3 RE sy 5 EN NN I N u!) Ä IN DR BAR iR Ai HN HN , i) VANNEIDE an Y un \ _PFLÜGER® ARCHIV FÜR DIE GESAMMTE EHYSIOLUGIE DES MENSCHEN UND DER TIERE. HERAUSGEGEBEN VON MAX VERWORN PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE UND DIREKTOR DES PHYSIOLOGISCHEN INSTITUTS DER UNIVERSITÄT BONN UNTER MITWIRKUNG VON PROF. BERNHARD SCHÖNDORFF IN BONN. BAND HUNDERT UND EINUNDVIERZIG. MIT 1 TAFEL UND 150 TEXTFIGUREN. BONN, 1911. VERLAG VON MARTIN HAGER. Inhalt. Erstes, zweites und drittes Heft. Ausgegeben am 30. Juni 1911. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. Von L. Hermann. (Hierzu Tafel I.) (Aus dem en logischen Institut zu Königsberg i. Pr.) Über Fermentgesetze. Nach gemeinschaftlich mit stud. ned W. Waldschmidt angestellten Versuchen. Von P. v. Grützner (Tübingen). (Mit 19 Textfiguren) Über den Blutdruck in den kleinen Arterien und Venen (den Kapillaren nahestehenden) unter normalen und gewissen pathologischen Verhältnissen. Von Privatdozent Dr. A. Bogo- molez, Assistenten des Instituts. (Mit 2 Textfiguren.) (Aus dem Institut für allgem. Pathologie der Kaiserl. Universität in Odessa) Automatische Zentren und Reflexvorgänge im abgelösten Darm. Von Josef Schüller. (Aus dem biologischen Labora- torium der Universität Bonn) Viertes, fünftes, sechstes und siebentes Heft. Ausgegeben am 21. Juli 1911. Über die Wirkung kleinster Säuremengen auf die Blutgefässe. Ein Beitrag zur Kenntnis der vermehrten Durchblutung tätiger Organe. Von Privatdoz. Dr. Carl Schwarz, Assistent, und Dr. Frieda Lemberger, Demonstrator am physiologischen Institut der Universität in Wien Zur Physiologie der Sehsphäre. Von Dr. M. Minkowski. (Mit 53 Textfiguren.) (Aus dem physiol. Laboratorium der Berliner psychiatr. und Nervenklinik) . * Seite 63 118 133 149 17a IV Inhalt. Weitere Untersuchungen über das Verhalten des Glykogens im Eierstock der Rana fusca. Von Max Bleibtreu. (Mit 2 Textfiguren.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Greifswald) . N Über die Beziehungen der Herznerven zur automatischen Reiz- erzeugung und zum plötzlichen Herztode. Von Privatdozent Dr. C. J. Rothberger und Privatdozent Dr. H. Winter- berg. (Mit 19 Textfiguren.) (Aus dem Institute für allgem. und exper. Pathologie in Wien) 5 e Über den zeitlichen Ablauf der Refraktärphase am Herzen. Nach Versuchen von T. Fujita mitgeteilt von Wilhelm Trendelenburg. (Mit 7 Textfiguren.) (Aus dem physio- logischen Institut der Universität Freiburg i. B.) Achtes und neuntes Heft. Ausgegeben am 8. August 1911. Erwiderung an OÖ. Frank. Von K. Hürthle. (Mit 2 Text- figuren.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Breslau) RE OR SEN. Ce N CN ar ar Erwiderung an OÖ. Frank. Von Clemens Schalen Nochmalige Erwiderung an OÖ. Frank. Von Otto Weiss. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Königs- berg i. Pr.) 53; a ORT Über die Zuckungssummation durch zwei Reize von verschiedener Intensität. I. Mitteilung Von Makato Ishihara. (Teilweise nach Versuchen seines verstorbenen Assistenten M. Adachi.) (Mit 14 Textfiguren.) (Aus dem physio- logischen Institut zu Fukuoka) . RE Studien zur vergleichenden Verdauungsphysiologie. III. Mit- teilung. Über die Mitwirkung von Mikroorganismen, Bak- terien und Infusorien, bei der Verdauung von Cricetus frumentarius. Von Arthur Scheunert. (Aus dem physiologischen Institut der tierärztlichen Hochschule zu Dresden) ES Narr el» Arbeit und Gaswechsel am Froschherzen. Von Viktor Weiz- säcker. (Mit 4 Textfiguren.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Freiburg i. B.) . SEN Über das Verhalten des Sehpurpurs beim Tagessehen. Von Vietor Bauer, Neapel. (Aus dem In- stitut der Universität Leipzig) . Be ER Seite 328 343 378 389 410 423 427 441 457 479 Inhalt. Zehntes, elftes und zwölftes Heft. Ausgegeben am 29. August 1911. Ueber den experimentellen Nachweis neurogen erzeugter Ur- sprungsreize beim Säugethierherzen nebst Bemerkungen über die Ursprungsreizbildung. Von Prof. H. E. Hering (Prag) . a 3 Über die Ursachen der sinkenden Pulsfrequenz bei wachsenden Hunden. Von Dr. Kamill Lhotäk von Lhota, a. o. Professor der Pharmakologie. (Aus dem k. k. pharma- kologischen Institut der böhm. Universität in Prag). Über den Erregungsablauf am Kropfe der Aplysia. Von Privat- dozent Dr. med. Rudolf Dittler, Assistent am physiol. Institut zu Leipzig. (Mit 8 Textfiguren.) (Aus der physio- logischen Abteilung der zoologischen Station zu Neapel) . Über Kapillar- und Adsorptionserscheinungen an der Milch, Von Prof. Dr. Alois Kreidl (Wien) und Dr. Emil Lenk (Wien). (Mit 3 Textfiguren). N Ta: Über Salz- und Wasserdiurese. Von Eugen Csernel. (Mit 7 Textfiguren.) (Aus dem en Institut der Universität Budapest) . BR 3 Bi _ Über die Anordnung der homogenen Lichter auf der Mischlinie des Rotgrünblinden mit unverkürztem Spektrum. Von E. Th. von Brücke und N. Inouye. (Mit 6 Text- figuren.) (Aus dem Be Institut der Uni- "versität Leipzig). BR Milz und Magenverdauung und der sehlehe Be inechale en Milz. Von Georg Trampedach (Riga, Livland), Köln- Kalk, Evangelisches Krankenhaus. (Mit 2 Textfiguren.) (Aus der medizinischen Klinik zu Bonn) 5 SR, Berichtigung, Von Sigm. Exner. (Mit 2 een) Seite 497 514 527 541 559 573 591 617 (Aus dem physiologischen Institut zu Königsberg i. Pr.) Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. Von | EL. Hermann. (Hierzu Tafel I.) Inhaltsübersicht. ee Besistrierende und analytische Versuche. . ... 2... .n... 2 1. Sprachlautaufnahmen mit Mikrophon und Kapillarelektrometer (mit IESEReIEEANanm) RN te En Re a see 2 2. Über Vokalproduktion bei sehr hohen Stimmnoten ....... 11 3. Die Kurven der Vokale bei sehr hohen Stimmnoten ....... 14 . Betrachtungen und weitere Versuche zur Vokalfrage ........ 18 1. Allgemeinere Bemerkungen . ...... ES STIER) EN RT 18 2. Kurze Zusammenstellung der Einwände gegen die Verstärkungstheorie 21 3. Synthetische Versuche und deren Bedeutung . . »... 2.2... 23 4, Die Entstehung der Vokale durch Anblasung. Experimentelle - Nachweise für dieselbe und neue Vokalsynthesen ........ 42 DeZurBrace des Hörens der Vokale 2. ...... rn... an 59 SRwzenlübersicht der Ergebnisse. 0.0.0 0 u... 61 Subemerkungen zur der Rurventatel0. a... 2 a: 62 Die Aufgabe der vorliegenden Arbeit ist eine Ergänzung und Weiterführung meiner in den Jahren 1889 bis 1902 veröffentlichten Untersuchungen über die Vokale, ihre akustische Natur, ihre Ent- stehung und ihre synthetische Nachahmung). Während die von mir gewonnenen graphischen Aufzeichnungen und analytischen Ergebnisse allgemeine Bestätigung gefunden haben, sind gegen meine Auffassung von der Natur und Produktion der Vokale eine Anzahl von Ein- wänden erhoben worden. Besonders in dieser Richtung ist es mir gelungen, neue und, wie ich glaube, entscheidende Tatsachen zu finden. 1) Dies Archiv Bd. 45, 47, 48, 53, 58, 61, 83, 91. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 1 2 L. Hermann: A. Registrierende und analytische Versuche. I. Sprachlautaufnahmen mit Mikrophon und Kapillar- elektrometer. (Mit E. Herrmann.) Im Wintersemester 1905/06 habe ich in Gemeinschaft mit dem damaligen Studierenden, jetzigen Doktor der Philosophie Herrn Erich Herrmann den Versuch gemacht, Sprachlaute in etwas bequemerer Weise, als in meinen früheren Untersuchungen, in Kurven darzustellen, nämlich vom Mikrophon ausgehend. Obwohl diese Versuche gegenüber den früheren nichts wesentlich neues er- geben haben, schien es doch angesichts der allgemeinen Verwendung des Mikrophons von Interesse, sie mitzuteilen. Leider hat sich die Veröffentlichung durch eine Reihe von Umständen um mehr als 5 Jahre verzögert. Obwohl das Mikrophon seit langer Zeit für die telephonische Übertragung der Sprache in allgemeinem Gebrauch und seine Fähig- keit, alle Charaktere der Sprachlaute auf das feinste und genaueste zu übermitteln, bewährt ist, waren 1906 doch noch keine Versuche bekannt, auch auf diesem Wege Kurven der Sprachlaute zu ge- winnen. Erst in den folgenden Jahren, nach Abschluss unserer Versuche, erschienen einige ganz kurze Mitteilungen in dieser Rich- tung. 1907 schrieb Einthoven!) Mikrophonschwingungen ge- legentlich mit seinem Saitengalvanometer auf. Dasselbe taten 1908 Devaux-Charbonnel?) mit einem Oszillographen, und Georg & Gustav Laudet?) auf nicht angegebenem Wege. Alle diese Mit- teilungen sind nur vorläufiger oder fragmentarischer Natur; aus- führlichere Veröffentlichungen sind mir nieht bekannt geworden. Als Mikrophon benutzten wir ein sog. Stentor-Mikrophon der Firma Mix & Genest, welches erfahrungsgemäss für starke Lautübertragung besonders geeignet ist. In der Tat zeigte es sich in Vorversuchen anderen Mikrophonen weit überlegen; in diesen Vorversuchen wurde zum Teil mittels eingeschalteter induktiver Transformation in gewöhnlicher Weise auf ein Telephon gewirkt; in 1) Onderzoek. physiol. Labor. Leiden. 2. Reihe. Bd. 6 S. 129. (Im betr. Referat in meinem Jahresbericht pro 1907 S. 133 habe ich unsere Arbeit erwähnt.) 2) Compt. rend. de l’acad. Bd. 146 S. 1258. 3) Ebendaselbst S. 1311. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 3 . ‚anderen. Versuchen wurde die Sprache der „u benden Bog genlampe“ zugeführt. - In den eigentlichen nchen wirkten eh die mittels Kette und Mikrophons hervorgebrachten Stromoszillationen auf ein Kapillarelektrometer, dessen Meniskenbewegung mit der von Edelmann für das hiesiee Institut ausgeführten Schlittenvorrich- tung!) photographisch registriert: wurde. Bekanntlich wird im telephonischen Gesprächsystem der .oszil- lierende Mikrophonstrom induktiv auf hohe Spannungen transformiert, und das Telephon reagiert auf Spannungsoszillationen von hohem ‚.Betrage besonders gut. Es liess sich voraussehen , dass, dies Ver- “fahren nicht mehr verwendbar sein würde, wenn an die Stelle des Telephons das Kapillarelektrometer tritt, da dieses höhere Spannungen als etwa 1 Volt nicht verträgt, weil dieselben Gas entwickeln. Wenn überhaupt Transformation verwendet werden soll, müsste dieselbe in umgekehrtem Sinne, d. h. von hoher auf niedrige Spannung er- folgen; dies würde aber keinen Nutzen haben und die Notwendig- ‘keit mit sich brinzen, dass der Kreis des Mikrophons_ eine Spirale von erheblichem Widerstand enthält, was höchst unzweckmässig ist; denn damit die Widerstandsschwankungen des Mikrophons möglichst grosse Stromoszillationen hervorbringen, muss der Mikrophonwider- “stand den wesentlichen Widerstand des ganzen Kreises darstellen. So ergab sich als einzig riehtiges Verfahren, von der Induktion ganz Abstand zu nehmen ‚und den Mikrophonstrom direkt durch das Kapillarelektrometer zu leiten. Selbstverständlich darf aber dies nicht ohne Nebenschliessung geschehen , ‘schon weil der ungeheure Widerstand des Kapillarelektrometers die Wirkung des Mikrophons vereiteln würde. Ausserdem aber reagiert ein Kapillar- elektrometer bekanntlich nur auf Spannungs- und nicht auf Wider- standsschwankungen, auf welchen doch die Wirkung des Mikrophons beruht. Bei Einführung einer Nebenschliessung wirkt dagegen die Potentialdifferenz ihrer beiden Endpunkte auf das Kapillarelektro- meter, und diese Spannungsdifferenz ist es, welche durch Wider- standsoszillationen des Mikrophons oszilliert. Welchen Widerstand man am zweckmässigsten dieser Nebenschliessung erteilt, ergibt sich sehr leicht aus folgender Betrachtung. Es sei E die Spannung der verwendeten Kette, w der Wider- 1) Vgl. Hermann & Gildemeister, dies Archiv Bd. 110 S. 88. 1905. 1 4 L. Hermann: stand der Nebenschliessung zum Kapillarelektrometer, ferner schwanke der übrige, das Mikrophon mit enthaltende Widerstand des Ketten- kreises zwischen den Werten w, und %, (ws > w,); dann oszilliert die auf das Kapillarelektrometer wirkende Potentialdifferenz der beiden Enden der Nebeuschliessung zwischen den Werten WR w w + w u der Betrag dieser Oszillation ist also (w + w) (wa + w)' Die Wirkung auf das Kapillarelektrometer wird am stärksten, wenn de/dw —= 0, d.h. wenn w—= Vw,Wn. In diesem Falle wird Wo — Wı er, Die höchste und die niedrigste auf das Instrument wirkende Span- nung ist dann EN Er au, resp. E m —. Yw, + Vw, Yw +Vw, Soll der erstere Betrag nicht 1 Volt überschreiten, so darf entweder E nicht grösser sein als Volt, oder die Nebenschliessung muss einen kleineren Widerstand er- halten, als den oben berechneten V w, ws. Der Widerstand des verwendeten Stentor-Mikrophons, neben welchem der übrige Widerstand des Kreises verschwindend klein war, oszillierte durch den Schall ungefähr zwischen w — 4 und We —=13 Ohm. Die Nebenschliessung musste also für günstigste Wirkung den Widerstand 7,2 Ohm erhalten; dann durfte nach obigem die Kette E nicht über 1,55 Volt haben. Wir zogen es vor, ihr die grösste Spannung zu geben, welche das Mikrophon verträgt, nämlich 4 Volt [2 Akkumulator-Elemente]'!); dann darf aber, 1) Für kurze Schliessungen verträgt das Mikrophon bis 6 Volt; auch bei 4 Volt darf man nicht zu lange schliessen, sonst tritt Erwärmung ein. Wir schlossen den Kreis immer nur während des Hineinsingens, indem der Singende einen federnden Taster niederdrückte. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 5 wie man leicht findet, die Nebenschliessung statt 7,2 nur etwa 1,3 Ohm haben; wir haben zur Sicherheit stets 1 Ohm verwendet. Die vorstehenden Anordnungen beruhen nicht allein auf Über- lesung, sondern auch auf Versuchen. Wir haben ausser Variierung der Widerstände nicht unterlassen, auch mit induktiver Übertragung in sehr verschiedenen Modifikationen Aufnahmen zu machen, zum Teil auch unter Verwendung von Kondensator-Kapazitäten, worauf hier nicht näher eingegangen wird. Alle so gewonnenen Kurven standen hinter den mit dem oben angegebenen einfachen Verfahren erhaltenen zurück. Hinsichtlich der speziellen Ausführung der Versuche sind noch folgende Angaben nötig. Die meisten Versuche und sämtliche, aus denen Kurven reproduziert sind, sind mit einer sehr engen und stark konischen Kapillare angestellt, bei sehr kleinem sog. Arbeitsabstand (zwischen Meniskus und Röhrenende). Die Kapillare trug eine Quecksilber- säule von 650 mm Höhe. Die Empfindlichkeit dieser Kapillare ist mässig, dagegen die Geschwindigkeit des Ausschlages ungemein gross. Die (ziemlich logarithmische) Normalkurve ergibt, dass °/ıo des Gesamtausschlages erreicht werden hei Bewegung nach dem Röhren- ende in 0,006 Sek., be: Bewegung vom Röhrenende wee in 0,007 Sek."). Die Projektion der Kapillare auf den Spalt des Schlittenapparates erfolgte bei 200-maliger Vergrösserung unter Verwendung eines planzylindrischen Glases von 12 Dioptrien zur Erhöhung der Licht- stärke. Der Mikrophonstrom war stets so gerichtet, dass er den Meniskus vom Röhrenende entfernte. Die Schliessung des Mikrophon- stromes bewirkt eine ziemlich starke Ablenkung, auf welche sich die Stimmoszillationen superponieren. Damit letztere im Spalt- bereich erscheinen, musste, da die permanente Ablenkung grösser ist als die Spaltlänge, die Ruhelage des Meniskusbildes oberhalb des Spaltbereiches liegen. Um dem Schlittenapparat bequem und sicher stets die erforderliche Höhenlage zu geben, diente das schon früher von mir vielfach verwendete grosse Kamerastativ mit Kurbel- bewegung?). In den während der Ablenkung vom Quecksilber- 1) Diese Geschwindigkeit ist 24mal so gross, wie bei einer für feine physio- logische Versuche bewährten Kapillare, während die Empfindlichkeit nur Yıı von der letzteren ist. 2) Dies Archiv Bd. 45 S. 587. 1889. 6 ° I. Hermann: N schatten freien Teil des Spaltes ragte der Schatten eines horizontalen“ Drähtchens hinein, das an einer Zinke einer König’schen elektrischen Stimmgabel von 100 Schwingungen pro Sek. befestigt war. In den meisten Versuchen würde das treibende Übergewicht so gewählt, dass die Plattengesehwindigkeit beim Eintritt in den, Spaltbereich etwa 1,1, beim Austritt aus demselben etwa 1,3 m pro Sekunde beträgt. Der Apparat besitzt zwar eine Einrichtung, um die Geschwindigkeit während der Expositionszeit nach dem Prinzip der Atwood’schen Fallmaschine konstant zu machen; indes konnte auf die Ausnutzung dieser Einrichtung ohne Nachteil verzichtet werden. Für gewisse Konsonantstudien mussten geringere Ge: schwindigkeiten verwendet werden (siehe unten S. 11). Die Platten waren 13 em lang und 6 em hoch, und von höchster Empfindlichkeit. Zur Beleuchtung diente eine Schuckert- sche Bogenlampe (16 Amp.) mit der Zeiss’schen optischen Bank. Auch der Beleuchtungsapparat befand sich auf einem Dreisäulenstativ mit Kurbelbewegung. Das Elektrometerstativ mit dem Mikroskopobjektiv stand auf einer erschütterungsfreien Unterlage. Ebenso war das Stativ der Stimmgabel erschütterungsfrei auf dem Boden aufgestellt, so dass die Gabelschwingungen sich nicht dem Aufnahmeapparat mitteilen konnten. Ä Aus dem grossen Material, welches unsere Versuche geliefert haben, konnte natürlich nur eine bescheidene Anzahl von Kurven hier vorgeführt werden (Serie A, Fig. 2—36). Für eine überdies unverhältnismässig kostspielige phototypische Reproduktion sird die Platten grossenteils etwas zu liehtdurchlässig. Wie in meinen früheren Arbeiten über Sprachlaute begnüge ich mich daher mit Durchpausungen, welche vom Lithographen mit der Nadel auf Gelatine hergestellt und direkt auf den Stein übertragen sind. Die Länge jeder Kurve ist etwa 13 em; es genügte aber, einen Bruch- teil der Kurve zu kopieren. Die Kurve bildet die Grenze des be- lichteten und des unbelichteten Teils der Platte; auf dem ersteren, der Säure entsprechenden, auf dem Negativ schwarzen Teil befindet sich die Stimmgabelkurve ("ıoo Sek.), auf dem Negativ transparent. Im Vergleich mit meinen früheren Vokalkurven fällt zunächst die scharfspitzige Form der Zacken auf; indes ist dieselbe grossen- teils dem Umstande zuzuschreiben, dass die Kurven im Vergleich zu den Abszissen hohe Ordinaten haben. Immerhin könnte das Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 7 verwendete Verfahren in diesem Sinne etwas entstellend auf die Kurven wirken; die Frage, wie weit das Verfahren die Schreibung beeinflusst, muss aber allgemeiner gestellt werden. Entstellende Einflüsse muss sowohl das Mikrophon als das Kapillarelektrometer ausüben. In dieser Hinsicht ergibt die theo- retische Betrachtung folgendes. Das Mikrophon muss sich den ein- wirkenden Schallschwingungen gegenüber wie eine stark gedämpfte schwinzungsfähige Masse verhalten. Diese kann die einwirkenden Schwingungen nach bekannter Theorie nur mit verminderter Amplitude und verzögerter Phase aufnehmen; die Periodik bleibt aber stets unverändert. Sehen wir von den Phasen ganz ab, betrachten also nur die Amplituden, so. wird jede Partialschwingung um so mehr geschwächt, je höher ihre Ordnungszahl, also der Klang modifiziert. Es könnte noch in Frage kommen, ob die Widerstandsänderungen des Mikrophons, von denen doch seine weitere Wirkung abhängt, ganz genau der aufgenommenen Schwingung folgen; indes darf man dies bis auf weiteres annehmen. Der in angegebener Weise modifi- zierte zeitliche Verlauf des einwirkenden Schalles wirkt nun in Gestalt einer Potentialschwankung auf das Kapillarelektrometer, welches nach bekanntem Prinzip eine weitere Modifikation herbeiführt; auch diese besteht in Verminderung der Amplitude und in Verzögerung der Phase, und zwar ebenfalls um so stärker, je höher die Ordnungs- zahl des harmonischen Bestandteils. Es ist also sicher, dass ein Klang durch unser Verfahren weniger treu wiedergegeben wird als bei direkter mechanischer Aufnahme mittels einer stark gedämpften Platte, wie beim Phono- xraphen. In prinzipieller Hinsicht können also die diesmaligen Auf- zeichnungen mit meinen früheren nicht konkurrieren, wenn es wirklich darauf ankommt, die in den Klangkurven steckenden Obertöne durch harmonische Analyse festzustellen, da diese ja um so mehr unter- drückt werden, je höher sie sind. Trotzdem sind die Kurven den früher mitgeteilten, besonders denjenigen der «-Methode!), sehr ähnlich, sie geben namentlich die Formanten ausgezeichnet gut wieder und erscheinen daher für unsere Zwecke brauchbar. Namentlich ist aber das Verfahren viel bequemer als das phonographische, und ausserdem hatte es, wie schon bemerkt, ein gewisses selbständiges Interesse, die Mikrophonwirkung einmal graphisch darzustellen. 1) Dies Archiv Bd. 47 Taf. VIII. 1890. 8 L. Hermann: Wenn die oben erwähnten scharfspitzigen Formen wirklich auf Figenschaften des Mikrophons oder des Kapillarelektrometers be- ruhen, so gibt die theoretische Betrachtung dafür keine Erklärung; die Tendenz der Vorrichtungen geht ja dahin, Obertöne zu unter- drücken, also eine Klangekurve der einfachen Sinusschwingung an- zunähern. Obwohl nach dem Gesagten Analysen der Vokalkurven ein ver- hältnismässig geringes Interesse zu haben schienen, sind doch einige Kurven von Hern Herrmann gemessen und nach dem Schablonen- verfahren analysiert worden; neues hat sich dabei, wie zu erwarten war, nicht ergeben, obgleich es mir möglich war, die Ergebnisse von dem Einflusse des Kapillarelektrometers ziemlich zu befreien. Das bekannte Verfahren von Burch, die Ausschlagskurve des Instruments auf die zugrunde liegende Potentialschwankung zu reduzieren, ist zwar, wie ich mit Gildemeister gezeigt habe), nicht ganz streng, liefert aber, wenn, wie bei uns, die Normalkurve des Instruments sehr annähernd logarithmisch ist, brauchbare Re- sultate. Jedoch war, wie ein Blick auf unsere Kurven zeigt, ein graphisches Verfahren, wie das von Burch, Einthoven, Garten, bei dem steilen Verlauf nicht ausführbar. Man kann nun, da ohnehin zur Analyse in einer Periode 40 äquidistante Ordinaten gemessen werden, diese benutzen, um auf Grund der Burch’schen Theorie die abgeleitete Kurve mit einer gewissen Annäherung rechnerisch zu finden; indes erwies sich dies Verfahren als zu ungenau, so dass ich auf dasselbe hier nicht eingehe, obgleich es in einigen Fällen durchgeführt und die so abgeleitete Kurve analysiert wurde. Weit praktischer und genauer fand ich es, die Elektrometer- kurve ohne Reduktion zu analysieren und die erhaltenen Amplituden zu reduzieren. Nach Burch erhält man, wenn y die Ordinate einer Eiektrometerkurve bedeutet, das dieser Ordinate entsprechende momentane Potential » der Einwirkung mittels der Gleichung a Lay DI a ee ee REN) vorausgesetzt, dass die logarithmische Normalkurve des Instruments dargestellt wird durch die Formel Ve al a (2) 1) Dies Archiv Bd. 81 S. 491. 1900. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung, 9 Unter diesen Voraussetzungen wird aber, wie ich gezeigt habe, !) eine einwirkende Sinusschwingung von der Amplitude c (Schwingungs- zahl n) wiedergegeben als eine in der Phase verschobene Sinus- schwingung von der Amplitude ; rc (en, Vr: + Ann? Man kann also leicht die aus der Analyse hervorgehenden Partial- amplituden c dem Verhältnis nach reduzieren auf die Partial- amplituden ce des einwirkenden Vorgangs, wenn man jede Amplitude c multipliziert mit ): ae) Vr? + 4 n?n? * 1% ai ( sun r Y worin für n die Schwingungszahl des betr. Partialtons einzusetzen ist. Die Grösse r ist leicht aus der Normalkurve zu bestimmen. Nach dem oben S. 5 gesagten ist in Gleichung (1), y/yn —= "ıo für 2 = 0,006—0,007 sek, je nach der Richtung des Ausschlaes. Da beide Richtungen alternieren, können wir ? — 0,0065 setzen für y/yy = "ıo. Es wird also r. 0,0065 = log nat 10, (8) folglich Y — 394,25 sek. Hiernach wird in (3a) schon von n —= 200 ab das zweite Glied unter dem Wurzelzeichen so gross gegen 1, dass man einfach für die ganze Wurzel setzen darf 2 zn/r, so dass die Reduktion un- gemein leicht ausführbar wird. Ist z. B. der Vokal auf die Note g9 (192) gesungen, wie in dem unten folgenden Beispiel, so hat man nur von den aus der Analyse hervorgegangenen Amplituden die erste mit 93,4, die zweite mit 2-3,4, die dritte mit 5-3,4 usw. zu multi- plizieren und begeht dabei selbst bei der ersten noch keinen erheb- lichen Fehler. Der Sinn dieser Reduktion ist leicht zu erkennen: die Wirkung des Kapillarelektrometers, die höheren Partialtöne immer schwächer erscheinen zu lassen, wird durch dies einfache Verfahren wieder ausgeglichen. Als Beispiel sei folgende Analyse einer Kurve des Vokals A auf die Note g angeführt. Die gemessenen 40 ÖOrdinaten waren (in Zehntel mm): 1) Dies Archiv Bd. 63 S. 440. 1896. 10 L. Hermann: 05.10 185,42, ,48 249.24, 16, .21. 2 74.,:,68, 085 40,29. 41.88, 84; 49, 22.,24.,88, Au 5, 10.055,10 9 18. 25.4052 910 023.0034° 242 200 10,71 Die Analyse ergab als Amplituden der zehn ersten Partialtöne, die grösste —= 100 gesetzt: Ördnungszahl I a OO ET e lD) Note deln en dena. nge Saale Rel. Amplitude 55. 42 14 100 34 48 15 10 9 4 Die nach dem angegebenen Verfahren reduzierten Werte waren da- gegen, wiederum die grösste — 100: Ortdnungszahl 2 2225 ea ER ET, 8 9 10 Note ge de gel de uf Be ges Naeh Rel. Amplitude 13,7 21,0 10,5 100 42,5 72,0 26,3 20,0 20,3 10,0 Offenbar stimmen diese Werte zu den früher mitgeteilten Analysen besser als diejenigen der vorletzten Reihe; insbesondere fällt der Grundton erst nach der Reduktion so schwach aus, wie er wirk- lich ist. Was in meinen früheren Arbeiten über die Charakteristik der Vokale sich ergeben hat, wird durch die jetzigen Kurven im wesent- lichen bestätigt. Sowohl die Analysen als die anderen früher von mir, wo Analyse unausführbar ist, an ihrer Stelle verwendeten Methoden (Proportionalmessung und Auszählung) ergeben dieselben Lacen der Formanten wie die früheren Kurven. Auf der Tafel sind hinlänglich viele Beispiele angegeben, um dies zu zeigen, und es wird nicht nötig sein, weitere Details vorzubringen. Vor allem wird man sehen, dass auch die Mikrophonmethode die hohen Formanten der Vokale E, I, Oe, Ue sehr schön wiedergibt, ferner dass ihre Periodik, ebenso wie bei A, OÖ, U, von der Note des Vokals völlig unabhängig ist. Ausserdem bestätigt sich, dass ausser der Höhe des Formanten auch andere Charaktere für einzelge, ja vielleicht für alle Vokale existieren, besonders hinsichtlich der Art, wie die Stimm- periode von den Formantschwingungen ausgefüllt ist. In dieser Hinsicht ist namentlich auch hier wieder zu bemerken'), dass bei E, auf tiefere Noten angegeben (s. Fig. 11), in der Periode regel- mässig eine Art Einschnitt existiert, in welchem die Formant- 1) Vgl. besonders Taf. II in Bd. 53 dieses Archivs. 1892. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 11 sehwingungen schwach sind :oder fehlen, und welcher die Periode in. zwei ungleich lange Abschnitte teilt, deren erster.der kürzere ist. Von aen Kurven bei sehr hohen Stimmnoten wird weiter unten die Rede sein. Auch von den Konsonantenaufnahmen sind einige auf der Tafel reproduziert (Fig. 29—36). Sie bestätigen die Ergebnisse meiner früheren Untersuchungen über Konsonanten durch Trans- skription vom Phonographen!). Leider bringt es das diesmalige Verfahren mit sieh, dass nur kurze Momente erfasst werden können; denn die Durchgangszeit der Platte beträgt nur etwa !/ıo sek. Für die Darstellung der Halbvokale Z, M, N ist auch die kürzeste Zeit genügend; auch bei R findet stets leicht eine ganze Schnurrperiode auf der Platte Platz. Dagegen ist das Verfahren für P, T, K selbst bei auf die Hälfte verminderter Geschwindigkeit nicht ausreichend, weil, wenn wie früher Pippipp, Tittitt aufgesprochen wird, es nur selten zustande kommt, dass die ganze Strecke zwischen zwei Vokalen auf die Platte fällt. Die Halbvokale Z, M, N, R geben sehr schöne Kurven, in denen ihr in der früheren Arbeit angegebener Formant ungemein deutlich hervortritt. Es genüst, auf die mitgeteilten Beispiele zu verweisen. Von P, T und Ä sieht man nur die stumme Pause und das kurze I, dessen plötzliches Auftreten die Kurve meist auf höheres Niveau brinst. Von dem in meiner früheren Arbeit stets dargestellten charakteristischen Endgeräusch ist nirgends etwas deutliches zu sehen, obwohl der es enthaltende Teil des Intervalls sicher oft in den Plattenbereich gefallen ist. Offenbar ist für diese zarte Erscheinung die Methode nicht ausreichend. Auch von dem bei Beginn des P häufig auftretenden Druckstoss war nirgends etwas zu erkennen. 2. Über Vokalproduktion bei sehr hohen Stimmnoten. Die naheliegende und gesprächsweise mir oft vorgelegte Frage, wie es mit der Bildung eines Vokals steht, wenn die Stimmnote die Höhe des Vokalformanten erreicht, also z. B. bei A die Mitte der zweigestrichenen Oktave, kann durch blosses Befragen von Sängerinnen kaum entschieden werden. Im Kunstgesang werden ganz gewöhn- 1) Dies Archiv Bd. 58 (mit F. Matthias) S. 255 und Taf. II, 1894, be- sonders aber Bd. 83 S. 1 und Taf. I bis:IV,.1900. 12 L. Hermann: lich Textworte auf die höchsten erreichbaren Noten, also gelegentlich bis c?, gesungen, und die meisten Sängerinnen glauben, dass die Vokale hier noch vernehmbar sind. Freilich habe ich erfahren, dass manche Gesanglehrer empfehlen, in den grössten Höhen statt der Vokale immer nur ein A zu intendieren, doch wahrscheinlich: von der Ansicht ausgehend, dass die Vokalproduktion in diesen Höhen illusorisch ist. Vor allem habe ich an geschulten Sängerinnen möglichst ob- jektive Feststellungen über diesen Gegenstand zu machen gesucht. Mit dem Singen von Worten oder Silben erreicht man nichts, weil die Konsonanten, wenn nicht gar der Sinn, den Vokal zu erraten gestatten. Es wurden daher, ähnlich wie bei früherer Gelegenheit), von einer am Versuch ganz unbeteiligten Person eine Anzahl (15) Vokale in beliebiger Reihenfolge auf einen Zettel geschrieben und von der Sängerin auf eine vorgeschriebene hohe Note abgesungen. Ich selbst, zuweilen gleichzeitig auch eine andere Person, führte über die gehörten Vokale Protokoll; um durchaus nur durch das Ohr geleitet zu werden, vermeidet der Beobachter, die Sängerin anzusehen. Von drei Damen, welche die Güte hatten, sich diesen Versuchen zu unterwerfen (zwei derselben sind berufsmässige und ausgezeichnete Opernsängerinnen), waren die Stimmlagen Alt, Mezzosopran, Sopran. Die Note c® (das sogenannte hohe c) konnten alle drei erreichen; von welcher Note ab die Fistelstimme eintrat, konnte in der Regel nicht ganz sicher angegeben werden; es pflegt aber die Bruststimme nur bis f! gebraucht zu werden; von da bis d?, allenfalls f?, wird die Stimme von einer Dame als „Mittelstimme“ bezeichnet; ober- halb d? resp. f? ist Kopfstimme die Regel. Auf c® konnte ganz sicher keine Vokalunterscheidung mehr er- folgen. Die Versuche erstreckten sich daher nur auf die Noten g!, e® und g°, in einem Versuch statt dessen a®. Um von den Resultaten eine Vorstellung zu geben, stelle ich in einer Tabelle nur diejenigen für e® und 9? (a?) zusammen, un- abhängig von der Reihefolge der Einzelversuche (für jede Note 15). Die Fälle, in welehen das Vernehmen vom Gesungenen abwich, sind eingeklammert. 1) Dies Archiv Bd. 17 S. 323 ff. 1878; vgl. auch Bd. 139 S. 1ff. 1911. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 13 Ge- Sängerin IV Sängerin V Sängerin VI sungen! (Sopran) (Mezzosopran) (Alt) Verstanden Note e2 Note e& Note e? A 2mal A 2 mal A (lmal 40) 4 mal A E 3mal E 2 mal X (1 mal a 1mal # (1 mal Oe) JE lmal / (2mal £) lmal 7 (2mal E 2 mal 2 (lmal Z) oO 2 mal O 2 mal 9 3mal OÖ U lmal U (1mal O) lmal U lmal U Ae lImal de (1 mal I) —_ Oe 1 mal Oe 1 mal Oe 1 mal Oe Ue lmal Ue lmal Ue (l1mal I) | | Note 9? Note a? Note g? A 3mal A | 3mal A 2mal A (lmal O) E 2mal £ | (2 mal A) 1 mal E (l1mal Oe) I (3 mal Z) (3 mal A) (3 mal £) (0) 2 mal O | Imal © (lmal A) (2 mal U) U (2 mal O) ' (lmal O, 1:mal A) lmal U (1mal O) 4e ® lmal Ae | (1mal 4) (1 mal Oe) Oe 1lmal Oe | (lmal A) (1mal Ue) Ue (l1mal O) | (1 mal Oe) (1 mal Oe) Wie man sieht, kamen bei der Note e? unvergleichlich weniger Missverständnisse vor als bei g? oder a?; auch war für e? das Ver- halten bei allen drei Sängerinnen ziemlich dasselbe. Bei 9? resp. a? ist dagegen die Zahl der Missverständnisse nur für die Sopranistin IV gering, und bezieht sieh für diese fast ausschliesslich auf Z und U, für welche durchweg E resp. O gehört wurde (ähnlich auch teilweise schon bei der Note e?). Die grössere Vollkommenheit der Vokal- bildung ist hier wohl nicht in der Sopranlage, sondern in besonders. sorgfältiger Ausbildung dieser Stimme beeründet. Bei der Sängerin V wurde der Vokal nur in vier von 15 Fällen richtig verstanden, darunter drei A. Sonst klangen alle Vokale in der Mehrzahl der Fälle wie A, so dass auch auf die drei richtig verstandenen A kein Wert zu legen ist. Auch bei der Altistin war die Anzahl der richtigen Fälle nur vier von 15, aber niemals wurde statt des richtigen Vokals A ver- standen, sondern, von den Umlauten abgesehen, wurden hauptsäch- lich verwechselt 7 mit E und ferner wechselseitig O und U. Am wenigsten vollkommen wird nach allen Versuchen schon von e? ab ] produziert, welches unter im ganzen 18 Fällen nur 4mal und auf 9? (a?) niemals richtig verstanden wurde; es klang bei 9? durch- gängig wie E. Diese Ergebnisse hätte man wohl kaum vermutet. Geräde bei ], dessen Formant ganz sicher im Anfang der 4-gestrichenen Oktave 14 a er NN Eermann: 2. liegt, war theoretisch keine Schwierigkeit der Produktion voraus- zusehen, wenn der Grundton in der 2-gestrichenen Oktave liegt. Bis auf weiteres kann ich mir den Sachverhalt nur dadurch einiger- massen erklären, dass die hohen Noten im Interesse der Resonanz mit Mundstellungen hervorgebracht werden, welche für die Bildung des IJ-Formanten ungünstig sind; namentlich wird für die höchsten Noten der Mund weit ceöffnet. Weit weniger befremdend sind die Verwechselungen von O und D, die ja einander überhaupt sehr ver- wandt sind. Dass bei der Sängerin V alle Vokale in der Höhe wie 4A klingen, mag mit der oben erwähnten Vorschrift mancher Gesang- lehrer, die übrigens von änderen missbilligt wird,. zusammenhängen. Etwas überraschend könnte es auch erscheinen, dass in der Höhe gerade A so leicht produziert werden kann, wie man wenigstens aus der ‚Sicherheit des Verstehens schliessen wird.. Wenn wie bei der Note 9°? der Formant mit der Stimmnote ziemlich zusammenfällt, müsste, sollte man erwarten, der Vokal seine Charakteristik. fast ganz verlieren. Ich habe übrigens nicht versäumt, mich: bei erfahrenen Gesang- lehrern , besonders solchen , welche Künstlerinnen ausbilden, in der Frage der hohen Vokale zu erkundigen. Ihre Angaben stimmen recht befriedigend zu den hier mitgeteilten Feststellungen. N Ye ,l 3. Die Kurven von Vokalen bei sehr hohen Stimmnoten. Bestimmtere Aufschlüsse über die im vorstehenden behandelte Frage konnten nur durch die Aufnahme von Vokalkurven gewonnen werden. Solche Aufnahmen scheinen für die Vokale im Sopran bisher nicht gemacht zu sein. Diese Lücke in unseren Kenntnissen suchte ich schon 1906 in Gemeinschaft mit Herrn Herrmann auszufüllen durch es mit dem Mikrophonverfahren an mehreren Damen (I, I, III), worunter HI eine Opernsängerin. Von den erhaltenen sind einige hier reproduziert (Fig. 5— 10, jo 14, 16, 17, 20, 21, 23, 24, 27). Für den Augenblick kommen nur die auf die Noten d?, 9°, a? und :c? gesungenen Vokale in Betracht., Bei E, I, Ae, Oe, Ue erkennt man trotz der hohen Lage gut die Formantzacken, und es hat keine Schwierigkeit, den Formanten durch Auszählung festzustellen. Diese Kurven haben also nichts besonders bemerkenswertes, es sei denn, dass ein sehr charakteristisches E, I und Oe noch auf die Note d? produziert werden kann (Fig. 13, Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 15 16, 27). Dagegen finden wir auf die Noten 9° und a2 (Fig. 14, 17) nur Kurven ohne die Formantzacken von E und I; dass letzteres aber lediglich. auf den Eigenschaften der Mikrophonmethode beruht, machen die unten erwähnten Phonographenkurven unzweifelhaft. Am interessantesten ist begreiflicherweise das Verhälten von A, von welchem Kurven bis c? gewonnen wurden. Die mitgeteilte Kurve für ec? (Fig. 10) besteht nur aus einfachen: hohen Zacken, ‘ohne jede Andeutung von Formantsuperpositionen, allerdings von einfachen Sinuskurven durch die scharfe Form erheblich abweichend. Von a? ab nach unten wird diese Abweichung von der Sinuskurve immer grösser, namentlich wird der absteicende Ast der Periode zusehends weniger steil als der aufsteigende, und zeiet zuweilen sehon bei g° eine aufgesetzte Flevation, welche an die Formant- 'zacken erinnert (vgl. Fig. 7—9). Bei d? (Fig. 6) wird diese Rle- vation sehr stark; von h! abwärts geht sie immer mehr in die Form der schon bekannten A-Kurven über. Dem Leser wird nicht eht- ‘gehen, dass in Fig. 5 und 6 je zwei Zacken eine Periode bilden. Da die Mikrophonkurven für exakte Analysen, wie schon bemerkt, wenig geeignet sind, habe ich neuerdings nach meinem früheren Ver- fahren mit dem Phonographen Aufnahmen von sehr hohen Vokalen _ gemacht, zu welchen die drei S. 12f. erwähnten Sängerinnen (IV, _V, VD ihre Stimme freundlichst zur Verfügung stellten. Die Phonographeneindrücke wurden mit dem früher beschriebenen Spiegel- hebelapparat !) bei etwa 500 facher Verlangsamung der Walzendrehung in photographische Kurven umgesetzt. Bei dieser letzteren Aufgabe "hatte Herr Prof. Weiss, welcher behufs einer anderen Untersuchung gerade einen Teil der erforderlichen Apparate in Gebrauch hatte, die Güte mir zu helfen. Die ] Messungen und Analysen sind von Herrn eand. med. Johannes Loewe ausgeführt worden. Serie B, Fig. 37—46, gibt aus den so gewonnenen Tafeln einige Beispiele, zu welchen folgendes zu bemerken ist. Es ist schon er- wähnt, dass bei der oben mit V bezeichneten Sängerin nach dem Gehör die auf die Note a? gesungenen Vokale kaum voneinander zu unterscheiden waren und überwiegend wie A klangen. Es ist frappant, dass sie (auf die Note g? gesungen) durchweg auch die- selbe Kurve lieferten, ausgenommen I. Im Interesse der Raum- ‘ersparnis habe ich daher diese Kurven ganz weegelassen, Ganz 1) Abgebildet in der definitiven Form «dies Archiv Bd. 58 Taf. II Fig. 4. 16 L. Hermann: anders ist das Verhalten bei der Sängerin IV: nicht allein sieht die Kurve von A auf 9? (Fig. 38) hier ganz anders aus als im vorigen Falle, sondern namentlich auch anders als die Kurven anderer Vokale auf dieselbe Note. Je weiter die Note in die Tiefe rückt, um so mehr nähern sich bei allen drei Sängerinnen die Kurven dem aus meinen früheren Arbeiten bekannten Aussehen, und um so leichter sind die Formanten herauszuerkennen. Von diesen tieferen, uns weniger interessierenden Kurven (unterhalb d?) ist in dieser Serie keine reproduziert. | Die genauere Untersuchung konnte sich auf einige A-Kurven auf die Noten 9? und d? beschränken. Die von den Sängerinnen IV und VI herrührenden A-Kurven auf g° haben sämtlich einen steileren ansteigenden und einen weniger steilen absteigenden Schenkel (Bei- spiel Fig. 38); letzterer zeigt ferner einige seichte sekundäre Ele- vationen. Die Kurven von OÖ und U auf die gleiche Note (Fig. 44, 46) sehen zwar sehr ähnlich wie die A-Kurve aus, zeigen aber auf der Höhe ein entschiedenes sog. Plateau; untereinander sind sie so wenig zu unterscheiden, dass sich ihre oben erwähnte Verwechselung beim Hören vollkommen erklärt. Die Kurven von E und I auf 9° zeigen bei beiden Sängerinnen übereinstimmend sehr deutliche Formantzacken, und zwar bei # regelmässig 3 gleichmässig verteilte auf die Periode, was als Formanten d* ergeben würde, während sonst bekanntlich der Formant etwas tiefer liegt. Bei I ist die Anzahl ebenfalls meist 3, in einer Kurve 4; beides stimmt gut zu der bei tieferen ZJ gefundenen Lage. In der Mehrzahl der Fälle (3 Gipfel) sind die Kurven von E und I dermassen gleich, dass die Verwechselung beim Hören unvermeidlich scheint. Auf die Note d? gesungen geben A, OÖ und U bei beiden Sängerinnen zweigipfelige Kurven; bei U ist zuweilen die Zweigipfelig- keit undeutlich ausgebildet. Ferner zeigt bei A meist der niedrigere der beiden Gipfel zwei aufgesetzte sekundäre Gipfel. Die drei Vokale haben also bei d? charakteristisch verschiedene Kurven. E und I liefern, auf d? gesungen, Kurven mit schönen Formantzacken, welche die bekannten Lagen ergeben. Für noch tiefere Noten bieten die Kurven nichts prinzipiell bemerkenswertes. Von den Umlauten Ae, Oe, Ue sind zwar ebenfalls eine grössere Zahl von Kurven gewonnen worden; jedoch werde ich hier auf diese nicht eingehen, zumal ich beabsichtige, hierüber eine besondere Untersuchung zu veranlassen. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 17 Es sei nun noch eine kleine Anzahl von Analysen angeführt. Ich unterlasse es als überflüssig, die ausgemessenen (je 40) Ordinaten abdrucken zu lassen, und beschränke mich auf die Angabe der be” rechneten Partialamplituden in Prozenten der grössten. Note d? (576). Ordnungszahl 1 2 a! o. 0 do ET? Note dE d a? d fit & & d ad fis’ güs5 a® A, S.IV (Taf.506) 68,1 100 48,2 5,5 10,5 8,1 12,0 7,1 8,9 1,7 3,8 2,0 O0,S.VI(Taf.503) 100 81 541,7 6,63,1 0,9 1,2 1,2 0,8 DRAN (02503), 100°10,21,7 1,1°75,6. 277 3,5 2,5 1,0..0,6 Note 9° (768). Ordnungszahl al 2 8) 4 5 6 Note GR g° d* g* ht d’ ZI SS IN. (Taf. 505) 100 28 8 17 5,8 1,2 Pre (To50) 100 556 407 2 165 160 Be ıvE (Dar 506) 100 204 842 111 104 106 7 8 9 10 11 21° 2 g? aus? h? cis? d® IS 1,3 0,3 13 1,6 12,00 2988 170 0182 80.15 3,8. 220) 3,7 1,4 Die Kurven von A auf g? gesungen unterscheiden sich von allen früher untersuchten A-Kurven dadurch, dass der Grundton stärkster Partialton ist, was bei tieferen Noten nie vorkommt. Dasselbe zeigte sich übrigens auch bei der Analyse einer solchen Kurve auf g? aus der Mikrophonuntersuchung. Nächst dem Grundton ist stets der zweite Partialton am stärksten vertreten, sonst kommen keine regelmässig wiederkehrenden Hervorragungen vor. Auf d? sesungen liefert dagegen A, wie bei allen tieferen Noten, Kurven mit Zurücktreten der ersten Amplitude hinter der zweiten. Ganz anders ist es bei O und U, welche beide auch auf d? keine die erste übertreffende Partialamplitude zeigen. Für U trifft bei der Note d? der Grundton mit dem Formanten ungefähr zusammen, so dass das Verhalten verständlich erscheint, das sich übrigens schon an dem eingipfeligen Aussehen der Kurve erkennen lässt. Die Kurven für E und I bieten eine erwünschte Gelegenheit, die Formanten auch durch Analyse festzustellen. Bei den tiefen Vokalen reichten, wie man sich erinnern wird, 40 Ordinaten pro Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 2 18 L. Hermann: Periode im allgemeinen nicht aus, die hier sehr frequenten Formant- zacken zu erfassen, so dass andere Hilfsmittel (Proportionalmessung und Auszählung) hinzugezogen werden mussten!). Hier aber, wo z. B. bei d? das ZI 3 schöne Elevationen pro Periode bildet, ist seine analytische Feststellung (auf d*, wie es auch die früheren Aus- zählungsversuche ergeben hatten) sehr leicht. Im ganzen entsprechen die vorstehenden Erfahrungen über sehr hohe Vokalklänge dem, was man, abgesehen von jeder spezielleren Vokaltheorie, etwa erwarten konnte. Wenn die Vokalnote die Note des Formanten erreicht oder gar überschreitet, stösst die Vokal- bildung auf gewisse Schwierigkeiten, indem der Vokal von seinem charakteristischen Klange etwas verliert, so dass er mit benachbarten Vokalen verwechselt werden kann, und schliesslich fast alle Vokale gleich klingen können. Liegt die Note derjenigen des Formanten nahe, so hat die Kurve nach Aussehen und Analyse, abweichend von dem sonstigen Verhalten, einen stark überwiegenden Grundton. Nach Abschluss dieser Versuche habe ich eine Anzahl hoher Vokale, von der Sängerin VI gesungen, am Phonographen statt mit Sprechschlauch mit einem Kartontrichter aufgenommen, wodurch man nicht minder gute, aber weit stärkere Eindrücke erhält, welche sich zur Transskription besonders eignen. Ich beabsichtige sogar, alle meine Vokal-, besonders aber die Konsonantenaufnahmen, in dieser wirksameren Weise wiederholen zu lassen. Serie C (Fig. 47 bis 58) stellt einige dieser Kurven, von mir durch Transskription gewonnen, dar. Für die Noten 9? und c? eind diese Kurven enorm hoch; da sie gegenüber Serie B nichts neues lehren, konnten sie im Interesse der Raumersparung weggelassen werden. Dagegen sind die Kurven für d? nicht ohne Interesse, und auch einige für h! und 9" sind kopiert, weil die entsprechenden der Serie B weggelassen worden sind. B. Betrachtungen und weitere Versuche zur Vokalfrage. 1. Allgemeine Bemerkungen. Viele Physiker, ja sogar eine Anzahl Physiologen halten noch immer an der Helmholtz’schen Auffassung der Vokalklänge fest, obwohl seit ihrer Aufstellung zahlreiche Tatsachen gefunden worden 1) Trotzdem sind einige Analysen von Z und J mit gutem Resultat aus- geführt worden (siehe die Arbeit Bd. 53 S. 1. 1892). Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 19 sind, welche mit ihr schlechterdings nicht vereinbart werden können. So hat‘ z. B. diese Lehre neuerdings durch Auerbach in seiner vortrefflichen Bearbeitung der Akustik in der neuen Auflage von Winkelmann’sgrossem Handbuch der Physik !) eine im wesentlichen zustimmende Darstellung gefunden. Es ist weder erstaunlich noch beklagenswert, dass man sich schwer entschliesst, eine von einem so grossen Forscher in einem bahnbrechenden Werke aufgestellte Theorie zu verwerfen. Ein ähnliches Verhältnis hat ja auch auf anderen Gebieten der Physiologie — mir liest es am nächsten, an die tierische Elektrizität zu erinnern — auffallend lange ob- gewaltet. Man übersieht meistens, dass Helmholtz fast ausschliesslich auf das sehr unvollkommene Hilfsmittel der Klanganalyse mit dem Ohr und mit Resonatoren angewiesen war, und dass seitdem ein da- mals fast unbekanntes Material, nämlich absolut zuverlässige Vokal- kurven, hinzugekommen ist. In dem Werke über die Ton- empfindungen (1863) erwähnt Helmholtz Vokalkurven überhaupt nicht. Als ich ihm im Jahre 1839 bei einem Besuche meine Kurven persönlich vorzeigte (noch vor ihrer Veröffentlichung), war er sehr erfreut, weil er sofort erkannte, dass sie für seine damals noch vielfach bestrittene Lehre von den konstanten Tonhöhen eine elänzende Bestätigung lieferten. Von den Schwierigkeiten, welche sie andrerseits für die Verstärkungtheorie enthalten, war nicht die Rede, zumal sie mir selbst noch nicht klar geworden waren. Selbst- verständlich kannte Helmholtz die besten bis 1889 veröffentlichten Vokalkurven von Schneebeli, sowie von Jenkin & Ewing sehr gut, ebenso wie die von den Genannten und auf Grund ähn- licher Kurven auch von Lahr gemachten Analysen; aber diese konnten weder die Lehre von den festen Tönen bestätigen, noch andrerseits für irgendeine Theorie Schwierigkeiten bereiten. Dazu waren sie viel zu unvollkommen, denn sie waren teils mit Phon- autographen gewonnen, bei welchen Trägheitseinmischungen nicht ausgeschlossen waren, teils von dem ersten, noch sehr unvoll- kommenen Stanniol-Phonographen transskribiert. Allerdings wird von Auerbach (a.a. O. S. 692) der „objektiven Methode“ jeder Vorzug gegenüber der subjektiven abgesprochen. Sie „löst zwar ein gewisses Problem sehr elegant, aber nicht das gestellte. 1) Bd. 2 8. 687 ff. Leipzig 1909. oa) L. Hermann: Denn gefragt ist nach der physikalischen Natur der Vokale, wie sie vom menschlichen Ohre gehört werden; die objektive Methode zeigt. wie sie auf mechanische Systeme besonderer Art wirken; und eine Entscheidung darüber, inwieweit die Angaben dieser Apparate mit den Empfindungen meines Ohres übereinstimmen, kann natürlich wieder nur unter Mitwirkung des Ohres gegeben werden.“ Hier muss man doch sagen: die „physikalische Natur“ eines Vorgangs kann nichts damit zu iun haben, wie er auf ein Sinnesorgan wirkt; der Vokal ist eine Art der Schallbewegung, die wir mit ‘denselben Mitteln und nach denselben Gesichtspunkten zu zergliedern suchen, wie jeden anderen Schall. Die Darstellung eines Schalls als eine Schwingung oder eine Summe von Schwingungen ist keineswegs nur eine Feststellung, wie dieser Schall auf besondere Apparate wirkt, sondern erschöpft alles, was naturwissenschaftlich über diesen Schall festgestellt werden kann, und woraus alles andere folet. Und so ist denn auch die Darstellung des Vokals durch eine Kurve, voraus- gesetzt, dass diese treu ist, d.h. den zeitlichen Verlauf der Schall- bewegung richtig wiedergibt, die erschöpfende Lösung des Problems. Auch das kann nicht zugegeben werden, dass über die Treue der Kurve prinzipiell nur das Sinnesorgan zu entscheiden vermag. Auf allen Gebieten, z. B. dem des Lichtes, zieht man aus objektiven rach bewährten Methoden angestellten Versuchen unbedenklich Schlüsse auf das Wesen der Vorgänge, wo sinnliche Prüfung ganz ausgeschlossen ist. Jedoch soll keineswegs bestritten werden, dass das Ohr ein ausgezeichnetes Mittel bietet, über die Treue der Vokalkurven zu entscheiden, natürlich nur soweit nicht etwa die Phasenverhältnisse in Frage kommen. Diese Entscheidung ist aber bereits erfolgt. Die elyphische Kurve auf dem Phonographenzylinder erweist jeden Augen- blick ihre Treue durch das Abhören, ist also, soweit das Ohr ur- teilen kann, im Verlauf identisch mit dem Vokalvorgang selbst. Es handelte sich also nur noch darum, diese Kurve ohne jede Ver- änderung lesbar abzuschreiben. Dies habe ich mit meinem Spiegel- apparat bei einer bis 500 maligen Verlangsamung, also mit Aus- schluss jeder Trägheitsentstellung, erreicht. Ich bin von einigen Autoren geradezu getadelt worden, weil ich 1389 eine von der herrschenden stark abweichende Auffassung der Vokale ausgesprochen habe. Wer dies verständlich finden will, den bitte ich, die von mir damals mitgeteilten Kurven mit den vorher gewonnenen zu vergleichen, nämlich mit den schon erwähnten von Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 2] von Schneebeli!) und von Jenkin & Ewing?°); Lahr?) hat leider die von ihm gewonnenen und analysierten Kurven nicht ab- gebildet. In meinen Abbildungen *) zeigt sich u. a. zum ersten Male die seitdem in zahlreichen späteren Arbeiten — ich nenne nur Raps?), Samojloff‘), Kempf-Hartmann”), Weiss°), Katzen- stein?) — bestätigte typische schwebungsartige Form der A-Kurven und die ausgeprägten Formantzacken des E und I. Nur die gleich- zeitie mit der meinigen ausgeführte Arbeit von Hensen & Pipping!?) wies ähnliche Formen auf, wenn auch nicht in so ein- drucksvoller Weise, weil die gewonnenen Kurven, von denen überdies nur sehr wenig mitgeteilt wurden, nur von mikroskopischer Grösse waren und optisch vergrössert werden mussten !!). Ich habe Grund 1) Soc. des sciences nat. de Neuchätel 1878, 25. April und 21. Nov., auch Arch. des sciences phys. et nat. Bd. 64 S.79 und 3. Per. Bd. 1 S. 149. Nament- ‚lich die der ersten Mitteilung beigegebene kleine Tafel übertrifft alles, was mit einfachen Phonautographen vorher erreicht worden war, und zeigt z. B. auch eine ziemlich charakteristische Kurve eines R-Lautes. Von E- und I/-Formanten zeigt sie freilich nichts, wohl aber, wie auch die Tafel der zweiten Mitteilung, die Inzisur in der £-Amplitude (siehe oben S. 10f.). Ferner enthält die zweite Arbeit mit die ersten harmonischen Analysen von Vokalkurven. 2) Nature Bd. 18 S. 340, 394. 1878. Auch die hier mitgeteilten, vom Stanniol- phonographen transskribierten Kurven, die sich auf O und U, aber auf eine Reihe von Noten beziehen, sind harmonisch analysiert und in mancher Hinsicht . ziemlich vollkommen. Von den beiden kurzen Notizen in vol. 17 p. 384, 423, betrifit die erste den bekannten Versuch über Geschwindigkeitsänderung am Phonographen, welcher die Verfasser einen Einfluss auf den Vokalcharakter ab- sprechen; die zweite zeigt, dass die Verfasser den von mir 1892 angestellten Versuch mit Rückwärtsdrehung (dies Archiv Bd. 53 S. 9) schon am Stanniol- phonographen angestellt hatten, freilich mit zum Teil abweichendem Erfolge. 3) Ann. d. Physik N. F. Bd. 27 S. 105 ff. 1886. 4) Dies Archiv Bd. 47 Taf. VI. 1890, Bd. 53 Taf. II. 1892, Bd. 61 Taf. V und VI. 1895. 5) Ann. d. Physik N. F. Bd. 50 S. 193. 189. 6) Dies Archiv Bd. 78 S. 1, 27. Taf. I. 1899. 7) Ann. d. Physik 4. Reihe Bd. 8 $. 481. 1902. 8) Zentralbl. f. Physiol. Bd. 21 S. 619. 1907. 9) Passow & Schaefer’s Beitr. z. Anat., Physiol. usw. des Ohres usw. Bd. 3 S. 314 ff. 1909. 10) Zeitschr. f. Biol. Bd. 27 Taf. I—II. 185%. 11) Von späteren experimentellen Arbeiten Pipping’s sind noch anzuführen: Zeitschr. f. Biol. Bd. 31 S. 524. 1894; Acta societ. scientiarum Fennicae Bd. 20. 1894. Mem. de la soc. Finno-Ougr. Bd. 14. 1899. Die letzteren beiden Puhlika- tionen enthalten noch eine Anzahl Kurven. L 39 | L. Hermann: zu der Vermutung, dass meine Arbeiten über Vokale, in einer den Physikern wenig zugänglichen Zeitschrift erschienen, einer Anzahl derselben, welche sich kritisch über die von mir gezogenen Schlüsse geäussert haben, gar nicht im Original bekannt waren. Jene ersten wirklich treuen Vokalkurven lieferten zunächst dureh ihre Analyse einen strengen Beweis für die Richtigkeit der Helmholtz’schen Behauptung, dass jeder Vokal durch einen von der Stimmnote unabhäneigen festen Ton charakterisiert ist, für welehen ich die kurze Bezeichnung Formant vorgeschlagen habe ?). Zu demselben ‘Ergebnis kam gleichzeitig auf Grund seiner eben er- wähnten, mit Hensen’s Sprachzeichner gewonnenen Kurven Pipping. Sehon vorher hatte ich einen noch einfacheren Beweis erbracht durch den neuen Wachszylinderphonographen bei Veränderung der Repro- duktionsgeschwindiekeit, ein Versuch, der schon mehrfach an dem Stanniolphonographen angestellt war, aber hier kein entscheidendes Resultat haben konnte). Aber neben diesen Bestätigungen für die Anschauungen von Helmholtz ergaben sich aus meinen Kurven Schwierigkeiten für dessen Lehren. Die eine bestand darin, dass in meinen Kurven für A, OÖ und U der Grundton meist nur in verschwindend kleiner Amplitude vertreten war. Da man den Vokal stets auf die Note seines tiefsten Partialtons hört, erscheint die Tatsache unvereinbar mit der bekannten Resonanztheorie, nach welcher ein nicht objektiv vertretener Partialton auch nicht gehört werden kann. Man wird es nieht billigen können, dass Auerbach in seiner Akustik (S. 698) eine Tatsache nur deswegen in Zweifel zieht, weil sie einer Theorie, und rührte sie auch von Helmholtz her, zu wider- sprechen scheint. Er meint, es sei denkbar, dass bei der Aufnahme der Vokalkurven irgendwelche Umstände sie so modifizieren, dass der Grundton zu kurz kommt. Dieser Einwand liesse sich hören, 1) Ausdrücklich sei erwähnt, dass ich das Wort „Formant“ nur als eine Abkürzung für die schleppende Bezeichnung „hervorragender oder charakteri- stischer Ton“ gebraucht habe (dies Arch. Bd. 58 S. 262. 1894). Hier und da wird es nämlich mit meiner Auffassung vom Zustandekommen der Vokale in Beziehung gebracht. | 2) Hierüber siehe auch dies Archiv Bd. 139 S. 1. 1911. Zu den dort ge- nannten früheren Ausführungen dieses Versuchs (ohne entscheidenden Erfolg) ist noch hinzuzufügen diejenige von Preece & Stroh, Proceed. Roy. Soc. Bd. 28 S. 358. 1879. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 23 wenn es sich nur um meine ersten, mit Glimmermembran und reflektiertem Lichtstrahl gewonnenen Kurven handelte. Aber Auer- bach hat übersehen, dass die in einer folgenden Arbeit mitgeteilten Kurven, welche vom Phonographen abgenommen sind, ganz dieselbe Eigenschaft zeigen. Da aber beim Abhören des Phonographen die Vokale absolut treu erscheinen, bleibt es unumstösslich, dass man einen Vokal auf eine Note hört, die in ihm objektiv so gut wie gar nieht vertreten ist. Bei dieser Gelegenheit seien noch einige andere von Auerbach gegen Schlüsse aus den Kurven erhobene Einwände erwähnt. Man müsse nicht die Amplituden, sondern die Intensitäten der Partialtöne berücksichtigen; niemand ist gehindert, diese aus den Amplituden und Ordnungszahlen abzuleiten, aber geändert wird dadurch an den allgemeinen Schlüssen nichts, und am allerwenigsten kann selbstverständlieh auf diesem Wege das Zurücktreten des Grundtons beseitigt werden, das sich im Gegenteil verstärkt; ähn- liches gilt: von der verlangten Berücksiehtigung des psychophysischen Gesetzes. Der Einwand der „Labilität“ der analytischen Ergebnisse war mir nicht vollkommen verständlich; wenn die Analyse ver- sehiedener Perioden derselben Kurve verschiedene Amplitudenverhält- nisse liefert, was bei mir nie in merklichem Grade vorgekommen ist, so ist entweder die Kurve nicht wirklich periodisch oder die Ordinatenmessung oder die Analyse ungenau; letzteres muss sich. dureh die Fehlerrechnung enthüllen. Einen methodischen Fehler stellen diese Dinge nicht dar. Hinsichtlich der Treue der Kurven ist auch zu berücksichtigen, dass dieselbe, auch wenn man das Abhören am Phonographen nicht rechnet, wiederholt durch das Gehör geprüft ist, sowohl von mir mit der König’schen Wellensirene!) als von O. Weiss mit seiner Selensirene?). Vor kurzem ist die Zuverlässigkeit meiner Kurven von J. See- mann angefochten worden °), weil sie nicht mit Membranen gewonnen sind, die einem von Frank für gewisse Aufgaben aufgestellten Prinzip entsprechen. Selbst das Abhören am Phonographen ist dem Verfasser kein genügender Beweis für die Treue der Eingrabungen, 1) Dies Archiv Bd. 48 S. 574. 1891. 2) Vgl. Zeitschr. f. biol. Technik Bd. 1 S. 124. 1908, und Mediz. Klinik berausgeg. von Brandenburg 1910 Nr. 38. 5) Zeitschr. f. biol. Technik Bd. 1 S. 110. 1908. 24 } L. Hermann: weil das Ohr sich sehon mit grober Annäherung begnüge. Wenn als Beleg „der rauhe, heisere Klang“ der Phonographenstimme an- geführt wird, so kann man nur vermuten, dass dem Verfasser kein guter Phonograph zur Verfügung steht. Wenn Seemann Recht hätte, so wäre es im Interesse des Gegenstandes wahrhaft beklagens- wert, dass er mit den seiner Ansicht nach guten Apparaten nur Kurven zustande gebracht hat, welche niemand als irgendwie brauch- bar anerkennen wird, selbst wenn man viel auf mangelhafte Re- produktion schiebt, und welche er nur aus theoretischen Gründen für treu hält. In meinen Kurven erschien zum ersten Male derselbe Vokal auf eine Tonleiter über mehr als eine Oktave gesungen. Hier drängt sich jedem unbefangenen Betrachter die Erscheinung auf, dass in jeder Periode eine Gruppe äquidistanter Gipfel hervortritt, deren Abstand einem stets gleichen, von der Note in der Tonleiter ganz unabhängigen Tone, eben dem Formanten, entspricht. Was mir nun, besonders von Physikern, zum Vorwurf gemacht wird, besteht darin, dass ich mich nicht ausschliesslich auf die harmonische Analyse be- schränkt, sondern die Möglichkeit ins Auge gefasst habe, dass diese Schwingungen auf intermittierenden Anblasungen der Mundhöhle beruhen. Dass sie meist zur Stimmnote resp. deren Grundton in unharmonischem Verhältnis stehen, was bei einer selbständigen Ent- stehung ganz natürlich wäre, soll nach Auerbach zu allerlei un- überwindliehen Schwierigkeiten und Widersprüchen führen. Bevor ich auf diese Einwände eingehe, möchte ich zeigen, dass im Gegen- teil die Verstärkunestheorie, wenigstens in ihrer bisherigen Gestalt, vollkommen unhaltbar ist. 2. Kurze Zusammenstellung der Einwände gegen die Verstärkungstheorie. Nach der Helmholtz’schen Theorie!) entstehen die Vokale dadurch, dass die Mundhöhle für jeden Vokal eine Form annimmt, durch welche sie zu einem Resonator von bestimmtem Eigenton wird. Dieser Resonator beeinflusse nun den Stimmklang. Wenn sein Eigen- ton mit einem Partialton des Klanges übereinstimmt, so verstärkt 1) Diese Theorie scheint nach einer Erwähnung von Helmholtz schon vor ihm von Wheatstone aufgestellt zu sein. Das von Helmholtz zitierte Original (London and Westminster Review 1837. Okt.) ist mir nicht zugänglich. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 35 er diesen; wenn er zwischen zwei Partialtöne fällt, so verstärkt er die ihm. naheliegenden Partialtöone. Gegen diese Auffassung sind zahlreiche Einwände zu erheben. 1. Wenn Helmholtz eine Kurve des Vokals Z, auf eine Bass- note gesungen, gesehen hätte, wie meine Arbeiten sie enthalten (namentlich Bd. 47 Taf.. VIII), so wäre er sicher zu einer anderen Auffassung gelangt. Man sieht in diesen Kurven die Schwingungen des Formanten, der hier etwa bei d*—g* liegt, in ungemein kräftigen Zacken. Diese Note entspricht in meinen Kurven dem 21.—29. Partial- ton. Wenn der Kehlkopf für sich einen Klang liefert wie irgendein musikalisches Instrument, so kann dieser Klang einen Partialton von so hoher Ordnungszahl nicht in merklicher Vertretung regelmässig enthalten!). Was aber nicht vorhanden ist, kann auch nicht ver- stärkt werden. Dieser Einwand, den ich schon vor langer Zeit erhoben habe’), ist anscheinend den meisten entgangen; er genügt schon allein, um die Theorie umzustossen. v. Wesendonk führt zwar in einer weiter unten zu erwähnenden Mitteilung diesen Ein- wand an (den er übrigens irrtümlich Nagel zuschreibt, während dieser ihn nur zitiert), glaubt ihn aber damit erledigen zu können, dass eine ganze Reihe von Obertönen verstärkt werden könnte, was er aber selbst aus anderen Gründen nicht befriedigend findet?). 2. Wenn die Verstärkungstheorie begründet ist, so muss jeder Vokal auf bestimmte Noten oder wenigstens (mit Berücksichtigung des vorauszusetzenden Dämpfungsgrades der Mundresonatoren) auf bestimmte kurze Notenstrecken, ganz besonders vollkommen produ- ziert werden. Diese Konsequenz der Theorie ist denn auch von Helmholtz in der ersten Ausgabe seines Werks ausdrücklich ge- zogen worden, und als Bestätigung führt er eine Anzahl einschlägiger Beobachtungen an*. In der 4. Auflage von 1877 dagegen 1) Helmholtz selbst konnte mit seinen Resonatoren in Instrumental- klängen die Partialtöne meist bis zum 5. oder 6. nachweisen (Tonempfindungen, 4. Aufl. S. 76), in tiefen Stimmklängen allenfalls bis zum 16. (S. 169). Hier und an anderer Stelle (S. 187) erwähnt Helmholtz, dass die in die vierte Oktave fallenden Partialtöne besonders stark erscheinen, weil sie mit dem Eigenton des Ohres übereinstimmen; auch hier aber führt er als höchsten so in die Erscheinung tretenden Partialton tiefer Männerstimmen (unabhängig vom Vokal) nur den 10. an. 2) Dies Archiv Bd. 58 S. 274. 1894. 3) Die Erörterung, durch welche W. Köhler den Einwand beseitigen zu können giaubt (Zeitschr. f. Psychol. Bd. 58 S. 74f. 1910), ist dazu gänzlich ungeeignet. 4) Tonempfindungen, 1. Ausgabe 1863 S. 174. 36 - L. Hermann: ist die betreffende Stelle vollständig weggelassen, offenbar weil Helmholtz unterdessen sich von ihrer Unhaltbarkeit durch eigene Beobachtungen oder durch Befragung von Musiklehrern oder Künstlern überzeugt hatte. Diese Weglassung sollte von den Verteidigern der Verstärkungstheorie mehr beachtet werden, sie raubt ihr eine ihrer wesentlichsten vermeintlichen Stützen. In der Tat ist, wenn ein Sänger oder eine Sängerin einen Vokal die Ton- leiter hindurch singt, nicht das mindeste davon zu merken, dass der Vokal auf gewisse Noten besser oder anders klinet als sonst. In höchst geistreicher Weise macht Helmholtz!) geltend, dass bekanntlich ein von einem fremden Ton angesprochener Resonator neben dem fremden Ton seinen Eigenton, allerdings ungemein rasch verklingend, liefert. Beim Sprechen könne hiernach, besonders bei scharfem Anklingen, ein Vokal auch dann erkannt werden, wenn der Mundton mit keinem Partialton des Stimmklanges auch nur annähernd übereinstimmt. Damit erledigt sich aber keineswegs die Tatsache, dass jeder Vokal auf jede Note gleich gut dauernd produziert und erkannt werden kann. Weiter macht Helmholtz?) darauf auf- merksam, dass die Sprechstimme bei beiden Geschlechtern tiefer liest als die Singstimme, so dass die Mundtöne bei ersterer auf Partialtöne von höherer Ordnungszahl treffen; da die Intervalle der Partialtöne mit zunehmender Ordnungszahl immer kleiner werden, müssen die Abweichungen zwischen Mundton und nächstliesendem Partialton beim Sprechen im allgemeinen geringer sein als beim Singen, worauf man das relativ schlechte Verstehen der Operntexte zurückführen könne, und ebenso die grössere Verständlichkeit der Männerstimme. Allein abgesehen davon, dass in allen diesen Dingen wohl auch noch andere Momente mitspielen, da nicht einmal fest- steht, dass es sich allein um die Vokale handelt, erledigen auch diese Betrachtungen die leicht zu konstatierende Tatsache nicht, dass beim Singen eines Vokals durch die Skala sich nicht im mindesten einzelne Noten durch grössere Vollkommenheit des Vokal- klangs herausheben. 3. Zur Beseitigung der grossen Schwierigkeit für die Ver- stärkungstheorie, dass jeder Vokal gleich gut auf jede Stimmnote produziert werden kann, ist es schwer einen Weg zu finden. Der 1) Tonempfindungen, 4. Aufl. (1877) S. 185. 2), Ar a. 0. 8. Lest. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. DM. Gedanke, dass etwa die Mundhöhle der Kehlkopfnote insofern Rechnung trägt, als sie sich auf einen Partialton der letzteren ein- stellt, würde mir an sich noch weniger unmöglich erscheinen, als der wirklich von einem neueren Autor ausgesprochene!), entgegen- gesetzte, dass der Kehlkopf je nach dem Vokal seine Schwingungs- form ändern könnte. Dieses Apercu, für welches vorläufig weder eine Tatsache noch ein Wahrscheinlichkeitserund angeführt werden kann, erinnert an die Angabe eines anderen Autors?), dass über- haupt der Kehlkopf für sich die Vokale produziere. Eine Anpassung der Mundstellungen an die Stimmnote findet ganz sicher nicht statt, wie die Kurven durch die Skala gesungener Vokale durch den An- blick und besonders durch die Analyse beweisen. Soweit man sehen kann, bleibt daher für die Verstärkungs- theorie nichts anderes übrig als die Annahme, dass der Mundresonator sleich gut angesprochen werde, möge er mit einem Partialton des ' Stimmklanges’ genau übereinstimmen, oder in beliebigem Abstande zwischen zwei solche fallen. Der bei dieser Ansicht den Mund- resonatoren zuzuschreibende Dämpfungsgrad ergibt sich aus folgender Rechnung. Die Differentialgleichung der Resonanz d2 m a dt? ergibt, wenn man der Einfachheit halber die Masse m —1 setzt, und die rasch verschwindenden Glieder weglässt, als Ausdruck der Resonanz Y +20 + y—asinpt . Be a er V (k?2 —p?)? + 4e2p? Hierin ist p die Schwingungszahl des einwirkenden Tones und #% die- jenige des Eigentons des Resonators, und zwar für ungedämpften Zustand ?), beides für 27. Sekunden. Aus (2) ergibt sich als Energie des Mitschwingens 2ep sin @ — arctg u 2). par oma 6 1) v. Wesendonk, Physik. Zeitschr. Jahrg. 10 S. 13. 1910. 2) Marage, Compt. rend. de l’acad. Bd. 149 S. 936. 1909. 3) Die Schwingungszahl im gedämpften Zustande ist YA?— e?, und diejenige des am stärksten einwirkenden Tones YA? — 2 &2; über letzteren Punkt vgl. M. Wien, Ann. d. Physik N. F. Bd. 58 S. 725. 1896. 28 L. Hermann: Für das folgende ist es bequemer, den Ton p durch sein Intervall gegen den Eigenton % auszudrücken, indem man setzt In — BE. . (4) Ebenso drücken wir die Dämpfungsgrösse e durch ihre Beziehung zu k aus, indem wir setzen (A<<1) 8 le 1a) Dann geht (3) über in a? 0 =; k2 Ad-o) A 4 1202 B She . B (6) Für den Eigenton selbst (e=1) ist die Energie des Mitschwingens * a? Das Verhältnis der beiden Energien ist also E 4 120? ET (op: a (le)) Die Gleichungen (6) und (8) ändern sich nicht, wenn man statt o einsetzt 1/o, d. h. die Energie des Mitschwingens bleibt dieselbe, mag der einwirkende Ton um das gleiche Intervall über oder unter dem Eisenton !) liegen. Soll es nun, wie die Verstärkunestheorie verlangt, nichts aus- machen, ob der Eigenton des Mundresonators mit einem Partialton des Stimmklanges übereinstimmt, oder zwischen zwei solche fällt, so müsste im letzteren Fall offenbar die Summe der beiden Energien so eross sein wie die Energie im Falle des Zusammentreffens. Der äusserste Fall des Nichtkoinzidierens wird der sein, dass der Reso- natorton gleich weit von zwei Partialtönen absteht, d. h. in der geometrischen Mitte derselben liest. Dann müssen, je nachdem der Ton zwischen 1. und 2., zwischen 2. und 3. usw. Partialton liegt, für og die Werte V; | =. \/ : usw. eingesetzt werden. 2) r) Gleichung (8) ergibt dann, da E = = E* sein soll, als erforder- lichen Dämpfungsgrad ee ee a Die folgende kleine Tabelle stellt nun für einige Hauptfälle die hieraus hervorgehenden Werte dar. 1) Unter „Eigenton“ ist durchgehends derjenige für den ungenanD en, Zu- staud verstanden. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 29 Lage des | Würde zu- Entspr. | Entspricht einem Mundtons | treffen für ; BR N Dekre- Sinken zwischen og k Partial- A 7 ment der Energie tönen Note | Note A auf !/ıo nach 1 l und 2 |c-cis® «a? — ————(0,3536 | 1,187 | 0,970 halben Schw. Deal dis! | un: — 0,2041 | 0,655 [1,758 ” ” 1 2) 2 B 5 3 1 ® 3 „ Z la-as| z a 0,458 |2,512 „ 5 A | a Re V ya us | 0,853 [3,257 ” » Ausser den Werten von 4 eibt die Tabelle zur besseren Ver- anschaulichung noch das entsprechende logarithmische Dekrement an!), und ferner nach wieviel halben Schwingungen ein Gegen- stand vom betr. Dämpfungsgrade seine Anfangsenergie auf Yıo herabsetzen würde ?). Ein Blick auf diese Zahlen zeigt, dass die Verstärkungstheorie genötigt sein würde, den Mundresonatoren ungemein hohe Dämpfungs- grade zuzuschreiben. Denn nach einer Angabe in Auerbach’s Akustik (S. 461) ist das höchste an wirklichen Resonatoren be- obachtete logarithmische Dekrement nur 0,3. In der Tat ist ja schon ohne Rechnung klar, dass für praktische Zwecke ein Resonator, der auf eine Quinte Abstand noch halb so stark anspricht wie auf seinen Eisenton, unbrauchbar sein würde. Die Tabelle verdeutlicht ausserdem im zweiten und dritten Stabe für zwei Vokale, bei welcher Notenlage ungefähr die be- treffende Querzeile in Betracht kommen würde. Bei A käme ein extrem hohes Dekrement erst im Anfane der 2-gestrichenen Oktave in Frage; aber schon die zweite Querzeile betrifft Noten, die im üblichen Stimmbereich liegen. Dass für Z7 die ganze Betrachtung keine Bedeutung haben kann, ist nicht allein aus der Tabelle er- 1) Das Verhältnis zweier um die Hälfte der Schwingungsdauer % aus- &$ Sa ed einanderliegender Amplituden ist e 2, sein natürlicher Logarithmus also 5. Da At Ver 2) Diese Anzahl ist, wie man leicht findet = log nat 10, dividiert durch das doppelte log. Dekrement, oder = 1,1513 /_1. nun I—=2r7 |yı2 — €, so ergibt sich mittels (5) 4 = 30 i L. Hermann: sichtlich, sondern selbstverständlich; ein in der 4. Oktave liegender Formant muss immer an einen Partialton des Stimmklanges so nahe heranfallen, dass hier die Verstärkungstheorie keine Schwierig- keit finden würde, wenn uur überhaupt jener Partialton vertreten wäre. Die hier angestellte Betrachtung setzt übrigens voraus, dass der Stimmklang die dem Mundton benachbarten Partialtöne stets in einiger Vertretung wirklieh enthält. Sicher ist dies aber selbst für A und O nieht immer der Fall, und hieraus erwächst der Verstärkunestheorie eine weitere Schwierigkeit. Ja nach einer neueren Arbeit von Katzen- stein!) soll der Stimmlippenton sogar wahrscheinlich einer reinen Sinuskurve entsprechen, und insbesondere seien hohe Obertöne so cut wie ausgeschlossen. Dies würde zugleich das Gewicht des unter 1. angeführten Einwands gegen die Resonanztheorie ungemein ver- stärken. Leider ist es schwer, aus der Darstellung die Unterlagen dieser Angaben genügend zu übersehen. 4.. Die Anhänger der Verstärkungstheorie erklären das schwebungsartige Aussehen meiner Vokalkurven, namentlich für A, daraus, dass der Mundresonator zwei ihm naheliegende Partialtöne des Stimmklanges verstärkt; die Superposition dieser beiden Töne müsse solche Kurven liefern, wie ich sie finde, sie seien in der Tat Schwebungskurven zweier einigermassen benachbarter Töne. Hier- gegen lässt sich nichts wesentliches einwenden. Aber hierdurch wird offenbar dem Mundresonator eine sehr feste Stimmung zugeschrieben, und es ist ja auch zweifellos, dass er bei aller unbeschadet des Vokalklanges erlaubten und wirklich vorkommenden Variationsbreite im gegebenen Augenblick eine ganz bestimmte Stimmung haben muss. Dann muss es doch zweifellos sehr oft vorkommen, dass dieser Resonator zufällig genau mit einem Partialton des Stimm- klanges übereinstimmt; in solehen Fällen müsste die Vorkal- kurve im wesentlichen zu einer Kurve des Mundtons werden; denn seine Amplitude müsste ganz ausserordentlich über alle übrigen Partialamplituden hinausragen. Solche Kurven sind mir aber niemals vorgekommen, und die reiche Kurvensammlung unseres Instituts enthält kein einziges Beispiel dieser Art. Meines Erachtens genügt auch dieser Umstand für sich allein, um die Ver- stärkungstheorie als gänzlich unhaltbar zu erweisen. 1) Passow & Schaefer’s Beiträge zur Anatomie und Physiologie usw. des Ohres Bd. 3 8. 324. 1909. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 31 5. Die Kurven vieler Vokale, auf tiefe Noten, z. B. ce, gesungen, zeieen Perioden, in welchen die Formantschwingung nur einen kurzen Teil erfüllt, während sie im übrigen oft ganz schwingungsfrei sind. Schon meine erste, mit direkter Aufnahme gemachte Arbeit!) zeigt für A, O0, E prächtige Beispiele hiervon, noch schönere die Trans- skriptionen vom Phonographen ?). Es ist vollkommen undenkbar, dass solche Kurven, wie die in der zweiten Arbeit Taf. V Fig. 5, 6, 24, Taf. VI Fig. 42, mit der Verstärkungstheorie in Einklang zu bringen seien, während sie die intermittierende Anblasung jedem Unbefangenen unmittelbar demonstrieren. Im Anschluss an die Einwände gegen die Verstärkungstheorie möge noch kurz auf einen immer wiederkehrenden Einwand gegen meine Auffassung der Vokale eingegangen werden. Diese betrachtet die Formanten als selbständige Mundtöne, welche ebensooft un- harmonisch wie harmonisch zur Stimmnote sind. Unbegreiflicher- weise wird der Umstand, dass bei der Fourier-Analyse nur harmonische Bestandteile des Vokalklanges erhalten werden, von vielen, sogar von Physikern, als ein Widerspruch gegen meine Auffassung hingestellt. Diesem ganz unberechtigten Einwande musste ich schon unmittelbar nach dem Erscheinen meiner ersten Vokalarbeit entgegen- treten?). Es liegt doch auf der Hand, dass jede periodische Kurve vollständig in harmonische Komponenten nach Fourier zerleg- bar ist, und bei dieser Zerlegung schlechterdings keine anderen als harmonische liefern kann. Es handelt sich eben um eine voll- kommen willkürliche, wenn auch noch so zweckmässige und nahe- liegende Art von Darstellung der gegebenen Kurve. Es muss immer erlaubt sein, die Kurve auch inanderer Weise darzustellen. Für den Mathematiker ist dies ganz selbstverständlich. Man könnte z.B. eine Reihe sich aneinander anschliessender kongruenter Zykloiden ebenfalls durch eine Fourier’sche Reihe darstellen. Wem wird es da einfallen, die Auffassung der Kurve als eine Kette von Zykloiden als unberechtigt zu erklären, weil sich die Kurve auch als eine Reihe von Sinus- und Kosinusgliedern darstellen lässt? Dies würde aber genau dasselbe sein, was bei der Erhebung jenes Einwandes vorliegt. 1) Dies Archiv Bd. 47 Taf. VII. 1390. 2) Dies Archiv Bd. 61 Taf. V und VI. 189. 3) Siehe dies Archiv Bd. 48 S. 184f. 1890; vgl. auch Bd. 58 S. 272f. 1894. 39 L. Hermann: Auch näherliegende Beispiele habe ich angeführt): eine Kurve, welche aus alternierenden Sinusgruppen und Ruhepausen besteht, lässt sich ebenfalls, mag nun die Sinusperiode zur Gesamtperiode harmonisch oder unharmonisch sein, durch eine unendliche Fourier- sche Reihe darstellen; nach der Auffassung, welche jenem Einwand zugrunde liegt, dürfte man nur für die Glieder dieser Reihe ein Auge haben, und müsste ignorieren, dass sich der Vorgang weit natürlicher als eine regelmässige Abwechselung von Sinusschwingungen und Pausen darstellen lässt, dass gegebenenfalls die Sinusschwingung unharmonisch zur Periode ist, usw. Verwandt und ungefähr gleichwertig mit diesem Einwande sind eine Reihe anderer im Laufe der Zeit von einzelnen Autoren er- kobener. So hat man den bekannten Helmholtz’schen Versuch, gegen die Saiten eines Klaviers bei aufgehobenem Dämpfer einen Vokal zu singen, worauf dieser deutlich nachklingt, als einen Beweis angeführt, dass der Vokalklang nur harmonische Bestandteile ent- halten kann. Dies ist ganz irrtümlich. Wie die Vokalkurve in eine Summe harmonischer Sinuskurven aufgelöst werden kann, deren Superposition die analysierte Kurve genau wiedererzeugt, müssen diese tonhaften Bestandteile auch durch jedes hinreichend vollständige Resonatorensystem reproduziert werden. Damit ist jede andere Be- trachtungsweise für den periodischen Vorgang, wie soeben gezeigt worden ist, vollkommen vereinbar, auch die, dass die Kurve aus anaperiodischen unharmonischen Schwingungen bestände. Kaum der Erwähnung wert ist, dass man sogar sich zu dem Einwand verstiegen hat, man höre nichts Unharmonisches in einem Vokal! Obwohl meine Auffassung von den Vokalen in den 21 Jahren seit ihrer Aufstellung manchen unberechtigten Einwand erfahren hat, war ich doch in ungewöhnlichem Grade überrascht durch folgenden neuerdings von W. Köhler erhobenen?). Köhler verwendet das bekannte Verfahren von Grützner & Sauberschwarz, um in einem Vokalklange die harmonischen Teiltöne durch Interferenz auszulöschen. Werden sie sämtlich ausgelöscht, so bleibt selbst- verständlich vom Vokal nichts übrig. Der Verfasser aber, der noch dazu ziemlich siegesbewusste Töne anschlägt, sagt (S. 72): Wenn es Formanten gibt (vel. übrigens hierzu oben S. 22, Anm. ]), 1) Dies Archiv Bd. 53 S. 46. 1892. 2) Zeitschr. f. Psychologie Bd. 58 S. 66—74. 1910. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 33 so „müssen sie jetzt — nach Beseitigung jedes Hindernisses — deutlich zum Vorschein kommen“, und da dies nicht der Fall ist, gibt es keine Formanten. Er hat also allen Ernstes mich dahin ver- standen, dass ich den unharmonischen Bestandteil neben den har- monischen annehme! Als ob ich nicht selbst schon 1889 die Kurven, aus welchen ich den unharmonischen Mundton herauslas, restlos (wie die Fehlerrechnung zeigt) in harmonische Partialtöne zer- legt hätte. Wenn nicht die Schwieriekeit des fehlenden, aber für das Gehör dominierenden Grundtons wäre, könnte sogar die Helmholtz’sche Hörtheorie als durchaus nicht im Widerspruch mit meiner Auffassung der Vokale stehend bezeichnet werden. Ein unharmonischer ana- periodischer Formant kann selbstverständlich den ihm entsprechenden Ohrresonator nicht erregen, weil er mit stets wechselnden Phasen auf ihn einwirkt; man müsste denn diesen Resonatoren einen bei weitem höheren Dämpfungsgrad zuschreiben, als Helmholtz es tut; vielmehr wird er die zur Stimmnote harmonischen Resonatoren in demselben Verhältnis erregen, wie die Teiltöne bei der Analyse erscheinen. Aber aus dem Zusammenklang muss das Bewusstsein, eben nach dieser Theorie, sich den zeitlichen Verlauf vollständig rekonstruieren und die Aufmerksamkeit auf jede beliebige Eigen- schaft desselben konzentrieren können. 3. Synthetische Versuche und deren Bedeutung. - Schon oft ist darauf hingewiesen worden, dass vokalartige Schalle sehr leicht bei allerlei Gelegenheiten entstehen, also keineswegs an das menschliche Stimmorgan gebunden sind. Die beste Veranschau- lichung hierfür geben die zahllosen, den Anklängen an Vokale ent- nommenen onomatopo6tischen Bezeichnungen von Geräuschen. Den Verfertigern von Sprechmaschinen ist es auf die mannigfachste Weise gelungen, mit Zungenpfeifen und vorgesetzten Bechern u. dgl. künst- liche Vokale hervorzubringen. Als Vokalsynthesen im engeren Sinne sollen aber hier nur solche Produktionen bezeichnet werden, welche sozusagen den Vokal aus seinen Elementen aufzubauen streben, also von irgendeiner physikalischen Deutung des Vorgangs ausgehen Die erste und berühmteste dieser Synthesen ist die von Helm- holtz!) mittels seiner elektrischen Stimmgabeln, eine Arbeit, welche 1) Tonempfindungen, 1. Aufl. S. 182—189, 582—586; 4. Aufl. S. 194—201, 631—633. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 3 34 L. Hermann: schon wegen der Erfindung dieses für viele Zwecke, besonders die graphische Zeitmessung, unschätzbaren Instrumentes zu bewundern ist. Mit einer Reihe von Gabeln, welche den Obertönen des Grund- tons D entsprachen, und deren von den eigenen Obertönen möglichst befreites Mittönen in sinnreicher Weise abgestuft werden konnte, ahmte Helmholtz die Vokalklänge nach. Er konnte freilich, da ihm keine analysierten treuen Vokalkurven zur Verfügung standen, die Partialtöne nur in dem Verhältnis zusammensetzen, wie sie nach Resonatorbeobachtungen im Klange vertreten zu sein schienen. Leider ist der kostspielige Apparat später vielleicht nie wieder angefertigt worden, obgleich er in dem Katalog von König’s akustischer Werkstatt figuriert; vermutlich wird er noch jetzt in Heidelberg oder Berlin aufbewahrt; er gehörte Helmholtz persönlich. Es wäre sehr wertvoll, wenn jemand jetzt den Apparat nach Massgabe der heute vorliegenden Analysen spielen liesse. Man kann bei Helmholtz zwischen den Zeilen lesen, dass er von den künstlichen Vokalen, die der Apparat lieferte, nur mässig befriedigt war. In der Tat kann man jetzt sehr gut übersehen, dass die Synthese unvollkommen sein musste, da z. B. für A eine Kombination benutzt wurde, welche von dem wirklichen Verhältnis der Obertonamplituden in den entsprechenden Analysen beträchtlich abweicht!). Eine grössere Annäherung an diese würde sich sicher belohnen. Für das physiologische Institut in Zürich habe ich vor etwa 30 Jahren von der Firma Appunn einen Apparat zur künstlichen Vokalproduktion bezogen, welcher aus einer grösseren Anzahl offener und gedackter Pfeifen bestand, welche nach einer vom Verfertiger gegebenen Anweisung zu den Vokalen kombiniert anzublasen waren ; die erzielten Klänge fand ich sehr wenig den Vokalen ähnlich. Neuerdings hat K. v. Wesendonk?) angeblasene Flaschen zur künstlichen Produktion von Vokalen verwendet. Die Ergebnisse der anscheinend sehr sorgfältigen Arbeit, welche sich an die Ver- suche von Grassmann und Heimholtz, allerdings von beiden mannisfach abweichend, anlehnt, machen ebenfalls nicht den Ein- druck, als ob sehr frappante und überzeugende Vokalklänge erhalten 1) Vgl. dies Archiv Bd. 47 S. 355f. 1890. In diesen Analysen ist zwar ein A auf die Note 2 nicht vertreten, wohl aber auf die benachbarten Noten A und H. 2) Physik. Zeitschr. Jahrg. 10 S. 313. 1909. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 35 worden wären, d. h. solche, welche einem. ganz unbeteiligten und in keiner Weise voreingenommenen Hörer ohne die allzuleicht sug- gestiv wirkende Befragung erkennbar sind. Wenigstens würde mich die Arbeit mehr überzeugen, wenn in dieser Richtung ausdrückliche Angaben gemacht wären. Es bedarf übrigens kaum der Erwähnung, dass selbst die ge- lungenste auf diesem Wege erreichte Vokalsynthese nicht im geringsten für die Verstärkungs- oder irgendeine andere Theorie der Vokal- produktion entscheiden kaun. Der akustische Vorgang ist eindeutig bestimmt dureı den zeitlichen Verlauf der Bewegung, und jede Reproduktion dieses Verlaufs muss mit dem Schalle physikalisch in allen seinen Wirkungen, einschliesslich derjenigen auf das Ohr, voll- kommen identisch sein. Für das Ohr braucht nach Helmholtz der Vorgang, um gleiche Wirkung zu haben, nicht einmal in jeder Hinsicht identisch zu sein, da die Phasenverhältnisse keine Rolle ‚spielen sollen, was freilich neuerdings wieder in Zweifel gezogen wird. Mit diesem Vorbehalt ist also die Summe der Partialtöne für das Ohr identisch mit dem Klange selbst, wie derselbe auch zustande gekommen sei. Für eine bestimmte Entstehungsart ist also diese Reproduktion genau ebensowenig beweisend wie der Klavierversuch. Auf dem Boden der Verstärkungstheorie stehen diejenigen Syn- thesen, welche Vokale mit Hilfe von Zungenpfeifen und angefüsten Resonatoren zu produzieren trachten, was zuerst Willis!), dann Helmholtz getan hat. Ersterer verwendete Resonanzröhren, letz- terer hauptsächlich seine Kugelresonatoren. Ich selbst habe sehr häufige mich bemüht, diese Versuche nachzumachen.. - Mit Metall- zungen erhielt ich stets negative Resultate?). Aber auch membra- nöse Zungen kleinerer Art, auch solehe mit dachförmig gestellten Lamellen, welche sich in beiden Richtungen anblasen lassen, gaben niemals durch Anfügen von Resonatoren einen vokalartigen Klang. Erst mit grossen aufschlagenden Gummizungen erhielt ich gün- stigere Resultate. Eine zum Anblasen mit dem Blastisch geeignete membranöse Zunge kann man sich leicht herstellen. Man ent- fernt aus dem Finsatz einer gewöhnlichen Demonstrationszunge die 1) Transactions Cambridge Philos. Soc. Bd. 3 S. 231; übersetzt in den Ann. d. Physik Bd.24 S. 397. Taf. 4, 5. 1832. Der grössere Teil dieser Arbeit betrifft übrigens nur die Einflüsse der Rohrlänge bei Zungenpfeifen. 2) Dies Archiv. Bd. 91 S. 137. 1902. 30 L. Hermann: auf der rechteckigen Öffnung befesticte Metalllamelle, und spannt statt ihrer durch Festbinden einen loneitudinalen Gummistreifen über die Öffnung, welcher die beiden Länesränder überragen muss, um eine aufschlagende Zunge zu bilden. Der Streifen darf ferner dem Metall nicht direkt anliegen, sondern muss durch unter- geschobene Holzstege um etwa "/z mm abstehen. Zum Anblasen ist ein etwas hoher Druck erforderlich, etwa 80, besser 150—200 mm Wasser). Die von mir verwendeten Membranzungen gaben meist Noten zwischen 9 (192) und %h (240), und liessen sich durch Vorschieben der beiden Holzstege, die man dabei zweckmässig mit Gummiringen et- was befestiet, bis g' (384) hinaufbringen. Der die Zunge tragende Einsatz hat nach aussen eine runde Öffnung von 14 mm Durchmesser, ir welehe zufällig die Ansatzröhren der Edelmann’schen Resona- toren genau hineinpassen. Viele Zungenpfeifen von mittleren Noten haben einen quäkenden, an Vokale erinnernden Rlang. Bei Membranpfeifen ist er oft ent- schieden A-artie, so besonders bei der eben erwähnten. Verschliesst man die Öffnune mit dem Finger, so hört man beim Lüften ein entschiedenes Pa. Überhaupt finde ich das Urteil über Klangfarben weit schärfer, wenn man den Klang intermittieren lässt, als wenn er kontinuierlich einwirkt. Zu den Versuchen mit Resonatoren benutzte ich die vortreff- lichen Edelmann’schen ?), welche alle Halbtonstufen von (, bis h®, also sechs Oktaven, repräsentieren; es sind fünf Kugeln von etwa 35 bis 3 em Durchmesser, welche mit ganz offenem Mundloch die Noten Ais, f!, e?, d®, h® geben, und durch Einsätze mit immer engeren Mundlöchern die tieferen Noten bis zum Anschluss an den nächsttieferen Resonator, der tiefste bis ©. Dem Mundloch gegen- über haben alle einen gleichweiten Röhrenansatz, in welchen der Messingstutzen des Hörschlauchs passt, welcher bei der gewöhnlichen Verwendung in das Ohr zu stecken ist. Hier wurde natürlich der 1) Die kleinen mit dem Munde anzublasenden Membranpfeifen erfordern oft den 8—10 fachen Druck. 2) Die Dimensionen der hauptsächlich benutzten Zunge waren folgende: Fenster des Metallrohres 30 mm lang, 5 mm breit, Breite des der Länge nach übergespannten Streifens aus schwarzem Gummi 8 mm, Dicke desselben un- gespannt 0,75, gespannt etwas über 0,6 mm. Abstand zwischen den beiden 0,5 mm dicken, verschiebbaren Holzstegen bis 36 mm. 3) Vgl. Zeitschr. f. Ohrenheilkunde Bd. 53 S. 340. 1907. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 37 Sehlauch nicht angefügt, sondern der Röhrenansatz, wie schon er- wähnt, in das Endloch der Zungenpfeife gesteckt. Hierdurch wird übrigens die Note der Zunge etwas vertieft, aber höchstens bis os Ton. Andrerseits muss beachtet werden, dass die Resonatoren hier auf Durchblasen beansprucht werden, also abweichend vom ge- wöhnlichen Zustande zwei Öffnungen haben. Hierdurch wird ihr Eisenton erhöht, z.B. für den mit g? bezeichneten Edelmann- schen Resonator auf ungefähr a?; diesen Ton hört man nicht bloss beim Anblasen mit Spalt vor dem Mundloch, sondern auch in dem Geräusch beim Durchblasen. Bei den grösseren Kugeln beträgt die Erhöhung durch Offenbleiben des Hörstutzens etwa "/as—1 Ton, bei der kleinsten dagegen bis zu einer kleinen Terz; auch ist die Grösse des Einflusses etwas von der Windstärke abhängig. Dieser Um- stand macht, worauf ausdrücklich hingewiesen werden ınuss, alle im folgenden vorkommenden Angaben über die Reso- natornoten bis zu einem gewissen Grade unsicher; ich habe es dabei bewenden lassen, den Resonator nach der vom Ver- fertiger angegebenen Stimmung zu benennen. In der Tat wird nun der allerdings schon ziemlich A-artige, etwas heisere Klang der Membranpfeife durch Aufsetzen von Reso- natoren zu einem entschiedenen A, welches merkwürdigerweise am hellsten und natürlichten klingt mit dem Resonator d® und den ihm nächsten. Mit f?, fis?, 9? ist das A noch ein wenig heiser. Ob die Öffnung des Resonators weit oder eng ist, hat keinen merklichen Einfluss; z. B. wirken die in dieser Hinsicht sehr verschiedenen Re- sonatoren d? und dis? (s. oben) ganz gleich. Mit allen kann man durch die schon angedeuteten Fingerbewegungen ein frappantes Papa hervorbringen. Bei sanfterem Freigeben der Öffnung erhält man auch Mama, und bei den Resonatoren mit weitem Mundloch durch blosse Verengerurg und Erweiterung desselben mit eingesteckten Fingern auch Lala. Die A gebenden Resonatoren reichen abwärts bis etwa e?; tiefere geben einen mehr Ao-artigen Laut. Nach oben aber wird das A nur wenig schlechter, wenn man bis zum höchsten Resonator der Reihe, nämlich %3, hinaufgeht. Ähnlich wie die Re- sonatoren wirkt auch ein zu der betreffenden Pfeife gehöriger kurzer Blechtrichter (Länge 150, lichte Weiten beider Enden 12 und Sl mm, Eigenton gis? bis h?). Dass die membranöse Zunge schon an sich einen A-artigen Klang gibt, rührt nieht etwa davon her, dass der vierkantige Holz- 38 L. Hermann: kasten, in dem sie steckt, zufällig einen dem A-Formanten nahe- stehenden Eigenton hat. Denn erstens ist eine Resonanz dieser Art im Windrohr sehr unwahrscheinlich, zweitens ändert sich der Klang nicht, wenn man den Zungenkasten durch Einführung eines Holz- körpers stark verkleinert, drittens behält die Zunge ihren Charakter, wenn man sie direkt in einen Windkanal des Gebläses luftdicht ein- füst, was leieht gelingt. Der Vokalcharakter ist also der Zunge selbst eigen '). Die Ursache klärte sich bei den sich anschliessenden graphischen Untersuchungen nieht genügend auf?). | Auf den ersten Blick müssen die Versuche mit der Zungen- pfeife, wie sie Ja auch Helmholtz aufgefasst hat, als eine schöne Bestätigung der Verstärkungstheorie erscheinen. Jedoch die oben zusammengestellten Einwände gegen die letztere sind so schwer- wiegend, dass sich die Frage aufdrängte, ob die Pfeifenversuche nicht vielleicht doch ganz anders zu deuten sind. In der Tat haben nun weitere Untersuchungen, über welche im foleenden Teil zu berichten ist, das letztere ergeben, und es zweifellos gemacht, dass die Pfeifen- versuche im Gegenteil eine Bestätigung der Anblasetheorie der Vokale (darstellen. Es bleibt nun noch übrig, diejenigen synthetischen Versuche anzuführen, welche den durch die Vokalkurven dargestellten Vor- gang auf irgendeine Weise direkt zu verwirklichen und dadurch Vokalklänge hervorzubringen suchen. Sehon ein alter Versuch von Willis®), den auch Helmholtz erwähnt), kann, obwohl er ohne jede Kenntnis von Vokalkurven ausgeführt worden ist, als eine unbewusste Verwirklichung des durch die neueren Vokalkurven dargestellten Vorgangs aufgefasst werden. Er besteht darin, dass eine Feder an einem rotierenden Zahnrade schleift; je nach der Abstimmung der Feder hört man dann irgend- einen Vokal auf die Note, welche der Zahnfrequenz entspricht. Dem- 1) Die Zunge durch Saugen mit einer Wasserstrahlpumpe zum Tönen zu bringen, gelang nicht, obwohl der Saugdruck viel grösser war als der positive Gebläsedruck; vermutlich ist die Volumgeschwindigkeit zu gering. 2) Die Kurve der Zunge ist in Fig. 59 reproduziert, und zeigt, wie auch die zugehörige Analyse (siehe unten S. 50), keine deutliche Formantschwingung; in anderen Aufnahmen war dagegen ein in die Mitte der 2. Oktave fallender Formant einigermassen ausgeprägt. 8) Poggendorff’s Ann. d. Physik Bd. 24 S. 417. 1832. 4) Tonempfindungen, 1. Aufl. S. 179, 4. Aufl. S. 191. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 39 gemäss erklärt Willis als das wesentliche des Vokals eine im Tempo der Stimmnote sich abspielende Reihe von kurzen Tönen, welehe letztere für jeden Vokal eine andere charakteristische Höhe haben. Auf denselben Gedanken bin ich selbst, ohne von dem Willis’sehen Versuche etwas zu wissen, sofort beim Anbliek meiner Vokalkurven gelangt, welche ja geradezu diese Idee aufdrängen, und ich habe auf mannigfache Weise einen solchen Vorgang zu verwirk- lichen gesucht ?). Bei einer Reihe von Vorkehrungen, welche darauf zielten, einen Ton von der Höhe des Formanten in rascher Intermittenz oder, was im wesentlichen gleichwertig ist, in schwebungsartigem An- und Abschwellen auftreten zu lassen, wurde durch manche Anordnungen in der Tat ein deutlicher Vokal (A) erreicht, während andere weniger befriedigten oder ganz versagten. Besonders günstig erwies sich das Zusammenklingen zweier vom Formanten gleich weit nach oben und nach unten abstehender kräftiger Töne mit der Doppel- sirene, wobei der Vokal sehr eindringlich in der Note des Differenz- tones auftritt. Gegen diese Versuche hat H. Starke einige Einwände er- hoben?), welche ich als berechtigt nicht anerkennen kann. Aus dem Umstande, dass ich den Vokalklang künstlich erzeugen konnte, sowohl indem ich den Formantton n-mal pro Sekunde intermittieren. liess, als auch dadurch, dass ich ihn als Mittelton zweier Primär- töne n-mal pro Sekunde schweben liess, scheint er herausgelesen zu haben, dass ich beide Vorgänge für identisch halte, wozu ich nicht die mindeste Veranlassung gegeben habe. Dass mir der im Schwebunesfalle stattfindende Phasenwechsel nicht entgangen ist, hätte er aus vielen Stellen meiner Arbeiten ersehen können. Er scheint aber, und zwar nicht nur mir, sondern auch König, Dennert u. A. einen Irrtum vorzuwerien hinsichtlich der Anzahl der Schwebungen in gewissen Fällen. Wenn man einen Ton durch eine Löcherscheibe intermittierend auf das Ohr einwirken lässt, so entspreche der Vorgang doppelt so viel Schwebungen, als diejenigen annehmen, welche ihn im Sinne eines Unterbrechungstones deuten, und denselben Fehler sollen auch diejenigen begehen, welche die I) Dies Archiv Bd. 47 S. 382 ff. 1890. 2) Verhandl. d. deutsch. physikal. Gesellschaft 1908 S. 289—295. 40 L. Hermann: Differenztöne als Schwebungstöne auffassen. Diese Behauptung ist aber irrtümlich und beruht auf einem Versehen des Verfassers?). Erwähnt sei noch, dass ich die Interferenzsynthese später mit weit vollkommneren Hilfsmitteln zur Ausführung gebracht habe, nämlich mit zwei Eiserscheiben meiner Telephonsirene ?). Nebenbei bemerkt erledigt sich hierdurch auch die Bemerkung von Starke, dass meine Vokalsynthese nur eelinge, wenn die Helmholtz’sche Bedingung für objektive Differenztöne (gemeinsamer Windkasten) erfüllt ist; für diesen letzteren Punkt kann ich übrigens auf meine letzte Arbeit über Differenztöne verweisen ?). Bequemer als mit der Doppelsirene, wenn auch etwas weniger eindrucksvoll, kann man auch, worauf mich Herr Prof. Weiss auf- merksam gemacht hat, diese Art der Synthese mit zwei angestrichenen Stimmgabeln auf Resonanzkästen ausführen. Einen A-artigen Klang erreicht man mit den Gabeln e? und a?, oder f? und a?; nur ist der Vokal nicht so eindringlich wie bei dem lauten Sehall der Doppelsirene, weil man bei dieser die beiden Primärtöne neben dem Differenzton, der den Vokalcharakter hat, kaum hört, während beim Stimmgabelversuch der Differenzton, auf welchen man seine Auf- merksamkeit zu richten hat, neben den Primärtönen sehr zurück- tritt. Man muss übrigens die Gabeln sorgfältig anstreichen und nieht mit einem Klöppel anschlagen; beim Streichen sind die Töne weit ausdauernder, worauf hier viel ankommt. 1) Starke stellt ganz richtig den Vorgang, dass der Ton sin 2 zpt durch eine Löcherscheibe von qg Durchgängen pr. sek. unterbrochen wird, unter der Voraussetzung, dass die Lochweiten nach einem Sinusgesetz sich ändern (annähernd verwirklicht wird dies durch den weiter unten zu besprechenden Sinus-Unterbrecher), durch den Ausdruck dar: sin 2 pt + sin 2 pt sin 2rrgt, und sagt dann weiter, man höre also den Ton 9 konstant (1. Glied), und daneben. wie das 2. Glied ergibt, denselben Ton 2q mal pr. sek. schwebend. Auch dies ist richtig; es ist aber ganz übersehen, dass durch das Hinzukommen des 1. Gliedes der Gesamtvorgang nicht zu 2g, sondern zu q Amplituden- schwankungen pr. sek. führt; das 2. Glied für sich oszilliert durch den Faktor sin 2 gt zwischen den Werten 0, + sin2 pt, 0, —sin2 pt, die Amplituden der p-Schwingung erreichen also in jeder Periode der q-Schwingung zweimal den Wert 0; beide Glieder zusammen oszillieren dagegen zwischen den Werten sin? pt, 2sin?2rpt, sin? zpt, 0, die Amplitude erreicht also in jeder q-Periode nur einmal den Nullwert. 2) Dies Archiv Bd. 91 S. 162 f. 1902. 3) Dies Archiv Bd. 122 S. 427 und Ann. d. Physik 4. Folge Bd. 25 S. 708 ff. 1908. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 41 Weit überzeugendere künstliche Vokalklänge, als in der Arbeit von 1890, deren Synthesen ich ausdrücklich nur als ermutigende vorläufige Versuche bezeichnet hatte, habe ich später mit der von mir beschriebenen Telephonsirene erreicht!). Der Apparat erzeugt durch eine eiserne Scheibe mit Einschnitten, welche vor einem Telephon ohne Eisenplatte rotiert *), Gruppen äquidistanter Induktions- stösse, welche durch kurze Pausen getrennt sind. Die Anzahl der so gebildeten Perioden pro Sekunde ist die Schwingungszahl der Note, auf die man den Vokal hört, während der Zeitabstand der Einzelstösse innerhalb der Perioden der Schwingungszahl des Formanten entspricht. Für die Vokalbildung erwies es sich als gleich- sültig, ob die letztere harmonisch oder unlıarmonisch zur Vokalnote ist. Wer einmal diese künstlichen Vokale vernommen hat, wird mir, resp. Willis, wenigstens darin zustimmen, dass das wesentliche der Vokalerscheinung das Auftreten kurzer tonartiger Schalle im Tempo der Stimmnote ist, welche Ansicht er im übrigen sich über die Entstehung der Vokale auch bilden mag. Damit ist sogar die Verstärkungstheorie noch vereinbar, denn wie oben S. 30 gezeigt worden ist, sind ja auch deren Anhänger gezwungen, die Vokalkurven als Schwebungskurven zweier dureh den Mundresonator verstärkten Partialtöne des Stimmklanges aufzufassen. Ich bin also weit entfernt, etwa diese Synthese als einen Beweis für die Richtig- keit der von mir geäusserten Ansicht über die Entstehung der Vokale anzusprechen. : Die verbreitete Auffassung über die Natur der Vokale lässt eisentlich die Erwartung zu, dass dieselben auf sehr einfachem Wege synthetisch hervorgebracht werden können, besonders wenn man noch die Helmholtz’sche Hörtheorie in Erwägung zieht. Man sollte meinen, dass es genügen müsste, den charakteristischen Mundton auf irgendeine Weise dem Stimmklange, ja sogar irgend- einem anderen Klange hinzuzufüger, damit der Vokal gehört werde. Denn für das Ohr sollte es gleichgültig sein, auf welche Weise die dem Vokalton entsprechenden Resonatoren erregt werden. Kein 1) Dies Archiv Bd. 91 S. 135. 1902. 2) Auf Grund der zahlreichen Vorführungen dieser Versuche seit ihrer Veröffentlichung sei bemerkt, dass die beste Scheibenform die a. a. O. in Fig. 7 dargestellte ist, und dass als Telephon am besten das von Siemens & Halske für mich gelieferte Schneidentelephon in Stirnstellung verwendet wird (über dieses Telephon siehe dies Archiv Bd. 122 S. 422. 1908). 49 L. Hermann: soleher-Versuch gelingt. Man hört niemals ein A, wenn man neben irgendeinem Instrumental- oder Stimmklang den Ton fis? oder g? leise oder laut erklingen lässt, auch dann nicht, wenn man den Ton dadurch hervorbringt, dass man während eines Instrumental- oder Stimmklanges den Resonator fis? oder g? im Ohre hat. Da ein Stimmklang nicht wohl ohne Vokalcharakter angegeben werden kann, habe ich bei solchen Versuchen den Vokal I singen lassen, und dabei den Resonator, den ich im Ohre hatte, dicht an den Mund des Singenden gehalten. Mit den Edelmann’schen Reso- natoren kann man den Versuch an sich selbst anstellen, indem der Schlauch im Ohre steckt, während der Resonator dieht an den Mund gehalten wird. Der völli«e negative Erfolg solcher Versuche stellt einen Einwand gegen die Theorie dar, auf dessen Beseitigung ich gespannt bin. Warum der gleichzeitige I-Formant die Ver- stärkung der dem Ä-Formanten entsprechenden Stimmbestandteile dureh den Resonator verhindern sollte, ist nicht abzusehen. Wird der Versuch so angestellt, dass der Formant als selb- ständiger Ton und nicht durch Resonanz hervorgebracht wird, so würde allerdings eine Kurve entstehen, die von den wirklichen Vokalkurven wesentlich verschieden ist, da hier die Formant- schwingung nicht ana-, sondern autoperiodisch verlaufen würde. Für die Helmholtz’sche Hörtheorie könnte dies aber begreiflicher- weise nicht von Bedeutung sein. Ein Gesamtüberblick über die synthetischen Versuche lehrt, dass ein Teil derselben mit jeder Vokaltheorie vereinbar ist und dass von den übrigen die auf die Verstärkungstheorie gegründeten entweder ganz versagen oder die Theorie nur scheinbar stützen, während die auf die Kurven gegründeten von zweifellosem Fr- folge sind. 4. Die Entstehung der Vokale dureh Anblasung. Experimentelle Nachweise für dieselbe und neue Vokal- synthesen. Wegen der mir unüberwindlich erscheinenden Schwierigkeiten der Verstärkungstheorie und angesichts der so ungemein Kräftige in dien Vokalkurven ausgeprägten Formantschwiagungen habe ich die Ansicht ausgesprochen, dass die Mundresonatoren nicht durch Ver- stärkung von Partialtönen des Stimmklanges, sondern durch selb- ständige Anblasung den Vokal hervorbringen. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 43 Zuweilen ist mir gesprächsweise eingewendet worden, dass beides wesentlich auf das gleiche hinauslaufe. Das ist aber ganz irrig. Bei der Beanspruchung auf Resonanz schwingt der Resonator, wie die mathematische Theorie ergibt, in seinem Eigenton nur in rapide abnehmendem Grade, permanent dagegen in der ihm aufgezwungenen fremden Periodik; beim Anblasen aber schwingt er stets in seinem Eigenton, solange die Anblasung fortgesetzt wird; die Resonanz ist eine „erzwungene Schwingung“ im Tempo einer fremden oszil- lierenden Kraft!), die Anblasung erfolgt durch eine kontinuierliche Einwirkung, welche erst der beeinflusste Gegenstand in eiue von seinen Eigenschaften abhängige Periodik verwandelt. Ausserdem ist diese letztere Schwingung unvergleichlich stärker als die reso- natorische Schwingung. Ein Helmholtz’scher oder Edelmann- scher Kugelresonator ertönt z. B. selbst in nächster Nähe einer seinen FEigenton angebenden Tonquelle nicht, wenn man ihn nicht ‘ins Ohr steckt oder durch einen Schlauch mit demselben verbindet, ja, er spricht sogar eine König’sche Flamme kaum an. Erst mit dem Ohr verbunden, wird er zu einem vorzüglichen Mittel, Obertöne in einem Klange nachzuweisen, besonders wenn man zum scharfen Entscheiden über sein Mittönen die Mündung mit dem Finger ab- wechselnd schliesst und Öffnet, während das andere Ohr gut ver- schlossen ist. Mit einem Wort, der Resonator wird selbst durch seinen Eigenton nur in sehr schwaches Mittönen versetzt. Dagegen lässt er sich ungemein leicht durch Anblasen zu weithin hörbarem Tönen bringen, am einfachsten durch ein Spaltrohr aus Karton oder Blech, das man in geeigneter Stellung vor die Mündung bringt. Er bildet dann mit dem Anblasespalt ganz einfach eine Lippenpfeife. Die beiden Arten der Beanspruchung sind also gänzlich verschieden ?); gemeinsam ist ihnen nur, dass Form und Grösse des Hohlkörpers einen Eigenton, d.h. eine für die Bildung stehender Wellen optimale Frequenz bedingen. Auf Anblasung des Mundresonators beruht, wie all- gemein anerkannt wird, die Entstehung der geflüsterten Vokale. Nur ist hier die Anblasung etwa so unvollkommen, wie wenn man 1) Die Grösse a in Gleichung (1), S. 27, hat die Dimension einer Kraft. 2) Sie sind in demselben Sinne verschieden wie das Mitschwingen einer Saite durch ihren Eigenton und das Schwingen derselben beim Streichen mit dem Bogen, welches prinzipiell dem Anblasen der Pfeife völlig entspricht. 44 L. Hermann: mit dem Munde ohne Spaltvorriehtung über die Öffnung eines Resonators hinweg oder durch denselben hindurch bläst; es entsteht ein Geräusch mit einem hervorragenden Ton. Beim lauten Vokal kommt nicht allein die Kraft des Stimmklanges hinzu, sondern auch jetzt findet, wie ich glaube, noch eine wirkliche Anblasung des Mundes statt. Unsere Kenntnisse über die Form. der Hohlräume über dem Kehlkopf bei der Phonation sind noch sehr oberflächlich, obwohl die Methodik ihrer Erforschung in stetem Fortschritt be- eriffen ist. Möglicherweise wird sich herausstellen, dass die Ver- hältnisse für wirksame Anblasung durch den aus dem Kehlkopf kommenden Luftstrom besonders günstig sind !). Der Gedanke, dass der Luftstrom der Stimme in dieser Weise anblasend wirkt, stösst allerdings auf eine scheinbare Schwierigkeit. Ein kontinuierliches Anblasen ?) genügt nämlich offenbar nicht; denn dabei müssten die Formantschwingungen unbekümmert um die Stimmperiodik weitergehen und sich auf die Klanekurve des Kehl- kopflautes superponieren; allenfalls könnten sie unter dem Einfluss - der Drucksehwankungen in ihrer Amplitude im Tempo der Stimm- periodik schwanken. Dann müssten aber die Formantschwingungen autoperiodisch, und nicht, wie sie es wenigstens bei A, O und U wirklich sind, anaperiodisch sein ®), und die Vokalkurve wäre nicht periodisch. Dieser Umstand nötigt zu der von mir ausgesprochenen Ansicht, dass der intermittierende Luftstrom der Stimme den Mundresonator rhythmisch, nämlich einmal in jeder Stimmperiode, anbläst. Es fragt sich nur, ob eine solche Art des Anblasens überhaupt möglich ist. Mehrere Physiker haben dies verneint, hauptsächlich weil, wenn man nicht einen ungemein hohen Dämpfungsgrad annimmt [was ich allerdings ausdrücklich gerade aus diesem Grunde®) getan habe], 1) Daher kann auch dem Einwande von H. Starke (Verhandl. d. deutsch. physik. Gesellsch. 1908 S. 293), dass die Vokalisierung zu geringen Luftaufwand erfordere, um eine hörbare Anblasung des Mundes wahrscheinlich zu machen, keine erhebliche Bedeutung beigemessen werden. 2) Selbst das ist bestritten worden, dass der durch eine tönende Zunge ge- gangene Luftstrom auch nur kontinuierlich einen Resonator anblasen kann. Demgegenüber habe ich aber gezeigt, dass dies sehr gut gelingt, wenn man dem Resonator die mit ihm prinzipiell übereinstimmende Gestalt einer Lippenpfeife gibt. Vgl. dies Arch. Bd. 61 S. 194. 1895. 3) Vgl. über diese Bezeichnung dies Archiv Bd. 61 S. 172. 1895, Bd. 91 Ss. 158f. 1902. 4) Dies Archiv Bd. 47 S. 381. 1890. Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 45 bei (lem neuen Eintritt der Anblasung noch so grosse Nachschwingung von der vorigen Periode bestehen müsste, dass sie die neue An- blasung verhindert. Dass übrigens schon die Verstärkungstheorie ungewöhnlich hohe Dämpfung der Mundresonatoren anzunehmen ge- nötigt ist, ist bereits entwickelt (S. 29). Als besonders meiner Auffassung entgegenstehenden Umstand betrachtet Auerbach!) die sehr feste Lage des Mundtons, welche nach dem Resonanzprinzip unvereinbar sei mit so hoher Dämpfung des Mundresonators, wie ich sie annehmen muss; meine Auffassung „stelle das Grundgesetz der Beziehung zwischen Resonanz und Dämpfung geradezu auf den Kopf“. Hier liegt aber eine offenbare Verwechselung von Anblasung und Mitklingen zugrunde: ein noch so stark gedämpfter Resonator mit entsprechend grossem Ansprech- bereich wird beim Anblasen doch immer nur einen festen und un- veränderlichen Ton geben. Die Theorie der Pfeifen und besonders der Zungenpfeifen ist so ungemein schwierig und von einem Abschlusse entfernt, dass es kaum möglich erscheint, hier a priori über Möglichkeiten und Un- mörliehkeiten zu entscheiden. Ich erinnere daran, dass Helmholtz sogar das Tönen der Lippenpfeife ursprünglich als blosse Verstärkung von Partialtönen des Schneidengeräusches an der Lippe durch Eigen- töne des Pfeifenrohrs erklärt hat?). Diese Verstärkungstheorie wird wohl jetzt niemand aufrechterhalten; vielmehr haben die experi- mentellen Untersuchungen es wahrscheinlich gemacht, dass die am Maul vorbeistreichende Luftlamelle durch Mitreissen von Luft aus dem Rohre in diesem Gleichgewichtsstörungen hervorruft, die "zu stehenden Wellen führen, also ein Vorgang, welcher mit der Fiedel- bogenwirkung grosse Analogie hat. Vollends dunkel ist die Theorie der Zungenpfeifeninstrumente, z. B. der Klarinette, bei welcher eine Zunge von sehr hohem Ton eine eigentümliche Anblasung des Rohres hervorbrinst, die zu tiefen und nach Helmholtz von der Zunge selbst ganz unabhängigen Tönen führt?). Ob und inwieweit eine Zunge auf einen Luftraum anblasend wirken kann, ist hiernach bis auf weiteres nur experimentell zu entscheiden. 1) Akustik S. 699. 2) Tonempfindungen S. 150. 1863. 3) Poggendorff’s Ann. d. Physik Bd. 114 S. 321. 1861. Auch’ in den Gesammelten Abhandlungen Bd. 1 S. 388. Leipzig 1882. 46 L. Hermann: Zunächst versuchte ich auf sehr mannigfache Arten, Lippen- pfeifen so anzublasen, dass der anblasende Luftstrom vorher eine Zunge wirksam passieren musste. Alle diese Versuche führten besten- falls nur zu kontinuierlichem Ertönen der Pfeife. Einen ganz unerwarteten, weit erfolgreicheren Weg boten mir die oben S. 35 ff. besprochenen Versuche an membranösen Zungenpfeifen. Zunächst noch ganz auf dem Boden ihrer Deutung im Sinne der Verstärkungstheorie stehend, versuchte ich, ob sich nicht der frappante A-Klang auch erreichen lässt, wenn man den Resonator mit dem Ohre verbindet, statt ihn an die Pfeife anzufügen. Der Versuch ist ziemlich analog den oben S. 42 kurz angeführten. Niemals aber erhält man dann auch nur eine Spur von der Wirkung, welche der Resonator sonst auf den Zungenklang ausübt, auch wenn man den Resonator ganz unmittelbar an das Mundloch der Pfeife hält, was gerade bei den Edelmann’schen Resonatoren sehr leicht ist, weil der Hörschlauch die Resonatorstellung ganz unabhängig von der Ohrstellung macht. Was etwa der Beanspruchung durch die Pfeife an Kraft abgehen sollte, kann im Sinne der Verstärkungs- theorie bei diesem Versuche nur sehr wenig sein, und müsste reich- lich aufgewogen werden durch die so sehr gesteigerte Wirkung des Resonators auf das Ohr. Ich ging nun daran, die Klänge der mit Anfügung von Reso- natoren angeblasenen Zungenpfeifen genauer zu untersuchen, wozu ich dieselbe Methodik wie bei den Sprachlautuntersuchungen ver- wandte. Jedoch erfolgte die Aufnahme am Phonographen nicht durch den gewöhnlichen, Spreehschlauch, sondern. durch einen leichten ge- schweiften Kartontrichter mit rechtwinklig unter sanfter Krümmung abbiegendem weitem Stutzen, welcher auf den Recorder passt. Diese Aufnahmeart empfiehlt sich auch sehr für die Sprachlaute, die Jabei weit kräftiger als mit dem Schlauch, und dabei Joch nicht minder gut wiedergegeben werden (vgl. auch oben S. 18). Hier aber war sie direkt geboten, um die Aufnahme mit den Resonator- pieifen bei Anblasung mit dem Gebläse zu ermöglichen. Das ver- wendete (Schiedmayer’sche) Gebläse hat, was hier sehr zustatten kommt, ausser zwölf nach oben gerichteten Löchern für Pfeifen noch an jedem Querende der Windlade eine Öffnung für horizontale An- fügungen. Die Pfeife, resp. der angefügte Resonator, wurde nicht sehr tief in den Kartontrichter eingeführt, weil sonst die Wirkung auf den Phonographen zu stark werden kann. Die Transskription Neue Beiträge zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung. 47 erfolgte mit etwa 500 mal so langsamer Drehung des Phonographen- zylinders wie die Aufnahme. Von den erhaltenen Kurven gebe ich in der Serie D, Fig. 59—65, einige Beispiele. Sie waren sehr überraschend, obwohl sie in mancher Beziehung an die im hiesigen Institut von E. Herrmann!) an Zungeninstrumenten (Oboe, Klarinette) gewonnenen erinnern. Ich erwartete, immer noch im Sinne der Verstärkungstheorie, Klang- kurven mit einem die Periode annähernd gleichmässig erfüllenden hervorragenden Partialton, den man wie bei den Vokalkurven schon direkt erkennen kann, oder, wenn. der Resonatorton mit keinem Partialton des Zungenklangs übereinstimmt, nach dem S. 30 ge- sagten eine schwebungsartige Kurve. Die Kurven zeisten in der Tat eine leicht erkennbare und durch Proportionalmessung in ihrer Höhe feststellbare, dem Resonatorton entsprechende Oszillations- sruppe; aber dieselbe erfüllte nur einen beschränkten Teil der Periode, und zeigte in diesem ein rasches Abklingen, so dass man die Richtung, in welcher der akustische Vorgang sich abspielt, ohne weiteres erkennen kann. Ein solcher Verlauf lässt sich ohne Künstelei gar nicht anders deuten, als dahin, dass der Resonator nicht etwa einen Partialton des Zungenklanges verstärkt, sondern in jeder Periode des letzteren einmal rasch abklingend angeblasen wird. Wenu es sich um blosse Verstärkung von Partialtönen des Zungenklanges handelte, so wäre eine so regelmässige, rasch abklingende aufgesetzte Schwingung wie z. B. in Fig. 64, ganz unbegreiflich; sie könnte höchstens einmal durch eine Verkettung von Zufälligkeiten auftreten. Obwohl, wie schon erwähnt, bei diesen Versuchen Sorge ge- tragen wurde, die Schwingung der Phonographenplatte in mässigen Grenzen zu halten, ist es doch oft vorgekommen, dass die Rück- schwingung über das Niveau des Wachszylinders hinausging, so dass die oberen Gipfel der Kurve durch eine dem Niveau entsprechende Querlinie abgeschnitten wurden ?). In den Figuren (z. B. 63, 64, 67) ist das fehlende Stück durch Punktlinien in seinem wahrscheinlichen Verlauf ergänzt. Zu den Analysen sind begreiflicherweise solche 1) Siehe die Festschrift zum 70. Geburtstag von L. H., Stuttgart 1905, S. 59; auch als Dissertation für die philos. Doktorwürde in Königsberg erschienen (Über die Klangfarbe einiger Orchesterinstrumente und ihre Analyse, 105 Seiten). 2) Über dieses Vorkommnis vgl. dies Archiv Bd. 61 8. 191. 1895. 48 L. Hermann: nicht ganz vollständige Kurven, soweit es irgend ging, vermieden worden. Bei diesen Versuchen nahm ich auch die Klangkurve einer aufschlagenden metallenen Zungenpfeife vielfach auf, und gerade diese, welche in Fig. 72 kopiert ist, war von grossem Einfluss auf meine Vorstellungen. Die Zunge gab die Note d (144). Man sieht in jeder Periode eine Gruppe rasch abklingender sehr frequenter Schwingungen, welche nach der Proportionalmessung etwa dem 16. oder 17. Oberton entsprechen, d. h. in der 4gestrichenen Oktave liegen‘). Sie erfüllen kaum mehr als ein Drittel der Periode, deren Rest ziemlieh schwingungslos verläuft. Die Kurve zeigt auf das deutlichste, dass die Metalllamelle einmal in jeder Periode, vielleicht durch das Aufschlagen, heftig erschüttert wird, und dadurch in eine Obertonschwingung gerät, welche schnell verklinst und nur etwa Y55o sek. dauert. Von Herrn Loewe ist an zwei Kurvenaufnahmen dieser Zunge je eine Periode mit 40 Ordinaten gemessen und analysiert worden. Es genügt, eine dieser Analysen, die im wesentlichen dasselbe er- gaben, anzuführen. Folgendes sind die erhaltenen Amplitudenwerte in Prozenten des grössten: Ordnungszahl 1 2.208 RA tt 8.53.95,10 Note dendıa. al de Ss anmelden ern fie” Amplitude 80,1 85,0 100 57,7 74,3 53,7 56,1 29,1 33,3 13,5 110 12, 150 da, 15.2 16° oma ler) gs ar 2 + ‚Normalkurve /Oeffnung) Fe AL NINE 5 voosck. A,g® SV. Quecksilber Ed Su 2 de,g | 39 A) % Eg’Ss.V ’ a Ea: sr fon Dee N N NE A) KIA MMS ee NV VVVWVNVUYVAMANUVVMAMV WWW O6,d2 SM. (nos) La2su. ii ner 729) BETEN LEE NE 27 A,Notef, (59) U | Na FAN AN AWAR = 503) 2 = en 1 Ve.g EN EINEN TERN S 7 ZEN TS EN Se INES IN en NENNT NT Z x Ü 2. 4; GESM x 8 s AG Tre ur E Ag m) Id: sr (ro6ı 505) I 8 = 5 2 SV. Sy I BE el Eu 2 Süneseggezingsee? u EEE |» ELIA ANZ =: } en S..x = 3 29 des 7505) 5 R > ER EN Id; Bi ES s re Ne NE er 2 £ 1925, Br 45 N SrS I Kae x SS > M, z en pi UNMMÄNNMALNUMNDUNNNNNNNN n a 1928 Pr N rn . Ug?eSw 505) / FAN AMUNILTL UN UV APATATN £ ee I. Se LEN TE NEZ SerieD. Zungenpfeifen ( (Kartonjtrichter) ‚Mernbr. Zunge gis, allein 1518) 76 77 78 Memör. Zunge gis (A:artig) mit Res.d> Dieselbe mit ‚blechtrichter 178) 60 SerieE. Sinus-Unterbrecher (Kartontrichter.) A,d? 5 102) IN PNA AI ? a ee 65. Dieselbe mitRes.h> 574, 6 = SI IT III 28 O0 DEREN |) ____— N, 2 Merabe Zyagefglle A hn S 66. = A,g? Su, : f MANN Dieselbe mit : A N 1 ‚Res.e? "Dieselbe : ‚mitBlech- ' : AN N 2 > 3 32 £ ! Ifrichter : | A “677 4,92 84 29) 67 x s. NND le S N III NDS Dieselbe mit Hi z 5 ‚Res.g? j b R Aa:sı ’ He : a N 9. WIN YUV VVWANWYW ; 68 S f — = - — = Ih" SL. 9% aus Iiltit.h (dD ? & : SEN < (8% Dieselbe mit Res.g? SI ® S 79, NAUMANN Ss a: N nn aus Kikkık,c' 1 Diese: VE RRBER & S S Ua? Sm, R (D N 5 70 / N R ; ug &1 INNEN ENMWW rd \ Dieselbe mit Res. es S R HM Au TAT N 4 AUMUININININTISTNITMNN 36. Melallzunge d. zZ N Se #3 I 3 1 5 : = = > 5 HT N a N 7. M. Verlag von Martin Hager, B ö N N verlag von Marlin Hager, Bonn — [Al AnAaN/\ Reson. ca.820. Unterbr ca.s0. 9 EEE ae AN nn 63 Ueber Fermentgesetze. Nach gemeinschaftlich mit stud. med. W. Waldschmidt angestellten Versuchen. Von P. v. Grützner (Tübingen). (Mit 19 Textfiguren.) Soviel ich weiss, machte zuerst Th. Schwann!) die Angabe, dass das von ihm in dem Magensaft entdeckte Ferment, das Pepsin, wie er es. zu nennen vorschlug, unter sonst gleichen Bedingungen gekochtes Eiweiss um so schneller auflöste, je mehr von ihm sich in den Lösungen befand. Schwache saure Pepsinlösungen verdauten also in gleichen Zeiten viel weniger Eiweiss als starke. Weiter war es Brücke?), der diese Untersuchungen bedeutend erweiterte und ebenfalls feststellte, dass sowohl gekochtes Eiweiss, wie namentlich rohes Fibrin, welches sich viel schneller als Eiweiss löst, um so schneller — bis zu gewissen Grenzen — verdaut wird, je mehr Pepsin in den Lösungen sich findet. Gleiche Mengen Pepsin arbeiten dagegen gleich schnell, eine Thatsache, auf Grund deren er in origineller Weise eine quantitative Pepsinbestimmung ausarbeitete. Aber weder Schwann noch Brücke geben irgend ein Gesetz an, nach welchem etwa das Eiweiss verdaut wird. Es liegt nahe, anzunehmen, dass die doppelte, dreifache oder n-fache Menge zwei-, drei- oder n-fach so schnell verdaut, gleich wie zwei Arbeiter eine gleichartige Arbeit noch einmal so schnell fertig bringen wie einer. Aber wie gesagt, davon steht in den Brücke’schen®) Arbeiten nichts, und es ist das um so bestimmter zu betonen, als diese irrige Behauptung neuerdings so häufig in der Literatur wiederkehrt, 1) Th. Schwann, Über das Wesen des Verdauungsprozesses. J. Müller’s Arch. f. Anat., Physiol. u. s. w. Jahrg. 1836 S. 90 (100). 2) E. Brücke, Beiträge zur Lehre von der Verdauung. Wiener Akad. Ber. Bd. 33 S. 131. 1859. 3) E. Brücke, Vorlesungen über Physiologie Bd. 1 S. 296 ff. 1874. 64 P. v. Grützner: dass sie geradezu als festes Gesetz in neuere Lehrbücher über- gegangen ist. Um dieser falschen Angabe möglichst den Boden zu entziehen, wird es daher gut sein, die hier in Betracht kommenden Angaben wörtlich zu wiederholen. Brücke!) beschreibt folgenden Versuch: „Man mischt aus Büretten eine Pepsinlösung vom Säuregehalt — 1 (das ist eine Salzsäure von 0,1°/o) mit bis zu demselben Grade angesäuertem Wasser und stellt sich so Verdauungsflüssigkeiten dar, deren Pepsinmengen sich untereinander verhalten wie ax, bx, cx u.s.w. (in welche man, füge ich hinzu, möglichst gleich grosse Fibrin- flocken lest). | Eine solche Reihe ist die folgende: Nummer des Glases Pepsingehalt 1005 0 Dr x De 2x Aa ee ee X h) 5x On 16x NN a NDR: Nr. 7 hatte in weniger als 1'/a Stunden verdaut, 6 in 3 Stunden und 5 in 3Y/a Stunden, 4 in 7 Stunden; 3 hatte zu dieser Zeit noch einen Rest, 2 einen grösseren. Ich sah dann die Gläser erst 13 Stunden später, also 20 Stunden nach Beginn des Versuches wieder. Jetzt hatten auch 3 und 2 vollständig verdaut, 1 aber natürlich nicht, da es kein Pepsin, sondern nur Säure enthielt.“ Die Pepsinmengen verhielten sich also in obigem Versuche wie 1:2:4:8:16:32, die entsprechenden Verdauungszeiten aber waren < 20, <20, 7, Ye, 3, 11/a Stunden. Die den obigen Pepsinmengen zukommenden Verdauungsgeschwindigkeiten (das sind die umgekehrten Zeiten) aber, wie etwa !/ao: Yao: !/r: Ya: Ya: Yı,s, oder wenn man nur die letzteren vier (Glas 4—7) berücksichtigt und Y/r —=1 setzt, bezüglich wie 1:2:2,3:4,6, anstatt wie 1:2:4:8, was stattfinden müsste, wenn die Pepsinmengen und die Verdauungsgesehwindig- keiten preportional wären, wie man eben vielfach behauptet. Ein zweiter ähnlicher Versuch von Brücke, in welchem Pepsin- mengen von 1, 2, 4, 8, 16 zur Verwendung kommen, wird folgender- 1) A. a. 0. $. 140. Ueber Fermentgesetze. 69 maassen von Brücke beschrieben: „Als ich den Versuch nach Verlauf von 1 Stunde wiedersah, hatten 4 und 5 (ich füge hinzu, das waren die Gläschen mit Sx und 16x Pepsin) bereits vollständig verdaut. Im Verlaufe der zweiten Stunde beendete auch 3 seine Verdauung, nach Ablauf von 3 Stunden war auch die Fibrinflocke in 2 (das ist 2x Pepsin) vollständig gelöst, aber 1 (1x Pepsin) hatte noch einen ziemlich beträchtlichen Rest.“ Aus der ganzen Fassung des Textes ersieht ınan, dass es Brücke gar nicht darum zu thun ist, genaue Zeiten für die Verdauung fest- zustellen, was auch nicht leicht ist. Zudem verhalten sich die Pepsinmengen wie 1:2:4, die entsprechenden Verdauungszeiten aber wie <1:<2:<{3 Stunden oder die Verdauungsgeschwindig- keiten etwa wie 1:1,5:9, bleiben also wie immer bei den grösseren Pepsinmengen bedeutend zurück. Ich füge noch hinzu, dass Brücke in seinem Lehrbuche bei der Besprechung der Grünhagen’schen Methode (S. 299) sich folgendermaassen ausdrückt: „Man beurtheilt desshalb die Menge des Pepsins nach der Menge von Flüssigkeit, welche in der Zeit- einheit vom Trichter abtropft. Es ist dieses Verfahren wohl zu brauchen, um zu schätzen, ob eine Flüssigkeit mehr oder weniger Pepsin enthält als eine andere. Quantitäten, auch relative, lassen sich damit nicht bestimmen, da kein Beweis dafür vorliegt, dass die Menge des in der Zeiteinheit Gelösten geradlinig wächst mit der Menge des Pepsins.“ Nun ich sollte meinen, diese Angaben dürften genügen, um endlich die Behauptung zu beseitigen, Brücke habe gezeigt, dass Pepsinmenge und Verdauungsgeschwindigkeit proportional verlaufen '). Die Thatsache, dass unter denselben Bedingungen — bis zu gewissen Grenzen — um so mehr Eiweiss von einer Pepsinlösung 1) Diese irrige Behauptung findet sich unter Anderem mehr oder weniger deutlich ausgesprochen bei J. Sjöqvist, Physiologisch-chemische Beobachtungen über Salzsäure. Skandinav. Arch. f. Physiol. Bd. 5 8. 275 (358). 1895. — E. Schütz und Huppert, Pflüger’s Arch. Bd. 80 S. 470. 1900, wo auf S. 522 : gesagt wird, dass dem Verfahren von Brücke die „keineswegs selbstverständ- liche (also von Andern angenommene) Voraussetzung“ von der Proportionalität zu Grunde liege. — W. Löhlein, Über die Volhard’sche Methode u. s. w. Hofmeister’s Beitr. z. chem. Physiol. Bd. 7 S. 120. 1905. — H. Reichel, Die Gesetze der peptischen Verdauung. Wiener klin. Wochenschr. Nr. 30 S. 1085. 1908. — C. Oppenheimer, Die Fermente. Allgem. Theil. S. 241 unter Pepsin- wirkung von R.O.Herzog. Leipzig 1910. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 5 66 P. v. Grützner: verdaut wird, je mehr sie Pepsin enthält, ist später unzählige Male beobachtet worden. Jeder, der quantitative Verdauungsversuche ge- macht hat — ich nenne nur Ebstein und Grützner, A. Mayer, Grünhagen, Grützner, Schütz, Mett!), neuerdings Wojwo- doff!) —, giebt an, dass unter allen Umständen eine direete Pro- portionalität zwischen Fermentmenge und verdauter Eiweissmenge nicht besteht, sondern die Eiweissmenge mehr oder weniger, meist recht bedeutend zurückbleibt. Nur Gross?) behauptet neuerdings, dass Proportionalität besteht. | Werfen wir ferner einen Blick auf die anderen von uns unter- suchten Fermente, das Trypsin und Ptyalin, so verhält sich nach Angaben von Cohnheim?) das Ptyalin nahezu so wie das Pepsin; das Trypsin aber nimmt, wie zuerst Volhard*), später Gross?) behauptete und ich‘) mit Palladin?”) bestätigen konnte, eine andere Stellung ein. Hier herrscht Proportionalität zwischen Fermentmenge und Verdauungsgeschwindigkeit allerdings — wie wir später sehen werden — nur unter gewissen Bedingungen. Da mich diese Fragen interessierten, habe ich sie mit den ver- schiedensten mir zu Gebote stehenden Methoden untersucht und zu- nächst die drei oben genannten Fermente behandelt. Ich verwendete dreierlei verschiedene Methoden, die alle mehr oder weniger auch 1) Vgl. hierüber A. Korn, Über Methoden, Pepsin quantitativ zu be- stimmen. Med.-Dissert. Tübingen 1902. — P. v. Grützner, Versuche und Betrachtungen über meine Methode, Pepsin colorimetrisch zu bestimmen. Arch. di Fisiol. t. 7 p. 223. 1909, woselbst die ausführliche Literatur zu finden ist, und die sorgfältige und beachtenswerthe Arbeit von Wojwodoff, Über die Methoden der Pepsinbestimmung u. s. w. Med.-Dissert. Berlin 1907. 2) O. Gross, Die Wirksamkeit des Pepsins u. s.w. Berliner klin. Wochen- schrift 1903 S. 643. 3) J. Cohnheim, Zur Kenntnis der zuckerbildenden Fermente. Virchow’s Arch. Bd. 28 S. 241. 1863. 4) F. Volhard, Über eine neue Methode der quantitativen Pepsin- bestimmung u. s. w. Münchener med. Wochenschr. Bd. 50 S. 2129. 1903; sowie W. Löhlein und O. Faubel, Hofmeister’s Beitr. Bd. 7 S. 120. 1906 und Bd. 10 S. 35. 1907. | 5) OÖ. Gross, Die Wirksamkeit des Trypsins u. s. w. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 53 S. 157. 1907. 6) P.v. Grützner, Über sogenannte Fermentgesetze. Med.-naturwissensch. Verein Tübingen, Sitzung vom 25. Juli 1919. Münchener med. Wochenschr. 1910 Nr. 36. 7) A. Palladin, Über eine einfache quantitative Trypsinbestimmung u. s. w. Pflüger’s Arch. Bd. 134 8. 337. 1910. Ueber Fermentgesetze. 67 schon von anderen Forschern zu ähnlichen Zwecken benutzt worden sind. Und zwar behandle ich in erster Linie die älteste, von Schwann, dann von Bidder und Schmidt!), Ebstein und mir, Schütz u. A. angewendete Methode, bei welcher gleiche Mengen von Eiweiss bzw. Stärke unter sonst gleichen Bedingungen in einer bestimmten Zeit verdaut oder zersetzt und die in dieser Zeit zer- setzten Mengen festgestellt wurden. Weil man alle diese Versuche nach einer bestimmten Verdauungszeit abbrechen muss, nenne ich sie, um einen kurzen Namen für sie zu haben, abgebrochene Versuche oder Versuche nach der Schwann’schen Methode, kurz Schwann’sche Versuche. In zweiter Linie hat man aber auch Versuche in der Art angestellt, dass man die Zeit feststellte, in welcher bestimmte Eiweiss- oder Stärkemengen durch die ver- schiedenen Fermentmengen vollkommen umgewandelt wurden. So arbeitete z. B. Brücke. Ich nenne diese Versuche, die nicht nach einer gewissen Zeit unterbrochen, sondern bis zu Ende fort- geführt werden mussten oder müssen, Brücke’sche oder Endver- suche. Um weiterhin einheitliche Namen für die angegriffenen Stoffe zu haben, seien sie, wie das schon ziemlich allgemein ein- geführt ist, Substrate genannt. Schliesslich kann man auch noch die Fermentwirkung während ihres Verlaufes beobachten, nicht bloss am Ende einer gewissen Zeit oder nach vollkommener Umsetzung des Substrates. Derartige Versuche sind an den von uns genannten Fermenten wenig angestellt worden, offenbar weil sie zu umständ- lich sind. Man hat sie aber — und zwar schon ziemlich lange — an fermentähnlichen Stoffen und entsprechenden Vorgängen studiert, z. B. an der Umwandlung des Rohrzucekers in Rechts- und Links- zucker durch die Einwirkung von Säuren. Es war Wilhelmy?), der im Jahre 1850 als erster derartige Untersuchungen machte und die dabei stattfindenden Gesetzlichkeiten beschrieb. Wir werden noch später mehrfach auf diese Vorgänge zu sprechen kommen. Derartige Versuche nenne ich Fortschritts- oder Wilhelmy’sche Versuche, weil sie den Fortschritt der Fermentwirkung in den- selben Flüssigkeiten anzeigen. 1) F. Bidder und C. Schmidt, Die Verdauungssäfte und der Stoffwechsel S. 74. 1852. . 2) L. Wilhelmy, Über das Gesetz, nach welchem die Einwirkung der Säuren auf den Rohrzucker stattfindet. Poggendorff’s Annalen Bd. s1 S. 413 u. 499. 1850 und Ostwald’s Klass. Nr. 29. 5* 68 P.v. Grützner: A. Schwann’sche Versuche. I. Sehwann’sche Versuche mit festen Substraten. Ich wende mich zunächst zu den abgebrochenen Ver- suchen nach Sehwann’scher Art und beginne mit dem am meisten (lurehgearbeiteten Pepsin. Was ist zunächst im Allgemeinen von diesen Methoden zu halten, in welchen also. die in gleichen Zeiten ausgeführten Leistungen festgestellt werden? Nun sie sind die ältesten und in vieler Beziehung die bequemsten. Freilich spricht sich Bredig!) in seinem lehrreichen Aufsatz über die Elemente der chemischen Kinetik unter besonderer Berücksichtigung der Katalyse und der Fermentwirkung dahin aus: Man solle bei dem Vergleich von verschieden schnellen Fermentwirkungen die Zeiten gleichen chemischen Umsatzes und nicht die Umsätze in gleichen Zeiten bestimmen und zu einander in Beziehung setzen. Nun das mag gewiss theoretisch ganz richtig sein, praktisch aber ist es genau genommen, jedenfalls sehr schwierig bezw. ganz unmöglich. Denn wer will z. B. während eines Verdauunesversuches mit mehreren Reagensgläschen, in denen verschiedene Pepsinmengen thätiz sind, sagen, gerade jetzt oder einige Minuten bezw. Stunden später ist in den Gläschen 1, 2 oder 3 u. s. w. gerade eine ganz bestimmte Menge Eiweiss verdaut?). In der That haben auch die von Bredig genannten Forscher, wie Ostwald und seine Schüler, die nach be- stimmten Zeiten zersetzten Substratmengen nicht unmittelbar ge- messen, sondern erschlossen, indem sie sie auf Grund des Verlaufes der Zersetzung aus zwei benachbarten Werthen berechneten. Die Ge- nauigkeit der so durch Interpolation gewonnenen Werthe hänet natürlich von den Grössen der verschiedenen Zeiten ab, innerhalb welcher die Processe gewissermaassen sprungweise verliefen. Jeden- falls wurden sie von den genannten Forschern so gewählt, dass die von ihnen erschlossenen Mengen den wirklichen genau genug ent- sprachen. Halten wir uns nun an einen bestimmten Versuch nach Schwann- scher Art, so werden unter sonst gleichen Bedingungen gleiche Ge- wichtsmengen von gekochtem und zerschnittenem Hühnereiweiss in verschieden starke Pepsinlösungen gelegt und der Verdauung aus- 1) 6. Bredig, Über die Elemente u. s. w. Ergebn. d. Physiologie, Jahrg. 1, Abt.1, 5.134 (159). 1902. 2) Abgesehen von meinen colorimetrischen Methoden, mit denen dies sehr leicht gelingt. Ueber Fermentgesetze. 69 gesetzt. Nach einer bestimmten Zeit wird die Verdauung unter- brochen, und es werden die verdauten Eiweissmengen bestimmt. Die erste zu beantwortende Frage ist jetzt die: haben wir hier, wenn wir zunächst von allen Hemmungen absehen, directe Proportionalität zwischen Pepsinmengen und Verdauungszeiten zu erwarten? Die Antwort lautet: nein. Hier so wenig wie bei den Brücke’schen Versuchen; denn wenn zwei gleich grosse Eiweisswürfel, der eine in einer 1°/oigen, der andere in einer 10 %oigen Pepsinlösung liegen, so wirken, wie leicht einzusehen, auf den zweiten Würfel nicht zehn- mal so viel Pepsinmoleeüle, sondern nur v108, also etwa vier Pepsin- molecüle mehr). Die grösseren Pepsinmengen müssen also unter allen Umständen, auch wenn gar keine Hemmungen vorhanden ‘ wären, verhältnissmässig weniger auflösen als‘ die kleineren, was auch thatsächlich der Fall ist. Wenn man, wie ich dies gethan, fingerhutartige Glasgefässe mit geronnenem Eiweiss oder enge, 1—2 mm weite Glasröhren mit er- starrter Gelatine anfüllt?) und diese Gefässe senkrecht in grössere Mengen von verschieden starken Pepsin- bezw. Trypsinlösungen nahe an deren Oberfläche aufhänst, so wird der Inhalt dieser Gefässe von unten her verdaut. Die Peptone sinken zu Boden, die Ober- flächen der zu verdauenden Stofie bleiben gleich gross, die Ver- dauungsflüssiekeiten ändern sich auch nicht oder so gut wie nicht; denn die Mengen der herabsinkenden Peptone verschwinden in den grossen Mengen der Verdauungsflüssigkeiten. Man kann dann zeigen, dass in der That n-mal so viel wirk- same Fermentmoleeüle von Pepsin und von Trypsin auch n-mal so energisch verdauen. Denn wenn die beiden Fermentlösungen in gleichen Volumen n bezw. m Fermentmoleceüle enthalten, so werden thatsächlich in gleichen Zeiten von den Eiweiss- oder Leimsäulen Schichten abverdaut, die sich zu einander verhalten wie n® :/mz, natürlich nicht, ‘wie man früher ohne Weiteres annahnı, wie n:m. Ich habe mir viele Mühe gegeben, auch mit gekochter Stärke und Ptyalin derartige Versuche anzustellen, will aber den Leser mit ihrer Beschreibung nicht aufhalten, weil sie mich zu keinen be- 1) Vergl. hierüber P. v. Grützner, Versuche und Betrachtungen u. s. w. Arch. di Fisiol. t. 7 p. 223. 1909. — P. v. Grützner, Über die Lösung fester Stoffe u. s. w. Wiener med. Wochenschr. Nr. 39. 1910. 2) Vgl. A. Palladin, Über eine einfache quantitative Trypsinbestimmung u s.w. Pflüger’s Arch. Bd. 134 S. 337. 1910. 70 P. v. Grützner: friedigenden Ergebnissen führten. Die Stärke verflüssigte sich durch- weg zu schnell und floss einfach als Ganzes aus den Gläschen heraus. Ich zweifle nicht, dass unter günstigen Bedingungen, über die ich vielleicht noch einmal verfüge, auch für das Ptyalin dasselbe Gesetz sich ergeben wird, wie Ähnliches Walther!) mit horizontal liegen- den Glasröhren gelungen ist. Anders lauten natürlich die Ergebnisse, wenn man die Eiweiss- stücke einfach in der Verdauungsflüssigkeit ruhig und zwar meistens ganz ruhig liegen lässt; da bleiben die höheren Fermenteoncentrationen natürlich ganz bedeutend hinter den niederen zurück. Denn die Peptone, in deren Lösung die Eiweisskörper ja geradezu schwimmen, wie ein auf dem Boden liegendes Stück Zucker in einer Tasse Kaffee in seiner eigenen Lösung, hindern die weitere Verdauung ungeheuer. Ich halte es für zwecekmässig, sich selbst und Anderen diese Vorgänge durch Curven übersichtlich und leicht verständlich dar- zustellen. Es möge also hier ein derartiger Versuch wiedergegeben werden von den ausserordentlich vielen Versuchen, die ich über diesen Gegenstand angestellt habe. Dieser Versuch entstammt einer früheren Arbeit von Ebstein und mir?) und ergab, wie alle ähn- lichen neueren Versuche, folgende Beziehungen zwischen den Ferment- und verdauten Kiweissmengen. Es waren in sechsstündiger Ver- dauung in der Brutwärme von je 1 g gekochtem und in Stücke zerschnittenem Hühnereiweiss gelöst von der Pepsinmenee 1. ..02...0287 8, H v EDEN ER R x AR 720,588 r R Bi nee 3 2 0,004: 5 5 1612022.00,02,00.840R0; ; y Be ee ker n 5 ba ee eu 0,IS2LT, Folgende Curve (s. Fig. 1) zeigt diese Beziehungen. Im Anfang ihres Verlaufes nähert sie sich einiger Maassen einer Parabel, bald aber bleiben die höheren Werthe immer mehr zurück. Auf der Abseisse sind die Pepsinmengen, auf den zugehörigen Ordinaten die verdauten Eiweissmengen aufgetragen. Die Curve ist natürlich glatt durchgezogen. 1) Vgl. J. P. Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen S. 34. 1898. 2) W. Ebstein und P. v. Grützner, Über den Ort der Pepsinbildung u. s. w. Pflüger’s Arch. Bd.6 S.1. 1872. 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 Verdautes Eiweiss ——> 0,1 4— o Ueber Fermentgesetze. 71 Lange nicht so bedeutend ist die Hemmung, wenn das zu ver- dauende Eiweiss sehr fein zertheilt ist und häufig in der Flüssigkeit durcheinander gemischt wird, wodurch die schädigende Wirkung der Peptone bedeutend abgeschwächt wird. Ich will da einen Versuch mit meiner colorimetrischen Methode mittheilen, von der Oppen- heimer auch in der neuesten Auflage seiner „Fermente*') Folgendes sagt: „Eine ganz rohe Annäherung für die Vergleichung verschiedener Verdauungssäfte giebt die oben erwähnte Grützner’sche Methode, wenn man die fallenden gefärbten Tropfen nicht nur be- obachtet, sondern auch zählt. Als irgendwie quantitativ kann man diese Methode indessen selbst im Rahmen dieser Verfahren nicht bezeichnen.“ Diejenigen meiner Leser, welche meine Methode 8412 4 8 16 32 6+ + an > Fig. 1. kennen, vielleicht auch mit ihr gearbeitet haben, werden sich über diese merkwürdige Kritik derselben wundern, da bei meiner Methode überhaupt nicht getropft wird. Sie würden aber noch mehr er- staunen, wenn sie dieselbe bei Oppenheimer folgendermaassen beschrieben finden: „Sehr instructiv und besonders zur Demonstration geeignet ist die Modification von Grützner, der die Fibrinflocke mit Carmin färbt, so dass mit der Auflösung der Flocke auch der rothe Farbstoff in Lösung geht und das Filtrat sich demgemäss roth färbt. Wenn man die in einer bestimmten Zeit fallenden Tropfen zählt, lässt sich diese Methode auch zur annähernden quanti- tativen Schätzung der Fermentwirkung benutzen.“ Nun Oppen- heimer beschreibt hier?) allerdings in kaum verständlicker Weise 1) A. a. O., spezieller Theil, 3. Aufl., S. 128 u. 123. 1909. : 2) Noch deutlicher in seiner 2. Aufl. S. 105. Leipzig 1903 und in der pbysiologischen Methodik von Tigerstedt Bd. 2 Abth.2 S. 67. 1908. 72 P. v. Grützner: eine nach seiner Art veränderte Grünhagen’sche Methode, die aber mit der meinigen nur das Eine gemeinsam hat, dass die Er- finder beider Methoden mit denselben Buchstaben anfangen. Ich lasse also einen Versuch mit dieser „rohen Methode“ hier folgen, der, wie sich ergeben wird, eine ganze Menge Thatsachen zeigt, die man auf die einfachste Weise feststellen kann, während man mit anderen Methoden dazu ausserordentlich viel Mühe und Zeit gebraucht und nicht mehr, sondern weniger erfährt. Der Versuch ist folgender: Versuch. Carminfibrin in 0,1 Yoiger Salzsäure gequollen und mit der Schere gut zer- kleinert; gleiche Mengen desselben in die sechs gleichweiten Gläschen, welche alle 15 ccm Salzsäure von 0,1 %o enthalten, vertheilt. Sie reichen, nachdem sie sich gesetzt haben, alle 2 cm hoch. Verwendet wird folgende Pepsinlösung: 0,05 g getrocknete Schleimhaut der mittleren (röthlichen) Partie eines Schweine- magens in 12 ccm Salzsäure von der gleichen Concentration eine Stunde bei niederer Temperatur extrahiert, und es werden von dieser in die sechs Gläschen um 3h 14’ gebracht: 0,05, 0,1, 0,2, 0,4, 0,8, 1,6 ccm. Die Zufügung dieser Flüssigkeiten dauert etwa eine Minute. Die Verdauung erfolgt in Zimmer- temperatur. Die Gläschen zeigten um die genannten Zeiten folgende Farben meiner Farbenskala, wobei zu bemerken, dass die römischen Zahlen die gelösten Fibrinmengen bezeichnen. II—III, III—IV bedeuten die Mitte von II—III, also II!/g bezw. III Fibrin, wie auch hin und wieder geschrieben. ee N a a m a nach 3’ | nach 7’ I nach 14’ |nach 21’ | nach 30’ | nach 44’ Gläschen 1 ( 1 Pepsin) 0) 0 fast II 1I III IV a A) 0 0 II III fast IV V (A) 0 fast II | fast II IV IV—V vI ee) 0—] 1l II-—IV | fast V V—IV | fast VII 5 dos taste II] IV V—VI vI vi le) II III V VI VI-VII — Nieht selten tritt im Anfang des Versuches eine Parabel auf, so dass den Pepsinmengen 1, 4, 9, 16, 25 genau die verdauten Fibrinmengen 1, 2, 3, 4, 5 entsprechen, wohl gemerkt aber nur ganz kurze Zeit. Wenn wir uns diesen Verlauf der Verdauung in den einzelnen Gläschen in Form von Curven darstellen, was ich für übersichtlicher und vor Allem für die Mehrzahl der Leser für viel leichter verständ- lich halte, als wenn man sie in mathematische Formeln bringt, die, so übersichtlich sie ja sonst sein mögen, bei genauerem Zusehen hier yy Mi 2 A vı nach 5 Minuten nach VL vI v > d— 2 Verdautes Fibrin fe! m = <| De - Ueber Fermentgesetze. 73 sehr wenig mit den Thatsachen übereinstimmen, so ergeben sich folgende Curven. Auf der Abseisse sind die Pepsinmengen auf- getragen, die zugehörigen Ordinaten bedeuten die verdauten Fibrin- mengen, und zwar nach 3, 7, 14 u. s. w. Minuten, so dass also sechs übereinanderliegende Curven vorliegen würden, von denen aber nur vier gezeichnet sind. „ oO em h 16 32 4 —— Pepsin Fig. 2. Aus den verschiedenen Curven ersieht man ohne Weiteres, dass im Allgemeinen die verdauten Eiweissmengen hinter den wirksamen Pepsinmengen bedeutend zurückbleiben; also z. B. die 16fache Pepsinmenge lange nicht 16 mal so viel Faserstoff auflöst als die einfache, dass aber im Anfang der Verdauung das Verhältniss der beiden Grössen sich unter gewissen Bedingungen der Proportionalität nähert, ja sogar ganz und gar in dieselbe übergehen kann (8. Fig. 4). In einer gewissen Zeit werden die Curven oft ganz genaue Parabeln (hier ungefähr nach 14 Minuten). Es herrscht das Gesetz von Schütz; später gehen sie in andere über (s. die oberen Curven). Ich wende mich weiter zu einigen abgebrochenen Versuchen mit Trypsin, und zwar wiederum mit festem, nicht gelöstem Eiweiss. Erhält man hierbei die zu verdauende Fläche des Eiweisses bezw. des starren Leimes constant (vgl. S. 69), so kann man wie beim Pepsin Minuten VIII vI IV III ———— Verdautes Fibrin —— — > << 2 74 P. v. Grützner: zeigen, dass die verdauten Substratmengen den wirksamen Trypsin- mengen proportional sind. Lässt man aber in kleine Stücke (von 2—5 mm Grösse) zerschnittenes, geronnenes Hühnereiweiss von verschieden starken Trypsinmengen verdauen, so findet man, ziemlich ähnlich wie beim Pepsin, ein Zurückbleiben der grösseren Ferment- mengen gegenüber den kleineren. In den Versuchen von Palladin verhielten sich z. B. die Trypsinmengen wie 1:4:9:16, die ver- dauten Eiweissmengen in einem Versuche nach 3 Stunden wie 1,0:2,4:3,0:4,7, in einem zweiten, ganz Ähnlichen, nach 4 Stunden wie 1:1,6:2,3: 3,6. Macht man dann weiter Versuche mit blau gefärbtem Fibrin ') in alkalischer Trypsinlösung, ähnlich wie mit Carminfibrin in saurer Pepsinlösung, so sind auch hier die Ergebnisse ähnlich. Folgender Versuch giebt darüber Auskunft: Versuch. In sechs Gläschen werden gefüllt je 10 cem 0,1/oige Sodalösung und 0,2, 0,4, 0,8, 1,6, 3,2 ccm einer einprozentigen Trypsinlösung in derselben Flüssigkeit, die Gläschen auf gleiche Mengen mit Sodalösung aufgefüllt und in sie gleiche Mengen von in Sodalösung aufgequollenem, feingeschnittenem Spritblaufibrin ge- lest. Beginn des Versuches 3& 16’. Der Einfachheit halber theile ich ihn ledig- lich in Curvenform mit. Die Curven sind wie in Fig. 1 und?2 gezeichnet. Be- A 1:3 = 3 \ e ie 32 + Trypsin ea ET Fig. 3. 1) Vgl. A. Palladin a. a. O. a N none ud VER | I% = 2 7 nach 49 Moin. 5 Mr er S VI% 29 s = IV» 19 Ueber Fermentgesetze. 75 achtenswerth ist hier der nahezu geradlinige Aufstieg in der ersten Zeit der Verdauung, eine Erscheinung, die häufig auch bei anderen Fermenten wieder- kehrt. Dass sie sich bei dem festen Substrat einstellte, beruht nur auf der ausserordentlich starken Zerkleinerung des Fibrins und seiner häufigen Ver- mischung in der Flüssigkeit. Denn bei grösseren Eiweiss- oder Fibrin- stücken, die ruhig in der Flüssigkeit liegen, sind die Verdauungscurven immer nach abwärts, concav nach der Abseisse gekrümmt. Ueber das Ptyaliu habe ich, wie Aehnliches schon oben mit- getheilt, keine Versuche mit festen Stärkesubstratmengen anstellen können. II. Abgebrochene (Schwann’sche) Versuche mit gelösten Substraten. a) Mit Pepsin. Wir wenden uns jetzt zu den Versuchen, als deren Vorbild wir die Versuche von Schütz ansehen können, da ja Schütz flüssiges .Hühnereiweiss verdauen liess und nach 16stündiger Verdauung bei 37,9° C. die Menge der gebildeten Peptone durch das Polariskop bestimmte. Da aber die Methode von Sehütz ausserordentlich umständlich ist und ich behufs Feststellung der Gesetzlichkeiten viel mehr Versuche als Schütz machen wollte und musste, sah ich mich nach einer einfacheren Methode um und fand sie in Folgendem. Zur Verdauung verwendeten wir meistens Casein (Caseinum purissimum nach Hammarsten von Grübler), welches nach der Vorsehrift von Gross in Salzsäure, aber nicht von 0,4, sondern von 0,1%/0 bei 50—60° C. aufgelöst wurde. Die Pepsinlösung wurde immer frisch ‚durch einstündige Extraction von 0,15 g getrockneter Magensehleimhaut (mittlere röthliche Partie des Schweinemagens) mit 15,0 cem 1°/oiger Salzsäure bei Stubentemperatur erhalten. Sie war sehr stark wirksam. Gelegentlich wurde auch Hühnereiweiss in 0,2°/oiger salzsaurer Pepsinlösung verdaut. Als einleitender tastender Versuch, der ein ungefähres Urtheil über die Beziehungen des thätigen Pepsins und der von ihm ver- dauten Eiweissmengen erlaubt, sei folgender angeführt: Versuch. 