des Vereines »Freie Schules in Horn, derzeit von Herrn H. Witzmann, Lehrer in Eggenburg, verwaltet- 3. Die L -S.-Stelle für den Schulbezirk Znaim unter der Leitung des Lehrers Anton Vrbka in Klosterbruck, 4. Die L.-S.-Stelle des Clubs für Naturkunde in Brünn (Ob- mann: Heinrich Laus) mit staatlicher Subvention von 200 A. 5. Die L.-S.-Stelle für den Schulbezirk Falkenau, von Oberlehrer J. Kastl in Chodan verwaltet.

Über die Arbeiten der Lehrmittelcentrale und über die Thätigkeit der genannten Sammelstellen berichten ausführlich die von der Gesellschaft im Verlag Henckel (Tetschen) herausgegebenen »Periodischen Blätter für Realienunterricht und Lehrmittel- wesen«. Bisher wurden von der Lehrmittelcentrale über 1000 Unterrichtsanstalten mit circa 90.000 Stück J.ehrmitteln (Mineralien, Anschauungsbildern, Chemikalien, techno- logischen Tableaux, Zeichenlehrmitteln etc.) betheiltl. Präsident der Gesellschaft: Rudolf Klein, k. k. Hofrath; Leiter: Franz Tremml, B.-L.; Verwalter: Anton Lohse, B.-L.; Cassier: Franz Ronzal, V.-L.; Referent für die Betheilung der Schulen Wiens: Frl. Anna Kern, V.-Ln.; Leiter der Gruppe »Mineralogie«: Franz Hampel, V.-L. und Raimund Peter, B.-L.; Leiter der Gruppe »Bilderwerke und Zeichenlehr- mittele: Josef Kramny und Alois Kunzfeld, B.-L.; Leiterin der Gruppe »Botanike«: Frl. Arnoldine Klammerth, B.-Ln.; Leiter der Gruppe »Zoologie«e: Eduard Rei- moser, B.-L.; Leiter der Gruppe »Geographie«: Hugo Eder, B.-L.; Leiterin der Gruppe für »Handarbeitsunterricht«: Frl. Marie Schmidt; Referent für den Tausch- verkehr mit Lehrmitteln: Dr. J. Kraus, B.-L.

Lehrerhausverein in Wien. 8365 Mitglieder (Ende 1899). Obmann Josef Eichler. Kanzlei: III., Beatrixgasse 28. Vereinsvermögen 327.820 A, Reinertrag aus dem Besitze zweier Häuser 10.029 A, Erträgnis der Verlagswerke und anderer Unter- nehmungen 8222 A, Verlagswerke: Unser Kaiser; der Kinder-Huldigungsfestzug (Ge- dicht); Unterlagen für Kartenskizzen zum Gebrauche an Volks-, Bürger- und Mittel- schulen, sowie an Lehrerbildungsanstalten; Junges Leben und Streben (Erzählungen für die Jugend); Ausstattung des Zeichenblattes und Stundenplan; Wandkalender; Taschen- kalender; Das Schülerturnen an Volks- und Bürgerschulen (5 Theile); Über die Ver- wahrlosung der Jugend auf dem Lande; Constructive Geometrie der Kegelschnitte; Orthographisches Wörterbuch und Fremdwörterbuch; Das Wissenswerteste aus verschie- denen Unterrichtsgebieten (I. sprachl. hist. Fächer, II. Naturwissenschaften, III. mathem.- techn. Fächer); Dittes-Bild; Commers-Liederbuch; Das Zahlenspiel; Gedichte und Er- zählungen von Felix Neidhart; Zeitungsdeutsch; Das Lied vom Lehrerhaus; Relief- karte von Niederösterreich; Wiener Heimats-Atlas.. Ortsgruppen: Wr. Neustadt, Neunkirchen, Znaim, Brünn, Mähr. Schönberg und Teschen.

Der Umsatz der Wirtschaftseinrichtung betrug I8gg9 1,585.929 X, an die Mitglieder wurden 83.323 A’ Rabatt ausgezahlt. Die Spar- und Vorschusscassa zähit 1270 Mitglieder mit 772.243 X Antheilseinlagen; der Gesammtumsatz betrug 2,807.934 X, der Darlehensstand 1,164.416 X, der Reingewinn 46.700 Ä, die Reserve und Überreserve 55.086 A. Versicherungsanstalt: 1659 Mitglieder. Versicherte Beträge 503.965 A. (Krankengeld-, Begräbnisgeld-, Kinderausstattungs und Altersrenten- Versicherungen). Aus dem Unterstützungsfonde wurden 1246 A’ vertheilt.

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Lehrerhausverein für Oberösterreich. (Gegründet 1895.) Er ist eine Ver- einigung von 0. ö. Lehrpersonen zum Zwecke der Erwerbung wirtschaftlicher Vortheile und erstrebt dieselben durch Errichtung eines Lehrerhauses in Linz, durch Gründung eines Hilfsfondes für in Noth gerathene Mitglieder und deren Hinterbliebene, durch Errichtung eines Convictes für die in Linz studierenden Kinder der Vereinsmitglieder, durch Gewährung von Preisnachlässen bei barbezahlten Einkäufen aller Art, durch Gründung einer selbständigen Spar- und Darlehenscassa. Der Verein ist in zwei Gruppen gegliedert: I. »Lehrerhaus«, II. »Hilfsfond«. Die Mittel, über welche der Gesammt- verein verfügt, werden aufgebracht: durch unverzinsliche Bareinlagen der Mitglieder der Gruppe I in der Höhe von 100 und 200 Ä in monatlichen Ratenzahlungen von 2 K aufwärts; durch Eintrittsgebüren und Jahresbeiträge der Mitglieder der Gruppe II; durch Beiträge der unterstützenden Mitglieder, freiwillige Spenden und Veranstaltung von Vorträgen, sowie von musikalischen und theatralischen Unterhaltungen; ferner durch die Erträgnisse der vom Lehrerhausvereine veranstalteten wirtschaftlichen und iterarischen Unternehmungen. Der Gruppe I gehören 415, der Gruppe Ilalle ıı80o Mit- glieder des o. 6. Lehrervereines an; 45 unterstützende Mitglieder. Den wichtigsten Zweig der geschäftlichen Unternehmungen bildet die Wirtschaftsabtheilung. Ge- sammtrabatt im abgelaufenen Jahre 4554'15 K, hievon 2996°64 X für die Betriebscassa, Literarische und musikalische Unternehmungen. 7 Jugendschriften, Leh- rerkalender und Schematismus, methodisches Handbuch für den geometrischen Unterricht, der Schulgärtner, Imkers Taschenbuch, zwei Lieder und zwei Chöre. Der Bau des Lehrerhauses hat bereits begonnen.

Außerdem hat der Verein im verflossenen Schuljahre eine eigene wirtschaftliche Abtheilung zur Beschaffung von Kostfreiplätzen . für Lehrerkinder vom Lande ins Leben gerufen. In diesem Schuljahre hatten 29 Lehrerkinder 4155 Freitische. Verwaltungs- ausschuss: Hornik, Vorstand, Flir und Biechl, Vorstandstellvertreter, Horniger, Zahlmeister der Betriebscassa und Schatzmeister der Gruppe I, Hain Schatzmeister der Gruppe II, 8 Ausschüsse. Eine selbständige Schöpfung des Lehrerhausvereines ist die Spar- undDarlehenscassa, eine registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung.

Verein zur Gründung eines Curhauses in Karlsbad für Lehrer und Lehrerinnen deutscher Nationalität. 830 Mitglieder (195 beitragende, 615 stän- dige, 20 gründende). Obmann O.-L. Josef Lopata-Karlsbad. Derzeit bestehen 8 Vereins- gruppen: Wien, Leipzig I. und II., Prag, Reichenberg, Tepl, Petschau und Karlsbad. Vereinsvermögen 29.680 A. (Die ständigen Mitglieder des Vereines können beim Cur-

gebrauch unentgeltliche ärztliche Behandlung seitens des Vereinsarztes in Anspruch

nehmen und werden durch Vermittlung des Vorstandes gewöhnlich von der Cur- und Musiktaxe befreit; auch erhalten sie mit Ausnahme der Zeit vom 15. Juni bis 1. August Freibäder oder Ermäßigung in den Bäderpreisen.) Obmann der Wiener Ortsgruppe: Julius Hofbauer, V.-L., VIII, Schmidgasse 16.

Deutscher Schulverein. Mit Schluss des Jahres 1899 wurden vom Vereine erhalten: 16 Schulen mit 35 Classen, 31 Kindergärten mit 34 Abtheilungen; Subven- tionen bekamen 52 Schulen und 61 Kindergärten. Im ganzen wurden bisher 32 Schul- häuser gebaut und 20 adaptiert, zu Schulbauten zahlreiche Subventionen bewilligt, die bestehenden Büchereien und Lehrmittelsammlungen erweitert und vermehrt, zahlreiche arme deutsche Kinder anlässlich des Weihnachtsfestes mit verschiedenen Spenden betheilt.

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PARDACOGISCHES TAHRBUCH 1901

(DER PARDAGOGISCHEN JAHRBÜCHER VIERUNDZWANZIGSTER BAND.)

HERAUSGEGEBEN

VON DER

WIENER PAEDAGOGISCHEN GESELLSCHAFT,

REDIGIERT von ANTON ZENS.

WIEN 1902.

MANZ’SCHE K. U. K. HOF-VERLAGS- UND UNTV.-BUCHHANDLUNG. I. KOHTL.MARKT ®%.

K. und k. Hofbuchdrucker Fr. Winiker & Schickardt, Brünn.

Vorwort.

Der 24. Band des „Pädagogischen Fahrbuches“ hält sıch innerhalb der gewohnten Linien dieser Publication, indem er ın seinem Haupttheile die Arbeiten des letzten Vereinsjahres der „Wiener padagogıschen Gesellschaft“ -veröffentlicht und in einem „lnhang“ über pädagogısches Leben und Streben weıterer Fachkreise Bericht erstattet. Wir fühlen uns verpflichtet, allen Förderern des „Fahrbuches“, insbesondere dem hohen niederösterreichischen Landtage und der wohllöblichen Wiener Gemeindevertretung, welche Körper- schaften auch ın diesem Fahre eine ansehnliche Subvention zur Herausgabe des Fahrbuches gewährt haben, den wärmsten Dank des Vereines abzustatten. Dank schulden wir auch den gefällıgen Eın- sendern von Leıitsatzen für die Thesensammlung, wobei wır freilich um Nachsicht bitten müssen, da des beschränkten Raumes wegen nur eine kleinere Zahl der Einsendungen zum bdrucke gelangen konnte.

Schließlich empfehlen wır auch diesen Band des Fahrbuches der wohlwollenden Beurtheillung unserer P. T. Fachgenossen.

W zen, im December 1901.

Die Redaction.

Der Ausschuss der „Wiener pädagogischen Gesellschaft“.

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Inhaltsverzeichnis.

Seite Vorwort ®. } ®. } * ® . . ® . . . ® . . ®. ® III

Vorträge und Referate.

I. Die voluntaristische Psychologie und ihre pädagogische Bedeutung. Von Dr. Zerdinand Maria Wendt . . . 2. 2 2 2 2000. II. Rede zur Pestalozzi-Feier. Von M. Zens . 2 2 2 20.0. 21 III. Über Volkshochschulen. Von Dr. Z. 47. Hartmann . . . . . 34 IV. Die Geschichte als Quelle der Pädagogik. Von D. Simon . . . 43 V. Die Aufgaben der Blindenbildung. Von S. Zeller . . 2... 52 VI. Wie kann die Volks- und Bürgerschule ihre Zöglinge für die spätere Ausübung ihrer staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten vorbereiten ?

Von Alois Bruhns. . . en 60 VII. Über Herstellung und Site Barnaehüng Sitömalesiächer Baniiaheen, Von WMoriz Baumann. . ke ae ee oz 80

VIII. Aus dem pädagogischen Beche der Baier Weltausstellung 1. Von 7... Rrapfenbanens: a: u a u. ee 93 IX. Referate.

I. Resolution zur Orthographiefrage. Von A. Salava . . . 108 2. Die Preisausschreibungen der » Wiener Pestalozzistiftung«. Von Julius Hieber . . a ee 3. J/. Binstorfer's Deutsche Ss rchschnfe für Beläirichiäche Bürger- schulen. Von 3%. 4. Neumann . . ee 114 4. Th. Vernaleken’s Deutsche een und Soracherkenzi- nisse. Von D. Simon . . ae ae an EZ

5. Elementare Erklärung und Bhanding der zusammengesetzten Zinseszinsrechnungen. Von Karl Sponner . . 2. 2 2... 19 6. /. Mohaupt's Kleine Anstandslehre. Von Richard Klement . . 123 . Österreichischer Schulbote, Von M. Zeus . 2 2 2 220.0. 124 . Österreichs deutsche Jugend. Von Anton Zens. . . . 2.76

Anhang.

I. Thesen zu pädagogischen Themen. Gesammelt von -duton Zens . . 129 II. Schulchronik. Von Anton Zens . 2 2 2 2 2 22.2... 19 III. Das pädagogische Vereinswesen in Österreich. Von Anton Zens. . 180

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Stimmen der Fachpresse

über das Pädagogische Jahrbuch der Wiener Pädagogischen Gesellschaft.

I. Band (1878).

»Wir freuen uns dieser Frucht der Thätigkeit der Wiener päd. Gesellschaft, nicht bloß ihres anregenden und meist gediegenen Inhaltes wegen, sondern auch weil hier Zeugnis abgelegt wird von dem ernsten wissenschaftlichen Streben deutscher Päda- gogen, die ja vielfach noch als bloße Schulhalter angesehen werden.«

Chronik des Volksschulwesens, Jahrg. 1878,

II. Band (1879).

»\Wir zweifeln nicht, dass das ‚Pädagog. Jahrbuch‘ sich in der Bibliothek aller strebsamen Lehrer und Schulfreunde einbürgern wird, und sehen den weiteren Arbeiten der ‚Wiener pädagog, Gesellschaft‘, die die Lehrervereine Österreichs in so glänzender Weise repräsentiert, mit Spannung entgegen.«

Freie pädagog. Blätter, Jahrg. 1879, Nr. 51.

II. Band (1880).

»Wie man aus dem Inhaltsverzeichnisse ersieht, hat die Wiener päd. Gesellschaft auch im letzten Vereinsjahre den Fragen der Erziehung und des Unterrichtes ein reges Interesse zugewendet, und was sie von ihren Verhandlungen in dem angezeigten Jahr- buche niedergelegt hat, verdient ebensowohl unseren Beifall, wie die in den früher angezeigten Bänden enthaltenen Beiträge.«

Pädagog. Jahresbericht, Jahrg. 1880.

IV. Band (1881).

»Es dürfte kaum einen zweiten Lehrerverein geben, der sich rühmen könnte, jedes Jahr mit einer so bedeutenden Leistung in die Öffentlichkeit zu treten. Die Jahr- bücher sind in der That eine bedeutende Leistung, und wer die Mühe nicht scheut, das vorliegende Jahrbuch pro 1881 durchzublättern, wird unserem Urtheile zustimmen müssen.« Österreichs Neuschule (Wien), 1882, Nr. 12.

V. Band (1882). »Dieses trefiliche Buch, welches mit dem Bildnis Dr. Dittes’ geschmückt ist, sollte in der Bibliothek eines jeden Lehrers sich vorlinden.« Der Lehrerbote (Znaim), 10. Juli 1833.

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»Unzweifelhaft wird das Pädagogische Jahrbuch in jenen Kreisen der Lehrerwelt, in welchen ernste Fachlectüre gepflegt wird, Beifall und Leser finden.« Neue freie Presse, Unterrichtszeitung, 8. Juni 1883.

»Wie seine Vorgänger wird auch das neueste Pädagogische Jahrbuch von der Lehrerschaft freudig begrüßt werden.... Wir empfehlen das Werk allen Fachgenossen auf das angelegentlichste.« Laibacher Schulzeitung, Io. Juli 1883.

VI, Band (1883).

»Von dem regen, strebsamen Geiste, der in der Wiener päd. Gesellschaft herrscht, legt das Jahrbuch mit seinem gediegenen und mannigfaltigen Inhalte das ehrenvollste Zeugnis ab, und gern machen wir daher unsere Leser mit warmer Empfehlung auf dieses Ergebnis einer treuen, gemeinsamen Jahresarbeit aufmerksam.«

Schlesische Schulzeitung (Breslau), Jahrg. 1885, Nr. 5.

»Dieser Jahresbericht, welcher der sechste seiner Art ist, möge eine ebenso freundliche Aufnahme in den Lehrerkreisen finden, . wie sie seine Vorgänger gefun- den haben.« Volksschulfreund (Königsberg), 1884, Nr. 20.

VI. Band (1884). »Reiche, fruchtbringende Anregung bieten die Vorträge über Gemüthsbildung, Gehorsam, über die Bedeutung der hypsometrischen Karten für den geographischen Unter- richt, Schulwerkstätten, die Kinder der Armen u. s. w.«

Die Lehrerin, 3. Jahrg., Heft 21,

»Wir weisen gern auf diesen 7. Band des Jahrbuches hin, da sein Inhalt ein reicher und sehr entsprechender ist.«

Rheinische Blätter für Erziehung und Unterricht, 61. Jahrg., Heft 6.

VII. Band (1885). »Der vorliegende 8. Band des Lehrbuches ist unzweifelhaft der Einsicht eines jeden strebsamen Lehrers würdig.« |

Deutsche Schulpraxis, 7. Jahrg., Nr. 9.

»Wir haben nicht leicht etwas Vortrefflichers gefunden, als diesen Jahresbericht. Die in demselben niedergelegten pädagogischen Referate und Vorträge, die aufgestellten Thesen, die Aufsätze über pädagogisches Vereinswesen und die deutsch geschriebenen pädagogischen Zeitschriften Österreichs sollten keinem Lehrer unbekannt bleiben. Wir empfehlen daher diesen Jahresbericht auf das beste.« Tiroler Schulfreund, 1886, Nr. 22.

»Obwohl speciell österreichische Verhältnisse berücksichtigend, ist das Jahrbuch doch auch für uns, die wir mit den Collegen jenseit des Inn die gleichen Ziele ver folgen, die gleichen Gegner bekämpfen und mit ganz ähnlich gelagerten Zuständen uns abfinden müssen, von hohem Interesse, zumal es uns zugleich ein nachahmungswertes Vereinsleben und Vereinsstreben in seinem gediegenen Inhalte erblicken lässt.«

Baierische Lehrerzeitung (Fürth), 1886, Nr. 52.

»Das Werk ist ein beredter Zeuge von der außerordentlichen Thätigkeit ge-

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nannter Vereinigung während eines Jahres... Der deutschen Lehrerwelt wird ein Bei- spiel zur Nachahmung gegeben.«

Repertorium der Pädagogik (Ulm), 41. Band, S. 218.

IX. Band (1886).

»... Dieser reichhaltige Inhalt macht das Jahrbuch zu einem höchst nützlichen und wertvollen.« Deutsche Lehrerzeitung (Berlin), 1837, Nr. 30.

»Diescem Jahrbuche wird seit seinem Erscheinen von der unbefangenen Kritik seitens der meisten Berufsgenossen wie auch der gründlichen Fachblätter die verdiente Anerkennung zutheil, und auch der vorliegende 9. Band, welcher neuerdings einen klaren Beweis für die ernste Auffassung der Erziehungs- und Unterrichtsfragen dieses Vereines liefert, bietet eine so reiche Fundgrube der Belehrung und Anregung, dass wir dieses mit klarer Umsicht geleitete Jahrbuch allen Berufsgenossen wärmstens empfchlen.« Neue ungarische Schulzeitung, 4. Jahrg., Nr. 17,

»Für Jiehrervereine und Lehrerconferenzen enthält das Jahrbuch eine Fülle schr verwendbaren Stoffes.«

Erstes öst. ung. Lehr- und Lehrmittelmagazin (Graz), 5. Jahrg., Nr. 8.

»Die Schrift zeichnet sich aus durch große Mannigfaltigkeit der behandelten Stoffe und gediegene Bearbeitung derselben, so dass sie sehr anregend, unterhaltend und belehrend wirken wird, und darum ist sie angelegentlicher Empfehlung wert.«

Die Volksschule (Stuttgart), 47. Jahrg., S. 467.

X. Band (1887).

»Es sollte bei uns in Österreich geradezu zu einer Ehrensache der Lehrerschaft erklärt werden, alle Jahrgänge desselben nament- lich in jeder Bezirks- und Locallehrbibliothek aufgestellt zuwissen.«

Die Bürgerschule (Wien), 1888, Nr. 9.

»Es ist wahrlich ein Vergnügen, dieses Jahrbuch in die Hand zu nehmen.« Ungarische Volksschule, 5. Mai 1838.

XI. Band (1888).

»Das Werk ist zu einem lieben Gaste geworden, dessen alljährlicher Einkehr man sich freut.« Der praktische Schulmann (Leipzig), 1889, Heft 8.

»Der Inhalt ist wieder umso reicher und gediegener, dass es eine rechte Freude ist, denselben durchzuschen. Was das Wichtigste und Neueste ist auf pädagogischem Gebiete, liegt hier in vortrefllichen Abhandlungen vor, die gründlich in ihren Unter- suchungen und maßvoll in ihrem Urtheile sind. Wir empfehlen das Jahrbuch beson- ders den Vereinsbibliotheken.«

Hannoveranische Schulzeitung, Io. Jänner 1890.

»Die Wiener pädagogische Gesellschaft kann mit Stolz auf ihre bisherigen Ver- öffentlichungen zurückblicken.«

Pfälzische Lehrerzeitung, 1890, Nr. 10.

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XII. Band (1889).

»Der uns vorlicgende XI. Band reiht sich würdig seinen Vorgängern an.... Auch dieser Band legt Zeugnis ab von vielseitiger Thätigkeit, ernstem Streben und gründlichem Wissen. Was außerdem bei der Lectüre wohlthuend wirkt, ist das Hoch- schätzen der Fahne der viel verlästerten »Neuschule« und die Offenheit bei der Auf- deckung von Mängeln und Irrthümern, Nach der Ansicht des Referenten verdient das Jahrbuch auch seitens der Mittelschule alle Beachtung.«

Zeitschrift fd. österr. Gymnasien, Jahrg. 1892, Nr, 2.

»Es ist nicht leicht, die an sich trockene Theorie der Schulwissenschaft an allen

Punkten so darzustellen, dass sie auch bei den Laien Theilnahme und Freude erweckt,

aber den Wiener pädagogischen Jahrbüchern ist dies, soweit es uns erinnerlich ist, fast immer gelungen.« Für Haus und Schule, 1891, Nr. 32.

»Das Pädagogische Jahrbuch hat sich bereits einen ehrenvollen Ruf erworben, und jedes neue erscheinende Jahrbuch zeigt, wie begründet und wohlverdient der- selbe ist.« Die Volksschule (Wien), 31. Jahrg., Nr. 1.

XIII. Band (1890).

»Die pädagogische Gesellschaft hat sich durch ihre Jahrbücher im In- und Aus- lande zu Ansehen und Geltung zu bringen verstanden, und auch der vorliegende Band erhält sich auf der Höne seiner Vorgänger.«

Österr. Schulbote, 41. Jahrg., Nr. 6.

».....So legt denn dieses Jahrbuch das schöne Zeugnis von dem idealen Streben für ihren Beruf begeisterter und selbstloser Schulmänner ab und gereicht deshalb dem österreichischen Lehrerstande zu großer Ehre.«

Deutsche Zeitung (Wien), Unterrichtszeitung, Nr. 6866.

XIV. Band (1891).

»Der ı4. Band der Päd. Jahrbücher enthält eine Reihe sehr interessanter Vor- träge und Abhandlungen. .... Das Jahrbuch verdient wegen seines allgemeinen und seines mehr historischen Theiles wegen außerhalb Österreichs die Beachtung von Lehrerkreisen.«

' Schweizer Lehrerzeitung, 1892, Nr. I1.

»Das Studium dieses gediegenen Jahrbuches sei auch den deutschen Lehrern -— bestens empfohlen.« Schneiders Pädagog, Jahrbuch, 5. Jahrg.

XV. Band (1892).

Die Jahrbücher der Päd. Gesellschaft erfreuen sich eines guten und wohlbegrün- deten Rufes, und der vorliegende Band, welcher mit dem wohlgetroffenen Bildnisse des Herrn Bürgerschuldircetors M. Binstorfer geschmückt ist, stellt sich seinen Vorgängern würdig zur Seite. Pädagogische Rundschau (Wien), 7. Jahrg., Heft 6.

»Wir empfehlen das Werk der Beachtung in Pädagogenkreisen.« Pädagog. Zeitung (Berlin), 18. Jahrg., Nr. 10.

»Die Wiener pädagogische Gesellschaft, zu den angesehensten Vereinen ihrer Art gehörend, widmet sich vorzugsweise, ja fast ausschließlich der Pflege der pädagogischen

Wissenschaft und Kunst, was umsomehr Anerkennung verdient, als derzeit die äuße- ren Angelegenheiten der Schule und des Lehrerstandes das Interesse und den gegen- seitigen Gedankenaustausch der Standesgenossen übermäßig beeinflussen. Da ist es in der That ein Verdienst, den eigentlichen Lebensnerv und Ehrenpunkt des pädagogischen Berufs, die fachmännische Tüchtigkeit hochzuhalten, weil sonst der Lehrcerstand die Fähigkeit und mit ihr das Anrecht verlieren würde, in der Aufsicht und Leitung des Schulwesens die Stellung einzunehmen, welche er verlangt.

Das neue Jahrbuch der Wiener pädagogischen Gesellschaft gibt abermals Zeugnis von dem regen und fruchtbaren Streben, das seit ihrem Bestehen ununterbrochen in ihr geherrscht hat... . Wir halten es für überflüssig, ein Lob der einzelnen Arbeiten bei- zufügen, da es in der Schulwelt längst bekannt ist, dass die Jahrbücher der Wiener pädagogischen Gesellschaft nur Gutes bringen.»

Pädagogium, Jahrg. 1893, Heft 7.

XVI. Band (1893).

Ein mit Recht hochangesehenes literarisches Unternehmen. Kärntner Schulblatt, VIII. Jahrg., Nr. 2.

»Jeder Band enthält gediegene wissenschaftliche Abhandlungen, die zumeist im Verlaufe des betreffenden Vereinsjahres vor dem Auditorium der Wr. päd. Gesellschaft Gegenstand von Vorträgen gewesen waren.«

Pädagogischer Literaturbericht von Leitich und Frank (Wien), 1894, S. 90.

XVII. Band (1894).

»Wer das Jahrbuch zur Hand nimmt, der findet soviel des Anregenden und Fesselnden darin, dass er es nicht so geschwind wieder weitergibt. Im übrigen braucht das pädag. Jahrbuch eigentlich keinen besonderen Empfehlungsbrief mehr. Durch die Gediegenheit des Inhaltes hat es längst schon die Aufmerksamkeit der päd. Welt auf sich gelenkt. Auch der 17. Band legt neuerdings vollgiltig Zeugnis dafür ab, dass die Collegen unserer Metropole ehrlich an dem inneren Ausbau unseres Erziehungs- und Unterrichtsgebäudes arbeiten und dass in der pädag. Gesellschaft, in der sich die wackersten, fähigsten und muthigsten Kämpen und Streiter der Neuschule zusamnıen- finden, ein frischer, gesunder Vereinsgeist weht.«

Zeitschrift des oberösterr.Lehrervereines (Linz), 28. Jahrg., Nr. 12.

»Was den Inhalt und die sonstige Ausstattung: dieses pädagogischen Jahrbuches anbelangt, so steht auch dieser Band seinen Vorgängern in keiner Hinsicht nach. Es ist eine prächtige Arbeit, welche Schulmänner geschaffen haben, sie ist würdig, von Lehrern gelesen und studiert zu werden; denn sie bietet nur Gediegenes dem Leser.«

Bukowinaer pädagogische Blätter (Czernowitz), 23. Jahrg., Nr. 11.

XVIlI. Band (1895).

Ruhig wie der Fels im Mcere steht inmitten des unruhevollsten Treibens auf dem Gebiete des Schulwesens die Wr. päd. Ges., ernst und würdig ihrer hohen Pflicht obliegend, die idealen Ziele der Bildungs- und Unterrichtsbestrebungen vor Verdunklung und Schmälerung zu bewahren. Trotzdem aber gehen die Bewegungen der Zeit an dieser vornehmen pädag. Vereinigung nicht spurlos vorüber; aber die Gesellschaft läutert und

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adelt, was in ihren Bannkreis tritt, Sie löst die Fragen der Zeit von dem trüben Unter- grunde der Politik und des Parteihaders los und hebt sie zur Höhe der wissenschaftl. Streitfrage, betrachtet sie und sucht sie zu lösen lediglich vom Standpunkte des objec- tiven Forschers. Welch eine Riesensumme von Arbeit. in den bisher erschienenen ı8 Bänden der Jahrbücher aufgespeichert liegt, werden erst spätere Geschlechter, welche unsere Zeit aus dem Gesichtswinkel historischer Betrachtung sehen, voll und ganz wür- digen. Der neueste Band zählt wohl zu den wertvollsten der Sammlung, und es muss dem Redacteur nachgerühmt werden, dass er weder Mühe noch Opfer scheute, um den Band nach jeder Richtung hin mustergiltig auszugestalten. ... Wir empfehlen das Jahrbuch besonders für alle Lehrerbibliotheken. Österreichische Schulzeitung (Wien), 9. Jahrg., Nr. 13.

Der neue Band dieses von den Pädagogen des In- und Auslandes mit Recht gepriesenen und warm empfohlenen Jahrbuches, welches ein beredtes Zeugnis von dem reren Wirken und Schaffen der in ihrem wissenschaftlichen Streben unermüdlichen Wr, päd. Ges. gibt, enthält wieder cine Reihe fesselnder Vorträge und Referate. Eine be- sondere Empfehlung des Jahrbuches halten wir für überflüssig, wünschen aber der wackeren Gesellschaft ein fröhliches Gedeihen auch für die Zukunft aus warmer Antheilnahme, . |

Pädagogische Zeitschrift (Graz), 29. Jahrg., Nr. 14.

XIX. Band (1896).

»Dieses Jahrbuch gehört unstreitig zu den hervorragendsten pädagogisch-litera- rischen Erscheinungen in Österreich . . . Dieses inhaltsreiche und geschickt redigierte Buch verdient gleich den früheren Bänden des pädag. Jahrbuches die Aufmerksamkeit der weitesten Lehrerkreise. Die Weiterbildung und Ausgestaltung der theoretischen und praktischen Pädagogik, an der die Wiener pädag. Gesellschaft zielbewusst arbeitet, ist ja eine Angelegenheit, an der die ganze Lehrerwelt interessiert ist, und deshalb hat auch dieses Jahrbuch Anspruch auf ein Plätzchen in jeder Lehrerbibliothek.«

Wegweiser .d. d. päd. Literatur (Wien), 1898, Nr. 6

»Wir haben kein zweites Unternehmen auf pädagogischem Gebiete in Österreich, welches dem Jahrbuche an die Seite gestellt werden könnte, denn es bietet nicht nur einen umfassenden Einblick in die rühmliche Jahresarbeit dieses hervorragenden päda- gogischen Vereines, sondern erweist sich auch in den mit einem großen Aufwand von Fleiß und Umsicht zusammengestellten Aufsätzen des Anhanges als ein verlässlicher Wegweiser auf dem Gebiete des Schulwesens und des pädagogischen Vereinslebens Deutschösterreichs. In dem laufenden Bande des Jahrbuches ist wiederum ein so großer Reichthum wertvoller Anregungen aufgespeichert, dass man mit voller Bestimmtheit sagen kann: Kein Lehrer wird das Buch ohne Befriedigung aus der Hand legen und das ist wohl die beste Empfehlung.

Freie Schulzeitung (Reichenberg), 24. Jahrg, Nr. .

XX. Band (1897).

»Wie nicht anders zu erwarten, schließt sich der neue Jahrgang des pädagogi- schen Jahrbuches seinen Vorgängern würdig an. Lebt doch in der Wiener pädagogischen Gesellschaft noch der alte Geist und der alte Eifer für die große Sache der Volks- bildung... »Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen.« Die Vorträge sind von

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bleibendem Werte, die Berichte werden vor allem österreichische Lehrer interessieren ; aber auch diejenigen reichsdeutschen Lehrer, die sich gern mit schulpolitischen Fragen beschäftigen, werden es sehr begrüßen, dass hier alles Wissenswerte zusammengestellt ist. Eine Übersicht über die wichtigeren Abhandlungen der sämmtlichen früheren Jahr- gänge ist dem Buche beigegeben.«

Sächsische Schulzeitung, 1898, Nr. 44.

»Die Jahrbücher des Vereines »Wr. päd. Ges.«, deren 20. Band das vorliegende Buch darstellt, haben sich in der pädagogischen Literatur des In- und Auslandes bereits das Bürgerrecht erworben; sie sind gern gesehene und gelesene Gäste auf dem Bücher- markte.« Deutsch-österr. Lehrerzeitung, 3. Jahrg, Nr. 17.

XXI. Band (1898).

»Wir können bestätigen, dass in der Wr. päd. Ges. ein wissenschaftliches Streben, ‚eine Arbeitsfreudigkeit und eine Vielseitigkeit des Interesses vorhanden ist, die die _ Publicationen der Gesellschaft zur Fundgrube pädagogisch wertvoller Gedanken und Fingerzeige machen; . ... jedenfalls kommt einem Jahrbuche, wie dem vorliegenden, auch ein bedeutender repräsentativer Wert zu, und cs würde kaum schaden, wenn sich auch die deutsche Pädagogik in einem Ähnlichen Unternehmen so würdig und vornchm repräsentiert sähe, wie die österreichische in dem vorliegenden Bande.«

Die Deutsche Schule (Berlin), 4. Jahrg., g. Heft.

»Das Wiener Jahrbuch bildet seit einer Reihe von Jahren den Mittelpunkt der österreichischen Pädagogik. Auch der vorliegende Jahrgang rechtfertigt mit seinem gediegenen und mannigfaltigen Inhalt den guten Ruf des Unternehmens.«

Allg. deutsche Lehrerzeitung (Anzeiger f. d. neueste päd. Lit.), 28. Jahrg, Nr. 10.

XXI. Band (1899).

»Bei dem ewigen Jammern über das Sinken des Idealismus in der Lehrerschaft und über das allzu starke Hervortreten der materiellen Fragen in den Lehrervereinen,.... wäre es eigentlich Sache der Schulbehörden, die Verbreitung dieses Jahrbuches zu för- dern und dafür zu sorgen, dass dasselbe in allen Lehrerbildungsanstalten und Bezirks- lehrerbibliotheken aufliegt.« Der Radicale, 2. Jahrg., Nr. 7.

»Das pädagogische Jahrbuch, dessen regelmäßiges Erscheinen durch die materielle Unterstützung des niederösterr. Landtages und der Wiener Gemeindevertretung sicher- gestellt scheint, und dessen Ausstattung auch in illustrativer Hinsicht den Verlag chrt, verdient, auch den Mittelschulkreisen zur Kenntnisnahme so mancher Artikel empfohlen zu werden.« Zeitschrift für das Realschulwesen (Wicn).

XXIl. Band (1900).

»Wer sich ein Bild von der geistigen Regsamkeit der österreichischen Lehrer- schaft verschaffen will, der greife getrost zu den pädagogischen Jahrbüchern. Er wird sich in denselben ebensosehr Anregung zum Versenken in das Wissenschaftliche der Pädagogik, als auch zum eigenen rüstigen Weiterschaffen holen.... Niemand wird das Buch ohne das Gefühl der lebhaftesten Befriedigung aus der Hand legen.«

Steirische Schul- und Lehrerzeitung. 4. Jahrg., Nr. 6.

XIV

»Der vorliegende Band bildet den 23. Band der pädag. Jahrbücher. Alljährlich begrüßen wir das Erscheinen mit großer Freude, da nicht nur die darin enthaltenen wissenschaftlichen Artikel größtes Interesse beanspruchen, sondern auch die anregenden Vereinsberichte zeigen, dass unsere deutsch-österreichischen Standesgenossen gleiches Streben beseelt und dass sie trotz des Druckes, unter dem sie sich leider gegenwärtig befinden, und dessen baldiges Ende wir gleich ihnen wünschen, nicht verzagt sind und kampfesmuthig den Dunkelmännern entgegentreten.«

Preußische Schulzeitung (Prov. Brandenburg), 39. Jahrg., Nr. 17.

»Das trefflich redigierte Jahrbuch legt Zeugnis von dem regen Streben ab, das die Wiener Collegen beseelt, es gibt den Beweis, dass Dittes in Wien nicht umsonst gewirkt, vielmehr eine Schar wackerer Collegen zu tüchtigem Arbeiten angeregt hat...

Wir wünschen dem pädagogischen Jahrbuche, dass zu den alten Freunden viele neue sich gesellen mögen.«

Neue Pädagog. Zeitung, Literaturbeilage (Magdeburg), 1901, Nr. 9. »Die pädagogischen Jahrbücher bedürfen in der Lehrerschaft keine Anempfeh- lung. Sie sind als gediegene, sorgfältigst zusammengestellte Werke bekannt und geschätzt.« Deutsch-mährisches Schulblatt, 4. Jahrg., Nr. 10.

Vorträge und Referate.

I.

Die voluntaristische Psychologie und ihre pädagogische Bedeutung.

Vorgetragen am 3. November Igoo von DR. FERDINAND MARIA WENDT.

Diejenige Wissenschaft, welche gegenwärtig alle Gebildeten be- sonders interessiert, mit der sich zu beschäftigen gewissermaßen Mode geworden, das ist die Psychologie, die Wissenschaft von den Erschei- nungen und. Gesetzen des geistigen Lebens. Da der Mensch als be- seelter Organismus ein Glied der Naturwesen ist, so hat man die Lehre vom Menschen oder die Anthropologie als einen Theil der Natur- wissenschaft betrachtet und daher die Psychologie, die wieder einen Bestandtheil der Anthropologie bildet, ebenfalls als einen Zweig der Naturwissenschaften erklärt. Von diesem Standpunkte aus hat die Psy- chologie die Phänomene des geistigen Lebens unter weit richtigeren Gesichtspunkten und mit weit zweckmäßigeren Mitteln als früher zum Gegenstande der Untersuchung gemacht und ist dabei, wie wohl nicht anders zu erwarten war, von der alten speculativen Psychologie ab- gekommen und hat den Weg der exacten Forschung eingeschlagen.

Es stehen sich in der Psychologie gegenwärtig nun zwei Haupt- richtungen gegenüber: Die alte Psychologie als Intellectualismus und die neue Psychologie als Voluntarismus. Der erstere macht, streng genommen, die Seele zu einem Ansammlungsgebiete psychischer Phä- nomene, in welchem die Vorstellungen als eine Art kriegerischer Wesen einen Kampf aller gegen alle führen. Der Voluntarismus dagegen ersetzt den Vorstellungsformalismus der Intellectualisten durch den Positivismus des Willens als reeller Grundkraft alles psychischen Wirkens. Dieser Ansicht schließen sich mehr und mehr jene Kreise der Lehrer an, die im psychologischen Experiment das Hauptmittel der Forschung auf dem Gebiete der Seelenkunde anerkennen. Dadurch sahen sich die Intellectualisten, welche vorzugsweise das Gebiet der

Jahrb. d. Wien. päd. Ges. 1901. 1

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Pädagogik zu ihrer Domäne rechnen und die Lehrerschaft als ihre Hauptanhänger betrachten durften, gewissermaßen ın ihrem Besitz- stande beeinträchtigt, und es erfolgten die Angriffe auf den Volun- tarısmus, welche ihn namentlich in seiner pädagogischen Bedeutung verdächtigten. Der Lehrer muss nun wissen, welcher Richtung er sich anschließen darf, um in seinem Wirken gefördert zu werden; ob er, falls er der alten Psychologie angehört, ihr treu bleiben oder dem Voluntarismus als dem neuen Besseren und pädagogisch Brauchbareren sich zuwenden soll. Nun lässt sich im Rahmen einer kurzen Abhand- lung das Wesen der voluntaristischen Psychologie weder vollständig erläutern, noch lassen sich alle gegen sie unberechtigt erhobenen Ein- wendungen eingehend widerlegen, und am allerwenigsten lässt sich in so kurzer Zeit der ganze Wert der voluntaristischen Psychologie für die Pädagogik klarlegen; aber immerhin soll wenigstens im Nach- stehenden der Versuch gemacht werden, in einer Anzahl von Haupt- sachen zur Klärung des Verhältnisses beider Richtungen etwas bei- zutragen. Aus dieser kurzen Vorbemerkung ergibt sich die zu lösende Aufgabe, nämlich erstens auf das Wesen des Voluntarismus im Unterschiede zum Intellectualismus hinzuweisen und dies Wesen an einigen Hauptcapiteln der Psychologie kurz zu erläutern. Sodann . sollen zweitens einige wesentliche Einwendungen gegen die Richtigkeit der voluntaristischen Psychologie besprochen und ungerechtfertigte Behauptungen widerlegt werden. Endlich aber, und das wäre die Hauptsache, soll auf den eminenten Wert der neueren Psychologie für die Pädagogik und besonders für das erzieherische Wirken des Lehrers hingewiesen werden.

Unsere Erörterungen über das Wesen des Voluntarismus, d. h. der psychologischen Willenslehre, beginnen mit der Frage: Was ist der Wille? Vor allem wohl nicht das, wofür ihn die intellectualistische Psychologie erklärt. Wenn jemand sagt: »Ich will,« so wird ihn wohl schwerlich das Gefühl einer zum höchsten Klarheitsgrade aufsteigenden Vorstellung überkommen sein, wohl aber ein Kraftgefühl, eines aus seinem »Ich«, seinem eigentlichen Wesen, fließenden Wirkens, Gestal- tens, Handelns, oder wie alle die Entäußerungen des Willens heißen. Der Wille ist eine Kraft, und es ist ganz populär, das Wort Kraft mit Wille zu verbinden und von einem starken Willen oder einer starken Willenskraft zu reden. Wenn man von der Macht des Willens spricht, denkt niemand an ein Häuflein zum höchsten Klarheitsgrade aufsteigender Vorstellungen, sondern an eine Kraft, geeignet, Hemm-

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nisse zu überwinden oder Neues zu gestalten oder einen Kampf sieg- reich zu bestehen. Eine Erklärung dieser Kraft kann natürlich niemand geben, da der Begriff »Kraft« ein einfacher Begriff ist, und einen solchen kann man nicht definieren. Wohl aber kann man die Bedin- ‚gungen zum Zustandekommen eines Willensactes angeben, und da zeigt es sich, dass alles Psychische aus dieser Kraft, also aus dem Willen, hervorgeht. Psychisches ist stets mit dem Lebendigen iden- tificiert; lebendig aber gilt uns, was aus sich selbst heraus, ohne Zwang von außen, sich als thätig, als sich bewegend erweist, nicht etwa wie ein Pendel, das durch einen äußeren Anstoß schwingt, oder wie ein Stein, dem seine Stütze entzogen wird, und der dann fällt, sondern wie ein Adler, der aufsteigt, ein Maler, der, von einer Idee ergriffen, rasch mit Kohle eine Skizze auf der Leinwand entwirft. Willkürliche Bewegung, also eine Bewegung vom Orte aus freier Wahl, vom eigenen »Selbst« aus sich äußernde Kraft, gilt als Zeichen des Lebens. Die niedersten Thiere und die neugeborenen Menschen werden uns nur zu lebenden Wesen durch die bereits bei ihnen zutage tretende Willenskraft. Von dem, was die Intellectualisten Vorstellung nennen, ist bei niederen Thieren und neugeborenen Menschen nichts zu spüren, weil davon eben nichts vorhanden ist; aber auch alle Vor- stellungen sind nur Willensverhältnisse, wie wir gleich erläutern werden.

Vorstellen und Handeln sind keine Gegensätze, sie sind nicht verschiedene Wirkungsweisen, sondern nur verschiedene Erscheinungs- weisen einer und derselben Kraft.e. Denken ist ein inneres Wirken, Handeln ein Wirken nach .außen*). Für den Beobachter bildet der Einblick in meine Vorstellungswelt, den ich ihm z. B. durch eine längere Auseinandersetzung gebe, nur eine Erscheinungsform, und ebenso ist es mit dem Handeln, z. B. bei der Ausführung einer Zeich- nung. Aber wo bleibt denn die Welt der Gefühle? --- Ja, gesonderte Gefühle als selbständige Zustände gibt es nicht; Gefühle**) können nur mit Erlebnissen zugleich sich einstellen und verschwinden mit

*) Auch das Sprechen besteht aus Willensacten, wie schon Siegismund (Kind und Welt) sehr richtig erkannt hat, indem er schon das erste Sprechen des Kindes als Ausdruck seines Willens erklärt.

**) Daher gibt es auch keinen besonderen sprachlichen Ausdruck für die Gefühle. Die Ausrufe, welche bei starken Gefühlen laut werden, sind eigentlich körperliche Äußerungen des Affectes (die Hervorbringung von Lauten ist ja ein körperlicher Process), zugleich können diese Ausrufe aber auch schon zu Lösungen des Affectes werden.

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ihnen, sie sind nichts anderes als ein Zusatz zum Erlebnis, der sich daraus ergibt, ob dasselbe mit der Richtung meines Willens consoniert oder dissoniert. Jedes Erlebnis, das der Richtung meines Willens ent- spricht, die Wirkungssphäre meines Willens fördert, ist angenehm. Jedes entgegengesetzte Erlebnis, das meinen Willen irgendwie stört,. beeinträchtigt, seiner Richtung nicht entspricht, erhält einen unange- nehmen Ton; deshalb sind Gefühle auch nicht reproducierbar, sondern sie können sich nur an reproducierte Erlebnisse anschließen.

Eine Kraft tritt immer nur ın Wechselwirkung mit anderen Kräften in Erscheinung, und da sind nun zwei Formen möglich: Ent- weder wird die Kraft von einer oder mehreren anderen Kräften angeregt, oder sie regt selbst eine oder mehrere andere Kräfte zur Wechsel- wirkung an. Das Allermächtigste im seelischen Erleben sind nach altehrwürdiger Theorie die Sinneserlebnisse.. Da blieb es einem nun bei der intellectualistischen Psychologie immer ein Räthsel, wie die Empfindungen entstehen sollen; ein äußerer Reiz, gewöhnlich als ein physikalisches Ereignis, wohl mitunter etwas klarer als physikalische Kraft gefasst, sollte reizend auf die Sinne wirken. Durch die Physiologie war man dann glücklich so weit gekommen, dass man die Art dieser Einwirkungen etwas näher angeben konnte. Z. B. beim Riechen des Rosenduftes gelangt der Reiz als Strom des Duftgases, der aus den Öldrüsen der Rose aufsteigt, auf die Riechhaare der spindelförmigen Empfindungszellen der Schleimhaut ın der oberen Nasenmuschel. Diese Riechhaare sind die reizaufnehmenden Organe. Von ihnen aus gelangen die aufgenommenen angeblich chemischen Reize in erster Umbildung durch das Siebbein in die Riechkolben, und von da in den nervus olfactorıus, den eigentlichen Riechnerv. Alle die genannten Organe der zweiten Gruppe sind die reizleitenden Organe. Endlich setzen die weitergeleiteten Reize sich im Mittel- und Großhirn, in unserem Falle der Duftwahrnehmung in den Streifenhügeln und den Schläfenlappen des Gehirns, in den sogenannten inneren Reiz um. Die Träger des inneren Reizes sind die reizvermittelnden Organe, denn sie haben dem Seelenwesen den inneren Reiz zu vermitteln. Jetzt kam die große Frage des »Wie« ?

Wenn man nicht zur phantastischen Hypothese Herbarts, von einem theilweisen Durchdringen der Seelen-Realen, seine Zuflucht nehmen wollte, gerieth man in Verlegenheit, und aus dieser hat die intellec- tualistische Psychologie bis heute keinen Ausweg gefunden. Wohl aber gelang es der voluntaristischen Psychologie. Soll etwas bewirkt

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werden, so kann es sich nur um Kräfte handeln. Die von den Beziehungsmittelpunkten der Gehirncentren ausgehenden lebendigen Kräfte, also Willenskräfte, wirken auf die Willenskraft der Seele. Natürlich verwandelt sich jede lebendige Kraft unter einer Einwirkung in eine Gegenwirkung. Diese Resultate gegenseitiger Kraftwirkung oder Willenswirkung sind Modificationen, und die Modification unseres Willens ın dem Verhältnisse zum reizvermittelnden Centrum ist das, was wir nach der intellectualistischen Terminologie Empfindung und in ihrer weiteren Entwicklung Vorstellung nennen. Dabei erhält der Willen nicht erst ein Bewusstsein, sondern die Modification der Kraft ist Bewusstsein. Bewusstlosigkeit ist Aufhebung des Wirkens. Aber unsere Erklärung der Erlebnisse welche die Intellectualisten Vor- stellungen nennen --- als Modificationen des Willens veranlasst viel- leicht die Gegner zu der Einwendung: Eine Modification des Willens heiße weiter nichts als Herstellung eines Willensverhältnisses, also Bildung eines Willenszustandes. Ganz recht. Da aber das Em- pfinden ein einfacher Zustand ist, so kann man ihn bekanntlich nicht erklären. »Süß ist süß,« und »roth ist rothe. Denn die Erklärung, unter welchen chemischen Verhältnissen von Kohlen-, Wasser- und Sauerstoff süße Geschmäcke entstehen, und bei welcher Zahl von Äther- schwingungen in der Secunde sich Lichteindrücke entwickeln, welche z. B. die Empfindung »roth« veranlassen, sind, abgesehen von dem Hypothetischen, das in chemischen Formeln und mit Billionen sich beschäftigenden Schwingungszahlen liegt, ebenfalls keine Erklärung, sondern nur eine Angabe der Bedingungen des Zustandekommens eines Phänomens. Zu einem Verständnis desselben kommt man dadurch nicht; man muss es eben erleben; und Erlebnisse kann man nicht erklären, man kann nur ihr Zustandekommen, ihre Verbindung, ıhre Wiedererzeugung, ihre weitere Wirkungsweise angeben.

Aber wir sind noch nicht zu Ende mit den primitiven Zuständen ; denn aufter den Sinneserlebnissen gibt es auch Bewegungserlebnisse, und wie aus jenen sich das Denken entwickelt, so entsteht aus diesen das Handeln. Auch hier war die Schwierigkeit einer verständlichen. und begreiflichen Auffassung der Zustände für den Intellectualisten immer groß. Wie soll die Seele die motorischen Centren anregen, dass sie eine Bewegung bewirken ? Ja, wenn die Seele ein Kraftwesen, ein Willenskraftwesen ist, so ist es selbstverständlich, dass ihre Impulse spontane Kraftwirkungen sind, die von den Beziehungsmittelpunkten der motorischen Centren, welche in ihrer Art ebenfalls Kraftwesen

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sind, aufgenommen werden. Es reagieren die Centren je nach der Qualität des Impulses, so wie eine Saite schwingt, wenn der Ton erklingt, den sie anzugeben vermag; so fassen die Beziehungsmittel- punkte der motorischen Centren nur den Impuls auf, der ihrer Qualität entspricht *). Sie leisten dann nach entsprechender, oft lange dauernder Einübung die weitere Arbeit äußerst schnell und geschickt, indem sie den einheitlichen Impuls analysieren und den verschiedenen Centren zuleiten, von denen dann die einzelnen Fasern, und es handelt sich oft um viele tausende, ja hunderttausende, entsprechend motorisch innerviert und zur Concentration angeregt werden, wodurch die Bewe- gung zustande kommt. Es ist z. B. der Laut a zu bilden. Nach langer Einübung hat das Lautcentrum die Fähigkeit gewonnen, den Impuls nach den Kehlkopf-, Zungen-, Lippen- und Wangenmuskeln hin so zu analysieren, dass jeder Muskel und schließlich jede Muskel- faser die entsprechende Spannung erhält und das Zwerchfell und die Brustmuskeln die erforderliche Menge des Luftstromes zur hörbaren Erzeugung des »a« durch die Luftröhre aus der Lunge pressen. Dass der Impuls keine Vorstellung, sondern Willenskraft ıst, leuchtet ein; dass ein »Empfindung« oder »Vorstellung« genanntes Erlebnis in der Seele sich zu einem Impuls umwandelt, z. B. die Wahrnehmung eines leisen Geräusches zum Impulse zur Verkürzung des Trommel- fellspanners, hat wieder keine Schwierigkeit, denn auch die Empfin- dungen oder Vorstellungen sind ja nur Modificationen des Willens, welche selbstverständlich ineinander übergehen können, wie ein Ver- hältnıs aus einem andern sich entwickelt.

Die Bewegungserlebnisse gliedern sich ähnlich wie die Sinnes- erlebnisse in verschiedene Gruppen, welche aber nicht wie die Sinnes- erlebnisse in disparatem Verhältnisse stehen, d. h. zwar verträglich, . aber sonst unvergleichbar sind, sondern sie stehen im conträren Ver- hältnısse. Man unterscheidet nämlich zunächst Drang- oder Trieb- bewegungen, welche Äußerungen des Thätigkeitstriebes sind. Sie werden in ihren ersten Äußerungen auch automatische Bewegungen genannt, 2. B. die Körperbewegungen der Säuglinge in den ersten Lebenstagen, sind aber nicht völlig unbewusste T'hätigkeiten, weil ihnen ja das Bewegungsgefühl und bei einer dem Impulse entsprechenden Aus- führung auch das Gefühl des Gelingens, wenn auch nur ganz allgemein, %) Vergleiche die Slaby’sche Theorie von der Fortpflanzung elektrischer Wellen

von verschiedener Qualität und Aufnahme derselben von den darauf abgestimmten telegraphischen Apparaten. i

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anhaftet. Die zweite Gruppe der Bewegungen, welche der Wille ver- anlasst, sind die Versuchsbewegungen. Sie werden in einer ganz außer- ordentlich großen Zahl ausgeführt, und es ist grausam, die Säuglinge an solchen Bewegungen durch Einwickeln zu hindern, weil nicht bloß die Befriedigung des Bewegungstriebes Lust gewährt, sondern, wenn nach den ersten Wochen und Monaten der Versuch gelingt, etwas zu erreichen, etwas zu ergreifen, etwas zu erfassen und festzuhalten, etwas wegzustoßen, etwas an den Mund zu bringen u. dgl., auch das Lust- gefühl des Gelingens sich einstellt. Dazu kommen später die Versuche, Laute zu bilden (Lallversuche), sich aufzurichten, zu stehen, zu gehen u. s. w. Eine besondere Art der Versuchsbewegungen sind die Nach- ahmungsbewegungen, veranlasst durch den Drang oder selbst Zwang der physiologischen Resonanz. Diese höchst interessante Ein- richtung besteht darin, dass Bewegungen, welche die Kinder von anderen ausführen sehen, und welche sie selbst auszuführen im Stande sind, durch einen inneren Drang zur Ausführung gelangen. Es verhält sich dabeı ähnlich wie bei einer musikalischen Resonanz, wo Saiten oder Luftquantitäten in tönende Schwingungen versetzt werden, wenn ein Ton von gleicher Höhe in ihrer Nähe angegeben wird. Die physio- logische Resonanz gewinnt besonders einen der musikalischen Resonanz ähnlichen Charakter bei den tönenden Ausdrucksbewegungen, nämlich der Sprache, worauf wesentlich die Erlernung der Lautsprache mit- beruht. Es ist dies auch schon eine Art von Willensübertragung. Die ganze Fülle der von den Menschen zu erlernenden Bewegungen bei den Fertigkeiten des Turnens, Tanzens, Schreibens, Zeichnens u. s. w. beruht wesentlich auf Nachahmungsbewegungen. Stärker tritt die Eigenkraft des Willens bei den Zweckbewegungen hervor. Es sind dies Bewegungen zur Erreichung einer bestimmten Absicht, nämlich ein bestimmtes Object zu ergreifen, zu heben, zu tragen u. s. w. Es kommt dabei wesentlich auf die Intensität des Impulses an; er darf nicht zu schwach und nicht zu stark gegeben werden.

Von höchster Wichtigkeit sind die Ausdrucksbewegungen, beson- ders die tönenden. Mienen, Geberden, Gesten begleiten all unser Denken und Handeln. Sie bringen innere Erlebniszustände, besonders deren Gefühlston, wie Freude, Behagen u. s. w. zum Ausdruck. Am erkenn- barsten geben den Gefühlston die vorher geschilderten, die tönenden Ausdrucksbewegungen wieder, welche nicht nur Gefühlszustände über- haupt zum Ausdrucke bringen, sondern die bei bestimmten Objecten entstehenden Gefühlszustände auch in einer ganz bestimmten Weise

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bezeichnen, wodurch die tönende Ausdrucksbewegung Mittel wird, Dinge oder Wesen, Thätigkeiten, Zustände, Eigenschaften und Ver- hältnisse selber zu bezeichnen, besonders wenn zugleich die Mienen des Behagens oder Unbehagens dem tönenden Ausdrucke anhaften, wie: süß, sauer, bitter, oder die tönenden Bewegungen den Schall nachahmen, wie: rauschen, klatschen, schlürfen u. s. w. Neben dem Stimmungscharakter gelangt dadurch auch der logische Charakter unserer Erlebnisse zum Ausdrucke. Diese Fähigkeit der tönenden Ausdrucksbewegungen, d.h. der Sprache, steigert sich bei den Cultur- völkern immer höher, um endlich die Abstraction in der Form von Begriffsbezeichnungen, Verbindung von Begriffen im Urtheile und die Bildung von Schlüssen aus Urtheilen zum Ausdrucke zu bringen. Da die Sprache selbstverständlich eine Wirkung des Willens ist, wie jede Art von Bewegungen, so ist sie ein ganz besonderes Mittel, wieder auf den Willen zu wirken, nämlich auch Willensübertragungen von einer Person auf andere zu bewirken, wie sie ın dem Befehle und noch mehr in der Suggestion liegen.

Eine ganz besonders befriedigende Vorstellung über die Erklär- barkeit der psychischen Phänomene durch den Voluntarismus gibt die Betrachtung der Aufmerksamkeit. Sie ist die Richtung und Verengung der Willenskraft auf ein neues Erlebnis, ein Wiedererlebnis u. s. w. Jetzt erklärt sich auch, warum Menschen mit festem Willen ein besseres Gedächtnis haben, als Schwachwillige, weil jene eben mit größerer Concentration und nicht leicht zu ermüdender Aufmerksamkeit die Erlebnisse auffassen. Beim Voluntarismus gewinnen wir auch eine bessere Eintheilung der Aufmerksamkeit. Die Intellectualisten reden sogar von einer unwillkürlichen Aufmerksamkeit, und doch ist Auf- merken eine verstärkte Willensrichtung. Die Intellectualisten meinen eben die unwillkürliche Erregung der Aufmerksamkeit durch ein starkes Geräusch, einen intensiven Lichteindruck, kurz durch einen sehr kräf- tigen Sinnesreiz, welcher den Willen von seiner bisherigen Richtung ablenkt. Ob er in der neuen Richtung verbleiben will oder nicht, ist nicht vom Objecte, sondern vom wollenden, d. h. willkürlich entschei- denden Subjecte abhängig. Das mag manchmal schwer sein, wie wenn z. B. ein arbeitender Mathematiker sich plötzlich mit der Feder sticht. Immerhin ist aber auch das Beharren in der neuen aufgenöthigten Richtung nicht unwillkürlich, sondern mag nur, weil der früheren Willensrichtung entgegengesetzt, recht unangenehm betont sein. Durch die voluntaristische Auffassung der Aufmerksamkeit wird natürlich auch.

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dem Lehrer klar, wie die Verengung der Aufmerksamkeit vom Blick- felde, z. B. die Betrachtung eines Hölzel’schen Anschauungsbildes sagen wir des Winters -— auf den Blickkreis, z. B. die Gruppe der Schlittschuh fahrenden Personen, und endlich die Verengung auf den Blickpunkt, also z. B. auf einen fahrenden Knaben, das Betrachtete in zunehmend hellere Beleuchtung versetzt. Wenn ich eine Kraft auf ein gewisses Wirkungsgebiet zerstreue und dieselbe Kraft nun auf ein sich mehr und mehr verengendes Wirkungsgebiet concentriere, so müssen die Theile des verkleinerten Gebietes mit umso größerer Stärke erfasst werden, und es verhält sich bei dieser Verengung wie mit der An- näherung an die Lichtquelle bei der Beleuchtung; ihre Wirkung wächst nicht arithmetisch, sondern geometrisch, d. h. umgekehrt im Quadrate der Verengung, so dass bei Verengung des Blickfeldes auf den halben Raum dieser mit vierfacher, auf den dritten Theil des Raumes mit dem Neunfachen der früheren Klarheit erfasst wird. So begreift man auch, dass ein Anschauungsbild, nachdem es in die entsprechenden Blickkreise zerlegt und dann jedes wichtige Object in den Blickpunkt gefasst worden, unverlierbar haftet. Während das Gedächtnis, von dem später noch kurz die Rede sein soll, nur eine wiedergestaltende Thätig- keit des Willens ıst, erscheint die Phantasie als eine neu- oder um- gestaltende, und insofern diese Neu- oder Umgestaltung originell ist, als eine schaffende Thätigkeit des Willens. Die umgestaltende Thätig- keit ıst entweder abstrahierend, determinierend oder combinierend, was ich wohl nicht näher auszuführen brauche.

Diesen elementaren Formen der Einbildungsthätigkeit steht die höhere Einbildungsthätigkeit oder eigentliche Phantasie gegenüber, welche nach den sogenannten idealen Normen ihre Producte gestaltet und, je nachdem sie die Normen des Wahren, Schönen, Guten oder Zweckmäßigen als Maßstab für ihre Leistungen verwendet, als wissen- schaftliche, künstlerische, sittliche oder technische Phantasie erscheint. Die wissenschaftliche Phantasie ersinnt neue wissenschaftliche Wahr- heiten und Gesetze, wie dies ein Kepler, Galilei, Kant oder Newton thaten. Die ästhetische Phantasie schafft Kunstwerke, wie diejenigen eines Phidias, Michel Angelo, Raphael, Shake- speare oder Goethe. Die sittliche Phantasie schafft neue staatliche oder religiöse Institutionen, wie die vonSokrates,KarldemGroßen, Benedict von Nursia, Prinz Eugen, Herbart, Bismarck. Die technisch-praktische oder teleologische Phantasie endlich, welche in der Gegenwart zu einer nie geahnten Ausbildung

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gelangt ist, schafft Entdeckungen und Erfindungen, wie bei Columbus, Franklin, Gutenberg, Cook, Watt, Fulton, Stephenson, Ressel, Siemens, Auer etc. Die außerordentliche Verehrung, welche wir den großen Talenten, besonders aber den Genies auf diesen Ge- bieten der Phantasiethätigkeit entgegenbringen, beruht besonders darauf, dass wir die großartige schöpferische Wilienskraft dieser Männer, die zuweilen die Form blitzartigen spontanen Erkennens und Schaffens annımmt, bewundern müssen. Das Wirken der Normen, nach denen diese Gebilde erzeugt werden, wird begreiflich, weil sie ja selber dauernd wirksam gewordene Willensverhältnisse sind, nach denen diese Gestal- tungskraft misst, abwägt und endlich neu bildet. Mit ganz anderer Sicherheit und mit ganz anderen Mitteln und auch mit ganz anderen Hoffnungen können wir von diesem Standpunkte aus an die Bildung der Phantasie der Zöglinge herantreten.

Die Einwendungen, welche man gegen die voluntaristische Psy- chologie erhebt, richten sich weniger gegen das Grundprincip derselben, welches man mit gewissen Einschränkungen sogar zuzugeben bereit ist, als vielmehr gegen die angebliche Verflüchtigung des Willens zum bewusstlosen Weltwillen, zum absoluten Werden u. dergl. Aber das Gebiet, auf welches man sich da begibt, ist von der empirischen’ Psy- chologie weitab gelegen, es ist ein transcendentes, metaphysisches, für dessen Auffassung die Herren Wundt, Paulsen etc., die es beschreiten, zwar ihre eigenen Ansichten haben mögen, die man aber nicht dem Voluntarismus als solchem zuschreiben darf. Dessen Princip: »Die

Grundkraft alles psychischen Geschehens ist der Wille« hat nichts mit.

einer metaphysischen Auffassung desselben als unbewusstem Welt- willen zu thun. Wenn gewisse Voluntaristen den Willen nicht an eine Substanz binden wollen, wenn ihnen der Wille die Substanz selbst ist, oder wenn sie das in der Substanz gegebene »Sein« überhaupt zum absoluten Werden umbilden, so haben diese Begriffe ja nichts in der empirischen Psychologie zu suchen. Wenn solche metaphysische Be- griffe, wie es Paulsen thut, dem System vorangestellt werden, so ist es immer noch nicht nöthig, diese Ansichten zu glauben; denn die metaphysischen Theorien sind ja keine Wissenschaft, sondern sind Glaubenssysteme auf dem Gebiete der Wissenschaft, die für wahr zu halten niemandem verwehrt werden kann, aber gegen die anzukämpfen ebenso thöricht ist, wie ein Kampf gegen religiöse Glaubenssysteme. Jeder glaubt, wozu ihn sein seelisches Bedürfnis führt. Wird dies durch den Glauben befriedigt, so nimmt ihm diesen Glauben keine Macht

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der Welt. Ich fühle mich also keineswegs verpflichtet, für transcendente und metaphysische Glaubenssysteme einzelner Voluntaristen verthei- digend einzutreten; die Intellectualisten sind ja nicht weniger Meta- physiker. So gehört das Princip Wundts, das der Selbstschöpfung der Welt mit dem Widerspruche der unbewussten Zweckmäßigkeit, genau so vollständig der Metaphysik an, wie die Selbstschöpfung der Realen bei Herbart. Wenn also von einer Widerlegung die Rede ist, so kann es sich nur um Angriffe auf die Principien der voluntaristischen Psychologie und die sich daraus ergebenden Consequenzen handeln.

Die Intellectualisten wenden sich zunächst dagegen, dass wir allem Lebenden, selbst in den einfachsten Formen, Willen zuschreiben. Natürlich nicht einen hoch entwickelten Willen nach den Principien der Intellectualisten, wo der Willensact in der Form der Erwägung, der Wahl und des Entschlusses verläuft mit dem Zutrauen der Befrie- digung, sondern überhaupt die Kraft, von sich aus zu wirken. So ist uns alles, was von sich aus centrifugal wirkt, und also lebt, mit Willen begabt. Dass wir bei einer primitiven Thier- oder Pflanzenseele nicht an den hochentwickelten Willen eines Cäsar oder des Prinzen Eugen denken, sondern nur an den Drang, sich in einer dem eigenen Wesen behagenden Weise zu bethätigen, ist selbstverständlich, ebenso wie wir den Intellectualisten, z. B. Herbart, welcher allen Zellen, besonders denen des Gehirns, Intellect zuschreibt, nıcht zumuthen werden, dass sie die Vorstellungsfähigkeit einer Gehirnzelle mit dem Intellect eines Kant oder Humboldt gleichstellen. So wie wir den Willen verallgemeinern, verallgemeinern die Intellectualisten eben den Intellect, die Fähigkeit, vorzustellen. Wie recht aber der Volun- tarısmus hat, den Willen als Grundkraft des psychischen Geschehens anzunehmen, wird überall dort klar, wo die Intellectualisten nach den primitivsten Anfängen des psychischen »Seins« ganz unabhängig von den Einflüssen ıhres Princips forschen. Da erklärt selbst der alte Kant den ersten Schrei des Kindes als einen Ausdruck des Strebens nach Freiheit, und Herbart findet, dass nicht Vorstellungen, sondern Stre- bungen und Gefühle das Primitivste im Seelenleben sind, und dass erst lange nachher aus dem daraus entstehenden Gemeingefühl sich die ersten Regungen des Intellects entwickeln.

Verwunderlich ist es, dass die Zurückführung der Wirksamkeit aller lebenden Wesen auf die Willenskraft, oder wie man auch sagt, die Verallgemeinerung des Willens zum Panpsychismus gerade den Voluntaristen zum Vorwurfe gemacht wird. Man sagt: »Jedes Thier,

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auch das niederste, jede Zelle, schließlich jedes Molekül, ja zuletzt sogar jedes Atom, begabt ihr mit Willen. Das ist doch zweifellos Panpsychismus!« Gewiss, wer so verfährt, ist ein Panpsychist. Aber sind alle Voluntaristen auch wirklich Panpsychisten ? Dagegen z. B. dürften sich doch wohl viele verwahren. Die Lehre von den Molekeln und Atomen z.B. gehört trotz allen Sträubens vieler Physiker und Chemiker ins Gebiet des Transcendenten. Die Begriffe Molekül und Atom, mit denen die Physiker und Chemiker wie mit Scheidemünzen umgehen, sind trotz aller Theorien von der Atomwertigkeit und den Atomgewichten . der-sinnlichen Erfahrung entrückt. Was sich Physiker, Naturhistoriker und die Physiologen unter Molekeln und Atomen vorstellen, gehört so gut in das Gebiet des Glaubens, wie die Vorstellungen von Monaden und Realen der Philosophen. Mögen die Chemiker auch mit noch so absoluter Sicherheit die chemischen Formeln handhaben, ja mögen sie wie Loschmid sogar die Größe und Zahl der Atome berechnen, so bleiben Molekeln und Atome doch transcendente Begriffe, und die Formeln sind nur ein Ausdruck für gewisse in die Erscheinung tretende Gesetzmäßigkeiten. Sie aus Molekular- oder Atomverhältnissen her- zuleiten, ist physikalische und chemische Metaphysik, die man natür- lich niemandem wehren kann, zumal sie sehr interessant ist. Ähnlich wie die religiösen Dogmen die religiösen Zweifel beheben sollen, so hat solche wissenschaftliche Metaphysik den Zweck, die Zweifel des grübelnden Verstandes mit wissenschaftlichen Dogmen zu beheben. Wir lassen also diese doppelte Dogmenwelt, die philosophische wie die naturwissenschaftliche, ihre Folgerungen für das Gebiet des Trans- scendenten ziehen, selbst aber bleiben wir bei dem stehen, was bereits sinnenfällig wird, nämlich bei der Zelle, die, wenn sie dem bloßen Auge nicht mehr sichtbar ist, wenigstens im Mikroskop ihr Leben offenbart, und da sie hier ein Wirken aus sich heraus zeigt, werde es auch durch nichts, als durch den Ernährungs- und Ausscheidungs- process, verbunden mit der Bewegung des flüssigen Inhalts der Zelle, sowie durch deren Vermehrung. durch Selbsttheilung, erkennbar: so nehmen wir für alle Zellen Leben und damit auch Willen an; keinen im Sinne Herbarts, als eine höchste Entwicklungsstufe der Intelligenz, wohl aber als Kraft, thätig zu sein, und als Streben, etwaiges Un- behagen in Behagen zu verwandeln; damit ist natürlich unzertrennlich, dass jede Zelle die mit der Ernährung und Ausscheidung und Ver- mehrung nothwendig verbundenen primitiven inneren (psychischen) Erlebnisse babe.

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Doch man erhebt auch den Vorwurf, der Voluntarismus, welcher das Hervorgehen des momentanen Bewusstseinszustandes stets aus dem früheren Zustande herleite, könne keine eigentliche Reproduction ergeben; da sie doch unleugbar vorhanden sei, so könne die neue Psychologie die Reproduction nicht erklären. Als Widerlegung wollen wir nur in Kürze bemerken, dass der Intellectualismus sich dann ganz genau in derselben Lage befinden müsste. Er lehrt nämlich, dass jeder momentane Bewusstseinszustand ein Product des vorhergehenden Bewusstseinszustandes sei. Der Intellectualismus muss dies lehren, sonst würde er das psychologische Fundamentalgesetz des Zusammen- hanges aufheben. Was aber nun die Reproduction selbst anbelangt, so braucht der Voluntarismus die bisherigen mühsamen Erklärungen der Reproduction gar nicht. Ihm sind auch die Reproductionsphäno- mene psychische Neubildungen, hervorgegangen entweder aus einem Wiedererlebnis oder aus einem Rückerlebnis. Das Wiedererlebnis ist ein wirkliches, momentanes Erlebnis, bloß mit dem Urtheile verknüpft: ein solches Erlebnis, wie ich es jetzt habe, hatte ich bereits in gleicher oder ähnlicher Weise einmal. (Die Erkenntnis des Maßes der Abwei- chung ist natürlich auch vorhanden.) Die andere Gruppe der Repro- ductionen bilden jene inneren Erlebnisse, die aus der Wechselwirkung zwischen einem bloß inneren Reize mit einer von einem früheren Erlebnisse gebliebenen Reproductionsdisposition momentan neu ent- standen sind. Durch das Urtheil: »Ein solches Erlebnis hatte ich schon in gleicher oder ähnlicher Weise« wird auch dies innere Erlebnis erst zum eigentlichen Rückerlebnis.

Im Gegensatz zu unserer oben gegebenen Willenserklärung soweit natürlich von der Erklärung einer Kraft überhaupt die Rede sein kann definiert Henle den Willen als aus Vorstellungen geboren, in Vorstellungen seinen Sitz habend, sich nach Erwägung, Wahl und Entschluss Befriedigung zutrauend und deshalb in Hand- lung übergehend. Das heißt mit anderen Worten: Der Wille ist ein so complicierter Denkprocess, dass ıhn die Voluntaristen zu den voll- endetsten Acten des innerlich wirkenden Willens rechnen müssen. Solch einen Willen hätten dann freilich nicht viele Menschen, weil zu solch complicierten Denkprocessen nur gebildete Menschen mit hoch entwickelter Intelligenz kommen, und auch diese nicht in zu vielen Fällen, denn zumeist vollzieht sich doch unser Wirken äußerst rasch nach im Laufe der Zeit zur Regel gewordenen Begehrungsverläufen, d. h. nach Gewohnheits- und besonders nach Neigungsimpulsen, bei

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denen solche verwickelte Erwägungen gar nicht vorkommen, weil sie sehr überflüssig sind. Und was wären denn alle spontanen Handlungen ? Man denke an die spontanen Handlungen im Affecte, besonders im Zorne, in der Angst, in der Begeisterung u. s. w. Sind die kühnen, Lebensrettungen, die todesmuthigen Leistungen im Momente höchster Gefahr, wie z. B. bei Unglücksfällen, das Product langen Erwägens, Wählens und Zutrauens der Befriedigung? Dass der Mensch bei spontanen Handlungen mit den Normen des Wahren, Guten, Schönen und Zweckmäßigen, der Ehre, der Nächsten- und Gottesliebe auch in Widerspruch kommen kann, ist freilich wahr. Es ist auch zu beklagen, ändert aber an der Sache gar nichts, dass ein solches Handeln ein Ausfluss des Willens, u. zw. gerade des denkbar stärksten Willens ist, der ebensoviel Gutes, ja gottlob mehr Gutes schafft, als Böses. Alle die heroischen Thaten höchsten sittlichen Heldenmuthes sind in der Regel spontan. Wer wird sie deshalb nicht für Handlungen, u. zw. für sittliche Handlungen halten ?

Die Intellectualisten erklären auch, dass doch unbedingt Empfin- dung, Wahrnehmung, Anschauung und deren Verbindung zu Denk- acten Thatsache sei, und fragen, inwiefern dies Willensacte seien. Nun, in Bezug auf die Empfindung haben wir den Process schon eingehend besprochen. Durch die Gegenwirkung gegen das reizende Object hin wird die Empfindung, wie wir sagen, nach außen projiciert, d. h. z. B. die schwingende Metallmasse der Glocke wirkt durch die Fortpflanzung ihrer Schwingungen schallerregend auf das innere Ohr, und unser durch den Schall erregter Wille wirkt gegen das reizende Object hin, die Schallursache wird auf das veranlassende Object verlegt, und wir sagen: »Die Glocke tönt.« Sie tönt aber in Wirklichkeit nicht, sondern innerer Reiz und Wille erzeugen in ihrer Wechselwirkung das Erlebnis des Tönens. Durch Verknüpfung der Wahrnehmungen, z. B. der ver- schiedenen Wahrnehmungen, welche ein Apfel bietet, entsteht die An- schauung. Es wirken bei einer Anschauung gleichzeitig verschiedene Reize simultan auf unsern Willen. Jede dieser Reizkräfte wirkt in einer ganz bestimmten Weise modificierend; weil aber der Wille in einem untheilbaren Zeitmomente nur eine Richtung hat, also nur nach einem Projectionsfelde hin die Wahrnehmung verlegen kann, so ent: steht das, was wir Bewusstseinsenge nennen, d. h. es können in einem untheilbaren Zeitmomente nicht zwei disparate Erlebnisse, wie z. B. Farbe und Geschmack, gleichzeitig wahrgenommen werden. Es können zwar in blitzschnellem Wechsel die disparaten Erlebnisse einander

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folgen, so dass selbst in der winzigen messbaren Zeit einer Secunde alle disparaten Erlebnisse, welche ein Apfel bietet, in der beliebigsten Folge durchlaufen werden, so dass sie scheinbar ın eine Einheit zusammenfließen, aber die deutliche Wahrnehmung jedes einzelnen der verschiedenen Sinnesgebieten angehörigen Reize erfolgt successiv. Nachdem im ersten Theile des Vortrags bei der Darlegung der Hauptlehren des Voluntarismus Bezug auf das pädagogische Element genommen und auch bei der Abwehr der Einwendungen gegen den Voluntarismus auf die pädagogische Verwertung der neuen Seelenlehre verwiesen wurde, erübrigt nur noch in Bezug auf das eigentliche Erziehungsverfahren mit Rücksicht auf die beschränkte Zeit den Wert der neueren Psychologie kurz zu beleuchten. Ich werde mich dabeı an die geläufigen Gruppierungen des Erziehungsverfahrens halten, um an. Bekanntes anknüpfen zu können. Dass die Pädagogen, welche nach der voluntaristischen Psychologie vorgehen, ganz neue Erziehungsmittel anwenden werden, wird wohl niemand vermuthen. Die seit Jahrtausenden erprobten Erziehungsmittel werden nur nach neuen Gesichtspunkten und hie und da in neuen Formen Anwendung finden. Wir werden also nach wie vor die Kinder durch Aufsicht behüten und nur in ver- stärktem Maße ihren Willen kräftigen, dass sie sich selbst zügeln lernen. Wir werden wie bisher mit Klugheit und Consequenz gewähren und versagen, aber dabei den Sinneserlebnissen eine erhöhte Berück- sichtigung zuwenden. Besonders gilt dies vom Schmecktriebe, dem stärksten aller Triebe, welcher den Menschen vom ersten Saugen bis zum letzten Benetzen der Zunge vor dem Tode beherrscht. Er ist die Quelle mancher Tugenden, aber leider weit öfter der Anlass zu Lastern. So wichtig der Schmecktrieb als Förderer des Nahrungstriebes ist, so wertvoll er als Schutzmitiel gegen schädliche Stoffe gehalten werden muss, so sehr gerade er das Leben angenehm machen kann, so feindlich werden wir ihm uns gegenüberstellen, wenn er den Menschen zum Sclaven macht, den Organismus schädigt und zerstört und das Gehirn in seinen Wirkungen lähmt. Gerade die voluntaristische Psy- chologie hat hier experimentell aufklärend gewirkt. Sie hat gezeigt, dass die bekannte Behauptung: »Der Mensch ist das, was er isst« (natürlich auch was er trinkt), für die Erziehung überaus wichtig ist. Denn die Kinder sind nicht nur das, was sie selber essen und trinken, sondern leider auch das, was ihre Väter und Mütter gegessen und getrunken haben. Ein Kind aus einer Trinkerfamilie, sei der Vater nun Arbeiter oder Fabrikant, Bettler oder Fürst, ist in der ersten

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Generation mit minderem, in der zweiten mit geringem, in der dritten Generation mit ganz minimalem Erfolge erziehbar. In der vierten Generation hört die Erziehung ganz auf, weil Trinkerfamilien in der vierten Generation überhaupt keine Kinder mehr bekommen.

Dass die voluntaristische Psychologie mit ihrem unwiderleglichen experimentellen Material manchen Leuten sehr unbequem sein mag, erscheint allerdings glaublich, zumal es ihr sehr gleichgiltig ist, ob der Fusel im Schnaps oder im Cognac, der Alkohol im Abzugbier oder im Champagner genossen wird. Der Consum an Alkohol und Tabak ist bekanntlich ein Maßstab für die Degeneration eines Volkes. Die wichtigen Erziehungsmittel des Lohnes und der Strafe werden von uns von klein auf zur Charakterbildung benützt, da uns der Cha- ‚rakter ein Entwicklungsprocess ist, der mit dem ersten Lebenstage des Kindes beginnt, und da wir überhaupt kein anderes Ziel kennen als Veredlung des Charakters bis zur höchsten sittlichen Freiheit, so ist alles Erziehen der Voluntaristen Charakterbildung, weil sie eben in jeder seelischen Erscheinung nur Willensäußerung erkennen. Wir genügen so thatsächlich der Forderung, die schon Herbart aufgestellt hat und als gewiegter Pädagog aufstellen musste, nämlich, dass alles Erziehen Charakterbildung sein müsse. Nur schade, dass Herbart den Intellect und nicht den Willen zur Grundkraft des seelischen Lebens machte.

Von der Belehrung und dem Uhnterrichte im Sinne der alten Schule werden wir uns allerdings weniger versprechen. Die Gegner eines hochentwickelten fortschrittlichen Schulwesens haben mit ihrer Behaup- tung nicht unrecht, dass der beste Unterricht nur eine schwache sittlich bildende Kraft haben könne. Dies ıst nämlich dann der Fall, wenn der Unterricht nicht als Willensbildung aufgefasst wird und als solche sich so mit dem Willen des Schülers verbindet, dass alle wertvollen Vorstellungen zu Motiven des Handelns werden. Selbst die gerühmte Belehrung kann versagen, wenn der dabei sich abspielende Process der Apperception nicht ganz richtig eingeleitet wird. Wenn wir uns also nur unter der eben ausgeführten Bedingung Ersprießliches vom Unter- richte versprechen, werden wir in ganz anderer und consequenterer Weise die gute Gewöhnung als fundamentale Grundlage der sittlichen Charakterbildung erstreben, und zwar in allen drei Gruppen der Ge- wöhnungen, der individuellen, gesellschaftlichen und sittlichen Gewöh- nung. Ich kann hier nicht umhin, der älteren Pädagogik aus der Zeit des Prager Lehrerbildners Herrmann, gewissermaßen eines Vorläufers

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der Neuschulerziehung, einen Vorzug einzuräumen. Unter die Erziehungs- mittel werden wir aber auch die pädagogische Suggestion einreihen müssen, welche namentlich geeignet ist, in Bezug auf gefährliche Trieb- handlungen vorbeugend und bei zu befürchtenden spontanen schäd- lichen Handlungen verhütend zu wirken. Es wird dies eine Erweiterung der Behandlung des pädagogischen Befehles sein. Dann werden wir auf der Unter- und zum Theile selbst der Mittelstufe den Befehl nicht als Beeinflussung der Intelligenz, sondern in seiner stricten Form ein- fach als Willensübertragung fassen. Der unbedingte Gehorsam der Zucht, welchen Herbart bekanntlich fälschlich Regierung nennt, muss diese Form haben. Daneben werden wir, da überhaupt alles seelische Leben uns als Ausdruck eines sich selbst bestimmenden Willens erscheint, schon dafür Sorge tragen, dass die Willenskraft jene Steige- rung erfährt, die abträgliche Einflüsse zu überwinden und sich zum Charakter zu bilden weiß.

| Hier erscheint die Sprache als tönende Bewegung zum Ausdrucke des Willens in ıhrer besonderen Kraft, nämlich in der Kraft der Willens- übertragung. Dieses Gebiet, welches erst durch die voluntaristische Psychologie klar erschlossen ist, indem sie nachgewiesen hat, welch großer Theil der menschlichen Handlungen auf Grund der verschiedenen Formen der Willensübertragung entsteht, stellt nicht nur unsern päda- gogischen Einfluss in ein anderes Licht, sondern vergrößert ihn auch bedeutend, während sie freilich uns auch klar macht, welch mächtigen andern neben der Erziehung sich geltend machenden Einflüssen wir zu begegnen haben. Das Gebiet der Willensübertragung in der Form der Nachahmung des Beispieles, der Suggestion und des directen Be- fehles wird einen Hauptabschnitt in der Erziehungslehre bilden.

