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Geſammelte Werke

von

Peter Hille

Herausgegeben von ſeinen Freunden

Zweiter Band

Verlegt bei Schuſter & Loeffler Berlin und Leipzig

Hes!

Geſtalten und

Aphorismen

von

Peter Hille

Verlegt bei Schuſter & Loeffler Berlin und Leipzig, 1904

PETER HILLE

nach dem Gemälde von Louis Corinth

Sappho die Dichterin von Lesbos. Roman der Schoͤnheit.

"Hövgwvos ander.

Suͤßſtimmige Nachtigall. Dcr.

Das Kind. (Elfe Lasker⸗Schuͤler gewidmet.)

Silbrig fluͤſtern Oliven. Offenbar werden ihre reinen Geheimniſſe. Gekruͤmmt und geſpalten die Staͤmme vor zaͤhem Duft und lodernder Wildheit der Saͤfte.

Wie niedergeſchmettert liegt ſie da, nieder— geſchmettert vom Fruͤhling, dem ungeſtuͤmen Laͤchler, dem Bluͤher.

Ein Falter faͤllt ein auf die aufbrechende Knoſpe ihres allſehnend, ihres ahnend ange— hobenen, vom leiſen Finger des Windes weiß entfalteten Buſens, andere taumeln durch den fein berauſchenden Duft ihres krausgerankten

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Haares und fuchen nach Blumen und finden nicht, werden ärgerlich und fliegen weg.

Sonne oben: Zärtlichfeit einer Weltmutter.

Warmſtrahlend. Sich ſpenden. Du Guͤte und Geſundheit, die rein ruht in den großen Dingen der Welt. Und die Luft, die junge Luft des erſten ſchuͤchtern mutwillig maͤdchenhaften Mai, fie wehrt, was da fein koͤnnte von Bienen ſchon und Weſpen und angelockt vom Rauſch und Duft des friſchen Lebens ſein Gift hineinpflanzen will.

Immer beſorgter, mit angeſtrengtem Schein ſucht die Sonne: das Kind regt ſich nicht. Und da die Beſorgnis droben immer heißer wird, ſo ruͤhrt es ſich an der Erde und ſeufzt. Die Sonne wird ruhig, ihr Schein beſaͤnftigt, fuͤhrt Gruͤbchen: „Sieh noch immer kein Knochen!“

Mit eins ſchlaͤgt das Kind Augen uͤber ſich, zarte Arme werfen ſich um den noch jungen, vor Gluͤck mal aufgegangenen Baum und ziehen es hinan, bis ſeine Wange daneben liegt.

„O du liebe, herbe Mutter!“

Ihre Wangen roͤten ſich hoͤher und nehmen das Muſter an des jungen Olbaums, ihres Lebensbaumes, der gepflanzt war am Tage ihrer Geburt.

Wie ſtrenge, fein und lebendig er war, ver— halten, voll eigenen Triebes.

War's nicht, er fing an zu pochen, zu pochen

von ihr, als fei fein Leben und ihres eines Quelles?

Ihr Heimatgeſchwiſter.

Und wie es ruhte das Kind in der feier— lichen Weichheit feines roſig-gelben Gewandes, da zogen ſich die ſtrenge geſchwungenen Brauen unter der weißkuͤhnen Kinderſtirn, die nun noch eines ſo fein eigen leuchtet: Schwingen um den ewigen Schnee der Hoͤhe.

Und uͤber dem ſeltſam hellen Tempelgeſtirn dieſes Kindes flutet wie Meereswogen violett— purpurn: ein joniſches Veilchen, flutet ein veilchen— farbenes Meer ſein Haar und liegt ein Glanz darauf, wie auf allen Dingen, die ſehr und heilig ſind von Geiſt und Art, ein Schimmer wie auf Tagen der Schoͤnheit und geheimnis— raunenden Zweigen eines heiligen Haines, auf ruͤſtigen Wogen des Windes wie auf den un— ruhig unendlichen Kindergedanken des Meeres.

Wie ſo eigen, verwundert!

Umarmen.

Hinrieſelnd: eine wildfreie draͤngendduftende Welle der Dinge und will Reihe werden, Reigen, rankend.

Worte: es lebt zu ſehr und reißt vom Leben und reißt mit.

So ein Tag iſt weite Zeit.

Der große Frieden, die große Stille wird

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wie ein Weihekranz fo mal einem paſſen auf das ſinnend horchende Haupt erdanmutiger Menſchheit.

Weilen und ſchwinden, heben und ſinken, beides hat eigene Sprache.

Alle Kinder des Lebens zuſammen: das iſt Schoͤnheit.

Heimat: Tief in der Seele des Feinen iſt ſie eins in allem.

In ihr verſtehſt du dich.

Wo ſie lebt, da iſt es ein Leben.

Tiefere Kinder, Dichterkinder, ſie haben ihr Lied immer zwiſchen Kindheit und Heimat ge— funden.

Stolz wohnt in weiter blauer Luft und Anmut.

Und wo ein Wehelachen uͤber allem.

Und Schoͤnheit iſt Stillſein, tief und einmal alles faſſen.

Und nun das Gras friert.

Ein Schauder laͤuft hinuͤber.

Und iſt weit feuerklare Glut um Hain und weiße Glieder edler Haͤuſer.

Heimat iſt Heimweh und Sehnen nach allen Weiten.

So die Liebe.

Kuͤſſe, was Kuͤſſe ſind, ſind bang.

Bang zum Sterben.

Sie wiſſen wohl warum.

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„Gute Nacht Sonne, gute Nacht Meer.“

„Sappho, Sappho.“

So weit einholend umfaſſende Stimme ihres Vaters. 5

Wie die Hand des Sturmes einen Schwall wirft, der eilig zuſammenlaͤuft und wiederkehrt und alles mitnimmt.

Die kleine Sappho raffte ſchnell wie ihr Gewand ihre Seele zuſammen und Luft und Meer und nimmt noch eine der Roſen im Weſten mit, die am weichheißeſten gluͤht.

Ihr Gehorſam iſt Freude.

Iſt ja wieder Tochter.

Die Stimme der Beſtimmtheit nach der Stimme der Weite.

Buͤbiſch verloren.

Schelmiſche Blumen: Maͤdchen, wie ihr laͤchelt in euch hinein.

Streiche. Was auszufuͤhren.

Wem koͤnnte ich einen Poſſen ſpielen mit mir?

Schweigender Weg.

Blutige Schritte.

Koͤnnt' ich ſowas ſtreicheln!

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Wie von oben, wo die Hügel meiner Heimat plaudernd hingeſtreichelt. Verweilender Liebe Gruͤbchen viel darin.

Noch bangt mein Spielen.

Und ſicher muß mein Lied in mir wie ein Kind erwachen.

Und das erwaͤchſt nicht, wird nicht Mann, nicht Alter.

Und ſo nichts erwuͤchſe, alles Blumen bliebe. So ein Kind will eigene Wege haben.

Immer ein wenig verkehrt.

Anders.

Und bang vor Dunkel.

Ich bin ſo ein Kind. Vielleicht am aller— aller-aller-meiſten Kind auf allen Erden.

Ich bin's geblieben.

Zugeworden.

Das Kind iſt am allermeiſten in mir ge— wachſen und Glut unbaͤndigen Saftes und fein— farbene Begehrlichkeit nach aller Welt.

Neugierig bin ich wie ſehr!

Fuͤr mein Lied!

So ein Schweben, allein nach holdem hin, das fuͤr Vernuͤnftige nur ſo ein Seitending, nach Lied der Farben und Dufteswellen, nach Lied des Leibes, des Windes und Gewandes, nach Strahlentanz und Reigenſtimmen: Es iſt mir wie verrucht wohl mal.

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Wie Verdammte, wie boͤſe Abgeftorbene ſehen mich die Abendſtraͤuche an, iſt das Licht hinweg— gezogen und ungefuͤge Nacht hat begonnen.

Verwuͤnſcht, im Haar Fledermaͤuſe, grab— durchflatternde.

Nach Spiel.

O ihr Hoͤhen, wie ſo ſpielend ſeid ihr ge— ſtreichelt!

Wie iſt mir berauſcht nach Spiel, nach wild— feinem Bluͤhen, bloͤdem Bluͤhen, das zart und ſcheu von Blicken iſt.

Nach ungeweckt munteren Kraͤften.

Nach ſo Feinem, als ſei es verrucht.

So beſtimmt will ich dich, allein dich.

Spiel, Knoſpe, wildſtille Bewegung, du biſt Anmut, Schoͤnheit, die ſich bewegt.

Das iſt das, was ich dann mal zu was ſehen werde. Das etwas werden will, wo es ſchon was iſt. Wie nie mehr. Mit aller Gewalt.

Nun aber lieblich wild Unſinn iſt, ſo uͤber allen Sinn hinaus.

Alles das liebe ich.

Knaben, auch euch liebe ich, wolltet ihr nicht gerinnen zu jenem haͤßlich laut gemeinen Er—

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wachen, zu jenem rohen Reifen hin, das da Mann iſt, Verderben gellend.

Nicht ſo Spaͤtſommertrauer, nicht ſo Staub muͤden Vergnuͤgens!

Nachtigall, du ausgelaſſen ſchluchzende Nach— tigall du, du meinſt doch nicht ſie?

Du meinſt doch meine Maͤdchen.

Geſpielen.

Lieblich wilde Friſche.

Weltanfuͤhlende Blumen, ſinkend holde Heim: lichkeit.

Kelche des Lebens.

Reigenwucht erſtarrendwaͤhrenden Lebens, in deinen Kreis, an mich, kommt keine greiſende Hand.

Wenn der Tod ein Schoͤnes waͤre, ſtuͤrben die unſterblichen Goͤtter wohl ſelber.

Maͤdchen, in welchem Garten verſtecken ſich angezogene Blumen?

Lebende Blumen, ſpuͤrt ihr nicht, wie die Luft euch euer Gewand abſchmeichelt mit lieben— dem Finger und ſeligem Hauch?

Wie Muſcheln ſeid ihr angehaucht.

Erroͤtende Gehaͤuſe leiſer Seelen.

Reigen ruft die Wieſe:

Windet mit melodiſch dumpfen Sohlen. Meine Weihen uͤber den bunten Boden

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Lieblich los lebende Blumenreigen Wonniger Weiſen.

Toͤrchen, nicht das Waſſer alleine will euch, Das erquicklich leuchtend umſaͤumt die Glieder, Auch da oben naͤhrende Luft und ich, ein Singender Spiegel.

Sappho auf der Hochzeit.

Motto: Ich bin, alſo iſt Schoͤnheit.

„Ja. Chloe, du Ungetreue, Abtruͤnnige du, da bin ich. Und hier habe ich dir auch ein Taͤfelchen mitgebracht ein bißchen Unſinn zu deinem Ehrentage.

Iſt es denn auch ein Ehrentag, und nicht doch ich will nicht kraͤnken.“

Unſicher wie ein eben erſt angezuͤndetes Feſt— feuer loderten Chloes goldbraune Augen zu der großen Freundin hinuͤber, die die geſchloſſene, prallzarte Feſtigkeit eines Bildwerks hatte. Dann reichte die Hand nach dem Elfenbein, das Sappho ihr in die Hand druͤckte wie man dem Freunde ein Geldſtuͤck reicht und die Hand darauf druͤckt, daß keiner es ſieht, hielt es zierlich weit von ſich und las. So mag Iris die ſchlanghurtige Luft—

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durchſchwingerin Aolos noch in allen violetten Falten des vorn wie ein ſiegendes Banner ge— rafften Gewandes, ſo mag Iris die Himmels— botin noch einmal die Botſchaft leſen, die ſie dem finſteren Pluto, dem Zeus der Tiefe in die grauen Zinnen des Abgrunds zu tragen hat, tief hinein in den ſchwarzen Marmor, wo der Gebieter des dreikoͤpfigen Hundes duͤſter das nachtend welkende Reich von ſeinem ſonnenhohen Bruder entgegen— nimmt; ſeine Rechte aber ruht auf der edelkalten Stirn, in der einſt weltwarme weite Kunſt ge— ſchienen, ſeine Linke aber haͤngt ſchwer hinab in finſterer Liebe Traum uͤber die Schulter Per— ſephonaias, daruͤber aber neigt ſich und beruͤhrt ſie faſt die ſchwerhangende Hand ein ſchlummer— voll laſtender Mohn aus dem ſchlafenden Kranze im blauſchwarzen Nachthaar.

Dann aber ſpringt ſie wie ein Kind, die Rechte in den Luͤften:

„O Sappho, iſt das himmliſch! O du, meine, goldene, goldene Sappho!“

Und ſie ſpricht mit Jubel verhaltener Andacht:

„Goldaͤpfelein du, zauberſt im fluͤſternden Wipfel, Das dir die dummen Pfluͤcker vergeſſen zu nehmen Von reifender Hoͤhe.

Vergeſſen? Nein,

Sie konnten dich nicht erreichen!“

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Nun wendet ſich Sappho zu ihren Schülerinnen, den Juͤngerinnen der Schönheit, die halb feind- ſelig, halb neugierig befremdend und entfremdet zu ihrer fruͤheren Reigenfuͤhrerin aus ſtahlblauen, dunkelwolkigen Sonnen der Seele aufſchauen: „Nun, Kinder, fo ſieht eine Braut aus! Gefällt ſie euch nicht? Oder beneidet ihr ſie? Wollt ihr eure Sappho auch verlaſſen?“

Statt aller Antwort ſchmiegten ſie ſich naͤher an Sappho an und ergriffen alles an ihr, was zu faſſen war.

Sappho lachte: „Nun, ſo boͤſe? Vorwaͤrts, Grollmunde, geht hin und gebt ihr die Hand! Wer will denn ſo kleinlich ſein? Entſinnt euch doch, ich hab's ihr vorausgeſagt.“

Und mit geſchloſſenen Augen von innerer Stimme begann ſie ſich zu horchen:

„Selig der Mann, der dir gegenuͤber ruht

Und deiner Stimme ſeelendurchſchauernden Hauch verſpuͤrt

Wie Tau ſteht auf ihm der Schweiß,

Es ſauſen die Ohren vor toͤnendem Blute

Und dunkel nachten die Augen.“

So nun Maͤdchen, nun macht euch zu tun mit Reigen und Lied, kraͤnzt! Ich will mit meiner Freundin gehen, mit eurer Freundin: denn wo was ſchoͤn iſt, das geht nicht unter.

11, 2 17

„Komm, Chloe.“

Und wie der Wind ſo ſanft und fragend durch die Myrten ſtrich, ſie was fragte, was ſie ver— neinten, da raunte es wieder uͤber Sapphos Lippen:

Durch Quittenzweige rieſelt Kuͤhle Und wie ein Kind ſpielt im Gezweig Die ſcheidende Sonne.

„Ja, Chloe, weißt du noch wie wir der reinen Einſamkeit lauſchten, wenn wir nach dem Bade im ſpielenden Graſe lagerten und unſere Leiber unter den Blumen dufteten, wie ſie alle zu— ſammen! und nun im reigenloſen Dunkel einer um dich, ein Wuͤſter, Starker, der dich niemand goͤnnen mag, der dich ganz ſammeln will und dich welk und verſtoͤrt macht und laͤßt und dann dich nimmer anſieht und zu anderen ſich wendet, friſch wie du nun, ſag', vermagſt du das?“

Chloe ſah ihre Freundin voll an: „Ja, denn mein Hachos ſtark iſt er, ja ſtark und groß alles ſtuͤrzt hinein, und in ſeinen Augen da ſpruͤhet es uͤber auf mich, wie die Sonne. So treu und gut. Und kann eine Sonne heute ſcheinen, morgen dafür nicht, ſag?“

Sappho ſann: „Ja, du mußt es wiſſen! Fremden Sinn hat Aphrodite uns Maͤdchen in den wartenden Buſen gegeben. So wird meine Chloe den Hebebecher ihrer Jugend nicht dem

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ſpielenden Ather, ſie wird ihn zu koſten geben einem kleinen Menſchenſohne, ihrem Erſtgebornen.“

Nachdenklich ſah Sappho vor ſich hin auf zwei Falter, die einander ſuchend meidend um— kreiſten; ſie ſeufzte wie reife Luft ſeufzt, in der unendlich heißen Blaͤue des Mittags:

„Moͤglich! Vielleicht, daß ſie ihn ſo zu den Goͤttern erhebt.“

Sie waren in das Haus getreten. Im Periſtyl plauderte ſteigend ein Quell. Chloe zeigte den roſenduftenden friſchen Feſtſaal mit rotem Polſter auf blaͤulich geaderten Marmor. Man kam tiefer ins Ende des Hauſes.

Hier war der Vorhang nicht zuruͤckgewichen, ſondern war zugezogen bis auf den letzten Ring.

Chloe zoͤgerte, dann zog fie den Vorhang nicht zuruͤck, nur das Haupt der Freundin ließ ſie vor ſich ein: „Das ſoll unſere Kammer ſein.“

uͤber dem Lager, draußen im Tage ward große Munterkeit. Voͤgel ſchoſſen mit kurzen Anrufen ſchnell voruͤber. Nur bisweilen gab ſich ein Saͤnger auf maſſigem Zweige der Bruſt aufſpannenden Inbrunſt ſeines Geſanges hin. Und alle die Straͤuche neigten ſich einander zu, legten die Finger an die Lippen und hatten was mitzuteilen. Zu vermuten.

Wie ein Juͤngling, ein ſplitternackter Eros ſtand der hohe Morgen unter dem herben Veilchen

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des Himmels; denn der Frühling war noch jung und hatte kaum eine weiße Sonnenfreude, wie ein Segen des Tages.

„Mit alledem zu ſchlafen und mit der Nach— tigall zu ſchlafen und mit der Liebe, die dir auf Mund und Wangen fragt, du Liebe.“

Sappho ſtreichelte ihrer Freundin die a „Sei gluͤcklich!“

Sie waren wieder bei den Maͤdchen. Die uͤbten gerade einen Reigen. Den Reigen der braͤutlichen Hingebung. Der ihnen ſo fremd war und den Spott weckte auf ihren liſtigen Lippen; ihre Wendungen flatterten wie Falter um die Lampe der Liebe; ihre Augen tanzten Feind— ſchaft.

„Pfui, ihr Maͤdchen, und ihr wollt Juͤngerinnen der Schoͤnheit ſein, ihr die ihr alles verzerrt. Solche Schuͤlerinnen verleugne ich.“

Roͤte floß die Wangen der Maͤdchen hinab wie die Wangen der Wolken ergluͤhen, wenn die Stimme der Sonne ihr muͤrriſches Dunkel trifft.

Ein Floͤtenſpieler war hinzugetreten und be— gleitete den Reigen der Maͤdchen, die mit auf— leuchtendem Blicke dankten und nun beſeelt wie Bluͤtengewinde im Winde ſich ſchwangen.

Nun kamen ſie alle, der Braͤutigam mit ſeinen Geſpielen, der Prieſter, Gaͤſte. Die meiſten un— ſicher, forſchend, fremd, feindſelig.

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Der Weihrauch jtieg weich und glänzend mit flammenden Gebeten zu Aphrodites, Sappho wohlbekanntem Thron. Diesmal auch war ſie unter den Bittſtellern. Diesmal flehte ſie nicht fuͤr ſich, ſondern fuͤr die Freundin. Diesmal nicht mit dem Liede, ſondern mit fluͤſternder Andacht, wie ſie kaum als Kind geſtammelt. Denn da war fie ſchon waltendes Wunder und Ernſt des eigenen Reiches, Welt in der Seele und nichts verlangend, wie duͤrftige Sterbliche tun.

uͤberhaupt Chloe in ihrer geruͤhrt fremden Wuͤrde, die ſie ſeit einigen Stunden unter Sapphos Augen geworden, kannte Sappho nicht wieder.

So kindlich. So angeregt. Nie war ſie ſo. Wie ein wo mitgenommenes Kind.

Vertraulich, verwundert, ein mutwilliger Halb— wuchs, hatte ſie den Braͤutigam angeaͤugt: „Du alſo biſt es! Ein herrlicher Burſch. Und wie groß!“

Ihre Augen maßen ſtrahlendberauſcht.

„Du, er iſt einen ganzen Kopf groͤßer als du. Aber hoͤrſt du, behandle ſie gut, meine Abtruͤnnige, meine Apoſtate!

Sie iſt mir zwar fortgelaufen, doch ich ver— trete ſie noch immer.

Schade, eine ſolche Geſtalt, und will Kinder haben.

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Nun!“

Und da der Wächter.

„Iſt das erft ein Burſche! Hat der einen Fuß! Wem der einen Tritt gibt, der hoͤrt ja gar nicht mehr auf wegzufliegen, der fliegt bis an die Saͤulen des Herakles.“

Und dieſe Schuhe. Zehn Schuſter haben daran geklopft und gezogen. Und wie muß der Schneider an ihm e ſein, ihm Maß zu nehmen.“

Das war ſo ein fremder Tag, ſo ein Tag des Anderen in der Sappho und als ſie mit ihrer Dienerin, die ſie abzuholen gekommen war, heimkehrte, da war es eine Heimkehr aus einer Welt der Wunder. So war ihr das Alltaͤgliche!

Simonides und Sappho.

Hurtige Anmut ſtand zwiſchen den edelbleichen, ſchwer und dicht von duͤſtertreuem Efeu ſchmerz— lich wie ein Dichterhaupt voll Ranken der Reihen laſtend umwundenen Saͤulen der Laube.

Die Anmut, mit der die Dichterin Leben ſich gab und Seele, paßte alles in einen Reigen, nichts ſtoͤrte ihren ſchoͤnen, geſchaͤftigen Geiſt. So ſtand die blumig geguͤrtete Magd in gelehrig

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geuͤbter Feinheit da, wie ein Gedicht, ein ſchlichtes, leiſes Hausgedicht. Und freundlich in ihrer ſtarken reifen Stimme Wohlklang meinte Sappho, den zagen Zartſinn zu Worte munternd: „Nun, was bringt denn meine kleine Kypris, das ſie ihrer Sappho nicht ſagen kann?“

„Herrin, ein Mann, der wie Zeus ſtarken Schatten wirft, Simonides, moͤchte dich ſprechen.“

„Simonides, der Dichter?“ forſchte die Dichterin. .

„Das weiß ich nicht, Herrin. Simonides nannte er ſich. Weiter nichts.“

„So iſt er's. Eile und beſcheide ihn her!“

Ruͤſtigſchnelle Schritte, männliche Reihen, die ihres dichteriſchen Sinnens ſproſſen, roͤtliche Laubenraken unter herrſchenden Fuͤßen nahten. Stolzer, nehmender noch als die maſſigen Schlacht— ſcharfuͤße Tyrtaios. Und der große maͤnnliche Schatten blauete wachſend fort die Klematis und ein ruͤſtig dunkles Haupt ſtieg ein in die weißen Haͤupter des Himmels, die krankhaft blendend ſchienen, als haͤtten ſie Kopfſchmerz im umbarm— herzig klaren Olymp. Und lugten aus nach dunkel ſchattendem Gerank.

Er maß ſie, ſeine Hand pruͤfte ihre naͤher.

„Du! Du und ich. ü

Wir muͤßten zuſammen gehen. Du haſt was.

Was iſt Homer ohne Sage?

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Was meine Klage der Danae: dieſes meer— melodiſche Weinen des Mitleids, was ift es ohne Danae.

Du aber bift du. Einfach da du lebſt. Wie ein Kind.

Wie ein großes, weltgroßes Kind.

So muß ich dich nehmen.

Ich biete alles, was des Mannes iſt.“

Sappho machte ſich frei, feſt und ruhig ziehend, und ſteht dem Meſſenden, der ſie nehmen will. Unter heller ſteilgewoͤlbter Stirn wie Tempel— knaͤufe Augen: Es iſt ein Leuchten darin wie von froͤhlichen Blitzen maͤnnlicher Staͤrke.

„Du und ich, nie! |

Du, der Mann, nimmſt mich, das Weib hinweg. Ich halte alles was des Weibes iſt und bleibe,

Meine Kunſt, der deinen reine Schweſter.

Groß und gleich: Geſondert bleiben wir.

Gruͤße des Geiſtes duͤrfen nicht umarmen

Sieh, nach dir himmelgroßwirbelnder Sturm!“

Sie wies, wo Zeus ſein mußte, der die Wolken zu dichteſt Verſammelnde. Weiches und rauhes, fliehend ſtuͤrmendes Getuͤmmel am Himmel.

„Aber das vergiß nicht, Simonides, du ge— faͤllſt mir!

Zur Liebe zu ſehr. Zu aller Liebe.

Simonides und Sappho.

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Du fommft zu mir mit deinem Gedichte, da frochen deine Blicke hin, du aber nahmſt ftatt ſeiner das Wort und ſprachſt Simonides, des Homeros Zwillingsbruder.

Und es war ſchoͤn, was du zu ſagen hatteſt und kein Grund, wie was Feiges dich verſteckt zu halten.

Freimuͤtig wie das blaue Auge des Himmels ſiehſt du mich an, und es iſt Geſundheit darin und Kraft und reines Rieſeln und ſilbrig Schauern in Oliven und in Lorbeerhainen bis oben zu wie ein ſchoͤner Tag.

Und dieſen ſchoͤnen Tag habe ich und lege meine Haͤnde ineinander und bin ſehr ſtill.

So habe ich ihn in meinem Blute.

Sag', Simonides, iſt das nicht beſſer .. ..?

Zwei ſolcher ſchoͤnen Tage: waͤreſt anders du wohl mir gekommen die ſtehen und ſehen und meſſen aneinander ſich als das alles verſchwillt und im Gewitter kommt.“

Simonides wies wo auf Feinnis zitterndes Meer behutſame Haͤnde unzerknittert zart ge— ſpannten Himmel richten. Sein beſtimmt ge— fuͤgter Arm aus herber Chlamys gebot durch blaͤuliche, üppig drohende Wetterwand:

„Sei und wachſe!“ Seine blaͤulich dunklen Augen flammten verwandt:

„Haͤupter des Himmels, goldene Gewitter,

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flatternd welke müde Mohnglut um eisgraue Scheitel unter funkelnden Karnießen .... Sappho aber war auf die Knie geſunken, den verſtoͤrten Blick in die weichend ineinander— gehenden Haine, Lorbeer erſt ſich wiegend, ſchmiegend, Eichen dann, machthart, ſproͤde, zer— brochen. . „Eros, du tuſt weh, meine Seel' aͤchzt und blutet und die ſprechende Sehne klingt hin.

Stoͤhnend auseinandergeriſſene Wipfel, Brauſender Sturmfieg.“

Da beruͤhrt des Mannes Finger pochend den verſtoͤrt geronnenen Scheitel des großen Hauptes, und eine Stimme ſpricht hoch uͤber ihr, uͤberall und in der Runde, zutiefſt in ihr:

Sappho, Gattin meines Geiſtes, Wer kann ein Gewitter halten? Du nicht und ich auch nicht. Und ich bin Gewitter.

Und Du.

Und das waͤlzt.

Und zu Boden zog ſich hin der Starke und zog die ſtoͤhnend ihr ſeelenwehrendes Entſetzen an ſeine Bruſt hinuͤberſchlummernde an ſein hebend Herz.

„Toͤrin, kleine Toͤrin, frage deine Roſen,

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was mehr erquickt: Tau oder bligend raſſelnde Schauer? Ihr leuchtend uͤbergehendes Auge ſagt Beſcheid.“

Hipponax.“)

Kann ein Traum befruchten?

Die Flur der Erde, Urgefilde des Himmels und den Menſchen ſproſſenden Atem des ſehnen— den Weibes?

Und hieß er nicht Simonides? Dieſer Traum und will immer wieder kommen?

Nein, Traum, du unabweisbarer Traum, fort, ich will wachen.

Zu unheimlich und zu verſtoͤrend, gewalttaͤtig und fremd biſt du mir!

Fremd, daß ich mich nimmer begreife!

Fremd in mir!

Gewitterſamen, herrlich draͤngend und keimend wie Gewalt und Wuͤrde die zum Lichte will.

Lachende Kraft einer Leidenſchaft! Wie ſo ein Gewitter blauenden Adel und leuchtende Tiefe, großmuntre Hoͤhe und ahnend atmende Weite, ſtrotzendes Leuchten, deutlich Erneuern,

Hipponar, ein ſehr gefuͤrchteter ſatyriſcher Dichter.

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gehobenen Odem, rieſelnde Geſundheit hat, bis oben zu.

Sappho flimmert und klopft und hebt und atmet wie das Meer zu ihren Fuͤßen, ehe ſie die unten tiefer hinablaſtend ſich roͤtenden zornig verzehrenden Apfel traͤgt, dem Simonides der verwehrte Traum.

So hat ſie Kuͤhle, Ruhe, mitklingende Weiſe der tiefen Genoſſin.

Landeinwaͤrts aber, was draͤngen ſie zu— ſammen die lauteren Glieder edler Haͤuſer? Zieht Hipponar fie an mit dem Gruſelauge, dem feind— lich maͤchtigen Auge der Haͤßlichkeit, daß ſie zu ihm draͤngen wie weiße Huͤhner zur braven Futtermagd.

Wie kann man nur ſo ungeſtalt ſchimpfen, ſo raſend anziehen, ſo bedeutſam verkehren, ſo entſtellend deuten?

Wie kann man nur?

Wie macht er es?

Ob's auch mit gelaͤnge?

Und ſeine Tochter: da mein Vater noch lebte und Hypponax bei ihm mal war, nahe den Prachtguͤtern, die er erſtehen konnte fuͤr ſeine haͤßlichen Verſe, mit denen er anderen drohte: „ſo kommt ihr daran“ wie ſo eigenſchoͤn und feierlich das kleine Maͤdchen war, die ihm zur Seite ging, die Kleis; wie ſie voll die Augen

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ſchlug nach mir und mich umfaßte, da ich bald den Himmel anguckte uͤber dem bluͤhenden Baume, darin ein Vogel ſang ſo mit voller Kehle, daß er uns gar nicht wahrnahm, und ſtreichelnd und Baͤcklein druͤckend, die fromm roten vollen Baͤck— lein dieſes lieben, lieben, grellfremden Plauder— koͤpfchens mit der roten Schleife, ihm von den Bienen erzaͤhlte und was die Falter mir ſagten und wie neulich Poſeidon dageweſen in ſeiner grünen Muſchel . ... und auf einmal war er vor uns, Hipponax, ihr Vater: „Na, Maͤdel, machſt du auch fchon fo dummes Zeug und ſetzeſt meinem Balg das, der Kleis was in den Kopf? Nun, der Erinnys ſei Dank, es gibt ja noch Stoͤcke. Komm!“

Und fort riß er die ſtolpernde Kleine, die nicht zu weinen wagte.

Zu mir aber wandte er ſich und zeigte auf ein Lorbeergebuͤſch:

„Da ſitzt eine ordentliche Gerte. Sag' deinem Vater, er ſolle die abſchneiden und dich damit durchwichſen, was das Zeug halten will; die Tollwut iſt eine Kinderkrankheit gegen Verſe— machen. Und ſchlimm, wie die Weiberſeuche, von der wir befallen werden, wenn ihr uns ins Haus gebracht werdet und die wir erſt wieder verlieren, wenn man euch hinaustraͤgt. Dies die beiden einzigen Tage, an denen Ihr zu genießen ſeid.“

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Ja die Kleis, die kleine Kleis!

Sie muß nun ein ſchoͤnes Maͤdchen ſein, ein ſchlanker Stengel noch keine Zweige tragend.

Gern ſaͤhe ich ſie wieder.