5 ccm Hühnereiweiss werden mit 45 ccm Salzsäure von 0,2°o vermischt und üiltrirt. In drei Gläschen werden vertheilt in Gläschen 1: 10 ccm dieser Eiweisslösung as N en ; + 0,1 cem Pepsinlösung R 8: 10 , = e + 0,4, s 76 P. v. Grützner: und 37 Minuten bei Körpertemperatur gehalten. Dann wird aus jedem Gläschen je 3 cem entnommen und das unverdaute Eiweiss mit concentrirter Lösung von gelbem Blutlaugensalz gefällt. Es verhalten sich die Niederschläge bezw. wie 4,5:2:1, es ist also ungefähr verdaut in Glas 1: 0,0 Eiweiss 2:12:90 H ” 3: 3,9 ” Also bedeutendes Zurückbleiben des von der grösseren Pepsinmenge ver- dauten Eiweiss. Dann wurden ebenso nach einer Stunde wiederum je 3 ccm Flüssigkeiten aus den Gläschen entnommen und in gleicher Art behandelt. Die Grössen der Niederschläge sind bezw. 20, 4, 1. Es ist also ungefähr verdaut in Gläschen 1: 00 Eiweiss ” 2: 16 ” ” 3: 19 ” Die Unterschiede der verdauten Eiweissmengen sind jetzt noch viel kleiner, als vorher. Dieser ganz rohe Versuch zeigte also jedenfalls so viel, dass keine Rede von irgend einer Proportionalität ist. Um aber über eine genauere und zugleich sichere und bequeme Bestimmung der Eiweissmengen zu verfügen, verfuhren wir folgender- maassen. Je 5 cem der den Reagensgläschen entnommenen und ausgefällten Flüssiekeiten wurden in zweckmässig gestaltete Gläschen gefüllt und auf einer sich schnell drehenden Centrifuge — so wie es ähnlich schon Vernon u. A. thaten — centrifugiert. Die Höhen aller Niederschläge wurden abgemessen, sowohl natürlich desjenigen Niederschlages, der ohne Pepsinwirkung zu Stande kam, wie der anderen, die in Folge der verschiedenen Pepsinmengen sich bildeten. Ein eylindrisches Röhrchen von 3 em Länge und 1,4 em innerer Lichtung ging unter einem Winkel von 22° (bezw. 158°) in einen kleinen Trichter von 1,5 em Länge über, dessen engerer Teil sich in eine geschlossene Glasröhre von 2,5 em Länge und 3 mm innerer Lichtung fortsetzte. Diese triehterförmigen Gefässe wurden also mit den gefällten Flüssigkeiten gefüllt und mit ihren engen Abschnitten nach der Peripherie gerichtet, in die Centrifuge gelegt. Um die Genauigkeit der Methode festzustellen, fällte man saure und alkalische Eiweiss- und Caseinlösungen von bestimmten Con- eentrationen aus, füllte die Centrifugengläschen mit ihnen an und centri- fugierte sie. Esergaben sich unter andern ähnlichen z.B. folgende Zahlen: 4 ecem saure Caseinlösung von 0,3 %/o Aa. . 5 „ 0,3%0 +2 cem 0,1'/oige Salzsäure, ITceme a „ 0,3%o +3 cem 0,1 /oige N 0,5 cem s „ 0,30 + 3,5 cem 0,1 /oige x Ueber Fermentgesetze. 77 werden mit gelbem Blutlaugensalz auseefällt und 8 Minuten centri- fugiert. Die Niederschläge in den Gläschen messen bezüglich 16, 7,75, 4 und 2,5 mm. Es besteht also ziemlich genaue Proportionalität. Zu beachten ist, dass sich die stärkeren Niederschläge schon etwa nach 2—3 Minuten Centrifugierens gesetzt haben, während die schwächeren viel längere Zeit gebrauchen. Die alkalischen Casein- lösungen, mit essigsaurem Natron gefällt, zeigten dieselben Ergeb- nisse. Wir konnten also die Methode als genau genug an- wenden. Statt alle die mannigfachen, vielfach abgeänderten Versuche genau in ihren Einzelheiten zu beschreiben, seien dieselben wiederum in Curven wiedergegeben und nur Folgendes über sie mitgetheilt. Verwendet wurde bei den jetzt mitzutheilenden Versuchen eine Caseinlösung von 0,2°/o in Salzsäure von 0,10. Die Verdauung geschah bei 33° C., und es wurden die Versuche unterbrochen nach 1,25, 2,5,°5,0 und 10,0 Minuten. Im vorliegenden Falle handelte es sich also um vier einzelne Versuche, nicht wie vorhin um einen einzigen. Da die Höhen der ausgefällten Eiweissmengen in den Gläschen ohne Pepsin hin und wieder ein wenig von einander ab- weichen, sind in der vorliegenden Curvenschaar diese Höhen der Eiweissmengen alle auf den gleichen Anfangswerth berechnet, was die Uebersicht der Curven erleichtert und ihren Charakter nicht verändert. Die Curven (s. Fig. 4) lehren nun Folgendes: Lässt man die Verdauung nur kurze Zeit, nämlich 1,25 Minuten, dauern, so besteht Proportionalität zwischen Fermentmenge und verdauter Caseinmenge, und zwar recht genau. Wird die Verdauung nach 2,5 Minuten unterbrochen, so nähert sich die Curve der Parabel und bei noch längerer Dauer haben wir wieder, wie auf S. 73, die stark an- steigenden und dann nahezu horizontal verlaufenden Curven. Ueber- haupt ist so gut wie kein Unterschied vorhanden zwischen den Curven, welche die Verdauung von festem ünd gelöstem Eiweiss anzeigen, allerdings unter der Voraussetzung, dass das feste Eiweiss in kleinen Partikelehen in der Lösung herum schwamm und durch häufiges Umkehren der Gläschen in der Flüssigkeit gleichmässig vertheilt wurde. Dann sind eben die Eiweissstückchen sehr klein und durch die ganze Flüssigkeit vertheilt, wie sie es ja auch nicht viel anders bei dem „gelösten“ Eiweiss sind, nur dass da zu ihrer Wahrnehmung, weil sie eben sehr klein sind, das Ultramikroskop Verdautes Casein L- 78 P. v. Grützner: nöthig ist, im ersten Fall aber unser Auge ausreicht. Auch Sjöqvist hat bei seinen sorgfältigen Untersuchungen denselben Gedanken aus- gesprochen und seine mit. ausgefälltem Eiweiss angestellten Versuche denjenigen von Schütz mit flüssigem Fiweiss nahezu gleichgestellt, was auf Grund meiner Untersuchungen unter gewissen Bedingungen gestattet ist. Verdauung unterbrochen nach: 0,3 Sean 8 16 - Pepsin > Fig. 4. Nimmt man schwächere Caseinlösungen, z. B. von 0,1°o, kann man schon nach verhältnissmässig kurzer Verdauunsszeit eine Parabel oder für gewöhnlich die über der Parabel liegenden Curven erhalten; geradlinige Curven bekommt man nicht zu Gesicht, weil dieses Stadium zu schnell vorbeigeht. Erhöht man die Caseinlösungen auf 0,3 °/o, so erfolgt der Uebergang der einzelnen Curven in einander langsamer. Man bekommt also leichter die ersteren (unteren) Curven zu sehen, wie durch ausserordentlich viel Versuche festgestellt wurde. Dass die grössere Menge des Pepsins den Uebergang der unteren in die oberen Curven ebenfalls beschleunigt, ist ziemlich selbst- verständlich und auch von uns beobachtet worden. b) Schwann’sche Versuche mit Trypsin. Ganz ähnliche Versuche wie mit dem Pepsin wurden nun auch mit Trypsin gemacht. Ich bediente mich hierzu, wie Gross, des Grübler’schen Trypsins und einer Sodalösung von 0,1°/o. Folgende Versuche, die ich wiederum als Beispiele, und zwar in Curvenform anführe, erläutern die Verhältnisse. Minuten +—— Verdautes Casein 0,3%/0 ——> Hr HD DR a9 a © „ oO Dr a 0 Ueber Fermentgesetze. 79 Versuch. Verwendet wurde eine Caseinlösung von 0,30 und verschiedene Mengen einer Trypsinlösung von 0,1 °o nach folgenden Verhältnissen: Gläschen 1 enthielt 4 cem Caseinlös. + 0,8 cem Sodalös. + 0,0 ccm Trypsinlösung 2 4 ” » » » +0,75 „ „or, 2 ” 3 » 4 ” ” +0,72 ” ” at 0,1 2) ” ” 4 » 4 B] n ar 0,6 b) » Ar 0,2 BD) ” ” 5) ” 4 n n a2 0,4 b) br} ar 0,4 n b) ” 6 b) 4 » » ar 0,0 » ” ar 0,8 „ Die Verdauung. geschah bei 33° C und dauerte zunächst 1 Minute. Ein zweiter Versuch mit 6 Gläschen gleicher Füllung wurde abgebrochen nach 5, ein dritter nach 10, ein vierter nach 20 Minuten. Immer nach Beendigung des Versuches wurde das übrige Eiweiss durch 1 ccm Salpetersäure gefällt, die Flüssigkeiten in die Centrifugengläschen gefüllt und ausreichend lange centrifugiert. So lieferte z. B. der erste Versuch folgendes Ergebnis: Gläschen 1 enthielt 18,0 mm Niederschlag, also verdaut 0,0 mm Casein ” & 2 n 17,5 ” ” ” ” 0,5 2 ” ” 3 ” 1 7,0 u N B)] ” 1 ‚0 ” „ ” 4 ” 1 5, 5) n n n ” 2, 5) „ n » ö » 14, 5) ” ” ” ” 3,9 ” ” ” 6 „ 12,0 ” ” ” B)] 6,0 $2) „ Die anderen Versuche lieferten die ihnen entsprechenden Zahlen. Sie alle sind in den nachfolgenden Curven wiedergegeben. Verdauung unterorochen nach: 7» 20 15,0 16 Trypsin Fig. 5. Es genügt, den Leser an die Aehnlichkeit der schon oben die Pepsinverdauung darstellenden Curven zu erinnern. Nur sei bemerkt, dass man bei der Trypsinverdauung im Allgemeinen leichter die an- fängliche gerade Linie erhält als bei der Pepsinverdauung, leicht begreiflich, weil hier die Hemmungen viel geringfügiger sind. Minuten 80 P. v. Grützner: Wenn aber von anderer Seite (s. S. 66) behauptet wird, dass dies regelmässig stattfindet, so kann ich dem nicht beipflichten. c) Sehwann’sche Versuche mit Ptyalin. Die abgebrochenen (Schwann’schen) Versuche mit Ptyalin nahmen wir in folgender Weise vor. Da ich viele Versuche an- stellen musste, bedurfte ich einer einfachen und ausreichend genauen Methode. Ich verwendete wiederum eine colorimetrische, ähnlich der- jenigen, die schon Paschutin!) angewendet und die Kübel?) ent- sprechend modifieiert, unter meiner Leitung ebenfalls für die Unter- suchung der Wirkung von Salzen und Säuren auf das Ferment des Speichels benutzt hatte. Sie beruht darauf, dass unter sonst gleichen Bedingungen eine mit Natron- oder Kalilauge versetzte Lösung von Trauben- oder Malzzucker bei der Erwärmung auf 100° C. um so dunkler wird, je mehr Zucker sie enthält. Ist nur sehr wenig Zucker in Lösung, so nimmt sie ein ganz blasses Gelb an und geht dann mit dem Mehrgehalt von Zucker durch die verschiedenen, immer dunkleren Nuancen von Gelb in ein bräunliches Gelb bezw. Braun über. Nur die anfänglichen Glieder dieser Farbenleiter haben für uns Werth. Handelt es sich bloss um die ersten gelben Farben, so kann man ohne nennenswerthen Fehler sich eines Keilcolorimeters bedienen, aber am besten eines solchen von Glas, weil die Laugen auf die Länge der Zeit auch gute Kitte angreifen. Ich®) habe mir für diese Zwecke ein Keileolorimeter construirt, durch welches man ausserordentlich fein die verschiedenen Concentrationen ablesen kann, ohne sich eine erosse Menge von Reagensgläschen mit den ver- schiedenen Vergleichsflüssigkeiten herzurichten. Man kann dann die Menge des gebildeten Zuckers gut erkennen, indem eben das Gläschen mit doppelt bezw. dreifach so viel Zucker dieselbe Farbe aufweist wie die doppelte bezw. dreifache Schicht derjenigen gefärbten Flüssigkeit, welche die einfache Zuckermenge im Keilglas oder im Reagensglas darbietet. Aber diese Bestimmung 1) V. Paschutin, Einige Versuche mit Fermenten u. s. w. Arch. f. Anat., Physiol. u. s. w. 1871 S. 305. 2) F. Kübel, Über die Einwirkung verschiedener Stoffe u.s.w. Pflüger’s Arch. Bd. 76 S. 276. 1899. 3) Med.-naturwissenschaftlicher’Verein Tübingen. Münchener Wochenschrift N. 14. 1911. Ueber Fermentgesetze. 8l eilt nur in ziemlich engen Grenzen. Werden die Farben eine Spur bräunlich, so gelten diese Beziehungen nicht mehr. Je mehr Zucker nämlich eine Flüssigkeit enthält, um so mehr ändert sich beim Er- hitzen mit Lauge der Charakter der Farbe; es müssen sich wahr- scheinlich andere Körper bilden. Würde sich nämlich bei n-mal so viel Zucker nur n-mal so viel gelber Farbstoff durch die Erhitzung bilden, als bei der einfachen Zuckermenge, so müsste man bei Be- trachtung der verfärbten einfachen Zuckermenge in n-facher Dicke dieselbe Farbe erhalten wie die n-fach so starke Zuckerlösung in einfacher Dieke darbietet. Das ist aber, wie gesagt, nicht der Fall, sondern die n-fach so starke Zuckerlösung, d. h. eben die durch sie erzeugte bräunliche Färbung bei einfacher Schichtdicke ist viel brauner als die n-fach so dieke Schicht der einfachen Zuckerlösung. Die- selbe Aenderung der Farbe kann man auch in umgekehrter Art nachweisen. Wenn man Traubenzuckerlösungen von 0,06—1° in gleicher Art mit Lauge erwärmt und dann durch Hinzufügen. von . Wasser alle Lösungen so stark macht wie die erste schwächste, die etwa ganz blasscelb aussehen mag, so sind die späteren zwar auch gleich hell, aber nicht rein gelb, sondern ein wenig bräunlich. Es ist daher für irgendwie genaue Versuche nothwendig, sich bestimmte Lösungen zu machen, die durch Erwärmung von ver- schiedenen Zuckermengen mit Lauge zu erhalten sind. Diese haben dann genau dieselbe Nuance wie die Flüssiekeiten in dem ent- sprechenden Verdauungsgläschen. ‚Neuerdings haben Bendix und Schittenhelm!) ebenfalls eine der meinigen ähnliche colorimetrische Zuekerbestimmung be- schrieben und sind dabei etwa in folgender Weise vorgegangen. Eine 1°/oige Zuckerlösung bezw. ein ebenso zuckerreicher Harn wird mit Lauge erwärmt. Er giebt in einem Reagensglas von be- stimmter Dicke eine bestimmte gelbbraune Farbe. Ein anderer ebenso behandelter Harn wird in ein gleich weites Gläschen gefüllt und mit dem ersten verglichen. Er ist entweder dunkler, dann enthält er mehr als 1°/o, oder er ist heller, dann enthält er weniger als 1°/o Zucker. Nehmen wir an, er enthielte 2° Zucker, so soll er auf das doppelte Volumen verdünnt, dem Vergleiehsharn von I) Th. Brugsch und Schittenbelm, Lehrbuch thierischer Unter- suchungsmethoden S. 483. 1908. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 6 32 P. v. Grützner: 1°/o Zueker in der Farbe gleich werden. Enthält er bedeutend mehr, so muss der zu untersuchende Harn vorher verdünnt werden u. S. w. Ganz abgesehen davon, dass die Methode wohl nur für solche Flüssig- keiten brauchbar ist und sein soll, die über 1°/o Zucker enthalten, aber nicht für sehr schwache Zuckerlösungen, mit denen wir es wesentlich zu thun haben, so kommt doch in dieser Methode, wenn auch nicht in so hohem Maasse wie bei uns, jene oben erwähnte Eigenschaft des Zuckers in Betracht, welche starke Zuckerlösungen verhältnissmässig zu braun macht, so: dass die Methode nicht genaue Werthe angeben dürfte. Die Verfasser geben an, dass ihre Methode sehr genau und für ihre Zwecke durchaus zureichend sei, was ich ihnen ohne Weiteres glaube, wern sie auch für uns nicht ausreichend ist. Dann möchte ich auf einen Punkt aufmerksam machen, näm- lich auf die angebliche Beständigkeit der 1°/oigen mit Lauge be- handelten Zuekerlösung. Sie soll ihre Farbe im Dunkeln lange beständig halten. Ich kann nur sagen, dass unsere Zuckerlösungen das nicht gethan haben und deshalb immer kurz vor den betreffenden Versuchen neue Vergleichslösungen hergestellt wurden. Ich gehe nun zu den Versuchen selbst über. Verwendet wurde ein 1, 2 oder 3’/oiger Stärkekleister, der möglichst sorgfältig hergestellt und namentlich längere Zeit gekocht worden wär, und menschlicher, mit. Wasser versetzter, filtrierter Speichel. Aus den vielen Versuchen, ‘die im Wesentlichen durchaus die analogen Ergebnisse lieferten, seien folgende kurz mitgetheilt. Versuch, Weizenstärkekleister von 2° wird in 5 Gläschen vertheilt und zu ihnen gesetzt Wasser und Speichel (1 Speickel : 2 Wasser, filtriert) in folgenden Mengen: Gläschen 1 enthält 8,9 ccm Stärkekleister + 0,1 cem Speichel + 1,5 ccm Wasser ” 2 ” 8,9 b) b) 7 0,2 » » st 1,4 b) ” n 3 ” 8,9 ” ” + 04 b) B) Ar 1,2 ” ” ” 4 ” 8,9 » ” ar 0,8 ” ” ar 0,8 ” ” ” ö ” 8,9 ” ” at: 1,6 » ” ar 0,0 ” D) Die Gläschen verblieben zunächst 1 Minute im Wasserbad von 38° C und wurden so schnell als möglich mit je 0,5 cem 10°/oiger Natronlauge versetzt und 3 Minuten in kochendes Wasser gebracht. Die so entstehenden Farben wurden mit einer Farbenscala verglichen, die folgender Weise hergestellt war. In gleich weite Gläschen wie die obigen waren 'Traubenzuckerlösungen von verschiedenem Gehalt gufüllt und gleiche Mengen Natronlauge (je 0,5 ccm Natronlauge von 10 %o) — Zucker 0/0 1,0 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 Ueber Fermentgesetze. 83 hinzugefügt. Nach dem Versenken derselben in kochendes Wasser färbten sie sich blassgelb, gelb, gelbbraun und bräunlichroth und zwar in folgender Art: Gl. 1 mit, 10 ccm Traubenzuckerlös. von 0,06 °0 wird ganz blassgelk, Farbe I, man, 10; 2 „ 0,08% ,„ schwach gelb, He HL; Me 10- a 0,10 rrgelb: ST, N a 2 „ 02% „ dunkler gelb, SaLv, ware 10: n „03.02, noch.dunkleriselb>, V, BR 10. Ike » 04% ,„ noch dunklergelb, „ VI, we 10 >, 5 „ 0,5% ,„ braungelb, ESEL, Bus, 3 "0.000222 dunkler, VIEL, Ol: , 5 „ 0,7% ,„ braunroth, DR, Bel e 10: „ Rn „ 0,8% ,„ etwas dunkler, PREUXE Ben. 10. , s „ 0,9% „ etwas dunkler, DEIRL, lo, 10, 5 SEO Vor stothbraun, =. 1: Die letzten bräunlichen Glieder der Farbenscala sind begreiflicher Weise sehr wenig von einander verschieden, die ersten weichen dagegen sehr bedeutend von einander ab, so dass der Sprung von Farbe II zu III viel grösser ist, als der von X zu XII. Mit diesen Farben wurden nun die Farben der Verdauungs- gläschen verglichen, was sich sehr genau durchführen liess. Dem Versuch 1 folgten 3 andere, in durchaus gleicher Art angestellte, bei denen aber die Verdauung bezüglich 2, 4 und 8 Minuten dauerte. Die Ergebnisse wurden in Curven dargestellt, in welchen wie immer auf der Abseisse die steisenden Fermentmengen und auf den zugehörigen Ordinaten die gebildeten Zuckermengen aufgetragen wurden: Dieselben ergaben sich ohne weiteres aus den betreffenden Farben der Tabelle, bezw. den ihnen entsprechenden Zucker- mengen, Verdauung unterbrochen nach: mine 8 Fo, T B 6 + Ptyalin =% Fio. 6. Die Curven (und ich verfüge natürlich noch über viele ganz ähnliche Versuche) sind,. wie man ohne Weiteres sieht, durchaus ähnlich, ja zum Verwechseln ähnlich den Curven, welche die Be- = &4 P. v. Grützner: ziehungen zwischen «der Menge der peptischen Fermente und ihrer Verdauunesproducte darstellen. Es fragt sich, wie kann man sich den Verlauf aller dieser Curven erklären? Ich glaube folgendermaassen: Dauert also die Verdauung nur ganz kurze Zeit, so besteht zwischen der Menge des Fermentes, und zwar sowohl für Pepsin wie für Trypsin und Ptyalin das Ge- setz der Proportionalität entweder vollkommen oder nahezu voll- kommen. Die n-fache Fermentmenge hat in gleicher und zwar sehr kurzer Zeit die n-fache Menge Substrat verdaut. Die Verdauungs- eurve ist eine Gerade. Es versteht sich dies nach dem, was wir schon von den Wirkungen dieser Fermente wissen, ziemlich von selbst; denn ich konnte zeigen, dass diesem Gesetze sowohl Pepsin wie Trypsin folgen, wenn der Fermentwirkung sich keine Hindernisse entgegensetzen. Das ist nun offenbar in den ersten Stadien der Verdauung der Fall. Die Substratmengen bezw. ihre Oberflächen sind nahezu dieselben geblieben, Zersetzungsproducte haben sich nur in Spuren gebildet; das Ferment hat noch in keiner Weise gelitten. Beginnen aber nach einiger Zeit Hemmungen, so machen sie sich wesentlich bemerklich bei den grösseren Fermentmengen. Daher biest sich die Kurve in ihren späteren Abschnitten ein wenig ab- wärts. Es folgt dann weiter sehr häufig unter den Kurven eine Parabel. Wie kommt nun diese zu Stande? Offenbar dann, wenn ein bestimmtes Verbältniss zwischen den Fermentmengen und den (dureh sie gesetzten Hemmungen besteht, indem diese mit der Grösse der Fermentmengen zunehmen, ähnlich wie ein durch die Luft fliegen- der Körper um so mehr Widerstand findet, je schneller er fliegt. Hemmend wirken bei der Thätigkeit der verschiedenen Fermente mannigfache Umstände. In erster Linie sind es die Verdauungs- produete, welche den Fortgang der Verdauung hemmen, ähnlich wie Lösungen eines Salzes das betreffende Salz, auch wenn es dieselbe Oberfläche behalten mag, immer langsamer auflösen, je mehr schon von ihm aufgelöst ist, vielleicht auch aus anderen Ursachen (Bindung der Säure u. s. f.). Weiter leiden die Fermente, sei es, dass sie allmählich mehr und mehr zerstört werden oder aus sonst uns noch unbekannten Ursachen an ihrer verdauenden Kraft Schaden nehmen. Halten wir uns zunächst einmal an die Verdauungsproducte beim Pepsin. die, wie schon Brücke bekannt war, die Verdauung hemmen, und zwar um so mehr, je grösser ihre Menge ist. Ueber Fermentgesetze. 85 Arrhenius!) hat nun gezeigt, dass, wenn hier direete Propor- tionalität besteht, d. h. wenn die n-fache Peptonmenge n-mal so stark hemmt wie die einfache, dann eine Parabel zu Stande kommt. Diese Annahme ist wahrscheinlich, bewiesen aber ist sie nicht. Gelegent- liche Versuche, die ich über die hemmende Wirkung verschieden erosser Peptonmengen auf Pepsinlösungen machte, zeigten mir diese Proportionalität nicht. Es werden da wohl noch anderweitige Hem- mungen eine ähnliche Gesetzlichkeit zur Folge haben können, so z. B. gelegentlich beim Trypsin; denn bei dessen verdauender Thätickeit hemmen, wie R. Heidenhain?) gefunden hat, die Verdauungsproducte die weitere Verdauung nicht oder, wie neuere Versuche?) gezeigt haben, nur unter ganz bestimmten Bedingungen und jedenfalls nicht in derselben Art und Stärke wie beim Pepsin. Auch fremde Fiweisskörper wirken hemmend und vor allen Dingen die mehr oder weniger starke Zerstörung des Trypsins selbst während der Verdauung, namentlich in der Wärme*). So versteht man, dass auch hier gelegentlich nach einer gewissen Verdauungszeit das Gesetz von Schütz auftreten kann, freilich um sehr bald wieder zu verschwinden und um Curven von ganz anderem Charakter Platz zu machen. Wie man also sieht, und darauf lege ich besonderes Gewicht, ändert sich der Charakter dieser Verdauungseurven von Minute zu Minute bezw. von Stunde zu Stunde. Schon Arrhenius und Sjöqvist erwähnen in ihren Arbeiten etwas Aehnliches. Man hat es aber gar nicht beachtet, obwohl auch ich mich schon mehr- mals auf das Allerbestimmteste dagegen ausgesprochen habe, Pepsin- mengen einfach dem Quadrat der verdauten Eiweissmengen pro- portional zu setzen und zwar noch, wenn man die Mett’sche Methode angewendet hat! Auch Schütz hat bei seinen grund- legenden Versuchen immer nur eine ganz bestimmte Zeit lang ver- daut und auch nur für diese die Gültigkeit seines Gesetzes behauptet; 1) Svante Arrhenius, Über die Schütz’sche Regel u. s. w. Nedde- landen frän k. Vetenskapsakademiens Nobelinstitut Bd. 1 Nr. 9. 1908. (Deutsch.) 2) R. Heidenhain, Beiträge zur Kenntniss des Pankreas. Pflüger’s Arch. Bd. 10 S. 557. 1875. 3) S. G. Hedin, Über verschiedenartige Hemmung der tryptischen Ver- dauung. Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 52 S. 412. 1907. 4) H. M. Vernon, The conditions of action of Trypsin on fibrin. The Journ. of Physiol. Vol. 26 p. 405. 1900—1901. 4— Zersstzter Zucker —> s6 P. v. Grützner: hätte er etwas kürzer verdaut, so wären die grösseren (verdauten) Eiweissmengen für eine Parabel viel zu gross, bei längerer Verdauung viel zu klein ausgefallen. Man darf also, wie auch neuerdings Küttner!) ausgeführt hat, unter keinen Umständen die relativen Pepsinmengen in künstlichen oder natürlichen Magensäften weder nach der Regel von Sehütz, noch nach derjenigen der Proportionalität auswerthen. Wir haben eben keine bestimmten Gesetze betreffend der Wirkung dieser drei Fermente, weil sich in dem Verdauungs- process Hemmungen verschiedener Art einstellen und streng ge- nommen jeden Augenblick ein anderes Gesetz gilt?). Es ist nicht ohne Interesse, diese Beziehungen zwischen Ferment- mengen und zersetzten Substratmengen mit einem anderen kata- lytischen Process zu vergleichen, der einem ganz bestimmten und bekannten Gesetze gehorcht, nämlich der Invertierung des Rohrzuckers durch Säuren. Indem ich auf diese Frage noch später genau ein- zugehen habe, sei hier vorläufig nur so viel erwähnt, dass wenn man gleiche Rohrzuckermengen mit drei verschiedenen Säuremengen be- stimmter Stärke im Verhältniss von 1:2:4 unter sonst gleichen Bedingungen zersetzt und nach 2, 4, S Zeiteinheiten den Process unterbricht, man folgende drei nach unserer Art gezeichnete Curven erhalten würde. Sie sind den Fermenteurven nicht unähnlich. Nach kurzer Zeit nahezu eine Gerade (untere Curve), dann eine der Parabel ähnliche (mittlere) und schliesslich eine anfänglich schnell, dann wenig ansteigende (obere) Curve. 1) 8. Küttner, Über die Volhard’sche Pepsinbestimmung. Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 52 8. 65. 1907. 2) Zu ganz ähnlichen Ergebnissen ist, wie ich erst später sehe, auch Bayliss (The nature of enzyme action 1905 p. 56) gekommen. Auch Percy W. Cobb (The americ. journ. of physiol. Vol. 13 p. 448. 1905) sprieht sich in ähnlicher Weise aus. +—- Rohrzucker ——> Ueber Fermentgesetze. 87 B. Endversuche. I. Endversuche mit gleichen Substrat- aber verschiedenen | Fermentmengen. Ich komme jetzt zu den sogenannten Endversuchen, wie sie wohl Brücke zuerst angestellt hat, indem er die Zeit bestimmte, innerhalb welcher sich möglichst gleiche Fibrinfloeken unter sonst gleichen Umständen durch verschiedene Pepsinmengen vollkommen auflösten. Der "dabei gefundenen Gesetzlichkeiten ist schon oben gedacht. Um die Methode der Endversuche zu beurtheilen, wird es sich empfehlen — wiederum graphisch —, den Verlauf eines solchen Versuches darzustellen, und zwar an Stoffen, an denen diese Vorgänge schon seit langem untersucht und genau bekannt sind, nämlich an der Inversion des Rohrzuckers durch Säuren. ren 2 [Tee DT 50 AEG 8951081: 21971308140 1522167 172.18.2197207:210,22 72324772526 4 Zeiteinheiten > Fig. 8a. t A Bo e) = S S E E vn | | ),; Y) N | 32 eu Irre Y Y DE A 6 7 Il DER 2ER SENAT 56 7 + ———- Zeiteinheiten —> + — Zeiteinheiten ——> Fig. Sb. Fig. Sec. Fig. Sa—c. Wilhelmy’sche Curven mit den Säuremengen 1, 2 und 4. ‚Die vollständige Inversion des Zuckers dauert nahezu 26, 15 und 6, 5 Zeiteinheiten. In der obigen durchaus elementaren Darstellung (s. Fig. 8a) dürften diese Verhältnisse, wie ich glaube, am leichtesten verständ- lieh sein. Wenn auf der Abseisse 0, 1 bis 26 die Zeiten aufgetragen sind und die Ordinate O—1 die Rohrzuckermenge im Anfang des Ver- suches darstellt, so sei, wie dies die polarimetrischen Bestimmungen ergeben, nach einer gewissen kleinen Zeit 0O—4 nur noch die Hälfte 88 P. v. Grützner: des Zuckers, nämlich !/a vorhanden, die andere Hälfte (punctiert ge- zeichnet) ist schon in Rechts- und Linkszucker verwandelt. Nach derselben kleinen Zeit ist diese noch übrige Rohrzuckermenge wiederum von der Säure in gleichartiger Weise angegriffen, d. h. auf die Hälfte vermindert worden. Es bleibt also nur noch !/s des ursprünglichen Rohrzuckers übrig, ?/ı (punetierte Linie) sind invertiert. Und so geht es fort. Nach den weiteren gleichen Zeiten finden wir U/s, Yıs, Ya2, Yes u.s. w. Rohrzucker in der Lösung vor, ”/s, P/ıe u. 8. w. der ursprünglichen Rohrzuckermenge sind invertiert. Wie man also sieht, bilden die übrig bleibenden Zuckermengen einschliesslich der ersten 1, Ye, Ya, Y/s u.s. w. eine unendliche, fallende geometrische Reihe mit den Exponenten !/a, deren Glieder addiert zwar einen end- lichen Werth ergeben, die sich aber doch selbst bis ins Unendliche Tortsetzt. Streng genommen hört also vom rein mathematischen Standpunkt aus dieser Inversionsprocess nie auf; die Curve kriecht in unmittelbarer Nähe der Abseisse bis ins Unendliche fort. Wenn nun auch das Fortschreiten einer Fermentwirkung dem eben erwähnten Vorgang nicht völlig gleicht, so ist es ihm doch vielfach ähnlich, und eben desshalb sind die Endversuche nicht zu empfehlen, weil sie so zu sagen kein Ende haben. Denn wann sind sie vollkommen zu Ende? Das ist eben sehr selten irgend wie genau festzustellen. Viele Stunden lang kann man oft immer noch Spuren von unver- ändertem Substrat nachweisen, dessen Mengen nicht abzunehmen scheinen, wie das namentlich die Curve Fig. 8a zeigt. Und ist schliesslich kein unverändertes Substrat mehr nachzuweisen, so können immer noch ganz geringfügige Spuren vorhanden oder die Umwandlung schon längere Zeit beendet sein. Endversuche sind also grundsätz- ich nicht zu empfehlen. Nichts deste weniger musste ich, sie in den Bereich meiner Untersuchung ziehen, weil Andere. sie angewandt haben, und weil sie vielleicht besondere Eigenschaften der von mir untersuchten Fermente enthüllen konnten. Es waren nun wiederum verschiedene Arten von Versuchen an- zustellen, zunächst solche mit gleichen Substrat- und ver- schiedenen Fermentmengen, und zwar a) wenn die Substrat- mengen fest, b) wenn sie gelöst waren. Beginne ich wiederum mit dem Pepsin, so liegen da genusend Versuche von Brücke, Mayer u.A. vor, denen ich nichts wesent- lich Neues hinzuzufügen habe. Sie zeigen durchweg, dass keine Rede ist von einer Proportionalität zwischen Fermentmenge und Ueber Fermentgesetze. 89 Verdauungsgeschwindigkeit. Die grossen Fermentmenzen bleiben stets ungeheuer zurück, z. B. bei Mayer. Die Pepsinmengen nahmen in einem Versuch zu, wie 1:2:4:8:16, die ihnen entsprechenden Verdauungszeiten dagegen verhielten sich wie 2,8:2,4:1,4:1,.2:1. Verdaut wurden Cylinder von geronnenem Eiweiss, welche etwa die Gestalt von Nudeln, also ziemlich grosse Oberflächen hatten. Diese Thatsachen sind selbstverständlich, weil das Ferment immer nur auf die Oberflächen der Substrate einwirken kann und würden selbst dann in ähnlicher Weise zur Beobachtung kommen, wenn im Ver- laufe der Verdauung sich keinerlei Hemmungen entwickelten, sondern im Allgemeinen Proportionalität zwischen Fermentmenge und Ver- dauungsgeschwindigkeit herrschte. Ist dagegen das Substrat gelöst, so ändern sich die Verhältnisse, und da alle Fermentmolecüle an alle Substratmolecüle herankommen können, nicht bloss an die oberflächlichen, so kann in letzterem Falle auch wirklieh Proportionalität zwischen diesen beiden Grössen nachgewiesen werden. So fand auch Gross!), dass schwache Casein- lösungen bei völliger Verdauung mit Pepsin sich so verhielten. Die Verdauung war für ihn beendet, wenn eine Lösung von essigsaurem Natron keinen. Niederschlag mehr erzeugte. Hierbei fand er, „dass bei Zusatz der n-fachen Menge Magensaft = der Zeit zur Verdauung nothwendig ist“ und schliesst hieraus weiter, „dass das von Schütz aufgestellte Gesetz keine Gültigkeit hat“. Vielmehr gehe auch die Pepsinverdauung sowie diejenige durch Trypsin nach einfachen Pro- portionen vor sich. Nun wie verhält sich die Sache? Indem ich von etwaigen in der Methode selbst gelegenen Ungenauigkeiten ganz absehe, bin ich doch der Meinung, dass sie vollkommen genau genug ist, um diese Frage zu entscheiden; denn die Unterschiede der Zeiten sind eben in dem einen oder in dem anderen Falle so eross, dass auch selbst eine noch viel weniger genaue Methode die Zeiten ungefähr richtig anzeigen müsste. In der That, um hier unsere Versuchsergebnisse vorweg zu nehmen, hat Gross in seiner Behauptung betreffend die Proportionalität 1) ©. Gross, Die Wirksamkeit des Pepsins u.s. w. Berliner klin. Wochen- schrift 1908 Nr. 13. 90 P. v. Grützner: für seine von ihm angestellten Versuche recht; er hat aber unrecht in der Verallgemeinerung ‘dieser Thatsachen. Wiederum seien auf Grund einer grossen Menge von überein- stimmenden Versuchen einige kurz mitgetheilt und in Curven dar- gestellt. Ich beginne mit einem Versuch, der denen von Gross ganz ähnlich ist. Versuch. Es werden in 5 Reagensgläschen vertheilt je 10 cem saure Caseinlösung von 0,1°%o HCl und 0,1 °o Casein, so dass enthält Gläschen 1 10 cem Caseinlösung + 0,1 ccm Pepsinlösung + 1,5 ccm HCl 0,1% ” 2 10 ” ” ap 0,2 » ” ar 1,4 ” ” 0,1 °/o ” 3 10 22) » al 0,4 $) ” di: 1,2 ” b) 0,1 00 410 a +08 „ 5 .0,823,, 350 0,139/0 > 10 9 ” ar 1,6 ” ” As 0,0 ” ” 0,1 %o P>] Die Verdauung wird in einer Temperatur von 33°C vorgenommen. Immer nach gewissen Zeiten prüft man an kleinen, aus den Verdauungsgläschen entnommenen Proben durch Zusatz von einem oder wenigen Tropfen gesättigter Natriumacetat- Lösung, ob noch Fällung vorhanden ist. Es ergiebt sich, dass Gläschen 5 keine Trübung mehr giebt nach 5 Min. ” 4 ” ” ” ” $)] 1 ii ” b7] 3 2) ? ” ” ” 22 ” ” 2 ” ” B>] ” ” 42 » pr] 1 ” ” n ” ” 83 ” Die Verdauungsgeschwindigkeiten verhielten sich also in runden Zahlen wie 1:2:3,8:7,5:16,6, also nahezu wie die Pepsinmengen. Ich lasse nun, aber bloss in Curven, weil die Ausführung der Versuche durchweg gleichartig war, noch fünf Versuche folgen, bei denen jedoch die Caseinmengen folgende Concentrationen aufwiesen, nämlich 0,15, 0,2, 0,3, 0,5, 1,0°o. Die Pepsinmengen waren ver- hältnissmässig die gleichen, aber stärker als im vorigen Versuch; trotzdem dauerten die Versuche jetzt viel länger. Z. B. bei 0,15°/o Casein bzw. folgende Zeiten 6, 10, 16, 25, 46 Min. 2 Vo { | „8218.80: 47, 8 5 0,3% 5 : ! 9846, 74.108.155 05 00 \ 2 - 78 102,195, 271.300 1.0.00 ©, ä : „182, 259, 386,516, 681 _ Die Curven sind in anderer Art gezeichnet wie die im ersten Abschnitte dargestellten. Die Abseisse stellt zwar wie in den ersten Curven die steigenden Fermentmengen dar, die Ordinaten Geschwindigkeit + Ueber Fermentgesetze. 91 aber die verhältnissmässigen Verdauungsgeschwindigkeiten, die kleinste immer auf 1 reduziert. Die oberste Curve, welche die Verdauung von 0,1°/oiger Caseinlösung anzeigt, ist nahezu eine gerade Linie; je mehr die zu verdauenden Lösungen Casein ent- halten, um so mehr krümmen sich die Curven abwärts, wobei auch wiederum bei einem Caseingehalt von 0,5°/o im Anfang eine parabel- ähnliche Curve auftritt. 8,10 % Gasein 16 15 4 10 > Ph £ 13 B 12 EG i x : | + | 7 | 10 Di | 9 v2 | 8 7 | 0.45% | 7 r 0,20%) = : ae ee AB ; N 0,30%! & £ i b ’ (>) 5 u Di De 0,50 % | Fa sarn Be ar. 4 | Ä N ne [2% 4% y h as ? 2 | | | ESS EEE NN RE 0 8 18 Gr Pepsin = > Fig. 9. Die Ursachen dieser typischen Erscheinung sind mutatis mutandis in denselben Umständen zu suchen, welche wir bereits oben S. 22 besprochen haben. In dünnen Substratlösungen treten keine oder so gut wie keine Hemmungen auf, daher direkte Pro- portionalität zwischen Fermentmenge und Verdauungsgeschwindig- keit. Je grösser aber mit den steigenden Substratmengen die Hemmungen werden, um so mehr krümmen sich die Curven ab- wärts, d.h. um so verhältnissmässig langsamer gehen bei stärkeren Fermentlösungen die Verdauungen vor sich, also wiederum eine 99 P. v. Grützner: unendliche Menge von „Gesetzen“. Denn es sei bemerkt, dass nicht bloss jede der sechs Curven von der anderen verschieden ist, son- dern dass auch eine und dieselbe Curve ihren Charakter verändert, 7. B. ungefähr als Neil’sche Parabel beginnt und als Apollo nius’sche Parabel aufhört. Wir wenden uns zu dem Trypsin, mit welchem auch Gross ähnliche Endversuche wie mit dem Pepsin gemacht hat. Er findet bei der Verdauung von 0,1P/oiger Caseinlösung in schwacher Soda- lösung das Gesetz von der Proportionalität zwischen Fermentmenge und Verdauungsgeschwindigkeit, eine Angabe, die Palladin und ich bestätigen konnten. Wie steht es aber, wenn die zu verdauenden Caseinmengen grösser werden, wenn man Caseinlösungen von 0,15 /o—1°/o anwendet? Nun da zeigen sich ganz merkwürdige und beachtenswerte Ergebnisse. Wiederum statt vieler Versuche eine kurze Zusammenstellung von verschiedenen in Form von Curven. Zunächst ein Beispiel von der Proportionalität. Versuch. Verwendet wird 0,1P/oige Caseinlösung in 0,1%oiger Sodalösung und 0,1%oige Trypsinlösung. Verdauung bei 33° C. Glas 1 enthält 15 cem Caseinlös. + Trypsinlösung 0,1 cem + 1,5 ccm Sodalösung eelore 2 + S 02, eds, 5 ie BE 5 - S 04 „ +12, LE en 152, = + E 0,802,:. 20,95 5 „8m 2:18, Det: » 16 „ +00 „ n Glas 5 hat die Verdauung beendet nach 6 Min. ” 4 ” ” ” ” ” 12 ” ” 3 7 „ n ” ” 24 ” n 2 n ” ” bu) ” 50 ” 2 il BJ ” ” ” 7 95 » Die Curve verläuft nahezu geradlinig, so wie es auch Gross gefunden hat. Versuch. Zu den vier, durch die Curven dargestellten Versuchen (Fig. 10) wird ver- wendet eine 0,5%/oige Trypsinlösung und Caseinlösungen von 0,1, 0,15, 0,2 und 0,3°/0 Casein. Die Verdauung geschieht bei 38° C. Es werden durchweg ge- braucht sechs Gläschen, gefüllt mit je 15 ccm Caseinlösung und 0,1, 0,2, 0,4, 0,8 und 1,6 ccm Trypsinlösung sowie ein fermentfreies Gläschen, alle auf die gleiche Menge Flüssigkeit ergänzt. Ueber Fermentgesetze. 93 Die Verdauung war vollendet im ersten Versuch (0,1°%o Casein und den Fermentmengen 1—16) bzw. in 148, 77,39, 19 und 9 Minuten im zweiten Versuch (0,15°/0 Casein) bzw. „ 359, 151, 72,35 „ 12 „ Men. , .02 0% 5 8, „528, So: een ,„..08% °,.),% „. 1440, 608, 277,98. , 4 ., In Figur 10 sehen wir die verhältnissmässigen Gesehwindig- keiten eines jeden Versuches dargestellt. Bei sehr wenig Casein besteht die schon öfter erwähnte, von Gross festgestellte Gesetz- lichkeit, nämlich Proportionalität zwischen Fermentmenge®und Ver- dauungsgeschwindigkeit. Je grösser aber die Substratmengen werden, um so mehr weichen die Curven von der geraden Linie ab und wenden, gerade entgegengesetzt wie beim Pepsin, ihre Convexität der Abseisse zu. Wir werden versuchen, weiter unten die Erklärung dieses merkwürdigen Verhaltens zu geben. 0,3% Y 34 : Gasein | 32 30 0,2% 28 / Casein 26 0,15% 24 Gasein 22 7 0,16% I Casein Geschwindigkeiten je [0 +) 12 | 10 8 6 4 2 v OD Sa AR Sn 01280 2 95102211771278137214221557716 d— ——————— — Tiypsin — —— + Fir. 10. Es sei erwähnt, dass die verschiedenen Zeiten, bzw. Geschwindig- keiten nicht immer ganz genau dem Verlauf der Curven entsprachen, 94 P. v._ Grützner: so dass wenn man diese hätte genau zeichnen wollen, sie sich hin und wieder am Anfang geschnitten hätten. Wie schon öfter erwähnt, ist man meines Erachtens ganz ausser Stande, immer genau den Abschluss eines Versuches zu bezeichnen. Im Ganzen ändert sich durch diese kleinen Unregelmässigkeiten der allgemeine Zug der Curven nicht. Die gezeichneten Punkte entsprechen natürlich immer genau den sefundenen Zeiten. Wo sie aber, wie am Anfang, an einigen Stellen übereinanderfallen oder die Zeichnung gestört hätten, sind sie weggelassen. Schliesslich seien die Endversuche mit dem Ptyalin mit- getheilt. Wir beschreiben zunächst einen Versuch mit ganz dünnem Stärkekleister von 0,07 /o. Versuch. Es kommen zur Verwendung 5 Concentrationen von menschlichem Speichel, der mit gleichen Theilen Wasser verdünnt und filtriert ist. Die Verdauung ge- schieht bei 38°C. Es werden in 5 Reagensgläschen vertheilt je 10 ccm Stärke- kleister von 0,07°/o, so dass enthält Gläschen 1 10 ccm Stärkekleister + 0,1 ccm verd. Speichel + 1,5 ccm Wasser, > 80100, & +02,» ed, » „ 3 10 n ” ie 0,4 n ) ” Sir 1,2 ” ” ” 4 10 ” ” 5 0,8 ” ” ” a 0,8 ” ” ” 5 10 ” 2 = 1,6 2 ” ” Ar 0,0 ” 2 Nach verschiedenen Zeiten, deren ungefähre Grössen man schon aus früheren Versuchen kannte, werden aus dem Gläschen 5, dann aus Gläschen 4 usw. kleine Proben abgegossen und diese mit ein Paar Tropfen schwacher Lugol’scher Lösung (100 ccm Wasser, 2 g Jodkalium, Jod bis zur Sättigung, auf das zehnfache verdünnt) versetzt. Anfänglich wird die Flüssigkeit blau, dann blauviolett, weiter rosa und bleibt schliesslich, indem das Rosa immer blasser und blasser wird, nahezu farblos. Wenn diese Farblosigkeit erreicht ist, wird die Reaction als beendet angesehen. Gläschen 1 zeigte diese Reaction nach 160 Min. n 2 n n ” ” &0 ” ” 3 N ” n n 40 » n 4 ” ” ” 2» 20 ” ” ö ” ” ” ” 10 ” Die Proportionalität zwischen Fermentmenge und Verdauungs- geschwindigkeit ist eine überraschend genaue. Es ist sehr leicht, sich von dieser genauen Gesetzlichkeit bei sehr schwachen Stärke- Ueber Fermentgesetze. 95 lösungen zu überzeugen, die noch viel schwächer sein können als obige. Wir beobachteten sie herab bis 0,025 %/o Stärke. Verwendet man aber etwas stärkere Amylumlösungen, so wird die Verdauung bedeutend und schon bei Lösungen von etwa 0,5 /o so bedeutend verlängert, dass man irgendwie genaue Versuche gar nicht mehr anstellen kann. Zudem senkt sich bei längerer Dauer der Versuche, während deren die Gläschen ruhig in dem warmen Wasser stehen, die Stärke offenbar zu Boden und entzieht sich so theilweise der Wirkung des Fermentes. Es ist nicht unwahrseheinlich, dass, wenn die Gläschen während des Verdauungsvorganges an- dauernd bewest würden, die Versuche viel kürzere Zeit dauerten. Ich hatte keine Zeit und Gelegenheit, Versuche in dieser Art aus- zuführen. Folgende Versuche seien mitgetheilt. Versuch. Anordnung im wesentlichen wie oben, aber mit Stärke von 0,136°%o. Bei dem längeren Kochen des Stärkekleisters war diese Concentration durch Ver- dunstung des Wassers entstanden. Gläschen 1 mit dem schwächsten Ferment- gehalt war mit seiner Verdauung noch nicht fertig nach 2 Stunden, Gläschen 2 dagegen nach 85 Min. 5) „ > ” » 60 ” P 7 4 „ b) 35 ” ) „ „ 25 ” Die Verdauungsgeschwindiskeiten in den Gläschen 2—5 würden sich also verhalten bzw. wie 1:1,4:2,3:3,4. Die Curve wäre also wie die analogen Pepsinkurven nach unten concav. Versuch. Ein dritter Versuch, bei welchem genau 0,1 /oiger Stärkekleister verwendet wurde, zeigte folgende Verhältnisse. Alles übrige wie in vorigem Versuch. Anderer Speichel. Gläschen 1 mit Ptyalingehalt 1 war fertig nach 430 Min. ” 2 Pr) ” 2 ” ” n 225 n ” 3 n Pr] 4 ” B2) ” 120 ” ” 4 ” » ) ” b2] » 69 ” ” d ” 2” 1 6 ” n n 30 ” Die entsprechenden Geschwindigkeiten waren also 1, 1,91, 358, 6,62, 12,28. Die zugehörige Curve hätte also folgende Gestalt: sie biegt sich, wenn auch nicht so bedeutend, wie bei dem Pepsin nach abwärts. Die Curve vom ersten Versuch (S. 94) mit 0,07% ist eine gerade (s. Fig. 11). + —— Geschwindigkeit —— 96 P.'v. Grützner: 0 1 22 4 8 16 az Ptyalin — > Fig. 11. Fassen wir hiernach die Endversuche mit gleichen Substrat- und verschiedenen Fermentmengen für das Pepsin, Trypsin und Ptyalin zusammen, so besteht bei allen drei Fermenten Proportionalität zwischen Fermentmenge und Verdauungsgeschwindigkeit, sobald die Substratmengen sehr klein sind, wie sie es in den Versuchen von Gross bei Trypsin und Pepsin waren. Werden aber die Substrat- mengen grösser, So brauchen die grösseren Fermentmengen mit Ausnahme des Trypsins verhältnissmässig viel längere Zeit. Trägt man daher die Fermentmengen auf die Abseisse auf und die Ver- dauungsgeschwindigkeiten als ÖOrdinaten, :so krümmen sich die Curven nach abwärts und zwar am meisten beim Pepsin, viel weniger beim Ptyalin. Bei dem. Trypsin aber krümmen sie sich nach auf- wärts; sie sind convex nach der Abseisse zu. Dabei ist noch, wo- rüber aber keine besonderen Versuche mitgetheilt sind, zu er- wähnen, dass, je grösser die Fermentmengen überhaupt werden, die Proportionalität um so länger besteht, d. h. bei um so grösseren Substratmengen. Sind die Fermentmengen klein, wenn sie sich auch zu einander: verhalten wie 1:2:4:8:16, so muss auch die Substratmenge sehr klein sein, damit Proportionalität zwischen Fermentmenge und Verdauungsgeschwindigkeit besteht. Sind da- gegen die Fermentmengen durchweg grösser, so bleibt die Propor- tionalität auch bestehen bei grösseren Substratmengen. Im Anschluss an alle diese Thatsachen sei aber auf folgenden Umstand ganz besonders hingewiesen. Gross schliesst aus seinen Endversuchen mit dem Pepsin und dem Trypsin, dass für beide Fermente das Proportionalitätsgesetz und nicht das Quadratwurzel- gesetz Gültigkeit habe. Wie schon oben erwähnt, gilt diese Be- hauptung nur bei sehr geringen Substratmengen. Aber auch wenn +—— Verdautes Eiweiss ——— Ueber Fermentgesetze. 97 sie für grössere Substratmengen gelten würde, d.h. wenn durchweg bei Endversuchen die n-fache Fermentmenge die n-fache Ver- dauungsgeschwindigkeit aufwiese, so könnte doch nebenher auch das Gesetz von Schütz gelten; denn dieses Gesetz besteht immer nur eine ziemlich kurze Zeit, was Gross nicht berücksichtigt hat. Folgende Curven (s. Fig. 12) veranschaulichen diese Verhältnisse in übersichtlicher Weise. Auf der Abseisse seien die Zeiten auf- getragen und die zugehörigen Ordinaten zeigen die Mengen der aufgelösten Substratmengen. Die Fermentmengen verhalten sich wie 1:4:9. Es habe ferner die Fermentmenge 1 sechzehn Zeiteinheiten zur vollständigen Lösung des Substrates gebraucht, die Ferment- > menge 4 nur Z die Fermentmenge 9 aber E Zeiteinheiten. Es hätte also die von Gross beobachtete Proportionalität zwischen Fermentmenge und Verdauungsgeschwindigkeit bestanden. Zugleich hätte aber sehr gut auch das Gesetz von Schütz, natürlich nur eine cewisse Zeit lang, bestehen können. Denn wenn man den Versuch in einer bestimmten Zeit unterbricht, wie es ja bei dem Nachweis dieses Gesetzes geschehen muss, z.B. nach der Zeit 0A oder nach der Zeit OB, so kann der Verlauf der Curven sehr wohl so sein, dass AA, = A, Ag — A,A; und BB, — B,b, == B,B, sind, d. h. dass von den Fermentmengen 1, 4, 9 bezüglich die Substratmenzen 1, 2, 3 in den genannten Zeiten verdaut worden sind, während die Zeiten bis zur völligen Verdauung sich wie 1: !/4:!/s verhalten. ‚„2damml ‚+ Sermul Ai B2 Ha: 8 16" e—— — — — — — — — — — — Foiefihailiem — TA Bio212: Fragen wir uns, wie diese bis zu Ende fortgeführten Zer- setzungen von Substraten durch verschiedene Fermentmengen sich verhalten zu ähnlichen Zersetzungen des Rohrzuckers durch verschieden grosse Säuremengen, so weichen jene Vorgänge weit Pflüger ’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 7 = --> 1 Tummk. 98 Apaa, Grützner: von einander ab; denn obwohl eigentliche Endversuche mit Zucker- lösungen wohl kaum gemacht worden sind, so würde doch nach dem Wilhelmy’schen Gesetz Proportionalität zwischen Ferment- menge und Verdauungsgeschwindigkeit, sowie zwischen Säuremenge und Inversionsgeschwindigkeit bestehen müssen natürlich nur innerhalb gewisser Grenzen (Ss. S. 87 u. 114). Daran ist aber bei den Fermenten gar nicht zu denken. Nur bei sehr schwachen Substrateoncentrationen findet diese Proportionalität statt und zwar bei dem Trypsin und dem Ptyalin, am wenigsten beim Pepsin, wo bei geringer Steigerung der Substrateoncentration diese sogleich durch mehr Ferment ver- hältnissmässig viel zu langsam verdaut werden. II. Endversuche mit gleichen Ferment- und verschiedenen Substratmengen. Gross hat wie kein Anderer seine quantitativen Fermentver- suche mannigfach variiert. So hat er in zweiter Linie wenigstens beim Trypsin gleiche Fermentmengen auf verschiedene Caseinmengen wirken lassen und dabei das Gesetz gefunden, dass zur Verdauung der n-fachen Caseinmenge (angewendet wurde eine Caseinlösung von höchstens 0,09 °/o) auch die n-fache Zeit nöthig sei. Auch ich habe diese Versuche wiederholt, aber wie oben die Versuchsbedingungen erweitert und beeinne mit der Schilderung der Pepsinversuche. Versuch. Es werden in 5 Gläschen vertheilt gleiche Mengen saurer Caseinlösungen von 0,1% HCl und 0,04, 0,08, 0,12, 0,16, 0,2°0 Casein und gleiche Pepsin- mengen. Die betreffenden Lösungen sind bei 38° C verdaut nach 14, 56, 132, 248 Minuten. Inhalt von Gläschen 5 war noch nicht nach 342 Minuten verdaut. Aber selbst, wenn man viel schwächere Caseinlösungen ver- wendet, wie z. B. in den folgenden Versuchen, brauchen die stärkeren von ihnen doch verhältnissmässig viel längere Zeit zur völligen Ver- dauung als die schwächeren. Versuch. Es werden Caseinlösungen von 0,02, 0,04, 0,06, 0,08, 0,1°/o in gleicher Weise behandelt, und sie sind verdaut bzw. nach 4, 10, 16, 39, 86 Minuten oder in einem weiteren Versuch Caseinlösungen von 0,01, 0,02, 0,03, 0,04, 0,05°o nach 1, 2, 4, 9, 15 Minuten. Die nebenstehende Fig. 13 giebt diese Verhältnisse der drei Versuche an- schaulich wieder. Auf der Abseisse sind die verhältnissmässigen Caseinmengen verzeichnet, während die zugehörigen Ordinaten (der Einfachheit halber) die Verdauungszeiten, nicht die Verdauungsgeschwindigkeiten wiedergeben. Ueber Fermentgesetze. Macht man einen ganz ähn- lichen Versuch mit Trypsin, so zeigt sich, wie schon Palladin in Bestätieung der Versuche von Gross feststellen konnte, Pro- portionalität, indem die n-fache Caseinmenge bei gleicher Fer- mentmenge die n-fache Zeit zur völligen Verdauung braucht. Allerdings müssen die Casein- lösungen ausserordentlich schwach sein; bei Gross hielten sie sich in den Grenzen von 0,03 bis 0,09 %. Folgender Versuch zeiet das characte- ristische Ergebniss. Versuch. Verwendet wird als Stammlösung eine Caseinlösung von 0,1°/o in Soda- lösung von 0,1% und eine Trypsin- lösung in der gleichen Flüssigkeit von 0,1 °%o. gläschen ohne Ferment. Min. A Zeit 99 Gaseinlösuny 260 60,2% 2u8 Gaseinlösung 54 0,1% fr | Gaseinlösung bi 0,05% + ————— (asein Fig. 13. Die Verdauung erfolgt in 5 Gläschen bei 33°C, Nr. 6 Probe- Die Gläschen enthalten folgende Flüssigkeiten: 5 on voS [=] Glas | 32 |#22| 32 | 2 le ee ccm | ccm 0/9 cem ı | 2! s | 002 105 | Glas 1 hat die Verdauung nach 7 Min. beendet 2 4 6 0,04 ar $) 2 » $)) Br) >) „ ” > 6 4 0,06 Tim ) 3 B>) » „ b)] 22 B)] n 4 8 2 100222 Senn, h Mol, n Stoll. 0 — rn a SSH, n 6 10 0 0,1 (0) Es besteht also wie bei Gross nahezu Proportionalität. Werden dagegen die Caseinmengen vergrössert, so bleiben die grösseren Mengen in ihrer Verdauung um so mehr zurück, je grösser sie sind, ähnlich wie dies beim Pepsin durchweg der Fall ist. [uk 100 P. v. Grützner: Versuch." Zur Verwendung kommt eine 0,15°%/oige Caseinlösung in derselben Flüssig- keit wie im vorigen Versuch. Auch sonst ist die Anordnung die gleiche. Die prozentischen Caseinlösungen betragen 0,03, 0,06, 0,09, 0,12, 0,15°0. Die Zeiten, en, nach welchen die Verdauung beendet #360 Caseinlösung war, betrugen bezüglich 12, 32, | 909di#02% 51, 93, 128 Minuten. In einem a weiteren 320 Versuch , N bei welchem eine Caseinlösung von 0.2°/o verwendet wurde, in dem also 280 die Caseinlösungen waren 0,04, 0,08, 0,12, 0,16, 0,2%, betrugen die Ver- 260 dauungszeiten bezüglich 19, 57, 105, ah 208, 349 Minuten. Stellen wir diese drei Versuche 90 wieder in Kurven dar (s. Fig. 14), so übersieht man sehr gut das ge- 200 waltige Ansteigen der Verdauungszeit = bei grösseren Substratmengen. Nur bei sehr schwachen Caseinlösungen | 160 sind die Verdauungszeiten den Sub- stratmengen proportional und neben- 140 Caselnlösung bei bemerkt auch nur beim Trypsin. 29 Si 0,15% 2 $ i Ä 120 Aehnlieh verhält sich die u Sache bei dem Ptyalin. Nur 9 muss man ausserordentlich co schwache Stärkelösungen ver- 5 wenden, um überhaupt zu einem | 50 Caselntäsundp) Frgebniss zu kommen. Denn 2 33640,1% irgendwie stärkere Substrat- 20 lösungen brauchen zur voll- \ı n ständigen Umwandlung so viel Zeit, dass man die Endreaction a rn „gar nicht erleben“ kann, ganz Fig. 14. 2 abgesehen von den sich dann wahrscheinlich einschleichenden Fehlern (s. S. 95). Foigende Versuche belehren uns über diese Verhältnisse. Versuch. 0,2 ccm von dreifach mit Wasser verdünntem menschlichen Speichel werden in folgender Art mit verschieden dünnem Stärkekleister versetzt. Verdauung in 330 C. Schlussreaction mit schwacher Lugol’scher Lösung (s. S. 94). Die Gläschen enthalten: Ueber Fermentgesetze. 101 %9j 3 Glas ge Wasser | Stärke | Speichel ccm ccm 0/0 ccm il 2 8 0,02 0,2 hat verdaut nach 9 Min., 2 4 6 0,04 — H 2 3 2, 3 6 4 0,06 — es r s 155 4 8 2 0,08 _ noch nicht fertignach 204 5 10 0 0,1 —_ Der Versuch musste abgebrochen werden. Ein zweiter Versuch, welcher wieder vorhergehende, aber mit viel geringeren Stärkemengen, nämlich mit 0,01, 0,02, 0,03, 0,04, 0,05 °/o angestellt warde, ergab folgende Verdauungs- zeiten, nämlich 3, 19(?), 29, 67, 133 Minuten, und ein dritter Versuch, in welchem die Stärkemengen noch kleiner gewählt wurden, nämlich 0,005, 0,01, 0,015, 0,02, 0,0250, zeigte die Verdauungszeiten: 1, 3, 10, 19, 45 Minuten. Es ist höchst merkwürdig, dass diese Curven aus den letzten beiden Versuchen nahezu dieselben verhältnissmässigen Anstiege zeigen. Denn wenn auch die Zeitangaben über die Schlussreaetionen nicht Min . .. 150 . Stärkelösung bis 0,05% 140 133 129 100 0 60 Stärkelösung bis 0,025 % 40 20 10 v 4———_ Stärke — Fig. 15. 102 P. v. Grützner: genau sind und nicht genau sein können, so ergeben sie doch un- zweifelhaft, dass die grösseren Stärkemengen verhältnissmässig viel mehr Zeit zur Verdauung gebrauchen, als die kleineren. Fragen wir auch hier wiederum, wie stellen sich diese Thatsachen zu der Inversion des Rohrzuckers? Nun es ist unzweifelhaft, dass diese beiden Vorgänge weit auseinander gehen. Obwohl mir keine be- sonderen Versuche über die Inversion des Zuckers ähnlich unseren oben geschilderten Versuchen bekannt sind, also Versuche derart, dass verschiedene Zuckermengen durch gleiche Säuremengen unter sonst ganz gleichen Bedingungen invertiert werden, so muss doch, wenn die Wilhelmy’schen Versuche und die aus ihnen gefolgerten Gesetzlichkeiten gültig sind, es nicht viel Unterschied machen, ob eine grössere oder kleinere Zuckermenge durch die gleiche Säure- menge invertiert wird. Sieht man doch auch in den Curven (Fig. 8) wie ganz verschiedene Zuckermengen in immer gleicher Zeit auf die Hälfte vermindert werden, während bei den Fermenten die Menge des Substrates ungemein ins Gewicht fällt. Bei dem Trypsin z. B. müsste — so weit ich sehe — die der Wilhelmy’schen ent- sprechende Curve ihre Concavität nach der Abseisse kehren; denn die Hälfte Substrat braucht unter sonst gleichen Umständen (bei gleicher Fermentmenge) ja immer nur die Hälfte der Zeit zur völligen Verdauung (s. Versuch S. 99). Ill. Endversuche mit gleichen Substrat- und Fermentmengen, aber verschiedenen Flüssigkeitsmengen. Auch hierüber hat Gross Versuche mit dem Trypsin und schwachen Caseinlösungen angestellt. Ich habe diese Versuche wieder- holt, habe aber nicht dieselben Ergebnisse erhalten wie Gross, welcher in allen Gläschen nach derselben Zeit die Verdauung voll- kommen beendet fand. Vielmehr blieben bei uns die concentrierteren Flüssigkeiten in der Verdauung zurück, so weit man dies beobachten konnte. Brachte man freilich nach gleieh langer Verdauungszeit alle Flüssigkeiten auf das gleiche Volumen, wie es Gross gemacht zu haben scheint, so konnte man einen Unterschied dureh Fällung nicht mehr wahrnehmen. Es wäre also möglich gewesen, dass bei Gross die verdünnten Flüssigkeiten durchweg sehr wenig, aber nirgends nachweisbare Mengen von unverdautem Casein enthalten hätten. Bei dem Pepsin, mit welchem Gross nicht experimentirt hat, konnte man übrigens auch trotz gleichmässiger Verdünnung deutlich Ueber Fermentgesetze. 103 sehen, dass die concentrirteren Lösungen in der Verdauung zurück waren. Verdünnte man die Lösungen aber nicht, so war der Unter- schied natürlich ausserordentlich gross. Die concentrierteren gaben noch starken Niederschlag, die dünnen dagegen keinen. Bei den zwischenliegenden Lösungen nahm der Niederschlag von den dünneren nach den eoncentrierteren allmählich zu. Aehnlich dem Pepsin verhielt sich auch das Ptyalin. Wurde z. B. nach einer bestimmten Zeit der Versuch unterbrochen, so färbte sich das erste Glas, welches die stärkste Concentration, also die kleinste Flüssigkeitsmenge enthielt, mit Lugol’scher Lösung bläu- lieh, das nächste schwachviolet, dann die anderen blassrosa, die beiden letzten blieben farblos. Auch diese ganze Versuchsart bietet mancherlei Interesse und kann vielleicht, weiter verfolet — wozu mir damals die Zeit fehlte — Aufschlüsse über die Wirkungen der Fermente geben. Es giebt bekanntlich einen chemischen Paradeversuch von Landolt!), in welchem Jodsäure durch schweflige Säure bei Anwesenheit von Stärkekleister zersetzt wird. Die Zersetzung dauert eine gewisse Zeit, und in dem Augenblick des Rintretens, d. h. also in dem Augen- blick, in welchem Jod frei wird, wird plötzlich die ganze Masse blau. Man kann diesen Moment je nach den Concentrationen der Flüssigkeiten, der Temperatur u. s. w. voraus bestimmen. Tritt nun die Reaction in dem voraus gesagten Augenblick, etwa bei einem bestimmten Metronomschlag ein, so ist dieses plötzliche Blauwerden der Flüssigkeit im höchsten Maasse überraschend. Aber hier scheint das Entgegengesetzte stattzufinden, wie bei den Fermenten. Denn Landolt sagt, dass „bei gleichbleibenden Verhältnissen zwischen Jodsäure und schwefliger Säure der Zeitpunkt des Beginnes der Jodabscheidung unter Anderem auch abhängt von der Wassermenge, bezw. von der Concentration der Mischung. Je kleiner die letztere ist, desto mehr verlangsamt sich der Eintritt der Reaction.“ Hier werden also, was ja an und für sich sehr wahrscheinlich ist, die auf einander wirkenden Molecüle durch viel Wasser von einander entfernt und in ihrer Wirkung abgeschwächt; bei den Fermenten aber findet das Entgegengesetzte statt, so weit wir 1) H. Landolt, Ueber die Zeitdauer der Reaction u. s. w. Berichte d. deutsch. chem. Gesellsch. Jahrg. 19 S. 1317. 1886, und Jahrg. 20 8. 745. 1887. 104 P. v. Grützner: wenigstens bis jetzt gesehen haben. Vielleicht lassen die Substrat- ınengen, weil sie Colloide sind, die Fermentmoleeüle nicht so sehr an sich heran, sobald sie etwas dichter an einander gelagert sind. C. Fortschrittsversuche. Wie oben erwähnt, hat Wilhelmy zuerst das Fortschreiten des Prozesses der Rohrzuekerumwandlung durch Säure in Rechts- und Linkszucker studiert, indem er die Flüssigkeit auf ihre Drehung untersuchte. Das hierbei gefundene Gesetz, dass die Geschwindig- keit der Umsetzung immer proportional ist der noch vorhandenen "Rohrzuckermenge, habe ich oben auseinandergesetzt und durch Curven (s. Fig. 8a, b, e) erläutert. Es fragt sich, wie verhalten sich in (dieser Richtung die von uns untersuchten Fermente? arbeiten sie wie die Säuren am Zucker oder anders? Vorweg sei erwähnt, dass, wenn es sich um verschiedene Fermentmenzen handelt, man über- haupt von einem einheitlichen Gesetz, welches den ganzen Prozess der Verdauung hindurch, wie bei der Zuckerinversion, dauert, nicht sprechen kann; denn im Anfang eines jeden Verdauungs- prozesses, wie wir oben gezeigt haben, herrschen andere Ge- setze als in der Mitte oder am Ende desselben. Im Anfang kann Proportionalität zwischen Fermentmengen und Verdauungsgeschwindig- keiten bestehen, wie beim Zucker; dann kann kurze Zeit das Gesetz von Schütz auftreten und schliesslich einem oder mehreren anderen Platz machen. Von einem Fermentgesetz, welches für das Pepsin, Trypsin oder Ptyalin gilt, darf man also überhaupt nicht sprechen. Man kann nur sagen, dass unter gewissen Bedingungen, wobei die Mengen des Fermentes und die des Substrates die grösste Rolle spielen, eine gewisse Zeit lang dieses oder jenes Gesetz herrscht. Dies rührt, wie schon mehrfach betont, eben daher, dass die Fer- mente während und durch ihre Thätiekeit sich selbst Hindernisse in den Weg legen. Am bedeutendsten ist dies offenbar bei dem Pepsin der Fall. Sjögqvist, welcher, soviel ich weiss, allein dieser Frage näher getreten ist, giebt allerdings an, falls ich ihn richtig verstehe — denn er macht eine falsche Angabe über das an- gebliche Gesetz von Brücke (s. S. 65) —, dass er während einer bestimmten mittleren Zeit der Verdauung das für die Inversion des Rohrzuckers geltende Gesetz auch für das Pepsin gültig cefunden habe, in einer früheren Zeit aber seien die von den grösseren Pepsin- Ueber Fermentgesetze. 105 mengen verdauten Eiweissmengen hinter den Fermentmengen be- deutend zurückgeblieben, so dass Annäherungen an das Gesetz von Sehütz vorliegen dürften. Vortrefflich für diese Fortschrittsversuche eignen sich meine eolorimetrischen Methoden, da man nicht, wie bei allen andern Methoden, die Versuche in gewissen Zwischenräumen unterbrechen und den Fortgang der Verdauung, d. h. die Menge der gebildeten Verdauungsproducte, durch mehr oder weniger complicierte Methoden feststellen muss. Wenn man in meinen Versuchstabellen (s. S. 73 u. a.) einfach die verdauten Substratmengen nicht senkrecht abwärts, sondern horizontal abliest und sie in Curven aufzeichnet, auf deren Abseisse die Zeiten aufgetragen sind, während die Ordinaten nach wie vor die verdauten Substratmenzen darstellen, so erhält man Fortschrittseurveu, so, wie sie z. B. Sjöqvist in seiner Arbeit auf Tafel VIII, Fie. IV dargestellt hat. Ich habe viele der- gleichen Curven auf Grund meiner colorimetrischen und auch Centri- fugenversuche construiert und will das Wesentliche hiervon mittheilen. Streng genommen müssten die colorimetrischen Fibrinversuche ausscheiden; aber da mein Fibrin ausserordentlich fein zerkleinert war und die Verdauungsgläschen alle 1—2 Minuten umgekehrt wurden, verhalten sieh diese Flüssiekeiten mit den feinen Fibrin- stäbehen, wie auch Sjöqvist mit Recht hervorhebt, nicht viel anders als Lösuugen. Es sei zunächst ein Versuch beschrieben, der mit dem von Sjöqvist erwähnten (s. Curve 5—S auf Fig. IV) gut übereinstimmt. Um die Brauchbarkeit meiner Methode gegenüber den oben erwähnten Zweiflern hervorzuheben, möchte ich bemerken, dass dieser ganze Versuch 25 Minuten gedauert hat und kein einziger Punkt aus dem Verlauf einer Curve herausfällt, was jedenfalls für die Correctheit der Methode sprieht, während Sjöqvist, der nicht ein Haar mehr als ich aus seinen Versuchen schliessen kann, mindestens Tage um- ständlicher chemischer Arbeit (s. S. 355 seiner Arbeit) für die Fest- stellung der von ihm gefundenen Thatsachen gebraucht hat. Der Versuch ist, folgender. Versuch. Vorbereitung wie in den andern colorimetrischen Versuchen mit Carmin- fibrin; die Gläschen enthalten je 15 cem Salzsäure 0,1°/o und gleichviel Fibrin, das 1,5 cm in jedem Gläschen hoch steht, dann 0,1, 0,2, 0,4, 0,8, 1,6 ccm Pepsin- lösung in 0,1% Säure und die nöthigen Säuremengen zum Herstellen gieicher Verdautes Fibrin + AII—IV | 106 P. v. Grützner: Flüssigkeitsmengen. Durch ein neues, für diese Verdauungsversuche von mir konstruirtes Keilcolorimeter (s. S. 80) ist die Ablesung der Farben erleichtert: und bedeutend verfeinert. Beginn des Versuches 2h 35’. Zeit 2h 40’ | zu 45’ 2h 50’ | 2h 55’ 3h Gläsch.1 mit Pepsin 1 ) IUE Il II 1 a2 I 1 II II LITV« ie A I! Is | fast III |Spur>Ili| TI de ee Te I1!/a II 117, | Ulla N, on fast III Is | fast II/e | > Construirt man nach diesem Versuch Fortschrittseurven, so übersieht man leicht, dass in der Mitte der Verdauungszeit nahezu das Proportionalitätsgesetz wie beim Zucker (s. Fig. 8a, b, c) gilt, am Anfang und am Ende der Verdauung aber ein anderes. 1, g\ Aut = 0 Dame Cm o, a | Pre ER NETTER 25 Moima OR MEN UNE SHE EL re a ENTE Zeit > Fig. 16. So hat z. B. die Pepsinmenge 1 nach 20 bezw. 25 Minuten nahezu so viel verdaut, wie die Pepsinmenge 2 in 10 bezw. 12!/e Mi- nuten (s. OC,, DD,), während die Pepsinmenge 1 nach 10 bezw. 12/s Mi- nuten mehr verdaut hat (nämlich I—II) als die Pepsinmenge 2 in 5 bezw. 6!/a Minuten (>D). Dasselbe gilt für den späteren Verlauf der Ver- Ueber Fermentgesetze. 107 dauung (s. BB,). Nurein Theil der Linien, welche z. B. Punkte von zwei Curven derart miteinander verbinden, dass die Produkte aus Zeit in verdaute Substratmengen einander gleich sind (ich will sie homologe Punkte AA,, BD, u. s. w. nennen; wie 25 Minuten mal Pepsin- menge 1 oder 12!/s Minuten mal Pepsinmenge 2 u. s. w.), verlaufen etwa horizontal; die meisten verlaufen abwärts nach links, nament- lieh die hohen Pepsinconcentrationen. Sie verdauen, was wir schon längst wissen, verhältnissmässig zu wenig (verel. EE,, FF}). Einzelne Curven für sich gehorchen auf kurze Strecken dem Wilhelmy’schen Gesetz, worauf ich. aber nieht näher eintreten will. Sjöqvist gibt dasselbe an. In den meisten Fällen — und ich verfüge natürlich über eine grosse Menge derartiger Versuche — verlaufen bei dem Pepsin die betreffenden Verbindungslinien stark nach links abwärts (s. Fig. 17, AA,, BB, u. s. w.). Zieht man dagegen horizontale (punktierte) Linien, so treffen dieselben dann nach links (zu den stärkeren Pepsin- eoncentrationen) hin immer sehr viel höhere Pepsineoneentrationen an zum Zeichen dafür, dass hier die stärkeren Pepsinlösusgen um die betreffende Zeit erst so viel verdaut haben wie sonst oder bei anderen Fermenten viel schwächere (s. Fig. 17 bb,, d.h. Pepsin- 1,6 i V-YE u vu (6% — 0,2 | oa 01 & V 2 IV III IN I a : a A = s / 20 Nein. E | Zeit Er ccm Pepsin 108 P.v. Grützner: menge 1 verdaute in 10 Minuten soviel wie Pepsinmenge 8, nicht wie andererseits Fermentmenge 2 in © Minuten, vergl. auch Fig. 16, aa,, bb,). Wiederum anders als bei dem Pepsin fallen auch hier die Fort- schrittseurven aus bei dem Trypsin. Kurz gesagt herrschen bei dem Trypsin die horizontalen Verbindungslinien homologer Punkte uisdkaL W939 20 Ibm. 10 Zeit ler] 15 14 13 2 11 = SIR OO EHI EN {oe} A m ulosen somepıaA - — > Ueber Fermentgesetze. 109 (BB,, BıB., 0 C,, C,0 u. s. w.) vor; senken sie sich nach links, so ist die Senkung eine sehr unbedeutende (AA,). Zur Erläuterung diene Fig.18, ein Centrifugenversuch, in welchem diese Thatsache deutlich zu Tage tritt. Am Anfang der Verdauung aber, wo die Verbindungslinien homologer Punkte nach links sogar ansteigen, wie von C, ab (nicht gezeichnet), sowie an ihrem Ende (AA,), wo sie ein wenig absteigen, treten häufig andere Gesetze auf (vergl. Fig. 16 u. 17). Ich habe desshalb die Sache nicht ins Einzelne verfolgt. Viele einzelne Curven für sich folgen oft ziemlich lange dem Wilhelmy’schen Gesetz. Wir gelangen nun zu den Fortschrittsversuchen mit dem Ptyalin. Sie bieten eigenthümliche Besonderheiten dar. Verbindet ccm. Ptyalln 0/9 Zucker [S18 + Zi — 5 Fig. 19. man bei ihnen homologe Punkte (s. Fig. 19), so steigen alle diese Verbindungslinien nach links in die Höhe. Da dies regelmässig bei vielen Versuchen beobachtet wurde, kann es sich wohl nicht um Zufälligkeiten oder Fehler handeln, sondern ganz entgegengesetzt wie beim Pepsin zeigt sich hier, dass die höheren Fermentconcen- trationen in dem Verlauf der Verdauung verhältnissmässig zu schnell verdauen. Man müsste also annehmen, dass das Pepsin seiner Wirk- samkeit unter allen Umständen, namentlich wenn viel Verdauungs- produkte gebildet werden, erhebliche Schwierickeiten entgegensetzt; viel kleiner sind die Schwieriskeiten beim Trypsin oder in der Regel — 0; bei dem Ptyalin aber, hin und wieder auch bei dem Trypsin, arbeiten die starken Fermenteoncentrationen verhältniss- mässig schneller, als die schwachen. 110 P. v. Grützner: Dabei möchte ich bemerken, dass die Ergebnisse dieser Fort- schrittsversuche keineswegs in Widerspruch stehen mit denjenigen der abgebrochenen Versuche oder der Endversuche, die in den früheren Absehnitten erörtert worden sind; denn das zeitliche Fortschreiten in dem Verlauf eines einzigen Versuches (früher wurden nur End- ergebnisse nach längerer oder kürzerer Verdauungszeit festgestellt), tritt hier als etwas Neues auf. Hauptergebnisse und Schlussbetrachtungen. Aus den vorangehenden und einigen früheren Versuchen geht hiernach betreffend die Beziehungen zwischen Fermentmenge und . verdautem Substrat für die beiden peptischen Fermente, Pepsin und Trypsin, in erster Linie folgende sehr einfache Thatsache hervor. Werden bei der Arbeit der Fermente möglichst alle Störungen aus- geschlossen, so ergiebt sich, dass die in der Zeiteinheit ge- lösten Eiweiss- oder Leimmengen untersonst gleichen Bedingungen direct proportional sind den wirksamen Fermentmengen. Diese Thatsache wurde in der Weise festgestellt, dass das ge- ronnene Eiweiss oder die erstarrte Leimlösung in entsprechende Glasgefässe gefüllt war, welche senkrecht in grossen Mengen der Verdauungsflüssigkeiten und zwar in ihren oberen Abschnitten auf- sehängt waren. So änderten sich die Verdauungsflüssigkeiten nicht oder kaum; die gebildeten Verdauungsproducte sanken zu Boden, und das Substrat wurde von stets gleicher Verdauungsflüssigkeit umspült. Da die Verdauung bei dem Trypsin zugleich bei ziemlich niederer Temperatur vor sich ging, trat auch eine Zerstörung dieses Fermentes nicht ein. Dass die wirksamen Fermentmengen bei diesen Versuchen nicht die Fermenteoncentrationen sind, darauf sei hier nochmals hingewiesen. Über das Ptyalin konnte ich aus äusseren Gründen ähnliche Versuche noch nicht anstellen. Was dann 1. de abgebrochenen, nach Schwann’scher Art angestellten Versuche anlangt, welche beantworten, wie die von ver- schiedenen Fermentmengen in derselben Zeit verdauten Substrat- mengen zu diesen Fermentmengen selbst sich verhalten, so sei Folgendes mitgetheilt. Sehe ich zunächst von den Versuchen mit festen Eiweissstücken ab, bei denen die Oberfläche eine wichtige Rolle spielt, so zeigte sich, dass so- wohl Pepsin, wie Trypsin und Ptyalin im Wesentlichen übereinstimmende Ueber Fermentgesetze. 111 Gesetzlichkeiten aufwiesen. Bei Anwendung der üblichen Ferment- und Substratmengen war, so lange die Verdauung nur ganz kurze Zeit dauerte, Proportionalität zwischen Ferment- menge und Verdauungsgeschwindigkeit vorhanden. Die entsprechenden Curven waren durchweg gerade Linien. Schoben sich mit der Zeit Hindernisse ein, die eben in der aller- ersten Zeit der Verdauung noch nicht vorhanden sind, dann blieben die grösseren Fermentmengen inihrer Thätig- keit zurück. Die Curven bogen sich abwärts und nahmen viel- fach die Gestalt einer Parabel an. Es herrschte während einer ge- wissen Zeit das Gesetz von Schütz. Schliesslich änderten die Curven ihren Charakter und stiegen am Anfang schnell, später immer langsamer an. Diegrossen Fermentmengenbliebenimmer mehr zurück. Im Anschluss hieran seien mir noch einige Bemerkungen über das Gesetz von Schütz und seine Ausdehnung auf andere Vorgänge gestattet. Svante Arrhenius!), der zuerst in scharfsinniger Weise erkannt hatte, in welcher Art die Hemmungen während der Ver- dauung zunehmen müssen, wenn die jeweils verdauten Mengen der Quadratwurzel der Fermentmengen proportional sind, hat nun auch ähnliche „Gesetze“ bei ganz anderen Vorgängen (l’app6tit vient en mangeant) construieren zu können geglaubt, nämlich bei der Ver- dauung und Resorption von Nahrungsmitteln im lebenden Thier. „Um sich eine Vorstellung zu bilden, wieso es kommt, dass die in einer gegebenen Zeit verdaute Menge nicht proportional der zu- geführten Menge von Nahrung ausfällt“ (schon diese Annahme muthet einen etwas merkwürdig an), macht sich Arrhenius auf Grund der Versuche und Angaben von London, die an Hunden mit Magenfisteln angestellt wurden, folgende Vorstellung von dem Vor- gange der Verdauung. „Nahe an der Magenwand liegen die ersten 100 g Fleisch in einer überall gleich dieken Schicht ausgebreitet. Innerhalb dieser lieet eine neue Schicht von 100 g Fleisch, deren Dicke etwas grösser ist als diejenige der ersten Schicht, weil ihre Oberfläche ungefähr wie der Querschnitt eines Conus nach innen abnimmt. Dann kommen weitere Schichten von je 100 g Fleisch und immer zunehmender Dicke. In diese Schichten diffundiert der Magensaft von der Magenschleimhaut hinein. Die Menge von Magen- l) Svante Arrhenius, Die Gesetze der Verdauung und Resorption. Meddelanden frän k. Vetenskapsakademiens Nobelinstitut Bd. 1 Nr. 14. 1909. 112 P. v. Grützner: saft in jeder Schieht nimmt schnell ab, und die Abnahme ist um so grösser, je weiter hinein die Schichten liegen“ u. s. w. - Nun diese Gedanken mögen alle recht schön und geistreich sein, nur haben sie den einzigen kleinen Fehler, dass sie auf unrichtigen Thatsachen aufgebautsind. Schon vorlanger ZeithabenEllenberger und seine Schüler gezeigt, dass, wenn man den Magen eines in Ver- dauung befindlichen Thieres in drei etwa gleiche Theile, einen rechten (pylorischen), mittleren und linken durch Zusammenschnüren mit Fäden theilt und die drei Mageninhalte mit einander vergleicht, sie in ihrer Zusammensetzung sanz verschieden sind. Nach Ar- rhenius müssten sie ziemlich gleich sein. Zudem ist die Magen- schleimhaut doch bei keinem Thier in allen ihren Abschnitten das gleiche Ding; ein Theil der Magenschleimhaut sondert viel Säure und viel Pepsin, ein anderer weniger Säure und wahrscheinlich noch mehr Pepsin, ein dritter gar keine Säure und sehr wenig Pepsin ab, und alle diese Abschnitte werden über einen Kamm geschoren. Hierzu kommt noch, dass, wie ich gezeigt habe, der in der Regio pylorica befindliche Mageninhalt am meisten Säure und Pepsin ent- hält, obwohl die Pylorusschleimhaut selbst gar keine Säure und nur sehr wenig Pepsin absondert. Ich!) habe ferner zeigen können, dass das Eindringen der Säure 1) Bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht versäumen, ein Versehen so viel wie möglich wieder gut zu machen, was mir bei der Ahfassung meiner Arbeit (Pflüger’s Arch. Bd. 106 S. 463) zugestossen ist. Ich habe nämlich ganz und gar vergessen, in dieser Arbeit dıe wichtigen und mannigfachen Untersuchungen von Ellenberger sowie von Ellenberger und seinen Mitarbeitern zu erwähnen, obwohl sie mir natürlich bekannt waren und sie in anderen Arbeiten von mir auch zitiert sind. Ich habe, wie Ellenberger (Pflüger’s Arch. Bd. 114 S. 93) in liebenswürdiger Weise annimmt, seine Arbeiten nicht desshalb unerwähnt gelassen, weil mir seine Versuche bekannt waren und ich annahm, sie müssten auch allen anderen Ar- beitern auf demselben Gebiete bekannt sein und es sei überflüssig, sie besonders zu erwähnen, sondern — ich gestehe es ganz offen und bitte dieserhalb Herrn Collegen Ellenberger um Entschuldigung — ich habe es eben vergessen und wahrscheinlich desshalb, weil mich seine Untersuchungen zu den meinigen nicht angeregt, und weil ferner mich und Andere die Eigenart und Zierlichkeit meiner Versuchsergebnisse so mit Beschlag belegte, dass andere ähnliche Versuche in meinem Gedächtnisse zur Zeit nicht mehr existierten. Wenn nun aber die Verfasser des Artikels „Verdauung“ in dem Lehr- buch der Physiologie des Menschen von N. Zuntz und A. Löwy (8. 528), welches wohl wesentlich für Studierende bestimmt ist, die Sache so darstellen, als beruhe der heutige Stand der Wissenschaft in diesen Fragen allein oder doch Ueber Fermentgesetze. 113 in den wunderbar geschichteten Mageninhalt offenbar ganz anders und sicher viel weniger tief vor sich geht, als sich das Arrhenius vorstellt. Aber die von London gefundene Thatsache, dass die zur Verdauung nöthige Zeit der Quadratwurzel (die Quadratwurzel ist das Faseinierende) aus der gegebenen Menge nahezu proportional ist — so verstehe ich wenigstens die Angaben von Arrhenius —, ist jetzt: durch viele Tabellen und Formeln auf Grund obiger, wohl bemerkt ganz unrichtiger Angaben — „berechnet“ und womöglich erklärt. 2. Die Endversuche, welche die Frage beantworten, innerhalb welcher Zeit unter gewissen Bedingungen ein Verdauungsprozess voll- ständig beendet, also alles Substrat verdaut ist, ergaben wiederum je nach der Menge von Substrat und Ferment verschiedene, aber doch den in den ersten Versuchen herrschenden analoge Gesetz- lichkeiten. Sind die Substratmengen sehr gering, So sind wiederum bei allen drei Fermenten, wie von Gross für das Trypsin und Pepsin gefunden wurde, die Verdauungs- seschwindigkeiten den Fermentmengen proportional. Die n-fache Fermentmenge ist mit ihrem Substrat — die Substrat- mengen waren natürlich stets gleich — in N der Zeit fertig im Ver- gleich zur einfachen. Nehmen die Substratmengenzu, dann bleiben namentlich beim Pepsin, wenigerbeim Ptyalin die grösseren Fermentmengen zurück, sie verdauen verhältnissmässigzulangsam. Beim Trypsin aber, welches hier ganz und gar aus der Art der anderen Fermente heraustritt, verdauen die höheren Concentrationen verhältniss- mässig mehr als die niederen. Wenn man sich die Verlang- samung der Verdauung bei den ersten beiden Fermenten durch Hemmungen erklärt, welche durch die Thätigkeit des Fermentes ganz wesentlich auf ihren eigenen Untersuchungen, während die meinigen als Null eintaxiert, und desshalb gar nicht erwähnt sind — die Namen anderer gleich- zeitiger Forscher sind genannt —, wohl aber Gefrierschnitte von gefüllten Mägen, also Ergebnisse meiner Methode abgebildet werden, so ist diese Darstellung, ich will ganz objektiv sein, für jeden Kundigen doch nicht so ganz zutreffend und einwandsfrei. Denn ohne mir irgend etwas einzubilden, ist eben durch den Kniff in meiner Methode, die Mägen mit ihrem Inhalt gefrieren zu lassen und sie dann zu durchschneiden, ein bedeutender Fortschritt erzielt worden, weil da Thatsachen und Feinheiten zu Tage getreten sind, von denen bisher Niemand, ich sage Niemand, eine Ahnung hatte. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd, 141. 8 114 P. v. Grützner: selbst gesetzt werden, so könnte man hier folgerichtig an eine gegenseitige Beförderung denken, sobald mehr Fermentmoleküle in Thätigkeit sind, gerade so wie auch zwei Männer, die sich gut unter- stützen, in einem Kampfe mehr als das Doppelte leisten können, als ein Mann. Es ist hier daran zu erinnern, dass wie oben (S. 99, unten) erwähnt, bei gleichem Fermentgehalt die Verdauungs- geschwindigkeit mit der Menge des Substrates parallel geht. Wenn sich also die an sich bedeutende Fermentmenge nicht abschwächt und auch sonst keine Hindernisse weiter eintreten, so muss die Ver- dauungsgeschwindigkeit bei fortwährend abnehmender Substratmenge mit beschleunigter Geschwindigkeit von Statten gehen. Stellt man Endversuche mit gleichen Ferment-, aber verschiedenen Substratmengen an, so zeigen sich wiederum durchweg ähnliche Verhältnisse. Sind die Substratmengen an und für sich sehr ge- ring, so können sieh namentlich beim Trypsin, kaum beim Pepsin, dagegen nicht beim Ptyalin Propor- tionalität zwischen Zeit und Substratmengen ein- stellen. Nehmen die Substratmengen zu, So hört die Proportionalität auf, und die grossen Mengen brauchen verhältnissmässig viel mehr Zeit. Die Curven steigen gewaltig, von der geraden Linie abweichend, in die Höhe. Wir hätten hier also wiederum eine Hemmung des Prozesses, wenn die Verdauungsproducte sich häufen. 3. DieFortschrittsversuche geben, wie dasWilhelmy bei der Inversion des Zuckers gezeigt hat, an, in welcher Art ein und derselbe Versuch fortschreitet, wie also bei bestimmter Säuremenge und Art der Rohrzucker immer mehr und mehr ab- und die Zer- setzungsproduete zunehmen. Indem wir auf unsere Curven 8a, b und e hinweisen, wird also in gleichen Zeiten immer von der noch vorhandenen Menge Rohrzucker der gleiche Antheil, also sagen wir die Hälfte, ein Drittel oder ein Viertei zersetzt. Es fragt sich, gilt für die Fermente dasselbe Fortschrittsgesetz? Darauf ist zu erwidern, dass wenn es sich um einen einzigen Versuch mit ein und der- selben Fermentmenge handelt, dann auf kurze Strecken des Ver- laufes das Wilhelmy’sche Gesetz ganz sicher beim Trypsin und beim Pepsin, kaum beim Ptyalin, besteht. Handelt es sich dagegen um Versuche mit verschiedenen Fermentmengen, vergleichbar den Inversionsversuchen mit verschiedenen Säuremengen (s. S. 87), (wo- rüber Wilhelmy noch keine Versuche angestellt hat), so fällt Ueber Fermentgesetze. 115 wiederum innerhalb gewisser Grenzen am ehesten beim Trypsin, viel weniger beim Pepsin, gar nicht bei dem Ptyalin das Verhalten der Fermente mit dem der Säure zusammen. Noch deutlicher treten die Beziehungen zu Tage zwischen Inversion und Fermentwirkung bei den Endversuchen. Wenn man nämlich verschiedene (schwache) Concentrationen einer Säure an- wendet, so verhalten sich die Zersetzungsgeschwindiskeiten des Rohrzuckers wie die Säureconcentrationen!), was auch aus den Figuren Sa, b und e hervorgeht. Die Säuren von 1, 2 und 4 %o in- vertieren ihren Zucker vollkommen (s. S. 88) in den Zeiten 4, 2,1. Das würde also mit den Fermentwirkungen bei sehr schwachen Sub- stratlösungen übereinstimmen. Hierbei ist aber nur über die Dauer des ganzen Versuches, dagegen natürlich nichts über die Art des Fortschrittes ausgesagt. Ob das Wilhelmy’sche Gesetz gilt oder nicht, weiss man also nicht. Treten allerdings andere Verhältnisse auf, wie dies bei grösseren Substratmengen der Fall ist, so gilt das Wilhelmy’sche Gesetz ganz sicher nicht mehr. Es gilt auch sicher nicht bei Endversuchen mit verschiedenen Substrat- und gleichen Fermentmengen; denn würden die Zer- setzungen nach Wilhelmy’scher Art vor sich gehen, so dürften hier die Zeiten der vollkommenen Zersetzung nicht nennenswert von ein- ander verschieden sein. Bei den Fermenten aber stehen sie vielfach in direeter Proportionalität, ja die Zeiten nehmen bei grösseren Sub- stratmengen noch bedeutender als diese zu. Schliesslich sei noch darauf hingewiesen, dass kein einheitlicher Gesetz während des ganzen Verlaufes eines Prozesses andauernd besteht, wie es z. B. bei dem Wilhelmy’schen der Fall ist. Beiden fermentativen Verdauungsprozessen herrscht im Anfang eines Prozesses ein anderes Gesetz als in seiner Mitte oder an seinem Ende. Da ferner, wie dargelegt, die absolute und relative Fermentmenge die Gesetze ebenfalls verschiebt, so kann von einem Gesetz in dem bisher üblichen Sinn bei diesem oder jenem Ferment überhaupt nicht gesprochen werden. Fragen wir uns zum Schluss, kann man sich auf alle diese Vor- gänge irgendwie einen Vers machen, kann man sie sich irgendwie 1) Vgl. E. Cohn, Zur Erklärung der Abweichungen des Reactions- verlaufes u.s. w. Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 23 S. 442. 1897. 8 * 116 P. v. Grützner: verstäudlich machen ‘older gar erklären? Nun die Antwort hierauf muss lauten, wir können, weil wir Menschen sind, sie nur mit solchen Voreängen vergleichen, die wir erklärlich finden, weil sie alltäg- lich sind. Beginnen wir bei der Wilhelmy’schen Curve und stellen uns wie Bredig auf den Standpunkt, indem wir die Ferment- oder Säuremoleküle (bezw. die Wasserstoff-Ionen) etwa mit Arbeitern ver- gleichen. Eine bestimmte Anzahl Arbeiter hat eine gewisse Arbeit zu verrichten, sagen wir einen Kubikmeter Steine von bestimmter Grösse bis zu einer bestimmten Grösse zu zerschlagen, so dass aus einem Stein immer zwei nahezu gleich grosse Steine werden. In 6 Stunden sind sie mit der Arbeit fertig. Jetzt bekommen dieselben, natürlich nicht ermüdeten Arbeiter einen halben Kubikmeter Steine eanz gleicher Art zu zerschlagen. Selbstverständlich werden sie in 3 Stunden damit fertie, und so weiter. Die Säuremoleküle aber machen es ganz anders. Ob die Zuckermenge gross oder klein ist, sie gebrauchen dieselbe Zeit zu ihrer Zertrümmerung auf die Hälfte (siehe die Curven 8a, b und ce). Das ist doch höchst sonderbar. Man hat sich nun diese Verhältnisse mit Bewegungen der Mole- cüle zu erklären versucht. Folgender Vorgang würde meines Er- achtens die Verhältnisse erläutern. Denken wir uns, dass an dem Ufer eines kreisförmigen Baches etwa ein Arbeiter (oder auch mehrere) stände, welcher, mit einem Stock bewehrt, die Aufgabe hat, hohle Glaskugeln, die in dem Bache mit gleicher Geschwindigkeit und in sleichem Abstande von einander im Kreise herum schwimmen, zu zerschlagen. Beim ersten Umgang wird er viele zerschlagen; ich nehme an, die Hälfte. Dadurch werden die immer in gleicher Art und Geschwindigkeit herum schwimmenden Kugeln Jetzt noch einmal so weit von einander entfernt sein. Der Arbeiter würde also jetzt zu dem Zerschlagen der halben Anzahl Kugeln doch wieder einen sanzen Umgang des Baches brauchen u. s. w., mit einem Worte, er wird sich wie ein Säuremolekül gegenüber dem Zucker verhalten. Nehmen wir nun noch an, dass durch die zerschlagenen Glaskugeln das Wasser diekflüssiger wird, also langsamer fliessen kann, so wird dies die Zertrümmerung der übrigen Kugeln mehr und mehr ver- zögern. Würde dureh das Zertrümmern der Kugeln das Wasser dünnflüssiger, so müsste sich der Zertrümmerungsprocess be- sehleunigen. Aus dem Umstand schliesslich, dass bei den Fermenten und Ueber Fermentgesetze. 17 ihren Substraten im Gegensatz zu den Säuren und dem Zucker die grössere Substratmenge so ausserordentlich den Verdauungs- process verlangsamt, kann man, wie mir wenigstens scheint, zu einer gewissen Unbeweglichkeit der colloiden Substratmoleküle kommen, die dann, festgefügt wie zu einer Mauer, der Reihe nach Schritt für Schritt abgetragen werden. Vielfach würden sich dabei, wenn viel von dieser Mauer abgetragen werden müsste, noch besondere Hindernisse, wie entstehender Schutt u. s. w., in den Weg stellen. Ich weiss, dass alle Gleichnisse hinken und streng genommen, Nichts beweisen. Sie können aber doch nützlich sein, und wenn sie treffend gewählt sind, zu weiteren Untersuchungen anregen. Viel- leicht thut dies auch die vorliegende Arbeit; denn sie giebt noch eine ganze Menge Räthsel auf und wird in diesem oder jenem Punkt auch noch weiterer Klärung bedürfen, was um so weniger verwunderlich, ja eigentlich selbstverstärdlich ist, wenn man bedenkt, dass selbst der viel einfachere Vorgang der Zuckerinversion noch lange nicht in allen Punkten aufgeklärt, ja nicht einmal objectiv sicher gestellt ist!) und hier eine ganze Reihe von neuen Versuchs- arten zum ersten Male in Angriff genommen worden sind. Zum Schluss noch die Bemerkung, dass mich in der vorliegenden Arbeit Herr stud. med. W. Waldschmidt durch Ausführung der zahl- reichen, mühevollen und oft alle Geduld herausfordernden Versuche sorgfältig und sachgemäss unterstützt hat. Bei einer kleinen Anzahl von Versuchen war mir auch Herr stud. med. H. Kuder und bei der Anfertigung der Curven Herr stud. math. Th. Volk behülflich. Ihnen Allen sei hiermit nochmals bestens gedankt. 1) Vergl. hierüber W. Nernst, Theoretische Chemie, 2. Aufl., S. 507 ff. 1898. Zum Schluss möchte ich noch bemerken, dass ich das neue Buch von Euler über die Enzyme leider noch nicht zu Gesicht bekommen habe. 118 A. Bogomolez: (Aus dem Institut für allgem. Pathologie der Kaiserl. Universität in Odessa.) Über den Blutdruck in den Kleinen Arterien und Venen (den Kapil- laren nahestehenden) unter normalen und ge- wissen pathologischen Verhältnissen. Von Privatdozent Dr. A. Bogomolez, Assistenten des Instituts. (Mit 2 Textfiguren.) Die Verteilung des Blutdruckes in den verschiedenen Abschnitten ‚les Gefässsystems ist eine Frage von höchster Wichtigkeit, und zwar nicht nur vom Standpunkte der Hämodynamik, sondern auch für die ganze Physiologie. Der Blutdruck im Kapillarsystem wird als einer der wesentlichsten Faktoren betrachtet, die die regelmässige Ernährung und die regelmässige Funktion der Gewebe beeinflussen oder richtiger bedingen. Nichtsdestowenicer stützen sich wegen Er- mangelung an geeigneten genauen Untersuchungsmethoden unsere Kenntnisse der Bedingungen der Blutzirkulation in der Gegend der Kapillare und der ihnen dem Durchmesser nach nahestehenden kleinen Arterien und Venen, sowie die Bestimmung des Gefälles des Blutdruckes in den verschiedenen Abschnitten der Blutbahn vom linken Ventrikel bis zum rechten Vorhof in weit höherem Grade auf eine Reihe rein aprioristischer Hypothesen als auf genaue experi mentelle Erhebungen. Es nimmt infolgedessen gar nicht wunder, dass wir wegen Ermangelung an genauen Erhebungen in dieser Gegend in den theoretischen Betrachtungen der verschiedenen Autoren so vielen Widersprüchen begegnen. Ohne mich, der Kürze wegen, hier in eine detaillierte Betrachtung der einschlägigen Literatur, die in der klassischen Monographie von Tigerstedt!) und in seinem 1) Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie des Kreislaufs. 1893. Über den Blutdruck in den kleinen Arterien und Venen erc. 119 Aufsatze über den arteriellen Blutdruck!) eine ausgezeichnete Zu- sammenstellung erfahren hat, einzulassen, möchte ich mich nur auf einige kurze Notizen beschränken. Der Versuch einer unmittelbaren Bestimmung des Blutdruckes in den kleinsten Arterien bei Bestimmung des Blutdruckes in den Kapillaren wurde*gelegentlich von Ch. S. Roy und J. Graham Brown?) gemacht, die unter dem Mikroskop beobachteten, bei welchem Druck auf die Schwimmhaut des Frosches eine Kollabierung der mikroskopischen kleinen Arterien eintritt. Die Autoren haben darauf hingewiesen, dass der Druck in den Arterien bei Reizung der Vasomotoren fast bis zu O sinken kann. Cl. Bernard?) hat durch Messungen des Blutdruckes mittels des Differentialmanometers fest- gestellt, dass beim Pferde unter dem Einflusse einer einseitigen Durehschneidung des Halsteiles des N. sympathieus der Blutdruck in der entsprechenden A. labialis um 60 mm der Quecksilbersäule ‚steigen kann. Analoge Experimente sind von verschiedenen Autoren in ziemlich grosser Anzahl vorgenommen worden, in ben .sie sämtlich Gefässe grösseren Kalibers. Nicht besser steht es mit der Frage der Grösse des Blutdruckes in den Venen verschiedenen Kalibers. Zu den alten Angaben Jacobsohn’s über den Blutdruck in den Venen grösseren Durch- messers, die noch heutzutage in allen grösseren Lehrbüchern der Physiologie (Nagel, Luciani u. a.) zitiert werden, ist es an- scheinend bis jetzt nicht gelungen, auch nur eine einzige wesentlich neue experimentell erhobene Zahl hinzuzufügen. Die Schwierigkeiten, welche die unmittelbare Messung des Ge- fälles des Blutdruckes in den verschiedenen Abschnitten des Gefäss- traktus unmöglich machten, gaben den Forschern Veranlassung, die ‚Höhe dieses Gefälles auf dem indirekten Wege von Erwägungen zu bestimmen zu suchen, die in der Hauptsache auf dem Gesetz von Poiseuille basierten. Damit im Zusammenhang wurden von einer ganzen Reihe von Autoren Schemen des Blutzirkulationssystems konstruiert. Diese schematischen Experimente ergaben gewöhnlich die sieh widersprechenden Resultate. 1) Tigerstedt, Ergebnisse der Physiologie Bd. 6. 1907. 2) Ch. S. Roy and J. Graham Brown, The journal of physiology vol. 2. 1879—1880. 3) Cl. Bernard, Vorlesungen über die tierische Wärme. Übersetzt von Schuster. 1876. 120 A. Bogomolez: So behauptete beispielsweise Fick!), dass der Hauptteil des Blutdruckes in Anbetracht des Umstandes, dass jede Verbindungs- stelle der Blutbahn auch die Stelle eines besonders grossen Wider- standes sein müsse, beim Übergang des Blutes aus den Kapillaren in die Venen verbraucht werden müsse und in den Anfangsteilen der letzteren rasch bis zu einer sehr geringen Grösse sinke, die man in den der unmittelbaren Messung zugängigen Venen mittleren Kalibers vorfindet. Gegen die Annahme Fick’s, der seine Experimente an einem symmetrischen Röhrchensystem mit sich wiederholenden tricho- tomischen Teilungen anstellte, wurden ernste Erwiderungen seitens Gad’s?) vorgebracht, nach dessen Meinung man selbst, wenn aus dem Experiment von Fick auch hervorgeht, dass in einem sym- metrischen System von sich teilenden und wieder vereinigenden Röhrehen der Widerstand sich nicht symmetrisch verteilt, doch in Be- tracht ziehen müsse, dass das Blutgefässsystem infolge des Umstandes, dass die Venen breiter sind als die Arterien, nicht symmetrisch ist, und dass somit, selbst wenn der Widerstand an den Verbindungsstellen. grösser ist als an den Teilungsstellen,, andererseits der Widerstand in den breiteren Venen geringer ist als in den schmalen Arterien. Es dürfte kaum eine grosse Übertreibung sein, wenn man sagen würde, dass die Ansicht der Mehrzahl der Physiologen über die Verteilung des Blutdruckes in den verschiedenen Abschnitten des Gefässsystems in den Worten Du Bois-Reymond’s?) Ausdruck gefunden habe, wonach der „ganze Druck des Herzens in den Kapillaren verzehrt wird, und dass in der Mitte der Kapillaren des- halb der halbe Herzdruck herrschen muss“. Jedoch hat bereits Volkmann*) geeen die übertriebene Vor- stellung vom Widerstand in den Kapillaren protestiert, und zwar in Anbetracht der geringen Schnelligkeit des Kapillarenblutstromes. In dem oben zitierten Aufsatz warnt Gad gleichfalls vor der Über- treibung derjenigen, die in den Kapillaren einen zu grossen Blut- druck anzunehmen geneigt sind. Campbell?) behauptet, dass der grösste Verbrauch des Blut- l) Fick, Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 42. 1888. 2) Gad, Zentralbl. f. Physiol. Bd. 2. 1888. 3) Du Bois-Reymond. Zitiert nach Benno Lewy. 4) Volkmann, Hämodynamik. Leipzig 1850. 5) Campbell, The Lancet 1894. Journal of physiol. vol. 23. 1898. Über den Blutdruck in den kleinen Arterien und Venen etc. 12 druckes auf die Überwindung des Widerstandes in den Arterien geringen Durchmessers entfällt. Hier also und nicht in den Kapillaren findet auch das grösste Sinken des Blutdruckes statt. Nach den theoretischen Erwägungen von Lewy') schwankt der Blutdruck in den Kapillaren innerhalb der Grenzen zwischen 16 und 33 mm der Quecksilbersäule, d. h. er ist etwas geringer als die von Kries nach der von ihm erfundenen Kompressionsmethode gewonnenen Normen. Nach Lewy findet das grösste Gefälle des Blutdruckes nicht einmal in den kleinsten Arterien, sondern in den unmittelbar vor diesen liegenden Abschnitten des arteriellen Systems statt. Lewy selbst erklärt jedoch am Schlusse seiner Arbeit, dass die Experimente, die er nach dem von ihm konstruierten Schema aus- geführt hat, für mutmassliche Annahmen zwar ausreichen, jedoch nicht als entscheidender Beweis zugunsten der von ihm gezogenen Schlüsse gelten können. Die Notwendigkeit von direkten Blutdruckbestimmungen in den Gefässen möglichst geringen Durchmessers ist somit klar. Bekanntlich war Poiseuille der Meinung, dass wir durch die Einführung einer Kanüle in das peripherische Ende der Vene eine unmittelbare Messung des Blutdruckes in dem entsprechenden Kapillargebiet vornehmen können. In Wirklichkeit aber wird bei dieser Versuchsanordnung der Druck in der nächsten breitesten Anastomose der betreffenden Vene gemessen, der natürlich infolge des Verschlusses der Vene etwas steigen kann. Somit konnte die Methode der Einführung einer Kanüle in das peripherische Iinde der Vene, wie dies beispielsweise Sjaweyllo?) an der A. lingualis vorgenommen hat, zuverlässige Resultate nur im Falle der sogenannten Endarterien geben, wenn deren Verschluss nicht häufig sehr starke Störung der Blutzirkulation bewirkte. Sofern das Fehlen von Anasto- mosen bei diesen letzteren angezweifelt werden kann, sofern erscheint auch die Methode selbst nur mit grossen Einschränkungen anwend- bar. Die Einführung einer Endkanüle in eine Vene grösseren Kalibers kann Stauungserscheinungen zur Folge haben. Der Einfluss der letzteren auf die Versuchsergebnisse wird durch die Anwendung einer T-förmigen (Sprengel’schen) Kanüle beseitigt werden, jedoch 1) Benno Lewy, Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 65. 1397. 2) Sjawcyllo, Arbeiten aus dem Institut für allgemeine Pathologie der Moskauer Universität Bd. 3. 122 A. Bogomolez: bleibt die Anwendung dieser Kanüle aus erklärlichen Gründen nur auf Gefässe erösseren Kalibers beschränkt. Der Einfluss der Stauung kann bei der Einführung einer End- kanüle ausgeschaltet werden, wenn man die Messung des Blutdruckes in sehr kleinen anastomosenreichen Venen vornimmt, und zwar an denjenigen Stellen, wo man die Veränderungen in der Blutfüllung der Gefässe ad oculos wahrnehmen kann. Als solehe Stellen kommen beispielsweise das Darmmesenterium, die Ohren der Kaninchen, namentlich der Albinos, in Betracht. Als Kanüle kann die Nadel einer Spritze verwendet werden. Um die zur Vergleichung des Druckes im Gefäss und im Manometer erforderliche Zeit abzukürzen und das Gerinnen des Blutes in der feinen Nadel zu verhüten, er- wies es sich als zweckmässig, die Methode anzuwenden, der sich Landerer!) zur Bestimmung des Gewebsdruckes bedient hatte. Dieselbe besteht darin, dass die Flüssigkeit in die Blutgefässe zu- nächst unter grösserem Drucke als der in den Gefässen herrschende so lange eingeführt wird, bis zwischen dem Blutdruck im Gefässe und dem Quecksilberdruck im Manometer Gleichgewicht eingetreten ist. Bekanntlich hat sich die Methode von Landerer für die Zwecke des Autors als nicht ganz einwandfrei erwiesen, weil sich Ödem, Absorption der Flüssiekeit und andere Momente einstellten, deren Einfluss auf die Versuchsergebnisse nicht beseitigt werden konnte. Diese Einwendungen werden jedoch hinfällig, wenn in die Gefässe eine geringe Flüssiekeitsmenge hineingegossen wird, wo der ganze Prozess der Verdrängung des Blutes aus den Gefässen des betreffenden Gebietes durch die zur Einführung gelangende Flüssig- keit und die Wiederänfüllung derselben mit Blut mit dem eintretenden Ausgleich des Blutdruckes in den Gefässen und des Quecksilber- druckes im Manometer innerhalb weniger Minuten unter den Augen des Forschers vor sich gehen. Das Manometer (siehe umstehende Fig. 1), dessen ich mich bediente, stellt, wie aus der beigefügten Photographie zu er- sehen ist, ein gewöhnliches U-förmiges Quecksilbermanometer dar, dessen einer Schenkel 5 des Glasröhrcehens ungefähr zweimal so kurz war wie der andere (A), während das Ende desselben (€) horizontal abgebogen war. Auf diesem Ende sitzt ein festes Gummi- 1) Landerer, Die Gewebsspannung in ihrem Einfluss auf die örtliche Blut- und Lymphbewegung. Leipzig 1884. ' Über den Blutdruck in den kleinen Arterien und Venen etc. 123 rohr (D), welches den Manometer mit der Nadelspritze, die als Kanüle dient, verbindet. Am Gummirohr (D) ist eine T-förmige Glaskanüle (E) angebracht, die mit ihrem unpaarigen Ende mittels Gummiröhrchen mit einem an die Spritze herangehenden Ansatz (F') verbunden ist. Nach Eröffnung beider Klemmen (X und Z) und nach Füllung des ganzen Raumes zwischen dem Quecksilber und der Nadel durch Bio. die Öffnung F mit 1°/oiger Lösung von Natrium oxalicum schliesst man die Klemme Z, während man durch die Öffnung F mit der Spritze die Oxalatlösung weiter eingiesst, wodurch man den Queck- silberdruck im Manometer bis zur erforderlichen Höhe steigert. Nachdem man nun die Klemme X geschlossen hat, um ein Zurück- fliessen der Flüssigkeit resp. ein Sinken des Druckes im Manometer zu verhindern, entfernt man die Spritze. Die hier in Rede stehenden Experimente wurden am Ohr von Kaninchen ausgeführt. Die Nadelkanüle wurde in die Arterie oder 124 A. Bogomolez: Vene gegen den Blutstrom eingeführt, wobei man eine Nadel von solehem Durchmesser wählte, dass dieselbe das Gefäss für das Blut vollkommen undurchgängig machte. Mittels Okularmikrometers wurden die Gefässe unmittelbar vor und nach der Messung des Blutdruckes in denselben gemessen. An den Arterien wurde der Durchmesser desjenigen Gefässes gemessen, in dessen Fortsetzung (Ast) die Nadel eingeführt wurde, an den Venen der Durchmesser der weiteren Anastomose der Vene, in welche die Nadel eingestochen wurde. An den rasierten Ohren von Albinokaninchen ist es, wenn man die be- treffende Stelle des Gefässes zuvor mit Tinte kennzeichnet, sehr leicht, die Messung vorzunehmen, weil sie bei durchschimmerndem Licht durchsichtig sind. Die Grösse des eventuellen Fehlers über- steigt bei gewisser Übung nicht 0,04 mm. Führt man die Nadel in die A. aurieularis media gegen den Blutstrom in der Nähe der Ohrwurzel, d. h. zur Abgangsstelle der A. aurieularis media von der A. auricularis posterior ein, so zeigt augenscheinlich das Manometer die Höhe des Blutdrucks in dieser letzteren an. Führt man die Nadel in das peripherische Ende der A. auricularis media in der Richtung des Blutstromes ein, so messen wir den Blutdruck in dem breiteren der Bögen, durch welche die A. aurieularis media sich mit den- lateralen Arterien des Öhres vereinigt). Die A. auricularis media ist in der Norm so schmal, dass man in dieselbe durch die Haut eine Nadel, ohne die Gefäss- wand zu zerreissen, nur im Augenblick ihrer Erweiterung unter dem Einflusse von gewissen Bedingungen einführen kann, beispielsweise von Hyperämie infolge von Überhitzung, welche ich erzeugte, indem ich das Versuchstier in einem speziell zu diesem Zwecke hergerichteten Brutschrank so placierte, dass der Kopf und der grösste Teil des Halses aussen blieben. Nach Beseitigung der die Erweiterung des Gefässes hervorrufenden Ursache wartete ich, ohne die Nadel herauszuziehen, bis die Arterie zu ihrem normalen, zuvor natür- lich gemessenen Durchmesser zurückgekehrt ist, und dann liegt die Möglichkeit vor, den normalen Blutdruck in dieser Arterie zu messen. Nachdem man nun in das Gefäss die Nadel des Manometers eingestochen hat, in welchem der Druck zuvor etwas höher gebracht 1) Krause, Die Anatomie des Kaninchens, 2. Aufl., 1384. Über den Blutdruck in den kleinen Arterien und Venen etc. 125 werden muss als der mutmassliche Blutdruck in dem betreffenden Gefässe, und nachdem man hierauf die Klemme Z geöffnet hat, kann man sehen, wie rasch, fast augenblicklich, sobald die Nadel in die Arterie eingestochen ist, das entsprechende Gebiet des Ohres infolge der durch die 1 °/oige Natron-Oxalatlösung bewirkten Blutverdrängung erblasst. Dem parallel geht das Sinken der Quecksilbersäule im Manometer. Allmählich verlangsamt es sich, und man kann gleich- zeitig die Rückkehr des Blutes in die Gefässe beobachten, die wieder durch ihre rote Farbe auf dem erblassten Hintergrund des Ohres hervorzutreten beginnen. In diesem Augenblick, in dem das Blut an die Nadel herantritt, hört das Sinken des Druckes im Manometer auf, da der Druck der Quecksilbersäule dem Blutdruck in den Ge- fässen cleich geworden ist. In denjenigen Fällen, in denen die Messung des Blutdruckes in der A. aurieularis posterior vorgenommen wurde (die Nadel wird gegen den Blutstrom in die A. auricularis media möglichst in der Nähe der Wurzel eingestochen), die urter dem Einflusse der . vorangegangenen Fxstirpation des Ganglion cer- vieale superior des N. sympathieus der entsprechenden Seite er- weitert war, wurden die Pulsschwankungen auch dem Quecksilber im Manometer übermittelt. Ich halte es für angebracht, diesen Umstand mit Nachdruck hervorzuheben, der auf die Empfindlichkeit des Apparats bezw. auf die Genauigkeit der zur Anwendung ge- langten Methode hinweist. Die unmittelbare Nachprüfung desselben durch den Vereleich der Angaben meines Apparats mit den gewöhn- lichen manometrischen Messungen in der A. carotis haben ergeben, dass man in beiden Fällen ein und dieselben Zahlen erhebt. Die Anbringung der Klemmen (X und Z) in meinem Apparat gewährt die Möglichkeit, ohne die Nadel herauszunehmen, die Messungen in dem betreffenden Gefässe zu wiederholen, indem man den Druck im Manometer durch Einführung von Oxalatnatron durch die Öffnung F bei geschlossener Klemme Z steigert. An dieser Stelle möchte ich nur die Resultate der Messungen des arteriellen und venösen Druckes in den kleinen Ohrgefässen des Kaninchens unter normalen Verhältnissen, desgleichen die Verände- rungen desselben unter dem Einflusse der von mir ausgeführten Exstirpation des Ganglion cervicale superior des N. sympathieus und der durch Überhitzung hervorgerufenen Hyperämie wiedergeben. Die experimentellen Untersuchungen zum Zwecke des Studiums der 126 A. Bogomolez: Veränderungen des Blutdruckes bei Entzündung und unter dem Ein- flusse von gewissen Substanzen, die auf das Blutsystem eine spezifische Wirkung ausüben, werde ich an einer anderen Stelle veröffentlichen. Der Kürze wegen nehme ich davon Abstand, die Protokolle sämt- licher von mir ausgeführten zahlreichen Experimente in extenso wiederzugeben, um so mehr, als die Resultate der in ihrer Anordnung gleichartigen Experimente gewöhnlich identisch waren. Hier einer der ersten Versuche einer Bestimmung des Blutdruckes unter normalen Verhältnissen und die Veränderungen desselben bei durch Über- hitzung erzeugter Hyperämie. Weisses männliches Kaninchen. Körpergewicht 1210 g. Anastomose der Art. carotis Arcus art. auric.| . ß 1 äusseren Rand- Versuchsbedingungen communis med. vene De |. H Dar | | Rechte Seite. Hyperämie N I nioe | n 0,25 22 infolge von Überhitzung 2 DR | = { 0,4 10 | Linke Seite, Norm... | 18 188 | 01 | a | 0 9 | Der Blutdruck in einer Arterie, deren Durchmesser 0,lmm beträgt, macht somit vorallemimganzen 14mm der Quecksilbersäule bei einem Druck von 133 mm der Quecksilbersäule in der A. carotis communis aus. In derselben Arterie beträgt der Blutdruck bei Vergrösserung ihres Durchmessers um das Vierfache unter dem Einflusse von Hyperämie durch Überhitzung 65 mm der Quecksilbersäule, d. h. er ist fast fünfmal so gross. In der äusseren Randvene der rechten Seite habe ich den Druck an zwei Stellen, entsprechend ihren beiden Anastomosen von verschiedenem Durchmesser gemessen. Es ergab sich dabei, dass die Grösse des Gefälles des Blutdruckes bei Hyperämie infolge von Überhitzung denen Venen entlang relativ sehr gross ist (= 12 mm HG.), was augenscheinlich mit einer bedeutenden Vergrösserung der Schnellig- 1) Mit D bezeichne ich in den Tabellen den Gefässdurchmesser in Milli- metern, mit A den Blutdruck in dem Gefäss in Millimetern der Quecksilbersäule. Über den Blutdruck in den kleinen Arterien und Venen etc. 197 keit des Blutstromes in den Venen einhergehen muss. Das Ge- fälle desBlutdruckes auf der Strecke von den kleinsten, der Messung zugänglichen Arterien bis zu den kleinen Venen beträgt dagegen in einigen Fällen im ganzen 5 mm Hg. Diese Zahlen müssen namentlich diejenigen im Auge be- halten, die im Kapillarsystem ein grosses Hindernis für den Blutstrom zu erblicken und dem auf Rechnung der Kapillare zu setzenden Sinken des Blutdruckes grosse Werte beizumessen geneigt sind. Demgegenüber beträgt das Sinken des Blutdruckes auf der Strecke von der A. earotis communis bis zum Arcus der A. auricularis media 119 mm Hg, was 89,5 Yo des Druckes ausmacht, der vom Herzen entfaltet wird. Sofern ich die mir zugäneliche Literatur der Frage der Ver- teilung des Gefälles des Blutdruckes dem arteriellen System entlang in Betracht ziehe, gibt die Maximalzahlen für das Gefälle Hürthle!) an, nach dessen Beobachtungen der Blutdruck in den peripherischen Arterien um 25—40 °/o geringer sein kann als der systolische Druck im Herzen. Andere Autoren (Volkmann, Fick usw.) geben einen noch geringeren Prozentsatz für das Gefälle an. Speziell fand v. Schulten?) in der Aorta des Kaninchens einen nur um 8°o höheren Druck als in den peripherischen Arterien. Wenn man die von Recklinghausen?) gemachten Angaben in Erwägung zieht, so müsste man auch diese geringen Normen des Gefälles augen- scheinlich als sehr hoch betrachten. Aus der Gegenüberstellung der bei Hyperämie durch Über- hitzung und der in der Norm erhobenen Zahlen geht jedoch hervor, dass die Grösse des Gefälles des Blutdruckes auf der Strecke von den kleinen Arterien bis zu den kleinen Venen unter einigen Be- dingungen wesentliche Änderungen erfahren kann. So betrug dasselbe in unserem Falle bei Hyperämie durch Überhitzung 43 mm Hg, d.h. _ es übertraf das normale Gefälle um das Neunfache. Dies weist darauf hin, dass die unter dem Einflusse der Überhitzung auftretende Er- weiterung der Arterien mit einer entsprechenden Erweiterung der Kapillare nicht einhergeht. Augenscheinlich gehen die Veränderungen 1) Hürthle, Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 47. 1890. 2) v. Schulten, Arch. f. klin. Chirurgie Bd. 32. 1885. 3) v. Recklinghausen, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharm. Bd. 55. 1909. 128 A. Bogomolez: des Lumens in diesen beiden Gebieten des Gefässsystems einander nieht parallel — eine Tatsache, die durchaus nicht zugunsten der Anhänger der Ansicht spricht, nach der der Einfluss der Vasomotoren sich auch auf das Kapillarsystem der Blutzirkulation erstreckt (Steinach, Kahn usw.). Weisses männliches Kaninchen, Körpergewicht 1170 g. Exstirpation. des rechten Ganglion cervicale superior nervi sympathiei dextri. Eine halbe Stunde nach der Exstirpation werden Messungen des Blutdrucks vorgenommen. Art. caro- 5 Anastomose 5 RE em a lRVZ jugul. di is. com-| .. nogr [art- aurie. d. äusseren a Versuchsbedingungen munisı | u. .D0S med. | Randvene r DEZE DE ZA EDEN DI zone Rechts. Exstirpation d. Gangl. cervic. sup. n. sympathichseege ne: 1,2 1261| 0,8 | 62 [0,2 | 22 | 025 | 12 | 19 | 0 Links. Hyperämie durch Überhitzung 22... .2.. 1,2 126 | 0,7 | 58 [0,25 | 30 | 0,2 9] 2110 Norm naar ns 1,2 1126| 0,5 | 32 [0,1 | 10 | 0,2 8237 2,1220 Auch in diesem Experiment entspricht die Verteilung des Blut- druckes den verschiedenen Abschnitten des Gefässsystems entlang unter normalen Bedingungen voll und ganz den Erhebungen des vorangehenden. Das Gefälle des Blutdruckes auf der Strecke des Kapillarsystems (von den kleinsten, der Messung zugänglichen Arterien bis zu den initialen Venen) wird hier mit einem noch geringeren Wert berechnet, indem es im ganzen 2 mm der Quecksilbersäule erreicht. Die Grösse dieses Gefälles schwankt in unseren Ex- perimenten in den Grenzen von 2—43 mm Hg. Augenscheinlich kann die Grösse dieses Gefälles des Blutdruckes bei derStrömung desBlutes durch dieKapillarein weiten Grenzen schwanken, und zwar von Grössen, dieOmm Hg nahe sind (wenn die Schnelligkeit des Blutstromesin dem betreffenden Kapillargebiet fast 0 beträgt) bis zu relativ sehr grossen Zahlen. Ich halte es jedoch für notwendig, mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass die Grösse des Gefälles auf der Strecke des Kapillarsystems des Kaninchenohres unter normalen Verhältnissen imall- gemeinen sehr gering ist. rn — Über den Blutdruck in den kleinen Arterien und Venen etc. 129 Man hätte annehmen können, dass hierbei rein lokale Momente in Betracht kommen, beispielsweise dass die geringste Blutzirkulation ausreicht, um die Gewebe des Kaninchenohres ausreichend zu er- nähren. Diese Erklärung erweist sich jedoch schon beim ersten Blick auf die Verteilung des Gefälles des Blutdruckes den ver- schiedenen Abschnitten des arteriellen Systems entlang als voll- kommen unzureicheud. Auf den Durchgang des Blutes von den initialen Abschnitten der A. carotis communis und weiter durch die A. auricularis posterior bis zur Abganesstelle der A. aurieularis media wird normalerweise ein Druck von 94 mm Hg verausgabt, was mehr als 74,6°o des Blutdruckes in der A. carotis ausmacht. Der Durchmesser der A. auricularis posterior erweist sich hierbei als 2,5 mal geringer als der Durchmesser der A. carotis communis. Auf den Durchgang des Blutes von der A. auricularis posterior bis zum Arcus der A. auricularis media wird im ganzen ein Druck von 22 mm.Hg verausgabt, was weniger als 17,5 °/o des Anfanes- druckes ausmacht. Der Durchmesser des Areus der A. auricularis media ist hierbei fünfmal so gering wie derjenige der A. aurieularis posterior. Der Hauptteil der Arbeit des Herzens wird somit auf dieÜberwindung des Widerstandes in denArterien bei weitem nicht des geringsten Durchmessers (auf der beigefügten Kurve auf die Strecke von A bis B) verwendet. Auf der beigefügten schematischen Kurventabelle habe ich durch eine ununterbrochene schwarze Linie die Verteilung des Gefälles des Blutdruckes den verschiedenen Abschnitten des Gefässtraktus entlang auf Grund der von mir gemachten experimentellen Er- hebungen mittelst unmittelbarer Messung des Blut- druckes unter normalen Verhältnissen dargestellt. Die punktierte Linie stellt die Verteilung des Druckes den verschiedenen Abschnitten des Gefässsystems des Kaninchenohres entlang bei Exstirpation des entsprechenden Ganglion cervicale superior des N. sympathicus dar. Auf der Abszissenlinie entspricht die Entfernung A—Db der Enfernung zwischen der Einstichstelle der Nadel in der A. carotis communis und der Abgangsstelle der A. auricularis media von der A. auricularis posterior; der Abstand von D bis C entspricht der Ent- fernung vom Beginn der äusseren lateralen Arterie des Ohres bis zum Ende des Arcus der A. artieularis media; von C—D laufen die Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 9 150 A. Bogomolez: Kapillare; von D—E die Venen bis zur Einstichstelle der Nadel in die V. jugularis externa. Die Länge der Abszissenlinie von A—( und von D—E ist 2!/gmal so gering wie die durchschnittliche Länge der entsprechenden Abschnitte des Gefässsystems eines kleinen Kaninchens von 1200—1300 g Körpergewicht. Der Abstand von CO—D übertrifft natürlich um das Vielfache die wahre Länge des Kapillarbetts. Eine kleine Teilung der Ordinate entspricht 2 mm Hg. Somit ist die Verteilung des Blutdruckes den verschiedenen Ab- schnitten des Gefässsystems entlang, dessen graphische Darstellung ' die soeben wiedergegebene Kurve gibt, nach unseren Erhebungen 125 d2 -.- ... -. - - >. > IS Fig. 2. im Vergleich zu den, wie es scheint, allgemein akzeptierten Vor- stellungen (conf. beispielsweise Fick, 1. ce.) denselben diametral entgegengesetzt. Die Resultate meiner Experimente stimmen somit mit den theoretischen Vorstellungen von Campbell, Gad und anderen Autoren vollkommen überein, die nicht geneigt sind, dem Widerstand in den Kapillaren eine übermässige Bedeutung für das Gefälle des Blut- druckes beizumessen. G Wenn wir zu dem von mir zuletzt wiedergegebenen Experiment zurückkehren, so sehen wir, dass der Effekt der Hyperämie sowohl infolge von Überhitzung des Tieres als auch infolge der Exstirpation Über den Blutdruck in den kleinen Arterien und Venen etc. 131 des Ganglion cervieale superior des N. sympathieus ein und derselbe it. Mit der Erweiterung der dem Herzen näher liegenden Gefässe verschiebt sich das grösste Gefälle desBlutdruckes in derRichtung zur Peripherie. Dem- entsprechend steigt auch die Grösse des Gefälles des Blutdruckes bei der Strömung des Blutes durch das Kapillarsystem. Besonders beachtenswert ist dabei der Um- stand, dass bei maximaler Hyperäme das Gefälle des Blutdruckes vom Herzen bis zum Arcus der A. aurieularis media des Kaninchens, wie aus der Punktierlinie zu sehen ist, augenscheinlich fast voll- kemmen regelmässig verläuft. Zusammenfassung. Auf Grund sämtlicher vorstehenden Ausführungen glaube ich folgende Thesen aufstellen zu können: 1. Unter normalen Verhältnissen wird der Hauptteil des Blut- druckes auf die Überwindung des Widerstandes der Arterien bei weitem nicht des geringsten Kalibers verbraucht. Auf dieses Gebiet kommt folglich auch das grösste Gefälle des Blutdruckes, welches bisweilen 90 °/o des ursprünglichen Blutdruckes ausmacht. *2. Das Gefälle des Blutdruckes auf dem Wege des Blutes durch die Kapillare schwankt innerhalb weiter Grenzen je nach der ver- änderlichen Grösse des Widerstandes in höher liegenden Abschnitten des Gefässsystems (in meinen Experimenten innerhalb der Grenzen von 2 bis etwas weniger als 43 mm Hg). Unter normalen Verhält- nissen der Zirkulation des Blutes ist dies Gefälle jedoch sehr gering und beträgt für die Kapillare des Kaninchenohres im Durehsehnitt ca. 4 mm He. B 3. Bei der. Bewertung der Bedeutung des Filtrationsdruckes, dem eine so wichtige Rolle in den Prozessen der Gewebsernährung, Lymphbildung usw. beigemessen wird, muss man die ausserordent- liche Veränderlichkeit seiner Grösse im Auge behalten. 4. Die Zunahme des Gefälles des Blutdruckes auf dem Wege des Blutes durch das Kapillarsystem sowohl bei Hyperämie durch Überhitzung des Tieres sowie auch bei Hyperämie infolge von Fx- stirpation des Ganelion cervicale superior des N. sympathicus weist auf das Fehlen eines Parallelismus bei der Erweiterung des arteriellen und kapillaren Bettes hin. 9* 132 A. Bogomolez: Über den B.utdruck in den kleinen Arterien ete. 5. Der Druck in den kleinen Venen stellt eine veränderliche Grösse dar, deren Grenzen für die Ohrvenen des Kaninchens von 0,2—0,3mm im Durchmesser unter verschiedenen Versuchsbedingungen mit 4-23 mm Hg festgestellt werden konnten. Zum Schlusse meiner Arbeit ist es mir eine angenehme Pflicht, dem hochverehrten Herrn Prof. W. Woronin für die liebenswürdige Hilfe, die er mir bei der Ausführung dieser Arbeit hat zuteil werden lassen, auch an dieser Stelle meinen aufrichtigsten Dank zu sagen. 133 ‚(Aus dem biologischen Laboratorium der Universität Bonn.) Automatische Zentren und Reflexvorgänge im abgelösten Darm. Von Josef Schüller. Im Juli 1909 hatte M. Nussbaum in der Niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Bonn !) einen kurzen Bericht über Versuche erstattet, die ihn veranlassten, die bis dahin geltende Ansicht über die nervöse Versorgung des Darmes wesentlich abzu- ändern. Hatte man bis dahin ziemlich allgemein angenommen, dass Reflexe nur unter Mitwirkung des Rückenmarkes zustande kämen, so konnte durch die neuen Versuche dargetan werden, dass in der Darmwand nervöse Bahnen gelegen sind, mittels derer es gelingt, reflektorische Bewegungen hervorzurufen, bei denen das Rückenmark sicher nicht mehr beteiliet ist, und die sich von den bekannten peristaltischen und retroperistaltischen Bewegungen wesentlich unter- scheiden. Die Bewegung, um die es sich handelt, wurde zuerst am Frosche beobachtet, der folgendermaassen vorbereitet war. Nach Dekapitation des Tieres wird mittels eines Drahtes das Rückenmark in seiner ganzen Ausdehnung zerstört, die Leibeshöhle eröffnet und Lunge, Leber, Herz entfernt; dann wird, vom Ösophagus anfangend, der ganze Verdauungsschlauch von seinen mesenterialen Verbindungen gelöst bis herunter ins kleine Becken "hinein, wobei Zerren und Verletzungen der Darmwand vermieden werden müssen. Übt man jetzt auf den Ösophagus, Magen oder Dünndarm einen Reiz aus, indem man den betreffenden Teil zwischen den Branchen einer Pinzette oder zwischen Daumen und Zeigefinger in der Längsrichtung streicht, so treten an der Reizstelle natürlich peristaltische und retroperistaltische Bewegungen auf; weit ehe diese sich aber über den ganzen Dünndarm fortgepflanzt haben, was überhaupt nur in den seltensten Fällen eintritt, macht das Reetum eine eigentümliche 1) Vgl. auch: Deutsche med. Wochenschr. Jahrg. 1910 S. 295. 134 Josef Schüller: Ortsbewegung. Das Reetum, das sich bei gut genährten Tieren wegen des darin enthaltenen Kotballens besonders deutlich absetzt, rückt plötzlich gegen den Beckenausgang hin, verschwindet teilweise hinter der Blase, um dann langsaın wieder seine ursprüngliche Lage einzunehmen. Da beim Hunde dieselbe Erscheinung beobachtet werden kounte, mussten die Versuche eine allgemeine Bedeutung beanspruchen. Es galt aber zuerst die Bedingungen näher zu studieren, unter denen die Erscheinung nach Ausschaltung der von aussen an den Darm gelangenden Nerven auftrat, eine Aufgabe, der ich mich auf Veranlassung meines Lehrers, des Herrn Professor Nussbaum, unterzog. Wenn man die besprochene Bewegung zum ersten Male un- befangen beobachtet, so hat man meist den Eindruck, dass sie im Dienste der Defäkation steht, obschon ich in den vielen Versuchen, die ich anstellte, nie eine Ausstossung von Kot beobachtet habe. Es sei daher gestattet, im folgenden von Defäkationsbewegung des Rectums zu sprechen, wenn ich mir auch der hypothetischen Natur des Ausdruckes durchaus bewusst bin. — Wiederholt man die Ver- suche an zahlreichen verschiedenen Tieren, so fällt die relativ häufige Inkonstanz der Reizerfolge auf. Bei scheinbar gleichen äusseren Umständen erhält man mitunter auffallend schnell eintretende Re- aktion, bald eine verzögerte; in anderen Fällen ist sie sogar negativ. Wie überhaupt für die Lebensvorgänge am Darmkanal der jeweilige Füllungszustand von Bedeutung ist, so sind auch bei den vorliegenden Versuchen gefütterte, womöglich frisch gefangene Tiere die geeigneteren Objekte. An Fröschen, die z. B. den Winter über im Aquarium gehalten wurden, hat man öfters negative Resultate. Aber selbst dann, wenn man mit einwandfreiem Material arbeitet, erkält man doch häufig zweideutige Ergebnisse. Dieses findet seine teilweise Erklärung darin, dass die Defäkationsbewegung bei gefütterten wie bei hungernden Tieren auch schon spontan erfolgt, d.h. wenn irgend- welche willkürlichen Reize am Darme möglichst ausgeschlossen sind. Sie geht aber auch periodisch vor sich, ohne dass’ jedoch die Zeit, die zwischen zwei gleichsinnigen Phasen liegt, beim selben Tier eine konstante Grösse darstellt. Die Ortsbewegung des Rectums setzt meist scharf ein, so dass man für ihren Beginn einen bestimmten Zeitpunkt angeben kann. Es bleibt dann einige Augenblicke am Beckenausgange liegen, um langsam wieder in seine ursprüngliche Automatische Zentren und Reflexvorsänge im abgelösten Darm. 135 Lage zu rücken. Nach verschieden langer Ruhepause beginnt das Spiel von neuem. Die Dauer dieser Ruhepausen wechselt individuell sehr stark. Bei dem einen Tiere wiederholen sich die Diekdarmwanderungen alle 30 Sekunden, bei dem anderen nur alle 4-5 Minuten. Im allgemeinen ist aber die Geschwindigkeit der spontanen Reaktions- folge bei frisch gefangenen Fröschen, deren Verdauung noch in vollem Gange ist, grösser und hält länger an als bei Hungertieren. Von den vielen Versuchen, die im Prinzip dasselbe sagen, seien zur Illustration einige mitgeteilt: Versuch I am 6. Juni 1910. Eine Rana esculenta, die vor 2 Tagen mit rohem Fleisch gefüttert war, wird um 9h 43’ dekapitiert, ihr Rückenmark ausgebohrt und ihre Leibeshöhle unter möglichster Schonung der Organe eröffnet. Das stark gefüllte Rectum liegt klar zutage, ohne dass Darmschlingen verlagert werden müssen. Das ganze Tier wird jetzt mit einer Petrischale überdeckt, wodurch die Beobachtung in keiner Weise gehindert, jedoch störende Einflüsse, z. B. Verdunstung, gemindert werden. Die erste Defäkationsbewegung erfolgt um 9h 44’ 30”, um von da ab periodisch zu werden, um: Stunde Minuten Sekunden an er x 9 : 46 —_ g 47 30 2 ) 49 30 90 9 al = 90 9 52 30 120 9 54 30 so ) 59 50 A Der Darm wird jetzt aus allen seinen mesenterialen Verbindungen gelöst — nur die Verbindung mit dem Beckenausgange wird erhalten — und bis 10& 10’ mit einem Hautlappen zugedeckt, wodurch sich der Darm meistens etwas beruhigt. Nach Blossdecken zeigen sich die Därme ganz schlaff, auch ist keine typische Defäkationsbewegung mehr zu konstatieren. Streichen am Ösophagus, Magen- oder Dünndarm löst keine Reaktion aus. Leises Betupfen der Kotblase selbst bedingt dagegen augenblickliche Wanderung des ganzen Organes. Denselben Erfolg hat auch ein Reiz am äusseren Analring; er hat noch eine Reaktion zur Folge, wenn die spontanen Bewegungen aufgehört haben und andere willkürliche Reize längst versagen. Die Technik, die angewandt wurde, ist die, dass man die Spitze einer kleinen Pinzette in den Anus einführt und sie dann ein wenig aufsperren lässt. Bei sehr reizbaren Objekten erfolgt mitunter schon Reaktion, wenn nur die Haut in der Gegend des Afters berührt wird, oder ein Tropfen warmen Wassers auf die Dammgegend gebracht wird. 136 Josef Schüller: Versuch II. Mitte April 1910. Eine Rana esculenta, die den Winter über keine Nahrung bekommen hatte, wird um 11h 16’ dekapitiert, das Rückenmark zerstört, die Bauchhöhle eröffnet. Der Verdauungsschlauch, der fast vollkommen leer ist, und die übrigen Organe werden in situ belassen. Die Defäkationsbewegung beginnt um 11h 17’ 40” und wird von da ab periodisch um: Stunde Minuten Sekunden in en il 18 er 11 18 30 R hi 19 10 40 11 19 50 30 11 20 20 40 I. 2l TE 35 11 21 35 55 wi. 85 11 24 40 80 il 26 Fra Der Darm wird jetzt möglichst weit analwärts gelöst und mit einem Haut- lappen zugedeckt. Nach Entfernung der Decke wird der Magen in der ange- gebenen Weise gestrichen, und es erfolgt augenblicklich Defäkationsbewegung. Um Täuschungen zu entgehen, ist es wesentlich, Zerren am Rectum selbst zu vermeiden, was unter den obwaltenden Bedingungen ebenfalls augenblickliche Wanderung des Rectums zur Folge hat. Beim Wiederholen fällt der Versuch negativ aus, auch wenn der Dünndarm gereizt wird. Berühren des Afters jedoch führte zur augenblicklichen Reaktion. Versuch III. Mitte April 1910. Ein Hungertier wird um 9h 47’ dekapitiert, sein Rückenmark zerstört, die Bauchhöhle eröffnet, ohne die Lage der Organe irgendwie zu verändern. Der ganze Darm ist fast in absoluter Ruhe, mit Ausnahme des ganz schwach gefüllten Dickdarmes, der wieder seine typischen Wanderungen vollführt um: Stunde Minuten Sekunden in re 9) [1 2 = r ® ; B) 20 54 ER 130 9 56 10 Um 10% 2’ wird der gesamte Darmtractus von seinem Mesenterium ge- trennt, währenddessen noch mehrere starke Kontraktionen des Dickdarmes er- folgen. Das Präparat wird zugedeckt bis 105 14’, dann folgt Reizung ver- schiedener Darmabschnitte durch Streichen: Reiz am Magen Beginn der Defäkationsbewegung 10h 14' 30” 10h 15’ 10" 10h 16’ —" 105 16’ 30” Automafische Zentren und Reflexvorgänge im abgelösten Darm. 137 Jetzt wird das Präparat wieder 10 Minuten zugedeckt und der Dünndarm gereizt um 10526’, um 10h 26’ 15” erfolgt Defäkationsbewegung. Um 10h 27’ wurde der Dünndarm nochmals gereizt, jedoch ohne Erfolg. Um 10h 29’ löst dagegen ein Analreiz sofortige Reaktion aus. Wenn sich aber Defäkationsbewegungen schon spontan und zu- dem noch periodisch einstellen, so können diese Befunde natürlich Reizerfolge da vortäuschen, wo es sich in Wirklichkeit um das Ein- treten einer der periodischen Bewegungen handelt. Man musste also versuchen, zuerst diese letzteren hinreichend zu erklären. So sing ich zu Versuchen über, ob es gelingt, durch nachträgliche Operationen die einmal eingetretenen periodischen Bewegungen irgendwie zu verändern. Die Tiere wurden genau, wie oben be- schrieben, vorbereitet, der Darmtractus jedoch sofort von seinen mesenterialen Verbindungen gelöst. Aber auch diese Versuchsänderung hinderte weder, dass der automatische Vorgang eintrat, noch dass der schon begonnene sistierte. Folgende Protokolle mögen das Ge- sagte erläutern, ausserdem sei besonders auf Versuch VI hingewiesen. Versuch IV. Anfang April 1910. Vor 2 Tagen künstlich gefütterte Rana esculenta wurde um 10h 45’ de- kapitiert, das Rückenmark zerstört und nach Eröffnung der Bauchhöhle der ganze Darm von seinen Adnexen befreit bis ins Becken hinein. Der Magen ist stark, der Dickdarm mässig gefüllt; am ganzen Darm sind starke, ringförmige Ein- schnürungen vorhanden. Die Defäkationsbewegung setzt ein um 10& 47’ 10" und wird von da ab periodisch um: ! Differenz Stunde Minuten Sekunden in Sekunden 10 47 30 10 48 50 3 10 49 50 60 10 50 au 30 10 51 20 an 10 52 10 ; 50 10 58 Be 60 10 54 = 100 10 55 40 60 10 2. 56 40 70 10 57 50 Streichen am Magen ruft keine typische Reaktion hervor, doch scheinen als Folge des Reizes peristaltische Bewegungen am Rectum aufzutreten, ohne dass sich etwa von der Reizstelle aus die Peristaltik durch Kontinuität auf das Rectum übertragen hätte. Als jetzt auf den Damm mehrere heisse Wassertropfen gebracht werden, erfolgen sehr starke Defäkationsbewegungen. 138 Josef Schüller: Versuch V. Mitte April 1910. Hungerfrosch wird um 11h 50’ dekapitiert, das Rückenmark ausgebohrt, der Darm isoliert bis auf seinen Ansatzpunkt im Becken. Die Defäkations- bewegung tritt sofort ein und wiederholt sich um: i Differenz Stunde Minuten Sekunden ;, Sekunden 11 55 — 0 11 55 50 u 11 56 u 50 11 51 = s5 1 58 55 Um 125 1’ 30” tritt nochmals eine Kontraktion ein. Um 12h 3’ 10” wird nach Spalten der Magen- und Dünndarmwand die Innenfläche zwischen den Fingern gestrichen. Es erfolgt sofort die typische Wanderung des Dickdarmes. Folgende Reize des Dünndarmes haben keine Reaktionen zur Folge, solche am Analring bedingen dagegen augenblickliche Dickdarmwanderung. Es war aber sehr unwahrscheinlich, dass die Defäkationsbewegung auch unter physiologischen Verhältnissen in dem Grade verlaufe, wie es die angegebenen Versuche zu lehren schienen. Man durfte mit Recht vermuten, dass diese schnellen Perioden entweder bedingt seien durch abnorme Reize oder durch Fortfall von Hemmungen, die beim normalen Tier den Vorgang in anderer Weise regeln. Für beide Möglichkeiten kam die Zerstörung des Rückenmarkes als nächstliegende Ursache in Betracht, eine Schlussfolgerung, die der Versuch bestätigte. Werden die Frösche dekapitiert und nur ihre Bauchhöhle eröffnet, ohne das Rückenmark zu zerstören, so verharrt der Darm in fast absoluter Ruhe, auch nach längerer Zeit stellt sich spontan keine Defäkationsbewegune ein. An einem derartigen Präparat mit intaktem Rückenmark hätte man demnach Reize und Reizwirkungen viel besser studieren können, da hier die störenden spontanen Reaktionen in Fortfall kamen. Um etwaigen Einwänden zu entgehen, hätte man natürlich sämtliche Verbindungen zwischen Verdauungsschlauch und Rückenmark sorgfältig entfernen müssen. Aber merkwürdigerweise versagen an einem Objekte, dessen Bauch- höhle allein eröffnet ist und dessen Organe sich im übrigen in situ befinden, die willkürlich am Darm applizierten Reize vollkommen. Sogar der Analreiz, der im Versuch I beschrieben ist, und manch- mal noch 2 Stunden nach dem Tode des Tieres kräftige Defäkations- bewegungen hervorruft, fällt bei einem Tiere mit intaktem Rücken- mark vollkommen negativ aus. Nur sehr starkes Zerren am Rectum selbst kann eine Reaktion zur Folge haben. Lässt man jedoch die- Automatische Zentren und Reflexvorgange im abgelösten Darm. 139 selben Tiere, welche direkt nach Dekapitieren keine Reaktion gaben, längere Zeit, 1Y/s Stunden, ruhig liegen, nachdem man die Bauchhöhle wieder mit einem Hautlappen zugedeckt hat, und reizt jetzt noch- mals am Analring, so erfolgt augenblicklich die typische Diekdarm- wanderung. Der Erfolg ist derselbe, wenn man das Rückenmark durch Ausbohren nachträglich zerstört, oder bei intaktem Rückenmark die zum Dickdarm führenden Nervenleitungen unterbricht. Man kann entweder in der Höhe des Beekenanfanges alles, was dorsal vom Diekdarm liegt, durch einen Scherenschnitt trennen, oder den ganzen Darm vom Ösophagus bis ins Becken hinein aus seinem mesenterialen Verbindungen lösen. Geht man in diesem letzteren Sinne vor, so lassen sich an dekapitierten Tieren mit intaktem Rückenmark Speiseröhre, Magen und der allergrösste Teil des Dünn- darmes lösen, ohne dass spontane Defäkationsbewegungen eintreten, noch willkürlich angebrachte Reize eine Reaktion auszulösen ver- mögen. Isoliert man aber den untersten Darmabschnitt vollständig, so hat dieses wieder periodische Kontraktionen zur Folge. Es ge- nügt sogar, ohne irgend etwas anderes zu lösen, nur das Reetum peripher freizulegen, um denselben Erfolg zu erzielen. — Soweit die Frage also bis jetzt gediehen ist, sind noch keine Bedingungen ausfindig gemacht, unter denen einerseits keine spon- tanen Bewegungen eintreten, andererseits Reize an den übrigen Darmteilen prompte Wanderungen des Diekdarmes hervorrufen. Um also trotzdem darzutun, dass zwischen Ösophagus, Magen oder Dünn- darm gegenüber dem Dickdarm reflektorische Beziehungen unabhängig vom Rückenmarke bestehen, ist man zu dem Beweis gezwungen, dass durch Anhringen von Reizen die Defäkationsbewegung früher eintritt, als sie ohne diese eintreten würde. Man hat, mit anderen Worten, zeitliche Differenzen als Folge der Reize nachzuweisen. Für derartige Zwecke fallen nun schon alle diejenigen Präparate fort, deren spontane Reaktionsfolge eine sehr schnelle ist. Besser eignen sich solche, die zwar träge sind, bei denen aber die Ruhepause die Latenzzeit um ein beträchtliches übersteigt. Bei letzteren lassen sich die Reize in grösserer Ruhe aubringen und werden die er- haltenen Zahlen eindeutiger. Zum Belege seien folgende Versuche herausgegriffen : Versuch VI. Mai 1910. Rana esculenta, die am Tage vorher künstlich gefüttert war, wird um 4h 28’ dekapitiert, die Beine am Rumpfe amputiert, um diesen bequemer unter 140 Josef Schüller: die Glasschale legen zu können, und um störende Bewegungen der Extremitäten zu verhüten. Die Bauchhöhle wird eröffnet, Rückenmark aber nicht ausgebohrt. Der Darm verbleibt in vollständiger Ruhe bis 45h 33’, d.h. innerhalb 10 Minuten ist keine Defäkationsbewegung eingetreten. Um 4h 40’ wird das Rückenmark ausgebohrt; die typischen Dickdarmwanderungen setzen ein und wiederholen sich zu folgenden Zeiten: Stunde Minuten Sekunden ee 4 41 30 0 we o Del 60 4 ee Er 65 4 45 05 85 4 46 30 Darauf wird der Darm gelöst bis ins Becken hinein, ohne dass die Be- wegung sistiert, wie aus folgenden Daten hervorgeht: Stunde Minuten Sekunden in ne 4 50 az: 60 4 ol iR 55 4 ap 55 Be 4 52 30 60 4 53 30 30 4 54 I a i 54 2 35 en 9) 4 51 > a 4 58 30 40 4 59 10 Die Kontraktionen setzten sich noch weiter fort, doch wurde das Präparat nicht mehr genauer beobachtet, da es infolge der grossen Geschwindigkeit der Reaktionen für das Studium der Reflexerscheinungen ungeeignet war. Versuch VII. Anfang Mai 1910. Rana esculenta, die am Tage vorher künstlich ernährt worden war, wird um 2h 52’ dekapitiert, das Rückenmark nicht ausgebohrt. Nach Eröffnung der Bauchhöhle ist der gauze Darm in fast absoluter Ruhe, auch ist keine Defäkations- bewegung wahrzunehmen bis 3b 14’, wo das Rückenmark ausgebohrt wird; sofort tritt die gewohnte Erscheinung zutage um: : x Differenz Stunde Minuten Sekunden in Sekunden [5) 3 14 30 50 3 15 au 270 3 0 10 R Man sieht, wie sehr die Reaktionsfolge bei verschiedenen Individuen schwankt, wenn man die vorhergehenden Versuche mit dem vorliegenden vergleicht. Automatische Zentren und Reflexvorgänge im abgelösten Darm. 141 Der ganze Darm wird nun vom Mesenterium gelöst, ohne dass bis 3h 30’ die Defäkationsbewegung wieder eintritt. Ebenso negativ sind Reize am Magen und Dürndarm, augenblicklich positiv dagegen vom Analring aus. Versuch VII. Mitte Mai 1910. Eine Rana esculenta, am Tage vorher gefüttert, wird um 25 6’ dekapitiert, Rückenmark nicht ausgebohrt, dagegen die Extremitäten amputiert. Magen und Dickdarm sind stark gefüllt. Bis 25h 16’ wird alles in situ belassen und unter Glas beobachtet, ohne dass. eine Defäkationsbewegung innerhalb 10 Minuten zu konstatieren ist. Jezt wird der ganze Verdauungsschlauch gelöst, und sofort setzen die typischen Bewegungen ein, um: Stunde Minuten Sekunden , Differenz >) 09 in Sekunden 2 23 30 Sn 2 24 23 n 2 24 30 En 3 Si = 40 2 25 40 Jetzt erst wird das Rückenmark zerstört, ohne dass die Reaktionsfolge eine wesentliche Änderung erleidet, wie folgende Zahlen beweisen: 5 Differenz Stunde Minuten Sekunden in Sekunden 32 2 3 10 50 2 33 En 60 2 34 Se; Es hat also das Rückenmark seit 2b 22’ keinen Einfluss auf die De- fäkationsbewegung mehr gehabt. Versuch IX. Anfang August 1910. Frischgefangenes, grosses Tier wird um 95 45’ dekapitiert. Nach Eröffnung der Bauchhöhle wird der Darm ausschliesslich des Dickdarmes gelöst; es erfolgt keine Defäkationsbewegung innerhalb 13 Minuten. Streichen am Magen, Pylorus und am Dünndarm lösen keine Dickdarmwanderungen aus. Als jetzt auch das Mesokolon und die dorsal liegenden Nerven durchschnitten werden, vollführt das Rectum wieder seine typischen Kontraktionen, um: | : Differenz Stunde Minuten u in Sekunden 10 12 0 10 13 30 S \ e n 170 “ an 240 260 10 25 30 | Die Darmschlingen werden nun mit einem Hautlappen bis 105 30’ zu- gedeckt; um 10h 32’ erfolgt nochmals eine spontane Defäkationsbewegung. Um 105 34’ wird der Magen gereizt, und hat 105 35’ eine Reaktion zur Folge. 142 Josef Schüller: Sofort darauf wieder gereizt, erfolgte Reaktion um 10h 36’. Das Präparat wird zugedeckt bis 105 40’, wo speziell die Pylorusmuskulatur durch Streichen gereizt wird, und nach 40 Sekunden eine typische Dickdarmwanderung zur Folge hat. Um 10% 41’ wird der Dünndarmanfang gereizt und bedingt Reaktion nach 30 Sekunden. In allen diesen Fällen trat die Reaktion weit früher ein, als die peristaltische Bewegung, die sich an den Reiz anschloss, sich über den Dünndarm fortgepflanzt hatte und eher als die Diekdarmbewegung spontan ein- getreten wäre. Bis 10h 46’ wurde das Objekt wieder zugedeckt und dann das Rückenmark ausgebohrt. Leider wurde hierbei das Rectum stark gezerrt, so dass es zweifelhaft ist, auf welches Moment man die etwas beschleunigte Reaktions- folge zu beziehen hat; zudem ist sie unwesentlich, wie aus folgendem hervorgeht: Stunde Minuten Sekunden ;, Sekunden r ‚ eo 50 160 n 2 > 160 > a 2» 170 " 5 an 270 11 5 30 50 11 9 40 Um 11h 11’ wird die Magenmitte durch scharfen Scherenschnitt getrennt, worauf nach 30 Sekunden Defäkationsbewegung eintritt. Dieser Versuch, am Dünndarm wiederholt, führt keine Reaktion herbei. Versuch X. August 1910. Rana esculenta wird um 55h 30’ dekapitiert. Bis 5h 37’ verharrt der Darm in absoluter Ruhe. Bis 5& 51’ werden sukzessive die Brustorgane, Mesenterium des Magens und Dünndarms durchschnitten, ohne dass Defäkations- bewegung eintritt. Äusserer Umstände halber wird das Präparat bis 6h 1’ zu- gedeckt, dann das Mesokolon durchschnitten, ohne dass sich bis 6h 8’ eine Wirkung zeigt. Beim Isolieren des strangförmigen Dickdarmendes aber treten schwache Defäkationsbewegungen ein. Streichen am Magen bleibt ohne Erfolg, Reize am Dünndarm lösen nach 1 Minute eine Reaktion aus. Als jetzt das oberste Brustmark partiell zerstört wird, treten zweifellos im Gefolge hiervon periodische Bewegungen des Dickdarms auf, welche aber bald abklingen. Immerhin müssen also noch ganz kaudale Verbindungen zwischen Rückenmark und Darm nicht getrennt worden sein. Streichen am Dünndarm und besonders am Pylorus haben jetzt starke Reaktionen gezeitigt. Dasselbe augenblickliche Resultat erzeugte ein Schnitt in die Magenmitte. Versuch XI. Ein frisch gefangenes, grosses Tier wird um 5& 15’ dekapitiert. Der ganze Darm ist prall gefüllt. Innerhalb der folgenden 10 Minuten zeigt sich keine Defäkationsbewegung. Beim Lösen des Darmes tritt sie erst ein, als auch der Dick- darm isoliert wird, und zwar periodisch von 55 29’ ab fast jede Minute sich wieder- holend bis 65 9’, also 40 Minuten lang. Wegen der schnellen Reaktionsfolge ist das Objekt für die Untersuchung über den Einfluss willkürlicher Reize ungeeignet. Automatische Zentren und Reflexvorgänge im abgelösten Darm. 143 Versuch XII. Grosse, frisch gefangene Rana esculenta wird um 65 20’ dekapitiert, die _ Leibeshöhle eröffnet, das Rückenmark dagegen nicht ausgebohrt. Der Darm ist straff gefüllt; doch konstatierte ich bis 6 30’ keine Lageveränderungen. Streichen am Magen, einfaches Zerren am Dickdarm selbst, Reizen des Analringes vermag keine Reaktion auszulösen. Das Präparat wurde jetzt 40 Minuten zugedeckt, um zu konstatieren, ob sich eventuell die Periodizität nach längerem Liegen spontan einstellte. Doch ist während der folgenden 5 Minuten keine Dickdarmwanderung zu beobachten. Ösophagus, Magen, Dünndarm können vom Mesenterium getrennt werden, ohne dass Reaktion eintritt. Um 7h 23’, also 1 Stunde nach dem Tode des Tieres, wird das Mesokolon und das Mesorectum durchtrennt und hat schwache aber typische Ortsbewegungen des Rectums zur Folge; diese wiederholen sich zirka jede Minute bis 7h 50', wo sie länger aussetzen. Ein Reiz am äusseren Analring ruft aber auch jetzt noch die Ortsbewegung des Dickdarmes hervor. Versuch XIII. Anfang August 1910. Mittelgrosses Tier wurde um 8b 44’ dekapitiert, das Rückenmark intakt " gelassen, die Bauchhöhle jedoch eröffnet. Reize am Anus, Magen, Dünndarm bleiben ohne Erfolg. Der Darm wird hierauf isoliert, und beim Lösen der Mesenterial- schlingen, die Dünndarm und Dickdarm verbinden, setzt die periodische Defäkations- bewegung ein und wiederholt sich bis 9b 37’ zirka jede Minute. Willkürliche Reize am Darm haben kein eindeutiges Ergebnis, weil die periodischen Vor- und Rückwärtsbewegungen des Rectums einander zu schnell folgen. Versuch XIV. August 1910. Ein mittelgrosser Frosch wurde um 8 h 17’ dekapitiert, das Rückenmark nicht ausgebohrt. Bis 3b 24’ vollkommene Ruhe. Reize der bekannten Art sind ohne Erfolg. Das Präparat wird mit einem Hautlappen verdeckt und bis 9h 39’ sich selbst überlassen. In den folgenden 5 Minuten ist keine Veränderung eingetreten. Sie erfolgt jedoch augenblicklich auf einen Analreiz hin, ebenso positiv wirken Reize am Dünndarm. Zugleich mit dem letzten wirksamen Reize um 9h 56’ wird die Bewegung periodisch und wiederholt sich ungefähr jede Minute bis 10h 14’. Analreiz bedingt aber auch jetzt noch prompte Reaktion. Bei der nunmehr vorgenommenen Rückenmarkszerstörung ist aber eine Wirkung weder auf die willkürliche noch unwillkürliche Muskulatur zu konstatieren. Es war also um diese Zeit zweifellos abgestorben. Versuch XV wurde in der Absicht angestellt, nochmals die Ergebnisse des vorhergehenden Versuches zu erhalten. Das Präparat war in derselben Weise vorbertitet, auch liess sich innerhalb 1'/g Stunden keine spontane Bewegung beobachten; die will- kürlichen Reize waren von keinem Erfolg begleitet. Ausbohren des Rücken- markes bedingt jedoch deutliche, aber schwache Reaktion. Versuch XVI. Ein grosses, frisch gefangenes Tier wird um 10h 17’ dekapitiert, das Rückenmark bleibt unangetastet, und demzufolge versagen alle Reizungen. Durch 144 Josef Schüller: Scherenschnitt werden jetzt Lenden vom Brustrumpf getrennt, ohne aber den Ver- dauungsschlauch als solchen zu verletzen. Ein Analreiz bedingt jetzt augen- blicklich Reaktion, die sich von jetzt an spontan alle 40 Sekunden wiederholen. Um 10h 45’ ist aber schon keine Ortsbewegung des Dickdarmes mehr zu kon- statieren. Um 11h 15’ hat auch ein Analreiz keinen Erfolg mehr. Das Präparat scheint also nicht sonderlich disponiert gewesen zu sein. Versuch XVII. Eine Rana esculenta wird um 12h 45’ dekapitiert, das Rückenmark intakt gelassen. In den folgenden 10 Minuten ist keine Wanderung des Dickdarmes zu beobachten, worauf der Verdauungstractus bis zum Rectumanfang gelöst wird, ohne Reaktionen im Gefolge zu haben. Alle Reize am Magen, Dünndarm oder Anus sind unwirksam. In der Höhe der Kotsäule im Rectum werden nun möglichst alle dorsal gelegenen, von aussen herantretenden Nerven durchschnitten, jedoch nicht Lenden vom Rumpfteil getrennt. Analreiz um 15 13’ bedingt momentane Reaktion, die sich von da ab spontan alle 50 Sekunden 40 Minuten lang wieder- holen. Man kann jetzt den ganzen Dünndarm, sogar einen Teil der Kotblase durch einen scharfen Scherenschnitt entfernen, ohne dass die Periode aufhört. Versuch XVIL zeigt, dass der Zerstörungsreiz des Rückenmarkes nicht längs der ganzen Darm- wand zum Rectum geleitet wird. Eine Rana esculenta wurde um 7h 35’ de- kapitiert, Bauchhöhle eröffnet, das Rückenmark aber nicht zerstört. Dann werden die einzelnen Darmteile sukzessive durch scharfe Scherenschnitte voneinander getrennt. Als der Dünndarm vom Pylorus gelöst wird, erfolgt sofort kurze, aber charakteristische Defäkationsbewegung. Darauf wird der Dünndarm an zwei Stellen und das Rectum vom Dünndarm und die Kotblase in der Mitte selbst durchschnitten, ohne dass jetzt eine Ortsbewegung des Dickdarmes zu beobachten gewesen wäre. Die nunmehr vorgenommene Zerstörung des Rückenmarkes hat dagegen sofort die typische Periode im Gefolge: Stunde Minuten Sekunden a ren 7 46 30 30 7 47 — 40 Ü 47 40 65 7 48 45 35 7 49 20 Es wird jetzt auch der Rest der Kotblase amputiert, so dass nur noch das strangförmige Ende des Dickdarmes zu sehen ist. Aber auch dieses führt noch seine typischen Kontraktionen aus, um: : Differenz Stunde | Minuten Sekunden ineSekunden 8 1 — 40 8 1 40 110 8 3 30 90 8 5 — Automatische Zentren und Reflexvorgänge im abgelösten Darm. 145 Versuch XIX. Eine ‘frisch gefangene Rana esculenta wird um 85h 35’ dekapitiert, die Bauchhöhle eröffnet, und die Kotblase von dem strangförmigen Rest des Rectum durch scharfen Scherenschnitt getrennt. Als jetzt das stehengebliebene Darmende vollständig isoliert wird, vollführt es die typischen Kontraktionen um: Stunde Minuten Sekunden ‚ Differenz in Sekunden 8 37 40 8 eg 30 50 5 20 - = >> 20 6) 39 10 Mn ; ir » 40 8 40 50 an 8 42 10 r i Rn % 30 218 43 20 ; In dieser Weise wiederholt der Darm die Funktionen noch eine Weile, jedoch wurde die Zeit nicht mehr festgestellt. Versuch XX. Mitte März 1911. Ein Hungertier wird um 115 5’ dekapitiert und die Bauchhöhle eröffnet, das Rückenmark dagegen nicht verletzt. Streichen am Dünndarm ist ohne jeden Erfolg. Das Präparat wird zugedeckt bis 11h 20’, wo vom Rücken aus die ganze Wirbelsäule, das Kreuz- und Steissbein einbegriffen, samt anliegenden Nerven vom Becken getrennt wird. Jetzt um 11h 25’ erfolgt auf einen Dünn- darmreiz Reaktion nach 25 Sekunden. Denselben Erfolg zeigt ein Analreiz. Spätere Versuche fallen sämtlich negativ aus. Die erhaltenen Befunde scheinen mitunter einander wider- sprechende Ergebnisse zu zeitigen, jedoch ermöglichen sie in Wirk- lichkeit eine ziemlich einheitliche Deutung. Zunächst habe ich im kaudalen Ende des Darmtraktus ein automatisches Zentrum auf- gefunden, welches die Defäkationsbewegung periodisch zur Auslösung bringt, sobald die vom Rückenmark ausgehenden Hemmungen in Wegfall gekommen sind. Dieses Zentrum muss, wie besonders aus Versuch XVIII hervorgeht, in dem Teil des Dieckdarmes gelegen sein, der sich als strangförmiges Gebilde. von der Kotblase!) deutlich absetzt und kloakenwärts gelegen ist. Seine Funktion kann im normalen Organismus auf verschiedenen Wegen und in verschiedenem 1) Am oralen Anfang des Rektum gelegen. Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, dass der Dickdarm der Anuren nur aus einem Rektum mit darauf folgender Kloake besteht. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 10 146 Josef Sehüller: Sinne beeinflusst werden, nämlich durch beschleunigende und hen- mende Fasern vom Rückenmark aus, oder unabhängig vom Rücken- mark durch Reflexbahnen im Darme selbst. Beschleunigende Nervenbündel hat Steinach!) nachgewiesen. Gelegentlich einer Untersuchung über die nervöse Versorgung des Darmes hat er zuerst die Wanderung des Diekdarmes beobachtet, als er die vorderen und hinteren Rückenmarksnervenwurzeln, die zum Diekdarm gehen, elektrisch reizte. Das automatische Zentrum steht aber auch sicher unter dem Einfluss hemmender Fasern, wenn man anders erklären will, dass Tiere mit intaktem Rückenmark keine sogenannten „spontanen“ Defäkationsbewegungen zeigen, und dass auf willkürliche, am Darm | angebrachte Reize fast nie eine Ortsbewegung des Dickdarmes er- folgt. — Gerade Versuch XIV, der dieser Annahme zu widersprechen scheint, bildet eine wesentliche Stütze. Bei dem betreffenden Tiere war nämlich das Rückenmark nicht zerstört worden, und trotzdem konnten Ortsbewegungen des Dickdarmes ausgelöst werden, die dann sogar in periodische übergingen. Aber die Schwierigkeit ver- schwindet, wenn man berücksichtigt, dass diese Reizerfolge erst 1!/sz Stunden nach dem Tode des Tieres eintraten. Da die jetzt vorgenommene Rückenmarkzerstörung keinen Einfluss mehr auf willkürliche noch unwillkürliche Muskulatur hatte, darf man mit Recht annehmen, dass das Rückenmark und damit die Hemmungs- fasern früher abgestorben waren als die automatischen Ganglien in der Wand des Reetums selber. Das relativ frühe Absterben des Rückenmarkes kann seine Erklärung darin finden, worauf mich Herr Prof. Nussbaum aufmerksam machte, dass durch die nach dem Exitus eintretende Fibringerinnung des in den Wirbelkanal ergossenen Blutes das Rückenmark erdrückt worden ist. Durch die Versuche IX und XIII ist auch der Ort festgelegt, wo diese spinalen Bahnen an den Dickdarm herantreten, und zwar erfolgt der Übertritt vom Rückenmark zum Darme im Mesokolon. Es ist dies nicht von vornherein selbstverständlich, insofern die be- treffenden Nervenbündel auch in der Höhe des Hals- oder Brust- markes den Darm erreichen und von da ab in seiner Wand anal- wärts laufen konnten. Der dritte Modus, das Defäkationszentrum zu beeinflussen , ist 1) Dieses Archiv Bd. 60 S. 593. 1895. Automatische Zentren und Reflexvorgäuge im abgelösten Darm. 147 durch die Reflexbahnen gegeben, die in der Darmwand selbst ge- legen sind. Es liegen allerdings nicht viel exakt beweisende unter meinen Versuchen vor, was aber nicht wundernehmen kann, wenn man die Schwierigkeiten erwägt, Objekte mit allen gewünschten Eigenschaften zu erhalten. M. Nussbaum hat jedenfalls mehr sünstige Objekte zur Verfügung gehabt und ausserdem, wie er mir mitteilte, die Versuche an Hunden dreimal mit dem gleichen positiven Erfolg im physiologischen Institut zu Bonn in Gegenwart von E. Pflüger, W. Harms und Junkersdorf angestellt. Einer- seits sollen die Präparate eine langsame Folge der spontanen Defäkationsbewegungen zeigen, andererseits für willkürliche Reize sehr empfänglich sein: alles Bedingungen, die man nach den bis- herigen Erfahrungen nur durch Zufall erreicht. Abgesehen von den Ergebnissen aus Versuch II, V, X, XIV, liegen derartig günstige Umstände in Versuch III und IX vor. Aus ihnen geht hervor, dass die Deutung, die Nussbaum seinen Befunden gab, richtig ist, wenn die Verhältnisse auch durch die nunmehr erkannte spontane und periodische Natur der Defäkationsbewegung wesentlich kom- pliziert werden. Die Versuche zeigen somit, dass örtliche Bewegungen am Darme nicht allein ausgelöst werden können durch Reize, die an derselben Stelle zur Wirkung kommen, sondern dass ebenso unabhängig vom Rückenmark in der Darmwand Reflexbahnen tätig sind. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, dass Reize an oral gelegenen Darmteilen reflektorisch Ortsbewegungen des Reetums auszulösen vermögen, ohne dass sich etwa der Reiz im Sinne einer peristaltischen Be- wegung übertragen hätte. Als Reizmittel wurden in den bisherigen Versuchen hauptsäch- lich solehe mechanischer Natur verwandt. Diese können auch beim Ablauf des normalen Verdauungsvorganges eine Rolle spielen, in- sofern starker Füllungszustand oder plötzliche Entleerung oral ge- lesener Darmteile anregend auf die Defäkationsbewegung wirken. Es ist ja auch an stark gefütterten Tieren eine viel intensivere Dickdarmwanderung zu konstatieren als an Hungertieren, wenngleich dieses Verhalten auch durch erhöhte Reizbarkeit während der Ver- dauungszeit bedingt sein könnte. Liegen aber solcherlei Beziehungen zwischen Defäkations- bewegungen und der Funktion anderer Darmteile vor, so steht dieser Bewegungsmechanismus in einer gewissen Analogie mit dem 148 Josef Schüller: Automatische Zentren und Reflexvorgänge etc. Mechanismus der Pyloruskontraktionen; denn auch diese sind auto- matischer: Art und können unabhängig von .äusserer Innervation regelrecht vor sich gehen. So ruft mechanische Dehrung entsprechend‘ starker Füllung: des Duodenums reflektorisch Schluss des Pylorus: hervor. Wie: aber: dieser. Vorgang nicht allein auf mechanische Reize hin auftritt, sondern gerade chemische bei seiner Auslösung eine hervorragende Rolle spielen, so darf. man vermuten, dass letztere auch für die Ausführung der Defäkationsbewegung von Bedeutung sind. Erste Versuche mit chemischen Reizen am Magen und Dünn- darm haben jedoch noch keine zwingenden Resultate ergeben. Sie waren zudem angestellt, ehe noch die spontane und periodische Natur der Bewegung erkannt war. Eine weitere Analogie zwischen Pyloruskontraktionen und Defäkationsbewegungen kann man in ihrer beiderseitigen Abhängig- keit vom Zentralnervensystem finden; der an sich automatische Vor- sang der Pyloruskontraktion kann durch den Vagus erregt und durch den Sympathieus gehemmt werden. Auf die ähnliche nervöse Versorgung des Diekdarmes wurde schon oben hingewiesen. Trotz mancher analoger Verhältnisse ist der entwickelte Ver- sleich nicht streng durchzuführen, da die Defäkationsbewegung periodisch erfolet. Sie gleicht deshalb mehr dem Herzschlag. Genau wie dieser unabhängig von äusserer Innervation periodisch vor sich gehen kann, unter physiologischen Verhältnissen dagegen von cerebro- spinalen Bahnen regulatorisch beeinflusst wird, so finden auch die Bewegungs- und Hemmungsnerven des Rückenmarkes in der Darm- wand einen nervösen Apparat vor, der in der normalen Funktion von ihnen abhängig ist, der aber auch ohne sie ein koordiniertes Zusammenarbeiten der einzelnen Darmabschnitte ermöglicht. Nur ist die Darmfunktion wiederum von der des Herzens verschieden, als durch den Nussbaum’schen Versuch von weit entlesenen Stellen zum Reetum hin Reflexbahnen nachgewiesen sind, die sich in der Darmwand selbst finden. 149 Über die Wirkung kleinster Säuremengen auf die Blutgefässe. Ein Beitrag zur Kenntnis der vermehrten Durchblutung tätiger Organe. Von Privatdoz. Dr. Carl Schwarz, und Dr. Frieda Lemberger, Assistent Demonstrator am physiologischen Institut der Universität in Wien. Die vermehrte Durchblutung der Organe bei ihrer Tätigkeit ist für eine Reihe von Drüsen und für die quergestreifte Muskulatur bereits seit langem sichergestellt). Ihre Ursache hat mannigfache, wenig befriedigende Deutungen erfahren, bis Gaskell?) auf die Möglichkeit hingewiesen hat, dass die in tätigen Oreanen vorhandene Vasodilatation in einer vermehrten Bildung gewisser saurer Stoffwechselprodukte ihre Ursache haben könnte. Diese Hypothese gewann an Wahrscheinlichkeit, als Gas- kell2) bei Durchleitung sehr stark verdünnter Milch- oder Essig- säure (1: 10000) durch die Aorta des Frosches Vasodilatation im M. mylohyoideus des Frosches mikroskopisch beobachten konnte. Zu einer ähnlichen Ansicht bekennen sich auch Henderson und Loewi?°), wenn sie die Vermutung aussprechen, dass die vasodilatorische Wir- kung des Pilokarpins wahrscheinlich durch die gefässerweiternde Wirkung der bei der Drüsentätigkeit entstehenden Produkte bedingt sein dürfte. Ebenso deutet auch Barcroft*) die kurz dauernde vermehrte Durchblutung der Gl. submaxillaris, die der Reizung des Halssympathieus folst. So oft auch der Gedanke über die Beziehung zwischen den Stoffwechselprodukten im tätigen Organ 1) Vgl. F. B. Hofmann, Nagel’s Handbuch d. Physiol. Bd. 1 8. 829. 1909. 2) W. H. Gaskell, Journ. of physiol. vol.3 p. 48. 1880—1882. 3) Henderson und Loewi, Arch. f. exp. Path. Bd. 53 S. 62. 1905. 4) J. Barcroft, Proc. of the physiol. soc. 1907. Journ. of physiol. vol. 35 no. XXIX. 1906/1907, vol. 36 no. LIII. 1907/1908. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 1l 150 Carl Schwarz und Frieda Lemberger: und der Gefässerweiterung ausgesprochen wurde, so hat er trotzdem bisher noch keine eingehende experimentelle Prüfung erfahren. Da nun in tätigen Organen zweifellos saure Stoffwechselprodukte in ganz beträchtlicher Menge entstehen, so war der zuerst von Gaskell*) ausgesprochene Gedanke über den Zusammenhang zwischen ver- mehrter Säurebildung und vermehrter Durchblutung tätiger Organe keineswegs von der Hand zu weisen. In vorliegender Untersuchung wird nun der Versuch gemacht, die Wirkung kleinster Säuremengen, wie sie in tätigen Organen ent- stehen könnten, auf das Verhalten der Blutgefässe einiger vom Ge- fässzentrum isolierter Organe verschiedener Warmblüter und den Mechanismus dieser Wirkung zu zeigen. Über die Wirkung von Säuren auf den Zustand der Blutgefässe sind uns aus der Literatur nur wenige Angaben bekannt geworden. Gleichwie Gaskell!) berichtet Bayliss?) in einer ganz kurzen Mitteilung beim Frosch über Erweiterung der Blutgefässe nach Durch- strömung des Tieres mit verdünnter Milchsäure (1:10 000); beimWarm- blüter fanden weder er noch Osborn und S. Vincent?) mit Milch- säure irgend einen Erfolg, während Roy und Sherrington‘) nach Injektion verschiedener Säuren eine Erweiterung der Blutgefässe des Gehirns konstatieren konnten. Über die Beeinflussung der Blutgefässe im Sinne einer Erweite- rung durch CO, liegen mehrere Angaben vor, so von Bayliss?), Severini?) und Tomita®), denen noch eine Reihe von Beobach- tungen über die Erweiterung der Gefässe bei Asphyxie zuzuzählen sind; Donders’), Jolly°), Krauspe’), Hürthle!®), Gärtner 1) W. H. Gaskell, Journ. of physiol. vol. 3 p. 48. 1880—18832. 2) W. M. Bayliss, Proc. of the phys. soc. Journ. of physiol. vol. 26 no. XXXII. 1900/1901. 3) W. A. Osborn and S. Vincent, Journ. of physiol. vol. 26 p. 293. 1909. 4) C. S. Roy and S. Sherrington, Journ. of physiol. vol. 11 p-. 85. 1890. 5) L. Severini, Perugia 1881. Zit. nach Bayliss, Ergebn. d. Physiol. Bd. 5 S. 545. 1906. 6) Ch. Tomita, Pflüger’s Arch. Bd. 116 S. 299. 1907. 7) Donders, Schmidt’s Jahrb. Bd. 69 S. 161. 1851. 8) Jolly, Untersuchungen über den Gehirndruck. Würzburg 1871. 9) Krauspe, Virchow’s Arch. Bd. 59 S. 488. 1874. 10) Hürthle, Pflüger’s Arch. Bd. 44 S. 561. 1889. Über die Wirkung kleinster Säuremengen auf die Blutgefässe. 151 und Wagner!) und Roy und Sherrington?) berichten in nach den verschiedensten Methoden ausgeführten Versuchen, dass bei As- phyxie resp. beim Beginn der Erstickung eine Erweiterung der Ge- hirngefässe ein konstanter Befund ist. So lagen die Tatsachen, als wir an unsere Versuche heran- singen. Zahlreiche Vorversuche liessen uns zwei Blutgefässbezirke als zur Entscheidung der aufgeworfenen Frage zweckmässig erscheinen: die leicht vom Zentralnervensystem isolierbaren Blutgefässe der Sub- maxillardrüse und die vom Gefässzentrum unabhängigen intra- kraniellen Blutgefässe °). l. Methodik. A. Die Durchblutung der Submaxillardrüse®). Zu diesen Versuchen wurden nur Katzen verwendet, denen ca. 1 Stunde vor Beginn des Versuches per os 2 g Urethan pro Körper- kilo verabreicht wurden. Nach eingetretener Narkose wurden die Chorda tympani und der Halssympathieus auf der linken Seite des Tieres durchschnitten. Nach vorsichtigem Freilegen der Submaxillar- drüse wurde eine der kleinen aus der Drüse kommenden Venen aufgesucht und bis zu ihrer Mündung in eine der grossen, die be- kannte Gabel bildenden Venen verfolgt. Die Vena jugularis wurde jetzt in der Mitte des Halses ligiert und alle infolge der Stauung deutlich hervortretenden, in sie mündenden Venen unterbunden, so dass die Jugularvene nur mehr aus der Submaxillardrüse ihr Blut bezog. Jetzt wurde eine gebauchte, mit einem seitlichen Ansatz versehene paraffinierte Arterienkanüle in die Jugularvene eingebunden und an den seitlichen Ansatz mittels Gummischlauches eine passend geformte paraffinierte Ausflusskanüle angeschlossen. Das ausfliessende Blut tropfte auf die Schaufel eines Tropfenzählers nach Loewi, der die einzelnen Tropfen mittels eines kleinen Elektromagneten am Kymographion registrierte. Endständig war die Kanüle mit einer konz. Natriumsulfat-Lösung führenden Spritze verbunden. Wenn im Laufe des Versuches die Kanüle hie und da mit dieser Lösung durch- 1) Gärtner und Wagner, Wiener med. Wochenschr. 1887. 2) C. S. Roy and S. Sherrington, |. c. 3) Vgl. Wiechowski, Arch. f. exper. Pathol. Bd. 48 u. 52. 1902 u. 1905. 4) Wir folgten hier im wesentlichen den Angaben von Frey, Ludwig’s Arbeiten Bd. 11 S.89. 1876 und Henderson und Loewi, Arch. f. experim. Pathol. Bd. 53 S. 56. 1905. 11* 152 Carl Schwarz und Frieda Lemberger: gespült wurde, kam bei dieser Versuchsanordnung Gerinnung wohl niemals zur Beobachtung. Diese Art der Registrierung der durch die Drüse in der Zeiteinheit fliessenden Blutmenge gibt zwar keine sanz quantitativen Werte, doch für die vorliegenden Versuche einen hinreichend genauen Aufschluss über die die Drüse durchfliessende Blutmenge. Der allgemeine Blutdruck wurde mittels Hg-Manometer in der Art. carotis dextra gemessen. Die Injektion der zu untersuchenden Substanzen erfolgte gegen die Richtung des Blutstromes in die Art. subelavia dextra. Zu diesem Zweck wurde der Truneus anonymus freigelegt und in den Anfanesteil der Art. subelavia zentralwärts eine Hahnkanüle ein- cebunden. Da die beiden Karotiden und die Art. subelavia dextra vom Truneus anonymus abzweigen, so war bei dieser Art der In- jektion gegen die Richtung des Blutstromes die beste Bedingung gegeben, wenigstens einen Teil der injizierten Substanz in die Carotis sinistra und damit in die Blutgefässe der linken Submaxillar- drüse celangen zu lassen. B. Die Bestimmune des Kalibers der intrakraniellen Blutgefässe. Die Methode, nach welcher der Zustand der intrakraniellen Gefässe bestimmt wurde, war die von Hürthle!) im Jahre 1839 angegebene, deren Zuverlässigkeit nach kritischer Bearbeitung von Wiechowski?) sichergestellt wurde. Das Wesen dieser Methode besteht in der Ermittlung des Verhältnisses zwischen dem Druck im Cireulus arteriosus Willisii und dem Karotisdruck, das einen Schluss auf die Weite der intrakraniellen Gefässe zulässt. Der Druck im Cireulus (p) ist die Resultierende zweier Kom- ponenten, des allgemeinen Blutdruckes (ce) und des Widerstandes (w), den das Blut bei seinem Eintritt in Blutgefässe des Schädels findet. 9» = cw. Bestimmt man den Druck im Cireulus arteriosus Willisii und SulEron SEE N ) in der Karotis, so kann man das Verhältnis zwischen beiden (?) A ) SR 3 berechnen. Die Grösse z muss nun bei jeder Verengerung der intra- 1) K. Hürthle, Pflüger’s Arch. Bd. 44 S. 561. 1889. 2) W. Wiechowski, Arch. f. exper. Pathol. Bd. 48 S. 376. 1902, und Bd. 52 8. 389. 1905. Über die Wirkung kleinster Säuremengen auf die Blutgefässe. 153 kraniellen Gefässe eine Zunahme, bei jeder Erweiterung eine Ab- nahme erfahren. Wenn auch theoretische Überlegungen gefordert haben, mit der Messung der beiden genannten Drucke gleichzeitig auch den Venendruck in einem Sinus oder die Ausflussgeschwindie- keit des Blutes aus einer Schädelvene zu bestimmen, so haben doch die Untersuchungen Wiechowski’s!) auf das Zwecklose dieser Forderung hingewiesen. Denn bei Drucksteigerungen im venösen System könnten nach Wiechowski nur dann Zweifel über die Deutung der Ausschläge der Hürthle’schen Methode bestehen, wenn bei sinkendem Blutdruck der Quotient 2 eine Vasokonstriktion 9 C anzeigt. Unsere Versuche wurden an Hunden ausgeführt, die in leichter Äthernarkose 0,1 & Chloralose pro Körperkilo intravenös erhielten. Nach Eintritt der Narkose wurde die Carotis communis der rechten Seite freiselest und in der Mitte des Halses unterbunden. Dann wurde die Carotis externa, alle abgehenden Äste der Carotis interna und der Carotis communis unterbunden, so dass das mit dem peripheren Ende der Art. carotis communis verbundene Hg-Manometer nur den Druck im Cireulus arteriosus Willisii auf- schrieb. Das zentrale Ende der Art. carotis communis- registrierte mittels eines zweiten Hg-Manometers den allgemeinen Blutdruck. Die Injektionen der zu untersuchenden Substanzen geschahen in die Art. vertebralis derselben Seite (rechts), nachdem sie am Truneus anonymus ligiert und mit einer Hahnkanüle versehen worden war. 2. Eigene Versuche. 1. Versuch. 7. März 1910. Durchblutung der linken Submaxillardrüse. Katze, 2 ke; Urethan; künstliche Atmung; Chorda tympani und Halssympathicus links durchschnitten; Injektionen in die rechte Art. subelavia. Mittl. Blutdruck Tropfenzahl SE mm Hg in 30 Sek. I un 8 5 80 4 1 cem Milchsäure "/ıoo 8 8) 88 6 88 5 86 5 1) W. Wiechowsky, |. ce. 154 Carl Schwarz und Frieda Lemberger: Mittl. Blutdruck mm Hg Tropfenzahl in 30 Sek. 1 ccm 0,9%/oiges NaCl 0) foto) 1 cem Milchsäure Y/ıoo n. 89 1 90 106 104 100 102 102 102 us Kerke-) Sur 2 ccm 0,9%/oiges NaCl 9 ccm Milchsäure Yıoo n. SG ne} or 2. Versuch. 4. Juli 1910. Durchblutung der linken Submaxillardrüse, Katze, 3,kg; Urethan; künstliche Atmung; Chorda tympani und Halssympathicus links_durchschnitten; Injektionen in die Art. subclavia dextra. Mitt]. Blutdruck mm Hg Tropfenzahl Injekti in 30 Sek. en 140 140 140 5 cem Milchsäure »/ıoo 140 1 132 140 140 vw Hr OT OT 3. Versuch. 6. Dezember 1910. Durchblutung der linken Submaxillardrüse. Katze, 3,5 kg; Urethan; künstliche Atmung; Chorda tympani und Halssympathicus links durchschnitten; Injektion in die Art. subelavia dextra. Mittl. Blutdruck | Tropfenzahl A: mm Hg in 30 Sek. an 142 aM! 142 nl 1 ccm Milchsäure %/s 147 15 144 3 144 10 144 10 140 ) Über die Wirkung kleinster Säuremengen auf die Blutgefässe. 155 Mittl. Blutdruck | Tropfenzahl mm Hg in 30 Sek. ae mj uun l ccm HCl u/aro 136 11 138 10 133 8 1 ccm HCl »/ar0 135 15 138 12 140 9 138 7 138 6 l cem HNO, n/aro 13: 14 134 12 138 9 138: 8 1 cem NaCl 0,9% 136 6 136 6 1 ccm Essigsäure "/ıoo 130 12 132 9 37 7 1 ccm NaCl 0,9% 136 5 | 2) 130 6 | 0,5 cem HCl u/ero 128 7 130 7 1 cem NaCl 0,9% 130 6 0,5 ccm Milchsäure "/s 132 8 128 10 128 5 4. Versuch. 25. Mai 1911. Durchblutung der linken Submaxillardrüse. Katze 2,5 kg. Paraldehyd 4 ccm per os. Künstliche Atmung. Chorda tympani und Halssympathicus links durchschnitten. Injektionen in die Arteria sub- clavia dextra. Mittl. Blutdruck Tropfenzahl Injektion mm Hg in 15 Sek. 140 1 | 144 2 144 1 1) Durchspülung der Kanüle mit Na,SO,. 156 Carl Schwarz und Frieda Lemberger: Mittl. Blutdruck Tropfenzahl | nekti ale, in 15 Sek. | In non | l cem 0,5°%/oiges NaH;PO, 140 6 32 6 34 2 136 1 140 1 140 2 140 1 !/g ccm 0,5 /oiges NaH,PO, 36 3 : 132 2 136 1 142 2 1 ccm 0,5 %/o iges NaH,;PO, 134 5) 132 4 138 2 146 ıl 144 1 150 2 1 cem 0,5 Yo iges NaH,PO, 38 6 13 > 36 2 144 1 150 1 !/, cem 0,5°/oiges NaHsPO, 144 3 138 2 144 1 9. Versuch. 29. November 1910. Bestimmung des Kalibers der intra- kraniellen Gefässe. Hund, 10 kg; Chloralose; künstliche Atmung; e — allgemeiner Blutdruck (rechte Art. carotis communis); p = Druck im Circulus arteriosus Willisii (rechte Art. carotis interna); Injektion in die rechte Art. vertebralis. Die Werte sind alle 10 Sekunden ausgemessen, p durch e dividiert und Differenzen bis zu 0,05 bei der Deutung unberücksichtigt gelassen. € » p ee mm Hg | mm Hg | € | Ink ulon 192 118 0,60 192 116 0,60 188 117 0,62 188 116 0,61 0,5 cem "/ı0o HNO, 188 118 0,62 184 113 0,61 Über die Wirkung kleinster Säuremengen auf die Blutgefässe. 157 € »p p BR mm Hs | mm Hg | € | Bier son 188 109 0,55 182 113 0,59 192 118 0,61 188 120 0,63 186 121 0,65 186 121 0,65 185 120 0,64 185 119 0,64 189 120 0,63 1 cem 0,9 Y/oiges NaCl 190 120 0,63 190 121 0,63 183 120 0,63 188 121 0,64 191 121 0,63 189 120 0,63 190 121 0,65 0,5 ccm "/ao Essigsäure 188 123 0,64 - 192 116 0,60 187 106 0,56 191 113 0,59 202 118 0,58 195 122 0,62 197 128 0,64 198 30 0,65 195 31 0,67 199 13 0,65 6. Versuch. 23. November 1910. Bestimmung des Kalibers der interkra- niellen Gefässe. Hund, 10 kg; Chloralose intravenös 1,0 g; künstliche Atmung; ce = allgemeiner Blutdruck (Art. carotis communis dextra); 9 = Druck im Circulus arteriosus Willisii (Art. carotis interna dextra); Injektion in die Art. vertebralis dextra. Die Werte sind alle 10 Sekunden aus- gemessen. E p p EN mm Hg | mm Hg | € | Injektion 144 98 0,67 142 98 0,69 143 98 0,68 141 98 0,69 1 cem "/go Essigsäure 136 95 0,69 124 Sr 0,58 136 [6) 0,59 141 82 0,58 143 88 0,61 aa al 0,63 158 Carl Schwarz und Frieda Lemberger: ————— € » p Re Ei | im He | 2 | Injekticn 143 94 0,65 143 95 0,66 141 96 0,68 1 ccm 0,9 /oiges NaCl 140 96 0,68 39 96 0,68 141 9 0,68 140 98 0,70 140 100 0,71 !/g ccm Wioo HCl 140 102 0,72 136 97 0,71 141 100 0,71 141 101 0,71 141 102 0,72 1 cem %ıoo HCl 143 104 0,71 127 95 0,73 135 90 0,66 37 98 0,72 141 102 0,72 141 102 0,72 142 103 0,72 1 ccm 0,9%0 NaCl 143 104 0,72 141 102 0,72 141 104 0,73 142 104 0,73 142 104 0,73 1 ccm Y/ro H5SO, 138 102 0,73 13 92 0,67 141 100 0,70 140 100 0,71 13 99 0,71 140 100 0,71 Die bereits angeführten wie auch die folgenden mit noch kleineren Säuremengen ausgeführten Versuche zeigen, dass selbst ganz kleine Mengen von Säuren sowohl in den Blutgefässen der vom Zentral- nervensystem vollständig isolierten Submaxillardrüse wie auch in den intrakraniellen Blutgefässen eine Erweiterung der Strombahn hervor- rufen. Dieselben Befunde konnten auch an Tieren erhoben werden, die mit Nikotin vergiftet waren, so dass wir den Aneriffspunkt der Säurewirkung dort in die Peripherie verlegen müssen, wo das Adrenalin seinen Angriffspunkt besitzt. Um Aufklärung über den Mechanismus der Säurewirkung zu bekommen, wurde eine Reihe von Versuchen mit Säuremengen von eleicher H-Ionenkonzentration ausgeführt. Die folgende Tabelle gibt Über die Wirkung kleinster Säuremengen auf die Blutgefässe. 159 eine Zusammenstellung isohydrischer Säurekonzentrationen, wie sie in den folgenden Versuchen verwendet wurden. H-Ionen- konzentration Säure | 10) 20 0,001 0,98 0,000 98 Be. .:. 1000 0,001 0,99 0,000 99 BEESUL. .... 1000 0,001 0,93 0,000 93 Essigsäure 2085 0,05 0,0181) 0,000 90 Milchsäure . . 128 0,0078 0.13 0,001 01 EC oo Ce 270 0,0037 0,98 0,003 62 BNOmER..... 270 0,0037 0,99 0,003 65 ES... . . . . 250 0,004 0,87 0,003 48 Milchsäure ... . 12 0,083 0,04 0,003 32 El se 100 0,01 0,96 0,009 6 UNS, Ver 100 0,01 0,97 0,0097 BEERSOL. . . .. 70 0,015 0,70 0,0105 7. Versuch. 12. Dezember 1910. Durchblutung der linken Submaxillardrüse, Katze, 2,5 kg; Urethan; künstliche Atmung; Chorda tympani und Halssympathicus links durchschnitten; Injektionen in die Art. subclavia dextra. Mitt]. Tropfen- Mittl. Tropfen- Blut- hl Tnrelki Blut- hl Iniekti Heuele za njektion druck zah njektion mm Hg in 30 Sek. mm He |in 30 Sek. 130 6 114 4 124 5 114 4 120 4 l cem HNO; "/iooo 116 4 110 6 1 ccm H3S04 n/ı000 114 4 114 4 2) 111 7 116 4 110 5 116 5 110 4 1 ccm Glykokoll 1°/o 1 ccm NaQl 0,9 %/0 118 4 112 4 120 4 =) 1 ccm NaCl 0,9°%/o 104 4 120 4 106 3 120 4 1ccmMilchsäuren/ias 1 ccm Alanin 10 104 Z 120 4 110 3 120 4 114 4 1 ccm Na0l 0,9 °/o 114 4 120 4 1 ccm ZICl "/1000 122 4 \ 108 6 2 cem Alanin 1°/o 114 3 124 4 l cem NaC10,9 Yo 122 4 1) Nach Ostwald, Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 3. 2) Durchspülung der Kanüle mit NasSO.. 160 Carl Schwarz und Frieda Lemberger: 8, Versuch. 29. Oktober 1910. Durchblutung der linken Submaxillardrüse. Katze, 3,5 kg; Urethan; künstliche Atmung; Chorda tympani und Halssympathicus links durchschnitten. Injektionen in die Art. subclavia dextra. Mittlerer Tropfen- Mittlerer Tropfen- Blatiruek zahl Injektion u zahl Injektion mm Hg |in 10 Sek. mm Hg |in 10 Sek. 80 2 86 3 s0 3 86 3 80 3 83 3 i 1 cem HCl »/ı00 85 3) 80 5 0,5 ccm HCl »/ı1o0 83 7 85 6 3 4 7 12 82 3 82 6 82 3 82 4 80 3 84 3 80 3 87 3 1 ccm HNO, "/ıoo 1 cem NaCl 0,9 %o 82 10 87 81) 82 9 84 3 82 6 85 3 82 4 1 ccm NaCi 0,9 %/o 82 3 36 3 82 3 83 3 82 3 88 3 86 2 89 3 lccm H;SO, "/ro 0,5 ccm HNO, n/ıoo 87 16 89 11 8 9 89 7 85 5 91 b) 85 4 91 4 85 4 92 3 36 3 3 B) 36 3 0,5 ccm NaCl 0,9 °/0 86 3 3 51) 86 3 93 3 0,5 ccm HsSO, "/ro 93 Be 86 4 3 3 85 7 0,5 cem NaCl 0,9 %/o 86 4 93 2 86 3 93 > 9. Versuch. 13. Dezember 1910. BestimmungdesKalibers derintrakraniellen Gefässe. Hund, 9 kg. Chloralose intravenös 0,9 g; künstliche Atmung; c — allgemeiner Blutdruck (Carotis communis dextra); ce = Druck im Circulus arteriosus Willisii (Carotis interna dextra); Injektion in die Art. vertebralis dextra. Die Werte sind jede 10. Sekunde ausgemessen. 1) Die Injektionskanüle war im vorhergehenden Versuch nicht mit NaCl ge- spült worden; selbst der in der Kanüle vorhandene minimale Säurerest gibt noch eine deutliche Wirkung. Über die Wirkung kleinster Säuremengen auf die Blutgefässe. 161 mm Hg mm Hg 121 70 121 70 120 69 120 69 120 69 118 69 110 62 100 49 116 535) 120 60 122 63 122 62 122 65 122 69 126 12 126 12 111 54 116 58 126 66 126 69 126 69 126 71 125 12 127 3 128 74 130 75 119 62 119 60 129 67 128 68 128 68 128 69 128 12 128 3 129 74 130 74 122 65 112 55 132 60 135 60 134 61 134 64 134 66 136 68 13 70 136 zii! 137 72 138 73 13 12 138 74 Or Or O1 Or on Or Q”@ =-I-I-I-I I er er ot OT pp am Ct Sees secoeoo Housn II oO NOTE SLOT Sen Cr TS = = er UNO SOLO Ur Cr DAS AAN KRÄRDSD sm u. = Sraor or Oo Or SI-I-IW = >o SOooooO 0922 OQOQO22 oSoOooosS sSsosSe®e® Injektion 1 ccm "/ıgs Milchsäure 1 ccm 0,9 %oiges NaCl je ccm "/ıooo HCl 1 ccm 0,9 Yo iges NaCl Fe cem "/ı000o HNO, 1 cem 0,9 %o iges NaCl 1 ccm u/so Essigsäure 1 ccm 0,9 %/oiges NaCl 162 Carl Schwarz und Frieda Lemberger: Injektion or or Hoomut Pe ss jr ccm "/1000 H,SO, = vn. eseco oo er m cem 0,9%/oiges NaCl core — ccm 1°oiges Glykokoll trans OOo GT ST UTC OB OTTO _ - ccm 0,9%/oiges NaCl l ccm 1%oiges Alanin PEN Er Annan OO SSOHO RI = Fi ccm 0,9°/oiges NaCl UNO ar KOAUKKCSSHSODO l ccm !/2/oiges NaH,;PO, SRSTSHSOTON FEN AIURHH Seeooe Seoceoeeeet@e eeßdße (Ooee OSeßeeeceeTeeße = ne 2 n SI l ccm Ya'/oiges NaHCO, 1 ccm 0,9%oiges Na0l lccm Ya oiges NaHCOz Über die Wirkung kleinster Säuremengen auf die Blutgefässe. 163 132 14 131 73 _ 133 75 116 57 — € p 1 IR mm Hs | mm Hg | € daten 133 80 0,60 135 83 0,60 1 ccm 0,9%oiges NaCl 134 79 0,58 133 80 0,60 134 80 0,59 135 80 0,59 135 79 0,58 !/a ccm "ıes Milchsäure 123 71 0,55 135 zul 0,52 0,56 1 cem 0,9%oiges NaCl 0,57 0,57 0,58 0,5 ccm "/ıo0o HC1 0,58 0,55 0,58 0,59 133 19 0,59 133 77 0,57 131 17 0,57 133 ng 0,59 133 79 0,59 0,56 0,55 56 9 50 1 osoo OTOTIe OT = 1 ccm 0,9%oiges NaCl — ooo Son on Seo 2 ccm 1P/oiges Glykokoll EEE 1 ccm 0,9%/oiges NaCl 2 ccm 1°/oiges Alanin NE ABRPRDRROAON AKKONOO Er 1 ccm 0,9°/oiges NaCl © oOoOooOoo02 O2 9090292. UNIATI DIA III OTOTEN or St 135 76 133 76 131 75 131 17 131 A 123 69 129 15 133 : 79 1 ccm 0,9%oiges NaCl !/g ccm "20 Essigsäure 164 Carl Schwarz und Frieda Lemberger: € p » a tan JEIR | m He : | Injektion 128 12 0,56 2 ccm 1°/oiges Glykokoll 129 3 0,56 120 67 0,55 128 74 0,57 130 75 0,57 132 76 0,57 130 75 0,57 Il 1 ccm 1%oiges NaHCO, 130 75 0,57 i 122 67 0,54 128 74 0,57 Aus den vorstehenden Versuchen geht eindeutig hervor, dass zwar isohydrische Säuremengen entsprechend 1 eem "/ıooo HCI noch vasodilatatorisch wirken, dass jedoch die Stärke ihrer Wirksamkeit mit der Grösse ihrer Normalität Hand in Hand geht. So zeist Versuch Nr. 9, dass die "/eo Essigsäure stärker wirksam ist als die n/12s Milehsäure und diese wieder einen erösseren Erfolg auslöste als "/ıooo HCl, HNO, und "/; H,SO,. Versuch 7 und 9 demonstrieren auch die Unwirksamkeit der injizierten Aminosäuren. Die Injektion von Säuren, die stärker sind als die Kohlensäure, in das Blut muss zu einer Umsetzung dieser Säuren mit dem im Blut reichlich vorhandenen Na;CO, führen, wobei Kohlensäure frei wird, also die Kohlensäurespannung in dem getroffenen Gefässbezirk vorübergehend erhöht werden muss. Ist nach dieser Überlegung die erhöhte CO,-Spannung im Blute die Ursache der peripher angreifenden Gefässerweiterung, so muss jede Erhöhung der CO,-Spannung des Blutes in einem Gefässbezirk, mag diese durch Produktion von CO, oder durch Umsetzung stärkerer Säuren mit Na,CO, entstanden sein, in dem getroffenen Gefässbezirk eine Gefässerweiterung bedingen, vorausgesetzt, dass nicht durch die zentrale Wirkung der Kohlensäure ihr peripherer Erfolg ver- deckt wird. Dieser Gedankengang hat durch das Experiment seine Be- stätigung gefunden, indem einerseits die Erhöhung der CO,-Spannung des Blutes durch Einatmung von Luft-CO, resp. von Sauerstoff- CO,-Gemischen eine beträchtliche Gefässerweiterung in den vom Zentralnervensystem isolierten Gefässbezirken ergab und ander- Über die Wirkung kleinster Säuremengen auf die Blutgefässe. 165 seits die Injektion von schwächeren Säuren als die Kohlensäure — Glykokoll und Alanin!) — (vel. Versuch 7 und 9) auf die Blut- gefässe erfolglos blieb. E. Jerusalem und E. H. Starling?) haben in vor kurzem publizierten Versuchen den Nachweis erbracht, dass Zunahme der Kohlensäurespannung im Blute zu einer Volums- vermehrung des Herzens führt, eine Beobachtung, die mit unseren Befunden hier in Analogie zu setzen ist. Der Gang der Atemversuche gestaltete sich derartig, dass wir uns Luft-Kohlensäure resp. Sauerstoff-Kohlensäure Gemische bekannter Zusammensetzung herstellten, die wir durch den Respirationsapparat von Hans Mayer dem Tiere zuführten. Die die Gasmischungen enthaltenden Gummiballons wurden so an den Respirationsapparat angeschlossen, dass wir nach Belieben die Tiere Luft oder Kohlen- säuregasgemische künstlich atmen lassen konnten. Eine besondere Sorefalt musste darauf verwendet werden, die durch die erhöhte CO;- Spannung im Blute bedingte Erregung des Gefässzentrums resp. die dadurch hervorgerufene allgemeine Blutdrucksteiserung zu unter- drücken. Sehr tiefe Narkosen erwiesen sich als die einfachsten und zweckmässigsten Mittel, um die Erregbarkeit des Gefässzentrums stark herabzusetzen resp. ganz aufzuheben. Wir haben daher nur diejenigen Versuche verwertet, in denen die Atmung selbst hoch- prozentiger Kohlensäuregasgemische keine Änderung des normalen Blutdruckes mehr hervorrief. Im übrigen haben eine Reihe von Versuchen uns überzeugt, dass geringe Steigerungen des Blutdruckes (20—30 mm He), die wir durch Reizung des zentralen Stumpfes des N. ischiadieus erzielten, keinen Einfluss auf die die Sub- maxillardrüse durchfliessende Blutmenge ausüben. Die folgenden Protokolle geben einige dieser Versuche wieder. 10. Versuch. 24. Oktober 1910. Durchblutung der linken Submaxillardrüse. Katze, 3,5 kg; Urethan; künstliche Atmung; Chorda tympani und linker Hals- sympathicus durchschnitten. 1) Die Dissoziationskonstante der Kohlensäure beträgt 3,04-10-7, des Glykokolls 2,7 - 10-12, des Alanins 5,1 - 10-12 (A. Kanitz, Zentralbl. f. Physiol. Bd. 22 S. 493. 1908). 2) E. Jerusalem and E. H. Starling, Journ. of physiol. vol. 40 722491910: Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 12 166 Carl Schwarz und Frieda Lemberger: Mittlerer Tropfenzahl “ »k A it in 30 Sek. ung 104 17 Tnft 104 19 Luft + 15 9/0 CO,, 26 Sek. 107 4 Luft 106 73 Luft ") 102 16 106 18 \ Luft | nn D \ Luft + 15% CO,, 55 Sek. 112 55 151 34 Luft 110 16 11. Versuch. 25. Oktober 1910. Durchblutung der linken Submaxillardrüse. Katze, 3 kg. Präparation wie Versuch 10. Mittlerer Blutdruck AEron nal Atmung mm Hg in 30 Sek. 74 8 72 7 \ Luft 64 5 ae 6,4 %/0 CO,, 69 8 Sch 78 11 } 82 20 54 7 ) 12. Versuch. 17. November 1910. Katze, 5 kg. Präparation wie oben. Mittlerer Blutdruck mm Hg Tropfenzahl B Atmung in 30 Sek. Luft \ | Luft + 2,2 %o CO, 156 Sek. J Luft 13. Versuch. 14. November 1910. Bestimmung des Kalibers der intra- kraniellen Gefässe. Hund, 9 kg; Chloralose intravenös 0,9 g; künstliche 0,0) r ROOT IN 1) Durchspülung der Kanüle mit NasSO,. Über die Wirkung kleinster Säuremengen auf die Blutgefässe. 167 Atmung; ce = allgemeiner Blutdruck (Art. carotis communis dextra. p = Druck im Circulus arteriosus Willisii (Art. carotis interna dextra. Die Werte wurden jede zehnte Sekunde ausgemessen. Car: p p mm Hg mm Hg € 142 110 0,77 148 112 0,75 148 113 0,76 150 114 0,76 lD2nE 113 0,74 1 150 112 0,74 | 160 112 0,70 Atmung eines (Gemenges 161 111 0,68 1 von Luft + 13% CO, durch 160 107 0,66 70 Sek. 166 105 0,63 | 168 115 0,68 154 108 0,70 158 | al 0,74 154 116 0,75 150 115 0,76 150 119 0,79 148 114 0,76 150 . 114 0,76 150 115 0,76 145 113 0,76 ) 146 116 0,79 | Atmung eines Gemenges 158 123 0,76 1 von Luft + 13% CO, durch 159 124 0,76 N 50 Sekunden 158 119 0,75 ) 166 116 0,63 173 127 0,7: 168 129 0,76 160 127 0,79 Die gleichen Resultate haben auch Versuche an asphyktischen Tieren gegeben, wie folgender Versuch zeigen soll. 14. Versuch. 7. Juni 1909. Durchblutung der linken Submaxillardrüse. Katze, 3 kg; tiefe Äthernarkose und Curare; künstliche Atmung; Chorda tympani und Halssympathicus links durchschnitten. Mittlerer Tropfen- Blutdruck zahl Atmung mm Hg in 15 Sek. 134 4 136 5 künstliche Atmung 146 5) Te S Aussetzen der Atmung während 136 1 Sen 33 { 15 3 \ künstliche Atmung 168 Carl Schwarz und Frieda Lemberger: Mittlerer Tropfen- Blutdruck zahl Atmung mm He in 15 Sek. e : \ künstliche Atmung 126 5 | 126 6 ı Aussetzen der Atmung wäh- 124 ie) rend 64 Sek. 117 12 | 110 5 künstliche Atmung Die angeführten Versuche zeigen ganz eindeutig, dass selbst sehr kleine Säuremengen — 1 ccm einer u. Lösung, von der 1 1000 nach der Art der Injektion nur ein Teil in den untersuchten Gefässbezirk kommen konute — eine beträchtliche Vaso- dilatation hervorrufen, die peripher ausgelöst wird und in letzter Linie auf eine periphere Kohlensäure- wirkung zurückgeführt werden dürfte. Es erübrigt uns, noch die Möglichkeit zu diskutieren, inwieweit die vorgebrachten Versuche zur Deutung der vermehrten Durch- blutung tätiger Organe herangezogen werden können. Über die Grösse der Säurebildung in intakten tätigen Organen von Warm- blütern liegen nach unserem Wissen nur wenige Angaben vor '). Bekannt sind dagegen eine Reihe von Befunden über die Zunahme des Kohlen- säuregehaltes im venösen Blute tätiger Organe, die von Barcroft?) eine übersichtliche Zusammenfassung erfahren haben. Trotzdem in dieser Beziehung vielleicht die Speicheldrüsen am eingehendsten untersucht worden sind, so liegen mit Rücksicht auf die Sekretions- produkte die Verhältnisse hier zu kompliziert, um einer ganz zweifel- losen Deutung zugänglich zu sein. Wir wollen daher die an Skelett- muskeln erhobenen Befunde in das Bereich unserer Betrachtungen ziehen. Nach den Untersuchungen von Chauveau und Kauf- mann?) zeigt das venöse Blut, das den tätigen Muskel verlässt, eine Zunahme des Kohlensäuregehaltes um 8—12,9°/o gegenüber dem venösen Blute des ruhenden Muskels. Wenn wir uns nun vor 1) Vgl. v. Fürth, Handb. d. Biochem., herausgeg. v. Oppenheimer, Bd. 2 S. 2. 1909. 2) Barcroft, Ergebn. d. Physiol. Bd. 7 S. 699. 1908. 3) Zit. nach Barcroft, Ergebn. d. Physiol. Bd. 7. 1908. Über die Wirkung kleinster Säuremengen auf die Blutgefässe. 169 Augen halten, dass bei Atmung eines ca. 5%o Kohlensäure führenden Gas- gemisches — 2,2°/o CO, in der Atemluft zeigte keinen nennenswerten Erfolg (s. Versuch 12), und Gasgemische von 2,2—5°/o wurden nicht untersucht — eine beträchtliche Gefässerweiterung in den vom Gefäss- zentrum isolierten Organen eintritt, und ferner uns vergegenwärtigen, dass nach den Untersuchungen von P. Bert!) bei Atmung von Luft + CO, resp. Sauerstoff + CO,, wenn der CO,-Gehalt der Gas- mischungen 3,8—9°/o beträgt, der Kohlensäuregehalt des arteriellen Blutes um 7,4— 24,5 %/o steigt, so sehen wir, dass in unseren Atmunes- versuchen mit geringem CO,-Gehalt der Atmungsluft der CO,-Gehalt des arteriellen Blutes von derselben Grössenordnung gewesen sein kann wie derjenige des venösen Blutes tätiger Muskeln nach den Untersuchungen von Chauveau und Kaufmann?) Da wir nun bei diesem CO,-Gehalt des arteriellen Blutes beträchtliche Gefäss- erweiterungen konstatieren konnten, und eine ganz beträchtliche Er- höhune der GO,-Produktion in tätigen Organen nachgewiesen ist, so halten wir den Gedanken, dass die stärkere Durchblutung tätiger Organe auf eine periphere Wirkung der mehr gebildeten resp. der durch Umsetzung frei gemachten Kohlensäure zurück geführt werden muss, mit der grössten Wahrscheinlichkeit für erwiesen. Dieser Anschauung stehen nur die Befunde E. Weber’s?®) gegenüber, dass in der Hypnose die Suggestion von Bewegungs- vorstellungen genüct, um eine Volumszunahme der betreffenden Extremität selbst dann hervorzurufen, wenn die Bewegung nicht ausgeführt wird; ein Befund, den Weber auf Innervationsimpulse zurückführt, die vom Zentralorgan völlig lokalisiert zu den Gefässen verlaufen. Zusammenfassung der Resultate. 1. Kleinste Säuremengen in das arterielle System vom Gefäss- zentrum isolierter Organe oebracht, bewirken eine kurz dauernde Gefässerweiterung des getroffenen Gefässbezirkes. Die Tatsache wird an den Blutgefässen der vom Zentralnervensystem isolierten Sub- maxillardrüse der Katze und an den vom Gefässzentrum unabhängigen intrakraniellen Blutgefässen des Hundes nachgewiesen. 1) P. Bert, La pression barometrique. Paris 1878. 2) Chauveau und Kaufmann, |. cc. 3) E. Weber, Arch. f. Physiol. 1909 S. 359. 170 Carl Schwarz und Frieda Lemberger: Über die Wirkung etc. 2. Säuren, die schwächer sind als die Kohlensäure, Amido- propionsäure und Amidoessigsäure-sind wirkungslos auf die Blutgefässe. 3. Erhöhung der CO,-Spannung des Blutes durch Einatmung von CO,-Luft oder CO,-Sauerstoffgemischen ruft in den vom Gefäss- zentrum isolierten Organen eine beträchtliche Gefässerweiterung hervor. 4. Asphyxie bewirkt in den vom Gefässzentrum unabhängigen Organen gleichfalls eine peripher angreifende Vasodilatation. 5. Die vasodilatatorische Wirkung tritt auch an mit Nikotin vergifteten Tieren ein und hat somit ihren Angriffspunkt dort in der Peripherie, wo auch das Adrenalin angreift. 6. Die letzte Ursache der peripher vasodilatatorischen Wirkung von Säuren dürfte auf eine peripher angreifende Kohlensäurewirkung zurückzuführen sein, da durch jede in das Blut eingeführte stärkere Säure aus dem im Blut reichlich vorhandenen Na;CO, Kohlensäure freigemacht werden muss, wodurch in dem getroffenen Gefässbezirk die CO,-Spannung des Blutes vorübergehend erhöht werden muss. 7. Die Befunde weisen darauf hin, dass die Gefässerweiterung tätiger Organe bei der nachgewiesenen Empfindlichkeit der Blut- gefässe gegenüber Säurewirkung resp. gegenüber einer geringen Spannungserhöhung der Kohlensäure des Blutes in einer peripher an- sreifenden CO;-Wirkung zu suchen sein dürfte, die in der Mehr- produktion von Kohlensäure und anderer saurer Stoffwechselprodukte, die aus dem Na;C0, des Blutes Kohlensäure frei machen, ihre Ur- sache haben kann. Jul (Aus dem physiol. Laboratorium der Berliner psychiatr. und Nervenklinik.) Zur Physiologie der Sehsphäre. : ’ Von Dr. M. Minkowski. (Mit 53 Textfiguren.) Inhaltsverzeichnis. Seite Taımleitunogene ne a N en a. 171 Meslintersuchunesmethoden 2... 2.02. 0. nn nd 176 HNspkosstirpationen der Extremitätenresion . . ........ 0.2.» 185 IV. Die Stelle Aı von Munk. Die Lehre von der Seelenblindheit . . 198 V. Exstirpationen der zweiten Windung (Gyr. ectolater. et suprasylv.) des Konyexität des, Occipitallappens . nn... u, 220 MenDiernreanstmatan ser. 0 a ren 237 VI DieInnervation des lateralsten Netzhautteills . .». .. ....... 257 Mae Die vollkommene Rindenblundheit, . 2... ..2.. 2.2.1... 270 PezDie Brojektion. der Netzbant auf. die Hirmrinde 2... ........ 279 X. Die elektrische Reizung des Occipitallappens. Das optisch-motorische Dell use Sr Renee te 307 Oper matomische Kroebnisser .n 2.0. 2 u. 0 ae 318 DASS Nachtrag en ee a a RN 321 „Die Erfahrung wird zum Zeugungsferment des Geistes. Nicht das abstrakte Denken über die Natur ist das Gebiet des Physiologen. Der Physio- loge erfährt die Natur, damit er sie denke.“ Johannes Müller, „Zur vergl. Physiologie des Gesichtssinnes“. I. Einleitung. Die Sehsphäre des Hundes hat in der Geschichte der wissen- schaftlichen Erforschung der Grosshirnrinde, besonders in der Frage ‘der Lokalisation eine sehr bedeutende Rolle gespielt. Bouillaud war wohl der erste, der eine kortikale Schädigung des Sehvermögens bei Hunden beobachtet und beschrieben hat |1830!)]. Später (1855) 1) Bouilland, Journal de physiologie. 1830. T. 10. 172 M. Minkowski: 2 hat Panizza „bei einem Hunde, dem eine Strecke des Gehirnes etwas tiefer als der Scheitelhöcker freigeleet war, eine kleine Portion Substanz entfernt; nichts anderes folgte als die Blindheit des gegen- seitigen Auges. Dieselbe Operation, gleichzeitig an beiden Hemi-- sphären angestellt, führte die vollkommene Blindheit herbei)“. Zwar sind die Ortsangaben sehr unbestimmt und weisen nicht deut- lich auf den Ort der Läsion im Kortex hin, aber jedenfalls ist schon hier die Tatsache festgelegt, dass durch partielle Exstirpationen der Grosshirurinde das Sehen völlig aufgehoben werden kann. Einen präzisen Hinweis auf den Ocecipitallappen, als denjenigen Rindenteil, der zum Sehakt in besonders enger Beziehung steht, tinden wir dann bei Hitzig, der schon 1874 angegeben hat, dass man „durch Abtragunsen im Bereiche des Hinterlappens Blindheit des gegenüberliegenden Auges und paralytische Dilatation der ent- sprechenden Pupille hervorbringen kann“ ?); er hat auch die Wichtig- keit des darin enthaltenen lokalisatorisehen Momentes hervorgehoben, indem er auf den Unterschied in den Folgen von Operationen im Gyrus sigmoideus (Störungen des Muskelsinnes) und im Hinterhauptslappen (Sehstörungen) hinwies?). Auch Goltz) hat Sehstörungen nach ausgiebigen Verstümmelungen der Gross- hirnrinde beobachtet, aber im Gegensatz zu Hitzig zwischen einzelnen Abschnitten derselben in dieser Beziehung keinen Unter- schied gemacht. Wohl fand er in seinen Ergebnissen eine Wider- legung der Flourenssschen Lehre, wonach nach umfang- reichen Zerstörungen des Grosshirns der erhaltene Rest desselben die Funktionen des ganzen übernimmt; zugleich hielt er aber seine Erfahrungen für unvereinbar mit der Auffassung, nach welcher ver- schiedene Abschnitte der Grosshirnrinde verschiedene Funktionen ausüben sollen. Beim Affen nahm Ferrier ein kortikales Sehzentrum im Gyrus angularis an. 1) Panizza, Össervazioni sul nervo ottico. Giornale dell’ J. R. Istituto lombardo t. 7 p. 242—252. 1855. 2) Hitzig, Untersuchungen über das Gehirn. Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1874 Nr. 85. 3) Hitzig, Über die Einwände des Herrn Prof. Goltz. Reichert’s und du Bois-Reymond’s Arch. 1876. S. 696. 4) Goltz, Über die Verrichtungen des Grosshirns.. Pflüger’s Arch. Bd. 13, 20, 34 u. 42. f Zur Physiologie der Sehsphäre. 173 Soviel war über die Beziehungen der Grosshirnrinde zum Seh- akt bekannt, als Munk, für den „die Lokalisation der Funktionen in der Grosshirnrinde ein physiologisches Postulat“ war!), sich ihrer systematischen Erforschung zu- wendete und dabei der Sehsphäre eine besondere Aufmerksamkeit schenkte. In einer Reihe von Mitteilungen, deren erste aus dem Jahre 1877 stammt, hat er die Lehre von der Sehsphäre beim Affen und noch mehr beim Hunde ausgebaut. Bei letzterem hat er nicht nur die Sehsphäre im Hinterhauptslappen scharf abgegrenzt, sondern auch eine feste und konstante Projektion der Netzhaut auf die Hirnrinde angenommen, indem er angab, dass bestimmten benach- barten Netzhautelementen auch bestimmte benachbarte Gebiete der Hirnrinde innerhalb der Sehsphäre entsprechen, so dass deren partielle Exstirpationen bestimmt konfigurierte dauernde Skotome verursachen ; für die Richtiekeit seiner Projektionslehre hat er auch die Ergebnisse von elektrischen Reizversuchen an der Konvexität des Oceipitallappens angeführt. Eine ganz besondere und einzig- artigse Bedeutung hat Munk der Stelle A, zugeschrieben, einem kreisrunden Gebiet von 15 min Durchmesser nahe dem hinteren oberen Pol des Oeceipitallappens; hier ist nach Munk die Stelle des deutlichsten Sehens kortikal vertreten und die optischen Erinnerungs- bilder deponiert. Doppelseitige Exstirpation dieser Stelle bewirkt nicht nur eine dauernde Blindheit der beiden Maculae, sondern auch Seelenblindheit, welche darin besteht, dass der Hund zwar alles sieht, aber nichts erkennt; dieser Zustand dauert nur solange, bis der Hund, der nunmehr auf seine peripheren Netzhautteile an- gewiesen ist, von da aus neue optische Erinnerungsbilder erworben und mit den übrigen Erinnerungselementen in assoziative Verbindung gebracht hat. In den einzelnen Kapiteln werde ich die verschiedenen Teile der Munkschen Lehre eingehend besprechen; hier beschränke ich mich auf diesen kurzen Hinweis, der den Leser aın besten in medias res einführt. Denn so gross und nachhaltig war der Einfluss, den Munk auf die Entwicklung dieser Frage ausübte, dass fast alle Autoren, die später darüber arbeiteten, in erster Linie eine Nach- prüfung seiner Ergebnisse vornehmen mussten. Aus dem ursprünglichen scharfen Widerstreit der Meinungen 1)Munk, Über die Funktionen der Grosshirnrinde. Ges. Mitt.S.7. Berlin 1890. 174 M. Minkowski: hat eine Annäherung insofern stattgefunden, als alle Autoren, sogar Goltz und Loeb, die entschiedensten Gegner Munks, später dem Oeceipitallappen besonders enge Beziehungen zum Sehakt zu- gestanden haben. Damit war aber die Übereinstimmung im wesent- lichen erschöpft; eine besondere Bedeutung der Stelle A, wurde von allen Autoren bestritten; ferner wurde gegen Munk behauptet, dass jede dureh kortikale Läsionen verursachte Sehstörung einen hemianopischen Charakter trage, und dass daher von einer konstanten Projektion der Netzhaut auf die Hirnrinde nicht die Rede sein könne; und während Munk der Ansicht war, dass jede durch kortikale Operationen verursachte Sehstörung auf der Ausschaltung der ent- sprechenden Rindenelemente beruhe, liessen sie Goltz und seine Schule nicht direkt aus der Verletzung der Rinde, sondern indirekt aus einer Hemmung der Funktion der subkortikalen Ganelien, Hitzig aus Verletzungen der Sehstrahlung entstehen. Die Autoren der italienischen Schule bezogen zwar mit Munk jede so hervorgebrachte Sehstörung direkt auf die Rinde, aber sie schrieben die Eigenschaft, Sehstörungen zu verursachen, nicht nur dem Oecci- pitallappen, sondern der ganzen Konvexität oder doch wenigstens einem erossen Teil derselben zu; nicht so weit gingen andere (Hitzie, Exner und Paneth, Imamura), die zwar mit Munk darin einig waren, dass die eigentliche Sehsphäre sich im Oceipital- lappen befinde, aber im Gegensatz zu ihm behaupteten, dass auch durch Eingriffe im Bereich der motorischen Region (Gyrus sigm. ant. et post.) regelmässig Sehstörungen hervorgebracht werden. Bechterew hat darauf hingewiesen, dass das eigentliche Seh- zentrum des Hundes auf der inneren Fläche des Oceipitallappens sich befinde, welche als Zentrum der optischen Auffassung anzusehen sei, während in der äusseren Fläche hauptsächlich eine Ablagerung der empfangenen optischen Bilder stattfinde. Kurzveil'), ein Sehüler v. Tschermaks, verlegte schliesslich die Sehsphäre in beide Lippen des Sule. rec. sup. an der basal-cerebellaren Fläche des Oeeipitallappens. Aus dieser kurzen historischen Einleitung geht wohl mit ge- nügender Deutlichkeit hervor, dass die Physiologie der Sehsphäre nichts weniger als abgeschlossen ist, und dass somit genügend Ver- l) Kurzveil, Beitrag zur Lokalisation der Sehsphäre des Hundes. Pflüger’s Arch. Bd. 129. Zur Physiologie der Sehsphäre. 175 anlassung vorlag, dieses ganze Gebiet einer erneuten experimentellen Prüfung zu unterziehen. Ein solches Unternehmen erschien um so lohnender, als neue Gesichtspunkte hinzugekommen waren; einerseits hatte die eytoarchitektonische Erforschung der Grosshirnrinde dank der grundlegenden Arbeiten von Bolton, Brodmanın, Campbell u. a. eine hohe Entwicklung erreicht, so dass es an der Zeit war, deren Ergebnisse bei physiolosischen Untersuchungen zu berücksichtigen und das Experiment darüber entscheiden zu lassen, ob und inwiefern der tektonischen Kortexgliederung eine funktionelle Bedeutung zukomme; anderseits war durch vorzügliche anatomische Untersuchungen (v. Monakow, Probst) die ganze optische Leitung, besonders die anatomische Stellung der subkortikalen optischen Ganglien klargelegt, und auch die Klinik (Henschen) war zu Ergebnissen gelangt, die sich zum Teil mit den Munk schen deckten (Projektion der Netzhaut auf die Hirnrinde, inselförmige Vertretung der Macula), zum Teil ihnen insofern widersprachen, als die Sehsphäre des Menschen auf das Gebiet der Area striata beschränkt wurde, während nach Munk die Sehsphäre des Hundes an der Konvexität des Oeeipitallappens über diese erheblich hinauseing. So bin ich unter Zugrundelegung einer umfangreichen Literatur an die Prüfung der verschiedenen Streitfragen herangetreten. Wenn das beigebrachte experimentelle Material relativ spärlich ist, so liegt das daran, dass ich die operierten Fälle anatomisch streng kontrolliert und nur solche verwertet habe, bei denen die Sektion makroskopisch und an Frontalschnitten bestätigte, dass die Grenzen der beabsichtigten Läsion weder bei der Schnittführung noch durch unverschuldete Komplikationen (Blutungen, Entzündungen usw.) überschritten worden waren. Dass dabei ein grosser Teil der Operationen von der Ver- wertung ausgeschlossen werden musste, und die Anzahl der „reinen Fälle“ relativ gering war, wird jedem Kliniker ohne weiteres ein- leuchten. Die ganz einwandfreien Fälle sind besonders bei aus- vedehnten Operationen im Experiment fast ebenso selten wie in der Klinik; während aber klinisch schon lange allgemein anerkannt ist, dass nur solche Gehirne für lokalisatorische Schlüsse verwertbar sind, bei denen durch gründliche anatomische Untersuchung die genaue Ausdehnung des Herdes festgestellt ist, sind von Gehirnphysiologen die anatomischen Momente bisher nicht genügend berücksichtigt worden, und darin dürfte eine der Hauptursachen für die Kontro- versen auf diesem Gebiete liecen. Ich habe durch Anlegung von 176 M. Minkowski: Frontalserien in einer Reihe von Fällen diesem Mangel abzu- helfen gesucht und glaube der Befolgung des Guddenschen Prinzips „zuerst Anatomie und dann Physiologie, wenn aber zu- erst Physiolgie, dann nieht ohne Anatomie‘, es zu ver- danken, wenn es mir gelungen ist, zu einer einheitlichen Gesamt- auffassung zu kommen. Auch auf die gegenseitige Ereänzung der in verschiedenen Kapiteln niedergelesten Ergebnisse darf ich mich jenen gegenüber berufen, denen das einzelnen Behauptungen zu- srundeliegende Material als unzureichend erscheinen sollte; so bieten z. B. die partiellen Exstirpationen des Area striata ausser ihrem speziellen Interesse für die Projektionslehre zugleich eine Bestätigung der Auffassung von der physiologischen Bedeutung der Area striata, zu der ich schon auf Grund von totalen Exstirpationen derselben selanst war. Die Reihenfolge der Kapitel in der Darstellung entspricht dem chronologischen Gang meiner Untersuchungen und erscheint mir besonders geeignet, ihre systematische Entwicklung deutlich zu machen; zugleich knüpfe ich dabei an einzelne Fragen an, die sich in der Literatur allmählich gesondert haben und schon deswegen eine spezielle Würdieung erfordern. II. Untersuchungsmethoden. Eine der wichtigsten Bedingungen für die Gewinnung brauch- barer Resultate ist bei diesen Versuchen die Ausarbeitung einer zu- verlässigen und einigermassen konstanten Untersuchungs- methodik. Indem ich mich teils in der Literatur angegebener, teils eigener Methoden bediente, habe ich einen Untersuchungsplan ausgearbeitet, den ich alsdann bei allen operierten Hunden anwendete. a) Sehprüfung. 1. Die Fleisch- (resp. Zueker)-Perimetrierung ist der beim Menschen üblichen Methode der Bestimmung des Gesichtsfelds nachgebildet. Dem Hunde wird ein Auge zugedeckt; ich benutze dazu stets eine gewöhnliche Augenklappe, deren Gummi sich hinter den Ohren befindet; ist die Klappe noch lose, oder sucht der Hund sie zu verschieben, so wird sie mit Hilfe von Heftpflaster (Leukoplast) befestigt, das an der Klappe und mit beiden Enden an Stirn und Wange klebt; auf diese Weise wird ein sicherer Augenverschluss hergestellt, den die meisten Hunde gut vertragen. Zur Physiologie der Sehsphäre. 18767. Darauf wird das freie Auge nach Möglichkeit fixiert, wozu ein Stückchen Fleisch oder Zucker vor der Mitte des Auges in ca. 10 em Entfernung am Ende eines langen dünnen Metallstabes oder einer Pinzette gehalten wird; man kann nun ein Perimeter so vor den Hund stellen, dass das zur Fixation benutzte Nahrungsstück sich in seinem Zentrum befindet, und dann dem Bogen des Perimeters entlang von oben, unten, aussen und innen in verschiedenen Meri- dianen ein anderes Fleisch- oder Zuckerstück in das Gesichtsfeld einführen und den Bogengrad beachten, bei dem zuerst eine Ein- stellungsbewegung der Augen und eine entsprechende Reaktion (Zu- schnappen) erfolgt. Gelingt es, den Hund zum Fixieren zu ver- anlassen, so kann auf diese Weise das Gesichtsfeld mit einiger Genauiekeit bestimmt werden. Um mich allgemein darüber zu orientieren, habe ich zu Beginn meiner Untersuchungen diese Methode wiederholt an normalen Hunden angewendet und aus einer Reihe von Ergebnissen folgende Durchschnittszahlen für die Grenzen des Gesichtsfelds angenommen: nach oben vom Fixierpunkt: 60—65°, On 20 Pe zuntene 5 : 80—99 °, . [= N) v a aussen a 8990, . uc) 9ro0 innen, 5 : 30—39°. Bildet das Gesichtsfeld keinen Kreis, so ist es nicht weit davon entfernt und kann der Einfachheit halber als Kreis dargestellt werden, dessen Zentrum sich nach aussen vom Fixierpunkt befindet. Um den Tatbestand deutlicher zu machen, zeichne ich es in einen grösseren Kreis ein, dessen Zentrum mit dem Fixierpunkt zusammenfällt; die Ergebnisse der Untersuchung habe ich in fertige Schemata ein- getragen, wie sie von den Ophthalmologen benutzt werden. Ich möchte gleich hier betonen, dass die Bestimmung der inneren Grenze des Gesichtsfelds sich am schwierigsten gestaltet und am wenigsten konstante Ergebnisse liefert. Das darf uns auch nicht wundern, da die Divergenz der Augenachsen bei verschiedenen Hunderassen variiert und die Area centralis, welche beim Hund der menschlichen Macula lutea entspricht, nach Zürn!) um so weiter lateralwärts (nach hinten aussen) rückt, je stärker die Augen- 1) Zürn, Vergleichend-histologische Untersuchungen über die Retina und die Area centralis retinae der Haussäugetiere. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1902. Anat. Abt. 178 M. Minkowski: achsen nach vorn divergieren; desto geringer ist dementsprechend der nach innen vom Fixierpunkt befindliche Teil des Gesichtsfelds. Der lateralste Netzhautteil wird bekanntlich von der gleich- seitigen Hemisphäre versorgt; ich greife späteren Ergebnissen vor, wenn ich schon jetzt bemerke, dass der gleichseitig versorgte Teil des Gesichtsfelds, am horizontalen Meridian gemessen, durchschnitt- lich ca. !/s des ganzen ausmacht, dass er bei geringerer Divergenz der Augenachsen auch etwas grösser sein kann und nur in den eünstigsten Fällen Y/a vielleicht erreicht. Ich bin mir deshalb einer Ungenauigkeit bewusst, wenn ich diesen Gesichtsfeldteil durchweg als das innere Gesichtsfeldviertel bezeichne; dies ermöglicht aber ces eoD Fig. 1. COS Campus oculi sinistri, COD Campus oculi dextri. Das Zentrum des grossen Kreises entspricht dem Fixierpunkt. Die kleineren Kreise stellen die Gesichtsfelder dar. eine bequeme Ausdrucksweise, indem ich das übrige gekreuzt inner- vierte Gesichtsfeld in drei Partien einteile, die ich als das innen- mittlere, das aussenmittlere und das äussere Gesichtsfeldviertel be- zeichne. In Graden am horizontalen Meridian ausgedrückt, haben die Gesichtsfeldteile ungefähr folgende Ausdehnung: inneres Gesichtsfeldviertel (Fig. 27.): von 35° bis 15° nach innen vom Fixierpunkt, innenmittleres Gesichtsfeldviertel (Fig. 27. M.): von 15° nach innen bis 20° nach aussen vom Fixierpunkt, aussenmittleres Gesichtsfeldviertel (Fig. 2A. M.): von 20° bis 55° nach aussen vom Fixierpunkt, äusseres Gesichtsfeldviertel (Fig. 2.A.): von 55° bis 85° nach aussen vom Fixierpunkt. Zur Physiologie der Sehsphäre. 179 Entsprechend dieser Einteilung spreche ich nach einseitiger Zer- störung der Sehsphäre von einem Ausfall der temporalen drei Viertel des Gesichtsfelds (des innenmittleren, aussenmittleren und äusseren) am gekreuzten Auge, des nasalen inneren am gleichseitigen Auge. Von einer hemianopischen Sehstörung beim Hunde zu sprechen ist unberechtist, da dieser aus der menschlichen Pathologie entlehnte Ausdruck doch bedeutet, dass eine Hälfte der Netzhaut und eine Hälfte des Gesichtsfelds für beide Augen ausgefallen ist; das trifft aber für den Hund wegen wesentlich anderer Verhältnisse der Kreuzung der Optikusfasern im Chiasma nicht zu. c0s CoD Fig. 2. Einteilung des Gesichtsfeldes in vier Teile: den inneren (J.), innen- mittleren (J. M.), aussenmittleren (A. M.) und äusseren (A.). Der Fixierpunkt liegt im innenmittleren Gesichtsfeldtrel. Die Anwendung des Perimeters kann wohl zur gelegentlichen Kontrolle empfohlen werden, für eine dauernde Benutzung ist es absolut ungeeienet. Auf eine zahlenmässige Genauigkeit kommt es hier überhaupt nicht an; und selbst wenn dies der Fall wäre, sind die Fehlerquellen zu gross, als dass man den gewonnenen Zahlen irgendeine ernstere Bedeutung beimessen könnte. Schon beim Mensehen sind die Schwierigkeiten einer genauen Gesichtsfeld- aufnahme ausserordentlich gross; beim Tier steigern sie sich ins Unermessliche. Eine genaue dauernde Fixation lässt sich nicht er- reichen; schon nach wenigen Reaktionen wird das Tier meist un- ruhig, fixiert nicht mehr, sondern bewegt die Augen nach allen möglichen Richtungen; auch die Stellung des Kopfes wird oft ver- ändert; dabei sind alle Manipulationen des Untersuchers durch das Perimeter sehr erschwert. 180 M. Minkowski: Bernheimer hat mit grossem Nachdruck betont, dass „kleine, besonders das direkte Sehen betreffende Skotome und teil- weise Ausfallerscheinungen an operierten Tieren zu bestimmen, ge- radezu ein Ding der Unmöglichkeit sei“; auch ich habe bald ein- gesehen, dass man sich mit dem Nachweis einigermassen erheblicher Gesichtsfelddefekte begnügen und auf Zahlen ein für allemal ver- zichten muss. Ich habe daher an operierten Hunden das Gesichts- feld stets ohne Perimeter untersucht und die Defekte nach dem Augenmass abgeschätzt. Wenn ich daher fernerhin von Peri- metrierung spreche, so verstehe ich darunter eine einfache Ab- suchung der Grenzen des Gesichtsfelds; dabei wird das Tier durch ein vor dem Auge in ca. 10 cm Entfernung gehaltenes Fleisch- resp. Zuckerstück nach Möglichkeit fixiert, und während- dessen führt der Untersucher mit der anderen Hand rasch ein zweites Nahrungsstück an einem Stab oder einer Pinzette in das Gesichts- feld ein; sobald das Tier das Nahrungsstück erblickt, erweitern sich seine Pupillen, die Augen machen eine Einstellungsbewegung nach der Richtung des im Gesichtsfeld erschienenen Reizes, und es schnappt meistens zu. Die Hand und das Instrument muss man natürlich bei diesen Prüfungen so halten, dass das Nahrungsstück zuerst im Gesichtsfeld erscheint; auch muss man jedes Geräusch dabei ver- meiden. Wenn das Tier sehr unruhig ist, so kann man oft eine Fixation der Augen dadurch erreichen, dass man das Nahrungsstück direkt vor die Schnauze hält und den Hund daran lecken lässt, ohne es ihm ganz zu überlassen, und dabei in üblicher Weise die Grenzen des Gesichtsfelds absucht (man muss aber beachten, dass manche Hunde unter diesen Umständen auf das periphere Nahrungsstück nicht reagieren, auch wenn es sich auf sicher normal funktionierenden Netzhautpartien abbildet); schliesslich kann man bei unruhigen Tieren auf die Fixation überhaupt verzichten und einfach die Grenzen des Gesiehtsfelds unter Berücksichtigung der Ausgangsstellung des Auges absuchen. Überhaupt gibt es bei der Gesichtsfeldbestimmung eine Reihe von Kunstgriffen und Hilfsmethoden, die man kaum im ein- zelnen aufzählen kann, die sich aber jeder aufmerksame Untersucher selbst allmählich aneignen wird. Am schwierigsten lässt sich natürlich ein zentrales Skotom nachweisen. Wollte man nur in der beschriebenen Weise vorgehen, so würde es, da der Hund in der Peripherie des Gesichtsfelds überall sieht und normal reagiert, der Feststellung entgehen. Daher ist Zur Physiologie der Sehsphäre. 181 es notwendig, die Perimetrierung durch den Stossversuch zu ereänzen: der Stab oder die Pinzette mit einem kleinen Nahrungs- stück am Ende wird dabei schnell auf das Auge zugestossen, so dass es sich auf zentralen Partien der Netzhaut abbilden muss; es muss aber auch ziemlich rasch und mit Beibehaltung der Richtung zurück- sezogen werden, da sonst durch eine spontane Augenbewegung das Objektbild sich auf der Netzhaut verschieben und auf mehr periphere Teile fallen kann. Will man die Stelle des direkten Sehens beim Stossversuch treffen, so muss man von vorn, aber zugleich etwas von unten und innen auf das Zentrum der Hornhaut zustossen !). Führt man den Stossversuch rasch aus, so hat der Hund, nament- lich wenn er etwas träge ist, keine Zeit zum Zuschnappen; in solchen Fällen kann man zuweilen aus einem leichten Zueken der Ober- lippenmuskulatur schliessen, dass der Hund das Nahrungsstück ge- sehen hat. 2. Kreisführungsmethode. Zur allgemeinen Orientierung _ und Feststellung von grösseren Gesichtsfelddefekten hat sich mir die Kreisführungsmethode sehr bewährt. Sie besteht darin, dass das Nahrungsstück vor beiden Augen des Tieres im Kreis bewegt wird, so dass es sich abwechselnd auf oberen und unteren, inneren und äusseren Netzhautpartien abbilden muss. Der normale regsame Hund folgt nach allen Richtungen mit entsprechenden lebhaften Bewegungen der Schnauze und der Augen; besteht aber ein grösserer Ausfall im Gesichtsfeld, z. B. in der unteren Hälfte des CO8°?), so hört die Bewegung plötzlich auf, sobald das Nahrungsstück in diesen Gesichtsfeldteil gelangt; der Hund folgt nicht mehr und macht suchende Bewegungen mit der Schnauze, wobei die Augen einen verwunderten Ausdruck annehmen. Sobald aber das Skotomgebiet passiert ist, und das Nahrungsstück wieder in normale Gesichtsfeld- teile gelangt, setzt die Bewegung der Schnauze und der Augen von neuem lebhaft ein. In vielen Fällen liefert diese Methode ein effekt- volles einwandfreies Ergebnis und ist namentlich dann geeignet, wenn man ein grösseres partielles Skotom rasch demonstrieren will. 3. Die Auseinanderführunesmethode besteht darin, dass zwei Nahrungsstücke zuerst über der Nase gehalten und dann 1) Näheres darüber im vierten Kapitel. 2) COS Campus oculi sinistri; COD Campus oculi dextri. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 13 182 M. Minkowski: nach verschiedenen Richtungen einzeln oder gleichzeitig auseinander- geführt werden. Ich unterscheide dabei folgende Hauptriehtungen: 1. oben innen; 2. unten innen; oben aussen; 4. unten aussen; 5. horizontal. Bei der Auseinanderführung nach oben innen und unten innen beträgt der Winkel, den die Führungslinie mit der Mittellinie des Nasen- rückens bildet, ea. 15°; bei der Führung nach oben aussen und unten aussen 45°, bei horizontaler Führung 90°. Gerät das Nahrungs- stück bei der Auseinanderführung in normale Teile des Gesichts- feldes, so wird es meist von lebhaften Bewegungen der Augen und des Kopfes begleitet, im Gegensatz zu amaurotischen oder ambly- opischen Partien. Zuweilen dokumentiert sich der Übergang aus normalen in blinde Gesichtsfeldteile, ähnlich wie bei der Kreis- methode, dadurch, dass der Hund, der bis dahin das Nahrungsstück lebhaft begleitet hat, plötzlich in der Bewegung der Augen und des Kopfes inne hält und suchende Bewegungen macht. Diese Methode eignet sich besonders zum Nachweis von Quadranten- skotomen und kann ebenfalls gut demonstriert werden. Die Ergebnisse der verschiedenen Methoden (Perimetrierung, Kreis- und Auseinanderführung, Stossversuch) werden miteinander verglichen, und es gelingt auf diese Weise meistens, ein sicheres Ergebnis zu gewinnen; nur muss man sich mit der grössten Gedula bewaffnen, da eine einzelne Untersuchung bei schwierigeren Ver- suchstieren eine Stunde und darüber dauern kann. Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen der Sehprüfungen ist die Wahl von geeigneten Versuchsobjekten. Manche Hunde sind zu diesem Zweck absolut ungeeignet, entweder weil sie zu unruhig sind, und eine auch nur approximative Gesichtsfeld- bestimmung bei ihnen undurchführbar ist, oder weil sie umgekehrt zu träge sind, sich für das im Gesichtsfeld erscheinende Nahrungs- stück nieht interessieren und entweder gar nicht oder nur sporadisch darauf reacieren. Es gibt in dieser Beziehung eine aurea medio- eritas, welche besonders günstig ist. Ich habe daher die Hunde sorgfältig vorgeprüft und nur solehe als tauglich erkannt und operiert, welehe bei der Gesichtsfeldbestimmung regelmässig rea- gierten, die Kreis- und Auseinanderführung von Nahrungsstücken lebhaft verfolgten und durch das Zudecken eines Auges nicht ge- hemmt wurden. Am besten haben sich mir. Teckel, Terriers und rasselose Hunde bewährt, die nicht unter 1 Jahr alt waren; jüngere Zur Physiologie der Sehsphäre. 183 Tiere sind für diese Prüfungen meist zu ängstlich oder zu wenig intelligent. Hitzig hat bekanntlich seine Hunde in der Schwebe unter- sucht!), wobei das Tier auf einem Tuch hing, welches oben an einem der Körperachse parallel verlaufenden, durch ein Ge- stell getragenen Stab befestigt war. Bei seinen Untersuchungen waren immer drei Personen tätig, „von denen die eine die Fleisch- stückchen zureichte, die zweite das Gesichtsfeld absuchte und dabei Fig. 3. das Auge beobachtete, die dritte das Auge gleichfalls beobachtete und ausserdem die entsprechenden Notizen machte und das Protokoll führte"). Ich habe von der Schwebe Abstand genommen, weil ich mich davon überzeuste, dass eine genaue Untersuchung um so eher durchführbar ist, je weniger das Tier in seinen Be- wegungen beeinträchtigt ist. Ich prüfte deswegen stets so, dass der Hund auf dem Boden eines Gestelles stand, welches oben einen längs verlaufenden Stab trug; er hatte ein loses Halsband 1) Hitzig, Physiologische und klinische Untersuchungen über das Gehirn, Ges. Abhandl. Bd. 2. S. 84 u. 300. Berlin 1904. 13 * 184 M. Minkowski: an, dessen Leine an den Stab angebunden war; sonst war das Tier in seinen Bewegungen ganz frei. Das Gestell stand auf einem Tisch, und ich sass davor. Ich habe grundsätzlich immer allein untersucht und glaube, dass das die richtige Art ist, da man dabei am ehesten die nötige Ruhe und Objektivität bewahrt; nur ausnahmsweise, bei besonders unruhigen Tieren, habe ich die Hilfe des Laboratoriumwärters in Anspruch genommen, welcher dann den Kopf festhielt. Sehr oft habe ich den Einwand gehört, dass der Hund das dargebotene Fleisch!) riechen könnte. Dieser Einwand ist nicht stichhaltig, zunächst für die Fälle nicht, wo es gelingt, ein sicheres Skotom nachzuweisen; denn wenn der Hund stets röche, so müsste er das Fleisch auch in den amaurotischen Gesichtsfeldpartien riechen und darauf reagieren, und der Nachweis eines Skotoms wäre dann überhaupt nicht möglich; das ist aber durchaus nicht der Fall. Es bleibt aber noch die zweite Möglichkeit übrig, dass ein tatsächlich vorhandenes Skotom der Feststellung entgeht, weil auch in seinem Gebiet durch den Geruch adäquate Reaktionen aus- gelöst werden. Dass dies nicht der Fall ist, kann man sich über- zeucen, wenn man beide Augen zubindet und nun ein Fleischstück nicht zu rasch bewegt; der Hund reagiert in keiner Weise, und nur wenn man das Fleischstück vor der Nasenspitze hält oder vorbei- bewegt, beginnt er zu schnüffeln und schnappt zu. Obwohl ich danach Fleisch für ein gutes Prüfungsmittel halte, habe ich doch statt dessen nach Möglichkeit Zucker benutzt; da- durch wird nicht nur jeder Einwand einer olfactiven Tätigkeit be- seitigt, sondern Zucker ist auch sehr bequem zu handhaben (Stücke von Würfelzueker werden mit einer Schere in kleine Stückehen zerschnitten und mit einer Pinzette gereicht), und die Tiere sättigen sich nicht so schnell wie mit Fleisch. b) Prüfung der optischen Reflexe. Den optischen Reflexen und deren Bedeutung für die Beur- teilung von Sehstörungen werde ich im folgenden Kapitel eine ein-- gehende Besprechung widmen; hier darf ich mich deshalb auf eine kurze Bemerkung beschränken. 1. Den Droh- oder Gestikulationsreflex (Blinzeln auf rasche Annäherung eines Gegenstandes an das Auge) habe ich in 1) Zur Abschwächung des Geruchs habe ich stets gekochtes Fleisch benutzt. Zur Physiologie der Sehsphäre. 185 der Weise geprüft, dass ich zwei Finger oder die ganze Hand mit zusammengeleeten Fingerbeeren rasch an das Auge aus verschiedenen Richtungen. näherte oder auch die flache Hand vor dem Auge vorbei- führte. 2. Den Lichtreflex (Blinzeln auf plötzliche grelle Belichtung des Auges) prüfte ich so, dass ich in dem nach Möglichkeit ver- dunkelten Zimmer ein brennendes Wachsstreichholz oder eine elek- trische Lampe rasch vor das Auge führte, ohne zu nahe heran- zutreten (um eine Wärmewirkung zu vermeiden). ec) Der Pupillarlichtreflex wurde mit Hilfe einer elektri- schen Taschenlaterne untersucht. III. Exstirpationen der Extremitätenregion.: Nach der Ansicht von Munk gibt es bekanntlich nur eine scharf begrenzte Sehsphäre im Oceipitallappen derart, dass Sehstörungen nur durch Eingriffe im Bereich dieses Rinden- gebietes hervorgebracht werden, während Eingriffe in allen übrigen Teilen des Grosshirns, wenn sie nur lege artis ausgeführt sind, und die Wundheilung ohne Komplikationen (profuse Blutungen, Ent- zündungen usw.) verläuft, keinerlei Sehstörungen bedingen. Gegen diesen streng lokalisatorischen Standpunkt sind zahlreiche Autoren aufgetreten. Goltz und seine Schüler, besonders Loeb, haben ursprünglich behauptet, dass Sehstörungen von allen Teilen der Grosshirnrinde aus hervorzubringen seien; später hat eine An- näherung insofern stattgefunden, als sie zugaben, dass der Hinter- hauptslappen besondere oder besonders nahe Beziehungen zum Seh- akt besitze. Zwischen diesen extremen Gegensätzen, dem scharf lokalisatori- schen Standpunkt Munks und dem ursprünglich jede Lokalisation negierenden von Goltz und Loeb, nehmen Luciani und Sep- pilli!) einen vermittelnden Standpunkt ein. Indem sie im all- semeinen ein Ineinandergreifen sämtlicher Kortikalgebiete mit zen- tralen Verdiehtungen jeder einzelnen Funktion innerhalb des ihr zu- gehörigen Gebietes annehmen, glauben sie, „dass die Sehsphäre zwar ihren zentralen Sitz in der Oceipitoparietalzone habe, daselbst aber nicht fest umschlossen sei, sondern in Zusammenhang mit an- I) Luciani und Seppilli, Die Funktionslokalisation auf der Grosshirn- rinde. 1886. 186 M. Minkowski: deren Zentren stehe und sich mit ihnen in anatomische Verbindung setze, indem sie gegen die Stirn- und Schläfenkeilbeinlappen aus- strahle“. Ausser diesen prinzipiellen Kontroversen erlangte eine besondere Bedeutung die Frage, ob Sehstörungen beim Hund nach Exstirpationen der Extremitätenregion (Gyrus sigm. ant. et post.) auftreten, und ob diese somit zum Sehakt in engerer Beziehung steht. Nachdem Hitzig!) zuerst angegeben hatte, dass man nach Exstirpationen des Stirnlappens neben motorischen auch Sehstörungen beobachten kann, haben Exner und Paneth?) an sechs Hunden Operationen im Bereich des Gyrus sigmoid. aus- geführt und „in fünf dieser Fälle Sehstörungen beobachtet, welche bis zu vier Wochen anhielten“ ; dabei zeigte die Obduktion keinerlei Veränderungen ausserhalb des eigentlichen Operationsgebietes, welche diese Sehstörungen erklären könnten. Hitzig hat dann diese Versuche von neuem aufgenommen; in einer Anzahl von Fällen hat er nur die Pia über der motorischen Region freigelegt, ohne sie zu verletzen; in anderen hat er partielle und totale Exstirpationen der Extremitätenregion und deren Um- gebung ausgeführt. In der grossen Mehrzahl dieser Fälle, auch nach einfacher Freilegung der Pia, hat er vorübergehende Seh- störungen beobachtet und daraus folgende Schlüsse gezogen: „Die blosse Freilegung der Pia führt zu mehr oder weniger erheblichen Schädigungen der darunter liegenden BIDENNEIEN manch- mal auch ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Die Tatsache, dass von anderen ienen. als von der Seh- sphäre, nämlich vom Gyrus sigmoides aus Sehstörungen hervor- gebracht werden können, muss durch diese Versuche als vollkommen erwiesen gelten. Die Theorie Munk’s ist hiermit, soweit dieser Punkt in Frage kommt, widerlegt. Nach frontalen Eingriffen traten Sehstörungen und Störungen der optischen Reflexe als unmittelbare Folgen von Verletzungen des Gyrus sigm. so gut wie regelmässig ein“ °). 1) Hitzig, Zur Physiologie des Grosshirns. Arch. f. Psych. Bd. 15. 2) Exner und Paneth, Über Sehstörungen nach Operationen im Bereich des Vorderhirns. Pflüger’s Arch. Bd. 40. 1886. 3) Hitzig, Physiologische und klinische Untersuchungen über das Gehirn. Ges. Abhandl. S. 180 u. 274. Berlin 1904. Zur Physiologie der Sehsphäre. 187 Was diesen Ergebnissen nach Hitzig ein besonderes Interesse verleiht, ist die Tatsache, dass, wenn nach einer Operation im Be- reich der motorischen Region die Sehstörung sich zurückgebildet hat, eine sekundäre partielle Operation im Gebiet der Munkschen Sehsphäre, speziell eine sekundäre Exstirpation der Stelle A, meistens gar keine Sehstörung herbeiführt (im Gegen- satz zu primären Exstirpationen der Stelle A,). Zur Erklärung dieser Verhältnisse nimmt Hitzig an, dass in den subkortikalen optischen Ganglien im Anschluss an die primäre Operation Um- schaltungsvorgänge stattfinden, so dass dieselben gegen weitere funktionelle Schädigungen von seiten der Hirnrinde, sei es auch der Sehsphäre, geschützt sind. Diese Auffassung ist aber nur dann möglich, wenn schon den subkortikalen Zentren die Fähigkeit zu einem, wenn auch nur niederen Sehen, zur Bildung von „Vor- stellungen niederer Ordnung“ zugeschrieben wird. -Die Angaben Hitzigs über das Auftreten von Sehstörungen nach Läsionen der motorischen Region wurden von Lo Monaco e Tomassi!) und von Imamura?) bestätigt. Letzterer glaubte namentlich feststellen zu können, dass die nach Läsion einer moto- rischen Region des Hundes auftretende Amblyopie, nachdem sie verschwunden ist, wiederum hervorgerufen werden kann durch eine Vernichtung der Balkenbahnen, und dass nunmehr eine nochmalige Restitution nicht stattfindet; er schliesst daraus, dass für den nor- malen Ablauf des Sehakts das Erhaltensein wenigstens einer motorischen Region notwendig ist, und erklärt das Zustandekommen dieser besonderen Form der Amblyopie dadurch, „dass zum voll- kommenen Sehen eine richtige Lokalisation der Eindrücke der Retina, und zur richtigen Lokalisation die intakte Kinästhesie der Augen, des Kopfes und vielleicht auch anderer Körperteile von srösster Bedeutung ist. Mit der Störung der cortical-motorischen Zentren fällt aber dieser für das richtige Sehen, für das Verständnis und die Lokalisation des Gesehenen so wichtige Faktor weg, und es dürfte wohl die Voraussetzung ihre Berechtigung finden, dass eine Form der Amblyopie in dieser sensomotorischen Störung ihre Ur- sache habe.“ 1) Lo Monaco e Tomassi, Sulla fisiologia della superficie interna del cervello. Riv. sper. di fren. 1901. 2) Imamura, Über die corticalen Störungen des Sehakts und die Bedeutung des Balkens. Pflüger’s Arch. Bd. 100. 1903. 188 M. Minkowski: Gegen die Angaben Hitzigs und namentlich die daraus ge- zogenen Konsequenzen hat Munk!) sehr energisch und, wie ich glaube, mit Recht Stellung genommen. Daraus, dass ausser- halb des Occipitallappens auch von anderen Teilen des Gross- "hirns vorübergehende Sehstörungen hervorgebracht werden können, folgt durchaus nicht, dass diese Teile zum Sehakt in besonderer funktioneller Beziehung stehen, wie das Imamura annimmt, dessen Erklärung übrigens meines Erachtens auf einem unzulässigen Durch- einanderwerfen von optischen und kinästhetischen Komponenten der sinnlichen Wahrnehmung beruht. Auch der von Hitzig an- genommene Hemmungsvorgang, der sieh noch dazu von den subkortikalen motorischen auf die subkortikalen optischen Zentren übertragen muss, ist durchaus hypothetisch und kann einer ernsten Kritik wohl kaum standhalten. Um aus diesen vorübergehenden Sehstörungen lokalisatorische Schlüsse zu ziehen, müsste man zunächst den Beweis liefern, dass sie nach den betreffenden Operationen notwendig eintreten müssen und nicht nur gelesentliche Kom- plikationen sind; diesen Beweis ist Hitzig durchaus schuldig ge- blieben; vielmehr hat er sich selbst in dieser Beziehung eine Blösse gegeben, indem er angab, dass auch nach einer einfachen Frei- lesung der Pia über der motorischen Region Störungen der Mobilität und des Sehens eintreten; das ist auch nicht verwunderlich, wenn nach den eigenen Angaben Hitzigs „die Hirnoberfläche selbst in fast allen Fällen pilzartig. vorgetrieben erscheint, so dass man den vorgedränsten Teil in der Lücke als undeutlich fluktuierenden Körper fühlen kann. Die Rinde zeigt an den Grenzen der Lücke infolge des Hirnvorfalls eine Einschnürung, und die Pia verwächst an dieser Stelle mit den Rändern der Dura. Allmählich wird der Prolaps kleiner und kann bis annähernd auf das Niveau des Restes der Convexität zurückgehen. . . Auf Durchschnitten fanden sich mit Ausnahme von zwei Fällen regelmässig in den früheren Stadien kapillare und grössere Blutmengen in der grauen und weissen Substanz und in den späteren Stadien die Residuen derselben in. Gestalt von rotbraun tingierten Erweichungsherden oder kleinen Lücken.“ Dass nach mangelhaften Operationen auch Sehstörungen auftreten können, ist selbstverständlich, und es ist absolut nicht 1) Munk, Über die Funktionen von Hirn und Rückenmark. Ges. Mitt. S. 236. Berlin 1909. Zur Physiologie der Sehsphäre, 189 einzusehen, wie dadurch „die Theorie Munks, soweit dieser Punkt in Frage kommt, widerlegt ist“. Trotz -der scharfen Kritik Munks!) haben die Angaben Hitzigs, nachdem eine Anzahl von Autoren (Exner und Paneth, Lo Monaco, Imamura) dieselben bestätiet und erweitert hatte, immer mehr an Boden gewonnen, und es erschien mir deshalb notwendig, diese prinzipiell wichtige Frage von neuem experimentell zu untersuchen. Ich will nun eine Anzahl von solchen Versuchen mitteilen, bei denen ich ein- und doppelseitige Exstirpationen der Extremi- tätenregion (Gyrus sigm. ant. et post.) vorgenommen habe. Beobachtung 1. 18. Mai 1909. Linksseitige Exstirpation des Gyr. sigm. ant. et post. in der von Munk angegebenen Weise!). — Umschneidung der Rinde medial vom Sulcus coronalis, vorn und hinten an den Grenzen der Extremitätenregion, Unterschneidung mit dem Messer, dann Ausräumung mit einem Holzstäbchen °). Sensomotorische Störungen an den rechten Extremitäten typisch (Ausgleiten, Schleudern, Überkreuzen der Vorderbeine, Auftreten auf den Fuss- rücken, Fallen auf die rechte Seite). Die Störung bildet sich allmählich bis auf die üblichen Reste zurück. Sehen: Schon am dritten Tag nach der Operation mit Hilfe der Perime- trierungsmethoden und der Kreismethode keinerlei Defekt im Gesichtsfeld nachweisbar, weder am linken noch am rechten Auge. Optische Reflexe: Am linken Auge stets sehr lebhaft, am rechten Auge zunächst fehlend, dann vom vierten Tage an herabgesetzt, indem auf An- näherung der Hand jedesmal ein träges Blinzeln eintritt, an dem hauptsächlich nur das untere Lid teilnimmt; im Laufe von 4 Wochen allmähliche Besserung bis zur Norm. Lidspalte im Anfang rechts weiter als links; die Di@erenz gleicht sich im Laufe von 3—4 Wochen aus. Beobachtung 1a°). 6. Juli 1909. Rechtsseitige sekundäre Exstirpation der Extremitätenregion; lateralwärts wird die Läsion durch den Suleus 1) Munk, Über die Funktionen von Hirn und Rückenmark. Ges. Mitt. Berlin 1909. 2) Aus redaktionstechnischen Gründen sind in diesem Kapitel nur zwei Photogramme von operierten Gehirnen reproduziert. 3) Derselbe Hund wie in Beobachtung 1. Alle sekundären Operationen bezeichne ich mit denselben Nummern wie die primären mit Hinzufügung von a. 190 M. Minkowski: coronalis begrenzt. Eine starke Blutung aus der Nähe des Sinus longitudinal. wird durch Einführung von sterilem Wachs gestillt; in den ersten 10 Tagen nach der Operation entleeren sich aus der Wunde geringe Mengen einer eitrig- blutigen Flüssigkeit; die Sekretion hört nach Entfernung der Nähte (am zehnten Tage) auf. Sensomotorische Störungen sehr schwer; im Anfang kann der Hund weder stehen noch laufen; allmähliche Restitution. Sehen: Am O0. S.!) zunächst Ausfall der temporalen ?/s des Gesichts- felds; Anstossen beim Laufen mit zugebundenem rechtem Auge. Die Sehstörung hält bis zum 16. Juli unverändert an; an diesem Tage werden die Nähte ent- fernt, darauf rasche Restitution, so dass am 22. Juli keinerlei Sehstörung mehr nachweisbar ist. Optische Reflexe: Rechts stets lebhaft, links die ersten 10 Tage fehlend, dann herabgesetzt; allmähliche Besserung bis zum 24. Juli, wo keinerlei Differenz zwischen rechts und links mehr nachweisbar ist. 2. Oktober 1909. Dritte Operation: Doppelseitige Exstirpation der Stelle A,. Nach der Operation ist der Hund schwer krank und stirbt am 7. Oktober 1909. Sektion: Die Operationen an der Extremitätenregion sind beiderseits richtig ausgeführt. Beobachtung 2. 26. Juni 1909. Linksseitige Exstirpation der Extremitäten- region; lateralwärts befindet sich die Schnittlinie medial vom Sulcus coronalis. Fig. 4. Sensomotorische Störungen typisch. Sehen: von Anfang an ohne die geringste Störung. Optische Reflexe: beiderseits ohne Störung. Sektion am 25. August: Die Operation ist richtig ausgeführt. 1) Oculus sinister. Zur Physiologie der Sehsphäre. 191 Beobachtung 3, 15. Juli 1909. Linksseitige Exstirpation der Extremitäten- region wie in Beobachtung 1. 2 Big. >. Sensomotorische Störungen typisch. Sehen: ohne Störung. Optische Reflexe: rechts herabgesetzt bis zum siebenten Tage nach der Operation. Lidspalte rechts etwas weiter als links. Prevost!) rechts angedeutet. Sektion am 23. Juli: Die Operation ist richtig ausgeführt. Der Defekt reicht nach aussen nicht ganz bis zum Sulcus coronalis und hebt sich scharf gegen die normale Umgebung ab. Beobachtung 4. 16. August 1909. Linksseitige Exstirpation der Extremitäten- region. Sensomotorische Störungen typisch. Sehen: ohne Störung. Optische Reflexe: beiderseits ohne Störung. Lidspalten gleich weit. Prevost negativ. Die Sektion bestätigt die Richtigkeit der Operation. Der Defekt reicht lateralwärts bis zum Sulcus coronalis. 1) Das von Pr&vost beschriebene Symptom besteht darin, dass beim foreierten Zurückschlagen der Schnauze nach hinten oben durch den Untersucher über der Cornea die Sklera sichtbar wird, was wahrscheinlich auf einer Er- weiterung der Lidspalte beruht. 192 M. Minkowski: Beobachtung 5. 21. Oktober 1909. Linksseitige Exstirpation der Extremitäten- region. - Sensomotorische Störungen typisch. Sehen: Am rechten Auge Ausfall des oberen äusseren Quadranten des Gesichtsfelds, dann Amblyopie in diesem Bezirk, bis zum 11. Oktober nach- weisbar. Optische Reflexe: rechts herabgesetzt bis zum 11. Oktober. Lidspaltendifferenz bis zum vierten Tag nach der Operation. Pre&evost während dieser Zeit positiv. Tod am 11. Dezember während eines Krampfanfalls. Sektion: Der Defekt reicht nach hinten weiter als beabsichtigt war, bis zur front. Verlängerung des Sulcus suprasylv. ant., lateral bis zum Sulcus coronalis. Die Grenzen des Defekts sind von einem schmalen Hof (ca. 3 mm) erweichter Hirnmasse umgeben. Beobachtung 6. 11. Oktober 1909. Linksseitige Exstirpation der Extremitäten- region und der inneren Hälfte des Gyrus coronalis. Sensomotorische Störungen typisch. Sehen: ohne Störung. Optische Reflexe: rechts im Anfang hochgradig herabgesetzt. Zuweilen bleibt das Blinzeln auf Annäherung der Hand ganz aus, in der grossen Mehrzahl der Fälle erfolgt aber ein schwaches Blinzeln; dasselbe ist wenig ausgiebig und reicht nicht bis zum Lidschluss. Es fällt ferner auf, dass die rechte Lidspalte oft offen bleibt, während die linke geschlossen ist. Allmähliche Besserung. Lidspalte rechts weiter als links. Prevost rechts +. Der Hund stirbt am 1. Dezember. Sektion: Der Defekt erstreckt sich auf den Gyrus sigm. ant. et post, und die innere Hälfte des Gyrus coronalis. Das übrige Gehirn ist vollkommen intakt. Beobachtung 7. 20. Oktober 1909. Linksseitige Exstirpation der Extremitäten- region bis zum Sulcus coronalis. Sensomotorische Störungen typisch. Sehen: ohne Störung. Optische Reflexe: rechts geringe Herabsetzung bis zum 25. Oktober. Lidspalte rechts weiter als links. Prevost +. 8. Dezember 1910. Der Hund wird getötet. Sektion: Operation richtig ausgeführt. Zur Physiologie der Sehsphäre. SITEUOA09 SUOIng Jy9eAmy9Ss umz SIqQ UOLSILUONLY —_ + -9Sge Se] 'uzny Oyarqeumv "SPIOFSIUDISIN SOP UEJURIP -enO)) UOAISSnBR uaAdayun um pun oypeH usasyun us9zurd A9p ul AeASIOMTIBU Ayatı Fun.ıoFS -[9S HUN S%], UOOMZ wvy ‘yuursoq 9J184PIOF -SIISIN UAALO[JTLUUOUUL u9aoyum wI9Ip “Sunjfpyguy HPuaNPAISILOF UUEP ‘SOPIOF -SIQDISSK SIP UJEJIOLA Toıp uope.ıodws} up UI 9801 -NeWUY 9%], U9JSU99S umz SIq any SOrzNa1N9H ordoAfquy aeg -SIIMUIBU Io Sun -10SU9$ 9UI9Y uuRP ‘Se]L U9J19TA umz sıq [PJI9TAPJOFSIQIISIN uajeseu wm 9somewy Jeasıam -yDeu ZunIofsgog 9UI9Y RL UHNLIP OA ABqsIaA -[euU 2 HUnIoIsyag 9UION SL], U9MOTA "A “TORIOTAPEFSIQDISON) uppeseu wı 9rdoftq -UY SL, uoNLIp we 2) Dr N Te EEE BEL IERFF N Fre FREE any SOFINISTLILI) uogog Ze] ‘0, unz sıq yz)osodgqeIiaog uuep ‘pusjyar Isyaeunz any UOJZNIINId we Se] USJugaz umz Sıq 3279898qe.19U any USJZNIINII we 7298 -9HqeLI9U PuIonep any U9ZNIINOS ww axagay aydsydg "po "A]4S0799 snıÄg sap YleH uspeıppm A9p pun "alÄseidns ‘sıpe1oye] -0399 snıÄn) s9p ul} -gdaysx] SF1OSSHUul] -p9ur "AJASOP9 snıÄn sop ayıeH usfeıpow a9p 'n 'AJÄS ‚eıdns snı4d sap uor} -edasxy SFLIOSSYur] ‘paur "A]AS0909 snıÄn) sop 9YyleH uojerpow‘p pum "AJÄS -eıdns snıÄn)sap uol} -BÄLISXH 9S1779SSYUrT uoneasdg Op AY "I FI "EI ung -yoeqoagl 19p a9umunN °(paur *ATÄS0J99 pun snıapÄse.ıdns *sIeaaye]099 *1Ä9)) suadderpegrdio9ß SOp JEyX9AUOY AOp ue Zumpury UYYLIP AOP HYJIEH Uafeıppw A19p pun uaploMmz Aop u9uoryediunsxy "DI 11998 L 16 * M. Minkowski 232 uduudal -gIImp Hdeyy UBTESIOp Jauras UT Ic afeyıses sep pun uay9Iaı JoyLıuoA umz sıq ayppMm “epıoH 9J914 SMOSIOPIOq UaYaFsOq 9gıeN A9p AaJun :9Y1uyo9Ss -[eJuOIA "JAqUJODSNE IlyydLı sUITTIL) SOP ade FLIgO A9p ue Junugapsuy A9ayt g9eu u9y9Ss93 [LEIPISFSIUDIS -96) UHAHTNLWUOSSNE UOIS -I9jun pun u9Aa[JFLurusuut ua1g}un u PIIM UB BP UOA pumq u9wwoy][oA puojya} puıanep "pour "AJÄs0opa suıkn) sap pun "Ajks -eıdns ‘SIje19YE]0709 snıÄg) Sop uoryed voyersdg :uopoM , geu| ‘purg Se] usyugsz wnz sıq | puonep adny soyur | -ue usdny uopreq ur | -ınsxy odntospoddop "8I a | -19Jun SYIB US[ENIIES SOp 1199 P[9J oder afesıop aIp AaydfaA | -SIQDISIH UALOTYLWUISSNE ‘PA9H IOJOIJ ur yaIsyopuyoq ; Us4SIHJuUNn WI yone 3239] "pour "A]ÄS09a SqIeN I9p AaJun :9YJLuy9s -NZ ‘u9I9JJTuLuaUUT uadojun snıkn) sap >yleH -[eJuoLT "Jıynzossne äyygdrı | we Zunjjpyzny uuep ‘sopJoF uajeıppur A9p pun sugar) SIP Aydeg.I9qgo dp | -SIYPISOH S9P UJOJIOIA TOAP aeqstamydeu puojgs} uaumoy “apÄseadns ‘sıpe1aye] ue Sunugapsny aaayı yoeu | usjerodws} uop ur Yoy Zun1oIsyag 19] I9uTaN -[[0A 3se7 puioenep -0799 sn1ÄH) sap uon} uonerdg :uoyoMm GC ypeu| -pung Ie]L usjuyaz wmz sıq | uw Se], UoyLıp woA | odny usrznaımed we | -edınsxy oärTossgun 1 8 e9ay I9p uored 191} UHWWON][OA uR -11ISKJOIWIOSSHUN] 'Z ISSEWNIEN] Zuejuy UOA [91oIA "p9w ALÄS0J99 SnLÄH) uspepides a9p Aw Dunp -SIWISIH SOTeseu sop 9yeH uaJeıp -UIQA9A A9IIA ur pun 37%} ZUunIoIg 19]19ULON ISUOS ‘SOP[aFsIy2IsIH) SIP pua] -gw 19p pun ’Ajis -ur 574091 ZunpurM 99519 | ‘EOTAPJEFSIqDISIH uojeseu uj9J191 A T9.Ip uoje.1od -U0} odny uayyDaı -eıdns 'sı[e19}8]0799 :oyrugospejuoig "Jaynjod um grdofjquy Ze], uayLıp -119} u9Pp uULJIOUPUILT we ‘9239s899qw.19U snıÄr) sap uoryeduns -Sne Zrrydrı vonyerodg :SIy991 | pun usyıomz ure :9Ony soyulf | apuıanep:oöänysary»aı | pursnep göny 'yuıj we | -xg SSnIossygpay I "9I aduy sorzna1Na3 | odny sadıylasgdro]d un! -gegoag uonyas axapayy aydsydg uoyenmdg Ip UV 10P uayag Jd9wuumN Tasse | ‘(aunzposj107) III OII9A®L Zur Physiologie der Sehsphäre. 2833 an, auch nachdem jede Sehstörung verschwunden war; in Beob- achtung 13 und 16 blieben die optischen Reflexe anscheinend dauernd herabgesetzt. Es dürfte darin eine Bestätigung der bereits früher ausgesproche- nen Annahme liegen, dass auch im Oceipitallappen in der zweiten Urwindung ein Zentrum für denBlinzelreflex vorhanden ist. 2. Sehen. Gleichseitiges Auge. Wenn ich zunächst die letzten zwei Fälle mit einer dauersden Sehstörung ausschalte (Beobachtung 17 und 18), so bleiben vier Fälle übrig, bei denen die lateralen Teile der Munkschen Sehsphäre exstirpiert worden waren. Nach dem Munkschen Projektionsschema müsste in all diesen Fällen eine dauernde Blindheit im nasalen Gesichtsfeldviertel des gleichseitigen Auges eintreten, das war aber nirgends der Fall. In einem Fall (Beobachtung 16) war dieser Gesichtsfeldteil von An- fang an vollkommen frei; in den drei anderen bestand hier eine Amaurose resp. Amblyopie nur in den ersten 2—3 Tagen nach der Operation; vom vierten Tage an war dieser Gesichtsfeld- teil in allen vier Fällen vollkommen frei, so dass am gleichseitigen Auge überhaupt keinerlei Sehstörung nachweisbar war. Ganz besonders instruktiv war Beobachtung 16; hier wurde gleich- zeitig eine doppelseitige Operation ausgeführt, indem links die Area striata, rechts die zweite und die innere Hälfte des horizontalen Schenkels der dritten Windung exstirpiert wurden. Die linksseitige Operation bewirkte am gekreuzten Auge einen dauernden Ausfall der temporalen drei Viertel des Gesichtsfelds; das nasale Gesichtsfeld- viertel, das nach dem Munkschen Projektionsschema infolge der rechtsseitigen Operation hätte ausfallen müssen, war dagegen voll- kommen intakt, was wegen der Amaurose im übrigen Gesichtsfeld mit besonderer Deutlichkeit nachzuweisen war. Es besteht demnach keinerlei Beziehung zwischen dem lateralen Drittel der Munkschen Sehsphäre und der gleichseitigen Retina. Gekreuztes Auge. Nach Exstirpationen der an der Kon- vexität gelegenen lateralen Hälfte der Munkschen Sehsphäre (Gyr. ectolater. und suprasylv.) ist nach seinem Projektionsschema ausser dem nasalen Skotom am gleichseitigen Auge ein dauerndes Skotom im innenmittleren Gesichtsfeldviertel des gekreuzten Auges zu er- warten (s. Fig. 12). 234 M. Minkowski: Ich verfüge über vier Fälle, wo die laterale Hälfte der Munk- schen Sehsphäre exstirpiert worden war (Beobachtung, 15, 16, 17 und 18). In einem Fall (Beobachtung 16) war von Anfang an keinerlei Sehstörung am gekreuzten Auge vorhanden; in einem anderen (Beobachtung 15) hellte sich die zuerst vorhandene Amau- rose in den temporalen drei Vierteln des Gesichtsfelds rasch auf, so dass am zehnten Tag nach der Operation keinerlei Sehstörung mehr nach- weisbar war. Der untere innenmittlere Gesichtsfeldteil hellte sich zuerst auf. Die letzten zwei Fälle (Beobachtung 17 und 18) boten ein völlig anderes Bild, indem hier am gekreuzten Auge eine dauernde Sehstörung vorhanden war, die den grössten Teil des Gesichtsfelds einnahm; aber gerade das innenmittlere Gesichtsfeld- viertel, wenigstens. sein unterer Teil, das nach Munk hätte dauernd blind bleiben sollen, hellte sich in beiden Fällen auf und blieb dann, im Gegensatz zum übrigen Gesichtsfeld, andauernd frei. Die Fälle, wo nur das laterale Drittel der Munkschen Seh- sphäre exstirpiert worden war (Beobachtung 13 und 14), können insofern nicht direkt gegen die Munksche Projektion der lateralen Teile der gekreuzten Retina auf die lateralen Teile seiner Sehsphäre herangezogen werden, als hier die Exstirpation nicht genügend aus- giebig war, um das ganze in Frage kommende Gebiet zu entfernen (der Gyrus ectolateralis blieb in diesen Fällen erhalten); aber jeden- falls müsste man erwarten, dass, wenn nach dieser Operation über- haupt eine Sehstörung eintrete, dieselbe jene Teile des Gesichtsfeldes ergreife, welche in unmittelbarer Nachbarschaft des exstirpierten Sehsphärenteils vertreten sind; es müsste also das innenmittlere Ge- sichtsfeldviertel am ehesten ergriffen werden. Gerade das Gegenteil trat in Wirklichkeit ein. Das innenmittlere Gesichtsfeldviertel am gekreuzten Auge war in einem Fall frei (Beobachtung 17), in einem anderen hellte es sich am frühesten auf (Beobachtung 13). Auf Grund der angeführten Ergebnisse komme ich in voller Übereinstimmung mit Hitzig!) zu dem Schluss, dass die laterale Hälfte der Munkschen Sehsphäre ebenso- wenig ein Projektionsfeld für die lateralen Teile 1) Hitzig, Physiologische und klinische Untersuchungen über das Gehirn. Ges. Abhandl. S. 432—434. Berlin 1904. Zur Physiologie der Sehsphäre. 235 der gekreuzten Netzhaut ist, wie das laterale Drittel für die lateralsten Teile der gleichseitigen. Auch darin kann ich die Angaben Hitzigs vollkommen bestätigen, dass „der- jenige Teil des Gesichtsfelds, dessen Sehkraft immer entweder von vornherein erhalten ist oder zuerstoder allein wiederkehrt, auchbei Ausschaltung derlateralen Teile der Sehsphäre sein nasaler unterer Teil ist“. Worauf es bei dieser Versuchsreihe vor allem ankam, war, wie ich im Anfang des Kapitels betont habe, die Entscheidung der durch Ergebnisse von Exstirpationen der Stelle A, nahegelegten Frage, ob die zweite Urwindung an der Konvexität des Oeceipitaliappens (Gyr. ectolater. und suprasylv.) überhaupt noch zur Sehsphäre gehört. Bei den zwei Fällen, wo nur der Gyr. suprasylv. und die innere Hälfte des Gyr. ectosylv. med. exstirpiert worden waren, bestand eine vor- übergehende Sehstörung, deren Dauer 12 resp. 9 Tage betrug. Von den vier Fällen, in denen ausser diesen Windungen auch der Gyr. ectolateralis und somit die ganze zweite Urwindung an der Kon- vexität des Oceipitallappens exstirpiert worden war, trat in einem Fall (Beobachtung 16) keinerlei Sehstörung ein, in einem Fail (Be- obachtung 23) eine vorübergehende Sehstörung, die schon am zehnten Tag nach der Operation völlig verschwunden war. In den drei Fällen mit Sehstörung (Beobachtung 13, 14 und 15) wiesen die kurze Dauer derselben und der Dekursus der Restitution, wo sich das ganze Gesichtsfeld von unten innen nach oben aussen fortschreitend ununterbrochen aufhellte, darauf hin, dass es sich dabei nicht um ein Ausfallsymptom, sondern um ein temporäres Symptom handelte, das durch eine operative Mitschädigung der benachbarten Rinde oder der Sehbahn (möglicherweise auch durch Diaschisiswirkung im Sinne v. Monakows) bedingt war. Einen bemerkenswerten Gegensatz zu diesen negativen Fällen boten die Beobachtungen 17 und 18, wo nach einer flächenhaft ebenso grossen Operation eine dauernde schwere Sehstörung sich einstellte. In Beobachtung 17 trat nach einer linksseitigen Exstir- pation am rechten Auge eine dauernde Amaurose der temporalen drei Viertel des Gesichtsfelds mit Ausnahme seines unteren innen- mittleren Teils ein, in Beobachtung 18 war nach einer doppelseitigen Exstirpation das linke Auge dauernd vollkommen blind, während am rechten Auge ebenfalls das untere innenmittlere Gesichtsfeldviertel verschont blieb. Der scheinbare Widerspruch dieser zwei Gruppen 236 M. Minkowski: von Fällen (Beobachtungen 13, 14, 15 und 16 einerseits, 17 und 18 anderseits) löste sich durch den anatomischen Befund. Es zeigte sich nämlich, dass in der ersten Gruppe die operative Läsion auf die Hirnrinde beschränkt blieb, und die darunter verlaufende sagittale Markmasse nirgends wesentlich geschädigt war, während im Gegen- satz dazu in der zweiten Gruppe bei der Operation tiefe Herde entstanden waren, welche die sagittale Markstrahlung in ihrer dorsalen Etage völlig unterbrachen. Die erste Urwindung war in allen Fällen erhalten, aber in den letzten zwei (Beobachtung 17 und 18) durch die tiefen Herde von ihrer Stabkranzfaserung voll- kommen abgeschnitten. Es scheint aus diesen Beobachtungen hervorzugehen: 1. dass die laterale Hälfte der Munkschen Seh- sphäre weder für die lateralsten Teile der gleich- seitigen, noch für den medialen Abschnitt der lateralen Hälfte der gekreuzten Netzhaut als Projektionsfeld anzusehen ist, 2. dass nach Exstirpation der zweiten und der me- dialen Hälfte des horizontalen Schenkels der dritten Urwindung dauernde Sehstörungen nur dann eintreten, wenn dabeitiefe Herde entstehen welche die unter derRindedieser Windungenver- laufende sagittale Markstrahlung lädieren, resp. durchtrennen, 3. dass, soweit die Exstirpation tatsächlich auf die Rinde beschränkt bleibt, nur vorübergehende Sehstörungen auftreten, deren rasche, allmäh- lich fortschreitende Restitution darauf hinweist, dass es sich nicht um ein Ausfallssymptom, son- dern um ein Nachbarschaftssymptom handelt, 4. dass somit die zweite Urwindung (Gyr. ectolate- ralis et suprasylv.) überhaupt nicht zur eigent- lichen Sehsphäre s. str. gehört. Wenn Munk dieses Gebiet zur Sehsphäre rechnet, so findet das wohl darin seine Erklärung, dass er in einem Teil seiner Fälle bei Exstirpationen der zweiten Urwindung tiefe Läsionen bekommen hat, welehe die Sehbahn lädierten und dadurch dauernde Seh- störungen bedingten; die anatomischen Momente scheint er leider nicht genügend berücksichtigt zu haben. Zur Physiologie der Sehsphäre. 237 Noch Eines verdient in diesem Zusammenhang hervorgehoben zu werden: das ist der Umstand, dass in den Fällen, wo die Seh- bahn in ihren kaudalen Teilen durch tiefe Herde total durchtrennt war (Beobachtung 17 und 13), ein Teil des Gesichtsfelds des ge- kreuzten Auges, nämlich der untere innenmittlere, erhalten blieb; dies kann nur so gedeutet werden, dass, wenn das Sehen notwendig an die Rinde gebunden ist, der untere innenmittlere Gesichtsfeldteil in solchen Gebieten derselben jedenfalls mitvertreten ist, die frontal- wärts vom Herd liegen, oder mindestens deren zuleitende Fasern sich schon frontalwärts von ihm von der sagittalen Markmasse ab- gezweigt haben. Bei der ausführlichen Besprechung der Projektion komme ich noch auf diesen Befund zurück. V]I. Die Area striata. Durch diese Ergebnisse ist der Weg für die weitere Unter- suchung gewiesen. Da die zweite Urwindung an der Konvexität des Oceipitallappens exstirpiert werden kann, ohne dass darauf Seh- störungen auftreten, so muss, wenn es im Oceipitallappen über- haupt eine Sehsphäre gibt, nach deren Fxstirpation konstant und gesetzmässig dauernde Sehstörungen sich einstellen, dieselbe an der ersten Urwindung (höchstens bis zum Suleus lateralis), an der medialen und basal-cerebellaren Fläche der Hemisphäre gesucht werden. Denn gerade diese Gebiete waren bei den Konvexitäts- operationen verschont geblieben; auch in den Fällen mit dauernder Sehstörung waren sie erhalten, aber durch tiefe Herde von ihrer Stabkranzfaserung abgetrennt. Dass es ein Gebiet in der Hirnrinde gibt, dessen Exstirpation eine dauernde Sehstörung herbeiführt, erschien mir sicher, nachdem ich mich überzeugt hatte, dass die Unterbrechung der Sehbahn eine derartige Störung bedingt; denn da die kortikopetale Sehbahn wohl zur Aufgabe hat die durch optische Reize in der Netzhaut aus- gelösten Prozesse durch Vermittlung der subkortikalen Ganglien zur Hirnrinde zu leiten, so wird eine Exstirpation desjenigen Teils der Hirnrinde, in welchen die Sehbahn einmündet, bezüglich der Rezep- tion von optischen Eindrücken wohl denselben Effekt haben, wie die Unterbrechung der Sehbahn selbst; während aber die Sehbahn ein relativ kompartes Bündel ist, das mehr oder weniger leicht durch- trennt werden kann, handelt es sich bei der Sehrinde wahrscheinlich 238 M. Minkowski: um ein umfangreiches, bisher mangelhaft lokalisiertes Gebiet, und nur deshalb ist es viel schwieriger von der Hirnrinde aus eine dauernde maximale Sehstörung herbeizuführen. Dass die Sehsphäre des Hundes hauptsächlich an der medialen und cerebellaren Fläche des Oceipitallappens zu suchen ist, dafür sprechen in der Literatur einige bemerkenswerte Angaben. Berger!) hat bei neugeborenen Hunden ein künstliches doppel- seitiges Ankyloblepharon hergestellt, die so operierten Tiere 4 bis 10 Monate am Leben gelassen, dann die Rinde des Oceipitallappens makro- und mikroskopisch genau untersucht, da er feststellen wollte, ob der Ausfall von optischen Eindrücken hier nachweisbare Ver- änderungen herbeigeführt habe; zum Vergleich benutzte er Gehirne von normalen Tieren, die aus demselben Wurf wie die entsprechenden operierten stammten und auch zu gleicher Zeit getötet wurden. Bezüglich der Lokalisation der Sehsphäre des Hundes kommt er auf Grund der gefundenen Veränderungen und ihrer Verbreitung zu sehr interessanten Ergebnissen. „In den lateralen Teilen der Munk’schen Sehsphäre im Gyrus ectolateralis und suprasylvius finden wir keine deutlichen Abweichungen, die medialen Partien derselben jedoch, der Gyrus entolateralis, der Gyrus suprasplenialis und der Gyrus splenialis zeigen, letzterer namentlich an der cerebellaren Fläche, wo sich ja auch Unterschiede in der Rindendicke vorfanden, eine deutliche Inkongruenz der Kurven?)... Falls es gestattet wäre, diese wenigen untersuchten Fälle für die Lokalisation der Sehsphäre zu verwenden, so müsste man dieselbe vor allem in dem medialen Teil der Munk’schen Sehsphäre suchen und ihren Schwerpunkt auf die mediale und cerebellare Fläche des Oceipitallappens verlegen, wofür ja auch die Verbreitung des Vieq d’Azyr’schen Streifens, der nach allen Untersuchungen mit der Gratiolet’schen Sehstrahlung in Beziehung steht, sprechen würde.“ Im Gegensatz zu rein numerischen Unterschieden der Zahl der Ganglienzellen konnte Berger deutliche histologische Differenzen nur an der cere- bellaren Fläche des Gyrus splenialis und an der lateralen Seitenwand des Suleus splenialis nachweisen. „Wenn wir mit Munk eine durch l) Berger, Experimentell-anatomische Studien über die durch den Mangel optischer Reize veranlassten Entwicklungshemmungen im Oceipitallappen des Hundes und der Katze. Arch. f. Psych. Bd. 33. 1900. 2) Die Kurven drücken die Zahl der Zellen in gleichgrossen Strecken der Hirnrinde des operierten und normalen Tieres aus. Zur Physiologie der Sehsphäre. 239 die Projektion der Macula bevorzugte Stelle annehmen, so sollten wir dieselbe eigentlich hier im Gyrus splenialis und nicht im Gyrus eetolateralis erwarten“. v. Beehterew ist auf Grund seiner Untersuchungen zu der Feststellung gekommen, dass im Gegensatz zu Operationen an der Konvexität des Oceipitallappens, nach welchen meistens nur vorüber- gehende Sehstörungen auftreten, „Läsionen der Innenfläche des hinteren Hemisphärenteils beim Hunde stets anhaltende Seh- störungen mit den Charakteren homonymer Hemianopsie beider Augen, auch der entgegengesetzten Seite zur Folge haben. .... Berücksichtigt man einerseits die topographische Übereinstimmung des vorhin erwähnten Feldes mit dem Gebiete des Sehzentrums beim Menschen, welches Henschen in den medialen Teil der Hemisphärenrinde und zwar in die Gegend des Fiss. calcarina verlegt, und. erwägt man anderseits die Befunde Hitzigs, welche die Voraussetzung eines wahren Sehzentrums in der dorsoloteralen Rinde des hinteren Hemisphärengebietes widerlegen, so wird man an- nehmen dürfen, das wahre Rindenzentrum finde sich beim Hunde an der hinteren medialen Fläche der Hemisphärenrinde“!. Auch Bechterews Schüler Agadschanianz hat Zerstörungen der inneren Fläche des Oceipitallappens beim Hunde vorgenommen und danach dauernde Sehstörungen beobachtet. Die umfangreichen Untersuchungen Hitzigs über die Seh- sphäre waren hauptsächlich einer Nachprüfung der Angaben Munks über die Bedeutung der Stelle A, und die Projektion der Netzhaut auf die Hirnrinde gewidmet; nachdem Hitzig sie meistens als irrig gefunden hatte, war er sich wohl bewusst, damit hauptsächlich nur den kritisch-polemischen, nicht den positiven Teil der Arbeit geleistet zu haben; wegen seines hohen Alters ist er zu einem derartigen Abschluss seiner experimentellen Untersuchungen über die Sehsphäre nicht mehr gekommen. Aber auf Grund von Erfahrungen aus der menschlichen Pathologie hat er die Vermutung ausgesprochen, dass „derjenige Teil des Hundehirns, welcher der menschlichen Calearina entspricht, in besonders nahen Beziehungen zum Sehakt steht, oder vielleicht richtiger ausgedrückt, dass Zerstörungen innerhalb dieses 1) Vom Verfasser gesperrt. — Bechterew, Über das corticale Seh- centrum. Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. Bd. 10. S. 456. 1901. AO M. Minkowski: Gebietes besonders schwere und anhaltende Sehstörungen nach sich ziehen“. Er glaubt, dass „diese Frage .. . eine befriedigende Er- klärung fände, wenn sich die Erfahrungen der menschlichen Pathologie ohne weiteres in die Ergebnisse der experimentellen Pathologie des Hundehirns einfügen liessen“ !). Wie verhält es sich nun mit der Sehsphäre des Menschen, und welche Fingerzeige iassen sich daraus für die uns interessierende Frage entnehmen ? Seit den Zusammenstellungen von Henschen?) wird von den meisten Autoren (mit Ausnahme der v. Monakowschen Schule) die Sehsphäre des Menschen im Vergleich mit der des Affen und des Hundes auf einen relativ viel engeren Raum eingeschränkt, nämlich auf die Rinde der Fissura calcarina und die benachbarten Lippen des Cuneus und des Lobulus lingualis. Für die Henschen- sche Auffassung wird der Umstand geltend gemacht, dass innerhalb der von ihm klinisch- anatomisch abgegrenzten Sehsphäre auch ein ganz charakteristischer histologischer Rindentypus, die Area striata, sich vorfindet. Dieser Rindentypus, dessen Beziehungen zum Sehakt schon den ältesten Autoren bekannt waren, ist beim Menschen und bei einigen Primaten besonders hoch entwickelt; er ist hier charakte- risiert durch eine Spaltung der Lamina granularis int. in zwei Körnerlagen (Lamina granul. int. superf. et profunda nach Brodmann), welche eine zellarme Zwischenschicht (Lamina intermedia) ein- schliessen; im Weigert-Präparat liest im Bereich der letzteren der Vieq d’Azyrsche oder Gennarische Streifen, eine schon mit blossem Auge in der grauen Substanz sichtbare tangentiale weisse Markmasse. Der charakteristischen Entwicklung des Calcarinatypus bei einigen Primaten steht die Mehrzahl der Säugetiere mit unvollkommen ent- wickeltem oder zurückgebliebenem Typus gegenüber. Bei den uns interessierenden Carnivoren erfährt die Lamina granularis int. „keine eigentliche Spaltung in eine oberflächliche und tiefe Körnerlage, es kommt vielmehr nur zu einer starken Verbreiterung der Schicht 1) Hitzig, Physiologische und klinische Untersuchungen über das Gehirn. Ges. Abhandl. S. 600. Berlin 1904. 2) Henschen, Klinische und anatomische Beiträge zur Pathologie des Gehirns. 1890—1892. 1.—9. Band. me mh TE a EEE 1 6 nina TI UTT nann Zur Physiologie der Sehsphäre. 241 und an deren innerem Rande zu einer Verdichtungszone, die der Lamina granularis int. prof. entspricht. Man kann daher hier höchstens zwei Unterschichten, eine breite /IVb mit der Stria Gennari und eine IV c unterscheiden; die Lamina granularis int. superfieialis /Va fehlt. Die übrigen Merkmale decken sich im grossen ganzen mit denen bei den Primaten* [Brodmann!)]. sspl Fig. 22. Gyrus marginalis einer l4tägigen Katze. Calcarinatypus mit ver- breiterter Lamina granularis int. (Z[V). Ubergang in den Grundtypus ohne scharfe Grenze (x). sspl Sule. suprasplen. Vergrösserung 24:1. Nach Brodmann Über die genaue Lokalisation dieses Rindentypus war bis ‘vor wenigen Jahren beim Menschen, geschweige denn bei Tieren: wenig Sicheres bekannt. Erst Bolton hat in einer grundlegenden Arbeit?) (1900) die Verbreitung der „visuo-sensory area“, ‚des visuellen Rindentypus beim Menschen, genau beschrieben. Seine Angaben sind dann von Brodmann und Campbell im wesent- liehen bestätigt worden, wobei alle Autoren darin übereinstimmten, dass die Area striata sich mit der von Henschen auf Grund klinisch-anatomischer Untersuchungen angenommenen Lokalisation der Sehsphäre decke. Diese erfreuliche Übereinstimmung der auf klinisch-anatomischem und cytoarchitektonischem Weg gewonnenen Ergebnisse ist leider 1) Brodmann, Beiträge zur histologischen Lokalisation der Gross- hirnrinde. I.—VII. Mitt. Journ. f. Neurol. u. Psych. Bd. 2, 4, 6, 10 u. 12. s. Bd. 6. S. 288, 2) Bolton, The exact histological localisation of the visual area of the human cerebral cortex. Phil. Transact. vol. 193. 1900. 242 M. Minkowski: nieht ohne Widerspruch von autoritativer Seite geblieben, indem kein Geringerer als v. Monakow erklärte, sich der Henschen- schen Lokalisation der Sehsphäre auf ein relativ enges Gebiet an der medialen Fläche des Oceipitallappens aus allgemeinen und aus pathologisch-anatomischen Gründen nicht ohne weiteres anschliessen zu können. Er glaubt vielmehr, dass in allen bisher beschriebenen Fällen von sogenannter reiner kortikaler Läsion im Bereich der Calearina auch die Sehstrahlungen ausnahmslos mitgeschädigt wären, dass eine Erweichung, die auf die Calearinarinde beschränkt bleibe, anatomisch überhaupt unmöglich sei, und dass infolgedessen das bei Calearinaherden von den primären optischen Zentren abgesperrte oceipitale Rindengebiet eine wesentlich grössere Ausdehnung besitze, als es dem grob erkrankten Areal der Regio calcarina entspricht. Zur Sehsphäre rechnet v. Monakow ausser der Regio calcarina mit ihrem spezifischen Rindentypus auch noch die erste bis dritte Ocecipitalwindung, den ganzen Cuneus, Lobulus lingualis und Gyrus descendens. Danach gilt der Streit vor allem der eminent wichtigen Frage, ob sich die physiologische Sehsphäre, d. h. jenes Gebiet der Hirn- rinde, welches „bei der Lichterregung der Retina durch Vermittlung der Sehstrahlungen direkt in Erregungszustand gebracht wird“ (v. Monakow), oder, negativ ausgedrückt, dessen doppelseitige Zerstörung genügt, um vollkommene Blindheit herbeizuführen, sich mit der Area striata deckt oder über diese hinausgeht. Leider scheint eine definitive Lösung beim Menschen wegen ungünstiger anatomischer Verhältnisse und der Unreinheit der meisten klinischen Fälle kaum möglich zu sein. Denkt man aber an die scharfe Ab- grenzung der Area striata, welche in der ganzen Säugetierreihe konstant nachweisbar ist, so möchte man Brodmann recht geben, dass „man für dieselbe zweifellos eine ebenso spezifische wie elementare, d. h. allen Säugetieren zukommende Prinzipalfunktion in Anspruch nehmen muss“ !), als welche hier nur die Rezeption optischer Eindrücke in Betracht kommen kann. Was liefert uns aber in dieser Beziehung die experimentelle Physiologie? Vermag sie nicht darüber ein gewichtiges Wort mit- zusprechen ? 1) Brodmann, Vergleichende Lokalisationslehre der Grosshirnrinde. S. 313. Leipzig 1909. Zur Physiologie der Sehsphäre. 243 MOTOR ..-SCruclalus: ---S.Goronalıs- SENSORY.... "Homologue of Rolando ECTOSYLVIAN. - SSuprasylvius EGTOSYLVIAN. B...- S.Lateralis. SEctolateralis. BRRIETALS II = 5 Postläteralıs en i War NEN 7 ne Fig. 28 Bi .SENSORY. Sue ee .MOTOR. n SIntercal. e e „S.Cructatus. \ 2 s g LIMBIC. :FRONTAL, EXTRA- Ruine. .. Scaleanına.a . LIMBIC.B. ? OLFACTORY.B. : "FRhinica. Fig. 24. Fig. 23, 24, 25. Die Area striata ist an der Konvexität, an der medialen und cerebellaren Fläche des Occipitallappens durch gekreuzte Schraffierung markiert. Cytoarchitektonische Karten der Grosshirnrinde des Hundes nach Campbell. 244 M. Minkowski: Beim Affen besteht eine weitgehende Übereinstimmung der physiologischen und cytoarchitektonischen Ergebnisse, indem die Munksche Sehsphäre sich mit der Verbreitung der Area striata im grossen ganzen deckt. Um die Verbreitung der Area striata beim Hunde deutlich zu machen, reproduziere ich Zeichnungen aus dem Werk von Campbell). LET SEEN ... TUBERCULUM OLFACT. Rhinica --7/ \..OLFACTORY.A.. Galcarıne- ° Post-calcarıne S ZEVINSTU/ALE Wie auf Fig. 23, 24 und 25 zu sehen ist, ist die Area striata zum Teil auf der medialen, zum Teil auf der lateralen Hemisphären- fläche gelegen. Sie reicht an der Konvexität des Oceipitallappens bis zum Sule. lateralis, an der medialen Fläche bis zum Sule. splenialis?); die Sulei entolateralis und suprasplenialis liegen inmitten der Area; die vordere Grenze der Area wird durch eine von vorn medial nach hinten lateral ziehende Linie gebildet, deren oralster Punkt ungefähr in einer Frontalebene mit der Abzweigungsstelle des Sule. ansatus vom Sule. lateralis liegt. An der cerebellaren Fläche des Oceipitallappens nimmt die Area das Gebiet zwischen dem absteigenden Ast des Sule. splenialis und dem Sule. rec. sup. 1) Campbell, Histological studies on the localisation of cerebral function. Cambridge 1905. 2) Campbell bezeichnet den horizontalen Ast des Sulcus splenialis "als Sulc. intercalaris, seinen absteigenden Ast als Sule. calcarin. Zur Physiologie der Sehsphäre. 245 ein, während sie am kaudalen Konvexitätsende vorne durch den Sule. postlateralis begrenzt wird. Fig. 27. Fig. 26, 27. Die Ausdehnung der Sehsphäre nach Munk. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 17 246 M. Minkowski: Vergleicht man die Zeiehnungen von Campbell mit der Ausdehnung der Sehsphäre nach Munk!), so sieht man, dass. eine Übereinstimmung bezüglich der medialen Grenze (Sule. splenialis) wohl vorhanden ist. An der basal-cerebellaren Fläche des Oeceipitallappens nimmt die Area striata ein grösseres Gebiet ein, als es Munk hier der Sehsphäre zuweist. Eine nicht unerheb- liche Differenz besteht an der vorderen Grenze, wo die Area striata, namentlich an der der Falx zugewendeten Fläche weiter frontalwärts reicht als die Munksche Sehsphäre. Der wesentlichste Unterschied bezieht sich aber auf die laterale Grenze an der Konvexität des Oceipitallappens, wo die Munksche Sehsphäre die hintere Hälfte der ersten und zweiten Urwindung (Gyr. mareinalis, ectolateralis et suprasylvius s. Fig. 26) umfasst, während die Area striata nach Campbell bis zum Sule. lateralis reicht, nach Brodmann sogar fast ausschliesslich auf der Medialfläche liest und nur den dorsalsten Teil des Gyr. marginalis nächst der oberen und hinteren Mantel- kante bedeckt. Besonders auffallend ist es, dass „der eigentliche Fokus der Sehsphäre, die Stelle A,, ganz?) ausserhalb der Area striata liegt* [Brodmann]?°). Da Brodmann zur Auffassung neigt, dass die eytoarchi- tektonischen Rindenfelder auch physiologische Organe sind, von welchen spezifische Funktionen verrichtet werden, glaubt er diese Inkongruenz dadurch erklären zu können, dass Munk die Grenze der Sehsphäre beim Hund zu weit lateralwärts gezogen hat, und „dass, wenn es gelingt und aus operationstechnischen Gründen durch- führbar ist, die ganze laterale Stelle A einschliesslich der Stelle A, . ohne Verletzung der Medialfläche und vor allem ohne Läsion der Sehstrahlung zu zerstören, trotzdem keine Sehstörung eintreten wird“. Dass diese Vermutung richtig ist, habe ich im vorigen Kapitel nach- gewiesen, wonach die zweite Urwindung an der Konvexität des. Oceipitallappens (Gyr. ectolateralis et suprasylvius) ohne darauf- folgende Sehstörungen exstirpiert werden kann, wenn nur die Seh- | strahlung nicht lädiert wird. ]) Munk, Über die Funktionen der Grosshirnrinde. Ges. Mitt. Berlin 1890. 2) Nach den Zeichnungen von Campbell zum allergrössten Teil (Anm. des Verfassers). 3) Brodmann, Vergleichende Lokalisationslehre der Grosshirnrinde- ) S. 319. Leipzig 1909. Zur Physiologie der Sehsphäre. 247 ‘Sehen wir uns das von Campbell abgegrenzte Gebiet der Area striata als Ganzes an, so ist es augenfällig, dass es gerade jene Teile des Oceipitallappens einnimmt, welche bei unseren Kon- vexitätsoperationen (nach denen gar keine oder nur vorübergehende Sehstörungen auftraten) verschont geblieben waren; anderseits hatte Berger nur in diesem Gebiet nennenswerte Abweichungen von der Norm nach Anlegung eines doppelseitigen Ankyloblepharons bei neugseborenen Hunden gefunden. Nun war es auch für mich ge- boten, die positive Fragestellung folgen zu lassen und durch Fx- stirpationen der Area striata direkt experimentell darüber Aufklärung zu suchen, ob tatsächlich dieser Rindenteil der einzige ist, der zur Rezeption von optischen Reizen befähigt ist, und dessen Zerstörung senügt, um die maximale, von der Hirnrinde überhaupt erzielbare Sehstörung herbeizuführen. Der experimentellen Bearbeitung dieses Problems stellen sich mancherlei Schwierigkeiten in den Weg. Zunächst solche operations- technischer Natur: das zu entfernende Gebiet liegt für operative Eingriffe sehr ungünstig; seine Hauptmasse, nämlich die mediale und basal-cerebellare Fläche des Oceipitallappens, ist versteckt und dem Operateur nicht direkt zugänglich. Die operative Technik habe ich allmählich ausgebildet und bin dann bei totalen Exstir- pationen der Area striata ungefähr folgendermassen vor- gegangen: nach Durchtrennung der Haut in der Mittellinie des Schädels und sorgfältiger Abpräparierung des Muskels nach der Seite wurde eine ausgiebige Lücke im Knochen angelest, deren mediale Grenze 2—3 mm von der sagittalen Mittellinie des Schädeldachs - entfernt war (weiter medialwärts darf man nicht gehen, da hier der Sinus longitudinalis sup. verläuft, dessen Läsion schwere, meist sogar tödliche Blutungen verursacht); auch kaudal wurde der Knochen so weit wie möglich eröffnet, wobei man sich vor einer Verletzung des Sinus transversus hüten muss. Die sagittale Länge des Knochen- defekts betrug ca. 3 cm, die frontale 2,5 cm; es hat sich als not- wendig herausgestellt, die Knochenlücke auch lateralwärts ziemlich weit anzulegen, damit für die Konvexität des Oceipitallappens beim Abheben seiner medialen resp. cerebeilaren Fläche ein freier Spiel- raum bleibe; sonst würde sie dabei gegen den Knochen zu stark gedrückt werden. Die Dura wurde an den Rändern des Knochen- defekts medial, vorn und hinten gespalten und nach der Seite ge- klappt; dann wurde ein Holzspatel vorsichtig an die mediale Fläche 17a 248 M. Minkowski: des Oceipitallappens eingeführt, dieselbe etwas lateralwärts ver- schoben, und in den gewonnenen freien Raum ein dünner Watte- tampon eingeführt; dabei werden meistens Venen durchrissen, welche aus dem Gehirn in die Falx, in der Nähe des Sinus longit. oder direkt in diesen münden, und es gibt beträchtliche Blutungen, deren Stillung die grössten Schwierigkeiten bereiten kann. Waren die Blutungen gestillt und der Tampon entfernt, so suchte ich mich an der medialen Fläche zu orientieren; nahe der oberen Mantel- kante verläuft der Sule. suprasplenialis und unter ihm in der Tiefe der Sule. splenialis. Nun schnitt ich mit dem Messer an der Kon- vexität der ersten Windung etwas nach aussen vom Sulc. ento- lateralis (oder, wo dieser fehlte, etwas nach aussen von der Mitte der ersten Windung) ein; das Messer wurde dabei schräg mit der Spitze nach unten innen so gehalten, dass es an der medialen Fläche im Suleus splenialis heraustrat, und in dieser Stellung von vorn nach hinten bis zum kaudalsten Ende der ersten Windung geführt; diese Messerstellung hat den Vorzug, dass die Markmasse der zweiten Windung dabei am besten geschont wird. Nachdem somit die Rinde zwischen dem Suleus entolateralis und dem Suleus splenialis nach Möglichkeit in einem Stück abgetragen und die oft sehr er- hebliche Blutung gestillt war, wurden die sichtbaren Rindenreste in der Tiefe der Furchen oder an den Grenzen des Defekts mit der Pinzette zerdrückt oder mit dem Messer an der Markgrenze seicht zirkumzidiert, wobei jede tiefere Verletzung sorefältig vermieden wurde. Nun war der erste Akt der Operation beendet, und es musste noch die Rinde an der cerebellaren Fläche des Oeceipitallappens zwischen dem absteigenden Ast des Suleus splenialis und dem Sule. rec. sup. zerstört werden. In ähnlicher Weise wie die mediale, wurde die cerebellare Fläche des Oeceipitallappens mit Hilfe eines Holzspatels abgehoben und ein Wattetampon eingeführt. Auch da gab es oft erhebliche Blutungen; zur Orientierung diente einerseits der in der Tiefe verlaufende absteigende Ast des Sulcus splenialis, andererseits der Sule. rec. sup. oder, wo dieser fehlte, der kaudalste Punkt des Suleus postlateralis. Ich legte den Schnitt parallel der hinteren Kante des Oceipitallappens, ca. 2 mm von dieser an, und, indem die Messerschneide stets parallel der cerebellaren Fläche ge- halten wurde, suchte ich, nach unten und innen vordringend, die cerebellare Partie abzutragen. Die Exstirpation in einem Stück ge- lang aber fast niemals, die cerebellare Partie musste daher meistens Zur Physiologie der Sehsphäre. 249 in kleinen Stücken abgetragen werden; auch da wurden die sicht- baren Rindenreste in der Tiefe der Furchen mit der Pinzette zer- drückt oder mit dem Messer zirkumzidiert. Die erhaltene Konvexität wurde mit dem Durazipfel sorgfältig zugedeckt und die Wunde in üblicher Weise zugenäht. Ausser operationstechnischen Schwierigkeiten gibt es bei einer Aufgabe, wie die totale Exstirpation der Area striata, noch eine grundsätzliche Schwierigkeit, die in der Natur der Sache begründet ist; das ist der Umstand, dass die Begrenzung der Area striata an Furchen und Windungen, nach denen man sich bei der Operation allein richten kann, durchaus nicht gebunden ist, dass sie ferner, und das ist besonders wesentlich, in ihrer Ausdehnung und topo- graphischen Verhältnis zu diesen makroskopischen Grenzpfählen ziemlich erheblichen individuellen Schwankungen unterworfen ist. Es wäre danach nicht zu verwundern, wenn bei der Operation gelegentlich etwas über die Area striata hinausgegangen oder um- gekehrt ein kleiner Rest von dieser stehen geblieben sein sollte. Beobachtung 19. 26. März 1910. Linksseitige Exstirpation der Area striata. Optische Reflexe: am gekreuzten Auge dauernd fehlend, am gleich- seitigen Auge ohne Störung. Fig. 28. Sehen. Gleichseitiges Auge: im nasalen Gesichtsfeldviertel Amaurose bis zum sechsten Tag nach der Operation; später wird auch in diesem Bezirk . gesehen, aber anscheinend amblyopisch, da die Reaktionen nicht ganz konstant und langsamer erfolgen, als im übrigen Gesichtsfeld. 250 M. Minkowski: Gekreuztes Auge: dauernder Ausfall der temporalen drei Viertel des Gesichtsfeldes. 13. Mai 1910. Der Hund stirbt nach einer 2 ouleen Exstirpation der Area striata, 7 Wochen nach der ersten Operation. Sektion: an der ersten Urwindung ist die Area striata zerstört. Der Defekt reicht nach vorn fast bis zur Abgangsstelle des Sule. ansatus vom Fig. 29. Sule, later., med. bis zum Sulc. splenialis, lateral nicht ganz bis zum Sulec. later. Die zweite Urwindung (Gyr. ectolater. et suprasylv.) ist intakt, die Narbe lässt sich sehr leicht von der Konvexität abziehen. An der cerebellaren Fläche ist das Gebiet zwischen dem absteigenden Ast des Sulc. spl. und dem Sule. rec. sup. zerstört. Anatomische Untersuchung an Frontalschnitten: der operative Defekt reicht medial bis zum Sule. splenialis., lateral bis zum Sulec. later.; in der Tiefe ist der Sulc. later. allseitig von erhaltener Rinde umgeben. Die zweite Urwindung und die darunter verlaufende sagittale Markmasse sind völlig intakt. Die Operation ist richtig ausgeführt. Beobachtung 20, 14. Oktober 1910. Linksseitige Exstirpation der Area striata. Optische Reflexe: am rechten Auge dauernd fehlend. Sehen. Gleichseitiges Auge: dauernde Amaurose im nasalen Ge- sichtsfeldviertel. Gekreuztes Auge: dauernder Ausfall der temporalen drei Viertel des Gesichtsfeldes. Der Hund wird am 2. Dezember 1910 getötet. Sektion. Grenzen des Defekts: vorn 0,5 nach hinten von der Abgangs- stelle des Sulc. ansata vom Sulec. later. (1,5 vom medialen Ende des Sulc. eruciatus, 2,8 von der hinteren Kante), medial bis zum Sulc. splen., lateral nicht ganz bis zum Sule. later. Die zweite Urwindung (Gyr. ectolater. et suprasylv.) ee Au Zur Physiologie der Sehsphäre. Dal ist intakt, die Narbe lässt sich leicht von der: Konvexität abziehen. An der cerebellaren Fläche ist das Gebiet zwischen dem absteigenden Ast des Sule. splen. und dem Sulc. rec. sup. zerstört. Fig. 31. Frontalschnitt: der Defekt beschränkt sich auf die Area striata. Die zweite Urwindung ist intakt. Die Operation ist als völlig gelungen zu bezeichnen, da die Zerstörung nirgends über die Area striata nach Campbell) hinausgeht. Beobachtung 21. 17. August 1910. Rechtsseitige sekundäre Exstirpation der Area striata. Bei der primären Operation am 2. August wurde links die cerebellare Partie der Area striata exstirpiert. 252 M. Minkowski: Optische Reflexe: am linken Auge dauernd fehlend. Gleichseitiges rechtes Auge: dauernde Amaurose der ganzen oberen Gesichtsfeldhälfte — kombinierte Folge beider Operationen; in der unteren Ge- sichtsfeldhälfte wird gut gesehen und prompt reagiert; im nasalen unteren Ge- sichtsfeldteil besteht vielleicht eine Amblyopie. Fig. 32. COS COD Linkes Auge: dauernder Ausfall der temporalen drei Viertel des Ge- sichtsfeldes und des oberen nasalen Gesichtsfeldviertels. Es wird nur im unteren nasalen Gesichtsteldteil gesehen. Der Hund wird am 15. November getötet. Sektion. Grenzen des Defekts: vorn 1,5 nach hinten vom medialen Ende des Sulc. cruc., medial bis zum Sulc. splen., lateral bis zum Sulc. later. An der cerebellaren Fläche ist das ganze Gebiet zwischen dem absteigenden Ast des Sule. splen. und dem Sulc. rec. sup. zerstört. An der Konvexität ist die zweite Windung bis auf ihr kaudalstes Ende intakt; die Narbe lässt sich leicht vom Gehirn abziehen. Zur Physiologie der Sehsphäre. 259 Frontalschnitte: der Defekt beschränkt sich auf die Area striata; nur an der medialen Fläche geht er über den Sulc. splen. bis zum Balken hinaus. Die Rinde der zweiten und dritten Windung und die darunter verlaufende sagittale Markmasse sind intakt. Fig. 34. Beobachtung 22. 4. Juli 1910. Doppelseitige Exstirpation der Area striata. Optische Reflexe: beiderseits fehlend. Sehen. Linkes Auge: andauernd vollkommen blind. Fig. 35. Rechtes Auge: bis zum zehnten Tage blind, von da an besteht ein schmaler sehender Bezirk im untersten innenmittleren Gesichtsfeldteil; hier wird auf Fleisch und Zucker prompt reagiert. | Der Hund stirbt am 12. Oktober 1910, drei Monate nach der Operation. | Sektion. Grenzen des Defekts: rechts: vorn fast bis zur Abgangsstelle / ‚des Sule. ans. vom Sulc. later. (2,7 von der hinteren Kante, 1,5 vom medialen | 954 M. Minkowski: Ende des Sulec. cruciatus), medial bis zum Sulc. splen., aber auch darüber hinaus bis zum Balken ist die Rinde erweicht, lateral bis zum Sule. later., an der cerebellaren Fläche ist das ganze Gebiet zwischen dem absteigenden Ast des Sule. splen. und dem Sulc. rec. sup. zerstört; links: die vordere Grenze reicht um (0,3 weniger weit frontalwärts als rechts, sie befindet sich 2,0 vom medialen Ende des Sulc. cruc., 2,5 von der hinteren Kante, medial bis zum Sulc. splen., lateral bis zum Sule. later., an der cerebellaren Fläche dieselbe Zerstörung wie rechts; die zweite Windung ist, von der Oberfläche betrachtet, beiderseits erhalten. Frontalschnitt: der operative Defekt überschreitet die Area striata rechts um die mediale Hälfte der zweiten Windung (Gyr. ectolater.), links um deren inneres Drittel (denjenigen Teil der Rinde des Gyr. ectolater., welcher die Aussenauskleidung des Sulc. later. in der Tiefe bildet). Die Öberflächenrinde des Gyr. ectolater. ist links, die des Gyr. suprasylv. beiderseits erhalten. (Siebe Tabelle IV auf 8. 255.) Zusammenfassung. Bei der grossen Wichtigkeit der Frage habe ich selbstverständlich viel mehr Fxstirpationen der Area striata ausgeführt, als ich hier beschreibe (im ganzen 16); aber den grössten Teil der operierten Fälle war ich genötigt, als unverwertbar auszuschliessen, da die Sektion zeigte, dass die Zerstörung an der Konvexität des Oceipital- lappens (wo die genaue Festhaltung der Grenzen für mich besonders wichtig war) über die Area striata hinausgegriffen hatte; meistens war die zweite Windung der Konvexität entweder erweicht oder dureh tiefere Herde unterminiert und von der sagittalen Markmasse abgetrennt. Denkt man einerseits an die grossen technischen Schwierig- keiten der Operation, andrerseits an die Notwendigkeit eines radi- kalen Vorgehens, da man sonst riskiert, in der Tiefe der Furchen funktionsfähige Rinde (Area striata) zu lassen, so wird man wohl zugeben, dass die grosse Zahl der unverwertbaren Operationen nichts Unerwartetes ist, dass man vielmehr zufrieden sein muss, wenn es überhaupt gelungen ist, einige „reine“ Fälle zu erhalten. Als solche angesprochen und sowohl hier bei der Untersuchung der Bedeutung der Area striata wie bei der Beurteilung der Projektion, habe ich nur Fälle verwertet, wo die Zerstörung an der Konvexität des Oeeipitallappens nicht über den Suleus lateralis hinausging, wo also die zweite Windung intakt war. Nur Beobachtung 22 bildet eine Abweichung von diesem Prinzip, indem hier rechts der Gyrus ecto- lateralis, links sein mediales Drittel über den Suleus lateralis hinaus zerstört ist. Ich teile diesen Fall nur mit, weil es sich hier bei N Zur Physiologie der Sehsphäre. [NL sOAouuL us Syurf ‘SIEA9B[0PS SsnakH u9p SITD9A YENX9AUOY AOp Ur sneurg doqnIBp pun ByeLgs Boıy Hp SIOSIAPIOG ISserwn 999701 dal 'SIQD91 SIE SIAEMTEIUOAF JIOM IOSTUHM „EG UN SINOJOCL SOP 9Zua.IN) 9A9PAOA Ip uoyamZz AOp uap pun wyeLNs Boay Ip June ja, uogspepney yoIs FYUYagdsog FUnı0s19Z Ip op pfeyur Is1 Sunpur HNOMZ ALT "eJeLS Hay oIp Jn® DIS FURAUISII FUNAOYSIIZ H1p uUoN49S 3y99s9q ue ep uoA ‘SeL eyeL1gs us4ugaz wnz‘q 9soAmBury 9801MBWY woly Adop uoıyed yyarsa Syum| SYeuoM $ AUHLWMONTOA :9S5nY SOJy99A | 9JLFOJAPUIONEP :H5nySsoyut | -ArJsxy adyyıaspoddop I (uomea CyELIS BIIV (uguoryeasdg -adg uaagwrıd A9Pp 98]0,J) op omeg uaıe] A9PI9A 99]0,] 919TUIJWOM) sopjaFsIqaIs9g SEP [99 -[9q9.199 A9p uor SO]LOIPIEFSIUIISIH uoTeseu -IOTA T9Ip uofeI0dU1) A9p -edIsX 981198 u919g0 sap 9soanewuy OyeH WEAIIIO A9P 9804 -syum :uoeaodg Sunpur A + (uoyerodg u9aepuny9s -Deuy + (uouoeisdg 9ABWwıIg) "EYELIIS 19p 98]0, 4) SOPIOFSIQDISOH A9PIOq 98]0,7 IIOILLqWON) wıIy Mp uon sop [eNIOIA Toap uajeıod sojroypfaFsIqdIsag ufes -BÄASX] 981198 oreuoW 8 | -WeI d8p [fejsuy dopuıonep | -eseu U9AIIO SOp Hsoamewy | -SIy99tL HAepunyos "eg SOP[aJSIqIISIH eyeLs sap [oJA9ıA Taıp uofe.rod [OTOTAPJIFSFUITSIN UA] e9ay dop uomed wWmOoM L | WON dop [[eJsnY aapuaonep | -eswu wrdsomewvyopugonep | -aysxy SF1yossyun] ‘08 yosıdofiq -[U® 199 YOIurayosıyeMm ‘u9y9s9d [IOIPTEFSIUIISIH wossIp UT yon® PAIM SOPJEFJSIUILSOH) aoyeds :SeL U9ISUD9S vyeLıs sap [ooIA Tap uafeıod wnz SIq TEMOTAPTOFSYDIS eaıy Jop uored wmpoM 9 | -Wo4 aop [fegsny dopuıonep | -91) uojeseu wI 9somewy | -aysxy HS1TOSSYUN ‘6 1779S91 Sungydegqoag 9nY SOYZNIANIN 9SnY SOSLMISYIIO]H onen Sunggpegoog dop done] ° uayag Jop J9wumN 1199PJSJSIPISOH) u9aapyyru -ugTIUr U9AOJUN WI MALZOT I9puayos Jofewyds uIo "BYELIS BOLy TOP UAUOLedAInSXYT "AI P21194% L 256 M. Minkowski: einer doppelseitigen Operation nur um eine geringe Überschreitung der Grenzen der Area striata handelt, und weil er wegen des Frhalten- seins eines kleinen Teils des Gesichtsfeldess am rechten Auge ein Interesse vom Standpunkt der Projektionsfrage bietet. Für die Be- deutung der Area striata halte ich ihn nicht für beweisend und muss mich in dieser Beziehung auf die übrigen drei Fälle berufen (Beob. 19, 20 und 21a), wo die Zerstörung an der Konvexität den Suleus lateralis nicht überschreitet, und die Grenzen der Area striata so genau eingehalten sird, wie es bei Operationen überhaupt erreich- bar ist. Angesichts der grossen experimentellen Schwierigkeiten und der relativen Einwandsfreiheit und Übereinstimmung der mitgeteilten Fälle bin ich wohl berechtigt, aus ihnen, mag ihre Zahl auch gering sein, Schlüsse zu ziehen; und das um so eher, als das Ergebnis dieser Versuchsreihe einerseits durch die Ergebnisse der bereits beschriebenen Konvexitätsoperationen (Exstirpationen der zweiten Windung, wonach keine oder nur vorübergehende Sehstörungen auf- treten), anderseits durch die noch zu besprechenden partiellen Exstirpationen der Area striata in der schönsten Weise ergänzt, be- stätigt und präzisiert wird. Die Störungen des Sehens waren in den Fällen, wo über die Area striata hinaus auch die zweite Windung zerstört worden war, nicht anders als in den mitgeteilten, so dass ich mich in der Be- urteilung des Charakters der Sehstörung nach einseitiger Zerstörung der Sehsphäre, speziell bezüglich des Verhaltens des gleichseitigen Auges, auf ein grosses Material stützen kann; nur für die Feststellung der Bedeutung der Area striata als desjenigen Gebietes, dessen Zer- störung genügt, um die maximale, von der Hirnrinde überhaupt er- reichbare Sehstörung herbeizuführen, muss ich mit den wenigen „reinen“ Fällen fürlieb nehmen. Sehen. 1. Gekreuztes Auge. Das Ergebnis dieser Ver- suchsreihe lässt sich kurz zusammenfassen: nach einseitiger Zerstörung der Area striata besteht am gekreuzten Auge eine dauernde Amaurose in den temporalen ° des Gesichtsfeldes, d.h. im ganzen von der gekreuzten Hemi- sphäre versorgten Gebiet (Beob. 19, 20, 21a). Aus Beobachtung 21 darf man schliessen, dass die doppelseitige Zerstörung der Area striata (deren Grenzen in diesem Fall nur wenig überschritten sind) vollkommene Blindheit bedingt, und wenn ein | / | | Y Y | 4 ! | Zur Physiologie der Sehsphäre. 257 kleiner Teil des Gesichtsfeldes am rechten Auge erhalten geblieben ist, so muss das wohl darauf zurückgeführt werden, dass an den Grenzen des Defekts oder in der Tiefe der Furchen in der linken Hemisphäre irgendwo ein geringes Areal von funktionsfähiger Area striata zurückgelassen worden ist; die Sektion bietet insofern eine Be- stätigung dieser Annahme, als links die Grenze des operativen Defekts weniger weit frontalwärts reieht als rechts, und ausserdem ein Teil der Rinde über dem Suleus splenialis (also innerhalb der Area striata) erhalten ist. Bei der Besprechung der Projektion komme ich auf diesen Fall noch zurück. 2. Gleichseitiges Auge. Das Verhalten des gleichseitigen Auges nach einseitiger Exstirpation der Sehsphäre verlangt eine aus- führliche Besprechung, der ich ein besonderes Kapitel widme. VII. Die Innervation des lateralsten Netzhautteils. Munk hatte ursprünglich angegeben, dass nach einseitiger Zerstörung der Sehsphäre AA,A das gekreuzte Auge blind sei, während das gleichseitige keine Abweichung von der Norm darbiete, wenigstens habe er sich „trotz aller Mühe von einer der Verletzung sleichseitigen Sehstörung nie beim Hunde überzeugen können“; !) er musste deshalb annehmen, dass jeder Sehsphäre die ganze gekreuzte Retina und nur diese zugeordnet sei. Damit stand aber im Widerspruch, dass die anatomischen Untersuchungen v. Guddens auch für den Hund eine unvollständige Kreuzung der Sehnerven im Chiasma ergeben hatten, und dass beim Affen der physiologische Versuch gezeigt hatte, dass ent- sprechend der unvollständigen Kreuzung der Nn. optiei eine ein- seitige Exstirpation der Rinde des Oceipitallappens eine bilaterale Sehstörung, die Hemianopsie, bedinge. Dieser Widerspruch wurde bald durch eine Korrektur der physiologischen Ergebnisse aufgehoben. Nicati?) hat an jungen Katzen (zwischen Katzen und Hunden besteht in dieser Beziehung wohl kein wesentlicher Unterschied) die mediane Durch- trennung des Chiasma ausgeführt und danach konstatiert, dass 1) Munk, Über die Funktionender Grosshirnrinde. Ges. Mitt. 8.30. Berlin 1890. 2) Nicati, Preuves experimentales du croisement incomplet des fibres nerveuses dans le chiasma des nerfs optiques. Compt. rend. de l’Acad. d. science. t. 1 p- 86. 1878. 258 M. Minkowski: die Tiere noch sahen. Dann haben Luciani und Tamburini!) an- gegeben, dass nach einseitiger Exstirpation ihres Sehzentrums (welches sich im Gyrus suprasylvius in einer langen Rindenzone von der Frontalregion bis zur Oceipitalregion erstreckt) beim Hund eine bilaterale Sehstörung und zwar eine fast vollkommene Amaurose des gegenseitigen und eine leichte Amblyopie des gleich- seitigen Auges auftritt; letztere bildet sich rasch zurück, während erstere sich nur langsam bessert; folgt eine gleiche Operation auf der zweiten Seite, so stellt sich fast vollkommene beiderseitige Blindheit ein. Eine ähnliche Beobachtung hat auch Goltz mit- geteilt ?). Durch diese Befunde war der Beweis erbracht, dass auch beim Hund der unvollständigen anatomischen Kreuzung der Nn. optiei im Chiasma physiologisch eine Zuordnung jeder Hemisphäre zu beiden Netzhäuten entspricht. Munk hat dann auch seine ursprünglichen Angaben korrigiert und die bilaterale Sehstörung nach einseitiger Fxstirpation des Oeeipitallappens genauer studiert. Er kam zu dem Ergebnis, dass „jede Retina zum grössten Teil mit der gegenseitigen Sehsphäre und nur zu einem kleinen Teil, nämlich mit ihrer äussersten lateralen Partie, mit der gleichseitigen Sehsphäre in Verbindung steht. Die letztere ist, nach dem Gesichtsfelddefekte des einen und dem Gesichtsfeldreste des anderen Auges nach einseitiger Exstirpation der Sehsphäre zu schliessen, bei den verschiedenen Hunderassen von etwas verschiedener Grösse, und zwar dort grösser, wo die Divergenz der Augen geringer ist; aber auch in den günstigsten Fällen dürfte sie nicht mehr als etwa ein Viertel der Retina ausmachen“ ®) Bei der Aufstellung seines Projektions- schemas hat Munk auch diesem, von der gleichseitigen Hemisphäre versorgten lateralsten Netzhautteil ein besonderes Projektionsfeld innerhalb seiner Sehsphäre zugewiesen und zwar im äussersten lateralen Drittel ihrer an der Convexität gelegenen Partie: nach einer zirkumskripten Exstirpation dieses Sehsphärenteils wird nach Munk die lateralste Netzhautpartie des gleichseitigen Auges regelmässig 1) Luciani e Tamburini, Gli centri psico-sensori corticali. Riv. di Freniatria. 1879. 2) Goltz, Über die Verrichtungen des Grosshirns. Pflüger’s Arch. Bd. 13, 20, 34 u. 42. 3) Munk, Über die Funktionen der Grosshirnrinde. Ges. Mitt. Berlin 1890. Zur Physiologie der Sehsphäre. 259 rindenblind, während am gekreuzten Auge keinerlei Sehstörung auftritt; „dabei darf die mediale Grenze der Exstirpationsfläche mehrere Millimeter entfernt bleiben von der Furche, welche den Gyrus supersylvius R. Owen ungefähr hälftet“ !). Auch Hitzig war die Sehstörung am sleichnamigen Auge an- fänglich entgangen; später war er mit Munk darüber einig, dass das laterale Viertel einer jeden Retina regelmässig der gleich- namigen, der Rest der ungleichnamigen Hemisphäre zugeordnet ist; er konstatierte aber in den meisten Fällen das frühzeitige Ver- schwinden der gleichnamigen Sehstörung und nahm deshalb an, dass, abzesehen von individuellen Verschiedenheiten, „daslaterale Viertel der Retina von beiden Hemisphären, stärker allerdings von der gleichnamigen innerviert werde“. Ganz entschieden bestritt er aber die Angabe Munks über die Projektion des gleichseitigen Anteils der Retina in dem lateralen Drittel der Sehsphäre; dass die Munksche Projektion in diesem Punkte nicht zutreffend ist, geht auch aus meinen Ausführungen im fünften Kapitel hervor. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass die ganze gekreuzt innervierte Retina innerhalb der Area striata vertreten ist, lag es mir nahe anzunehmen, dass auch der kleine, von der gleichseitigen Hemisphäre versorgte Netzhautanteil inner- halb dieses spezifisch gebauten Rindengebietes vertreten ist. Wenn aber der lateralste Netzhautanteil in der gleichseitigen Area striata und nur in dieser vertreten ist, so muss man nach Analogie mit der dauernden Rindenblindheit des grössten Teils der gekreuzten Retina, nach einseitiger Zerstörung der Area striata auch eine dauernde Rindenblindheit des lateralsten Netzhautteils und dementsprechend ein dauerndes Skotom im inneren (nasalen) Gesichtsfeldviertel am gleichseitigen Auge erwarten. Wird diese Erwartung durch das Experiment bestätigt? Bevor ich diese Frage beantworte, möchte ich noch einige Bemerkungen vorausschicken. Wenn solchen Forschern wie Munk und Hitzig ein Ausfall am celeichnamigen Auge nach ein- seitiger Zerstörung der Oceipitalrinde anfänglich entgangen ist, so ist das schon ein Hinweis darauf, dass die Feststellung dieses Aus- falls besonders schwierig sein muss. Das ist tatsächlich der Fall. - 1) Munk, Über die Funktionen der Grosshirnrinde. Ges. Mitt. Berlin 1890. 260 M. Minkowski: Der von der gleiehseitigen Hemisphäre versorgte Netzhanutteil ist nämlich im Verhältnis zur übrigen Retina klein; mag es da auch individuelle Schwankungen geben, so stimme ich Munk vollkommen bei, dass dieser auch in den günstigsten Fällen nieht mehr als !/« der Retina ausmacht; in der weitaus grössten Mehrzahl der Fälle ist der gleiehseitig versorgte Netzhautteil noch bedeutend kleiner. Als Mass dafür gilt jener Teil des Gesichtsfeldes, der nach ein- seitiger Zerstörung des Oeceipitallappens am gekreuzten Auge er- halten bleibt; wie ich mich wiederholt überzeugen konnte, reicht die erhaltene Gesichtsfeldpartie nicht über die sagittale Mittellinie der Nase und ihre Verlängerung nach unten; von da erstreckt sie . sich auf ca. 20° nach innen (vor das CoD andere Auge); das dürfte im Ver- hältnis zum ganzen Gesichtsfeld, am horizontalen Meridian gemessen, un- gefähr ein Sechstel ausmachen. Bietet die Feststellung dieses erhaltenen Gesichtsfeldteils am ge- kreuzten Auge im allgemeinen keine Schwierigkeiten, da hier im Gegen- satz zum übrigen Gesichtsfeld leb- hafte Reaktionen erfolgen, so ist die Entscheidung, ob am gleichseitigen Fig. 36. Durchschnittliche Grösse 5 des erhaltenen rechten Gesichtsfeldes Auge ein entsprechender Ausfall Ge a a besteht, oft sehr schwierig. Jeder Augenarzt weiss, wie schwierig die Feststellung derartiger kleinerer Skotome in der Peripherie des Gesichtsfelds schon beim Menschen ist; beim Hund ist sie noch grösser, da er noch weniger zu fixieren ist, und da schon bei geringfügigen, nach innen gerichteten Augendrehungen ein in diesem engen Bezirk, etwa über der Mittellinie der Nase oder nach innen davon gehaltenes Objekt sich auf benachbarten funk- tionierenden Netzhautpartien abbilden kann; man wird wohl zugeben müssen, dass die Entscheidung, ob in dem fraglichen Gesichts- feldteil eine Sehstörung vorliegt, nicht leicht zu treffen ist. Ich habe eine Amaurose im nasalen (gleichseitigen) Gesichts- feldviertel bei Hunden angenommen, die über der Mittellinie der Nase und nach innen davon niemals reagierten, eine Amblyopie diagnostiziert, wo in diesem Bezirk Reaktionen wohl erhältlich | Zur Physiologie der Sehsphäre. 261 _ waren, aber einen erheblichen Grad von Inkonstanz, Langsamkeit und Unsicherheit zeigten. Es ist möglich, dass ich mich in dieser Beziehung gelegentlich geirrt und eine Amblyopie dort an- genommen habe, wo keine vorhanden war. Aber für die Beurteilung dieser Frage hat solch ein Fehler nur wenig Bedeutung, während ich den umgekehrten Fehler, nämlich die Annahme von Sehen in diesem Bezirk in Fällen, wo in Wirklichkeit eine Amaurose bestand, vermieden zu haben glaube. Die Sehstörungen nach einseitiger „reiner“ Exstirpation der Area striata sind in Tabelle IV zusammengestellt (Beobachtung 19, 20 und 21a). In allen drei Fällen bestand nach der Operation eine Amaurose im gleichseitigen nasalen Gesichtsfeldteil, aber nur in einem Fall (Beobachtung 20) blieb sie in diesem ganzen Gebiet dauernd bestehen; in Beobachtung 21a war die Amaurose wohl dauernd in der oberen Hälfte des nasalen Gesichtsfeldviertels, was aber als kombinierte Folge von zwei Operationen (der rechtsseitigen sekundären Exstirpation der Area striata und der linksseitigen primären Exstirpation ihrer cerebellaren Partie) hier zunächst von der Betrachtung ausgeschaltet werden kann; dagegen restituierte sich die untere Hälfte des nasalen Gesichtsfeldviertels, zu der die primäre Operation in keiner Beziehung stand (s. Fig. 33); in Be- obachtung 19 restituierte sich das Sehen im ganzen nasalen Gesichts- feldviertel. In diesen zwei Fällen (Beobachtung 19 und 21a) waren die Reaktionen im restituierten gleichseitigen Gesichtsfeldteil in- konstant und zuweilen unsicher, so dass ich eine Amblyopie bier annahm; jedenfalls steht fest, dass nach einiger Zeit auch im nasalen Gesichtsfeldviertel des gleichseitigen Auges (in Beobachtung 2]a nur in seiner unteren Hälfte) Reaktionen auf optische Ein- drücke zweifellos auslösbar waren, so dass das Gesichtsfeld keine Einschränkung gegen die Norm zeigte. Am gekreuzten Auge bestand in diesen Fällen eine maximale Sehstörung, nämlich ein dauern- der Ausfall der temporalen drei Viertel des Gesichtsfeldes. Es folgt daraus, dass nach einer einseitigen Zerstörung der Area striata, welche am gekreuzten Auge eine maximale Sehstörung herbeifühtt, am gleichseitigen Auge im nasalen Gesichtsfeldviertel zunächst eine Amaurose sich einstellt, die zuweilen dauernd bestehen bleibt, während in anderen Fällen (wie sich noch zeigen wird, handelt es sich um die Mehrzahl) nach einiger Zeit auch in diesem Gesichtsfeldteil Sehen nachweisbar ist, und nur eine Amblyopie wahrscheinlieh zurückbleibt. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 13 262 M. Minkowski: Es liegt der Einwand nahe, dass dieses Ergebnis für die relative Richtigkeit des Munkschen Projektionsschemas und seiner Be- srenzung der Sehsphäre an der Konvexität sprechen könnte; denn das laterale Drittel der Munkschen Sehsphäre, in welches er den gleichseitigen lateralsten Netzhautteil projizierte, war bei diesen Operationen erhalten, und dies könnte als Erklärung für seine Restitution herangezogen werden. Ich habe aber bereits gezeigt, dass das Munksche Projektionsschema in diesem Punkte unrichtig ist, dass das laterale Drittel seiner Sehsphäre mit der gleichseitigen Retina keinerlei Beziehungen hat, und dass dieses Gebiet überhaupt ausserhalb der eigentlichen Sehsphäre liegt. Schon deshalb erscheint mir der erwähnte Einwand nicht stichhaltig; eine direkte Wider- legung erfährt er aber durch den Verlauf der Sehstörung in den Fällen, wo nicht nur die Area striata, sondern über diese hinaus an der Konvexität auch die zweite Urwindung in einer Ausdehnung einseitig zerstört waren, die derjenigen der Munkschen Sehsphäre entspricht. Ich verfüge über eine ganze Anzahl von derartigen Be- obachtungen, beenüge mich aber hier damit, nur zwei solche Fälle mitzuteilen, da der Verlauf der Sehstörung am gleichseitigen Auge stets annähernd derselbe war, während am gekreuzten Auge aus- nahmslos eine maximale Sehstörung, ein dauernder Ausfall der temporalen drei Viertel des Gesichtsfeldes bestand. Von den jetzt mitzuteilenden zwei Fällen habe ich in einem (Beobachtung 24) eine Exstirpation der Munkschen Sehsphäre in der von Munk angegebenen Weise!) ausgeführt; in dem anderen (Beobachtung 25) war eine FExstirpation der Area striata be- absichtigt, aber die Sektion zeigte später, dass durch operative Komplikationen auch die Rinde der zweiten und zum Teil auch des horizontalen Schenkels der dritten Windung zerstört oder jedenfalls durch Abtrennung vom Mark ausser Funktion gesetzt worden war. Beobachtung 23. 9. Mai 1910. Beabsichtigte Operation: linksseitige Exstir- pation der Area striata. | Optische Reflexe: links lebhaft, rechts dauernd fehlend. Sehen. Gleichseitiges Auge: Amaurose im nasalen Gesichtsfeldviertel bis zum zehnten Tag nach der Operation. Von da an wird auch in diesem 1) Munk, Über die Funktionen der Grosshirnrinde. Ges. Mitteil. S. 275. Berlin 1890. Zur Physiologie der Sehsphäre. 263 Bezirk sicher gesehen, so dass am Gesichtsfeld keinerlei Einschränkung nach- weisbar ist. Gekreuztes Auge: dauernder Ausfall der temporalen drei Viertel des Gesichtsfeldes. Am 20. Juni 1910 wird eine rechtsseitige Exstirpation der Area striata vorgenommen; nach dieser Operation ist der Hund schwer krank und stirbt am 23. Juni. Sektion: ausser der Area striata ist links auch die zweite und ein Teil der dritten Windung an der Konvexität von der Narbe vollkommen eingedrückt und erweicht. Es ist jedenfalls das ganze Gebiet der Munkschen Sehsphäre zerstört. Beobachtung 24. 27. Mai 1910. Linksseitige Exstirpation des Occipitallappens in der von Munk angegebenen Weise!). Optische Reflexe: links lebhaft, rechts dauernd fehlend. Sehen. Gleichseitiges Auge: Amaurose im nasalen Gesichtsfeldviertel bis zum zehnten Tag nach der Operation. Später wird auch in diesem Bezirk gesehen, so dass am CoS keinerlei Einschränkung nachweisbar ist. Gekreuztes Auge: dauernder Ausfall der temporalen drei Viertel des Gesichtsfeldes. Am 1. Juli 1910 wird eine rechtsseitige Exstirpation der Area striata ausgeführt. Danach erweist sich der Hund bei wiederholter Prüfung als vollkommen rindenblind. Er erkrankt am 9. Juli und stirbt am 15. Juli. Sektion: links ist die ganze Munksche Sehsphäre und über diese hinaus noch der horizontale Schenkel der dritten Windung zerstört; rechts hat ein frischer entzündlicher Prozess (nach der sekundären Operation) die Ränder des Defekts zerstört und zur Eröffnung des Ventrikels geführt. Die rechtsseitige Operation ist unverwertbar. In diesen zwei Fällen (wie in mehreren anderen), wo die ganze Munksche Sehsphäre einseitig zerstört worden war, bestand im gleichseitigen nasalen Gesichtsfeldteil eine Amaurose bis zum zehnten Tag nach der Operation; später waren auch in diesem Ge- sichtsfeldteil sicher Reaktionen auf optische Eindrücke auslösbar. Daraus geht wohl deutlich hervor, dass die Restitution dieser Sehstörung mit dem Erhaltensein des lateralen Teils der Munkschen Sehsphäre nicht das geringste zu tun hat, da sie ebensogut nach Zerstörung der ganzen Munkschen Sehsphäre zustande kommt. Es ist für diese Restitution keine andere Erklärung möglich, als die, dass der lateralste Netzhautteil, wenigstens in der grossen Mehrzahl der Fälle, zwar vorwiegend von der gleich- 1) Munk, Über die Funktionen der Grosshirnrinde. Ges. Mitteil. S. 275. Berlin 1890. 183 2364 M. Minkowski: seitigen Hemisphäre versorgt wird, aber auch mit der gekreuzten in Verbindung steht. Nachdem wir gesehen haben, dass der ganze gekreuzt innervierte Teil der Retina innerhalb der Area striata vertreten ist, dass eine einseitige Exstirpation derselben auch im nasalen Gesichtsfeldteil des gleichseitigen Auges ursprünglich eine Amaurose erzeugt, und dass die Konvexität der zweiten Windung des Oceipitallappens mit dem lateralsten Netzhautteil in keinerlei Beziehung steht, dürfen wir behaupten, dass auch der lateralste Netzhautteil in der Area striata oder richtiger in beiden Areae striatae, vorwiegend in der gleichseitigen, ver- treten ist. Wie ist es aber dann zu erklären, dass nach einseitiger Zer- störung der Area striata oder des ganzen Oceipitallappens im nasalen Gesichtsfeldteil des gleichseitigen Auges zuerst eine Amau- rose besteht, und nicht gleich von Anfang an Sehen nachweisbar ist. Angesichts der totalen Kreuzung der Sehnerven bei niederen Wirbel- tieren neige ich zur Annahme, dass es sich bei denjenigen dem jateralsten Netzhautteil zugehörigen Optieusfasern, die im Chiasma eine Kreuzung erfahren, um phylogenetisch alte Fasern handelt, die vielleicht zur Rüeckbildung neigen, nachdem die phylogenetisch jüngeren ungekreuzten die Funktion übernommen haben. Nur wenn diese durch Ausschaltung der gleichseitigen Sehsphäre lahmgelest sind, treten unter der Einwirkung der den lateralsten Netzhautteil treffenden Reize, für die der normale Weg versperrt ist, die alten sekreuzten Fasern wieder in Tätigkeit und bewirken eine partielle Restitution. Der Umstand, dass nach einseitiger Exstirpation der Sehsphäre die Amaurose im nasalen Gesichtsfeldteil des gleichseitigen Auges auch dauernd seiuv kann (Beobachtung 20), scheint darauf hinzuweisen, dass diese gekreuzten Fasern gelegentlich ganz fehlen oder nicht mehr funktionsfähig sind. Die Feststellung einer doppelten Innervation des lateralsten Netzhautbezirks ist nicht nur von entwicklungsgeschichtlichem Interesse, sondern sie gibt vielleicht auch einen Schlüssel dafür, wie Munk zu jener eigentümlichen Projektion der lateralsten Netzhaut- teile auf das laterale Drittel seiner Sehsphäre gekommen ist. Wie erwähnt, hatte er ursprünglich angenommen, dass jeder Hemi- sphäre die ganze gekreuzte Retina zugeordnet sei; nachdem durch eine Reihe von Beobachtungen festgestellt worden war, dass 0 HE DEE EEE EEE Zur Physiologie der Sehsphäre. 265 der lateralste Netzhautteil gleichseitig versorgt werde, ist er an- seheinend in den entgegengesetzten Fehler verfallen, indem er die Möglichkeit einer gleichzeitig bestehenden gekreuzten Innervation für diesen Netzhautteil völlig ausser acht liess. Dass jemand, der einen Fehler begangen und eingesehen hat, nunmehr eine diametra entgegengesetzte Richtung einschlägt, ohne an die aurea mediocritas zu denken, ist eine im praktischen und wissenschaftlichen Leben gleich häufige Erscheinung. Und indem Munk nach Operationen im Bereich des Oceipitellappens, die am gekreuzten Auge eine maximale Sehstörung bewirkten (wozu ja nur die Exstirpation der Area striata, d. h. der ersten Windung und der cerebellaren Fläche erforderlich ist), am gleichseitigen Auge den lateralsten Netzhautteil nach einiger Zeit wieder funktionsfähig sah, musste er, wenn er an einer ausschliesslich gleichseitigen Versorgung festhielt, Jiesen Netz- hautteil ausserhalb der eigentlichen Sehsphäre projizieren; es wird deshalb verständlich, warum gerade dieser Teil der Netzhaut sich in seinem Projektionsschema am weitesten lateralwärts an der Konvexität des Oceipitallappens, somit sicher ausserhalb der Area striata — der eigentlichen Sehsphäre — befindet. Neben solchen Operationen wie die zuletzt mitgeteilten (Be- obachtung 23 und 24) habe ich, wie angesichts der operations- technischen Schwierigkeiten und der individuellen Schwankungen in der Verbreitung der Area striata nicht anders zu erwarten stand, auch umgekehrt Fälle von unvollkommener Exstirpation der Area striata bekommen, wo Teile derselben stehen blieben, obwohl eine totale operative Exzision beabsichtigt war; das Erhaltensein eines Teiles der Area striata ging in allen derartigen Fällen meiner Be- obachtung schon aus dem mikroskopischen Sektionsergebnis hervor, wenn man die tatsächlichen Grenzen des Defekts mit den Grenzen der Area striata (nach Campbell) verglich. In solchen Fällen waren stets Reste von Sehen, aber nur in einem bestimmten, scharf umgrenzten Teil des Gesichtsfelds vorhanden, und sie liefern einer- seits einen neuen Beweis dafür, dass die Area striata das eigentliche liehtempfindungsfähige Rindengebiet ist, anderseits sind sie auch für die Projektion mittelbar von Bedeutung, indem sie kundtun, welche Teile der Netzhaut in den erhaltenen Partien der Sehrinde ver- treten sind. Ich beschränke mich auf die Mitteilung eines besonders charak- teristischen Falles von unvollkommener Exstirpation der Area striata. 266 M. Minkowski: Beobachtung 2. 27. Juni 1910. Beabsichtigte Operation: doppelseitige Ex- stirpation der Area striata. Sehen. Rechtes Auge: es wird in einem schmalen Gebiet in der untersten Peripherie des Gesichtsfeldes gesehen, nur im innenmittleren Gesichts- feldviertel verbreitert sich der erhaltene Bezirk, indem er in die Höhe steigt und die Stelle des deutlichsten Sehens wahrscheinlich zum Teil einschliesst. cos ctoD Fig. 38. Linkes Auge: im wesentlichen wie rechts (s. Fig. 37). Der Hund wird am 21. November 1910 getötet. Sektion. Grenzen des Defekts: beiderseits symmetrisch; vorne: 1,2 nach hinten von der Abgangsstelle des Sulc. ans. vom Sulc. later. 2,2 nach hinten vom medialen Ende des Sulc. cruc., lateral bis zum Sulc. later., medial bis zum Sulc. splen.; an der cerebellaren Fläche ist das Gebiet zwischen dem absteigenden Ast des Sulc. splen. und dem Sulc. rec. sup. zerstört. es Zur Physiologie der Sehsphäre. 267 Sehon die makroskopische Betrachtung dieses Falles zeigt, dass die Area striata hier beiderseits unvollkommen exstirpiert ist, indem ihre vordere Grenze, namentlich an der medialen Fläche, nicht er- reicht wird (s. Fig. 23 und 24), und darauf ist wohl der Umstand zurückzuführen, dass an beiden Augen, und zwar in denselben Teilen des Gesichtsfeldes, noch Sehen. erhalten war; in Übereinstimmung mit den cytoarchitektonischen Ergebnissen, mit v. Monakow und Kalberlah!) schliesse ich aus der Gesamtheit meiner Beobach- tungen, dass die vordere Grenze der Sehsphäre, mögen da individuelle Schwankungen auch eine gewisse Rolle spielen, im allgemeinen erheblich weiter frontalwärts liegt, als dies Munk angenommen hatte; will man in dieser Richtung sicher gehen, so muss man die erste Windung, besonders an der medialen Fläche, fast bis zu einer Frontalebene abtragen, welche die Abzweigungsstelle des Sule. ansatus vom Sule. lateralis in sich schliesst (diese Ebene liegt 1,4—1,6 em nach hinten vom medialen Ende des Sule. ceruc.). Einen besonderen Wert erlangt dieser Fall dadurch, dass ich das orale Ende des Defekts auch mikroskopisch untersucht habe. An einer Reihe von frontalen, nach Nissl gefärbten Serienschnitten konnte das Erhaltensein von Rinde vom Typus der Area striata an der medialen Fläche festgestellt werden. Dieser Fall liefert somit eine indirekte Bestätignng der Bedeutung der Area striata als des einzigen lichtempfindungsfähigen Rindengebietes; zugleich bietet er ein grosses Interesse für die Projektionsfrage, indem aus ihm deutlich hervorzugehen scheint, dass im oralsten Teil der Area striata die obersten Teile der Netzhaut (welche den erhaltenen untersten Teilen des Gesichtsfeldes entsprechen) vertreten sind; er stimmt in dieser Beziehung mit den Beobachtungen 17 und 18 über- ein (Kapitel V), und ich werde diesen Befund bei der Besprechung der Projektion noch berücksichtigen. Kurz zusammengefasst, ergibt sich aus beiden letzten Kapiteln: l. Die einseitige totale Exstirpation der Area striata bewirkt am gekreuzten Auge eine dauernde maximale Sehstörung, wobei der grösste Teil des Ge- 1) Kalberlah, Über die Augenregion und die vordere Grenze der Seh- sphäre Munk’s. Arch. f. Psych. Bd. 37. 1903. 268 M. Minkowski: sichtsfeldes (mehr als drei Viertel) ausfällt; es bleibt nur ein schmaler nasaler Streifen erhalten. Am gleich- seitigen Auge tritt im nasalen Gesichtsfeldstreifen eine Amaurose ein, die im Gegensatz zu der dauernden Sehstörung des gekreuzten Auges meist nur vorüber- gehend ist; eine nasale Amblyopie bleibt wahrschein- lich dauernd bestehen. 2. Der grösste Teil jeder Retina (über drei Viertel) ist in der gekreuzten Area striata vertreten; der übriggebliebene lateralste Netzhautteil ist in beiden Areae striatae, vorwiegend in der gleichseitigen, vertreten. >. Die physiologischeSehsphäre oder das optisch- sensorische Feld deckt sich mit der Area striata; von der ganzen Rinde ist nur dieses eytoarchitektonisch eigenartige Gebiet zurersten Rezeption von optischen Eindrücken befähigt. An dieses Ergebnis (Punkt 3) möchte ich eine kurze theoretische Bemerkung knüpfen. Die Area striata hat sich wie alle übrigen eytoarchitektonischen Rindenfelder aus einem sechsschichtigen Grund- typus des Cortex der Säugetiere herausentwickelt, und zwar in der ganzen Säugetierreihe mit nur geringen tektonischen Variationen; sie ist histologisch spezifisch differenziert und regionär gegen die Um- gebung scharf abgegrenzt. Und was man schon a priori annehmen kann, dass ein derartiger Gewebskomplex einer einheitlichen, allen Säugetieren zukommenden elementaren Funktion vorsteht oder ein physiologischesOrgan bildet, das glauben wir jetzt experimentell nachgewiesen zu haben. Wie soll man sich aber den Prozess dieser Organbildung vorstellen? „Die Organbildung beruht auf Arbeitsteilung, und diese ihrerseits führt auf Anpassung an veränderte Lebensbedingungen zurück. Ein Organ verändert sich gleich dem Gesamtorganismus den Bedingungen gemäss, welche auf es einwirken. Findet eine Einwirkung in bestimmtem Sinne gleichartig und längere Zeit statt, so verändert das Organ zunächst seine Funktion; es passt sich den neuen Verhältnissen an, weil darin ein Vorteil für den Organismus im Kampf ums Dasein gelegen ist. Mit der Veränderung der Ver- richtung geht langsam und stetig eine Veränderung der organischen Zur Physiologie der Sehsphäre. 269 Form einher“ [Brodmann]?). Als an eine „gleichartige Einwirkung in bestimmtem Sinne“, welche zur Differenzierung der Area striata aus dem sechsschichtigen Rindengrundtypus geführt hat, muss man in erster Linie an diejenigen molekularen Prozesse denken, welehe durch die Sehbahn der Hirnrinde zugeleitet werden. Nach einer unbe- strittenen anatomisch-physiologischen Auffassung hat es die Sehbahn zur Aufgabe, den in den lichtempfindlichen Elementen der Netz- haut durch das physikalische Licht ausgelösten physiologischen, in letzter Instanz physikalisch-chemischen Prozess, der durch den N. opticus zu den subkortikalen optischen Ganglien geleitet und hier umgeschaltet wird, der Hirnrinde zu übermitteln. Und da es zur Bildung eines spezifischen, sonst nirgends in der Rinde vorhandenen eytoarchitektonischen Typus gekommen ist, darf man wohl schliessen, dass auch der molekulare Prozess in der Sehbahn, gegenüber allen anderen, die die Hirnrinde erreichen, ein spezifischer und eigen- artiger ist. Eine derartige Spezifizität kann er nur aus den mole- kularen Prozessen in den Ganglienzellen der subkortikalen optischen Ganglien, dann weiter peripherwärts fortschreitend — im Optieus und schliesslich in den lichtempfindlichen Elementen der Netzhaut schöpfen. Es soll damit keineswegs gesagt werden, dass der mole- kulare Prozess im zentralen und peripheren optischen Neuron identisch ist, auch nicht, dass zwischen dem physikalischen Licht und den Prozessen in der optischen Leitung irgendeine Ähnlichkeit besteht; nur so viel scheint aus diesen Ausführungen hervorzugehen, dass der von einem physikalisch scharf charakterisierten Faktor, dem Licht, in der Netzhaut ausgelöste physiologische Prozess bei seiner zentralen Fortleitung bis zur letzten Endstätte, der Hirnrinde, ein spezifischer und einzigartiger bleibt und hier zur Bildung eines besonderen Organs, der Area striata, geführt hat. Sollten nicht darin physiologische Bedingungen gegeben sein für die psychologisch -(introspektiv) wahrnehmbare qualitative Differenz der Licht- empfindungen gegenüber allen anderen Empfindungen? Inwieweit sich aus diesen Betrachtungen Schlüsse für oder segen die Lehre von den spezifischen Sinnesenergien ableiten lassen, darüber zu urteilen möchte ich den Sinnesphysiologen überlassen. 1) Brodmann, Vergleichende Lokalisationslehre der Grosshirnrinde S. 255. Leipzig 1909. 270 M. Minkowski: Im Anschluss an Ausführungen meines Bruders E. Minkowski!) glaube ich, dass letzteres der Fall ist. Eine nähere Erörterung darüber muss ich mir aber versagen und will mich damit begnügen, den experimentellen Tatbestand festgelegt und seine theoretischen Konsequenzen angedeutet zu haben. VIII. Die vollkommene Rindenblindheit. Das Verhalten von Hunden, welchen beide Sehsphären exstirpiert worden sind, hat Munk meisterhaft geschildert. Nachdem die Allgemeinerscheinungen zurückgegangen sind, besteht bei sehsphären- losen Hunden als dauerndes residuäres Symptom eine absolute Stumpfheit für optische Eindrücke, wobei nach Munk auch die einfachste Lichtempfindung (Empfindung von Hell und Dunkel) aufgehoben ist. Die Intelligenz ist nur insofern gestört, als letztere „den Gesichtssinn zur Grundlage hat“ (Rindenblindheit). Die Pupillarreaktion auf Licht bleibt stets völlig normal, was auf eine gewisse funktionelle Betätigung der Netzhaut und des N. opticus auch nach Abtragung beider Hemisphären hinweist. Dass auch die einfachste Liehtempfindung bei sehsphärenlosen Hunden aufgehoben ist, deckt sich mit der allgemeineren Auffassung Munks, wonach schon die elementarsten Sinnesempfindungen (die Lichtempfindung, Schallempfindung usw.) an die Hirnrinde ge- bunden sind. Demgegenüber behaupteten Goltz und seine Schüler, dass der eigentliche Sehakt eine Funktion der niederen Zentren sei, aus denen das Grosshirn nur das Material zur geistigen Erfassung des Gesehenen schöpfe. Seine Ansicht stützte Goltz auf die Beobachtung von Hunden, denen angeblich die ganze Munksche Sehsphäre doppel- seitig exstirpiert worden war. Solche Hunde zeigen zwar nach Goltz?) den äussersten Grad der Hirnsehschwäche, sind aber nicht blind; denn sie vermeiden gut die im Wege stehenden Hinder- nisse und stossen nur selten an; sie weichen auch eingebildeten Hindernissen aus, wie z. B. einem hell beleuchteten Streifen auf dem Fussboden. 1) Eugen Minkowski, Zur Müller’schen Lehre von den spezifischen Sinnesenergien. Zeitschr. f. Sinnesphysiol. Bd. 45. 1911. 2) Goltz, Über die Verrichtungen des Grosshirns. Pflüger’s Arch. Bd. 13, 20, 34 u. 42. Zur Physiologie der Sehsphäre. 271 Sogar der berühmte grosshirnlose Hund war nach Goltzs Ansicht nicht blind, denn er schloss die Augen, „wenn man, während er im Finstern dasass, plötzlich das grelle Licht einer Blendlaterne auf ihn richtete; in seltenen Fällen wendete er dann sogar den Kopf zur Seite. Im übrigen war nicht zu ermitteln, dass irgendein Gesichtseindruck die Art oder die Richtung seiner Körperbewegung bestimmt hätte. ... Blind war der Hund ohne Grosshirn jedenfalls nicht; denn man darf ein Tier nicht blind nennen, welches, einem hellen Lichtreiz preisgegeben, die Augen schliesst“ !). Gegen die Deutung, die Goltz seinen experimentellen Fest- stellungen gegeben hat, hat Munk sehr energisch und, wie ich glaube, mit vollem Recht, Stellung genommen. Bezüglich der Hunde mit doppelseitiger Exstirpation des Hinterhauptlappens, bei denen noch Sehen erhalten war, suchte er nachzuweisen, dass die Fxstirpa- tion der Sehsphäre in diesen Fällen unvollkommen, und zwar die vorderste Partie zurückgelassen war; und ich kann ihm um so mehr beipflichten, als ich einerseits gefunden habe, dass die vordere Grenze der Sehsphäre, entsprechend der Verbreitung der Area striata, weiter frontalwärts reicht, als dies Munk annahm, und dass anderseits Hunde, bei denen nach doppelseitiger Exstirpation nur ein geringer Teil der Sehsphäre und dementsprechend nur ein geringer Bezirk im Gesichtsfeld erhalten ist, sich toto coelo von Hunden unter- scheiden, bei denen eine vollkommene Exstirpation gelungen ist. Es ist staunenswert, wie ein Hund, bei dem nur der vorderste Teil der Sehsphäre auf einer Seite stehengeblieben ist, und der nur in einem schmalen Bezirk des unteren innenmittleren Gesichtsfeldviertels sieht, frei herumläuft, nur selten anstösst und, wenn man ihn nicht genauer prüft, von seiner Sehstörung überhaupt nicht viel merken lässt (vgl. Beobachtung 22). Anderseits kann ich mit Munk nicht gelten lassen, dass der grosshirnlose Hund gesehen hat, und zwar geht das aus Goltzs eigenen Angaben hervor. Denn wenn er bezüglich des Gesichts- sinus nichts anderes geboten hat, als dass er blinzelte, wenn man im Finstern das grelle Licht einer Blendlaterne auf ihn richtete, so - ist es durchaus unberechtist, von Sehen zu sprechen. Zunächst ist u a — | ea TREE | es nicht ausgemacht, ob es sich dabei nicht um eine Wirkung vom Trigeminus auf den Facialis gehandelt hat, da ja Goltz selbst von 1) Goltz, Der Hund ohne Grosshirn. Pflüger’s Arch. Bd. 51 8.571. 1892. 272 M. Minkowski: „der Äusserung einer unangenehmen Blendung“ spricht, und wir von Kautelen, welche zur Beseitigung der Wärmewirkung an- sewendet worden wären, nichts erfahren. Aber selbst wenn man an- nehmen wollte, dass es Optieusfasern sind, die bei der Entstehung des Blinzelreflexes beim grosshirnlosen Hund die Erregung zentral- wärts leiten, so würde man auch darin keinen Beweis für Sehen bei ihm erblicken dürfen; man wäre vielmehr berechtigt, diesen elementaren Schutzreflex auf eine Stufe zu stellen mit der Licht- reaktion der Pupille, die ja sowohl beim grosshirnlosen Hund wie beim Menschen mit vollkommener kortikaler Rindenblindbeit erhalten ist. Als anatomisches Substrat für die Entstehung dieses Reflexes müsste man dann eine subkortikale Übertragung des Reizes von den Endverzweigungen des N. opticus auf den Facialiskern annehmen. Dass die Sehsphäre des Hundes auch an den elementarsten Sinnesfunktionen beteiligt ist, nimmt auch v. Monakow auf Grund anatomischer Ergebnisse an. Er hat nämlich festgestellt, dass die Abtragung des Hinterhauptlappens bei neu- seborenen und bei erwachsenen Tieren stets hoch- gradige sekundäre Degenerationen in den primären optischen Zentren zur Folge hat, und zwar in einer Aus- dehnung, wie sie der nach Abtragung einer ganzen Hemisphäre nahezu gleichkommt'). Das Corpus gen. ext., welches allgemein als Hauptsehzentrum anerkannt wird. ebenso das Pulvinar und einige phylogenetisch alte Abschnitte des Vierhügeldaches werden nach Abtragung der Sehsphäre in kurzer Zeit in den sekundären desenerativen Prozess hinein- gezogen und dadurch von jeder ferneren Betätigung der Netzhaut ausgeschlossen. „Es bleiben für die funktionelle Betätigung des Sehnerven (der ja nach Grosshirnabtragung noch markhaltig und teilweise leistungsfähig bleibt) daher nur äusserst dürftige und vom Grosshirn völlig abgeschnittene Nervenzellenverbände, nämlich nur noch Retinaanteile des Corpus gen. ext. und des oberflächlichen (raus des vorderen Zweihügels übrig“, und es erscheint v. Monakow auch vom anatomischen Standpunkt für das höhere Tier „zum mindesten sehr zweifelhaft, ob die Erregung dieser (durch die sekundäre Degeneration) aus ihrem gegenseitigen Zusammenhang l) v. Monakow, Über den gegenwärtigen Stand der Frage nach der Lokalisation im Grosshirn. Ergebn. d. Physiol. S. 647. 1902. Zur Physiologie der Sehsphäre. 273 herausgerissenen Reste der primären optischen Zentren ausreicht, um eine Funktion der Retina über die Pupillenreaktion hinaus und im Sinne einer kurz zur Aufspeicherung gelangenden Lichtempfindung oder nur so aufrechtzuerhalten, dass Netzhautreize durch ent- sprechende Abwehrbewegungen u. dgl. noch beantwortet werden könnten“. v. Monakow hält es daher für sehr wahrscheinlich, dass „das Corpus gen. ext. und mit diesem die Sehsphäre sich zwar mit den phylogenetisch alten Mittelhirnzentren auch in die elemen- tarste Tätigkeit des Sehens (Aufnahme, richtige Einordnung und erste Aufspeicherung der Lichtwellen) teilen, dass aber das Corpus gen. ext. und die Sehsphäre fast die ausschliesslichen Träger der Lichtempfindung darstellen“. Aus, den anatomischen Untersuchungen v. Monakows geht jedenfalls hervor, dass für das Corpus gen. ext. (das Hauptsehzentrum) die Intregität. der Sehsphäre eine unerlässliche Existenzbedingung ist. Es stellt anatomisch einen „direkten Grosshirnanteil* (v. Monakow) dar und dürfte deshalb auch physiologisch einen semeinsamen funktionellen Verband mit dem Grosshirn bilden, wobei es sich in einer unbedingten Abhängiekeit von ihm befindet. Ich selbst habe zwei Hunde mit vollkommener Rindenblindheit beobachtet. Beobachtung 26. 11. Juli 1910. Doppelseitige Exstirpation der Area striata. Optische Reflexe: an beiden Augen dauernd fehlend. Sehen: beide Augen dauernd vollkommen blind. 2374 M. Minkowski: Der Hund stirbt am 26. Oktober 1910, 3V/g Monate nach der Operation. Sektion: Grenzen des Defekts beiderseits, von der Oberfläche betrachtet: lateral bis zum Sule. later., medial bis zum Sulc. splen., vorne fast bis zur Ab- gangsstelle des Sulc. ansatus vom Sule. lateralis, 1,5 cm vom medialen Ende des Sulc. eruc., 2,7 cm von der hinteren Kante des Oceipitallappens.. An der cere- Fig. 40. bellaren Fläche ist das ganze Gebiet zwischen dem absteigenden Ast des Sule. splen. und dem Sule. rec. sup. zerstört. Die Defekte sind auf beiden Seiten symmetrisch. Frontalschnitte: Der operative Defekt ist beiderseits annähernd symmetrisch. Er reicht medial bis zum Sulc. splen., lateral bis zum Sulc. later. Die Rinde des Gyr. ectolat. ist zwar erhalten, aber durch eine Höhle unterminiert und von der sagittalen Markmasse grösstenteils abgetrennt. Der Gyr. suprasylv. und sein Markstrahl sind beiderseits erhalten. Beobachtung 27. 3. Januar 1910. Linksseitige Exstirpation der Area striata. Optische Reflexe: rechts dauernd fehlend. Sehen. Gleichseitiges Auge: Amaurose im nasalen Gesichtsfeld- viertel bis zum achten Tag nach der Operation; von da an wird auch in diesem Gesichtsfeldteil gesehen, so dass keinerlei Einschränkung des G. F. mehr nach- weisbar ist. Gekreuztes Auge: dauernder Ausfall in den temporalen drei Vierteln des Gesichtsfeldes. 23. März 1910. Rechtsseitige Exstirpation der Area striata; von da an besteht eine totale Rindenblindheit. Der Hund wird am 5. Dezember 3%1/2 Monate nach der zweiten Operation getötet. Sektion: Die Narbe ist beiderseits mit der Konvexität des Occipitallappens ı sehr fest verwachsen. Nach ihrer Entfernung zeigt sich, dass über die Area striat&| hinaus auch die Rinde der zweiten Windung (Gyr. ectolater. et suprasylv.) links ı vollkommen erweicht, rechts zwar noch vorhanden, aber hochgradig atrophisch ] Zur PhysioWwgie der Sehsphäre. 275 ist. An der cerebellaren Fläche ist beiderseits das Gebiet vom absteigenden Ast des Sulc. splen. bis zum Sulec. rec. sup. zerstört. Über die Grenzen der Area striata ist beiderseits die zweite Windung zerstört. Fig. 41. Die Sektion hat gezeiet, dass in beiden Fällen die Grenzen der Area striata an der Konvexität um den hinteren Teil der zweiten Windung (Gyr. ectolater. et suprasylv.) überschritten worden waren. Sie sind daher für die Beurteilung der Bedeutung der Area striata nicht direkt verwendbar; es ist mir auch nicht gelungen, einen doppelseitig operierten Fall von „reiner“ Exstirpation der Area _ striata herzustellen. Dass die doppelseitige Exstirpation derselben senüst, um eine vollkommene Blindheit zu bewirken, das steht für mich nach den Ergebnissen des letzten Kapitels fest; die Frage aber, ob danach auch dieselben hochgradigen Störungen der räumlichen Orientierung notwendig eintreten müssen, wie ich sie in den beiden Fällen beobachtet habe, möchte ich, da das Experiment mir für deren Beantwortung keine genügenden tatsächlichen Grundlagen seliefert hat, vorläufig offen lassen. Ich werde später ausführen, aus welchen Gründen ieh an der zweiten Windung der Konvexität des Oceipitallappens ein optisch-motorisches Feld annehme, das mit _ der Area striata oder dem optisch-sensorischen Felde zusammen ein kombiniertes optisches Sensomotorium bildet. Bei meinen Hunden (Beobachtung 26 und 27) war über die Area striata hinaus die zweite Windung beiderseits zerstört oder von der Markmasse abgetrennt, und deshalb bezieht sich die Schilderung auf solche 276 M. Minkowski: Hunde, die das ganze optische Sensomotorium (Area striata + zweite Windung) an beiden Hemisphären eingebüsst haben. Beide Hunde boten im allgemeinen dasselbe Verhalten, welches sich in allen wesentlichen Punkten mit der Beschreibung Munks deckte; ich knüpfe daher an eine Symptomenreihe an, wie sie v. Monakow im Anschluss an Munk für sehsphärenlose Hunde angegeben hat!). a) Der rindenblinde Hund ist ausserordentlich bewegungs- träge. DBetritt man den Stall, so findet man ihn in der Ecke seines Käfigs kauernd. Während alle übrigen Hunde aufspringen und an das Gitter kommen, bleibt er in seiner Ecke liegen, obwohl er durch ÖOhrenspitzen und suchende Bewegungen der Schnauze zu erkennen gibt, dass er das Öffnen der Tür und die Schritte gehört hat; auch das Rufen, Pfeifen und Händeklatschen regt ihn nicht zu Bewegungen an. Geht man in den Käfig und sucht ihn mit Stössen und Schlägen zum Gehen zu bringen, so reagiert er zunächst nicht, richtet sich aber schliesslich auf und macht dann wenige Schritte. Nur durch Hunger und Wegnahme der Nahrung während der Fütterung wird er zu etwas lebhafteren Bewegungen angeregt. b) Gelingt es, ihn zum Gehen zu veranlassen, so geht er stets langsam, mit vorgestreckter Schnauze. Ersprinstund läuft nicht; zieht man ihn an der Leine, so folgt er, solange man sich langsam bewegt, fängt man aber an zu laufen, so lässt er sich auf dem Boden schleifen. e) Er bewegt sich stets mit grosser Vorsicht, wobei er durch - Vorstrecken der Vorderpfoten und der Schnauze die Umgebung gleichsam abzutasten sucht. Auf der Treppe bewegt er sich nur, wenn man ihn an der Leine zieht, wobei er fast jede Stufe be- schnüffelt und mit den Pfoten abtastet. Hört der Zug an der Leine auf, so bleibt er meistens sofort stehen, wobei die Vorder- und Hinterpfoten sich oft auf verschiedenen Stufen befinden; in dieser ungewöhnlichen Lage kann er dann längere Zeit fast reguneslos ver- harren. Nach wiederholtem Treppensteigen ändert sich sein Verhalten insofern, als er, nachdem er einmal in Bewegung ist, noch einige Stufen spontan hinauf- oder hinabgeht. d) Er verrät eine hochgradige Störung der Orientierung im Raum. Gibt man ihm aus einer Schüssel zu fressen und dreht l) v. Monakow, Gehirnpathologie Bd. 1 S. 288. Wien 1905. u; | Zur Physiologie der Sehsphäre. 277 [4 ihn dann um oder führt ihn etwas ab, so schnüffelt er und macht suchende Bewegungen, findet aber nicht den richtigen Weg zur Schüssel zurück, auch wenn die Entfernung nur gering ist. Eine räumliche Vorstellung von der bei der Umdrehung resp. Abführung gemachten Bewegung scheint ihm völlig zu mangeln, da er ganz falsche Richtungen einschlägt. Es ist ihm überhaupt nicht möglich, die einmal eingeschlagene Bewegungsrichtung einzuhalten. Auch in seinem Käfig ist er völlig unorientiert, stösst an den Wänden und am Gitter an, findet nicht die übliche Futterstelle. Er ist absolut nicht imstande, akustische Eindrücke räumlich zu lokalisieren, wäh- rend die Lokalisation von Tast- und Geruchseindrücken keine nach- weisbare Störung bietet. (Langsam bewegte Fleischstücke werden, wenn der Hund nicht schnüffelt, zwar nur in unmittelbarer Nähe der Nase gerochen, aber dann stets richtig lokalisiert; es erfolgt eine prompte und präzise Greifbewegung der Schnauze. Auch in der Lokalisation von Tasteindrücken habe ich keinen Unterschied gegen normale Hunde mit zugebundenen Augen feststellen können.) e) Der Hund zeigt eine absolute Reaktionslosigkeit gegen optische Eindrücke, er ist vollkommen rindenblind. Vor den Augen bewegte Fleisch- und Zuekerstücke werden niemals beachtet, wohl aber greift er zu, sobald man damit seine Schnauze berührt. Eine Peitsche, ein brennendes Zündholz, ein glänzender Gegenstand machen auf ihn nicht den geringsten Eindruck. Beim Gehen stösst er mit dem Kopf und den Extremitäten an Vorsprüngen und Hindernissen heftig an, und zwar nach 8 Monaten fast ebenso, wie in den ersten Wochen nach der Operation. Er macht nie Ein- stellungs- oder Konvergenzbewegungen der Augen auf irgendeinen Gegenstand, der sich auf seiner Netzhaut abbilden muss; dagegen werden Bewegungen des Kopfes und Rumpfes von entsprechenden Augenbewegungen begleitet. Die Pupillen sind sehr weit; der Pupillenreflex auf Lichteinfall erfolgt sehr prompt und ausgiebig. f) Dem Blinzelreflex habe ich angesichts der Kontroverse, die er zwischen Goltz und Munk hervorgerufen hat, ein besonders eingehendes Studium gewidmet. Ich habe zu diesem Zweck den Hund in einem völlig verdunkelten Ziimmer untersucht und eine grelle elektrische Lampe geräuschlos ein- und ausgeschaltet, so dass jedesmal ein Übergang von absoluter Dunkelheit zu greller Beleuch- tung stattfand. Trifft man dabei keinerlei Vorkehrungen und bringt die Lampe nahe an die Augen (5—10 cm), so erfolgt sehr oft ein Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 14l. 19 378 M. Minkowski: Blinzeln, welches sogar zu dauerndem Lidschluss führen kann, wenn man mit der Lampe unmittelbar an die Augen herangeht. Das Blinzeln bleibt aber grösstenteils aus, wenn man die Lampe weiter hält oder zwischen diese und die Augen eine durchsichtige Glas- scheibe einführt; durch diese wird ein grosser Teil der von der Lampe ausgesandten Wärmestrahlen zurückgehalten, wie man sich an seinem eigenen Gesicht überzeugen kann. Ich glaube daher, dass es sich bei diesem Blinzelreflex um eine Wärmewirkung handelt; ob die Erregung zentralwärts durch den Trigeminus oder den Opticus geleitet wird, kann nur durch Experimente mit Durchschneidung der Nn. trigemini oder optici und das Studium des Blinzelreflexes nach solchen Operationen definitiv entschieden werden. Aber selbst wenn es sich dabei um eine Optieuswirkung handeln sollte, würde das nichts weiter beweisen, als dass nach Ausschaltung der Sehrinde ausser dem Pupillarreflex auch dieser elementare Schutzreflex durch Vermittlung des N. optieus und subkortikale Übertragung auf den Facialiskern noch zustande kommen kann; das sonstige Benehmen des Hundes, wonach „seine Handlungen in keiner Weise durch die Netzhautbilder bestimmt (beeinflusst und geregelt) werden“, berech- tigt uns indessen zu dem Schluss, dass er vollkommen blind ist. Es folgt aus diesem Abschnitt unserer Untersuchungen: 1. Die anatomisch sichergestellte Tatsache, dass die Integrität der Oceipitalrinde eine Existenz- bedingung für die subkortikalen optischen Gang- lien (Corpus gen. ext., pulvinar, oberflächliches Grau desCorpus quadr. ant.) ist, findetihren phy- siologischen Ausdruck darin, dass ein beider Sehsphären beraubter Hund auf optische Reize keinerlei Reaktionen zeigt (bis auf den Pupillar- reflex); er ist vollkommen blind, wobei auch die einfachste Lichtempfindung (Empfindung vondHell und Dunkel) aufgehoben ist. ID Ein beider optischen Sensomotorien beraubter Hund ist nicht nur vollkommen blind, sondern er hat auch die Fähigkeit der räumlichen Orientie- rung, wenigstens soweit letztere auf optisch er- worbenen Komponenten beruht, verloren. En Zur Physiologie der Sehsphäre. 279 IX. Die Projektion der Netzhaut auf die Hirnrinde. Munk hat nicht nur für die Vertretung der Stelle des deut- lichsten Sehens ein umschriebenes Gebiet innerhalb der Sehsphäre abgeerenzt, sondern auch für alle übrigen Netzhautteile eine Pro- jektion auf die Hirnrinde in dem Sinne angenommen, dass die einzelnen Punkte der Netzhaut durch Sehnervenfasern mit be- stimmten Teilen der Rinde, welche die Sehsphäre zusammensetzen, direkt verbunden sind. „Die mit den Optieusfasern verbundenen zentralen Rindenelemente, in welchen die Gesichtswahrnehmung statt- hat, sind regelmässig und kontinuierlich angeordnet wie die spezi- fischen Elemente der Optieusfasern in den Retinae derart, dass be- nachbarten Rindenelementen auch benachbarte Retinaelemente ent- sprechen. Nur ist nicht die einzelne Retina zur einzelnen Sehsphäre in Beziehung gesetzt. Vielmehr ist jede Retina mit ihrer äussersten lateralen Partie zugeordnet dem äussersten lateralen Stücke der sleichseitigen Sehsphäre. Der viel grössere übrige Teil jeder Retina aber gehört dem viel grösseren übrigen Teile der gegenseitigen Seh- sphäre zu, und zwar so, dass man sich die Retina derart auf die Sehsphäre projiziert denken kann, dass der laterale Rand des Retina- restes dem lateralen Rand des Sehsphärenrestes, der innere Rand der Retina dem medialen Rand (der Sehsphäre, der obere Rand der Retina dem vorderen Rand der Sehsphäre, endlich der untere Rand der Retina dem hinteren Rande der Sehsphäre entspricht... Ist ein Teil der Sehsphären entfernt, so kommt es von den spezifischen Endelementen des korrespondierenden Teils der Retina aus nicht mehr zur Lichtempfindung, zur Gesiehtswahrnehmung; für den Teil der Retina, dessen Endelemente mit den zentralen Rindenelementen des vernichteten Teils der Sehsphäre verknüpft waren, besteht Rindenblindheit für alle Folge“ ?). Seine Projektionslehre hat Munk durch ein Schema ver- anschaulicht, in welchem die anatomische Tatsache, dass die Optieusfasern in den subkortikalen optischen Ganglien ihr Ende finden, und dass die kortikopetale Sehbahn hier aus einem neuen Neuron entspringt, merkwürdigerweise nicht berücksich- tigt wird. 1) Munk, Über die Funktionen der Grosshirnrinde. Ges. Mitt. 3. 87—88. Berlin 1890: 195 280 M. Minkowski: Die Munksche Projektionslehre ist dann von verschiedenen Autoren nachgeprüft, von den meisteu abgelehnt worden. Zuerst hat ihr Loeb!) eine systematische Nachprüfung gewidmet. Ebenso wie Luciani und Seppilli fand er, dass es nach umschriebenen Exstirpationen im Bereich der Sehspsäre keineswegs zu umschriebenen Fig. 42. Projektionsschema nach Munk. Skotomen im Sinne Munks kommt, sondern dass auch in diesen Fällen, wenn es überhaupt zu einer Sehstörung kommt, eine solche hemianopischer Natur eintritt. Hitzig hat ebenfalls an einem grossen Material partielle Ex- stirpationen der Munkschen Sehsphäre vorgenommen. Grundsätz- 1) Loeb, Über Sehstörungen nach Verletzungen der Grosshirnrinde. Pflüger’s Arch. Bd. 40. 1886. Pe hm u Zur Physiologie der Sehsphäre. 281 lich hat er gegen seine Projektionslehre eingewendet, dass die Aus- führung von derartig scharfen Operationen, wie sie zum gültigen Nachweis derselben erforderlich wären, aus operationstechnisehen Gründen unmöglich sei. Ist die Operation oberflächlich, dann bleibt in der Tiefe der Furchen und Windungen funktionsfähige Rinde er- halten; geht sie aber tiefer, so werden ausser der Rinde notwendig Markmassen lädiert, darunter auch solche, die zu benachbarten Rindenabsehnitten ziehen. Unabhängig von diesen prinzipiellen Be- denken schliesst er aus seinen Ergebnissen, dass „eine Projektion in dem Sinne, dass bestimmte Elemente oder Abschnitte der Retina nur vermittelst bestimmter Elemente oder Abschnitte des Cortex sehen könnten, nicht existiert!). . . . Eine gesetzmässige Ab- hängiskeit der Lichtempfindlichkeit bestimmter Stellen der Retina von bestimmten Teilen der Sehrinde ist auch nicht einmal mit Bezug auf den vorübergehenden Ausfall des Selıvermögens nach Partialexstirpationen gegeben. Wohl aber ist anzuerkennen, dass die temporäre Blindheit der unteren Hälfte des Gesichtsfelds aus- schliesslich auf Läsionen der vorderen Hälfte der Sehsphäre, und dass Läsionen des hinteren Abschnittes der Sehsphäre öfter Skotome in dem oberen Segment des Gesichtsfelds unter Schonung des sonst fast regelmässig beteiligten lateralen Segments zur Folge haben.“ Wie wenig Hitzig im allgemeinen geneigt ist, die Munksche Projektionslehre gelten zu lassen, so liegt doch im letzten Satz eine weitgehende Konzession; denn wenn die temporäre Blindheit der unteren Hälfte des Gesichtsfelds ausschliesslich auf Läsionen der vorderen Hälfte- der Sehsphäre folet, so muss man eben an- nehmen, dass zwischen den oberen Netzhautteilen und dem vorderen Teil der Sehsphäre besonders enge Beziehungen bestehen ?); wenn das aber der Fall ist, so wird man nicht umhin können, auch für die übrigen Teile der Netzhaut besonders enge Beziehungen zu bestimmten Teilen der Sehsphäre zu erwarten. Von anatomisch-klinischer Seite hat die Munksche Projektions- lehre eine bedeutungsvolle Bestätigung gefunden. Henschen hat auf Grund klinischer Fälle mit partieller Zerstörung der Calearina- ]) Hitzig, Physiologische und klinische Untersuchungen über das Gehirn. Ges. Abhandl. S. 557 u. 565. Berlin 1904. 2) Dass es sich dabei nach Hitzig um einen temporären, nach Munk um einen dauernden Ausfall handelt, dürfte für die Beurteilung der Projektionsfrage keine unmittelbare Bedeutung haben. 382 M. Minkowski: rinde nachzuweisen gesucht, dass in der Sehrinde eine fixe Projek- tion der Retina stattfindet; er geht so weit, die Sehrinde als einen Ab- klatsch der Retina, eine „Retina corticalis“ zu bezeichnen. Nach Henschen entspricht beim Menschen die obere Lippe der Fissura ealearina der oberen, die untere der unteren Retinahälfte, der Boden der Horizontallinie der Retina; auch die Macula ist innerhalb der Calearinarinde inselförmig vertreten. Jede partielle Läsion der Cal- carinarinde ruft, ähnlich wie die partiellen Läsionen der Munk- schen Sehsphäre, ein dauerndes Skotom von entsprechender Kon- figuration hervor. In einer neulich erschienenen Arbeit kommt Inouye!) auf Grund von Beobachtungen an Verwundeten des russisch-japanischen Krieges zu einer Bestätigung der Henschenschen Projektion, indem er ebenfalls feststellen konnte, „dass eine oberhalb bzw. unterhalb der Fiss. ealearina gelegene Läsion einen Gesichtsfelddefekt im unteren bzw. oberen Quadranten hervorruft“. Er weicht aber von Henschen insofern ab, als er „eine scharfe Projektion im Sinne eines Ab- klatsches der Retina auf die Hirnrinde“ nur in der „Hauptsehsphäre“ annimmt, welehe der Henschenschen Sehsphäre entspricht. Neben letzter soll aber eine „Nebensehsphäre“ bestehen, „wo zwar eine Projektion, aber keine scharfe sich vorfindet“; zur Annahme einer „Nebensehsphäre“ wird er dadurch veranlasst, dass bei doppel- seitiger Hemianopsie, bei der die Läsion die beiden Hauptsehsphären in toto getroffen hat, noch ein Rest von Sehen um den Fixierpunkt erhalten bleibt (Foerster, Inouye u. a.). Einen vermittelnden Standpunkt, den man mit Hitzig am besten als den der relativen indirekten Projektion be- zeiehnen kann, nimmt bezüglich der Projektionslehre v. Monakow ein. Indem er betont, „dass eine solche Projektion, wenn sie über- haupt vorhanden ist, zunächst auf die primären Zentren, in denen die Optieusfasern eine Unterbrechung erfahren, geschehen müsste,“ meint er, „es sei nicht daran zu zweifeln, dass die verschiedenen Qua- dranten der Retina bei den höheren Säugern zu bestimmten Ab- schnitten der Sehsphäre in viel engeren Beziehungen stehen als zu anderen“. Diese Projektion muss seiner Ansicht nach in dem Sinne vorhanden sein, dass die von Jugend an für Reizaufnahme aus einer 1) Inouye, Die Sehstörungen bei Schussverletzungen der corticalen Seh- sphäre. Leipzig 1909. ri ) Zur Physiologie der Sehsphäre. 28 oO bestimmten Richtung benutzten Wege resp. Abschnitte im Corp. geniec. ext. und dann auch in der Sehsphäre auch später noch vor allen anderen bevorzugt werden. So bilden sieh relativ feste Innervationswege in ganz bestimmten Richtungen und im Sinne der raschesten Beförderung in der Richtung des geringsten Widerstandes“). Noch eine andere, treffliche Überleeung führt v. Monakow für die Notwendigkeit einer Projektion der Netz- haut, wenigstens ihrer peripheren Teile auf die Hirnrinde an. Da auf optische Reize, die in verschiedenen Teilen des Gesichts- felds auftauchen und somit verschiedene Netzhautpunkte treffen, bestimmte Einstellungsbewegungen der Augen erfolgen, so ist es „die räumlich feste corticale Repräsentation der verschiedenen Augenbewegungsarten, die durch Lichtreize angeregten Blickbewe- sungen, welche eine genaue Projektion der Retina (und zu- nächst eine solche auf die primären optischen Zentren und dann auf die Sehsphäre) fordern. Die Stelle des deutlichsten Sehens, welche für die Orientierung im Raume nicht in Betracht kommt, scheint von einer eigentlichen schärferen Projektion ausgeschlossen zu sein. Genug, es scheinen nur mit Rücksieht auf die richtige Einstellung der Augen festere Beziehungen zwischen den Netzhaut- punkten und der Sehsphäre notwendig zur Übertragung der optischen Ortszeichen auf die korrespondierenden Reizpunkte für die Augen- bewegungen und für die Orientierung im Raume.“ Aus diesen Ausführungen geht wohl mit Deutlichkeit hervor, dass die Frage, ob eine Projektion der Netzhaut auf die Hirnrinde besteht, noch keineswegs als gelöst zu betrachten ist, dass aber ge- wichtige Gründe, wie besonders die Koordination mit bestimmten Einstellungsbewegungen der Augen, für die Existenz einer solchen sprechen. Dass aber das Munksche Projektionsschema nicht in allen seinen Teilen richtig sein kann, geht aus den bisherigen Ergebnissen hervor. Da die physiologische Sehsphäre sich mit der Area striata deckt, so kann eine Projektion der Netzhaut auf die Hirnrinde, wenn sie überhaupt vorhanden ist, nur im Bereich der Area gesucht werden. Wenn Munk behauptet, dass die medialen Teile der Netzhaut im medialen, die lateralen im lateralen Teil seiner Sehsphäre, dass schliesslich der lateralste, von der gleich- 1) v. MolRakow, Über den gegenwärtigen Stand der Frage nach der Lokalisation im Grosshirn. Ergebn. d. Physiol. S. 656 u. 660. 1902. 984 M. Minkowski: seitigen Hemisphäre versorgte Netzhautteil an der Konvexität am weitesten lateralwärts vertreten ist, so kann das schon deshalb nicht richtig sein, weil die Konvexität des Oeceipitallappens nach aussen vom Suleus lateralis nicht mehr zur Area striata ge- hört; auf Grund meiner Operationen an der Konvexität des Oeeipital- lappens (Kapitel V) glaube ich diesen Teil der Munkschen Projek- tion (in Übereinstimmung mit Hitzig, Loeb u. a.) nicht an- erkennen zu können. Anders liegen die Verhältnisse für die Projektion der oberen und unteren Netzhautteile, für welche Munk die vorderen und hinteren Teile der Sehsphäre in Anspruch nimmt. Wenn selbst Hitzig, ein entschiedener Gegner der Projektionslehre, zugeben musste, dass „die temporäre Blindheit der unteren Hälfte des Ge- sichtsfelds ausschliesslich auf Läsionen der vorderen Hälfte der Seh- sphäre, und dass Läsionen des hinteren Abschnitts der Sehsphäre öfter Skotome in dem oberen Segment des Gesichtsfelds zur Folge haben“, so liest darin, wenn man von der Dauer der Sehstörung absieht, eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit den Angaben Munks, welche für die Richtigkeit dieses Teils seines Projektions- schemas sprechen dürfte. Nach meinen eigenen bisherigen Ergebnissen konnte ich an dem Bestehen einer Projektion der Netzhaut auf die Hirnrinde in dem Sinne, dass in einem bestimmten Teil der Sehsphäre bestimmte Partien der Netzhaut vertreten sind, nicht mehr zweifeln; denn wenn es möglich ist, dass nach unvollkommenen Exstirpationen der Area striata (Beobachtung 22) oder nach unvollkommenen Durch- trennungen der Sehbahn (Beobachtung 17 und 18) ein kleiner zu- sammenhängender Teil des Gesichtsfelds erhalten bleibt und von den blinden Partien desselben scharf abgesrenzt werden kann, so spricht das grundsätzlich für das Bestehen einer Projektion. Bei unvollkommenen Fxstirpationen der Area striata bedarf dies keiner näheren Ausführung; bei inkompleten Durchtrennungen der Sehbahn muss man aber zur Erklärung dieses Tatbestandes annehmen, dass die benachbarten Netzhautpartien entsprechenden Fasern auch in der Sehstrahlung in räumlicher Nachbarschaft verlaufen; ist das aber der Fall, so erscheint es in hohem Grade wahrscheinlich, dass, da die einzelnen Bündel wohl in zusammenhängende Partien der Seh- rinde einmünden, auch im Bereich der letzteren benachbarte Netz- hautpartien in benachbarten Gebieten vertreten sind; und darin be” Zur Physiologie der Sehsphäre. 285 steht eben die Projektion. Es bleibt zu prüfen, ob diese Projektion so fest ist, dass die Exstirpation eines noch so kleinen Teils der Sehsphäre eine dauernde Blindheit in dem entsprechenden Netzhaut- teil verursacht, und ferner, ob sie konstant ist, d.h. ob bei allen Versuchstieren gleiche (z. B. die oberen) Teile der Netzhaut stets in denselben Teilen der Sehsphäre vertreten sind. Um der Lösung dieser Fragen näherzutreten, habe ich zunächst zwei Gruppen von partiellen Exstirpationen im Bereich der Area striata ausgeführt: 1. Exstirpationen des vorderen Teils der Area striata; ich begann so weit vorne, wie die Area striata reicht (ungefähr 1,5 cm nach hinten vom medialen Ende des Suleus eru- ciatus, 2,5 cm vom medial-kaudalen Pol des Oecceipitallappens), und ging nach hinten nicht ganz bis zur Umbiegungsstelle der ersten Windung in die basal-cerebellare Fläche; medial exstir- pierte ich bis zum Suleus splenialis, lateral bis zum Sulcus ento- lateralis. 2. Exstirpationen des hinteren Teils der Area striata, wobei ich an der basal-cerebellaren Fäche das Gebiet zwischen dem absteigenden Ast des Sulcus splenialis und dem Sule. rec. sup. und von der Konvexität der ersten Windung den kau- dalsten Teil (ca. 0,5 em in sagittaler Ausdehnung) zu zerstören suchte. Ich war von der Überlegung geleitet, nach Möglichkeit solche partiellen Exstirpationen auszuführen, die topographisch gut. abgrenzbar waren, und bei denen man in bezug auf Nebenläsionen auf relativ günstige Verhältnisse rechnen konnte; und das galt besonders be- züglich der Exstirpationen der basal-cerebellaren Fläche des Oceipital- lappens und des kaudalsten Teils der ersten Windung, da diese Teile der Area striata am kaudalen Grosshirnende liegen, und bei deren Exstirpation die Sehstrahlung und der frontalwärts liegende vordere Teil der Area striata nicht mitlädiert werden. Ferner sollte dabei auch derjenige Teil des Munkschen Projektionsschemas nach- geprüft werden, der meinen bisherigen Ergebnissen nicht widersprach, und dessen Richtiekeit auch Hitzig teilweise zugegeben hatte (die Vertretung der oberen und unteren Netzlıautteile im vorderen resp. hinteren Teil der Sehsphäre). 286 M. Minkowski: 1. Exstirpationen des vorderen Teils der Area striata. Beobachtung 28. 22. Januar 1910. Linksseitige Exstirpation des vorderen Teils der Area striata (in den angegebenen Grenzen). Optische Reflexe: am gekreuzten Auge von oben lebhaft, von unten dauernd fehlend. Sehen. Gekreuztes Auge: dauernder Ausfall der unteren Hälfte der temporalen drei Viertel des Gesichtsfelds; die Grenze der amaurotischen und er- haltenen Gesichtsfeldpartien ist sehr scharf. Der Hund wird am 23. Juli 1910, 6 Monate nach der Operation, getötet. coD Fig. 43. Gesichtsfeld des rechten Auges. Fig. 44. Sektion: Grenzen des Defekts: vorne nicht ganz bis zur Abgangsstelle des Sulc.fans. vom;Sulc. later., hinten fast bis zur hinteren Kante, medial bis zum Sule. spl.,*lateral bis zum Sulc. later. Die cerebellare Fläche des Oceipitallappens ist vollkommen intakt. Frontalschnitt. Der Defekt erstreckt sich ausschliesslich auf die Rinde zwischen dem Sulc. splen. und dem Sulc. lateralis. In der Tiefe sind noch beide Furchen von erhaltener Rinde ausgekleidet. Die Rinde des Gyrus ectolateralis ist von der Narbe leicht plattgedrückt, sonst aber makro- und mikroskopisch (an Weigert-Schnitten) intakt. Beobachtung 29. 15. Februar 1910. Linksseitige Exstirpation des oberen Teils der Area striata. Optische Reflexe: am gekreuzten Auge von oben lebhaft, von unten dauernd fehlend. Sehen. Gekreuztes Auge: am zweiten Tag nach der Operation Aus- fall der temporalen drei Viertel des Gesichtsfelds, dann rasche Aufhellung der oberen Gesichtsfeldpartien. Es bleibt ein dauernder Ausfall der unteren Hälfte Di BEER ER Aal | Zur Physiologie der Sehsphäre. 287 der temporalen drei Viertel des Gesichtsfelds. Die Grenze zwischen amauro- tischen und sehenden Gesichtsfeldpartien geht ziemlich genau durch den hori- zontalen Meridian. Gesichtsfeld s. Fig. 43. Der Hund wird am 30. März 1910, 6 Wochen nach der Operation, getötet. Die Sektion bestätigt im wesentlichen die Richtigkeit der Operation. Die zerebellare Fläche ıst intakt. Frontalschnitte: ansgiebige Zerstörung der ersten und des medialen Teils der zweiten Windung. Es ist somit der vordere Teil der Area striata und darüber hinaus der mediale Teil der zweiten Windung (Gyrus ectolateralis) zerstört. Beobachtung 14a. 21. April 1910. Rechtsseitige sekundäre Exstirpation des vorderen Teils der Area striata. (Primäre Operation am 12. März — linksseitige Exstirpation des Gyrus suprasylv. und des Gyrus ectosylv. med. —, die ursprünglich vorhandene Sehstörung hatte sich rasch zurückgebildet.) Optische Reflexe am linken Auge von oben lebhaft, von unten dauernd fehlend. Sehen. Gekreuztes Auge: dauernde Amaurose in der ganzen unteren Hälfte der temporalen drei Viertel des Gesichtsfeldes. Der Hund wird 3 Wochen nach der Operation getötet. Die Sektion bestätigt im wesentlichen die Richtigkeit der Operation. Grenzen des Defekts: vorne nicht ganz bis zur Abgangsstelle des Sulc. ansatus vom Sule. lateralis; hinten nicht ganz bis zur hinteren Kante, lateral bis zum Suleus lateralis, medial bis zum Sulcus splen. Sagittale Ausdehnung 2,5. Frontalschnitte: der rechtsseitige Defekt beschränkt sich auf die Area striata. Die Rinde ist lateral nicht ganz bis zum Sulcus lateralis, medial bis Sulcus splen. zerstört. Der Gyrus ectolateralis erscheint von der Narbe etwas plattgedrückt, sonst intakt. 388 M. Minkowski: Beobachtung 30. 8. November 1910. Linksseitige Exstirpation des vorderen Teils der Area striata. Optische Reflexe: am gekreuzten Auge von oben lebhaft, von unten dauernd fehlend. Sehen. Gekreuztes Auge: dauernder Ausfall der unteren Hälfte der temporalen drei Viertel des Gesichtsfelds. Der Hund wird am 21. Dezember 1910, 6 Wochen nach der Operation, getötet. Sektion. Grenzen des Defekts: vorn fast bis zur Abgangsstelle des Sulec. ansatus vom Sulc. lateralis; hinten 0,4 von der hinteren Kante, medial bis zum Sulcus splen., lateral bis zum Sulcus lateralis, im kaudalen Teil des Defekts auch etwas darüber hinaus. Frontalschnitte: Die Area striata ist zerstört, darüber hinaus ist die Rinde im medialen Teil des Gyrus ectolateralis oberflächlich lädiert; die Rinde, welche den Sulcus lateralis in der Tiefe auskleidet, ist z. T. erhalten. I. Exstirpationen des hinteren Teils der Area striata. Beobachtung 21. 2. August 1910. Linksseitige Exstirpation des hinteren Teils der Area striata in den angegebenen Grenzen. Optische Reflexe: Am gekreuzten Auge von unten lebhaft, von oben dauernd fehlend. Sehen. Gekreuztes Auge: dauernder Ausfall der oberen (oberhalb des horizontalen Meridians gelegenen) Hälfte der temporalen drei Viertel des Gesichtsfelds. Der Hund wird am 15. November GOD 1910 getötet. Die Sektion bestätigt die richtige Ausführung der Operation. An der cere- bellaren Fläche des Ocecipitallappens ist das ganze Gebiet zwischen dem ab- steigenden Art des Sulc. splen. und dem Sule. rec. sup. und lateralwärts auch etwas darüber hinaus zerstört. An der Konvexität erstreckt sich der Defekt auf den kaudalsten Teil der ersten Windung (ca. 0,5 cm in sagittaler Ausdehnung). Von der Area striata ist somit die basal- Fig. 46. Gesichtsfeld des rechten cerebellare Partie und der kaudalste Auges. Teil der ersten Windung zerstört. Beobachtung 31. 30. Mai 1910. Rechtsseitige Exstirpation des hinteren Teils der Area striata. Optische Reflexe am gekreuzten Auge nur von unten auslösbar, von oben dauernd fehlend. Zur Physiologie der Sehsphäre. 289 Sehen. Gekreuztes Auge: dauerndes Skotom in der oberen Hälfte der temporalen drei Viertel des Gesichtsfelds. Der Hund stirbt am 10. Juli 1910. Sektion. An der basal cerebellaren Fläche des Ocecipitallappens ist die ganze Area striata und deren Umgebung, an der ersten Urwindung deren kau- dalster Teil (zirka 0,5 cm in sagittaler Ausdehnung) zerstört; die ganze übrige Konvexität ist intakt. Fig. 47. Beobachtung 13a. 22. April 1910. Rechtsseitige sekundäre Exstirpation des hinteren Teils der Area striata (Primäre Operation am 8. März 1910: Exstirpation des Gyr. suprasylv. und des Gyr. ectosylv. med.; die ursprünglich vorhandene Sehstörung bildete sich rasch zurück). Fig. 48. 290 M. Minkowski: Optische Reflexe: am linken Auge von unten lebhaft, von ‚oben dauernd fehlend. Sehen. Gekreuztes Auge: dauernder Ausfall der oberen Hälfte der temporalen drei Viertel des Gesichtsfelds (s. Fig. 46). Der Hund wird am 28. Juli 1910 getötet. Die Sektion bestätigt die Richtigkeit der Operation. Der Defekt erstreckt sich an der cerebellaren Fläche vom absteigenden Akt des Sule. splenialis nicht ganz bis zum Sulec. rec. sup. Von der ersten Windung ist nur der kaudalste Teil (0,5 cm in sagittaler Ausdehnung) zerstört; sonst ist die Konvexität intakt. Tabelle Va. Exstirpationen des vorderen Teils der Area striata. Nummer| Optische Sehen Dauer der Be- | Reflexe am am gekreuzten Sa Sektion obach- | gekreuzten ir Beobach- tung Auge na tung 28. | Von oben leb- | dauernder Ausfall |6 Monate | der Defekt erstreckt sich haft,vonunten | derunteren Hälfte auf die Rinde zwischen dauernd feh- | d.temporalen drei Sulcus splen. und Sulcus lend Viertel des Ge- lateralis ; dieOberflächen- sichtsfelds rinde des Gyrus ecto- lateralis ist von der Narbe etwas plattgedrückt 29. do. do. 6 Wochen] Zerstörung der ersten und des medialen Teils der zweiten Windung 0. do. do. 6 Wochen] Zerstörung der ersten Win- dung (bis auf ihren kau- dalsten Teil) und ober- flächliche Läsion der Aussenrirde des Gyrus ectolateralis 14a. do. do. 3Wochen| Zerstörung der Rinde zwischen Sulcus splen. und Sulcus lateralis (Siehe Tabelle Vb auf S. 291.) In allen mitgeteilten Fällen beschränkte sich der Defekt im wesent- lichen auf die Area striata; nur in einem Fall aus der ersten Gruppe (Beob. 29) war auch der mediale Teil der zweiten Windung über die Aria striata hinaus zerstört, während in einem anderen (Beob. 30) die Aussenrinde des Gyrus electolateralis oberflächlich lädiert war; noch einwandfreier war die zweite Gruppe von Operationen, da bier die Zerstörung sich auf die basal-cerebellare Fläche des Oceipital- lappens zwischen dem absteigenden Ast des Suleus spl. und dem Sule. recurr. sup. und auf den kaudalsten Teil der ersten Windung Zur Physiologie der Sehsphäre. 291 an der Konvexität (ca. 0,5 cm in sagittaler Ausdehnung) beschränkte, während die ganze übrige Konvexität bis auf einen schmalen kaudalen Saum intakt war. Tabelle Vb. Exstirpationen des hinteren Teils der Area striata. Nummer| Optische Sehen Dauer der Be- | Reflexe am am gekreuzten der Sektion obach- | gekreuzten N Beobach- tung Auge 222 tung. haft, von oben | der oberen Hälfte Fiäche ist das Gebiet dauernd feh- | d.temporalen drei zwischen dem absteigen- lend Viertel des Ge- den Ast des Sulcus splen. sichtsfelds und dem Sulcus rec. sup., an der Konvexität der kaudalste Teil der ersten Windung (ca. 0,5 cm in sagittaler Ausdehnung) zerstört; die übrige Kon- vexität ist intakt 30. do. do. 6Wochen do. 130, do. do. 9 Monate do. 21. |vonunten leb- | dauernder Ausfall | 31/a Mon. ' der basal- cerebellaren | Optische Reflexe. Das Verhalten der optischen Reflexe war nur insofern von Interesse, als sie ein einfaches Mittel zur Kon- trolle der grossen partiellen Skotome lieferten; fiel die untere Hälfte des Gesichtsfeldes aus, so war der Blinzelreflex nur durch Droh- bewegungen von oben, im umgekehrten Falle nur von unten auslösbar. Sehen. Gleichseitiges Auge. Das Verhalten des gleich- seitigen Auges konnte wegen der doppelten Innervation des lateralsten Netzhautbezirkes keine direkten Anhaltspunkte für die Projektions- frage liefern, und so habe ich es auch nicht näher verfolgt, bis auf einen Fall (Beob. 21), wo links der hintere Teil der Area striata, rechts die ganze Area striata exstirpiert worden war. Gekreuztes Auge. Nach Exstirpationen des vorderen Teils der Area striata (vom oralen Pol derselben bis zur Umbiegungsstelle der ersten Windung in die basal-cerebellare Fläche des Oceipital- lappens) bestand in allen Fällen (erste Gruppe: Beob. 28, 29, 30, 14a) eine dauernde Amaurose in der unteren Hälfte der temporalen drei Viertel des Gesichtsfelds, nach Exstirpationen des hinteren Teils der Area striata (der basal-cerebellaren Partie und des kaudalsten Teils der Konvexität der ersten Windung) trat ebenso konstant (zweite 292 M. Minkowski: Gruppe: Beob. 21, 31, 13b) eine dauernde Amaurose in der oberen Hälfte der temporalen drei Viertel des Gesichtsfelds ein. Die erhal- tenen Gesichtsfeldpartien funktionierten entweder von Anfang an oder schou wenige Tage nach der Operation völlig normal; an der Grenze zwischen amaurotischen und normal funktionierenden Gesichtsfeld- partien konnte in einigen Fällen in den ersten Tagen nach der Operation eine schmale amblyopische Zone nachgewiesen werden, wo Reaktionen auf optische Reize zwar auslösbar waren, aber langsam, nicht konstant und oft mit falscher Lokalisation erfolgten; später bildete sich diese Amblyopie so weit zurück, dass sie nicht mehr nachweisbar war. Das Skotom konnte mit sämtlichen Methoden (Perimetrierung, Kreis- und Auseinanderführung, Stossversuch) sicher und einwandfrei festeestellt werden; die Reaktionen blieben kon- stant aus, solange man ein Fleisch- oder Zuckerstück in amauroti- schen Gesichtsfeldpartien bewegte, und erfolgten sehr prompt, sobald man die Grenze überschritt; dieselbe entsprach ungefähr dem hori- zontalen Äquator des Auges, und da die Stelle des direkten Sehens beim Hund etwas über dem Äquator der Netzhaut liegt, so war sie in der ersten Gruppe von Operationen, wenn nicht ganz, so doch zum grossen Teil in das Skotom mit eingeschlossen. Wenn überhaupt eine Aufhellung stattfand, so geschah das in den ersten Tagen nach der Operation; später blieb das Skotom dauernd völlig unverändert. Dieses Ergebnis ist so sicher und eindeutig, und. die beiden Gruppen von Operationen ergänzen sich so vollkommen, dass ein Zweifel bezüglich seiner Gültigkeit kaum möglich ist. Es ergibt sich daraus, dass eine konstante Projektion der Netzhaut auf dieSehrinde vorhanden ist, und zwar so, dass im vorderen (zugleich oberen) Teil der Sehrinde die oberen, im hinteren (zugleich unteren) die unteren Teile der Netzhaut vertreten sind. Wenn für die oberen und unteren Teile der Netzhaut eine kon- stante Projektion auf die Area striata besteht, so muss dasselbe auch für die inneren und äusseren Teile der Retina postuliert werden; nur glaube ich, dass die anatomischen und physiologischen Verhält- nisse für den direkten Nachweis dieser Projektion zu ungünstig liegen. Da die Optieusfasern in den subkortikalen optischen Ganglien (hauptsächlich im Corpus genieulatum externum) eine Unterbrechung Zur Physiologie der Sehsphäre. “993 erfahren, und die corticopetale Sehbahn hier aus einem neuen Neuron entspringt, so hat eine Projektion der Netzhaut auf die Hirnrinde selbstverständlich eine Projektion der ersteren auf das Corpus genic. ext. zur Vorbedingung, und in diesem Sinne kann nur von einer indirekten Projektion der Netzhaut aufdie Hirnrinde gesprochen werden; die Autoren (Henschen, v. Mo- nakow) sind auch darüber einig, dass bis zu den primären optischen Zentren von jedem Netzhautteil eine isolierte Leitung besteht, und eine Projektion des Traet. opt. auf das Corpus geniculat. ext. statthat. Eine nicht unwesentliche Kontroverse besteht aber bezüglich der weiteren Leitung. Während Henschen glaubt, dass die Projektion auch über das Corp. genic. ext. hinaus eine feste bleibt, so dass be- stimmte Elemente oder Abschnitte der Retina nur vermittelst be- stimmter Elemente oder Abschnitte des Cortex sehen können (das ist auch die Anschauung Munks, der aber die Unterbrechung der Optieusfasern im Corp. gen. ext. überhaupt nicht berücksichtigt), nimmt v. Monakow an, „dass von den primären optischen Endigungs- zentren an corticalwärts von einer isolierten Leitung nicht die Rede sein könne“ ; wohl ist nach Monakow eine Projektion in dem Sinne vorhanden, dass die von einzelnen Abschnitten der Retina zu- strömenden Lichtreize gesetzmässig zu bestimmten Abschnitten des Cortex geleitet werden, aber nach ihrer Eliminierung könuen diese Abschnitte des Cortex durch andere vertreten werden, und zwar soll das durch Vermittlung von „Schaltzellen“ im Corpus gen. ext. ge- schehen, welche mit ihren Endbäumchen einerseits mit den End- bäumchen der Optieusfasern, anderseits mit den Ursprungszellen der Sehbahn in Kontakt treten, und denen v. Monakow die Fähieckeit zuschreibt, „Erregungen von verschiedenen Seiten zu empfangen und sie nach verschiedenen Richtungen zu übertragen, und dies alles durch Vermittlung der Substantia gelatinosa“. Unter normalen Um- ständen erfolgt die Weiterbeförderung der Reize im corp. gen. ext. auf dem kürzesten Wege, also durch die den Endaufsplitterungen der einzelnen Sehnervenfasern zunächst gelegenen Zellenkomplexe; wird aber ein Teil der Sehrinde ausgeschaltet, so können gleichwohl die Reize, welche durch Vermittlung der zugehörigen Optieusfasern im Corp. genie. ext. anlangen, auf dem Wege durch die Substantia gela- tinosa und die Schaltzellen noch sämtlich auf die Rinde projiziert werden ; es bedarf dazu eines Auswachsens von Kollateralen aus den Sammel- zellen, damit neue Kontakte zwischen den dem zerstörten Sehsphären- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 20 394 M. Minkowski: areal zugeordneten Optieusfasern und entfernteren Ursprungszellen des Neurons Corpus geniculatum-Rinde hergestellt werden, deren corti- copetale Leitung in erhaltene Rindenelemente einmündet; da .aber neue Kontakte sich nur langsam bilden, bedarf es zur Restitution längerer Zeit. Wie verlockend diese Hypothese auch erscheinen mag, so glaube ich sie doeh mit meinen experimentellen Ergebnissen nicht völlig vereinigen zu können, denn ich habe nach den mitgeteilten partiellen Exstirpationen der Sehrinde keine Restitutionserscheinungen gesehen, wie sie in ihren Rahmen hineinpassen könnten. Daes sich um ein Auswachsen von Kollateralen in den Schaltzellen des Corp. gen. ext. handeln soll, muss man, wie v. Monakow selbst angibt, eine lang- same, allmählich fortschreitende Restitution erwarten; ich habe aber nichts Derartiges beobachtet: in einer Anzahl von Fällen blieb das Skotom von Anfang an völlig unverändert, und das Gesichtsfeld sah am zweiten Tag nach der Operation genau so aus wie nach einigen Monaten; in anderen, wo das Skotom ursprünglich grösser war, als wie es dauernd bestehen blieb, hellte sich ein Teil davon in den ersten Tagen nach der Operation auf, wobei man bei dem raschen Verlauf der Restitution durchaus annehmen durfte, dass es sich um das Verschwinden eines temporären, durch Mitschädigung der Um- gebung bedingten Symptoms handelte. Wenn ich mich also, wenigstens für den Hund, nicht auf den Boden dieser Hypothese begeben möchte, die für die Restitution von Sehstörungen einen, wie mir scheint, zu weiten Spielraum offen lässt, so will ich damit durchaus nicht behaupten, dass jedes wahrnehmende Element der Retina mit einem Element des Corp. genie. ext., und weiter mit einem Element der Sehrinde verbunden ist, und dass die Zerstörung eines noch so kleinen Teils der Sehrinde stets ein dauerndes Skotom von entsprechender Grösse und Konfiguration zur Folge hat, wie das der Auffassung von Munk und Henschen ent- spricht. Könnten die bisher mitgeteilten Fälle für diese Möglichkeit vielleicht sprechen, so verfüge ich anderseits über eine Reihe von Beobachtungen, die mit ihr, wie ich glaube, nicht vereinbar sind. Zum Teil, um in das Wesen der Projektion tiefer einzudringen, zum Teil für anatomische, noch zu besprechende Zwecke habe ich im Bereich der Area striata einige kleinere Exstirpationen ausgeführt, über die ich jetzt zunächst berichten möchte. Zur Physiologie der Sehsphäre. 295 Beobachtung 32. 11. Januar 1910. Linksseitige Exstirpation der lateralen Partie des an der basal-cerebellaren Fläche des Occipitallappens gelegenen Teils der Area striata, zwischen dem Sulc. postsplen. und dem Sulc. rec. sup. Optische Reflexe: am gekreuzten Auge zunächst fehlend, dann herab- gesetzt bis zum achten Tag nach der Operation. Sehen. Gekreuztes Auge: Ausfall der oberen Hälfte der temporalen drei Viertel des Gesichtsfelds bis zum sechsten Tag nach der Operation; dann rasche Aufhellung, so dass am neunten Tag keinerlei Einschränkung des Gesichts- felds mehr nachweisbar ist; auch das von oben eingeführte Nahrungsstück wird überall frühzeitig bemerkt und löst lebhafte Reaktionen aus; ob nicht eine Amblyopie im oberen Gesichtsfeldteil bestehen bleibt, lässt sich nicht mit Sicher- heit entscheiden. Der Hund wird am 29. Januar 1910 getötet. Die Sektion bestätigt die Richtigkeit der Operation; der an der basal- ‚cerebellaren Fläche gelegene mediale Teil der Area striata zwischen dem ab- steigenden Ast des Sulec. splenialis und dem Sule. postsplenialis ist erhalten. Beobachtung 33. 31. Mai 1910. Doppelseitige Operation. Links: Exstirpation eines 15 mm langen Stückes aus dem hinteren Teil der ersten Windung; rechts: Exstirpation eines annähernd gleich grossen Stückes aus dem hinteren Teil der zweiten Windung (Gyr. ectolater. et suprasylv.). Fig. 49. Optische Reflexe: rechts lebhaft, links dauernd herabgesetzt. Sehen. Rechtes Auge: Amaurose des unteren äusseren Gesichtsfeld- quadranten bis zum fünften Tag, dann allmählich abnehmende Amblyopie in diesem Bezirk; das übrige Gesichtsfeld ist vollkommen frei. 20% 296 M. Minkowski: Linkes Auge: von Anfang an keinerlei Sehstörung feststellbar. Der Hund wird am 13. Juni 1910 getötet. Die Sektion bestätigt die Richtigkeit der Operation. Der linksseitige Defekt liegt ganz im Bereich der Area striata und reicht medial bis zum Sulc. spl., lateral bis zur Mitte der ersten Windung; der rechtsseitige Defekt liegt im ganzen ausserhalb der Area striata. Beobachtung 34. 13. Juli 1910. Doppelseitige Operation. Links: Exstirpation eines 15 mm langen Stücks aus der ersten Windung; rechts: Exstirpation eines an- nähernd gleich grossen Stückes aus der zweiten Windung. Optische Reflexe: rechts im Anfang nur von oben auslösbar, später überall lebhaft; links überall auslösbar, aber gegen rechts etwas herabgesetzt; zuletzt kein nachweisbarer Unterschied zwischen rechts und links. { Sehen. Rechtes Auge: am zweiten Tage Ausfall der unteren Hälfte der temporalen drei Viertel des Gesichtsfeldes; vom dritten Tag an allmählich abnehmende Amblyopie im unteren aussenmittleren und unteren äusseren Ge- sichtsfeldteil; am zehnten Tag ist keinerlei Sehstörung mehr nachweisbar. Linkes Auge: von Anfang an keinerlei Sehstörung nachweisbar. Der Hund wird am 28. Juli 1910 getötet. Sektion. Grenzen des linksseitigen Defekts: hinten 0,3 vom kaudalen Pol, vorne 2,0 vom kaudalen Pol, medial nicht ganz bis zum Sulc. splen., lateral bis zur Mitte der ersten Windung; der rechtsseitige Defekt liegt im hinteren Teil der zweiten Windung. Beobachtung 35. 12. Januar 1910. Doppelseitige Operation. Links: Exstirpation eines kleinen Stücks Rinde aus dem kaudalsten Teil der ersten Windung; rechts: Exstirpation eines annähernd gleich grossen Stücks Rinde aus dem kaudalsten Teil der zweiten Windung. Fig. 50. Zur Physiologie der Sehsphäre. 297 Optische Reflexe: rechts im Anfang von unten aussen nicht auslösbar, dann überall lebhaft; links ohne Störung. Sehen. Rechtes Auge: Defekt im unteren äusseren Quadranten des Gesichtsfelds, sehr scharf und präzis nachweisbar; unten innen, unten Mitte und überall oben ist das Sehen von Anfang an intakt; nach einigen Tagen hellt sich das Skotom auf; ob eine Amblyopie in diesem Bezirk zurückbleibt, lässt sich nicht sicher entscheiden. Linkes Auge: von Anfang an keinerlei Sehstörung nachweisbar. Der Hund wird am 26. Oktober getötet. Die Sektion bestätigt die richtige Ausführung der Operation. Beobachtung 36. 21. Oktober 1910. Doppelseitige Operation, wie in Beobachtung 35. Fie. 51. Optische Reflexe: beiderseits ohne Störung. Sehen. Rechtes Auge: Amblyopie im unteren äusseren Quadranten des Gesichtsfelds, vom sechsten Tage an nicht mehr nachweisbar. Linkes Auge: von Anfang an keinerlei Sehstörung nachweisbar. Der Hund wird am 4. November 1910 getötet. Sektion. Grenzen des linksseitigen Defekts: hinten 0,3 vom hinteren Pole, vorn 1,3 vom hinteren Pol, medial nicht ganz bis zum Sulc. splen., lateral bis zum Sulc. later. Der rechtsseitige Defekt liest im hinteren Teil der zweiten Windung. Zusammenfassung. Optische Reflexe. Nach Exstirpation von kleineren Stücken aus der Area striata war der Blinzelreflex am gekreuzten Auge nur so lange herabgesetzt, wie eine erheblichere Sehstörung bestand (Beob. 32, 34, 35); die Herabsetzung des Blinzelreflexes trat nur 298 M. Mink owski: dann zutage, wenn man ihn von amaurotischen resp. amblyopischen Gesichtsfeldpartien aus auszulösen suchte, ein Beweis dafür, dass es sich um eine sensorische, nieht um eine motorische Störung gehandelt hat. Im Gegensatz dazu war der Blinzelreflex nach Exstirpationen aus der zweiten Windung am gekreuzten Auge in einigen Fällen (Beob. 33, 34) herabgesetzt, wo nicht die geringste Sehstörung nach- weisbar war — eine Bestätigung der bereits geäusserten Annahme, dass an der zweiten Windung der Konvexität des Oeeipitallappens ein Zentrum für den Blinzelreflex vorhanden ist. Sehen. Nach kleineren Exstirpationen aus der zweiten Windung des Oeceipitallappens war weder im nasalen Gesichtsfeldteil des gleichseitigen noch am gekreuzten Auge irgendeine Sehstörung fest- stellbar (Beob. 33, 34, 35, 36), was sich mit meinen früheren Fr- gebnissen (Kap. IV und V) vollkommen deckt und von neuem den Beweis liefert, dass die zweite Windung der Konvexität des Oceipital- lappens ausserhalb der rezeptorischen Sehsphäre liest. Nach kleineren Exstirpationen aus der Area strijata konnte ein sehr bemerkenswerter Befund erhoben werden; es trat danach aus- nahmslos eine Sehstörung am gekreuzten Auge ein, und zwar er- streckte sich dieselbe auf die obere Gesichtsfeldhälfte nach einer partiellen FExstirpation des cerebellaren Teils der Area striata (Beob. 32), auf den unteren äusseren Quadranten des Gesichtsfelds nach einer Exstirpation aus dem kaudalen Teil der ersten Windung (Beob. 33, 35, 36); in einem Fall (Beob. 34), wo der Defekt etwas weiter frontalwärts lag, erstreckte sich die Sehstörung hauptsächlich auf den unteren aussenmittleren Gesichtsfeldteil; in allen Fällen bildete sich aber die ursprünglich vorhandene Amaurose oder hoch- gradige Amblyopie so weit zurück, dass es nach 14 Tagen!) fraglich erschien, ob überhaupt noch irgendeine Sehstörung besteht; jeden- falls kann es sich dann nur noch um einen Grad von Amblyopie gehandelt haben, dessen Feststellung bei Tieren nicht gut möglich ist. Dass sich geringe Einschränkungen des Gesichtsfelds dem Nach- weis entziehen, ist selbstverständlieli; aber ein nennenswertes Skotom dürfte mir nicht entgangen sein, und so glaube ich aus diesen Be- obachtungen schliessen zu dürfen, dass nach kleineren Exstirpationen aus dem Bereich der Area striata die ursprünglich in einem be- stimmten Gesichtsfeldteil auftretende Sehstörung (Amaurose oder 1) Die Tiere wurden nach 14 Tagen für die Marchi-Untersuchung getötet. Zur Physiologie der Sehsphäre. 299 ‚hochgradige Amblyopie) sich so weit zurückbildet, dass sie schon nach einigen Tagen nieht mehr nachweisbar ist, und dass jedenfalls keine irgendwie erhebliche Einschränkung des Gesichtsfelds bestehen bleibt. Bei dieser raschen Restitution darf man wohl annehmen, dass sie nicht auf einem Auswachsen von Kollateralen und dem dadurch ermöglichten Eintreten von benachbarten Rindenteilen beruht, denn ein derartiger anatomisch-physiologischer Kompensationsvorgang im Sinne der v. Monakowschen Hypothese müsste längere Zeit in Anspruch nehmen; ich glaube vielmehr, dass die ursprünglich aus- sesprochene Sehstörung dadurch bedingt ist, dass in den ersten Tagen nach der Operation ein viel grösseres Gebiet der Hirnrinde lahmgelegt ist als das tatsächlich exzidierte, und dass die Sehstörung sich in dem Masse zurückbildet, wie die Umgebung des Defekts sich von der operativen Mitschädigung erholt; es handelt sich hier um das Freiwerden von Rindenteilen, welche schon normalerweise mit den sich restituierenden Netzhautteilen in Beziehung stehen. Das Ergebnis von kleineren partiellen Exstirpationen der Area striata ist mit der Annahme unvereinbar, nach welcher die Sehrinde einen einfachen Abklatsch der Netzhaut darstellt (Henschen, Munk); denn dann müsste nach jeder Exstirpation ein dauerndes, entsprechend konfiguriertes Skotom zurückbleiben, was bei diesen Beobachtungen nicht. der Fall war; anderseits scheint es auf den ersten Blick meinen eigenen Ergebnissen zu widersprechen, wonach eine konstante Projektion der Netzhaut auf die Hirnrinde vorhanden ist, so dass die Exstirpation eines grösseren Teils der Sehsphäre (des vorderen oder des hinteren) ein dauerndes Skotom in den ent- sprechenden Teilen des Gesichtsfelds herbeiführt; ich glaube aber, dass eine genauere Analyse diesen scheinbaren Widerspruch lösen und zugleich unseren Begriff vom Wesen der Projektion vertiefen kann. Wir müssen daran festhalten, dass eine konstante Projektion der Netzhaut auf die Hirnrinde im Prinzip zweifellos vorhanden ist, indem grössere, an den Polen der Sehrinde ansetzende partielle Exstirpationen stets dauernde Skotome von bestimmter Lage herbei- führen, dass aber anderseits die Projektion nicht als ausschliessliche Beziehung von Element zu Element gedacht werden kann, da kleinere Exstirpationen aus dem Bereich der Area striata kein dauerndes Skotom und überhaupt keine dauernde nachweisbare Sehstörung herbeizuführen brauchen. Es ist mir aufgefallen, dass die Exstirpation des an der basal- 300 M. Minkowski: cerebellaren Fläche des Oceipitallappens gelegenen Teils der Area striata allein nicht genügt, um den Ausfall der ganzen oberen Ge- sichtsfeldhälfte zu bewirken, sondern dass auch noch der kaudalste Teil der ersten Windung mit zerstört werden muss, damit die Grenze der amaurotischen und funktionsfähigen Partien das Gesichtsfeld ungefähr hälfte (Beob. 21, 31, 13a); anderseits bewirkt die isolierte Exstirpation dieses Rindenteils eine vorübergehende Sehstörung eher im unteren als im oberen Teil des Gesichtsfelds (Beob. 35 und 36); in diesen auf den ersten Blick sich widersprechenden Er- scheinungen könnte ein Schlüssel für das Verständnis der fraglichen Verhältnisse liegen; denn sie würden am ehesten darin ihre Er- klärung finden, dass diejenigen Rindenteile, in denen die an den horizontalen Meridian angrenzenden oberen resp. unteren Teile der Netzhaut vertreten sind, gegenseitig ineinandergreifen. Um die Verhältnisse der Projektion auf die Sehrinde schematisch darstellen zu können, wollen wir uns vorstellen, dass die an der basal-cerebellaren Fläche des Oceipitallappens gelegene Partie der Area striata so nach hinten und oben emporgehoben ist, dass der absteigende Ast des Suleus splenialis in derselben horizontalen Ebene verläuft wie sein vorderer horizontaler Ast; denken wir uns nun die so umgeformte Sehrinde aus ihren Furchen auseinandergefaltet und das Ganze auf einer Ebene ausgebreitet, so dürfte die Figur eines Ovals entstehen, dessen sagittaler Durchmesser ungefähr zwei- mal so gross ist wie der frontale (sagittaler Durchmesser des an der ersten Windung der Konvexität gelegenen Teils der Area striata ca. 3,0 em; sagittaler Durchmesser des cerebellaren Teils der Area striata von hinten nach vorn ca. 1,5 em; 3,0+1,5 = 4,5 em; frontaler Durchmesser der Area striata zwischen Sule. later. und Sule. splen. nach Auseinanderfaltung der Furchen ca. 2,5 em). Nun glaube ich mir die Projektion so vorstellen zu können, dass jedes wahrnehmende Element der Netzhaut nicht mit einem, sondern mit einer Anzahl von Elementen der Sehrinde, mit einigen allerdings in besonders enger, mit anderen in besonders lockerer Verbindung steht — mit einer Skala von dazwischen gelegenen Verbindungsstufen. Schematisch können wir uns das Projektionsfeld jedes wahr- nehmenden Netzhautelements in der Sehrinde als einen Kreis denken (z. B. Kreis A für das Netzhautelement «); alle Elemente, die innerhalb dieses Kreises liegen, stehen mit dem entsprechenden Zur Physiologie der Sehsphäre. 801 Netzhautelement «@ in Verbindung und werden bei jeder Erregung desselben durch einen optischen Reiz ebenfalls in Erregung versetzt; der Grad der Erregung ist aber nicht für alle Elemente gleich: während im Zentrum des Kreises A dasjenige Rindenelement a oder diejenige Gruppe von Rindenelementen sich befindet, die mit dem wahrnehmenden Element @ der Netzhaut in besonders enger Be- ziehung steht und deshalb bei jeder Erregung desselben besonders stark mitschwingt, nimmt die Enge der Verbindung und dem- entsprechend der Grad der Erregung gegen die Peripherie des Kreises allmählich ab. Die Projektionskreise der einzelnen Netzhautelemente überdecken sich gegenseitig, so dass, was für einen Kreis Zentrum, für den anderen Peripherie ist, oder, physiologisch ausgedrückt, ein und dasselbe Rindenelement (a) kann für ein Netzhautelement. («) Haupt-, für eine Reihe von benachbarten Netzhautelementen (#, y, d...) Nebenerregunesstation sein. Wenn eine Reihe von Netzhautelementen von einem optischen Reiz getroffen wird, so wird auch eine Anzahl von Elementen der Sehrinde in Erregung versetzt, wobei jedes einzelne oder jede einzelne Gruppe dieser Elemente zwar vorwiegend von dem ihm besonders eng zugeordneten Netzhautelement erregt wird, aber auch von den benachbarten Netzhautelementen Neben- erresungen erhält. Die einzelnen benachbarten Gruppen von wahr- nehmenden Elementen der Sehrinde werden gegenseitig konstelliert (Ineinandergreifen der Kreise), und darin dürfte vielleicht die physio- logische Bedingung für die einheitliche Wahrnehmung des Gesehenen gegeben sein; wollte man annehmen, dass jedes Element der Netz- haut nur mit einem Element der Sehrinde in Beziehung steht, so könnte man sich allenfalls das Zustandekommen eines Mosaiks von optischen Empfindungen vorstellen, nieht aber die Entstehung eines _ lückenlosen optischen Bildes. Je stärker die physiologische Inanspruchnahme eines Netzhaut- elements ist (was durch das Mass seiner Entfernung von der Stelle des direkten Sehens bestimmt wird), desto stärker und umfangreicher bilden sieh die Kollateralen in den Endbäumchen der zugehörigen Optieusfasern im Corpus gen. ext. und der corticopetalen Seh- strahlungsfasern in der Hirnrinde aus; desto grösser. wird infolge- dessen die Anzahl der Elemente der Sehrinde, mit denen ein wahr- nehmendes Netzhautelement verbunden ist, oder sein Projektionsfeld ; die Area centralis dürfte dann im Bereich der Sehrinde zwar eben- falls inselförmig vertreten, aber ihr Vertretungsbezirk ein relativ 302 M. Minkowski: sehr grosser sein. In unserer schematischen Darstellung wird das darin seinen Ausdruck finden, dass die verschiedenen Netzhautstelle entsprechenden Projektionskreise um so grösser werden, je näher jene zur Stelle des direkten Sehens liegen, und dass diese den weitaus grössten Projektionskreis besitzt. 0 AR = 4 WA IL a Ci d dı e 01 f fı X ED Tragen wir nun diese Kreise in die auf der Ebene ausgebreitete Figur der Sehrinde ein, indem wir daran festhalten, dass die oberen Teile der Netzhaut im oralen, die unteren im kaudalen Teil der Sehrinde vertreten sind, so werden wir ein Schema erhalten, aus dem, wie ich glaube, die Befunde nach partiellen Exstirpationen derselben sich ohne Schwierigkeiten ableiten lassen. In dieses Schema der Sehrinde sind die Projektionskreise für Zur Physiologie der Sehsphäre, 303 vier!) konzentrische, gleich voneinander. entfernte Netzhautkreise eingetragen; der äussere Netzhautkreis und dementsprechend das äussere Kreissystem in der Sehrinde soll die äusserste lichtempfind- ‚ liche Netzhautperipherie repräsentieren, während der innere Netz- | hautkreis die Area centralis in sich schliessen soll?), welche in dem ; Schema der Sehrinde durch das zentrale System von grossen Kreisen | vertreten wird. Ein Netzhautpunkt wird nur dann dauernd rinden- ‘ plind, wenn sein ganzer Projektionskreis in der Sehrinde ausgeschaltet | ist. Erstreckt sich aber die Ausschaltung nur auf einen Teil eines Projektionskreises, sei es auch seinen zentralen Teil, so tritt keine Rindenblindheit des entsprechenden Netzhautpunktes ein. Jeder Projektionskreis wird, wie oben ausgeführt, durch wahrnehmende ‘ Elemente der Sehrinde gleichmässig ausgefüllt gedacht, die alle mit einem Netzhautpunkt in Verbindung stehen; wenn nun die zentralen Elemente eines Projektionskreises A, die Haupterregungsstation für \ den entsprechenden Netzhautpunkt «, ausfallen, so wird jetzt der Reiz, da seine normale Hauptleitung gesperrt ist, auf Nebenleitungen in toto den in der Peripherie des Projektionskreises A gelegenen ‚ Elementen der Sehrinde zugeführt; es werden dazu schon früher vor- handene und benutzte Leitungen gebraucht, nur mit dem Unterschied, dass, was früher Nebenleitung war, jetzt Hauptleitung wird; darf man dabei überhaupt von einer funktionellen Restitution sprechen, so wird sie sich jedenfalls sehr rasch vollziehen; da aber die in der Peripherie des Projektionskreises A gelegenen Elemente möglicherweise das Zentrum eines benachbarten Projektionskreises 5 und die kortikale Haupterresungsstation für den «& benachbarten Netzhautpunkt £ bilden, so könnte daraus wegen der Überlastung des Projektions- ' kreises D vielleicht ein gewisser Grad von Sehschwäche resultieren; | wahrscheinlich handelt es sich aber dabei stets um ganze Gruppen ' von Elementen, die auch eine gesteigerte Funktion bewältigen können, , wenn nur die anatomischen Voraussetzungen dafür gegeben sind. | Nach diesen Ausführungen wird es klar, warum, bei dem . prinzipiellen Vorhandensein einer Projektion der Netzhaut auf die ) Hirnrinde, kleinere Fxstirpationen, besonders aus zentralen Partien i derselben, kein nachweisbares Skotom und überhaupt keine dauernde \ 1) Eine willkürlich gewählte Zahl. 2) In Wirklichkeit befindet sich die Area centralis des Hundes nicht im 304 M. Minkowski: nachweisbare Sehstörung herbeizuführen brauchen. Eine Exstirpation aus dem zentralen Teil der Sehrinde, die, auf unser Schema über- tragen, dureh die Geraden dd, und ee, begrenzt wäre, müsste, nach- dem die temporären, durch operative Mitschädigung der Umgebung bedingten Symptome sich zurückgebildet haben, nur eine gering- fügige, beim Tier nicht nachweisbare Einschränkung des Gesichts- felds zur Folge haben, während sonst keinerlei Sehstörung zu er- warten wäre (vgl. Beob. 35 und 36). Dass im Gegensatz dazu durch grössere, an den Polen der Seh- rinde ansetzende Exstirpationen dauernde Skotome herbeigeführt werden, lässt sich aus diesem Schema ebenfalls leicht ableiten. Eine Exstirpation, die am oralen Ende der Sehrinde beginnt und kaudal durch die Linie ff, begrenzt wird, wird eine dauernde Rinden- blindheit der oberen Hälfte der nasalen drei Viertel der gekreuzten Netzhaut zur Folge haben, welcher ein dauerndes Skotom in der unteren Hälfte der temporalen drei Viertel des Gesichtsfelds ent- spricht (vel. Beob. 28, 29, 30 und 14a, Exstirpationen vom frontalen Pol der Area striata bis zur Umbiegungsstelle der ersten Windung in die basal-cerebellare Fläche des Oeeipitallappens); erstreckt sich die Exstirpation auf das Gebiet zwischen dem kaudalen Pol der Sehrinde und der Linie cc,, so wird sie in den nasalen drei Vierteln der gekreuzten Netzhaut eine dauernde Rindenblindheit ihrer unteren Hälfte und dementsprechend ein dauerndes Skotom in der oberen Hälfte der temporalen drei Viertel des Gesichtsfelds herbeiführen (vgl. Beob. 21, 31, 13a, Exstirpationen der basal-cerebellaren Partie | der Area striata und des kaudalsten Teils der ersten Windung der Konvexität). Das Gebiet der Sehrinde zwischen den Linien cc, und ff}, den Tangenten von Projektionskreisen, welche äquatorialen wahr- nehmenden Elementen der Area centralis (der Stelle des direkten Sehens) entsprechen, muss sowohl bei frontalen wie bei kaudalen ı Exstirpationen der Sehrinde zerstört werden, wenn die Grenze der funktionsfähigen und amaurotischen Netzhautpartien durch das Zentrum der Area centralis (der Stelle des direkten Sehens) gehen solle Ganz allgemein ausgedrückt muss ein gemeinsames Gebiet | zerstört werden, wenn das Skotom nach kaudalen Operationen | eben dort mit seiner unteren Grenze beginnen soll, wo es nach frontalen Operationen sein oberes Ende findet. Eine experimentelle Bestätigung dieses theoretischen Postulats dürfte vielleicht der Um- - stand liefern, dass der kaudalste Teil der ersten Windung sowohl | Zur Physiologie der Sehsphäre. 305 bei der ersten wie bei der zweiten Gruppe von grossen partiellen Exstirpationen der Area striata zerstört werden musste, damit die Grenze der amaurotischen und erhaltenen Gesichtsfeldpartie dem hori- zontalen Äquator des Auges ungefähr entspreche. Dass nach Exstirpationen, bei denen die ganze Sehrinde mit Ausnahme ihres oralen Pols (des Gebietes frontalwärts von der Linie aa,) zerstört wird, nur die oberste Peripherie der Netzhaut funktionsfähig bleibt, und dass dementsprechend nur in den untersten Teilen des Gesichtsfelds gesehen wird (vgl. Beobachtung 22), be- darf keiner näheren Ausführung; ebensowenig die Tatsache, dass sobald der erhaltene frontale Teil der Area striata etwas grösser wird (kaudale Grenze bb,), auch die Stelle des direkten Sehens zum Teil wieder funktionsfähig ist (vgl. Beobachtung 17, 18, 25). Die Projektion des lateralsten Netzhautteils lässt sich wegen seiner doppelten Versorgung nach einseitigen Exstirpationen nicht direkt feststellen; wenn aber für die ganze gekreuzt innervierte Retina _ eine Projektion auf die Hirnrinde vorhanden ist, so muss sie auch für diesen Netzhautteil bestehen; da aber die ihm entsprechenden | | | | | | N i N ] | | H } & f Teile des Gesichtsfelds zum binokularen Gesichtsfeld gehören, so darf man annehmen, dass er für seine ungekreuzten Fasern kein von den gekreuzt innervierten Retinateilen getrenntes Projektions- feld im Corp. gen. ext. und in der Sehrinde besitzt, dass diese viel- mehr schon im Corp. gen. ext. in gemeinsame Elemente mit Fasern münden, welche aus korrespondierenden Netzhautteilen des ge- kreuzten Auges (aus dem aussenmittleren Netzhautviertel) stammen. Dann muss aber die Projektion der gekreuzt innervierten Retinateile auch für die ungekreuzten Fasern massgebend sein, indem auch für das lateralste Netzhautviertel die oberen Teile im vorderen, die unteren im hinteren Teil der Area striata vertreten sind. Ich ver- füge über eine Beobachtung, welche diese Annahme bestätiet: in Fall 21 war links die hintere Partie der Area striata, rechts die ganze Area striata zerstört. Das nasale Gesichtsfeldviertel war an 1) Nur für die phylogenetisch alten Fasern, welche den lateralsten Netzhaut- teil z. B. des rechten Auges noch gekreuzt versorgen, muss man ein besonderes ' Projektionsfeld im linken Corpus genicul. ext. und in der linken Sehrinde er- ' warten, da sich hier keine Elemente finden, welche korrespondierenden Netzhaut- | punkten des linken Auges entsprechen (das aussenmittlere Netzhautviertel des linken Auges wird in toto vom rechten Corpus gen. ext. und von der rechten Sehrinde versorgt). 306 M. Minkowski: beiden Augen in seiner oberen Hälfte blind, in der unteren er- halten (s. Fig. 42); da von den Areae striatae nur der vordere Teil in der linken Hemisphäre erhalten war, so muss alles Sehen an beiden Augen, auch das in der unteren Hälfte des nasalen Gesichtsfeld- viertels, auf dieses Gebiet zurückgeführt werden, was angesichts der Beziehung jeder Sehrinde zu beiden lateralen Netzhautvierteln keine Schwierigkeiten bietet. Dagegen deutet die Blindheit in der oberen Hälfte des nasalen Gesichtsfeldviertels an beiden Augen darauf hin, dass in den zerstörten hinteren Teilen beider Areae striatae die untere Hälfte nicht bloss der inneren drei Viertel der gekreuzten, sondern auch des lateralen Viertels der gleichseitigen Netzhaut vertreten ist. Aus diesem Kapitel dürfte sich folgendes ergeben: Es besteht eine konstante Projektion der Netz- haut auf die Sehrinde und zwar so, dass im vorderen‘ Teil derselben die oberen, im hinteren die unteren Teile der Netzhaut vertreten sind. Die Projektion! ist aberniehtgeometrischer, sondern physiologischer Natur: jedes wahrnehmende Element der Netzhaut! steht nicht mit einem, sondern mit einem ganzen Areal| von wahrnehmenden Elementen der Sehrinde iin Ver- bindung, mit einigen allerdings in engerer als mit anderen; dieses Areal ist um so grösser, je stärker die physiologische Inanspruchnahme des entsprechenden Netzhautelementes ist, oder je näher es zur Stelle des‘ direkten Sehens liest; auch letztere ist im Bereich der Sehrinde !nselförmig, aber in einem besonders umfangreichen Gebiet vertreten. Die korrespon- dierenden Teile beider Netzhäute haben im Bereich‘ der Sehrinde ein gemeinsames Projektionsfeld. | Wird ein Teil der Sehrinde ausgeschaltet, so’ findet eine Restitution nur insofern statt, als solche” -Elemente der Sehrinde, die früher mit den vorwiegend | betroffenen Netzhautelementen in lockerer Bezie standen (für sie nur kortikale Nebenerregungsstationen ı bildeten), jetzt in besonders enge Beziehung zu ihnen! treten (zu ihren kortikalen Haunkertegung. sia ug werden). Der rasche Eintritt dieser Restitution und ‘ | | N I N | | | ü Zur Physiologie der Sehsphäre. 807 das Versagen derselben bei ausgedehnten partiellen Operationen weisen darauf hin, dass sie sich im wesentlichen in bereits vorhandenen, nieht in neu entstehenden anatomischen Bahnen vollzieht. Diese Auffassung bietet eine genügende Erklärung dafür, dass einerseits kleinere Exstirpationen, be- sonders aus den zentralen Teilen der Sehrinde, keine nachweisbare Sehstörung herbeizuführen brauchen, und anderseits ausgedehnte Operationen, die an den Polen der Sehrinde ansetzen und sich über ein grosses Gebiet derselben erstrecken, ein dauerndes Skotom von konstanter Lage und Konfiguration am gekreuzten Auge bewirken. Am Sehluss dieses Kapitels möchte ich noch bemerken, dass, wenn ich auch hier vom Wesen der Projektion eine relativ selb- ständige Auffassung entwickelt habe, ich es für ein bleibendes Ver- dienst von Munk und Henschen halte, das Prinzip der Projektion der Netzhaut auf die Hirnrinde auf physiologischer resp. anatomisch- klinischer Grundlage entdeckt und nachgewiesen zu haben. X. Die elektrische Reizung des Occipitallappens. Das optisch-motorische Feld. Schäfer!) hat beim Affen festgestellt, dass durch Reizung mit Induktionsströmen von der Rinde des Hinter- hauptlappens aus assoziierte Augenbewegungen herbei- seführt werden; dabei gehen die Augen immer nach der der Reizung entgesengesetzten Seite und zugleich nach unten, wenn die Reizung in der oberen (oder vorderen), nach oben, wenn sie in der unteren (oder hinteren) Zone des Oceipitallappens erfolgt. Schäfer nimmt an, dass diese verschiedenen Augenbewegungen die Folge von begleitenden subjektiven optischen Empfindungen sind, welche durch die Reizung ausgelöst werden, und dass sie Richtungen an- ‘ nehmen, in welchen die Empfindungen nach aussen projiziert werden; ' daraus ergibt sich eine gewisse Verbindung zwischen Teilen der Hirnsehfläche und der Netzhäute. 1) Sehäfer, Experiments on the electric excitation of the visual area of the cerebral cortex in the monkey. Brain 1889. 308 M. Minkowski: Ferner hat Danillo?!) angegeben, dass die assoziierten Augen- bewegungen nach der der Reizung entgegengesetzten Seite bei elektrischer Reizung der weissen Substanz des Hinterhaupt- lappens bestehen blieben, sowohl wenn er die Rinde der vorderen motorischen Region abtrug, wie wenn er durch ca. 1!/e cm tiefen Querschnitt den vorderen Hirntel von dem hinteren trennte. Danillo schliesst daraus, dass die Zentren für die assoziierten Augenbewegungen weder in der motorischen noch in der Oceipital- region der Grosshirnrinde, sondern tiefer gelegen sind. Diesen Schluss bestreitet dann Bechterew?); er glaubt viel- mehr, dass Zentren für konjugierte Augenbewegungen sowohl in der motorischen wie in der Oceipitalgegend liegen. Ihr Vorhandensein im Oceipitallappen könne man „schon daraufhin für bewiesen ansehen, dass nach Schnitten, die ent- sprechend der Lage dieser Zentren die Rinde von den tiefer ge- legenen Teilen trennen, ihre Reizung nicht mehr die gewohnten Bewegungen auslöst“; dagegen stimmt er mit Danillo darin überein, dass es unberechtigt ist, die Augenbewegungen, welche bei elektrischer Reizung des Oceipitallappens zur Beobachtung kommen, auf subjektive Sehempfindungen zurückzuführen, wie dies Schäfer getan hat. Schliesslich hat Rosenbach?) angegeben, dass „die mit Be- ständigkeit vom Oceipitallappen, am besten von einem bestimmten Punkte der Munk’schen Sehsphäre aus zu erzielende seitliche Ablenkung der Augäpfel in allen Fällen auch nach völliger Zer- störung der motorischen Region bestehen bleibt“. Diese interessanten Versuche hat Munk*) in Gemeinschaft mit Obregia°) am Hund wieder aufgenommen und deren Fr- gebvisse für die Richtiekeit seines Projektionsschemas und seiner Abgrenzung der Sehsphäre an der Konvexität des Oceipital- 1) Danillo, im Wratsch 1835 Nr. 48 (russ). 2) Bechterew, Über die Erregbarkeit verschiedener Hirnbezirke bei neu- geborenen Tieren. Neurol. Centralbl. 1559 S. 513. 3) Rosenbach, Zur Frage über die epileptogene Eigenschaft des hinteren Hirnrindengebietes. Neurol. Zentralbl. 1889 S. 249, 4) Munk, Über die Funktionen der Grosshirnrinde. Ges. Mitt. 8. 293—313. Berlin 1890. 5) Obregia, Über Augenbewegungen auf Sehsphärenreizung. Arch. £. Anat. u. Physiol. 1390. Physiol. Abt. Zur Physiologie der Sehsphäre. 309 lappens in Anspruch genommen. Munk und Obregia fanden, dass von der Konvexität des Oceipitallappens asscziierte Augen- bewegungen nach der der Reizung entgegengesetzten Seite herbei- geführt werden, und zwar gehen die Augen zugleich nach unten, wenn die Reizung in der vorderen, nach oben, wenn sie in der hinteren Zone der Sehsphäre erfolgt. Von der intermediären Zone erhält man entweder reine Seitenbewegungen oder von der Mitte der Stelle A, Konvergenzbewegungen, wenn die Augen im Moment der Reizung divergent waren. Die besten Reizeffekte erhält man von der inneren Hälfte der zweiten Windung (Gyrus ecetolateralis). Diese Augenbewegungen bleiben auch erhalten, nachdem die Oceipitalrinde durch einen Frontalscehnitt von der motorischen Region abgetrennt worden ist, und Munk schliesst daraus (in Übereinstimmung mit Bechterew und Rosenbach), „dass gewisse Augenbewegunsen vor allen anderen Bewegungen, welche Folgen des Sehens sind, dadurch ausgezeichnet sind, dass sie auf dem nächsten und kürzesten Wege durch Radiärfasern der Sehsphäre zustande kommen“. Diese Augen- bewegungen führen Munk und Obregia und zuletzt auch Berger!) auf subjektive Lichtempfindungen zurück, welche bei elektrischer Reizung des Oceipitallappens in verschiedenen, und zwar gerade in jenen Teilen des Gesichtsfelds entstehen, nach welchen die assoziierten Bewegungen der Augen gerichtet sind. Wenn also bei Reizung des hiuteren Teils der zweiten Windung eine assoziierte Augenbewegung nach oben erfolet, so geschehe das, weil durch die Reizung ein optischer Eindruck im oberen Teil des Gesichtsfelds geweckt werde. Und da die Richtung der Augenhewegungen dem auf Grund von Exstirpationsversuchen konstruierten Projektionsschema entspricht, so sieht Munk darin einen neuen Beweis für die Richtigkeit derselben. Es sind hier zwei Momente auseinanderzuhalten: der experi- mentelle Tatbestand und seine Deutung, d. h. die Zurückführung der assoziierten Augenbewegungen auf subjektive Liehtempfindungen. Es lag für mich Veranlassung genug vor, diese Experimente nach- zuprüfen und deren Deutung zu analysieren; namentlich hatte ich festzustellen, ob Reizeffekte von der Area striata, also besonders von der medialen und cerebellaren Fläche des Oeceipitallappens, er- hältlich sind. 1) Berger, Experimentelle Untersuchungen über die von der Sehsphäre aus ausgelösten Augenbewegungen. Monatsschr. f. Psych. u. Neuro]. Bd. 9. 1901. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 21 310 M. Minkowski: Zur Narkose benutzte ich im Gegensatz zu Exstirpationsversuchen nur Äther, da, wie Obregia angibt, und wie ich mich selbst über- zeugt habe, Morphium die elektrische Reizbarkeit des Oceipitallappens aufhebt. Nach Anlegung einer breiten Knochenlücke wurde die Dura gespalten, und das Duraläppchen über dem ganzen Oceipital- lappen weggeschnitten. Die Reizungen wurden vorgenommen, nach- dem der Hund aus der Narkose ganz oder fast ganz erwacht war; manche Hunde werden dabei sehr unruhig, winseln und wälzen sich und müssen von Zeit zu Zeit von neuem leicht narkotisiert werden; andere verhalten sich auffallend ruhig. Die blossliegende Rinde habe ich oft mit lauwarmer physiologischer Kochsalzlösung irrigiert und mit darin eingetauchten Wattebäuschen bedeckt; dadurch gelang es mir am besten, die bei der Reizung rasch sinkende Erregbarkeit des Oeceipitallappens wieder zu heben. Zur Reizung benutzte ich ein du Bois-Reymondsches Schlitteninduktorium; es wurde stets die bipolare Reizung mit geknöpften Platinelektroden von 2—3 mm Ab- stand angewendet. Bei manchen Hunden konnte selbst bei maximaler Stromstärke nicht der geringste Reizeffekt erzielt werden, auch nachdem sie aus der Narkose völlig erwacht waren. Versuch I. I hinten !): wiederholt ohne Effekt. Ila hinten: deutliche und ausgiebige Bewegung beider Augen nach der ent- gegengesetzten Richtung und nach oben; zugleich Erweiterung der Pupille. IIb hinten: dieselbe Bewegung wie von Ila hinten, nur weniger ausgiebig. I Mitte: meistens ohne Effekt, zuweilen kleine horizontale kontralaterale Bewegungen. IIa Mitte und IIb Mitte: meist schwache horizontale kontralaterale Be- wegungen. | I vorne: meistens ohne Effekt. Ila vorne: Bewegungen nach der entgegengesetzten Seite und zugleich nach unten. Ilb vorne: dieselbe Bewegung wie von Ila vorne, nur weniger ausgiebig. Die wiederholte Reizung der inneren Partie der ersten Windung an der Konvexität, deren medialer Fläche und der cerebellaren Fläche des Oceipital- lappens bleibt vollkommen ergebnislos. 1) In diesen Protokollen bezeichne ich mit römischen Zahlen die gereizte Windung der Konvexität, von der sagittalen Längsfurche an gerechnet. I = Gyr. marginalis, IIa — Gyr. ectolateralis, IIb — Gyr. suprasylvius, III = Gyr. ecto- sylvius med. Ferner wird die Stelle der gereizten Windung als „hinten“ be- zeichnet, wenn sie sich nahe an der kaudalen Kante des Oceipitallappens (nicht als 0,5 cm davon) befindet; „Mitte“ bezeichnet ein Gebiet 0,5—1,5 cm, mehr „vorne“ 1,5—2,0 cm von der kaudalen Kante. ' Augen nach unten. Zur Physiologie der Sehsphäre. 3 Versuch II. IIa hinten: deutliche und ausgiebige Bewegungen beider Augen nach der entgegengesetzten Seite und zugleich nach oben. Ia Mitte: zur Erzielung eines Reizeffektes bedarf es stärkerer Ströme als von Ila hinten: es erfolgen unausgiebige. horizontale Bewegungen nach der ent- gegengesetzten Seite. IIa vorn: kontralaterale Bewegungen, oft rein horizontal, zuweilen auch etwas nach unten. Von der medialen und cerebellaren Fläche des Oceipital- lappens gelingt es kein einziges Mal, eine Augenbewegung auszulösen. Versuch II. Ila hinten: ausgiebige Bewegungen beider Augen nach der entgegengesetzten Richtung und nach oben; zugleich Erweiterung der Lidspalten durch Hebung der oberen Lider und Dilatation der Pupillen. IIb hinten: derselbe Effekt wie von Ila hinten, nur weniger ausgiebig und bei stärkeren Strömen. IIa Mitte und IIb Mitte: horizontale kontralaterale Bewegungen. Ia vorn: kontralaterale Bewegungen, zugleich etwas nach unten. IIb vorn und III: ohne Effekt. Von der medialen und cerebellaren Fläche des Oceipitallappens und von der inneren Hälfte der ersten Windung an der Konvexität sind auch mit den stärksten Strömen nur zuweilen schwache horizontale Bewegungen auslösbar; vergleichsweise wird stets auch die am meisten erregbare Stelle in Ila hinten gereizt, von wo aus jedesmal ausgiebige kontralaterale Bewegungen nach oben erfolgen. Es wird ein Frontalschnitt 2,5 cm von der hinteren Kante nach Munk angelegt, wonach der Reizefiekt von Ila hinten erhalten bleibt. Versuch IV. IIa hinten: prompte kontralaterale Bewegungen beider Augen nach oben. Ib hinten: wie von IIa hinten, nur weniger ausgiebig. IIa Mitte: kontralaterale, zugleich nach unten gerichtete Bewegungen beider | Augen. Ila vorn und IIb vorn: ohne Effekt. Von der medialen und cerebellaren Fläche des Oceipitallappens ist bei | wiederholter Reizung kein Effekt erzielbar. Nach Anlegung eines Frontalschnittes, der 2,5 cm nach vorne von der | kaudalen Kante verläuft, den Balken (unbeabsichtigt) durchtrennt und an der Konvexität bis zum horizontalen Ast des Sulcus suprasylv. reicht, bleiben die Versuch V. Ha hinten: langsame, kontinuierliche Bewegungen beider Augen, meistens , gerade nach oben, zuweilen auch etwas kontralateral. IIa vorn, ca. 2,0 cm von der hinteren Kante: langsame Bewegung beider 21 * 32 M. Minkowski: Von der intermediären Zone erhält man keine Reizeffekte; auch von der cerebellaren Fläche des Oceipitallappens sind keine Bewegungen erzielbar, von der medialen Fläche des Gyr. marginalis zuweilen Bewegungen beider Augen nach innen (Konvergenzbewegungen ?). Fassen wir das Ergebnis dieser Versuchsreihe zusammen, so folgt daraus in Übereinstimmung mit Munk und Obregia, dass von der Konvexität des Oceipitallappens, besonders von der inne- ren Hälfte der zweiten Urwindung (Gyrus ectolate- ralis) assoziierte Augenbewegungen erzielbar sind, dass dieselben erhalten bleiben, nachdem durch einen Frontalscehnitt der Oceipital- lappen von der motorischen Region abgetrennt woraen ist (Ver- suche III und IV), und dass somit eine direkte corticofugale Bahn vom Oceipitallappen zu den subeorticalen Augenmuskelkernen be- stehen muss. Auch bezüglich der Richtung dieser Bewegungen kann ich die Angaben von Munk und Obregia bestätigen, wonach vom hinteren Ende des Gyrus ectolateralis, dicht vor dem ab- steigenden Ast des Suleus lateralis, Augenbewegungen nach oben, und von einer weiter vorn (ca. 2,0 von der kaudalen Kante) ge- legenen Stelle, ebenfalls im Gyrus eectolateralis, Augenbewegungen nach unten ausgelöst werden; dabei gehen die Augen zugleich nach der der Reizung entgegengesetzten Seite; von der inter- mediären Zone habe ich meistens nur wunausgiebige horizontale Bewegungen nach der entgegengesetzten Seite gesehen; von Kon- vergenzbewegungen, wie sie nach Munk bei der Reizung der Mitte der Stelle A, auftreten, habe ich mich nicht überzeugen können, auch wenn die Augen im Moment der Reizung divergent waren. Die Augenbewegungen sind oft, aber durchaus nicht regel- mässig, von einer Erweiterung der Lidspalten durch Hebung des oberen Lides und einer Dilatation der Pupillen begleitet. Ähnliche Fr- gebnisse, nur von geringerer Ausgiebigkeit und bei stärkeren Strömen, sind oft auch von der äusseren Hälfte der zweiten Windung (Gyr. supra- sylvius) erhältlich. Dagegen lassen sich — und darauf möchte ich be- sonderen Wert legen, da ich diesen Punkt bei meinen Reizversuchen in erster Linie berücksichtist habe — von der Area striata, also von der medialen und cerebellaren Fläche des Oceipitallappens und von der inneren Partie der ersten Windung an der Konvexität | meistens gar keine, gelegentlich unausgiebige und unregelmässige © Augenbewegungen auslösen. Es ergibt sich daraus die interessante N Tatsache, dass, während die Area striata derjenige Rindenteil ist, ! der allein zur ersten Rezeption von optischen Eindrücken befähigt ist, | Zur Physiologie der Sehsphäre. 313 die Foci für assoziierte Bewegungen der Augen sich ausserhalb der- selben, wenn auch in unmittelbarer Nachbarschaft, an der inneren Hälfte der zweiten Urwindung befinden (Fig. 53). Sollte die Munksche Auffassung richtig sein, wonach diese bei elektrischer Reizung des Oceipatallappens auftretenden Augen- bewegungen auf subjektiven Lichtempfindungen beruhen, so müsste man gerade bei der Reizung der Area striata die ausgiebigsten und lebhaftesten Augenbewegungen erwarten; dies ist aber durchaus nicht der Fall. I SIEruerates --.5.Coronalıs. SENSORY.... 1° Homologue of Rolando EcrosvLvian.ag - SSuhrasylvius ECTOSYLVIAN.B ....Y en SEctolaleralis. PRRIETAL: 2 NE 7 S Postlateralis. ee Fig. 53. Links cytoarchitektonische Karte der Hemisphäre des Hundes nach Campbell; rechts sind (mit Pfeilen) die Stellen bezeichnet, von denen aus bei elektrischer Reizung des Ocecipitallappens mit der geringsten überhaupt wirk- samen Stromstärke associierte Augenbewegungen auslösbar sind; bei Reizung der Stelle 4 gehen die Augen meistens nach der entgegengesetzten Seite und zu- gleich nach oben, bei Reizung der Stelle y nach der entgegengesetzten Seite und zugleich nach unten. Ich glaube, dass Munk aus experimentell richtigen Tatsachen 1 unberechtigte Schlüsse gezogen hat; denn wenn man von be- ) stimmten Stellen der Hirnrinde aus bei elektrischer Reizung einen " Bewegungseffekt (in diesem Fall Augenbewegungen) erhält, so kann | man daraus bloss folgern, dass an diesen Stellen Foci von moto- rischen Elementen für die entsprechende Bewegung gelagert sind; ‚| dagegen ist es unzulässig, daraus auf subjektive Empfindungen zu - sehliessen; mit gleichem Recht könnte man behaupten, dass bei \ elektrischer Reizung der vorderen Zentralwindung eine Bewegung 314 M. Minkowski: z. B. des Armes nur deswegen erfolgt, weil darin eine Sensation ausgelöst wird. Wohl aber ist im allgemeinen anzuerkennen, dass solehe Foeci sich in nächster Nähe von Rindenelementen befinden, welche durch von der Peripherie zuströmende Reize in erster Linie in Erregung versetzt werden; auch hier scheinen ähnliche Verhält- nisse vorzuliegen. Die Reizpunkte für die nach verschiedenen Richtungen erfolgenden assoziierten Augenbewegungen befinden sich in unmittelbarer Nach- barschaft derjenigen Teile der Area striata, in welchen die ent- sprechenden Gesichtsfeldteile vertreten sind. Wir haben uns davon überzeugt, dass im hinteren Teil der Area striata (hauptsächlich an der cerebellaren Fläche des Oceipitallappens) die oberen, im vorderen (hauptsächlich an der medialen Fläche der ersten Windung) die unteren Teile des Gesichtsfelds ihr Projektionsfeld haben; der elek- trische Reizversuch zeigt aber, dass vom hinteren Teil des Gyrus ectolater. assoziierte Augenbewegungen nach oben, vom vorderen nach unten ausgelöst werden; und da ist wohl der Schluss gerecht- fertigt, dass es sich hier nicht um eine zufällige anatomische Nach- barschaft, sondern um einen funktionellen Verband handelt, in dem die Area striata und der kaudale Teil der zweiten Windung der Konvexität eng miteinander verknüpft sind. Wir finden hier die experimentelle Bestätigung einer von v. Monakow geäusserten An- nahme. „Die Projektion der Retina hängt offenbar aufs engeste mit der cortiealen Lokalisation der durch Lichtreize angeregten asso- ziierten Augenbeweeungen zusammen; und die räumlich feste eortieale Repräsentation der verschiedenen Augen- bewegungsarten (ebenfalls in der Sehsphäre) ist es, welche vor allem eine scharfe Projektion der Netzhautabschnitte (im Sinne von physiologisch geforderten Wechselbeziehungen zwischen bestimmten Retinapunkten und bestimmten corticalen Innervationspunkten für die Augenbewegungen) notwendig macht“ !). Diese prinzipiell richtige Auffassung ist nach meinen Ergebnissen dahin zu präzi- sieren, das im Bereich des Oceipitallappens bezüglich der Re- zeption von optischen Eindrücken und deren motorischer Beant- wortung (vor allem der assoziierten Einstellungsbewegungen der Augen auf Lichtreize, die in verschiedenen Teilen des Gesichtsfelds auftauchen) eine ähnliche, auch räumliche Trennung von rezeptorischen 1) v. Monakow, Über den gegenwärtigen Stand der I'rage nach der Lokalisation im Grosshirn. Ergebn. d. Phvsiol. 1902. Zur Physiologie der Sehsphäre. 315 und eflektorischen Elementen besteht, wie sie auf anderem Gebiete für die hintere und vordere Zentralwindung bei Primaten an- genommen wird. Die Sehsphäre in engerem Sinne oder das optisch sensorische Feld, welches allein zur ersten Re- zeption von optischen Eindrücken befähigt ist, deckt sich mit der Area striata. In unmittelbarer Nachbarschaft da- von, im Gyrus ectolateralis, befindet sich ein optisch- motorisches Feld, ein Gebiet von vorwiegend effektorischen Elementen, deren physiologische Aufgabe in erster Linie darin be- steht, eine direkte Beantwortung der optischen Reize durch moto- rische Reaktionen zu bewirken. Von diesen Reaktionen zeigt uns der elektrische Reizversuch nur die assoziierten Augenbewegungen, wobei die Projektionsfelder der verschiedenen Netzhautabschnitte in der Area striata und die Foeci für die entsprechenden Einstellungs- bewegungen der Augen besonders nahe aneinander liegen. Die Ein- stellungsbewegungen der Augen sind aber nicht die einzigen moto- rischen Reaktionen, welche vom optisch-motorischen Feld aus bewirkt werden; auch die beim elektrischen Reizversuch oft erzielbare Er- weiterung der Lidspalten gehört hierher. Nach den Ergebnissen meiner Konvexitätsoperationen, welche meistens eine Herabsetzung des Blinzelreflexes am gekreuzten Auge zur Folge hatten, möchte ich ferner mit Ziehen annehmen, dass auch „der Orbicularis oeuli, ähnlich wie die Bulbusbewegungen auch in der Sehsphäre!), un- mittelbar vertreten ist“. Bei allen diesen Bewegungen handelt es sich um elementare motorische Reaktionen auf optische Eindrücke, wobei die Erregung von den rezeptorischen Elementen der Area striata auf die effektorischen Elemente des optisch-motorischen Feldes und weiter durch corticofugale Radiärfasern auf subcorticale Kerne übertragen wird. Ich möchte aber mit Munk glauben, dass auch gewisse Prinzipalbewegungen des Kopfes, des Rumpfes und der Ex- tremitäten auf diesem Wege (ohne Vermittlung der motorischen Resion) durch optische Eindrücke herbeigeführt werden können’). Auch v. Monakow nimmt an, „dass ausser der eigentlichen moto- rischen Zone eine ganze Reihe von über den ganzen Cortex zer- streuten, im speziellen Dienst der Repräsentationsstätten der primären Sinneszentren stehenden und in die physiologische Organisation letzterer fest eingegliederten motorischen Reizpunkten vorhanden ist, 1) Nach meiner Auffassung im optisch-motorischen Felde. 2) Dass sie elektrisch nicht auslösbar sind, ist jedenfalls kein Gegenbeweis. 816 M. Minkowski: mit anderen Worten, dass die Motilität im Cortex fast in allen Sphären, nur nach etwas verschiedenen Grundsätzen, repräsentiert ist“. Das optisch-motorische Feld dürfte ein derartiges in den Dienst der Sehfunktion resp. ihres Rindenzentrums (der Area striata) gestelltes motorisches Gebiet darstellen, von welchem aus einfache Reaktionen auf optische Eindrücke, wie Einstellungsbewegungen der Augen, Schutzbewegungen der Lider und vielleicht auch gewisse optisch ausgelöste Prinzipalbewegungen des Rumpfes, des Kopfes und der Extremitäten ohne Vermittlung der motorischen Region, d. h. durch direkte Übertragung auf subeorticale motorische Zentren, herbei- seführt werden. Wenn ich von einem optisch-sensorischen und optiseh-motorischen Feld!) in der Grosshirnrinde spreche, so will ich damit nicht sagen, dass das eine nur afferente, das andere nur efferente Projektions- fasern besitzt. Ich glaube vielmehr, dass es reine Sinnessphären in der Grosshirnrinde ebensowenig gibt wie rein motorische Bezirke, und will mit diesen Benennungen nur auf die charakteristische physiologische Funktion und den überwiegenden Charakter der Stab- kranzfaserung beider Rindengebiete hinweisen. Dass die Area striata auch über cortieofugale Radiärfasern verfügt, geht schon daraus her- vor, dass in ihr Zellen vom Riesenpyramidentypus (Meynertsche Solitärzellen) vorhanden sind, welche nach Dürchschneidung der inneren Kapsel degenerieren (v. Monakow). In das optisch- motorische Feld müssen dagegen auch corticopetale Fasern ein- strahlen; nur handelt es sich nicht um Fasern, deren auf die Hirn- rinde übergreifende Erregung eine Lichtempfindung (Empfindung von Farbe, Helligkeit usw.) vermittelt; denn dies kann nur durch Fasern geschehen, die in die Area striata münden (vel. Kap. VD). Vermutungsweise darf wohl ausgesprochen werden, dass in das optisch-motorische Feld nicht-optische zentripetale Fasern des sagittalen Marks einstrahlen, deren physiologische Aufgabe darin besteht, der Hirnrinde gewisse, auf dem jeweiligen Kontraktionszustand der Augenmuskeln ?) (vielleicht auch auf Spannungszuständen der Sklera und Druckverhältnissen in der Orbita) beruhende Impulse zu über- 1) Die Ausdrücke „optisch-sensorisches“ und „optisch-motorisches“ Feld sind, soweit ich die Literatur überblicke, zuerst von H. Sachs benutzt worden. 2) Nach Sachs auf dem Innervationszustand des motorischen Höhlengraus, indem „die Intätigkeitsetzung der motorischen Ganglienzellen der Augenmuskel- kerne von seiten des Kombinationsfasersystems derselben“ vermittels einer zentri- petalen Leitung der Grosshirnrinde gemeldet wird. en ann mund a en Tee en eher Zur Physiologie der Sehsphäre. 817 mitteln, die nach einer verbreiteten physiologischen Hypothese (Wundt) die Grundlage zum Aufbau von räumlichen Vorstellungen bilden. Für eine tiefere Analyse der kortikalen Repräsentation für verschiedene Komponenten des Sehakts bieten die experimentellen Ergebnisse am Hund keine genügende Grundlage; wenn ich daher die Vermutung ausspreche, dass das optisch-motorische Feld nicht bloss Foei von motorischen Elementen für assoziierte Augenbewegungen und einige andere optisch ausgelöste Reaktionen enthält, sondern dass es auch zentripetale Impulse durch Projektionsfasern empfängt, welche Augenmuskelempfindungen der Hirnrinde übermitteln, so stütze ich mich auf allgemeine theoretische Überlegungen (die Not- wendigkeit einer sensiblen Kontrolle für die Augenbewegungen, deren elektrisch nachweisbare Foci für das optisch-motorische Feld gerade charakteristisch sind) und einige Beobachtungen beim Affen!) und Menschen, wonach Exstirpationen oder Herde in der Umgebung der Area striata zuweilen Störungen beim Sehen herbeiführen, die nur von einer Beeinträchtigung der Augenbewegungen und -empfindungen, nicht von einer Störung der Lichtempfindung abgeleitet werden können (Störungen der Tiefenlokalisation und des Fixierens der Objekte im Sehraum bei guter Sehschärfe); solche Beobachtungen haben ebenfalls zu der Annahme eines von dem optisch-sensorischen oder dem Lichtfeld getrennten optisch-motorischen Feldes geführt, an welches die Augen- empfindungen und -bewegungen gebunden sind, und wo der motorische Anteil oder jene Funktion des Sehens lokalisiert ist, welche Form, Relief, Grösse der gesehenen Dinge und teilweise auch ihre gegen- seitige Lage im Gesichtsfeld erkennen lässt (Sachs, Pick). Das optisch-sensorische und optisch-motorische Feld bilden jeden- falls in ihrer Gesamtheit ein physiologisch eng zusamm enhängendes sich gegenseitig unterstützendes System, ein optisches Senso-, motorium. Der erste eigentlich optische Eindruck entsteht in dder Area striata; zur Fixierung der örtlichen Zeichen bedarf es aber wohl einer Mitwirkung derjenigen Kortexteile, wo die Mobilmachung der verschiedenen Bewegungsrichtungen der Augen ihren Ursprung nimmt. Und da ist es in hohem Grade zweckmässig, dass die durch verschiedene Netzhautabschnitte vermittelten optischen Reize auf die Hirnrinde in nächster Nähe der Foei für diejenigen Muskelgruppen einwirken, welehe jene Eindrücke genau im Sinne der räumlichen Herkunft des Reizes zu beantworten haben. Dass 1) Munk, Exstirpationen des Gyrus angularis. 318 NL, Minikorreikta tatsächlich etwas Derartiges vorliept, lehrt uns der elektrische Reiz- versuch, wonach die Foei für die Augenbewegungen nach oben—hinten, uach unten— vorne an der zweiten Windung der Konvexität liegen, also in unmittelbarer Nachbarschaft derjenigen Gebiete der Area striata, wo die entsprechenden Gesichtsfeldteile vertreten sind. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass das optisch- sensorische Feld sich mit einem cytoarchitektonisch scharf charak- terisierten Rindenbezirk, der Area striata, deckt, und da ich mit Brodmann der Ansicht pin, dass „wer physiologische Lokalisations- arbeit leisten will, seinen Forschungen die Ergebnisse der histo- logischen Lokalisation wird zugrunde legen müssen“, habe ich mich darüber zu orientieren gesucht, ob die Cytoarchitektonik auch für die Begrenzung des optisch-motorischen Feldes einige Anhaltspunkte liefert. Eine eytoarchitektonische Karte der ganzen Hemisphäre des Hundes ist meines Wissens nur von Campbell angegeben (s. Fig. 23 bis 25); hier ist die Area striata von einem Rindentypus umsäumt, welchen er als „parietal area“ bezeichnet; derselbe nimmt nach aussen vom Suleus lateralis die innere Hälfte der zweiten Windung (Gyrus ectolateralis) ein, geht aber dann am vorderen Raud der Area striata auf die erste Windung und auf die mediale Fläche der Hemisphäre über. Der nach aussen vom Suleus lateralis befindliche Teil dieser Area entspricht im grossen ganzen jenem Rindenbezirk, von dem aus man bei elektrischer Reizung mit der geringsten über- haupt wirksamen Stromstärke Augenbeweguneen auslösen kann (auch von der äusseren Hälfte der zweiten Windung [Gyr. suprasylvius] erhält man zuweilen assoziierte Augenbewegungen, dieselben treten aber bei grösseren Stromstärken ein und sind weniger ausgiebig). Über diese tatsächlichen Feststellungen möchte ich nicht hinausgehen, da ich die aufgeworfene Frage einerseits wegen der bis jetzt un- genügenden eytoarchitektonischen Erforschung der Grosshirnrinde des Hundes, anderseits wegen der Schwierigkeit auf Grund von elek- trischen Reizversuchen ein physiologisches Areal abzugrenzen, noch nicht für spruchreif halte. XI. Anatomische Ergebnisse. Da der oculomotorische Effekt bei elektrischer Reizung des Oeeipitallappens auch nach Anlegung eines Frontalschnitts erhalten bleibt, welcher den Oceipitallappen von der motorischen Region ab- trennt (Rosenbach, Munk und Obregia, meine eigenen Ver- suche III und IV), so ist das Vorhandensein einer cortieofugalen Zur Physiologie der Sehsphäre. 319 Bahn, welche den Oceipitallappen mit den subcorticalen motorischen Kernen direkt verbindet, physiologisch sichergestellt. Auch anatomisch ist an dem Bestehen einer derartisen Bahn nicht zu zweifeln. v. Monakow, der sich um die anatomische Erforschung der optischen Leitung die grössten Verdienste erworben hat, lässt den cortico- fugalen Anteil der Sehstrahlung aus den grossen Pyramidenzellen der Sehrinde (Meynertsche Solitärzellen) entspringen und im vorderen Zweihügel, vielleicht auch im Corp. gen. ext. sein Ende finden ). Probst hat den Verlauf der corticofugalen „Rinden-Sehhügelfasern“ an der Hand von frischen Degenerationen stadiert?); zu diesem Zweck hat er zirkumskripte Exstirpationen im Bereich des Oeceipitallappens bei Hunden und Katzen vorgenommen, die Tiere nach 2—3 Wochen getötet und die Gehirne an Frontal- serien nach Marchi bearbeitet. Bei dieser kurzen Zeit konnte man annehmen, dass die Degeneration nur die corticofugale Bahn ergriffen, und nicht schon eine retrograde Degeneration in der corticopetalen Leitung stattgefunden hatte. Der ganze Verlauf und die Endaus- breitung der degenierten Fasern konnten genau festgestellt werden. Nach Probst zieht der corticofugale Anteil der Sehstrahlung ini Stratum sag. med., er splittert sich auf im Pulvizar, im Corp. gen. ext. (nur zu einem geringen Teil), in den lateralen Sehhügelkernen, im oberflächlichen Mark und Grau des vorderen Vierhügels und im Brückengrau, wohin er durch die innere Kapsel und den oceipitalen Anteil des Hirnschenkelfusses gelangt. Ich habe ebenfalls einige Gehirne nach zirkumskripten Exstirpationen im Bereich des Oeceipital- lappens (entweder aus der Aria striata oder aus der zweiten Windung der Konvexität) nach Marehi untersucht und die Angaben Probsts in allen wesentlichen Punkten bestätigt gefunden (nur davon habe ich mich nicht überzeugen können, dass nach einseitiger Exstirpation auch im gekreuzten vorderen Vierhügel Degenerationen zu finden sind); ich habe es daher nicht nötig, über meine diesbezüglichen Ergebnisse ausführlich zu berichten, und möchte nur einen Umstand besonders hervorheben. Aus meinen experimentellen Untersuchungen ergibt sich, dass das optisch-sensorische Feld sich mit der Area striata deckt; 1) vv Monakow, Experimentelle und pathologisch-anatomische Unter- suchungen über die optischen Zentren und Bahnen, nebst klinischen Beiträgen zur corticalen Hemianopsie und Alexie. Arch. f. Psych. Bd. 20, 23, 24. 2) Probst, Über den Verlauf der zentralen Sehfasern. Arch. f. Psych. 1901 S. 22. 320 M. Minkowski: anatomisch ausgedrückt bedeutet das, dass jene Fasern der Seh- strahlung, welche die erste eigentlich optische Empfindung ver- mitteln, in toto in dieses Rindengebiet einmünden; anderseits zeigt der elektrische Reizversuch, dass das optisch-motorische Feld mit der Area striata nicht zusammenfällt, sondern ausserhalb derselben, wenn auch in unmittelbarer Nachbarschaft, sich befindet; man muss danach annehmen, dass der corticofugale Anteil der Sehstrahlung wenn auch nicht ausschliesslich, so doch wenigstens vorwiegend, ausserhalb der Sehrinde seinen Ursprung nimmt. Wenn diese Auffassung richtig ist, so ist nach Exstirpationen aus der zweiten Windung der Konvexität des Oceipitallappens (des optisch-motorischen Feldes) eine ausgiebigere Degeneration zu er- warten, als nach gleichgrossen Exstirpationen aus der Area striata, vorausgesetzt selbstverständlich, dass nur die corticofugale Bahn degeniert (und das dürfte der Fall sein, wenn man die Tiere 2—3 Wochen nach der Operation tötet). In einem Fall!) (s. Beob. 33 S. 295), wo ich gleichgerosse Stücke der Rinde links aus der Area striata, rechts aus der zweiten Windung der Konvexität des Oceipital- lappens exstirpiert hatte, war dies tatsächlich der Fall. Besonders deutlich war der Unterschied bezüglich der Degeneration im Br. quadr. ant. und im oberflächlichen Mark und Grau des vorderen Vierhügels, wo die Degeneration links nur unbedeutend, rechts be- trächtlich war; man darf wohl annehmen, dass diese Fasern zu den Augenmuskelkernen durch Vermittlung von Assoziationsneuronen in Beziehung stehen und das anatomische Substrat für die Über- tragung von kortikalen Impulsen auf die Kerne der Augenmuskel- nerven bilden (dass diese Übertragung eine indirekte ist, und „be- stimmte Assoziationszellen zwischen die corticalen Verbindungs- und die Ursprungselemente der Augenbewegungen eingeschoben sind“, nimmt auch v. Monakow an, und es dürfte vielleicht darin eine Krklärung für die Schwierigkeit der Auslösung von Augenbewegungen bei elektrischer Reizung des Oeceipitallappens gegeben sein). Jeden- falls scheint das anatomisehe Ergebnis mit dem elektrischen darin übereinzustimmen, dass eigentliche Foci von motorischen Elementen für kortikale Augenbewegungen ausser- halb derAreastriata (desoptisch-sensorischen Feldes) liegen. 1) Bei den übrigen, nach Marchi untersuchten Gehirnen handelte es sich um einseitige oder doppelseitige symmetrische Operationen. Zur Physiologie der Sehsphäre. 321 Xll. Nachtrag. Ich hatte meine Experimente bereits abgeschlossen, deren Er- gebnisse in einem Vortrag in der vierten Jahresversammlung der Gesellschaft deutscher Nervenärzte am 6. Oktober 1910 mitgeteilt und auch die ausführliche Bearbeitung, wie sie hier vorliegt, bis auf die letzten Kapitel beendigt, als mir eine Mitteilung von Geheimrat Munk: „Zur Anatomie und Physiologie der Sehsphäre der Gross- hirnrinde“ zugänglich wurde, die er am 17. Juli 1910 in der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften vorgelesen hatte, die aber erst am 8. Dezember 1910 im Druck erschien. Da Munk hier zu den Ergebnissen der cytoarchitektonischen Forschung der Grosshirn- rinde in ihrer Bedeutung für die Physiologie Stellung nimmt und speziell die Beziehungen der Area striata zu der physiologischen Sehsphäre erörtert, sehe ich mich veranlasst, diese Publikation in einem Nachtrag zu besprechen. Was zunächst die Ausdehnung der Sehsphäre beim Hund be- trifft, so gibt Munk zu, dass dieselbe sich mit der Area striata deckt, dass „allgemein in der Area striata das anatomische Substrat der physiologischen Sehsphäre zu sehen ist“; in dieser Erklärung kann ich nur eine erfreuliche Übereinstimmung mit meinen eigenen Ergebnissen erblicken; wenn aber Munk die Abweichung der lateralen Grenze seiner Sehsphäre an der Konvexität des Oecceipitallappens von den Grenzen der Area striata hauptsächlich durch Schwan- kungen in der Ausdehnung letzterer zu erklären sucht, so glaube ich, dass er zu weit geht. Die Munksche Sehsphäre erstreckt sich nämlich an der Konvexität des Oeeipitallappens bis zum Suleus suprasylvius, also um den ganzen binteren Teil der zweiten Windung (Gyrus ectolateralis et suprasylvius) weiter lateralwärts als die Area Striata, die nach Campbell bis zum Suleus lateralis reicht. Wenn aber Brodmann behauptet, dass die Area striata beim Hund fast ausschliesslich auf der Medialfläche liegt und „nur den dorsalsten Teil des Gyrus marginalis nächst der oberen und hinteren Mantel- kaute bedeckt“ !), so scheint daraus hervorzugehen, dass bei Schwankungen in der Verbreitung der Area striata bei verschiedenen Hunderassen ihre laterale Grenze eher nach innen als nach aussen vom Suleus lateralis zu suchen ist, dass der Suleus lateralis, von dem auch nach Campbell nur die mediale Lippe von der Area 1) Brodmann, Vergleichende Lokalisationslehre der Grosshirnrinde. Leipzig 1909. 3223 M. Minkowski: striata eingenommen wird, vielleicht die äusserste laterale Station für diese Schwankungen darstellt, und dass eine Überschreitung desselben durch die Area striata, wenn sie überhaupt vorkommt, jedenfalls zu den Ausnahmen gehört. Ich glaube daher, dass nicht Schwankungen in der Verbreitung der Area striata selbst über den Suleus lateralis hinaus, als vielmehr eine ungenügende Berücksichtigung von anatomischen Momenten (des Verlaufes der Sehstrahlung unterhalb der Rinde der zweiten Windung) dafür verantwortlich zu machen ist, dass Munk die äussere Grenze der Sehsphäre an der Konvexität zu weit lateral- wärts gezogen hat; das geht auch aus meinen Ausführungen im V. Kapitel hervor. : Aus dem Standpunkt, den Munk hier bezüglich der Aus- dehnung der Sehsphäre des Hundes einnimmt, ergeben sich einige wichtige Konsequenzen. Zunächst gibt er damit die Projektion der lateralsten Netzhautteile in das laterale Drittel der gleichseitigen Sehsphäre auf, denn dieses Gebiet des Oceipitallappens gehört ja überhaupt nicht mehr zur Sehsphäre; aber auch die Projektion der medialen Teile der Netzhaut in mediale, der lateralen in laterale Teile der Munkschen Sehsphäre kann nicht mehr aufrechterhalten werden, da die laterale Grenze der Sehsphäre, wie Munk, wenig- stens für die Mehrzahl der Fälle, zugibt, erheblich weiter medial- wärts liegt, als er ursprünglich angenommen hatte, und die ganze Sehsphäre in ihrer frontalen Ausdehnung eine derartige Einschränkung erfährt, dass die früheren Angaben bezüglich der Projektion von ver- schiedenen Netzhautteilen in ihre medialen resp. lateralen Teile nicht gelten können. Die Stelle A, liest zum grössten Teil ausserhalb der Area striata und kann als Projektionsfeld für die Stelle des direkten Sehens in der Netzhaut nicht mehr angesehen werden. Von dem Munkschen Projektionsschema bleibt nur die Projektion der oberen Teile der Netzhaut in vorderen, der unteren in hinteren Teilen der Sehsphäre diskutabel; die Richtigkeit derselben, die schon Hitzig trotz seiner prinzipiellen Ablehnung der Projektionstheorie zugeben musste, wird auch durch meine Untersuchungen (s. Kap. IX) bestätigt. Da Munk ferner annimmt, dass es in der Area striata beim Hund, im Gegensatz zum Menschen und Affen, nicht bloss zur Licht- empfindung und Gesichtswahrnehmung, sondern auch zu den in- folge der Lichtempfindungen eintretenden Augenbewegungen und -empfindungen kommt, und dass „an sie auch die Gesichtsvor- EEE ET ED TTS Zn a zz BE rc. Zur Physiologie der Sehsphäre. 393 stellungen und das Sehgedächtnis gebunden sind“, so wird auch die Theorie der Seelenblindheit unhaltbar. Denn da die Stelle A, zum grössien Teil ausserhalb der Area striata liegt, so kann sie nicht mehr mit den optischen Erinnerungsbildern in besonders enge Beziehungen gebracht werden. Mit wenigen Sätzen gibt hier Munk eine Lehre preis, auf die er früher den grössten Wert gelegt und die in der physiologischen und zum Teil auch der gehirnpatho- logischen Literatur eine bedeutungsvolle Rolle gespielt hat. Munk spricht davon, dass „die Area oceipitalis und praeoceipi- talis beim Hund bloss als schmaler Saum die Area striata umgeben“ ; über eine Area oceipitalis beim Hunde habe ich in der mir zugäng- lichen cytoarchitektonischen Literatur (Bolton, Brodmann, Campbell, Schlapp) keinerlei Angaben gefunden, und es er- scheint zunächst fraglich, worauf Munk diese Behauptung stützt ; da er aber zur Feststellung ihrer physiologischen Rolle „zirkum- skripte Exstirpationen der Rinde in der Gegend des vorderen und lateralen Endes der Sehsphäre vorgenommen hat“, und da er sich auch sonst auf Campbell beruft, so wird hier anscheinend mit der Area oceipitalis beim Menschen und Affen die „parietal area“ _ homologisiert, die nach der Campbellschen eytoarchitektonischen Karte der Hemisphäre des Hundes die Area striata an ihrem lateralen und vorderen Ende umgibt. Ob diese Homologisierung berechtigt ist, mögen die Cytoarchitektoniker entscheiden; wenn aber Munk aneibt, dass er nichts gefunden hat, „das sie als ein von der Area striata Verschiedenes zu erkennen gegeben hätte, weder bei zirkum- skripten Exstirpationen der Rinde in der Gegend des vorderen und des lateralen Endes der Sehsphäre“ noch, „wenn er diese Rinden- partie mit elektrischen Reizungen abtastete“, so kann ich mich dem nicht anschliessen. Bei zirkumskripten Exstirpationen des nach aussen vom Suleus lateralis gelegenen Teils der „parietal area“ !) gibt sie sich als ein von der Area striata Verschiedenes dadurch zu erkennen, dass danach keine Sehstörungen eintreten, wenn nur die. Sehstrahlung nicht durch tiefere Herde lädiert wird; und bei der elektrischen Reizung gelingt es von der inneren Hälfte der zweiten Windung (Gyrus ectolateralis), d. h. gerade von der „parietal area“ am ehesten, eine assoziierte Augenbewegung auszulösen, so dass man 2n- 1) Isolierte Exstirpationen ihres vorderen, frontalwärts von der Area striata befindlichen Teils habe ich nicht vorgenommen. 394 M. Minkowski: nehmen darf, dass gerade hier, und nicht in der Area striata, dichtere Foci von motorischen Elementen für assoziierte Augen- bewegungen sich befinden. Am Schluss dieser Untersuchungen ist es mir eine angenehme Pflicht. Herrn Geh. Rat Ziehen und Herrn Prof. Rothmann für ihre Unterstützung bei der Ausführung derselben meinen verbind- licehsten Dank auszusprechen. 18) Literatur. Agadschanianz, Über das corticale Sehzentrum. Diss. 1904. (Russ.) Bechterew, Über die Erregbarkeit verschiedener Hirnbezirke bei neu- geborenen Tieren. Neurol. Zentralbl. 1839 S. 513. 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Inouye, Die Sehstörungen bei Schussverletzungen der corticalen Sehsphäre. Leipzig 1909. 3238 Max Bleibtreu: (Aus dem physiologischen Institut der Universität Greifswald.) Weitere Untersuchungen über das Verhalten des Glykogens im Eierstock der Rana [fusca. Von Max Bleibtreu. (Mit 2 Textfiguren.) Im 132. Bande dieses Archivs veröffentlichte Kan Kato!) umfangreiche, im hiesigen physiologischen Institut ausgeführte Unter- suchungen über das eigentümliche Verhalten des Glykogens im Eier- stock der Frösche. Zu dieser Arbeit habe ich?) an derselben Stelle eine Diskussion und einige ergänzende Versuche hinzugefügt. Wegen der Verschiedenheiten des Laichgeschäfts bei den Hauptvertretern unserer einheimischen Froscharten, der Rana esculenta und der Rana fusca, ergab sich die Notwendigkeit, beide Arten getrennt zu untersuchen. Auf die Schwierigkeiten, die sich bei der Rana esculenta daraus ergaben, dass auch lange Zeit nach der Laichzeit gar nicht selten Tiere vorkommen, die nicht abgelaicht haben, wurde in meiner oben zitierten Abhandlung hingewiesen. Hinsichtlich der Rana fusea, deren Weibchen während der Laichzeit immer ablaichen (oder bei Störung des Laichgeschäfts zugrunde gehen), und die daher das ein- fachere Versuchsobjekt darstellen, hatten die Untersuchungen Kato’s ein sehr interessantes Resultat ergeben, hauptsächlich darin bestehend, dass während der Herbst- und Wintermonate eine erhebliche Zu- nahme des Eierstockglykogens stattfindet, während das Leberglykogen im Winter stark abnimmt. Die Anreicherung des Eierstocks an Glykogen ging so weit, dass bei Beginn der Laichzeit von dem auch dann noch immer grossen Glykogenvorrat der weiblichen Frösche 1) Kan Kato, Über das Verhalten des Glykogens im Eierstock der Frösche zu den verschiedenen Jahreszeiten. Pflüger’s Arch. Bd. 132 S. 545. 2) M. Bleibtreu, Bemerkungen und Ergänzungen zu der Arbeit des Herrn Dr. Kan Kato. Pflüger’s Arch. Bd. 132 S. 580. Weitere Untersuchungen über das Verhalten des Glykogens etc. 329 etwa die Hälfte oder auch noch mehr in den Eiern steckte und mit dem Laich abgelegt wurde. In meinen Bemerkungen!) zu den Versuchen Kato’s mit Rana fusca hob ich hervor, dass dieselben noch dahin zu ergänzen seien, dass der Gang der Glykogenverteilung im Körper der weiblichen Rana fusca auch während der Sommermonate ersichtlich würde, und dass auch eine Wiederholung der Versuche mit dieser Froschart während der Herbst- und Wintermonate mit etwas grösseren Zahlen von Einzelindividuen in den verschiedenen Gruppen erwünscht sei, um das von ihm gefundene Resultat sicherzustellen. Eine darauf zielende Untersuchung stellte ich in meiner damaligen Veröffentlichung in Aussicht. Sie ist in den folgenden Blättern enthalten. Die Versuche erstreckten sich über ein ganzes Jahr, beginnend mit Januar 1910 und schliessend mit Dezember 1910, und sind sämtlich mit Landfröschen aus der Umgebung von Greifswald aus- geführt. Die Methode war genau dieselbe, wie in meiner letzten Veröffentlichung (Bestimmung des Glykogens nach Pflüger’s gravi- metrischer Methode und nachfolgender Kontrolle nach Volhard- Arnold unter Benutzung der nach letzterer erhaltenen Zahlen). Die beiden ersten Versuche, Januar und Februar 1910, sind dieselben, die ich schon vor einem Jahr in den Bemerkungen zu der Arbeit Kato’s veröffentlicht habe. Ich beschränke mich daher bei diesen auf eine kurze Wiedergabe ihres Resultates. Versuch I. 15. Januar 1910. 10 Ranae fuscae, gefangen am 19. Dezember 1909. Gesamtgewicht 478,11 g. Gewicht der Lebern 9,73 g; Gewicht der Eierstöcke 59,25 g. Aus den Organgewichten und den Glykogenanalysen ergab sich, dass 100 g Frosch enthielten: Orsangewicht: Glykogen: Leber Eierstock in der Leber im Eierstock im Körperrest Insgesamt 2,0858 1239 g 0,2516 g 0,2434 g 0,4829 g 0,9797 8 Versuch II. 9. Februar 1910. 10 Ranae fuscae, gefangen am 4. Februar 1910. Gesamtgewicht 491,6 g. Die Lebern wiegen 7,39 g; die Eierstöcke wiegen 53,80 g. 100 g Frosch enthielten: ÖOrgangewicht: Glykogen: Leber Eierstock in der Leber im Eierstock im Körperrest Insgesamt 16055 10,94 g 0,1704 g 0,2730 8 0,4764 g 0,9198 g 1) A. a. O. S. 598. 3830 Max Bleibtreu: Versuch III. 24. März 1910 (Brunstzeit). 10 Ranae fuscae, gefangen am 16. März. Die Frösche waren beim Fang teils schon gepaart oder paarten sich meistens in den folgenden Tagen. Benutzt wurden 10 Weibchen, die seit dem Fang von den Männchen isoliert worden waren. Nur bei einem dieser Frösche waren die Eier noch im Eierstock. Bei allen anderen hatten die Eier den Eierstock verlassen und befanden sich im Uterus. Gesamtgewicht 455 g. Die Lebern wiegen 6,6 g; Eier und Eier- stöcke 145,6 g@. Ergebnis der Glykogenanalysen: die 6,6 g Leber enthalten. ... .. . . 0,4891 g Glykogen, „ 145,6 g Eier und Eierstöcke enthalten 1,2690 oO {o) ” „Körperrestezenthaltenen ... 32...,.2...159827. 0 ” Daraus ergibt sich für 100 g Frosch: Organgewicht: Glykogen: Leber Eierstock in der Leber uns im Körperrest Insgesamt 1,45 8 328 0,1075 g 0,27% g 0,4357 g 0,8212 g Versuch IV. 28. März bis 8. April 1910 (Laichzeit). In diesem Versuch sollten die Frösche unmittelbar nach der Ablegung des Laichs untersucht werden. Sobald bei den mit den Männchen gepaarten Tieren beobachtet wurde, dass sie die Eier abgelegt hatten, wurden die Weibchen samt dem Laich zum Ver- such benutzt. Es kamen im ganzen 11 Weibchen zur Verwendung; die Ab- laichung trat natürlich nicht gleichzeitig ein, weshalb der Versuch sich über eine Reihe von Tagen erstreckte. Die einzelnen Tiere wurden allein oder auch zu zweien, wenn zwei zu derselben Zeit abgelaicht hatten, in der üblichen Weise verarbeitet. Die alkalischer Organlösungen wurden mit der zur Fällung des Glykogens erforderlichen Alkoholmenge versetzt und zugedeckt stehen gelassen, bis ein neues Tier an die Reihe kam, dessen alkalische Lösung des entsprechen- den Organs wieder mit der nötigen Alkoholmenge hinzugefügt wurde, bis die Glykogenfällungen aller 11 Tiere, für die in Betracht kommenden Organe ge- trennt, in einem Gefäss vereinigt waren. Bei der Sektion der Tiere stellte sich nun heraus, dass die meisten von ihnen ihre Eier noch nicht vollständig abgelegt hatten; nur bei zweien war die Eiablage vollständig erfolgt. Daher wurden die noch im Bauch befindlichen Eier und der abgelegte, im Wasser stark gequollene Laich für sich benandelt, ebenso die von reifen Eiern leeren Eierstöcke. Die Ergebnisse der Wägungen der Organe sind in der folgenden Gewichts- tabelle enthalten. Weitere Untersuckungen über das Verhalten des Glykogens etc, 331 2 | Eier- en Gewicht Nr Datumder Datumdes | Gewicht u stocks- en des So Tötung Fanges gewicht | gewicht \ Uterus | Taichs 8 8 Ar, g g g 023° März (16: März) 7 40,8 | 065 |, 0457 26.60 72.85 2 | 28. März | (16. März) | 25,82 0,3 0,20 3,90 \ 1 Sell: a (15: März) a 0,87 0,50 1,80 61,0 4| 5. April | (29. März) 31 : >| 5 Anstl(Ee 6 5. April | (29. März) 19,0 0,44 | 0,40 0 15,67 7 | 6. April |(29. März) | 19,4 VEN I NO |. 