Die Erziehungs- und Unterrichtsgrundsätze werden als aus der Praxis stammende Erfahrungsgrundsätze durch die bestimmten Rich- tungen der Psychologie wohl weniger berührt, dagegen kann die psy- chologische Richtung des Erziehers nicht ohne tiefen Einfluss auf die sogenannte Erziehungsmethode sein. Eine Methode der Pflege in vor- wiegend körperlicher Hinsicht gibt es bei uns nicht, da der beseelte Organismus als Willenswesen vom ersten Momente seiner Existenz an sich zugleich psychisch entwickelt. In dieser Hinsicht wird es freilich nothwendig sein, besonders auf die Eltern einzuwirken, damit es nach dieser Richtung in den Köpfen der Eltern recht hell werde. Wir selbst aber werden, anstatt wie es vielfach bisher geschah, lediglich den Unterricht als Hauptaufgabe des Lehrers zu betrachten, die Pflege des

Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1901. 2

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gesammten Organismus uns soviel als möglich angelegen sein lassen und dem Schüler alles zu gewähren trachten, was von körperlicher Seite unser Wirken auf den Geist unterstützt. Die Methode der sogenannten Regierung werden wir also in die Methode der Gewöhnung verwandeln. Sowie wir den Kindern die Handlungen des täglichen Lebens bis zum Mechanismus geläufig machen, so werden wir die alten zwölf fundamentalen Gewöhnungen Lykurgs und Solons, nämlich an Reinlichkeit, Mäßigkeit und Fleiß, ferner an Gefälligkeit, Dienstfertigkeit und Verträglichkeit, sowie endlich an Gehorsam, Wahr- haftigkeit, Redlichkeit, Schamhaftigkeit und Frömmigkeit, zu denen wir noch die Dankbarkeit, besonders in ihrer Steigerung zum Patrio- tismus, fügen möchten, zur Hauptaufgabe der Willensbildung auf der Unter- und Mittelstufe machen. Nur so gewinnt man eine verlässliche Grundlage für die Charakterbildung. Obwohl zu dieser die Schule nur die Dispositionen schaffen kann, so müssen doch diese ım Willen gleich triebkräftigen Keimen festwurzeln. Die Methode der Führung wird bestimmt durch die sittlichen Ideen.

Das höchste Ziel der Willensbildung, die sittliche Freiheit, ist nach der intellectualistischen Psychologie nur dadurch zu erreichen, dass die sittlichen Ideen zu appercipierenden Vorstellungen werden, was wohl heißen soll, dass nur diejenigen Begehrungen zugelassen werden dürfen, welche den sittlichen Ideen entsprechen. Gerade aber dieser höchsten Aufgabe der Pädagogik gegenüber beklagen die Intellec- tualisten, und zwar unter ihnen selbst Herbart, der Schöpfer der Lehre von den sittlichen Ideen, dass es so viel Schwierigkeiten biete, diese sittlichen Ideen wirksam zu machen, so dass sie den Willen auch wirklich bestimmen. Die intellectualistischen Pädagogen geben allerlei Rathschläge, wie hier abzuhelfen sei; so Weitz, Hartenstein, Flügel und besonders Strümpell. Der letztere nennt allerdings die besten Mittel, nähert sich aber dabei der voluntaristischen Theorie unwillkürlich, indem er die Vorstellungen, die nach intellectualistischem Principe doch nur Zustände sind, in Wertschätzungen umbildet, also in jene Form des Willens kleidet, wobei ein inneres Willensverhältnis (eben eine Wertschätzung) als bestimmender Antrieb eine Handlung bewirkt. Die sittlichen Ideen sind Urtheile der Wertschätzung; sie haben nach Herbart folgende Form. Die Übereinstimmung unseres gesammten Wollens mit den Forderungen des Sittengesetzes nennen wir Gewissenhaftigkeit. Das gewissenhafte Handeln hat einen hohen idealen Wert, und der Verkehr mit gewissenhaften Menschen hat

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zugleich einen sehr angenehmen praktischen Wert. Die eigene Gewissen- haftigkeit betrachten wir daher als eine Vermehrung unseres subjectiven Wertes und als eine Förderung des menschlichen Verkehrs, weshalb wir die Gewissenhaftigkeit subjectiv und objectiv als besonders erstrebens- wert betrachten. Dieser erstrebenswerte Zustand prägt sich in dem Grundsatze aus: »Deine Handlungen seien der Ausdruck deiner Über- zeugung« und verwandelt sich in jene Willensrichtung, welche wir bei Kindern Gehorsam, bei Erwachsenen Gesetzestreue nennen. Die Idee der Vollkommenheit ist die Wertschätzung jener Gestaltung unseres Willens, die aus seiner Kräftigkeit, Vielseitigkeit und Harmonie hervor- geht. Die Lustgefühle, welche aus dem Erleben der Kraft, der Mannig- faltigkeit und Übereinstimmung unserer Willensentschlüsse entstehen, sind ebenso stark als angenehm und erwecken natürlich das Streben nach einer solchen Gestaltung unseres Willens. -— Die von den Intellec- tualisten sehr hochgeschätzte, aber von ihrem Standpunkte aus schwer zu erklärende Idee des reinen Wohlwollens wird erst vom voluntaristi- schen Standpunkte aus deutlich. Der auf das Sittliche gerichtete kraft- volle, vielseitige und consequente fremde Wille wird von unserem eigenen Willen aufgenommen, weil die dadurch dem anderen gewährte Lust und die Förderung seines und des allgemeinen Wohles uns selbst Freude bereitet, und zwar eine ganz besonders hohe Freude, da durch das Wohlwollen der Weltzweck, das universelle Wohlgefühl

gefördert wird. -- Diese selbstlose Förderung des Gesammt- wohles verleiht der sittlichen Liebe --- wie Strümpell das Wohl- wollen nennt --- einen besonders hohen, und zwar einen absoluten

Wert, während die Wertschätzungen der Grewissenhaftigkeit und der Vollkommenheit nur relative Werte ins Auge fassen, da die Gewissen- haftigkeit von der Vollkommenheit der Einsicht, die Vollkommenheit des Willens von den Fähigkeiten des Individuums und deren Aus- bildung abhängen. Die Idee des Rechtes ist nur eine Umformung der Freiheitsidee. Es muss jedem Willen das zulässige Maß von Frei- heit innerhalb der Grenzen seiner gesellschaftlichen Verhältnisse gewahrt sein. Verletzung dieser Idee wird stark unangenehm empfunden, Aufrechthaltung dieser Idee gehört zu den Grundbedingungen staat- licher Entwicklung. Die Idee der Vergeltung ist nur de Anwendung des bisher Erörterten. Differenzen in den Werten verschiedener Willen, welche in ein Verhältnis getreten sind, müssen ausgeglichen werden. Undankbarkeit, d. h. Unzulänglichkeit des Verhältnisses zwischen Wohl- thun und Vergeltung u. s. w. muss z. B. bestraft oder in Dankbarkeit 9%*

20 umgewandelt werden. Die Idee der Vergeltung begründet ebenfalls eine Reihe wertvoller Tugenden, von denen Gerechtigkeit, Dankbarkeit und Patriotismus das Gesammtwohl am meisten fördern. Genauer der voluntaristischen Psychologie angepasst, gestalten sich die sitt- lichen Ideen zu den Forderungen der Willensstärke, der Willensgüte, der Willenswahrheit und der Willensgerechtigkeit, aus deren Einheit sich der Zustand der Willensharmonie entwickelt, welcher als Zustand der eigentlichen sittlichen Freiheit bezeichnet werden kann.

Nach der voluntaristischen Psychologie ist es nun Hauptaufgabe des Erziehers, nicht ausschließlich, ja nicht einmal vorwiegend durch Unterricht und Belehrung sittlich bildend zu wirken, sondern durch praktisches Erleben der mit dem sittlichen Handeln verbundenen Lust. Aus diesen Erfahrungen sind Wertschätzungen in der oben entwickelten Form der sittlichen Ideen abzuleiten, welche als fester regelnder Bestand den Zögling zum sittlichen Handeln nöthigen. Die Befürchtung, die Ideale des Handelns könnten darunter leiden, dass dasselbe an Genuss- werte angeschlossen wird, darf als überflüssig bezeichnet werden. Es handelt sich ja nicht um sinnliche, sondern um sittliche Genusswerte. Diese Genüsse, die aus der Rechtlichkeit, dem Wohlwollen u. s. w. hervorgehen, sind ideale Güter. Was wollte man da gegen Sokrates oder den Heiland sagen, deren Ethik ja auch als eine ideal-religiöse Lustlehre sich erweist, weil sie eben eine der Natur entsprechende ist! Wer die Psychologie des Heilandes studiert hat, wird entzückt sein über die Anpassung seiner Lehrweise an die natürliche Entwicklung des Willens, vor allem natürlich im ethischen, dann aber auch im dogmatischen Gebiete. Es konnte der göttliche Lehrmeister die Welt- religion nur im voluntaristischen Sinne gestalten. Sowie der moderne technische Fortschritt uns eine wahre Fülle von Mitteln geschaffen hat, unser Leben und Wirken zu erleichtern, so gibt es natürlich auch einen wissenschaftlichen Fortschritt, der die Wege vorgezeichnet hat, welche nicht minder dazu dienen, das Leben und besonders unser Wirken angenehm zu gestalten. Solche Hilfsmittel bietet der Päda- gogik auch die zum Voluntarismus umgestaltete Psychologie. Wer nach dem alten Spruche des größten Psychologen unter den Aposteln, nämlich des Weltapostels Paulus, verfährt, nämlich nach der Regel: »Prüfet alles, und das Beste behaltet,« und daher auch die neuere Psychologie sorgfältig auf ihren pädagogischen Wert prüft, der wird, glaube ich, nicht lange im Zweifel sein, was er als das Beste be- halten soll.

II.

Rede zur Pestalozzi-Feier. Vorgetragen am 19. Jänner 1901 von M. ZENS.

Die Stunde der Sammlung und Betrachtung, die wir dem An- denken Pestalozzis weihen, soll uns nicht zu dem Wagnis verleiten, mit wenigen Worten und in abschließender Weise alle Entwicklungs- stufen dieser pädagogischen Lichtgestalt würdigen zu wollen. Wir werden dem Zwecke unserer bescheiden gehaltenen Jahresfeier ent- sprochen haben, wenn wir bloß die eine oder andere Seite aus dem Lebensgange des unsterblichen Meisters uns vor Augen gestellt und, das edlere Wesen desselben erkennend, uns gestärkt haben an dem ewig verjüngenden Quell Pestalozzi’scher Liebe und Aufopferung für das Wohl der Menschheit.

Wie Friedensgeläute zum Eintritt des Jahrhunderts erklangen die Worte, mit denen Pestalozzi seine Ideen zur Verbesserung des Unter- richtsverfahrens in der Schrift »Wie Gertrud ihre Kinder lehrt« der aufhorchenden Menschheit zugerufen; und das denkwürdige Datum an der Spitze des Werkes: »Burgdorf, Neujahrstag 1801,« es leiht dem heutigen Tage dankbares Jubiläums - Empfinden. Hatte Pestalozzi bis dahin das Sehnen seiner Jugend und setzen wir gleich bei: seines Lebens nämlich eine völlige Erneuerung des Volkslebens auf sitt- licher Grundlage herbeizuführen, in einer Reihe von Schriften eben- sosehr mit heißem Herzensdrang wie mit weiser Überlegung zum Ausdruck gebracht; hatte er die Jugenderziehung nur als eines der Mittel, die ins Elend versunkenen Volksschichten wieder auf- zurichten und emporzuheben, ins Auge gefasst; hatte er bei seinen Waisenkindern das Bedürfnis nach einer kunstmäßig gegliederten Unterrichtsweise nicht empfunden, denn »er selbst mit seinem Vatersinn und seiner Muttertreue war die Methode«: so musste er von dem Augenblicke an, als er seine allgemeinen Volks- rettungspläne auf das besondere Grebiet der Schulerziehung und des

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Unterrichtes eingeschränkt hatte, als er Schulmeister geworden war, auf Beseitigung der damaligen »Schulerbärmlichkeiten«, die ıhm ja bekannt waren, bedacht sein, mit einem Worte, so musste Pesta- lozzi Methodiker werden. Und als Methodiker schreibt er: » Wie Gertrud ihre Kinder lehrt. Ein Versuch, den Müttern Anleitung zu geben, ihre Kinder selbst zu unterrichten,« das für die Pestalozzi’sche Pädagogik wichtigste und folgenreichste Werk, dem wir heute unsere besondere Betrachtung widmen wollen.

Schon in einer vorausgegangenen kleineren Schrift, welche Pesta- lozzi auf Verlangen der von Stapfer anfangs Juni I8oo gegründeten »Gesellschaft von Freunden des Erziehungswesens« verfasst hatte, um derselben seine Grundsätze und sein Verfahren »heiter« zu machen, spricht er voll Zuversicht die Verheißung aus: »Ich willden mensch- lichen Unterricht psychologisieren.«s Das Werk: »Wie Gertrud ihre Kinder lehrt« bringt in Erfüllung, was Pestalozzi verheißen, nämlich der allgemeinen Volksschule den Weg einer psychologisch motivierten Thätigkeit zu weisen, damit die öde mechanische Nachäfferei des da- maligen Unterrichtsbetriebes beseitigt werde. Es wurde ihm übrigens nicht leicht, seine Ideen in ein bestimmtes System zu bringen und die Begriffe, auf die es ankommt, scharf und sicher abzugrenzen; dafür wurde die Sache von vornherein auf die verlässlichste Unterlage gestellt, indem Pestalozzi von der Überzeugung ausgeht, dass erstens die Veredlung des Menschengeschlechtes möglich ist, und dass zwei- tens dem armen, versunkenen Volke nur durch eine bessere Erziehung aufgeholfen werden kann.

Einer literarischen Mode seiner Zeit folgend, wählt er die Brief- form zu seinen Darbietungen und ergießt nun in I4 mehr oder weniger ausführlichen Abhandlungen den ganzen Strom seiner Menschenliebe und pädagogischen Intuition. Vergegenwärtigen wir uns in kurzem den Inhalt dieser Ausführungen! Den Anfang macht die Entwickelungs- geschichte seiner »Ideen von dem Volksunterricht«, namentlich die Dar- legung der Versuche in Stanz und Burgdorf, solange er ohne Gehilfen arbeitete; im zweiten und dritten Briefe berichtet Pestalozzi über die Grewinnung seiner ersten Mitarbeiter, Krüsi, Tobler und Buß, über den Bildungsgang derselben und über die Art, wie sie die von ihm em- pfangenen Ideen auffassten; in den nächsten zwei Briefen werden, u. zw. in Übereinstimmung mit dem für die »Gesellschaft von Freunden des Erziehungswesens« erstatteten Berichte, allgemeine Grundsätze vor- geführt, ınsbesondere der von der Naturgemäßheit des Unterrichtes;

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im sechsten Briefe entwickelt Pestalozzi seine Elementarmittel des Unterrichtes: Zahl, Form und Sprache; in den zwei folgenden Briefen leitet er von ihnen die zugehörigen »speciellen Unterrichts- mittel«e ab, u. zw. zunächst Ton-, Wort- und Sprachlehre, dann Mess-, Zeichnungs- und Schreibkunst, endlich die Rechenkunst; in drei weiteren Abhandlungen wird die Anschauung als das absolute Fundament aller Erkenntnis erklärt und hiebei Begriff und Umfang, sowie Wichtigkeit und Pflege der Anschauung ausführlich erörtert; der zwölfte Brief bespricht die Entwicklung der Fertigkeiten; die zwei letzten Briefe handeln von der sittlichen und religiösen Bildung des Kindes, dem Schlussstein seines ganzen Systems.

Vermissen wir auch in dieser Inhaltsanordnung die strenge Syste- matik eines Lehrbuches, so wirkt die Pestalozzi’'sche Darstellungsform doch außerordentlich anregend, und dem aufmerksamen Leser wird die Beziehung jedes einzelnen Theiles auf den großen Zweck des Ganzen nicht dunkel bleiben. Das Kind soll vor allem durch Anschau- ung zu klaren Begriffen gelangen und durch Übung sich die noth- wendigen Fertigkeiten erwerben; es soll also einerseits von den Dingen der äußeren Welt richtige Vorstellungen gewinnen, anderer- seits seine eigenen Gefühle und Gedanken durch Wort und Zeichen aus- drücken lernen. Daher erklärt Pestalozzi im zehnten Briefe geradezu, dass entwickelte Fertigkeiten und deutliche Begriffe immer und ewig das Ziel alles Unterrichtes bleiben müssen. Und im zwölften Briefe sagt er über die Entfaltungs- und Bildungsweise der Fertig- keiten unter anderem: »So wie die psychologische Entwickelung unseres Erkenntnisvermögens auf ein A B C der Anschauung ge- gründet werden und dahin lenken muss, das Kind am Faden dieses Fundamentes zur höchsten Reinheit deutlicher Begriffe emporzuheben, also muss auch für die Bildung von Fertigkeiten, auf denen die sinnliche Begründung unserer Tugend beruht, ein ABC dieser Kraftentwickelung ausgeforscht und am Faden desselben eine sinnliche Ausbildung, eine physische Gewandtheit der Kräfte und Fertig- keiten erzielt werden, welche die Lebenspflichten unseres Geschlechtes fordern, und die wir so weit als das Gängelband unserer Tugend- lehrzeit anerkennen müssen, bis unsere in dieser Führung veredelte Sinnlichkeit dieses Gängelbandes nicht mehr bedarf. In diesen Gesichts- punkten entwickelt sich die allgemeine, dem Menschengeschlecht ange- messene Bildungsform der äußeren Fertigkeiten, deren Ausbildung die Erfüllung unserer Lebenspflichten voraussetzt. Sie geht von vollen-

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deten Fertigkeiten zur Anerkennung der Regeln, wie die Bildungs- form der Einsichten von vollendeten Anschauungen zu deut- lichen Begriffen, und von diesen zu ihrem wörtlichen Ausdruck, zu Definitionen. Daher kommt es auch, dass, sowie das Vorherlaufen der Definitionen vor der Anschauung die Menschen allgemein zu anmaßlichen Maulbrauchern macht, ebenso das Vorherlaufen der wörtlichen Lehre von der Tugend und vom Glauben vor der Wirklichkeit der lebendigen Anschauungen der Tugend und des Glau- bens selber -—- den Menschen der Tugend und des Glaubens halber zu ähnlichen Verirrungen hinführt.e Pestalozzi fasst eben unter der Bezeichnung »Begriffe und Fertigkeiten« alles zusammen, was zur kör- perlichen, intellectuellen und sittlich-religiösen Bildung gehört und wodurch die »harmonische Ausbildung der Kräfte und Anlagen der Menschennatur« gefördert wird. Ganz besonders dringt er darauf, dass in Erziehung und Unterricht eine lückenlose Reihenfolge alle Entwickelungsmittel des Geistes und der Gefühle zu dem allgemeinen Ziele der geistigen und sittlichen Veredelung des Menschen führen müsse. »Das erste Gesetz dieser Lückenlosigkeit aber«, so lautet ein charakteristischer Ausspruch im dreizehnten Briefe »ist dieses: der erste Unterricht des Kindes sei nie die Sache des Kopfes, er sei nie die Sache der, Vernunft, er sei ewig die Sache des Herzens, die Sache der Mutter. Das zweite Gesetz, das ihm folgt, ist dieses: der menschliche Unterricht gehe nur langsam von der Übung der Sinne zur Übung des Urtheils, er bleibe lange die Sache des Herzens, ehe er die Sache der Vernunft, er bleibe lange die Sache des Weibes, ehe er die Sache des Mannes zu werden beginnt.«

Es würde hier zu weit führen, alle die Unterrichtsgrundsätze, die Pestalozzi in seinem Buche entwickelt, mit der entsprechenden Erläuterung herauszustellen und zugleich nachzuweisen, inwieweit er damit bahnbrechend die Unterrichtspraxis beeinflusste, oder inwieweit er die schon allgemein bekannten Lehrsätze wiederholte, bezw. in welcher Anwendung er dieselben seinen Ideen dienstbar machte. Doch möge mir gestattet sein, die von Heinrich Morf in seinem vierbändigen Werke »Zur Biographie Pestalozzis« behandelten Grundsätze der Reihe nach anzuführen und hiermit an dieser Stelle des hervorragenden, vor mehr als Jahresfrist heimgegangenen Pestalozziforschers zu ge- denken, dem wır den Zoll der Dankbarkeit abstatten dafür, dass er einen unermesslichen Quellenschatz zur historischen Würdigung Pesta-

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lozzis gesammelt und theilweise auch selber veröffentlicht hat. Morf gibt als die hauptsächlichsten Unterrichtsgesetze Pestalozzis an:

»I. Das Fundament des Unterrichtes ist die Anschauung.

2. Mit der Anschauung muss sich die Sprache verbinden.

3. Die Zeit des Lernens ist nicht die Zeit des Urtheilens, der Kritik.

4. In einem jeden Fall soll der Unterricht bei den einfachsten Elementen beginnen und von da aus stufenweise der Entwickelung des Kindes gemäß fortgeführt, d. h. in psychologische Reihenfolgen gebracht werden.

5. Auf jedem Punkte soll man so lange stehen bleiben, bis der betreffende Unterrichtsstoff des Schülers freies, geistiges Eigenthum ist.

6. Der Unterricht hat den Weg der Entwickelung zu befolgen, nicht den des Docierens, Anlehrens, Mittheilens. -

7. Dem Erzieher soll die Individualität des Zöglings heilig sein.

8. Nicht der Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten ist der Hauptzweck des Elementarunterrichtes, sondern die Entwickelung und Stärkung der geistigen Kräfte.

g. Dem Wissen soll sich das Können, der Kenntnis die Fertigkeit anschließen.

10. Der Verkehr zwischen Erzieher und Zögling, insbesondere auch die Schuldisciplin, soll von der Liebe getragen und beherrscht sein.

ıı. Der Unterricht soll dem Zweck der Erziehung untergeordnet sein,«

Pestalozzi hatte in dieser seiner epochemachenden Schrift die Ausarbeitung von besonderen Methodenbüchern versprochen, und schon im Jahre 1803 erschienen, von ıhm im Verein mit seinen damaligen Mitarbeitern verfasst: ı. Das »ABC der Anschauung oder Anschau- ungslehre der Maßverhältnisse< ; 2. die »Anschauungslehre der Zahlen- verhältnisse« und 3. das »Buch der Mütter, oder Anleitung für die Mütter, ihre Kinder bemerken und reden zu lehren. ı. Heft.«

Damit waren nun die Pestalozzi’schen Erziehungspläne in bestimm- ter Weise formuliert und allen denjenigen zur Beurtheilung vorgelegt, die sich überhaupt für Erziehungsfragen interessierten. Dieses Interesse war aber damals fast in der ganzen intelligenten Welt vorhanden, eine Erscheinung, die uns die Geschichtsschreiber damit erklären, dass sie die Folgewirkung verschiedenartiger, durch Jahrhunderte sich hin- ziehender Bildungsbestrebungen in das entsprechende Causalitäts-

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verhältnis bringen; doch dürfte eine der unmittelbaren Ursachen darin liegen, dass in dieser Epoche des absoluten Königthums auf den bedeutendsten Thronen Europas Herrscher saßen, die, auf die Stär- kung ihrer Reiche bedacht, den Volksbildungsbestrebungen wohlwollend und fördernd entgegenkamen. Neue Erziehungsanstalten und Schulen wurden gegründet, zunächst für die vornehme Welt, dann aber auch für die mittleren und endlich, soweit hiefür noch etwas abfiel, für die unteren Volksschichten. In diesem Zeitalter und bei diesem Publicum mussten die Pestalozzi’schen Ideen allgemein Aufmerksamkeit erregen; literarische und politische Zeitschriften brachten Beurtheilungen oder Auszüge aus Pestalozzi’schen Schriften, viele begeistert zustimmend, andere zuwartend oder ausdrücklich ablehnend.

Die Gegner fanden sich vornehmlich im Kreise der Philan- thropisten, welch letztere sich geradezu verletzt fühlten dadurch, dass Pestalozzi über die von Basedow und seinen Anhängern herrührenden Verbesserungen des Unterrichtsverfahrens ganz hinweggegangen war, ja in der Einfalt seines Herzens bekannt hatte, er habe seit 30 Jahren kein Buch gelesen, d. h. die Entwickelung des Schulwesens in anderen Ländern nicht verfolgt. Darum ist das Geringste, was von dieser Seite Pestalozzi entgegengehalten wird, der in allen Variationen erschei- nende Satz: »Da sagt er uns freilich nichts Neues«; ja sie sind hoch- müthig genug, ihm den Rath zu ertheilen, ein oder das andere Buch ihrer Pädagogen zur Hand zu nehmen und aus denselben zu ersehen, was sie längst schon theils besser, theils ebensogut wie er aufgestellt und durchgeführt hätten. Dass es Pestalozzi gelungen war, die ethi- schen und psychologischen Grundlagen aller Pädagogik sicherzustellen, schien ihnen freilich entgangen zu sein. In der methodischen Durch- führung war Pestalozzi, wie er es selbst fühlte und später noch unum- wunden ausspricht, nicht zu derjenigen Vollendung gelangt, die er so sehnlich und mit allem Aufgebot seiner Erfahrungsmittel zu erreichen gestrebt hatte; aber es war auch schon von vornherein ein princi- pieller Gegensatz zwischen ıhm und den Philanthropisten vorhanden, da die letzteren auf die Entwickelung des Intellects ungleich mehr Gewicht legten als Pestalozzi, welcher die Pflege des Gemüthes in die erste Linie rückte. Davon musste natürlich das Lehrverfahren ganz wesentlich beeinflusst werden. Endlich ist kaum fraglich, ob das ganze Lehrgebäude der Philanthropisten, wenn es Pestalozzi frühzeitig genug bekannt geworden wäre, für die von ihm ins Auge gefasste allgemeine Volksschule sıch als so brauchbar erwiesen hätte, wıe dies die Philan-

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thropisten behaupteten, denn ihre Erziehungsanstalten waren für die Reichen und Vornehmen eingerichtet, nicht für Waisen und Armen- kinder. »Meine Anschläge und meine Schularbeiten sind,« so sagt Basedow ausdrücklich, »nur für die gesitteten Stände, von den Prinzen an bis an die Kinder der Handelsmänner oder angesehenen Künstler, diese mit eingeschlossen. Der weltliche Unterricht des großen und schätzbarsten Haufens aber muss nur ganz unstreitige, praktische, diesem Stand angemessene und sehr wenige Erkenntnisse haben. Sie müssen aber aus dem ganzen Vorrath, welcher für dıe höheren Stände gehört, sehr sorgfältig gewählt sein.«

Auf diese Kritiken näher einzugehen, dazu soll uns die heutige Betrachtung nicht verlocken; dagegen wollen wir Äußerungen zweier Zeitgenossen hören, die, hochstehend als Männer der Wissenschaft, für die in Betracht kommende Seite des menschlichen Denkens ein zuständiges Urtheil abzugeben in der Lage waren, so sehr verschieden auch sonst ihre Grundanschauungen und Charaktereigenschaften ge- wesen sind: Fichte und Herbart. Beide haben Pestalozzi persönlich kennen gelernt, der erstere schon 1793, der letztere 1798 und 1799.

Es erscheint uns als kein Zufall, dass Herbarts erste pädagogische Schriften von Pestalozzi handeln; am ausführlichsten gehalten ist: »Pesta- lozzis Idee eines A B C der Anschauung, untersucht und wissenschaftlich ausgeführt. 1802.e Vorausgegangen war ein Herbartischer Aufsatz in der Zeitschrift »Irene<«, betitelt: »Über Pestalozzis neueste Schrift: Wie Gertrud ihre Kinder lehrt. An drei Frauen. 1802.« Nachgefolgt ist: »Über den Standpunkt der Beurtheilung der Pestalozzi’schen Unter- richtsmethode. Eine Gastvorlesung, gehalten im Museum zu Bremen. 1804.« Und aus der letztgenannten Schrift citieren wir:

»Ich will nicht hoffen, dass jemand so sehr im Irrthum sei, zu glauben: die bekannte Beschreibung des menschlichen Körpers, die wagrechten Linien und die Paraphrase des Einmaleins dies wären die Hauptangeln dieser. Methode. In Rücksicht der Gegenstände des Unterrichts ist bei ihr an keine pedantische Beschränkung zu denken; das ganze Feld der sinnlichen‘ Wahrnehmung, sowohl der möglichen als der wirklichen, liegt ihr offen, und sie wird sich darin immer weiter und freier bewegen. Aber ihr wahrer Vorzug besteht darin, dass sie kühner und freier als jede frühere Methode die Pflicht ergriff, den Geist des Kindes zu bauen, eine bestimmte und hell angeschaute Erfahrung darin zu construieren, —— nicht zu thun, als hätte der Knabe schon eine Erfahrung, sondern zu sorgen, dass

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er eine bekomme; nicht mit ihm zu plaudern, als wäre in ihm wie in Erwachsenen schon ein Bedürfnis der Mittheilung und Verarbeitung des Empfangenen, sondern ihm zu allererst das zu geben, was dann weiterhin bearbeitet und besprochen werden kann und soll. Die Pesta- lozzi'sche Methode ist daher keineswegs geeignet, irgendeine andere Methode zu verdrängen, sondern jeder anderen Methode vorzuarbeiten. Sie nimmt sich des frühesten Alters an, das irgend taugt, Unterricht zu empfangen; sie behandelt es mit dem Ernst und der Einfachheit, die dahin gehört, wo man noch die erste Materie, den rohesten Stoff herbeischaffen muss. Begnügen aber kann man sich mit ihr ebensowenig, als man den menschlichen Geist wie eine todte Tafel ansehen darf, auf welcher die Buchstaben so stehen blieben, wie man sie hinge- schrieben hatte. Die unterhaltende Methode, welche sich hauptsächlich von Basedow herschreibt, hat das Eigene und in ihrer Art sehr Vor- zügliche, dass sie sich der natürlichen Bewegung des kindlichen Geistes anzuschmiegen sucht. Sie muss daher der Pestalozzi’schen unmittelbar da nachfolgen, wo jene fertig war; beide Methoden müssen in ihrem Gebrauch aufeinander berechnet werden.«

Fichte, der sich als Begründer des philosophischen Idealismus, als einer der schärfsten Denker und kräftigsten Charaktere aller Zeiten unsterblichen Ruhm erworben, äußerte sich über die Pestalozzi’schen Ideen in seinen begeisternden »Reden an die deutsche Nation«. Von patriotischem Schmerze über die Erniedrigung Deutschlands erfüllt, sucht er eine Wiedergeburt des deutschen Volkes herbeizuführen und erkennt als das einzige Mittel hiezu eine durchgreifende Neugestaltung des Erziehungswesens. Zweck der allgemeinen Volkserziehung ist ihm die Erziehung zum sittlichen Willen, zur Sittlichkeit; in Verfolgung dieses Zweckes stellt er die unseren modernen Anschauungen nicht zusagende Forderung, die gesammte Volksjugend sei in geschlossene Erziehungsanstalten zu bringen und darin mit aller Sorgfalt zu unter- richten, damit sie gleich Rousseaus Emil dem Einflusse der falschen Civilisation entzogen werde, in ihrer Erziehungsgemein- schaft selber aber ein vielseitiges Vorbild für die spätere Volks- gemeinschaft erhalte. Und auf die Frage: an welches in der wirklichen Welt schon vorliegende Glied die von ihm geforderte Nationalerziehung der Deutschen anzuknüpfen habe? antwortet er: »an den von Johann Heinrich Pestalozzi erfundenen, vorgeschla- genen und unter dessen Augen schon in glücklicher Ausübung befindlichen Unterrichtsgang soll sie sich

an

anschließen.« Zum Beweise, wie ernstlich er diese Entscheidung getroffen, fügt er hinzu: »Wir haben die eigenen Schriften des Mannes gelesen und durchdacht, und aus diesen unseren Begriff seiner Erziehungs- und Unterrichtskunst uns gebildet; gar keine Kunde aber haben wir genommen von dem, was die gelehrten Neuigkeitsblätter darüber berichtet und gemeint; und über die Meinungen wieder gemeint haben. Wir merken dies darum an, um jedem, der über diesen Gegenstand gleichfalls einen Begriff zu haben begehrt, denselben Weg, und die durchgängige Vermeidung des entgegengesetzten zu empfehlen. Ebensowenig haben wir bis jetzt etwas von der wirklichen Ausübung sehen wollen, keineswegs aus Nichtachtung, sondern weil wir uns erst einen festen und sicheren Begriff von der wahren Absicht des Erfinders, hinter welcher die Ausübung oft zurückbleiben kann, ver- schaffen wollten, aus diesem Begriff aber der Begriff von der Aus- übung und dem nothwendigen Erfolge ohne alles Probieren sich von selbst ergibt, und man nur mit diesem ausgestattet, die Ausübung wahrhaftig verstehen und richtig beurtheilen kann. Sollte, wie einige glauben, auch dieser Unterrichtsgang schon hie und da in ein blindes, empirisches Zutappen und in leere Spielerei und Schauauslegerei aus- geartet sein, so ist meines Erachtens der Grundbegriff des Erfinders wenigstens daran gänzlich unschuldig.« Und indem Fichte seine Stel- lung zu Pestalozzi bestimmter darlegt, sagt er: »Es ist der erste ‚Schritt der von mir beschriebenen neuen Erziehung, dass sie die freie Geistesthätigkeit des Zöglings, sein Denken, in welchem späterhin die Welt seiner Liebe ihm aufgehen soll, anrege und bilde; mit diesem ersten Schritte beschäftigten sich Pestalozzis Schriften vorzüglich, und auf diesen Gegenstand geht unsere Prüfung seines Grundbegriffes zu allererst. In dieser Rücksicht ist nun desselben Tadel des bisherigen Unterrichtes, dass derselbe den Schüler nur in Nebel und Schatten eingetaucht, und denselben niemals zur wirklichen Wahrheit und Realität habe gelangen lassen, gleichbedeutend mit dem unsrigen, dass dieser Unterricht nicht vermocht habe, in das Leben einzugreifen, noch die Wurzel desselben zu bilden; und Pestalozzis dagegen vorge- schlagenes Hilfsmittel, den Zögling in die unmittelbare Anschauung einzuführen, ist gleichbedeutend mit dem unsrigen, die Geistesthätigkeit desselben zum Entwerfen von Bildern anzuregen, und nur an diesen freien Bildern ihn lernen zu lassen, alles, was er lernt; denn nur von dem Freientworfenen ist Anschauung möglich. Dass der Erfinder es wirklich so meint, und keineswegs unter Anschauung jene blindtap-

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pende und betastende Wahrnehmung versteht, beweist die nachher gegebene Ausübung. Gleichfalls ganz richtig wird dieser Anregung der Anschauung des Zöglings durch die Erziehung das allgemeine und sehr tief eingreifende Gesetz gegeben, hierin mit dem Anfange und Fortschritte der zu entwickelnden Kräfte des Kindes genau Schritt zu halten. Dagegen haben die gesammten Missgriffe dieses Pestalozzi’schen Unterrichtsplanes in Ausdrücken und Vorschlägen die eine gemein- schaftliche Quelle, dass der dürftige und begrenzte Zweck, auf wel- chen anfangs ausgegangen wurde, äußerst vernachlässigten Kindern aus dem Volke unter der Voraussetzung, dass das Ganze bliebe, so wie es ist, die nothdürftigste Hilfe zu leisten, von einer Seite, und von der anderen, das zu einem weit höheren Zwecke führende Mittel, in Vermengung und Widerstreit miteinander gerathen; und man wird vor allem Irrthume gesichert, und erhält einen mit sich voll- kommen übereinstimmenden Begriff, wenn man das erstere und alles, was aus dessen Beachtung gefolgt ist, fallen lässt, und sich bloß an das letztere hält, und es folgegemäß durchführt.«

Es ıst für den Fachmann nicht nur sehr lehrreich, sondern es bereitet ihm auch einen ganz besonderen Genuss, den großen Philo- sophen in seiner Bewertung und Verwertung der Pestalozzi’schen Anschauungen zu verfolgen, zu hören, wie er im allgemeinen mit Worten wärmster Anerkennung zustimmend sich äußert, im einzelnen dagegen vielfach ergänzend, berichtigend oder auch ablehnend sich aus- spricht. In letzterer Hinsicht bietet ihm namentlich das »Buch der Mütter« Anhaltspunkte für seine kritische Untersuchung. Fichte kann die überschwenglichen Hoffnungen, welche Pestalozzi auf die häusliche Erziehung setzt, nicht theilen, da im Hause der Eltern, insbesondere bei den arbeitenden Ständen, die stete Sorge um das tägliche Aus- kommen die Kinder allzusehr an die Armseligkeit des Lebens kette und dieselben hindere, einen freien Aufflug in die Welt des Gedankens zu nehmen; auch sei es ein durchaus unzureichendes Resultat der Erziehung, wenn die Menschheit im ganzen in jedem folgenden Zeit- alter sich also wiederholt, wie sie im vorhergehenden war; erst nach- dem ein Geschlecht durch die neue Erziehung hindurchgegangen, werde sich berathschlagen lassen, welchen Theil der Erziehung man dem Hause anvertrauen wolle. -——

Wir haben hiermit Proben von der Wirkung der Pestalozzi’schen Schrift auf seine Zeitgenossen vernommen; aber so wenig die Lehr- weise der Philanthropisten sofort in allen deutschen Schulen Anwen-

al

dung fand oder auch nur die Kunde davon zu Ohren aller deutschen Schulmeister drang, ebensowenig ist die Pestalozzi’sche Unterrichts- methode seinerzeit in dem Umfange zur Ausbreitung gelangt, als man nach dem Interesse, das sie in den gebildeten Kreisen erregt hatte, und das sichtbarlich in den dem Pestalozzi’schen Institute von Pädago- gen und Staatsmännern abgestatteten Besuchen zutage trat, zu er- warten berechtigt war. |

Die Empfänglichkeit für Erziehungsfragen, die das 18. Jahr- hundert äußerte, und die uns in Österreich die glänzende Theresianische Schulreform brachte, schwand unter den nachfolgenden Weltereignissen nur allzufrüh dahin, und bald musste Pestalozzi selber zu seinem Schmerze erfahren, wie sehr die Förderung der Volkserziehung noch immer hinter andere Staatsangelegenheiten zurückgestellt oder als eine die Vorrechte der adeligen Herren bedrohende Sache behindert wurde. Als 1802 die Schweiz über Aufforderung Napoleons ihre Abgeordneten nach Paris entsendete, damit daselbst die »Mediationsacte«s festgesetzt und dadurch den heimischen Verfassungswirren ein Ende bereitet werde, war auch Pestalozzi Mitglied der Deputation. Von zwei Can- tonen, Zürich und Bern, gewählt, nahm er die Wahl für seine Vater- stadt an; er fühlte sich verpflichtet, die Gelegenheit zu ergreifen, auf die Neugestaltung der Verfassung Einfluss zu nehmen, um hiebei das Möglichste für seine Volksbildungspläne zu thun. Vor seiner Abreise nach Paris schrieb er noch zur Orientierung seiner Mitbürger: »Ansich- ten über die Gegenstände, auf welche die Gesetzgebung Helvetiens ihr Augenmerk vorzüglich zu richten hat, worin die politischen, socialen und pädagogischen Bestrebungen Pesta- lozzis, wie diese im 4. Theile von »Lienhard und Gertrud« ausgeführt sind, in kürzester Form zusammengefasst werden. Als aber Pestalozzi bei einer persönlichen Zusammenkunft mit Napoleon diesem eine Denk- schrift über die durch eine bessere Erziehung zu bewirkende Erneue- rung des Menschengeschlechtes überreichte und in freimüthigen Worten um dessen Fürsorge für diese seine Herzensangelegenheit bat, da soll die Antwort des allgewaltigen Consuls gewesen sein: er könne sich nicht ums A B C-Lehren bekümmern. Enttäuscht kehrte Pestalozzi in seine Heimat zurück. Rascher, als er befürchtet hatte, wurde eine conservative Regierung eingesetzt, und diese war durchaus nicht gesonnen, die Pläne des Demokraten Pestalozzi mehr zu fördern, als unbedingt nothwendig war, um dem drohenden Unwillen des Volkes zu begegnen; das Pestalozzi’sche Institut aber musste von Burgdorf nach

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Münchenbuchsee wandern, und der Lieblingsgedanke Pestalozzis, sein Institut verstaatlicht und zu einem allgemeinen schweizerischen Lehrer- seminar erweitert zu sehen, fand die ersehnte Verwirklichung nicht.

Seit die Schrift »Wie Gertrud ıhre Kinder lehrt« erschien, ist ein volles Jahrhundert im Zeitenstrom vorübergerauscht; Pestalozzi aber ist nicht verschollen, sein Andenken nicht erloschen, im Gregentheile: seine Erziehungs- und Unterrichtsgrundsätze sind von -der modernen Pädagogik anerkannt worden. Und wenn die heutige Volksschule sich nicht in Wirklichkeit eine»sPestalozzıschule« nennenkann, so ist dies größerentheils den hemmenden Einflüssen schulfremder Factoren und nur geringerentheils der Untüchtigkeit der Lehrer, beziehungsweise der Lehrerbildner zuzuschreiben. Wo die staatliche Fürsorge für das öffentliche Volksschulwesen den Pestalozzi’schen Forderungen nicht gerecht werden kann; wo die Bedeutung einer durchgreifenden Volks- bildung nur zeitweilig wie eine Modesache anerkannt, dann aber wie- der rasch vergessen oder gar geleugnet wird; wo der Lehrer trotz reichsgesetzlicher Vorschrift nicht so entlohnt wird, dass er frei von hemmenden Nebengeschäften seine ganze Kraft dem Berufe widmen und auch eine Familie den örtlichen Verhältnissen gemäß erhalten kann; wo täuschende Erfolge zum Kriterium einer guten Schule genom- men werden, während sie in Wirklichkeit nur das sind, was Pestalozzi mit allem Eifer bekämpft, nämlich das bloß Angelernte und Nichtbegriffene, das’ frömmelnde Sichgeberden ohne ethische oder religiöse Gemüths- regung; wo man den Geist Pestalozzi'scher Pädagogik überhaupt nicht: kennt und sich auch nicht die Mühe nehmen will, ıhn kennen zu lernen: da stellen sich folgerichtig eben diejenigen Schulerbärmlichkeiten ein, welche Pestalozzis Herz verwundet hatten und ıhm zur Veran- lassung wurden, sein ganzes Leben der Erforschung und Darstellung eines psychologisch begründeten Unterrichtsverfahrens zu widmen. Und so weit auch sonst die methodische Kunst nicht die metho- dische Künstelei über Pestalozzi hinausgekommen sein mag, seine Schriften sind auch heute noch ein unerschöpflicher Quell wärmender Begeisterung für den Lehrer der Volksjugend. Wer einmal an diesem Quell sich gelabt, mit ‚reinem Herzen sich ın dieses der wahrhaften Volksschule geweihte Denken und Wollen vertieft hat, der wird sich der unmittelbaren Wirkung eines solchen Studiums nicht entziehen können, er wird Pestalozzi in seiner Bethätigung selbstloser Menschen- liebe nachfolgen, wird dessen Jünger werden. Es ist Pestalozzis Geist, der Tausende von Lehrern trotz endloser Hindernisse und Bedräng-

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nisse ausharren heißt, um an den Kindern des Volkes in allen Treuen ihres Amtes zu walten. Es war der Geist Pestalozzis, der die Lehrer Österreichs befähigte, mit seltener Begeisterung und Opferwilligkeit an die Bewältigung der hohen Aufgaben zu schreiten, welche ı869 das neue Volksschulgesetz an sie gestellt hatte. Wem es gegönnt war, an dem damaligen geistigen Aufschwung theilzunehmen und thatkräftig mitzuwirken an dem Werke der Jugenderziehung, der kann mit Ulrich von Hutten sagen, dass es eine Freude war, in jener Zeit zu leben, und ich persönlich lasse mir die Erinnerung an diese lichtvolle Ver- gangenheit durch keinerlei reactionäres Gezeter rauben. Was diese über alle Maßen berufseifrige und gesetzestreue Lehrerschaft in patrio- tischer Hingebung geleistet, es verdiente, auf einer Ehrentafel ver- zeichnet und den nachkommenden Geschlechtern zur Nacheiferung empfohlen zu werden; denn nur allzufrüh ıst die Neuschule aus ihrer Entwickelung gerissen und dem leidenschaftlichen Ansturm rückläu- figer Parteien ausgesetzt worden, woraus sich all die trüben Folge- erscheinungen ergeben haben, deren Vorhandensein wir heutzutage so schmerzlich beklagen müssen.

Pestalozzi aber, der trotz aller Wechselfälle seines Lebens, die ihn das einemal zur europäischen Berühmtheit erhoben, das anderemal zum Gespött der Alltagsmenschen und superklugen Leute gemacht haben, der trotz aller Schwächen, die aus seiner legendenhaften Selbstlosigkeit und Menschenliebe entsprangen, einen so standhaften, durch nichts zu brechenden noch zu beugenden Willen bewies, wenn es sich darum handelte, die pädagogische Arbeit für »sein Werke, nämlich für die Erlösung und Veredelung des Volkes, immer wieder aufzu- nehmen und unermüdlich fortzusetzen: Pestalozzi ist und bleibt uns das hellstrahlende Vorbild, das uns tröstet über erlittene Unbill oder erfolgloses Mühen, das uns aus Kleinmuth und Verzagtbeit aufrichtet, wenn Freunde uns treulos verlassen und verrathen, das uns endlich immer von neuem die Fackel himmlischer Begeisterung entfacht, der Begeisterung für die ewigen Ideale der Jugendbildung, Geistesbefreiung und Menschenheiligung.

Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1901. 3

II. Ueber Volkshochschulen.

Vorgetragen am 23. März IgoIı von Dr. L. M. HARTMANN.

Es ist im engeren Sinne kein pädagogisches Thema, worüber ich heute spreche, allein die Volksbildungsbestrebungen, welche zur Gründung des Volksheims geführt haben, sind so weitreichender Natur und auch territorial so weit verbreitet, dass sie der Beachtung wert sind, namentlich bei der Lehrerschaft, die wie kein anderer Stand bisher an der Bildung des Volkes gearbeitet hat. Es scheint mir bei- nahe, dass, wie der Anfang des vorigen Jahrhunderts für die Entwicklung des Kinderunterrichtes eine Revolutionsepoche war, so auch der Beginn dieses Jahrhunderts für die Bildung der Erwachsenen Epoche machen wird. Denn es ist erstaunlich, was in den letzten 3 Decennien über die Ele- mentarschule hinaus geleistet worden ist. Wie in so manchen Dingen, sind uns die englischen Länder auch in dieser Beziehung voraus- gegangen. Es sind nun kaum mehr als 30 Jahre her, dass in England dıe Anregung zu der University extension gegeben wurde, und heute, nach 30 Jahren, ıst diese Universitäts-Ausdehnungsbewegung, oder wie man es übersetzen will, über die ganze civilisierte Welt verbreitet. In diesen 30 Jahren haben Hunderttausende die Vortheile dieser erwei- terten Bildung genossen, und die University extension ist jetzt in den meisten Ländern, wo sie Fuß gefasst hat, so gewachsen, dass sie ein wesentliches Bildungselement geworden ist. Ausgegangen ist diese Bewegung von dem Bestreben eines Gelehrten oder einiger Gelehrten und wohlwollenden Männer, welche auf Anregung von Personen, die untertags beschäftigt, am Abend frei waren und nicht die Gelegenheit gefunden hatten, sich eine über die Volksschule hinausgehende Bil- dung zu erwerben, auf die Idee kamen, Fortbildungscurse zuerst in freier, ungezwungener Weise zu veranstalten. Dabei war von vorneherein der Gesichtspunkt maßgebend, dass für diese Personen, welche nach des Tages Arbeit wünschten, ihr Wissen zu erweitern, ihre Denkfähig-

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keit zu stählen, das Beste gerade gut genug sei, und dass das Amt eines Lehrers diesen Personen. gegenüber ein ebenso verantwortungs- volles ist, wie das der Lehrer der Kinder. Wie in England überhaupt gute Ideen mitunter sehr rasch einschlagen, so war es auch bei die- ser der Fall. Innerhalb kurzer Zeit hatten sich die Universitäten selbst dieser Bewegung angenommen, und nachdem einmal der Conserva- tismus der englischen Universitäten zu Cambridge, Oxford und anderer, worin sie keiner unserer festländischen nachstehen, gebrochen war, breitete sich in kurzer Zeit ein Netz von solchen Bildungscentren über ganz England und Schottland aus.

Man beschränkte sich nicht mehr darauf, nur in den großen Städten, wo es Universitäten gab, Vorträge zu halten, man gieng auch aufs Land hinaus, und kaum ein größerer District von England ist nicht damit bedacht worden. Es war sehr wesentlich, dass die Uni- versitäten die Bewegung selbst in die Hand nahmen, und dadurch unterschieden sich die englischen Volksbildungsbestrebungen von denen anderer Länder. Die Universitäten sendeten ihre oder von ihnen appro- bierte Lehrer hinaus und boten nicht Elementarwissen, sondern die Resultate der einzelnen Wissenschaften in klarer, präciser, allgemein verständlicher Form. Diese Bestrebungen drangen von England aus nach Amerika, Australien und allen englischen Ländern. Diese Bewe- gung hat aber in England dadurch einigen Schaden gelitten, dass man, um die Curse zu erhalten, so hohes Eintrittsgeld verlangte, dass sie, ‚trotzdem sie für das ganze Volk bestimmt waren, dennoch für große Classen der Bevölkerung unzugänglich blieben; und darauf sind wohl einzelne Misserfolge zurückzuführen, Misserfolge, welche im ganzen das siegreiche Vordringen der Bewegung nicht beeinträchtigt haben. Die Engländer scheuen bekanntlich die Staatshilfe, aber gerade hier zeigte es sich, .dass ein Unterrichtssystem ohne Staatshilfe nicht zu schaffen war. Sogar in dem manchesterlichen England wurde der Ruf nach Staatshilfe immer deutlicher, und wenn er auch bis jetzt keinen Erfolg hatte, so sagte er uns, die wir zu- nächst nur die schüchternen Nachahmer der englischen Bewegung waren, deutlich, dass wır die Staatshilfe anrufen müssen. Gewiss ist Österreich in vielen Dingen hinter den übrigen civilisierten Ländern zurück, aber wir können das Verdienst ungescheut in Anspruch nehmen, dass wir dieses neue Unterrichtssystem zuerst auf dem Continente ein- geführt haben. Die Sache gieng ja nicht plötzlich ; die Thätigkeit des Volksbildungsvereines und mancher Arbeiterbildungsvereine hatte vor-

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gearbeitet. Und als wir im Volksbildungsvereine versuchten, einzelne Curse ins Leben zu rufen, war die Betheiligung ungeheuer groß. Wir machten eine Eingabe an den niederösterr. Landtag, er möge uns ma- teriell unterstützen. Von vorneherein stand es bei uns fest, die Wie- ner Universität zur Leitung dieser Curse heranzuziehen. Die Sache spießte sich daran, dass die Beihilfe des Landtages eine sehr geringe war: ich spreche von alten Zeiten, es sind schon Io Jahre her. So sahen wir uns gezwungen, mit privaten Mitteln diese Curse ins Leben zu rufen, und nach einigen Jahren konnten wir mit neuem Muth, indem wir auf das allenthalben zutagetretende Bedürfnis hinwiesen, an die Universität herantreten, und eine mit vielen Unterschriften von Profes- soren und Docenten bedeckte Petition an den akademischen Senat der Wiener Universität hatte Erfolg. Die Wiener Universität nahm selbst die Organisation in die Hand und schuf die Wiener volksthümlichen Universitätscurse, zu denen der Staat eine Subvention gewährte. Diese Curse bestehen seit 6 Jahren. Sie wurden das Beispiel, das Muster für eine ganze Unzahl solcher Institutionen, die im Laufe dieser 6 Jahre überall in Österreich und in Deutschland entstanden. Außer Czernowitz gibt es keine österreichische Universität, die nicht volksthümliche Uni- versitätscurse abhielte, und fast ebenso steht die Angelegenheit in Deutschland. Unsere Erfahrungen in Wien übertreffen die kühnsten Erwartungen. Schon in den ersten Jahren haben die volksthümlichen Universitätscurse eine Hörerzahl erreicht, die die Anfangsziffer der englischen um ein Beträchtliches übersteigt, und als wir, seit einigen Jahren unterstützt durch eine Subvention des Landtages, auf das flache Land Niederösterreichs, in die kleinen Städte hinausgiengen, war der Erfolg ein noch größerer als in Wien. Jetzt schreiben sich jährlich 15—16.000 Menschen in die volksthümlichen Universitätscurse ein, in Wien allein IO—II.ooo.

Man kann also hier bis zu einem gewissen Grade von einer Massenerscheinung sprechen, und wir haben guten Grund, nach den bisherigen Erfahrungen zu glauben, dass die Bewegung immer weitere Kreise ergreifen und in den schon gewonnenen Kreisen immer festere Wurzel fassen wird. Sicherlich können wir sagen, dass diese Institution eine absolut gesicherte ist, und dass kaum etwas kommen kann, was sie aus Österreich vertreiben könnte, es sei denn, sie würde von einer noch höheren und besseren Organisation überholt. Betrachtet man dies im Zusammenhange mit den anderen Erscheinungen in Öster- \ reich auf dem Gebiete des Volksbildungswesens, im Zusammenhange

37 beispielsweise mit der Thatsache, dass von Seite des Volksbildungs- vereines und der Centralbibliothek in Wien jährlich über 2 Millionen Bände verliehen werden, so muss man sagen, dass die Bedürfnisse im Volke nach Bildung ungeheuer sind und die Institutionen, die dazu geschaffen werden, diese Bedürfnisse zu befriedigen, nicht etwa dem Kopfe dieses oder jenes Menschen entsprungen sind, der dadurch eine Liebhaberei, einen Sport bethätigt, sondern dass sie organisch aus den Bildungsbedürfnissen des Volkes hervorgewachsen sind. Ich habe dies angeführt, zunächst um darauf hinzuweisen, welch große Aufgaben uns aus diesen Erscheinungen und Organisationen erwachsen, uns allen, die wir als Lehrende oder Lernende oder Unterstützende theilnehmen wollen an der Fortentwicklung des Volkes, dem Fortschritte der Menschheit. Speciell der Pädagogik aber erwachsen aus diesen Bestre- bungen ganz neue Aufgaben; ich will nur darauf hinweisen, dass die Methode, die sich hier praktisch ausbildet, theoretisch noch nicht gefasst ist. Man kann das ja kaum eine pädagogische Methode nennen. Es handelt sich nicht um Kinder, die man vor sich hat, es handelt sich um Männer und Frauen, um Erwachsene. Man müsste eher von einer Andragogik sprechen, welche eine natürliche, in der culturellen Entwicklung gelegene Fortbildung der Pädagogik ist, eine ihr zu- oder untergeordnete Wissenschaft. Es ist klar, dass man ein allge- meines System der Pädagogik, so vortreffliich es auch sein mag, welches man auf heranwachsende Kinder anwendet, nicht ohneweiters auf erwachsene Schüler zur Anwendung bringen kann. Aus dem psy- chologischen Gegensatze, der zwischen Erwachsenen und Kindern besteht, muss naturnothwendig ein Gegensatz in der Methode entstehen, welche man benützt, wenn man Erwachsene unterrichten, in gewissem Sinne geistig erziehen soll. Die Seele des Erwachsenen ist nicht wie die Seele des Kindes eine tabula rasa, in welche man hineinschreiben kann, was man will. Der Erwachsene, wenn er auch keine theoretischen Kenntnisse hat, oder auch nur geringe elementare Kenntnisse, ist doch schon ein ausgebildeteres Individuum als das Kind. Auch der Er- wachsene, der seit dem Austritte aus der Schule kein Buch mehr in die Hand genommen und nie bewusst nach theoretischen Regeln gesucht hat, hat in der Schule des Lebens seine Erfahrungen gemacht, und wohl gar keiner hat über diese seine Erfahrungen mannigfachster Art nicht nachgedacht. Das darf man nicht übersehen. Wenn man den Erwachsenen so behandeln wollte wie das Kind, würde er sich mit Recht dafür bedanken und sagen: Das ist nicht der Lehrer, den ich suche.

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Man muss anknüpfen an diesen Charakter, an dieses Wissen, an diese Erfahrung; man muss versuchen, von hier aus das Interesse zu erwecken. Denn wir können dem Hörer nicht irgendeinen schulmäßigen Zwang auferlegen, er kommt ja freiwillig zu den Cursen, und wir hätten gar keinen Erfolg, wenn wir den Hörer zwingen wollten, einen schulmäßigen Gang mitzumachen. Die Erwachsenen kommen mit der Wissenschaft von verschiedenen Punkten aus in Berührung, und ihr Interesse erwacht durch die Zufälligkeiten ihres Lebens, durch Zufäl- ligkeiten, die mit dem öffentlichen Leben, mit ihrer Arbeit u. s. w. zusammenhängen, wo ihnen die eine oder die andere Frage aufstößt, für die sie Aufklärung suchen. Wollte man die Curse systematisch aufbauen, z. B. Curse niederer, mittlerer und höherer Stufe, so würde man damit nur abschrecken. Jeder muss die Freiheit haben, Curse über solche Gegenstände zu hören, die ihn speciell interessieren, es muss sich ein ganz freies Unterrichtssystem entwickeln, in welchem jeder diejenigen Bedürfnisse befriedigen kann, die seine speciellen sind. Es muss noch ganz anders individualisiert werden wie bei der Erzie- hung der Kinder; denn man muss mit dem eisernen Bestand an Vor- stellungen, Erfahrungen u. s: w. rechnen, den der Erwachsene mitbringt. Immerhin aber wäre es falsch, wenn man die Bedeutung dieser neuen Volksbildungsorganisation darin suchen wollte, dass sie fachliches Wissen verbreite, dass sie diejenigen theoretischen Kenntnisse bei- bringe, die für das einzelne Fach nothwendig sind. Vielmehr geben die fachlichen oder speciellen Interessen nur den Anknüpfungspunkt für die Weiterbildung. Als Nebenziel und als Nebenresultat kann die fachliche Förderung wohl mit in den Kauf genommen werden; in erster Linie steht sie keineswegs. Dafür sind die fachlichen Fortbildungs- schulen. Das, was wir erreichen wollen, ist etwas anderes; was wir erreichen wollen, entspricht dem Bedürfnisse derjenigen, die die Volks- bildungscurse besuchen wollen; es ist ihnen bereits zum Bewusstsein gelangt; es ist die Entwicklung der Denkfähigkeit, des Denkvermögens. Das ist eine Aufgabe, welche man in der Kindererziehung nur zum geringsten Theile lösen kann, weil dem Kinde die Elemente zur Urtheilsfällung, die reiche Erfahrung und die Beherrschung des Begriffs- materiales, fehlen. Man kann das Kind in viel geringerem Maße, bei wenig complicierten Fällen, zur Denkthätigkeit anhalten. Ich sehe den Hauptwert der Curse darin, dass den Hörern an irgendeinem Bei- spiel und es ist ziemlich gleichgiltig, an welchem klares und richtiges, d, i. wissenschaftliches Denken gelehrt wird,

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Es soll an irgendeinem Beispiele klar gemacht werden, wie die wissenschaftliche Methode vorgeht, um die Wahrheit zu erkennen auf irgendeinem Gebiete, sei es Mathematik oder Geschichte, Jurisprudenz oder Naturwissenschaft. Denn ich glaube, darin werden die Herren mit mir übereinstimmen: wenn es gelungen ist, dem Erwachsenen an einem solchen Beispiele die Methoden zu erschließen, auf denen man zur Erkenntnis von Wahrheiten kommt, so wird er, wenn er noch entwicklungsfähig ist, diese Methoden auf das praktische Leben und auf andere Erkenntnisgebiete, welche sich ihm später erschließen, anwenden können. Es scheint mir, dass hier der Einzelne den Weg durchmachen muss, welchen die gesammte Wissenschaft in ihrer histo- rischen Entwicklung durchgemacht hat, jenen Weg, welchen, wie mir scheint, am classischesten Ren& Descartes, der Begründer der neueren Philosophie, in seinem »Discours de la Methode« dargestellt hat. Des- cartes erzählt da, es war in den Schreckenstagen des 30-jährigen Krieges, wie er von Deutschland nach Frankreich zurückreiste und infolge eines Zufalles in einem kleinen Orte liegen bleiben musste, wo er keine Behelfe zu wissenschaftlicher Arbeit und auch keine Unter- haltung finden konnte. Er erzählt, dass er sich früher wohl mit Wissen- schaft abgegeben habe, aber erst bei dieser Gelegenheit anfieng, im allgemeinen darüber nachzudenken, woher er das, was er für Er- kenntnis hielt, genommen habe. Er erzählt, dass es ihm merkwürdig vorkam, dass man eine solche Menge von Wissensstoff, von Urtheilen überkomme von seinen Vätern, von seiner Umgebung, durch irgend- einen Zufall, und dass man diese Urtheile als allgemein und richtig annehme, ohne sich sein Lebenlang zu kümmern, woher sie genommen wurden. Er sagte sich, es müsse seine Pflicht sein, sich zu .über- legen, welche von den Urtheilen standhielten, und nachzuforschen, woher diese Urtheile geflossen seien. Und er nahm eines dieser Ur- theile, eine dieser geglaubten Kenntnisse nach der andern her und prüfte sie. Er gieng zurück auf ihre scheinbare oder wirkliche Begrün- dung und immer weiter und bemerkte, dass er sozusagen eine Schale nach der anderen abstreifen konnte und vieles als entweder gar nicht begründet, oder im Zusammenhang mit einer anderen allgemeineren Wahrheit auslösen konnte, bis er endlich zu einer Wahrheit gelangte, von der er glaubte, sie sei unmittelbar evident, zu der Wahrheit, dass er als Mensch denke, folglich sei (cogito ergo sum).

Von diesem Punkte aus, den er als fest annehmen zu können glaubte, den er nach ehrlicher Kritik für richtig hielt, suchte er

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sich sein System der Weltanschauung wieder aufzubauen. Auf diesem Wege entstand die moderne Philosophie. Diese Kritik ist es gewesen, welche mit der alten scholastischen Methode, die das gerade Gegen- theil war, aufräumte, und welche nun versuchte, eine neue Philo- sophie, eine neue Weltanschauung aufzubauen. Ich meine nun, um zu unserem Gegenstande zurückzukehren, von dem ich scheinbar abgeschweift bin, dass jeder die Pflicht hat, den Weg Descartes’ zu gehen und zu prüfen, woher er seine Weltanschauung und diese ganze Summe von Wissen hat, die jeder für sicher hält.

Ich meine, dass jeder diese Schulung, diesen Reinigungsprocess mit sich vorzunehmen verpflichtet ist, sich und der Gesellschaft gegen- über, und ich meine, dass die Aufgabe einer jeden Volksbildungs- bestrebung die sein muss, dem Lernenden dazu zu verhelfen, dass er dieses Bad seines Wissens und seines Selbst mit sich vornehmen kann. Dadurch, dass man es dem einzelnen Hörer ermöglicht, in die (Gre- dankengänge der exacten Wissenschaften, in die Gedankengänge der Kritik einen Einblick zu thun, dadurch ermöglicht man ihm, dieselbe Methode auf die anderen Vorstellungen und Urtheile zu übertragen, dadurch ermöglicht man ihm, abzusondern, was widerspruchsvoll ist, und wenn möglich, aufzubauen, was einheitlich ist. Dadurch ermöglicht man ıhm, der selbst mitarbeitet und in Gedanken zu arbeiten lernt, sich eine einheitliche Weltanschauung aufzubauen, selbständig zu denken, selbständig in Gedanken thätig zu sein. Wenn man dieses hohe Ideal bei einem Menschen erreicht hat, dann kann man sagen, dass das ein gebildeter Mensch ist. Nun will ich nicht sagen, dass dieses hohe Ideal bei den »Volksthümlichen Universitätscursen« auch nur bei 20, 30 erreicht wurde; ich will nicht in die Pädagogik hinein- pfuschen, von der ich gar nichts verstehe, aber ich glaube, dass auch Sıe sich, meine Herren, Ziele stellen, die Sie nie vollständig erreichen können. So muss man auch das höchste Ziel im Auge behalten, wenn man den Erwachsenen zur Denkthätigkeit erziehen will. -— Wenn es richtig ist, dass dieses das Ziel ist, so muss die Organisation, welche der Volksbildung dienen soll, diesem Ziele entsprechen, und auch hier sind verschiedene Wege möglich. Aber es sind bei uns bereits gewisse Wege eingeschlagen worden, und ich betrachte es als selbstverständlich, dass man auf dem weiterbaut, was sich bereits bewährt hat, auf unseren volksthümlichen Universitätscursen und unseren Volksbibliotheken.

Hier muss man anknüpfen, und ich muss gestehen, als Zeit- und Arbeitsverschwendung betrachte ich jede Volksbildungsbestrebung,

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welche nicht in Berührung mit den bereits bestehenden Organisationen steht und nicht versucht, Vortheile aus ihnen zu ziehen. Nun hat sich aus diesen Volksbildungsbestrebungen heraus das Bedürfnis nach einer weiteren Organisation entwickelt. Vor etwa I Jahre erhielt ich eine Zuschrift von etwa 8o Hörern, die Curse über Philosophie gehört hatten, in der sie darlegten, sie hätten viel gelernt, ihr Denken sei lebhaft angeregt worden, und nun stünden sie da, wenn auch nicht so klug als wie zuvor, sondern vielleicht klüger, aber jedesfalls nicht klug genug. Sie wollten mehr haben. Sie wollten in die Lage versetzt werden, einen der philosophischen Autoren selbst zu lesen, sie wollten in dieser Lectüre angeleitet, sie wollten in gewisse specielle Fragen der Philosophie eingeführt werden, kurz, im engeren Verkehr zwischen Lehrenden und Lernenden das erlernen, was man in einem Vortrag nicht sagen kann und mag, weil man auf dem Katheder steht und nicht mit jedem einzelnen spricht, sondern mit der gesammten Masse. Dies gab die Anregung zu dem Plane des »Volksheims«, welcher in vorläufig bescheidener Art nach Ostern realisiert werden wird. Die Universitäten haben als Ergänzungen und Fortführungen ihrer Vor- lesungen die akademischen Seminarien und man kann wohl sagen, dass, wenn die deutschen Universitäten an der Spitze der Hochschulen der Welt stehen, dies nicht zum geringsten Theile den vorzüglich organisierten Seminarien zu danken ist, wo die Lehrenden versuchen, die Lernenden als Individuen zu behandeln, zur Selbstthätigkeit anzu- halten. Solche Seminarien müssen auch für die Volksbildung geschaffen werden: das wurde uns klar. Das, was diese 80 Männer und Frauen verlangten, war etwas ganz Natürliches, weil man, wenn man einmal so weit gekommen ist, den Strom nicht mehr eindämmen kann und soll. Es muss eine Institution geschaffen werden, in welcher in weit höherem Maße als bei den volksthümlichen Universitätscursen jene unmittelbare Fühlung zwischen Lehrenden und Lernenden, jene Indi- vidualisierung gepflegt werden kann, welche sich als unerlässlich, als nothwendig erweist, und in welcher jenes freie Unterrichtssystem platzgreifen kann, welches sich nach den Bedürfnissen von Einzelnen und Gruppen von Einzelnen richtet. Diesen Bestrebungen soll das »Volksheim« dienen. Jenen, welche sich durch Universitätscurse oder andere Quellen Wissen und Bildung erworben haben und den Wunsch nach Fortbildung empfinden, soll es ermöglicht werden, dieses Bedürf- nis zu befriedigen. Jedem soll die ihm angemessenste Lectüre em- pfohlen werden. Die bereits bestehenden Bibliotheken sollen dabei in

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rationeller Weise ausgenützt werden; denn auch der Mangel muss wohl ausgesprochen werden, der unserem sonst guten Bibliothekswesen anhaftet: Der Arbeiter, der sich bilden will, sucht nach einem Buche. Welches Buch soll er nehmen? Sagt ıhm denn der Titel alles, was darin zu finden ist? Und ist es seinem Bildungsgrade angepasst? Er findet vielleicht darin nicht, was er sucht, oder wenn es gut geht, findet er das ihm Entsprechende, kommt aber im Laufe der Lectüre auf eine Stelle, die er nicht versteht, der spätere Theil des Buches, der sich auf diese unverstandene Stelle stützt, bleibt dann gleichfalls unver- ständlich für ihn. Man soll also das Wissen ergänzen durch Anleitung zur Lectüre. Diese Anleitung zur Lectüre muss Hand in Hand gehen, entweder mit dem Vortrage oder auch einem weniger förmlichen Gespräche zwischen Lehrenden und Lernenden.

Es muss endlich centralisiert werden, was an Bildungsbestre- bungen besteht in jedem einzelnen Individuum. Es muss eine Stätte geschaffen werden, wo diese lehrenden und lernenden Individuen sich treffen; das soll wiederum das »Volksheim« sein. Dieses wird nicht den bestehenden Institutionen Concurrenz machen, sondern sie ergänzen und fortführen, soweit es nothwendig und möglich ist. Das »Volks- heim« wird, man muss das immer wieder betonen, keinen politischen Standpunkt einnehmen und die Politik aus seinen Mauern absolut aus- schließen. Sie gehört nicht in die Schule und in die Volksbildungs- bestrebungen. Nichtsdestoweniger ist jeder Politiker, wenn er ehrlich ist, welcher Richtung er auch angehören mag, verpflichtet, diese Be- strebungen zu unterstützen, denn jeder ehrliche Politiker muss sich sagen, dass die von ihm vertretene politische Anschauung der Wahr- heit entspricht und an Macht und Ansehen nur gewinnen kann, wenn man ehrlich daran geht, die Wahrheit zu suchen und die Menschen zu lehren, wie man die Wahrheit sucht.

Sonst, meine ich, soll vom Unterricht des Volksheimes nichts aus- geschlossen sein, denn jeder Unterrichtsgegenstand, jede Anregung kann das fördern, was wir erreichen wollen, die Vermehrung der Denkfähigkeit im Volke. Und wenn wir unsere Institutionen weiter- bilden und ausbauen können, wenn wir den Massen ermöglichen, sie zu benützen, dann können wir hoffen, dass mit der Zeit unser Volk das ihm etwas vorschnell verliehene Attribut auch verdienen wird, dass es wirklich ein Volk der Denker werde !

IV. Die Geschichte als Quelle der Pädagogik.

Vorgetragen am 5. October 1900 von D. SIMON.

Mit der Anerkennung der Psychologie als Erfahrungswissenschaft, »als der Lehre von den Formen und Naturgesetzen des normalen Ver- laufes der seelischen Functionen *),« ist auch der Pädagogik, diesem Aschenbrödel unter den Wissenschaften, ihr Recht geworden; auch ihre Gesetze können nur durch Beobachtung auf vielen und verschieden- artigen Gebieten erforscht werden. Wir sammeln und vergleichen heut- zutage unsere Erfahrungen anders als vordem; wir verfolgen die Ergebnisse der experimentellen Untersuchungen und vergleichen sie mit den Wahrnehmungen an dem Kinde, an unserer Umgebung und an uns selbst. Wir wissen auch, dass diese Erscheinungen zu Irr- thümern führen können und immer wieder geprüft werden müssen; wir erweitern daher beständig den Beobachtungskreis und finden neue Erklärungen auf Gebieten, wo man zu diesem Zwecke früher über- haupt nicht gesucht hat. Der Dichter und der Staatsmann, der Arzt und der Naturforscher, sie alle sind jetzt unsere Lehrer. Der Werde- gang einer bedeutenden Persönlichkeit, welcher man in der Schule gerade diejenige Begabung abgesprochen hat, mit der dieselbe später die Welt in Erstaunen versetzt; der moralische Zusammenbruch eines Menschen, der zu den größten Hoffnungen zu berechtigen schien; die verblüffend hohe Entwicklung eines Schülers, den man lange für unbe- deutend gehalten hat -—- sind das nicht Fundgruben für unsere Beleh- rung ? Zeigen diese Fälle nicht, dass wir noch unendlich viel zu lernen haben?

Ich befinde mich in einem Kreise von Colleginnen und Collegen, welche, wie ich selbst, noch lernen wollen; darum sei es mir gestattet, heute auf die Geschichte als Quelle der Pädagogik hinzuweisen, indem ich auf meinem Streifzuge durch die Jahrhunderte einzelne Vorkomm-

*) Siehe Jodl, Psychologie, Einleitung.

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nisse unserer Prüfung .unterziehe. Wir sind da vor Irrthümern und Fehlschlüssen ziemlich sicher; denn die Weltgeschichte ist in ihrer unbarmherzigen Gerechtigkeit immer wahr und fast immer klar.

Der Wert der Pädagogik ist im Alterthume höher geschätzt worden als in späteren Zeiten; die Sprüche Salamonis ‘empfehlen eine naturgemäße, der Individualität des Zöglings angepasste Leitung. Plato sagt, der Mensch sei von Natur das wildeste aller Lebewesen, könne aber durch Erziehung das edelste werden. Viele Sagen und Märchen, die in unserer Kinderstube heimisch sind, stammen nach- weisbar aus dem Alterthume. Die richtige Auffassung von den Schäden in der Erziehung zeigt ein großer Staatsmann, Themistokles, der einen Sclaven vom Baume fallen und ein Bein brechen sieht und bitter hin- zufügt: »Jetzt ist er zur schweren Arbeit untauglich, man wird einen Pädagogen aus ıhm machen.«

Wir feiern Cornelia als Vorbild für Mütter; ihre Kinder sind ihr Schmuck; hat sıe diesen Schmuck nicht vielleicht zu sehr merken lassen, wie hoch sie ihn schätzt, und liegt darin nicht die Erklärung dafür, dass ihre hochbegabten Söhne nicht genügend vorbereitet, von zu hohem Selbstgefühl geschwellt, sich in Thaten einließen, die ihren und anderer Bürger Untergang herbeigeführt, ohne der Sache zu nützen ?

Einen starken Gegensatz zu den Gracchen bildete Cajus Marius. Dieser große Feldherr, der aber nie, gleich den Scipionen, dem Gesange der Musen gelauscht, war ein Verächter der Bildung. In einer Rede an das Volk rühmt er sich, dass er keine großen Vorfahren, keine Ahnenbilder besitze, dass er auch nicht Griechisch verstehe, wie die Gebildeten der damaligen Zeit; die Griechen seien trotz ihrer Bildung ein unfreies Volk geworden; Tapferkeit und Vaterlandsliebe allein hätten Wert ın seinen Augen. Dieses große Talent, das siebenmal die höchste Würde im Staate bekleidete, ist in der jämmerlichsten Weise zugrunde gegangen, und sein Name ist zum Fluch geworden. Sein Schicksal lehrt uns, dass hohe Begabung furchtbaren Schaden bringen kann, wenn sie nicht durch Bildung veredelt und mit Selbstbeherr- schung gepaart ist.

Cajus Julius Caesar, »dess’ Name bis heute das Höchste in der Welt benennet,« zeigt als Knabe ein ungeheures Selbstbewusstsein,; er tadelt die Seeräuber, weil sie ein zu niedriges TLösegeld verlangt hätten. Er sagt dem Fährmann: »Du trägst Caesar und sein Glück ;;«

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und dieses war wirklich unbeschreiblich. Aus den gewaltigsten Kriegen geht er siegreich hervor; aber noch größer ist die Culturarbeit, die er in dem eroberten Gallien verrichtet. Sein Talent erscheint unbegrenzt; er ist Feldherr, Schriftsteller, Grammatiker, Gesetzgeber und Staatsmann. Nur eines fehlt ihm, das Misstrauen gegen sich selbst: Hätte er an den Iden des März das ihm übergebene Verzeichnis eines Blickes gewür- digt, so wäre es ihm vergönnt gewesen, die Sendung bis zu Ende zu führen. Lehre den Zögling Selbstkritik, Maßhalten in dem Glauben an sich!

Wohl noch begabter als Caesar, ein Übermensch in des Wortes kühnster Bedeutung, war der hellenisch gebildete, aber barbarisch ge- sittete Mithridates von Pontus. Er rühmte sich vornehmer Abkunft; sein Vater stammte aus dem altpersischen Königshause und die Mutter aus dem Geschlechte der Seleuciden. Erstaunlich war seine Thatkraft: als Siebenziger kämpfte er wie ein Jüngling im Vordertreffen. Im Laufen und Fechten, im Reiten und Wagenlenken kam ihm niemand gleich. Nicht geringer war sein Gedächtnis; er regierte 22 Völker- schaften, und alle redete er in ihrer Muttersprache an. Unübertrefflich als Feldherr im Rathe, als Meister der Kriegskunst, als Mitstreiter im Kampfe, konnte er allein es wagen, die mächtigen Römer heraus- zufordern und sich gegen die weltbeherrschende Nation zu wehren, gleich dem Wüstenlöwen gegen den Jäger; niemals verlegen um neue Auskunftsmittel, ein Meister der List und Staatsklugheit, brachte er ein Bündnis Westasiens, Griechenlands und Macedoniens zustande. Vor keiner Grausamkeit zurückschreckend, ließ er an einem Tage 80.000 Römer in dem weitläufigen Gebiete des Bundes ermorden. Seine geschickte Hand reichte über das Mittelmeer bis nach Spanien und Gallien. Mit den Unzufriedenen Italiens unterhielt er Verbindungen. Wiederholt geschlagen, richtete er sich immer wieder auf; von Lucullus hart bedrängt, zieht er sich in das Gebiet seines Schwiegersohnes zurück und benützt den Moment, wo die römischen Truppen meutern, zu neuem Vordringen. Er scheint abermals verloren, als das verwöhnte Glückskind Pompejus gegen ihn zieht. Doch siehe, er sammelt ein neues Heer und führt es mit ungebrochenem Muthe gegen den Feind; da plötzlich geschieht das Unerwartete; sein Lieblingssohn, zu seinem Nachfolger bestimmt, zieht das Schwert gegen ihn an der Seite des Feindes. Jetzt bricht er zusammen gleich einem geknickten Rohre, die Widerstandskraft ist dahin; er geht schmählich unter. Woher diese Wandlung ? Mithridates hatte in unbegrenzter Rücksichts-

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losigkeit die Mutter des Pharnaces ermorden lassen und so den Sohn zum Verbrechen wider die Natur veranlasst; ist diese Erzählung nicht lehrreich für Eltern und Lehrer ?

Auch der Besieger dieses Übermenschen, Gnäus Pompeius, gibt dem Bildner der Jugend zu denken. Aus vornehmem Greschlechte, schön und stattlich, weiß er bald die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sein »ehrliches Gesicht«< kommt ihm dabei zustatten. Er täuscht das Volk, indem er dessen Phantasie erhitzt, Boulanger in unseren Tagen vergleichbar. Er erhält den Beinamen des Großen trotz der Ober- flächlichkeit, mit welcher er die Geschäfte führt. Er brüstet sich mit Sıegen über schlecht bewaffnete Völker, über halbverhungerte Sclaven- horden. Wie er aber dem Caesar gegenübersteht, zeigt sich die ganze Hohlheit seiner Größe. Er wirft die Feldherrnbinde von sich und sieht in der Flucht sein Heil. An ihm lernen wir den Ausspruch Moltkes so recht verstehen: »Glücklich ist auf die Dauer nur der Tüchtige.s

Wir wenden uns zu Kaiser Marc Aurel, dem Philosophen auf dem Throne, der sein edles Leben in unserer Stadt beschlossen. Als Feldherr und Staatsmann bedeutend, von großen Fragen umdrängt, findet er immer noch Zeit, sein Werk »An sich selbst« einer genauen Durchsicht zu unterziehen; aber um seinen Sohn hat er sich nicht gekümmert, sondern ihn, der dazu bestimmt war, das Weltreich zu regieren, im Laster versinken lassen. Trotzdem Commodus jedes geistigen Aufschwungs bar ist, macht ihn der Vater doch zum Mit- regenten und überliefert den Staat einer bösen Zukunft. Wir wissen, wie verderblich dieser von der Mutter verzogene, vom Vater kaum beachtete Kaiser regiert hat, und lernen daraus, dass gerade die Hoch- stehenden und Mächtigen ganz besonders einer sorgsamen Erziehung bedürfen. |

Auch die Neuzeit ist reich an Beispielen, die unseren Zweck fördern können. Elisabeth und Maria Stuart, zwei ausgeprägte Naturen, zwei wunderbare Geschöpfe der Natur und ihrer Umgebung wie schroff stehen sie sich gegenüber! Erstere, um g Jahre älter, durch- lebte eine harte Jugend im Tower; während sie ihren Geist mit reichem Wissen befruchtete und ihren Verstand zu scharfem Denken entwickelte, wird das (remüth finster, misstrauisch und verschlossen. Die schöne Schottenkönigin aber, mit Phantasie und Liebreiz ausgestattet, ist das verwöhnte Glückskind mit allen Fehlern eines solchen. Aber aus den I’ehlern Marias entspringt Elisabeths Glück; sie geht als Siegerin aus

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dem Kampfe hervor. Wie viele geschichtliche Erscheinungen ließen sich aus den Lehren der Pädagogik erklären, wenn wir die Erziehungs- geschichte hochgestellter Persönlichkeiten genauer kennten!

Wir besitzen gegenwärtig durch Leopold von Ranke die Jugend- geschichte zweier Thronfolger, bei welchen auffallende Ähnlichkeiten in dem Verhältnisse zu ihren Vätern und doch ganz verschiedene Aus- gänge wahrgenommen werden, und deren Schicksale wiederum in der Geschichte ihrer Erziehung begründet erscheinen. Ich meine Don Carlos, Infant von Spanien, und Friedrich II. von Preußen.

Ersteren, durch Schiller so populär, müssen wir uns wohl anders denken, als ıhn das Drama zeichnet. Carlos ist ein stotternder, kränk- licher Prinz mit großem Kopf und hässlichen Zügen; die Mutter stirbt ihm bei der Geburt, der Vater kümmert sich nicht um ihn. Erst mit drei Jahren beginnt er zu stammeln; seine Geistesgaben sind gering; dennoch spricht man ihm oft über seine künftige Macht, findet ihn Karl V. ähnlich und erzählt ihm von der glänzenden Weltstellung dieses Großvaters. So entsteht ein Missverhältnis zwischen Können und Wollen. Er will nur von Kriegen und Waffen hören, lässt die Edelleute bei ihrem Besuche schwören, ihm in seinen Kriegen zu folgen. Er schlägt seine Diener, beißt einer unschädlichen Schlange den Kopf ab und lässt kleine Thiere vor seinen Augen lebendig braten. Seine Lehrer liebte er; doch ein guter Schüler, ein gefügiger Zögling war er nicht. Die schwache Gesundheit schließt empfindliche Strafen aus; durch Jahre peinigt ihn ein Quartalfieber und hemmt seine Entwick- lung; dennoch lässt Philipp den schwächlichen, zurückgebliebenen Prinzen in den Orden des goldenen Vlieses feierlich aufnehmen und ihm in einer Versammlung der Granden und Prälaten unter großem Gepränge die Nachfolge sichern. Daheim aber fährt er fort, ihn wie ein Kind zu behandeln. Herzog Cosimo, der Medicäer, sandte pracht- volle Pferde für den König und den Prinzen. Philipp nimmt alle Pferde für sich. Er blickt ihn stets finster an, duldet bei ıhm keinen Scherz, hält ihn knapp im Geld und lässt ihn unfürstlichen Mangel leiden. Hier haben wir den klaffenden Gegensatz in der Erziehung, welche stets einheitlich geleitet werden muss: Den Großen des Reiches sollte er als eine Art Mitregent gelten; in seinen Gremächern galt er nichts; von Staatsgeschäften wird der thatendurstige Jüngling ferngehalten. Auch die Pläne für seine Vermählung werden ohne ihn gemacht. Er sollte die Erzherzogin Anna, die Tochter des Kaisers Maximilians II., heiraten, wozu er gern bereit war. Der Kaiser, den Protestanten stets

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geneigt, empfahl aber die Wünsche der Niederländer der Würdigung Philipps, und die Niederländer hatten längst ihre Hoffnungen auf Carlos gesetzt und wünschten ihn zum Statthalter. Der König hatte das betriebsame Volk durch die Errichtung neuer Bisthümer und anderer kirchlicher Einrichtungen oft erbittert. Die Gährung steigerte sich zum Aufruhr. Philipp schwur, kein Fürst von Ketzern sein zu wollen, und beschloss strenge Maßregeln. Gerade damals war das Ver- hältnis zwischen Vater und Sohn sehr gespannt; in den folgenden Zerwürfnissen - zwischen Philipp und Maximilian stand der Prinz auf der Seite des letzteren. Er strebte nach der Vermählung mit der Erz- herzogin und der Statthalterschaft in den Niederlanden, um größere Freiheit zu erlangen. Statt dessen wird Alba hingeschickt. Nun bricht der offene Hass zwischen Vater und Sohn aus. Als man dem Prinzen hinterbrachte, der Vater halte ihn zur Regierung untüchtig, sann er auf Mittel zur Empörung und Flucht, erborgte heimlich Geld und setzte sich mit Edelleuten in Verbindung, Er verdammte offen das unmenschliche Vorgehen Albas, ja die ganze Regierung des Vaters. Dieser wusste alles und anstatt sein Kind zu warnen und aufzuklären, ließ er dessen Pläne ruhig betreiben, behandelte ihn sogar sehr freund- lich, während er zu einem harten Schlage ausholte. Er überfiel ihn nachts im Bette und machte ihm die Wohnung zum Gefängnis. Carlos sah zähneknirschend, wie man ihn der Waffen und seiner Papiere beraubte und die Fenster seines Zimmers mit Eisengittern versah.

Er raste und konnte nur mit Gewalt vom Selbstmorde abgehalten werden. Mit der Aufregung wuchs der Hass gegen den Vater, der sich mit dem Gedanken beruhigte, er müsse den Staat vor einem so unfähigen Herrscher bewahren. Man berichtete ihm, dass der Gefangene die Nahrung zurückweise. Er erwiderte kalt: »Er wird schon essen, wenn er Hunger verspüren wird.« Als Carlos ruhiger wurde und den Vater um Verzeihung bat, wurde zwar diese gewährt, aber nicht die Freiheit. Nun begann der körperliche und geistige Verfall des Unglück- lichen; er gab jede Hoffnung auf. Um sich umzubringen, verschluckte er einen Diamanten; er ließ sehr viel Wasser in sein Zimmer bringen und watete barfuß darin herum. Er wurde schwer krank. Als er sein Ende herannahen fühlte, kam eine ungewohnte Seelenruhe über ihn. Er betete und beichtete, traf seine ‚letzten Anordnungen und ließ dem König sagen, es fehle ihm nur der väterliche Segen. Aber Philipp hat den sterbenden Sohn nicht gesehen. Die Spanier beklagten den Tod des Infanten aufrichtig; das Ausland zürnte Philipp, der durch

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die Härte in den ersten Jahren, die halben und widerspruchsvollen Maßregeln in späteren Zeiten, ferner durch ruhiges Zusehen, bis die Dinge zum äußersten gediehen waren, große Verantwortung auf sich geladen hatte. Der leidenschaftliche Sinn des Prinzen konnte vielleicht durch liebevolle Behandlung gemildert, sein Thatendrang durch bedacht- sames Vorgehen befriedigt werden; aber Philipp standen die Grund- sätze seiner Regierung höher, als die Pflichten des Blutes, und Carlos kannte keine Mäßigung. Ein Übel bringt das andere hervor. Aus dem Labyrinth, in welches die beiden Männer gerathen waren, führen nur Eigenschaften heraus, welche beide nicht kannten, uneigennützige Güte und vorbehaltlose Anerkennung der Rechte und Vorzüge anderer. Dieses traurige Ereignis findet nach zwei Jahrhunderten ein Seiten- stück in Preußen. Hier aber gelangt der Gegensatz zwischen dem König und dem Thronfolger zu völlig befriedigendem Ausgange. Im Jahre 1712 wurde dem ersten König von Preußen ein Enkel geboren; Friedrich sieht in ihm die »Erhörung seiner Gebete und die Hoffnung für die Zukunft des jungen Königreiches«. Kaiser Karl VI. wünscht als Taufpathe dem Kinde »Glück gegen seine Feinde ın Rathschlägen und Handlungen«e. Bekanntlich gieng dieser Wunsch in Erfüllung aber zum Schaden der Tochter des Kaisers! So wenig vermögen wir vorauszusehen, was unseren Kindern frommt, und dennoch gelüstet uns oft, deren Schicksal mit dem Richtmaße vorauszubestimmen! Friedrich Wilhelm I., der Vater des Prinzen, war dem Prunke abge- neigt und widmete sich ernster Arbeit behufs Gewinnung einer in jeder Beziehung tüchtigen Armee. Auch der Kronprinz sollte vor allem ein braver Soldat werden; kein Schmeichler sollte in seiner Nähe weılen; jeder Luxus war verbeten; er sollte hauptsächlich die Fächer lernen, welche das Leben berühren, namentlich tüchtig rechnen. Er sollte sich einen guten französischen und deutschen Stil aneignen, »aber ohne Grammatik.«e Die Begierde nach Ruhm und Bravour sollte in ihm geweckt und Ekel gegen jede Art von Verschwendung eingeflößt werden. Friedrich fügte sich anfangs gehorsam dem Willen des Vaters; aber schon damals merkte man die Regung eines Kunstsinnes, den er von der Mutter Sophie Dorothea geerbt, und eine merkwürdige Fein- heit des Stiles. Allmählich empfand er den Mangel jedes höheren geistigen Genusses; er sehnte sich nach Musik und Theater; das ewige Soldatenspiel wird ihm eine inhaltslose Pedanterie, und die Derbheit des Vaters im Umgange widert ihn an. Der König aber kümmert sıch um die Eigenart des Sohnes nicht -- gewiss ein schwerer Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1901. 4

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Fehler in der Erziehung und die Kluft zwischen beiden wird bloßgelegt. Mit sechzehn Jahren verlangt Friedrich ein größeres Maß von Freiheit, um seinen Geist auszubilden. Der König aber tadelt, dass er der Musik zuviel Zeit zuwende, er wirft ihm unmännliches Wesen und Eigensinn vor; es kommt zu peinlichen Scenen, die aller- dings immer einen rührenden Abschluss finden; sie lieben sich und können sich doch nicht verständigen. Der König miss- handelt den Prinzen und fügt noch den Schimpf hinzu mit den Worten: ‚Hätte mir mein Vater das gethan, so hätte ich mich auf der Stelle todtgeschossen;; aber der hat keine Ehre, der lässt sich alles gefallen.« Der Prinz fasst endlich den Entschluss zu fliehen. Auf einer gemein- schaftlichen Reise will er rasch die französische Grenze erreichen. Es war der Plan eines Jünglings ohne Überlegung und Vorbereitung. Als ihn der König einmal heftig schalt, weil er ein Messer fallen gelassen, schritt er an die Ausführung; aber die Wachsamkeit des Gouverneurs vereitelte die Flucht, und der König erfuhr alles durch das Geständnis des Mitverschworenen Katt. Friedrich Wilhelm fasste die Sache als Desertion auf; es war die größte Aufregung seines Lebens. Der Prinz vertheidigte sich nicht und bat nur, die Mitschuldigen zu verschonen. Er wurde auf die Festung gebracht und strenge bewacht. Man stellte ihn vor das Kriegsgericht, dieses aber erklärte, es liege keine Desertion vor, und es sei kein Grund vorhanden, sich in die Angelegenheiten der königlichen Familie zu mengen. Es ist ein verbreiteter Irr- thum, dass der König seine Hinrichtung verlangt hätte. Vielmehr steht fest, dass er während der Berathung des Kriegsgerichtes sehr aufgeregt das Capitel achtzehn des Buches Samuel las, welches vom Abfalle des Absalom handelt. Er legte den Finger auf die Stelle, in welcher König David dem Feldherrn zuruft: »Sei mir behutsam mit dem Jungen!« Offenbar empfand er Angst vor einem zu strengen Urtheil; vielleicht gestand er sich, dass er nicht ohne Schuld gewesen, an dem häuslichen Zwist. Bei Vernehmung des Spruches sagte er, es sei ihm ein Stein vom Herzen gefallen; aber er war zu sehr Soldat, um die Sache für abgethan zu halten. Der Kronprinz musste ein Jahr lang in der Domänenkammer täglich sieben Stunden arbeiten; dann erst sahen sie sich wieder. Beide waren tief ergriffen; der Sohn warf sich dem Vater zu Füßen; er hob ihn auf, umarmte ihn und ver- sicherte, dass er nur für ihn arbeite. Friedrich wiederum betheuerte, er wollte sich ganz der Kriegskunst widmen. Die wenigsten glaubten an die Aufrichtigkeit dieses Wunsches, aber die Folgezeit hat sie

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bestätigt; wurde er doch einer der größten Kriegshelden. Der Köuig blickte oft mit Wohlgefallen auf den Prinzen und sagte manchmal, wan wisse gar nicht, was in dem stecke. So hat die aufrichtige Liebe diese verschiedenartig angelegten Naturen versöhnt.

In Zeiten großer Übergänge und starker Gegensätze treten zu- weilen Meinungsverschiedenheiten zwischen Vater und Sohn auf; wohl beiden, wenn jeder fest entschlossen ist, das äußerste zu vermeiden. Wohlwollende Rücksichtnahme des einen Theiles auf den anderen und Unterdrückung des Eigenwillens, mit Wohlwollen gepaarte Festig- keit der Eltern und stetes Gedenken der Dankesschuld von Seite der Kinder werden es nie zu einer Katastrophe kommen lassen.

(Greehrte Versammlung! Wenn man also die Geschichte mit den Augen des Pädagogen liest und sich stets gegenwärtig hält, dass die angeborenen Anlagen durch die Erziehung weder ausgerottet werden können noch sollen, so wird man in der Weltgeschichte eine Quelle pädagogischer Belehrung entdecken und die Worte Schillers bestätigt finden, welcher sagt, »dass ihre Lehren fruchtbar und weitumfassend sind und, dass keiner da ist, dem sie nicht etwas Wichtiges zu sagen hätte.«

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v. Die Aufgaben der Blindenbildung.

Vorgetragen am 9. Februar ı901 von Director S. HELLER.

Die Aufgaben, welche der Blindenbildung gestellt sind, und die sie in fortschreitender Entwicklung immer sicherer und wirkungsvoller erfüllt, gehören zu den bedeutungsvollsten der Pädagogik überhaupt.

Die Wirkung der Blindheit, insoweit diese angeboren oder in den ersten Lebensjahren erworben ist, besteht nicht schlechthin darin, dass dem blinden Kinde die psychische Reception der Gestaltenwelt mit ihren Licht- und Farbenerscheinungen, ihren Fernwirkungen und ihrer Localisation versagt ist; es handelt sich dem Sehenden gegenüber keineswegs allein um einen Ausfall von Erwerbungen oder von Be- sitzthümern, die sich in einem Mehr oder Weniger ausdrücken. Die Blindheit bewirkt in dem Wesen und der Entwicklung des Seelenlebens eine organische Veränderung; dem oberflächlich Urtheilenden tritt diese entweder gar nicht oder unklar in Erscheinung, weil der Blinde den Mangel an realen psychischen Elementen durch Phantasie- vorstellungen auszugleichen ebenso geneigt, als im hohen Grade be- fähigt ist, und weil er in der Sprache des Sehenden, in dessen Welt er lebt, und welche fortgesetzt auf ihn einwirkt, Erfahrungen überzeugend -— wenn auch nicht überzeugt vorzutragen versteht. Wenn rückhaltslos anerkannt werden muss, dass der Gesichtssinn unseren Vorstellungsinhalt am meisten und am wertvollsten bereichert und als der beherrschende Sinn bestimmend, ja oft entscheidend auf die Gestaltung und Richtung unseres Seelenlebens einwirkt, so ergibt sich daraus mit zwingender Nothwendigkeit, dass der Mangel dieses Sinnes einen Gegensatz zwischen der psychischen Entwicklung des Sehenden und des Nichtsehenden herbeiführt, welchen bei der Bestimmung der Aufgaben für die Blindenbildung zu verkennen, eine bedauernswerte Verirrung bedeuten würde. Unter diesen Aufgaben muss als die vornehmste diejenige bezeichnet werden, welche den Ausgleich

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des bezeichneten Gegensatzes durch fundamentale Functionen zum Gegenstande hat. Die klare Erkenntnis dieser Aufgabe, der Ernst und die Hingebung, mit welcher sie erfüllt wird, bezeichnen mehr als mancher überraschende Erfolg den Höhepunkt, auf dem die Blindenpädagogik der Gegenwart angelangt ist. Dieser Ausgleich darf aber in keiner Weise ‘ein äußerlicher sein, weil er sonst ein scheinbarer bleibt.

Es hat eine Epoche in der Blindenbildung gegeben, in welcher man dem blinden Kinde am besten und nachhaltigsten zu nützen ver- meinte, wenn man es dem sehenden in jeder Hinsicht und ohne Rück- sichtnahme auf unüberbrückbare Unterscheidungen so weit als möglich näherte. Der Lehrplan der Blindenschule stand an Reichhaltigkeit des Inhaltes und in der Systematik des Aufbaues dem der allgemeinen Volksschule keineswegs nach; was bei Absolvierung dieses Planes Anschauung und Erkenntnis nicht zu leisten vermochten, mussten das Gedächtnis und die Phantasie ersetzen. Der Schulerfolg ließ nichts, der Lebenserfolg fast alles zu wünschen übrig. Das Ausmaß der Selbst- thätigkeit im Denken, Entschließen und Handeln erschien tief herab- gesetzt, die Abhängigkeit vom Urtheil und der Unterstützung anderer erwies sich auffallend verstärkt und gesteigert, und schmerzlich musste endlich erkannt werden, dass die Aufgabe der Blindenschule nicht darin bestehen könne, in quantitativen Leistungen mit der all- gemeinen Volksschule zu concurrieren.

Die Blindenbildung muss den wiederholt bezeichneten Ausgleich vornehmlich dadurch anstreben, dass sie psychische Minderwertigkeiten der Anlage qualitativ erhöht und Abnormitäten der Entwicklung so beeinflusst, dass die Eigenart des Schülers diesen zu Leistungen befähigt, welche in sich selbst abgeschlossen erscheinen. Der Grundsatz, nur die vorhandenen Anlagen des Blinden ausbilden zu wollen und die verkümmerten zur Entfaltung zu bringen, verneint jedoch auf das entschiedenste die Berechtigung jener Richtung, welche Anlagen für den Unterricht in Anspruch nimmt, die infolge der Blind- heit gar nicht vorhanden sind, wie die Empfindung für Licht und Farbe und jene für Fernwirkungen, die nur durch den Gesichtssinn wahrgenommen werden können. Diese wichtige Forderung bezieht sich zunächst und vornehmlich auf den elementaren Aufbau der Bildung des Blinden und schließt keineswegs aus, dass überall dort, wo es sich um den Abschluss von Complexen handelt, dem blinden Schüler Mittheilungen von Gegenständen und Erscheinungen gemacht werden, welche er sinnlich nicht wahrnehmen kann. Diese muss er aber als

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ein Abstractes auffassen und verwenden, er darf nicht der Ansicht sein, sie erworben zu haben, weiler das Vorgesagte bestimmt nachzusagen vermag.

Soll der blinde Schüler so vor einer Bildung bewahrt bleiben, welche in ihren Grundlagen auf Einbildungen beruht und nur zu sehr geeignet ist, die Schädigung der Scheinbildung auf den Cha- rakter und die Lebensführung des Blinden zu erstrecken, so ist bezüg- lich der Ausgestaltung der Anlagen, besonders der verkümmerten, noch eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Diese besteht darin, dass dem Unterrichte in der Blindenschule nicht vorzugsweise ein technischer Charakter verliehen, d. h. dass der Ausbildung des Lehrmittels, welche oft zu den merkwürdigsten Künsteleien führte, nicht höhere Bedeutung zugemessen werde, als der Ausgestaltung der Lehrmethode. An die Stelle eines natürlichen Systems soll kein künstliches gesetzt werden! Der Blindenlehrer muss sich an den Geist, an das Gemüth des blinden Kindes zunächst wenden und dem Lehrmittel nur die vermittelnde Einwirkung zumessen. Gilt dieser Grundsatz für jeden Unterricht, so ist er für den Erfolg des Blindenunterrichtes geradezu entscheidend. Die Aufgabe, den Schüler zu Leistungen zu befähigen, welche in sich abgeschlossen sind, muss dem Blindenbildner das Leitmotiv aller seiner Bestrebungen sein. Das Endziel derselben besteht doch darin, dass der Blinde ein in sich gefestigter, erwerbs- tüchtiger, berufsfreudiger Mensch werde, der sich im Kreise der nütz- lich wirkenden Menschen eine ehrenvolle Stelle erwirbt. Die wesent- lichste Bedingung hierfür ist es, dass sich der Blinde, ohne Rücksicht auf das Ausmaß von Kenntnissen und Fertigkeiten, als ein in sich festgefügtes Ganzes der Allgemeinheit anzubieten vermag; die Cor- rectur alles Unfertigen durch das Leben und seine Erfahrungen, welche den Sehenden oft hebt, ist dem Blinden entweder völlig ver- sagt oder geeignet, seinen Frieden zu stören, sein Selbstbewusstsein herabzusetzen. Der Blinde muss für seine eigene, nicht für eine fremde Welt gebildet werden!

Eine fernere Aufgabe der Blindenbildung ist es, den psychischen Processen, welche geistige Erwerbungen hervorbringen, die größte Aufmerksamkeit zuzuwenden und den Schüler zu befähigen, mit wach- sender Reife immer mehr und immer verständnisinniger jene Vorgänge selbst zu beobachten. Nur so ist es nicht nur möglich, in dem Blinden dıe psychische Triebkraft zu erwecken, sondern auch den Blinden mit der Fähigkeit auszurüsten, diese Triebkraft aus sich selbst

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zu erneuern und in ihren Wirkungen zu erhöhen. Von der ersten Stufe an muss der Schüler angehalten werden, die Gegenstände des Unterrichtes, beziehungsweise das Lehrmittel, auf sich wirken zu lassen, sie so zu untersuchen, dass hierdurch Anregungen von hin- reichender Intensität erweckt werden, dass aus der Verbindung des Einzelnen, aus der Auffindung der Wechselbeziehungen die Selbst- thätigkeit des Schülers erwächst.

Ich verlasse, wenn auch nicht mit dem befriedigenden Gefühl, das Thema erschöpft zu haben, die Besprechung der Aufgaben, welche dieheilpädagogischen Momente der Blindenbildung ausmachen, und wende mich der eigentlichen Unterrichtsfrage der Blindenschule zu. Die Ziele dieses Unterrichtes sind dieselben, wie die der allgemeinen Volksschule; der Unterricht soll den Schüler mit gründlichen und nützlichen Kenntnissen für das Leben ausrüsten ; dem Blindenunterricht specifisch aber ist die Methode, wie die Fundamente desselben geschaffen werden müssen. Die wirksamsten und somit die wichtigsten Vorstellungen des Blinden sind diejenigen, welche er durch das Tasten erwirbt. Dieselben sind aber keineswegs gleichwertig; am höchsten stehen diejenigen Tastvorstellungen, welche alle Merkmale des Körperlichen in sich vereinigen und dieselben dauernd beibehalten, so dass deren Reproduction ebenso die Illusion des Wiederbetastens erwecken, wie ‘intensive Vorstellungen des Sehenden in dessen Seele die Illusion des Wiederschauens hervorbringen. Solche Vorstellungen des Blinden nennen wir plasti- sche Vorstellungen; sie bereichern nicht allein durch ihre Qualität die Erkenntniswelt des Blinden, sie tragen auch jene gestaltende Kraft in sich, welche sowohl auf die psychische Production, wie auf den Willen bestimmend einwirken. Aber ebensowenig man geschmiedetes Eisen erhält, ohne es vorher zu schmieden, ebensowenig erwirbt man plastische Vorstellungen, ohne plastisch getastet zu haben. Dies ge- schieht, indem sich die Hand an den Anschauungsgegenstand in syste- matisch angeordneten Tastbewegungen nachbildend fortbewegt. Es ist klar, dass sich die Qualität des plastischen Tastens am besten und sichersten erreichen lässt, wenn die Absicht, einen Gegenstand körper- lich darzustellen, thatsächlich ausgeführt wird, und das geeig- netste Mittel hierzu ist das Modellieren. Darum ist diese Fertigkeit eine für die Befähigung der Hand zum plastischen Tasten und für die Erwerbung plastischer Vorstellungen nothwendige Disciplin der Blinden- schule geworden. Durch das Modellieren wird die Tastfähigkeit der

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Hand zu ihrer höchsten Qualität, zur Gestaltungsfähigkeit ausgebildet.

Das Modellieren hat aber auch noch eine andere hächst wichtige Aufgabe im Blindenunterrichte zu erfüllen, nämlich die Vorstellungs- fähigkeit und die Vorstellungsrichtigkeit zu erweisen. Diese können nicht wie in der Schule der Sehenden durch Beschreibung, Schilderung und Vergleichung allein bewiesen werden, weil wie schon dargelegt wurde der Blinde die Sprache des Sehenden spricht und somit Ausdrücke braucht und verbindet, welche einer fremden Vorstellungswelt entlehnt worden sind. Wenn der Blinde das Bild, welches er von einem Gegenstande in seiner Seele trägt, auch nur annähernd plastisch darstellt, so beweist dies die Vorstellungsfähigkeit und Vorstellungsrichtigkeit ungleich besser, als dies sprachlich geschehen kann, andererseits hat jede Beschreibung, welche einer plastischen Darstellung nachfolgt, einen ungleich höheren Wert als diejenige, welche einer solchen entbehrt.

Das Zeichnen wird in der Blindenschule als eine Abstraction des Modellierens aufgefasst und angewendet und die Bedeutung des- selben gegenüber dem Modellieren verhält sich so, wie der Umriss zur Gestalt überhaupt. Anwendung finden beide Disciplinen in der Zoologie, Botanik, Mineralogie, Geographie, geometrischen Formenlehre, Tech- nologie und in der Darstellung von Schönheitsformen.

Die Aufgaben, welche dem Modellieren und Zeichnen von der Blindenbildung gestellt werden, sind aber keineswegs mit dem eben Angelührten erschöpft; sie bilden als Mittel zur Ausbildung der Gestal- tungsfähigkeit das Verbindungsstück in einer Reihe von Übungen, welche eine der wertvollsten Qualitäten des Blinden, seine technische Geschicklichkeit, die Grundlage seiner Erwerbsfähigkeit, ausbilden sollen. In dieser Reihe geht das Handturnen dem Modellieren und Zeichnen als Voraussetzung voran. Das Handturnen wird als solches aber auch in seiner Anwendung im freien Spiel geübt. In diesem freien Spiel setzt sich das blinde Kind selbständige Ziele verschiedener Art, findet es unbeeinflusst die Mittel, ja selbst die Methode, nach welcher diese Mittel zur Anwendung gebracht werden müssen und stellt so mit allem Eifer befriedigter Jugendlust die Verbindung zwischen dem mechanischen Act des Tastens und dem psychischen Process, dem es dient, ungezwungen und wirkungsvoll her. An das Modellieren und Zeichnen reiht sich die Auffassung der Gestalten, d. h. die Unterweisung, wie Form und Stoff dem Zweck eines Gegenstandes zu dienen haben. Die Gestalt-

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lehre führt naturgemäß zur Ausbildung und Anwendung des Tastmaßes, eines Äquivalents des Augenmaßes; der Gestaltlehre folgt das mittel- bare Tasten, bei welchem die Hand, mit einer mechanischen Ver- längerung, einem unelastischen oder elastischen Stäbchen, einer Nadel, einem Bohrer u. s. w. ausgerüstet, durch Widerstandsempfindungen Größe, Form, die physikalischen Eigenschaften des Stoffes unterscheidet; die Ge- schicklichkeit hierin führt zum Gebrauch der verschiedenen Werkzeuge und bereitet den Handfertigkeitsunterricht und in diesem die Erlernung eines Gewerbes: der Bürstenbinderei, der Korb- und Rohrflechterei, der Seilerei und der Eisenarbeiten, sowie des Maschinstrickens und Maschinnähens vor.

Wenn auch die Anreihung dieser manuellen Übungen im Kreise von Pädagogen eines gewissen Interesses nicht entbehren wird, so kann ihre fachliche Bedeutung keineswegs durch bloße Skizzierung und ohne jegliche Demonstration klar herausgestellt werden. Diese streng gegliederte, lückenlose Anreihung erbringt aber den Beweis, dass die Blindenpädagogik der Gegenwart ihrer Aufgabe, die Blinden durch gewerbliche Ausbildung zur ehrenvollen Erfüllung eines Lebensberufes tauglich zu machen, nicht mehr wie ehedem durch mechanische Abrichtung, sondern durch ein wissenschaftlich ausgestal- tetes, der Natur des Blinden angepasstes System gerecht zu werden bestrebt ist. Durch dieses Bestreben, in welchem sie die parallelen Maßnahmen für die Vorbereitung der Sehenden zum Gewerbe weit überragt, documentiert die Blindenpädagogik durch die That, dass sie sich zielbewusst in den Dienst eines Erlösungswerkes stellt, wie es größer und erhabener nicht gedacht werden kann, und welches sich das hohe Ziel gesetzt hat, den Blinden, der einst als ein ergreifendes Bild beleidigter Menschenwürde am Wege stand, mit der Fähigkeit und dem Rechte der Selbstbestimmung, mit der Kraft, Nützliches hervorzubringen, ausgerüstet, in den Kreis der wirkenden Menschen zurückzuführen, wo er sich mit dem Brote auch die Ehre des Lebens zu erwerben vermag.

Aus den dürftigsten Anfängen, welche Religionslehre, Lesen, Stacheldruck und Kopfrechnen umfassten, hat sich der Lehrplan der Blindenschule zu einer Vollständigkeit entwickelt, welche dem der gehobenen Volksschule in keiner Weise nachsteht; die Disciplinen sind: Religionslehre, Rechnen und geometrische Formenlehre, Lesen, Schreiben, Sprachlehre, Orthographie, Naturgeschichte, Naturlehre, Geographie, Geschichte, Modellieren, Zeichnen, Musik und Gesang.

Die didaktischen Aufgaben, welche dem literarischen Unterrichte der Blindenschule gestellt sind, fallen in der Hauptsache mit denen der

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allgemeinen Volksschule zusammen; ihre erziehliche Aufgabe jedoch überragt in ihrer inneren Bedeutung die einer jeden andern Schule. Zunächst besteht sie darin, die wahren Bildungswerte von den falschen streng sachlich zu scheiden und aus den ersteren das Material des Unterrichtes zu gewinnen.

Von einsichtigen Pädagogen und Menschenfreunden wird es als eine Schädigung unserer Jugend laut genug, wenn auch ohne kräftige Abwehr, beklagt, dass unsere Schüler Unterrichtsstoffe in sich auf- nehmen müssen, welche weder zur Hebung der Intelligenz noch der Moral beitragen, und welche, da sie nur äußerlich angeeignet werden, bald der Vergessenheit anheimfallen. Für den Blindenunterricht falsche Bildungswerte zu verwenden, bedeutet geradezu eine Gefahr. Soll es nicht eine leere Phrase sein und bleiben, dass innerer Reichthum dem Blinden die Kraft zu verleihen habe, den äußern Mangel zu überwinden, so müssen die Bildungswerte der Blindenschule vor allem echt und von edlem Metalle sein. Aber auch für den Seelenfrieden des Blinden ist diese Forderung von großer Wichtigkeit. Falsche Bildungswerte erzeugen Scheinbildungen, und diese vermögen den Gegensatz zwischen der Welt des Blinden und der ihn umgebenden, welcher für den Blinden die Quelle schmerzlicher Empfindungen wird, nur zu verschärfen, indem sie eine Welt der Einbildungen in der Seele des Nichtsehenden schaffen, welche der realen Welt immer weniger entspricht. Die zielbewusste und nach heilpädagogischen Grundsätzen durchgeführte Verwendung dieser wahren Bildungswerte ist geeignet, die Lösung einer andern hohen Aufgabe der Blindenbildung herbeizuführen, nämlich die, den Blinden aus seiner geistigen Isolierung thatsächlich zu befreien. Dies geschieht dadurch, dass durch beabsichtigte planmäßige Ein- wirkung jene Verbindungen hergestellt werden, welche durch die Blind- heit in dem Gange der natürlichen Entwicklung entweder gar nicht angeknüpft oder frühzeitig unterbrochen wurden. In der Reihe dieser Verbindungen steht zu oberst die des Blinden mit dem Naturleben. In dem sinnigen Wesen des Blinden liegt eine tiefe Sehnsucht nach der Verbindung mit der Natur. Wer je die Entzückung beobachten konnte, mit welcher das blinde Kind dem (Gesang der Vögel, die andachtsvolle Schauer, mit der es den Stimmen des Sturmes, dem Rollen des Donners lauscht, der wird es begreifen, wie unabweisbar die Erfüllung der Aufgabe ist, dem Blinden die Natur zu erschließen, in die er einzudringen wohl vermag, weil er die feinsten Pflanzen- bildungen durch den tastenden Finger oder die noch feiner fühlende

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Lippe zu erfassen vermag. Die Blindenbildung muss aber die tra-

ditionelle Unterrichtsmethode überwinden; was hier dem Zufall über- lassen wird, muss dort methodisch herbeigeführt, was hier Mitthei- lung ist, muss dort Erlebnis werden.

Die Verbindung mit dem geistigen Leben seines Volkes und mit dem anderer Völker ist für den Blinden durch eine von dem blinden Franzosen Louis Braille erfundene Punktschrift hergestellt, die zu dem Einfachsten, Zweckmäßigsten und Genialsten gehört, was je ein Menschengeist erdacht, eine Schrift, welche auf dem Wege, den die Blindenpädagogik eingeschlagen, den Markstein bedeutet, von welchem sie die Richtung nach den Höhen der Vollendung genommen.

Die Braille’schen Schriftzeichen, in welchen alle Sprachen ge- schrieben und gelesen werden können, stellen im gesellschaftlichen Leben des Blinden dessen Verbindung mit allen seinen Schicksals- genossen, allen Blindenanstalten und Lehrern und mit allen Blinden- freunden her, während die von Hebold erfundene Flachschrift ihn mit allen Gebildeten ohne jede Unterscheidung verbindet.

Wenn es wahr ist, dass die sociale Erhebung einer Menschen- classe von der inneren Umwandlung abhängig ist, welche sie aus der geistigen Isolierung befreit, so ist die Hoffnung der Menschenfreunde berechtigt, dass die Zeit nicht mehr ferne ist, welche die moderne Blindenpädagogik vorbereitet, die Zeit, da sich die Gesellschaft dem Blinden gegenüber nicht mehr mit schwächlichem Mitleid, das sich in einer Thräne ergießt, abfindet, da dem Blinden sein Recht wird, sein Recht auf Bildung, auf Arbeit, auf Anerkennung seiner Leistungen. Was man nie besessen, was man im Traum der ersten Kinderjahre ver- loren, entbehren zu müssen, ist kein Unglück, aber ein Unglück ist es, wenn ein Mensch fühlen muss, wie die Saat Gottes, durch Erziehung und eigenes ernstes Streben zur vollen Blüte gebracht, der Frucht ent- gegenreift, und wie sie von dem eisigen Vorurtheil der Welt vernichtet wird.

Unglücklich wird der Blinde, wenn er flehend seine Hand der Menschheit entgegenstreckt und ruft: »Nehmt mich auf in euren Bund, der das Gute will, das Gute schafft!« und wenn die Menschen, statt den Blinden brüderlich an sich zu ziehen, kaltherzig seine Hand mit einem Almosen füllen, wenn sie aus dem Arbeitsfreudigen gewaltsam einen Bettler, aus dem Kind GotteseinKind desElendsmachen.

Lehrer des Volkes, wachet über die dreifach geheiligte Menschen- würde des Blinden; verkündet, wahret, hebet sie!

VI.

Wie kann die Volks- und Bürgerschule ihre Zöglinge für die spätere Ausübung ihrer staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten

vorbereiten ?*) | Vorsduasen am 2. März :ı901 von ALOIS BRUHNS.

Zu dem Vortrage über das heutige Thema veranlassen mich verschiedene Gründe. Der Gegenstand bewegt schon seit Jahren die österreichische Lehrerschaft, und im verflossenen Jahre wurden die Wiener Lehrer sogar durch die Behörde veranlasst, sich in den Bürger- schullehrerconferenzen hiemit zu beschäftigen, was freilich nicht ver- hinderte, dass auch diesmal die Lösung neuerdings verschoben wurde. Mir däucht, dass die Wiener pädagogische Gesellschaft mit mehr Ruhe und eingehender die Frage behandeln kann, als eine officielle Lehrer- conferenz, die eine umfangreiche Tagesordnung zu erledigen hat. Gestatten Sie mir auch darauf hinzuweisen, dass ich mich schon viele Jahre immer wieder mit der Frage beschäftige, und dass ich daher gerne die Gelegenheit ergreife, einer größeren Versammlung meine Erfah- rungen und Anschauungen zur Prüfung vorzulegen. Bevor ich auf die Behandlung der Frage eingehe, will ich Ihnen kurz in Erinnerung rufen, was bisher in dieser Angelegenheit in Österreich geschehen ist. Hier darf ich die bezüglichen Verhandlungen in der Wiener pädago- gischen Gesellschaft in die erste Reihe stellen.

Schon im Jahre 1882 befasste sich die Wiener pädagogische Gesellschaft eingehend mit unserem Gegenstande, wie dies das betref-

*) Siehe Pädagogisches Jahrbuch: Bd. V. A. Bruhns, Wie ist die Jugend für das politische Leben vorzubereiten?’-—- Bd. VI., D. Simon, Wie können die Schüler in die Kenntnis der vaterländischen Verfassung eingeführt werden? Bd. X,, L. Fleischner, Pflichten und Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft als Unterrichts- gegenstand. Bd. XV., J. Dichler, Die Pflege des Rechtsgefühles. Bd. XVII, F. Frank, Über staatsbürgerliche Erziehung.

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fende Jahrbuch beweist, in dem der von mir damals gehaltene Vor- trag: »Wie ist die Jugend für das politische Leben vorzubereiten», abgedruckt ist. Der Titel ist etwas allgemeiner gehalten als der des heutigen Vortrages, doch ist der Gegenstand im wesentlichen derselbe. Was mich damals zur Besprechung desselben veranlasste, war die Überzeugung, dass in einem Verfassungsstaate die Kenntnis der Ver- fassungsgesetze jedem Staatsbürger unbedingt nothwendig sei, und dass es daher Aufgabe jeder Schulkategorie sei, ihre Zöglinge nach dem Grad ihrer Fassungskraft mit den bestehenden Gesetzen vertraut zu machen. Die von mir entwickelten Gedanken fanden Anklang, worauf ich durch den damaligen Ausschuss veranlasst wurde, einige maßgebende Persönlichkeiten hiefür zu interessieren. Ich sprach bei mehreren derselben vor, erhielt überall die freundlichste Zusage, nur sollte ich in einem Buche die Gedanken ausführlich niederlegen. Ich verfasste hierauf im Vereine mit dem k. k. Regierungsrath, Universi- tätsdocenten Dr. Karl Brockhausen, eine »Rechtslehre«, und wir unterbreiteten diese dem hohen k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht, welches nach einer eingehenden Prüfung dieses Werk den Lehrkörpern der verschiedenen Fachschulen zum Ankauf für die Bibliotheken empfahl. Das Buch wurde vielfach sehr gut besprochen, wurde auch vielfach als Geschenk begehrt, aber gekauft wurde es wenig; es theilte eben das Schicksal so vieler anderen pädagogischen Bücher. Die nachfolgenden Kämpfe um die Schule im Parlament, deren Frucht die Schulnovelle war, ließ eine ruhige Entwicklung einer einmal aufgerollten Frage nicht zu; aber die Wiener pädagogische Gesellschaft behielt auch ferner den Gegenstand im Auge, und schon im Jahre 1883 besprach daselbst Director Simon das Thema: »Wie können die Schüler in die Kenntnis der vaterländischen Verfassung eingeführt werden Director Simon zeigte, wie ım engen Anschluss an den Geschichtsunterricht dieser Forderung vielfach entsprochen werden könne.

Im Jahre 1887 hielt Herr Ludwig Fleischner in der Wiener pädagogischen Gesellschaft einen Vortrag über das Thema: »Pflichten und Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft als Unterrichtsgegen- stand.« | |

Herr Fleischner hatte in Frankreich mehrere Schulen besucht und dort dem Unterricht in der Morallehre und den bürgerlichen Ge- setzen ein besonderes Augenmerk geschenkt. Er übersetzte auszugsweise einen für diesen (regenstand bestehenden Lehrtext ins Deutsche und

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suchte ihn den österreichischen Verhältnissen anzupassen. Ich will hier nur daran erinnern, dass Frankreich im Jahre 1882 mit seiner alten Schulverfassung brach und durch ein neues Schulgesetz den Religions- unterricht zur Privatsache der einzelnen Confessionen machte, dafür aber in die Volksschule einen Moralunterricht in Verbindung mit der Belehrung über die staatlichen Einrichtungen einführte. Fleischners Vortrag wie auch sein Buch fand heftige Gegner in der Wiener päda- gogischen Gesellschaft; viele waren gegen die Lostrennung der geschil- derten Materien als Einzelgegenstand, andere fühlten sich von dem fremden Geist, der in dem Buche herrschte, abgestoßen.

1892 sprach Herr Dichler über »Die Pflege des Rechtsgefühles durch die Erziehungs, wodurch auch unser Thema wieder in den Vordergrund trat, um drei Jahre darauf durch F. Franks Vortrag »Über staatsbürgerliche Erziehung« zu einer äußerst lebhaften Debatte Anlass zu geben, an der sich auch Landesschulinspector Dr. Rieger und manch alter Kämpe unserer Gesellschaft betheiligte. Frank erklärte damals, meinem im Jahre 1882 gehaltenen Vortrag kritisch begegnen zu wollen, und ich hatte also das Vergnügen, nach 13 Jahren eine Auferstehung zu feiern. Der Grundgedanke des Vortrages war, Belehrungen über politische Verhältnisse können nur im engsten An- schluss an die volkswirtschaftlichen Lehren geboten werden.

1897 stellte Professor Dr. L. Singer-Prag am Mittelschultag in Wien eine Reihe von Anträgen in Bezug auf die Heranbildung der Jugend für das staatliche Leben (siehe Pädag. Jahrbuch 1897, S. 178). In dieser Versammlung zeigte sich ganz dasselbe Bild wie in unserem Kreise. Die Nothwendigkeit und Wichtigkeit der Lösung der Frage wurde auch hier anerkannt, aber die Durchführungsvorschläge befrie- digten nicht, weshalb man den Gegenstand einer besonderen Commission zuwies, die aber bis heute noch nicht ihre Arbeiten vollendet zu haben scheint.

Alle die bisher besprochenen Anregungen giengen aus dem Inhalt der Frage selbst hervor. Die vielfachen Besprechungen des Gegen- standes, die Forderung des Lehrplanes blieben nicht ohne Erfolg; viele Lehrer suchten auch in der Praxis, im Schulunterricht, dieser Forderung eingehende: Beachtung zu schenken, und da soll sich das Bedürfnis herausgestellt haben, dass eine genaue Angabe aller jener Gesetze, Verordnungen, Erlässe u. s. w. von der Schulbehörde bekanntzugeben sei, über die der Lehrer in der Bürgerschule sprechen dürfe, ja es sollte auch gesagt werden, inwieweit er sie besprechen

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könne. Ich wollte meinen eigenen Ohren nicht trauen, als ich die darauffolgende Begründung vernahm ich war damals Mitglied eben derselben Bürgerschullehrerconferenz, in der dieser Antrag gestellt wurde. Sollte es möglich sein, dass ein Lehrer Furcht vor einer Disciplinaruntersuchung empfinden könnte, wenn er bestehende Gesetze mit den Kindern bespreche, da ihm doch diese Besprechung der Lehrplan vorschreibt?! Was aber alle früheren Besprechungen nicht vermochten, brachte dieser Antrag zuwege. Die Schulbehörde wünschte eine Klärung dieser Frage durch Beschlüsse der Bürgerschullehrer- conferenzen herbeigeführt und stellte deshalb dieses Thema auf die Tagesordnung der genannten Conferenzen für das Jahr ıgoo. Die daselbst erstatteten Referate führten aber zu keinem erfreulichen Ziel. Mehrere Conferenzen wiesen den Gegenstand als noch nicht reif zur Beschlussfassung zurück. Und doch muss meines Erachtens die Frage bald zu einer Entscheidung gelangen. Schon bemächtigte sich auch die Tagesliteratur derselben, und was ich besonders als aus- schlaggebend ansehe, ist, dass sich die Männer der Wissenschaft der Verallgemeinerung politischer Kenntnisse im Volke bemächtigt haben. Ich weise hier auf einzelne Vorträge ın den volksthümlichen Univer- sitätscursen hin und führe insbesondere den Ausspruch Prof. Adolf Exners an, den er in seiner Rectoratsrede betonte: »Das 20. Jahr- hundert wird ein politisches Jahrhundert sein, wer ihm gewachsen sein will, wird politischer Bildung bedürfen. Nur eine höchste Anspannung politischer Kraft und Energie wird diese Aufgabe bewältigen und den vierten Stand ohne tödliche Krisen dem Staatskörper organisch einfügen.«

Welche Erfolge wurden durch die vielfachen Erörterungen der Frage bisher erzielt? Ich bemerke hier gleich, dass auch in vielen österr. Lehrervereinigungen die Sache wiederholt besprochen wurde, doch lässt der enge Rahmen eines Vortrages die Aufzählung aller dieser Besprechungen nicht zu. Erreicht wurde bisher, dass einzelne Theile der Gesetzeskunde in Hochschulen eingeführt wurden, ferner dass das hohe Ministerium für Cultus und Unterricht die Einstellung bezüg- licher Werke in die Lehrerbibliotheken empfahl. Ich erwähne hier nur das Büchlein »Katechismus der Verfassungslehre« von einem unge- nannten Verfasser. Ferner erschienen eine Anzahl Büchlein, die ein- zelne Fragen des öffentlichen und des Privatrechtes in populärer Form behandelten. Auch unsere Lesebuchverfasser berücksichtigten diese Forderung und nahmen in ihre Werke mehrere Lesestücke dieses

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Inhaltes auf; und man muss gestehen, dass der Lehrer in manchen dieser Bücher wiederholt Anknüpfungspunkte für die Besprechung über die Einrichtung unseres Staates findet. Ob aber diese Lesestücke nicht noch vermehrt werden können, will ich vorerst außer Beur- theilung lassen. Einen wesentlichen Fortschritt haben aber viele unserer Lehrtexte für den Geschichtsunterricht gemacht. Das rein prag- matische Element wurde in den Hintergrund gestellt und dafür dem culturgeschichtlichen Theil ein größerer Raum zugewiesen. Von wesent- lichstem Einfluss war wohl, dass man endlich mit der alten An- schauung brach, die Gregenwart eigne sich nicht als Gegenstand der Geschichtsbehandlung ın der Schule. Ich erinnere mich noch, wie mein eigener Lehrer in der Geschichte erklärte: »Mit dem Wiener Congress haben wir unseren Stoff erschöpft, was sich in späterer Zeit zugetragen hat, eignet sich nicht zur Geschichtsdarstellung, denn alle diese Ereignisse sind noch wie schwankende Gestalten, deren Umrisse wir nicht zu bannen wissen.« Die Geschichtsbücher schlossen denn auch alle noch in den Sechziger- u. Siebziger-Jahren mit dem Jahre 1815. Die Geschichtsbücher jener Zeit waren thatsächlich eine Zusam- menstellung von Völkerkriegen und Fürstenstreitigkeiten, und zwar in bunter Nebeneinanderstellung aus aller Herren Länder, dabei wurden einzelne Schlachten noch näher geschildert, aber für die Schilderung der Culturverhältnisse fiel herzlich wenig ab; Verfassungsfragen gieng man ängstlich aus dem Wege, höchstens, dass man die Lykurgische, die Solonische und noch die römische Verfassung der ersten Zeit streifte, um dann ihre Verderblichkeit zu beleuchten, die in sich selbst den Keim des Verfalles trug und zur Auflösung dieser Staatengebilde und zum Übergang zur Monarchie führen musste. Mit dem Eintritt Österreichs in die Reihe der constitutionellen Staaten musste dies anders werden, geradezu zur Besprechung der Neuzeit wurde aber die Schule durch die Forderung des Lehrplanes »Grundzüge der Ver- fassung, insbesondere Belehrung über die Pflichten und Rechte der Staatsbürger« gedrängt.

Den Lehrern fiel die Erfüllung anfangs schwer, war ihnen doch der Stoff selbst etwas fremd, und fehlten ıhnen doch viele Zwischen- glieder zum Verständnis jener gewaltigen Geschichtsperiode, die sie selbst erlebten. Da platzte wie eine Bombe in diesem Tasten nach neuen Wegen der Ausspruch des jungen deutschen Kaisers Wilhelm II.: »Der Geschichtsunterricht müsse von der Gegenwart, von dem Be- kannten ausgehen und so rückwärts schreiten zur Vergangenheit«. Fand

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der Ausspruch auch viele Gegner, ein Gutes hatte er in Deutschland und auch bei uns im Gefolge, wir begannen, im Unterricht der Gegen- wart mehr Rechnung zu tragen, aber immer noch nicht genug, wie unsere Lehrtexte des Greschichtsunterrichtes erweisen. So sehen wir denn auf manchen Seiten einen Fortschritt und auch die Bedingungen angebahnt, wodurch es dem Lehrer möglich wird, seine Schüler in die Verfassungsverhältnisse des Vaterlandes einzuführen. Es sind aber alles erst Anfänge. Uns thut vor allem noth, dass die Lehramts- zöglinge selbst in den Lehrerbildungsanstalten mit diesem Gregenstand recht vertraut gemacht werden. Es kann nicht geleugnet werden, dass die Menge der Stoffe, die in den Lehrerbildungsanstalten aufgearbeitet werden sollen, zu groß ist. In wöchentlich 2 Stunden in den 3 ersten Jahrgängen und einer Stunde im 4. Jahrgang soll Geschichtskenntnis, Geschichtsverständnis, Methode des Geschichtsunterrichtes und noch das Verfassungsrecht gelehrt und von den Zöglingen erlernt werden. Es ist natürlich, dass noch vielfach auf den letzten Punkt ein geringes Gewicht gelegt wird, und ich staune daher auch nicht, wenn ich bei jungen Lehrern eine große Unsicherheit in allen darauf bezughabenden Fragen antreffe, deren Klärung freilich sich viele dann mit großem Fleiße angelegen sein lassen. Wenn, was ja doch nur eine Frage der Zeit sein kann, die Lehrerbildungsanstalten von 4 auf 5 Jahre erwei- tert werden, dann muss auch dem Greschichtsunterrichte und mit ıhm der Verfassungslehre ein größeres Zeitausmaß eingeräumt werden. Worin liegt aber der eigentliche Grund, dass die vorliegende Frage bisher noch nicht zu einem gedeihlichen Abschluss gekommen ist? Wir müssen wohl darauf antworten: In unseren unleidlichen und unvollständigen politischen Verhältnissen und in der Furcht anzustoßen. Die Gegenwart beeinflusst die Lösung der Frage nicht günstig, und doch muss sie versucht werden, schon im Interesse der kommenden Geschlechter und des Staates selbst. Als in Frankreich der Unterricht in der Bürgerkunde eingeführt wurde, ließ man sich von der Erkennt- nis leiten, dass zahlreiche Franzosen die Gesetze und speciell die Ver- fassung ihres Landes geringschätzen; dass dieses aufhöre, entschloss man sich, in die Schulen den Unterricht in den bürgerlichen Gesetzen einzuführen. Eine ähnliche Geringschätzung der Verfassung herrscht leider bei uns noch immer vor. Ich erinnere mich mit Freuden der Zeit, als es bei uns noch anders war, wo es wohl auch fast unüberbrückbare (regensätze gab, wo sich aber die Gregner doch persönlich achteten, nicht wie heute, wo sie den persönlichen Verkehr einstellen, wo jede Jahrbuch d. Wien. päd. Ges, 1901. 5

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Frage nur vom Parteistandpunkt behandelt wird. Diese unglückseligen Zustände konnten die Furcht in einem Mitglied der Wiener Lehrer- schaft hervorrufen, dass es durch die Darstellung der bestehenden Ge- setze anstoßen und zur Verantwortung gezogen werden könne. Mir däucht diese Furcht übertrieben. Ich glaube, was Gesetz ist, muss doch auch gelehrt werden dürfen. Nur freilich darf der Lehrer zwei- erlei nicht vergessen: ı. Er kann nur das lehren, was seine Schüler auch aufzufassen vermögen, und was den gegenwärtig bestehenden Einrichtungen entspricht, und 2. er darf nie vergessen, dass er Kinder vor sich habe, die er belehren soll, nicht aber Staatsbürger, mit denen er über den Wert oder Unwert der bestehenden Gesetze raisonnieren kann. Wenn es Lehrer gibt, die sich nicht entblöden, selbst durch Wort und Schrift die Zeit herbeizuwünschen, wo sie in der Schule die weichen Herzen der meist noch unschuldigen Kinder vor der Ver- derblichkeit der Mitglieder anderer Confessionen warnen können, so muss man wohl'sagen, solche Pädagogen gehören unter Curatel. Die Schule darf nie ein Tummelplatz niederer Leidenschaften werden. Lassen Sie uns einen Blick in andere Länder thun, wo man der Sorge um die Unterrichtsertheilung entweder ganz oder theilweise ledig ıst. Ich wähle Frankreich und Deutschland. In Frankreich gilt der Unterricht in der Moral und in den bürgerlichen Gesetzen als erster und wichtigster Gegenstand; er wird in jeder Classe und Woche in zwei Stunden gelehrt. Der Stoff ist auf 3 untere, mittlere und obere --- Stufen vertheilt. Auf der Unterstufe kommen nach Pierre Laloi zur Behandlung: ı. Die Familie, die Schule und die Lehrzeit. 2. Die Moral: die Pflichten gegen uns selbst, gegen die Nächsten. 3. Die Gesellschaft, die verschiedenen Stände, die Freiheit der Berufs- wahl. 4. Der Beruf, allgemeine Rathschläge über Arbeit und Ordnung, Anlage von Ersparnissen, gemeinnützige Vereine. 5. Der Arbeitgeber und der Arbeiter. 6. Der Landwirt, Eigenthümer und Pächter. 7. Der Kaufmann, die Bücher des Kaufmannes, Handelsgerichte, Crida. 8. Die Staatsbeamten überhaupt. g. Das Haupt der Familie, die Ehe, Pflichten in der Ehe, häusliche Bedienstete, Pflichten des Familienvaters, Vor- mundschaft und Minderjährigkeit. Io. Die bürgerlichen Rechte. ıı. Der Staat, die Gemeinde, Gemeinderath etc., Departement, der Senat etc. 12. Die Staatsverwaltung, die Ministerien etc. 13. Die politischen Rechte und Pflichten des Bürgers. —- Der Vorgang im Unterricht ist im allgemeinen folgender: Der Lehrer erzählt eine Geschichte, die auf das beabsichtigte Thema Bezug hat, und entwickelt hierauf aus derselben

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die gewünschte Belehrung, worauf diese in eine Anzahl Merksätze zusammengefasst wird, die vorerst durch Fragen aus der erzählten Geschichte entwickelt wurden. Mir liegen durch die Freundlichkeit des Prof. Rey zwei Pariser Lehrerzeitungen aus dem Jahre ıgoo vor, die in jeder Nummer eine Präparation für den Lehrer über die Unterrichts- stunden in der früher angedeuteten Weise bringen.

In Deutschland ist kein einheitliches Verfahren vorhanden, eines aber gilt überall: kein selbständiger Unterricht in der Bürger- kunde, sondern eine Verbindung mit anderen Gegenständen. Im Lehr- plan für die evang. Bürger- und Bezirksschulen der Stadt Dresden soll im Religionsunterricht besprochen werden: Belehrungen über das Leben in Gemeinde und Staat etc. Nun, ich glaube, diesen Vorgang werden wir nicht nachahmen. Unsere Herren Religionslehrer würden uns auf die Ausbildung dieser Frage keinen Einfluss gewähren; ja sie würden wahrscheinlich jede gemeinsame Berathung abweisen. An anderen Orten sucht man durch Anlehnung an die Lesebücher Be- lehrungen über politische und volkswirtschaftliche Fragen zu ver- mitteln. Viele dieser Lesebücher enthalten hiezu einen reichen Stoff. So enthält das Lesebuch von Otto 23 Lesestücke über verschiedene politische und volkswirtschaftliche Fragen. Das Hauptgewicht wird aber überall in die Fortbildungsschulen verlegt. Das Lesebuch für kaufmännische Fortbildungsschulen von Loeßl, Zwerger und Roh- meder behandelt in ı8 Lesestücken Familie, Gemeinde und Staat, in 2I Lesestücken volkswirtschaftliche Fragen, in 34 Lesestücken den Kaufmannsberuf, in 26 Lesestücken das Verkehrswesen, außerdem gibt es ein Beispiel einer Landesverfassung und die Grundzüge der deutschen Reichsverfassung.

Lassen Sie mich nun zum praktischen Theil unserer Besprechung übergehen. Die Vorfrage, ob eine intensivere Behandlung der wichtig- sten Verfassungslehren, der politischen Rechte und Pflichten der Staats- bürger durch die Schule nothwendig sei, kann wohl mit einem unein- geschränkten Ja beantwortet werden. Die weitere Frage, welche Schul- kategorien sich hierin betheiligen sollen, lässt gleichfalls nur eine Antwort zu: alle, u. zw. jede in ihrer Weise und in dem Ausmaße, als dies die Fassungskraft der Zöglinge zulässt. Der preußische Minister v. Ladenberg definiert den Begriff »Volksschules also: »Unter Volksschule verstehen wir jene Schule, die dem Staatsbürger den Grad politischer Reife gewährt, der ihn fähig macht, in politischen Dingen

seine Stimme abzugeben und seine Rechte wahrzunehmen.« Wenn jede H*

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‘Kirchengemeinde von ihren Angehörigen die Kenntnis ihrer Satzungen voraussetzt und diese auf jeder Stufe vermittelt, so .muss der Staat ein Gleiches fordern, aber auch vermitteln, umsomehr, als er den Grundsatz aufgestellt hat: »Unkenntnis des Gesetzes schützt nicht vor den Folgen derselben«.

Vor allem gilt es, das Interesse für die Einrichtungen des Staates zu erwecken; dieses setzt aber die Kenntnis derselben voraus. Nichts ist schädlicher als der Indifferentismus, das haben auch viele Staats- männer erkannt, und deshalb streben sie sogar, um nur ein Beispiel anzuführen, den Wahlzwang an. Dann gilt es aber auch, die unbe- dingte Hochachtung vor dem Gesetze zu pflegen; wie sagte doch Sokrates, als ihn seine Schüler zur Flucht veranlassen wollten: »Ich habe 70 Jahre die Wohlthaten des Gesetzes genossen und will ihm heute am Abend meines Lebens nicht undankbar und ungehorsam werden.« | .

Hiezu gehört aber freilich, dass der Bürger auch die Mittel kennen lerne, wie er gegen ein veraltetes Gesetz ankämpfen kann, um mit Geduld die Härten des bestehenden Gesetzes ertragen zu können. Der Sinn aber, dass jeder Staatsangehörige das bestehende Gesetz achten muss, darf im Volke nicht verloren gehen, soll nicht der Bestand einer staatlichen Gemeinschaft untergraben werden. Es muss aber ferner auch das richtige Maß von Vertrauen zu den einzelnen Organen des Staates und die Erkenntnis ihrer Machtsphäre erzeugt werden. Die Fälle, dass Leute insbesondere die Richter nur als die Rächer der beleidigten Staatsgewalt, nie aber als die Beschützer jedes Einzelnen ansehen, sind noch vielfach zu beobachten, insbesonders aber unter den Frauen, die deshalb eine Vorladung vor Gericht bei vollem Bewusstsein der vollen Unschuld wie eine schwere Bedrohung auf- fassen. Kam es doch noch jüngst vor, dass eine Frau den Tod vor- zog, als vor Gericht als Zeugin zu erscheinen. Diese Angst vor den Organen des Staates hört bei vielen auch vor den untergeordneten Organen nicht auf. Da habe ich jüngst ein Beispiel guter Erziehung erlebt. In meinem Hause wohnt ein etwa siebenjähriger Knabe, der gieng vor einigen Wochen mit seiner kleinen Schwester vor 2 Uhr in die Schule; die Schwester sollte er noch vorher in den Kindergarten führen. Auf dem Wege hört er von einigen Knaben, dass es schon sehr spät an der Zeit sei. Die Sorge, dass er möglicherweise zu spät in die Schule komme, lässt ihn rasch einen Gedanken fassen. Er wendet sich an den nächsten Sicherheitsmann mit der Bitte: »Sie,

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Herr Wachmann, haben Sie Zeit? Führen Sie meine Schwester ın die Spielschule, ich komme sonst zu spät!« Aber auch die Machtsphäre der einzelnen Organe muss erkannt werden; denn noch immer erwar- ten so viele von dem Wohlwollen und der Gnade des Beamten, was dieser nicht erfüllen kann. Auch die Wahrheitsliebe gegen den Staat muss erweckt und gepflegt werden; würde sie tiefere Wurzeln gefasst haben, dann wären wohl unzählige Strafparagraphen nicht nöthig, und es könnten dann auch die kategorischen Einladungen, wie: »Sie werden hiemit aufgefordert .... widrigenfalls Sie eine Strafe von .... zu gewärtigen haben« etwas gemildert werden. Auch das Gefühl der Staatszusammengehörigkeit soll gepflegt werden. Wohl sind wir in Österreich nach dieser Richtung sehr schlimm daran. In Frankreich, in Deutschland besteht die Forderung, national zu erziehen, bei uns aber besteht zwischen den einzelnen Nationen ein Zustand höchster Spannung selbst in kleinlichen Dingen. Man denke, welchen Sturm vor Jahren die mit Geschichtsbildern gezierten Umschlagblätter der Schreib- hefte für Volksschulen hervorriefen; Czechen und Polen fühlten sich in ihren innersten Gefühlen beleidigt, weil im Bild Deutsche als Sieger über Slaven hingestellt waren.

Mit Erfüllung dieser allgemeinen Forderungen tritt die Bürger- schule als Vorstufe für die politische Bildung des werdenden Staats- bürgers auf. Wie aber jede Bildung nur an einer bestimmten Materie erweckt werden kann, so auch diese. Lassen Sie uns nun den Stoff ins Auge fassen, der als positives Wissen von den Bürgerschülern erfasst und erlernt werden kann. Hier wird wohl als erstes fest- zuhalten sein: Wesen und Zweck des constitutionellen Staates. Jede wissenschaftliche Definition dieser Begriffe muss natürlich entfallen. Der Kaiser: dessen Person geheiligt, unverletzlich und unverantwortlich, seine Stellung im Staate in Bezug auf die drei Grewalten, u. zw. als Träger der gesetzgeberischen, der Vollzugs- und der richterlichen Gewalt, oberster Kriegsherr. Diese Belehrung ist unbedingt nöthig, denn nur auf diesem Wege kann der Begriff Majestätsbeleidigung einigermaßen klar gemacht und die schuldige Ehrfurcht vor dem Staatsoberhaupt erweckt werden. Bezüglich der drei Gewalten im Staate wird man sich in der Bürgerschule auf das Nothwendigste be- schränken müssen, Es dürfte genügen, wenn klar gemacht wird, dass der Kaiser die gesetzgebende Gewalt mit dem Reichsrath theilt, dass dieser aus 2 Häusern besteht, wovon das Abgeordnetenhaus durch Wahl gebildet wird, dann wie im allgemeinen gewählt wird, wer wahl-

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fähig ist, welche bevorzugte Stellung ein Mitglied des Reichsrathes hat; ferner auf welchem Weg ein Gesetz entsteht, und welche Bedin- gungen erfüllt sein müssen, dass aus einer Gresetzesvorlage ein Gesetz werde; schließlich wäre noch zu lehren, inwieferne der Reichs- rath ein Aufsichtsrecht über die Minister ausübe. Von der Vollzugs- gewalt soll der Bürgerschüler erfahren die Organisation der Behörden im allgemeinen, also Ministerium, Statthalterei, Bezirkshauptmann- schaft, die Gemeinde in ihrer Wirksamkeit als Vertreterin der politischen Behörde. Von der richterlichen Gewalt: dass alle Rechtsprechung im Namen des Kaisers erfolgt, dass ihm mit einer Ausnahme das unbe- dingte Begnadigungsrecht zusteht, dass der Richter unabsetzbar und in der Rechtsprechung von einem höheren Beamten unabhängig ist. Auch soll jeder die Mittel im allgemeinen kennen, durch’ die er gegen ein ungerecht gefälltes Urtheil ankämpfen kann (Instanzenzug); und er soll wissen, dass es Pflicht des Staatsbürgers ist, bei der Recht- sprechung mitzuhelfen, u. zw. entweder als Zeuge oder als Laienrichter. Von den allgemeinen Pflichten des Staatsbürgers müssen hervor- gehoben werden: I. Die Steuerpflicht wenn ihm als Kinde klargelegt wird, wozu die Steuern dienen, dann wird er einst, wenn auch nicht mit freudigem Lächeln wie es in einem Lesebuch von einem Hand- werksmeister heißt auf das Steueramt gehen, er wird die Nothwen- digkeit der Steuerleistung begreifen; 2. die Pflicht, dem Staate im Nothfalle auch mit Leib und Leben zu dienen: die Stellungspflicht. Diesen Pflichten des Bürgers dem Staate gegenüber sind die Pflichten des Staates gegenüber dem Bürger, also die Rechte des Bürgers, entgegenzustellen. Den Bürgerschülern kann wohl klar gemacht werden, dass jeder den Schutz seiner Person und seines Eigenthums und seiner religiösen Überzeugung durch den Staat zugesichert erhält, dass dieser ihn vor Übervortheilung durch einzelne schützt, dass er ihm durch Gründung von Schulen etc. die Möglichkeit schaffe, sich einst selbst eine Existenz zu gründen, dass er ıhn in der Wahl eines Berufes und in der Ausübung eines solchen, sofern er dadurch nicht die Gesammtheit oder einzelne Gruppen schädigt, unterstützt und schützt, u. zw. durch Erbauung von Straßen, Canälen, Eisenbahnen, Errichtung von Handels- und Gewerbekammern, von Genossenschafts- verbänden etc.,, dass er ıhn auch in seiner Gesundheit und in seinem Rechte schützt, und dass der Staat oder die Gemeinde auch die Pflicht übernimmt, für den Arbeitsunfähigen, für den Kranken zu sorgen. Dabei darf freilich nicht aus dem Auge gelassen werden, dass

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der Staat durch diese Pflichten, die er für den Einzelnen übernimmt, auch das Recht haben muss, den Staatsbürgern auch gewisse Be- schränkungen aufzuerlegen, ---- wir kommen so zu den wichtigsten Be- griffen der volkswirtschaftlichen Gesetzgebung.

Ich gehe nun zum letzten Punkt meiner Besprechung über: Wie soll die Bürgerschule diese Materie vermitteln? Ist die Ansetzung besonderer Stunden empfehlenswert, oder ist eine Anlehnung an andere Lehrgegenstände möglich und ausreichend ? Ich bin gegen die besondere Behandlung und bin für die Anlehnung an die übrigen Unterrichts- fächer. Warum sollen wir jedesmal besondere Geschichten erfinden- wie es die Franzosen thun, wenn uns der übrige Unterrichtsstoff ent- sprechende Anknüpfungspunkte gibt? Wenn der Lehrer sich von der Absicht leiten lässt, die Schüler im Hinblick auf ihre einstige Stellung in der Familie, in der bürgerlichen und der staatlichen Gemeinschaft zu belehren und zu erziehen, so: findet er in dem festgesetzten Lehr- stoff der Bürgerschule genügende * Anknüpfungspunkte, vorwiegend aber ım Geschichtsunterricht, wo es ihm nicht schwer wird, durch Gegenüberstellung einstiger Verhältnisse und der gegenwärtigen diese zu beleuchten; auch der Leseunterricht gibt viel Stoff. Eine Menge Erzählungen lassen den Grundsatz klar machen, dass die allgemeinen Moralsätze von der Treue, der Redlichkeit, der Arbeitsamkeit, der Spar- samkeit, der Hingabe des Einzelnen an die Gesammtheit im bürger- lichen und staatlichen Leben volle Anwendung haben, wie Übervor- theilung und Unredlichkeit im Geschäftsleben nur kurze Zeit vorhalten . können, wie Wahrheitsliebe dem Staate gegenüber ebenso nothwendig ist, wie sie es ım Privatleben ist. Im Aufsatzunterricht werden Ge- schäftsaufsätze und Eingaben behandelt. Da gibt es reichlich (selegen- heit, über den geschäftlichen Verkehr zu sprechen, wie der Staat dem Einzelnen gegenüber Übelwollenden seinen mächtigen Arm leiht, so bei Zahlungsunwilligkeit, bei Bewucherung u. s. w.; bei den Eingaben können die verschiedenen Gewerbebehörden, die Organisation der Gewerbe freie, handwerksmäßige und concessionierte -— u.s. w. behandelt werden.

Nicht minder gibt der Rechenunterricht viele Anknüpfungspunkte, gewisse volkswirtschaftliche Fragen zu behandeln; so die Interessen- rechnungen über die Capitalspflege, die Postsparcassen, das Versiche- rungswesen, die Altersversorgung u. s. w. (Siehe Mo£niks Rechen- buch, bearbeitet von Reinelt, eintheilige Ausgabe, Seite 167 ff.). Der Unterricht in Geographie, ın Naturgeschichte und Naturlehre ist gleichfalls in den Dienst dieser Belehrungen zu stellen; nur muss der

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Lehrer den Gegenstand dementsprechend behandeln, und thut er dies, so wird er gewiss der Forderung, »die Schule soll für das Leben vor- bereiten«, gerecht werden, und diese Forderung stellen doch unsere Lehrpläne schon im Titel auf, z. B. die Lehrpläne für Bürgerschulen mit gewerblicher Richtung.

Zum Schlusse gestatten Sie mir noch, an einzelnen Beispielen den obigen Gedanken auszuführen. Nehmen wir z. B. die Gesetzgebung Spartas (Unterrichtsstoff der ı. Bürgerschulclasse): Jeder ist Krieger, der Staat übernimmt die Erziehung der männlichen Jugend vom 7. Lebensjahr an, der ganze Boden ist in fast gleiche Theile getheilt, Geld wird aus Eisen gemacht u. s. w. Alle diese Thatsachen geben schon auf dieser Stufe die Möglichkeit, einen Vergleich derselben mit unseren gegenwärtigen Verhältnissen anzustellen. Dort ist der Voll- bürger nur Krieger; bei uns betreibt er einen besonderen Beruf und wird nur zeitweilig für den Heeresdienst berufen. Auch unser Staat sorgt für die Erziehung der Jug&nd durch Gründung von Schulen, Überwachung des Unterrichtes u. s. w., aber dabei besteht die häusliche Erziehung, die freie Wahl des Berufes, die Möglichkeit, dass jeder nach seinen Neigungen und nach seinen Fähigkeiten einen Beruf wähle. Dort herrscht Beschränkung im Gütererwerb, bei uns gilt die freie Bethätigung. Der Eintheilung des Volkes in Vollbürger, Periöken und Heloten stellen wir den Satz gegenüber: »Vor dem Gesetze sind alle Bürger gleich.«e Auch einen Vergleich der Könige, des Rathes der Alten und der Volksversammlung mit dem Kaiser, seinen Ministern und dem Reichsrath erfassen, ja finden die Schüler stets selbst. Die Unterschiede werden von ihnen leicht begriffen, so die beschränkte Macht der Könige als Kriegsherren, auch der Unterschied, dass die spartanische Volksversammlung nur das Abstimmungs-, nicht aber das Antrags- und Debattenrecht besaß, während unsere Abgeordneten ihr Rederecht in großem Stil benützen. Ferner verstehen die Kinder sehr wohl den Unterschied zwischen der staatlichen Erziehung in Sparta und unserer Erziehung. Bei der Besprechung der Solonischen Gesetzgebung tritt als ein besonderes Moment das Princip der Interessen- vertretung auf, wie dies noch in unserer Gemeindewahlordnung erscheint. Wertvolle Ausgangspunkte gibt die Besprechung der staatlichen und der volkswirtschaftlichen Verhältnisse im alten Rom, ferner im Mittelalter. Dazu geben alle in Gebrauch stehenden Lese- bücher entsprechende Ergänzungsstoffe. Ich wähle für meine weiteren Anführungen das Lesebuch von Mair.

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Wenn in der 2. Classe das Mittelalter besprochen wird, ergibt sich eine Fülle von Stoffen zur Besprechung der staatlichen Einrich- tungen für Handel und Gewerbe (Leopold VII), z. B. die Einsetzung eines Magistrates, die öffentlichen Wege, das Stapelrecht, die Mauten und Zölle, die Anlegung von Handelsstraßen. Ein Vergleich all dieser Einrichtungen mit den gegenwärtigen interessiert die Kinder, und sie bringen dabei schon manche eigene Erfahrung mit. Das Fehmgericht führt zur Besprechung der Rechtspflege; das Lehenswesen, das Hörig- keitsverhältnis gibt Anlass, über die persönliche Freiheit und über Freizügigkeit zu sprechen. Die Capitel über Marie T'heresiens und Josefs II. Zeitalter mit den vielen Reformen lassen sich vielfach aus- nützen; es schadet gewiss nichts, wenn darüber auch einige Schlachten des 7-jährigen Krieges weniger genannt werden. Hiezu bietet das Lese- buch entsprechenden Ergänzungsstoff in den nachgenannten Lese- stücken: »Die Gremeinde«, »Die Heimat«, »Rechte der Staatsbürger« ; insbesondere für die volkswirtschaftliche Belehrung: »Vom Capital,« »Von den Zinsen«, »Die Postsparcassen«, »Gesetzliche Fürsorge für erkrankte und verunglückte Arbeiter«, »Die Elbeschiffahrt«, »Die Arlbergbahn«, »Die Erzeugung der Eisenwaren in Oberösterreich.«

Die Hauptaufgabe fällt der 3. Classe zu wie dies auch der Lehrplan andeutet sie soll eine Zusammenfassung der in den frü- heren Classen erworbenen Begriffe geben. Leider wird unsere Bürger- schule von den meisten Knaben nicht wegen Aneignung des Lehr- stoffes, sondern wegen Erfüllung der Schulpflicht besucht, deshalb hat sie den seltenen Vorzug, dass der Schüler nicht dann austritt, wenn er sich den Lehrstoff angeeignet, sondern wenn er eine bestimmte Alters- grenze erreicht hat.

Die 3. Classe gibt im Geschichtsunterricht mit der Hervorhebung der neuesten Zeit reichen Anlass zur Besprechung staatlicher Ein- richtungen, ferner der Rechte des Staatsbürgers, denen aber auch immer wieder Pflichten gegenüberstehen. Der Geographieunterricht mit der fast ausschließlichen Behandlung der österr.-ung. Mon- archie lässt den Lehrer die politische Organisation des Staates, des Kronlandes und der Gemeinde, Handel, Gewerbe und Industrie leicht erklären, dazu kommt der Ergänzungsstoff aus dem Lesebuch ; so finden sich im Mair’schen Lesebuch die Aufsätze: »Vom Staate«, »Pflichten der Staatsbürger«, »Vom Sparen.« Der Rechenunterricht, in dem vorwiegend gewerbliche Rechnungsarten und die einfache Buchhaltung gepflegt werden, gibt wieder Gelegenheit, auf wirtschaft-

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liche Verhältnisse hinzuweisen; ein Gleiches gilt auch von der Natur- kunde, der Naturgeschichte und der Geographie, von der ja geradezu gefordert wird, dass sie die industriellen und kaufmännischen Bezie- hungen zu den anderen Staaten besonders berücksichtige. Ähnlich ver- hält es sich auch mit den Geschäftsaufsätzen. Bei diesen Bespre- chungen mögen aber Beziehungen der einzelnen Fälle auf das Straf- recht vermieden werden. Mir kam ein Lehrbüchlein dieser Art in die Hand, in dem sogar das Strafausmaß bei den einzelnen Verbrechen nebst den Milderungsgründen angeführt wurde. Für das Kind muss es genügen, das Gefühl zu haben, eine Handlung sei unrecht und deshalb verwerflich. Belehrungen über solche Fälle, wie überhaupt die Vertiefung in die ganze Materie, muss der Fortbildungsschule und den Volksbildungsbestrebungen überlassen bleiben.

Ich glaube daher sagen zu dürfen, dass schon der gegenwärtig bestehende Lehrplan uns eine Fülle von Stoffen bietet, durch die wir die Schüler für das politische und das wirtschaftliche Leben vorbereiten können, wenn wir diese Stoffe nur im Hinblick auf den bestimmten Zweck behandeln. Eine Gefahr für den Lehrer aber birgt die Behand- lung dieser Stoffe meines Erachtens nicht, wenn er sich stricte an das Bestehende hält und von diesem alles nur in dem Ausmaße den Schülern gibt, in dem sie es erfassen können.

Schließlich erlaube ich mir der geehrten Versammlung die folgenden

Sätze zur Berathung und Beschlussfassung vorzulegen *):

I. Die Forderung des Lehrplanes der Bürgerschule, den Schülern die Grundzüge der österr, Verfassung klarzulegen und sie hiebei insbesondere über die Pflichten und Rechte der Staatsbürger zu belehren, kann im Rahmen des gegenwärtig bestehenden Lehrplanes erfüllt werden. Die Einführung einer besonderen »Bürgerkunde« oder »Gesetzeskunde« auf dieser Stufe ist nicht zu empfehlen, da den Schülern die Vor- bedingung für eine rein theoretische Auffassung der betreffenden Begriffe fehlt. Es sollen aber auf dieser Unterrichtsstufe alle diejenigen Elemente des Unterrichtes, die sich in eine Beziehung zu dem politischen oder wirtschaftlichen Leben setzen lassen, mit Rücksicht hierauf behandelt werden.

2. Eine Menge Anknüpfungspunkte nach dieser Richtung bietet der Geschichts- unterricht, der in jeder Classe und bei Besprechung jedes Zeitabschnittes durch Ver- gleichung der früheren Zustände und Einrichtungen mit den gegenwärtigen sehr frucht- bringend verwertet werden kann.

Vielfache Anknüpfungen bietet auch der Unterricht in der Geographie, dann der Aufsatz-, Rechen- und Realunterricht. Eine entsprechende Ergänzung zu diesen Be-

*, Da die vorgelegten Thesen im Laufe der Debatte mehr formelle als inhaltliche Änderungen erfuhren, so werden dieselben in dem von der Plenarversammlung ge- nehmigten Wortlaute abgedruckt. D. R.

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lehrungen gibt der Leseunterricht durch Behandlung der einschlägigen Lesestücke deshalb muss aber die Forderung gestellt werden, dass in unsere Lesebücher noch mehr Lesestücke aufgenommen werden, welche die politischen und volkswirtschaftlichen Ein- richtungen der Gegenwart in einfacher und den heutigen Fortschritten auf diesen Gebieten entsprechender Weise behandeln.

3. Im Unterricht hat sich der Lehrer stets vor Augen zu halten, dass er nur Feststehendes und dieses nur insoweit, als die Schüler es erfassen können, lehre, dass er aber über die bestehenden Gesetze mit den Kindern nicht wie mit Erwachsenen raisonnieren dürfe.

4. Es kann nicht Aufgabe der Volks- und Bürgerschule sein, ein volles Ver- ständnis politischer und volkswirtschaftlicher Verhältnisse zu vermitteln, sondern sie “muss sich darauf beschränken, das Verständnis hiefür anzubahnen; die diesbezügliche gründliche Belehrung soll einerseits eine Aufgabe der Fortbildungsschulen bilden und muss andererseits als ein ausgiebig zu pflegendes Moment der allgemeinen Volksbildungs- bestrebungen diesen selber überlassen bleiben.

5. Als eine wesentliche Forderung muss aufgestellt werden, dass die Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten die staatlichen und volkswirtschaftlichen Einrichtungen so eingehend behandeln, dass die Lehramtszöglinge in genügendem Ausmaße mit dem be- züglichen Stoffe vertraut gemacht werden. Ebenso erscheint es wichtig, dass Werke über Volkswirtschaft in die Bezirkslehrerbibliotheken eingestellt werden.

Aus der Debatte.

V. Zwilling: Der von Herrn Frank im Jahre 1895 gehaltene Vortrag behan- delte die Frage nicht als Schulgegenstand, sondern als eine der wichtigsten Grund- bedingungen für die Entwicklung eines Staatsbürgers, und er wies den Unterricht in diesem Gegenstande der Fortbildungsschule zu. Herr Bruhns hat die Sache entschiedener angefasst, er beschränkt sich auf den engeren Rahmen der Volks- und Bürgerschule. Jeder Fachlehrer kann den vom Referenten angeregten Stoff durchnehmen, wenn ihm die Zeit dazu geboten ist. Nun fragt es sich: Welche Theile davon kommen dem Fach- lehrer der ersten Gruppe, welche dem der zweiten und dritten Gruppe zu? Wird sich ' ein Zusammenhang dieser Stoffe bei den einzelnen Fachlehrern ermöglichen lassen, so dass die Kinder ein organisch gegliedertes Wissen bekommen? Wenn nun der Lehrer trotz aller Mühe, Plage und Beschränkung auf das Nothwendigste kaum mit dem alten Lehrstoffe fertig wird, wird es noch schwieriger sein, die vom Referenten dargestellten neuen Stoffe innerhalb des gegebenen Lehrplanes zu entwickeln. Diese Frage wurde noch zu wenig behandelt, und bleibt dann der Gegenstand ausschließlich dem reinen Ermessen jedes Einzelnen überlassen, so dürfte der erhoffte Erfolg infolge der unsicheren stofflichen Vertheilung wohl ausbleiben. Als Gegenstück stünde dem gegenüber die Durchführung des in Rede stehenden Themas als selbständiger Gegenstand. Die » Wiener pädagogische Gesellschaft« hat sich einst dagegen ausgesprochen (siehe »l’ädagogisches Jahrbuch 1887«); man hielt die Sache für zu abstract. Abstract mögen unseren Kindern die meisten Lehrstoffe sein; aber die Geschichte der Ägypter, Griechen, Perser ist ihnen viel abstracter, als wenn man die Schüler ins praktische Leben schauen lässt, wenn man die Rechtsverhältnisse an praktischen Beispielen veranschaulicht. Meine Erfahrung

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sagt mir, dass die Einführung dieses Gegenstandes als Schulgegenstand ganz gut mög- lich ist; dagegen habe ich keine Gewähr dafür, dass die Einheitlichkeit dieses in alle Unterrichtsgegenstände eingeschobenen Unterrichtes so gewahrt bleibt, dass wirklich Ersprießliches geleistet werde. In jedem Falle aber soll zum Schlusse der Schulbildung eine Resumierung vorgenommen werden, damit doch einigermaßen ein einheitlicher Standpunkt gewahrt werden könne.

D. Simon: Wir werden nur dann die Zeit zur Durchführung des Gegenstandes in der Schule haben, wenn wir keinen neuen Unterrichtsgegenstand einführen; die Zahl der Gegenstände ist ohnehin groß genug, die Menge derselben erzeugt jene Zerklüftung, jene Zerspaltung der Zeit und Kraft, jene Verflachung, die wir alle beklagen. Wenn uns mehr Freiheit gewährt würde, wenn der Lehrplan nicht so detailliert wäre, und wenn die Handhabung des Aufsichtsrechtes in einer Weise geübt würde, welche mehr den Geist und weniger die Form im Auge hat, würde mehr erreicht werden können. Wann soll der Unterricht in der Verfassungs- oder Gesetzeskunde beginnen? In der ersten Volksschulclasse, sage ich. Damit die Schüler die Dinge, die ihnen beigebracht werden sollen, erfassen, muss das Interesse für dieselben erweckt werden. Es muss ihnen zum Bewusstsein gebracht werden, dass sie einst active Bürger in dem Rechts- staate zu sein haben; ihr Rechtsbewusstsein muss erregt werden. Dass wir dies in der ersten Volksschulclasse anfangen können, wird kein Pädagoge in Abrede stellen. Ver- fassungslehre ist mir ein unsympathisches Wort, weil da und dort auch in der Mittel- schule »Verfassungskunde« gelehrt wird, welche darin besteht, dass der Schüler die Namen sämmtlicher Vertretungskörper, deren es in unserem Vaterlande eine so beträcht- liche Anzahl gibt, und deren genaue Mitgliederzahl, dann die Namen der Ministerien kennen lernt. Was all diese Institutionen bedeuten, das wird oft als Nebensache behan- delt; wenn einer das später genauer weiß, verdankt er es nicht- der Schule. Ich habe in einem früheren Vortrage (Pädag. Jahrb. 1883) ausgeführt, dass die Frage der Ver- fassung nur verständlich gemacht werden kann, wenn der ganze Geschichtsunterricht darnach eingerichtet wird. Heute nun meine ich aber, dass der Unterricht über die Verfassung sich nicht auf die Oberclassen beschränken darf, sondern dass schon in den Volksschulclassen und insbesondere in der Bürgerschule jeder Lehrer verpflichtet ist, die vaterländischen Gesetze und Einrichtungen allgemein verständlich zu erläutern. Was ‚aber zur »Verfassung« gehört, muss der Lehrer wissen, und darum ist es nothwendig, dass die Lehrerbildungsanstalten diesem Fache ihre Aufmerksamkeit weit mehr zuwenden als bisher. Auch unsere Verkehrsverhältnisse, Eisenbahnen u. s. w. sind ein Stück Verfassung. Wenn wir in das Gemüth der Jugend das Bedürfnis legen, dass die obrig- keitlichen Verfügungen nicht nur auf dem Papiere stehen dürfen, dass sie in Wirklich- keit umgesetzt werden müssen, dann haben wir ein Stück Verfassung geleistet. Dasselbe gilt von der Steuerfrage. Aber gerade das Zusammenpressen dieses Stoffes in ein Buch oder in eine Schulstunde würde dem angestrebten Ziele zuwiderlaufen. Das Gedächtnis würde sich wohl den Stoff aneignen, wie so vieles andere, Jahreszahlen u. dgl.; allein der praktische Stoff-soll in Fleisch und Blut übergehen, der Blick werde geschärft zur Erkennung der thatsächlichen Verhältnisse, und bei jeder Gelegenheit und in jedem Unterrichtsgegenstande soll das Rechtsbewusstsein der Schüler geweckt werden, Redner stellt folgenden Abänderungsantrag zum zweiten Theil der zweiten These: »Als Grundlage und Ausgangspunkt dient die Geschichte durch Hervorhebung der Verfassungs- verhältnisse, sowie durch Vergleichung der Zustände und Ereignisse der verschiedenen Zeitabschnitte untereinander, insbesondere mit den gegenwärtigen heimischen Verhält-

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nissen. Aber auch jeder andere Lehrgegenstand soll dem Verständnisse der staatlichen Zustände dienstbar gemacht werden; so die Geographie für die Bedeutung der Eisen- bahnen und Wasserstraßen, die Naturgeschichte für das Thierschutz-, Forst- und Berg- gesetz, der Rechenunterricht für die Belehrung über Währung, Banken, Rente und Wüucher u, s. w.«

S. Kraus: Der Grund, warum wir in dieser Frage noch so im Unklaren sind, liegt einerseits in unserem ganzen Öffentlichen Leben, andererseits in unseren tendenziös abgefassten Lehrbüchern, in welchen noch ganz und gar der Geist der »Politischen Schulverfassung« steckt. Wenn die Betonung der Staatsgrundgesetze zu einem Conflicte mit den Schulbehörden führen kann, darf es nicht wundernehmen, dass auch die appro- bierten Lehrbücher nicht immer im Einklang mit den Staatsgrundgesetzen stehen. (Vgl. das Lesestück »Herzog Ingos Mahl«, das direct eine Verletzung der Duldsamkeit genannt werden kann.) Ohne irgendwie politisch werden zu wollen, muss ich drei Grundgedanken besprechen, welche die ganzen Lesebücher in Österreich durchziehen und ohne Ein- schränkung den Kindern als Wahrheiten mitgegeben werden: »Das Handwerk hat einen goldenen Boden,« »Fleiß bringt Brot«s und das Predigen der »Genügsamkeit«. Es gibt noch Handwerke, welche den alten Satz rechtfertigen, z. B. das Kunsthandwerk, allein es ist verkehrt, den Spruch an dem Lesestück »Der Nagelschmied« zu erläutern, bei welchem man nothwendigerweise die Kinder auf die rasche Maschinenarbeit auf- merksam machen muss. Unsere Handwerker besitzen gewiss Strebsamkeit und Gewissen- haftigkeit, aber trotz fleißiger Arbeit hungern ihre Kinder, denen der Spruch »Fleiß bringt Brot« wohl nicht recht glaublich erscheinen wird, da sie ja ihre Eltern immer fleißig arbeiten sehen. Wenn ich dies ausspreche, bin ich weit entfernt, Faulheit zu predigen; aber ich muss betonen, dass diese innere Unwahrheit, die unsere Lesebücher durchzieht, schuld daran ist, dass die Kinder auch gegen andere Dinge, welche die Schule lehrt, ein gewisses Misstrauen hegen. Hauptforderung jedes Pädagogen sollte es sein, dass der Inhalt unserer Lesebücher, überhaupt jeder Unterricht und ganz besonders der Geschichtsunterricht auf Wahrheit beruhe und jede tendenziöse Darstellung der Lebens- verhältnisse von vorneherein ausschließe. Ich muss mich auch gegen den Satz in den Thesen aussprechen, »dass nur Feststehendes gelehrt werde«; denn in der Natur wie im Leben gibt es nichts Feststehendes, und die neue Generation ist berufen, an der Entwicklung und dem weiteren Ausbau der bestehenden Gesetze mitzuwirken. Dafür hätte ich gewünscht, dass die Forderung bezüglich der Lehrerbildungsanstalten mehr hervorgehoben worden wäre; letztere sollten für ihre Zöglinge im letzten Jahrgange eine eigene Lehrstunde für Volkswirtschaftslehre und Staatsverfassung bestimmen, und überhaupt sollten die Bestrebungen der Lehrer, ihre volkswirtschaftliche Bildung zu vertiefen, eine möglichst weitgehende Förderung erhalten. Die jungen Lehrer wüssten aus den genannten Disciplinen nichts, wenn sie sich nicht selbst auf diesem Gebiete umgeschen hätten. Redner stellt schließlich folgenden Abänderungsantrag zum Schluss- satze der zweiten These: »Soll der vorhin genannten Forderung des Lehrplanes in vollem Maße entsprochen werden, so müssen unsere Lehrbücher einer gründlichen Reform unterzogen werden, die nicht nur Raum zu einer intensiven Betonung der culturellen Entwicklung der Menschheit schafft, sondern auch den Inhalt der Bücher in Einklang mit dem heutigen Fortschritte unserer volkswirtschaftlichen Erkenntnis bringt.«

M. Binstorfer: In der Schule ist nicht bloß von der Verfassung und deren Gesetzen die Rede, sondern es sollen auch die volkswirtschaftlichen Verhältnisse und Einrichtungen in den Kreis der Betrachtung gezogen werden. Dass es nun auch Gesetze

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im wirtsehaftlichen Leben gibt, welche die Menschheit nicht vollauf befriedigen, darf den Lehrer nicht verleiten, über diese Gesetze zu raisonnieren, denn das wäre bedenk- lich. Wenn er anfängt, die Frage sich vorzulegen, ob denn dieses Elend sein müsse, beginnt er über diese Gesetze zu raisonnieren, und das ist verderblich, das erkläre ich rundweg. Der Herr Vorredner hat auf die Lehr- und Lesebücher hingewiesen und gesagt, wenn wir die Forderungen, die in den vorgeschlagenen Thesen enthalten sind, durch- führen wollen, müsste der ganze Unterricht verändert werden. Er hat von drei sogenannten allgemeinen Wahrheiten gesprochen und gefragt, ob es zu verantworten sei, dass man hungernden Kindern, die sehr arbeitsame Eltern haben, sagt: »Fleiß bringt Brot, Faul- heit Noth!« Ich gestehe, wenn wir uns über diese Dinge einlassen wollten, würden wir etwas zu weit kommen; ein unmittelbarer Zusammenhang dieses Gegenstandes mit dem Thema ist wohl nicht vorhanden. Von einem anderen Herrn Vorredner wurde gesagt, er sei mit den Thesen im allgemeinen einverstanden, aber darin nicht, dass die Gesetzeskunde oder Verfassungslehre, oder wie immer es genannt werden mag, noch immer kein selb- ständiger Gegenstand an der Schule werden soll. Und zwar meint er, wenn dieser Gegenstand, beziehungsweise das, was darin gelehrt werden soll, so zersplittert im Unterrichte vorkomme, wenn der Gegenstand ein Zufallsgegenstand werde, sei gar keine Gewähr dafür geboten, dass die Kinder wirklich dadurch in ihrer Bildung gefördert werden. Die Sache als Zufallsgegenstand und als selbständiger Gegenstand ständen sich gegenüber. Ich glaube, es gäbe etwas, was die beiden Dinge vereinigen könnte: wenn nämlich auf dem bisher betretenen Wege fortgefahren würde. In den heutigen Thesen sagt der Herr Vortragende nicht mehr, wie im Jahre 1882, »in den hiezu geeigneten Unterrichtsstunden« unter Anführung des Geschichtsunterrichtes als einzigen Beispiels hiefür; jetzt zählt er schon eine ganze Reihe solcher Gegenstände auf, und wir würden so nach und nach eine Reihe dankenswerter Fingerzeige bekommen, die wir dann alle verwerten könnten. Ich habe mir die verschiedenen Vorträge angesehen, die in der »Pädagogischen Gesellschaft« über dieses Thema gehalten wurden, um zu sehen, ob ein Fortschritt in der Auffassung zu verzeichnen wäre, Diese Frage muss ich entschieden bejahen. Herr Frank hat nur die Verfassung im Auge gehabt. Allerdings weist er darauf hin, dass jede politische Frage auch eine volkswirtschaftliche Seite habe. In den Thesen, die Herr College Bruhns im Jahre 1882 aufgestellt hat, ist die ungeheure Verwertbarkeit des Stoffes nicht so, wie es in seinem letzten Vortrag geschah, dargelegt worden. Es ist ein Verdienst unseres Mitgliedes Herrn Simon, dass er in seinem Vor- trage vom Jahre 1883 in geradezu meisterhafter Weise die Verwertbarkeit des cultur- geschichtlichen Theiles des Geschichtsunterrichtes für das Verständnis der Verfassungs- einrichtungen klargelegt hat. Ich will gewiss kein Anwalt der Bücher sein, aber Herr Kraus scheint sie schlechter zu machen, als sie sind. Herr Bruhns verlangt in seinen Thesen mit Recht, dass die für die Behandlung politischer und wirtschaftlicher Verhältnisse geeigneten Lesestücke entsprechend vermehrt werden sollen, und ich sage, dass in den Lesebüchern von Mair, von Reinelt u. a. eine ganze Reihe ausgezeich- neter Stücke enthalten sind. Es ist schon darauf hingewiesen worden, und ich befinde mich im Einklang mit dem betreffenden Vorredner, dass man nicht gut davon sprechen kann, dass etwas eingehender behandelt werden sollte, was überhaupt nicht behandelt wird. In dem Lehrplan der Lehrerinnenbildungsanstalten steht nämlich von der Verfassung, deren Grundzüge nach dem Lehrplane in der Bürgerschule zu lehren sind, nicht ein Sterbenswörtchen. Ich bin über die Thesen des Herrn Bruhns sehr erfreut und

begrüße sie als großen Fortschritt.

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Referent Bruhns: Ich glaube nicht, dass die Beibringung der Moral »Fleiß bringt Brot, Faulheit Noth!« ein Unrecht ist, selbst wenn man hungernde Kinder braver Eltern in der Classe hat, Handwerk hat nicht immer einen goldenen Boden, das ist richtig, aber es hat ihn gehabt, und niemand wird dem Lehrer verwehren, dies aus- zusprechen. Ich möchte nicht behaupten, dass in gar keiner Lehrerbildungsanstalt Ver- fassungskunde genommen wird, es muss also bedingt ausgesprochen werden, mehr als bisher auf den Gegenstand einzugehen. Ganz entschieden erkläre ich mich gegen den Wunsch nach einem selbständigen Gegenstand. Es darf nicht zu vielerlei gelehrt werden; das einigende Band für die verschiedenen Unterrichtsgegenstände findet man in dem zu behandelnden neuen Stofle. Er betrifft Verhältnisse, die unser ganzes Leben durch- ziehen. Soll doch der ganze Unterricht darauf gerichtet sein, das Kind für das Leben, für die Praxis vorzubereiten! So lernt das Kind eine Pflanze nicht deshalb kennen, um ihre einzelnen Theile aufzuzählen, sondern dass es die Entwicklung derselben und ihren Wert für den Menschen ersehen könne. Damit geht man schon auf das volks- wirtschaftliche Gebiet über. Das Herausreißen aber, das Hinstellen des Gegenstandes als einzelne Disciplin wäre vollends verfehlt; vielmehr müssen alle anderen Unterrichts- gegenstände gewissermaßen das Material abgeben zur Heranbildung der Gedankenreihen, die wir brauchen, um den Menschen einst in das praktische Leben hinausstellen zu können.

In der Specialdebatte brachten namentlich die vorgenannten Redner bestimmte Anträge oder Erläuterungen zu den einzelnen Thesen, so Dir. Binstorfer eine Reihe von »formellen« Abänderungsanträgen; die meisten derselben wurden vom Referenten gebilligt und von der Versammlung angenommen. S. Kuhner unterstützte ins- besondere These 2 durch Anführung von Beispielen für einzelne Unterrichtsgegenstände, J-. Krapfenbauer stellte der durch Vortrag und Debatte gekennzeichneten Auffassung die französische Einrichtung des » Moralunterrichtes« gegenüber. Als Endergebnis erscheint die Annahme der Thesen des Vortragenden mit dem auf S. 74 gegebenen Wortlaute, woraus zugleich ersichtlich ist, in welchem Umfange die aus der Debatte hervorgegangenen Anregungen die Zustimmung der Versammlung gefunden haben.

v1.

Über Herstellung und Nutzbarmachung entomologischer' Sammlungen.

Vorgetragen und demonstriert am 5. Jänner Igos von MORIZ BAUMANN.

Am heutigen Abende gestatte ich mir, die Aufmerksamkeit der geehrten Gesellschaft auf ein kleines Stück naturwissenschaftlicher Arbeit, auf das entomologische Sammelwesen zu lenken. Von vielen wegen der Kleinheit ihres Leibes verachtet, regen gerade die Insecten durch ihren Arten- und Formenreichthum, durch die geheimnisvolle Verwandlung und die interessante Lebensweise zum besonderen Studium an. Das entomologische Sammelwesen nimmt daher auch allenthalben einen erfreulichen Aufschwung 'und ist gegenwärtig schon auf einer hohen Stufe der Entwicklung angelangt. Es ist nicht möglich, in einem kurzen Vortrage den gesammten interessanten Stoff einer ent- sprechenden Behandlung zu unterziehen. Deshalb soll heute nur das Sammeln der Käfer, also jener Insecten, welche am häufigsten gesam- melt werden, besprochen werden. Es soll zunächst ein Bild der Thätig- keit des Käfersammlers gegeben und hierauf über die Nutzbarmachung entomologischer Excursionen und Sammlungen für die Schule ge- sprochen werden.

Will der Sammler günstige Resultate erzielen, so muss er sich für jede Excursion, die er unternimmt, einen bestimmten Plan zurecht- legen, von dem er ohne zwingende Gründe nicht abgehen soll. Der Anfänger wird von seinem Aufenthaltsorte womöglich zu jeder Tages- und Jahreszeit Ausflüge unternehmen, um einen Einblick in die Ergiebig- keitsverhältnisse und in die Art der Ausbeute zu erlangen. Hat man einen guten l’angplatz gefunden, so beute man ihn ordentlich aus; man erzielt dadurch bessere Erfolge als durch die Ausdehnung der Excursion aufs Grerathewohl. Ein besonderes Glück für den Anfänger ist es, wenn er seine Ausflüge in (Gresellschaft eines erfahrenen Samm- lers machen kann; er wird dabei auf einem einzigen Ausfluge mehr

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lernen, als wenn er allein oder mit wenig geübten Sammlern eine ganze Reihe von Ausflügen gemacht hätte. Für das Ergebnis des Sammelns ist es wichtig, dass die Excursion in zweckentsprechender Ausrüstung angetreten werde. Die Kleidung muss ein Umbherstreifen in Berg und Thal, Wald und Sumpf vertragen. Ein nothwendiger Theil der entomologischen Ausrüstung sind die Fangapparate und die zum Tödten und Transport bestimmten Behelfe. Alle Apparate sollen vollkommen zweckentsprechend und solid gearbeitet sein. (In Wien liefert ausgezeichnete Apparate Ortners Entomologisches Comptoir, XVIIL, Dittesgasse 11; daselbst illustrierte Preislisten gratis und franco.) Es ist selbstverständlich, dass der Sammler jedesmal nur jene Apparate mitnimmt, die er gerade braucht, damit er nicht durch überflüssige Belastung behindert sei.

Das Käfersieb dient zum Sammeln der im abgefallenen Laube, im Moose oder Anspülichte an Fluss- und See-Ufern sich befindlichen Käfer. Am ergiebigsten ist das Sieben im Frühjahre, solange der Boden noch feucht ist. Das erhaltene Gesiebsel füllt man in Leinensäckchen und besorgt das Auslesen der Käfer daheim auf folgende Weise: Man füllt einen etwa 4ocm langen und 8cm breiten Leinensack zur Hälfte mit Gresiebsel und bindet ihn zu. Dann legt man ihn an das sonne- beschienene Fenster, die Öffnung gegen das Licht gekehrt. Der ganze Sack, mit Ausnahme eines 5 cn breiten Stückes nächst der Öffnung, wird mit einem dicken, nassen Tuche zugedeckt. Die Käfer gehen dem Lichte nach und sammeln sich im unbedeckten Theile des Sackes an. Nach einigen Stunden untergreift man diesen Theil mit der Hand und schüttet nach dem Öffnen den Inhalt auf weißes Papier, auf dem man nun auch das kleinste Käferchen finden kann. Will man das Gesiebsel gleich am Fangplatze aussuchen, so schüttet man es auf das Sammeltuch, ein etwa ı 2? großes Tuch aus Rohleinen. Mit dem Streifsacke werden die Wiesen und niederen Pflanzen abgestreift ; die Ausbeute ist am größten im Mai, bevor Heu gemacht wird. Die gefangenen Käfer werden sofort ausgesucht oder, wenn das Davon- fliegen lebhafter Käfer zu befürchten ist, der ganze Inhalt in einen Beutel aus Wachstaffet geschüttet, in den man einige Tropfen Essig- äther gibt. Um sich der im Wasser lebenden Käfer zu bemächtigen, benützt man das Schöpfnetz. In den Klopfschirm klopft man die auf Sträuchern und Bäumen sitzenden Käfer. Die Hauptfangzeit hiefür ist die Blütezeit des Weißdorns. Die Pincette ist ein Instrument, welches der Sammler stets bei sich trägt; man fasst damit Käfer an,

Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1901. 6

an

die man mit der bloßen Hand nicht angreifen will, z. B. die im Dünger oder in Excrementen lebenden oder die blasenziehenden Käfer aus der Gattung der Meloiden. Auch die im Holze und unter der Rinde, in Stein- und Mauerritzen befindlichen Käfer sind vor dem Coleoptero- logen nicht sicher, sie werden durch den Fumigator mittels Rauch aus ihren Verstecken hervorgetrieben. Mit Hacke, Stemmeisen und Säge sucht man den tiefer im Holze lebenden Käfern und deren Larven beizukommen und ein »Schnitzer« dient zum Abheben der Rinde.

Es seien nun die wichtigsten Fangstellen und Fangmethoden in Kürze angeführt: ı. Wege und Straßen bieten Caraben, Meloiden, Dorcadien und Timarchen. 2. Excremente und Dünger bergen eine reiche Käferfauna. Man beachte besonders Thierexcremente, die sich auf weichem Boden und auf Viehweiden vorfinden. Man steche auch mit dem Stemmeisen die darunter befindliche Erde aus. Um die winzigen Trichopterixarten zu fangen, klopfe man trockenen Kuhfladen über weißem Papiere aus und fange die Thierchen mit einem Pinsel. 3. Aas. Da man solches selten antrifft, lockt man die Aaskäfer durch Aus- legen von Thierleichen herbei. Ein innen glasierter Topf wird bis zum "Rande in die Erde eingegraben, ein todter Maulwurf oder eine andere Thierleiche hineingelegt und die Topföffnung mit Dornen und Reisig zugedeckt. Sobald die Verwesung eintritt, finden sich Hunderte von Käfern ein und können mit Leichtigkeit gefangen werden. 4. Frei- liegende, von der Sonne beschienene Steine sind ein beliebter Auf- enthaltsort vieler Nachtkäfer; sie dienen ihnen gleichsam als Wärme- flaschen, unter denen ein behaglicher Tagesschlaf gehalten wird. Kleinere, auf dem berasten Boden von Viehweiden, an Weg- und Waldesrändern liegende Steine sind die besten. Blinde Trechusarten leben im Hoch- gebirge unter großen, ganz mit Rasen überwachsenen Steinen, deren Vorhandensein man bloß durch Klopfen auf den Boden mit einem Stocke erkennen kann. Solche Steine müssen mit einem Brecheisen gehoben werden. 5. Das Anspülicht an Fluss- und See-Ufern enthält, solange es unten noch feucht ist, einen ganz ungeheuren Käferreich- thum. Für die Wiener Entomologen sind die Ufer des Neusiedlersees eine reiche Fundgrube seltener Käfer. Das Anspülicht wird gesiebt. Die im Ufersande vergrabenen Heterocerus- und Dischyriusarten treibt man dadurch aus, dass man den Sand mit den Händen oder Füßen anhaltend niederdrückt, wobei die Käfer herauskommen. Die kleinen Thinobien und Thinoecien leben im feinen Sande dicht an der Wasser- grenze. Man lockt sie hervor, indem man mit der Hand Wasser auf

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den Sand plätschert. 6. Der Waldboden beherbergt unter der Wald- streu, unter Steinen und in Stumpfen hauptsächlich große Caraben. 7. Von Blüten geben die weißen, insbesondere die Schirmblumen und der Weißdorn, die größte Ausbeute. Gesammelt wird mit Streifsack und Klopfschirm. 8. Bäume und Holz. Ein sehr guter Fang wird an frischen Holzklaftern gemacht. Man sehe jedoch nicht bloß auf der Sonnen-, sondern auch auf der Schattenseite nach. Reisigbündel klopft man über dem Sammeltuche aus. An Baumstämme fliegen im heißen Sonnenscheine die Prachtkäfer an. Unter der Rinde und im Holze lebende Käfer werden ausgeräuchert. Auch der Mulm alter Bäume, der ausfließende Saft, sowie die Baumschwämme müssen untersucht werden. g. Stehendes Wasser. Man streift mit dem Schöpfnetze rasch von innen gegen das Ufer und fährt hiebei durch die Pflanzen. Viele Wasserkäfer können nicht schwimmen, sie kriechen nur an den Pflanzen herum. Man fängt sie, indem man mit einem Stocke den untergetauchten Pflanzenfilz rührt, so dass sie lose werden und hilflos auf dem Wasser schwimmen. ı1o. Auch in Gebäuden gibt es mancherlei zu sammeln. In alten Kellern (auch in Wien) findet man oft große Seltenheiten. Man ködert sie mit Knochen, Fleisch und Aas in eingegrabenen Töpfen. II. In Ameisennestern wohnen die merkwürdigen Ameisengäste. Man rafft den Ameisenhaufen rasch in einen großen Sack und siebt dann aus. I2. In den Erdlöchern des Ziesels leben Käfer, welche früher nur aus Südeuropa bekannt waren und zu den größten Seltenheiten gehören. Man sehe zuerst nach, ob sich im Sande vor dem Eingange Käfer aufhalten, hierauf greife man mit der Hand oder einem Löffel so tief als möglich ein und untersuche den herausgeschafften Sand. 13. Groß- artig ist der Fang an faulendem Grase. Man lege abgemähtes Gras an einen schattigen Ort und begieße es von Zeit zu Zeit mit Wasser, bis es zu faulen beginnt. Es sammeln sich alsbald ungeheure Käfer- massen, die man durch Sieben erhält. Einträglich ist auch das Aus- legen von feuchtem Moose an geeigneten Stellen, z. B. in Baum- höhlungen, in feuchten Waldgräben. Einige sehr seltene Arten ködert man durch Kröten. Die getödteten Kröten spießt man im Freien an Stäbe und lässt sie eintrocknen. Will man damit ködern, so legt man sie auf exponierten Stellen aus. Es stellt sich ein Fäulnisprocess ein, der sehr seltene Käfer herbeilockt. Sehr ergiebig ist auch zuweilen der Nachtfang. In schwülen Sommernächten breitet man in Gärten, frei- liegenden Höfen oder Waldwiesen ein großes weißes Tuch auf und stellt auf die Mitte desselben eine intensiv leuchtende Lichtquelle, am 6*

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besten eine Petroleum- oder Acetylenlampe. Die oft massenhaft sich einfindenden Käfer fängt man mit einem Netze oder. mit der Hand.

Hiemit wurden die hauptsächlichsten Fundorte und Fangmethoden angegeben. Der eifrige Sammler wird jedoch stets neue Fangstellen auffinden und über die Art und Weise, wıe die betreffenden Käfer zu fangen sind, bald im Klaren sein.

Die gesammelten Käfer müssen sofort betäubt oder getödtet werden, sonst beschädigen sie sich gegenseitig oder ergreifen bei günstiger Gelegenheit die Flucht. Zu diesem Zwecke bedient man sich der Sammel- oder Tödtungsgläser. Solcher Gläser gibt es mehrere Arten. Empfehlenswert sind Ortners Tödtungsgläser mit Kugel. Sie besitzen eine äußerlich selbständig zugängliche Giftkammer. Diese ist mit Baumwolle gefüllt, welche man mit Essigäther befeuchtet.

In den zur Aufnahme der Käfer bestimmten Theil des Glases gibt man Streifen von weißem Löschpapiere. Die sich entwickelnden Ätherdämpfe betäuben und tödten die Käfer, die Papierstreifen nehmen die Feuchtigkeit auf und verhindern das Aneinanderhäufen der Käfer. Das Tödten durch Essigäther ist die ausgezeichnetste Methode; die Käfer behalten ihr natürliches Aussehen und können, wenn man sie nicht gleich präparieren kann, in luftdicht schließenden Gläsern oder Blechdosen monatelang aufbewahrt werden, ohne steif zu werden. Nur die metallisch-beschuppten Rüsselkäfer tödtet man mit Chloroform, da sie durch Äther die Farbe verlieren. Für wenig heikle Arten, sowie für sehr große Käfer wird auch die Tödtung durch Spiritus angewendet.

Eine sehr wichtige Sache beim Sammeln von Käfern ist die Beobachtung ihrer Lebensweise, Hier hat der ernste Sammler Gelegen- heit, der Wissenschaft zu dienen, denn von vielen Käfern ist die Lebensweise oder deren Entwicklung gar nicht oder nur mangelhaft bekannt. Das Beobachten der Thiere ist von hervorragend bildendem Werte, regt zum Denken an und ist eine unversiegbare Quelle der Freude für den Sammler. Er wird Körperbau, Lebensweise und Lebens- verhältnisse der beobachteten Thiere in Zusammenhang zu bringen trachten und bei jedem Erfolge seiner unmittelbaren Lehrmeisterin Natur Dank und Bewunderung zollen. Er lernt ein Stück Naturwissen- schaft an der Natur selbst kennen. Es ist gewiss interessant, von der Lebensweise der Thiere zu lesen oder davon erzählen zu hören, inter- essanter und wertvoller ist aber das eigene Beobachten, das Miterleben. Der Sammler richte sein Augenmerk hauptsächlich auf folgende Beobachtungsmomente: Auf den Ort, an dem das Insect sich vorfindet;

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auf die Anpassungsfähigkeit an gegebene Verhältnisse; auf die Zeit des Erscheinens (Jahres- und Tageszeit); auf die Thätigkeiten der Käfer, z. B. Thätigkeiten, welche sie ausführen, um der Verfolgung zu entgehen; dann Bewegung, Ernährung; auf die Vorbereitungen, welche sie für ihre Nachkommenschaft treffen; auf ihr geselliges Leben; auf ihr Verhalten zu anderen Thieren und zum Menschen; auf Einflüsse, welche ihrem Sein vortheilhaft oder nachträglich sind; endlich auf Nutzen und Schaden. Da die gemachten Beobachtungen von großer Wichtigkeit sind, ist es für jeden Sammler unerlässlich, gleich von Anfang an ein Notizbuch zu führen, in welches alle Wahrnehmungen eingetragen werden.

Jeder Sammler sollte auch die Zucht der Käfer mit aller Kraft betreiben, da sich nur auf diese Weise hinreichende Kenntnis der Larven erzielen lässt. Während die entwickelten Käfer zum größten Theile bekannt sind, fehlt uns die Kenntnis der Larven von Tausenden von Arten. Hier ist also Gelegenheit geboten, neue Entdeckungen zu machen. Wer züchten will, muss vor allem bestrebt sein, die natür- lichen Verhältnisse der Larve so weit als möglich zu erhalten. Leicht zu ziehen sind die Larven von blattfressenden Käfern, z. B. von Chryso- meliden. Holzbohrerlarven gibt man in größere Gläser, die man zum Theile mit Sägespänen der betreffenden Holzart füllt und sorgt für die Feuchthaltung der Füllung. Stellt man die Gläser an einen dunklen Ort, so bohren sich die Larven nicht in die Mitte ein, sondern bleiben mehr frei, so dass man sie leicht beobachten kann. Auf diese Weise kann man sogar den Hirschkäfer züchten. Wasserkäfer züchtet man in größeren Aquarien, deren Boden man mit grobem Sande und Thon- schlamm bedeckt. Auch setze man möglichst viele Wasserpflanzen ein. Man füttert die Thiere mit Regenwürmern, Kaulquappen und ver- schiedenen Insectenlarven. Faulende Baumstrunke, dürre Äste, Rinden- stücke etc. sammelt man während des Winters und gibt sie in passend hergerichtete Holzkisten oder in Zuchtkästen aus Zink. Auch Zapfen, Blattgallen, angestochene Baumknospen soll man sammeln und in Gläsern unterbringen. Erbsen, Linsen, Eicheln, Nüsse enthalten häufig Käferlarven, welche mühelos zur Entwicklung gebracht werden können. Für den Sammler, der sich mit der Herstellung biologischer Samm- lungen befasst, ist die Zucht eine unabweisliche Nothwendigkeit, weil er auf andere Weise nicht leicht in den Besitz der gewünschten Eier, Larven und Puppen gelangen kann. So ist z. B. die Maikäferpuppe im Freien fast niemals zu bekommen; durch Zucht erhält man sie

86 jedoch ziemlich leicht, wenn man in die Erde des Zuchtkastens Kar- toffeln und andere saftige, unterirdische Pflanzenbestandtheile gibt und große Engerlinge einsetzt.

Die gesammelten Käfer sollen möglichst bald präpariert und bestimmt werden. In der Regel empfiehlt es sich jedoch, die Käfer ı—2 Tage nach dem Fange in den Gläsern zu belassen; erstens ist man dann sicher, dass alles todt ist, zweitens lassen sich viele Arten besser präparieren als unmittelbar nach der Heimkunft vom Fange. Nachdem man alles zum Präparieren Nöthige vorgerichtet hat, schüttet man die Käfer auf weißes Löschpapier und sortiert sie nach Größe und Art. Die großen werden gespießt, die kleinen geklebt. Man ver- wendet gewöhnlich schwarz lackierte Nadeln Nr. 3, 4, 5, 6. Käfer, für welche die Nadeln Nr. 3 zu stark sind, werden geklebt. Vorerst werden die Käfer gereinigt. Man legt sie einige Minuten ins Wasser und ent- fernt mit einem Pinsel alle etwa anhaftenden Fremdkörper. Das Spießen erfolgt durch die rechte Flügeldecke, nahe dem Schildchen. Die Fühler und Beine werden so gerichtet, dass sie einerseits nicht zu weit vom Leibe abstehen, um nach.dem Trocknen vor dem Abstoßen gesichert zu sein, anderseits dürfen sie aber auch nicht unmittelbar am Leibe anliegen, um das Bestimmen nicht zu behindern. Die weichen Malo& werden, um das Einschrumpfen des Hinterleibes zu verhüten, aus- gestopft. Man macht mit spitzer Schere auf der Unterseite des Hinter- leibes, ganz nahe dem Thorax, einen Querschnitt, presst die ölige Flüssigkeit aus, steckt eine passende Federspule in die gemachte Öff- nung und schiebt Baumwolle ein. Für Minutien verwendet man drei- oder viereckige Klebeplättchen aus weißem Carton, auf denen man die Käferchen, nachdem man Fühler und Beine gerichtet hat, mittelst Syndetikon oder eines anderen Klebemittels aufklebt. Man gibt einen Tropfen des Klebemittels mit einem Glasstifte auf das Klebeplättchen und hebt das Thierchen mit einem befeuchteten Pinsel darauf. An die Nadeln kommen hierauf die Fundortzettelchen und später die Namen- zettel. Wer für eine hübsch aussehende Sammlung sorgen will, muss alles ganz gleichmäßig und mit pedantischer Sorgfalt präparieren. Vor allem sehe man darauf, dass die Käfer gleich hoch stecken.

Käfer, die man nicht gleich präparieren kann oder will, gibt man in gut schließende Fläschchen zwischen gesiebte Sägespäne und befeuchtet sie mit etwas Essigäther; für kleinere Arten macht man über einem drehrunden Bleistifte Hülsen aus Papier und füllt diese abwechselnd mit Käfern und Sägespänen; außen notiert man Name und Zahl der

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darin enthaltenen Käfer. So kann man sie jahrelang aufbewahren ; will man sie präparieren, so legt man die Hülsen über Nacht auf feuchten Sand. Auch in Weingeist kann man die Käfer aufbewahren; wird derselbe trüb, so muss man ihn durch neuen ersetzen, damit die Farben der Käfer nicht leiden. Die präparierten Käfer bewahrt man provisorisch in gut schließenden Holz- oder Pappeschachteln auf, deren Boden mit weicher Stechpappe versehen ist.

Die nun folgende Arbeit des Sammlers ist das Bestimmen der Käfer. Es ist jene wichtige Arbeit des Entomologen, welche insbesondere dem Anfänger bedeutende Schwierigkeiten bereitet. Wer Fertigkeit ım Bestimmen erlangen will, muss unter allen Umständen den Bau des Käferleibes genau studieren. Am besten thut man, wenn man zuerst große Käfer, also solche, deren Theile leicht zu sehen sind, zum Studieren verwendet. Man löst die betreffenden Körpertheile, die man jedesmal genau betrachten will, mit einem scharfen Messer oder einer spitzigen Schere ab und nimmt ein mit guten Abbildungen und Be- schreibungen ausgestattetes Werk zu Hilfe; nun gebe man nicht früher nach, bis man sowohl am Object, als auch im Buche alles genau ver- steht. Sehr förderlich ist es auch, die angeschauten Körpertheile zu zeichnen. Es ist selbstverständlich, dass man solche Übungen an vielen Käfern verschiedener Arten zu machen hat; man erhält dann bald eine Übersicht über das Wesentliche und Unwesentliche, über das Gleich- bleibende und Unterscheidende. Erst wenn man hinreichende Kenntnis von der Beschaffenheit des Käferleibes erreicht hat, kann man mit Erfolg an das Bestimmen selbst schreiten. Man benöthigt dazu eine ausgezeichnete Lupe, welche speciell für entomologische Zwecke ge- arbeitet ist. Wer genauer studieren will, wird auch des Mikroskopes nicht entrathen können. Die wissenschaftlich in Betracht kommenden Bestimmungsbücher sind in Form analytischer "Tabellen gearbeitet. Für Anfänger sei empfohlen: Alex. Bau, Handbuch für Käfersammler, Magdeburg. Es ist leicht verständlich geschrieben und enthält gute Abbildungen. Ein ausgezeichnetes Buch, aber leider selten zu bekommen, ist Ludwig Redtenbachers Fauna austriaca, Wien. Das groß- artigste Werk ist aber das Buch: Die Käfer von Mitteleuropa von Ludwig Ganglbauer, Custosadjunct am naturhistorischen Museum, Wien. Von den 6 in Aussicht genommenen Bänden dieses Werkes sind bis jetzt 3 Bände erschienen. -— Die bestimmten Käfer werden bezettelt und im Käferkataloge inventarisiert. Zum Inventarisieren wähle man ein Zeichen, welches auch die Zahl der für die Sammlung be-

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stimmten Exemplare anzeigt, z. B. für ı Stück -, für 2 --, für 3 —, für 4 —, für 5 —, für 6 +. Der allgemein in Gebrauch stehende Käferkatalog betitelt sich »Catalogus Coleopterorum Europz et Cau- casi. Auctoribus Dr. L. v. Heyden, E. Reitter et ]J. Weise«, Berlin. Für die systematische Sammlung reserviert man von jeder Käferart 6 Stück, die übrigen sind Doubletten und für den Tausch bestimmt. Käfer, die man in Tausch geben will, müssen tadellos prä- pariert und richtig bestimmt sein. Man stellt zunächst eine Doubletten- liste her, welche die Namen der zu vertauschenden Käfer enthält. Die Listen werden an die Tauschfreunde versendet. Diese fertigen eine Desideratenliste an, welche Namen und Zahl der gewünschten Käfer enthält. Auf Grund derselben wird die Tauschsendung sobald als möglich zusammengestellt, die Schachteln werden mit Holzwolle in Kistchen verpackt und die Desideratenliste mit der Verrechnung bei- gelegt. Diese erfolgt auf Grundlage des Preisverzeichnisses eines größeren Händlers, z. B. E. Reitter in Paskau, Mähren. Um sich zu entschädigen, wählt man aus der Doublettenliste des Tauschfreundes. Über den Tausch wird Buch geführt.

Hat man eine genügend große Anzahl (einige Tausend) von Käfer- arten gesammelt, so schreitet man an die Aufstellung der systematischen Sammlung. Die hiefür nöthigen Kästchen sind aus Holz oder Pappe gearbeitet und mit einem Torf- oder Stechpappeboden versehen. Der Deckel muss möglichst dicht schließen. Glasdeckel sind schöner als undurchsichtige; diese aber sind vorzuziehen, wenn mit der Samm- lung viel gearbeitet wird. Was die Größe der Kästchen anbelangt, so nehme man im voraus auf die Räumlichkeit, in der dieselben unter- gebracht werden, Rücksicht. Das Innere kleidet man mit weißem Glanzpapiere aus, als Klebemittel verwendet man Kleister. Den Boden theilt man durch farbige (rothe oder grüne) Striche oder durch sehr schmale Papierstreifchen in nebeneinanderliegende Felder ein. Die Käfer werden in der Anordnung des Kataloges gesteckt. Vor jede Familie und Gattung steckt man die Familien-, bezw. Gattungsetiquetten; die Etiquetten mit dem Namen der Art werden unter dem Käfer be- festigt. Außen werden die Schachteln mit Familien- und Gattungs- zetteln versehen. Die Aufbewahrung der Sammlung an einem vor der Einwirkung des Lichtes geschützten Orte ist unerlässlich. Deshalb ist das Aufhängen der Glaskästchen im Zimmer zu Decorationszwecken absolut verwerflich. Im Aufbewahrungskasten stellt man die Käfer- kästchen übereinander oder wie die Bücher einer Bibliothek neben-

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einander. Um zerstörende Insecten fernzuhalten, gibt man in die Käst- chen Naphtalin in Hülsen von weitmaschigen Geweben. Ist der Feind aber bereits eingedrungen, so gießt man in das Kästchen ein kleines Bad von Essigäther und schließe es so gut als möglich. Nath kurzer Zeit ist alles Lebende getödtet.

Im Nachfolgenden sei die Einrichtung von Sammlungen, welche dem Schulunterrichte dienen sollen, besprochen. Diese Sammlungen sind: I. Die Normalsammlung, 2. die für die Hand der Schüler be- stimmte, und 3. die biologische Sammlung. In jeder Schule sollte eine Sammlung vorhanden sein, mit deren Hilfe sich der Lehrer auch in dem Falle, da es sich nicht gerade um ganz gemeine Insecten handelt, leicht und schnell zurechtfinden kann. Diese Sammlung soll mindestens ı80—200 Arten als Vertreter der in der Umgebung des Schulortes vorkommenden Gattungen enthalten. Sie soll auch im Vereine mit einem praktischen Bestimmungsbuche den Lehrer vor den unangenehmen Consequenzen, welchen derselbe bei sonst ausgezeichneter Vorbildung, aber unzulänglichen entomologischen Kenntnissen ausgesetzt sein kann, bewahren. Oft bringen Kinder Käfer in die Schule und bitten den Lehrer um nähere Auskunft darüber. Es wäre nun einerseits ein Fehler, die Schüler einfach zurückzuweisen, anderseits kann auch vom Lehrer nicht verlangt werden, er solle Tausende von Käferarten kennen. Steht ihm aber eine gut eingerichtete Normalsammlung zur Verfügung, so kann er durch Vergleich die meisten Käfer wenigstens so weit bestimmen, dass er dem Schüler den Gattungs-, in vielen Fällen auch den Artnamen mittheilen kann. Mittelschülern kann man ohneweiters auch den wissenschaftlichen (lateinischen) Namen nennen.

Zur Belebung des entomologischen Schulunterrichtes bedarf man einer besonderen Sammlung. Meist findet man in Schulen Schau- kästchen, denen der große Fehler anhaftet, dass sie zu viele Käfer- arten enthalten, weshalb die Aufmerksamkeit der Schüler wie durch überladene Bilder zersplittert wird. Die Kästchen sollen nur so viele Arten enthalten, als für eine oder 2 Unterrichtsstunden nöthig sind; sie müssen von den Schülern oft angeschaut werden können, und ihre Herstellung soll eine billige sein. Solche Kästchen kann man aus Cigarrenkistchen herstellen. Man zerschneidet diese der Höhe nach in zwei gleiche Theile und erhält dadurch zwei Kästchen. Der Boden wird mit Torf ausgelegt, das ganze Innere mit weißem Glanzpapiere überzogen, jeder Käfer so eingesteckt, dass er genau betrachtet werden kann, die nöthigste Beschreibung beigefügt, ein Glasdeckel aufgeleimt,

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jede Außenwand mit farbigem, glatten Papiere überzogen und der Grlas- rand mit einem hübschen Streifen geziert. Auf der Rückseite bringt man noch ein Ringlein zum Aufhängen an. Solche Kästchen kann man nach der Besprechung der betreffenden Käfer längere Zeit ım Schulzimmer hängen lassen und auch den Schülern ohne Bedenken in die Hand geben. In dieselben gibt man zunächst solche Käfer, welche in der Schule zur Behandlung kommen, ferner auch solche, denen der Schüler im Freien sehr häufig begegnet. Mit so eingerichteten Kästchen kann im Laufe der Zeit ein sehr schätzenswertes Anschauungsmaterial erworben werden, welches die Schüler zum Beobachten, Vergleichen und Denken anregt. Es ist selbstverständlich, dass der Lehrer beim Unterrichte auch eine genügende Anzahl freier Exemplare zur Ver- fügung haben muss.

Die weitaus interessantesten Sammlungen sind die biologischen. Durch die Lehrmittelhändler gelangen jetzt in die Schulen meisten- theils biologische Zusammenstellungen, welche in einem hohen Glas- cylinder die Metamorphose eines Käfers veranschaulichen. Diese Zusammenstellungen haben jedoch erhebliche Mängel an sich. Der Weingeist trübt sich bald und kann, da der Cylinder fest verschlossen ist, nicht ohne allerlei Umständlichkeiten erneuert werden. Den Schülern kann man die Gläser nicht in die Hand geben; gewöhnlich wird das Präparat beim Unterrichte, vielleicht auch noch bei der Wiederholung herumgezeigt, dann ruht es wieder monatelang im Lehrmittelzimmer ; vor allem aber sind derlei Präparate zu theuer. Der nassen Con- servierung der Eier, Larven und Puppen wird man ım allgemeinen nicht ausweichen können, dieselbe aber auch auf den entwickelten Käfer bloß aus Uniformierungsrücksichten zu übertragen, ist ein Fehler. Man gebe Eier, Larven und Puppe gesondert in passende cylindrische Gläschen, schließe sie mit einem Korke und bringe sie mit dem ent- wickelten Käfer in einem Kästchen so unter, dass sie demselben jeder- zeit leicht entnommen werden können. Trübt sich der Weingeist, so kann man ihn sofort entfernen und durch reinen ersetzen. Man kann die ganze Zusammenstellung oder auch die einzelnen Gläschen den Schülern in die Hand geben, an der Wand des Schulzimmers einige Zeit zur Besichtigung hängen lassen ; die Herstellungskosten sind unbedeutend.

Schließlich sei noch die Frage berührt, ob Schüler sammeln sollen oder nicht. Wer sich den Zweck des Sammelns vor Augen hält, wird hierauf leicht die Antwort finden. Es wäre verfehlt, alle Schüler ohne Unterschied für das Sammeln interessieren zu wollen; hat man

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jedoch auf der Oberstufe der Bürgerschule oder in der Mittelschule solche Schüler, die besondere Neigung und Geschicklichkeit dazu haben, so möge der Lehrer fördernd einwirken. Bei der Mehrzahl der Schüler wird man vollkommen damit zufrieden sein, wenn sie sich für Leben und Treiben der Insecten interessieren. Die sammelnden Schüler unter- weise der Lehrer in der Schule und lasse sie auch ab und zu an seinen Excursionen einzeln theilnehmen. Die Schüler werden belehrt, wo und wie sie zu sammeln haben. Man zeige ihnen, wie die Käfer zu tödten sind und bewahre sie insbesondere davor, dass ihr Sammeln in ein zweckloses Morden ausarte;’ der Schüler muss auch dem Thiere das Recht auf Existenz zugestehen und darf ihm ohne Grund nicht das Leben verkürzen. Man unterweise sie im Präparieren, in der Herstellung der Sammelkästchen und im Anlegen der Sammlung. Die Hauptsache ist jedoch nicht das Zusammentragen einer Unmasse von Käfern, sondern das denkende Beobachten, das Lernen eines Theiles der Natur- geschichte aus eigener Anschauung; was der Schüler beobachtet, sind ja lauter Meisterstücke der Natur. Das Sammeln muss in freier Natur betrieben werden, manche kleine Strapaze ist zu ertragen; es stärkt und erfrischt den Leib, weckt die Sinne und bildet den Verstand. Jede neue Entdeckung erweckt das Gefühl der lautersten Freude; die Liebe zur Natur erwacht und entfaltet sich; und um solche Kinder, welche den Boden der Natur nicht unter ihren Füßen verlieren, braucht uns nicht bange sein, sie werden sich jederzeit Herz und Geist für Wahr- heit und Schönheit zugänglich erhalten und alles Gemeine und Niedrige aus ihrem Wesen ausschließen.

Mit den heutigen Ausführungen, welche in Anbetracht der zur Verfügung stehenden Zeit größtentheils nur fragmentarisch gehalten werden konnten, wollte ich darthun, wie das entomologische, speciell das coleopterologische Sammelwesen betrieben werden solle, damit es für den Sammler von bildendem Werte sei und für Schule und Wissen- schaft nutzbar gemacht werden könne. Wir Pädagogen aber sind in erster Linie dazu berufen, der Jugend den Einblick in das Leben und Weben der Natur zu vermitteln, auf dass allmählich der Schleier falle, der das Auge des Ungebildeten unfähig macht, die Wahrheiten und Schönheiten der Natur zu erkennen. Das Studium der Natur, also auch jenes des Insectenlebens im besonderen, ist ein hervorragendes Mittel, die Intelligenz der Jugend zu heben, und ich schließe mit dem Wunsche, dass diesem Naturstudium immer neue Freunde erwachsen.

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Aus der Debatte. Auf die Anfrage, ob, bezw. wie man schon trockene, gut erhaltene, aber schlecht oder nicht präparierte Insecten für die Sammlunk herrichten könne, bespricht der Vortragende eingehend das Umpräparieren solcher Insecten. Man legt solche Exemplare auf feuchten Sand, um die Gelenke wieder beweglich zu machen. In manchen Fällen genügt das Befeuchten der Beine und Fühler mit Spiritus; geklebte ' Käfer löst man durch Einlegen in Wasser oder Essig von den Klebeplättchen; Köfer mit wenig empfindlichen Farben kocht man in Eprouvetten oder kleinen Blechtöpfen auf. Die aufgeweichten Thiere’' präpariert man wie frische Exemplare.

Dem Wunsche, die zerstörenden und schädlichen Einflüsse, denen eine Samm- lung ausgesetzt sein kann, dann die Mittel zur Hintanhaltung derselben näher aus- geführt zu sehen, entspricht der Vortragende, indem er zunächst als schädliche Einflüsse das directe Sonnenlicht, Staub, Rauch, Schimmelbildung und zerstörende Insecten anführt. Die Sammlung soll in dicht schließenden, mit undurchsichtigen Deckeln versehenen Kästen aufbewahrt werden. Glaskästchen dürfen nicht im Zimmer aufgehängt werden. Staub entfernt man durch Abpinseln oder mittels des Blasebalges. Um die Schimmel- bildung zu verhindern, bewahre man die Sammlung an einem trockenen Orte auf. Sich vorfindender Schimmel wird mit einem Pinsel, den man mit Benzin, Äther oder Carbol- spiritus etwas befeuchtet hat, entfernt. Der Vortragende führt weiters eine Anzahl sammlungzerstörender Insecten an, bespricht ihr Auftreten, deren Lebensweise und die Anzeichen, welche ihr Vorhandensein verrathen. Finden sie sich nur an einzelnen Käfern vor, so wird letzterer in Spiritus oder Benzin gelegt. Treten sie in größeren Mengen auf, so gieße man in das Kästchen eine ausgiebige Menge Äther und sorge für dichten Verschluss. Die Hauptsache bleibt jedoch das fleißige Nachsehen.

Die vom Vortragenden zusammengestellten, für Schulzwecke bestimmten Zeich- nungen und Mustersammlungen finden den vollen Beifall der Versammlung, und allgemein wird dem Verlangen Ausdruck gegeben, dass die Schulen mit solchen praktischen und verhältnismäßig billigen Unterrichtsbehelfen ausgestattet werden.

VII.

Aus dem pädagogischen Bereiche der Pariser Weltausstellung 1900,

Vorgetragen am 13. April 1901 von J. KRAPFENBAUER.

Um dem Vorwurfe zu begegnen, dass meine Wahrnehmungen lückenhaft seien sie sind es, und ich bitte im voraus um gütige Entschuldigung -— und um sogleich meine völlige Unbefangenheit zu erhärten, wolle bemerkt werden, dass ich die Fahrt nach Parıs als Privatmann, also ohne Auftrag und natürlich auf eigene Rechnung, unternahm. Meine Mittheilungen haben einzig den Zweck, anzuregen, durch Verbreitung von Ideen vielleicht ein Schärflein beizutragen zur Vervollkommnung unseres Schulwesens. Vorerst will ich über meine Wahrnehmungen auf der Ausstellung und in Schulen, dann über den pädagogischen Congress berichten.

Auf der Ausstellung waren in getrennten Gruppen nur zu sehen: die Mutterschule, die Handwerkerschulen, die Lehrer- und Lehrerinnen- bildungsanstalten. Aber gerade Volks- und Bürgerschule verschwammen ineinander, und letztere wieder mit den Handwerkerschulen, so dass der Fremde von der Ausstellung allein kein klares Bild des französischen Schulwesens gewinnen konnte. Diesen Eindruck hatten auch alle Wiener Delegierten, welche ich daselbst traf. Besonders schwer war es herauszubringen, für welche Altersstufe dies oder jenes gelten sollte, was doch vom pädagogischen Standpunkte sehr wichtig ist. Eine strenge Trennung nach Schulkategorien, Disciplinen und innerhalb derselben nach Altersstufen oder Classen wäre von großem Vortheil gewesen. Statt dessen hatten die Schulen geschlossen ausgestellt, als gelte es, verschiedene, sich Concurrenz machende Firmen der Beurtheilung auszusetzen. Später habe ich erkannt, dass diese Verschwommenheit der Lehrziele verschiedener Schulkategorien nicht nur eine scheinbare ist, wie ich zuerst anzunehmen geneigt war, sondern eine factische.

Die Mutterschule »L’Ecole maternelle« entspricht nicht

94 ganz unserem Kindergarten, da daselbst auch meist schon Lesen, Schreiben und Rechnen gelehrt wird, indem damit eine »Classe enfan- tine«, eine Kinderclasse, als Vorbereitung für die Elementarschule verbunden ist. In der Mutterschule der rue Camon erzählte die Lehrerin mit Stolz, dass die Kinder mit 4 Jahren schon gut lesen können. Der Stundenplan dieser Schule, u. zw. für Montag, gibt einigen Auf- schluss über das Getriebe daselbst: von g bis g!/, Uhr Inspection der Reinlichkeit, Cabinetgehen; von g'/, bis 10!,, Uhr Übungen im Lesen, Schreiben und Sprechen; von Io!, bis 10°/, Uhr Schulspiel oder Gymnastik (natürlich Freiübungen); von 10°/, bis ıı!/, Uhr Geschicht- chen, größere Erzählungen, Biographien aus der Nationalgeschichte, Reiseerlebnisse, geogr. Bemerkungen; von ıı!/, bis 1 Uhr Dejeuner (arme Kinder, deren Eltern zu Mittag nicht nach Hause kommen, können aus der Schulküche für ıo Cts. ein Dejeuner bekommen); von I bis I!, Uhr Cabinetgehen, Waschen; von ı'!/, bis ı?/, Uhr Lesen und Sprechübungen;; von I?:, bis 2!/, Uhr Rechnen; von 2'!/, bis 3 Uhr Spiel; von 3 bis 3!/;, Uhr Zeichnen oder Moralunterricht; von 3! , bis 4 Uhr Handarbeiten.

Die unterrichtliche Aufgabe der Mutterschule wird durch Decret von 1887 in Artikel 4 folgendermaßen festgesetzt: ı. Spiel und Be- wegungsübungen mit Begleitung von Gesang. 2. Leichte Handfertig- keitsübungen. 3. Die ersten Grundsätze der moralischen Erziehung. 4. Kenntnisse der gebräuchlichsten Dinge und Verhältnisse aus der nächsten Umgebung. 53. Übungen im Sprechen, Aufsagen und Erzählen. 6. Die einfachsten Elemente des Zeichnens, Lesens, Schreibens und Rechnens. -—- Die Handarbeiten ähneln nur wenig den Fröbelschen Spielen unseres Kindergartens. Das Trachten der Franzosen geht schon auf dieser Stufe darauf hinaus, etwas zu erzeugen, was man ver- wenden kann. Manche Spielsachen erzeugen sich die Kinder selbst, oder sie erzeugen Gebrauchsgegenstände für Erwachsene. Dieses früh- zeitige Hindrängen zum Erwerb zeigt sich auf allen Stufen des Unter- richtes. Man findet Rohstoffe zur Erzeugung von Spielsachen, wie Stäbchen, Spulen, Ketten, Wagenrädchen, Schachteln, Nussschalen, Muscheln, Stroh und Rohr zum Flechten, Moos, Fichtenzapfen, Bein- chen, Kieselsteine, Knöpfe, Fisolen etc. Die Mutterschule zu Bethune erzeugt Kunstblumen aus Wolle, andere Schulen machen sie aus Papier oder aus aneinandergereihten Perlen. Der Moralunterricht tritt auf dieser Stufe auf in Form von kleinen Gesprächen, angeknüpft an Vorkommnisse des Schullebens oder an kleine Erzählungen. Man kann

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das aus den Vorbereitungsheften der Lehrerinnen, »Carnets de prepa- ration,e entnehmen. Er beschränkt sich darauf, den Wunsch, Grutes zu thun, ohne Hinsicht auf Belohnung in den Kindern zu wecken. Hier findet sich auch der Hinweis auf Gott, welcher den Naschhaften durch Unwohlsein, den Ungehorsamen durch Schaden bestraft. In der ecole maternelle zu Talence bei Bordeaux sind seit 1898 Douchebäder eingeführt, welche jeden Samstag verabfolgt werden.

Die französische Mutterschule ist also etwa eine Vereinigung einer Kinderbewahranstalt mit Kindergarten und I. Classe der Volks- schule, wobei aber letztere sehr zu kurz kommt.

Die öffentlichen Volksschulen, Ecoles primaires. Die Schulbauten halten nicht leicht einen Vergleich mit unseren Schul- häusern oder gar mit den Schulpalästen der Nordschweiz aus. Ich war in einem Schulhause, wo von der Stiege links ein langer schmaler Gang sich hinzog, von welchem wieder nach links nacheinander 5 oder 6 Classenthüren sich öffneten. Die einzelnen Classen waren nur durch dünne Wände, etwa von I!/, dm. Dicke, voneinander getrennt. Auf der Ausstellung sah ich unter anderen Photographien auch eine von der Schule: Boulevard Richard Lenoir 13, an deren Außenwand längs der ganzen Front Placate angeklebt waren, aber nicht etwa behördliche Ankündigungen, sondern Vergnügungsanzeigen. Auf einer anderen Photographie (aus der Provinz: Ecole communale d’Angers) war das Innere eines Schulzimmers dargestellt, wo die nackten Ziegelwände zu sehen waren.

Unterrichtsminister Bardoux hat 1878 durch ein (Gesetz die getrennt verwaltete caisse pour la construction des &Ecoles gegründet, welche es den Gemeinden ermöglichte, dass binnen 7 Jahren, von 1878-—85, etwa 16.000 Schulhäuser gebaut und 3000 renoviert wurden. Noch heute gibt der Staat Zuschüsse zum Schulbau von 15 --- 80°/,, welche binnen 30 oder 40 Jahren zurückgezahlt werden müssen. Für Privatschulen dürfen aber laut Beschlusses des Staatsrathes vom 29. Juli 1880 weder vom Staate, noch von den Departements oder Gremeinden Subventionen gegeben werden. Von der Musterclasse, welche ausgestellt war, wären für uns die offenen Bänke nachahmens- wert, wo die Vorder- und Seitenbretter durch Eisenstangen ersetzt sind, so dass es dem Lehrer ermöglicht ist, durch einen Blick in die Bankfächer seine Schüler zu controlieren.

Die erste Stelle im Unterricht nimmt nun thatsächlich und mit Recht der Moralunterricht ein, über dessen praktische Durch-

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führung und Methode ich schon jetzt sprechen will, da der Congress, welcher auch diesem Gegenstande ein Hauptaugenmerk zugewendet hatte, sich mehr mit der Organisation und Verbesserung desselben befasste. Nach den schönen Worten des Unterrichtsministers Jules Ferry ist es die Mission der Lehrer, die wesentlichen Kenntnisse der menschlichen Moralität, welche allen Doctrinen entsprechen und allen civilisierten Menschen nothwendig sind, ın der Seele ihrer Schüler Wurzel schlagen zu lassen und sie daselbst zu befestigen für das ganze Leben, indem sie dieselben lehren und täglich ın der Praxis anwenden lassen. Der Moralunterricht ist ein directer, in der Form der Er- klärung eines Moralgrundsatzes oder eines familiären Gespräches, und ein indirecter, indem er alle Lehrgegenstände durchdringt und gelegentliche Anknüpfungspunkte sucht. Die Präparationshefte der Lehrer geben über dessen Durchführung Aufschluss. Die Form der Besprechung auf der Unterstufe ist eine familiäre Plauderei, wobei auch die Schüler Fragen stellen dürfen. Eine Fabel, Erzählung oder die Erklärung eines Bildes bildet den Ausgangspunkt. Sodann dictiert oder schreibt der Lehrer selbst 2-—-3 Sätze als Ergebnis, meist in Form eines Entschlusses, an die Tafel und lässt sie abschreiben. Dieselben sind kurz, einfach und klar. Auf der Mittel- und Ober- stufe wird meist erst die Moralvorschrift oder der Moralgrundsatz aufgeschrieben, dann erklärt und erörtert, weiter folgt eine einschlägige Lectüre, ferner das Abfragen und endlich meist eine Zusammenfassung in Form eines Entschlusses, z. B.: Ich werde ein Versprechen nur nach vorausgegangener Erwägung geben. Ich werde meine Ver- sprechungen halten, denn einem Ehrenmann ist jedes gegebene Ver- sprechen heilig.

Als Moralgrundsätze zur Behandlung für die Unterstufe finden wir angeführt: »Lieben wir einander!« »Ein braves Kind lässt keine unhöflichen Worte hören.« »Lache nicht über das Unglück des andern!« »Verlorene Zeit kehrt nie zurück.« »Iss nur, wenn du Hunger hast, trink nur, wenn du Durst hast!« Auf der Mittel- und Oberstufe: »Liebet euch, seid Brüder, der Friede und das (rlück eures Landes hängt davon ab.« »Es ist besser zu unterliegen bei gutem Recht, als zu trıiumphieren beim Unrecht.« »Es gilt Belohnungen zu verdienen, aber sie nicht zu suchen.« »Niemand hat das Recht zu tödten, um seine be- leidigte Ehre zu rächen.« --- Einen großen Raum nehmen die Beleh- rungen über die Liebe zum Vaterlande, über dessen sociale und wirt- schaftliche Einrichtungen und dessen (resetze ein.

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Zum indirecten Moralunterricht wird besonders der Aufsatz heran- gezogen, u. zw. in Themen, wie folgt: »An welchem Tage der ver- gangenen Woche waret ihr am glücklichsten, und warum?« »Welche Dienste habt ihr eueren Eltern in der vergangenen Woche geleistet Der Geschichtsunterricht wird besonders zur Bekanntmachung der Schüler mit den staatlichen Einrichtungen und Gesetzen verwendet, wobei aber eine nach unseren Begriffen überschwengliche Vaterlands- und Volksverherrlichung getrieben wird. Wesentlich unterstützen den Moralunterricht auch darauf bezügliche Bilder, welche Classenzimmer und Gänge schmücken. Ich sah Bilder, welche gegen den Alkoholismus predigen, andere, welche friedliche Familienscenen darstellen.

Es fehlt auch nicht an Übertreibungen. In der Knabenschule von Montargis hat man ein Heft eingeführt, in welches die Lehrer ihre Beobachtungen über die Schüler während der Pause eintragen. In einigen Inspectionsbezirken wurde über Wunsch der Bezirksschul- inspectoren ein Erziehungsheft, Carnet d’education, angelegt, in welchem jeder Schüler sein Folio hat und jeder Lehrer seine gelegentlichen Beobachtungen vermerkt, so dass eine ganze Schülercharakteristik entsteht,” die sich erstreckt über die Situation der Familie, die körperlichen Eigenthümlichkeiten des Schülers, über seine Neigungen, Gefühlsäußerungen, Grewohnheiten, Intelligenz, Aufmerksamkeit und Geschicklichkeit. Einige haben kleine moralische Debatten eingeführt über Thaten, die sich in der Classe ereigneten, die der Lehrer beob- achtet, oder die man ihm berichtet hat. Ein anderer hat ein »Goldenes Buch« eingeführt, worin die guten Thaten der Schüler notiert werden. Ein Schuldirector empfiehlt, den schlechten Gewohnheiten nur nach und nach zu Leibe zu rücken. Man möge trachten, während einer Woche besonders die Reinlichkeit zu beachten, während der zweiten Woche die Pünktlichkeit, dann die Höflichkeit, das Wohlwollen gegen die Kameraden etc., ohne auf die früher bereits beachteten guten Eigen- schaften zu vergessen. Ein unter allen Umständen sehr beachtenswerter Wınk. Soviel ist sicher, dass die französischen Lehrer dem Moral- unterrichte alles widmen, was sie an Intelligenz, Pflichteifer und Opfer- muth besitzen. Was dort vielleicht aus Übereifer hie und da zu viel geschieht, geschieht bei uns wieder für diesen unstreitig wichtigsten Gegenstand der Schule zu wenig. Erst dieser Unterricht, ob nur indirect oder auch direct ertheilt, macht die Schule zu einer wahrhaften Er- ziehungsanstalt. Er greift so tief in das Seelenleben ein, dass erst mit ihm und durch ihn von einer Bildung des Charakters der Schüler

Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1901. 7

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gesprochen werden kann. Auch Pestalozzi hat den Moralunterricht gepflegt in seinen Abendandachten und sonntägigen Besprechungen mit den Schülern. Darum verdienen die Bestrebungen, welche vorder- hand auf die Einführung des indirecten Unterrichtes in Morallehre, Volkswirtschafts- und (Gesetzeskunde abzielen, die wärmste Unter- stützung aller Jugendfreunde. Freilich will es mir scheinen, als ob die Sache auch eines systematischen Unterrichtes in separaten Stunden würdig wäre, schon aus dem einfachen Grunde, dass nichts Wichtiges übersehen werde. Dieser Wunsch könnte aber erst in Erfüllung gehen, wenn die schon in Hinsicht auf den Frieden so wünschenswerte Trennung von Kirche und Schule, wie es in Frankreich zum Segen der Schule seit 1882 der Fall ist, durchgeführt wäre. Dabei ist noch zu bemerken, dass es streng verboten ist, das religiöse Grefühl der Kinder durch Behandlung religiöser Fragen zu verletzen, was auch thatsächlich beachtet wird. Im Artikel 2 des Gesetzes vom 28. März 1882 heißt es: »Die öffentlichen Volksschulen werden außer dem Sonntag noch einen anderen Tag der Woche frei halten, um den Eltern Gelegenheit zu bieten, wenn sie es wünschen, ihren Kindern außerhalb der Schulgebäude religiösen Unterricht geben zu lassen.«

Bezüglich der übrigen Unterrichtsgegenstände kann ich mich nun kürzer fassen. Der Leseunterricht geschieht nach verschiedenen Methoden. Ich habe erfahren, dass in Paris mindestens zehnerlei Fibeln eingeführt seien. Die meisten haben Bilder und scheinen der Normal- wörtermethode zu dienen, andere gehen nach der Schreiblesemethode vor. Ich sah auch ein »Petit syllabaire« aus dem Jahre 1899, welches noch zum Sillabieren anleitet, mit verschiedenen Alphabeten anfängt und auf 25 Seiten nichts als unzusammenhängende Silben und Wörter bringt. Lobend wären die großen Wandfibeln zu erwähnen, auf welchen bei dem zu entwickelnden Vocal ein Kinderantlitz mit der für diesen Vocal charakteristischen Mundstellung dargestellt war.

Rechnen. Eine Photographie des Innern einer Classe zu Saint Quentin zeigte größere Schüler auf Schiefertafeln rechnend, wie sie das Resultat (eine 3-ziffrige Zahl), groß und dick auf die Rückseite ihrer Tafel aufgeschrieben, dem Lehrer, in der Bank sitzend, vorweisen, so dass dieser mit einem Blick übersehen kann, wer ein richtiges oder falsches Resultat hat. Sehr nachahmenswert! |

Bezüglich des Sprachunterrichtes will ich nur bemerken, dass viel geschrieben wird. Fast über jede Stunde wird eine kurze Zusammenfassung in einigen Sätzen aufgeschrieben. Das ist eine gute

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stilistische Übung und unterstützt wesentlich die Einprägung des Ge- lernten. Damit komme ich auf die Hefte zu sprechen. Es gibt 3 Arten für uns merkwürdige Hefte. ı. Le cahier unique, ein Heft für alles, in welches die oben erwähnten Notizen in bunter Reihenfolge ein- getragen werden. Schwierigere Rechnungen und Aufsätze lässt man auf losen Blättern ausarbeiten und nach einer allgemeinen Correctur oft erst zu Hause eintragen. 2. Le cahier de devoirs mensuels, das Heft der monatlichen Schulaufgaben. Diese Hefte werden während der Dauer der ganzen Schulzeit benützt (haben steifen Deckel), so dass man daraus die Fortschritte des Schülers von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr entnehmen kann. 3. Le cahier de roulement, ein Wander- heft. Dieses Classenheft (ebenfalls mit steifem Deckel), dessen Ein- führung aber nicht obligatorisch ist, wird an jedem Tage einem andern Schüler übergeben, der sowohl die Schulaufgaben des Tages, als auch ganz kurz das Resultat des durchgenommenen Stoffes ‘einzutragen und mit seinem Namen zu versehen hat. Man kann sich also daraus ein beiläufiges Bild des Standpunktes der Classe machen. Während ich die Einführung des Cahier unique befürworten würde, finde ich, dass die beiden letzten Hefte die darauf verwendete Zeit und Mühe nicht lohnen.

Über Geographie steht im $. ı des Gesetzes vom Jahre 1882: »particulitrement celle de la France«, also vorzugsweise jene von Frankreich. Von dieser Bestimmung kommt auch die oftgenannte Unwissenheit der Franzosen über die geographischen Verhältnisse außerhalb ihres Reiches. Aber Frankreich wird auf das eingehendste behandelt. Dabei wird wie bei uns von der engeren Heimat aus- gegangen, zum Canton, zum Departement und zum Reich geschritten, wobei sehr praktische, einfache Skizzen angefertigt werden. Die that- sächlich überflüssigen Zeichnungen des Schulzimmers und Schulhauses werden weggelassen. Stets wird auf die Productionsverhältnisse der betreffenden Gegenden großes Gewicht gelegt. Diesbezüglich sah ich einige Karten von Frankreich in Tafelgröße, auf welchen die ver- schiedenen Producte der betreffenden Landschaften in Natur oder Modell aufgeheftet waren. Man sah also: kleine Kohlenstückchen, ver- schiedene Hölzer, verschiedene Ähren, kleine Fläschchen Weiß- oder Rothwein, kleine blecherne Pferde oder Rinder, kleine Bündel Seide oder Wolle etc. Mir schienen diese Karten sehr instructiv.

In der Geschichte zeigt sich noch mehr der Chauvinismus als in der Geographie. Hier führt er geradezu zur Entstellung geschicht-

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licher Thatsachen. Ich habe auf keiner Geschichtskarte Aspern gefunden, aber Wagram war überall groß darauf verzeichnet.

In den Naturwissenschaften wird der Stoff vorwiegend nach dem Nützlichkeitsprincip ausgewählt. Unsere Naturgeschichtsbücher sind durch ihre schönen, auch die Umgebung des Objectes berück- sichtigenden Bilder den französischen mit ihren kleinen Bildern ohne Umgebung überlegen. Ihr Nützlichkeitsprincip hat sie aber auch zur Einführung des Unterrichtes über Acker- und Gartenbau, sowie über Hygiene als obligate Gegenstände geführt, was sehr anerkennenswert ist.

Im Zeichenunterrichte leisten die Franzosen wahrhaft Staunenswertes, besonders im Zeichnen nach der Natur, und zwar schon in der €cole primaire, sei sie öffentlich oder privat. Es werden gewöhnliche Gebrauchsgegenstände (genau, wie es vor einiger Zeit in der »Wiener pädagogischen Gesellschaft« propagiert wurde) von den Schülern der Oberstufe der Volksschule mit staunenswerter Naturtreue gezeichnet und coloriertt. Auch das Zeichnen nach dem Gipsmodell weist großartige Erfolge auf. Es werden auch einzelne Theile des menschlichen Körpers gezeichnet. In der Schule rue Camou stand unter anderen Modellen auch die nackte Gipsstatue eines Mannes. Die Franzosen kennen eben keine Prüderie, wenn es sich um die Kunst handelt. Auf dieser Basis des Volksschulunterrichtes können dann die Fachanstalten weiterbauen. Stipendien und zahlreiche hohe Preis- ausschreibungen reizen den Ehrgeiz der jungen Künstler, so dass es erklärlich ist, wenn heute die Franzosen in Bildhauerei und Malerei den ersten Rang einnehmen; diesen Eindruck hat man wenigstens auf der Ausstellung unbestreitbar gewinnen müssen.

Das Turnen besteht meist in Freiübungen, wobei auch theatrali- sche Stellungen nicht vermieden werden, wıe ich aus Photographien ersehen habe. Von Geräthen habe ich nur gesehen: Barren, Reck, Leitern, Stangen und Ringe. Auch militärische Exercitien sind vorgeschrieben, was aber nicht hindert, dass die französischen Soldaten weder Haltung noch Strammheit haben.

Wie der Moralunterricht die Basis bildet für die rechtschaffene Lebensführung, der hochentwickelte Zeichenunterricht aber für die Kunst, so schafft der hochentwickelte Handfertigkeitsunterricht eine solide Grundlage für die Industrie. Auf diesen drei festgebauten Grundpfeilern ruht der französische Volksschulunterricht, und sie ermöglichen die hohe Stufe, welche das französische Volk trotz aller Schicksalsschläge noch immer in Hinsicht auf Kunst und Industrie

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einnimmt, und bieten auch für seine moralische Wiedergeburt die Gewähr, denn Arbeit, Kunstsinn und Rechtschaffenheit adeln nicht nur den Einzelnen, sondern auch ein ganzes Volk. Der Handfertigkeits- unterricht soll in so vorzüglicher Organisation und solchem Umfang in keinem anderen Lande zu finden sein. Wer mehr darüber zu erfahren wünscht, sei verwiesen auf das Buch »Volks- und Fortbildungsschul- wesen Frankreichs im Jahre Igoo von Brüggemann und Groppler, Berlin,«e in welchem Werke gerade der Handfertigkeitsunterricht sehr ausführlich behandelt ist, und welchem Buche ich auch andere schätzens- werte Aufklärungen verdanke.

Wer nun vom vollendeten 6. bis zum vollendeten 13. Lebens- jahre die €ecole primaire besucht hat, kann entweder in eine Lehre übertreten, eine Ergänzungsclasse oder die &cole primaire supe£rieure besuchen. Hier muss ich nun ein bedauerliches Zugeständnis der fran- zösischen Schulgesetzgebung erwähnen, welches mit unseren unseligen Schulbesuchserleichterungen Ähnlichkeit hat. Das Gesetz vom Jahre 1882 öffnet im Artikel 6 eines der merkwürdigsten Hinterthürchen, durch welches sich die große Mehrzahl der Kinder der Landbevölkerung und der ärmeren städtischen Bevölkerung schon mit ı2 Jahren aus der Schule entfernt. Es bestimmt nämlich, dass man mit vollendetem 12. Jahre vor einer Prüfungscommission das »Certificat d’etudes pri- maires el&mentaires« sich erwerben kann, welches vom Rest der Schul- pflicht dispensiert. Dadurch, sowie durch die laxe Handhabung der Vorschriften über den Schulbesuch, wird das französische Schulwesen, besonders auf dem Lande, tief herabgedrückt. In den Städten gibt es freilich eine Menge Aneiferungsmittel zur freiwilligen Fortsetzung des Schulbesuches. Da sind zunächst die Ergänzungsclassen zu erwähnen. Manchmal wird bei entsprechender Schülerzahl noch ein zweites Jahr dazugenommen. Sie sind nur an einzelnen Schulen eın- gerichtet und sammeln dann auch die Kinder der umliegenden Schulen. Für diese Classen gibt es keinen gemeinsamen Lehrplan. Sie sollen den Unterricht der letzten Classe fortsetzen und unmittelbar für das praktische Leben vorbereiten. Hier nimmt auch die »Bürgerkunde« einen großen Raum ein, ferner Buchführung, Fachzeichnen und Hand- fertigkeitsunterricht. Eine wichtigere und bessere Einrichtung sind die Ecoles primaires sup&rieures, die höheren Volksschulen, welche erst seit 2I. Jänner 1893 eine selbständige Organisation bilden. Als Lehr- gegenstände treten auf: Moral, Bürgerkunde, französische Sprache und Literatur, Geschichte, Geographie, moderne Sprachen, Gesetzeskunde

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und Volkswirtschaftslehre, Elemente des Rechnens mit Anwendung auf den Handel, Elemente der Algebra und der Geometrie, Cassen- und Buchführung, Naturkunde in Anwendung auf Ackerbau, Handel und Industrie, geometrisches Zeichnen, Freihandzeichnen und Modellieren, Turnen, Holz- und Eisenarbeiten für Knaben, Nähen und Zuschneiden für Mädchen. Sie umfassen 3 Jahre. Vom zweiten oder dritten Jahre an ist es gestattet, Abtheilungen für Ackerbau, Handel und Industrie zu schaffen. Wie man sieht, ist die Ähnlichkeit mit unserer Bürger- schule nur eine äußerliche; diese »shöheren Volksschulen« ähneln viel- mehr den daneben auch bestehenden Gewerbe- und Fachschulen. Es zeigt sich auch hier wieder der Drang nach frühzeitiger praktischer Ausbildung. Der rein pädagogische Begriff möglichst harmonischer Bildung, wie ihn unsere Volks- und Bürgerschulen zur Darstellung bringen, ist den Franzosen nur in der Theorie bekannt, in der Praxis weichen sie fortwährend davon ab. Ä

Außerdem gibt es noch eine ganze Reihe von anderen Schulen für das nachschulpflichtige Alter: Gewerbelehrlingsschulen, Handels- und Industrieschulen und Fachschulen im engeren Sinne; von freieren Veranstaltungen gibt es Fortbildungscurse (dabei auch Zeichen-, Gesangs- und Turncurse), Volksbildungscurse und auch Volkshochschulen.

Von den durch die Gemeinden laut Gesetz eingerichteten Insti- tutionen seien nur noch die Schulcassen erwähnt, welche allen Schülern die Lernmittel vollständig kostenlos liefern, Schulküchen ein- richten, Schulausflüge veranstalten, Feriencolonien unterhalten und die bedürftigsten Schüler, hauptsächlich aus der Mutterschule, mit Kleidern und Schuhen versehen. Der Staat subventioniert diese Cassen reich- lich, so dass auf Paris jährlich 80.000 Francs kommen. Die Stadt Paris vertheilt an die Schulcassen der 20 Arrondissements jährlich 1,280.000 Francs.

Die Ferien dauern in Paris vom letzten Juli bis ı. October, eine nicht empfehlenswerte Einführung, weil das Ende des Schuljahres in die Julihitze fällt, wo noch dazu die Prüfungen und Prämienvertheilungen stattfinden, was wir ebenfalls nicht nachahmen werden.

Die Bildungsdauer der Lehrer im Seminar beträgt 3 Jahre, ist also zu gering. Die Gehaltsansätze sind im Vergleich mit jenen Deutschlands als zu niedrig zu bezeichnen.

Vom pädagogischen Congress, »Le congre£s international de l’enseignement primaire, Paris Igo0,« sollen hier hauptsächlich die

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Beschlüsse angeführt werden. Der Congress tagte vom 2. bis ein- schließlich 5. August in der Sorbonne unter dem Vorsitze des M. Gr&ard, vice-recteur de l’Acad&mie de Paris, president du Conseil de l’Universite. Der Schlusssitzung wohnte auch der jetzige Minister des Unterrichtes und der schönen Künste, M. Leygues, und unter anderen ansehnlichen Grästen auch der ehemalige Ministerpräsident Leon Bourgeois bei.

I. Section. De l’Eeducation mänagere Von der Haus-

haltungskunde. Beschlüsse:

I. Die hauswirtschaftliche Erziehung der Töchter ist wesentlich das Werk der Mutter; sie gehört aber mit demselben Rechte in die Schule, wie die Arbeiten mit der Nadel.

2, Der hauswirtschaftliche Unterricht besteht in der Zusammenfassung der theo- retischen und praktischen Kenntnisse, welche jeder Hausfrau unerlässlich sind, um ihr Hauswesen zu regieren. Er umfasst: Kauf und Aufbewahrung der Nahrungsmittel, Zubereitung der Speisen, das Tischdecken, das Nähen, Zuschneiden, das Waschen und Plätten der Wäsche, die Instandhaltung der Kleider und Möbel, die Gesundhaltung und Verschönerung des Hauses, die Verhütung von Krankheiten der Kinder, die Pflege der Kranken, die Erziehung im ersten Kindesalter. Der Unterricht in der Haushaltungs- kunde soll auf allen Stufen der öffentlichen Schulen obligat sein, von der Mutterschule bis zu den Bürger- und Handwerkerschulen und den Lehrerinnenbildungsanstalten.

3. Auf allen Stufen des Volksschulunterrichtes soll die Haushaltungskunde, gestützt auf die allgemeinen Kenntnisse, im wesentlichen praktische Arbeiten umfassen.

4. Dieser Unterricht soll vorzugsweise von für diesen Zweck eigens gebildeten Lehrerinnen ertheilt werden. Es ist wünschenswert, dass Normalcurse des Haus- haltungsunterrichtes in den bedeutenderen Centren geschaffen werden.

5. In den Prüfungen für Volks- und Bürgerschule, sowie für die Professur an Lehrerbildungsanstalten werden Fragen über Haushaltungskunde gegeben werden.

6. Die Gemeinden sollen aufgefordert werden, Ergänzungscurse und Professional- schulen für Haushaltungskunde, sowie Kochcurse zu gründen.

7. Es ist wünschenswert, dass die Gesellschaften für das nachschulpflichtige Alter den Cursen, Conferenzen und Übungen der Hauswirtschaft und des Kochens im Unterrichte der Ergänzungscurse Platz machen.

8. Da die hauswirtschaftliche Erziehung dem Vater der Familie ebenso noth- wendig ist wie der Mutter, soll sie in gewissem Maße auch in den Lehrplan der Knabenschulen aufgenommen werden.

9. Die Hygiene und die Erziehung des ersten Kindesalters soll eines der haupt- sächlichsten Ziele der hauswirtschaftlichen Erziehung auf allen Stufen sein.

(Anmerkung. Die Haushaltungskunde ist derzeit als selbständiger Gegenstand in den französischen Schulen noch nicht eingeführt.)

Die II. Section, »De la frequentation scolaire,« befasste sich mit dem Schulbesuche. Dieses Thema wurde nicht vom all- gemeinen Standpunkte, sondern hauptsächlich vom Standpunkte fran- zösischer Verhältnisse besprochen, welche in Hinsicht des Schulbesuches als sehr schlecht zu bezeichnen sind.

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Die II. Section, »De l’education morale,« vom Moral-

unterrichte, war die am stärksten besuchte. Beschlüsse:

I. Jede Frage bezüglich des confessionellen Religionsunterrichtes in den Schulen ist von der Berathung des Congresses ausgeschlossen.

2. Die moralische Erziehung hat als Ziel, im Kinde den ehrenhaften Charakter und guten Bürger vorzubereiten. |

3. Der Moralunterricht stützt sich auf die Vernunft, d. h. auf das erleuchtete Gewissen. Er soll in den Kindern die Gefühle der Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Güte und Menschenliebe entwickeln; er soll für Knaben und Mädchen in gleicher Weise ertheilt werden; er ist unabhängig von jeder Confession, ohne gegen irgendeine feind- selig zu sein.

4. Der Moralunterricht nimmt in der Schule den ersten Platz ein. Er ist Gegen- stand einer Lection oder einer Unterhaltung jeden Tag. Er durchdringt alle anderen Unterrichtsgegenstände.

5. Der Congress findet, dass es wesentlich sei, im Kinde einen energischen Willen zu entwickeln, ihm den Muth zu geben, das Gute zu thun, leichter gemacht durch die Festsetzung guter Gewohnheiten. Um das Gute zu lieben, muss man es kennen lernen, und zwar auf angenehme Weise. Darum muss man dem Kinde den Moralunterricht anziehend machen. Es ist vor allem nöthig, die Kinder ehrlich, muthig und voll von Initiative zu machen, denn ein unthätiger Ehrenmann ist der Gehilfe des Schlechten, was er nicht hindert.

6. In Anbetracht, dass wir verpflichtet sind, das Kind derart zu erziehen, dass es später sein eigener Gesetzgeber sei; in Anbetracht, dass das Kind nur dann sich bessert, wenn es gerne mitarbeitet an seiner Erziehung, spricht der Congress die Ansicht aus, dass die freiere Disciplin, welche die Persönlichkeit des Kindes achtet und liebt, die einzige ist, welche freie Männer bilden kann.

7. In Anbetracht, dass das Gewissen umsoweniger klar ist, je jünger ein Kind ist, dass es Fälle gibt, wo der Lehrer die gegebene Anordnung nicht vor den Augen der Schüler rechtfertigen kann, spricht der Congress die Ansicht aus, dass die freie Disciplin das Princip des Gehorsams nicht ausschließt, aber dass die Autorität des Lehrers sich zurückziehen soll in dem Maße, als das Gewissen des Kindes sich bildet, und dass sie nur unter der Bedingung berechtigt ist, dass sie das Kind dahin führt, eines Tages unter der einzigen Autorität seines eigenen Gewissens zu leben.

8. Der Congress spricht folgende Wünsche aus:

a) dass die neuen Lehrpläne in Hinsicht auf e sociale Erziehung revidiert werden;

b) dass man Gesetze schaffe gegen die pornographische Presse und gegen das Auslegen unanständiger Zeichnungen und Bilder;

c) dass man alle Maßnahmen ergreife, um die Ausbreiking des Alkoholismus

zu hemmen;

d) dass man die Publication und Verbreitung von einfachen, anziehenden Werken (Erzählungen, Romanen), welche von einer hohen Moralität inspiriert sind, ermuthige, um solche Werke in die Schüler- und Volksbibliotheken einzureihen.

Als interessanten Zwischenfall wıll ich anführen, dass ein Pater gleich am Anfang der Sitzung die religiöse Frage aufrollen wollte. Da

‚griff der greise Präsident sofort ein und wies mit Ruhe darauf hın,

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dass diese Frage außer Berathung bleiben müsse. Die Aufregung, welche sich der Versammlung bemächtigt hatte, wich ohne Beifalls- bezeugung einer sichtlichen Befriedigung. Noch ein anderer Zwischen- fall ist erwähnenswert. Ein Delegierter von Rom, ein alter Herr, spricht seine Meinung dahin aus, dass es nicht genügt, den Moralunterricht zu verbessern, sondern es sei auch nöthig, den Lehrer mit einer großen moralischen Autorität auszustatten. Er fordert für den Lehrer die Autorität, welche der Staat und die Gesellschaft dem Officier ein- räumen. Der Lehrstand steht noch nicht auf jener gesellschaftlichen Stufe der Wertschätzung, welche er verdient, darum beantragt er die Gründung einer internationalen Gesellschaft, welche sich die Hebung des Ansehens des Lehrstandes in allen Ländern zur Aufgabe macht. (Dieser Antrag wurde der 5. Section übermittelt und dort auch angenommen.)

Die IV. Section befasste sich mit dem Enseignement pri- maire supe&rieur,d.h. mit der Fortsetzung der Volksschule, also etwa unserer Bürgerschule entsprechend. Beschlüsse:

1. Definition und Charakter des höheren Volksschulunterrichtes.

a) Der höhere Volksschulunterricht hat als Gegenstand eine Vervollständigung der allgemeinen Erziehung der jungen Leute, welche die Elementarschule beendigt haben, und ihre professionelle Erziehung anzufangen, indem sie dadurch die Lehrzeit abkürzt, ohne sie vollkommen überflüssig zu machen.

d) Er unterscheidet sich von dem Unterrichte der Mittelschule durch seinen praktischen Charakter und durch die Vorherrschaft, welche er den Anwendungen einräumt über die reine Theorie der Wissenschaft. Er unterscheidet sich vom Unter- richte, welcher in den Gewerbe- und technischen Schulen geboten wird, darin, dass er die Jünglinge nicht nach verschiedenen Handwerken trennen will, und dass er die intellectuelle und moralische Cultur nicht der Erlernung eines Handwerks opfert.

2. Übergang von der Elementarschule zur höheren Volksschule. Aus dem Grunde, weil es unmöglich ist, überall, wie es wünschenswert wäre, die höhere Stufe der Ele- mentarschule zu organisieren (hauptsächlich auf dem Lande), genügt es, Vorbereitungs- classen in den höheren Volksschulen zu schaffen.

3. Der höhere Volksschulunterricht und der professionelle und technische Unter- richt. Indem die höhere Volksschule durch den durchwegs praktischen und erzichenden Charakter ihres Unterrichtes vollkommen tauglich ist, das Kind des Volkes, welches ein aufgeklärter Bürger und gleichzeitig ein geschickter Arbeiter sein soll, zu bilden, erachtet der Congress, dass es angezeigt wäre, der Gefahr einer zu frühzeitigen Specialisierung der Handwerke zu wehren und höhere Volksschulen in großer Anzahl in den Industrie- und Handwerksstädten zu errichten.

4. Unterricht und Lehrplan.

a) Jeder Schule soll es freistehen, den ofliciellen Lehrplan zu verringern oder zu erweitern, gemäß dem Bedürfnisse, welches die Gegend hat, für mechanische, techno- logische Kenntnisse, für Thierkunde, Forstwirtschaftslehre, industrielle oder landwirt- schaftliche Chemie.

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d) Der Unterricht ist im ı. Jahr allen, Schülern gemeinsam, die Theilung in specielle Sectionen (Ackerbau, Handel und Industrie) tritt erst vom zweiten Studien-

jahre an ein. c) In den Mädchenschulen wird ein Pespeeler Haushaltungsunterricht für alle

Sectionen gemeinsam organisiert. d) Die Schule soll in reichem Maße mit wissenschaftlichem und Arbeitsmaterial

für die Handarbeit versehen sein.

e) Die Handfertigkeitsübungen, immer gegründet auf genaue Kenntnis der Geo- metrie und des Zeichnens, sollen nicht einzig nur der Tischlerei und Adjustierung entlehnt sein, sondern sie werden, inspiriert von der Industrie der Gegend, dem Bedürfnis folgend, zum Gegenstand haben: Schlosserei, Kesselschmiederei, Gießerei, Steinmetzerei, Weberei, Porzellanfabrication etc.

f) Die Ackerbausection soll über ein Demonstrationsfeld verfügen, welches erlaubt, die interessanten Vorgänge des Landbaues zu zeigen, ferner über ein Atelier, worin die Ackerbauschüler die Kenntnis der Handhabung der Ackerbaugeräthe empfangen werden.

e) Die Institution der Feriencassen zu Gunsten der Lehrer und Schüler der höheren Volksschulen ist zu unterstützen und zu entwickeln; es sind noch solche Cassen für Mädchenschulen hinzuzufügen.

5. Schutzcomites und Vereinigungen ehemaliger Schüler. Die Einsetzung von Schutzeomites (comites de patronage) und von Vereinigungen ehemaliger Schüler, welche schon bei einer großen Zahl von höheren Volksschulen existieren, sollen eine allge- meine Maßregel werden für alle höheren Volksschulen.

Die V. Section befasste sich mit Institutionen des nach- schulpflichtigen Alters, oeuvres post-scolaires.

A. Curse für Jünglinge und Erwachsene. Beschlüsse:

I. Der Unterricht, welcher den Erwachsenen gegeben wird, theilt sich in Curse und Conferenzen; die Curse, im praktischen Sinne gehalten, dem allgemeinen Verständnis Rechnung tragend, beschäftigen sich vorzugsweise mit zeitgenössischer Geschichte und Bürgerkunde; die Serie der Conferenzen soll soviel als möglich methodisch ange- ordnet sein; für die einen wie für die andern wird ein Aufruf an competente Personen, Freunde der Schule, gerichtet werden.

2. Ein Büchelchen soll den jungen Leuten ihren Fleiß im Curs bestätigen; die guten Prüfungsresultate sollen bei Aufnahme in die Armee, in verschiedenen Ver- waltungszweigen, in Handel und Industrie berücksichtigt werden.

3. Die Schulbibliotheken mögen materiell besser unterstützt werden, und es soll erlaubt sein, dass dieselben ihre Bände umtauschen können nach den Rathschlägen competenter Autoritäten.

B. Mutualit€E scolaire, Gegenseitigkeitsgesellschaften, welche neuestens durch Unterstützung von Abend-Cursen über die Für-

sorge für Schulen hinausgreifen und inder Handhabung von Sparbüchern,

Krankencassen und in der Waisenfürsorge sich bethätigen. Beschlüsse:

I. Die Erzieher aller Länder sollen Propaganda machen für die Gegenseitigkeits- gesellschaften, um die Gefühle der Menschenliebe unter den Kindern aller Lehranstalten als der Lyceen und Mittelschulen, der Volks- und höheren Volksschulen, zu entwickeln, auf dass sie alle an derselben Gegenseitigkeit theilnehmen.

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2, Die verschiedenen Gegenseitigkeitsgesellschaften sollen sich zu großen Ver- bänden vereinigen.

3. Es soll den: Theilnehmern unter Aufrechthaltung ihrer erworbenen Rechte ermöglicht werden, bei Wechsel des Wohnortes von einer Gesellschaft in ein andere überzutreten.

C. Associations und patronages, die Vereinigungen ehe- maliger Schüler und die Jugendschutzgesellschaften. (Erstere sind nach Geschlechtern getrennte Vereine, welche außerordentlich segensreich wirken, indem sie durch Veranstaltung von Cursen und Unter- haltungen die Jugend im nachschulpflichtigen Alter vor den schädlichen Einflüssen der Straße bewahren, letztere haben einen ähnlichen Zweck und befassen sich speciell mit der Lehrlingsunterbringung.) Beschlüsse:

Die Vereinigungen ehemaliger Schüler und die Jugendschutzgesellschaften sollen sich als Ziel stellen:

I. Die gegenseitige moralische und materielle Hilfe, wie z. B. unentgeltliche Unterbringung in Stellen.

2. Einrichtung von Kunstcursen (Musik und Zeichnen) und von Lehrlingscursen (Handwerkscurse für Jünglinge und Haushaltungscurse für Jungfrauen),

3. Die Organisation von Festen rein moralischen Charakters mit Ausschluss jeder Idee von Politik oder Religion.

D. Allgemeine Wünsche. Das Bureau des Congresses möge sich constituieren als internationales Bureau für Volksunterricht und Volkserziehung;; durch seine Vermittlung soll ein fortwährender Wechsel von interessanten Documenten über Volkserziehung in allen ihren Formen unter den verschiedenen Nationen stattfinden. (Es ist dies die Ausführung der Anregung, welche in der III. Section gegeben wurde.)

Zum Schlusse der Berathung sprach der für dieses Bureau als Präsident vorgeschlagene ehemalige Ministerpräsident Mr. Leon Bour- geois unter lebhaftestem Beifall etwa Folgendes: »Das, was uns ent- zückt, ist, dass sich in diesem Augenblicke in der ganzen civilisierten Welt ein bewunderungswürdiges allgemeines Eintreten für Eintracht, Friede und Brüderlichkeit zeigt, wovon die Schule der Ausgangspunkt ist. Es erscheint allen klar, dass die Schule, die bescheidene Volks- schule, das Fundament des Volksfriedens, des allgemeinen Friedens ist. Es ist nöthig, dass in der ganzen Welt alle Freunde der Gerechtigkeit, Wahrheit und Freiheit sich zum Schutze der Schule vereinigen, um durch sie die allgemeine Menschen- liebe zum Triumph zu führen.«

Möchten doch diese erhebenden Worte auch für unser geliebtes Vaterland Österreich Geltung haben!

IX. Referate.

ı. Resolution zur Orthographiefrage.

Die bedauerliche Thatsache, dass selbst innerhalb der Gemarkung der einzelnen deutschen Staatsgebiete keine einheitliche Rechtschreibung herrscht, ist bekanntlich ziemlich alt. Die drei letzten Decennien haben wohl eine Besserung in diesen Ver- hältnissen gebracht, doch vor dieser Zeit galt es schon für einen Fortschritt, wenn etwa die Schulen, einer Stadt, im günstigeren Falle die eines größeren Kreises, sich bezüglich gewisser Normen in der Rechtschreibung einigten, wobei. noch immer Einzelne sich die Wahrung angeblich berechtigter Eigenthümlichkeiten vorbehielten. Daraus erklärt es sich wohl, dass jeder Versuch der Regelung der deutschen Rechtschreibung, sobald er eine Besserung der oft unleidlichen Verhältnisse zu bringen schien, bei allen Gebil- deten lebhaftes Interesse hervorrief. Ganz besonders aber waren es Angehörige des Lehrstandes, die alle derartigen Bestrebungen mit größter Aufmerksamkeit verfolgten und denselben den besten Erfolg wünschen mussten, weil gerade sie unter der That- sache, dass anders in der Schule und wieder anders außerhalb derselben geschrieben wurde, schwer zu leiden hatten.

Jeder Lehrer, insbesondere derjenige, der die Erfahrung vieler Jahre hinter sich hat, wird zugeben müssen, dass unter den verschiedenen Zweigen des deutschen Sprach- unterrichtes der Unterricht in der Rechtschreibung das Schmerzenskind genannt werden kann, denn die Erfolge, die selbst der fleißigste und methodisch tüchtigste Lehrer hierin erzielt, stehen mit der aufgewendeten Zeit und Mühe in gar keinem Verhältnisse. Dazu kommt, dass Personen, denen es an Einblick in das Getriebe der Schule oder an Gerechtigkeitsgefühl mangelt, unter Hinweis auf die gerade in diesem Unterrichtszweige geringen Leistungen der Schüler ein abfälliges Urtheil über den Erfolg des Schulunter- richtes, über den Fleiß und das Wissen des Lehrers fällen. Wie sehr der Schule hie- durch ein Unrecht gethan wird, wissen diejenigen am besten, die in der Volksschule oder als Lehrer der Unterrichtssprache in der Bürgerschule arbeiten. Jedem von ihnen ist es in der Praxis wiederholt vorgekommen, dass gerade geistig geweckte, mit scharfer Urtheilskraft ausgestattete Schüler zuweilen arge Sünden gegen die vorgeschriebene Rechtschreibung begehen und, befragt über die Ursache, eine durchaus zutreffende Begründung dafür geben, warum sie so und nicht anders geschrieben haben. Dem Lehrer aber, der das Kind über den begangenen Fehler aufklären soll, bleibt dann oft keine andere Erwiderung als die: »In diesem Falle, mein Kind, hättest du anders schreiben müssen, weil nun weil es die für die Schule angeordnete Schreibung so erfordert.« Ebenso häufig wie dieser Fall tritt in der Schulpraxis auch der auf, dass der Schüler, dem seitens des Lehrers die fehlerhafte Schreibung eines Wortes vorge-

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halten wurde, bitter gekränkt nachweist, die von ihm gebrauchte Schreibung in einer Zeitung, einem Bibliotheksbuche, ja oft sogar in irgend einem Lehrbuche gefunden zu haben. Wenn aber der Schüler nach erfüllter Schulpflicht in das praktische Leben übertritt, dann trifft es sich gleichfalls nicht selten, dass er, den während seiner Schul- zeit der Lehrer wegen Tüchtigkeit in der Rechtschreibung wiederholt belobt hat, von seinem Meister oder seinem Chef die kränkenden Worte hören muss: »Lieber Freund, Sie können nicht richtig deutsch schreiben

Welche Rückwirkung derartige Vorfälle und Äußerungen auf das Ansehen des Lehrers und der Schule haben müssen, das zu erörtern halte ich für überflüssig.

Ähnliche Erfahrungen, wie die soeben geschilderten, dürften auch die an Mittel- schulen wirkenden Lehrer gemacht haben, und dass übrigens auch in anderen Kreisen die Überzeugung sich Durchbruch verschaffte, die hinsichtlich der deutschen Recht- schreibung derzeit bestehenden Verhältnisse seien unhaltbar und dringend reformbedürftig, leuchtet aus dem Umstande hervor, dass die officiellen Kreise des deutschen Reiches, und zwar infolge einer im deutschen Reichstage gegebenen Anregung, sich neuerlich um die einheitliche Schreibung im deutschen Reichsgebiete bemühen und eine große Conferenz für die gleiche Schreibung im gesammten deutschen Sprachgebiete ins Auge fassen, sowie dass seitens des k. k. österreichischen Ministeriums für Cultus und Unter- richt im März d. J. eine Enquete über die Neuregelung der deutschen Rechtschrei- bung einberufen wurde. Dass die österreichische Enquete der Sache auf den Grund zu gehen beabsichtigte, geht daraus hervor, dass nicht nur Angehörige des Lehrstandes, sondern auch die Vertreter der Presse, des Buchdruckgewerbes, des Buchhandels u. s. w. zur Meinungsäußerung berufen wurden, dass es sich demnach nicht nur um eine neue Schulorthographie, sondern thatsächlich um eine allgemein giltige und allgemein anzu- wendende Schreibung handeln soll.

Die Wiener Mittelschullehrervereine hielten eine gemeinsame Sitzung, um zu der geplanten Regelung Stellung zu nehmen, zugleich mit dem ausgesprochenen Zwecke, für die erwähnte Ministerialenquete Vorarbeiten zu liefern. Die durch die Tagesblätter bekannt gewordenen Berathungsergebnisse scheinen jedoch das eigentliche Ziel, die un- bedingte Gleichförmigkeit in der deutschen Schreibung, nicht erreicht zu haben, da in den Beschlusssätzen noch von der »möglichsten Schonung des bereits Eingeführten«, von der »Einschränkung aller zweifelhaften orthographischen Fälle auf eine möglichst geringe Zahl«e, von dem »möglichsten«e Anschluss an die Schreibung im übrigen deut- schen Sprachgebiete, überhaupt von einer nur »verbesserten« Rechtschreibung die Rede war. Im gleichen Geleise sollen sich den Berichten der Tagesblätter zufolge die Be- rathungen der Enquete bewegt haben, deren bemerkenswertester Beschluss wohl der ist, dass die Unterrichtsverwaltung wegen Vereinheitlichung der Orthographie mit den Regierungen des übrigen deutschen Sprachgebietes »in Fühlung treten« solle.

Der Ausschuss der Wr. Päd. Ges. meint, dass die Enquete keineswegs ein letzter, sondern eher ein erster Schritt in der Gleichschreibungssache sei, und dass auch die Wr. Päd. Ges. die Verpflichtung habe, gerade in Hinblick auf die in erster Linie zu berücksichtigenden Bedürfnisse der Volks- und Bürgerschule die Anschauung des Vereines in einer Resolution zum Ausdruck zu bringen. Wir betrachten es bei dem engen Zusammenhange, in welchem wir mit Rücksicht auf geistige Thätigkeit mit der Bevölkerung des Deutschen Reiches und der Schweiz stehen, als unbedingte Nothwen- digkeit, dass die angestrebte Reform sich nicht auf die Grenze unseres Vaterlandes allein beschränke, sondern das gesammte deutsche Sprachgebiet der Welt umfasse, Der

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Wunsch, dass dieselbe Schriftsprache überall dort, wo sie gebraucht wird, auch gleich geschrieben werde, ist gewiss nur gerechtfertigt. Die Erfahrungen, welche wir in Bezug auf die Rechtschreibung in der Schule gemacht haben, drängen uns den Wunsch auf, dass die angestrebte allgemein giltige Schreibung zugleich eine vereinfachte sei, und dass der in den letzten Jahren eingerissene Unfug der Zusammenschreibung prädicativer und adverbialer Ausdrücke, ohne dass für eine solche Zusammenschreibung irgendeine gesetzmäßige Grundlage gegeben wurde, beseitigt werde. Es bereitet in der Schulpraxis keine Noth, bestimmte Wörter mit t oder th, mit ß oder ss, mit c oder k, mit t oder z zu schreiben, nur müssen diese Wörter genau bekannt sein, aber die Liebhaberei einer gänzlich uncontrolierbaren, d. h. ihrem Umfange nach nicht feststellbaren Zusammenschrei- bung muss zu einer unversiegbaren Quelle von Verdrießlichkeiten führen. Ebenso muss die veraltete Schreibregel fallen, die von der richtigen Aussprache, welche die Kinder doch erst zu erlernen haben, zu einer richtigen Schreibung gelangen will, während um- gekehrt die richtige Schreibung ein Correctiv für die Aussprache geben soll.

Indem noch auf die sinnverwandten Verhandlungen in der Wr. Päd. Ges. siehe: Pädagogisches Jahrbuch 1891, S. 95 (Antw. VIII) und S. gg (Zusatz- anträge), dann Pädagogisches Jahrbuch 1890, S. 33 und 86 (mit Anmerkung) hingewiesen wird, sei namens des Vereinsausschusses folgende Resolution zur Beschlussfassung gestellt:

»Die Wiener Pädagogische Gesellschaft begrüßt die auf die Regelung der deutschen Rechtschreibung gerichteten Bestrebungen, insoferne erwartet werden darf, dass das Ziel dieser Bestrebungen vor allem andern die Einheitlichkeit, d. h. Gleichförmigkeit der Schreibung ist, für die es keinerlei Reichs- und Landesgrenzen gibt, und die sowohl in Büchern und Zei- tungen, wie auch im amtlichen und geschäftlichen Schriftenwechsel zur Erschei- nung kommen soll.

Jede Regelung der Rechtschreibung, die bloß für die Schule verbindlich ist, also nicht im gesammten Öffentlichen Leben Geltung besitzt, führt zu Wirr- nissen, welche nicht nur die Bedeutung der Volksschule als Vorbereitungsanstalt für das praktische Leben ganz erheblich herabdrücken, sondern auch in diesem selbst sich in sehr unangenehmer Weise fühlbar machen,

Im besonderen wiederholt die Wiener Pädagogische Gesellschaft den Wunsch, I. dass die Schreibung zugleich einen Anhalt für die richtige Aus- sprache darbiete, also die Bezeichnung für kurze und lange Vocale beibehalte, und den alten Fehlsatz »Schreibe, wie du richtig sprichst!« endlich fallen lasse; 2. dass die sprachverdunkelnde Zusammenschreibung prädicativer und adverbialer Ausdrücke beseitigt oder zum mindesten innerhalb fassbarer Grenzen gehal- ten werde.« K. Salava. Anmerkung. In der hierüber abgeführten Debatte wurde mehrfach der

Befürchtung Ausdruck gegeben, dass durch dic im letzten Absatze enthaltene Angabe der Einzelnwünsche die Aufmerksamkeit von der Hauptsache, nämlich von der For- derung einer einheitlichen, allgemein giltigen Rechtschreibung, abgelenkt werden könne, da noch allerlei andere Wünsche, wie z. B. über die Fremdwörterschreibung, den Ge- brauch der Dehnungszeichen, die S-Schreibung u. dgl. vorliegen. Im Sinne dieser Aus- führungen verzichtete die Versammlung darauf, die vom Referenten gestellten Einzel- wünsche in die Resolution aufzunehmen, dagegen. wurden die den Hauptgedanken um- schreibenden zwei Absätze der Resolution einstimmig angenommen.

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en

2. Die Preisausschreibungen der »Wiener Pestalozzistiftung«.

Die »Wiener Pestalozzistiftung«e ist eine Folgeerscheinung der 1870 zu Wien abgehaltenen Ig. allgemeinen deutschen Lehrerversammlung. Es war eine der glänzendsten Lehrerversammlungen (siehe den bei Pichler in Wien erschienenen ausführlichen Bericht), die Aufmerksamkeit des ganzen Öffentlichen Lebens war auf sie gerichtet, und als Bei- spiel der damals in der Bevölkerung herrschenden Schul- und Lehrerfreundlichkeit braucht nur angeführt zu werden, dass der Gemeinderath der Reichshauptstadt Wien dem Ortsausschusse einen Festbeitrag von 6000 fl. zur Verfügung stellte. Und als nach Beendigung der Festlichkeiten die Abrechnung vorgenommen wurde, ergab sich der bei ähnlichen Veranstaltungen seltene Fall, dass ein Überschuss, und zwar in der Höhe von 6548 fl. 6. W. vorhanden war. Dieser Betrag blieb in Verwaltung des Obmannes des Ortsausschusses, Alexander Riss, und sollte später zu einer pädagogischen Stiftung verwendet werden, was erst im Jahre 1888 gelegentlich des 40-jährigen Regierungs- jubiläums Sr. Majestät des Kaisers Franz Josef I. geschah. Am ı2. Mai 1888 traten die ehemaligen Mitglieder des Wiener Ortsausschusses zur Beschlussfassung zusammen: Es wurde die Wiener »Pestalozzistiftung« als Kaiser-Jubiläumsstiftung errichtet und der Stiftsbrief ausgefertigt, welch letzterer unter Befreiung von sämmtlichen Gebüren und Steuern am 21. December desselben Jahres die behördliche Genehmigung erhielt; das Stiftungscapital aber war bis dahin von dem sachkundigen und selbstlosen Verwalter auf 22.000 fl. gebracht worden.

Die wichtigsten Bestimmungen des von dem gegenwärtigen Obmann A. Hein mit anderen Mitgliedern des Ausschusses verfassten Stiftungsbriefes sind im allgemeinen folgende: Die Stiftung ist von dem Zeitpunkte an zu erfüllen, als die Capitalszinsen 1000 fl. erreichen. Die Zinsen von einem Zehntel des Capitales sind zu Preisausschrei- bungen über pädagogische Themata, von sechs Zehntel zur Unterstützung von Lehrers- witwen und -Waisen zu verwenden; die restlichen drei Zehntel des Capitals sollen zur einstigen Errichtung eines Waisenhauses angelegt werden. Das Curatorium hat zu be- stehen a) aus den noch lebenden Mitgliedern des ehemaligen Ortsausschusses, deren Zahl durch Cooptierung lebenslänglich ernannter Mitglieder auf der gleichen Höhe erhalten bleiben soll, 5) aus je einem Vertreter der Lehrerschaft jedes Wiener Gemeinde- bezirkes und aus ebensoviel Vertretern des deutsch-österr. Lehrerbundes. Das Curatorium theilt sich in eine wissenschaftliche und in eine wirtschaftliche Abtheilung.

Am 2. Februar ı8g1 hielt das Curatorium seine erste stiftsbriefmäßige Jahres- versammlung unter dem Vorsitze des Herrn Alexander Riss. In dieser Sitzung wurde über Vorschlag der wissenschaftlichen Abtheilung beschlossen, 100 fl. als Preis für die Beantwortung folgender Frage auszuschreiben: »Wie kann den Anforderungen, welche die Gegenwart an die Arbeitstüchtigkeit jedes Einzelnen stellt, in den Volks- und Bürgerschulen befriedigend Rechnung ge- tragen werden, ohne dass dabei die Sorge für die körperliche und geistige Kräftigkeit und Frische außeracht gelassen wird?« Von Igein- gelangten Arbeiten fand das Preisrichtercollegium keine der Prämiierung würdig, wes- halb die Hauptversammlung im Jänner des Jahres 1892 die Frage nochmals zur Aus- schreibung brachte und den Preis auf 200 fl. erhöhte. An der zweiten Concurrenz be- theiligten sich 30 Bewerber, von welchen am 6. Jänner 1893 die Herren R. Seyfert, Schuldirector in Marienthal (Sachsen), und der Wiener Bürgerschullehrer Ferdinand Frank mit Preisen von 120 fl., bezw. 80 fl. bedacht wurden. Die sehr interessanten

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Arbeiten mussten laut Stiftungsbriefes veröffentlicht werden, was in der »Niederöster- reichischen Schulzeitung« (Jahrg. 1893) geschah. Der Verfasser der ersten Preisschrift begründet zunächst die hohen Anforderungen, welche an die Arbeitstüchtigkeit jedes Einzelnen gestellt werden, damit, dass er das Verhältnis der Antheilnahme des Ein- zelnen an der Culturarbeit einerseits und den Antheil an dem Culturgenusse anderseits klarlegt. Bezüglich der Mittel zur Lösung der schwierigen Aufgabe, welche die Schule zu leisten hat, um die größtmögliche Arbeitstüchtigkeit der Zöglinge zu erreichen, kommt der Verfasser zu folgenden Ergebnissen: Die theoretische Pädagogik hat die materialen Bestandtheile der Arbeitsanforderungen zusammenzustellen und nach eigenen Gesichtspunkten zu verarbeiten. Die praktische Anwendung dieses Grundsatzes ist die weise Stoffbeschrärkung, die Concentration des Stoffes und streng logische Gliederung desselben. Der Sorge um die körperliche und geistige Kräftigkeit und Frische wird durch einen derartig naturgemäßen, psychologisch begründeten Unterricht und durch genaue Erfüllung der hygienischen Anforderungen Rechnung getragen. Diese Methode zu finden, ist Aufgabe der Pädagogik, die als selbständige, forschende Wissenschaft aufzutreten hat und nicht erst warten darf, bis die selbständig bestehende Psychologie das Problem gelöst hat. Der Verfasser der zweiten Preisarbeit führt zunächst fol- gende Factoren an, welche die Arbeitstüchtigkeit jedes Culturmenschen bedingen, näm- lich: die Befähigung zur Arbeit, körperliches und geistiges Wohlbefinden und einen sittlich festen Charakter. Die Aufgaben, welche bei der Arbeitsübung in der Schule beachtet werden müssen, damit die Zöglinge zu arbeitstüchtigen und gesunden Menschen herangebildet werden, bespricht der Verfasser vom hygienischen, diätetischen, physio- logischen, psychischen und ethischen Standpunkte. Nach eingehender Beleuchtung der einzelnen Theile stellt er folgende Forderungen: »Die Volksschule muss so einge- richtet werden, dass sie frei von hemmenden Nebenzwecken ihrer praktischen und idealen Aufgabe genügt. Die Volksschule hat insbesondere der Erziehung zur Arbeitstüchtig- keit vollste Aufmerksamkeit zu schenken. Zur intensiven Pflege des Geistes muss auch eine planmäßige Pflege des Körpers und der Hand treten.«

Im Jahre 1893 brachte das Curatorium folgendes Thema zur Preisausschreibung: »Welche Folgen hat die Heranziehung des weiblichen Geschlechtes zum Lehrberufe auf pädagogischem und socialem Gebiete?« Während des zweijährigen Termines waren 11 Arbeiten eingelangt. Preise erhielten die Lehrerin Frau Elise Engelhardt in Klagenfurt und Herr Heribert Bouvier, k. k. Pro- fessor in Krems, und zwar erstere 240, letzterer 160 Kronen. Die Arbeit der Frau Engelhardt hatte heftige Entgegnungen in der Wiener Lehrerinnenzeitung zur Folge, welche Entgegnungen auch in einer Broschüre bei Manz in Wien erschienen sind. Die mit dem ersten Preise ausgezeichnete Verfasserin kommt nach Schilderung ihrer beruflichen Erfahrungen zu dem Schlusse: Der Lehrberuf taugt überhaupt nicht für das weibliche Geschlecht. Die Natur des Weibes kann nur auf Kosten der körper- lichen und geistigen Gesundheit und nur gezwungen dem Berufe angepasst werden. Nur dort, wo ein hochentwickeltes Pflicht- und Ehrgefühl den Widerwillen gegen den infolge der socialen Verhältnisse ergriffenen Beruf zu überwinden vermag, kann die Lehrerin in pädagogischer Beziehung dem Manne gleichgestellt werden. Nach der Ansicht der Verfasserin leidet unter solchen Verhältnissen die Schule, daher auch die Familie und der Staat.

Viel günstiger für die Lehrerinnen ist das Urtheil des Herrn Bouvier aus gefallen. Er findet die Verwendung der weiblichen Lehrkräfte an Mädchenschulen und

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auf der Unterstufe von Knabenschulen für begründet. Mit Rücksicht auf die Charakter- bildung wünscht derselbe jedoch bemerkenswerterweise auf der Oberstufe von Mädchenschulen den rechtzeitigen Einfluss des Mannes. Was die Bestellung von weiblichen Lehrkräften als Leiterinnen anbelangt, meint der Verfasser, dass nur unter ausnahmsweise sehr günstigen örtlichen Verhältnissen und unter Voraussetzung einer besonders günstigen Zusammensetzung des Lehrkörpers eine Leiterin zu bestellen sei. In Hinsicht auf die socialen Folgen führt er die bekannten Bedenken an, die man gegen das Frauenstudium wiederholt hört, nämlich Verringerung von Erwerbsquellen für Männer und die damit verbundene geringere Möglichkeit von Eheschließungen. Diese Folgen hält er jedoch für unbedeutend im Vergleiche zu den wohlthätigen Ein- flüssen, den das Frauenstudium für Familie und Staat habe. In Kürze wird noch der verehelichten Lehrerinnen gedacht, wobei der Verfasser ausspricht, dass infolge des Eintrittes der Frau in ihren natürlichen Beruf die Schule nur mehr Nebenberuf sein kann. Zu einer Erwerbsquelle dürfe aber die Schule nicht herabgewürdigt werden. »Das weibliche Geschlecht hat auf dem Gebiete der Schule alles Erreichbare erreicht und auch den Befähigungsnachweis für den Schuldienst erbracht.«e Das Curatorium ließ diese beiden Schriften bei Manz in Wien veröffentlichen.

In demselben Verlage erschienen auch die prämiierten Antworten auf die im Jänner 1896 ausgeschriebene Preisfrage: »Wie können die Übelstände in der häuslichen Erziehung, diesich namentlich in der Groß- stadt zeigen, beseitigt werden?« Obwohl der Termin bis zum Jahre 1899 ver- längert und der Preis auf 400 fl. erhöht wurde, waren nur 8 Arbeiten eingereicht worden. Preisgekrönt mit je einem Drittel des Preises wurden die Arbeiten der Herren Johann W. Holczabek, Karl B. Kratochwil und Emil Adolf Richter, sämmtlich aus Wien. Der erstgenannte Verfasser begründet die Übelstände in der häus- lichen Erziehung mit den traurigen socialen Zuständen, bemerkt aber andererseits, dass die Noth allein keineswegs die Verwahrlosung bedingt, sondern dass die Ursache der Verwahrlosung oft in der Nachlässigkeit oder Unfähigkeit der Eltern liegt. Zur Abhilfe dieser Zustände ist der Staat verpflichtet, der für eine humane, vernünftige Armenpflege zu sorgen hat und die Mütter den Kindern zurückgeben soll. Zur Regelung und strengen Überwachung der häuslichen Erziehung hat der Staat Erziehungsgesetze zu geben und, ähnlich den jetzigen Schulbehörden, Erziehungsbehörden einzu- setzen. (Der Verfasser hat den Gesetzentwurf von Niemetz im Auge.) Den Ersatz der Familienerziehung durch die Institutserziehung hält derselbe nur im äußersten Noth- falle für thunlich. Auch Herr Kratochwil begründet die Übelstände in der häus- lichen Erziehung mit den socialen Verhältnissen. Es darf aber nicht bis zur Ausbildung einer neuen Gesellschaftsordnung gewartet werden; der Staat hat die Pflicht, durch Schaffung von Erziehungsgesetzen das Erziehungswesen zu leiten. Nach Empfehlung weiterer social-politischer (Tesetze kommt der Verfasser zum Schlusse: Ohne Beseitigung der socialen Übelstände gibt es keine dauernde Besserung der Missstände in der häus- lichen Erziehung. Beide Verfasser empfehlen auch die körperliche Züchtigung. Der Verfasser der dritten Preisschrif, Herr Richter, bringt eine ganz neue Idee zur Bekämpfung der Übelstände in der häuslichen Erziehung. Um die vielen oft den ganzen Tag sich selbst überlassenen Kinder den schädlichen Einflüssen der Straße zu entziehen, wünscht er die Umwandlung einzelner Schulen in Erziehungshäuser, welche zu Colonien vereinigt an der Peripherie der Stadt errichtet werden sollen. In diesen höchstens 5—6-classigen Anstalten sollen die Kinder während der unterrichts-

Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1901. 8

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freien Zeit allen hygienischen Forderungen entsprechend beschäftigt werden. Sehr in- teressant sind die Rathschläge zur Durchführung des Problems in pädagogischer, finan- zieller und verkehrstechnischer Beziehung. Er schließt mit der Forderung: »Der Staat hat mit der Socialreform bei der Jugend anzufangen.

Die nächste Preisfrage lautete: »Wie kommt es, dass das völkische Be- wusstsein in den Deutschen Österreichs so wenig entwickeltist, und wie kann dieses Bewusstsein in unserer Jugend ausreichend gekräf- tigt werden?« Es liefen 13 Arbeiten ein; der Preis wurde Herrn Bürgerschullehrer Max Grießmayr in Wien zuerkannt. Diese Arbeit wird erst veröffentlicht werden.

Endlich wurde zu Beginn dieses Jahres folgendes Thema zur Preisausschreibung gebracht: »Johann Heinrich Pestalozzi. Sein Leben und sein Wirken als Volksmann und Bahnbrecher auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichtes. Eine Volksschrift in erzählender Form.« Termin der Einsendung: ı. Jänner 1903; Preiszuerkennung am 6. Jänner 1904; Preis: 600 Kronen.

Die Wiener »Pestalozzistiftung« hat demnach im ersten Decennium ihrer Wirksam- keit eine Reihe von Preisfragen gestellt, deren glückliche Lösung von allgemeiner Wich- tigkeit für das Volkswohl ist; es bleibt nur zu wünschen, dass die zur Veröffentlichung gelangenden Preisarbeiten auch die verdiente Verbreitung finden, wozu in erster Linie wohl der deutsch-österr. Lehrerbund, bezw. die Vielhundertschar seiner Zweigvereine, berufen erscheint, da ja dem deutsch-österr. Lehrerbunde infolge der ihm zukommenden Entsendung von Mitgliedern in das Curatorium ein großer Einfluss auf die Verwaltung der Stiftung übertragen ist. Eine unternehmende und rührige Verlagsbuchhandlung würde den Gedanken, von Zeit zu Zeiteine Buchausgabe der bereits veröffentlichten Preisarbeiten zu veranstalten, nicht als unfruchtbar abweisen. Im übrigen sei die Wirk- samkeit der Wiener Pestalozzistiftung sowohl nach der theoretischen wie nach der wirtschaftlichen Seite hin namentlich auch bezüglich der Mehrung des Waisenhaus- fondes allen Berufsgenossen und Schulfreunden nachdrücklichst zur Würdigung empfohlen. Julius Hieber.

3. Deutsche Sprachschule für österreichische Bürgerschulen

von M. Stein, B. Weiner und W. Wrany, neu bearbeitet von M. Binstorfer, Bürgerschuldirector. Eintheilige Ausgabe. Wien I8gg, Manz. Preis I ÄX 20 A.

Beim Sprachunterrichte in der Bürgerschule handelt es sich keineswegs um das Einlernen von dogmatischen Regeln und Definitionen, sondern darum, dass die Schüler angeleitet werden, die Sprachgesetze aus dem Lehrstoff, sowie aus dem Sprachschatz, den sie vom Elternhause mitgebracht haben, zuentdecken, dass ihnen diese Gesetze zum bewussten richtigen Sprachgefühl werden, und dass sie dadurch in den Stand ge- setzt werden, ihre Gedanken in sprachgesetzlicher Form zum Ausdruck zu bringen. Der Lehrgang des Sprachunterrichtes: das Beobachten, Abstrahieren, Selbstfinden, Selbstgestalten bietet dem jugendlichen Geiste eine unerschöpfliche Anregung zu logischem Denken, und dieser formale Gewinn kann nicht hoch genug angeschlagen werden. Darum brauchen wir in erster Linie nicht die der lateinischen Grammatik nach- gebildeten Sprachlehrbücher, sondern sorgfältig ausgesuchte Beispielsammlungen. Eine solche Beispielsammlung ist das von B.-D. M. Binstorfer gearbeitete Übungsbuch ; es ist 181 Seiten stark und erhielt im Jänner 1899 die Approbation.

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Das Werk hat seine Geschichte. Im Jahre 1873 erschien in Deutschland eine »deutsche Sprachschule« für Volksschulen, sieben Aufgabenhefte umfassend, verfasst von Baron, Junghans und Schindler. Sie entkielten den Übungsstoff für alle Zweige des Sprachunterrichtes in concentrischen Kreisen, u. zw. zum großen Theile in zusammenhängenden Musterstücken, aber in ansprechenderer Form, als es seinerzeit Kellner gebracht. Diese Heftchen wurden von drei österreichischen Lehrern M. Stein, B. Weiner und W. Wrany unseren Lehrplänen gemäß umgearbeitet, so dass die drei letzten Hefte den Übungsstoff für die 3 Classen der Bürgerschule ent- hielten, wozu noch ein, die eigentliche Grammatik für die Bürgerschule zusammen- fassendes Heft kam. Nach langjähriger Verwendung erfuhr das ganze Werk eine Neu- bearbeitung durch B.-D. M.Binstorfer, Während aber für das 2., 3., 4. und 5. Schuljahr die Sonderausgabe von je einem Heftchen beibehalten blieb, und zwar jedes mit dem Übungsstoff und dem theoretischen Theil, wurde für die 3 Jahresstufen der Bürger- schule eine andere Eintheilung getroffen: es blieb zwar, wie in der vorausgegangenen Bearbeitung, der Übungsstoff von dem theoretischen Lehrstoff getrennt, jedoch beides nur in eintheiliger Ausgabe für alle drei Bürgerschulclassen zusammen.

Maßgebend für die Vereinigung waren, wie ein Begleitwort des Verfassers kurz darlegt, folgende Gesichtspunkte: I. Der Unterrichtsstoff ist in den Lehrplänen nicht durchwegs nach den Jahresstufen abgegrenzt. Infolge dessen entstehen zuweilen Mei- nungsdifferenzen darüber, was in diesem oder jenem Schuljahr durchzunehmen sei, und man suchte oft vergebens in einem bestimmten Heft den gewünschten Übungsstoff, wenn er eben in einem andern Heft behandelt war. 2. Es stimmen auch die Lehrpläne der ver- schiedenen österreichischen Kronländer bezüglich der Stoffvertheilung auf die drei Bürgerschulclassen nicht überein, so dass bei der Dreitheiligkeit des Übungsbuches der schon oben erwähnte Übelstand noch schärfer hervortrat. Durch die Zusammenfassung ist es nun jedem Lehrer möglich, sich denjenigen Übungsstoff zu wählen, den er unter den gegebenen Verhältnissen für seine Classe angezeigt findet. Hat er eine Schülerarbeit durchgesehen und wiederholt Fehler derselben Art gefunden, so kann er diejenige Partie wiederholen, die ihm zweckmäßig erscheint. Um das Nachschlagen zu erleichtern, sind Rechtschreibung, Wortlehre, Wortbildung und Satzlehre getrennt. Endlich ist bezüglich der Nutzbarmachung des Lesebuches für den Aufsatzunterricht die Vereinigung als erwünscht zu bezeichnen, weil weder die Lesestücke in den einzelnen Lesebüchern, noch die dazugehörigen Aufsatzübungen der einzelnen Hefte miteinander correspondierten.

Die im Sprachbuche niedergelegten Musterbeispiele sind nun theils stilistische Musterstücke, also Sprachganze, theils Sprüche und Sprichwörter, keine aus Classikern herausgerissenen, schwer verständlichen Citate. Auch klar abgefasste Aufsätze aus den Realien bringen den :urchzunehmenden Lehrstoff in vielseitiger Anwendung zur An- schauung. Neben dem hohen Wert der Concentration des Unterrichtes treten die Vor- züge einer solchen Lehrweise so recht hervor, wenn man beispielsweise vergleicht, wie der Autor die Beifügung in dem Aufsatze: »Das Riesengebirge« und etwa Winkler diesen Begriff in seinen sogenannten »den besten deutschen Dichtern entnommenen Beispielen« zum Verständnis bringt. So finden wir für die erste Classe bei dem letzt- genannten Autor das Citat von Arndt: »Wer holt das Lichtgespann fliegender Blitze ein?«, für die zweite Classe »In des Waldes Geheimnis entflieht mir auf einmal die Land- schaft« etc. Binstorfers Musterbeispiele sind naturgemäß bloß Handhaben, Typen zu einer entsprechenden Behandlung der Lesestücke. Die im eintheiligen Sprachbuche einmal auftretende Form muss nun immer wieder auf der Bildfläche erscheinen, so oft sie in

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der Lecture mit einem neuen Inhalte erscheint; nur so können die sprachlichen, Formen in Fleisch und Blut übergehen. Dabei fällt von selbst das Hauptgewicht auf diemünd- liche Übung, wie sie Rud. Hildebrand fordert, und es ist gleichzeitig ausreichend . Gelegenheit geboten, das Sprachgefühl der Jugend, die doch in der Überzahl zu Hause den Dialect hört und spricht, zu reinigen und zu heben.

Die Gruppierung der grammatischen Partien ist durchwegs nach ihrem logischen Zusammenhange getroffen, so z. B. erscheinen die persönlichen und besitzanzeigenden Fürwörter in einem Briefe nebeneinander ; mit den begründenden Satzverbindungen stehen in einem und demselben Aufsatze Satzgefüge mit Umstandssätzen des Grundes; so lernen die Kinder die zugehörigen Wörter und Begriffe verstehen, nicht bloß auf- zählen. Lobend muss hervorgehoben werden, dass die verrätherischen Überschriften ausgemerzt sind; es steht nicht schon oben »Ergänzungen im Wemfalle« oder »Um- stände des Grundes«, sondern bloß »Ergänzungen«, »Umstände«, sonst wird ja jede Gedankenarbeit vorweggenommen. Neu ist die Ersetzung des Ausdrucks »zusammen- gezogener Satz« durch »einfacher Satz mit mehrgliedrigen Satztheilen«e. Die neue Be- zeichnung entspricht gewiss besser dem logischen Begriff; doch wird es ein wenig schwierig sein, diesen Ausdruck den Kindern mundgerecht zu machen. (Bei den Satz- bildern ist die frühere Benennung beibehalten.)

In einer Reihe von Beispielsätzen werden Satzbilder von zusammengesetzten Sätzen dargestellt, wobei das Abhängigkeitsverhältnis der einzelnen Theilsätze graphisch klar zur Anschauung gebracht ist. Die Aufsatzübungen zeigen eine ganz eigen- artige Umarbeitung; sie sind nämlich so skizziert, dass die Disposition markant her- vortritt und zugleich die Lehrweise vorgezeichnet wird, eminente Sprachübungen. Dabei sind solche Lesestücke gewählt, die sich in jedem Lesebuche vorfinden. Selbst- verständlich sind es wieder nur Typen; denn welches Schulbuch könnte den Stilstoff für die drei Classen erschöpfen? Die Geschäftsaufsätze wurden durchwegs zweck- dienlich, kurz und sachlich abgefasst. In keinem ähnlichen Buche ist der Stoff dem Kinde so naheliegend gewählt; man vergleiche z. B., wie die Gesuche bei Binstorfer und bei anderen Autoren behandelt sind. Der Wortbildung sind 14 Seiten gewidmet. Die Wurzelwörter erscheinen in Fettdruck, die Bildungssilben in Latein-, die Zu- sammensetzungen in Sperrdruck, also mit klarer Markierung; alles wird vom Schüler aufgesucht und sofort im Satze verwendet, so dass Steine nicht bloß gebrochen, sondern auch gleich verbaut werden. Auch die Orthographie ist vollständig neu bearbeitet worden und hat an Übersichtlichkeit und Verständlichkeit gewonnen. In sorgfältig ge- bildeten Sätzen ist die Behandlung ähnlich lautender Wörter durchgeführt; Fremd- wörter erscheinen in zusammenhängenden Gruppen.

Für eine Neuauflage möchte ich mir erlauben, einige Änderungen vorzuschlagen: Aufg. S. 15, Nr. 44, erscheint für die erste Classe zu compliciert.e. In Aufg. S. 25, Nr. 68, heißt es: »Gib an, ob die Bindewörter Glieder mehrgliedriger Satztheile oder Sätze miteinander verbinden ;«a besser würde der einfache Ausdruck »Satztheile oder Sätze« lauten. Die Fremdwörter wären um Fachausdrücke aus der Naturlehre etc., um Namen von Speisen, von Krankheiten zu vermehren. Bei der Analyse genügt es viel- leicht, wenn bloß beim Haupt- und Fürworte Geschlecht, Zahl und Fall angegeben werden.

Auch der theoretische Theil, ein dünnes, handliches Heftchen, ist bereits

umgearbeitet und harrt der Approbation. *)

*) Die Zulässigkeitserklärung dieses Werkes ist mittlerweile erfolgt; der Titel desselben lautet: „Deutsche Sprachschule. Theoretischer Theil. Eine kurzgefasste deutsche Grammatik für öster-

au

Wir erkennen in Binstorfers »deutscher Sprachschule«e die wohlausgereifte Frucht vieljähriger, intensiver Lehrthätigkeit eines hochbegabten Altmeisters und halten es für ganz hervorragend geeignet, dem Unterrichte des Lehrers und der Sprachübung des Schülers die nützlichsten Dienste zu leisten, namentlich aber hervorragend geeignet, in den Kindern jenes Sprachgefühl zu wecken, das die Grundlage schönen und zugleich logischen Gedankenausdruckes ist. M. A. Neumann.

4. Deutsche Sprachrichtigkeiten und Spracherkenntnisse.

Zweifelhafte Fälle, unsichere Begriffe, deutsche Personennamen und brauchbare Fremd-

wörter in einer alphabetisch geordneten Auswahl nach zuverlässigen Forschungen

erläutert von Theodor Vernaleken. 20 Bogen. Octav. 3 Kronen. Wien, Pichlers Witwe & Sohn.

In Nummer 5 des Jahrganges 1892 der österreichischen Schulzeitung habe ich über Aufforderung des verewigten Schriftleiters Karl Huber ein Gedenkblatt zu Verna- lekens achtzigstem Geburtstage veröffentlicht, das mit dem Citat beginnt: »Noch sprossen sie im Alter, sind saftvoll und belaubt.«a Und heute ist es mir vergönnt, die geehrte Versammlung mit dem neuen Werke des Achtundachtzigjährigen bekanntzumachen. Vernalekeuns Wiege stand unweit der der Gebrüder Grimm, mit welchen ihn das Band der Freundschaft und das gleiche Streben, die deutsche Sprache wissenschaftlich zu bearbeiten, verband. (Als Zeichen der Verehrung hat Vernaleken die 1861 und 1863 bei Braumüller in Wien erschienene »Deutsche Syntax« Jakob Grimm zu- geeignet.) Wenn man die Geschichte der österreichischen Volksschule wahrheitsgetreu darstellen will, darf man der Fortschritte, welche sie in den Fünfziger-Jahren gemacht hat, nicht vergessen. Der eifrigste Mitarbeiter an der Hebung des österreichischen Volksschulwesens war zu jener Zeit Vernaleken. Nicht minder treu wirkte er bei der Schaffung der Neuschule als erster Director der Wiener Lehrerbildungsanstalt. Seit seinem Rücktritte lebt er in Graz, sein Herz und seine Kraft noch immer der Schule und der nationalen Hebung widmend.

Er betheiligt sich mit Eifer an den Arbeiten des Sprachreinigungvereines, und als Frucht dieser Arbeiten ist der vorliegende Band zu betrachten. Wir haben nicht gleich den Franzosen eine Sprachakademie, welche die Gesetze der Sprache bis in die kleinste Einzelheit feststellt; aber an Bestrebungen, den Auswüchsen Einhalt zu thun, fehlt es auch uns nicht. (Siehe: Armin Brunner, »Schlecht deutsch«; Wustmann, »Allerlei Sprachdummheiten.«) Das vorliegende Buch bringt eine Anzahl sinnverwandter Wörter, deren Bedeutung und richtige Form festgestellt wird; es beschäftigt sich ferner eingehend mit einer Menge von Wörtern fremder Abstammung. Der Verfasser unter- scheidet unter letzteren zwischen solchen, die das deutsche Bürgerrecht erlangt haben, und die er Lehnwörter nennt, und solchen, die er verbannt wissen will, weil sich ihre Bedeutung ganz gut mit einem rein deutschen Worte geben lässt.

Vernaleken eifert gegen die behördliche Vorschreibung der Orthographie. Ein

reichische Bürgerschulen. Von M. Stein, B. Weiner und W. Wrany. Neu bearbeitet von M. Bins- torfer. Preis 50 h. 3. Auflage, Manz’scher Verlag in Wien. Mit Erlass des hohen k. k. Ministeriums für Cultus und Unterricht vom 23. Juli 1901, Z. i845, zum Unterrichtsgebrauche an Bürgerschulen mit deutscher Unterrichtssprache als zulässig erklärt.“

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Schulrath, meint er, sei darum noch kein Sprachrath; nur wer die Geschichte der deut- schen Sprache genau kennt, habe ein Recht, solche Dinge zu entscheiden. Er tritt für die Abschaffung der zweifachen Druck- und Schreibbuchstaben ein und führt für die Einheit der Schrift ungefähr dieselben Gründe an, welche seinerzeit Huber in der Pädagogischen Gesellschaft entwickelt hat. (Siehe: Pädagogisches Jahrbuch, Band V].; Seite 83—97, »Nur eine Schreib- und Druckschrift.«) Er empfiehlt wärmstens ein gründ- liches Studium der deutschen Sprache und verspottet die Halbwisser fremder Sprachen, welche besser gethan hätten, die Muttersprache genau kennen zu lernen; er beruft sich auf den Ausspruch Goethes: »Der Deutsche ist gelehrt, wenn er sein Deutsch ver- steht.«e Besonders warnt er vor schwulstigem Satzbau und eingeschächtelten Nebensätzen und empfiehlt eine größere Anzahl deutscher Schriftsteller als mustergiltig.

Ein Deutscher in des Wortes edelster Bedeutung, spricht er in den dreißig Seiten der Einleitung mit dem Brustton der Überzeugung den Wunsch aus, dass unsere Mutter- sprache sich immer schöner und mächtiger entwickle. Die folgenden 2350 Seiten führen die behandelten Wörter in alphabetischer Reihenfolge auf; einige Beispiele mögen eine Vorstellung von der lehrreichen und anregenden Behandlung geben.

»Adolf« und »Rudolfe schreiben nur Unkundige mit ph, weil sie nicht wissen, dass olf für Wolf steht; Adolf, d. i. Adel-Wolf. Gegen »Hühneraugen« gibt es Pflaster in der Apotheke, aber keines gegen falsche Schreibungen. Man sollte schreiben: Hornen- oder Hürnenaugen, nämlich die Hornhäutchen am Fuß. Das Beiwort von Horn war früher hürnin; aber was haben die Augen der Hühner damit zu thun? Es sei, meint er, mit dieser Verwechslung wie bei Klagenfurt anstatt Glanfurt, oder Kärntner- straße statt Kärrnerstraße..e. »Gescheid« ist richtiger als »gescheit«; denn im Alter- thum hieß es geschide; das sei noch erhalten in bescheidenem Wissen. Wir sollen nicht vergessen, fügt er hinzu, dass die Klugheit und Gescheitheit meist von unten kommt; in den höheren Ständen ist die Beschränktheit am meisten zu Hause, das bewirkt die Abgeschlossenheit vom Volke. Die »Leite« für geistige Getränke ist wenig bekannt, bloß Leitgeb für Wirt. In den Mundarten bezeichnet Leite den Abhang eines Hügels; die Sommerleite liegt gegen Süden, wo der Wein wächst. Er will »Likör« und »Frisör« statt der französischen Schreibweise, da man das »eu« auch in »Möbel« abgeschafft hat; ebenso schreibt er »Kokettieren« und erklärt es als Ableitung von coq (Hahn); es erinnert an das Benehmen der Henne, wenn sie den Hahn lockt; »sie hennelt,« sie will gefallen. Für »adieu« wünscht der Verfasser immer »adee« an- gewendet, obgleich »Lebe wohl!« oder »Gott befohlen!« treffender wäre. »In deutschem Munde klingt das französische adieu immer geziert bei höheren Töchtern und vor-. nehmelnden Frauen; adee hatte längst das Bürgerrecht erlangt, als die Verbildung des 18. Jahrhunderts wieder das alte französische Wort herzustellen suchte.«e Aus der biblischen Geschichte kennt man das Wort »Philister«e von einer ganz anderen Seite als in der modernen Sprachweise, wo es soviel wie Spießbürger heißt; der gelehrte Verfasser weist auf einen Streit der Studenten in Jena mit den Bürgern hin; es diente nämlich die Stelle aus der Bibel: »Philister über dir, Simson« als Text zu einer Leichen- rede, welche der Geistliche am Sarge des von Bürgern erschlagenen Studenten anwen- dete. Für »Pseudonym« schlägt er »Deckname« vor. »Pumpernikel« ist ein mannig- fach erklärtes Wort; es bedeutet eine Art Brot, das in Westphalen bereitet wird; er leitet es von bonum paniculum ab, welchen Namen das im Jahre 1540 vom Magistrate zu Osnabrück für arme Leute gebackene Brot geführt hat.

Die wenigen Proben genügen, Einblick in das Streben zu bieten, die Sprach-

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reinigung und das Verständnis für die Entwicklung der Sprache zu fördern. Es ist erquickend, in dem greisen Gelehrten einen von jugendlicher Begeisterung für Freiheit und Fortschritt erglühenden Mann zu sehen; mögen ihm nech viele Jahre und uns noch viele Arbeiten aus seiner Feder beschieden sein! D. Simon.

5. Elementare Erklärung und Behandlung der zusammengesetzten

Zinseszinsrechnungen. (Methode nach Franz Schischlik, Schulleiter in Pöbring-Pöggstall, Niederösterreich.)

Die neue Methode, über welche ich zu referieren habe, bedeutet eine Reform in der Erklärung und Behandlung der zusammengesetzten Zinseszinsrechnungen. Bis jetzt müssen in der Bürgerschule aus dieser Kategorie von Rechnungen eine große Anzahl von Aufgaben umgangen werden. Es fehlt der Wegweiser zu deren Lösung. Diesen hat nun Schischlik durch ein überraschend einfaches Verfahren gefunden. Nicht durch weitläufige Proceduren mit Progressionen und Logarithmen, sondern bloß mit Hilfe der Tabellenwerte und durch Bildung einfacher Schlüsse gelingt ihm die Lösung. Allerdings müssen bei gewissen Aufgaben noch einzelne Betrachtungen und Versuche eingeschoben werden, was jedoch den Wert der vortrefflichen Methode nicht vermindert.

Es liegt mir darüber im Manuscript eine gediegene wissenschaftlich-methodische Arbeit von Franz Schischlik vor, welche die erfreuliche Gewähr in sich fasst, den unzugänglichen Theil des Gegenstandes für die Zwecke der Schule zu erschließen und auszugestalten. Jedenfalls verdient die Arbeit, in die Öffentlichkeit gebracht zu werden, Ich will mich hier auf die Vorführung einiger besonderer Beispiele beschränken, um das Wesen und die praktischen Vortheile der neuen Methode klarzulegen.

Die Behandlung der Zinseszinsrechnungen mit regelmäßigen Theilzahlungen setzt selbstverständlich die Kenntnis der einfachen Zinseszinsrechnung voraus. Vor allem ist es wichtig, dass die Schüler die Bedeutung der Auf- und Abzinsungsfactoren genau erfasst haben. Es wird sich daher sehr empfehlen, in der Schule entsprechende Übungen mit den Zinsfactoren voranzustellen.

Bei 4°/, ist der Aufzinsungsfactor des 20. Jahres 2’191123. Derselbe ist der End- wert der Capitalseinheit als Anlagecapital, welches in 5 Jahren zu 4°/, sammt Zinsen und Zinseszinsen auf diese Höhe anwächst. Wählt man als Capitalseinheit I X, so be- trägt in diesem Falle die Summe der Zinsen und Zinseszinsen I’IgI123 X. ı Ä trägt jährlich 4 % Zinsen. Dieser Betrag kann als nachschüssige Theilzahlung aufgefasst werden. Wenn daher am Ende eines jeden Jahres 4 A auf Zinseszinsen zu 4°/, angelegt werden, so müssen am Ende des2o0. Jahres T’ıgIıı23 Aals Endsumme erzielt werden. Zur Veranschaulichung des vorliegenden Falles kann folgende Darstellung dienen:

Anlagecapital: Theilzahlungen: Endwert (Aufzinsungsfactor): 0°04 K 004 004 004 IE +] ......2222ssenernen Pl = 2191123 A o I 2 19 20

1191123 A (Zinsensumme). Für die weitere Betrachtung werde ich der Kürze und Einfachheit halber, wie es auch Schischlik gethan hat, die Verzinsung ganzjährig annehmen und die Zins- factoren bloß 4-stellig wählen.

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A. Berechnung des Endwertes. (Fundamentalaufgabe.)

Am Ende eines jeden Jahres werden 560 A” durch Io Jahre erlegt; zu welchem Endwerte wachsen diese Beträge bis zur Zeit der letzten Einzahlung an, wenn 2°/, Zinses- zinsen gerechnet werden ?

Nach dem alten Verfahren ist aus der Endwerttabelle in der Rubrik 2/, die Summe von 9 Zinsfactoren zu bilden. Es wird in folgender Weise gerechnet:

102 1'0404

1°0612 K 9:9498.560

1'0824 X 696486

I’1041 X 5571888

11262 K 560 als letzte Theilzahlung dazu gibt 1°1487 K6r8g als Endwert.

6 A er

1'I951

9°9498

Die Lösung nach der neuen Methode von Schischlik ergibt sich sehr leicht durch Bildung nachstehender Schlüsse: Der Aufzinsungsfactor des IO. Jahres (20/,) ist 1°2190.

2 h Theilz. ergeben am Ende des 10. J. 02190 Ä (siehe oben) , 0'2190 ııh u ergibt = Be hai al Te 100.0°2190 X I £ N n y n nr» N 9

560.100.0°2190 X

5s60K ergeben ir ae = 6132 X als Endiwert.

2 Kürzer: s Eine Theilz. von 2 h ergibt die Endsumme 02190 X 5 a = IA ,„ n n 50.0°2190 n a 560052 # 5 560.50.0°2190 = 6132 X.

Die Schüler kommen bald darauf, dass ı X als Theilzahlung bei 2%/, das 50-, bei 21/,0/, das 40-, bei 4°/, das 25- und bei 5°., das 20-fache der im Verzinsungsfactor enthaltenen Zinsensumme als Endwert ergeben muss.

Bemerkung: Setzt man in die Schlussformel statt der besonderen Zahlen all-

gemeine ein, für 560 = r, für den Aufzinsungsfactor I’2190 oder I'0210 en , dem- nach für 02190 =en ı und für 20%/,=2, so erhält man dadurch den allgemeinen 100

Ausdruck für die Berechnung der Endsumme Sr, u.zw.: Sr=r (en 1).

2

Von der einfachen und interessanten allgemeinen Ableitung der Fundamental- formel, wie sie Schischlik gegeben hat, muss ich heute absehen. Erwähnen will ich nur, dass bei der Bestimmung des Zinsfußes die Umformung des Ausdruckes auf eine Gleichung führt, in welcher die Unbekannte als höhere Potenz erscheint:

en I Sn FO D n Sr = Tor; darin ist er = (: + 15 )

Diese Formel lässt eine elementare Lösung nicht zu.

Die vorliegende Methode handelt nur von nachschüssigen Theilzahlungen. Werden die Theilzahlungen am Anfange eines jeden Jahres geleistet, so kann die Lösung in doppelter Weise erfolgen. Entweder wird die Endsumme um ihre einfachen Zinsen ver-

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mehrt, oder man verwandelt die vorschüssige Theilzahlung in eine nachschüssige. Z. B. Am Anfange eines jeden Jahres werden 28 X eingezahlt; welche Endsumme ergeben diese Beträge nach Ablauf von 15 Jahren, wenn 5°/, Zinseszinsen gerechnet werden? Der Aufzinsungsfactor des 15. Jahres (50/,) ist 20789.

604°184.5 4 I. 28.20.1°0789 = 604°184 X; Ends. —= 604184 En = 63439 Ä. 28.5 II. 28 + : een = 29'4 X (nachsch. Theilz.); Endsumme = 29°4.20.1°0789 = 63439 A.

Den Vorgang bei der Lösung abweichender Fälle hat Schischlik seiner Arbeit in Form von Bemerkungen eingefügt.

B. Berechnung des einzuzahlenden Betrages.

Welcher Betrag muss am Ende eines jeden Jahres bei 2°/, auf Zinseszinsen an- gelegt werden, um bei der letzten Zahlung nach 10 Jahren die Summe von 6132 A’ zu erzielen? (Siehe Beispiel 1.)

o°2190 Ä Ends. erfordern eine Theilz. per 2 A

50.0°2190 5 5 5 . IA 6132 5% nm n n n 6132 . 50.0210 SA,

C. Berechnung der Zeit.

Nach wie viel Jahren wird ein am Schlusse eines jeden Jahres bei 3"/, auf Zinseszinsen angelegter Betrag von 28 A’ bei der letzten Leistung den Endwert von 604'184 A’ erreichen? (S. Bem. oben.)

28 ÄX Theilz. ergeben die Ends. von 604'184 A”

604'184 A IK 0 ergibt 5 y n _—. :

604184 X i zA ergeben %„ He gg 10789 X.

10789 A’ sind die im Aufz.-F. enthaltene Zinsensumme. Wird dieser Betrag um das Anlagecapital (1 A’) vermehrt, so erhält man den Aufzinsungsfactor selbst, für diesen Fall die Zahl 20789. Diese weist in der Rubrik 5"/, auf das Ende des I5. Jahres hin.

Bemerkung: Es könnte der gefundene Aufzinsungsfactor einer Zeit entsprechen, die beispielsweise zwischen dem 14. und 15. Jahre liegt. In diesem Falle muss der unbekannte Zeittheil mittels einfacher Zinsrechnung bestimmt werden, wobei der Auf- zinsungsfactor des I4. Jahres als Anlagewert erscheint, und die Differenz zwischen diesem und dem gefundenen Verzinsungsfactor die Zinsen bezeichnet.

D. Bereehnung des Zinsfußes.

Zu wie viel Procent müssen die am Ende eines jeden Jahres eingezahlten Be- träge von 50 A’ auf Zinseszinsen angelegt werden, damit nach 235 Jahren bei der letzten Einzahlung 208225 A erzielt werden? (Beachte hiezu die obige Bemerkung über die Fundamentalformel!)

Liegen dieser Aufgabe bestimmte Procente aus der Tabelle zugrunde, so macht die Lösung derselben keine Schwierigkeiten.

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50 ÄX Theilz. ergeben als Endwert 208225 X 2082°25 A Li o 5 ergibt 5 = z so er 2082°25 A

Ih n n n n 50.100 0'41645 K.

Zur Eruierung des fraglichen Zinsfußes müssen für die in der Tabelle enthaltenen Procente jene Endsummen festgestellt werden, welche der Theilzahlung von ı %k zu- kommen. Zu diesem Zwecke werden die Zinsensummen in den Zinsfactoren des 25. Jahres durch die entsprechende Procentzahl getheilt. Einer von den Quotienten muss mit der Zahl 0°41645 gleichwertig sein und weist auch zugleich in der zugehörigen Rubrik auf die gesuchten Procente hin.

0°6406 Versuche: ı % Theilz. ergibt in 25 J. die Ends. = 0'3203 Ä bei 2 ®/, Zz.

0°8539 '

In n nn nn n 21, = 034156 n 21/0 Z1. 10938

In n nn nn n en —= 03646 nn 3 v/ Zz. 16658

In n nn on 9 n 4 041645 nm 4 Pu Zz.

In gleich praktischer und elementarer Weise behandelt Schischlik mit Hilfe der Abzinsungsfactoren die Aufgaben, in welchen ein Barwert in Theilzahlungen zu verwandeln ist. (Annuitäten- und Rentenrechnung.)

Ich habe mich in meinem Referate bloß auf die Darstellung einfacher Fälle be- schränkt und muss dem noch hinzufügen, dass die neue Methode ohneweiters auch auf die Lösung von Aufgaben über mehrfach zusammengesetzte Zinseszinsrechnungen an- gewendet werden kann. Im I. Heft des VI. Jahrganges der »Periodischen Blätter für Realienunterricht und Lehrmittelwesen« hat Schischlik an allgemeinen Beispielen seine Methode erläutert. Er hat damit einen neuen Weg gezeigt, welcher die Anwen- dung der Lehre von den geometrischen Progressionen und Logarithmen bei der Lösung zusammengesetzter Zinseszinsrechnungen entbehrlich macht.

Auf Grund der alten Methode können in der Bürgerschule nur vereinzelte Fälle besprochen werden. Das Verfahren ist dabei sehr umständlich, infolge dessen zeitraubend und unpraktisch. Rascher und sicherer dagegen führt die neue Methode zum Ziele. Mit Hilfe derselben können auch schon in der Bürgerschule solche Fälle herangezogen werden, welche bisher von einer elementaren Behandlung ausgeschlossen bleiben mussten. Schischlik lässt sich bei der Bearbeitung des Gegenstandes durchwegs von prakti- schen Motiven leiten und hat dadurch ein entlegenes Gebiet den Bedürfnissen der Schule und des Lebens weit näher gerückt. Es wäre wünschenswert, dass die neuartige Behand- lung des besprochenen Stoffes auch in Lehrerbildungsanstalten Berücksichtigung fände. Die Gutachten, welche über die neue Methode von fachmännischer Seite abgegeben worden sind, stellen derselben das beste Zeugnis aus. Das neue Verfahren ist aber auch aller Beachtung und Anerkennung wert. Karl Sponner.

a,

6. Kleine Anstandslehre.

Von Franz Mohaupt. Vollständige Ausgabe: ı A 50 A. (Schülerausgabe, d. i. der erste Theil der vollständigen Ausgabe, 60 A). 2. Auflage. Tetschen an der Elbe, Otto Henckel.

Unter den Pädagogen und Lehrern, die ihre Wirksamkeit über die Schulstube hinaus ausdehnen, nimmt Franz Mohaupt einen der ersten Plätze ein. Wir kennen seine Feder aus den »Hobelspänen aus meiner Werkstatt« und aus den »hygienischen Episteln«. Wieder ist Mohaupt mit einem Werke vor die Öffentlichkeit getreten, das einem praktischen Bedürfnisse entsprang. Die Vorträge, die der Verfasser in einer Mädchenfortbildungsschule über Anstand hielt, waren der Anstoß, ein neues Buch, be- titelt »Kleine Anstandslehres, in die Welt zu senden. Vor mir liegt die zweite Auflage, ein deutliches Zeichen, dass das Werk seinen Leserkreis fand und seinem wahren Werte nach gewürdigt wurde. |

Der Inhalt gliedert sich in zwei Theile: a) Was schon jedes Schülerlein wissen darf und soll, 5) Was man in der Schule des Lebens sonst noch wissen und beachten soll. Der erste Theil erschien auch in einer separaten »Schülerausgabe« und befasst sich mit den allgemeinsten Regeln und Vorschriften des Anstandes. Der zweite Theil ist für die reifere Jugend berechnet und behandelt einzelne Capitel, die aber in ihrem Zusammenhange ein, ich möchte fast sagen, kleines Lexikon der Anstandsregeln dar- stellen. Alle die sogenannten »conventionellen« Gepflogenheiten, welche weder der Jüng- ling noch die Jungfrau vernachlässigen darf, finden sich hier verzeichnet und ausführ- lich besprochen. Es ist ja bekannt, dass junge Leute durch falsche Scham sehr oft ab- gehalten werden, erfahrene Menschen um Auskunft über ein bestimmtes Benehmen zu ersuchen, da sie fürchten, durch das Bekenntnis ihrer Unwissenheit in den Verdacht des »Ungehobeltseinse zu kommen; alle diese werden Mohaupt, wenn sie seine An- leitung zurathe ziehen, gewiss Dank für seine Arbeit wissen.

Die Darstellung entspricht ganz der angenehmen, natürlichen Schreibweise Mohaupts. Hätte er auch seinen Namen nicht auf das Titelblatt drucken lassen: jeder, der einmal ein Mohaupt’sches Werk in Händen hatte, würde ihn sofort wieder- erkennen. Wir.sind wohl mit Büchern über Anstand und ästhetisches Benehmen, mit Complimentierbüchern, und wie sie sonst alle heißen mögen, reich genug gesegnet; sie bewegen sich aber nur zu häufig in allgemeinen Abhandlungen und geben nur selten die bestimmte Antwort auf die dringende Frage, welche die unkundige Jugend ängstlich an sie richtet. Mohaupt versteht es, bei aller Bestimmtheit und Schärfe urwüchsig treffend und eindringlich zu bleiben, insbesonders dadurch, dass er ganz plausible Gründe für ein gewisses Verhalten und Benehmen bringt, sofern dieses nicht »traditionell« ist. Ganz besonders empfiehlt sich das Büchlein jenen jungen Männern, die dazu bestimmt sind, einst selbst als lebende Beispiele des Anstandes zu gelten, den Lehramts- zöglingen. Sie leben ja so häufig in sehr einfachen Verhältnissen, haben nicht immer Gelegenheit, ihre Umgangsformen allseitig auszubilden, müssen dagegen jeden Mangel an gesellschaftlicher Bildung manchmal bitter büßen. Selbstverständlich macht das Lesen des Büchleins allein noch nicht gesellschaftlich gebildet; aber es weist den Weg und die Richtung und wird dadurch zu einem verlässlichen Behelf und Nachschlagebuch.

Richard Klement.

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7. Österreichischer Schulbote.

Zeitschrift für die Praxis der österr. Volks- und Bürgerschule. Schriftleiter Franz Frisch. Erscheint jährlich elfmal. Preis: vierteljährig ı A’ 80 rk. Pichlers Verlag, Wien.

Der »österreicnische Schulbote« konnte mit der letzten Jahreswende ein seltenes Jubiläum feiern, das Jubiläum seiner vor einem halben Jahrhundert erfolgten Gründung, und die »Wiener Pädagogische Gesellschafte soll dieses Jubiläums freundlich gedenken, ohne sich durch den Umstand beirren zu lassen, dass die genannte Fachzeitschrift im Laufe der Zeit manche Wandlung in ihrer Tendenz über sich er- gehen lassen musste. Wir haben eben nicht den »Schulboten« im Auge, der nach Deinhardts Worten zuerst officiell, dann officiös und hierauf halb officiös wär, sondern den seiner Vormundschaft entwachsenen und auf eigene Füße gestellten »Schulboten«e, wie er uns in seiner gegenwärtigen Gestaltung entgegentritt. Schon aus inneren Gründen ist die «Wr. Päd. Ges.« dem heutigen »Ö. Sch.« nähergerückt, denn die Gleichartigkeit des Schaffens, bedingt durch die Gleichartigkeit des gewählten Arbeitsfeldes, ergibt mannigfache Berührungspunkte und verwandte Beziehungen; der »Ö. Sch.« wie die »Wr. Päd. Ges.« haben sich die Förderung und Fortentwicklung der Pädagogik im all- gemeinen und der Methodik im besonderen -zur Aufgabe gestellt, und beide arbeiten mit den Kräften, die zeitweilig zur Verfügung stehen, in durchwegs ernster und gutgemeinter Weise, wenn auch nicht immer mit ungestörtem Bemühen und gesichertem Gelingen.

Es liegt nahe, bei solchem Anlasse von den Aufgaben der pädagogischen Presse womöglich in schönen, wohlklingenden Sätzen zu sprechen, aber die Schönheit und der Wohlklang dieser Sätze sind gewöhnlich gerade proportioniert mit der Allgemeinheit und Abstractheit ihres Inhaltes, dagegen umgekehrt proportioniert mit ihrer Anwendbar- keit auf einen besonderen Fall. Eine pädagogische Zeitschrift wird heutzutage den An- forderungen, welche berechtigterweise an die pädagogische Presse gestellt werden, nicht nach allen Richtungen hin im ganzen Umfange entsprechen können; sie wird sich be- scheiden müssen, nach dem Princip der Arbeitstheilung nur einen bestimmten Theil der allgemeinen » Aufgaben« sich vorzusetzen und der Lösung zuzuführen, wie dies in ähnlicher Weise bei der »Wr. Päd. Ges.« und anderen Lehrervereinen in Bezug auf die Aufgaben pädagogischer Vereinigungen der Fall ist. So ist auch der »Ö. Sch.« auf seiner Wan- derung durchs Erdenleben, d. h. in seinen schriftstellerischen Darbietungen, nach und nach dazu gelangt, sich auf ein enger abgegrenztes Gebiet, auf das Gebiet der inneren Schulangelegenheiten zu beschränken und in erster Linie eine Zeitschrift für die Schul- praxis zu sein, auf welchem Gebiete er einen hervorragenden Platz einnimmt.

Die Feier eines Jubiläums zeitigt in sich immer das Verlangen nach der Ge- schichte des Gewordenen. Die Geschichte des »Ö. Sch.« wird uns von vorneherein als eine in hohem Grade lehrreiche erscheinen, da sie ja einen für die Gestaltung der modernen Schulverhältnisse so wesentlichen Zeitabschnitt umspannt; und wir können der Verlagsbuchhandlung nur Dank sagen dafür, dass sie in einer besonderen Beilage von ca. 4 Bogen Stärke uns einen raschen Überblick über ein halbes Jahrhundert literarisch-sachlicher Arbeitsleistung, zugleich unter Aufrollung des betreffenden historischen Hintergrundes, ermöglicht. Die jedenfalls sehr mühevolle Arbeit rührt von unserem verdienten Mitglied Ferdinand Frank her, und wenn sie auch in ihrer Dar- stellungsweise nicht jedes kritische Auge befriedigen sollte denn die Auffassung, bezw. Objectivierung ist wie beim Photographieren die ureigene Sache des betreffenden Autors so weist sie döch auf die Quellen hin und erleichtert das Nachschlagen und

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Auffinden. So heißt es, um für den eben geäußerten Vorbehalt nur ein Beispiel anzu- führen, auf Seite 20 der erwähnten Schrift: »In Nr. 33 (Jahrg. 1863) wird der neue Lehrerverein »Die Volksschule« sympathisch begrüßt. Aber schon am 24. Mai d. ]J. wird von der Gründung des »Wiener Lehrervereines«, der, wie es scheint, die ge- mäßigteren Elemente der Lehrerschaft umfasste, gesprochen.« Wollte man hier für den zweiten Lehrerverein eine recht milde und weniger verfängliche Bezeich- nung geben, so geschähe es wohl eher durch das Wort »gouvernemental«, »der jeweiligen Herrschaft zugethan.« Denn dadurch, dass »an der Eröffnung des letztgenannten Vereines«e, wie der Berichterstatter angibt, zwei höhere Regierungsbeamte und drei Prälaten sich betheiligten,.. sind »die gemäßigteren Elemente der Lehrerschaft« nicht zweifellos als vorhanden bezeichnet, und dies umsoweniger, als andererseits für die damalige Stellung des zuerst gegründeten Vereines »Die Volksschule« die Thatsache bezeichnend ist, dass am 2. Juni 1864 der Präsident des Abgeordnetenhauses und zugleich Präsident des Unterrichtsrathes, Dr. Leopold Hasner Ritter von Artha, in Begleitung des Ministerial- referenten für Schulangelegenheiten in der Sitzung des Vereines »Die Volksschule« erschien, daselbst für seine Ernennung zum Ehrenmmitgliede mit herzerhebenden Worten dankte und die versammelte Lehrerschaft in ihren Vereinsbestrebungen zu för- dern versprach. *)

Doch kehren wir zu unserem Gegenstande zurück. Der »Ö. Sch.e ist volle 50 Jahre und jetzt schon darüber eine pädagogische Zeitung mit dem allen übrigen Schulzeitungen gemeinsamen Bestreben, in bestimmtem Sinne auf Schulangelegen- heiten Einfluss zu üben und dabei das wirtschaftliche Auslangen zu finden; es ist bei ihm jedoch der mehrmalige Wechsel in der Person des Redacteurs mit tiefergehenden. Änderungen in der Hauptrichtung des Blattes verknüpft gewesen, und der Unterschied tritt auffällig hervor, wenn man z. B. die Namen Krombholz und Frisch neben- einander stellt und mit ihnen den »Ö. Sch.« der Fünfziger- und den der Achtziger-Jahre betrachtet. Die Männer, die in den verflossenen 50 Jahren als Redacteure den »Ö. Sch.« leiteten und in ihrer Persönlichkeit zugleich die geistige Richtung desselben andeuteten, waren: 1851—1860 Consistorialrath Dr. A. Krombholz und Schulrath Dr. M. A. Becker; 1861— 1864 Privatschullehrer Adolf Nitsche im Verein mit einem 13-gliedrigen Redactionscomite; 1864—1871 Ministerialconcipist Dr. F. K. Hillardt, der Erfinder der stigmographischen Methode; 1871—1874 Robert Niedergesäß (1872 übernahm die Buchhandlung A. Pichlers Witwe und Sohn den »Ö. Sch.« aus dem Verlage von L. W. Seidel); 1875 bis Mitte 1876 Dr. Jos. Kress und Fr. Branky; Mitte 1876 bis Mai 1878 W, P. Wolf; Mai 1878 bis Mitte 1881 der jetzige Firmainhaber der Verlagsbuchhandlung, F. Pichler jun.; ı. Juli 1881 bis heute: Franz Frisch, vormals Bürgerschullehrer in Klagenfurt, jetzt Bürgerschuldirector und Stadtschulinspector in Marburg. War auch ihre Einflussnahme auf das Blatt nicht gleich lang und gleich tief, so verschieden wie bei den kommenden und gehenden Mitarbeitern, so gilt doch für jeden Einzelnen, was Frisch über die Gesammtwirkung des »Ö. Sch.« mit aller Bescheidenheit ausspricht: »Wenn aus seinen fünfzig starken Bänden nur ab und zu ein lebensvoller Gedanke, eine Anregung, eine Mahnung zur Treue auf fruchtbaren

*) Das Gesuch um Genehmigung des Vereines „Die Volksschule“ wurde überreicht im Oc- tober 1861, die zustimmende Erledigung erfolgte am 29. Juli 1863; die erste Vereinssitzung fand am 4. October 1863 statt. Der „Wiener Lehrerverein zur Hebung der Volksschule und der mit ihr verbundenen Unterrealschule“, von der Statthalterei am 2. März 1864 bewilligt, hielt die Eröff- nungssitzung am 24. Mai 1864.

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Boden fiel, wenn nur hie und da ein Beispiel aus gereifter Praxis in einer Schulstube verständige Nachahmung fand: dann haben die Männer, welche die Zeitschrift ins Leben gerufen, sie mit Inhalt versehen und geleitet, ihre Kraft und Zeit nicht vergeblich geopfert.«

Recht übersichtlich wird der Lebenslauf des »Ö. Sch.« durch die Frank’sche Gliederung der schon genannten Jubiläumsschrift gekennzeichnet, u. zw.: A. Der »Ö.Sch.« als officielles Organ, 1851—1872 (I. bis zum Concordat, 1851—1856, II. bis zur Er- richtung des Unterrichtsrathes, 1856—1860, III. in der Übergangszeit, 1861— 1872), B. Der »Ö. Sch.« als unabhängiges Organ, 1873— 1900 (I. im Zeitalter des Aufschwunges, 1873—1880, II. im Zeitalter des Schulkampfes, 1881—18go, III. der »Ö. Sch.« als Zeitschrift für die Praxis der Volks- und Bürgerschule, 1890—1900). Aus dem Mosaik der Tausende von Aufsätzen und Mittheilungen wird sich der rothe Faden fortlaufender Ideenvermittlung wohl nur im allgemeinen feststellen lassen. Eine vollständige Inhalts- angabe ist fast unmöglich, auch der Frank’sche Auszug enthält viel zu viel an Überschriften und Namen; ist doch jeder einzelne Jahrgang schon ein großes, umfang- reiches Buch!

Die kurze Betrachtung, die wir dem »Ö. Sch.« widmen, dürfen wir nicht schließen, ohne der zwei Jahrzehnte umfassenden Arbeitsleistung des als Schulmann und Jugend- schriftsteller rühmlich bekannten derzeitigen Redacteurs mit voller Anerkennung zu gedenken. Noch eines und durchaus nicht Nebensächliches ist zu bemerken: Das Jubi- .läum des »Ö. Sch.« zwingt uns, den Blick in eine bedeutungsvolle Vergangenheit zu versenken; möchten wir doch aus dem Studium dieser Vergangenheit lernen, recht viel lernen, zur Nutzanwendung für die Zukunft und für die Gegenwart. M. Zens.

8. Österreichs deutsche Jugend. Herausgegeben vom deutschen Landeslehrervereine in Böhmen. Geleitet von B.-D. Franz Rudolf. Reichenberg, jährlich ı2 Hefte. Preis 4 X 80.A.

Frühzeitig lauscht das Kind den Worten der erzählenden Mutter und gestaltet in Gedanken sich seine eigene Welt; und sobald es einen bestimmten Grad von Lese- fertigkeit erreicht hat, greift es nach dem Geschichtenbuche, das ihm ungeahnte Wunder enthüllt und ihm sein Innenleben im Spiegel fremden Thuns und Denkens zeigt. Die Schule weiß das Lesebedürfnis der Jugend wohl zu würdigen, ihre Schülerbibliotheken enthalten Hunderte von Büchern für die verschiedenen Altersstufen, und der erziehende Lehrer wird überdies in hoffentlich vielen Fällen die Individualität des Schülers berück- sichtigen können, wenn es auch noch seine guten Wege dahin hat, die Lectüre direct in den Dienst des Unterrichtes und der Erziehung zu stellen, freilich eine sorgsam ausgewählte Lectüre. Denn der Büchermarkt wird alljährlich von sogenannten Jugend- schriften geradezu überflutet, und die meisten dieser Schöpfungen verdanken ihr Dasein weniger dem Schaflensdrang des pädagogischen Künstlers, als vielmehr dem speculativen Sinn des Buchhändlers; die den Sensationsromanen nachgebildeten Indianerbüchel wie die süßlich tändelnden Backfischgeschichten sind ja sattsam bekannt. Andererseits wollen die langwierigen Berathungen über die Eigenschaften einer durchaus guten Jugend- schrift, z. B. ob diese unterhaltend oder belehrend sein solle, noch immer nicht zu einem gedeihlichen Ende kommen. Deshalb bereitet die Wahl unter den angepriesenen Jugend- schriften all denjenigen berechtigte Sorge, die es zu würdigen wissen, wie viel Segen,

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aber auch Unsegen aus Geschichtenbüchern sich in die Seele des Kindes ergießen kann. Die Lehrerschaft, speciell die österreichische, hat die Frage der Jugendlectüre vielfach und eingehend erörtert; zahlreiche Versuche wurden gemacht, um ein Verzeichnis empfehlenswerter Jugendschriften zusammenzustellen, so z. B. vom Vereine »Die Volks- schule« in Wien, vom deutsch-österr. Lehrerbunde, von verschiedenen Fachblättern, auch Engelbert Fischers Buch »Die Großmacht der Jugend- und Volksliteratur« ist hier zu nennen in neuester Zeit Drescher in Graz (Auswahl geeigneter Jugendschriften für Schülerbibliotheken an Volks- und Bürgerschulen; Preis 2 X; Graz, H. Wagner), dann Moißl und Krautstengl in Aussig (Die deutsch-österr. Jugendliteratur. Eine kritische Beurtheilung der deutsch-österr. Jugendschriften. Für Schulvorstände, Bücher- - warte und Eltern, I. Theil 3 AX, II. Theil 4 X; Aussig, A. Grohmann) ganz ab- gesehen von den diesbezüglichen Arbeiten der reichsdeutschen Lehrerschaft, so z. B. den Veröffentlichungen der »Jugendschriftenwarte«. Es verdient aber angemerkt zu werden, dass es nicht erst der Revisionserlass des Ministers v. Gautsch gewesen ist, der diese Reinigungsbestrebungen ins Leben gerufen hat; auch die in Wien erfolgte Ausschei- dung einer nicht unbedeutenden Anzahl von Büchern aus den von der Gemeinde bei- gestellten Bibliothekswerken war nur mehr ein letzter Schritt in dieser Sache.

Die Lehrerschaft hat aber nicht nur Kritik geübt, sondern sie war auch im Stande, in die Concurrenz einzutreten und Gutes und Neues zu schaffen: Frisch, Heller, Jessen u. v. a haben mit mehr oder minder glücklichem Erfolge sich als Jugend- schriftsteller bethätigt. Und in ähnlicher Weise, wie die schöngeistige Lectüre der Er- wachsenen auch durch belletristische Zeitschriften vermittelt wird, hat in der Jugend- schriftenliteratur sich die periodische Presse ihren Platz erobert, z. B. in Österreich die vor Jahren von A. Ch. Jessen herausgegebene »Österreichische Jugendbibliothek« (ursprünglicher Titel »Lust und Lehree«), ferner die in schlichtem Gewande erschienene Schrift »Für die Jugend des Volkes«, der es leider nicht gelang, ein entsprechendes Absatzgebiet sich zu sichern, dann die anspruchsvoller sich gebende, mit einem größeren Aufwand von Mitteln arbeitende und zu blühendem Wachsthum gelangte Monatsschrift »Österreichs deutsche Jugend«. Die Herausgabe der letztgenannten Jugendschrift wurde 1883 zu Trautenau vom deutsch-böhm. Landeslehrertag beschlossen, und Obmann Franz Rudolf übernahm die Durchführung dieses Beschlusses. Nur wenigen mag es gegönnt sein, ein neues Unternehmen ins Leben zu rufen und zu solch schönem Ge- deihen zu bringen, wie es Rudolf mit »Österreichs deutscher Jugend« geglückt ist. Und wenn aüch von vorneherein auf die wirksamste Unterstützung durch die stramme Organisation der ihrer Pflichten und Rechte bewussten thatkräftigen Lehrerschaft Deutsch- böhmens zu rechnen war, so bleibt das Verdienst des geistigen Leiters, der die Mitarbeiter zu gewinnen, die Beiträge auszuwählen, für das regelmäßige Erscheinen Vorsorge zu treffen, also über Inhalt und Form zu wachen hat, über allen Zweifel erhaben. Das Verdienst der Leitung und Verwaltung erscheint in noch schönerem J.ichte, wenn man ins Auge fasst, dass der Reingewinn den huma- nitären Zwecken des deutschen Landeslehrervereines in Böhmen zufließt, dem- nach die hier mit wahrer Hingebung an ideale Ziele geleistete Arbeit in keine Parallele zu der regen Thätigkeit des seinen persönlichen Gewinn suchenden Kaufmannes gestellt werden kann. Nach und nach hat sich ein Kreis auserlesener Mitarbeiter zusammen- gefunden, nach und nach sind die vielseitigen Bedürfnisse des. hiefür in Betracht kommenden Lesepublicums immer mehr erkannt und befriedigt worden, nach und nach konnte auch die äußere Ausstattung jeden Wettbewerb mit ähnlichen Literaturerzeug-

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nissen erfolgreich aufnehmen. Vor uns liegt der abgeschlossene 17. Jahrgang des Werkes mit einem, seinem besonderen Zwecke voll entsprechenden Inhalt. Wir finden eine Reihe längerer Aufsätze, als Erzählungen, Fabeln, Legenden, Märchen; dann Lebens-, Natur- und Charakterbilder; weiters Gedichte, Lieder, Sprüche; endlich heitere Geschichtchen, Räthselaufgaben u. dgl. Einzelnen Heften sind vortrefflich ausgeführte Farbendruck- bilder beigegeben. Das geistige Niveau der einzelnen Beiträge ist so abgestuft, dass namentlich den oberen Altersclassen der schulpflichtigen Jugend jedesmal ein bestimmter Antheil gesichert bleibt.

»Österreichs deutsche Jugend« wurzelt im Geiste des Reichsvolksschulgesetzes; sie leiht dem patriotischen Empfinden, dem dynastischen Fühlen passende Worte, sie sucht die jugendliche Seele sittlich zu heben und zu kräftigen. Manche Aufsätze können als willkommene Ergänzung des Schulunterrichtes in Geschichte, Geographie, Natur- kunde u. s. w. dienen. Andere Beiträge berühren die Tagesereignisse, so den Buren- krieg, die Pariser Weltausstellung, besondere Gedenkfeierlichkeiten u. dgl., unter Bei- gabe entsprechender Abbildungen; diese Beiträge dürften wohl auch mithelfen, die Er- scheinungsform des Werkes zu rechtfertigen, und sie könnten den grundsätzlichen Gegnern von Kinderzeitschriften als eine Art Milderungsgrund erscheinen, denn die Jugendschrift stellt sich damit in den Dienst der jeweiligen Gegenwart, der vollen Actualität, des im kindlichen Vorstellungskreise gegenwärtig Wirksamen. Die Monatsschrift »Für die Jugend des Volkes«e dagegen war doch eigentlich nur die in regelmäßigen Lieferungs- terminen erscheinende Buchausgabe einer guten Jugendschrift, etwa mit dem besonderen Zwecke, der Lesewuth eine räumliche Grenze zu setzen. Dass manche Erzählungen auf mehrere Nummern vertheilt sind, braucht nicht bedenklich zu erscheinen, wenn nur jedesmal ein relativ vollständiger, für sich abgeschlossener Theil dargeboten wird und das »Fortsetzung folgt« nicht die missbräuchliche Anwendung nach Art der Tages- blätter findet.

Infolge des Zusammenwirkens unstreitig tüchtiger Einzelnkräfte hat sich »Öster- reichs deutsche Jugend« zu einer höchst beachtenswerten Stellung aufgeschwungen, und ihrem geistigen Inhalte entspricht auch der materielle Erfolg; schon im I. Jahrgange konnte die ansehnliche Zahl von 2700 Abnehmern ausgewiesen werden, im 16. Jahr- gang war bereits die Zahl 14.000 erreicht, auch eine besondere reichsdeutsche Ausgabe, »Deutsche Jugend« genannt, findet Absatz, und die Verwaltung ist nicht nur in der Lage, einen nennenswerten Reingewinn für die Casse des deutschen Landeslehrer- vereines in Böhmen zurückzulegen, sie gewährt auch den übrigen Landeslehrervereinen einen Procentantheil des Bestellpreises nach Maßgabe der in dem betreffenden Landes- gebiete erfolgten Bestellungen. Insoweit es die „Wiener Pädagogische Gesellschaft« zu thun vermag, soll sie der Hingebung und Arbeitsfreudigkeit, der pädagogischen Ein- sicht und standhaften Bundestreue, die sich in diesem Unternehmen bethätigen, die verdiente Anerkennung zollen. Anton Zens.

Anhang.

I. Thesen zu pädagogischen Themen. Gesammelt von ANTON ZENS.

1. Die social-pädagogischen Aufgaben des neuen Jahrhunderts.

Der gründliche Kenner unserer heutigen politisch-socialen Zustände wird längst zur Überzeugung gekommen sein, dass dem zwanzigsten Jahrhunderte die Lösung der socialen Frage beschieden ist. Die sociale Frage ist nicht bloß »Magenfrage«, sie ist in Wahrheit ein Culturproblem. Die menschliche Cultur bethätigt sich nach zwei Richtungen:

a) in Erkenntnis der Natur, also durch Wissen, Wissenschaft und Kunst;

d) in Beherrschung der Naturkräfte und Vervollkommnung der Arbeitsmittel (Werkzeuge u. s. w.) und in Vermehrung des Volkswohlstandes, d. i. der wirtschaft- lichen Güter.

Beide Zweige der culturlichen Thätigkeit der Menschheit sind ineinander ver- wachsen. Erkenntnis der Natur ist Beherrschung der Natur. Alle Cultur aber ist das Product menschlicher Arbeit. Durch die Cultur hat sich der Mensch über alle irdischen Lebewesen zu ungemessener Höhe erhoben; er ist jedoch bis jetzt noch nicht dazu gelangt, das in der ganzen organischen Welt herrschende Gesetz des »Kampfes ums Dasein«, das ist: der Vergewaltigung des Schwachen durch den Starken, aus dem weiten, viel umfassenden Kreise menschlichen Wirkens und Strebens zu bannen. Der für die culturelle Entwicklung der Menschheit höchst bedeutungsvollen »Social-Pädagogik« ist nun die Aufgabe gestellt, den socialen Reformgedanken der Gegenwart Vereinigung der Menschen zu gemeinsamem Kampfe und Ringen um ein menschen- würdiges Dasein für alle in jeder nationalen Culturgemeinschaft zur That reifen zu lassen.

Für die Social-Pädagogik ist die »Arbeit« nicht bloß die Quelle des Volkswohl- standes und der nationalen Cultur, sondern auch ein Hauptfactor der Sittlichkeit. Nichts Sittlicheres und nichts Sittigenderes als die Arbeit!

Unter der Herrschaft des durch erweiterte und vertiefte Volksbildung zum Ge- meingut aller gewordenen »socialen Reformgedankens« gelangen zwei gewichtige Auf- gaben in Vollzug:

a) Der Staat wird, seiner social-ethischen Pflicht eingedenk, durch schrittweise und zweckmäßige Organisierung der Arbeit dem Pauperismus wirksamst begegnen.

db) Der Staat wird das Erziehungswerk in der Richtung noch weiter fördern helfen, dass er nicht bloß für »Schulerziehung der heranwachsenden jungen Generation«, sondern auch für »Erziehung eines jeden Gesellschaftsgliedes von frühester Kind-

Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1901. 9

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heit an und das ganze Leben hindurch Erziehung durch die Mutter, Erzie- hung in Kindergärten, in der Volksschule, in Fach- und Berufsschulen, in Akademien, in Kunst- und Hochschulen; über die Schule hinaus: Erziehung durch Kunst, Lite- ratur und Wissenschaft« in zeitgemäßer Art Veranstaltung trifft.

Indem der Staat durch Organisierung der Arbeit die nöthige materielle und durch Organisierung des Erziehungswesens in social-pädagogischem Sinne die einzig zweck- mäßige intellectuelle Grundlage menschlicher Gemeinwesen schafft, ist er selbst »erzie- herisch« thätig und bringt so als praktischer »Social-Pädagoge« den heutzutage theoretisch »schon genugsam erörterten sotialen Reformgedanken« zur Durchführung. Auf diesem Wege wird er zum »socialen Reformstaate der Zukunft«, der jedoch mit dem »Zwangs- staate« utopistiseh angehauchter Weltverbesserer keineswegs identisch ist. Ersterer kennt keinen Zwinger und keine »Theilerei« (!) im Sinne der »Gleichheits«-Schwärmer.

Die von social-pädagogischem Geiste erfüllten Jugendbildner des neuen Jahr- hunderts werden ebenso, wie wir es bisher schon, einer besseren Einsicht folgend, zu thun gewohnt waren, an Pestalozzi, den Großmeister der modernen Pädagogik, an- knüpfen und der heranwachsenden Generation auf dem Boden der zu Recht bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung die Wege zur geistigen und sittlichen Vervollkomm- nung weisen.

Pestalozzis reformatorische Ideen sind eben nicht bloß der Grund- und Eck- stein des stolzen, gen Himmel strebenden Gebäudes der Individual-Pädagogik, sie sind auch das unerschütterliche Fundament einer mächtig im Werden begriffenen »Social- Pädagogik«.

Die Social-Pädagogik wird jederzeit die im staatlichen und socialen Leben auf- tretenden Mängel und Übelstände zunächst vom Standpunkte der Erziehungswissen- schaft beleuchten und beurtheilen, sie wird daher auch den um ihr Recht kämpfenden Jugendbildnern kräftigst Unterstützung leihen und ihnen zum endlichen Siege ver- helfen.

(Aus der »Zeitschrift des oberösterr. Landes-I.ehrervereines«, Jahrgang 33, Nr. 1, vom Verfasser B.-L. Anton Schalkhamer-Salzburg.)

2. Wie kann die Volks- und Bürgerschule ihre Zöglinge für die spätere Ausübung ihrer staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten vorbereiten ? (Thesen siehe S. 74 dieses Jahrbuches. Angenommen von der » Wiener pädago- gischen Gesellschaft« am 4. Mai 1901; Referent B.-L. Alois Bruhns.)

3. Die Bedeutung des Ästhetischen in Erziehung und Unterricht.

ı. Die Aufgabe der ästhetischen Bildung ist, »aus Schönheiten Schönheit zu machen.« Die jugendliche Seele selbst soll verschönert werden durch die Eindrücke, die sie von schönen Objecten empfängt.

2. Die ästhetische Erziehung des Kindes wird namentlich durch zwei Hauptmittel gefördert: durch das Spiel und durch die Einwirkung des Schönen in der Natur, in der Menschenwelt und in der Kunst.

3. Von entscheidender Wichtigkeit für die ästhetische Bildung ist die gesunde und harmonische Verfassung des gesammten menschlichen Organismus, insbesonders der edlen Sinne; denn das Schöne, Wahre und Gute kann nur durch unmittelbare Anschau- ung und persönliche Selbstthätigkeit erschlossen werden.

4. Die ästhetische Erziehung stößt nicht auf unüberwindliche Schwierigkeiten, sondern vielmehr ist sie in den Anlagen jedes normalen Kindes entschieden prä-

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determiniert, also in hohem Grade naturgemäß, so dass man mit Bestimmtheit behaupten kann, dass, wo die Empfindungen des Schönen und Erhabenen nebst den ihnen ent- sprechenden Auffassungen und Phantasiethätigkeiten nicht zustande kommen, eine Ab- normität, d. h. eine naturwidrige Verkümmerung stattfindet, an welcher entweder ange- borener Schwachsinn, oder in den meisten Fällen höchst ungünstige Bildungsverhält- nisse die Schuld tragen;

5. Was den Wert der ästhetischen Erziehung betrifft, so ist zu sagen, a) dass sie an sich selbst ein wesentlicher Bestandtheil der menschlichen Cultur ist; 5) dass sie mit allen übrigen Bestandtheilen derselben in engster Beziehung steht, indem sie dieselben vorbereitet, stützt, veredelt und zur höchsten Blüte bringt.

(Angenommen im Lehrerclub Poysdorf am 14. März 1901; Referent U.-L. Alfred Zohner-Kl. Hadersdorf.)

4. Kunstpflege in der Schule.

1. Niemals bestimmt die ausübende Kunst das Niveau der künstlerischen Entwick- lung eines Volkes, sondern immer ist der Grad des Kunstsinnes und die Aufnahms- fähigkeit der Menge nach dieser Richtung hin maßgebend für den Aufschwung oder Niedergang in der Kunst.

2. Der in den breiten Massen unseres Volkes immer mehr merkbar werdende Rückgang auf dem Gebiete der Kunst hat folgende Ursachen: a) Die überhandneh- mende Verrohung des Gemüthes, 5) die Massenfabrication der meisten Industrieartikel, c) die unzureichende Ausbildung des Kunstsinnes in der Schule und 4) die traurigen socialen Verhältnisse.

3. In der Schule sind keine Künstler heranzubilden, sondern es ist nur das Kunst- verständnis bis zu einem erreichbaren Grade zu vermitteln und der Kunstsinn im all- gemeinen zu wecken. |

a. Fast in jedem Gegenstande kann die Kunst in diesem Sinne eine Pflegestätte finden:

a) Durch mustergiltige Schülervorstellungen der dramatischen Werke unserer großen Dichter, durch Besprechung derselben, wobei diejenigen Momente hervorzuheben sind, welche das Werk zum Kunstwerk stempeln.

db) In den Realien durch Weckung der Liebe zur Natur, durch Beurtheilung der Naturobjecte und Naturerscheinungen auch vom künstlerischen Standpunkte aus, durch Verwendung von nur künstlerisch ausgefertigten Anschauungsbildern.

c) Im Gesangunterrichte durch Veredelung des Geschmackes, gediegene Musik- aufführungen, insbesondere Vorführung classischer Musik, durch Hebung der Kammer- musik,

d) Im Turnen durch Veredlung der Körperhaltung und Bewegung, durch Hin- lenken der Aufmerksamkeit auf das Ebenmaß des menschlichen Körpers.

e) Durch den ausschließlichen Kunstunterricht im Zeichnen, durch Zergliederung der Kunstform, Ausbildung des Farbensinnes und Vorführung von Kunstwerken, durch Zeichnen nach der Natur.

5. Nothwendige Reorganisation der Lehrerbildungsanstalten nach dieser Richtung: a) Angliederung des Lehrstoffes an den der Bürgerschule, b) Einfügung einer eigenen Lehrstunde für »Kunstgeschichtes und c) vollständige Ausbildung in einem von dem Zög- linge frei gewählten Kunstgegenstand während der obersten zwei Jahrgänge.

(Nach der »Österr. Bürgerschul-Zeitung«, Jahrg. 25, Nr. 28, vom Verfasser B.-L. Johann Langer-Wien.)

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5. Hindernisse einer gedeihlichen Entwicklung des Erziehungswesens.

ı. Das Hervortreten des crassen Materialismus in fast allen Volksschichten ver- drängt jedes ideale Streben.

2. Der nationale und politische Parteihader in seiner rohen, rücksichtslosen Form fördert nur den Hass unter der Bevölkerung, und wo Hass die Herrschaft hat, gibt es keinen Fortschritt und keine Wahrheit in unserem Culturleben.

3. Dieser Hass wird noch dadurch gefördert, dass viele Priester sich mehr mit Politik als mit der Besänftigung der Massen durch die Religion beschäftigen; dies führt auch zu religiöser Gleichgiltigkeit in der Bevölkerung.

4. Die Lehrer sollen sich nicht blindlings vielversprechenden politischen Parteien in die Arme werfen, insbesondere nicht dem deutschfeindlichen Socialismus.

5. Der in rapidem Aufsteigen begriffene Alkoholismus zerstört die Gesundheit, schädigt den Charakter und den Volkswohlstand und verdirbt durch das schlechte Beispiel und durch die schrecklichen Vererbungsfolgen die Nachkommen.

6. Die Einführung der Schulärzte als Rathgeber und Miterzieher der Jugend auf dem Geliiete der körperlichen Erziehung ist zu begrüßen.

7. Durch Belehrung und Gewöhnung haben die Lehrer auch ganz besonders auf die körperliche Erziehung Einfluss zu nehmen.

8. Ohne Charakter- und Herzensbildung ist der Mensch wertlos, ja gefährlich.

9. Wo es möglich ist, sollen in Elternversammlungen entsprechende Vorträge über Erziehung der Jugend gehalten werden.

10. Der Austritt der Jugend aus der Schule soll stets mit einer einfachen, aber würdigen Feier verbunden werden.

I1. Wir verlangen ständige Inspectoren. Dieselben müssen erprobte, charakter- volle Schulmänner sein, die mindestens 20 Jahre praktisch thätig waren. Bezirks-Schul- inspectoren mit entsprechender Vorbildung sind bei Besetzung von Directorstellen an - Lehrerbildungsanstalten, ferner bei Berufung von Landes-Schulinspectoren in erster Linie zu berücksichtigen.

ı2. Mit Rücksicht auf die finanzielle Lage des Landes Steiermark wünschen wir dermalen wenigstens die Aufhebung der III. Gehaltsclasse und die volle Anrechnung der Unterlehrerjahre.

13. Von den Oberlehrern verlangen wir eine richtige Auffassung ihres Berufes, um auf Lehrer, Eltern und die Jugend günstig einwirken zu können.

14. Mehr die Standesehre wahren! Das gegenseitige Bekritteln vor der Bevöl- kerung macht uns zum mindesten lächerlich und setzt uns dem Spott aus; in Versamm- lungen ist ein achtungsvoller, collegialer Ton anzuschlagen.

15. Die Schüler- und Volksbibliotheken sind besonders zu fördern und entspre- chend zu verwerten.

16. Der Classenhass und Hochmuth ist schon in der Volksschule in jeder pas- senden Weise zu bekämpfen. Wissen, Können und edler Sinn macht den besseren Menschen, nicht die Stellung und der Reichthum.

17. Folgende Bücher sind für Lehrerbibliotheken bestens zu empfehlen: »Blicke ins Menschenleben«e von Dr. Reich, Smiles »Charakter«e und die »Pflicht«, Hawel »Märchen für große Kinder«.

(Aufgestellt im Grazer, Feldbacher und Weizer Lehrerverein am I2. Jänner, be- ziehungsweise am 7. März und i8. Juli 1901; Referent V.-D. Johann Drescher-Graz.)

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6. Die Gewöhnung als Grundlage der Erziehung.

1. Die Gewöhnung, d. i. die Thätigkeit des Erziehers, welche darauf gerichtet ist, gute Gewohnheiten bei einem Zöglinge zu erzeugen und böse zu verhüten, ist eine anerkannt gesunde Grundlage einer zielbewussten Erziehung,

2. Ein von liebevollem Ernst und steter Aufmerksamkeit erfüllter Lehrstand sichert:

a) die Gewöhnung zur Ordnung und Regelmäßigkeit im äußeren Verhalten;

5) die Gewöhnung an gesellige Sitte und Schicklichkeit, umfassend: Anstand, Reinlichkeit, Höflichkeit, Verträglichkeit, Nachgiebigkeit, Gefälligkeit, Dienstfertigkeit also die sogenannte gesellige Gewöhnung;

c) die Gewöhnung an sittliches Denken, Fühlen, Wollen, Thun umfassend: Gehorsam, Fleiß, Wahrhaftigkeit, Schamhaftigkeit, Vaterlandsliebe und Gottesfurcht also die sogenannte sittliche Gewöhnung.

3. Eigenes Beispiel, zielbewusste und erschöpfende Behandlung der entsprechenden Unterrichtsdisciplinen, eine gesunde I.ectüre, Umgang mit Gutgewöhnten und vor allem wirkliche Übung aller Tugenden sichern einen ersprießlichen Erfolg.

(Aufgestellt im »Österr. Schulbotens, 50. Jahrgang, Nr. 9 und Io, von Wilhelm Innerhuber, k. k. Übungsschullehrer in Teschen.)

7. Der Antheil der Schule an der Erziehung zu guter Lebensart.

1. Die Verpflichtung der Schüler als heranwachsende Mitglieder der menschlichen Gesellschaft zu anständiger Lebensführung erwächst aus ethischen und ästhetischen Gründen.

2. Die gute Lebensart baut sich auf den Grundsätzen der Nächstenliebe mit ihrem großen Gefolge geselliger Tugenden und auf der Selbstachtung auf; ihre Grenzen sind die sittlich verwerflichen Äußerungen der Roheit und Ungezogenheit einerseits, der Lüge und Heuchelei andererseits.

3. Die Anleitung zur Übung der Wohlanständigkeit erstrecke sich, abgesehen von der eigenen Person, auf die Eltern und Lehrer und hochgestellte Persönlichkeiten, Geschwister, Mitschüler, Diener, Bekannte, Fremde, Arme, Krüppel, Nichtvollsinnige, auf besondere Gelegenheiten, wie öffentliche Feste, Trauerfeierlichkeiten u. dgl., schließ- lich auf die Haltung gegenüber der belebten und unbelebten Natur.

4. Die Schule ist sich ihrer Aufgabe bewusst, als öffentliche Erziehungsanstalt neben Familie und Gesellschaft die Schüler zur Wohlanständigkeit anleiten zu müssen und sie an gute Umgangsformen zu gewöhnen.

5. Diesem Zwecke dienen die in entsprechender Weise angewandten und sich gegenseitig unterstützenden Erziehungsmittel, u. zw. Unterricht und Führung.

6. Die Belehrung über gute Lebensart schließt sich besonders an die Religions- lehre, an den Sprach- und Sachunterricht, an das Turnen und verlangt als stetige leben- dige Anschauung das gute Beispiel des Lehrers und der Gesellschaft; die Lehrbücher sind die Grundlagen für Belehrungen zur Wohlanständigkeit, gute Jugendschriften fördern die Bestrebungen dazu; die Führung (»Regierung« und »Zuchte) findet neben der Persönlichkeit des Lehrers ihren Wirkungskreis in der Handhabung der Schul- ordnung, im Umgange des Lehrers mit den Schülern und im Verkehre mit dem Elternhause.

7. Den Knaben gegenüber beachte die erziehliche Thätigkeit die Veredlung des Gemüthes im allgemeinen, insbesondere aber eine maßvolle Niederhaltung der jugend-

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lichen Ungebundenheit, des Trotzes und der Roheit, die Hinleitung zur Bezeigung der Achtung und Ehrfurcht gegenüber den Würdigen, die Anerkennung der richtigen und schönen Form im geschäftlichen, sprachlichen und schriftlichen Verkehr und die Ge- _ wöhnung zur Selbstbeherrschung.

(Angenommen in der Bezirkslehrerconferenz zu Marburg am 7. Juni 1900; Re- ferent V.-L. Karl Gassarek, Leiter des K. Franz Josef-Knabenhortes.)

8. Mittel, der Überbürdung unserer Schuljugend zu steuern. 1. Richtigere Vertheilung des zu restringierenden Lehrstoffes. 2. Thunlichste Beseitigung des Nachmittagsunterrichtes. 3. Kürzere Unterrichtszeiteinheiten und längere Unterrichtspausen. 4. Errichtung kleinerer Schulhäuser mit weniger Lehrzimmern, dafür mit großen Höfen und mit sehr breiten Gängen. 5. Herabminderung der Zahl der einer Lehrkraft zugewiesenen Schüler. 6. Trennung der schwachsinnigen Kinder von den normalen, 7. Verminderung der Hausaufgaben. 8. Vermeidung des zu häufigen Classificierens. 9. Bekämpfung der Vielschreiberei und des zu langen Sitzens in der Schule. 10. Körper und Geist sollen sich in der Schule derselben sorgfältigen Pflege erfreuen. . Nebst Turnen sollen die Kinder das Baden, Schwimmen und Schlittschuh- laufen en 12. Anstellung von Schulärzten. (Nach der »Zeitschrift für das österr. Volksschulwesen«, Jahrg. XI. Heft XII, vom Verfasser Dir, Franz Zdarsk y-Wien.)

9. Über psyeho-pathologische Erscheinungen bei Schulkindern, und was damit zusammenhängt.

1. Das Übergewicht, welches wirtschaftliche und sociale Erscheinungen im öffent- lichen Interesse immer mehr gewinnen, hat auch die Aufmerksamkeit der Lehrer in erhöhtem Maße auf die sociale J.age der Schuljugend gelenkt. Denn schwierige Lebens- bedingungen wirken nicht nur hemmend auf die seelische und körperliche Entwicklung des Kindes, sondern sie bringen auch etwa vorhandene Defecte und Anlagen zu Minder- wertigkeiten rascher zur Wirksamkeit.

2. Bei dem innigen Zusammenhange zwischen Lebensbedingung und Entwicklung des Individuums, zwischen Körper und Geist hat aber auch die psychologische For- schung neue Impulse empfangen, besonders im Hinblick auf die geistig mangelhaft Veranlagten oder Entwickelten. Dies führte zu dem Versuche, eine »pädagogische Patho- logie« zu begründen.

3. Ihre Aufgabe bestände in genauer Beobachtung des abnormen Individaums in jeder Beziehung, in der Analyse der pathologischen Erscheinungen, in der Ergründung der allgemeinen Ursachen und der speciellen Veranlassungen derselben (sociale Lage, Vererbung), in der Zusammenstellung der verschiedenen Haupt- und Nebenformen pathologischer Erscheinungen (Nomenclatur; die bezüglichen Mittel der pädagogisch- medicinischen Therapie und ihre Wirkung).

4. Nebst eigener Beobachtung ist nothwendig die Lectüre der einschlägigen l.ite- ratur, z. B. Zeitschrift »Kinderfehler« (Langensalza, Beyer & Söhne), A. Fuchs, »Bei- träge zur pädagogischen Pathologie« (Gütersloh, Bertelsmann), medicinische Fachzeitungen (hiebei womöglich Besprechung mit einem Arzte).

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5. Anstellung von Schulärzten.

6. Bei der Schülerconscription jedes Jahres Wenigstens Feststellung allfälliger körperlicher Mängel (Augen- und Ohrenübel, Epilepsie, Krämpfe, Veitstanz etc.). Eintragungen diesbezüglicher Wahrnehmungen in den Classenkatalog.

(Ausgeführt im L.-V. »Comenius« zu Tulln am g. Mai 1901; Referent V.-L. M. Bily-Reidling.)

10. Der Alkoholismus im Kindesalter.

1. Schwere functionelle Störungen (Delirium tremens, alkoholische Manie, Fpi- lepsie) und nachweisbare Organveränderungen (Leberschwellung, Wassersucht) infolge von länger fortgesetztem Alkoholgenuss sind bei Kindern von mir und anderen beobachtet worden,

2. Diese Erkrankungen sind nicht nur nach Brantwein und nach excessiv großen Dosen anderer alkoholischer Getränke entstanden, sondern auch bei Genuss von Bier oder Wein in mäßigen Quantitäten oder bei so geringen Gaben von Cognac, wie sie von vielen nicht nur als erlaubt und unschädlich, sondern sogar als heilsam angesehen werden. |

3. Aus diesen Erfahrungen muss man auf eine besonders große Empfindlichkeit des kindlichen Nervensystems und des kindlichen Organismus überhaupt gegen die giftige Wirkung des Alkohols schließen.

4. Die Verabreichung alkoholischer Getränke an Kinder geschieht nicht sähren im guten Glauben, weil man von mäßigen Alkoholdosen heilsame Wirkungen bei Schwächezuständen und Krankheiten des Kindesalters erwartet.

5. Durch die physiologische Forschung ist die früher allgemein verbreitete An- nahme, dass der Alkohol nährende und den Schwund des Körpers verhütende Fähig- keiten besitzt, vollkommen widerlegt, weil sich gezeigt hat, dass die Stickstoffausschei- dung durch Alkohol nicht vermindert, sondern im Gegentheile gesteigert wird.

6. Mit diesem Forschungsergebnisse stimmt es überein, dass man,bei Kindern als Folge von Alkoholgenuss Zurückbleiben im Wachsthum und in der Entwicklung beobachtet hat.

7. Auch der Ruf des Alkohols als verdauungsbeförderndes Mittel ist nicht be- rechtigt, weil Verdauungsversuche an Menschen und Thieren stets nur eine störende Wirkung desselben erkennen ließen. Die scheinbar widersprechende subjective Empfin- dung beruht auf einem Betäuben der Unlustempfindungen, nicht aber auf einer wirk- lichen Beförderung der Verdauung.

8. In vielen Fällen von Appetitstörung bei Kindern ließ sich die gewohnheits- mäßige Einnahme alkoholischer Getränke als einzige Ursache nachweisen, nach deren Beseitigung die normale Esslust wiedergekehrt ist.

9. Als fieberbekämpfendes Mittel ist der Alkohol unbrauchbar, weil selbst bei sehr großen Gaben, die von Kindern nicht ohne auffällig üble Folgen genommen werden könnten, nur eine geringfügige Herabsetzung der Temperatur erzielt werden kann.

10. Vielfache Versuche haben gelehrt, dass die dem Alkohol nachgerühmte stimu- lierende Wirkung entweder gar nicht zum Vorschein kommt oder sehr rasch vorüber- geht, dass sich aber in jedem Falle ein lähmungsartiger Depressionszustand der Muskel- und Nervenapparate geltend macht. Die Anwendung der Alcoholica zur Bekämpfung oder gar zur Verhütung der Herzschwäche bei fieberhaften Krankheiten des Kindes- alters hat daher keine wissenschaftliche Berechtigung.

ı1. Die innerliche Anwendung des Alkohols als Antisepticum, d. h. als bacte-

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rientödtendes Mittel bei acuten Infectionskrankheiten des Kindesalters, ist nicht rationell, weil Thierversuche gelehrt haben, dass die Empfindlichkeit für die Infection durch die Verabreichung von Alkohol nicht nur nicht herabgesetzt, sondern entschieden gesteigert wird und überdies eine bacterienschädigende Wirkung des Alkohols im lebenden Orga- nismus schon aus dem Grunde nicht verständlich wäre, weil der Alkohol im Körper in der kürzesten Zeit verbrannt wird.

ı2. Zahlreiche Experimente haben bewiesen, dass die dem Alkohol vielfach zuge- schriebene Anregung und Beförderung der geistigen Thätigkeit in der Wirklichkeit nicht existiert, weil auch hier ein kurz vorübergehendes Excitations-Stadium regelmäßig von einer selbst tagelang andauernden Beeinträchtigung der psychischen Fähigkeiten gefolgt ist.

13. Auch bei Schulkindern wurde die schwächende Wirkung auf die Lernfähig- keit selbst nach mäßigen Alkoholgaben direct nachgewiesen.

14. Da nach alldem den zweifellos vorhandenen schädigenden Wirkungen selbst mäßiger Alkoholdosen auf die körperlichen und geistigen Functionen des Kindes kei- nerlei sicher bewiesene Vortheile gegenüberstehen, so ist die Verabreichung alkoholi- scher Getränke an gesunde und kranke Kinder unter allen Umständen zu widerrathen.

(Aufgestellt auf dem internationalen Congress gegen den Alkoholismus in Wien am 10. April 1901; Referent Prof. Dr. Max Kassowitz.)

11. Das Stottern und dessen Heilung.

Das Stottern ist ein öfter, aber unregelmäßig aussetzender Sprachfunctionsfehler, der im Mangel an Übereinstimmung der Willensäußerung der Seele mit den Muskel- bewegungen der Sprechorgane besteht. Damit ist stets, wie die Beobachtung zeigt, fehlerhaftes Athmen verbunden. Grund ist nicht ein Fehler der Sprechorgane, sondern ein durch Schreck oder Krankheit entstandener abnormer Nervenzustand (sogenannte Schwankung des elektrischen Zustandes der Nervenfasern). Daraus wird klar, dass Auf- regung wie Schüchternheit, Zorn, Trunkenheit oder Begeisterung einen fördernden oder hemmenden Einfluss auf dieses Gebrechen ausüben. Beweise gegen die Annahme einer als Fehler der Sprechwerkzeuge dargestellten Ursache: relative Heilung im Alter, Heilung durch Sprechübungen, zeitweiliges Aussetzen bei Stotterern aller Grade, Nach- ahmung kann öfter die Ursache sein, Vererbung ist wohl kaum vorhanden.

Die Heilmethode muss also auf Gewöhnung an langsame geregelte Athmung, so dass ein Satz ohne Stockung, ohne Unterbrechung hervorgebracht werde, und auf Übung, die Sprechmuskel leicht zu beherrschen (durch längeres Sprechen der Laute, Laut- verbindungen, Wörter und Sätze in der mannigfaltigsten Art), hinzielen. Dem fleißigen Sprechen ist besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Das anfänglich vollständige Schweigen (3—4 Wochen lang) ist eine Nothwendigkeit. Der Erfolg ist bei älteren, intelligenteren Stotterern sicherer, bei jüngeren in 4—6 Monaten zu erreichen. Die Errichtung eigener Stottererclassen wäre vortheilhaft. Mit der sprachgymnastischen Be- handlung muss geistige (moralische) und physische Kräftigung des Körpers verbunden werden.

Ein stotternder Schüler erfordert von Seite der Eltern und Lehrer nachsichtige ermuthigende Behandlung. Mit Nachdruck ist auf langsames Athmen stets vor dem Sprechen und auf sehr langsame Aussprache, die nie durch Respiration unterbrochen werden darf, zu sehen.

(Aufgestellt in der Bezirkslehrerconferenz zu Mistelbach am 4. Juli 1901; Referent V,-L. Johann Just- Bullendorf.)

137 12. Zur Aufstellung eines Normal-Lehrplanes für Taubstummenschulen.

1. Die Aufgabe der Taubstummenschule ist im allgemeinen dieselbe wie die der Volksschule, wie sie im $. ı des Reichs-Volksschulgesetzes vom 14. Mai 1869 zum Ausdrucke gelangt.

Soll dieses Ziel erreicht werden, so ist nothwendig:

a) dass der gesammte Unterricht und die geistige Entwickelung der Taubstummen auf der Lautsprache aufgebaut werden;

d) dass die Unterrichtsdauer auf 8 Jahre mit 8 fortschreitenden Jahresstufen bemessen werde;

c) dass für jede Classe eine mit der Taubstummenunterrichts-Methode genau ver- traute und hiezu geeignete Lehrperson bestellt werde;

d) dass in jeder Classe nicht mehr als höchstens 10 Schüler gemeinsam unter- richtet werden, und

e) dass die Schüler normal begabt seien.

Schwachsinnige Taubstumme sind aus der Taubstummenschule auszuschließen und anderen hiefür eigens errichteten Anstalten zu überweisen.

2. Unterrichtsgegenstände der Taubstummenschule sind: a‘ Religion, 5) Articulieren in Verbindung mit Ablesen, Lesen und Schreiben, c) Unterrichtssprache in Verbindung mit Geschäftsaufsätzen, &) Rechnen und geometrische Formenlehre, e) das für die Taubstummen Fasslichste und Wissenswerteste aus der Naturge- schichte, Naturlehre, Erdkunde und Geschichte mit besonderer Rücksichtnahme auf das praktische Bedürfnis und die künftige Lebensstellung des Taubstummen, /) Frei- handzeichnen, g) Schreiben, %) Turnen und :) Arbeitsunterricht für beide Geschlechter.

3. Stellung der Geberdensprache. Die natürliche Geberde ist im Ver- kehre mit den jüngeren Schülern als Verständigungsmittel unentbehrlich, hat aber in dem Maße zurückzutreten, als die Lautspracherlernung einen mündlichen Verkehr er- möglicht. Eine schulmäßige Entwickelung der natürlichen Geberdensprache findet in der Taubstummenschule nicht statt. Beim Unterrichte kommt der natürlichen Geberde der Wert einer methodischen Hilfe zu. Die künstliche Geberde, sowie auch das Hand- und Fingeralphabet sind absolut auszuschließen.

4. Die Ausbildung der Taubstummen bis zur Erwerbsfähigkeit ist nicht Aufgabe der Taubstummenschule.

5. Wo sich hiezu Gelegenheit bietet, soll ein Kindergarten als Vorschule für die Taubstummenschule errichtet werden.

(Angenommen im Vereine österreichischer Taubstummenlehrer am og. zb 1901 in Wien; Referent Anton Druschba.)

13. Wie kann der Verwahrlosung von Schulkindern vorgebeugt werden’?

1. Verwahrloste Kinder im schulpflichtigen Alter müssen im Landes-Rettungs- haus untergebracht werden.

2. Schulpflichtige Kinder, die der Verwahrlosung entgegengehen, müssen aus der sie außerhalb der Schule beeinflussenden Umgebung herausgenommen und in Gemeinde- Erziehungshäusern untergebracht werden.

3. Als Verwaltungsorgane sind zu schaffen: die ÖOrtserziehungsräthe und der Landeserziehungsrath, deren Pflichten und Rechte durch besondere Satzungen zu regeln sind.

4. Eltern, welche aus irgend einem Grunde erwiesenermaßen unfähig sind, ihren

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Kindern eine sittlich entsprechende Erziehung zu geben, dürfen die Übergabe derselben an eine der genannten Anstalten nicht verweigern und haben während der auf die Zeit der Schulpflicht sich erstreckenden Erziehungsdauer kein weiteres Anrecht auf sie.

5. Der Aufwand für das Rettungshaus ist aus Landesmitteln, der für die Ge- meinde-Erziehungshäuser aus Gemeindemitteln mit Hilfe des Landes zu bestreiten.

(Nach dem »Schlesischen Schulblatt«, Jahrg. 29, Nr. 21—23, vom Verfasser Dir. D. Böhm-Bielitz.)

14. Pflege des Thierschutzes.

Die Pflege des Thierschutzes ist nothwendig gegenüber . der unvollkommenen Gesetzgebung hierüber; . der Roheit und dem Unverstande der Thierquäler; . der rücksichtslosen Ausnützung des Pferdes bis ins höchste Alter desselben; manchen thierquälerischen Modethorheiten; . veralteten und grausamen Schlacht-Methoden ; . den vielfachen Quälereien beim Fangen, beim Transporte und beim Tödten von Thieren;

7. der oft unberechtigten Vivisection und dem rituellen Schächten;

8. der allgemeinen Sittlichkeit und insbesondere den Pflichten, die wir gegen die Thiere zu erfüllen haben.

(Aufgestellt in der Versammlung des Tepler Lehrervereines am 7. Juli 1900 in Wilkowitz; Referent Karl Kolb- Marienbad.)

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15. Schülerbibliotheken und ihre Verwertung.

I. Geeignete Schülerbibliotheken haben einen hohen erziehlichen und unterricht- lichen Wert.

a) Der ausgesprochen materialistische Zug unserer Zeit, die Gemüthsverrohung in ganzen Volksschichten verlangen ganz besonders, dass der Gemüthsbildung mehr ge- dacht werde, und dies kann vorzüglich durch gute Bücher geschehen.

d) Der Inhalt der Bibliotheksbüchlein soll anregend, aber nicht aufregend sein und darf nichts Verletzendes gegen Religion und Sittlichkeit, gegen Vaterland und Volk enthalten. Die erziehende Volksschule darf keinen Classen- und Menschenhass, sondern muss Menschenliebe lehren, wie es unser großer Religionsstifter lehrte und zeigte.

2. Gute Bücher sind von großem Werte: a) wegen ihres veredelnden Inhaltes überhaupt; 5) wegen des Einflusses auf die Eltern der Kinder, welche meistens mit- lesen (Eltern aus Ärmeren Kreisen haben oft keine andere Lectüre als die, welche sie von den Kindern erhalten), indem gute Bücher auch auf die Eltern veredelnd einwirken und diese zur Überzeugung bringen, dass die Volksschule nur das Gute, das Edle fördert; c) wird durch gute Bücher der Sinn für besseren Lesestoff geweckt, und es werden Kinder und Eltern von der Schundliteratur abgehalten,

3. Unterrichtliche (erziehliche) Verwertung.

a) Zum Vorerzählen für die 2. Classe (bezw. das 2. Schuljahr) eignen sich vorzüglich »Hundert kurze Erzählungen«e von Chr. Schmid, »Aus dem Kinderleben« von Isabella Braun, »Bunte Steinchen« von Wiedemann u. a.

db) Zum Vorerzählen für die 3. Classe (3. Schuljahr) eignen. sich »Der Kana- rienvogel«, »Das Lämmchen«, »Sieben lehrreiche Erzählungen« von Chr. Schmid, »Zehn kleine Erzählungen« von Johanna Spyri, »Erzählungen« von Fr, Frisch u, a. Befähig-

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tere Schüler sollen zum Nacherzählen verwendet werden. Im zweiten Schulhalb- jahre sollen derartige Büchlein an die Kinder ausgeliehen werden. 10 bis 15 Werkchen mit je 5 Exemplaren genügen für die 3. Classe. Durch eine kurze Wiedergabe des Ge- lesenen wird das freie Sprechen sehr gefördert.

c) In der 4. Classe (4. Schuljahr) kann schon mehr selbständig gelesen werden. Manche Erzählung lässt sich zu einem Dictate oder Aufsatze verwenden.

d) In der 5. Classe können diese Übungen erweitert, Schilderungen der han- delnden Personen und Charaktere angeknüpft werden. Unerlässlich ist, dass die zur Besprechung kommenden Bücher in mehreren Exemplaren vorhanden sind.

(Vorstehende Thesen sind auf Grund der Schrift »Auswahl geeigneter Jugend- schriften von J. Drescher-Graz« abgefasst. Vorgetragen im Zweiglehrerverein Grein am 6. December 1900; Referent L. Ludwig Commenda.)

16. Gegen socialdemokratische Jugendschriften.

Jugendschriften sollen keinerlei einseitige Tendenz aufweisen; es sind daher nicht bloß socialdemokratische, sondern auch solche Schriften von der Jugend fernzuhalten, die eine stark aufgetragene Tendenz im confessionellen Sinne aufweisen,

Die Beschlüsse der socialdemokratischen Parteitage verlangen zwar die Schaffung einer besonderen socialdemokratischen Jugendliteratur, allein es ist Sache der Schule, derselben keinen Eingang zu gewähren, sondern dahin zu trachten, dass die literarische Qualität der Jugendschriften eine ihren Zwecken angemessene sei.

Lebhaft zu begrüßen sind in dieser Hinsicht die Bestrebungen der »Hamburger Lehrervereinigung für die Pflege der künstlerischen Bildung«, die einen eigenen Prü- fungsausschuss für Jugendschriften eingesetzt hat und von Zeit zu Zeit Verzeichnisse guter, nicht einseitig tendenziöser Jugendschriften publiciert.

(Aus der »Freien Schulzeitung«, Jahrgang 27, Nr. 29, vom Verfasser Professor Ludwig Fleischner-Budweis.)

17. Jugendspiele, Kürturnen und Wandern.

1. Die gegenwärtige Einrichtung der Jugendspiele ist als Übergangstadium auf- zufassen.

2. Anzustreben ist, dass jede Classe eine Stunde wöchentlich für Jugendspiel und Kürturnen zugemessen erhalte,

3. Es ist wünschenswert, dass sich recht viele Schüler an den Spielen betheiligen ; jedoch kann der Spielleiter im Einverständnisse mit dem Ordinarius und der Direction Schüler für einige Zeit vom Spiele ausschließen.

4. Der Samstag-Nachmittag ist möglichst den Wanderungen vorzubehalten.

5. Die Leiter der Jugendspiele sind aus Öffentlichen Geldern zu bezahlen.

6. Im Falle der Durchführung des Punktes 5 sind die Jugendspielbeiträge auch fernerhin einzuheben, doch ausschließlich zur Förderung der körperlichen Ausbildung der studierenden Jugend zu verwenden,

(Angenommen von der Versammlung des Vereines »Mittelschules zu Wien am 12. Jänner 1901; Referent T.-L. M. Guttmann.)

18. Über die Schülerzahl einer Übungsschulelasse.

Mit Rücksicht auf: die Anbahnung eines rationalen Taktes als Zieles der Lehrerbildung die zu beobachtende Individualität des Schülers, in dessen Bewusstsein der Unterricht eindringen, der Classe, mit welcher trotzdem die lebhafteste Wechselwirkung unterhalten werden muss, und des Zöglings, dem eine

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methodische Einheit als Ganzes so vorzuführen ist, dass ihm der methodische Auf- und Ausbau deutlich erkennbar wird, der bei einer größeren Anzahl von Schülern durch die sich aufdrängenden Wiederholungen an Durchsichtigkeit verliert, die Schwierig- keit der Einführung in eine so vielfach zusammengesetzte und doch zur Einheit zu verbindende Thätigkeit, wieesdas Unterrichtenist, eine Schwierigkeit, die nicht noch durch Regierungsmaßregeln, wie sie eine große Schüler- anzahl bringt, erhöht werden darf, und die die Aufmerksamkeit des sich praktisch ver- suchenden Zöglings von dem mühsam festgehaltenen Unterrichtsaufbau fortreißt, die Erwägung, dass Pädagogik nach ihrer praktischen Seite hin Kunst ist, dass bei der Darstellung als solcher zunächst die tristen socialen Verhältnisse in den Hintergrund treten, die Begeisterung, die für künstlerisches Können zu wecken ist und bei dessen Vorhandensein auch ein Drauskommen bei vorliegen- den misslichen Lagen gefunden wird, das Vorgehen bei anderen Ständen, die für ihre Ausübung Theorie und Praxis fordern, wie der Ärztestand, wo man den an- gehenden ÖOperateur ja auch unter den denkbar günstigsten und nicht, wie es ja z. B. auf dem Schlachtfelde der Fall ist ungünstigsten Verhältnissen in seinen schwierigen Beruf einführt: ist für die Übungsschule eine kleine Schüler- anzahl zu fordern. Damit ist eine Grenze nach oben gegeben. Nun nach unten: Dem Unterrichtenden darf das Gefühl eines schulgemäßen Unterrichtes nicht verloren gehen. Vielfache Überlegungen und Versuche, z. B. von E. Barth u. a., haben dazu geführt, 25—30 Schüler als die einer k. k. Übungsschule entspre- chendste Zahl anzunehmen,

(Aus der »Zeitschrift für das österreichische Volksschulwesen« Jahrg. XI, Heft X., vom Verfasser Vincenz Adler, k. k. Übungsschullehrer-Wien.)

19. Wie könnte der Sprachunterricht in der allgemeinen Volksschule betrie-

ben werden, damit das Sprachgefühl der Kinder erfolgreicher gebildet und

gestützt werde, und welche Theile der Sprachlehre wären als diesem Zweck weniger förderlich auszuscheiden ?

1. Die lebendige, an wechselvollen Formen reiche Sprache und das Gefühl dafür kann niemals durch ein Regelwerk erlernt werden. Nicht der grammatisierende Sprach- unterricht fördert und bildet das Sprachgefühl, sondern die Sprache selbst, welche theils im Verkehr zwischen Lehrer und Schüler, theils im Lesebuche zum Ausdrucke kommt. Hier müssen sich Sprach-, Denk- und Sachunterricht innig verbinden und wechselseitig unterstützen. Nicht an einzelnen zufällig auftretenden Mustersätzen, sondern dort, wo Gedanken ineinander schmelzen und in lebendiger Form zum Ausdrucke gebracht sind, also am Worte des Lehrers und am Lesebuche, lerne der Schüler seine Sprache.

2. Besonderer Wert muss auf die Bildung des Gehörsinnes gelegt werden; da- durch wird der Nachahmungstrieb in die richtige Bahn gelenkt. Die scharf articulierte Sprache, die einfache, dem kindlichen Verständnisse angepasste, stets sprachrichtige Ausdrucksweise des Lehrers wecken und bilden das Sprachgefühl, arbeiten dem Dialecte entgegen und führen die Kinder durch Gewöhnung zum richtigen Gebrauche der Schrift- sprache, In überfüllten Classen ist es leider unmöglich, die Kinder oft und vielfach zum Worte kommen zu lassen. Eine Verminderung der Schülerzahl wäre in vielen Fällen sehr wünschenswert,

3. Da nicht das Wissen über die Sprache, sondern das Können erzielt werden

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soll, so darf die Grammatik nur zur Unterstützung des Sprachverständnisses und der schriftlichen Übung gelehrt werden; sie kann nie Selbstzweck sein.

4. Jene Partien der Sprachlehre, welche das Sprachbewusstsein der Kinder gar nicht oder wenig fördern, sollen aus dem Lehrstoffe der Volksschule ausgeschieden werden. Wichtiger als Definitionen und Regelwerk ist die Übung in der Sprache.

5. Damit für diese die nothwendige Zeit nicht fehle, beantragt der ständige Aus- schuss, dass an dem vom Bezirksschulrathe der Stadt Wien im Jahre 1886 herausgege- benen Lehrgange für den deutschen Sprachunterricht an den fünfclassigen allgemeinen Volksschulen folgende Veränderungen vorzunehmen sind:

a) Streichungen aus dem Lehrstoffe der IV. Classe: Die Arten des Hauptwortes. Das zweifache Geschlecht der Hauptwörter. Hauptwörter ohne Einzahl, ohne Mehrzahl. Arten der Biegung des Hauptwortes und des Eigenschaftswortes. Die Biegung der un- bestimmten und der hinweisenden Fürwörter. Die Arten des Hauptzeitwortes. Das W urzelwort.

5) Streichungen aus dem Lehrstoffe der V. Classe: Die Biegung der Eigennamen. Die leidende Form in allen Zeiten der verbindenden Art. Die Abwandlung der Hilfs- zeitwörter der Aussageweise in allen Zeiten und Arten. Arten und Biegung des Zahl- wortes. Die Biegung und Steigerung der adjectivisch gebrauchten Wortarten. Die Bie- gung des bezüglichen Fürwortes. Das Wurzelwort.

c) Verschiebungen aus der IV. Classe in die V. Classe: Die Biegung der Hilfszeit- wörter der Aussageweise. Die Biegung des Eigenschaftswortes mit dem Hauptworte ohne Artikel. Beachtung der steigerungsfähigen Umstandswörter.

(Angenommen in der Bezirkslehrerconferenz des IV. Wiener Inspectionsbezirkes am 12. Juni 1901; Referentin O.-Ln. Clement. Zellenka.)

20. Unsere poetische Schulliteratur und ihre methodische Behandlung.

1. Den besten Theil unserer poetischen Schulliteratur bilden jene kleinen dich- terischen Kunstwerke, welche von den hervorragenden deutschen Dichtern des 138. und 19. Jahrhunderts herrühren.

2. Gedichte sind Kunstwerke der Rede, bestimmt, unser Herz zu erfreuen, zu rühren, zu erschüttern, zu erheben. Ihr wahres Wesen beruht auf der Idealisierung des Stoffes, d. h. auf der Verarbeitung desselben unter dem Einflusse ästhetischer, sittlicher und religiöser Ideen. Jede Dichtungsart hat sodann noch ihre besonderen Eigenschaften, welche das Wesen ihrer Gattung begründen.

3. Wenn wir die poetische Schulliteratur für die erziehliche Ausbildung unserer Schuljugend in der rechten Weise verwerten wollen, so müssen wir a) die poetischen Stücke dem eigenartigen Wesen der Poesie gemäß behandeln und 5) die vielfach be- schränkten Geistes- und Gemüthskräfte der Schüler entsprechend berücksichtigen.

4. Das ästhetische Moment bringen wir mit Rücksicht auf unsere Verhältnisse auf die einfachste Weise zur Auffassung durch einen gediegenen Vortrag. Das stoffliche Zerpflücken echter Perlen der Dichtkunst behufs Ausnützung derselben zu stilistischen und grammatischen Übungen ist zu vermeiden.

5. Um das sittliche und religiöse Moment, den geistigen Inhalt der Dichtung, den Kindern zu Gemüthe zu führen, erläutern wir, wenn dies nöthig erscheint, das Gedicht gesprächsweise in Frage und Antwort und durch kurze Erklärungen, jedoch in der Weise, dass jede überflüssige Abschweifung vermieden, das Verständnis geklärt, die Phantasie belebt und das Gemüth durch einen einheitlichen und lebendigen Eindruck

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des Ganzen veredelt wird. Armselige und mühsame Abstractionen, moralische Verwäs- serungen, unbesonnene Kritiken und andere Thorheiten bleiben ausgeschlossen.

6. Lyrische Gedichte erfordern öfters als zweckdienliche Einleitung die anziehende und stimmungsvolle Schilderung der epischen Veranlassung, des sogenannten lyrischen Standpunktes.

7. Fabeln, Parabeln, Allegorien, Räthsel etc., kurz jede unterschiedliche Dich- tungsart erfordert eine ihrem besonderen Wesen angemessene Behandlung.

8. Für das Studium des Lehrers auf dem Gebiete der Poesie und ihrer didakti- schen Behandlung empfehlen wir insbesondere die Werke von A. Goerth: »Das Stu- dium der Lyrik,« »Kurzgefasste Geschichte der deutschen Dichtkunst« und »Die Lehr- kunst« (Verlag: Julius Klinkhardt).

(Aufgestellt im Lehrerverein zu Tepl am 17. November 1900; Referent O.-L. Johann Weinmann-Pöcken.)

21. Die Neugestaltung der deutschen Orthographie.

I. Praktische Vereinfachung der Rechtschreibung auf phonetischer Grundlage unter Schonung des fest Eingebürgerten.

2. Einschränkung der zweifelhaften Fälle auf eine möglichst geringe Zahl.

3. Thunlichste Vermeidung alles dessen, was uns in einen schroffen Gegensatz zu dem übrigen deutschen Sprachgebiet brächte.

(Angenommen von der Versammlung des Vereines »Mittelschule« zu Wien am g. März 1901; Referent Professor Rudolf Scheich.)

22. Zur Orthographiefrage. a) Resolution siehe Seite 110 dieses Jahrbuches, aufgestellt in der »Wiener pädagogischen Gesellschafte am I. Juni 1901; Referent B.-D. Karl Salava.

b) Resolutionen gleichen Inhaltes wurden in den meisten Wiener Bezirks-

lehrerconferenzen am 12. Juni Ig0ol gefasst, u. zw. entweder im ganzen Umfang des allgemeinen und besonderen Theiles der obgenannten Resolution, oder beschränkt auf die Forderung einer im gesammten deutschen Sprachgebiete gleichförmigen Recht- schreibung.

23. Über Fortschritte auf dem Gebiete des geographischen Unterrichtes.

Die geographischen Werke Tischendorfs und Prülls sind überaus instructiv in Bezug auf eine rationelle Durchführung der Ritter’schen Grundsätze im Geographie- Unterrichte und erweisen sich infolge ihrer Stofffülle, infolge der unausgesetzten Betonung und anschaulichen Vorführung des »Warum und Weil« der geographischen Erscheinung, sowie infolge der Hervorhebung der wirtschaftlichen Gesichtspunkte gleichzeitig als ge- eignet, das geographische Wissen des Lehrers im einzelnen zu vertiefen oder in an- regender Weise aufzufrischen. Ä

Der geographische Unterricht im Sinne Prülls hat insbesondere folgende Vorzüge:

1. Der Unterricht zeigt einen lückenlos psychologischen Weg.

2. Der Schüler muss die Begriffe erarbeiten, wodurch sein Interesse geweckt und gefördert wird.

3. Der Unterricht ermöglicht die harmonische Ausbildung der geistigen Fähig- keiten. (Keine einseitige Gedächtnisbildung; Pflege der Phantasie, keine Phantasterei; genaues Beobachten, Denken und kritische Betrachtung.)

4. Der Unterricht verbürgt ein gediegenes klares Sachwissen.

5. Er gibt damit die Grundlage für einen guten sprachlichen Ausdruck.

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6. Er ermöglicht und fordert eine fortwährende Concentration mit den übrigen Unterrichtsgegenständen.

7. Der Unterricht nimmt unmittelbar Fühlung mit dem Leben und arbeitet fürs Leben.

8. Er entspricht dem Grundsatze: Der Unterricht sei culturgemäß. (Einführung in die Cultur der Gegenwart.)

g. Durch den fortwährenden Hinweis auf die überall in der Natur herrschende Gesetzmäßigkeit wird dem Schüler die Grundlage zu einer sicheren Welt- und Lebens- anschauung gegeben.

10. Der Unterricht erfordert die Beschränkung des Gedächtnisstoffes und die Verwendung genügender Anschauungsmittel. (Planmäßig betriebene Spaziergänge, Be- suche von einschlägigen gewerblichen und industriellen Betrieben, gute Karten, Typen- bilder und Sammlungen.)

(Aufgestellt in der Bezirkslehrerconferenz zu Rumburg am 25. October 1900; Referent B.-L. Emil Schier- Niedergrund.)

24. Die darstellende Geometrie in der Bürgerschule.

1. Der Unterricht in der Projectionslehre hat vom Körper auszugehen und soll mit Rücksicht auf seinen praktischen Zweck auch möglichst praktisch betrieben werden. Demnach soll auch die Projection eines Punktes, einer Linie und einer Fläche nicht selbständig behandelt, sondern von der Projection des Körpers abgeleitet werden. (Analytische Methode.)

2. Der Darstellung eines Körpers in den Projectionen soll eine genaue Be- schreibung und besonders anfangs auch das selbstthätige Formen vorausgehen. Das rechtwinkelige Parallelepiped (Ziegelform) eignet sich wegen der deutlich verschie- denen drei Ansichten für die Klarstellung der Grundbegriffe am besten.

3. Zur wiederholten Veranschaulichung und genauen Unterscheidung der drei (orthogonalen) Projectionen diene für jeden. Schüler nebst dem jeweiligen Modelle noch ein eigener Projectionsapparat, von welchem die. Zeichnung auf das Papier übertragen werden kann. (Ein mit schwarzem Schieferpapier überzogener quadratischer Pappen- deckel von 40 cm Seitenlänge, welcher durch Zusammenbiegen zu einer Würfelecke ge- formt werden kann, leistet vortreffliche Dienste.)

4. Unverwendbare und besonders schwierige Körperstellungen (Doppeldrehungen u. dgl.) sind zu vermeiden. Das anzubahnende Verständnis der approbierten Vorlagen für das technische Zeichnen bilde grundsätzlich die Richtschnur für die Stoffauswahl.

5. Das Vorlagenzeichnen hat erst nach erfolgter Darstellung der nachbenannten Körper zu beginnen, und zwar soll dann nach Thunlichkeit das betreffende Modell in natura den Ausgangspunkt zu den nöthigen Erläuterungen der Vorlagen bilden. a) Gco- metrische Elementarformen. Prismen: Rechtwinkeliges Parallelepiped. Quadratisches Prisma. Würfel. Regelmäßiges drei, sechs- und achtseitiges Prisma. Halbe Prismen. Pyramiden: Quadratische, sechs- und achtseitige. Halbe Pyramiden. Rotationskörper: Cylinder, Kegel, Halbkugel. Abgestutzte Pyramiden und Kegel. 5) Einfache Gebrauchsformen: Nieten, Bolzen; ganze und halbe hohle Prismen; vierseitige und kreisrunde Trichter. Ebene normale (und frontale) Schnitte dieser Körper.

(Nach dem »Österreichischen Schulbotens 51. Jahrgang, Nr. 2, vom Verfasser B.-L. Hugo Ullmann - Braunau.)

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25. Zur Vertiefung des naturgeschichtlichen Unterrichtes.

Die in den meisten Schulen übliche Art der Beschreibung naturgeschichtlicher Objecte begnügt sich mit einer oberflächlichen Anschauung derselben und mit gedäthtnis- mäßiger Erfassung des Gesehenen, ohne auf den tieferen Zusammenhang der Erscheinungen einzugehen. Dieses Eingehen aber auf den unverkennbaren, oft sinnfällig zutage tretenden Zusammenhang zwischen Körperform und T.ebensweise erleichtert nicht nur die gedächtnis- mäßige Auffassung im hohen Grade, sondern besitzt auch einen großen verstandbildenden Wert, flößt Liebe und Verständnis für die Natur überhaupt ein und macht den Unterricht zu einem Vergnügen für Lehrer und Schüler.

Besonders in die Augen fallend sind die Beziehungen zwischen Körperform und Lebensweise der Thiere; sie treten klar in Erscheinung in deren Größe, Gestalt, Bedeckung, in den Werkzeugen, in den Schutz- und Schreckfarben, in der Ausbildung der Sinne u.s. w. Es ist klar, dass derartige Betrachtungen, das Erkennen jener Beziehungen, die wie Grund und Folge verknüpft sind, für die Schüler anregend und bildend sein muss, zumal der Wetteifer im Aufsuchen derselben die Aufmerksamkeit rege erhält.

Auch die Pflanzen eignen sich für eine ähnliche Behandlung, und zwar besonders bei der Betrachtung ihrer Organe und deren Thätigkeit, ihrer wunderbaren Beziehungen zu den Insecten, zu deren Anlockung sich Blütenpracht, Blumenduft, süße Säfte u. dgl. erst entwickelt haben, ferner bei Betrachtung ihrer Abwehrmaßregeln gegen das Gefressen- werden, ihrer Aufstapelung von Nährstoffen zu besonderen Zwecken, ihrer Ausstattung der Samen mit Nahrungsmitteln, Flugapparaten, Häkchen u. s. f. Hiebei ergeben sich vielfach Parallelen mit dem Menschenleben, welche zur Ausbildung des Gemüthes der Schüler ungezwungen herangezogen werden können.

Selbstverständlich bedingt dieser Unterricht eine Stoffsammlung für die Hand des Lehrers, da die erwähnten Beziehungen nicht immer mit der für den Unterricht nöthigen Schärfe und Sicherheit erfasst werden können.

(Aus der »Freien Schulzeitung«, Jahrg. 27, Nr. 17, vom Verfasser F. Irzing- Sebastiansberg.)

26. Das Zeichnen beim naturgeschichtlichen Unterrichte.

1. Das Zeichnen ist ein wesentliches Hilfsmittel beim naturgeschichtlichen Unterrichte.

2. Der Lehrer der Naturgeschichte versäume nie, in der Pflanzenkunde das Haupt- sächliche der Pflanze durch eine vergrößerte, ev. schematische Zeichnung darzustellen (z. B. Grund- und Aufriss von Blüten).

3. Umrisszeichnungen von Thieren und Pflanzen auf Grund einfacher Skizzen (z. B. Fritsch, Hilfsbuch bei dem Unterrichte in der Naturgeschichte, Brüx, Gabert) sind vom Lehrer einzuüben und den Schülern vorzuführen.

4. Die Nachbildung der einfachen Darstellungen des Lehrers seitens der Schüler belebt den Unterricht und festigt das Vorgeführte im Gedächtnisse der Schüler.

(Aufgestellt in der Bürgerschullehrerconferenz zu Aussig am 4. December 1900; Referent B.-D. Karl Eichler-Aussig.)

27. Der Unterricht im Freihandzeichnen an Volksschulen.

1. Der Unterricht im Freihandzeichnen an der Volksschule stehe im Dienste allgemeiner und harmonischer Menschenbildung. Er entwickle und fördere gleichmäßig die seelischen und geistigen Anlagen und Kräfte des Schülers, er übe dessen Auge und Hand und befähige ihn, die erworbenen Schätze der Formenwelt auch selbständig und mit Verständnis richtig wiederzugeben.

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2. Der formale und materiale Zweck dieses Zeichenunterrichtes wird erreicht durch einen zeitgemäßen Lehrplan, durch einen naturgemäßen und streng methodischen Lehr- gang, sowie durch Anwendung der analytisch-synthetischen Zeichenmethode. Auf der Elementar- und Unterstufe sollten im Dienste des Anschauungs-Sachunterrichtes, bezw. im Dienste der Unterrichtssprache »I.ebensformen«, auf der Mittelstufe »Schmuckformen« von Objecten, auf der Oberstufe »Zierformen« von Gegenständen, farbige Flächenzier nach Vorlageblättern und perspectivische Darstellungen von einfachen Holzmodellen und Combinationskörpern nach der Anschauung gezeichnet werden.

3. Das Zeichnen auf den Unterrichtsstufen der Volksschule sei freihändig. Auf der Oberstufe werde beim Zeichnen nach Vorlageblättern der Gebrauch geeigneter Hilfs- mittel (Lineal, Dreieck und Zirkel) zur Unterstützung des Freihandzeichnens gestattet.

4. Die analytisch-synthetische Zeichenmethode bleibe die vorherrschende. Die Veranschaulichung des zu zeichnenden Gebildes vor dem Zeichnen durch geeignete Wandtafeln oder durch Objecte in natura werde nie unterlassen. Festhalten an dem Principe der freien, centralen Entwicklung der Schmuckformen.

5, Die Herausgabe geeigneter Zeichenwandtafeln für alle Schuljahre der Volks- schule ist gegenwärtig ein dringendes Bedürfnis. .

6. Die analytisch-synthetische Methode erfordert auch das Vorhandensein von solchen Objecten (Kunstobjecten) als Veranschaulichungsmittel, an welchen die zu zeichnenden Schmuckformen direct in ihrer Anwendung vorgeführt erscheinen. Für die Elementar- und Unterstufe sollten etwa zwei Collectionen von entsprechenden Objecten des Anschauungs-Sachunterrichtes als geeignete Veranschaulichungsmittel für den Schul- unterricht vorhanden sein. Für die Mittel- und Oberstufe sind geeignete Objecte aus dem Bereiche der Keramik, der Holz- und Metalltechnik, der Weberei und Flächenzier (Ta- peten) zur Veranschaulichung der zuzeichnenden Schmuckformen ein dringendes Bedürfnis,

7. Die Pflege des Farbensinnes erfolge eifrig auf der Oberstufe der Volksschule; in Volksschulen, in welchen jedem Schuljahre eine Classe entspricht, beginne sie praktisch bereits im fünften Schuljahre.

8. Möglichste Einschränkung der Stigmen und des Quadratnetzes überhaupt; Aus- merzung derselben auf der Mittel- und Oberstufe. Als Übergang zur freien Zeichenfläche dienen auf der Mittelstufe Zeichenfelder mit einem Mittelpunkte, mit Eck-, bezw. Zwischenpunkten.

9. Jede Volksschule besitze einen sorgfältig disponierten Detaillehrgang auf Grund zeitgemäßer Formensammlungen als Programm der Jahresarbeit für jede Classe der Schule. Stetes Studium und stete Vervollkommnung dieser gegliederten Lehrgänge! Die krumme Linie und die Kreislinie gelangen im fünften Schuljahre zu fleißiger Übung an Blatt- und Blütenformen der heimischen Flora, an Rosetten, Schild-, Gefäß-, Gitterformen. Auf der Oberstufe der Volksschule mögen auch schöne, geeignete Motive des Gewerbes und Kunstgewerbes Berücksichtigung finden.

10. In der Regel wird nur eine Zeichnung entsprechend groß und mit Verständnis auf ein Blatt gezeichnet.

11. Die Tugenden der Ordnung, Reinlichkeit, Genauigkeit, Pünktlichkeit und der liebevollen Sorgfalt bei der Arbeit sind beim Zeichenunterrichte zu bethätigen.

ı2. In jeder Volksschule sei wenigstens ein Lehrzimmer für die Bedürfnisse des Zeichenunterrichtes zweckentsprechend eingerichtet.

(Aufgestellt im »Programme der Reichenberger Lehrerbildungsanstalt« von Prof. Heinrich Halbgebauer, k. k. Bezirksschulinspector in Reichenberg.)

Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1901. 10

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28. Mädchenlyceen und Mädchenbürgerschulen.

1. Die gegenwärtigen Zeitverhältnisse fordern mehr denn je, dass es auch den Mädchen ermöglicht werde, sich eine über das Ziel der Volks- und Bürgerschule hinaus- reichende Bildung anzueignen, weshalb die Unterrichtsverwaltung dafür zu sorgen hat, dass dieses Bildungsbedürfnis durch öffentliche, vom Staate oder Lande erhaltene Schulen und nicht, wie bisher, nur durch Privatschulen befriedigt werde.

2. Sechsclassige Mädchenlyceen, nach dem provisorischen Statut vom 12. December 1900 eingerichtet, und in welche die bestehenden höheren Mädchenschulen umgestaltet werden sollen, entsprechen keinem allgemeinen Bedürfnisse,

3. Wie die Knabenbürgerschule bereits Vorstufe für eine Reihe von Fachschulen (Staatsgewerbeschule, höhere Handelsschule, Lehrerbildungsanstalt u. s. w.) ist, so sei die Mädchenbürgerschule Vorstufe für die zu errichtenden Mädchenlyceen. \

4. Der Reichenberger Lehrerverein gibt seiner Befriedigung Ausdruck, dass der Ausschuss des Deutschen Tandeslehrervereines sofort nach Bekanntwerden des Statuts dem k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht eine Denkschrift unterbreitet hat, in welcher die Mängel des Statuts für die zu errichtenden sechsclassigen Mädchenlyceen nachgewiesen werden.

(Angenommen im Reichenberger Lehrerverein am 23. März 1901; Referent B.-L. W. Hilscher.)

29. Bürgerschulen und Fachschulen.

1. &. 17 des Reichsvolksschulgesetzes ‘weist der Bürgerschule auch die Aufgabe zu, die Vorbildung für diejenigen Fachschulen, welche eine Mittelschulbildung nicht voraussetzen, zu vermitteln.

2. Die Zahl dieser Fachschulen für die einzelnen gewerblichen Zweige ist groß; trotz des Bestehens des $. 17 sind aber Volks- und Bürgerschüler bezüglich der Auf- nahme fast allgemein vollständig gleichgestellt. Man verlängert lieber zum Schaden des Bürgerschülers die Fachschulzeit, als dass man die Anforderungen bei der Aufnahme im Sinne des $. 17 stellte.

3. Auch bei den höheren Fachschulen für gewerbliche Hauptgruppen (Staats- gewerbeschule) ergibt sich eine ungleiche Beurtheilung der Bürgerschüler. In der einen ist der Absolvent der dreiclassigen Bürgerschule dem Absolventen der dritten Classe einer Mittelschule, in der anderen dem Absolventen der vierten Classe einer Mittelschule bei der Aufnahme in die erste Classe gleichgestellt.( Jahresberichte Pilsen u. Reichenberg.)

4. Diese verschiedene Auffassung selbst an Schulen gleicher Kategorie ist eben nur wieder ein Beweis, dass unsere Bürgerschule den ihr gebürenden Platz noch nicht erobert hat; auf der einen Seite drückt man sie zur allgemeinen Volksschule herab, auf der anderen Seite wie auch gerecht und billig stellt man sie bezüglich des Ein- trittes in gewisse Schulen, einschließlich der Handelsakademien, den Untergymnasien und Unterrealschulen gleich.

5. Es wäre demnach anzustreben: | M

a) Die Fachschulen, welche eine Mittelschulbildung nicht voraussetzen, haben laut $. 17 des Reichsvolksschulgesetzes die Bürgerschule als vorbereitende Anstalt that- sächlich anzuschen, demnach ihren Unterricht auf dem Wissen, das diese Anstalt ver- mittelt, aufzubauen, somit auch dieses Wissen von jedem eintretenden Schüler zu verlangen.

d) Der Ungleichheit in der Beurtheilung der Vorbildung, welche unsere Bürger‘

147

. schulen vermitteln, sei ein Ende zu machen, indem nach dem Vorgange der Handels- akademien, der landwirtschaftlichen Mittelschule in Kaaden und der Staatsgewerbeschule in Reichenberg die Gleichstellung der Knabenbürgerschule mit dem Untergymnasium und der Unterrealschule hinsichtlich der Aufnahme in solche Anstalten endlich all- gemein eintrete.

(Aus der »Fr. Schulztg.«, Jahr. 27, Nr. 7, vom Verfasser B.-D. K.Moißl-Aussig.)

30. Zur Hebung und Ausgestaltung der Bürgerschule.

I. Die Schülerzahl einer Bürgerschulclasse darf 40 nicht übersteigen.

2. An Bürgerschulen mit mehr als drei Classen sei die Zahl der Fachlehrerstellen größer als die Classenzahl.

3. Wir fordern die volle achtjährige Schulpflicht. Der Austritt aus der Bürgerschule kann nur am Schlusse des Schuljahres erfolgen.

4. An Bürgerschulen sind halbjährlich Zeugnisse auszustellen und die Entlassungs- zeugnisse entsprechend abzuändern.

5. Der erfolgreiche Besuch der dritten Classe der Bürgerschule berechtigt zum zweijährigen Militärdienst, sowie zum Eintritt in alle jene Anstalten, welche eine voll- ständige Mittelschulbildung nicht voraussetzen.

6. Nach den jeweiligen Bedürfnissen sollen an Knaben- und Mädchenbürgerschulen freiwillig zu besuchende vierte Classen errichtet werden.

7. Eine Regelung der Lehrverpflichtung an Bürgerschulen ist dringend geboten.

8. Gleichzeitig wiederholen wir jene Forderungen, welche die Hauptversammlung des Deutschen Landeslehrervereines in Reichenberg 1899 erhoben hat: Besondere Landes- conferenzen für Bürgerschullehrer, Sicherung einer eigenen Vertretung im Bezirks- und Landesschulrath, Erlassung eines Organisationsstatutes für die Bürgerschule, entsprechende Berücksichtigung der Bürgerschullehrer bei Ernennung ven Bezirksschulinspectoren und Hauptlehrern an Lechrerbildungsanstalten, endlich Hebung der Lehrerbildung im all- gemeinen durch Zulassung der Lehrer als ordentliche Hörer an Hochschulen.

(Angenommen von der Hauptversammlung des Deutschen Landeslehrervereines in Böhmen in B.-Leipa am 27. Mai 1901; Referent B.-L. Adolf Wisina-Rumburg.)

31: Die Bürgerschule und deren Wichtigkeit für den Mittelstand.

1. Die Bürgerschule ist die passendste Vorbereitung für das Gedeihen, die Tüch- tigkeit und Bildung des Mittelstandes: der Gewerbetreibenden, Bauern und Geschäftsleute.

2. Die Bürgerschule als die echte Schule der productiven Stände kann nicht durch die Mittelschule, die eine Schule des Gelehrtenstandes ist, ersetzt werden.

3. Die Errichtung von Mittelschulen auf den Trümmern der Bürgerschule bedeutet die Bildung der höheren Schichten auf Kosten der Intelligenz des Mittelstandes, dessen gcistiger Horizont zu einer Zeit, da alles vorwärts und aufwärts strebt, erniedrigt wird; daher warnt die Versammlung aufs nachdrücklichste vor dem Auflassen der Bürgerschulen.

4. Die Versammlung spricht sich aus innerster Überzeugung für die Errichtung von Bürgerschulen neben den Mittelschulen aus, besonders in bevölkerten Orten, anstrebend den Aufschwung des Mittelstandes, der eine Stütze der Staatsstärke und die Vorbedingung des Gleichgewichts in der menschlichen Gesellschaft ist.

(Angenommen auf dem mähr.-Cechischen Bürgerschullehrertag am 6. August 1901; Referent B.-L. K. Slovak.)

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32. Über die Reform der Bürgerschule.

4. Die Bürgerschule betreffend:

1. Die Bürgerschule ist vorläufig auf vier Classen zu erweitern.

2. Der Lehrplan soll um den Unterricht in der Algebra, der französischen Sprache, der Volkswirtschaft und an Mädchenbürgerschulen auch um die Erziehungslehre ver- mehrt werden. |

3. Beim Unterrichte an Bürgerschulen sollen in erhöhtem Maße die praktischen Bedürfnisse Berücksichtigung finden, wobei der bisherige, cyklische Lehrgang beizu- behalten ist.

4. Die Schüler sind ohne Rücksicht auf den Wohnort der Eltern aufzunehmen, und die Höchstzahl der Schüler für eine Classe darf 50 nicht überschreiten.

5. Die Aufnahmsbedingungen sollen dieselben sein wie für Mittelschulen.

6. Die Absolventen der Bürgerschulen sollen denen der Untermittelschulen gleich- gestellt sein.

7. Ihre Militärdienstzeit soll auf zwei Jahre herabgesetzt werden.

8. Es soll ein eigenes Organisationsstatut für Bürgerschulen ausgegeben werden.

9. Die Bürgerschulen sollen endlich nicht mehr mit den Volksschulen unter einer Leitung vereinigt sein.

B. Die Lehrkräfte an den Bürgerschulen betreffend:

ı. Die Fachlehrer der Bürgerschulen sollen ihre fachliche Ausbildung an der Hochschule erhalten,

2. Zu Bezirksschulinspectoren sollen nur Directoren und Lehrer der Bürgerschulen berufen werden.

3. Der Lehrkörper soll einen angemessenen Einfluss auf die Approbation der Lehrbücher und Lehrmittel haben.

4. Ihre Dienstzeit soll nur 35 Jahre betragen.

5. Die wöchentliche Stundenzahl an den Bürgerschulen soll die gleiche sein wie an den Mittelschulen.

6. Die Lehrkörper der Bürgerschulen sollen weiters ihre Vertreter in allen Schul- behörden und Corporationen haben.

7. Zum Director an einer Bürgerschule darf nur ernannt werden, wer an einer Bürgerschule durch mehrere Jahre als Fachlehrer gewirkt hat.

8. Für eine vierclassige Bürgerschule (ohne Filiale) müssen außer dem Director und dem Katecheten mindestens fünf Lehrpersonen, die Industriallehrerinnen an den Mädchenbürgerschulen nicht eingerechnet, bestimmt sein,

g. Den Lehrern an Bürgerschulen gebürt der gesetzliche Titel »Fachlehrer«; ihre Besoldung soll ihrer Bildung und Arbeit, sowie der Bedeutung der Bürgerschule angemessen sein.

(Beschlossen vom Ausschusse des Cechischen Bürgerschullehrerbundes am I11. Sep- tember 1901 zu Prag.)

33. Die Lage der Fachlehrer der I. Gruppe.

ı. Die Maximalstundenzahl aller Fachlehrer an Bürgerschulen betrage 24. Hievon sind abzurechnen: Für jede Classe Deutsch zwei Stunden, für jede Classe Rechnen eine Stunde, für die Custoden zwei Stunden wöchentlich. Jede das so berechnete Maximum übersteigende Stunde ist als Überstunde zu honorieren.

2. Es ist an den löblichen Bezirksschulrath und an den hohen k. k. Landes- schulrath das Ansuchen zu stellen, dass jenen Fachlehrern der I. Gruppe, die in

149 drei Classen Deutsch unterrichten, für die Mehrbelastung durch die Verbesserung der Haus- und Schulaufgaben wöchentlich zwei Stunden in die Lehrverpflichtung einzu- rechnen sind, so dass also das Maximum der Lehrverpflichtung einer solchen Lehrkraft um zwei Stunden weniger beträgt, als das einer anderen (19 statt 21). Ebenso seien auch den Custoden der II. Gruppe zwei Stunden per Woche in die Lehrverpflichtung einzurechnen. Bei Berechnung der Überstunden ist diese verminderte Stundenzahl als Grundlage zu nehmen.

(Angenommen im Vereine »Bürgerschule« in Wien am 17. November 1900; Referent B.-L. P. Unterkofler.)

34. Hochschuleurse zur Fortbildung der Lehrer und Verlegung der Fachprüfungen für Bürgerschulen an die Hochschulen.

I. Weil das in der Lehrerbildungsanstalt vermittelte Wissen für den Lehrberuf, insbesondere für Lehrer an Bürgerschulen, nicht genügt, so muss für eine umfassendere Ausbildung der Lehrer gesorgt werden, wie dies schon $. 42 des Gesetzes vom 14. Mai 1869 vorgesehen hat. Ä

2. Die heute bestehenden Veranstaltungen zur Fortbildung der Lehrer (Bürger- schullehrercurse und das städtische Pädagogium in Wien) entsprechen den thatsächlichen Bedürfnissen nicht.

3. Zur Ausbildung der Lehrer sind an den verschiedenen Hochschulen zwei- bis dreijährige Curse zu errichten; gleichzeitig ist der Lehrplan der Lehrerbildungsanstalten in den Gegenständen Mathematik, Naturwissenschaften und Zeichnen zu erweitern und zu vertiefen.

4. Der Unterricht an diesen Hochschulcursen ist nach den vorhin angeführten Grundsätzen einzurichten und der Lehrplan nach dem Muster des für die ungarischen Bürgerschullehrercurse aufgestellten zu verfassen.

5. Die Lehrbefähigungsprüfung für Bürgerschulen ist an die Hochschule zu ver- legen, Die an den Candidaten zu stellenden Anforderungen sind in dem Ausmaße, wie sie heute fürs Lehramt an den Untermittelschulen gestellt werden, festzusetzen. Das erworbene Zeugnis befähigt auch zum Unterrichte in den vier untern Classen der Mittel- schule, u. zw. in den Lehrgegenständen der betreffenden Fachgruppe.

6. Zum Besuche dieser Curse ist den Lehrpersonen ein Urlaub mit Belassung der Bezüge zu gewähren.

7. Dieser Urlaub ist allen Bewerbern zu ertheilen, die im Reifezeugnis aus den Lehrgegenständen der von ihnen gewählten Fachgruppe vorwiegend gute oder befrie- digende Noten aufweisen. |

8. Solchen Bewerbern, die auf eigene Kosten die Hochschule besuchen wollen,’ ist der Urlaub ohne jede Bedingung zu gewähren. Dieser Urlaub muss zum Zwecke der Fortbildung in die Dienstzeit eingerechnet werden.

9. Die Hörer haben sich der Schulbehörde gegenüber regelmäßig über den Studien- fortgang auszuweisen,

10, Der Besuch der Hochschulcurse ist vor und nach der Lehrbefähigungsprüfung für Volksschulen zu gestatten.

ı1. Zur Fortbildung der für Bürgerschulen bereits lehrbefähigten Lehrkräfte muss ebenfalls an den hiezu geeigneten Hochschulen Gelegenheit geboten werden. Dieselben sind zur Prüfung für das Lehrfach an höheren Handels-, Real-, Fachmittelschulen und Mädchenlyceen zuzulassen.

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ı2. Der Unterricht an den Hochschulcursen für Volks- und Bürgerschullehrer muss unentgeltlich sein.

(Angenommen am ı1. Mai 1900 im Vereine »Bürgerschule«, Wien; Referent B.-L. P. Unterkofler.) |

35. Einheitliche Mittelschule.

1. Die Grundlage des Unterrichtes in jeder Art von Mittel- oder Fachschulen soll wie bisher die fünfte Jahresstufe der allgemeinen Volksschule bilden.

2. Auf Grund eines guten Fortgangszeugnisses der Volksschule steigt der Schüler in die Bürgerschule auf, die das Recht erhält, solche Schüler, die sich’ den gestei- gerten Anforderungen, die an sie gestellt werden, nicht gewachsen zeigen, nach Ablauf einer Probezeit an die Volksschule zurückzuweisen. Diese Schüler haben die fünfte Volksschulclasse zu wiederholen und können sich mit Beginn des nächsten Schuljahres neuerdings um die Aufnahme in die Bürgerschule bewerben.

3. Für solche Schüler, die sich unfähig erweisen, oder die nur kurze Zeit in der Bürgerschule zu verbringen hätten, sind Abschlussclassen zu errichten, wo ihnen die nothwendigsten Kenntnisse in den Realien vermittelt werden.

4. Das Entlassungszeugnis der allgemeinen Volksschule berechtigt zum Eintritt in ein niederes Gewerbe und in die niederen Fachschulen.

5. Die auf vier: Jahre erweiterte Bürgerschule, in deren Lehrplan die französische Sprache, die Algebra und Stenographie als obligate Lehrgegenstände aufzunehmen sind, bildet den Unterbau für die einheitliche Mittelschule.

6. Zum Besuche der Bürgerschule sind alle jene Schüler, die die Mittelschule, eine höhere Fachschule und die Cadettenschule besuchen oder einem höheren Gewerbe oder dem Handelsstande sich widmen wollen, verpflichtet.

7. Das Abgangszeugnis der vollständigen Bürgerschule berechtigt zum Eintritt in die Mittelschule, in höhere Fachschulen, Cadettenschulen, in ein höheres Gewerbe, sowie in solche Beamtenstellen, zu deren Erlangung die vollständige Mittelschule nicht als Bedingung gestellt wird.

8. Nach Absolvierung der Bürgerschule tritt eine Scheidung ein:

a) Für solche, die sich einem praktischen Berufe zuwenden wollen, ist durch eine entsprechende Anzahl von Fachschulen dafür vorzusorgen, dass sie ohne große Opfer. eine hinreichende Fachausbildung erlangen können. Für Schüler, die sich dem Gewerbe- stande widmen, ohne eine Fachschule zu besuchen, sind fachliche Fortbildungsschulen zu errichten.

b) Schüler, die sich dem höheren Studium widmen, treten aus der Bürgerschule in die Mittelschule ein. Diese hat den Zweck, für das Hochschulstudium vorzubereiten, sowie die Befähigung für Beamtenstellen zu vermitteln, zu deren Erlangung die Absol- vierung einer vollständigen Mittelschule verlangt wird. Hier tritt für alle Schüler das Lateinische in einem beschränkteren Maße und die darstellende Geometrie hinzu, hingegen kann die Stundenanzahl für das Französische vermindert werden.

g. In den zwei letzten Jahrgängen der Mittelschule kann eine Scheidung eintreten für solche, die sich den humanistischen Studien, und für solche, die sich den technischen Studien oder der Beamtenlaufbahn widmen wollen. Für jene sind mehr die classischen Sprachen, Latein, und wenn es als unbedingt nothwendig erkannt wird, Griechisch, zu pflegen; für diese tritt die englische Sprache hinzu, sowie ein tieferes Eingehen in die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer.

10. Das Abgangszeugnis der Mittelschule berechtigt zum Eintritte in sämmtliche

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Hochschulen und befähigt zur Erreichung solcher Beamtenstellen, bei denen die absol- vierte Mittelschule ohne Hochschulbildung gefordert wird,

ı1. An die Mittelschule schließen sich die Hochschulen, Universitäten, technischen Hochschulen, Hochschulen für Bodencultur etc. an.

Anhang. Auf Grund einer eingehenden Vergleichung der Lehrpläne der Bürger- schule, der Unterrealschule und des Untergymnasiums schlägt der Referent vor, die ein- heitliche Mittelschule durch Ausgestaltung der Bürgerschule durch eine vorläufig facul- tative vierte Bürgerschulclasse anzubahnen. Der Lehrplan der Bürgerschule sei so ein- zurichten, dass in den drei ersten Classen die Schüler ein abgeschlossenes Wissen erlanger, das sie befähigt, sich einem praktischen Berufe zu widmen, während die vierte Classe als Vorbereitung für das weitere Studium in den höheren Fachschulen, Cadetten- schulen etc. dienen soll. Dieser vierclassigen Bürgerschule sollen die Rechte der Unter- mittelschule verliehen werden.

Um die Lehrerbildung zu heben, sei den Absolventen der Lehrerbildungsanstalten das Recht zum Besuche der Hochschulen als ordentliche Hörer zu verleihen, und die Lehrbefähigungsprüfungen für Bürgerschulen seien an die Hochschulen zu verlegen.

(Angenommen vom Verein »Bürgerschule« in Wien am 23. März I90I und von dem Bundesrath des d.-ö. Bürgerschullehrerbundes am 4. April 1901; Referent B.-].. W. Pausa,)

36. Überfüllung der Mittelschulen.

I. Die Verordnungen bezüglich der Maximalzahl der Schüler einer Classe möge in nachstehender Weise geändert werden: »Ein normales Gymnasium hat acht, eine normale Oberrealschule sieben Classen mit der Maximalzahl von 50 Schülern in den unteren, 40 in den zwei mittleren und 30 in den zwei obersten Classen.«

2. Im Interesse des gedeihlichen Unterrichtes möge nach ‘[hunlichkeit immer dann eine neue Anstalt errichtet werden, wenn dureh drei unmittelbar aufeinander folgende Jahre an einer Anstalt so frequentierte Parallelclassen bestanden haben, dass damit die Existenzbedingungen für eine vollständige Mittelschule gegeben sind.

3. Sollte es aus irgend welchen Gründen unmöglich sein, in dem angegebenen Falle eine neue Lehranstalt zu errichten, so möge entweder dem Director aus dem Lehr- körper eine Art Conrector beigegeben werden, oder es wären die vier Parallelclassen einem eigenen Leiter zu unterstellen, so dass eine Entlastung der alten Stammclassen durch die Möglichkeit der Errichtung neuer Parallelclassen eintreten könnte.

4. Die Vereine »Mittelschule« und »Die Realschule« sprechen ihre Überzeugung dahin aus, dass auch durch eine entsprechende Regelung des Berechtigungswesens der Überfüllung der Mittelschulen gesteuert werden könnte. .

(Angenommen von der Versammlung der Vereine »Mittelschule« und »Die Real- schule« zu Wien am 30. März 1901; Referent Director Dr. Anton Polaschek.)

37. Die Unterrichtserfolge in den Wiener Volks- und Bürgersehulen.

Mit Rücksicht auf die vielen Hemmnisse, die sich der Erreichung der Unterrichts- ziele entgegenstellen, muss das unterrichtliche Gesammtergebnis als recht befriedigend bezeichnet werden. Die Wiener Lehrerschaft wird aber in ihrer Thätigkeit durch eine Reihe erschwerender Umstände beeinträchtigt, deren wichtigste sind:

I. Die auf weiten Kreisen der Bevölkerung lastende Noth.

2. Die wachsende Überfüllung der Schulclassen.

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3. Die mangelhafte Besoldung, welche den Großtheil der Wiener Lehrerschaft nöthigt, um leben zu können, in der ganzen freien Zeit dem Nebenverdienste nachzugehen.

4. Mangel an Schulen für verwahrloste und schwachsinnige Kinder.

5. Der große Zuzug auswärtiger, meist fremdsprachlicher Elemente nach Wien.

6. Die häufigen Übersiedlungen und der damit verbundene Wechsel der Lehrer.

(Angenommen im »Wiener Lehrerverein«; Referent B.-L. Karl Bruche.)

38. Behandlung der Schulversäumnisse.

In die Versäumnisliste hat jeder Classenlehrer die Versäumnisse seiner Schüler selbst einzutragen. Eine Minimalgrenze der anzuzeigenden Versäumnisse darf nicht angeordnet werden. In den Rubriken »wie oft angezeigt, verwarnt, bestraft« ist das Vorjahr und das laufende Schuljahr zu rechnen. Der Schulleiter ist der Parteien- einvernahme stets beizuziehen. In den Bezirksschulräthen ist anzustreben, dass das Strafreferat den Lehrervertretern und Bürgerschuldirectoren (überhaupt nur Fachmännern) zugewiesen werde. Der Geschäftsgang sollte möglichst schnell sein. Die Strafen sollen progressiv gesteigert werden. Die Arreststrafen sollen immer beim zuständigen Bezirks- gerichte und nicht im Gemeindearreste abgebüßt werden. Bei einer größeren Anzahl von Versäumnissen, deren Ursache angeblich eine Krankheit war, haben die Parteien eine ärztliche Bestätigung vorzulegen. Den Recursen gegen Schulstrafen möge von Seite des Landesschuliathes weniger stattgegeben werden.

(Angenommen in der Versammlung der in die Bezirksschulbehörde entsendeten Lehrervertreter Niederösterreichs zu Wien am Iı. November 1900; Referent O.-L. Karl Hilber-Traiskirchen.)

39. Die Nothwendigkeit der Fortbildungsschule.

Die Fortbildungsschulen sind nothwendig:

ı. Der Unterricht in der Volksschule fällt in ein Lebensalter, wo er nicht genug nachhaltig auf den Geist einwirkt.

2. Gestört wird er noch dazu empfindlich durch die unseligen Schulbesuchs- erleichterungen, durch die nieder organisierten Schulen, welche noch dazu gar häufig Halbtagsunterricht haben, durch den empfindlichen Lehrermangel und die traurige Stellung des Lehrers, der zur Ausübung seines Berufes der größten Selbstverleugnung und der äußersten Anspannung seiner moralischen Kräfte bedarf.

3. Der Kampf auf dem Gebiete des kleinen Mannes (Landwirtschaft und Gewerbe), auf dem Felde der Frauenfrage ist ein so verzweifelter, die Aussicht auf Besserstellung nur dann erringbar, wenn die betheiligten Personen durch bessere Vorbildung, tüchtigere praktische Schulung und Befähigung zur Selbstverwaltung die Hebel der Selbsthilfe ver- nünftig zu lenken lernen,

4. Wir stehen knapp vor dem Abgrund des gewerblichen und landwirtschaftlichen Ruins, wenn der Staat nicht rechtzeitig eingreift und durch entsprechende Maßregeln die durch Missverhältnisse erdrückte Energie des kleinen Mannes hebt und festigt.

In Anbetracht der hohen culturellen Bedeutung der Fortbildungsschulen sei anzuregen:

I. Der Centralausschuss des deutsch-österreichischen Lehrerbundes werde ersucht, den Landeslehrervereinen das Thema über: Fortbildungsschulen zur Besprechung zu empfehlen, die k.k. Landesschulräthe zu bitten, dieses Thema für die nächsten Landes- lehrerconferenzen und alle Bezirkslehrerconferenzen anzusetzen, damit die Zustände der

einzelnen Kronländer genau erkannt, die Bedürfnisse erwogen und entsprechende prak- tische Vorschläge gemacht werden könnten.

2. Diese Materialien habe sich der Centralausschuss des deutsch-österr. Lehrer- bundes zu erbitten, worauf Referenten für die einzelnen Kronländer aufzustellen wären, welche den Stoff sichten, Pläne entwerfen und in einer genau begründeten Gedenkschrift den Landesregierungen und dem Unterrichtsministerium behufs Errichtung von Fortbil- dungsschulen bestimmte Vorschläge machen. |

3. Ist die ganze Angelegenheit zum Gegenstande eines Gesetzentwurfes zu machen und dem Parlament vorzulegen, damit endlich auch Österreich, würdig seiner Groß- machtstellung, an der Lösung dieser hochwichtigen Aufgabe Antheil nehme.

4. Schaffung von Volksbildungs- und Fortbildungsvereinen.

(Angenommen in der 7. Hauptversammlung des »Deutsch-mähr. Lehrerbundes« zu Sternberg am 5. August 1901; Referent V.-L. Anton Vrbka-Klosterbruck.)

40. Die Rechtsverhältnisse der Gewerbeschullehrer.

Der Ausschuss des Vereines »Bürgerschule« wird beauftragt, eine wohlbegründete Eingabe an den Landtag zu richten, die nachstehende Forderungen enthalten soll:

1. Alle frei gewordenen oder neu geschaffenen Lehrstellen an gewerblichen Vor- bereitungs- und Fortbildungsschulen sind zur freien Bewerbung auszuschreiben, und die Gesuche um Erlangung solcher Stellen sind an den Landesschulrath zu richten.

2. Für jede Lehrstelle an den genannten Anstalten ist eine entsprechende Be- fähigung nachzuweisen, u. zw. für Vorbereitungsschulen mindestens die I.ehrbefähigung für Volksschulen, für Fortbildungsschulen mindestens die Lehrbefähigung für Bürger- schulen.

3. Die Lehrpersonen an diesen Anstalten werden auf Grund eines Terna- vorschlages der Gewerbeschulcommission vom k.k. Landesschulrathe provisoriseh ernannt.

4. Diese Lehrpersonen werden nach einjähriger zufriedenstellender Dienstzeit definitiv.

5. Die Entlassung einer solchen Lehrperson kann nur nach ordnungsmäßig durch- geführter Disciplinaruntersuchung wegen grober Pflichtverletzung gegen ihr Amt, oder wegen solcher Vergehen, die die Bekleidung eines öffentlichen Amtes unmöglich machen, erfolgen.

6. Die Disciplinarcommission besteht aus dem k. k. Landesschulinspector, dessen Inspection die Lehrkraft untersteht, dem Präsidenten der Gewerbeschulcommission oder dessen Stellvertreter, dem Gewerbeschulaufseher der betreffenden Schule, dem Leiter derselben und einem vom Angeklagten gewählten Mitgliede des Lehrkörpers.

7. Die Bezüge der Lehrer an gewerblichen Schulen haben mit den Dienstjahren eine entsprechende Erhöhung zu erfahren.

(Angenommen im Vereine‘ »Bürgerschule« in Wien am 17. November 1900; Referent B.-L. L. Manner.)

41. Über den Lehrermangel.

I. Die heutige Hauptversammlung des Steiermärkischen Lehrer- bundes erklärt den Lehrermangel As eine höchst bedenkliche Erscheinung auf dem Gebiete des Volksschulwesens. Sie erkennt als dessen Ursachen die derzeitigen schul- politischen Verhältnisse im allgemeinen, als besondere Ursachen jedoch: ı. Die Gehalts-, Rechts-, Vorrückungs- und Versorgungsverhältnisse, sowie die durch dieselben bedingte jetzige sociale Stellung der Lehrerschaft; 2. die abnehmende oder trotz der in manchen

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Ländern vorgenommenen Gehaltsregulierung stationär gebliebene Frequenz der Lehrer- bildungsanstalten; 3. den auffallenden Umstand, dass so viele Zöglinge des ersten Jahr- ganges nicht mehr in den vierten Jahrgang kommen oder aus diesem nicht mehr als Aspi- ranten für das Lehramt hervorgehen; 4. die jetzige unbefriedigende Stellung derselben im Schulorganismus; 5. die derzeitige Art der Pflege und Förderung der Lehrerfort- bildung; 6. die oft sehr misslichen örtlichen Schulverhältnisse, welche eine erfolgreiche Unterrichtsertheilung entweder ganz in Frage stellen oder sehr erschweren und deshalb lähmend auf den Berufseifer und die Berufsfreude einwirken.

2. Die Hauptversammlung des Steierischen Lehrerbundes bezeichnet als die natur- gemäßen und bedenklichen Folgen des Lehrermangels: 1. Eine Überbürdung der im Amte gebliebenen Lehrer; 2. eine Verminderung der Güte des Lehrernachwuchses; 3. eine allmählige Verweiblichung des Volksschulunterrichtes; 4. eine Erstarkung und Beförderung des clericalen Einflusses auf dem Gebiete der Schule und damit 5. eine nachtheilige Rückwirkung auf Volksbildung und Volkswohl.

Sie kann in der Anstellung ungeprüfter Lehrkıäfte, in einer etwaigen Vermin- derung der Lehrerbildung, in der Gewährung kleiner Stipendien, in der Errichtung von Internaten, in einer Begünstigung des Zuzuges von Lehrkräften aus anderen Kronländern, selbst in der Vermehrung der Lehrerbildungsanstalten keine erfolgreichen Mittel zur Behebung des Lehrermangels erblicken.

3. Die Versammlung erkennt als geeignete Mittel hiezu nur: 1. Im allge- meinen die energische Durchführung des Reichsvolksschulgesetzes und eine in fort- schrittlicher Richtung zu erfolgende Hebung und Weiterausgestaltung des gesammten Volks- und Bürgerschulunterrichtes durch zielbewusste Bekämpfung des clericalen Ein- flusses; sie bezeichnet dies als die wichtigste culturelle Aufgabe der gesammten fortschrittlich gesinnten Bevölkerung. 2. Im besonderen a) durch eine zeitgemäße Reform der Lehrerbildung im Sinne der Erhöhung derselben, der ihrem künftigen Berufe entsprechenden Behandlung der Lehramtscandidaten und der Gewährung von Stipendien in der früheren Höhe; 5) durch Pflege und wirksame Förderung der Lehrerfortbildung; c) in der Gleichstellung der Lehrer im Gehalte mit den vier untersten Rangsclassen der Staatsbeamten und in der materiellen Entschädigung deran entlegenen Posten wirkenden Lehrer; @) in der Regelung der Rechts- und Vorrückungsverhältnisse durch Schaffung einer Dienstespragmatik und eines modernen Disciplinargesetzes; e) in der Hebung ihres socialen Ansehens durch ausgiebigen Schutz und kräftige Abwehr verleumderischer Angriffe sowohl auf den Einzelnen, als auch auf den ganzen Stand; /) in einer derartigen Änderung der Schulaufsicht, dass unbeschadet der vollsten Anerkennung der staatlichen Schulaufsicht und der berechtigten Ansprüche der Bevöl- kerung auf die Mitwirkung in Schulangelegenheiten jedoch auch der Lehrerschaft im Organismus der Schule eine entsprechende Stellung und Beachtung und die Mög- lichkeit des Vorrückens auch in höhere Schulämter gegeben werde; g) in der Beseitigung aller die Unterrichtserfolge erschwerenden oder ganz unmöglich machenden äußeren Hindernisse, wie z. B. überfüllte Classen, mangelnde Lehr- und Lernmittel, schlechter Schulbesuch u. s. w.; +) durch günstige Versorgungsverhältnisse der Lehrer- schaft, namentlich durch Einrechnung der provisorischen Lehrthätigkeit und allmähliche Herabsetzung der für den vollen Pensionsanspruch nothwendigen Dienstzeit.

Die heutige Hauptversammlung erklärt eine etwaige Begünstigung oder Förderung des Lehrermangels durch die Lehrerschaft als ein durchaus ungeeignetes Mittel zur Erreichung ihrer Ziele, sondern vielmehr als ein solches,

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durch welches die Absichten der Gegner eines modernen Lehrerstandes wesentlich gefördert würden. Sie erachtet es hingegen als eine wesentliche Aufgabe der Lehrer- schaft, durch die Stärkung ihrer Organisation und die stete Aufklärung der Bevölkerung über den Wert eines tüchtigen Lehrers an der Beseitigung des Lehrermangels mitzuwirken.

(Angenommen von der Hauptversammlung des Steiermärkischen Lehrerbundes am 13. September 1901 zu Graz; Referent Fr. Monschein-Tobelbad.)

42. Über die Wegentschädigungsansprüche jener Lehrer, welche Schulkinder über Feld zur Kirche führen müssen.

A. Dem Lehrer gebürt für alle jene Gänge, welche er zu dem Zwecke macht, um die Schulkinder behufs Verrichtung der von der Schulbehörde verkündeten religiösen Übungen über Feld zur Kirche zu führen und hiebei zu beaufsichtigen, eine Weg- entschädigung, die in der Weise zu bemessen ist, wie die Wegentschädigung der Katecheten, welche an diesen Schulen Religionsunterricht ertheilen.

B. Diese Forderung gründet sich ı. darauf, dass die Beaufsichtigung der Kinder bei den religiösen Übungen eine Verpflichtung des Lehrers ist (8. 50 der Schul- und Unterrichtsordnung); 2. darauf, dass die religiösen Übungen als der praktische Theil des Religionsuntcrrichtes zu betrachten sind, und dass daher auf die Lehrer, welche diesen praktischen Religionsunterricht überwachen, dieselben Bestimmungen Anwendung zu finden haben, die für die Katecheten, welche außerhalb ihres Dienstortes Religions- unterricht ertheilen, Geltung haben, nämlich $. 55 der pol. Schulverfassung, Ministerial- verordnung vom 22. October 1877, Z. 12.188 und der $. Io des n.-ö. Landesgesetzes vom 14. December 1888; und 3. darauf, dass weltliche Lehrer für Ertheilung des Religionsunterrichtes eigens remuneriert werden, wodurch anerkannt wird, dass dieser Unterrichtszweig nicht zu ihrer Lehrverpflichtung gehöre. Wenn also der Lehrer in der Remunerierung der Religionsstunden dem Katecheten gleichgestellt wird, so muss er folgerichtig auch in Bezug auf die Wegentschädigung demselben gleichgestellt werden. ($- 12 des Landesgesetzes vom I4. December 1888.)

(Angenommen im Lehrerclub Kirchberg a. Wagram am 24. Jänner 1901; Referent O.-L. Wilh. Peter-Fels a. Wagr.)

43. Schulleiterversammlungen.

I. Periodische, freie Schulleiterversammlungen sind aus vielen Gründen höchst wünschenswert.

2. Von der richtigen, taktvollen Leitung hängt meist das harmonische Zusammen- wirken des Lehrkörpers, das Gedeihen der Schule ab.

3. Die administrative Thätigkeit, das erziehliche und unterrichtliche Wirken der Schulleiter erfordert ein möglichst gleichmäßiges Vorgehen.

4. Durch gegenseitigen Ideenaustausch, durch Mittheilung gemachter Erfahrungen von Seite älterer Schulleiter wird das praktische Wirken der jüngeren bedeutend erleichtert und dadurch gefördert.

5. Durch gemeinsame Besprechungen, durch entsprechende Kritik werden Miss- griffe einzelner Schulleiter möglichst verhindert.

6. Die berufliche 'Thätigkeit der Schulleiter bedarf genauer Bestimmungen, ebenso ist das Maß der Lehrverpflichtung derselben besonders an größeren Schulen entsprechend zu regeln.

7. Die nothwendige Einwirkung der Schulleiter auf die jüngere Lehrerschaft, die

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Art und Weise dieser Einwirkung wird durch derartige Besprechungen entschieden gebessert und gehoben.

8. Die Schulleiter erstreben vor allem ein besseres collegiales Leben unter der Lehrerschaft, u. zw. ohne Rücksicht auf politische oder nationale Unterschiede, da der fortwährende Streit nicht allein unser Ansehen schädigt, sondern auch uns geradezu dem Gespött der Feinde preisgibt und unseren Einfluss immer mehr schwächt.

9. Die Schulleiter werden sich ferner zur Aufgabe machen, den erziehlichen Einfluss auf Jugend und Volk zu heben, aber auch die materielle I.age der gesammten Lehrerschaft zu fördern.

10. Die steierischen Directoren und Oberlehrer werden alljährlich am Mittwoch in der Osterwoche eine allgemeine Versammlung abhalten. Die Ausführung der Beschlüsse übernimmt ein von der Versammlung gewählter Ausschuss.

11; Die Versammlung ist eine freie se wird sich nur mit Schul- und Erziehungs- fragen befassen.

(Angenommen in der Versammlung der steierischen Oberlehrer und Directoren zu Graz am 3. April 1901; Referent D. Joh. Drescher.)

44. Über Elternabende.

1. Elternhaus und Schule arbeiten an einem Ziele, welches umso leichter und vollständiger erreicht wird, je einträchtiger sie die Erziehungsarbeit verrichten.

2. Die gegenseitige Unterstützung wird insbesondere durch Elternabende gefördert.

3. Dieselben können während des Winterhalbjahres vom Lehrkörper der Schule unter Vorsitz des Schulleiters abgehalten werden.

4. Die Verhandlungen eines Abends gliedern sich in zwei Theile: in einen all- gemeinen und in einen besonderen.

a) Im ersten Theile des Abends kann ein Thema aus dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichtes besprochen werden. Über das Thema ist dann eine Debatte zu eröffnen. Durch die gegenseitigen Mittheilungen sollen einerseits die wichtigsten Erziehungsgrundsätze zum Gemeingut des Volkes werden, andererseits die im Volke herrschenden richtigen Anschauungen über die Erziehung der Kinder verbielte: und die falschen berichtigt und. bekämpft werden.

d) Im zweiten Theile des Abends soll den Eltern Gelegenheit geboten werden, sich über besondere Vorkommnisse aus dem Kindesleben mit dem Lehrer ihrer Kinder zu berathen. Der Lehrer lernt dadurch die Individualität der betreffenden Kinder viel leichter kennen; die Eltern erhalten aber einen Einblick in die erziehliche Thätigkeit der Schule und werden nach und nach zur Erkenntnis kommen, dass der Lehrer vor allem berufen ist zu beurtheilen, was der Schule zum Heile der heranwachsenden Jugend frommt.

(Aufgestellt in der Bezirkslehrerconferenz des Schulbezirkes Scheibbs am 22. Juni 1901; Referent V.-L. Siegmund Müller-Scheibbs.)

45. Resolution des Olmützer Katholikentages, betreffend die Volks- und Bürgerschule. In lebendiger Überzeugung von der Wahrheit, dass des Menschen letztes Ziel ein ewiges ist; in Erwägung, dass die Eltern in erster Linie verpflichtet und berechtigt sind, ihre Kinder für deren zeitliches und ewiges Ziel auszubilden und zu erziehen; in Anbetracht dessen, dass den Eltern bei diesem doppelten Geschäfte die Schule

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treue Mithilfe zu leisten hat, zumal die weitaus größte Zahl der Eltern dieser Mithilfe nicht nur nicht entrathen kann, sondern hierzu auch gesetzlich verhalten wird;

bei dem Umstande, als ja in unserem Vaterlande ziemlich 95 Procent der Be- völkerung Katholiken sind, welchen obendrein Artikel XIV des Staatsgrundgesetzes vom 21. December 1867 volle Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet;

schließlich in unausweichlicher Würdigung des durch Christi Willen der katho- lischen Kirche und ihren autorisierten Dienern zugewiesenen Rechtes, bezichungsweise der ihnen diesbezüglich auterlegten heiligen Pflicht, die Menschen durch Lehre und Gnaden- mittel ihren letzten Ziele zuzuführen:

reclamieren die bei der deutschen Katholikenversammlung zu Olmütz anwesenden Katholiken ihr heiliges Recht, das sie da haben, auf eine wirklich religiöse Erziehung der Jugend und fordern principiell katholische Schulen für katholische Kinder.

Im einzelnen verlangen sie:

ı. Dass die Schuljugend nicht nur unterrichtet, sondern auch erzogen werde, erzogen zu dem letzten und darum auch nothwendigsten Ziele eines jeden Menschen, das hinüberreicht in die Ewigkeit;

2, dass Unterricht und Erziehung durch sämmtliche Lehrkräfte eine einheitliche sei, wozu nicht nur harmonisches Zusammenwirken der weltlichen und der Religions- Ichrer, sondern auch Zusammenklang der betreffenden Lehrmittel nothwendig ist;

3. dass demnach die religiösen Anschauungen und Übungen der katholischen Schuljugend in keinerlei Weise durch Wort, noch durch Beispiel der zur Aus- bildung und Erziehung berufenen Organe beeinträchtigt oder gar untergraben werden;

4. dass Bildung und Erziehung der katholischen Schuljugend nicht einem wässerigen, wahre Religiosität nur schädigenden Interconfessionalismus zusteuern, sondern der con- creten, also katholischen Religion derselben;

5. dass demzufolge für katholische Schüler unseres Vaterlandes nur katholische Lehrer Beaelit werden, welche, um einige Bürgschaft katholischen Wirkens zu bieten, in streng katholischen Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten gebildet und erzogen sein sollen, und bei deren amtlicher Bestellung der Kirche ein solcher Einfluss gewährt werden muss, dass sie katholische Kinder mit Beruhigung solchen Lehrpersonen anvertrauen kann;

6. dieserthalben iphehlt denn auch die heutige Versammlung deutscher Katholiken den katholischen Glaubensgenossen die Gründung gut eingerichteter katholischer Kinder- gärten, die werkthätige Unterstützung des für Österreich bestehenden Katholischen Schulvereines, wobei sie sich auch von der letzthin von höchster Stelle verdolmetschten Überzeugung geleitet weiß, dass hierdurch auch für den österreichischen Patriotismus in ausgiebigster Weise gesorgt wird;

7. da für die weitere Fortbildung nach der Volks- und Bürgerschule im all- gemeinen noch viel zu thun ist, so wird das Augenmerk darauf zu richten sein, zunächst auf privatem Wege die weitere Ausbildung der Jugend durch Lehrlings-, Gesellen- und andere Fortbildungsschulen, auf dem Lande durch Winter- und Sonntagsschulen ohne Beeinträchtigung der sonntäglichen Christenpflicht zu fördern;

8. in Anbetracht, dass sich der katholische Lehrerbund um die religiöse Wieder- belebung unseres öffentlichen Schulwesens sehr bedeutende Verdienste erworben hat, wird derselbe der angelegentlichsten Unterstützung und Förderung durch den deutschen Katholikentag in Olmütz dringend empfohlen.

(Angenommen in der »Section für Schule« des deutschen Katholikentages in Olmütz am 8. September 3901 ; Referent O.-L. Josef Schwammel-Neugasse.)

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46. Die Angriffe des katholischen Schulvereines auf Schule und Lehrer.

Gegenüber den gehässigen, von Unwahrheiten, Entstellungen und Drohungen strotzenden Auslassungen der Redner des katholischen Schulvereines auf dessen Haupt- versammlung am 15. November d. J. in Wien erklärt der Ausschuss des Deutsch-österr. Lehrerbundes die auf dieser Versammlung nunmehr unverschleiert aufgestellte Forderung nach Herstellung der confessionellen Schule und vollständiger Verkirchlichung derselben als mit dem bestehenden Reichsvolksschulgesetze absolut unvereinbar.

Die freisinnige deutsche Lehrerschaft Österreichs steht nach wie vor auf dem Boden dieses Gesetzes und wird jedes Bestreben, dasselbe im rückschrittlichen Sinne zu ändern, auf das entschiedenste bekämpfen, denn sie ist von der Überzeugung durch- drungen, dass nur durch die zielbewusste, kraftvolle, durch nichts beirrte Durchführung desselben jenes erhöhte Maß der allgemeinen Volksbildung erreicht werden kann, welches der Staat im Interesse seiner eigenen Erhaltung und im Interesse der culturellen Forderungen, welche die Gegenwart und die nächste Zukunft an ihn stellen, sicher- zustellen verpflichtet ist.

Die freisinnigen Lehrer Österreichs werden sich in der Vertheidigung dieses Ge- setzes und der Grundsätze, auf welchen dasselbe aufgebaut ist, durch nichts, weder durch die von den Rednern in den gedachten Versammlungen ausgesprochenen Drohungen, noch durch die in Aussicht gestellten Maßregelungen, auch wenn sie zur That werden sollten, beirren lassen.

Österreichs Lehrerschaft ist zu schr von echtem Patriotismus durchglüht, als dass sie nicht gegen eine Schulreform, wie sie der katholische Schulverein fordert, ihre warnende Stimme erheben und der Anbahnung einer solchen Rückbildung der Volks- schule den stärksten Widerstand entgegensetzen würde; sie erblickt in einer solchen Reform, die nichts anderes als eine Verkürzung der Schulpflichtdauer, eine Herabdrückung der Lehrziele, eine verminderte Lehrerbildung und die vollständige Unterordnung der Schule und der Lehrerschaft unter die Herrschaft der Kirche bedeutet, einen beklagens- werten Rückfall in jene unselige Richtung, welche noch in allen Ländern, wo sie zur (Greltung kam, die geistige und materielle Verarmung des Volkes zur unausbleiblichen Folge hatte und den Staat zum warnenden Beispiele für die übrigen Länder an den Rand des Abgrundes brachte.

Möge ein gütiges Geschick Österreich vor dem Unglücke einer solchen Schul- reform bewahren!

Was confessioneller Fanatismus an Vorwürfen gegen die gesetzestreue freisinnige Lehrerschaft, deren sittlicher Ernst, deren Pflichttreue und Berufstüchtigkeit behördlicherseits zu oft öffentlich anerkannt wurde, um irgendwie bezweifelt zu werden, in jener Ver- sammlung angehäuft, das sei hier mit tiefster Entrüstung zurückgewiesen. Der Bundes- ausschuss hält es aber als nicht mit der Würde der Lehrerschaft vereinbar, näher auf Vorwürfe einzugehen, deren Grundlosigkeit und Unhaltbarkeit, aber auch deren auf Irre- führung berechnete Absicht so zutage liegen und am ehesten von jenen erkannt und durchschaut werden, welche nach wie vor mit vollem Vertrauen den Unterricht und die Erziehung ihrer Kinder in die Hände dieser von gänzlich Unberufenen so vielgeschmähten Lehrerschaft legen.

(Angenommen vom Ausschusse des deutsch-österr. Lchrerbundes am 8. December 1900; Referent O.-L. Anton Katschinka-Wien,)

159 47. Grundsätze für die Diseiplinarbehandlung der Lehrpersonen an Volks-- und Bürgerschulen.

(Aufgestellt im Unterrichtsausschusse des hohen Abgeordnetenhauses; Wortlaut in der »Chronik« dieses Jahrbuches.)

Beschlüsse des Pädagogischen Congresses auf der Pariser Welt- ausstellung. (Le congr£is internationale de l’enseignement primaire, Paris 1900.)

48. Von der Haushaltungskunde.

49. Über den Schulbesuch.

50. Vom Moralunterricht.

51. Der höhere Volksschulunterricht.

52. Curse für Jünglinge und Erwachsene.

53. Gegenseitigkeitsgesellschaften.

54. Vereinigungen ehemaliger Schüler und Jugendschutzgesellschaften.

(Den Wortlaut der Beschlüsse Nr. 48—354 siche S. 93 fl. dieses Jahrbuches.)

II. Schulchronik.

(Vom 15. September ıgoo bis 15. September 1901.) Von ANTON ZENS.

I. Die Schule und das Öffentliche Leben.

Reichsrath. Nach vollzogener Neuwahl des im vorigen Jahre aufgelösten Abgeordnetenhauses wurde am 4. Februar 190I der Reichsrath für eröffnet erklärt. Die von allen politischen Parteien mit Spannung erwartete Thronrede enthielt als Regierungs- programm eine schon durch ihre Zahl auffallende Reihe von großen Arbeiten und Ge- setzen, mit denen sich die Reichsboten beschäftigen sollten. Aber auch die Lehrerschaft horchte auf, ob ihr ein Wort verkündet werde, das sie eine bessere Zukunft erhoffen lasse; hatte doch gerade die letzte Zeit die Unhaltbarkeit der gegenwärtig zu Recht bestehenden Normen in Bezug auf Gehaltssätze und disciplinare Behandlung allerwärts erwiesen! Doch ward außer der allgemeinen Anerkennung, dass die Bildung des Volkes sich durchgängig gehoben hat und dass infolge dessen die Schlagfertigkeit des Heeres in sehr günstiger Weise beeinflusst worden ist, weder Verheißung noch Trost vernommen. Die auf das Schulwesen bezughabenden Stellen der Thronrede lauten:

»Die Pflege des Unterrichtes gehört zu den schönsten Aufgaben des Staates. Meine

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. Regierung wird von Ihnen größere Mittel für die zeitgemäße Ausgestaltung der: Hoch- schulen im Sinne der neuesten wissenschaftlichen Fortschritte in Anspruch nehmen, sowie sie nützliche Reformen in anderen Zweigen, namentlich für die gewerblichen und commerciellen Schulen, vorbereitet. Sie wird nicht verabsäumen, die Erfolge des ge- sammten Unterrichtes zu heben und die sittlich -religiöse Erziehung der Jugend, auf welcher unser Schulwesen beruht, zu sichern. Auch mehreren dringenden Forderungen auf dem Gebiete der Cultusverwaltung wird sie auf legislativem Wege zu entsprechen suchen.

Die Verfassung, die Ich Meinem Reiche aus freiem Willen gab, sollte die unserer Zeit entsprechende Bürgschaft für die Entwicklung Meiner Völker sein, Reich sind die Früchte, die sie getragen hat. Die Finanzen des Staates wurden in eine musterhafte Ordnung, sein Credit zu hohem Ansehen gebracht. Die bürgerlichen Freiheiten ruhen auf fester Grundlage, die allgemeine Bildung hat dank der Organisation des Schulwesens und der außerordentlichen Vermehrung der Unter- richtsanstalten ein erfreuliches Niveauerreicht, welchesinsbesondere auch der Tüchtigkeit und Intelligenz Meiner Armee in reichem Maße zustatten kommt. Die. Landtage konnten innerhalb ihres Wirkungskreises Vieles und Nützliches schaffen; bis hinab in die Gemeinden ist der segensreiche Einfluss der verfassungsmäßigen Einrichtungen gedrungen. So kann Ich sagen, dass die Staatsgrund- gesetze einen wertvollen Besitz Meiner treuen Völker bilden. Nach außenhin sind sie unbeschadet der den einzelnen Königreichen und Ländern zukommenden Autonomie das Sinnbild der Einheit und Stärke des Staates.«

Mit besonderer Genugthuung hatte es die Lehrerschaft erfüllt, dass diesmal mehrere Angehörige des Lehrstandes (Cerny-Gitschin, V. Curie; Drexel-Städtebezirk Bregenz ; Kaspar-Landgemeinden Trautenau; Schreiter-Leitmeritz, V. Curie; Seitz-Städte- bezirk Korneuburg-Stockerau) als Abgeordnete gewählt worden waren, und das hohe Haus fand bald Gelegenheit, sich mit Lehrerangelegenheiten eingehender zu befassen, als es bisher der Fall war. Besonderen Anlass hiezu gab die in der Adressdebatte des Herrenhauses gehaltene Rede des Vorarlberger Landeshauptmannes Graf Rhomberg. Nach Ansicht des feudalen Redners ist die Schule Ursache der gegenwärtigen politischen Verwilderung; die Schule biete keine sittlich-religiöse Erziehung, eher das Gegentheil, und die Früchte davon seien »Verachtung der kirchlichen und weltlichen Autorität, das Fchlen jeden Familiensinnes, Leichtsinn und sittliche Ausschweifungen in frühester Jugend, Religionslosigkeit und crassester Egoismus«. Redner beklagt es, dass Social- demokraten als Jugendbildner angestellt seien, dass die Kinder somit im gegebenen Falle von einem Manne erzogen werden, »dessen religiöses Ideal der Atheismus, dessen staatliches der Republikanismus ist, dessen gesellschaftliche Anschauungen in dem totalen Umsturze der gegenwärtigen menschlichen Gesellschaft gipfeln,« von einem Manne, »der Eigenthum als Diebstahl, Revolution als erlaubt und lobenswert hinstellt.« Das sollte der Volksschule gelten; fast noch schlechter kamen Mittel- und Hochschule weg, deren Lehrer und Studenten geradezu als Hochverräther stigmatisiert wurden.

Unterrichtsminister Dr. v. Hartel fand sich veranlasst, auf die »überaus temperamentvolle Rede so bezeichnete Se. Excellenz die genannten Auslassungen sofort zu antworten, allerdings in Milde und Entgegenkommen, andererseits zum Schutze der Lehrer und zur Deckung seiner eigenen Amtsvorgänger. Der Minister hob hervor, lass für die Beurtheilung dieser Angelegenheit »Gerechtigkeit und Gewissenhaftigkeit der Untersuchung, Objectivität und Unparteilichkeit eine nothwendige Voraussetzung«

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sein müsse; »die Unterrichtsverwaltung ist seit Jahren außerordentlich empfindlich gegen Anschuldigungen, wie sie hier vorgebracht worden sind, über illoyales, unpatriotisches Benehmen der Schüler und der Lehrer. Ich kann die Versicherung geben, es erscheint und erschien seit Jahren keine Notiz, in welchem Blatte immer, ob es ein angesehenes, vielverbreitetes war oder nicht, welche nicht den Gegenstand strengster Untersuchung gebildet hätte. Aber freilich, die Resultate dieser Untersuchungen haben häufig die Mühe nicht gelohnt.« Der Minister bittet, ihm keine » Anschuldigungen in Bausch und Bogen«, sondern wirkliche Thatsachen vorzulegen, und ihm Andeutungen zu geben, wie solchen Erscheinungen zu begegnen sei, ob vielleicht die Organisation der Schulen geändert werden solle; mit Verordnungen wäre wenig gethan. »Mehr verordnen können wir nicht mehr, als wir thun, und in der That, es ist ja fast schon jede freiere Bewegung gehemmt, eingeschränkt in der ängstlichen Sorge, dass irgendein Anlass zu einer Ausartung übrig bleiben könnte.«e Was die Volks- schulen anbelangt, könne er als Minister nicht viel machen, da er durch das Reichs- volksschulgesetz gebunden sei; was aber auf administrativem Wege geschehen könne, werde ausgeführt. Leider müsse auch er die Maßlosigkeit des Auftretens beklagen, die in einem kleinen Theile der Lehrerschaft sich zeige, und die namentlich in Zeitungen und Zeitschriften der Lehrerschaft so weit gehe, dass man den Bestand der freien Schule gegen die Lehrer vertheidigen müsse (!).

Die Ausführungen Rhombergs wurden auch von allen Schulblättern, die auf dem Boden des Reichsvolksschulgesetzes stehen, mit Entschiedenheit zurückgewiesen. Zu dem Schlusspassus des Ministers bemerkt die »Freie Schulzeitung«, Organ des deutsch- böhm. Landeslehrervereines, das gewiss nicht zu den »radicalen« Blättern gezählt wird: »Welche Ursachen liegen diesem Auftreten zugrunde? Sie sind dem Minister genau bekannt: der ungeheuere Druck von oben und die schwere materielle Noth der Lehrer. Ebenso bekannt sind aber auch die Gegenmittel: Entfernung der drückenden Verordnungen, die unter dem schönen Namen »Maulkorberlässe« bestehen, Zurückweisung der clericalen Herrschsüchtlinge in ihre Schranken, Vertheidigung des Reichsvolksschulgesetzes von oben her und im Verein mit den Lehrern, endlich ge- rechte Lösung unserer Brotfrage. Die Maßlosigkeit wird wachsen, wenn namentlich in letzterer Beziehung nichts Entsprechendes geschieht; sie wird einem ruhigen Tone weichen, wenn endlich oben die Einsicht reift, dass hier unter allen Umständen rasch und ausgiebig geholfen werden muss, und wenn dieser Einsicht die That folgt.«

Wie schon bemerkt, erregte die Rede Rhombergs auch im Abgeordnetenhause kräftigen Wiederhall. Daselbst waren von den Lehrerabgeordneten, unterstützt von ihren Parteigenossen, mehrere Anträge eingebracht worden, u.zw.: Schaffung eines Disciplinar- gesetzes für Lehrer (überreicht wurde der vom Ausschusse des deutsch-österr. Lehrer- bundes ausgearbeitete Gesetzentwurf), Regelung der Lehrergehalte durch Abänderung des 8. 55 des Reichsvolksschulgesetzes, Aufhebung des Kielmannsegg’schen Beamten- erlasses. Die beiden ersten Anträge wurden dem Unterrichtsausschusse zugewiesen, und Abg. Seitz richtete an den Obmann desselben die Anfrage, ob er geneigt wäre, den Unterrichtsausschuss zur sofortigen Berathung des Disciplinargesetzentwurfes einzuberufen, bei welcher Gelegenheit Interpellant die im Herrenhause erfolgten Angriffe auf Schule und Lehrer unter stürmischer Unterbrechung seitens der clericalen Parteien zurückwies. Über den letztgenannten Gegenstand wurdeauch von dem £echisch-radicalen Lehrerabgeord- neten Cerny ein Dringlichkeitsantrag eingebracht, der geschäftsordnungsmäßig sofort (am 4. März 1901) zur Verhandlung kam, wobei insbesondere die in Wien und Niederösterreich

Jahrbuch d. Wien. päd. Ges. 1901. 11

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erfolgten »Maßregelungen«, sowie die Art des Disciplinarverfahrens einer scharfen Kritik unterzogen wurden. (Die Dringlichkeit wurde abgelehnt, der Antrag dem Unterrichts- ausschusse zugewiesen.)

Der Unterrichtsausschuss des Abgeordnetenhauses beschäftigte sich ein- gehend mit dem Reichsdisciplinargesetzentwurf des deutsch-österr. Lehrerbundes. Die Redner der conservativen Parteien wahrten ihren autonomistischen Standpunkt, nach welchem nur dieeinzelnenLandtage darüberzu beschließen hätten; Minister Dr. v. Hartel stimmte nicht nur zu, sondern bezeichnete den Entwurf auch inhaltlich als für die Re- gierung unanuehmbar, da dieselbe auf Disciplinarsenate nicht eingehen werde und auch dem geforderten mündlichen oder gar öffentlichen Verfahren nicht zustimmen könne. Das Ergebnis der Berathung war die Annahme der von dem Referenten Abg. Grafen Stürgkh ausgearbeiteten »Grundsätze«, bezw. eines Antrages, welche folgenden Wortlaut haben:

»I. Die Nothwendigkeit wird anerkannt, die Disciplinarbehandlung der Lehrpersonen an den österreichischen Volks- und Bürgerschulen durch bestimmtere Normen als bisher zu regeln, damit für eine objective und gerechte Entscheidung von Disciplinarfällen aus- reichende Bürgschaft geboten werde.

II. Hinsichtlich des materiellen Disciplinarrechtes hat es bei der bisherigen grund- sätzlichen Bestimmung zu verbleiben, wornach das gesammte Verhalten einer Lehrperson in und außer dem Amte der Beurtheilung vom Standpunkte der Disciplin aus unter- worfen ist. Ebenso verbleibt es bei der grundsätzlichen Bestimmung, wornach die Disciplinarbehandlung von der strafrechtlichen unabhängig ist.

III. Die anzustrebende Reform des Disciplinarrechtes hat sich im wesentlichen auf die Form des Verfahrens zu erstrecken. Als Disciplinarbehörden haben nach Maß- gabe der nachbezeichneten grundsätzlichen Normen die Schulbehörden der verschiedenen Instanzen zu fungieren.

Die Reform des Verfahrens hat in den drei Hauptstadien desselben nach folgenden Grundsätzen platzzugreifen:

a) Untersuchungsinstanz. Als solche fungiert der Bezirksschülrath. Wird auf Grund der Vorerhebungen die Disciplinaruntersuchung verfügt, so ist der Beschuldigte von deren Einleitung sofort in Kenntnis zu setzen, über die erhobene Beschuldigung ist er zu hören und seine mündliche oder schriftliche Äußerung den Acten beizulegen; es ist ihm Gelegenheit zu geben, in den Untersuchungsact Einsicht zu nehmen, Entlastungs- zeugen und sonstige Beweismittel anzubieten. Die Untersuchungsinstanz hat den Fall durch Beibringung aller zur Klarstellung des Thatbestandes zweckdienlichen Erhebungs- momente zu instruieren. Nach dem Abschlusse der Untersuchung ist der. Beschuldigte von deren Ergebnis sogleich in Kenntnis zu setzen,

db) Erkenntnisinstanz. Die erkennende Disciplinarbehörde ist der Landes- schulrath. Die Verhandlung vor demselben ist contradictorischh Von dem Vorsitzenden wird aus den Mitgliedern für jeden Disciplinarfall ein Klageanwalt und ein Vertheidiger bestellt, Dieselben haben sich an der Abstimmung nicht zu betheiligen. Dem Beschuldigten steht es frei, bei der Verhandlung entweder persönlich zu erscheinen und hiebei zu seiner Rechtfertigung dienende Umstände anzuführen, oder eine schriftliche Rechtfertigung vor- zubringen. Die Verhandlung ist nicht öffentlich. Das Erkenntnis hat nur voruntersuchte Thatsachen als Grundlage der Entscheidung anzunehmen,

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c) Rechtsmittelinstanz. Sowohl in der Schuldfrage, als in der Frage des Strafausmaßes hat der Beschuldigte den Recurs an das Ministerium für Cultus und Unterricht offen. Die Form des Verfahrens vor der Recursinstanz bleibt unverändert nach den bisherigen Grundsätzen,

IV. Die Reform des Disciplinarverfahrens ist im Wege der Gesetzgebung durch- zuführen.

V. In Hinblick auf $. ı1 des Staatsgrundgesetzes und $. 54 des Reichsvolksschul- gesetzes wird grundsätzlich anerkannt, dass diese Reform auf Grund und in Ausführung der principiellen Bestimmungen des $. 54 des Reichsvolksschulgesetzes in Wege der Landesgesetzgebung zu erfolgen hat.«

Antrag: »Die hohe Regierung wird aufgefordert, die von ihr eingeleiteten Er« hebungen, betreffend Wahrnehmungen über die bisherige Handhabung der Disciplinar- vorschriften rücksichtlich des Lehrpersonales an österreichischen Volks- und Bürger- schulen fortzusetzen und ehestens zum Abschlusse zu bringen.;

weiters auf Grund des gewonnenen Materials, sowie unter Beachtung der vor- stehend dargelegten Grundsätze in Ausführung des $. 54 Reichsvolksschulgesetz, bezw. in theilweiser Abänderung, eventuell Ergänzung der bestehenden Landesgesetze über die Rechtsverhältnisse des Lehrstandes eine gleichartige Gesetzesvorlage, betreffend die Disciplinarbehandlung des Lehrpersonales an österreichischen Volks- und Bürgerschulen, in den Landtagen der Königreiche und Länder ehethunlichst einzubringen;

endlich provisorisch bis zum Zustandekommen solcher Gesetze für die Einhaltung eines gleichmäßigen, objectiven und gerechten Vorganges im Disciplinarverfahren durch Hinausgabe einer geeigneten Instruction an die Unterbehörden Vorsorge zu treffen.

Unter Beziehung auf vorstehende Resolution wird in die Berathung der vor- liegenden, die Schaffung eines Reichsdisciplinargesetzes beinhaltenden Anträge nicht | eingegangen.«

Endlich wurde noch ein Zusatzantrag Pachers, dass das politische Verhalten der Lehrer vom Disciplinarverfahren auszuschließen sei, mit 13 gegen 12 Stimmen angenommen. |

Niederösterreich. Das vom h. Landtage angenommene Lehrerpensions- gesetz weist gegen das frühere Gesetz wesentliche Vortheile auf. Die wichtigsten Be- stimmungen sind: Eine Lehrperson erlangt in dem Falle, dass sie infolge von Krankheit dienstuntauglich geworden ist, den Anspruch auf Altersversorgung bereits nach dem 5. Dienstjahre. Die Anfangspension "beträgt nach zehn anrechenbaren Dienstjahren 40°/, der anrechenbaren Bezüge (früher ein Drittel) und mindestens 800 X jährlich; nach dem 10. Dienstjahre steigt die Pension mit jedem Jahre um 2°/, des Gehaltes (früher Stufen von 5 zu 5 Jahren). Von den vor Ablegung der Lehrbefähigungsprüfung zurück- gelegten Dienstjahren werden zwei Jahre in die Pension eingerechnet. Lehrpersonen, welche das 60. Lebensjahr und das 35. anrechenbare Dienstjahr zurückgelegt haben, können ohne weiteren Nachweis der Dienstuntauglichkeit in den Ruhestand versetzt werden, und es kann in besonders rücksichtswürdigen Fällen über Einschreiten des Pensionswerbers mit Zustimmung jenes Factors, der in dem betreffenden Falle den etwaigen Abgang der zuständigen Pensionscassa zu decken hat, eine Erhöhung der Pension bis zum Gesammtbetrag des zuletzt bezogenen anrechenbaren Jahresbezuges gewährt werden. In die Pension wird auch das halbe Quartiergeld einbezogen. Die Witwenpension steigt auf 40°/, (früher ein Drittel) der Bezüge und beträgt mindestens 600 A jährlich. Die Erziehungsbeiträge erlöschen mit dem 24. (früher 20.) Lebensjahr

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und betragen pro Kind ein Fünftel der Witwenpension (Maximalhöhe für ein Kind 300 X und für sämmtliche Kinder der Betrag der Witwenpension). Ist auch ein Haupt- punkt aus den Forderungen der Lehrerschaft, das uneingeschränkte Recht auf volle Pension nach 35 anrechenbaren Dienstjahren, nicht erfüllt worden, ist auch durch 8. g eine weitere Einschränkung des Rechtes auf Ruhegenuss ausgesprochen, so wird das neue Gesetz über die Versorgungsgenüsse doch als ein Fortschritt von der gesammten Lehrerschaft des Landes dankbar anerkannt*).

Die vom Schulausschusse dem Landtage vorgelegten Berichte über das Schul- wesen Niederösterreichs wurden zur Kenntnis genommen.

Der deutsch-österr. Städtetag, welcher im Juli zu St. Pölten abgehalten wurde (vertreten waren 112 Städte), beschäftigte sich auch mit der Gehaltsregulierung der Lehrpersonen. Referent Vicebürgermeister Franz Hoß-Floridsdorf bezeichnete eine gesicherte materielle Lage des Lehrstandes als die Vorbedingung eines geordneten Schul- wesens und daher als eine Angelegenheit von allgemeinem Interesse. Die von den ein- zelnen Ländern geschaffenen Gesetze über die Bezüge des Lehrpersonals sind für die heutigen Verhältnisse gänzlich unzureichend, und manche Städte sahen sich deshalb ver- anlasst, Zulagen zu- bewilligen. Während angesichts der seit Jahrzehnten stetig zu- nehmenden Vertheuerung der Lebensmittelpreise und Wohnungsmiete eine bedeutende Erhöhung der Bezüge für Staatsbeamte für nöthig befunden wurde, die wieder die Er- höhung der Bezüge anderer Beamtenkategorien zur Folge hatte, blieb die Lehrerdotation rückständig und beträgt oft nur die Hälfte der Bezüge für subalterne Staatsbeamte, obwohl die Lehrer sowohl nach ihrer Bildung wie nach ihrer Bedeutung für das Ge- meinwohl und nach der Schwierigkeit ihrer Berufsthätigkeit über den subalternen Beamten stehen. Die Folgen hievon treten allenthalben zutage: zahlreiche Lehrer und Lehramts- candidaten wenden sich anderen Berufsarten zu, Lehrermangel droht hereinzubrechen, . die Lehrerschaft wird von Sorge und Erbitterung erfüllt, was die erzieherischen und unterrichtlichen Erfolge schädigen muss, und der Eifer der Lehrer in der Mitwirkung bei gemeinnützigen Institutionen erlahmt. Redner beantragt die Aufstellung folgender Forderungen durch den Städtetag: »Die Landtage haben die ihnen in 8. 55 des Reichsvolksschulgesetzes vorgeschriebene Pflicht einer Regelung der Dotation des Lehrpersonals ungesäumt zu erfüllen und hiebei folgende Grundsätze zu beachten: 1. Die Gehalte der Lehrpersonen müssen mindestens denen der Staatsbeamten der unteren vier Rangsclassen gleichgestellt werden. 2. Die Quartiergelder müssen, den örtlichen Verhältnissen entsprechend, in ausreichender Höhe gewährt werden. 3. Die Ruhegenüsse der Lehrpersonen sowie die Versorgungsgebüren für ihre Witwen und Waisen müssen nach den für Staatsbeamte geltenden Normen bemessen werden.« Es ist bemerkens- wert, dass in der nachfolgenden Debatte alle Redner die Aufbesserung der Lehrergehalte als Nothwendigkeit anerkannten; die deutsch-böhm. und steiermärkischen Vertreter aber reservierten sich dahin, dass die Landtage ihrer Länder bereits Vorsorge getroffen hätten. Die Resolution wurde hierauf auf jene Landtage beschränkt, welche die Gehalts- regulierung noch nicht durchgeführt haben, und sodann einstimmig angenommen.

In der Versammlung des Landesverbandes niederösterreichischer Landwirte wurde wieder der 7-jährigen Schulpflicht das Wort geredet, die besser wäre als die jetzige 6-jährige mit ihren Sommerbefreiungen; an die Volksschulen sollten sich fachliche Fortbildungsschulen, bezw. Sonntagsschulen (!) schließen. Zuletzt meinte

*) Das Gesetz ist am 7. November 1901 sanctioniert worden.

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man, dass es nothwendig wäre, die Competenz des Landtages in Bezug auf die Schule zu erweitern, also statt des Reichsvolksschulgesetzes Landesgesetze zu schaffen. Dass die Schulbefreiungen den Schülern keinen Nutzen bringen, beginnen eben auch die Land- wirte einzusehen. Wie wenig aber auf solche »Vorschläge, die auf die Landwirtschaft etc. Rücksicht nehmen«, zu geben ist, lehrt auch eine Entschließung eines böhm. Bezirksbauernverbandes, in welcher es u. a. heißt: Herabsetzung der Schulpflicht auf 7 Jahre, Erhöhung der Unterrichtsdauer in der zweiten Hälfte der schulpflichtigen Zeit, Verpflichtung der Lehrer zum unentgeltlichen Musikunterrichte, Wiedereinführung der öffentlichen Prüfungen, möglichste Auflassung von Schulclassen und Ver- minderung der Lehrerstellen (!).

Oberösterreich. Im Vorjahre wurde eine neue Steuer im Betrage von ı Mill. K unter ausdrücklichem Hinweis auf die bevorstehende Gehaltsregulierung eingeführt; heuer legte nun Landeshauptmann Dr. Ebenhoch einen Gehaltsentwurf vor, der nur theilweise Verbesserungen des alten Gesetzes aufwies, dafür aber die Anstellung der Lehrpersonen völlig dem Landesausschusse in die Hand geben wollte. Heftig wehrte sich die Lehrerschaft gegen diese »Regulierung«e und wurde hiebei von einem großen Theile der Bevölkerung wacker unterstützt. Schließlich wurde die Landesausschuss- vorlage durch die Anträge des Finanz- und Schulausschusses in mehreren Punkten ver- bessert, in anderen Punkten aber auch verschlechtert. Die Ernennungen erfolgen künftig- hin wie bisher, eine Versetzung aus Dienstesrücksichten kann nur der Landesschulrath und ohne Schmälerung des Diensteseinkommens verfügen, statt der »Unterlehrer« gibt es »Lehrer zweiter Classe» (Anfangsgehalt 1200 K, Quinquennium 100 K), die weib- lichen Lehrpersonen werden zur Leitung an Mädchenschulen zugelassen, die Dienst- alterszulage wird für Lehrerinnen erster Classe und Bürgerschullehrerinnen auf I5o K herabgesetzt, das Gehalt des Bürgerschuldirectors von 2400 K auf 2200 K herabgemin- dert, das Grundgehalt der Bürgerschullehrer mit 1600 X nach 10 Dienstjahren an der Bürgerschule mit 1800 K festgesetzt, die Functionszulage für die Schulleitung beträgt 100 Ä für ein- und zweiclassige, 200 K für drei- und vierclassige, 300 K für mehrclassige Schulen.

Der Centralausschuss des oberösterreichischen Landeslehrervereines nahm zur neuen Vorlage, welche hinter den wiederholt als berechtigt anerkannten Wünschen und Forderungen der Lehrerschaft in ganz wesentlichen Punkten so weit zurückbleibt, fol- gendermaßen Stellung: ı. Ist das vorgebrachte System kein Personalclassensystem. 2. Ist die Gleichstellung mit den vier unteren Rangsclassen der Staatsbeamten nicht durchgeführt. 3. Ist die Kategorie der Unterlehrer trotz des Wegfalls des Titels » Unter- lehrere im Wesen nicht aufgehoben (kleinerer Grundgehalt, wenige und geringere Alterszulagen und Wegfall derselben). 4. Einschränkung des natürlichen Menschen- rechtes durch Vorenthalten des Rechtes auf Eheschließung der Lehrerinnen. 5. Un- gleichheit in den Gehalten, beziehungsweise in den Dienstalterszulagen der männlichen und weiblichen Lehrpersonen. 6. Unzureichende, den modernen Rechtsanschauungen nicht entsprechende Disciplinarvorschriften. 7. Bevorzugung der Katecheten gegenüber allen übrigen Lehrern der Bürgerschule.

Salzburg. Der vom Ausschusse des Salzburger Landeslehrervereines dem Land- tage eingereichte Gesetzentwurf, betreffend die Regelung der Pensionsbezüge, wurde im Vorjahre dem Landesausschusse zur seinerzeitigen Berichterstattung übergeben. Der in der diesjährigen Session gestellte Antrag des Abg. Haagn (vom Landeslehrer- vereine für seine oft bewiesene Lehrerfreundlichkeit zum Ehrenmitgliede ernannt), den

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Entwurf zur sofortigen Berichterstattung dem Schulausschusse zuzuweisen, drang nicht durch; Fürsterzbischof Dr. Katschthaler stimmte zwar dafür, aber einige »Liberale« dagegen. In den Landesschulrath wurde zum erstenmale ain Mitglied aus dem Kreise der Volks- und Bürgerschullehrer berufen, nämlich B.-Dir. Paul Simmerle.

Steiermark. Wie das vor einigen Jahren beschlossene Gehaltsgesetz, zeigt auch das neue Pensionsgesetz, dass den Lehrern das Wohlwollen des Landtages ver- sagt blieb. Es setzt zwar die Mindestpension mit 800 K fest, bleibt aber im übrigen weit unter den analogen Versorgungsansprüchen der Staatsbeamten und erhöht dafür die vom Lehrer zu zahlenden Beiträge für den Pensionsfond von 2 auf 3%. Die vor der Lehrbefähigungsprüfung abgelegte Dienstzeit wird in die Pension nicht eingerechnet, auch wird die volle 40-jährige Dienstzeit für den Anspruch auf volle Pension belassen. Die beiden großen Lehrerverbände des Landes, wie auch der Grazer Lehrerverein, hatten um die Aufhebung einiger drückender Härten des Gehaltsgesetzes und um Änderung des Schulaufsichtsgesetzes letzteres in der Richtung, dass auch Lehrer der Volks- und Bürgerschule in den Laandesschulrath zu berufen seien petitioniert, doch ohne Erfolg.

Es verdient angemerkt zu werden, dass auch in Steiermark über »Maßlosigkeit des Auftretens«e der liehrerschaft geklagt wird, und dass dieses »Übel« auch nicht durch »Maßregelungen« beseitigt werden konnte. Im weiteren beschäftigte sich der Landtag mit einer von sämmtlichen steierm. Bezirksschulinspectoren überreichten Peti- tion, die Verleihung des Inspectorats definitiv zu gestalten, und er beschloss, der Landesausschuss möge mit der Regierung in Verhandlung treten, »damit die proviso- risch bestellten Bezirksschulinspectoren in Steiermark als definitive Beamte der staat- lichen Schulaufsicht mit den systemmäßigen Bezügen der neunten Rangsclasse (in Galizien stehen Inspectoren in der 9.—7. Rangsclasse!) auf Staatskosten organisiert werden.« Die von den Inspectoren erbetene Aufbesserung der Bezüge wurde abgelehnt.

Kärnten. Der Landtag beschäftigte sich mit der Errichtung von Bürgerschulen und ist überhaupt seit Jahren eifrig bemüht, das kärntische Schulwesen zu heben. Für nächstes Jahr winkt sämmtlichen Lehrern die Hoffnung auf ein Quartiergeld. Bezüglich der Bestellung ständiger Bezirksschulinspectoren wurde die Regierung neuerdings ersucht, eine Gesetzesvorlage, entsprechend dem galizischen Gesetz vom 8. Juni 1892, einzubringen,

Böhmen. Dass in Böhmen endgiltig ein befriedigendes Gehaltsgesetz zustande gekommen ist, das Verdienst dafür dürfen die Lehrer, vor allem die Leitungen der beiden großen Landesverbände, für sich in Anspruch nehmen. Nichts wurde unterlassen, die gute Sache zu fördern; die Abgeordneten erhielten Gelegenheit zu eingehenden Informationen, der Regierung wurde die Nothlage der Lehrerschaft in einem Memo- randum zur Kenntnis gebracht, und auch Seiner Majestät dem Kaiser wurde anlässlich seines Besuches in Böhmen die Bitte der Lehrer vorgetragen. Da die »agrarischen« Abgeordneten mit Berufung auf ihre Wähler sich heftig gegen eine ausreichende Regu- lierung gewehrt hatten, veranstalteten die Lehrervereine im ganzen Lande Versamm- lungen, deren Verlauf bewies, dass die Bevölkerung fast durchgehends die Gerechtig- keit und Nothwendigkeit der Gehaltsaufbesserung einsah, was in den gefassten Be- schlüssen zum Ausdruck gelangte. Die von der Schulcommission im Vorjahre auf- gestellten Grundsätze, hin und wieder verbessert, kamen endlich zur Durchführung. (S. »Päd. Jahrb. 1900«, S. Igr.) Die Bezüge stellen sich nun folgendermaßen: Lehrer

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II. Cl. mit Reifezeugnis 9g0oo ARemuneration, mit Juehrbefähigungszeugnis 1200 K; Lehrer I. Cl. 1600 K, Bürgerschullehrer 2000 K. Nach 10-jähr. Dienstzeit Vorrückung in die IL. Cl. Die Quinquennien der Bürgerschullehrer erfuhren eine Erhöhung auf 250 K. Functionszulagen: an ein- bis zweiclassigen Schulen 200 K, an dreiclassigen 250 K, an vierclassigen 300 K, an fünf- und mehrclassigen 400 K, für Bürgerschul- directoren 400 bis 600 K. Außerdem erhalten sämmtliche Lehrpersonen Activitäts- zulagen von 20 bis 40°/,.

Mähren. Dieses Kronland ist zuerst daran gegangen, ein modernes, den heutigen Verhältnissen mehr angepasstes Disciplinargesetz zu schaffen. Die besonderen Vor- theile des neuen Gesetzentwurfes sind: Eliminierung der Entziehung oder Vorenthaltung von Dienstalterszulagen aus den Strafen; die Möglichkeit der L,öschung der Strafe des Verweises und der Geldstrafen; die Ausstellung eines neuen Decretes für strafweis Versetzte; Nichtberücksichtigung anonymer Anzeigen; Pflege der Erhebungen in einer dem Stande und der Würde des Lehrers entsprechenden Weise; Vertretung der Lehrer im Disciplinarsenate; mündliche Verhandlung; das Recht der Beiziehung von drei Ver- trauensmännern zur Verhandlung; die Art der Zeugeneinvernahme; das Recht, sich eines Vertheidigers bedienen zu können; theilweises Recht der Einsichtnahme in die Acten; Anspruchsrecht auf Beförderung und Zuerkennung von Dienstalterszulagen, solange das Urtheil nicht rechtskräftig geworden ist, Es ist sehr bezeichnend, dass der Statthalter namens der Regierung erklärte, seine Mitwirkung an dem Gesetze aus dem Grunde versagen zu müssen, weil das Abgeordnetenhaus sich mit dieser Frage be- schäftige (dort wieder wurde auf die Landtage verwiesen, welche über diese Angelegen- heit zu beschließen hätten), und weil in Mähren eventuell der Landesschulrath sprach- lich getheilt werden könne: darum solle die Berathung einstweilen zurückgestellt werden. Allein die aus den freisinnigen Abgeordneten beider Nationen bestehende Mehrheit des Landtages nahm den Entwurf an.

Schlesien. Das im Vorjahre beschlossene, aber nicht sanctionierte Lehrergehalts- gesetz wurde in einigen Punkten verbessert, nur der vielumstrittene Versetzungspaia- graph blieb stehen und erhielt nun folgende Fassung: »Alle Lehrpersonen können, falls es das Interesse der Schule erheischt, an eine andere Schule versetzt werden; eine solche Versetzung verfügt über Antrag des Bezirksschulrathes und im Einvernehmen mit dem Landesausschusse der Landesschulrath unter Angabe der Gründe der Ver- setzung. Der Landesausschuss hat vor Abgabe seiner Äußerung die Schulgemeinde, an deren Schule die Lehrperson angestellt ist, sowie jene, an deren Schule sie versetzt werden soll, einzuvernehmen und hat hiebei die Anträge der Schulgemeinde möglichst zu berücksichtigen. Beschwerden gegen eine Versetzung, welche von den betreffenden ' Lehrern oder Schulgemeinden eingebracht werden, haben aufschiebende Wirkung. Wenn eine derartige Versetzung stattfindet, hat der Landesschulrath der versetzten Lehrperson einen nach Einvernahme des Landesausschusses festzusetzenden Über- 'siedlungskostenbeitrag bis zum Höchstbetrage eines Viertheiles des Jahresgehaltes aus dem Landesschulfonde zu bewilligen.« Die Ernennung geschieht durch den Landes- ausschuss innerhalb eines von der Schulgemeinde erstatteten Ternavorschlages, die Be- stätigung durch den Landesschulrath. Lehrerinnen, die sich verchelichen, scheiden aus dem Amte und erhalten eine Abfertigung. Diese Bestimmung gilt nicht für Industrial- lehrerinnen. Die Gehaltsbezüge (siehe »Päd. Jahrb. 1900«, S. 193) wurden theilweise geändert: Volksschullehrer und Oberlehrer 1400 (20%/, der Standeszahl), 1600 (30%/,)» ı800 (30°/,) und 2000 K (20%/,); Quartiergeld: Directoren 400-800 K, Bürgerschul-

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lehrer und Oberlehrer an fünfclassigen Schulen 300—600 K, die übrigen Lehrer 100—500 K. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass Fürstbischof Dr. Kopp wärmstens für die Gehaltsaufbesserung eintrat.

Wie in der Bevölkerung Schlesiens die Einsicht, dass eine gute Schul- und Volksbildung einen sorgenfrei gestellten Lehrer voraussetze, zum Durchbruch gekommen ist, das zeigen u. a. folgende Beschlüsse des deutschen Bauerntages für West- schlesien: »Die am 30. Juni 1901 in Jägerndorf tagende deutsche Bauernversammlung anerkennt die Forderungen der schlesischen Lehrerschaft um Gleichstellung ihrer Bezüge mit denen der Staatsbeamten der untersten vier Rangsclassen infolge ihrer Vorbildung als berechtigt. Die hier anwesenden Abgeordneten werden ersucht, dafür einzutreten, dass das zur Vorlage kommende schlesische Schulgesetz in freiheitlichem Sinne zur Durchführung gelangt, und werden aufmerksam gemacht, dass durch die subsidiarische ’Ertheilung des Religionsunterrichtes durch Lehrer dieselben nicht in Abhängigkeit von der Geistlichkeit gelangen. Die Versammlung erkennt es als einen Act der Gerechtig- keit, dass die Erhöhung der Quinquennalzulagen für ältere Lehrer rückwirkend sei, und haben die Abgeordneten dafür ebenfalls zu wirken. Die Beseitigung des Paragraphen

über die Versetzung der Lehrer aus Dienstesrücksichten ist mit allen Mitteln anzustreben,

und ist die Forderung erst dann fallen zu lassen, wenn die Annahme des ganzen Ge- setzes in Frage kommen sollte.«

II. Amtliche und außeramtliche Thätigkeit der Lehrer; Schul- und Standesfragen; Personalien.

Die amtlichen Landesausschussberichte der einzelnen Kronländer unter- scheiden sich nicht wesentlich von den Berichten früherer Jahre und bestätigen die Fortschritte, welche das Schulwesen dank der hingebenden, aufopfernden Thätigkeit der Lehrer zu verzeichnen hat, und es wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die große Mehrzahl der Lehrer pflichtgetreu ihrem Berufe obliegt. Daneben finden sich aber auch tadelnde Bemerkungen über das politische Verhalten der Lehrer, insbesondere über die Art und Weise, in welcher die materielle Besserstellung angestrebt wird; speciell im niederösterreichischen Bericht ist von »einer die bescheidene Stellung eines Lehrers weit übersteigenden Lebensführung« die Rede, und des weiteren werden diejenigen Lehrer gerügt, die außerhalb der Schule »das große Wort führen, sich als die wahren Hüter der missachteten Rechte der Lehrerschaft aufspielen und alle als Verräther an

‘der heiligen Sache brandmarken, die auf ihre Phrasen nicht hören«e. Doch wird auch

andererseits die von den Lehrern außerhalb der Schule im Dienste des Gemeinwohles

entfaltete Wirksamkeit lobend hervorgehoben: »Durch Vorträge in Volksbildungs-

vereinen und landwirtschaftlichen Casinos, durch Belehrungen über Obst-, Gemüsebau und Bienenzucht, durch Betheiligung bei Feuerwehren, durch Übernahme von Arbeiten bei den Spar- und Vorschusscassen, durch Leitung von Gesang- und Musikvereinen oder durch rege Theilnahme an denselben, durch Mitwirkung bei der Armenpflege, durch Hebung der Kirchenmusik u. s. w. erweisen sie ihren Gemeinden nicht zu unter- schätzende Dienste. Die bereitwillige Mitwirkung der Lehrer an öffentlichen und pri- vaten Wohlthätigkeitsacten, die opferwillige Unterstützung humanitärer Bestrebungen erweisen der menschenfreundlichen Gesinnung der Lehrerschaft alle Ehre.« Endlich wird zum Ausdruck gebracht, dass der Schulbesuch unter den Schulbesuchserleichte-

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rungen ungemein zu leiden hat, »indem die Kinder, welche solche einmal genossen, keine Lust mehr fühlen, die Schule zu besuchen, und auch die anderen Kinder zu Versäumnissen verleiten.«e Dass dadurch die Unterrichtserfolge ungünstig beeinflusst werden, ist selbstverständlich, besonders an Schulen mit Halbtagsunterricht.

Die Thätigkeit der verschiedenen Lehrervereinigungen bleibt satzungsgemäß zunächst der Schule und den Lehrern zugewendet, und es muss als erfreulich bezeichnet werden, dass noch immer ein reger Geist unter den Lehrern herrscht, der sie für alle Schul- und Unterrichtsfragen empfänglich macht; die einfache Einsichtnahme in die Tagesordnungen der l,ehrerversammlungen gibt Aufschluss über die umfangreiche fachliche Thätigkeit, insbesondere über das Bestreben, das methodische Verfahren immer mehr zu verbessern und dadurch die Unterrichtserfolge zu heben. Sobald die so heiß ersehnte Gehaltsregulierung endlich erreicht ist, wird zum Heile der Schule wohl auch manch anderes besser werden. Jahre hindurch haben die Lehrer geradezu Außerordent- liches geleistet im Dienste der Gemeinde und ihrer Mitbürger und hierin andere Berufsstände gleicher Bildung weit übertroffen, ohne dass davon viel Aufhebens ge- macht worden wäre. Infolge der festeren Organisation der Jehrerschaft, besonilers der Landeslehrervereine, ist man in der letzteren Zeit darangegangen, nach der genannten Richtung statistische Aufzeichnungen vorzunehmen, so in Niederösterreich, Böhmen, Mähren und Oberösterreich, und durch das Ergebnis derselben wurde der Beweis er- bracht, dass der Lehrstand einerseits cin so hohes Fortbildungsstreben wie kein anderer Stand äußert, andererseits besonders in kleineren Gemeinden die treibende Kraft bei allen Unternehmungen ist, die auf eine Besserung des Schulwesens und der wirtschaft- lichen Verhältnisse abzielen. Fast überall sind in den gemeinnützigen Vereinen u. dgl. die Lehrer die hervorragend betheiligten Mitarbeiter, und wo es nicht an gutem Willen gebricht, findet diese Arbeitsleistung auch die verdiente Anerkennung.

Den Fortbildungsbestrebungen der Lehrerschaft kommen die modernen Ferialcurse sehr zustatten. In Deutschland bestehen seit Jahren solche Curse in Jena, Marburg a. d. L., Greifswalde; in Österreich hat die »Vereinigung öster- reichischer Hochschuldocenten«s die Abhaltung von Feriencursen in die Hand genommen und im verflossenen Jahre rühmlich durchgeführt. Diese Ferialcurse fanden in Wolfsberg (Kärnten) unter Tneilnahme von mehr als 200 Lehrern statt. In zwei Cyklen wurde gelehrt a) im naturwissenschaftlichen Cursus: Physik in 15, Chemie in 18, Botanik in 39, Hygiene in 8 Stunden; d) im humanistischen Cursus: Deutsche Geschichte mit besonderer Rücksicht auf sociale und wirtschaftliche Fragen in 39, Deutsche Literaturgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der classischen Epoche in 18, Geo- graphie Österreich-Ungarns in 18, Hygiene in 8 Stunden. Über die gesammte Durch- führung wird von den Theilnehmern nur Erfreuliches, ja Rühmenswertes berichtet.

Dem Jahresberichte 1900 der Comeniusstiftung in Leipzig ist zu ent- nehmen, dass die Pädagogische Centralbibliothek 14.671 Bände an 3727 Entlehner ab- gegeben hat (durch die Post 9440 Bände an 2061 Entlehner, wovon 118 Bücher über die Reichsgrenze giengen); der Gesammtstand der Bibliothek beträgt 95.230 Nummern. Auch in Linz soll von Seiten der Lehrerschaft eine Centralbibliothek errichtet werden; vorläufig ist in dem jüngst eröffneten Lehrerhause, dem ersten in Öster- reich, eine Pädagogische Lesehalle eingerichtet worden, und es ist nicht daran zu zweifeln, dass die oberösterreichische Lehrerschaft, geistig rührig und in wirtschaftlichen Wohlfahrtseinrichtungen vorbildgebend, auch dieses Ziel in absehbarer Zeit errei- chen wird. | |

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Die Wiener volksthümlichen Universitätscurse zur Hebung der Volksbildung gewinnen immer an Ausdehnung. Um alle Volksbildungsbestrebungen zu centralisieren, wurde der Verein »Volksheim« gegründet, dessen Mitglieder den ver- schiedensten Berufsständen angehören.

Bezüglich der Elternconferenzen gab der oberösterreichische Landesschulrath folgende Verfügung aus: Elternconferenzen haben zur Aufgabe, werkthätiges Interesse und tieferes Verständnis der Eltern für die Erziehung der Kinder zu erwecken und deren Thätigkeit mit der erziehlichen Aufgabe der Schule in Übereinstimmung zu bringen, überhaupt einen innigeren Zusammenschluss zwischen Schule und Haus zu bewirken. Gegenstände der Elternconferenz sind: Vorträge und Wechselreden über Erziehungs- und Unterrichtsfragen im allgemeinen, über Eigenschaften, Fehler und Krankheiten der Kinder, ferner über Rechte und Pflichten der Eltern und deren Wirken auf dem Gebiete der Erzichung. Die Veranstaltung solcher Conferenzen steht dem Lehrkörper zu. Sie dürfen nur im Schulhause abgehalten werden. Die Abhaltung einer Elternconferenz ist sowohl dem Bezirksschulrathe wie dem Ortsschulrathe unter Angabe der Tagesordnung anzuzeigen. Als Leiter der Conferenz fungiert der Leiter (Director) der betreffenden Schule, oder falls dieser ablehnt, ein von der Localconferenz gewähltes Mitglied des Lehrkörpers, welches sich hie.u bereit erklärt. Zur Theilnahme an den Elternconferenzen sind alle Mitglieder des Ortsschulrathes und Bezirksschul- rathes, alle Gönner und Wohlthäter der betreffenden Schule, die weltlichen und geist- lichen Lehrer und die Eltern der diese Schule besuchenden Kinder berechtigt. Die Conferenz ist nicht befugt, Beschlüsse durch Abstimmung zu fassen und Anträge an die Schulbehörden zu stellen. Bemerkungen persönlicher Natur sind strenge auszu- schließen. Über außergewöhnliche Vorkommnisse in ciner solchen Conferenz hat der Leiter derselben sofort dem Bezirks-(Stadt-)schulrathe zu berichten.

Einen Gegenstand lebhafter Erörterungen bildete die »Maßregelung« von Lehrern, welch letztere, gestützt auf das Vertrauen großer Bevölkerungskreise, den Kampf zu führen suchten für das Wohl der Schule und des Volkes. Die großen Lehrer- verbände resolutionierten gegen diese Maßregelungen, und auch Gemeindevertretungen und Volksversammlungen brachten den kämpfenden L.ehrern ihre Sympathien zum Ausdruck,

Nach einer Ministerial-Entscheidung ist das Begehren eines in Disciplinar- untersuchung befindlichen Lehrers um Gewährung der Einsichtnahme in die Acten nach freiem Ermessen, ohne eine eigentliche Entscheidung, einfach entweder zu gewähren gder zu verweigern, und es sind gegen die im Laufe der Disciplinarunter- suchung getroflenen Verfügungen der Schulbehörden abgesonderte Beschwerden nicht zulässig. Und im Abgeordnetenhause erklärte der Minister für Cultus und Unter- richt, dass die disciplinaren Untersuchungen und Verhandlungen ordnungsgemäß vor sich gehen, und dass auch für den Schutz des Beschuldigten gesorgt sei.

Der Titel »Unterlehrer« wird allmählich verschwinden. Auf eine Anfrage des mährischen Landesausschusses an das h. Unterrichtsministerium hat dieses bekannt- gegeben, dass grundsätzlich kein Hindernis bestehe, Lehrpersonen mit einem Lehrbefähigungs- zeugnisse allgemein den Titel »Lehrer« zuzuerkennen, während Lehrpersonen mit Reife- zeugnis auch weiterhin den Titel »provisorischer Uuterlehrer« führen sollten. (Der mähr. Landesschulrath hatte nämlich, bewogen durch die Erkenntnis, dass infolge der ungün- stigen Beförderungsverhältnisse die Unzufriedenheit in der jüngeren Lehrerschaft immer mehr um sich greift, mehrere Unterlehrer mit mehrjähriger, tadelloser Dienstzeit ad personam zu definitiven Lehrern ernannt.)

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Wie Tagesblätter zu melden wussten, wurden auch von älteren Lehrern, die jahrelang vergeblich auf einen besseren Dienstposten warteten, bei verschiedenen Mini- sterien Gesuche um Praktikantenstellen eingebracht. Noch mehr zu denken gibt die Thatsache, dass die Zahl der zur Aufnahme in die Lehrerbildungsanstalten sich Mel- denden von Jahr zu Jahr sinkt, und es beginnt bereits in einigen Ländern der Mangel an männlichen Lehrkräften sich fühlbar zu machen, ein Übelstand, der nur durch eine den heutigen Verhältnissen entsprechende materielle Stellung des für die geistige Entwicklung des Staates wichtigen Standes behoben werden kann.

Der niederösterreichische Landesschulrath hat entschieden, dass die Schul- pflichtigkeit der Kinder fremder Staatsangehöriger nur nach den hierländischen Gesetzen zu beurtheilen ist, ohne Rücksicht, ob das Kind nach seinen heimatlichen Gesetzen der Schulpflicht bereits Genüge gethan hat. Der Erlass ist insbesondere für die an der ungarischen Grenze liegenden Schulen wichtig, da in Ungarn nur eine sechs- jährige Schulpflicht besteht.

Der böhmische Landesschulrath hat bezüglich der religiösen Übungen die Schulleitungen angewiesen, die Schulbesuchserleichterungen genießenden Kinder alljährlich zu erinnern, dass sie auch während der Zeit ihrer Schulbefreiung ihren religiösen Pflichten nachzukommen haben. Auf Ansuchen des Prager fürsterzbischöflichen Con- sistoriums haben auch einige Bezirksschulräthe (z. B. in Mics) religiöse Übungen zur Gewinnung des Jubiläumsablasses (Theilnahme an Processionen, Besuch mehrerer Kirchen) vorgeschrieben.

Die Regelung der deutschen Rechtschreibung beschäftigte in diesem Jahre nicht nur die Schulkreise, sondern auch gesetzgebende Körperschaften, Behörden und die öffentliche Meinung überhaupt. Es war ein glückliches Zusammentreffen, dass der Wunsch, in dieser Sache endlich einen ernsthaften Fortschritt zu erzielen, gleich- zeitig und von den verschiedensten Stellen laut wurde. Im deutschen Reichstage brachte Abg. Müller (Sagan) eine Resolution ein, dass eine gleichmäßige Rechtschreibung geschaffen werde für das Reichsgebiet (die einzelnen Bundesstaaten haben verschiedene Schreibweisen) und dass auch mit den Regierungen Österreichs und der Schweiz dies- bezüglich Verhandlungen einzuleiten seien. In Österreich, wo die Rechtschreibung durch Jahrzehnte ein fortlaufendes Thema in den Vereinsversammlungen der Volks- und Mittelschullehrer ist, berief Unterrichtsminister Dr. v. Hartel eine Enquöte ein, bestehend aus Vertretern der Wissenschaft und der Schule, aus Delegierten von Schrift- stellervereinen und Buchdruckergremien, sowie Vertretern der Presse; es wurde ein fünfgliedriges Comite eingesctzt, welches auf Grund der von der Enquöte gefassten Beschlüsse das bestehende österreichische Regelbuch revidieren sollte, und es wurde die Unterrichtsverwaltung von der Enquöte ersucht, in dieser Sache mit den Regierungen des übrigen deutschen Sprachgebietes in Fühlung zu treten. Letzteres geschah auch, indem Hofrath Dr. Hucmer als oflicieller Vertreter Österreichs an der im Sommer d. J. stattgefundenen Berliner Orthographie-Conferenz theilnahm. Es wird berichtet, dass die von österreichischer Seite geäußerten Wünsche daselbst volle Würdigung gefunden haben, und es ist nur noch das Erscheinen der einzelnen staatlichen Regelbücher abzu- warten, damit der erreichte Grad der Übereinstimmung, auf den es ja in allererster Linie ankommt, ersichtlich wird und darnach die mehr oder minder glücklich erfolgte Lösung der brennenden Frage constatiert werden kann,

Die Schulgartenfrage wurde auch im verflossenen Jahre wiederholt erörtert. Es gibt schon viele musterhaft eingerichtete Schulgärten, Obstbaumschulen und Bienen-

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stände. Ob aber der schöne Erfolg, den einzelne Liebhaber bei persönlicher Eignung und günstigen örtlichen Verhältnissen erzielten, zu dem Schlusse führen darf, durch allgemeine Einführung dieser Schulgärten der Landwirtschaft aufhelfen zu können, ist mindestens fraglich. Die k. k. Landwirtschafts-Gesellschaft für Oberöster- reich fasste den Beschluss, an den Landesschulrath und an den Landtag heranzutreten, dass die Lehrer in den ihnen naheliegenden Zweigen der Landwirtschaft, in der Obst- baumcultur und in der Bienenzucht gründliche Ausbildung erhalten mögen, so dass dann überall Schulgärten errichtet und verwertet werden können. In Böhmen wurden die Lehrer zu Wiesenbaucursen eingeladen. -—- In Brünner Schulen wurden die Schulkinder zur Blumenpflege veranlasst, zahlreiche Topfpflanzen gelangten zur Vertheilung. In anderen Ländern wird die Schuljugend »praktischer« ausgenützt, so in der Bukowina zu Rübenbauarbeiten auf dem Felde, und zwar nicht nur an schulfreien Tagen; nach einem Erlasse des k. k. Czernowitzer Bezirksschulrathes vom 19. Juni 1901 haben die Schulleitungen »im Einvernehmen mit den Rübenbauern« (großen Grundbesitzern) das Nöthige zu veranlassen, »damit die letzteren an den erforderlichen Nachmittagen die Schulkinder gegen eine mäßige Entlohnung zu den Rübenbauarbeiten übernehmen können. An Schulen mit ganztägigem Unterrichte kann an diesen Tagen der Vormittagsunterricht um ı—2 Stunden vermehrt und der Nach- mittag für sämmtliche Kinder freigegeben werden.« (!)

Gegendie Überbürdung der Schüler, namentlich jener der Mittelschulen, nahm der ungarische Unterrichtsminister Dr. Wlassics Stellung, u. zw. in einem an die Oberstudiendirectoren gerichteten Erlasse, der sich besonders gegen das Lectionen- aufgeben und gegen das Übermaß der Hausaufgaben wendet. Ersteres, das an und für sich nicht als Unterricht gelten könne, müsse einer eingehenderen Thätigkeit des Lehrers den Platz räumen, damit der vorgeschriebene Lehrstoff gemeinschaftlich und in gemein- samer Arbeit mit den gesammten Schülern der Classe aufgearbeitet werde. Bei einem derartigen Vorgehen würden die Schüler den Lehrstoff dem Wesen nach schon in der Schule sich aneignen, und die häusliche Thätigkeit hätte sich höchstens auf die Befesti- gung und allenfalls auf die schriftliche Anwendung des in der Schule bereits Gehörten und Erlernten zu beschränken. Um dem Schüler Gelegenheit zu einem Rasttage zu geben, an dem er mit seinen Angehörigen in intimen Verkehr treten oder den ermüdeten Geist durch edle Zerstreuung erquicken könne, möge er wenigstens am Sonntag nach Möglichkeit von allen Hausaufgaben befreit werden.

Die Frage, ob der Nachmittagsunterricht überhaupt oder wenigstens in den Sommermonaten entfallen solle, ist noch immer nicht gelöst, und wie wenig die z. B. in der Großstadt Wien für einzelne überheiße Nachmittage eingeführten »Hitze- ferien« den betheiligten Interessentenkreisen (Schulunterricht, Schüler, Elternhaus) ent- sprechen, ist männiglich bekannt. Gelegentlich einer Verhandlung im Dresdener Lehrerverein über die hygienische und pädagogische Bedeutung des fünfstündigen Vor- mittagsunterrichtes und der freien Nachmittage, wurde ausgesprochen, dass der erstere als eine geringere Belastung als der Vor- und Nachmittagsunterricht anzusehen ist, vorausgesetzt eine günstige Mischung der Lehrfächer, genügend lange Pausen und gute Ausnützung derselben. Sollte der Nachmittagsunterricht nicht zu umgehen sein, möge er nicht vor 3 Uhr beginnen. In Dortmund wurde versuchsweise auf ein Jahr der gesammte 'wissenschaftliche Unterricht auf den Vormittag verlegt, da sich die Directoren dafür ausgesprochen und betont hatten, dass die Schüler vormittags viel frischer wären, und dass sie dann noch am lichten Tage ihre Aufgaben machen könnten und auch noch

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Zeit zu einem Spaziergange hätten. Auch in Berlin, Königsberg, Karlsruhe, Dresden, Hamburg, Kiel und Hannover ist die ungetheilte Schulzeit eingeführt.

Über körperliche Gebrechen, die den Schulbesuch beeinflussen oder gänzlich behindern, erstattete der Landessanitätsrath der Bukowina ein Gutachten, in welchem dem Arzte zugleich Fingerzeige gegeben werden, wie er sich bei Constatie- rung solcher Erscheinungen, die den Schulbesuch, eventuell den ganzen Unterricht unmöglich machen, verhalten soll. So sind Diagnosen über allgemeine Schwäche und Blutarmut ausgeschlossen, weil sie entweder ein Auskunftsmittel für gesetzwidriges Vorgehen abgeben oder aber den Beweis erbringen, dass der Krankheitszustand des betreffenden Kindes nicht genau eruiert wurde. Um eine streng gesetzliche und objective Feststellung der Gebrechen vornehmen zu können, sollen die Gemeindeärzte alljährlich die zum Schulbesuch nicht geeigneten Kinder untersuchen und darüber der Bezirks- . hauptmannschaft, resp. dem Bezirksamtsarzte berichten, welch letzterer eventuell die Vorführung des Kindes zu veranlassen und über jeden Fall endgiltig zu entschei- den hat.

Auf dem VIIL internationalen Congresse gegen den Alkoholismus, der im April in Wien stattgefunden, wurde auch eingehend auf die schädlichen Folgen des Alkoholgenusses im Kindesalter hingewiesen. Die für den Schulmann wichtigste Seite der Frage wird in einer Reihe von Sätzen behandelt, die unter die »Thesen zu pädagogischen Themen« (S. 135 dieses Jahrbuches) aufgenommen wurden.

Die Frage der Schulärzte rückt ihrer Lösung immer näher. Für die Bestal- lung von Schulärzten hat sich der Verein der Ärzte Niederösterreichs ausgesprochen und zunächst das Diensthonorar für solche (»mindestens 1000 Kronen«) und die Zahl der einem Schularzte unterstehenden Kinder mit 1500 festgesetzt. Als Hauptaufgabe der Schulärzte, für die natürlich eine Dienstinstruction zu verfassen wäre, wurde die Beob- achtung der geistigen Ermüdung der Schulkinder bezeichnet. Einige Städte Österreichs, so Korneuburg, Graz und Prag, haben mit der Anstellung von Schulärzten bereits begonnen und diesbezügliche Instructionen erlassen. °

In eineni Wiener Staatsgymnasium wurde eine Schulapotheke eingerichtet, damit bei kleinen körperlichen Unfällen, die etwa durch unvorsichtige Handhabung der Schulinstrumente u. dgl. entstehen, dann bei Unpässlichkeiten erste Hilfe ausreichend gewährt werden könne. Bemerkenswert ist, dass die Apotheker sich entschieden gegen die Einführung der Schulapotheken aussprachen, da nach ihrer Ansicht »durch das System von Hausapotheken ein förmliches Curpfuschereisystem gezeitigt würde«.

Das k. k. Eisenbahnministerium hat dem Präsidium des deutsch-österr. Bürgerschullehrerbundes bekanntgegeben, dass den Bürgerschülern mit Rücksicht auf die erworbenen Kenntnisse, ebenso wie den Absolventen einer Untermittelschule, Beamtenstellen im Kanzlei-(Manipulations-)Dienst, sowie jene Unterbeamtenposten, welche erste Anstellungen im niederen Staatseisenbahndienst bilden, offen stehen. Hinsichtlich der für die Erlangung dieser Posten geforderten Schulbildung wird die Bürgerschule einer Untermittelschule gleichgehalten.

Mit Ministerialerlass vom I1. December 1900 wurde das Organisationsstatut für die neuen Mädchenlyceen ausgegeben. Das Einführungswort an die Landesschul- behörden hebt das Bedürfnis nach Schulen hervor, in welchen den Mädchen ein über das Ziel der Volks- und Bürgerschule hinausgehender, eine gründliche höhere allgemeine Bildung vermittelnder Unterricht zutheil wird. Die Lyceen bauen sich wie die Mittel- schulen auf die fünfte Jahresstufe der Volksschule auf und sind sechsclassig. Jede

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Schülerin kann nach erfolgreicher Absolvierung der obersten Classe zur Reifeprüfung zugelassen werden; das Prüfungszeugnis berechtigt zum Besuche der philosophischen Facultät der Hochschule und nach dreijährigem Studiengange zur Ablegung der Prüfung für das Lehramt an Mädcherlyceen. Bezüglich der Lehrkräfte wurde die Bestimmung getroflen, dass ein Theil des Lehrkörpers aus Lehrerinnen zu bestehen habe. Dem Director muss in allen Erziehungs- und Unterrichtsfragen ein weibliches Mitglied des Lehrkörpers als Directionsadjunctin berathend zur Seite stehen; für die Bestellung dieser Adjunctin wird dem Director das Vorschlagsrecht eingeräumt. Die Unterrichtsfächer zer- fallen in obligate und unobligate. Erstere umfassen : Religion, deutsche Sprache, Fran- zösisch und eine zweite moderne Sprache, event. Landessprache, Geographie, Geschichte (Cultur- und Kunstgeschichte), Mathematik, Naturkunde, Freihandzeichnen und geome- trische Anschauungslcehre, Schönschreiben. Freie Gegenstände sind: Gesang, Turnen, weibliche Handarbeiten, Stenographie, eventuell specielle Haushaltungskunde. Nach Bedürfnis können mit Genehmigung der Landesschulbehörde auch noch andere freie Gegenstände eingeführt werden.

Die Zahl der öffentlichen Gymnasien und Realschulen beträgt in Österreich gegenwärtig 318, u. zw. 212 Gymnasien (davon 24 unvollständig) und 106 Realschulen (283 unvollständig), mit 104.980 (69.688 + 35.292) Schülern. Vom Staate werden 159 Gymnasien und 68 Realschulen erhalten, 10 Gymnasien und 26 Real- schulen von Ländern (4) dotiert; 16 Gymnasien und 7 Realschulen gehören Städten, 4 Gymnasien werden von Bischöfen, ı3 von geistlichen Orden erhalten, 3 Gymnasien und ı Realschule werden aus Fonds dotiert, 7 Gymnasien und 4 Realschulen von Pri- vaten geführt. Die Unterrichtssprache ist bei 175 Anstalten deutsch, bei 81 Cechisch, bei 34 polnisch, bei 8 italienisch, nur bei 3 ruthenisch, bei 6 serbo-croatisch und bei 11 utraquistisch.

Der niederösterreichische Lehrertag, bezw. die Hauptversammlung des n.-ö. Landeslehrervereines, welche am ı5. und 16. Juli 1. J. in Klosterneuburg statt- fand, war die zahlreichste heimatliche Lehrerversammlung des Jahres; über 2000 Theil- nehmer wurden gezählt. Hauptthemen waren: Nationale Erziehung mit besonderer Rück- sichtnahme auf die der Schule entwachsene Jugend; die Gehaltsfrage; die Lehrerverfol- gungen; die Lehrerschaft und die schulfeindliche Agitation. Als eine bemerkenswerte Episode ist hervorzuheben, dass die Lehrervertreter aus sämmtlichen ländlichen Bezirks- schulräthen Niederösterreichs die Urtheile der k. k. Inspectoren über das Wirken der Leehrerschaft vortrugen, und dass diese Urtheile durchwegs günstig lautcten.

Der I. allgemeine österreichische Übungsschullehrertag fand zu Pfingsten in Wien statt, wobei 93 Procent der Lehrerbildungsanstalten des Reiches vertreten waren. Es wurde über die Lage der Übungsschullehrer berathen; die Vor- schläge des Referenten Brunner-Linz hinsichtlich der Reform der Lehrfächerverthei- lung, der Lehrpraxis der Zöglinge, hinsichtlich der Stellung der Übungsschullehrer im Organismus der Anstalten und endlich hinsichtlich ihrer materiellen Stellung wurde nach eingehender Debatte angenommen. Auf Antrag Frank-Reichenberg kam es zur sofor- tigen Gründung eines alle Übungsschullehrer des Reiches umfassenden Vereines. Als Vorort wurde Reichenberg bestimmt. |

Der UI. katholische Lehrertag wurde zu Pfingsten in Wien abgehalten. In der Hauptversammlung sprachen nur einige hohe geistliche Würdenträger über die Schulfrage im allgemeinen, dann der durch seine Herrenhausrede in weiteren Kreisen bekannt gewordene Graf Rhomberg. Das einzige Thema war: »Einfluss der Schule

175 auf die Sittlichkeit des Volkes,« Referent Generalvicar Dr. Triller-Eichstätt in Bayern. In den Delegiertenversammlungen wurden behandelt: Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung; die Gehaltsfrage; die Kinderschutzbewegung; über Schulärzte. In der Bukowina fand der erste Lehrertag am Iıg9. und 20. August ]. J. statt, drei Viertel der Gesammtlehrerschaft nahmen daran theil. Berathungsgegenstände: Die ideale Seite des Lehrerberufes; die materielle Lage der Bukowinaer Lehrer; die bestehenden Schulbehörden und ihre Reform; die Rechtsverhältnisse der Lehrer; die Organisation der Lehrerschaft; welche Hindernisse stehen der Volksbildung im Wege, und durch welche Mittel wären dieselben zu beseitigen? Die Verhandlungssprache war deutsch, kein Gegensatz der Nationalitäten trat zutage, Der Lehrertag wird für die Bukowinaer Schulverhältnisse von segensreichen Folgen begleitet sein; die Lehrerschaft, die sich in unwürdigen, drückenden Verhältnissen befindet, beginnt sich zu organisieren, ein neu erstehender Lehrerbund wird die Interessen der Schule und ihrer Lehrer zu vertreten und zu fördern wissen. . Enthüllung des Dittesdenkmales. Auf dem protestantischen Friedhofe zu Wien fand am 21. October 1900 die feierliche Enthüllung des Dittesdenkmales statt. Aus allen deutschen Ländern Österreichs waren Vertreter der Lehrervereine erschienen, um Zeugnis zu geben, dass die Lehrer trotz der Ungunst der Gegenwart an den Idealen der Menschenbildung festhalten und im Geiste Dr. Dittes’ zu wirken bestrebt sind. Ein- geleitet wurde die Feier mit dem von dem ausgezeichneten Männergesanpverein »Schubertbunds vorgetragenen Chore »Ich kenn’ ein’ edlen Edelstein«s, worauf der Obmann des deutsch-österreichischen Lehrerbundes, O.-L. Anton Katsc hink a, fol- gende Ansprache hielt: Freunde, Verehrer, Vertreter der reichsdeutschen und deutsch-österreichischen Lehrerschaft, Vertreter der freisinnigen Lehrervereine Wiens und auch Vertreter poli- tischer Vereine haben sich heute an dieser Stätte versammelt, um Zeugen der Enthül- lung eines Denkmales zu sein, das die Liebe, Treue und die Begeisterung der reichs- deutschen und der deutsch-österr. Lehrerschaft dem Andenken ihres theuren Führers und Freundes Dr. Friedr. Dittes gewidmet hat. Schlicht und einfach, wie cs Dr. Dittes im Leben stets gewesen, ist auch dieses Denkmal, aber es wird für alle ein flammendes Zeichen sein, dass die freisinnigen deutschen Lehrer an den Idealen, für welche die cedelsten Geister aller Zeiten und für die auch unser Dittes gekämpft und gelitten hat, unentwegt festhalten werden. Allerdings lagern sich heute dunkle Schatten über das vater- ländische Schulwesen, und Wien, die Reichshauptstadt, von welcher ein crleuchteter Mund einst sagte, dass cin Meer von Licht von ihr ausstrahlen möge, bildet leider den dunkelsten Punkt in diesem Schattenbilde. Es ist heute eine Zeit angebrochen, von welcher Dr. Dittes vorahnend sagte: Die Wahrheit ist zum Martyrium, die Lüge ein blühendes Gewerbe geworden, Freisinn im Lehrstande gilt als Makel, Servilismus als Zierde. Was Dr. Dittes ausgesprochen, ist Wort für Wort eingetroflen. Allein die Gegner täuschen sich über den Erfolg ihrer Maßregelungen der Lehrer. Wie einst in Preußen die scharfen Raumer’schen Regulative Diesterwegs Geist in der Lehrerschaft nicht zu schwächen vermochten, ebenso wenig vermögen die harten Maßregelungen, welche heute gegen die Lehrerschaft ergriffen werden, um ihre Gesinnungs- und Über- zeugungstreue zu beugen, den Dittes’schen Geist, den Geist, von dem die freisinnige Lehrerschaft beseelt ist, zu brechen und zu vernichten. Es ist dies ein vergebliches Be- ginnen. Vor diesem Denkmale bekundet die freisinnige Lehrerschaft aufs neue, dass sie, ihrem erhabenen Vorbilde getreu, an den Idealen, welche die großen Pädagogen

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Pestalozzi, Diesterweg und Dittes verkündet, in deutscher Treue festhält, in diesem Geiste in der Schule wirken und ebenso treu im Sinne des Reichsvolks- schulgesetzes ihren Beruf erfüllen wird. Keine Drohungen, keine Maßregelungen werden vermögen, sie jemals von diesem Wege abzudrängen, denn ihr Leitspruch ist: »Nicht abwärts, nicht rückwärts, sondern aufwärts und vorwärts

Die Hülle fiel. Namens des Deutschen Lehrervereines sprach Rector G, Röhl, Schriftleiter der »Pädagogischen Zeitung«: »\Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt!« Mit diesem schönen Dichterworte eröffnete der- Verewigte, an dessen Grabhügel uns heute Pflicht und Dankbarkeit zusammenführt, vor einem Jahrzehnt auf dem 8. deut- schen Lehrertag in der Reichshauptstadt Berlin seine gewaltige Rede zum (jedächtnisse Adolf Diesterwegs. Kaum 6 Jahre vergiengen, und der Mund des Sängers ver- stummte. Auf der allgemeinen deutschen Lehrerversammlung in Hamburg im Jahre 1896, da musste dieselbe Lehrerschaft, welche seine pietätvolle Rede in Berlin mit lautem Beifalle begleitet hatte, die erste Kunde von dem Hinscheiden des Meisters vernehmen. Heute nun bin ich hier im Auftrage derselben organisierten Lehrerschaft, stehe als Ab- gesandter des mehr als 80.000 Mitglieder zählenden Deutschen Lehrervereines an dieser geweihten Stätte.

Friedrich Dittes ist todt, aber sein Geist lebt weiter in der deutschen Lehrer- schaft, im großen deutschen Lehrervereine. Nicht nur die österreichischen liberalen Lehrer haben sich in dem Kampfe für eine freie Schule um ihn geschart und offen für ihn Zeugnis abgelegt, auch die freisinnige Lehrerschaft des Deutschen Reiches hat sich längst zu seinen Ideen bekannt und Schulter an Schulter mit ihm gekämpft. Mögen die Zeloten ihn begeifern, Finsterlinge den edlen Mann hassen, die Opportunisten ihn meiden und mögen die Rückschrittler ihn einen alten Revolutionär heißen, auch die Vertreter engherziger Pädagogik ihn einen Zurückgebliebenen schelten; uns liberalen Lehrern wird sein Bild ewig haften bleiben, das er uns in seinen meisterhaften Schriften und großartigen Reden hinterlassen hat. Die deutsche Lehrerschaft wird das Andenken an Friedrich Dittes ebenso festhalten, wie das an Adolf Diesterweg. Solange deutsche Lehrervereine existieren werden, wird der Name Dittes unvergesslich sein. Das darf ich hier zu dieser Stunde und an dieser geweihten Stätte im Namen des deutschen Lehrervereines aussprechen: Wenn heute der "deutsche Lehrstand an der Wende des Jahrhunderts seinen Blick auf seine Geschichte im 20. Jahrhundert rück- wärts lenkt und dabei der Männer gedenkt, die als Leuchten der Wissenschaft und Führer im Kampfe für eine freisinnige Schule ihm die größten Dienste geleistet haben, dann werden die beiden Männer Adolf Diesterweg und Friedrich Dittes als erste und größte in seinen Gesichtskreis treten. Beide waren von Natur dazu berufen, edle, heldenhafte Kämpfer für Freiheit, Wahrheit und Recht, insonderheit für Freiheit und Recht ihrer geliebten deutschen Volksschule und des deutschen J.ehrerstandes zu sein.

Ich erachte es nicht als meine Aufgabe, in diesem Kreise von der pädagogischen Bedeutung dieser beiden großen Männer zu sprechen, nur mit einigen Worten will ich hinweisen auf die vielfachen Beziehungen der beiden, Diesterweg und Dittes, in ihrem Kampfe für eine freie deutsche Schule. Strebe zum Ganzen, lebe im Ganzen, schließ’ an ein Ganzes dich an! Organisiert euch! das war die Devise, das waren die Worte, mit denen kein Geringerer als Diesterweg die Lehrer anfeuerte, sich zusammen- zuschließen zum gemeinsamen Handeln, um Luft und Licht für die deutsche Schule zu erlangen. Noch war die Organisation nicht geschlossen, da schloss der Tod des Sängers beredten Mund, und nun war es Friedrich Dittes, der größte Jünger Diesterwegs,

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der der Lehrerschaft das Banner des pädagogischen Fortschrittes vorantrug. Er lebte und starb, er, der aus dem Stande der Volksschullehrer hervorgegangen war und zum Lehrer der Lehrer geworden ist, in Wien, und nun ruht er unter diesem Hügel. Der Mund des Rufers im Streite ist verstummt, die scharfe Feder ist dem edlen Kämpfer entsunken, und noch ist der Kampf, den er um die freie deutsche Schule geführt, nicht ausgekämpft, weder hüben noch drüben. Es wird aber weitergekämpft um sie. In Öster- reich ist jetzt wieder von neuem der Kampf entbrannt, und wie sieht es in Deutschland aus? Es darf nicht verschwiegen werden, dass in den letzten Jahrzehnten in Deutsch- land auf dem Gebiete der Schule mancher Schritt nach vorwärts gethan worden ist, aber noch vieles von dem Schulprogramme, das uns Diesterweg und Dittes hinter- lassen haben, harrt der Erfüllung. Noch muss auch dort der alte Kampf weiter gekämpft werden, und es geschieht auch.

Reform der Lehrerbildung! Das war die erste Forderung, mit der Dittes im Jahre 1864 auf der Chemnitzer Lchrerversammlung an die Öffentlichkeit trat. Zwar ist in dieser Beziehung in Deutschland und besonders in Preußen manches besser geworden, aber ich erinnere wieder daran, dass z. B. das Ideal einer akademischen Bildung der Lehrer Deutschlands noch nicht in Erfüllung gegangen ist, dass der Staat denjenigen, welche sich der Pflege der unvernünftigen Thiere hingeben, die Pforten der Universität öffnet, sie aber vor uns verschließt. Eine andere Forderung, welche unser Friedrich Dittes aufstellte, war: Trennung der Kirche von der Schule, eine Forderung, welche er auf der großen Lehrerversammlung in Graz mit feurigen Worten vertrat. Er sagte, die Volksschule könne nur dann gedeihen, wenn ihre Trennung von der Kirche voll- ständig durchgeführt sei. Die Kirche den Theologen, die Schule den Pädagogen war seine Losung. So lautete auch die Forderung der letzten deutschen Lehrerversammlung in Köln, die von dem jetzt leider gemaßregelten Lehrer Ernst Bayer in Leipzig aus- gesprochen und von der ganzen Versammlung mit größtem Beifall aufgenommen wurde, Trennung des Unterrichtsministeriums vom Cultusministerium ist eine andere Forderung dieser Versammlung gewesen. Schaffung eines eigenen Unterrichtsministeriums, so tönt es immer noch von der deutschen Lehrerversammlung zurück. Ich kann mich nicht ent- halten zu sagen, was sich erst in den jüngsten Tagen in Preußen ereignete. Hatte doch die große Stadt Hamm keinen Platz zu einem Denkmal für einen Unterrichtsminister Doctor Falk; lediglich deshalb, weil er zugleich die Geschäfte eines Cultusministers besorgen musste. Und wenn die deutsche Lehrerschaft weiter kämpft gegen den über- handnehmenden Bureaukratismus, wenn sie zum Gedeihen der Volksschule eine bessere materielle und sociale Stellung des Lehrers fordert, so steht sie auch in diesem Punkte voll und ganz auf dem Programme eines Friedrich Dittes und Adolf Diesterweg.

Hoch und hehr ist das Ziel, das wir mit dem Heimgegangenen erkämpfen, weit ist der Weg und schwer der Kampf, aber es darf nicht nachgelassen werden, bis das Werk vollbracht ist. Adolf Diesterweg und Friedrich Dittes sind zu Märtyrern um die heilige Sache der Schule geworden. Wir werden zu ihnen aufschauen, wenn uns in der Fortsetzung des Kampfes Muthlosigkeit und Verzagtheit befallen. Diese beiden Vorbilder, Diesterweg und Dittes, sie werden fortleben in den Herzen der deut- schen Lehrerschaft! Das sei unsere Losung auch in dem kommenden Jahrhundert

Im Namen der Schüler des Verewigten sprach der Obmann des niederöster- reichischen Landesichrervereines, Eduard Jordan: »Warum sind wir Dittes-Schüler geworden? Weil uns jene Factoren, die es uns nicht verzeihen können, Dittes-Schüler geworden zu sein, ohne alle und jede Fachbildung ins Leben hinausgeschickt haben.

Jahrbuch d. Wien. päd, Ges. 1901. | 12

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Mit geradezu frevelhafter Unwissenheit verließen wir mit glänzenden Zeugnissen aus- gestattet das clericale Seminar; rathlos standen wir vor unserer Schülerschar, hiltlos vor einer für uns unlösbaren Aufgabe.

Sollten wir da nicht Umschau halten nach einem Erlöser aus dieser qualvollen Lage? Zum Glücke für unser vielgeprüftes Vaterland war damals Dr. Fr. Dittes nach Österreich berufen worden. Mit Freuden begrüßten wir die Gründung des Wiener Lehrerpädagogiums und wurden Schüler eines Mannes, dem ein bedeutender Ruf als Schulmann und Gelehrter vorausgieng. Wir konnten uns mit Stolz Schüler dieses Mannes nennen, trotz aller Angriffe, denen er alsbald ausgesetzt war. Dittes war wie als Gelehrter auch als Mensch, als Christ freilich ganz in idealem Sinne als Deutscher ein Meister, dem nachzustreben unser aufrichtigster Wille war. Dittes war auch ein Charakter und diese seltene und bei uns immer seltener werdende Eigen- schaft ist es, die dem Manne ein ganzes Heer von Feinden gemacht hat. Uns aber, seine Schüler, fesselte just diese Charakterfestigkeit an unseren Lehrer, und sie mögen ihn schmähen, so viel sie wollen, wir verkennen seine Größe nicht, denn es gibt eine Geschichte, und diese Geschichte wird eine unparieiische Richterin sein über unseren muthigen Vorkämpfer.

Wir werden auch in Zukunft Dittes-Schüler bleiben, weil Treue für uns kein leerer Wahn ist, weil unsere Liebe zu dem, der uns die Pfade der pädagogischen Wissenschaft wies, noch nicht erloschen ist; weil die Verehrung für den edlen Menschen in uns nicht ersterben wird. Wie man uns daher verfolgen, hetzen, drangsalieren' und quälen mag: Wir sind Dittes-Schüler geworden, als es freudig aufloderte in Österreich, wir sind Dittes-Schüler geblieben, als es dunkel zu werden begann, und wenn es auch völlig Nacht werden sollte, wir werden Dittes-Schüler bleiben, so lange wir leben

Namens der Hinterbliebenen dankte Professor Dr. Rudolf Dittes für die den Manen seines Vaters bereitete Ehrung; unbekümmert um die Gunst oder Ungunst einer Zeit, in welcher der Rückschritt wieder den Bestand der freien Schule bedroht, haben die fortschrittlichen Lehrer Österreichs und Deutschlands die pietätvolle Feier ver- anstaltet; das Denkmal solle daher auch verkünden, dass die freisinnige Lehrerschaft nach wie vor sich zu der Forderung bekennt, dass das öffentliche Unterrichts- und Erziehungswesen in allen seinen Theilen den wissenschaftlich begründeten Weisungen der unabhängigen Pädagogik gemäß gestaltet und jeglicher BENONES durch nicht- fachliche Kreise entrückt werden müsse.

Das »Bundeslied« von Mozart beschloss die erhebende Feier, welcher am Abende desselben Tages ein Commers der Festgäste im Hötel Victoria folgte.

Das Grabdenkmal, dessen Schöpfer Bildhauer Rudolf Schröer ist, hat bis zur Scheitelhöhe der Büste eine Höhe von 385 m. Zur Herstellung der Büste wurde Carraramarmor, für die Architektur einschließlich der Grabplatte Tiroler braunrother Porphyr, für den Büstensockel sowie für die Inschrifttafel unter dem Relief grüner Serpentin, geschliffen und poliert, und für die Grabeinfassung Mauthausener Granit ver- wendet. Die Stufe, auf der das Denkmal aufgeführt ist, trägt die Widmung: »Gewidmet von der reichsdeutschen und deutsch-österreichischen Lehrerschaft.« Auf dieser Stufe sitzt der 60 ca hohe Sockel auf, der in der Mitte in IOcm hohen vergoldeten Bronze- buchstaben also erhaben nur den Namen »Dittes« zeigt. Zwischen zwei 1'45 ”2 hohen Halbsäulen ist das 110» hohe, 60cm breite Relief: »Dittes in einer Lehrer- versammlung sprechend« eingefügt, darunter eine schwarzgrüne Serpentinplatte mit dem Spruche;

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»Nicht abwärts, noch rückwärts, Sondern aufwärts und vorwärts!«

Das Ganze wird von einem Renaissancegebälke verdacht, welches zwischen zwei Voluten die stark überlebensgroße Büste Dr. Dittes’ ohne Sockel 75 cm trägt. Die schmiedeiserne, kunstvoll gearbeitete Grabeinfassung wurde von dem Kunstschlosser Ruschka ausgeführt.

Am 16. October 1900 verschied der pensionierte Professor der Wiener Lehrer- bildungsanstalt, kais. Rath Josef Hofer. Er war ein Lehrerbildner im vollsten Sinne des Wortes, der, wie nicht bald ein zweiter, den Lehrstoff im Vortrage elementar zu behandeln verstand. Was aber für die zukünftigen Lehrer von besonderem Werte war und zur Nachahmung aneifern musste, war seine seelenvolle Art des Lehrens, die aus dem Innern heraus schöpfte und daher unwillkürlich die Aufmerksamkeit der Zuhörer auch bei den trockensten mathematischen Stoffen fesselte. Josef Hofer wurde am 12. März 1820 in Grein a. d. D. geboren und kam, da seine vorzüglichen Fähigkeiten bald erkannt wurden, als 14-jähriger Knabe nach Wien, wo er für den Lehrberuf aus- gebildet werden sollte. Er erwarb die höchste Qualification, das Lehrbefähigungszeugnis für Hauptschulen, und war nun Elementarlehrer. Aber der ernst strebende junge Mann wusste Zeit und Mittel zu finden, um sich in den technischen Fächern weiter auszu- bilden und eine höhere Lehrbefähigung zu erreichen. Damit hatte er seine pädagogische Carriere vorbereitet, denn bald darauf erlangte er die Stelle eines Reallehrers an der vollständigen Unterrealschule zu !:t. Leopold in Wien, an welcher Anstalt er durch ı8 Jahre wirkte; 1864 kam Hofer als Professor an die Unterrealschule St. Anna und wurde Lehrer an der daselbst befindlichen Lehrerbildungsanstalt, dem sogenannten Prä- parandencurs zu St. Anna. Mit dem Inslebentreten des Reichsvolksschulgesetzes wurde er definitiv an die Lehrerbildungsanstalt berufen und wirkte dort unermüdlich eifrig bis ins hohe Alter; gleichzeitig war er Director der privaten Lehrerinnenbildungsanstalt im Kloster St. Ursula. Bei Einführung der staatlichen Schulaufsicht wurde Hofer auch zum k.k. Bezirksschulinspector ernannt, und er bekleidete dieses Amt fünf Jahre. 1883 trat er in den wohlverdienten Ruhestand; die ihm dargebrachten zahlreichen Ehrungen legten Zeugnis ab von der Liebe und Dankbarkeit seiner Schüler. Hofer war schrift- stellerisch auf methodischem Gebiete ungemein rührig; noch in seinem Greisenalter schrieb er Artikel für Fachblätter. Seine wichtigsten methodischen Schriften sind: »Populäre Experimentalphysik »Umriss der allgemeinen Geographie » Anfangsgründe der Stereometrie;« »Materialien für die Schulpraxis und Lehrerfortbildung« (gemeinsam mit Karl Schubert herausgegeben); »Methodik des Rechenunterrichtes« (ein besonders vorzügliches Buch); »Grundriss der Naturlehre für Bürgerschulen« (ein drei- stufiger Lehrtext für die Hand der Schüler).

Dr. Karl Julius Schröer, Verfasser zahlreicher literarhistorischer Schriften (darunter ein zweibändiger Commentar zu Goethes »Faust«) und Abhandlungen über deutsche Mundarten, geb. am 11. Jänner 1825 zu Pressburg, Professor an der Wiener technischen Hochschule, Inspector der evangelischen Schulen Wiens, starb daselbst am 16. December 1900. (Seine dem Andenken Heinrich Deinhardts gewidmete Rede siche »Päd. Jahrb.« 1880.) Einer seiner Söhne ist der akademische Bildhauer Rudolf Schröer, welcher das Wiener Dittesdenkmal ausgeführt hat.

Emanuel Fitzga, geb. am 8. Jänner 1848 zu Weitersfeld (niederösterr. Wald- viertel), Bürgerschuldirector in Baden, starb daselbst am g. April 1901. Als das Dittes’sche Pädagogium eröffnet wurde, war Fitzga einer der ersten Hörer desselben und fuhr

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täglich von Baden nach Wien, um den Abendvorlesungen beizuwohnen. Er war ein anerkannt tüchtiger Schulmann und schrieb das treffliche Werk: »Die leitenden Grund- sätze der natürlichen Methode für den Elementarunterricht in Rechnen und Geo- metrie.« Eine segensreiche Wirksamkeit entfaltete er viele Jahre hindurch im Badener Lehrerverein. Auch in anderer Weise bethätigte sich Fitzga am öffentlichen Leben: seit Jahrzehnten Mitglied der Badener Gemeindevertretung, stellte er als Gemeinderath seine große Arbeitskraft in den Dienst des Gemeindewohles; leider kürzte die große geistige Überanstrengung nur allzubald sein thatenfrohes und charakterfestes Leben.

Der pädagogische Schriftsteller Leopold Schmerz, geb. den 26. September 1844 zu Brünn, zuerst Professor an der Realschule in Znaim, später an den Lehrerbildungs- anstalten zu Trautenau und Brünn, zulctzt k. k. Bezirksschulinspector, starb am 17. April 1901, u. zw. auf einer Inspectionsreise bei Lundenburg. Er redigierte seiner- zeit das »Mährische Schulblatt«.. Von scinen Werken seien hervorgehoben: »XNatur- geschichtliche Charakterbilder« (zwei Bände); »Böse Sieben,« eine Märchendichtung.

Demeter Isopescul, Director der Lehrerbildungsanstalt in Czernowitz, Verfasser mehrerer für sein Heimatland bestimmten Lehrbücher und Begründer der »Buko- winaer pädagogischen Blätter«, starb zu Wien am ı. Mai 1901. Er war bei den letzten Reichsrathswahlen von der V. Curie (allgemeine Wählerclasse) zum Abge- ordneten gewählt worden und ist auch in den Verhandlungen des Unterrichtsausschusses warm für die Regelung des Disciplinarverfahrens eingetreten.

Ministerialrath Gustav R. v. Zeynek starb am ı2. Mai ıgoı in Mödling. Er wirkte seinerzeit an der Lehrerbildungsanstalt in Graz und dann jahrelang als Landes- schulinspector in Schlesien, um dessen Schulwesen er sich sehr verdient machte; nach der Pensionierung des Hofrathes Ullrich wurde er ins Ministerium berufen, wo er das Referat über »Volksschulwesen« zu führen hatte.

Der frühere preußische Cultusminister Dr. Bosse verschied am 31. Juli 1901 in Berlin. Er war Nachfolger des Ministers v. Zedlitz-Trützschler, dessen rückschrittliche Schulgesetzentwürfe dem Drucke der öffentlichen Meinung nicht standhalten konnten. Bosse gelang es, trotz des Widerspruches der Conservativen und des Centrums, aus dem großen Gebiete der Volksschulgesetzgebung einzelne Theile, die der gesetzlichen Rege- lung besonders bedürftig waren, heraus:ulösen und zu einem befriedigenden Abschlusse zu bringen. Mit Recht bemerkt die »Allgem. deutsche Lehrerzeitung«, dass die Lehrer sanz Deutschlands diesem chrenwerten Manne ein dankbares Andenken bewahren werden.

Ill. Das pädagogische Vereinswesen in Österreich.

Zusammengestellt von Anton ZENNS.

Deutsch-österreichischer Lehrerbund. 7 Landesichrervereine (Niederöster- reich, Oberösterreich, Salzburg, Kärnten, Vorarlberg, Böhmen, Mähren), 274 Zweig- vereine, 17.343 Mitglieder. Obmann O.-L. A. Katschinka, Stellvertreter: A.Ch. Jessen und E. Kessler. Der Bundesausschuss arbeitete einen Disciplinargesetzentwurf aus, welcher im Abgeordnetenhause als Antrag der Abgeordneten Schreiter, Kaspar und Genossen eingebracht wurde, und gab auch die Anregung zu einem Antrage auf

Regulierung der Lehrergehalte, bezw. Gleichstellung der Lehrer mit den betreffenden Staatsbeamtenkategorien. Dem Unterrichtsminister wurde ein Memorandum über die Lehrermaßregelungen übermittelt. Die Angriffe der Redner in der Hauptversammlung des katholischen Schulvereines erfuhren entschiedene Abwehr. (Siche die »Thesen«.) Die von zwei Lehrervereinen beantragte Gründung eines allgemeinen österreichischen Lehrervereines (Reichslehrerbundes) wird dahin erledigt, dass der Abgeordneten- versammlung die Ablehnung dieses Antrages vorgeschlagen wird, da seinerzeit an den allgemeinen österreichischen Lehrertagen doch nur die deutschen Lehrer theilnahmen, während die anderssprachlichen Lehrer aus nationalen Gründen sich fernhielten. Bezug- nehmend auf das Ergebnis der Berathungen im Unterrichtsausschusse des Abgeordneten- hauses, wie auf die Vorkommnisse im ‘Wiener Gemeinde- und Bezirksschulrathe, ver- öffentlichte der Bundesausschuss folgende Erklärung:

1. Der Bundesausschuss bedauert, dass sich der Unterrichtsminister R. v. Hartel im Unterrichtsausschusse bezüglich einer gesetzlichen Regelung des Disciplinar- verfahrens gegen Lehrpersonen vollständig ablehnend verhielt. Der Bundesausschuss spricht aus, dass die im Bunde vertretenen 18.000 deutschen Lehrer Österreichs an den in der Eingabe desselben an das Abgeordnetenhaus aufgestellten Forderungen, sowie an der einheitlichen Regelung des Disciplinarverfahrens gegen Lehrpersonen durch’ ein Reichsgesetz festhalten, da durch die vom Unterrichtsminister in Aussicht gestellten Forderungen eine wünschenswerte Regelung dieses Verfahrens nicht erwartet werden kann.

2. Ferner spricht der Bund die zuversichtliche Erwartung aus, der $. ı6 des Gesetzes, betreffend die Immunität der Reichsrathsabgeordneten, werde eine Abän- derung in dem Sinne erfahren, dass die Einleitung einer Disciplinaruntersuchung gegen Abgeordnete, welche dem Lehr- oder Beamtenstande angehören, ebenso wie die gericht- liche Verfolgung eines Abgeordneten von der Genehmigung des Hauses abhängig sei.

3. Der Bundesausschuss erblickt in der Äußerung des Vorsitzenden der Wiener Bezirksschulbehörde, des Bürgermeisters Dr. Lueger, »Socialdemokraten und Schönerianer werden nicht angestellt,« eine offene Missachtung der in den Staatsgrundgesetzen niedergelegten klaren Bestimmungen über die allgemeine Zugänglich- keit des Lehramtes für alle Staatsbürger.

4. Ebenso erachtet der Bundesausschuss die Abverlangung eines Gelöbnisses von den im Wiener Schulbezirke anzustellenden Lehrpersonen, socialdemokratischen und deutschradicalen politischen Parteien nicht anzugehören oder denselben nicht beizutreten, als ein gesetzwidriges Vorgehen und spricht die Erwartung aus, dass Se, Excellenz der Herr Unterrichtsminister demselben mit aller Entschiedenheit entgegentreten wird.

- Deutseh-österr. Bürgerschullehrerbund. 1600 Mitglieder. PräsidentO.Hohen- sinner. Der Bundesrath fertigte folgende Eingaben aus: An die Landtage von Böhmen und Oberösterreich wegen materieller Besserstellung der Bürgerschullehrer; an das Abgeordnetenhaus und an das Ministerium für Cultus und Unterricht wegen Ausgestal- tung der Bürgerschule; an das Reichskriegs- und an das Landesvertheidigungsministerium wegen Aufnahme absolvierter Bürgerschüler in die Cadettenschulen; an sämmtliche Ministerien wegen Berücksichtigung absolvierter Bürgerschüler bei Besetzung solcher Beamtenstellen, zu deren Erlangung nur die absolvierte Untermittelschule gefordert wird..

Verein „Mittelschule“ in Wien. Obmann Dir. Leop. Eysert. Über die neuen Instructionen zur philosophischen Propädeutik (Dr. Höfler). Die sogenannte wissenschaft- liche Pädagogik und ihre neuesten Kritiker (Dr. Wotke). Jugendspiele, Kürturnen und Wandern (Guttmann). Tyrtaios und die messenischen Kriege (Dr. v. Arnim). Über

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menschliche Massenerscheinungen (Czuber). Die Neugestaltung der deutschen Ortho- graphie (Scheich). Überfüllung der Mittelschulen (Dr. Polaschek). Gewinnung eines reichlichen Lehrernachwuchses und Regelung der Supplentenfrage (Schüller). Niederösterreichischer Landeslehrerverein. 45 Zweigvereine mit 4096 Mit- gliedern (14 Vereine in Wien, 31 außerhalb Wiens). Obmann Ed. Jordan. Der Verein nahm theils unmittelbar durch die am 2. November 1900 in Wien stattgefundene Abgeordnetenversammlung, theils mittelbar durch seine Zweigvereine und die abgehal- tenen Obmännerconferenzen entschiedene Stellung gegen die, politischen Motiven ent- springenden Lehrer-»Maßregelungen« und ehrte insbesondere die Verdienste der Herren Jordan und Seitz durch Ernennung derselben zu Ehrenmitgliedern des Vereines. Behufs günstiger Erledigung der Gehaltsfrage wurde eine Petition aus den Kreisen der Bevölkerung (über 300.000 Unterschriften) dem Landtage vorgelegt, dann eine das Volk in dieser Richtung aufklärende Flugschrift in mehr als 200.000 Exemplaren verbreitet. Die zeitgemäß abgeänderten Vereinssatzungen wurden behördlich genehmigt. Zur Unter- stützung nothleidender Collegen wurde eine Hilfscassa gegründet, in welche jedes Mit- glied monatlich 20 A einzahlt. Bisher wurden Unterstützungen im Betrage von 5683 K verabfolgt. Der Verein trat als gründendes Mitglied mit einer einmaligen Zahlung von 200 K dem Vereine »Lehrerschutz« bei. Durch Herausgabe des Buches »I,ehrer- arbeit Lehrerlohn« suchte der Verein das nützliche und uneigennützige Wirken der Lehrerschaft außerhalb der Schule in den weitesten Kreisen populär zu machen. Außerdem besorgt der Verein die jedes zweite Jahr erfolgende Herausgabe des n.-ö. Lehrer-Personal-Standesausweises (Schematismus). Der Verein wirkte auch für die Schaffung eines den modernen Anforderungen entsprechenden Disciplinargesetzes, leider bisher ohne Erfolg. Durch Einführung der Obmännerconferenzen, Anlage des Vereins- katasters und Zusammenstellung der Vereinsstatistik wurde die innere Organisation des Landeslehrervereines außerordentlich gestärkt. Hauptversammlung am 15. und 16. Juli’ 1901 zu Klosterneuburg.” Vereinsorgan »Österreichisiche Schulzeitung«. Wiener pädagogische Gesellschaft. 27. Vereinsjahr. 185 Mitglieder. 281. Ple- narversammlung am 6. October 1900: Rechenschaftsbericht. Ergänzungswahlen in den Ausschuss. Statutengemäße Neuwahl des Vorsitzenden. Die Geschichte als eine Qnelle der Pädagogik (D. Simon). 282. Pl.-Vers. am 3. November. Über den Wert der neueren voluntaristischen Richtung der Psychologie für die Pädagogik (Dr. F.M. Wendt). 283. Pl.-Vers. am 1. December: Elementare Erklärung und Behandlung der zu- sammengesetzten Zinseszinsenrechnungen nach der Methode des Herrn Franz Schischlik (K. Sponner). Die begriffliche Erfassung des Vervielfachens (Einmaleins) auf der Unter- stufe der Volksschule mit Vorführung neuer Lehrmittel (J. Antscherl). Debatte hiezu. 284. Pl.-Vers. am 5. Jänner ıg901. Pädagogisches Jahrbuch 1900 (A. Zens). Über die Preisausschreibungen der Wiener Pestalozzistiftung (J. Hieber). Über Her- stellung und Nutzbarmachung entomologischer Sammlungen (M. Baumann). Über Th. Vernalekens »Deutsche Sprachrichtigkeiten und Spracherkenntnisse« (D. Simon). 285. Pl.-Vers. am 19. Jänner. Festrede zur Pestalozzifeier (M. Zens). 286. Pl.-Vers. am g. Februar. F. Mohaupts »Kleine Anstandslehre« (R. Klement). Die Aufgaben der Blindenbildung (S. Heller). 287. Pl.-Vers. am 2. März. Wie kann die Volks- und Bürgerschule ihre Zöglinge für die spätere Ausübung ihrer staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten vorbereiten? (A. Bruhns). Debatte zu M. Baumanns Vortrag. Besprechung des »Pädagogischen Jahrbuches 1900. 288. Pl.-Vers. am 23. März. Über Volkshochschulen (Dr. L. Hartmann). Debatte zu A. Bruhns’ Vortrag.

183 289. Pl.-Vers. am 13. April. Der österreichische Schulbote (M. Zens). Aus dem päda- gogischen Bereiche der Pariser Weltausstellung (J. Krapfenbauer). Debatte zu Bruhns’ Vortrag. 290. Pl.-Vers. am 4. Mai. Elektrische Straßenbahnen verschiedener Systeme und Verhütung von Gefahren beim Betriebe derselben (Hofrath J. Kareis). Debatte zu Bruhns’ Vortrag. 291. Pl.-Vers. am ı. Juni. Österreichs deutsche Jugend (A. Zens). Über M. Binstorfers Deutsche Sprachschule, eintheilige Ausgabe für Bürgerschulen (M. Neumann). Resolution zur Orthographiefrage (K. Salava).. Ein ehrendes An- denken bewahrt die Wr. Päd, Ges. den im letzten Vereinsjahre verstorbenen Mitglie- dern: Joh. Presi (beitr. Mitgl.), B.-L. Stephan Müllner, B.-D. Franz Kopetzky und B.-D. Emanuel Fitzga. Auf das Grab des Ehrenmitgliedes Dr. Dittes wurde an dessen Todestage ein Kranz gelegt. DBeglückwünscht wurde anlässlich seines 70. Geburts- tages der um das Kindergartenwesen hochverdiente Director A. S. Fischer. Aus- schuss des Vereinsjahres: B.-D. M. Zens, Vorsitzender; B.-D. D. Simon und D. V. Zwilling, Vors. Stellvertreter; V.-L. J. Krapfenbauer, V.-L. A. Zens (zugleich Redacteur des pädagogischen Jahrbuches), B.-L. Sponner und T.-L. A. Druschba, Schrift- führer; B.-D. K. Salava, Cassier; O. L. E. Rybiczka und V.-L. M. Baumann, Biblio- thekare; außerdem B.-L. A. Bruhns, V.-L. A. Fischer, B.-L. J. Hieber, V.-L. F. Jenny, B.-L. A. Kunzfeld und B.-L. R. Peter.

| Verein der Lehrerinnen und Erzieherinnen in Österreich. 710 ordent- liche und 4I unterstützende Mitglieder. Präsidentin B.-Dn. M. Schwarz. Erziehung zur Arbeit und Arbeitsfreudigkeit (Devid&); Ebner-Eschenbach-Vorlesung (Hofburg- schauspielerin Frl. Amalie Schönchen); Eine Ferienreise nach Ceylon (Hörn); Schul- wesen in Paris (Gstettner); Die Bildung des Sprachgefühles und der Grammatikunter- richt in der Volksschule (Lernet); Der Lehrer als Dichter (Schwarz). An Stiftungen und Stipendien verausgabte der Verein im vergangenen Jahre 384 K, an Unterstützun- gen 158 K, an unverzinslichen Darlehen 460 K, für die Stellenvermittlung 29 A. In dem vom Verein gegründeten und erhaltenen Heim, IX. Eisengasse 34, wurden für Gewährung von Freiplätzen 810 K verausgabt. Vereinsorgan »Österreichische Lehrerinnenzeitung«. :

Centralverein der Wiener Lehrerschaft. 623 ordentliche, 548 außerordent- liche Mitglieder. Obmann K. Seitz. In jedem Inspectionsbezirke eine Bezirkssection, ferner ı Section für Lehrerinnen, 2 Kategoriesectionen (Section der Bürgerschullehrer und Bürgerschullehrerinnen und Section der jüngeren Lehrerschaft, d. i. der Unter- lehrer.. Der Verein bemühte sich, weitere Volkskreise für Schulfragen zu interes- sieren und ihnen das Verständnis für die Leistungen und den Wert der Schule zu erschließen. Zur Zeit der Reichsrathswahlen wurden fünf öffentliche Versammlungen abgehalten, um den Candidaten das Programm der freiheitlich gesinnten Lehrerschaft bekanntzugeben. Im Verein mit den Abstinenten stellte sich der Verein die Aufgabe, die Eltern auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die der Alkoholgenuss nach sich zieht. Rege Thätigkeit entfalteten einzelne Sectionen; die Section Ottakring bildete ein Lehrerhilfscomitc, um Erhebungen über das Kinderelend zu pflegen. Verhandlungs- gegenstände: Zur Geschichte der Volksschule; Erziehungsideale; Mittelalterliches aus der Schule; Schulreform; Volksschule und Volksbildung. —- Section der Unterlehrer: Anstellungsverhältnisse der provisorischen Lehrkräfte; Gerechte Stellenbesetzung; Miss- brauch der Schulstatistik; Die bürgerlichen Rechte der Lehrer. Lehrerinnensection: Anstellung der Unterlehrerinnen; das n. ö. Lehrerpensionsgesetz; Mädchenerziehung und Frauenbildung.

u.

Wiener Lehrerverein. Obmann M. Strebl. Zur Literatur der sogenannten Bürgerkunde und Socialpädagogik (Prof. Rusch). Gegenwärtige Vorkommnisse in der Lehrerschaft und Bestrebungen derselben (Forster). Der d.-ö. Isehrertag in Aussig (Jung). Vorlesung eigener Dichtungen (Hawel). Rassenhygienische Bedeutung der Alkoholfrage (Dr. Fröhlich). Die Verhältnisse im n.-ö. Landeslehrervereine (Bruche); Abwehr gegen Angriffe auf die Schule (Bruche). Disciplinargesetz und Gehaltsfrage (Schreiter). Clericalismus und Schule (Drexel. Das »Liederbuch« erschien in neuer Auflage. Von der Jugendschrift »Für die Jugend des Volkes«, allgemein anerkannt und gewürdigt, sind noch Halbjahrgänge aus den Jahren 1895 und 1896 vorräthig.

Verein „Bürgerschule“ in Wien. 400 Mitglieder. Obmann O. Hohen sinner. Rechtsverhältnisse der Gewerbeschullehrer (Manner\. Ausreichende Verwen- dung von Globus und Erdkarte (Binder). Wie kann die Behörde die Bevölkerung über das Wesen der Bürgerschule aufklären? (Binder.) Einheitliche Mittelschule und unsere Stellungnahme zu derselben (Pausa). Was hat die Bürgerschule vom jetzigen Parlamente zu erwarten? (Unterkofler.) Hochschulcurse für Lehrpersonen (Unterkofler).. Der Verein richtete Eingaben an den I.andesschulrath um Regelung der Lehrverpflichtung für Bürgerschullehrer, und um Änderung des Substitutionsnormales, dann an den Land- tag um Regelung der Gehaltsverhältnisse.

Verband der Leiter der Volks- und Bürgerschulen. 236 Mitglieder. Ob- mann Ig. Pennerstorfer. Zur Wohnungsfrage der Wiener Schulleiter (Nosse); Die Pauschalienfrage (Goldbach); Das Disciplinargesetz (Kurz); Zur Gehaltsfrage (Buchneder).

Verein österreichischer Zeichenlehrer in Wien. Obmann Prof. K. Schiller. 30 Ehrenmitglieder, 287 ordentliche, 11 correspondierende und 5 unterstützende Mit- glieder. Das h. Ministerium für Cultus und Unterricht, wie auch die Commune Wien gewährten dem Vereine eine Subvention von je 400 A. Durch das Übereinkommen mit den Verfassern des »Hilfsbuches für den Zeichen- und Kunstunterricht«e wurde ein Gewinn von II8 K erzielt. Petitionen an das Unterrichtsministerium um a) Anrechnung der Assistentenjahre, 5) strenge Beachtung der gesetzlichen Vorschriften für die Prüfung der Candidaten für das Freihandzeichnen an Mittelschulen, c) Gleichstellung der Noten im Freihandzeichnen mit den Noten der übrigen Gegenstände. Vereinsorgan »Zeitschrift für Zeichen- und Kunstunterricht« (Schriftleiter L. Großsched]). |

Lehrerverein im II. Bezirke. Obmann H. Ascher. Der Segen des Wassers (Dr. Sadger), Gefahren der oberirdischen Stromleitungen bei Straßenbahnen (Kareis). Hans Sachs und seine Zeit (Kirchhofer). Aus dem Unterstützungsfonde wurden 320 K an bedürftige Mitglieder vertheilt.

Pädagogischer Verein in Hernals. Obmann V.-D. Johann Mandl. 8 Ehren- und 32 ordentliche Mitglieder. Ein Jahrhundert deutscher Pädagogik (Kröner); Über die Vermeidung von Unglücksfällen durch Elektricität und erste Hilfeleistung in solchen Fällen (Birringer): Petition an den löbl. Wr. Gemeinderath um Erhöhung der Lehrer- gehalte und um Neuregelung der Pensionsverhältnisse (Braun).

Verein zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse. Präsident Hofrath Prof. Dr. v. Lang. 714 Mitglieder (2 Ehren-, 85 unterstützende, 627 ordent- liche Mitglieder). Die geologische Geschichte des Schwarzen Meeres (Toula). Tönende Stäbe, Flüssigkeits- und Gassäulen (Jäger). Die Quelle der Muskelkraft (Gruber). Über die Fermente (Zeynek). Wien in der Geschichte des Gartenbaues (v. Wettstein). Die scheinbare Gestalt des Himmelsgewölbes und die scheinbare Größe der Gestirne

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(Pernter). Neueres über das Sehen (Elschnig). Die Adria und ihre geographischen Be- ziehungen (Sieger). Die Bedeutung der Schilddrüse (Sorgo). Über Capillarität (Lampa). Der Kautschuk und seine Industrie (Hassak). Der Drehstrom (Reithoffer). Zur Biologie der Blüten (Rebel). Wie entstanden unsere Gartenpflanzen? (v. Wettstein). Über Mineralwässer (Ludwig). Über Gesteinsstructur (Becke). |

Verein zur Förderung des physikalischen und chemischen Unterrichtes in Wien. 354 Mitglieder, darunter 170 Lehrkräfte an Volks- und Bürgerschulen. Vierteljahrsberichte, redigiert von Prof. Dr. K. Haas. Neue Photometer (Kauer). Herstellung von Thermometern (Woytacek). Vereinfachte chemische Schulversuche (Reichl). Singende Bogenlampe (Edler). Versuche aus der Akustik (Jäger). Verwen- dung des Straßenstromes im Unterrichte (Rusch). Wassergas (Strache). : Relieflupe (Rosenberg). Messung der Luftelektricität (Haschek), Excursionen: Erzherzogl. Friedrich’sche Molkereianlagen, Lichtdruckanstalt Löwy, Telegraphencentralstation, Cen- tralstation der internationalen Elektricitätsgesellschaft, Kabelfabrik Siemens u. Halske, nach Hütteldorf zur Messung von atmosphärischer Elektricität. | | Verein der Industriel@hrerinnen und der Lehrerinnen der französischen Sprache in Österreich. 428 ordentliche, 7 unterstützende Mitglieder. Präsidentin Amalie Hübel. Vereinsbibliothek VII. Burgg. 14. In den Discussionsabenden finden die Mitglieder Gelegenheit, sich über fachliche Schwierigkeiten auszusprechen. Dem h. Unterrichtsministerium wurde ein Gesuch überreicht, die Dauer des Curses zur Heranbildung von Industrielehrerinnen zu verlängern, damit das Studium eingehender betrieben und die Überproduction von Lehrkräften verhindert werden könne.

Verein österreichischer Taubstummenlehrer. Gegründet 1901, Sitz in Wien. 85 ordentliche und 2 außerordentliche Mitglieder. Obmann Anton Druschba. Der Taubstummenlehrertag in Paris (Schindler und Silberbauer). Aufstellung eines Normal- lehrplanes für Taubstummenschulen. Vereinsberichte »Mittheilungen« erscheinen nach Bedarf.

Katholischer Lehrerbund für Österreich. Bericht fehlt.

Verein der Lehrer und Schulfreunde in Wien (mit Ortsgruppen in den einzelnen Gemeindebezirken). Obmann B.-D. J. Hueber. Vereinsorgan »Deutsche Schulzeitung« (Schriftleiter K. Haller). Bericht fehlt.

Oberösterreichischer Landesiehrerverein. Obmann Alfred Böck -Galineu- kirchen. 1220 Mitglieder. Der Centralausschuss gliedert sich unter Beiziehung von Fach- referenten in fünf Sectionen (Rechts-, Bildungs-, Press-, statistische und Organisations- angelegenheiten). Die Thätigkeit war hauptsächlich auf die Regulierung der Lehrer- gehalte gerichtet; an den zu diesem Zwecke einberufenen großen Lehrerversammlungen nahmen auch die fortschrittlichen Abgeordneten theil. Vereinsorgan »Zeitschrift des 0.-ö. L.-L.-V.« (Schriftleiter Josef Niemetz.)

Salzburger Landeslehrerverein. 347 ordentliche und Ig außerordentliche Mitglieder. Obmann J. Klingenschmid. Hauptversammlung am 22. Juli 1901 in Salzburg. Nach einem ausführlichen Referate über den Verein »Lehrerschutz< (Referent Baumgartner) drückte die Hauptversammlung allen aus politischen Gründen gemaßregelten Collegen ihre wärmsten Sympathien und zugleich den Dank für deren manneswürdige Haltung aus, durch welche das Standesansehen der Lehrerschaft mächtig gehoben wurde; zugleich wurden alle Volksvertreter aufgefordert, gegen die Verfassungswidrigkeiten, welche in den Lehrermaßregelungen aus politischen Gründen zutage treten, energisch einzuschreiten und für das von der Kehrerschaft seit langem geforderte Disciplinargesetz

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mit voller Kraft einzutreten. Der langjährige Schriftleiter des Vereinsorganes »Zeitschrift des Salzburger Landeslehrervereines«, D. P. Simmerle, ferner B.-D. Krassinsky und Landtagsabgeordneter Haagn wurden unter Anerkennung ihrer Verdienste um die Salz- burger Lehrerschaft zu Ehrenmitgliedern ernannt. Der Unterstützungsfond beträgt gegen- wärtig 12.312 K. Steiermärkischer Lehrerbund. 32 Bezirkslehrervereine, 1096 Mitglieder. Obmann V.-L. Josef Killer in Paldau bei Feldbach, Die Thätigkeit des Bundes, bezw. der Bundesleitung wandte sich besonders zwei Aufgaben zu: der Wiedervereini- gung der steirischen l,ehrerschaft und der Verbesserung der Lage der Lehrer. Um die Spaltung der Lehrerschaft in zwei Lager aufzuheben, wurde im December 1900 über Antrag der Bundesleitung eine gemeinsame Besprechung von Vertretern beider Verbände abgehalten. Die Bundesleitung wollte die Vereinigung auf Grundlage der vom Lehrer- vereine Umgebung Graz gestellten Vorschläge erreichen. Diese Vorschläge gipfeln darin, dass die deutschen Lehrer einen eigenen Landesverband, die slovenischen auch einen besonderen Verband, beide zusammen den steiermärkischen Lehrerbund bilden sollen; beide Verbände sollten von einander unabhängig sein, gemeinsame Angelegenheiten aber durch einen von den beiden Obmännern geleiteten Ausschuss ordnen lassen. Der deutsche Verband hätte sich dem deutsch-österr. Lehrerbunde anzuschließen, der slove- nische einer größeren Vereinigung slovenischer Lehrer, Dieser Vorschlag, der die natio_ nalen wie die Standesinteressen berücksichtigt hätte, wurde von der andern Seite abge- lehnt. In zweiter Richtung wurden an den J,andtag abermals mehrere Petitionen gerichtet: um volle Einrechnung der Unterlehrerdienstzeit, um ein Disciplinargesetz, um Vertretung der Volks- und Bürgerschullehrer im Landesschulrathe u. a. Die Petitionen wurden abschlägig beschieden. Um die Thätigkeit der Zweigvereine zu beleben, wurden zwei Obmännerconferenzen gehalten, eine in Marburg für Untersteier, eine in Graz für Mittel- und Obersteier. Zwei Delegiertenversammlungen wurden am g. April und 12. September, die Hauptversammlung am 13. September in Graz abgehalten; in der Hauptversammlung waren anwesend die Abgeordneten Seitz(Wien)undMalik (Leibnitz). Verhandlungsthemen : ı. Der Lehrermangel, seine Ursachen und Folgen, Mittel zur Behebung desselben. 2. Welche Mittel und Wege stehen uns zu Gebote, um ein Disciplinargesetz zu erhalten? Der Bund verwaltet auch die Franz Josefstiftung (Stiftungscapital 10.000 K); jährlich werden die Zinsen (420 Ä) an hilfsbedürftige Lehrer- witwen und Lehrerwaisen vertheilt. Bundesorgan »Steir. Schul- und Lehrer- zeitunge, Schriftleiter J. Killer in Paldau. Verband der deutschen Lehrer und Lehrerinnen in Steiermark. 728 Mitglieder. ı2 Vereine mit 457 Mitgliedern, 267 Einzeln- und 4 außerordentliche Mitglieder. Obmann O.-L. Cl. Pröll-Gleisbach. Wie soll man national unterrichten? (PraZak). Forderungen der Lehrerschaft (Grimm). Über Schul- und Lehrerfragen (Schrei- ter). Die Schulfrage im steierm. Landtage (Camuzzi). Der Verband richtete an den steierm. Landtag Petitionen um Schaffung eines Disciplinargesetzes, Regelung der Pen- sionsverhältnisse, Anrechnung der Unterlehrerjahre. Die Hauptversammlung vom 12. Sep- tember 1901 (Graz) sprach sich dahin aus: ı. dass der Staat einen wirklich entspre- chenden Antheil zu den Kosten der Volksschule dem Lande zur Verfügung stelle, doch möge diese Beitragsleistung nicht bloß auf Kosten der breiten Schichten des Volkes aufgebracht werden; 2. dıss für die Lehrerschaft ein den modernen Rechtsanschauungen entsprechendes Standesgesetz (Disciplinargesetz) geschaffen werde, damit die Lehrer- schaft nicht der ungleichmäßigen Behandlung im Verordnungswege ausgesetzt sei. Ins-

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besondere erklärt die Versammlung, dass sie Wert auf das Recht der freien Meinungs- äußerung legt. Die im WVerbande vertretene deutsche Lehrerschaft des Landes Steiermark verwahrt sich gegen die ungerechtfertigten Angriffe der clericalen Partei in Presse und Versammlungen und spricht es unumwunden aus, dass sie nach wie vor für die Freiheit der Schule einsteht. Der Verband spricht sich für eine Wiedervereini- gung der Lehrerschaft des Landes auf völkischer Grundlage aus. Die Verbandsleitung wird beauftragt: a) zu rechter Zeit neuerdings Petitionen an den Landtag zu leiten, in welchen um die Beseitigung der im jetzigen Gehaltsgesetze, beziehungsweise Pensions- gesetze bestehenden Härten angesucht werde; 5) ein Bureau zu schaffen, dem die Auf- gabe zufällt, die steirische Lehrerschaft in Evidenz zu halten und jene statistischen Daten vorzuberathen, die nöthig sind, um unrichtige Behauptungen sofort entkräften zu können; c) an den Landtag mit dem Ansuchen heranzutreten, anlässlich der bevor- stehenden Wahlreform eine Curie für Lehrer zu schaffen, durch. die die Wahl eines Schulmannes in den Landtag gesichert erscheint.

Grazer Lehrerverein. ı28 (8 Ehren-, 116 ordentliche und 4 unterstützende) Mitglieder. Obmann B.-L. F. Kawan. Über die Anschaulichkeit im Unterrichte (Reich- mann). Paris (Katschitschnigg). Hindernisse einer gedeihlichen Entwicklung des Erzie- hungswesens (Drescher). Schulbrausebäder (Holzer). Neue physikalische Apparate (Camuzzi). Wie lernen Taubstumme sprechen? (Pipetz.) Der Verein richtete Petitionen: a) an den steierm. Landtag um Vollanrechnung der Unterlehrerjahre bei Dienstalters- zulagen, um Abänderung der Pensionsvorschriften und um Schaffung eines Disciplinar- gesetzes; 5) an den Grazer Gemeinderath um Bewilligung eines Quartiergeldes und Ein- führung des Telephons in den städt. Volsk- und Bürgerschulen. Behufs Schaffung einer Centralbibliothek wurde ein Comite eingesetzt. Ferner nahm der Verein Stellung zu den Lehrermaßregelungen und sprach den aus politischen Gründen gemaßregelten Collegen die Sympathie aus.

Kärntischer Lehrerbund. 24 Zweigvereine, 480 ordentliche und 2 Ehren- mitglieder. Obmann B.-D. Rudolf Mattersdorfer-St. Veit a. d. Glan. Berathungs- gegenstände des Ausschusses und der Hauptversammlung: Die rechtliche und materielle Stellung des Lehrstandes; Revision der Landesschulgesetze; das Disciplinargesetz. In der Landeshauptstadt wurde der Lehrerverein »Klagenfurt-Stadt« gegründet und eine Ortsgruppe des Lehrerhausvereines errichtet. Die Bundesmitglieder beziehen die »Deutsch- österr. Lehrerzeitung«e sammt einer monatlich erscheinenden Beilage »Kärntner Schul- blatt« als Vereinsgabe.

Krainer Lehrerverein. Obmann Prof. Dr. Josef Nejedli-Laibach. 60 Mit- glieder. In den Versammlungen wurden sowohl pädagogische Fragen, wie auch Themata allgemein bildender Natur behandelt. Vereinsorgan »Laibacher Schulzeitung« (Schrift- leiter Dr. J. M. Klimesch; der frühere langjährige und schr verdienstvolle Redacteur Prof. Florian Hintner wurde als Director an das Lyceum in Linz berufen).

Lehrerverein des Landes Vorarlberg. 108 wirkliche und 488 unterstützende Mitglieder. Obmann H. J. Peter, Lehrer in Dornbirn, zugleich Schriftleiter des »Jungen Bürger«, einer Monatsschrift, die der Fortbildung der aus der Schule ent- lassenen Jugend dient und in einer Auflage von 2500 Stück (XTII. Jahrgang) erscheint, Von dem Vereins-»Liederbuch« sind 20.000 Stück vergriffen; eine neue Auflage wird vorbereitet. Das Vereinsmitglied B.-L. J. Gurbach verfasste eine Broschüre »Grundzüge der Geschichte Vorarlbergs«, die schon in 2. Auflage erschienen ist; ein »Schulatlas«, der unter Mitwirkung des B.-L. Natter herausgegeben wurde, erhielt

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die Approbation für Württemberg, nicht aber für Österreich. Die Zinsen des »Grube- fond« (11.000 K) werden zu Unterstützungen verwendet. Vereinseinnahmen 2490 K, -Ausgaben 1100 K. Zwei Vereinsmitglieder erhielten Stipendien von je IOo K. zum Besuche des Feriencurses in Wolfsberg. Die wirklichen Mitglieder erhalten auf Vereins- kosten das Bundesorgan des d.-ö. Lehrerbundes. Verhandlungsgegenstände: Der mündliehe und schriftliche Gedankenausdruck auf der Unter- und Mittelstufe der Volks- schule; Streiflichter auf den Aussiger Lehrertag; welche Forderungen stellt die Mittel- schule an die Volksschule? Stellungnahme zu einem in Tirol eingeführten und für Vorarlberg zur Einführung geplanten neuen, auf confessioneller (katholischer) Grundlage fußenden Lesebuche.

Deutscher Landeslehrerverein in Böhmen. Dice am Schlusse des 27. Vereins- jahres abgehaltene Heerschau ergab einen abermaligen Zuwachs von Mitgliedern, so dass dem Vereine nunmehr fast alle deutschen Lehrerverbände des Landes (80) mit etwa 6500 Mitgliedern angehören. Diese erfreuliche Thatsache ist hauptsächlich der rührigen Vereinsleitung, an deren Spitze schon seit einer Reihe von Jahren Bürger- schuldirector F. Rudolf in Reichenberg steht, zu danken. Die diesjährige Thätigkeit war eine äußerst rege. Zunächst galt es, die nunmehr seit Jahren im Vordergrunde aller Vereinsangelegenheiten stehende Gehaltsfrage in der im Jahre 1901 ablaufenden Landtagsperiode zu einer endgiltigen, günstigen Entscheidung zu bringen. Zu diesem Zwecke dienten: die Presse, Versammlungen, Petitionen, Vorsprechungen bei den maß- gebenden Persönlichkeiten und Körperschaften, endlich die Audienzen bei dem Kaiser und dem Unterrichtsminister. Diesen rastlosen Bemühungen ist es zu danken, dass die im Juni stattgefundene Landtagssession sich fast ausschließlich mit der Regulierung der Lehrergehalte befasste. Die Art und Weise der Lösung dieser Frage entspricht jedoch nur zum Theil den Forderungen der Lehrerschaft. Den übrigen Standesangelegenheiten wurde in gleicher Weise Rechnung getragen. Die Bürgerschule betreffend, wurden Schritte unternommen, um die denselben durch die geplante Errichtung von Mädchen- lyceen drohende Gefahr abzuwenden, die Knaben- und Mädchenbürgerschulen in ihren Leitungen untereinander, sowie von der Volksschule zu trennen, bezw. selbständig zu stellen, eine Vermehrung der I.chrkräfte an diesen Anstalten bei Erweiterung derselben durch Parallelelassen herbeizuführen u. dgl. m. In anderer Weise verfocht der Verein die Interessen des Standes und der Schule anlässlich einiger Verordnungen des Landes- schulrathes, so in Bezug auf die Auszahlung der Remunerationen für wahlfreie Gegen stände, bei Besetzungen neu errichteter Stellen u. s. w. Die längst angestrebte Gehalts- zusendung durch die Post wurde endlich erzielt. Die ebenfalls vom Vereine ins Leben gerufenen Hochschulcurse wurden in diesem Jahre auf eine größere Zahl von Wissens- fächern ausgedehnt, die Zahl der Theilnehmer an denselben war im Vergleich zum Vorjahre eine höhere. Die wirtschaftlichen Unternehmungen des Vereines gediehen ebenfalls im abgelaufenen Vereinsjahre. Insbesondere erfreuten sich die literarischen Unternehmungen eines gesteigerten Absatzes und erzielten deshalb einen bedeutenden Reingewinn, welcher den Unterstützungscassen zufiel. Das Gesammtvermögen des Vereines beträgt gegenwärtig 280.000 K.

Deutscher pädagogischer Verein in Prag. 202 Mitglieder (2 Ehren-, 17 stiftende, 138 ordentl. und 45 außerordentl. Mitglieder). Obmann Aug. Malley. Der Lehrertag in Aussig (Krause). Die Aufgabenfrage (Peuker). Schulnachrichten ;zweimalige Austheilung der- selben im Jahre (Hauptmann). Die Schulausstellung in Paris (Netuka). Vorführung des Schelivsky’schen Rechenapparates (Malley). Über die Zahnpflege der Schuljugend (Tan-

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zer). Die deutschen DialectdichterBöhmens (Hauflen). Das im Jahre 1894 gegründete »Heim der Lehrertöchter« hat die Aufgabe, den Lehrertöchtern deutscher Nationa- lität, die in Prag ihren Studien obliegen, insbesonders denjenigen, welche an der Lehrerinnenbildungsanstalt den Handarbeits- oder Kindergartencurs besuchen, pädago- geische Aufsicht angedeihen zu lassen, ihnen bei der Wahl passender Kosthäuser be- hilflich zu sein und den Dürftigsten Geldunterstützungen zu gewähren. Bis jetzt wurden an 56 Zöglinge Unterstützungen von zusammen .4146 K vertheilt.e. Vom 16. bis 21. Juli 1901 veranstaltete der Jugendspielausschuss einen Spielcurs für Lehrer und Lehrerinnen, an dem 83 Lehrkräfte theilnahmen. Die Jugendspiele fanden wieder eifrige Förderung; anf beiden Spielplötzen (Karolinenthal und Kgl. Weinberge) spielten 7068 Knaben und 6845 Mädchen in 724 Spielgruppen. Ebenso wie im Vorjahre wurden Bade- und Eislaufkarten ausgegeben.

Deutsch-mährischer Lehrerbund. 2430 Mitglieder (1955 Lehrer). Obmann K. Frank. Eingaben: ı. Beseitigung der Härten des neuen Gchaltsgesctzes, 2. Zuerken- nung von Activitätszulagen und Einrechnung aller definitiven Unterlehrerjahre für die Dienstalterszulagen, 3. Schaflung eines Disciplinargesetzes, 4. Zuerkennung des Wahl- rechtes an definitive Unterlehrer, 35. Bestellung von Aushilfslehrern für die einzelnen Schulbezirke, 6. Übertragung der Schulumlagen auf den Landesfond, 7. Regelung der Ruhegenüsse und Witwenversorgung. Delegiertenversammlung vom 4. April 1901: Das Disciplinargesetz. Hauptversammlung zu Sternberg am 5. August Igoı: Die Fort- bildungsschule (Vrbka), Minoritätsschulen (Koblischek), das Disciplinargesetz (Sulak), die Aufgaben der Schule und die Angriffe auf dieselbe (Manda). In Bezug auf den letztgenannten Berathungsgegenstand wurde einhellig folgende Entschließung angenommen:

»Der Lehrerstand verrichtet in der Schule, aber auch auf allen Gebieten des modernen Volkslebens eine hochbedeutsame Culturarbeit. Den Lohn für diese volks- und bildungsfreundliche Bethätigung empfängt die Lehrerschaft in zahlreichen höchst verächtlichen Angıiffen auf den Stand und die Schule seitens der Parteien des Rück- schrittes. Die heute tagende 7. Hauptversammlung des deutsch-mährischen Lehrerbundes legt wider diese nichtswürdigen Verdächtigungen und Herabsetzungen der gesetzestreuen, freisinnigen Lehrerschaft auf das allerentschiedenste Verwahrung ein, erklärt sich für vollständig solidarisch mit dem Auftreten der beiden Lehrerabgeordneten Seitz und Schreiter und begrüßt deren mannhafte Vertheidigung des beleidigten Standesansehens mit lebhafter Freude. Die Versammlung verurtheilt die aus Gründen politischen Hasses unter Einhaltung eines jedem modernen Rechtsbegriffe hohnsprechenden Ver- fahrens erfolgten jüngsten Lehrermaßregelungen als Gewaltthaten, die das Rechts- bewusstsein der Lehrerschaft zwar tief verletzen, aber nicht beugen können, die aber eine immer tiefer greifende Verbitterung und infolge dessen einen umso zäheren Kampf gegen die Reaction hervorzurufen schr geeignet sind. Die Versammlung hält es für nothwendig, den Kampf wider alle rückläufigen Bestrebungen in Österreich aus cul- turellen, nationalen und nicht an letzter Stelle aus wahrhaft patriotischen Gründen mit der größten Ausdauer und Opferwilligkeit unbeirrt weiterzuführen, um die freiheitlichen Errungenschaften, auf denen allein eine glückliche Zukunft unseres Vaterlandes beruhen kann, für alle Zeiten sicherzustellen. Die deutsch-mährische Lehrerschaft rechnet in diesem schweren Culturkampfe auf die werkthätige, ehrliche Unterstützung aller frei- sinnigen Volkskreise, vor allem auf das solidarische Zusammenwirken aller bildungs- und schulfreundlichen politischen Parteien,«

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Brünner Lehrerverein. 34. Vereinsjahr. 229 Mitglieder (10 Ehrenmitglieder). Obmann B.-L. Josef Manda. Sectionen: I. Dittesclub. 70 Mitglieder. Berathung ernster Schul- und Standesfragen, wissenschaftliche und musikalische Vorträge. Im Sommer zweimal in der Woche Ballspiele im Freien. Der Dittesclub betrachtet als seine schönste Aufgabe, »die Jüngsten des Standes zu gesinnungstreuen, offenen Charak- teren heranzubilden.«<e II. Club für Naturkunde, 72 Mitglieder. Die Thätigkeit der Section war eine äußerst rege und umfasste alle Zweige der Naturwissenschaften. Der Club besitzt reichhaltige Lehrmittel- und Naturaliensammlungen, hat die Biumen- pflege durch Brünner Schulkinder angeregt (Blumenausstellung October 1900), gegen 50 Schulen und 3 Museen mit wertvollen Sammlungen beschenkt, zahlreiche Excursionen unternommen, 28 Vorträge, dann kleinere Referate. Der Club (Obmann B.-L. Heinrich Laus) besitzt seit Jänner 1901 ein Cluborgan in den »Periodischen Blättern für Realienunterricht und Lehrmittelwesen« (Redacteur Prof. R. Neu- mann-Brünn; Verlag O. Henckel, Tetschen) und steht mit 58 naturwissenschaftlichen Vereinen Österreichs, Deutschlands und der Schweiz in Verbindung. III. Unter- lehrersection, 1900 gegründet; 4 Sitzungen zur Berathung verschiedener Standesange- legenheiten. (Obmann Hans Zak.) IV. Musikelub (Dirigent B.-L. A. Klofant). Zur Auftheilung der inneren Vereinsarbeit bestehen II innere Arbeitsabtheilungen. Der Lesezirkel (Stephanieschule) umfasst 6726 Werke (Zuwachs 1342) und 102 Zeitschriften. 3734 Entlehnungen. Die früheren 8 Fortbildungscurse (von Collegen geleitet) haben in cinem Doppelcurs für Stenographie ihre Fortsetzung gefunden. Diesterwegstif- tung für nothleidende Brünner Lehrer, Witwen und Waisen 3500 K; Verwaltung der Dr. Alois Nowak-Hilfscasse 12.000 K (Verwalter B.-L. Adolf Wemola), Themen der zehn Vollversammlungen: Disciplinargesetz und Dienstpragmatik. Das Bundesproblem. Die Brünner Elektricitätscentrale. Wirtschaftseinrichtungen des deutsch- mährischen Lehrerbundes. Zweck und Einrichtung eines städtischen Centralschulgartens in Brünn. Die Reichsrathswahlen vom Standpunkte der modernen Schule. Rückblick und Ausschau an der Wende des Jahrhunderts. »Walhall.« Das Concordat. Zur Reform der deutschen Schulrechtschreibung. Moderne Schulbauten. Lehrermaßregelungen und Lehrerschutz. Das Schulwesen Japans. Blätter aus der Geschichte des Brünner Lehrervereines.

Verein „Bürgerschule“ Brünn. ı20 Mitglieder, über ganz Mähren verbreitet. Die normale Einrichtung des historisch-geographischen Cabinetes (Manda); Lyceum und Mädchenbürgerschulen (Schenk); Unser Disciplinargesetz (Czischek); Über neue Bahnen des schulgemäßen Zeichenunterrichtes (Straka); Vortheile und Mängel eintheiliger Lehrbücher (Laus). Anlässlich des Sternberger Lehrertages veranstaltete der Verein eine freie Versammlung der mährischen Bürgerschullehrer, bei welcher der Präsident des Reichsbürgerschulbundes, Fachlehrer Hohensinner, einen Vortrag über die Reform der österreichischen Bürgerschulen hielt. Außerdem gelangten pädagogisch-didaktische und schulpolitische Fragen zur Besprechung; auch wurden Resolutionen gegen das Treiben der Schulfeinde gefasst.

Schlesischer Landeslehrerverein. Obmann H. Schulig. Die Thätigkeit des Centralausschusses war vorzugsweise darauf gerichtet, dass die schlesische Lehrerschaft endlich ein befriedigendes Gehaltsgesetz erhalte. Der Erfolg blieb nicht aus; der ominöse $. 19 (Versetzung aus Dienstesrücksichten) konnte zwar nicht zu Fall gebracht werden, erhielt aber einen Wortlaut, der geeignet ist, die von der Lehrerschaft geäußerten Be- fürchtungen zu zerstreuen. Die diesjährige Delegiertenversammlung findet im Herbste 1901 statt.

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Landeslehrerverein für die gefürstete Grafschaft Görz und Gradisca. Präsident R. Peerz (Görz), Vicc-Präsident Franz Bajt (Haidenschaft). 150 Mitglieder; Verhandlungssprache deutschh Gründung eines Unterstützungscomites für arme, in Görz studierende Lehrersöhne (Peerz). Petition an den Landtag um Regelung der Pensionsverhältnisse. Vorschläge zur Gründung eines allgemeinen Lehrerbundes für Österreich. Gelegentlich des Kaiserbesuches in Görz wurde eine Vereinsabordnung von Sr. Majestät in Audienz empfangen, wobei auch die traurigen materiellen Ver- hältnisse der Lehrerschaft zur Sprache gelangten; Se. Majestät geruhten huldvollst aus- zusprechen, dass die Sache der Lehrerschaft ehestens gefördert werden solle, und schon am 6. October 1900 erfolgte die Sanction des Landesgesetzes, betreffend die Aufbesse- rung der Lehrerbezüge.

Französischer Club für Lehrer in Wien. Gegründet zu dem Zwecke, um den Lehrern, insbesondere den Fachlehrern der französischen Sprache, Gelegenheit zu geben, sich im Gebrauche dieser Sprache zu vervollkommnen. Obmann B.-D. Ig. Hüber. 130 Mitglieder, davon 82 Lehrpersonen. Der Verein veranstaltet mit Ausnahme der Ferialmonate allwöchentlich einen Conversationsabend (Freitag, Restaurant Müller I., Eschenbachgasse 9). An diesen Abende wird von 7—8 Uhr ein »Cours grammatical et litteraire« von einem eigens hiezu bestellten französ. Professor abgehalten, von 8 Uhr an finden Vorträge, Recitationen, Erzählungen, mitunter auch gesangliche und musi- kalische Productionen, sowie Aufführungen von Theaterstücken statt. Die Vortrags- sprache ist ausschließlich die französische. In der Zeit von 1890--1900 wurden durch- schnittlich alljährlich “12 Theaterstücke aufgeführt, außerdem ı2 Erzählungen, 29 Reci- tationen von Gedichten und Monologen, Iı2 Vorträge, zumeist literarischen Inhalts, 38 Vorlesungen auf das Programm gesetzt. Die musikalischen Vorträge hinzugerechnet, umfasste das Programm eines Conversationsabends durchschnittlich 5 Nummern. Die Durchschnittsfrequenz eines Abends betrug im letztverflossenen Jahre über 70 Personen, von denen immer mindestens ein Dutzend französischer Nationalität waren.

Verein für Lehrer-Hochschuleurse. Gegründet 16. August ıgoı. Obmann Dr. Kaser. Zwecke des Vereines: a) Die Veranstaltung von Vorträgen und Unterrichts- cursen aus allen Gebieten des Wissens für Lehrer; D) die Errichtung, bezw. Unter- stützung und Erhaltung von Lehrerbibliotheken und Lesehallen; c\ Herausgabe und Verbreitung von Druckwerken,

Verein der in Wr.-Neustadt herangebildeten Lehrer. 332 Mitglieder. Obmann Glöckel. Der Verein gibt allmonatlich an die Mitglieder unentgeltlich »Mittheilungen« aus und unterstützt unverschuldet in Noth gerathene »Neustädter« mit Hilfe des »Brankfondes«e. Auch die Schaffung eines »Hinterbliebenenfondes« ist im Werke. Der Schubertbund in der Pariser Weltausstellung (A. Weiß). Frieden (Vor- lesung von Rudolf Hawel). Die Völker Ostasiens (Dr. Friedr. Umlauft). Volkshoch- schulen (Dr. Ludw. Hartmann). Nestroy und seine Werke (Zwinger). Die Gestalt des Volksschullehrers im modernen Drama (Josef Washuber). Ziel und Zweck des Vereines (Otto Glöckel). Excursionen : Wiener k. k. Tabakhauptfabrik, Millykerzen-, Seifenfabrik Sarg-Liesing, Glasfabriken Altnagelberg.

Pädagogische Lesehalle. Wien, VIII. Georgsg. ı (Cafe Rathhaus). Obmann F. Jenny. Täglich von 5—8 Uhr abends geöffnet. Aufgelegt sind alle pädagogischen Fachzeitungen Österreichs, die bedeutendsten pädagogischen Blätter Deutschlands, social- politische und wissenschaftliche Schriften und Werke. Von Zeit zu Zeit Discussions- abende. Auch ein Curs für französische Sprache wurde gegründet.

Verein zur Pflege des Jugendspieles. Gegründet 1892. Centralleitung I, Bräunerstraße 9. Ortsgruppen in den einzelnen Bezirken; daselbst auch Spielplätze. Obmann Dr. v. Kraus. »Mittheilungen« des Vereines (Schriftleiter V. Pimmer). Die Ortsgruppen veranstalten Schülerausflüge, sorgen für Erhaltung und Neuerrichtung von Spielplätzen und gewähren billige Bade- und Eislaufkarten.

Lehrerhausverein in Wien. Obmann Josef Eichler. Kanzlei: 3/3, Beatrix- gasse 28. 9404 Mitglieder, 385.666 A’ Vereinsvermögen. Der Umsatz der Wirtschafts- abtheilung betrug 1,700.173 A, und an die Mitglieder wurden 89.503 K Rabatt aus- gezahlt. Die Spar- und Darlehenscassa zählte 1331 Mitglieder mit 858.833 K Antheilseinlagen und hatte außerdem 46.109 A” Spareinlagen; der (Gesammtumsatz betrug 2,666.780 K, der Darlehensstand 1,262.842 X, der Reingewinn 51.634 A), die Reserve 60.000 A, Bei der Versicherungsanstalt waren 1929 Verträge auf 571.600 A'in Kraft (Ablebens-, Witwen- und Waisenrenten-, Altersrenten-, Kinderausstat- tungs- und Krankengeldversicherungen). Ortsgruppen: Wiener-Neustadt, Neun- kirchen, Gmünd, Znaim, Brünn, Mähr. Schönberg, Graz, Klagenfurt, Ost- u. Westschlesien.

Lehrerhausverein für Oberösterreich. 510 Mitglieder der Gruppe I (Lehrer- haus) und 1220 Mitglieder der Gruppe II (Hilfsfond). Im Vordergrund der Thätigkeit steht die Erbauung des Lehrerhauses, dessen Eröffnung am I. August 1901 stattfand. Die Kostzöglingsabtheilung (für in Linz studierende Lehrerkinder) verpflegte 43 Zöglinge und verabreichte über 4000 freie Mittagstische. Die Wirtschaftsabtheilung und die Spar- und Darlehenscassa haben sich günstig weiter entwickelt. Die Verlags- werke wurden vermehrt, insbesondere gedeiht das Jugendschriftenunternehmen. Vorstände a) des Lehrerhausvereines: Hans Hornik, d) der Darlehenscassa: Ferdi- nand Biechl, c) der Lesehalle: Karl Parys.

Verein zur Gründung eines Curhauses in Karlsbad für Lehrer und Lehrerinnen deutscher Nationalität. Obmann: O.-L. Josef Lopata. 894 Mitglieder, u. zw. 192 beitragende, 682 ständige und 20 gründende. Vereinsvermögen 32.640 K. In der Saison 1900 waren 55 Vereinsmitglieder zur Cur in Karlsbad, denen die Vereins- beneficien zugewendet wurden. (Die gründenden Mitglieder erlegen einen Beitrag von 49 A, die ständigen 20, falls sie aber sofort von den Vereinsbeneficien Gebrauch machen, 30 A) die beitragenden Mitglieder entrichten durch 15 Jahre je 2A.) Die Wiener Ortsgruppe zählt 317 (8 gründende, 161 ständige und 148 beitragende) Mitglieder. Obmann O.-L. Julius Hofbauer, VIII, Schmidg. 16.

Deutscher Schulverein. Ca. 80.000 Mitglieder. Obmann Dr. M. Weitlof. 16 Vereinsschulen, 32 Vereinskindergärten; außerdem werden noch 52 Schulen und 62 Kindergärten subventioniert. Stand des Lehrpersonals: 32 Lehrpersonen und 35 Kindergärtnerinnen. Vermögensstand rund 1,189.000 X.

Katholischer Schulverein. 46.000 Mitglieder. Obmann Dr. Caspar Sch warz. Pfarrgruppen: Wien 57, Niederösterreich 144, Oberösterreich 45, Böhmen 14, Mähren 10, Schlesien 4, Steiermark 2, Kärnten 2, Tirol ı, Salzburg 3, Vorarlberg 21. Vereins- unteınehmungen: Katholisches Privatlchrerseminar, 3 Privatvolksschulen und 2 Fort- bildungsschulen für Mädchen in Wien, 6 Privatvolksschulen außerhalb Wiens, 2 Kinder- gärten, I Kinderbewahranstalt, I Conviet und ı Studienheim für »kath.« Lehramts- candidaten, 1 Buchdruckerei un] 1 Buch-, Kunst- und Musikalienhandlung, zugleich Lehrmittel- und Papierhandlung, \ |

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