Ob ſie mich noch ſo verſtehen wuͤrde?

Kleis?

Schluͤſſel?

Sonderbar! |

Wozu Schluͤſſel? Zu ihrem Vater?

Und du Kleis, Ding in mir, wirſt du kein Simonides, kein Traum: Nur ein Naͤtſel, ein Raͤtſel wie ich. Dann ſollſt auch du Kleis heißen.

Schluͤſſel?

Mein Schluͤſſel.

Ob ich mich dann wohl verſtehen werde.

Ich Mutter?

Eine Mutter.

Meine Mutter?

Ja wo war ſie?

Was weiß ich von ihr?

So ein ſtiller, ſcheuer Schatten.

Wie ſie mir ſo durchs Haar ſtrich und ich wartete dann, ob nicht was uͤbermuͤnden wollte von ihrer mutterguten Seele auf meine Einſam— keit und früh entbronnen Sehnen. Nie, nie; wie ein eiliger Keiros war es hin das Lieben.

Und dann war ſie immer im Frauengemach

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oder bei den Maͤgden, oder auch den Vater zu zaͤhmen, o ich weiß, das hat ſie viel getan, daß ſein Zorn nicht ſcheltend niederkam auf die nie daheim, die Auslugbewohnerin, die mit ſich ſelbſt und ſtummen Dingen Redende. Und ich mußte draußen ſein, freizwitſchernd unter meinen Ge— ſpielen, den Voͤgeln.

Und wenn ich ihr von dieſem Gezwitſcher erzaͤhlen wollte, wie es war und was, erſchreckt wehrte ſie wie boͤſen Zauber dann mich ab.

Und da ich hinter ihres ſtillen Hauptes kalten Kiſſen ging, da war ein heftig Schluchzen um mich wie ein Gewand, mir ſelbſt, wie leer ich ſei, verbergend: Es war kein Troſt geweſen und nun befreit von Wandel und Geſtalt nun auch kein Troſt mehr zu verhoffen.

So war ich nun fuͤr mich allein und blieb Schlauheit nur und Trotz vor dem Vater.

Mutter, warſt nicht auch du ſo einſam?

Arm, verſchuͤchtert, furchtſam Muͤtterlein.

Komm zu deiner Sappho! Und ſage ihr alles Sie verſteht dich.

Und Kleis auch du! Was wollen die mit ihrem Tierbaͤndigerblick. Dein Vater Hipponar und Simonides. Sie verſtehen nicht und wollen nicht verſtehen.

Auch er nicht, Simonides.

Die ganze Welt verſteht er.

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Danae.

Nur mich nicht.

Die er hatte.

So nun fluͤchtete Sappho in ihr ſeelenbe— gleitendes Saitenſpiel:

Was iſt das?

Sind Knaben in der Luft? Mutwillige Spiele?

Die uns anſtoßen.

Mich.

Ich kann nicht mehr mit.

So Schweres iſt es in mir.

So Fremdes.

Umgetan um anderes Leben.

Bin, Erde, du.

Iſt das Bosheit oder wißt ihr von nichts, Ihr klaren Himmelsknaben?

Iſt fuͤr euch nicht da das Ungeſtalte, Das mich bedroht?

Und doch iſt ein Geſpiele in mir, fuͤr euch. Den geht das alles nicht an, was an mir geſchieht.

Daß aber dieſe Knaben gerinnen zu rohem Spiel: Vaͤter, Hipponax Werfer wie er: daß Männer kommen am Rande der Welt, bärtige

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Geſpenſter, taͤppiſch, zertretend, Verunſtalter das ſchrickt und macht uns argwoͤhniſch!

Wie bin ich mit dir daran, Erde, Meer, deine Blumen welkender Herbſt!

Tauben in der Sonne über Meer ein Streichel- ſchillern ſind der Aphrodite Haͤnde nahe? Seidenfeine Aphrodite-Voͤgel in eurer frommen Fruchtbarkeit ſeid ihr ſo ſicher.

Und in uns das ungeſchickte Herz, uͤber— rannt, ein Beſiegter liegt es unverſehens da.

Heitere Tiefe des Himmels du wirſt mir immer dunkler.

So heiterer, ſo dunkler.

Du verſchweigſt, was doch in dir ruht.

Wie haͤßlich!

Wie haͤßlich muß das ſein.

So mehr du lachſt.

Die Finſternis des Schickſals, du ſcheinſt ſie fort.

Sie iſt doch in dir, man ſieht ſie nicht

Die Fretheit wie Ketten!

Vater Zeus!

Willſt du von deiner Tochter Sappho ſo gar— nichts wiſſen?

Entſchuldige mich!

Und du Aphrodite!

Bin mir ſo fremd, ſo dein!

Nun ſage du!

II, 3 33

Kleis.

„Mein goldenes Mui! Wie du freundlich ausſiehſt? Haft du klein Kleis auch was mit— gebracht?“

„Hier, mein Kind, einen Kranz, fuͤr dein kraus klein Koͤpfelein.

Von deines Vaters Grab-Stelle.

Wie's da ſich anſchmiegt wie an ſein liebes Haupt das Treugerank des Efeus: ein Kranz der Ehrfurcht hegt und liebend ſucht ſein Dichter— haupt.

O wie ich ihm danke nun: Dich, dich mein Kind. u

Daß da was munter ift, das ohne mich nicht da ſein ſoll, das durch mich hindurch gegangen iſt und aus mir hat.

Und aus jenem Großen, Starken, Fremden.

Der dich nie hat ſehen duͤrfen.

Verzeih, ich war ſo Haß.

Von ſeiner Liebe.

Daß er dich mir hat angetan:

Er Überfluß und Luſt, du Blume meines Schoßes, ich Schmerz und Arbeit ſo hatte er keinen Teil an dir nachher. Und da er ſo bat und ich ſah, ich konnte ihn quaͤlen mit dir, da fing ich an, dich ſchoͤn zu finden und mit hin— geriſſenen Worten von dir ihm zu kuͤnden.

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Dein Herold ward ich um feinen Drang zu feinem in mir geftaltetem Leben zu entfachen zu blutiger Glut: ſo hielt ich ihn gefangen und verheimlicht-ferne dir.

Kléis, du weißt nicht, da du noch nicht wußteſt, da war ich gar nicht Mutter zu dir.

Dein hilflos Haͤßliches pfui, wie haͤßlich! Und dein ungefuͤges Rufen, das mir in meine Neigen fiel, ich mied es weit, daß es mich nicht erreichen konnte und uͤberließ der Dienerin zu verſtehen, zu gewaͤhren, zu verwehren, ganz wie es der groben Seele danach war.

Und ſie war feiner die grobe Seele als meine feingeſtimmte.

Und dann kam deine Seele, ein Lebenswunder, und da ich froh und ladend ging, den Vater holen, nun eins da bat er nicht Hellas ſtand an ſeinem Lager und jagte eine Traͤne, die immer wieder kam, und die Geſtalt verzitterte, die wie bald hindannen iſt und nie wird ſie wiederkommen.

Kléis, Schatz meiner Reue, du mein Geloͤbnis, du mein Gluͤck, du biſt mir ſpaͤt gegeben. So muß ich lange deinetwegen weilen.

Komm erſt nach ihnen allen, die meines Tages ſind, mein Leben dir zu holen, Tod!

Und wer dich mir rauben will, Kleis, dann gar ſchoͤn muß er fein, ein Phaon; doch was weiß ich von der Liebe?

3* 35

Zuviel.

So frage ich und geſchweige meine beiden wilden Wellengeſchwiſter uͤber dem ſterbenden Herzen.

Sinnen.

So alles ſchoͤn zu finden und Jugend, Fruͤh— ling und Reigen, und wahr hingenommen zu ſein, gar ſchwer iſt das.

Und nicht vorher erwachen.

Haltet mir der Schoͤnheit Schlummer.

Kein Erwachen.

Das Unerſchloſſene.

Da lauert Hipponax.

Es iſt leichter. Kein Tragen mehr, kein Halten. Da alles Zerbrechen.

Da wuͤrde ich Trauer tragen.

Und nicht lachen koͤnnen.

Keinen Scherz finden.

Verſtoͤrtheit, eine wehe Seherin.

O Kaſſandra, Schweſter du!

Gell und geſprungen und das Bedauern und das Heil, das ich in den Scherben ſchaue.

Schlimme Nachbarn, ſchließet eure Tuͤr!

Simonides, du traͤgſt die Welt, auch wo ſie haͤßlich war, du traͤgſt ſie ſchoͤn in ſtarkem Geiſt.

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Dein Tragen war ſchoͤn. Und ich muß die Welt ſchoͤn haben, ſonſt laſſe ich ſie fallen.

Thalatta, Thalatta!

„Laß mein Herz nicht in Liebesnoͤten,

Hehre, verſchmachten!“

Feier flehentlicher Seele ſtand nach Weſten, ein faltenſtarrend Standbild, geronnen im wehen Wunder, daß die Zinnen riefen, die immer roſen— gluͤher uͤberlebten Zinnen des Weſtens uͤber dem feindiſch zitternden Graben des Meeres.

Da wie ein Blitz, nicht droben auf den Zinnen: auf ihrer Hand. Sie ſtaunt auf ihre Hand, die große Ungefuͤge, die ſie ſo lange hat ertragen muͤſſen. Nur wenn die Kitahara rief, da war ſie anders, behend und frei: eine Juͤng— lingshand, die des Apollo.

Und dieſer friſchgewaltige Juͤngling Phaon mit auferſtauntverehrenden Kinderſeelenaugen.

Ihre Seele ſchwankte.

Das Goldgefaͤß fuͤr die Lieder zu ſtark, zu ſchwach fuͤr den Zuſtrom der Liebe.

Sie entriß ſich, winkte mit der Hand, die ſie grenzenlos fuͤhlte, grenzenlos wie das Meer ſich

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heranbewegt fie mußte ſich retten vor Freude, Schreck freundlich, verheißend, bittend.

Es ſtroͤmt uͤber ihre Seele, uͤber ihr Antlitz, weinend Roſen, Sonnenweinend.

Nicht nun: erſt ſammeln!

ſtark werden! Spaͤter, Spaͤter! Das Gluͤck, das Gluͤck!

Und immer wieder darin der erſtaunt kind— liche Blick: wie Roſen fiel es darüber, lauter Roſen, duftend oͤlige Spaͤtroſen ihrer großen ſchoͤnheitreifen ſpaͤten Seele.

Das greiſe Hirn der Nacht, das zerwuͤhlte Lager!

Die einſame Ampel, Vertraute verhaͤrmt ge— hobener Stunden, zu aufdringlich!

Dunkel, dunkel!

. „Sie fühlt 15 8 den ani kindlichen Blick, beſorglich, fragend, viel eigentlicher.

Langſam wandelt es die Zuruͤckgetroffene von dannen.

Von dannen wandelten die Beiden.

In Zypreſſen ſchwinden ſie wie muͤde Leiden.

Und in Lorbeer und in Myrten.

Nun ſteht ſie da, wo die beiden wohl ge—

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weilt: wie bleiche Gebeine, die Sirenen gelaſſen, ſinkt ſie tiefer nieder in den Abgrund.

Und aus der Stille waͤchſt die Stimme des Abgrundes, klagend, ſtillend.

Und wachſend, immer wachſender quillt aus des Weſtens Wunde Himmelsblut.

Das ganze Meer, traurig grauſam, iſt Blut, Blut der Welt.

Gute Nacht, Sonne! Du hohe Sonne! Gute Nacht, Meer! Du tiefes Meer!

Kosmos.

Elementarlied.

So leichthin laͤchelnd Geſetz darin. Und es iſt eine Welt geronnen.

Den Goͤttern iſt eine Welt gelungen, Wie mir die meine.

Und ihre Qual,

Denn die haben ſie.

Qualen tragen die Schoͤnheit. Ungeheuer.

Und ſchaffe nicht auch ich?

Dein bluͤhendes Schickſal.

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Dein blauer, tauender Frieden Himmel lächelt Schmerzlich geſchloſſen,

Und peitſcht mich wieder hinweg von mir. Und all meine Lieder trinken bitteres Waſſer. Ruhlos peitſchenden Mißklang.

Und roͤten gereizt uͤppige Gewitterblumen

Zu hohen Ahnungen auf.

Ihrer Kelche verwegen ſchwellenden Purpur: Tief in die Bruſt.

Brennt nicht ihr boͤſes Feuer,

Das boͤſe Feuer des ſchwarzen Gewebes, Und ich finde nicht Ruh’

In allen den wandernden Wogen

Des auseinander—

Geratenen Meeres.

Und es waͤlzt mich meine lechzende Seele, Wie der heiße Leib der Hoͤhe

Roͤtlich ruhlos

Welkt zuſammen die wuchtenden Waͤlder Grellaufſchreienden Geſtades.

Sophokles

Der Areopag lauſcht. \ Kriſtallklar klingen die edelwuchtigen Tetra— meter. Wie Voͤgel des Zeus und des weisſagenden

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Apollo flattern die Chöre auf, die groß wie ein Schickſal ſich loͤſen und binden.

Und ſo wiegt ſich der leſende Greis ſtark und gelind auf der tragenden Anmut ſeines großen Werkes.

Sogar der Atem des Lebens wartet in der fuͤhlenden Bruſt, um nicht zu ſtoͤren den friede— rauſchenden Loͤſeſang des Odipus von Kolonos.

Weihe der Andacht im Richtſaale des Areopags.

Sophokles hat geendet.

„Hier, ihr Richter, meine Verteidigung!

Iſt das Werk beſonnen oder iſt es das Toren— werk eines Mannes, der von Sinnen iſt, der der Verwaltung ſeines Vermoͤgens enthoben und ent— muͤndigt werden mußte?“

Nun wandte der Sprecher ſein aͤtherhelles, weltuͤberhobenes Auge zu der Stelle, wo vier ſchwarze Augen ſcheu den Boden ſuchten. Deutend frei hob ſich ſein Arm aus ſchneeweißer Chlamys; denn ſeine Bruſt hatte nichts zu verbergen. Auch das Alter nicht. Seine Glieder waren hell und friſch und wie fernes Feuer bluͤhte ſein maͤchtiges Haupt durch das feingekraͤuſelte Haar, das wie Aſche auf klarer Glut war.

„Und gab ich dem Knaben, der mir den Becher einſchenkte, ein Talent, ſo waren ſeine Lippen mir junge Roſen, ſo habe ich von ſeinen Lippen nur Schoͤnes und Liebes gehabt.

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Was aber erhielt ich Freundliches von euch, die ihr alles haben wolltet, was mein iſt?

Was gabt ihr mir, meine Soͤhne?

Vielleicht, daß ich hier bin?!“

Der Alteſte der Richter erhob ſich:

Wie konnten wir uns wohl erkuͤhnen, uͤber dich zu Gericht zu ſitzen?

Wir ſagen nun: wir ſind nicht wuͤrdig, dich frei zu ſprechen, Vortrefflicher!

Aber verzeihe uns, o Freund der Goͤtter, wir handelten nach dem heimiſchen Nomos, nach der Vaͤter Satzung, die auch dir heilig iſt.“

In froher Wuͤrde und klarem Juͤnglingsfeuer allergroſſenen Geiſtes gab der Greiß zuruͤck:

„Gern ihr Maͤnner, willfahr' ich euch.

Selig die Stadt, die ſich Richter weiß, denen die erhabene Dichtung Beweis wird.“

Der Richter aber erhob die Rechte: „Selig der Achtzigjaͤhrige, der ein Hoͤchſtes ſchrieb und ſprach wie er! Solange du weilſt, Vortrefflicher, kann es der Stadt nicht fehlen, deren Sohn du biſt. Denn ſo lange iſt ſie der Liebe der hehren Athene ſicher. So moͤge denn Zeus,“ betend hob er und mit ihm alle betend die Arme, „ſo moͤge denn Zeus dein Leben fchonen, unſeres Ruhmes Edelſten!“

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Goliath, der Wiederauferſtandene. Bibliſche Burleske.

„Was haſt du zu lachen?“

So Mammuth, deren beſorgte Blicke dem Ungeheuren gefolgt waren, wie er hereingewankt kam und ſich auf einem Seſſel niederließ, wo er ſich in haushohen Wogen eines unſtillbaren Gelaͤchters erging.

Endlich konnte er erzaͤhlen.

„Dieſes kleine Volk der Wanderer, die Hebraͤer: mit mir wollen ſie kaͤmpfen, mit Goliath, dem Sohn des Starken. Nein, wie putzig!“

Und heftiger flogen die grellroten Falten ſeines Ballettroͤckchens vom Kriegerſchurz.

„Nun, ich will ihnen den Gefallen tun und mich meſſen mit dem, den ſie als den Staͤrkſten mir entgegenzuſtellen haben.

Doch ich will's ihm leicht machen.

Er ſoll einen ſchnellen Tod finden.

Drehe, Mammuth!“

Und Mammuth drehte, daß die Funken nur ſo pfiffen von der bedaͤchtigen Breite des Schwertes und der vorwitzigen Lanzenzunge.

So wirft der Steuermann bei Weſt-Nord-Weſt das Steuerrad herum, wie Mammuth nun die eilig ſteigende Kurbel des rauhwangigen Schleif— ſteins herniederdruͤckt. Er hatte ſich die Braut

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zugeeignet, als fie eben ihrem Bräutigam zugeführt wurde und ſich begnügt, dieſem einmal von weitem mit ſeinem Speere zu drohen.

Der Tag brach an.

Wie ein Liebespaar auseinanderfaͤhrt vor der Stimme des Vaters, ſchieden Himmel und Erde aus ihrer verſtoͤrten Umarmung—

„Ruͤſte mich, Mammuth!“

Und wie ein Kellner ringt im Schweiße ſeines Angeſichts, bis er den Pfropfen einer ſpinnwebe— behangenen Flaſche erleichtert geboren, alſo zog Mammuth an Riemen und Spangen des feſt— umwoͤlbenden Panzers.

„Alſo einen Ochſen zu Mittag; nicht an- brennen laſſen, hoͤrſt du!“

Aufgeloͤſt in Traͤnen wankt Mammuth zuruͤck zum Lager ihres ungeheuren Wehs.

ES 1: *

War das ein Blaſen und Schmettern! Der gluͤhrote Morgenhimmel dichtete den Schlacht— geſang, Fanfaren der Feindſchaft ertoͤnten wilder und wilder, immer hoͤhniſcher.

Trompeten ſchrien ſich heiſer.

Hilflos waͤlzte Goliath ſeine ungeheuern nachdruckvollen Augaͤpfel.

„Ja, wo iſt er denn, der Judenrieſe?

Das da?“

Und Goliath ſetzte ſich faſt nieder, um ſich

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auslachen, um bequemer die Wehen feiner Er— goͤtzung uͤberſtehen zu koͤnnen.

Darob verfinſterte ſich der Knabenblick vor ihm. Noch mehr zuſammen zogen ſich die Zuͤge des entſchloſſenen Geſichtes. Die Sehne der Feindſchaft ſpannte ſich und das Auge der Schleuder ward leer und ſteckte blaͤulich wie das Auge eines Polyphem in des Rieſen Stirn.

* # BE *

Wo war er? Nicht zu Bett? Hatte er ge— trunken? Und als er ſeine Stirne gruͤbelnd rieb, fuͤhlte er Naſſes. Grau daͤmmerte das Morgenrot.

Nun ſah Goliath auf ſeine Hand.

Das war ja Blut!

Und langſam, wie eben Rieſen denken, ent— ſann ſich Goliath.

Der Knirps von vorhin!

Nun erhob er ſich, denn in ſeinen maͤchtigen Eingeweiden grub der Hunger wild.

* . *

Goliath nähert ſich dem Hauſe. „Was, Klageweiber, uͤbernaͤchtige Klageweiber?“ Und er reckt die Zunge den umgehenden Gaſſenjungen.

Die Hals uͤber Kopf davon, Tuͤcher und Zwiebel laſſen ſie im Stich.

Dann uͤberfaͤllt ihn Angſt.

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Sollte

„Mammuth, Mammuth!“

Und ſie faͤhrt empor von ihrem Lager, auf das ein kurzer, heißer Schlummer nach den Anſtrengungen ihres Wehs und Jammers ſie geworfen.

„Hilfe, ſein Geiſt!“

„Naͤrrchen, keine Spur von Geiſt.

Ich bin's, dein Goliath.

Aber nun dalli, Weib, ich bin hin!

Zwei Hammel, den Ochſen!“

„Du lebſt, und wir wollten dich wieder holen laſſen. Diesmal mit vier Ochſen.

Zwei ſind ſchon unter dir zuſammengebrochen.“

„Ach ſo, darum auch war mir's mal ſo, als ob etwas an mir herumgefuhrwerkt haͤtte.

Aber nun dalli, Weib, dalli!“

* i: ER

Noch lange ſprach man von Goliath, dem Wiederauferſtandenen.

Aber auch die Staͤrke findet ihren Sieger und der heißt Zeit.

Als er nun hoch zu Jahren gekommen, und es nicht mehr fo recht gehen wollte mit den. Feldzuͤgen, da tat Goliath, der Veteran, eine Schenke auf, die erſte im Lande. Er nannte ſie „Zum blauen Kieſelſtein“, und thronte wie ein

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zufriedener Göße hinter dem Schenktiſch, und nur, wenn er dem Gaſte vorn an der Tuͤr den trockenroten Becher fuͤllte, mußte er ſich etwas vornuͤber neigen.

Dann erzaͤhlte er von ſeinen Fahrten und Taten, und ſo war ſeine Jugend wieder lebendig, und ſeine Gaͤſte ehrten und liebten ihn.

Am liebſten aber ſprach Goliath vom kleinen David, der dann ein ſo großer Koͤnig geworden. Und ein ſanftes Laͤcheln ging uͤber ſeine unge— heuren Zuͤge; ſeine noch immer wie eine friſch— rote Wunde wildroten Lippen wurden milder, wenn er mit leiſer, zaͤrtlicher Stimme liſpelte:

„So 'n kleiner Knirps! Haͤtte mich beinah totgemacht!“ |

Der beſchenkte Amor.

Weihnachts⸗Humoreske.

Pſyche brannte die Bruſt, als ſei heißes Wachs darauf getraͤufelt, als ſei dieſe friſch verſiegelt. Das war, ſeit aus ihrer roͤtlichen Tonlampe das gluͤhende Ol hinabgeronnen auf ihres dunklen Beſuches, auf ihres naͤchtlichen Amors Bruſt, als gelte es einen Salat anzu— richten. 5

Sie mußte ſuͤhnen.

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So ſaß fie denn bei eben dieſem Laͤmplein Nacht fuͤr Nacht auf, bis die zaͤrtlichen Juwelen ihrer innigen Auglein ſich betruͤbten und die zarten Finger, deren Wonne war, in den krauſen, kniſternden Locken ihres Vermaͤhlten zu wuͤhlen, ſchwarzrote Stiche aufwieſen, die ihnen die Ent— ruͤſtung ungeſchickt gehandhabter, alſo miß— handelter Nadeln zu verſetzen pflegte, denn in Pſyches Ausbildung war die Erlernung des Haushalts boͤslich verabſaͤumt worden.

In den bedachtloſen Tagen des goldenen Zeitalters gab es eben noch keine beſſeren Familien.

Sanduhr nach Sanduhr rinnt aus: ſie ſitzt noch immer. i

Da ein leiſes Klirren der Tür: Huſch, Huſch in die Federn! |

Sollte er doch uͤberraſcht werden fpäter!

Und nun mußte Pſyche heimlich lachen, wie ſie ſo reglos dalag auf dem Pfuͤhl, der eben erſt zu ſchelten aufgehoͤrt hatte uͤber die jaͤhe Stoͤrung ſeiner Ruhe, und ihre regelmaͤßigen Atemzuͤge den unſchuldigſten Schlaf von der Welt heuchelten, lachen, wie er ſo leiſe war, o ſo leiſe! |

Wie er behutſam den Bogen abjtellte und die im Koͤcher klirrenden Pfeile die wohl gern noch ein wenig plaudern mochten von ihrem

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Siegen tagsüber, fortrug, fo ſanft, als feien es Kinder, die irgendwo eingeſchlafen ſind und nun aufs Lager gebracht werden ſollen.

Die zarte Ruͤckſicht ruͤhrte fie.

Das ſollte Schuldbewußtſein ſein!

Und wie er gleich einſchlief!

Das konnte ebenſo gut von der Arbeit ſein, wie

Doch er hatte noch niemals einen Namen gefluͤſtert im Traum, wie aͤngſtlich lange ſie ſeinen Schlummer bewacht.

Nun, bald waren ihre Waffen fertig.

Wie die erſt wirkten, wuͤrde ſie mehr von ihm haben auf alle Faͤlle!

**

Das Feſt war da, die attiſche Weihnacht. Die froͤhlich kniſternden Kerzen auf den nervig— feſten Aſten des Treueblanken Myrtenbaumes dufteten nach Hymetuswachs und kuͤndeten die Sonnenwende der Winterſonne.

Wie ſie ſich weidete! So rupfen auf den kraͤuterreichen Haͤngen des Daygethus Ziegen— herden in wuͤrzigen Buͤſcheln; die Hirten aber tun kraͤftige Zuͤge aus harzig riechenden Schlaͤuchen, und das ſchwaͤrzliche Feuer herben Weines ſendet in die ſiebenreihige Sehrings des einſamen Ver— langens maͤdchenanlockendes Lied.

II, 4 49

Amor ift außer ſich. Seiner liſtigen Auglein ſtolzer Frohſinn begleitet den leicht zur Seite ſich biegenden Schritt ſeiner weich den zarten Fuß umſchmiegenden Hausſchuhe, auf deren Firſt ein Vergißmeinnicht auf ſchwarzem Grunde leuchtend rankt.

Beſonders das Pelzen war ein Meiſterſtuͤck. Pſyche konnte ſich nicht ſatt daran ſehen, nicht ſatt ſehen an der Umſchrift, einem Liede der Sappho, das Pſyche mit Perlen und Traͤnen hineingeſtickt.

Das Lied aber hieß:

„Wie der Sturm im Walde die Eichen ſchuͤttelt, Alſo ſchuͤttelt Eros im Buſen immer,

In der Seele brandender See das Herz der Klagerin Sappho.“

Immer und immer wieder rief Pſyche: „Wie ſuͤß!“ warf ſich an ſeine Bruſt, deren warme Ebene ihre Lider ſchloß zu ſeligem Traum, nahm ihn beim Kopf und kuͤßte ihn ab nach Herzensluſt: So feierlich, ſo drollig wuͤrdig kam ihr vor der Gebieter ihres Herzens und ihrer Sinne, und dann dieſe ehrbare Hauskrone, die ſie ſelbſt ihm geſtickt.

Dann wickelte er ſich in feinen Schlafrock, ſucht mit dem Nacken die uͤppige Schlummerrolle, uͤber die wie ein Kranz die ſinnige Inſchrift ſich

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windet: „Nur ein Viertelſtuͤndchen“ und verfucht ſelig laͤchelnd einzuſchlummern.

Und ſo bleib es: Amor blieb den ganzen lieben Tag zu Hauſe, zog die h auf und ſchnarchte.

Ja er ſchnarchte!

Alſo Vorteil hatte Pſyche nicht von ihrer Gabe.

Koͤcher und Bogen verſtaubten.

Alle Herzen wurden wild,

Keiner, der ihr Sehnen ſtillt.

An Anderung war vor der Hand nicht zu denken, ſo dauerhaft waren die Sachen gearbeitet. Pſyche aber hat ſich heilig vorgenommen:

„In meinem Leben keine Stickerei wieder!“

Salome. Bibliſche Novelette.

Das dunkle Koͤnigreich der Nacht. Da herrſcht die Seele, die grenzenloſe.

Wie laſtet der Purpur, wie duͤrrt die Seide, wie verarmt die Pracht, die lebenloſe einſame Pracht!

Und das Begehren wird ſo heiß, als ſei es uͤber Feuer gewandelt und fuͤhlt ſich wie Schuld, jo heimlich ſchwuͤl mit ſtockendem Atem.

Ein zarter, alabaſtergelblicher Finger graͤbt

1* 1

fich in blauſchwarze Locken, ein unerſaͤttlicher, wiſſender Blick ſtroͤmt aus.

Boͤſe Stille!

Vor ihrem Haſſe ſteigt auf der wilde ſchoͤne Schwaͤrmer-Faun, den ſie den Prediger der Wuͤſte nennen.

Adonis!

Ein Venuszorn berechtigt ſich in ihr.

Und die rote Ampel ſticht und ſticht, bohrt und bohrt.

Und die Luft ſo druͤckend, ſo heiß wie das gluͤhende Blut in ihrem Leibe.

„Will er mich leiden laſſen, mich die Prinzeſſin, ſo muß er ſterben. |

O Johannes, Johannes!“

Endlich kommt der Morgen bleich wie ſie und damit ein wenig Schlummer.

Was die lange Nacht geweigert, ein wenig ſeiner Kraft genuͤgt, es zu gewaͤhren.

Bad und Salben!

Und ſo berauſchend ſtieg ſie in den hellen Morgen und aus dem hellen Morgen verlangend, buͤckend in den ſchickſalsbangen Kerker.

„Nun, Starrſinniger, noch immer harte, ſonderbare Bußworte, die der Juͤdin gelten, da doch nichts vor dir ſteht als roͤmiſcher Sinn und helleniſche Weiſe? Noch immer die Schrullen deines maͤhnenwilden Hauptes? Und ich, ich will

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deine Seufzer, du Starker, das Zittern will ich deines maͤchtigen Herzens vor mir, du einſamer, du keuſcher Sonderling. Fuͤr mich ſollſt du ſein, hoͤrſt du? Iſt denn das ſo ſchwer?“

Und ſie laͤchelt.

Und Johannes, eine hohe, in der Wuͤſte ſehnig gereifte Geſtalt, beim Fuͤrſtentochtereintritt feſſel— blockerhoben beginnt mit tiefer, weicher Kraft— ſtimme:

„Fuͤrſtin, du weißt, ich verachte nicht, denn Liebe ruͤhrt mich, und ich moͤchte dir fuͤr deine ob zwar wilde, toͤrichte Neigung das Beſte wieder— geben, was ich anzuwuͤnſchen habe, das Heil. Mein Wort, mein rauh bereitendes Wort, daß Flitter und Buhlerei von dir pralle, ſo daß endlich deine Seele zu Tage erſcheine und Heil begehre und das Zeichen der Reinigung von mir annehme.

Dann auch wuͤrde ich das Hoͤchſte, was ich mir erkenne, mein Gebet, dir ſchrankenlos ſchenken, mit ihm Tag und Nacht vor Gottes Gnadenthron liegen, daß deine Gnade wachſe!“

„Ach ſchon wieder der Bußprediger!

Aber warte nur, auch ich ſchicke dir meinen Bußprediger den Roten, mein Lieber den Henker!

Bis dahin, Schatz, gehabe dich wohl!“

Und Simſon ward geraͤcht an ſeiner Dalila.

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Eine Aphrodite von Landſchaft duftete am Teich und die Sonne atmete durchs Laub, warm und verſchaͤmt wie eine Braut ſich lehnt an gluͤcklich pochende Bruſt.

Heiter hoͤhnende Blumen, grauſam ſprießender Saft. Blauvolle Luft!

Das alles hatte fein Recht und ſie? Sie? Verelendete, Verelendete um ſo einen rauhen Sonderling.

Und entſchloſſen ging ſie hinein.

Sie wollte nun Ruhe haben einen Schnitt! Fort mit dem Gliede, das ſie aͤrgerte, des feindlich verweigernden Sinnes wegen an dem es ſaß!