23,70 8 | 7. April | (29. März) | 25,95 0,78 029720 36,50 9 | 7. April | (16. März) | 42,0 Vor 2 05027 028185 19,70 10 | 8. April | (29. März) | 29,7 S 11 | 8. April | (29. März) | 22,0 088 | 0,52 12,10 | 19,05 = a Bu” | 319,32 ser. Se aa | Ergebnis der Glykogenanalysen: lemssrag Tveber. enthalten a... 2... un u... 0,1783 g Glykogen 28168 0, Bierstock enthalten . » ». „u... 2... 0,0026 g 5 „ 92,81 g noch im Uterus vorhandenen Eier 0,4900 g Msabocleoten@iier nr ne. 0,5993 8 Mebierszusammengalsore. u au ee 1,0893 g 5 Pe Köorperrestegzusammen a... 0 ve 1.0380 g R Sa. 2,3082 g Glykogen. Auf 100 g Frosch umgerechnet ergeben sich folgende Zahlen: Organgewicht: Leber Eierstock Eierim Uterus Laich 1,37 g 1,15 8 16,54 g 96,51 g Glykogen: in den Eiern im Uterus 005588 0.000988 Oliig OST 0,31 0,72285 0,3411 & in Leber im Eierstock im Laich im Körperrest Insgesamt Versuch V. 4 Juni 1910. 10 Ranae fuscae, gefangen 2. bis 4. Juni. Gesamtgewicht 250 g. Die Lebern wiegen 7,90 g; die Eierstöcke 3,86 g. Ergebnis der Glykogenanalysen: die 7,90 g Leber enthalten 0,3597 g Glykogen, » 586 g Eierstock „ 0,0043 8 n „ Körperreste 4 0,3462 g A Sa. 0,7102 g Glykogen. Daraus ergibt sich für 100 g Frosch: Organgewicht: Glykogen: Leber Eierstock in der Leber im Eierstock im Körperrest Insgesamt 3168 154g 0,1439 g 0,0017 g 0,1385 g 0,2841 g 3832 Max Bleibtreu: Versuch VI. 8. Juli 1910. 10 Ranae fuscae. Gefangen 7. Juli. Gesamtgewicht 291 g. Die Lebern wiegen 10,37 g; die Eierstöcke 8,02 g. Ergebnis der Glykogenanalysen: die 10,57 g Leber enthalten 0,3901 g Glykogen, »„ 802 g Eierstock „ 0,0252 & " „ Körperreste n 0,6343 g a Sa. 1,0496 g Glykogen. Daraus ergibt sich für 100 g Frosch: Örgangewicht: Glykogen: Leber Eierstock in der Leber im Eierstock im Körperrest Insgesamt 3,96. 2,76 8 0,1340 g 0,0087 g 0,2180 g 0,3607 g Versuch VI. 9. August 1910. 10 Ranae fuscae. 6 gefangen am 4. August, 4 gefangen am 8. August. Gesamtgewicht 319,5 g. Die Lebern wiegen 13,7 g; die Eierstöcke 15,4 g. Ergebnis der Glykogenanalysen: die 13,7 g Leber enthalten 0,7787 & Glykogen, „ 15,4 g Eierstock „ 0,0727 8 5 „ Körperreste a 0,7437 g 5 Sa. 1,5951 g Glykogen. Daraus ergibt sich für 100 g Frosch: Organgewicht: Glykogen: Leber Eierstock in der Leber im Eierstock im Körperrest Insgesamt 4,29 g 4,82 9 0,2437 8 0,0227 8 0,2328 g 0,4992 g Versuch VIH. 3. September 1910. 10 Ranae fuscae, gefangen am 31. August. Gesamtgewicht 350 g. Die Lebern wiegen 12,23 g; die Eierstöcke 30,22 g. Ergebnis der Glykogenanalysen: die 12,23 g Leber enthalten 0,6878 & Glykogen, 30,22 g Eierstock „ 0,2820 g + Körperreste r 0,9900 & e Sa. 1,9598 g Glykogen. Daraus ergibt sich für 100 & Frosch: ” ” Urgangewicht: Glykogen: Leber Eierstock in der Leber im Eierstock im Körperrest Insgesamt 3,49 8 8,63 8 0,1965 g 0,0806 g 0,2823 g 0,5599 g Versuch IX. 18. Oktober 1910. 10 Ranae fuscae, gefangen am 12. Oktober. Gesamtgewicht 369 g. Die Lebern wiegen 13,5 g; die Eierstöcke 40,89 g. Ergebnis der Glykogenanalysen: Weitere Untersuchungen über das Verhalten des Glykogens etc. 333 die 13,50 g Leber enthalten 1,9359 g Glykogen, „ 40,89 g Eierstock 0,7453 8 " „ Körperreste n 2,5363 8 5 Sa. 5,2175 g Glykogen. Daraus ergibt sich für 100 g Frosch: Organgewicht: Glykogen: Leber Eierstock in der Leber im Eierstock im Körperrest Insgesamt 3,66 8 11,08 g 0,5246 g 0,2020 g 0,6873 8 1,4139 g Versuch X. 23. Dezember 1910. 10 Ranae fuscae, gefangen am 9. Dezember 1910. Gesamtgewicht 418 9. Die Lebern wiegen 9,75 g; die Eierstöcke 50,08 g. Ergebnis der Glykogenanalysen: die 9,75 g Leber enthalten 1,1802 g Glykogen, „ >0,08 g Eierstock „ 1,0194 g „ Körperreste eh 2,0074 & N Sa. 4,2070 g Glykogen. Daraus ergibt sich für 100 g Frosch: ” Organgewicht: Glykogen: Leber Eierstock in der Leber im Eierstock im Körperrest Insgesamt 2,33 8 11,98 g 0,2823 g 0,2439 g 0,4802 g 1,0064 g Die Resultate dieser zehn Versuche sollen in einer unten folgenden Tabelle zusammengestellt werden. Ich beginne aber in der Tabelle nicht mit dem Versuch I, sondern mit dem Versuch IV, d. h. mit dem Anfang der neuen Geschlechtsperiode, indem ich den Zustand der Frösche, wie er sich unmittelbar nach der Ablaichung darstellt, an die erste Stelle der Tabelle setze, und schliesse die Tabelle wiederum mit dem Versuch IV, indem ich aus diesem Ver- such den Zustand der Frösche ermittele, wie er unmittelbar vor der Ablaichung gewesen sein würde. Um nämlich den Versuch IV mit den vorhergegangenen Versuchen vergleichen zu können, ist es er- forderlich, ähnlich wie ich dies in meinen Bemerkungen!) zu der Arbeit Kato’s getan habe, die Zahlen so umzurechnen, wie sie unmittelbar vor der Laichung, als die Frösche noch alle Eier in der Bauchhöhle enthielten, gewesen sein würden. Wollen wir aber aus dem Versuch IV den Anfangszustand der neuen Periode entnehmen und ihn mit den folgenden Versuchen vergleichen, so hat ebenfalls eine Umrechnung stattzufinden, weil die Ablaichung nicht vollständig erfolgt war. DEASE. 0. 3.582 334 Max Bleibtreu: Die auf 100 g Frosch umgerechneten Zahlen, die sich aus dem Versuch IV direkt ergeben hatten, waren die folgenden: Aut 100 g Frosch kamen: Örgangewichte: Noch im Uterus Abgelegte Eier beber Diemiock verbliebene Eier (stark gequollen) 1,87 8 1,15 8 16,54 g %,1g Glykogen: in Leber im Eierstock en im Laich im Körperrest Insgesamt 0,0558 8 0,0008 g 0,1534g 0,1877 g 0,3251 g 0,7228 g 0,3411 8 Für den Anfang der Tabelle, d.h. für die eierfrei ge- dachten Frösche, gestaltet sich die Umrechnung folzendermaassen: 100 & Frosch enthalten noch 16,54 g Eier im Uterus. 100 g Frosch entsprechen also 83,46 g Frosch eierfrei gedacht. 83,46 g eierfrei gedachtem Frosch entsprechen also die oben angeführten Zahlen. 100 g eierfrei gedachter Frosch werden also enthalten: Organgewichte: Glykogen: Leber Eierstock in der Leber im Eierstock im Körperrest Insgesamt 2,24 8 1,38 8 0,0668 g 0,0010 & 0,3895 g 0,4573 g Anders werden die Zahlen, wenn wir sie für den Eudzustand der Periode, d. h. für den Zustand umrechnen, in welchem die Frösche unmittelbar vor der Eiablage sich befinden, wenn also alle Eier noch im Tierkörper enthalten sind. In Versuch IV waren in 100 g nur noch 16,54 g Eier im Uterus enthalten. Das Gewicht der abgelegten Eier können wir nicht aus dem Gewicht des Laichs berechnen, da dieser im Wasser sehr stark aufgequollen ist. Wir können aber das Gewicht der abgelegten Eier in dem Zustand, wie sie in der Bauchhöhle unmittelbar vor der Ei- ablage vorhanden gewesen sind, aus dem Glykogengehalt des Laichs und dem der zurückgebliebenen Eier annähernd berechnen. Die 16,54 g Eier, die noch im Tierkörper zurückgeblieben waren, enthielten 0,1534 g Glykogen, der Laich 0.1877 g Glykogen. Unter der Annahme gleichmässigen durchschnittlichen Glykogengehalts würde sich daraus für das Gewicht der abgelegten Eier 20,24 g berechnen; es | würden also auf 83,46 g eierfrei gedachten Frosches 16,54 + 20,24 — : 36,78 g Eier kommen. 100 & Frosch, so wie sie im Versuch IV Weitere Untersuchungen über das Verhalten des Glykogens etc. 335 benutzt wurden, würden also 120.24 & Frosch mit vollem Eier- gehalt entsprechen. Man könnte für diese Berechnung auch auf den nur wenige Tage vorher angestellten Versuch III zurückgreifen). In diesem enthielten 100 g Frosch 32 g Eierstock (leer) + Eier. Die Eier- stöcke waren in diesem Versuch nicht für sich gewogen; man kann aber ihr Gewicht — unter Benutzung der entsprechenden Zahl des Versuches IV — auf etwa 1 g veranschlagen, so dass auf die Eier 31 g entfallen würden. Danach kämen in diesem Versuch auf 69 g eierfrei gedachten Frosches 100 g eierhaltigen Frosches. Wenn man für den Versuch IV dasselbe Verhältnis annimmt, so würden in diesem 83,46 g eierfreien Frosches 120,96 g Frosch mit vollem Eiergehalt entsprechen. Man sieht, beide Schätzungen führen fast genau zu derselben Zahl. Wenn wir die Zahl 120,24 der Berechnung zugrunde lesen, so erhalten wir für den Schluss der Tabelle folgende Zahlen: 100 & Frosch mit vollem Eiergehalt enthalten: Organgewicht: Leber Eierstock Eier 1,56 8 0,96 € 30,59 g Mn ———— 3155 8 Glykogen: in Leber im Eierstock in Eiern im Körperrest Insgesamt 0,0464 g 0,0007 & 0,2837 & 0,2703 8 0,6011 g 0,2844 & Dass in der Tabelle an die Versuche vom April bis Dezember 1910 die Versuche vom Januar bis wieder April 1910 (statt 1911) angeschlossen sind, dürfte wohl zulässig sein, nachdem ich in meinen Bemerkungen zur Arbeit Kato’s gezeigt habe?), wie gut meine Versuche vom Januar und Februar 1910 mit denen Kato’s vom Januar und Februar 1909 im wesentlichen übereinstimmten. Die Abweichungen von Jahr zu Jahr scheinen bei den Landfröschen unserer Umgebung danach nicht sehr erheblich zu sein. Die Diskussion der in der Tabelle enthaltenen Daten wird sich wiederum am besten an einige Kurvenbilder anknüpfen lassen, welche die Zahlen der Tabelle graphisch darstellen. 1) Diese Art der Berechnung war in meiner vorigen Abhandlung über diesen Gegenstand angewandt worden, a. a. O. S. 582. 2) A. a. O. S. 590 u. 591. 336 Max Bileibltreue Generaltabelle. (J eder Versuch ist mit je 10 Fröschen angestellt worden, nur Nr. IV mit 11 Fröschen.) 100 g Frosch enthalten “ Tag Organgewicht Glykogen | es - des Versuchs Eier- in im So | Ver- Se Leber | stock [in Leber | Eierstock | Körper- Rn i | suchs u. Eier u. Eiern rest Sa Zu BED BEE EEE Een Bl RS ER En © 0,0668 | 0,0010 | 0,3895 0,4573 0,1459 | 0,0017 0,1385 0,2841 VI s. Juli 356 | 2,76 0,1340 | 0,0087 0,2180 0,3607 VII 9. August 4,29 4,82 0,2437 | 0,0227 | 0,2328 0,4992 vd 98. März bis \2,24 | 1,38 vIII | 8. Septbr. | 349 | 0.1965 | 0.0806 | 0.2898 | 0,5599 s. April | V 4. Juni 3,16 1,54 IX [18. Oktober| 3,66 | 11.08 | 0,5246 | 0,2020 | 0,6873 | 1,4199 x [28. Dezbr. | 233 | 11,98 | 0,2823 | 0,2439 | 0,4802 | 1,0064 I [15. Januar | 2035 1239 | 0.2516 02434 | 0,4829 | 0.9797 Il | 9. Februar| 1,605 10,94 | 0,1704 | 0,2730 | 0,4764 | 0,9198 II |24. März 145 , 32.00 | 0.1075 | 0,2790 | 04357 | 0.812 vf 28. März bis 1,56 3155 | 0.0464 | 02844 | 02703 | 0.6011 8. April Er. j | Sr x ! 130 + 120! | 110! | | Fig. 1: ausgezogene Kurve: Eierstocksglykogen. ----- gestrichelte |‘ Kurve. Leberglykogen. +--+----- punktierte Kurve: Gesamtglykogen. re Er Bann A EHE rn ÄÖDEEEN UNE Dingen ner at an eh. -—i Mr |. "ui BELEGE nn a a TE. rn ee Weitere Untersuchungen über das Verhalten des Glykogens etc. 337 Die Kurven sind in derselben Art gezeichnet wie in meiner - vorigen Veröffentlichung über diesen Gegenstand!). Die Abszisse bedeutet die Zeit, die Ordinate den Glykogengehalt in Gramm auf 100 g Frosch bezogen. 1 mm Ordinate bedeutet 1 cg Glykogen. Aus den Kurven ist zunächst ersiehtlich, dass durch meine Ver- suche diejenigen Kato’s in allen wesentlichen Punkten durchaus bestätiet werden. Während des starken herbstliehen Anstiegs des Gesamtglykogens (September— Oktober) steigt auch das Leberglykogen zu seinem Maximum. Vom Oktober ab sinken während der Wintermonate Gesamtglykogen und Leberglykogen. Während aber das Gesamt- glykogen zur Laichzeit immer noch einen hohen Wert behält, ist das Leberglykogen zu dieser Zeit auf einen sehr kleinen Wert ge- sunken, wenn es sich auch nicht ganz so völlig erschöpft hat wie in Kato’s Versuchen. Während aber Gesamtglykogen und Leberelykogen stark ab- nehmen, zeigt gleichzeitig das Eierstocksglykogen einen ganz stetigen Anstieg, so dass im April während der Laichzeit das Maximum erreicht wird. Auch hier, wie in Kato’s Versuchen, ist zu dieser Zeit nahezu die Hälfte des Gesamtglykogens in den Eiern enthalten. Neu hinzugekommen ist das Verhalten während der Sommer- monate. Das Gesamtglykogen nimmt von der Laichzeit an ab und erreicht im Juni sein Minimum. Von da ab steist es wieder stark an, um im September—Oktober durch den charakteristischen sehr starken Herbstanstieg sein Jahresmaximum zu erreichen. Das ist das aus den Untersuchungen von Pflüger?) und Athanasiu?) bekannte Verhalten des Gesamtglykogens der Frösche. Das Leberglykogen, welches während der Laichzeit bei unsern Versuchen sehr klein geworden war, beginnt wieder zu steigen, aber nicht stetig, sondern es wechseln während des Sommers Zeiten steigenden und abnehmenden Glykogengehaltes miteinander ab, aber doch so, dass er im September schon eine recht respektable Höhe erreicht hat. Dann erfolst von September zu Oktober gleichzeitig 1) A. a. 0. S. 583. Die Maasse der Originalzeichnung sind im Verhältnis 3:2 verkürzt. 2) E. Pflüger, Pflüger’s Arch. Bd. 120 S. 253. 1907. 3) J. Athanasiu, Pflüger’s Arch. Bd. 74 S. 561. 1899. 338 Max Bleibtreu: mit dem grossen Anstieg des Gesamtglykogens auch ein solcher des Leberglykogens zu seinem Maximum. Von besonderem Interesse ist das nunmehr für die ganze Jahres- periode vorliegende Verhalten des FEierstocksglykogens. Wir hatten aus den Versuchen ersehen, dass die abgelaichten Frösche in ihrem Eierstock nur noch eine winzige — aber immer noch dank der Genauigkeit der Glykogenbestimmungsmethoden quantitativ sehr wohl nachweisbare — Menge Glykogen zurückgeblieben war. Aber schon im Juniversuch ist die Menge, wenn auch immer noch ausser- ordentlich klein, schon um ein geringes gestiegen, und weiter um ein kleines im Juliversuch. Dieses Verhalten ist aus den Zahlen der Tabelle deutlicher erkennbar als aus der Kurve, weil diese bei der Winzigkeit der Beträge sich während des ersten Vierteljahres kaum merklich von der Abszissenachse ablöst. Im August erhebt sich die Kurve schon etwas mehr, und von nun ab beginnt ein ganz stetiger zuerst schnellerer, dann langsamer werdender Anstieg, der bis zum Ende der Geschlechtsperiode andauert. Die Zacken, die in der aus Kato’s Versuchen von mir entworfenen Eierstocksglykogen- kurve!) zu bemerken waren, sind in der jetzt vorliegenden Kurve verschwunden — wohl eine Folge des Umstandes, dass in meinen Versuchen stets eine grössere Anzahl von Einzelindividuen ver- arbeitet und dadurch Zufallsschwankungen vermieden wurden. Die stetige Zunahme des Eierstocksglykogens bei gleichzeitig stetiger Abnahme des Leberglykogens vom Öktoberversuch ab bis zur Laichzeit ist das wichtigste Resultat; dieser und der Kato’schen Versuche über das Eierstocksglykogen im Körper der weiblichen Frösche (Rana fusca). Das Sinken der Leberglykogenkurve und das Steigen der Eier- stocksglykogenkurve führt zu einem Durchschneiden beider Kurven, das bei meinen Versuchen im Januar, bei Kato’s Versuchen schon etwa einen Monat früher erfolgte. Zu den Kurven der Fig. 1 möchte ich noch bemerken, dass die Ördinatenhöhen der März- und April-Punkte dadurch beeinflusst werden, dass die zu dieser Zeit schon im Uterus befindlichen Eier durch Wasseraufnahme, jedenfalls von aussen, sehr stark an Gewicht zu- nehmen, so dass auch das Gesamtgewicht der Tiere, auf welches ja alle Zahlen der Tabelle bezogen waren, eine erhebliche Gewichts- 1) A. a. 0. 8.588, Weitere Untersuchungen über das Verhalten des Glykogens etc. 339 zunahme erfährt. Würde man auf Körpergewicht mit dem ur- sprünglich während des Winters herrschend gewesenen Wassergehalt reduzieren, so würde der Anstieg des Eierstockelykogens vom Februar zum März und April viel steiler erfolgen (etwa in der Fortsetzung des Januar—Februarteils der Kurve). Allerdings würden auch die Ordinaten für die Leberglykogen- und die Gesamtglykogenkurve für März und April dadurch höher werden. Da sich aber ohne besondere Untersuchung nicht abschätzen lässt, wieviel von der starken Gewichtszunahme der Eier vom Februar 100 April Man Iumı Ile Ang. Sept. Okt. Iov. Dec. Fam. Febr. Nimm April Fig. 2. Untere Kurve: Eierstocksglykogen. Obere Kurve: Eierstocksgewicht. zum März auf Wasseraufnahme von aussen und wieviel auf Zunahme an trockener Organsubstanz in der letzten Zeit des Aufenthaltes der Eier im Eierstock entfällt, so habe ich von einer entsprechenden Korrektur des Endstückes der Kurven abgesehen. Da es von Interesse ist, das Heranwachsen des Eierstocks selbst mit dem stetigen Steigen seines Glykogengehaltes zu vergleichen, so füge ich in Fig. 2 noch ein zweites Kurvenbild hinzu, in welchem die obere Kurve das Gewicht des Eierstocks, die untere den Glykogen- gehalt des Eierstocks bedeutet, beides auf 100 g Tier bezogen. Die Glykogenkurve ist in denselben Maassen wie in Fig. 1 gezeichnet. 340 Max Bleibtreu: In der Organgewichtskurve bedeutet 5 mm Ordinatenhöhe 1 g Organ- gewicht. Man sieht aus den Kurven, wie gleich vom Anfang der neuen Sexualperiode an sowohl das Gewicht als auch der Glykogengehalt des Eierstocks stetig ansteigt, zuerst langsam, dann schneller und zuletzt wieder langsamer. Die Stetiekeit in der Zunahme der Glykogenkurve ist nirgend- wo unterbrochen; die Kurve ist immer steigend vom Anfang bis zum Ende (nur im Dezember—Januarabschnitt gleich hoch bleibend). Die Gewichtskurve zeigt nur vom Januar zum Februar ein fallendes Stück. Einen ebensolchen Abfall vor der Brunstzeit zeigt merk- würdigerweise auch die von mir nach den Versuchen Kato’s aus dem Vorjahr gezeichnete Kurve!). Ob das auf einem Zufall beruht oder auf einem wirklichen vorbereitenden Vorgang im Eierstock mag dahingestellt bleiben. Den März- und den April-Punkt habe ich in der ‘oberen Kurve weggelassen. Hier erfolgt das starke Aufquellen der in den Uterus eingetretenen Eier durch Wasseraufnahme und infolgedessen eine gewaltige Gewichtszunahme, die aber wohl nur zum allerkleinsten Teil einer Zunahme an wirklicher Organsubstanz entspricht und daher nieht weiter von Interesse ist. Diesen starken Anstieg habe ich nur in seinen Anfang im Spatium Februar—März angedeutet. Die stetige Zunahme des Glykogengehaltes im Eierstock vom Anfang bis zum Ende der Geschlechtsperiode beruht zum Teil auf dem im allgemeinen ebenso stetigen Anwachsen des ganzen Organs, zum Teil aber auch auf einer erheblichen Zunahme des prozenti- schen Gehalts an Glykogen. Das ergibt sich aus folgenden Prozent- zahlen für die einzelnen Monate, unter Weglassung der beiden letzten Versuche, für die eine Berechnung des Prozentgehaltes wegen der ' starken Aufquellung der Eier keinen rechten Zweck hat. Prozentischer Gehalt an Glykogen im Eierstock. April... 0.079 Oktober . 1,82 %/o June 22.2.3051%)0 Dezember 2,04 %/o Juli 22 ..0:31.9/0 Januar. . 1,96 °/o August . . 0,47 %o Februar . 2,50 Yo September 0,93 %/o 1) A. a. O. S. 5%. Weitere. Untersuchungen über das Verhalten des Glykogens etc. 341 Für die Wintermonate ergab sich in bester Übereinstimmung hiermit auch aus den Versuchen Kato’s!) im vorhergehenden Jahr ein etwas über 2°/0 liegender Durchschnittswert für den prozentischen Gehalt des Eierstocks an Glykogen. Ebenso wie ich es in meinen Bemerkungen zu den Versuchen Kato’s getan habe, würde sich dureh Vereinigung der Gewichts- und Glykogenkurven für Eierstock und Leber in einem Bilde zeigen lassen, dass auch in diesen Versuchen vom Oktober an bis zum Schluss der Jahresperiode die Leber an Gewicht sowohl wie auch anGlykogengehalt abnimmt, während gleichzeitig der Eierstock an Gewicht wieauchanGlykogengehalt fort- fährt zu steigen, dass also der Eierstock während dieser Zeit auf Kosten der Leber heranwächst. Ich verzichte aber darauf, weil es im wesentlichen eine Wiederholung dessen sein würde, was schon aıı jener Stelle?) durch das Kurvenbild Fig. 2 dargestellt worden war. Die Frage der Glykogenverteilung im Körper der weiblichen Ranae fuscae auf Eierstock, Leber und übrigen Körper ist damit für die ganze Jahresperiode von der Laichzeit bis wieder zur Laich- zeit erledigt. Ich vermute, dass bei Landfröschen anderer Herkunft sich im Prinzip dasselbe Verhalten wird nachweisen lassen wie bei unsern Greifswalder Fröschen, wenn auch die Aufzehrung des Leberglykogens und die Anreicherung des Eierstocks an Glykogen nicht immer so weit fortschreiten mag, wie wir es bei unsern Fröschen jetzt schon in 2 aufeinanderfolgenden Jahren beobachtet haben ?). Unerledigt bleibt dieselbe Frage bei Rana esculenta. Nach den Versuchen Kato’s mit diesem Tier*) halte ich es zwar für wahrscheinlich, dass auch bei den Wasserfröschen mutatis mutandis sich ähnliches ergeben würde. Jedoch werden hier die Besonder- heiten des Generationsgeschäfts dieser Froschart besonders zu be- rücksichtigen sein, nicht bloss die zeitliche Verschiebung durch den späteren Eintritt der Laichzeit, sondern auch die schon in der Ein- leitung erwähnte Eigentümlichkeit des nicht seltenen Vorkommens nicht abgelaichter Eseulenten nach abgelaufener Laichzeit mit darauf- folgender Resorption der fruchtlos erzeusten Eier, wie sie von 1) Vgl. meine Bemerkungen S. 586 a. a. O. 2) A. a. 0. S. 584 Fig. 2. 3) Vgl. meine Bemerkungen, a. a. O. S. 587 ff. 4) Vgl. meine Bemerkungen, a. a. 0. S. 594 ff. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 23 343 Max Bleibtreu: Weitere Untersuchungen etc. M. Nussbaum!) nachgewiesen worden ist. Dass den Eiern des Frosches vom mütterlichen Organismus sehr grosse Mengen stickstofffreien Materials in Gestalt von Gly- kogen mit auf den Weg gegeben werden, weist darauf hin, dass dieses eine bedeutungsvolle Rolle für die Ernährung des Embryos zu spielen berufen ist. 1) M. Nussbaum, Zur Mechanik der Eiablage der Rana fusca und Rana esculenta. Pflüger’s Arch. Bd. 124 S. 100. 1908. 343 (Aus dem Institute für allgem. und expex. Pathologie in Wien.) Über die Beziehungen der Herznerven zur automatischen Reizerzeugung und zum plötzlichen Herztode. Von Privatdozent Dr. C, JS. Rothberger und Privatdozent Dr. MH. Winterberg. (Mit 19 Textfiguren.) In einer früheren Mitteilung!) haben wir den Einfluss der Herznerven auf die Automatie der Vorhofkammergrenze näher studiert und sind dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Reiz- erzeugung an der Atrioventrikulargrenze bzw. im Tawara’schen Knoten ebenso wie an der Hohlvenenmündung sowohl der Einwirkung fördernder als auch hemmender Nerven unterworfen ist. Wir konnten ferner nachweisen, dass die den Tawara’schen Knoten versorgenden beschleunigenden Fasern ihren Weg zum grössten Teile durch das linke Ganglion stellatum und weiter durch die linke Ansa Vieussenii nehmen. An dem gleichen Orte (S. 597 ff.) haben wir die Vermutung, dass es sowohl in den Vorhöfen als auch in den Ventrikeln neben den durch den grössten Grad von Automatie ausgezeich- neten „Hauptreizbildungsstellen“ noch mehrere Stellen von niederer Reizbildungsfähigkeit gibt, deren Automatie durch Accelerans- reizung so weit gesteigert werden kann, dass sie zum Aus- gangspunkte der Herztätigkeit werden, zunächst für die Vor- höfe bestätigen können. Wir fanden nämlich, dass nach Reizung des linken Accelerans in vielen Fällen eine Umkehr in der Schlag- folge der Vorhöfe zustande kommt, derart, dass sich der linke 1) Rothberger und Winterberg, Über die Beziehungen der Herz- nerven zur atrioventrikulären Automatie. Pflüger’s Arch. Bd. 135 S. 559. 1910. 344 C. J. Rothberger und H. Winterberg: Vorhof — unter gleichzeitigem Auftreten einer negativen P-Zacke im Elektrokardiogramm — früher zusammenzieht als der rechte. Die Untersuchungen, über die im folgenden berichtet wird, be- schäftigen sich hauptsächlich mit der Frage, ob auch die Reizbildung in den Kammern über die Atrioventrikulargrenze hinaus noch dem Einflusse der Förderungsnerven des Herzens unterliegt. Derselbe könnte darin bestehen, dass die Reizbildung in den Herzkammern durch die Einwirkung der Accelerantes überhaupt erst angeregt wird, oder nur darin, dass die Frequenz erhöht wird, in welcher auch sonst in der Kammer gebildete Kontraktionsreize entstehen. Von Hering!) sind zwar chronotrope Wirkungen der Accelerantes auf die automatisch schlagenden Kammern nachgewiesen worden. Diese Experimente, bei denen die automatische Kammertätigkeit teils durch Abtrennung der Vorhöfe von den Ventrikeln, teils durch Durch- schneidung des His’schen Bündels hervorgerufen worden war, lassen aber die Möglichkeit offen, dass die Reizbildung ihren Sitz an der Atrioventrikulargrenze selbst oder doch in der nächsten Nähe der- selben hatte, und beweisen deshalb nichts für die von uns auf- geworfene Frage, ob sich der Einfluss der Accelerantes noch weiter kammerwärts erstreckt. Aus dem gleichen Grunde lässt sich für unser Problem auch ein von demselben Autor?) beobachteter Fall, in welchem bei einem nicht schlagenden Herzen die Kammern in- folge einer Acceleransreizung zu schlagen anfingen, nicht ohne weiteres verwerten. Einen verlässlicheren Anhaltspunkt für die Annahme eines Einflusses der Accelerantes auf die Reizbildung in den Kammern selbst lieferten uns dagegen einzelne Beobachtungen, bei denen nach Acceleransreizung Fxtrasystolen eintraten, die mit einem atypischen (linksseitigen Extrasystolen entsprechenden) Elektrokardiogramm ver- bunden waren. Diese Fälle sind aber relativ selten und lassen, da andere zufällige Einwirkungen, z. B. mechanische Reize infolge der Suspension usw. nicht ausgeschlossen sind, ebenfalls keine bindenden Schlüsse zu. 1) Hering, Über die unmittelbare Wirkung des Accelerans und Vagus auf automatisch schlagende Abschnitte des Säugetierherzens. Pflüger’s Arch. Bd. 108 S. 281. 1905. 2) Hering, Acceleransreizung kann das schlaglose Säugetierherz zum automatischen Schlagen bringen. Pflüger’s Arch. Bd. 115 S. 354. 1906. Über die Beziehungen der Herznerven zur autom. Reizerzeugung etc. 345 Versuchsanordnung. Experimente, welche den Einfluss der Herznerven auf die automatische Reizerzeusung in den Kammern dartun sollen, haben vor allem den Umstand zu berücksichtigen, dass die unter physiologischen Bedingungen verhältnismässig geringe Reiz- bildungsfähigkeit derselben, auch wenn sie durch Nervenwirkung gesteigert würde, am normal schlagenden Herzen nicht leicht manifest werden kann. Denn die Acceleranswirkung erstreckt sich gleichzeitig auch auf die an der Hohlvenenmündung und an der Atrioventrikulargrenze gelegenen Zentren, die nun erst recht die Führung der Herztätigkeit festhalten. Wir griffen deshalb auf unsere frühere Erfahrung!) zurück, dass toxische, die Automatie der Ven- trikel steigernde Reize (Strychnin, Physostigmin, Digitalis usw.) häufig erst dann zur Geltung gelangen, wenn durch Frregung der Hem- mungsnerven die Reizerzeugung an den Orten höherer Automatie unterdrückt wird. Wir haben also an Hunden, die mit Morphin betäubt und durch Curare immobilisiert waren, nach Durchschneidung sämtlicher Herz- nerven die Accelerantes faradisch gereizt und auf der Höhe der er- zielten Wirkung, und zwar stets erst nach Unterbrechung der Acceleransreizung, die Vagi erregt. In allen Fällen wurde vorher der Effekt der Vagusreizung für sich allein und sodann in Kom- bination mit der Erregung des rechten, des linken und schliesslich beider Accelerantes geprüft. Das Herz wurde blossgelest, die rechte, gelegentlich auch die linke Aurikel sowie der Konusteil des rechten Ventrikels suspendiert und gleichzeitig mit den Suspensionskurven auch das E.-K. (Ableitung Ösophagus— Anus) verzeichnet. Fin Exner’sches Signal markierte in der Regel die Dauer der Vagus- reizung; die Zeit wurde durch Stimmgabelschwingungen von 0,02 Se- kunden gemessen. Die Interferenz von Accelerans und Vagusreizung. Die Interferenz der Vagus- und Acceleranswirkung war schon wiederholt der Gegenstand experimenteller Untersuchungen, die namentlich zu dem Zwecke ausgeführt wurden, um die Frage zu entscheiden, ob die beiden Nerven den Herzschlag antagonistisch zu 1) Rothberger und Winterberg, Über scheinbare Vaguslähmung. Pflüger’s Arch. Bd. 132 8. 233. 1910. 346 C. J. Rothberger und H. Winterberg: beeinflussen vermögen. Unsere Befunde stimmen vollständig mit der gegenwärtig allgemein akzeptierten Anschauung überein, dass der Einfluss des Accelerans auch dem erresten Vagus gegenüber sehr wohl zur Geltung gelangt. Bei der von uns getroffenen Ver- suchsanordnung tritt diese Gegenwirkung deshalb besonders deutlich hervor, weil die Vagusreizung nahezu mit dem maximalen Effekte der Acceleransreizung zusammentrifft. Schwache Vagusreizungen, die an sich nur eine mässige Verlangsamung des Herzschlages he- dingen, können unter diesen Umständen völlig versagen. Aber auch starke Hemmungswirkungen, die die Schlagfrequenz sehr bedeutend herabsetzen oder selbst Herzstillstand erzeugen, werden auf der Höhe der Acceleranswirkung mehr oder weniger erheblich modifiziert. Gewöhnlich ist die Verlangsamung weniger ausgesprochen und der Stillstand von kürzerer Dauer. In manchen Fällen sahen wir aller- dings den vorher festgestellten Hemmungseffekt auch während der Acceleranswirkung in gleicher Intensität eintreten. Ähnliche Er- fahrungen haben auch Strieker und Wagner!) mitgeteilt. Fr- wähnung verdient vielleicht auch der Umstand, dass starke Reizung des Vagus bei fast maximaler Acceleranswirkung zwar noch kompletten Stillstand erzeugen kann, dass aber in der Folge nach Sistierung der Vagusreizung die Beschleunigung selbst noch höhere Werte zu erreichen vermag als vor dem Herzstillstand. Dieses Verhalten zeigt besonders klar, dass durch die Vagusreizung auch dann, wen sie das Herz zur Ruhe bringt, der durch den Einfluss der Accelerantes hervorgerufene Vorgang nicht einfach aufgehoben, sondern nur an seinem Zutagetreten gehindert wird, bzw. dass der Angriffspunkt der hemmenden und fördernden Herznerven nicht derselbe sein kann. Die Interferenz der Vagus- und Acceleranswirkung erstreckt sich nicht immer gleichmässig auf die chronotrope und inotrope Kom- ponente. In allerdings seltenen Fällen macht sich die Vaguswirkung bei erregten Accelerantes im wesentlichen nur durch eine Abschwächung der Vorhof- oder Ventrikelkontraktionen bemerkbar. Ein einschlägis.: Beispiel findet sich bei Muhm?) Tafel VI, Fig. 1. Auch wir haı einige ähnliche Beobachtungen zu verzeichnen, die dadurch besonae l) Stricker und Wagner, Untersuchungen über die Ursprünge und die Funktionen der beschleunigenden Herznerven. Wiener med. Jahrb. 1878 p. 369. 2) Muhm, Beitrag zur Kenntnis der Wirkung des Vagus und Accelerans auf das Säugetierherz. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1901 S. 235. Über die Beziehungen der Herznerven zur autom. Reizerzeugung etc, 347 interessant sind, dass bei fehlender chronotroper Hemmungswirkung die Abschwächung fast nur die Kammern betraf. Durch die gleich- zeitige Aufnahme des E. K. sind wir in der angenehmen Lage, die Richtigkeit unserer an anderem Orte!) aufgestellten Behauptung, dass sich das E. K. durch Vaguswirkung abgeschwächter Kammer- schläge nicht wesentlich von dem normalen E. K. unterscheiden dürfte, nunmehr auch in positiver Weise beweisen zu können. Fig. 1 ‚ist einem dieser Experimente entnommen; zunächst wurde der rechte Accelerans und nach eingetretener Wirkung auch der rechte Vagus mit Fig. 1. Versuch vom 10. Oktober 1910. Suspensionskurven vom rechten Vorhof und rechten Ventrikel. E.K. Zeit in 0,02”. Reizung des rechten Vagus mit wachsender Stromstärke bei maximal erregtem rechten Accelerans. Bei + Beginn der Vagusreizung. steigenden Stromstärken gereizt, indem die sekundäre Spirale aus unwirksamer Entfernung mit mässiger Geschwindigkeit bis zum Ein- tritte von Herzstillstand vorgeschoben wurde. Mit grosser Regel- mässigkeit kam es nun in diesem Versuche bei einem gewissen Rollenabstand ohne Änderung der Schlaefrequenz zu einer sehr intensiven Abschwächung der Kontraktionsstärke, die fast ausschliess- h die Kammern betraf. Das E. K. dieser hypodynamen Kammer- “chläge ist, wie Fig. 1 deutlich zeigt, bis auf eine mässige Ver- stärkung der Nachschwankung mit dem der beiden vorangehenden normalen Ventrikelsystolen identisch. 1) Rothberger und Winterberg, Über die Beziehungen der Herznerven zur Form des Elektrokardiogramms. Pflüger’s Arch. Bd. 135 S. 506. 1910. C. J. Rothberger und H. Winterberg: 348 ; der Nachsehwankung im Sinne oO [g) e eben erwähnte Verstärkun der. durch die Acceleransreizung bewirkten Formänderung ist eine Di g zu heobachtende Interferenzwirkung, die besonders schön sehr .häufi -SUNFILIOSURIOTEIIY aasıyıossyum 9yof Aop me (+ SIq + uoA) SYy991 Sunzraisuser g !soJuwaopoday pun Bey A9p Sunprugdspand ypru » ",g0'0 ur 1oZ "HM PNLIUOA UND pun FJOoWIOA USD woA usAamysuorsugdsng "OTKT 19I0ITO '"G WOA yonSsIoA "7 BL] qQ » Über die Beziehungen der Herznerven zur autom. Reizerzeugung etc. 349 bei der Kombination von Reizung des rechten Vagus und linken Accelerans hervorzutreten pflegt. Fig. 2a zeigt das E. K. nach Accelerans- und Vagusdurchschneidung, in Fig. 2b wird die durch Reizung des linken Ganglion stellatum stark negativ gewordene Nachschwankung durch das Hinzutreten einer zu mässiger Ver- langsamung führenden Vagusreizung noch mehr vertieft. Wir sind geneigt, diese interessante Interferenzerscheinung darauf zu beziehen, dass die negativ inotrope Vaguswirkung gerade gegen- über den durch den linken Accelerans positiv inotrop beeinflussten Muskelpartien weniger stark zur Geltung kommt, wodurch die durch die Acceleransreizung bewirkte partielle Hypersystolie relativ ver- stärkt werden müsste. Die wichtigste Interferenzerscheinung der Vagus- und Accelerans- wirkung bildet das Auftreten einzelner Kontraktionen, die den Vagusstillstand unterbrechen. Dieselben entsprechen entweder nur den Vorhöfen oder den Vorhöfen und Kammern oder endlich den Kammern allein. In den beiden letzteren Fällen ist mit denselben sehr häufig ein atypisches E. K. verbunden. Sie sind dadurch als automatische Ventrikelschläge bzw. als ventrikuläre Extrasystolen sensu strietiori charakterisiert und erfordern des- halb unsere besondere Aufmerksamkeit. Atypische Kammerelektrokardiogramme und Kammerautomatie. Dass während oder im Gefolge einer Vagusreizung automatische Ventrikelschläge vereinzelt, gehäuft oder auch in rhythmischer Auf- einanderfolge auftreten können, ist eine lange bekannte Tatsache. Ihre Entstehung wird gewöhnlich auf den mechanischen Reiz zurück- geführt, der infolge der Überfüllung der Herzhöhlen auf die Kammer- wände ausgeübt wird, oder durch die Annahme zu erklären gesucht, dass die Vagusreizung an sich schon einen die Automatie der Kammern fördernden Einfluss besitzt. Diesen ventrikulären Systolen können unter Umständen Vorhofkontraktionen in fast normalem Abstande voraneehen ; doch sind erstere auch dann durch die ihnen zugehörigen atypischen Elektrokardiogramme leicht von aurikulär oder atrio- ventrikulär entstandenen Schlägen zu unterscheiden. Wird also der Vagusstillstand bei erregten Accelerantes durch Ventrikelschläge, die ein atypisches E.K. aufweisen, unterbrochen, so könnten dieselben von der Vagusreizung allein abhängig sein 350 C. J. Rothberger und H. Winterberg: und dürfen daher nicht ohne weiteres auf eine Reizerzeugung von seiten der Accelerantes bezogen werden. Aber auch bei Berücksichtigung dieses Umstandes lässt sich aus unseren Experimenten ein direkter Zusammenhang der im Vagus- stillstande auftretenden automatischen Ventrikelschläge mit der voran- gegangenen Acceleranserregung mit voller Sicherheit aus folgenden Momenten erschliessen. Herzschläge mit atypischem E. K. sind nach Durchschneidung aller Herznerven während einfachen Vagusstillstandes ganz auffallend selten, hingegen ausserordentlich häufig zu beobachten, wenn zuvor die Accelerantes gereizt worden sind. Dieser Einfluss der Acceleratoren geht nicht nur aus dem Überblicke über eine grössere Serie von Ver- suchen hervor, sondern er lässt sich in vielen Fällen schon aus dem Einzelexperimente überzeugend ableiten. Reizt man nämlich bei dem- selben Versuchstiere den Vagus abwechselnd und wiederholt bei un- erresten und bei erregten Aeceleratoren, so findet man häufig die einfache Vagusreizung jedesmal von einem entsprechend langen, voll- ständigen Herzstillstande begleitet, während eine gleich starke Vagus- reizung bei erregten Accelerantes zu einem jedesmal durch Herzschläge mit atypischem E.K. durehbrochenen Stillstand führt. Ein solches Beispiel ist in Fig. 3a, b und e wiedergegeben. In Fig. 3a wird nach Durchschneidung der Vagi und Accelerantes entsprechend der Erhebung der Signallinie der rechte Vagus bei R.-A. 100 mm gereizt, wobei völlige Herzruhe eintritt). In Fig. 3b interferiert eine gleich starke Vagusreizung mit der durch eine vorangegangene Reizung des rechten Accelerans hervor- gerufenen Wirkung. Der Herzstillstand wird jetzt schon nach kurzer Zeit durch eine Reihe von Vorhof- und Ventrikelschlägen unter- brochen;; den letzteren entsprechen atypische E.K. von dem Charakter rechtsseitiger Extrasystolen. In Fig. 3e endlich, wo die Vagusreizung mit der Höhe des l) Um die ohnehin grosse Zahl der Abbildungen nicht allzu sehr zu ver- mehren, werden wir den Effekt der einfachen Vagusreizung, so instruktiv auch die unmittelbare Vergleichung ist, nicht mehr abbilden. Wir bemerken jedoch, dass auch alle übrigen Beispiele ohne Ausnahme nur solchen Versuchen ent- nommen sind, in denen bei einfacher Vagusreizung keine atypischen E. K. be- obachtet wurden. Über die Beziehungen der Herznerven zur autom. Reizerzeugung etc. 35] Reizeffektes des linken Accelerans (atrioventrikuläre Automatie!) zu- sammentrifft, ist der Stillstand ebenfalls dureh zahlreiche Vorhof- rechten [ESERTUERERET REES Suspensionskurven vom rechten Vorhof und chten Vagus (R.-A. 100 mm) nach Durchschneidung aller Herznerven. EZ 10h g / 8, ©; &0 = > © ge] F=] & 8 FE ee) = Nr e Don = RS &n = IN ; (orkr> 2 2 $ N 2. = z) Be a ER ao &= ee a7 1 = = $: u $ = & S 2, Be BEN: SG | S So w h nm | = Pr=! Fr H RK» und Kammerschläge unterbrochen; die letzteren zeigen aber dies- mal den Charakter linksseitiger Extrasystolen. C. J. Rothberger und H. Winterberg: Die Abhängigkeit der den Vagusstillstand unterbrechenden auto- matischen Ventrikelschläge von dem gleichzeitig bestehenden Fr- reguneszustand des Förderungsnerven erhellt weiter aus der Tatsache, Mil IBERESEERRRZER | REILTRLBERRDDERERDLLH HEHIN AAN I { l STREIT TIT TRETEN 1 J £ x | | | | WEHREN 1 } \ . 100 mm) bei erregtem rechten Accelerans. \ 's rechten Vagus (R.- Reizung de IBUETETEREETSEREREEERERRZESRERESESUERRSLRUEERESENERETUNNRRERSEULLENGSHUHUUENERTERTHRRENELUNDEHEHHENNENE: | IRRIRLEFLIE RITA A bank m [9] Fig. 3b. | N ANNE RAN Fa gi “s Ra. TRRUSSUTHEN 2. 3 . : 3 ; E Über die Beziehungen der Herznerven zur autom, Reizerzeugung etc. 353 dass dieselben mit um so grösserer Wahrscheinliehkeit und um so gehäufter zu erscheinen pflegen, je mehr sich die Vagusreizung mit dem maximalen Reizeffekte der Acceleratoren deckt. Von wieder- holten Vagusreizungen sind wegen der inzwischen abklingenden Acceleranserregung gewöhnlich nur die ersten von ventrikulären Extrasystolen begleitet. Sehr wesentlich kommt dabei aber auch der Zustand des Herzens selbst in Betracht. Durch Curare stärker geschädigte, nach längerer Versuchsdauer bereits abgekühlte oder aus einem anderen Grunde schlechter schlagende sowie auf Accelerans- reizung schwächer reagierende Herzen geben auch bei kombinierter Accelerans - Vagusreizung gewöhnlich nur einfachen Herzstillstand. Doch finden sich auch viele Versuche, bei denen die Interferenz von Accelerans- und Vagusreizung, ohne dass wir spezielle Gründe dafür anführen könnten, keinen Einfluss auf die Reizerzeugung der Kammern selbst oder anderer Herzabschnitte erkennen liess. Dieses vollständig negative Ergebnis hatten wir unter 30 Experimenten neunmal zu verzeichnen. Das wichtigste Beweismaterial, welches die kausale Beziehung der Accelerantes zur ventrikulären Reizerzeugung sicherstellt, ver- danken wir dem Umstande, dass wir ebenso wie in dem eben be- sprochenen, so auch in allen übrigen Experimenten von vornherein die Vaguswirkungen sowohl nach Erregung des linken als auch nach der des rechten Ganglion stellatum verglichen haben. Mit Rücksicht auf das anatomische Verteilungsverhältnis der Accelerantes auf die beiden Herzhälften und im Hinblicke auf die von uns (]. ce.) nach- gewiesenen speziellen Beziehungen des linken Accelerans zur Atrio- ventrikulargrenze sowie auf die verschiedenartige Formänderung der Nachsehwankung durch Reizung des rechten und linken Ganglion stellatum mussten wir daran denken, dass die Accelerantes jeder Seite auch hinsichtlich ihrer in Frage stehenden, ventrikuläre Auto- matie erzeugenden Komponente bis zu einem gewissen Grade ge- trennte Innervationsgebiete haben könnten. Diese Vermutung fand in den Ergebnissen unserer Experimente eine weitgehende Bestätigung. Denn es ergab sich trotz vielfacher Ausnahmen mit unverkennbarer Gesetzmässigkeit, dass bei kombi- nierter Reizung von rechtem Accelerans und rechtem Vagus rechtsseitige, von linkem Accelerans und rechtem Vagus dagegen linksseitige ventrikuläre 354 C. J. Rothberger und H. Winterberg: Extrasystolen den Vagusstillstand unterbrachen, wie dies z. B. in der gerade beschriebenen Fig. 3 zutrifft. Auch hier ist für die Erkenntnis und Abstraktion der allgemeinen Regel nicht nur das Gesamtergebnis einer grösseren Versuchsreihe, sondern insbesondere auch das konstant bleibende Resultat vieler Einzelversuche maassgebend gewesen, in denen eine abwechselnd wiederholte Erregung des rechten und des linken Accelerans in Ver- bindung mit Vagusreizung stets in gleicher Weise einmal zum Auf- treten rechtsseitiger, ein andermal zu dem linksseitiger Extrasystolen führte. So wurden z. B. in dem Experimente, welchem Fig. 3 ent- nommen ist, zwölf derartige kombinierte Reizungen ausgeführt, wobei jedesmal der gleiche Erfolg eintrat. Auch diejenigen Fälle, in denen Abweichungen von dem eben geschilderten Verhalten beobachtet werden, sind dadurch charakterisiert, dass bei mehrfacher Wieder- holung des Experimentes immer wieder gleichartige Variationen zu- stande kommen. Gerade dieser Umstand ist sehr beweisend für die Abhängigkeit auch der ventrikulären Reizerzeugung von nervösen Einflüssen, deren Effekt zwar mit der individuell verschiedenen Nervenverteilung variieren kann, in jedem einzelnen Falle aber dennoch eine gewisse Konstanz aufweist. Die Abweichungen von der oben aufgestellten Regel umfassen alle Möglichkeiten. In vielen Fällen erhält man bei erregtem linken Accelerans die typische Reaktion, während nach Reizung des rechten Accelerans nur Verlangsamung oder Stillstand eintritt. Überhaupt finden sich die vorkommenden Abweichungen ungleich häufiger bei der Interferenz von rechtem Accelerans, rechtem Vagus, als bei der von linkem Accelerans, rechtem Vagus. In ersterem Falle sind gelegent- lich auch linksseitige Extrasystolen entweder allein oder im Wechsel mit rechtsseitigen zu beobachten, während in letzterem Falle das Erscheinen rechtsseitiger automatischer Ventrikelschläge immerhin zu den selteneren Ausnahmen gehört. Andere recht häufige Ab- weichungen betreffen die Unterbrechung des Vagusstillstandes durch Kontraktionen aurikulären und atrioventrikulären Ursprunges, worauf wir noch später zurückkommen werden. Manchmal kommt es zu einer geänderten Reaktion, wenn statt des rechten der linke Vagus gereizt wird. In Fig. 4a wurde bei errestem rechten Accelerans, was aus der hier besonders charakte- ristischen Form der Nachschwankung auch ohne jede diesbezügliche Angabe leicht zu erkennen wäre, der linke Vagus gereizt. Während AULEOBRN uoyur won 14 —ı EN = az en "SL INMAMMNNAEMAIHMANNN PERTEETIEREIN EEE "SURIOJOIIY UANI9T WII 194 SUSE UoNyUum Sop Sunziay °,20‘0 ur oz y A 0 PaLguoA Ua991 pun FoqIoA‘ UNI WOA u9AINYSUoIsuadsng "SUndoIyaewzioy OTGT AOAOINO SZ woA yoansıaa Dr lg N BD) > [eb] nn {=} (=) el) = {eb} N - © I S ae = © » =) Ss = = N [=] [eb] > - [b2 [>| N = © er) - © SI [=] {eb} j=1)) s = B= © .-—_ N [e®} aa © -— S „ jeb) Pe) be») 356 C. J. Rothberger und H. Winterberg: unmittelbar vorher bei kombinierter Reizung des rechten Accelerans und des rechten Vagus der Regel entsprechend nur rechtsseitige automatische Kammerkontraktionen erschienen, finden wir in Fig. 4a zuerst eine rechtsseitige, dann aber eine linksseitige und schliesslich nochmals eine rechtsseitige Systole ventrikulären Ursprungs. Der letzteren geht eine hypodyname, ein normales E. K, aufweisende Kontraktion voran (vgl. Fig. 1). Der Effekt der einfachen Vagusreizung war hier auf den beiden Seiten insofern verschieden, als Reizung des rechten Vagus voll- ständigen Stillstand, Reizung des linken Vagus nur Verlangsamung der Vorhofschläge mit totalem Ventrikelsystolenausfall erzielte. In anderen Versuchen wurde aber trotz ebenso verschiedener Wirksamkeit der beiden Vagi an dem erhaltenen Resultate bei kombinierter Reizung nichts geändert, wenn statt des rechten der linke Vagus errest wurde. Doch haben wir diesen Vergleich nur in einzelnen Experimenten voilständig durchgeführt; gewöhnlich be- schränkten wir uns auf die Reizung des rechten Vagus. Wir haben schon früher erwähnt, dass automatische Ventrikel- schläge um so sicherer und um so gehäufter aufzutreten pflegen, je vollständiger die Vagusreizung unter sonst gleichen Umständen mit der vollen Entfaltung der Acceleranswirkung zusammenfällt. Es können dann auch grössere Gruppen automatischer Ventrikelschläge erscheinen, ja, es kommt sogar bisweilen zur Entwicklung einer längeren Periode annähernd rhythmischer automatischer Kammer- schläge. Ein besonders schönes Beispiel hiervon zeigt Fig. 4b. Einer ganz kurzen Reizung des rechten Vagus auf der Höhe des Reizeffektes des linken Accelerans folet nach einer kurzen prä- automatischen Pause eine Periode im linken Herzen entstandener Kammerschläge, von denen der dritte bis achte rückläufig Vorhof- kontraktionen auslösen. Eine zweite Vagusreizung unmittelbar nach Wiedereintritt der normalen Schlagfolge hatte schon eine viel ge- ringere Wirkung, indem nur nöch drei linksseitige Extrasystolen verzeichnet wurden; eine etwas später vorgenommene dritte Reizung führte nur noch zu einfachem Herzstillstand. Dieselbe zuletzt ge- nanrte Reaktion erhielten wir, was wir in diesem Falle nochmals besonders betonen wollen, jedesmal, wenn wir den rechten Vagus bei unerregten Accelerantes auf seine Wirksamkeit prüften. So hohe Grade ventrikulärer Automatie als Folge interferierender Accelerans-Vagusreizung sind jedoch sowohl nach Erregung des linken Über die Beziehungen der Herznerven zur autom. Reizerzeugung etc. 357 als namentlich nach Erregung des rechten Accelerans selten. F ig. 5a zeigt so ziemlich den maximalen Effekt, den wir diesbezüglich nach Reizung des rechten Ganglion stellatum gesehen haben. Die Form ERHREMLRRAAAMAANAN VRORRRRERRRREREN ar Fig. 5a. Versuch vom 26. Oktober 1910. Reizmarkierung. Suspensionskurven ‚ vom rechten Vorhof und rechten Ventrikel. E.K. Zeit in 0,02”. Reizung des linken Vagus bei erregtem rechten Accelerans. Fig. 56. Reizung des rechten Vagus bei erregtem linken Accelerans. Primäres Flimmern der Kammern, dem linksseitige Extrasystolen vorangehen. der hier abgebildeten Kammerelektrogramme weicht von jener der ge- wöhnlich bei rechtsseitigen Extrasystolen zu beobachtenden wiederum insofern ab, als die positive, insbesondere aber die negative Phase Pflüger’s Archiv für Physiologie. B\. 141. 24 358 C. J. Rothberger und H. Winterberg: der atypischen Doppelschwankungen viel weniger stark entwickelt ist. Vermutlich liest der Ausgangspunkt dieser automatischen Kammerschläge, die wir in gleicher oder ähnlicher Gestalt auch sonst bei kombinierter Reizung des rechten Accelerans und des rechten Vagus gesehen haben, dem linken Ventrikel so nahe, dass dieser seinen Einfluss auf die Form des E.K. ebenfalls geltend macht. In dem gleichen Versuche (Fig. 5b) führte Reizung des rechten Vagus nach Erregung des linken Aeccelerans zunächst zum Auftreten linksseitiger Extrasystolen, an die sich nach einigen wühlenden und wogenden Bewegungen unmittelbar tödliches Flimmern der Herz- kammern anschloss. Dieser von Hering ebenfalls erwähnte Über- gang von Extrasystolen zum Flimmern findet sich umgekehrt auch bei der Rückbildung des Flimmerns und ist hier von Winterberg!) an den flimmernden Vorhöfen und Kammern beschrieben und ab- gebildet worden (l. e. Fig. 3, 5, 6, 8, 9). Dieser Übergang liefert für die Wesensgleichheit des Flimmerns und der extrasystolischen Arhythmje einen gewiss wichtigen Anhaltspunkt. Der sichere Beweis hierfür ist aber erst durch den Nachweis der Identität der postundu- latorischen und der postextrasystolischen Pause (Winterberg l. ce.) möglich gewesen. Das Flimmern der Herzkammern ist demnach als die höchste Stufe multipler Reizbildung anzusehen, eine Meinung, die zuerst von Winterberg?) ausgesprochen wurde, und der sich später auch Hering°) angeschlossen hat. In dem in Fig. 5b dargestellten sowie in zwei weiteren Experimenten, in denen die gleiche Be- obachtung gemacht wurde, ist diese bis zum Flimmern führende Reizerzeugung auf die vorangegangene Erregung des Accelerans zu beziehen. Allerdings kann nicht nur Flimmern der Vorhöfe, sondern auch der Kammern durch Vagusreizung allein zustande kommen. 1) Winterberg, Studien über Herzfimmern. II. Mitteilung. Über das Wesen der postundulatorischen Pause usw. Pflüger’s Arch. Bd. 128 S. 471. 1909. 2) Winterberg, Über Herzflimmern und seine Beeinflussung durch Kampher. Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Therapie Bd. 3 S. 182. 1906, und Studien über Herzflimmern. I. Mitteilung. Über die Wirkung des N. vagus und accelerans auf das Flimmern des Herzens. Pflüger’s Arch. Bd. 117 S. 223. 1907. 3) Hering, Korreferat über: Die Herzstörungen in ihren Beziehungen zu ! den spezifischen Muskelsystemen des Herzens. Verhandl. der deutschen pathol. . Gesellsch. 14. Tagung S. 49. Erlangen 1910. | en ae A nu Über die Beziehungen der Herznerven zur autom. Reizerzeugung etc. 359 Gegen letzteren Zusammenhang spricht aber der Umstand, dass wir in diesem wie in allen übrigen Fällen trotz wiederholter Prüfung immer nur die gewöhnliche Hemmungswirkung des Vagus erhielten und Extrasystolen mit Übergang in Kammerdelirium nur dann sahen, wenn die Vagusreizung mit der Erregung des Accelerans zusammen- traf. Ferner ist Flimmern der Kammer nach Vagusreizung ein sehr seltenes Ereignis, während es bei unserer Versuchsanordnung auf- fallend häufig — unter 30 Experimenten dreimal — verzeichnet wurde. Atrioventrikuläre und aurikuläre Automatie. Die zahlreichen, teils einfachen, teils miteinander interferierenden Reizungen der Herznerven, die wir gelegentlich der vorliegenden Unter- suchungen ausgeführt haben, lieferten auch bezüglich des Einflusses der Herznerven auf die atrioventrikuläre und aurikuläre Automatie neues Material, aus welchem wir einige, unsere frühere diesbezügliche Mitteilung ergänzende Beobachtungen mitteilen wollen. Vor allem möchten wir hervorheben, dass wir auch in. dieser 35 Versuche umfassenden Serie in keinem einzigen Falle durch Reizung des rechten Ganglion stellatum atrioventrikuläre Automatie erzeugen konnten. Dagegen sehen wir diesen sog. „Knotenrhythmus“ l4mal nach Reizung des linken Ganglion stellatum auftreten. Die direkte, chronotrop hemmende Wirkung des Vagus auf die Vorhof- S Fr EHER TITTEN MEISHERBTEN N" an | u. aaa IRHRERISTSIATIRRRSER Fig. 6a. Versuch vom 19. Oktober 1910. Reizmarkierung. Suspensionskurven vom rechten Vorhof und rechten Ventrikel. E.K. Zeit in 0,02”.- Reizung des linken Vagus während atrioventrikulärer Automatie nach Erregung des linken ; Accelerans. 24 * 360 C. J. Rothberger und H. Winterberg: Kammersrenze, für die wir in Fig. 11 der genannten Mitteilung ein wegen des Mangels der Zeitmarkierung nur unvollkommenes Beispiel geben konnten, liess sich diesmal in vollkommen überzeugende Reizung des rechten Vagus Fig. 6c. bei erregtem rechten Accelerans. bei erregtem linken Accelerans (früheres Versuchsstadium). Reizung des rechten Vagus Fig. 6b. Weise darstellen. In Fig. 6a sehen wir nach Reizung des linken Ganglion stellatum einerseits die typische Formveränderung des E.-K. und andererseits an den Suspensionskurven sehr deutlich das Be- stehen atrioventrikulärer Automatie. (In einem früheren Versuchs- stadium bei noch rascher schlagendem Herzen blieb nach Reizung Über die Beziehungen der Herznerven zur autom. Reizerzeugung etc. 361 des linken Accelerans, Fig. 6b, die Sukzession ungestört.) Durch eine ganz schwache (R.-A. 160 mm) und kurze Reizung des linken Vagus wird die 0,40” betragende Dauer einer Herzrevolution vorüber- gehend auf 0,48” und 0,42” verlängert. Später stellt sich wieder die frühere Schlagfrequenz ein, wobei die atrioventrikuläre Schlagfolge noch eine Zeit lang erhalten bleibt, bis nach einer zweiten, nur wenig längeren Vagusreizung der Umschlag in die normale Sukzession er- folet. Um denselben zu vermeiden und den negativ chronotropen Effekt rein zu erhalten, muss man also wegen der verhältnismässig intensiven Hemmungswirkung des Vagus auf die Atrioventrikular- grenze sehr schwache und kurzdauernde Reizungen anwenden !). Ausnahmsweise aber verlaufen auch die hemmenden Fasern für den Sinusknoten fast ausschliesslich im rechten, für die Atrioventri- kulargrenze dagegen vorzugsweise im linken Vagus. Unter diesen Umständen ist bei kombinierter Reizung des linken Accelerans und des rechten Vagus atrioventrikuläre Automatie zu erwarten. Während wir bei einigen nach diesem Plane ausgeführten Experimenten, über welche wir in unserer früheren Mitteilung (Pflüger’s Archiv Bd. 135) berichtet haben, keine überzeugenden Resultate erhielten, fanden wir diesmal unsere Voraussetzung in zwei Versuchen bestätigt. In Fig. 7a und b (die E.-K. sind stark verzittert) ist eines dieser Experimente in seinen wesentlichen Phasen abgebildet. In Fig. 7a hat Reizung des linken Accelerans die normale Sukzession nicht beeinflusst. Reizung des rechten Vagus dagegen hemmt nach anfänglicher Ver- lanesamung die normale Reizbildung vollständig und demaskiert dadurch die atrioventrikuläre Automatie. Dagegen hat der linke Vagus auf die normalen Ursprungsreize gar keinen chronotropen Ein- fluss (Fig. 7b) — die Vorhöfe schlagen in ihrer ursprünglichen Frequenz weiter —, wohl aber hebt er die Überleitung völlig auf und paralysiert überdies die atrioventrikuläre Reizbildung. In einem dritten Falle führte Reizung des linken Accelerans sowohl in Kombination mit Erregung des rechten als auch des linken Vagus zu atrioventrikulärer Automatie. Beide Vagi zeigten bei der vorangegangenen Prüfung ihrer Wirkung ziemlich gleiche intensive Hemmungseffekte. 1) Fig. 6c gibt im Vergleiche zu Fig. 6b ein weiteres Beispiel für das Auftreten einer rechtsseitigen Extrasystole bei der Kombination: rechter Accelerans, rechter Vagus. 30 C. J. Rothberger und H. Winterberg: Endlich beobachteten wir in einem weiteren Experimente die Entwicklung atrioventrikulärer Automatie nicht nur bei Reizung des Eintritt av. Automatie Suspensionskurven vom rechten Ventrikel und rechten Reizung des rechten Vagus bei erregtem linken Accelerans. und Verlangsamung. Versuch vom 3. November 1910. Reizmarkierung. Vorhof. E.K. Zeit in 0,02". Fig 7a. linken, sondern auch bei der des rechten Accelerans, sobald dieselbe mit Reizung des rechten Vagus verbunden wurde. Fig. Sa zeigt die Über die Beziehungen der Herznerven zur autom. Ruizerzeugung etc. 363 Verhältnisse nach Durehschneidung sämtlicher Herznerven, wobei im E.K. die ganz ungewöhnlich grosse P- und die tiefe S-Zacke auf- ällt. Vagusreizung bringt das Herz vollständig zum Stillstand. Vorhofrhythmus bleibt erhalten, Kammersystolenausfall. g des linken Vagusei erregtem linken Acceleransb. FRRERDESe SFR PET einen Fig. 7b. Reizun Fig. 8b ist nach Reizung des linken Accelerans aufgenommen. Die Nachschwankung ist in typischer Weise verändert, doch ist die normale Sukzession erhalten. Nach Reizung des rechten Vagus tritt atrioventrikuläre Automatie auf, welche die Vagusreizung noch längere Zeit überdauert. Unter denselben Umständen kommt es aber auch 364 C. J. Rothberger und H. Winterberg: nach Reizung des rechten Accelerans in Fig. Se zu atrioventrikulärer Automatie, nur mit dem Unterschiede, dass, abgesehen von der nun für die Erregung des rechten Accelerans charakteristischen Form- Vagusreizung rechts. IEEEEEUEREEESNERER Reizmarkierung. Suspensionskurven vom rechten Vorhof und rechten Zeit in 0,02". I.ER® Ventrikel. Versuch vom 7. März 1911. Fig. 8a, änderung des E.K., noch vor dem Sistieren der Vagusreizung zu- nächst der linke (negative P-Zacke) und bald darauf wieder der rechte Vorhof die Führung des Herzschlages übernimmt. Die Wirkung 98/14 BEEEEERESEEZEEEEEEEREEEEEEZEEEEEEEZEREGET rt FTTRETRLRTERTLERTTSATITERTBENTTDENEETSSAIETITERTIGRIRLITI DI DIT RI TER Een erento i Pieter 365 "SURIATSIIYV UAMULL MAIAALIA TAQ SNaRA mAmIAT SAD Bunziar OR ArT Q En (eb) an =] 5 &0 Si &® N = jeb} N .-i Kb} = oO Eh} =} S - S! N oO {eb} > u [eb = N - © en = o® ze) S {eb} 210) = = rd oO nl N & ra @ ro) - © Fe) Bee) 2 F 2 3 z z z 366 C. J. Rothberger und H. Winterberg: des linken Vagus wurde in diesem Falle leider nicht untersucht. Die Form des E.K. der atrioventrikulären Schläge zeigt, was be- sonders erwähnt zu werden verdient, dieselben Gestaltsveränderungen, wie sie der Reizung des linken (Fig. Sb) bzw. des rechten Accelerans (Fig. Se) entsprechen. Unvergleichlich häufiger als die hier be- schriebenen, mehr weniger regelmässig aufeinanderfolgenden atrio- ventrikulären Schläge sind einzelne den Vagusstillstand unterbrechende, von der Vorhofkammergrenze stammende Kontraktionen bei kom- binierter Vagus-Acceleransreizung zu beobachten. Es ist vielleicht nicht überflüssig hervorzuheben, dass die atrioventrikuläre Ent- stehung einzelner Systolen innerhalb des Vagusstillstandes aus den Suspensionskurven nicht festgestellt und durch annähernd gleich- zeitig im Vorhof und Ventrikel autochthon entstandene Schläge leicht vorgetäuscht werden kann. Es muss deshalb immer das E.K. mit berücksichtigt und darauf geachtet werden, ob den synehronen Vorhof- und Ventrikelschlägen das für den betreffenden Fall normale Ventrikel E.K. entspricht. Eine blosse Annäherung an die schema- tische Figur der normalen Kammer E.K., wie z. B. in Fig. 1 und in Fig. 5, beweist dagegen nichts für den atrioventrikulären Ursprung solcher Schläge. Man findet letztere besonders häufig nach kom- binierter Reizung des rechten Accelerans und eines Vagus; sie ent- springen wahrscheinlich in der rechten Kammer nahe der sog. In- differenzzone. Dafür spricht unter anderem auch der Umstand, dass man Elektrogramme von ähnlicher Gestalt erhalten kann, wenn man die Oberfläche des rechten Ventrikels an der Kammergrenze reizt, oder wenn man gleichzeitig eine Extrasystole sowohl der rechten als auch der linken Kammer auslöst. Endlich entstehen auch in den Vorhöfen, wie kaum anders zu erwarten ist, unter Acceleranswirkung an abnormen Stellen Reize, die einzelne oder auch aufeinanderfolgende Kontraktionen auslösen können, sobald die normalen Ursprungsreize mehr oder minder voll- ständig ausgeschaltet werden. Doch ist der Nachweis der Hetero- topie dieser Reize ungleich schwieriger. Manchmal liegen die Ver- hältnisse allerdings so, dass wenigstens an der extrasystolischen Natur einer solchen aurikulären Kontraktion nicht gezweifelt werden kann, so z. B. in Fig. 6b. Man sieht daselbst nach Reizung des rechten Vagus bei erregtem linken Accelerans zunächst die schon bekannte Erscheinung einer linksseitigen Extrasystole, auf welche ein vom Vorhof übergeleiteter Schlag folet. Der Vorhof selbst zeigt ei 1 ne Über die Beziehungen der Herznerven zur autom. Reizerzeugung etc. 367 nach der Vagusreizung noch drei Kontraktionen, von denen die zwei ersten als in gewöhnlicher Weise veranlasste Schläge aufgefasst werden könnten. Doch ist die dem zweiten dieser Schläge ent- sprechende stark veränderte P-Zacke auffallend. Wir sind durchaus der Ansicht, dass es sich hier und in ähnlichen Fällen (Fig. 8a) nicht um eine Formänderung der Vorhofzacke als Begleiterscheinung der negativ inotropen Vaguswirkung, sondern vielmehr um eine Gestaltsveränderung handelt, die durch eine an abnormer Stelle ent- Fig. 9. Versuch vom 31. März 1911. Reizmarkierung. Suspensionskurven vom rechten Vorhof (A. d.), vom linken Vorhof (A. s.) und vom rechten Ventrikel. E.K. Zeit in 0,02’. Reizung des rechten Vagus (R.-A. 100 mm) bei erregtem linken Accelerans.. Umkehr der Sukzession der Kontraktionen der rechten und linken Aurikel. — P. standene und abnorm ablaufende Vorhofsystole zustande kommt. Sicher beweisen lässt sich diese Annahme allerdings nicht einmal für den zweifellos vorzeitig ausgelösten dritten Vorhofschlag in Fig. 6b. Wenn jedoch der Rhythmus nicht in so handgreiflicher Weise wie in Fig. 6b gestört wird, dann ist es nur unter besonderen Umständen möglich nachzuweisen, dass die den Vagusstillstand unterbrechenden Vorhofsystolen einen abnormen Ausgangspunkt haben. Fig. 9 zeist die Folgen der Reizung des rechten Vagus bei errestem linken Accelerans. Die Wirkung scheint zunächst nur in der so gewöhnlichen Verlangsamung der Herzschläge zu be- stehen. Die sehr auffällige Veränderung der Vorhofzacke des dritten Herzschlages fordert jedoch zu einer weiteren Analyse 368 C. J. Rothberger und H. Winterberg: heraus, die sich auch hier mit Hilfe der mitverzeichneten Suspensions- kurven der rechten und linken Aurikel durchführen lässt. Es zeigt sich dabei, dass mit dem Negativwerden der P-Zacke eine Änderung der Sukzession der Kontraktionen der rechten und linken Aurikel vorhanden ist. Während bei positiver P-Zacke ein Intervall Ad- As von mehr als 0,02” besteht, schlägt bei negativer P-7acke die linke Aurikel um etwa 0,01” vor der rechten. Negativwerden der Vorhofzacke mit gleichzeitiger Umkehr der Sukzession haben wir schon in unserer Mitteilung in Bd. 135 dieses Archivs als häufige Folge linksseitiger Acceleransreizung kennen selernt und dort in Fig. 10 (S. 592) abgebildet. Wir haben uns an jener Stelle (S. 600) dahin ausgesprochen, dass der Ausgangspunkt der Ursprungsreize in diesen Fällen im linken Vorhofe zu suchen ist. Aus den angeführten Gründen halten wir uns auch hier für be- rechtigt, den eine negative Vorhofzacke aufweisenden, den Vagusstill- stand durchbrechenden Herzschlag in Fig. 9 auf automatische Reiz- bildung im linken Vorhof zu beziehen. Durch Kombination von Reizung des linken Accelerans und eines Vagus (auch hier ist meist der rechte Vagus der wirksamere) kann auch die Reizbildung an dieser vorläufig nicht näher zu be- stimmenden Stelle des linken Vorhofs in ähnlicher Weise enthüllt werden, wie wir dies bezüglich der atrioventrikulären Automatie im vorangehenden gezeigt haben. Man sieht dann sehr häufig in Fällen, in denen weder die Reizung des linken Accelerans noch jene des Vagus (was natürlich jedesmal besonders festgestellt wurde) die Vor- hofzacke negativ macht, diese Form heterotoper aurikulärer Auto- matie bei interferierender Reizung beider Nerven eintreten. Wir verweisen diesbezüglich auf Fig. 10. Die vorangegangene Erregung des linken Accelerans ist aus der Form der Nachschwankung auch hier ersichtlich. Die P-Zacke ist jedoch positiv geblieben und wird erst für die Dauer einer Reizung des rechten Vagus, die früher, wenn auch nicht zu völligem Stillstande, so doch zu sehr erheblicher Ver- jangsamung führte (zwei Herzschläge in 1Y/3”), negativ. Man sieht daraus, dass die antagonistische Wirkung des Accelerans gegen- über dem Vagus, die ja sicher auch gegenüber den normalen Ur- sprungsreizen vorhanden ist, gelegentlich durch das Hervortreten heterotoper aurikulärer Automatie vorgetäuscht werden kann. (Ver- gleiche auch Fig. 3«.) Über die Beziehungen der Herznerven zur autom. Reizerzeugung etc. 369 Diese aurikuläre Automatie kann unter Umständen bis zum Flimmern des Vorhofes gehen. Wir müssen allerdings bemerken, dass wir auch nach Durchschneidung der Ganglia stellata Vorhofflimmern wiederholt nach einfacher Vagusreizung beobachtet haben. Wenn wir trotzdem den Eintritt dieses Freignisses nach kombinierter Reizung des linken Accelerans und des rechten Vagus in Fig. 11 darstellen, so geschieht dies hauptsächlich aus dem Grunde, weil hier das Flimmern nach kurzer Zeit auch die Ventrikel erereift, und weil zwischen der vorangegangenen Erregung des linken Accelerans und Fig. 10. Versuch vom 16. Januar 1911. Reizmarkierung. Suspensionskurven des rechten Vorhofs und rechten Ventrikels. E.K. Zeit in 0,02” Reizung des rechten Vagus (von + bis +) bei erregtem linken Accelerans. — P! dem sonst sehr seltenen Übergang des Flimmerns von den Vorhöfen auf die Kammern vielleicht ein Zusammenhang besteht. In einem zweiten Falle sahen wir erst nach kombinierter Reizung beider Accelerantes und des rechten Vagus Vorhofflimmern eintreten, an das sich in ganz ähnlicher Weise wie hier nach kurzer Zeit tödliches Kammerdelirium anschloss. Endlich möchten wir noch erwähnen, dass wir die höchsten Grade von Tachykardie, die wir unter den ver- schiedensten Umständen bis jetzt bei Hunden beobachten konnten, in jenen Fällen sahen, wo eine kurze Vagusreizung nach voran- gegangener Acceleranserregung zum Vorhofflimmern führte. Wir konstatierten in einem solchen Falle eine Minutenfrequenz von 420 bis 450 Schlägen, wobei das Kammer-E.K. normal blieb. 370 C. J. Rothberger und H. Winterberg: Schlussbetrachtungen. Wenn wir nun die Beziehungen der Herznerven zur automati- schen Reizerzeugung nochmals im Zusammenhange überblicken, so INDEUESHUSHUERRERNSN IURNUHEERUERHUNHEEENN] INORERARR| en Vagus bei erregtem linken Accelerans. skurven vom”rechten Vorhof und rechten Ventrikel. Suspension Kurz nach Sistieren einer Reizung des recht Erst Vorhof-, dann Ventrikelflimmern. Versuch vom 7. Oktober 1910. E.K. Zeit in 0,02”. Fig. 11. sehen wir, dass in allen Abteilungen des Herzens die Reizbildung unter dem fördernden Einflusse der Accelerantes steht. Diese wirken zunächst und am kräftigsten auf die Bildungsstelle der normalen Ur- Über die Beziehungen der Herznerven zur autom. Reizerzeugung etc. 371 sprungsreize, doch besteht schon hier in den meisten Fällen eine sehr deutlicheDifferenz zwischen rechtem und linkem Accelerans, indem der rechte das Tempo der Reizbildung meist viel ausgiebiger erhöht als der linke. Ein analoges Verhältnis gilt, wenn auch nicht in gleich regelmässiger und ausgesprochener Weise, für die Vagi, von denen der rechte in der Regel die Reizbildung des Sinusknotens nachhaltiger und voll- ständiger hemmt als der linke. Die an Reizbildungsfähigkeit zunächst in Betracht kommenden Stellen, von denen eine im linken Vor- hofe (negative P-Zacke) vermutlich in seinem dem Sinus venosus entsprechenden Teile, die übrigen im Be- reiche der Ausdehnung des Tawara’schen Knotens gelegen sein dürften, werden von den beiden Accele- rantes ebenfalls ungleichmässig versorgt; nunmehr tritt aber der linke Accelerans in den Vordergrund. Trotzdem wächst bei Reizung des linken Accelerans nur in einer Minderzahl von Fällen die Reizerzeugung dieser sekundären Zentren bis zu der für die Beherrschung des Herzschlages notwendigen Höhe an. Es ist also in den meisten Fällen nicht ohne weiteres möglich, den Einfluss des Accelerans auf die Atrio- ventrikulargrenze bzw. auf den linken Vorhof durch einfache Reizung sicherzustellen, doch gelingt es regelmässig, denselben nach Ausschaltung oder Schädigung der primären Reizbildungsstelle nach- zuweisen. In manchen Fällen genügt schon die allmähliche Ver- langsamung der primären Ursprungsreize infolge des nach Durch- schneidung der Ganglia stellata ausfallenden Acceleranstonus und die weitere Herabsetzung der Schlagfrequenz durch die fort- schreitende Abkühlung. Daher kommt es, dass bisweilen nach Reizung des linken Acce- lerans das Negativwerden der Vorhofzacke oder der Eintritt atrio- ventrikulärer Automatie erst in späteren Versuchsstadien beob- achtet wird. Die Grade der Reizbildungsfähiekeit des beim Negativwerden von P in Betracht kommenden Vorhofteiles und der Atrioventrikular- grenze scheinen nach unseren Erfahrungen nicht weit auseinander zu liegen. Bald überwiest nach Reizung des linken Accelerans die eine, bald die andere Stelle. Beide unterliegen auch der Hemmungs- 3723 C. J. Rothberger und H. Winterberg: wirkung des Vagus, die an der Atrioventrikulargrenze entweder an sich oder doch im Verhältnis zu der geringeren Automatie derselben so intensiv ist, dass nur bei sehr schwacher und kurzdauernder Reizung die atrioventrikulären Schläge verlangsamt, gewöhnlich aber vollständig unterdrückt werden. Die Hemmungsfasern für den linken Vorhof und die Atrioventrikulargrenze sind gewöhnlich so ver- teilt, dass man von den Vaegis beider Seiten Hem- mungseffekte erhält. Nur in seltenen Fällen verlaufen in der Bahn des rechten Vagus im wesentlichen nur die negativ- chronotropen Fasern für das primäre Reizbildungszentrum. Dann kann dieses durch Vagusreizung ebenso wie durch Verschorfung oder Abkühlung ausgeschaltet werden, und während isolierte oder mit Reizung des linken Vagus verbundene Erregung des linken Accelerans erfolglos bleibt, führt sie in Kombination mit Reizung des rechten Vagus zum Negativwerden von P bzw. zu atrioventri- kulärer Automatie. Die Wirkung der Förderungsnerven auf die Reiz- erzeugung lässt sich noch über die Atrioventrikular- erenze hinaus bis in die Kammern hinein verfolgen. Doch erreichen die unter dem Einfluss des Accele- rantes gebildeten ventrikulären Reize fast nie die nötige Frequenz, umnichtdurchdieinrascherer Folge entstehenden supraventrikulären Reize unterdrückt zu werden. Sie können deshalb durch einfache Acceleransreizung nicht zur Darstellung gebracht werden. Sietreten aber nicht selten hervor, wenn die konkurrierenden supraventrikulären Reizbildungs- stellen dureh Vagusreizung ausgeschaltet werden. Doch darf die Vagusreizung erst nach voller Entfaltung der Accelerans- wirkung erfolgen und muss von genügender Intensität sein, um die Ursprungsreize ausreichend zu hemmen. Es treten dann individuell ziemlich verschiedene, von der Intensität der Förderungs- und Hemmungswirkung der gewählten Nerven auf die Reizerzeugung ab- hängige Interferenzerscheinungen auf. Bei Überwiegen der Förderunes- wirkung an dieser oder jener Stelle unterbrechen bald nomotope, bald heterotope aurikuläre, atrioventrikuläre oder ventrikuläre Schläge einzeln, gruppenweise oder in rhythmischer Reihe den gewöhnlichen Vagusstillstand. Trotz der um so viel niedrigeren ventrikulären Reiz- Über die Beziehungen der Herznerven zur autom. Reizerzeugung etc. 373 bildungsfähigkeit sind die Chancen für die in den Kammern ent- standenen Reize relativ günstig, weil der Vagus vor allem die auto- matische Reizerzeugung der Zentren höherer Ordnung hemmt. Von besonderem Interesse ist die Tatsache, dass man innerhalb gewisser Fehlergrenzen, je nachdem der Vagusreizung eine Erregung des linken oder rechten Accelerans voranging, von der linken bzw. von der rechten Kammer ausgehende, durch das E.K. wohl charak- terisierte Systolen erhält. Daraus ist zu schliessen, dass die Herzkammern auch hinsichtlich ihrer automati- schen Reizerzeugung vorzugsweise von dem Accele- rans ihrer Seite beeinflusst werden, ein Verhalten, das mit dem von uns bezüglich der inotropen Innervation gemachten Erfahrungen gut übereinstimmt. Im allgemeinen war unter Acceleranseinfluss eine grössere Reiz- bildungsfähigkeit der linken Kammer wahrnehmbar, während Hering der rechten Kammer die höhere Automatie zuschreibt. Doch liegt in diesen verschiedenen Befunden zunächst kein Widerspruch, da es sich bei uns um ganz besondere Versuchsbedingungen handelt. Sehr auffällig ist die Beobachtung, dass die nach Vagusreizung sonst ziemlich häufigen ventrikulären und aurikulären Bigemini, die nach Hering!) indirekt durch den mechanischen Reiz des die Herz- höhlen überfüllenden Blutes bewirkt werden sollen, nach Durch- schneidung der Förderungsnerven nur ganz ausnahmsweise auftreten. Es liegt nahe, hierfür den Ausfall des Acceleranstonus verantwortlich zu: machen, da mechanische Momente in beiden Fällen in gleicher Weise wirken müssten. Wir haben im vorangehenden Texte die heterotop automatischen Systolen, namentlich wenn sie vereinzelt auftraten, auch als Extra- systolen bezeichnet und von heterotoper (aurikulärer, atrioventri- kulärer bzw. ventrikulärer) Automatie nur bei längerer, annähernd rhythmischer Aufeinanderfolge derselben gesprochen. Zwischen beiden Extremen sind aber fliessende Übergänge vorhanden. Es erhebt sich nun die wichtige Frage, ob die im Vagusstillstand bei erregten Accelerantes vorkommenden heterotop automatischen Schläge mit den auch sonst als Extrasystolen bezeichneten vorzeitigen Kon- traktionen identifiziert werden dürfen. Wäre dies der Fall, so bätten 1) Hering, Die myoretischen Unregelmässigkeiten des Herzens. Prager med. Wochenschr. Bd. 26 Nr. 1—2. 1901. T flüger ’s Archiv für Physiologie. Bd. 14. 25 374 C. J. Rothberger und H. Winterberg: wir durch die Möglichkeit, bei unserer Versuchsanordnung Extra- systolen mit ziemlicher Sicherheit durch Erregung rein nervöser Gebilde zu erzeugen, einen sehr wichtigen Anhaltspunkt gewonnen, um die klinisch mit aller Sicherheit festgestellten Fälle auf nervösen Störungen beruhender extrasystolischer Arhythmien erklären zu können. Dass Extrasystolen auch durch heterotop automatische Reize ausgelöst werden dürften (Hering), ist wohl ohne weiteres zuzugeben, und für das Verständnis der nervösen Beeinflussbarkeit derselben sind die angeführten Experimente gewiss nicht wertlos. Sie können aber dennoch nicht als eine vollgültige Nachahmung der natürlich vorkommenden pathologischen Verhältnisse angesehen werden, weil sie eines der am schwierigsten zu erklärenden Elemente der extra- systolischen Arhythmie — die Unterbrechung eines frequenteren Rhythmus durch langsamere rhythmische oder arhythmische heterotope Kontraktionen — nicht enthalten. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass wir im Tierexperiment nur in der allergröbsten Weise schon zu Strängen gesammelte, funktionell vielfach verschiedenartige Nervenfasern zu erregen vermögen, während im kranken Organismus feinst lokalisierte Reflexwirkungen spielen, wobei überdies neben zentralen besonders in Betracht zu ziehende periphere Erregbarkeits- änderungen mitreagieren dürften. Für die nahe Beziehung der durch Acceleransreizung auslösbaren heterotop-automatischen Herzschläge zu den Extrasystolen spricht mit grossem Gewichte der bisweilen beobachtete Übergang derselben in Flimmern. In einer Untersuchung über die Wirkung des N.vagus und accelerans auf das Flimmern des Herzens ist Winterberg!) zu dem Schlusse gelangt, dass der Accelerans weder auf das Ent- stehen noch auf den Verlauf des Kammerdeliriums einen nachweis- baren Einfluss hat und das Flimmern der Vorhöfe eher verkürzt. Diese Folgerung bedarf nunmehr einer Richtigstellung, da sie nach dem Ergebnisse der vorliegenden Versuche nicht allgemein gültig ist. Bei den erwähnten Experimenten wurde die Wirkung des Accelerans auf die Dauer des Flimmerns der elektrisch gereizten Vorhöfe bzw. auf die zur Auslösung des Kammerdeliriums nötige Stromstärke ge- prüft. Das so erhaltene negative Resultat ist nunmehr dahin zu verstehen, dass der in der Regel nur geringfügige Zuwachs der unter 1) Winterberg, Studien über Herzflimmern. I. Mitteilung. Pflüger’s Arch. Bd. 117 S. 223. 1907. Über die Beziehungen der Herznerven zur autom. Reizerzeugung etc. 375 Acceleranswirkung gebildeten heterotopen Reize offenbar gegenüber dem diesbezüglich viel mächtigeren faradischen Reizeffekte keine Rolle spielt. Bei der von uns gewählten Versuchsanordnung treten nun die durch den Accelerans hervorgerufenen heterotopen auto- matischen Reize hervor; durch die gleichzeitige Reizung des Vagus wird die Entstehung des Kammerdeliriums wahrscheinlich in ähn- licher Weise erleichtert, wie dies der Fall ist, wenn eine faradische Reizung der Kammern mit Erregung des Vagus kombiniert wird. Winterberg (l. e.) fand wenigstens, dass bei allmählicher Reiz- _ abstufung um 5 mm R.-A. eine vorher noch vertragene Stromstärke in der Mehrzahl der Fälle während einer gleichzeitig hervorgerufenen Vagushemmung Flimmern der Kammern erzeugt. Er erklärte diese auffallende Wirkung des Vagus dadurch, dass derselbe nur indirekt für das Wirksamwerden der durch die Faradisation des Herzens erzeugten Reize günstige Bedingungen schafft, indem er zum Beispiel dureh Ersehwerung der Leitung die einzelnen Herde automatischer Tätiekeit voneinander separiert und so verhindert, dass sich wieder ein einheitlicher, von einer Stelle aus bestimmter Rhythmus herstellt. Dasselbe gilt nun auch für unsere Experimente, nur ist in denselben das primäre reizbildende Moment die Reizerzeugung durch den Acce- lerans. Doch scheinen immerhin noch besondere, vorläufig unbekannte Momente mitwirken zu müssen, um bei kombinierter Accelerans- Vagusreizung Flimmern zu erzeugen. Die Möglichkeit, durch Reizung der Herznerven Flimmern der Kammern hervorzurufen, hat nach unserer Meinung deshalb besondere Bedeutung, weil sie die Fälle von plötzlichem Herztod durch Angst und Schreck auch ohne vorhandene Erkrankung des Herzens in ausreichender und symptomatologisch zutreffender Weise erklärt. Friedenthal!) hat den sogenannten reflektorischen Herztod bei Menschen und Tieren auf Grund besonderer Experimente nach Art des Kussmaul-Tenner schen Versuches ebenfalls auf hemmende Erregungen zurückgeführt, welehe dem Herzen von der durch Unter- brechung des Blutkreislaufes maximal erregten M. oblongata durch die Bahnen der Vagi und Accelerantes zugleich zugeführt werden. Er glaubt, dass es sich dabei um einen noch weiter komplizierten Vorgang handelt, bei welchem der Endeffekt überdies durch das 1) Friedenthal, Über reflektorischen Herztod bei Menschen und Tieren. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1901 S. 31. 25 * 376 C. J. Rothberger und H. Winterberg: Zusammenwirken von Sauerstoffmangel und dem schädigenden Ein- fluss der plötzlichen Drucksteigerung bestimmt wird. Es erscheint jedoch viel einfacher und ungezwungener, das auf nervösem Wege ausgelöste Flimmern der Herzkammern als die eigentliche Ursache dieser rätselhaften Todesfälle anzusehen. Bei kranken Herzen kann sogar eine einfache Vaguserregung, die ja jeden Schreck oder Angst- affekt begleitet, zur Todesursache werden, indem dann schon vor- handene, etwa auf gewebliche Veränderungen zurückzuführende Reize überschwellig werden. Derselbe Mechanismus, nur mit dem Unter- schiede, dass auch noch toxische Reize hinzutreten können, dürfte bei dem plötzlichen Herztod nach Infektionskrankheiten wirk- sam sein. Zuntz hat die interessante, von Friedenthal erwähnte Be- obachtung gemacht, dass durch eine Trachealkanüle atmende Kanin- chen beim Eintauchen des Kopfes in Wasser unter primärem Herz- tod sterben können, eine Tatsache, die ebenfalls leicht erklärlich ist, sobald man sie auf reflektorische, durch den Trigeminus vermittelte Erregung der Herznerven mit konsekutivem Flimmern zurück- führt. Ferner gibt Friedenthal an, dass auch bei Tieren, und zwar nur bei Katzenarten, plötzlicher Herztod in Wutanfällen beobachtet wurde, ohne dass eine andere Todesursache als die psychische Er- regung gefunden werden konnte. Hierher gehört vielleicht auch ein interessantes Jagderlebnis, welches Schilling!) in seinem Werke „Mit Blitzlicht und Büchse“ S. 165 beschreibt. Schilling war es gelungen, einen Löwen mit Ausnahme einiger Haut- abschürfungen unverletzt im Tellereisen zu fangen. Es wurde versucht, das mächtige Tier mittels ausgeprobt starker Kette und einem eigens verfertigten dreifachen Halsbande zu fesseln, was schliesslich gelang, nachdem Kopf und Tatzen mit starken Stricken gebunden waren. Von der Falle befreit und an einen Baum- stamm gebunden, wurde der Gefangene ins Lager gebracht. Die Fesselungs- versuche hatten furchtbare Wutanfälle des Löwen zur Folge, „ohne Unterlass grollte das mächtige Organ, bald dumpf röchelnd, bald plötzlich wieder an- schwellend, der Gesichtsausdruck, der ausdrucksvolle Kopf zeigen höchste Wut und warnen zu grösster Vorsicht!“ Auf dem Transporte verendete der Löwe urplötzlich, „wahrscheinlich am Herzschlage. Bei der Sektion wurde wenigstens keine Verletzung irgendwelcher Art gefunden“. 1) Schilling, Mit Blitzlicht und Büchse im Zauber des Elelescho. Kleine Ausgabe. Voigtländer’s Verlag, Leipzig 1910. Über die Beziehungen der Herznerven zur autom. Reizerzeugung etc. 377 Auch Lubarsch!) kommt bei der Besprechung der patho- logischen Anatomie des plötzlichen Herztodes zu dem Resultate, dass man hier trotz aller mühevollen Untersuchungen der neuesten Zeit immer wieder darauf zurückkommen müsse, zu nervösen und funk- tionellen Schädigungen seine Zuflucht zu nehmen. Das Flimmern ist in der Tat eine derartige funktionelle Schädigung im wahrsten Sinne des Wortes und kann für den pathologischen Anatomen keine wahrnehmbaren Spuren hinterlassen. Deshalb ist vor allem das Tierexperiment berufen, die Bedingungen, unter denen es eintritt, festzustellen und nachdrückliehst darauf hinzuweisen, dass augen- blicklich tödliche Folgen eintreten, sobald das Flimmern die Kammern ergreift. 1) Lubarsch, Herzpathologie, insbesondere pathologische Anatomie der Herzschwäche und des plötzlichen Herztodes. Jahreskurse f. ärztl. Fortbildung S. 27. Januar 1911. 378 Wilhelm Trendelenburg: (Aus dem physiologischen Institut der Universität Freiburg i. B.) Über den zeitlichen Ablauf der Refraktärphase am Herzen. Nach Versuchen von T. Fujita mitgeteilt von Wilhelm Trendelenburg. (Mit 7 Textfiguren.) Seit den ersten Untersuchungen von Marey!) und Kronecker?) ist der bei der Herztätigkeit erfolgende periodische Wechsel der Er- regbarkeit, die Refraktärphase Marey’s, vielfach näher unter- sucht worden. Ohne dass hier eine vollständige Übersicht gegeben werden soll, seien die Arbeiten von Love&n erwähnt?), welcher die Untersuchung auf den Vorhof ausdehnte, von Engelmann‘), welcher hauptsächlich die lange Erstreckung der Refraktärphase in die Diastole hinein nachwies, von Walther°), Straub‘), Rohde’), 1) M. Marey, Recherches sur les excitations electriques du coeur. Journ. de l’anat. et de la physiol. t. 13 p. 60—83. 1877. — M. Marey, Sur l’effet des excitations electriques appliquees au tissu musculaire du ceur. Compt. rend. de l’Acad. des scienc. t. 89 p. 203—206. 1879. 2) H. Kronecker, Das charakteristische Merkmal der Herzmuskelbewegung. Beitr. z. Anat. u. Physiol. Festgabe f. Ludwig. Heft 1 S. 173. 1874. 3) Chr. Loven, Über die Einwirkung von einzeinen Induktionsschlägen auf den Vorhof des Froschherzens. Mitt. a. d. physiol. Laborat. d. Car. med.- chir. Inst. in Stockholm. Bd. 1. 1832—1886. 4) Th. W. Engelmann, Beobachtungen und Versuche am suspendierten Herzen. Dritte Abhandlung. Refraktäre Phase und kompensatorische Ruhe in ihrer Bedeutung für den Herzrhythmus. Pflüger’s Arch. Bd. 59 S. 309—349. 1895. 5) A. Walther, Zur Lehre vom Tetanus des Herzens. Pflüger’s Arch. Bd. 78 S. 597—636. 1899. | 6) W. Straub, Über die Wirkung des Antiarins am ausgeschnittenen suspendierten Froschherzen. Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. Bd. 45 S. 346—379, sowie weitere Arbeiten: Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. Bd. 45 S. 380—8383 u. Zeitschr. f. Biol. Bd. 42 S. 363—376. 7)E. Rohde, Über die Einwirkung des Chloralhydrats auf die charakte- ristischen Merkmale der Herzbewegung. Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. Bd. 54. 1905, und Zentralbl. f. Physiol. Bd. 19 S. 503—504. 1905. Über den zeitlichen Ablauf der Refraktä rphase am Herzen. 379 Dreyer!), Bornstein?), welche wie verschiedene andere Autoren die Abhängigkeit der Erregbarkeitsschwankung von Giftwirkungen untersuchten, von Ringer und Sainsbury®), welche die Wirkung verschiedener Salze studierten, während Trendelenburg*) die von den letzteren vorausgesetzte Beziehung zwischen Refraktärphase und Kontraktionsdauer näher verfolgte. Das Verhalten der elektrischen Voreänge im Stadium des mechanischen Refraktärzustandes unter- suchte Samojloff°). Den Einfluss der Temperatur auf die Re- fraktärphase verfolgten Burdon-Sanderson und Page®°). Anr Säugerherzen stellten z. B. Cushny und Matthews’) sowie Hirschfelder und Eyster°) ihre Untersuchungen an; an den Herzen niederer Tiere verdanken wir besonders Carlson?) ein- gehende Kenntnisse der Refraktärphase. Während die bisher ausgeführten Messungen im ganzen vor- 1) C. Dreyer, Studien über den Herztetanus. Dissertation. Giessen 1906. 2) A. Bornstein, Beiträge zur Pharmakologie des Herzmuskels. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1909 S. 100—122. 3) S. Ringer and H. Sainsbury, Of the influence of certain drugs on the period of diminished exeitability. Journ. of physiol. vol. 4 p. 350-364. 1884. — Vergleiche aus neuerer Zeit: W. H. Schultz, Studies in heart muscle. The refractory period and the period of varying irritability. Americ. journ. of physiol. vol. 22 p. 133—162. 1908. 4) W. Trendelenburg, Untersuchungen über das Verhalten des Herz- muskels bei rhythmischer elektrischer Reizung. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1903 8. 271—310. 5) A. Samojloff, Beiträge zur Elektrophysiologie des Herzens. Arch. f, (Anat. u.) Physiol. 1906 Suppl. S. 207—229. 6) J. Burdon-Sanderson and F. J. M. Page, On the time-relations of the exeitatory process in the ventricle of the heart of the frog. Journ. of physiol. vol. 2 p. 384—435. 1879 —1880. 7)A. R. Cushny and S. A. Matthews, On the effects of electrical stimulation of the mammalian heart. Journ. of physiol. vol. 21 p. 215—230. 1897. — Die von mir (l. c.) unabhängig am Froschherzen gefundene relative Verlängerung der Refraktärphase bei (frühzeitigen) Extrasystolen wird hierin für das Säugerherz beschrieben. 8\ A. Hirschfelder and J. A. E. Eyster, Extrasystoles in the mamma- lian heart. _Americ. journ. of physiol. vol. 13 p. 222—249. 1907. 9)A. J. Carlson, Comparative physiology of the invertebrate heart. VI. The exeitability of the heart during the different phases of the heart beat. Americ. journ. of physiol. vol. 16 p. 67—84. 1906, sowie weitere Arbeiten: Americ. journ. of physiol. vol. 18 p. 71—88. 1907, vol. 21 p. 19—22. 1908, und Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 4 S. 259—288. 1904. 380 Wilhelm Trendelenburg: wiegend auf die Gesamtdauer der Refraktärphase gerichtet waren, also den Moment zu ermitteln suchten, in welchem wieder der maximale Erregbarkeitsgrad erreicht wird, beabsichtigten die hier vorgelegten Versuche, den zeitlichen Ablauf der Refraktär- phase genauer quantitativzuuntersuchen. Obwohl schon manche Beobachtungen über den ganzen Ablauf der Erregbarkeits- schwankung vorliegen, ist die Frage doch bisher keiner durch- greifenden Untersuchung unterzogen worden. Indem wir hierzu einen Versuch unternahmen, richteten wir unsere Aufmerksamkeit vorwiegend darauf, ob in dem Verlauf der Erregbarkeits- änderung ein Unterschied im Verhalten des Vorhofes und der Kammer zutage trat. Bekanntlich sind am Froschherzen, welches wir aus verschiedenen Gründen als Versuchsobjekt wählten, mannigfache prinzipielle Unterschiede in der Tätigkeit des Vorhofs und der Kammer zu erkennen. Während letztere sich so langsam kontrahiert, dass meist eine neue Kontraktion schon beginnt, ehe der Muskel in eine Ruhelage überging, der registrierende Hebel also eine gerade Linie verzeichnete, ist am Vorhof der Kontraktions- ablauf so geschwind, dass dieser Herzteil vor jeder neuen Kontraktion kurze Zeit eine konstante Ruhelage einnimmt. Aus den schon an- geführten Untersuchungen von Trendelenburg geht nun hervor, dass die Dauer der Refraktärsphase in bestimmten Grenzen eine feste Beziehung zur Kontraktionsdauer besitzt, dass aber auch relative Versehiebungen der Dauer dieser Phase vorkommen können. Es erhob sich somit die Frage, ob der Ablauf der Refraktärphase am Vorhof einfach das gleiche Bild zeigt wie an der Kammer, mit den- selben relativen, aber veränderten absoluten Zeitwerten, oder ob auch relative Verschiedenheiten vorliegen, welche die Steilheit des Verlaufs der Erregbarkeitsänderung u. a. m. betreffen können. Auf die letztere Möglichkeit konnte vor allem eine Eigentümlichkeit hin- weisen, die sich im Verhalten des Kontraktionsvermögens äussert. Auch dieses wird ja zu Beginn der Kontraktion jedes Herzabschnittes zunächst auf Null herabgesetzt, um im absteigenden Teil des Kon- traktionsverlaufes allmählich wieder zur vollen Höhe anzusteigen. Ruft man nun an der Kammer eine Extrakontraktion in dem Moment hervor, in welchem die Kammer annähernd die Ruhelage erreicht hat, so fällt die Extrakontraktion annähernd ebenso hoch aus wie die Hauptkontraktion, während am Vorhof zu diesem Zeitpunkt des Kontraktionsablaufes unter gewöhnlichen Bedingungen nur ganz kleine Über den zeitlichen Ablauf der Refraktärphase am Herzen. 38sl Extrakontraktionen zu erhalten sind. Die Figuren 1 und 2 geben diese Verhältnisse nach einigen Messungen wieder. Es geht hieraus hervor, dass die Kurve, in welcher das vorübergehend aufgehobene Kontraktionsvermögen sich wiederherstellt, für Kammer und Vorhof des Froschherzens einen ganz verschiedenen Verlauf zur Kontraktions- kurve zeigt. An eine Verschiedenheit des Verlaufes auch der Erreg- barkeitskurve war also von vornherein zu denken. Fig. 1. Höhe der Nebensystolen (feine Linien), die zu verschiedener Zeit der Hauptsystole (starke Linie) an der Kammer des Froschherzens ausgelöst wurden. Fig. 2. Dasselbe wie Fig. 1, für den Vorhof des gleichen Herzens. Auf ein weiteres Interesse, welches einem solchen Vergleich zukommen dürfte, ist hier noch hinzuweisen. Es ist schon ver- sehiedentlich auf die Möglichkeit hingewiesen worden, dass eine Be- ziehung zwischen Dauer der Refraktärphase und Dauer der mit der Tätigkeit einhergehenden elektrischen Veränderung bestehen könnte). Andere Untersuchungen werden sich eingehender mit diesen Fragen befassen und dabei auch die Unterschiede zwischen Vorhof und Kammer berücksichtigen. Methodisch standen zur Untersuchung des Ablaufes der Refraktär- phase am Kaltblüterherzen mehrere Wege offen. So haben wir die l) Schon Burdon-Sanderson und Page (l. c.) untersuchten diese Frage. Aus neuerer Zeit sei die Arbeit von de Meyer erwähnt. — J. de Meyer, Sur un nouvel Electrocardiogramme et sur la variabilit€ des courants d’action. Arch. internat. de physiol. t.6 p. 257—286. 1908. 382 Wilhelm Trendelenburg: Kammer am Kronecker’schen Apparat künstlich gespeist und nach Abbinden des Sinus elektrisch mit zwei Reizen gereizt, von welchen der zweite in veränderlichem Abstand zum ersten gegeben werden konnte!). Diese Anordnung eignet sich besonders zum Studium des Einflusses verschiedener Durchspülungsflüssigkeiten auf die Refraktär- phase und kommt für unsere Frage weniger in Betracht. Es wurde hier vielmehr die Suspensionsmethode am normal durchbluteten und normal schlagenden Herzen angewandt. Die Tiere waren entweder sehr vorsichtig curarisiert, oder es wurde von einem kleinen, am Schädelende angelegten Schnitt aus das Gehirn und Rückenmark mit einem passenden Hölzchen ausgebohrt und dieses letztere zur Vermeidung von PBilutverlusten stecken gelassen. Um bei dem letzteren Verfahren die Senkung des Blutdruckes in etwas auszu- gleichen, wurden die Hinterextremitäten mit Gummiringen, die von den Zehen her nach vorn gestreift wurden, blutleer gemacht. Der Extrareiz musste in veränderlichem Abstand zum Beginn der Spontan- systole einfallen. Hierzu diente folgende Einrichtung?) (Fig. 3). An dem zweiarmigen Suspensionshebel war an der Seite, an welcher das Herz H angriff, ein senkrecht sich auf und nieder bewegender Platinstift angebracht, welcher in ein feststehendes, aber in der Höhe verstellbares Quecksilbernäpfehen @, mit Spülung tauchte. Hierdurch wurde ein Stromkreis geschlossen und geöffnet, in welchen ein die Auslösung einer Gewichtstrommel 7 betätigender Elektromagnet M, eingeschaltet war. Zu einer veränderlichen Zeit nach dem Aus- lösungsmoment öffnete der Stift St dieser Trommel während ihrer Umdrehung einen Metallkontakt X, welcher den Stromkreis eines als Relais dienenden Elektromagneten M, öffnete; dessen Anker tauchte mit Spitze in einen Quecksilberspülkontakt @,, welcher seiner- seits wieder in einen primären Kreis eines zur Reizung des Herzens dienenden Induktionsapparates (/, II) eingeschaltet war. Die Schliessungen wurden mittels Wippe W abgeblendet. Es konnte so erreicht werden, dass in einem bestimmten und bei unveränderter Stellung der Apparatteile gleichbleibenden Moment nach Beginn der 1) Ähnlich der Methodik von Burdon-Sanderson und Page ((. c.) sowie Walther (l. c.). 2) Hirschfelder und Eyster (l. c.) haben eine elegante Methode und Apparatur angegeben, durch welche ebenfalls zu bestimmter und veränderlicher Zeit der Kontraktionsphase ein Extrareiz gegeben werden konnte. Wir kamen mit der oben beschriebenen einfacheren Vorrichtung gut zurecht. . Über den zeitlichen Ablauf der Refraktärphase am Herzen. 383 ‘ Spontansystole der registrierte Herzabschnitt von einem Extrareiz (Öffnungsschlag) getroffen wurde, und dass dieser Reizmoment be- liebig verschoben werden konnte. Durch Kontrollversuche wurde festgestellt, dass diese Anordnung in der Tat allen Anforderungen genügte. Die Reizzuleitung wurde mittels feiner Klemmen vor- genommen, die sich bei der Herztätigkeit mitbewegten und Gewähr leisteten, dass keine Elektrodenverschiebungen stattfanden, und dass wirksame Stromschleifen auf die Nachbarschaft vermieden wurden, Fig. 3. Versuchsanordnung. H Herz, 1, @ Quecksilberspülkontakte, M,, M, Elektromagnete, RM Registriermagnet zur Verzeichnung des Reizmomentes, T Gewichtstrommel, Richtung des Gewichtszuges durch einen Pfeil angedeutet, K Kontakt, der vom verschieblichen Stift St aufgeschlagen wird, Zund ZI Rollen des Induktionsapparates, W Wippe, zur Abblendung der Schliessungen bei X bzw. @, eingerichtet, 5 Stromschlüssel. da die Klemmen nahe der Spitze des suspendierten Herzteiles an- gebracht waren. War für eine bestimmte Stelle des Kontraktions- ablaufes die Reizschwelle ermittelt, so wurde durch Verstellen des Trommelkontaktes der Reizmoment zur Kontraktionsphase verschoben; durch geeignete Zwischenschaltung von Pausen (durch Öffnung des Schlüssels $) wurde gesorgt, dass sich bei jeder Einzelprüfung der Reizschwelle der normale Kontraktionsablauf wiederhergestellt hatte. Die Kontraktionskurve wurde ausgemessen und in vergrössertem Maassstab unter Korrektion der Bogenordinate aufgezeichnet. Die 384 Wilhelm Trendelenburg: den jeweiligen Reizschwellen entsprechenden Rollenabstände wurden nach Aichung des Schlittens am Galvanometer in Intensitäten aus- gedrückt und deren reziproker Wert als Maass der Eıregbarkeit genommen. Dieses Maass wurde für jeden der geprüften Punkte der Kontraktionskurve als Ordinate auf die Zeitabszisse aufgetragen und so die Kurve der Erregbarkeitsänderung während des Kon- traktionsablaufes gewonnen. Für möglichst gleichmässige Temperatur des Herzens wurde durch Arbeiten bei konstanter Zimmertemperatur, für Feuchtigkeit durch Umgeben des Präparates mit einem Wall feuchter Watte gesorgt. Um bei dem Vergleich des Vorhofes mit der Kammer vor langsamen Veränderungen des Herzens gesichert zu Sein, wurde manchmal die Untersuchung erst am Vorhof und dann an der Kammer vorgenommen, manchmal der umgekehrte Weg eingeschlagen, ohne dass ein prinzipieller Unterschied der Ergebnisse hervortrat. Zu den nachfolgenden Kurven, welche die hauptsächlichen Ver- suchsergebnisse darstellen, sei noch folgendes bemerkt. Die zur Vorhoftätigkeit gehörigen Kurvenstücke sind gestrichelt gezeichnet, die Kontraktionskurve stark, die Kurve der an den entsprechenden Stellen der Kontraktionsphase bestehenden Erregbarkeit in schwächerer Linie. In gleicher Weise sind die Kammerkurven in fortlaufender Linie gezeichnet. Jeder Punkt der Erregbarkeitskurve entspricht dem senkrecht darunter liegenden Punkt der Kontraktionskurve. Die erstere Kurve konnte naturgemäss nicht bis zu einer Nullinie hinunter gewonnen werden, da sich der Zeitpunkt nieht ermitteln lässt, zu welchem mit den stärksten Strömen eben ein Reizerfolg erzielt wird). Diese Ströme bewirken lokale Schädigungen an der Reizstelle und können schon in Stärkegraden, die sicher wirksam sind, nur mit Vorsicht und am besten erst zum Sehluss der ganzen Bestimmungsreihe angewendet werden. Die Kontraktionskurven des Vorhofes und der Kammer wurden auf das gleiche Höhenmaass und gleiche Zeitmaass gezeichnet; für die Erregbarkeitskurven wurde 1) Es lässt sich also der Moment des Übergangs des „absoluten“ Teils der Refraktärphase in den „relativen“ nicht genau ohne zu grosse Schädigung des Herzens ermitteln. Die genannte Einteilung der Refraktärphase, die entgegen meiner früheren Äusserung (Arch. f. [Anat. u.] Physiol. S. 138 Anm. 1909.) schon länger üblich ist, bezeichnet sehr zweckmässig, dass im ersten Stadium der Refraktärphase Reize beliebig hoher Stärke unwirksam sind, während im zweiten Stadium der sich allmählich wiederherstellenden vollen Erregbarkeit der Reiz eine von Punkt zu Punkt abnehmende Mindeststärke haben muss, um wirksam zu sein. Über den zeitlichen Ablauf der Refraktärphase am Herzen. 385 auch die gleiche Endhöhe gewählt, da es nur auf die relativen Ver- schiedenheiten zwischen Vorhof und Kammer ankommt!). In ab- solutem Maass bleibt die Erregbarkeit des Vorhofes, an den Schwellen- | ajemisı "= SE BEaEEEnE = nn USER En EnEum Er | EFT Ken a ERBE u BSH NEE BEA | 5 -N- B 2 Re EEEEFBEEEEREE —__ _ EREIEPSBeRZrznEe NE Fig. 4. = n N = Kalle. u Kl N N sen See ie I Vor naB Fig. 5. Fig. 4 und 5. Darstellung der Erregbarkeitsänderung (Refraktärphase) für Vorhof (gestrichelte Linien) und Kammer (ausgezogene Linien) in Kurvenform. Die stark gezogenen Linien bedeuten die Kontraktionskurve, die schwachen die Kurven der ansteigenden Erregbarkeit. werten gemessen, stets geringer als die der Kammer, was sich bei gleichzeitiger Durchströmung von Vorhof und Kammer zeigen lässt. 1) In Fig. 5 und 6 wurde die Vorhofkurve ein wenig niedriger gezeichnet um störende Kurvenüberschneidungen zu vermeiden. 386 Wilhelm Trendelenburg: Es wurde der Übersichtlichkeit der Kurven wegen davon ab- gesehen, die wiederholten, an einzelnen Punkten vorgenommenen Messungen wiederzugeben, vielmehr vorgezogen, die Werte jeweils al Seren EHE SV] ERRSREE Re TeRee Zee EEE He Ehre 2 ee Rap hen ee ee Je ee | BEE A EEE — Ber Big. Fig. 6 und 7. Darstellung der Erregbarkeitsänderung (Refraktärphase) für Vorhof (gestrichelte Linien) und Kammer (ausgezogene Linien) in Kurvenform. Die stark gezogenen Linien bedeuten die Kontraktionskurve, die schwachen die Kurven der ansteigenden Erregbarkeit. nur einer Reihe darzustellen, und solche Versuche auszuwählen, in denen die Kontrollbestimmungen einzelner Kurvenstellen gut mit den vorigen Ermittlungen übereinstimmten; da naturgemäss einige Zeit verging, bis alle Kurvenpunkte (die nicht zu zahlreich gewählt Über den zeitlichen Ablauf der Refraktärphase am Herzen. 387 werden durften) festgestellt waren, musste man sich durch die er- wähnte Kontrolle vor etwa eingetretenen Veränderungen des Zu- standes des Herzens sichern. Das Herz wurde in möglichst nor- malem Zustand untersucht. Fig. 6 stammt vom nichteurarisierten Frosch, die anderen vom eurarisierten. Im ganzen schien es, dass in den mannigfachen Ver- suchen, von denen hier nur die bestgelungenen als typisch ausgewählt sind, die Kurve der ansteigenden Erregbarkeit bei Curareherzen etwas mehr zum Kontraktionsgipfel (in den Zeichnungen also nach links) verschoben war, doch sind die Unterschiede nicht so greifbar, um hier für die Beurteilung des möglichst normal durchbluteten Herzens weiter in Betracht zu kommen. Die Ergebnisse der Versuche gehen aus den Kurvenbildern ohne weiteres hervor. In Fig. 4 zeigen starke Reize, welche die Kammer während des Kontraktionsplateaus treffen, schon Wirksam- keit. Die Erregbarkeit steigt sehr rasch an und gewinnt schon vor der Mitte des absteigenden Schenkels der Kontraktionskurve ihre volle Höhe. Ganz anders am Vorhof. Hier kann die erste deut- liche Wirkung etwa am Ende des Kontraktionsgipfels erhalten werden; jedoch steigt die Kurve von dort aus deutlich weniger steil an als bei der Kammer, und sie erreicht hier erst in der Vorhofpause ihr Maximum. Im Falle der Fig. 5 ist zwar die verschiedene Steilheit des Kurvenverlaufs nicht deutlich, jedoch zeigt sich auch hier die verschiedene Lage der Erreebarkeitskurve zur Kontraktionskurve bei Vorhof und Kammer. In Fig. 6 und 7 ist wieder die verschiedene Steilheit des Kurvenverlaufs der Erregbarkeit für Vorhof und Kammer zu erkennen, in Fig. 6 ausserdem die verschiedene Lage der ersteren Kurve zum Kontraktionsgipfel, während im Falle der Fig. 7 auch am Vorhof eine sehr kurze Refraktärphase bestand. An der Kammer wird in einigen Fällen (Fig. 5 und 7) die volle Erregbarkeit erst zu einem Zeitpunkt erreicht, in welchem der Hebel schon wieder die Ruhelage erreicht hat, was am Vorhof stets der Fall ist, während in anderen die Refraktärphase der Kammer schon früher wieder vollständig beendet ist, z.B. in Fig. 4 in der Mitte des absteigenden Kurvenschenkels. Unsere Versuche zeigen, dass den beträchtlichen Unterschieden in der Wiederherstellung des Kontraktionsvermögens auch solche in dem Wiederansteigen der Erregbarkeit von Vorhof und Kammer entsprechen. Am ersteren steigt die Erregbarkeit später und lang- samer wieder an als an der Kammer. 388 W. Trendelenburg: Über den zeitl. Ablauf der Refraktärphase etc. Zusammenfassung. In den vorliegenden Versuchen wird der zeitliche Ablauf der mit der Kontraktion einhergehenden Erregbarkeitsänderung (Refraktär- phase) am Froschherzen in der Weise bestimmt, dass für verschiedene Punkte des Kontraktionsablaufs der Schwellenwert ermittelt wird. Eine besondere automatische Reizauslösung dient dazu, bei mehreren Kontraktionen stets genau den gleichen Punkt mit dem Reiz zu treffen. Der reziproke Wert des jeweiligen Schwellenwertes dient in bekannter Weise als Maass der Erreebarkeit und zur Darstellung von Kurven, welche einen Vergleich der Erregbarkeitsänderung mit der Kontraktionskurve gestatten. Von den in den Abbildungen niedergelegten Ergebnissen sei besonders auf die Verschiedenheit des Kurvenverlaufs für Vorhof und Kammer hingewiesen, welche somit der Verschiedenheit in der Wiederherstellung des Kontraktions- vermögens parallel geht. 389 (Aus dem physiologischen Institut der Universität Breslau.) Erwiderung an OÖ. Frank. Von K. Hürthle. (Mit 2 Textfiguren.) Die Versuche, welche zur Prüfung der Frank’schen Theorie .der elastischen Manometer von mir angestellt worden sind!), sind von Frank?) einer höchst absprechenden Kritik unterzogen worden. Danach sind die von mir beobachteten Abweichungen von der Theorie „offensichtlich durch Versuchsfehler bedingt“. Diese „Wert- losigkeit seiner Experimentalkritik“ wird durch „ein paar Stich- proben“ begründet, da es „sich nicht verlohnt, auf die Einzelheiten der. Untersuchungen Hürthle’s einzugehen“. Der erste „unglaubliche Fehler“, den ich gemacht habe, und nach dessen Aufdeckung durch Frank „Berechnung und Experi- ment vollständig miteinander übereinstimmen“, besteht darin, dass ich bei der Berechnung der Schwingungszahl des Kapillarmanometers die Flüssigkeit in der Kapillare nicht berücksichtigt habe. Das ist richtig; ich habe sie als unwesentlich nicht in Rechnung gezogen und kann leicht zeigen, dass dadurch das Ergebnis nur ganz un- wesentlich beeinflusst wird. Die Versuche waren nämlich von vorn- herein darauf angelegt, dass in die Kapillare beim Druck 0 über- haupt keine Flüssigkeit eindringen sollte; das war der einzige Zweck, warum die Kapillaren X seitlich auf die Zuleitungsröhren & aufgesetzt wurden (s. Fig. 1). Wären die Kapillaren durch Aus- ziehen der einzelnen Zuleitungsröhren hergestellt worden, so hätte man durch die in den Trichtern befindliche Flüssigkeit wechselnde 1) Pflüger’s Arch. Bd. 137 S. 153—224. 2) Zeitschr. f. Biol. Bd. 55 S. 547. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 26 300 K. Hürthle: wirksame Massen von beträchtlicher Grösse erhalten. Durch das Aufsetzen der Kapillaren im rechten Winkel auf die Wand der Zu- leitungsröhren sollte erreicht werden, dass der Anfang der Kapillare mit dem Mantel des in der Zuleitungsröhre liegenden Flüssigkeits- zylinders zusammenfalle; diese ideale Einrichtung wurde technisch nicht vollkommen erreicht, weil es dem Glasbläser nicht möglich war, die Kapillare ohne Erweiterung ihres unteren Endes ein- zuschmelzen!); die unteren 2 mm des Ansatzes waren stark trichter- förmig erweitert. Der Flüssigkeitsspiegel beim Druck 0 wurde daher auf den Punkt der Kapillare eingestellt, an welchem der Trichter zu Ende und die Kapillare zylindrisch war, das ist 6 mm vom Ende der Kapillare entfernt?). Die wirksame Masse der im Trichter T befindlichen Flüssigkeit beträgt, da die Basis des Trichters einen Durehule sen von mindestens 3 mm hatte, höchstens 6,4, und diesen Wert habe ich nicht berücksichtigt. Ich gebe zu, dass es zur Begründung der Berechtigung, diesen Wert als unwesent- lich zu vernachlässigen, angezeigt ge- wesen wäre, den Zweck der seitlichen Anbringung der Kapillaren zu erwähnen und den tatsächlichen Betrag der Ver- mehrung der wirksamen Masse in Zahlen Fie. 1. ?ı nat. Gr. anzugeben; aber das gibt Frank kein Recht, auf Grund einer Annahme, die mit meinen positiven Angaben in Widerspruch steht, einen „unglaublichen Fehler“ zu konstruieren. Frank sagt: „Wenn die Flüssigkeit nur 4,4 mm eingedrungen ist, so wird ihre wirksame Masse so gross, das Berechnung und Experiment vollständig mit- einander übereinstimmen.“ Diese Annahme widerspricht aber erstens meiner Angabe, dass die Länge der Luftsäule 6 mm betrug, die Flüssigkeit konnte also nur 2 mm in die S mm lange Kapillare 1) Frank sagt, „ob angeschmolzen oder angedichtet, ist richt angegeben“. Ich hatte es allerdings als selbstverständlich betrachtet, dass man zwei im rechten Winkel zusammenstossende Glasröhren nicht durch Kitt verbindet. 2) Bei der Beschreibung der Füllung S. 206 ist bei der Hg-Füllung aus- drücklich angegeben, wie verfahren wurde, damit „die in der Kapillare befind- liche Luftsäule eine Länge von 6 mm hatte“, ebenso bei der Wasserfüllung die umständlichere Methode, „damit. der Flüssigkeitsspiegel in die Kapillare bis zur gewünschten Höhe eindringt“. Erwiderung an O. Frank. 391 eingedrungen sein, und zweitens widerspricht sie der Grösse des E' = 180 - 10°). Wäre die Flüssigkeit beim Überdruck von 140 em Wasser 4,4 mm in die Kapillare eingedrungen, so würde E’ 444 - 10 und beim Druck 0 348. 10% betragen. Wenn man solche Wider- sprüche nicht scheut, ist es allerdings nicht schwer, einen „geradezu unglaublichen Fehler“ herauszufinden. Um nun zu zeigen, wie wenig tatsächlich an meinen Ergeb- nissen geändert wird, wenn man die wirksame Masse in der Kapillare in Rechnung setzt, habe ich die Schwingungszahlen nochmals be- rechnet und stelle in der folgenden Tabelle die neuen Werte zum Ver- gleich mit den früheren (Tab. XXII S. 207 der „Experimentalkritik“) zusammen; dabei hebe ich hervor, dass ich früher die Schwingungs- zahlen für den Überdruck von 140 em Wasser überhaupt nicht be- rechnet habe. Der vorliegenden Berechnung der wirksamen Masse ist die ‚Tatsache zugrunde gelegt, dass die Flüssigkeit beim Wechsel des Druckes von O0 auf 140 cm Wasser 0,7” mm in die Kapillare eindringt, was einer wirksamen Masse von (nicht ganz) 10 entspricht. Dem verkleinerten Luftvolum entsprechend erhöht sich bei diesem Druck E’ auf 245 - 10%. Alte Tabelle (XXII der Experimentalkritik). Neue Tabelle. E' — 180 106 Druck 0 Druck 140 E' = 180 - 106 E' —= 245-108 M’ IN ber. ‚Nbeob.| N beob. - f.Druck| Druck | Druck m’ N N M' N N 0 0) 140 berech. | beob. berech. | beob. 1762 52 66 76 1768 50,8 66 | 1778 9,1 76 263 135 137 89 269 | 130,2 1% 279 149,2 89 141 184 125 85 147 | 176,1 125 157 198,8 8 81 233 197 146 94 | 220,2 197 104 | 244 146 53'| 301 194 123 59 | 278 194 69 | 300 123 Wie man sieht, weichen die neuen Berechnungen von den alten durchaus nieht wesentlich ab, und aus der neuen Tabelle ergibt sich nach wie vor die auffallende Erscheinung, dass bei den höheren Schwingungszahlen die berechneten erheblich grösser sind als die beobachteten. Auch die Erscheinung, dass die Schwingungszahlen 1) Das ist der empirisch bestimmte Wert (s. Experimentalkritik S. 208); aus den Dimensionen der Röhre berechnet, wäre er 220. 10%. 26 * 393 K. Hürthle: mit wachsendem Druck (von 0 auf 140 cm) kleiner werden, bleibt bestehen im Widerspruch mit der Theorie. Als zweite Stichprobe wählt Frank den von mir unter E!) beschriebenen Versuch am Gummimanometer, in welchem die Schwingungszahlen bei der Verkürzung der Flüssigkeitssäule von 160 auf 20 em, entsprechend der Theorie von 48 auf 134 steigen sollten, in Wirklichkeit aber zwischen 88 und 104 schwankten. Frank beurteilt diesen Versuch folgendermaassen: „Da können ja nur grobe Versuchsfehler vorliegen, denn sonst würde das Grund- gesetz der Mechanik, das dynamische Grundgesetz Newton’s, wertlos sein.“ Einen solchen Beweis nennt man in der Logik eine Petitio prineipii: Das dynamische Grundgesetz gilt für Massenpunkte oder für Massen, die mit solchen identifiziert werden dürfen. Nun schwebt ja aber gerade die Streitfrage, ob das System der an der Manometerschwingung beteilisten Massen mit einem Massenpunkt identifiziert werden dürfe oder nicht, und es ist Sache des Versuchs, diese Frage zu entscheiden. Wenn nun Frank diese Voraussetzung seiner Theorie als a priori erwiesen hinstellt, so macht er eben einen logischen Fehler. In denselben Fehler verfällt Frank wiederholt, so wenn er sagt: „Man kann einen mehr offen- sichtlichen Verstoss gegen das Gesetz der Erhaltung der Energie nicht begehen, als er hier in den Hürthle’schen Deduktionen ?) liegt;“ eine andere Stelle wird nachher (S. 406) zur Sprache kommen. Zur Erklärung, welche Frank im vorliegenden Versuch für möglich hält, „dass Hürthle nur die stets gleichen Partial- schwingungen dieses Systems“ (Hebel, Membran und Feder) „fest- gestellt hat, während die Schwingungen der Flüssigkeitssäule der Beobachtung entgangen sind“, bemerke ich erstens, dass die Schwingungszahlen in diesem Versuch zwischen 88 und 104 schwankten (Tab. XXV) und nicht, wie Frank angibt, „von 91 bis 94, d.h. sie blieben konstant“. Zweitens: Wenn wirklich im vorliegenden 1) Frank schreibt F, meint aber X, wie die angeführten Zahlen zeigen. 2) Es ist die Rede von den „Schwingungsversuchen mit negativen Dekre- menten“. Die Contradictio in adjecto wird übrigens nicht von mir, sondern von Frank gebraucht; meine eigene Ansicht ist im folgenden Satze (Experimental- kritik S. 179) ausgesprochen: „Nicht selten sind sie (die Abweichungen der Dekremente) derart, dass es zu ihrer Feststellung gar keiner Messung bedarf, da der schwebungsartige Verlauf der Amplituden den Wechsel des Dekrements auf den ersten Blick zeigt.“ Erwiderung an ©. Frank. 393 Versuch die Eigenschwingungen des Systems (Membran, Hebel und Feder) registriert worden wären, wie steht es dann mit der Theorie, dass dieses System mit der Flüssiekeitssäule des Manometers zu- sammen als ein Massenpunkt zu betrachten ist? Frank wird vielleicht sagen, dass er die Antwort darauf bei der Kritik des vor- liegenden Versuchs schon gegeben kabe; denn dort steht (S. 557): „Das ‚Gummimanometer‘ besonderer Konstruktion, das Hürthle zur Registrierung der Flüssigkeitsschwingungen verwendet, taugt hierzu ebensowenig wie sein Torsionsfedermanometer“, und unmittel- bar vorher: „Er kennt nur eine Überlegung, die immer wiederkehrt: der Hebel ist leicht genug. Neuerdings hat er erst erklärt, es sei ja selbstverständlich, dass die Trägheitsmomente der Hebel möglichst klein gemacht werden. Aber der weitere Schluss: Also brauche ich mich nicht um sie zu kümmern, ist für die Versuche verderblich.“ Diesen vagen Anschuldigungen gegenüber frage ich, warum denn das Gummimanometer nichts taugen soll — einen Grund gibt Frank nicht an — und konstatiere, dass „die reduzierte Masse des Hebels zu höchstens 0,06° angegeben ist. Gilt die Theorie bei Verwendung solcher Hebel nicht mehr? Ausserdem verweise ich Frank auf die Berechnung der Schwingungszahlen der grossen Versuchsreihe B, bei der (S. 165 der Experimentalkritik) ausdrücklich angegeben ist: „Auch die wirksame Masse des Hebels wurde trotz ihres geringen Wertes mit in Rechnung gezogen“, worauf die zugrunde gelegten Werte folgen. Angesichts dieser Tatsachen ist mir die Anschuldigung Frank’s vollkommen unverständlich. In einer Fussnote zu dieser Stichprobe sagt Frank: „Dass etwas an der Kapsel nicht in Ordnung war, geht auch daraus hervor, dass das E’ um das Zehnfache von der berechneten Grösse ab- wich.“ Das klingt allerdings sehr auffallend, verliert aber diesen Schein bei Betrachtung der absoluten Werte. Durch Eichung be- stimmt, betrug nämlich die Flüssigkeitsverschiebung bei diesem Manometer für eine Druckschwankung von 80 em Wasser 2,15 cbmm, aus dem Hebelausschlag berechnet sie sich zu 0,25 ebmm, das ist nicht ganz ein Neuntel des gemessenen Wertes; die Differenz beträgt 1,93 cbmm. Aus der Tab. I S. 153 der Experimentalkritik, in welcher die berechneten und gemessenen Flüssigkeitverschiebungen zusammengestellt sind, ergibt sich aber, dass in allen Fällen die berechneten Werte kleiner sind als die gemessenen; so beträgt bei der Druckschwankung von 10—80 mm Hg beim Membran- 394 K. Hürthle: durchmesser 7 mm die berechnete Verschiebung 3,0, die gemessene 5,8, der Unterschied 2,3 cbmm. Die obige Differenz von 1,9 ebmm hat also nichts Auffallendes, wenn man auch nicht genau angeben kann, welchen Raum das Plus einnimmt. Schliesslich möchte ich Frank bezüglich der Frage, mit der er den in Rede stehenden Versuch einleitet: „Wie kann man etwas derartiges veröffentlichen?“ daran erinnern, dass er selbst schon auf Versuche gestossen ist, in welchen die beobachteten Schwingungs- zahlen hinter den theoretisch berechneten erheblich zurückblieben. Der erste Fall betrifit seine Schwingungsbeobachtungen am Spiegelmanometer!). Um die Schwingungszahlen der Forderung der Theorie entsprechend in die Höhe zu treiben, hat Frank den Röhrenquerschnitt vergrössert, fand aber, dass die erwartete Er- höhung der Schwingungszahl ausblieb. Nun hat Frank allerdings für diese Differenz zwischen Theorie und Experiment die Erklärung gegeben, dass sie durch die Kompressibilität der Flüssigkeit und die Elastizität der Röhrenwand veranlasst sei, und hat damit die Elastizität dieser Teile in das £’ des Manometers einbezogen; allein der Leser ist nicht in der Lage, sich zu überzeugen, dass die Diffe- renz zwischen Theorie und Experiment damit quantitativ er- klärt sei, weil die Konstanten des Manometers nicht angegeben sind. Es heisst nur: „Die Schwingungszahlen des Manometers waren je nach der angeschlossenen Kanüle 136—156.“ Man wird daher von der Übereinstimmung zwischen Theorie und Experiment in diesen Versuchen nicht überzeugt. Der zweite Fall betrifft das Kapillarmanometer von Bayliss und Starling?).. Der enorme Wert der Elastizitätskonstanten dieses Instrumentes führt in Verbindung mit der von Bayliss und Starling angegebenen Schwingungszahl bei der Berechnung nach der Frank'schen Formel zu einem auffallend grossen Wert der wirksamen Masse, der in dem System nicht vorhanden gewesen sein kann. „Der Wert — saet Frank — ist so bedeutend, dass man vermuten könnte, dass derartige Manometer anderen Gesetzen folgen als den von uns entwickelten.“ Der Widerspruch wird aber von Frank in einfacher Weise durch die Annahme einer Luftblase be- seitigt. „Man bedenke nur,“ heisst es weiter, „dass eine einzige Luftblase von 2,5 mm Durchmesser, die sich in der Nähe der 1) Zeitschr. f. Biol. Bd. 53 S. 548. 2) Kritik S. 577. Erwiderung an O. Frank. 395 Kapillare in dem Röhrensystem befindet, den Wert der wirksamen Masse um das 40fache, eine solche von 5 mm Durchmesser die Masse um das 300fache vergrössert. Es ist also gewiss nicht nötig, zu der an sich unwahrscheinlichen Annahme zu greifen, dass ein solches Kapillarmanometer anderen Gesetzen folgt als wir sie ent- wiekelt haben.“ Eine solche Erklärung, welche der Unterstellung eines leicht zu sehenden und leicht zu beseitigenden Fehlers in der Versuchsanordnung bedarf, ist aber meiner Meinung nach weder be- rechtigt noch wahrscheinlich, Übrigens scheint Frank selbst neuerdings den Gültiekeits- bereich der Theorie einzuschränken, wenn er S. 558 seiner Ent- gegnung sagt: „Es ist doch selbstverständlich, dass man bei den Versuchen, die zu einer Widerlegung meiner Theorie führen sollten, nur ein rein optisches Manometer benutzen durfte.“ Darin sehe ich einen Widerspruch nicht allein mit der Tatsache, dass Frank die Theorie auf Hebelmanometer!) ausgedehnt hat, sondern auch damit, dass die Versuche Frank’s gleichfalls nicht an rein optischen Manometern angestellt sind; denn seine Spiegelmanometer sind doch auch Hebelmanometer und der Unterschied gegen die meinigen ist nur ein gradueller, und kein prinzipieller. Die einzigen mir be- kannten Versuche an „rein optischen“ Manometern sind die am Kapillarmanometer angestellten. Man muss daher fragen, für welche Manometer eigentlich die Theorie gelten soll, und worauf sich die Beschränkung gründet. Das Ergebnis dieses Abschnittes ist also das, dass der einzige von Frank mir nachgewiesene „Fehler“ in einer mir bewussten Vernachlässigung einer Grösse besteht, durch deren Berück- siehtigung das Resultat nur in ganz unwesentlicher Weise geändert wird. Die allgemeinen von Frank gegen meine Versuche angeführten Gründe, wie „Widerspruch mit dem Grundgesetz der Mechanik“ usw., beruhen auf einem Denkfehler von Seiten Frank’s. Es wäre ja auch höchst sonderbar, wenn meine Versuche in dem Teil, in welchem sie die Theorie Frank’s „in einem grösseren Umfang als seine eigenen“ bestätigen, als fehler- frei zu betrachten wären, im anderen aber „durch die gröbsten Ver- suchsfehler entstellt* wären. Trotz dieser Hinfälliskeit der Frank’schen Kritik habe ich 1)0. Frank, Theorie des Kolbenmanometes. Zeitschr. f. Biol. Bd. 45 S. 464. 396 K. Hürthle: noch einige neue Versuche angestellt, da Frank einen Teil der von mir gefundenen Abweichungen von der Theorie dem Torsions: manometer zur Last legt. Diese Versuche bestanden darin, dass das in der Experimentalkritik S. 157 beschriebene Prüfungsmano- meter abwechselnd in ein Gummi-, Flach- und Torsionsfedermano- meter umgewandelt und mit Membranen von je 7 und 5 mm Durch- messer und mit denselben Wassersäulen zu Schwingungsversuchen benutzt wurde. Zur Zuleitung dienten drei Glasröhren von an- nähernd gleichem Querschnitt wie der des Manometerkörpers; sie waren mit diesem durch aufgekittete Messinckegel mit Überwurfmutter so verschraubt, dass die Röhren- und Trommelachse eine gerade Linie bildeten. Beim Versuch wurden sie lotrecht gestellt (siehe Experimentalkritik S. 161/162). Die drei verwendeten Stücke wurden aus einer fast vollkommen zylindrischen Röhre von 1,42—1,44 cm Durchmesser geschnitten. Sie waren so bemessen, dass die Längen der Flüssigkeitssäulen von der Membran bis zur freien Oberfläche 80, 60 und 20 em betrugen; der Durchmesser der längsten Röhre beträgt 1,44, der der beiden kürzeren 1,42 cm. Eine Säule von 40 em Länge fehlte, da eine der längeren Röhren zu diesem Zweck hätte zerschnitten werden müssen; ich wollte aber die drei Röhren aufbewahren, um gegebenen Falles den Versuch vor den Augen von Interessenten zu wiederholen. Die Füllung der Röhren und Ver- bindung mit den Druckflaschen wurde in der in der Experimental- kritik S. 155 angegebenen Weise vorgenommen; das Vorhandensein von Luftblasen in der schwingenden Säule war ausgeschlossen. Die ein- wirkenden Druckschwankungen waren so bemessen, dass der auf der Membran lastende Druck in allen Versuchen zwischen 80 und 140 em Wasser schwankte (Experimentalkritik S. 162). Nach dem Versuch wurde bei den einzelnen Manometern die Flüssigkeitsverschiebung mit Hilfe des Kapillarvolumeters (Pflüger’s Arch. Bd. 137 S. 249) bestimmt. Auch die Elastizität der Röhrenwand und der ein- geschlossenen Flüssigkeitssäule wurde bei der SO cm langen Röhre derart bestimmt, dass das eine Ende durch einen eingekitteten Messingkolben, in dessen Achse ein Hahn eingesetzt war, verschlossen wurde, wäbrend am anderen Ende das Kapillarvolumeter durch Kegelschliff mit Überwurfmutter angeschraubt war. Nach sorgfältiger Füllung der Röhre mit destilliertem Wasser wurde der Inhalt einem Überdruck von 160 cm Wasser ausgesetzt; dabei trat eine Volum- änderung von 2,6 cbmm ein. Davon ist nicht ganz die Hälfte Erwiderung an O. Frank. 397 durch die Kompressibilität des Wassers, der Rest durch die Elasti- zität der Röhrenwand veranlasst; diese hat eine Dicke von 1.4 mm. Die Umwandlung des Prüfungsmanometers in ein Gummi- und Flachfedermanometer lässt sich sehr einfach bewerkstelligen, da der druckregistrierende Teil des Manometers (Spannvorrichtung mit ‘Feder, Fig. 1c, Pflüger’s Arch. Bd. 137 S. 241) vom druck- zuführenden abschraubbar ist. Um das Instrument in ein Flach- federmanometer zu verwandeln, wird an Stelle der Spannvorrichtung ein Messingwürfel gesetzt, in welchem die Flachfeder festgeklemmt ist; die Verbindung zwischen Membran und Feder ist eine feste, durch eine Grundplatte mit Stift, welcher mit der Feder verschraubt ist. Die Verbiegungen der Feder werden durch einen als Ver- längerung angesteckten Strohhalm von 3 em Länge mit angeklebtem Glasfaden nur wenig mechanisch vergrössert. Zur Herstellung des Gummimanometers wurde die zum Trommel- abschluss dienende Kondommembran durch eine 0,5 bzw. 0,8 mm dicke ersetzt, welche in stark gespanntem Zustand (linear auf etwa das Doppelte gedehnt) aufgebunden wurde. Die Vergrösserung der Membranbewegung erfolgte durch einen Aluminiumhebel von 17 mm Länge, der durch einen Glasfaden auf 20 mm verlängert war. Der Angrifispunkt war 5 mm von der Achse entfernt und mit der 2 mm grossen Grundplatte durch eine feine Doppelgabel gelenkig verbunden. Das Gewicht der Gabel betrug 0,14, das des Hebels 0,07 g, wozu noch zu bemerken ist, dass etwa zwei Drittel dieser Masse in dem an die Achse erenzenden Drittel des Hebels lagen; das Trägheits- moment dieses vierfach vergrössernden Hebels ist so gering, dass ich es bei der Berechnung der Schwingungszahlen vernachlässiet habe. Durch seine Berücksichtigung wird am Ergebnis nichts Wesentliches geändert. Das Torsionsmanometer wurde in der bei den Schwingungs- versuchen B der Experimentalkritik angegebenen Ausführung ver- wendet. Bei allen drei Instrumenten wurden die Bewegungen der Hebelspitzen optisch vergrössert registriert. Bei der Ausmessung der Schwingungszahlen wurden die in der folgenden Tabelle II (S. 398) verzeichneten Werte gefunden. Der Berechnung der Schwingungszahlen wurde zunächst nur die Elastizitäts- konstante des Manometers (E’ der Tabelle) zugrunde gelegt und die Elastizität der Röhrenwand wie des Wassers vernachlässigt; nur in einigen Beispielen wurde auch die letztere in Rechnung gezogen (letzte Spalte der Tabelle). ‘sIosseM Sop pun puemuaayoy dep Yeyzysej op Sunyoizaqug JM (q 7 wou9gqasasue wop AM (e ‘01 PA @ ‘09 Pnaq (T 683 188 OL soll 03 S6I LOL 901 08 y791p Lel HL ya Gel 09 SE96F°1 FI 051 911 09 98568 1 (ag wur g‘0) LoL LoL sıı E61 08 50] T0I 68 (eg) 391 08 50] "W-Twund AI == 861 901 oIL 0° zel 601 III 03 uunp — rl cIL MET 09 Nradyall 91 9L 120 09 800769 | Cam wur c‘0) — 101 6 #6 08 30] 19 69 69 08 30] "N-Tuwung) III r -- zo en 02 Dr | er Ma de Be — sel coL 00L 09 02L1FL g01 all III 09 GESET'L Ei _ 911 OL ısT 08 30] 06 001 16 08 50] "N-10poFydeL A II hd 361 861 901 sol 08 091 oT cıT 03 coL Fl sg 78 c9 955681 18 (286 (188 09 356h0‘L 06 I0L 901 ssI 08 so] 9, 06 06 08 50] "N-SUOISIO I q ® oFI | 08 ones 08 OFL 08 9uys 08 Pnaq |O8>PRUIq |, NPnIq OUT | -1985e A YDnaq 'J| NOnad UI | -10Sse MA any tag | any aogq | "qoaq | “q09q 19p HT mag | "qoaq 'gqo9q ap Ch uojyezsgundungdg dur] uajgezsdundumngog 9suyr] Sen N ww c A9SSIWTWANPULIAQWOTAL wur ), A9SSIWTANPURIqUON „ a 5 I ortoqeL Erwiderung an O. Frank 399 Die Tabelle lehrt folgendes: I. Manometer mit 7” mm Membran. Bei den Manometern I—III kann die Übereinstimmung zwischen den berechneten und den beobachteten Schwingungszahlen eine be- friedigende genannt werden, wenn das Manometer mit den Säulen von 80 und 60 em Länge schwingt; beim Manometer III ist die Übereinstimmung sogar sehr gut. Bei Verwendung der kurzen Röhre sieht man aber ausnahmslos eine starke Abweichung in dem Sinne eintreten, dass die beobachteten Schwingungszahlen hinter den berechneten zurückbleiben ; die Abweichung geht bis über 80 °/o. Beim Manometer mit höchstem Z’ (IV) tritt eine besonders auffallende Erscheinung ein: bei der Röhrenlänge 80 ist die Sehwingungszahl beim Druck S0 etwa doppelt so gross wie beim Druck 140. Die genauere Be- trachtung der Schwingungen unter dem Messmikroskop zeigt, dass die bei der Röhrenlänge 80 cm beobachtete Schwingungszahl von 162 nur den ersten vier Schwin- gungen entspricht. Diese zeigen - ausserdem kein gleichbleibendes Dekrement, sondern es wechseln eine grosse und eine kleine Amplitude miteinander ab; an diese raschen Schwingungen schliessen sich nun vier bis sechs regel- mässigere an, deren Schwineungszahl 85, also etwa die Hälfte der rascheren, beträgt. Vorstehende Figur gibt ein Beispiel davon; da diese raschen Schwingungen sich schwer reproduzieren lassen, habe ich ein Beispiel mit Hilfe des Zeiss’schen Zeichenapparats ver- grössert; die von der Strichdicke abgesehen nicht schemati- sierte Zeichnung ist in Fig. 2 abgebildet. Diese Schwingungsform zeigt sich ganz regelmässig bei jeder einzelnen Druckschwankung und wird ähnlich auch bei drei Manometern mit 5 mm Membran- durchmesser (I, II und IV) bei der Röhrenlänge S0 angetroffen (siehe die Tabelle). Es liegt also offenbar eine unter gewissen Be- dingungen eintretende gesetzmässige Erscheinung vor. Fig. 2. Man hat nun die beiden folgenden Möglichkeiten zur Fest- stellung der Schwingungszahl: Entweder betrachtet man bei den Anfangsschwingungen die kleineren als Partialschwingung, nämlich 400 Ken lümitchile: als die der Grundschwingung aufgesetzte Oktave — und dafür spricht die Form der Schwingungen —, dann erhält man für die Anfangs- und Endschwingungen die gleiche Zahl, die sowohl zu der beim Druck 140 beobachteten stimmt als auch von der theoretischen nicht erheblich abweicht. Man setzt sich aber dann mit der Theorie insofern in Widerspruch, als diese harmonische Schwingungen eines Massenpunktes verlangt, an der keine Partialschwingungen auftreten können. Will man diesen Widerspruch vermeiden und Partial- schwingungen nicht zulassen, so kommt man zu dem der Theorie gleichfalls widersprechenden Ergebnis, dass die Zahl der Eigen- schwingungen um eine Oktave wechselt. II. Manometer mit5 mm Membrandurchmesser. Auch hier können wir am Manometer III eine sehr gute, an den anderen eine ausreichende Übereinstimmung zwischen den ge- messenen und berechneten Schwingungszahlen bei den Rohrlängen 80 und 60 cm feststellen, wenn wir, wie oben, die bei der Rohr- länge von SO cm und beim Druck 80 em verzeichnete abnorm hohe Schwingungszahl als durch Beimischung der Oktave veranlasst be- trachten, wozu, wie gesagt, die Form der Schwingung berechtigt. Bei Verbindung der Manometer mit dem Rohr ven 20 em Länge werden regelmässige Schwingungen mit annähernd konstantem, ge- ringem Dekrement verzeichnet, deren Zahl eine bei allen Manometern übereinstimmende ist; sie ist aber nur etwa halb so gross als die theoretisch zu erwartende. Es zeigt sich somit eine bei Manometern verschiedener Konstruktion übereinstimmende Abweichung von der Theorie. Wie oben erwähnt, ist bei der Berechnung der Schwingungs- zahlen die Elastizität der Röhrenwand und des Wassers ausser acht gelassen worden. Bezieht man ihren Wert in die Elastizitätskonstante des Manometers ein, so werden die berechneten Schwingungszahlen für die Rohrlängen von 80 em um 11—16°o, für 60 um S—12, für 20 aber nur um 3—5°o kleiner. Es wird also gerade an den Schwingungszahlen, bei welchem die grösste Ab- weichung zwischen Theorie und Experiment auftritt, nichts Wesentliches geändert. Ich kann daher auch in dieser Versuchsreihe nur eine Bestäti- gung meiner früheren Ergebnisse erblicken, dass die Gültigkeit der Theorie eine beschränkte ist. Eine Untersuchung der Gründe, warum unterhalb einer gewissen Grenze die Theorie ver- Erwiderung an O. Frank. 401 sagt, betrachte ich nicht als meine Aufgabe. Das aber glaube ich durch die neuen Versuche gezeigt zu haben, dass das Torsicns- manometer nicht die Ursache der Abweichungen ist. Auf zahlreiche unrichtige Behauptungen Frank’s von unter- eeordneter Bedeutung gehe ich nicht ein; nur zu den Überlegungen möchte ich noch etwas sagen, mit welchen Frank den Wert der Bestimmung der Einstellungszeit in Abrede stellt, die „nichts weiter als eine verschlechterte Schwingungsbeobachtung ist. Die Ein- stellungszeit ist nämlich gleich der halben Schwingungszeit aber fehlerhaft, weil die Öffnung des Hahnes niemals pünktlich erfolgen kann. Ist die Bewegung aperiodisch, so ist die Bestimmung der Finstellungszeit willkürlich. Die Übersicht über diese einfachen Verhältnisse hat Hürthle auch jetzt noch nicht.“ Trotz dieser freundlichen Belehrung muss ich bei meiner Auffassung bleiben, dass die „Einstellungszeit des aperiodischen Manometers“ — und nur für dieses habe ich die Messung dieser Zeit gefordert!) — „ein sehr wertvolles Kriterium“ für die Leistungsfähigkeit des Manometers ist, da beim aperiodischen Manometer eben die Schwingungsmethode nicht anwendbar ist. Dass die aperio- dische Einstellung des Instruments anzustreben ist, wird auch Frank nicht in Abrede stellen wollen. Dass aber die Be- stimmung der Einstelluneszeit willkürlich sein soll, wenn die Be- wegung aperiodisch ist, verstehe ich nicht. Zwar kann man die Einstellungszeit durch Verkleinerung des Dämpfungsloches beliebig verlängern, was aber niemand einfallen wird. Vielmehr wird man das Dämpfungsloch so wählen, dass die zur aperiodischen Einstellung erforderliche Zeit möglichst klein ist. Da diese Zeit mit der Grösse der Druckschwankung etwas wechselt, habe ich am Revolver- hahn?) zwei etwas verschiedene Dämpfungslöcher angebracht. Die damit erzielbaren Einstellungszeiten sind durch die Elastizitäts- konstante des Manometers bestimmt und für eine gegebene Druck- differenz unveränderlich, also nicht willkürlich. Meine Instrumente. Die „endgültige Begründung“ seiner Behauptung, „dass ohne den Leitfaden der Theorie nur planloses Arbeiten stattfindet“, erbringt 1) Siehe Pflüger’s Arch. Bd. 137 S. 226 und S. 203/204. 2) Pflüger’s Arch. Bd. 137 S. 244. 402 K. Hürthle: Frank durch die „Kritik der letzten Konstruktionsversuche Hürthle’s“. Zu dem Vorwurf, dass ich die Konstruktionen gewechselt habe, „bald den Anregungen des einen Autors, bald denjenigen eines anderen folgend“, bemerke ich, dass dies höchstens für die Aus- führung der Federmanometer gilt, nicht aber für das Prinzip, das ich selbständig gefunden (vgl. S. 408) und in verschiedenen Konstruk- tionen durchgeführt habe. Zudem ist das Gummimanometer originell ; denn es ist mir nicht bekannt, dass vorher eine Platte als elastische Kraft bei der Messung des Blutdruckes verwendet worden wäre; auch wurden die Konstruktionen nicht gewechselt, weil sich die eine oder andere als unbrauchbar erwiesen hätte, sondern weil jede gewisse Vorzüge und Nachteile im Vergleich zur anderen hat. Die einzelnen Modelle, Gummi-, Flach- und Torsionsfedermanometer, . existieren gleichberechtigt nebeneinander. Schliesslich hoffe ich, dass auch das jetzige Modell nicht das letzte ist, denn auch dieses stellt kein ideales Instrument dar, schon deswegen nicht, weil es zum Abschluss der Flüssiekeitssäule eine Gummimembran enthält, die wenn irgend möglich zu beseitigen ist. Die in dieser Richtung angestellten Versuche haben bisher zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt. Das von Rolleston zu- erst benützte Kolbenmanometer hat, wie mich eigene Versuche mit sorgfältig aus Stahl hergestelltem Zylinder und Kolben überzeugt haben, entweder zuviel Reibung, oder es hält bei den arteriellen Drucksehwankungen nicht dicht. Bei dem verkleinerten Modell der Bourdon-Röhre!), das ich herstellen liess, ist die Füllung um- ständlich, und die schwingende Masse der Feder mit ihrem flüssigen Inhalt beträchtlich. Die Gad’sche Metallmembran hat den Nach- teil, dass die meisten Exemplare zwei Gleichgewichtslagen besitzen und die Flüssigkeitsverschiebung nicht so klein gemacht werden kann wie beim Gummi- oder Federmanometer. Die zuletzt von mir beschriebene Konstruktion -— das Torsions- federmanometer — ist nun nach Frank „technisch unzulänglich, und zur Aufzeichnung jeder — langsamen oder schnellen — Druck- schwankung praktisch unbrauchbar“ (S. 560). Als Begründung findet man: 1. „Auch jetzt noch schreibt er der Torsionsfeder mystische Vorzüge vor der Flachfeder zu, indem sie unter den 1) Pflüger’s Arch. Bd. 72 8. 570. 189%. Erwiderung an O. Frank. 403 gleichen Umständen eine höhere Schwingungszahl (die er hier wieder als einen Vorzug ansieht) liefert als die Flachfeder. Diese Vorzüge ° besitzt sie sicher nicht.“ Dieser apodiktischen Behauptung gegen- über muss ich die empirisch festgestellte Tatsache aufrechterhalten, dass eine Flach- und eine Torsionsfeder, die mit Hebeln von gleiche reduzierter Masse verbunden sind und bei gleicher Hebelvergrösserung und gleicher : Belastung gleichen Ausschlag „eben, verschiedene Schwingungszahlen haben, und zwar die Torsionsfeder stets die höhere. Es erscheint mir dies auch theoretisch verständlich und durchaus keine „mystische Eigenschaft“, da die Flachfeder die grössere Masse und das grössere Trägheitsmoment besitzt. 3. Die Anwendung eines Schnurlaufs erklärt Frank für un- zulässig: „Die Momente, in denen dieser Schnurlauf relativ gut funktioniert, dürften zu zählen sein, sonst befinden sich Hebel und Platte in freier Unabhängigkeit voneinander.“ Diese Behauptung kann schon durch die einfache Überlegung als unzutreffend erkannt werden, dass, wenn eine Feder durch zwei in entgegengesetzter - Riehtung angreifende und gespannte Schnurläufe in einem Rahmen festgehalten wird, der Rahmen keine Bewegung ausführen kann, ohne sie quantitativ auf die Feder zu übertragen, und umgekehrt, es sei denn, dass die Schnurläufe nicht gespannt oder dass sie dehnbar sind; dass die Rolle und Rahmen verbindenden Faden ge- spannt sein müssen, ist selbstverständlich; dass sie den in Betracht kommenden Druckwerten gegenüber als undehnbar betrachtet werden dürfen, habe ich noch in einem besonderen Versuch festgestellt. Sollte sich aber die Frank’sche Behauptung auf die Vorstellung gründen, dass sich der Schnurlauf auf der Rolle verschieben könne, so verweise ich ihn auf die Schraube, durch welche ein Gleiten des Fadens auf der Rolle verhindert wird’). 3. Den weiteren Einwand: „Aber auch abgesehen davon, ist die Verbindung der Grundplatte des Manometers mit dem Hebel wegen der Gefahr der Durchknickung nicht allein für dynamische, sondern auch für statische Verhältnisse, wie sie bei der Eichung vorhanden sind, unzulänglich,* hätte Frank wohl nicht gemacht, wenn er sich die Art der Verbindung der Grundplatte mit der Feder bei meinem Instrument klargemacht hätte; denn der Hebel ist mit der Grund- platte überhaupt nicht direkt verbunden, sondern nur durch Ver- 1) Pflüger’s Arch. Bd. 72 S. 567. 404 K. Hürthle: ıittlung der Rolle, an welcher der Faden angreift. Bei dem von Frank angeführten Versuch scheint das anders gewesen zu sein, denn es heisst an der betreffenden Stelle!), dass „die Verbindung des von der Feder ausgehenden Hebels mit der Platte Schwierig- keiten bereitet“. 4. Endlich behauptet Frank, dass „sowohl bei der statischen als bei der dynamischen Beanspruchung nicht bloss Verdrehungen, sondern auch Durchbiegungen der Torsionsfeder, und zwar im wechselnden Maasse stattfinden“. Dass solche Durchbiegungen theoretisch zu berechnen sind, ist nicht zu bestreiten, ob sie nachweisbar sind, ist aber eine andere Frage, und ich erwarte zunächst von Frank den Beweis für seine Behauptung, dass eine stark gespannte Stahlfeder von den beim Manometer verwendeten Dimensionen durch eine Kraft von höchstens 80 g, welche tangential zur Höhe der Feder in 3 mm Abstand an- greift, durchgebogen werde, und zwar in wechselndem Grade. Noch schlagender als durch diese Überlegungen lassen sich die Frank’schen Behauptungen experimentell widerlegen: Überträgtt man künstliche in dem von mir angegebenen Prüfungsapparat?) erzeugte Druckschwankungen von der Grösse und Form der intraventrikularen abwechselnd auf ein Gummi-, Torsions- und Flachfedermanometer (bei gleichem M’ und E’), so ist die Form der drei gezeichneten Kurven vollkommen übereinstimmend. Ferner zeigt der Druck in Karotis, abwechselnd mit einem Torsions- und Flachfedermanometer mit optischer oder Russschreibung registriert, genau die gleiche Pulsform, desgleichen der Druck in Cruralis; Beispiele werden später mitgeteilt. Ein Beweis dafür, dass die von mir festgestellten Unterschiede zwischen den berechneten und den beobachteten Schwingungszahlen nicht dem Torsionsmanometer zur Last fallen, ist in der neuen Ver- suchsreihe (S. 396) erbracht worden. Schliesslich bin ich in der Lage, einen Beweis für den hohen Grad der Genauigkeit des Torsionsmanometers mit optischer Regi- 1) Zeitschr. f. Biol. Bd. 54 S. 23. 2) Pflüger’s Arch. Bd. 137 S. 227. Frank erklärt zwar dieses Prüfungs- verfahren, das ich im Anschluss an seine (welche?) Kritik „unmerklich“ geändert haben soll, auch jetzt noch für ungenügend, wiederum ohne einen Grund für seine Kritik zu geben. Erwiderung an O. Frank. 405 strierung bei der Messung der absoluten Werte des Blut- drucks in einer gegen Ende des Jahres erscheinenden Abhandlung über die Beziehung zwischen Druck und Geschwindiekeit im Arterien- system zu erbringen. In den zur Prüfung der Methode angestellten Versuchen wird destilliertes Wasser durch Glaskapillaren abwechselnd unter konstantem und rhythmischem Druck getrieben; der konstante Druck wird durch eine Wassersäule, der rhythmische durch das Torsiousmanometer gemessen. Die Unterschiede in den auf die Druckeinheit entfallenden Ausflussmengen in beiden Fällen betragen höchstens 50/0; diese Übereinstimmung darf man wohl als Beweis für die gute Leistung des Torsionsfedermanometers betrachten, die um so mehr ins Gewicht fällt, als die Messungen bei rhythmischem Druck an einem Pulsschlag (von 1—2 Sekunden Dauer) vorgenommen wurden, während die bei konstantem Druck 5 Minuten dauerten. Dass die Übereinstimmung eine zufällige sei, weil nicht streng er- wiesen ist, dass das Poiseuille’sche Gesetz auch bei rhythmischem Druck gilt, wird wohl niemand annehmen wollen. Die Frank’sche Kritik des Torsionsfedermanometers erweist sich also sowohl bei einfacher Überlegung wie bei der praktischen Prüfung als vollkommen unbegründet. Meine Stellung zur Theorie sehe ich mich genötigt, noch besonders darzulegen, da mir Frank in dieser Hinsicht eine ge- wisse Art von Unaufrichtigkeit nachzuweisen versucht; diesen Ver- such sehe ich wenigstens in den folgenden Sätzen: „Hürthle sagt zwar, dass meine Theorie nur eine Bestätigung seiner sogenannten Leitsätze enthält, aber er erinnert sich erst jetzt an sie für die Kon- struktion seiner Instrumente. Seine vorher enge Kapsel des Feder- manometers wie auch die zuführenden Röhren werden weiter.“ ... „Statt der Kapillarröhre, die früker Hürthle für die Dämpfung empfohlen hat, wird nach der Aufstellung meines Begriffes der wirk- samen Masse eine feine Öffnung für diesen Zweck verwendet.“ Darauf muss ich erwidern, dass ich die Ursache dieser Ände- rung auf S. 187 der „Experimentalkritik“ dargelegt habe, indem ich offen bekannte, dass ich bei der Einführung der künstlichen Dämpfung in dem Irrtum befangen war, der Widerstand der Zu- leitungsröhre dürfe gegen den der künstlichen Dämpfung vernach- lässigt werden, und dass ich durch die Aufstellung des Begriffes der wirksamen Masse veranlasst wurde, diese Vorstellung aufzugeben. Ich sollte meinen, dass man den Grund für das Weiterwerden der Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 27 406 K. Hürthle: Röhren nicht offener aussprechen kann. Zu dem weiteren Satze: „Die Röhren werden in eine feste Verbindung mit der Manometer- trommel gebracht und dadurch zu einem integrierenden Bestandteil des Manometers wie bei meinen Instrumenten“ bemerke ich aber, dass ich schon vor dem Erscheinen der Frank’schen „Kritik“ eine Verschraubung der Röhren mit dem Manometerkörper angewandt habe (siehe Pflüger’s Arch. Bd. 72 S. 569. 1898), und dass andererseits Frank später selbst erklärt hat, beim peripheren Puls habe man nicht nötig, „die beiden elastischen Verbindungen auf- zugeben“ (Zeitschr. f. Biol. Bd. 46 S. 522. 1905). Ferner sagt Frank, dass Hürthle, indem er die Schwingungs- beobachtung für unzureichend hält, „ohne dass er es merkt, den Wert der Schwingungsbeobachtung für jedes andere Instrument: Galvanometer, Öszillograph, Saitengalvanometer usw. leugnet“. Darauf erwidere ich, dass es mir gar nicht in den Sinn gekommen ist, den Wert der Schwingungsbeobachtung in denjenigen Fällen in Abrede zu stellen, in welchen Theorie und Experiment überein- stimmen; auf S. 225 meiner Abhandlung über die Prüfung der Manometer steht vielmehr ausdrücklich, dass die „Prüfungsmethode mit Hilfe der Eigenschwingungen auf den Gültigkeitsbereich der Theorie beschränkt sei.“ Von dieser unrichtigen Darstellung abge- sehen, muss Frank, um zu seiner Behauptung zu gelangen, wieder den oben schon besprochenen Denkfehler machen, nämlich die Voraussetzung als erwiesen annehmen, dass die bewegten Massen des Manometers in allen Fällen mit einem Massenpunkt identifiziert. werden dürfen. Welche Künste, um dem Leser weiszumachen, dass ich den Wert der Schwingungsbeobachtung überhaupt leugne, und noch dazu ohne es zu merken! Eine ähnliche Entstellung meiner Ansicht ist es, wenn Frank an anderer Stelle die Benutzung der Schwingungsbeobachtung zum Vergleich von Stahlfedern mir als Inkonsequenz auslegt. Jch habe den Wert der Theorie keineswegs in Abrede gestellt, sondern habe sie im Gegenteil als einen „unbestreitbaren Fortschritt und ein Ver- dienst Frank’s“ bezeichnet. Wogegen ich mich gewendet habe, ist erstens die Behauptung Frank’s, dass das von mir aufgestellte Kriterium der kleinstmöglichen Flüssigkeitsverschiebung sich als falsch erwiesen habe, während es doch fraglos durch die Theorie bestätigt wird. Bei der Widerlegung dieser Behauptung ging ich von der Voraussetzung aus, dass Frank überhaupt einen sachlichen Erwiderung an O. Frank. 407 Grund für seine Kritik gehabt haben müsse, und dass er die Wahl des Membranquerschnittes meine, da er im Anschluss an dessen Er- örterung das Kriterium für falsch erklärt hat. Wenn Frank nun- mehr meiner Beweisführung die Spitze abzubrechen sucht mit dem Bemerken, er habe ja gar nicht behauptet, dass der Querschnitt meiner Membranen zu klein sein, so folgt daraus nur, dass er über- haupt keinen sachlichen Grund für seine Behauptung aufzuweisen hat. Der zweite Punkt, in welchem ich hinsichtlich der Bedeutung der Theorie mit Frank nicht übereinstimmte, betrifft das Ergebnis meiner Experimentalkritik, dass der Gültigkeitsbereich der Theorie ein beschränkter sei. Dieses Ergebnis ist zwar von Frank nicht anerkannt, aber es ist oben gezeigt worden, dass es durch die Frank’sche Kritik nicht erschüttert und in einer neuen Versuchs- reihe bestätigt wird. Schliesslich noch ein Wort zur Kritik meiner „Betrachtungen“ !); dazu sagt Frank: „Eine solche historische Darstellung hat doch nur dann Wert, wenn sie vollständig ist.“ Das kommt ganz auf den Zweck an: Meine Absicht war nicht, eine historische Darstellung der Entwicklung der druckregistrierenden Instrumente zu geben, sondern lediglich festzustellen, ob die auf empirischem Wege ge- fundenen Prinzipien durch die nachfolgende theoretische Betrachtung als falsch erwiesen worden sind oder nicht. Diese Frage habe ich am Beispiel des Sphygmographen und der elastischen Manometer beantwortet; für letzteres brauchte ich nur meine eigenen Sätze anzuführen, da nur gegen sie oder vielmehr gegen einen derselben der Vorwurf erhoben worden war, dass er falsch sei, und auch Frank an den diesbezüglichen Stellen die jetzt von ihm angeführten Fick’schen Sätze früher nicht erwähnt hat. Was diese selbst betrifft, so gestehe ich zu meinem Bedauern, dass sie mir bisher unbekannt waren. Es mag dies damit entschuldigt werden, dass zur Zeit meiner Untersuchungen die Beschreibung des Manometers?), an welche die Erörterungen geknüpft waren, wie Fick°) selbst sagt, „in einer 1) K. Hürthle, Betrachtungen über die theoretischen und praktischen Bestrebungen, Instrumente zur Registrierung der im Kreislauf auftretenden Druck- schwankungen herzustellen. Pflüger’s Arch. Bd. 137 S. 145. 2) Ad. Fick, Ein neuer Wellenzeichner. Festschrift für Rinecker. Ges. Abhandl. Bd. 3 8. 593—601. 1877. 3) Ad. Fick, Eine Verbesserung des Blutwellenzeichners. Pflüger’s Arch. Bd. 30. 1883. Ges. Abhandl. Bd. 3 S. 608—#12. 2108 408 K. Hürthle: wenig verbreiteten Gelegenheitsschrift veröffentlicht war“, und dass Fick später!) die Beschreibung des Manometers wiederholte, wobei die Sätze — die kleinstmögliche Flüssigkeitsverschiebung und den Einfluss des Röhrenquerschnittes betreffend — weeblieben. Seit dem Erscheinen der „Gesammelten Abhandlungen“ aber habe ich Fiek’s Arbeiten über Manometer nicht mehr gelesen. Wenn es nun auch keinem Zweifel unterliegt, dass Fick der erste war, welcher die beiden Sätze ausgesprochen und für den Einfluss des Röhrenquerschnittes eine mechanische Erklärung gegeben hat, so darf ich doch als gewichtigen Grund für die Selbständigkeit und Notwendigkeit meiner diesbezüglichen Untersuchungen anführen, dass zur Zeit, als sie angestellt wurden, der Fick’sche Satz der kleinstmöglichen Flüssigkeitsverschiebung kein anerkanntes Prinzip für die Konstruktion der Manometer bildete; denn einerseits hatte Fick später (i. J. 1883), in dem Bestreben, die Leistungsfähigkeit seines Manometers zu erhöhen, das Prinzip wieder verlassen, indem er den Membrandurchmesser wesentlich vergrösserte (von 5 auf 14 mm) und ausserdem zugunsten der Verringerung der Massenwirkung den grössten Teil der inkompressiblen Flüssigkeit durch Luft ersetzte; andererseits ist die maassgebende Bedeutung des Prinzips auch, nach- dem es 1888 in meinem Manometer durchgeführt war, von anderer Seite in Abrede gestellt und von mir mehrfach verteidigt worden ?). Schliesslich fehlt in den Fiek’sehen Überlegungen ein für die Konstruktion der Hebelmanometer wichtiger Punkt: Die Flüssigkeits- verschiebung und damit auch der Membranquerschnitt darf nicht unter einen gewissen Wert sinken, weil dieser Querschnitt die zur Bewegung des Schreibhebels erforderliche Kraft liefert. Den kleinst- möglichen Membrandurchmesser habe ich für die von mir verwendete Hebelvergrösserung zu 7 mm bestimmt; in der ersten Fick’schen Konstruktion®) hatte er nur 5 mm, und es ist wahrscheinlich, dass dieser Durchmesser bei den stärkeren Graden der Hebelvergrösserung (Zahlenangaben über das Hebelsystem fehlen; 1 mm Ordinate — 6—8 mm Hg S. 597) zu klein ist. Durch diese Vervollständigung der historischen Tatsachen wird gear nichts geändert an der in den „Betrachtungen“ behandelten 1) Ad. Fick, Eine Verbesserung des Blutwellenzeichners.. Pflüger’s Arch. Bd. 30. 1883. Ges. Abhandl. Bd. 3 S. 608—612. 2)K. Hürthle, Pflüger’s Arch. Bd. 49 S.29. 1891, und Bd. 55 S. 319. 1894. 3) Ad. Fick, Ges. Abhandl. Bd. 3 8. 593. 1877. Erwiderung an O. Frank. 409 Frage, ob sich das Prinzip der kleinstmöglichen Flüssigkeits- verschiebung durch die theoretische Untersuchung als falsch erwiesen habe oder nicht. Damit schliesse ich meine Erwiderung auf die sachlichen Ein- wände Frank’s und gebe meinem Bedauern darüber Ausdruck, dass meine rein sachlich gehaltenen Abhandlungen Frank zu einem Tone der Entgegnung veranlasst haben, der an vielen Stellen persön- lichen Charakter annimmt und als Absicht zur Verletzung erscheint. Ich halte es nicht für angemessen, auf die diesbezüglichen Be- merkungen, deren Wirkung zum Teil noch durch Entstellung erhöht wird), in gleicher Form zu erwidern, da der Sache damit schlecht gedient ist, und da ich überzeugt bin, dass derartige Bemerkungen die allgemeine Missbilligung finden. Das Ergebnis lässt sich folgendermaassen zusammenfassen : 1. Der zum Beweis für die „Wertlosigkeit meiner Experimental- kritik* von Frank nachgewiesene Fehler besteht in einer mir be- wussten Vernachlässigung einer Grösse, durch deren Berücksichtigung das Resultat ganz unwesentlich geändert wird. 2. Mit der Anführung des Grundgesetzes der Mechanik als Be- weis für die Unmöglichkeit meiner Versuchsergebnisse stellt Frank eine petitio prineipii auf. 3. Das Ergebnis meiner Experimentalkritik, dass der Gültigkeits- bereich der Frank’schen Theorie ein beschränkter ist, wird in einer neuen Versuchsreihe bestätigt. 4. Die Ursache der Abweichung zwischen Theorie und Experiment liegt nicht in der Konstruktion meiner Manometer. 5. Theoretisch und experimentell wird nachgewiesen, dass die Behauptung Frank’s, mein Torsionsmanometer sei zur Aufzeichnung jeder — langsamen oder schnellen Druckschwankung — unbrauchbar, völlig unbegründet ist. 1) Wenn Frank z. B. sagt: „Dass aber Hürthle die Deduktionen, die Cl. Schaefer zur Frage der Dämpfung gibt, für eine endgültige befriedigende Lösung hält, zeigt von der Genügsamkeit seiner Ansprüche an theoretische Deduktionen* — so hat er durch Einfügung des Wortes „endgültig“, das bei mir (Betrachtungen S. 152) fehlt, die Genügsamkeit meiner Ansprüche in wirkungs- voller Weise erhöht. 410 Clemens Schaefer: Erwiderung an O. Frank. Von Clemens Schaefer. OÖ. Frank hat soeben auf meine „Kritischen Randglossen“ ge- antwortet. Seine Erwiderung enthält nicht nur zahlreiche sachliche Unrichtigkeiten, sondern auch eine Fülle persönlicher Beleidigungen. So unsympathisch mir letzteres auch eine Erwiderung macht, da ich notgedrungen auch zu den persönlichen Dingen Stellung nehmen muss, so zwingen mich doch die vielen Irrtümer Frank’s dazu, weil andererseits der Zweck meiner Randglossen, vor einer kritik- losen Hinnahme der Frank’schen Untersuchungen über Manometer zu warnen, gefährdet sein könnte. Meine Antwort zerfällt in einen sachlichen und einen persön- lichen Teil. A. Sachliches. Ich werde, um mich möglichst kurz fassen zu können, mich an die Frank’sche Erwiderung halten, deren einzelne Sätze ich zum besseren Verständnis numeriere. I. Die Analyse endlicher Dehnungen. Frank sehreibt (S. 539): a) „Ohne Stellung zu dem sachlichen Inhalt seiner Ausführungen zu nehmen, möchte ich doch bemerken, dass sein absprechendes Urteil durchaus nicht harmoniert mit der Zustimmung, die ich un- gebeten von einer Reihe von Physikern, die an deutschen Lehrstühlen wirken, erhalten habe.“ Darauf habe ich zu erwidern: Da Frank nichts Sachliches gegen meine Behauptung vorbringt, so wiederhole ich dieselbe: Ich habe gezeigt an Hand der Versuche von Thomson und Schulze, dass die Frank’sche Gleichung vollkommen unbrauchbar ist. Sie gibt die experimentell gefundenen Abweichungen vom Hooke’schen Gesetz nicht wieder. Diese sind vielmehr 1000 mal so gross, als sie Erwiderung an 0. Frank. 411 nach der Frank’schen Gleichung sein sollten. Dass gegenüber diesen Tatsachen private Anerkennungsschreiben für mich keinerlei Bedeutung haben, wird man verstehen. Übrigens habe ich nichts gegen den Gedanken an sich eingewendet — diesen habe ich viel- mehr, wie in den „Randglossen“ angegeben, schon vor 10 Jahren selbst erwogen, aber nach reiflicher Prüfung fallen lassen. — Aber ich habe betont, dass dieser naheliegende Gedanke dem Ex- periment gegenüber nicht stichhält. b) „Die Aufklärung, die mir Schaefer über die Konstanz des Elastizitätsmoduls zu geben beabsichtiet, ist für mich voll- ständig überflüssig. Dass der Elastizitätsmodul inkonstant sein kann, das braucht man einem Physiologen, der mit Muskelsubstanz ge- arbeitet hat, wohl nicht zu sagen.“ Dieser Satz ist so charakteristisch für Frank’s Kampfesweise, dass ich den Sachverhalt näher darlegen muss. Die Ausgangs- gleichung Frank’s ist eine streng richtige Differentialgleichung; die Integration derselben nach Frank liefert aber ein gänzlich un- brauchbares Resultat. Um dem Leser der „Randglossen“ über dieses Paradoxon fortzuhelfen, habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass der Fehler in der Frank’schen Integration liegt, in der er den Elastizitätsmodul als konstant betrachtet hat. Wenn Frank gewusst hat, dass er hier den Elastizitätsmodul nicht als konstant betrachten dürfe, weshalb tat er es denn? Seine obigen Ausführungen sind ein Versuch, den nicht orientierten Leser über meine Be- hauptungen zu täuschen. c) „Die Fassung meiner Abhandlung gibt nieht den geringsten Anlass dafür, dass ich den „Anspruch“ erhoben hätte, im Falle der Dehnung das exakte Gesetz für endliche Deformationen gefunden zu haben.... Seine (Schaefer’s) Schrift schliesst also mit einer der Wahrheit zuwiderlaufenden Behauptung ab.“ Demgegenüber führe ich lediglich folgende Stellen seiner Ab- handlungen an: Analyse endlicher Dehnungen, Ann. d. Phys. Bd. 21 S. 603. 1906: „Die Behandlung endlicher Dehnungen lässt sich für eine Reihe von Fällen, ... ganz allgemein ... durchführen. ... Das Hooke- sche Gesetz erfährt damit in gewissem Sinne eine Erweiterung.“ Ferner, womöglich noch schärfer in: Endliche Ausbauchungen einer aufgespannten elastischen Membran, Zeitschr. f. Biol. Bd. 50 S. 2 und 3: „Die Prinzipien der Elastizitätslehre lassen zunächst nur 412 Clemens Schaefer: eine Behandlung unendlich kleiner Deformationen zu. Dass unter Umständen eine Ausdehnung dieser Lehren auf endliche Deforma- tionen möglich ist, habe ich in einer Abhandlung «Die Analyse endlicher Dehnungen usw.» angezeigt.“ Und endlich in Tiger- stedt, Handb. d. physiol. Methodik, 2. Art. Hämodynamik von OÖ. Frank S. 15: „Die gewöhnliche Theorie der Elastizität reicht hierzu, da es sich nicht um unendlich kleine Dehnungen, sondern um endliche handelt, nieht aus. Ich habe deshalb die Theorie der endlichen Dehnungen im allgemeinen und für einzelne spezielle Fälle in einer besonderen Abhandlung entwickelt.“ Wie Frank demgegenüber bestreiten kann, den Anspruch er- hoben zu haben, die Elastizitätslehre im Falle der Dehnungen auf endliche Deformationen erweitert zu haben, d. h. das exakte Gesetz der Dehnung gefunden zu haben, ist mir unverständlich. Wie ferner angesichts dieser Tatsachen sein Versuch, mich der unwahren Dar- stellung zu beschuldigen, zu qualifizieren ist, darf ich der Be- urteilung der Fachgenossen überlassen. I. Die Frage der Dämpfung. a) Auch hier macht mir Frank den Vorwurf der unwahren - Darstellung; er schreibt: „Ebenso verhält es sich mit seiner Darstellung, dass ich mich in Anlehnung an einen Mach’schen Satz dafür ausgesprochen hätte, dass die Dämpfung der Manometer möglichst klein sein müsse. Ich habe das weder den Worten noch dem Sinne nach getan.“ Ich zitiere wiederum Frank selbst (Kritik 571 und 572): „Die Dämpfungskonstante kann nun ohne besondere Vorsichtsmaassregeln immer leicht so klein gehalten werden, dass ihr Einfluss sich nicht bemerkbar macht... auch durch Vergrösserung der Dämpfung kann man bis zu einem gewissen Grad die schädliche Wirkung der Masse verringern, man macht das Instrument aperiodisch durch diese Dämpfung. Dadurch wird aber eine neue Entstellung der Kurven hervorgerufen. .., wir können auch dann die Dämpfung beliebig verringern und so ihre schädliche Wirkung aufheben.“ Hierzu nehme man den an anderer Stelle sich findenden Satz (Kritik 575): „.... man hätte sich gegen Mach wenden müssen, denn dessen Ausführungen über die Leistungen des Sphygmo- sraphen gelten für jedes Instrument.“ Da die von mir oben angeführten Stellen die einzigen der Kritik sind, in denen sich Erwiderung an O. Frank. 413 Frank über die günstigste Wahl der Dämpfung ausspricht, so war ich wohl berechtigt, zu behaupten, dass Frank sich der Mach- schen Anschauung angeschlossen habe. Keinesfalls war Frank bei dieser Sachlage befugt, mir den Vorwurf einer unwahren Darstellung zu machen. Wenn hier auf meiner Seite ein Irrtum über Frank’s Anschauung vorliegen sollte, so muss ich zu meinem Bedauern ihm selbst die Schuld daran zuschreiben; denn wenn wirklich seine Meinung von der Mach’schen abweicht, so sind seine Ausführungen über die Dämpfung mehr als dürftig. Gerade aus diesem Grunde glaubte ich mich zu der Annahme berechtigt, dass Frank Mach’s Anschauung übernommen habe. Nachdem Frank dies ablehnt, kenne ich seinen Standpunkt in dieser fundamentalen Frage über- haupt nicht. b) Einen besonderen Hieb versetzt mir Frank durch die Be- merkung: „Seine nicht neuen Ausführungen über diesen Punkt sind unzulänglich“ (S. 540). Darauf habe ich zu erwidern: Ich habe weder das eine noch das andere beansprucht. Im Gegenteil möchte ich ausdrücklich be- tonen, dass der ganze Inhalt der „Kritischen Randglossen“ für einen Physiker nichts Neues bieten konnte, es sind vielmehr elementare ‚ Dinge, die dort behandelt sind, was aber leider Verstösse von Frank dagegen nicht verhindert hat. Vollständigkeit wird kein billig Denkender von mir auf im ganzen 18 Druckseiten verlangen, wo Frank viele hundert Seiten in Anspruch genommen hat. In dem speziellen Fall der Dämpfung habe ich in einer Anmerkung (S. 262 der Randglossen) Vollständigkeit ausdrücklich abgelehnt. Il. Das einfache Manometer von konstantem Quer- schnitt. Frank sagt S. 540: „Schaefer hält die Behandlung dieses ersten Problems für korrekt und die Einführung der Elastizitäts- konstanten E’ für zweckmässig, versteigt sich aber zum Schluss zu einem sophistisch-mathematischen Kunststück, durch das er demon- strieren will, dass der Querschnitt nur durch Einführung meiner Elastizitätskonstanten #’ in den Nenner gelangt sei.“ Ich frage: Wodurch denn sonst? Definiert man die Elastizitäts- konstante wie gewöhnlich bei den Schwingungen eines Massenpunktes, nämlich |E| — so lautet die Formel für die Dauer der Eigen- schwingung 414 Clemens Schaefer: TB, ER 1 (AN) hat also, was ganz selbstverständlich ist, VQ@ im Zähler. Führt man darein statt # die Frank’sche Elastizitätskonstante £’ ein durch die Frank’sche Beziehung I, wo 0-p=K, Q0:.2x=vist, so folgt (BER — _ — a: \E\, oder endlich:. 02 ee Se eb) setzt man nun den Wert von # aus Gleichung (b) in die Gleichung (a) ein, so folgt die Frank’sche Gleichung: an. d.h. YO im Nenner. Ich sollte denken, dass es nichts ein- facheres geben könnte. Dass Frank diesen einfachen Sachverhalt bestreitet, dass er insbesondere die Ersetzung von E durch E’ nicht nur für zweckmässig (worin ich ihm zustimme) sondern für „un- bedingt“ notwendig (S. 541) hält, zeigt, dass er seine eigene Analyse heute noch nicht begriffen hat. Seine persönliche Be- merkung gegen mich an dieser Stelle, dass „Schaefer in seiner Abhandlung nicht sein Verständnis für den physikalischen Sinn einer Formel erweist“, darf ich daher wohl übergehen. T-2%| Ich bemerke übrigens, dass Frank’s Ableitung der Gleichung (e) zwar nieht unkorrekt, aber so unnötig kompliziert ist, dass gerade darin der Grund seiner mangelnden Einsicht in seine Entwicklungen zu suchen sein dürfte. IV. Das allgemeine Manometer mit variablem Quer- schnitt. Frank moniert zunächst, dass ich diesen Fall mit Hilfe der Lagrange’schen Gleichungen behandelt habe, „mit denen Schaefer schon den einfachen Fall be- oder vielmehr misshandelt hat“. Er fährt fort (S. 541): „Ich erinnere mich lebhaft an Warnungen vor dem wahllosen Gebrauch der Lagrange’schen Gleichungen. Eine äusserst präzise und sachgemässe findet sich Föppl’s Technische Mechanik Bd. 4... Die Lagrange’schen Gleichungen sind danach eine wunderbare Vorschrift, mit der alle Erwiderung an O. Frank. 4)5 mechanischen Probleme behandelt werden können. Das bequeme Mittel verleitet aber leicht dazu, die physikalischen Beziehungen der Analyse zu übersehen, und so ist es Schaefer gegangen...“ Die Anwendung der Lagrange’schen Gleichung „durch Schaefer kann also nur den Zweck gehabt haben, zu blenden oder zu im- ponieren ... Ich aber halte seine Entwleklung für unwissenschaft- lich und unsachlich.“ Ich erwidere folgendes: In Föpp1’s Technische Mechanik Bd. 4 sind m. E. keine Warnungen vor dem Gebrauche der Lagrange- schen Gleichungen enthalten. Der Autor erklärt vielmehr nur (S. 280): „Dass man es verstehen könne, dass man sich in tech- nischen Kreisen um jene allgemeinen Prinzipien der Mechanik nicht gekümmert habe.“ Der Grund dafür sei der, dass die Lagrange’schen Gleichungen nur die Kenntnis der lebendigen Kraft und der potentiellen Energie verlangen, ohne spezielle Kenntnisdes Mechanismus vorauszusetzen, welch letztere für den Techniker von ausschlaggebender Wichtigkeit sei. Man erkennt, dass Föpp| hier nur den Gründen einer historisch ge- wordenen Tatsache nachgeht. Frank hat die betreffenden Stellen für seinen Zweck ein wenig gefärbt. In mathematischer Hinsicht sind d’Alembert’sches Prinzip und Lagrange’sche Gleichungen einander vollkommen gleich- wertig, da eins aus dem anderen durch eine rechne- rische Umformung folgt. Weshalb habe ich nun zunächst bei dem komplizierten Manometer die Lagrange’schen Gleichungen vorgezogen? Einfach deshalb, weil die angeblich auf dem d’Alembert’schen Prinzip beruhende „Ableitung“ Frank’s mir bedenklich vorkam. Man wird es gewiss vom wissenschaftlichen Standpunkt aus nur billigen, wenn ich nun nach einer anderen Methode — und zwar einer solchen, die leichter zu handhaben ist, da spezielle Kenntnis des Mechanismus nicht vorausgesetzt wird — mir über die Frank ’sche Gleichung Klarheit zu verschaffen suchte. Auf diesem Wege fand ich meine Gleichung. Und da war es wohl selbstverständlich, dass ich diese Ableitung, als die mir am einfachsten erscheinende, publizierte. Der Gleichmässigkeit halber habe ich dann auch den einfachen Fall so behandelt. Das erschien mir als selbstverständlich und geradezu geboten, vor einem Kreise von Niehtphysikern nicht zwei verschiedene Methoden der Ableitung 416 Clemens Schaefer: anzuwenden. Frank’s beleidigende Bemerkung über meine Gründe dieser Darstellung darf ich daher zurückweisen. b) Ich habe in den „Randglossen“ (S. 255) bemerkt, dass ich Frank’s Ableitung nicht verstanden hätte. Frank erwidert darauf (S. 542) folgendes: „Soll ich dies als Beweis auffassen für seine mangelnde Kenntnis des d’Alembert’schen Prinzips überhaupt ?“ Ich erwidere zunächst, dass Frank sich durch derartige Be- merkungen der Gefahr der Lächerlichkeit aussetzt. Er will ja seine Leser glauben machen, ein Fachphysiker sei über ein fundamentales Prinzip der Mechanik nicht orientiert, über ein Prinzip, das doch offenbar sehr einfach sein muss, da sogar Nichtphysiker, wie Frank, es beherrschen können !)! Doch dies nur nebenher; jetzt zur Haupt- sache! Frank hat die in meinen Worten liegende milde Kritik seiner „Ableitung“ nicht verstanden oder verstehen wollen. Er zwingt mich zu meinem Bedauern, deutlich zu werden und seine „Ableitung“ zu analysieren. Auf S. 486 der „Kritik“ heisst es: „Nach dem soeben Dargelesten summieren wir über die ganze Flüssigkeitsmasse hinüber: Dr 2 ) s-41- Sr -r ee la 0) Die Summe aller auf die einzelnen Scheiben wirkenden Druck- differenzen ist nun gleich dem hydrostatischen Druck, der am An- fang der Säule herrscht, und dieser wechselt je nach der Ausbauchung der Membran nach der Beziehung: Ap Kr x ap Emm 2) Betrachten wir zunächst diese Sätze etwas genauer! Zunächst bedeutet /p in Gleichung («) eine „der auf die ein- zelnen Scheibehen wirkenden Druckdifferenzen“! Wirklich? Druck- differenzen? Aber wie sind denn Druckdifferenzen möglich, da die Flüssigkeit als inkompressibel und starr vorausgesetzt wird? Wie verträst sich die Annahme von Differenzen des Druckes mit dem 1) Damit möchte ich jedoch keineswegs behaupten, dass Frank das d’Alembert’sche Prinzip verstanden hätte, wenigstens hätte er dann den Satz nicht schreiben sollen (Kritik S. 486): „Das d’Alembert’sche Prinzip ist eigentlich nur für im strengen Sinne starre Körper bestimmt. ...“ Wer sich dafür weiter interessiert, vgl. etwa die Darstellung in Kirchhoff’s Mechanik. Auch ein gründliches Studium des von ihm zitierten vierten Bandes von Föppl’s Technischer Mechanik könnte Frank eines bessern belehren. Erwiderung an O Frank. 417 Grundgesetz der Hydrostatik, dass in einer ruhenden, der Schwere entzogenen Flüssigkeit der Druck überall den gleichen Wert hat? Sind also Differenzen möglich? Sonderbar! Mir geht’s wie Faust: „Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?“ Aber vielleicht ergibt das Folgende eine Lösung. Die Gleichung (£) lautet ar — E'. Das ist die alte Definitionsgleichung Frank ’s für die Hlastizitätskonstante E’ (S. 471 der „Kritik“). Und hier bedeutet Ap einen Zuwachs des Druckes p, IV den dadurch hervor- serufenen Zuwachs der Volumverschiebung der Manometerflüssigkeit aus der Gleichgewichtslage. Nun bin ich schon ganz konfus: 4p sollte doch nach Gleichung («) eine „Druckdifferenz sein, die auf ein Scheibchen der Flüssiekeit wirkt“ und die „Summation dieser Differenzen sollte den Druck p“ geben! Und hier, nach ($), etwas sanz anderes? In der Tat, zwei verschiedene Bedeutungen unter demselben mathematischen Symbol! Welches ist nun die richtige? „Bedenke wohl die erste Zeile, Dass deine Feder sich nicht übereile!“ sagt Faust sehr richtig. Bleiben wir also mal bei der letzteren Definition stehen! Dann ist das Vorzeichen der linken Seite von (P) nicht richtig, denn gemäss der Differentialgleichung des Manometers muss es heissen: 2 Ap) RE Nun setzt Frank, ohne die veränderte Bedeutung von Jp zu bemerken, kühn /p mit falschem Vorzeichen in Gleichung («) ein und erhält nach einigen Reduktionen folgende Endgleichung: al @V 7 ee Em) — 9. ")) wo V = Qx ist. Hier stocke ich zum dritten Male! Ist denn das wirklich richtig gerechnet? Sehen wir zu. Aus Gleichung (#) folgt (wenn ich zu- nächst Frank’s falsches Vorzeichen beibehalte): Ap=E.AV. Das liefert in («) eingesetzt: 1) Kein Druckfehler, da dasselbe falsche Vorzeichen sich an vielen Stellen, z. B. S. 469, 470, 471, 516 usw. findet. 418 Clemens Schaefer: )- 2247 =R say, dt? 0 wobei die Summation nach Frank über das ganze Flüssigkeits- system zu erstrecken sein soll. Multipliziert und dividiert man links mit @, so folgt endlich 2 Aldey AR BEE. Sy7 I a ee L, ES (s21: 0 Das erhält man bei richtiger Rechnung aus Frank’s Aus- gangsgleichungen («) und (#), nicht aber Frank’s Gleichung (y)! Nun könnte man auf den Gedanken kommen, X 4V — V zu setzen, d. h. die Summation formal auszuführen, wie Frank es offenbar gemacht hat, da er zur Gleichung (y) gekommen ist. Aber, da AV, wie aus Gleichung (£) folgt, der Zuwachs einer (für das sanze Manometer konstanten) Volumverschiebung V ist, so wäre das offenbar gänzlich sinnlos. Endlich hat Frank’s Gleichung (y) rechts ein Minuszeichen, das zwar richtig ist, aber nicht dahin gehört, wenn die Gleichungen («) und (8) Frank’s richtig sind. Da ich schon oben erwähnt habe, dass in (8) ein Vorzeichen falsch ist, kommt in (y) durch eine zufällige Kompensation zweier Wider- sprüche, wenigstens auf der rechten Seite, ein richtiges Resultat zu- stande. Man kann das als einen Beweis dafür auffassen, das aus zwei falschen Prämissen manchmal ein richtiger Schluss folgt. Aber es darf wohl bezweifelt werden, ob Frank diese Absicht bei seiner Ab- leitung verfolgte. Leider hat Frank sich nicht wie Faust gesagt: „Doch, auch indem ich dieses niederschreibe, schon warnt mich was, dass ich nicht dabei bleibe!“ Man sieht, wie berechtigt ich war, wenn ich die Erzielung der Gleichung (y) durch Frank als einen „glücklichen Zufall“ be- zeichnet habe; seine „Ableitung“ ist, um es jetzt deutlich zu sagen, von Anfang bis zu Ende eine grosse Konfusion. ec) Frank bestreitet zwar nicht die Richtigkeit meiner Glei- chung, behauptet jedoch, die seinige sei nicht falsch, da die Ab- weichung beider gering sei, was ich übersehen haben soll. Er wirft mir ferner in diesem Zusammenhange vor, behauptet zu haben, dass die grossen Abweichungen der experimentellen Ergebnisse Hürthle’s (100—200 °/o) von seiner Theorie durch meine Gleichung erklärt würden (S. 545). Erwiderung an O. Frank. 419 Demgegenüber wiederhole ich nur meine eigenen Worte: „... Weil ich die Möglichkeit nicht leugnen will, dass annähernd die Lösung der Frank’schen Gleichung mit der der meinigen übereinstimmt. In Strenge ist dies allerdings nicht der Fall, und der Nachweis, dass annähernd seine Resultate vielleicht bestehen bleiben könnten, ist natürlich Sache von Frank. Ich besnüge mich hier mit dem Nachweis, dass die mit so grosser Zuversichtlichkeit aufgestellten Behauptungen Frank’s mit Reserve aufzunehmen sind“ (S. 258 der „Randglossen“). Ferner: „Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass ein Teil der Abweichungen von der Frank- schen Theorie, die Hürthle festgestellt hat, darauf beruht; andrer- seits möchte ich aber betonen, dass sicher nicht alle Ergeb- nisse Hürthle’s sich durch die hier entwickelte Theorie erklären lassen. Vielmehr glaube ich, dass serade bei grossen Eigenschwingungszahlen über- haupt die einfachen Voraussetzungen, dass die Flüssig- keit sich als Ganzes bewegt und dass der Widerstand proportional der Geschwindigkeit ist, nicht mehr stichhaltig sind“ (S. 259 und 260). Damit halte man die Ein- leitungsworte meiner Arbeit zusammen (S. 250): „Nach den Er- gebnissen Hürthle’s stimmt für kleine Eigenschwingungszahlen die (Frank’sche) Theorie befriedigend; für grosse Schwingungs- zahlen, wie sie in der Praxis gebraucht werden, versagt sie in auf- fälliger Weise.“ Wer diese Stellen unbefangen liest, wird zu folgendem Resultat gelangen: Ich habe die grossen Abweichungen zwischen den FExperi- menten Hürthle’s und der Theorie Frank’s nicht durch die Abweichung der Frank’schen Gleichung von der meinigen er- klären wollen, sondern die kleinen, wenig ins Gewicht fallenden, bei kleinen Eigenschwingungszahlen. Ich habe demnach sehr wohl gewusst, in welcher Grössenordnung sich die Differenzen unserer Gleichungen bewegen. Dass ich meine Gleichung aufstellte, geschah nieht aus dem Grunde, um eine befriedigende Manometertheorie aufzustellen — das habe ich vielmehr ausdrücklich abgelehnt —, sondern um an einem Beispiel zu zeigen, mit welcher Vorsicht Frank’s Rechnungen aufgefasst werden müssen. Bei diesem Sachverhalt war ich berechtigt, die Frank’sche Gleichung als falsch zu bezeichnen, da sowohl ihre Herleitung falsch ist, als auch die Gleichung selbst nicht den von Frank gemachten 420 Clemens Schaefer: Voraussetzungen entspricht. Unter diesen Voraussetzungen kommt man vielmehr zu meiner Gleichung. Hätte Frank diese vermittels richtiger Ableitung erhalten und dann diskutiert, welche Ver- einfachungen an ihr eventuell angebracht werden könnten, so wäre das ein korrektes Verfahren gewesen. Frank hat dies nicht getan, sondern ohne Erwähnung gleich bei Beginn seiner sogenannten Ab- leitung Vernachlässigungen gemacht, deren Berechtigung erst am Ende der Rechnung sich hätte ersehen lassen. Wie soll man also seine obigen Ausführungen qualifizieren ? d) Frank stellt eine Rechnung an, um zu zeigen, wie gering- fügig die Differenz der Resultate seiner und meiner Gleichung sei. Er schreibt (S. 544): „Bei meinem Federmanometer beträgt, ...., wenn man das System mit einem unendlich weiten Reservoir be- ginnen lässt, also ungünstige Verhältnisse zugrunde legt, das Ver- hältnis der Amplitude der Oktave, ... zu der der Grundschwingung, sage und schreibe den 300000sten Teil der Amplitude der Grund- schwingung.... Oder diese Amplitude der Oktave beträgt 3,3 uw in der mit 100 facher Ordinatenvergrösserung registrierten Kurve, ist also 10000 mal so klein als die Wellenlänge des violetten Lichtes. Oder sie verschwindet 30000 mal in der Strichbreite der Kurve (0,1 mm), oder man müsste, wenn man sie neben der Hauptschwingung in einer Amplitude von 0,1 mm graphisch darstellen wollte, ein Kurvenpapier verwenden, das 60 m hoch ist.“ In der Tat, das Resultat wäre vernichtend, — wenn es näm- lich richtig wäre. Dazu behauptet Frank noch, dass er ein für mich günstiges Beispiel gewählt habe! Also in für mich un- günstigen Fällen noch toliere Zahlen! „Schaudervoll, höchst schaudervoll!“ Aber es gehört nicht viel dazu, zu erkennen, dass Frank’s Rechnung unrichtig ist. Frank nimmt den von ihm so ge- nannten Anfangsquerschnitt, d. h. den Querschnitt, der durch die elastische Membran verschlossen ist, als unendlich an, den End- querschnitt dagegen als endlich. Um nun zu sehen, zu welch tollen Resultaten man durch das Unendlichsetzen von Querschnitten kommt, nehme man einmal den umgekehrten Fall, dass @, unendlich gross und @,„ endlich sei!). Dann ergibt sich das Resultat, dass die Amplitude der Oktave unendlich mal so gross ist wie die Amplitude der Grundschwingung. 1) Anfangsquerschnitt ist in meiner Bezeichnung @», Endquerschnitt @ı. Erwiderung an O0. Frank. 42] Natürlich hat diese Rechnung ebensowenig Sinn wie die Frank’sche. Frank hat leider nicht bemerkt, dass die ganze Ableitung seiner (und meiner) Gleichung zusammenbricht, wenn an einer Stelle der Querschnitt unendlich gemacht wird. Speziell in dem von ihm gewählten Falle, dass Q, unendlich sein soll, könnte das Manometer überhaupt keine Exkursionen machen. Denn wenn eine Volumverschiebung der Flüssigkeit aus der Ruhelage um den Betrag Y—= x eintritt, so ist diese Grösse konstant für das ganze Manometer. Nehme ich nun @ = unendlich, so muss notwendigerweise das zugehörige © — 0 werden, damit das Produkt den endlichen Wert V annehmen kann. x ist aber die Elongation der vom Manometer registrierten Kurve, die demnach — 202 wird: Die Rechenkünste Frank’s sind wirklich erstaunlich! e) Frank schreibt schliesslich (S. 544): „Aber dies tritt noch alles zurück gegen die Konstatierung, dass die Amplitude und vor allem die Dauer der Schwingung nach der Schaefer’schen Gleichung unter allen Umständen genau dieselbe ist wie die nach meiner einfachen Formel berechnete. Man muss sich erstaunen, dass Schaefer dies übersehen hat, wohl weil er die Aufgabe des theo- retischen Physikers damit für abgeschlossen hält, irgendeine Formel mit einem komplizierten Apparat herauszurechnen.“ Ich erwidere: Frank’s Behauptung, dass die Schwingungs- dauer nach meiner Gleichung denselben Wert habe wie die nach seiner Gleichung berechnete, ist unrichtig. Die Periode ist nach meiner Gleichung in Wirklichkeit eine andere, wenn sie auch nur wenig differiert. Darauf eben bezieht sich meine Äusserung in den „Randglossen“, dass die kleinen Abweichungen von der Frank- schen Theorie, die Hürthle bei kleinen Eigenschwingungszahlen gefunden hat, durch meine Gleichung vielleicht erklärt werden könnten. Frank hätte sich schon die Mühe machen sollen, die Schwingunesdauer mit Hilfe der von mir angegebenen Literatur aus- zurechnen. So hat er nur einen neuen Beweis dafür geliefert, mit welcher Vorsicht seine Behauptungen aufzufassen sind. Die an meine Adresse gerichteten oben angeführten Liebenswürdigkeiten kann ich demnach nicht akzeptieren. Der Leser wird es mir nachfühlen, dass ich der Aufgabe, Frank’s Erwiderung zu analysieren, nunmehr überdrüssig bin. Um Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 28 493 Clemens Schaefer: Erwiderung an O. Frank. es kurz zu machen: Ich finde keine Veranlassung, meine in den „Kritischen Randglossen“ geäusserte Meinung in einem Punkte zu revidieren. B. Persönliches. Ich hatte bereits im ersten Teile Gelegenheit, einige persönliche Angriffe Frank’s zu erwähnen. Aber an vielen anderen Stellen noch findet sich ähnliches. So z. B. (S. 538) bin ich nach Frank entweder „leichtfertig“ oder „unfähig, experimentelle physikalische Untersuchungen zu schätzen“. Ich habe also die Wahl zwischen moralischer oder intellektueller Minderwertigkeit. Man wird es ver- stehen, wenn ich auf Frank’s Autorität hin mich am liebsten für keine der beiden freundlichen Alternativen entscheiden möchte. Genau so ist mein Standpunkt gegenüber den meisten anderen per- sönlichen Angriffen, die ich deshalb hier übergehe, weil ich sie nicht ernst nehmen kann. Nichtsdestoweniger spreche ich mein Befremden aus, dass Frank seine Stellung als Herausgeber einer Zeitschrift dazu benutzt, um in einer sachlichen Polemik einen Ton anzuschlagen, den ihm ein Redakteur einer anderen Zeitschrift schwerlich hätte passieren lassen. Dies Verfahren Frank’s werden, so hoffe ich, alle Fach- genossen, als mit der Würde unseres Berufes unverträglich, missbilligen. Ein Punkt unter Frank’s persönlichen Bemerkungen ist zu ernster Natur, um übergangen werden zu können. Er behauptet (S. 535), dass mich persönliche Motive bei der Abfassung meiner „Randglossen“ geleitet hätten. Darauf habe ich folgendes zu erwidern: Indem ich es ab- lehne, über diese Insinuation — ich unterdrücke das hier angebrachte unparlamentarische Epitheton — auch nur ein Wort zu verlieren, spreche ich mein lebhaftes Bedauern aus, dassFrank es für angebracht gehalten hat, einen sachlichen Kampf auf diese Weise zu vergiften. Da ich nicht in der Lage bin, mit gleichen Waffen zu kämpfen, so beendige ich hiermit meine Diskussion mit Frank. Ich gebe ihm gerne die Erlaubnis, sich im bisherigen Stile weiter mit meiner Person zu befassen; aber er möge mir verzeihen, wenn ich eine Erwiderung nun nicht mehr für notwendig halte. Der Zweck meiner Ausführungen ist übrigens erreicht, wenn die für diese Dinge sich interessierenden Physiologen sich im Be- darfsfalle an einen Physiker wenden. 425 (Aus dem physiologischen Institut der Universität Königsberg i. Pr.) Nochmalige Erwiderung an O. Frank. Von Otto Weiss. Im 55. Bande der Zeitschrift für Biologie veröffentlicht OÖ. Frank unter dem Titel: „Der Hebel des O. Weiss’schen Phonoskops“ einen Aufsatz, der die Beweise für seine Behauptung erbringen soll, dass die von meinem Instrument registrierten Herzschallkurven ledig- lich Aufzeichnungen der Eigenschwingungen des Glashebels seien. Obschon ich selbst mit Versuchen zur Kritik des Phonoskops be- schäftigt bin, die Einwänden anderer Natur als die Frank ’schen begegnen sollen, die ich mir selbst gemacht habe, glaube ich doch den Widerspruch gegen die Behauptungen Frank’s nicht bis zum Abschluss dieser Versuche aufschieben zu dürfen. Aus der Mitteilung Frank’s ersehe ich zunächst, dass seine - Rechnungen sich ausschliesslich auf eine meiner Kurven beziehen, die ich im Jahre 1907 im Archiv für die gesamte Psychologie Bd. 9 S. 436—467 und im Medizinisch - naturwissenschaftlichen Archiv Bd. 1 S. 437—445 veröffentlicht habe. Diese Kurve ist mit einem Hebel älterer Konstruktion gewonnen, die ich selbst später auf- gegeben habe. Ich hätte allerdings erwarten dürfen, dass Frank seinen Widerspruch nicht auf Berechnungen einer einzigen Kurve, noch dazu einer, die mit einer von mir aufgegebenen Apparatur ge- wonnen ist, aufbaut. Frank sagt hierüber folgendes: „Speziell für diese registrierte Kurve fehlt sogar die Angabe, ob sie mit dem Hebel der alten oder neuen Konstruktion erhalten worden ist!). Ich weiss also wohl, dass ich mich der Antwort von Weiss aus- setze, die Kurven sind ja gar nicht mit dem Hebel älterer Kon- struktion aufgenommen, sondern mit dem neuen, wenn ich die Be- 1) Dieser Vorwurf ist unbegründet. Die vermisste Angabe findet sich im Arch. f. d. ges. Psychol. Bd. 9 S. 465. 28 * 494 Otto Weiss: rechnung, wie ich es jetzt tue, mit dem älteren Hebel durchführe ... Ich habe bei meiner Rechnung aus wohlberechtigten Gründen das Stück des älteren Hebels unter der Verbindung von Stütze und Hebel in Betracht gezogen.“ Wenn auch die Gründe mir nicht klar sind, die Frank veranlassen, gerade den von mir aufgegebenen Hebel seinen Be- rechnungen zugrunde zu legen, wenn ich ferner auch nicht sicher bin, ob gerade diese Kurve als eine normale zu betrachten ist (es ist später bei der betreffenden Person ein Herzfehler gefunden worden), so will ich doch auf die Frank’schen Resultate hier ein- gehen. Frank fährt an der zitierten Stelle fort: „Nimmt man dieses Stück zu 4,4 mm an, so kommt nach der unten angegebenen Formel die oben ermittelte Schwingungszahl N — 155 heraus.“ Zu- nächst stelle ich fest, dass Frank sein erstes Rechnungsresultat nunmehr dahin modifiziert, dass die Schwingungszahl meines Hebels nicht 200, sondern nur 155 beträgt. Ferner ist die der Rechnung Frank’s zugrunde gelegte Annahme, dass die Länge des betreffen- den Hebelstücks 4,4 mm beträgt, irrtümlich, sie beträgt vielmehr, wie aus meiner ersten Veröffentlichung hervorgeht, 7,5 mm). Hier- durch muss sich das Rechnungsresultat erheblich ändern und zwar im Sinne einer Verringerung der Schwingungszahlen um etwa zwei Fünftel. Die Schwingungszahl des in die Rechnung bezogenen Hebelstückes würde etwa N —= 93 ergeben. Auch diese Zahl kann ich als rechnerisch richtig nicht an- erkennen. Sie würde nur zutreffend sein, wenn zur Schallregistrierung nur der Hebel und nicht eine Verbindung des Hebels mit einer Seifenlamelle von 2,4 em Durchmesser verwendet worden wäre. Das ist Frank auch nicht entgangen, denn er hat in der Diskussion auf dem Würzburger Physiologenkongress als Resultat seiner Rech- nung die Schwingungszahl des Hebels gleich 200 angegeben und zur Erklärung der geringeren Schwingungsfrequenz der Kurve eine Beeinflussung der Hebelschwingungen durch die Lamelle heran- gezogen. Diesmal hingegen hat er den Einfluss der Lamelle un- berücksichtigt gelassen. Um ein Urteil über diese Beeinflussung gewinnen zu können, habe ich die Eigenperiode einer unbelasteten Lamelle von 2,4 em 1) A. a. O. 8.469. Nochmalige Erwiderung an O. Frank. 425 Durchmesser bestimmt und gleich !/s;s Sekunde gefunden !). Es ist nieht möglich, dass eine Lamelle von einer Periode von !/ss Sekunde und ein Hebel von einer Periode von !/os Sekunde kombiniert eine Eigenperiode von "/ıs25 Sekunde ergeben. Hieraus folgt, dass eine korrekte Rechnung weit davon ent- fernt ist, eine Übereinstimmung der errechneten Eigenschwingungen des Apparates mit den Schwingungszahlen jener Kurve zu ergeben?). Es scheint fast, als ob Frank den Resultaten seiner Berech- nungen selbst nicht getraut hat, denn er sagt: „Wenn aber die Schwingungen nicht von dem Glashebel herrühren, so sind es Er- schütterungen des Apparates gewesen, die in den Kurven die Herz- töne vorgetäuscht haben.“ Diese Erschütterungen könnten, da sie im Rhythmus der Herzbewegungen erfolgen, nur von Erschütterungen des Thorax der Versuchsperson durch die Herzbewegungen herrühren, und da mein Apparat in keiner direkten Verbindung mit der Ver- suchsperson steht, so müssten sie sich dureh die Luft auf ihn über- tragen haben. Ich glaube nicht, dass Frank für seine Annahme, dass der schwere Apparat durch solche Luftbewegungen erschüttert. werde, viele Anhänger finden wird. Übrigens hat Frank sich diesmal nicht mit einer rechnerischen Prüfung meines Apparates begnügt, sondern er hat Schwingungs- versuche mit „Originalen der neuesten Weiss’schen Fäden“ an- gestellt. Ich weiss nicht, was das für Originale gewesen sind, und aus welcher Quelle sie Frank bezogen hat, mir haben sie ebenso- wenig wie andere von Fabrikanten hergestellte vorgelegen, und ich kann deshalb für ihre Brauchbarkeit mich nicht verantwortlich machen lassen. Frank hat mit ihnen stark gedämpfte Schwingungen ?) 1) Die Eigenschwingungen wurden unter Benutzung der spiegelnden Eigen- schaften der Lamelle registriert. 2) Wenn Frank bemerkt, dass man die Eigenschwingungszahl eines völlig gedämpft sich bewegenden Körpers wohl berechnen und dass die Rechnung völlig richtig sein könnte, ohne dass der Körper darum Eigenschwingungen machen müsste, so drückt diese Bemerkung das aus, was ich in meiner früheren Mitteilung habe sagen wollen, dass nämlich in der Rechnung die Umstände nicht berücksichtigt waren, die zur Aperiodizität der Hebelschwingung führen. Dass in der Rechnung irgendein Rechenfehler gewesen sei, habe ich nicht an- genommen. Ich glaube aber, dass die Resultate einer Rechnung keine Beweis- kraft für reale Vorgänge haben, wenn bei der Rechnung wesentliche Momente, in diesem Falle die Reibung, nicht berücksichtigt sind. 3) Das logarithmische Dekrement betrug 2,29. 426 Otto Weiss: Nochmalige Erwiderung an O. Frank. von !/ıss Sekunden Dauer erhalten. Ich könnte mit diesem Re- sultat zufrieden sein, das sicher meinen Angaben sehr viel näher kommt als den Resultaten jener Berechnungen Frank’s. Aber andere Konstanten als der von mir verwendete Hebel müssen diese doch gehabt haben; dieser schwingt, wie ich nachgewiesen habe, voll- kommen aperiodisch. Alles in allem glaube ich danach behaupten zu dürfen, dass Frank der von ihm angetretene Beweis, dass die von ihm be- anstandete Kurve nicht als Registrierung des Herzschalles an- zusehen sei, in keiner Weise geglückt ist. Und das ist das Haupt- objekt in der Diskussion zwischen ihm und mir. Ich gehe nun noch auf eine mehr nebensächliche Bemängeluug meiner Resultate ein: Frank findet, dass die Einstellungszeit meines Systems, Lamelle plus Hebel, von mir zu kurz angegeben worden ist. Ich hatte 0,01 Sek. angegeben, Frank will sie mindestens doppelt bis dreimal so gross nehmen. Da es sich um ein aperiodisch schwingendes System handelt, so ist die Einstellungszeit, streng genommen, unendlich gross. Es liegt daher immer eine gewisse Willkür in ihrer Bemessung. Ich habe die Zeit genommen, nach der die Kurve keine messbare Abweichung von der Nullinie mehr zeigte. Zugrunde gelegt ist der Messung eine Kurve wie Fig. 1 (S. 540 meiner Erwiderung). Hier ist die Zeit in der Tat 0,01 Sek. Werden die Ausschläge grösser, wie in Fig. 2, so ist die Zeit länger !!). 1) Inzwischen sind mir Bedenken gegen die Zulässigkeit meiner Methode zur Bestimmung der Einstellungszeit gekommen. Ich werde deshalb auf diesen Punkt demnächst ausführlich zurückkommen. 427 (Aus dem physiologischen Institut zu Fukuoka). Über die Zuckungssummation durch zwei Reize von verschiedener Intensität. I. Mitteilung!). Von Makoto Ishihara. (Teilweise nach Versuchen seines verstorbenen Assistenten M. Adachi.) (Mit 14 Textfiguren.) Fragestellung und Versuchsanordnung. In dieser Mitteilung soll über einige Versuchsergebnisse be- richtet werden, welche sich auf die Summation von isotonischen oder isometrischen Zuckungen durch zwei verschieden starke Reize beziehen. Bei den Untersuchungen über Superposition zweier Zuckungen sind bisher meistens zwei gleich starke und zwar maximale Reize angewendet worden. Die Anwendung eines untermaximalen zweiten Reizes bei maximalem erstem Reiz findet sich nur in einer Arbeit von v. Kries?), welche sich allerdings hauptsächlich auf die Bestimmung der Lage des Gipfelpunktes bezieht. Die vorliegenden Versuche sind hauptsächlich in der Absicht angestellt, die Grösse der Summationswirkung zu prüfen, wie Schenck?) und ich‘) dies früher an Frosch- bzw. Krötenmuskeln bei zwei maximalen Reizen getan haben. Die Versuchsanordnung war im wesentlichen dieselbe wie in den letztgenannten Untersuchungen. Um die beiden als Reize dienenden Öffnungsinduktionsschläge auszulösen, wurden diesmal 1) Vorgetragen auf dem VII. Internationalen Physiologen-Kongress in Wien 1910. 2) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1883 S. 546—547. 3) Pflüger’s Arch. Bd. 96 S. 399—439. 1903. 4) Pflüger’s Arch. Bd. 111 8. 567—580. 1906. 428 Makoto Ishihara: zwei Induktionsapparate gleicher Grösse und Umwindungszahl be- nutzt. Diese beiden Apparate waren sehr weit voneinander entfernt und senkrecht gegeneinander gestellt. Jede primäre Rolle wurde durch ein Trockenelement gespeist und mit je einem Schlagkontakt eines Scehenck’schen Fallrotatoriums verbunden; die beiden sekun- dären Rollen befanden sich mit dem Muskel in ein und demselben Stromkreise. Als Präparate dienten Muskeln von Wasserfröschen und Kröten. Es wurde dabei hauptsächlich der Gastroenemius, aber auch der Semi- membranosus und Graeilis benützt. Die beiden als Reize dienenden Öffnungsinduktionsschläge wurden immer in gleicher und zwar ab- steigender Richtung direkt durch den Muskel geschickt. Das Reiz- intervall wurde bei den hier mitzuteilenden Versuchen so gewählt, dass die zweite Reizwirkung bei der Doppelzuckung ungefähr auf dem Gipfel der durch den ersten maximalen Reiz hervorgerufeneu Einzelzuckung oder, mit anderen Worten, während der stärksten Kontraktion oder grössten Spannung des Muskels nach einmaliger Reizung einsetzte. Es wurden jedesmal drei Kurven hintereinander auf derselben Abszisse registriert, und zwar eine Einzelzuckungskurve bei alleiniger Reizung mit dem ersten maximalen Reiz (a), eine solche mit dem zweiten schwächeren Reiz (5) und die Doppel- zuckungskurve mit sukzessiver Reizung mit diesen beiden Reizen (c). Die Reihenfolge, in der diese drei aufeinanderfolgten, wurde bei den einzelnen Versuchsserien verschieden genommen, um den Ein- fluss der Ermüdung berücksichtigen zu können. Als Maassstab für den Summationseffekt wurde die Summe der ÖOrdinaten der beiden Einzelzuckungskurven an irgendeinem Punkte mit der zugehörigen Ordinate der Doppelzuckungskurve in dem gleichen Punkte verglichen. Die Versuche wurden zum Teil an normalen, zum Teil an curaresierten Frosch- und Krötenmuskeln ausgeführt. Die Resultate waren im wesentlichen in allen Fällen die gleichen. Versuchsresultate. I. Versuche am Gastrocnemius. Wenn bei der isotonischen Doppelzuckung die Belastung des Muskels klein ist und dahei die beiden Reize maximal sind, so ist die Doppelzuckungsordinate überall kleiner als die Summe Über die Zuckungssummation durch zwei Reize etc. 429 der zugehörigen Einzelordinaten !). Anders aber, wenn der zweite Reiz untermaximal ist. Wenn derselbe sehr schwach ist, steigt: die Doppel- zuckungskurve vom Beginn der zweiten Reizwirkung eine gewisse Strecke beinahe parallel dem An- stiege der zweiten Einzelzuckungs- kurve an, um dann allmählich ab- zusinken. Die Ordinate der Doppel- zuckungskurve ist deswegen auf- fallend grösser, als die betreffende Einzelordinatensumme. Dieser grosse Summationseffekt wird aber mit der Zunahme der Intensität des zweiten Reizes stets kleiner, um schliesslich ganz gering zu werden, indem der Doppelzuckungsanstieg dabei immer weniger steil wird, als der Anstieg der zweiten Einzelzuckungskurve. Als ein Beleg dafür diene Fig. 1, welche von einem Krötengastro- enemius stammt. Diese wie alle folgenden Figuren sind von links nach rechts zu lesen. Neben den Kurven ist die Reizstärke der beiden Reize in Millimeter - Rollenabstand (Nr. 13.) Belastung 5g. Hebellänge 132 mm; Vergrösserung 3,4 fach. Zimmertemperatur 13° C. 28. Januar 1908. angegeben und auch die Reihenfolge 8 ; = der Reizungen. Es bedeutet z.B. bac, = . . © dass hier der Muskel zuerst mit dem 8 .. OD . N [>] schwächeren Reiz allein (b), dann So . . o . S mit dem maximalen Reiz allein («a) S gereizt und schliesslich die Doppel- N reizung mit den beiden (c) ausge- E: führt wurde. Der Pfeil zeigt die 3 Reihenfolge der Registrierung der = = un sE8..So an Mm ESS 2 Sen az 1) Schenck, a. a. O. S. 416. — 34.8 = ® Ishihara, a. a. O. S. 572. A 2 = © ı Do © aUSssss S se=rs Ss S & —+ 430 Makoto Ishihara: Kurvenserien an. Die in Grammen angegebene Zahl der Belastung bzw. Anfangsspannung entspricht der auf den Muskel tatsächlich wirken- den Grösse. __Wenn die Belastung des Muskels gross ist, so findet man schon bei zwei maximalen Reizen einen grossen Summationseffekt }). Reizstärke. R.-A. in mm. 1. Reiz. 2. Reiz. 20 mm 125 mm 200721000 Fig. 2. Isotonie. Krötengastrocnomius. Belastung 100 g. Reihenfolge der Reizung abc. Hebellänge 130 mm; Vergrösserung 3,25 fach. Zimmertempe- ratur 15° C. 17. April 1908. (Nr. 237.) Dementsprechend ist derselbe immer sehr gross, auch wenn der zweite Reiz untermaximal ist, und zwar verläuft die Summation ebenso wie bei der geringen Belastung relativ um so günstiger, je schwächer der zweite Reiz ist. Hier geht aber der Doppelzuckungs- anstieg immer ungefähr parallel dem Anstieg der zweiten Einzel- 1) Schenck. a. a. OÖ. S.416. — Ishihara, a. a. O. S. 572. Über die Zuckungssummation durch zwei Reize etc. 431 zuckungskurve, auch wenn der zweite Reiz stärker wird, so dass der Summationseffekt beim stärkeren, auch maximalen zweiten Reize noch immer ziemlich gross bleibt. Manchmal findet man, dass der Doppelzuckungsanstieg beim sehr schwachen zweiten Reiz sogar ein wenig steiler als der Anstieg der zweiten Einzelzuckungskurve verläuft. R.-A. in mm. Sn Ben 1. Reiz. 2. Reiz. 70 170 70 167,5 70 165 ] 70.77 160 70 155 | 79 150 70 150] 70 140 ri) 100 0,01’’ Fig. 3. Isotonie. Froschgastrocnemius. Belastung 5 g. Reihenfolge der Reizung abc. Hebellänge 130 mm; Vergrösserung 3,25 fach. Zimmer- temperatur 16,5° C. 18. März 1908. (Nr. 156.) Als Belege seien einige Kurvenbeispiele in Fig. 2—4 wieder- gegeben. Fig 2 stammt von einem Krötengastroenemius bei grosser Belastung, Fig 3 und 4 von Froschgastroenemien. Die isometrische Doppelzuckungskurve mit kleiner An- fangsspannung gleicht im allgemeinen der isotonischen mit grosser Belastung, eine solche mit grosser Anfangsspannung jener mit kleiner Belastung. Bei der Isometrie erfolgt also die Summation ebenso relativ um so günstiger, je schwächer der zweite Reiz ist. 432 Makoto Ishihara: Als Kurvenbeispiele dienen die Fig. 5 und 6 (Krötengastroenemius), Fig. 7 und 8 (Froschgastroenemius). Sowohl bei den isotonischen also auch bei den isometrischen Doppelzuekungen war die Gipfelzeit in der Mehrzahl der ‚Versuche verkürzt, und zwar im allgemeinen um so mehr, je schwächer der Reizstärke. R.-A. in mm. 15 Reiz. 2, Reiz. I .. 70 15785 70 155 70 152,5 | \ 70 150 70 145 70 140 70 150 70 120 70 100 Fig. 4. Isotonie. Froschgastrocnemius. Belastung 100 g. Reihenfolge der Reizung abc. Hebellänge 130 mm; Vergrösserung 9,25fach. Zimmer- temperatur 14° C. 19. März 1908. (Nr. 160.) zweite Reiz war. Manches Mal waren aber auch Abweichungen von dieser Regel und auch sogar Verspätung des Gipfels der Doppel- zuckung zu beobachten. Der Abstieg der Doppelzuckungskurve ist steiler als jener der beiden Einzelzuckungskurven, wenn der zweite Reiz nicht sehr schwach ist. Mit Verstärkung desselben sowie mit Verkleinerung der Anfangsspannung bzw. Vergrösserung der: Be- (ers IN) '806L Tndv '6T D 09T Anyermdurmpaumz 3,9 = uw] speumpIg °3 00T Sunuuedssäugjuy "SNIWOLIOTSBSUIGIM] 'OLAJOWOST '9 "BL <9 l) >49 - GoL 0 nq9 a zog 's "zog 'T "Sunzioyg app “ur Ur 'Y-"y oSjofueyrong "ONIEISZIOy CT2 IN) 'S06T denıgag 'GL I 08T Imeradwapeumz ge — wu [ oyeurpıg 3 C Sunuuedssdugjuy "SNIWIWIOASBSUIOIN OLIJOWOST °C 'SLT G OLL 0 34» 00L 0 »q9 "zıay ‘zZ 'zIOyg '[ "Sunzioq op wu ur 'y-y 93]oJuoyIoy "OyAEISZIEN Über die Zuckungssummation durch zwei Reize ete. 434 Makoto Ishihara: lastung wird er immer steiler; doch findet eine Kreuzung der Ab- stiege der Doppelzuckungskurve und der zweiten Einzelzuckungskurve BReizstärke. R.-A. in mm. 1. Reiz. 2. Reiz. 25 25 25 80 A 25 120 3 25 140 0.01’’ Fig. 7. Isometrie. Froschgastrocnemius. Reihenfolge der Reizung abc. Anfangsspannung 5 g. Ordinate 1 mm — 82 g. Zimmertemperatur 30° C. 18. Juli 1910. (Nr. 45.) Reizstärke R.-A. in mm... 1. Reiz. 2. Reiz 20 55 20 8 20 95 20 100 0,01’ Fig. 8. Isometrie. Froschgastrocnemius. Reihenfolge der Reizung abc. Anfangs- spannung 100 g. Ordinate Il mm = 829g. Zimmertemperatur 30°C. 19. Juli 1910. (Nr. 49.) nicht bei der Isometrie statt, wohl aber häufig bei der Isotonie mit grosser Belastung und nicht sehr schwachem zweiten Reiz. Bei ermüdeten Muskeln und bei blass aussehenden Muskeln ist der Summationseffekt im allgemeinen nicht so günstig wie bei Über die Zuckungssummation durch zwei Reize ete, 435 frischen und kräftigen Muskeln. Bei sehr schwaehem zweiten Reiz wird die Doppelzuckungskurve überhaupt nicht höher als die erste Einzelzuckungskurve, wie dies z. B. die Fig. 9 erkennen lässt, welche von einem blassen Krötengastroenemius stamnit. Reizstärke, t.-A. in mm. 1. Reiz. 2. Reiz. 40 115 40 112,5 40 110 40 107,5 40 102,5 0,01’ Fig. 9. Isotonie. Blasser Krötengastrocnemius. Belastung 5 g. Reihenfolge der Reizug abc. Hebellänge 13 cm; Vergrösserung 3,25 fach. Zimmertemperatur 16° C. 26. März 1908. (Nr. 182.) I. Versuche am M. semimembranosus und graeilis. Bei dem M. semimembranosus und gracilis von Fröschen und Kröten sind die Summationsverhältnisse im allgemeinen ähnlich jenen vom Gastroenemius, doch etwas weniger deutlich ausgeprägt. Die Kreuzung der Abstiege der Doppelzuckungskurve und der zweiten Einzelzuckungskurve findet bei der Isometrie auch nicht statt, wohl aber sehr häufig bei der Isotonie. Der ungünstige Einfluss der Er- müdung oder des schlechten Zustandes des Muskelpräparates auf den Summationseffekt tritt hier viel stärker auf. Fig. 10 gibt die Summationskurven an einem Krötensemimembranosus wieder. Die oberste Kurve wurde noch in einem noch frischen Zustand des Muskels erhalten, die unteren drei rühren von demselben, aber schon ermüdeten Muskel. 436 Makoto Ishihara: Reizstärkee. veihenfolge R.-A. in mm. der Reizung 1.Reiz. 2. Reiz. abc 10 105 abe 10 105 Y _ ® = h Z=ybac 3) ceba 10 105 0,01’ Fig. 10. Isotonie. Krötensemimembranosus. Belastung 5 g. Hebellänge 75 mm; Vergrösserung 1,5 fach. Zimmertemperatur 15° C. 15. Februar 1908. (Nr. 64.) III. Versuche mit einem zweiten unter- minimalen Reiz. Das bisher Gesagte bezieht sich auf einen zweiten Reiz, welcher zwar untermaximal, aber noch immer überschwellig ist. Wenn nun dieser Reiz gerade schwellig ist oder dicht unter der Reizschwelle steht und seine Wirkung auf dem Gipfel der ersten ‚maximalen Einzelzuckung einsetzt, so wird der Abstieg dieser Einzelzuckung dadurch mehr oder weniger verzögert. Diese Verzögerung tritt stärker bei der Isotonie als bei der Isometrie auf. Grosse Be- lastung bzw. kleine Anfangsspannung begünstigen diese Verzögerung. Und je weniger unterschwellig der zweite Reiz ist, um so leichter tritt sie herver. Man kann bei der Isotonie mit grosser Belastung bei einem zweiten schwelligen Reiz sogar sehen, dass bei der Doppel- reizung die betreffende Kurve eine gewisse Strecke vom Gipfel der ersten Einzelzuckungskurve ungefähr parallel der Abszisse verläuft. Als Belege dienen vier Kurvenbeispiele in Fig 11—14. Alle stammen von Krötengastroenemien. Die Rollenabstände für die beiden Reize sowie die Reihenfolge der Reizungen sind neben den Kurven vermerkt. Es wurde bei diesen Versuchen jedesmal zuerst die Reiz- schwelle bestimmt, dann die Doppelreizung und die alleinige Reizung mit dem ersten maximalen Reiz ausgeführt und schliesslich Über die Zuckungssummation durch zwei Reize etc, 437 wieder die Stärke der Reizschwelle kontrolliert. Fig11 und 13 lassen den Einfluss der Belastung, Fig. 12 und 14 jenen der Intensität des unter- schwelligen zweiten Reizes bei der Isotonie bzw. Isometrie erkennen. EN e) "D ‘© Sn Es Be 2- a De = = = =} ET IF = | 3 = 3 an“ „20°° an” = ma + =-+ Ser (==) iM] 3 s® SE = Ss2e ) eo >> So Ber tele) 27 See SR a8® o S.a Era sun an E02 523 323 a7 er} non I DB) 5: Ze == a „sel Bee Eau IH + 141. #8 + 58% nd aa = _— = SS © =) © © 2 .coao A® aa ao N nn © Fe} AR na ie SLERnn An Fr 43% + mo Acker) ng f II rm rm ]| II rm rm Ka Ba ua) || N MHmı ee alle > IN Ill == | III 33 le "o märnD.D Dr. DO. DD. >} mn m .D SS 1 Reihenfolge'"der Reizung ca. Zimmertemperatur 28° 0. 24, Juli 1910. Oo Krötengastroenemius. Vergrösserung 3fach. © 3 = © De o un ii „m — N —— KT mn mm . E E" EB 80 &n en ee 2 ‘ =) B ® = & ie) m in [ee] nen Bei ermüdeten oder blassen Muskeln ist eine solche verzögernde Wirkung des schwelligen oder unterschwelligen zweiten Reizes schwer zu sehen. Ich sehe in dieser Mitteilung von einer Erklärung der ge- schilderten Phänomene einstweilen ab; eine solche lässt sich erst Pflüger’s Archiv für Physiologie, Bd. 141. 29 Makoto Ishihara: Reizstärke R.-A. Er- in mm . folg Da — d=150 + a= 301%) b=153J°) = b=150 b=151 b= 150 b=160 1 > 2 I b—= 15 b—=150 AIANNNANV WANNA CENT 2) überschwellige. Reizschwelle — I mm. 3) unterschwellig. Reizschwelle+2 mm. Reizschwelle +9 mm. 5) unterschwellig. Reizschwelle + 19 mm. Belastung 5 g. Reihenfolge der Reizung aca. a1. Reiz, b=20Re2 1) Maximalreiz. 4) unterschwellig. Fig. 12. Isotonie. Krötengastrocnemius. Hebellänge 12 cm; Vergrösserung 3 fach. Zimmertemperatur 28° C. 14. Juli 1910. (Nr. 31.) Über die Zuckungssummation durch zwei Reize etc. 439 Reizstärke R.-A. !Er- ingmm ‚folg - BEREREBEEET:. en b=128r/ = ie MUSEEN _ mu um ea =130] '; a= 2011) ce—=131$2) b—=128 — = b= 120 —_— b=119 + b=130 — a— 20!) — 131f?) b=10 °— b=119 4 b=123 _ o= 201! b—= 123) b=120 — El) Bar b=138 — D-l20E -r b=13 — a—= 20 b— 1383) b=18 — b=121 — Dual 7 — a— 201!) b—= 131?) b—=128 — b=—1 + 1) Maximalreiz. 2) Reizschwelle +3 mm. °) Reizschwelle + 10 mm. Fig. 13. Isometrie. Krötengastrocnemius. Reihenfolge der Reizung ca. Ordinate imm=—64g. Hebellänge 145 mm. Zimmertemperatur ocean. Reiz, b’—= 2. Reiz. 26. Juli 1910. (Nr. 64.) auf Grund weiterer Versuche erbringen, die bereits im Gang sind und Gegenstand weiterer Mitteilung bilden sollen. Die Resultate der vorliegenden Mitteilung lassen sich in folgenden Sätzen zusammenfassen: Resume. 1. Es wurde die Zuckungssummation mit einem ersten maximalen und zweiten untermaximalen Reize bei Kröten- und Froschmuskeln untersucht, wobei die zweite Reizwirkung auf dem Gipfel der ersten Einzelzuckung einsetzte. 29 * 440 Makoto Ishihara: Über die Zuckungssummation durch zwei Reize etc. Reiz- a=]1. Reiz stärke D=—#2% oh R.-A. Er- inmm folg b — 126 _ D=125 + b—=136 = a 20\ Maximalreiz v—136 unterschwellig. — Reiz- ar Sa j schwelle —- 10 mm —M2 SE bt=123 + b—=129 0°— a—= 2%) Maximalreiz v—189 unterschwellig. — Reiz- Nr schwelle + 3 mm Mn =126 — 15 + 0,01’’ Fig. 14. Isometrie. Krötengastroenemius. Anfangsspannung 5 g. Reihenfolge der Reizung ca. Hebellänge 145 mm. Zimmertemperatur 29°C. Ordinate 1 mm—64g. 26. Juli 1910. (Nr. 65.) 2. Bei der Summation zweier isotonischer oder isometrischer Zucekungen mit grosser Belastung bzw. kleiner Anfangsspannung sind die Ordinaten der Doppelzuekungskurve immer grösser als die Summen der entsprechenden Ordinaten der beiden Einzelzuckungs- kurven, und zwar relativ um so mehr, je schwächer der zweite Reiz ist. 3. Dieser grosse Summationseffekt kommt ebenfalls bei iso- tonischer oder isometrischer Zuckungssummation mit kleiner Be- lastung bzw. grosser Anfangsspannung bei geringerer Intensität des zweiten Reizes vor; mit der Zunahme der letzteren wird die Summation jedoch immer ungünstiger, um schliesslich das Gegenteil betreffend die Ordinaten zu zeigen. 4. Wenn die Intensität des zweiten Reizes an der Reizschwelle oder dieht darunter liegt, so wird die Erschlaffung der ersten Einzel- zuckung auch durch diesen Reiz mehr oder weniger verzögert, be- sonders deutlich bei der Isotonie mit grosser Belastung. 5. Bei ermüdeten oder schlechten Präparaten sind sowohl diese Verzögerung als auch der. oben erwähnte grosse Summationseffekt schwer zu sehen. 441 (Aus dem physiologischen Institut der tierärztlichen Hochschule zu Dresden.) Studien zur vergleichenden Verdauungsphysiologie. IH. Mitteilung. Über die Mitwirkung von Mikroorganismen, Bakterien und Infusorien, bei der Verdauung von Cricetus frumentarius. Von Arthur Scheunert. Zweifellos ist die Beurteilung der Mitwirkung und des Anteiles von Bakterien an den normalen Verdauungsvorgängen eines der interessantesten Probleme der Verdauungsphysiologie. In bezug auf den Menschen ist das Interesse an diesen Fragen besonders durch die Aufsehen erregenden Schriften Metschnikoff’s in den letzten Jahren sehr verallgemeinert worden, und auch die bemerkenswerten Untersuchungen von Schottelius haben die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der Kleinlebewesen für Sein oder Nichtsein der grossen gelenkt. Die mit den vergleichenden Studien der Verdauungsvorgänge bei den Herbivoren beschäftigten Autoren haben von jeher den bakteriellen Prozessen besondere Aufmerksamkeit gewidmet, da ihnen solche auf Schritt und Tritt bei ihren Arbeiten entgegentreten und eine ganz andere und gewaltigere Ausdehnung in den kompliziert gebauten Verdauungsorganen dieser Tiere besitzen, als es beim Menschen und Hund der Fall ist. Schon in den beiden ersten Mitteilungen !) über die Verdauung von Crieetus frumentarius ist mehrfach auf die wichtige Stellung 1) A. Scheunert, Studien zur vergleichenden Verdauungsphysiologie. I. Die Verdauung von Cricetus frumentarius. Pflüger’s Arch. Bd. 121 S. 169. — A. Scheunert, Studien zur vergleichenden Verdauungsphysiologie. II. Die Magenverdauung von Cricetus frumentarius bei Fleischnahrung. Pflüger’s Arch. Bd. 139 S. 131. 442 Arthur S cheunert: hingewiesen worden, die dieses Tier für das vergleichende Studium der Verdauungsvorgänge einnimmt, da es sowohl in anatomischer wie physiologischer Hizsicht bezüglich seines Verdauungsschlauches eine Mittelstellung zwischen den Tieren mit einhöhligen Magen und den mit mehrhöhligen Mägen ausgerüsteten Wiederkäuern einnimmt’). Es erschien deshalb von Wichtigkeit, die im Verdauungstrakt des Hamsters lebenden Mikroorganismen festzustellen, um den An- teil, den sie an den Verdauungsvorgängen nehmen, beurteilen zu können. Die früheren Untersuchungen über den Ablauf der Verdauung im Hamstermagen hatten ergeben, dass der Vormagen des Hamsters in mechanischer sowie chemischer Hinsicht ganz ähnliche Funktionen wie die Vormägen der Wiederkäuer zu erfüllen hat. Wesentliche Stützen für die Richtigkeit dieser Befunde und der aus ihnen gezogenen Schlussfolgerungen sind, soweit dies durch histiologische und anatomische Untersuchungen geschehen kann, durch Roscher?) in seiner in unserem Institute angefertigten Dissertation und einer weiteren Abhandlung erbracht worden. In Hinblick auf die genannten Befunde handelte es sich zunächst noch darum, die Bakterienflora des Vormagens mit Hilfe bakteriologischer Methoden festzustellen, um zu sehen, ob neben Milehsäurebakterien auch die Erreger der Eiweissfäulnis daselbst zur Entwicklung gelangen, inwieweit also zwischen der Bakterienflora des Hamstervormagens und der der Wiederkäuervormägen Überein- stimmung bestünde. Ferner war es aus denselben Gründen geboten; auch den Inhalt des Hamstermagens auf das Vorkommen von In- fusorien, die bekanntlich in grosser Menge die beiden ersten Wiederkäuervormägen bevölkern, zu untersuchen. Weiterhin sollte die Bakterienflora des Drüsenmagens und des Darmes ermittelt werden. Besonders handelte es sich hier darum, zu prüfen, ob Fäulniserreger in dem Dünndarm des Hamsters vorkommen, und wie die Bakterienflora des Enddarmes, der ein sehr grosses Caecum besitzt, beschaffen ist. 1) Vgl. auch A. Scheunert, Vergleichende Studien über den Eiweissabbau im Magen. Otto Wallach-Festschrift S. 584. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1909. 2) Roscher, Über den Vorderdarm von Cricetus frumentarius. Inaug.-Diss. Leipzig 1909. — Roscher, Der Kopfdarm von Cricetus frumentarius. Sitzungs- berichte d. kais. Akad. d. Wiss. in Wien, mathem.-naturw. Klasse Bd. 118 Abt. 3. Studien zur vergleichenden Verdauungsphysiologie. III. 443 Bakteriologische Untersuchungen. Die bakteriologischen Untersuchungen sind von Oberschwester Anna Hopffe unter meiner Leitung ausgeführt und die dabei er- haltenen bakteriologischen Ergebnisse mit allen Einzelheiten in einer soeben erschienenen Abhandlung niedergelegt worden!). Ich kann mich infolgedessen an dieser Stelle darauf beschränken, nur die für unsere physiologischen Betrachtungen wichtigen Ergebnisse anzuführen und die Methodik nur in ihren Grundzügen zu schildern. Die in Einzelkäfigen gehaltenen Hamster wurden mit Ausnahme von zwei Tieren, die in den letzten Tagen vor der Verarbeitung Fleisch als Nahrung er- hielten, mit Vegetabilien, Hafer, Möhren, Rüben u. dergl., gefüttert und er- hielten als Getränk Wasser. Die zum Versuch bestimmten Tiere wurden jeweils zu beliebigen Zeiten ohne Rücksicht auf den Füllungszustand des Verdauungstraktus getötet. Zur Untersuchung auf aerobe Bakterien, die nach den üblichen Methoden erfolgte, wurden im ganzen elf Hamster (davon zwei bei Fleischfütterung) verwandt. Zur Untersuchung auf anaerobe Fäulniserreger dienten fünf Tiere (darunter einer der beiden mit Fleisch gefütterten Hamster), Die Züchtung der Anaerobier erfolgte nebeneinander aus pasteurisiertem und nicht pasteurisiertem Material auf Eiweissnährböden in ähnlicher Weise, wie Passini?°) in letzter Zeit mehrfach mit grossem Erfolg vorgegangen ist. Hierbei wurde wie folgt verfahren: Je 15 ccm geschlagenes Eiweiss wurden in Reagenzgläsern im Wasserbad koaguliert und dann 40 Minuten bei 3 Atmosphären sterilisiert. Hierauf wurde ‘in jedes Gläschen von einer Nährlösung (10 g Liebig-Fleischextrakt, 5 g NaCl, 1000 H,O, schwach alkalisiert mit Nas00;,, kein Zucker! kein Pepton!) so viel gegeben, dass das Eiweiss etwa 1 cm hoch überschichtet war. Hierauf wurden die Gläschen 1 Stunde im Wasserbad gekocht. Dann fand die Impfung statt, nach der die Röhrchen mit Watte, Pyrogallol und KOH zur Absorption des 0, und Paraffin zur Abdichtung gegen Luft verschlossen wurden. Bei Anwesenheitanaerober Fäulniserreger zeigte nach 2-3tägigem Aufenthalt im Thermostaten der Nährboden charakteristische und deutliche Ver- änderungen. Das Eiweiss war schleimig verflüssigt, von gläsernem Aussehen und mit Gasblasen durchsetzt. Beim Öffnen entströmte den Gläschen typischer Fäulnisgeruch. 1) A. Hopffe, Über die Bakterienflora im Verdauungsschlauch von Cricetus frumentarius, unter besonderer Berücksichtigung der anaeroben Fäulniserreger. Zentralbl. f. Bakt. (Originale) Bd. 58 S. 289. 1911. 2) Passini, Über das regelmässige Vorkommen der verschiedenen Typen der streng anaerobischen Buttersäurebakterien im normalen Stuhle. Jahrb. f. Kinderheilk. N. F. Bd. 57 S. 87. 1901. — Passini, Über fäulniserregende anaerobe Bakterien des normalen menschlichen Darmes und ihre Bedeutung. Zeitschr. f. Hygiene Bd. 49 S. 135. 1905. 444 Arthur Scheunert: Diese Veränderungen waren für uns der Indikator für die Anwesenheit der gesuchten Anaerobier, die dann noch weiter isoliert, gezüchtet und auf ihre Eigenschaften untersucht wurden. An dieser Stelle er- übrigt sich ein Eingehen auf diese Fragen, ebenso, wie es unnötig ist, die ein- zelnen verschiedenen gefundenen Stämme näher zu beschreiben und zu benennen, was sich an sich schon im Hinblick auf die im Gebiete der anaeroben Butter- säurebazillen herrschenden Unsicherheit verbietet. Näheres besagt hierüber die genannte Arbeit; hier genügt es zu wissen, ob in den untersuchten Darm- abschnitten anaerobe Fäulniserreger vorhanden waren oder nicht. Die Ergebnisse unserer Untersuchungen seien, soweit sie sich für unsere physiologischen Betrachtungen verwerten lassen, der Übersicht halber auf S. 446 und 447 tabellarisch geordnet. Es ist selbstverständlich, dass für den Ablauf der Verdauungs- vorgänge nur solche Bakterien von Bedeutung sein können, die erstens regelmässig und zweitens in grosser Menge vorkommen, also: jene Bakterienarten, die man als obligate Darmbakterien bezeichnet. In ihnen müssen wir die normalen Darmbewohner erblicken, die im Verdauungsschlauch geeignete Lebensbedingungen, Brutstätten, finden, sich darin kurz nach der Geburt ansiedeln und unter normalen Ver- hältnissen auch niemals daraus wieder verschwinden). Vielleicht leben sie auch in Symbiose mit anderen mikroskopischen Darm- bewohnern oder der lebendigen Schleimhaut. Die obligate Darmflora ist nach allen bisher ausgeführten Untersuchungen stets nur auf einige Arten beschränkt gefunden worden, und zwar sind es von den Aeroben stets Kohlehydrat- vergärer (Bact. coli commune und Bact. laetis aerogenes), von den Anaeroben Eiweissfäulnis erregende Buttersäurebazillen, die zu ihnen gehören, Der grosse Artenreichtum der Darmbakterien wird hingegen durch verschiedene Arten bedingt, deren Anwesenheit. von der Nahrung und sonstigen äusseren Einflüssen abhängig und niemals regelmässig ist. Diese fakultativen Darmbakterien kommen auch selten in grosser Zahl vor, können aber natürlich unter pathologischen Verhältnissen den Ablauf der Verdauungs- vorgänge wesentlich modifizieren. Für den physiologischen Ablauf derselben sind sie jedoch ohne Bedeutung. Wenn hier und im folgenden zwischen aeroben und anaeroben Darmbakterien unterschieden wird, so soll damit nur gesagt werden, 1) Literatur über Darmbakterien findet sich unter Verdauung III u. IV in Oppenheimer’s Handb. d. Biochemie Bd. 3 T.2 S. 124 ff. Studien zur vergleichenden Verdauungsphysiologie. II. 445 dass die einen unter Luftzutritt, die anderen unter Sauerstoffabschluss züchtbar sind. Keinesfalls soll aber damit gesagt werden, dass bei ihrer Tätigkeit im Verdauungstrakt die einen unbedingt O, nötig haben, die anderen nicht. Vielmehr stehe ich auf dem Standpunkt, dass alle Vorgänge im Magendarmkanal fast aus- schliesslich unter anaeroben Bedingungen vor Sich sehen. In der Tat findet sich unter den Gasen des Verdauungs- schlauches Sauerstoff nur in verschwindender Menge und häufig gar nicht. Betrachten wir z. B. die Verhältnisse im ersten Vormagen der Wiederkäuer. Er ist sehr geräumig und enthält stets grosse Gasmengen, und bei jedem Bissen und Schluck gelangt stets in ihn etwas Luft hinein. Trotzdem findet man darin nach allen Autoren nur ganz geringe Mengen von Sauerstoff. Das ist auch leicht er- klärlich, da in der sehr wasserreichen (bis 90 °/o) grossen Inhalts- masse dauernd Gärungen ablaufen, in deren Gefolge vor allem CO, neben CH, und H, entsteht. Die Gase steigen in Blasen empor, wovon man sich durch Anlegen des Ohres an die Bauchwand der Tiere überzeugen kann, und sammeln sich über der Inhaltsmasse an. Da- durch wird der Partiardruck des O, dauernd vermindert. Da das Tier ferner eine Entleerung der Gase von Zeit zu Zeit durch Rülpsen bewirken muss, wird mit dem Gasgemisch auch der O, entfernt und kann so ganz oder bis auf einen unbedeutenden Rest verschwinden, so dass also völlig oder nahezu anaerobe Verhältnisse bestehen. Die Tätigkeit der sogenannten Aerobier wird hierdurch nicht beeinträchtigt, da sie ja alle fakultativ anaerob wachsen können. Will man sie aber aus den Inhalten züchten, so muss man natürlich optimale Verhältnisse schaffen. Bezüglich der obligaten und fakultativen Darmflora herrschen beim Hamster ganz ähnliche Verhältnisse wie bei anderen Tieren. Die regelmässig aufgefundenen aeroben Bakterien sind in der Tabelle der Aerobier, die zunächst zu besprechen ist, gesperrt gedruckt. Auch sind die einzelnen Bakterienarten in der Reihenfolge, wie sie der Häufigkeit der Kulturen in den angelegten Platten entspricht, aufgeführt. Als obligate, aerobe Darmbakterien des Hamsters finden wir nach Tabelle I ebenfalls Milchsäure- und Colibakterien, genau so wie bei anderen Tieren. Im Vorderdarm dominieren unter ihnen die Milchsäurebakterien, speziell das Baet. Güntheri; besonders im Vormagen nimmt dieses fast durchweg die erste Tabelle I. Aerobe Bakterienflora im Vormagen Hamster 57 Hamster 58 Hamster 59 Hamster 60 Hamster 6l Hamster 62 Hamster 63 Hamster 64 Hamster 65 Hamster 66 Hamster 67 I) Milchsäurestäbchen, Bact. lact. aerog., Bact. coli com., Heubazillen, Bac. mycoides, Hefezellen, Sarcina lutea Bact. Güntheri, Heu- bazillen,Wurzelbazillen, Bac. fluor. liqu., Hefe- zellen, Sarc. Jutea, farb- lose Sarcina, Schimmel- pilze Bact. Güntheri, Heu- bazilien, Hefezellen, Bac. Proteus, Micro- coccus ros., farblose Sarcina, Bac. "Auor. liqu. Bact. Güntheri, Bac. mesenter., Bac. subtilis, Mierococeus agil., Kok- ken (oft zu zweien) Bact. Güntheri, Bat. coli com. ohne Indolb., Bac. subtilis, Spross- pilze, Sarcina lutea, Schimmelpilze, Micro- coccus roseus Heubazillen, Hefezellen, Sarcina Jutea, Staphylo- kokken Bact. Güntheri, Bact. coli com., ohne Indol- bildung, Heubazillen, Bac. Megatherium Bact. Güntheri, Bact. coli com., ohne Indol- bildung, Bac. pseudo- subt., Sarcina |lutea, Bac. fluorescens aureus Bact. Güntheri, Bact. coli com., Bact. lact. aerog., Bac. subtilis, Mikrokokken, verflüs- sigend Bact. Güntheri, Bact. coli com. mit und ohne Indolbildung, Hefezel- len, .Bact. lact. aerog. Bact. Güntheri, Bact. coli com., Bac. acidi lactiei, Schimmelpilz- kolonien Drüsenmagen Milchsäurestäbchen, Bact. coli. com.-+ Ind., Micro- coccus lut., Sarcina lutea Bact. Güntheri (weniger als vorher), Heubazillen, Bac. mesenteric., Bact. coli com.-+ Indol, Micro- coccus lut. Bact. Güntheri (weniger als im Vormagen), Dact. coli com. ohne Indol- bildung, Bact. lact. aerog., Sarcina lutea Bact. Güntheri, Bact. coli com., Bac. pseudo- subtil.. Bac. Megathe- rium, Mikrokokken ur- beweglich, Rosa Hefe Bact. coli com., Mülch- säurestäbchen, Heu- bazillen Sarcina lutea, Mikrokokken,unbeweg- lich verflüssigend Bact. Güntheri, Bac. laet.aerog., Heubazillen, Schimmelpilz (Mucor), Micrococcus luteus, Coli ähnliche Bazillen Bact. Güntheri (wenige), Bact. coli com. mit Indolbildung, Kokken verflüssigend, Sarcina, farblos Bact. Güntheri (wenig), Bact. coli com. ohne Indolbildung, Bact.lact. aerog., Diplokokken, verflüssigend, Sarcina farblos Milchsäurebazillen, Bact. coli com. mit Indol- bildung, Heubazillen, Sarcina lutea, eine gold- gelbe Sarcina Bat. coli com. mit Indol- bildung, Kokken ver- flüssigend,Sarcinalutea, Bac. pseudo-subt. Bact. coli com. mit Indol- bildung, Micrococcus tetragenus, Milchsäure- stäbchen, eine Sarcina Duodenum bei pflanzliche: nicht untersucht Bact. coli + Indolbildun TE, Psen subtilis, Diplokokken nicht untersucht Milchsäurebazillen(weni Bact. coli com. mit u ohne Indolbildung, S cinalutea, unbeweglic: Kokken Bact. lact. aerog., Ba coli com. ohne Indd bildung, Bac. mesente Diplokokken verflü sigend | Bact. coli com. mit u ohne Indolbildung, Pr teus vulg., Diplokokkı verflüss., Bac. pseud‘ subtilis Bact. coli com. mit Indo bildung, Bac. Proteı Zenkeri, Heubazille, Bac. mycoides Micrococeus candicau Kolibakterien, eine Sa cina, Diplokokken ve flüssigend Bact. Güntheri (wenig Bact. coli com. m starker Indolbildung Bac. mycoides, Miert coccus tetragenus bei Fleisch- Bact. coli com. mit Indol bildung, ein Bazillu Gelatine verflüssigend nicht untersucht Dimısen eine Untersuchung des Jejunalinhaltes erfolgte, erwies sich die ] i ze | 1 { ; j En nn TE TE Verdauungsschlauch des Hamsters Jejunum !), Deum Caecum Kolon Rectum Fütterung nicht untersucht Milchsäurebazillen (wenig), Bact. coli com. mit Indolbil- dung vorherrschend, Sarcina lutea, unbe- wegl. Kokken verfl. Bact.lact.aerog.,Bact. Güntheri (wenig), Bac. Prot. Zenkeri, Diplokokken ver- Hlüssigend Bact. coli com. mit Indolbildung, Bact. Güntheri (wenig), Bac. mesenteric. nicht untersucht fütterung nicht untersucht | nicht untersucht Bac. subtilis, Dact. coli com. mit und ohne Indolbildung,, Bac. Proteus vulg., Milch- säurestäbchen Bac. mesenteric., Bact. coli com. ohne Indol- bildung, Bac. Prot. vulg. Bact.lact. aerog., Heu- bazillen Bact.Güntheri (wenig), Bat. coli com. ohne Indolbildung, Heu- bazillen Bact. cold com. ohne Indolbildung, Hefe- zellen, Diplokokken, Kokken verflüss. Bac. butyricus, Bact. coli com. ohne Indol- bildung , Diplo- kokken Bac. Proteus Zenkeri, Heubazillen, Micro- coccus tetragenus, Diplokokken Bac. gasoformes pyo- genes, Bac. Megathe- rium, Diplokokken nicht untersucht Bact. coli com. mit und ohne Indolbil- dung, Heubazillen, Bac. multipediculus Bact. coli com. mit indolbildung, Kok- ken verflüss., Diplo- kokken verfl., Heu- bazill.‚Bac.mycoides nicht untersucht Bact. coli com., Diplo- kokken, verflüssig., Bact. Güntheri, wenig Heubazillen Bact.X coli com. mit Indolbildung, Diplo- kokken, Bact. lact. aerog. nicht untersucht Bact. coli com., Bac. mesenteric.vulgatus, Heubazillen, eine farblose Sarcina, eine Proteusart nicht untersucht Bact. coli com. mit Indolbildung,Mikro- kokken verfl., Bac. pseudo-subt., farb- lose verfl. Sarcina dortige Bakterienflora mit der im Ileum identisch. nicht untersucht Bact. col. com., Bac. subtilis, Bac. Mega- therium, Bact. lact. aerog., Bac. mesen- tericus, Diplokokken verflüssigend Bact. coli com., Bac. subtilis, Kokken ver- flüssigend Bact. coli com., Bac. mesentericus, Kok- ken verflüssigend, Bac. subtilis Bact. coli com. mit Indolbildung, Bac. Megatherium, Bac. pseudo-subtilis Bact. coli com. mit Indolbildung, Dact. Güntheri(wenig),un- bewegliche Kokken Bact. coli com. mit Indolbildung, Heu- bazillen Bact. coli com. mit Indolbildung, Milch- säurestäbchen, Mikrokokken Bac. liodermes, Bact. coli com. ohne Indol- bildung,Kokken ver- flüssigend Bact. coli com. mit Indolbildung, Bac. subtilis, Kokken ver- flüssigend Bact. coli com. mit Indolbildung A448 Arthur Scheunert: Stelle unter den anderen ein, während im Dünndarm das Bact. coli com. in den Vordergrund tritt. Es sei auf dieses Vorkommen des Baect. Güntheri hier besonders hingewiesen, da es nach den bis- herigen Untersuchungen nur beim Wiederkäuer (Rind) ais An- gehöriger der obligaten Darmflora aufgefunden worden ist. Im Enddarm tritt Bact. coli commune an die Spitze, während Bact. lactis aerogenes und Bact. Güntheri an die zweite Stelle rücken, zum Teil sogar fehlen. Im Caecum und Kolon ist ja auch der Hauptaufenthaltsort der reinen Colibakterien. Neben diesen obligaten Arten treten noch zahlreiche andere fakultative Arten auf, die ihre grösste Mannigfaltigkeit im Vor- magen aufweisen; ganz natürlich, denn hierher kommt die Nahrung zuerst, hierher gelangen ausser Speichel keine Verdauungssäfte, hier sind längere Zeit die besten Bedingungen für Bakterienwachstum. Die am häufigsten in der Nahrung befindlichen Arten dominieren darunter naturgemäss (Bae. subtilis!). Ferner finden sich sehr häufig Kokken und Diplokokken, die zum Teil Gelatine verflüssigen. Bemerkenswert erscheint, dass die Ernährung mit Fleisch keine wesentliche Veränderung der Darmflora, wie die Untersuchungs- ergebnisse bei Hamster 66 und 67 lehren, zur Folge gehabt hat. Die obligate Darmflora ist dieselbe geblieben, nur die fakultative ist vielleicht etwas weniger artenreich. Tabelle 1. Anaerobe Fäulniserreger des Hamsterverdauungstraktus. Vor- | Drüsen- | Duo- |Jejunum- Cascum | Kolon | iReeron magen magen | denum | Ileum a) Bei pflanzlicher Nahrung. Hamster 68 | Fäulnis- | kein kein | kein | Fäulnis- | Fäulnis- | kein erreger Fäulnis- | Fäulnis- | Fäulnis- | erreger | erreger | Fäulnis- erreger | erreger | erreger erreger Hamster 69 | Fäulnis- | nicht nicht nicht nicht | Fäulnis- | kein erreger | unter- | unter- unter- | unter- | erreger | Fäulnis- sucht sucht sucht sucht erreger Hamster 70 | Fäulnis- | nicht nicht nicht | Fäulnis- | Fäulnis- | kein erreger | unter- unter- | unter- | erreger | erreger | Fäulnis- sucht sucht sucht erreger Hamster 71 | Fäulnis- | kein kein kein Fäulnis- Fäulnis- | kein erreger Fäulnis- | Fäulnis- | Fäulnis- | erreger | erreger | Fäulnis- | erreger | erreger | erreger erreger b) Bei Fleischnahrung. Hamster 67 | Fäulnis- | kein kein kein |Fäulnis- | Fäulnis- | kein erreger | Fäulnis- | Fäulnis- | Fäulnis- | erreger | erreger | Fäulnis- | erreger | erreger | erreger erreger Studien zur vergleichenden Verdauungsphysiologie. III, 449 Wenden wir uns dann zur Betrachtung der anaeroben Fäulnis- erregzr, also jener Bakterien, die, zur Gruppe der Buttersäurebazillen gehörig, Eiweiss unter stinkender Fäulnis zu zersetzen vermögen, und deren typischer Vertreter der Bac. putrifieus-Bienstock ist. Es sind davon stets verschiedene Formen zu finden, die in ihren morphologischen und kulturellen Eigenschaften voneinander abweichen, zum grössten Teil aber doch nahe verwandt und zum Teil auch in- einander überführbar sind. Die Tabelle zeigt, dass unabhängig von der Nahrung solche Fäulniserreger stets im Vormagen, Caecum und Kolon aufgefunden wurden, dass sie also in diesen Darmabschnitten zur obligaten Bakterienflora gehörten, Drüsenmagen und Dünn- darm erwiesen sich als frei davon, ebenso merkwürdigerweise das Rectum. Der negative Befund in letzterem lag vielleicht an der zur Verarbeitung ungünstigen Beschaffenheit des Ausgangs- materials. Dieses war stets sehr trocken und bestand nur aus einigen wenigen Bröckchen, so dass wir es, um eine genügende Menge zum Pasteurisieren zu gewinnen, immer erst mit Wasser verreiben mussten. Während sich die obligaten aeroben Darmbewohner in allen Teilen des Verdauungstraktus des Hamsters finden, sind also die Anaerobier auf ganz bestimmte Abschnitte beschränkt; die Ursachen hierfür sind leicht zu erkennen. Sie sind in den daselbst herrschenden chemischen Ver- hältnissen begründet und stehen somit in engem Zusammenhange mit den Verdauungsvorgängen, deren Beeinflussung durch die Bakterien- flora nunmehr erörtert werden soll. ; Vormagen. In den Vormagen gelangt von der aufgenommenen Nahrung stets der grösste Teil. Nur ein kleiner Teil, und zwar stets die Bissen, die sich durch besonderen Wasserreichtum und dünn- breiige Beschaffenheit auszeichnen, nehmen den Weg durch die Speiserinne in den Drüsenmagen!). In der Vormagenschleimhaut finden sich keine Drüsen, ein anderes Verdauungssekret als der die Bissen durchtränkende Speichel gelangt daselbst nicht zur Wirkung, da auch aus dem Drüsenmagen ein Rücktritt von Inhalt oder Sekret in den Vormagen nicht stattfindet. Die Wirkung der Speicheldiastase entfaltet sich also dort ungestört, und schon kurze Zeit nach der l) Pflüger’s Arch. Bd. 121 S. 195, Bd. 139 S. 134. 450 Arthur Scheunert: Nahrungsaufnahme finden sich dort die Produkte der ‚Stärkever- dauung !). Zunächst herrscht daselbst auch neutrale Reaktion, und damit sind auch die geeigneten Bedingungen für bakterielles Leben gegeben. Es finden die obligaten Aerobier, in erster Linie die Milchsäurebakterien, nach unseren Befunden also Bact. Güntheri, einen günstigen Nähr- boden, und es entwickelt sich unter Verbrauch der gebildeten Stärke- abbauprodukte eine Kohlehydratgärung, die dazu führt, dass in der dritten Verdauungsstunde die bis dahin neutrale Reaktion des Vor- mageninhaltes einer deutlich saueren Platz?) gemacht hat, und dass sich der Zuckergehalt vermindert. Beides ist in einer früheren Ab- handlung nachgewiesen worden). Auch andere fakultative Arten wachsen aus, werden aber durch die obligaten an allzugrosser Ver- breitung gehindert. Wir sehen so im Vormagen neben der fermentativen Kohlehydratspaltung auch bakterielle Kohlehydrat- zersetzung ablaufen. Doch ist das nicht der einzige bakterielle Vorgang, vielmehr läuft auch noch eine Eiweisszersetzung ab. Während der ersten Verdauungsstunde herrscht im Vormagen noch neutrale Reaktion, und diese ermöglicht es den Anaerobiern, ihre Tätigkeit zu beginnen. Nährmaterial ist für sie vorhanden, und wir sehen denn auch regelmässig im Vormageninhalt anaerobe Fäulnis- erreger an der Arbeit, von denen wir bei allen Hamstern oft mehrere Stämme aus Vormageninhalt züchten konnten, und die auch in ihren typischen Formen im frischen Material im hängenden Tropfen sicht- bar waren. Die bei der Zersetzung des Eiweisses gebildeten höheren Abbauprodukte dienen sicherlich zum Teil auch gewissen indol- bildenden Colibakterien als Nährmaterial. Die basischen Abbau- produkte werden wieder zum Teil durch die bei Kohlehydratgärung entstehenden Säuren neutralisiert, und so gestatten die Verhältnisse die Tätigkeit beider Bakteriengruppen nebeneinander. Auch ist daran zu denken, dass die Anaerobier zum Teil Kohlehydrate unter Buttersäuregärung zu zerlegen vermögen und dass auch bei der Eiweissfäulnis Säuren entstehen. Sobald, wie dies bei längerer Ver- 1) Pflüger’s Arch. Bd. 121 S. 199 ff. 2) Die saure Reaktion wird in erster Linie durch Milchsäure (Güntheri), daneben aber auch, soweit sich Bact. coli und lactis aerogenes an den Vorgängen beteiligen, durch Essigsäure, Propionsäure und Ameisensäure hervorgerufen werden. Studien zur vergleichenden Verdauungsphysiologie. III. 451 dauung der Fall ist, die Kohlehydratgärung umfangreicher wird, wird die Eiweissfäulnis schon durch die auftretende Milchsäure zurückgedrängt. An den vielleicht auf noch anderen Ursachen be- ruhenden Antagonismus der Coliarten und der Anaerobier sei hier nur erinnert. Wir haben diese Verhältnisse etwas eingehender geschildert, um damit zu zeigen, dass im Vormagen desHamsters genau dieselben Verhältnisse im kleinen wie in den ersten beiden Vormägen der Wiederkäuer im grossen herr- schen. Auch bei diesen lebt dieselbe obligate Bakterienflora. Unter den Aerobiern steht Bact. Güntheri an der Spitze!) neben Bact. coli com. Die Anaerobier sind, wie wir gezeigt haben?), ebenfalls stets zugegen, und dank der grossen Mengen dieser Vormageninhalte gelingt es auch, die Produkte sowohl der Kohlehydratgärung als auch der Eiweissfäulnis darzustellen ®). Somit ist durch diese Befunde auch bezüglich der bakteriellen Vorgänge die physiologische Gleichwertigkeit von Hamstervormagen mit dem ersten und zweiten Vormagen der Wiederkäuer nachgewiesen. Drüsenmagen. Der Drüsenmagen des Hamsters entspricht dem einhöhligen Magen anderer Säuger. Seine Schleimhaut pro- duziert Pepsin und, soweit sie Fundusdrüsen enthält, Salzsäure ®). Der Inhalt des Drüsenmagens ist immer sauer; dies ist auf die Anwesenheit von aus den Gärungen im Vormagen stammenden organischen Säuren, in erster Linie Milchsäure, und der im Magen- saft enthaltenen Salzsäure zurückzuführen. Während der Magen- inhalt z. B. von Mensch und Hund nur eine sehr geringe Bakterien- flora aufweist, zeigten unsere Untersuchungen, dass der Hamster- drüsenmagen noch zahlreiche Bakterienarten enthält. Das ist nicht verwunderlich und kann gar nicht anders sein, da während der 1) P. Ankersmit, Untersuchungen über die Bakterien im Verdauungs- kanal des Rindes. Zentralbl. f. Bakteriol. (Originale) Bd. 39 S. 477, 574, 689; B4. 40 S. 100. 2) Scheunert, Vergleichende Studien über den Eiweissabbau im Magen. Otto Wallach-Festschrift S. 623. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1909. — Hopffe, Über das Vorkommen anaerober Fäulniserreger im Magen, besonders im Pansen der Wiederkäuer. Ber. üb. d. kgl. tierärztl. Hoch- schule zu Dresden 1908. 3) Tappeiner, Untersuchung über die Eiweissfäulnis im Darmkanal der Pflanzenfresser. Zeitschr. f. Biol. Bd. 20 S. 215. 1884. 4) Vgl. I. und II. Mitteilung. 452 Arthur Scheunert: Verdauung eine dauernde Füllung des Drüsenmagens durch den Vormagen erfolgt. Es wird immer der zahlreiche Bakterien ent- haltende Vormageninhalt in den Drüsenmagen entleert und dieser stets mit bakterienhaltigem Inhalte beschickt. Wir müssen somit in ihm im grossen und ganzen die Bakterien des Vormageninhaltes wiederfinden, sofern sie nieht durch die neuen, durch den Magensaft bedingten Reaktionsverhältnisse abgetötet werden. Daher konnten die säureempfindlichen Anaerobier aus Drüsen- mageninhalt nicht mehr gezüchtet werden. Eiweissfäulnis ist dort so gut wie ausgeschlossen, ebenso wie im einhöhligen Magen von Mensch, Hund und Schwein‘). Wohl aber finden sich noch die gegen Säuren widerstandsfähigeren Bakterien (Bact. Güntheri, Bact. lactis aerogenes und Bact. coli com.), die daselbst auch sicher, solange die Salzsäurekonzentration nicht zu hoch ist, ihre Wirkung weiter fortsetzen können. Hierin ähnelt also der Hamsterdrüsen- magen wieder mehr dem Labmagen der Wiederkäuer und dem Magen des Pferdes. Dünndarm. Der Dünndarm ist bei Mensch und Hund, wie einwandfrei von zahlreichen Autoren erwiesen, abgesehen von den in ihm ablaufenden Verdauungsvorgängen, lediglich Ort der Kohle- hydratgärung. Bei den Pflanzenfressern, die einen sehr langen Dünndarm besitzen, ist diese Frage aber noch nicht definitiv ent- schieden. Beim Pferd, dessen Dünndarm bis zu 23 m lang ist, sind z.B. von Tappeiner?) Eiweissfäulnisprodukte (Phenol und Indol) nachgewiesen worden, ebenso beim Rind. Es ist also nicht aus- geschlossen, dass daselbst auch Fäulniserreger leben können, um so mehr als das letzte Drittel des Dünndarmes beim Pferd fast regel- mässig gegen Lackmus alkalisch reagiert. Der Hamster schliesst sich hier, wie unsere Untersuchungen zeigen, den Tieren mit karni- vorem Typ des Verdauungstraktus an. Sein Dünndarm ist auch nur Ort derKohlehydratgärung. Bact. coli com. domi- niert, Bact. lactis aerogenes und Baet. Güntheri finden sich seltener, die anaeroben Fäulniserreger hingegen werden ver- misst. 1) Vergleichende Studien über den Eiweissabbau im Magen. Otto Wallach- Festschrift, 1. c. 2) Tappeiner, Untersuchungen über die Eiweissfäulnis im Darmkanal der Pflanzenfresser. Zeitschr. f. Biol. Bd. 20 S. 215. Studien zur vergleichenden Verdauungsphysiologie. II. 453 Enddarm. Der Enddarm ist beim Menschen und fast bei allen daraufhin untersuchten Tierarten als der an Bakterien reichste Ort erkannt worden. Die mit Vormägen ausgestatteten Tiere machen hierbei insofern eine Ausnahme, als bei ihnen der Vormagen dem Enddarm mindestens an die Seite zu stelien ist!). Im Enddarm ist der Hauptaufenthaltsort der Coliarten, worauf ja auch ihr Name hindeutet; aber auch Eiweissfäulnis läuft darin ab. Auch beim Hamster liegen, wie unsere Versuche zeigen, die gleichen Verhält- nisse vor. Das Bact. coli com. sowie Bact. lactis aerog. herrschen vor, Güntheri-Bakterien finden sieh weniger oft; im ganzen Enddarm des Hamsters läuft also auch Kohlehydratgärung ab. Ausserdem sind aber auch die anaeroben Erreger der Eiweissfäulnis im Inhalt von Caecum und Kolon zu finden; die mutmaassliche Ursache ihres Fehlens im Reetum wurde schon oben erwähnt. Der Enddarm, speziell das beim Hamster wie bei allen Nagern sehr grosse Caecum und das Kolon, ist somit ebenso wie bei anderen Tieren im besondern den Pflanzenfressern ein Ort lebhafter bakterieller Vorgänge. Bei pflanzlicher Nahrung, von der ein grosser Teil der Nährstoffe durch Zellulosehüllen vor den Angriffen der Verdauungs- fermente geschützt in den Enddarm gelangt und dort erst auf- geschlossen wird, ist genügend. Nährmaterial vorhanden, um den obligaten Darmbakterien zu einer ausgiebigen Vegetation zu ver- helfen. Es herrschen daselbst bei vorwiegend gegen Lackmus alkalischer Reaktion ganz ähnliche Verhältnisse wie im Vormagen. Ebenso wie dort muss man einen gleichzeitigen Ablauf von Eiweissfäulnis und Kohlehydratgärung annehmen. Der Enddarm des Hamsters spielt also bei der Ver- dauung dieses Tieres bezüglich der in ihm ablaufenden bakteriellen Vorgänge dieselbe Rolle wie bei den anderen Tieren, im speziellen den Herbivoren. Noch einige Worte über die Zelluloseverdauung, die sicher auch beim Hamster abläuft, seien hier angeschlossen. Wir haben gerade diesem höchst interessanten Problem unsere grösste Aufmerksamkeit zugewandt, doch ist es uns trotz sehr zahlreicher Versuche unter den verschiedensten Bedingungen nicht gelungen, 1) Literatur und ausführliche Angaben finden sich unter Verdauung III und IV in Oppenheimer’s Handb. d. Biochemie Bd. 3 T. 2. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 30 454 Arthur Scheunert: ein Zellulose vergärendesBakterium aus dem Hamster- verdauungsschlauch zu züchten. Wir sind dabei wie andere zu der Anschauung gekommen, dass bei der Zellulosevergärung anaerobe Organismen tätig sind, deren Tätigkeit aber noch an un- bekannte Bedingungen geknüpft ist, die wohl im lebendigen Wirts- organismus herrschen, vorläufig aber nicht im Reagenzglas zu reproduzieren sind. Es könnte sich dabei um Symbiose mit der Schleimhaut ebensogut wie mit anderen Mikroorganismen handeln; auch kann die Eigenartigkeit des Fermente usw. usw. enthaltenden natürlichen Nährmediums wohl in Frage kommen. Infusorien. In den Vormägen der Wiederkäuer kommen neben den Bakterien bekanntlich noch Infusorien in grosser Anzahl und verschiedener Art regelmässig vor. Nicht weniger als 19 Arten sind von Eberlein!) beschrieben worden. Im Hinblick auf die weitgehende Analogie zwischen Vormagen des Hamsters und Vormägen des Rindes haben wir nach solchen Organismen beim Hamster gesucht und in der Tat bei einigen Tieren solche in Vormagen und Caecum finden können. Das mit einem Glasstab von soeben getöteten Tieren entnommene lebenswarme Material wurde direkt oder mit steriler physiologischer Kochsalzlösung, zu deren Herstellung Leitungswasser benutzt. worden war, verdünnt im hängenden Tropfen und auf dem Objektträger unter Benutzung eines heizbaren Objekttisches betrachtet. Teil- weise wurden auch mit Giemsamischung gefärbte Präparate betrachtet. Nur im Vormagen und Caecum fanden wir lebendige Infusorien, wenn auch niemals in so grosser Menge und solcher Verschieden- artiekeit und niemals in solcher Grösse wie beim Wiederkäuer. Im Caecum waren dieselben weit spärlicher vorhanden als im Vor- magen, so dass wir uns bei der Untersuchung auf Vormaeeninhalt beschränken mussten. Leider gingen die Organismen schon sehr bald (noch unter dem Mikroskop) zugrunde, sodass eine längere und eingehendere Betrachtung nicht möglich war und eine genaue Bestimmung sämtlicher Spielarten nicht gelang. Wohl aber war deutlich zu erkennen, dass die beobachteten Organismen dieselben wie die in den Wiederkäuervormägen vorkommenden waren und zu 1) Eberlein, Über die im Wiederkäuermagen vorkommenden ziliaten In- fusorien. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. 59 S. 233 ff. Studien zur vergleichenden Verdauungsphysiologie. II. 455 den Arten: Bütschlia, Isotricha und Diplodinium gehörten. Diese Arten konnten an der charakteristischen Form und Bewimpe- rung, wie sie Eberlein beschrieben hat, erkannt werden. Ich trage danach kein Bedenken, zu behaupten, dass im Hamster- vormagen Infusorien derselben Arten zur Entwick- lung gelangen wieinden Wiederkäuervormägen. Weiter glaube ich auch, annehmen zu können, dass das Caecum des Hamsters ähnliche Infusorien beherbergt wie das Caecum der Wiederkäuer und der Einhufer. Gemäss unserem Thema müssten wir noch die Mitwirkung dieser Lebewesen bei der Verdauung besprechen, doch möchte ich darauf nicht eingehen, da hierüber eine sichere Anschauung nicht gewonnen werden konnte. Unter Hinweis auf die früher!) gegebene Be- urteilung ihrer Rolle sei nur erwähnt, dass ich mit weiteren Studien über diese Organismen, ihre Lebensbedingungen und Tätigkeit be- schäftigt bin. Schlussbetrachtung. Die Untersuchung des Verdauungstraktus der Hamster auf Mikroorganismen wurde unternommen, um die in den ersten Mit- teilungen erlangten Kenntnisse über die Vorgänge im Verdauungs- traktus dieses Tieres zu vervollständigen. Vor allem sollte sie uns aber darüber aufklären, wie sich der Hamster bezüglich der in seinem Digestionstraktus vorkommenden Mikroorganismen gegenüber anderen Tieren, speziell den Wiederkäuern, verhält. Es wurde dabei festgestellt, dass die Darmflora des Hamsters im grossen und ganzen mit der der anderen Tiere, speziell der Pflanzenfresser, identisch ist und dass auch bei ihm als obligate Darmbakterien Bact. coli commune, Bact. lacetis aerogenes und in einigen Abschnitten anaerobe Fäulniserreger vorkommen. Als weiterer aerober und obligater Darmbewohner tritt uns aberausserdem beim Hamster das Milchsäure bildende Bact. Güntheri (Bae. lacticus, Baet. lactis acidi Leich- mann) entgegen. Es nimmt in den proximalen Darm- abschnitten (Vormagen und Drüsenmagen) die erste Stelle ein, während in den distalen Darmabschnitten, vor allem dem End- darm, das Baect. coli ceommune dominiert. Das Vorkommen des 1) Verdauung II und IV in Oppenheimer’s Handb. d. Biochemie Bd.3 T. 2 S. 139, 157. 30 * 456 Arthur Scheunert: Studien zur vergl. Verdauungsphysiologie. III. Bact. Güntheri ist von grösstem Interesse deshalb, weil es bisher nur beim Wiederkäuer als obligater Darmbewohner gefunden wurde und auch dortin den Vormägen in grösster Menge auftritt, um in den distalen Darmabschnitten gegenüber dem Bact. coli com. zurückzutreten (Ankersmit). Ferner zeigte sich, dass aus Vormagen, Caecum und Kolon neben den obligaten aeroben Kohlehydratvergärern auch anaerobe Eiweissfäulniserreger züchtbar sind, also auch hier Analogie mit den Wiederkäuern und was den Enddarm anlangt, auch mit den anderen Tieren besteht. Weiter wurde festgestellt, dass im Vormagen und Caecum des Hamsters auch Infusorien leben, und zwar konnten im Vormagen dieselben Arten Bütschlia, Diplodinium und Iso- tricha gefunden werden, die neben anderen regelmässige Be- wohner der Wiederkäuervormägen sind. Danach ist der Vormagen des Hamsters auch bezüglich der in ihm ablaufenden bakteriellen Vorgänge und als Aufenthaltsort von Infusorien als gleichwertig mit den Wiederkäuervormägen erwiesen. Im Verein mit den in den ersten Mitteilungen erhobenen Befunden wird hierdurch der Hamstervormagen alsphysiologisches Analogon der Wiederkäuervormägen von neuem ge- kennzeichnet. In ihm läuft Kohlekydratgärung, besonders Milchsäuregärung (durch Bact. Güntheri) und ausserdem Eiweissfäulnis, ab. Im Drüsenmagen hingegen fehlen die Fäulniserreger, ebenso im Dünndarm, der nur Ort der Kohlehydratgärung wie bei den anderen Tieren ist. Im geräumigen Caecum haben wir dieselben Verhältnisse wie beim Wiederkäuer und Pferd. Kohlehydratgärung und Eiweissfäulnis laufen daselbst ab, Infusorien halten sich dort auf. Im übrigen Enddarm findet sich dieselbe aerobe obligate Darmflora wie bei anderen Tieren, im Kolon sind auch noch die Fäulniserreger stets zugegen. Wir schliessen daraus, dass das Caecum und überhaupt der Enddarm des Hamsters dieselbe Bedeutung besitzt und in ihm dieselben Vorgänge ablaufen, wie es von dem Caecum der Wiederkäuer und Einhufer bekannt ist. 457 (Aus dem physiologischen Institut der Universität Freiburg i. B.) Arbeit und Gaswechsel am Froschherzen. Von Viktor Weizsäcker. (Mit 4 Textfiguren.) I. Allgemeines. Die Thermodynamik des Skelettmuskels besitzt den Vorzug, ihre Ergebnisse, insbesondere die den Wirkungsgrad betreffenden, mit verschiedenen Methoden gestützt zu sehen. Die Untersuchung der Respiration und des Gesamtstoffwechsels und andererseits die thermoelektrische Methode am isolierten Organ haben gut überein- stimmende Resultate ergeben. Mannigfaltigkeit wie Sicherheit der Methoden sind am Herz- muskel demgegenüber weit im Rückstand. Wünscht man die Be- stimmung der Gesamtenergiewandlung am isolierten Herzen mit Hilfe der Beobachtung von Respiration und Stoffverbrauch auszuführen, so zeigt sich sogleich, dass dies nur mit Vorbehalt zulässig ist. Man kann nicht, wie im lange dauernden Versuch am Gesamtorganismus, die Kalorienzahl mit Annäherung aus der Respiration berechnen; man kann nicht voraussetzen, dass der Abbau bis zu denselben End- produkten erfolgt wie dort; es können Sauerstoff angelagert, Kohlen- säure abgespalten werden und doch intermediäre Reaktionen mit ihrer Wärmetönung fehlen, wie auch umgekehrt intermediäre Re- aktionen ohne Respiration ablaufen. Aus demselben Grunde dürfte auch die Heranziehung des respiratorischen Quotienten zu der am Gesamtorganismus üblichen Feststellung, ob und wieviel Eiweiss, Fett oder Kohlehydrate ver- brannt werden, am Einzelorgan nur mit Zurückhaltung zu be- trachten sein. Abgesehen von der Schwierigkeit, den Stickstoffumsatz zu er- mitteln, sind es auch neuerdings bekannt gewordene Tatsachen, 458 Viktor Weizsäcker: welche es zweifelhaft erscheinen lassen, ob das Schema Eiweiss, Fett, Kohlehydrate die geeignete Grundlage der Stoffwechsellehre des Einzelorganes abgeben wird. Es sei nur daran erinnert, dass Reduktionen, Synthesen von Aminosäuren und andere endothermische Prozesse in nicht geringem Umfange vorkommen, zum mindesten also nicht ausgeschlossen werden können. Ehe also die Erfahrung in diesen Fragen grössere Fortschritte gemacht haben wird, wird man auf die Berechnung absoluter Kalorien- werte aus den Daten der Respiration und des Stoffwechsels im engeren Sinn am Einzelorgan kein grosses Gewicht legen können. Dies hindert nicht, dass diese Daten den gesuchten energetischen Werten mit einiger Wahrscheinliehkeit ungefähr proportional zu setzen sind. Änderungen der Respiration dürfen auf proportionale Änderungen der Wärmetönung, wenngleich ebenfalls hypothetisch, bezogen werden. Ich werde im folgenden einen hypothetischen Proportionalitätsfaktor einführen, um von 1 ccm O,-Verbrauch auf die entsprechende Wärme- tönung in Kalorien zu kommen. Bekanntlich liegen die für 1 g Sauerstoff berechneten kalorischen Äquivalente für Eiweiss, Fett und Kohlehydrat, bei vollständiger Verbrennung im Gesamtorganismus, sämtlich nahe beisammen, nämlich zwischen 3,0 und 3,5 (Magnus- Levy, Pflüger, E. Voit). Ich werde also allen Berechnungen einen Maximalwert von 3,5 Kalorien als „fiktive Wärmetönung“ beim Verbrauch von 1 g Sauerstoff zugrunde legen. Dieses Verfahren hat lediglich den Zweck, Zahlen von einer Grössenordnung zu bekommen, die der Wirklichkeit einigermassen entsprechen. Will man über den Wirkungsgrad Aufschluss bekommen, so muss man ausser der Wärmetönung die mechanische Arbeit kennen. E. Rohde!) hat die Ansicht entwickelt, dass Gesamtumsatz (Wärme- tönung) und Leistung des Herzens am besten in Beziehung zueinander gesetzt werden können, wenn man den Umsatz vergleicht mit dem Pulsvolum bei isotonischer Kontraktionsform. Bei dieser Form gehen Pulsvolum und Arbeit einander proportional. Er geht dabei von der Vermutung aus, dass — in Analogie zum Skelettmuskel — wie dort Zuckungshöhe und Wärmebildung einander proportional sich ändern, so auch beim Herzen Pulsvolum und Gesamtumsatz einander 1) E. Rohde, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 68 S. 187 fi. 1910. Arbeit und Gaswechsel am Froschherzen. 459 proportional sich ändern möchten, wobei alsdann der Wirkungsgrad konstant bliebe. Ich habe schon in einer früheren Mitteilung!) auf das Bedenk- liche der Übertragung der Worte Isometrie und Isotonie auf den Herzmuskel hingewiesen, weil sie zu weitergehenden Analogien ver- leitet. Frank, der Schöpfer dieser Übertragung, hat ihre Bedeutung selbst genau begrenzt. Auch hier muss daran erinnert werden, dass Längenänderung am Skelettmuskel nur mit Längenänderung des Herzmuskelelementes vergleichbar ist. Dies gilt jedenfalls für Fragen der Thermodynamik, wo auf quantitative Vergleiche alles ankommt. Wie wenig aber die Volumänderung in quantitativer Hinsicht einen Anhaltspunkt für die Längenänderung bietet, das zeigt eine einfache Üherlegung an einem in schematischer Weise kugelförmig gedachten Herzen. Eine Verkürzung der Oberflächen- schicht von meridional gedachten Muskelfasern auf die Hälfte ihrer Länge müsste hier von einer Verkleinerung des Herzvolums auf ein Achtel begleitet sein. Von einer Proportionalität der Volumänderungen mit den Längenänderungen wird also vollends bei der überaus kom- plizierten Faseranordnung des wirklichen Herzens nicht die Rede sein können. Dazu kommt die a. a. ©. hervorgehobene Unvergleich- barkeit des Spannungsablaufs und des Druckablaufs bei beiden Organen. Wir wissen nicht, ob das isobarische Pulsvolum diejenige . Variable ist, bei deren Änderung der Wirkungsgrad konstant bleibt; die Analogie mit dem Skelettmuskel spricht sogar dagegen, weil bei reiner Isobarie die Spannung zahlreicher Herzmuskelfasern abnehmen muss (vgl. Formel ]. e. S. 136). Daher möchte ich mit Rohde’s Meinung nur so weit gehen, dass die isometrische (besser isochorische) Kontraktionsform sowie die Überlastungszuekung für Untersuchungen des Wirkungsgrades zunächst natürlich ungeeignet sind. Dagegen scheint mir für die energetischen Vorgänge die Änderung von Länge und Spannung ausschlaggebend zu sein; da nun, wie mehrfach betont, aus Druck- und Volumkurve auf diesen Länge- und Spannungszustand quantitativ überhaupt niemals geschlossen werden kann, häufig nicht einmal qualitativ, so sind auch die Gründe, welche der Isobarie eine bevorzugte Stellung vor der Auxobarie anweisen, für energetische Be- trachtungen jedenfalls hinfällig. Man muss sich vorstellen, dass es eine oder mehrere mechanische Bedingungen der Kontraktion gibt, bei denen der Wirkungsgrad ein Maximum besitzt, ebenso wie es 1) V. Weizsäcker, Pflüger’s Arch. Bd. 140 S. 135. 1911. A460 Viktor Weizsäcker: eine Bedingung gibt, bei welcher er — (0 ist, die Isochorie. Ferner ist vielleicht eine Reihe von Zuständen definierbar, bei denen der Wirkungsgrad konstant bleibt. Über all diese Dinge wissen wir aber bisher nichts. FEinigermaassen willkürlich — wenngleich in engerem Anschluss an die physiologischen Bedingungen in der natürlichen Aorta — wählte ich daher aus technischen Rücksichten die auxobarische Kon- traktion am Ludwig’schen Manometer. Je nach der Weite des Manometerschenkels ist hier der Druckanstieg ganz verschieden, und auch hierin liegt eine Willkür, die aber meines Erachtens nicht grösser ist als bei der angenähert isobarischen Kontraktion.e Man vergleicht alsdann den Stoffwechsel mit dem in Gramm-Zentimeter ausgedrückten Wert der geleisteten Arbeit, muss sich aber bewusst bleiben, dass anders gewählte mechanische Bedingungen den Wirkungs- grad günstiger oder ungünstiger hätten gestalten können. Es versteht sich übrigens, dass ebenso wie nur von einer „fiktiven Wärmetönung“ gesprochen werden wird, auch der Wirkungsgrad lediglich als fiktiver anzusehen sein wird. Mein grundsätzlicher Standpunkt lässt sich also dahin zusammen- fassen, dass eine Bestimmung absoluter energetischer Werte (der Wärmetönung) aus den Daten der Respiration und des Nährstoff- verbrauches am isolierten Organ vorläufig unzulässig ist; dass solche Daten vielmehr nur die allgemeine Richtung (Zunahme und Abnahme) der energetischen Prozesse erkennen lassen, und dass es sich daher bei solehen Berechnungen empfiehlt, von angenäherten oder fiktiven Wärmetönungen resp. Wirkungsgraden zu sprechen. Ferner halte ich fest, dass eine mechanische Bedingung der Herzarbeit, welche für vergleichende Untersuchungen der Herztätigkeit den Vorzug verdient, bis jetzt nicht bekannt ist, weil wir den Einfluss dieser mechanischen Bedingungen auf Wärmetönung und Wirkungsgrad bisher nicht kennen und auch die Übertragung der Erfahrungen am Skelettmuskel an der Unvergleichbarkeit von Druck und Volum einerseits, Spannung und Länge andererseits, in thermodynamischen Fragen mindestens, scheitert. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung, welche den mechanischen Bedingungen bei allen weiteren Untersuchungen des Herzstoff- wechsels zukommt und in Anknüpfung an die vorhergehende Arbeit, habe ich die Absicht, einige Versuche hier mitzuteilen, welche den Einfluss des Anfangsdruckes bei auxobarischer Kontraktion betreffen. Arbeit und Gaswechsel aın Froschherzen. 461 1I. Methode. Messungen des Gaswechsels haben am Froschherzen in be- schränktem Umfang Yeo!), Gaule?) und Nielsson?), jeder mit anderer Methode, ausgeführt. Die von mir benutzte Methode ging von den günstigen Er- fahrungen aus, die man an dem mit frisch defibriniertem Hammel- oder Kälberblut durchspülten isolierten Froschherzen macht. Wenn man dieses mit einer gemessenen Blutmenge eine gewisse Zeit einen völlig abgeschlossenen künstlichen Kreislauf unterhalten lässt, so kann man am Ende dieser Zeit die Änderung der Blutgase leicht messen, da wir ja durch Barceroft und Haldane‘) in der Lage sind, sehr kleine Blutmengen rasch und sicher zu analysieren. Der Apparat für die künstliche Zirku- lation (Fig. 1) besteht aus Glas. Er ist so eingerichtet, dass man auf die Tätigkeit der natürlichen Ventile nicht angewiesen ist, also auch mit dem Ventrikel ohne die Vor- höfe arbeiten kann. Er besitzt demnach im „venösen“ Schenkel (V) ein Williams- sches Schlitzventil, im „arteriellen® (A) ein einfaches Plättchenventil (eine dünne Hart- gummischeibe liegt horizontal dem ebenfalls horizontal abgeschliffenen Röhrenende (a) frei auf). Da es notwendig ist, dass man die Ventile reinigen und erneuern könne, sind bei a und b je Glasschliffe angebracht, die den Apparat in kleinere Teile zu zer- legen erlauben. Diese Ventile garantieren eine beständige Zirkulation und gleich- mässige Durchmischung der ganzen Blut- masse in der durch Pfeile bezeichneten Richtung. Da, wo die Schenkel A und V zusammentreffen, geht ein kurzes drittes, horizontal gerichtetes Ansatzstück ab, welches Fig. 1. 1) Journ. of Physiol. vol. 6 p. 9. 2) Engelmann’s Arch. f. Physiol. 1878. 3) Zentralbl. f. Physiol. Bd. 20 S. 202. 1906. 4) Journ. of Physiol. vol. 28 p. 232. 1902. 462 Viktor Weizsäcker: ebenfalls einen Glasschiff trägt, zur Aufnahme des Quecksilber- manometers. Die beiden Manometerschenkel tragen an ihrem untersten Teil je einen kleinen engen seitlichen Röhrenansatz, einen proxi- malen (d) und einen distalen (c). Fig. 2 zeigt den Apparat von der Seite und in Position IL. Der Apparat wird aus Position I (Fig. 1) in Position II übergeführt, indem man das Manometer in aufrechter Stellung festhält, den übrigen Teil im Schliff e um 180° von unten nach oben dreht. Die Füllung erfolgt in Position II. Der Ansatz c ist mittelst Gummischlauch mit einem Fe, mel Quecksilberreservoir, das sich heben und a senken lässt, verbunden. Durch ihn jässt man Quecksilber zufliessen, bis (bei aufgesetztem Schwimmer) das Queck- silber auf eine Marke bei e einspielt. In dieser Stellung setzt man das Kymo- graphion in Gang und lässt eine 0-Abs- zisse schreiben (siehe auch unten). 1% % EIN: MI I Be 1 VRR , VL f—I q Fig. 2. Fig. 3. Nunmehr wird Ansatzrohr d mit einer mit frischem Blut ge- füllten Spritze von 3—5 cem Inhalt verbunden. Wenn von hier aus vorsichtig Blut eingetrieven wird, so steigt dasselbe über das Quecksilber und, die Luft verdrängend, in den Schenkeln A und V bis zur luftblasenfreien vollständigen Füllung. Alsdann wird das Herzpräparat hergestellt. Stets wurde eine Kanüle vom rechten Vorhof in den Ventrikel geführt und an der Atrioventrikulargrenze eingebunden. Zu den unten mitgeteilten Versuchen wurde eine blut- gefüllte Kanüle aus Glas von der in Fig. 3a abgebildeten Form be- nutzt. Doch habe ich neuerdings noch bessere Erfahrungen mit der in Fig. 3b abgebildeten Kanüle aus Neusilber gemacht. Ist beim Typus 3a die völlige Durchspülung des Herzens absolut ge- sichert, so hat die Kanüle 3b zwar einen (hier möglichst reduzierten) Arbeit und Gaswechsel am Froschherzen. 463 schädlichen Raum, besitzt aber den Vorzug eines viel geringeren Strömungswiderstandes. Von einer störenden Wirkung des schäd- lichen Raumes habe ich nichts bemerken können. Er ist im Ver- gleich zum Sehlagvolum des Herzens sehr klein. Da die Schlag- volumina bei einem mittleren Druck 0,2—0,3 cem betragen, der schädliche Raum etwa 0,025 eem, so erreicht er etwa "/ıo des Schlag- volums. Die Kanüle wird nun mit dem Herzen nach oben, den freien Enden nach unten so weit in die Gummiverbindungsstücke von A und V eingeschoben, dass sie an die Enden von A und V anstösst. Alsdann wird der Apparat aus Position II in Position I übergeführt, Blutinhalt und Quecksilberstand von neuem so reguliert, dass der proximale Meniskus des Quecksilbers auf der Marke bei e steht, der distale in der jeweils gewünschten Höhe zur Herstellung des Überdruckes. Die Schlauchverbindungen bei d und c werden hart am Manometer mittelst kräftiger Serre-fines verschlossen, das Herz in ein Bad von Ringer-Flüsiekeit eingetaucht und zwischen die ebenfalls eintauchenden Reizelektroden derart gebracht, dass der Reiz die Basis trifft. Man setzt die Vorrichtung zur rhythmischen Reizung!) in Gang, notiert die Uhr, Reizfrequenz usw. Ausser der Schreibfeder des Manometers war gewöhnlich nur noch die eines Elektromagneten verzeichnet, die jeden hundertsten Reiz automatisch registrierte und gleichzeitig als Abszisse diente. Das Ludwig’sche Kymographion war auf Spiralgang gestellt, so dass man die ganze Einrichtung bis zu 2 Stunden sich selbst überlassen konnte. Man könnte gegen die Methode der rhythmischen Reizung geltend machen, dass der Herzstoffwechsel bei spontanem Schlag und bei Reizung durch Induktionsschläge möglicherweise verschieden sei. Es wird daher unten (S. 473) ein Versuch mitgeteilt, der beweist, dass eine merkliche Verschiedenheit bei spontaner und künstlicher Schlagfolge nicht nachweisbar ist. Die Berechnung des Anfanzsdruckes ist, wenn der proximale Hg-Meniskus genau auf der Marke bei e steht, einfach. Er setzt sich unter Berücksiehtigung der spezifischen Gewichte aus der Höhendifferenz des Quecksilbers in den beiden Manometerschenkeln und aus der Höhe der Blutsäule, gemessen durch den Vertikal- abstand vom Herz bis zur Marke e, zusammen. Letzterer wird einfach mit dem Zentimetermaass ein für allemal festgestellt; der Überdruck der Quecksilbersäule ergibt sich aus dem Abstand, 1) Vgl. Weizsäcker, Pflüger’s Arch. Bd. 140 S. 141. 1911. 464 Viktor Weizsäcker: den die Fusspunkte der Kontraktionskurve von der in der oben (S. 462) angegebenen Weise aufgenommenen 0-Abszisse besitzen. Wünscht man das mehr oder weniger venös gewordene Blut zur Analyse zu entnehmen, so wird der Apparat wieder in Position II gebracht, das Herz samt Kanüle entfernt und durch ein kleines gegabeltes Glasrohr ersetzt, welches mit kurzer Verbindung zu einer vertikalen langen, 2—3 ccm fassenden graduierten Pipette führt. Der Schwimmer wird entfernt, die Öffnung des freien Mano- meterschenkels mit einem Stopfen gedichtet und nun aus dem Queck- silberreservoir durch ce so lange Quecksilber eingeleitet, bis dieses den ganzen Apparat gefüllt und das Blut vor sich her in die Pipette übergetrieben hat. Nur der Meniskus des Blutes in der Pipette ist Ort eines Gasausgleiches mit der Luft. Er ist klein, die Prozedur dauert kurz, und man benutzt den obersten Teil der Blutsäule zweck- mässig nicht zur Analyse. Daher kann dieser Modus der Überführung des Blutes aus dem Zirkulationsapparat in den Haldane’schen zur Gasanalyse als einwandfrei gelten. Man unterschichtet das Blut un- mittelbar aus der Pipette unter die Ammoniaklösung des Analysen- gefässes. Die Bestimmung nach Barcroft und Haldane bedarf keiner Erläuterung !). Was die Dimensionen des Apparates anlangt, so ist zu berück- sichtigen, dass bei zu grossem Voluminhalt die prozentuale Änderung des Gasgehaltes zu langsam erfolet und zu klein bleibt, um gut messbare Ausschläge zu geben. Andererseits kann man den Raum- inhalt nicht kleiner als etwa 2 ccm machen, weil zu der Analyse nach Haldane, wenn man stets Doppelbestimmungen macht, mindestens so viel Blut notwendig ist. Als zweckmässig hat sich ein Rauminhalt von 2Y/»—3 ceem (inkl. Kanülen- und Herzinhalt) herausgestellt. Es wird aus dem folgenden Abschnitt ersichtlich werden, wie rasch unter solchen Bedingungen der Sauerstoffgehalt des Blutes abnimmt. Der Rauminhalt des Apparates ist durch Eichung zu ermitteln und jedesmal das im Herzen befindliche Blut- volum hinzuzuzählen. Letzteres erhält man am einfachsten aus der Berechnung des Schlagvolums, sofern die Entleerung des Herzens eine völlige ist. Trifft letzteres nicht zu, so müsste ein komplizierteres Verfahren angewendet werden; meistens wird man bei der Kleinheit des Fehlers hierauf verzichten können. Ob die Entleerung eine 1) Vgl. auch Ergebn. d. Physiol. Bd. 7. Arbeit und Gaswechsel am Froschherzen. 465 völlige ist, darüber gibt die Inspektion des abwechselnd roten und blassen Herzens den besten Aufschluss. Um verschiedene Einwirkungen auf das Herz zu studieren, ist es bei der noch geringen Erfahrung mit der Methode unerlässlich, an ein und demselben Herz nacheinander hergestellte Zustände zu vergleichen. Man wird also mindestens zwei Zirkulationsapparate haben müssen, um, wenn das Blut in einem verbraucht ist, das Herz sogleich an den anderen anschliessen zu können. Natürlich muss Herzkanüle und Herz gründlich von dem venösen Blut befreit und durchgespült an den frischen Apparat kommen. Zweckmässig ist hierbei die Kanüle Fig. 3b. Der Gabelteil derselben kann am Apparat ständig bleiben, und nur das kurze aufgesteckte Stück s wird mit dem Herzen abgenommen. Zum Zweck der Arbeitsmessung bin ich, wie schon erwähnt, beim Ludwig’schen Manometer geblieben. Es war wichtig, eine Transmission von möglichst geringer Länge zu haben und den ganzen Innenraum möglichst ohne Winkel und tote Räume zu gestalten, in denen das Blut stagnieren und unvermischt bleiben könnte. Dieser Anforderung entsprach die unmittelbare Übertragung bei Berührung von Blut- und Quecksilbersäule am besten. Die neuerdings wieder lauten Einwände gegen das Hg-Manometer kamen, soweit sie die Schwingungsdauer betreffen, nicht in Betracht, da selbst bei hohen Schlagfrequenzen (50—60 pro Minute) die Schwingungszahl mehr als doppelt so hoch war!). Auch eine etwa vorkommende Schleuderung bedingt, wo es sich nur um Berechnung der Arbeit handelt und der zeitliche Druckablauf gleichgültig bleibt, keinen Fehler. Der Durchmesser des Manometerrohres betrug 4,6 mm. Fehlerquellen. Den Arbeitsverlust durch Viskosität bzw. innere Reibung in einem gegebenen Röhrensystem in absolutem Maasse zu bestimmen, besitzen wir leider noch keine Methode. Durch die Einführung des Plättchenventils im arteriellen Schenkel statt eines William’schen ist dieser Verlust, wie ich annehme, erheblich verringert; im übrigen sind die Röhren im arteriellen Teil nach Möglichkeit weit gehalten; der Durchmesser betrug nur an zwei kurzen Stellen 2 mm, sonst 1) Berechnungsweise s. O0. Frank, Tigerstedt’s Handb., 4. Abteilung Bd. 2 8. 48. 466 Viktor Weizsäcker: 4—5 mm. Auch die Unvollkommenheiten der Schwimmerbewegung lassen sich nicht exakt korrigieren, dürften aber bei guter Rein- haltung des Manometers ziemlich konstant sein und im allgemeinen im Sinne einer Verkleinerung der gemessenen Arbeit wirken. Über die Berechnungsweise der Kurven und die Korrektion durch Be- stimmung der elastischen Kräfte habe ich 1. e. berichtet; die Dehnungskurve lässt sich auch an dem Zirkulationsapparat leicht aufnehmen. Eine Reihe von Fehlern drohen auch der Bestimmung des Gas- wechsels. Vor allem muss man sich vor Sauerstoffzehrung im Blute selbst schützen. Faulendes Blut verändert seinen O,-Gehalt in Zimmerwärme sehr rasch. Man nehme stets möglichst frisches Hammelblut und halte dasselbe auf Eis bis zur Einfüllung in den Apparat. Kontrollversuche haben mich belehrt, dass man unter diesen Kautelen, und wenn das Blut nicht länger als — wie in den meisten nachfolgenden Versuchen — 1 Stunde im Apparat bleibt, auf die aseptische Behandlung des Experimentes verzichten kann. Kontrollversuche werden allerdings immer angebracht sein: man bewahrt 2—3 cem Blut unter Luftabschluss während der Versuchs- zeit in Zimmertemperatur auf und stellt fest, ob der Gasgehalt sich geändert hat. Die Genauigkeit der Gasbestimmung nach Haldane ist be- kannt. Für die Sauerstoffbestimmung betrug der Unterschied der beiden Werte einer Doppelanalyse durchschnittlich 2,7 °/o des Gesamt- wertes; man wird daher annehmen dürfen, dass der Fehler des Mittels aus den beiden Bestimmungen im allgemeinen noch kleiner als 2,7 °/o ist. Etwas geringer war die Genauigkeit bei der Analyse des im Apparat verbrauchten Blutes, vor allem weil die zu messenden Sauerstoffmengen noch kleiner waren, zum Teil vielleicht weil die Durchmischung des Blutes im Apparat doch keine absolut gleich- mässige war. Hier konnte der Unterschied der zwei Bestimmungen 6—7 °/o des Gesamtwertes erreichen. Eine wichtige Frage ist, ob die Atmung des Herzens auch durch das Epikard hindurch in die umgebende Ringer’sche Flüssigkeit erfolgt. Dass dieselbe bedeutend ist, lässt sich, wenn man die ge- waltige Oberflächenentwicklung des Herzinneren!) und die viel günstigeren Atmungsbedingungen nach dem im Innern befindlichen- 1) Vgl. Gaupp, Anatomie des Frosches. Arbeit und Gaswechsel am Froschherzen. 467 Blute zu sich vergegenwärtigt, nicht erwarten. Schützen kann man sich gegen Sauerstoffaufnahme leicht, wenn man gründlich aus- gekochte und in geeigneter Weise auf das ursprüngliche Volum ge- brachte Ringer- Lösung benutzt und, nachdem das Herz eingetaucht ist, mit neutralem Öl überschichtet. Um eine etwaige Sauerstoff- abnahme in einer Ringer-Lösung von bekanntem Sauerstoffgehalt nachweisen zu können, habe ich mich der Titrationsmethode nach Winkler!) bedient. Das Ergebnis hat die oben ausgesprochene Erwartung bestätigt, doch möchte ich über die quantitativen Resultate erst später berichten. Die im folgenden mitzuteilenden Versuche waren auch ohne diese Kontrolle der epikardialen Atmung ein- wandfrei. Einer kritischen Erörterung bedarf nun noch das Grundprinzip der Methode: das Herz nicht mit permanent arteriellem Blut zu durchspülen, sondern mit einer Blutmenge, die mehr und mehr venös wird, und dann die Änderungen des Gasgehaltes zu messen. Während einer Kreislaufsperiorde — so will ich die Zeit nennen, während welcher das Herz an einem Kreislaufapparat ist — befindet sich das Herz also nicht unter konstanten, sondern zunehmend ungünstigeren Atmungsbedingungen. Zwar wird das Froschherz, das ja nur eine Kammer besitzt, auch normalerweise von einer Mischung von venösem und arteriellem Blut durchspült und ernährt, und wird daher gegen unvollkommene Sättigung mit Sauerstoff wohl nicht allzu empfindlich sein. Trotzdem wissen wir über die Gesetze, nach denen der Um- fang der Oxydationen vom Sauerstoffangebot abhängt, am Frosch- herz nichts und bei anderen Geweben wenig. Beim Skelettmuskel wächst mit dem Angebot auch der Umfang der Oxydationen erheb- lich?2).. Wie auch letzteres sich verhalten möge — die Fähigkeit, äussere Arbeit zu leisten, zeigt sich gegen die Abnahme des Sauer- stoffangebotes äusserst unempfindlich. Dies zeigt folgender Versuch, in welchem der Sauerstoff des Blutes so gut wie vollständig verzehrt, jedenfalls nach Beendigung des Versuches mittelst der Haldane’schen Methode überhaupt kein Sauerstoff mehr nach- weisbar war. Trotzdem hatte das Schlagvolum nur Vs, die Arbeit der einzelnen Zusammenziehung nur !/s ihres ursprünglichen Be- trages eingebüsst (vgl. S. 470). ]) Ber. d. chem. Gesellsch. Bd. 21 H.2 S. 2843. 1888. 2) v. Frey, Rubner, vgl. Nagel’s Handb. d. Physiol. Bd. 4 S. 477. 468 Viktor Weizsäcker: Versuch vom 11. März 1911 p. m. Maximales | Maxim. Arbeit Schlagvolum | pro Kontrakt. ccm scm Beginn des Versuchs (3% 12’) 0,26 11,3 Ende des Versuchs (5 h 25’) 0,21 Mt Bei verschiedenem Venositätsgrade des Blutes ist die optimale, d. h. für die Kontraktionsgrösse günstigste Schlagfrequenz, eine verschiedene. Je grösser die Venosität, desto langsamer ist im allgemeinen die optimale Frequenz. Um die Arbeitsfähigkeit zu Beginn und am Ende des Versuchs vergleichen zu können, musste in beiden Fällen die optimale Frequenz hergestellt werden. Darauf be- ziehen sich die Ausdrücke „maximales“ Schlagvolum und „maximale“ Arbeit — maximal mit Rücksicht auf die Frequenz. Korrekter, aber technisch viel schwieriger wäre die Feststellung des maximalen FEffektes (Arbeit pro Zeiteinheit) gewesen. Unter den Faktoren, die auf den Stoffwechsel den allergrössten Einfluss nehmen, figurieren fernerhin Druck, Temperatur, Schlag- frequenz. Überall, wo sie nicht selbst Gegenstand der Untersuchung sind, müssen sie, wie sich von selbst versteht, möglichst konstant gehalten werden, sollen sie nicht zu groben Fehlerquellen werden. Im allgemeinen wird man sagen müssen, dass das Froschherz- präparat gegenüber dem isolierten Warmblüterherzen Vorzüge wie Nachteile für Untersuchungen der in Frage stehenden Art besitzt. Die Vergleichung von Arbeit und Stoffwechsel wird am Froschherzen insofern einwandfreier sein, als der einkammerige Ventrikel hier er- laubt, beide Grössen eindeutig auf dieselbe Muskelmasse zu beziehen. Am Warmblüterherz ergibt die Leistungsmessung nach Gottlieb und Magnus!) oder Rohde?) nach der Autoren eigener Angabe nur einen unbekannten Bruchteil der Arbeit des linken Ventrikels. Die des rechten und der Vorhöfe bleibt überhaupt ungemessen. Der Stoffwechsel dagegen bezieht sich auf das ganze Herz. Ein Vorzug ist ferner das Fehlen eines Koronarkreislaufes beim Frosch und die relative Einfachheit der ganzen Technik. In der zweiten Stannius- schen Ligatur hat man ein bequemes und einwandfreies Mittel, sich den für viele Zwecke so notwendigen ruhenden Ventrikel zu ver- schaffen. Nachteile sind vor allem die ausserordentliche Kleinheit 1) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. Bd. 51. 1903. 2) 1. c. S. 186. Arbeit und. Gaswechsel am Froschherzen. A69 der zu messenden Grössen, insbesondere des Gaswechsels, die die Genauigkeit der Bestimmungen natürlich herabdrücken, und bei der geschilderten Methode dazu nötigen, die Venosität des ernährenden Blutes bis zu so hohen Graden anwachsen zu lassen, dass die Aus- schläge den Fehler der Barcroft-Haldane’schen Methode mindestens um das 10—20 fache übertreffen. III. Resultate. In der früheren Mitteilung hatte ich der Frage, wie der Gesamt- umsatz vom Druck, unter welchem das Herz arbeitet, abhängt, in der Weise näherzutreten versucht, dass die Geschwindigkeit, mit der das Herz unter verschiedenen Bedingungen ermüdet, beobachtet wurde. Das paradoxe Ergebnis war, dass die Ermüdung unter relativ sehr verschiedenen mechanischen Verhältnissen nicht merk- lich verschieden war. Von einer Verallgemeinerung dieses Ergeb- nisses wurde abgesehen, weil die besonderen Versuchsverhältnisse es nicht erlaubten, die extremeren Werte von Belastung miteinander zu vergleichen; nur innerhalb einer bestimmten Druckzone konnte der obige Satz aufgestellt werden. Dazu kam, dass über den be- sonderen Mechanismus des Ermüdungsvorganges verhältnismässig sehr wenig bekannt ist. Daher wurde die Möglichkeit offen gelassen, dass unter günstigeren Bedingungen ein Einfluss des Druckes auf den Stoffwechsel doch nachweisbar sein möchte. Das Hauptergebnis der folgenden Versuche ist, dass dieser Einfluss in der Tat sehr be- trächtlich sein kann. Ferner ist das unerwartete Ergebnis der Er- müdungsmethode nunmehr zum grössten Teil aufgeklärt worden. Die Versuche sind mit der im Vorhergehenden beschriebenen Methode ausgeführt. Dieselbe war jedoch in verschiedener Richtung etwas vereinfacht. So habe ich mich auf die Bestimmung des Sauer- stoffverbrauches beschränkt, auf die Kenntnis der Kohlensäureproduktion verzichtet. Ferner habe ich auch eine Korrektion der Arbeitswerte durch Abzug der elastischen Kräfte sowie die Kontrolle der epi- kardialen Atmung der Einfachheit der Versuche halber, und da ich durchweg ohne Assistenz arbeitete, nicht vorgenommen. Es wird aus dem Folgenden hervorgehen, dass trotzdem die allgemeine Grössenordnung und Richtung der Variationen des Gaswechsels mit genügender Reinheit zum Ausdruck gekommen ist, da ja die hier vernachlässigten Fehlerquellen in ganz konstanter und zum Teil gut übersehbarer Weise wirken. Periodendauer, Schlagfrequenz und Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 31 470 Viktor Weizsäcker: Temperatur wurden bei den verschiedenen Perioden ein und des- selben Herzens konstant gehalten. Da nun, wie schon bemerkt, mit. Änderungen des Druckes auch Änderungen der Respiration einher- sehen, so folgt, dass bei den Perioden unter hohem Druck das Blut rascher venös wurde und diese Perioden somit unter durchschnittlich ungünstigeren Respirationsbedingungen standen. Diese Momente wirken zusammen, um den bereits erhobenen Einwendungen gesen die Berechnung absoluter energetischer Werte aus der Respiration weitere hinzuzufügen, und so soll nochmals betont werden, dass diesen Berechnungen hier nur eine relative Annäherung zukommen kann. Günstig ist, dass die Arbeitsleistung der einzelnen Herz- kontraktion trotz zunehmender Venosität des Blutes äusserst wenig sinkt. Die Dauer der Periode wurde so gewählt, dass der Sauer- stoffsehalt des frischen Blutes meist nur um "/s, nie um mehr als die Hälfte abnahm. Dabei sank die Kontraktionsarbeit entweder gar nicht oder um weniger als !/ıo des anfänglichen Betrages. Die Temperatur betrug, wo nichts Besonderes angegeben ist, zwischen 16 und 15° ©. Sämtliche Versuche sind mit männlichen Temporarien in den Monaten Februar und März ausgeführt. Die Vitalität war eine vorzügliche, die Hauptursache, dass, von den ersten Versuchen abgesehen, später jeder Versuch geglückt ist. Die Wärme- werte sind in kleinen (Gramm-)Kalorien, die Arbeit in Gramm- zentimetern, die Volumina der Herzförderung in Kubikzentimetern angegeben. Die O,-Werte sind in Kubikzentimetern bei 0° und 760 mm berechnet. Auf eine Umrechnung der Werte auf die Ge- wiehtseinheit der Muskelsubstanz wurde verzichtet, da einmal die Herzgrösse wenig schwankte, und da ferner, wie bemerkt, die Ver- einfachung der angewandten Methode einige Fehlerquellen unberück- sichtigt liess. Die für die gegenwärtige Fragestellung wichtigsten Daten stehen in den Stäben 2—4. Die Berechnungsweise der fiktiven Wärmetönung folgte den oben aufgestellten (S. 458) Gesichtspunkten. 1. Versuch vom 23. Februar 1911 a. m. R.temporaria &, 55 g. Herzgewicht: 0,089g. Dauer einer Periode: 30 Min. Zahl der Kontraktionen in Periode I: 800, Periode II: 820. Schlagfrequenz: 27 pro Min. O,- Fiktive | Fiktiver Periode Druck Verbrauch an Wärme- Arbeit ın | Wirkungs- mm Hs ccm gem tönung Kalorien grad I 26,6 0,202 7280 | 1,04 | 0,172 16,5 %/o u 3,8 0.137 6100| wor. | 00145 2,1 9/0 Arbeit und Gaswechsel am Froschherzen. 471 2. Versuch vom 24. Februar 1911 a. m. R. temporaria 5, 45 g. Dauer einer Periode: 22 Min. Zahl der Kontrak- tionen Periode I: 550, Periode II: 520. Schlagfrequenz: 20 pro Min. O,- Fiktive haieım | Fiktiver Periode mas Verbr: uch Auen Wärme- Arbeii ” Wirkungs- mm Hg cem gem tönung Kalorien grad I 34,6 0,178 6875 0,917 0,163 18 %/0 u 1,0 0,080 171 0,412 0,040 10 °/o 3. Versuch vom 18. Februar 1311 a. m. R. temporaria &, 55 g. Herzgewicht: 0,165 g. Dauer einer Periode: 35 bis 40 Min. Zahl der Kontraktionren Periode I, II und III je 1000. Schlag- frequenz: 26 pro Min. 0% Fiktivre | „4.. :, | Fiktiver Periode Druck Verbrauch Arbeit Wärme- Arbeit ın Wirkungs- mm Hg ccm gem tönung Kalorien grad I 12,6 0,278 9100 1,430 0,215 15 %0 Jr 5,6 0,185 790 0,953 0,019 2%0 III 31,0 0,332 11600 1,215 0,274 16 %/0 4. Versuch vom 10. März 1911 a. m. R. temporaria d, 40 g. Herzgewicht: 0,088 g. Dauer einer Periode: 42 bis 45 Min. Zahl der Kontraktionen in Periode I, II und III je 1050. Schlag- frequenz: 23 pro Min. 0% a Fiktive u. | Fiktiver Periode Druck Verkamdh Arbeit Wärme- | Arbeit An Wirkungs- mm Hg ccm gcm tönung Kalorien grad I 8,4 0,165 4049 0,789 0,096 12,0 %0 II 1,2 0,132 450 0,692 0,011 1,5 %o II 25,2 0,186 4458 0,968 0,105 11,0 %0 9. Versuch vom 18. Februar 1911 p. m. R. temporaria &, 47 g. Herzgewicht: 0,105 g. Dauer einer Periode: 35 bis 40 Min. Zahl der Kontraktionen einer Periode in Periode I—IV je 1000. Schlagfrequenz: 27 pro Min. O,- . Fiktive Re Fiktiver Periode | Druck | Verbrauch Aulneli Wärme- ai beit ın | Wirkungs- mm Hg ccm gem tönung Kalorien grad ll 4,0 0,148 1100 0,763 0,026 3,4 %/o 1I 11,8 0,225 5400 1,160 0,128 11,0 %0 II 40,0 0,285 10000 1,470 0,236 16,0 %/0 IV 3,6 0,198 750 1,020 0,018 1,7 % 31* 472 Viktor Weizsäcker: Aus diesen Versuchen geht durchaus übereinstimmend hervor, dass mit steigendem Druck bei gleicher Kontraktionszahl der Sauer- stoffverbrauch zunimmt, im Versuch vom 24. Februar auf mehr als das Doppelte. Ferner kann man sagen, dass diese Zunahme mit der gleich- zeitigsen Zunahme der ceeleisteten Arbeit entfernt nicht gleichen Schritt hält. Die mechanische Arbeit wächst mit steigender Belastung bedeutend rascher als der Gesamtsauerstoffverbrauch. Daraus folgt, dass der fiktive Wirkungsgrad um so höher ist, je höher die Arbeits- leistung ist, vorausgesetzt, dass der Druck das Druckoptimum der mechanischen Arbeit nicht übersteigt. Wie früher (l. ce.) beschrieben, zeigt die äussere Arbeit des Herzens bei zunehmendem Druck ein zuerst rasches, dann langsameres Anwachsen, um nach Erreichung eines Maximums wieder zu sinken. Es war von Interesse, ob der Stoffwechsel ebenfalls ein ähnliches Verhalten zeige. Die folgenden Versuche können vielleicht dazu dienen, diese Frage teilweise zu entscheiden. 1. Versuch vom 16. Februar 1911 p. m. R. temporaria &, 50 g. Herzgewicht: 0,168 g. Dauer einer Periode: 35 Minuten. Zahl der Kontraktionen in Periode I: 900, in Periode II und Ill: 870. Schlagfrequenz: 25 pro Minute. & Fiktive org Fiktiver Periode Dana: Verbauch | Anal | Wärme- ba ur | Wirkungs- mm Hg ccm gcm | tönung Kalorien | grad I 4,0 0,144 2151 0,742 0,051 70 II 25,0 0,225 10700 1,160 0,207 18 0 III 2,0 0,161 1060 0,829 0,025 3 %0 2. Versuch vom 2. März 1911 p. m. R. temporaria d, 45 g. Dauer einer Periode: 30 Minuten. Zahl der Kontraktionen in Periode I, II und III: 800. Schlagfrequenz: 27 pro Minute. Or ? Fiktive | Fiktiver Periode Umuak Verbrauch | Arbeit Wärme- beit N | Wirkungs- mm Hg, ccm gcm tönung Kalorien grad I 4,2 0,104 579 0,535 0,136 25,9 0/0 11 20,2 0,191 8160 0,985 0,232 23,5 %/o 111 4,0 0,092 946 0,474 0,112 23,9 %/o 3. Versuch vom 6. März 1911 a. m. R. temporaria &, 40 g. Herzgewicht: 0,109 g. Dauer einer Periode: 35 Minuten. Zahl der Kontraktionen in Periode I, II und III: 600. Schlag- frequenz: 17 pro Minute. Arbeit und Gaswechsel am Froschherzen. Anl O,- : Fiktive ang Fiktiver Periode Druck | Verbrauch | Arbeit Wärme- aaa an | Wirkungs- mm Hg ccm gem tönung Kalorien grad I 11,4 0,126 4390 0,650 0,104 16,0 °/0 u 34,0 0,135 6680 0,696 0,158 22,5 Yo Il 12,0 0,135 4040 0,696 0,095 13,5 %0 4, Versuch vom 2. März 1911 a. m. R. temporaria &, 50 g. Herzgewicht: 0,083 g. Dauer einer Periode: 42 Min. Zahl der Kontraktionen in Periode I: 1060, Periode II: 1000, Periode III: 1100. Schlagfrequenz: ca. 25 pro Min. O;- | Fiktive Bei Fiktiver Periode | Druck IE er, Arbeit | Wärme- all m BR | mm Hg | ccm | gcm tönung Kalorien | grad I 9,4 0,208 6724 1,070 0,159 15 %o II 23,6 0,209 9000 1,080 0,213 20 °/o 1001 8,8 0,199 4670 1,020 0,111 11% 9. Versuch vom 3. März 1911 a. m. R. temporaria &, 52 g. Herzgewicht: 0,124 g. Dauer einer Perioda: 60 Min. Zahl der Kontraktionen in Periode I: 585, Periode II: 740, Periode III: 720 Schlagfrequenz: 10 bzw. 12 pro Min. O5- Fiktive | .... | Fiktiver Periode | Duuck | Verbrauch rheil Wärme- el N | Wirkungs- | mm Hg | ccm gcm | tönung | Kalorien grad I 10,6 0,213 8080 1,095 0,191 17 0 1 37,2 0,235 16600 1,210 0,393 36 %/o II 9,2 0,203 7480 1,040 0,176 17 %0 6. Versuch vom 13. Februar 1911. R. temporaria d. Dauer einer Periode: 35—40 Minuten. Zahl der Kon- traktionen in Periode I: 900, Periode II: 1010, Periode III: 1020, Periode IV: 1005. Schlagfrequenz: 26 pro Minute. O,- : Fiktive Re: Fiktiver Periode Druck Verbrauch Arbeit Wärme- Arbeit m Wirkungs- mm Hg ccm gcm tönung Kalorien grad I 9,6 0,195 7110 1,010 0,168 6,7 %/0 II 30,0 0,220 13900 1,140 0,328 30,6 %/o III 1,2 0,210 6140 1,080 0,146 3,9 0/0 IV 32,2 0,232 11600 1,195 0,275 23,0 %/o V 80 0,192 5230 0,990 0,124 12,5 /o Zu Versuch vom 3. März 1911 a. m. ist zu bemerken, dass bei der Prä- paration ein sehr kleines Stück Vorhof unterhalb der Ligatur, also in Verbindung mit dem Ventrikel, blieb; die Folge war, dass der ganze Versuch mit dem spontan 474 Viktor Weizsäcker: schlagenden Herzen ausgeführt werden konnte. Man wird bemerken, dass die Grössenordnung von Arbeit und Stoffwechsel sich von der der übrigen Versuche nicht unterscheidet; sehr erhebliche Differenzen können also zwischen dem auto- matischen und künstlich erregten Ventrikel kaum bestehen. Vgl. S. 463. Diese sechs Versuche sind in zwei Gruppen zu sondern. Die beiden ersten unterscheiden sich von den vorher mitgeteilten nicht prinzipiell. Die vier letzten dagegen fallen dadurch auf, dass bei ihnen die Vermehrung des Gasverbrauches bei höherem Druck zwar überall vorhanden, aber bedeutend geringer ist als in den übrigen Versuchen. Der Grund liegt meines Erachtens darin, dass hier Druckhöhen mit- einander verglichen wurden, die durchweg relativ hoch liegen. Auch die niedrigeren Drucke liegen durchschnittlich bei 9 mm Hg, während wir früher immer auch Drucke zwischen 1 und 5 mm Hg heran- gezogen hatten. Danach scheinen also diese Herzen schon bei ca. 9 mm Hg nahezu ihr Maximum an chemischer Spannkraft ausgelöst zu haben; weitere Erhöhung des Druckes vermag den Stoffwechsel nicht mehr zu steigern; wohl aber vermag die Arbeit noch erheblich zu wachsen, und damit hängt zusammen, dass auch der Wirkungs- erad in dieser Druckzone einer bedeutenden Verbesserung noch fähig war. Es liegt nun ferner sehr nahe, den negativen Ausfall der Ver- suche mit der Ermüdungsmethode darauf zurückzuführen, dass die- selben grösstenteils in ebendieser Druckzone ausgeführt sind, inner- halb welcher zwar noch die Arbeit, nicht aber der Stoffwechsel einer wesentlichen Steigerung fähig ist. Hinzu kommt, dass jene Versuche mit Sommerfröschen von erheblich ungünstigerer Qualität ausgeführt sind, bei Individuen, deren Anpassungsfähigkeiten möglicherweise beträchtlich geringer waren. Die Ermüdungsgeschwindigkeit dürfte sich also bei verschiedener Arbeitsleistung relativ konstant erwiesen haben aus zwei Gründen: erstens, weil der Gaswechsel überhaupt viel weniger stark schwankt als die zugehörige Arbeit, und zweitens, weil in der untersuchten Druckzone diese Schwankungen noch viel geringer sind als bei den nicht untersuchten niedrigen Druckhöhen. Es muss zugegeben werden, dass in den Versuchen vom 18. Februar a. m., 10. März a. m. und 18. Februar p. m. ähnliche Druckverhältnisse auftreten wie in den drei zuletzt miteeteilten, und dass dort die Zunahme des Gaswechsels auch in jener höheren Druekzone etwas erheblicher ist; allein auch dort fällt auf, dass die Zunahmen des O,-Verbrauches in der Druckzone 0O—10 mm Hg weit erösser sind als in der höheren Zone 10—30 mm He. Arbeit und Gaswechsel am Froschherzen. 475 Man kann sich nach alledem von diesen Abhängigkeitsbeziehungen etwa folgendes Bild entwerfen (Fig. 4). Mit zunehmendem Anfangs- druck steigt die Herzarbeit zuerst rasch, dann langsam, und endlich sinkt sie. Gleichzeitig steigt auch der Stoffwechsel, zwar gleichfalls zuerst rasch, dann langsam, im ganzen aber in einer relativ viel kleineren Variationsbreite als die Arbeit. Ausserdem scheint die Steigerungsfähigkeit des Stoffwechsels sich viel früher ihrer Grenze zu nähern als die der Arbeit; ob die Kurve des O,-Verbrauches bei den höchsten Drucken wieder absinkt, ist bisher nicht ermittelt worden. Naturgemäss sind die sehr starken Dehnungen der Herzwand von Schädigungen begleitet. Dieselben er- schweren daher die Untersuchung der arntetounng letzterwähnten Frage. Kalorien Die schematische Darstellung die- ser Verhältnisse in Kurvenform wird insbesondere auch das Verhalten des | fiktiven Wirkungsgrades deutlicher machen. Derselbe entspricht dem Längenverhältnis der Ordinaten, welche die zwei Kurven bei ein und demselben Druck besitzen. Auch der Wirkungs- grad wird im allgemeinen in der untersten Druckzone sehr rasch steigen müssen. Es sei nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass die hier gefundenen Verhältnisse eine grosse Ähnlichkeit mit dem aufweisen, was am Skelettmuskel von Fick !) mit der thermoelektrischen Methode festgestellt ist. Die Verwandtschaft der Resultate erstreckt sich nicht allein auf die starke Zunahme des Wirkungsgrades bei zunehmender Belastung, sie besteht auch in dem Punkte, dass die Wärmetönung auch am Skelettmuskel bei höheren Belastungen kaum noch zunimnt, während die Arbeitsleistung sich noch verdoppeln kann, wie die auf S. 476 stehende Gegenüberstellung zeigt. Die von Fick gefundenen Wirkungsgrade schwanken zwischen 6° und 27°/o; die von mir beobachteten Grenzwerte betragen 1,5 %/o Arbeit 10 20 30 mm. Hg. Fig.4. 1) Vgl. Nagel’s Handb. d. Physiol. Bd. 4 S. 495. 476 Viktor Weizsäcker: und 36 °o, liegen also jedenfalls auf der gleichen Durchschnittshöhe. (Ficks Angaben sind in Mikrokalorien, nicht in Grammkalorien ausgedrückt.) Wärme- Arbeit Wirkungs- | Du tönung in Kalorien grad Skelettmuskel 80 23,9 3,94 14 % (Fick, Monographie) 200 25,6 6,83 27 9/6 Herzmuskel 10,6 1,09 0 17 %/o (Vers. vom 3. März 1911) 37,2 1,21 0,39 36 9/0 Von Interesse ist endlich die Frage, ob 1 g Muskelsubstanz bei beiden Muskelarten Leistungen ähnlicher Grössenordnung aufzuweisen habe. Die grösste Arbeitsleistung, die ich beobachtet habe, betrug pro Kontraktion 22,4 gem. Das Herz war in frischem Zustand und von flüssigem Inhalt sorgfältig befreit 0,124 g schwer. Es ergeben sich folgende Werte: Arbeit pro Kontraktion Zusehanies Tem- ro 1 g Muskel arme- N 1% g Muske fönnefın peratur gcm Mikrokalor. | Mikrokalor. (Oh Skelettmuskel [Fick!)] = Versuch vom 11. Okt. 1877 \ 27,4 0,65 2,48 11,5 Herzmuskel ; (Versuch vom 3. März 1911) h 180,5 4,25 11,95 16,0 Weder in Fiek’s Versuchen noch in den meinigen ist die Grösse der durch Elastizität geleisteten Arbeit berechnet und ab- gezogen worden. In dieser Hinsicht steht also dem Vergleich beider Versuchsreihen nichts im Wege. Eine andere Frage ist, ob in beiden Versuchen das Optimum der Belastung vorhanden und die maximal erzielbare Arbeit annähernd zur Beobachtung kam. Ein Blick auf Fick’s Tabellen (l. ec.) lehrt, dass von 400 & Belastung ab die Arbeit wenig mehr steigt: ein Beweis, dass in dem zitierten Ver- such (Belastung 300) das Maximum annähernd erreicht war. Das- selbe lässt sich von meinem Versuche sagen. Daher ergibt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit, dass 1 g Herzmuskelsubstanz eine 6—7 mal 1) Fick, Myothermische Untersuchungen 1889 S. 121 und 126 unter Berücksichtigung der verbesserten Berechnungsweise in der Monographie „Mechanische Arbeit und Wärmeentwicklung“. Arbeit und Gaswechsel am Froschherzen. 477 grössere Arbeit mit einer Kontraktion zu leisten vermag als 1 g Skelettmuskel, und dass auch sein Stoffwechsel als ein in ent- sprechendem Maasse lebhafterer angenommen werden darf. Zuntz ist bekanntlich auf ganz anderem Wege beim Warmblüter zu dem- selben Ergebnisse gelangt!). Muss es auch als vorläufig aussichtslos bezeichnet werden, diese bedeutende Differenz zwischen Herz- und Skelettmuskel in ursächliche Verbindung mit anderen physiologischen Unterschieden der beiden Gewebsarten zu bringen, — dass die grössere Lebhaftigkeit des Stoffwechsels mit anderen Eigentümlich- keiten der Herzfunktion eng verknüpft sei, ist eine jedenfalls ver- loekende Annahme. Im übrigen wird man sagen müssen, dass die bisher vorliegenden Untersuchungen geeignet sind, die thermodynamischen Verhältnisse des Herzmuskels in eine hervorragend enge Beziehung zu denjenigen des Skelettmuskels zu bringen. Der in diesem Zusammenhang wichtigste Unterschied beider Muskelarten ist das sogenannte Alles- oder-Nichts-Gesetz; man wird sich vergegenwärtigen müssen, dass die oben zum Vergleich herangezogene Untersuchung von Fick bei maximal gereizten Skelettmuskeln angestellt sind, Muskein also, die wohl am besten in Analogie zum Herzmuskel zu setzen sind, weil sie eben, wie das Herz, — wenn der Ausdruck gestattet ist — alles hergeben müssen, was sie hergeben können. Wie der Skelettmuskel, so besitzt auch der völlig isolierte Ventrikel des Frosches die im Grunde sehr rätselhafte Fähigkeit, auf eine dem Stoffwechsel so heterogene Einwirkung, wie sie die Dehnung der Muskelfaser vorstellt, mit einer höchst beweglichen und momentanen Akkommodation des Stoffwechsels zu reagieren. Über den Wirkungs- mechanismus dieser Reaktion wird man sich selbst der Hypothesen enthalten müssen. Doch mag die Bemerkung gestattet sein, dass in den bisher bekannt gewordenen Kontraktionstheorien die untrenn- bare Verknüpfung von Dehnungszustand und Intensität der chemischen Funktion eine auffallende Vernachlässigung erfahren hat. Sie mag ihren Grund vielleicht weniger im Mangel einer gebührenden Be- wertung dieser Tatsache haben — schon Fick zählt sie zu den „glänzendsten physiologischen Entdeckungen der Neuzeit“ — als in der Unmöglichkeit, dieser fundamentalen Erscheinung mit physikalisch- chemischen Bildern irgendwie gerecht zu werden. 