Verwundert ſah Herodes, der ſeine ſemitiſchen, faſt aſſyriſchen Locken kurz gebietendem Roͤmertum noch nicht zum Opfer gebracht hatte, auf.

Was beginnt ſie? Und wie ſieht

Da klirren die Kettchen und ſchimmern und flimmern die Falten am ſpielenden Stoff am tanzenden Neckergewand. Die Hand, wie ein Schmetterling faßt ſie die wiegende Seide, die zarte, die fluͤſtert: „Tu mir nichts zu Leide!“

Falte und Glied ſchwingt ſich in Anmut und flieht. Und die Regung gedeiht zur Bewegung: ein freundliches Laͤcheln irrt .. . eine Meduſe, die freundlicher wird Und nun verduͤſtert aufs Neue drohende Finſternis dieſe Mienen, die eben fo lockendverlogen erſchienen .. . ein Meduſen—

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haupt, von Schlangen umlaubt, in edelentſetzlicher— ſtarrender Treue.

Und er erwacht wie aus magnetiſchem Schlaf. Schwer ſeufzend, ganz aufgeloͤſt faſt betaſtet er ſich. Und nun im Rauſch einen praͤchtigen, vollkoͤniglich ſiegelnden Kuß auf ſchlaues gluͤhendes, eng zuſammengezogenes Dulden.

Und zitternd fait, jo reißt er offen alle Tore des Gewaͤhrens: „Was willſt du, Salome, was willſt du für deinen, deinen deinen ſeelenaus⸗ ſaugenden, wunderbar koſenden Tanz, was will meine Tochter?“

„Was er wert iſt und galt Johannes' Haupt!“

„So nimm es!“

Krank und erſchoͤpft, mit Wunſch und Zu— neigung zugleich am Ende wendet Herodes ſich ab und ſchwankt auf.

Doch zufrieden, ja uͤbermaͤßig froh und der nun gleichguͤltigen Verdrießlichkeit ihres Stief— vaters nicht achtend, eilt die noch vom Tanze gleichſam Leichtbeſchwingte von dannen eine Hore, die zu raͤchen hat, eine Pandora, des an— mutig vernichtenden Auftrags froh.

Und ſie ſelbſt eilt zu ihm.

Er ſieht ſie nicht an, er kniet nieder und betet.

Er ſteht noch eine Weile und geht heraus

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betreten. Faſt will ihr Triumph fie nun doch nicht freuen, weil er ſo wenig wirkte.

Und groß, edel, zwiſchen ſich und dem Hoͤchſten allein, verweilt hochgeſchloſſen und frohgeſammelt, da nun nicht mehr durchs Amt der Stimme des Rufers in der Wuͤſte der Koͤnigſtadt an ſich ſelbſt behindert und auf die fremdkleine, wandelnd immer wieder auseinandertretende Erde gelenkt, ſo weilt der Starke, Markige, und in ſeiner herbablehnenden Schlichtheit faſt etwas Wilde, der zu ſehr Mann iſt und voller Einfalt der Einſamkeit fuͤr eigentliche Froͤmmigkeit, ſo weilt er, bis der Abend dunkelt und ſtill der Rote winkt.

Und es ward zwiefach rot.

Und warm mitleidig rundete zart ſich nieder der fruͤhe Abend wie die Wange eines traͤumenden Engels. |

Und nun liegt Blut auf ihrer Liebe, Blut auf ihren Naͤchten. Sie ſtoͤhnt nicht in Ge— wiſſensbiſſen. Aber ſo unzufrieden, unruhig, fremdartig iſt ihr, ſo ins Ode gewandelt. So ein ſeellos Leben, ſo fauſtiniſch, ſalbenbang, ſchwuͤlovidiſch. Sie muß ſich betaͤuben, Herrſcher— ſtolz hochziehn, was fie früher in uͤppiger Boͤſe, aber eigentlich ſchuldloſer Maͤdchenhaftigkeit noch nicht noͤtig hatte.

So kleinlich, kleinlich kommt ſie ſich vor im Grunde, ſo krank und ſcheu.

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Dann aber wieder als ob das von Einft, das Tiefe, Große, das Blut von damals ſie aus der Ferne hoͤbe, gleichſam veredle.

Und als ſie Greis geworden, auf den Tod zaͤhlt, kommt ſo etwas Banges, Weiches in ihr Sinnen wie ein Wiederſehn zwiſchen ihr und dem ſeltſamen Weigerer.

Ja, das Wiederſehn?

Ahasver⸗Veronika.

Ein Symbol.

Segni il tuo Corso Dante. Heiß, unbarmherzig heiß, in gedraͤngter Neugier ſteigen die Haͤuſer. Sie richten ſich auf die Zehen und ſehen einander uͤber die Schulter. Beſonders die großen ſtolzen, die der Qual die Bahnen be— meſſen, haben ſo ein ſattes, behagliches Grinſen, ſo was Verruchtes, das den witternden Fluch an— lockt, den blindantaſtenden, den dann bis zu Ende Weilenden. Bis er ein anderes Wild wittert. Nur ein Haus, das ſaͤt nicht nieder die Heuſchreckenſchwaͤrme ſummender Neugier. Das hat ſtille weite Bogen von rotſchwarzem mager:

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faſrigem Holze und möchte alle feine linden Polſter bringen, wollte nur die gedrängte Gaſſe ihr Opfer hierher durchlaſſen.

Mitten in dem Zwiſchenbogen uͤber der Pforte duftet langſam und herb wie Trauerweih— rauch eine faſt ſchwarze, zugeſchloſſene Roſe in ſilberner Kanne ihr abgeſchnittenes und vom Garten hergetragenes Leben hin. Dieſe Roſe gruͤßt ſein Blut, und neben ihr, niedriger, vor dem anderen Bogen, da rieſelt unter Weiden, zu Boden geſunkenen babyloniſchen Weiden trauernden Haares, der Quell des Mitleids.

Mal ein ſtaͤrkeres Raſſeln, und in die ſchweigend ſtarrenden Trauerfluten bohrt ſich, ein Strahl aus Feindesauge, ein Erzblitz, boͤſer als andere, die lange Grane von einer beſonders hohen Ahre des Mordes.

Da faßt es ſie, wie es Schatten faßt, ſchnell oͤffnet ſie eine Lade, waͤhlt ein Tuch und huſcht hindannen. Kaum fuͤhlen ſich die nachverwunderten Stufen beruͤhrt.

Nun kein Summen mehr; Geſchrei und Schmerzen aneinander erſtarkt, haͤlt vor dem Hauſe wie eine aufgetuͤrmte Welle, wie das rote Meer, und iſt es nicht ein ſolches?

Sollte er doch kommen, der Gaſt?

Iſt ſie gegangen, ihn einzuholen?

Es ſchleppt an, das gebeugte Haupt, gebeugt

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vom ſchmerzlichen Hohne der Dornenkrone, mit Knien wund von der Goͤtzenanbetung, der niederen Dienſtbarkeit der anderen und hat ein Antlitz: wunderweh.

Durch Wolken des Staubes und Blutes lauter Sonne goͤttlicher Liebe; der ſtechend grelle Staub wird feucht von ſeines Lebens roͤtlich grauen Traͤnen, und ſtechend laſten blutgebunden rings um Wunden ſchwere Strähnen.

Und da nun dem reinen Traͤger des Neides der Menſchen nun der Seele Liebe, des Weibes Mitleid begegnet und ſeinem Leiden das Tuͤchlein hinhaͤlt, ſo tut der Mann der großen Schmerzen alles hinein, was ihm die Menſchen angetan: es iſt aufgehoben.

Und mit muͤrriſcher Staͤrke traͤgt Simon der Cyrenaͤer die Laſt des ſchleppenden Balkens. Seine Liebe iſt in ſeinen Armen. Dem Leibe, da kann er nichts abgeben von ſeiner Seele.

Er kennt den Menſchen ja gar nicht!

Nur, daß er ſchwach iſt, ſeiner Laſt nicht gewachſen.

Der zarte Koͤrper zieht an die Liebe des Starken.

Schon ganz oben, zunaͤchſt dem Stadttore, der Schmaͤhpforte, wohin nur ſelten ein Pilger ſich verirrt, um ſeine durch lange Wege ver— ſchliſſene Sohle zu erneuern, wo eigentlich nur roͤmiſche Soldaten den widerwilligen Dienſt des

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flackeraͤugigen, verarmten Leviten in Anſpruch nehmen, der hoͤheres Anrecht am Tempel fuͤhlt, als irgend ein anderer, ausſchließlicher, und deſſen Sabbatlampe ebenſo boͤſe gluͤht, wie die ver— droßne Schuſterkugel, da tritt es hinaus vor den Zuſammengeſunkenen:

„Nein, das gibt es hier nicht.

Seine Schwelle verunreinigen.

Da, ein paar Schritte weiter, da iſt das Tor.

Da kann er ruhen, ſolange er will, den ganzen Tag, am Kreuze.

Der Gotteslaͤſterer.

Pfui!“

Er ſpie nicht aus in das goͤttliche Antlitz, die roͤmiſchen Soldaten mochten ihre ſchutzbereiten Haͤnde ruhig wieder einziehen, denn Ahasver rannte, rannte mit ſeiner eigenen Wildheit heulend, haarreißend, wie einſt Kain wohl getan haben mochte.

Und Ahasver ſchirmte nicht einmal das Zeichen.

Veratmend nieder, irgendwo an Baum und Stein. Und Schlaf goß ſich uͤber die Kohlen ſeines gluͤhenden Hauptes. Verſtoͤrt gluͤhten ſie bald wieder auf: die Lohen des Traumes.

Und immer Jeſus voruͤber und immer dieſer wehe vernichtende, dieſer ſtrengfuͤhlende Blick.

Und nun wieder auf mit Haſen, mit Jaͤgern, mit Verfolgern, die im Fliehen die Ver—

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brecher ſuchen, bis fie den Verſtoͤrten nach durch— ftöberter Haſt entließen.

Ein ſcheues Brot feldmuͤhenden Erbarmens, ein hingeworfener Quell weiter!

Die Augen blieben.

Zwei Sterne:

„Sieh in dich, ſieh in dich!“

Er traf einen Trupp vertriebener Maͤnner, Weiber, Kinder.

Hinter ihnen fraß Flamme, was die Raͤuber nicht mochten.

Er nichts hinter ſich, ſie nichts vor ſich.

So zog er mit ihnen. Blieb, wo ſie raſteten, ſichtete: da iſt Weide, milder Boden. Wald zu Huͤtten.

Weilend half er ihnen aufrichten. Graben. Weiden.

Ohne Stecken trat er den Woͤlfen entgegen.

Leider biſſen ſie nicht.

Auf einem Maultier, das ſich die Gemeinde fuͤr den Markt gekauft, fuͤhrte er die Fruͤchte des Feldes zum Verkauf.

Schmiede kamen und Zimmerleute, Toͤpfer fanden guten Lohn. Blumen wuchſen heiter, Perlenſchnuͤre. Man fand Zeit, ſich daran zu freuen und verſtand ſich auf Mittel ſich darin hervorzutun. Und Ahasver uͤberall als Berater, ſorgend ohne Entgelt. Er war ihnen alles, fuͤr

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fich nichts. Sie waren fein Werk, darin fand feine Seele Raſt.

So ward er Obrigkeit, ſo war er Frieden. Und es waͤhrte nicht lange, ſo mußte er einen Tempel errichten laſſen im kleineren Maßſtabe, aus dem Gedaͤchtniſſe, denn der Berg Zion, laͤngſt fchon war er eine Stätte der Verwuͤſtung geworden und ewigen Wehs.

Und Mauern ſtellen ſich um die Stadt, da ihr deuchte, nun ſei ſie groß genug. Sie hatte ſich verrechnet. Und neue Haͤuſer ſtellten ſich vor die Tore.

Da kam ein Erdbeben: das Tal ging zwei— mal hin und zweimal her, als ſei es ein Meer und Sturmflut.

So zog Ahasver mit ſeinen Schutzbefohlenen zuſammen, arm und nackt wie ſie gekommen.

Aber ihrer waren viele Arme.

Und ſie zogen zwei Tagereiſen fort in einen Wald. Gar bald aber verſtummten die Voͤgel: das Klopfen da hoͤrte gar nicht auf. Das konnte denn doch nicht immer der Specht ſein! Richtig, die braunen Ekels! Und hackten ihnen die Staͤmme weg, die Staͤmme, wo ſie ihre Neſter drauf hatten. Und murrend, widerwillig zuwartend, wie weit die Frechheit nun wohl gehen werde, wichen ſie weiter. Hirſche, Rehe, Eichhoͤrnchen und Voͤgel. Und immer kamen die da nach und

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ganz kahl machten fie alles. Und weit fortge- zogen war das Grüne, ganz weit hinweg, daß nach allen Seiten nichts mehr zu ſehen war. Denn in der Naͤhe, da war man ja doch nicht mehr ſicher. Und ſah gleich aus, als haͤtte man Ausſatz wie die da drinnen. Hatten ſie aber einen ſolchen, den brachten ſie nach außen vor ein Tor und taten ihn zu den „übrigen, die auch fo weiß ausſahen und abfielen. Da draußen noch ſtaͤrker als drinnen. Lange hatte das Gruͤn da draußen nichts mehr von Menſchen geſehen und gehoͤrt. Es kamen wenig Wanderer voruͤber, Wagen gar nicht mehr. Da ging das Gras auf Kundſchaft. Vorſichtig, bedacht. Aber die Halme waren nicht groß genug, ſo ſchickten die Baͤume ihre Kinder auf die Waͤlle. Die ſtellten ſich da auf die Zehen. „Koͤnnt ihr noch nichts ſehen?“ „Nein, wir ſehen erſt auf die Mauer. Waͤchter ſind nicht darauf.“ So wuchſen fie ſchnell noch was, daß fie auf den Markt ſehen konnten. „Leer. Nichts zu ſehen.“

Wie ſie da winkten, wie ſie ſich anſiedelten, ſich einklemmend in alle Riſſe, ſprengend mit ihren Wurzeln. Die dickſten Steine mußten weichen. Und in ganzen Schwaͤrmen flog das Gras heruͤber und ſiedelte ſich an auf dem Markt— platz, und die Voͤgel halfen fleißig mittragen, wo nur eine Ritze war zwiſchen zwei Steinen,

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da ſtellten ſich wie grüne Wachen gleich die Halme herum.

So zieht die Erde wieder ein, was die Menſchen ihr nahmen

Seltſame Altaͤre loderten auf: Menfchen: opfer des Geiſtes, mißfarbig und mißduͤnſtig. Verklagend ſtieg das Blut zu ſeinem Schoͤpfer. Verunſtaltet und kriechend kam es an da oben. Und aus dem Blute kam die Peſt und verſtoͤrend entſtellende Krankheiten. Fremdartige dunkle Gebreſte des Leibes und der Seele kamen uͤber die gottgrimme, magergroße, verrenkttiefe Zeit, die triefaͤugigen Tage. Wenn ſo was war, ſchloß Ahasver ſich ein vor ſeiner Blindheit, vor ſeinem Verbrechen am Sohne des Menſchen, daß das wieder lohte und johlte und ſich wider ihn wandte. Hier litt Ahasver am meiſten, wie ein Mitſchuldiger des Haſſes kam er ſich vor.

Bauten der Entſtellung, Geſtalten der Ver— wahrloſung verftelen.

Nun iſt nur noch, was des Menſchen iſt, Hallen der Menſchheit gruͤßen die Hoͤhe der Himmel.

Und Ahasver, der Staͤdtegruͤnder an ſeinem Zederwanderſtab vergißt ſich in all der Weite der Schoͤnheit: Die Enge ſeiner Feindſeligkeit, ſeines grollenden Stammes, ſeiner geiſthaſſenden Satzung.

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Im Auge rauhe Wuͤſte rannte er fort. Altes Weh und alle Kindlichkeit zieht in ihn ein die er angeſiedelt, ihre Zeitalter werden ſeine Ge— ſpielen.

Noch ſproßt er in weichſteigendes Gruͤn.

Noch einige Jahrtauſende, und es ſchreitet ein leuchtender Weiſer zu regeren Kindern klarerer Zeiten, zarteren Bauten. Und wie er daſteht am Ende der Zeiten und ſieht den geaͤderten Marmor der Hoͤhe, der letzten Wand, die ge— blieben, ſein Wandern und aus dem Geflecht der Staͤmme, die aus Wildſeligkeit und Wildheit ſich hinangeſtaltet zur Menſchheit. Ganz zu Ende war auch noch ſein Stamm eingeſchlafen, der ſchroffe, geiſtverweiſende, ſpottend an den Raͤndern ſuchende; ſo will Ahasver ſich niederlegen. Licht ging auf die Wand, weich aufloͤſendes Licht um ein Antlitz, das nur Gott der Verzeiher der Welt zeigen kann. Eine uͤberirdiſche Hand fuͤhrt ſanft ein lindes Tuch uͤber die Furchen des Suchens und Sehnens, dieſes Geſichtes, da die Erde ward: „Nun ſchlafe auch du!“

Wie froͤhlicher Aufbruch war es herauf von der Stadt, der Aufbruch des Lebens in die Gefilde des Geiſtes.

Wie Wandervoͤgel, wie Schwalben ſich be— raten.

Laͤchelnd lauſchte Jeſus herab: „So bleibt

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noch eine kleine Weile, ihr meine lieben jüngften Soͤhne und Toͤchter, ihr meine Menſchen. Er, der euch gefuͤhrt bis hier, der euer Siedeln liebend— weiſe uͤberwacht, muß noch ſchlafen. Ihr beduͤrft ſein nicht weiter, Kinder, gewiß, das nicht, nein. Meint ihr nicht, er moͤchte immer mit dabei ſein, wenn ihr noch einzieht durch das Tor der letzten Verwandlung, wo da nicht mehr iſt die Mauer des Leibes? Wollt ihr das ihm antun? Das er allein erwacht? Nicht mit euch iſt nun von Anbeginn, wie er das bis ans Ende war? Und dann ſo ein Aufbruch das kommt nicht wieder. So verweilt noch, ſo haltet eure Braut— ſchaft des Geiſtes! Was dann iſt, was ihr dann ſeid, ohne Weh und ohne Sehnen; neue Geiſter fuͤhlen zu Anfang hart und nuͤchtern. c Wie ſanft er atmet! Wie ein Kind. Tauſend— maltauſend Saͤemaͤnner ſind die Jahre dahin— gezogen die Furchen ſeiner Stirn, und wie ein Strom der Weisheit faͤllt ſein weißer Bart zu Boden. So iſt auch nun er, er wieder heim. Zu Veronika. Sie ſoll ihm ſein Erwachen deuten. Still, kleiner Buchfink!“

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Antinous.

Im großen Reich die ferne, dumpfe Provinz. Am Welthof der Sklavenmutter, der Sklaven— ſchweſter.

Wie druͤckend die es haben moͤgen?

Und Hadrian wehrt ſo verdrießlich ab die mehr mit den Augen und um den Mund, als mit den Lippen flehenden Wuͤnſche: die Heimat hierher zu bekommen!

Er will keine eigene Welt um den Knaben, der ihm eine Welt ſein ſoll!

Und das große Roͤmerreich, wie weit es haͤlt; und der Gram mit dem Graͤmlichen; die friſch— fremde Ehrfurcht vor dem Eigenen, Feinen, Tiefen; unbefriedigt ein alle Kuͤnſte und Wunder durchblaͤtterndes Haͤrmen; alle die, die zu dem zaͤrtlichlauniſchen Machthaber wollen und ſeeliſch nicht zugelaſſen werden; dieſes Welken von dem feierlichen, feindſelig verſchloſſenen Welken, dieſes Entſetzen vor der muͤdſchrillen Stimme und wie er nach Maͤdchen verlangt und wie dieſe kichernd wie vor was Unreinem vor ihm fliehen! Veraͤchtlich weitereilend, nicht lockend verſagend wie er ſelbſt ſich ſo ſonderbar iſt, ſo einzig! .. und bald dann nimmt auch er ab und wird nicht mehr ſein oder was ganz Haͤßliches, wie verbrauchter Hausrat Fortgeworfenes. So das

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Alles ohne es zu wiſſen, in ſich, ſchreitet er wie eine Elegie, wie ein erleſenes Gedicht, wie ein verhaltener Tanz ſich wiegend auf Huͤften, die von zoͤgernder Trauer einer Vollendung gewoͤlbt ſind und die ſinnend des Vergaͤnglichen inne iſt, ſo elegiſch ſchreitet Antinous in den waͤrmlich ſchwellenden, befruchtend bebenden Nil, den Fluß geheimnisvollen Quells, der ſich als Meer ſieht und keimend als Erde fuͤhlt; ſo ſchreitet der Juͤngling, der verwirrt ſich als Weib findet, in dem zu große Schoͤnheit Kampf hat, in den Nil!

Nah dem Sphinx bringt er dem Fluſſe ein Raͤtſel, das er nicht loͤſen kann: feinen Leib! Und roͤter und roͤter wand ſich die ſchauernde Flaͤche wie von Blut.

Antinous ſank, die Sonne ſteigt!

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N EN

Ss N 7

Sterne find Gottestaͤnzer.

.

Suche die Erde im Himmel, ſo wird dein Leben ein Paradies, und dein Wille ſchafft ſich jubelnde Himmel.

*

Eine ſchlafende Verklaͤrung kann Gott nicht brauchen, nur ringende Himmel von Ewigkeit zu Ewigkeit, Kaͤmpfe, die Frieden ſind.

*

Gott leidet nicht den Satan, wohl aber der Satan, der Geiſt der Abſchnuͤrung von Anbeginn, Gott.

Großdichtung iſt immer Gottesdienſt. Kommt nun noch die willensſtarke Selbſterkenntnis der Myſtik hinzu, ſo ſtrahlt zeitenbegabend die Kunſt.

*

Wundernatur waͤchſt in der großen, dem lebenden All zugerichteten Seele, da keimt der

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Garten Eden, worin nichts abſtirbt als das Unkraut und nichts ſtolzer gedeiht als das Ge— waltigfaltenloſe, Kinderguͤtigallbezwingende, uͤber auf die Umgebung. Auf einmal fuͤhlen wir: wir haben noch nie ſo wenig unter dem Heute und Morgen geaͤchzt, nie fo heiter, fo feelenruhig, ſelbſtgenug und doch voller Liebeserwiderung uns gefuͤhlt, wie nun.

Das Schickſal, das erſt ſo bloͤdſinnig ſich anſtellte, beginnt nach unſerer Floͤte zu tanzen. Zuverſicht und Kraft halten ſich die Wage.

*

Gott will nicht die Verſtuͤmmlung, ſondern die Vollendung unſeres Weſens.

1 1

Wir fuͤhlen unſere Laͤuterung, eine Kohle zum Diamanten wachſen, unſer Bodenſatz iſt ge— ſchwunden.

En

So kraͤnklich und gefährlich der ſubalterne Spiritismus ſein mag ſo geſund und heilſam iſt die hohe Myſtik, die nicht Geruͤſt und Apparat mehr kennt, nichts als Gott und ſich.

21·

Zu dieſem einen Geſetze hatten meine Ge—

danken mich gebracht. Aber es blieb leblos. Da regte ſich mein Wille und auch droben ward es lebendig. Da brach mein Selbſt hin, uͤber die Maßen wertlos erſchien es mir. Überreich erhielt ich's wieder, ein Leben Gottes und gotthaft.

*

Unheil und Bosheit laſſen fich ſchwer be— greifen, es ſind gleichſam Ausſcheidungen Gottes. Aber auch dieſes Duͤſtere wandelt ſich langſam edler. Gott iſt groß, er verliert und verdirbt nichts von allem Leben. Er ſtraft und lohnt auch nicht, an ihm wird alles Geiſtesgute lebensgut, alles Geiſtesboͤſe, hier oder nach dieſem Wandel— paß der Erde im rein geiſtigen Kreislauf, leidens— boͤſe, und dadurch wieder edel. Das Laue muß ſich entſcheiden, Philiſterhimmel gibts nicht. Es gilt auch nicht die Einzelſchoͤnheit, die der Philiſter kennt, die muß uͤbers Haͤßlichſtarre zuruͤck zum Allſchoͤnen. Kraft der Einzelbosheit bildet zeit— weilig Geiſter der Bosheit. Kraft des Allſinnig— guten ſchafft Gottesgeiſter voll Macht und weiter Segnung.

Dieſer Kirchenſtreit und Kirchenſtarre iſt ein Zeichen; ſie verſtehen das Geſetz nicht, das Satzungsaufhebende, kleben Satzungsſchicht auf Satzungsſchicht, reißen ſie wieder ab, finden aber

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den lebendigen Grund nicht, den nur die Myſtik erſchließt. 22

Naturalismus iſt die Schminke, Myſtik, die ftille Myſtik, die nichts fo widerlich findet wie Salvation Army Laͤrm, das Antlitz, das Geſetz des Lebens. Ihr Dichter iſt vorwiegend Dante, der ſchon im Fleiſche den Geiſt dichtete. Er iſt der fuͤhrende Dichter des Geſetzes und der ſchoͤnen Gerechtigkeit. Die Myſtik kennt keinen Prieſter— ſtand. Aber wird ſich deshalb der echte Prieſter über fie ärgern? Argert ſich der Arzt über die Geſundheit? Die Kunſt iſt zu vornehm zum An— ſtaͤndigen, ſo iſt die heilige Myſtik den bloß „Frommen“ ein Greuel. Eine Spinne der All— macht ſpinnt die Seele aus der Zeit der Ewigkeit.

*

Nur die Dichtung des Geiſtes begabt die Voͤlker, die weiterſchreitenden, nicht die Anſaͤtze und die in den Manieren der Dichter feſtklebenden Werke der Heutigen. Auch das Weib ift dichtbar, nur muß man mehr geben als ſchwaͤrmeriſches Fleiſch.

*

Ein einfam fchaffender Dichter geht bereits

den Weg der Hebung.

*

Nur Starke dürfen ſich dem Innenleben zu— wenden, Seelenkruͤppel bilden muͤde Kirchen. +

Der Schuler der Myſtik ift ein Afrikareiſender der Seele: er betritt einen Urwald, der ihn erſt nach Jahren als Gefoͤrderten entlaͤßt. Und all dieſe Zeit muß er an ſich arbeiten, dem hohen, ſtillen unſenſuellen Geiſt-Ich. Das iſt noch un— erquicklichere Arbeit als das unbegriffenſte Kunſt— ſchaffen. Auch der roheſte Fakir, der ſich von den Toten erwecken läßt, gibt Kunde von der. Überwelt. Gott iſt die Liebe, ſtarke Liebe, aber nicht gutmuͤtig. Er iſt elementar, nicht ſentimental. Keine Suſe. Er iſt das Weltgemuͤt und liebt

den Mut, iſt aber nicht gemuͤtlich. | *

Myſtik iſt ein weiſer Rauſch, kein tauber, kein welkender. Spiritismus iſt etwas Sub— alternes, Kraͤnkliches, geſund die hohe Myſtik.

Gott iſt der ewige Geiſterfruͤhling.

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Was zur Hoͤhe ſteigt, bohrt zugleich in die Tiefe.

+

Der Himmel iſt kein Lokal.

*.

Gott ift das lebendige Märchen.

2

Die Welt lebt, nicht die Erde, die Sonne: wohl aber das Gute, das Boͤſe.

+

Gott iſt die Speiſe der Geifter.

*

Satan ift eine Stimmung, die über die Gott— (ofen herfaͤllt, ſowie des Leibes Schutzdach faͤllt.

1

Weltanſchauung?

Erſt mußt du klar ſein, dann ſiehſt du die Welt klar. |

Von Gott aus glätteft du die Welt fo ruhig, fo ſchlicht, ſo ganz wie die Sonne die Dunkel— heiten der Erde entfaltet.

*

Warum iſt die Myſtik noch nicht da, warum iſt die Gottesempfindung noch verfehmt in ihrem eigenen Hauſe? Der Freigeiſt, iſt er einmal aus der Kirche herausgeſtuͤrzt, meidet ſie, bleibt ihr fern.

Die Kirche aber ſcheut ſich, aus der Reihe ihrer Vorgaͤnger herauszutreten und empfaͤngt ſo nur den letzten Abglanz Gottes.

1.

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Das Geſetz keimt durch die Gebote,

*

Katechismus! Eine gelehrte Religion iſt an ſich verdaͤchtig.

*

Gott ift der Alp, der die Menfchheit drückt und dem die phantaſtiſchen Traͤume zuzuſchreiben ſind, an welchen wir Menſchen laborieren.

*

Gott und der Teufel ſind die Schenkel des Zirkels, mit dem der Chriſt ſich die Welt aus— mißt.

Wenn ich uͤber einen Friedhof gehe, iſt es mir, als wenn ſich alle Lebensgeiſter um mich

ſtritten. 21.

Gott, die warmen Quellen des Lebens, laß ſie dein Rinnſal erwaͤrmen, und tränken die Voͤlker der Sterne.

EN

Jedes Quentchen Kraft iſt 1 ein Quentchen Welt mehr.

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Die Regung unſeres Geiſtes iſt Weltgeſetz, das wird Sittengeſetz.

Der Teufel wird Wirklichkeit in mir durch den leiſeſten Hauch eines niedrigen Gedankens.“ Ja, Worte kann ich mit ihm ſprechen.

Gott ſucht Welt, Geſpielen.

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Was fuͤr eine ſtarke Natur muß Gott haben, daß er die Geiſter aller Welten ertragen kann, die von ihm zehren.

2.

Religion iſt Jubel, Leidenſchaft, die Loͤcher in unſer Weſen reißt, daß wir bald das Gewand der Hoͤhe ertragen koͤnnen, das ſonſt, ein Neſſus— gewand, dem Unfertigen die Haut vom Leibe reiße, in der ſchmerzlichen Flamme des Giftes.

%

Tierſeele, Pflanzenſeele, Berufsſeele, unferer Kindheit: der Urgrund iſt gemeinſam, ſchweig— ſames Schauen. Denn ſelbſt wenn ſo ein Stand, der des Fiſchers etwa, des Bauern, ſeine Stimme fände, feinen Dichter, fo würde dieſe Stimme immer einer Ausnahme angehören, einer Ausnahme die eben dadurch, daß fie fich erhebt, nicht mehr

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Fiſcher ift noch Bauer, ſondern Dichter. Auch dieſen Stand kann er beobachten wie andere, hin— zubeobachten zu dem Urgrund, der den Dichter macht, den Menſchen. Weil Shakespeare ſo eine Weltſeele war, wurde er eine Sammelſeele, faſt allem gerecht. Goethe iſt der Haushalter deutſcher Bildung. Ein bewußter Hellene mit vorbildlicher Sorgfalt lebte er Menſchentum, ein weltauf— faſſendes Weſen.

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Licht ſchon iſt Feſt.

=

Was das Felt geichrieben, kann der Alltag

nicht leſen. *

Ich komme von den Sternen und bringe den Weiheduft der Unendlichkeit mit.

Eine Seite, wie's ſo iſt.

Gottesfurcht iſt Gotteslaͤſterung.

Kinder und Tiere fuͤrchten ſich, die immer nur Einzelnes ſehn, in Bewegung finden.

Solange fuͤrchtet man, wie dies und jenes herunterhaͤngt: Blitz, Hagelſchlag, Krankheit, Tod.

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Weiß ich nun: Ich ſtehe nicht unter dem Geſetze, ſondern darin, bin ſelbſt Geſetz, nichts trifft mich außerhalb.

Und was da herumſtreift und ſchweift, mich packen und mir vorbeiziehen kann, das geht mich nichts an. Mir kann das nichts anhaben; um ſo unverwuͤſtlicher bin ich, um ſo mehr ich ſo bin.

Da iſt alles eines und feſt.

Nur das Loſe fuͤrchtet man.

Das Geſetz: nun iſt alles eines und feſt.

Leben!

Nicht Leben haſchen, es feſthalten zu wollen wie Knaben einen Schmetterling, wie Nietzſche etwa, wie Knaben einen Schmetterling; dann laͤßt es wie der Falter das Lied ſeiner Schwingen, den holden Hauch ſeiner fliegenden Freiheit als Staub in deiner Hand.

Liebe: zwei im Fliegen zu neuem Leben Geeinte. |

Nein, alle Pulſe geregt und dabei nur ſich tun, was unſer iſt.

Da erheben wir uns wie eine aus den Waſſern ſteigende Inſel.

Ich fuͤhle eine in meiner reinen Tat wach— ſende Kraft.

So ruͤcke ich ein in die Welt.

Sich freimachen erſt, dann ſich in Bewegung ſetzen.

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Hat man mir aber einmal alles genommen, was mein Eigenes war, und dafuͤr Fremdes ein— geſetzt, was anderen beliebte, was nie bei mir anwachſen wird, was ſoll ich damit, was ſoll ich das in Bewegung ſetzen?

Moͤgen die's doch tun, die's in mich hinein— geſtopft haben, als ſeien ſie der Jaͤger und ich der Wolf, der die Großmutter gefreſſen hat. Und nun was rumpumpelt in meinem Bauch? Und nun die Wackelſteine eingeladen kriegt.

Ich und ein Wolf!

Und doch, Großmuͤtter koͤnnt' ich ſchon freſſen und Großvaͤter dazu, daß es lichter iſt und Welt iſt vor Urvaͤterhausrat.

Ein Traum.

Heute Nacht war ich mit meinen 48 Jahren noch immer auf dem Pennal, fuͤhlte mich dabei als wohlgefeſtigter Dichter und dabei Gymnaſiaſt. Dann fuͤhlte ich, wie im Traum einer mich

mit aller Gewalt davon abbringen wollte.

Ich aber ſagte: nein, denn jeder Begabte muß das Weſentliche ſchnell erreichen koͤnnen; das iſt das Gymnaſium ſich ſelbſt und jedem Strebſamen doch ſchuldig. Da ich auf der Klaſſe dazu in

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aller Ewigkeit nicht kommen würde, jo wollte ich das Maturum machen.

Erſt Dichter, dann Abiturient!

Hatte der Traum ſo ganz unrecht?

War er nicht vernuͤnftiger als ein Dutzend Kultusminiſter des preußiſchen Staates?

Neligion: „Ich heiße Peter. Das heißt Fels. Und ſo ein Felſen, ein feſter, fuͤhlender, das Wirkliche, Gott fuͤhlender Fels will ich ſein; zuſammengehn, daß nicht ein Blaͤschen in mir bleibt.

Gott will ich haben, wie ich ihn nur haben kann und mit ihm die jubelnden Wunder ſeiner Welt. Es gab eine Zeit. Da lagen um mich truͤbe Wege. Alle fuͤhrten in Verlaſſenheit. Ins Elend. Bis ans Ende dieſer Tage. Und weiter. Dann ins Dunkel.

Ins grinſende Dunkel.

Die Religion iſt der Anker des Lebens.

Es war die Stunde dafuͤr.

Die erſte.

Von 8—9.

Die Kirche dunkelte noch.

Über den Hof.

Ich werde aufgerufen. Ich ſoll die Beweiſe fuͤr das Daſein Gottes angeben. Das konnte ich.

Das heißt was man jo nennt. Den ontolo— giſchen, den phyſiko-theologiſchen.

„Halbeiſen“ weilt lange bei mir. Die erloſchenen

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Kohlen, die drohenden mißtrauiſch bohrenden Inquiſitoraugen laſteten auf mir. Entzuͤndeten ſich nicht. Mit notgedrungener Gerechtigkeit ſtellte ſich eine langſame 3 in ſein ſchwarzes Notizbuch. Es hätte auch eine 2 fein koͤnnen. Bei Danne— mann mit dem bedaͤchtigen Entenſchnabel und der niedrigen wie dicke Milch gerunzelten Muſter— ſchuͤlerſtirn ſicher eine 1. Denn ich ſtand mich nicht gut mit ihm. Er verabſcheute mich aus vollem theologiſchen Herzen als Freidenker und der Lateinlehrer in ihm noch beſonders als Freund deutſcher und anderer Dichter.

„Denken Sie ſich, Ihr Sohn lieſt Horaz als Dichter.“

Du lieber Gott, als Freidenker! Da muß man Beweiſe daher ſagen, die man innerlich widerlegt. Da wird man jeden Morgen zur Meſſe kommandiert, alle ſechs Wochen zur Beichte, da ſehen es alle alten Weiber, die in der Gymnaſial— kirche ſo eine ganz beſondere Herzſtaͤrkung ſuchen: „Der geht nicht mit herauf kommunizieren, der hat die Abſolution nicht bekommen. Was mag er nur verbrochen haben? O, o!“ Achtmal im Wirtshaus geweſen. In dieſe jaͤmmerliche Freiheit muß man ſich fluͤchten und in einem billigen Lucifertum ſich fuͤhlen: „Gott hat die erſten Menſchen ins Paradies geſetzt und wieder hinausgejagt, er hat die Sintflut uͤber ſie geſchickt, er mußte doch wiſſen, daß ſie

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fündigen würden. Wie kann man einen Mord be— fehlen, einem Vater zumuten, einen Sohn zu toͤten? Ja, es war nur eine Probe! Alſo eine Luͤge.“

Mit dieſen Spitzfindigkeiten am Woͤrtlichen muß man ſich abgeben, weil nicht der tiefere Sinn geſagt wird, ſo ſtark war die Liebe Abrahams zu Gott, daß.

Oder mußte man als Primaner nach ſo und ſoviel Jahren aus der Dorfſchule die Sertaner als Meßdiener amuͤſieren? Nein, die Religion muß lebendig bleiben.

Das Gruſeln knabenhaften Wagniſſes, eines billigen Lucifertums, die Neugier und Eitelkeit einer Lieblingsphiloſophie waͤre nicht ſchlau. Wie aber, wenn man um die ungeſchickt verbliebene Form, den halb theologiſch gehobenen Katechismus und das bißchen Kirchengeſchichte, kleinliche Sittenpolizei fuͤr die lebende Religion nimmt? Abſtirbt im Herde, ein kalter unbehaglicher, wind— durchtoſter Bau? Allein im Suchen nach der Hoͤhe, die in uns iſt und draͤngender Jubel von hier zu da, von da zu hier, kein Prediger, eine Weltenwonnen ſchlagende Nachtigall, ein Franz von Aſſiſi, ein William Blake, die tagelang dem juͤngſten Stuͤndlein entgegenſingen, Lieder der Zugvoͤgel, Melodien nicht von dieſer Welt!

Und ſo das zu hoch fuͤr die Lehrer iſt, ſo doch hinuͤberdeuten in das Wiſſen unſerer vielfinden—

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Sr

den Zeit. Zeigen, wo das Wiſſen zu Ende geht, wo wir unſer Leben verlieren muͤſſen, um es hoͤher wieder zu finden.

Einen Gipfel erſteigt man, wir muͤſſen hoͤher, alſo heißt es fliegen.

So fuͤr unſere ſelbſtſuchende Zeit laͤßt ſich viel finden.

Die Liebe hoͤret nimmer auf.

So ganz aus der Religion herausgebildete Anſiedlungen haben ſo einen ſehnſuͤchtigen Zug; widerlich iſt es, wo das Wort toͤnt, die Sache laͤngſt tot: man tut Welt und hoͤrt Gottes Wort nebenher, ganz ohne Arg, als koͤnne und muͤſſe das nun auch ins Leben dringen.

Es ſteht in der Bibel.

Und da mag es ſtehen.

Sonntags geht man mit großer Selbſtgefaͤlligkeit in die Kirche, und mit dem erſten Loͤffel heißer Suppe iſt die ganze Predigt fortgeblaſen.

Anders in kleinen Gemeinſchaften, deren Leben von goͤttlicher Anordnung durchſonnen iſt. Große Betriebſamkeit, Geſchaͤftsſinn, aber gelaſſen, ohne Laͤrm, ohne Ausſchreitungen.

So bei den Herrnhutern.

Noch mehr bei den Quaͤkern, deren Brüder: ſchaft auf wildenfreundliche hilfreiche Gerechtigkeit, auf chriſtliche Ziviliſation aufgebaut iſt.

Auch die Sonne iſt geiſtlich. Wenn ſie ſich dir ganz beſonders widmen kann, da iſt ſie viel klarer, ſelbſtſtaͤndiger, verſchiedenartiger die Tage geſtaltend als in der Weltſtadt, wo ſich in ihrer Maſſe die Menge ſelbſt vergiftet, und auch die Sonne bleich, krank, nervoͤs und eintoͤnig ſcheint.

Krank den Kranken.

Gewiß, die Sonne ſcheint den Gerechten wie den Ungerechten, und doch iſt ein Unterſchied darin wahrzunehmen.

Ganz beſonders weilend, innig und ſtreichelnd uͤberwacht ſie indes die ſinnigen, vom Jenſeits getroſten und von Ewigkeit wehmuͤtigen Pilger— wohnungen derer, die da wandern, waͤhrend ſie weilen.

Gedeihliches Hausweſen, zufriedenes Vieh, ohne Laͤrm ihres Weges gehende Arbeit, die kaum noch einer leiſen Anweiſung bedarf, und daruͤber eine leiſe, Gebete zitternde, ſo friſche, ganz beſonders zarte Luft.

Oſtern! Lenz des Geiſtes, wieder in einander ſpielt das Feſt der Natur, das Feſt der Seele, die Weihe im Freien, die Weihe des Menſchen.

So liegt eine Weisheit, die nicht mehr von dieſer Welt iſt, uͤber dem geraͤumig und doch

86

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traulich nah zuſammen gefundenen Weiler drüben,

die aͤußerlich ſo gar nichts von Wiſſenſchaft weiß und uͤber die Bibel, die bewaͤhrten Worte eines Fuͤhrers nicht hinauskann, nicht hinaus will. So kann auch eine Gegend in Gott ruhen und Seele bekommen durch die Seele des Menſchen hindurch.

Über den faſt ſchwarzgruͤnen, wie gezogenen Sichtſaum, flammt ſchraͤg anſteigend ein gold— flaumiges Woͤlklein.

Und immer reiner, immer maͤchtiger entzuͤndet ſich die Glut. Die Wolke betet und verzehrt ſich in Gott.

Und nun ſtrahlt in neckiſcher Innigkeit in eines Kindes ſchelmiſchen Frohſinn ein weicher Blitz, und in gruͤn duftender Goldflut ſchießt die Oſter— ſonne auf und hoͤrt den frommen Geſang, hoͤrt die feierlich frohen gemeinſamen Klaͤnge der Poſaunen, und alle Blumen, die aus den Herzen der in Gott Ruhenden aufgeſproſſen, bewegen ſich zum Gottwillkomm.

Dieſe erſte Stunde des Feſtes gehoͤrt den Toten, der großen Familie; die feiern alle gemeinſam. Das Leben anatmende Brautpaar legt in zartem Geloͤbnis unzertrennlicher Treue die Seele in die Hand der Liebe. Um nicht zu ſehr unterzugehen im Heiligen halten ſie einander aufrecht.

Und doch was gehoͤrt an heilige Orte, wenn nicht die Liebe?

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Mutig und ernſt ſehen die Ruͤſtigen in die Aufloͤſung hinein, der ſich die Gereiften der Seele, die Alten von Tagen ſchon ganz uͤberlaſſen haben, die ſie ganz nahe fuͤhlen.

Muͤde und das bißchen flatternde Unruhe über dieſe Wiedergeburt, in Vertrauen geborgen.

Ganz ſtumm die Kinder. Sie wiſſen hier nichts anzufangen. Spielen koͤnnen ſie nicht, und das Beten, das ſie allein oder mit Mutter ſo niedlich fromm zu geben wiſſen, iſt ihnen ſo anders hier vor der Gemeinde. Kinder kennen nur eine Gemeinde, die des Spiels.

Das Gebet der Kleineren noch halb vergeſſenes Engelswerk, den Alteren ſchon der fromme ge— ſammelte Sinn, der die Wirbel des Lebens, die Bedraͤngnis hinanvertrauender Seelen wittert.

Und ſo ſpringt's voran dem durchſonnenen, langſam dem Leben wieder zuſchreitenden Zuge. An der Spitze die Knaben und Maͤdchen der Mitteljahre, die nicht mehr ſo engelhafter Natur und noch nicht ſo engelreif von Seele ſind, als die Kleineren und Groͤßeren, die ſo ganz nur Spiel ſind.

De profondis.

Traͤume ſind fremdartige Gegenden. Wie wir da ſo grell, jaͤh, flackernd, albern bewußt, toͤricht

88

im Vordringen unſerer Handlungen, fo ſchwer in ihren Außerungen ſind, wie wir ſie entzwei machen und umfaſſen!

Das gibt Zuͤge die eigentlichen. Das Nebenher. Das benutzt das duͤſtere heitere Aneinanderreihen unſerer Vorſchul-Ewigkeiten.

uͤber den kahlen Berg. Auf verlaſſen grundloſer Heerſtraße, wo die Baͤume noch im Amte blieben, die unſere Jugend zudecken mit ihrem Wachstum, ſo daß wir fremd ſind in der Heimat, dieſer wehmuͤtigen Verwandtſchaft der Erde mit unſerer Seele. Ein kleiner frierender Ponywagen ruͤttelt hilflos dahin. Kaum Schatten immer Unheimliches mitzuteilenhabender Zitter— pappeln.

Stiefmuͤtterlich, unbeſeelt ein Vorwerk, dann und wann bearbeitet wie von Verbannten.

Verwittert neu, gelblich ungeſunder Kalkſtein, kein frank menſchliches Auge der Menſchheit, kein Fenſter, nur tuͤckiſche Dachlaurer zwiſchen den kalken graulila Sandplatten der Scheunendaͤcher.

Graugeriſſene Furchen der Erde, ſchwer unter den Furchen der kahlen, verwandten Berge. Kreiſchend rote Vogelbeeren.

Erwachſener Trauer um ihre Eltern. Das iſt ſo tief fuͤr ein Kind. Wie ſie ſchweigen, ihre Seele nicht anzuſtoßen wagen auf dieſem holprig immer wilder ſchleudernden Wagen.

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Bauernweh: ſchon ſchaut es aus nach uns von halber Lehne druͤben, und huͤllt es ein, das Verwandtendorf, in ſeiner Falte wie ein Kind, das ſich an der Mutter haͤlt, huͤllt es ein, daß man's nicht ſuchen mag wie ſonſt am lockenden Kirmeßtag.

So etwas wird eingetragen. Und der Schmerz hat ſo etwas Heimatliches, naͤher zu uns Fuͤhrendes.

Aus „Der letzte Papſt.“

Auf dem Campo dei Fiori beim Giardand Bruno-Denkmal.

Kleine: Wer iſt das?

Papſt Martin: Giardano Bruno.

Kleine: Iſt der im Himmel?

Papſt: Ja, denn hier haben ſie ihn verbrannt.

Kleine: Warum?

Papſt: Er war kluͤger als die andern. Darum haben ihn die andern verbrannt.

Kleine: Er wollte kluͤger ſein.

Papſt: Nein, er war kluͤger.

Kleine: Iſt das eine Sekte! Es laͤutet.) Gehen Sie erſt in die Kirche?

Papſt: Nein, was ſoll ich da?

Kleine: Gott anbeten.

Papſt: Ich bete zu ihm im Kaͤmmerlein.

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Kleine: Wie machen Sie denn das?

Papſt (ſteht etwas hochaufgerichtet, ſtill, verfunfen:)) So!

Kleine: Das kann man ja doch nicht ſehen. Was ſagen Sie denn da?

Papſt: Daß ich mit Gott eins ſein will.

Kleine: Das iſt Suͤnde. Sie ſind ein Suͤnder! Sie kommen in die Hoͤlle.

Papſt: So, mein kleiner Engel? Da treff' ich Kollegen. Dante hat ſchon welche von meinen Vorgaͤngern hineingeſchafft.

Kleine: Wer hat Ihnen denn geſagt, daß ich Angela heiße?

Papſt: Dein Schutzengel, den ich hiermit (kuͤßt die Kleine) kuͤſſe.

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Der Menſch ift ein atmendes Geſetz.

*

Volle Kenntnis des Ganzen nicht des Alls erſt die ſchafft Menſchen und aus den Menſchen das neue Paradies.

1.

Der neue Adam!

uͤber mir nichts als Gottes freier Himmel. Und unter mir die fruchtbar ſchoͤne Erde.

Wie ſchoͤn iſt es, Menſch zu ſein oder zu werden.

*

Kultur muß Natur haben.

Noch einmal werden wir Wilde. Wann wir ganz reif ſind. i

Jeder Lichtſtrahl wird zuruͤckgeworfen und nun ſollte eine Handlung draußen liegen bleiben?

Torheit! Sie kommt wieder bei uns an.

Die eigenen Früchte machen uns ſtark.

*

Einſiedlernaturen find oft putzig. Wie fie erwaͤgen: ſollen ſie ausgehen oder nicht. Das iſt nicht Abneigung gegen den oder jenen. Das iſt Feindſchaft gegen die Geſellſchaft. Gegen den Begriff. Woher das kommt?

Innerer Reichtum, verſpaͤteter Trotz: etwas ſicher, das Eigentliche aber bleibt verborgen.

*

Die Redaktion des Weltgeiſtes: die Welt: praͤger, die Napoleons des Geiſtes, ja eigentlich noch mehr: Napoleon war nur ein Eroberer und reicht ein Leben nicht dazu hin, ſo muͤſſen es mehrere ſein. Shakeſpeare iſt noch einſam, zu Goethe findet ſich Schiller. Auch beim Trium— virate wird's nicht bewenden.

*

Natur, bift du klein: ein Regenſchauer von geſtern iſt nicht im heitern Heute anzuſpuͤren. Ich habe alle Wetter noch in mir und die aͤugelnde Sonne hoͤhnt meine ſuchenden Geiſtesqualen.

Ich muß mich verkriechen wie ein verwundetes Tier, weil ich mir ſelbſt nicht genuͤge und alles ſo laͤcherlich zerſtreut iſt.

1.

96

Regen: Iſt das hienieden ein Jammertal! Auch der

Himmel weint, wenn er auf die Erde kommt. 275

Der hoͤchſte Genuß Pflicht. Menſchen, bei denen Genuß und Pflicht eins iſt, kann die Sitte geruhig aus der Hand geben.

*

Entſagen: Wolluſt des Demanten.

* Gewitter: Ein zuͤrnender Phariſaͤer, der ſein Gewand zerreißt. Himmel, biſt du abgeſchmackt! * Liebe ift Luxus; jo muß der Mann im Zeichen

des Luxus ſtehen, eh bevor er freit. ® *

Welt: Eine Dichtung in Taten.

*

Es iſt nicht alles Talmi, was glaͤnzt. *

Blutauffriſchung:

Was neu werden will, muß das Alte auf— ſuchen. Wen es aber nach Alter verlangt, dafuͤr iſt das Neueſte da. Gegenbefruchtung.

*

11.7 97

Alles einmal in der Welt ſeh'n: Rauſch, voll Arbeit.

Wie Mann und Weib, ſo ſuchen die lebens— kraͤftigen Meinungen einander und fliehen ſich ſuchend.

Sonſt ſind ſie tote Begriffe.

*

Quod licet Jovi non licet bovi.

Da irrten die Heiden: die Leidenſchaften, je ausgelaſſener ſie ſind, ſo beſſer ſind ſie zum Be— waͤltigen da, nicht zum Üben.

So machſt du's ja auch mit den Hengſten, Tſcherkeſſe. Wie wirfſt du ſie!

2.

Reue: Ich laſſe mich fliehen, um mich zu haſchen. So darf man ſich ſpielen. Man gibt ſich ſelbſt was vor.

15

Iſt nicht die letzte Qual die groͤßte Freude. Wenn Einſame gehen, wird eine neue Welt erſtehen. |

275 Du willſt Freude? dann ſteige in die Qual. Du willſt Qual, ſo ſteige in die Freude.

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Das Leben iſt ein Gewebe. Nimm etwas

C hinweg, und es iſt kein Halt mehr. Es ribbelt ſich auf bis zu Ende.

Ich glaube, man iſt beſſer daran in fremden

Haͤnden als in eigenen.

=

Hohe Schmerzen entfremden nur und flößen der Menge Haß ein. Daher auch der Haß gegen die „Pfaffen“.

Vox populi das wollen wir Gott denn doch nicht antun. = Alles hat feine Chemie. Der Poͤbel beſtellt Champagner, es knallt der Kork, und der Poͤbel ſauͤuft Schnaps. 275 Warum die Philiſter ſo ſind? Ja, ließe ſich das verſtehen, waͤren ſie nicht Philiſter. Der Schweiß iſt die Traͤne der Arbeit. Hohe bitte ich, Niedere flehe ich an. Das Heftige nimmt nach unten zu.

222

5 99

Zu dir willſt du? Da wohnt die Qual. Nur die Qual. Bleibe draußen! Spiele lieber!

*

Selbſtgefuͤhl, ja und das nennt ihr ge: hoben? Das ſich verfriechen möchte: Sieht es doch Abſtaͤnde!

Wollt ihr, daß das Gute uͤber das Boͤſe herrſche, ſo ſtellt es uͤppiger dar.

.

Die ausbuͤndigſten Timons find nicht die Großen, die Leben gewordenen Shakeſpeares.

Die haben noch Weisheit, Guͤte, Ausnahmen

Viel ſchlimmer ſind die Timone, die jeder ſtehen läßt, und die darum ſich im vollen Recht: glauben: die Beſchraͤnkten und darum unbeſchraͤnk

Duͤnkelvollen. 272

Ein berühmter Mann iſt auch ein Stuͤc

Erde, auf dem eine mächtige Schlacht geſchlager

worden iſt! 21.

Ganz Starke gibt es, die ihren eigener Ausbruch vorherſehen. Und das iſt gut, de— kommt nicht uͤber ſie. Den wollen ſie an ſolche

100

Stelle, wo er nur uͤber Unkraut geht. Sie ſind ein bewußter Vulkan. Selig find die Ruͤckſichtsloſen, denn fie werden das Erdreich beſitzen. 4 Wovon hat die Freiheit dieſen Duft, dieſe koͤſtliche Friſche? Vom Mannesodem.

*

2 Der wahre Mann iſt doch etwas Schoͤnes, habt ihr ſchon ſo einen recht innig freundlichen * Morgen in ſeiner blauen Kraft geſehen, wenn vorher Gewitter geweſen?

Auch ſchwarze Augen ſind dann blau.

75

5 Ob das Weib ſchoͤn iſt? Ich weiß es nicht. Mancher Mann findet das. Dann verachtet er es und ergibt ſich dafuͤr dem Trunk, oder was noch ſchlimmer iſt und von verhaͤrteter Bosheit zeugt, dem Celloſpiel. So raͤcht ſich der Unſelige an der Menſchheit.

*

Das Weib ift Sonntag, der Mann Alltag.

101

Fruͤhlingsduft.

Die Kinder kommen herein vom Spiel. Dieſe ungeſtuͤme Friſche! Und dieſer koͤſtliche Heiß— hunger. Die komiſche Verzweiflung aller Mamas!

Und der Duft, den ſie mit heimbringen an ihren Kleidern, in ihrem Haar, wo er ſich ge— fangen hat!

Das macht, ſie haben ſich gewaͤlzt im Gruͤnen, wie ſie es immer ſo gern tun, den Huͤgel hinab!

Warum tun wir es denn nicht auch? Viel— leicht, daß uns nur deshalb die Jugend verläßt weil wir dieſe Übung unterlaſſen.

Und warum unterlaſſen?

Aus Menſchenfurcht!

Dieſer Unverſtand!

Ja, wenn wir erſt die Menſchen frager wollten, ob ſie es uns gnaͤdig verſtatten, gluͤcklick zu ſein, da koͤnnen wir lange warten!

Die werden uns ſchon nicht gar zu viel zu teilen.

Sie ſelbſt verſtehen nicht gluͤcklich zu ſein und darum ſollen es eben andere auch nicht ſein

Ja, wenn man ſich anderen in die Hand: ſpielt!

Nein, ich fuͤhre mich ausſchließlich ſelbſt aus jet es nun zu Gutem oder Boͤſem.

102

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> Das Mecht der Kindheit.

Ein Mahnwort.

Die Kindheit ſoll aus eigenem Rechte da ſein. Nicht bloß geduldet.

Sie ſoll nicht von den Begriffen vergewaltigt werden, den greiſen Begriffen.

Neid macht Vorſchriften.

Schwaͤche, die nicht mehr genießen kann, verbietet.

Die Kindheit iſt ein Kundſchafter, den die ratloſe Menſchheit voraufſendet, um einen ſicheren Lebensgrund zu erſpaͤhen. So muͤſſen wir ſie ſich ſelbſt uͤberlaſſen, ihrem Lebensinſtinkt, der von Verrohung und haltungsloſer Alberei wohl zu unterſcheiden iſt. Wie die Brieftauben muͤſſen wir die Kinder auffliegen laſſen.

Iſt nicht in ihrem Spiel und ihrer Munterkeit, in ihrer ahnend tiefen Lebensvermutung, in ihrem lebenswarmen, friſchen Irrtum, der die Dinge ſo viel beſſer trifft, wie manche trockne Wahrheit, iſt erſt da einmal das Leben auf Erden recht eingezogen, da wird es nicht mehr ſo kraus aus— ſehen auf Erden, da wird nicht mehr ſo viel geſtochen werden, da bricht niemand mehr vor ſeiner Zeit zuſammen, da wird's nicht mehr ſo frech und ſo vergraͤmt ausſehen darauf, ſo ergrimmt und ſo leidend.

103

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Wir haben das Leben noch nicht fo recht in die Hand bekommen, deshalb faſſen wir es fo ungeſchickt, ſind wir ſo ungluͤcklich, ſo unruhig, ſo friedlos und ungebaͤrdig.

So haben wir armen, vom Leben vernach— laͤſſigten Erwachſenen, ſo haben wir alſo gar kein Amt bei den Kindern? Koͤnnen die alles beſſern?

Nicht doch: die Beobachtung, die uͤberſichtliche Beobachtung dieſer ſchoͤnen, taufriſchen Welt iſt unſer Vorzug, der bewußten Erwachſenen.

Das Kind ſtuͤrmt dahin, froͤlich unbewußt.

Nur nicht Erziehung im alten Sinne, die eigentlich Verziehung iſt, Verzerrung ſogar.

Nur beileibe keine Anderung, keine Vorſchrift!

Entdecken wir das Kind!

Die groͤßte Entdeckung, die noch ausſteht, iſt ein wahres Kinderſpiel. Sie erfordert keine un— erhoͤrte Kuͤhnheit, nicht den heroiſchen Vorſatz, mit allen Gefahren und Entbehrungen es auf— zunehmen: ſie iſt keine Nordpolfahrt.

Die große Schule.

Seelenmeifter: Kinder, wißt ihr, heute müßt ihr mir ein Spiel fertig bringen.

104

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So etwas recht Farbiges, Freies. Ich bewundere das erſte Kind, das ein Spiel

fertig brachte. Mehr wie einen Erfinder.

Das iſt nicht gar ſo ſchwer, das iſt nichts Urſpruͤngliches. Das iſt nur ein Weiterſpinnen.

Aber den ſchoͤnen, ſaftigen Seim zuerſt zu bringen, das iſt doch anders.

Ja, ich bewundere das erſte Kind, das ein Spiel aus ſich fand.

Das war ſo etwas ganz Urſpruͤngliches.

Und das iſt ſo etwas, das wir nie genug haben koͤnnen.

Ihr ſeht ja, wie wir, wie eure Eltern und die Freunde eurer Haͤuſer, wie ſie alle ſich muͤhen.

Doch ſie ſind nicht ſo tief. Nicht ſo ganz neu.

Nur wie ihr.

So neu in der neuen Zeit.

Alles das, das, was ſo recht eigentlich ihr iſt, das muͤßt ihr uns geben.

Das bitten wir uns von euch aus.

So recht von Herzen bitten wir darum. Ihr wißt ja, daß ihr was wert ſeid, viel wert ſeid.

Das ſagte ſchon Jeſus.

Uns und euch.

Und das muͤßt ihr an euch unterſcheiden.

Herauserkennen und ausgeſtalten:

„So ihr nicht werdet wie die Kinder,“ ſagte uns Großen Jeſus.

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Er hielt alfo viel von euch, von dieſen Kleinen. Nur muͤßt ihr uns zeigen, was er eigentlich wollte.

Was er von uns haben will.

An Eurem Muſter.

Wirſt auch du fallen, Mignon?

„Maͤgdlein, Maͤgdlein, du gehſt einen ſchweren Gang.“

Ein Flaͤmmchen im Winde?

Es biegt ſich und loͤſt ſich ſchon faſt mit ſeiner dunkelen Wurzel von dem lichten Grund der Kerze.

Ein blauer, ſchwuͤl aufloͤſender Julitag. Und es draͤngt und lockert die zarten Bluͤten, bis ſie ſich heben zum uͤppig unendlichen Himmel.

Ein Lokal: „Lachmuskel“ heißt es.

Aber der Lachmuskel der Bitterkeit: ein einziger ekelgeſchuͤttelter risus Sardonicus.

Um alles zu uͤbertoͤnen, anzufeuern wie ein Marſchlied im Trabe, reichen ſich zwei Kapellen die Haͤnde. Boͤhmen ſind hier: ihre wohllaut— duͤſtern faſt leidenſchafttuͤckiſchen Melodien ſteigern ſich eben zu der hellen, ſchmetternden Gereiztheit, dem blendenden Orkan der La Paloma, unter deren gellender, mexikaniſcher Raſerei der Menſchenkaiſer Maximilian ſein Heldenopferleben

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ließ, um reif und geiſtig hochzuſteigen ins Reich der Liebe und der Kraft des Geiſtes, der wieder zu Gott fuͤhrt, von wannen er ſtammt.

Eine Welle von zierlichen Handgelenken ſchwillt und ebbt. Leidenſchaft jagt und klagt.

Aber dieſe Luft! Wie der warme ſtinkende Atem eines Raubtieres nein, ſo edel geht's nicht zu wie der Hauch aus hochgeſperrtem Schlangenrachen, des Gewuͤrms, das in ſeiner Haͤßlichkeit wie ein Geſchoͤpf der Verdammnis ſchon auf Erden erſcheint.

Da iſt Eine, noch Kind!

O weißt du's nicht, wie leicht man hier eine Novize des Laſters wird?

Maͤgdlein, Maͤgdlein, du gehſt einen ſchweren Gang!

Schwer, weil zu leicht, zu leicht fuͤr dich!

Der Moloch!

Der wiſcht ſich ſchon das Maul nach dir.

Der nimmt alles, was zu ſeinen Fuͤßen waͤchſt und was voruͤberzieht.

Da iſt die enge, lauernde Kleinſtadt doch beſſer, ſie ſchuͤtzt das wachſende Weib; nur muͤßte es ſo ſtark ſein, zur Zeit ſeiner ſeeliſchen Reife ſein Recht in Hingabe zu finden trotz allem Zu- und Abſchnattern der anderen.

Schickſal und Triebe, auch den Mann koͤnnen ſie werfen und heben und anders geſtalten; aber

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jo mit einem Schlage durchſchmutzt durch einen verſengenden Hauch wird das Weib allein mit ſeiner tauigen Schoͤnheit der jungen, leidenſchaft— flimmernden Seele.

Schlaͤgt ſie auf zur Flamme, und dieſe Flamme iſt nicht die reine Flamme der Liebe, da man ſich hineinſtuͤrzt, wie in Gott mit allem, allem, allem, was man zu fein nur eben vermag, ift es die ſchwaͤlende halbe Flamme der Luſt, ſo iſt alles verſengt, alles verloren, alles verkohlt.

Mit dem Leibe ſtuͤrzt auch die Seele.

Liegt es doch in Geſetzen: nur durch den Mann kommt das Weib zu Gott, durch den einen Mann, den es liebt.

Mignon!

„So laßt mich ſcheinen, bis ich werde, zieht mir das weiße Kleid nicht aus!“

Mignon, zarte junge Geſtalt mit leiſe uͤppigem dunkeln Haar, dem großen braͤunlichen Gold der herrlich gluͤhenden Krone des Auges und der koͤſtlichen Blüte des Mundes, Mignon du, im ſchwarzen, feierlichen Konfirmandinnenkleid, o ſei, o bleib' Konfirmandin, bis deine Liebe ſtark genug, und ſie ſich hinwirft, wo ſie mag und muß.

Denn du gehoͤrſt der Liebe, nicht der bluͤten— uͤbertrampelnden Luſt!

Bleiches Fuͤllen, laß dich erſt haſchen im Wettlauf, im ftarfen, einzigen Wettlauf der

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Liebe, aber nicht locken zur tödlichen Auſtern— krippe!

Sei gewarnt, dieſe Soupers, ſie ſind vergiftet, mörderifch brandet der Champagner, und du biſt entwertet fuͤr und fuͤr, nun und immer. Und was man auch biete, ſei es auch noch ſo reich, wucheriſch mußt du es zahlen.

O dieſe fidelen Herren mit und ohne Glatze, ſie ſchwaͤrmen um ſo ein junges Geſchoͤpf wie Geier um ein Schlachtfeld; aber ſie wollen erſt ſein junges Leben zu Aas machen; das mag denn verzehren, wer Luſt hat.

Dieſe Gelaͤnder um dich, ſie ſind leicht zu brechen; moͤgen ſie auch noch eine Weile halten, dann ſchuͤtzen ſie nicht mehr.

Sieh nur deiner Kameradin, und ſie iſt nicht die ſchlechteſte, einmal ins Auge: ſteht es nicht wie ein Stachel, ein kleiner, gereizter, bohrender Stachel im friſchen, hellen Auge?

Das iſt der Stachel der Luſt, o laß ihn nicht wachſen! Denn er bohrt in dein eigenes Leben, deine eigene Seele, die Liebe, die noch kommen ſoll.

Sicher, auch du fuͤhlſt die Gefahr, wie wir ſie erkennen.

Mignon, Mignon, o mach' eine Bruſtwehr aus dir ſelbſt, aus der Liebe verlangenden Seele des Weibes.

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Wenn deine Stunde gefommen, gib dich hin mit geſchloſſenem Auge!

Aber verkaufe, dich nicht, du haſt die Liebe, die hat keinen Preis und wurzelt im göttlichen Herzen.

Sag, kannſtz du entgehen dem ſchmutzigen Schickſal, verſprichſtüdu es?

Tauige Knoſpen, Mignon, kannſt du bluͤhen? Sonſt waͤre es beſſer, dich ſchnitte der Tod!

110

Ecce | | poe

Schauen beim Dichter iſt Lieben.

2

Echte Dichtung hat etwas Gewordenes, etwas Daſeiendes; jedes ihrer Gebilde fuͤhlt ſich feſt, fuͤhlt ſich gegenſtaͤndlich an aus den Worten.

*

Der Dichter iſt der Merlin, verloren in die Natur, ſie zu entraͤtſeln. Da gibt's keine Weiß— dornhecke, die ihn ſchirmt.

Der Himmel hat keinen Tau fuͤr ihn.

.

Er iſt auch ein Stück Chriſtus. Der johlende Poͤbel und das kollegiale Grinſen geleiten ihn und druͤcken die Dornen tiefer in die ſchmerzliche Einſamkeit ſeines edlen Hauptes, der das ſchwere Kreuz des Geiſtes auf ſeinen Schultern nach Calvaria traͤgt, dem Berge der Vergeſſenheit.

II. 8 113

Meine ganze Schönheit möchte ich enthüllen, aber verſteht ihr die Schaumbluͤte des Lebens?

21.

Was ſich von der Welt in uns verliebt, das wird Schoͤnheit.

8 Ich bin, alſo iſt Schoͤnheit.

15

Eine Empfindung, die zu Gedanken, ein Gedanke, der zur Empfindung gerinnt; ein weiſes Gedicht.

1

Nimm alle großen Werke, ſie fuͤhren die Sprache des Schweigens, des Werdens. Schweigend ſind ſie gewonnen, ſchweigend geſtaltet. Es iſt wie beim Heben eines Schatzes. Ein Wort da— neben, und raſſelnd ſinkt er zur kaum entſtiegenen Tiefe.

=

Iſt nicht Rede-Kunſt, höher als Dichtung,

wirkſamer? Die alten Unterſcheidungen im ganzen

und einzelnen, ſind uͤberhaupt gefallen. Wenn etwas nur hinreißt!

*

Was iſt der Dichter? Ein immer ſproſſendes, furchtbares, raſtlos bebendes Hirn.

1.

114

Alle Lebenswecker, Dichter, find keuſch.

=

So laßt ihn, den Dichter doch in Gottes Namen etwas empfindungswichtig tun! Das hat er doch wohl verdient, das zum mindeſten!

Der Kuͤnſtler: iſt doch eine lebende Hoͤlle, worin niemand iſt als der Menſch dann. Eine ewige, unentrinnbare Hoͤlle und nun geht hin und feiert Dichter. 8

Ich leide Dichtung.

Es faͤllt kein Meiſter vom Himmel, wohl aber ein Himmel vom Meiſter.

Ein neues eigenes Herz fuͤhlen die Dinge in ſich pochen, da ſtoßen ſie ſich einander an: „du wir haben wieder einen Dichter.“

21.

Echte Dichter kennen nur eine Leidenſchaft: die des Wortes. Wie die Weiber. Aber anders. Ganz anders.

8* 115

* Unſchuldige Tyrannen. Sich leidende. Das ſind die Dichter.

21.

Der Dichter iſt das Erzeugnis und der Gegner ſeiner Zeit im Sinn der Zukunft.

*

Mahnung: Meer laß dein Schäumen fein, Treib, Muͤhlen, tu was, Dichter, laß dein Traͤumen ſein, Dein reimendes Fuͤhlen, tu was!

*

Kleopatra, in deren ſchwarzen Augen der Stern ſtarr blieb, deren Liebestum etwas Be— dauerndes, weil Wiſſendes hatte, Semiramis mit ihren brauſenden Luͤſten, hochgehendem Buſen und ſchwarzem Schlangengewoͤlk, fliegendem Haar, moͤrderiſch wuͤtete ihr gluͤhroter Mund, unbarm— herzig preßte ihr weißer Arm das Opfer der Nacht! Befreien wollte ich mich von dieſer dumpfen Enge. Und kam zu euch.

75

Die Form kann nicht den Inhalt geben. Wohl aber kann und muß der Inhalt die Form aufheben.

277

116

Gelehrter, Bedienter wie das ſchon paſſiv klingt!

*

Der Humor iſt der Modelleur der Welt.

*

Witz: Es giebt davon auch eine rohe Form. Die iſt phyſiologiſch, ein Jucken des Geiſtes.

Ein echter Dichter haßt nichts ſo ſehr wie das Poetiſche.

Dichter, biſt du ein Pedant! Welches Gewitter regiſtriert ſeine Blitze!

222

Große Zeiten, große Menſchen, ohne eine gewiſſe Dummheit iſt das nicht moͤglich; auch das Leben ſieht ſich an wie eine einzige große Dummheit. Doch ich gebe ſie nicht her fuͤr alle Kritik, fuͤr alle unfruchtbare Geſcheitheit, fuͤr alle Scheide— waſſer der Welt.

Sonderbare Zeit, auf der einen Seite Apho— rismenſchwere, hinter allerlei aͤußerlichen, darum unorganiſchen Titeln: Nietzſche, Multatuli.

Ein anderer Fluͤgel ſorgſam nuͤchtern, elend genau, aber wahr. Und auf beſſeres Leben

117

harrend, ein beſſeres. Denn die ganz andern, fo wiſſen fie, die jo, die Mitleid mit der Welt haben, zieht das Abſtoßende an.

*

Poetiſche Blätter find Tatterſalls für die Sonntagsreiter ihres Pegaſus, des lammfrommen Mietsgaules der Lyrik verfertigenden Konfektions— branche.

225

Nicht jedes Verbrechen in Marmor iſt ein

Standbild. | *

Standbilder kranken erſt an ihrem Helden und

dann am Kuͤnſtler. :

Philiſtermoral.

Dichter am Morgen, Kummer und Sorgen. Dichter am Abend, erquickend und labend.

Das Schaufenſter.

Das zeigt dir, woran es liegt. Haſt du vor dir ſo ein Stuͤck Poͤbel, das gar nicht fertig werden kann mit Leſen und das merkt, daß du darauf warteſt, dann geht ein Puff Schwerfaͤlligkeit und noch einmal recht ſtehen bleiben, von ihm aus. Das iſt Konſervativismus, uͤberall merken ſie, daß du weiter willſt und darum bleiben ſie erſt recht ſtehen.

118

Damit muͤſſen wir kaͤmpfen, und darum ſcheiden

wir aus. *

Der Gefeierte.

Daß mir nirgends Ruhe quillt,

Schuft, mach mir mein Grab nicht wild, Denkmalſchaͤnder weit und breit,

Hier habt ihr Gelegenheit.

Schlagt entzwei das dumme Bild,

Fort mit dem Reklameſchild.

Dichternoten:

Wieland: Magiſter der Venus.

Paul Heyſe: Wieland der Pſyche. Novalis: Goethe der Seele.

Goethe: das wache Selbſt. Hoͤlderlin: ſo ein helleniſcher Moͤnch.

Jean Paul: Studierſtuͤbchen mit Feenpalaͤſten oder die gelehrte Maͤrchenwelt menſchlicher Un— endlichkeit.

Schiller: Feuersbrunſt der Kultur.

119

Grabbe: Verwitterungsſeligkeit. Otto Ludwig: Tragoͤdie des Humors.

Koͤnig Lear: Tragoͤdie des Koͤnigs. Stirbt am Zeremoniell.

Peter Altenberg: Rezept die Welt zu ſehen. Strindberg: daͤmoniſcher Naturburſche.

Wilhelm Raabe: Staatsanwalt Simfon. Jean Paul zur Zeit der Moderne. Beſchauliche Welt— luſt vom Harz.

Gerhart Hauptmann: Ruͤbezahl im Armen— hauſe.

Maeterlinck: Verſchlafene Kutſcherſtube up stairs oder die lallende Beredſamkeit.

Eduard Moͤrike: Vikar Katull.

Arno Holz: kuͤnſtliches Laͤcheln, ſoll ſieg— haft ſein.

Prevoſt oder die geknickte Lilie. Max Halbe: dramatiſch geheiztes Idyll.

Paul Scheerbart, oder die greife Indianer— geſchichte.

Multatuli: der Überbeamte der Menſchlichkeit. Ludwig Fulda oder der parfuͤmierte Sturm.

*

120

Die Beiden.

(Ein Geſpraͤch aus dem Jenſeits.)

Goethe: Wie mich das freut, lieber Freund, daß Sie mir heut einige Ihrer wertvollen Stunden widmen wollen, (zum Diener Engel):

Eine Flaſche zweiunddreißiger Johannesberger Schloß! Mein Geburtstagswein.

Schiller: Das iſt er in der Tat.

Dieſe Perlenmelodie! Ganz wie Ihr „Fiſcher“.

Ein Sonnenlied innig zart.

uͤberhaupt Ihr Lied! Ich wuͤßte nicht ſeines— gleichen.

Eine Welt von Duft, von Feinheit, die Dinge innig zart geſtaltender Macht, Geiſt des Goldes und ein verklaͤrt ſuchendes Wittern, Schelmerei wie von Geiſteskindern, einer Braut Seelenbeben in Wonne und Warten.

Sie, gluͤckliches Weltkind, haben den Horizont aufgeſtoßen wie ein Fenſter, das der Mai auf— druͤckt, und ſehen ſo viel weiter als wir dunkeln Sucher.

Sie, der einzig wirkliche Alchymiſt!

Ich, mein Wallenſtein, aberglaͤubiſch zugetan, ewig getaͤuſchte Goldmacherei.

So plump und taͤppiſch.

Goethe: Freund, wie Sie ſich wieder einmal

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zu verkennen wiſſen! Durch Ihre geſtaltenden Worte erſt geben Sie mich mir ſelbſt.

Ich fuͤhle mich ſonſt gar nicht, finde mich ſo gar nichts, merke mich gar nicht, bin mir ſo gar nichts.

Und Sie, wo ein Aufbruch iſt, wo purpur— baͤumend ein Sturm ſich aufmacht, praͤchtig— fordernder lodernder Geiſter.

Da iſt die tiefe Blut- und Feuerfarbe Ihrer reich wallenden ſturmgruͤßenden Worte, Ihr Sammelzeichen. In Ihrer freien weiten Be— ſonnenheit wiſſen Sie zu fuͤhren wie kein anderer die Jugend, die Jugend der Voͤlker. Gewiß, mir iſt es gegeben, Menſchen zu bilden wie meinem Prometheus. Aber es ſind ſtille Menſchen nach meinem Bilde. Einzelne.

Sie wiſſen zu ſcharen, ſei es Empoͤrung, ſei es umſchlungene Millionen, dieſes ſtuͤrmiſch An— einanderwirbelnde, iſt das nicht etwas?

Bei Ihnen wuͤrde ich Burgunder trinken.

Und die großen Maͤnner!

(Der Wein kommt.)

So, nun auf Ihren Bismarck.

Das iſt ſo recht ein Held fuͤr Sie.

Dieſer Wallenſtein des neuen Deutſchen Reiches.

Dieſer Aſe am gruͤnen Tiſch.

Das wird Meiſterwerk.

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Eckermann (klopft an, tritt ein, will, als er Schillers anſichtig wird, wieder gehen).

Goethe: Bleiben Sie, lieber Freund! Sie gehoͤren mit dazu.

Was waͤre ich ohne Sie?

Sie erſt machen mich profeſſorabel.

(Engel geht, noch ein Glas zu holen.)

Blutende Eiche. Heinrich von Kleiſt.

Blumen ſind hervorgebrochen, Die zittern voll Blut

Und koͤnnen nicht ſagen, Was da war

Klagende Farben .... Blutende Eiche.

Lord Byron.

Antonius-Bakchos, Ein ewiger Etonboy, Erzog dich die Schoͤnheit

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Zu weicher Kraft und zu ftarfer Schwäche. Eine Schicht Held und eine Schicht Unart. Tagumdrehender Freund der Natur,

Freund der Nacht

Fruͤh zogſt du dir den Schnee aufs lockige Haupt Und fieleſt vor deinem Tode als Held

An deines Leibes eigenem Mute.

So recht deinen eigenen Tod

Biſt du geſtorben,

Eigen im Opfer

Nervoͤſer Held.

Deiner Knabenſchmerzen holder Trotz, Sinnenſtarke Knabentraͤume,

In koͤniglichen Willens freien Stolz gefuͤgt Ragen deines Fuͤhlens Bildnisreihen, Empoͤrung gegen die Satzung, die anders gewendet, Du ſelber verehrteſt!

Arnold Boͤcklin.

Zum 75. Geburtstag des toten Meiſters, am 16. Oktober.

Er ging dahin wo ſeine Werke wohnen.

Mit angetuͤrmtem Nacken ihm zur Seiten trabt der Eroberer.

Aus tiefem Sande grinſen fremde Zeichen:

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Gebeine find es, die fo leuchtend bleichen.

Vor rohen Hufen knirſcht die heiße Wuͤſte; gruͤn ſteigt ein Huͤgel auf und ruht

in Blumenkuͤhle aus vom heißen Gleißen.

In traͤger Schraͤge ruht ein alter Faun

und glotzt in Weiten, die wie bald verloren ihm, mit ſchwerem Auge, fremdbekuͤmmert.

Ein Faͤunlein, goldnes Stroh im roten Nacken, reckt tief zum Quell die drallen Baͤcklein nieder.

Genug geſehn! Ich will mir ſelber lauſchen; Da kommt ein Wald, der ſoll mir rauſchen! Wie klopft des Mittags Angſt! Geſcheckt, erſchreckt die ſtarrren, ſteilen Staͤmme. Hoch und tuͤckiſch, das ſeltſam boͤsgedrehte Horn voraus: Das Einhorn. Sinnig⸗wild aufblickt des Maͤrchens uͤppig-fremdes Auge.

Da von der Rechten ſchwellend atmet's Raum, hebt gruͤne Wipfel hoch noch uͤber die blauen und bietet Erde, bietet Himmel Straͤuße Schaum und ſchlaͤgt luſtkreiſend einen Purzelbaum: und blickt wie Angſt, wie Trauer der Unendlichkeit, wie Irrſinn, wie wehlachend Spotten: das wilde Element!

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Und Abend wird's; das Meer ging ferne fchlafen. Ein braunes Gloͤckelhaͤuslein.

Da ſteht, geneigt 5 das weiße, ſtille Haupt, der braune Moͤnch und geigt und ſtreut wie Blumen nieder

zu Fuͤßen der Maria ſpaͤte Glut. Auf Zehen, ſeine Wangen voll und fromm, ein Buͤblein lugt; leis zittert ſeiner Schwinge

blaugruͤner Reif...

Er ging dahin, wo ſeine Werke wohnen; ſie leuchten heißer auf in ihrer Seele Saft, die Urgeburten dieſes großen Lebens!

Ein frohes Toſen wiehert der Stromſturz nieder; die Waͤlder oͤffen atmend

befreite Bruſt.

Die großen ſtummen Seelen bitten

der ungeheuren Dinge und der wilden Welt: „Du biſt nun da; ſo loͤſe uns die Lippen;

du weißt uns alle traͤumen unſer Brauſen! Des Lebens Wein in heitrer Andacht trinkſt

du pruͤfend und bei hohem Laͤcheln neigt

ſich leicht dein Manneshaupt, da dir Freund Hein auf ſeiner Fiedel ſo Wunderſames geigt.“

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Dein Gruß: im Feiern neigt er ſich dem Tode; des Wageblutes Scharlachſtuͤrme lodern; in bleicher Stille ein zypreſſendichter Schlaf

Er ging dahin, wo ſeine Werke wohnen.

2.

Deutſche Dichter der Gegenwart.

Gottfried Keller.

Gehoͤrt auch noch dazu. Er iſt ein Bauer, ein beſonnener, tuͤchtiger Bauer des Lebens. Als Ratsſchreiber führt er auch die Akten volklicher Geſundheit.

Er hatte innige Zuneigung zu Karl Henckell, obwohl dieſer damals noch gluͤhendrot war, und Keller haßte, wenn irgend etwas das Volksbegluͤckertum.

Es war eigentuͤmlicher Anblick, wenn die kleine Geſtalt mit dem gewaltigen Haupte mit winzigen Schritten herbeiſchluͤrfte und eine ganze Weile gebrauchte, ehe ſie das wie eine Kara— wanſerei ausgedehnte Gaſtzimmer des „Pfauen“ durchmaß und ſich zu uns ſetzte zu Henckell und mir.

Aus weiter Erinnerung ſendet mir Zuͤrich un— vergeßliche Erinnerungen. Ich weilte dort im

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Frühling 1889 und lernte hier allerlei Wunder des Weltbuͤrgertums kennen, als da ſind: zu— tunliche, fidele, nicht ſteifleinene Profeſſoren, einen Italiener in mehrfachem Hausbeſitz, der mit ſeinen zwei ſchoͤnen Toͤchtern im „Pfauen“ geigte und dieſe dann zum Tellerſammeln durch die Reihen der Gaͤſte ſchickte, des ferneren Meiſter Boͤcklin, mit dem man am entfernteſten Tiſche bisweilen Keller antraf, wie ſie ſich beide geſellig an— ſchwiegen.

Keller tauete trotz ſeiner berufenen Grobheit doch auch mir gegenuͤber das machte aber nur die Naͤhe Henckells auf, beklagte ſich aber dann, daß ich ihm die Wuͤrmer aus der Naſe gezogen haͤtte. Und dieſe Wuͤrmer lege ich auf den Tiſch des Hauſes nieder:

Da iſt zunaͤchſt der Gedicht-Zyklus: die Em— pfindungen einer Leiche, die ja auch Poe be— ſchaͤftigt haben. Dieſe Dichtung iſt veranlaßt durch das Preisausſchreiben einer Leichenver— brennungsgeſellſchaft in Stuttgart. Und dies wunderbare, ſo keuſche und ſinnengluͤhende, durch Unheil vertiefte und auf verklaͤrenden Liebestod hinweiſende Buͤchlein von zwei jungen Menſchen, mit dem zu abhaͤngig ſich gebaͤrdenden Titel: „Romeo und Julia auf dem Dorfe“, hat eine geradezu laͤcherliche Entſtehungsurſache.

Da lieſt Keller in den ſechziger Jahren in

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einem Berner Sonntagsblatt einen gar wuͤtigen Froͤmmlerartikel, wie Zucht und gute Sitten in gar erſchrecklichem Maße abnehmen. Da haben ein paar junge Leute, deren zerruͤttete Lebens— verhaͤltniſſe eine Ehe unmoͤglich gemacht, das goͤttliche Gebot mißachtet und dann ihr ſtraͤfliches Beginnen durch gemeinſamen Selbſtmord gekroͤnt und ſich von dem beladenen Heuſchiff, das ſie feſtgebunden vorgefunden und das ſie dann haben treiben laſſen, nach einer verbuhlten Nacht, ins Waſſer geſtuͤrzt.

Noch immer hoͤre ich die heiſere, leiſe Stimme, die an eine beſcheidene Silberdiſtel erinnerte; noch immer ſehe ich die ſteile Stirn mit den tiefen, gleichen Furchen, die kuͤnſtleriſche Arbeit uͤber dieſen Acker des Geiſtes gezogen, noch immer hoͤre ich dieſen biedern Zuͤribieter, wie er mir im Eiſen— bahnwagen zuraunte: „Er ſuͤft“. Das war alles, was er von dieſem Meiſter Gottfried zu ſagen wußte.

Und doch, wie es trifft: Wer den Zuͤricher Landwein kennt, wird ſchon in dieſer Tatſache des Zuͤricher Dichters Heimatsliebe ehren, wie er ſie in dieſem Rachenputzer immer aufs neue in ſich hineintrank. Das blaßrote Schoͤppli vor ihm: mir iſt es ſein Ehrenzeichen.

Emil Zola iſt die Ehrlichkeit der Sinne.

II, 9 129

Nicht gefaͤlſcht und nicht verzuckert.

Wie maſſig und machtvoll verteilt zieht ſein Panorama durcheinander!

Der Kehraus von Paris, der Kehraus des Weibes, der Kehraus des Reiches: ein Kehraus.

A Berlin und à Paris kreuzt ſich.

Der Kehraus. Aber Epik, große Epik, der Herameterfchritt der Zeit.

Und das Epos hat Mut, großen Mut. Und wo eine Zeit zuſammenbricht, es wartet nur aufs Ende, um neu zu beginnen den Wiederaufbau.

Si fractus illabatur orbis, Impavidum revocant ruinae.

Kaum die Feder aus der Hand gelegt, muß der Naturalismus, muß die Aufrichtigkeit ſelbſt Roman werden, ein lebender Roman, ſehr zum Schaden vielleicht deſſen, der geſchrieben.

Meiſter Conrad.

Trotz dem Franzoͤſiſchen: Bauernkrieg. Franz kiſcher Bundſchuh. Flugſchrift auf Flugſchrift. Anreger und Wecker, auch in fremden Namen zu eigener Sache.

Anſchwemmungen, Ungeſpundetes auf Unge— ſpundetes, Muͤnchener Kindl-Geſchichte. Friſche, friſche Lebensſtuͤcke.

Geiſt, viel Geiſt,

„Fehlt leider das geiſtige Band“.

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Und doch, es iſt da: die Perſoͤnlichkeit, die alles zuſammenhaͤlt, der ganze praͤchtige Kerl, dieſer Kraftmenſch und wenn er auch ein wenig zu ſuͤddeutſch, und ein ganz klein wenig Kraftprotz iſt.

Detlev von Liliencron.

Iſt Emil Zola der Protokollfuͤhrer und Karl Bleibtreu der Weiß, der etwas noͤrgelnde, ge— ſcheite Stratege des Krieges, was iſt Liliencron? Der Menſchenfreund, faſt die gute Geſellſchaft des Krieges. Und ſonſt ein deutſcher Muſelmann, ein Muſelmann mit treuen, tiefen Kornblumen— augen, eine Jugend uͤber alle Jahreszeiten hinaus, und eine Heimatſeele, die in jeden holſteiniſchen Knick getreten iſt.

John Henry Mackay.

Man kann ſich auch in Scheidewaſſer be— rauſchen, das verſetzte Pathos Mackays aͤrgert uns; denn es zerſetzt ihm Dichtung und Leben. Doch auch ſo zwingt uns dieſer unſelige Ernſt Hochachtung ab.

„Und ſcheint die Sonne noch ſo ſchoͤn, Am Ende muß ſie untergeh'n.“

Fuͤr Mackay trifft das nicht zu. Er hat die Sonne nie geſehen. | Und alle feine Reifen: der ſchottiſche Nebel in ſeiner Seele bleibt derſelbe. Den bringt er mit.

9* 131

Nur auf die „Schatten“ des Lebens iſt er eingeſtellt; nur der Jammer und die Jaͤmmer— lichkeit der Welt ſpricht ihn an. Er hat einen Palaſt, und bewohnt den Keller. Nur, daß er die uͤbrigen Raͤume nicht vermietet, ſondern leer ſtehen laͤßt.

Er kaͤmpft, aber ſetzt ungluͤcklich ein. „Steuer iſt Raub.“ Freilich: aber da ſind groͤßere Un— bilden, die Vaͤterchen Staat Neugeſonnenen zu— fuͤgt: vogelfrei das Manneswort. Unter Um— ſtaͤnden waͤr's ein Vergnuͤgen beizuſteuern. Mackays Weigerung aber ſchmeckt nach einem empoͤrten Rentiersgeldbeutel.

Was uͤbers Grau hinausliegt, iſt fuͤr ihn nicht da. Er liebt nur, um wehevoll ſchroffe An— klagen in aͤtzende Melodien tauchen zu koͤnnen.

Dafuͤr ſind aber auch ſeine Empfindungen nicht Gebilde, ſondern lebende Weſen, ſchmerz— volle Illuſionen. Seine Novellen aber ſind graue Juwelen, gleichviel, ob ſie von einer verratenen Kellnerin oder betrunkenem Leichenfolge handeln. Alsdann liegt die ganze Odnis einer philiſtroͤſen Bierreiſe darin.

*

Otto Julius Bierbaum.

Bierbaum? Wann lebte doch noch Bierbaum? Und doch: ein Weinlaub, das Germaniſtik

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ſtudiert hat, ein denkender Faun, roſige Reminiszenz, Liebe, die den Doktor gemacht hat, Hageſtolzen— tum mit Hustru.

Johannes Schlaf. Kosmiſches Kranken, erbitterte pflanzliche Sehnſucht. Sacher-Maſoch. Senſuelle Bluͤte, deren Welken Ethik duftet. Auch das welke Laub hat ſeinen eigenen ſtarken Duft. Es iſt Erfahrung darin, Matronenreife, die mehr ſagt als die vorwitzigfriſche, dumm— duftende Roſenweiſe.

Wilhelm Raabe.

Schalkhafte Harzfriſche. Sagen und Gnomen— zuͤge in der deutſchen Michelſeele. Buͤcherwuͤrmer mit Gemuͤt. Inkarnierte Engel mit Borſten und Stacheln. Gutmuͤtige Schlaͤue, etwas liſtig Drolliges und vor allem Verkniffenheit vor lauter, lauter Seele.

Franz Evers.

Einige vermoͤgen's noch, liebevoll und freund— lich in die Sterne zu blicken. Fromm nennt man die.

Nun kann es aber auch welche geben, die ſind ſchon im großen Sein, das ja jenſeits aller

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Sterne liegt, und ſchauen freundlich tief der Erde ins Herz.

Sie bringen, wie jemand der durch den Fruͤhling gewandelt iſt, alle Friſche und den Duft mit, der von den Baͤumen der ewigen Frucht atmet.

Aber er ſieht es nur als Winkel des Alls. Nur was beleuchtet iſt von da, erſcheint ihm freundlich, nur das deutet er hinan.

Heruͤber und hinuͤber flutet melodiſch hehre Schoͤnheit.

Er wandelt die Reiche des Ewigen, aber er fuͤhlt die Erde, fuͤhlt ihre Kraͤnkungen, liebt und vergibt, und die Geſtalten, die Maͤchte der Hoͤhe ſtellt er in flimmerndfeſte Worte.

Jugendſeele, fruͤheſte Jugendſeele ſtellt ſich dem ehernmachenden Antlitze der Ewigkeit.

Und nun kommt er auf die Erde, aͤhnlich wie ein herablaſſender Fuͤrſt denn auch die meinen es echt trotz Simpliziſſimus und will alles freundlich finden iſt es Kurzſichtigkeit oder nicht vielmehr beſonnene Vermittlung?

Er iſt der Dichter des uͤbergeiſtes, der ſinnige Durchempfinder der uͤberſinnlichkeit. Sein Lieben und ſeine Schoͤnheit kommt ihm aus hoͤherer Welt; er genießt fein Lieben.

In ſeinen „Fundamenten“ liegen begraben wie Urkunden laͤngſt vergilbter Tage ſeine

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Wunden, und feine Narben brennen in das Paradies ſeines Sieges.

Sein Lieben iſt, er iſt die Liebe: Sehnſucht und Erfuͤllung ſind bei ihm eins.

Und doch: er war Menſch und iſt Menſch im heutigen Wortverſtande, er gehoͤrt auch noch dieſer Welt an und winkt uns nach; ja in dem Schatten, dem dunklen Schatten da ſteht der Menſch unter den Menſchen und klagt mit ihnen gegen ihre Leiden und Schwaͤchen und trotzt gegen die Anagke, den Geharniſchten, den die jaͤmmerliche Ichſucht von heute vor das Paradies ſtellt, das die Erde waͤre, wenn dieſe Ichſucht nicht waͤre und ihre Folgen.

Ich ſchrieb mehr, weil Evers in ſeinen Werken Bruͤckenbauer iſt wie ich hier.

Bruno Wille.

Der ethiſche Hoͤhlenmenſch. Und zu ſeiner Erholung von den Volksſeeleaufpaͤppelnden Ge— noſſen, von Vortrag und Belehrung, von dem Wirken fuͤr andere und dem geduldig verarbeiteten obligaten Undank Undank von oben, Undank von unten iſt er ſein Eigenes: der dichteriſche Einſiedler, der Genoſſe von Kiefer und Müͤggelſer⸗ der Walt Whitman der Mark.

Viel treuherzig zottiges Moos an feierlich röt- lihem Stamm.

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Otto Erich Hartleben.

Kuͤnſtleriſche Enge. Auf Goetheſpuren, Goethevorſicht, ererbtes Mißtrauen. Engbruͤſtige Monumentalitaͤt der Genußfrage. Er reiſt, aber er findet uͤberall nur ſeinen abgeriſſenen Knopf, auch in der ewigen Romaz; er bleibt kalt auch in der heißen Sonne Afrikas.

Er kann aus ſich nicht heraus.

Schon in jungen Jahren der alte Herr: kann nichts ihn befreien, nichts ihn aufknoͤpfen. Vielleicht noch ein zweiter abgeriſſener Knopf.

Elſe Lasker-Schuͤler.

Elſe Lasker-Schuͤler iſt die juͤdiſche Dichterin. Von großem Wurf. Was Debora.

Sie hat Schwingen und Fefleln, Jauchzen des Kindes, der ſeligen Braut fromme Inbrunſt, das muͤde Blut verbannter Jahrtauſende und greiſer Kraͤnkungen. Mit zierlich braunen Sandaͤl— chen wandert ſie in Wuͤſten, und Stuͤrme ſtaͤuben ihre kindlichen Nippſachen ab, ganz behutſam, ohne auch nur ein Puppenſchuͤhchen hinab— zuwerfen.

Ihr Dichtgeiſt iſt ſchwarzer Diamant, der in ihre Stirn ſchneidet und wehe tut. Sehr wehe.

Der ſchwarze Schwan Israels, eine Sappho, der die Welt entzwei gegangen iſt. Strahlt kindlich, iſt urfinſter. In ihres Haares Nacht

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wandert Winterſchnee. Ihre Wangen feine Früchte, verbrannt vom Geiſte.

Sie tollt ſich mit dem alterernſten Jahve, und ihr Mutterſeelchen plaudert von ihrem Knaben, wie's ſein ſoll, nicht philoſophiſch, nicht gefuͤhls— ſelig, nein von wannen Liebe und Leben kommt, aus dem Maͤrchenbuch.

Elſe Lasker-Schuͤler iſt von dunkelkniſternder Straͤhne auf heißem, leidenſchaftſtrengem Juden— haupte, und ſo beruͤhrt ſo etwas wie deutſche Volksweiſe, wie Morgenwind durch die Narden— gaſſen der Sulamith uͤberaus koͤſtlich. Wie auch Heine einen Einſchlag von deutſchen Faͤden im Blute hatte, wohl noch ſtaͤrker als Prinzeß Tino. So daß es bei ihm zu Kampf, faſt zur Aufloͤſung kam.

Elſes Seele aber ſteht in den Abendfarben Jeruſalems, wie ſie's einmal ſo uͤberaus gluͤcklich bezeichnet hat.

Juͤdiſche Dichter, ſchoͤpferiſche Dichter aus Judaͤerblut ſind ſelten. Die Glut einer entlegenen Urſeele urſpruͤnglich, ſtark und bei Schmaͤhungen ungereizt zu erhalten, iſt nicht leicht. Heinrich Heine hat zuviel kleinliche Gehaͤſſigkeit, zuviel geriebenes Feuilleton unter ſeinen Werken. Ein zweiter Gedichtband iſt im Druck. Auf Wiederſehen, Tino.

Tino iſt der unperſoͤnliche Namen, den ich fuͤr

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die Freundin und den Menſchen fand, die flam— menden Geiſt und zitternde Welt wie mit Blu— menkelchen umfangende Seele.

Durchfall am Himmel.

„Nein, ſo ein Feetz!“

Den Engeln ſtanden noch die Traͤnen in den Augen. Die hellen Lachtraͤnen.

„Das war ja zu ſchoͤn! Zum Kugeln! Rein weg zum Kugeln!“

„Da gehen wir Dienstag wieder hin.“

„Einmal wird's ja noch aufgefuͤhrt werden.“

Dabei hakten ſie einander die blauen Fluͤgel, die ſie in der Garderobe abgegeben hatten, wieder ein in die patentierten Schnallen ihrer blauen Gewaͤnder und nahmen wieder das hochmuͤtig ſittige Ausſehen an, das ſie der Außenwelt gegen— uͤber zu bewahren wiſſen.

Die Engel ſind eben große Politiker vor dem Herrn.

Von der Erde aber drunten ſah man am Himmel einen wunderbaren Stern, wie nie ſeines— gleichen geweſen war.

Das war das gewaltige Werk, das droben unter dem unausloͤſchlichen Gelaͤchter des himm— liſchen Publikums beſtattet worden war.

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Und immer wieder leuchtete der Einſame auf in neuen Qualen gewundenen Feuers.

Glaͤnzend ſtarb er, in unerhoͤrten Farben— ſpielen wie ein Meeresſtern oder eine Seeblume.

Die tugendhaft ſoliden Buſen ſelig ent— ſchlafener Metzgerfrauen, die ihren Kirchenſtuhl drunten mit einem Gratis-Abonnement auf erſtes Parkett der himmliſchen Vollendungsbuͤhne und das Sterbehemd mit einem ſchwarzen Seiden— kleide nach Gerſons Zuſchnitt vertauſcht hatten, dieſe braven Buſen hatten gewallt, als ſei eine Empfindung in ſie eingezogen, die ſie auf Erden niemals bewegt.

Und die furchtbaren Iſidore droben mit Karpfenſchnuten und dolch- oder kreisfoͤrmigen Schnurrbaͤrtchen pruͤfen bereits die Schaͤrfe ihres mordsmaͤßigen Witzes, um unverzuͤglich zur Hin— richtung zu ſchreiten, und ihre rauchigen Augen gingen umher wie nach Stift und Papier.

Und der armen Kunſt iſt eben nicht zu helfen. Denn der Chef oben befaßt ſich natuͤrlich nur mit hoher Politik und uͤberlaͤßt in einer Gleich— guͤltigkeit, einer Geringſchaͤtzung, die faſt Ab— neigung iſt, das unter dem Strich den Anfaͤngern, den Preß⸗Volontairen des Jenſeits.

Er iſt nicht grauſam o nein!

Aber er kann ſich doch nicht um jeden Dreck kuͤmmern.

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Da ift nun mal nichts zu machen. Man muß ſich mit der Tatſache abfinden.

Mein heiliger Abend.

„Meinetwegen!

Nun machen Sie aber, daß Sie heraus— kommen!“

Als die Wirtin gegangen, machte ich mir an dem einzigen Stuhle Luft, den mir die Wirtin ſoeben vor die Tuͤre zu ſetzen die große Ge— wogenheit hatte. Ein bewaͤhrtes Mittel das eine innere Empoͤrung niederzudaͤmpfen, deſſen ſich, verläßlichen Gewaͤhrsmaͤnnern zufolge, ſchon der Altreichskanzler nicht ohne Erfolg bedient haben ſoll.

Noch einmal oͤffnete ſich die Tuͤr dem In— grimm meiner liebwerten Frau Hoſpita:

„Alſo morgen mittag 12 Uhr! Sind Sie dann noch immer nicht raus, dann ſchmeiße ich Ihren Kram auf die Straße und Sie hinterher.“

„Schoͤne Seele!“ meinte ich beſcheiden.

„Sie machen ſich wohl noch luſtig uͤber mir, Sie Strolch Sie!

Sie Erzgauner!

uͤberhaupt ſone Schriftſetzer, eine nette Package muß dett ſind!“

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„Sie vergeſſen fich, verehrte Frau Meckert, denken Sie daran, daß heut heiliger Abend iſt!“

„Ach heiliger Abend! Ihnen ſcheißt der Hund was!“

So nun war ich endlich allein mit dieſer an Gaben und Ahnungen ſo reichen Weihenacht des ganzen Jahres.

Meine Beſcherung hatte ich bereits weg. Zwei Pakete auf einmal. Nett, nicht wahr? Es gibt doch noch gute Menſchen!

Das eine Paket enthielt ein Drama in fuͤnf Aufzuͤgen. Das betitelte ſich „Schillers Lehrzeit“, war gut geſchrieben, darum von mir. Es ſei nicht kuͤnſtleriſch genug, zu belehrend!

Zum Kuckuck nochmal, dafuͤr heißt es doch auch Lehrzeit!

Das zweite Paket enthielt: Sappho, Roman der Schoͤnheit von Peter Hille. Auf den hatte ich die meiſte Zuverſicht geſetzt, wie ich an Schillers Lehrzeit und das doch wohl mit Recht die hoͤchſten Erwartungen geknuͤpft hatte.

Nun war auch er wieder da.

Noch aber hoffte ich. Waͤhrend ich ſo am Hoffen war, ganz hoch in den Hunderten ſchon, fingen in feierlicher Tiefe die Glocken an zu klingen. Bald aber hoͤrten ſie wieder auf und ich konnte unabgelenkt in mich zuruͤckkehren.

Es gibt eben ſo ungefuͤge Stunden, gewoͤhn—

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lich an geweihten Tagen, wo man dem lieben Gott Ohrfeigen anbietet und ſich ſelbſt rechts und links welche verabfolgt in machtlos auf— ſiedendem Grimm gegen die Bosheit des Schick— ſals, das wir in uns ſelbſt zu zuͤchtigen glauben.

Es werde Licht!

Es wurde aber keins. Denn die Lampe ſtank, als ich mit ihr mein gequaͤltes Dafein etwas erleuchten wollte, ſtank wie die muͤrriſche Miene meiner Wirtin, die da draußen herumrumorte, um mir ihre trauliche Anweſenheit nicht ins Ver— geſſen zu bringen.

„Det nennt ſich Schriftſetzer und hat keine heile Hoſe am Arſche!“ dieſe ſinnige Bemerkung hoͤrte ich immer wieder unter einem bitteren Ge— laͤchter, mit allen jenen Capriolen, jener Impudenz der Impotenz, die ein Kritikergenius, ein Kerr etwa zu zeigen pflegt.

„Ausraͤuchern muͤßte man die Schwefelbande!“

Meinte ſie nun mich oder Sudermann oder Kerr?

Und fragen konnte ich nicht.

So erhielt ich keinen Aufſchluß.

Es fing gut an.

Erſt hatte mir Redakteur Lauſewetter Kinder— ſachen zuruͤckgeſchickt, die er vor einem halben Jahre angenommen hatte, nun aber ablehnte, weil in letzter Stunde Lilieneron und Bierbaum

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noch eingeſandt hatten. „Und folche erfte Namen,“ meinte mein Lauſewetter mit demſelben Takt, wie er auch den Tag der Ruͤckſendung gewaͤhlt hatte, „die muͤſſen wir bringen.“

Weh dir, daß du ein Enkel biſt!

Nun blieb noch eins!

Heute hatte ich noch zu eſſen. Eine Schrippe von Mittag her und einen halben Hering. Wie ich nun meines gefrorenen Herings eiskalte Schilfern zwiſchen meinen Zaͤhnen fuͤhlte, da kam ich mir vor wie mein Symbol, wie ich als ſolches mein Leben verſchlang.

Ich lehnte meine Stirn gegen das Fenſter. Es waren wieder irgendwo, ganz dumpf, Glocken in der Luft. Dumpf und muͤde! Dumpf und muͤde! Ich konnte es mir wohl denken! Die armen Glocken!

Zweitauſend Jahre lang ſchon haben ſie gelogen. |

Von Frieden und ſowas.

Das iſt ſchwere Arbeit.

Faſt wie Sterben.

Das wiſſen auch die Dichter.

Darum ſind ſie den Glocken ſo gut.

Eintoͤnig klaͤgliches Getute einer Kinder— trompete. Da hatten wir die Beſcherung!

Aber es mußten viele doch nichts gekriegt haben heute. Es ſah ſo aͤrgerlich aus draußen.

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Es war alles jo gereizt, als nun die paar Hinter- und Dachfenſter, die ich da und dort vor mir hatte, allmaͤhlich undeutlich erleuchtet wurden.

Wie geronnened Blut etwa.

Begreiflich: kein einziger Chriſtbaum!

Nur gerade gegenuͤber aus dem Hinterhauſe der Villa in der Regentenſtraße kamen einige Tannenſterne zum Vorſchein: da wohnte wohl der Bediente oder Kutſcher.

Da vorn aber, wie mußte es da erſt aus— ſehen! Da war ich angerichtet.

Ja wirklich ich. Corinth hatte mich gemalt, und die Dame des Hauſes von ihrem Herrn Gemahl mich zum Weihnachtspraͤſent ausgebeten.

Und ſie hatte mich bekommen. Denn ihr Mann gewaͤhrte ihr alles, was er ihr nur an den Augen abzuleſen vermochte, und er konnte es auch, denn ſein Tagewerk war Knipſen. Nicht im Schalter, ſondern vor dem Treſor.

Da wuͤrde es hergehen, da vorn! Wie ich da bewirten mochte, wie mir zu Ehren die ge— brannteſten Korken ſprangen! Kaviar fuͤrs Volk, dort in einem Kreiſe, der mir Verſtaͤndnis ent— gegen brachte.

Noch aber war meine Stunde nicht gekommen. Noch ſtand ich im Lorbeerkranze hinter einem Vorhange.

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r

Er fiel. Welche uͤberraſchung begruͤßte mich, welche Bewunderung! Wie zufrieden laͤchelt der Gaſtgeber uͤber

ſeinen Geſchmack. Ich ſagte es ja immer, eine Weinzunge iſt verwandt mit der hohen Diplo—

matie, iſt zu allen Dingen nuͤtze.

Es klopft.

Der Brieftraͤger.

Eine Überrafchung! Ein Paket, der daͤmo— niſche Sagenroman „Der Rattenfaͤnger von

Hameln“, meine letzte Hoffnung nun liegt ſie

vor mir!

Der gute Brieftraͤger: ſchenkte er mir doch die 5 Pfennig Beſtellgeld, die ich nich“ zahlen kann. „Na, weil heiliger Abend iſt!“

Die Stube iſt ganz voll. Eine bereits dichte

Verſammlung hat darin Platz genommen: die Finſternis.

Wie außen, ſo mag's da drinnen ſein.

Da wird's heller. Die Sterne droben klappern und zwinkern vor Froſt.

Ich will ihnen auch eine uͤberraſchung bereiten.

Wem ſoll ich was ſchenken?

Meiner Wirtin?

Aber was?

Mich ſelbſt!

Aber das nuͤtzt nichts. Wenn ich mich auch aufhaͤnge an dieſer Schnur um das Paket von

II, 10 145

Lauſewetter, das ich geduldig auffnoten muß in der Finſternis, weil ich kein Meſſer beſitze. Man holt mich ab zum Schauhauſe, und uͤbermorgen haͤngt dort der Zettel aus.

Das hat alſo gar keinen Zweck. Dynamit! Koͤnnte ich nur Dynamit kaufen, wuͤrde das hell werden, hell fuͤr alle! Die Kathedrale ſollte aufleuchten in ungeahnter Lichtfuͤlle Gott zum Preis und ſeiner ſchoͤnen Welt!

Ein deutſcher Dichter, der ſich nicht mal ein bißchen Dynamit kaufen kann zum Chriſtkindchen pfui Teufel!

Und ich lache ein Timonslachen.

O Gott, wie ſchoͤn iſt doch die Freiheit, das aͤußerſte Elend! Man iſt ſo ſicher, tiefer kann man gar nicht fallen!

Morgen, wenn ich erwache, erſter Feiertag, ſpitzenfriſche Morgenroͤte und draußen Kinder, die ſtolz und neidesfroh die Vorzuͤge ihrer Puppen ſpazieren fuͤhren und minderbegluͤckten, weniger bedachten Geſpielinnen gegenuͤber preiſen.

So bleiben ſie, auch wenn ſie erwachſen ſind.

Nur daß ſie ſelbſt die Puppen ſind und ihren Puppenſtaat lieber am eigenen Leibe tragen.

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x

Fiopädie der Meinigeiten

A.

Antike.

Das griechiſche Altertum war ein Wandeln zwiſchen Saͤulen. |

Im Altertum fehlte die Seele, das Nazarener— tum nahm dafuͤr den Leib.

Laß ſehen! Nun haben wir die Perverſttaͤt der vormaligen Enthaltſamkeit. Ich glaube, dieſe naͤhert ſich ihrem Ende trotz der Delices des Verlags von Henry Kiſtemaeker Bruxelles, der Bilder und Photographien, die unſer Zeitalter verunzieren. Wenn es ganz ruhig iſt und die Menſchentriebe in Wage ſtehen, dann wird das unbefangen Schoͤne geſchaut, geſtaltet und beſehen.

Abſcheu.

Die Zartnervigen ſind nicht immer die Neinſten. Zwanzig Jahre Beſchaͤftigung der Edelſten mit den Abſcheulichſten wäre für die Lebenslaͤuterung beſſer als 200 Millionen Jahre voll Sittlichkeit und Schoͤnheitslehre. Bemerkenswert, daß man beim

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Speifen am ſittlichſten iſt. Zuſammenhang zwiſchen Gaumen und Gewiſſen waͤre zu unterſuchen.

Arbeiten iſt bei ſich ſelbſt ſein. Michel Angelo. So laß mich mit dir ruhen, du kulturherber Stein, du Leib der Staͤrke, der du tuͤrmſt und waͤlzeſt alle Wucht des Leibes und der Seele,

auf dem ſtarken Nacken Tempel traͤgſt zu Ehren des Allmaͤchtigen!

Antiſemiten.

Das Moderne: „Hie Welf, hie Waiblingen!“ ſagt uns hoͤchſtens, daß wir unſere ſogenannte Ziviliſation nur gewaltſam aufrecht erhalten, und daß wir mitten im neunzehnten Jahrhundert wieder mitten in die Roheit alter Vorurteile zuruͤckfallen koͤnnen. Wir reißen eine Wunde, die im beſten Heilen war, auf und geben unſern Nachkommen an den uͤbeln, die wir in den Juden nun wieder zu erregen Miene machen, wieder Anlaß zu neuen Mißhelligkeiten und Unzufriedenheiten. So werden weder wir, noch die armen Juden jemals zur Ruhe kommen, wir muͤſſen hetzen und ſie muͤſſen uns dazu anregen. Von allen Gruͤnden zum Judenhaß ſehe ich nur den, daß die Folgen, welche durch verkehrte Behandlung der Juden Ge— winnprivilegien mit Verachtung, jetzt etwas fuͤhlbar

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r

werden. Zu den Roheiten des Poͤbels und der Gebildeten ſehe ich keinen Grund und muß um ſo mehr die anſtaͤndig geſcheute Verhaltungsweiſe der Juden bewundern. Philoſemit, ob ich es bin? Ich weiß es nicht, nur ſteh ich gern, wo verfolgt wird. Da geſchieht viel Unrecht und dagegen muß ich proteſtieren. Um ſo mehr aber finde ich es angezeigt, gegen die Boͤrſe, welche mit ihren Schwankungen und Luͤgen den Wohl— ſtand ſtrebſamer Leute ins Schwanken bringt, vorzugehen und die Entwertung der Arbeit, der Ehrlichkeit und des Vertrauens durch gewiſſenloſe Schufte, welche die Erwerbsguͤter ganzer Betrieb— ſamkeitsbezirke zu Priſe einer gewiſſenloſen Liſt machen wollen, nicht ferner zulaſſen. Hier bedarf das Strafgeſetzbuch entſchieden einer Erweiterung, um abgefeimte Betruͤger nach Gebuͤhr behandeln zu koͤnnen. B. Bildung.

Die Bildung phyſiologiſch, in ihrem Wer— den gefaſſt, it langſame Nervenveredelung, Fuͤgbarkeit des widerſpenſtig ungemaͤßen Selbſt unter dem faſt noch unmaͤchtigen Mechanismus des Willens und Urteils weil wir dieſen noch ſo wenig gebraucht haben und ihn darum kaum vorhanden wiſſen, nennen wir ihn noch Geiſt.

Liegt dieſer Mechanismus bei anderen, machen

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ihn dieſe gegen Untergebene geltend, ſo haben wir den Gehorſam den leichteren Grad des Kommandos, weil ſich dieſes deutlich und unab— weislich geltend macht. Im Zeitalter der Selbſt— beſtimmung iſt auch das Wort „Obrigkeit“ ein Unſinn.

Badegaͤſte: Dekoration der Kuranlagen. | Ernſt und betriebſam, bedaͤchtig putzen fie ſich heraus, wie eine gemietete Empfehlung der Badedirektion Bekleidung der Anlagen.

Ä Beichte.

Hat ſchnell unperſoͤnlich, ungefaͤrbte, dazwiſchen geſetzte Worte. Hier ſind die Erklaͤrungen un— parteiiſche Beſtellungsworte. Auch die Bitte in Wort und Schrift ſucht ſich ſtets die beſte Stelle aus; um ſchnell und ungeftört uͤberzugleiten in den andern.

In Briefen dicht am Ende nach guten Aus— ſichten vor dem Zug letzter zaͤrtlicher Verſiche— rungen und Gruͤße. Es iſt da ſicher ein Geſetz fuͤr Anbringungen, ein goldener Schnitt des Peinlichen.

D.

Darwins Abſtammungslehre

iſt der Monotheismus der Schoͤpfung. Er hat dieſe zu der Einheit gefuͤhrt, zu welcher die An—

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erkennung eines Gottes den Schöpfer aus den Naturreligionen emporzog.

Dichtung iſt die Mathematik der Wirklichkeit, daher Be— duͤrfnis nach dem poetiſchen Gravitationsgeſetze, dem Tragiſchen.

Der Dampfwagen iſt ein verbiſſen vorbeiraſſelnder Kampfknaͤuel feindlicher Elemente.

Demokratie in der Natur.

Die Welt droht mit Demokratie. Vielleicht ſchlaͤgt dieſelbe gar auf die Natur uͤber, oder ſollte die nicht auch das Fieber bekommen, was in der Luft liegt. Und das waͤre doch entſchieden nicht gut, daß die Natur demokratiſch wuͤrde. Mancher Wintermorgen ſieht ſo hellgelblich ſcharf aus wie Branntwein. Das moͤchten manche Schreier gewiß gern. Die Natur iſt ſo wie ſo demokratiſch genug und treibt viele Feine auch zum ſelben Schmutzigen mit dem Poͤbel.

Dinglaute und Dinggedichte.

Die grazioͤſe Inkongruenz, die Einzigkeit der Dinge muß auch durch den Laut gegeben werden. Kuͤhn verſuchen! Mit jedem gluͤcklichen Treffen mehren ſich die Beruͤhrungsſtellen von Klang und Sache. Der Klang wird dann gerade wie von.

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der Sache kommen. So Dichten macht frei, kuͤhn und fein.

Unter Heurekaſignalen zwiſchen den Suchern geht es immer weiter. Was ſollen uns alcaͤiſch und asklepiadaͤiſch? Ich liebe und ſchaͤtze dieſe Maſſe, aber nur im Griechiſchen, mit dem erſten Studium ihrer Tonſchoͤpfung zur Seite. Sie rufen einen Gelehrten herbei: Aber nachahmen? Oder die deutſche Tanzweiſe, Ballate, Leis und Lied? Und die Nibelungenſtollen? Ich ſehe den Saͤnger mit der Harfe und ſo habe ich keine Luſt barhaͤndig nachzutun. Wir haben die Dinge und die Erkenntnis und muͤſſen daran unſere Weiſe finden.

Indeſſen mag hier eher eine Entdeckung das Richtige finden, als eine Unterſuchung es klar— legen. Es iſt eben eine Frage, die durch einen Lichtblick entſchieden werden muß.

E.

Erkenntnis.

Wir wollen Aufſchluß von der Natur durch Studium, indes manche Erlaͤuterer werden mit Goethe nicht fertig und der ſie angefuͤhrt hat, lacht ſie aus. Ich habe die Natur ſtark im Verdacht, daß ſie auch ein wenig goethiſch iſt.

Erde. Der Menſch iſt eine Erde, ſeine Haut eine geronnene Kruſte je aͤlter der Menſch,

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deſto tiefer in feinen ſchlaffen Faſern wird er Haut. Epos.

Warum iſt wohl Homer, aber nicht Dante ein Epiker? Weil die Gedanken veraͤndern, nicht aber Fuͤhlen und Leben, und weil die Sitten dem Leben naͤher liegen als Gedanken und Religionen.

Elegie.

Die deutſche Elegie kuͤndigt ſich in der nun wachſenden deutſchen Dichtungszeit an. Sie wird nicht in Diſtichen ſein und nicht mehr lediglich perſoͤnlich⸗ſinnlich, in Italien ſpielen wie Goethes, obgleich der italieniſche Boden anziehend und als fremd empfunden zugleich treffend die deutſche Natur, die dort genoß, widerſpiegelte.

Auch wird ſie nicht patriotiſch ſein, das Wort „Vaterland“ wird nicht darin vorkommen.

Wo der Geiſt iſt, kann das Wort fehlen.

Das Malaiiſche Epos.

Im Epos ſprechen die Dinge. Behagliche Wiederholung der zu den Sitten gehoͤrigen Be— wegungen im feſten Ton, zur Vergleichung dienen die Erſcheinungen des Landes.

So ſind ſich Homer und der malaiiſche Dichter gleich. Nur der Charakter des malaiiſchen Helden iſt feiner, edler, hat etwas Indiſches.

F.

Farben ſind nur eine Freigebigkeit, ein Almoſen der Dinge. Feinfuͤhligkeit iſt Leben an gewoͤhnlich toten Orten. Familie der dichtenden Kuͤnſte.

Wir finden nur die Kinder zu Hauſe. Die Eltern ſind vielleicht augenblicklich ausgebeten.

Das Drama, das Spiel hat immer das Wichtigſte; ein Bedeutendes muß unausgeſetzt eine vorzuͤgliche Gelegenheit haben, an welcher es ſich auszuhandeln hat.

Im Epos muß Bedeutendes ſich bequem, ver— trautgroß in beſcheidenen Klaͤngen nahen, im Roman Bequemes zum Bedeutenden ſich bilden.

Fortſchritt. Ich glaube nicht, daß wir bereits ſo voll— menſchlich ſind, daß wir alles um uns vollmenſchlich haben muͤſſen. Fordern iſt leichter als Werden.

Freiheit. Erſt wenn unſer Leben allgemein zu rein, zu vollkommen iſt, irgend welchen Zwang zu ver—

tragen, dann wollen wir dieſe Anſicht ausſprechen und kein Herrſcher wuͤrde ſich alsdann weigern,

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der hoͤflichen Erinnerung Folge zu geben. Revo— lution in Glacé-Handſchuhen.

In der Freiheit der Schreier liegt die Un— freiheit der Gehaltenen.

Freigebigkeit iſt eine verdaͤchtige Tugend mannichmal nur eine ausuͤbende Naſchſucht.

Falten ſind die Ruhe, die Erholung des Denkers. Kein Forſcher, kein Kuͤnſtler, der es ernſt meint, der ſein Gehirn anſpannt, in den Stunden des Schaffens wird ſie ſich erſparen koͤnnen. Sie ſind fruͤher ſchon ſichtbar, wie der Mond am Tage. Falten ſind die Linien vom Schreibebuch des Geiſtes.

Freundſchaft.

Wohltaͤtig, koͤrperlich Jugendgefuͤhl des Eigenen macht ihre ſinnliche Merkbarkeit aus. Ohne eine gewiſſe Wahrnehmung, ein Schmecken der Eigen— heit wuͤrde man ſie vertrocknet finden. Alte Freunde haben doch noch immer etwas Friſches, Jugendliches, Knabenhaftes in Ausſehen und Gebaͤrden.

G

Geſchichte. Wir muͤſſen eingießen, der Tod gießt aus und macht dann unter chemiſcher Verdampfung

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Praͤzipitation die Geſchichte, das iſt Likoͤre und Haaroͤl fuͤr die Gegenwart daraus. Dieſes Haaroͤl nennt man dann Moral. Die Haare wachſen aber nicht danach.

Gerichtsdiener.

Warum betrinken ſich die Gerichtsdiener? Aus Wohlwollen und Menſchenliebe, weil ſie von den Liſte fuͤhrenden Vorgeſetzten, Botenmeiſtern immer wieder gegen das Elend angehetzt werden. Die nicht trinkenden ſind die haͤrteſten.

Geſelligkeit, friſcher Sinne Austauſch.

Genußſucht.

Ausſpuͤrung und Pflege von Feinheiten. Auch das ſogenannte Gute muß ſich als koͤſtlich in dieſem Bereiche ausweiſen. Tugend iſt oder wird ſpaͤter die groͤßte Genußſucht ſein, wann das Rohe ekelt.

Gelegenheit.

Troſt derer, die keine Gelegenheit haben, zu ſehen, daß ſolche, die davon hatten, ſelbige nicht benutzt haben.

Geiz iſt ſubjektive Armut.

Gewaltſamkeit der Erſtlingswerke.

Durch wilde gewaltſame Ausſpruͤche muß man erſt feine Richtung angeben. Das Original:

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werden iſt wuͤſt, ſiehe Schillers Räuber, und es hat ſicher dem nachmaligen Telldichter Über— windung genug gekoſtet ſo zu ſchreiben. Ein Erſtlingswerk ſchreiben iſt oft, aus ſeiner Natur gehen, um alsbald nach außerhalb eingenommenem Sitze, dahin zuruͤckzukehren.

Der Torwaͤchter will nicht oͤffnen, ſo nimmt man Dynamit und geht durch die Breſche ein. Dann kann man auf dem eigenen Wege ruhig fortfahren. Dann hat auch die leiſeſte Bewegung ihren ſchon verſtandenen Sinn. Ein bekannter Autor kann, was er fruͤher auf Laͤrm ſetzen mußte, nun auf ſtille Kunſt wenden. Dann kann die Geſinnung wohl maßvoll, friedlich faſt, nie aber dem fruͤher Befeindeten freundlich werden aus Aſthetik, Apoſtaſie bleibt Apoſtaſie. Gottſchall iſt kein groͤßerer Kuͤnſtler dadurch ge worden, daß er Hofrat und Baron zu werden vermochte.

Geſellſchaft.

Sprache iſt ſchon Geſellſchaft. Wer deutlich angenehme Laute ſpricht, hat auch andere Eigen— ſchaften gebildet und iſt anderem etwas wert.

Ganze Menſchen

bleiben nicht vor dem, nicht auf dem Verfaͤng— lichen ſtehn, ſondern gelangen dadurch zur be— feſtigten Reinheit.

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Genauigkeit.

Je tiefer man eindringt in das Weſen, deſto weiter iſt man noch davon ab. Das kann man an Turgenjew ſehen, der auf ſchließender, fata— liſtiſch geſammelter Beobachtung ſteht. Mehr noch an Zola. Turgenjew: Tod, Zola: Zerſetzung und Verweſung. Sie gehen aus alten und ſtuͤrzen ſich in neue Unbegreiflichkeiten. Die Undeut— lichkeiten der Deutlichkeit find hoffnungsloſer. Sie verlieren, ſie zerſtreuen ſich eben und die anderen, ideelle kommen zum Loͤſen. Wenn ein Schulwort beruhigt: Das eine iſt ſynthetiſch, das andere analytifch.

Gelehrte und Stil.

Die Gelehrten muͤſſen ihre Saͤtze ausſprechen und die Stilkuͤnſtler muͤſſen ſie entbehrlich machen. Durch Zurechtlegen fuͤrs Selbſtfinden ſeitens der Leſer.

Geometrie iſt die Logik des Raums.

Gravitation iſt der Schatten eines dichten Geſetzes.

Das Gluͤck.

Es iſt wunderbar, wie phlegmatiſch das Gluͤck iſt. „Komm nun, oder ich tu' mir ein Leids an“

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Schadt nichts und das Glück wendet ſich nicht ſo viel.

Darum mag es noch kommen, wenn der Menſch laͤngſt nicht mehr iſt. Darauf achtet indes der merkwuͤrdige Patron nicht, ſieht nicht einmal auf, legt hin, was er mitgebracht und geht ſonder Verwundern, ſonder Bedauern hinaus.

Glaͤubiger.

Man muß ſie meiden, ihr Umgang verdirbt, denn die Unſeligen haben ſich nicht entbloͤdet Vertrauen zur Menſchheit zu haben.

Geſchichte und Gedaͤchtnis. Iſt Gedaͤchtnis nicht ſubjektive Geſchichte, Geſchichte nicht objektives Gedaͤchtnis?

Das Ganze.

Oberflaͤchliche Menſchen haben es leicht, frei— ſinnig zu ſein. Erkennt das Ganze irgend welcher Einrichtung und es gehört ſchon Geiſt und Gegenwaͤrtigkeit der Gruͤnde zur Widerlegung. Man muß erkennen, daß ganze Lebenswirklichkeiten darin liegen, und um das, wo ſich Tauſende von tuͤchtigen Naturen unbefangen verhielten, muß man bereits ſehr verbeſſert ſein, um es darin nicht aushalten zu koͤnnen.

Haͤtte ſich die franzoͤſiſche Revolution gefragt, ob ſie wirklich ein ſittliches Beduͤrfnis fuͤhle und

II, 11 161

in längerer Knechtung ein ſittliches Unrecht er— leide, jedenfalls haͤtte ſie alsdann nicht einige Jahre ſpaͤter ſich Napoleon zur Haft ſtellen zu brauchen.

Geſicht.

Vom ganzen Koͤrper waͤhlen Nackte, und zwar Naive, wie die aͤgyptiſchen Badenden oder Geriebene, wie die zuſtimmende Phryne ihr Ge— ſicht zur Bedeckung. Unſere Gleichguͤltigkeit gegen dasſelbe und unſere Neigung zu niedrigeren Partien, mindeſtens niedriger gelegenen, kann hier nicht mitmeſſen, denn durch offene Ver— ſtecktheit und geheime Gewohnheit iſt unſere ſinnliche Uhr unherſtellbar verdorben.

Geſellſchaften.

Der Menſch ſollte von ſeinem Hauſe lernen, das nur nach Innen freundlich, nach außen gleich— guͤltiger ſich verhaͤlt. Wo iſt ein Haus, deſſen Tapeten an der Straße ſitzen, deſſen Seſſel unter den Fenſtern ſtehen, waͤhrend die ſcharfen, rohen Ecken der Quadern in die Zimmer ſchneiden? Und wie iſt mancher liebenswuͤrdige, ewig heitere Geſellſchafter zu Hauſe gegen Frau und Kinder?

Glaube.

Unſer Glaube iſt der Gewandsſaum fuͤr den naͤchſten Aberglauben.

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Griechenland.

Kunſt und Genuß und die waren in der Antike enger vereinigt, fuͤr den Harmoniſchen eigent— lich nur dasſelbe aͤußerte ſich bei den Hellenen eher als ſchoͤnes Verlangen, bei den Roͤmern ward es dann Genuß. Rom genießt, wo Griechenland erſehnt.

H. Heilkunde.

Mit der Heilkunde haben die Krankheiten zu— genommen, weil die Furcht nachgelaſſen hat. Doch die Gefahren haben ſich vermindert.

Hirnarbeit iſt Nervenveredlung und Einzelbearbeitung der Welt fuͤr kuͤnftige Generationen zum ſchnelleren Orientieren. Hoͤfe.

Im allgemeinen iſt es richtig, die Literatur— geſchichte nicht nach der politiſchen einzuteilen, indeſſen die Euphuiſten unter Eliſabeth und Peru die klaſſiſchdramatiſche-gefaͤllige Literatur unter Frankreichs beiden letzten gluͤcklichen Ludwigen, der Weimarer und der von Eſte Hof haben dann doch ihre Dichter ebenſo ſehr gebildet als gehabt.

K. Klavier iſt ein klingend Veilchen.

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Kraft. Kann man mit Übung und Kraft nicht das Schickſal verjagen, dann iſt in der Tat die Erde das unſeligſte Inſtitut.

Kritik.

Echte Kritik muß etwas Mediziniſches, etwas Phyſiologiſches, etwas Anti-Pathologiſches haben. Muß heilend und hilfreich ſein. Es iſt naͤmlich nicht nur abſtoßend, es iſt auch ein Leiden, wie ſchlecht zu ſein, ſo auch ſchlechte Buͤcher zu ſchreiben. Die muß man in der Kritik beruͤck— ſichtigen und zu lindern verſuchen.

Kellner.

Die Kellner mit ihrer permanenten Ver— bindlichkeit, ihrer Unkindlichkeit vom Mutterſchoß an, ihren Gebaͤrden, ihrem Aplomb lang vor dem Charakter ſind bedauernswerte Geſchoͤpfe. Die Servilitaͤt dieſer eingeengten Geſchoͤpfe der Etikette muß einen Menſchenhaß zu Wege bringen, der ſich oft in Schlaͤgereien loͤſt. Sie nahmen Beine an aus ermuͤdeter Anmut, Gemaͤchlichkeit der Grazie. Wenn es ſie aus ihrem Prokruſtes— bett zu Entartungen, Wildheiten draͤngt, ſo möchte ich fuͤr die Armen ein beſonderes phyſiologiſch wahrnehmendes Strafgeſetzbuch vorſchlagen. Auch Kaufleute, Diplomaten beſonders haben dieſes Stundenglas der Verbindlichkeit. Alle die, welche

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zu viel anmutig weltmaͤnniſch ſtehen und dabei den Beruͤhrungspunkt breit anlehnen als lehnten ſie die eigenen Beine an ſich.

Alle ſie laufen, wenn das Stundenglas ab— gelaufen iſt, wie Kinder aus der Schule ins Ent— gegengeſetzte, ins Rohe, Debauche oder Froͤmmelei. Diplomatie vor 16 Jahren verbuͤrgt dauernde Dummheit. Die diplomatiſche Gruppe, deren Gebärden viel von X, 9, Z haben, kommandieren vorzuͤglich die Algebra, am hervorragendſten die Addition.

Komoͤdie.

Iſt nur die rechte Perſpektive fuͤr eine bedeut— ſame Erſcheinung.

Kartenſpieler.

So lange man Karten ſpielt, ſo lange laſſe man die Menſchen gewaͤhren.

Veredelungsverſuche ſind heller Wahnſinn bei dieſen ſtumpfen Naturen, die bei der Karte lebendig werden. i

Ein Maͤrtyrer bei Trumpf, warum ſie inſul— tieren, ſie werden doch nicht beſſer.

Kritik. Wir finden vieles ſchlecht, weil wir ſchlechte

Kritiker ſind. Sind ſchlechte Kritiker, weil wir ſchlechte Freunde ſind. Freundſchaft macht Kritik,

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oft auch Kritik Freundſchaft. Macht fie Feind— ſchaft, dann taugt entweder die Kritik oder der Kritiſierte nichts.

Krieg und Hetzerei jeglicher Sorte iſt Heimweh nach dem Wuͤſten.

Kaͤufer.

Wer einen Shakeſpeare, einen Goethe, einen Aſchylus einen Shelley oder Swinburne kaufen kann, und waͤhlt dich, Neuling und waͤre es auch nur einer, es iſt ſchon eine hohe Ehre. Er erhebt dich damit uͤber alle andern. Weil der Buͤchermarkt immer neue Lagen auf den Markt ſchuͤttet, ſo ſehen die aͤlteren Beruͤhmten, daß zu ihnen nur noch ſehr ſelten eine Hand hinunter— taſtet. Es liegt ſchon zu viel dazwiſchen von ſtarren zaͤhnigen Buͤcherecken. Es wird oben ab— genommen, unten ſteht die Bedeutung ſtill unter den Zacken und Verzahnungen immer verbiſſener ſich haltender Baͤnde. Man greift nach dir, weil du oben liegſt, ſpaͤter liegſt du unten, entſage dann, wenn die uͤber dir es leichter haben, auch deinerſeits.

M. Mangel. Mangel iſt Unkenntnis und als ſolche entſetzlich.

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Moden find Variationen über die Etuͤde „das Leben“.

Mediziniſches Zeitalter.

Ein ſolches naht heran, phyſtologiſch, medizi— niſch wird alles erledigt werden, womit ſich Moral, Jurisprudenz, Paͤdagogik und Theologie vergeb— lich oder mit doch nur unvollkommenem Erfolge abgegeben haben.

Alles Verkehrte, was im Menſchen ſteckt, muß ſo hinaus kuriert werden, wie eine Krankheit, ſo ſonder Zetergeſchrei und Entruͤſtung, ſo auch ohne Schonung und Rachſucht.

Geiz, alles iſt ſo etwas Verkehrtes und nur von ſeiten der Geſundheitslehre zugaͤnglich. Ich weiß nicht, was das Verſchweigen fuͤr einen Zweck hat. Es macht uns doch nicht beſſer.

Moral, wahre Schwaͤrme von Moral ſind zu allen Jahrhunderten uͤber die Welt gezogen.

Eroͤrtern, Arzneien ausfinden und die an— wenden! So wird die Hyppertrophie gewiſſer Stellen im Gehirn, von Nervengruppen, anders iſt ja doch ein Hang nichts, beſeitigt und das Allgemeinbefinden verbeſſert.

Vorurteilsloſe Einſicht muß zum Studium der Beſſerung dieſer verworfenen Gebilde ſich an— nehmen; aͤrztliche Wißbegierde erſt das Abſcheu— lichſte vor ſich legen und unterſuchen bis zum

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Verſtehn, trotz eigenem Ekel und fremder Heuchelei.

In der Dichtkunſt wird ſich dieſe heilſame Richtung hoch poetiſch in der Komoͤdie zeigen, nicht mehr nur national wie die des Ariſtophanes. Indes ſo gewaltig faſſend, ſo maͤchtig das Gut und Übel geſtaltend wie dieſe Meiſterwerke. All— gemein menſchlich, werden die Gebrechen der Zeit am beſten gezeigt, am eheſten gemieden. Vor der Komoͤdie wird auch das Zuſammenbrechen; was eine Satire noch vortragen kann, die iſt nur privat⸗pamphletig, der kann man die privat— heuchelnde Stirn bieten. Vor innerſt pruͤfender Kunſt, vor einer großen reinen Komoͤdie wird auch die frechſte Gewohnheit das Geſicht ver— huͤllen.

Menſch.

Des Menſchen Natur iſt Kunſt und Bewußt— ſein. Der Menſch iſt eine Pflanze, er kann ſich nicht allzu weit von ſeinem Klima entfernen. Er ſpuͤrt es.

Mutterſprache.

Auch der Zungenfall ſtraͤubt ſich gegen Nach- ahmung. Die Malaien haben guten Willen, ſie nehmen Kultur in vollen Zuͤgen in ihre Sprache auf. Sogar unſer „Stiebel“; muͤſſen aber „perſent“ ſtatt „preſent“ ſagen, „bor“ ſtatt „fore“ ſagen.

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O. Othello. Ein weinend einſchlagendes Gewitter. Ohr ſcheint in ſeinen Windungen den Windungen des Wortes, der Unzuverlaͤſſigkeit der Zunge nach— zugehen. Es hat die Windungen des vorigen Organs, iſt die Mauthniſche der Sprache.

Onanie und Proſtitution.

Die Onanie iſt ein Nebenbett fuͤr den Fluß der Gattungen. Um das veruntreute an zuruͤck— gebliebenen unzweckmaͤßig umgeſetztem Leben iſt der Menſchenwert betrogen. Dazu kommt nun noch die ohne Entgelt in die Proſtitution ge— ſchleuderte Vortrefflichkeit. Geldlicher Verluſt iſt Bagatelle daneben. Leidenſchaft wird groß durch die maͤchtigen Gefuͤhle, hat eine eigene Buße und Suͤhnung. Nun denkt man, iſt die Menſchheit wieder neben ihr Urbild zu lenken? Welche Ab— weichung ſollte der Sertant ausweiſen?

Ich habe Fremdwoͤrter gebraucht, in der Hoff— nung, daß ſie dann gleichſam außer unſerer Mitte bleiben und daß mal daraus Fremdlinge werden.

Ort der Anwandlungen. Es gibt Hecken und Ausſichten, Feldwege, von denen aus die Gegend ein epiſch groß— geſammeltes Ausſehen annimmt. Hier hatte man

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ſchon früh die Stimmung, dereinſt wieder da ſchreitend Dichter zu ſein. Weite braun-bleiche Saͤume ſchlug das Korn, die violetten Raden fluͤſterten, ein Heimchen zirpte, weit außen ſchritt die Welt voruͤber. Man memorierte ein reifes, zereales Gedicht von Schiller und ſchrieb ſonder— bar erſchreckt in fein Tagebuch, . .. „mir war ſo ſonderbar, ſo ſtill, ſo eigen, alles ſo fremd und nahe, als haͤtte die Muſe mich auf die Stirn gekuͤßt ...“ Und man wird Dichter, aber anders. Nicht epiſch-idylliſch, wie man einſt fo nahe zum Greifen das geſaͤttigte Leben vor klarem ahnenden Juͤnglingsauge ſah, gleich einem ſonnetrunkenen Falter. Nein, man wird geworfen, getäufcht, fallt, durch den Fabrikrauch der Stunde kommt man viel— leicht einſt wieder dahin nach Kämpfen, die bereits alle Poeſie genommen haben, ehe man ſie antritt.

Ahnlich gibt es auch ein Tal der Verſuchungen, einen Berg des Argerniſſes, wie ein ſolcher im deutſamen Frieden der Legendenlandſchaft von Jeruſalem heißt. Den Morgen, den man ſchon fruͤh verließ, ſieht man erſt als Nachmittagsſonne, veraͤndert, ſpaͤt und umgeſtellt wieder

5 Poeſie und Wirklichkeit. Manche Poeſie kann nicht vertragen, daß ſie die Wirklichkeit wird. Homer nennt die feuchten

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Pfade des Meeres. In Holland gibt es ſolche Waſſerſtraßen, Siele, Kanaͤle, Grachten. Sind dieſe poetiſcher als die uneigentlichen des weit— begrenzten Meeres?

Ich finde das Uneigentliche, das Homeriſche mehr der Bezeichnung entſprechend, mehr „feuchten Pfad“ als das ganz genau nach der Bezeichnung gegrabene Bett der Hollaͤnder.

R.

Reim. Der Reim iſt wie die Ehe; hat man's einmal angenommen, muß man's auch fortfuͤhren.

Reue.

Ein Menſch, der ſchon bereut, iſt verloren.

Durch die Reue wird der Menſch immer ſchlechter. Ein Reuiger iſt mit dem Niedrigen ſchon ver— traut. Er nimmt das Boͤſe, den Schaden in Taͤtigkeit, in lauter kleinen Schluͤckchen und Biſſen und verdaut ſo vorzuͤglich. Im ganzen, ohne Unterbrechung das Boͤſe auszufuͤhren, iſt ſchon ſchwerer.

5,

Sturm und Drang. Das Eliſabetheniſche Zeitalter iſt der Sturm und Drang in der Dichtung, der Deutſche mehr in Geſinnung und Richtſchnur, um danach zu leben.

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Goethe war der Napoleon der literarifchen Re— volution, Diktator und Empereur.

Selbſtgefuͤhl.

Moͤchte wiſſen, wem Selbſtgefuͤhl je geſchadet hat? So lange man ſchafft, ſteigert es den Eifer und das Zutrauen. Hoͤchſtens wenn man ſich ſagt, man will nichts mehr tun, erſt dann wird es uͤberfluͤſſig und aͤrgerlich.

„Schweizer“.

Ich glaube, daß nur die Schweiz unbeſchadet ihrer Freiheit, die durch Granſon, Sempach und Murton unvertilgbar geworden, ſoviel „Schweizer“, Lakaien, Kellner und Koͤche liefern kann. Dieſem freien Mutterlande kann die Dienſtbarkeit der Einzelnen nichts mehr anhaben. Was im ge— ſamten frei iſt, darf ſich im einzelnen knechten, waͤhrend Geſamtknechtſchaft vieler Freien bedarf.

Sinnlichkeit iſt trauliche Vorhandenheit ohne Geſpraͤche.

Sinne. Wir muͤſſen neue bilden, nur ſie erhalten das Leben federkraͤftig. Schreier.

Unertraͤglich iſt die Tyrannei der Schreier. Kaum daß ſie einen Aufſtand ihres ungewaſchenen

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* Re

Geiſtes und ihrer vernagelten Einſicht eingefädelt haben, wollen ſie gleich alle, die es mit der Freiheit gut meinen, zu Dienern des Kindleins. Ein tuͤchtiger, freier Mann wird es beurteilen, ob der Aufſtand begruͤndet, reif, ob er vornehm und noͤtig iſt. Ein Aufſtand ſonder richtiger Gelegenheit, Ziel und Fuͤhrer iſt ein dummer Streich. Etwas Unanſtaͤndiges.

Darf aber ein bedeutender Mann gezwungen werden, ſich zu blamieren im Namen der Freiheit, ſie fahre.

Sein.

Man iſt allemal faſt gerade das, was man nicht ſcheint.

Stil.

Der Stil iſt die Hilfe der Wirklichkeit. Dem Starken uͤberlaͤßt er ſeinen eigenen Platz, das Feine ſtellt er beſtimmt und das Gewoͤhnliche erhaben. So uͤbt er die Kunſt auch uͤber alles zu ſchreiben, allem eine neue Seite abzugewinnen.

Stil iſt der Brennpunkt der Wirklichkeit.

Schmetterlinge der Menſchheit ſind die Chineſen und Japaner. Haben ſo ein ſtilles honigtraͤges Geſicht.

Der Schuldner fuͤhlt ſich beim Beſuche eines hoͤflichen Glaͤubigers wie eine Taube, welche die Habichtshoͤflichkeiten

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aus weiten Kreiſen doch auf vorfchmerzenden Punkt enger niederkommen fuͤhlt.

Die Sonne.

Auf jeder Erde wird anders gelebt, die Sonnen machen die Moral. Wir fuͤhlen, trotzdem wir mancherlei denken, die Sonne geht uns an. Ge— faͤhrlich genug, die Aſtronomie! Sie ſollte beſſer verboten werden.

Wenn ſie gilt, was ſagt dann der Gott uͤber und der Koͤnig unter ihr?

In den Plejaden ſoll wieder die Sonne der Sonnen ſtehen. Ob dieſe nun die ganze Welt mitfaßt? Achſe oder Are, Ball oder Geſetz.

Vielleicht iſt dort, was iſt.

Spielen. Alles Spielen iſt ein handelndes Vergleichen.

„Stimmchen.“

Mannigmal iſt es wirklich keine Stimme, die da ſpricht, ſondern ein Stimmchen, ebenſo wie ein Knabe kein Herr iſt. Dann muß man es ſetzen, trotzdem man das Laͤppiſche der Verkleine—

rungen noch ſo ſehr haßt.

Schleier. Die Verſchleierung der tuͤrkiſchen Frauen? Ich finde ſie ſo gar uͤbertrieben nicht. Ein Maͤdchen

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ift mehr nackt mit den Augen als mit dem Körper. Wenigſtens denken die aͤgyptiſchen Jungfrauen fo. Von einem Fremden uͤberraſcht, halten ſie ihr Kopftuch vors Geſicht.

Schwiegermutter.

Wer hat nicht wie eine Schoßkatze gepurrt vor Vergnuͤgen an einem runden Tiſch unter ſtiller, mildkochender Lampe. Und Liebchen ſittig zur Seite. Dieſe Abende, dieſes blendend gare Gluͤck muß man ſeiner Schwiegermutter nicht vergeſſen.

Die Entſtehung der Scham.

Die Scham iſt nicht natuͤrlich, nicht weſent— lich menſchlich. Sie iſt ein hiſtoriſches Produkt. Das indianiſche Mädchen, ob ein Mann, ob eine Banane, ſie ſagt beim Genießen das eine wie das andere Mal ihr Haii Waihi des Behagens.

Ein Mann hatte Auswahl unter den Weibchen getroffen. Dieſe fuͤr ſich abzuſcheiden, verſah er ſelbige mit Kleidern. Die Daͤmchen, um einen Mann zum Wuͤnſchen zu bringen, und um dem Manne, der ſie zu haben wuͤnſchte, Bedingungen machen zu koͤnnen Heiratsprojekte ſind faſt ſo alt wie das Menſchengeſchlecht machten ſich ebenfalls unſichtbar. Alſo Auswahl, Kleider, Ehe, und endlich aus der Gewohnheit der Kleider die Scham. Nichtsdeſtominder iſt ſie anmutig.

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Schimpfen. Beim Schimpfen fuͤgen ſich die Schmaͤhreden zuſammen es bleibt nicht bei einer wie Reiſer zur Rute.

1. Trunk

iſt eine Luͤge von dem Wohlſein, der Geſundheit. Wie in Unterſchlagung der Mittel, wie ein Faͤlſcher der Nahrungsmittel iſt der Schnaps anzuſehen.

Eine Äußerung von Lebensunterlagen, die nicht gegebene ſind, ein Komoͤdienſpiel ruft er hervor, als muͤſſe er eine Unterſuchung taͤuſchen. Kaſſierer, deine Kaſſe iſt nicht in Ordnung, du haſt ſie mit Scheinwerten angefuͤllt, wir werden dir auf die Finger klopfen.

Tribade.

Im allgemeinen ſind wir unter dauernder Heuchelei unzuͤchtig uͤbers Maß der Naturfreuden hinaus geworden, wir muͤſſen weit zuruͤck. Der Mann muß vom Knaben, das Weib vom Weibe laſſen. Wahrſcheinlich aber werden wir in zaͤrt— licher Innigkeit wiederfinden, was wir an ver— ruchtem Reiz an den Grenzen einſamer Ent— artungen laſſen muͤſſen, wenn wir uns menſchlich gemeinſam, an Naturorganen in der Richtung der Natur beluſtigen wollen. Ihr fragt, was

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hindert uns? Nichts, nur euere Menſchheit. Wollt ihr die laſſen, dann treibt fort, was euch beliebt. Verſucht es einmal euch ohne Furcht zu ſchaͤmen! Gelingt's? Ja? Dann ſeid ihr dem Ehrenſtande der Menſchheit gerettet. Sagt, was lockte euch? Das gleiche kichernde Vergnuͤgen, in einſam trockener Wut? Kehrt nun zuruͤck unter die Geſetze des Lebensgemaͤßen, ob euer nun viel oder wenige waren. Ihr beunruhigt mit eurem Wahnwitz die feſte, geſunde Ordnung der Vorgaͤnge!

Liebt, genießt, fallt in den erquickenden Schlaf inniger Erſchoͤpfung, gebaͤrt in Schmerzen die Kinder der Wonne, und erzieht ſie zu geſunden Menſchen. Dann ſeid ihr ehrwuͤrdig und habt von allem Kraͤftigen in der Natur euer Teil. Onanie ſcheint durch Einſamkeit Diogenes und ſinnlichen Kitzel mit Abneigung gegen Weiber entſtanden zu ſein. Tribadie! Ich wollt', ich wuͤßt's. Nur aus genauer Kenntnis kann uns jetzt die Unbefangenheit wiederkehren. War's uͤberreizung, dann kann die Lockung bei ihrer Oberflaͤchlichkeit und auf dem Zuſtand aͤußerſter Verkommenheit fuͤr Reine keine Gefahr haben? Oder entſtand ſie beilaͤufig durch zufaͤllige Be— ruͤhrung? Oder iſt es endlich ein durch gewiſſe Bedingniſſe, in gewiſſen Raſſen und Tempe— ramenten aufſteigende Noͤtigung? Ob Sappho

U, 12 177

Erfinderin war? Bei ihrem Schoͤnheitskultus, worin ſie das Weib vollendeter dachte, waͤre eine uͤbertragung der Liebe nach dieſer Seite hin ſchon moͤglich geweſen. Sie haͤtte dann die Deutungen der Natur durch ihre Willkuͤr erſetzt und eine Sekte der Schoͤnheitsfreundinnen ge— gruͤndet. Von ihrem Standpunkte aus kann man nun gerade etwas ſo Entſetzliches darin nicht finden. Indeſſen muͤßte man dann von jeder Lesbierin auch dieſen deutlichen Zauber un— begehrlich zitternder Schoͤnheit verlangen.

Auch war damals noch die Schoͤnheit, die Duftige das allein Leuchtende.

Paͤderaſtie ſcheint mir eine einfache Stumpfheit zu ſein, ein ſchon etwas baͤueriſches Vergnuͤgen mit dem Herkules, wie nun hin und wieder ein vergeiltes oder verweichtes Sujet vorlieb nehmen. Annakreon, Catull, Sophron und andere Knaben— dichter machten aͤußeren aber unweſentlichen Schoͤnheitsdunſt darum, begehrten auch Maͤdchen, waͤhrend es Sappho mit ihrer Entſcheidung ernſt iſt.

Onanie, ehedem zynifche männliche Schroffheit, iſt nun durch luͤſterne Buͤcher und Bilder in der ſchuͤchternen Luͤſternheit heranwachſender Jugend verbreitet.

Jetzt wenden wir uns einer vorurteilslos unter— ſuchenden Menſchenkunde zu, die das Richtige, das Falſche entſchuldigend und erklaͤrend uns

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verdeutlichen wird. Ich habe vor dem Schlechten ſolange Ehrfurcht, bis es erklaͤrt wird und um deutlich zu machen, wie es ſich haͤtte unterſcheiden muͤſſen, verlangen wir genau zu ſehen, wie, wann und warum es emporzitterte. Eine genaue fuͤhlbar vorhandene Geſchichte menſchlicher Ent— artungen, deren Ton ſogar etwas Relief haben muß, daß wir den Finger darauf legen koͤnnen, eine Geſchichte, deren Logik den Beginn zuruͤck— mißt, wo er hervorkommt, und Topographie bei Individualiſation des Laſters iſt zur Sicherſtellung uͤberſichtlicher Auffaſſungen notwendig.

Wir muͤſſen den Vater, die Mutter, die Enkel und Kinder jeder Entartung ſehen, wie ſie leiben und leben, denn meiſtens fuͤhrt die Neugier in die Verkehrtheit und haͤlt die Beſonderheit, die Wegloſigkeit mehr darin zuruͤck als das Vergnuͤgen daran. Kann man ſeine Verirrung im Geſamt— verlaufe ſehen, die Neigungen hinunter und die Abneigungen hinaus, ſo verlaͤßt man dieſe Spezialitaͤt, in der man ſich verfangen hatte.

Der Menſch will etwas Syſtematiſches haben, worin auch ſeine Verkehrtheit enthalten iſt und er wird gut. Verbietet dem denkenden Weſen und es wird ſchlecht.

Das Harmonie-, das Beiſammengefuͤhl der beſſeren Kraͤfte, das uͤberſichtliche Herniederſchauen auf niedere, haͤlt uns vom einzelnen ab. Laſſen

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wir uns unſere Erkenntnis tauchen, brauchen wir's nicht ſelbſt zu tun. Nur muß dieſe deutlich ſein. Der Tod.

A: Der Tod iſt etwas Notwendiges, alſo kein Übel.

B: Wie die Folter dem darauf Geſpannten.

A: Muß denn die Natur oder was da iſt, gerade ein Henker ſein?

U. uͤberſetzung ſoll das Fremde in Sprache und Ton gewahrt eigen bringen, den gleichen Tau des Originals im Haare es ſoll das Original begleitet haben. Beide muͤſſen friſch vom Spaziergange zuruͤckkehren.

Das Urteil. Wir bewegen uns unter und auf Porzellan, nirgends duͤrfen wir anſtoßen. So vorſichtig ſei unſer Urteil. |

Unbedeutendes.

Auch das Unbedeutende geht der Kunſt vor— bei und dadurch, daß man den Winkel, die Ent— fernung beſtimmt, den Abſtand vom Echten, des Verfehlten mißt wie mit Sertant und Teodolith, wird jedes Buch lebendig und rauſchend, und

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grüßend zur Kunſt. Dieſe Stelle, dieſes Buch liegt ſo und ſo viel Grad noͤrdlicher Breite vom Meridian des Richtigen.

Das Unorganiſche iſt die Vorratskammer des Organiſchen.

Uhren der Ziviliſation.

Wir haben ja manches neu, werden indes das verſtimmende Gefuͤhl nicht los, als ob viele Uhrwerke verdorben waͤren. Die einſtmal ſo ſchoͤn muͤſſen gegangen haben. Wir haben nun— mehr einzelne und ſtaatliche Laſter und haben das Chriſtentum. Haͤtte man uns das Heiligtum gelaſſen! Gemaͤchlich laͤßt ſich im Heiden im unbefangenen Menſchentum das Gute aus dem Schlechten holen. Das Schlechte aber des Guten verdrießt uns wie eine voreilige Ausfuͤhrung, wie eine verpaßte Gelegenheit.

Unſterblichkeitstrieb in ſeiner dumpfſten Geſtalt ſcheint allgemein menſchlich zu ſein. Er ſchneidet in alles Holz was er bekommen kann, in Baͤume und Baͤnke ſeinen Namen, ſpaͤter malt er, dichtet und reiht Toͤne.

V

Vertikale Überhebung des Gelobten über ſeine Umgebung iſt eine ent— ſetzlich plumpe Gepflogenheit, die ſich nicht be—

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wegen kann, ſonder zu verlegen. Die Menfchen

ſtapeln gern in die Hoͤhe, was nebeneinander ſtehen muß. Viviſektion

iſt zunaͤchſt die neuſte Literatur. Hier fehlt es nicht an Praͤparaten. In der Praxis indes ſieht es troſtlos leer aus. Hoffentlich finden ſich einige opferwillige Menſchenfreunde, die durch dieſe Zeilen ſich angeregt finden, ſich dem hoͤchſten Zweck der Wiſſenſchaft zu weihen. Ich waͤre alsdann uͤberreichlich belohnt. Oder! vielleicht bleibt dieſe freundliche Einladung in Anbetracht der bedauernswuͤrdigen menſchlichen Feigheit ohne Erfolg. Dann ein anderer Vorſchlag! Opfert doch der Krieg nutzloſe Tauſende hin, ohne daß der Staat davon Vorteil hat. Sollte nicht ein

einſichtiger Staat lieber hundert Soldaten den Arzten uͤberlaſſen?

Violett

und blau ſind vielleicht die Projektionen der Erde auf Farben.

Vollkommenheit.

Warum bin ich nicht, was mir fehlt? Werde ich's, wenn's mir moͤglich iſt! Verachte ich's, wenn's außen liegt! Da gibt's allerlei Weiſen, dann iſt's ruhig.

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Das Verkehrte.

Im Hirn der Hangvollen, der Verbrecher und Laſterhaften wird immer ein Gefuͤhl des Schwarzen und Schweren, eine Verdunkelung ſein wie ein Polyp oder ein Tintenfleck. Das kommt durch die immerwaͤhrende Konzentration am un— gewoͤhnlichen Ort, das ſtete Haͤmmern des Ge— dankens da, die Scheu, das ganze Bewahren ſeines Selbſt. Ein Verbrecher kann nicht mehr heraus aus dem ſchlimmen Fleck und ſo wird ein Fieber dort erzeugt, das den Menſchen verſtoͤrt macht.

W. Die Wiſſenſchaft. N

Die Wiſſenſchaft mit allen Warummen, dem Schluͤſſel zu allen Fragen, huͤlfe uns dennoch nicht, ließe alles fremd und weit von uns, wenn nicht bisweilen die Anſchaulichkeit alles einhuͤllte und uns das traute Wie an den Dingen zuruͤckließe.

Wille. Der Menſch will und dann nimmt das Schickſal den Lauf damit, dieſes iſt der Bote.

Wolluſt

iſt ein Kraut, das einmal da iſt, einmal nicht. Einmal ſtaͤrker, einmal ſchwaͤcher. Sie iſt im eminenten Sinne ein Nervengewaͤchs und kann

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mit etwas Aufmerkſamkeit, wie gerade unfere ver— wehrende appetitreizende Zeit darauf verwendet zu den ſchoͤnſten Exemplaren gezuͤchtet werden. So z. B. Kindergier, welche die alte Welt noch nicht kannte.

Wolluſt in der Kirche iſt doch keine Sinnlichkeit hier binnen gekommen? So fragt ein revidierender Heiliger und hebt ſeine Hornlaterne auf, die, wie ſein gegen die Verſuchungen gehuͤrnt Geſicht, ausſieht, um ſeinen Worten nachzuleuchten.

„Mein,“ ruft beleidigt der Mönch, der einen zur ſpaniſchen Bußuͤbung heraufgeſchobenen in ſuͤßem Schauer ſinnlicher Schmerzandacht gefalteten Weiberpopo bemißt. Um auf das fleiſchige Dach mit luͤſterner Strenge den Hagel der Geißel praſſeln zu laſſen; und getroͤſtet geht der Mann Gottes hinweg. Nein, Sinnlichkeit war nicht id die Kirche gekommen, die war viel zu geſunn dazu, aber verbruͤtete Luͤſternheit. Die Wolluſt aber ſitzt neckiſch verſteckt und ſicher, obendrein verehrt wegen ihrer beſonderen Erboͤtigkeit zu Bußwerk und Leiden inmitten der Heiligkeit auf einem Ehrenplatz, mitten in der Heiligkeit.

Unter den Laien der Kirche, in der Gemeine wuͤrde ſie vielleicht ſich nicht halten koͤnnen, wegen deren Einfalt, aber unter den Ehrengaͤſten be— hauptet ſich dieſelbe vortrefflich.

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Heiligkeit und Verdorbenheit haben gleiche Außerungen, die ſinnliche Genialität wird als Schweſter begruͤßt von der ſittlichen. Wir haben es Luther zu danken, daß er die kloͤſterliche Ab— geſchloſſenheit, dieſen Klub des Gottesdienſtes brach, der die europaͤiſche Art bald in aſſyriſche Gepflogenheiten gebracht haͤtte. Verkehrtheiten, ohne Bewußtſein derſelben, ohne Auffallen, ohne Ahndung ſeitens der Menſchenwuͤrde und Unſchuld haͤtten ſonſt die ſittliche Beurteilung dieſes, damit auf die Dauer alles geziemenden Verhaltens auf— geloͤſt und damit einen Zuſtand des Kretinismus, der zuckenden Triebe nachdem auch den Feinern das Bewußtſein der Heuchelei durch lange An— erkennung abhanden gekommen waͤre, herauf geführt, der die Menſchheit bona fide ins Tieriſche zuruͤckgeleitet haͤtte, aufs letzte ein allertollſtes Schau— ſpiel bietend, ein Unikum: die Kirche der Tiere.

Davor hat uns Luther errettet, denn da er's unterbrochen hatte, war auch die Kirche aus dem Somnambulismus miterwacht; es war kuͤhler, luftiger geworden dadurch, daß einige ſich entfernt hatten und die andaͤchtig-wohlige Muͤdigkeit, das Nachmittagsſchlaͤfchen des Weihrauchs wollte nicht mehr ſo recht einlullen, ſeit es ſolche gab, die nicht mehr mittaten und beobachteten.

Seit der Reformation iſt auch die ſitzen— bleibende Kirche proteſtantiſch geworden und ſeit

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der Scheidung Luthers ift Möglichkeit vorhanden, die ranzig gewordene Sinnlichkeit, welche durch unzaͤhlige Selbſtſchaͤndungen, Luͤſternheiten in Bild und Buch, Verruchtheiten an Kindern und endlich durch groͤßere Steigerung von einſeitigen Gefchlechtsergögungen am Menſchengeſchlecht nagte, mittels Geſundheit, antiphlogiſtiſchen Mitteln von Studien und Leibesuͤbungen zu ent— fernen und der unbefangenen Menſchheit den deutlichen Raum des Leibesbehagens, die Lage der Nervenluſt des Innern unter den Pflichten und Freuden, in der Harmonie des Lebens anzuweiſen.

Wir haben einen Moltke der Sinnlichkeit noͤtig, der die Karte von den wohligen Empfin— dungen jener Nerven, welche mit den Zeugungs— teilen zuſammenhaͤngen, denen fruͤher oͤffentlich alles Gebiet entzogen und abgeſprochen wurde, und die ſich dafuͤr im geheimen, unter Benutzung von Mißverſtaͤndniſſen in Paͤdagogik und Andacht uͤbermaͤßig entſchaͤdigten, auf die richtigen Grenzen bringe, da ſich Eingeftandenheit mit der Aus— uͤbung deckt, denn, was ausgeſprochen werden, von Gebildeten ertragen werden kann, iſt nicht verkehrt. So muͤßte auch Pruͤderie weg, denn die Beſchreibbarkeit iſt zugleich Wage.

Generalſtab der Menſchlichkeit, wir bitten um Karten, Atlanten der Liebe, ſie ſind das groͤßte Beduͤrfnis fuͤr weitere Operationen.

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der Nareheit

Es gibt auch hoͤchſt anſtaͤndige Sprichwörter. Dieſe ſind in der Regel ſehr tugendhaft, be— fleißigen ſich einer muſterhaften Handſchrift und dienen als Vorſchriften in Schoͤnſchreibheften. Segen ihres wohlgeſitteten Weſens ſind ſie uͤber— all wohlgelitten.

Auch hoffaͤhig find fie; ein gewiegter Hof— mann iſt falſch wie ein Sprichwort.

Den unanſtaͤndigen denen muß man Hoſen anziehen wie den Wilden.

*

In der Hand der Steuer ruht das Steuer

des Staates.

*

Wenn Kronen naͤrriſch werden, was wird daraus? Eine Jakobinermuͤtze. x Der Hof iſt die Puppenſtube der Zeitungen. i:

Der Menſch weiſt gar viele Fertigkeiten auf. Darin aber hat er's am weiteſten gebracht: in der Kunſt, moͤglichſt wenig Menſch zu ſein.

>

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Der Schweiß ift die Träne der Arbeit.

*

Die Blume iſt das Lächeln der Pflanze.

*.

Die Unzucht iſt der Anzug der Menſchheit.

Der gute Herr. Wohltun macht Freude. Beſonders um die liebe Weihnachtszeit.

Das muß auch wohl dem Vorſtandsmitglied fuͤr Volksnot einleuchten. Eigentlich heißt es: „Verein fuͤr Linderung der Volksnot in ſeeliſcher und leiblicher Hinſicht.“ Doch je kuͤrzer, deſto beſſer. Nicht eine aͤußere Anregung kann es ſein, die ſeinem gutmuͤtig behaͤbigen Antlitz ſeinen warmen Schein verleiht, daß es ſo recht von innen heraus ergluͤht, angeſtrahlt von der Guͤte ſeines Herzens. Und dieſes ſein ſtrahlendes Antlitz wendet er nun, ſonnig verweilend, ſeinem Diener, ſeinem Johann zu.

Es iſt ja heiliger Abend!

Johann verſchwimmt in Weihe und erſtarrt in lauernder Erwartung. Das Mitglied hat nach einer goldperuͤckigen Champagnerflaſche gelangt und den Korkheber aufgeſteckt. „Ein Glas Cham— pagner!“ dachte Johann, „zwar etwas wenig, aber man kann's annehmen.“ Nun wandte das Mitglied die Sonne ſeiner Gnade wieder ganz dem Johann zu. „Hier, den Korken kannſt du

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Wem an a m re

ablecken. Du biſt doch eine treue, ehrliche Seele. Du haſt es redlich verdient!“ Wer mag wohl der Johann ſein? 272

Vorurteil: das Wort iſt nicht uͤbel. Wollte nur das Urteil nachkommen!

Es gibt Brunnen, in die nie ein Sonnen: ſtrahl, Stirnen, in die nie ein Gedanke gefallen iſt, und auch Gluͤckliche, die nie den Geiſt auf— zugeben brauchen.

Es muß Übertretungen geben, weil Richter da ſind, und um Übertretungen zu ſchaffen, muͤſſen wir Geſetze haben. 5

Ahnliches gilt vom Kriege und den ſtehenden Heeren.

Kohle und Diamant. „Du ſollſt ja zur Familie gehoͤren. Und wenn ich auch nicht be— greifen kann, wie man zu leben vermag, ohne Farbe zu bekennen, ſo eine Art Familienzug vermein' ich doch in dir zu entdecken. Wie kommt's nur, daß du ſo blaß geworden biſt?“ Alſo die Kohle.

Im Diamanten leuchtete es auf:

„Alles laſtete auf mir. Schon war mir, als muͤßte ich zuſammenbrechen. Da zog ich mich

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ganz in mich zuſammen, und da war ich, was ich nun bin: Ich, nur Ich.“

Je ſtaͤrker der Druck, den eine Kohle aushaͤlt, um ſo koſtbarer der Diamant.

15 Manches Maͤdchen iſt kein Weib. * Das Weib ift ein vernünftiges Märchen. * Manche Ehe iſt ein Zellengefaͤngnis zu Zweien. * Auch das korrekteſte Weib treibt Fetiſchismus, den Fetiſchismus mit ſich ſelbſt: Die Mode. * Das Weib iſt der Vater der Sorge. 2

Es gibt nur ein Frauenrecht, und das heißt Liebe.

*

Braut nichts kann ſchoͤner klingen, nichts natuͤrlicher.

Braͤutigam wie komiſch das holpert, wie ſteif!

*

Das Weib, die Nora, wartet auf das Wunder— bare. Der Mann aber kennt alles. Auch das Weib ſollte es kennen das Wunderbare den Mann.

1.

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Einen furchtbaren Jäger hat das Weib das Alter.

*

Die Ehe kann niemals eine Republik ſein. Nur Selbſtherrſchertum auf der einen oder auf der anderen Seite. Kraft auf ſeiten des Mannes oder auf ſeiten des Weibes.

*

Wenn ein König im Schnee ſtampft, der Schnee wird nie und nimmer zu glühendem Eiſen.

+

Gibt es wohl auf der Erde eine Menſchen— klaſſe, auf welche eine andere nicht herabblickte?!

*

Zum Heile des Volkes! Wie ſich das anhoͤrt! Wie wohlwollend und wie beſchraͤnkt! 5 Es gibt Stuͤrme, die eine Schlafmuͤtze auf— haben. 27 Was iſt die franzoͤſiſche Revolution gegenuͤber einer Muͤnzanſtalt, aus der Millionen über Mil- lionen gekroͤnter Haͤupter rollen?

*

II, 13 193

Untergehende Weisheit.

Ein Eſel dachte. Das kommt vor. Denken iſt Gehen. Oben wie unten.

Und bedauerte.

Der Gedanke war groͤßer als er.

Und er bedauerte, daß das nicht blieb.

Eine wilde Stille, taub, betaͤubend, droͤhnend, ſchneidend.

Er konnte doch nicht gehen.

Der dumme Treiber.

Seine Gedanken hatten ja den ! nicht gefunden.

Der war die Hauptſache.

Hatte er den gefunden, ſo ging er ſo wie ſo weiter.

Daß die Menſchen das nicht begreifen daß ein Eſel denken muß.

Das iſt doch ſo natuͤrlich.

Die wiſſen alſo gar nicht, was ein Gedanke iſt.

Der Eſel hatte eine Weltanſchauung.

Und die war entſtanden vom Kohlenkeller bis zum naͤchſten Kunden.

Die lautete:

Es gibt zwei Dinge.

Das eine iſt gut fuͤr's Maul: es ſticht, aber iſt ſaftig.

Ganz wie eine famoſe Zote.

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Ferner ein Ding, das iſt ganz ſinnlos und weiß nichts, als immer unvernuͤnftig drauf— zudreſchen.

Als haͤtte man ſeinen Ruͤcken geſtohlen.

Und dann gibt es Dinge, die haben vier Beine wie wir.

Aber ſie beißen und machen einen ganz un— vernuͤnftigen Laͤrm.

Jedenfalls ſind ſie toll.

Und dann die mit zwei Beinen.

Die ſind ja vielleicht noch ſchlimmer.

Erſtens denken ſie nicht

Und zweitens ſtoͤren ſie uns,

Wenn wir gerade im tiefſten Nachdenken ſind.

Stoͤren uns mit dem Ding Nummer 2.

Dafuͤr aber geben ſie uns das Ding Nummer 1 zu freſſen.

Freilich nicht genug.

Und wenn wir uns ſelbſt was ſuchen wollen, ſo wollen ſie auch das nicht und ſchlagen mir nichts, dir nichts zu.

Warum ſind ſie ſo und dann auf einmal wieder ſo, daß kein Eſel daraus 1 werden kann.

Das iſt die Welt, ſoweit wir mit ihr in unmittelbare Beruͤhrung kommen.

Von den anderen zwei- und vierbeinigen Dingern und von den Dingen, die ſonſt noch ſo

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ſinnlos in der Welt herumtreiben, koͤnnen wir nichts ausſagen.

Vielleicht beſtehen ſie auch nur in der Ein— bildung.

In wiſſenſchaftlicher Vorſicht wollen wir ſie das Ding an ſich nennen.

O was war das fuͤr ein Jammer.

O was war das fuͤr ein Jammer!

Gar nicht zu ſagen, nicht zu beſchreiben.

Und noch immer kann ich mich an den Ge— danken nicht gewoͤhnen.

Ja ſie iſt tot.

Nirgends erblickt man ſie mehr.

Wie kann man ohne ſie denn nur leben!

Ohne die Tugend!

Wo man ſo ganz frech, ſo ganz nichtswuͤrdig das Leben liebt.

Keine Rute mehr, kein ſauberes Geſicht und nicht mal ein einziger Paragraph iſt uͤbrig ge— blieben, die Welt zu regieren. Und die Welt beſteht immer noch.

Ja damals

Ein Schluchzen erſcholl, ein Schluchzen fo laut,

Daß allen es tief in der Seele graut,

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Als hätte der Frühling verloren die Braut...

Von feinen Tränen ihr Buſen betaut

Und weihevoll langſam klagen die Glocken,

Das Land liegt ſtill wie zu Tode erſchrocken.

Wer kann es ſein, der hier verſchieden,

Wer ging hier ein zum ewigen Frieden?

Da nahet die Bahre

Und komiſch das Gefolge!

Alle Strickſtruͤmpfe der Welt klappern, alle mageren, fadenumſchlungenen Zeigefinger der Welt zeigen klaͤglich, arbeitend auf die Leiche, alle mageren Handruͤcken der Welt wackeln und alle muͤrriſchen ſchieferblauen Weenen der Welt nattern daruͤber hinweg.

Alles Schweigen heute kein Schnattern. Und alle die mageren Geſichter, von denen die Wangen herabgeſunken ſind, ſo lang, ſo lang, haben tiefgeaͤtzte Rinnſale und all die tiefgeaͤtzten Rinnſale fuͤhren Salzflut der Seele, und alle die Brillen ſind wie Glaskuppeln uͤber einer Heilquelle.

Von Zeit zu Zeit brechen große Traͤnen aus, die Waſſer der Seele fluten uͤber und erſchuͤttern die nun ſtaͤrker, wie Muͤhlraͤder klappernde Strick— nadeln; große Tropfen auf den Brillen verglaſen fuͤr Augenblicke Landſchaft und Leiche.

Und ſtaͤrker kniſtern die Immortellenkraͤnze in ihren Armen, die ſich ſo feierlich abheben von den ſchwarzen Gewanden.

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Noch immer nimmt der Zug kein Ende.

Hat denn die Welt ſo viel Gouvernanten, ſo viel alte Jungfern? So viel geſtreifte und ge— bluͤmte, ſo viel blaue und ſchwarze Gewande?

Soviel keifende Heiligenſcheine von Hauben uͤber ſoviel eisgrau, ſtrengen, ſcharf geteilten Scheiteln?

Wie ergreifend!

Hoffen wir, daß Freund Hain auch ihrer ſich erbarmt, nun da ſie ihr Palladium, ihren Halt verloren. Denn es iſt die Tugend, die ſie jetzt zu Grabe tragen. f

Es iſt das Beſte fuͤr ſie, nun, nachdem dieſer Schlag ſie getroffen.

Der Zug iſt fort.

Nun regt es ſich. Ein Seufzen, wie Knoſpen ſeufzen, die aufſpringen. |

Und junge Bruͤſte heben ſich vor ſchwellendem Leben, das mehr und mehr die zart runden Wangen ins Erwachen roͤtet. Die Lerche wirft ihre Muͤtze in die Luft.

Und nun ſind auf einmal zwei Sterne da, ſo tief erſtaunt, ſo goldig braun!

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Zwei Rutenſtreiche.

Flagellanten-Humoreske.

Die beſte Knabenſchule auf der ganzen Welt iſt irgendwo in Kroatien. Ein Wetteifer ſonder— gleichen entwickelt ſich da auf allen Klaſſen. Denn jeden Sonnabend wird der Beſte fuͤr die naͤchſte Woche zum Zuchtmeiſter der entſprechenden Maͤdchenklaſſe beſtellt.

Selbſtverſtaͤndlich, daß jeder alle ſeine Kraͤfte anſpannt, und ſich des geſittetſten Betragens be- fleißigt, um dieſes hohen Vorzuges teilhaftig zu werden. Und wer einmal dieſen ebenſo hohen wie genußreichen Poſten erklommen, ſucht ihn auch zu bewahren. Und was kann beſſer einen maͤnnlichen Charakter zur Vollkommenheit bringen, als Anleitung zur Ausdauer! Wenn nun alſo ſo eine kleine Botin beſcheidentlich anklopft und den Herrn Lehrer um einen Exekutor nach Klaſſe ſo und ſo erſucht, dann erhebt ſich durchronnen von ſtolzen Schauern der Erſte von ſeiner Bank und die beiden Kinder ſteigen die breiten hoͤlzernen Treppen hinan.

Sie laſſen ſich beide Zeit, denn es waͤre toͤricht, der Schule nicht ſo viel Zeit abzuzwacken, als nur eben moͤglich iſt; beſonders wenn man eine ſo ausnehmend gute Gelegenheit hat.

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Der Primus laͤßt ſich die Einzelheiten des Falles berichten, um die Kraft ſeines Armes je nach der Schwere des Falles zu doſieren.

Doch auch der laͤngſte Weg nimmt ſein Ende.

Endlich ſind ſie da.

Man klopft.

Es wird geoͤffnet.

Die ſcharfgeſpannte Neugier der Klaſſe flammt unſeren Großwuͤrdentraͤger aus hundert dunkeln Slavenaugen wie von ebenſoviel Pechfackeln ent— gegen.

Das traͤnende Opfer, das die in ſolcher Situation uͤblichen Verſicherungen einer voll— ſtaͤndigen Lebensaͤnderung eindringlichſt zum beiten gibt, ohne damit auch nur den leiſeſten Eindruck bei der mißtrauiſchen Lehrkraft zu erzielen, wendet ſich erſchreckt um.

Der Lehrer ſtreckt das ſchreiend widerſtrebende Geſchoͤpf uͤber die Bank, bringt es in die richtige Lage und entfernt die Hinderniſſe, die ſchlechten Leiter. Entſetzt und verwirrt ſchauen zwei demuͤtige Huͤgel zu der furchtbaren Rute, dem ſauſenden Gebuͤſch auf, das ihre braͤunliche Bleiche bald mit ſcharfen Blumenreihen uͤber— ziehen wird.

Die Zuͤchtigung iſt voruͤber, das gellende Ge— ſchrei, das wie wilde Flammen war, ſinkt in die Aſche des Schluchzens.

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Aber tiefer wie in den rafch wieder zuheilenden unedlen Körperteil des gezüchtigten Mädchens hat in die empfängliche Knabenſeele dieſer Ein— druck ſich eingegraben. Er hat geſehen, wie ab— ſonderlich und uͤppig ſo ein Maͤdchen ausſieht und verſucht ſich den liebgewonnenen Anblick unter weniger aufregenden Umſtaͤnden und un— mittelbarerer Beruͤhrung wieder zu verſchaffen. Und ſo hat manches Knaͤblein zart und fein ſeine Verbindung fuͤrs Leben geſchloſſen.

Das iſt auch eine Kehrſeite der Liebe, wenn durch Bekanntſchaft von hinten zuerſt der Sinn fuͤr weibliche Reize eingeſtellt wird.

Nur muͤßte die Sache nicht einſeitig bleiben, muͤßte beſonders ſtrebſamen Maͤgdulein Gelegen— heit geboten werden, ſich an ihren zukuͤnftigen Herren und Gebietern im voraus ein wenig zu raͤchen. Das erfordert ſchon die ausgleichende Gerechtigkeit.

Das Fegefeuer.

Knabenphantaſie. Siehe da, und es begab ſich in dieſen Tagen, daß ein Profeſſor von dieſer ſchoͤnen Erde und

den herrlichen Chiasmen darauf Abſchied nahm. Da er aber dem Laſter des Rauchens uͤber—

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mäßig gefrönt hatte, fo kam er in die ewigen Flammen.

Hier jubelten ihm feine ſchlechteſten Schuler den Willkomm entgegen, dann heizten fie einen allmaͤchtigen Keſſel warmen Waſſers an und nahmen ihren Profeſſor liebreich an die Hand, um ihn uͤber den Rand zu heben. Einer verſetzte ihm ſogar noch einen Tritt auf den verſchließenſten Teil ſeines Koͤrpers, das Sitzteil.

Nun brodelt und wallt das, und hinter weißem Dampf wie Vorhaͤngen hoͤrt man entruͤſtete Schreie: Me hercle quousque tandem abutere, Catilina, patientia nostra? Quem ad finem sese jactabit audacia tua effreneta?

So lange aber ſoll der Profeſſor in dieſem Keſſel bleiben, bis er alles Latein ausgeſchwitzt hat.

Der Armſte.

Es iſt zum Schießen.

Eine finſtere Lilie und ein blauer Schwan.

Unruhig wie ein Geſpenſterwind im ſeufzenden Roͤhricht.

So das verlorene Fluͤſtern der Lilie.

Der Schwan aber azuren wie Maienmondnacht

Gleich gereiztem Erz.

So kreiſcht er auf.

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Sie fünnen nicht davon los.

Was mag es nur ſein?

Ein Nachen.

Ein ſchwanker Nachen.

Auf ſolchem Nachen faͤhrt man ſein Gluͤck ſuchen

Und ſcheitert.

Allemal.

Tragoͤdie.

Eine Magd, die niſtete mitten im roten Gold der Landwirtſchaft, trat ihren Holzſchuh entzwei:

Da lachte der Knecht ſie aus.

Sie ergreift wie einen Eſelskinnbacken das groͤßte Stuͤck Holzſchuh, und haſt du nicht geſehen, hinter ihm drein!

Am Weiher ſtellt ſie ihn und ſchleudert vorbei.

Der Knecht aber macht ihr eine lange Naſe.

Da liegt nun der Holzſchuh wie etwas Fremdes, Stoͤrendes. |

Über den kommen Lilie und Schwan nicht hinaus.

Und halten ihn fuͤr einen Gluͤcksnachen.

's iſt zum Schießen.

Eine finſtere Lilie und ein blauer Schwan.

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Reiherſeelen.

Ovid hat recht. Es gibt Verwandlungen. Es gibt Menſchen, die in Tiere verwandelt wurden. Noch immer gibt es ſolche.

Man muß ſie bewundern. Heroiſch ſind ſie. Wie eine Schildwache ſtehen ſie, ja, mehr als dieſe, Tag aus, Tag ein auf einem Fleck und lauern auf Fiſche.

Kaum erſcheint die Morgenroͤte, ſo ſind ſie da mit ihrer Angelrute, wie heiratsfaͤhige Toͤchter auf der Redoute, und wenn der Abend ſeinen erinnerungsreichen, wehmuͤtigen Witwenſchleier uͤber die Zuͤge der Erde breitet, ſo belebt ein freudiger Ausdruck ihre Leidenszuͤge.

Es ſcheint, ihre Bemuͤhungen ſind von Erfolg gekroͤnt, ihre Schnur wird ſchwer und ſchwerer. Voller Erwartung ziehen ſie empor endlich, endlich.

Was mag es nur ſein: ein Hecht vielleicht?

Jawoll: die vollgeſogene Jacke, der auf— gequollene Vagabundenſtiefel klatſcht in die Fluten zuruͤck.

Das find ſeltene Zwiſchenfaͤlle.

Eins aber bringen ſie ſicher heim: einen Schnupfen, den ſchoͤnſten Katarrh.

Und ſo fließt eintoͤnig der Fluß ihres Lebens dahin, bis ſie endlich in der Bluͤte ihrer Jahre

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einem Lungenuͤbel oder einer ausgeſprochenen Bruſtfellentzuͤndung erliegen. Dann haben ſie Ruhe.

Treue.

Wie eine Rumpelkammer fuͤr Weltraͤume ſah es aus in der Hoͤhle.

Da war als neueſte Errungenſchaft ein Menſch, der war ſo wenig einig mit ſich ſelbſt, daß ſogar ſeine Beine vor einander flohen.

Da iſt ſoviel Schweißiges, Muͤrriſches darin. So vergilbt.

Wie ein Leben, das man ſo Jahr auf Jahr hinſchleppt, wenn man einander nicht ausſtehen kann.

Aber da iſt ſo allerlei darin zurechtgeſchwollen, und wenn mal Licht kommt, und neugierige Menſchen unter den Fackeln mit ihrem Stock an die Kaͤmme ſchlagen es klingt wie eine ſtarke Saite —, dann ſehen ſie noch eins ſo ſuͤßlich aus und boͤſe, daß ſie ſich ſehen muͤſſen und moͤchten ſich kratzen und ſchneiden, wenn ſie dabei nicht aus dem Boͤſen, Schweren heraus— treten muͤßten, das ihnen doch das liebſte bleibt.

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Und den Fremden, dieſen Schafsföpfen, gefällt das noch.

„Hier, meine Herrſchaften, haben Sie Blumen— kohl. Da Gardinen. Sehen Sie mal, wie natuͤrlich.“

Und er beruͤhrte die duͤnne, gelbgraue Falte, daß es ihr durch Mark und Bein ging und einen langen klagenden Ton gab.

Der Aufſeher leuchtete mit der Fackel in eine finſtere Ecke hinein und gab auf das Widerſtreben, auf die Grimaſſen der nun zu— nächſt bedrohten Gebilde fo wenig acht, wie ein Geheimpoliziſt, der ein Opfer ſucht und uͤber die dichtgedraͤngte Schlaͤferſchaft einer Herberge hinleuchtet.

„Hier, meine Herrſchaften, der Waſſerfall.

Das die Orgel.

Sehen Sie mal die Pfeifen.

Da Adam und Eva.

Und das große Gebilde da iſt der Dom. |

Nein, hierher muͤſſen Sie treten, meine Gnaͤdige, nicht wahr, machtvoll?“

„Und hier,“ der Fuͤhrer machte eine laͤchelnde Pauſe, wie um etwas Angenehmes zu verſchlucken, „hier iſt das Dukatenmaͤnnchen.“

Die Damen ſuchen zu erroͤten, ſoweit ſich dies bei dem unebenen Boden machen ließ und bei dem unſicheren Lichte zur Geltung kam.

206

Der Führer aber brach mit dem Gewagten die Erklaͤrung der Hoͤhle ab, ſtellte ſich an den Eingang, wo er ſehen konnte, wieviel jeder gab, und machte ſeine Hand zu einer Hoͤhle fuͤr Trink— geld.

Nun war alles wieder dunkel und ſtill. So ſtill, daß die Sprache der Hoͤhle wieder ver— nehmbar wurde, nun nach der Stoͤrung durch die Menſchen.

Und das Ziſcheln ging los, das bald weich wie Schluchzen klagte, bald ſcharf ſchnitt wie Hohngelaͤchter.

Gebundenheit, Hoͤlle. So haͤßlich gedunſen ſein und ſich anſehen muͤſſen macht boͤſe.

Am meiſten aber aͤrgerte man ſich uͤber das Brautpaar, das liebte nun ſchon ſeit zehntauſend Jahren darauflos und kam ſich immer naͤher.

Nun beruͤhrten ſich die beiden Finger des Stalaktiten von oben und des Stalagmiten von unten, der Ring der Vermaͤhlung glitt daruͤber. Der denkwuͤrdige Augenblick iſt da, die Freude der Sehnſucht iſt erfuͤllt und die Liebe gewachſen „recht wie ein Palmenbaum uͤber ſich ſteigt“.

Die haͤßlichen Fratzen aber troͤſten ſich: nun haben ſie nichts mehr zu hoffen, ſo werden ſie bald ſein wie wir und ſich auch aͤrgern uͤber das, was dann geſchieht.

207

Inhalt:

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II, 14 | 209

Ethica . Aphorismen ohne Titel Fruͤhlingsduft Das Recht der Kindheit Die große Schule ! Wirſt auch du fallen, Mignon 2 Ecce poeta! Aphorismen ohne Titel Dichternoten . Die Beiden Blutende Eiche Lord Byron Arnold Boͤcklin . Deutſche Dichter der RE Durchfall am Himmel . Mein heiliger Abend

Enzyklopädie der Kleinigkeiten f

Büchlein der Narrbeitt. Aphorismen ohne Titel Untergehende Weisheit O was, war das für ein Jammer Zwei Nutenſtreiche Das Fegefeuer Es iſt zum 1 Tragoͤdie Reiherſeelen Treue

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Gleichzeitig mit dieſem zweiten Band von

Peter Hilles Geſammelte Werke

erſcheint der erſte Band:

Blaͤtter vom fünf⸗ zigjährigen Baum

Band III: Dramatiſches. Band IV: Die Haſſenburg. Roman,

ſind in Vorbereitung.

Als Band XIV der von Paul Remer heraus: gegebenen erfolgreichen Monographien-Sammlung

Die Dichtung

erſchien im September 1904

Peter Hille von Heinrich Hart

mit etwa 10 Portraͤts Peter Hilles aus allen Lebensaltern, Fakſimiles ſeiner Handſchrift und anderen Abbildungen zum Preiſe von

M. 1.50 für das kartonnierte Exemplar, M. 2.50 fuͤr die Ausgabe in echt Leder, M. 10.— für Luxusausgabe auf Buͤtten.

Die von ſeinem Freunde mit treuer Liebe und warmer Anhaͤnglichkeit geſchriebene Monographie iſt die erſte Darſtellung der ſeltſamen Dichtererſcheinung Peter Hilles und ſeines Lebens, zugleich die beſte Einfuͤhrung in das Schaffen des Dichters, die jedem Käufer des vorliegenden Bandes als Ergänzung hoͤchſt willkommen ſein wird.

Herroſe & Ziemſen, Wittenberg.

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