1) Vgl. Nagel’s Handb. Bd. 1 S. 873. 478 Viktor Weizsäcker: Arbeit und Gaswechsel am Froschherzen. Zusammenfassung. Die Ausarbeitung einer Methode, am isolierten Frosehherzen Arbeitsleistung und Gaswechsel quantitativ zu bestimmen, eröffnet die Möglichkeit, die entsprechenden Untersuchungen am Warmblüter- herzen in einigen Fragen wirksam zu ergänzen. Von den bisherigen Resultaten sind einige, welche die Einwirkung des Anfangsdruckes auf die auxobarische Herztätigkeit betreffen, mitgeteilt worden. Es geht aus denselben hervor: 1. dass mit zunehmendem Anfangsdruck nicht nur die Arbeit, sondern auch der Sauerstoffverbrauch zunimmt; 2. dass der Anstieg des Sauerstoffverbrauches als Funktion des Druckes betrachtet zuerst rasch, dann sehr langsam erfolgt, sich also vermutlich einem Maximum annähert ; 3. dass der nahezu maximale Stoffwechsel in einer Druckzone besteht, in welcher die Arbeitsleistung noch einer bedeutenden Steigerung fähig ist. 4. Aus kritischen Rücksichten wird der Begriff einer fiktiven Wärmetönung und eines fiktiven Wirkungsgrades (ökonomischen Quotienten) aufgestellt. Da die fiktive Wärmetönung relativ viel langsamer zunimmt als die Arbeitsleistung, so zeigt der fiktive Wirkungsgrad bei (bis zum Druckoptimum) zunehmendem Druck eine fortwährende Zunahme. 9. Es existiert am Herzen also erstens eine Akkommodation der Arbeit, zweitens eine solche des Stoffwechsels und drittens eine Akkommodation des Wirkungsgrades. 6. Diese Resultate stehen in guter Übereinstimmung mit einigen thermodynamischen Erscheinungen des Skelettmuskels (Fick). Man wird nach ihnen geneigt sein, einen prinzipiellen Unter- schied zwischen Herzmuskel und dem maximal gereizten Skelett- muskel im thermodynamischen Verhalten vorläufig abzulehnen. 7. Die maximale Arbeit und die maximale fiktive Wärme- tönung sind beim Herzen für 1 g Muskelsubstauz 6—7 mal grösser als beim Skelettmuskel. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Leipzig.) Über das Verhalten des Sehpurpurs beim Tagessehen. Von Victor Bauer, Neapel. Die Anschauung, welche im Sehpurpur den Transformator von strahlender Energie in chemische Veränderungen sieht, die ihrerseits direkt oder indirekt den Nervenreiz darstellen, hat sich ziemlich allgemein durchgesetzt. Welche der mannigfachen Leistungen des menschlichen Sehapparates im speziellen an das Vorhandensein des Purpurs gebunden ist, darüber sind die Ansichten geteilt. Durch die Entdeckung Kühne’s, dass sich der Farbstoff nur in einem der beiden morphologischen Elemente des Sehepithels, in den Stäbchen, findet, während er den Zapfen fehlt!), wurde die Vorstellung von der Rolle des Sehpurpurs notwendigerweise verknüpft mit den ver- schiedenen Theorien, die über die Bedeutung dieser Elemente ent- wickelt worden sind. Die zuerst von M. Schultze vertretene Ansicht von der ver- schiedenen Funktion der Stäbchen und Zapfen der menschlichen Netzhaut wurde durch v. Kries zu der sog. Duplizitätstheorie entwickelt. Im wesentlichen scheint mir diese Theorie zu besagen, dass, während die Empfindung der Farben ausschliesslich an die Er- reoung der Zapfen gebunden sei, für die Empfindung der farblosen Helligskeiten je nach deren Intensität Erregungen von zwei ver- schiedenen Arten lichtempfindlicher Elemente, eben den Stäbchen und Zapfen, angenommen werden müssten. Die grosse Empfindlich- keit der Stäbchen und die relativ geringere der Zapfen soll es mit sich bringen, dass beide Elemente gewissermaassen vikariierend für die gleiche Funktion eintreten. Der Stäbchenerregung soll beim „Dämmerungssehen“ die Empfindung eines lichtschwachen (nach 1) W. Kühne, Heidelberger Untersuchungen Bd. 1 8. 22. 1877. 480 ; Victor Bauer: v. Kries leicht bläulichen) Grau entsprechen, der Zapfenerregung beim „Tagessehen“ die von hellerem Grau bis zum hellsten Weiss und ausserdem die Empfindung der Farben. In der Hauptsache stützt sich diese Anschauung auf die besonders von Trendelen- burg!) untersuchte Tatsache, dass zwischen den Helligkeitswerten lichtschwacher spektraler Lichter für das dunkeladaptierte Auge und der Absorptionskurve sowie der Bleichungsgeschwindigkeit des Seh- purpurs eine weitgehende Übereinstimmung besteht. Da nun diese Übereinstimmung bei grösseren Lichtstärken und entsprechendem Adaptationszustand fortfällt, indem urter diesen Verhältnissen die relativen Helligkeiten spektraler Lichter wesentlich andere sind, be- zeichnet v. Kries den purpurhaltigen Bestandteil der Netzhaut als Dämmerungsorgan. Wenn er auch die Annahme verschieden empfind- licher und durch verschiedene Absorptionsverhältnisse ausgezeichneter Sehstoffe in ein und denselben morphologischen Elementen nicht geradezu ablehnt?), so scheint er doch der Hypothese den Vorzug zu geben, dass Tagessehen und Dämmerungssehen auf verschiedene Elemente verteilt seien, und dass wie der Sehpurpur so auch die Stäbchen nur bei letzterem eine Rolle spielten (s. in Nagel’s Handb. Bd. 3 S. 184). Die in dieser Hypothese enthaltene Vorstellung, dass die Zer- setzung des Sehpurpurs, auf der seine Funktion als Sehstoff beruht, nur in der Dämmerung stattfinden soll, wird von den Anhängern der Duplizitätstheorie, soviel ich sehe, damit begründet, dass im hellen Tageslicht die im Dunkeln gebildete Purpurmenge, auf deren Anhäufung die Empfindlichkeit der Stäbehen beruht, erschöpft oder doch so weit reduziert sei, dass keine zur Erzeugung des Nerven- reizes ausreichende Menge in der Zeiteinheit mehr zersetzt werden könne. Diese Annahme erhält ihre Stütze durch die schon von Boll beobachtete Tatsache, dass die Netzhäute im Hellen gehaltener Frösche nur blass gefärbt sind, und dass sie nach längerer Blendung mit direktem Sonnenlicht sogar farblos werden können. Soweit die Duplizitätstheorie. Dieser Anschauung, dass nämlich die Stäbchen nur bei schwacher Beleuchtung funktionieren sollen, 1) W. Trendelenburg, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1904 Suppl. S. 228 bis 240. — Zeitschr. f. Phys. u. Psych. d. Sinnesorgane Bd. 37 S. 1—55. 1905. 2) Auf diese Möglichkeit hatte schon Kühne hingewiesen. Siehe in Hermann’s Handb. Bd. 3 S. 332. Über das Verhalten des Sehpurpurs beim Tagessehen. 481 und dass somit auch der Purpur seine wesentliche Rolle nur beim sog. Dämmerungssehen spiele, tritt Hering entgegen. Zunächst weist er darauf hin, dass es nicht angeht, aus der Intensität der beobachteten Purpurfärbung einer Netzhaut ein Urteil darüber zu fällen, ob der Farbstoff in einer zur normalen Funktion hinreichenden Menge vorhanden ist oder nicht. „Jede zureichend verdünnte Lösung eines Farbstoffs erscheint farblos, und wenn man den Purpurgehalt des für starke Dämmerung angepassten Empfangsorgans gleich 1 setzt, brauchte derselbe bei einer hundertmal stärkeren Beleuchtung weniger als Y/ıoo zu betragen, damit beidenfalls dieselbe Liehtmenge absorbiert, gleichviel Sehpurpur zersetzt und die nervöse Substanz der Netzhaut gleich stark gereizt würde.“ !) Sodann betont Hering, dass es auf den jeweiligen Gehalt an Sehpurpur gar nicht ankommt, sondern auf die Intensität des Verbrauchs und der Produktion. Wäre die Produktion des bei der Umwandlung des Lichts in chemische Energie und damit in Nervenreiz verbrauchten Purpurs unter allen Umständen gleich gross, so müsste natürlich bei starker Beleuchtung der Purpurgehalt ab- nehmen. Dadurch würde aber auch die durch den Purpur hervor- gerufene Absorptionsfähigkeit der lichtempfindlichen Substanz ge- ringer werden, d.h. es müsste sich für jede gegebene Lichtintensität allmählich ein Gleichgewicht zwischen Zersetzung und Produktion ausbilden, derart, dass bei der als konstant angenommenen Produktion auch die in der Zeiteinheit gebildete Menge an Zersetzungsprodukten stets die gleiche wäre. Bei erreichter Anpassung des Sehorgans wäre dann zwar der jeweilige Gehalt an Sehstoff ein je nach der Intensität der Beleuchtung verschiedener, die Grösse des Ver- brauchs aber immer dieselbe (s. Hering]. e. S. 113). Die Annahme einer Konstanz der Purpurproduktion würde also den Verzicht darauf bedeuten, die Grösse des Verbrauchs an Sehstoff zu der Intensität des Reizlichtes und zu der Stärke der entsprechenden Empfindung in Beziehung zu setzen. Nach erreichter Adaptation wäre der Verbrauch stets der gleiche, trotz sehr variabler, von der Beleuchtung abhängiger Helligkeitsempfindung. Demgegenüber steht die Vermutung, dass die purpurhaltige Substanz der Stäbchen, wie alle anderen bekannten lebendigen Sub- 1) E. Hering, Grundzüge der Lehre vom Lichtsinn, in Handb. f. Augen- heilkunde Bd. 1 Kap. 12 S. 114. 1907. 489 Vietor Bauer: stanzen, sich an den jeweiligen Verbrauch zu adaptieren vermag, d. h. dass die Produktion des Purpurs nicht konstant, sondern vom jeweiligen Verbrauch abhängig ist (s. Hering, l. c.). Und in diesem Falle ist nicht einzusehen, warum er nicht ebenso bei starkem wie bei schwachem Verbrauch seine Rolle als Sehstoff spielen und ebensowohl die Empfindung eines lichtschwachen Grau wie die des intensivsten Weiss vermitteln könne. Dass wir im Hellauge im allgemeinen weniger Purpur finden als im verdunkelten, steht mit der Annahme einer wechselnden Produktionsgeschwindiekeit Kkeines- wegs in Widerspruch. Denn „ebensowenig wie der Stand des Wassers in einem Gefässe, welches einen gleichzeitigen Zu- und Abfluss hat, uns Aufschluss über die in der Zeiteinheit zu- und abftiessende Wassermenge gibt, ebensowenig können wir aus dem jeweiligen Ge- halt des Sehepithels an Empfangsstoff das Ausmaass des eben statt- findenden Verbrauches des letzteren ableiten, und wie trotz einem niedrigen Wasserstande ein starker Wasserzufluss deshalb stattfinden kann, weil gleichzeitig ein ebenso starker Abfluss besteht, kann mit einem sehr kleinen Gehalt an Empfangsstoff eine relativ starke Pro- duktion desselben verbunden sein, wenn die Stärke der Belichtung einen der Produktion gleich starken Verbrauch desselben bewirkt“ (Hering l. e. S. 114). Wie hier vorweggenommen Sei, stimmt das Er- gsebnis meiner Versuche mit der Annahme Hering’s über- ein, dass bei starker Beleuchtung einem vermehrten Verbrauch auch ein stärkerer Ersatz des Sehpurpurs entspreche. Was nun Hering’s Stellung zur Frage der Verschiebung der relativen Helligkeiten farbiger Lichter und der Verteilung der farb- losen Helligkeitsempfindung auf die Erregung verschiedener peri- pherer Apparate betrifft, die einen wesentlichen Bestandteil der v. Kries’schen Duplizitätstheorie ausmacht, so führt bekanntlich Hering eine Trennung der von ihm so benannten „Sehsubstanz“, als einer psychophysischen Substanz im Sinne Fechner’s, von den peripheren lichtzersetzlichen Körpern ein, die er als „Empfangstoffe“ bezeichnet. Nach dieser Auffassung kann sehr wohl die Zersetzung eines Empfangstoffes (des Stäbehenpurpurs) lediglich für die Hellig- keit der Schwarz-Weiss-Empfindungen, die Zersetzung anderer, weniger empfindlicher Zapfen-Empfangstoffe gleichzeitig für farbige und für farblose Lichtempfindungen bestimmend sein. Über das Verhalten des Sehpurpurs beim Tagessehen. 483 Nach diesen vorausgeschickten Erläuterungen lässt sich unser Thema, wie folgt, formulieren: Sind die Stäbchen mit ihrem Sehpurpur, wie v. Kries annimmt, nur ein Dämmerungs- apparat, oder spielt der Sehpurpur die gleiche Rolle eines Empfangstoffes sowohl bei schwacher wie bei starker Tagesbeleuchtung, indem den wechselnden Anforderungen durch die von Hering angenommene Adaptationsfähigkeit Rechnung getragen wird? Ehe ich in die Behandlung des Stoffes eintrete, sei es mir ge- stattet, dem Gefühl aufrichtigen Dankes auch an dieser Stelle Aus- druck zu geben, das mich gegen Herrn Geheimrat Hering, dem ich die Anregung zu dieser Arbeit und stets bereite Hilfe bei ihrer Ausführung verdanke, sowie gegen Herrn Dr. v. Brücke und Herrn Dr. Dittler erfüllt, die mir durch ihr freundliches Entgegenkommen den Aufenthalt am Leipziger physiologischen Institut äusserst an- regend und wertvoll gestaltet haben. I. Für die Auffassung, dass die im verdunkelten Auge angehäufte Purpurmenge beim lebenden Tier durch Aufenthalt in hellem Licht eine erhebliche Minderung, eventuell völlige Erschöpfung erfahre, wäre zunächst der Nachweis erforderlich, dass die Netzhäute eines normalen, in seiner gewöhnlichen Umgebung bei heller Tagesbeleuchtung befindlichen Tieres wesentlich purpurärmer seien als die eines im Dunkeln oder im Dämmerlicht gehaltenen. Bei den Versuchen, die Zeit und die Intensität der Beleuchtung zu bestimmen, welche bei Kalt- und Warmblütern zu erkennbarem und zu völligem Ausbleichen erforderlich war, fand Kühne als auffälligste Erscheinung eine ausserordentliche Widerstandsfähigkeit der Purpurfarbe der in situ befindlichen lebenden Netzhaut gegen das helle Tages- licht, die bei der bekannten Hinfälligkeit der Rotfärbung an isolierten Netzhäuten überraschen musste: „Schon das ausgeschnittene un- versehrte Froschauge braucht viel Licht, um Spuren von Veränderungen seines Sehpurpurs erkennen zu lassen, vollends das Auge im Zu- sammenhange mit seinem Besitzer, also intra vitam. Ohne direktes Sonnenlicht ist es mir im Zimmer nie gelungen, Froschnetzhäute frei von Sehpurpur zu ziehen, auch nicht, wenn ich die Tiere am Fenster den ganzen Tag unter Gläsern oder an langen Fäden ge- bunden unbedeckt umherspringen liess“ (W. Kühne, Heidelb. AA Victor Bauer: Unters. I. S. 67). Genauere Bestimmungen!) ergaben, „dass Licht, welches für die Zwecke des Sehens weitaus genügt, die Retinafarbe gar nicht angreift und solches, das diese Intensität mindestens hundertfach überschreitet, beträchtliche Zeit, ja direktes Sonnenlicht wenigstens 10 Minuten bedarf, um den Sehpurpur merklich zu ändern oder total zu entfärben.“ Um die Netzhäute sicher zu bleichen, setzte er die Frösche auf weisser Unterlage, rings von Glas um- geben, vom Morgen bis Mittag direktem Sonnenlicht aus. Das sind natürlich Lichtintensitäten, wie sie unter normalen Verhältnissen kaum je die Augen der Frösche treffen dürften. Wie beharrlich übrigens diese Tiere hellem Licht zu entgehen suchen und immer, auch unter erschwerenden Bedingungen, dem Schatten zustreben, hat Kühne selbst ausführlich mitgeteilt (Über das Sehen ohne Purpur, Heidelb. Unters. I. 1877). Ähnlich beständig fand Kühne die Purpurfarbe in der lebenden Fischnetzhaut (Heidelb. Unters. III. p. 221— 277). Die Netzhautfarbe der Säuger (Kaninchen) wird erheblich, mindestens 60 mal, schneller gebleicht. Doch beziehen sich die kurzen Zeiten, welche nach Kühne zur Erzeugung eines Optogramms, d.h. einer merklichen lokalen Bleichung, genügen, nach seiner eigenen Angabe auf Augen mit durch Atropin künstlich erweiterter Pupille. Wenn die Pupille sieh bei intensivem Licht in normaler Weise ver- engern konnte, war in weniger als 5—6 Minuten keine Bleichung zu erzielen. Für dieselben Tiere macht Garten?) folgende An- gabe: „Nach eigenen Versuchen an Kaninchen möchte ich vermuten, dass nur in extremen Fällen die Netzhaut vollständig purpurfrei wird. So fand ich bei Kaninchen, die bei hellen Sonnentagen stundenlang im Schatten gegrast hatten, in den sofort nach Tötung alaunisierten Netzhäuten eine ganz deutlich za erkennende Rotfärbung, die im Licht zu Gelb ausbleichte.“ Ich kann hinzufügen, dass bei Kaninchen, denen ein Auge verbunden war, nach mehrstündigem Aufenthalt in hellem Tageslicht die Netzhaut des beleuchteten Auges zwar erheblich bleicher als die des verdunkelten, aber doch stets deutlich rosa ge- färbt war (zur Präparation der Netzhäute habe ich ebenfalls die von 1) A. Ewald und W. Kühne, Untersuchungen über den Sehpurpur. II. Heidelberger Untersuchungen Bd. 1 S. 370 ff. 1878. 2) In: Graefe-Saemisch, Handb. f. Augenheilk. Bd. 1 Kap. 12 Anhang S. 153. 1908. Über das Verbalten des Sehpurpurs beim Tagessehen. 485 Kühne angegebene Alaunhärtung benutzt). Mit Recht weist übrigens Kühne darauf hin, dass die zur Erzeugung lokaler Bleichung ge- fundenen Zeiten verglichen mit der normalen Funktionsweise viel zu kurz ausfallen dürften, da die Augen zur Erzeugung scharfer Optogramme fixiert wurden, während normalerweise infolge der fort- gesetzten Kopf- und Augenbewegungen immer neue Netzhautstellen von den hellen Stellen des Gesichtsfeldes getroffen werden. In gleichem Sinne dürfte das periodische Schliessen der Augenlider wirken. Allerdings konnte Kühne durch Nachahmung des Lider- schlags mit einem periodisch am Auge vorübergezogenen schwarzen Papier beim Kaninchen keine wesentliche Verzögerung des Aus- bleichens im’ hellen Licht bemerken. Beobachtung der ungestört grasenden Kaninchen zeigte aber, dass diese die Augen zuweilen für längere Zeit zu schliessen pflegen). Auch für die menschliche Retina besitzen wir einige Angaben, welche für die grosse Beständigkeit der Purpurfarbe im lebenden Auge sprechen (Kühne, Heidelb. Unters. I. S. 381, I. S. 89, III. S. 194, IV. S. 280). Kühne gewann sogar nach seinen an frischen menschlichen Augen gewonnenen Frfahrungen den Eindruck, dass die isoliert keinem tierischen Sehpurpur an Lichtempfindlichkeit nachstehende Netzhautfarbe des Menschen im Leben bedeutend re- sistenter ist als bei allen von ihm darauf untersuchten Tieren. Wenn also im allgemeinen keine Rede davon sein kann, dass die Netzhäute in normaler Tagesbeleuchtung befindlicher Tiere bei Vermeidung übertriebener und unter natürlichen Verhältnissen kaum vorkommender Lichtstärken völlig farblos werden, ist andererseits nicht zu bestreiten, dass schon nach kurzem Aufenthalt in hellem Licht die Purpurfarbe eines bisher im Dunkeln gehaltenen Tieres erheblich blasser wird und eventuell völlig ausbleicht. Zum Ver- ständnis dieser scheinbar widersprechenden Tatsachen werden wir, wie ich glaube, durch folgenden Versuch geführt: Bindet man zwei zuvor mehrere Stunden im Dunkeln gehaltene Frösche so auf, dass sie den Kopf nicht bewegen können, schneidet ihnen die Augenlider ab, kehrt sie gegen den hellen Himmel und untersucht die Netzhautfarbe des einen nach 30 Minuten, die des andern nach mehreren Stunden, so wird man die Netzhaut des ersteren stark gebleicht, die des 1) A. Ewald und W. Kühne, Untersuchungen über den Sehpurpur. III. Heidelberger Untersuchungen Bd, 1 S. 383. 1878. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 32 486 Victor Bauer: längere Zeit belichteten jedoch schön rot gefärbt finden. Während also die bleichende Wirkung des Lichts in der ersten Zeit nach der Verdunkelung sehr stark ist, adaptiert sich das Auge allmählich an die bestehenden Beleuchtungsverhältnisse, und die Purpurfarbe erlangt die von verschiedenen Beobachtern festgestellte Widerstands- fähigkeit. Damit ist jedoch zunächst noch nicht erwiesen, dass an der Adaptation eine gesteigerte Produktion oder eine irgendwie ver- ringerte Zersetzlichkeit des Purpurs beteiligt ist, da bekanntlich das Froschauge über andere Adaptationsmechanismen verfügt. Zunächst ist an die Pupillenverengerung zu denken, und in der Tat kann man beobachten, dass die im Dunkeln fast kreisförmig gewordenen Pupillen erst ganz allmählich die in hellem Tageslicht gewöhnliche Schlitz- form annehmen. Ferner könnte auch die Verschiebung des. Innen- pigmentes eine Herabsetzung des die Stäbchen treffenden Lichtes bewirken. Man kann daher den Versuch zweckmässiger so anstellen, dass man die Tiere vor der Bleichung zunächst längere Zeit bei schwacher Tagesbeleuchtung hält. Das Pigment befindet sich dann wahrscheinlich zu Beginn des Versuchs bereits in Tagesstellung, und auch die Pupille ändert sich beim Übergang zu hellem Licht nicht mehr merklich. Trotzdem werden auch die Netzhäute solcher Tiere von direktem Sonnenlicht anfänglich rasch gebleicht, nehmen aber nach mehrstündiger starker Belichtung wieder ihre rote Farbe an. Als Beispiel mehrerer mit gleichem Ergebnis angestellter Versuche möchte ich den folgenden mitteilen: 15. November 1910. Erster Frosch (bisher in einem halbdunklen Korridor) 10 Uhr morgens aufgebunden. Sonniger Tag. Frosch von Mittag an von der Sonne beschienen. Zweiter Frosch (bisher im halbdunklen Korridor) 3 Uhr 50 Min. neben dem ersten aufgebunden. Pupillen bei beiden gleich, Um 4 Uhr die Netzhäute kontrolliert. Beim ersten Frosch beide Netzhäute gleichmässig rosa [etwa Or_s nach der Garten’schen Skala!). Bei dem zweiten Frosch grosse, etwa ?/s der Netzhäute einnehmende, ganz farblose Optogramme. Im übrigen etwa D,?). 1) Gemeint ist hier wie im folgenden die von Garten im Arch. f. Ophthalm. Bd. 63 Taf. VII mitgeteilte Skala zur Beurteilung der Netzhautfarbe. 2) Herr Prof. Garten hatte die Freundlichkeit, mich darauf aufmerksam zu machen, dass die Färbunrgsverschiedenheit der Netzhäute bei den verschieden lang belichteten Tieren eine scheinbare sein könne, dadurch vorgetäuscht, dass immer gerade bei den kurz belichteten die Stäbchen in grösserer Zahl beim Herausnehmen der Netzhaut abgerissen und am Pigmentepithel hängen geblieben seien. Ich habe zwar das Aussehen der Netzhäute bei meinen Versuchen nicht Über das Verhalten des Sehpurpurs beim Tagessehen. 487 Diese Versuche sprechen meines Erachtens dafür, dass der Seh- purpur bei längerer Belichtung sich nicht nur unter dem Schutz von Adaptationseinrichtungen, die den Lichteinfall ins Auge abschwächen, anreichert, sondern dass die im Purpur selbst ablaufenden, die Zer- setzung kompensierenden Vorgänge einer Adaptation fähig sind. Wenden wir uns der Frage zu, welcher Art diese Vorgänge sind, speziell welche der beiden von Kühne ins Auge gefassten Möglich- keiten, die einer gesteigerten Indolenz oder die einer vermehrten Produktion des Purpurs, mehr Wahrscheinlichkeit besitzt. 1. Kühne kommt nach seinen Untersuchungen zu dem Resultat, dass es bisher nicht entschieden sei, ob die Lichtbeständigkeit des Purpurs im lebenden Auge auf einer wirklichen Indolenz beruht oder auf einer scheinbaren, bewirkt durch die den Verbrauch jeweils kompensierende Produktion. „Es konnte also nur die Be- obachtung, dass die herausgenommene Froschnetzhaut ausschliesslich durch Licht gebleicht und von mässieem Lichte mit erstaunlicher Geschwindigkeit verändert wird, die Annahme rechtfertigen, dass die Indolenz des Froschpurpurs intra vitam scheinbar sei und auf Schwinden mit Ersatz beruhe. Leider ist einstweilen über diese Rechtfertigung nicht hinauszukommen und an den Poikilothermen durch keine exakte Beweisführung die Möglichkeit zu widerlegen, dass im lebenden Auge oder in der epithelhaltigen Retina bis zum Eintritte maximaler Blendung wirkliche Indolenz des Sehpurpurs vorliege...“ (A. Ewald und W. Kühne, Heidelberger Unter- suchungen Bd. 1. S. 372—373.) Trotzdem lässt er aber die letztere Annahme als unwahrscheinlich fallen und führt später (z. B. Heidel- berger Untersuchungen Bd. 3 S. 275) die unerwartete Beständigkeit des Purpurs im lebenden Fischauge „auf sehr erhebliche regene- rierende Vorgänge“ in der Netzhaut zurück. Noch prägnanter findet sich diese Ansicht an andrer Stelle ausgedrückt: „In der vom retinalen Epithel ausgehenden Wiedererzeugung des Purpurs liegt der Grund für die Unterschiede der Bleichungszeit lebender oder ? mikroskopisch kontrolliert, glaube mich aber auf Kühne stützen zu können der, wie erwähnt, ebenfalls nach 10 Minuten Sonnenbeleuchtung die Frosch- netzhäute ausgebleicht fand und sich von der Intaktheit der Stäbchen unter dem Mikroskop zu überzeugen pflegte. Es wäre jedoch gewiss wünschenswert, den Adaptationsversuch an verschiedenstem Tiermaterial zu wiederholen. 327 488 Victor Bauer: im Zusammenhang mit deın Epithel überlebender und isolierter oder im Bulbus abgestorbener Netzhäute, d. h. die Ursache der anscheinen- den Indolenz des Sehpurpurs im Leben.* (W. Kühne in Her- mann’s Handbuch Bd. 3 S. 312.) Beweisende Versuche für die eine oder die andre Auffassung stehen noch aus, doch glaube ich dieselben gerade an der Hand von Kühne mitgeteilter Beobachtungen er- bringen zu können. Kühne stellte die interessante Tatsache fest, dass die Wider- standsfähigkeit gegen Ausbleichung nicht nur der im Tier befindlichen, sondern ebenso der im enukleierten Auge überlebenden Netzhaut zukommt. Aus einem enukleierten und durch einen Äquatorial- schnitt eröffneten Bulbus lässt sich auch nach minutenlanger Be- leuchtung mit intensivem Licht die Netzhaut noch schön rot heraus- ziehen, während eine demselben Licht ausgesetzte, von ihrer natürlichen Unterlage abgehobene Netzhaut in wenigen Sekunden ausbleicht. Wie Kühne des weiteren zeigte, ist es allein das den Stäbehen anliegende Pigmentepithel, „welches den Sehpurpur regene- riert oder die Färbung vor der Zerstörung im Licht schützt“. „Die Stoffe, auf die es dabei ankommt, scheinen löslich zu sein oder ab- zufliessen, denn unverkennbar bilden sich rote Zonen und Streifen im Umkreis der Epithelfetzen, während des Ausbleichens .... Auch dürfte hierauf die sonderbare Tatsache zu beziehen sein, dass an den vertikal aufgestellten Präparaten immer der untere Rand zuletzt erblasst, und dass von einer Reihe sich mit den Rändern berührender, übereinander aufgeklebter Netzhäute die unterste oft viele Minuten später ausbleicht als die oberste“. (Heidelberger Untersuchungen Bd. 1 S. 56.) An diese Beobachtung knüpfte Kühne den Versuch, abgezogene und gebleichte Netzhäute wieder auf den Augenhintererund zurück- zulegen, die dadurch überraschenderweise wieder ihre rote Farbe annahmen!). Will man daher die Widerstandsfähigkeit der in situ befindlichen Netzhaut gegen Bleichung auf eine Indolenz des Farb- stoffs zurückführen, so muss man zum mindesten daneben dem 1) Dass auch bei Warmblütern die Berührung der Netzbaut mit dem Pigment- epithel für die Regeneration ausschlaggebend ist, wurde von Andogsky (Arch. f. Ophthalmol. 1897 S. 404) für das Kaninchenauge gezeigt. Er führte eine partielle künstliche Netzhautablösung herbei. Nach intensiver Bleichung trat nnr an den nicht abgelösten Partieen Regeneration ein. Über das Verhalten des Sehpurpurs beim Tagessehen. 489 Pigmentepithel die Tätigkeit zuschreiben, ausgebleichten Purpur zu regenerieren. ' Die folgenden Versuche zeigen, dass die Indolenz der normal gelagerten Netzhaut bei Belichtung mit einer Abnahme der Regene- rationskraft des Epithels verbunden zu sein scheint, wenn durch Trennung des Auges vom Tier der kontinuierliche Ersatz der dabei verbrauchten Regenerationsprodukte gehindert wird !). 10. November 1910. Frosch seit dem Vorabend im Dunkeln. Beide Augen enukleiert und im Aquator halbiert. Linker Augenbecher mit Netzhaut 2 Min. belichtet (sonniger Tag, diffuses Licht); rechter Augenbecher im Dunkeln. Netz- häute herausgenommen (die belichtete Netzhaut war noch rot.) Nun rechte Netzhaut gebleicht, halbiert und je eine Hälfte in die Augenbecher zur Regenera- tion zurückgebracht. Nach 1 Stunde Netzhautstück im linken Augenbecher kaum merklich, im rechten bis etwa C, regeneriert. Netzhautstücke von neuem gebleicht, umgewechselt und in die Augenbecher zurückgelegt. Nach weiteren 30 Min. Netzhautstück im linken Augenbecher gelblich geblieben, im rechten rosa angeflogen. Ähnliche Versuche ergaben nach 1 Min. langer Belichtung des linken Augenbechers und 1stündiger Regeneration: links schwächer als C,,, rechts etwa D,, nach 10 Sek. langer Belichtung mit direktem Sonnenlicht um Mittag und 1stündiger Regeneration: links etwa C,., rechts etwa C-. Zuweilen zeigte sich auch bei der ersten Regeneration kein deutlicher Unterschied; wurden dann aber die Netzhautstücke von neuem gebleicht und zurückgelegt, so zeigte sich die Regenerationskraft des vorher belichteten Augen- bechers stets schwächer als die des andern. Diese Versuche sprechen dafür, dass die Indolenz des Purpurs in situ befindlicher Netzhäute eine scheinbare ist und auf Restitutionsprozessen im an- gelagerten Pigmentepithel beruht, die sich am enu- kleierten Auge in einer Schwächung der Regenerations- kraft dieses Epithels bemerkbar machen. 1) Die Frage, inwieweit es sich bei der Regeneration des Purpurs um eine Rückverwandlung von Bleichungsprodukten in bleichungsfähigen Purpur und in- wieweit um Neubildung handelt, soll hier nicht weiter erörtert werden. Siehe darüber besonders Garten, Arch. f. Ophthalm. Bd. 63 S. 112—187. 1906. — Es ist ferner daran zu erinnern, dass auch die vom Pigmentepithel abgezogene, dunkel gehaltene Netzhaut einer schwachen „Autoregeneration“ (Kühne) fähig ist. Ich habe durch Verwendung der beiden Hälften ein und derselben Netzhaut die Fehlerquelle ausgeschaltet, welche in einer etwa vorhandenen Verschiedenheit der Autoregenerationszeit verschiedener Netzhäute gegeben wäre. 490 Victor Bauer: II. Die zunehmende Rötung der anfänglich durch helles Lieht ge- bleichten Netzhaut im sich adaptierenden Auge weist darauf hin, dass die Restitutionsprozesse bei gleichzeitiger Zersetzung des Purpurs nicht nur ungehindert fortbestehen, sondern sogar eine dem ver- mehrten Verbrauch entsprechende Steigerung erfahren. Um zu ent- scheiden, ob durch Belichtung des Auges die Restitutionsgeschwindig- keit des Purpurs gesteigert wird, habe ich folgende Versuche angestellt. Zwei zuvor im Dunkeln gehaltene Frösche wurden bis zur Ausbleichung des Purpurs mit direktem Sonnenlicht oder Bogen- licht bestrahlt und darauf zur Regeneration in ein Dunkelzimmer gebracht. Während nun das eine Tier in völliger Dunkelheit blieb, wurde das andere einer vom Tageslicht beleuchteten Aubert’schen Blende oder einer Glühlampe gegenüber aufgestellt. Nach einer in den verschiedenen Versuchen wechselnden Regenerationszeit kamen die rasch herauspräparierten Netzhäute zur Vergleichung. Wenn die Restitution des Purpurs unabhängig davon wäre, in welchem ‘ Maasse er zerstört wird, so müsste im regenerierenden und dabei gleichzeitig belichteten Auge die Purpurfärbung langsamer wieder- kehren als im völlig verdunkelten. Wenn wir finden, dass sie in beiden gleich schnell verläuft, so ist das ein Zeichen, dass im be- lichteten Auge mehr Purpur in der Zeiteinheit gebildet wird, da ausser der Menge, die auch im verdunkelten Auge entsteht, noch das zur Kompensation der zersetzten Menge Erforderliche erzeugt werden mus. Kommt aber im belichteten Auge sogar eine ausgiebigere Restitution zustande, so ist damit die Steigerung der Restitutionsprozesse durch die Belichtung a fortiori bewiesen. Durch Ausprobieren einer passenden Beleuchtung kann man in der Tat eine Intensität finden, bei welcher die Regeneration der Purpurfarbe im belichteten Auge deutlich rascher erfolgt als im verdunkelten. In der folgenden Tabelle sind eine Anzahl von Versuchen zusammengestellt, welche dieses Verhalten erkennen lassen. Wurde die Beleuchtung der regenerierenden Augen zu stark gewählt, so kehrten sich die Versuchsresultate um, d.h. die Regeneration im belichteten Auge erwies sich als verzögert gegenüber der im verdunkelten. Theoretisch müsste eine mittlere Intensität gefunden werden können, bei der die Regeneration in Über das Verhalten des Sehpurpurs beim Tagessehen. 491 beiden Augen gerade gleich schnell verliefe, obgleich in dem einen fortwährend Purpur zersetzt würde. (Siehe Tabelle auf S. 492 und 493.) Die Versuche wurden an Temporarien angestellt, und zwar Nr. 1—8 und 12—15 im Juni, Nr. 9—11, 16 und 17 im Oktober 1910. Die Temperaturen im Arbeitsraum schwankten zwischen 14,5 und 21°C. Das belichtete Auge wurde meist zuerst präpariert, so dass die währenddessen (im Mittel 4 Minuten lang) im anderen Auge weitergehende Regeneration das Resultat nicht fälschen konnte. Zur Bleichung wurden die Frösche aufgebunden und nach Abschneiden “ der Lider gegen das Licht (Sonne oder Bogenlicht) gekehrt. Vom Versuch 4 an wurden die Tiere zuvor curarisiert, um das Vorwandern des Innenpigments und das damit verbundene, die Beurteilung sehr erschwerende Schwärzlichwerden der Netzhäute zu verhüten. Dabei hat man den Vorteil, dass die Netzhäute sich . leichter herauslösen lassen (Kühne). Die curarisierten Tiere wurden zur Bleichung in eine weisse Schüssel gelegt und unter wiederholtem Drehen dem Licht ausgesetzt. Die Augen wurden durch einen in das Maul gesteckten Watte- - bausch zum Vorquellen gebracht. Zum Schutz gegen Austrocknen wurden die Tiere mit feuchtem Fliesspapier bedeckt. Zur Belichtung diente entweder eine Aubert’sche Blende, vor der die Tiere immer in der gleichen Entfernung aufgestellt wurden, oder eine Glühlampe mit geradem Faden, die durch ver- schiedene Rauchgläser passend abgeschwächt werden konnte. In mehreren Ver- suchen wurde bei der Regeneration das eine Auge mit schwarzem Papier verklebt, und es wurden auch die so verdunkelten Netzhäute verglichen, um individuelle Unterschiede auszuschliessen. Ähnliche Versuche konnte ich auch mit weissen Kaninchen an- stellen. Nur musste die Intensität der Beleuchtung während der Regeneration entsprechend der grösseren Empfindlichkeit des Purpurs bei diesen Tieren stark herabgesetzt werden. Um Material zu sparen, wurde jeweils das eine Auge des Versuchstieres der Lampe ausgesetzt, das andere durch eine lichtdicht schliessende Binde ver- dunkelt. Wie beim Frosch zeigte sich die Restitution des Purpurs im belichteten Auge bei passender Intensität der Beleuchtung be- schleunigt gegenüber der im verdunkelten '). In vier derartigen Versuchen waren nach 15 Minuten langer Bleichung bei Bogenlicht und 30-35 Minuten dauernder Regeneration die belichteten Augen bis zu C,, CO, C,, C, regeneriert, die entsprechenden verdunkelten Augen nur bis zu Do Dy, Div und Cy. 1) Ob daneben ein Einfluss des einen Auges auf das andere besteht, etwa wie bei der dem Menschen und manchen Tieren zukommenden gekoppelten “ Pupillenreaktion, habe ich nicht untersucht. Beim Kaninchen sind übrigens, soviel ich erfahren und selbst gesehen habe, die Pupillenveränderungen beider Augen unabhängig voneinander. Victor Bauer yaaryuowaıd 492 A9yABIs yonv AOqe 1801 SEMJ9 Fy9TOT[OTA ul :o HToq :A9991 YIINAOU U9g9 9JOJyPITEq 9Lp ‚# la e g 1oq !esor ‘yarojs opnegzypN Spraq v 1aqQ| ‚08 SV gan Im sojgqte} 9uuos ‚08 ‚dE u& "3 3191419 WuSLd AANIRIS S MIO yane dagqe 95 nz ©) emo “19401 YyIOW U9gE 9IqDIDq 9Ip g ul :q 10q :39 emo ‘y9Ia]d aneyzyoN apreq Y Ieq| ‚08 :Y 9 IN IM 2801 yoıyıow wney 9uuog ‚0% uSI 2 JA T9A - 2.79 nz ©) emIa “19401 OSnY ul Sep STEMIL yaıgaqıa Z Taq :?y nz %) emo ‘18901 Yo ‚SF 1:0 -Ya9w UOg9 SIANYy UEJOJyIITIAq SOp ap q ce ı:g 10q :°9 wo ‘ypra]s oynegzyon opeq v Teq| „cz |:v ww g opuarq yoıqpp3 yaeayas 9uuog ‚07 16h 9 (g Se 119119u93 -91 IONIBIS Jey V) SIIydIıJqun Sep Se : wıpoA JA9TIHUIFIL IOYAEIS JEU J U0A HOnY 9J94y9ıT JqaNI9A | U0A y9eAy9s 9JJaIg A9uT9 -994 Seq Iassefq g U0A 9dny soyqdaı any soıpay "ww F uw 974991 ‘Sofqrer ‘poıqosiojuf) 9ugo g pun Y uoA Hdny soyur| ‚CF | opus :T ‘AN Toq oIm | zued meyzyoN Oyuı | IyaTUS80T ‚06 SI °G ZU9ANI9ISUO I (199su9 I woA wweisoIdg WOUISSOJUASIF ‘dem gq “od emp V| „08 IN I0q IM ‘wsor yploıq ZURS | 199) ouuog ‚08 ‚08 u6 7 J19PuMa3 (Jung -I0A Ju9wäILg [oA yaıpwarz 1OLIaU9S9L 07 spe aosserq -[0MAG 974919]) ydemygss anu 9pIaeg polyasaogunN urmy| ,08 ZN Rq 9m ‘2s01 IBMyIS ZUuRd 9uuog ‚08 ‚0€ yll ‚© A9UOIZIBMUIS YdıT wur 6 -1I9W UA yone A9qe ‘aaa yaıpmop g| ‚CF |opuwsjg !T IN Imq Im _ 9uuos ‚08 ‚08 uPl 2 yuawsıg S9MOPUeMaF10A yamp daydıf (wwOT)3PUus]gT Top uoA -ZIBMUOS YINE 1aqe ‘V 9IM 199091 yaıpnap IT| ,0E | WDOGT g ‘ojyunq sur Y _ uuog ‚OT ‚OT ug I Sunpyun 2 UONEI9UOSOY Op 19q SOA9TJJJO.YUOST SOP er 9 3 en u9dundurppgsy>nsad onegzIo Norssunypialg -UOTOSIOUIOA | „um -9U909YJ tpoqsq 19 neyzIoN op aone 495 Uber das Verhalten des Sehpurpurs beim Tagessehen. (gnegzIoN USIOJUITTOIq AI9p uw Juaunstg [oTA) yaıuge 9 19q +69 SOyayumpIaA !—y eAyo any SOIa}yPIJOq g 1aq *uomeyzjoN uopIaq u9UISIMZ Porgosıaguf) aagaımap ur Y 1oq stowegd 9}y991 !J19PURM9S -IOA JUIWSIT SEA °%S01 meyzYoN 9yuı] paryasıaguN) uauloy uodız WONONUNPAIHA Ip “18901 yaınap sony USTD AONyıgıs SOp MeuzYaN (a—9) Y01puraq ayowm g :(g) Jormdand yaıymap U929 1 (UIWWONISSNEIOU FyDOJy9S JneyzyaN V Teq 3019[93 JSryesosun g !wweidogdg wOUOHIS Ag9s wu (JewIxeu JSeF) J0AJOyunp Y yaıpq[od zue3 uoyas g ‘401 y9ou Y :1oydIf -In9P y9ou PoıydsIeguf) A9p pam Zunyo -T9[g Iop oz dosıur y9eN '10JS1yes9d -um jorA pum 901 yorqpos gq 901 Iyeyqeı V NE) opraq 9 Toq :°) ayfoyunpaoa 77 ogaygdı -9q g 10q :?9 emo oynegzjyoN aploq Y 1oq aaydısun Ju9wsLT SOJ1OP -UBMISIOA Y9anp Sunjginag 9 pun gq Tg] 8S01 UQUIS you aYagqdıpaq aIp SI “IST JqOIO[q93 sIOWeyN nz uoyds IneyzyoN ayayunpA9A 9Ip JyaTT mr wopyoeN 194041 oprayuafers 8-5 MEgzYON 2Io}yDI2q V 194 0 nz 69 em ‘19991 S9UENN 9uTd MeuzYaN aJojyqaıpoq ap g 1oq su9any uoprog me poryasıojun ur Y Toq ul ‚7 ‚08 «08 ‚7 ‚SP ‚SF ‚08 ul ı@V 08 ul ‚08 88 ‚SV ‚08 SV OT ING sejsyoney SOyIe}S sıqdaa *SOWemyds SYU ZT AN OIM gOSOLA I se[jsyaney woydemyds yw ZI IN 9IM IsuU0S Fqapyıaa Hdny ur ol oT IN IM oT IN 9IM sejsgqaney weyIeIs yu gq ‘wowemuyds nu v :3unwopan ws GT ut uoperuuid d :d :V wur g 9pualg ‘9 ’AN 9IM 0) q V ww q Wr wur c 9puajgq ‘9 "IN IM gapuaq ‘9 AN 9IM U9Y99L I uagaITJo.A yruL‘uogaıTgq -HHSNE 9SIOMJIHI ANU SH “uaydıTqas -SNE ISTOMJI9F wg UIEMUIS ZUBd SuUos ‘SOTq1%} ASIOMU9TLOFS Snguy 1901 YIIYIOU WUNey ouuog ‚G] 9UU0oS ‚CI yydıuosog ‚08 wpruesog ‚08 Jqaıussog ‚08 yppruodog ‚CH duuog ‚08 9uuos ‚08 auuog ‚08 16V sl sl wsl usI qsl sl 76 y8l ‘sl "II 92** A494 Victor Bauer: IV. Wenden wir uns nun der Frage zu, auf welchem Wege der Zusammenhang zwischen der vermehrten Zersetzung des Purpurs und der durch sie bewirkten gesteigerten Restitution zustande kommt. Kühne nennt den Augenhintergrund und speziell das der Netz- haut anliegende Epithel „eine purpurzeugende Drüse, deren Zellen wohl kaum einer sehr verwickelten Innervation ermangeln dürften“, und macht dementsprechend Versuche mit Drüsengiften, von denen Pilokarpin einen deutlich positiven Effekt gibt!). Im Zusammenhang mit diesen Versuchen könnte man sich vorstellen, die Zersetzungs- produkte des Sehpurpurs wirkten auf dem Wege der Optiei reflek- torisch auf fördernde Drüsennerven ein, die ihrerseits das sekretorische Epithel zu vermehrter Tätigkeit anregten. Von dieser hypothetischen reflektorischen Regulierung der Purpurregenerätion soll hier jedoch abgesehen werden, da sich herausgestellt hat, dass zwischen Zer- setzung und Regeneration des Purpurs ein viel engerer, rein peri- pherer Zusammenhang besteht, der sich auch am enukleierten Bulbus demonstrieren lässt. Es wurde oben (S. 489) ein Versuch mitgeteilt, welcher zeigt, dass auch am enukleierten Bulbus das Pigmentepithel noch seine Restitutionsarbeit leisten kann, und dass darauf die Widerstandsfähigkeit der überlebenden, normal gelagerten Netzhaut gegen Bleichung beruht. Diese periphere Regulation kann man sich so vorstellen, dass durch die Purpurbleichung entstehende Zersetzungs- produkte den adäquaten Reiz für das sekretorische Epithel darstellen. Daneben muss die Möglichkeit erwogen werden, dass Licht vom sekretorischen Epithel selbst absorbiert und als Sekretionsreiz aus- genutzt werden könnte. Wenn das der Fall wäre, könnte man daran denken, dass dort, wo die Stäbchen gebleicht sind, mehr Licht zum Epithel gelangte und so lokal eine gesteigerte Regeneration auslöste. Diese Annahme wird jedoch durch folgenden Versuch widerlegt: Zieht man aus einem im Äquator halbierten Bulbus die Netzhaut heraus und setzt den Augenbecher hellem Licht aus, so wird seine Restitutionskraft selbst durch langdauernde Belichtung nicht ge- schwächt, während ein mit der Netzhaut belichteter Augenbecher unter den gleichen Bedingungen seine Restitutionskraft vollkommen 1) W. C. Ayres und W. Kühne, Heidelberger Untersuchungen Bd. 2 S. 215—240. 1882. Die Versuche wurden an Kaninchen angestellt; später konnte sie Dreser (Zeitschr. f. Biol. 1886 S. 22—39) an Fröschen bestätigen. Über das Verhalten des Sehpurpurs beim Tagessehen. 495 verliert. Eine direkte, die Restitutionskraft schädigende Einwirkung des Lichts auf das sekretorische Epithel besteht demnach nicht. Als Beispiel sei folgender Versuch aus dem Protokoll mitgeteilt: 11. November 1910. Temporarien, bisher in ganz schwachem Licht (ein Kontrolltier zeigt schön rote Netzhäute, etwa (,). 1. Tier. Linker Augenbecher mit Netzhaut 15 Minuten belichtet (Himmel schwach bewölkt). Die farblose, nur am Rand noch etwas rosa gefärbte Netzhaut herausgenommen. Netzhaut des bisher im Dunkeln gehaltenen rechten Bulbus herausgenommen, gebleicht, halbiert und je eine Hälfte in den belichteten linken und den bisher im Dunkeln gehaltenen rechten Augenbecher zurück- gelegt. Nach 1 Stunde Netzhauthälfte im linken Becher blasser als C,o, im rechten etwa C,. (Eine zum Vergleich ebenso lange in Ringerlösung der Auto- regeneration überlassene Netzhaut war ebenfalls blasser als C,o.) 2, Tier. Linker Augenbecher ohne Netzhaut wie beim 1. Tier be- lichtet; rechter Augenbecher im Dunkeln gehalten. Rechte Netzhaut halbiert, wie beim 1. Tier gebleicht, und die Hälften in die beiden Augenbecher zurück- gelegt. Nach 1 Stunde beide Netzhauthälften bis etwa C, regeneriert. Dieser Versuch wurde mit ähnlichem Resultat mehrfach wieder- holt. Geht hieraus hervor, dass die Belichtung direkt das Epithel nicht zur Sekretion veranlasst, so steht ein anderer Befund in gutem Einklang mit der Annahme, dass in der belichteten Netzhaut ge- bildete Zersetzungsprodukte die Sekretion von Regenerationsstoffen anregen. Betupft man nämlich einen Augenbecher mit dem Brei von mehreren frisch gebleichten und zerdrückten Netzhäuten, so wird eine in diesen Becher gebrachte gebleichte Netzhaut viel schneller und intensiver regeneriert als die vom gleichen Frosch genommene, zum Vergleich in einen nicht vorbehandelten Becher zurückgelegte Netzhaut. Werden die beiden regenerierten Netzhäute von neuem gebleicht und zurückgelegt, so kann die im Augenbecher mit Netzhautbrei befindliche noch einmal schön rosarot werden, _ während die andere schwach gelblich bleibt. Ob die Anregung zur Purpurregeneration auf die normalen Zersetzungsprodukte des Purpurs oder andere in der absterbenden Netzhaut sich bildende Stoffe zurück- zuführen ist, muss freilich unentschieden bleiben. Immerhin wollte ich den Versuch nieht unerwähnt lassen, da er sich wohl mit einiger Reserve in dem angedeuteten Sinne verwerten lässt. Werfen wir zum Schluss einen Blick auf die mitgeteilten Tat- sachen zurück, so stellt. sich nunmehr mit einiger Wahrscheinlichkeit der Purpurstoffwechsel folgendermaassen dar: Bei der Bleichung des Sehpurpurs entstehen Zersetzungsprodukte, welche teils mit der 496 Victor Bauer: Über das Verhalten des Sehpurpurs beim Tagessehen. Nervensubstanz in Reaktion treten und deren Erregung hervorrufen, teils auf das der Netzhaut anliegende sekretorische Epithel einwirken, indem sie es zur Sekretion von Regenerationsstoffen veranlassen, die den ausgebleichten Purpur ersetzen bzw. wiederaufbauen. Dieser Verbrauch und Wiederaufbau findet nicht nur im schwachen Dämmerlicht, sondern ebenso in heller Tagesbeleuchtung statt. Das lässt sich an isolierten Bulbis zeigen, in denen die Restitutionskraft des sekretorischen Epithels, auf dessen regenerierender Tätigkeit die scheinbare Indolenz der in situ befindlichen Netzhaut beruht, durch die Isolierung vom Tier allmählich erschöpft wird. Tritt nach vorausgehender Verdunkelung plötzlich starke Be- lichtung und entsprechend reichliche Bildung von Bleiehungsprodukten ein, so reicht die Restitutionskraft des sekretorischen Epithels an- fangs nicht aus, um den starken Verbrauch zu kompensieren. Allmählich erfolgt jedoch Adaptation, und zwar steigern sich die Restitutionsprozesse nicht nur bis zur Kompensation des Verbrauchs, sondern darüber hinaus: die durch plötzliche starke Belichtung anfangs ausgebleichte Netzhaut färbt sich allmählich wieder rot. Für die erreichbare Restitutionsgeschwindigkeit des Purpurs besteht natürlich eine obere Grenze. Wird die Zersetzung übermässig gesteigert, so kann der stärkste Ersatz, den das Epithel zu leisten imstande ist, das gestörte Gleichgewicht nicht wieder- herstellen, und die Netzhaut bleibt dauernd bleich gefärbt. Eine Anreicherung mit Purpur kann dann erst wieder nach Herabsetzung der Lichtintensität eintreten. Näch völliger Verdunkelung dauert der Purpurersatz fort, jedoch mit geringerer Geschwindigkeit als bei Belichtung. Bei dauernder Dunkelheit klingen die Regenerations- prozesse, wahrscheinlich infolge des Fehlens der zu ihrem Anreiz notwendigen Zersetzungsprodukte, allmählich ab. Hiernach werden wir der auch sonst gut gestützten Hering- schen Auffassung den Vorzug geben müssen, welche im Stäbchen- purpur einen Bestandteil der Netzhaut sieht, der nicht nur in einem zu normaler Tätigkeit kaum ausreichenden Dämmerlicht seine Rolle spielt, sondern vor allem auch bei heller Tagesbeleuchtung, bei der sieh die Leistung unseres Sehorgans erst voll entfaltet, und der den wechselnden Anforderungen durch die, wie es scheint, allen lebendigen Substanzen zukommende Adaptationsfähigkeit Rechnung trägt. 497 Ueber den experimentellen Nachweis neurogen erzeugter Ursprungsreize beim Säugethierherzen nebst Bemerkungen über die Ursprungsreizbildung. Von Prof. H. E. Hering (Prag). Im Jahre 1901 habe ich auf Seite 578 dieses Archivs Bd. 86 Folgendes mitgetheilt: „Ich habe gelegentlich an einem acut getödteten Hunde be- obachtet, dass Acceleransreizung das zum Stillstand ge- kommene Herz wieder zum Schlagen veranlasste. Vor- höfe und Ventrikel wurden hierbei direct beobachtet; ob vielleicht an den Venen noch Pulsationen bestanden hatten, vermag ich nicht zu sagen, jedenfalls wurden, soweit das Herz sichtbar war, an dem- selben keine Bewegungen mehr wahrgenommen, bevor die Accelerans- reizung begann.“ Gleichzeitig wies ich darauf hin, dass in der Literatur Angaben bestehen, dass ein stillstehendes Herz durch Vagusreizung wieder zum Schlagen zu bringen ist, und dass diese Angaben wahrscheinlich auf Acceleransreizung beruhen. Dabei sei noch darauf hingewiesen, dass Pawlow!) in seiner 1887 erschienenen Mittheilung „Ueber die centrifugalen Nerven des Hundes“ gelegentlich Angaben gemacht hat, dass an absterbenden Herzen, wenn die Vorhöfe und Kammern zur Ruhe gekommen sind, bei Reizung gewisser Zweige der centri- fugalen Nerven wieder Contractionen auftreten können; ob in der Gegend der Venen noch eine Pulsation vorhanden war, davon hatte sich Pawlow nicht überzeugt. Im Jahre 1905 veröffentlichte ich im Physiologischen Central- blatt Bd. 19 Nr. 5 zwei Thatsachen, die ich bei Acceleransreizung beobachtet hatte: D) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1887 8. 558. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 93 498 H. E. Hering: 1. „Der Accelerans kann die vollständig ruhenden Vorhöfe des Säugethierherzens wieder zum automatischen Schlagen veranlassen‘, eine Thatsache, die ich 1906 in diesem Archiv Bd. 115 S. 354 unter dem Titel „Acceleransreizung kann das schlaglose Säugethier- herz zum automatischen Schlagen bringen“ erweiterte und .aus- führlicher mittheilte. 2. „Die Erregung des Accelerans kann den Ausgangspunkt der Ursprungsreize ändern“; hiefür hatte ich schon im Jahre 1904 durch meinen Assistenten Dr. Rihl in der Zeitschrift für exper. Patho- logie und Therapie Bd. 1 S. 43 durch Fig. 21 ein Curvenbeispiel veröffentlichen lassen). Hierüber besitze ich viele Curven; aus lezterer Zeit auch solche, welche zeigen, dass auch bei bestehendem Vagustonus die Acceleranserregung denselben Fffeect haben kann, d. h. das Herz zum atrioventrieulären Schlagen veranlassen kann, worüber demnächst eine Publication erscheinen wird. Die Versuche, das schlaglose Säugethierherz durch Accelerans- reizung wieder zum Schlagen zu bringen, haben, wie ich seiner Zeit auf S. 357 erwähnte, und was gewissermaassen selbstverständlich erscheint, zur Voraussetzung, „dass das Herz oder der betreffende Abschnitt desselben noch einen gewissen Grad von Reactionsfähigkeit besitzen, welcher durch die Acceleransreizung, abgesehen von der durch sie angeregten Reizbildung, erhöht wird.“ Wenn nun auch bei der Beobachtung im Jahre 1901 „soweit das Herz sichtbar war, an demselben keine Bewegung mehr wahr- genommen wurde, bevor die Acceleransreizung begann“, so musste ich es doch dahingestellt sein lassen, „ob vielleicht an den Venen noch Pulsationen bestanden hatten“. Ich habe daher bei meinen späteren Versuchen (die Experimente wurden fast ausschliesslich an Hundeherzen vorgenommen) sehr genau darauf geachtet, ob ich noch eine Spur einer Pulsation irgendwo am Herzen wahrnehmen konnte, bevor die Acceleransreizung begann. Das war in diesen Fällen um so leichter, als ich zumeist an isolirten, nach der Methode von Langendorff küustlich durchströmten Herzen arbeitete. Hier kann ınan sich das Herz von vorn und hinten genau ansehen und überdies, was ich oft gethan habe, die Vorhöfe aufschneiden und D) Rothberger und Winterberg haben dies kürzlich bestätigt. Pflüger’s Arch. Bd. 135 S. 559. 1910. Ueber den exper. Nachweis neurogen erzeugter Ursprungsreize etc 499 von innen aus wenigstens die supraventrieulären Herzabschnitte genau besichtigen. Trotzdem machte ich mir noch den möglichen Einwand, den ich allerdings auf Grund jener Beobachtungen für sehr wenig wahr- scheinlich ansah, dass vielleicht an dem schlaglosen Herzen die Reiz- bildung und eventuell auch die durch sie ausgelösten Erregungen auf eine so kleine Stelle localisirt blieben, dass sie makroskopisch nicht sichtbar waren. Wäre dies der Fall, dann würde es sich nient darum handeln, dass der Accelerans an einem nicht automatisch schlagenden Herzen oder Herzabschnitte Ursprungsreize neu zu bilden vermag, sondern nur darum, dass er die Ausbreitung der Erregung auf das übrige Herz ermöglichte und das Tempo der Herz- reize, die sich vielleicht weiter bildeten, nur beschleuniste. Dieser mögliche, wenn auch, wie gesagt, sehr wenig wahr- scheinliche Einwand entfällt nun für jene Be- obachtungen von mir, in denen ich zeigen konnte, dass der Accelerans am normal schlagenden, wie ich es auszudrücken pflege, am nomotop schlagenden Herzen heterotope Ursprungsreize zu erzeugen vermas. In diesen Versuchen handelt es sich darum, dass die Erregung des Accelerans an einer von der nomotopen Bildungsstelle der Ur- sprungsreize oft sehr entfernt gelegenen Stelle, z. B. der Atrio- ventrienlargrenze, heterotope Ursprungsreize zu bilden vermag, also an einer Stelle, welche vor der Erregung des Accelerans sicher keine Ursprungsreize produeirte, denn das Herz schlug in allen diesen Fällen vor der Erregung des Aceelerans in Abhängigkeit von den an der Kinmündungsstelle der oberen Hohlvene in den Vorhof sich bildenden nomotopen Ursprungsreizen bzw. in Abhängigkeit von dem durch letztere ausgelösten Leitungsreize. Hiermit glaube ich den einwandsfreien Nachweis er- bracht zu haben, dass die Ursprungsreize des Säuge- thierherzens neurogen erzeugt werden können. Entwickeln sich die neurogen erzeugten Ursprungsreize in den Ganglienzellen des Herzens ? . Auf Grund anatomischer Untersuchungen gab Gaskell im Jahre 1886 an, dass die Acceleransfasern im Herzen postganglionäre seien. Zu demselben Resultate kamen mit Hilfe der Nieotinmethode Langley und Dikinson im Jahre 1889; ihre Beobachtungen 500 H. E. Hering: habe ich!) im Jahre 1903 für das Kaninchenherz bestätigt und den Schluss, dass die intracardialen Acceleransfasern postganglionäre seien, durch Beobachtungen /am absterbenden Säugethierherzen unter- stützt; bei letzteren bleibt die Acceleranswirkung viel länger be- stehen als die hemmende Vaguswirkung. Ausserdem wies ich darauf hin, dass wir unter den vielen bekannten Giften kein einziges kennen, welches die Acceleranswirkung in exclusiver Weise aufhebt, während die Vaguswirkung auf das Herz durch viele Gifte aufgehoben wird. Bis heute hat sich an diesen Ergebnissen nichts geändert. Ist nun das anatomisch und physiologisch bemerkens- werther Weise übereinstimmende Ergebniss richtig, dass das Säugethierherz postganglionäre Accelerans- fasern erhält, dann entstehen die Ursprungsreize des Herzens nicht in den Ganglienzellen, denn durch die Erregung der postganglionären Acceleransfasern können wir, wie ich gezeigt habe, Ursprungsreize erzeugen. Die Lehre von den prä- und postganglionären Sympathieus- fasern basirt zum grossen Theil auf der von Langley und seinen Mitarbeitern verwendeten Nicotinmethode, und es muss betont werden, dass diese Lehre allgemein acceptirt worden ist, von den Physiologen wie Histologen. Langley hat seine Versuche hauptsächlich an der Katze ge- macht. Ich habe daher noch einige Versuche. an Katzen angestellt. Ich stellte zuerst die Acceleranswirkung bei Reizung des Rücken- marks in der Höhe des I. Thoracalnerven fest und injieirte der eurarisirten Katze dann intravenös Nicotin. Nach der Nicotin- injection war auch bei Rollenabstand 0 vom Rückenmark keine Acceleranswirkung mehr zu erzielen, während die Acceleransfasern jenseits des Ganglion stellatum und des unteren Halsganglions nach wie vor wirksam blieben. Nicht so war es beim Hund, bei dem auch nach Injection von sehr viel Nicotin die präganglionäre Reizung, d. h. hier die Rückenmarksreizung, noch Acceleranswirkung gab. Dies stimmt mit der Angabe Langley’s?) überein, der schon darauf hinwies, dass beim Hunde die präganglionären Fasern selbst durch sehr grosse Nieotindosen in der Regel nicht vollständig ge- 1) Pflüger’s Arch. Bd. 99 S. 262. 2) Ergebn. d. Physiol. 1903 Abt. 2 S. 835. Ueber den exper. Nachweis neurogen erzeugten Ursprungsreize etc. 50] lähmt werden!). Aus dieser Thatsache kann man jedoch keinen Einwand gegen die Zuverlässigkeit der Nieotinmethode bei jenen Thieren ableiten, bei welchen das Nicotin, wie z. B. bei der Katze, prompt wirkt. Eine Analogie zu meinen Versuchen am Herzen bieten jene von E. Th. v. Brücke und Soroku Oinuma?) mitgetheilten Experimente über die Wirkungsweise der fördernden und hemmenden Nerven des M. retractor penis des Hundes. Die Reizung der fördernden Nerven, sagen die Autoren, „ruft am ruhenden Muskel Er- regungswellen ebenso hervor, wie nach den Beobach- tungen H. E. Hering’s das stillstehende Säugethier- herz durch Acceleransreizung zum automatischen Schlagen gebracht werden kann“. „An eine Mitwirkung von Ganglienzellen‘, sagen die Autoren S. 519, „können wir nicht denken, da ja die Nn. pudiei pur post- ganglionäre Fasern führen.“ Im Jahre 1903 gab ich an, dass Nicotin das isolirte Kaninchen- herz nach der primären Hemmungswirkung schneller schlagen lässt als vor der Niecotineinwirkung; dasselbe Ergebniss erhielt Beyer?) am isolierten Katzenherzen; er bezieht die Beschleunigung auf eine Reizung der Endigungen der Acceleransfasern im Herzen. Ausser- dem beobachtete er an der isolirten Herzspitze des Hundes auf Nicotin (1:3000 Blut), ohne eine vorhergehende Verlangsamung, eine bedeutende Beschleunigung und Verstärkung der Schläge. Magnus*) gab bekanntlich an, dass der Angriffspunkt der er- regenden Wirkung des Nicotins am überlebenden Katzendarm in ‘die Centren des Auerbach’schen Plexus zu verlegen sei; an plexusfreien Präparaten traten keine Erregungserscheinungen ein. Wenr man nun unter den „Centren“ des Auerbach’schen Plexus seine Ganglienzellen verstehen und demnach annehmen wollte, der Angriffspunkt der erregenden Nicotinwirkung am isolirten Katzendarm seien die Ganglienzellen des Auerbach’schen Plexus, so dürfte man desswegen doch nicht per analogiam schliessen, der 1) Ich habe mich jedoch davon überzeugt, dass am eben getödteten Thier die präganglionären Acceleransfasern nicht mehr wirksam sind, während die postganglionären noch prompt wirken. 2) Pflüger’s Arch. Bd. 136 S. 521. 3) J. Hopkins Hosp. Rep. vol. 9. 4) Pflüger’s Arch. Bd. 108 S. 17. 902 H. E. Hering: Angriffispunkt der erregenden Nicotinwirkung am isolirten Säugethier- herzen seien seine Ganglienzellen; denn abgesehen davon, dass es ungewiss ist, ob jene „Centren“ gerade die Ganelienzellen sind, ver- hält sich der Darm in sehr vieler Hinsicht anders als das Herz. So wirken z. B. nach der Nicotinvergiftung die motorischen Nerven nicht mehr auf den Darm, während beim Herzen nur die Vagus- wirkung entfällt, die Acceleranswirkung aber, wie oben erwähnt, bestehen bleibt; so entfällt nach der Nicotineinwirkung am Darm der intraenterale (peristaltische) Reflex, während dies beim Herzen nicht der Fall ist, da es beim Säugethierherzen überhaupt keine intrakardialen Reflexe giebt. Dass das Nicotin auf einen nervösen Complex, in dem auch Ganglien enthalten sind, eine erregende Wirkung haben kann, soll damit durchaus nicht bestritten werden. So sei erwähnt, dass Kose!) das Ganglion stellatum nach vorher- sehender Durchsehneidung der Rami eommunicantes, mit Nicotin- lösung (1°) betupfte, worauf unmittelbar eine Acceleration des Pulses auftrat; nach dieser Nieotinapplieation liess sich nur noch bei Reizung der Nerven hinter dem Ganglion (in der Richtung zum Herzen) eine Acceleration auslösen. Auf Grund der bisher vorliegenden und übereinstimmenden Versuche scheint es mir unwahrscheinlich zu sein, einen anderen Schluss zu ziehen als den, dass der Acceleranseffect ohne Vermitt- lung intrakardial eingeschalteter Ganglienzellen erfolgt. Dann fiele aber auch, da die Erregung des Accelerans Ursprungsreize zu er- zeugen vermag, die alte Ganglientheorie des Herzens, gegen die schon die im Jahre 1895 von F. B. Hofmann?) für das Frosch- herz gemachte Angabe sprach, „dass man die ganze Scheidewand sammt ihren Ganglien und auch das Remak’sche Gangelion am Sinus herausschneiden kann, ohne dass das Herz stillsteht“ ?). 1) Citirt nach Ref. in Schmidt’s Jahrb. Bd. 284 S. 177. 1904. 2) Siehe Schmidt’s Jahrb. Bd. 281 S. 116 Anm. 2. 3) Immer wieder wird für die Ganglientheorie des Wirbeithierherzens das Limulusherz herangezogen, obwohl letzteres, worauf ich schon 1905 hinwies, ein anatomisch und functionell zum Theil andersartiges Organ ist. Viel eher als mit dem Säugethierherzen liesse sich die rhythmische Innervation des Limulus- herzens :mit der rhythmischen Innervation des Zwerchfells vergleichen. Während z. B. die Systole des Säugethierherzens einer Zuckung entspricht, contrahirt sich das Limulusherz, wie P. Hoffmann jetzt gezeigt hat, tetanisch (Arch. f. Anat. u. Physiol. 1911 S. 135). — In dem letzten, am 31. Mai erschienenen Hefte dieses Archivs kommt D. Polumordwinow auf Grund von Versuchen an Frosch- Ueber den exper. Nachweis neurogen erzeugter Ursprungsreize etc. 503 Gegen die Ganglienzellentheorie spricht auch die Adrenalin- wirkung; das Adrenalin hat bekanntlich eine der Acceleranswirkung analoge Wirkung, es beschleunigt und verstärkt die Herzthätigkeit, und es kann nach meiner Erfahrung, wie die Acceleransreizung, auch das schlaglose Säugethierherz wieder zum Schlagen bringen. Alle vorliegenden Untersuchungen sprechen nun dafür, dass sein Angriffs- punkt die sympathischen Nervenendigungen sind; ja es wirkt so peripher, dass die Wirkung, wie Langley, Elliot u. A. zeigten, auch nach der Degeneration der postganglionären Fasern erhalten bleibt, daher Langley die Adrenalinwirkung auf eine zwischen Nerv und Muskel angenommene „receptive Zwischensubstanz“ zurückführt, Elliot den Angriffspunkt in einen besonderen peri- pheren Apparat verleet, den er, wie Brodie und Dixon, als „neuro -muscular junetional tissue“ bezeichnet, das nach Durch- schneidung der Nerven nicht degenerirt. Die myoneurale Ver- bindung wird nach Brodie und Dixon!) durch Apocodein, speciell die myoneurale Verbindung der fördernden Nerven nach Dale durch Ergotoxin geschädigt bezw. gelähmt, so dass schliesslich Adrenalin oder Reizung der sympathischen Nerven wirkungslos bleibt, was von herzen zu dem Schluss, „dass die Nervenzellen, welche im Froschherzen ein- gelagert sind, einen hemmenden Apparat darstellen“. Siehe übrigens auch die Mittheilung desselben Autors in dem am 5. Mai 1911 herausgegebenen Hefte dieses Archivs über die schlagerzeugende Wirkung der Acceleransreizung auf die still- stehende Froschkammer. Ueber einen Versuch, dass Reizung der Scheidewandnerven nach Degenera- tion der Acceleransfasern und der präganglionären Vagusfasern (in Folge vorher- gehender Durchschneidung der Vagi und Acceleratoren) Abschwächung der Contractionen ergab, hat F. B. Hofmann schon 1903 berichtet (Schmidt’s Jahrb. Bd. 281 S. 118), 1) Journ. of Physiol. vol. 30 Nr. 2. 1903. — Ich habe mich inzwischen auch davon überzeugt, dass Apocodein (bezogen von Merk) nicht nur die Wirkung des Vagus, sondern auch die der postganglionären Acceleransfasern auf das Säugethierherz (Hund) aufhebt, und zwar habe ich diese Versuche am ganzen Thier und auch an nach Langendorff künstlich (mit Ringer’scher Lösung) durchstiömten Hundeherzen gemacht. Giebt man nicht zu grosse Dosen Apocodein, dann wirkt Adrenalin in grösseren Dosen auch nach der Accelerans- lähmung noch beschleunigend und verstärkend. Nach grösseren Dosen Apocodein wird die Reizbildung zunehmend langsamer (was nicht vom Vagus abhängt), um schliesslich aufzuhören, während die Anspruchsfähigkeit des Herzens für Einzelinductionsschläge z. B. noch bei 20 cm Rollenabstand vorhanden sein kann, vorausgesetzt, dass die Dosis nicht zu gross war. 904 H. E. Hering: den genannten Autoren speeiell auch für das Säugethierherz an- gegeben worden ist. Wenn nun beim Säugethierherzen Adrenalin die Reizbildung fördert bezw. neu hervorruft und einen so peripheren Angriffspunkt hat, spricht dies meiner Meinung nach dafür, dass die Ursprungs- reize sich nicht in den intrakardialen Ganglienzellen entwickeln. Ein weiterer Einwand gegen die Ganglienzellentheorie ergiebt sich aus der Beinflussung der Reizbildung durch den Leitungsreiz. Die Thatsache, dass an einem automatisch schlagenden Herzabschnitte die Extraperiode der Länge der Normal- periode entspricht bezw. nur wenig länger oder kürzer ist, kann man (siehe weiter unten) nicht gut anders erklären, als dass die Systole, wie es Engelmann ausgedrückt hat, vorübergehend die Production der Erregungsursachen vernichtet. Diese sehr wahr- scheinliche Beeinflussung der Reizbildung erfolgt auf dem Leitungs- wege. Da es nun intrakardiale Reflexe nicht giebt, müsste der Leitungsreiz, falls die Reizbildung in der Ganglienzelle erfolet, in dem vor ihr ausgehenden Nerven in antinormaler Richtung die Ganglienzelle beeinflussen, eine Annahnie, der alle bis jetzt bekannten Thatsachen direet widersprechen. Dabei müsste man noch annehmen, dass der von der reizbildenden Ganglienzelle abgehende Nerv mit einem Nervennetz in Verbindung steht, welches jedoch noch gar nicht nachgewiesen ist. (Siehe die Arbeiten von F. B. Hofmann.) Man hat gesen die Annahme, dass das embryonale Herz myogen schlage, von verschiedenen Seiten eingewendet, dass das Herz zu einer Zeit schlage, während welcher die Muskel- und Nervenfasern sowie Ganglienzellen noch nicht sichtbar differenzirt seien. Wenn nun zu einer Zeit, in der die Ganglienzellen deut- lich differenzirt erscheinen (nach H. His erscheinen sie beim Hühnerembryo am sechsten Tage in dem Raume zwischen Aorta und Pulmonalis), die Abtragung dieser Ganglien, wie H. His!) angegeben hat, „auf den Ablauf der Herzcontractionen nicht den mindesten Einfluss“ hat, kann man für die Reizbildung wenigstens des embryonalen Herzens nicht die Ganzlienzellen verantwortlich machen und gegen diese Auffassung nicht den Einwand gelten lassen, die Ganglienzellen seien noch nicht sichtbar differenzirt. Wenn nun die Ganglienzellen in das Herz erst allmählich hinein- 1) Arbeiten aus der medizin. Klinik 1893 S. 19. Ueber den exper. Nachweis neurogen erzeugter Ursprungsreize etc. 505 wachsen, dann kann man auch die von Fano nachgewiesenen und von H. His!) bestätigten Pulsationen der getrennten Theile des embryonalen Herzens und ihren verschiedenen Automatiegrad zu einer Zeit, in welcher die Ganglienzellen schon differenzirt, aber noch nicht im Herzen selbst vorhanden sind, nicht auf eine _ Reizbildung in den Ganglienzellen beziehen und gegen diese Auf- fassung gleichfalls nicht den oben erwähnten Einwand der Nicht- differenzirung gelten lassen. Bemerkungen über den vermuthlichen Ort der durch Accelerans- reizung erzeugten Herzreize. Diesbezüglich sei zunächst das wiederholt, was ich ?) schon 1905 gesagt habe: „Anatomisch kommen zwei Gewebe in Betracht, das Muskel- und das Nervengewebe; physiologisch sind aber drei Mög- lichkeiten zu berücksichtigen, indem die Ursprungsreize entweder rein nervöse oder rein musculäre sein können oder sich im Muskel entwickeln, aber unter dem Einfluss des Nervensystems, indem dieser Einfluss eine Bedingung für die Reizbildung im Muskel ist.“ Diese letzt- genannte, dritte Möglichkeit hat dann nach mir im Jahre 1907 auch Tschermak°) in Betracht gezogen. Immerhin wäre nach dieser dritten Möglichkeit der Bildungsort der Ursprungsreize im Muskel selegen, und zwar dort, wo der Muskel die nervöse Erregung auf- nimmt, aber das die nervöse Erregung aufnehmende Substrat müsste ein etwas verschiedenes sein, je nachdem es sich um die die Con- traction oder um die die Reizbildung fördernden Nerven des Accelerans handelt; denn sonst wären bei dieser Annahme die Verschiedenheit der Wirkungen (Beschleunigung und Verstärkung) nicht verständlich. Wie ich schon im Jahre 1900 hervorgehoben habe, lässt sich diese nach aussen hin sieh verschieden gestaltende Wirkung durch die Endigung der Nervenfasern in verschiedenen Herzmuskel- fasern der einzelnen Abtheilungen befriedigend erklären. Diese Auffassung ist seitdem durch die Auffindung specifischer Muskel- systeme im Säugethierherzen sehr gestützt worden; denn, wie ich besonders in meinem Erlanger Referate*) 1910 ausgeführt habe, Male c.18.,28. 2) Physiol. Centralbl. Bd. 19 H. 15. 1905. 3) Pflüger’s Arch. Bd. 119 S. 221. 1907. Siehe auch Wiener Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wissensch. Bd. 118 Abt.3. 1909. 4) Verhandl. der deutsch. path. Gesellschaft. Gustav Fischer, Jena 1910. 906 H. E. Hering: sind jene speeifischen Muskelsysteme die Hauptreizbildungs- stellen des Säugethierherzens, womit auch meine 1905 auf S. 138 ausgesprochene Vermuthung: „Es wäre z. B. sehr wohl möclich, dass die Museculatur des Herzens in der Richtung Verschiedenheiten auf- weist, dass die einen Muskelfasern mehr die Function ausgebildet haben, Arbeit zu leisten als andere, während letztere eine grössere Reizbildungsfähiekeit besitzen als jene, und dass die reizbildungs- fähigeren Muskelfasern gewissen Einflüssen gegenüber empfindlicher sind als die anderen,“ gestützt worden ist. Wer nun die Reizbildungsfunetion dieser specifischen Muskel- systeme dem jene Systeme innervirenden Nervengewebe zuzuschreiben geneigt wäre, der „ist (wie ich in meinem Erlanger Referate hervor- hob) vor die schwierige Aufgabe gestellt, eine plausible Erklärung dafür zu geben, warum diese Museulatur eine specifische ist, und was für eine besondere Function diese specifische Musculatur besitzt; denn mit der besonderen Structur pflegt auch eine besondere Function vorhanden zu sein. So müsste er auch erklären, was für eine Be- deutung die Muskelfasern des Ueberleitungsbündels besitzen, wozu sie da sind, wenn es nur ihre Nerven sein sollten, welche die Ueber- leitung vermitteln.“ Für die Annahme, dass die Ursprungsreize sich dort entwickeln, wo der Herzmuskel die nervöse (Accelerans-) Erregung aufnimmt, spricht der oben erwähnte periphere Angriffspunkt des Adrenalins, das, wie gesagt, so wirkt wie eine Acceleranserregung. Ob jenes die Acceleranserregung aufnehmende Substrat der Reizbildung bezw. ob das Angriffssubstrat des Adrenalins histologisch als ein noch zum Nervensystem oder schon zum Muskelgewebe gehöriges anzusehen ist, das mag vorläufig noch dahingestellt bleiben. Im Licbte unserer heute bestehenden wissenschaftlichen Erkenntniss ist es mir nicht unwahrscheinlich, dass jene Grenzfragen, ob sich ein Vorgang noch in der Nerven- oder schon in der Muskelsubstanz abspielt, ihre Beantwortung vielleicht mehr durch die Biochemie als durch die Histologie erhalten werden. Langley!) nimmt bekanntlich zur Erklärung: verschiedener auf die Nerv- Muskel-Grenze sich beziehenden Beobachtungen specielle receptive Substanzen an, die mehr oder weniger dissociable Verbindungen darstellen sollen; er localisirt diese Substanzen in den Muskel, da die in Betracht kommenden Erscheinungen auch nach der Degeneration der Nervenendigungen bestehen bleiben. 1) Journ. of Physiol. vol. 39 Nr. 4. 1909. Siehe auch seine früheren Mittheilungen. Ueber den exper. Nachweis neurogen erzeugter Ursprungsreize etc. 507 Wenn nun auch diese Substanzen im Muskel gelegen sein mögen, so wäre doch noch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass diese Substanzen erst unter dem Einfluss des Nervensystems auftreten, wenn im Laufe der ÖOntogenese die functionelle Verbindung des Nervensystems mit dem Muskel erfolgt ist, d.h. jene Substanzen könnten vielleicht erst zur Zeit dieser Verbindung sich bilden und könnten, wenn sie einmal vorhanden sind, auch nach der Degeneration der Nerven noch, wenigstens einige Zeit lang, bestehen bleiben. Es sei diesbezüglich an die Fälle von völliger Amyelie erinnert, in denen das Rückenmark fehlt, die ganze Stammesmuskulatur aber vorhanden ist, während letztere bekauntlich beim Erwachsenen degenerirt, sobald ihre Verbindung mit dem Rückenmarke auf- gehoben wird. Für das Herz scheint allerdings diese Möglichkeit nicht zuzutreffen, denn das embryonale Herz dürfte doch aller Wahrscheinlichkeit nach, wenigstens im Beginn seiner Thätigkeit, unbeeinflusst vom Nervensystem schlagen. In welches Gewebe des Nerv-Muskel-Gewebes man nun auch die Reizbildungssubstanz verlegen will, jedenfalls scheint es mir erforder- lich, anzunehmen, dass diese Substanz etwas verschieden ist von jener Substanz, welche die Verstärkung der Contraetionen vermittelt. Die speeifischen Muskelsysteme zeigen, wie erwähnt, gegenüber jenen Muskelfasern, die vorwiegend die Function haben, Arbeit zu leisten, nicht nur eine histologische, sondern auch eine physiologische Verschiedenheit, indem sie einen höheren Grad von Reizbildungs- fähigkeit besitzen als jene, oder, wenn man es so ausdrücken will, ihre Reizbildungssubstanz leichter anspricht als die jener. Die ver- schiedene Reizbildungsfähigkeit verschiedener Theile des Herzeus käme bei letzteren also bis zu einem gewissen Grade schon histo- logisch zum Ausdruck, aber doch nicht so weit, dass wir daraus z. B. entnehmen könnten, warum die Kammern eine geringere Reizbildungs- fähigkeit besitzen als die supraventrieulären Herzabschnitte; hierzu, wie auch zur Erklärung noch anderer Thatsachen, bedarf es doch noch der Annahme einer wie immer gearteten physiologischen Ver- schiedenheit der Reizbildungssubstanz. Hier sei auch darauf hin- gewiesen, dass man öfters schon den verschiedenen Automatiegrad ler verschiedenen Herzabschnitte mit der verschiedenen Zahl der Ganglienzellen dieser Abschnitte in Beziehung gebracht hat. Dies ist mir ganz unverständlich; denn in welchem Gewebe auch immer eine Reizbildung erfolgt, ihr Grad kann doch nicht von der Zahl der Reizbildungsstellen, sondern nur von der Qualität der jeweiligen Reizbildunesstelle abhängen. Uebrigens besteht dieser verschiedene Automatiegrad der ver- 508 H.E. Hering: schiedenen Herzabschnitte nach Fano, bestätigt durch H. His‘), schon beim embryonalen Herzen, und zwar in einem Zeit- abschnitte der Entwicklung, in welchem im Herzen, selbst nach H. His, noch keine Ganglienzellen enthalten sind (siehe S. 504). Bemerkungen über die Ursprungsreize des Säugethierherzens. Als Ursprungsreiz habe ich seiner Zeit (1902) jenes Geschehen bezeichnet, das dort vor sich geht, wo die automatische Herzthätigkeit ihren Ausgangspunkt nimmt. Dazu sei bemerkt, dass der Ausdruck „Reiz“ von mir nur beibehalten worden ist, weil er üblich ist; er würde aber besser durch einen anderen Ausdruck ersetzt werden; denn unter Reiz verstehen wir gewöhnlich nur eine Bedingung, unter der etwas geschieht, während beim Herzen mehrere Be- dingungen erforderlich sind, damit es z. B. wieder zu schlagen an- fängt, und gewiss Niemand gerade jene Bedingung als den Ur- sprungsreiz wird bezeichnen wollen, die bei Vorhandensein aller übrigen Bedingungen noch hinzukommen muss, damit das Herz zu schlagen anfängt. „Die Minimalbedingungen,*“ sagte ich 1905 auf S. 128, „unter denen ein schlagloses Säugethierherz wieder zu schlagen anfängt, sind enthalten in einer entsprechend warmen, etwas Sauerstoff absorbirt enthaltenden alkalischen Kochsalzlösung.“ Lassen wir den O oder die Wärme oder die Salze etc. weg, dann schlägt es nieht. Ist nun der O oder die Wärme ete. als Ursprungs- reiz zu bezeichnen? Gewiss nicht. Aber auch diese .Minimal- bedingungen können unter Umständen vorhanden sein, ohne dass das Herz schlägt. Fügen wir jedoch noch eine Bedingung hinzu, d. h. erregen. wir den Accelerans, oder fügen wir zu der Durch- strömungsflüssigkeit Adrenalin oder Calcium ete., dann kann das Herz wieder zu schlagen anfangen. Dementsprechend habe ich mich hinsichtlich des Umstandes, dass der Accelerans das Säugethierherz wieder zum Schlagen bringen kann, im Jahre 1905 S. 133 folgendermaassen ausgedrückt: „Die Beziehung des Accelerans zur Bildung der Herzreize lässt sich am besten so darstellen, dass man sagt, die Acceleranserregung schafft nur eine Bedingung, auf Grund welcher die Reizbildung heim schlagenden Herzen rascher, bei einem schlaglosen, aber noch reactionsfähigen Herzabschnitt von Neuem vor sich geht, ganz ähn- 1) Arbeiten aus der medizin. Klinik 1893 S. 14. Ueber den exper. Nachweis neurogen erzeugter Ursprungsreize etc. 509 lich, wie es sich auch mit einer anderen Bedingung verhält, welehe auch die Reizbildung des schlagenden Herzens erhöht und die des nieht schlagenden von Neuem errest, das ist die Wärme. Wie man aus der Beziehung der Wärme zur Bildung der Ursprungsreize nicht schliessen darf, die Ursprungsreize seien Wärmereize, so darf man auch aus: der Beziehung des Accelerans zur Reizbildung nicht den Schluss ziehen, die Ursprungsreize seien nervöse.“ Wenn ich also weiter oben gesagt habe, dass jetzt erwiesen ist, dass die Ursprungsreize des Säugethierherzens neurogen erzeugt werden können, so ist das dementsprechend so zu verstehen, dass die Nervenerregung nur eine jener Bedingungen darstellt, die zu den anderen schon vorhandenen Bedingungen hinzukommen kann, damit jenes Geschehen erfolgt, welches ich der Kürze wegen und unter Anlehnung an die übliche Ausdrucksweise Ursprungsreiz ge- nannt habe. Auch ist mit jenem Nachweis durchaus nieht etwa erwiesen, dass die Ursprungsreizbildung im Herzen jener Nerven- erregung bedarf, sondern, wie gesagt, nur, dass sie auch eine Be- dingung hiefür sein.kann; ob sie normaler Weise hinzukommen muss, ist damit nicht entschieden. — Von den genannten Minimalbedingungen zur Bildung von Ur- sprungsreizen gehören einige, so der Sauerstoff und die Wärme, zu den allgemeinen Lebensbedingungen. Zur Erzeugung von Ursprungs- reizen müssen also noch besondere, specifische Bedingungen vor- handen sein. Diese specifischen Bedingungen für eine Reizbildung könnten nun in den verschiedenen Organen wieder verschieden sein. So genüst, wie ich!) 1903 mittheilte und Fr. Müller und Ott?) bestätisten, die Ringer’sche Lösung nicht, um die Funetion des centralen Nervensystems bei erwachsenen Säugethieren aufrecht zu er- halten oder wieder herzustellen, während jene Lösung für die Wieder- herstellung und Erhaltung der Herzthätigkeit bekanntlich genügt. Dieser Unterschied zwischen centralem Nervensystem und Herz ist jedoch insofern nur ein gradueller, als Neugeborene nach Winter- stein?) für einige Zeit durch Ringer’sche Lösung überlebend erhalten werden können. In diesen Versuchen beobachtete Winter- stein‘), dass bei diesen Thieren zwar die Reflexerregbarkeit er- 1) Pflüger’s Arch. Bd.99 S. 261 Anm. 1903. 2) Pflüger’s Arch. Bd. 103 S. 493. 1904. 3) Wiener med. Wochenschr. Nr. 39. 1910. 4) Pflüger’s Arch. Bd. 138 S. 167. 1911. 510 H. E. Hering: halten bleibt, nicht aber die Athmung, welche jedoch auftritt, sobald etwas CO, zugeführt wird. Hier hätten wir einen Unterschied zwischen dem Auftreten der Athembewegungen und des Herzschlages, denn für letzteres bedarf es zu seiner Wiederbelebung der speciellen Zuführung von CO, nicht. Eine Bedingung, die für das Auftreten rhythmischer Reizbildung erforderlich erscheint, ist das Vorhandensein von Elektrolyten in der Wiederbelebungs- bzw. Erhaltungsflüssigkeit; wenigstens gilt dies für das Herz und den Darm (Cohnheim-Magnus) und an- scheinend auch für die in der Medulla oblongata auftretenden Athem- reize (Winterstein). Nach T. Brailsford Robertson!) ist die Frequenz des Herzschlages durch die Ionen der Ringer’schen Lösung bestimmt; sie hängt ab von den relativen Geschwindigkeiten der Kationen und Anionen in der Lösung. Er sieht den Herzschlag an als die Folge einer periodischen Verdrängung von Kationen aus einem Kationen- proteid durch Anionen. Ist dies thatsächlich der Fall, so meint er weiter, so verhält sich die Reaction zwischen Ion und Proteid, welche in der Bildung von lIonenproteid im Muskelgewebe des Herzens resultirt, so, als ob sie in einer einfachen Addition von Ionen und Proteid besteht, und gehorcht somit dem Massenwirkungs= gesetz von Guldberg und Waage. Nach Ch. D. Snyder?) sowie A. Kanitz?) ist die Schlag- frequenz des Herzens in analoger Weise von der Temperatur ab- hängig wie die nichtvitale chemische Reactionsgeschwindigkeit. Alle diese Erfahrungen führen uns nun nicht zu dem Ergebniss, dass ein bestimmter Stoff (Umstand) etwa der Ursprungsreiz der Herzbewegung sei, sondern ein bestimmter Vorgang, ein Geschehen, an dem sich eine Anzahl Stoffe (Umstände) betheiligsen. Wenn ich weiter oben von einer Reizbildungssubstanz sprach, so ist darunter nur das Substrat im Herzen zu verstehen, in oder an dem bzw. unter dessen Vermittlung sich jener Vorgang abspielt. Dass nun dieses Substrat nicht nur für die Reiz- bildung da ist, sondern nur unter Umständen diese Funetion be- sitzt, geht meiner Meinung nach wohl daraus sicher hervor, 1) Pflüger’s Arch. Bd. 110 S. 610. 1905. 2) Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1907 S. 118. 3) Pflüger’s Arch. Bd. 118 S. 601. 1907. Ueber den exper. Nachweis neurogen erzeugter Ursprungsreize etc. 511 dass unter Umständen die Reizbildung von ganz anderen Stellen ausgehen kann als von der normalen, npomotopen Reizbildungsstelle, d. h. von Stellen aus- geht, die bei vielen Individuen während ihrer ganzen Lebenszeit nicht als Reizbildungsstellen fungiren. Diese heterotope Reizbildung, wie ich letztere bezeichnet habe, die im Herzen so ausgebildet ist, sich auf so viele Theile des Herzens erstreckt, unter entsprechenden Umständen sehr leicht in Erscheinung tritt, während sie oft die ganze Lebenszeit hindurch nicht vorkommt, hat mich schon seit längerer Zeit darüber belehrt, dass wir das Substrat der Reizbildung im Herzen nicht in einem lediglich dieser Function dienenden Form- element des Herzens suchen dürfen. Auch zeigt die Reizbildung in der Kammer, wenn z. B. das His’sche Bündel durchschnitten ist, keine prineipielle Abweichung von der Reizbildung an den supraventriculären Herzabschnitten, wenn sie auch in ersterer gewöhnlich langsamer erfolgt, d. h. unter sonst gleichen Umständen. Erwärnt man aber die Durchströmungs- flüssigkeit der automatisch schlagenden Kammern, so können sie, wie ich gezeigt habe, ebenso rasch schlagen wie die Vorhöfe; dasselbe kann der Fall sein bei Einverleibung von Adrenalin, Caleium, Stoffen der Digitalisgruppe und verschiedenen anderen Stoffen. Wie ich!) 1907 berichtet habe, besteht auch beim Säusethier- ‘herzen eine weitgehende Unabhängigkeit der Reizbildung von der Reactionsfähigkeit des Herzens. Auch diese Thatsache weist auf eine gewisse Verschiedenheit des Reizbildungssubstrates von jenen Sub- straten hin, an welche die übrigen uns bekannten Figenschaften des Herzens gebunden sind. Wie ich schon an anderer Stelle betont habe, spricht gegen eine völlige Unabhängigkeit der Reizbildung von der Reactionsfähigkeit die Thatsache, dass die Extraperiode an einem automatisch schlagenden Herzabschnitt der Länge der Normalperiode zu entsprechen pflegt oder etwas länger bezw. auch etwas kürzer ist, aber nie so lang wird, dass wirklich eine compensatorische Pause auftritt. Diese Thatsache ist einerseits so erklärt worden, dass man an- nahm, der Ursprungsreiz wirke „nach Art eines eonstanten Dauer- reizes“, andererseits von Engelmann so, dass die Systole die Reiz- 1) Pflüger’s Arch. Bd. 116 S. 149. 1907. 512 H. E. Hering: bildung beeinflusse. In letzterem Falle, dem auch ich zustimme, würde der Ursprungsreiz sich rhythmisch bilden. Ich habe im Laufe der Zeit entschieden die Ueberzeusung gewonnen, dass die Reiz- bildung rhythmisch vor sich geht, und dass es nicht angeht, den Herzrhythmus nur auf den rhythmischen Wechsel .der Reizbarkeit des Herzens, d. h. auf seine refractäre Phase, zu beziehen, worauf die erstgenannte Erklärung beruht. So habe ich schon 1905 gefunden, dass, wenn an einem nomotop schlagenden Herzen sich durch Acceleransreizung heterotope Ursprungs- reize entwickeln, diese vorzeitig, d. h. vor dem nomotopeu Ur- sprungsreiz, auftreten; sonst könnten sie unter diesen Umständen auch gar nicht wirksam werden. Auch ist es. wahrscheinlich, worauf ich Anden 2) schon mehrfach hingewiesen habe, dass die spontan auftretenden Extra- systolen vielfach auf Extrareizen beruhen, die nichts Anderes sein dürften als heterotope Ursprungsreize. Gegen diese Auf- fassung scheint die oben erwähnte Annahme, dass die Systole: (die Reizbildung beeinflusse, zu sprechen; doch glaube ich, dass dieser Widerspruch nicht zu Recht besteht, denn es ist mit der Annahme, dass nach jeder Systole der Ursprungsreiz neu erzeugt wird, sehr wohl vereinbar, dass diese Erzeugung des Ursprungsreizes an einer anderen Stelle nach der Systole in Folge eines besonderen Umistandes, z. B. Acceleransreizung, Calcium u. s. w., rascher erfolst als an der normalen Stelle, d. h. dass die heterotope Reizbildung rascher erfolgt als die nomotope. Auch kann man .die Thatsache der Frequenz- steigerung des Herzens nicht lediglich durch die Verkürzung der refraetären Phase erklären, sondern muss dazu auch eine raschere Reizbildung annehmen. Ich glaube zwar, dass die Reizbildung und die refractäre Phase normaler Weise bis zu einem gewissen Grade sich gleichzeitig und gleichsinnig Ändern, indem nicht nur die Reiz- bildung, sondern auch die Reactionsfähigkeit sich ändert; dass dies aber nicht immer so sein muss, geht meines Erachtens sicher aus der Thatsache hervor, dass man durch lediglich locale Er- wärmung der nomotopen Reizbildungsstelle in der Gegend des Keith-Flack’schen Kuotens das ganze Herz zu einer rascheren Schlagfolge veranlassen kann, obwohl 1) Siehe Erlanger Referat, Verhandlungen des diesjährigen Congresses für innere Medizin und Münch. med. Wochenschr. 1911. Ueber den exper. Nachweis neurogen erzeugter Ursprungsreize et. 513 N an den übrigen nur vermittelst des Leitungsreizes in Erregung - versetzten Herzabschnitten zunächst nichts geändert worden ist). Der Herzrhythmus ist also meiner Meinung nach sowohl durch die rhythmische Reizbildung als auch durch die - rhythmische Reactionsfähigkeit des Herzens bedingt. 1) Gegen die Erklärung, den Herzrhythmus durch einen Dauerreiz zu er- klären, der je nach der Anspruchsfähigkeit der Herzen frequentere oder seltenere Herzcontractionen auslöst, sprechen auch die Angaben von Walther (Pflüger’s Arch. Bd. 78 S. 622. 1900) und von Trendelenburg (Arch, f. [Anat. u.] Physiol. 1903 S. 279), dass die Anspruchsfähigkeit des Froschherzens nach der Systole nicht continuirlich ansteigt bis zur nächsten Systole, sondern schon vorher ein Maximum erreicht, auf welchem die Anspruchsfähigkeit einige Zeit bis zur nächsten Systole verharrt, d. h. die Schwellenreize dieselbe Grösse haben. Für eine periodische Reizbildung spricht auch, dass nach Robertson (siehe S. 510) die Frequenz des Herzschlages eine Function der Wanderungs- geschwindigkeit der Ionen der Ringer’schen Lösung ist, wie denn auch über- haupt die Beziehung der Ionen zur Reizbildung wohl nur durch Vorstellungen verständlich werden, die an eine periodische Reizbildung anknüpfen, z. B. wie es Robertson darstellt (siehe übrigens auch „Die Energetik der autochton periodischen Lebenserscheinungen“ von H. Zwaardemaker, Ergebn. d. Physiol. 7. Jahrg. S.1. 1908). o > Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 514 Kamill Lhotäk von Lhota: (Aus dem k. k. pharmakologischen Institut der böhm. Universität in Prag.) Über die Ursachen der sinkenden Pulsfrequenz bei wachsenden Hunden. Von Dr. Kamill Lhotäk von Lhota, a. 0. Professor der Pharmakologie. I. Die Pulsfrequenz sinkt bei Säugern von der Geburt an mit fortsehreitender Entwicklung bis zur vollständigen Reife sehr be- trächtlich. Beim Menschen sinkt die Pulsfrequenz von einer durch- schnittlichen Pulszahl von 140 in der Minute nach der Geburt an- fangs schneller, später langsamer, bis sie um das 20. Lebensjahr und nach demselben etwa 70 in der Minute beträgt (d. i. sie sinkt im ganzen ungefähr auf die Hälfte). Im Alter nimmt sie nach dem 60. Lebensjahre (und auch schon nach dem 50.) einigermaassen wieder zu. Beim Hunde ist die Schnelligkeit, mit welcher die Pulsfrequenz sinkt, wesentlich abhängig von der schliesslichen Grösse des Hundes (von der Rasse). Bei Hunden von mittlerer Grösse (Spitz, Foxterrier), die im erwachsenen Zustand durchschnittlich 7—10 kg wiegen, ent- wickelt sich die schliessliche durchschnittliche Pulszahl von 100 in der Minute binnen 7—S Monaten (d.i. während der ganzen Wachs- tumszeit), und zwar von einer anfänglichen Pulsfrequenz, die gleich nach der Gehurt durchschnittlich 200 in der Minute (oder ein wenig mehr) beträgt. Wenn wir uns zur besseren Erkenntnis der Art und Weise, wie die Pulsfrequenz während der Zeit des Wachstums des Hundes sinkt, die durchschnittlichen Pulszahlen aus zehntägigen Zeit- räumen zusammenstellen, werden wir aus einer derartigen Übersicht erkennen, dass die Pulsfrequenz in der ersten Hälfte der Wachstums- periode nur wenig sinkt. In der zweiten Hälfte der Wachstums- periode sinkt sie mehrfach schneller. Über die Ursachen der sinkenden Pulsfrequenz bei wachsenden Hunden. 515 Maximale plötzlich Alter Gewicht Diueh enn nie auftretende Sen- des Hundes Pulszahl kung der Puls- g von 10 Tagen | frequenzi.10 Tagen 3 Monate und 10 Tage 2300 180 — 10, , 2500 176 148 10, 3000 175 145 +10 „ 3600 177 146 Eel0 7, 3600 174 — 0; 4200 . 176 138 10 4400 169 141 ot 4600 156 134 +10 „ 5100 158 132 +10 „ 5200 143 126 +10 „ 5400 13 120 21003, 5700 131 114 ZEsLO 5800 129 — le 5700 127 106 +10 „ | 5900 | 123 100 Br (Bei diesen Versuchen müssen so gut als möglich jene Umstände ausgeschlossen werden, die eine Veränderung der Pulzfrequenz zu verursachen pflegen. Der Hund wurde also isoliert gehalten, und der Puls wurde dreimal täglich [eventuell bei Tag stündlich] immer von derselben Person und in demselben Raume gezählt. Einmal täglich wurde ein Kardiogramm mittelst Marey’schen Kardiographen aufgenommen. An diese Prozeduren gewöhnt sich der Hund schnell und leicht, so dass er durch dieselben nicht im geringsten beun- ruhigt wird.) | Je häufiger im Tage wir den Puls zählen, desto weniger wird es unserer Aufmerksamkeit entgehen, dass neben einer allmählichen Abnahme der Pulsfrequenz zeitweise ziemlich plötzliche Pulssenkungen, und zwar von einem bestimmten Charakter auftreten. Diese plötz- lichen Senkungen kommen eher in der zweiten als in der ersten Hälfte der Wachstumsperiode des Hundes vor, ja, sie häufen sich sogar manchmal in der zweiten Hälfte. Zweitens bleibt die Puls- frequenz nach einer solchen plötzlichen Senkung, die im Verlaufe einiger Stunden verschwindet, immer etwas herabgesetzt. Schliess- lich sind diese Senkungan von annähernd gleicher Grösse, d. i. der Puls sinkt ziemlich plötzlich um etwa 15°o. (In dem gegebenen, auf der vorangehenden Tabelle angeführten Falle mindestens um 11, höchstens um 18/o). Aus dem Umstande, dass nach diesen plötzlichen Pulsverlang- samungen die Pulsfrequenz herabgesetzt bleibt, und dass diese Ver- langsamungen speziell in der zweiten Hälfte der Wachstumsperiode 34 * 516 Kamill Lhotäk von Lhota: vorkommen, kann man vermuten, dass sie mit der beschriebenen allmählichen Senkung der Pulsfrequenz beim Wachstum des Tieres zusammenhängen. Offenbar sind dies Prodrome einer immer grösser werdenden Abnahme der Pulsfrequenz. Das Resultat der bis jetzt angeführten Beobachtungen ist ls die Konstatierung, dass die Pulsfrequenz bei Hunden (von 7—10 kg Gewicht) in der zweiten Hälfte der Weachstumsperiode schneller sinkt als in der ersten Hälfte. Das Sinken der Pulsfrequenz findet zwar allmählich statt, aber zeitweise (besonders häufig gegen. das Ende der Entwicklung des Tieres) treten plötzliche, zum grössten Teile wieder verschwindende Senkungen der Pulszahl auf, welche offenbar die allmähliche Ab- nahme der Pulsfrequenz gleichsam einleiten. 11. Wenn man die Ursachen für die Abnahme der Pulsfrequenz während des Wachstums bestimmen will, muss man hauptsächlich drei Faktoren ins Auge fassen, nach welchen sich .die Veränderungen der Pulzfrequenz riehten können. Zunächst sind es Veränderungen der exzitomotorischen Funktion des Herzens (der Automatie des Herzens), sodann Veränderungen des Vagustonus und schliesslich auch die eventuelle Mitbeteiligung der tonischen Erregung der Nn. accelerantes. Die Beteiligung dieses letzteren Faktors ist aber zweifelhaft, da es bis jetzt noch nicht entschieden ist, ob die Nn. accelerantes unter dem Einflusse einer dauernden tonischen Reizung stehen wie der N. vagus. Wir wollen daher zunächst versuchen zu entscheiden, welchen Anteil an der Abnahme der Pulsfrequenz während des Wachs- tums des Hundes: 1. die Veränderungen der exzitomotorischen Herz- funktion (der Automatie der Herzens) haben, und 2. welchen An- teil der Vagustonus hat. Zu diesem Zwecke eignet sich die Methode der temporären Vaguslähmung mittelst Atropin, die ich bereits bei der Erforschung der ehronischen Digitalisvergiftung angewendet habe). Auf Grund der herrschenden Theorie über die Wirkung des Atropins auf das Herz, laut welcher das Atropin die Vagusendigungen 1) Untersuchungen über die chronische Vergiftung mit Digitoxin und Digi- talis. Arch. internat. de Pharmacodynamie et de Therapie vol. 20 p. 369. Über die Ursachen der sinkenden Pulsfrequenz bei wachsenden Hunden. 517 im Herzen lähmt, können wir annehmen, dass wir durch die An- wendung des Atropins, d. i. durch die Beseitigung der Vagzustonus jene Pulsfrequenz erhalten werden, welche nur durch die exzito- motorische Herzfunktion (Automatie des Herzens) bestimmt wird. Durch eine entsprechende Anwendung des Atropins können wir daher die Grösse des Vagustonus und die Grösse der exzitomotorischen Herzfunktion während der verschiedenen Wachstumsphasen des Tieres leicht bestimmen. Wir konstatieren z. B., dass bei einem jungen Hunde bald nach der Geburt, der eine Frequenz von 200 Pulsen in der Minute hat, nach einer entsprechenden Atropingabe die Pulsfrequenz auf 300 pro Minute steigt. Nach einem halben Jahr, wenn der Hund fast er- wachsen ist, sinkt die normale Pulsfrequenz auf 150 pro Minute; diese Pulszahl steigt jetzt nach der Lähmung der Vagi durch Atropin z. B. nur mehr auf 275 in der Minute. Aus diesen wenigen Zahlen können wir die Beteiligung der Steigerung des Vagustonus und die Beteiligung der Herabsetzung der exzitomotorischen Herzfunktion bestimmen, durch welche diese beiden Faktoren an der Abnahme der Pulsfrequenz um 50 Pulse (von 200 auf 150 pro Minute) partizipieren. Wenn wir die Möglichkeit einer Beteiligung des Tonus der Nn. accelerantes ausser acht lassen, so bedeutet die Differenz der Puls- zahl nach Atropin die Veränderung der exzitomotorischen Herzfunktion. In dem erwähnten Falle steigt die Pulsfrequenz nach der ersten Atropininjektion auf 300, nach der zweiten Injektion (nach einem halben Jahre) auf 275 Pulse in der Minute. Demnach sank die exzitomotorische Herzfunktion um 25 Pulse, was die Hälfte jener 50 Pulse ausmacht, um welche die normale Pulsfrequenz während des Wachstums des Hundes abgenommen hat. Es partizipiert also die Herabsetzung der exzitomotorischen Herzfunktion an der Ab- nahme der Pulsfrequenz während des Wachstums mit 500. Mit den restlichen 50 °/o beteiligt sich sodann an der Herabsetzung der normalen Pulsfrequenz die Steigerung des Vagustonus. Dieser äussert sich nämlich in der Differenz der Pulszahlen vor und nach der Atropininjektion. Im Falle der ersten Atropininjektion ist der Vagus- tonus dureh die Zahl 100 (d. i. 300 minus 200), nach der zweiten Atropininjektion durch die Zahl 125 (d. i. 275 minus 150) aus- gedrückt. Wie bereits erwähnt wurde, stieg also der Vagustonus um 25. 518 Kamill Lhotäk von Lhota: Nach diesem Schema führte ich die Versuche im ganzen an fünf im Wachstum befindlichen Hunden durch. Die Tiere wurden in zehntägigen Zwischenräumen gewogen. Der Puls wurde mindestens dreimal täglich gezählt. Das Atropin (Atropinum sulfurieum) wurde subkutan in Form einer frisch zubereiteten Lösung in Intervallen von etwa einem Monat in einer Dosis von je 1 mg auf 2 kg des Hundes injiziert. (Jüngere Individuen bekamen etwas mehr.) Im Atropinversuch wurde der Puls mit dem Marey’schen Kardio- graphen geschrieben, und zwar während der ersten 10 Minuten nach der Injektion ohne Unterbrechung, später in Intervallen von 5 Minuten, dann von 10 Minuten und schliesslich nach 15—20—30 Minuten und so im ganzen mindestens durch 4 Stunden nach der Atropin- injektion. Die Dosen und Intervalle der Atropininjektionen wurden em- pirisch so gewählt, dass eine Lähmung des Herzmuskels und eine Angewöhnung an das Atropin möglichst ausgeschlossen war. Ob zwar nun die Resultate der nach dem erwähnten Plane durchgeführten Versuche mit verschiedenen Fehlern behaftet sind (die Methode selbst ist nicht einwandfrei), gewähren sie doch eine gute Orientierung speziell über die Art und Weise der Zunahme des Vagustonus beim Wachstum des Tieres. Dies veranschaulicht die folgende Übersichtstabelle, die den Protokollen eines der fünf Versuche entnommen ist (ein vollständiges Protokoll folgt am Schluss der Abhandlung). | Durch- Abnahme Pulsfrequenz Differenz der Alter “| schnittl. | der Puls | "injection äle:ü| naen demropne des Gewicht Puls- frequenz | die die exzito- | applikation i. e. runde frequenz | | m [meine Her | 8 den Yasas g pro Min. | Prozenten | arückende Zahl | drückende Zahl 1!/a Monate 1842 178 _ 272 94 21/a 5 3621 174 0,2 284 110 a 5188 172 0,3 274 102 41/g 4 6357 154 3 280 126 o1/a AR 7271 118 33 284 166 61/2 5 7651 104 41 296 182 Ze 7253 98 44 294 196 8lle 5 7168 100 43 302 202 Qilg 5 7796 86 | 90 308 | 212 Ein Blick auf diese Tabelle überzeugt uns, dass an der Ab- nahme der Pulsfrequenz während des Wachstums des Tieres aus- schliesslich die Steigerung des Vagustonus beteiligt ist. Der Vagus- Über die Ursachen der sinkenden Pulsfrequenz bei wachsenden Hunden. 519 tonus nimmt nach dieser Tabelle in der Wachstumsperiode dieses Tieres um mehr als das Doppelte zu (fast um das Dreifache bei dem Hunde, dessen Protokoll am Schlusse dieser Abhandlung folet). Wenn einzig und allein nur die Steigerung des Vagustonus bei der Abnahme der Pulsfrequenz während des Wachstums des Tieres zur Geltung käme, würde die Pulsfrequenz noch tiefer sinken, als dies in Wirklichkeit der Fall ist. Aber dem verstärktem Vagustonus wirkt die kleine, aber doch ganz deutliche Zunahme der exzito- motorischen Herzfunktion entgegen, die bei dem in der Tabelle an- geführten Versuche von 272 auf 308 steigt. Ungefähr soviel lässt sich durch die blossen Atropinversuche, wenn wir mit den Experimenten an einem etwa zweimonatigen Hunde beginnen, konstatieren. Aber beide Zahlen, sowohl jene, welche die exzimotorische Herzfunktion, als auch besonders jene, welche den Vagustonus aus- drücken, ändern sich wesentlich, wenn wir das Experiment bald nach der Geburt des Tieres beginnen. Je jünger nämlich der Hund ist, desto weniger steigt die Pulsfrequenz nach der Atropinapplikation. Unmittelbar nach der Geburt und bald nach derselben ver- ursacht das Atropin entweder überhaupt keine oder nur eine ganz gerinsfügige Pulsbeschleunigung. So z. B. steigt die Pulsfrequenz bei einem fast einmonatigen Hunde, der 1700 g wiegt und einen Puls von 240 pro Minute hat, nach 1,5 mg Atropin nur auf 246 pro Minute (eine Zunahme, die in den Grenzen der normalen Schwankungen der Pulsfrequenz liegt). Bei demselben Hunde steigt nach 7 Monaten, wenn er 10800 « wiest, der Puls nach 5 mg Atropin von 106 auf 260 pro Minute. Der Vagustonus nahm also im Laufe des Wachstums des Tieres von 6 auf 154 zu, während die exzitomotorische Funktion nur sehr unbedeutend zunahm. Dieser Versuch stimmt mit dem Befunde Anrep's!) bei neu- geborenen Katzen überein, bei denen die Atropininjektion ebenfalls keinen Einfluss auf die Pulsfrequenz hat. Ich versuchte bei mehreren jungen Hunden zu konstatieren, ob diese geringere Wirksamkeit des Atropins nicht etwa durch eine geringere Durchgäneiekeit der Vagusendigungen im Herzen, d. i. 1) v. Anrep, Über die Entwicklung der hemmenden Funktionen bei Nen- geborenen. Pflüger’s Arch. Bd 21 S. 78. 520 Kamill Lhotäk von Lhota: durch einen geringeren Effekt der Vagusreizung, bedingt sei. Ich konstatierte nun in der Mehrzahl der Fälle, dass in der Zeit gleich nach der Geburt des Tieres (bei einem Versuche 12 Stunden nach der Geburt) das Herz nach einer Vagusreizung prompt stehen blieb. (Auch Meyer!) konstatierte bei neugeborenen Hunden eine normale Reizbarkeit des N. vagus.) Es ist aber (nach Versuchen, die ich ausgeführt habe) sicher, dass die hemmende Tätigkeit des Vagus bei neugeborenen Hunden manchmal sehr ungleich sein kann, und zwar auch in der Weise, dass bei dem einen Hunde fast gar kein Effekt der Vagusreizung eintritt, bei einem anderen Hunde desselben Wurfs aber das Herz nach der gleichen Vagusreizung stehen bleibt. Durch welche Um- stände diese Ungleichheit des Fffektes der Vagusreizung bei neu- geborenen Hunden bestimmt wird, lässt sich nicht sagen. Vielleicht ist schon durch die Befestigung des Tieres an den Öperationstisch und durch den operativen Eingriff der Effekt der Vagusreizung bei jungen Hunden alteriert. [Bei Kaulquappen fand Babäk°), dass der N. vagus in der Mehrzahl der Fälle speziell bei R. temporaria unerregbar ist.] Es lässt sich daher die Möglichkeit nicht ganz in Abrede stellen, dass die geringfügige Hemmungswirkung des Vagus in der ersten Zeit nach der Geburt auch durch eine geringere Durchgängiekeit der Vagusendigungen im Herzen mitverursacht sein könnte; doch ist dies nicht mit Bestimmtheit nachgewiesen. Allerdings müssten wir dann annehmen, dass die Durchgängigkeit der Vagusendigungen mit fortschreitendem Wachstum des Tieres eine leichtere wird, so dass der verstärkte Vagustonus um so eher zur Geltung kommen kann. Schliesslich wandte ich meine Aufmerksamkeit auch der Frage zu, ob in den Zahlen, welche die Veränderungen der exzitomotorischen Herzfunktion ausdrücken, vielleicht auch der Anteil der Reizung der Nu. accelerantes inbegriffen ist. Dieser Anteil könnte so gross sein, dass auch eine Herabsetzung der exzitomotorischen Herzfunktion durch ihn verdeckt sein könnte. 1) E. Meyer, Phenom£nes d’inhibition cardiovasculaire chez les nouveau- nes. Arch. de physiol. 1893 p. 475 ft. 2) Babäk, Über die ontogenetische Entwicklung der chronotropen Vagus- einwirkung. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 21 S. 513. 1908. Über die Ursachen der sinkenden Pulsfrequenz bei wachsenden Hunden. 521 Ich stellte vor allem an erwachsenen Hunden, bei denen bereits während der Wachstumsperiode die Atropinreaktion angestellt worden war, Versuche in Morphiumnarkose an (0,01 g auf 1 kg Tier), und zwar in der Voraussetzung, dass eine eventuelle Pulsvermehrung infolge Reizung der Nn. aecelerantes durch die Morphiumnarkose vermindert oder beseitigt wird. In der Tat stellt sich nach einer in der Morphiumnarkose aus- geführten Atropininjektion ausnahmslos eine geringere Pulsvermehrung ein als nach einer ohne vorhergehende Morphinisierung ausgeführten Atropininjektion. Der Unterschied beträgt S—16°o. Demnach könnten wir mindestens 8°/o von jener Zahl abziehen, welche die exzitomotorische Herzfunktion ausdrücken soll. Zur sicheren Entscheidung der Frage der Beteiligung der Er- regung der Nn. accelerantes genügen diese Morphiumversuche aller- dings nicht. Ich nahm zu diesem Zwecke als Schlussexperiment an mehreren während der Wachstumsperiode beobachteten Hunden die beiderseitige Exstirpation des Ganglion stellatum und des Ganglion cervicale inf. vor, wodurch die Möglichkeit einer Pulsbeschleunigung durch Vermittlung der Nn. accelerantes vollständig ausgeschlossen wurde. Durch Verwendung des Atropins bei so operierten Hunden (in einfacher Morphiumnarkose !) erweist sich die Pulsvermehrung stets wesentlich kleiner als durch Applikation des Atropins ohne Operation. Der Unterschied beträgt mehr als 20 /o. So z. B. steigt der Puls, wie aus dem am Schlusse dieser Ab- handlung angeführten Protokolle ersichtlich ist, nach der Atropin- injektion von 122 auf 284 und nach einer Atropininjektion bei vorangehender Exstirpation der Ganglien von 58 auf 2206. Nach dem Ergebnisse dieser Versuche können wir also an- nehmen, dass ein grosser Teil der Zahl, welche die exzitomotorische Herzfunktion ausdrückt, auf Rechnung der Erregung der Nn. acce- lerantes abgezogen werden muss. Die Beteiligung der letzteren ist nieht immer gleich. Jedenfalls aber übertrifft sie jenes Plus, welches uns bis jetzt die Zunahme der exzitomotorischen Herzfunktion (der Automatie des Herzens) ausgedrückt hat. Um zu bestimmen, ob die 1) Durch Verstärkung der Morphiumnarkose durch ein Gemisch von Chloroform, Äther, Alkohol aa wird die Herzfunktion sehr schwer alteriert. 522 Kamill Lhotäk von Lhota: exzitomotorische Herzfunktion im erwachsenen Zustande des Tieres etwa wirklich kleiner ist als nach der Geburt, müssten wir freilich noch konstatieren, ob die an erwachsenen Hunden festgestellte Be- teiligung der Erregung der Nn. accelerantes bei jungen oder neu- geborenen Hunden kleiner ist. Der Versuch, den ich zu diesem Behufe ausgeführt habe, ergab ein unerwartetes Resultat. Dieses Experiment zeigte nämlich, dass bei einem dreimonatigen Hunde die Beteiligung der Erregung der Nn. accelerantes grösser wäre als bei der über ein Jahr alten Mutter desselben Hundes. Bei dem jungen Hunde stieg die Pulsfrequenz nach der Atropin- injektion von 200 auf 255 in der Minute, und nach 14 Tagen, nach- dem die Ganglia stellata und cervicalia inf. exstirpiert worden waren, stieg die Pulsfrequenz in der Morphiumnarkose von 110 auf 172 (die Beteiligung der Erregung der Nn. accelerantes wird also durch die Zahl 84 ausgedrückt). Bei einer erwachsenen Hündin, der Mutter desselben jungen Hundes, stieg die Pulsfrequenz nach Atropin von 120 auf 284 und nach der Exstirpation der Ganglien in der Morphiumnarkose nach der Atropininjektion von 58 auf 226. (Die Beteiligung der Erregung der Nn. accelerantes wird hier durch die Zahl 58 ausgedrückt.) Ich wage nicht, das Resultat dieses einen Versuches für be- friedigend zu erklären. Im Gegenteil, ich bin der Ansicht, dass nach einer solchen Operation, wie die Exstirpation des Ganglion stellatum ist (nach Cyon von der Rückseite des Thorax), die ge- gebene Frage mit Wahrscheinlichkeit erst dann entschieden werden könnte, wenn man mehrere Experimente mit einem übereinstimmen- den Resultate ausführen würde. Hierzu hatte ich nicht genügend Material zur Verfügung. Das Gesamtresultat der angeführten Experimente ist folgendes: Bei Hunden, welche im erwachsenen Zustande 7—10 kg wiegen, sinkt die Pulsfrequenz beim Wachs- tum etwa während 7 Monaten annähernd auf die Hälfte der nach der Geburt vorhanden gewesenen Pulszahl. In der zweiten Hälfte der Wachstumsperiode sinkt die Pulsfrequenz viel schneller als im Anfang. Über die Ursachen der sinkenden Pulsfrequenz bei wachsenden Hunden. 523 Die Pulsfrequenz sinkt allmählich; aber zeitweise stellen sich plötzliche und vorübergehende Senkungen der Pulsfrequenz ein, und zwar am häufigstenin der Zeit der beschleunigten Abnahme der Pulszahl. Die Abnahme der Pulsfrequenz während des Wachstums der Hunde ist vor allem bedingt dureh das Auftreten und durch die allmähliche Verstärkung des Vagustonus. Die exzitomotorische Funktion des Herzens (Herz- automatie) wird entweder überhaupt nicht geändert, oder sie nimmt eher zu. An den Veränderungen der Pulsfrequenz ist auch der Einfuss der Nn. accelerantes wesentlich beteiligt. Versuchsprotokoll. Rn Durchschnittl. Puls- Plötzliche Zeit Gewicht zahl pro Minute Senkung der g von 1 Tage Pulsfrequenz 1. Oktober 1910 2123 176 — 2. n 1910 — 185 — 3 8 1910 187 _ 4. % 1910 i 2380 175 — 5. 5 1910 — 175 — 6. 5 1910 — 189 — 7 5 1910 = 177 — 8 > 1910 2443 179 — 9 5 1910 — 181 _ 10. 5 1910 — 180 — Ik 65 1910 — 179 — 12. & 1910 — 164 148 13. 2 1910 2514 180 — 14. ? 1910 — 180 — 15. 5 1910 — 179 160 16. 5 1910 — 186 — 17. = 1910 — 177 — 18. 5 1910 2851 179 — 19. 5 1910 — 182 — 20. 5 1910 2987 172 _ 21. e 1910 Atropinversuch. Subkutane Injektion von 3 mg Atro- pinum sulf. Die Pulszahl steigt von 192 auf Maxi- mum 254 pro Minute. Exzitomotorische Herzfunktion — 254. Vagustonus — 62. De 1910 = 186 — Be 1910 = 179 — De. 1910 — 169 — Zu, 1910 — 165 145 71910 3022 167 - a0... 1910 e 176 — 2021910 = 174 — Da 191 — 184 — 200. :21910 3086 186 _ Sl 031910 — 178 524 Kamill Lhotäk von Lhota: : Durchschnitti. Puls- Plötzliche Zeit Sa zahl pro Minute Senkung der g von 1 Tage Pulsfrequenz 1. November 1910 — 176 — 2. > 1910 — 173 + 3. 5 1910 173 _ 4. = 1910 — 168 —_ 9. „ 1910 = 172 2 6. 5 1910 E= 171 — 1% 4 1910 En 179 _ 8. 5 1910 _ 182 _ & " 1910 — 165 E= 10. a 1910 3600 166 146 11. 5 1910 —_ 159 148 12. n 1910 — 175 — 13. " 1910 — 186 — 14. a 1910 — 190 —_ 15. 5 1910 — 165 ° _— 16. = 1910 3608 107 — 12: 5 1910 — 175 E= 18. 3 1910 Atropinversuch. Subkutane Injektion von 4 mg Atro- pinum sulf. Die Pulszahl steigt von 162 auf Maxi- mum 258 pro Minute, Exzitomotorische Herzfunktion — 258. Vagustonus — 96. 19. 5 1910 — | 175 — 20. 3 1910 — | 187 _ 21. A 1910 4181 181 B= 22. r 1910 — 175 — 23. 5 1910 — 176 E= 24. . 1910 —_ 183 E 25. z 1910 4263 181 — 26. „ 1910 _ 173 — 27. 8 1910 179 = 28. 5 1910 4312 189 29. 2 1910 — 153 138 3. 5 1910 —_ 181 —_ 1. Dezember 1910 — 181 — 2. 5 1910 4356 175 _ 3. a 1910 — 185 2 4. > 1910 — 183 — >. 5 1910 u 161 142 6. a 1910 4403 173 == ne in 1910 _ 144 | 141 8 " 1910 — 171 | — eh 5 1910 E= 159 —_ 10. a 1910 4370 159 — 11. 1910 e 157 — 12. 5 1910 - 154 = 13. N 1910 = 155 n— 14. A 1910 4610 156 _ 15. a 1910 E= 155 — 16. 5 1910 - 153 140 17. 5 1910 — 160 — 18. ä 1910 4782 149 — 19: R 1910 —_ 100 — 20. 1910 -- 151 134 “ 1910 Atropinversuch. Subkutane Injektion von 4 mg Atro- pinum sulf. Die Pulszahl steigt von 162 auf Maxi- mum 262 pro Minute. “Exzitomotorische Herzfunktion — 262. Vagustonus = 100. Über die Ursachen der sinkenden Pulsfrequenz bei wachsenden Hunden. 525 ; Durchschnittl. Puls- Plötzliche Zeit Set zahl pro Minute Senkung der g von 1 Tage Pulsfrequeuz 22. Dezember 1910 4903 164 an 23. a; 1910 == 159 > 24. 5 1910 5023 167 ER: 25. 5 1910 — 157 _ 26. 2 1910 — 169 _ 27. n 1910 — 158 138 23. 5 1910 5128 159 — 29 5 1910 — 157 E= 30. = 1910 = 144 132 31. 5 1910 — 147 —. 1. Januar 1911 —_ 134 126 \ ke — 150 Er 3 lo 5223 138 — 4 an — 143 En De 9] — 13 — 6 19 — 141 - 7. LIT 9312 13 126 8. 5. Aa — 147 9 el — 162 — 10 „ol 5321 148 = Ile ala — 139 120 12. lo _ 133 — 13. el — 137 — 14. a 5351 129 120 15. akt — 139 = 16. An — 135 — 1. 5 an 5403 127 — 1 2. on = | 1% @ 19. el — 142 _ 20. BIN — 132 — 21. oT 5682 140 —— 22. akehl — 141 — 23. all Z— 124 114 24. re — 139 = 25. LI — 130 — 26. ey — 131 — 27. ie — 125 = 28. „ 111 Atropinversuch. Subkutane Injektion von 4 mg Atro- pinum sulf. Die Pulszahl steigt von 122 auf Maxi- mum 274 pro Minute. Exzitomotorische Herzfunktion — 274. Vagustonus — 152. 29. „a 5766 129 — 30. algahl = 127 — 31. 5a — 120 — 1. Februar 1911 5778 131 — 2. n hl — 132 = 3 5 1911 — 129 — 4 5 1911 — 128 — 9. = 1911 5982 132 — Be gl - 125 _ 7 5 1911 — 135 == 8 5 1911 E= 126 = 9) E 1911 9863 133 — 10. A 1911 — 124 = 11. = 1911 _ 127 — 12. 1911 — 125 106 | 13. 1911 5798 124 526 Kamill Lhotäk von Lhota: Über die Ursachen etc. : Durchschnittl. Puls- Plötzliche Zeit Gewicht zahl pro Minute Senkung der g von 1 Tage Pulsfrequenz 14. Februar 1911 — 129 — on 1911 — 131 108 1622, 1911 = 133 — Item, 1911 = 125 — 1092, 1911 5812 127 120 19.002, 1911 — 129 — ZA 1911 — 129 u all, 1911 e 130 — DD 1911 9886 115 100 DIE 1911 — 117 102 24.0 0 1911 — 123 — 2a 1911 5850 126 —_ 200, 1911 — 126 _ ARE 1911 —_ 134 — ZONE, 1911 5980 123 — 1. März 1911 — 116 _ eh _ 125 — Soil Atropinversuch nach der Exstirpation der Ganglia stellata und Gangl. cerv. inf. Subkutane Injektion von 0,08 Morphium hydrochl. Nach der Exstirpation der Ganglien sinkt die Pulsfrequenz von 120 auf 84 pro Minute. Subkutane Injektion von 4 mg Atro- pinum sulf. Die Pulszahl steigt von 86 auf 212 pro Minute. 927 (Aus der physiologischen Abteilung der zoologischen Station zu Neapel.) Über den Erregungsablauf am Kropfe der Aplysia. Von Privatdozent Dr. med. Rudolf Dittler, Assistent am physiol. Institut zu Leipzig. (Mit 3 Textfiguren.) Die hier in Kürze mitgeteilten Versuche über den Aktionsstrom- verlauf am Kropfe der Aplysia wurden von folgenden Gesichtspunkten aus unternommen: in erster Linie sollte entschieden werden, ob die spontan auftretenden peristaitischen Kontraktionen des ausgeschnittenen Muskelschlauchs Einzelkontraktionen der muskulären Elemente dar- stellen, wie sie beispielweise am Ureter des Hundes gefunden wurden '), oder ob es sich, ähnlich wie beim Limulusherzen und anderen niederen Herzen?), um kurze Tetani handelt. Für den Fall, dass ersteres zuträfe, war es sodann weiterhin von Interesse, aus den gewonnenen Kurven festzustellen, ob der einfachen peristaltischen Welle auch ähnliche komplizierte elektrische Vorgänge zugrunde lägen wie am Ureter des Hundes, wo Orbeli und v. Brücke!) ausser der negativen Hauptwelle des Aktionsstromes an jeder in Erregung ze- ratenden Stelle sowohl eine positive Vor- als eine positive Nach- schwankung nachweisen konnten, oder ob die Erregung jene einfache Form des Ablaufs zeige, wie sie sonst für quergestreifte und glatte Muskeln als typisch gelten. Elektrische Untersuchungen an deın genannten Objekt liegen bis- her nicht vor, wohl aber wurde der Apiysienkropf schon mehrfach zum Gegenstand muskelphysiologischer Untersuchung gemacht, so 1) Orbeli und v. Brücke, Pflügers Arch. Bd. 133 S. 341. 1910. 2) P. Hoffmann, Zentralbl. f. Physiol. Bd. 24 S. 723. 1910, und Medizin. Klinik 1910 Nr. 51. 528 Rudolf Dittler: von Bottazzi'), Straub?) und v. Brücke?°). Auf die Arbeiten dieser Autoren sei wegen anatomischer Details und der Präparations- methodik verwiesen, sowie auch wegen genauerer Angaben über das allgemeine muskelphysiologische Verhalten des Präparates, auf das bei der strengen Umgrenzung der zu behandelnden Frasen hier nieht weiter eingegangen werden kann. Von anatomischen Einzel- heiten sei nur erwähnt, dass die Wandung des Kropfes eine äussere Ringmuskel- oder eine innere Längsmuskelschicht besitzt, welche von meist längs verlaufenden, unter Einschaltung spärlicher Ganglien- zellen mässig verzweigten Nervenstämmen durchsetzt werden, und dass die Muskulatur aus locker zusammengelagerten langen, schmalen, glatten Muskelzellen besteht. Diese Verhältnisse scheinen bei den beiden von mir verwendeten Arten, A. depilans und A. limacina, die gleichen zu sein. Wenigstens konnten funktionelle Verschieden- heiten bei ihnen nicht aufgedeckt werden. Die beigegebenen Kurven wurden teils von A. depilans, teils von A. limaeina gewonnen. Die Untersuchung wurde in den Monaten März und April 1911 an der zoologischen Station zu Neapel ausgeführt. Einem Hohen Grossherzoglich Hessischen Ministerium des Innern fühle ich mich für die Überlassung eines Arbeitsplatzes zu ergebenstem Dank verpflichtet. Ausserdem spreche ich Herrn Dr. Burian und Herrn Dr. Sulze für ihr freundliches Entgegenkommen auch an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank aus. Zum Nachweis der Aktionsströme wurde der Kropf im Zu- sammenhang mit dem oberen der beiden Magen (Kaumagen) heraus- geschnitten und von den anhaftenden Organen (Speicheldrüsen und Blutgefässen) befreit. Überreste von frisch aufenommener Nahrung (meist Algenstücke), die sich noch im Kropfe befanden, wurden ent- fernt, weil sie die Kropfwand in unregelmässiger Weise vorwölbten. Da die spontanen peristaltischen Wellen jedoch nur bei einem ge- wissen Füllungszustand des Organs auftreten, so wurde der Muskel- schlauch unten, im Bereich des (von seinen Zähnen befreiten) Kau- magens durch eine Ligatur verschlossen und am Mundende mit einer weiten Glaskanüle versehen, (durch welche während des Versuches 1) Bottazzi, Journ. of Physiol. vol. 22 S. 481. 1898. 2) Straub, Mitteil. a. d. zool. Station zu Neapel Bd. 16 S. 458. 1904, und Pflügers Arch. Bd. 103 S. 429. 1904. 8) v. Brücke, Pflügers Arch. Bd. 108 S. 192. 1905. Über den Erregungsablauf am Kropfe der Aplysia. 529 Flüssigkeit in beliebiger Menge zugeführt oder auch entnommen werden konnte. Das Präparat wurde an der Glaskanüle aufgehängt, so dass es frei in der Luft schwebte. Zum Sehutz vor Eintrocknung von aussen wurde es regelmässig mit Seewasser befeuchtet oder in den Versuchspausen sogar ganz in frischdurchlüftetes Seewasser ein- getaucht. Letztere Massregel hatte zugleich den Zweck, die Mus- kulatur, welche während der Versuche ja immer den Druck der Binnenflüssigkeit zu tragen hatte, vorübergehend zu entlasten. Die peristaltischen Kontraktionswellen nehmen in der Regel an der Kropf-Kaumagengrenze, also am aboralen Kropfende, ihren Ausgang und pflanzen sich von hier aus oralwärts fort; es empfiehlt sich daher, diese Stelle bei der Anlegung der Ligatur tunlichst zu schonen. Nun können, wenn die an der Kropf-Magengrenze gelegene Prädilektionsstelle für den „Ursprungsreiz“ geschädigt ist und ihre Funktion einstellt, allerdings auch andere Stellen der Kropfmuskulatur zum Ausgangspunkt spontaner Wellen werden. Da jedoch die Ur- sprungsstelle der Erregung sodann meist von Welle zu Welle eine andere wird, und sich die Erregung bald nur nach oben, bald nur nach unten, bald in beiden Richtungen hin fortpflanzt, so werden die Verhältnisse für die Lösung der zur Entscheidung stehenden Fragen unter diesen Umständen sehr ungünstig. Die zur Ableitung dienenden seewassergetränkten Baumwoll- fäden umfassten den Muskelschlauch von allen Seiten. Ihr gegen- seitiger Abstand schwankte zwischen 2 und 5 em. Um möglichst leicht übersehbare Verhältnisse zu schaffen, wurde dafür gesorgt, dass der einzelne Baumwollfaden die Kropfwand möglichst nur an Stellen berührte, die von der Kropf-Magengrenze gleich weit ablagen, von denen also anzunehmen war, dass sie etwa gleichzeitig in Aktion gerieten. Zur Weiterleitung der Ströme wurden Seewasserton- Elektroden von der üblichen Form verwendet. Der im grossen Saitengalvanometer eingezogene Goldfaden mit einem Widerstand von wenigen Hundert Ohm war auf sehr grosse Empfindlichkeit eingestellt, reagierte aber für die Entscheidung der aufgeworfenen Fragen, wie an der Hand der Kurven gezeigt werden wird, noch bei weitem rasch genug (vgl. dazu S. 535). Trotz der grossen Empfindlichkeit des Galvanometers waren die Ausschläge der Saite auch bei sehr kräftigen peri- staltischen Wellen ausserordentlich schwach, wenn zur Füllung des Muskelschlauches Seewasser oder die dem Seewasser nach ihrer Pflüger’s Archiv für Physiologie. Pd. 141. 39 530 Rudolf Dittler: Zusammensetzung ganz ähnliche Leibeshöhlenflüssigkeit des Versuchs- tieres benutzt wurde. Dies ist offenbar damit zu erklären, dass sich die auftretenden Aktionsströme zum grössten Teil durch die verhältnis- mässig gut leitende Flüssigkeit im Innern ausglichen und nur ein sehr schwacher Stromzweig in den äusseren Ableitungsbogen gelangte. Die Aktionsströme wurden nämlich unter sonst gleichen Umständen sofort auf ein Vielfaches ihrer früheren Grösse verstärkt, wenn die Leitfähigkeit der zur Füllung des Kropfes verwendeten Flüssigkeit ausgiebig verringert wurde. Einschlägige Versuche wurden sowohl mit destilliertem Wasser als mit Traubenzuckerlösungen verschiedener Konzentration vorgenommen. Besonders gut bewährte sich für längere Versuche eine Lösung, welche ausser dem Na alle Salze des Seewassers, und zwar in derselben Konzentration wie dieses, enthielt, während das Na durch isosmotische Mengen von Trauben- zucker ersetzt war. Diese Lösung erwies sich infolge ihrer Isotonie mit dem Seewasser (Gefrierpunkt bei — 2,238 ° bis — 2,240 ° C.) bei gleichzeitigem Gehalt an K, Ca und Mg für das Präparat, wie es schien, als vollkommen unschädlich, d. h. sie beeinflusste die Über- lebensfähigkeit der Muskulatur nieht nachweisbar ungünstig; dabei war die angestrebte erhebliche Minderung der Leitfähigkeit erreicht. Die Lösung wurde in den mitgeteilten Versuchen mit gutem Erfolg dauernd verwendet, allerdings musste sie wegen der Gefahr einer Vergärung des Zuckers immer wieder frisch hergestellt werden. An der über die Kropfwand ablaufenden spontanen Erregungs- wellen scheinen sich Ring- und Längsmuskulatur meist gleichzeitig zu beteiligen. Die Verkürzung der Längsmuskeln hatte zur Folge, dass sich die Distanz der Ableitungselektroden während der Tätig- keit des Organes fortwährend änderte. Hierdurch eventuell bedingte Widerstandsänderungen im Ableitungskreise durften, besonders mit Rücksicht auf den geringen Widerstand des Goldfadens, nicht ohne weiteres unbeachtet gelassen werden. Um die abgeleiteten Ströme mit Sicherheit als Aktionsströme ansprechen zu können, bestand vielmehr a priori die unbedingte Forderung einer genauen Kom- pensation etwa vorhandener Bestandströme (es handelte sich meist um Elektrodenströme), die bei Änderung ihrer Intensität leicht Aktionsströme hätten vortäuschen können. Bei experimenteller Prüfung der Verhältnisse stellte sich allerdings heraus, dass den Widerstandsänderungen unter meinen Versuchsverhältnissen die grosse Bedeutung keineswegs zukam, die theoretisch möglich schien. An Über den Erregungsablauf am Kropfe der Aplysia. 531 mehreren Präparaten wurden unter sonst unveränderten Bedingungen bei unkompensiertem, genau kompensiertem und überkompensiertem Bestandstrom Vergleichskurven aufgenommen, und zwar unter Be- nutzung der auch sonst von mir verwendeten Traubenzucker-Salzlösung als Füllungsflüssigkeit.. Dabei ergab sich, dass die Richtung eines dauernd bestehenden, selbst verhältnismässig starken Stromes keinen Einfluss auf dieRiehtung und einen kaum nachweisbaren Einflussaufdie Ordinaten- höhe der abzuleitenden Ströme besass. Die Aktionsströme waren den Intensitätsschwankungen des Bestandstromes also an Stärke sehr weit überlegen. Bei Durchführung einer möglichst ge- nauen Kompensation darf auf Grund dieser Ergebnisse angenommen werden, dass die Ablaufsform der Aktionsströme bei unserm Präparate durch die unvermeidlichen Widerstandsänderungen nicht in wesent- lich höherem Masse alteriert wurde, als dies bei quergestreiften und glatten Muskeln auch sonst der Fall zu sein pflegt. Beiläufig sei darauf hingewiesen, dass man auf die Aktionsstrom- natur der bei der Tätiekeit des Organs ableitbaren Ströme auch schliessen kann aus der Tatsache, dass sie bei Erhöhung der Leit- fähigkeit der Füllungsflüssigkeit, d. h. unter Bedingungen, welche die Grösse der Bestandströme und ihrer Schwankungen in günstigem, die der Aktionsströme wegen des verstärkten inneren Ausgleichs dagegen in ungünstigem Sinne beeinflussten, bis zur Unmerklichkeit abgeschwächt werden konnten. Von einer mit der Registrierung der Aktionsströme parallel gehenden Verzeichnung der Reaktion des Präparats wurde abgesehen auf Grund der einfachen Überlegung, dass man sowohl in der Ver- kürzungeskurve als in der von Straub!) und v. Brücke?) für andere Zwecke mit Erfolg benützten Volumkurve des Gesamtorgans sanz andere Dinge verzeichnet als in der von einer oder zwei zirkum- skripten Schlauchwandstellen gewonnenen Aktionsstromkurve. Nur von einer Registrierung der Formänderung der Ableitungsstellen selbst hätte man sich einen Aufschluss über die zeitliche Koinzidenz der elektrischen und mechanischen Reaktionen des glatten Muskels versprechen dürfen. Eine solche Verzeichnungsweise war aber unter meinen Versuchsbedingungen nicht durchführbar. Um trotzdem einen 1) Straub, Pflügers Arch. Bd. 86 8. 504. 1901. 2) v. Brücke, Pflügers Arch. Bd. 108 S. 205. 1903. 35* 932 Rudolf Dittler: wenigstens notdürftigen Einblick in jene Verhältnisse zu gewinnen, wurden die abgeleiteten Ströme und die Formänderungen an den Ableitungsstellen eleiehzeitig beobachtet (Verständigung mit einem Assistenten durch Zuruf), was bei der grossen Trägheit der Vor- gänge keine Schwierigkeiten bot. Es wurde gefunden, dass beide Äusserunesformen der Tätigkeit für einen grossen Teil ihrer Ablaufs- zeit nebeneinander bestehen. Die Darstellung der Versuchsergebnisse soll an der Hand der im Text wiedergegebenen Kurvenbeispiele geschehen. Die Figuren sind ohne Ausnahme von links nach rechts zu lesen. Die Zeitmarken entsprechen ganzen Sekunden. Das Heruntergehen des Saitenschattens entspricht, ausser bei Fie. 6, immer einem Negativwerden der aboralwärts gelegenen Ableitungselektrode; in Fig. 6 ist es umgekehrt. Ausser bei kje »., dieraui ca 3:4 ver kleinert werden musste, erfolgte die Reproduktion der Kurven in Originalgrösse. Fig. 1 zeigt den Verlauf eines einphasischen Aktions- stromes, wie ich ihn, vor allem was das zeitliche Verhältnis des auf- und des absteigenden Kurvenschenkels betrifft, auf Grund gleichzeitiger Beobachtung der mechanischen Tätigkeit der Präparate als typisch glaube hinstellen zu können. Solche Kurven erhielt ich bei Ableitung von zwei intakten Stellen der Kropfoberfläche, von denen die eine ca. 1 em von der Kropf-Magengrenze entfernt lag, die andere aber so weit oralwärts verschoben war, dass die peristaltische Welle sie nicht mehr erreichte. Wie schon v. Brücke erwähnt, erlöschen nämlich die spontan auftretenden Wellen meist schon wenige Zenti- meter oberhalb ihrer Ursprungsstelle allmählich wieder; jedenfalls pflanzen sie sich am ausgeschnittenen Organe nicht entfernt bis zum oralen Ende fort. Um einphasische Aktionsströme zu bekommen, hat man es in diesem Falle also nicht nötig, einen künstlichen Quer- schnitt anzulegen. Übrigens wurden zum Vergleich auch Kurven nach Anlegung eines künstlichen Querschnittes aufgenommen, die Uber den Erregungsablauf am Kropfe der Aplysia. 39 <) Er sich in nichts von dem gegebenen Typus unterschieden. Die Dauer des einphasischen Aktionsstromes beträgt in dem ausgewählten Bei- spiel 7—S Sek. (Anstiegszeit ca. 3 Sek.). Die Temperatur schwankte zwischen 15° und 16°C. Es scheint mir unmöglich, für die Dauer des elektrischen Vorganges an einer Schlauehwandstelle eine Norm aufzustellen, auch wenu der Einfluss der Temperatur genaue Berück- sichtigung fände. Bekanntlich kommen, auch am ausgeschnittenen Organ, noch andere Faktoren in Betracht, welche die Zahl der spontanen Wellen pro Zeiteinheit, ihre Fortpflanzungsgeschwindigkeit sowie ihre Persistenz an jedem Querschnitt stark zu modifizieren vermögen, von den Einflüssen der Ermüdung und des allmählichen Absterbens ganz abgesehen (Druck im Innern des Organes, Ausmass der gegebenen Widerstände u. del. m.). Einphasische Aktionsströme unter 5 Sek. Dauer habe ich bei Tem- peraturen zwischen 15° und 16°C. und etwa 5 em Wasserdruck nie beobachtet; andererseits gehören Werte von 13 und 14 Sek. unter den genannten Umständen nicht zu den Seltenheiten. Der Ablauf der elektrischen Vorgänge ist also ein ausserordentlich lang- Fig. 2 samer. Fig. 2 entspricht ebenfalls dem normalen Typus des einphasischen Aktionsstromes insofern, als der Anstieg der Negativität steiler ver- läuft als der Abfall. Sie wurde hier abgebildet, weil sie eine De- formität in ihrem Verlauf zeigt, wie sie nicht selten zur Beobachtung kam. Aller Wahrscheinlichkeit nach äussern sich hier die Einflüsse von Widerstandsänderungen im Ableitungskreise, wobei es sich frei- lich weniger um die erwähnte, praktisch ziemlich bedeutungslose Änderung der Elektrodendistanz und des Binnenwiderstandes handeln dürfte, als um die Folgen gröberer Elektrodenverschiebungen oder partieller Elektrodenabhebungen, die sich zuweilen schwer ganz ver- meiden lassen. Übrigens ist es auch nicht ausgeschlossen, dass in den fraglichen Fällen die zu einer Elektrode abgeleiteten Punkte der Kropfwand nicht hinreichend gleichzeitig in Aktion gerieten, um eine ganz elatte Kurve zu ergeben. Rudolf Dittler: Fig. 3. Ähnliche Verhältnisse, wie bei Fig. 2, liegen möglicherweise bei den kleinen Wellen der Fig. 5 vor. Diese Kurven- form unterscheidet sich von den bisher besprochenen jedoch dadurch, dass der Abfall der Negativität im Vergleich zum Anstieg hier ausserordentlich steil er- folet. Die Elektrodendistanz betrug ca. 2cm. Eine aktive Beteiligung der oberen abgeleiteten Stelle war bei In- spektion nieht zu bemerken. Trotzdem liegt der Verdacht nahe, dass die Er- regungswelle, wenn auch bereits äusserst schwach und ohne von einer mecha- nischen Reaktion begleitet zu sein, die zweite Elektrode noch erreicht hat. Es könnte sich somit um eine Übergangs- stufe zwischen ein- und zweiphasischer Aktionsstromkurve handeln, d. h. um einen Fall, bei welchem das einzige Merkmal für das Vorhandensein einer zweiten Phase in der deutlich be- schleunigten Rückkehr der Kurve zur Ruhelage zu erblicken wäre. Diese Deutungsweise scheint mir sehr viel für sich zu haben; gleichwohl aber besteht immer die Möslichkeit, dass es sich einfach um eine durch die erwähnten Fehlerquellen bedingte Ent- stellung des normalen Kurvenverlaufs handelt. Bei der Kurve 5, die gleich- zeitig einen (übrigens häufig zu be- obachtenden) deutlichen Alternans zur Darstellung bringt, liegen die Verhält- nisse für eine Entscheidung nach dieser Richtung insofern einigermassen kom- pliziert, als die Andeutung einer zweiten Phase gerade bei jenen Wellen fehlt, bei welchen die Erregung an der Über den Erregungsablauf am Kropfe der Aplysia. 535 ersten abgeleiteten Stelle die grössere Stärke besass. Letzteres ist indessen vielleicht nur scheinbar der Fall, da sowohl die grössere ÖOrdinatenhöhe als auch die ausserordentlich lange Persistenz der Erregung an der ersten Ableitungsstelle eventuell nur eine Folge des Fehlens einer zweiten umgekehrt gerichteten Phase ist. Wenn die Erregungswelle sich in genügender Stärke bis unter die zweite Ableitungsstelle fortpflanzte, so resultierten zweiphasische Kurven, wie sie die Fig. 4—S zeigen. Je erösser die Ableitungs- strecke dabei gewählt werden konnte, desto vollkommener war eine Entstellung der zwei Phasen durch Superposition zu vermeiden. Eine sehr weitzehende Trennung beider Phasen gelang in den Fällen er ES "EI Fig. 4. Fig. 5. der Fig. 4 und 5. Kurven dieser Art sind nur ausnahmsweise zu erhalten, da sich die Erregungswelle meist nicht weit genug fort- pflanzt. Die Elektrodendistanz betrug hier 5 em. Während der Aufnahme der Kurve 5 wurde die Saite durch mehrfaches heftiges Türsehlagen in einem benachbarten Zimmer mechanisch erschüttert. Wenn die entstandenen Wackeleien der Schönheit der Kurve auch einigen Eintrag tun, so sind sie andererseits doch wertvoll, weil sie zeigen, wie rasch die Eigenschwingungen der Saite bei der in den massgebenden Versuchen immer ein- gehaltenen Empfindlichkeitseinstellung waren gegen- über den elektrischen Vorgängen im untersuchten Objekt (vel. dazu die Ausführungen S. 529). Bei den Kurven der Fig. 6 lagen die Elektroden so nahe bei- sammen, dass es zu einer fast vollständigen Überdeekung der beiden 536 Rudolf Dittler: verschieden gerichteten Phasen kam. Trotzdem kann hier an der Existenz einer zweiten Phase nicht gezweifelt werden, denn erstens Fig. 6c. ist nach Ablauf der ersten Phase ein deutliches Heruntergehen des Saitenschattens unter seine Ruhelage zu konstatieren, und ausserdem Über den Erregungsablauf am Kropfe der Aplysia. 937 erfolgt der Abfall der ersten Phase meist wesentlich steiler als der Anstieg, was ja im gleichen Sinne spricht. Die Kurven nehmen eine Mittelstellung ein zwischen den auf den Fig. 4 und 5 wiedergegebenen Beispielen zweiphasisecher Aktionsströme einerseits und den oben diskutierten „schwächeren“ Aktionsstromkurven der Fig. 3 anderer- seits, bei denen offengelassen werden musste, ob die Annahme einer zweiten Phase bei den vorkommenden Widerstandsänderungen ge- rechtfertigt sei oder nicht. Ebenso wie Fig. 3 zeigen die in Fig. 6 zusammengestellten Bilder die ausserordentlich grosse Regelmässigkeit der Rhythmik, die man am ausgeschnittenen Aplysienkropf häufis beobachten kann. Die Pulsationen erfolgen oft viele Minuten lang in ganz strenger Rhythmik, wobei sich allerdings nicht selten ein deutlich aus- gesprochener Alternans ausbildet, wie ihn Fig. 3 zeigt. Bei den Kurven der Fig. 6 fehlt diese Erscheinung vollkommen. Die drei Aktionsstromreihen stammen vom selben Präparat und wurden mit zeitlichen Intervallen von je 10 Minuten aufgenommen. Gegenüber der Reihe «@ zeigt die Reihe b eine mässige Verlangsamung der Rhythmik, die vielleicht auf eine Schädigung durch allmähliche Aus- trocknung oder Anhäufung von Verbrauchsstoffen zurückzuführen ist. Vor Aufnahme der Reihe ce wurde das Präparat etwa 5 Minuten lang in frischem durchlüftetem Seewasser gehalten, die Rhythmik wurde hierdurch wieder mindestens auf die alte Höhe gebracht. Bei dem ausserordentlich trägen Ablauf der Aktionsströme lag der Verdacht nahe, dass sich die als Einzelaktionsströme imponierenden Schwankungen der Saite vielleicht doch aus einer grösseren Zahl von Schwankungen des elektrischen Zustandes zusammensetzten, die nur wegen einer im Verhältnis zu trägen Reaktion der Saite zu einer glatten Kurve verschmolzen. Dieser Verdacht konnte zwar bereits als erschüttert betrachtet werden durch den Nachweis der relativ sehr raschen Figenschwingungen, welche die Saite bei mecha- nischer Erschütterung zeigte (vgl. dazu Fig. 5). Trotzdem unter- nahm ich es, um ganz sicher zu gehen, bei einigen besonders kräftig arbeitenden Präparaten, die Saitenspannung, ausgehend von der sonst immer benutzten Einstellung, mehr und mehr zu steigern und die Änderungen ihres Reaktionsverlaufs bei den verschiedenen Emp- findlichkeitseinstellungen zu verfolgen. Einen derartigen Versuch bringt wiederum die Fig. 6 im Bilde. Die Reihe « wurde bei der gewöhnlichen Fadenspannung aufgenommen, für die Reihen db und ec 538 Rudolf Dittler: war sie schrittweise beträchtlich gesteizert worden. Bei einer nach der Reihe e mit noch stärker gespanntem Faden verzeichneten Kurve waren die Ausschläge endlich so unansehnlich geworden, dass sich ihre Wiedergabe nicht lohnt, zumal sie gegenüber den anderen drei Reihen nichts Auffallendes bietet. Wie man aus der Fig. 6 deutlich ersieht, bedingte die Einstellung der Saite auf raschere Reaktion bei geringerer Empfindlichkeit ausschliesslich ein Kleiner- werden der Amplituden und eine Verkürzung der Kurven an beiden Enden, besonders am hinteren; Öszillationen wurden hierbei aber nieht nachweisbar. Dies gilt für einphasische Kurven ebensowohl wie für die abgebildeten doppelphasischen. Es scheint sich so- mit in der Tat um einfache Aktionsströme zu handeln, die im Vergleich zu den bisher beobachteten Aktionsströmen glatter Poikilothermenmuskeln allerdings eine bemerkenswerte Trächeit des Ablaufs besitzen. Die von Fuchs!) an den Retraktoren des Sipun- culus nudus abgeleiteten Ströme hatten bei einer der meinen wohl gleichen durchschnittlichen Versuchstemperatur beispielsweise eine Dauer von meist weniger als 0,1 Sek. Nur die von v. Brücke?) am Retractor des Hundes beobachteten Einzelaktionsströme liessen sich nach ihrer Dauer mit den hier beschriebenen vergleichen; doch ist ein solcher Vergleich wegen der Verschiedenheit der notwendig eingehaltenen Temperaturen nieht ohne weiteres durchführbar. Am Ureter betrug die Dauer des einphasischen Stromes, wie beiläufig bemerkt sei, höchstens bis 1 Sek. Eine Sonderung der Vorgänge in der Ringmuskulatur von jenen in der Längsmuskulatur liess sich an der Hand der gewonnenen Kurven nicht durchführen. Überhaupt muss es zunächst noch offen bleiben, ob die Tätigkeit beider Muskelschichten in den abgeleiteten Aktionsstromkurven ihren Ausdruck findet oder ob dies nur für eine derselben zutrifft und welche dies ist. Die Frage nach der der Erregung eigentümlichen Ablaufs- form ist aus den besprochenen Kurvenbeispielen in dem Sinne zu beantworten, dass die am Aplysienkropf bei spontaner Tätigkeit nachweisbaren Aktionsströme Nebenwellen irgendwelcher Art nicht zu zeigen brauchen. Da es aber vorkommt, dass man unter ganz denselben äusseren Versuchsverhältnissen geiegentlich auch Kurven- 1) Fuchs, Pflügers Arch. Bd. 136 S. 65. 1910. 2) v. Brücke, Pflügers Arch. Bd. 133 8. 313. 1910. Über den Erregungsablauf am Kropfe der Aplysia. 539 bilder erhält, die den einfachen Verlauf der bisher besprochenen Formen nicht zeigen, so durfte nicht ununtersucht bleiben, ob Vor- oder Nachschwankungen unter Umständen nicht doch einmal einen wesentlichen Bestandteil des Kropfelektrogrammes ausmachen können. Die Fig. 7 und S zeigen Kurven von dem in Frage stehenden kom- plizierteren Verlauf. Wichtig für die Beurteilung solcher Kurvenformen war von vornherein der Umstand, dass streng rhythmisch arbeitende Präparate, wie etwa jenes der Fig. 6, ausnahmslos die einfachen Aktions- stromkurven lieferten, mochten sie nun ein- oder doppelphasisch sein. Nur wenn die zeitliche Aufeinanderfolge der spontanen Wellen bei Fig. 7. Fig. 8. einem Präparat entweder von Anfang an unregelmässig war oder es im Verlauf des Versuches wurde, resultierten Kurven der kom- plizierteren Ablaufsform. Damit war für die Ermittlung ihrer Ent- stehungsursache die Richtung gewiesen; denn das Aufhören der strengen Rhythmik ist erfahrungsgemäss in den meisten Fällen gleich- bedeutend mit einem Herabsinken der „Automatie“ der Kropf-Magen- grenze unter jene anderer Stellen der Kropfwand. In der Tat konnte bei dem äusserst trägen Ablauf der mechanischen Reaktion in besonders darauf gerichteten Beobachtungen durch blosse Inspektion ganz eindeutig festgestellt werden, dass immer nur dann die komplizierte Kurvenform auftrat, wenn die peristal- tischen Wellen nicht von der Prädilektionsstelle an der Kropf-Magengrenzeihren Ausgang nahmen, sondern von einer zwischen beiden Ableitungselektroden ge- 540 Rudolf Dittler: Über den Erregungsablauf am Kropfe der Aplysia. legenen Stelle der Kropfwand. Die Erregungswelle pflanzt sich unter diesen Umständen oft nach beiden Richtungen hin fort und trifft dann leicht etwa gleichzeitig an den beiden Ableitungs- stellen ein. Schon dies kann zu schwer entwirrbaren Superpositionen führen. Für eine Erklärung der Vielgipfeligkeit der Kurven, wie speziell in Fig. S, muss aber angenommen werden, dass der sonst realisierte koordinierte Ablauf der Peristaltik, bei dem die gleich- weit von der Ursprunesstelle der Erregung entfernt liegenden Muskel- elemente immer synchron in Aktion geraten, gleichzeitig mehr oder weniger gestört ist. Der Eintritt einer derartigen Störung ist schon deshalb gut verständlich, weil in diesem Falle zumeist nicht ein ganzer, geschlossener Muskelring, sondern nur ein engumschriebener Teil eines solehen zur Ursprungsstelle der Erregung wird. Auch an ein Auseinandergehen der Erregung der Längs- und Ringmuskulatur kann in diesem Zusammenhang gedacht werden. Es wurde oben bereits erwähnt, dass die Ursprungsstelle der Erregung nach Schädigung der Kropf-Magengrenze in der Regel von Welle zu Welle eine andere wird. In Übereinstimmung damit kann es als charakteristisch bezeichnet werden, dass bei nicht regulärem Arbeiten des Präparates jede Welle einen anders verlaufenden Aktionsstrom besitzt. Dabei pflegen zwischen die unregelmässigen Wellen mit kompliziertem Aktionsstrom solche von der typischen einfachen Ablaufsform eingestreut zu sein, wie sie der gut koordi- nierten, von der Kropf-Magengrenze entspringenden peristaltischen Welle eigentümlich sind. Die Ergebnisse dieser Untersuchung lassen sich dahin zusammen- fassen, dass den spontanen peristaltischen Wellen am Kropfe der Aplysia Einzelerregungen, nicht kurze Tetani der musku- lären Elemente zugrunde liegen. Die nachweisbaren ganz glatten FEinzelaktionsströme besitzen einen ausserordentlich trägen Verlauf; für die Gesamtdauer des einphasischen Aktionsstromes wurden Werte bis zu 14 Sek., für seine Anstiegszeit Werte bis zu 5 Sek. gefunden. Beim Ablauf einer peristaltischen Welle pflanzt sich eine einfache Negativitätswelle über die Wand des Hohlorganes fort, die weder positive Vor- noch Nachschwankungen zeigt, wie sie beispiels- weise am Ureter des Hundes nachgewiesen sind. S4l Über Kapillar- und Adsorptionserscheinungen an der Milch. Von Prof. Dr. Alois Kreidl (Wien) und Dr. Emil Lenk (Wien). (Mit 3 Textfiguren.) A. Einleitung. Taucht man Filtrierpapierstreifen oder Gewebe in Flüssigkeiten ein, so steigen diese dem Gesetze der positiven Öberflächen- spannung entsprechend in der Faser bis zu einer bestimmten Höhe auf. Schönbein!) fand, dass die disperse Phase (gelöste Substanz) in den meisten Fällen weniger hoch aufstieg als das Dispersionsmittel (Lösungsmittel), was Wil- helm Ostwald?) auf die Adsorption des gelösten Stoffes durch die Faser zurückführte. Diese Kapillaradsorptionen sind von Goppelsroeder?’) in einer langen Reihe sorgfältiger Arbeiten untersucht worden; derselbe Autor hat auch Kuhmileh in Filtrierpapier aufsteigen lassen*). Er fand, dass Wasserzusatz die Gesamtsteighöhe der Kuhmilch erhöhe, und dass die Steighöhe ab- serahmter Milch höher sei als die der Vollmilch. Weiter hat Kobler?) einige Steighöhenversuche Goppelsroeder’s mit Milch wiederholt. Er gelanste zum Ergebnis, dass sowohl die Entfernung 1) Schönbein, Verhandl. d. naturf. Gesellsch. Basel 1861 Bd. 3 S. 249. 1861; Bd. 4 S.1. 1864. Poggendorf’s Ann. d. Physik Bd. 114 S. 275. 1861. 2) Wilhelm Ostwald, Lehrb. d. allgem. Chemie, 4. Aufl., S. 555. 1909. 3) F. Goppelsroeder, Literatur siehe in W. Ostwald’s Kolloid- chemie S. 408. 4) F. Goppelsroeder, Beitrag zur Prüfung der Kuhmilch. Verhandl. d. naturf. Gesellsch. Basel 1866 S. 497—550. — Die Chemie der Kuhmilch und die Mittel zur Prüfung derselben. Milchzeitung, Danzig 1871 Nr. 5 und 6 und 1872 Nr. 7 und 9. — Über Milchuntersuchung. Milchzeitung, Bremen 1366 Nr. 37 und 38. — Die praktische Milchprüfung von Nik. Gerber. — Kapillar- analyse S. 360-8384. Basel 1901. — Neue Kapillar und Kapillaranalytische Untersuchungen S. 63—80. Basel 1907. 5) Bernhard Kobler, Untersuchungen über Viskosität und Oberflächen- spannung der Milch. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 125 S. 1—72. 542 Alois Kreidl und Emil Lenk: [1 des Fettes als auch des Kaseins eine Erhöhung der kapillaren Steig- höhe der Milch bedinge, während Wasserzusatz dieselbe nur zum geringsten Teile beeinflusse, so dass merkliche Unterschiede nur bei grosser Verdünnung auftreten. Während Goppelsroeder, Kobler, Sahlbom’) u. a. bei ihren Versuchen den Einfluss der Verdunstung des Wassers nicht berücksichtieten, haben wir in Versuchen, die das Aufsteigen von Frauen- und Kuhmilch in Filtrierpapierstreifen betrafen, diesen Faktor auszuschalten gesucht, indem wir diese Flüssigkeiten in einer mit Wasserdampf gesättigten Atmosphäre auf- steigen liessen?)®). Dabei ergab sich, dass Steighöhendifferenzen zwischen Frauen- und Kuhmilch einerseits, anderseits bei Frauen- milchproben verschiedener Laktationszeit bestehen. Es liess sich gleichzeitig zeigen, dass dieses unterschiedliche Verhalten wesentlich durch die Menge und Beschaffenheit des Kaseins bedingt ist. Eine andere Methode, um Kapillaradsorptionsversuche anzustellen, ist die, Lösungen auf Filtrierpapier auftropfen zu lassen. Bringt man einige Tropfen einer Farbstofflösung auf Saugpapier, so bemerkt man nach kurzer Zeit das Auftreten zweier oder mehrerer Schichten, je nachdem ein oder mehrere Farbstoffe sich in Lösung befinden. Goppelsroeder bemerkt hierzu, dass die Steigmethode genauere Resultate liefere als die Betupfungsmethode. Holmgren) tropfte verdünnte Säuren auf blaues Lackmus- papier und bemerkte, dass sich das Wasser viel weiter als die Säure ausbreitete.e Er maass die Radien der sich bildenden Kreisflächen und fand eine Beziehung zwischen Säurekonzentration und Differenz der Radien. Je schwächer die Säure, um so r: grösser ist die Differenz der Radien. Nach der Formel P—=K Bee worin P den Prozentgehalt der Säure, A und r die Radien der Säure- 1) N. Sahlbom, Kapillaranalyse kolloidaler Lösungen. Kolloidchem. Beihefte Bd. 2 H. 3/5 S. 79—141. 2) Kreidl und Lenk, Kapillarerscheinungen an Frauen- und Kuhmilch. Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wissensch. in Wien, math.-naturw. Klasse Bd. 119 Abt. 3 S. 366—388. Juni 1910. 3) Emil Lenk, Kapillarerscheinungen an Milch. — Kapillarerscheinungen an Neutralsalzlösungen. VIII. intern. Physiologen-Kongress Wien 1910. Zentral- blatt f. Physiol. Bd. 24 S. 831. 4) Holmgren, Biochem. Zeitschr. Bd. 14 S. 181—208. 1908. — Deutsche med. Wochenschr. Jahrg. 37 Nr. 6 S. 247—248. Über Kapillar- und Adsorptionserscheinungen an der Milch. 543 bzw. Wasserzone und K eine Konstante, die von der Papiersorte abhängig ist, bedeutet, ist es möglich, auf den Prozentgehalt der Säure zu schliessen. Während nun Holmgren für das Ausbreiten y? R?— r2 berechnen konnte, fand er beim Aufstiege im Streifen nach der hier h zulässigen Formel P —= Kay „ in der Z und "h die Steighöhe des Wassers bzw. die der Säure bedeutet, eine Konstante von 0,10. Skraup!) erhielt aber beim Aufstiege im Streifen dieselbe Konstante von 0,25 wie in der Kreisfläche, wenn er das X nicht aus der h h? Formel P = Ka Mi sondern au P=K PR berechnete. Bei kleineren Steighöhen ist die Übereinstimmung genau. im Kreise eine Konstante = 0,22 nach der Formel ?=K B. Experimenteller Teil. Wir haben in gleicher Weise Milch auf verschiedene Saugpapiere auftropfen lassen und dabei eine Reihe von Erscheinungen beobachtet, über deren Wesen und Bedeutung für die Milchanalyse wir im nachfolgenden berichten. Lässt man Milch auf Filtrierpapier beliebiger Sorte auf- tropfen, so bemerkt man keine besonders auffällige Erscheinung. Der Milchtropfen breitet sich gleichmässig in einer Kreisfläche aus. Ganz verschieden wird aber das Bild, wenn man zu den Versuchen Lösch- kartone verwendet. Bringt man auf ein derartiges Papier einen oder mehrere Tropfen Milch, so bemerkt man zunächst, dass die Flüssigkeit wesentlich langsamer aufgesaugt wird; bald darauf sieht man jedoch, wie der hellglänzende Tropfen von einer zweiten Zone eingerahmt wird, die allmählich an Breite zunimmt; nach 1—1'/s Min. tritt eine dritte, äusserste Zone auf, die sich scharf von der zweiten abhebt, wesentlich blasser erscheint und sich auch allmählich ver- breitert (Fig. 1). Wartet man längere Zeit, so wird schliesslich die 1) Zd. H. Skraup, Über das Verhalten wässeriger Lösungen bei Kapillar- vorgängen. Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wissensch., math.-naturw. Klasse Bd. 118 Heft 8 Abt. 2 S. 559--810. 544 Alois Kreidl und Emil Lenk: zuletzt aufgetretene Zone unkenntlich, während die beiden übrigen in ihren Konturen noch nach Stunden zu sehen sind. Es standen uns eine grosse Anzahl von Löschpapieren verschiedenster Sorte zur Verfügung (Markeproben von der Firma L. Wiener & Co. in Wien); es stellte sich heraus, dass diese Schichtung bei bestimmten Papieren besonders schön zu erkennen, bei einigen nur angedeutet war; bei einzelnen sah man nur eine Trennung in zwei Zonen. Im folgenden geben wir zunächst eine Übersicht über das Ver- halten der Vollmilch auf den verschiedenen Papieren und auch das Resultat der Bestimmung der Steighöhen in Streifen einiger dieser Papiere von Wasser und Milch im wasserdampfgesättigten Raume. Es wurden im ganzen 102 Löschpapiere geprüft. I. Löschpapiere, die drei Schichtungen zeigen: Sn Marke | Bezeichnung Farbe Anmerkung D/45 Spulle | Hochfein geprägt weiss Schichtung sehr deutlich Löschkarton D/36 Speer do. bläulich zweite Zone sehr breit L/51 rosa do. L/52 rot do. L/53 schwach röt- | Schichtung sehr deutlich, lich langsam saugend L/59 blassgrau do. L/63 ockergelb do. 1/69 blaugrau do. SR Sova |Fein Löschkarton rot zweite Zone schmal, lang- sam saugend 43 NG | Siegfried do. grünlich 60 IR Solidar do. braunrot zweite Zone breit 60 B Solferino do. blau do. 60 CH Sünde do. gelb zweite Zone schmal 60 EO | Sonate do. rosa do. 6OR Simplon do. | rot | 43 EO | Silistria do. | rosa 48 CH Sichel do. | gelb 45 W Siam do. weiss 48 R Sizilien do. rot 48 RG Span Feinst Granit- | rosa,blaugrün saugt sehr rasch Löschkarton gesprenkelt 48 B Signal | Fein Löschkarton ı blau 24CH | Sevilla do. | gelb 100 RL| Saturn | do. | rot saugt langsam, zweite Zone | schmal 80 W | | weiss Schichtung sehr deutlich 248 B Säule Mittelfein Lösch- blau zweite Zone breit | karton 248R Sauger | do. rot 24SCH | Sandau | do. gelb 248 M Sahara do. blaugrau 260 W | do. | weiss 260B 1 Samarang do. | blau Schichtung sehr deutlich Über Kapillar- und Adsorptionserscheinungen an der Milch. 545 an Marke | Bezeichnung Farbe Anmerkung 260M | Samanter | Mittelfein Lösch- grau karton 260 R Salvator do. rot zweite Zone breit 260 CH Salm do. gelb do. 375 W Spiegel | Feinst englisch weiss saugt sehr rasch Löschkarton II. Löschpapiere, die keine Schichtungen zeigen: Nummer Pflüger’s Marke Bezeichnung Alle „Filtrierpapiere“ alle „ordinären“ Löschpapiere Sprengel Hiru Blotting Starnberg do. Staat do. Statue do. Stab do. Stand do. Station do. Stahl do. Stambul do. Stamm do. Stern do. Steinbach do. Steinbock do. Stella do. Stefan do. Stanislau | Hiru Blotting Spitze ' feinst engl. Lösch- karton Spinne do. Spree do. Sprache do. Sprotte Hiru Blotting Archiv für Physiologie. Bd. 141. Farbe weiss rot gelb weiss rot gelb weiss rot rot rotgelb grau weiss gelb rot rot weiss, rot gesprenkelt rosa, rotgelb gesprenkelt weiss, violett gesprenkelt rosa, rot und grün gesprenkelt weiss, grün gesprenkelt weiss, violett gesprenkelt weiss, rot gesprenkelt weiss, violett gesprenkelt rosa, rot gesprenkelt rosa, rot und grün gesprenkelt weiss, grün gesprenkelt rot weiss weiss rosa rot grau, violett gesprenkelt grün weiss rot b) ” gelb 36 546 Alois Kreidl und Emil Lenk: II. Bestimmung der Steighöhe des Wassers. a) Papiere, die Schichtungen zeigen. 260 B | D/s6 | Dis6 | 1/69 | LI5L.\Aasw | DA5 | com | Ze in Inuten 6,1 5,3 49 4,0 6,1 3,9 4,5 52 15 84 Zal 9,1 9,9 81 5,9 6,2 6,9 30 12,0 10,3 8,2 7,8 11,5 8,0 8,9 9,8 60 16,5 14,9 12,0 11,6 16,7 12,1 13,5 14,4 120 a 178 | 1861 142.195. |, 1500 16.6%..0176 180 85R | SO W |48EO |48nG | 60R |4scH | D/S6 | 48 | Zeit in | Minuten 32 | 69 4,3 6,2 5,5 4,5 4,1 4,5 15 Bu u 6,1 8,4 1,8 6,0 5,4 5,9 307 83021565 8500. 12:0. 910,3 0 Tl 8,5 60 12,5 | 9,1 13,9 lea) 15,1 13,2 11,1 12,6 120 15,5 17.1 m 186°. 164. | 396 219% 180 | le ! | Zeit in 60 CH | 260 W | 60 EO |100RL| L/52 | L/53 | L/63 | B 248 | L/59 Minuten 3,6 1,5 n= 4,8 = A 5 15 4,9 10,0 4,3 6,4 4,6 5,7 4,5 10,3 6,6 30 7,0 14,0 6,0 8,8 6,5 7,8 6,4 13,6 86 60 10,3 = 8,6 12,6 St 11,0 9,3 1822.12 105 120 12,6 — 11,3 15,0 11,3 13,1 152210, ,.22119:6 180 b) Papiere, die keine Schichtungen zeigen. Nur vier Papiere seien erwähnt: 1. 131I, 2. 1311I, 3. ord. Lösch- papier 010, 4. schwed. Papier (gehärtet). : | Schwedisches Zeit 181 1 131 I 010 Filter | in Minuten 12,8 15,2 3,5 BB N 16,9 = 4.3 7.8 | 3 — = 5,4 9,5 | 45 — — 6,6 11,0 | 60 wu 22 s,1 15,5 | 120 IV. Bestimmung der Steighöhe der Milch. Einige Papiere wurden auf ihre Milchsteighöhen geprüft, indem Miich im selben Apparate wie früher in die Saugpapiere aufstieg. a) Aufstieg in Papieren, die Schichtungen zeigen. Papiere Nr. 100 RL, 248B, 260 B, 260 W, D/45. Nr. 100 RL Wasser | Milch 3,4 1) Steighöhe des Kaseins. Zentrif. Milch DoPer com 2) Steighöhe des | Z.M.2) 75%%0 + Zeit 25°%o Wasser | in Minuten — 15 39 45 4,8 60 6,4 120 Wassers. 3) Zentrif. Milch. Über Kapillar- und Adsorptionserscheinungen an der Milch. 547 u Zentrif. |Z.M.2)75%0+| Zeit Nr. Wasser Milch Milch | 25°/o Wasser | in Minuten 6,7 — 4,2 4,3 15 10,9 3,; 5,8 6,4 45 248 B 14,0 3, 6,9 8,1 60 7,03) 18,6 3 198) 10,2 120 m |. Zen, |z.mmRSmo +]; zen a5 \NeRse: Allan Milch 25°/o Wasser | in Minuten 6,6 en 35 4,1 15 10,7 3,5 51 6,3 45 260 B 1 3, 6,3 8,1 60 E 6,51 5 18,2 23 183 10,4 120 \ | ’ Zentrif. | Z.M.2)750%0 + Zeit ar | Wasser Milch Milch 25°/o Wasser | in Minuten 6,8 au n. 3,9 15 10,7 = 4,9 5,8 45 260 W 14,7 u 6,1 71,5 60 nn — 5,9 Sn 6 120 ) 6,9 2) ‚) | | Zentrif. |Z.M.3) 75% + Zeit Nr. | Wasser: an Milch 25°/o Wasser | in Minuten | 4,7 = = 3,8 15 OR 3,6 = 5,9 45 D/45 10,2 4,2 N 7,5 60 3,5 2,91 13,8 2 . R 8,6 120 b) Papiere, die keine Schichtenbildung zeigen. a A Zentrif. |Z.M3)75%0+| Zeit Nr. | Mazer , Alch Milch | 25% Wasser | in Minuten Schwe- (\ 5,9 an 2 —_ 15 disches 9,7 4,7 4,9 9,9 45 Filtrier- )| 12,6 5.8 5.8 1.5 60 papier 16,2 6,0 6,2 8,6 120 „|Z.M.3)75%0| Zeit in “ . |2.M.3)75%0| Zeit in Nr. | Wass 95% W;| Min, I Nr; | Wasser. 1.956), W.| : Min. | 12,8 9,0 15 | 152 9,6 = Bi 11,6 45 = 12,2 15 sL1 2 14.8 so. | ee 1 154 60 u 18,8 120 a 19,3 120 1) Steighöhe des Kaseins. 2) Steighöhe des Wassers. 36 * 3) Zentrif. Milch. 548 Alois Kreidl und Emil Lenk: Z.M.!) 7500 + Zeit | Wasser 250 Wasser | in Minuten Ordinäres | =” au ® Löschpapier 66 _ 60 010 | 81 — 120 Aus den Wassersteigversuchen ist ersichtlich, dass das Wasser in den verschiedenen Papieren verschieden hoch aufsteigt. Die Wasser- steighöhe derjenigen Papiere, die die Schichtung in drei Zonen nicht zeigen, ist teils gleich, teils grösser oder kleiner als bei denjenigen Löschkartons, bei denen sich die Milch in ringförmigen konzentrischen Kreisflächen sondert. Zur Erklärung dieser Erscheinung muss man den Aschengehalt der betreffenden Papiere berücksichtigen. Papiere, die Schichtungen zeigen, haben ungefähr dieselbe Steighöhe wie gehärtetes schwedischesFiltrierpapier, auf dem eine Zonenbildung nicht eintritt. Durch den hohen Aschengehalt der Löschkartone treten die beschriebenen Adsorptionserscheinungen auf. Dann gibt es wieder Löschpapiere, die eine Schichtenbildung deshalb nicht zeigen, weil sie zu schnell saugen, und die Bestandteile, die die zweite Zone bilden, nicht stärker adsorbiert werden als diejenigen, die sich im äussersten Ring befinden. In diesen Papieren steigt das Wasser höher als in schichtenbildenden Papieren. Endlich kommt es auch vor, dass in einigen Papieren die zweite Zone deshalb nicht auftritt, weil deren Bestandteile in der ersten Zone zurückbleiben. Solche Papiere haben auch eine bedeutend niedrigere Wassersteig- höhe als zonenzeigende Löschpapiere. Zu unseren Versuchen verwendeten wir fast ausschliesslich Nr. 260B, Marke Samarang, Bezeichnung: Mittelfein Löschkarton, Farbe blau. Auf dieses Papier beziehen sich die Figg. 1 und 2. Natur der einzelnen Kreisflächen. Erste Zone. Schon bei oberflächlieher Betrachtung drängt sich der Gedanke auf, dass die Sehiehtenbildung die Trennung der Milch inihre Hauptbestandteile (Fett, Kasein und gelöste Substanzen) dar- stellt. Der Beweis, dass dem wirklich so ist, wird im folgenden erbracht. 1) Zentrif. Milch. Über Kapillar- und Adsorptionserscheinungen an der Milch. 549 Es war mit Leichtigkeit nachzuweisen, dass die erste (innerste) Kreisfläche vom Fett gebildet wird. Es liess sich abschaben, in Äther glatt lösen und mit Osmiumsäure färben. Auffallend ist, dass das auf dem Papier zurückbleibende Fett sich in Äther glatt löst, während der entsprechende Fetttropfen dieser Milch sich erst nach Zusatz von Kalilauge löst, ein Befund, der mit der gangbaren An- schauung von der Existenz einer Haptogenmembran nicht ver- einbar ist; wir wollen hier auf diese Beobachtung nicht näher ein- gehen, da wir dieselbe an anderer Stelle ausführlich behandeln. Zweite Zone, Die das Fett begrenzende Zone bot zur Identifizierung auf dem Löschkarton einige Schwierigkeiten. Die Eigenschaft des Kaseins, in verdünnter Lauge löslich zu sein und mit verdünnter Essigsäure zuerst in emulsoider Form und dann bei einem Säureüberschuss grob dispers auszufallen, ist für das Kasein charakteristisch. Wir konnten aber diese Agentien nicht verwenden, weil das Saugpapier selbst einen in Lauge löslichen und mit Essigsäure fällbaren Stoff enthält. Wir begnügten uns zum Nachweis, dass diese Zone von Eiweiss bzw. Kasein gebildet wird, folgender Methoden: | a) Xanthoproteinreaktion: Taucht man ein weisses Löschkarton (z. B. 80 W oder D/45), auf dem sich die Milch in drei Zonen schichtet, auf sehr kurze Zeit in konzentrierte Salpetersäure, am besten wenn man das Papier durch die Säure zieht, so wird nur die zweite Zone gelb gefärbt. Sie muss also Eiweissstoffe enthalten. b) Biuretreaktion: Zum Nachweise der Biuretreaktion wird auch weisses Löschkarton verwendet, in dem sich einige Tropfen der Mileh ausgebreitet haben. Man zieht das Papier zuerst durch eine sehr verdünnte Kupfersulfatlösung und dann durch eine 10°) ige Kalilauge und bemerkt wieder, dass nur die zweite (mittlere) Zone sich gefärbt hat. Der rotviolette Ton ist hier sehr deutlich ausgeprägt. ec) Beobachtung im Dunkelfeld. Kreid]l und Neumann!) bewiesen, dass das Kasein der Kuhmilch zum Unterschiede von dem der Frauenmilch 1) A. Kreidl und Neumann, Über die ultramikroskopischen Teilchen der Milch (Laktokonien). Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. in Wien Bd. 117 Abt. 3 S. 113—121. 1908. — Dieselben, Ultramikroskopische Beobachtungen über das Verhalten der Kaseinsuspension in der frischen Milch und bei der Gerinnung. Pflüger’s Arch. Bd. 123 S. 523—539. 550 Alois Kreidl und Emil Lenk: ultramikroskopisch siehtbarist. Um zu entscheiden, welcher Eiweissstoff die zweite Zone bildet, wurde das betreffende Papier- stück herausgeschnitten und mit sehr wenig destilliertem Wasser ausgepresst. Ein Tropfen dieser Pressflüssigkeit, im Ultramikroskop betrachtet, zeigt das Bild einer zentrifugierten Milch. _ Die zahl- reichen in Brown’scher Molekularbewegung befindlichen Ultra- teilchen besassen die Eigenschaften des Kaseins. Setzt man auf zwei diagonal gegenüberliegende Ecken eines Deckgläschens einer- seits einen Tropfen der Pressflüssigkeit, anderseits einen Tropfen einer verdünnten Essigsäure, legt dieses Deckgläschen auf einen Objektträger und verfolgt die Erscheinungen an der Grenze der beiden Flüssigkeiten im Dunkelfeld, so bemerkt man, dass die Ultra- teilchen sich zusammenballen. Bringt man nun einwenig Kalilauge unter das Deckgläschen, so erfolgt eine völlige Lösung des Niederschlages. Dieselbe Fällungserscheinung ist auch mit einer neutralen, filtrierten Lablösung versucht worden. Wird. der Pressflüssigkeit nur so viel Lab zugesetzt, dass eine Fällung nicht sofort eintritt, und betrachtet man einen Tropfen davon im Dunkelfeld, so bemerkt man ein allmähliches Zusammenballen und Verkleben der Teilchen. Dureh diesen chemischen und mikroskopischen Nachweis ist diezweite, das Fetteinschliessende aus als Kasein entleert worden. Dritte Zone. In den äussersten Ring sind das Wasser und die in demselben echt gelösten Stoffe, wie Salze und Zucker, gewandert. Der Zucker ist leicht bestimmbar, und dass diese Zone in der Haupt- sache vom Wasser gebildet wird, geht aus der leichten Verdunstung dieser Schichte hervor. Durch die Betupfungsmethode gelingt es also mit bestimmten Löschpapieren, die Milch in ihre drei wichtigsten Bestandteile zu sondern: 1. Fett, 2. Kasein und 3. gelöste Substanzen, und deren Natur schon an ganz geringen Mengen zu erkennen. Abhängigkeit der Bildung der Zonen von der Menge und Beschaffenheit der einzelnen Milchbestandteile. Um zu untersuchen, ob sich auch verdünnte Milch auf Lösehkarton in Zonen schichten lässt, oder ob die Kaseinfläche bei Über Kapillar- und Adsorptionserscheinungen an der Milch, 551 einer grossen Verdünnung überhaupt nicht auftritt, wurden zu je 5 cem Milch 0,5, 1, 1,5, 2, 2,5, 3, 3,5, 4, 4,5 und 5 cem destillierten Wassers hinzugegeben und von dieser Mischungen je drei Tropfen auf blaues Löschpapier (Samarang) gebracht. Bei der normalen Milch und einer Verdünnung von 66,67 °/o Milch + 33,330/0 Wasser war die Kaseinzone deutlich sichtbar. Bei der Verdünnung 5:3 (62,5% Milch + 37,5% Wasser) und 5::3,5 (58,8 %/0 Milch + 41,2 %/o Wasser) war die zweite Zone undeutlich, bei den weiteren Ver- dünnungen fast unsichtbar. Auch bei zentrifugierter Milch tritt die Kaseinfläche auf und verschwindet auch bei derselben Verdünnung, wie bei der ge- wöhnlichen Milch. Bei der Verdünnung 5 (Milch) :3 (Wasser) be- ginnt die Zonenscheidung undeutlich zu werden, und bei einer weiteren Verdünnung ist eine Grenze zwischen der Kasein- und der Wasser- zone nicht mehr sichtbar. Mit der schwächeren Sichtbarkeit der Grenzen geht eine Änderung in der Radienrelation Hand in Hand, und zwar derart, dass bei einer verdünnten Milch die Differenz der Radien der Wasser- und Kaseinzone wächst. Man kaun also sowohl aus der Radiendifferenz als auch aus dem Verschwinden der Grenzen aproximativ auf den Kasein- bzw. Wassergehalt der Milch schliessen. Das Auftreten der Kaseinfläche kann aber auch noch auf eine andere Weise verhindert werden. Fügt man eine Lauge zur Milch, so wird das Kasein gelöst, und es tritt selbstverständlich keine Kaseinzone auf. Die Verdünnung der Milch durch die Lauge darf aber nicht so weit gehen, dass schon durch die Verdünnung allein eine Scheidung ausbleibt. Füst man anderseits Säure oder Lab zur Milch, welche Agentien das Ausfällen des Kaseins bewirken, so tritt auch keine Scheidung in eine Kasein- und Wasserzone im Papier auf, weil sich das Kasein nicht mehr in kolloidaler, sondern in grob disperser Form befindet (siehe oben). Endlich können allzu grosse Fettmengen das Auftreten der Kaseinfläche verhindern. Einige Tropfen „Schlagobers“ (einer Milch mit 30 %o Fett) auf Saugpapier (Samarang) gebracht, zeigen in den meisten Fällen fast keine Kaseinzone. Das Kasein wird vom Fett mechanisch eingeschlossen und am Ausbreiten gehindert. Daraus folgt, dass auch bei gewöhnlicher Milch in der Fettzone ein wenig 552 Alois Kreidl und Emil Lenk: Kasein eingeschlossen sein muss. Dies lässt sich auch nachweisen, indem man das Fett vom Papier abschabt, in wenig verdünnte Kali- lauge einträgt und mit Äther schüttelt. Durch Zusatz von ver- dünnter Essigsäure lässt sich das Kasein in fast unscheinbaren Mengen durch eine weisse Rinebildung an der Äther-Wassergrenze nachweisen. Durch besondere Papiere gelingt es leicht, Schlagobers kaseinärmer zu machen. Wasser, echt gelöste Substanzen und der grösste Teil des Kaseins werden dadurch abgesaust, und es bleibt eine feste Butter zurück. So gelingt es leicht, das Fett in Äther zu lösen, während dies in dem Schlagobers fast un- möglich ist. Das Kasein spielt in der Milch die Rolle eines „Kol- loidators“, und nach dem Entfernen des Kaseins steht der Äther- ausschüttelung nichts im Wege. Verschiedene Tiermilcharten. Kreidl und Neumann!) sahen in der Art der Kaseinemulsion einen Unterschied zwischen Frauen- und Kuhmilch derart, dass das Kasein der letzteren sich in kolloidaler Lösung befindet. Während bei der Kuhmileh im Dunkelfeld zweierlei Formelemente, nämlich Fett und Kasein zu erkennen sind, ist in der Frauenmilch nur ein Formelement, das Fett, sichtbar; das Kasein tritt nur sehr selten und unter besonderen Umständen in wenigen Ultrateilchen (Laktokonien) auf. Da man durch die Tupfmethode die Kuhmilch in Fett, kolloidal und echtgelöste Substanzen scheiden kann, so lag der Gedanke nahe, diese Versuche auch mit Frauenmilch aus- zuführen. Es stellte sich heraus, dass es auch auf diese Weise ge- lingt, Frauenmilch scharf von der Kuhmilch zu unter- scheiden. Wenige Tropfen Frauenmilch auf Saugkarton gebracht, breiten sich nur in zwei Zonen aus, die innere, die das Fett, und die daran angrenzende, welche die anderen Milchbestandteile ent- hält. Die Kaseinzone tritt bei der Frauenmilch nur sehr undeutlich auf, weil die Kaseinkonzentration zu gering ist, als dass es zu einer Kaseinscheidung käme. Der Kaseingehalt der Frauenmilch beträgt ca. 1,2°0, der der Kuhmilch 3°. Werden aber 5 Teile Kuhmilch 1) Kreidl und Neumann,l.c. Über Kapillar- und Adsorptionserscheinungen an der Milch. 553 mit 3 Teilen Wasser versetzt, so ist die Kaseinzone nicht mehr sichtbar, obzwar der Kaseingehalt nur auf 1,88 0/o gesunken ist. Auch bei anderen Milcharten, wie bei Hunde- und Katzen- milch, tritt eine Scheidung in drei Zonen nicht auf. Da diese Milchsorten einen Kaseingehalt wie die Kuhmilch, dagesen einen hohen Fettgehalt zeigen (Hundemilch enthält 9% Fett und 4% Kasein, Katzenmilch 9° Fett und 3° Kasein), so ist für das Fehlen der Kaseinschichte der hohe Fettgehalt verantwortlich zu machen; das Kasein wird vom Fett mechanisch eingeschlossen und an der Diffusion gehindert. Dieses zurückbleibende Fett ist auch tatsächlich in Äther nicht löslich, da es noch Kasein einschliesst. Wird es in ver- dünnte Lauge eingetragen, mit Äther versetzt und geschüttelt, so steht der Ätherausschüttelung nichts im Wege. Alle diese Versuche kann man auch auf schmalen Streifen vornehmen; wir verwendeten !/s cm breite Streifen, die in ein Fig. 2. passendes Gestell gespannt wurden. Diese Methode hat den Vorteil, dass sich der Tropfen sehr schnell ausbreitet und man mit einem einzigen Tropfen unter Umständen auskommt, was bei einer Untersuchung von Milcharten, die nur in geringer Menge zu be- schaffen sind, von Vorteil ist. Damit der Tropfen nicht fliesse, wurde dem Papier folgende Form gegeben (Fig. 2): Von einem kreisförmigen Mittelstücke gingen nach rechts und links zwei 4 cm lange und !/s cm breite Streifen ab; die Kreisfläche wird so gross gewählt, dass sie ein Tropfen gerade ausfüllt. Dadurch wird bewirkt, dass das Kasein und die echt gelösten Substanzen in die Streifen wandern müssen. Über die Möglichkeit der Verwertung der Tropfmethode zur quantitativen Bestimmung der Milchbestandteile. Es lag nahe, aus der Änderung der Relation der Radiengrösse, ähnlich wie dies Holmgren getan hat, eine quantitative Bestimmung der Milchbestandteile zu versuchen. Soll diese Tropfmethode mit Nutzen verwendet werden, so ist selbstverständlich Voraussetzung, 554 Alois Kreidl und Emil Lenk: dass keine Wasserverdunstung erfolgt. Um dies in bequemer Weise zu erreichen, haben wir bei unseren Versuchen einen Apparat benützt, dem wir folgende Form gaben: | Eine kreisrunde Dose (F') (Fig. 3). aus Zinkblech, von einem Durchmesser von 7 em und einer Höhe von 2 cm, trägt in der Höhe von 1 em einen !/e em breiten Kreisring aus Zinkblech angelötet, D Fig. 3. auf den eine Löschpapierscheibe (D) zu ruhen kommt. Am Boden der Dose befindet sich ein stets mit Wasser getränkter Filz (E). Auf das Löschpapier wird ein kurz abgeschnittener Trichter (C) mit der breiten Öffnung gelegt, der genau in die Dose passt. Der Trichter trägt eine in seine schmale Öffnung eingeschliffene Kapillar- pipette (D), deren Spitze so weit vom Papier absteht, dass ein Tropfen gerade noch schweben kann. Mit Hilfe einer Gummi- kappe (A), die auf das obere Ende der Pipette aufgesetzt ist, ist es möglich, Flüssigkeit aufzusaugen und abtropfen zu lassen. Zur Über Kapillar- und Adsorptionserscheinungen an der Milch. 555 besseren Regulierung des Abtropfens wird ein Schraubenquetschhahn verwendet. Die Pipette ist in 0,01 cm geteilt, so dass man noch 0,001 eem abschätzen kann. Zur Ausführung der Versuche genügen zwei bis drei Tropfen. Es seien hier nur einige wenige orientierende Versuche angeführt: a) Bestimmung der Relation der Radien der zweiten und dritten Kreisfläche bei Zusatz von Wasser zur Milch. Zu diesen Versuchen wurden ebenfalls blaue Löschkartons (260 B, Samarang) verwendet. Die Abmessung geschah anfangs durch eine auf das Löschpapier gedruckte Millimetereinteilung, was sich aber als nicht praktisch herausstellte, da einerseits die aufgedruckte Teilung die Milch an der Ausbreitung hinderte, anderseits das Papier durch den Steindruck stark gepresst war und sich daher die Saug- fähickeit desselben änderte. Auch die Ablesung mit Hilfe einer Glasplatte, die eine konzentrische, mit dem Zirkeldiamant gezogene Millimetereinteilung trug, war wegen der Glasdicke ungenau. Meistens wurden die Radien mit einem Zirkel abgemessen oder direkt mit Hilfe eines genauen Papierlineals abgelesen. Die Ab- lesung erfolgte doppelt (diagonal). Sr “ Menge a en Mittel ah Mittel Relation Versuchs cm zone zone der Radien 1. Vollmilch: 134. | 0,084 { 50 |} 31,0 25) \ 93,5 1:1,320 135 | 0,107 { 5 \ 31,75 on: ' 23,75 .| 1:1397 127 | 0110 | u a \ 97,5 | 1:1809 144 | 0,116 {| = \ 34,25 | = \ 26,0 | 1:1,317 2. Zu 8 cem derselben Milch wurden 2 ccm Wasser gegeben: ıss | 0,097 { en \ 38,75 > \ 97,75 | 1:1,397 139 | 0,107 { en \ 37,1 N \ 96,5 1: 1,400 140 | 0,097 I u \ 35,5 =. \ 95,25 | 1: 1,406 141 | 0,092 { \ 94,85 a \ 2475 | 1:1,408 Es ergibt sich eine konstante Änderung der Re- lation der beiden Radien bei Wasserzusatz, woraus die Möglichkeit gegeben wäre, diese Methode quanti- batıiv zu verwerten. 395 Alois Kreidl und Emil Lenk: b) Quantitative Fettbestimmung. - Eine quantitative Fettbestimmung kann auf eine der Kasein- bestimmung ähnliche Weise nicht vorgenommen werden; denn beim Auftropfen der Milch auf Saugpapier breitet sich das Fett nicht aus, und es reicht nur so weit, als der Tropfen reicht. Beim Vergleich von Milcharten aber, die einen verschiedenen Fettgehalt besitzen, wurden in der Diffusionsgeschwindigkeit der Milch ziem- lich grosse Unterschiede gefunden. Zur Ausführung dieser Versuche wurden nicht Scheiben, sondern die früher erwähnten Streifen mit dem kreisförmigen Mittelstück verwendet. Bei einigen orientierenden Versuchen ergab sich im Mittel aus je fünf Versuchen, dass die gleiche Menge (bestimmt nach der Anzahl der Tropfen) Obers (10°/o Fett) 1,2 em, Vollmilch 2,3 em, eine auf die Hälfte mit Wasser verdünnte Milch 3,1 em, zentrifugierte Milch 6,0 em weit gewandert war, wenn man Us cm breite Streifen benutzte und die Ablesung nach genau 1 Minute erfolgte. Bedingung ist, dass die Streifen nicht aufliegen, weil sonst die Milch auch auf die Unter- lage fliesst. Wir behalten uns vor, auch diese noch unvollkommene Methode für die Zwecke einer genauen Fettbestimmung auszuarbeiten. Über das Ausbreiten der Milch während der Labung. Da das Kasein, solange es in disperser Form in der Milch ent- halten ist, als wohlcharakterisierte Schichte am Löschpapier zu erkennen ist und diese nicht erscheint, wenn der genannte Eiweiss- stoff ausgefällt ist, so versuchten wir den zeitlichen Verlauf des Labungsprozesses im Papier zu verfolgen. Zu 10 cem Milch wurde 1 ccm einer 1%oigen neutralen, filtrierten Lablösung (Grübler) bei Zimmertemperatur hinzugesetzt und nach je 30 Sekunden viermal je drei Tropfen dieser Milch auf Saug- papier (Samarang) gebracht, um Kontrollbestimmungen zu haben. Der Labungsprozess war mit Leichtigkeit zu beobachten. Schon nach den ersten 30 Sekunden war die Kaseinzone im Vergleich zu derjenigen der normalen Milch kleiner und verminderte sich von da an immer mehr, bis sie nach 3 oder 4 Minuten nicht mehr sicht- bar war. Beim objektiven Betrachten eines solchen Bildes war an- zunehmen, dass man es mit einer gelabten Milch zu tun hatte. Makroskopisch war aber an der Milch, die zur Untersuchung gelangte, keine Koagulation zu bemerken. Zur Kontrolle wurde gleich- zeitig die ultramikroskopische Untersuchung der Milch Über Kapillar- und Adsorptionserscheinungen an der Milch. 557 vorgenommen. Kreidl und Neumann!) konnten beobachten, dass die Kaseinteilchen der Milch in der Dunkelfeldbeleuchtung unter dem Einflusse von Lab zusamm:üntreten und zuerst kleine, dann srössere Verbände bilden, an denen die Zusammensetzung aus den Teilchen zu erkennen ist. In diesen Konglomeraten sind die grossen Fetttropfen deutlich zu sehen. Man kann dadurch die Ansicht Ducleaux’ bestätigen, der sich die Milchgerinnung als ein Zu- sanimenkleben kleinster Kaseinteilchen vorstellte, und auch die An- sieht jener Autoren, die auf die Bedeutung der physikalischen Vorgänge bei der Gerinnung hinweisen. Von der bei Zimmertemperatur mit Lab versetzten Milch (ent- haltend 0,1 °/o neutrales, filtriertes Lab) wurden zu gleicher Zeit und nach je 30 Sekunden einerseits ein Tropfen auf ein Deckgläschen und anderseits drei auf Saugpapier gebracht. Der eine von uns be- trachtete den Labungsvorgang im Ultramikroskop, der andere am Papier. In drei Parallelversuchen konnte beobachtet werden, dass die Kaseinzone nach 3—4 Minuten nicht mehr auftrat, während erst nach 14—15 Minuten eine deutliche Konglomeratbildung im Ultramikroskop bemerkt werden konnte Auch nach dieser Zeit (15 Minuten) hatte sich äusserlich an der Milch an- scheinend nichts geändert; die ersten makroskopisch siehtbaren Gerinnsel traten erst nach der 24. Minute auf. Man könnte zunächst glauben, dass diese auffallende Erscheinung dadurch bewirkt sei, dass das Papier die allmählich grösser werdenden Teilchen nicht mehr durch die Poren passieren lässt und so das Papier die Labung viel früker anzeigt als das Ultramikroskop. Bei genauerer Prüfung stellt sich jedoch heraus, dass dem nicht so ist, dass vielmehr das Nichtwandern der Kaseinteilchen bedinet ist durch die Berührung der mit Lab versetzten Milch mit dem Papier. Die Adsorption an einer Oberfläche kann verschiedene Re- aktionen zur Folge haben. So werden die Eigenschaften einer kolloidalen Lösung in den Oberflächenschichten seändert, was sich z. B. in der Dichte und der geänderten chemischen Reaktionsfähigkeit kundgibt. Es wurde ja auch von J. J. Thomson durch Rechnung die Änderung der Geschwindigkeit und der Gleichgewichtskonstante einer chemischen Reaktion in der Oberflächensebicht bestimmt. So kommt es oft in der adsor- 1) Kreidl und Neumann, .c. 558 Alois Kreidl und Emil Lenk: Über Kapillarerscheinungen etc. bierten Oberflächenschicht zu einer Koagulation (Ad- sorptionskoagulationen, z. B. Farbstoffe). Diese mit der Adsorption verbundene Konzentrationserhöhung der Ultrateilehen in der Milch hat zur Folge, dass diese sich in der Oberflächenschicht konzentrieren, näher zusammentreten und dadurch leichter vom Lab an- gegriffen werden können. Dadurch erklärt sich die Tatsache, dass eine Labung im Papier früher eintritt, als sie im Ultramikroskop sichtbar ist. Zusammenfassung. 1. In Löschpapier bestimmter Sorte breitet sich ein Tropfen Kuhmilch in drei Kreisflächen aus, die als Fett-, Kasein- und Wasserzone bezeichnet werden. 2. Diese Schichtenbildung tritt in bestimmten Lösch- papieren besonders deutlich auf; sie sind durch einen hohen Aschengehalt charakterisiert. / 3. Die Kaseinzone bleibt bei einer bestimmten Verdünnung der Milch aus. Mit der schwächeren Sichtbar- keit der Grenzen geht eine Änderung in der Radienrelation Hand in Hand. 4. Lauge, Säure und Lab bringen die Kaseinzone zum Verschwinden. Allzu grosse Fettmengen können das Auftreten der Kaseinzone verhindern. al 5. Frauenmilch zeigt keine deutliche Kaseinzone, ebenso Hunde- und Katzenmilch nicht; die erstere wegen der geringen Kaseinmenge und ihrer Beschaffenheit, die letzteren, weil das Kasein vom Fett an der Ausbreitung gehindert wird. 6. Aus der Relation der Radien der Wasser- bzw. Kasein- fläche können Anhaltspunkte für eine quantitative Bestimmung des Wassers bzw. Kaseins in der Milch, aus der Ausbreitungsgeschwindig- keit in Löschkartonstreifen solche für Bestimmung des Fettes ge- wonnen werden. 7. Tropft man eine mit Lab versetzte Milch auf Saugpapier, so verkleinert sich die Kaseinzone stetig bis zum schliesslichen Ver- schwinden. Die Labung tritt im Löschpapier früher ein, als sie im Dunkelfeld zu erkennen ist. Diese Erscheinung ist bedingt durch Konzentrationserhöhung des adsorbierten Kaseins an der Berührungs- fläche des Tropfens mit dem Löschpapier. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Budapest.) Über Salz- und Wasserdiurese. Von Eugen Csernel. (Mit 7 _Textfiguren.) Die funktionelle Untersuchung der Nieren hat eine grosse Literatur hervorgerufen seit der Zeit, da Baron A. v. Koränyi die Aufmerk- samıkeit hierauf lenkte. Auch mit jenen Fragen, womit sich gegen- wärtige Arbeit beschäftigt, haben sich Baron A. v. Koränyi!), Rohrer?), Kövesi und Roth-Schultz?), ausserdem hauptsäch- lich einerseits Galeotti*), Bottazzi°), G. d’ Errico°), ander- seits E. Frey’), J. Biberfeld®), Steensma°) und H. Strauss!) beschäftigt. Das Resultat ihrer Untersuchungen — in jenen Punkten, die ‚uns interessieren — ist kurzgefasst folgendes: Intravenös injizierte Kochsalzlösung erzeugt eine Diurese, die sogenannte SNalzdiurese, welche durch Zunahme der Menge des Harnes und Sinken seiner Molekularkonzentration bis zu derjenigen des Blutes charakterisiert wird, ohne aber dass die molekulare Konzentration des Harnes je unter diejenige des Blutes sinken würde”). Die parallel gehende 1) Koränyi-Richter, Physik. Chemie u. Medizin Bd. 2 S. 133. 2) Pflüger’s Arch. Bd. 109 S. 275. 3) Pathologie und Therapie der Niereninsuffizienz bei Nephritiden. 1904. 4) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1902 S. 900. 5) Bottazzi, Koränyi-Richter Bd. 1 S. 519 und Arch. f. Anat. u. Physiol. 1906 S. 105. 6) Beitr. z. chem. Physiol. u. Path. Bd. 9 S. 4530. 7), Pflüger’s Arch. Bd. 112, 115, 120. 8) Pflüger’s Arch. Bd. 121 S. 265. 9) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 66. 10) Biochem. Zeitschr. Bd. 11. 560 Eugen Csernel: Ausscheidungsgeschwindigkeit des Salzes und Wassers ist in der ersten Stunde die grösste und dauert so lange an, bis ein gewisser Teil der zugeführten Kochsalzmenge (ca. 33 °/o) aus dem Körper aus- geschieden ist‘). Das per os zugeführte destillierte Wasser gibt das Bild der sogenannten Wasserdiurese mit Vermehrung der Menge und starker Verminderung der Molekularkonzentration des Urins, welch letztere tief unter diejenige des Blutes sinken kann?). Intra- venöse Injektion von destilliertem Wasser verursacht nach den Unter- suchungen von Frey in den ersten Stunden eine Verminderung der Urinsekretion, und erst nach mehreren Stunden tritt die grössere Sekretion ein, welche den Typus der Salzdiurese zeigt. Ich verfolgte bei meinen Versuchen die Urinsekretion nicht nur bei normalen, sondern auch bei Hunden nach einseitiger Nieren- exstirpation, und zwar sowohl nach experimenteller Erhöhung als Erniedrigung des osmotischen Druckes des Blutes, was ich ähnlich wie oben durch Zuführung einer 10°/oigen Kochsalzlösung oder destillierten Wassers erzielte. Mein Verfahren war das folgende: Am Tage vor dem Versuche erhielt der Hund 1 kg Fleisch und Wasser nach Belieben, am nächsten Tage gab ich demselben einerseits 10 °/oige sterilisierte und auf Körperwärme gebrachte Kochsalzlösung subkutan oder intra- venös, anderseits destilliertes Wasser durch eine Sonde in den Magen. Ich untersuchte während der 24 Stunden andauernden Versuche die Menge und den Kochsalzgehalt des ausgeschiedenen Urins, dessen Gefrierpunktserniedrigung und spezifisches Gewicht. Die Bestimmung der Kochsalzmenge geschah nach Volhard. Die Gefrierpunkts- erniedrigung bestimmte ich mit einem Beekmann’schen Thermo- meter nach dem gebräuchlichen (klinischen) Verfahren, da ich ein genaueres Verfahren um so weniger notwendig erachtete, als die Gefrierpunktserniedrigung des Urins ohnehin innerhalb sehr grosser Grenzen variierte. Aus diesen Daten habe ich die Ausscheidunges- geschwindigkeit des Urins und des Kochsalzes bestimmt, darunter die Menge verstehend, welche binnen 5 Minuten ausgeschieden wurde. Die erhaltenen Resultate stelle ich einerseits tabellarisch, ander- seits graphisch dar. 1) Zeitschr. f. Biol. Bd. 54. 1910. 2) Pflüger’s Arch. Bd. 112, 115, 120. Über Salz- und Wasserdiurese. 561 A. Salzversuche. I. Intravenös zugeführte Kochsalzlösunge. Versuch 1. 9. Mai 1910. Hund Nr.1. 12 ke. Harn- Nacl- # I Harn- NaCl- a Zeit menge neu "Menge as NaCl | A Spez. pro ID S | Gewicht ccm ccm g mg | Vor dem Versuch genommener Harn. um a 35 22 020.1 Boa 1er Um 10h wurden 120 cem 10°%/oige Kochsalzlösung in die Vena cruralis injiziert 12h 136 3,6 2,18 90 1,60 — 1,4 1018 2h 64 2,6 1,07 42 1,68 — 1,7 1025 4h 76 3,2 1,41 59 1,8920 20 1030 10. Mai 1910 e 1200 12 | a 0 | 1a 256 | 1038 | 546 — 1890| — —-— | + = a) N ı ) m 7-7 --- - -- - -- ---- ---- --- ) =269 } Scem 6Omor F 17 1960 h 3ccm 30 mgr "1030 Fig.1. 45 6 gh Wasserausscheidungsgeschwindigkeit, geschwindigkeit, --- - 4, Kochsalzausscheidungs- Spez. Gewicht. Aus Versuch I folgt: Nach intravenös erfolgter Einführung der hypertonischen Lösung zeigt sich eine ea. 2 Stunden lang dauernde diuretische Periode mit anwachsender Urinmenge und Kochsalz- ausscheidung, um nachher der anderen Periode Platz zu geben, in weleher sowohl die Geschwindigkeit der Urinausscheidung als die- jenige des Kochsalzes nachlässt und geringer wird, als sie zu Beginn war. Anders verläuft die Änderung der molekularen Konzentration und mit dieser zugleich auch das spezifische Gewicht. In der ersten sogenannten diuretischen Periode fällt plötzlich die Gefrierpunkts- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 37 562 Eugen (Csernel: erniedrigung unter den Anfangswert, ohne jedoch denjenigen des Blutes zu erreichen, wächst dann aber allmählich wieder an. Die übriggebliebene rechte Niere eines Hundes, dessen linke Niere vor 3 Wochen entfernt wurde, zeigte folgendes Verhalten: Versuch I. 7. April 1910. Hund Nr.1. 12 ke. Hama a nach Nach Zeit menge Dr Menge ns NaCl A Sr Cem nn 8 mg of oG ewic Vor dem Versuch genommener Harn. 945’ | 140 oT 0,52 7,7 0372 5 1,552.17.1090 Um 9h 45’ wurden 120 ccm 10°%oige Kochsalzlösung in die Vena jugul. injiziert. 11h 45’ 305 12,7 3,26 | 148,5 10720 2155 1.1015 Ih 45’ 176 us 1,74 72,3 0,99 | — 1,61 | 1020 : 3h 45’ 110 A 1.08 40,1 0,98 | —1,56 | 1033 8. April 1910 en I} 160 18 | 210 | ms | 197 | —24 | 1080 | 51 — | 8297 _ -— | - | - = 26°? 6ccm 6Omyr 1060 3cCm 30 myr 1030 x Der Vorgang der Ausscheidung ist derselbe wie bei dem nor- malen Hunde, nur zeigt die eine Niere unter demselben Einflusse bedeutend grössere Ausscheidungsgeschwindigkeit. Jener augenfällige Parallelismus, der sich sowohl in dem vorangehenden als auch bei diesem Versuche zwischen der Sekretionsgeschwindigkeit des Wassers und des Kochsalzes bekundet, scheint die Annahme zu rechtfertigen, dass diese beiden Substanzen an derselben Stelle der Niere (Glomeruli) unter denselben Umständen ausgeschieden werden; jene Substanzen dagegen, welche ausser dem Kochsalze den Grad der / und des spezifischen Gewichtes bestimmen, und welche nach Untersuchungen Über Salz- und Wasserdiurese. 563 von Galeotti eine ungefähr konstante Ausscheidungsgeschwindiekeit zeigen, scheinen in einem anderen Teile der Niere (Harnkanälchen) durch eine gleichmässige Sekretion entfernt zu werden. — Der grossen Diurese entsprechend ist das spezifische Gewicht des Urins und seine Molekularkonzentration kleiner, doch erhöhen sich die- selben typisch mit der Verminderung der. Diurese. I. Subkutan zugeführte Kochsalzlösung. Mein wiederholter Versuch, eine 10 °/oige Kochsalzlösung per os einzuführen, ist misslungen, weil in 5 Minuten schon Brechen und Diarrhöe eintrat. Demzufolge begnügte ich mich, die hypertonische Kochsalzlösung unter die Haut einzuführen. Versuch II. 8. Januar 1910. Hund Nr. 2. 17 ke. Harn- Na0l- | | Zeit en menge a Menge | NaCl A, | Spez = 008 | pro 5’ | Gewicht ccm cem g mg 0/0 | 50: | Vor dem Versuch genommener Harn. i0h 15’ Il 3 21 0,06 34 | 0,16 | —2,03 | 103 Um 10h 15’ wurden 340 cem 10°%oige Kochsalzlösung subkutan injiziert. 11h 30’ 17 a 0.13 7,1 0,74 | — 3,33 _ 1h 24 1,3 0,45 24,2 1,856 | — 3,20 - 3h 30’ 134 4,4 2,75 90,0 2,05 | — 2,60 | 1030 9. Jan. 1910 < = om ns | 200 | 19 | 840 | 200 | 21 —3,00 | 1052 | 55 |) — | 11,2 = —_ — — 4I -26° 6ccm 60mgr 1060 ccm 30mgr 100 | n Nacl. ah 4A 64 34 10% 12% Fig. 3. Wie aus Versuch III zu ersehen, sinkt in der ersten Zeit die ‚Ausscheidungsgeschwindigkeit des Urins bis zur Hälfte der Anfangs- 37 * 564 Eugen (sernel: geschwindigkeit, erhebt sich aber dann stufenweise bis zum Maximum der Diurese, wonach sie wieder bis unter jene des Anfangsstadiums heruntersinkt. Die Eliminationsgeschwindigkeit des Kochsaizes wächst von Beginn an, sonst ist aber der Verlauf ihrer Änderung überein- stimmend mit jenem der Ausscheidungsgeschwindigkeit des Harnes. Die Gefrierpunktserniedrigung erhebt sich plötzlich bis zu einer ge- wissen Höhe, verringert sich dann, um sich zu Ende der 24 Stunden mit der Verminderung der Wasserausscheidung wieder zu erhöhen. Auffallend ist, dass wir in dem Verlaufe der Ausscheidungsgeschwindig- keit, des spezifischen Gewichtes und auch der Gefrierpunktserniedrigung gerade das Gegenteil dessen beobachten, was wir bei intravenöser Injektion der hypertonischen Lösung gesehen haben. Während dort die Niere mit geringer molekularer Konzentration viel Urin aus- schied und erst, als die Verringerung des Wassergehaltes des Körpers die Ausscheidung eines verdünnten Urins unmöglich machte, dann wenig, aber stark konzentrierten Urin ausschied, zeigte sich dagegen die Wirkung der unter die Haut eingeführten hypertonischen Salz- lösung in erster Linie darin, dass sie — aus dem Blutkreislaufe Wasser entziehend — die Ausscheidung des normalen Urins ver- ringerte und die Niere zwang, mit grosser Konzentration zu arbeiten; erst später, als das Salz in grösserer Menge resorbiert wurde, dann übte es erst einen Reiz auf die Niere aus, welche auch in diesem Falle mit der Ausscheidung einer grossen Menge verdünnten Urins so lange fortfuhr, als im Organismus hierfür genügendes mobiles Wasser vorhanden war. Zu denselben Resultaten gelangte ich auch bei meinen zwei folgenden Versuchen. Versuch IV. 12. Mai 1910. Hund Nr.1. 12,3 kg. Harn- | NaÜl- Zeit ne menge un Menge NaCl A Spez. pro 5° “| pro 5’ Gewicht ccm ccm g mg 0/0 SEE: Vor dem Versuch genommener Harn. 9h 45’ 17250 — | 0,06 — | 912 | —371 | 1050 Um 9% 45’ wurden 120 cem 10%oige Kochsalzlösung subkutan injiziert. 11h 45’ 26 1.022 22.0:23 11,3 1,13 | — 4,56 | 1060 1h 45’ 37 14 | 072 27,2 1,94 | — 3,90 | 1052 3h 45’ 38 1,6 | 0,81 33,8 2,12 | — 3,40 1045 13. Mai 1910 < a \ 150.106 300 | 120 | 200 | —3,10 | 1040 | 251 —-— | s2| — | — -— | - Über Salz- und Wasserdiurese. 365 Versuch V. 16. März 1910. Hund Nr.1. 12 ke. Harn- Na0l- | Harn- NaCl- Zeit menge | Menge | Menge Menge Na0l A Spez. | | pro 8° | pro 5 Gewicht ccms cemg ar mg %/o EC Vor dem Versuch genommener Harn. 9h 15’ 425°] — 721,06 — | 0,25 — 2,52 | 1030 Um 94 15’ wurden 120 cem 10°%oige NaCl-Lösung subkutan injiziert. 11h 30’ | 50 0,9 | 0,65 11,7 1,30 — 3,16 | 1040 1h 30’ 382.21,2.08 0,67 14,0 1,76 — 2,65 | 1035 | | 0 | 14 | 190 | — 261 | 1035 17. März 1 DE c e aa an 501 \ 205 | 0,45 | 38 | 8 | 1,62 — 3,06 | 1042 | eo I I Se a ee Der gleiche Typus wie bei dem vorangehenden Versuche, nur ist die Änderung der Ausscheidungsgeschwindigkeiten gegenüber den anwachsenden Werten der / und des spezifischen Gewichtes kleiner. Hervorheben möchte ich jenen Wert der 7, welchen hier der Harn erreichte, — 4,56° C.; einen noch niedrigeren Wert, — 5,72° C., erhielt ich nur ein einziges Mal in einem nicht erwähnten Versuche, wo dem 17 kg schweren Hunde nach zweitägiger Fleischnahrung und eintägigem Fasten 1 Liter 0,9 %/o Kochsalzlösung subkutan injiziert wurde. Die Bestimmung geschah derart, dass ich den Urin auf das Doppelte verdünnte, wohl wissend, dass ich dadurch einen zwar un- wesentlichen Fehler begehe, durch Änderung des Dissoziationsgrades. Den folgenden Versuch unternahm ich dann 12 Tage nach der Nephrektomie an einem Hunde mit seit der Operation 1,5 kg zu. einer Niere. Der Hund nahm Versuch VI. 2. April 1910. Hund Nr.1. 12,5 kg. Harn- | Harn- nacı- | Nall- | . menge Menge | NaCl | Spez. Zeit menge pro 5’ Menge pro 5’ Kesmient cem | ccm g mg 0/0 er Vor dem Versuch genommener Harn. guS15.r. 727835327 .]7.0:06 — 0,09, | —1,69 | 1020 Um 9h 15’ wurden 120 cem 10 Yoige NaCl-Lösung subkutan injiziert. 11h 30’ | 98 3,1 0,96 36,4 | 0,98 | — 2,04 | 1025 1h 15’ 112 5,3 1,00 47,0 0,89 — 1,97 | 1025 3h 15’ 142 | 5,9 1,52 63,5 1,07 | — 1,86 | 1020 8. April 1910 < < ER c een \ 220 10 sor se 1a | 2,49 | 1032 I 82 | — 6,49 = —-— |. - Zi 566 Eugen Csernel: -20° dccm 60mgr 1060 3ccm 30mgr 1030 Fig. 4. Der Hund mit einer Niere zeigte bezüglich der Ausscheidung der subkutan injizierten hypertonischen Kochsalzlösung ein dem obigen Ähnliches Bild. Die Salzausscheidungsgeschwindigkeit war so gross (63,5 mg in 5 Minuten), wie sich solche bei zweinierigem Hunde unter denselben Umständen — also auf 1 g pro Kilogramm Kochsalz — kein einziges Mal zeigte. Dabei arbeitete die Niere mit kleinerer Molekularkonzentration, womit wir uns später noch befassen werden. Die Wirkung der subkutan injizierten. hypertonischen Lösung können wir sowohläbei normalen als auch bei Hunden mit nur einer Niere damit charakterisieren, dass sowohl die Sekretionsgeschwindig- keit des Wassers als des Kochsalzes dauernd ansteigt, nachdem die Ansscheidungsgeschwindigkeit des Wassers vorher unter jene des Anfangswertes gesunken war. Die / sinkt nach plötzlicher Steigerung, ohne jedoch die / des Blutes auch nur annähernd zu erreichen. Hingegen charakterisiert die Wirkung der intravenös injizierten hypertonischen Lösung sowohl bei normalen Hunden als auch bei solehen mit nur einer Niere die plötzlich erhöhte Sekretions- geschwindigkeit und das Herabsinken der 7/, welch letztere jedoch nie unter jene des Blutes sinkt. Bemerkenswert halte ich noch den Umstand, dass sich zwischen diesen zwei Wirkungsarten auch ein Übergang zeigte, jedoch nur bei dem durch die subkutane Salzlösung schwer geschädigten Hunde, oder bei einem solchen, welcher an Salzvergiftung starb. Der Kürze halber teile ich nur den letzteren Fall mit. (Siehe Versuch VII auf S. 567.) Einige Stunden nach der letzten Harnentnahme ging der Hund unter Symptomen der Salzvergiftung zugrunde. Bei der am nächsten Tag vorgenommenen Sektion fühlte sich die Schleimhaut des Dünn- darmes wie mit Sand bestreut — offenbar Kochsalzkristalle — an. Über Salz- und Wasserdiurese. 567 Versnch VII. 18. Januar 1910. Hund Nr.2. 16 kg. Han Kram Enacı“ PNac | Zeit at menge | enoe Menge | NaCl A Spez. pro 5’ = 08 Gewicht ccm ccm SR le Vor dem Versuch genommener Harn. 102 157.1 2 Een ae — Um 10h 15’ wurden 1 Liter 10 Yoige Kochsalzlösung subkutan injiziert. 12h 15’ 140 5,8 | 2,79 116 1,99 — 3,18 | 1040 4h 15’ 175 3,6 3,28 68 1,89 | — 2,12 | 1032 er ee 0, Die Wirkung der intravenös injizierten hypertonischen Lösung zeigt sich in der plötzlich anwachsenden Salz- und Wassersekretion, aber zugleich zeigt sich auch die für die subkutan injizierte Lösung charakterisierte plötzliche Steigerung der Molekularkonzentration. Dies ist allem Anschein nach dadurch zu erklären, dass von dem subkutan gegebenen Salze plötzlich soviel resorbiert wird und da- durch in den Blutkreislauf kommt, dass es auf die Niere eine diuretische Wirkung ausüben kann, und dass das Salz dabei trotz- dem auch als subkutan injizierte hypertonische Lösung seine Wirkung ausübt. B. Wasserversuche. In der zweiten Serie meiner Untersuchungen führte ich dem Hunde destilliertes Wasser in den Magen ein. Versuch VIII. 10. Januar 1910. Hund Nr. 2. 16 ke. Harn- | Harn- | nacı- | Nacı- | : menge Menge | NaCl A Spez. Zeit menge pro 5’ Menge pro 5’ a: ccm ccm eo, mg Bo | Vor dem Versuch genommener Harn. 1077307 77 21 082 | — 0,16 — 2,72 | 1035 Um 10h 30’ wurden 2 Liter destilliertes Wasser per os gegeben. 11h 30’ 200 16,6 O8 1150 0,09 — 0,558 | 1010 12h 30’ 510 42,6 0,20 | 174 0,04 — 0,15 | 1002 1b 30’ 370 30,8 0,222 716,0 0,06 —0,16 | 1003 3h 30’ 300 12,4 02 07786 0,07 — 0,37 | 1006 11. Jan. 1910 e nn Y 1200 40 | 096 | 32 | 00 | — | 1m | 250 | — na Se © 568 Eugen Csernel: Die Einführung von Wasser hat Polyurie zur Folge, welche in den ersten 4 Stunden ihren maximalen Wert erreicht. Auch hier gibt es eine diuretische Periode mit kleiner, viel kleinerer molekularen Konzentration als jene des Blutes; hierauf folgt die Erhöhung der molekularen Konzentration des Urins, während sich dessen Menge verringert. Die Ausscheidungsgeschwindiekeit des Kochsalzes erhöht sich gleichzeitig mit der Wasserdiurese, doch relativ in viel ge- ringerem Maasse. Ihr Maximum erreicht dieselbe auf dem Höhe- punkt der Wasserausscheidung. — Ein ähnlicher Versuch zeigte folgendes Resultat: Versuch IX, 7. März 1910. Hund Nr.1. 12 ke. Harn- NaQl- Harn- NaCl- | menge Menge | NaCl A Spez. Zeit menge pro 5’ Menge pro 5 Geriehe ccm ccm g mg 0/0 IC: Vor dem Versuch genommener Harn. ana lo 013.0: | 0120) 9702110535 Um 8h 15’ wurden 1,2 Liter dest. Wasser per os iniiziert. 10h 15’ 483 1. 18,0 0,43 20,7 | 0,1 —1,10 | 1015 12h 15’ 0 06 0 Te 0 — 0,40 | 1004 4h 15’ 080 | 758 0,12 20. 10,04 | =.0882] 1013 |ıs | — 1,02 .ı. . -26° Scem Somgr 1060 366m 30mgr 1930 Über Salz- und Wasserdiurese. 569 Die Ausscheidungsgeschwindigkeit des Wassers und des Salzes einerseits, der Verlauf der / und das spezifische Gewicht anderseits liefen auch diesmal parallel. Übrigens bestehen die obigen Be- obachtungen auch hier zu Recht. Übereinstimmend ist das Resultat auch bei einem Hunde mit nur einer Niere, 9 Tage nach stattgefundener Operation. E Versuch X. 80. März 1910. Hund Nr.1. 12 ke. Harn- | Harn- | wacı- | Na0l- | : menge | Menge | NaCl | A Spez. Zeit menge pro 5’ | Menge | pro 5’ | | Gewicht ccm ccm |. en mg 0/0 Ca Vor dem Versuch genommener Harn. 3230’ | 160 — |. 05 | — 0,88 | —1,32 | 1020 Um 9h 30’ wurden 1,2 Liter destilliertes Wasser per os injiziert. 11h 30’ 820 3 0,82 0,10 | — 0,46 | 1005 1b 30’ Sa 25,2 0,12 | —0,40 | 1005 44h 30’ 190 OB ER 0 | 17,0 0,37 1 — 1,00 | 1015 na ae eaeeen | Shcom. -2C0° 6cem 6Omyr ! 1060 | 3ccm 30mgr 1039 Wie aus Versuch X zu ersehen ist, stellte sich eine mächtige Diurese ein, welche in den ersten zwei Stunden sogar 408 cem Urinausscheidung pro Stunde erreichte. Die ./ verringert sich, weil die Niere bei dem vielen Wasser nur wenig osmotisch wirkende Substanzen ausscheidet; sie steigt dann langsam im Maasse der Verringerung der Ausscheidungsgeschwindigkeit, bis sie den Anfangs- 570 Eugen Csernel: wert erreicht. Ich konnte in keinem meiner Wasserversuche be- obachten, dass die Ausscheidung des Kochsalzes sich vermindert hätte, wie dies de Bonis — dem Prinzipe der Salzschonung des Organis- mus entsprechend — betont. Im Gegenteil, ich habe gefunden, dass hier eine Gegenseitigkeit besteht: viel Salz verursacht Polyurie, Polyurie zieht die Ausscheidung von viel Salz nach sich. Anhangsweise will ich noch einen Versuch erwähnen, bei welchem ich dem Hunde ca. 1000 eem destilliertes Wasser schnell im Ver- laufe von ea. 3 Minuten intravenös injizierte, worauf der Hund 310 eem Harn mit einer 7/ von 0,506° C. ausschied; zugleich aber trat Hämoglobinurie auf. Nach intravenöser Injektion kleiner Wasser- mengen sah Frey den Typus von Salzdiurese auftreten, während in meinem Falle das Bild der Wasserdiurese auftrat. Diese Erfahrungen bestätigen also die in der Einleitung er- wähnten charakteristischen Eigenschaften der Wasserdiurese: Polyurie und Hypotonie. Diese bedeutende osmotische Arbeit, womit die Ausscheidung des hypotonischen Urins verbunden ist, hat die eine Niere des einseitig nephrektomierten Hundes gerade so gut erledigt, wie es der normale Hund mit. zwei Nieren tat. Zusammenfassung. Im folgenden fassen wir zuerst nur jene Ergebnisse unserer Versuche zusammen, welche unter gleichen Bedingungen an dem- selben Hunde ausgeführt wurden, einerseits als er noch zwei Nieren hatte, anderseits als die eine Niere schon exstirpiert wurde. Wir fanden, dass das Maximum der Wasserausscheidungsgeschwindigkeit pro 5 Minuten beim Hunde mit nur einer Niere 34 cem (Versuch X) war; derselbe Hund mit zwei Nieren schied 19,6 ccm (Versuch IX) aus. — Das Maximum der Kochsalzausscheidungsgeschwindigkeit nach intravenös injizierter Kochsalzlösung war bei einer Niere 148 mg (Versuch II), bei zwei Nieren 90 mg (Versuch D; nach subkutan injizierter Kochsalzlösung bei einer Niere 63,5 mg (Versuch V]), bei zwei Nieren 33,8 mg (Versuch IV, V) pro 5 Minuten. Auf einen wichtigen Punkt wollen wir aber nun besonders hin- weisen: das ist die Konzentration des Urins, welche, ob wir das 4, das spezifische Gewicht oder den Prozentgehalt an Kochsalz be- trachten, bei dem Hunde mit nur einer Niere kleiner war und sich zwischen engeren Grenzen bewegte als bei normalen Hunden. Über Salz- und Wasserdiurese. 571 Lojacono!) kam in seiner Versuchserie demgegenüber gerade zu dem gegenteiligen Ergebnisse, indem er fand, dass der einnierige Hund mit grösserer Konzentration arbeitet; er führte aber seine Versuche nach stattgefundener Hvpertrophie der Niere aus, was bei unseren Versuchen nicht der Fall war. Bei allen Salzversuchen war der Verlauf der Änderung des Prozentgehaltes an Kochsalz immer übereinstimmend, ob das Koch- salz intravenös oder subkutan eingeführt wurde. Wie die Figur zeigt, steigt der Prozentgehalt des Harnes an Kochsalz bis er ein gewisses Maximum erreicht hat, auf welchem er dann ständig ver- bleibt. Auf dieses Maximum soll nun noch etwas näher eingegangen werden. +Stntang dus Yorsuchs. 2 a Gh Fig. 7. (Aus dem Versuche Nr. 4.) Bei sämtlichen Salzversuchen an zweinierigen Hunden erhielt ich folgende grösste Werte für NaCl-Prozent: Vers. Nr. I nach Einführung von 12 2.d.h. pro Kilogr. 1g NaCl 1,85 °/o, D) n II 2) » 5) 34 »n9n 9» » 2 » ” 2,10 210, ” ” IV ” ” ” 12 22) ” » ” 0,988 ” 2,12 Co: n) D) V » » » 12 »n 9 D) 1 g ” 1,90 = 0, » » Vo 7) „. » 100 »n9» 9» D) 6,258 » 1899 Oo. Nach verschiedensten Salzquantitäten ergab sich immer beinahe derselbe Wert, welcher, wie es scheint, von einer gewissen Salzmenge aufwärts, ganz unabhängig ist von der Menge des eingeführten Salzes und für normale Hunde mit zwei Nieren als Grenzwert zu betrachten ist. Denn auch dann, wenn der Organismus mit 100 g Salz derart überschwemmt wurde, dass der Hund daran starb (Versuch VII), stieg die Salzkonzentration auch nicht höher an, als wenn nur ins- gesamt 12 g eingeführt wurden. 1) Lojacono, Zentralbl. f. allgem. Pathol. Bd. 17 S. 625. 572 Eugen Csernel: Über Salz- und Wasserdiurese. Vers. Nr. II nach Einführung von 12 g d.h. pro Kilogr. 1 g NaCl 1,37 °/o, VI D) ” » 2, »» » » 0,96 &n 1,37 lo. Bei Hunden mit nur einer Niere war. der maximale Wert also beiläufig ?/s jener Salzkonzentration, welche wir unter denselben Umständen bei normalen Hunden beobachteten. Im allgemeinen entsprach also die allein übrigbleibende Niere der Aufgabe, vor welche dieselbe sowohl durch Verringerung als durch Erhöhung des osmotischen Druckes des Blutes gestellt wurde, prompt und vollkommen, und ersetzte vollkommen die fehlende Niere. Bezüglich der maximalen Salzkonzentration, welche der Harn bei den Kochsalzversuchen erreichte, zeigte sich aber der soeben er- wähnte Unterschied. » ” Zum Schlusse sei mir erlaubt, den Herren Adjunkt Dr. M. Pekär, stellvertretenden Direktor des Institutes, und Assistent Dr. K.v. Körösy für ihre gütige Unterstützung und Anweisungen meinen aufrichtigsten Dank auszusprechen. 973 (Aus dem physiologischen Institut der Universität Leipzig.) Über die Anordnung der homogenen Lichter auf der Mischlinie des Rotgrünblinden mit unverkürztem Spektrum. Von E. Th. von Brücke und N. Inouye. (Mit 6 Textfiguren.) Die Tatsache, dass objektiv ganz verschieden zusammengesetzte Lichter gleichen physiologischen Reizwert — gleiche optische Valenz — haben können, führte bekanntlich zu der Vorstellung, dass die optische Valenz der homogenen Lichter als eine komplexe Grösse aufzufassen sei, und dass sie sich aus mehreren Elementen, den sogenannten „Urvalenzen“ zusammengesetzt denken lässt !). Auf Grund der Lichtmischungsergebnisse nimmt bekanntlich sowohl die Hering’sche als die Young-Helmholtz’sche Farben- theorie an, dass der Reizwert jedes homogenen Lichtes sich für den Farbentüchtigen aus drei, für den partiell Farbenblinden aus zwei Urvalenzen zusammensetze. Ein fundamentaler Unterschied beider Theorien besteht aber darin, dass nach Hering für den Farben- tüchtigen zwei, für den Farbenblinden eine dieser Urvalenzen sowohl positive als negative Werte in dem Sinne haben kann, dass aus der Mischung eines Lichtes mit positivem und eines Lichtes mit negativem Werte derselben Urvalenz ein Licht entsteht, in welchem der Wert dieser Urvalenz die algebraische Summe des positiven und negativen Wertes der Komponenten der Mischung ist. Nach der Young- Helmholtz’schen Theorie würde es sich dagegen nur um Urvalenzen mit positiven Werten handeln. 1) Vgl. E. Hering, Über Newton’s Gesetz der Farbenmischung. Lotos, N. F., Bd. 7 S. 177 (206 ff.). 574 E. Th. von Brücke und M. Inouye: Die Empfindungsqualitäten (Sehqualitäten), welche den einzelnen Urvalenzen entsprechen, sind in der Hering’schen Theorie auf Grund einer psychologischen Analyse der Gesichtsempfindungen von vornherein bestimmt: der nur mit positiven Werten vorkommenden Urvalenz entspricht das Weiss, den beiden anderen, je nachdem sie positiven oder negativen Wert haben, ein ganz bestimmtes Gelb (Urgelb), bzw. Rot (Urrot) oder ein ganz bestimmtes Blau (Urblau) bzw. Grün (Urgrün). Die Theorie von Young-Helmholtz ent- hält an und für sich keine Bestimmung der Empfindungsqualitäten, welche den drei Urvalenzen zu entsprechen hätten, sondern fordert nur, dass keine zwei dieser drei Empfindungsqualitäten, der „Grund- farben“, unter sich „komplementär“ sind; meist wurde ein Rot, ein Grün und ein Blau oder Violett als die Grundfarben angenommen. Eine gewisse Analogie bieten diese beiden Farbentheorien in der Deutung der Empfindungen der partiell Farbenblinden wie gesagt insofern dar, als nach beiden ein beliebiges Licht für einen solchen Farbenblinden nur zwei Urvalenzen besitzen würde: für die beiden Gruppen der Rotgrünblinden nach Hering nureine weisse und eine gelbe oder blaue Urvalenz, und nach der Young-Helmholtz’schen Theorie zwei der oben genannten drei Urvalenzen, wobei sich aller- dings die Farbenblinden der beiden Kategorien (der nach Hering Rot- erünblinden), im Gegensatze zur Auffassung dieses Forschers da- durch wesentlich voneinander unterscheiden würden, dass den einen die der erwähnten Grünempfindung entsprechenden physiologischen Vorgänge fehlten, den anderen die der erwähnten Rotempfindung entsprechenden. Wir können also nach beiden Theorien jedes Licht für den partiell Farbenblinden als ein Gemisch aus zwei Urvalenzen auffassen. Nach den grundlegenden Auseinandersetzungen Hering’s über die geometrische Darstellung von Gemischsystemen *) lässt sich die Gesamtheit aller denkbarer Gemische zweier Mischelemente, deren Werte sowohl positiv als negativ sein können, derart auf zwei un- begrenzten Geraden als den „Mischlinien“ angeordnet denken, dass jedem Punkt auf einer dieser beiden Geraden (als eines „Misch- linienpaares“) ein anderes bestimmtes Gemisch entspricht. Im hier vorliegenden Falle der Mischung von Urvalenzen, wo nur das eine Mischelement mit positiven und negativen Werten, Mc. 8. 188 Über die Anordnung der homogenen Lichter auf der Mischlinie etc. 575 das andere aber ausschliesslich mit positiven Werten in Betracht kommt, handelt es sich nur um einen begrenzten Teil der einen Geraden eines Mischlinienpaares. Da im folgenden die Anordnung der homogenen Lichter auf einem solchen begrenzten Mischlinienteile vom Standpunkte der Hering’schen Theorie für den Farbenblinden besprochen werden soll, müssen wir zunächst kurz auf die lineare Anordnung positiver und negativer Werte eines einzelnen Mischelementes eingehen und sodann die allgemeinen Verhältnisse bei der Mischung zweier Misch- elemente und die Anordnung solcher Gemische auf einer Mischlinie erörtern, wobei wir uns zum Teil wörtlich an die Auseinandersetzungen Hering’s halten wollen. „Auf der unbegrenzten Geraden mm (Fig. 1, 2 und 3) möge jeder Punkt einem bestimmten, durch die ihm entsprechende Ordinate der unbegrenzten Geraden /!l dargestellten Wert eines beliebigen Etwas (E) bedeuten. Dieser Wert, welcher sowohl positiv als negativ sein kann, möge der E-Wert des bezüglichen Punktes und die Ge- rade !! die Linie der E-Werte oder die E-Wertlinie heissen.“ Den Schnittpunkt der E-Wertlinie mit der Geraden mm be- zeichnen wir als den Nullpunkt der E-Werte; alle Punkte der Linie mm, die links von diesem Nullpunkt liegen, mögen negativen E-Werten entsprechen, alle, die rechts von ihm liegen, positiven. „Bezeichnen wir die zu den Punkten A, C und B (Fig. 1, 2 und 3) gehörigen Ordinaten oder E-Werte mit «, y, ß, die Strecke AC mit b, die Strecke CB mit a, so ist (By) :(y-0) =a:b (asnb) ya ba 1% In dieser allgemeinen Gleichung ist stets das Voreichen der einzelnen E-Werte zu berücksichtigen; liest also z. B. der Punkt A links vom Nullpunkt der E-Werte, so ist @ negativ in Rechnung zu bringen. „Auf Grund der Gleichung 1. oder durch Konstruktion lässt sich also, wenn für zwei Punkte der Geraden mm die E-Werte ge- geben sind, für jeden beliebigen dritten E-Wert der zugehörige Punkt und für jeden beliebigen dritten Punkt der zugehörige E-Wert finden. Der zu einem beliebigen Punkte der Geraden mm gehörige E-Wert kann unter Benutzung eines in der physiologischen Optik bereits eingebürgerten Begriffes auch als die Maasseinheit jenes Punktes bezeichnet werden.“ 576 E. Th. von Brücke und N. Inouye: Wir denken uns nun zu den beiden Punkten A und B der Geraden mm (Fig. 1, 2 und 3), deren E-Wertlinie 7 gegeben ist, % Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. zwei beliebig grosse positive E-Quantitäten A und B und bestimmen, wie oft in der E-Quantität A der dem Punkte A entsprechende Über die Anordnung der homogenen Lichter auf der Mischlinie etc. 577 E-Wert « enthalten ist, und wie oft in der E-Quantität B der dem Punkte D entsprechende E-Wert £, d. h. wir messen A mit der Maasseinheit « und B mit der Maasseinheit %. Die so gefundenen Werte nennen wir a und b. „Denken wir uns nun die als schwerlos angenommene Gerade mm in den Punkt A und 5 mit zwei Gewichten belastet, welche sich zueinander verhalten wie die gefundenen Maasszahlen a und 5, und suchen den Schwerpunkt der so belasteten Geraden, so finden wir ihn im Punkte Ü, welcher die Strecke AB derart teilt, dass das dem Punkte A anliesende Teilstück AC sich zu dem an B srenzenden Teilstücke 5 (U verhält wie b:a, also 402B® —_b:a. Dividieren wir die Summe der beiden E-Quantitäten A und B durch die Summe der Maasszahlen « und 5b, so erhalten wir den zum Punkte © gehörigen E-Wert oder seine Maasseinheit; denn es silt auch hier wieder die Gleichung 1. (a+b) y=bP— aa und da aa=A und bB=B, so ist A+B nn) +b Zur binären Mischlinie wird eine Wertlinie dann, wenn jedem ihrer Punkte nicht nur ein bestimmter Wert eines beliebigen Etwas entspricht, sondern je ein bestimmter Wert zweier in bezug auf irgendeine quantitative Eigenschaft vergleichbarer „Dinge“. ° Wie oben erwähnt wurde, kommt für uns nur ein begrenzter Teil einer solchen binären Mischlinie in Betracht, auf dem bestimmte Gemische aus einem mit positiven und negativen Werten auftretenden Mischelement E, und einem anderen nur mit positiven Werten auf- tretenden Mischelement E, vertreten sind. Zur Veranschaulichung einer solchen „Mischstrecke“ möge Fig. 4 dienen: Jedem Punkt der Strecke M _M entspricht ein positiver oder negativer E,-Wert (die Z,-Wertlinie wird durch L,_L, angegeben) und ein positiver E,-Wert (Z, 2, entspricht der Es-Wertlinie). „Jedem Punkt der Strecke MM entsprieht nunmehr ein anderes Gemisch von E, und E,, an welchen wir zu unterscheiden haben: erstens die Qualität oder das Mischungsverhältnis, welches gleich dem Verhältnis der beiden, dem Punkte zugehörigen Ordinaten ist; und zweitens die Quantität oder den Wert des Gemisches, welcher be- stimmt ist durch die Summe der beiden zugehörigen Ordinaten und als Maasseinheit des Gemisches bezeichnet werden soll.“ Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 14l. 38 2. 578 E. Th. von Brücke und N. Inouye: „Denkt man sich zwei beliebige, auf einer Mischlinie liegende Gemische (A und B) in einem beliebigen Mengenverhältnisse wieder miteinander gemischt, so erhält man stets ein Gemisch C, welches bereits auf der Mischlinie vertreten ist und auf derselben zwischen den beiden Gemischen (A und B) gelegen ist.“ Verhält sich die Zahl der zur Bildung des Gemisches C ver- wendeten Maasseinheiten des Gemisches A zur Zahl der verwendeten Maasseinheiten des Gemisches B, wie a zu 5b, und denken wir uns da Fig. 4. dementsprechend die Strecke AB in den Punkten A und D mit Gewichten belastet, die sich umgekehrt proportional den Maasszahlen a und 5 verhalten, so ist der Schwerpunkt der so belasteten Strecke der Ort des Gemisches C. Dieses Gesetz ermöglicht es uns auch dann den Ort eines aus zwei Gemischen gebildeten dritten Gemisches auf der Mischlinie zu finden, wenn uns das Verhältnis, in dem die einzelnen Gemische sich aus ihren Mischelementen zusammensetzen, unbekannt bleibt. Wenn uns andererseits der Ort eines bestimmten Gemisches A auf der Mischlinie bekannt ist, und ferner auch der Ort eines Ge- misches C auf der Mischlinie gegeben ist, welches durch Mischung des Gemisches A und eines dritten Gemisches B, dessen Ort be- Über die Anordnung der homogenen Lichter auf der Mischlinie etc. 579 stimmt werden soll, erzeugbar ist, so können wir diesen Ort auf der Mischlinie in der Weise finden, dass wir wieder nach der Schwer- punktskonstruktion die fragliche Strecke O.B so lange wählen, dass sie sich zur bekannten Strecke CA verhält wie die Anzahl der ver- wendeten Maasseinheiten des Gemisches A zur Differenz zwischen der bei der Mischung erzielten Maasseinheitenzahl des Gemisches C und der Zahl der zur Mischung verwendeten Maasseinheiten des Gemisches A. Um diese zuletzt erörterte Ortsbestimmung eines Gemisches auf einer Mischlinie an einem speziellen Beispiele zu erläutern, kehren wir zurück zu dem in Fig. 4 wiedergegebenen Abschnitt einer Misch- linie; und zwar nehmen wir an, dass uns der Ort des Gemisches A bei A und der Ort des Gemisches C bei Ü gegeben sei; der Ort des Gemisches C fällt mit dem Nullpunkt der E,-Wertlinie zusammen, der E,-Wert des diesem Punkte entsprechenden Gemisches ist dem- nach gleich Null, während sein E,-Wert, wie der aller Gemische der Strecke MM positiv ist. Nehmen wir nun an, wir hätten eine Maasseinheit des Gemisches A (mit seinem negativen E,-Wert) mit einer gewissen Menge eines uns betrefis seines Ortes und seiner Maasseinheit zunächst unbekannten Gemisches B gemischt und auf diese Weise vier Maasseinheiten des uns bekannten Gemisches © erhalten. Dann fänden wir den Ort jenes Gemisches B in der Weise, dass wir der Strecke ©.B eine solche Länge gäben, dass sich OB zu CA verhält, so wie 1:(4—1), also wie 1:3. Der dem Gemische A entsprechende Punkt der Mischlinie liegt demnach dreimal so weit von ( entfernt wie der dem Gemische B entsprechende. Gleichzeitig lernen wir auf diesem Wege auch die Maasseinheit des fraglichen Gemisches B kennen: Da nämlich die Anzahl der Maasseinheiten eines Gemisches stets gleich ist der Summe der zur Herstellung dieses Gemisches benutzten Maasseinheiten seiner Misch- elemente, so müssen in unserem speziellen Falle bei der Herstellung der vier Maasseinheiten des Gemisches C ausser der einen Maass- einheit des Gemisches A noch drei Maasseinheiten des Gemisches B zur Verwendung gekommen sein. Eine Maasseinheit des Gemisches B entspricht demnach einem Drittel jener Menge des Gemisches B, die wir in dem eben erörterten Falle zur Mischung verwendet haben. Wenn wir nun die homogenen Lichter als für den Rotgrün- blinden binäre Gemische auf einer derartigen „Mischstrecke* an- ordnen, so können wir als Endpunkte dieser Strecke einerseits ein 38 * 580 E. Th. von Brücke und N. Inouye: relativ kurzwelliges Violett, andererseits ein spektrales Rot annehmen. Die Wahl dieser äussersten Lichter ist bis zu einem gewissen Grade willkürlich; doch ist darauf zu achten, dass man speziell bei der Wahl des kurzwelligen Endlichtes innerhalb jenes Spektralbereiches bleibt, in.dem die einzelnen Lichter noch ohne merkliche Fluoreszenz der Augenmedien lebhafte Farbenempfindungen hervorrufen. - Wir können ferner die Maasseinheiten dieser beiden äussersten Lichter proportional jenen objektiven Stärken beider Lichter wählen, bei welchen die Mischung der beiden Lichter dem Farbenblinden farblos erscheint, d. h. also so, dass bei gleichzeitiger Einwirkung je einer Maasseinheit beider Lichter weder eine Blau- noch eine Gelbempfindung resultiert, sondern nur die Weissvalenzen beider Liehter zur Geltung kommen. Nach den oben erörterten Prinzipien muss dann die Wertlinie der positiven und negativen Blaugelb- valenzen unsere Mischstrecke genau in ihrem Mittelpunkt kreuzen, und an die Stelle dieses Nullpunktes der „Urvalenzlinie“ muss das dem Rotgrünblinden neutrale Licht N zu liegen kommen. Lassen wir nun den Rotgrünblinden aus je einer Maasseinheit (ME) des erwähnten langwelligen und kurzwelligen Lichtes ein für ihn farbloses (für den Farbentüchtigen purpurfarbenes) Gemisch her- stellen, und lassen ihn dann eine Gleichung zwischen diesem Gemisch ‚einerseits und dem für ihn neutralen Lichte N andererseits einstellen, so gelangen wir zu der Gleichung: IMERot+1ME Violett =2 MEN. Lassen wir ihn eine zweite Gleichung einstellen, und zwar zwischen den zwei Maasseinheiten von N einerseits und aus dem früher benutzten roten und etwa einem grünblauen Lichte anderer- seits, so werden wir sehen, dass er diesmal weniger Rot braucht als zuvor bei der „Ausgangsgleichung“. Nehmen wir an, er brauchte 0,4 Maasseinheiten Rot, so wüssten wir, dass die von dem grünblauen Lichte verwendete Menge 1,6 Maasseinheiten dieses Lichtes entspricht. Ferner ergibt sich aus dem Verhältnis 0,4:1,6, dass der Ort des betreffenden grünblauen Lichtes auf der Mischlinie dem Orte des neutralen Lichtes viermal näher liegt als der Ort des roten Lichtes; wenn wir also der ganzen Mischlinie die Länge von 400 mm ge- geben hätten und demnach die Distanz des gewählten Rot vom Lichte N 200 mm betrüge, so müsste der Punkt für das verwendete Grünblau 50 mm vom ÖOrte des Lichtes N entfernt sein, weil 50.2002 — 0.4: 110: Über die Anordnung der homogenen Lichter auf der Mischlinie etc. 581 Nach dieser Methode lassen sich die Orte aller zwischen dem gewählten äussersten Rot und dem gewählten äussersten Violett ge- legenen homogenen Lichter auf der Mischlinie bestimmen. Ein anderer Weg, der anscheinend zu dem eleichen Ziele führen würde, wäre der folgende: Wir könnten dem Rotgrünblinden nach- einander Gleichungen einstellen lassen zwischen jenem Gemisch aus Rot und Violett einerseits und irgendeinem im Spektrum dazwischen liegenden homgenen Lichte andererseits, und könnten dann aus der Zahl der jeweilig verwendeten Maasseinheiten des roten und violetten Lichtes die Maasseinheit und den Ort des dazwischenliegenden Lichtes auf der Mischlinie berechnen. Bei Benützung dieser Methode würden sich aber Fehler in die Versuchsergebnisse einschleichen können. Die alte Annahme, nach welcher Farbengleichungen auch dann als solche fortbestehen, wenn die in ihnen enthaltenen Lichter in gleichem Verhältnis verstärkt oder äabgeschwächt werden, wurde zwar seinerzeit für das hell- adaptierte Auge von v. Kries und von Hering durch besonders daraufgerichtete Versuche bestätigt, erwies sich aber weiterhin für mehr oder minder dunkeladaptierte Augen nicht gültig. In Rück- sieht hierauf untersuchten wir nur mit helladaptiertem Auge und bestimmten überdies den Ort derspektralen Lichter auf der Mischlinie nur in der Weise, dass wir Gleichungen herstellten, bei denen die eine Hälfte des beobachteten Feldes bei allen Versuchen mit einer sanz konstanten Menge des für den untersuchten Farbenblinden neutralen Lichtes gefüllt war (499,5 A), während auf der anderen Feldhälfte bei der einen Serie von Versuchen Gemische aus einem bestimmten Rot (631 A) und verschiedenen kurzwelligen Lichtern eingestellt wurden, bei der anderen Versuchsserie Gemische aus einem bestimmten Violett (443 A) und verschiedenen langwelligen Lichtern, so dass also nur Gleichungen hergestellt wurden, die für denRot- srünblinden farblos waren und auf der einen Seite aus dem nach Qualität und Quantität unveränderten Lichte von 499,5 A bestanden. Die Anordnung der homogenen Lichter auf einer nach dem er- örterten Prinzipe konstruierten Mischlinie ergibt eine Einreihung der Lichter in der Weise, dass die zwei Wertlinien, die den beiden für 582 E. Th. von Brücke und N. Inouye: den Rotgrünblinden in Betracht kommenden Urvalenzen entsprechen, gerade Linien sind. Hierbei ist der Winkel, den wir die Blaugelb- Wertlinie mit der Mischlinie einschliessen lassen, willkürlich wählbar, und auch die Lage und Neigung der Wertlinie der Weissvalenzen relativ zur Mischlinie lässt sich aus diesen Versuchen nicht ermitteln. Zwischen unseren Versuchen und den sogenannten Eiehungen eines Spektrums für die Rotgrünblinden mit Hilfe zweier den beiden Enden des Spektrums naheliegender Lichter, wie sie z. B. zuletzt von J. v. Kries und W. Nagel!) ausgeführt wurden, besteht keinerlei Analogie. In den Versuchen von v. Kries und Nagel handelte es sich darum, für die Rot&rünblinden zwischen den ein- zelnen Lichtern eines ganz bestimmten Spektrums (Gaslicht mit Triplexbrennern) einerseits und Gemischen aus einem kurzwelligen (460,35 A) und einem langwelligen (645 A) Lichte eines. gleichen Spektrums andererseits Gleichungen herzustellen. Auf diese Weise lässt sich die „Verteilung der Rot- und der Blauwerte“ für ein ganz bestimmtes Spektrum unter der Voraussetzung bestimmen, dass die Sättigungsdifferenzen, die der Rotgrünblinde im Spektrum zwischen den verschiedenen „gelbwertigen“ und „blauwertigen“ Farben wahr- nimmt, bei Benutzung des stäbchenfreien fovealen Bezirkes auf eine gleichzeitige Erzeugung der beiden Grundempfindungen des Farben- blinden zurückzuführen seien. Während also derartige Eichungen immer nur die Verhältnisse für ein ganz bestimmtes Spektrum wieder- geben können, ist die Anordnung der homogenen Lichter auf einer Mischlinie, wie sie hier mitgeteilt wird, völlig unabhängig von der Dispersion des benutzten Spektrums und von der benutzten Licht- quelle. Der Ort eines Lichtes auf der Mischlinie wird durch eine Eigenschaft jenes Lichtes bestimmt, die der betreffenden Strahlung an und für sich — in Beziehung zu einem bestimmten Sehorgan — unter allen Umständen zukommt. Anders steht es mit den Maass- einheiten, die nach den Ergebnissen der Gleichungen den einzelnen Lichtern zukommen; diese sind von der Energie der einzelnen Strahlungen in dem benutzten Spektrum abhängig, und da das Ver- hältnis der Energie der verschiedenen spektralen Lichter je nach ihrer Verteilung im Spektrum und je nach der benutzten Lichtquelle 1) J. v. Kries und W. Nagel, Über den Einfluss von Lichtstärke und Adaptation auf das Sehen des Dichromaten (Grünblinden). Zeitschr. f. Psych. u. Physiol. d. Sinnesorgane Bd. 12. S.1. 1896. Über die Anordnung der homogenen Lichter auf der Mischlinie ete. 583 grossen Verschiedenheiten unterworfen ist, so muss auch das Ver- hältnis der Maasseinheiten der einzelnen Lichter bei Spektren ver- sehiedener Herkunft verschieden sein. Während also der Ort eines Lichtes auf der Mischlinie von der Art des benutzten Spektrums ganz unabhängig ist, hat die Maasseinheit dieses Lichtes nur in bezug auf das benutzte Spektrum eine Bedeutung. Wir führten unsere Versuche an dem grossen Hering’schen Spektralapparat aus, bei dem uns als Lichtquellen Nernstlampen mit je drei parallelstehenden Glühstäben dienten. Da die Schwankungen des Stadtstromes eine exakte, längere Zeit dauernde quantitative Untersuchung ausserordentlich erschweren, speisten wir diese Nernst- lampen mit einer eigenen Akkumulatorenbatterie von 50 grossen Zellen, die täglich frisch geladen wurden. Die Abnahme der Strom- stärke während der Dauer einer Versuchsreihe (2—3 Stunden) war so geringfügig, dass wir während dieser Zeit keine Änderung der hergestellten Gleichungen beobachten konnten. Die Grösse des beobachteten Feldes entsprach 30 mm in 356 mm Distanz vom Auge, also betrug seine Winkelgrösse etwa 5° und die Grösse des Netzhautbildes etwa 1,5 mm. Um den Ein- fluss schwankender Adaptationszustände des beobachtenden Auges möglichst auszuschliessen, wurden die Versuche stets in den Vor- mittagsstunden ausgeführt, und zwar wurde während jedes Versuches in Intervallen von etwa 10 Minuten mittelst eines’ Polariphotometers die Lichtstärke der weissgetünchten Zimmerwand gemessen und durch partielles Herablassen oder Hochziehen der undurchsichtigen Fenster- - rouleaus immer wieder auf einen bestimmten Wert eingestellt, so dass das Auge, dessen Blick zwischen je zwei Beobachtungen über die betreffende Wand wanderte, stets annähernd den gleichen Adapta- tionszustand bewahrte. Als Versuchsperson diente ausschliesslich der eine von uns (Brücke,) der selbst dem Typus der Rotgrünblinden mit unverkürztem Spektrum angehört. Der benutzte Apparat enthält drei Spektralapparate (I, II und III) ohne Okularlinsen; jeder Kollimator lieferte eines der drei zur Herstellung einer Gleichung nötigen Liehter. Durch einen im folgenden als Vorderspalt (I, II und III) bezeichneten Spalt wird aus jedem der drei Spektren (I, II und III) ein schmaler Streifen ausgeschnitten, 584 E. Th. von Brücke und N. Inouye: dessen Licht dann zur Herstellung der Gleichung benutzt wird. Die Menge dieses Lichtes ist also proportional einerseits der Breite des Kollimatorspaltes, andererseit der Breite des Vorderspaltes. Als „Ausgangsgleiehung“ diente bei all unseren Versuchen die Gleichung Rot (631 A) + Violett (443 A) = Grün (499,5 A), und zwar gaben wir willkürlich der unter allen Umständen konstant gehaltenen Grünmenge [50 Teilstriche der Schraube des Kollimator- spaltes (= 0,5 mm) X 50 Teilstriche der Schraube des Vorder- spaltes (= 0,5 mm) den Wert von zwei Maasseinheiten Grün und der jeweilig zur Gleichung nötigen Menge des Rot und des Violett den Wert je einer Maasseinheit. Wir könnten diese Gleichung also auch so schreiben: IME631 A+1 ME 43 4=2 ME 4995 4. Obgleich alle Faktoren, die wir regeln konnten, konstant ge- halten wurden, schwankten die zur Einstellung dieser Ausgangs- sleichung nötigen Violett- und Rotmengen an den einzelnen Ver- suchstagen doch innerhalb nicht unbeträchtlicher Grenzen: Bei den Dezemberversuchen, welche die Bestimmung des Ortes der kurz- welligen Lichter betrafen, erhielten wir an den einzelnen Ver- suchstagen für die Lichter von 443 A und 631 A jene Maasseinheiten, die im ersten und zweiten Horizontalstabe der beistehenden Tabelle I. angegeben sind; bei den Februarversuchen, die zur Bestimmung des Ortes der Jangwelligen Lichter angestellt wurden, erhielten wir jene Werte, die im dritten und vierten Horizontalstabe der Tabelle stehen: Tabelle 1. 1.—16. Dez. ( ME v. 4432 | 1610 Io 1683 , 1575 | 1748 | Hl 1861| | | 1744) 1718 1910 MEv. 6314| 412| 464 | 444 450 ss 440 480 466 455 ae Pa v. 4431. | 2476 2111 2402 2417 2425| ı = - | - 1911 MEv.6312| 480| 480 | 476| 468| 460 480 | 474 — Es zeiet sich, dass die an aufeinanderfolgenden Tagen für die Lichter von 443 A und 631 A erhaltenen Maasseinheiten relativ gut übereinstimmen; dagegen weichen die Maasseinheiten, die im Dezember beobachtet wurden, wesentlich von den im Februar gefundenen ab, was wohl auf eine mit der Zeit eingetretene Änderung der Nernst- lampen zurückzuführen sein dürfte. Über die Anordnung der homogenen Lichter auf der Mischlinie etc. 585 Da nach dem früher Erörterten für die Bestimmung des Ortes eines spektralen Lichtes auf der Mischlinie die Maasseinheiten der als Endpunkte der Linie gewählten Lichter die bestimmende Rolle spielen, haben wir an jedem Versuchstage vor Beginn der einzelnen Versuchsreihe zunächst unsere Ausgangsgleichung fünf- oder zehn- mal eingestellt und das Mittel der bei diesen Gleichungen gefundenen Maasseinheiten für 443 A und 631 A als „jeweilige Maasseinheit“ für die Versuche des betreffenden Tages gewählt und nach diesen Einheiten die „jeweiligen Orte“ der einzelnen Lichter auf der Misch- linie bestimmt. Nach Abschluss aller unserer Versuche haben wir auch die durchschnittlich aus sämtlichen Versuchen sich ergebende Maasseinheit für die beiden Endlichter berechnet und die Orte der übrigen homogenen Lichter dann auf Grund dieser mittleren Maass- einheiten umgerechnet. Die auf diese Weise gefundenen „mittleren Orte“ der verschiedenen Lichter weichen in den meisten Fällen gar nicht, in den anderen nur sehr wenig von jenen Orten ab, die sich als Mittelwert aus den „jeweiligen Orten“ ergaben. Es sei nun an einem Beispiel der Gang eines Versuches er- läutert: Versuch vom 28. Februar 1911. Es wurde zunächst für Brücke die Gleichung 6314 + 4452 —= 499,52 eingestellt. Kollimator I = 681”/2o Skalenteile- = 6314; Kollimatorspalt = 40 = 0,4 mm); Kollimator II = 7513/20 Skalenteile = 4432; Kollimatorspalt = 50 (= 0,5 mm); Kollimator II = 3912/20 Skalenteile = 499,5 4; Kollimatorspalt = 50 (= 0,5 mm) Vorderspalt = 50 (= 0,5 mm). Die Kollimatorspalten und der Vorderspalt des Kollimators III blieben, wie bei allen Versuchen, konstant und die Gleichung wurde nur durch Variation der Vorderspalten I und II eingestellt. Bei fünf Einstellungen betrugen die Spaltbreiten in Hunderstel-Millimeter ausgedrückt folgende Werte: Vorderspalt I: 12,0, 12,7, 12,0, 11,7, 11,5. Mittel: 12,0. Vorderspalt II: 46,6, 48,6, 50,5, 47,2, 50,7. Mittel: 48,7. Die Maasseinheit für 6312 betrug demnach 40 > 12,0 = 480, jene für 443 betrug 50 x 48,7 = 2485. Es bestand also die Gleichung: 480 Teile 6312 + 2435 Teile 4432 — 2500 Teile 499,5. Sodann wurden die eigentlichen Versuche mit verschiedenen langwelligen Lichtern begonnen. Die Kollimatoren II und III änderten ihre Stellung nicht, aber im Kollimator I wurde zunächst anstatt 6314 das Licht von 5504 eingestellt, auch wurde der Kollimatorspalt I von 40 auf 50 Skalenteile erweitert. Nunmehr stellte Brücke fünf Gleichungen ein: 5504 + 4434 —= 499,5. 586 E. Th. von Brücke und N. Inouye: Bei diesen fünf Einstellungen ergaben sich folgende Spaltbreiten für die Vorderspalten I und II: Vorderspalt I: . 11,7, 11,7, 11,5, 11,0, 11,2. Mittel: 11,4. Vorderspalt II: 45,1, 46,6, 43,3, 46,0, 46,2. Mittel: 45,4. Es bestand also die Gleichung: 570 (50 x 11,4) Teile 5504 + 2270 (50 + 45,4) Teile 4433 —= 2500 Teile 499,5. Die Berechnung des Ortes des Lichtes von 5504 und seiner Maasseinheit geht nun folgenden Gang: Die bei der letzten Gleichung verwendeten 2270 Teile von 4434 entsprechen = Maasseinheiten = 0,93 ME. Da die 2500 Teile 499,54 zwei Maasseinheiten entsprechen, können wir statt der letzten Gleichung auch schreiben: (2 — 0,93) ME 550% + 0,93 ME 4433 = 2 ME 499,52. Die verwendete Menge von 5504 (570 Teile) entsprach also 1,07 Maass- einheiten, so dass sich hieraus die Maasseinheit des Lichtes von 5504 berechnet 570 zu 1,07 533. Zur Bestimmung des Ortes dieses Lichtes dient folgende Überlegung: Wählen wir z. B. als Länge der Mischlinie, d. h. als Distanz der äussersten berücksichtigten Lichter (6314 und 4434) die Länge von 400 mm, dann liegt das neutrale Grün (499,54) im Halbierungspunkt dieser Strecke nach der Gleichung 1 ME 6314 + 1 ME 44341 = 2 ME 499,54, Für das Licht von 550% galt die Gleichung: 1,07 ME 550% + 0,93 ME 443% = 2 ME 499,5. Wir müssen demnach das Licht 550 so auf der Mischlinie eintragen, dass seine Distanz von dem neutralen Lichte sich zur Distanz des Lichtes 4434 von diesem neutralen Lichte verhält wie 0,93: 1,07. Da die Distanz 431 +—> 499,54 auf der Mischlinie 200 mm beträgt, so ergibt die Rechnung: X : 200 = 0,93 : 1,07 als Distanz des Lichtes 5504 von dem neutralen Grün die Strecke von 174 mm. In dieser Weise wurde an jedem Versuchstage aus je fünf Gleichungen der Ort und die Maasseinheit für durchschnittlich sechs Lichter berechnet. Obwohl diese Gleichungen unter den genannten Kautelen mit grösster Sorgfalt eingestellt und vor der Protokollierung immer mehr- mals nach Pausen kontrolliert wurden, weichen die an den einzelnen Versuchstagen erhaltenen Werte nicht unbeträchtlich von einander ab. Für die „jeweiligen“ !) Orte ergeben sich als mittlere Fehler- breite 11,6°/o, das bedeutet auf unserer Mischlinie von 400 mm Länge eine mittlere Fehlerbreite in der Lage der Orte von etwa 1) Vgl. S. 585. Über die Anordnung der homogenen Lichter auf der Mischlinie etc. 587 323 mm. Die Fehler waren für die Iss 443 kurzwellige Hälfte des Spektrums ST (also bei den Gleichungen 631 A Bee 442 + kurzwelliges Licht = 499,5 A) am kleiner als für die langwellige ER Hälfte, ohne dass sich hierfür ein an 778 Grund angeben liesse. Eine ähn- eh liche Fehlerbreite ergab sich auch Sa Sr 483 für die jeweiligen Maasseinheiten SE > 5 Neben der einzelnen Lichter. Zu eS- In der nebenstehenden Tabelle = g: Er er sind die Mittelwerte der jeweiligen ouy Orte der spektralen Lichter an- In gegeben, und zwar ausgedrückt Bro durch ihre Distanz von der Mitte RT Ss 194 der 400 mm langen Mischlinie, also Ne von dem neutralen Grün; die Maass- S28 einheiten sind als Produkte der — | — Kollimatorspaltbreite = Vorderspalt- © S_ Sa breite aufzufassen; sie haben kein 7 Ei goS 499 allgemeines Interesse und seien nur 2 |< IR der Vollständigkeit wegen an- TER gegeben. >= In Fig. 5 ist die auf Grund = — dieser ÖOrtsangaben gezeichnete SzN 202 Mischlinie in verkleinertem Maass- > stabe wiedergegeben. Obwohl die = Ara er einzelnen Lichter, deren Orte auf | le der Mischlinie bestimmt wurden, E war nicht um gleiche Wellenlängendiffe- S Sag 970 renzen auseinanderliegen, so lässt © a ER diese Mischlinie doch erkennen, ie dass, entsprechend der raschen De Änderung der Farbensättigung, die ee 330 der Rotgrünblinde in der Um- as 540 gebung des neutralen Punktes an 0 .% des Spektrums wahrnimmt, die Ste 550 Distanzen der dem neutralen Grün = 3 benachbarten Lichter auf der s&ös ES Fig. 5. 588 E. Th. von Brücke und N. Inouye: Mischlinie im Vergleich zu ihrer Wellenlängendifferenz auffallend gross sind, und dass die entsprechenden Distanzen um so kleiner werden, je mehr sich die Lichter einem Ende des Spektrums nähern. Eine kleine Abweichung hiervon zeigen nur die Distanzen der Lichter 530 A, 540 A und 550 A, da in diesem Falle der Ort des Lichtes von 540 A weiter gegen das Ende der Mischlinie zu liegen sollte; offenbar ist diese Abweichung nicht physiologisch bedingt, sondern als Fehler anzusehen. [ 1 L . I | | r i) F \ ' ' t ' l ’ {I} ı ' {} ‘ ı \ ' Ü ’ ‘ ‘ ‘ 640 .630 620 610 600 590 580 570 560 550 540 530 520 510 500 490 488 470 460 450 wi | = | | 2 | ni e——— st gun ——— nn een fin e x N Entsprechend den in der Einleitung erörterten Prinzipien ist diese Mischlinie so konstruiert, dass jeder ihrer Punkte einem be- stimmten Gemisch aus den Mischelementen: der Blauvalenz und der Weissvalenz, oder der Gelbvalenz und der Weissvalenz entspricht; und zwar sind die spektralen Lichter als Gemische so auf die Misch- linie gesetzt, dass die Mengen der den Maasseinheiten der einzelnen Gemische zukommenden Blau- bzw. Gelbwerte und Weisswerte linear wachsen bzw. abnehmen. Es schien uns nicht uninteressant, Über die Anordnung der homogenen Lichter auf der Mischlinie ete. 589 jene Kurve zu zeichnen, welche resultiert, wenn wir die den einzelnen Lichtern zukommenden Maasseinheiten ihrer farbigen Valenzen als ÖOrdinaten über den betreffenden Lichtern in ein mit homogener Dispersion angenommenes Spektrum einzeichnen. Auf der Misch- linie sind die Maasseinheiten der farbigen Valenzen der einzelnen Lichter dem Abstand der Lichter vom Nullpunkt der Blau-Gelb- valenzlinie proportional, so dass wir die gesuchte Kurve am ein- fachsten in der Weise erhalten, dass wir über den Lichtern eines Spektrums mit homogener Dispersion als Ordinaten die jeweiligen Abstände dieser Lichter von der Mitte der in Fig. 5 wiedergegebenen Mischlinie eintragen. Auf diese Weise ist die Kurve der Fig. 6 er- halten; die Asymmetrie dieser Kurve ist eine notwendige Folge der verschiedenen Art der Verteilung der gelb- und blauwertigen Lichter im Spektrum im Vergleich zu ihrer Verteilung auf der Urvalenz- linie. Im übrigen sehen wir, dass die Endpunkte der so aufgetragenen Ördinaten sich innerhalb einer gewissen Fehlergrenze einer regel- mässigen Kurve ziemlich gut anschmiegen, woraus wir wohl auch schliessen dürfen, dass sich bei der von uns ermittelten Anordnung der homogenen Lichter auf einer Mischlinie keine eröberen Irrtümer eingeschlichen haben. Die Richtigkeit der hier ermittelten Verteilung der homogenen Liehter auf der Mischlinie lässt sich auch leicht durch eine grosse Zahl von Gleichungen kontrollieren, insoweit der oben erwähnte Übelstand der Inkonstanz der Gleichungen nicht in Betracht kommt. Wenn nämlich Ort und Maasseinheit verschiedener Lichter gegeben sind, so lässt sich hieraus berechnen, in welchem Verhältnis gemischt zwei beliebige Lichter sich zu einer Gleichung mit einem dritten Licht vereinigen lassen. Es sei dies an folgendem speziellen Falle demonstriert: Auf Grund der Maasseinheiten und der Orte auf der Mischlinie sollen für den Rotgrünblinden die für die Gleichung 631% + 502% =515% nötigen Licht- mengen berechnet werden: Die Distanz zwischen dem Lichte von 631% und jenem von 515% beträgt auf der Mischlinie von 400 mm Länge 79 mm; der gegenseitige Abstand der Lichter 502 % und 515 ? beträgt 66 mm. Demnach müssen wir zu der Gleichung 631% + 502% = 515 den Mengen der Lichter von 631% und 502% das Verhältnis von 66:79 geben, d. h. die Mengen beider Lichter in dem Gemisch müssen sich umgekehrt verhalten wie ihre Abstände von dem dazwischenliegenden Lichte, mit dem die Gleichung hergestellt werden soll. Wollen wir also zu der Gleichung eiue Maasseinheit 631 verwenden, so müssen wir sie mischen mit 1,20 e \ Maass- einheiten 502%, und dies Gemisch muss dann gleich sein: 2,20 Maasseinheiten 515. 590 .E. Th. von Brücke und N. Inouye: Über die Anordnung etc. Die Herstellung solcher Kontrollgleichungen wird dadurch etwas kompliziert, dass man die einzelnen Lichter aus technischen Gründen oft nicht in jenen Kollimatoren einstellen kann, für die ihre Maass- einheiten ursprünglich bestimmt worden waren, so dass man dann erst experimentell die Maasseinheit für den jeweilig zu verwendenden Kollimator bestimmen muss. Wir haben auf diese Weise eine Reihe von Kontrollgleichungen berechnet und eingestellt, die zu einem kaum erwartet günstigen Resultate führten, da sie zum Teil vollkommen stimmten, zum Teil durch geringfügige Variationen korrigiert werden konnten, woraus wir schliessen können, dass die oben erwähnte Inkonstanz der Gleichungen bei proportionalen Intensitätsänderungen der bezüglichen Lichter bei unseren Kontollversuchen ohne wesentlichen Einfluss auf das Ergebnis gewesen ist, und dass in der ermittelten Anordnung der spektralen Lichter auf der Mischlinie (abgesehen von der un- vermeidlichen Fehlerbreite) keine gröberen Unrichtigkeiten bestehen. Zusammenfassung. Auszehend von der Auffassung der homogenen Lichter als Ur- valenzgemische nach Hering, werden in der vorliegenden Arbeit die homogenen Lichter auf Grund spektraler Gleichungen für den Rotgrünblinden so auf einer „Mischlinie“ angeordnet, dass die eine Hälfte der Mischlinie die blauwertigen, die andere die gelbwertigen Lichter umfasst. Dabei ist die Grösse der den Lichtern entsprechenden bunten Valenzen (Grösse ihrer Blau- bzw. Gelbvalenz) eine lineare Funktion des Abstaudes der Lichter von der Mitte der Mischlinie (dem neutralen Punkte des Spektrums), und die Weissvalenz der Liehter ist eine lineare Funktion ihres Abstandes von dem irgendwo in der Verlängerung der Mischlinie gelegenen Punkte, in welchem die Linie der Weissvalenzen die Mischlinie schneidet. (Aus der medizinischen Klinik zu Bonn.) Ä Milz und Magenverdauung und der angebliche Pepsingehalt der Milz. Von Georg Trampedach (Riga, Livland), Köln-Kalk, Evangelisches Krankenhaus. (Mit 2 Textfiguren.) Die Frage nach der Bedeutung der Milz für den Haushalt des menschlichen Körpers hat praktisches Interesse gewonnen, seitdem die Chirurgen in dringenden Fällen eine planmässige Exstirpation des Organs vorzunehmen wagten. Im Gegensatz zu der Vorstellung von fabelhaften Funktionen, die man der Milz seit altersher zu- schrieb, waren die vorgenommenen Exstirpationen von keinen be- sonderen Ausfallserscheinungen gefolgt. Eine Zusammenstellung derartiger Exstirpationen ist von Küchenmeister!) sowie von Magdelain?) und in neuerer Zeit von Brogsitter?) gemacht worden. Die ersten Splenektomien im Experiment führte Karl Friedrich Quittenbaum in Rostock an Hunden und Katzen aus, mit dem Resultat, dass die Versuchstiere ohne grobe Ausfallserscheinungen weiterlebten. Weitere Versuche mit dem gleichen Erfolge wurden von Maslowsky*), Samuel Wilkes>) u. a. angestellt. Eingehende Versuche über die physiologische Tätigkeit der Milz und den Ausfall derselben nach Milzexstirpation führte Moritz Schiff aus. Schiff stützte sich hierbei auf die Beobachtungen von Leuret und Lassaigne, die eine periodische Anschwellung 1) Küchenmeister, Über die wandernde Milz. Leipzig 1865. 2) Magdelain, L’Union p. 146. 1867. 3) Brogsitter, Charite-Annalen Bd. 32 S. 494. 4) Maslowsky, Berliner klin. Wochenschr. Bd. 5 S. 18. 1868. 5) Guy’s Hosp. Rep. 3. Ser. vol. 11 p. 37. 1865. 92 Georg Trampedach: der Milz gesehen hatten, und zwar stets in dem Augenblick, wenn der Chylus in reicher Menge aus dem Magen in den Zwölffinger- darm trat. Aus diesen Beobachtungen, den Arbeiten Corvisart’s und seinen eigenen Versuchen über die Absonderung des Magen- und Pankreassaftes leitete Schiff seine Theorie von einer peri- odischen Fermentladung des Magens und Pankreas ab. Nach Schiff schädigt nun die Exstirpation der Milz in erster Hinsicht die Fermentladung des Pankreas. Es tritt keine Ladung ein, da die vom Magen her aus wasserlöslichen Nahrungsmitteln resorbierten Peptogene erst eine Umwandlung in der Milz erfahren müssen, bevor sie im Pankreas abgelagert werden. Da aber nach Schiff’s Lehre von der Entstehung des peptischen Magensaftes die Peptogene auch die Fermentladung des Magens bewirken, so müssen nach Milzexstirpation die im Blute kreisenden unverbrauchten Pepto- gene eine erhöhte Ladung des Magens herbeiführen. Eine Reihe von Versuchen an Hunden und Katzen schienen diese Theorien zu bestätigen. Das Mageninfus der milzexstirpierten Tiere zeigte höhere Verdauungswerte als das der Kontrolltiere. Die Verdauungswerte wurden durch die Gewichtsabnahme von Eiweisswürfeln bestimmt, auf die die betreffenden Mageninfuse ge- wisse Zeit hindurch eingewirkt hatten. Die Angriffe, die Schiff’s Theorien von Heidenhain, A. Fick, Lussana, Grützner und Ebstein?) erfuhren, richteten sich in erster Linie gegen seine Lehre von der Ladung des Magens durch Peptogene und seine Auffassung von der Pepsin- absonderung. Schiff’s Lehre von der direkten Beeinflussung der Pankreas- und indirekten Beeinflussung der Magentätiekeit durch die Milz fand trotz verschiedener Angriffe in A. Herzen einen eifrigen Ver- teidiger, der sie in einer Reihe von Publikationen, zum Teil in modifizierter, den neuesten Forschungsergebnissen angemessener Form vertrat. 1) M. Schiff, Gesammelte Beiträge zur Physiologie Bd. 4. Lausanne 1894—1897. 2) Recherches pour servir & V’histoire de la digestion p. 88. Paris 1825. Zitiert nach Schiff. 3) Hermann, Handbuch der Physiologie, und Luciani, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Milz und Magenverdauung und der angebliche Pepsingehalt der Milz. 593 Dureh die eingehenden Arbeiten von OÖ. Prym!) ist diese Schiff-Herzen’sche Theorie von den Milz-Pankreasbeziehungen einwandfrei widerlegt worden, was A. Herzen selbst vollständig anerkannte?). Trotzdem findet sich in Luciani’s „Lehrbuch der Physiologie des Menschen“ noch die alte Anschauung vertreten. Das mag seinen Grund darin haben, dass der deutschen Übersetzung, Auflage 1906, eine ältere italienische Ausgabe zugrunde liegt. Mit der Haltlosigkeit der Schiff-Herzen’schen Theorie von der Milz-Pankreasbeeinflussung scheint auch eine Beziehungsannahme zwischen Milz und Magen theoretisch hinfällig geworden zu sein, Trotzdem kann noch eine Reihe von Beobachtungen herangezogen werden, um einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Organen wahrscheinlich zu machen. Es ist von verschiedenen Seiten be- obachtet worden, dass die zu Versuchszwecken entmilzten Tiere eine grössere Fressgier zeigten. Fine ähnliche Erscheinung berichtet Adelmann°) in einer Mitteilung über Milzexstirpation an einer 22jährigen Frau. Die Frau verliess 30 Tage nach der Operation das Spital und befand sich in der Folgezeit dauernd wohl, aber „ihr. Appetit war enorm geworden“. Ebenso könnte die starke Ge- wichtszunahme nach Milzexstirpation bei zwei Patienten, von denen O0. Vulpius‘) in seinen „Beiträgen zur Chirurgie und Physiologie der Milz“ spricht, in dem Sinne einer Steigerung der peptischen Kraft des Magens gedeutet werden. In direktem Gegensatz zu dieser Annahme stehen die Ergebnisse der Experimente, die Tarulli und Paskucei in Luciani’s?°) Laboratorium (1901) anstellten. Sie fanden die Verdauungskraft des Magensaftes milzexstirpierter Tiere bedeutend herabgesetzt, konnten aber durch Darreichung eines Infuses hyperämisch geschwollener Milz das Verdauungsvermögen des Magens auf 1—3 Tage wieder steigern. Zum Versuch wurde einem Hunde eine Fistel nach Claude Bernard angelegt. Vor dem Probefrühstück erhielt er eine vor- bereitende Mahlzeit, um das in den Magendrüsen aufgespeicherte Pepsin zu erschöpfen. Nach 16 Stunden wurde dann die Magen- 1) O0. Prym, Pflüger’s Arch. 1905. 2) Briefliche Mitteilung an Dr. O. Prym. 3) Deutsche Klinik 1856 Nr. 17. 4) Beiträge zur klin. Chirurgie Bd. 11 S. 94. 5) Luciani, Lehrbuch der Physiologie des Menschen Bd. 2. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 39 594 Georg Trampedach: schleimhaut mit einer leicht erwärmten, isotonischen Kochsalzlösung abgewaschen. Zur Bestimmung der Verdauungswerte diente ein Würfel ge- kochtes Eiweiss — 1 g, der bei 39° 24 Stunden lang in 10 ccm Magensaft liegen blieb. Aus der Gewichtsabnahme des Eiweiss- würfels bestimmten Tarulli und Paskucei den Grad der Ver- dauung. Lueiani erwähnt, dass die Ergebnisse dieser Versuche mit der alten Hypothese Bacelli’s (1868) über den Einfluss der Milz auf die Magenverdauung übereinstimmten, führte aber leider für diese Angabe keine Literaturquelle an, so dass wir uns über diese Hypothese nicht haben unterrichten können. Gross!) hat die Versuche von Tarulli und Paskucei ver- mittelst seiner Methode der Verdauungsbestimmung an einem milz- exstirpierten Patienten der Greifswalder Klinik nachgeprüft. Die Versuche wurden nach Ewald’schem Probefrühstück mit aus- gehebertem Mageninhalt ausgeführt. Gross fand bei normalem Salzsäuregehalt die Pepsinverdauung vorübergehend in hohem Grade herabgesetzt. Gleichzeitig bestand eine starke Lymphocytose. Gross schliesst aus dieser einen Beobachtung, „dass nach der Milzexstirpation beim Menschen die Pepsinsekretion fast vollständig versiegt, um ganz langsam und stetig ihre normale Höhe wieder zu erreichen. Gleich- zeitig sehen wir das Auftreten einer Lymphocytose, die in dem- selben Verhältnis, wie die Pepsinsekretion steigt, zur Norm abfällt.“ Auf Anregung des Herrn Dr. OÖ. Prym unternahm ich es, die Ver- suche von Tarulli und Paskucei und die Beobachtungen von Gross an einigen Versurhstieren nachzuprüfen. Bei dem offenbaren Widerspruch, der zwischen den seinerzeit von Schiff aufgestellten Theorien und deren Widerlegungen einerseits und den Beobachtungen von Tarulli und Paskucei sowie Gross andererseits besteht, erschien mir eine derartige Nachprüfung durchaus angebracht. Wir stellten vier Serien von Versuchen an: I. Um uns in dem ersten Versuche möglichst an die von Gross geübte Anordnung zu halten, wurde das dem Versuchshund dar- gereichte Probefrühstück durch Ansaugen ausgehebert. Wir erhielten Speisebrei, der nicht sauer war, eine Erscheinung, die bei den 1) Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Therapie Bd. 8. 1910. Milz und Magenverdauung und der angebliche Pepsingehalt der Milz, 505 neueren Anschauungen von der schichtweisen Durchsäuerung des Mageninhalts nicht wundernehmen kann. Es wurde darauf dem Hunde eine Pawlow’sche Kanüle ein- geführt und der nach dem Probefrühstück durch dieselbe gewonnene Speisebrei auf seinen Pepsingehalt geprüft. Die Bestimmung wurde durch Nachverdauungsversuche mit Mett’schen Röhrchen, in denen sich durch Hitze koaguliertes Hammelblutserum befand, ausgeführt. II. Beim zweiten Versuch waren wir bestrebt, die Zufälligkeiten zu vermeiden, die bei einer nicht vollständigen Entleerung des Magens in Versuch I entstehen konnten. Zu diesem Zweck wurde eine den Pawlow’schen Kanülen nachgebildete, aber zur leichteren Einführung zerlegbare Kanüle!) in das Duodenum des Versuchs- hundes gebracht. Der Durchmesser der Kanüle war recht weit, 2 cem, um möglichste Sicherheit zu haben, dass der gesamte Speise- brei sich nach aussen durch die Kanüle entleerte. Einführung vor. Gummiballons, trennenden Scheidewänden und ähnliches vermieden wir absichtlich, um in allen unsern Versuchen genau die gleichen Bedingungen zu haben. Aus dem gleichen Grunde verzichteten wir auch darauf, sauere Flüssigkeit in das Duodenum zu spritzen. Ks kam uns nicht darauf an, die normale Magentätigkeit zu studieren, sondern nur vergleichende Verdauungswerte zu gewinnen. Um für das Probefrühstück stets dieseiben Bedingungen zu haben, wurden acht Portionen Fleisch, a 100 g, in Erlenmeyer- Kolben gewogen und sterilisiert. Weiter wurden von 'getrocknetem, gemahlenem Weissbrot eine gleiche Zahl von Portionen, & 25 g, hergestellt und in Reagenzgläsern gut verschlossen aufbewahrt. Der gewonnene Speisebrei wurde 1. auf seinen Gehalt an gelöstem Stickstoff im Filtrat geprüft und hierdurch der Grad der Verdauung im Magen festgestellt; 2. mit gleichen Teilen Yıo normaler Salzsäure versetzt, zu 24stündiger Nachverdauung aufgestellt und durch Bestimmung des gelösten Stickstoffs im Filtrat der Grad der Nachverdauung ermittelt; | durch Verdauungsproben mit Mett’schen Röhrchen auf seine Verdauungsfähigkeit untersucht. © 1) Von ©. Prym konstruiert, noch nicht veröffentlicht. . 395 596 Georg Trampedach: III. Aus dem Magen eines Versuchshundes wurden an ver- schiedenen Stellen Schleimhautstücke ausgeschnitten und gleichzeitig die Milz exstirpiert. Das Infus der gewonnenen Schleimhautstücke untersuchten wir mit Mett’schen Röhrchen auf seinen Pepsingehalt. Nachdem der Hund sich von dem Eingriff vollständig erholt hatte, wurde er ge- tötet und wieder entsprechende Schleimhautstücke aus entsprechenden Partien des Magens auf ihren Pepsingehalt geprüft. | IV. Einer Anzahl Ratten wurde die Milz exstirpiert. Nachdem sich die Tiere von der Operation erholt hatten, wurden in Zeit- abständen eine entmilzte Ratte und ein Kontrolltier getötet und die Infuse der beiden Magen auf ihren relativen Pepsingehalt geprüft. Sämtliche Operationen sind im Laboratorium der Medizinischen Klinik ausgeführt worden. Herr Dr. OÖ. Prym hatte die Liebens- würdigkeit, mich in die zum Teil recht schwierigen Operationen ein- zuführen, wofür ich ihm an dieser Stelle meinen DEN Dank ausspreche. | Nach der obigen Übersicht lassen wir die ausführlichen Ver- suche folgen: Versuchsserie I]. Als Versuchshund dient ein kräftiger junger Foxbastard. Ihm wird am 30. September 1910 eine Pawlow’sche Magenkanüle eingeführt. Operation: Äthermorphiumnarkose. Schnitt in der Linea alba. Der Magen wird vorgezogen. Einschnitt im Fundusteil. Die Kanüle wird durch diese Öffnung eingeführt. Der kugelige Verschlussteil der Kanüle wird im. Pylorusteil von innen gegen die Schleimhaut gepresst und diese durch Gegensticheln von aussen zur Perforation gebracht. Dann wird mit einem Troikart an entsprechender Stelle die Bauchwand durchstossen und die Kanüle hindurchgeführt. Eine nach Art der Mutterschrauben aufgeschraubte Platte verhindert ihr Zurückgleiten in die Bauchhöhle. Die Schnittwunden werden durch Naht sorgfältig geschlossen und der Bauchschnitt durch eine Schicht Kollodium vor Infektion geschützt. Der Hund ist bereits am Tage’ nach der Operation recht munter, so dass am 2. Oktober 1910 mit den: Versuchen begonnen werden kann. Der Hund er- hält Probefrühstück, bestehend aus einem halben Brötchen und 100 ccm Wasser. Nach 4 Stunden wird die Kanüle geöffnet und das Filtrat des ausfliessenden Speisebreis auf seine Verdauungsfähigkeit geprüft. Zur Prüfung: benutzten wir zuerst die Methode Gross'), konnten uns aber nicht mit derselben befreunden. Es, gelang uns nach Zusatz von Natronlauge und Ansäuern mit Essigsäure nicht, die Kaseinlösung vollkommen klar zu be- 1) Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Therapie Bd. 8. Milz und Magenverdauung und der angebliche Pepsingehalt der Milz. 597 kommen. Auch bei grösseren Zusätzen Filtrat fand sich stets eine gleichbleibende ganz geringe Trübung. Wir betrachteten daraufhin als Verdauungsgrenze das- ienige Gläschen, bei welchem diese gleichbleibende geringe Trübung sich zu steigern begann. Durch Zufall blieb eine erledigte Serie Gläschen 24 Stunden lang stehen, und da zeigte es sich, dass auch einige Gläschen mit der geringen Trübung flockigen Niederschlag hatten. Wir stellten nun zwei ganz gleich be- schickte Serien her und liessen sie nach Behandlung mit Natronlauge und Essig- säure 24 Stunden stehen. Ein Teil der Gläschen enthielt flockigen Niederschlag, und zwar hörte derselbe in beiden Serien nicht in zwei korrespondierenden Gläschen auf, sondern in verschiedenen. Da wir eine Nachprüfung der Methode Gross nicht als unsere Aufgabe betrachten konnten, so gaben wir die Versuche auf und benutzten später stets die alte bewährte Methode der Mett’schen Röhrchen zur Verdauungsbestimmung. Wir wählten diese Methode, trotzdem uns die Einwände bekannt sind, die gegen dieselbe erhoben werden, da es uns nicht auf absolute, sondern nur auf vergleichende Werte der Verdauung ankam. Bei den späteren Versuchen mit Milzinfus haben wir noch einmal die Gross’sche Methode benutzt, um festzustellen, ob überhaupt eine Verdauung vorhanden war. Gleichzeitig mit den Verdauungsproben wurde das Blut des Versuchshundes auf seinen Gehalt an weissen Blutkörperchen untersucht und der prozentuale Gehalt an Lymphocyten festgestellt. Das Ergebnis, der Verdauungs- und Blut- untersuchungen vor und nach der Milzexstirpation geht aus den nachfolgenden Kurven hervor. Die Verdauungswerte sind durch Mett’sche Röhrchen, die mit Hammelblutserum gefüllt waren, bestimmt und in der Kurve in Milimetern ausgedrückt. Der Aufenthalt der Röhrchen im Brutschrank betrug 24 Stunden bei 37°, Jedesmal wurden Gesamtazidität und Salzsäuregehalt des Probefrühstücks bestimmt. Die ermittelten Werte sind in der Kurve eingezeichnet. Der Hund überstand die Entmilzung gut. Sie wurde am 15. November aus- geführt. Am 18. November erhielt er wieder das erste Probefrühstück. Fig. 1 gibt die Werte der Verdauung, Azidität und des Salzsäuregehaltes an.. Fig. 2 enthält die im !/ıoo qmm gefundenen Zahlen der Leukocyten und Lymphocyten. Aus den obigen Versuchen geht im Gegensatz zu den Beobach-. tungen von Tarulli und Paskucei und der Beobachtung von Gross deutlich hervor, dass die Entmilzung keinen verringernden Einfluss auf die peptische Kraft des Magensaftes hatte. ‘Nach der Entmilzung war, wie aus Fig. 1 hervorgeht, kein dauernder Tief- stand der Verdauungswerte zu verzeichnen. Die Werte schwanken, bewegen sich aber in der Mehrzahl in denselben Grenzen wie vor der Entmilzung. Auch sonst wurden keine pathologischen Erschei- nungen an dem Versuchshund beobachtet. Lymphdrüsenschwellung trat nicht ein. Die Änderung des Blutbildes nach der Entmilzung durch starke Zunahme der Lymphocyten stimmt mit den Angaben 298 Georg Trampedach: von Gross überein. Dagegen haben wir nicht finden können, dass die Zunahme der Lymphoeyten mit einer Herabsetzung der Magen- tätigkeit parallel ging. Wir beobachteten auch im Gegensatz zu Gross einen Anstieg der Gesamtzahl weisser Blutkörperchen. Lymphoeytose nach Milzexstirpation ist von einer grösseren Zahl Autoren bereits beobachtet worden. So durch die von Gross zitierten Autoren Hartmann und Vaques!) sowie Hoffmann?). 11.X. 12. 13. 14. 18. 19. 20. 21. 27. 4.XI. 19.XI. 2.X1I. 15.X. Milzexstirpation, ’ j Fig. . —— —= Verdauungswert. ----- — Gesamtazidität. +--- = freie Salzsäuren. Die Verdauungswerte sind in Millimetern, multipliziert mit 10, aus- gedrückt, Azidität und Salzsäuregehalt in Kubikzentimetern der verbrauchten l/ıo n-Lauge. B. v. Beck?) beobachtete eine Milzexstirpation, bei der bis 6 Wochen nach der Operation eine Vermehrung der weissen Blut- körperchen gefunden wurde. Desgleichen erwähnt O. Vulpius‘): „Es tritt bei den entmilzten Tieren eine vorübergehende absolute 1) Compt. rend. de la societe de biol. Ser. X t. 4, 1897. 2) Beiträge zur klin. Chirurgie Bd. 63 H.3. 8) Münchener mediz. Wochenschr. 1897 Nr. 47. 4) Beiträge zur klin. Chirurgie Bd. 11. 1894. Milz und Magenverdauung und der angebliche Pepsingehalt der Milz. 599 Leukocytose auf, die bis zur Verdoppelung der normalen Durch- schnittsmenge ansteigen kann, nach höchstens 9 Wochen aber ver- 180 170 160 150 # / - [2] oO —— = =) der SS u ® = >) = = = = S So = &) 5) 15.X. Milzexstirpation. 271.IX. 29. 4X. 12. 18. 20. 4.XI. 28. 30. Fig. 2. Die Zahlengrösse der Kurve geben die im !/ıoo qmm ausgezählten weissen Blutkörperchen an. — Leukocyten. ----- — Lymphocyten. schwindet.“ Gleiche Blutbefunde nach Milzexstirpation am Menschen sind von P&an, Crede, Czerny, Rigner u. a. beobachtet worden !). DO Vulp zusy.Iac. 600 - Georg Trampedach: Versuchsserie II. Duodenalfistel. 8. November. Vorversuche 12. Dezember 1910 bis 5. Januar 1911. Milzexstirpation 5. Januar. Versuche am entmilzten Versuchstier ab 10. Januar. Zum Versuch wird ein Bastard vom deutschen Schäferhund benutzt. Das Tier ist sehr ruhig und eignet sich daher gut zu dem Experiment. Ihm wird eine Kanüle in das Duodenum nahe dem Pylorus eingeführt. Operation: Schnitt in der Linea alba. Das Duodenum wird vorgezogen, ca. 12 cem vom Pylorus durch einen Schnitt geöffnet, die Kanüle eingeführt und in derselben Weise wie im vorhergehenden Versuch kurz hinter dem Pylorus durch die Darmwand und dann durch die Bauchwand geführt. Der Darm wird durch doppelte Naht verschlossen, ebenso die Bauchwunde. Zum oberflächlichen Schutz dient Kollodium. Die Operation wird am 8. November in Äthermorphiumnarkose ausgeführt. Der Darm wird bei der Operation stark gezerrt, wir warten daher mit dem Beginn der Versuche bis zum 12. Dezember. I. Am 12. Dezember wird der Hund morgens nicht gefüttert. 4h 20' trinkt er bei geöffneter Kanüle 50 ccm Wasser, das in 15 Minuten klar abläuft. 4h 35’ bekommt der Hund 100 g sterilisiertes Fleisch + 30 ccm Wasser zu fressen. 4h 50’ erscheinen bereits geringe Fleischspuren in der durch die Kanüle ab- laufenden wässerigen, zeitweise etwas gallig gefärbten Flüssigkeit. 6h 25’ entleert sich durch die Kanüle dicker Fleischbrei. 7h 00’ scheint der Magen leer zu sein, da nur wenig getrübte Flüssigkeit abläuft. Der Hund bekommt wieder Wasser zu trinken, das sich klar durch die Kanüle entleert. Die Gesamtmenge des Mageninhalts, der von 4h 35’ bis 7b durch die Kanüle abgegangen ist, beträgt 283 g. Die Bestimmung des gelösten Stickstoffs nach Kjeldahl ergibt, dass gelöst sind: 10.9, ccm. Riltratn. De vun u ee 0,026 g N Oder aa ee NE 0,52%/0 auf die Gesamtmenge berechnet. ....... 1417 g N. Freie Salzsäure war im Filtrat nicht vorhanden. Die Azidität betrug 78. II. 5h 10’ Beginn des Versuches. Der Hund trinkt 100 ccm Wasser. In 15 Minuten laufen durch die Kanüle 150 ccm klare Flüssigkeit ab. Diese hat eine Gesamtazidität von 19. Freie Salzsäure 10. 5h 25’ frisst der Hund 100 g sterilisiertes Fleisch + 30 ccm Wasser. 5h 35’ zeigen sich die ersten Fleischspuren. 6h 10’ kommt dicker Fleischbrei aus der Kanüle. 85 00’ Schluss des Versuches. Milz und Magenverdauung und der angebliche Pepsingehalt der Milz. 601 Es haben sich im ganzen durch die Kanüle entleert 325 g. 10 ccm werden zur Aziditätsbestimmung verwandt. Freie Salzsäure: keine. Gesamtazidität 78. Die übrigen 315 g werden mit gleichen Teilen einer !/ıo normal-Salzsäure versetzt. Hiervon werden 30 ccm Filtrat hergestellt und zu je 10 ccm für die Stickstoffbestimmung nach Kjeldahl abgemessen. 2><5 ccm Filtrat werden zur Verdauungsbestimmung durch Mett’sche Röhrchen verwandt. Der Rest wird in einem grösseren Gefäss zu 24stündiger Nachverdauung in den Brutschrank gestellt. Temperatur 37°. Nach 24 Stunden wird wieder die Stickstoff bestimmung nach Kjeldahl ausgeführt. Die Bestimmungen ergaben: 1. Vor der Nachverdauung sind gelöst: in@lOrcecmeRiltratsen ass. 0,026 & N OCT N RE ee knluan a 00 0,26 %/o auf die Gesamtmenge berechnet. ....... 1,638 g. N. - 2. Nach der Nachverdauung sind gelöst: Im@LONcemERiltrati. ca 2. 0,086 g N OR Re ln 0,365 0/0 auf die Gesamtmenge berechnet. ....... 2,153 g N. 3. In den Mett’schen Röhrchen sind nach 24 Stunden 2,2 mm verdaut. III. 2h 53’ Beginn des Versuches. Der Hund trinkt 100 ccm Wasser. In 15 Minuten laufen durch die Kanüle 105 ccm klare Flüssigkeit ab. Freie Salzsäure fehlt darin. Gesamtazidität 8. 3h 17’ frisst der Hund 100 g sterilisiertes Fleisch mit 30 ccm Wasser angerührt. 3h 30’ zeigen sich in der ablaufenden Flüssigkeit die ersten Fleischspuren. 4h 30’ entleert sich aus der Kanüle dicker Fleischbrei. 65 00’ Schluss des Versuches. Es sind im ganzen durch die Kanüle abgelaufen 315 g. 10 ccm werden zur Aziditätsbestimmung benutzt. - Gesamtazidität 64. Freie Salzsäure fehlt. Wie im vorigen Versuch werden die übrigbleibenden 305 g zu gleichen Teilen mit 1/ıo normal-Salzsäure versetzt, davon 30 ccm Filtrat zur Stickstoff- bestimmung und 10 ccm für die Mett’schen Röhrchen abgenommen. Der Rest wird zu 24 stündiger Nachverdauung in den Brutschrank gestellt. Temperatur 37°. Nach 24 Stunden wird wieder der gelöste Stickstoff bestimmt. Die Bestimmungen ergaben: . 1. Vor der Nachverdauung sind gelöst: In@l).cem> Filtrat a De see 0,0226 &g N OEL EB er Ne 0,226 °/o auf die Gesamtmenge berechnet . . . 2... 1,378 g. N. 602 Georg Trampedach: 2. Nach der Nachverdauung sind gelöst: ine 100 XcemeBiltrater ae 0,0329 g N Oder ee EL 0,329 %/o auf die Gesamtmenge berechnet . ...... 1,875 g N. 3. In den Mett’schen Röhrchen sind nach 24 Stunden nur 0,7 mm verdaut. In derselben Weise wie mit dem sterilisierten Fleisch wurden die Versuche mit getrocknetem Weissbrot ausgeführt. IV. 4h 15’ Beginn des Versuches. Der Hund trinkt 100 ccm Wasser. In 15 Minuten laufen 110 ccm klare Flüssigkeit durch die Kanüle ab. Dieselbe enthält keine freie Salzsäure. Gesamtazidität ist 3. 4h 30’ frisst der Hund 25 g trockenes gemahlenes Weissbrot + 50 ccm Wasser. 5h 15’ zeigen sich die ersten Brotspuren. 5h 30’ entleert sich dicker Brotbrei aus der Kanüle. 6h 40’ Schluss des Versuches. Die Gesamtmenge der entleerten Massen beträgt 151 g. 10 ccm dienen zur Aziditätsbestimmung. Gesamtazidität 47. Freie Salzsäure fehlt. Die übrigbleibenden 141 g des Mageninhalts werden mit einer gleichen Menge Y/ıo normal-Salzsäure versetzt und hiervon 20 ccm Filtrat für Stickstoff- bestimmung nach Kjeldahl und 10 cem Filtrat für Mett’sche Röhrchen her- gestellt. Der Rest kommt zur Nachverdauung auf 24 Stunden in den Brutschrank. Temperatur 37° C. Nach 24 Stunden wird wieder die Stickstoffbestimmung ausgeführt. Die Bestimmungen ergeben: 1. Vor der Nachverdauung sind gelöst: in100'cem Filtrat er. oe 001g N Oder. nenn a ee We le 0,105 °/o auf die Gesamtmenge berechnet. . ...... 0,296 g N. 2. Nach der Nachverdauung sind gelöst: ne LONEEEMERN trat 0,016 g N OCT R RE a eo 0,165 %/o auf die Gesamtmenge berechnet. ....... 0,415 g N. . 8. In den Mett’schen Röhrchen sind nach 24 Stunden 3,0 mm verdaut. V. 11h 35’ Beginn des Versuches. Der Hund trinkt 80 ccm Wasser. In 15 Minuten entleeren sich durch die Kanüle 285 ccm klare Flüssigkeit. Gesamt- azidität 395. Freie Salzsäure 9. 11h 50’ frisst der Hund 25 g trockenes gemahlenes Weissbrot + 50 ccm Wasser. 12h 05’ erscheinen die ersten Brotspuren. 12h 15’ entleert sich dicker Brotbrei. 1b 00’ Schluss des Versuches. Milz und Magenverdauung und der angebliche Pepsingehalt der Milz. 603 Die Gesamtmenge des entleerten Mageninhalts beträgt 273 g. 10 ccm wurden zur Säurebestimmung verwandt. Gesamtazidität 67. Freie Salzsäure fehit. Wie im vorhergehenden Versuch wird mit dem Rest eine Nachverdauung im Brutschrank nach Zusatz von gleichen Teilen !/ıo normal-Salzsäure vor- genommen und vor und nach dem Aufenthalt im Brutschrank die Stickstoff- bestimmung nach Kjeldahl ausgeführt. Ausserdem wird ein Versuch mit Mett’schen Röhrchen angesetzt. Die Bestimmungen ergaben: 1. Vor der Nachverdauung sind gelöst: inwlOrceme Rıltrater ea ge aa en 0,007 g N OEL a een SE N ne sie Malers 0,071 9/0 auf die Gesamtmenge berechnet . ...... 0,373 g N. 2. Nach der Nachverdauung sind gelöst: In,Al0R cem®Rilkrati va ee 001g N DERIN ar 3. Cesar LE 2 E00 2 0,105 %o auf die Gesamtmenge berechnet. . ...... 052g N 3. In den Mett’schen Röhrchen sind nach 24 Stunden 3,6 mm verdaut. Die Blutuntersuchung zeigt ein Schwanken der absoluten Anzahl weisser Blutkörperchen zwischen 13000 und 17000 im Kubikmillimeter. Der prozentuale Gehalt an Lymphocyten bewegt sich zwischen 13° und 18%. Auffallend ist eine grössere Zahl eosinophiler Leukocyten. Ihre Menge schwankt zwischen 3%o und 9%. Am 5. Januar wird der Hund in Morphiumäthernarkose entmilzt. Er übersteht die Operation gut. Am 10. Januar ist er bereits wieder so weit her- gestellt, dass mit den Versuchen begonnen werden kann. VI. 3b 20’ Beginn des Versuches. Der Hund trinkt 90 ccm Wasser. In 15 Minuten fliessen durch die Kanüle 105 ccm klare Flüssigkeit ab. Freie Salzsäure ist darin nicht vorhanden. Gesamtazidität 3,9. 3h 35’ frisst der Hund 100 g sterilisiertes Fleisch + 30 ccm Wasser. 4h 05’ erscheinen die ersten Fleischspuren. 4h 30’ entleert sich dicker Fleischbrei. 5b 30’ Schluss des Versuches. Gesamtmenge des entleerten Mageninhalts 31l g. 10 ccm zur Aziditäts- bestimmung. Gesamtazidität 98. Freie Salzsäure fehlt. Die weitere Behandlung des gewonnenen Mageninhalts sowie die Verdauungs- bestimmungen geschehen wie vor der Entmilzung. 604 Georg Trampedach: Die Bestimmungen ergaben: 1. Vor der Nachverdauung sind gelöst: in»10)/cem®Biltrat ne Ra: 0,023 g N Oder "En IRRE RE En RE 0,2310 auf die Gesamtmenge berechnet. ....... 1,39 g N. 2. Nach der Nachverdauung sind gelöst: ins 10 cemsEiltratu ann aa 2 an 0,0355 8 N Oder sn A N A ee 0,358 0/0 auf die Gesamtmenge berechnet. .. ..... 2,047 g N. 3. In den Mett’schen Röhrchen sind verdaut in 24 Stunden 2,3 mm. VII. 2h 20’ Beginn des Versuches. Der Hund trinkt nur 10 ccm Wasser und ist zum Weitertrinken nicht zu bewegen. Wir warten 15° Minuten. Es entleert sich etwas klare Flüssigkeit aus der Kanüle. 2h 35’ frisst der Hund 25 g trockenes, gemahlenes Weissbrot + 50 ccm Wasser. 2h 50’ die ersten Brotspuren. 3h 15’ entleert sich aus der Kanüle dicker Brotbrei. 4h 00’ Schluss des Versuches. Gesamtmenge des entleerten Mageninhalts 165 g.. 10 ccm dienen zur Säure- bestimmung. Gesamtazidität 39. Freie Salzsäure fehlt. Es folgt wie in den früheren Versuchen eine 24 stündige Nachverdauung im Brutschrank nach vorherigem Zusatz von gleichen Teilen !/ıo normal-Salzsäure. Vor und nach der Nachverdauung wird die Stickstoffbestimmung ausgeführt, ebenso ein Versuch mit Mett’schen Röhrchen angesetzt. Die Bestimmungen ergaben: 1. Vor der Nachverdauung sind gelöst: in. »1O xCem Filtrat. nv 0 Mu 0,008 g N Oder. ea en er Re 0,084 9/0 auf die Gesamtmenge berechnet. . . . . SE NODDELN. 2. Nach der Nachverdauung sind gelöst: iny1Osecm Biltrat u. zu el 0,013 g N oder te Mn 0,138 9% auf die Gesamtmenge berechnet. .. . . 2 0220r10,886. 0. N, 3. In den Mett’schen Röhrchen sind in 24 Stunden 3,2 mm verdaut. vIM. 2h 10’ Beginn des Versuches. Der Hund ist zum Wassertrinken nicht zu be- wegen. Wir warten 15 Minuten. Es entleert sich etwas Flüssigkeit aus der Kanüle. 2h 25’ frisst der Hund 25 g getrocknetes, gemahlenes Weissbrot + 50 ccm Wasser. 2h 35’ zeigen sich die ersten Brotspuren. Milz und Magenverdauung und der angebliche Pepsingehalt der Milz. 605 2h 55’ entleert sich dicker Brotbrei aus der Kanüle, 3h 40’ Schluss des Versuches. Die Gesamtmenge des gewonnenen Mageninhalts ist 152 g. 10 cem dienen zur Säurebestimmung. Gesamtazidität 20. Freie Salzsäure fehlt. Die weitere Behandlung des Mageninhalts geschieht wie im vorhergehenden Versuch, ebenso die Verdauungsbestimmungen. Die Bestimmungen ergaben: 1. Vor der Nachverdauung sind gelöst: inÖlOgcem&Hiltrat ra ee 0,009 g N DIE N REN 0,093 %/0 auf die Gesamtmenge berechnet. ....... 0,266 g N. 2. Nach der Nachverdauung sind gelöst: ineLONcem Biltratf. nern. ea. 0,016 g N Oder u ER EN ee aka 0,161 %/0 auf die Gesamtmenge berechnet . ....... 0,408 g N. 3. In den Mett’schen Röhrchen sind in 24 Stunden 3,5 mm verdaut. XI. 15h 35’ Beginn des Versuches. Der Hund trinkt 90 ccm Wasser, In 15 Minuten fliessen durch die Kanüle 100 ccm ab. Freie Salzsäure fehlt darin. Gesamtazidität 6. 1h 50’ frisst der Hund 100 g sterilisiertes Fleisch + 30 cem Wasser. 2h 00’ zeigen sich die ersten Fleischspuren. 2h 35’ entleert sich dicker Fleischbrei aus der Kanüle. 3h 20’ Schluss des Versuches. Gesamtmenge des entleerten Mageninhalts 289 g. Mit 10 ccm wird die Azidität bestimmt. Gesamtazidität 9. Freie Salzsäure fehlt. Die übrigbleibenden 279 g werden in derselben Weise wie in den vorher- gehenden Versuchen zu gleichen Teilen mit "/ıo normal- Salzsäure versetzt und zu 24 stündiger Nachverdauung aufgestellt. Vorher und nachher wird die Stick- stoffbestimmung nach Kjeldahl ausgeführt. Ebenso werden Mett’sche Röhrchen angesetzt. Die Bestimmungen ergaben: 1. Vor der Nachverdauung sind gelöst: inwl0rcematiltragepru ea Se. 0,022 g N Oder en Be sn 0,226 %/o auf die Gesamtmenge berechnet. ....... 1,261 g N. 2. Nach der Nachverdauung sind gelöst: InS@LOr ccmDEiltratge en ee 0,057 g N OR LEE E E BR E AR a0 /o auf die Gesamtmenge berechnet. . ...... 1,953 g N. 3. In den Miett’schen Röhrchen sind in 24 Stunden 3,4 mm verdaut 606 Georg Trampedach: Die Untersuchung des Blutes nach der Entmilzung zeigte einen Anstieg der weissen Blutkörperchen von 13600 bis 18000 im Kubikmillimeter. Der prozentuale Gehalt an Lymphocyten betrug 21% und dann 26°. Auf 100 Leukocyten kamen sechs Eosinophile. Es fand sich also auch nach Ausschaltung der Zufälligkeiten, wie sie in Versuch I möglich waren, keine Beeinträchtigung der Magenverdauung nach Milzexstirpation. Wir fanden die Menge des gelösten Stickstoffis im Filtrat des quantitativ entleerten Mageninhalts sowohl prozentual als auch auf die Gesamtmenge berechnet inner- halb derselben Grenzen schwanken wie vor der Entmilzung. Eine Übersicht der gefundenen Werte gibt die nachfolgende Tabelle: Vor der Entmilzung. Versuche mit Fleisch. Gelöster Stickstoff Gelöster Stickstoff $ Mett’sche vor der Nachverdauung nach der Nachverdauung I aure- nn gehalt Röhrchen auf die auf die 24 Stdn. in 10 ccm | Gesamtmenge | in 10 ccm | Gesamtmenge berechnet berechnet 18 2,2 mm 0,026 g N 1,6838 N 00368 N 2,153 g N 64 0,0% 0,0226 gs N 1378, „ 0,0329 g N Esısr, Nach der Entmilzung. 98 2,3 mm 0,023 g N 1,389 g N 0,0355 g N 2,047 g N 9% ER 02275 1261 g N 0037. 5.5 1.993 40; Vor der Entmilzung. Versuche mit Brot. Gelöster Stickstoff Gelöster Stickstoff See Mett’sche vor der Nachverdauung nach der Nachverdauung a S . zehaln | Sahzchen auf die auf die 24 Stdn. in 10 ccm | Gesamtmenge | in 10 ccm | Gesamtmenge berechnet berechnet 47 3,0 mm 0,01 g N 0,296 g N 0,016 & N 0,415 g N 67 306,5 0,007 g N 0,3732, 001gN 0,52 g N Nach der Entmilzung. 39 32 mm 0,008 8 N 0,26.8.N .0,013.8.N 0,3386 g N 20 39.5 0,009, 0,266 g N 0,016 , , 0,408 „„ Versuchsserie III. Am 5. November wird ‚einem. Bastard- vom deutschen Schäferhund durch einen Schnitt in der Linea alba die Bauchhöhle eröffnet und aus der Pylorus- und Fundusgegend des Magens je ein Stück Schleimhaut ausgeschnitten. -Die Milz und Magenverdauung und der angebliche Pepsingehalt der Milz. 607 Wundränder werden durch doppelte Nähte wieder vereinigt, dann wird die Milz exstirpiert und nach sorgfältiger Versorgung des Stumpfes die Bauchwunde wieder geschlossen. Die Operation fand am Nachmittag statt in Morphiumäthernarkose. Der Hund hat seit dem Abend zu vor nichts gefressen. Die beiden exstirpierten Schleimhautstücke wogen: ausıdemeKundnsteillesma 0. 0 4,38 aussdemeRylorustellerus u 2 nr 528 Jedes Stück wird im Mörser mit Kieselguhr zerrieben, mit dem fünffachen Volumen Y/ıo normal-Salzsäure versetzt und auf eine Stunde bei 38° C. in den Brutschrank gestellt. Darauf werden die beiden Infuse abfiltriert und zwei Mett’sche Röhrchen mit dem Filtrat angesetzt. In 24 Stunden verdaut: das Infus aus der Schleimhaut des Fundusteils .. ..... 2,6 mm das Infus aus der Schleimhaut des Pylorusteils ...... . 5,4 mm. Am 21. November wird der Hund in Morphiumäthernarkose durch Pneumo- thorax ad exitum gebracht. Er hat wieder seit dem Abend zuvor nichts gefressen. Die Innenfläche der Magenschleimhaut zeigt zwei gut verheilte Narben in der Fundus- und Pylorusgegend. Es werden neben diesen Narben mit Ver- meidung der Narbenwülste zwei Schleimhautstücke ausgeschnitten. Die Schleimhautstücke wogen: ausndem Bundustele m ma... 10,3 g ausgdemeBylorustelen ua ea ann ODE» Die beiden Schleimhautstücke werden in der vorher beschriebenen Weise behandelt. In 24 Stunden verdaut: das Infus aus der Schleimhaut des Fundusteils ....... 4,0 mm das Infus aus der Schleimhaut des Pylorusteils ....... 5,1 mm. Es trat also nach der Exstirpation der Milz keine Abnahme des Pepsin- gehalts der Magenschleimhaut ein. Derselbe ist im Fundusteil sogar erhöht. Versuchsserie IV. Wie bereits zu Becinn dieser Arbeit erwähnt wurde, haben Ebstein und Grützner darauf hingewiesen, dass bei Extraktionen der Schleimhaut mit geringen Flüssigkeitsmengen während kurzer Zeit wesentlich nur das freie Pepsin im Infus gewonnen wird, dieses freie Pepsin aber keineswegs parallel dem Gesamtgehalt an freiem und gebundenem Pepsin geht. Um einem derartigen Einwurf zu entgehen — wir sind der Überzeugung, ihn bereits dadurch unmöglich gemacht zu haben, dass wir die Magenschleimhaut mit Kieselgur fein zerrieben —, wird bei den nachfolgenden Versuchen mit dem Magen milzexstirpierter Ratten eine grössere Menge Salzsäure (das 40fache Volumen) zur Her- 608 Georg Trampedach: stellung des Infuses verwandt und der Aufenthalt im Brutschrank auf 24 Stunden ausgedehnt. Von zwanzig Versuchsratten, die unter denselben Lebens- bedingungen in einem Käfig hausen, wird am 2. Dez. in Äther- narkose zehn die Milz exstirpiert. Vier sterben nach 24 Stunden. Am 9. Dez. stirbt die fünfte, Am 20. Dez. wird weiteren drei Ratten die Milz exstirpiert. Davon bleibt nur eine am Leben. Von drei gestorbenen Ratten wird gleichfalls ein Infus des Magens hergestellt. Die gewonnenen Resultate gehen aus der nachfolgenden Tabelle hervor. Die Verdauungsgrösse ist durch Mett’sche Röhrchen be- stimmt und in Millimeter ausgedrückt. — Entmilzte Ratten + > Kontrolltiere D der Ver- = 2| D der Ver- Ruine £ 3 5, Füllung | Datum | Füllung | 5 S, anne & == des des des E< | 144 | 46 | 24 | 2 | Magens | Versuches | Magens 3 2 24 46 | 144 Stdn. | Stdn.) Stdn.| = 5 | Stdn.) Stdn. Stdn. Entmiltzt am 2. Dezember. mm mm mm g g mm | mm mm — | — | 236 | 0,9 [wenig gef.| 15. Dez. gefüllt | 0,7 | 27 — | — 504120821 ceiüllt |. 220%, ? 0,68| — 200 4:54 109 2 SOR e a | — 1 A972 10:85 5 8. Jan. s | | 651 | 08 :] fast leer 17. 0° I faseäleer| 080] > | 2 70 Entmilzt am 20. Dezember. — | 46| — 10, mässig 7. Jan. mässig | 0,6 | — | = ._ gefüllt gefüllt Gestorbene Ratten. Dauer der Verdauung 24 Stunden , 46 Stunden Gewicht Datum der Entmilzung em gens mm mm 2. Dezember entmilzt, 9. Dezember 7 0,7 2,9 _ 20. Dezember entmilzt, 20. Dezember 7 0,8 — 4,5 20. Dezember entmilzt, 27. Dezember 7 0.6 — 4,4 Die Resultate unserer Versuche stehen in direktem Gegensatz zu den Versuchen von Tarulli und Paskueei. Wir haben in allen vier Versuchen übereinstimmend keine Herabsetzung der Magenverdauung nach Milz- Milz und Magenverdauung und der angebliche Pepsingehalt der Milz. 609 exstirpation konstatieren können. Die stets gleichen Resultate bei völliger Verschiedenheit in der Anord- nung der Versuche lassen uns einen Versucehsfehler ausschliessen. Tarulli und Paskuecei haben stets die- selbe Methode benutzt, und es ist anzunehmen, dass in der Art ihrer Bestimmung der Grund für die er- haltenen abweichenden Werte liest. Der Gross’sche Versuch am Menschen kann bei den komplizierten Verhältnissen (Trauma, psychische Be- einflussung durch Sondenausheberung, an die der Patient erst nach der Milzexstirpation gewöhnt wurde usw.) keineswegsAnspruch darauf machen, als Beweis für einen Einfluss der Milz auf die Magenverdauung zu gelten. Die Resultate werden durch die theoretischen Be- trachtungen, die Gross an Seine Versuche knüpft, nieht wertvoller, zumal er sich bei diesen Betrach- tungen auf den längst widerlegten!) Einfluss derMilz auf die Pankreasverdauung stützt. Versuche mit Milzinfus. Da wir, wie aus den vorhergehenden Versuchen hervorgeht, keinen Einfluss der Milz auf die Verdauungstätiskeit des Magens bei Hunden und Ratten hatten konstatieren können, so interessierte es uns auch, die Versuche von Lo Monako und Tarulli?) nach- zuprüfen, die im Laboratorium Luciani’s ausgeführt worden sind. Die Resultate dieser Versuche wurden im Jahre 1901 auf dem Internationalen Physiologenkongress in Turin mitgeteilt. Luciani fasst dieses Resultat in den Worten zusammen: „dass das Infus der angeschwollenen Milz Pepsin enthält oder wenigstens ein Enzym, weiches auf Fibrin in einem sauern Medium die gleiche verdauende Wirkung ausübt.“ Leuret und Lassaigne?°) wiesen im Jahre 1825 nach, dass die Milz bei Hunden, Katzen, Meerschweinchen und Kaninchen dann MAOTBrEymIR le 2) Luciani, Lehrbuch der Physiologie des Menschen S. 101. 3) Zitiert nach Schiff, Über die Funktion der Milz. Schweizerische Zeitschr. f. Heilkunde 1862. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 141. 40 610 Georg Trampedach: anschwillt und blutreicher wird, wenn der Darm anfängt die Ver- dauungsprodukte aus dem Magen aufzunehmen und die Lymph- zefässe des Mesenteriums sich füllen. Dobson!) fand bei Hunden in der fünften Stunde nach der Mahlzeit das Maximum der Milzanschwellung. In der zwölften Stunde war die Milz wieder schlafi, klein und blutarm. Dieselben Resultate hatten die Untersuchungen von Giesker, Landis, Bardeleben, Schönfeld u. ad). Diesen übereinstimmenden Resultaten stehen die Angaben von Gray!) entgegen, welcher die Milz erst 15 Stunden nach der Mahl- zeit ihr höchstes Gewicht erreichen lässt. E. Oehl?) hat diese Wahrnehmung der Milzanschwellung nicht bestätigen können. Er stellte fest, dass bei sieben grösseren und kieineren Hunden, die in der Verdauung begriffen waren, das Ver- hältnis des Körpergewichts zu dem der Milz zwischen 160:1 und 976:1 schwankte. Bei 16 nüchternen Hunden von verschiedener Grösse schwankte dieses Verhältnis zwischen 228:1 und 621:1, also in beiden Kategorien etwa um das Dreifache. Oehl erwähnt besonders, dass er trotz lebhafter Verdauung bei den gefütterten Hunden kein günstigeres Verhältnis von Milz zu Körpergewicht ge- funden hat als bei den nüchternen. Über die Versuchsanordnung der Experimente von Lo Monako und Tarulli sagt Luciani: „Man exstirpiert bei einem Hunde während voller Verdauungstätiekeit die Milz und teilt sie in kleine Stücke, die dann in einen Mörser mit Glaspulver zerrieben werden. Der so erhaltene Brei wird in einen Kolben gebracht und das fünf- fache Volumen 4°/oiger Borsäure zugesetzt. Man lässt das Infus durch 6 Stunden im Ofen bei 37° stehen, dann filtriert man und erhält ein von einer durchsichtigen dunkelroten Flüssigkeit dar- gestelltes Infus. Von diesem Infus bringst man zwei gleiche Portionen von je 15 cem in zwei kleine Kolben und fügt 15 cem 4Plooige Salzsäure und !/s g rohes Fibrin hinzu, das bereits durch die Ein- wirkung 2°/ooiger Salzsäure, in der man es durch 30 Minuten in der Kälte stehen liess, gequollen war. Um die Wirkung des angesäuerten Milzinfuses mit jenem zu 1) Zitiert nach Schiff, Über die Funktion der Milz. Schweizerische Zeitschr. f. Heilkunde 1862. 2) E. Oehl, Gagg. Lomb. 9. Okt. 1868, zitiert nach Schmidt’s Jahrbücher. Milz und Magenverdauung und der angebliche Pepsingehalt der Milz. 6]1 vergleichen, welche die Salzsäure allein auf das rohe Fibrin ausübt, bringt man die gleiche Menge aufgequollenes Fibrin mit 15 eem 4°oiger Borsäure und 15 ccm 4P/ooiger Salzsäure in zwei weitere Kolben. Lässt man nun den Inhalt der vier Kolben bei 39° stehen, so beobachtet man nach 2 Stunden, dass das Fibrin mit dem Milzinfus fast bis zur Hälfte verdaut ist, während jenes mit der Salzsäure allein keine Spur von Verdauung zeigt. Nach 31/2 Stunden nimmt man die beiden anderen Kolben heraus und be- obachtet, dass das Milzinfus das Fibrin fast vollständig verdaut hat, während an dem in der einfachen saueren Lösung gehaltenen Fibrin keine Andeutung einer Verdauung wahrnehmbar ist.“ Ähnliche Untersuchungen auf ein proteolytisches Enzym der Milz sind von Hedin und Rowland!) im Inner-Institut in London angestellt worden. Die beiden Forscher benutzten frische Schlacht- hausmilzen, die in einem besonderen von Rowland konstruierten Apparat zu Brei gequetscht und nachher in einer hydraulischen Presse ausgepresst wurden. Die verdauende Wirkung des mit Salz- säure oder Essigsäure verdünnten Presssaftes wurde durch den Fort- schritt der Autolyse oder durch seine Einwirkung auf Blutfibrin bestimmt. Die Stärke der Proteolyse wurde durch Bestimmung des gelösten Stickstoffs nach Kjeldahl festgestellt. Hedin und Rowland fanden eine Einwirkung des Enzyms auf die im Milzsaft selbst befindlichen Eiweissstoffe und eine auf- lösende Wirkung auf Blutfibrin. Am stärksten wirkte jedesmal das Enzym in sauerer Lösung. Dieselben Versuche, wie Hedin und Rowland, führte Leathes?) mit dem Presssaft der Ochsenmilz aus. Er trennte die gewonnenen Verdauungsprodukte nach Kossel und Kutscher und fand dieselben Produkte, wie nach Trypsinverdauung und Säure- hydrolyse. Die komplizierte Apparatur von Hedin und Rowland stand uns nicht zur Verfügung. Wir hielten uns in unseren Versuchen an die Anordnung Luciani’s. Wir taten dieses auch hauptsächlich darum, weil Luciani aus seinen Versuchen schliesst, dass die Milz Pepsin oder ein pepsinähnliches Enzym enthält, und Gross auf diesen Schluss hin einige Theorien entwirft, die diesen etwaigen 1) Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 32 S.3 und 4 1%1. 2) Journ. of Physiol. Bd. 28 S.5. 12. Sept. 1902. 40 * 612 Georg Trampedach: Pepsingehalt mit der von ihm beobachteten Abnahme des Magen- pepsins nach Milzexstirpation in Verbindung zu bringen versuchen. Eine Untersuchung der Milz auf sonstige vorhandenen Enzyme hätte über die Grenzen unserer Arbeit hinausgeführt. Wir lassen die ausführlichen Versuchsserien folgen: Versuchsserie I. Einem kräftigen Foxbastard wird 5 Stunden nach einer gehörigen Mahlzeit (/a Pfund Blutwurst + Weissbrot) die Milz exstirpiert. Das Organ zeigt keine hyperämische Schwellung. Es wiegt 12,5 g. Die Milz wird nach den Angaben Luciani’s mit Kieselgur im Mörser zerrieben, das fünffache Volumen 4°/oiger Borsäure hinzugesetzt und das Intus 6 Stunden bei 38°C. im Brutschrank stehen gelassen. Darauf wurde es filtriert. Mit dem Infus wurden folgende Versuche angestellt: 1. 20 ccm des Filtrats werden mit gleicher Menge verdünnter Salzsäure in ein Kölbehen gebracht. Wir weichen an dieser Stelle insofern von der Versuchs- anordnung Lucianis’ ab, als wir zur Ansäuerung des Infuses eine Salzsäure von geringerer Azidität benutzten. Zu dieser ersten Versuchsserie benutzten wir statt 4/ooige 0,4 %/ooige Salzsäure. Als Kontrollprobe dient ein Gemisch von 20 ccm Borsäure und 20 ccm 0,4°%/ooige Salzsäure. In jede der beiden Flüssigkeiten wird eine zwischen Filtrierpapier aus- gepresste Fibrinflocke von 0,5 g Gewicht getan, die vorher 30 Minuten in einer 0,2°%0gen Salzsäure gelegen hatte, und dann die beiden Kölbchen auf 2 Stunden in den Brutschrank gestellt. Temperatur 335° C. Nach 2 Stunden wird der Inhalt der beiden Kölbchen abfiltriert. Die Fibrinflocke aus dem zweiten Kölbchen (Borsäure -+ Salzsäure) war stark gequollen, voluminös. Das Fibrin im ersten Kölbcehen (Milzinfus + Salzsäure) hat dagegen an Volumen eingebüsst. Vor und nach dem Aufenthalt im Brutschrank sind je 2>x5 ccm Filtrat zur Stickstoffbestimmung nach Kjeldahl abgeuommen worden. Es waren vorhanden in 5 ccm: vor dem Aufenthalt im Brutschrank ... .. 0,0016 8 N, nach dem Aufenthalt im Brutschrank. ... . 0,0016 g N, also in beiden Fällen eine gleiche Stickstoffmenge. Damit ist festgestellt, dass kein verdauender Einfluss des Milzinfuses auf das Blutfibrin bestanden hat. 2. 5 ccm des Infuses werden mit 0,4°/ooiger Salzsäure zu gleichen Teilen zersetzt und eine Verdauungsprobe mit Mett’schen Röhrchen angesetzt. Es zeigt sich auch nach 36 Stunden keine Spur von Verdauung. 3. Das wie im vorhergebenden Versuche angesäuerte Infus wird nach der Methode Gross auf Verdauungsfähigkeit geprüft. Die Probe fällt vollständig negativ aus. Versuchsserie II. Zum Versuche dient ein alter fetter Dachsbastard.. 5 Stunden vor der Milzexstirpation erhält er eine reichliche Mahlzeit, bestehend aus !/a Pfund rohem Milz und Magenverdauung und der angebliche Pepsingehalt der Milz. 613 Fleisch, Weissbrot und Zucker mit Wasser angerührt. Der Hund wird durch einen Hammerschlag getötet. Bei der Sektion finden sich im Magen noch Nahrungsüberreste, die Lymphgefässe des Darmes sind prall gefüllt, die Milz hyperämisch. Das Organ wird in derselben Weise wie in Versuch I behandelt, nur mit dem Unterschied, dass wir uns ganz an die Anordnung Luciani’s halten und eine 4°/ooige Salzsäure anwenden. Mit dem Infus werden folgende Versuche angestellt: 1. In derselben Weise wie in der Versuchsserie I wurden zwei Kölbchen angesetzt. Kölbchen I enthält 20 cem Milzinfus + 20 ccm 4°/ooige Salzsäure, Kölbchen II 20 cem 4%oo Salzsäure + 20 cem 4”/oige Borsäure. Das Gewicht des Fibrins (2 g) wird bei vollständiger Trockenheit bestimmt. Der Aufenthalt im Brutschrark dauert 3 Stunden. Vorher und nachher werden je 2>5 ccm von I zur Stickstoffbestimmung abgenommen. Diese ergibt, dass in 5 ccm gelöst sind: vor dem Aufenthalt im Brutschrank . ... . 0,0025 & N, nach dem Aufenthalt im Brutschrank. . . . . 0,0047 g. N. Es war somit der Stickstoffgehalt in 5 ccm um 0,0022 g gewachsen. 2. Eine Verdauungsprobe des angesäuerten Milzinfuses mit Mett’schen Röhrchen zeigte nach 30 Stunden keinen Verdauungserfolg. 3. Ein Verdauungsversuch mit der Methode Gross fiel vollständig negativ aus. Versuchsserie II. Der Hund (Bastard vom deutschen Schäferhund) war seit dem Abend vorher nüchtern. Operation 3 Uhr nachmittag in Morphiumäthernarkose. Die exstirpierte Milz ist sehr gross und hyperämisch. Gewicht 46,5 g. Die Milz wird in der- selben Weise wie in den vorigen Versuchen behandelt. Eine kleine Abweichung findet statt. Das trockene Fibrin (0,5 g) wird in 30 ccm 2°/ooiger Salzsäure zum Quellen gebracht und dann hierzu 1 ccm 0,6%oige Salzsäure. gesetzt, um eine Flüssigkeit von 4°/ooigem Salzsäuregehalt zu bekommen. Dann werden 31 ccm Milzinfus hinzugetan. Das Kontrollgläschen enthält wieder 4°%/oige Borsäure und 4°/ooige Salzsäure zu gleichen Teilen. Vor und nach dem zwölfstündigen Aufent- halt im Brutschrank wurden aus jedem der beiden Gläschen je 2> 5 ccm zur Stickstoffbestimmung abgenommen. Nach den zwölf Stunden hat sich das Milz- infus getrübt. Die Trockensubstanz des Fibrins im Milzinfus hat um 0,05 g ab- genommen. Die Trockensubstanzbestimmung der Kontrollproben war nicht möglich, da diese eine schleimig gequollene Masse bildete, die sich vom Filter nicht quanti- tativ abheben liess. Die Stickstoffbestimmungen ergeben: 1. für das Milzinfus: es sind in 5 ccm enthalten vor dem Aufenthalt im Brutschrank . 0,0053 g N, es sind in 5 ccm enthalten nach dem Aufenthalt im Brutschrank . 0,0068 g N. Das bedeutet einen Zuwachs von 0,0015 & N in 5 ccm. 2. für die Kontrollprobe: es sind in 5 ccm enthalten vor dem Aufenthalt im Brutschrank . — es sind in 5 ccm enthalten nach dem Aufenthalt im Brutschrank . 0,0042 g N. 614 Georg Trampedach: Die Kontrollfiüssigkeit, bestehend aus Borsäure und Salzsäure, hat also in 5 ccm 0,0027 g mehr Stickstoff gelöst als Milzinfus + Salzsäure. Versuchsserie IV. Es werden vier Kölbchen angesetzt, enthaltend: I 40 ccm 4°/ooige Salzsäure, II 40 cem 2°%ooige Salzsäure, III 40 ccm 0,25 Yoige Essigsäure, IV 40 ccm 0,125 °/oige Essigsäure. In jedes Kölbchen werden 2 g gemahlenes trockenes Fibrin getan. Nach 24stündigem Aufenthalt im Brutschrank sind in den Gläschen an Stickstoff gelöst: in ouccm Vvonaler er a ee 0,0086 g N, in 9, ceomwonäl.... ... ne 0,0021 g N, ind cemevon lie... (ee 0,0018 g N, in oscem vonelvarn..e. a 0,0016 g N. Wir haben im Widerspruch zu den eingangs angeführten Be- obachtungen nur in einem Falle bei unseren Versuchshunden > Stunden nach reichlicher Mahlzeit eine hyperämische Anschwellung der Milz gesehen. In den beiden anderen Fällen verhielt sich die Milz durchaus abweichend. Im Versuch I fanden wir sie nicht hyperämisch, trotzdem der Hund 5 Stunden vorher reichlich gefüttert worden war, und in Versuch III war sie hyperämisch, trotzdem der Hund seit dem Abend zuvor nichts zu fressen bekommen hatte. Die Beobachtungen Lueiani’s haben wir vollständig be- stätigen können. Wir fanden: 1. dass Blutfibrin in wenig angesäuertem Milzinfus an Volumen verliert. N Wir haben ausserdem sogar konstatieren können: 1. dass bei stärkerer Ansäuerung eine Gewichtsabnahme des Blutfibrins zu konstatieren ist; 2. dass sich im Filtrat eine Zunahme des Stickstoffes findet. Trotzdem bestreiten wir, dass es sich bei dem Befunde um eine Pepsinwirkung des Milzinfuses handelt. Wir sahen nämlich: 1. die in I. beobachtete Volumenverminderung des Fibrins fand statt ohne Vermehrung des gelösten Stickstoffs. Eine Verdauung hatte also nicht stattgefunden, vielmehr war nur die durch Salzsäure erfolgte Quellung des Fibrins nach Zusatz von Milzinfus weniger stark geworden; 2. Salzsäure + Borsäure lösten mehr Fibrin als Salzsäure + Milzinfus. | Milz und Magenverdauung und der angebliche Pepsingehalt der Milz. 615 Es ist also die von Luciani beobachtete Volumenverminderung der Fibrinsäule — die wir auch konstatiert haben — fälschlich als auf einer peptischen Verdauung beruhend angesehen worden, während es sich in Wirklichkeit nur um eine Schrumpfung der Fibrinsäule handelt. Die von Martin G. Fischer in seinem Buch „Das Ödem!)“ mitgeteilten Befunde über die Quellung des Fibrins stehen im Einklang mit unserer Beobachtung. Fischer fand, dass die kolloiden Stoffe wie das Fibrin bei Gegenwart von Säure, besonders Salzsäure und danach Essigsäure eine starke Affinität zum Wasser haben und bedeutend mehr quellen als in reinem Wasser. Nach Zusatz von Salzen in bestimmer Menge und Konzentration kommt diese Quellung zum Stillstand, oder geht socar zurück. Es müssen nun in der Milz quellungshemmende Stoffe vorhanden sein, auf die es zurückzuführen ist, dass das vorher in zweipromilliger Salzsäure gequollene Fibrin nach 2!/s stündigem Aufenthalt in Milzinfus-+ Salzsäure an Volumen verliert. Martin G. Fischer machte auch die Beobachtung, dass Säuren, die durch ein Filter von gemahlenem Fibrin liefen, eiweiss- haltig wurden, „weil Fibrin in Säurelösung (pseudo)löslich ist“. Das Albumen vermindert sieh, oder verschwindet gänzlich, wenn genügend Salz der Säurelösung zugesetzt wird. Es liest also näher, dass der Stickstoff, den wir in den vorliegenden Versuchen im Filtrat nachgewiesen haben, durch Einwirkung der Salzsäure gelöst wurde. Die stärkere Löslichkeit in Salzsäure allein wie in angesäuertem Milchinfus führt uns zu der Annahme, dass das Milzinfus nicht nur ein quellungshemmendes, sondern auch ein lösungshemmendes Agens enthält. Aus Versuch IV geht in Übereinstimmung mit den Resultaten von Martin G. Fischer hervor, dass auch Essigsäure in geringerem Maasse als Salzsäure Fibrin zu lösen vermag. Vielleicht ist es möglich, dass auch bei den Versuchen von Hedin und Rowland, die ja verdünnte (0,250) Essigsäure zur Ansäuerung des Milzinfuses benutzten, die Säure eine bedeutsame Rolle spielt. Sollte sich aber in der Tat im Milzinfus ein proteolytisches Enzym einwandsfrei nachweisen lassen, so wäre das für unsere Frage belanglos, als es sich keinesfalls nm Pepsin handeln könnte, weil dieses auch in der Versuchsanordnung von Luciani zum Ausdruck kommen müsste. 1) Martin G. Fischer, Das Ödem. Dresden 1910. 616 Georg Trampedach: Milz und Magenverdauung etc. Ja selbst, wenn in der Milz Pepsin gefunden würde, könnten wir der Theorie nicht zustimmen, die dasselbe zum Pepsingehalt des Magens in irgendeine Beziehung setzt, da die Versuche des ersten Teiles gezeigt haben, dass die Exstirpation der Milz auf die Ver- dauungstätigkeit des Magens keinen Einfluss hat. Das Ergebnis der Arbeit ist also: 1. Die ExstirpationderMilzhat keinen verringern- den Einfluss auf die Verdauungstätigkeit des Magens. 2. Nach Milzexstirpation tritt eine Lymphocytose auf, es besteht aber kein Parallelismus zwischen dieser und der Absonderung des Magenpepsins. 3. Das Infus der hyperämisch geschwollenen Milz enthält kein Pepsin oder Pepsinogen. 4. Die stiekstofflösende Einwirkung des ange- säuerten Milzinfuses auf Blutfibrin ist der auflösen- den Wirkung der zugesetzten Säure zuzuschreiben. 5. Die Volumenverminderung des Fibrinsin Milz- infusist zum grössten Teil auf eine Schrumpfung des Fibrins zurückzuführen. 617 Berichtigung. Von Sism. Exner. (Mit 2 Textfiguren.) In der aus dem Wiener physiologischen Institute hervorgegangenenAbhand- lung von Z. Baroncz (Lemberg) Bd. 140 S. 491 finden sich zwei Abbildun- sen, die einer Korrektur bedürfen. Die Fig. 9 und 10 auf S. 504 enthalten je ein graues Quadrat. Von diesen sollte das der Fig. 9 die Helligkeit jenes Quadrates zeigen, das in Fig. 10 enthalten ist, und umgekehrt. Die neben- stehenden Originalzeich- nungen des Verfassers zeigen dierichtigen Hellig- keitsverhältnisse. Fig. 9. Fig. 10. ZN) ** ee = >= g) \ N en N ID IR at KR AN N IM IN UT ak Si) X LEINEN: h EN, Bi N ur Yyd Bu None SEUPRN YA a " AM Tel ot RIIGEDE MB: