Inn of a IN Ale ER A: u “ RI KIN la ar N RI Fer N re = er Y u Na P \ i an u NEN RN UM) rn N PERe N PFLÜGER® ARCHIV FÜR DIE GESAMTE PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER TIERE. HERAUSGEGEBEN VoN MAX VERWORN PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE UND DIREKTOR DES PHYSIOLOGISCHEN INSTITUTS DER UNIVERSITÄT BONN UNTER MITWIRKUNG VON PROF. BERNHARD SCHÖNDORFF IN BONN. BAND HUNDERT UND VIERUNDFÜNFZIG. MIT 1 TAFEL UND 147 TEXTFIGUREN. BSP BONN, 1913. VERLAG VON MARTIN HAGER. Inhalt. Erstes, zweites und drittes Heft. Ausgegeben am 6. Oktober 1913. Das Pferde-Ekg. Von Prof. Dr. R. H. Kahn. (Mit 7 Text- figuren.) (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag) A a N ae Über Entgiftungserregung und ee Von A. Kuyer und I. A. Wijsenbeek. (Mit 15 Textfiguren.) (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht) Über die Wirkung einiger Arzneimittel beim vollständigen Herz- block. Von A. A. J.van Egmond. (Mit 6 Textfiguren.) (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht) Über die Kehl- und ee der Amphibien und ihre Regulation. Von Prof. ‚Dr. Edward Babäk, Prag Über den Einfluss des santonsauren Natrons auf die Fähigkeit, Hell und Dunkel bei derselben Farbe zu unterscheiden. ]I. Mitteilung. Digitalis. Von Hugo Schulz. (Mit 3 Textfiguren.) (Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Greifswald) Seite 16 a9 66 140 Viertes, fünftes, sechstes und siebentes Heft. Ausgegeben am 20. Oktober 1913. Die Abhängigkeit der Körperstellung vom Kopfstande beim . normalen Kaninchen. Von R. Magnus und A. de Kleijn. (Mit 5 Textfiguren.) (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht) Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation mit besonderer Berücksichtigung der Rolle der tonischen Hals- reflexe. Von R. Magnus und A. de Kleijn. (Mit: ‚14 Textfiguren.) (Aus. dem pharmakologischen Institut der eichsuniwersität ltrechb), u. u u eu musesi 163 178 IV Inhalt. Quantitative pharmakologische Untersuchungen über die Reflex- funktionen des Rückenmarkes an Warmblütern. I. Mit- teilung. Wirkung von Chloroform, Strychnin und Koffein. Von W. Storm van Leeuwen, Assistent. (Mit 16 Text- figuren.) (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichs- universität Utrecht) 2 Ein Beitrag zur Frage über tropische ee Dr. J. S. Szymanski. (Mit 15 Textfiguren.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Wien) Die reflexogene Hautzone des Penis des Hundes für die Ge- schlechtsakte. Von Dr. med. G. Amantea (Assistent). (Mit 1 Textfigur.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Rom) She. a e- Achtes, neuntes und zehntes Heft. Ausgegeben am 24. Oktober 1913. Zur vergleichenden Physiologie des His’schen Bündels. II. Mit- teilung. Die atrioventrikuläre Erregungsleitung im Amphibien- herzen. Von Dr. med. J. Nakano (Tokio). (Mit 15 Text- figuren.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Freiburg i. Br.). Se eyes Über das Verhalten des Muskels im Mucke en Dr. Th. Birnbacher, Assistenten am Institute. (Mit 2 Text- figuren.) (Aus dem physiologischen Institute der Univer- sität Graz) FRE Re ES a RR er. >0.. 110 Das Grundgesetz des Naturwirkens. Von Th. Schwartze, Berlin-Friedenau. (Mit 4 Textfiguren) . N Sa 2% Theorie der Lichtreizung der Netzhaut beim Dunkelsehen. Von Professor Dr. P. Lasareff. (Aus dem physikal. Institut der kaiserl. techn. Hochschule zu Moskau). Der Einfluss des Schilddrüsenapparates auf die Wärmeregulierung bei Hunden. Die Methode der Hervorrufung und Heilung der krankhaften Anfälle, die bei Hunden nach Exstirpation der Schild- und Nebenschilddrüsen typisch sind. Von W. N. Boldyreff (Russland, Kasan). Nach Versuchen, teil- weise gemeinsam ausgeführt mit stud. $S. A. Pissemsky und stud. @G. W. Anrep ER Nee Über die Beziehungen der Nervi vagi zu Sinusknoten u ae ventrikularknoten. Von Georg Ganter und Alfred Zahn. (Mit 13 Textfiguren.) (Aus der medizinischen Poliklinik der Universität Freiburg i. Br.) Seite 307 343 364 373 401 435 459 470 492 Inhalt. Elftes und zwölftes Heft. Ausgegeben am 10. November 1913. Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. Die Kundt’sche Röhre in der Phonetik. Von Dr. C. E. Benjamins, Öhren-, Hals- und Nasen- arzt. Assistent für experimentelle Phonetik. (Mit 16 Text- figuren.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Unreal) Se Rs N EEE Der Einfluss der SpJanchnicusreizung auf den Ablauf der Ver- danungsbewegungen. Röntgenversuche an der Katze. II. Mit- teilung. Von Dr. Ph. Klee. (Mit 9 Textfiguren.) (Aus der I. medizinischen Klinik zu München) . Studien über die Bestimmung des Ausgangspunktes ventrikulärer Extrasystolen mit Hilfe des Elektrokardiogramms. Von Prof. C. J. Rothberger und Prof. H. Winterberg, (Mit 6 Textfiguren und Tafel I.) (Aus dem Institute für allgem. und experim. Pathologie der Universität Wien) Über sauerstoffatmende Körnchen aus Leberzellen und über Sauerstoffatmung in Berkefeld-Filtraten wässriger Leber- extrakte. Von Otto Warburg. (Aus der Medizinischen Klinik in Heidelberg) Seite 515 952 571 59% 5 2 2 ET FEN Au LraR, er ur be (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) Das Pferde-Ekg!). Von Prof. Dr. R. H. Kahn. (Mit 7 Textfiguren.) Die soeben erschienenen Mitteilungen von Nörr?) über das FEkg des Pferdes veranlassen mich, meiner Kurvensammlung eine Reihe von Feststellungen zu entnehmen, welche ich zu Anfang dieses Jahres an sechs Pferden (26 verschiedene Aufnahmen) zu machen Gelegenheit hatte. Die mitzuteilenden Tatsachen bestätigen die Befunde von Nörr und erweitern sie zum Teile. Die Versuchstiere wurden, da sie im Hause in der Nähe des Galvanometers nicht untergebracht werden konnten, im Hofe auf einer hölzernen Plattform aufgestellt. Die Holzisolierung war aus dem Grunde nötig, weil in Prag der ganze Erdboden von Wechsel- strom durchflossen ist. Von den Elektroden stellte ein ca. 10 m langes Kabel, welches durch ein Fenster in das im Hochparterre gelegene Galvanometerzimmer gezogen wurde, die Verbindung mit dem Galvanometer her. 1) Ein jeder hat wohl schon das Bedürfnis gefühlt, das umständliche Wort „Elektrokardiogramm“ abzukürzen. Gelegentlich wurden auch schon im Drucke die Buchstaben E. K.G. gebraucht (Samojloff u. a... Ich finde es bequem, sich in Schrift, Druck und Sprache des Wortes Ekg (sprich: Ekage) zu bedienen. Davon: V. Ekg und K. Ekg für Vorhofs- bzw. Kammer-Elektrokardiogramm. Ebenso Es (sprich: Ege) für Elektrogramm. Diese Namengebung ist in meinem Aufsatze über diesen Gegenstand in Asher-Spiro’s Ergebnissen der Physiologie Bd. 14, 1913, durchgeführt. Die vorgeschlagene Abkürzung lässt sich bequem schreiben und klingt nicht schlecht. Jeder, der eine bessere Abkürzung, welche etwa auch für fremde Sprachen brauchbar wäre, vorzuschlagen weiss, wird gebeten, dieselbe bekanntzugeben. 2) J. Nörr, Das Elektrokardiogramm des Pferdes. Seine Aufnahme und Form. Zeitschr. f. Biol. Bd. 61 S. 197. 1913. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 1 D R. H. Kahn: Als Elektroden wurden dünne, biegsäme Platten aus Zinkblech verwendet (ca. 10 em im Quadrat). Die Haut der Ableitungsstellen wurde gut mit einer Lösung von ZnSO, durchtränkt, darauf eine Lage mit der gleichen Lösung getränkter Watte aufgelegt und dieser wurden die Zinkbleche mit Gurten aufgepresst. Von den Klemmen der Bleche wurde zum Galvanometer weitergeleitet. An den Extremitäten um- gaben Watte und Zinkblech das Glied unterhalb des Karpal- bzw. Tarsalgelenkes röhrenförmig und wurden hier mit Binden festgeschnürt. Die Tiere liessen sich die Manipulationen verhältnismässig ruhig ge- fallen und verhielten sich auch während der Aufnahmen genügend ruhig. Die Wahl der Ableitungspunkte hat sich hier, so wie bei allen Tieren und dem Menschen, nach den Lageverhältnissen des Herzens zu richten. Beim Pferde ist nun vor Allem keine Extremitätenableitung möglich, welche einer der bei den bisher im Ekg untersuchten Säuge- tieren verwendeten auch nur annähernd vergleichbar wäre, Denn die Längsachse des Herzens hat hier eine besondere Stellung sowohl zur Längsachse des Körpers als auch zu den Ansatzstellen der Ex- tremitäten. Um diese den Physiologen gewiss wenig bekannte Tat- sache und zugleich die Lage unserer Ableitungsstellen am Körper des Pferdes zu veranschaulichen, setzen wir in Fig. 1 eine nach einem Bilde in Marek’s!) klinischer Diagnostik entworfene Zeichnung ein. Man sieht in der Figur die Lage des Herzens von der rechten Seite her und erkennt, dass die Längsachse des Organes mit der Längsachse des Körpers in etwa sagittaler Ebene einen besonders erossen Winkel bildet. Es werden zwar auch hier die vorderen Extremitäten das Basispotential, die hinteren das Spitzenpotential an- nehmen ; indessen wird man bei Betrachtung der Lage der Extremitäten- ansätze an den Körper sofort zur Überzeugung kommen, dass bei diesem Tiere die Resultate der drei Einthoven’schen Ableitungen mit den bei anderen Tieren gewonnenen in keiner Weise vereleich- bar sind. Von den beiden vorderen Extremitäten sind günstige Ableitungsverhältnisse von vornherein nicht zu erwarten. Aber auch die von einer vorderen und einer hinteren Extremität zu erzielenden Potentialdifferenzen können jenen bei den entsprechenden Fxtremitäten- ableitungen der allgemein verwendeten Versuchstiere und des Menschen 1) J. Marek, Lehrb. d. klin. Diagnostik d. inneren Krankheiten d. Haus- tiere S. 403. Jena 1912. Das Pferde-Eke. 3 nicht verglichen werden, da hier Stromzweige ganz anderer Herkunft sich an den Ableitungsstellen ausgleichen. Dasselbe gilt für die Ab- leitung Ösophagus-Reetum. Ich habe es besonders zweckmässig ge- funden, beim Pferde in zweierlei Weise abzuleiten, und zwar an zwei solehen Punkten, an denen annähernd die Längsachse des Herzens die Körperoberfläche trifft, und an solchen, deren Verbindungslinie etwa senkrecht zur Längsachse des Herzens die beiden Vorhöfe schneidet. Die beiden ersterwähnten Punkte liegen am Ansatze des Halses vor der Mitte des Skapularrandes auf der rechten Seite und an der Unterbrust, links von der Mittellinie; die letzterwähnten liegen an beiden Brustseiten, rechts etwas vor und links etwas hinter den Halbierungspunkten der Verbindungslinie, zwischen dem hinteren oberen Rande der Skapula und dem Ellbogengelenke. Die erwähnten Punkte, welche auch sehr bequem das Anlegen der Elektroden gestatten, wenn man je einen Gurt in entsprechender Richtung anlegt, sind in Fig. 1 mit den Buchstaben a, 5 und ce be- zeichnet. Im foleenden wird die Achsenableitung mit a«—b, die auf ihr etwa senkrechte mit cc, bezeichnet, wobei also zu erwähnen ist, dass der Punkt c, um ebensoviel kaudalwärts als der Punkt c oralwärts von dem erwähnten Halbierungspunkte liegt. Il * 4 R. H. Kahn: Tatsächlich erhält man beim Pferde bei den erwähnten ebenso wie bei den Extremitätenableitungen recht konstante Bilder. Von den Extremitätenableitungen ist in Bestätigung der Angaben von Nörr auszusagen, dass Einthoven’s Ableitung I Ekg mit sehr geringer Höhe der Ausschläge fördert. Ableitung II dagegen ergibt stets stattliche Ausschläge, welche der Form nach jenen des mensch- lichen Ekg am meisten entsprechen. Bei Ableitung II habe ich eine typische Form des Ekg erzielt (allerdings ist mein Material nicht gross), welche im allgemeinen mit der von Nörr bei dieser Ableitung öfters erhobenen überein- stimmt. Fig. 2 zeigt einen Ausschnitt aus einer solchen Kurve. DE | IS RER ERSNETRSS ie aaa aaa naana INS} N N etle Hr Bo - So .- m RR - 2aSt > Fig. 2. Man sieht das V.Ekg durch eine stattliche Überleitungszeit vom K.Ekg getrennt. Das erstere besteht aus drei Zacken, von denen die beiden ersten aufwärts, die dritte sich unmittelbar anschliessend abwärts gerichtet ist. Das letztere besteht aus einer kleinen Q-Zacke, einer stattlichen R-Zacke und einer diphasischen 7T-Zacke. Der ab- steigende Schenkel der R-Zacke geht ganz zum Schlusse sehr all- mählich zur Abszisse zurück, eine Erscheinung, welche in meinen Kurven charakteristisch ist. An dieser Stelle findet sich auch ge- legentlich ein Zäckchen nach oben oder sonst eine Unregelmässigkeit. Auch bei Nörr ist sie in manchen Kurven zu sehen. Zum Ver- gleiche reproduziere ich in Fig. 3 ein ebenfalls bei Ableitung II ge- wonnenes Ekg eines Pferdes, welches ich vor einigen Jahren registrierte. Auch hier sind die gleichen Erscheinungen zu sehen. In einem zusammenfassenden Aufsatz über das Ekg, welcher dem- nächst in den Ergebnissen der Physiologie Bd. 14, 1913 erscheinen wird, Das Pferde-Ekg. 5 habe ich für die Zackengruppe, welche das K. Ekg einleitet, den Namen Vorsehwankung gewählt und die Zackengruppe, welche dasselbe be- endet, mit dem auch vorher gebräuchlichen Namen Nachschwankung bezeichnet. Es gehen nämlich diese Teile des K. Ekg den mechanisch bzw. akustisch zu erhebenden Erscheinungen bei der Kammersystole vor bzw. nach. Beim Pferde, bei welchem die Kammersystole sehr lange dauert, ist besonders deutlich zu sehen, dass das K.Ekg aus zwei Teilen besteht: der Vorschwankung und der Nachschwankung, welche durch eine längere Pause voneinander getrennt sind. Als Besonderheit, welche in meinen Kurven die Nachsehwankung betrifft, wäre neben der Tatsache, dass sie diphasisch verläuft, zu erwähnen, dass ihre zweite Phase die Abszisse nur sehr langsam wieder erreicht, ja, dass es den Anschein hat, als sässe in diesem letzten Stück der Nachschwankung noch eine kleine Zacke. Wir kommen hierauf bei Besprechung der Resultate einer anderen Ab- leitung noch zurück. Als eine weitere hervorhebenswerte Erscheinung ist die völlige Ruhe der Saite bei den Extremitätenableitungen des stehenden Pferdes zu bezeichnen. Beim Hunde verhält sich die Sache bekanntlich ganz anders. Vom stehenden Hunde erhält man regelmässig starke andauernde Saitenschwingungen als Ausdruck der Tätigkeit der Skelettmuskulatur beim Stehen. Auf diese Erscheinung hat schon Einthoven!) hingewiesen. Sie ist gewiss jedem, der sich mit diesen Dingen beschäftigt, wohlbekannt. Beim Pferde ist das nicht der Fall. Offenbar hängt diese Erscheinung mit der sichergestellten 1) W. Einthoven, Weiteres über das Elektrokardiogramm. Pflüger’s Arch. Bd. 122 S. 517. 1908. 6 R. H. Kahn: Tatsache!) zusammen, dass das Pferd, um zu stehen, nur in sehr geringem Maasse der Muskelaktion bedarf. Entsprechend den Angaben von Nörr bei Ableitung von der rechten Vorderbrust und der linken Unterbrust finde ich das Ekg des Pferdes bei meiner Ableitung a—b besonders typisch. Fig. 4 zeigt eine solche Kurve. In allen untersuchten Fällen liess sich diese Kurvenform bei der gleichen Ableitung erzielen. Es ist hinzuzufügen, dass bei Ab- leitung von dem dem Punkte «a (Fig. 1) symmetrischen Punkte auf der linken Seite des Tieres und der Unterbrust prinzipiell dieselben Resultate zu erhalten sind. Nur kann die Höhe der Zacken eine etwas andere sein. Fig. 4. Wie man sieht, entspricht hier die Form des Ekg völlig dem von Nörr gegebenen Schema bei einer sehr ähnlichen Ableitung. Auch bei dieser Ableitung ist der Vorhofteil des Ekg keine ein- fache Erhebung, sondern besteht typisch aus zwei gleichgerichteten Zacken, von denen die erste stets niedriger ist als die zweite. Die Vorschwankung des K.Ekg besteht aus einer ersten stets niedrigen, aufwärtsgerichteten und einer ihr unmittelbar folgenden steil ab- wärtsgerichteteun Zacke. Man kann diese Zacken, Einthoven’s Nomenklatur folgend, als kleine R- und tiefe S-Zacke bezeichnen. Die Nachschwankung ist in allen meinen Kurven diphasisch mit 1) Man orientiert sich über diese Frage bei R. du Bois-Reymond, Physiol. d. Bewegung, in Winterstein’s Handb. d. vergl. Physiol. Bd. 3 S. 9. 1911; ferner im Lehrb. d. vergl. Physiol. d. Haussäugetiere von BElEn ae und Seheumen! S. 541. 1910. Das Pferde-Ekg. 7 höherer, abwärtsgerichteter, erster Phase. In Fig. 4 ist deutlich (in sämtlichen Ekg vorhanden) nach der Nachschwankung eine kleine flache, aufwärtsgerichtete Zacke!) zu sehen, welche nach Einthoven mit Ü bezeichnet werden müsste. Diese Zacke, welche nach den Untersuchungen von Lewis und Gilder?) in den Ekg vieler gesunder Menschen zu finden ist, führt Hering?) neuestens auf Vorgänge im Gefässsysteme genetisch zurück. Gleich Nörr erscheint mir diese Form des Ekg für das Pferd besonders typisch. Es wäre aber, wozu ich trotz aller Anstrengungen wegen eigentümlicher lokaler Verhältnisse bisher keine Gelegenheit hatte, zu untersuchen, ob diese Kurvenform nicht eine Eigentüm- lichkeit aller unserer grossen Haustiere, eventuell auch ihrer weiteren Verwandten, darstellt. Nörr hat einige Zeitmaasse für die Dauer einzelner Zacken des Pferde-Ekg gegeben. Die Vorhofzacke dauert danach 0,08—0,12, die R-Zacke 0,04—0,08, die T-Zacke 0,1 Sekunden, während die Pause zwischen Vor- und Nachschwankung 0,2—0,36 Sek. beträgt. Diese Werte wären nach den mir vorliegenden Kurven folgender- maassen zu ergänzen. Die ganze Herzperiode beim Pferde, vom Beginne des V.Ekg bis zum Ende der Nachschwankung gemessen, beträgt 0,85—0,91 Sekunde. Davon entfallen auf das K.Eke 0,49 bis 0,62 Sekunde, also ein im Verhältnis zum Menschen langer Zeit- wert*). Es ist gewiss von Interesse, diese Werte mit den bei mecha- nischer Verzeiehnung der Herztätigkeit beim Pferde gewonnenen zu vergleichen. Dazu können die auch heute noch vorbildlichen Kurven dienen, welehe Chauveau und Marey mit ihren Herzsonden registriert haben. Wir bringen in Fig. 5 eine Zusammenstellung elektrischer und mechanischer Herzkurven, welche aus den Vorhof- und Kammer- druckkurven dieser Autoren?) sowie aus je einem Ekg bei Ab- leitung II und Ableitung a—-b konstruiert wurde. 1) Diese Zacke tritt auf den Originalkopien, welche jedem auf Verlangen zur Verfügung stehen, naturgemäss viel deutlicher hervor als in der Reproduktion. 2) Th. Lewis and M.D. D. Gilder, Philos. Transact. of the Roy. Soc. of London, B. vol. 202 p. 351. 1912. 8) H. E. Hering, Erklärungsversuch der U-Zacke des Elektrokardiogramms als Elektroangiogramm. Pflüger’s Arch. Bd. 151 S. 111. 1913. 4) Vgl. die entsprechenden Werte bei R. H. Kahn, Das Elektrokardio- gramm. Ergebn. d. Physiol. Bd. 14 S. 92. 1913. 5) E.J.Marey, Physiol. medic. d.l. circulation du sang p.88 Fig. 10. Paris 1863. 8 R. H. Kahn: In Fig. 5 sind in ein Koordinatensystem, dessen einzelne Teile in der Abszisse 0,1 Sek. betragen, zwei Ekg desselben Pferdes in natürlicher Grösse eingetragen. Die Frequenz des Herzschlages be- trug zur Zeit der Aufnahme 42 pro Sekunde. Das obere Ekg ist bei Ableitung II, das untere bei Ableitung a—b gewonnen. Weiter findet man die Vorhof- und Kammerdruckkurve eines Pferdes nach Chauveau und Marey (obere und untere Kurvenlinie) in andert- halbfacher Vergrösserung mit genauen relativen Zeitverhältnissen u VE UN VE EEE EEE EL EL I— Fig. 5. eingesetzt. Bei dieser Vergrösserung stimmen die Zeitwerte der Abszissen von Eke und Druckkurven genau überein. Es handelt sich bei letzteren um den rechten Vorhof und die linke Kammer; die Pulsfrequenz dieses Tieres betrug 54 in der Sekunde. Die Ekg und die Druckkurven sind nach jenen Erfahrungen in der Fig. 5 zueinander orientiert, welche zuerst von mir!) bei gleich- zeitiger Verzeichnung des Eks und des Druckes in der linken Kammer beim Hunde gemacht worden sind. Dabei hatte es sich l) R. H. Kahn, Beiträge zur Kenntnis des Elektrokardiogramms. Pflüger’s Arch. Bd. 126 S. 197. 1909. — R. H. Kahn, Elektrokardiogramm- studien. Pflüger’s Arch. Bd. 140 S. 627. 1911. — Siehe auch: Ergebn. d. Physiol. Bd. 14 S. 83. 1913. Das Pferde-Ekg. 9 herausgestellt, dass der Beginn des Druckanstieges in der linken Kammer zeitlich mit dem Ende der Vorschwankung zusammenfällt. In den beiden Ekg stimmen diese letzteren Momente zeitlich gut miteinander überein, und in der Kammerdruckkurve ist der Moment des beginnenden Druckanstieges scharf markiert. Es wäre zweifellos günstiger gewesen, statt der Kurven von Chauveau und Marey solche zu benützen, welche gleichzeitig mit dem Ekg vom gleichen Tiere aufgenommen worden wären. Solche stehen mir nicht zur Verfügung. Auch den Spitzenstoss unter den in meinen Experimenten herrschenden Verhältnissen gleichzeitig mit dem Ekg in einwandfreier Weise aufzunehmen, ist mir bisher mit den vorhandenen Mitteln nicht gelungen. Indessen dürften doch vorläufig auch trotz des Umstandes, dass die Schlag- frequenz bei den beiden Tieren, wie schon erwähnt, nicht ganz die gleiche war, beiderlei Kurven ganz gut vergleichbar sein. Die Dauer der mechanischen Systole beträgt in den Kammer- drucekkurven etwas über 0,6 Sekunden. Die Anspannungszeit fällt auch beim Pferde in die der Vorschwankung folgende Pause im K.Ekg; die Austreibungszeit umfasst zeitlich den Rest der letzteren und die Nachschwankung. Da diese kein scharfes Ende erkennen lässt, kann man über ihr zeitliches Verhalten zum Beginne der Diastole nichts Bestimmtes aussagen. Jedenfalls fallen kleine, der „I-Zacke“ folgende (bei beiden Ableitungen vorhandene) Zacken noch in das Ende der Austreibungszeit. Indem wir den Beginn des Kammerdruckanstieges mit dem Ende der Vorsehwankung zeitlich identifizieren, zeigt sich auch hier, dass der Anfang des K.Ekg dem Anfange der mechanisch registrier- baren Kammersystole um einen so bedeutenden Zeitwert (ca. 0,13 Sek.) vorangeht, dass an eine Zusammengehöriskeit des Beginnes der beiden Erscheinungen in genetischer Hinsicht nicht gedacht werden kann!). Tatsächlich hat sich im Verlaufe der glänzenden Unter- suchungen, welche von den Schülern Garten’s?) in jüngster Zeit angestellt wurden, herausgestellt, dass das K.Ekg deutlich früher beginnt als die an verschiedenen Stellen der Oberfläche des Kammer- muskels ableitbaren lokalen Rlektrogramme. Wenn sieh auch die 1) Vgl. hierzu R.H. Kahn, Ergebn. d. Physiol. Bd. 14 S. 225 u. 241. 1913. 2) W. Erfmann, Ein Beitrag zur Kenntnis der Fortleitung des Er- regungsvorganges im Warmblüterherzen. Zeitschr. f. Biol. Bd. 61 S. 155. 1913. 10 R. H. Kahn: durch Vergleichung des K.Ekg mit den mechanisch registrierten Kurven experimentell erhobenen zeitlichen Differenzen zwischen dem Beginne der elektrischen und mechanischen Erscheinungen als zu gross ergeben sollten, so wird die darauf begründete Annahme, der Beginn des K. Ekg entspreche der Aktion im Kammerinnern gelegener Teile, immer mehr experimentell gestützt. Die Überleitungszeit in den Kurven von Chauveau und Marey, gemessen vom Beginne der Vorhofsdrucksteigerung bis zum Anfang des Kammerdruckanstieges (oberste und unterste Kurven- linie in Fig. 5), beträgt 0,3 Sekunden. Im Ekg ergibt sich bei der Bestimmung der Überleitungszeit eine Schwierigkeit, welche durch die dem Pferde typische Form des V.Ekg hervorgerufen ist. Wie schon erwähnt, besteht dasselbe bei Ableitung II, ebenso wie bei Ableitung a—b, aus zwei einander unmittelbar folgenden Erhebungen in der Kurve. Hierbei ist die erste Zacke stets niedriger als die zweite. Auch sind beide, soweit man das ausmessen kann, von etwas verschiedener Dauer. Nörr findet, dass die Vorhofs- schwankung (P), als welche er die zweite der in Rede stehenden Zacken bezeichnet, 0,08 bis 0,12 Sek. dauert, und dass die ihr vorangehende Zacke stets um die Hälfte kleiner und kürzer ist. Was die zeitlichen Verhältnisse anlangt, finde ich in meinen Kurven, dass die erste Zacke nur wenig kürzer dauert als die zweite; bei Ableitung II z. B. 0,05 zu 0,07 Sek., bei Ableitung a—b 0,07 zu 0,08 Sek., so dass also die ganze Erscheinung den Wert von 0,12 bis 0,15 Sek. erreicht. Was die relative Ausbildung der beiden Zacken anlangt, so kommt es wesentlich auf die Art der Ableitung an. Während bei den genannten Arten der Ableitung die erste Zacke gegenüber der zweiten stark zurückzutreten pflegt (bei II mehr als bei a—b), ist das bei gewissen anderen Arten nicht der Fall. Hier ist am meisten eine solche Lage der Ableitungselektroden zu empfehlen, bei der die Verbindungslinie derselben die beiden Vorhöfe schneidet, also etwa als Ableitungsstellen die obenerwähnten Punkte ce und ec, (Fig. 1). Fig. 6 zeigt das Ekg bei dieser Ableitung (c—c,). Dem Pferde charakteristisch ist hier die Aufeinanderfolge zweier stets ziemlich gleichwertiger Zacken im Vorhofteile. Ja, es kann verkommen, dass bei dieser Anordnung die erste Zacke die bedeutendere ist, wofür noch ein Beispiel gegeben werden wird. Stets ist hierbei das Das Pferde-Ekg. 11 K.Ekg infolge der dafür ungünstigen Ableitungsverhältnisse un- ansehnlich. Misst man die Überleitungszeit im Ekg vom Beginne der ersten dieser Zacken bis zum Beeinne des K.Ekg, so kommt man zu grossen Zeitwerten, welche zwischen 0,29 und 0,34 Sek. bei ver- schiedenen Tieren und Ableitungen schwanken. Wie man sieht, entsprechen einander die Zeitwerte, welche zwischen dem Beginne der mechanischen und der elektrischen Kurven von Vorhof und Kammer liegen, ziemlich genau. Die wahre Überleitungszeit stellt jedoch keiner von beiden Werten dar, da die Überleitung zwar in ihrem Beginne nicht präzise festgestellt, keinesfalls aber vom An- fange der Vorhofstätigkeit gerechnet werden kann. Was die Genese der beiden, den Vorhofsteil des Eke beim Pferde typisch bildenden Zacken anlangt, so lässt sich eine be- stimmte Erklärung ihres Zustandekommens derzeit nicht geben. Eintihoven, dessen Aufnahme eines Pferde-Ekg von v. Tschermak!) ‚veröffentlicht wurde, bezeichnet die erste der beiden Zacken als „Hohlvenenspitze“. Sie ist in der betreffenden Kurve eben angedeutet. Nörr fasst die erste Zacke ebenfalls als Hohlvenenspitze auf, be- zeichnet sie gleich Einthoven mit O, gibt aber an, oft vor ihr noch eine kleinere Zacke beobachtet zu haben. Ich finde eine solche in keiner meiner Kurven deutlich ausgesprochen. Sie ist jedoch bei Nörr in der von ihm vorgeführten Kurve (Pferd 25, Taf. VII) eigent- lich auch nicht scharf ausgeprägt. Vielmehr ist die Kurve dadurch charakterisiert, dass an gewissen Stellen des Ekg eine eigentümliche Saitenunruhe vorhanden ist, welche sich bei allen Herzschlägen mit 1) A. v. Tschermak, Lehre von den bioelektrischen Strömen. Ellen- berger und Scheunert, Lehrb. d. vergl. Physiol. d. Haussäugetiere 8.506. 1910. 12 R. H. Kahn: ziemlicher Reselmässigkeit wiederholt. Das gleiche habe ich in einem Falle ebenfalls beobachtet. Auch hier ist die Saitenunruhe vornehmlich unmittelbar vor dem V.Ekg, ferner in der Pause zwischen Vor- und Nachschwankung und auch nach der letzteren deutlich ausgesprochen. Bei manchen Herzschlägen könnte man auch hier, aber, wie mir scheint, mit wenig Sicherheit, eine dritte Zacke im Sinne von Nörr konstatieren. Es sind indessen, wie erwähnt, auch noch andere kleine Saitenschwankungen mit einiger Regelmässigkeit vorhanden. Endlich ist anzuführen, dass Nörr meint, der Beweis, dass die erste der beiden Zacken der Kontraktion der Hohlvene entspreche, sei noch zu erbringen. Tatsächlich fehlt für die Annahme, dass ein gelegentlich früher beobachteter erster Teil eines geteilten V.Ekg der Tätigkeit des Sinusknotens entspreche, jeder Beweis. Ich habe anderenorts!) auf die hier möglicherweise herrschenden Verhältnisse hingewiesen. In- dessen ist wohl hervorzuheben, dass gerade bei Tieren mit relativ langsam sich vollziehender Herztätigkeit (lange Dauer der einzelnen Phasen) ein regelmässiger derartiger Befund immerhin an die er- wähnte Möglichkeit denken lässt; zumal wenn man bedenkt, dass nach den ausgezeichneten Untersuchungen von Sulze?) am Hunde der Beginn der elektrischen Erscheinungen in Muskelpartien des Vorhofes, welche dem Sinusknoten enge benachbart sind, erst mit einer ganz unverhältnismässig grossen Verspätung gegenüber dessen Tätigkeit zu beobachten sind. Die Ursachen, welche etwa hier in Betracht zu ziehen wären, könnten eventuell auch im Vorhofsteile des Ekg eine Zweiteilung bedingen, welche eine Scheidung der Sinustätigkeit von jener der übrigen Vorhofsmuskulatur in der elek- trischen Kurve zum Ausdruck brächte. Und bei grossen, verhältnis- mässig langsam arbeitenden Herzen könnte eine solche Erscheinung mit Regelmässigkeit zu beobachten sein. Jedoch sind solche An- nahmen nicht zwingend. Man kann die beiden Teile des V.Ekg mit der gleichen geringen Berechtigung auch auf die Tätigkeit der beiden grob anatomisch getrennten Vorhöfe beziehen. Endlich kann man auch annehmen, dass es infolge der vorläufig wenig genau ge- kannten, besonderen Anordnung der Muskulatur der Vorhöfe zu einer 1) Ergebn. d. Physiol. Bd. 14 S. 212. 1913. 2) W. Sulze, Ein Beitrag zur Kenntnis des Erregungsablaufs im Säuge- tierherzen. Zeitschr. f. Biol. Bd. 60 S. 495. 1913. Das Pferde-Ekg. 13 besonderen Art der Ausbreitung der Erregung über den Muskel- komplex der Vorhöfe kommen könnte. Hierbei müsste die Potential- differenz an den Ableitungsstellen während der Vorhofstätigkeit nicht eleichmässig zunehmend ihr Maximum erreichen, sondern es könnte der gleichmässige Verlauf für kurze Zeit durch eine Abnahme der- selben unterbrochen werden. Allerdings sprieht gegen die letzterwähnte Anschauung einiger- maassen der in unserem Falle herrschende Umstand, dass die Er- scheinung bei den verschiedensten Ableitungen charakteristisch hervor- tritt. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das gegenseitige Ver- hältnis der beiden Teile des V. Ekg bei verschiedenen Ableitungen ein sehr verschiedenes zu sein pflegt. Auch der Vergleich des Pferde-Ekg mit den Druckkurven in zeit- licher Hinsicht führt zu keinem bestimmten Resultate. Wie unsere Fig. 5 zeigt, sind die Zeiten zwischen dem Anfang des V.Ekg bzw. des K.Ekg und dem Anstiegsbeginne der Vorhofs- bzw. Kammerdruck- kurve etwa gleich lang. Sie betragen etwa 0,13 Sek. Die relative Länge dieser Zeit ist bei den Kammerkurven offenbar so zu erklären, dass sich in ihrem ersten Teile der elektrische Ausdruck der Tätigkeit solcher Abschnitte der Herzkammer abspielt, welche zur mechanischen Erscheinung (Druckkurve) nichts beitragen. Bei den Vorhofskurven ist das eleiche nicht anzunehmen, und daher erscheint bei der An- nahme, der Beginn des V.Ekg entspreche der Erregungsausbreitung über die Vorhofsmuskulatur, der Zeitwert von 0,13 Sek. auffallend gross. Ein viel annehmbarerer Wert, nämlich etwa 0,05 Sek., würde sich ergeben, sobald man annehmen wollte, dass die erste Zacke des V.Ekg der Sinustätigkeit entspreche, während erst die zweite Zacke desselben zur Tätigkeit der Vorhöfe gehöre. Es würde sich aus solchen Betrachtungen also ergeben, dass im Pferde-Ekg regel- mässie die Tätigkeit des Hohlvenensinus zum Ausdrucke kommt. Indessen ist darauf hinzuweisen, dass die erhebliche Zeit von 0,13 Sek. zwischen dem Beginne des V.Ekg und dem Anfange des Vorhofdruckanstieges noch aus einem anderen Grunde erklärt werden könnte. Während es heute als feststehend gilt, dass die austreibende Muskulatur der Kammern plötzlich und gleichzeitig in Tätigkeit verfällt, lässt sich für die Muskulatur der Vorhöfe mit grosser Wahrscheinlichkeit das Gegenteil annehmen. Die Erregung breitet sich hier allmählich über die Muskelmasse aus. Aus diesem Grunde liesse es sich erwarten, dass der Vorhofdruckanstieg erst verhältnis- 14 R. H. Kahn: mässig spät nach dem Beginne der Erregungsausbreitung über die Vorhöfe in Erscheinung treten könnte. Allerdings handelt es sich in unseren Kurven um den Druck im rechten Vorhofe, dessen Muskulatur zuerst von der Erregung ergriffen werden dürfte. Immer- hin ist die Zeit von 0,13 Sek. auffallend lang. Wie man sieht, gelangt man auch auf diesem Wege zu keiner sicheren Entscheidung in unserer Frage. Jedoch wäre dieselbe zweifellos experimentell dadurch zu lösen, dass man in der Lage wäre, am freigelegten Pferdeherzen, dessen Ekg verzeichnet wird, mit mechanischer Registrierung zu experimentieren. Das bleibt wohl einem tierärztlichen Institute vorbehalten. Hier sei noch darauf hingewiesen, dass sich die grossen, relativ langsam arbeitenden Fig. 7. Herzen der grossen Schlachttiere zur Gewinnung von mancherlei Aufklärung in unseren Fragen offenbar sehr gut eignen dürften. Einige Worte mögen noch den Erscheinungen im Pferde-Ekg bei Überleitungsstörungen gewidmet sein. Nörr hat im Ekg solche Störungen in 16°o der untersuchten Fälle gefunden. Ich habe einen Fall von Kammersystolenausfall beobachtet. Von diesem Tiere wurden in verschiedenen Ableitungen sechs Aufnahmen gemacht. Es ergaben sich hierbei zwei charakteristische Erscheinungen. In allen vier Kurven der Ableitung d—d, war erstens die Doppelzacke des V.Ekg von einer dritten flachen, abwärtsgerichteten und lang andauernden Zacke gefolgt, welche sich zweitens in jenen Fällen, in denen die Kammerschläge ausfielen, zum V.Ekg gehörig erwies. Fig. 7 zeigt diese Erscheinung an einem vollständigen Herz- schlage bei Ableitung d—d,. Die V.Ekg sind hier auch durch den Umstand bemerkenswert, dass die erste Zacke die höchste ist. Es handelt sich offenbar um die gleiche Erscheinung, welche Nörr bei Das Pferde-Ekg. 15 seinem Pferde Nr. 8 beschreibt. Nur findet sich die Zacke bei einer anderen Ableitung und ist abwärts gerichtet. Sie liesse sich viel- leicht ebenfalls als eine Nachschwankung des V.Ekg auffassen. Endlich sei im Hinblick auf das offenbar relativ häufig beim Pferde zu beobachtende Vorkommen von Leitungsstörungen bemerkt, dass es nicht ausgeschlossen erscheint, bei sorgfältiger Beobachtung zahlreicher Fälle die bisher niemals am Tiere oder Menschen im Ekg beobachtete Leitungsunterbrechung zwischen Sinus und Vor- kammer, also einen Vorkammersystolenausfall, zu beobachten und damit die Zugehöriekeit der ersten Vorhofzacke zur Tätigkeit des Venensinus direkt zu erweisen. | 16 A. Kuyer und I. A. Wijsenbeek: (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.) Über Entgiftungserregung und Entgiftungs- hemmunge. Von A. Kuyer und I. A. Wijsenbeek. (Mit 15 Textfiguren.) Im vorigen Jahre sind von P. Neukirch!) im hiesigen Institut Versuche über die Wirkung des Pilokarpins auf den überlebenden Darm angestellt worden. Zu diesen Experimenten wurde Kaninchen- darm in Tyrode’scher Flüssigkeit verwendet. Bei dem Versuche, die Reversibilität der eingetretenen Pilokarpinvergiftung festzustellen, stellte sich alsbald die merkwürdige Tatsache heraus, dass bei dem Ersatz der pilokarpinhaltenden Aussenflüssigkeit durch reine Tyrode’sche Lösung eine starke Tonussteigerung auftrat, fast so stark, als hätte man eine neue Dosis Pilokarpin zugefügt. Dieses Phänomen ist ausserdem schon gelegentlich durch OÖ. B. Meyer?) bei Versuchen über Adrenalinwirkung auf die isolierte Rindssubelavia gesehen worden. Der Befund wurde kürzlich von Proehnow°) bestätigt. Dale und Laidlaw‘*) bildeten eine ähnliche Kurve vom Meerschweinuterus bei Histaminvereiftung ab. P. Trendelenburg?) sah bei Versuchen an der überlebenden isolierten Bronchialmuskulatur vom Rind dasselbe Phänomen als inkonstante Erscheinung bei der Vergiftung mit Arekolin urd Pilokarpin auftreten. Weitere Angaben 1) P. Neukirch, Physiologische Wertbestimmung am Dünndarm (nebst Bei- trägen zur Wirkungsweise des Pilokarpins). Pflüger’s Arch. Bd. 147 8.153. 1912. 2) O0. B. Meyer, Versuche mit Kokain-Adrenalin und Andolin an über- lebenden Blutgefässen. Zeitschr. f. Biol. Bd. 50 S. 93. 1908. 3) L. Prochnow, Über die Wirkung der Haloidsalze des Natriums auf die glatte Muskulatur usw. Arch. intern. de Pharm. vol. 21 p. 287. 1911. 4)H. H. Dale and P.P. Laidlaw, The physical action of #-Iminazolylaethyl- amine. Journ. of Physiol. vol. 41 p. 318. 1910. 5) Paul Trendelenburg, Physiologische und pharmakologische Unter- suchungen an der isolierten Bronchialmuskulatur. Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 69 S. 79. 1912. Über Entgiftungserregung und Entgiftungshemmung. 7 sind uns bisher nicht bekannt geworden. Alle Untersucher, mit Ausnahme von Neukirch, konnten das Phänomen nur als zufälliges und inkonstantes Versuchsresultat erhalten. Neukirch erhielt dasselbe bei bestimmten Pilokarpindosen und konstanter Versuchs- technik als sicheres Resultat. Neukirch hat diese bei Wasser- wechsel auftretende Erregung erklärt durch das Auswandern des Giftes aus dem vereifteten Organ in die Aussenflüssigkeit, in welcher die Giftkonzentration plötzlich sehr stark herabgesetzt ist. Tat- sächlich konnte Neukirch ein solches Auswandern des Pilokarpins in die Aussenflüssigkeit durch physiologische Testversuche quantitativ nachweisen. Ferner gelang es ihm in einigen Fällen durch Zufügen einer Pilokarpindosis zur Aussenflüssigkeit, welche einen normalen Darm in starke Erregung versetzt haben würde, die Wasserwechsel- erregung zu hemmen. Und drittens konnte die Wasserwechsel- erregung durch eine kleine Atropindosis antagonistisch aufgehoben werden, was ebenfalls dafür sprach, dass es sich dabei um eine Bilokarpinerregung handelte. Aus diesen Gründen sah Neukirch in dem Auswandern des Pilokarpins die Ursache der Wasserwechsel- erregung. Ohne sich auf besondere Versuche zu stützen, haben 0.B. Meyer und P. Trendelenburg das Phänomen ebenfalls auf Auswandern des Giftes bezogen. Wir haben uns die Aufgabe gestellt zu untersuchen, ob dasselbe Phänomen sich mit einer grösseren Anzahl von Giften an verschiedenen Organen von verschiedenen Versuchs- tieren hervorrufen liesse und ob die Bedingungen seines Eintretens genauer festgestellt werden könnten. Wir haben daher Versuche am Dünndarm von Kaninchen und Katze. am Uterus von Kaninchen, Katze, Meerschweinchen und Ratte und am Froschherzen angestellt. Die verwendeten Gifte waren: Pilokarpin, Physostigmin, Adrenalin, g-Strophantin, Muskarin, Tyramin, Histamin, Arekolin, BaC],. Methodik. Die Methodik war die gleiche, wie sie Neukirch bei seinen obenerwähnten Versuchen verwendet hat. Zu den Darmversuchen wurde dem frisch getöteten Tier ein Stück Dünndarm entnommen und sofort in eine Schale mit Tyrode’scher Flüssigkeit!) von ca. 32°C. gebracht. Der Darm wurde dann ausgespült und in eine andere Schale mit reiner Tyrode’scher Flüssigkeit von 37° C. übertragen, durch welche Sauerstoff perlte. Darmstücke von ca. 3 cm Länge wurden dann abgeschnitten und in den durch Neukirch abgebildeten Glas- D) M.V. Tyrode, The mode of action of some purgative salts.. Arch. intern. de Pharm. vol. 20. 1910, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 2 13 A. Kuyer und I, A. Wijsenbeek:. gefässen von 100 ccm Inhalt aufgehängt. In diese münden von unten zwei Glasröhrchen ein, von denen das eine für die Sauerstoffzufuhr, das andere für das Absaugen der Tyrode’schen Flüssigkeit beim Wasserwechsel diente. Die Glasgefässe standen in einem gemeinsamen Wasserbad, das durch einen Thermoregulator auf Körpertemperatur gehalten wurde; die Kontraktionen wurden durch Schreibhebel auf dem Kymographion registriert, das sich mit einer Geschwindigkeit von ca. 20 mm pro Minute bewegte. Dieselben Glasgefässe wurden auch bei den Experimenten am überlebenden Uterus verwendet. Der Uterus wurde deın frisch getöteten Tier vorsichtig mit einem möglichst grossen Stück der Vagina entnommen. Bei der Präparation wurde der Uterus selbst nicht berührt. Von jedem Uterus wurden drei Präparate hergestellt: die beiden Hörner und ein Stück Cervix + Vagina. Zur Registrierung wurden besonders leichte Hebel verwendet. Die Hörner und Cervix + Vagina zeigen verschiedene Typen von Spontanbewegung. Der Rattenuterus beginnt bereits nach kurzer Zeit starke Spontanbewegungen auszuführen, während die Uteri der anderen Tiere gewöhnlich träger sind und deshalb sich manchmal weniger gut zu Versuchen mit hemmenden Giften eignen. Stets kontrahierten die Präparate aus Cervix +4 Vagina sich lebhafter als die Hörner. Nachdem das Präparat eine genügende Normalperiode registriert hatte, wurde das zu untersuchende Gift zugesetzt und, nachdem sich die charakteristische Giftwirkung voll entwickelt hatte, verschieden lange Zeit (/—1 Stunde, in den meisten Fällen !/2 Stunde) gewartet. Darauf wurde der „Wasserwechsel“ vorgenommen, Zu diesem Zwecke wurde an dem einen Seitenröhrchen des Versuchsgefässes ein Gummi- schlauch befestigt, dessen anderes Ende mit einer Waschflasche in Verbindung stand. Hierdurch wurde nun soviel von der Tyrode’schen . Flüssigkeit aus dem Versuchsgefäss abgesaugt, dass das Darmstück noch gerade von der Flüssigkeit bedeckt blieb. Da die Versuchsgefässe hoch und schmal sind und nur kurze Darmstücke zur Verwendung kamen, so wurden hierbei ungefähr zwei Drittel der Flüssigkeit ent- fernt. Wir liessen darauf aus einer Pipette mit weiter Öffnung reine Tyrode’sche Flüssigkeit von oben schnell zulaufen. ‘Dieses Verfahren wurde dreimal wiederholt. Ein solches dreimaliges Auswaschen wird im folgenden als W. (= Wasserwechsel) bezeichnet. Wir haben uns in zahlreichen Kontrollversuchen davon überzeugt, dass, wenn die Temperatur der zufliessenden Flüssigkeit genau die gleiche ist wie die im Versuchsgefässe, die Bewegungen normaler Darm- und Uterus- präparate durch den Wasserwechsel in keiner Weise beeinflusst werden. Wir haben daher bei allen Versuchen sorgfältig Temperaturunterschiede vermieden. Versuche. 1. Physostigmin (Physostieminum salieylicum Merck). A. Versuche am Darm. Die Versuchsergebnisse sollen an der Hand der einzelnen Kurven geschildert werden. Fig. 1 zeigt die Bewegungen einer sich Über Entgiftungserregung und Entgiftungshemmung. regelmässig kontrahierenden Kaninchendarısschlinge. Bei a wird Y/so mg Physostiemin in 1 cem Tyrode zugesetzt. Der Darm reagiert hierauf mit Tonussteigerung und unregelmässigen Kontrak- tionen. Nach 15 Minuten wird Wasserwechsel vorge- nommen. Hierauf sinkt der Tonus wieder zur Norm ab, und die Darmbewegungen nehmen wieder normale Form an. Die Vergiftung ist also in diesem Falle rein reversibel.e. Eine Wasser- wechselerregung ist nicht eingetreten. Dasist bei Ver- wendung so kleiner Physo- stigmindosen die Regel. Auch nach Vereiftung mit lme Physostigmin haben wir in vier von fünf Fällen keine Wasserwechselerregung be- obachtet. Verwendet man dagegen als erregende Dosis 5 mg, So tritt konstant eine deutliche Wasserwechsel- erregung auf, einerlei ob der W. nach 15, 30 oder 45 Minuten ausgeführt wird. Gerade so tritt nach Ver- wendung von 10—50 mg Physostigmin konstant nach W. eine Erregung auf (Fig. 2 und 3). In einem unserer Ver- suche handelte es sich um eine Darmschlinge, welche 11h 977 !/so mg Physostigmin zugesetzt. r etwas ab. 11h 42’ 11. Juni 1912. Die Darauf langsame Tonus- 11h 57’ bei 5b W. Der Tonus sinkt ab. 11h 42' bei a Danach sinkt der Tonus wiede periode. Kaninchendarm. Normal Biol. zunahme und unregelmässige Kontraktionen. Kontraktionen werden regelmässig. ‘SAInyy Jop UHNYUISqY SOAO]TEJS UIO UIOPUOS Fundoumg onau HuraN 957]0719 nereq 'Syonsıo‘ sap Zuezuy wı se 3230s08nz (Sw (7) SIsopumansosäg.] aqfeseıp AopeIm 9 adumyosunee] A9p JIOYZISSHguoSSnYy ınz Pam > 10T 7 1oq uaysdıuom we pun Y 1oq usgsyıejs we ‘us Sunsarıg-" 4 AL uaduryog Teap uopfe uw °(q) Jıynzossne *y uayonsıay Toıp uaıje ur palm opunyg 3, yOeN (0) 399p1819A umusnsosäyg Su Q] Aw 9 ‘08 wu g ‘0g wu P_ "uaduıyosunepusyaurueyy Taalı "ZIGT YonsasasdansspoA 'Z "14 » u ER EIN af ; e NIE RITTER Ka > STE E3 ee; A, Kuyer und I, A, Wijsenbeek "op Über Entgiftungserregung und Entgiftungshemmung. 2 keine Spontanbewegungen ausführte (Fig. 4). Zusatz von 50 mg Physostigmin bei « löste nur eine minimale Kontraktion aus. Nach 40 Minuten wurde, nachdem der Darm keine weitere Ver- änderung gezeist hatte, W. ausgeführt. Dieser führte zu einer langsam ansteigenden, aber sehr energischen Kontraktion, welche an Höhe die anfängliche Physostigminwirkung weit übertraf. Noch nach 100 Minuten, als der Versuch abgebrochen wurde, war die Darmschlinge in maximaler tetanischer Kontraktion. In einer Reihe von Versuchen haben wir, nachdem die W.-Er- regung voll ausgebildet war, durch Zusatz von Physostigmin zur Aussenflüssigkeit dieselbe wieder aufheben können. Zu diesem Fig. 3. 12. Juni 1912. Kaninchendarm. 10% 46’ bei a Zusatz von 10 mg Physostigmin. Starke Tonuszunahme. 115 4’ beid W. Hochgradige Kontraktion, welche an Höhe die ursprüngliche Physostigminerregung übertrifft. Zwecke ist es nötig, die zuzusetzende Dosis nicht zu klein zu nehmen. Am sichersten geht man, wenn man dieselbe Dosis wählt, welche im Anfang des Versuches zugesetzt war (Fig. 2 Cc, 10 mg). Dann stellt man in der Aussenflüssigkeit dieselbe Giftkonzentration wieder her, bei welcher sich in der ersten Periode des Versuches der Darm mit dem Gifte beladen hatte, und kann auf diese Weise am sichersten ein Auswandern des Giftes verhindern. In dem Versuche, dem Fig. 5 entstammt, wurden bei a 10 mg Physostigmin zugefügt. Darauf Kontraktion, die wieder abnimmt und später wieder ansteigt. Nach 3/s Stunde (db) erfolgt auf W. deutliche und kräftige Erregung. Bei e wird dann 1 mg Physostigmin zur Aussenflüssigkeit zugesetzt. Schon diese Dosis genügt, um die Erregung zu vermindern. Es werden dann weitere Einzeldosen von je 1 mg Physostigmin zu- gesetzt, bis der Tonus wieder zum Ausgangswert zurückgekehrt ist. -Zung3umg AOy1BIS nz Jayny "MA > 10q ‚SIT usl °P) nesrrusguessny wnz Snuo], Jop Iyyuis Sur T TeunaIA UaIOjloM UOA zyesnz gen 'OWwgeugesnuo]L J11M8q “mwsysosäyg Su j uUoA zyesnzZ 9 TQ ‚9G ull -Sundaum- NM Q 10q ‚og ul] vuyeunz -Snuo], 'uwsnysosäyg sw OT » 100 ‚27 vol -uodunsomoquejuodg usqdapgas Au waepusyaumeyp 'SI6T Tunf "oT "S "SLH -Sundamnoquejuodg auyo ouyeunzsuuo], asyıuıs "M Q 184 up 'Sme UOnSrodT oyewrurm Hu AnU JSO] umusıgsosiyg "Su 0G © 109 ‚06 u& -ogungdmaquejuodg auyo wuepuompuruey "SI6L lunf 'G 7 "SH A. Kuyer und I. A. Wijsenbeek 22 Über Entgiftungserregung und Entgiftungshemmung. 23 Das ist nach 5 mg (d) der Fall. Bei e ruft dann ein zweiter W. von neuem eine Erregung hervor. Die Versuche mit Physostigmin am Darm zeigen demnach, dass nach Vergiftung mit kleinen Dosen Physostigmin (bis zu 1 mg in 100 cem Tyrode) keine W.-Erregung zu beobachten ist, dass diese dagegen nach grösseren Dosen (5—50 mg) mit Sicherheit auftritt. Diese selbe Gesetzmässigkeit hat sich bei allen unseren weiteren Versuchen bestätigt. B. Versuche am Uterus. Nach Vergiftung des Uterus von Kaninchen und Katzen mit Dosen von 1—30 mg Physostigmin hat W. nur ein Absinken der Kurve zur Folge. Nach 50 mg tritt auf W. keine Veränderung, nach 100 mg (am Katzenuterus) eine Erregung auf. Bei diesem letzteren Versuch (100 mg) wurde die Flüssigkeit, die vor dem W. infolge der Oxydationsprodukte des Physostigmins rot gefärbt war, nach dem W. farblos. Kurze Zeit danach war die Aussen- flüssigkeit wieder deutlich rot gefärbt. Man konnte auf diese Weise das Auswandern des Giftes direkt sehen. Die kleinste Physostigmindosis, nach welcher W. eine Erregung gibt, ist beim Uterus viel höher (100 me) als beim Darm (5 mg). Dieser gleiche Unterschied fand sich auch bei allen anderen von uns untersuchten Giften. Ausserdem gilt auch am Uterus die Regel, Versuche am Darm. | Kaninchen 50 mg 105me2 , 5emg 1 mg Use mg Physostigmin POSIUVE 3. 8.2 7. 11 2 3 1 — kein Einfluss... . — _ — — — ner av nen — — —_ 4 4 Versuche am Uterus. Kaninchen ; Katze 30 mg | 20 mg |]10 mg | 1 mg | 100 mg | 50 mg | 30 mg | 10 mg) 5 mg Physostigmin positiv. . . . — — — — 1 — ar gu en kein Einfluss. — —_ —_ — == negativ. . . . 1 al is 1 — _ 1 1 1 je \ | | 24 A. Kuyer und I. A. Wijsenbeek: 3h 42’ bei b W. Tonuszunahme. Tonussteigerung. Katzenuterus. Fig. 6. 18. Dez. 1912. 3ıh 15’ bei a Zusatz von 300 mg Pilokarpin. dass nach kleinen Physostigmindosen auf W. die Erregung einfach zurückgeht, nach mittleren Dosen unbeeinflusst bleibt und dass erst nach Vergiftung mit grossen Dosen W. zu Erregung Anlass gibt. Die Resultate unserer Versuche am Darm und Uterus sind in den vor- stehenden Tabellen (S. 23) zusammen- gestellt. 2. Pilokarpin (Pilocarpinum hydrochlor. Merck). A. Versuche am Darm. Wir haben die Versuche von Neu- kirch mit Pilokarpin wiederholt und können sie durchaus bestätigen. B. Versuche am Uterus. Am Meerschweinchenuterus bewirkt nach 10 mg Pilokarpin W. ein Absinken der Kurve. Nach 50 mg eine schwache Erreeung. Am Katzenuterus bewirkt W. nach 10 und 50 mg ein Absinken der Kurve, nach 100 und 200 mg keine Veränderung, nach 300 mg eine deut- liche Erregung (Fig. 6). Versuche am Uterus. Katze 300 | 200 | 100 | 50 | 10° mg; Pilokarpin | positiv. . . ®| 1 | _- li || kein Einfluss. | — 1 2 — | — negativ. ...—- | — | — 1 1 Meerschweinchen sol io mg Pilokarpin Positive 2 a 1 | — kein Einfluss. . . . — negativ . 2.2.2... — | 1 | i a I ll AHA H . Gel | sr N | \ 3 Fig. 7. Erklärung siehe unten. m N rn NA Fig. 7. 8. Juli 1912. Kaninchendarm. A 2b 28’ bei «a 2 mg Muskarin. Starke Tonussteigerung. 35 6’ Tonus ist hochgeblieben. Bei b W., worauf die Kurve steil absinkt. 3 2h 23’ bei a 4 mg Muskarin. Starke Tonussteigerung. 3h 2’ bei noch hohem Tonus W. (b). Tonus sinkt steil ab. C 2h 28’ beia 6 mg Muskarin. Tonussteigerung, darauf Absinken der Kurve. 3h 8’ bei b W., die Tonussenkung bewirkt. Trommelgeschwindigkeit 5,5 mm pro Minute. 36 A. Kuyer und I. A. Wijsenbeek: Fig. 8 Erklärung siehe unten. Fig. 8. 9. Juli 1912. Kaninchendarm. A 11h 5’ bei a 10 mg Muskarin. Starke Tonuszunahme mit darauffolgendem Absinken der Kurve. Bei b W., welcher starke Entgiftungserregung zur Folge hat. 11h 43’ wird bei c die ursprüngliche Dosis von 10 mg Muskarin wieder zugesetzt; die Kurve sinkt darauf wieder auf das Niveau, das sie kurz vor dem W. hatte. B 11h 5’ bei a 20 mg Muskarin. Darauf Tonuszunahme und Absinken der Kurve fast bis zur Norm. 11h 37’ bei b W. Darauf deutliche Entgiftungserregung mit Verstärkung der Kontraktion. © 115 5’ bei a 30 mg Muskarin. Starke Tonuszunahme, worauf die Kurve schnell bis zur Norm absinkt und keine Pendelbewegungen, nur einzelne, länger dauernde Schwankungen zeigt. 11h 45’ bei db W. ohne Einfluss. Trommel- geschwindigkeit 5,5 mm pro Minute. Über Entgiftungserregung und Entgiftungshemmung. 91 3. Muskarin (Muscarinum synthetiecum Grübler). Versuche am Darm. Fig. 7 und 8 zeigen das Verhalten des Darmes beim W, nach Vergiftung mit steigenden Dosen Muskarin in besonders schöner Weise. Die Därme, welche die Kurve Fig. 7 A, B, © geschrieben haben, wurden mit 2, 4 und 6 mg Muskarin vergiftet. Nach über einer halben Stunde wird W. vorgenommen. Dieser bewirkt auf allen drei Kurven sofortiges Absinken des Hebels; bei A und 5 treten danach Pendelbewegungen vom normalen Typus bei noch etwas er- höhtem Tonus ein. Auf Fig. 8 ist die Darmschlinge A mit 10 mg, Schlinge B mit 20 mg und Schlinge © mit 30 mg Muskarin ver- giftet. Nach der Erregung sinkt die Kurve mehr oder weniger schnell wieder ab. W. (5) bewirkt bei A (10 mg Muskarin) starke Erregung, bei B deutliche Erregung, bei © ist der Darm anscheinend nahezu gelähmt und lässt sich auch durch W. nicht mehr zur Kon- traktion bringen. Die schönste Entgiftungserregung ist nach 10 mg eingetreten, wo die Kurve vor dem W. wieder abgesunken war, der Darm nicht gelähmt und die verwendete Muskarindosis hinreichend Eros war. Auch auf Fig. 7 C hat vor dem W. ein genügendes Absinken der Kurve stattgefunden, und trotzdem ist es nicht zur Enteiftungs- erresung gekommen, weil die verwendete Giftdosis zu klein war. Auf Fig. 8 A sieht man ausserdem, dass durch Wiederzusetzen der ursprünglichen Giftdosis von 10 mg Muskarin (c) die W.-Er- regung unterbrochen und die Kurve - wieder ungefähr auf dieselbe Höhe zurückgebracht wird, welche sie vor dem W. hatte. Auch der Typus der Darmkontraktion wird wieder ebenso unregelmässig wie vor dem W. Versuche am Darm. Kaninchen 20 mg | 10 mg 6mg)| mg 2 mg Muskarin positives a. 2: 2 | 3 = kein Einfluss. . . — a3 2 SE oe —_ —_ 2 o| | w| | 38 A. Kuyer und I. A. Wijsenbeek: 4. Tyramin (p-Oxyphenylaethylamin Hoffman-la Roche). Die Versuche mit Tyramin versprechen ein besonders inter- essantes Ergebnis, weil diese Substanz auf Darm und Uterus ver- schiedener Tierarten in verschiedener Weise einwirkt. Bei der einen wirkt sie erregend, bei der anderen hemmend. Es erhob sich daher die Frage, ob es ebenso, wie es eine Entgiftungserregung eibt, auch unter geeigneten Versuchsbedingungen zu einer Entgiftungs- hemmung kommen konnte. Unsere Versuche ergaben, dass dieses tatsächlich der Fall ist. Fig. 9. 18. Sept. 1912. Kaninchendarm. 3% bei a 20 mg Tyramin. Starke Tonuszunahme. 35 14’ bei b W., wodurch starke Erregung. ee nn ale 7 Fig. 10. 20. Sept. 1912. Kaninchendarm. 10h 54’ bei a 80 ng Tyramin. 11b 10’ bei d W., bewirkt deutliche Erregung. ta A. Versuche am Darm. Tyramin wirkt unter unseren Versuchsbedingungen auf den Darm des Kaninchens erregend, auf den der Katze hemmend. In den Versuchen am Kaninchendarm trat nach Dosen von 5—40 mg Tyramin im allgemeinen keine Entgiftungserregung auf (nur in einem Versuche [Fig. 9] hatten wir nach 20 mg ein positives Ergebnis) ; nach 60 und 80 mg (Fig. 10) trat Entgiftungserregung auf. Am Katzendarm bewirkt Tyramin eine vorübergehende Hemmung. Wenn der Darm danach seine Spontanbewegungen wieder aufgenommen hatte, trat auf W. eine deutliche Hemmung auf. Dieses Resultat erhielten wir konstant nach Vergiftung mit 2—50 mg Tyramin. Kleinere Dosen haben wir nieht verwendet. Nach Erfahrungen, (or) (os | Über Entgiftungserregung und Entgiftungshemmung. ‚snuo7, sap uoyuIsqy pun uosundamag 1op Aunuwor Iyuaoq "y q 1oq ‚EG yOl 'uB SEM AOPOIM 701948 SNUO]L, AOp gone !uguursogq Aopaım y1az dodturd yoeu ap “uodundanag Jap Junwwag pun snuo], sap uayuısqy yyarı -aq uIweIÄ] Su CT » Toq ‚JE 1OL D 'ue gdLoJs snuoy, Jap pun “Iopaım usuusag usdundameqjopuag alp :U9IOAALEFUN 910708 Junwugy -SÖUnypIOJU] oIp Pam yoanpaoımy "1z2J9sodnz 19poIm uImelÄL Su Q] UOA SISOPYTI) oyoıpdunadsım dlp P-AIM 9 Tag "snuo7, weJoN 194 ussundemagqjepusg A9p Funwmor] wonau UoA Jneregq M 9 19 ‚9G yOT 'Snuo], wejon 1aq usdunsamsqjopuag Jap uumdaqaopaıM 10Z 19s1Um yIeN VDWyeugesnuo], pun uodundanagjepuag Jap Sunwworg "ulureak]L, Zu OT » 199 ‚LE yOL TZ llımaq Snuo], Sop uoyuısqYy pun u9sundamagfppusg Aop Sunwwsag] wonau uoA gap "A q 19Q ‚CC yOT "Nonınz aopaım JIoZ aadımıa ydeu UHITIN UEHUNSHMATTEPUAT eg "SNUOT sap uayumsqy pun ussunsomag Jop Sunwwusg uweıä], Su c D 10q ‚LE u0Ol FO 'waepuazyeyy) "ZI6L das 'FZ "IT 'SLH - e) E V aM! 30 A. Kuyer und I. A. Wijsenbeek: die von Dr. Guggenheim im hiesigen Institute gemacht worden sind, ruft "/ıo mg noch eine deutliche Hemmung am Katzendarm hervor. Auf Fig. 11 ist diese W.-Hemmung an drei Darmschlingen nach Vergiftung mit 5, 10 und 15 mg (bei 5) auf das deutlichste zu sehen. Auf Kurve D sieht man, dass Zusatz der ursprünglichen Giftdosis von 10 mg zur Aussenflüssigkeit die Entgiftungshemmung sofort unterbricht. Es beginnen wieder regelmässige Kontraktionen, während bei den beiden anderen Darmschlingen (A und O) die Hemmung unverändert andauert. Versuche am Darm. Kaninchen 80 mg | 60 mg | 40 mg | 30 mg | 20 mg | 10 mg 5 mg | Tyramin poste 1 1 — —_ 1 — = kein Einfluss . . — — 1 1 1 —_ — negative — — 3 2 2 1 1 Katze 50 mg | 40 mg | 30 mg | 20 mg | 15 mg | 10 mg | 5 mg | 2 mg Tyramin DORT & 0% 1 1 LT 1 3 2 1 kein Einfluss _ — — — — _ — — negativ... . — — — _ fer = m Fig. 12. 7. März 1913. Meerschweinchenuterus. A 3h 28’ bei «a auf 100 mg Tyramin Tonussteigerung. Bei & wird der Hebel nach oben verstellt. 3h 55’ bei d W. Absinken der Kurve. B 3h 29 bei a Zusatz von 200 mg Tyramin. Tonussteigerung. Diese nimmt allmählich wieder ab. 3h 53’ bei b W., worauf langsame Tonuszunahme. C 3h 30’ bei a 300 mg Tyramin.. Sehr starke Tonus- zunahme, die allmählich wieder abnimmt. 35 57’ bei b W. Tonussteigerung. Über Entgiftungserregung und Entgiftungshemmung. B. Versuche am Uterus. Tyramin wirkt auf den Meerschweinchen- uterus erregend, auf den Rattenuterus !) hemmend. Am Meerschweinchenuterus bewirkt W. nach Vergiftung mit 25—100 mg ein einfaches Aufhören der Erregung (Fig. 12 A). Nach Dosen von 200 und 300 me trat dagegen eine deut- liche Enteiftungserregung auf (Fig. 12 B und ©). Am Rattenuterus bewirkt Tyramin eine vorübergehende Hemmung. Wartet man bis die Spontanbewegungen sich wieder hergestellt haben und nimmt danach den W. vor, so tritt nach Vergiftung mit 4 und 5 mg Tyramin nur eine Verbesserung der Spontanbewegung, nach Vergiftung mit grösseren Dosen (18—50 mg) dagegen eine sehr deutliche Ent- eiftungshemmung auf (Fig. 13). Die Versuche zeigen demnach, dass man mit ein und derselben Substanz je nach der Art des vergifteten Organes nach Willkür eine Entgiftungserregung oder eine Ent- giftungsbemmung hervorrufen kann. Versuche am Uterus. Meerschweinchen 300 mg | 200 mg | 100mg | 50 mg | 25 mg Tyramin positiv. . . 1 1 == a | er kein Einfluss — — En a negativ... . — — 2 a | Ratte 50 mg | 30 mg | 20 mg 18 mg |ömg| 4mg Tyramin - positiv. . . 1 1 1 1 | zu er keinEinfluss | — — — — 1 — negativ . . — — — — | el 1) M.Guggenheim, Zur Kenntnis der Wirkung des p-Oxyphenylaethylamins. Ther. Monatsh. Nov. 1912. ger ung 14. Februar 1913, Rattenuterus. 3h 39’ Fig. 13. bei a 80 mg Tyramin. Hemmung der Kontraktionen und Tonusabnahme. Nach eini (eb) art 4h 8’ bei b W. bewirkt von neuem Hemm r Spontanbewegungen aus. der Bewegungen und Absinken des Tonus. Zeit steigt der Tonus wieder an, und der Uterus führt wiede 319) A. Kuyer und I. A. Wijsenbeek:. 5. Histamin [saures phosphorsaures #-Iminazolylaethylamin, C,;H,N; + 2 H;PO,!), Imido-Roche]. Da uns nur kleine Mengen von Histamin zur Verfügung standen, so haben wir nur so viel Versuche ausgeführt, als nötig waren, um festzustellen, dass sich auch mit diesem Gifte das Phänomen der Entgiftungserregung hervorrufen lässt. A. Versuche am Darm. Am Kaninchendarm konnten wir nach Vergiftung mit 0,9 und 9 mg Histamin keine W.-Erregung hervorrufen. Am Katzendarm trat dagegen nach 0,1, 1 und 3 mg Histamin eine deutliche W.- Erregung auf. Histamin wirkt sowohl auf den Kaninchen- wie auf den Katzendarm erregend. B. Versuche am Uterus. Nach Vergiftung mit 0,01—10 mg Histamin bewirkte W, nur eine Aufhebung der durch Histamin gesetzten Erregung?). Nach Vergiftung mit 30 mg trat auf W. keine Veränderung der Kurve ein. Dagegen war nach 50 mg Histamin eine deutliche Entgiftungs- erregung hervorzurufen (Fig. 14). Versuche am Uterus. Meerschweinchen 50 mg |30 mg | 10 mg 5 mg 2 mg | (0,5 mg | 0,1 mg | 0,01 mg Histamin positiv... . 1 — RE Bi au En en kein Einfluss — 1 _- | — — — — — negativ. . . — — 1 1 1 1 1 1 6. Suprarenin (Höchst). Mit Suprarenin haben wir nur Versuche am Darm angestellt. An diesem wirkt Suprarenin hemmend. Nur ganz minimale Dosen 1) Dieses Präparat verdanken wir der Liebenswürdigkeit des Herrn H.H. Dale, London. i 2) Auch Oehme (C. Oehme, Über die Wirkungsweise des Histamins. Arch. f. exper, Pathol. u. Pharm. Bd. 72 S. 76. 1913) hat nach Verwendung von kleinen Histamindosen (1 mg auf 100 ccm Flüssigkeit) nach W, keine Erregung am Uterus auftreten sehen. Über Entgiftungserregung und Entgiftungshemmung. 33 Fıg. 14. 20. Dezember 1912. Meerschweinchenuterus.. A 10h 46’ bei a 50 mg Histamin. Starke Tonuszunahme. Bei b 115 17’ W. Tonussteigerung. BD 10h 47' bei « 30 mg Histamin. Starke Tonuszunahme. 10h 21’ bei 5 W. ohne Einfluss. C 10h 48’ bei a 5 mg Histamin. Starke Tonuszunahme. 11h 24’ bei b W., be- wirkt Absinken der Kurve. rufen nach Hoskins!) Erregung der Darmbewegungen hervor. Hierdurch wird die Beurteilung der Versuchsergebnisse erschwert; denn wenn man zu einer Darmschlinze eine hemmende Suprarenindosis zusetzt, danach wartet, bis die Spontanbewegungen wieder begonnen haben, und nunmehr W. vornimmt, so beobachtet man in manchen Fällen eine Erregung, in manchen auch eine anfängliche Erregung, an die sich eine Hemmung anschliesst. Es ist unmöglich zu sagen, ob diese Erregung nach dem W. darauf beruht, dass die Suprarenin- hemmung durch Auswaschen des Giftes beseitigt wird, oder ob es sich um eine Entgiftungserregung handelt, bei welcher nur kleine Mengen des Giftes zur Wirkung kommen, die deshalb erregend wirken. Ausserdem wird während der Versuche immer ein Teil des zugesetzten Suprarenins in der alkalischen Tyrode’schen Flüssigkeit zersetzt. Auch hierdurch wird die Deutunz der Versuchsergebnisse erschwert. Trotzdem haben wir in einigen Fällen nach Suprarenin eine zweifellose W.-Hemmung auftreten sehen (Fig. 15). I) R. G. Hoskins, The sthenic effect of epinephrine upon the intestine. Amer. Journ. of Physiol. vol. 29 p. 363. 1912. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 3 A. Kuyer und ]. A. Wijsenbeek 34 oz A981ul9 TOeN "I9poIm UOSUNSEMaquejuodg Hp uauursaq "SNUO]J waJFFN Toq Zunwwog oyaejs Irumaq “M q 10q ‚CuF ‚[ewiou A9paIm WIR CP UYOIS Jaaıyemuoy Juwel -u9sungomdqueguodg op Sunwwag pun owyeugesnuo], INamaq “urusreidng Fw 001/;, © 190 ‚SE yEg uepuozyeyp 'ZI6T Inf '@ CT 'S1q Über Entgiftungserregung und Entgiftungshemmung. 35 Diesen Effekt veranschaulicht Fig. 15 vom Katzendarm. Bei a bewirkt Zusatz von "ıoo mg Suprarenin eine vorübergehende typische Hemmung. Die Spontanbewegungen beginnen nach kurzer Zeit wieder. 27 Minuten später wird W. vorgenommen. Das Er- gebnis ist eine typische Suprareninhemmung, auf welche nach einiger Zeit wieder Spontanbewegungen folgen. 7. Arekolin (Arecolinum hydrochloricum Boehringer). Versuche mit Arekolin haben wir deshalb ausgeführt, weil nach Vergiftung mit dieser Substanz P. Trendelenburg!) an der isolierten Bronchialmuskulatur einmal W.-Erregung erhalten hat; doch haben wir am isolierten Kaninchen- und Katzendarm mit Dosen von 0,01— 40 mg nur negative Resultate gehabt. 8. g-Strophantin und Ba(],. Auch mit diesen Substanzen haben wir nur negative Versuche erhalten. Es ist dieses Ergebnis auch leicht verständlich, wenn man bedenkt, dass nach unseren oben geschilderten Erfahrungen eine Entgiftungserregung nur nach der Verwendung von sehr grossen Giftdosen zu erwarten ist. Bei den Digitaliskörpern und dem Baryt ist aber nach diesen grossen Dosen die Giftwirkung eine dauernde und durch Auswaschen nicht mehr vollständig zu beheben ?). Versuche am Froschherzen. Wir haben uns vergeblich bemüht, das Phänomen der W.-Er- regung auch am Froschherzen hervorzurufen. Die Herzen schlugen an der Straub’schen Kanüle®), die mit 1 cem Flüssigkeit gefüllt war. Untersucht wurde die Wirkung von BaCl; (1—10 mg), Pilo- karpin (5 mg), Suprarenin (/s—?/s mg), Muskarin (!/ıo mg), Tyramin (/ıo mg), Histamin (!/so mg). In allen diesen Fällen gelang es, durch W. die Vergiftung rückgängig zu machen. Dagegen kam es niemals zu einer Entgiftungserregung bzw. Entgiftungshemmung. plze. 2) A. Sluyterman, Zur allgemeinen Pharmakologie digitalisartig wirkender Substanzen. Zeitschr. f. Biol. Bd. 57 S. 112. 1911. 3) W. Straub, Quantitative Untersuchungen über den Chemismus der Strophantinwirkung. Bioch. Zeitschr. Bd. 28 S. 392. 1910. 3 * 36 A. Kuyer und I. A. Wijsenbeek: Versuchsergebnisse. Aus den vorstehend geschilderten Versuchen ergibt sich, dass es gelingt, das Phänomen der W.-Erregung am isolierten Darm und Uterus verschiedener Tiere mit einer ganzen Reihe von Giften (Physostigmin, Pilokarpin, Muskarin, Tyramin, Histamin) unter be- stimmten Versuchsbedingungen mit Sicherheit hervorzurufen. Diese Versuchsbedingungen sind: 1. Dass man nach der Vergiftung genügend lange Zeit wartet, bis das Organ eine hinreichende Menge des Giftes aufgenommen hat. Hierzu waren 15—45 Minuten ausreichend ; 2. dass durch die Vergiftung die Organe nicht in so hohen Tonus versetzt sind, dass keine weitere Kontraktion erfolgen kann. Diese Bedingung ist beim Darm und beim Uterus fast stets erfüllt; 3. dass die Vergiftung mit einer sehr grossen Dosis vorgenommen wird. In allen unseren Versuchen hat sich als konstantes Resultat herausgestellt, dass man nur bei Verwendung von Giftmengen, welche die wirksame Minimaldosis um ein Viel- faches übertreffen, auf das Eintreten der Entgiftungserregung rechnen kann. Nach kleineren Dosen erfolgt beim Ersatz der Giftlösung ein einfaches Rückgängigwerden der Ver- giftung. Nach mittleren Dosen tritt keine Veränderung der Kurve ein. Als wichtigstes Ergebnis unserer Versuche betrachten wir den Nachweis, dass es nicht nur eine Enteiftungserregung, sondern auch eine Entgiftungshemmung gibt. Eine solche liess sich mit Tyramin und Suprarenin nachweisen. Die Versuche mit Tyramin sind besonders deshalb so instruktiv, weil man mit dieser Substanz je nach der Wahl des Versuchsorganes nach Willkür Entgiftungs- erregung oder Entgiftungshemmung hervorrufen kann. Auch für die Entgiftungshemmung nach Tyramin gilt die Regel, dass sie nur nach grossen, nicht nach kleinen Dosen beobachtet wird. Neukirch hat die Enteiftungserregung, welche in seinen Versuchen mit Pilokarpin auftrat, erklärt durch die reizende Wirkung, welche das Gift beim Auswandern aus dem Organ in die Aussen- flüssigkeit ausübt. Es handelt sich also um das spiegelbildliche Gegenteil des Wirkungsmechanismus von Muskarin an Aphysien- herzen, bei welchem nach Straub die Wirkung nur so lange an- Über Entgiftungserregung und Entgiftungshemmung. 37 . dauert, als das Gift in das Organ einwandert). Für die Richtigkeit der Neukirch’schen Erklärung lassen sich nach seinen und unseren Untersuchungen folgende Gründe anführen: 1. Man kann die Entgiftungserregung jederzeit unterbrechen, wenn man zur Aussenflüssigkeit das Gift wieder zufügt. Nach unseren Versuchen ist es am besten, wenn man die ursprüngliche Gift- konzentration bzw. eine nur wenig geringere in der Aussenflüssigkeit herstellt. Es ist uns auch gelungen, durch dasselbe Verfahren die Entgiftungshemmung sofort zu unterbrechen. Durch den Zusatz des Giftes zur Aussenflüssigkeit wird nach der oben gegebenen An- nahme das Auswandern des Giftes aus dem Organ verhindert, und man erhält, das merkwürdige Resultat, dass eine sonst stark erregend wirkende Giftdosis hemmend, eine stark hemmend wirkende Dosis erregend wirkt. 2. Das Auswandern des Pilokarpins nach dem Wasserwechsel hat Neukirch durch qualitative und quantitative Versuche zeitlich verfolgt. Auch wir haben verschiedene Male das Auswandern des Giftes direkt sehen können. In den Versuchen mit Physostigmin und Suprarenin bilden sich in der Tyrode’schen Flüssigkeit nach kurzer Zeit rot gefärbte Oxydationsprodukte Beim Wasserwechsel wird die gefärbte Flüssigkeit durch reine Salzlösung ersetzt. Nach kurzer Zeit kann man dann die Flüssigkeit wieder rot werden sehen als Zeichen dafür, dass neues Physostigmin oder Suprarenin aus dem Organ in die Flüssigkeit hinübergetreten ist. 3. Dass die Wasserwechselerregung bei Versuchen mit Pilokarpin wirklich eine Pilokarpinerregung ist, hat Neukirch dadurch wahr- scheinlich gemacht, dass er sie durch kleinste Atropinmengen anta- gonistisch aufheben konnte. | 4. Auch die Tatsache, dass die Entgiftungserregung und die Entgiftungshemmung nur bei Verwendung von grossen Dosen zu be- obachten sind, stimmt gut zu dieser Erklärung; denn nur nach Ver- giftung mit grossen Dosen kann sich das Organ mit hinreichend grossen Giftmengen beladen, dass nach dem Wasserwechsel ein ge- nügend grosses Gefälles für das schnelle Auswandern des Giftes vorhanden ist. Nach Vergiftung mit kleinen Dosen wandert wohl das Gift nach dem Wasserwechsel in die Aussenflüssigkeit, aber das 1) W. Straub, Zur chemischen Kinetik der Muskarinwirkung und des Antagonismus Muskarin-Atropin. Pflüger’s Arch. Bd. 119 S. 127. 1907. 38 A. Kuyer und I. A. Wijsenbeek: Über Entgiftungserregung etc. Gefälle und damit die Wanderungsgeschwindiekeit sind zu klein, um zur Entgiftungerreeung bzw. Entgiftungshemmung zu führen. Es tritt dann eben nur die Reversibilität der Entgiftung in die Er- sche:nung. Zusammenfassung. 1. Am überlebenden Darm und Uterus von Katze, Kaninchen, Meerschweinchen und Ratte lässt sich nach Vergiftung mit grossen Dosen Physostigmin, Pilokarpin, Muskarin, Tyramin, Histamin und Suprarenin beim Ersatz der Giftlösung durch reine Aussenflüssigkeit von neuem das Auftreten der für das betreffende Gift charakteristischen Reaktion beobachten. 2. Bei der Verwendung erregender Gifte kommt es zur „Ent- giftungserresung“, bei der Verwendung hemmender Gifte zur „Ent- giftungshemmung“. 3. Nach den bisher vorliegenden Tatsachen kann dieses Phä- nomen auf das Auswandern des Giftes aus dem Organ in die Aussen- flüssigkeit bezogen werden. | 39 (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.) Über die Wirkung einiger Arzneimittel beim vollständigen Herzblock. Von A. A. J. van Egmond. (Mit 5 Textfiguren.) An die Entdeckung von His, dass nach Unterbrechung des nach ihm benannten Bündels die Kammern unabhängig von den Vor- höfen schlagen, haben sich viele physiologische, experimentell-patho- logische und klinische Arbeiten angeschlossen, aus denen sich zahl- reiche Gesichtspunkte ergaben für die Beurteilung des. Herzblocks auch beim Menschen. Gegenüber diesen Untersuchungen treten vorläufig solche thera- peutischen und pharmakologischen Inhaltes an Zahl beträchtlich zurück. Der Kliniker tastet auch jetzt noch, ebenso wie bei den übrigen Pulsunregelmässigkeiten, bei der Behandlung des Herzblocks mit Arzneimitteln ziemlich im dunkeln. Ich habe mir die Aufgabe gestellt, die Wirkung der am häufigsten bei Herzkranken verwendeten Arzneimittel bei den verschiedenen Formen experimentell erzeugbarer Pulsunregelmässigkeiten zu unter- suchen. In der vorliegenden Mitteilung berichte ich über Experi- mente beim totalen Herzblock. Hierüber liegen bereits einige Angaben in der Literatur vor. von Tabora!) untersuchte den Einfluss von Digitalin nach Ab- klemmung des His’schen Bündels. Rothberger und Winter- berg?) erzielten Überleitungsstörung beim Hunde durch Reizung 1) D. von Tabora, Über die experimentelle Erzeugung von Kammer- systolenausfall und Dissoziation durch Digitalis. Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Ther. Bd. 3 S. 499. 1906. 2) C. J. Rothberger und H. Winterberg, Über die exper. Erzeugung extrasystolischer ventrikulärer Tachykardie durch Acceleransreizung. Pflüger’s AU A. A, J. van Egmond: extrakardialer Nerven und studierten den Einfluss von BaCl,, CaC], und Strophantin. Cullis und Tribe!) durchschnitten das His- sche Bündel und liessen Pilocarpin, Muscarin, Atropin und Adrenalin auf die Kammern einwirken. ‘ Eine: grössere, nach: einheitlicher Methodik vorgenommene Untersuchung zahlreicher Herzmittel bei vollständiger Unterbrechung des Bündels liest nicht vor. Methodik. Zu den Versuchen dienten Hunde von 4—14 kg. Dieselben wurden in tiefer Äther-Chloroformnarkose nach dem von Sherrinston angegebenen Verfahren dezerebriert, wobei der Hirnstamm zwischen vorderen und hinteren Vierhügeln durchtrennt wird. Darauf wird die Narkose beendet, und man hat den Vorteil, den ganzen ferneren Ver- such ohne Störung durch irgendein Narkotikum ausführen zu können. Der Hund wird darauf durch eine Trachealkanüle künstlich geatmet, zur Vermeidung der Abkühlung auf einen elektrisch geheizten Versuchs- tisch gelagert, beide Vagi auf Schlingen gelegt, eine Blutdruckkanüle in eine Karotis und eine Injektionskanüle in die Jugularis eingebunden. Darauf wird das Sternum mit einer kräftigen Schere genau in der Medianlinie gespalten, bei etwaiger Blutung die Mammararterie unter- bunden, die Thoraxöffnung durch kräftige Fäden, die am Tische be- festigt werden, soweit wie möglich auseinandergezogen, beide Phreniei durchtrennt und das Zwerchfell durch einen Faden, dessen beide Enden durch die Bauchhöhle geleitet und durch die Bauchwand nach aussen gestochen und dort geknüpft werden, soweit nach unten gezogen, als es ohne Abknickung der unteren Hohlvene möglich ist. Der Herzbeutel wird in der Medianlinie gespalten und mit vier Ligaturen rechts und links an der Brustwand befestigt. Das Herz liest dann auf dem Perikard wie auf einem Teller und wird durch die Exkursionen der Lungen bei der künstlichen Atmung nur wenig beeinflusst. Zur Er- zielung des totalen Herzblocks wurde darauf das His’sche Bündel mit der Erlanger’schen Klemme abgeklemmt. Die Form dieser Klemme und die Methode ihrer Einführung ist von Erlanger?) selbst so genau geschildert worden, dass auf dessen Darstellung verwiesen werden kann. Wir hielten uns genau an seine Vorschriften. Anfangs hatten wir manche Misserfolge; später glückte das Anlegen der Klemme fast stets. Die Erscheinungen des totalen Herzblocks sind so deut- lich, dass man nicht im Zweifel sein kann, ob die Klemme richtig liegt. Nach dem Zuschnüren steht der Ventrikel zunächst in Diastole Arch. Bd. 142 S. 461. 1911. — C. J. Rothberger und H. Winterberg, Über den Einfluss von Strophantin auf die Reizbildungsfähigkeit der automatischen Zentren des Herzens. Pflüger’s Arch. Bd. 150 S. 217. 1913. 1) W. Cullis and E. M. Tribe, Distribution of nerves in the heart. Journ. of Physiol. vol. 46 p. 141. 1913. 2) J. Erlanger, Über die Physiologie des Herzblocks in Suugetieren. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 19 S. 9. 1905. Über die Wirkung einiger Arzneimittel beim vollständigen Herzblock. 41 still und beginnt dann nach einigen Sekunden seine automatische Tätigkeit in langsamen und regelmässigen Kontraktionen, welche von der frequenten Vorhofstätigkeit sehr deutlich abstechen. Die Ventrikel- frequenz betrug meistens zwischen 22 und 57 Schläge pro Minute, während die Vorhofsfrequenz sehr viel höher (96—210) war. Stets haben wir uns überzeugt, dass der Herzblock total und nicht partiell war. Dieses kann man fast immer an den Bewegungen der Registrier- hebel direkt sehen, ausserdem durch späteres Auszählen der Kurve noch nachträglich sicherstellen. Zur Registrierung der Vorhofs- und Ventrikelkontraktionen bedienten wir uns anfangs der direkten Sus- pensionsmethode (Knoll-Hering), hatten aber, besonders bei der Verzeichnung der frequenten Vorhofstätigkeit, mit störenden Eigen- schwingungen der Hebel zu kämpfen. Deshalb wurden in den späteren Versuchen, nach dem Vorgange von L. Fredericq, die Bewegungen von Vorhof und Kammer zunächst auf je einen Tambour recepteur übertragen, der mit je einem Tambour enregistreur (Marey) in Verbindung stand. Diese letztere Einrichtung hat sich als’ sehr hand- lich erwiesen. Je nach der Lage des Herzens haben wir die Be- wegungen der rechten oder der linken Kammer bzw. Vorkammer registriert, ohne dass hierdurch Unterschiede in den einzelnen Ver- suchen zur Beobachtung gekommen wären. Nach Einstellung des Tambours wurde die Karotis mit einem Hg-Manometer verbunden, und der Versuch begann. Das Herz schlug je nach den verschiedenen injizierten Arzneimitteln verschieden lange Zeit; der längste Versuch dauerte nach Anlegen der Erlanger’schen Klemme über 2 Stunden, g-Strophantin. _ Über die Wirkung von Digitaliskörpern auf die automatisch schlagenden Kammern beim totalen Herzblock liegen bereits zwei Arbeiten vor. von Tabora!) sah durch Digitalin beim totalen Herzblock die Pulsfrequenz der Kammern allmählich bis auf das Doppelte steigen. Erlanger?) konnte dies nachher bestätigen. Ferner untersuchten Rothberger und Winterberg?°) mit der Suspensionsmethode und dem Saitengalvanometer den Einfluss der Digitaliskörper auf die verschiedenen kardiomotorischen Zentren. Von ihren Ergebnissen ist folgendes für uns von Wichtigkeit: Durch Strophantin kann die Vorhofsfreguenz geringgradig beschleunigt werden; doch wird dieses erst deutlich nach Aufhebung des normalen Le. 2) J. Erlanger, Über den Grad der Vaguswirkung auf die Kammern des Hundeherzens. Pflüger’s Arch. Bd. 127 S. 77. 1909. 3) C. J. Rothberger und H. Winterberg, Über den Einfluss von Strophantin auf die Reizbildungsfähigkeit der automatischen Zentren des Herzens. Pflüger’s Arch. Bd. 150 S. 217. 1913. 49 A. A. J. van Egmond: Vagus-Acceleranstonus und hält sich in mässigen Grenzen. Eine hochgradige Beeinflussung der Kammerautomatie durch Strophantin erfolgt erst im sogenannten toxischen Stadium. In dem voran- gehenden (therapeutischen) Stadium wird die Kammerautomatie ebenfalls bereits beeinflusst, da nach Durchschneidung des Vagus- Accelerans bei Vagusreizung einzelne Kammerextrasystolen auftreten. Vor dem Auftreten von Kammerautomatie lässt sich eine Verstärkung der Kammerkontraktionen nachweisen. Die Resultate meiner Versuche, in denen der totale Herzblock durch Abklemmen des His’schen Bündels hervorgerufen wurde und die infolgedessen unter einfacheren Versuchsbedingungen stattfanden, stimmen gut überein mit den Ergebnissen von Rothberger und Winterberg. Jedoch kommt die Wirkung des Strophantins _ während des therapeutischen Stadiums beim totalen Herzblock durch Bündelabklemmung deutlicher zum Ausdruck als bei Ausschaltung der Erregungen, welche von den Vorhöfen auf die Kammern übergehen, durch maximale. Vagusreizung. Man kann dann den günstigen Ein- fluss des Strophantins auf die automatisch schlagenden Kammern besonders gut demonstrieren. . | Im ganzen wurden zehn Versuche mit kristallisiertem g-Strophantin (Thoms) in 1°/ooiger Lösung ausgeführt. Die injizierten Dosen betrugen immer 1 mg. Die Hunde wogen 4,5—14 kg. Die Resultate sämtlicher Versuche stimmen in den Hauptpunkten durchaus mit- einander überein. Einige Sekunden nach der Injektion sieht man bereits die Frequenz der automatisch schlagenden Kammern zunehmen. Manch- mal erreicht diese Zunahme 22 Schläge pro Minute. Auf Fig. 1 steigt sie von 54 auf 69 pro Minute. Hierbei bleibt die Kammer- tätigkeit vollständig regelmässig. Niemals habe ich in diesem Stadium irgendwelche Unregelmässigkeiten gesehen. Bei der sehr starken Verlangsamung der Ventrikeltätigkeit beim totalen Herzblock fällt eine derartige Beschleunigung bereits sehr ins Gewicht. Dieses gewinnt dadurch noch mehr an Interesse, weil auch von klinischer Seite über eine derartige Wirkung des Strophantins beim totalen Herzblock berichtet worden ist [Bachmann?)]. 1) G. Bachmann, Sphygmographic study of a case of complete heart- block. Arch. of intern. med. 1909. Über die Wirkung einiger Arzneimittel beim vollständigen Herzblock. 43 Fig. 1. Hund, 7,2 kg. Dezerebriert. Totaler Herzblock mit der Erlanger- schen Klemme. Obere Reihe: Ventrikelkontraktionen. Zweite Reihe: Vorhofs- kontraktionen. Dritte Reihe: Blutdruck in der Karotis. Vierte Reihe: Zeit in Sekunden. Fünfte Reihe: Signal. Ing Stzopkh. Fig. 1a. Normalperiode. Vorhofsfrequenz 159 Pulse pro Minute. Ventrikel- frequenz 54 Pulse pro Minute. Mittlerer Blutdruck 59 mm He. Nach intra- venöser Injektion von 1 mg Strophantin nehmen ‘die Vorhofschläge deutlich in Frequenz zu (bis 195 pro Minute) und werden kräftiger. Die Ventrikelschläge werden ebenfalls beschleunigt (bis auf 69). Eine Vergrösserung der Kontraktionen ist auf dieser Ventrikelkurve nicht ausgeprägt (in auderen Versuchen war sie deutlich); dagegen nehmen die Ausschläge des Hg-Manometers deutlich an Grösse zu, und der mittlere Blutdruck steigt auf 84 mm Hg. Doch nicht allein die Pulsfrequenz wird vergrössert, auch die Kraft der einzelnen Herzkontraktionen nimmt zu. Diese bekannte Wirkung des Strophantins sieht man in einer Reihe von Versuchen 44 A. A. J. van Egmond: an einer Vergrösserung der Ausschläge auf der Ventrikelkurve (auf Fig. 1a nicht zu sehen). Auch der mittlere Blutdruck steigt an, und die Exkursionen des Hg-Manometers werden beträchtlich viel Mk ui N N N Aa N) Na Fig. 1b. Fig. 1c. Fig. 1b. 70 Sek. später. Vorhofsfrequenz 189, Ventrikelfrequenz 84. Mittlerer Blutdruck 62 mm Hg. Es treten einzelne ventrikuläre ‚Extrasystolen auf. Plötz- lich beginnt die Ventrikeltachykardie. Der Ventrikelpuls steigt auf 168, mittlerer Blutdruck 86 mm Hg. Die Pulsfrequenz der Vorhöfe ist nicht mehr festzustellen, weil die Vorhofskurve die Ventrikelkontraktionen gibt. Auf der Ventrikelkurve ist die Verstärkung der Kammerkontraktionen deutlich sichtbar. — Fig. 1c. 90 Sek. später. Die Ventrikeltachykardie dauert an. Pulsfrequenz 198. Der Blutdruck steigt langsam auf 138 mm Hg. grösser. Nachdem dieses Stadium einige Zeit gedauert hat, treten in vielen Fällen Arrhythmien auf. Man sieht mehr oder weniger Über die Wirkung einiger Arzneimittel beim vollständigen Herzblock. 45 zahlreiche Extrasystolen (Fig. 1b). Nach den elektrokardiographischen Untersuchungen von Rothberger und Winterberg beruhen diese darauf, dass unter dem Einfluss des Strophantins an ver- D. Kl ji a \ Pe R Pe, ET ZN ZT R N Mr ‚N: N m N \ rn ; BLU UL PER ur ur ae \ Fig. 1d. Pulsfrequenz der Ventrikel 224. Blutdruck 50 mm Hg. Ventrikelkontraktionen noch deutlich vergrössert. schiedenen Punkten der Kammer tertiäre Reizbildungsstellen auf- treten. Dieses Stadium (Extrasystolen bei noch relativ niedriger Kammerfrequenz) war jedoch bei den von mir eingehaltenen Versuchs- bedingungen und den verwendeten Strophantindosen in der Mehrzahl der Fälle nicht vorhanden. Vielmehr gehen die Kammern meist plötz- lich aus dem therapeutischen Stadium in das toxische über. Die Puls- frequenz der Ventrikel steigt enorm. Es ist ein eigenartiger Anblick, 46 A. A. J. van Egmond: an dem freigelegten, langsam und automatisch schlagenden Ventrikel zuerst die langsame, kräftige und regelmässige Tätigkeit zu be- obachten, wobei der Ventrikel in der Diastole sehr viel Blut enthält; dann plöizlich, wie auf Kommando, verändert sich der Charakter der Kontraktionen; der. vorher dilatierte Ventrikel wird plötzlich klein, und man denkt zunächst, dass die Kammer in starkes Wühlen verfallen ist, so schnell werden die Kontraktionen. Ein Blick auf die Blutdruckkurve lehrt aber sofort, dass die Ventrikel noch stets kräftig arbeiten. Dasselbe zeigt die Ventrikelkurve. Auf Fig. 1b sieht man, dass die Kammerfrequenz, welche vor Strophantin 54 und am Ende des therapeutischen Stadiums 84 betragen hatte, plötzlich auf 280 pro Minute ansteigt. Gleichzeitig ist auf der Ventrikelkurve eine deutliche Verstärkung der Kontraktionen zu sehen. Auch die Blutdruckkurve verändert ihr Aussehen. Statt der langsamen und ausgiebigen Schwankungen des He-Mano- meters werden jetzt kleinere Pulse verzeichnet. Häufig sieht man, dass die Kammer arrhythmisch arbeitet. Der Blutdruck steigt be- trächtlich an und erreicht nach einiger Zeit mehr oder weniger . hohe Werte. In Fig. le steigt er allmählich auf 138 mm Hg. In anderen Versuchen erreichte er (bei totalem Herzblock und ge- öffnetem Thorax) 208 mm Hg. Über die Rolle, welche eine Kon- traktion der Blutgefässe dabei spielt, habe ich keine Versuche an- gestellt. In Fig. 1e steigt die Pulsfrequenz allmählich von 180 auf 224. Man sieht deutlich eine Reihe von Arrhythmien. Nachdem das Maximum des Blutdruckes erreicht ist, sinkt dieser wieder ab (Fig. 1d) In den meisten Fällen gingen die Kammern schliesslich in Flimmern über. Nur in zwei Fällen erfolgte einfacher Kammerstillstand. Die Wirkung des Strophantins auf die Vorkammern ist viel geringer. Im therapeutischen Stadium werden die Kontraktionen deutlich verstärkt (Fig. 1a). In manchen Fällen schlagen sie, wie auch Rothberger und Winterberg sahen, schneller (Fig. 1a); in manchen Fällen kommt es durch zentrale Vaguserregung zu deutlicher Pulverlangsamung (bis zu 50 Schlägen pro Minute). Im toxischen Stadium war es bei der von mir verwendeten Suspensionsmethode häufig nicht möglich, festzustellen, ob die Vorkammern sich selb- ständig kontrahierten oder durch die heftig schlagenden Kammern Über die Wirkung einiger Arzneimittel beim vollständigen Herzblock. 47 passiv mitbewegt wurden. In Fig. 1e und d sind auf der Vorhofs- kurve im toxischen Stadium zweifellos die Kammerkontraktionen registriert. Die Wirkung des Strophantins auf das Hundeherz beim totalen Herzblock ist, kurz zusammengefasst, folgende: Verstärkte Kontraktionen und deutliche Beschleunigung der automatischen Kammerkontraktionen im ersten Stadium. Daran an- schliessend eine plötzlich auftretende hochgradige, arrhythmische, ventrikuläre Tachykardie, die zunächst an Intensität zunimmt und schliesslich in den meisten Fällen in Flimmern übergeht. Im ersten Stadium steigt der mittlere Blutdruck mässig, im zweiten hochgradig an. Die Vorhofsschläge werden entweder mässig beschleunigt oder durch zentrale Vaguserregung verlangsamt. Baryum- und Caleiumchlorid. Rothberger und Winterberg!) haben gezeigt, dass BaC], und CaCl, die Reizbarkeit derjenigen Apparate steigern, welche bei Acceleransreizung das Auftreten automatischer Ventrikelkontraktionen veranlassen. Nach 5—10 mg BaC], können nach ihren Angaben durch gleichzeitige Reizung der Accelerantes und Vagi die Kammern nicht mehr, wiein der Norm, zum Stillstand gebracht werden. Nach 25—50 mg BaCl, kommt es bei Reizung des Accelerans zum Auftreten von arrhythmischer ventrikulärer Tachykardie. Nach 50—100 mg BaC], treten diese tachykardischen Anfälle spontan auf. Nach 5—10 Mi- nuten hören die Anfälle auf; es kann dann aber durch Accelerans- reizung jeweils wieder ein solcher hervorgerufen werden. In gleicher Weise können diese Tachykardien durch toxische Erregung der Accelerantes mit kleinen Adrenalin- und Nikotindosen ausgelöst werden. Die Wirkung des Caleiumchlorids war im Prinzip die gleiche wie die des Baryts; nur mussten grössere Dosen angewendet werden, um das gleiche Resultat zu erzielen. Die Ventrikelkontraktionen wurden sowohl durch BaCl, als durch CaCl, verstärkt. Der Blut- druck stieg um 10—20 mm He. 1) €. J. Rothberger und H. Winterberg, Über die exper. Erzeugung extrasystolischer ventrikulärer Tachykardie durch Acceleransreizung. Pflüger’s Arch. Bd. 142 S. 461. 1911. 48 A. A, J. van Egmond: In ihren Versuchen sind Rothberger und Winterberg in der Weise vorgegangen, dass sie die Überleitung der Erregung von den Vorhöfen zu den Kammern durch maximale Vagusreizung aufhoben und dann durch Acceleransreizung VRIDRORNSTEIER aus- lösten. In den hier geschilderten Versuchen erreichte ich dasselbe Resultat durch Abklemmung des His’schen Bündels bis zum Auftreten von totalem Herzblock. Es war von vornherein zu erwarten, dass die Versuchsergebnisse mit denen von Rothberger und Winterberg übereinstimmen würden; nur sind die Resultate beim vollständigen Herzblock augenfälliger, weil sich die Tachykardie nach Ba oder Ca aus der niedrigen Pulsfrequenz entwickelt, mit welcher die auto- matisch sich kontrahierenden Ventrikel schlagen. | Im ganzen habe ich sieben Versuche mit BaC],, welche sämtlich positiv ausfielen, und fünf Versuche mit CaCl, angestellt, von denen vier positiv verliefen. Ich benutzte eine 10°/oige Lösung von BaCl, und injizierte bei Hunden von 6—14 kg Gewicht, bei denen totaler Herzblock hervorgerufen war, jeweils 1 ccm langsam in die Vena jugularis. Die Dosis wurde nach Bedarf wiederholt bis zum Auf- treten von spontaner ventrikulärer Tachykardie. . Meist tritt sofort nach der Injektion von BaCl, ein. derartiger Anfall auf, der 5—10 Minuten dauern kann. Die Pulsfrequenz der Kammern kann dann plötzlich z: B. von 36 auf 216 pro Minute steigen; gewöhnlich steigt die Frequenz jedoch nieht über 160 Pulse. All- mählich nimmt hierauf die Pulsfrequenuz wieder ab, bis sie schliesslich wieder den früheren langsamen Ausgangswert erreicht hat; manchmal kann der. Puls auch nach einem solchen Anfall langsamer werden, als er zum Beginn. des Versuches war. Durch wiederholte In- jektionen derselben Baryummenge kann dann jeweils wieder ein neuer Anfall ausgelöst werden; erst nach einer Reihe von Injektionen von 1 cem 10°/oigen BaCl, verfallen die Ventrikel in Wühlen und Flimmern und sterben dann ab. Im Gegensatz zu den Versuchen mit Strophantin geraten daher nach Injektion von Baryt die Ventrikel nieht direkt ins Flimmern, sondern können mehrmals zum normalen Kontraktionszustand zurückkehren. Die tachykardischen Anfälle lassen sich nieht stets mit der gleichen Leichtigkeit. hervorrufen; manchmal müssen mehrere In- jektionen gemacht werden, ehe der Ventrikel in der oben. be- schriebenen Weise reagiert. In solehen Fällen kann man dann gut Über die Wirkung einiger Arzneimittel beim vollständigen Herzblock. 49 das allmähliche Auftreten der Veränderungen in der Kammertätig- keit beobachten. Man sieht dann die Ventrikelkontraktionen bei direkter Inspektion stärker werden und die Höhe der Suspensions- kurve zunehmen. Ab und zu sind dann einige Gruppen von schnelleren Pulsen zu sehen, welche zwei bis drei bis zehn Kammerkontraktionen | HUMAN LUG 1 mim Mi Al 0:19. Ba Clz Fig. 2a. Hund, 5,9 kg. Dezerebriert. Totaler Herzblock mit der Erlanger- schen Klemme. Oberste Reihe: Vorhofskontraktionen. Zweite Reihe: Ventrikel- kontraktionen; Systole bewirkt Abwärtsbewegung des Hebels. Dritte Reihe: Blutdruck in der Karotis. Vierte Reihe: Zeit in Sekunden. Pünfte Reihe: Signal. Injektion von 1 ccm 10 °/oigen BaCl, bewirkt Vergrösserung der Kammerkontrak- tionen, gruppenweis auftretende Pulsbeschleunigung, die zu geringer Steigerung des Blutdrucks führt. Auch die Vorhofskontraktionen werden grösser. umfassen. Innerhalb dieser Gruppen nimmt mit Steigen der Barft- dosis die Pulsfrequenz allmählich zu, bis schliesslich ein richtiger tachykardischer Anfall zum Vorschein kommt. Nach dem Aufhören eines solchen Anfalles scheinen die Kammern häufig ermüdet zu sein. Es treten dann zunächst einige kleinere und stark verlang- Pflüger’s Archiv für Plıysiologie. Bd. 154. 4 50 A.A.J. van Egmond: samte Kammerpulse auf. Fig. 2a veranschaulicht diese Wirkung. Die Kurve stammt von einem Hunde von 5,9 kg. Im Beginn sieht man die normale Herztätigkeit beim vollständigen Herzblock; die Frequenz der Kammerschläge beträgt 37, die der Vorhöfe 126. Bei der Marke wird 1 cem 10 °0iges BaCl, langsam intravenös injiziert. ME La VE a ER ini nl ıl Eiffl ll Anupnfafafnknı B ut KNUINTEIKRINETATNG Noll 2. ie es -,.01 Ball, Balı Dal, Fig. 2b. Fortsetzung des Versuches von Fig. 2a. Zwischen den beiden Kurven liegt eine Pause von 25 Minuten, während welcher 1,4 g BaCl, in 10 %Yoiger Lösung intravenös injiziert und drei tachykardische Anfälle aufgetreten sind. Beide Vagi sind unterdessen durchschnitten worden. Nach der 16. Injektion sieht man den vierten tachykardischen Anfall auftreten, bei dem die Pulsfrequenz der Ventrikel von 30 auf 90 steigt und der arterielle Blutdruck in die Höhe geht. Die Frequenz der Vorhöfe ändert sich nicht wesentlich. Nach dem Anfall Ver- langsamung und Abschwächung der Kammerkontraktionen, die nach einiger Zeit wieder normal werden. Wenige Sekunden danach beginnen die Ventrikelschläge anfalls- weise schneller zu werden. Auf der Kurve sind drei solcher An- fälle zu sehen. Ausserdem werden die Ausschläge grösser; die Ver- stärkung der Kammerkontraktionen äussert sich ausserdem in einer ol Herzblock. igen RS) s Ha} _ [72] = {=} > = oo Be! — & ne] De -_ = [eb] S N - < iniger Über die Wirkung e "NOysreyoyLuoA A9p Sungdemgasqy pun Sumwesdue] -19 OpuoyoFraqnIoA oyarys oyfeJuy Wop YoeN (69 Jue gg U0A) qe Sea Jwunu oJoyLoA dop LP “FLT Juw 8g UoA 391098 TAILIIUI y ı9p zuonbayspng IQ onep our r/g eMga aop ‘ne [fegay oyostpıegÄyoer ayıala aap ur °geg 3 10 uva uonyalug ‘za aop YeN usJoNasme Sunuurnsy) oNuesgNonıpyupg Aap ur 951 uogssimzup "Ioyeds opnumy | 'seyansıoA uaqfossap Funzpsy1og 9g St] "n?& © jun} Ss © ‚aD re) =] Has] — [e>] = [=) > B=) {«B) =) — © gr u ii i= © =] N 1 << gm A. um mw’ | g einiger Über die Wirkun 62 A. A. J. van Egmond: Fig. 6. Hund, 9,7 kg. Dezerebriert; Vagi intakt. Totaler Herzblock mit der Erlanger’schen Klemme, Obere Reihe: Vorhöfe. Zweite Reihe: Ventrikel. Dritte Reihe: Blutdruck in der Karotis, Vierte Reihe: Zeit in Sekunden, Fünfte Reihe: Signal, Fig. 6a. Normalperiode, Vorhofsfrequenz 150; Ventrikelfrequenz 60 pro Minute, Auf der Ventrikelkurve sind ausserdem noch die Vorhofsschläge sichtbar. Fig. 6b, Nach 7 Minuten und langsamer Injektion von 5V/z cem 1/oiger Kampferlösung in 36°o Alkohol, Die Frequenz der Vorhöfe ist auf 186 ge- stiegen. Die Kammerfrequenz (54) hat sich kaum geändert. Dagegen ist es zu einer sehr beträchtlichen Verstärkung der Kammerkontraktionen gekommen, welche sich auf der Ventrikelkurve äussert und mit blossem Auge an dem schlagenden Herzen deutlich sichtbar war. Der mittlere Blutdruck ist von 59 mm Hg auf 67 mm Hg gestiegen, Fig. 6c, 11 Minuten später, nach im ganzen 12 ccm 1%oiger Kampfer- lösung in 36°o Alkohol, Vorhofsfrequenz 171; Kammerfrequenz 54; mittlerer Blutdruck 89 mm Hg. Die grossen Wellen auf der Ventrikelkurve sind durch spontane Atmungen bedingt, welche nach Injektion von 10 cem der Kampfer- lösung begannen. Einzelne Extrasystolen. Fig. 6d. 35 Minuten später, nach Injektion von 20 ccm 1 °oiger Kampfer- lösung, Vorhofsfrequenz 159; Kammerfrequenz 45; mittlerer Blutdruck 66 mm Hg. Auf der Kammerkurve sind spontane Atmungen sichtbar. Die Verstärkung der Vorhofsschläge gegenüber der Normalperiode ist besonders deutlich. In diesem Versuche ergab sich nach Injektion von Kampfer erstens eine sehr beträchtliche Verstärkung der Kammerschläge (Fig. 6b), welche so hochgradig war, dass sie mit blossem Auge direkt deutlich wurde; zweitens eine Steigerung des arteriellen Blutdrucks (Fig. 6b und ce), welcher von 59 auf ein Maximum von 89 mm Hg stieg; (es ist unsicher, ob diese Blutdrucksteigerung ausschliesslich auf die Verstärkung der Kammertätigkeit oder ausserdem noch auf eine gleichzeitige Erregung des vasomotorischen Zentrums bezogen werden muss); drittens eine Zunahme der Vor- hofsfrequenz (Fig. 6 b und ec), welche im Maximum von 150 auf 189 anstieg, viertens eine Verstärkung der Vorhofsschläge (Fig 6b und e und besonders d); fünftens eine Erregung des zentralen Nervensystems, welche sich in dem Auftreten von spontanen Atem- bewegungen bei dem ausgiebig künstlich geatmeten Tier äusserte (Fig. 6e und d). Eine nähere Analyse dieses Versuchsergebnisses konnte leider nieht vorgenommen werden, weil es nicht gelang, dieselbe in anderen Versuchen mit Sicherheit zu reproduzieren. Nur in einem weiteren Versuche trat eine deutliche Verstärkung und Beschleunigung Über die Wirkung einiger Arzneimittel beim vollständigen Herzblock, 63 der Vorhofskontraktionen ein, Es kam zum Auftreten von ventri- kulären Extrasystolen und zu einer Verstärkung der Kammertätigkeit, ohne dass der mittlere Blutdruck dabei stieg. Die anderen sieben Versuche verliefen völlig negativ. Es konnte daher auch nicht ent- schieden werden, welchen Anteil etwa der mitinjizierte Alkohol auf die beschriebene Kreislaufsveränderung gehabt hat. Die Beschleunigung der Vorhofstätigkeit kann auf die von Loewi!) nach Kampferinjektion bei Kaninchen und Katzen nach- gewiesene Abschwächung der Vaguswirkung bezogen werden. Wie dem auch sei, so erscheint sicher, dass Kampfer in alkoho- lischer Lösung bei intravenöser Injektion unter bestimmten, nicht näher analysierten Bedingungen eine inkonstante erregende Wirkung auf die automatisch schlagenden Kammern des Hundeherzens beim totalen Herzblock ausüben kann. Atropin. Nach Durchschneidung oder vollständiger Abklemmung des His’schen Bündels übt, nach den Angaben verschiedener Autoren [Erlanger?), Hirschfelder?), Fred&ricq?°), Kahn‘), dagegen Hering’) und Rihl‘)], der Vagus keinen Einfluss auf die Kammern mehr aus. Etwaige im Bündel verlaufende Vagusbahnen werden bei vollständiger Abklemmung ebenfalls mit unterbrochen [Fre&dericgq°)]. 1) ©. Loewi, Untersuchungen zur Physiologie und Pharmakologie des Herzvagus. I. Mit. Schmiedeberg’s Arch. Bd. 70 8. 323. 1912. 2) J. Erlanger, Über die Physiologie des Herzblockes in Säugetieren. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 19 S.5. 1905. — J. Erlanger, Über den Grad der Vaguswirkung auf die Kammern des Hundeherzens. Pflüger’s Arch. Bd. 127 S. 77. 1909. — J. Erlanger und A. D. Hirschfelder, Eine vorläufige Mit- teilung über weitere Studien in bezug auf den Herzblock. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 19 S. 273. 1905. — J. Erlanger and A.D. Hirschfelder, Further studies in the physiology of the heartblock in mammals. Amer. Journ. of Physiol. vol. 14 p. 153. 1906. 3) L. Frede&ricgq, Dissociation par compression graduee des voies motrices et arrestatrices contenues dans le faisceau de His. Arch. Intern. de Physiol. t. 11 p. 405. 1912. 4) R. H. Kahn, Elektrokardiogrammstudien. Pflüger’s Arch. Bd. 140 S. 627. 1912. | j 5)H. E. Hering, Über die unmittelbare Wirkung des Accelerans und Vagus auf automatisch schlagende Abschnitte des Säugetierherzens. Pflüger’s Arch. Bd. 108 S. 281. 1905. 6) J. Rihl, Über Vaguswirkung auf die automatisch schlagenden Kammern des Säugetierherzens.. Pflüger’s Arch. Bd. 114 S. 545. 1906. 64 .: A. A. J. van Egmond: Infolgedessen übt auch nach Abklemmung des Bündels Atropin keinen Einfluss mehr auf die Pulsfreguenz der Kammern aus. Dies ergab sich aus fünf übereinstimmenden Versuchen, in denen bei Hunden (5—14 kg) 1 mg Atropinum sulfuricum intravenös injiziert wurde. Hiernach blieb auch der mittlere Blutdruck unverändert. In den Versuchen, in welchen die Vaei intakt gelassen waren, erfolgte da- gegen natürlich eine prompte Beschleunigung der Vorhofschläge. Hierdurch werden die Befunde von Fr&d&rieq*!) und von Cullis und Tribe?) bestätigt. Zusammenfassung. Bei dezerebrierten Hunden wurde mit der Erlanger’schen Klemme das His’sche Bündel vollständig abgeklemmt und dadurch totaler Herzblock hervorgerufen. Bei gleichzeitiger Registrierung. der Vorhofs- und Kammer- kontraktionen und des arteriellen Blutdrucks wurden nachfolgende Wirkungen intravenös injizierter Gifte beobachtet: 1. Strophantin beschleunigt und verstärkt anfangs die Kammerkontraktionen;; danach entsteht meistens plötzlich eine arrhyth- mische ventrikuläre Tachykardie, die an Stärke zunimmt und schliesslich in Flimmern übergeht. Der arterielle Mitteldruck steigt im ersten Stadium mässig. im zweiten beträchtlich an. Die Vorhofs- schläge werden verstärkt; manchmal werden sie in geringem Grade beschleunigt, manchmal durch zentrale Vaguswirkung verlangsamt. 3. BaCl, und CaC], rufen Anfälle von vorübergehender arrhythmischer ventrikulärer Tachykardie hervor, welche sich durch wiederholte Injektionen mehrmals hintereinander auslösen lassen. Nach grossen Dosen von BaCl, und CaCl, tritt schliesslich Flimmern der Kammern auf. Den tachykardischen Anfällen kann eine Ver- stärkung und gruppenweise auftretende Beschleunigung der Kammer- schläge vorangehen. Der mittlere Blutdruck steigt während der An- fälle in geringem Grade. Die Vorkammern werden in demselben Sinne, aber schwächer beeinflusst. 3 Coffein verstärkt die Kammerkontraktionen. Nach grösseren Dosen treten ventrikuläre Extrasystolen auf, welche allmählich zu- nehmen und schliesslich zur arrhythmischen ventrikulären Tachykardie 1) Fredericg, |.c. 2) Cullis und Tribe, l.c. Über die Wirkung einiger Arzneimittel beim vollständigen Herzblock. 65 führen. Der Blutdruck kann dabei auf ziemlich hohe Werte steigen. Die Vorhofsschläge werden verstärkt und vorübergehend beschleunigt. 4. Suprarenin führt zu mässiger Beschleunigung und Ver- stärkung sowohl der Kammer — wie der Vorhofsschläge. 5. Kampfer übt unter den eingehaltenen Versuchsbedingungen keinen konstanten Einfluss aus. Die meisten Versuche verliefen negativ. Nur einmal war eine beträchtliche Verstärkung der Kammer- schläge vorhanden: 6. Atropin ist ohne deutlichen Einfluss auf die Kammer- kontraktionen. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. > Edward Babäk: Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien und ihre Regulation. Von Prof. Dr. Edward Babäk, Prag. Inhaltsübersicht. Is Einleitung ea es ee Re ET II. Die Mechanismen der Kehl- und Lungenatembewegung . . ..... Ill. Die respiratorische Bedeutung der Kehloszillationen ........ IV. Die Beeinflussung resp. die Regulation der Kehl- und Lungenatem- bevegungenWe Be N Babe» H. J. Bisherige Untersuchungen. 2 Eigene Untersuchungen an Urodelen. ......... nn... Eigene Untersuchungen an Anuren. Erstickungsversuche Die abweichende Organisation des Kehlatemzentrums (gegenüber- dem Lungenatemzentrum), durch das Verhalten der lungenlosen Salamandrıden /bewiesenz "3... „20. vunı. nee ee ee: Über den Einfluss der Temperatur auf die Tätigkeit des Kehl- und Kungenatemzentzumsee Über das Verhalten der Atembewegungen nach der Unterbrechung der Blutzirkulation und nach Entblutung. . . .. 2.2. ... . Die Atembewegungen bei Kohlenoxyd- und Natriumsulphantimoniat- VErBIUDET ER. RT DE REEL Ne ee, Über den Atemrhythmus nach Abtragung einzelner Gehirnabschnitte Die reflektorische Beeinflussung der Kehl- und Lungenatembewe- UNGEN 2.0: ne ee N > de Wet V. Zur vergleichenden Physiologie der Atembewegungen der Amphibien. DersphylogenetischesStand punkte mr VI. Zur ontogenetischen Entwicklung der Atemmechanismen und der AtemzentrenäbeidenSAmpltihien es ee I. Einleitung. Die „Kehlatembewegungen“, welche bei den Geschlechts- tieren von Anuren und bei den landlebenden Urodelen — ins- besondere Salamandriden — in der Norm als mehr oder minder ununterbrochener Atemrhythmus vorkommen, müssen grundsätzlich von den in der Norm weit selteneren Lungenatembewegungen unterschieden werden, bei Er Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 67 denen zwar auch die „Kehle“ sich bewegt; doch, wie weiter aus- seführt wird, die Kehlbewegung ist hier nur ein integrie- render Anteil des grossen Bewegungskomplexes der Lungenventilation. Aber nicht nur die Art der Bewegung, der Grad derselben, der Anteil der verschiedenen Mechanismen der Atem- wege (Nasenlöcher, Glottis usw.) ist bei den Kehl- und Lungen- atembewegungen gänzlich verschieden, sondern, wie wir neuer- dings nachgewiesen haben, auch die Regulation der beiderlei Atembewegungen; die Betätigung der betreffenden Atemzentren weicht grundsätzlich voneinander ab). Wir wollen in dieser Abhandlung die bisherigen Kenntnisse zu- sammenfassen, kritisch beleuchten und in Verbindung mit unseren neuen Versuchsergebnissen ein einheitliches Bild über die Beziehung der beiden Atemmechanismen entwerfen und zugleich teilweise eine vergleichende Physiologie der Atembewegungen bei den Amphibien skizzieren. II. Die Mechanismen der Kehl- und Lungenatembewegung. Townson?) hat vielleicht zuerst scharf hervorgehoben, dass die Bewegungen der Kehle bei den Fröschen nicht gleich lebhaft sind: Man kann vielmehr zahlreichere, weniger lebhafte von selteneren, sehr energischen unterscheiden (d. h. den Lungen- atmungen), die mit Schluckbewegungen grosse Ähnlichkeit besitzen; während jener schwachen Kehlbewegungen bleiben die Nasen- öffnungen ganz ruhig oder werden nur sehr schwach bewest; eben- falls die Bauchwandungen kontrabieren sich nur bei den starken Kehlbewegungen, während sie bei den schwachen höchstens nur ganz geringe Schwankungen aufweisen, durch die Ortsveränderungen des Zungenbeins hervorgebracht. — Nachher findet man gewöhnlich nur Schilderungen des Schluckmechanismus der Lungenatmung, während die Kehlbewegungen ganz nebensächlich erwähnt werden, und zwar aur als ein Teil der Lungenventilation. Bei Panizza°®) haben wir 1) E. Babäk, Über den Nachweis einer wahren (Sauerstoffmangel-) Dyspno& beim Frosche. Folia Neurobiol. 1911 S. 537. 2) R. Townson, Observationes physiologicae de amphibiis. I. De respira- tione. Goettingae 1794. 9) Panizza, Sur la. respiration chez les grenouilles, les salamandres et les tortues. Ann. de Sc. Nat. S.3 T.3 Zool. 1845 p. 230. . 5* 68 Edward Babak: nur eine vorübergehende Bemerkung gefunden, dass bei den schwachen Atembewegungen keine Bewegungen an den Nasenöffnungen be- obachtet werden, während bei den starken eine Erweiterung und nachher eine (nicht vollständige) Verengerung erfolgt (s. weiter). Erst bei Heinemann!) werden die zweierlei Atem- bewegungen gründlich unterschieden; aber dennoch haben die weiteren Forscher, sogar bis in die jüngste Zeit, seinem Beispielenicht gefolgt, worauseine unheimliche Verwirrung resultierte, insbesondere bei den Studien über die Verhältnisse der Regulation des Atemrhythmus. Nach Heine- mann dienen „der Respiration“ (soll heissen: der Lungenrespiration !) nur diejenigen Kehlbewesungen, bei welchen die Öffnung des Aditus ad laryngem erfolet. Er findet, dass „nach der Dekapitation“ das Verhältnis der beiderlei Kehlbewegungen stark verändert wird (eben- falls „nach fast vollständiger Entfernung des Gehirns“). Bei ruhig im Wasser sitzendem Tiere erscheint eine Lungenrespiration nur in 2, ja 3 Minuten; es gibt dagegen 20—103 leichtere Kehlbewegungen. Nach Reizung erscheinen bis 60, ja 104 Lungenrespirationen, wo- gegen die leichteren Kehlbewegungen seltener werden. |Er hat. später?) noch einmal zu dieser Frage das Wort ergriffen, worüber weiter berichtet wird.] — Auch v. Wittich?®) unterscheidet „Atem- bewegungen des Larynx* und „zitternde Bewegungen der Kinnhaut* an seinen „dekapitierten“ Fröschen. Es ist ihm „mehr als fraglich“, ob man die kleinen meistens sehr schnell folgenden Bewegungen der Kehlhaut als eigentliche Atembewegungen aufzufassen hat. Denn sie sind nicht mit Nasenlöcherbewegungen verbunden, und während derselben wird die Atemluft in den Lungen nicht erneuert. Sie bestehen nach Entfernung der Lungen fort, und „aus ihnen re- sultiert am wenigsten eine Stütze für die automatische Funktion der Oblongata*. 1) €. Heinemann, Über den Respirationsmechanismus der Rana esculenta ‘und die Störungen desselben nach Durchschneidung der’ Nervi vagi. Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. Bd. 21 S. 22. 1861. 2) C. Heinemann, Über nicht der Lungenrespiration dienende, sogenannte „oszillatorische“ Kehlbewegungen bei Amphibien, Reptilien und Vögeln. Pflüger’s Arch. Bd. 34 S. 275. 1884. Er 3) v. Wittich, Über die Beziehung der Medulla oblongata zu den Atem- bewegungen beim Frosche. Virchow’s Arch. f. pathol. Anat. u. Physial. Bd. 37 S. 322. 1866. Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 69 Unabhängig scheint Burdon-Sanderson!), s. bei Martin), die beiden Atembewegungen unterschieden zu haben; ja, er hat sie auch durch eine in das Nasenloch eingeführte Kanüle registriert. Martin findet oft eine Reihe von „throat-respirations“ bei verschlossener Glottis und unverändert gefüllten Lungen, ohne „flank-respiration“. Sokolow und Luchsinger?°) haben angeblich bei ihren Untersuchungen über das Cheyne-Stokes’sche Phänomen bei der Atmung des Frosches nur „den Inspirationen, Schluckbewegungen der Kehlhaut“ Aufmerksamkeit geschenkt, eben- falls wohl Langendorff®), der „nur wahre Atembewegungen berücksichtigt hat“ (obzwar es nach seinen Abbildungen scheint, dass das nicht immer der Fall gewesen war). Sehr eingehend hat sich Wedensky°) mit den Atembewegungen des Frosches beschäftigt. Er hält aber nur die Lungenventi- jationen für „echte“ Atembewegungen, während er die „Os- zillationen“ der Kehle aus der Reihe der Atembewe- gungen ausschliesst: denn erstens kommen sie vor, auch wenn der sämtliche übrige Respirationsapparat in Ruhe verharrt; zweitens, beim Übergange zur Lungenatmung werden die „Oszillationen“ unter- drückt und werden um so häufiger angetroffen, je schwächer die „eigentlichen“ Respirationen sind; drittens, die Einflüsse, wodurch die „Respirationen“ geändert werden, wirken auf die „Oszillationen“ nicht oder heben dieselben auf; viertens, bei den Kaltblütern, wo keine Kiemenatmungstätigkeit vorkommt (Lacerta), fehlen auch die „Oszillationen® im erwachsenen Zustande. — Man kann nach Wedensky zur Sicherstellung _eines regelmässigen normalen Atmungstypus beim Frosche gelangen, nur wenn man diese „Ös- zillationen“ aus dem Bereiche der Beobachtungen ausschliesst. — 1) Burdon-Sanderson, Handbook for the physiological laboratory p. 288. London 1873. 2) H. Newell Martin, The normal respiratory movements of the frog and the influence upon its respiratory centre of stimulation of the optic lobes. Journ. of Physiol. vol. 1 p. 9. 1878. 3) 0. Sokolow und B. Luchsinger, Zur Lehre von dem Cheyne- Stokes’schen Phänomen. Pflüger’s Arch. Bd. 23 S. 283. 1830. 4) O. Langendorff, Studien über die Innervation der Atembewegungen. 3. Mitt. Über periodische Atmung bei Fröschen. Teilweise nach Versuchen von Dr. G. Siebert. Arch. f. Physiol. 1881 S. 241. 5) N. Wedensky, Über die Atmung des Frosches (Rana temporaria). Pflüger’ s Arch. Bd. 25 S. 129. 1881. 70 Edward Babäk: Von dieser Argumentation hat schon Heinemann mit Recht die Einwendungen erstens bis drittens für nicht überzeugend erklärt, in betreff der letzten aber hervorgehoben, dass die „Kehloszillationen“ auch bei gewissen Reptilien, ja sogar bei Vögeln, vorkommen. Wedensky hat vollkommen recht, wenn er streng zwischen den Kehl- und Lungenatmungenunterscheiden will; aber er geht zu weit, wenn er auf Grund seiner obenberührten Einwände die Natur der ersteren als Atembewegungen verneint. Doch darüber werden wir ebenfalls weiter eingehend erwägen. Aubert!) beobachtete bei ganz ruhig sitzenden Fröschen oft „nur Oszillationen mit der Kehle, also keine eigentlichen Atembewegungen“, und erwähnt die Abhängickeit des Atemtypus insbesondere von den sonstigen Körperbewegungen (s. im Abschnitt IV). Der Autor konnte in den Fällen, wo nach dem scheinbaren Auf- hören der Oszillationen die umfänglichen Exkursionen der Kehl- gegend wieder erschienen sind, nicht entscheiden, ob diese „mit einer wirklichen Exspiration oder Inspiration verbunden sind“ (d. h. mit Lungenventilation?), so dass ihm überhaupt das Atem- geschäft des Frosches sehr unregelmässig erscheint (dies hängt mit der damaligen ungenügenden Kenntnis des Atemmechanismus des Frosches zusammen, s. weiter). In Knoll’s?) Versuchen waren wahrscheinlich die Frösche, ebenfalls wie bei den Aubert’schen, in wirklicher Ruhe, gegen- über Wedensky’s Versuchsbedingungen, wo die sehr frequente und insbesondere periodisch aufblähende Lungenventilation von störenden Einflüssen zeugt. Knoll unterscheidet aber, im Gegen- satze zu Aubert, die Kehlatmungen und Lungenventilationen ganz leicht. Über die Beeinflussung der beiden Atemrhythmen sowie über- haupt über ihre Beziehungen zueinander, über welche Knoll be- richtet und über welche Sherrington®) eine Arbeit veröffentlicht hatte, wollen wir noch weiter berichten. 1) H. Aubert, Über den Einfluss der Temperatur auf die Kohlensäure- ausscheidung und die Lebensfähigkeit der Frösche in sauerstoffloser Luft. Pflüger’s Arch. Bd. 26 S. 305. 1881. — H. Aubert, Über das Verhalten der in sauerstofffr. Luft paralysierten Frösche usw. Pflüger’s Arch. Bd. 27 S. 570. 1882, 2) Ph. Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation. 8. Mitt. Über die Atembewegungen und die Atmungsinnervatior des Frosches. Sitzungs- berichte der Wiener Akad. Bd. 96 S. 109. 1887. 3) C. S. Sherrington, Note on Üheyne-Stokes breathing in the frog. Journ. of Physiol. vol. 12 p. 292. 1891. Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. zu) Die von Gaupp!) gelegentlich seiner morphologischen Arbeiten durchgeführten Beobachtungen über den Atemmechanismus der- Frösche haben im Anschluss an die älteren Forscher, insbesondere an die von Wedensky durchgeführte Analyse, die Natur der beiderlei Atembewegungen sehr geklärt, indem insbesondere die Nasenbewegungen und der Mechanismus des Nasenverschlusses be- leuchtet wurde. Auf Grund seiner und der späteren Arbeit Baglioni’s?) lässt sich der normale Mechanismus der Atmung beim Frosche (und ebenfalls bei den lungenatmenden Salamandriden) ungefähr folgendermaassen in aller Kürze skizzieren. Der ruhig sitzende Frosch führt „oszillierende Kehl- bewegungen“ aus, wobei die Nasenlöcher offen sind (ge- wöhnlich ohne sichtbare Veränderung, oder sie weisen ganz leichte Schwankungen auf); das Maul ist fest geschlossen, Augen und Trommelfelle unbeweglich; die Luft kann bei der Abwärtsbewegung des Mundhöhlenbodens (= Aspiration) ungehindert ein-, bei Auf- wärtsbewesung der Kehle leicht austreten; auf diese Weise wird nur dieMundpharynxhöhle ventiliert, während der Aditus laryngis der gefüllten Lungen geschlossen bleibt. Von Zeit zu Zeit treten, zwischen diesen fortdauernden Kehloszillationen eingeschaltet, die Jlungenventilierenden Atembewegungen auf. Dabei wird am Ende einer Kehlgegendsenkung plötzlich die Atemritze seöffnet, und der Luftinhalt der Lungen strömt teilweise in die Mundpharynxhöhle hervor, die gleichzeitig schon proximal (an den Nasenlöchern) verschlossen wird. Durch diese Ex- spiration wird der durch aktive Muskeltätigkeit soeben in der Aspirationsstellung befindliche Mundboden weiterhin passiv herab- gedrückt, und die Steigerung des Luftdruckes in der Mundpharynx- höhle gibt sich zugleich auch durch das Vortreiben der Troımmmel- felle nach aussen und das Hervortreten der Augen kund. Am Rumpfe, wo während der Kehlatembewegungen nur unbedeutende, mechanisch von der Kehlgegend her übertragene Erschütterungen zu beobachten sind, erscheint die Lungenentleerung als Einziehung der Flanken (zeitlich etwas vor der tiefen Mundbodendepression). Hierauf ‚ 1) E. Gaupp, Zur Lehre von dem Atmungsmechanismus beim Frosche, Arch. f. Anat. (u. Physiol.) 1896 S. 239. — Anatomie des Frosches Bd. 3 Abt. 1 S. 200. 0.2) 8. Baglioni, Der Atmungsmechanismus des Frosches. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. Suppl.-Bd. S. 33. 1900. \ 72 Edward Babaäk: folgt sogleich die Inspiration: Der Mundboden wird energisch und rasch emporgehoben, und durch die offene Atemritze wird der Hauptteil des Luftinhaltes der mundpharyngealen Höhle in die Lungen gepresst (und die Atemritze wird zugeschlossen), was sich am Rumpfe als Vorwölbung der Flanken- gegenden kundgibt. Dann wird durch die wiederum geöffneten Nasenlöcher vermittels der Kehloszillationen die nach hinten verschlossene Mundpharynxhöhle ventiliert. Wie ersichtlich, ist der Lungenatemakt gegenüber der Kehlatembewegung ein unvergleichlich komplizierterer Bewegungsvorgang, an dem die Rumpfmuskeln, Larynxmuskeln und der Mechanismus des Nasenlöcherverschlusses nebst der Mund- bodenmuskulatur in genau angeordneter Reihe Anteil nehmen [wir machen hier auch auf Mochi’s!) Arbeit aufmerksam, der die zentralen Innervationsverhältnisse der Kehlkopfbewegungen bei der Lungenatmung .eingeherder verfolgt hat]. Bezüglich der Einzel- heiten dieser Muskelkräfte verweisen wir auf unsere bald zu er- scheinende Zusammenfassung (Babäk, Die Mechanik und Innervation der Atmung in Winterstein’s Handb. d. vergleich. Physiologie) und bemerken nur, dass der Verschluss der äusseren Nasenlöcher am Anfange der Mundhöhlenverengerung nach Gaupp durch die Tätigkeit der Unterkiefermuskeln bewirkt wird, indem die Zwischenkiefergegend durch den Druck des Unterkiefers in die Höhe gedrängt wird (der Frosch besitzt keine genügend tätige Nasenmuskulatur); ausserdem besteht ein Verschlussmechanismus der inneren Nasenlöcher (Choanen), weicher (s. insbesondere Baglioni l.c.) im Momente der Öffnung der Nasenflügel kurz vor Beendigung der Mundhöhlenverengerung durch die Platten der vorderen Hyoidhörner bewirkt wird. Bei dem Lungenatemakte ist also die Mundhöhle gleichsam als Druckpumpenmechanismus zwischen die äussere Atmosphäre und die Lungen eingeschaltet (Gaupp |. ce.), gegenüber dem Einsaugemechanismus der Brusthöhle bei den höheren Wirbeltieren. Aber die Lungenventilation weist noch weitere Differenzierung auf, welche insbesondere Wedensky in der 1) A. Mochi, Sulla respirazione della rana con speciale riguardo della sua innervazione centrale. Siena 1908. (S. auch Baglioni, |. c.) Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 73 oben zitierten Arbeit eingehend berücksichtigt hat. Er hat da auf der ersten Stelle „ventilierende“ Lungenatmungen beschrieben, wo die Fxspiration und Inspiration annähernd gleich sind, gegenüber den „einpumpenden“, wo die nacheinanderfolgenden Inspira- tionen grösser als die zugehörigen Fxspirationen sind, und den „entleerenden“ Lungenatmungen, wo das umgekehrte Verhalten vorkommt. Es handelt sich da schon um ganze Atmungsgruppen, die in Beziehung zur Regulationstätigkeit der Atemzentren stehen, über welche wir weiter berichten werden; auf dieser Stelle inter- essiert uns nur der bezügliche Mechanismus. Im Grunde handelt es sich wohl um den Grad des Nasenlöcherverschlusses. Wenn wir bei der ruhigen Lungenatmung des Frosches vorsichtig ein zartes Federchen (am besten in der Führung eines Glasröhrchens) zu einem der Nasenlöcher nähern, so können wir zwei Luftstösse konstatieren, von denen der eine bei der Inspiration, der=andere bei der Exspiration zustande kommt — durch die eben nicht voll- ständig verschlossenen Nasengänge, gegenüber dem einfachen Os- zillieren des Federchens bei den Kehlatembewegungen. Wurden aber die Nasenlöcher schon bei der Exspiration fest verschlossen, so wird bei der folgenden Inspiration die ganze exspirierte Luftmenge und die vorher aspirierte (s. oben) in die Lungen gepresst, was, wenn es wiederholt wird, zur „Aufblähung“ des Tieres, durch „einpumpende“ Atembewegungen, führt. Werden aber die Nasen- löcher schwach verschlossen, so wird ein grosser Teil der exspirierten Luftmenge durch dieselben entweichen und die nachherige Inspiration, trotz der Zumengung der Aspirationsluft, unausgiebig ausfallen, die Lungen werden weitgehend entleert. — Wedensky hat diese verschiedenen Arten der Lungenfüllung dadurch zu erklären ge- sucht, dass er auf die verschiedenen Zeitpunkte der Glottiseröffnung in Hinsicht auf die übrigen Phasen des Atem- mechanismus Gewicht legte (bei der „Einpumpung“ würde sich die Glottis öffnen nach dem Verschliessen der aspirierten Luft am An- fange der Mundbodenerhebung, bei der „Entleerung“ etwas früher). Ausserdem hebt Wedensky mit Recht hervor, dass verschiedene Übergänge zwischen diesen Haupttypen bestehen. Wir haben oft sicherstellen können, dass die Nasenlöcher bei ausgiebigen Lungenventilationen dauernd verschlossen ge- halten wurden (ein vor denselben befindliches Federchen zeigte bei den rhythmisch erfolgenden mächtigen Kehl- und Flankenexkursionen 74 Edward Babaäk: weder einen aus der Mundhöhle nach aussen noch umgekehrt ge- richteten Luftstrom); es wurde da also ein und dasselbe Luft- quantum zwischen den Lungen und der Mundhöhle hin und her bewegt (fast wie bei dem Quaken). Dies war auch bei den untergetauchten Fröschen bisweilen der Fall sowie bei anderen Amphibien, worüber sowie über die respiratorische Be- deutung dieser Modifikation siehe weiter. In anderen Fällen (s. unsere Beobachtungen auch Abschnitt IV) werden Lungenventilationen bei ungenügend verschlossenen Nasenlöchern beobachtet: Auch wenn keine „entleerenden“ und „aufblähenden“ Lungenatmungen bestehen, wird hier, sogar bei Abwesenheit von Kehloszillationen, eine partielle Luft- erneuerung vollführt; die Durchmischung der Luft in den Lungen, welche auf diese Weise zustande kommt, besitzt ohne Zweifel eben- falls eine Bedeutung. III. Die respiratorische Bedeutung der Kehloszillationen. Während diejenigen Kehlbewegungen resp. Kontraktionen des Bodens der mundpharyngealen Höhle, welche bei mehr oder weniger verschlossenen Nasengängen den Luftinhalt grösstenteils in die Lungen einpressen, eine wesentliche Bedeutung im Gaswechsel der Anuren und lungenatmenden Urodelen besitzen, wurde in betreff der bei distal verschlossener Mundpharynxhöhle und bei offenen Nasengängen vollführten Kehloszillationen wiederholt der Zweifel ausgesprochen, ob man sie für Atem- bewegungen überhaupt zu halten berechtigt ist. Heinemann (s. den vorigen Abschnitt) konnte nicht feststellen, welchen Zweck diese leichteren Kehlbewegungen haben, ob sie vielleicht zur Erneuerung der Luft in der Mundhöhle dienen möchten; vielleicht verrichtet die Mundhöhlenschleimhaut den Gas- wechsel; er ist aber sichtlich geneigt, in ihnen eine rudimentäre Funktion zu sehen (s. den Abschnitt V u. VI). Die späteren Forscher haben, wie wir gesehen haben, wiederholt die Lungenventilation als „echte, eigentliche“ Atembewegungen angesprochen. Wedensky hat überhaupt ihre respiratorische Bedeutung geleugnet. Doch ist es schon aus der Beziehung dieser Kehloszillationen zu den in der Norm nur hier und da in mehr oder minder kontinuier- lichem Rhythmus erscheinenden Lungenventilationen ersichtlich, dass Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 75 sie eine respiratorische Bedeutung besitzen. Man hat auch all- mählich anerkannt, dass die Kehloszillationen gleichsam als Hilfsatembewegungen aufzufassen sind, da sie den Luft- inhalt der mundpharyngealen Höhle für die zeitweise vorkommenden Lungenatmungen in einer annähernd der äusseren Atmosphäre gleichen Gaszusammensetzung erhalten. Baglioni (l. ce.) hält diese Bedeutung der Kehl- oszillationen für sehr wichtig; es scheint ihm, dass sie deswegen selbst bei den stärksten Eingriffen in den Atemapparat fast niemals ganz aufhören (der Frosch mit verstopften Nasenlöchern führt ent- weder bei halbgeöffnetem Maul die Kehloszillationen aus oder bei geschlossenem, wobei die in der Mundhöhle enthaltene Luft ab- wechselnd von dem vorderen in den hinteren Teil der Mundhöhle gesaugt und wieder nach vorn getrieben wird). Wie aus dem geschilderten Mechanismus des Lungenatemaktes ersichtlich ist, würde ohne die Einschaltung der Kehloszillationen zwischen zwei Lungenatmungen zwar grösstenteils die aus den Lungen exspirierte Luft wieder in dieselben zurückgepresst (s. die „venti- lierenden“ Lungenatembewegungen im II. Abschnitte), aber es besteht doch die Möglichkeit einer ausgiebigen Lungenventilation, wenn zuerst Gruppen von „einpumpenden“, nachher von „entleerenden“ Lungenatmungen erscheinen (also ohne eingeschaltete Kehloszilla- tionen), wofür unsere Versuchsergebnisse an aus der Sauerstoffmangel- paralyse sich erholenden Fröschen, welche einen ununterbrochenen Lungenatemrhythmus aufweisen, zeugen (s. Abschnitt IV. C). Der von Heinemann (l. ce.) berührte Gedanke, dass die Kehl- oszillationen auch einer Atmungstätigkeit direkt dienen könnten — nebst der soeben geschilderten indirekten Atmungsaufgabe —, wurde später wieder aufgenommen und kräftig gestützt. Bei den Amphibien besitzt die Haut, besonders beim Aufent- halte in feuchter Luft, aber auch im Wasser, wie schon Edwards gezeigt hatte, ausgiebige Gaswechselfähigkeit, so dass dadurch beim niedrigen Stoffwechsel der ganze Atmungsbedarf gedeckt werden kann [s. die Zusammenfassung bei Winterstein]'). Die Mund-, Pharyngeal- und oft auch Ösophagealschleimhaut besitzt 1)H. Winterstein, Die physikalisch-chemischen Erscheinungen der Atmung. Handb. d. vergl. Physiol. Bd. 1 T.2 8.193. 1912. 76 Edward Babäk: ähnliche Fähigkeiten wie die Haut, wie aus einer Reihe von morpho- logischen sowie physiologischen Arbeiten hervorgeht. WasdiefürG@aswechseltätigkeitderoropharyngealen Schleimhaut sprechenden Bauverhältnisse betrifft, so sind besonders die zahlreichen Divertikel der Kapillaren anzuführen, die zum Teil bis in die Epithelschicht eindringen, und ist auch auf ähnliche Be- funde in der Haut der Amphibien zu erinnern. In dieser Hinsicht wollen wir zuerst Maurer’s!) Angaben anführen, obwohl schon Holl?) diese Einrichtung im respiratorischen Sinne gedeutet hatte. Bei den einheimischen Anuren und Urodelen ist das mehr- schichtige flimmernde Zylinder- oder kubische Epithel der Mund- höhlenschleimhaut vaskularisiert, indem der subepitheliale Blutkapillarplexus in reichlichem Maasse zwischen die Epithelzellen eindringt. Bei Urodelen (Triton, Salamandra) erstrecken sich die Blutkapillaren nur bis über die basale Zellenlage; bei Anuren (Rana, Bufo, Hyla) dringen sie bis zwischen die mittleren Zellen- lagen, sogar bis an die Basalfläche der oberflächlichen Flimmerzellen vor. An dem mehrschichtigen Plattenepithel des Kieferrandes fehlt sowohl der intra- als auch der subepitheliale Blutkapillarplexus. Diese Verhältnisse kommen sowohl bei den lungenlosen (s. IV. D.) als auch bei den lungenatmenden Amphibien vor. Maurer glaubt, dass die Anregung für das Eindringen der Blutkapillaren in das Epithel durch die Ernährungsbedürfnisse desselben primär verursacht worden war, und sekundär hat die Beziehung zum Gaswechsel eine weitere Ausbildung der Vaskularisierung bedingt. Die Flimmerung des Mundhöhlenepithels soll auch eine respiratorische Bedeutung haben, indem der Schleim und indirekt die Luft der Mundhöhle in Bewegung gebracht wird; bei Larven und bei perennibranchiaten (wasserlebenden) Formen fehlt das Flimmerepithel in der Mundhöhle. (Es wäre von Interesse, die lungenlosen Amphibienformen in dieser Richtung zu untersuchen.) Winterstein bezweifelt die letztere Annahme Maurer’s und hebt hervor, dass die Flimmertätiekeit gerade bei den Wassertieren (s. die verschiedenen Wirbellosen) respiratorisch wichtig wäre. Für die respiratorische Bedeutung dieser Gefässbildungen scheinen 1) F. Maurer, Blutgefässe im Epithel. Morphol. Jahrb. Bd. 25 S. 190. 1898. 2) M. Holl, Zur Anatomie der Mundhöhle von Rana temporaria. Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wissensch., Math.-nat. Klasse Bd. 95 Abt.3 S. 47. 1887. . Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. TE auch Joseph!) und Bethge?) zu stimmen. Bethge, der ins- besondere auch dem lungenlosen Spelerpes fuscus eine ein- sehende Aufmerksamkeit gewidmet hat, bezieht die geschilderten Ausstülpungen der Kapillaren bei den Fröschen auf den „lebhafteren Stoffwechsel dieser Tiere“ und schliesst auch, dass die histologischen Bilder von Salamandra für Ösophagealatmung der letzteren sprechen. Gaupp°) hebt hervor, dass man dann auch der Nasen- und Paukenhöhle, wo Schöbl*) ebenfalls solche Gefässgebilde nach- gewiesen hatte, eine solche Tätigkeit zuschreiben müsste; er findet, dass der hintere Teil der Mundrachenhöhle und die Paukenhöhle hauptsächlich Sitz der respiratorischen Vorgänge sein dürften, denn hier verzweigen sich die Äste der Art. cutanea magna, welche als Ast der Art. pulmocutanea hochvenöses Blut führt (es ist bemerkens- wert, dass die Paukenhöhle ihre Entstehung aus der Hyomandibular- spalte nimmt!). Aber der vordere grössere Abschnitt des Mund- höhlendaches wird von Art. carotis interna gespeist, die wahrscheinlich das höchstarterielle Blut von allen Gefässen des Froschkörpers führt. Öppel’s°) Einwand, dass das Epithel der Mundhöhlenschleimhaut keine spezifischen respiratorischen Anpassungsbildungen aufweist, besitzt keine entscheidende Kraft. — Suchard‘) sieht in der „Brücke’schen Klappe“, welche durch ihre Kontraktion „passage du sang veineux dans l’aorte au moment du debut de la contraction du ventrieule“ erschweren soll, eine spezielle im Dienste der oro- pharyngealen Atmung stehende Vorrichtung (die Art. laryngea entspringt der Aorta vor dieser Klappe; auch die übrigen kapillaren Gebiete werden von der grossen Hautarterie gespeist). Es ist also sehr wahrscheinlich, dass wenigstens derhintere 1) H. Joseph, Einige Bemerkungen zu F. Maurer’s Abhandlung „Blut- gefässe im Epithel“. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 52 S. 167. 1898. 2) E. Bethge, Das Blutgefässsystem von Salamandra maculata, Triton tae- niatus und Spelerpes fuscus; mit Betrachtungen über den Ort der Atmung beim lungenlosen Spelerpes fuscus. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. 63 S. 680. 1898. 3) E. Gaupp, Anatomie des Frosches Bd. 3 S. 21. Braunschweig 1904. 4) J. Schöbl, Über divertikelbildende Kapillaren in der Rachenschleim- haut nackter Amphibien. Sitzungsber. d. k. böhm. Gesellsch. 1878. 5) J. Oppel, Mundhöhle, Bauchspeicheldrüse und Leber in Lehrb. d. vergl. mikrosk. Anat. Bd.3 S.25. Jena 1900. 6) E. Suchard, Observations nouvelles sur la structure de la valvule de Brücke et sur son röle dans la respiration buccopharyngienne de la grenouille. C. R. Soc. Biol. t. 53 p. 1179. 1901. 78 Edward Babäk: Bezirk der Mundrachenschleimhaut gewisse morphologische Anpassung an Gaswechseltätigkeit aufweist, ähnlich wie die Haut. In Hinsicht der letzteren machen wir auf folgende interessante An- gabe Maurer’s!) aufmerksam, welche die respiratorische Bedeutung der Divertikelbildungen noch wahrscheinlicher macht. Während der Metamorphose der Larven von Rana escu- lenta und temporaria, Bufo cinereus, Hyla viridis er- scheint eine hochgradige Steigerung der Hautvaskularisierung; mit der am Ende der Larvenperiode beginnenden Entwicklung des Hautdrüsenapparates bildet sich zwischen der straffen Lederhaut und Epidermis eine subepitheliale Bindegewebsschicht aus, in welcher sich die Blutgefässe in subepitheliale Kapillarnetze auflösen und viele Haar- gefässe bis in die Epidermis aussenden. Zur Zeit der Metamorphose wird diese Einrichtung des Gefässapparates hochgradig gesteigert, so dass ein mächtiger subepidermoidaler Kapillarplexus besteht, von welchem zahlreiche Kapillaren in geschlängeltem Verlauf in die Epidermis ein- dringen (sogar bis an die basale Fläche der äussersten Zellenlage). Kurze Zeit nach der Metamorphose ist ohne künstliche Injektion von dieser Einrichtung nichts mehr nachzuweisen. Maurer hat nach- gewiesen, dass in der Zeit, wo die vorderen Extremitäten vor ihrem Durchbruch stehen, die in der Kiemenhöhle eingeschlossenen Kiemen- büschel kürzer und dicker werden, dass ihr Epithel mehrschichtig wird, so dass die Kiemenatmung kaum irgendwelche grössere Bedeutung be- sitzt; die Rückbildung des Kiemenapparates verläuft unter dem Bilde einer akuten Entzündung; der Mund wird geschlossen, und während der Kieferentwicklung und Kiemenrückbildung wird keine Nahrung aufgenommen. Demnach sieht Maurer in der temporären gesteigerten Entfaltung der Kapillarnetze in der Haut während der Metamorphose eine vikariierende Einrichtung für Erleichterung des Gaswechsels. Nach Boas?) soll auch das Luftschnappen der Amphibienlarven, wo noch „keine Luft in die Lungen einpumpenden Mundhoden- bewegungen“ vorhanden sind, mit der Schlundrespiration in Beziehung sein. Darüber müsste man spezielle Versuche anstellen, denn fs. Babäk]°) man findet schon bei ganz jungen Froschlarven mit Gas prallgefüllte Lungen (allerdings ist es bisher unentschieden, ob hier nicht eine Gassekretion vorkommt). Eingehender hat sich mit der Frage der oropharyngealen 1) F. Maurer, Die Vaskularisierung der Epidermis bei anuren Amphibien zur Zeit der Metamorphose. Morph. Jahrb. Bd. 26 S. 330. 1898, 2) J. E. Boas, Über den Conus arteriosus und die Arterienbogen der Am- phibien. Morph. Jahrbuch Bd. 7 S. 488. 1882. 3) E. Babäk, Über die Ontogenie des Atemzentrums der Anuren und seine automatische Tätigkeit. Pflüger’s Arch. Bd. 127 S. 502. 1909. Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc, 79 Atmung Marcacci!) beschäftigt, leider ohne erforderliche Ge- nauigkeit, so dass seine Ergebnisse weitgehend problematisch sind (s. auch bei Winterstein |]. c... Er schätzt die oropharyngeale Atmüng weit über die Hautatmung ab, da die Frösche mit tampo- nierter Mundhöhle (,„bäillonees“) oder mittels Kompressoren von aussen zusammengedrücktem Mundboden frühzeitig absterben, an- geblich durch Asphyxie; die alleinige Hautatmung soll bei gewöhn- licher Zimmertemperatur nur einige Stunden lang das Leben zu er- halten imstande sein, während ohne Lungen die Tiere einige Tage am Leben bleiben. Die Methode, womit er wenigstens für die Kohlensäure die Ausgiebigkeit der Buccopharyngealatmung zahlen- mässig festzustellen suchte, war aber ungenügend. Auch der Schluss, dass für die bei lungenlosen oder tamponierten untergetäuchten Fröschen bald erscheinende „Anästhesie* die Kohlensäure verantwortlich ist, lässt sich gar nicht halten. Gegen Marcacei’s Versuche und Schlüsse hat Fiealbi?) die Ergebnisse seiner genaueren Versuchsanstellungen veröffentlicht, über welche wir aber nur auf Grund von Baglioni’s?) Berichterstattung referieren können. Bei Hyla arborea soll die Mundatmung im Verhältnis zu der Hautatmung in der Luft eine untergeordnete Rolle spielen (die Darmatmung. ist auch von ganz geringer Bedeutung). Die Frösche, denen die Mund- und Nasenhöhle verstopft wurde, sollen nicht so durch Erstickung als vielmehr durch reflektorischen Zentrenshock zugrunde gehen; nach der Abschneidung des Unter- kiefers vermögen sie viel längere Zeit zu überleben (in diesem Falle aber — müssen wir einwenden — ist die oropharyngeale Atmung srösstenteils erhalten, trotz der Beseitigung der Kehloszillationen). Wir haben eine Reihe von Untersuchungen ausgeführt, um die Ausgiebigkeit der oropharyngealen Atmung beim Frosche abzuschätzen ; aber es ist uns bisher nicht gelungen, eine Methode zu finden, die von störenden Mängeln nicht behaftet wäre. Unsere neuen Beobachtungen (s. auch Abschnitt IV. G) haben viele Fälle ergeben, wo stundenlang, ja tagelang alleinige Kehl- l) A. Marcacci, L’asphyxie chez les animaux & sang froid. Arch. ital. de biol. t. 21 p. 1. 1894. 2) E. Ficalbi, Osservazioni sulla respirazione degli anfibi anuri. Messina 1896. 3) 8. Baglioni, Zur vergleichenden Physiologie der Atembewegungen der Wirbeltiere. Ergebn. d. Physiol. Bd. 11 S. 526. 1911. 80 Edward Babak: oszillationen bestehen; wenn man diese Fälle mit den nur den Kehl- atemrhythmus aufweisenden lungenlosen Salamandriden vergleicht, so ist der Schluss zwingend, dass diese Kehlbewegungen eine re- spiratorische Bedeutung haben. Es ist zugleich ersichtlich, dass auch Mochi’s’) Annahme, dergemäss die für die Vorbereitung von frischer Luft zur Lungeneinatmung völlig überflüssig grosse Frequenz der Kehloszillationen den Zweck hat, den Luftinhalt der Lungen während der Inspirationspause durehzumischen, unwahrscheinlich ist. [Ähnliches wie Mochi hat schon Graham Brown?) gemeint]. [Keith’s?) Hypothese, dass die Kehloszillationen negativen Druck in der Lunge herstellen usw., ist unhaltbar.] IV. Die Beeinflussung resp. die Regulation der Kehl- und Lungenatembewegungen. Wie der Mechanismus der Kehloszillationen und der Lungen- atmungen wesentlich verschieden ist (s. III.), so können wir dasselbe auch in Hinsicht auf ihre reflektorische Beeinflussbar- keit sowie auch in betreff der Temperatureinwirkung, Asphyxie usw. behaupten. Durch unsere Untersuchungen wurden wir zur Annahme von zweierlei grundsätzlich verschiedenen Atemzentren für diese zweierlei Atembewegungen gezwungen. Wir haben nachher gefunden, dass schon Heinemann (|. c.) das- selbe getan, ja dass er auch ähnliche Bezeichnungen — Kehl- atmungszentrum und Lungenatmungszentrum — ein- geführt hatte, wobei er allerdings nur auf der Verschiedenheit der peripheren Mechanismen der beiden Atembewegungsarten basierte, während wir besonders auch die wesentlich verschiedenen Regulationstätigkeiten der beiderlei zentralen Nerven- mechanismen hervorgehoben haben. Zwischen den hypostasierten zwei Atemzentren bestehen allerdings innige Beziehungen, denen spezielle Aufmerksamkeit zu schenken ist. 1) A. Mochi, Dispnea asfittica e dispnea riflessa nella rana. Folia Neuro- biol. Bd. 6 p. 769. 1912. 2) T. Graham Brown, Die Atembewegungen des Frosches und ihre Be- einflussung durch die nervösen Zentren und durch das Labyrinth. Pflüger’s Arch. Bd. 130 S. 193. 1909. 3) A. Keith, Respiration in frogs. Nature t. 69 p. 511. 1904. Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. s1 A, Bisherige Untersuchungen, Heinemann hat angegeben, dass (s. schon oben) beim ge- reizten Frosche die sonst so seltenen Lungenatemakte ungemein vermehrt auftreten, während die Kehloszillationen bedeutend seltener werden, im Vergleiche mit ihrer Normalzahl. Martin (l. e.) erwägt die Möglichkeit ven zwei verschiedenen Atemzentren, indem bei den Lungenatmungen weit ausgiebigere und auf zahlreichere Muskeln sich erstreckende Innervation vorkommt als bei den Kehloszillationen (die zugleich auch weit frequenter sind). Er meint aber, dass in der „Dyspno&“ (das Wort wird da wohl in sanz vagem Sinne angewendet) und bei der Reizung von Lobi optiei „the flank and throat respirations gradually shade off into one another“; demnach hält er es nicht für möglich, zwei selbständige Zentren dafür anzuerkennen. Diese Ansicht von „Übergängen“ zwischen den beiden Atemmechanismen ist allerdings grundlos. Heinemann gelangte auf Grund seiner Reizversuche zur An- nahme, dass der von Medulla oblongata ausgehende Respirations- impuls eine gewisse Stärke erreichen muss, um die ganze Reihe der komplizierten Muskeltätigkeiten einer Lungenventilation hervorzu bringen, während der einfache Mechanismus des Kehlatemaktes leicht in Tätigkeit gesetzt werden kann; d. h. er hält dafür, dass der Innervationsimpuls beträchtlich anschwellen muss, um den kompli- zierten Lungenatemmechanismus zu erregen, während schon durch schwache Entladungen der Muskelapparat der Kehloszillationen in Bewegung gerät. Für diese Hypothese hat später Sherrington!) anscheinend ungemein zusprechende Beobachtungen durchgeführt. Er hat zwar bei normalen Temporarien im Winter keine regelmässige Periodizi- tät der Atembewegungen entdecken können. Nach der Entfernung der Hemisphären und Thalami optiei erscheint aber (am zweiten bis vierten Tage) ausgesprochene periodische Respiration, und zwar der Cheyne-Stokes’sche Typus, indem die Atembewegungen all- mählich sich vergrössern und wieder verkleinern. Mit einem leichten Hebel (welcher am vorher kokainisierten Kehlbezirk appliziert wurde) konnte er in der sonst normalen Lage des Tieres den Atemrhythmus registrieren. Die Kehl- sowie die „wahren“ Atembewegungen { 1) C. S. Sherrington, Note on the Cheyne-Stokes’ breathing in the frog. Journ. of Physiol. vol. 12 p. 292. 1891. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 6 29 Edward Babäk: (= Lungenventilationen) besitzen zuweilen einen völlig unab- hängigen Rhythmus; trotzdem aber lässt sich wiederum zwischen den beiden Arten der Atembewegungen unzweideutige Beziehung sicherstellen, wenn man in völliger Ruhe befindliche Tiere nach der Erholung von der Operation untersucht: Die Kehlbewegungen ver- mindern sich fast bis zum Verschwinden, um dann wieder allmählich anzusteigen, wobei auf dem Gipfel des Anstieges gleichsam als Krisis die mächtige Lungenventilation erscheint; nachher fallen allmählich die Amplituden der Atembewegungen herab. Die Dauer eines solchen Zyklus, am besten durch zwei Lungenventilationen charakterisiert, beträgt 20 Sekunden bis ungefähr 1 Minute. Die Lungenventilation scheint niemals während der kleinen oder der kleinsten Kehl- bewegungen vorzukommen. Beim gereizten Tiere sowie bald nach der Operation kommen die Lungenventilationen abrupt zustande, ge- trennt durch gleichgrosse Kehlbewegungen. — Die Oszillationen der Kehlbewegungen geschehen durchgehend um die Ruhelageachse; die Fxspiratoren sowie die Inspiratoren sind völlig einander entsprechend tätig. — Man könnte also glauben, dass ein und dasselbe Atem- zentrum erst dann die Lungenventilation hervorbringt, nachdem es vorher während der ungenügend starken Erregung nur die progressiv sich vergrössernden Kehloszillationen bedingt hatte. Allerdings er- kennt Sherrington an, dass dies nicht für die Norm gelten würde, wo keine Periodizität der Kehloszillationen vorkommt und die Lungen- ventilation abrupt auftritt. — Man könnte wohl mit grösserem Recht schliessen, dass hier zwei zentrale Nervenmechanismen vorhanden sind, deren Verhältnis bei den von Sherrington operierten Tieren gegenüber der Norm so verändert wird, dass die progressiv zu- nehmende Tätigkeit des Kehlatemzentrums in gewissem kritischen Momente sich auf das Lungenatemzentrum aushreitet, worauf wiederum eine Abschwellung der Tätigkeit im Kehlatemzentrum zustande- kommt; durch die gleiche Operation müssen wir allerdings zugleich diese Periodizität der Kehlatemzentrumtätigkeit bedingt annehmen (wir werden im weiteren über die Beziehungen der einzelnen Gehirn- abschnitte zu den Atembewegungen des Frosches eingehender berichten). Über die mögliche Blutreizung des Atemzentrums des Frosches konnten wir in der älteren Literatur eine flüchtige Bemerkung bei Rosenthal !) finden, dass er bei (jungen Kaninchen, Meerschweinchen, 1) J. Rosenthal, Studien über Atembewegungen. Arch. f. Anat., Physiol. u. wiss. Med. 1864 S. 462. Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 33 Fledermäusen und) Fröschen eine ausgesprochene Dyspno&ö gesehen hatte, wenn Wasserstoff durch das Gefäss geleitet wurde. Wahr- scheinlich sind ihm da gewisse angestrengte Abänderungen des Atem- typus aufgefallen, über welche wir weiter handeln werden. Aber bald nachher hat v. Wittich (l. e.) sich ganz entschieden gegen die „Automatie“ der Oblongata beim Frosche gewendet. An den „de- kapitierten“ (s. den Abschnitt H) Tieren, deren Blut bald ungemein dunkel wird, sollen niemals der Dyspno@ ähnliche Zustände vor- kommen; im Gegenteil wird Atemlosigkeit während langer Zeiten wahrgenommen, die allerdings reflektorisch sich leicht unterbrechen lässt (dasselbe wird auch noch nach Enthäutung beobachtet, wo aber von einem Hautrest aus sich die Atembewegungen auslösen lassen; würde der Sauerstoffmangel einen Reiz darstellen, so müsste ein soleher nach Enthäutung wenigstens später zur Geltung kommen). Ebenfalls nach Lungenexstirpation und Vagotomie sowie der Unter- bindung der Lungengefässe, ja sogar des Bulbus aortae (s. Abschnitt F) will der Autor keine Anzeichen der Dyspno& verzeichnet haben: Im ersten Falle bleiben die Atembewegungen nach einiger Zeit voll- ständig aus, und nur schwache Kehlhautbewegungen bei offenen Nasenlöchern bleiben übrig (= „Kehloszillationen“ Heinemann’s); im zweiten bestanden nur unmittelbar gewaltsame Atembewegungen, aber weiter sitzen die Tiere atemlos da (mehrere Tage lang); im dritten war ebenfalls Atemlosigkeit vorhanden (ohne irgendwelche vorherige Steigerung der Atemfrequenz, welche der Autor schon als Folge von peripherer Reizung, also als reflektorische Erscheinung erwartet hatte); im vierten sollen die Tiere fast unmittelbar matt hinsinken und atmen kaum spontan. Demnach sind nach des Autors Meinung die Atembewegungen der Frösche reflektorischer Natur. — Ausserdem berichtet v. Wittich über den Einfluss von Kohlensäure auf normale, dekapitierte, lungenlose usw. Frösche; doch denselben lässt sich kaum etwas Wertvolles für die normale Atemregulation entnehmen, denn es wurden zu starke Konzentrationen verwendet; immerhin verdienen die angegebenen Unterschiede des Benehmens entgrosshirnter usw. Frösche Beachtung (s. noch weiter). Aus den von Sokolow und Luchsinger (l. c.) ausgeführten Untersuchungen über die periodische Atmung des Frosches während der Erholung von einer durch Kompression der Aorta verursachten Gehirnerstickung lassen sich keine weitreichenden Schlüsse ziehen, da man hier keine genaue Unterscheidung der Kehl- und Lungen- 6* 84 Edward Babäk: atmungen findet; die Autoren haben angeblich „nur die Inspirationen (Schluckbewegungen) der Kehlhaut beobachtet“, also wahrscheinlich nur die Lungenventilationen; aber man weiss nicht, ob sie wirklich dieselben allein verzeichnet haben (gewisse Anzeichen sprechen da- gegen). Durch die Vorderhirnexstirpation und andere Umstände wurden ausserdem die Bedingungen der Versuche kompliziert. Die Autoren haben da eigentlich nur zu der Periodizität der Tätigkeit des sich aus der Parese erholenden Atemzentrums ihr Augenmerk gerichtet, um allgemeine Sätze über das Verhältnis der Rhythmik und Periodik formulieren zu können. Über die Art der Periodik, welche wahrscheinlich in diesen Versuchen zutage getreten ist, siehe weiter in unseren Versuchen. Sehr genau hat Wedensky (l. e.) die Art des Rhythmus der Kehloszillationen und Lungenatmungen, besonders aber der letzteren erforscht, denen er allein die Rolle von Atembewegungen zuschreibt. Er glaubt allerdings eine Norm beobachtet zu haben, indem am Versuchstiere die „ventilierenden, einpumpenden und entleerenden“ Lungenventilationen periodisch lebhaft abwechselten, während es sich da sichtlich (s. weiter) um Reizeinflüsse gehandelt hat; dem normalen Verhalten näherten sich nur die Beobachtungen, wo ganze Minuten hindurch nur Kehloszillationsrhythmus vorhanden war. Als eine eigentümliche komplizierte Periode der Lungenatmung beschreibt er das folgende Bild: Nach einigen „einpumpenden“ Lungenventilationen kommt eine Pause zum Vorschein, nachher einige „entleerende“, im weiteren langsame „ventilierende* Lungenatemzüge, worauf wiederum die „einpumpenden“ Atembewegungen erscheinen; dies dauert im ganzen etwa 2—3 Minuten, bei lebhafter Respiration kürzer. Mit dieser Periodik sollen auch Lokomotionsbewegungen in Beziehung sein, indem sie gewöhnlich nach der Pause (mit „entleerenden“ Lungenventilationen) auftreten; nach der Lokomotion aber treten ge- wöhnlich „einpumpende* Lungenatmungen auf. Langendorff’s (l. e.) Ermittlungen bringen eine systematische Bearbeitung des Problems dar, welches eigentlich nur nebenbei Sokolow und Luchsinger berührt haben: inwieweit die Tätigkeit des Atemrhythmus — und zwar des Lungenatemrhythmus — durch den Ausschluss der (normalen oder künstlichen) Zirkulation ab- geändert wird. Leider lässt sich schwer abschätzen, ob „nur die wahren Atembewegungen berücksichtigt“ worden waren, wie es der Verfasser geplant hatte. Er eibt an, dass nach Verhinderung des Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 35 Blutzuflusses zur Medulla oblongata zuerst mehr oder minder ver- langsamte Atmung zu verzeichnen ist, mit verschieden langen Pausen und zuweilen mit sehr starken Atemzügen (hat es sich hier nicht um die „einpumpenden“ Atembewegungen gehandelt?) Der Autor wendet sich entschieden gegen v. Anrep, der von unmittelbarer Atembeschleunigung spricht; es soll weder ein freies noch fixiertes Tier eine Beschleunigung aufweisen. Es soll dann von den Unregel- mässiekeiten ein vorübergehender Übergang zur Norm erfolgen, worauf die Pausen sich vergrössern und periodische Atmung auftritt, bis nur vereinzelte Atemzüge und endlich Atemstillstand zustande kommt. Nach der Erneuerung des Blutkreislaufes kehren die Atem- bewegungen um so eher zurück, je kürzer die Unterbindung ge- dauert hat; in der Regel sieht man periodische Atmung, die Pausen verkürzen sich, die Zahl der Atemzüge in den Gruppen steigt an. — Nach Entblutung soll ebenfalls periodische Atmung vorkommen. Die Salzfrösche zeigen unmittelbar nach der Transfusion verschiedenes Verhalten (regelmässige, aber verlangsamte — oder aber „dyspnoische“ Atmung — oder unregelmässige Ruhepausen — oder periodische Atmung — oder Atemeinstellung); es lässt sich nicht sagen, was willkürlich, was reflektorisch oder durch Blutverlust oder Salzein- wirkung verursacht ist. Später soll regelmässiger Atemrhythmus mit Übergängen zur periodischen Atmung vorhanden sein (auf dieser Stelle wird bei dem Leser am stärksten der Zweifel geweckt, ob tatsächlich nur die Lungenatmung registriert worden war: es sollen nämlich fast minutenlang frequente und schwache Atmungen, durch vereinzelte mächtige unterbrochen, aufgetreten sein oder noch öfters ansteigende und abfallende Atemgruppen und nachher „Norm“ usw.). Wir sehen von der weiteren Schilderung der periodischen Typen ab; endlieh sieht man nur „aufgelöste Gruppen“ und sehr lange Pausen. — Sonst wird noch hervorgehoben, dass nach der Unterbindung von der Haut aus reflektorische Atemgruppen, in der Phase der Einzel- atmungen nur ein Atemzug ausgelöst werden. — Bei Burkart!) wird eine gelegentliche Bemerkung gemacht, dass „Frösche, deren Blut aus den Gefässen vollständig verdrängt und durch Kochsalzlösung ersetzt ist, die schönsten Atembewegungen zeigen“. Die unter l) R. Burkart, Studien über die automatische Tätigkeit des Atemzentrums und über die Beziehungen desselben zum Nervus vagus und anderen Atemnerven. Pflüger’s Arch. Bd. 16 S. 439. 1878. Ss Edward Babaäk: Langendorff ausgeführte Arbeit Aronson'’s!) hat am gefesselten Tiere, dessen Lunge durch eingebundene Kanüle künstlich ventiliert wurde, die Atembewegungen gezählt; der Autor hat dabei die Kehl- atembewegungen „meist vernachlässigt“; auch wenn das Blut durch seine Farbe ausgiebige Sauerstoffbereicherung kundgab, bestanden normale Kehl- und „echte“ Atmungen; keine apnoischen Pausen gegenüber der Norm wurden verzeichnet. — Auch W. Rosenthal?) ist zu negativen Ergebnissen gelangt, als er das Verhalten der Frösche bei vermindertem Luftdruck untersuchte. Von Aubert (l. e.) wurden auch bei völlig ruhenden Fröschen grosse Unregelmässigkeiten der Atembewegungen beobachtet. Die- selben sollen oft stundenlang vollständig fehlen, insbesondere wenn der Kopf, anscheinend im Schlafe, auf der Unterlage ruht. Bei den Bewegungen des Körpers nimmt man schon voraus das Aufhören der Oszillationen der Kehle wahr. Nach der Lokomotion werden Atembewegungen der Nase und der Flanken (= Lungenventilationen) verzeichnet (s. oben Wedensky); die nachher folgenden Kehl- oszillationen sind zuerst ziemlich umfänglich, nehmen aber allmählich immer ab, bis sie verschwindend klein werden oder vielleicht gänzlich aufhören (s. auch in Abschnitt II). — In sauerstoffloser Luft tritt zuerst eine Pause auf, und auch weiter erscheinen, und zwar immer längere Pausen, welche nur selten von einer „wirklichen Respirations- bewegung“ und darauffolgenden Oszillationen der Kehle unterbrochen werden, gewöhnlich nur, nachdem eine spontane Körperbewegung stattgefunden hat. Die Nasen- und Flankenbewegungen sind übrigens schwer zu beobachten, sie scheinen von Anfang an äusserst un- regelmässig zu erfolgen; die leicht zu verfolgenden Kehloszillationen sieht man manchmal nach „wirklichen Respirationen“, manchmal selbständig; sie beginnen ziemlich lebhaft und umfangreich, werden dann immer kleiner, bis sie so schwach sind, dass sie kaum noch bemerkt werden; das ganze Bild kommt übrigens ganz ebenso vor bei Fröschen in normaler Luft. Wenn die Körperbewegungen selten geworden sind, sind meistens weder „Respirationen“ noch Oszillationen 1) H. Aronson, Über Apno& bei Kaltblütern und neugeborenen Säugetieren. Arch. f. Physiol. 1835 S. 267. 2) W. Rosenthal, Hat Verminderung des Luftdruckes einen Einfluss auf die Muskeln und das Nervensystem des Frosches? Arch. f. Physiol. 1896 S. 19. Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 37 der Kehle zu beobachten. — Pflüger’s!) etwas ältere Beschreibung des Verhaltens der Frösche okne Sauerstoff enthält keine dyspnoischen Symptome (nicht einmal das weite „Maulaufreissen“ lässt sich in diesem Sinne deuten); die „sehr schnelle* Atmung am Anfange des Versuches ist sichtlich durch reflektorische Reizung (Manipulationen) verursacht worden. Wie ersichtlich, meint Aubert, dass bei erstickendem Frosche keine dyspnoischen Erscheinungen vorhanden sind; er lässt den Atem- rhythmus ausschliesslich von der Ruhe und den sonstigen Bewegungen der Tiere abhängig sein. Die einzige Erscheinung, die den Eindruck von Atemnot machen könnte — welche auch Pflüger beobachtet hatte, nämlich das weite Öffnen des Mundes des sich energisch auf- richtenden Tieres — ist keineswegs konstant (s. weiter). Knoll (l. e.) gibt an, dass ruhige Frösche lange Zeit hindurch nur in verschiedenstem Verhältnis miteinander abwechselnde Kehl- und. ventilierende Lungenatmungen aufweisen (dass aber jede Reizung eine Anzahl von aufblähenden und entleerenden Lungen- respirationen auslöst); gewöhnlich kommt auf zwei oder mehrere Kehlatmungen zumeist nur eine ventilierende Lungenatmung oder auf eine längere Reihe der ersteren eine kleine Gruppe der letzteren. Be- unruhiet oder behufs graphischer Registration gefesselt weist der Frosch lediglich ventilierende Lungenatmungen ohne Kehloszillationen auf. In Winterstein’s°) Untersuchungen [wenn man die Kropeit- schen) ausser acht lässt, da er bei 20—50 °/o iger oder reiner Kohlen- säure nur über narkotische Wirkungen berichtet] treten in kohlensäure- reicher Atmosphäre nebst der Abwehrbewegungen starke Änderungen des Atemrhythmus zum Vorschein; die Kehloszillationen hören fast sogleich auf und machen den zuerst vertieften und stark vermehrten Lungenatmungen Platz, welche ein Vollpumpen der Lungen bewirken, dann aber bald immer seltener und langsamer werden, um bei fort- schreitender Lähmung ganz aufzuhören; in einzelnen Fällen sind bei kräftigen Tieren bei 25 Y/oigem CO, einige Zeit, nachdem die übrigen Erregungserscheinungen schon vorüber waren, häufige Aufsperrungen 1) E. Pflüger, Über die physiologische Verbrennung in den lebendigen Organismen. Pflüger’s Arch. Bd. 10 S. 316. 1875. 2) H. Winterstein, Über die Wirkung der Kohlensäure auf das Zentral- nervensystem. Arch. f. Physiol., Supplbd. S. 177. 1900. 3) A. Kropeit, Die Kohlensäure als Atmungsreiz. Pflüger’s Arch. Bd. 73 8.438. 1898. 88 Edward Babäk: des Maules erschienen, die aber kaum als dyspnoische Zeichen auf- zufassen sind, da sie bei Frstickung in der Wasserstoffatmosphäre oft gar nicht, sicher aber nicht regelmässig beobachtet werden, während man sie in einfacher Weise durch Verkleben der Nasen- löcher hervorrufen kann. Der Autor hält dieselben also für durch Störung der normalen Atemtätigkeit bedingte Reflexe. — Im weiteren hat Winterstein den Versuch gemacht, die zentrale Wirkungs- weise des Kohlendioxyds als Atemreiz zu erforschen, indem er durch Karbolsäure die sensiblen Elemente des Rückenmarkes ausschaltete: Es hat hier, wo zugleich die motorischen Elemente erhöhte Er- reebarkeit aufweisen, die Kohlensäure keine auffällige bewegungs- auslösende Wirkung zutage gelegt, so dass es höchstwahrscheinlich ist, dass auch die obengeschilderten Erregungeserscheinungen am normalen Tiere reflektorischer Natur sind. Die von Couvreur!) vollführten Untersuchungen haben er- geben, dass in kohlensäurehaltiger Atmosphäre eine starke Be- schleunigung (und Verstärkung) des Atemrhythmus sich ausbildet, und zwar noch nach der Entfernung der proximalen Gehirnabschnitte bis oberhalb des Abganges des siebenten Hirnnerven; wird der Schnitt unterhalb dieser Stelle geführt, so wird keine Beschleunigung durch CO, mehr beobachtet. Daraus schliesst der Autor, dass es in dieser Region eine auf CO, empfindliche Stelle gibt, welche aber nicht dem Atemzentrum entspricht; er meint, dass vielleicht die Venosität des Blutes keine Hauptursache des Atemıhythmus vorstellt, und neigt zur reflektorischen Theorie des letzteren. Dieser Abschnitt der Arbeit ist nicht genug klar; was die experimentelle Seite derselben betrifft, kann man bezweifeln, ob es sich bei der erzielten Beschleunigung des Atemrhythmus tatsächlich um zentrale Kohlensäureeinwirkung gehandelt hat, obwohl der Verfasser angibt, dass er die reflektorische Einwirkung ausgeschlossen hat (auf welche Weise?). Wahrscheinlich hat er auch nur den Lungenatmungen Aufmerksamkeit gewidmet; es ist aber dann die für die „Norm“ angegebene Zahl derselben (24 in einer Minute) ganz abnorm. Wir sind schon wiederholt zu der Frage gelangt, ob und auf welcho Weise die Atembewegungen des Frosches durch zentrale oder Blutreize beeinflusst werden; aber die Antwort war entweder ver- 1) E. Couvreur, Action de CO, sur les centres respiratoires de la grenouille. Compt. Rend. Soc. Biol. t. 54 p. 518. 1902. Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 89 neinend oder zweifelhaft. Von den alten Forschern dürfen wir noch Humboldt anführen [nach Edwards!)], der die Atembewegungen in der Luft und bei Zuleitung des „Stickgases“ gezählt haben soll: „Sogleich veränderten sich die Atemzüge, und diese Veränderung nahm im geraden Verhältnis mit der Menge des zugesetzten Stick- gases zu; allein weder Stickgas, noch Wasserstoffgas, noch kohlen- saures Gas wirkten so kräftig als Wasser.“ Es ist nicht klar, was für eine Veränderung im „Stiekgas“ gemeint wird; da aber weiter von Edwards über die hemmende Einwirkung des Wassers ge- sprochen wird, so scheint es, dass die beiden Beobachter im „Stiekgas“ eine fortschreitende Abnahme der sämtlichen Atembewegungen ge- sehen haben. — Bei J. Müller?) werden bei in Wasserstoffatmo- sphäre gehaltenem Frosche keine dyspnoischen Zeichen erwähnt; aus der erfolgten Lähmung und aus der nachherigen Erholung in der Luft wird nur geschlossen, dass das arterielle Blut eine Bedingung für dauernde Tätigkeit des Ateinzentrums vorstellt. Die erste klare und höchstwahrscheinlich genaue, leider äusserst lakonisch beschriebene Beubachtung einer Sauerstoffmangeldyspno& verdanken wir eben J. Rosenthal (l. e.), der bei (jungen Kaninchen, Meerschweinchen, Fledermäusen und) Fröschen in der mit Wasser- stoff progressiv verdünnten Luft eine Dyspno&, „so deutlich als dies bei Fröschen nur möglich ist“, gesehen hat. Wenn aber Rosenthal weiter schreibt, dass „zuletzt Krämpfe ausbrechen“, so will er dies wohl nur bei den erwähnten Säugetieren beobachtet haben. — Diese Angabe wird in der weiteren Literatur nicht weiter angeführt, bis wir sie wieder entdeckt haben, nachdem wir schon den weiter geschilderten genauen Nachweis einer Sauerstoffmangeldyspno& geführt hatten. Nur flüchtig berühren wir Danilewski’s°®) Bericht über den vermeintlichen Dyspnoönachweis beim Frosch. Wird ein nasses Fliesspapierstreifehen auf die äusseren Nasenlöcher gelegt, so entfernt das Tier dasselbe bald durch geschiekte Abwischbewegung; wird die 1) Edwards, Über Asphyxie der Batrachier (Ann. de chimie et physiol. t.5 p. 856) in Deutsch. Arch. f. Physiol Bd. 3 S. 610. 1817. 2) J. Müller, Handb. der Physiol. des Menschen für Vorlesungen Bd. 2 S. 76. 1840. 3) B. Danilewski, Über die Hemmungen der Reflex- und Willkür- bewegungen. Beiträge zur Lehre vom tierischen Hypnotismus. Pflüger’s Arch. Bd. 24 S. 501. 1881. 90 Edward Babäk: letztere verhindert, so soll die Atmung zuerst eingestellt, dann stark vermehrt werden, bis auch spasmotische Kontraktionen der Atem- muskeln erscheinen: Einziehen der Augen, Streckung des Kopfes usw., auch oft die schon oben erwähnten Öffnungen des Maules; nach Entfernung des Hindernisses besteht eine Weile ein beschleunigter Atemrhythmus. Bei „hypnotisiertem“ Tier wird die Abwischbewegung (angeblich „Resultat“ eines elementaren Denkens, willkürlicher „Impuls“) gehemmt, und es soll da in 10—20 Sekunden eine „Dyspno&“ zustande kommen. Nach der Exstirpation des Vorderhirns soll dieser Versuch viel geringere „Dyspno&“ hervorbringen, und es folgt bald der Abwischreflex. Es wird der Schluss getroffen, dass vielleicht das Vorderhirn „die wirkliche Gefahr der Atemnot übertreibt“ usw. — Es handelt sich aber überhaupt um „keine Dyspno&, sofern dieser bei den höheren Wirbeltieren ausgearbeitete Begriff eine durch Blutreizung bedingte Vermehrung der Atemzentrentätigkeit enthält, sondern nur um.reflektorische Reaktionen, durch mechanische Störung des normalen Atemmechanismus bedingt; es wurde schon im vorhergehenden über eine Reihe von solehen Beeinflussungen berichtet. Nach Bethe!), der den derzeitigen Stand der Frage über die Atemregulation der Amphibien kurz zusammengefasst hat, ist der Gasgehalt des Blutes ohne jeden Einfluss auf die Aus- lösung der Atembewegungen; es sollsich das Atemzentrum der Amphibien (und Fische) wesentlich von den Atem- zentren der höheren Wirbeltiere in dieser Hinsicht unter- scheiden. Robertson’s?) Versuche über die Einwirkung oxydierender und reduzierender Substanzen bei direkter Applikation auf die ent- blösste Medulla oblongata lassen sich schwer für unsere Frage ver- werten; nichtsdestoweniger ist es bemerkenswert, dass der Autor bei den oxydierenden Mitteln eine Beschleunigung, bei den re- duzierenden eine Verlangsamung des Atemrhythmus festgestellt hat, und man könnte, bei sorgfältiger Wiederholung dieser Versuche und bei genauer Unterscheidung der Kehloszillationen und Lungenatmungen zu wertvollen Ergebnissen gelangen. 1) A. Bethe, Allgem. Anatomie und Physiologie des Nervensystems S. 393. Leipzig 1903. 2) T. Brailsford Robertson, Sur la dynamique chimique du systeme nerveux central. Arch. internat. de physiol. t. 6 p. 388. 1908. Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 91 Sonst ist noch Nikolaides!) zu erwähnen, der in seiner ersten diesbezüglichen Arbeit die nach Abziehung der Haut in minuten- langen Pausen erscheinenden kurzdauernden Atembewegungen bei seöffnetem Munde für den Ausdruck der nach der Ausschaltung der Hautatmusg zustande kommenden Dyspno& (zentralen Ursprunges) hielt [s. die von Babäk?) veröffentlichte Kritik]; es braucht nicht ausführlich dargelegt zu werden, dass man aus solchen Versuchen nichts über die Atemregulation des normalen Tieres schliessen darf. Neuer- dings hält er nur das weite Aufreissen des Maules für eine dyspnoische Erscheinung, worüber wir schon oben (s. Winterstein) als un- haltbare Ansicht berichtet haben; im ganzen bestreitet Nikolaijdes, dass „der Sauerstoffmangel und die Kohlensäureanhäufung durch Reizung des Atemzentrums die Atembewegungen äuslösen“ würde, und neigt zur reflektorischen Theorie. B. Eigene Untersuchungen an Urodelen. In der Arbeit über die Ontogenie des Atemzentrums der Anuren haben wir?) noch die insbesondere von Bethe formulierte Sonder- stellung der Atemzentrentätigkeit bei den Amphibien für eine von namhaften Forschern festgestellte Tatsache gehalten und uns gezwungen gesehen, das abweichende Verhalten der Atem- zentren der Anurenlarven, wo eine feine Einstellung der Regulation auf den Sauerstoffgehalt des Blutes resp. des äusseren Mediums vorkommt, mit den Verhältnissen bei den metamorphosierten Tieren, in Gegensatz zu stellen; es schien, dass es sich um ökologische Anpassungen an die grundverschiedenen Lebensverhältnisse der Larven und der Geschlechtstiere handelt [s. Babäk]*). 1) R. Nikolaides, Die Atembewegungen der Amphibien und ihre Regi- strierung. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 22 S. 753. 1908. — Untersuchungen über die Innervation der Atembewegungen der Amphibien. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1910 S. 197. 2) E. Babäk und M. Kühnovä, Über den Atemrhythmus: und die Ontogenie der Atembewegungen bei den Urodelen. Pflüger’s Arch. Bd. 130 S. 446. 1909. 3) E.Babäk, Über die Ontogenie des Atemzentrums der Anuren und seine automatische Tätigkeit. Pflüger’s Arch. Bd. 127 S. 502. 1909. 4) E. Babäk, Über die Oberflächenentwicklung der Organismen und ihre Anpassungsfähigkeit. Biol. Zentralbl. Bd. 30 S. 231. 1910. — E. Babäk, Zur ontogenetischen Betrachtungsweise in der Physiologie. Arch. f. Entwicklungsmech. d. Organ. Bd. 30 S. 248. 1910. 92 Edward Babäk: Die weitere Untersuchung der Urodelenatmung aber (Babäk und Kühnovä |. ce.) hat auf das Problem der Atemregulation bei Amphibien neues Licht geworfen. Dieerwachsenen Tierevon Salamandramaculosa weisen in der Norm sehr verschiedenartigen Atemtypus auf, wohl dadurch bedingt, dass die reflektorische Reizbarkeit des Atemzentrums ausser- ordentlich gross ist und sogar diejenige der Anuren, über welche wir schon oben wiederholt berichtet haben, weitgehend zu übertreffen scheint. Es werden da sowohl die Lungen- als auch Kehlatmungen beeinflusst. Aber auch unter womöglich gleichen Versuchsbedingungen konnten an verschiedenen Tagen auffällige Unterschiede des Atem- rhythmus verzeichnet werden. Demzufolge müssen bei den Ver- suchen’ über die durch Blutreize verursachten Atemänderungen die bezüglichen Untersuchungen in einem Zuge durchgeführt und die Einflüsse der zugehörigen Manipulationen durch spezielle Versuche ermittelt werden. Bei den Erstiekungsversuchen in Wasserstoffatmosphäre, insbesondere aber bei Erholung aus der Sauerstoffmangel- paralyse hat sich da ein wesentlicher Unterschied im Verhalten derLungenatmungenundKehloszillationen gezeigt. Während der Erstickung sank die Anzahl der Kehlatmungen progressiv, während die Lungenventilationen anfänglich öfter wurden, um erst später ebenfalls abzunehmen und früher zu verschwinden als die Kehlatmungen, welche vor der definitiven Einstellung peri- odisch erfolgten (es kamen auch hier und da krampfhafte Einziehungen des Mundbodens zum Vorschein). Bei der Erholung erschienen zu- erst periodische, allmählich zahlreichere Kehlbewegungen (oft zuerst unregelmässig), dann bricht eine mächtige Dyspno& der Lungen- atmungen aus, immer mehr anwachsend, mit zugleich sich ver- mehrenden Kehlatmungen; erst nach längerer Zeit nimmt die Anzahl der Lungenventilationen ab, um zur Norm zurückzukehren, während die Kehloszillationen sich noch weiter vermehren, bis zu der nor- malen hohen Frequenz. Man könnte demnach das Atemgeschäft von Salamandra (und wohl auch des Frosches, wie weiter zu sehen ist) als das Er- gebnis der Interferenz von zweierlei Atemzentren auf- fassen. Das Kehlatemzentrum wird durch Verminderung des Sauerstofigehaltes im Blute nicht zur intensiveren Tätigkeit an- gefacht, sondern allmählich paralysiert, und zwar später als das - Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 93 Lungenatemzentrum, welches gleichsam auf feinere Sauerstoff- gehaltsoszillationen eingestellt ist, bald zur dyspnoischen Tätig- keit angeregt wird, um erst nachher gelähmt zu werden; die Ver- hältnisse der Erholung bringen diesen Unterschied der physiologischen Eigenschaften beider Zentren noch mehr zum Ausdruck. ©. Eigene Untersuchungen an Anuren. Erstieckungsversuche. Durch diese Versuchsergebnisse wurde in uns der Zweifel er- weckt, ob die offizielle Lehre von der Ausnahmestellung des Frosches unter den Wirbeltieren in Hinsicht der Atemregulation zu Recht besteht. Tatsächlich haben nun die weiteren Untersuchungen ergeben, dass es sich hier nur um eine Folge ungenügender Beobachtung handelt, und dass sich die Anuren in den Erstiekungsversuchen vielfach ähnlich verhalten wie Sala- mandra. Wir haben nur eine kurze Mitteilung über diese Frage. veröffentlicht!) und wollen nun auf die bezüglichen Untersuchungen ausführlicher eingehen. Wir haben (durchwegs von allen Manipulationen Abstand ge- nommen, von welchen es bekannt ist — s. unsere eben vorgeführte Zusammenfassung der älteren Arbeiten —, dass dadurch die Re- spirationsbewegungen entweder reflektorisch oder durch schwere Störung der inneren Bedingungen des Organismus beeinflusst werden (Fesselung, Registration, Operationen am Gehirn, an den Atemnerven, Einführung von Kanülen in die Nasenlöcher usw.). Man sucht wo- möglich nur die Sauerstoffgehaltsbedingungen zuändern; da dabei ebenfalls gewisse Manipulationen reflektorisch das Atem- geschäft beeinflussen, überzeugt man sich, was für einen Einfluss die letzteren haben, indem man „Scheinänderungen des Gasmediums“ anstellt (ähnlich den „Scheinfütterungen“ bei der Analyse der Se- kretion der Verdauungssäfte usw.). Die eine Gruppe der Versuche bestand darin, dass wir den Frosch in ein mit Wasser vollgefülltes, hermetisch verstopftes Gefäss eingeschlossen und dann das Wasser durch Luft oder Wasserstoff verdrängt oder auch Luft allmählich mit Wasserstoff verdünnt haben, bis sich endlich der Frosch in reinem Wasserstoff befand. In akustisch signalisierten 15- oder 30-Sekunden-Intervallen wurde bei sonstiger 1) E.Babäk, Über den Nachweis einer wahren (Sauerstoffmangel-)Dyspno& beim Frosche. Folia Neurobiol. 1911 S. 539. 94 Edward Babäk: Ruhe durch blosse Inspektion das ganze Benehmen des Tieres mittels geeigneter Zeichen beschrieben, wobei insbesondere die Zahl und die Art der Bewegungen des Atemapparates genau verfolet wurde. Die betreffenden Tiere wurden schon einige Tage vorher in dem gleich temperierten Laboratorium in ihren Versuchsgefässen gehalten, so dass ihr Verhalten in der Norm uns bekannt war; ebenfalls die schwachen Abänderungen des Atemrhythmus, welche durch die höchst schonende Manipulation des Verschliessens usw. bedingt wurden, haben wir in die Rechnung nehmen können. Es ist bemerkenswert, dass unter solchen Umständen das Atem- geschäft des Frosches sehr regelmässig ist, gegenüber den An- gaben der meisten älteren Forscher. Es darf behauptet werden, dass dieselben an gereizten oder abnormalen Tieren ihre Beobachtungen angestellt haben. Die Kehloszillationen besitzen ein weit überwältigendes Übergewicht, indem grösstenteils auf etwa 10—50 davon in der Regel eine vereinzelte Lungenatmung kommt (sehr selten eine verdoppelte); es werden gleichsam individuelle Unterschiede in der Grösse der Kehloszillationengruppen vorgefunden, aber auch bei einem und demselben Versuchstiere variiert die Anzahl der Kehl- oszillationen in einer „Atemperiode“ zwischen zwei Lungenatmungen in weiten Grenzen; aber immer kommt da eine wenn auch noch so kleine Kehlatemgruppe vor. Je gereizter oder abnormaler das Tier, um so kleiner sind die letzteren, um so häufiger die Lungenventilationen, welche sogar gruppenweise auftreten und z. B. an die von Wedensky gegebene Schilderung erinnern; das Atemgeschäft überhaupt wird vollends unregelmässig. Beispiel eines Erstickungsversuches. Versuch am 23. Februar 1911. Rana fusea & 20. 2C: Während je 5 Minuten in der Norm 680—690 Kehloszillationen in Gruppen von 3—96 (im Durchschnitte 30) zwischen je zwei Lungenventilationen, deren 21—24 in der gleichen Zeit auf- treten. Bei Durchleitung des Wasserstoffs kommen sehr bald öftere Lungenventilationen zum Vorschein, so dass die Kehlatemgruppen sich verkleinern, aber im ganzen während der ersten 5 Minuten etwas ver- mehrt werden: 794 K. (Kehlatmungen) + 61 L. (Lungenatmungen). Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 95 E Zahl der ; Zahl der Zahl der Lungen- eembeworunpen Kehloszillationen ventilationen | überhaupt Durchschnittszahl der Atembewegungen während 5 Min. in der Norm: 689 | 22 | 711 Zahl der Atembewegungen bei der Wasserstoff- durchleitung: Anfang bis 5. Min. 764 61 825 5.— 10. „ 695 50 145 10.— 15. „ 676 64 740 15.— 20. „ 496 101 597 25.— 80. „ 492 112 604 30.-- 35. „ 508 102 610 35.— 40. „ 446 114 560 40.— 45. „ 385 98 484 45.— 50. „ 346 90 436 30.— 59. , 4715 13 548 539.— 60. „ la 80 257 65.— 70. „ 96 86 182 75.— 80. ,„ — 86 86 90.— 9. „ — 62 62 9.—10. „ — 100 100 110.—115. „ = 87 87 115.—120. „ — 88 88 120.125. , — 3 43 125.—130. , — 3 43 130.—135. ,„ —- 23 23 Die Kehlatembewegungen nehmen, von der anfänglichen Be- schleunigung abgesehen, progressiv ab, um früher zu verschwinden als die Lungenatmungen, welche durchweg, insbesondere in der Mitte der Beobachtung, sehr frequent sind, um bei nahender Erschöpfung des Nervensystems der Norm sich zu nähern. Die stärkere anfäng- liche Vermehrung der Lungenatmungen wird ebenfalls wie diejenige des Kehlatemrhythmus mit den peripheren Einflüssen des veränderten Mediums in Beziehung zu bringen sein, während die übrigen Er- scheinungen wohl zentral, durch Sauerstoffmangel des Blutes, hervorgebracht werden. Schon nach 10 Minuten werden die Lungen- atmungen hier und dagruppenweise zuerst als „ventilierender“, im späteren Verlaufe als „einpumpender“ Atemtypus (Wedensky]. ce.) angetroffen, was in 30 Minuten zur Regel wird, so dass nur ab- wechselnde Perioden auftreten, zwischen denen bei starker Aufblähung der Kehlrhythmus besteht; es nimmt weiter die Zahl der Lungen- atemzüge in diesen Perioden und der Betrag der Aufblähung zu, zugleich aber die Summe der Kehloszillationen merklich ab, gleich- zeitig mit Verkleinerung ihrer Exkursionen, insbesondere nach den 96 3 Edward Babäk: Lungenatemperioden, bis sogar nach den letzteren die Kehlatem- bewegungen einige Zeit aussetzen, um durch ihre Erscheinung eine nahende Lungenatemperiode anzukünden. Später werden zeitweise, endlich definitiv, die Kehloszillationen zwischen den mächtigen Lungen- atemperioden vermisst. Die Abnahme der Frequenz und des Umfanges der letzteren (bei sichtlicher dyspnoischer Art des periodischen Atemtypus) bewegt uns zur Unterbrechung des Erstickungsversuches. Nach vorsichtiger, ohne jede Reizung vollführter. Eröffnung des Versuchsgefässes leiten die ersten Ventilationen der Lunge mit atmo- sphärischer Luft einen ununterbrochenen Lungenatemtypus ein, wo fast jede Sekunde ein mächtiger Atemzug erscheint. Nach einiger Zeit, aber zuweilen erst am Ende der zehnten Minute, er- scheinen seltene, dann allmählich frequenter werdende Kehl- oszillationen; sie sind zwischen einzelnen Lungenventilationen oder zwischen kleinen Gruppen von solchen vereinzelt oder in kleinen Gruppen, später in grossen Gruppen zwischen vereinzelten seltenen Lungenventilationen vorhanden (d. i. Norm). Zahl der Atembewegungen nach Herstellung der Luft- atmosphäre in 5-Min.-Intervallen Zahl der Zahl der Lungen- Ir Rn en En Kehloszillationen ventilationen überhaupt Anfang bis 5. Min. — 286 286 10. , 14 361 375 10.—15. „ 182 292 474 20.—25. „ 434 154 588 30.—35. ,„ 621 30 651 Was die Frequenz betrifft, gibt sich sowohl während der Erstiekung als auch der Erholung nur bei den Lungenatem- bewegungen ein auffälliger Reizzustand zu erkennen (im ersten Falle durch allmählich ansteigende Vermehrung, im zweiten durch unmittelbaren Aufschwung, der später allmählich in die Norm über- geht), während das Kehlatemzentrum im ersten Falle allmähliche Depression, im zweiten allmählich fortschreitende Restitution auf- weist. Wenn man, wie es bisher getan wurde, nur die Gesamt- zahl der Atembewegungen betrachtet, ohne zwischen den zwei Typen zu unterscheiden, so kommt man infolge des eben geschilderten Verhaltens zu dem irrtümlichen Schlusse, dass der Frosch bei der Erstiekung allmähliche Abnahme bis Einstellung, bei der Erholung von der Sauerstoffmangelparese Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 97 allmähliche Rückkehr des Atemrhytımus zur Norm zeigt, während es sich in der Tat um eine sowohl während der Erstickung als auch der Erholung zustande kommende auffällige Dyspno& des Lungenatemrhythmus handelt. Es ist aber bemerkenswert, dass die zweierlei Dyppo@n während der Erstickung und während der Erholung keinesfalls gleiches Bild zutage lesen. Was die Frequenz der Lungenatmungen betrifft, so findet man sie bei der Erholung bedeutend stärker dyspnoisch vermehrt als während des Erstickungsversuches. Und noch auffälliger differieren die Charaktere dieser dyspnoischen Atmungen: Bei der Erstickung sieht man zuerst eine allmähliche Vermehrung der in dem ununterbrochenen Kehlatemrhythmus zerstreuten Lungenventilationen, bald aber eine deutliche Gruppenbildung der letzteren, wobei der Anfang der Gruppe durch entleerende und ventilierende, das Ende derselben durch aufblähende Atemzüge gebildet wird; dieser Typus besteht bis zur Paralyse. Ein besonders typischer Verlauf ist folgender: Es werden die Nasenlöcher seöffnet, und die bisher aufgeblähten Lungen werden entleert; dann erscheint eine Reihe von gleichmässigen ventilierenden Lungenatmungen, endlich eine Reihe von einpumpenden und Atemeinstellung im aufgeblähten Zustande. Bei der Erholung aber wird ein zuerst ununterbrochener Ateın- typus bemerkt, wo durchweg nur ventilierende Atmungen vorhanden sind: Es wird der in die Mundhöhle teilweise entleerte Luftinhalt der Lungen wieder zurückbefördert, so dass es den Anschein hat, als ob ein und dasselbe Luftquantum sich zwischen der Muudpharynx- höhle und den Lungen mit grosser sichtlich dyspnoischer Anstrengung bewegen würde; dabei wird der Gaswechsel in den Lungen aller- dings durch diese Luftdurehmischung gefördert, aber es besteht doch wieder der Nachteil, dass es sich um dieselbe allmählich verbrauchte Luft handelt. Es ist allerdings schwer, auszuschliessen, ob doch nur nicht dabei durch die nicht völlig schiiessenden Nasenlöcher etwas davon zeitweise nach aussen und ebenfalls neue Luft von aussen nach innen befördert wird (über solche Abänderung des Atem- mechanismus haben wir schon oben berichtet; s. Abschnitt II S. 73). Später, wo zerstreute und gar gruppierte Kehloszillationen in dem erresten Lungenatemrhythmus auftreten, sind allerdings sehr günstige Atmungsbedingungen geschaffen. Den oleichen Verlauf haben auch die übrigen Versuche gehabt, wo ebenfalls ein kontinuierlicher Wasserstoffstrom durchgeleitet wurde Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 7 98 Edward Babäk: oder wo nach Auspressung des Wassers aus dem Gefässe vermittels des Wasserstoffes (bis auf eine kleine Menge am Boden) das Tier in einer Atmosphäre mit unbedeutenden Spuren des Sauerstoffs sich befand. Ausserdem wurden zahlreiche Erstickungsversuche so ausgeführt, dass die Tiere im Wasser bis zur Lähmung oder wenigstens bis zu starkgewecktem Sauerstoffhunger gehalten wurden, und dann die Erholung der Atemzentrentätiekeit verfolgt wurde. Wo noch keine Lähmung vorhanden war, da brach in der Luft sofort ein ununter- brochener dyspnoischer Lungenatemrhythmus aus, der erst allmählich durch eingesprengte Kehloszillationen zur Norm zurückkehrte, auf die- selbe Weise, wie wir dies soeben ausführlich geschildert hatten. Über die Bewegungserscheinungen am Atemapparat während des Unter- tauchtseins im Wasser werden wir weiter handeln (Abschn. V). Wurde die Erstiekung bis zur Lähmung getrieben, so .wird erst nach gewisser Zeit in der Luft reflektorisch ein oder mehrere Lungenatemzüge ausgelöst; spontan erscheinen oft zuerst nur un- regelmässig (auch gruppiert) schwache Mundbodenbewegungen, die Lungenatmungen gewöhnlich später, bei noch mehr fortgeschrittener Erholung. Als Zeichen einer Beschädigung des zentralen nervösen Atemmechanismus, welche allerdings noch reparabel ist, sieht man verschiedenes Verhalten: Es werden z. B. auf Reiz nur Quak- reflexe ausgelöst (wobei die Luft aus den Lungen in die proximal verschlossene Mundhöhle und von da wieder zurück in die Lungen gepresst wird), erst später die Lungenventilationen; zuweilen wird auf den Reiz zuerst nur der Mund weit geöffnet, aber keine Atem- bewegung wahrgenommen; es können aber bei geöffnetem Munde allmählich spontan schwache ÖOszillationen des Bodens zustande kommen, ja es kann auch aus den Lungen exspiriert werden (eine ausgiebige Füllung der Lungen ist. allerdings bei geöffnetem Munde unmöglich). Die Lungenfüllung kann zuerst auf die Weise vollführt werden, dass der Mund weit geöffnet, dann verschlossen und sein Luftinhalt in die Lungen gepresst wird (bis zur Aufblähung). Die oben geschilderte auffällige Lunzendyspno& entwickelt sich bisweilen erst: nach einer halben Stunde und später, und kann dann auch noch 2 Stunden bestehen, so dass die Norm erst nach Stunden zurückkehrt. Bei nochweiter getriebener Erstickung kann das zentrale Nervensystem so stark beschädigt werden, dass die typische, gleichsam den Restitutionsprozess bezeichnende Dyspno& der Lungenatmungen überhaupt nicht mehr beobachtet wird, soudern nur unrezelmässig Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 99 gruppierte oder vereinzelte Lungenventilationen, und das Tier geht zugrunde, auch wenn es schon Lokomotionsbewegungen usw. zeigte (über die verschiedenen Beschädigungen des Zentralnervensystems dureh protrahierte Erstickung haben wir vor Jahren viele Erfahrungen gesammelt, die sich bis zu gewissem Grade mit derjenigen von Fühner in Pflüger’s Archiv Bd. 129 S. 255 decken). Wiederholte schonende Erstickungsversuche brauchen das Lungenatenzentrum nieht zu beschädigen, wie unsere Versuche, die monatelang dauerten, beweisen (die diesbezügliche Abhandlung wird später erscheinen). In der Norm besteht zwischen den Kehloszillationen und Luugen- ventilationeu eine funktionelle Verknüpfung, wie aus der oben geschilderten zweckmässigen Einschaltung der Kehlatmungs- perioden zwischen die. vereiuzelten Luugenventilationen zu ersehen ist. Durch reflektorische Beeinflussung wird meistens die Zahl der. Lungenatmungen vermehrt, diejenige der Kehloszillationen ent- sprechend vermindert, indem anscheinend die letzteren als „unvoll- ständige“ Atembewegungen sich in „vollständige“, hochkomplizierte Lungenatemzüge umbilden. Die Beziehung der beiden Atemtypen ist indessen nieht so innige. Wir haben soeben eine Reihe von Fällen beschrieben, wo dieselben getrennt vorkommen. Insbesondere bei der Erstiekung haben wir nachgewiesen, dass der Lungen- atemrhythmus dyspnoisch erregt, der Kehlatemrhythmus gehemmt wird; es kann sich da also kaum um die Reizung eines einheit- lichen zentralen Nervenapparates handeln, so dass die „schwachen“ Atembewegungen in „starke“ (Kehloszillationen in Lungenatmungen) übergehen würden; denn man sieht bei der fort- geschrittenen Asphyxie alleinige, in langen Pausen vorkommende Lungenventilationen, gruppenweise angeordnet. Bei der Erholung aus der protrahierten Sauerstoffmangelparalyse können zuweilen auch zuerst nur Kehloszillationen auftreten; erösstenteils aber sind nur Lungenatmungen vorhanden, und auch ihr Erscheinen ist nicht der Hypothese günstig, nach welcher die beiden Atem- typen nur quantitative Abänderungen der Tätigkeit eines und desselben nervösen Mechanismus wären. D. Die abweichende Organisation des Kehlatemzentrums (gegenüber dem Lungenatemzentrum) durch das Verhalten der lungenlosen Salamandriden bewiesen, Wir haben soeben gesehen, dass die Kehloszillationen keine dyspnoische Vermehrung aufweisen. Es scheint aber, 7 * 100 Edward Babäk: dass das „Kehlatemzentrum“ sich auf der anderen Seite durch eine ausserordentliche Beeinflussbarkeit von seiten der ver- schiedenen „willkürlichen“ Bewegunesinnervationen auszeichnet. Wenn das normale, ruhig atmende Tier seinen Kehl- atemrhythmus beschleunigt oder verstärkt, oder wenn bei Ab- wesenheit von jeder Atembewegung plötzlich die Kehloszillationen erscheinen, lässt sich bald irgendwelche Beweoung (auch die Lungen- ventilation) erwarten. Dies lässt sich auch in den langen Atem- stillständen im Stadium der fortgeschrittenen Erstickung beobachten: Es fehlen da die Kehloszillationen zwischen den Lungenatemperioden; wo aber dieselben plötzlich erscheinen, lässt sich mit Bestimmtheit irgendwelche Unruhe erwarten. Man kann da auch reflektorisch die Lungenatempause mit einem Kehlatemrhythmus aufüllen, indem man eben eine Unruhe (Lokomotion usw.) auslöst (zugleich werden die Lungenatemperioden häufiger gemacht). Diese Eigenschaft des hypostasierten Kehlatmungszentrums konnten wir insbesondere bei den Jungenlosen Salamandriden im höchsten Grade entwickelt nachweisen. Mit den Lungen ist da auch das durch den Sauerstoffmangel dyspnoisch er- regbare Lungenatemzentrum verloren gegangen!), und es sind da nur die Kehloszillationen erhalten geblieben. Wir können in dem tatsächlichen Vorhandensein des in seinen sämt- lichen Eigenschaften mit dem hypostasierten Kehlatemzentrum der übrigen Salamandriden und der Anuren übereinstimmenden alleinigen Atemzentrums für Kehlatembewegungen bei den lungen- losen Salamandriden einen Naturbeweis erblicken, dass unsere Hypothese von der Duplizität der zentralen nervösen Atemmechanismen bei den lungenatmenden Salamandriden und bei den Anuren den höchsten Grad von Wahrscheinlichkeit besitzt. Bei den lungenlosen Salamandriden ist auch der spezifische, auf Änderungen des Sauerstoffgehaltes im Blute eingestellte Regulations- mechanismus der Lungenatembewegungen verschwunden, und das allein gebliebene Kehlatemzentrum hat sich diese Fähigkeit nieht angeeignet, wie unsere Untersuchungen gezeigt haben )). 1) E. Babäk, Neue Untersuchungen über die Atembewegungen der Urodelen mit besonderer Berücksichtigung der lungenlosen Salamandriden. ° Pflüger’s Arch. Bd. 153 8. 441. 1918. Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 101 Um so auffälliger haben sich die Eigenschaften des von uns oben studierten Kehlatemzentrums ausgebildet, als die innigen Be- ziehungen, welche das letztere mit dem Lungenatemzentrum gebunden haben, durch den Schwund der Lungen und also auch ihrer zentralen Repräsentation, d. h. des Lungenatemzentrums, sich gelöst haben. Das Kehlatemzentrum der lungenlosen Salamandriden ist reflektorisch ausserordentlich beeinflussbar, ins- besondere aber wird die Frequenz und Grösse der Kehloszillationen durch die geringsten Körperbewegungen, ja sogar schon durch das Vorbereiten derselben, äusserst fein abgeändert, so dass dies als ein ebenso vollkommener Regulationsmechanismus gelten kann, wie es, allerdings in anderer Weise, derjenige des Lungen- atemzentrums ist. Die vergleichende Untersuchung hat also unsere auf Grund physiologischer Beobachtungen des Atemgeschäftes von Salamandra und des Frosches gefällten Urteile stark gestützt. Wir werden noch im V. Abschnitte Gelegenheit haben, die Bedeutung der ver- gleichenden . Untersuchung für die Lehre von den Atembewegungen und ihrer Regulation an anderen Beispielen klarzulegen. E. Über den Einfluss der Temperatur auf die Tätigkeit des Kehl- und Lungenatemzentrums. Wir müssen aber vorher noch eine Reihe von Fragen berühren, welche mit der Regulation der Atembewegungen bei den Amphibien im Zusammenhange stehen. Eine Reihe von Versuchen haben wir mit Herrn cand. med. V. Dysek zu dem Zwecke angestellt, um den Einfluss der Temperatur nicht als reflektorischen Reizes, sondern als an- dauernder Lebensbedingurg zu ermitteln. Durch steigende Temperatur werden die Lebensprozesse, sofern sie auf überwiegend chemischer Grundlage beruhen, so beschleunigt, dass auf jede 10° C. der Temperaturquotient Q,, = 2—3 zutrifft. In einer von unseren Arbeiten!) haben wir nachgewiesen, dass je nach den Sauerstoffbedingungen im äusseren Medium und im Zentral- nervensystem die Beschleunigung des Atemrhythmus verschiedenartig 1) E. Babäk und J. Rotek, Über die Temperaturkoeffizienten des Atem- rhythmus bei reicher und bei ungenügender Versorgung des Atemzentrums mit Sauerstoff. Pflüger’s Arch. Bd. 130 S. 477. 1909. 102 Edward Babäk: ausfällt; ein auf Sauerstoffgehalt eingestellter Regulationsmechanismus weist im Sauerstoffmangel eine bedeutend stärkere Beschleunigung seiner Tätigkeit bei wachsender Temperatur auf als im Sauerstoff- reichtum. Es wäre möglich, dass man durch Erwärmung eine verschiedene Vermehrung der Kehl- und der Lungen- atembewegungen erzielen würde, wenn die betreffenden Regulationsmechanismen oder „Atemzentren“ wirklich weitgehend unabhängig tätig sind und verschiedene physiologische Organisation besitzen, wofür wir schon im vorhergehenden eine Reihe von Daten angeführt haben. Beispiel eines Temperaturversuches. Versuch am 14. März 1912. Rana esculenta. Das Ge- fäss mit dem Tiere enthält am Boden etwas Wasser und ist in einem anderen grösseren Glasgefäss eingetaucht, dessen Wasser verschiedene Temperatur besitzt. Nach jedem Wasserwechsel wurde abgewartet, bis die Folgen der Manipulation vorüber waren und das Tier annähernd die höhere Temperatur aufwies. Bei 7°C. fast durchweg 95 Kehloszillationen in 1 Minute. Bei 13°C. fast durchweg 106 Kehloszillationen in 1 Minute. Bei 19°C. fast durchweg 127 Kehloszillationen in 1 Minute. Bei 25°C. erscheinen erst unregelmässige Lungenatmungen, von denen im Durchschnitte drei auf verhältnismässig noch immer regel- mässig verlaufende 146 (135—163) Kehlatmungen fallen. Bei 30° C. besteht schon Unruhe, die Lungenatembewegungen werden stark vermehrt, bis 19 in 1 Minute, am Ende aber nehmen sie ab (auf 9 in 1 Minute); die Kehlatmungen sind zuerst annähernd ebenso zahlreich wie in 25° C., um im weiteren Verlaufe der Be- obachtung progressiv abzunehmen und endlich völlig zu verschwinden: Dies kommt so zustande, dass Pausen in dem bisher ununterbrochenen Kehl- und Lungenatemrhythmus erscheinen und sich verlängern, bis allmählich ein periodischer, zuerst noch regelmässiger Atmungstypus erscheint (gewöhnlich zwei Lungenventilationen von einigen Kehl- oszillationen gefolgt); endlich sieht man nur doppelte oder vereinzelte, unregelmässig verstreute Lungenatembewegungen. Bei 35° C. wird der Frosch hellgrün (durch Zusammenziehung der Hautchromatophoren), weist grosse Unruhe auf, auffällige Lungen- atmungen, fällt dann auf den Rücken um, aber erholt sich bei der Zimmertemperatur bald und zeigt nun eine ununterbrochene Lungenatemdyspno& von zuerst 96, weiter 99, 105, 105, 107 usw. Atemzügen, vollständig ähnlich derjenigen, welche oben bei der Erholung aus der Sauerstoffmangellähmung geschildert worden war. Noch nach !/ı Stunde zählt man 107 Lungenatemzüge in 1 Minute. Ähnlichen Verlauf besitzen viele andere Versuche, Bisweilen weichen die Ergebnisse ein wenig ab. So z. B. im Versuche am 29. März 1912 bestanden Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 103 bei 10°C. im Durchschnitte 83 Kehl- und 0,2 Lungenatmungen in 1 Min., D) 15°C. » ” 89 D) » 1,7 B) ” 1 D) ” 20°C. » D) 86 „ ” 22,0 „ D) 1 » D) 25°C. ” ” 90 b) » 23,0 D) » 1 „ ” 30°C. „ » 21 ” b) 20,0 b) ” A ” ” 35°C. ” FERRUR, $) 16,0 D) 1 ” » ” wo aber nach 5 Minuten Lähmung erschien ; weiter bei der Erholung in der Zimmerluft bei 17°C. in den nacheinanderfolgenden Minuten 71, 78, 82, 89, 92, 94, 97, 99, 100, 101, 100, 98, 99 usw. alleinige Lungenatemakte. In einigen Fällen waren auch bei 9 oder 10°C. Lungenatem- bewegungen zu verzeichnen, sind aber später bei 15°, ja 20°C. ver- schwunden, um wieder später und rasch anwachsend zu erscheinen, oder sie haben schon von 10°C. fortschreitend zugenommen, so z. B. in einem Versuche vom 27. März 1912, wo später am Anfange des Aufent- haltes bei 30°C. auch die Kehlatmungen sich stärker vermehrt hatten: bei 10°C. im Durchschnitte 84 Kehl- und 14 Lungenatmungen in 1 Min. ” 192.0. D) b) 75 ” ” 22 ” ” 1 » „ 20 g C. ” $)) 67 ” b) 37 ” $)) 1 ) 25° C. $) „ 13 b) ” 39 „ „ 1 b) ” Bei 30°C. haben die Kehlatmungen am Anfange die Zahlen 185, 182, 148, 168, 164 aufgewiesen, dann aber ganz aufgehört; bei der srossen Unruhe sind diese Zahlen allerdings anders zu deuten, als nur durch Temperatur vermehrt. Die Lungenatmungen haben durch- weg abgenommen. Bei der Erholung wurde das übliche Verhalten wahrgenommen. Im ganzen werder mit der steigenden Temperaturun- vergleichlich mehr die Lungen- als die Kehlatem- bewegungen vermehrt. Es lässt sich nicht zweifeln, dass man auch diese Ergebnisse zugunsten unserer Behauptung von dem weit- gehenden Unterschiede der physiologischen Organi- sation desKehl- und Lungenatemzentrums verwerten darf. Es bleibt zu erwägen, auf welche Weise dieser Unterschied zu deuten ist. Auch wenn wir von der reflektorischen Beeinflussung der beiderlei Atemzentrentätigkeit absehen, bleiben noch wenigstens zwei Wege für den Einfluss der Temperatur übrig: Es wird die Temperatur des Zentralnervensystems im ganzen direkt abgeändert und auf diese Weise der Verlauf der Lebensprozesse in demselben; und indirekt bewirkt die höhere Temperatur des ganzen Körpers einen intensiveren Gaswechsel , einen stärkeren Sauerstoffbedarf, ja sogar endlich einen Sauerstoffmangel, wenn die üblichen Atmungs- mechanismen nicht ausreichen, um den Körper genügend mit Sauer- stoff zu versorgen. In unseren Versuchen haben wir keine weiteren analytischen Untersuchungen angestellt. 104 Edward Babäk: Was die Tätigkeit des Kehlatemzentrums betrifft, wo wir (s. oben) keine regulatorische Einwirkung der Blutbeschaffenheit auf- finden konnten, hat sich da in der Hauptsache nur der direkte Erwärmungseffekt der hohen Temperaturen bewährt; dieser scheint aber merkwürdigerweise sehr gering zu sein: In sehr vielen -Versuchen wird bei steigender Temperatur der Kehlatem- rhythmus nicht vermehrt oder höchstens unbedeutend, so dass hier eine Ausnahme von der R.G.T.-Regel vorliegen würde, welch letztere sonst bei allen rhythmischen Lebensvorgängen eilt, soweit ich in der umfangreichen Literatur orientiert bin. Es müsste noch nachgeforscht werden, ob sich hier kein hemmender Einfluss von seiten des Lungen- atemzentrums betätigt. Aber die blosse Zunahme der Lungen- ventilationen reicht entschieden nicht aus, um die unbedeutende Zu- nahme der Kehlatembewegungen zu erklären. Bei der weiteren Temperatursteigerung — gegen 30° C. — wird in der Mehrzabl der Fälle (ausgenommen die Versuche, wo eine ausserordentliche Unruhe vorhanden war) eine deutliche Depression und endlich Einstellung des Kehlatemrhythmus verzeichnet. Der indirekte Einfluss der Temperatursteigerung — vermittels des erhöhten Sauerstoffbedarfes im Körper resp. des zustande kommenden Sauerstoffmangels im Blute — kommt bei dem Kehl- atemrhythmus nicht zur Geltung: Dies ist in Übereinstimmung mit der oben gemachten Erfahrung. Die Lungenatembewegungen kommen bei vielen Tieren bei niedrigen Temperaturen überhaupt nicht zum Vorschein; gegen 20° C. werden da gewöhnlich vereinzelte Lungenatemzüge wahr- genommen, erst weiter nehmen sie rasch zu. Es lässt sich da haupt- sächlich an die indirekte, stoffwechselerhöhende Ein- wirkung der Temperatursteigerung denken, wie aus dem weiteren Verlaufe der Versuche zu sehen ist: Über 30° C. wird eine De- pression und Lähmung, während der Erholung ein ununter- brochener dyspnoischer Lungenatemrhythmus beobachtet, wie in den Frstickungsversuchen. Die direkte Beeinflussung der (unregelmässig) rhythmischen Lungenatemzentrumtätigkeit gibt sich in den Fällen kund, wo schon bei niedrigen Temperaturen aus un- bekannten inneren Gründen verhältnismässig zahlreiche Lungen- atmungen vorkamen. Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien et. 105 F. Über das Verhalten der Atembewegungen nach der Unter- brechung der Blutzirkulation und nach Entblutung. Wir haben weiter mit Herrn cand. med. J. Hepner') eingehend das Verhalten der Atemzentren des Frosches nach Unterbrechung der Blutzirkulation und Wiederherstellung derselben aus- geführt (und sind soeben mit den Versuchen über den Einfluss der künstlichen Zirkulation beschäftigt). Die oben geschilderten Versuche von Sokolow und Luch- singer und diejenigen von Langendorff lassen von unserem Standpunkte aus — von dem es unumgänglich notwendig ist, die Kehloszillationen und Lungenatmungen streng auseinanderzuhalten x viel zu wünschen übrie. [Die von Martius?) berührten Änderungen in der Atemtätiekeit der Salzfrösche sind nur gelegentlich angeführt.) Tatsächlieh sind wir zu anderen Schlüssen gelangt, diese Maassregel befolgend. Bei den Versuchstieren wurde die Region des Abganges der Aorta entblösst und der Einfluss einer fingierten Aorten- zuklemmung auf die Atembewegungen sichergestellt» indem das nach der Operation erholte, in Ringer’scher Lösung (!!s cm Tiefe) freisitzende Tier herausgeholt und die betreffende Manipulation bis auf die Schliessung der Aorta ausgeführt wurde. Später wurde wirklich die Aorta zugeklemmt und nachher. eröffnet usw. Beispiel eines Versuches mit Unterbrechung und Wiederherstellung der Blutzirkulation. Versuch am 13. April 1912. Zwei Stunden nach der Aorta- entblössung weist ein kräftiges Männchen Rana fusca ganz regelmässig in 15 Sekunden 30— 31 Kehl- und 1—2 Lungenatmungen auf. Wird die Verschliessungsmanipulation fingiert, so verändert sich das Atemgeschäft in den nacheinanderfolgenden 15-Sekunden-Intervallen felgendermaassen: 89 K., 2 L. — 34 K., 3 L. — 32 K., 6 L. — Baer 25 Kr, HL, —29IK., 5E. — .30K., 5 Li — 30K,, 3b. — 35K.AL. — 30K., 5 L. — 29K., 5 L.— 31K., 4 L. — Be en SIR 2ER 2 —Ss0r KR, 8 Er 9827, 2 7. 82 K., 2 L. -— 30 K., 2 L. — (usw.== Norm). 1) J. Hepner, K otäzce krevni regulace dychaeich ustredi u obojzivelnikü. Biol. Listy Bd. 2. 1913. 2) Martius, Über die Wirkung blutverdünnender Transfusion bei Fröschen. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1883 S. 257. 106 Edward Babäk: ' Dieselbe Manipulation mit Zuklemmung der Aorta: 11 K., 3L. — 25 K., 3L. — 29K., 4L. — 19K., 10L. (Unruhe) — 2 A ae RS, Ali — AU IS, 6 1 23 K, 5L. — 20. ano) 90 IK, ea an az, 5 L. — 16K., 7 L. — 22K., 7 L. — (beständige Unruhe) — 16 K., 8 L. Es wurde die Aorta geöffnet: 19 K., 6 L. — (Unruhe) — 1 2 2 GERN, 7 L. —. 1O9IK2, 620 E23 Bl 4L. — 7K.,4L. — 22K,, Sn — 28K. 2L. —23K,5L. — 27K,, L. — 27 K., 2 IL. — 24 K,61L. — 13K., 15 L..— 25 K, 5L. — 21K,, 7L. 20K.,.6L.—-25K.,4L. -16K, 41. 18 KR. 5 Es 180RG74 1. DOER 0 28-R, 7 mesaNach weiteren 5 Minuten: 31 K., 3L. — 30 K., 3L. usw. Nach weiteren 5 Minuten: 81 K, 1L. — 29 K,2L. — K., 4 L. 260% 2 L. usw. Wiederholte Zuklemmung der Aorta: 19 K,7 L. — 31 K, a SH TG in EZ N a ee — 2 IK, 7 L. — die Kehloszillationen werden sehr klein, die Lungenatmungen erscheinen gruppiert als einpumpende Atmungen, bisweilen Unruhe, krampfhafte Einziehung des Mundbodens — 14 K, 3 L. — 14K,, 4L. — 15 K, 3 L. — 22K., 1L. Es verschwinden bisweilen die Lungenatmungen, und das Maul wird hier und da stark eröffnet: 20 K. (3 Maulöffnungen) — 18 K, 1 L. — 23K. — 14K. — 25K — 26 K. — 18 K., 2 L. — 10 K, 1L. (2 Maulöffnungen) — 14 K., 2 L. — 15 K. — 28 K. — 5 einpumpende L., 13 K. (1 Maulöffnung) — 16 K. (5 Maulöfnungen) — 12 K, 2 LU — 15 K — 12K. (1 Maulöffnung) — 2 L., 4K. — die Kehloszillationen erscheinen in Pausen als Gruppen: 9K. — 12 K. — 0 — 19K. — 0 — 13K. — Unruhe, II K., 2%. —20K, "Aortareröfinet: 8 K. — 5ER, 6 L. (in zwei Gruppen) — 2 K. und dann 11 L. — 25 L. usw. als ununterbrochener Lungenatemrhythmus; nach 3 Minuten erscheinen da- zwischen 3 K., dann wieder ein ununterbrochener Lungenatemrhytmus, dann hier und da einige Kehlbewegungen, was noch nach 15 Minuten andauert. Wiederholte Zuklemmung hat baldige Vermehrung der Kehl- oszillationen zur Folge: 4 K., 17 L. — IOK, 16 L —.3K, 17 L. — 30 K., 2 L. — 26K., 4 einpumpende L. — 23K., 7 ein- pumpende L. — 24 K. — 23 K., 3 einpumpende L., Unruhe — 22 K, 2 L. — S0K. — 19K., 6_L. (einpumpend) — 23 K. — 34 K. — 32 K. — 28K., 1L. Eröffnung: 31 K. — 7K,., 161. usw., ein nur höchst selten durch einige Kehloszillationen unterbrochener Lungenatemrhythmus, Wiederholte Zuklemmung und Eröffnung hat fast dieselben Folgen gehabt wie zuletzt. Später wurde die Schliessung noch- mals 6 Minuten lang erhalten, mit ähnlichem Ergebnis wie früher; nach Eröffnung wurden zuerst sehr ausgeprägte einpumpende Perioden gesehen; sonst bestand ein ununterbrochener Lungenatem- rhythmus. Nach Abschneidung der Herzspitze erschienen einpumpende Lungenatmungen dazwischen, in 45 Sekunden auch Kehl- oszillationen, die dann (bei zeitweiliger Unruhe) fast allein übrig- blieben, nur selten durch Lungenatemzug unterbrochen; dann kamen Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 107 in dem Kehlatemrhythmus Pausen und Maulöffnungen zum Vorschein. Aber schon in 4 Minuten verschwanden fast sämtliche Atembewegungen, das Maul wurde geöffnet gehalten, es bestand Unruhe, einige kleine Kehlatemgruppen, in 12 Minuten vollständige Atemlosigkeit. Es ist, wie leicht ersichtlich ist, der Verlauf der Erscheinungen nach der Unterbrechung der Zirkulation wesentlich verschieden bei den nacheinanderfolgenden Versuchen. Die erste Zuklemmung der Aorta hat deutliche Ver- minderung der Kehlatemfrequenz und Vermehrung der Lungenatemfrequenz zur Folge; die Wiederherstellung der Norm erfolgt verhältnismässig spät, obwohl die Unterbrechung der Zirkulation nur 4 Minuten gedauert hat. Die weitere (10 Mi- nuten dauernde) Zuklemmung ruft sehr rasch eine starke Ver- mehrung der Lungenatmungen hervor, als Zeichen dafür, dass das betreffende Atemzentrum, trotz anscheinend normalen Ver- haltens, doch noch nicht vollständig restituiert war; es löst ausserdem periodische, aufblähende Lungenatemzüge aus, welche wir oben als ein Charakteristikum der Erstiekungsversuche erkannt haben; aber als gewaltiger Unterschied von dem Bilde der blossen Erstickung sehen wir sehr bald die Lungenatmung fast verschwinden, und nur die Kehlatmungen, welche sich zuerst unregelmässig verhielten, bleiben in grösserer Anzahl übrig, allerdings gegenüber der Norm seltener und bedeutend schwächer, später nur in Perioden. Die Wiederöffuung hat einen ganz anderen Effekt als früher: Es besteht eine ähnliche Lungen- atemdyspno&, welche für die Erholung ausder Sauerstoff- mangellähmuug typisch ist, nur dass sie jetzt bedeutend länger aushält. Wir haben vor uns sichtlich zweierlei Wirkungen: erstens, die WirkungdesSauerstoffmangels, welche rein selbständig in den oben geschilderten Erstickungsversuchen zutage trat; zweitens, dazu gesellen sich die weiteren Wirkungen der Zirku- lationseinstellung (Verhinderung der normalen Ernährung, der Abfuhr der Abbauprodukte usw.). Es ist möglich, den Unterschied der Folgen einer zweiten Zuklemmung auch in den Fällen nach- zuweisen, wo die letztere ganz kurz gedauert hat. Es wird da wohl hauptsächlich eine Beschädigung des Zentralnervensystems durch die sub 2 eben erwähnten Umstände herbeigeführt. Die weiteren Zuklemmungen der Aorta, welche im Zustande einer fast ununterbrochenen Lungenatemtätigkeit stattgefunden hatten, 108 Edward Babäk: verursachten baldige Abnahme der letzteren, einige einpumpende Perioden, Erscheinen und Vermehrung der Kehlatembewegungen ; nach Eröffnung kamen immer ausgeprägte aufblähende Lungenatemperioden und ein ununterbrochener Lungenatemrhythmus zum Vorschein. Man könnte da insbesondere in dem Verhalten nach Unterbrechung der Blutzirkulation eine weitere Stütze für die Anschauung schöpfen, dass zwei spezielle Atemzentren bestehen, deren Tätigkeit bei verschiedenen Ernährungsbedingungen verläuft. Die Symptome nach Entblutung sind ähnlich wie bei Unter- brechung der Zirkulation, einerseits durch Sauerstoffmangel (aufblähende Lungenatemperioden!) und andererseits durch Auf- hebung des normalen Stoffaustausches zwischen dem Blute und den Nervenzellen verursacht; dazu müssen wir aber noch die mechanische Wirkung der weitgehenden Entleerung der Gefässe zurechnen; mit dem letzteren Umstande (Verringerung des Turgors?) würde vielleicht die baldige Einstellung sämt- licher Atembewegungen im Zusammenhange sein, wenn wir den Verlauf der Erscheinungen mit demjenigen nach Zuklemmung der Aorta vergleichen (es ist zu bemerken, dass eine langsame Blut- zirkulation in den Kapillaren und kleineren Gefässen auch in den Schwimmhäuten abgetrennter hinterer Extremitäten und, wie wir wiederholt noch nach 10 Minuten gesehen haben, in den Kapillaren der abgetragenen Gaumenschleimhaut weiterbesteht, wahrscheinlich eben durch die Turgoränderung der Gewebe bedingt). Die insbesondere bei wiederholter Zuklemmung der Aorta und bei Entblutung zu beobachtenden Maulöffnungen werden auch in den Erstickungsversuchen verzeichnet und könnten als dyspnoische Äusserungen aufgefasst werden, würden sie nicht auch unter den verschiedensten anderen Umständen vorhanden sein (z. B. sehr bald nach mechanischer Verhinderung der Atmung, bei reflektorischer Reizung durch Kohlensäure usw.), umgekehrt aber bei der typischen Dyspno® während der Erholung von dem Erstickungsversuch oder nach Wiederherstellung der Blutzirkulation vollständig fehlen. G. Die Atembewegungen bei Kohlenoxyd- und Natrium- sulphantimoniat-Vergiftung. Unter meiner Leitung hat Herr cand. med. J. Hepner eine systematische Untersuchung über den Einfluss der „Hämoglobin“-Gifte ausgeführt, deren Ergebnisse zugleich mit denjenigen anderer Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien et. 109 chemischen Beeinflussungen der Atemzentrentätigkeit, mit denen wir soeben noch beschäftigt sind, erst später veröffentlicht werden sollen. Wir führen nur vorläufig an, dass durch Kohlenoxyd unter gewissen Versuchsanordnungen eine auffällige dyspnoische Erregung des Lungenatemzentrums bewirkt wird, die allerdings mit der raschen Abgabe des Kohlenoxyds aus der losen Oxyhämoglobinverbindung in frischer Luft rasch übergeht; dagegen ist die ähnliche Einwirkung von geeigneten Dosen von Schlippe’schem Salz weit eingreifender und beharrlicher. Es lassen sich also die Sauerstoffmangel- wirkungen, die durch Behinderung der Hämatose zustande kommen, an dem Lungenatemzentrum des Frosches ausser- ordentlich schön demonstrieren. H. Über die Atembewegungen nach Abtragung der einzelnen Gehirnabschnitte. Nach den älteren Forscheru, welche sich mit der Frage der „Lokalisation des Atemzentrums“ beim Frosche beschäftigt haben (Legallois, Flourens u. a.) hat erst von Wittich (. c.) ein- gehender die Beziehung der Gehirnabschnitte zu den Atembewegungen untersucht. Nach alleiniger Abtragung der Grosshirnlappen atmeten die Tiere mit grösster Regelmässigkeit, sowohl was die Frequenz als auch die Tiefe der Atmungen betrifft; nach Durch- schneidung der Hirnstiele bis dieht vor den Vierhügeln er- hielten sich gleichfalls die rhythmischen Respirationsbewegungen; bei durchschnittenen Vierhügeln atmete ein Tier nur, wenn man es berührte oder ihm Luft in die Lungen blies (Überleben 4 Tage); wurde der Schnitt genau vor der Medulla oblongata geführt, so starben die Tiere sehr bald und atmeten weder spontan noch auf Reize. Demnach ist der Autor geneigt, das Atemzentrum in den Corpora quadrigemina zu suchen. Die durch einen Scherenschnitt _ (dieht vor den Trommelfellen) dekapitierten Frösche (bei Erhaltung des Unterkiefers), wo noch Vierhügel erhalten bleiben, können bis ‚ einen Monat überleben; sie zeigen unmittelbar häufige und gewalt- same Bewegungen des freigelesten Kehlkopfes; jede Berührung der Rückenhaut wird mit Quaken beantwortet. Später sind die Kehl- kopfbewegungen ungemein selten (zuweilen nicht eine einzige in /s Stunde, wenn in der Umgebung Ruhe besteht); aber auf noch so leise Reize erfolgen grössere oder geringere Reiheu der Kehlkopf- eröffnungen und -schliessungen, oft ein lebhaftes Quaken (auch die LIOZEE Edward Babäk: leiseste Berührung der Schnittfläche des Gehirns wirkt intensiv); sonst sind nur „zitternde Bewegungen der Kinnhaut“ zu sehen (= Kehloszillationen ?). — Trotz der Behinderung der Lungenatmung nach dieser mit Eröffnung der Mundhöhle verbundenen Operation werden die durch wiederholte Reizung durch Quaken entleerten Lungen nach einiger Zeit wieder gefüllt. Von der ungenügenden Blutdurcehlüftung zeugt das ungemein dunkle Blut, aber trotz- dem verbleiben die Tiere „apno6tisch“ ; dass das Atemzentrum er- regbar ist, beweisen reguläre, infolge des Lufteinblasens in die Lungen ausgelöste Kehlkopfatmungen. — Im weiteren berichtet v. Wittich, dass ein normaler, im Wasser gewaltsam untergetauchter Frosch gewaltsame Anstrengungen macht, um die Oberfläche zu er- reichen, und endlich durch starke Exspirationen seine Lungen ent- leert, während der hirn- und Jungenlose nach etwa 15—20 Minuten regungslosen Aufenthaltes tetanische Bewegungen aufweist und „ohne alle dyspnoische Erscheinungen“ stirbt. — Die bemerkenswerten, völlie vergessenen Angaben Spirö’s!) über die Beziehungen der Atembewegungen überhaupt und ihrer reflektorischen Beeinflussbarkeit im speziellen zu den einzelnen Gehirnabschnitten enthalten den Nachweis, dass auch noch die Hemisphären einen unzwei- deutigen Einfluss auf die Atembewegungen besitzen (wenn auch die Art des Einflusses der proximalen Gehirnabschnitte auf das Atemzentrum der ÖOblongata nicht so ist, wie es der Autor annimmt). Steiner?) hat noch nach der Schnittführung am hinteren Rande des Kleinhirns „schwache Atmung“ gesehen. — Martin (l. ce.) hat bei Fröschen ohne Hemisphären und Thalami optieci keine wesentliche Änderung des Atemgeschäftes wahrgenommen; es war nur eine grössere Regelmässiekeit in dem Verhältnisse der Flanken: und Kehlrespirationen zu verzeichnen. Nach Entfernung der Lobi optiei kam keine vollständige Erholung zustande, dass er eine genaue Vereleichung des Atemgeschäftes vollführen könnte. Wenn aber Martin als Norm für die Frösche ohne Hemi- sphären und Thalami etwa vier bis fünf Kehloszillationen auf eine 1) P.Spird, Über die Innervation der Atemritze beim Frosche. Pflüger’s Arch. 1874 S. 602. 2) J. Steiner, Untersuchungen über die Physiologie des Froschbhirns. Braunschweig 1885. Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 139 Lungenventilation angibt, so handelt es sich da schon um starke Abweichung von dem Verhalten eines intakten Frosches, wo die Lungenatmungen weit seltener vorhanden sind. Aus seinen Ver- suchen über die Reizung der Lobi schliesst er, dass dieser Gehirn- absehnitt die Tätigkeit des Atemzentrums in ÖOblongata stark be- einflusst; allerdings ist der von ihm verwendete Reiz (Kochsalz) nicht lokalisierbar. — Knoli (l. e.) erkennt an, dass nach vollständiger Aussehaltung des Gross- und Mittelhirnes sich der Typus der Atem- bewegungen nicht ändert (auch aufblähende Bewegungen sollen vorkommen); sie sind aber weit seltener und treten beim Fernhalten aller äusseren Reize nur gruppenweise nach sehr langen Pausen auf. Schrader!) lokalisiert die für die automatische Atmung in An- spruch zu nehmende Gehirnpartie zwischen den Querschnitt parallel dem hinteren Rand der Kleinhirn!eiste und wahrscheinlich dem Niveau der Spitze des Calamus seriptorius; noch nach Zerstörung des Trigeminus oder aber des Vagusgebietes können rhythmische Be- wegungen beobachtet werden. (Sehr bemerkenswert sind auch Schrader’s Angaben über die Beziehuugen des Rückenmarkes zur Tätigkeit der Atemzentren; s. das Original.) Nach Graham Brown (|. ce.) atmet ein Frosch ohne Gross- hirn (24 Stunden und mehr nach der Operation) normal; der Lungenatemrhythmus soll regelmässiger sein. Ohne Thalami (2—3 Tage) besteht fast normales Verhalten; nur eine Neigung zu Pausen von etwa 10 Sekunden Dauer, in denen keine Lungenatmung stattfindet, soll vorhanden sein, während sonst die Lungenatmungen jede Kehlbewegung begieiten (es muss hervorgehoben werden, dass die Versuchstiere befestigt waren und in die eine Lunge eine Glas- röhre behufs Registration der Atembeweeungen eingebunden wurde — deswegen weisen die Tiere überhaupt eine grosse Anzahl der Lungenventilationen gegenüber den unserigen, wirklich normalen auf; s. weiter. Ohne CGorpora bigemina (24 Stunden) war ein unregelmässigerer Rhythmus anzutıeffen; die Kurven schienen eine fortlaufende Reihe von Einpumpungs- und Entleerungsphasen zu sein. In Gemeinschaft wit Herrn cand. med. V.DysSek?) haben wir auch über diese Fragen Untersuchungen angestellt, wobei wir einerseits 1) M. E. G. Schrader, Zur Physiologie des Froschgehirns. Pflüger’s Arch. Bd. 41 S. 89. 1887. 2) V. DySek, O vztahu oddilü mozkovych k dychäni obojZivelnikü. Bio- logicke Listy 1912. 112,52 Edward Babäk: an ungefesselten Tieren unsere Beobachtungen vollführten (denn durch die Fesselung und Registrationsvorrichtungen werden die Be- dingungen viel zu kompliziert, was bei einem reflektorisch so stark beeinflussbaren Organismus, wie es der Frosch ist, in den bisherigen Arbeiten sehr vernachlässigt wurde), andererseits an von der Operation am Zentralnervensystem vollständig erhaltenen, bis monatelang in voller Gesundheit überlebenden Versuchstieren (es liess sich nach- weisen, dass das Verhalten der Atembewegungen am anderen Tage nach der Operation, nach wenigen Tagen und nach Wochen ver- schieden war; nach völliger Heilung der Wunde, was zuweilen bis zwei Wochen erfordert, haben wir sehr konstante Verhältnisse ver- zeichnet). a) Frösche ohne Vorderhirn. Unmittelbar nach dem Öperationseingriff findet man die ver- schiedensten Abänderungen des Atemgeschäftes, wohl je nach den Blutverlusten, nach der Schnelligkeit und Genauigkeit der Exstirpation, nach den Beschädigungen der nächsten Nachbarschaft usw. Es be- stand zuweilen ein ununterbrochener Lungenatemrhythmus oder ein periodischer Kehlatemrhythmus usw. In einigen Tagen und besonders nach vollständiger Heilung sahen wir alleinige Kehlatembewegungen mit ausser- ordentlicher Regelmässigkeit erfolgen; die Lungenatmung liess sich durch verschiedene Reize auslösen. Die Regelmässigkeit des Atembildes war so frappant, dass wir mit gutem Erfolg diese Versuchstiere zur Erforschung der Temperatur-, Licht- und Schall- reizbarkeit verwendet haben, worüber wir in diesem Abschnitte weiter unten das Wesentliche anführen wollen, sofern es sich um Beeinflussung des Verhältnisses zwischen Kehl- und Lungenatmungen handelt. — Wo ohne nachweisbar äussere Reizung die Versuchstiere vereinzelte Lungenatmungen aufwiesen, war eine innere Reiz- quelle vorhanden: Es liess sich da bei der Autopsie eine fort- schreitende Erweichung der Thalami von der Schnittfläche aus nach- weisen [s. b)]. Bei Erstiekung in Wasserstoffatmosphäre sind schon in den ersten Minuten Lungenatmungen aufgetreten, isoliert oder gruppen- weise oder auch ununterbrochen; die Gruppen bestanden aus blossen ventilierenden Atemzügen, oder es handelte sich um Aufblähungs- perioden. Bald sind die Kehlatmungen vollständig verschwunden. Es ist also der ganze Erstickungsprozess auffallend Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 113 verkürzt, ungefähr auf die Hälfte der Normzeit (der Verlust der Kehloszillationen erfolgt in ”—16 Minuten, bei intaktem Tiere bis in 70 usw.; die Lähmung in etwa 1 Stunde, gegen etwa 2 Stunden in der Norm). Der Verlauf der Erholung ist gegenüber der Norm sehr erschwert, oft muss man durch Massage des Herzens ihren Beginn beschleunigen. Man sieht dann seltene isolierte Lungenventilationen, später auch Aufblähungsperioden bis einen ununterbrochenen raschen Lungenatemrhythmus, welcher auch die Norm charakterisiert. b) Frösche ohne Zwischenhirn. In der ersten Zeit werden grösstenteils nur Lungenatmungen verzeichnet; aber allmählich erscheinen und vermehren sich die Kehl- atmungen, welche endlich ein Übergewicht auf die Dauer erhalten. Das Mittelhirn steht ohne Zweifel in intimem Verhältnisse mit dem „Atemzentrum“ der Oblongata, wie aus dem Verhalten der Frösche ohne diesen Gehirnabschnitt [s. e)] folgt. Solange das intakte Mittelhirn vorhanden ist, werden im wesentlichen ähn- liche Symptome bei der Erstiekung und Erholung wahr- genommen, wie bei normalen Tieren, obwohl der Erstickungs- verlauf noch abrupter erfolst als in den Fällen, wo Thalami vorhanden sind (die Lähmung erscheint in 20—30 Minuten); die Kehlatmungen verschwinden bisweilen sehr bald. Die Erholung verläuft langsamer als bei a). c) Frösche ohne Mittelhirn. In der Norm fehlen da die Kehlatmungen vollständig. Die Lungenatmungen erscheinen vereinzelt, zuweilen sehr selten, zuweilen bis sogar 29 in einer Minute. Es besteht eine ungewöhnliche Empfindlichkeitgegen Sauerstoffmangel: Das Versuchstier wird in sauerstoffloser Atmosphäre schon in 2—6 Minuten gelähmt, so dass, wenn man es ‘nicht zur rechten Zeit in die Luft bringt, das ganze Zentralnerven- system rasch abstirbt. Dass das ganze Zentralnervensystem rasch leidet, sieht man aus den Krampfreaktionen, die bei der Er- holung in der Luft, noch ehe die Lungenatmungen erscheinen, auf ganz schwache mechanische Reize wie beim Strychninfrosch erfolgen. Der dyspnoische Lungenatemrhythmus wird eher während der Erholung beobachtet; aber er erreicht bei weitem nicht diejenige Stufe wie in der Norm oder in den eben ge- schilderten Fällen a) und b). Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bu. 154. 6) 114 Edward Babäk: Doeh durch die Erstickung wird sehr leicht das Funktionieren des Atemzentrums der Oblongata gestört: Man sieht da während der Erholung z. B. rhythmische Oszillationen des Mundbodens bei geöffnetem Maule, zuweilen auch bei geschlossenem usw. Der Oblongatafrosch scheint gleichsam im Zustande einer ehronischen Asphyxie zu sein; es brauchen die normalen Be- dingungen des Gaswechsels nur auf ganz kurze Zeit gestört zu werden, und es erscheint schon akute Erstickung. Während das Rückenmark eines normalen Frosches nach Einstellung der Zirkulation (oder nach Dekapitation und Entfernung der Eingeweide) bis etwa eine Stunde überlebt, stirbt das mit Oblongata verbundene Rückenmark unserer Versuchstiere fast ebenso rasch wie dasjenige der Homoiothermen. Diese Verhältnisse erfordern erst eine eingehende Analyse, die aber in den Bereich unseres Problems grösstenteils nicht mehr ge- hören. In einer Hinsicht könnte ıman den anscheinend vorhandenen chronischen Asphyxiezustand im Zusammenhange mit unserer Haupt- frage erörtern. Die Oblongatafrösche weisen nur Lungen- atmungen auf. Es scheint, dass der normale Kehlatem- rhythmus, insbesondere sein Auftreten zwischen den vereinzelten Lungenatemzügen, an das Vorhandensein des Mittelhirns sebunden ist, denn wir sahen (echte?) Kehloszillationen bei den Oblongatafröschen nur ganz ausnahmsweise. Wenn aber diese Venti- lationen der Mundpharynxhöhle fehlen, so ist auch die Ventilation der Lungen vielleicht erschwert: Die exspirierte Luft mischt sich mit der in der Mundhöhle befindlichen, nicht erneuten Luft- menge und wird wieder inspiriert usw. Allerdings müsste man da voraussetzen, dass die Nasenlöcher fest zuschliessen, denn sonst würde bei der Exspiration etwas Luft nach aussen entrinnen, viel- leicht auch vorher, bei der aktiven Senkung des Mundbodens, von aussen in die Mundhöhle eindringen usw. Ohne Zweifel besteht hier kein dauernder fester Verschluss der Nasenlöcher (ja Mochi. ce. [s. weiter] meint, dass hier sogar die Schliessung überhaupt nicht vorkommt), und so wird doch nur, wenigstens teilweise, für die Er- neuerun® der Atemluft, auch ohne eingeschobene Kehlatmungsperioden, gesorgt; ausserdem besteht hier die Hautatmung (nach Mochi wird eben durch die andauernde Öffnung der Nasenlöcher die Lungen- füllung unmöglich und dadurch der chronische Erstickungszustand herbeigeführt). Es ist vielleicht also begründet, wenn man für die ausserordentliche Empfindlichkeit der Oblongatafrösche gegenüber Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien ete. 115 dem Sauerstoffmangel den Ausfall der Kehlatembewegungen mit- verantwortlich macht. — Dabei bestehen allerdings noch andere Möglichkeiten: z.B. es können die proximalen Gehirnabschnitte, insbesondere das Mittelhirn, wesentlich den Stoffwechsel der distalen Abschnitte des Zentralnervensystems und des ganzen Körpers be- einflussen usw.; und in dieser Hinsicht ist es bemerkenswert, dass schon die Abtrennungen des Vorder- und Zwischenhirns in demselben Sinne, allerdings schwächer, wirken wie die Ausschaltung des Mittel- hirns. An dieser Stelle erwähnen wir, das neuerdings Mochi Unter- suchungen über die nervöse Regulation der Atembewegungen bei Fröschen unternahm, wobei er auch die Lobi optiei entfernte. Er sagt, dass diese Operation „per la inevitabile recisione dei bronchi nervosi che vanno ai muscoli del naso, impedisce l’effetuarsi di movi- menti respiratori effieaci — i. moti che si osservano nella rana priva di lobi ottiei sono tentativi di respirazione, privi di effetto per la impossibilitata chiusura dei forami nasali — mancando la chiusura del naso, manca la possibilita di modificare lo stato di riempimento del polmone, che resta permanentemente quasi vuoto — le escursioni respiratorie del laringe si verificano egualmente, soltanto il loro numero diminuisce subito notevolissimamente, passando di eolpo dopo P’operazione a 5, 10 tutt’ al piü 12 escursioni al minuto, mentre prima aveva raggiunte le 50, 60 e piü“; allmählich werden in fol- senden Tagen die Respirationen zahlreicher, aber die Lungen sind noch mehr entleert. In Wasserstoffatmosphäre werden die Larynx- bewegungen frequenter, im Sauerstoff seltener. Mochi hebt mit Recht die Bedeutung der Lobi für die Atem- tätigkeit hervor, aber seine Erklärung der nach Exstirpation der Lobi stattfindenden Änderung des Atemmechanismus durch Lähmung der Nasenmuskeln, deren Nerven bei der Operation „unausbleiblich durchgetrennt“ werden sollen, lässt sich nieht halten. Wie Gaupp eingehend nachgewiesen hatte, bestehen bei den Anuren keine Nasen- muskeln, welche an dem Atemmechanismus einen wesentlichen Anteil hätten, sondern die Änderungen des Lumens der äusseren Nasen- löcher werden durch den Druck des Unterkiefers auf den Zwischen- kiefer bewirkt. Man wird also zu dem Schlusse geführt, dass das „Atem- zentrum“ des Frosches — resp. das Lungenatemzentrum — zwar hauptsächlich an das Kopfmark gebunden ist, aber g*+ > 116 Edward Babäk: dass seine Tätigkeit in hohem Grade von den proximalen Ge- hirnteilen, insbesondere dem Mittelhirn, reguliert wird; es handelt sich nicht nur um die Beziehung zu der zen- tralen oder Blutregulation, welche bei Vorhandensein des Mittelhirns unvergleichlich ausgiebiger ist, sondern auch, wie es schon Spiröd (l. ec.) gesehen hatte und wie dies neuerdings auch Mochi berichtet, um die Beeinflussung der reflektorischen Reizbarkeits- verhältnisse. Es scheint nebstdem, dass ohne das Mittelhirn jene wichtigen Abänderungen des Lungenatemmechanismus weitgehend gestört, wenn nicht überhaupt verhindert werden, welche Wedensky als „einpumpende“ und „entleerende“ Lungen- atmungen bezeichnet hatte. Es wird weiter nach Entfernung des Mittelhirns jene für die Ausgiebigkeit der Lungenatemtätig- keit so wichtige Einschaltung der die Luft in der Mundhöhle er- neuernden Kehloszillationen vernichtet, so dass man gleichsam in das Mittelhirn das Kehlatmungszentrum „verlegen“ könnte. Endlich scheinen an das Mittelhirn wichtige Einflüsse auf den Stoffwechsel (insbesondere Gaswechsel) der distalen Abschnitte des Zentralnervensystems gebunden zu sein, deren Analyse erst durchzuführen ist. (Wir behalten uns ausserdem vor, eine genaue Erforschung der Störungen des komplizierten Lungen- atemmechanismus bei den Oblongatafröschen durchzuführen.) Aber nicht nur das Mittelhirn, sondern auch die noch mehr proximal liegenden Gehirnabschnitte erweisen sich als wichtige Regulatoren des Kehl- und Lungenaten- rhythmus. Wie ersichtlich, lässt es sich nicht von einer umgrenzten Lokalisation des „Atemzentrums“, nicht einmal des „Lungenatemzentrums“ sprechen. — Das Vorderhirn scheint insbesondere die chemische („zentrale“) und re- tlektorische Reizbarkeit des Lungenatem-, die reflektorische des Kehl- atmungszentrums zu beeinflussen. J. Die reflektorische Beeinflussung der Kehl- und Lungenatembewegungen. Die beiden Arten der Atembewegungen des Frosches werden von den verschiedensten Reizen beeinflusst. Es scheint, dass ein völlig ruhiger Frosch bei mässiger Temperatur in der Regel gar keine Lungenatmungen und oft nur periodische Kehlatembewegungen aufweist; aber sehr leicht wird ein beständiger Kehlatemrhythmus, Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. Pr mit verschiedener Anzahl Lungenatmungen besetzt, ausgelöst; stärkere Reizunz kann sogar „Aufblähungsperioden* und einen ununter- brochenen Lungenatemrhythmus hervorbringen. Auch aus dem Ver- halten der beiden Arten Atembewegungen lassen sich Gründe schöpfen für die Auseinanderhaltung der beiden zugehörigen zentralen Me- chanismen. — Schon in den vorhergehenden Abschnitten (s. insb. IV. A./H.) wurde gelegentlich eine Reihe von Daten der verschiedenen Forscher darüber gesammelt; man könnte von den neueren noch Nicolaides (l. e.) anführen. Es handelt sich für uns an dieser Stelle nur darum, auf die feinen reflektorischen Beeinflussungen der Tätigkeit der beiden Atemzentren hinzuweisen, die neuerdings Babäk mit seinem Mitarbeiter DySek bei Temperatur-!) und besonders bei Lichtreizen ?) erzielt hat, indem die äusserst fein reagierenden, dabei in der Ruhe einen höchst regelmässigen ununterbrochenen Kehlatemrhythmus aufweisenden Frösche ohne Vorderhirn zu den Versuchen verwendet worden waren. Es wurden da nicht nur reflektorische Änderungen des Atemrhythmus durch die geringsten Änderungen der äusseren Einflüsse beobachtet, sondern auch anhaltende tonische Änderungen des Atemgeschäftes durch andauernde feine Temperatur- und Lichtwirkungen wahr- genommen; und dabei sind insbesondere bei Lichteinflüssen je nach der Farbe usw. ganz typische „Atembilder* erschienen, wo das Lungen- und Kehlatemzentrum gesondert beeinflusst zu werden scheint (z. B. werden da in gedämpftem farblosem Licht alleinige sehr zahlreiche Kehlatmungen, in violettem seltenere Kehl-, aber dazwischen Lungenatmungen verzeichnet usw.). V. Zur vergleichenden Physiologie der Atembewegungen der Amphibien. . Der phylogenetische Standpunkt. Die Anuren und wahrscheinlich auch die lungenatmenden landbewohnenden Urodelen werden sich in bezug auf die Mechanik und Regulation der Atembewegungen wohl im wesentlichen gleich verhalten. Es sind allerdings in den einzelnen Gruppen gewisse Unterschiede zu verzeichnen. 1) E. Babäk, Über die Temperaturempfindlichkeit der Amphibien. Zu- gleich ein Beitrag zur Energetik des Nervengeschehens. Zeitschr. f. Sinnesphysiol. Bd. 47 S. 34. 1912. 2) E.Babäk, Über den Farbensinn des Frosches, vermittels Atemreaktionen untersucht. Zeitschr. f. Sinnesphysiol. 1913 8. 331. 118 Edward Babäk: A. Salamandra maculosa zeichnet sich im Verhältnisse zu Rana fusca oder R. eseulenta in der Norm durch erössere Unregelmässigkeit des gesamten Atemgeschäftes aus, was wohl durch stärkere Beeinflussbarkeit, insbesondere reflektorische Reiz- barkeit, bedingt sein wird; aber sonst ist das Verhältnis der Kehl- und Lungenatembewegungen annähernd ähnlich. Ein grösserer Unterschied ist darin hervorzuheben, dass bei er- stickender Salamandra das Kehlatemzentrum länger arbeitet als das Lungenatemzentrum und nachher früher sich erholt und das Atemgeschäft einleitet, während beim Rana die Kehloszillationen schon lange vor den Lungenatmungen verschwinden, zur Zeit, wo die letzteren eine auffallende Dyspno& (verbunden mit aufblähenden und entleerenden Atemperioden) aufweisen. Die gewöhnlich späte Rückkehr der Kehlatmungen während der Erholung aus dem Er- stickungsversuche beim Frosch ist wohl auch damit in Zusammen- hang zu bringen, dass hier eine ungemeine Erregung des Lungen- atemzentrums besteht, so dass das Kehlatemzentrum gleichsam nicht zur „Rede“ kommen kann (nur selten werden bald nach dem unter Wasser vollbrachten Erstickungsversuche zuerst schwache Kehl- oszillationen wahrgenommen). Die während der Erstickung und während der Erholung zustande- kommende Lungenatemdyspno& ist beim Frosch bei weitem auffälliger als bei Salamandra. Man könnte diesen während der Erholung vorhandenen Unterschied im Verhalten der Anuren so zu deuten versuchen, dass es sich um eine unaufhörliche Ver- schiebung grösstenteils eines und desselben Luft- quantums zwischen den Lungen und der proximal verschlossenen Mundhöhle handelt, wobei also der Gaswechsel unausgiebig ist, während bei Salamandra die von Anfang der Lungenatmung zwischen den einzelnen Lungenventilationen erscheinenden Kehl- oszillationen für Erneuerung der Atemluft sorgen. Wir glauben aber, dass es sich da zugleich um verschiedene Eigenschaften der Lungenatemzentren der beiden Amphibiengruppen handelt: denn die Lungenatemdyspno&, welche während der Erholung aus der Sauerstoffmangelparese zum Vorschein kommt, dauert nicht nur bei den Anuren, sondern auch bei Salamandra sehr lange (vielleicht noch länger) an, obwohl hier keine solche Behinderung der Blutdurehlüftung vorliegt. ‘Übrigens ist in dem Verhalten der Lungenatemzentren dieser beiden Amphibienrepräsentanten auch Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 119 während der Erstickung ein deutlicher Unterschied vorhanden, wenn auch kein wesentlicher (bei Salamandra kommt geringere Dyspnoö vor, es werden kaum die für den Frosch so charakteristischen Auf- blähungsperioden verzeichnet usw.; um so häufiger sind die weiten Aufsperrungen des Maules, mächtige Füllungen der Mundhöhle bei äusserst niedergesunkenem Mundboden usw.). Dass tatsächlich die zentralen nervösen Atemvorrichtungen der Urodelen in mancher Hinsicht von denjenigen der Anuren ab- weichend gestaltet sind, dafür zeugen einige Beobachtungen an den Tritonen. Triton torosus, eine von den grössten Molcharten, weist in der Norm sehr seltene Lungenventilationen auf; der (zu- weilen ausserordentlich rasche) Kehlatemrhythmus besteht fast un- unterbrochen. Im Wasserstoff wird sehr bald eine auffällige Verlangsamung des Kehlatemrhythmus wahrgenommen und (mit der allgemeinen Unruhe) die Zahl der Lungenventilationen stark vermehrt; schon nach einer Viertelstunde verschwinden allmählich die seltenen Kehlatmungen, die an die ebenfalls schon selteneren Lungenatmungen gebunden hier und da erschienen; der Mund bleibt halb geöffnet, und bald wird das Tier gelähmt; in der Luft erscheint bald ein ununterbrochener, nicht gerade schneller Atemrhythmus, wo etwa 2—3 Lungenatmungen auf 15—25, später bis 50 Kehloszillationen kommen — also besteht da keine solche Lungenatemdyspno&, wie bei den Anuren. — Bei Triton taeniatus, wo in der Norm ebenfalls ein ununterbrochener Kehl- atemrhythmus mit oft mächtigen, zuweilen wieder feinen Exkursionen vorhanden ist, während die Lungenventilationen nur sehr selten und isoliert erscheinen, wird im Wasserstoff nach bald vorübergehender Reizung die Zahl der Kehlatmungen stark verringert, die- jenige der Lungenatmungen vermehrt; bald treten Pausen auf, in 10—12 Minuten sieht man schon lange Atemeinstellungen, die Kehloszillationen nur in kleinen Gruppen selbständig oder an Lungenventilation gebunden, die letzteren sind immer noch häufig, oft ohne Kehloszillationen; endlich treten sie allein auf und erhalten einen krampfartigen Charakter (dies gilt auch für Triton torosus): Die Niedersenkung des Mundbodens wird ausserordentlich protrahiert und ist exzessiv; dabei kann endlich auch die Mundspalte eröffnet werden, und so bekommt die Lungenatmung einen schnappenden Charakter. Nachher in der Luftatmosphäre kehren sehr rasch die Kehlatmungen zurück, und bald besteht ein (ziemlich langsamer) 120 Edward Babaäk: ununterbrochener Atemrhythmus, wobei die Lungenatmungen zwar vermehrt sind, aber bei weitem nicht so wie bei Anuren (z. B. etwa fünf in 1 Minute); die Kehlatmungen erreichen erst z. B. etwa nach 15 Minuten die normale sehr rasche Frequenz, wobei auch die Lungenatmungen schon sehr selten auftreten. B. Zwischen den verschiedenen Anurengattungen werden wohl in betreff des Atemgeschäftes ebenfalls Unterschiede bestehen, worüber man erst speziell nachforschen müsste. Wir führen Hyla und Bufo zum Vergleiche an. Hyla arborea kennzeichnet sich durch eine ausserordent- liche Frequenz (bis gegen 300 in 1 Minute) und Grösse der Kehloszillationen, zugleich auch durch starke Reizbarkeit des Lungenatemzentrums bei äusseren Einflüssen. Der Kehl- atemrhythmus kann stundenlang ununterbrochen fortgesetzt werden; es werden aber gewöhnlich an ihm periodische Frequenz- An- und Abschwellungen wahrgenommen, auch bei sonstiger Ruhe. Schon durch schwache Reize, wie zum Beispiel wenn aus dem Versuchsgefässe, wo der Frosch an der Wasseroberfläche schwimmt, das Wasser mit Luft ausgepresst wird (so dass nur etwas davon am Boden bleibt), kommt eine andauernde Unruhe zum Vorschein, wo- bei bald mehr die Kehl-, bald die Lungenatmungen vermehrt sind, aber auch deutliche Depressionen der ersteren vorkommen. Wurde das Wasser durch Wasserstoff ausgepresst, so waren die Reiz- wirkungen weit mächtiger, die Kehlbewegungen nahmen unmittelbar stark ab, die Lungenatmungen stark zu; in gewissem Versuche konnte man z. B. schon in der zweiten Minute deutliche Einstellungen des Kehlatemrhythmus kon- statieren, von der vierten Minute ab sind die Kehloszillationen fast völlig verschwunden, und nur die mächtige Lungen- atemdyspno& (bis jede Sekunde eine Atmung) war zu sehen; doch schon in der sechsten Minute erschienen längere Pausen, sehr bald liessen sich die Lungenventilationen nur durch Reize, all- mählich nur durch starke Erschütterungen auslösen, oder sie kamen bei spontanen Lokomotionsversuchen zum Vorschein. Nach 25 Mi- nuten, wo zuletzt äusserst selten einige 'Lunsenatmungen zu sehen waren und auch bei schwachen Körperbewegungen vermisst werden konnten, sah man endlich gar keine Lebensäusserungen. In der ° Luft kamen am Ende der zweiten Minute drei Lungenventilationen Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 121 zum Vorschein, in der vierten und achten Minute auf Berührung eine Gruppe derselben, in der fünften Minute ein spontaner Lungen- atemzug, Sprung und sogleich ein 1 Minute lang dauernder Kehl- atemrhythmus, nachher nach einer Pause sechs L.- und ein längerer K.-Rhythmus; dann bestand ein im Verhältnis zur Norm langsamer und schwacher K.-Rhythmus mit einem bis einigen L. in 15 Sekunden; gewöhnlich folgen auf L. mächtige, allmählich kleinere, bis ganz feine K., dann wiederum L. usw. Aber schon in 10 Minuten sieht man mächtig heranwachsende Lungenatemdyspno£ö, so dass bis über 20 L. (bei 20—40 K.) in 15 Sekunden gezählt werden können. Erst nach 1 Stunde der Erholung wurde die Norm erreicht; es liess sich da beobachten, dass während der Ruhe nur der Kehl- atemrhythmus bestand, dass aber die Lungenatmungen besonders an irgendwelche Körperbewegungen gebunden waren. Im ganzen ist das Bild der Atembewegungen doch nur demjenigen bei Rana ähnlich. Bufo viridis weist in der Norm seltene vereinzelte Lungen- atmungen, zerstreut in ununterbrochenem Kehlatemrhythmus, auf; gereizt, beschleunigt das Tier die Lungenventilationen gleichsam auf Kosten der Kehlatmungen (z. B. von 130 K. und 6 L. in 1 Minute auf 60 K. und 63 L., wonach in der Ruhe allmählich der Ausgangs- zustand zurückkehrt: in 2 Minuten 74 K. und 45 L., in 3 Minuten 116 K. und 20 L. usw.). Die Lungenatmungen können in der Ruhe auch minutenlang aussetzen. In Wasserstoffatmosphäre werden die in der Norm nur selten zu beobachtenden aufblähenden Lungenatmungen periodisch wahrgenommen, unter Herab- drückung der Kehloszillationenfrequenz; es entsteht Unruhe, die Exkursionen der Kehlatmungen werden oft ganz unbedeutend, es kommen apnoische Pausen zum Vorschein, endlich — z. B. schon nach 17 Minuten der Erstickung — bleiben nur die hier und da als kleine Aufblähungsgruppen er- scheinenden Lungenatmungen übrig; wird Luft zugelassen, so kehren unmittelbar dieKehlbewegungen zurück, und gleich nachher werden auch die Lungenatmungen vermehrt, zuerst als ein- pumpende Gruppen, dann als ventilierende, zwischen den Kehl- atmungsperioden eingestreute. Es besteht gegenüber Rana und Hyla aber der Unterschied, dass keine ununterbrochene Lungenatemdyspnoö zu sehen ist, wodurch wir lebhaft an das Verhalten von Salamandra und Triton erinnert werden. . 122 Edward Babäk: C. Die Amblystomatinen werden sich als umgewandelte Geschlechtstiere wohl durch ähnliche Verhältnisse des Atemgeschäftes auszeichnen wie die übrigen Salamandriden, sofern bei denselben gut ausgebildete Lungenatmung vorhanden ist. Einige Anıblystoma- arten sollen wenig entwickelte, ja reduzierte Lungen besitzen; man müsste spezielle Nachforschung über ihre Atembewegungen anstellen. Uns standen überhaupt nur die neotenischen (Axolotl-) Formen von Amblystoma tigrinum zu Gebote; wir wollen im weiteren Abschnitt (VI.) über die Ontogenie ihrer Atembewe- gungen berichten. An dieser Stelle nehmen wir nur auf die er- wachsenen geschlechtsreifen Wasserformen Rücksicht, die man eleichsam als perennibranchiate Amphibien ansehen kann. Die Luftaufnahmen in die Lungen kommen hier in der Norm vereinzelt, bei Tieren mit grossen Kiemen sehr selten vor; es handelt sich um eine Verschluckung des durch die weit- aufgesperrte Mundhöhle aufgenommenen Luftquantums in die Lungen. In höher temperiertem oder ausgekochtem Wasser werden die Lungenventilationen vermehrt; von einem rhythmisch tätigen „Lungenatemzentrum“ lässt sich aber nicht reden. Die „Kehlatembewegungen“ kommen grösstenteils (insbesondere bei Tieren mit wohlausgebildeten Kiemen) mit Schwingungen der äusseren Kiemen verbunden vor, als wohlkoordinierte physiologische Einheit, obwohl auch bei einem und demselben Tiere aus unbekannten (inneren?) Gründen mehr oder minder zahlreiche alleinige Mundbodenbewegungen ohne nach- folgende Kiemenschwingungen, bis sogar fast alleinige „Kehl- atembewegungen“ erscheinen können. In sauerstoffarmem Wasser nimmt man eine starke Erhöhung der „Kehl- atmungen“ wahr, sofern das Tier seine Lungenventilationen ver- mehren kann; aber daran gehindert, weist es rasch eine merkliche Depression der Atemfrequenz auf, welche aber, wenn rechtzeitig der Zutritt zur Wasseroberfläche freigemacht wird, wiederum rasch ansteigt. — Diese „Kehlatmungen“ befördern das Atemwasser grösstenteils durch die Kiemenspalten nach aussen, sind also wohl zu unterscheiden von den Kehloszillationen der Luftatmung der Salamandriden (s. weiter). Der Ausbildungsgrad des „Kehlatmungszentrums“ ist bei den Amblystomalarven bedeutend niedriger, indem in der Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien et. 123 Norm nur ein ganz langsamer und ziemlich unregelmässiger Rhythmus zu sehen ist und im Sauerstoffimangel der letztere zwar ausgeprägter wird, aber doch nur bei weitem nieht das Bild z. B. der Lungenatemdyspno& der Anuren und lungenatmenden land- lebenden Urodelen erreicht. . “Dass dieses „Kehlatemzentrum“ nicht mit demjenigen der Luft- atmung übereinstimmt, sondern sowohl der Mechanik als auch der Regulation nach wesentlich von demselben sich unterscheidet, liest auf der Hand. D. Unter den perennibranchiaten Urodelen werden niedrige Stufen der Ausbildung der Atembewegungen angetroffen. Wir haben da von den Proteiden insbesondere Necturus maculatus, von den Sireniden Siren lacertina eingehender untersucht ?). Die Luftaufnahme wird ähnlich wie bei den Amblystoma- larven oder auch bei den Geschlechtstieren der Urodelen (z. B. Triton), sofern die letzteren im Wasser lebend von Zeit zu Zeit die Atmosphäre aufsuchen, nicht durch den im Abschnitt II ge- schilderten komplizierten Atemmechanismus, welcher die landlebenden Urodelen und die Anuren besonders kennzeichnet, vollführt, sondern durch mächtige Aufsperrung des Maules und Ver- schlueken der die Mundhöhle ausfüllenden Luftmenge in die Lungen; in dieser Hinsicht besteht eine bemerkenswerte Überein- stimmung mit dem Verhalten der Dipnoär?). Es lässt sich von keinem regelmässig rhythmisch tätigen „Lungenatemzentrum“ reden. Necturus maculatus, welcher in der Ruhe äusserst auf- fällige, lange Zeit hindurch ganz regelmässig ablaufende Schwin- gungen der äusseren blutreichen Kiemen aufweist, venti- liert seine Lungen bald selten, bald öfters (es scheint, dass der Gaswechsel darin überhaupt sehr schwach ist, und es ist eigentümlich, dass in sauerstoffarmem Wasser die Lungen kaum öfters ventiliert werden); er zeigt nebstdem isolierte oder mit den Kiemen- sehwingungen verbundene Mundbodenbewegungen; 1) E. Babäk, Neue Untersuchungen über die Atembewegungen der Urodelen mit besonderer Berücksichtigung der lungenlosen Salamandriden. Pflüger’s Arch. Bd. 153 S. 441. 1913. 2) E.Babäk, Die Mechanik und Innervation der Atmung. Winterstein’s Handb. der vergl. Physiol. Bd. 1 Heft 2 S. 674. 1913. 1234 Edward Babaäk: die letzteren kommen in der Norm gewöhnlich nur dann vor, wenn die äusserst empfindlichen Kiemenschwingungen durch äussere Reize zum Stillstand gebracht wurden: Sie sind dann selten als Jangsamer Rhythmus oder gruppenweise angeordnet, gewöhnlich isoliert. In sauerstoffarmem Wasser erscheint aber auffallende Vermeh- rung derselben; dadurch wird ohne Zweifel der Wasserwechsel in der Umgebung der Kiemen gefördert, aber seltsamerweise finden wir zugleich keine entsprechende Vermehrung der Kiemen- schwingungen, im Gegenteil sogar eine Abnahme der letzteren: Sie werden hauptsächlich durch sonstige Körperbewegungen, ins- besondere diejenigen bei Lungenventilation, beeinflusst, während die Kehlatmungen eine „chemische“ (d. h. durch den Sauerstoffsehalt des Blutes bedingte) Regulation zu besitzen scheinen. Bei Siren richtet sich die Häufigkeit der Lungenventilation ganz deutlich nach dem Sauerstoffgehalte des äusseren Mediums, während die Kehlatmungen, in der Norm ganz unregelmässig, ins- besondere in Anschluss an sonstige Körperbewegungen ihren Rhythmus abändern. Im ganzen erscheint die physiologische Organisation der Atemzentren bei Proteiden und Sireniden wirk- lich auf einer sehr niedrigen Stufe. Man kann da kaum von einem Lungenatemzentrum sprechen, denn es besteht hier kein annähernd regelmässiger Rhythmus der Lungenventilationen (auch der Mechanismus der letzteren ist höchst primitiv: Die Luft wird in die Lungen, im Grunde auf dieselbe Weise wie die Nahrung in den Magen, verschluckt). Die Kehlatembewezungen sind ebenfalls als regelmässiger Rhythmus nicht vorhanden, und ihr Vorkommen ist, besonders bei Siren, an allgemeine Körperbewegungen sebunden. Nachträglich habe ich gefunden, dass Powers!) Hay’s An- gaben von der „Gaumenatmung“ der ausgewächsenen Amblystomen erweitert hat: Er findet sie auch bei den Larven, hält sie sogar für höchstwahrscheinlich bei allen kiementraeenden Urodelen — sicher bei Neeturus — anwesend; die Nasenlöcher dienen beim Aus- atmen ebensogut wie beim „Einatmen“. — Das Atemwasser wird aber, wie man sich leicht überzeugen kann, vorwiegend durch die Mund- öffnung aufgenommen. 1) J. H. Powers, Morphological variation and its causes in Amblystoma tigrinum. Univ. Stud. Nebrasca Line. vol. 7 p. 197. 1908. (Neap. Jhb.) a Bir Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 195 ‘ E. Eine spezielle Berücksichtigung erfordern die Kehlatem- bewegungen der wasserlebenden Amphibien und die- jenigen der Jlandlebenden, sofern sie sich unter Wasser auf- halten. Die Mundbodenbewegungen der Perennibranchiaten bewirken den Wasseraustausch des Wassers in der Mund- pharynxhöhle, indem — teilweise durch die Nasenlöcher, aber auch durch die etwas geöffnete Mundspalte (es werden da quantitative Unterschiede vorkommen) — von vorne aspiriertundgrössten- teils nach hinten exspiriert wird. ES lässt sich bisher nicht abschätzen, inwiefern dadurch die Atemtätigkeit der oro- pharyngealen Schleimhaut und inwiefern der Wasser- wechsel an den äusseren Kiemen gefördert wird. Die neo- tenischen Wasserformen von Amblystoma weisen, wie oben dargelegt wurde, in erwachsenem Zustande beim Vorhandensein gut ausgebildeter äusserer Kiemen eine komplizierte Atembewegung auf, welche aus koordinierter Verknüpfung der Kehl- mit Kiemenbewegung besteht. Wir haben gesehen, dass erst bei diesen Urodelenformen eine deutlichere Beziehung der Kehlatembewegungen zu den Verhältnissen der Sauerstoffversorgung aus dem äusseren Medium besteht. Die Mundbodenbewegungen oder sogenannten „Kehloszilla- tionen“ der Jandlebenden Urodelen und der Anuren er- neuern allein den Luftinhalt der oropharyngealen Höhle durch die Nasengänge. Wie verhalten sich diese Kehl- bewegungen im Wasser? Nach Edwards (]. e.) sollen untergetauchte Frösche gewöhnlich keine Kehlatembewegungen mehr auf- weisen, obzwar hier und da eine isolierte Bewegung in der Kehl- sesend vorzukommen pflegt. In unseren Versuchen glaubten wir zuerst an völlig unter Wasser gehaltenen Fröschen zuweilen eine Kehloszillation gesehen zu haben — wie es auch Hill!) erwähnt, der aber von Wasserventilation spricht und an Förderung der Atemtätigkeit der oropharyngealen Schleimhaut denkt und sogar auf diese Weise die Widerstandsfähigkeit der im Wasser verschlossenen Frösche erklärt haben will. — Doch bei näherer Beachtung hat es sich erwiesen, dass es sich nur um geringe Oszillationen des ge- wöhnlich stark eingezogenen Mundbodens handelte, wobei vielleicht 1) M. D. Hill, Respiration in frogs. Nature vol. 69 p. 489. 1904. 126 Edward Babäk: überhaupt keine nennenswerte Volumänderung der spaltförmigen Mundrachenhöhle zustande kam. (Es kann ausserdem auch eine Erscheinung unter Wasser beobachtet werden, die wir auch hier und da in der Luft gesehen haben: Es wird ein gewisses Luftquantum aus den Lungen in die Mundhöhle gepresst und von da wieder zurück in die Lungen befördert; dabei zeigt ein zartes, vor den durchwegs verschlossenen Nasenlöchern gehaltenes Federchen bei den kräftigen Kehl- und Flankenbewegungen keine Luftströmung. Auf diese Weise wird also auch unter Wasser der Gaswechsel an der Lungenfläche günstig beeinflusst, da die Luft durchgemischt wird.) Bei den Tritonen aber konnten wir wiederholt (mit Hilfe von suspendierten Körperchen) feststellen, dass die kräftigen Kehl- oszillationen unter Wasser mit starkem Wasseraustausch in der Mundhöhle (durch die Nasengänge hindurch) verbunden waren. Am auffälligsten ist dieses Verhalten bei den grossen Exem- plaren von Triton torosus; nachher haben wir dasselbe auch bei an Wasserleben gewöhnten Triton pyrrhogaster, Die- mietylus viridesecens sowie auch Triton eristatus sicher- gestellt. Bei Triton torosus, dessen kräftige Exemplare wir jahre- lang dauernd im Wasser gehalten haben ohne Möglichkeit, auf Land zu gehen, was diese Tritonart sehr leicht verträgt, wird durch die Herabsenkung des Mundbodens Wasser in die Mundhöhle ein- gesaugt, und zwar durch die geöffneten Nasenlöcher; nachher wird der Wasserinhalt der Mundhöhle durch rasches Emporheben des Mundbodens, und zwar grösstenteils durch den etwas geöffneten Mund herausgepresst (diese Entleerungsbewegung fängt in der Kehl- gegend an und verbreitet sich proximalwärts). Diese Wasserventilation der Mundhöhle wird zeitweise mit Luftaufnahme kombiniert, indem das Tier den Mund über die Wasseroberfläche emporhebt, eröffnet (wobei vielleicht die Exspiration aus den Lungen zustande kommt) und mit Luft füllt; die aufeenommene Luftblase wird dabei nicht oder nicht immer (oder nicht ganz?) in die Lungen herunter- geschluckt, sondern einige Sekunden im Munde gehalten, was an der sackartigen Auftreibung des Mundbodens merklieh ist, und nachher wird (vielleicht das, was bei der Lungenfüllung übriggeblieben ist?) entleert, indem gewöhnlich zwei Luftblasen (die erste grösser) dem Munde entweichen. Die genaue Verfolgung und Analyse des ganzen Geschehens ist sehr schwierig, denn man muss das Tier in womög- Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 127 lich normalen Bedingungen beobachten (bei künstlichen Anordnungen verhält sich das Tier völlig anders, indem es in der Luft nur Kehl- und Lungenatmungen, im Wasser untergetaucht nur Wasserventilation der Mundhöhle aufweist, wobei wiederum der Rhythmus der Atem- bewegungen sich unterscheidet von den Verhältnissen beim frei im Wasser oder in der Luft sich bewegenden Tiere). Aber abgesehen von den Lungenventilationen müssen wir auch der Aufnahme der Luft in die Mundhöhle allein eine unzweifelhafte re- spiratorische Bedeutung zulegen, um so mehr, wenn wir sehen, wie oft nach längerem Untergetauchtsein noch Luftblasen aus dem Munde hier und da hervorgehen, wonach erst oft der Boden der Mundhöhle ausgehöhlt erscheint (d. h. die letztere leer ist). Man wird da auf das „Luftschnappen“ der Fische [s. Babäk!')] die sogenannte „Notatmung“ derselben [Winterstein?)] er- innert, wo ebenfalls die Luftblasen in der Mundhöhle zur Bereiche- rung des Atemwassers mit Sauerstoff verwendet werden. Was nun diese Wasserventilation der Mundhöhle be- trifft, so geschieht dieselbe in weit Jangsamerem Tempo als die Kehlatmung der Luft; dies lässt sich am besten in seichtem Wasser beobachten, wo das frei sich bewegende Tier bald eine Weile untertaucht, bald mit dem Kopfe über dem Wasserniveau verbleibt: Im ersten Falle zählten wir z. B. bei gewöhnlicher Zimmertemperatur 19 bis 24, im zweiten 140 bis über 200 Kehlbewegungen in 1 Minute (im ersten Falle wird seltener Luft aufgenommen, nicht einmal in jeder Minute, im zweiten merklich öfters, und zwar kommen da etwa drei Lungenventilationen in 1 Minute vor). Dieses Verhalten ist eigentümlich und seine Erklärung sehr schwer. Der Aufenthalt unter Wasser ist ja mit gehindertem Gaswechsel verbunden, nicht nur gegenüber den Verhältnissen beim Aufenthalt am Lande, sondern auch bei den wasserlebenden Tritonen, wenn sie die Oberfläche ver- lassen und die oropharyngeale Luftventilation aufgeben; trotzdem aber wird da die Lungenventilation seltener ausgeführt, als wenn der Kopf in die Luft dauernd herausragt. Es ist allerdings möglich, dass die seltenen Luftaufnahmen des untergetauchten Tieres ausgiebiger 1) E. Babäk, Vergleichende Untersuchungen über die Darmatmung der Cobitidinen und Betrachtung über die Phylogenese derselben. Biol. Zentralbl. Bd. 27 S. 697. 1907. 2) H. Winterstein, Beiträge zur Kenntnis der Fischatmung. Pflüger’s Arch. Bd. 125 S. 73. 1908. 128 Edward Babäk: die Lungen ventilieren als die zahlreicheren Lungenatmungen bei dauernd ausserhalb des Wassers gehaltenem Kopfe; denn im ersten Falle handelt es sich um die Luftaufnahme durch mächtig geöffnete Mund- spalte, im zweiten um den üblichen Mechanismus der bekannten Lungenfüllung vermittels der Kehlbewegung. Die Kehlatmung ist im Wasser ebenfalls weit seltener, obwohl zweckmässig erscheinen würde, dass sie sogar frequenter als in der Luft wäre; sichtlich wird da ein hemmender reflektorischer Mechanismus im Spiele sein. — Weiter können wir aber die wahrscheinliche Verknüpfung der Wasser- ventilation der Mundhöhle mit der dabei entstehenden Verschiebung der darin gewöhnlich enthaltenen Luftblase (s. oben) im Auge be- halten, wodurch die sonst gewiss wenig ausgiebige Wasseratmung der oropharyngealen Schleimhaut etwas gefördert werden könnte. Erst nachträglich habe ich gefunden, dass schon Camerano!) Wasserventilation der Mundrachenhöhle, und zwar bei der lungen- losen Salamandrina perspiecillata, welche künstlich unter Wasser gehalten wurde, gesehen zu haben angegeben hatte, und Bruner?) hat dasselbe auch gesehen, wenn das Tier die Ober- fläche nicht erreichen konnte; bei untergetauchtem Triton alpestris wird sie nur bei erzwungenem Aufenthalt unter Wasser gesehen (im ganzen ist allerdings Bruner geneigt, dafür zu halten, dass bei Sala- mandra maculosa, Triton alpestris, Salamandrina perspi- eillata, Spelerpes fuseus und anderen die Nasenlöcher im Wasser und auch beim Regen geschlossen werden, welchem Umstand er zu- schreibt, dass hier die Muskeleinrichtungen an den Nasenlöchern er- halten sind). Wir haben uns bei dem lungenlosen Spelerpes fuscus überzeugt, dass die Berührung des Kopfes mit Wasser den Kehlatemrhythmuseinstellt (auch schon, wenn der Kopf über die Oberfläche hinausragt, wird eine deutliche Störung des normal mächtigen Atemrhythmus wahrgenommen, zugleich mit Unruhe); bei längerem erzwungenem Aufenthalte unter Wasser wird nur hie und da eine vereinzelte (oder auch eine kleine Gruppe) leichte Oszillation der Kehlgegend beobachtet, aber kein regelmässiger Atemrhythmus; später wird die Mundspalte etwas geöffnet, und bei 1) L. Camerano, Recherches anatomophysiologiques sur les salamandres normalement prives de poumons. Arch. ital. biol. t. 21 p. 387. 1894. 2) H. L. Bruner, Ein neuer Muskelapparat zum Schliessen und Öffnen der Nasenlöcher bei den Salamandriden. Arch. f. Anat. u. Entwicklungsmech. 1896 S. 395. Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 129 schwachen Hebungen des Mundbodens kann wiederholt eine Luftblase entweichen, worauf der Mundboden zu dem Gaumen stark eingepresst gehalten wird und höchstens nur zitterndes Maulöffnen, wohl schon als Folge des abnehmenden Tonus der Mundschliesser, mit nachfolgender Schliessung vorkommt. Vielleicht hat dies Camerano gesehen und als Wasserventilation gedeutet. Wahrscheinlich kommt aber die letztere nur bei wasserlebenden Urodelen vor, während die Jlungenlosen Urodelen gerade die typischsten Landbewohner sind. Neuerdings berichtet Axenfeld!), dass Frösche und Kröten nicht, aber Tritonen wohl unter Wasser „atmen“, und zwar so- wohl durch die Nase als auch den Mund; er hat eingehender die Bedeutung der Nasenschleimhaut für den Respirationsakt der Am- phibien untersucht und durch verschiedene Versuchsanordnungen die nervöse Hemmung ven der Nasenschleimhaut aus dargelegt. F. Wie ersichtlich, liegen bei den physiologischen Atemeinrichtungen deutliche Beziehungen zu den ökologischen Verhältnissen vor. Es scheint überhaupt, dass die „Kehlatembewegungen“ der wasserlebenden Amphibien — der Perennibranchia- ten und auch der neotenischen Urodelenformen, gewiss auch der Urodelenlarven — und die Kehloszillationen der landlebenden Urodelen und der Anuren völlig ver- schiedene Funktionen sind. Esist schon der Mechanismus der beiderlei Bewegungen wesentlich verschieden, da bei den ersteren der Wassertransport von vorne (hauptsächlich wohl durch die Mund- öffnung hinein) nach hinten (durch die Kiemenspalten heraus) be- wirkt wird, während bei den anderen die Luft durch die Nasen- gänge aspiriert und wieder durch dieselben exspiriert wird. Wir können dafürhalten, dass die Kehloszillationen der land- lebenden Amphibien eine phylogenetisch neue Er- werbung ist, welche zwar einerseits wichtige funktionelle Be- ziehung zu den Lungenatembewegungen besitzt, andererseits aber sich durch gewisse Selbständigkeit auszeichnet, wie dies im vorigen Abschnitte dieser Abhandlung nachgewiesen wurde; ins- besondere müssen wir darauf das Gewicht legen, dass nach dem Verlust der Lungen (lungenlose Salamandriden) das Kehlatemzentrum allein übrig geblieben ist und sich 1) D. Axenfeld, Die Bedeutung der Nasenschleimhaut für den Respira- tionsakt der Amphibien. Zentralbl. f. Physioi. Bd. 25 S. 329. 1911. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 9 130 | Edward Babäk: weitgehend durch ebensolche physiologische Eigenschaften aus- zeichnet, wie wir sie auch bei den Kehloszillationen der lungen- atmenden Amphibien erkannt haben. Es scheint weiter, dass man die „Kehlatembewegungen“ der wasserlebenden Amphibien (der perennibranchiaten und neotenischen Urodelenformen sowie der Urodelenlarven, siehe Absehnitt VI) weit eher mit den typischen Lungen- atmungen der landlebenden Urodelen und der Anuren in Beziehung bringen könnte, indem es sich im wesentlichen in beiden Fällen um den Transport des Atemmediums distalwärts handelt; im ersten Falle wird das Wassermedium gleichsam „auf die Kiemengegend hin verschluckt“, im zweiten die Atemluft in die Lungen hinein. Allerdings bestehen dann ver- schiedene Unterschiede, besonders indem sich die Luftfüllung der Lungen zu einem weit komplizierteren Atemakt heranbildet; es entwickelt sich die Koordination der Schluck- “ bewegung des Mundbodens mit dem Verschlussmechanismus der (äusseren und inneren) Nasenöffnungen und die vielleicht noch mehr zusammengesetzte Koordination mit den Larynxbewegungen. Die Wasserdurchspülung bleibt demgegenüber bis auf den wohl ganz einfachen klappenartigen Mechanismus der Kiemenspalten auf primitivem Zustande stehen. Es wird in gewissen Fällen das Atemwasser auch durch die Mundspalte eingesaugt; aber dies kommt auch bei der Atemluft vor, welche eben in manchen Fällen durch die Mundöffnung aufgenommen wird, bei den wasserlebenden Formen, sogar bei den Tritonen, welche doch sonst typische Lungen- atemakte vollführen; vielleieht sogar in Ausnahmefällen bei Anuren, wo in der Not der Mund weit aufgerissen und die grosse aufge- nommene Luftmenge in die Lungen befördert wird. Das Hinzutreten des Exspirationsaktes braucht in dem ganzen Mechanismus des Lungenatemaktes keine weitere grosse Komplikation zu bedeuten, denn die Exspiration erfolgt grösstenteils passiv, indem die aufgeblähten Lungen bei der Eröffnung der Glottis kollabieren (in dieser Hinsicht weist also der Lungenatemakt der landlebenden Urodelen und der Anuren keine grössere funktio- nelle Differenzierung auf gegenüber dem primitiven Lungenatemakte der wasserlebenden und larvalen Urodelen). Im ganzen könnte man also dafürhalten, dass der Lungen- atemakt der landlebenden Urodelen und der Anuren > Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 131 eine höhere funktionelle Entwicklungsstufe der Mund- boden-Kiemenatembewegungen und der primitiven Lungenventilationen der kiementragenden und Jar- valen Urodelen vorstellt, während die typischen sogenannten Kehloszillationen der landlebenden Urodelen und der Anurenals ökologische Neuerwerbungen gelten können. Die Wasserventilation der oropharyngealen Höhle, die insbesondere bei den wasserlebenden Tritonen vorkommt, scheint eine sekundäre Abänderung der Luftventilationsakte zu sein. Die „Kehlbewegung“ muss, sofern sie durch Senkung des Mundbodens das Atemmedium von aussen aspiriert und durch Hebung distalwärts befördert — nach Art einer Schluckbewegung —, als das Grundphänomen der Atembewegungen der Amphi- bien bezeichnet werden. Bei den Proteiden und Sireniden kommt diesen Kehlbewegungen allerdings noch eine untergeord- nete Rolle zu, insbesondere für die Wasseratmung; sie betätigen sich da in der Norm eigentlich nur bei der zeitweiligen Luft- verschluckung in die Lungen, aber als ein Atemrhythmus, der regel- mässig die oropharyngeale Schleimhaut und die Oberfläche der äusseren Kiemen mit einem Strome des Atemwassers bespülen würde, sind sie nicht vorhanden. Es scheint hier eher den Schwingungen der äusseren Kiemen, welche sich z. B. bei neotenischen Amblystomaformen, insbesondere aber bei Nec- turus als ein spezieller Atemrhythmus entwickelt haben (ausserdem der Hautatmung und der in verschiedenem Grade aus- gebildeten Lungenatmung) die Hauptbedeutung beizulegen zu sein. Bei den larvalen Urodelenformen (s. noch im VI. Abschnitt) und neotenischen Amblystomatinen erreicht die Funktion der Kehlbewegung eine schon merklich grössere Bedeutung, indem sie einerseits koordinatorische Verknüpfungen mit den Kiemenschwingungen eingeht, andererseits eine gewisse Rhythmizität aufweist. Es kommt hier ausserdem auch schon eine deutliche Blutregulation dieses Kehlatemrhythmus vor nebst der reflektorischen. Bei den geschlechtsreifen metamorphosierten Urodelen und Anuren wird die Kehlbewegung einerseits zum wiehtigsten Bestandteile der bedeutungsvollen, sehr komplizierten Lungenatemakte (wo ihr pressorischer Charakter den ganzen Akt der Lungenfüllung beherrscht, gegenüber dem Einsaugemechanismus der Reptilien und Homoiothermen); anderer- 9 * 132 Edward Babäk: seits entwickelt sich aus ihr ein sekundärer Atemrhythmus der „Kehloszillationen“, der nur die oropharyngeale Höhle vermittels alternierender Einsaugung und Auspressung der Atemluft. (bzw. auch in gewissen Fällen des Atemwassers) durch die Nasengänge ventiliert. Dass diese beiden Arten der respiratorischen Mundbodenbewegungen sich durch wesentlich verschiedene Regulation auszeichnen, wurde oben genügend dargetan. Durch sekundären Verlust des Lungenatemmechanismus kommt endlich der alleinige oropharyngeale Atemrhythmus der lungen- losen Salamandriden zustande. Dies wäre also ungefähr das Bild der Umänderungen der Atem- mechanismen bei den Amphibien. Leider habe ich bisher keine Gelegenheit gehabt, dieses Bild durch das Verhalten der Amphiu- midae und Coeciliidae zu vervollständigen. [Über die Coeci- liidae gibt Gadow!) an, dass bei den Embryonen von Ichthyophis die mächtigen Kiemen in der Eierflüssigkeit lebhaft hin und her schwingen, dass die jungen kiemenlosen Larven oft zur Oberfläche steigen, um zu „atmen“. Unter den Amphiumidae besitzt der - erwachsene Cryptobranchus japonicus keine Kiemenspalten und inspiriert (Luft) verhältnismässig oft; Amphiuma verliert bald die Kiemen.] Es ist bemerkenswert, dass unter den Fischen insbesondere Ceratodus (Dipneusten) sehr lebhaft an das Atemgeschäft von Necturus erinnert [Dean Bashford?)]; er zeigt zwar regel- mässigere „Kehlatembewegungen“ als der letztere (Dean Bashford gibt an, dass er etwa 20 mal in 1 Minute die Kiemen- höhle füllt und entleert, während wir bei Neeturus unregelmässige und in der Norm seltene Kehlbewegungen gesehen haben), aber sonst zeichnet er sich als ein typischer „nostrilbreather“ aus, indem die Mundöffnung sich bei ihm nur unbedeutend öffnet; es werden die Nasenlöcher bei ihm weit dilatiert, und gelegentlich wurde „twitching observed, which was by no means fish-like“. Die Lungenventilation erfolgt etwa in 40—60 Minuten einmal, bei gereiztem Tiere sogar in 8 Minuten. Man könnte noch eine Fülle von interessanten Über- 1) H. Gadow, Amphibian and Reptiles. Cambr. Nat. Hist. vol.8. 1901. 2) Dean Bashford, Note on the living specimen of the Australian lungfish Ceratodus forsteri in the Zool. Society’s Collection. Proc. of the gener. Meet. for sc. Business of the Zool. Soc. of London 1906 p. 168. (Neap. Jhb.) Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 133 einstimmungen in dem Verhalten der „amphibienartigen“ Fische hervorheben, aber wir weisen den Leser auf unsere Abhandlung in Winterstein’s Handbuch der vergleichenden Physiologie „Die Mechanik und Innervation der Atmung“ I. 2. Abschnitt „Fische“. Die weitgehend gleichartige Lebensweise hat da nıcht nur zur Konvergenz dermorphologischen Charaktere, sondern auch der physiologischen Funktionen geführt. Es ist übrigens lehrreich, auch die übrigen mit verschiedener Art von akzessorischer Luftatmung ausgestatteten Fische zum Vergleich mit den Am- phibien heranzuziehen. (Ob das Atemwasser durch den Mund oder die Nasengänge aufgenommen wird, scheint vielleicht keine erundlegende Bedeutung zu haben; wir sehen einerseits, dass Cera- todus ein „nasenatmender“ Fisch, Amblystomalarve ein „mund- atmendes“ Amphibium ist usw.) _ Wir wollen an dieser Stelle keine phylogenetischen Spekulationen über den Zusammenhang der Fisch- und Amphibienatmung an- stellen, obwohl, glauben wir, es kaum irgendeine Funktion gibt, wo man dies mehr berechtigt tun könnte, da es einerseits streng wasser- lebende Amphibien, andererseits wieder in den verschiedensten Fisch- familien nicht nur luftatmende, sondern in einigen davon sogar amphibisch, ja (z. B. unter Gobiiden) landlebende Fische eibt. Die Luftatmung oder wenigstens „Rückstände“ von anscheinend einst als Luftatmungsorgane fungierenden Einrichtungen sind bei den Fischen so verbreitet, dass z. B. Rauther!) in seiner streng wissen- schaftlich gehaltenen Abhandlung die Ansicht auszusprechen wagt, ob vielleicht die heutigen Fische sekundär zum Wasserleben resp. zur Wasseratmung nicht übergegangen seien, während ihre Stamm- formen terrestrisch oder eher amphibisch gelebt hatten; insbesondere scheinen ihm die aus dorsalen Gruppen von Kiemenblättchen zu- sammengesetzten Luftatmungsorgane der Knochenfische und die freien dorsalen Kiemen der niederen Wirbeltiere nicht gelegentlich und selbständig aufgetauchte, durchaus atypische Morphen zu sein, sondern nur verschiedene Aus- und Umbildungsformen eines und desselben, durch seine Bestandteile wie durch seine Lage wohlcharakterisierten Organisationsbestandteils. Nur eine einzige funktionelle Übereinstimmung der 1) M. Rauther, Die akzessorischen Atmungsorgane der Knochenfische. Ergebn. u. Fortschr. d. Zool. Bd. 2 S. 517. 1910. 134 Edward Babak: Atemmechanismen der Fische und Amphibien wollen wir in der phylogenetischen Gedankenrichtung kurz bewerten. Sowohl bei dem Kiemenatemgeschäft der Fische als auch bei den Kehlatem- bewegungen der Amphibien — sofern wir da von den als sekundär gedeuteten Modifikätionen derselben absehen — wird das Atemwasser proximal durch die Erweiterung der Mundpharynxhöhle eingesaust und durch Verengerung der letzteren durch die Kiemenspalten nach aussen herausgepresst, wodurch eine gründliche Erneuerung des Atemmediums an den Atemflächen bewirkt wird. Dieser Druck- mechanismus der distalwärts gerichteten Strömung des Atemwassers ist in dem Amphibienorganismus so stark ein- gewurzelt, dass er sogar zu einem Bestandteil der typischen amphibischen Lungeninspiration, einer neuen Art der Atemmechanismen, wird. Wenn wir nun den Saugmechanismus der Lungenventilation bei den Reptilien und Homoiothermen zum Vergleich heran- ziehen, so liesse sich, bei dem wesentlichen Unterschiede des Me- chanismus der Lungenfüllung, doch nur eine funktionelle Be- ziehung hervorheben: Das Lungenatemzentrum der Am- phibien, welches sich gewissermaassen auf Grund des Kiemen- atemzentrums der Fische entwickelt hat, ist durch Blut- regulation seiner Tätigkeit charakterisiert; obwohl sich der Mechanismus der Lungenfüllung bei den höheren Wirbeltieren anders gestaltet hat, besteht doch nurin dem zentralen Nerven- mechanismus der Reptilien und Homoiothermen, was seine Regulation durch das innere Medium betrifft, eine wesent- liche Übereinstimmung mit dem Lungenatemzentrum der Amphibien und vermittels des letzteren eine funktionelle Anknüpfung an das Kiemenatemzentrum der Fische. Es läge hier eine weitere Illustration vor des in vielen Fällen be- kannten Verhaltens, dass das Nervensystem, auch wenn weitgehende Umwälzungen der sonstigen morphologischen und physiologischen peripheren Einrichtungen durch „Funktionswechsel“ stattgefunden haben, die wesentlichen Charaktere der primären Zustände behält. VI. Zur ontogenetischen Entwicklung der Atemmechanismen und der Atemzentren bei den Amphibien. In diesem Abschnitte wollen wir nur einige bemerkenswerte Verhältnisse der respiratorischen physiologischen Einrichtungen bei Über die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 135 den Amphibien vom ontogenetischen Standpunkte aus schildern, hauptsächlich auf Grund unserer Untersuchungen. In der Zukunft wollen wir das Bild durch weitere Beobachtungen vervollständigen. Das erste Beispiel betrifft die Entwicklung der Atem- bewegungen bei den neotenischen Amblystomaformen. Bei den Amblystomalarven haben wir (Babäk und Kühnovä, l. e.) nachgewiesen, dass sie zuerst überhaupt keine Atem- bewegungen aufweisen; erst bei dem fortschreitenden Wachstum erscheint wohl das Bedürfnis dieser den Wasserwechsel an den Atemflächen fördernden Hilfseinriehtungen; davon sieht man zuerst die mit Lokomotion, später auch selbständig vorkommende Schwin- sungen der äusseren Kiemen, welche dann zusammen mit den Mundboden- oder „Kehlatembewegungen“ zu einer höheren physiologischen Einheit sich entwickeln; daneben bildet sieh die Lungenventilation (durch Verschlucken) heran. Es ist be- merkenswert, dass diese „Kehlatembewegungen“ schon verhältnis- mässig bald eine hohe Ausbildung zeigen. Ihre Funktion lässt sich im Grunde mit den Kiemenatembewegungen der Fische in Beziehung bringen, da dabei die ganze proximalwärts aufgenommene Menge desAtemmediums distalwärts über dieKiemen- flächen hingeworfen und auf diese Weise ein sehr ausgiebiger Wechsel des Atemmediums vollführt wird. Auch in bezug auf den Mechanismus dieser Atembewegungen kann man grosse Überein- stimmung mit dem Atemmechanismus der Fische konstatieren: Es wird da das Wasser durch die Mundöffnung aufgenommen und durch eine Mundbodenbewegung rasch nach hinten entleert; durch die auf das Ende der Kehlatmung sich anschliessende Schwingung der äusseren Kiemen wird der Wasserwechsel an den Atemflächen weiterge- fördert. ; Nieht nur die allmähliche Entwicklung der koordinierten Mund- boden-Kiemenatembewegung lässt sich da Schritt für Schritt verfolgen, sondern auch die Entstehung des Rhythmus und Seiner zentralen Regulation. Dieisolierten, unregelmässig auf- tretenden Atmungen werden immer zahlreicher und gruppieren sich zu einem periodischen Atemtypus, der unter Umständen und besonders bei grösseren Tieren auch ununterbrochen wird. Während weiter die junge Larve im Sauerstoffmangel eben- falls noch keine Atembewegungen aufweist, sondern nur etwas unruhig wird, werden später die erscheinenden Lungenventila- 136 Edward Babak: tionen durch den Sauerstoffmangel vermehrt, aber die zugleich schon vorhandenen Kiemen- und Kehlbewegungen kaum merklich beeinflusst, um erst bei noch Älteren Tieren deutlich dyspnoisch zu werden. Es lässt sich da also eine fortschreitende Ausbildung sowohl der respiratorischen Mechanismen alsauchder zugehörigen Zentrentätigkeiten verfolgen. Leider haben wir keine Gelegenheit gehabt, das Atemgeschäft des imaginalen Amblystoma durchzuforschen; doch es lässt sich mit der grössten Wahrscheinliehkeit erwarten, dass hier im wesentlichen eine Über- einstimmung mit den von uns studierten landlebenden und lungen- atmenden Urodelen (s. Abschnitt V) bestehen wird. Und da auf der anderen Seite die Larvenformen der letzteren (z. B. Sala- mandra, Triton) wiederum an Amblystomalarven erinnern, eröffnet sich uns ein einheitliches Bild der ontogenetischen Entwicklung der Atembewegungen der Urodelen. Es bleibt übrig, noch die Anuren zu berücksichtigen. Den Mechanismus der Mund-Kiemenatmung der Anurenlarven hat Schulze eingehend beschrieben; der Leser findet darüber einen zusammenfassenden Bericht in meiner Abhandlung im Handb. d. vergleich. Physiologie (l. ec... Das Atemwasser wird durch die mächtige Kieferbewegung (der die Lippen passiv folgen) und Senkung des Zungenbeins und des Bodens der Mundrachenhöhle sowie Er- hebung des hinteren lateralen Teiles des Kiemenkorbes durch den Mund aspiriert und distalwärts in die „Kiemenhöhle“ befördert, um durch das Spiraculum nach aussen entleert zu werden. — Es handelt sich also um einen Mechanismus nach Art der Atem- bewegungen der Fische; man könnte eine Reihe von Detail- umständen anführen, welche ebenfalls für diese Analogie sprechen. Auch der fast gleichzeitige Verlauf der Bewegungen in den einzelnen Abschnitten des Respirationsapparates, welche die Inspiration be- wirken, sowie die Frequenz des Atemrhythmus und sein in der Norm fast ununterbrochenes Vorkommen erinnert an die Ver- hältnisse bei den Fischen; und die bemerkenswerte Regulier- barkeit des Atemrhythmus durch Blutreize resp. den Sauer- stoffgehalt des Blutes, welche bei den Mundboden- oder „Kehlatembewegungen“ der Wasserformen der Urodelen überhaupt nicht oder nur wenig, bei den Larvenstadien: derselben bisweilen höher ausgebildet ist, erträgt nur die Vergleichung mit den Atem- Über. die Kehl- und Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 137 zentren der Fische; ja man darf behaupten, dass die letztere physiologische Eigenschaft bei den Kaulquappen noch deutlicher hervortritt als bei den meisten Fischen. Diese Sonderstellung der Atembewegungen der Anurenlarven lässt sich mit einer Anzahl Konvergenzerscheinungen, welche in morphologischer Hinsicht klar zutage treten, in Beziehung bringen und erlaubt uns, die beiderlei Charaktere als ökologische An- passungen aufzufassen. Es scheint also, dass man nicht berechtigt wäre, die Atembewegungen der Anurenlarven ohne weiteres mit den „Kehlbewegungen“ der larvalen und wasserlebenden Urodelen- formen zu identifizieren. Mit der äusserst regen Lebens- weise der Kaulquappen ist der fischartige Atem- mechanismus in bester Übereinstimmung. Nehmen wir, wie wir es im Abschnitt V getan haben, die „Kehlbewegung“, sofern dadurch das Atemwasser proximalwärts von aussen aspiriert und distalwärts über die Kiemenflächen hinweg nach aussen zurück ausgepresst wird, als das Grundphänomen der Atembewegung an, so erfolgt in der Ontogenie der Amphibien eine fort- schreitende Ausbildung dieser respiratorischen Funktion, welcher wir die in vieler Hinsicht ähnliche Stufenfolge derselben bei Vergleichung der verschiedenen Repräsentanten der Amphibienfamilien gleichsam als phylogenetisches Pendant zur Seite stellen könnten. Während aber, was die Ausbildung der Rhythmizität und Regulation derselben durehBlut- reizung betrifft, in der Ontogenie der Urodelen ebenfalls eine fortschreitende Entwicklung beobachtet wird, sehen wir, dass bei den Anuren — wenigstens in dieser Hinsicht — die (etwas erwachsenen) Larvenstadienhöherstehenalsdieimaginalen (metamorphosierten) Formen. Die umgewandelten Frösche weisen unter den normalen Verhältnissen keinen ununterbrochenen Lungenatemrhythmus mehr auf, dei allein man (wie im Abschnitt V für Urodelen dargelegt wurde) mit dem larvalen Mundboden- oder Kehlatemrhythmus verknüpfen kann (auf Grund dessen er sich wohl, was den Mechanismus der Atemakte betrifft, herangebildet hat), und die Beeinflussbarkeit des Lungenatemzentrums durch Blutreize ist geringer als diejenige des larvalen Atemzentrums. In betreff der Kehloszillationen der (landlebenden Urodelen und) Anuren haben ältere Autoren die Ansicht ausgesprochen, dass es sich um Rückstand der Larvenatmung handelt: so z. B. Martin 138 - E. Babäk: Saint-Ange, später Heinemann!); der letztere hält sie „für Reste der sich rückbildenden Kiemenrespiration, wobei die Änderung der Kiemenorgane von Änderungen der Atembewegungen gefolgt war“, „für rudimentäre Funktion“ (ähnlich wie es rudimentäre Organe gibt). Siefert?) erkennt diese Auffassung zwar als sehr an- sprechend an, aber bemerkt, dass die „kleinen Öszillationen“ auf andere Weise zustande kommen als die „ventilierenden Schluck- atmungen“, durch die Luft in die Lungen gepresst wird. Jene Ansicht scheint wirklich an der Hand zu liegen. Siefert’s Einwand liesse sich durch den Hinweis beseitigen, dass doch nur im Grunde der Mechanismus der Kehloszillationen mit demjenigen der Mundboden-Kiemenatembewegungen übereinstimmt, nur dass beim Geschlossensein der Mundpharynxhöhle nach hinten zu das Atem- medium wieder proximalwärts entleert werden muss. Aber unsere Übersicht der Atembewegungen und ihrer Regulation, welche wir vom vergleichenden Standpunkte aus im Abschnitt V und vom on- togenetischen in dem vorliegenden dargereicht haben, zwingt zu dem Schlusse, dass die Kehloszillationen für ein physio- logisches Novum anzusehen sind. Wir finden nämlich, dass der Rhythmus der Kehloszillationen bei den landlebenden Urodelen und den Anuren grösstenteils ununterbrochen die oft langen Inter- valle zwischen den (in der Norm) seltenen Lungenatmungen ausfüllt, dass er keine Blutregulation aufweist und in dieser Eigenschaft als alleiniger Atemrhythmus bei den lungenlosen Sala- mandriden vorkommt. Bei den larvalen (und überhaupt wasser- lebenden) Urodelenformen findet man keinen ähnlichen Atem- rhythmus vor, sondern nur verhältnismässig seltene, mehr oder minder unregelmässige, im Sauerstoffmangel dyspnoöartig werdende Mundboden-Kiemenatembewegungen, von denen sich dureh progressive Entwicklung des Koordinations- mechanismus diekompliziertenLungenatembewegungen der metamorphosierten Tiere ableiten lassen. Was den Kiemenatemrhythmus der Anurenlarven betrifft, finden wir zwar in seinem ununterbrochenen, sehr regelmässigen Vorkommen eine 1) C. Heinemann, Über nicht der Lungenrespiration dienende sogenannte oszillatorische Kehlbewegungen bei Amphibien, Reptilien und Vögeln. Pflüger’s Arch. Bd. 34 S. 275. 1884. 2) E. Siefert, Über die Atmung der Reptilien und Vögel. Pflüger’s Arch. Bd. 64 S. 321. 18%. Über die Kehl- u. Lungenatembewegungen der Amphibien etc. 139 Analogie zu den Kehloszillationen des metamorphosierten Tieres, doch (der Mechanismus der Atemzüge und besonders) die Regulation derselben weicht wesentlich von den Verhältnissen der larvalen Atembewegungen ab. Demgemäss sind wir der Ansicht, dass der charakteristische Kehloszillationsrhythmus der landlebenden Urodelen und der metamorphosierten Anuren eine neue im Dienste des Gas- wechsels stehende Einrichtung vorstellt, deren phylogenetische Ent- stehung dunkel ist, und deren Ontogenie erst eingehend zu erforschen wäre; die physiologische Bedeutung dieser Funktion wurde schon oben besprochen (s. Abschnitt III). Wahrscheinlich dürfen wir darin eine ökologische Anpassung des Landlebens erblicken, wofür der Umstand zeugt, dass die typischen Landamphibien, die lungenlosen Salamandriden, diesen Atemrhythmus am besten entwickelt auf- weisen. 140 Hugo Schulz: (Aus dem pharımakologischen Institut der Universität Greifswald.) Über den Einfluss des santonsauren Natrons auf die Fähigkeit, Hell und Dunkel bei der- selben Farbe zu unterscheiden. I. Mitteilung. Digitalis. Von Hugo Schulz. (Mit 3 Textfiguren.) Im weiteren Verfolge der Studien über den Einfluss des Santonins und anderer Arzneistoffe auf die farbenempfindenden Elemente des Auges habe ich Gelegenheit genommen, auch die Digitalis nach dieser Richtung hin zu prüfen. Dass der Digitalis überhaupt die Fähigkeit zukommt, Störungen im normalen Farbenempfinden hervorrufen zu können, ist wenig bekannt. Der erste, der meines Wissens dieser Frage seine Aufmerksamkeit zugewandt hat, war B. Bähr, der in seiner Monographie aus dem Jahre 1859: „Digitalis purpurea in ihren physiologischen und therapeutischen Wirkungen“, eine Anzahl von dahin gehörenden, älteren Beobachtungen aufführt. In dem grossen Sammelwerk von Lewin und Guillery: „Die Wirkungen von Arzneimitteln und Giften auf das Auge“, werden die störenden Ein- flüsse der Digitalis auf die Farbenempfindung kurz und zusammen- fassend berichtet. Ich wollte zunächst die Wirkung studieren, die die Digitalis speziell gegenüber der Fähiekeit, Grün sehen zu können, möglicher- weise besitzen konnte. Im Falle eines positiven Ergebnisses nach dieser Richtung hin sollten die übrigen Farben durchgeprüft werden, so, wie dies in der ersten Mitteilung geschehen ist. Verschiedene, vorher nicht zu erwartende Momente haben mich verhindert, diesen zweiten Teil der Aufgabe zu erledigen. Die Resultate, die das Über den Einfluss des santonsauren Natrons etc. 141 Studium der Wirkung der Digitalis gegenüber dem Grünsehen er- geben hat, erscheinen mir indessen doch bedeutsam genug, sie jetzt schon zur Veröffentlichung zu bringen. Um ein möglichst gleichmässiges Digitalispräparat für alle Ver- suche in der Hand zu haben, besorgte ich mir aus der Apotheke ein Quantum der offizinellen Tinetura Digitalis. Sie wurde während der Dauer der Versuche vor Licht geschützt aufgehoben, und es sind sämtliche Beobachtungen mit einem und demselben Präparat durchgeführt worden. Beteiligt waren an den Versuchen der praktische Arzt Herr de Leeuw, die Klinizisten Herren Ketzel, Neese, Schümann und Wiener sowie ich selbst. Es ist mir eine angenehme Pflicht, den Herren, die mir bei den Versuchen geholfen haben, an dieser Stelle meinen besten Dank auszusprechen. Ich will noch auf einen Punkt besonders aufmerksam machen. Da mit Digitalis operiert wurde, war es immerhin denkbar, dass bei dem einen oder anderen der Beteiligten psychische Momente mit in Frage kommen konnten, die leicht erklärlicher-, wenn auch un- begründeterweise ihren Ursprung in einer allzu grossen Hochachtung vor der Leistungsfähigkeit der Digitalis hatten. So haben denn, mit Ausnahme des Kollegen de Leeuw und mir, die anderen Herren nicht früher erfahren, was sie bekamen, bis die ganze Versuchsreihe abgeschlossen war. Was den Modus der gesamten Versuche anlangt, so entspricht derselbe genau dem Verfahren, wie ich es bei den Untersuchungen mit santonsaurem Natron beobachtet habe. Ich kann deshalb einfach auf die Angaben in der ersten Mitteilung verweisen !). Auch hier lag für mich das Wesentliche der Arbeit darin, zu erfahren, ob für die Digitaliswirkung auf die Farbenempfindlichkeit, falls sie wirklich existierte, das Rudolf Arndt’sche Gesetz ebenso seine Gültigkeit haben würde, wie dies bei den Santoninversuchen in so einwandfreier Weise sich ergeben hatte. Es ergab sich bald bei unseren Versuchen, dass grosse und kleine Digitalisdosen getrennt geprüft werden mussten. Wohl kam in einzelnen Fällen auch bei Anwendung der grösseren Dosen in deren Anfangswirkung das Arndt’sche Gesetz zum Ausdruck. Um aber ganz sichere Resultate zu erhalten, mussten besondere Versuche mit niedrig bemessener 1) Pflüger’s Arch. Bd. 152 S. 478. 1913, und für Grün speziell S. 503. 142 Hugo Schulz: Dosierung angestellt werden. Der Grund dafür liegt wohl darin, dass die Resorption der Digitalistinktur, die stets mit Wasser ver- dünnt genommen wurde, erheblich schneller vonstatten geht wie die des santonsauren Natrons, bei dem wir in allen Fällen mit einer einzigen Dosierung ausgekommen sind. In hohem Grade auffallend ist, um dies schon hier zu betonen, die Erscheinung, dass die Dieitaliswirkung in so verhältnismässig sehr kurzer Zeit nach der Aufnahme der Tinktur sich einstellte. Allerdings war sie nach Ab- lauf der Dauer jedes einzelnen Versuches — 2 Stunden — auch wieder verschwunden. Da sich herausgestellt hatte, dass die einzelnen Beobachtungen am Apparat bequem und ohne Ermüdung des Be- obachtenden alle 5 Minuten gemacht werden konnten, haben wir für jeden einzelnen Versuch 24 Zahlenwerte erhalten und für die graphische Darstellung der Versuchsresultate benutzen können. Als Einleitung zu den eigentlichen Versuchen wurde von jedem der Beteiligten eine ebenfalls alle 5 Minuten wiederholte und auf 2 Stunden ausgedehnte Serie von Beobachtungen am Apparat ohne gleichzeitige Digitaliswirkung ausgeführt. Ich lasse nun die einzelnen Versuche folgen: I. Herr cand. med. Ketzel, 22 Jahre alt, machte am 7. Juli 1913 zunächst eine Beobachtungsreihe durch ohne Diegitalis. 9 Uhr 20 Min. 25—50 Differenz: 25 ee. 3 10 Be Re ke 11 0, & ®) A. s 7 ON e4G 5 5 An E 7 ee e 5 1020 os L 5 100 a ger ä 9 m a0 20 E 5 10, al AT \ 6 Dr. a, 20 5 8 Im eo 5. x 8 100, 30, 1018 # 8 Do SB rl N 8 m .20 5 x 8 In N 7 Uber den Einfluss des santonsauren Natrons etc. 10 Uhr 50 Min. 10 181 11 11 11 Die hohen Werte 55 36—44 36—45 36 —45 37—46 37—45 36—44 Differenz: ” 8 $) 2) 1) 8 8 143 für die Differenzen zu Beginn der Beobachtung erklären sich dadurch, dass Herr K. sich erst in den Apparat „ein- sehen“ musste. Ich verzichte hier, wie bei allen folgenden Versuchen, darauf, jedes einzelne Ergebnis graphisch wiederzugeben, und werde zum Schluss der Arbeit wieder, wie dies auch bei den Santonin- versuchen geschehen ist, das Mittel aus dem Resultate aller einzelnen Versuchsreihen bringen. IE 15. Juli 1913. Digitalisversuch. 11 Uhr 5 Min. 11 ” 10 ” 11 ” 15 „ 11 ” 20 Pr] ul Ka 30 Un 0096, 11 40 39—45 40—44 39—43 39—43 37—42 38—42 37—4l 37—40 Differenz: ” 10 Tropfen Tinct. Digitalis auf 50 ccm Wasser. 11 Uhr 45 Min. il 11 12 12 12 12 12 12 12 12 50 39—4l 32—43 BA 33—43 35—43 33—43 36—47 34—43 36—43 35—4l 35—42 36—41 36—40 36—4l s7—4l 38—42 Differenz: wer ur BR © 2 11 PPuPpuno-ÄJonr 144 Hugo Schulz: III. 29. Juli 1913. Digitalisversuch. 10 Uhr 5 Min. 50—57 Differenz: 7 I 10 49—55 > 6 len, lan, 91—57 n 6 10020 471—54 e 7 ID). 2 3 49—56 S 7 N N, 47— 55 " 8 INDIE os 48—54 n 6 I EAIR,,, 48—53 a 5 2 Tropfen Tinct. Digitalis auf 25 ccm Wasser. 10 Uhr 45 Min. 48—53 Differenz: 5 105082, 48—51 s 3 NN BD 50—52 ® 2 200, 49—51 5 2 N sr, 49—51 5 2 114,10, 47—52 5 5 11 2a1902, 48—52 5 4 11 3,72. 20,08, 48-58 = B) se a RR 47—54 5 7 Ile, 3055 48—58 5 6) 112,,70352, 49—52 A 3 le NR 49—55 > 6 ine: 49—54 a h) DIN 250 41—53 5 6 IE 599, 50—53 5 3 12775.200%, 41—59 > 8 Aus den Zahlenreihen folgt für den Vorversuch, der ohne Disitalis ausgeführt wurde, dass, nachdem Herr K. sich an die Be- obachtung gewöhnt hatte, an diesem Tage die Differenz in der Empfindungsfähigkeit für helleres und dunkleres Grün zwischen 5 und 9 mm schwankt und im Mittel ”—8 mm beträgt. Wesentlich anders gestaltet sich das Resultat, wenn man die Zahlen aus dem zweiten Versuch vor und nach der Aufnahme der Dieitalistinktur ins Auge fasst. Vor der Aufnahme wurde als niedrigster Wert 3 mm notiert, als höchster 6 mm. Nach Aufnahme der Digitalis erscheint zunächst der sehr niedrige Wert von 2 mm. Dann, 7Y/e Min. nach Aufnahme der Digitalis, gehen die Werte beträchtlich in die Höhe, bis auf 11 mm. Die Unterscheidungsfähiskeit für Hell und Dunkel hat also beträchtlich abgenommen. Dieser Abnahme in der Unter- scheidung entsprach die Wahrnehmung des Beobachters, dass das Über den Einfluss des santonsauren Natrons etc. 145 Grün ganz blass bis nahezu weiss erscheine. Die Störung hielt un- gefähr 40 Min. an, dann gingen die beobachteten Werte beziehentlich die aus ihnen sich ergebenden Differenzen allmählich wieder auf die Anfangszahlen, die dem digitalisfreien Teil des Versuches entsprechen, zurück. Genau umgekehrt ist das Verhalten im dritten Versuch. Unter normalen Verhältnissen schwankt die Unterscheidungsbreite zwischen 5 und 8 mm. Nach Aufnahme der fünfmal kleineren Disitalisdosis tritt nach 12Y/s Min. zunächst der niedrige Wert von 3 mm auf; dann folgt hintereinander dreimal der Wert 2, und darauf erreichen die angegebenen Werte wieder die Höhe aus der normalen Periode dieses Versuches. Die Unterscheidungsfähigkeit für Hell und Dunkel bei Grün hat also nach Aufnahme der kleinen Dieitalisdosis für längere Zeit wesentlich zugenommen. Interessant ist die Erscheinung, dass in der zweiten Hälfte des Versuches noch zweimal wieder der niedrige Wert 3 auftritt. Herr K. hatte während der Periode gesteigerter Unterscheidungsfähigkeit wiederholt an- gegeben, dass das Grün dunkler, intensiver erscheine. Dasselbe wiederholte sich in den beiden Fällen, wo zwischen den der Norm entsprechenden Werten unversehens wieder der Wert 3 festgestellt wurde. IV. Herr eand. med. Neese, 22 Jahre alte Am 2. Juli 1913 Vorversuch ohne Digitalis. 9 Uhr 55 Min. 4556 “Differenz: 11 iD 5 12 N . 13 lo 0 12 55 R 11 Ur las, 40—583 ” 13 10 ” 20 » 4052 ” 22 0, 5 14 0 Ba N lo, 35002 n 12 mr A : 8 10, a a ER ee) r 9 N. 3 9 ne) E 7 ee Denn) N 8 mo en) A 7 Me ls, 422g ‘ 7 ao 250 a 8 Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 10 Hugo Schulz: Differenz: Differenz: Differenz: Differenz: 2 ” 11 Uhr 25 Min. 41—48 11 „ 30 „41-48 I org 11, 40 ,...48 50 1 „ 45 „ 43-50 1 „ 50 u. 4-51 V. 3. Juli 1913. Digitalisversuch. 9 Uhr 45 Min, 41—49 I „u 50 „40-48 ae 0 san, Aos ls Eee 40—46 0a 100 se age AU. ,200% 40—46 10 Tropfen Tinet. Digitalis auf 50 ccm Wasser. 10 Uhr 25 Min. 36—50 10:2:05307%, 16—48 10 Eee 18—50 10-,,=4100 15—46 10 arg DU, TO A I 000, on ee or, Bo es 3346 oe u ea ai in, 280%, 36—46 Im as ge 11 „ 40 „40-48 Ns 14. Juli 1913. Digitalisversuch. 11 Uhr 0 Min. 40—50 I a rg ee. 8 te a Ah I oo ee I, vos ass 11 30 41-—47 mn Hm mn Pe m 00 @ 14 32 32 sl 3l 29 28 23 18 14 13 11 11 10 $) 8 [erikoruXo oe »ErNe) Über den Einfluss des santonsauren Natrons etc. 11 Uhr 35 Min. 41—48 2 Tropfen Tinct. Digitalis auf 25 ccm Wasser. 11 Uhr 40 Min. 40—47 11 11 11 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 45 39—46 40—47 44—46 43—46 36—49 30—50 29—59 30—55 32—52 40—50 41—49 43—48 40—47 43—50 42 —49 VL. 31, Juli 1913. Digitalisversuch. 9 Uhr 45 Min. 42—-53 9 „50 gs 10000 10.328 100, 10 WW 10 20 ” !/ga Tropfen Tinct. Digitalis 10 10 10 10 10 10 11 11 11 11 11 11 11 11 11 30 35 40 ” 41—52 43—53 41—54 45 —58 43—52 44—51 44—53 Differenz: Differenz : Differenz: auf 12,5 ccm Wasser. 10 Uhr 25 Min. 46-51 4959 49—52 49—51 50—53 50--52 43—52 48—54 49—55 46—56 45—56 45 —54 45—54 41—57 45—57 46—57 - Differenz: 7 11 a 10 13 [ee SOMHMoo93 9 »+»$»ı OD @ PB ot — oO 12 et ei 10* 147 148 Hugo Schulz: In seinen „biologischen Studien“ macht Rudolf Arndt darauf aufmerksam, dass es durchaus individuell ist, was sich im konkreten Falle als schwacher, mittelstarker, starker oder stärkster Reiz aus- weist. Vergleicht man das Resultat der von Herrn Ketzel ge- machten Beobachtungen mit denen des Herrn Neese, so ergibt sich für die Richtigkeit und Bedeutung der von Arndt gemachten Ein- schränkung eine schöne Illustration. Ganz abgesehen von den enorm hohen Differenzen, die im Versuch V nach Aufnahme von zehn Tropfen Digsitalistinktur auftreten, zeigt der Versuch VI, dass auch die Dosis von zwei Tropfen noch reichlich hoch gewesen ist. Nur ganz vor- übergehend treten zweimal hintereinander sehr niedrige Werte von 2 und 3 mm auf. Dann wandelt sich das Bild wieder vollkommen, und der Versuch verläuft weiter wie derjenige, wo zehn Tropfen Dieitalistinktur hatten wirken können. Die Dosierung musste auf einen halben Tropfen herabgesetzt werden, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Dann aber lässt das Versuchsergebnis auch nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig: unter dem Einfluss genügend hoher Digitalisdosierung weitgehende Abnahme des Unterscheidungs- vermögens für Hell- und Dunkelgrün und das gerade Gegenteil dazu, wenn die Digitaliswirkung durch richtige Gabenwahl genügend herabgesetzt worden war! Von besonderen Wahrnehmungen ist aus den Versuchen IV—VII noch folgendes zu bemerken: Im Versuch V (zehn Tropfen Dieitalistinktur) ist der hemmende Einfluss auf die Grünempfindlichkeit des Auges schon nach 2!/a Min. deutlich. Im weiteren Verlauf des Versuches gab Herr N. an, er sehe im Apparat alles weiss. Gegen Ende des Versuches erschien das dicke Ende des mit der grünen Farbstofflösung gefüllten Keiles deutlich grün, wie denn überhaupt ausserhalb des Apparates keinerlei Beschränkung der Farbenempfindlichkeit wahrzunehmen war. Als eine halbe Stunde nach Beendigung des Versuches V Herr N. nochmals am Apparat beobachtete, sah er wieder deutlich grün, un: die Unter- scheidungsbreite betrug wieder 6 mm wie zu Anfang des Versuches, ehe die Digitalis hatten wirken können. Der Versuch VI erinnert an unsere Befunde bei den Arbeiten mit santonsaurem Natron insofern, als hier dem Stadium der Be- schränkung der Unterscheidungsfähigkeit ein solches erhöhter Leistung vorangeht. Um 11 Uhr 55 Min. und bei der folgenden Beobachtung bemerkte Herr N., dass das Grün im Apparat intensiver gefärbt Über den Einfluss des santonsauren Natrons etc. 149 erscheine.e. Dann nahm die Färbung mehr und mehr ab und erschien erst von 12 Uhr 35 Min. ab wieder dunkler und kräftiger. Wie ein Blick auf die Zahlenreihe lehrt, entspricht dies genau den niedrigen Differenzwerten, die dem gesteigerten Unterscheidungs- vermögen entsprechen. Dasselbe ergab sich, wie zu erwarten, im Versuch VII, solange die niedrigen Werte notiert wurden. VIII. Herr cand. med. Schümann, 23 Jahre alt.e. Am 8. Juli 1913 Vorversuch ohne Digitalis. 10 Uhr 55 Min. 20—55 Differenz: 35 AL, Van H 18 le ee re; ß 18 sl) sone, E 14 ne a 3 8 a 2 oou 27332239 5 6 Il a) $ 7 ul se re) 5 6 I 3554 k 7 Io : 7 as 33 ug a 7 5, 3 7 ul) : 7 a a R 8 106, ne ee ga 4 7 m are) 2 6 wo. ran £ 8 ea Manlen £ 6 er x 6 12 035 49 1 7 a 5 4 6 DA var 2 6 a) { 5 1. 5 6 IX. 19. Juli 1913. Digitalisversuch, 11 Uhr‘20 Min. 36—42 Differenz: 6 ul er ae) N 7 Te30 8 aus ; 8 OR. 300 010362 44 2 8 ul 0 5 6 9 u 55245 { 150 Hugo Schulz: 11 Uhr 50 Min. 36-42 Differenz: IN 35—41 ei 10 Tropfen Tinct. Digitalis auf 50 ccm Wasser. 12 Uhr 00 Min. 36—44 Differenz: a 38—43 4 12 P2 el 37—43 R Oro er 36—44 5 129,220 38—41l 5 Ian 35—44 © 20er 36—43 = 120923908 33—45 " 12.2402, 335—90 x 12 5.45 |, 28—44 = 29025: 33—45 5 To on 30—44 : ee UNE 37—42 5 1 » d ” 39—41 „ en 33—42 5 Dee 39—45 r X; 28. Juli 1913. Digitalisversuch. 9 Uhr 35 Min. 49-57 Differenz: IA, 49—56 a ee 50—56 2 Se tal, 48—55 = 9 ” 55 ” 48 —59 ” 107 2200, 48 —56 : ID or 50—57 R len aller 50—56 5 2 Tropfen Tinct. Digitalis auf 25 cem Wasser. 10 Uhr 15 Min. 48-56 Differenz: I SA RR 50—55 5 USE 2930, 50— 99 = ID 302% 39—55 E 0 Fan 93— 99 & NO re ER 31—54 s 10.20 745.3, 51—53 2 02 0 51—53 n 10588: 2, 31—53 = 117,7 200888 31—53 5 I 49—54 5 URL, 51—56 5 10, 32loRz; 50—55 > lee 20 50 —59 Über den Einfluss des santonsauren Natrons etc. 151 11 Uhr 25 Min. 50—55 Differenz: 5 oe As A 7 Nachdem im Vorversuch erst nach einiger Zeit Herr Sch. sich mit der Beobachtung hatte vertraut machen können, werden die den einzelnen Beobachtungen entsprechenden Differenzen gleichmässig und schwanken zwischen 5 und 8 mm. Im ersten Digitalisversuch, wo zehn Tropfen Digitalistinktur genommen worden waren, erscheint nach 17!/s Min. einmal der niedrige Wert: 3. Dann nehmen die Differenzwerte gleichmässig zu und erreichen um 12 Uhr 45 Min. den höchsten Wert: 16. Um 1 Uhr 5 Min.. tritt plötzlich noch einmal der niedrige Wert: 2 auf. .Derselbe erklärt sich vielleicht dadurch, dass der: grösste Teil der Digitalis schon ausgeschieden oder sonstwie unwirksam geworden war und ein noch verbliebener geringer Rest noch einmal als schwacher Reiz ‚hatte wirken können. Der Versuch X zeigt dann wieder sehr schön und gleichmässig den Effekt des schwachen Reizes auf die grünempfindenden Elemente des Sehorganes. Im Versuch IX gab Herr Sch. 7!/s Min. nach dem Einnehmen der Tinktur an, dass die grüne Farbe im Apparat zunehmend blasser würde bis zu erau hin. Dies blieb so bis um 1 Uhr, wo, ent- sprechend dem Differenzwerte 5, das Grün wieder deutlich gesehen wurde 5 Min. später, als der Wert 2 zur Beobachtung kam, wurde die Farbe als lebhaft grün bezeichnet. Danach erschien die Färbung dann wieder weniger intensiv. Einer eigenartigen Erscheinung soll hier Erwähnung getan werden, die auch von den anderen Herren wiederholt festgestellt wurde. Sobald bei den hohen Digitalisdosen die Blende am Apparat geöffnet wurde und der erste Licht- beziehentlich Farbeneindruck das Auge traf, erschien die Farbe öfter für einen kurzen Moment noch grün, um dann rasch blass oder gar weiss zu werden. Herr Sch. machte dann, als mit der niedrigen Dieitalisgabe gearbeitet wurde, noch eine weitere Wahrnehmung, die hier und da auch von den anderen Herren bemerkt wurde: Wenn die Differenzzahlen ihre niedriesten Werte erreicht hatten, sah es zuweilen so aus, wie wenn das Grün einen bräunlichen Ton angenommen hätte. Eine Erklärung für diese Wahrnehmung habe ich nicht. Ferner will ich gleich an dieser Stelle eine Beobachtung mit anführen, die Herr Kollege de Leeuw und ich selbst gemacht haben. Wir versuchten einmal so zu arbeiten, dass wir nur .den Keil mit Farbstofflösung gefüllt 152 hatten, während der Trog nur destilliertes Wasser enthielt. bald, nachdem wir jeder zehn Tropfen Digitalistinktur genommen hatten, erschien das dem Trog entsprechende Feld, das von Anfang an rein weiss ausgesehen hatte, zunehmend deutlicher rot gefärbt, erst mehr rosa und dann zunehmend kräftiger. Unter dem Einfluss der Digitalis war also die Empfindung für die dem Grün ent- sprechende Kontrastfarbe zunehmend gesteigert worden. Herr cand. med. Wiener, 22 Jahre alt, macht am 4. Juli 1913 Hugo Schulz: XI. einen Vorversuch ohne Digitalis. 9 Uhr 45 Min. 41—49 Ren 504,0 AA gain HS. 04847 1 5 oO a 1.10, A I El en 10 0050, 1098 100 2 so og 10, rss 0 414 er I A ne) io, 50 as 10 eis 1102 2000, A048 11 SA lo es I og moon 02249 a HR 308, la 850 001g Il A) 5. Ami XII 11. Juli 1913. Digitalisversuch. 11 Uhr 10 Min. 47--52 I, la As 5 len) ee 11:7, 95 a 11 30 41—52 Differenz: Differenz: 8 5 4 4 6 6 5 6 6 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 U 7 Über den Einfluss des santonsauren Natrons etc. Differenz: ” ”» 80 ccm Wasser. Differenz: Differenz: Differenz: 11 Uhr 35 Min. 48—53 1103, 40%, 48 —59 1 „45 „ 47-53 10 Tropfen Tinct. Digitalis auf 11 Uhr 50 Min. 48—61 INS 47—62 12°.357 00°, 43 —67 Dr u, 42—59 12, 010%, 44—66 lage alaar,, 41—55 1227200; 41—57 DIS 2298, 41—64 BSR: 40—58 1222350 % 45—96 127 „4007, 43 — 54 lan 49, 39—50 12052 29005, 45—53 Opa 59,7 46—54 220025 45—52 3 AT—54 - XIII. 16. Juli 1913. Digitalisversuch. 10 Uhr 10 Min. 34—39 1079,..2187 5, 32—40 1022,2220%5 38—43 107.%...25, 05 38—43 10, 7,02.30% , 36—43 1042, 39. 5 36—42 107. 2:40 2, 37—43 10° ,5,43 36—43 2 Tropfen Tinct. Digitalis auf 25 ccm Wasser. 10 Uhr 50 Min. 39—41 IOeeos: 38—40 11 75,.,00°°%, 40—43 Mer, Duni, 40—42 11 „ 10 „ 40-42 1, S1ons, 39—4l Hlamar2087, 35—42 le. 20, 36—42 UE733025 23—44 EI, 2 SoR 2541 EN „AU, , 25—43 1 er na 37—46 11 50 39—44 5 5) 6 13 15 24 17 22 14 16 23 18 153 154 Hugo Schulz: 11 Uhr 55 Min. 37—42 Differenz: 5 12.:,.000,8, Bug a 6 wi. 85, eh \ 7 Die Bedeutung des individuellen Momentes bei allen Versuchen, deren Substrat der gesunde Mensch ist, zeigt sich in den Differenz- werten dieser letzten drei Beobachtungsreihen sehr deutlich aus- geprägt. Von allen Herren, die mit meinem Einschluss sich bisher an den Studien über die Santoninwirkung wie über das Verhalten der Digitalis beteiligt haben, hat keiner eine solche fast ideal zu nennende Unterscheidungsfähigkeit für Hell und Dunkel einer be- stimmten Farbe gegenüber aufgewiesen wie Herr W. Es kommt dabei noch besonders in Betracht, dass der Versuch XI der erste war, bei dem Herr W. überhaupt am Apparate beobachtet hat, mit- hin von irgendwelcher Übung gar keine Rede sein konnte. Der Versuch XII ergibt dann wieder das schon zu erwartende Resultat, mit der bemerkenswerten Erscheinung, dass schon 2'/a Minute nach dem Einnehmen der Dieitalistinktur die Unterscheidungsfähigkeit für Hell und Dunkel ganz beträchtlich herabgesetzt erscheint. Genau der Voraussetzung entsprechend stellt sich dann weiter das Ver- hältnis in Versuch XII. Schon nach -2!/s Min. deutliche und fast !/s Stunde lang anhaltende Steigerung des Unterscheidungsvermögens. Dann aber tritt auffallenderweise für Y/s Stunde lang plötzlich eine starke Zunahme der Differenzen ein, der dann erst der Abfall zu den normalen Werten folgt. Es macht den Eindruck, als wenn auch hier, ähnlich wie bei dem Versuch VI, die Digitalisdosis doch noch zu hoch gewählt gewesen wäre. Zweifellos auch spielen bei diesen Abweichungen vom regulären Verlauf Resorptionsverhältnisse mit, über deren Wesen wir uns allerdings nicht unterrichten - und höchstens Vermutungen hegen können. XIV. Herr de Leeuw, praktischer Arzt, 30 Jahre alt. Am 27. Juni 1913 Vorversuch ohne Digitalis. 10 .Uhr 45 Min. 35—52 Differenz: 17 105 a IS De, “a no, AR a so 1, e65.. eins En oe, eye ae erg 5 9 Über den Einfluss des santonsauren Natrons etc. 11 Uhr 20 Min. 1 11 11 11 11 11 11 12 12 12 12 12 12 12 12 12 30. Juni. Diegitalisversuch. 9 Uhr 40 Min. I ” 45 » 3 50, I, 98, 10 „ 0 „ 10 » 5 ” 107, 210, 10 15 25 30 39 40 45 43—51 41—50 42—50 41—50 40 —48 41—49 40 —48 41-49 39—49 41—50 4149 42—50 42—50° 42—49 40—48 42—50 41—49 XV. 45--54 44—53 45—54 . 45—54 48—56 46—54 .45—58 47—54 Differenz : Differenz: 10 Tropfen Tinct. Digitalis auf 50 ccm Wasser. 10 Ubr 20 Min. 10 10 10 10 10 10 10 11 11 11 11 11 11 11 un 25 30 39 40 45 ” ” 47-54 48—54 45—52 36—59 34—60 36 —62 37—63 42—66 41—57 44—59 42—63 41—61 40—59 46—60 46—60 46—60 - Differenz: 8 9 8 1) 8 8 8 8 m [e>} om m @ I OD WO 0 oO ID m SO O0 © 155 156: Hugo Schulz: xVI. 7. Juli 1913. Digitalisversuch. 11 Uhr 20 Min. 30—40 Differenz: 10 a ae) h 9 um 300 304 & 9 1,883 20 R 9 ul en serie ea le a) 11947850, 9,822-49 2.7510 RB 3249 IR 10 2 Tropfen Tinct. Digitalis auf 25 ccm Wasser. 12 Uhr 00 Min. 32—44 Differenz: 12 er Se x 9 Oo » 8 Tre „ag . 6 a asker 2 5 id an, an Hi 4 sag i 5 wa, as) 5 4 ao, 0, an s 3 I 5 5 ee) & 8 een 310 0 = 7 I aus h 9 Sl 100 530249 lg IE a he, N 7 Diese drei letzten Versuche verlaufen ganz regulär und den Voraussetzungen entsprechend. Ich will nur bemerken, dass wir nach Schluss des Versuches XV noch zwei Beobachtungen auf- gezeichnet haben, um zu sehen, wie lange die Digitaliswirkung in diesem Falle anhielt. Der letzte Differenzwert um 11 Uhr 35 Min. war 14. Nach einer Yz Stunde war er auf 10 zurückgegangen, nach einer weiteren '/a Stunde auf 9 und hatte damit den Mittel- wert aus der digitalisfreien Versuchsperiode mit 8—9 wieder erreicht. XVII. Am 28. Juni 1913 machte ich selbst einen Vorversuch ohne Digitalis. 10 Uhr 35 Min. 37—51 Differenz: 14 10 on le 10..,.45 cases } 16 se, N 16 Über den Einfluss den santonsauren Natrons etc, 10:Uhr 55 Min. 38—47 Differenz: 9 ii, 00. ., eh E 12 ea rag] 5 13 ul et 5 13 lose le. a s 14 110 72.20°., 5 36-50 : 14 Mil... 285. Ss) ; 14 ul ee ee) s 14 I SB 55249 3 14 AD 03650 e 14 lo, ae er 3 14 I ae) RN) N et) x 13 loBer 00.0 35.49 5 14 oe 5 Ag E 14 1224210... 35249 B 14 1 et) e 14 je 20549 E 14 5 ag R 13 9 ee ei) 2 13 XVII. 1. Juli 1913. Dieitalisversuch. 9 Uhr 55 Min. 42-53 Differenz: 11 10, 2, a) el De 5... go | I ass ro ee! el 100 00 5 10 10, cos 20592 ig 100,430 5.0. 40-50 2 0) 10 Tropfen Tinct. Digitalis auf 50 ccm Wasser. 10 Uhr 35 Min. 43—50 Differenz: 7 10 R 3 ers ß 16 m, S 22 NO BE a 19 11, 00 „ 38=61 = 23 IB, 5389-61 “ 3 I ee : 18 I 3959 a 20 1 „ 20 „ 40-56 5 16 Me 2a Al 59 e 11 1 „ 80, "8949 E 10. EI en sl ü 9. 158 Hugo Schulz: 11 Uhr 40 Min. 37—54 Differenz: 17 110,025 0 Baosa Hs ae XIX. 5. Juli 1913. Digitalisversuch. 10 Uhr 45 Min. 40—52 Differenz: 12 105050 40 —52 = 12 Ilmer Es Kos 40—53 N 13 115.7. 50025; 40—52 N 12 1 41—51 n 10 en LU) er 41—50 n s) I en 42—52 a 10 2 41—52 F 11 2 Tropfen Tinct. Digitalis auf 25 cem Wasser. 11 Uhr 25 Min. 44—52 Differenz: 8 la 0 44—50 5 6 u 45—50 es d DI SSR A) 46—51 = h) I ee 44—47 N 3 U 2908, 45—49 es 4 le 43—50 = 7 122 2. 00,25, 46—51 ei h) LOyr Sun ne 42—52 5 10 12, ,2-1020% 42—53 n 11 a rs 43—53 n 10 layer 220855 41—51 Rn 10 Da 292, 40—51 e 11 a 40—50 . 10 222,0 39% 5 40—51 Mn 1 129,2240275, 40—51 5 11 In dieser Versuchsreihe ist wieder bemerkeuswert, dass im Versuch XVIII nach Aufnahme der Digitalis zunächst eine, wenn auch nicht lange anhaltende Abnahme der Differenzwerte eintritt, entsprechend der Beobachtung, .die wir bei den Santoninversuchen regelmässig machen konnten. Um das Endresultat aller unserer Einzelbeobachtungen möglichst freizumachen von den individuellen Momenten, die bei den einzelnen Versuchen mitgespielt haben, bin ich auch diesmal wieder so vorgegangen, dass ich sämtliche einander entsprechenden Differenz- werte der einzelnen Reihen addiert und aus den Summen die Mittel- werte berechnet habe. Diese Mittelwerte wurden dann benutzt zur graphischen Darstellung der Digitaliswirkung. Über den Einfluss des santonsauren Natrons etc. 159 Kurve 1 ist, wie auch die folgenden, mit Hilfe der gleich anzuführenden Werte so gezeichnet, dass die mit den Minutenwerten versehene Abszisse in der Mitte liegt. Nach oben urd nach unten sind dann die Differenzwerte als Ordinaten eingetragen. Um das Bild übersichtlicher zu machen, sind die Ordinaten so genommen, das je 2 mm in der Kurve 1 mm der jedesmal in Betracht kommenden Differenzzahl entspricht. Bei der Berechnung der Mittel- werte für die erste Kurve habe ich den ersten Wert aus Versuch VIII, 35 mm, nicht mit in Rechnung gezogen, da er für den Verlauf der Kurve doch irrelevant ist. Die Mittelwerte aus sämtlichen Vorversuchen sind diese: 12 — 122 — 122 — 11 — 9—9—9—8—9—9 —9—8—9 —9 —9-8—-9—8—8—-3—3—8—83— 8. Die Kurve zeigt, wie nach Erlangung der nötigen Übung und den dieser Zeit entsprechenden höheren Differenzwerten diese deutlich abnehmen und zunächst noch mit jeweiliger Schwankung in der Breite von 1 mm zu Ende der Versuche gleich bleiben, so dass hier die obere und untere Kurvenlinie völlig parallel verlaufen. Kurve 2 entspricht den Mittelwerten aus den Versuchen, bei denen jedesmal nach Feststellung von acht Normalwerten zehn Tropfen Dieitalistinktur genommen wurden. Hier wie in Kurve 3 deutet die senkrechte Linie nach der achten Normal- beobachtung den Zeitpunkt an, wo die Tinktur eingenommen wurde. Nicht berücksichtigt bei der Berechnung der Mittelwerte ist der Versuch VI, in welchem, wie man sich erinnern wird, nur zwei Tropfen Digitalistinktur genommen wurden und gleichwohl das Resultat so ausfiel, wie wenn mit höherer Dosis gearbeitet worden wäre. Die Mittelwerte aus sämtlichen Versuchen mit zehn Tropfen Digitalistinktur sind folgende: 7—17—- 17 —17--7—-1—6—6 —8 — 12 — 16 — 15 — 16 — 13 — 18 — 13 — 16 — 13 — 14— 12 —9 — 9 —8—9. Nachdem während der Normalperiode die Differenz in der Wahrnehmungsbreite nach längerem, absolut gleichmässigem Verlauf um 1 mm herabgegangen ist, steigt sie gleich nach Aufnahme der Digitalis deutlich an. Sie erreicht nach 25 Min. das Maximum mit 18 mm und behält diesen Wert 10 Min. lang bei. Dann verengert sich das Kurvenbild wieder und erreicht zum Schluss wieder bis 160 Hugo Schulz: 415 100 405 0 95 un aaryrwyyat 2A ! RU: Vhaunnbannnlunantınıdı Iunlulsusnlunnalukund nbsenlarutuds o o o, -Über den Einfluss des santonsauren Natrons etc. 16} auf 2 mm die der digitalisfreien Periode des Versuches entsprechenden Werte. Kurve 3. Trotzdem der Versuch XIII mit den plötzlich eintretenden hohen Differenzwerten das Gesamtergebnis aller mit niedriger Digitalis- dosis angestellten Versuche hinsichtlich der Berechnung der Mittel- werte ungünstig beeinflussen musste, habe ich denselben doch in die Berechnung mit eingezogen. An Stelle des Versuches VI ist dann zur Darstellung dieser Kurve der Versuch VII berücksichtigt worden, bei dem nur ein halber Tropfen Digitalistinktur genommen worden war, weil die sonst durchweg genommene Dosis von zwei Tropfen noch zu hoch lag. Man kann den Einwand machen, dass, trotz meiner vorher ge- äusserten Absicht, das Individuelle bei der Betrachtung des End- ergebnisses möglichst auszuschalten, ich hier nieht ganz konsequent verfahren sei. Da es mir aber lediglich darauf ankommt, festzustellen, dass bei einem und demselben Mittel, hier also der Digitalis, je nach der Dosierungsgrösse bei gesunden Menschen einander. völlig entgegengesetzte Wirkungsbilder auftreten müssen und bei der Bestimmung der Gabengrösse im einzelnen Falle auf das Individuum mit seiner Eigenart Rücksicht genommen werden muss, will man überhaupt zu einem Resultat gelangen, so denke ich, dass der vor- her genannte Einwand damit wohl seine Erledigung findet. Dass die von uns gewählte Dosis von zehn, beziehentlich zwei Tropfen bis auf einen Fall sich als glücklich gewählt erwies, war ein Zufall. Und ich würde nicht gezögert haben, bei den einzelnen Beobachtern die Dosierung so lange zu wechseln und auszuprobieren, bis ich, vorausgesetzt, dass keine Schädigung der Gesundheit zu befürchten war, das Richtige getroffen hatte. Die Mittelwerte, die zur Konstruktion der dritten Kurve benutzt wurden, sind diese: 9—-—9—8—-9—-9 —- 8—8—-8—-7—5—4—3—3—3—5 —5—8—8—-9—8—7—7—S—8. Wie bei der vorigen Kurve sieht man auch hier, dass die Digitaliswirkung gleich nach der Aufnahme des Mittels einsetzt. Dann verläuft die Kurve, abgesehen von der zeitlichen Verschiebung, genau umgekehrt wie die vorige. Auch hier dauert das Maximum der Wirkung 10 Min. lang an. Ob die gegen Ende des Versuches noch einmal eintretende Abnahme der Differenzwerte eine besondere Bedeutung hat oder aber nur zufällig ist und gegebenenfalls an Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 11 162 Hugo Schulz: Über den Einfluss des santonsauren Natrons ete. der Hand eines grösseren Versuchsmateriales wegfallen würde, lässt sich nicht entscheiden. Das Endergebnis unserer Versuche gestaltet sich so: Die Dieitalis besitzt die Fähigkeit, bei gesunden Menschen das Unterscheidungsvermögen für Hell und Dunkel bei Grün zu modi- fizieren. Die Art dieser Modifikation entspricht dem Arndt’schen biologischen Grundgesetz. Je nach der Höhe der gewählten Dosierung nimmt das Unter- scheidungsvermögen entweder zu, so dass die Unterscheidungsfähig- keit bei unserer Arbeitsmethode bis auf 1 mın oberhalb und unter- halb des Nullpunktes gesteigert wird, oder aber es nimmt, unter Anwendung grösserer Dosierung, ganz erheblich ab. Das in dieser Hinsicht bei unseren Versuchen beobachtete Maximum betrug 16 mm oberhalb und unterhalb des Nullpunktes. Im Stadium der Zunahme der Unterscheidungsfähigkeit erscheint das Grün dunkler und intensiver wie vor- und nachher; im Stadium der Abnahme erscheint es innerhalb einer gewissen Breite weiss oder grau; es tritt mithin für die Dauer dieses Stadiums innerhalb der genannten Breite Grünblindheit ein. ; Bemerkenswert ist die kurze Zeit, welche notwendig ist, um den Anfang der Digitaliswirkung kenntlich werden zu lassen. 163 (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.) Die Abhängigkeit der Körperstellung vom Kopf- stande beim normalen Kaninchen. Von R. Magnus und A. de Kleijn. [Mit 5 Textfiguren )).] Im vorigen Jahre haben wir in diesem Archiv über Versuche berichtet, welche die Abhäneigkeit des Tonus der Extremitäten- muskeln von der Kopfstellung zum Gegenstande hatten ?). Es hatte sich dabei ergeben, dass die sehr verwickelten Beziehungen sich restlos zurückführen lassen auf die Superposition von zwei Gruppen von tonischen Reflexen, nämlich erstens Labyrinthreflexen, welche durch Änderung der Stellung des Kopfes im Raume, und zweitens Halsreflexen, welche durch Ärderung der Stellung des Kopfes zum Rumpfe ausgelöst werden. Weiland?) hat im Anschluss daran im hiesigen Institut diese selben Beziehungen beim Kaninchen unter- sucht und konnte feststellen, dass hier, von geringen Verschieden- heiten abgesehen, dieselben Gesetze gelten. Um diese Reflexe völlig isoliert und ungestört durch Spontanbewegungen und durch un- kontrollierbare optische oder olfaktorische Einflüsse untersuchen zu können, wurden alle diese früheren Versuche an dezerebrierten Tieren angestellt. Nur so war es möglich, die anfangs schwer ver- 1) Die stereoskopischen Abbildungen sind an den unteren Rand der Text- seiten gerückt, so dass sie mit einem gewöhnlichen Stereoskop direkt betrachtet werden können. 2) R. Magnus und A. de Kleijn, Die Abhängigkeit des Tonas der Ex- tremitätenmuskeln von der Kopfstellung. Pflüger’s Arch. Bd. 145 S. 455. 1912. 8) W. Weiland, Hals- und Labyrinthreflexe beim Kaninchen; ihr Einfluss auf den Muskeltonus und die Stellung der Extremitäten. Pfilüger’s Arch. Bd. 147 S.1. 1912. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 12 164 R. Magnus und A. de Kleijn ständlichen Erscheinungen zu entwirren. Die Versuche am dezere- brierten Tier boten ferner den Vorteil, dass die dabei auftretende Enthirnungsstarre die Glieder von vornherein in einen Zustand von Tonus versetzt, in welchem alle Änderungen des Tonus besonders deutlich zu erkennen sind. Darauf hat Rothfeld!) die gleichen Versuche an Kaninchen angestellt, bei denen die Grosshirnfunktion durch Chloroformnarkose ausgeschaltet war, und ist zu identischen Ergebnissen gelangt. (Auf einen nicht sehr wichtigen Differenzpunkt wird weiter unten einzugehen sein.) Auch bei Vögeln sind ähnliche Reflexe vorhanden, wie sich aus den interessanten Mitteilungen von Huxley?) und Noel Paton?) über reflektorische Apnöe bei Enten ergibt, bei denen Extension oder Dorsalflexion des Halses bei bestimmten Stellungen des Kopfes im Raum Atemstillstand bewirkt. Nun ist schon in den früheren Mitteilungen (Magnus und De Kleijn, a. a. O. S. 502 und 526; Weiland, a. a. O. S. 25) darauf hingewiesen worden, dass bei verschiedenen Stellungen und Bewegungen normaler, niechtdezerebrierter Tiere die gleichen Reflexe mitzuspielen scheinen. Das kann man an Katzen, Hunden und Kaninchen deutlich erkennen, und beim Besuche eines zoologischen Gartens sieht man leicht, dass es sich offenbar um in der Tierreihe sehr verbreitete Einrichtungen handelt. Danach scheint es sicher, dass die Hals- und Labyrinthreflexe, welche den Tonus und die Stellung des Körpers beherrschen, nicht nur nach der Ausschaltung des Grosshirnes vorhanden sind, sondern auch bei intaktem Zentral- nervensystem in Wirksamkeit treten. Die vorliegende Abhandlung beschäftigt sich daher mit der Frage, ob es gelingt, beim intakten Tier eine Reihe der früher für 1) J. Rothfeld, Beitrag zur Kenntnis der Abhängigkeit des Tonus der Extremitätenmuskeln von der Kopfstellung. Versuche mit Narkose. Pflüger’s Arch. Bd. 148 S. 564. 1912. 2) F. M. Huxley, Reflex postural apnoea in the duck. (Preliminary communication.) Journ. of physiol. vol. 44 p. XXIV. 1912. (Phys. soc.) — F. M. Huxley, On the reflex nature of apnoea in the duck in diving. II. Reflex postural apnoea. Quart. Journ. of exper. Physiol. vol. 6 p. 159. 1913. 3) D. N. Paton, On the neck element in the production of postural apnoea in ducks. (Preliminary communication.) Journ. of physiol. vol. 45 p- XLII. 1913. (Phys. soc.) — D. N. Paton, The relative influence of the labyrinthine and cervical elements in the production of postural apnoea in the duck. Quart. Journ. of exper. Physiol. vol. 6 p. 197. 1913. Die Abhängigkeit d. Körperstellung vom Kopfstande beim norm. Kaninchen. 165 dezerebrierte Tiere beschriebenen Reaktionen auf Änderung der Kopfstellung willkürlich hervorzurufen. Dabei sollen nur einige besonders deutlich zu erkennenden Stellungsänderungen beschrieben werden. Wir beschränken uns dabei auf Beobachtungen an Kaninchen, weil diese Tiere sich besonders leicht hantieren lassen, und weil wir auf diese Kaninchenversuche in der nachfolgenden Abhandlung über die Folgezustände der einseitigen Labyrinthexstirpation werden: zurückkommen müssen. Denn es wird dort gezeigt werden, dass einseitiger Labyrinthverlust eine Reihe von Erscheinungen auslöst, welche nicht direkte Folgen dieser Operation sind, sondern von .der abnormen Kopfstellung abhängen, -die bekanntlich durch die Entfernung eines Labyrinthes veranlasst wird. Zu den Versuchen eignen sich am besten kleine Kaninchen von 700—1200 g. Grössere Tiere sind häufig schwierig festzuhalten und machen vielfach störende Abwehrbewegungen. Nur aus diesem Grunde sind sie nicht so gut zu verwenden. Denn die nachstehend beschriebenen Reaktionen zeigen auch Kaninchen von 4 kg mit grosser Deutlichkeit. 1. Heben und Senken des Kopfes in Fussstellung des Tieres. Fig. 1 und 2 geben zwei kurz nacheinander aufgenommene stereo- skopische Momentaufnahmen desselben Kaninchens wieder. Fig. 1 zeigt das Tier in der gewöhnlichen Hockstellung mit gesenktem Kopfe, Die Vorderbeine sind gebeugt, und infolgedessen fällt der Rücken nach vorne zu in einem Winkel von etwa 30° ab. Wird nunmehr der Kopf des Tieres vorsichtig mit zwei Fingern gehoben, d. i. im Atlanto-Oceipitalgelenk und den nächstfolgenden Halsgelenken um die Bitemporalachse so gedreht, dass die Mundspalte um 45° oder mehr über die Horizontalebene gehoben wird, so ändert sich dadurch alsbald die Stellung des ganzen Tieres. Die Vorderbeine werden nämlich kräftig tonisch gestreckt, die ganze vordere Hälfte des Tier- körpers hebt sich und der Rücken steigt nunmehr nach vorne zu in einem Winkel von etwa 30° an (Fie. 2). Auch die Hinterbeine scheinen sich manchmal an dieser Reaktion durch eine Streckung zu beteiligen, doch ist sie stets schwächer als die der Vorderbeine und häufig nicht mit Sicherheit zu erkennen. Senkt man nunmehr den Kopf wieder, oder bringt das Tier nach Loslassen des Kopfes denselben in die alte, gesenkte Stellung zurück, so werden alsbald 12 * a 166 R. Magnus und A. de Kleijn: auch die Vorderbeine wieder gebeugt, und das Tier hat wieder die auf Fig. 1 abgebildete Stellung. Man kann diesen Versuch, der sich sehr gut zur Demonstration in der Vorlesung oder im Praktikum eignet, dadurch noch anschau- licher machen, dass man den Beobachter seine eine Hand auf den Rücken des Tieres am medialen Rande der beiden Schulterblätter legen lässt. Bei gehobenem Kopfe und gestreckten Vorderbeinen kann man dann kräftig auf den Rücken des Tieres drücken und fühlt einen beträchtlichen Widerstand der Vorderbeine. Sobald aber der Kopf gesenkt wird, fühlt man wie dieser Widerstand plötzlich dahinschwindet und der Vorderkörper nach unten sinkt. Diese Reaktion kommt nach unseren und Weiland’s früheren Feststellungen durch eine Kombination von Labyrinth- und Hals- reflexen in der Weise zustande, dass bei gesenktem Kopfe die Minimumstellung der Labyrinthe für den Strecktonus der Glieder gegeben ist, und bei Heben sich der Kopf gegeu die Maximum- stellung zu bewegt (ohne sie jedoch zu erreichen); zugleich wird vom Halse aus durch Kopfheben Streckung, und durch Kopfsenken Beugung der Extremitäten bewirkt. (Für die näheren Details sei auf unsere früheren Mitteilungen verwiesen.) 2. Heben und Senken des Kopfes in Rückenlage des Tieres. In Rückenlage des Tieres superponieren sich die Labyrinth- und Halsreflexe in anderer Weise als in Fussstellung. Liegt das Tier auf dem Rücken und ist die Mundspalte horizontal oder etwas (bis 45°) über die Horizontalebene gehoben (Kopf ventralwärts ge- beugt), so befindet sich der Kopf in der Maximumstellung für die Labyrinthreflexe, und die Beine sind von den Labyrinthen aus in stärkster Streckstellung. Wird der Kopf stärker in ventraler Richtung Fig. 1. Normales Kaninchen, freisitzend mit gesenktem Kopfe und ge- beugten Vorderbeinen. Die Abhängigkeit d. Körperstellung vom Kopfstande beim norm Kaninchen. 167 gebeust, oder wird er dorsalwärts gebeugt und die Mundspalte dabei unter die Horizontale gesenkt, so nimmt der Strecktonus der Glieder von den Labyrinthen aus ab. Vom Halse aus dagegen bewirkt jede Ventralbeugung Abnahme, jede Dorsalbeugung Zunahme der Streckung der Beine. Je nachdem also bei einem Tiere die Labyrinth- oder Halsreflexe überwiegen, wird das Endresultat ein verschiedenes sein müssen. Das ist nun tatsächlich der Fall, und zwar überwiegen bei Kaninchen mit intaktem Grosshirn in den meisten Fällen die Hals- reflexe. Lest man ein Kaninchen auf den Rücken und fixiert es in dieser Lage mit einer Hand, die den Thorax des Tieres umgreift, so treten gewöhnlich auf Heben und Senken des Kopfes sehr deut- liche Tonusveränderungen der Vorderbeine auf. Bei Tieren mit überwiegenden Labyrinthreflexen werden die Vorderbeine gebeust, wenn der Kopf maximal ventralwärts und maximal dorsalwärts ge- beugt ist, um in Mittelstellung gestreckt zu werden. In der Mehr- zahl der Fälle jedoch erfolet Beugung der Vorderbeine, wenn der Kopf ventralwärts gebeugt ist, und starke Streckung der Vorderbeine bei Dorsalbeugung des Koptes. Dieses letztere Verhalten findet sich auch bei Tieren nach doppelter Labyrinthexstirpation. Eine gesonderte Besprechung verlangt das Verhalten der Hinter- beine. Diese reagieren beim intakten Tier im allgemeinen schwächer auf Heben und Senken des Kopfes als die Vorderbeine (während bei dezerebrierten Kaninchen die Hinterbeine gewöhnlich nach den Er- fahrungen Weiland’s sehr lebhaft reagieren). Auch in den Ver- suchen von Rothfeld (a. a. OÖ.) an chloroformierten Kaninchen war Fig. 2. Dasselbe Kaninchen mit gehobenem Kopfe. Die Vorderbeine sind gestreckt, die vordere Körperhälfte aktiv gehoben, der Rücken steigt von vorne nach hinten an. Der Daumen des Experimentators liegt gegen den Unterkiefer- winkel an, um den Kopf in seiner Lage zu halten, die Körperlast ruht aber allein auf den Extremitäten des Tieres. 168 R. Magnus und A. de Kleijn: die Reaktion der Hinterbeine meistens eine schwache. Rothfeld gibt nun an, dass bei den Halsreflexen auf Heben und Senken des Kopfes die Hinterbeine immer in entgegengesetztem Sinne reagieren wie die Vorderbeine. Ein solches Verhalten haben wir früher für Katzen und Hunde beschrieben, während Weiland an Kaninchen fand, dass bei diesen Tieren auch vom Halse aus alle vier Extremi- täten ihren Tonus stets gleichsinnig ändern. In den Versuchen von Weiland war dieses Verhalten sehr deutlich zu erkennen, weil dabei die Hinterbeine besonders lebhafte Reaktionen zeigten. Aber auch wir haben bei den Versuchen an intakten Tieren zu wieder- holten Malen uns von der Richtigkeit der Weiland ’schen Angabe überzeugen können. Dorsalbeugung des Kopfes in Rückenlage führt nämlich von den Labyrinthen aus zur Abnahme des Strecktonus der Hinterbeine.e Wenn also auf Dorsalbeugung des Kopfes sich die Hinterbeine strecken, so muss dieses ein Halsreflex sein. Tat- sächlich haben wir zu wiederholten Malen ein derartiges Verhalten wahrnehmen können, in einigen Fällen handelte es sich um besonders deutliche Reaktionen, so dass ein Irrtum ausgeschlossen erscheint. Wir müssen daher auch aus diesem Grunde die Angabe Weiland’s, dass auf Heben und Senken des Kopfes beim Kaninchen durch Hals- reflexe eine gleichsinnige Reaktion aller vier Gliedmaassen ausgelöst wird, aufrechterhalten. Es ist dieses übrigens, wie erwähnt, der einzige Differenzpunkt zwischen den Angaben von Weiland und Rothfeld, welche in allen übrigen Punkten eine erfreuliche Über- einstimmung zeigen. 3. Kopfdrehen in Rückenlage des Tieres. Beim Drehen des Kopfes um die Achse Schnauze - Hinter- hauptsloch reagieren durch Halsreflexe die Extremitäten der beiden Körperseiten in entgegengesetztem Sinne. Die Beine, nach deren Seite der Unterkiefer gedreht wird (Kieferbeine), werden gestreckt, die Beine, nach deren Seite der Scheitel gedreht wird (Schädelbeine), werden gebeugst bzw. weniger gestreckt. Hierauf können sich Labyrinth- reflexe in der früher von uns und von Weiland geschilderten Weise superponieren, stets aber ist, solange überhaupt die Halsreflexe irgendwie mitspielen, der Tonusunterschied der Extremitäten auf den beiden Körperseiten deutlich ausgesprochen. Auch bei normalen Kaninchen lässt sich dieser Einfluss des Kopfdrehens nachweisen und ist in vielen Fällen so deutlich, dass er sich zur Demonstration eignet. Die Abhängiskeit d. Körperstellung vom Kopfstande beim norm. Kaninchen. 169 Fig. 3 zeigt ein Tier, das auf dem Rücken liegt, und bei dem der Kopf nach rechts gedreht ist (d.h. das rechte Ohr ist nach der ventralen Körperseite zu gedreht). Der Tonusunterschied der Vorder- beine ist deutlich zu erkennen: das linke Bein ist Kieferbein und wird stärker gestreckt gehalten als das rechte Schädelbein. Fig. 4 zeigt den Erfolg der unmittelbar darauf bei demselben Tiere vorgenommenen Linksdrehung des Kopfes. Nunmehr ist das rechte Vorderbein gestreckt und das linke gebeust. Fig. 5 zeigt dasselbe Tier ebenfalls mit linksgedrehtem Kopf: hier ist der Tonus- unterschied der Vorderbeine noch stärker ausgesprochen, das rechte (Kiefer-) Bein ist maximal gestreckt, das linke (Schädel-) Bein stark gebeust. Auf dieser Abbildung sieht man auch, dass die Hinterbeine in demselben Sinne reagiert haben; das rechte Hinterbein ist mehr gestreckt (bzw. weniger gebeust) als das linke. Der Tonusunterschied der Vorderbeine nach Drehen des Kopfes war bei allen von uns untersuchten normalen Kaninchen nachweisbar. In einigen Fällen reagierten die Hinterbeine schwächer als die Vorderbeine, meist aber ist auch der Tonusunterschied der Hinter- beine sehr stark ausgesprochen. Nach doppelter Labyrinthexstirpation lässt sich die Reaktion der Vorder- wie der Hinterbeine noch gut nachweisen. Fig. 3. Dasselbe Kaninchen, wie Fig. 1 und 2, wurde auf den Rücken gelest, so dass Kopf, Thorax und Becken mit der Dorsalseite genau nach unten gerichtet sind. Darauf wird der Kopf nach rechts gedreht, d. h. das rechte Ohr wird ventralwärts bewegt, das rechte Auge sieht nach oben. Der Thorax bleibt in seiner früheren Lage liegen. Das linke Vorderbein ist Kieferbein und wird gestreckt, das rechte Vorderbein ist Schädelbein und wird gebeugt. Das Becken dreht sich in umgekehrter Richtung wie der Kopf, so dass die rechte Hinterbacke unten liegt, das linke Hinterbein sich oben befindet. Der Körper des Tieres ist infolgedessen schraubenförmig gedreht. Der Tonusunterschied der Hinterbeine ist auf dieser Aufnahme nicht zu erkennen. 170 R. Magnus und A. de Kleijn: Die bisher geschilderten Änderungen des Gliedertonus auf Kopf- drehen entsprechen durchaus den Reaktionen, welche von uns und von Weiland an dezerebrierten Tieren festgestellt werden konnten. Man kann nun aber ausserdem beim Kopfdrehen in Rückenlage eine Reaktionsbewegung wahrnehmen, welche wir bisher noch nicht be- schrieben haben. Dieselbe betrifft den Rumpf. Auf Drehen des Kopfes erfolgen typische Stellungsänderungen des Beckens, welche durch Tonusänderungen der Stammesmuskulatur, insbesondere an der Lendenwirbelsäule, zustande kommen. Diese Reaktionen müssen deshalb etwas eingehender beschrieben werden, weil sie auch nach einseitiger Labyrinthexstirpation deutlich werden und daher zum Verständnis der in der nachfolgenden Arbeit mitgeteilten Be- obachtungen notwendig sind. Speziell wird bei der Analyse der Rollbewesungen des einseitig labyrinthlosen Kaninchens auf diese Reflexe zurückzukommen sein. Fig. 3 (Kaninchen in Rückenlage mit rechtsgedrehtem Kopfe) zeigt, dass, wenn bei Drehen des Kopfes der Thorax in unveränderter Lage bleibt, so dass die dorsoventrale Theraxachse senkrecht stehen bleibt, das Becken mit den Hinterbeinen eine Drehung in entgegen- gesetztem Sinne ausführt. Während das rechte Auge nach oben sieht, befindet sich die rechte Hinterbacke unten und liest dem Tische Fig. 4 Dasselbe Kaninchen wurde auf den Rücken gelegt, so dass Kopf, Thorax und Becken mit der Dorsalseite genau nach unten gerichtet sind. Darauf wird der Kopf nach links gedreht, d.h. das linke Ohr wird ventralwärts bewegt, das linke Auge sieht nach oben. (Der Kopf ist hier durch die Hand des Ex- perimentators verdeckt.) Der Thorax bleibt in seiner früheren Lage liegen. Das rechte Vorderbein ist Kieferbein und wird gestreckt, das linke Vorderbein ist Schädelbein und wird gebeust. Das Becken dreht sich in umgekehrter Richtung wie der Kopf, so dass die linke Hinterbacke unten liegt, und das rechte Hinter- bein mehr nach oben kommt. Der Körper des Tieres ist infolgedessen schrauben- förmig gedreht. Der Tonusunterschied der Hinterbeine ist auf dieser Aufnahme nicht zu erkennen. Die ganze Körperstellung ist das spiegelbildliche Gegenstück zu der Stellung auf Fig. 3. Die Abhängigkeit d. Körperstellung vom Kopfstande beim norm. Kaninchen. 17] auf, während das linke Hinterbein sich oben befindet. Der Körper des Tieres bekommt dadurch eine schraubenförmige Drehung, an welcher sich die ganze Wirbelsäule beteiligt. — Fig. 4 zeigt die spiegelbildlich entgegengesetzte Drehung des Körpers nach Linksdrehung des Kopfes. Der Grad der Drehung ist bei verschiedenen Tieren und zu verschiedenen Zeiten verschieden, wie ein Vergleich von Fig. 3 und 4 lehrt. Auf Fig. 3 ist der Grad der Drehung des Beckens grösser. Es handelt sich hier um einen typischen Halsreflex, der auch nach Exstirpation der beiden Labyrinthe noch deutlich nachweisbar ist. Weitere Beweise, dass es sich wirklich um einen Halsreflex handelt, werden sich aus den in der nachfolgenden Arbeit mitgeteilten Beobachtungen an einseitig labyrinthlosen Tieren ergeben. Dort wird sich weiter zeigen, dass auch die Labyrinthe Beziehungen zur Stammesmuskulatur und zwar überwiegend einseitige Beziehungen besitzen. Diese soeben geschilderte und auf Fig. 3 und 4 abgebildete Reaktion der Lendenwirbelsäule auf Kopfdrehen in Rückenlage ist nun aber nicht die einzige, welche sich beobachten lässt. In manchen Fällen tritt zu unserer anfänglichen Überraschung und Verwirrung eine andere Bewegung ein. Auf Drehen des Kopfes wird dann nämlich Fig. 5. Dasselbe Kaninchen in Rückenlage mit nach links gedrehtem Kopf (linkes Auge oben). Die Lage des Tieres unterscheidet sich von der auf Fig. 4 abgebildeten nur dadurch, dass das Tier als ganzes etwas nach rechts herüber gedreht worden ist, so dass die dorso-ventrale Thoraxachse jetzt nicht mehr senkrecht steht, wie auf Fig. 4, sondern schräg; das rechte Schulterblatt liegt daher auf dem Tische, das linke ist etwas mehr nach oben gerichtet. Infolge dieser Lageänderung hat sich der Stand des Beckens geändert. Dasselbe ist nach der anderen Seite hinüber geschwungen, die rechte Hinterbacke liest jetzt eher etwas tiefer, und die Lendenwirbelsäule ist nach rechts (der Kieferseite) konkav. Der Körper des Tieres ist infolgedessen nicht mehr schraubenförmig gedreht, sondern bildet einen nach der Kieferseite offenen Bogen. Die Tonus- unterschiede der Extremitäten sind die gleichen wie auf Fig. 4. Das rechte Vorderbein (Kieferbein) ist maximal gestreckt, das linke (Schädelbein) ist stark gebeugst. Auf dieser Abbildung ist auch der Tonusunterschied der Hinterbeine gut sichtbar. Das rechte Hinterbein ist stark gestreckt, das linke gebeugt. 72 R. Magnus und A. de Kleijn: nicht das Becken in entgegengesetztem Sinne gedreht, sondern es erfolgt eine Krümmung der Lendenwirbelsäule, so dass diese nach der Kieferseite konkav wird. Fig. 5 veranschaulicht das Resultat einer derartigen Bewegung. Sieht man oben auf ein derartiges Tier, so ist der ganze Körper bogenförmig gekrümmt. Fortgesetzte Beobachtungen lehrten nun, dass es ganz nach Willkür gelingt, entweder die eine oder die andere Reaktion hervor- zurufen, je nach der Lage, die man dem Vorderkörper des Tieres eibt. Ein Vergleich von Fig. 4 und 5 macht das deutlich. Auf Fig. 4 steht die dorsoventrale Thoraxachse senkrecht, auf Fig. 5 ist sie etwas nach rechts gedreht, so dass das rechte Schulterblatt dem Tische aufliest und das linke Vorderbein sich mehr oben befindet. Im ersteren Falle erfolet die Drehung des Beckens im umgekehrten Sinne wie die Kopfdrehung, im letzteren Falle die Krümmung der Lendenwirbelsäule mit der Konkavität nach der Kieferseite. Es scheint, dass es sich in beiden Fällen um ein und dieselbe Reaktion der Stammesmuskulatur des Tieres handelt, welche nur je nach der verschiedenen Lagerung und den dadurch gesetzten ver- schiedenen mechanischen Bedingungen des Tierkörpers zu einem anderen Endresultat auf die Stellung des Hinterkörpers führt. Das kann man sich beispielsweise durch folgenden Versuch anschaulich machen: Man nehme ein normales Kaninchen und drehe ihm den Kopf nach links (also in der Richtung, wie auf Fig. 4 und 5). Dann lege man das Tier auf seine linke Seite. Dann befindet sich der Scheitel des Kopfes unten und der Unterkiefer oben. Nunmehr lasse man das Tier, ohne die gedrehte Stellung des Kopfes zum Rumpfe zu ändern, über seinen Rücken nach rechts hinüberrollen. Das Tier kommt dann allmählich in die auf Fig. 4 abgebildete Lage. Bis zu diesem Zeitpunkt erfolgt die Reaktion des Hinterkörpers in der Weise, dass das Becken in umgekehrtem Sinne gedreht ist wie der Kopf (vel. Fig. 4). Lässt man nun aber das Tier weiter über seinen Rücken rollen, so dass die dorsoventrale Thoraxachse die vertikale passiert und sich nach rechts hinüberneigt, wie das auf Fig. 5 zu sehen ist, so kommt ein Moment, in dem das Becken nicht mehr in seiner gedrehten Stellung liegen bleiben kann und nunmehr mit einer mehr oder weniger schnellen Bewegung, manchmal selbst mit einem Ruck nach der anderen Seite hinüberschwingt. Das Endresultat dieser Bewegung zeigt Fig.5. Wird die Drehung des Tierkörpers noch weiter fortgesetzt, so liegt schliesslich das Tier auf seiner rechten Die Abhängigkeit d. Körperstellung vom Kopfstande beim norm. Kaninchen. 173 Seite. Das Herumschwingen des Beckens erfolgt in der gleichen Weise, ob nun die Hinterbeine des Tieres gestreckt oder gebeust sind. Auch nach Exstirpation beider Labyrinthe tritt genau dieselbe Bewegung ein. Es wird in der nachfolgenden Arbeit gezeigt werden, dass bei den Rollbewegungen einseitig labyrinthloser Tiere das Rollen über den Rücken auf die gleiche Weise erfolgt. Daher geben auch die dort abgedruckten kinematographischen Aufnahmen ein gutes Bild dieses Vorganges (vgl. folgende Abhandlung S. 237—247 Fig. 9—14). Bestimmt man die Stellung der dorsoventralen Thoraxachse, bei welcher dieser Übergang von der einen in die andere Beckenstellung erfolet, so ergibt sich, dass, solange bei linksgedrehtem Kopfe und bei Rollen über den Rücken sich das linke Schulterblatt unten be- findet, das Becken in entgegengesetztem Sinne gedreht ist wie der Kopf. Der Übergang findet bei einigen Tieren statt, wenn die dorsoventrale Thoraxachse die Vertikale passiert, bei anderen dagegen etwas später, wenn die dorsoventrale Thoraxachse bereits einen Winkel von 30—45 ° mit der Vertikalen bildet. Das Herumschwingen des Beckens bei diesem Übergang ist eine ausserordentlich deutliche Reaktion. In manchen Fällen kann das Becken dabei eine Drehung von beinahe 130° ausführen. Vergleicht man Fig. 4 und 5, so sieht man, dass der Beckenstand etwa um 90° verschieden ist. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass durch die Stellung des Kopfes zum Rumpfe nicht nur ein reflektorischer Einfluss auf den Tonus der Extremitäten, sondern auch auf die Rumpfmuskulatur ausgeübt wird. Man sieht, in wie entscheidender Weise der Hals die Stellung des ganzen Körpers beherrscht. 4. Kopfdrehen in Fussstellung des Tieres. Kopfdrehen in Fussstellung des Tieres führt zu Tonuszunahme, zu Streckung und Abduktion des vorderen Kieferbeines, wobei sich Hals- und Labyrinthreflexe superponieren. Das vordere Schädelbein kann sich verschieden verhalten, je nachdem die Hals- oder Labyrinth- reflexe überwiegen (vgl. Magnus-De Kleijn a. a. O. S. 505 und Weiland S. 23). Bei intakten Kaninchen mit lebhaften Halsreflexen lässt sich meistens eine Tonusabnahme im vorderen Schädelbein konstatieren. Die dadurch zustande kommende Körperstellung stimmt genau mit der in der nachfolgenden Arbeit (Fig. Se und Sd S. 221) wiedergegebenen überein, so dass auf diese Abbildung verwiesen werden 174 R. Magnus und A. de Kleijn: kann. Die Reaktion erfolgt in gleicher Weise, ob man die Kopf- drehung bei offenen oder geschlossenen Augen vornimmt. Die Reaktion des Beckens auf Kopfdrehen ist ebenfalls bei Fussstellung des Tieres deutlich. Und zwar erfolgt stets die Drehung des Beckens in umgekehrter Richtung wie die des Kopfes, nicht dagegen die Konkavität der Wirbelsäule nach der Kieferseite. Dagegen sieht man in den meisten Fällen nicht die erwartete Tonusänderung der Hinterbeine auftreten. Es erfolgt keine Streckung des Kieferbeines und Beugung des Schädelbeines. Im Gegenteil, man sieht manchmal scheinbar den umgekehrten Effekt. Die Ursache hierfür ist leicht zu erkennen. Infolge der Beckendrehung nämlich wird die Hinterbacke auf der Kieferseite mehr dem Boden genähert, auf der Schädelseite mehr vom Boden entfernt. Dabei steht die dorsoventrale Beckenachse schräg, und das Schädelbein ist mit seinem Hüftansatz weiter vom Boden entfernt als das Kieferbein. Da nun das Tier mit beiden Pfoten auf dem Boden aufsitzt, so folet, dass das Schädelbein mehr gestreckt sein muss als das Kieferbein. In diesem Falle wird also der Tonusunterschied der Hinterbeine durch die Beekendrehung verdeckt und kann nicht zur Geltung kommen. 5. Kopfwenden in Rückenlage des Tieres. Kopfwenden um die Achse Scheitel- Schädelbasis wirkt schwächer als Kopfdrehen (Weiland a.a.O.). Das lässt sich auch am intakten Kaninchen feststellen. Doch tritt in Rückenlage in vielen Fällen eine deutliche Reaktion der Extremitäten auf Kopf- wenden ein, indem die Kieferbeine (nach denen die Schnauze zu- gewendet wird) gestreckt und die Schädelbeine (nach denen der Hinterkopf zugewendet wird) gebeugt werden. Die Hinterbeine reagieren manchmal ebenso stark wie die Vorderbeine, manchmal schwächer. In einigen Fällen reagierten auch nur die Vorderbeine allein. Ebenfalls schwächer ist die Reaktion der Lendenwirbelsäule auf Wenden des Kopfes. In vier unter 14 Versuchen wurde das Becken nach der Seite gewendet, nach welcher die Schnauze des Tieres sah, d. h. die Lendenwirbelsäule wurde nach der Kieferseite konkav. Bei Rechtswendung nahm also der Rumpf eine Stellung an, wie sie auf Fig. 5 abgebildet ist. In den übrigen Versuchen liess sich diese Reaktion nicht nachweisen. Die Abhängigkeit d. Körperstellung vom Kopfstande beim norm. Kaninchen. 175 6. Kopfbewegungen in Seitenlage des Tieres. Der Einfluss der Kopfbewegungen auf den Gliedertonus lässt sich in Seitenlage häufig nicht gut untersuchen, weil diese Lage für Kaninchen offenbar recht unbequem ist und die Tiere daher häufig Abwehrbewegungen machen. Besonders das Kopfdrehen mit dem Kiefer nach unten ist häufig ein Signal, sich aus dieser Lage zu befreien und sich in die normale Hochstellung zurückzubegeben. Trotzdem haben wir eine Reihe von sicheren Beobachtungen sammeln können. Beim Heben und Senken des Kopfes (Dorsal- und Ventralbeugen) ändert sich die Lage des Kopfes zur Horizontalebene nicht, es können daher keine Labyrinthreflexe, sondern nur Halsreflexe zu- stande kommen. Diese führen bei Dorsalbeugung des Kopfes zur Streckung, bei Ventralbeugung zur Beugung der Beine. An den Vorderbeinen liess sich diese Reaktion in allen von uns untersuchten Fällen nachweisen, an den Hinterbeinen nur dreimal unter zwölf Fällen, während achtmal die Hinterbeine nicht und einmal unsicher reagierten. In den drei positiven Fällen erfolgte die Bewegung der Hinterbeine, entsprechend den Angaben von Weiland, stets in demselben Sinne wie die der Vorderbeine. Kopfdrehen in Seitenlage kann dazu benutzt werden, um zu entscheiden, ob bei einem Tiere die Hals- oder die Labyrinthreflexe überwiegen (vgl. Magnus-De Kleijn a. a. O. S. 507 und 515, Weiland S. 21). Reagieren die beiderseitigen Extremitäten gleich- sinnig, so überwiegen die Labyrinthreflexe, reagieren sie gegensinnig, so überwiegen die Halsreflexe, reagieren nur die Extremitäten der obenliegenden Körperseite, so halten sich beide Reflexe ungefähr die Wage. Bei intakten Kaninchen überwiegen nun in den meisten Fällen die Halsreflexe. In neun von elf Fällen erfolgte auf Kopf- drehen in Seitenlage Streckung des Kieferbeines und Beugung des Schädelbeines. In den zwei anderen Fällen, in denen die Labyrinth- reflexe überwogen, wurden die beiden Vorderbeine gestreckt, wenn der Kopf mit dem Scheitel nach unten gedreht wurde, gebeugt bei der umgekehrten Kopfdrehung. Die Hinterbeine reagierten in zehn von den elf Fällen in derselben Weise wie die Vorderbeine, in einem Falle blieben sie unbeeinflusst. Heben und Senken des Kopfes in Seitenlage scheint in einigen Fällen auch einen Einfluss auf die Lendenwirbelsäule bzw. ihre Musku- latur auszuüben, indem Kopfheben eine Dorsalbeugung, Kopfsenken 176 R. Magnus und A. de Kleijn: eine Ventralbeugung der Lumbalwirbelsäule zur Folge hat. Wir haben diese Reaktion bisher nur in wenigen Fällen beobachten können und verzeichnen sie daher nur als gelegentlichen Einzelbefund. Es sind weitere Versuche erforderlich, um festzustellen, ob es sich um einen gesetzmässigen Reflex handelt. Schluss. Die im vorstehenden beschriebenen Versuche zeigen, dass der Einfluss der Kopfstellung auf den Tonus der Gliedmaassen und auf die Haltung des ganzen Körpers sich nicht nur bei dezerebrierten Tieren, sondern auch bei intaktem Zentralnervensystem nachweisen lässt. Es handelt sich nicht um Reflexe, die erst nach Ausschaltung der Rinde in die Erscheinung treten, sondern um Beziehungen, welche die Tiere während ihres Lebens bei den verschiedenen Körper- stellungen und Bewegungen tatsächlich benutzen. Für Hund und Katze haben wir früher schon eine Reihe von Beobachtungen mit- geteilt, welche dieses wahrscheinlich machten. Jetzt liess sich für das Kaninchen dieser Nachweis bis in alle Einzelheiten führen. Hierbei wurde es deutlich, dass die beiden früher an dezere- brierten Tieren ermittelten Reflexgruppen, die Labyrinthreflexe, welche auf Änderung der Lage des Kopfes im Raume eintreten, und die Halsreflexe, welehe durch Änderung der Stellung des Kopfes zum Rumpfe bedingt sind, beide am intakten Tiere sich demon- strieren lassen. Labyrinthreflexe auf die Extremitäten liessen sich in den oben beschriebenen Versuchen beim Heben und Senken des Kopfes in Rückenlage und beim Kopfdrehen in Seitenlage nachweisen. Dass die Labyrinthe ihren Einfluss auf den Tonus der Halsmuskeln bei verschiedenen Lagen des Kopfes im Raume reflektorisch auch bei intaktem Zentralnervensystem ausüben, haben wir für Kaninchen, Katze und Hund bereits in einer früheren Mitteilung !) zeigen können. Die Wirksamkeit der Halsreflexe ist in den oben mitgeteilten Versuchen besonders deutlich geworden. Denn diese sind bei in- takten Kaninchen stets mit Leichtigkeit nachzuweisen und scheinen hier auch meist lebhafter zu sein als die Labyrinthreflexe. Auf Änderung der Stellung des Kopfes zum Rumpfe erfolgen alle die Änderungen des Muskeltonus an den Extremitätenmuskeln, welche 1) R. Magnus und A. de Kleijn, Die Abhängigkeit des Tonus der Nackenmuskeln von der Kopfstellung. Pflüger’s Arch. Bd. 147 S. 414. 1912. Die Abhängigkeit d. Körperstellung vom Kopfstande beim norm. Kaninchen. 177 Weiland und wir in früheren Arbeiten festgestellt haben. Dabei konnte zugleich ein neuer Befund erhoben werden. Änderung der Stellung des Kopfes zum Rumpfe beeinflusst nicht nur die Extremi- täten, sondern auch die Muskulatur des Rumpfes. Besonders reagieren die Muskeln der Lendenwirbelsäule deutlich auf veränderte Haltung des Halses. Hierdurch kommen Stellungen und Bewegungen des Gesamtkörpers zustande, welche für die Deutung der Rollbewegungen labyrinthloser Kaninchen von Bedeutung sind (vgl. die folgende Mit- teilung). Auch bei intaktem Grosshirn haben die Reflexe, welche durch Änderung der Kopfstellung ausgelöst werden, den Charakter von Dauerreaktionen, welche so lange andauern, als der Kopf in der betreffenden Lage gehalten wird. Einige der im vorstehenden beschriebenen Reaktionen intakter Kaninchen, z. B. auf Heben und Senken des Kopfes in Fussstellung oder auf Kopfdrehen in Rückenlage, sind so deutlich und erfolgen so regelmässig, dass sie sich dazu eignen, um in der Vorlesung oder im Praktikum den Einfluss der Kopfstellung auf die Körperhaltung zu demonstrieren !). Zusammenfassung. 1. Bei normalen intakten Kaninchen mit unverletztem Grosshirn kann man den Einfluss der Kopfstellung auf den Tonus der Körper- muskulatur nachweisen. 2. Dabei kann man sowohl den Einfluss der früher geschilderten Labyrinth- wie der Halsreflexe erkennen. 3. Durch Änderung der Stellung des Kopfes zum Rumpfe (Hals- reflexe) lässt sich nicht nur der Tonus der Extremitätenmuskeln, sondern auch der Rumpfmuskeln (besonders an der Lendenwirbel- säule) beeinflussen. 4. Die Labyrinthe können also die Körperstellung entweder direkt beeinflussen oder indirekt, indem sie auf die Stellung des Halses einwirken. 1) In letzter Zeit haben wir auch an zwei kleinen Kätzchen von 3 Monaten die Reflexe auf Heben und Senken des Kopfes an den Vorderbeinen, ferner die Streckung der Kieferbeine und die Beugung der Schädelbeine nach Kopfdrehen in Rückenlage, sowie die Konkavität der Wirbelsäule nach der Kieferseite beim Kopfdrehen nachweisen können. Auch bei intakten Meerschweinchen lassen sich alle diese Reflexe untersuchen. 178 R. Magnus und A. de Kleijn: (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.) Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstir- pation mit besonderer Berücksichtigung der Rolle der tonischen Halsreflexe. Von R. Magnus und A. de Kleijn. (Mit 14 Textfiguren.) Inhaltsverzeichnis. En 1: #Binleitung. us ya 59 2 ee el Dee er BE 179 II. Versuche an Kaninchen. cu en za 183 1. "Methodik"... 2: ga. 2a a Se 183 2. Allgemeines Verhalten der Kaninchen nach einseitiger Labyrinth- AUSSCHAILUDE N. 700 Eee t en Er een RER 184 3.2. Die. Augensymptomes. = nen. ee 187 a) Sympathicusläihmung am Auge der operierten Seite. . . . 187 b) Augenablenkung und Nystagmus . ». .» 2... 2.2... 188 c) Ist die abnorme Kopfstellung nach einseitiger Labyrinth- exstirpation abhängig von der Augendeviation? ..... 192 4. Die Drehung von Kopf, Hals und Rumpf .......... 194 53 Der :Eonusi.deraBxtremitäten ar En ee rn 206 6 DiesKörperhaltunssheimwSitzenr sr 214 2. Die Rollbewegungen 2. u. u. ee ee 223 8. ZUSAIEMENfASSUNE? en a ee ge le 240 III Versuche au Meerschweinchen es Para a er 244 1..2Methodsen.?. 7. N ne Rasa ee RR ER KLEE 244 2. Allgemeines Verhalten der Meerschweinchen nach einseitiger Trabyıninthausschaltunggr Eu er er 246 3.0 Die, Augensymptome/n ul as-l an el ie Sa See 248 4. Die Drehung von Kopf, Hals und Rumpf . ......... 250 9. Der Donusider Extremitäten erg ze ce er 252 6.2 0Dier Kürperhaltungabeimı Sitzen nr 253 2. Die Rollbewerungen 2. Sursee Se 256 8. Zusammenfassung: ka... 0 Zoran rue re Nee. DE 257 Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 179 Seite ii. Wensmele ein Salze ee 259 1. Allgemeines Verhalten der Katzen nach einseitiger Labyrinth- SON Se LE EN. < 260 ZIEH AUSENSMDLOMeRL eilt en 263 AESympaitihieuslähmung sr en Mn 263 b) Augenablenkung und Nystagmus . ... . 22... .2.. 263 3 Die Haltung von Kopt, Hals und Rumpf... !... 2... 264 Al)erzlionus, der Bxtremitäten 2°... 0. un u ae ee 267 SeRörperhaltungsund Bewegungen... . a... nn. .0.. 270 6. Folgen des einseitigen Labyrinthverlustes bei Katzen ohne Hals- ° reflexe (nach gemeinsam mit W. Storm van Leeuwen an- gesrelltensViersuchem)® ae e ee e s 275 Nompensationsvorgänge m. 0. ua eek: 278 SE/USamMENIaSSUNgEn. N. are et een eyene 232 Da ersucheraneHurden en... ars ae ee ae 284 1. Allgemeines Verhalten der Hunde nach einseitiger Labyrinth- SESEIANONL do or ee N ee 285 & Die Augensyın ae a ee 287 3. Die Haltung von Kopf, Hals und Rumpf. ..... 2.2... 287 weDenslonus- der Extremitäten...) 20 0. een ee 290 BE KCIPENSAHLONSKOLGANGE. a een > 291 GKorperhaltung/und Bewegungen. >...» un. eu, 292 Br Znsammenfassung: a sn rer ne RE 293 WM, Schlies: 3 Sie EN u RE 294 l. Einleitung. Die ausserordentlich merkwürdigen und für die Lehre von der Physiologie des Labyrinthes so bedeutungsvollen Folgezustände der einseitigen Labyrinthexstirpation sind der Gegenstand vielfältiger Unter- suchungen gewesen. Was die Ausfallserscheinungen von seiten des uns hier allein interessierenden Vestibularapparates betrifft, so sei für die sehr ausgedehnte Literatur auf die zusammenfassenden Dar- stellungen von v. Stein), Stern?), Kreidl®), Nagel®), Bäräny 1) S. v. Stein, Die Lehre von den Funktionen der einzelnen Teile des Ohrlabyrinths. Fischer, Jena 1894. 2) L. W. Stern, Die Literatur über die nicht akustische Funktion des. inneren Ohres. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 39 S. 248. 1895. 8) A. Kreidl, Die Funktion des Vestibularapparates. Ergebn. d. Physiol. Bd. 5 8.572. 1906. | 4) W. Nagel, Die Lage-, Bewegungs- und \Widerstandsempfindungen. Nagel’s Handb. d. Physiol. Bd. 3 S. 735. 1905. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 13 180 R. Magnus und A. de Klejn: und Wittmaack !) verwiesen. Es handelt sich um ein sehr verwickeltes Bild, das sich zusammensetzt aus Reizerscheinungen, deren Bedeutung von den einzelnen Autoren sehr verschieden bewertet wird, aus Anomalien der Stellung von Kopf, Augen, Rumpf und Gliedmaassen, aus Tonusunterschieden zwischen der Muskulatur der beiden Körper- seiten und aus abnormen Bewegungen, von denen es noch vielfach strittig ist, ob sie als Reiz- oder Ausfallserscheinungen aufzufassen sind. Ein Teil der Symptome ist vorübergehend, andere dagegen sind Dauerfolgen der Operation. Wenn man die Anomalien der Stellung, des Tonus und der Bewegungen, wie sie nach einseitiger Labyrinthexstirpation auftreten, einer näheren Analyse unterziehen will, so dränst sich als das wichtigste Problem zunächst die Ewald’sche Lehre vom Tonus- labyrinth auf. Nach den grundlegenden Untersuchungen von Ewald?) sollen die Labyrinthe in gesetzmässiger Weise mit den verschiedenen Muskelgruppen des Körpers verknüpft sein und deren Tonus be- herrschen. Nach Ewald?) stellt sich dieser Zusammenhang folgender- maassen dar: „Mit welchen Muskeln hängt nun das einzelne Labyrinth zu- sammen ? Nicht ausschliesslich mit einzelnen Muskeln oder mit denen der einen oder der anderen Körperseite, sondern jedes Labyrinth steht mit jedem Muskel in Verbindung. Aber die Wirkung auf die einzelnen Muskelgruppen ist sehr verschieden stark. Wenigstens bei den Tauben. Was sich bis jetzt in dieser Beziehung hat feststellen lassen, ist etwa folgendes. Jedes Labyrinth hängt vorzugsweise mit den Muskeln der gekreuzten Körperseite zusammen, welche die Wirbelsäule und den Kopf bewegen (Nackenmuskulatur, Halsmuskulatur und namentlich die Wirbelmuskeln, welche vom Körper des unteren Wirbels zu den Quer- fortsätzen der oberen gehen). Bei den Muskeln der Extremitäten ist eine Teilung zwischen den Streckern und Abduktoren einerseits und den Beugern und Abduktoren andererseits vorhanden. Jedes Labyrinth ist mit den ersteren der gleichen Körperseite und mit den letzteren auf der gekreuzten Seite enger verbunden. Alle Augenmuskeln, mit Ausnahme des M. rectus externus, scheinen hauptsächlich von dem be- nachbarten Labyrinthe abzuhängen. Infolge dieser Verteilung der zu jedem Labyrinth gehörenden Muskeln finden wir nach Fortnahme eines Labyrinths die ganze Wirbel- 1) R. Bäräny und K. Wittmaack, Funktionelle Prüfung des Vestibular- apparates. Verhandl. deutsch. otol. Gesellsch. Bd. 20 S.1. 1911. 2) J. R. Ewald, Physiol. Untersuchungen über das Endorgan des N. octayus. Bergmann, Wiesbaden 1892. - 8) J. R. Ewald, 1. ce. S. 296. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 181 säule spiralig nach der operierten Seite hin gedreht, den Kopf und den Hals nach dieser Seite hin geneigt,. die Extremitäten derselben Seite flektiert und adduziert, die der gekreuzten Seite gestreckt und abduziert, die Augen, und zwar besonders das benachbarte, nach der operierten Seite hin abgelenkt.“ Für uns selber gewann die Frage nach der Abhängigkeit des Tonus der Körpermuskulatur von den Labyrinthen und nach der Erklärung der Folgezustände einseitigen Labyrinthverlustes ein be- sonderes Interesse, nachdem wir in einer Reihe von Untersuchungen !) den Einfluss der Kopfstellung auf die Körperhaltung und den Tonus der Körpermuskulatur erforscht hatten. Dabei hatte es sich heraus- gestellt, dass es sich hier um ein sehr verwickeltes System tonischer Reflexe handelt, welche teilweise von den Labyrinthen, teilweise vom Halse ihren Ursprung nehmen. Die Labyrinthreflexe werden aus- gelöst durch Änderung der Lage des Kopfes im Raume. Das Labyrinth einer Körperseite beherrscht den Tonus der Extremitätenmuskulatur beider Körperhälften, hat jedoch auf die Halsmuskulatur einen ein- seitigen Einfluss. Durch die Halsreflexe werden die Extremitäten- muskeln der rechten und der linken Seite entweder gleichsinnig oder segensinnig beeinflusst, je nachdem der Kopf bei Bewegungen gegen den Rumpf seine symmetrische Stellung gegen diesen letzteren bei- behält oder nicht. Bei Drehen oder Wenden des Kopfes nimmt der Strecktonus der Glieder auf der einen Körperseite zu, auf der anderen ab. Bei allen bisher untersuchten Wirbeltieren führt nun die ein- seitige Labyrinthexstirpation zu einer Asymmetrie der Kopfstellung, der meistens gedreht, manchmal auch gewendet wird. Diese Kopf- 1) R. Magnus, Experimeutelles und Klinisches über tonische Reflexe. Handelingen 13. Nederl. Natuur-en geneesk. Congres 20.—22. April 1911 8.317. — R. Magnus, Über die Beziehungen des Kopfes zu den Gliedern. Münchn. med. Wochenschr. 1912 Nr. 13 S. 681. — R. Magnus und A. de Kleijn, Die Ab- hängigkeit des Tonus der Extremitätenmuskeln von der Kopfstellung. Pflüger’s Arch. Bd. 145 S. 455. 1912. — W. Weiland, Hals- und Labyrinthreflexe beim Kaninchen; ihr Einfluss auf den Muskeltonus und die Stellung der Extremitäten. Pflüger’s Arch. Bd. 1478.1. 1912. — R. Magnus und A. de Kleijn, Die Abhängigkeit des Tonus der Nackenmuskeln von der Kopfstellung. Pflüger’s Arch. Bd. 147 S.403. 1912. — R. Magnus und C. G. L. Wolf, Weitere Mit- teilungen über den Einfluss der Kopfstellung auf den Gliedertonus. Pflüger’s Arch. Bd. 149 S.447. 1913. — R. Magnus und A. de Kleijn, Die Abhängig- keit der Körperstellung vom Kopfstande beim normalen Kaninchen. Pflüger’s Arch. Bd. 154 S. 163. 1913. las 182 R. Magnus und A. de Kleijn: abweichung muss nach unseren Feststellungen zu einer Änderung des Extremitätentonus führen. In welcher Weise dieses geschieht, wird am besten durch ein Beispiel verdeutlicht. ’ Nach Exstirpation des linken Labyrinthes kommt es bei Kaninchen, Katzen, Hunden und anderen Tieren zur Linksdrehung des Kopfes, d. h. das linke Ohr wird ventralwärts, das rechte dorsalwärts ge- dreht. Diese Kopfdrehung veranlasst nach unseren Versuchen eine Abnahme des Strecktonus in den beiden linken Beinen (Schädel- beinen) und eine Zunahme der Streckung in den beiden rechten Beinen (Kieferbeinen.. Einen derartigen Tonusunterschied findet man nun bekanntlich tatsächlich nach linksseitigem Labyrinthverlust. Derselbe ist bisher immer als eine direkte Folge des einseitigen Labyrinthausfalles aufgefasst worden. Nach der Auffindung der ge- nannten Halsreflexe musste sich aber für uns alsbald die Frage er- geben, ob der Tonusunterschied der Gliedmaassen überhaupt direkt von den Labyrinthen abhängig sei oder nicht einfach sekundär durch die veränderte Stellung des Kopfes zum Rumpfe durch einen tonischen Halsreflex ausgelöst werde. Dadurch wurde die ganze Frage des Ewald’schen Labyrinth- tonus für uns aufs neue zur Diskussion gestellt. Es musste unter- sucht werden, welche Rolle die Halsreflexe im Symptomenbild nach einseitigem Labyrinthverlust spielen, ob sie allein das Auftreten von Tonusunterschieden der beiderseitigen Gliedmaassen bedingen, oder ob ausserdem noch direkte Labyrintheinflüsse dabei mitspielen und in welcher Weise sich im letzteren Falle diese beiden Einflüsse superponieren. Um allgemeinere Schlüsse machen zu können, musste diese Untersuchung auf mehrere Tierarten ausgedehnt werden. Es hat sich nun in der Tat herausgestellt, dass man bei allen von uns untersuchten Tierarten einen Teil der Folgezustände der Fortnahme eines Labyrinthes dadurch sofort beseitigen kann, dass man die abnorme Stellung des Kopfes gegen den Rumpf korrigiert. Ein anderer Teil dieser Folgezustände bleibt aber auch bei gerade- gesetztem Kopfe erhalten. Hierdurch wurde es möglich, in einfacher Weise die Halsreflexe von den direkten Labyrinthverlustfolgen zu sondern. Die im nachstehenden zu schildernden Beobachtungen sind an Kaninchen, Meerschweinchen, Katzen und Hunden angestellt worden. Es hat sich dabei ergeben, dass bei jeder dieser Tierarten sich die beiden Gruppen von Erscheinungen (Halsreflexe und direkte Labyrinth- Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 183 verlustfolgen) in verschiedener Weise kombinieren und daher die Halsreflexe und Labyrintheinflüsse bei ihnen von verschiedener Be- deutung für die Körperstellung sind. Daher ist es nötige, die Be- obachtungen zunächst für jede Tierart gesondert darzustellen und erst zum Schluss die allgemeineren Ergebnisse zusammenzufassen. Da wir die einseitig labyrinthlosen Tiere zum Teil monatelang beobachtet haben, so können wir über die Folgezustände der Weg- nahme eines Labyrinthes bei den verschiedenen Tierarten einen ziemlich vollständigen Überblick geben; es muss für die nach- foleende Analyse das Symptomenbild jedesmal genauer beschrieben werden, trotzdem schon eine Reihe von sorgfältigen und zuverlässigen Untersuchungen vorlieet, die wir nur in einzelnen Punkten zu er- gänzen haben werden. Das Ergebnis der im Nachstehenden zu schildernden Be- obachtungen ist, dass der Ewald’sche Labyrinthtonus zweifellos existiert, dass er aber bei den verschiedenen Tierarten verschieden stark entwickelt ist und sieh über mehr oder weniger ausgedehnte Muskelgruppen erstreckt; dass aber ausserdem die Halsreflexe einen grossen und bei manchen Arten einen überwiegenden Anteil am Symptomenbild einseitigen Labyrinth- ausfalles haben. II. Versuche an Kaninchen. 1. Methodik. Die Technik der Labyrinthexstirpation beim Kaninchen ist von Winkler!) in eingehender Weise unter Beigabe von Abbildungen ge- schildert worden. Winkler macht einen grossen Hautschnitt, der, am lateralen Augenrande beginnend, die Ohrmuschel umkreist und an der ventralen Halsseite endet. Der Ansatz des M. biventer wird durchtrennt, die Bulla ossea geöffnet und das Labyrinth ausgeräumt, wobei es in vielen Fällen gelingt, den Facialis zu schonen. Die Winkler’sche Methode verschafft einen vortrefflichen Überblick über die einzelnen Teile des inneren Ohres und ist allen denen, die nicht sehr zahlreiche derartige Operationen ausführen wollen, sehr zu empfehlen. > Wir haben uns der von de Kleijn?) eingehend für Katzen be- schriebenen Methode bedient, bei welcher nur ein kleiner ca, 2—2!/a cm 1) C. Winkler, The central course of the nerves octavus and its influence on motility. Verh. kon. Akad. v. Wetensch. Amsterdam IT. 14 no. 1. 1907. 2) A. de Kleijn, Zur Technik der Labyrinthexstirpation und Labyrinth- ausschaltung bei Katzen. Pflüger’s Arch. Bd. 145 S. 549. 1913. 184 R. Magnus und A. de Kleijn: langer Hautschnitt an der Ventralseite des Halses etwas medial vom Unterkiefer parallel der Wirbelsäule über die Bulla ossea gemacht wird, die man von aussen leicht tasten kann. Von diesem Schnitte aus dringt man stumpf in die Tiefe, schiebt Blutgefässe und Muskeln zur Seite und erreicht so die Bulla. Diese wird eröffnet und die Operation dann genau so durchgeführt, wie es von de Kleijn für die Katze geschildert worden ist. Dieses Verfahren erfordert grössere Übung als das von Winkler beschriebene, weil man hierbei mehr in der Tiefe arbeiten muss, es hat aber den Vorteil, dass eine kleinere Wunde gesetzt wird und die Heilungsbedingungen daher bessere werden. Ausserdem bleiben alle Muskeln unverletzt, was für unsere Zwecke von Wichtigkeit war. Dagegen gelingt es bei diesem Vorgehen nicht, den Facialis zu schonen. Bei der Ausräumung des Vestibulums wird er regelmässig verletzt, wern man die Einmündungsstellen der Bogen- gänge und den Stumpf des N. octavus ganz freilegen will, was zur Kontrolle einer vollständigen Weenahme des Labyrinthes notwendig ist. Es wurden in allen Fällen die Kochlea, das Vestibulum und die Ampullen der Bogengänge fortgenommen und der Stamm des Octavus freigelegt. Beim Kaninchen fehlt die bei der Katze vorhandene knöcherne Scheidewand in der Bulla. Abgesehen davon ist die Topographie und das Operationsverfahren gleich dem bei der Katze. Das Trommel- fell bleibt unverletzt, die Heilung verläuft aseptischh Für alle Details kann auf die frühere Schilderung von de Kleijn verwiesen werden. 2. Allgemeines Verhalten der Kaninchen nach einseitiger Labyrinthausschaltung. Wir haben im ganzen bei 45 Kaninchen die einseitige Labyrinth- exstirpation durchgeführt. Ein Teil von diesen Tieren dienten zu den von Weiland!) und von uns?) früher beschriebenen Versuchen. Seitdem haben wir noch 18. Tiere operiert und verschieden lange Zeit, bis zu einem halben Jahre beobachtet. Das Verhalten einseitig labyrinthloser Kaninchen ist am ein- gehendsten von Winkler?) studiert und beschrieben worden. Auf dessen Darstellung sei daher hier verwiesen. Als ein typisches Beispiel sei hier das abgekürzte Protokoll eines unserer Tiere gegeben: 30. November 1912. Kaninchen XV. In Äthernarkose linksseitige Labyrinthexstirpation, Cochlea und Vestibulum ausgeräumt, Öffnungen der Bogengänge und Porus acusticus internus freigelegt. 1) W. Weiland, a. a. O. 2) R. Magnus und A. de Kleijn, Die Abhängigkeit des Tonus der Nacken- muskeln von der Kopfstellung. Pflüger’s Arch. Bd. 147 S. 403. 1912. 3) C. Winkler, a. a. O. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 185 Beim Erwachen aus der Narkose ist das linke Auge ventralwärts, das rechte Auge dorsalwärts abgelenkt, es besteht starker Nystagmus, wobei die schnelle Komponente am rechten Auge ventralwärts, am linken Auge dorsalwärts gerichtet ist. Lässt man das Tier mit dem Kopfe nach unten hängen, so ist der Kopf nach links gewendet und gedreht, der Thorax ist ebenfalls gegen das Becken um ca. 30° gedreht. Etwas später ist bei derselben Körperlage die untere Thoraxapertur gegen das Becken um 45°, die obere Thoraxapertur 70°, der Kopf 90° nach links gedreht, der Kopf ausserdem 45— 70° nach links ge- wendet. Die beiden rechten Beine, besonders das rechte Vorderbein, sind stark gestreckt und abduziert, die beiden linken Beine haben viel geringeren Strecktonus. Das Tier rollt in typischer Weise nach links durch das ganze Zimmer. 2. Dezember. Das Tier sitzt aufrecht in seinem Käfig, der Kopf ist 45° nach links gedreht (linkes Ohr ventralwärts bewegt), das rechte Vorderbein ist gestreckt und abduziert, das linke schlaff und gebeust. Im Käfig rollt das Tier nicht, wird es aber aus dem Käfig genommen und dabei gereizt, so rollt es, nachdem es auf den Grund gesetzt ist, durch das Zimmer. Danach sitzt es auf, macht einige Schritte, die ihm gut gelingen, fällt aber dazwischen mehrmals auf die linke Seite, ohne danach wieder zu rollen. Beim Hängen mit dem Kopfe nach unten ist die untere Thoraxapertur 45°, die obere Thoraxapertur 90 °, der Kopf 120° gegen das Becken nach links gedreht, der Kopf 30° nach links gewendet. Die Abweichung der Augen ist unverändert, die Nystagmus ist noch vorhanden, 4, Dezember. Das Tier rollt nicht mehr. Im Käfig sitzt es mit um 45° gedrehtem Kopfe. Bei dieser Kopfstellung ist die Augen- deviation nur noch wenig an dem oben befindlichen rechten Auge zu sehen. Der Nystagmus fehlt. Die rechten Beine, besonders das rechte Vorderbein, sind gestreckt und abduziert. Der Kopf kann nach beiden Seiten gewendet werden (wobei er stets nach links gedreht bleibt). Das Tier kann nach rechts und links laufen, läuft aber doch meist nach links und beschreibt dabei manchmal Uhrzeigerbewegungen. 7. Dezember. Beim Sitzen ist der Kopf 70° gedreht, nicht mehr sewendet. Die Augenabweichung ist bei dieser Kopfstellung nicht mehr sichtbar oder gering, kein Nystagmus. 14. Dezember. Beim Sitzen ist der Kopf 90° gedreht und be- findet sich daher links neben dem Tier. Bei dieser Kopfstellung keine Augenabweichung, kein Nystagmus. Die rechte Vorderpfote ist deutlich gestreckt und abduziert, die linke gebeugt. Der Thorax hängt beim Sitzen etwas nach links über. Der ganze Körper ist auf dem Tische leichter nach links als nach rechts zu verschieben. Wirft man dabei das Tier auf die linke Seite, so rollt es manchmal danach noch einmal über seinen Rücken, um dann wieder aufrecht zu sitzen; doch kann es sich auch direkt aus der linken Seitenlage aufsetzen. Beim Hängen mit dem Kopfe nach unten ist die untere Thoraxapertur 45°, die obere Thoraxapertur 90°, der Kopf 160° gegen das Becken nach links gedreht, der Kopf 30° nach links gewendet, die rechte Vorder- pfote stark gestreckt. 14. Januar 1915. Beim Sitzen ist der Kopf über 90° gedreht. Die Augendeviation ist dabei gering oder fehlt; kein Nystagmus. Die 186 R. Magnus und A. de Kleijn: beiden rechten Beine sind gestreckt und abduziert. Manchmal nimmt die Kopfdrehung noch weiter zu; erreicht sie 135°, so fällt das Tier durch das Übergewicht des Kopfes auf seine linke Seite und rollt dann einmal über seinen Rücken. Doch kann sich das Tier auch aus der linken Seitenlage direkt wieder aufsetzen. Beim Hängen mit dem Kopfe nach unten ist die untere Thoraxapertur 45°, die-obere Thorax- apertur 90°, der Kopf 170° gegen das Becken nach links gedreht, 45° gewendet, das rechte Vorderbein gestreckt. Das Tier kann gut durch das ganze Zimmer laufen. 18. Februar. Der Zustand ist im wesentlichen unverändert, nur sitzt das Tier jetzt meistens mit symmetrischen Vorderpfoten, so dass die Streckung und Abduktion der rechten Beine jetzt gewöhnlich nicht mehr zu sehen ist. Dagegen ist beim Hängen mit dem Kopfe nach unten die Streckung der rechten Vorderpfote sehr deutlich. Der Thorax hängt jedoch beim Sitzen etwa 20° nach links über. 12. März. Beim Hängen mit dem Kopfe nach unten ist die untere Thoraxapertur 30°, die obere Thoraxapertur 60°, der Kopf 110—135° nach links gegen das Becken gedreht, der Kopf 45° ge- wendet, das rechte Vorderbein stark gestreckt. Beim Sitzen werden dagegen die Beine gut symmetrisch gehalten. Der Thorax hängt etwas nach links über. Danach ändert sich der Zustand nicht weiter, das Tier läuft im Mai im Freien umher, sucht sich sein Futter selber, die Drehung des Kopfes und des Thorax gegen das Becken bleibt bestehen, die Streckung des rechten Vorderbeines ist beim Hängen mit dem Kopfe nach unten sehr deutlich, wird aber beim Sitzen gut kompensiert. Rollenbewegungen kommen nicht mehr vor, das Tier läuft richtig geradeaus. Überblickt man den Ablauf der Erscheinungen nach einseitiger Fxstirpation des Labyrinthes beim Kaninchen, so kann man mit Winkler zwei Gruppen von Symptomen auseinanderhalten, die «direkten Folgen der Operation und die Dauerfolgen. Als direkte Folgen, welche nur kurze Zeit nach der Operatiou nachweisbar sind, müssen ausser dem Shock nach dem offenbar recht schweren Eingriff der Nystagmus und die Rollbewegungen be- trachtet werden. Wir haben den Eindruck bekommen, dass je besser und vorsichtiger die Operation ausgeführt wird, um so kürzere Zeit diese beiden Symptome andauern. In den meisten Fällen waren sie nur 1—2 Tage lang zu beobachten, nach einigen besonders glatt verlaufenen Operationen waren sie nur wenige Stunden lang festzu- stellen; ja die spontanen Rollbewegungen können ganz fehlen. Einigemale dagegen war starkes Rollen 3 Tage lang, der Nystagmus sogar 4A—8 Tage zu sehen. Wie auch Winkler angibt, hören. beide Phänomene nicht plötzlich auf, sondern sind, wenn sie auch ee en et En A A Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 187 spontan nicht mehr auftreten, noch einige Zeit lang durch Erregung des Tieres, z. B. wenn man es in eine abnorme Lage bringt, hervor- zurufen. Besonders gilt dieses für die Rollbewegungen. Als Dauerfolgen sind zu betrachten erstens die spiralige Drehung des eanzen Körpers, vor allem des Kopfes gegen den Thorax, dann aber auch des Thorax gegen das Becken. Diese Drehung lässt sich am reinsten beobachten, wenn man das Tier mit dem Kopfe nach unten häneen lässt. In den ersten Tagen oder Wochen nach der Operation nimmt diese Drehung deutlich zu und bleibt dauernd als hochgradigste Erscheinung bestehen. Ferner gehört zu den Dauer- foleen der Tonusunterschied der rechten und linken Extremitäten. Die Beine auf der Seite, auf welcher das Labyrinth fehlt, sind dauernd schlaffer, die Beine der anderen Seite dagegen deutlich ge- streckt. Dieser Tonusunterschied ist stets nachweisbar, wenn man das Tier bei nach unten hängendem Kopfe oder in Rückenlage untersucht. Beim Sitzen lernt das Tier jedoch nach einigen Monaten diese abnorme Haltung auszugleichen, so dass sie nur bei bestimmten Maassnahmen wieder hervortritt. Wir werden das Zustandekommen dieser Kompensation (denn um eine solche handelt es sich) später zu erörtern haben. Auch die Augendeviation gehört zu den Dauer- folgen der Operation. Aus dem oben angeführten Versuchsprotokoll eroibt sich, dass die Deviation beim frei mit gedrehtem Kopfe sitzenden Tiere nach einiger Zeit zurückgeht und nur noch in- konstant und schwach zu sehen ist. Jedoch lässt sie sich jederzeit bei veränderter Kopfstellung wieder hervorrufen und demonstrieren. Es erhebt sich nunmehr die Frage nach dem inneren Zusammen- hang der Symptome und nach ihrer gegenseitigen Abhängigkeit. Welche Erscheinungen sind direkte Folgen des Labyrinthverlustes, welche werden sekundär, vor allen durch die Drehung des Halses, hervorgebracht, was ist als Kompensationsreaktion des Tieres gegen die abnorme Körperhaltung, die ihm aufgezwungen ist, aufzufassen ? — Mit der Beantwortung dieser Fragen sollen sich die folgenden Ab- schnitte befassen. 3. Die Augensymptome. a) Sympathicuslähmung am Auge der operierten Seite. Am Auge der operierten Seite beobachtet man die Symptome einer Sympathicuslähmung: Verengerung der Lidspalte, vorgezogene Nickhaut und Verengerung der Pupille, Die Pupillenverengerung ist bereits von 188 R. Magnus und A. de Kleijn: Camis, die Verengerung der Lidspalte von Winkler beschrieben, die vorgezogene Nickhaut von Winkler (a. a. O. S. 19 Fig. 6) ab- gebildet worden. Diese selbe Folge der Labyrinthexstirpation tritt auch bei Katzen auf (Camis). Bei diesen letzteren Tieren hat de Kleijn!) nachgewiesen, dass die Sympathicuslähmung nichts mit der Labyrinthexstirpation selber zu tun hat, sondern auf einer Ver- letzung der postganglionären Sympathicusbahn beruht, welche durch das Mittelohr verläuft und daher bei der Operation mehr oder weniger stark verletzt wird. Man wird daher nicht fehl gehen, wenn man denselben Zusammenhang auch beim Kaninchen annimmt, und die Sympathicuslähmung am Auge, wozu sich noch eine Gefässerweiterung am Ohre der operierten Seite gesellt, nicht zu den eigentlichen Labyrinthexstirpationsfolgen rechnet, b) Augenablenkung und Nystagmus. Sobald nach der einseitigen Labyrinthexstirpation die tiefe Narkose zurückgeht, wird die von allen Autoren festgestellte Augen- abweichung deutlich. Das Auge der operierten Seite wird ventral- wärts (nach unten) und etwas nach vorne abgelenkt, das Auge der anderen Seite dorsalwärts (nach oben) und manchmal etwas nach hinten. Gleichzeitig beginnt ein heftiger Nystagmus, indem die Augen, wenn sie das Maximum der Ablenkung erreicht haben, durch einen schnellen Ruck zurück gegen die Mittelstellung zu bewegt werden. Danach geht das Auge wieder mit einer langsameren Be- wegung in die abgelenkte Stellung über, um alsbald durch eine neue Nystagmusbewegung zurückgeworfen zu werden. Die Augen- ablenkung erfolgt also beiderseits nach der Seite der Labyrinth- exstirpation, die schnelle Nystagmusbewegung nach der nicht operierten Seite. Diese Schilderung eilt für Kaninchen, wenn sie nach der . Operation auf der Seite liegen, oder wenn sie sich, aus der Narkose erwacht, aufgesetzt haben. Dann halten sie den Kopf nach der Seite der Operation gedreht und gewendet, d. h. die Schnauze ist nach der operierten Seite gekehrt, und das Ohr der operierten Seite ist durch Drehung des Kopfes ventralwärts bewegt worden. Beim sitzenden Tier befindet sich dann das Auge der operierten Seite unten, das Auge der normalen Seite oben. Es hat sich nun herausgestellt, dass man sowohl die Grösse der Augenablenkung wie den Nystagmus beherrschen kann, je nach der Stellung, die man dem Kopfe im Raume gibt. 1) A. de Kleijn, Zur Kenntnis des Verlaufes der postganglionären Sym- pathicusbahnen für Pupillenerweiterung, Lidspaltenöffnung und Retraktion der Nick- haut bei der Katze. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 26 S.4. 1912. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 189 Sobald man nämlich den Kopf oder das ganze Tier so dreht, dass sich das Auge der operierten Seite oben, das Auge der normalen Seite dagegen unten befindet, so nimmt die Augenabweichung ausser- ordentlich zu und der Nystagmus verschwindet ganz oder fast ganz. Bei genauerer Untersuchung stellt sich heraus, dass es nach ein- seitiger Labyrinthexstirpation eine und nur eine Stellung des Kopfes im Raume gibt, bei welcher die Ablenkung der Augen am geringsten und der Nystagmus am stärksten ist, wenn die sagittale Achse (Sehnauze-Hinterhauptsloch) horizontal ist, die Ebene der Mundspalte vertikal steht und das Auge der operierten Seite nach unten sieht. Umgekehrt gibt es nur eine Stellung, bei welcher die Ablenkung der Augen maximal ist, und der Nystagmus am geringsten, wenn die sagittale Achse des Kopfes hoirzontal ist, die Ebene der Mund- spalte vertikal steht und das Auge der operierten Seite nach oben sieht. Bei allen anderen Stellungen des Kopfes im Raume sind Augenabweichung und Nystagmus von intermediärer Grösse. Setzt man z. B. bei sitzendem Tiere den Kopf gegen den Körper gerade, so dass sich der Scheitel oben befindet und die beiden Augen seit- wärts gerichtet sind, so nimmt in jedem Falle der Nystagmus ab, in einzelnen Fällen kann er sogar ganz verschwinden. Dreht man den Kopf weiter, bis sich das Auge der operierten Seite oben befindet, so ist in einer Reihe der Fälle der Nystagmus ganz auf- gehoben, in anderen Fällen ist er noch ganz schwach angedeutet vorhanden. Diese Abhängigkeit des Verhaltens der Augen vom Kopfstande ist schon verschiedenen früheren Untersuchern aufgefallen. Ewald (a.a.0. S. 158, Versuch 45) gibt an, dass bei einem Hunde nach rechtsseitiger Labyrinthexstirpation, bei welchem der Nystagmus fast. ganz ver- schwunden war, dieser durch Drehen des Kopfes nach rechts verstärkt, durch Linksdrehen dagegen zum Verschwinden gebracht werden konnte. Winkler (a. a. 0. S. 32) sah beim Kaninchen beim Geradesetzen des Kopfes die Augendeviation zunehmen. Leidler!) hat dieses kürzlich bestätigt. Bekanntlich schwindet der Nystagmus nach verschieden langer Zeit. Manchmal ist er bereits nach 24 Stunden, in der Mehrzahl der Fälle nach 48 Stunden nicht mehr vorhanden. In einem Falle war er am dritten, in einem anderen sogar am vierten Tage noch zu sehen. 1) Leidler, Monatsschr. f. Ohrenheilk. Bd. 46 S. 1578. 1912. (Diskussions- bemerkung.) 190 R. Magnus und A. de Kleijn: Er lässt sich dann meistens noch etwa eine Woche lang wieder vorübergehend hervorrufen, wenn man das Tier reizt, ihm ver- schiedene Lagen gibt usw. Schliesslich lässt sich dann aber bei einem solchen Tiere überhaupt kein Nystagmus mehr hervorrufen. Gleichzeitig geht die Augendeviation etwas zurück. Wenn einige Zeit nach der Operation das Tier frei im Käfig sitzt und seinen Kopf 70—90° nach der operierten Seite gedreht hält, so steht das nach oben gerichtete Auge der nicht operierten Seite entweder ganz normal, oder es ist noch etwas nach oben (dorsalwärts) abgelenkt. Das nach unten gerichtete Auge der operierten Seite ist dagesen meistens auch in diesem Stadium noch deutlich, wenn auch nicht sehr stark ventralwärts abgelenkt. Überhaupt ist, wie schon ver- schiedene Untersucher sahen, die Ablenkung des Auges der operierten Seite gewöhnlich stärker als das der anderen Seite. Auch in diesem Stadium lässt sich der Einfluss des Kopfstandes auf die Augendeviation feststellen. „Sowie man nämlich den Kopf in die umgekehrte Lage im Raume bringt (Sagittalachse horizontal, Auge der operierten Seite nach oben gerichtet), so wird die Augen- abweichung maximal und kann soweit gehen, dass nur noch die weisse Sklera in der Lidspalte sichtbar bleibt. Das Auge auf der operierten Seite ist dann ventralwärts und nach vorne abgelenkt, das andere Auge dorsalwärts (manchmal etwas nach vorn, manchmal etwas nach hinten.) Auch hier wieder gibt es nur eine Stellung des Kopfes im Raume, in der die Augendeviation minimal, und nur eine, in der sie maximal ist, In allen anderen Lagen des Kopfes hält sich die Aucenableukung auf mittleren Werten. Die Deviation wird so lange beibehalten, als sich der Kopf in der betreffenden Stellung befindet. Es handelt sich also um einen typischen tonischen Reflex, der von dem übrigbleibenden Labyrinth ausgeht. Es ist nun von Interesse, diesen tonischen Reflex vom Labyrinth auf die Augen, der ausgelöst wird durch verschiedene Lage des Kopfes im Raume, zu vergleichen mit den früher von uns unter- suchten tonischen Reflexen von den Labyrinthen auf die Glieder- muskeln und Halsmuskeln. Die Wirkung eines Labyrinthes- er- streckt sich auf die Extremitätenmuskeln der beiden Körperseiten, und zwar werden beide Seiten von einem Labyrinth mit gleicher Intensität beeinflusst. Dagegen ist die Wirkung eines Labyrinthes auf die Halsmuskeln eine einseitige. Der Einfluss eines Labyrinthes auf die Augen ist doppelseitig, aber es wird das Auge der gekreuzten Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 191 Körperseite stärker beeinflusst. In dieser Hinsicht stehen also die tonischen Reflexe vom Labyrinth auf die Augen in der Mitte zwischen denen auf die Extremitäten und den Hals. — Auch bei der Unter- suchung der Reflexe auf Glieder und Hals hatte sich ergeben, dass es nur eine Stellung des Kopfes im Raume gibt, in der der Tonus der Gliederstrecker und Nackerheber maximal, und nur eine, in der er minimal ist. Die Maximumstellung ist, wenn sich der Scheitel unten befindet und die Mundspalte etwas über die Horizontale ge- hoben ist, die Minimumstellung, wenn sich der Scheitel oben be- findet und die Mundspalte etwas unter die Horizontale gesenkt ist. Da hierbei die Bitemporalachse des Kopfes horizontal steht, so folgt, dass in der Maximum- und Minimumstellung der Labyrinthe für die tonischen Reflexe auf Glieder- und Halsmuskeln beide Labyrinthe die gleiche Lage gegen die Horizontalebene haben. — Für die tonischen Reflexe vom Labyrinth auf die Augen ergeben sich dagegen andere Verhältnisse. Um den Kopf aus der Maximumstellung für die Hals- und Gliederreflexe in die Maximumstellung für die tonischen Augen- reflexe zu bringen, muss man ihn um etwa 90° um seine sagittale Achse drehen, so dass die bitemporale Achse vertikal steht. Bei diesem Kopfstande befindet sich dann das eine Labyrinth (das unten be- findliche) in der Maximumstellung, das andere (oben befindliche) Labyrinth dagegen in der Minimumstellung für die Augenab- weichung !). Bei der Mittelstellung des Kopfes dagegen mit hori- zontaler Bitemporalachse müssen sich beide Labyriuthe in bezug auf die Augenablenkung gerade das Gleichgewicht halten. Auf diese interessanten Beziehungen zwischen den Maximum- und Minimumstellungen für die Glieder-, Hals- und Augenreflexe der Labyrinthe soll an dieser Stelle nur kurz hingewiesen werden. Wir behalten eine eingehende Diskussion einer späteren Mitteilung vor, wenn wir die Beziehungen der verschiedenen von uns festgestellten Kopfstellungen bei diesen Reflexen zu der anatomischen Anordnung der einzelnen Teile des Labyrinthes, und speziell der Otolithen, erörtern. Es wird dem Leser nicht entgangen sein, dass sich durch die obigen Feststellungen wichtige Anhaltspunkte für die Abhängigkeit dieser Reflexe von den Otolithen ergeben. 1) Eine genaue Feststellung der „Maximum-“ und „Minimum“-Stellung für die Augenabweichung liegt ausserhalb des Rahmens dieser Arbeit. Hierüber sind zurzeit im hiesigen Institut Versuche im Gange. 192 R. Magnus und A. de Kleijn: ce) Ist die abnorme Kopfstellung nach einseitiger Labyrinth- exstirpation abhängig von der Augendeviation ? Wenn man einem einseitig labyrintlılosen Kaninchen, welches ruhig dasitzt, seine abnorme Kopfstellung korrigiert, so wird dadurch, nach dem soeben auseinandergesetzten, eine deutliche Augen- abweichung hervorgerufen. Lässt man nunmehr den Kopf los, so dass dieser in seinen gedrehten Stand zurückkehren kann, so wird die Deviation geringer oder schwindet ganz. Z. B. ist nach links- seitiger Labyrintbexstirpation das linke Auge ventralwärts abgelenkt. Dreht sich nun der Kopf, wie dieses nach linksseitiger Operation der Fall ist, nach links (linkes Ohr ventralwärts), so folgt der Kopf bei seiner Drehung den Augen, und infolge dieser Kopfdrehung wird die Augendeviation teilweise oder ganz ausgeglichen. Infolgedessen hat Winkler!) die Frage aufgeworfen, ob nicht die Drehung von Hals und Kopf von dem Tiere ausgeführt würde, um die Augen- deviation zu kompensieren. Nach dieser Ansicht wäre also nur die Augendeviation eine primäre Folge des Labyrinthverlustes, die Kopf- drelung aber sekundär durch den abnormen Stand der Augen hervor- gerufen. Winkler selber hat auch versucht, diese Frage ex- perimentell zu entscheiden, indem er bei Kaninchen durch Durch- schneidung von verschiedenen Augenmuskeln die entsprechenden Deviationen der Bulbi hervorzurufen suchte, um zu sehen, ob dann auch die zugehörige Kopfdrehung erfolgen würde. Jedoch führten diese Experimente nicht zu dem beabsichtigten Ziel, weil sich aut diese Weise die gewünschten Augendeviationen nicht hervorrufen liessen. Aus unseren Beobachtungen ereibt sich, dass die Kopfdrehung und die übrigen abnormen Haltungen und Bewegungen des Körpers unabhängig sind von der Augendeviation, und daher nicht von dieser letzteren abgeleitet werden können. Das erhellt aus folgendem: Zunächst kann es nicht die Verschiebung der optischen Bilder sein, welche eine eventuelle kompensatorische Kopfdrehung ver- ursacht. Denn man kann einem einseitig labyrinthlosen Kaninchen beide Augen zuhalten, ohne dass sich die Kopfdrehung ändert. Ferner haben wir früher schon angegeben?), dass auch bei dezerebrierten Kaninchen nach einseitiger Labyrinthexstirpation die 1) ©. Winkler, a. a. 0. 8.32. 2) Pflüger’s Arch. Bd. 147 8.411. 1912. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 193 typische Drehung und Wendung des Kopfes auftritt. Beim Dezere- brieren wird aber der Hirnstamm vor dem Tentorium Cerebelli durchtrennt und dadurch die Verbindung der optischen Bahnen mit Brücke, Kleinhirn, Medulla oblongata und Rückenmark aufgehoben. Trotzdem tritt aber nach Labyrinthexstirpation die typische Kopf- abweichung auf. Bei dezerebrierten Tieren kommt es gelegentlich zu „spontanen“ Bewegungen, welche den Charakter von Laufbewegungen haben. Nun hat Weiland bei seinen im hiesigen Institut ausgeführten Versuchen !) mehrmals solche Bewegungen bei einseitig labyrinth- losen dezerebrierten Kaninchen beobachten können. Dieselben trugen dann den Charakter der typischen Rollbewegungen einseitig labyrinth- loser Kaninchen. Es kann demnach auch diese abnorme Zwangs- bewegung nach Ausschluss der optischen Verbindungen zustane kommen. Ausserdem haben wir bei einem Kaninchen in tiefer Narkose nach linksseitiger Labyrinthexstirpation beide Bulbi enukleiert. Nach dem Erwachen aus der Narkose war der Kopf um 90° nach links gedreht. und nach links gewendet, das rechte Vorderbein hatte starken Strecktonus, das linke Vorderbein deutlichen Beusetonus. Beim Hängen mit dem Kopf nach unten zeigte sich auch, dass der Thorax 45—90° gegen das Becken gedreht war. Das Tier zeigte ausserdem sehr lebhafte Rollbewegungen, welche kinematographisch aufgenommen wurden. Die Kinoaufnahme zeigte, dass die Rollbewegungen genau in derselben Weise erfoleen, wie bei labyrinthlosen Tieren mit ncrmalem Sehvermögen und intakten Bulbis (s. S. 227 fi... In diesem Versuche liessen sich also alle Haltungs- und Bewegungs- anomalien, speziell auch die Kopfdrehung, genau so feststellen, wie das oben für sehende Tiere geschildert wurde. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich, dass die Kopfdrehung und die anderen Haltungs- und Bewegungsanomalien von Kopf, Hals, Rumpf und Gliedmaassen nicht sekundär durch die Augendeviation hervorgerufen werden, dass sie demnach keine kompensatorische Reaktionen gegen die Augenabweichung sind, und dass wir daher bei der nachfolgenden Analyse dieser Haltungs- und Bewegungsanomalien nicht ferner auf den abnormen Augenstand werden zurückgreifen müssen. Dadurch wird das Verständnis derselben wesentlich erleichtert. DeA=2..0: 194 R. Magnus und A. de Kleijn: Wir werden im Gegenteil im weiteren Verlaufe dieser Dar- stellung darauf hinzuweisen haben, dass die Ausen nicht diese ab- normale Haltung veranlassen, sondern dass sie im Gegenteil dazu benutzt werden, um letztere zu korrigieren. Bei der besprechung der Augensymptome hat sich demnach ergeben: dass die auf der Seite der Labyrinthexstirpation auftretende Pupillenverengerung, Lidspaltenverengerung und Vorziehung der Nick- haut nichts mit der Labyrinthausschaltung zu tun haben, sondern nach Analogie mit der Katze auf eine Verletzung postganglionärer Sympathrcusbahmen bei der Operation bezogen werden müssen; dass: die Augenablenkung und der Nystagmus von der Stellung des Kopfes im Raume abhängig sind; dass der Nystagmus am stärksten ist bei geringster Augendeviation und bei stärkster Augendeviation ver- schwindet; dass die Augendevwiatıon durch einen tonischen Reflex von dem intakten Labyrinthe aus bedingt wird, dessen Stärke je nach der Stellung dieses Labyrinthes im Raume wechselt; dass die Kopfstellung, bei welcher dieser Labyrinth- Augenreflex sein Maximum erreicht, um etwa 90° von der Kopfstellung verschieden ist, bei welcher die tonischen Reflexe vom den Labyrinthen auf die Hals- und Gliedermuskeln ihr Maximum besitzen; dass, wenn das eine Labyrinth in der Maximumstellung für die Augenabweichung sich befindet, das andere in der Minimumstellung ist; dass die nach einseitiger Labyrinthexstirpation auftretende abmorme Stellung von Kopf, Hals, Rumpf und Gliedmaassen, sowie die Bewegungsstörungen und Zwangsbewegungen des Körpers unabhängig von den Augen auftreten und nicht zur Kompensation der Augendeviation ausgeführt werden. 4. Die Drehung von Kopf, Hals und Rumpf. Wenn ein Kaninchen direkt nach der Exstirpation eines Labyrinthes aus der Narkose erwacht, so ist sein Kopf nach der Seite des ex- stirpierten Labyrinthes gedreht und gewendet. Als Drehung bezeichnen wir eine Rotation des Kopfes um die Achse: Schnauze—Hinterhauptsloch; beim Linksdrehen wird das linke Ohr ventralwärts bewegt. Als Wendung bezeichnen wir eine Rotation des Kopfes um die Achse: Scheitel—Schädelbasis; beim Linkswenden wird die Schnauze nach der linken Seite bewegt. Nach Exstirpation des linken Labyrinthes ist also das linke Ohr ventralwärts und die Schnauze nach der linken Körperseite gerichtet. EB If re re a 1 70, Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 195 Ist das Tier imstande, sich gleich nach der Operation auf- zusetzen, so sieht man meistens eine Drehung des Kopfes um ca. 45°, doch haben wir auch Drehungen von 20° und solche von 90° ge- sehen. Die Kopfwendung zeigt wechselnde Grade, manchmal kann sie ganz fehlen, manchmal kann sie 110° und mehr betragen. Drehung und Wendung bleiben erhalten, wenn man das Tier nachher dezerebriert; sie treten ebenfalls auf, wenn man die einseitige Labyrinthexstirpation am vorher dezerebrierten Tiere ausführt. Beim sitzenden Tier nimmt die Kopfwendung bald ab. Man sieht gewöhnlich schon am Tage nach der Operation, dass das Tier bei intendierten Bewegungen den Kopf nach der anderen Seite wenden kann, und nach 1—3 Tagen, manchmal auch erst nach I—4 Wochen ist die Kopfwendung beim Sitzen nicht mehr deutlich, und es bleibt nur die Drehung übrig. Die Kopfdrehung beim Sitzen nimmt nach unseren Erfahrungen in den ersten Wochen bzw. Monaten nach der Operation an Stärke zu. Während in den ersten Tagen, solange das Tier ruhig sitzt (und nicht rollt), die Drehung meist ca. 45.° beträgt, steigt sie im Laufe von 1—4 Wochen auf 90—135° an. Dabei liegt der gedrehte Kopf entweder zwischen den Pfoten oder seitwärts neben dem Tiere (auf der Seite des fehlenden Labyrinthes). Vergleiche die Abbildungen bei Winkler a.a. O.S. 28 und Fig. 6a, 6b und 7a S. 217 und 218 dieser Abhandlung. Allmählich lernt dann das Tier wieder, den Kopf dauernd gehoben zu tragen, es kann dann schnell und sicher umher- hüpfen, immer aber bleibt die Kopfdrehung bestehen. Nach Verlauf von etwa 3—4 Monaten ist beim Sitzen die Kopfdrehung meistens wieder etwas geringer geworden, beträgt niemals über 90°, häufig auch nur 45°. Das Tier hat dann gelernt, die Drehung seines Kopfes aktiv zu vermindern oder zu steigern, und man kann oft beobachten, dass z. B. beim Fressen der Kopf weniger gedreht gehalten wird als in den Fresspausen. Wie im vorigen Abschnitt gezeigt wurde, ist die Kopfdrehung unabhängig von den Augen, sie ändert sich nicht beim Verschluss der Augen und erfolst auch nach dem Dezerebrieren und nach Exstirpation der Bulbi. Ebensowenig ist sie von anderen Teilen des Körpers ausser den Labyrinthen abhängig. Wir haben es also hier mit einer primären dauernden Ausfallserscheinung nach Verlust des einen Labyrinthes zu tun. Der Grad der Kopfdrehung, bzw. des Tonus der Halsmuskeln, welche den Kopf in seinem gedrehten Stande Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 14 196 R. Magnus und A. de Kleijn: halten, ist von der Lage des Kopfes, oder genauer gesagt des übrig- bleibenden Labyrinthes im Raume abhängig, wie wir in einer früheren Mitteilung gezeigt haben. Damals hatte sich aus Versuchen an Kaninchen (sowie an Katzen und Hunden) ergeben, dass, wenn nach einseitiger Labyrinthexstirpation eine Drehung (und Wendung) des Kopfes aufgetreten ist, und man versucht, den gedrehten Kopf gegen den Widerstand der einseitig tonisch kontrahierten Halsmuskeln gerade zu setzen, dass man dann einen verschieden grossen Widerstand zu überwinden hat, je nach der Lage des Kopfes im Raume. Befindet sich der Scheitel unten, der Unterkiefer oben und ist die Ebene der Mundspalte etwas über die Horizontale gehoben, so ist dieser Widerstand viel grösser, als wenn sich der Scheitel oben, der Unterkiefer unten befindet und die Ebene der Mundspalte etwas unter die Horizontale gesenkt ist. Bei allen anderen Stellungen des Kopfes im Raume liest der Widerstand gegen das Geradesetzen des Kopfes zwischen diesen beiden Extremen. Hier- bei hatte sich nun die interessante Tatsache herausgestellt, dass es sich hier um einen einseitigen Einfluss der Labyrinthe handelt. Wenn nach rechtsseitiger Labyrinthexstirpation der Kopf z. B. nach rechts gedreht ist, so stösst Linksdrehen des Kopfes auf einen beträchtlichen Widerstand, dessen Grösse in der oben angegebenen Weise von der Lage des Kopfes im Raume abhängt. Dagegen ist der Widerstand gegen Rechtsdrehen des Kopfes gering und ändert sich bei den ver- schiedenen Lagen des Kopfes im Raume nicht. Unsere damaligen Versuche wurden alle entweder unmittelbar oder 1—2 Tage nach der Labyrinthexstirpation angestellt. Wir haben uns daher die Frage vorgelegt, ob nicht längere Zeit nach der Operation sich auch ein Einfluss der Kopfstellung auf die Halsmuskeln der anderen Seite nachweisen liesse, und haben daher die früheren Ver- suche zu verschiedenen Zeiten nach der einseitigen Labyrinthexstirpation bei Kaninchen wiederholt. Das Ergebnis war, dass auch nach 6 Monaten sich die Verhältnisse nicht ändern. Immer stösst z. B. nach rechts- seitiger Labyrinthexstirpation Linksdrehen des Kopfes bei Rückenlage des Tieres auf sehr viel grösseren Widerstand als bei Bauchlage, während der Widerstand gegen Rechtsdrehen bei allen Lagen des Kopfes im Raume gleich und gering ist. Auch nach längerer Zeit also bleibt der Einfluss eines Labyrinthes auf die Halsmuskeln ein einseitiger, und es tritt im Laufe der Zeit keine Kompensation da- durch ein, dass das eine Labyrinth die Funktion des exstirpierten übernimmt. Ausser der Drehung des Kopfes kann man nach einseitiger Labyrinthexstirpation beim sitzenden Kaninchen häufig (nicht immer) eine Drehung des Rumpfes nachweisen, indem bei aufrecht sitzendem Becken der Thorax des Tieres nach der operierten Seite 1) A. a. 0. Pflüger’s Arch. Bd. 147 S. 403. 1913. ZA u ee Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 197 überhängt oder sogar das Schulterblatt der operierten Seite dem Boden aufliegt (vel. z. B. 6a und 7a S. 217 und 218). Beim sitzenden Tiere ist es jedoch schwer zu beurteilen, ob diese abnorme Haltung auf einer Drehung des Rumpfes oder auf einem Tonusverlust des Vorderbeines der operierten Seite beruht. Die Drehung des Rumpfes wird daher besser auf andere Weise untersucht. Zu diesem Zwecke packt man das Tier an der Lerdenwirbel- säule in der Höhe der Schenkelbeugen und lässt es mit dem Kopfe nach unten hängen (Fig. I—5). Dann kann man die nach Labyrinth- verlust eingetretenen Haltungsänderungen des Rumpfes, Halses und Kopfes rein studieren und wird nicht durch den Einfluss des Fxtremitätentonus auf die Stellung gestört. Die Schwerkraft wirkt auf Bauchteil, Brust, Hals und Kopf im gleichen Sinne und hat daher keinen störenden Einfluss, wie er eintreten muss, wenn man das Tier etwa am Thorax packen und bei „Hängelage mit Kopf oben“ untersuchen wollte !). Wie ein Blick auf Fig. 1—3 zeigt, sieht mau bei Hängelage mit Kopf unten die spiralige Drehung des ganzen Körpers mit der erössten Deutlichkeit. Auf Fig. 3 sieht z. B. die Dorsalseite des Beckens nach rechts, die Dorsalseite des Kopfes nach links. Auf allen drei Abbildungen erkennt man, dass die Drehung bereits in der Lendenwirbelsäule beginnt und sich bis zum Kopfe fortsetzt. Der Thorax nimmt daher ungefähr eine mittlere gedrehte Lage zwischen Becken und Kopf ein. Um eine genauere Schilderung dieser Stellungsanomalie zu geben, ist es zweckmässig, die Drehung zu messen, welche die Dorsoventral- achse des Körpers im Brust-, Hals- und Kopfteil gegen die dorso- ventrale Beckenachse erleidet. Die dorsoventrale Beckenachse kann man bei dem in der Luft gehaltenen Tier direkt nach dem Stande der ‘Schwanzwurzel, des Afters und der Hinterbeine erkennen. Danach tastet man an der Ventralseite den Schwertfortsatz, an der Dorsalseite den Dornfortsatz des letzten Brustwirbels; ihre Verbindungslinie gibt die Dorsoventralachse der unteren Thoraxapertur, Dieselbe Achse kann man an der oberen Thoraxapertur feststellen, wenn man das Manubrium Sterni und den ersten Brustwirbeldorn tastet. Die dorso- ventrale Kopfachse ist ebenfalls leicht direkt festzustellen Bestimmt man dann ausserdem noch den Grad der Wendung des Kopfes, d. h. den Winkel, den die sagittale Kopfachse (Schnauze—Hinterhauptsloch) 1) Die bei dieser letzteren Stellung des Tieres erfolgenden Haltungs- anomalien von Kopf und Hals sind von Winkler (a. a. O. S. 22ff.) eingehend beschrieben worden. 14 * 198 R. Magnus und A. de Kleijn: mit der Vertikalen bildet, so kann man eine hinreichend genaue Be- schreibung von der abnormen Körperhaltung jedes Tieres in dieser Körperlage geben, und die Befunde an verschiedenen Tieren und zu verschiedenen Zeiten miteinander vergleichen. Wir haben an 18 Tieren fortlaufende Bestimmungen bis zu einem halben Jahre nach der Operation ausgeführt. Dabei hat sich folgendes ergeben. Was zunächst die Wendung des Kopfes anlangt, so ist diese, wie erwähnt, beim sitzenden Tier nur in den ersten Tagen nach der Operation nachzuweisen. Beim hängenden Kaninchen dagegen ist sie stets, auch nach !/e Jahr, deutlich. _ Sie beträgt gewöhnlich 30—45°, seltener mehr. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass beim Sitzen die Wendung des Kopfes durch das Tier korrigiert wird. Für die Drehung des Körpers haben sich folgende Werte er- geben: Direkt nach der Operation ist die untere Thoraxapertur meistens 30—45° gegen das Becken gedreht, die obere Thorax- apertur 45—70°, der Kopf 80—135° gegen das Becken gedreht, Diese Drebung nimmt im Laufe der nächsten Tage und Wochen zu und erreicht allmählich ein Maximum. Bei einzelnen Tieren tritt Fig. 1. Kaninchen III. Linksseitige Labyrinthexstirpation am 23. Oktober 1912. Photographiert am 2. November, d. h. 10 Tage nach der Operation. Das Tier wird in Hängelage mit dem Kopf nach unten gehalten, die Hand hat die Lendenwirbelsäule in der Höhe der Schenkelbeugen gepackt. Man erkennt bei stereoskopischer Betrachtung die spiralige Drehung des ganzen Körpers. Das Becken sieht mit seiner Dorsalseite nach rechts, die Hinterbeine nach links. Der Thorax dagegen ist mit der Ventralseite nach vorne und etwas nach links gerichtet, das rechte Vorderbein ist gestreckt, das linke gebeugt. Der Kopf sieht mit seiner Ventralseite (Unterkieferseite) nach rechts und vorne, so dass die linke Backe mehr nach dem Beschauer zu gedreht ist. Ausserdem ist der Kopf deutlich nach links gewendet. Das linke Ohr hängt nach unten (Facialislähmung). En Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 199 dieses schon nach wenigen Tagen ein, bei anderen kann es bis zu 4 Wochen dauern. Wenn dieses Maximum erreicht ist, beträgt die Drehung der unteren Thoraxapertur zwischen 45 und 90°, die der oberen Thoraxapertur zwischen 60 und 135°, die des Kopfes zwischen 110 und 180° Diese Werte schwanken innerhalb der oben ge- zocenen Grenzen von Tier zu Tier und von Tag zu Tag. Die länger fortgesetzte Beobachtung zeigt, dass diese hochgradige Drehung des ganzen Körpers eine Dauerfolge der Operation darstellt, welche nicht wieder zurückgeht, und bei der Untersuchung in Hängelage sich auch nicht graduell] wieder zurückbildet. Vielmehr wird das erreichte Maximum innerhalb der erwähnten Schwankuneen un- verändert beibehalten. Wenn also das sitzende Tier im Laufe der Monate allmählich die Drehung des Kopfes verringert, so handelt es sich hierbei nicht um eine Verminderung des Labyrintheinflusses, denn die Untersuchung in Hängelage ergibt, dass dieser unverändert besteht, sondern das Tier lernt wieder sich beim Sitzen seiner Kopf- bewegungen zu bedienen und dadurch den Labyrinthausfall teilweise zu kompensieren. Fig. 2. Dasselbe Kaninchen wie Fig. 1 von der anderen Seite aufgenommen. Linksseitige Labyrinthexstirpation am 23. Oktober 1912. Photographiert am 2. November, d. h. 10 Tage nach der Operation, unmittelbar nach der Aufnahme von Fig. 1. Das Tier wird in Hängelage mit dem Kopf nach unten gehalten. Das Becken sieht mit seiner Dorsalseite nach links, die Hinterbeine nach rechts. Der Thorax ist mit seiner Dorsalseite nach vorne gerichtet, man sieht das (ge- streckte) rechte Vorderbein. Der Kopf ist noch mehr gedreht, so dass die rechte Backe gegen den Beschauer zu gerichtet ist. Ausserdem ist der Kopf gewendet, so dass die linke Backe des Tieres der linken Schulter genähert ist, die rechte Backe nach unten sieht. Das linke Ohr (Facialislähmung) hängt nach abwärts. Die Deviation des rechten Auges dorsalwärts ist deutlich zu erkennen, der untere weisse Skleralrand ist sichtbar. 200 R. Magnus und A. de Kleijn: In der vorhergehenden Abhandlung (s. S. 170) ist gezeigt worden, dass man bei normalen Kaninchen reflektorisch durch Drehen des Halses eine spiralige Drehung des Rumpfes hervorrufen kann, welche auch nach Exstirpation beider Labyrinthe auftritt und daher auf einen Halsreflex bezogen werden muss. Die Richtung der Rumpfdrehung stimmt überein mit der Drehung, wie sie bei Kaninchen nach einseitiger Labyrinthexstirpation eintritt. Es ist daher schon von vornherein sehr wahrscheinlich, dass dieser Halsreflex auch bei der Stellungsanomalie nach Labyrinthverlust mitspielt. Ja, es erhebt sich die Frage, ob die Rumpfdrehung nach Verlust eines Labyrinthes beim Kaninchen überhaupt etwas mit den Labyrinthen zu tun hat und nicht vielmehr sekundär durch die Drehung des Halses hervorgerufen ist. Wenn die Rumpfdrehung allein vom Halse ausgelöst wird, so muss sie rückgängig gemacht werden können, indem man den Hals geradesetzt. Wir werden später zu zeigen haben, dass beim Meer- schweinchen und beim Hunde die Rumpfdrehung tatsächlich Fig. 3. Kaninchen II. Linksseitige Labyrinthexstirpation am 19. Oktober 1912. Photographiert am 20. Januar 1913, d. h. 3 Monate nach der Operation. Hängelage mit dem Kopfe nach unten. Das Becken sieht mit seiner Dorsalseite nach rechts und etwas nach hinten, die Hinterbeine nach links und etwas nach vorne. Das Epigastrium ist nach vorne gerichtet, die Ventralseite des Thorax sieht nach vorne und rechts. Die stärkere Streckung der rechten Vorderpfote ist auf dieser Aufnahme nicht zu erkennen. Der Kopf ist noch stärker gedreht, so dass die Ventralseite (Unterkieferseite) nach rechts, der Scheitel nach links gerichtet ist. Ausserdem ist der Kopf gewendet, so dass die Schnauze sich dem Beschauer genähert hat, und die linke Backe nach oben gerichtet ist. Das linke Auge ist ventralwärts deviiert, so dass fast ausschliesslich der obere Skleralrand in der Lidspalte sichtbar ist, die Nickhaut ist vorgezogen. Das linke Ohr (Facialislähmung) hängt nach unten. vr 2 a Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 201 verschwindet, wenn man den Kopf gegen den Thorax geradesetzt. Beim Kaninchen ist dieses jedoch nicht vollständig der Fall. Viel- mehr addiert sich hier die Wirkung des Labyrinthverlustes zu dem genannten Halsreflex. | Wenn man ein Kaninchen nach einseitiger Labyrinthexstirpation mit dem Kopf nach unten hängen lässt und die Drehung der unteren und oberen Thoraxapertur und des Kopfes gegen das Becken be- stimmt hat, so sieht man, sobald man die Drehung des Kopfes gegen den Thorax korrigiert hat, die Drehung des Rumpfes abnehmen, aber nur in der Minderzahl der Fälle ganz verschwinden. Meist bleibt der Thorax gegen das Becken um 20—45 ° gedreht. Die einzelnen Kaninchen verhalten sich bei diesem Versuche verschieden. Manche Tiere zeigen nach Korrektur der Kopfstellung nur noch eine geringe oder auch gar keine Rumpfdrehung mehr. Andere dagegen bleiben mit ihrem Thorax gegen das Becken um 45° gedreht, nachdem der Kopf gegen den Thorax seradegesetzt worden ist. Bei den einen Tieren ist der Einfluss der Halsreflexe, bei den anderen der der Labyrinthreflexe deutlicher ausgesprochen. Dieses letztere stimmt mit unseren früheren Erfahrungen und denen von Weiland an dezerebrierten Tieren gut überein und auch Noel Paton hat bei Enten ähnliche Unterschiede angetroffen. — Häufig findet sich, dass in den ersten Tagen bzw. Wochen nach der Operation bei geradegesetztem Kopf die Rumpfdrehung ganz oder nahezu verschwindet, während nach Wochen und Monaten sich durch Geradesetzen des Kopfes die Drehung des Rumpfes nicht mehr vollständig aufheben lässt. Das stimmt “überein mit der oben er- wähnten Beobachtung, dass überhaupt die Drehung des Körpers nach der Operation an Intensität zunimmt, um allmählich ein Maximum zu erreichen. Wenn man bei einem einseitig labyrinthlosen nach unten hängenden Kaninchen den Kopf gegen den Thorax geradegesetzt hat und danach noch eine Drehung des Thorax gegen das Becken bestehen bleibt, so kann man den Kopf noch weiter drehen und dadurch den Kopf in den entgegengesetzten Drehstand gegen den Thorax bringen. Hierdurch erregt man einen Halsreflex auf die Rumpfmuskeln in umgekehrtem Sinne, der imstande ist, die übrig- bleibende Rumpfdrehung zu kompensieren, so dass der Thorax nun- mehr gegen das Becken geradegesetzt ist. In den meisten Fällen war hierzu eine Drehung des Kopfes um 30—45° im umgekehrten 202 R. Magnus und A. de Kleijn: Sinne nötig. Man kann auf diese Weise den Grad der Halsdrehung, der nötig ist, um den Thorax gerade zu setzen, benutzen, um die Grösse des Labyrintheipflusses, der dadurch üherkompensiert wird, zu messen. — Dreht man dann den Kopf noch weiter, so erfolgt eine Drehung des Rumpfes in umgekehrter Richtung. Man kann demnach bei jedem einseitig labyrinthlosen Kaninchen durch mehr oder weniger ausgiebiges Drehen des Kopfes in dem der spontanen Drehrichtung entgegengesetzten Sinne sowohl die Rumpfdrehung aufheben, wie die umgekehrte Rumpfdrehung hervorrufen. Wenn also auch der Hals nicht ausschliesslich für die Rumpfdrehung ver- antwortlich gemacht werden kann, so ist er doch in entscheidender Weise daran beteiligt. Dieser Einfluss dauert Wochen und Monate an. Es handelt sich also um eminent tonische Reflexe. Andererseits ergibt sich, dass der direkte Labyrintheinfluss beim Kaninchen nicht allein auf die Halsmuskulatur beschränkt ist, sondern dass sich eine gleichartige Wirkung des-einseitigen Labyrinth- ausfalles, wie auf die Muskeln des Halses auch (bei diesen Tieren wenigstens) auf die Muskeln des Rumpfes nachweisen lässt. Auch hier handelt es sich um Dauerfolgen, um tonische Innervationen. Die im vorhergehenden geschilderten Beobachtungen an hängenden Kaninchen werden bestätigt und erweitert durch ähnliche Experi- mente bei Rückenlage der Tiere. Legt man ein einseitig labyrinthloses Kaninchen auf den Rücken, und zwar so, dass die dorsoventrale Thoraxachse vertikal steht und man den Thorax in dieser Lage mit der Hand festhält, so wird die Drehung sowohl des Kopfes wie des Beckens gegen den Thorax deutlich. Nach linksseitiger Labyrinthexstirpation sieht dann das linke Auge nach oben, der Scheitel nach links. Dagegen liegt die linke Hinterbacke dem Tische auf, die rechte ist nach oben ge- richtet. Das Tier hat also eine ähnliche Haltung, wie sie in der vorigen Abhandlung auf Fig. 4 (S. 170) abgebildet worden ist. Diese letztere Figur stellt ein normales Kaninchen dar, dem in Rückenlage der Kopf nach links gedreht worden ist. Hierdurch wurde ein Halsreflex ausgelöst, der die Beckendrehung veranlasste. Schon hierdurch wird deutlich, dass auch beim einseitig labyrinth- losen Kaninchen die Halsdrehung eine solche Beckendrehung ver- anlassen muss. Setzt man nun bei einem solchen Tiere den Kopf segen den mit der Hand fixierten Thorax gerade, so sieht man, dass die Drehung des Beckens gegen den Thorax zurückgeht, aber Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 203 in der Mehrzahl der Fälle nicht ganz verschwindet. Meist bleibt eine Beckendrehung von 20—45° bestehen. Um diese vollständig auszugleichen, muss der Kopt 20—45° in umgekehrter Richtung (bei linksseitiger Labyrinthexstirpation nach rechts) gedreht werden. Dreht man den Kopf noch weiter, so tritt eine Drehung des Beckens in umgekehrter Richtung auf. Auf diese Weise kann man es er- reichen, dass z. B. nach linksseitiger Labyrinthexstirpation bei Rückenlage des Thorax durch Rechtsdrehen des Kopfes die rechte Hinterbacke nach unten zu liegen kommt. (Diese Lage ist auf Fig. 3 der vorigen Abhandlung zu sehen.) — Auch diese Versuche führen also zu dem Schlusse, dass die Rumpfdrehung beim Kaninchen nach einseitigem Labyrinthverlust die Resultante zweier Einflüsse ist, die sich zueinander addieren, nämlich der in der vorigen Abhandlung geschilderten Halsreflexe und einer direkten einseitigen Einwirkung des übrigbleibenden Labyrinthes auf die Rumpfmuskulatur. Bei beiden Einflüssen handelt es sich um Dauer- wirkungen, die monatelang in Tätigkeit bleiben. Die Versuche in Rückenlage sind deshalb besonders anschaulich, weil man bei ihnen den Thorax so bequem in seiner Lage fixieren und daher die Drehung sowohl des Kopfes wie des Beckens gegen den feststehenden Thorax messen kann. Auch bei der Untersuchung in Rückenlage ergibt sich, dass bei einigen Kaninchen die Labyrinthe, bei anderen die Halsreflexe einen grösseren Einfluss auf die Rumpfdrehung besitzen. In der vorhergehenden Abhandlung (s. S. 172) wurde geschildert und durch Abbildungen belegt, dass, wenn man ein normales Kaninchen mit gedrehtem Kopf über seinen Rücken rollen lässt, das Becken eine ganz gesetzmässige Bewegung ausführt, durch die es der Drehung des Vorderkörpers folgt. Wenn man z. B. ein Tier mit linksgedrehtem Kopf (linkes Ohr ventralwärts) zunächst in linke Seitenlage bringt und dann den Vorderkörper des Tieres über den Rücken rollen lässt, so bleibt zunächst das Becken gegen den Thorax so gedreht, dass die linke Hinterbacke unten bleibt. Sobald aber die dorsoventrale Thoraxachse die Vertikale passiert hat, schwingt das Becken mit einem mehr oder weniger schnellen Ruck herum, bis die rechte Hinterbacke nach unten zu liegen kommt und die Wirbelsäule nach rechts konkav wird. Fie. 4 und 5 der vorigen Abhandlung (s. S. 170 und 171) veranschaulichen den Vorgang. Genau dieselbe Beobachtung kann man auch machen, wenn man ein einseitig 204 R. Magnus und A. de Kleijn: labyrinthloses Kaninchen auf den Rücken legt und nach der Seite des normalen Labyrinthes über den Rücken herüberrollen lässt. Nur hat man hier nieht mehr nötig, den Kopf in die gedrehte Stellung gegen den Thorax zu bringen, da dieses schon infolge der Operation von selber eingetreten ist. Bei dieser Bewegung bleibt zunächst die soeben geschilderte spiralige Drehung des Rumpfes be- stehen, nach linksseitigem Labyrinthausfall ist also der Kopf nach links gedreht, das linke Ohr ventralwärts, die linke Hinterbacke liest auf dem Tische. Sobald aber der Thorax mit seiner dorso- ventralen Achse die Vertikale passiert hat, bei vielen Tieren erst, wenn sie 30—45° die Vertikale überschritten hat, schwingt das Becken herum, die rechte Hinterbacke kommt nach unten, und die Wirbelsäule wird nach rechts konkav. Die Bewegung ist genau die gleiche, wie sie bei normalen Kaninchen mit erzwungenem Dreh- stande des Kopfes beobachtet wird. Hier wie dort scheint es, dass diese Reaktion rein mechanisch bedingt ist, indem das Becken von einem bestimmten Stande des Vorderkörpers an seine spiralige Drehung gegen den Thorax nieht mehr beibehalten kann und dann der Schwerkraft und dem Zuge der einseitig tonisch gespannten Stammesmuskeln folgend herumklappt, um dann die nach der Kiefer- seite konkave Krümmung anzunehmen. Wenn man bei einem linksseitig labyrinthlosen Tiere den Kopf stark nach rechts dreht, so kann man dadurch, wie oben erwähnt, auch die umgekehrte Drehung des Beckens gegen den Thorax hervor- rufen. In diesem Falle gelingt es, genau das Spiegelbild der soeben geschilderten Reaktion des Beckens hervorzurufen, wenn man das Tier von rechts nach links über seinen Rücken rollen lässt. Dann ist zunächst der Rumpf spiralig gedreht, so dass die rechte Hinter- backe unten liest, um dann der Drehung des Thorax folgend nach links hinüberzuklappen, worauf die Lendenwirbelsäule nach links konkav wird. Der hier geschilderten Bewegung des Beckens werden wir bei der Besprechung der Rollbewegungen wieder begeenen. Vel. die kinematographischen Aufnahmen Fig. 14 S. 247. Die in diesem Abschnitte mitgeteilten Beobachiungen führen zu nachstehenden Schlussfolgerungen : Einseitiger Labyrinthausfall beim Kaninchen führt primär zu einer einseitigen Beeinflussung der Muskulatur des Stammes, die Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 205 eine Dawerwirkung darstellt und nach der Operation an Intensität zunimmt. Hierdurch kommt zustande: 1. eine sehr hochgradige Drehung des Halses, eine (schwächere) Wendung des Halses, 3. eme nicht sehr hochgradige Drehung des Rumpfes bis zum Becken, wodurch der ganze Körper des Tieres spiralig ge- dreht wird. Die Drehung des Halses veranlasst ihrerseits wieder sekundär eine starke Drehung des Rumpfes in demselben Sinne, wie die von den Labyrinthen abhängige Rumpfdrehung, wodurch diese letztere beträchtlich verstärkt wird. Je nach der passiven Lage des Körpers kamn, statt der Drehung, auch eine Seitwärtskrümmung (Wendung) des Rumpfes deutlich werden. Der Übergang von der einen in die andere Stellung erfolgt bei ganz bestimmten Lagen des Vorder- körpers. & Die Drehung des Rumpfes kann durch Geradesetzen des Kopfes gegen den Rumpf in den meisten Fällen nur teilweise rückgängig gemacht werden. Zur vollständigen Aufhebung derselben muss der Kopf noch weiter nach der anderen (d. h. der spontanen Drehung entgegengesetzten) Seite gedreht werden. Eine noch stärkere Drehung des Kopfes nach der anderen Seite veranlasst eine Drehung des Rumpfes im umgekehrten Sinne. Das sitzende Tier ist nach längerer Zeitimstande, einen kleinen Teil dieser abnormen Körperstellungen zu kompensieren. Das übriggebliebene Labyrinth beherrscht, wie früher gezeigt wurde, je nach seiner Stellung im Raume reflektorisch den Spannungs- zustand der Halsmuskulatur einer‘) Seite. Ob ein derartiger Ein- fluss auch auf die Rumpfmuskulatur besteht, hat sich bisher wegen mechanischer Schwierigkeiten nicht entscheiden lassen. Die Halsmuskulatur der anderen) Seite gelangt auch lange Zeit nach der Operation nicht unter die Herrschaft des übrig- gebliebenen Labyrinthes. 1) Unter Halsmuskulatur der einen und der anderen Seite wird hier der Teil der Halsmuskeln verstanden, welcher nach einseitiger Labyrinthexstirpation in tonische Spannung gerät bzw. erschlafft. 206 R. Magnus und A, de Kleijn: d. Der Tonus der Extremitäten. Allen Untersuchern, welche sich bisher mit den Foleen der einseitigen Labyrinthexstirpation beim Kaninchen beschäftiet haben, ist der beträchtliche Unterschied im Tonus und in der Stellung zwischen den Extremitäten der beiden Körperseiten aufgefallen. Nach linksseitigem Labyrinthverlust sind beispielsweise beim sitzenden Tier die beiden linken Beine schlaff und gebeugt, die beiden rechten Beine tonisch gestreckt, und besonders das rechte Vorderbein nimmt eine charakteristische gestreckt-abduzierte Stellung ein, die auf Fig. 6 a—ce und 7 a S. 217 und 21S zu sehen ist. Wie schon oben auseinandergesetzt wurde, erhebt sich die Frage, ob diese Tonusunterschiede der Gliedmaassen direkt durch den Aus- fall eines Labyrinthes verursacht werden, oder ob sie sekundär durch die Drehung des Halses bedinet sind. Denn wie früher gezeigt wurde, muss die nach der Labyrinthexstirpation auftretende Kopf- drehung gerade einen solchen Tonusunterschied der Beine ver- anlassen, wie er tatsächlich zu beobachten ist. Wir werden im nachfolgenden zu zeigen haben, dass beim Kaninchen sich die beiden Einflüsse, die des Labyrinthverlustes und die der Halsdrehung, mit- einander kombinieren, und dass ihre Beteiligung an dem Endresultat zu verschiedenen Zeiten nach der Operation eine verschiedene ist. Wenn man das Verhalten des Extremitätentonus rein und un- gestört untersuchen will, so tut man gut, nicht von Beobachtuugen am sitzenden Tier auszugehen, da bei diesem der Extremitätenstand nicht allein vom Tonus der Gliedermuskeln, sondern auch noch von der Stellung des Rumpfes, der Lage des Schulterblattes und anderem mehr beeinflusst wird. Es ist besser, das Tier zu diesem Zwecke in Rückenlage zu bringen. Dann kann man den Tonus der Streck- muskeln an Vorder- und Hinterbeinen direkt sehen, und kann den Strecktonus an dem Widerstand gegen passive Beugung, den Beuge- tonus an dem Widerstand gexen passive Streckung für das ganze Glied oder für ein einzelnes Gelenk ohne Schwierigkeit messen. Zur Vereinfachung der Darstellung soll das Verhalten der Tiere im nachstehenden geschildert werden, wie es sich nach Exstirpation des linken Labyrinthes ausbildet. Nach rechtsseitigem Labyrinth- verlust finden sich spiegelbildlich die umgekehrten Veränderungen. Legt man ein derartiges Kaninchen auf den Rücken, so ist sein Kopf nach links gedreht, d. h. sein linkes Auge sieht nach oben, Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrirthexstirpation etc. 207 der Unterkiefer nach rechts (Fig. 4 auf S. 208). Die Haltung des Rumpfes ist im vorigen Abschnitte beschrieben worden. Das rechte Vorderbein und das rechte Hinterbein sind gestreckt, die beiden linken Beine sind weniger gestreckt und werden manchmal sogar aktiv gebeugt gehalten. In manchen Fällen ist der Tonusunterschied zwischen rechts und links an den Vorderbeinen stärker ausgesprochen, in manchen Fällen an den Hinterbeinen. Derselbe Unterschied bleibt bestehen, wenn man das Tier, ohne die Stellung des Kopfes secen den Rumpf zu ändern, auf die rechte oder linke Seite hinüber- dreht, ist also von der Lage des Kopfes im Raume unabhängig. Der geschilderte Tonusunterschied ist schon direkt nach der Operation deutlich, er ist auch nach Monaten noch sehr stark nachweisbar. Wenn man nunmehr den Rumpf des Tieres in seiner Rücken- lage festhält und den Kopf gegen den Thorax gerade setzt, so dass der Scheitel nach unten, der Unterkiefer nach oben sieht, wobei man einen ziemlich starken Widerstand der Nackenmuskeln zu überwinden hat, so wird der Tonusunterschied zwischen den rechten und den linken Extremitäten in jedem Falle geringer. Unmittelbar nach der Operation bleiben auch bei geradegesetztem Kopfe ge- wöhnlich die linken Beine noch viel weniger gestreckt als die rechten. Aber schon nach einem oder wenigen Tagen kann man durch Gerade- setzen des Kopfes den Tonusunterschied sehr beträchtlich vermindern, ohne dass jedoch dieser Unterschied ganz schwände. Daraus folgt, dass in diesem Stadium die Streckung der rechten Beine, die Beugung bzw. geringere Streckung der linken Beine nur zum Teile durch einen Halsreflex bedingt wird, da nach Auf- hebung der Halsdrehung noch ein wenn auch verminderter Tonus- unterschied zwischen rechts und links bestehen bleibt. Daneben handelt es sich um eine direkte Folge des Labyrinthausfalles. Dieser wirkt in dem Sinne, dass die Beine auf der Seite des Labyrinthverlustes einen geringeren Strecktonus haben, als auf der Seite mit intakten Labyrinthen. Auf diesen Einfluss superponiert sich nun der Effekt der Halsdrehung, welche nach der früher von uns und von Weiland angegebenen Regel wirkt, dass die Kiefer- beine (rechts) vermehrten, die Schädelbeine (links) verminderten Strecktonus bekommen. Wenn man diesen Versuch (Geradesetzen des Kopfes in Rücken- lage) anfangs täglich, später wöchentlich bei demselben Tiere wiederholt, so beobachtet man, dass nach Aufhebung der Kopfdrehung der Tonus- 2308 R. Magnus und A. de Kleijn: unterschied zwischen rechts und links allmählich immer geringer wird. Bei manchen Tieren wird er zuerst an den Hinterbeinen, bei anderen an den Vorderbeinen unmerklich, und nach verschieden langer Zeit, die im Durchschnitt etwa 8 Wochen beträgt, verschwindet er ganz. In einem Falle dauerte es 10 Wochen, bis dieser Zustand erreicht war, in einem anderen dagegen nur 5Y1/a Wochen. Nach dieser Zeit ist in Rückenlage bei geradegesetztem Kopfe kein Tonus- unterschied zwischen den rechten und linken Ex- tremitätenmehrnachzuweisen. Nunmehr beruht die stärkere Streckung der rechten Extremitäten, wie sie als Dauerfolge der Operation stets nachweisbar bleibt, wenn man das Tier auf den Rücken legt und seine Kopfdrehung nicht korrigiert, ausschliesslich auf dem erwähnten Halsreflex. Hieraus ergibt sich, dass beim Kaninchen nach einseitigem Labyriuthverlust die Drehung des Halses einen tonischen Reflex auf die Extremitäten zur Folge hat, welche nach der früher ermittelten Regel einen verminderten Strecktonus der Extremitäten auf der Seite der Operation und einen vermehrten Strecktonus der Glieder auf der entgegengesetzten Körperseite veranlasst. Dieser Einfluss bleibt dauernd (bis über 7 Monate beobachtet!) bestehen. Es handelt sich also um einen wirklichen Dauerreflex. Hierauf superponiert Fig. 4 Kaninchen XV, (Abgekürztes Versuchsprotokoll s. S. 184 ff.) Links- seitige Labyrinthexstirpation am 30. November 1912. Photographische Aufnahme am 20. Januar 1913, also 71/a Wochen nach der Operation. Das Tier liegt in Rückenlage, der Kopf ist infolge der Labyrinthexstirpation nach links gedreht, so dass das linke Auge nach oben sieht, der Scheitel nach links, der Unter- kiefer nach rechts gerichtet ist. Die rechten Beine sind also „Kieferbeine“, die linken „Schädelbeine“. Man erkennt deutlich, dass sowohl vorne als hinten die linken Beine viel weniger gestreckt sind als die rechten. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation ec. 209 sich ein direkter Einfluss des einseitigen Labyrinthverlustes (bzw. des übriggebliebenen Labyrinthes), der in demselben Sinne wirkt, aber allmählich an Intensität abnimmt, um nach durchschnittlich 2 Monaten ganz zu schwinden. Während also der direkte Einfluss des Labyrinthausfalles auf die Hals- und Rumpfmuskeln ein dauernder ist, ist der auf die Gliedermuskeln von beschränkter Dauer, und wir werden später für andere Tierarten zu zeigen haben, dass bei diesen der direkte Einfluss des Labyrinthausfalles auf die Gliedmaassen noch viel kürzer andauert. Diese Schlussfolgerungen werden bestätigt durch die Resultate, die man erhält, wenn man bei Rückenlage des Tieres dem Kopf die umgekehrte Drehung gegen den Thorax gibt. Fig. 5 zeigt das Ergebnis eines derartigen Versuches 7!/a Wochen nach der Labyrinthexstirpation an demselben Kaninchen, von dem unmittelbar vorher Fig. 4 aufgenommen wurde. Die Hand des Experimentators hat dem Kopf die umgekehrte Drehung gegen den Rumpf gegeben, das rechte Auge sieht nach oben, der Unterkiefer nach links, der Scheitel nach rechts. Man sieht, dass infolge der veränderten Stellung des Kopfes sich die Tonus- unterschiede zwischen den rechten und linken Ex- tremitäten gerade umgekehrt haben. Die beiden linken Beine sind gestreckt, die rechten gebeust. Das Tier, dem das linke Fig. 5. Dasselbe Kaninchen unmittelbar danach (Aufnahme etwas mehr von links). Das Tier liegt in Rückenlage, der Kopf ist aber nun nach der anderen Seite gedreht, was gegen einen deutlichen Widerstand der Halsmuskeln erfoleste.e Nunmehr sieht der Unterkiefer nach links, der Scheitel nach rechts, die linken Beine sind „Kieferbeine“ geworden, die rechten „Schädelbeine“. In- folgedessen sind jetzt das linke Vorder- und Hinterbein stark gestreckt, die beiden rechten Beine dagegen, welche auf Fig. 4 gestreckt waren, stark gebeugt. — (Bei geradegesetztem Kopfe [Scheitel unten, Unterkiefer oben] war kein Unter- schied in der Streckstellung und im Tonus zwischen den rechten und den linken Extremitäten mehr nachzuweisen.) 210 R. Magnus und A. de Kleijn: Labyrinth fehlt, verhält sich also jetzt mit seinen Gliedmaassen ge- nau so, wie ein Tier, dem das rechte Labyrinth entfernt worden ist. Durch Vergleich der beiden Aufnahmen Fig. 4 und 5 erkennt man, dass die umgekehrte Drehung des Kopfes (Fig. 5) eine mindestens so starke Streckung der linken Gliedmaassen bedingt hat, als auf Fig. 4 mit linksgedrehtem Kopfe die rechten Extremi- täten gestreckt sind. Man sieht also, dass in diesem Stadium der Tonusunterschied der Beine auf der rechten und linken Körperseite allein durch die Halsreflexe beherrscht wird. Anders ist es unmittelbar nach der Operation, wenn der direkte Einfluss des einseitigen Labyrinthverlustes noch stark ausgeprägt ist. Legt man unmittelbar nach der Operation, beim Er- wachen aus der Narkose, ein Kaninchen auf den Rücken, so sind nach linksseitiger Operation die linken Extremitäten schlaff. Auf Geradesetzen des Kopfes ändert sich hieran, wie oben gezeigt wurde, noch nicht sehr viel. Dreht man den Kopf nach rechts, so gelingt es in einer Reihe von Fällen, durch die Halsdrehung den direkten Labyrintheinfluss überzukompensieren, so dass sich die linken Ex- tremitäten stärker strecken als die rechten. In anderen Fällen wird nach dem Rechtsdrehen des Kopfes der Tonus der beiderseitigen Glieder ungefähr gleich, manchmal bleibt auch bei maximaler Rechts- drehung des Kopfes der Gliedertonus auf der linken Seite geringer als auf der rechten. Direkt nach der Operation ist also der direkte Einfluss des Labyrinthverlustes noch so gross, dass er dem ent- gegengesetzt wirkenden Halsreflex auf Rechtsdrehen des Kopfes die Wage halten kann, oder ihn sogar an Stärke übertrifft. Das ändert sich aber sehr schnell; häufig schon am folgenden Tage, spätestens nach 6 Tagen ist der direkte Labyrintheinfluss soweit abgeschwächt, dass auf Rechtsdrehen des Kopfes die linken Extremitäten stärker gestreckt werden als die rechten, dass also die Halsreflexe die Ober- hand gewinnen und sie von da an dauernd behalten. In einigen Versuchen liess sich dieser Vorgang in seinem allmäh- lichen Verlaufe besonders gut beobachten. Bei maximaler Rechts- drehung des Kopfes waren unmittelbar nach der Operation die linken Beine schlaffer, am zweiten Tage hatten die Gliedmaassen auf beiden Seiten gleichen Tonus, am dritten Tage war der Tonus der Hinter- beine noch gleich, während vorne bereits eine stärkere Streckung links festzustellen war und am fünften Tage war die Uberkompensation vollständig und die linken Extremitäten wurden sowohl vorne wie hinten bei rechtsgedrehtem Kopfe stärker gestreckt als die rechten. — In einer Reihe von Versuchen ist aber, wie erwähnt, diese Über- kompensation bereits unmittelbar nach der Operation nachzuweisen. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etcee 211 Hieraus ergibt sich, dass bereits wenige Tage nach der Operation die Halsreflexe bei weitem das Übergewicht gewinnen über den direkten Einfluss des Labyrinthverlustes auf den Gliedertonus. Dieser Labyrintheinfluss nimmt in den ersten Tagen besonders stark ab, um, wie sich aus den Beobachtungen bei geradegesetztem Kopfe ergibt, nach ca. 8 Wochen ganz zu schwinden. Die entscheidende Herrschaft auf die Spannung der Extremitäten gewinnt aber schon sehr bald nach der Operation der Hals, von dessen Drehung sie im wesentlichen bestimmt wird. Von diesem Verhalten haben wir keine Ausnahme beobachtet. Wie von Weiland und in unserer vorhergehenden Abhandlung (s. o. S. 174) gezeigt worden ist, wirkt Wenden des Kopfes (um die Achse Scheitel-Schädelbasis) in der Weise, dass die Kieferbeine, nach denen die Schnauze zugewendet wird, gestreckt, die „Schädel- beine“ (der anderen Körperseite) dagegen gebeugt werden. Der Einfluss des Wendens ist aber sehr viel geringer als der des Kopf- drehens. Das kann man auch an Tieren nach einseitiger Labyrinth- exstirpation erkennen. Legt man ein Karinchen einige Monate nach der linksseitigen Labyrinthexstirpation auf den Rücken, setzt ihm zunächst seinen Kopf gegen den Thorax gerade und bewirkt dadurch, dass seine Glieder auf der rechten und linken Körperseite gleichen Strecktonus haben, so kann man durch Wenden des Kopfes (nach rechts oder links) die Beine der „Kieferseite* zur Streckung, die der „Schädelseite* zur Beugung bringen. Die Reaktionen sind aber stets schwächer als die durch Drehung des Kopfes zu erzielenden. — Wenn man denselben Versuch kürzere Zeit nach der Operation aus- führt, wenn bei geradegesetztem Kopfe die linken Beine noch etwas schlaffer sind als die rechten, so gelingt es manchmal, diesen Unter- schied durch Linkswenden des Kopfes verschwinden zu lassen oder sogar überzukompensieren. Dieses gelingt aber nicht stets, weil die Reaktionen auf Kopfwenden eben ziemlich schwach ausgebildet zu sein pflegen. — Im vorigen Abschnitte wurde angegeben, dass unmittelbar nach der Operation beim Kaninchen häufig eine kräftige Kopf- wendung nach der operierten Seite auftritt, welche aber schnell zurückgeht, beim sitzenden Tiere nach wenigen Tagen verschwindet und nur bei Hängelage mit dem Kopfe nach unten dauernd nach- weisbar bleibt. Da diese Wendung also an sich schon der Drehung gegenüber zurücktritt und ausserdem auch eine kräftige Wendung Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 15 212 R. Magnus und A. de Kleijn: des Kopfes nur einen geringen Einfluss auf den Gliedertonus aus- zuüben vermag, so ergibt sich, dass der Einfluss der Kopfwendung auf den Gliedertonus nach einseitigem Labyrinthverlust praktisch vernachlässigt werden kann. Höchstens kann unmittelbar nach der Operation, wenn die Drehung des Kopfes noch nicht so stark ist, die hochgradige Wendung nach der Seite des Labyrinthverlustes der Erschlaffung der Glieder auf dieser Seite etwas entgegenwirken. Doch handelt es sich auch hierbei immer nur um sehr geringe Einflüsse, wie sich ergibt, wenn man die Wendung des Kopfes korrigiert. In den vorhergehenden Abschnitten ist gezeigt worden, dass ein Teil der Folgezustände nach einseitiger Labyrinthexstirpation rückgängig gemacht werden kann, wenn man den Kopf gegen den Thorax geradesetzt.e. Wir haben daraus die Schlussfolgerung ge- zogen, dass dieser Teil der Folgezustände durch Halsreflexe bedingt sei. Wenn z. B. 8 Wochen nach der (linksseitigen) Operation in Rückenlage bei linksgedrehtem Kopf die linken Beine schlaffer sind als die rechten, während bei geradegesetztem Kopfe der Extremitäten- tonus beiderseits gleich ist, so haben wir es als bewiesen an- genommen, dass in diesem Stadium der Unterschied des Glieder- tonus auf den beiden Seiten ausschliesslich durch einen Halsreflex verursacht wird. Hiergegen wäre folgender Einwand möglich: Nach der linksseitigen Labyrinthexstirpation wird der Kopf dauernd kräftig nach links ge- dreht gehalten. Wenn man den Kopf gegen den Thorax geradesetzen will, so ist dieses nur gegen einen starken Widerstand möglich, während Linksdrehen des Kopfes nur auf geringen Widerstand stösst. Es wäre daher möglich, dass Linksdrehen des Kopfes einen schwachen, Rechtsdrehen einen starken Halsreflex auslöste, und dass bereits beim Geradesetzen des Kopfes beim Überwinden des starken musku- lösen Widerstandes ein Halsreflex ausgelöst würde, der übereinkäme mit dem Effekte des Rechtsdrehens bei einem normalen Tiere. Wenn danach trotzdem der Tonus der rechten und linken Beine gleich würde, so könnte das dadurch zustande kommen, dass ein Labyrinthreflex im umgekehrten Sinne wirksam wäre, der durch den (hypothetischen) Halsreflex gerade kompensiert würde. Wenn diese Annahme richtig wäre, so würde also noch nach 8 Wochen ein direkter Labyrinth- einfluss vorhanden sein, während wir oben den Schluss gezogen haben, dass er in diesem Stadium fehle. Abgesehen davon, dass es sehr merkwürdig wäre, wenn die beiden Reflexe sich nach 8 Wochen immer gerade so genau das Gleichgewicht hielten, dass der Gliedertonus bei geradegesetztem Kopfe genau gleich wird, lässt sich auch direkt nachweisen, dass dieser Einwand nicht Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 2 berechtigt ist. Wenn nämlich bei geradegesetztem Kopfe noch ein Halsreflex auf die Extremitäten vorhanden wäre, der durch Über- windung des Widerstandes der einseitig gespannten Halsmuskeln aus- gelöst würde, so müsste seine Intensität sich ändern, wenn die ein- seitige Spannung der Halsmuskeln verändert würde. Nun hat sich aus unseren früheren Versuchen !) ergeben, dass diese Spannung der Hals- muskeln nach Verlust eines Labyrinthes abhängig ist von der Stellung des Kopfes im Raume. Es müsste sich also die Intensität des hypo- thetischen Halsreflexes durch Änderung der Lage des Kopfes im Raume beeinflussen lassen. Dagegen bleibt nach unseren und Weiland’s früheren Erfahrungen der Tonusunterschied der Gliedmaassen nach einseitigem Labyrinthverlust bei verschiedenen Lagen des Kopfes im Raume ungeändert. Hieraus ergibt sich die Möglichkeit, die Be- rechtisung des genannten Einwandes experimentell zu prüfen. Wenn nämlich z. B. bei Rückenlage des Tieres die beiden Reflexe sich gerade die Wage hielten, so dürfte dieses z. B. bei Fussstellung nicht der Fall sein. Wir haben diesen Versuch zu wiederholten Malen aus- geführt. Das Kaninchen wurde, nachdem 8 Wochen nach der Operation vergangen waren, in Rückenlage gebracht und sein Kopf gegen den Thorax geradegesetzt; dann war der Tonus der rechten und linken Gliedmaassen genau gleich. Wurde nunmehr das ganze Tier, ohne die Stellung des Kopfes gegen den Thorax zu ändern, aus der Rücken- lage in die Fussstellung gedreht (Rücken oben, Wirbelsäule horizontal), so änderte sich daran nichts, und der Gliedertonus blieb auf beiden Körperseiten genau gleich. Hieraus folgt mit Sicherheit, dass der oben besprochene Einwand nicht zu Recht besteht, und dass wirklich in diesem Stadium der Unterschied des Extremitäten- tonus allein durch Halsreflexe bedingt ist. — Hierdurch wird überhaupt die Berechtigung unseres Vorgehens erwiesen, die- jenigen Labyrinthverlustfolgen, welche durch Geradesetzen des Halses rückgängig gemacht werden können, als Folgen der Drehung (resp. Wendung) des Kopfes aufzufassen. Über das Verhalten des Extremitätentonus bei einseitig labyrinth- losen Kaninchen lässt sich zusammenfassend folgendes aussagen: Das Vorder- und das Hinterbein auf der Seite des Labyrinth- verlustes haben dauernd einen geringeren Strecktonus als die Ex- tremitäten der anderen Seite. Dieser Tonusunterschied ist von zwei verschiedenen Faktoren abhängig, deren Wirkungen sich zueinander addieren: erstens einem Halsreflex, der durch die Drehung des Kopfes gegen den Rumpf ausgelöst wird und durch Geradesetzen des Kopfes rückgängig gemacht werden kann. Da die Kopfdrehung eine Dauer- folge der Operation darstellt, so ist auch dieser Halsreflex ein dauernder. 1) Pflüger’s Arch. Bd. 147 8.403. 1912. 19,8 214 R. Magnus und A. de Kleijn: zweitens einer direkten Folge des Labyrinthausfalles, wodurch die Glieder auf der operierten Seite einen geringeren Strecktonus be- kommen. Dieser Einfluss ist kurz nach der Operation sehr stark, werd bald geringer und ist nach durchschnittlich 8 Wochen verschwunden. Daher kommt es, dass beim Geradesetzen des Kopfes gegen den Thorax anfangs em Tonusunterschied der Gliedmaassen beider Körperseiten nachweisbar ist, während nach längerer Zeit sich der Tonusunterschied der Glieder durch Geradesetzen des Kopfes voll- ständig aufheben lässt. Durch Drehen des Kopfes in der umgekehrten Richtung kann man den Extremitäten auf der Seite des Labyrinihverlustes einen höheren Tonus verleihen und also die Tonusunterschiede der Glieder auf den beiden Körperseiten gerade umdrehen. Schon sehr bald nach der Operation ist also der Einfluss der Halsreflexe auf den Gliedertonus bei weitem der überwiegende. Während Drehung des Halses einen so starken Einfluss auf den Gliedertonus ausübt, ist der Einfluss des Wendens sehr viel geringer und kommt praktisch bei den Folgen einseitiger Labyrinth- exstirpation nur wenig in Betracht. 6. Die Körperhaltung beim Sitzen. Die in den vorigen Abschnitten mitgeteilten Tatsachen geben uns die Möglichkeit, die Körperhaltung heim sitzenden Tiere einer Analyse zu unterziehen. Unmittelbar nach der Operation beim Erwachen aus der Narkose liest das Tier, wenn es nicht gerade Rollbewegungen ausführt, auf der Seite des Labyrinthverlustes. Häufig schon nach "/e Stunde, spätestens am folgenden Tage sitzt es aber bereits aufrecht in seinem Käfig, falls es nicht durch das Rollen oder durch die Untersuchung vorübergehend erschöpft ist. Die beim Sitzen eingenommene Stellung ist bereits mehrfach beschrieben worden (Winkler a. a. O. S. 29). Fig. 6a—ec und Fig. 7, welche S bzw. 9 Tage nach der (linksseitigen) Operation aufgenommen sind, geben eine gute Vorstelluug. Der Kopf ist nach der Seite der Operation gedreht, in den ersten Tagen der Operation auch gewendet. Nach Exstirpation de» linken Labyrinthes (auf welche sich die Schilderung im nachfolgenden beziehen soll) sieht das rechte Auge nach oben; der Kopf liegt entweder zwischen den Pfoten oder links neben dem Tiere. Das rechte Vorderbein ist Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 215 maximal gestreckt, hat starken Strecktonus, besonders im Schulter- und Ellbogengelenk, und wird in abduzierter Stellung gehalten. Das rechte Hinterbein ist gewöhnlich auch etwas abduziert und ge- streckt. Das linke Vorderbein ist schlaff, wird manchmal sogar aktiv gebeugt gehalten und liegt meist unter dem Tiere. Manchmal liegt das Vorderteil geradezu auf dem linken Schulterblatt. Kurze Zeit nach der Operation, häufig schon am folgenden Tage, kann der Kopf wieder aktiv gehoben werden. Beide Vorderbeine gewinnen dann, genau so, wie das in der vorigen Abhandlung (s. S. 165) für normale Tiere geschildert ist, eine Zunahme des Strecktonus: es bleibt aber der Tonusunterschied zwischen dem rechten und linken Vorderbein bestehen; das rechte ist gestreckt und abduziert, das linke wird stärker gebeugt gehalten. Diese abnorme Haltung des Vorderkörpers kommt durch folgende Faktoren zustande: | 1. durch die spiralige Drehung des Rumpfes (s. S. 197 ff.). Die- selbe nimmt, wie erwähnt, in der ersten Zeit nach der Operation an Stärke zu, um nachher ziemlich konstant zu bleiben. Der Effekt dieser Drehung kann sich besonders dann stark äussern, wenn, wie auf Fig. 6a, bereits das Becken infolge der stärkeren Streckung des rechten Hinterbeines deutlich nach links überhänst. Dann kann der Thorax eine Drehung bis 45° und mehr erfahren. Dadurch wird der Ansatz des rechten Vorderbeines nach rechts oben verlegt und schon dadurch die Abduktionsstellung desselben zustande gebracht. Die linke Schulter gelangt dadurch nach unten. Die spiralige Rumpfdrehung ist, wie erwähnt, teilweise eine direkte und dauernde Folge des Labyrinthausfalles, teilweise eine Folge der Halsdrehung. Beim Geradesetzen des Kopfes gegen den Thorax wird demnach die Rumpfdrehung vermindert, bleibt aber meistens noch deutlich bestehen. Der Grad der Rumpfdrehung beim sitzenden Tier ist, da er ja auch vom Stande der Extremitäten mitbedingt ist, Schwankungen unterworfen. Die hintere Thoraxapertur ist meistens 10—30°, die vordere Thoraxapertur 20—45 ° nach links gedreht; 2. durch die direkte Wirkung des Labyrinthverlustes auf den Extremitatentonus, indem der Strecktonus der linken Beine geringer ist als der der rechten. Dieser Einfluss ist unmittelbar nach der Operation am stärksten, nimmt in den ersten Tagen beträchtlich ab, um nach etwa 2 Monaten zu verschwinden. Man kann diesen Einfluss beim sitzenden Tiere dadurch fest- stellen, dass man den Kopf gegen den Thorax geradesetzt und den 216 R. Magnus und A. de Kleijn: Widerstand gegen passive Beugung im Ellbogengelenk auf der rechten und linken Seite miteinander vergleicht. Kurz nach der Operation ist er links viel geringer als rechts; nach wenigen Tagen wird der Unter- schied bereits weniger ausgesprochen; nach längerer Zeit verschwindet er völlig. 3. durch die tonischen Halsreflexe, welche durch die Drehung und Wendung des Halses ausgelöst werden. Die Linkswendung, durch welche die linken Extremitäten zu „Kieferbeinen“ werden, verleiht diesen letzteren stärkeren Streektonus und wirkt daher der oben geschilderten Körper- und Gliederstellung entgegen. Doch ist, wie erwähnt, der Einfluss der Wendung des Kopfes auf den Glieder- tonus zu gering, um das Endresultat wesentlich beeinflussen zu können. Ausserdem wird bereits wenige Tage nach der Operation der Kopf beim Sitzen nicht mehr gewendet gehalten. Ein dauernder und kräftiger Einfluss wird dagesen durch die Drehung des Kopfes ausgeübt. Hierdurch bekommen die linken Extremitäten eine Verminderung, die rechten eine Vermehrung ihres Strecktonus. Dieser Einfluss ist ein dauernder. Er lässt sich in seiner Bedeutung untersuchen, indem man den Kopf gegen den Rumpf geradesetzt und sieht, welche Stellungsanomalien man dadurch rückgängig machen kann. Hierbei ergibt sich, dass der Einfluss dieser durch die Kopf- drehung ausgelösten tonischen Halsreflexe bei weitem den grössten Anteil an der Haltungsanomalie sitzender einseitig labyrinthloser Kaninchen besitzt. Es ist ein überraschender Anblick, wenn man sieht, wie ein Kaninchen, welches eben noch in der auf Fig. 6a—c und Fig. 7a veranschaulichten Weise dasitzt, auf Geradesetzen des Kopfes sofort eine nahezu normale Körperhaltung annimmt (Fig. 6d und 7b). Das Tier zieht dann die abduzierten rechten Beine an; besonders schwindert der abnorme Stand des rechten Vorderbeines, die Schultern stehen symmetrisch, kurz, das Tier sitzt ganz wie ein normales und es bedarf genauerer Untersuchung, um überhaupt festzustellen, dass noch Stellunesanomalien vorhanden sind. Sobald man dann aber den Kopf wieder freieibt, wird auch das rechte Vorderbein wieder kräftig aktiv gestreckt und abduziert, und alle die übrigen Haltungs- anomalien werden sofort wieder deutlich. Dieser einfache, stets gelingende Versuch ist besonders geeignet, um den überwiegenden Einfluss zu demonstrieren, welchen die Hals- Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 217 reflexe am Zustandekommen der Haltungsanomalie nach einseitiger Labyrinthexstirpation besitzen. Hat man einem derartigen Kaninchen den Kopf geradegesetzt, so sind noch die folgenden Abweichungen an ihm nachweisbar. Zunächst hängt häufig der Thorax noch etwas nach der linken Seite Fig. 6 c. Fig. 6.d. Fig. 6a—d. Kaninchen I. Linksseitige Labyrinthexstirpation am 10. Ok- tober 1912. Photographische Aufnahmen am 18. Oktober, d.h. 8 Tage nach der Operation. Fig. 6a. Das Tier sitzt frei. Linksdrehung des Kopfes, der zwischen den Pfoten liegt. Das Becken hängt infolge der Streckung des rechten Hinter- beines nach links; die Drehung des Rumpfes bewirkt, dass die linke Schulter nach unten, die rechte nach oben kommt. Streckung und starke Abduktion des rechten Vorderbeines; linkes Vorderbein liegt unter dem linken Ohr. Fig. 6b. Ahnliche Stellung wie auf Fig. 6a. Kopf liest links neben dem Tier. Hinter dem gestreckten und abduzierten rechten Vorderbein ist die ge- streckte rechte Hinterpfote sichtbar. Fig. 6c. Dem Tier ist der Czermak’sche Kopfhalter angelegt worden. Drehung des Kopfes und Streckung und Abduktion des rechten Vorderbeines sind deutlich. Fig. 6d. Mit Hilfe des Czermak'schen Kopfhalters ist die Kopfdrehung korrigiert worden. Der Kopf steht nunmehr gegen den Rumpf gerade. Infolge- dessen ist die abnorme Haltung des Körpers und der Gliedmaassen verschwunden ; das Tier sitzt wie ein normales. 218 R. Magnus und A. de Kleijn: herüber (s. S. 215). Sodann ist besonders in den ersten Tagen nach der Operation der Strecktonus der Glieder auf der linken Seite Fig. 7b. . Fig. 7a—b. Kaninchen III. (Dasselbe Tier wie auf Fig. 1 und 2.) Links- seitige Labyrinthexstirpation am 23. Oktober 1912. Photographische Aufnahmen am 1. November, d. h. 9 Tage nach der Operation. Fig. 7a. Tier frei sitzend mit angelegtem Czermak’schen Kopfhalter. Das Becken hängt infolge der stärkeren Streckung des rechten Hinterbeines etwas nach links über. Der Vorderkörper des Tieres liegt auf der linken Schulter, die rechte Schulter sieht nach oben. Das rechte Vorderbein ist ge- streckt und abduziert, das linke gebeugt. Die spiralige Drehung des ganzen Rumpfes ist gut sichtbar. Der Kopf ist mehr als 90° nach links gedreht und links neben dem Tiere; das rechte Auge sieht nach oben. Fig. 7b. Ohne an dem Tiere sonst irgend etwas zu ändern, ist nur mit Hilfe des Kopfhalters der Kopf geradegesetzt worden. Darauf hat das Tier so- fort eine normale Köperhaltung angenommen, die Streckung und Abduktion der rechten Vorderpfote ist verschwunden, der Körper sitzt aufrecht und gerade, die beiden Schultern stehen symmetrisch. Die Aufnahme ist mehr von der rechten Seite gemacht, um das Verhalten der beiden rechten Beine besser zu zeigen. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 219 etwas geringer als auf der rechten. Das rechte Vorderbein oder Hinterbein kann noch etwas gestreckt und abduziert bleiben, und bei der direkten Prüfung des Strecktonus im Ellbogengelenk findet man etwas mehr Tonus auf der rechten Seite. Wie oben (s. S. 215) erwähnt, wird dieser Unterschied immer geringer und schwindet nach einiger Zeit ganz. Beim sitzenden Tier mit geradegesetztem Kopfe lassen sich also die direkten Folgen des Labyrinthverlustes auf Rumpf und Glieder ebenfalls nachweisen. Auf den Rumpf handelt es sich um Dauerfolgen, auf die Glieder um vorübergehende Er- scheinungen. Man sieht aber, dass dieselben gegenüber dem über- mächtigen Einfluss der Halsreflexe beim sitzenden Tiere ganz in den Hintergrund treten. Auch wenn ein Tier direkt oder in den ersten Tagen nach der Operation auf der linken Seite liegt, kann man es durch Geradesetzen des Kopfes sofort zum Aufsitzen bringen. Eine gute Methode, um sich beim freisitzenden Tier ein ungefähres Urteil über den Strecktonus und das Widerstandsvermögen der Ex- tremitäten zu verschaffen, besteht darin, dass man das Tier auf eine rauhe Unterlage, z. B. eine Strohmatte, setzt und nun versucht, seinen Körper mit den Händen nach rechts oder nach links zu verschieben. Beim freisitzenden Tiere findet man dann stets, dass die Verschieblich- keit nach links deutlich grösser ist als nach rechts, weil die rechten Beine durch ihre Streckung und Abduktion der Seitwärtsbewegung des Rumpfes kräftig entgegenarbeiten. Macht man diesen Versuch bei geradegesetztem Kopfe, so findet man, dass in den ersten Tagen nach der Operation auch bei geradegesetztem Kopfe sich das Tier leichter nach links als nach rechts verschieben lässt. Nach einiger Zeit aber wird, wie es nach dem Vorhergehenden zu erwarten ist, dieser Unterschied bei geradegesetztem Kopfe geringer, um schliesslich ganz zu schwinden, weil nunmehr der direkte Einfluss des Labyrinth- verlustes auf die Glieder vorübergegangen ist. Die überwiegende Rolle, welche die Halsreflexe bei der Haltung einseitig labyrinthloser Kaninchen spielen, erhellt auch daraus, dass es gelingt, durch die umgekehrte Kopfdrehung genau die entgegen- gesetzte Körperstellung hervorzurufen. Fig. Se und d veranschaulicht diesen Versuch. Auf Fig. Se hat das Tier, dem vor 5 Monaten das linke Labyrinth entfernt worden war (bei geschlossenen Augen), die charakteristische Stellung mit Linksdrehung des Kopfes und Streckung und Abduktion des rechten Vorderbeines. Auf Fig. 8d ist der Kopf gegen starken Widerstand der Halsmuskeln nach rechts gedreht worden und hat also die Stellung erhalten, wie sie bei einem Tiere nach rechtsseitiger Labyrinthexstirpation sein müsste. Man sieht, 220 R. Magnus und A. de Kleijn: dass infolgedessen auch die Vorderbeine den entsprechenden Stand angenommen haben, dass jetzt das linke Vorderbein gestreckt und abduziert und das rechte Beiu gebeugt gehalten wird. In den vorhergehenden Abschnitten ist bereits verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass die Kaninchen im Laufe der Zeit lernen, einen Teil der Störungen nach einseitigem Labyrinthverlust beim Sitzen zu kompensieren. So halten die Tiere beim Sitzen nach einigen Tagen den Kopf nicht mehr gewendet (S. 195), während die Kopfwendung bei Hängelage mit dem Kopfe nach unten dauernd nachweisbar bleibt. Nach 3—4 Monaten nimmt auch die Kopf- drehung beim Sitzen etwas ab (S. 195), während sie in der Hängelage unverändert stark vorhanden ist. Eine Erklärung bzw. eine Analyse dieses Kompensationsvorganges konnte nicht gegeben werden, weil die Kompensation am Kopfe selber erfolgte. Anders ist das bei einem Kompensationsvorgang, der an den Extremitäten zu be- obachten ist. Während, wie oben geschildert wurde, in den ersten Monaten nach der Operation das Tier beim freien Sitzen seinen Kopf gedreht hat und das Vorderbein auf der Seite des intakten Labyrinthes ge- streckt und abduziert hält, kann man im Verlaufe der Zeit be- obachten, dass, trotzdem die Drehung des Halses sehr hochgradig ist und häufig 90° beträgt, die Vorderbeine nicht mehr so abnorm gehalten werden wie früher. Manchmal kann man beobachten, dass das Tier beim Sitzen das abduzierte (rechte) Vorderbein anzieht und eine Zeitlang in dieser Stellung sitzt. Schliesslich wird diese Stellung die Regel, und man kann dann ein solches Tier mit ge- drehtem Hals und symmetrischen Vorderbeinen sitzen und umherhüpfen sehen. Bei einem der von uns beobachteten Tiere trat dieser Zustand nach 75, in einem anderen nach 102 Tagen ein und blieb danach dauernd unverändert. Bei einem dritten Tiere war nach 2 Monaten die Kompensation nahezu ausgebildet. Die genauere Prüfung ergab, dass es sich hier um einen Kom- pensationsvorgang handelt, zu welchem das Tier seine Augen benutzt. Es genügt nämlich, dem Tiere die Augen zu schliessen, um sofort den alten Stand der Extremitäten wieder hervorzurufen. Fig. 8 ver- anschaulicht diesen Vorgang. Die Aufnahme ist 5 Monate nach der Operation gemacht und veranschaulicht einen Versuch, der zu dieser Zeit und später täglich Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 221 mit vollständig konstantem Resultat wiederholt werden konnte. Auf Fig. Sa und b sitzt das Tier mit stark, etwa 90° nach links ge- drehtem Kopfe, hält aber seine Vorderbeine ganz gut symmetrisch; jedenfalls fehlt jede Streckung und Abduktion des rechten Vorder- beines. Fig. Sb zeigt, dass man auch den Kopf des Tieres angreifen kann, ohne daran etwas zu ändern. Auch starkes Anpacken hat Fig. 8a. Fig. Sb. Fig. Sc. Fig. 8d. Fig. 3a—d. Kaninchen XV. (Dasselbe Tier, wie auf Fig. 4 und 5.) Links- seitige Labyrinthexstirpation am 30. November 1912. Aufnahmen am 29. April 1913, "also ca. 5 Monate nach der Operation. Fig. 3a. Tier freisitzend, keine Streckung und Abduktion der rechten Vorderpfote trotz starker Linksdrehung des Kopfes. Fig. Sb. Der Kopf des Tieres wird mit dem Finger etwas gehoben, um den Stand der Vorderbeine zu zeigen. Man sieht, dass die rechte Vorderpfote nicht gestreckt und abduziert ist. Das Tier, welches täglich im Garten frei umher- u ist imstande, seinen Kopf auch ohne Unterstützung in dieser Stellung zu alten. Fig. Sc. Dem Tiere werden mit der Hand die Augen geschlossen. Sofort kehrt die für den einseitigen Labyrinthverlust charakteristische Streckung und Abduktion der rechten Vorderpfote zurück. Fig. Sd. Der Kopf wird nunmehr mit geschlossenen Augen nach rechts gedreht, was gegen einen starken Widerstand der Halsmuskeln erfolgt. Darauf wird das linke Vorderbein gestreckt und abduzieıt, das rechte gebeugt, und das Tier nimmt eine Haltung an, als ob ihm des rechte Labyrinth exstirpiert worden wäre. 339 R. Magnus und A. de Kleijn: keinen anderen Einfluss. Sobald man aber die Augen des Tieres verschliesst, so tritt alsbald die charakteristische Stellung wieder ein. Auf Fig. Se ist die Streckung und Abduktion des rechten Vorder- beines bei geschlossenen Augen deutlich zu sehen. Dass Rechtsdrehen des Kopfes genau die spiegelpildliche Haltung des Vorderbeine hervor- ruft, wurde bereits oben erwähnt (Fig. 8d). Wenn man durch Schliessen der Augen die typische Stellung der Vorderbeine hervorgerufen hat (Fig. Se), so genüst es, die Hände von den Augen zu entfernen, um sofort wieder das Tier seine rechte Vorderpfote anziehen zu sehen, worauf es die Stellung von Fig. Sa oder b annimmt. Dass das Tier bei geradegesetztem Kopfe und geschlossenen Augen seine Extremitäten ebenfalls ganz symmetrisch hält, haben wir in jedem Falle noch ausdrücklich festgestellt. Bringt man nun ein solehes Tier, welches beim Sitzen mit offenen Augen seine Vorderbeine ganz symmetrisch hält, in Hänge- lage mit dem Kopfe nach unten, also in eine dem Tiere ungewohnte Stellung, so wird, wie früher schon erwähnt wurde, die rechte Vorderpfote wieder kräftig gestreckt, auch wenn die Augen offen bleiben. Hieraus ergibt sich, dass das Tier beim Sitzen lernt, mit Hilfe seiner Augen die abnorme Körperhaltung, die ihm durch den Labyrinth- verlust aufgezwungen ist, zu kompensieren. Bei den Extremitäten gelingt ihm dieses nach längerer Zeit recht gut. Es ist dieses ein gutes Beispiel für die bekannte Tatsache, dass die optischen Ein- drücke ebenfalls von Einfluss auf die Körperstellung sein können. In einem einzigen Falle konnten wir eine solche Kompensation mit Hilfe der Augen bereits in den ersten Tagen nach der Operation nachweisen; es handelte sich um ein besonders vorsichtig operiertes Tier, das am folgenden Tage bereits keinen Nystagmus mehr zeiste, nur geringe Kopfdrehung beim Sitzen, dagegen starke bei Hängelage hatte und beim Sitzen mit offenen Augen auf nicht zu glattem Fuss- boden mit symmetrischen Vorderbeinen dasass, während auf glattem Fussboden oder mit geschlossenen Augen die typische Stellung der Vorderbeine deutlich wurde. Die später vorgenommene Sektion be- stätigte die Vollständigkeit der Operation. Es handelt sich hier um einen Ausnahmefall; bei allen anderen Tieren trat die geschilderte Kompensation erst nach mehreren Monaten ein. Die in diesem Abschnitte mitgeteilten Beobachtungen zeigen, dass die in der Einleitung gestellte Aufgabe, die Folgezustände Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 2933 einseitiger Labyrinthexstirpation zu scheiden in direkte Folgen des Labyrinthwerlustes und in solche, welche erst sekundär durch die Drehung des Halses ausgelöst werden, für das Kaninchen gelöst werden konnte. Die Haltung, welche einseitig labyrinthlose Kaninchen beim Sitzen einnehmen, lässt sich zurückführen auf die in den vorigen Abschnitten ausführlich geschilderten Tonusveränderungen der Rumpf- und Gliedermuskeln. Den Haupteinfluss auf die Körperstellung übt die Halsdrehung aus. Wird diese letztere rückgängig gemacht, so sitzt das Tier nahezu normal. Durch umgekehrte Halsdrehung lässt sich dem Tiere eine Körperhaltung geben, als ob ihm das andere Labyrinth entfernt worden wäre. Einen geringeren Einfluss auf die Haltung beim Sitzen hat 1. die direkt durch den Labyrinthverlust hervorgerufene dauernde Drehung des Rumpfes, 2. der direkt durch den Labyrinthverlust bedingte vorübergehende Tonusunterschied der beiderseitigen Extremitäten, 3. der tomische Halsreflex, welcher durch Wendung des Kopfes in den ersten Tagen nach der Operation hervorgerufen wird, Längere Zeit nach der Operation vermag das Kanichen beim Sitzen die abnorme Körperhaltung zum Teil zu kompensieren. Für die Stellung der Vorderbeine liess sich zeigen, dass hierfür optische Eindrücke benutzt werden, und dass nach Verschluss der Augen sofort wieder die abnorme Gliederstellung auftritt. 7. Die Rollbewegungen. Allen Untersuchern, welche die einseitige Labyrinthexstirpation beim Kaninchen ausgeführt haben, sind die heftigen Rollbewegungen, welche das Tier nach der operierten Seite hin ausführt, ein Haupt- gegenstand des Interesses gewesen. An Versuchen zu einer genaueren Analyse hat es auch nicht gefehlt. Als die wichtigsten seien hier die Ausführungen von Ewald und von Winkler wörtlich angeführt. Ewald (a. a. ©. S. 195) geht nur kurz auf seine Erfahrungen beim Kaninchen ein: „Im ganzen eignen sich diese Tiere nicht sehr gut zur Unter- suchung der Labyrinthstörungen. Ich erwähne sie hier nur, weil sie ein Symptom allerdings so ausgesprochen zeigen, wie man es weder beim Hund noch bei der Katze sehen kann. Es sind dies die Rollungen kurze Zeit nach der Fortnahme eines Labyrinthes. 224 R. Magnus und A. de Kleijn: Legt man ein solches Tier auf den Boden, so rollt es durch das ganze Zimmer hindurch, und man kann bei ihm mit grösster Schärfe den Grund für dieses Rollen feststellen. Wie bei allen einseitig labyrinthlosen Tieren werden die gekreuzten Extremitäten gestreckt und abduziert gehalten, sind aber dabei beweglich. Die gleichseitigen Extremitäten sind flektiert und adduziert, d. h. sie werden an den Körper angelegt. Zu gleicher Zeit sind sie unbeweglich. Setzt man daher das Kaninchen auf den Boden, so neigt der Körper, infolge der Streckung der Beine der gekreuzten Seite, zur operierten Seite hinüber und fällt, da er hier an den angezogenen Beinen keine Stütze findet, nach dieser Seite um. Auf dem Rücken liegend, benutzt das Kaninchen allein die Beine der gekreuzten Seite, um sich wieder umzuwenden, wobei es dieselben unter dem Körper durchzieht und daher die rollende Bewegung in derselben Richtung fortsetzt. Diese selben Beine werden aber sofort wieder gestreckt, wenn die Bauchlage erreicht ist, und damit wiederholt sich das Spiel immer von neuem. Wenn man aufmerksam zusieht, bemerkt man leicht, dass die gleichseitigen Beine bei den Rollbewegungen überhaupt nicht bewegt werden, sondern stets ruhig am Körper angezogen bleiben. Es sind also allein die gekreuzten Beine, welche diese Bewegungen ausführen.“ Sehr viel eingehender hat sich Winkler mit dem Studium der Rollbewegungen befasst. Er gelangte dabei zu Ergebnissen, welche wir in einigen der wichtigeren Punkte bestätigen können (a. a. O. 8. 21): „As soon as the animal (that hitherto was bound, and was there- fore constrained to keep its head straight) has been loosened and set on its legs, or laid down on the operated side, a new tempest of unvoluntary movements does follow. The head is turned with extreme vigour towards the operated side, in such a manner, that the cheek on that side is put down to the ground. Sometimes even the turning of the head is so excessive, that, the dorsal part of the head—turning towards the operated side—touches the ground. Simultaneously with the movements of the head, the upper limb opposite to the operated side is extended and abduced as far as possible from the body. With this limb the animal is scratching the ground, as if trying to support itself by its leg in order to prevent further rolling. Generaly however it does not succeed in this. The animal is beating the air desperately with the foreleg opposite to the amoved labyrinth. This fore-leg, still abduced and extended as far as possible, rises and rises, until at last it has got into a vertical stand. The dorsal part of the head touches the ground, at this moment, for the turning upward and the lifting of the opposite shoulder, subsequent to the turning of the head, is the cause of the motion of the foreleg. As soon as the forleg has crossed the vertical level, another movement appears. The animal cannot maintain the hind part of the body in the habitual attitude, now that the fore-part of the body is so far turned. It has done so, until the fore-leg had reached the vertical level (or until the dorsal part of the head had Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 295 touched the ground), but the turning of the head still continues, Now at once the animal subverts the hind-part of the body and also turns it to the operated side. Doing so — the animal has then rolled round its longitudinal axis in the direction of the operated side, and it is not rare to see this movement repeated several times. Every revolution is accomplished in two tempos, or rather it may be decomposed into two semi-revolutions. By the first of these, head, and neck are turned towards the operated side, the opposite shoulder is turned upward, subsequently the crossed fore-leg is extended and abduced and turned upward also. The turning of head and neck goes on until a position is attained, that does not allow of maintaining the hind-part of the body in its original position towards the distorted fore-part.. This first part of the revolution apparently does not depend on the will of the animal, but seems rather to be involuntary, as an inevitable automatisme. Head and neck (and subsequently the opposite foreleg is rised) are forced in their position to the side of the operation. But the second part of the revolution movement has another origine. It is impossible for the animal with its fore-part so turned, to maintain the original position of the hind-part, and it seems, . that this movement depends from the animal’s willing. Voluntarily the hind-part is thrown towards the operated side... ... For the extremities on the operated side remain inactive during the revolution round the longitudinal axis. They are lax... . .. We will therefore commence with the rolling of the body around its longitudinal axis in the direction of the operated side. I have demonstrated already, that neck and head, shortly after the operation, have been turned round in such a manner that for a normal animal it becomes impossible to remain seated on the ground with its lower extremities, its fore-part having assumed a forced attitude, exceeding a certain degree. All the more so, because of the fact that this position does not retain permanently the same intensity, but is at intervalls suddenly intensified. - If the rabbit, like the pigeon, did possess a long and easily movable neck, that could be laid down on the ground and find a support there, whilst the head was being turned upward, then the turning might perhaps, at it is in pigeons, still be checked, and the turning of the head only might occur until 270° or even 360°. Now this is impossible in rabbits. Therefore the animals roll. This rolling of the body round its longitudinal axis is therefore always accomplished in two tempos. The first automatic tempo of the rolling is the same as it is observed in pigeons. The head is thrown vigor- ously towards the operated side, turned so far, that its dorsal eranial plane touches the ground. The head then turns 180°. As is described already, at this moment the upper extremity of the opposite side, drawn by the movement of head and neck, is extended and abduced as far as possible from the body, and by scratching the ground tries to prevent a further turning of the head. But if once the head has been turned further, if its dorsal plane touches the ground, if the turning surpasses 180°, the aid of the upper extremity becomes 226 R. Magnus und A. de Kleijn: useless. The extremity is itself turned upward, and the moment, when it does arrive in the vertical plane (the turning of the head then reaches 270°), the second tempo of the rolling sets in with a vigorous jerk, and the hind part of the body is thrown round by the animal by an energetic voluntary movement. The fact, that the rolling of the body round its longitudinal axis is always preceded by a very intense turning of head and neck, supports the probability that the mechanism of the revolution may be a consequence of the automatic initial turning of neck and head ... ... The fact, that the revolutions cease, when the deviation of the anterior part of the body is corrected so far that sitting is made possible again, offers a strong argument for the presumption, that the revolution is quite dependent on the intensity of the turning of neck and head, Still there is another, very important argument for this opinion, The animal, though rolling with the outmost violence, can be released immediadely from these revolutions, if the other labyrinth is also removed. By this second operation the turned position of head and neck has likewise ceased as by enchantment, and also has the deviation of the eyes disappeared in consequence of it.“ Wie man sieht, leitet Ewald die Rollbewegungen hauptsächlich ab von der Stellung und den Bewegungen der tonisch gestreckten gekreuzten Extremitäten. Diese Vorstellung ist zweifellos viel zu einfach. Winkler dagegen zerleet die Rollbewegung in Zwei Phasen: in der ersten dreht das Tier seinen Kopf und Hals bis um ca. 180° und nimmt dabei das gestreckte Vorderbein der gekreuzten Seite mit. Diese Bewegung wird so lange fortgesetzt, bis das Tier sein Gleichgewicht nicht mehr halten kann. Dann wirft es sich mit einer willkürlichen Bewegung, der zweiten Phase, herum und bringt dadurch seine hinteren Extremitäten nach der anderen Seite hinüber. Auch diese Schilderung ist noch viel zu einfach, aber sie enthält bereits zwei wichtige Elemente, die für die Erklärung des Rollens in Betracht kommen, nämlich die ursächliche Bedeutung der Drehung vor Kopf und Hals, und die Erkenntnis, dass das Rollen über den Rücken als eine besondere Reaktionsbewegung aufzufassen ist. Wir haben uns davon überzeugen müssen, dass es ganz un- möglich ist, den Bewegungen eines rollenden Kaninchens mit blossem Auge zu folgen. Mit zunehmender Übung gelingt es wohl, einzelne charakteristische Bewegungsphasen jedesmal wiederzuerkennen, aber einzelne Teile der Bewegung verlaufen so schnell, dass man nicht erkennen kann, was eigentlich vorgeht. Wir haben daher eine grosse Reihe von kinematographischen Aufnahmen rollender Kaninchen mit dem kleinen „Ernemann-Kino“ gemacht, und zwar von allen Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 297 ad Seiten, von vorne, hinten und von beiden Seiten. Diese Serien- aufnahmen gestatten, den Vorgang in allen Einzelheiten zu studieren. Die Bildgrösse unserer Aufnahmen beträgt 10:15 mm. Da die photographische Vergrösserung von vielen hundert Einzelaufnahmen sehr beträchtliche Kosten veranlasst hätte, wurde in der Weise vor- gegangen, dass von jedem Negativ ein Positiv angefertigt wurde und dann das Negativ und das zugehörige Positiv nebeneinander mit dem Projektionsapparat auf einen grossen Bogen Zeichenpapier projiziert wurde. Darauf wurde das Negativ sorgfältig nachgezeichnet und dabei das daneben projizierte Positiv als stete Kontrolle benutzt. Nach einiger Übung erhielten wir so sehr zuverlässige Bilder. Diese wurden dann durch Herrn G. A. Evers auf der hiesigen Universitätsbibliothek photographisch reproduziert. Danach sind die beigegebenen Ab- bildungen angefertigt worden. Dem Bibliothekar Herrn J. F. van Someren und Herrn G. A. Evers sagen wir für die erwiesene Hilfe unseren besten Dank. Jeder Erklärungsversuch der Rollbewegungen muss von der Tatsache ausgehen, dass ein einseitig labyrinthloses Kaninchen nach der Operation nicht ununterbrochen rollt, sondern dass diese Be- wegungen anfallsweise auftreten. In den Zwischenpausen liegt das Tier entweder (in den ersten Stunden nach der Operation) auf der labyrinthlosen Seite, oder es kann (am ersten bzw. zweiten Tage nach der Operation) ruhig aufrecht sitzen und kann sich sogar, wenn es auf die Seite eefallen ist, wieder aufrichten und in der oben geschilderten Haltung dasitzen. Entweder „spontan“ oder auf irgend- einen Reiz, der häufig durch die Untersuchung des Tieres gegeben ist, wird dann ein Anfall von Rollbewegungen ausgelöst, der das Tier durch das ganze Zimmer treiben kann und gewöhnlich erst zu Ende kommt, wenn die eine Zimmerwand dem weiteren Rollen ein festes Hindernis entgegensetzt. Das Tier kann also ganz normal sitzen, .und trotzdem rollt es zwischendurch. Es muss also ausser dem Tonusunterschied der Gliedmaassen und ausser der abnormen Drehung von Kopf, Hals und Rumpf noch etwas dazu kommen, das die Rollbewegungen auslöst. Bei aufmerksamer Betrachtung kann man schon mit blossem Auge erkennen, worum es sich handelt. Sieht man von oben au ein am Boden rollendes Tier, so sieht man, dass dabei die Beine abwechselnd gebeugt und gestreckt werden, und zwar wird dieses ‚mit grösster Kraft ausgeführt. Mit’ anderen Worten: das Tier läuft. Dabei wird gleichzeitig auch die Wirbelsäule abwechselnd gebeugst und gestreckt, und der-Körper des, Tieres bekommt dabei, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 16 238 R. Magnus und A. de Kleijn: — von oben gesehen, abwechselnd eine Konvexität nach rechts und nach links. Tatsächlich hat sich nun beim Studium der Kinematogramme ergeben, dass hierin die eigentliche Erklärung der Rollbewegungen liest. Es handelt sich um sehr starke Laufbewegungen eines Tieres, dessen Körper spiralig gedreht ist, und das infolgedessen nicht vor- wärts kommt, sondern sich beim Laufen durch den Raum schraubt. Wie dieses im einzelnen vor sich geht, wird am besten an der Hand der Abbildungen deutlich gemacht. Auf Fig. 9 (S. 237) sieht man ein linksseitig operiertes Kaninchen, welches auf den Beschauer zurollt.e. Bild «2 zeigt das Tier mit dem Vorderkörper in sitzender Stellung, während der Hinterkörper auf der rechten Seite liest. Eine vollständige Rollune ist in 20 Bildern aufgenommen (bis Bild c£2) Wenn man zunächst das Verhalten der Hinterbeine betrachtet, so sieht man, dass dieselben dabei zweimal vollständig gestreckt und gebeust werden. Die erste Streckung beeinnt auf «3 und erreicht ihr Maximum auf a5. Darauf werden die Hinterbeine wieder gebeust (a8 und 51). Die zweite Streckung beginnt auf 5 2 und erreicht ihr Maximum auf d 4 und 55. Von 57 an werden die Hinterbeine wieder gebeust, bis c3. Von c4 ab beginnt die Streckung für die nächste Rollung (Maximum auf c8). Die Vorderbeine verhalten sich ganz ähnlich. Die erste Beugung ist auf a1, die erste Streckung auf a4 und a5, die zweite Beugung auf a8 und 51, die zweite Streckung auf 55 zu sehen; auf e1 und c2 sind die Vorderbeine wieder gebeust, danach beginnt die nächste Rollung. Sieht man sich dabei das Verhalten der Wirbelsäule an, so ist diese im Anfang (a7) gebeugt, das Tier ist in Hock- stellung. Gleichzeitie mit der Streckung der Beine erfolgt auch eine maximale Streckung (Dorsalflexion) der Wirbelsäule, welche ihr Maximum auf «# und a5 erreicht. Auf «8 und 5 1 ist die Wirbel- säule wieder ventralwärts gebeugt, auf 54 und 55 gestreckt, auf c 3 gebeugt usw. — Mit anderen Worten: das Tier hat, um einmal um seine Längsachse zu rollen, zwei vollständige Sprünge ausgeführt. Der eine Sprung hat es aus der rechten Seitenlage über den Bauch in die linke Seitenlage, der zweite Sprung aus dieser über den Rücken wieder zurück in die rechte Seitenlage zebracht. Wenn ein normales Kaninchen derartige Sprünge ausführt, so kommt es dabei vorwärts. Das einseitig labyrinthlose Tier kommt dagegen nur wenig vorwärts und rollt statt dessen um seine Längs- Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 229 achse. Wie dieses zustande kommt, erkennt man am besten auf den Serienaufnahmen, auf denen das Tier von vorne photographiert ist (Fig. 10, s. S.239). Man sieht dann, dass das Tier die Zwischenpausen zwischen den einzelnen Sprüngen, also die Zeit, während welcher es in einer der beiden Seitenlagen sich befindet, dazu benutzt, um die spiralige Drehunes eines Körpers wieder herzustellen, welche beim Sprunge ganz oder teilweise aufgehoben gewesen war. Erst wenn diese spiralige Drehung sich wieder ausgebildet hat, erfolgt der nächste Sprung. Auf Bild a5 der Fie. 10 hat das Tier die rechte Seitenlage erreicht, nachdem es auf a7 bis a4 über seinen Rücken gerollt war. Es liest nun auf seiner rechten Schulter und der rechten Hinterbacke, die Hinterbeine liegen links von Tiere. In dieser Lage bleiben sie bis zu Bild ce3 und c4. Während dieser Zeit hat sich aber der Kopf so weit gedreht, dass nicht mehr das linke, sondern das rechte Auge nach oben sieht, und ebenso hat sich der Thorax gedreht. Auf Bild a8 bis 54 kommt der Kopf aus der Seitenlage in die aufrechte Stellung, indem der Vorderkörper sich über die links liegenden Vorderbeine hinüberschiebt und dabei der Kopf auch nach links gewendet wird, so dass der ganze Körper eine nach links konkave Haltung bekommt. Die Drehung des Vorderkörpers schreitet aber ruhig weiter fort, das linke Auge gelangt nach unten, und infolge der Drehung des Halses wird der dazu gehörige Hals- reflex auf das rechte Vorderbein (Kieferbein) ausgelöst, welches da- durch tonisch gestreckt wird (57 bis c5), während das linke Vorder- bein weniger Tonus besitzt (c2 und c3). In diesem Stadium liegt also das Tier vorne mit der linken Schulter, hinten mit der rechten Hinterbacke auf. Auf Fig. 11 Bild c5 bis c7 kann man diese charakteristische Verdrehung ebenfalls sehr gut erkennen. Erst wenn dieses Stadium erreicht ist, erfolgt der nächste Sprung, indem der Kopf gehoben, die Wirbelsäule dorsalflektiert und alle vier Beine gestreckt werden. Dieser Sprung wirft das Tier auf die andere Seite hinüber. Die Serienaufnahmen der Fig. 10 lassen die Details dieser Be- weeung sehr gut erkennen. Auf den Bildern der Reihe 5 ist der Körper des Tieres, während der Kopf und der Thorax die oben geschilderte Drehung ausführen, nach links konkav, die Wirbelsäule ventralflektiert. Während nun das Tier diese Lage zunächst ruhig beibehält, dreht sich der Kopf mit dem linken Auge nach unten. Das Resultat hiervon für die Halswirbelsäule erkennt man, wenn 16 * 230 R. Magnus und A. de Kleijn: man Bild 53 mit Bild e3 vergleicht. Der Kopf ist während der ganzen Zeit auf der linken Seite des Tieres geblieben, dadurch, dass er sich aber gedreht hat, ist notwendigerweise die Halswirbelsäule aus der Ventral- in die Dorsalflexion übergegangen. Es ist also die Streckung der Halswirbelsäule mit dieser Drehung ursächlick verbunden. Genau dasselbe spielt sich nun auch an dem Thorax ab. Dieser bleibt nach links konkav. Dadurch, dass er sich aber dreht, geht er aus der Ventral- in die Dorsalflexion über (b 6 bis c5). Es sind also die Drehung der vorderen Körperhälfte und die Streekung der Wirbelsäule miteinander verknüpft, solange die Linkskonkavität des Tieres erhalten bleibt. Die Drehung des Halses ist, wie oben gezeist wurde, eine direkte Folge des Labyrinthausfalles.. Dasselbe eilt für die Drehung des Rumpfes. Aber wenn einmal die Hals- drehung angefangen hat, muss sie, wie oben gezeigt wurde, die Drehung des Rumpfes verstärken. Springt nun das Tier und streckt dabei seine Wirbelsäule, so ist hierdurch ein weiteres Moment ge- geben, das in demselben Sinne wirkt, und so arbeitet in diesem Augenblick alles zusammen, um den Gesamteffekt zu verstärken. Bild e£ bis d2 zeigen nun den eigentlichen Sprung. Die Streckung der Wirbelsäule wird allmählich maximal und erstreckt sich auch auf die hintere Körperhälfte.e Da die Linkskonkavität des Körpers beibehalten ist, dreht sich dabei das Tier auf die andere Körper- seite. Zunächst liegen aber die Hinterbeine noch nach links (c 4). ‘ Diese kommen erst nach der anderen Seite hinüber, wenn der eigentliche Sprung mit der Streckung der Beine erfolet. Diese Streckung der Hinterbeine ist auf c4 bis c8 zu sehen. Auf c& bildet das ganze Tier einen dorsalkonkaven Bogen; es liest nur noch mit der Oberbauchgegend auf der Unterlage auf und muss durch das Gewicht des Kopfes auf seine linke Seite hinüberfallen '). Die Hinterbeine gelangen also von der einen Seite auf die andere, indem sie stark nach hinten gestreckt werden und bei der darauffolgenden Beugung (d1 und d2) das Becken bereits nach der anderen Seite hinübergefallen ist. Gleichzeitig ist auch die Sprungbewegung der Vorderbeine erfolgt (c£ bis d2). Man sieht, dass zuerst das rechte Vorderbein (Kieferbein) tonisch gestreckt ist (c 4), dass darauf das linke Vorderbein den ersten „Schritt“ tut (c5 und c 6), und dass danach das rechte Vorderbein ebenfalls nach vorne geht (c7 und c 8). Diese 1) Dasselbe auf Fig. 14 Bild 56 bis 55 von hinten aufgenommen. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 23] Reihenfolge entspricht den früher von uns an dezerebrierten Tieren gemachten Erfahrungen, wonach, wenn bei gedrehtem Kopfe Lauf- bewegungen auftreten, dabei immer das „Schädelbein“, das den geringeren Strecktonus hat, antritt. Auf Bild c8 ist der Sprung voll ausgebildet. Auf dZ liegt das Tier bereits auf der anderen Seite. Nunmehr wird die Wirbelsäule wieder ventralwärts gebeust, die Vorder- und Hinterbeine kommen wieder auf den Boden und sind auf Bild d£ gebeugt, und die nächste Phase der Rollbewegzung besteht nun darin, dass die Drehung des Vorder- gegen den Hinter- körper sich wieder von neuem ausbildet. Fig. 11 (S. 241) zeigt diesen selben Vorgang in deutlicher Weise. Besonders ist das Hinüberdrehen des Kopfes nach der anderen Seite, die von vorne nach hinten fortschreitende Streckung der Wirbelsäule; der Sprung. mit Streckung der Hinterbeine, die tonische Streckung des rechten Vorderbeines, das „Antreten“ mit dem linken Vorder- bein und das Herumfallen des ganzen Körpers nach links auf den Bildern c3 bis d3 vortrefflich zu erkennen. — Fig. 12 (S. 243) zeigt auf den Bildern 55 bis c 2 ungefähr das gleiche, nur schliesst sich hieran die Ventralbeugung der gestreckten Wirbelsäule mit solcher Vehemenz an, dass dabei der Kopf und der ganze Vorderkörper in die Luft gehoben werden und dadurch auch diese Phase (c3 bis dZ) einen sprungartigen Charakter bekommen. — Fig. 13 (S. 245) zeigt die gleiche Phase einmal mehr von vorne (@/ bis «&), einmal mehr von der linken Seite (c7 bis e 4). Betrachtet man auf Fig. 10 die Bilder c3 bis d 2, auf Fie. 11 die Bilder d2—3, auf Fig. 13 die:Bilder e 2—4, so. wird sofort deutlich, dass das linke Vorderbein nicht, wie die früheren Beobachter meinten, beim Rollen ganz ruhig und unbewegt bleibt, sondern eine sehr kräftige Bewegung ausführt. Dasselbe gilt für das linke Hinter- bein; denn sonst würde es überhaupt gar nicht nach der anderen Seite hinüberkommen. Der Grund, weshalb die Bewegung bei der einfachen Betrachtung dem Beschauer entgeht, liest in der ausser- ordentlichen Geschwindigkeit dieser Phase. In Fig. 13 z. B. liegt das Tier bereits auf 58 in linker Seitenlage und bleibt darin (mit dem Hinterkörper) bis d7, das sind 16 Bilder, während der eigent- liche „Sprung“ von d& bis e3, also auf vier Bildern vollendet ist. Wenn man die Bilder kinematographisch projiziert, sieht man, dass diese Bewegung mit einem äusserst schnellen Ruck erfolgt, und dass es ganz unmöglich ist, dabei irgendwelche Details zu erkennen. 2323 R. Magnus und A. de Kleijn: Wir hatten auf Fig. 10 die Rollbewegung so weit verfolgt, bis auf Bild d4 das Tier nach dem Sprunge auf seiner linken Seite lag und der Körper aus der Dorsalflexion in die Ventralflexion mit Beugsung der Beine überging. Durch diese Ventralflexion wird der Kopf (vom Beschauer aus gesehen) von rechts nach links herüber geschwungen (d2 bis d6). Gleichzeitig erfolgt aber die Wieder- herstellung der Drehung von Kopf, Hals und Thorax gegen den Hinterkörper. Auf Bild d2 liegt das linke Auge nach unten, auf d5 dagegen der Scheitel. Die gleiche Bewegung spielt sich auf Fig. 9 Bild a5 bis 52 ab. Auf a5 ist das linke Auge, von a7 ab dagegen das rechte Auge gegen den Beschauer gerichtet, und während das Tier hinten in der linken Seitenlage liegen bleibt (a6 bis 52), rollt der Vorderkörper auf den Rücken. Auf Fig. 12 sieht man von a4 bis a8 diese Drehung des Vorderkörpers noch deutlicher. Nun wiederholt sich derselbe Vorgang, den wir oben bei der umgekehrten Seitenlage sich abspielen sahen. Auf Fig. 12 Bild «4 und a5 gelanst das Tier in die linke Seitenlage mit ventralflektiertem Körper und bildet daher, vom Beschauer gesehen, einen nach links konkaven Bogen. Diese Bogenstellung behält es nun zunächst bei. Wenn es daher seinen Vorderkörper dreht, so muss dadurch die Beugung der Wirbelsäule im Vorderkörper sich in eine Streckung verwandeln (@7, a8 und 5 2). Damit ist der Anfang zu der nächsten Sprungbewegung gegeben, welche über den Rücken erfolgt. Die Streckung der Wirbelsäule schreitet weiter nach hinten fort, die Hinterbeine werden nach hinten, die Vorderbeine nach vorne ge- streckt (Fig. 9 Bild 53 bis 55), und nunmehr erfolgt, sobald die Drehung des Vorderkörpers einen gewissen Grad überschritten hat, ein Herüberklappen des ganzen Tieres nach der anderen Seite. Dieses tritt genau in der gleichen Weise ein, wie es in der vorher- gehenden Abhandlung (s. oben S. 172) für normale Tiere geschildert wurde. Dort wurde gezeigt, dass, wenn man ein normales Kaninchen auf den Rücken legt und ihm seinen Kopf z. B. nach links dreht, dass dann eine Drehung des Beckens im umgekehrten Sinne eintritt, so dass die linke Hinterbacke nach unten kommt. Dreht man nun aber das Tier über seinen Rücken in der durch den Kopf angefangenen Richtung, so klappt das Becken, wenn die dorsoventrale Thoraxachse die Vertikale um einen gewissen Betrag passiert hat, nach der anderen Seite um, so dass die rechte Hinterbacke nach unten kommt und die Wirbelsäule nach rechts konkav wird. Fig. 4 und 5 der vorigen Abhandlung ver- anschaulichen diese Bewegung. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 233 Auf S. 204 der vorliegenden AbhandInng wurde dann gezeigt, dass genau dieselbe Bewegung auch bei einseitig labyrinthlosen Kaninchen eintritt, welche ihren Kopf schon von selber in der gedrehten Stellung halten. Diese Bewegung erfolgt nun beim Rollen über den Rücken. Sie ist am übersichtlichsten zu erkennen auf den Serienaufnahmen, auf welchen das Tier von hinten aufgenommen ist (Fig. 14 S. 247). Doch wird sie auch auf den Fig. 9—13 deutlich. Auf Fig. 14 ist das Tier bei cZ durch den „Sprung“ über den Bauch in die linke Seitenlage gekommen. Bei c2 beginnt bereits die Drehung des Vorderkörpers. Auf c3 hat das rechte Vorderbein die Vertikale passiert, auf c6 sind beide Vorderbeine sichtbar, und die dorso- ventrale Thoraxachse hat die Vertikale passiert. Auf c6 liegt die linke Hinterbacke. noch auf dem Tische, auf c7 und c 8 erfolgt das Herumschwingen des Beckens, und auf d2 liegt die rechte Hinter- backe unten, das Tier hat die rechte Seitenlage erreicht. Die Hinterbeine sind auf c2 noch gebeugt. Auf c3 wird das rechte Hinterbein („Kieferbein“) im Knie und Fussgelenk gestreckt, das andere Hiuterbein folet, auf c5 beginnt die Streckung der Hüfte, auf c6 die der Lendenwirbelsäule, und das Tier rollt dann (ce 7 und 8) in ganz gestrecktem Zustand über seinen Rücken. Diese Bewegung erfolgt wieder mit einem schnellen Ruck. Wir haben in der vorigen Arbeit wahrscheinlich gemacht, dass es sich bei dem Herumklappen der Lendenwirbelsäule um eine rein passive Bewegung des gedrehten Beckens handelt, das einfach der Schwerkraft folet. Unterstützt wird diese Bewegung aber bei dem Rollen durch die kräftige Streckung der Beine und der Wirbelsäule. Auch Winkler hat . bereits diese Phase der Rollbewegung als etwas Besonderes heraus- gehoben und fasst sie als eine Willkürreaktion des Tieres auf, wenn es durch das Rollen in eine unmögliche Körperstellung hinein- gebracht wird. Wir stimmen im Prinzip mit Winkler überein, nur brauchen wir nach unseren Erfahrungen an normalen Tieren in dieser Be- wegung keine Willkürreaktion zu sehen. Damit stimmt überein, dass auch dezerebrierte Tiere, wenn sie rollen, diese Phase gerade so gut zeigen wie einseitig labyrinthlose Kaninchen mit intaktem Grosshirn. Auf Bild d2 der Fig. 14 hat das Kaninchen die rechte Seiten- lage erreicht, von welcher oben S. 228 die Schilderung der Roll- 234 R. Magnus und A. de Kleijn: bewegung ausgegangen war. Es beginnt nunmehr die folgende Rollung in genau dergleichen Weise, indem das Tier zunächst die Drehung seines Vorderkörpers wiederherstellt, darauf durch einen „Sprung“ über seinen Bauch in die andere Seitenlage kommt, danach wieder die Drehung des Vorderkörpers herstellt, und danach wieder durch einen „Sprung“ über seinen Rücken rollt; und so geht es weiter, bis irgendein äusseres Hindernis oder die Ermüdung dem Rollen ein Ziel setzt. : Da in den beiden Seitenlacen das Tier seine Wirbelsäule ventral- wärts krümmt, so erhält man, wenn man auf ein am Boden rollendes Tier von oben herabsieht, einen sehr merkwürdigen Anblick, da der ganze Körper fortwährend hin und her schwingt, indem er bald nach- rechts, bald nach links konkav wird. Der Übergang zwischen diesen beiden Stellungen erfolgt jedesmal durch eine der beiden „Sprung- phasen“, welche beide mit sehr grosser Geschwindigkeit ausgeführt werden, so dass man mit blossem Auge nur die Krümmungen er- kennen kann, nicht aber die Art, wie sie zustande kommen. Nach der hier gegebenen, auf kinematographische Aufnahmen sestützten Darstellung sind also die Rollbewegungen einseitig labyrinth- loser Kaninchen Lauf- und Springbewegungen von Tieren, deren Körper infolge dieses Eingriffes spiralig gedreht ist, und die infolge- dessen sich dabei durch den’ Raum hindurchschrauben. Nach unseren Erfahrungen sind die Lauf- und Sprungbewegungen zum Zustande- kommen des wirklichen Rollens unerlässlich. Vor allem kann das Rollen über den Bauch nur dann erfolgen, wenn dabei die Wirbel- säule und die Hinterbeine gestreckt werden. Denn sonst können die Hinterbeine nicht nach der anderen Seite hinübergebracht werden. Wohl kann es vorkommen, dass ein ruhig dasitzendes Tier aus irgendeinem Grunde einmal auf seine labyrinthlose Seite umfällt, danach seinen Vorderkörper dreht und infolgedessen einmal über seinen Rücken rollt. Wenn es aber auf die andere ‘Seite kommt, so setzt es sich danach gewöhnlich wieder auf; in anderen Fällen dient diese abnorme Lage dann als Reiz für die un einer richtigen Suuuneln 2ul= 2); 1) So haben wir mehrmals gesehen, dass einseitig labyrinthlose Kaninchen 1—2 Monate nach der Operation, wenn die Periode der Rollbewegungen längst vorüber ist, aber die Kopfdrehung ihr Maximum erreicht hat, wieder anfangen, über ihren Rücken zu rollen. Setzt man ein solches Tier auf den Boden, so nimmt seine Kopfdrehung langsam zu, erreicht nach 1—2 Minuten 135°. Dabe Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 235 Durch ‚diese Auffassung des Rollens wird auch die alte Streit- frage gegenstandslos, ob das Rollen als eine Reiz- oder Ausfalls- erscheinung aufzufassen sei. In Wahrheit ist sie beides. Die spiralige Drehung des Körpers ist-eine Ausfallserscheinung, teilweise direkt verursacht durch den Labyrinthverlust, teilweise sekundär verursacht durch die Drehung des Halses, welche ihrerseits wieder eine direkte Ausfallserscheinung ist. Die Lauf- und Sprungbewegungen treten dagegen, wie bei jedem normalen Tiere, auf Reiz ein. Daher sind die Rollbewegungen auch um so heftiger und dauern um so länger an, je mehr bei der Labyrinthexstirpation der Oktavusstamm miss- handelt worden ist, je mehr Blutung dabei aufgetreten ist usw. Mit zunehmender Übung bei der Operation wird das Rollen danach immer geringer; 'man kann Tiere operieren, welche nach der Operation nur wenige oder gar keine Rollbewegungen ausführen und schon nach wenigen Stunden ruhig dasitzen; zu diesem Zwecke muss man nach Fortnahme des Vestibulums den Stamm des Oktavus möglichst un- berührt lassen. Bei den letzten Operationen war es’ gewöhnlich möglich, vorherzusagen, ob das Tier stark oder schwach rollen würde. Der Hauptreiz für die Auslösung der Lauf- und Sprungbewegungen liegt also in der Operationswunde. Doch kann dieser Reiz auf die verschiedenste Weise von anderen Körperstellen aus verstärkt werden. Jedes Anfassen oder Untersuchen der Tiere ist imstande, einen Anfall von Rollungen auszulösen. — Durch das Gesagte wird es ver- ständlich, warum ein Tier manchmal ruhig dasitzen, dann aber kurz darauf mit der grössten Heftiekeit durch das ganze Zimmer rollen kann. Dass beim Rollen eine wenn auch geringe Vorwärtsbewegung des ganzen Körpers zustande kommt, lehrt ein Vergleich von Bild «5 und c8 auf Fig. 9 und von Bild «1 und d7 auf Fig. 10. Wenn wirklich, wie im vorhergehenden gezeigt wurde, die Roll- bewegungen aufzufassen sind als Lauf- und Sprungbewegungen von Tieren, deren Körper spiralig gedreht ist, so muss man das Rollen wird das vordere „Kieferbein“ stark gestreckt und abduziert. Hierdurch und durch das Übergewicht des Kopfes fällt das Tier dann auf die Seite des Labyrinth- verlustes. Jetzt rollt es einmal über seinen Rücken auf die andere Seite und setzt sich dann ruhig auf. Nunmehr kann die Kopfdrehung wieder zunehmen und dasselbe Spiel sich mehrmals wiederholen. Stets aber wird nur je eine Rollung über den Rücken ausgeführt, und das Tier sitzt danach wieder (vgl. das Protokoll S. 186). 3236 R. Magnus und A. de Kleijn: Analyse der Folgezustände etc. nicht nur dadurch verhindern bzw. einschränken können, dass man alle Reize fernhält und die Operation am Oktavus so schonend als möglich ausführt, sondern auch dadurch, dass man die spiralige Drehung des Körpers aufhebt oder vermindert. Das ist nun auch tatsächlich der Fall. Man kann jeden, auch den heftigsten Anfall von Rollbewegungen dadurch kupieren, dass man den Kopf gegen den Thorax geradesetzt. Dann setzt sich das Tier in den meisten Fällen gerade auf und rollt nicht mehr. Oder es fährt in seinen Lauf- und Strampelbewegungen fort; dieselben führen aber nicht mehr zu Rollungen, sondern lassen das Tier symmetrisch nach vorn springen. Lässt man dann den Kopf wieder frei, so beginnen sofort wieder die stärksten Rollbewegungen. Wie oben gezeigt worden ist, wird durch das Geradesetzen des Kopfes zugleich auch die Drehung des Thorax gegen das Becken vermindert und ausserdem der Tonusunterschied zwischen den Ex- tremitäten der beiden Körperseiten verringert. Alles dieses wirkt in demselben Sinne wie die Aufhebung der Kopfdrehung selber, mit dem Resultat, dass nunmehr Lauf- und Sprungbewegungen kein Rollen mehr veranlassen können. Sehr viel schwieriger ist es, nach einseitiger Labyrinthexstirpation durch Drehen des Kopfes nach der anderen Seite das Tier dazu zu bringen, nach der anderen Seite zu rollen. Es ist uns dieses, nur in einer Minderzahl der Fälle gelungen. Der Grund hierfür ist leicht zu erkennen. Da in den ersten Tagen nach der Operation durch Geradesetzen des Kopfes die Rumpfdrehung und der Tonusunterschied der Extremitäten nur zu einem Teile rück- gängig gemacht werden können, so ist erst ein gewisser Grad von Überdrehung des Kopfes nach der anderen Seite nötig, um die Stellunesanomalie vollständig zu kompensieren. Daher wird auch bei stärkerer Drehung des Kopfes nach der anderen Seite die um- gekehrte Rumpf- und Thoraxdrehung immer nur in geringem Grade auftreten können, so dass dieses nicht genügend ist, um das Rollen nach der anderen Körperseite zustande kommen zu lassen. Zum Schluss ist noch die Frage zu erörtern, ob es gelingt, ein normales Kaninchen, das sich im Besitze seiner beiden Labyrinthe befindet, durch Drehen seines Kopfes zu Rollbewegungen zu veranlassen. Wie in der vorigen Abhandlung (s. S. 172) gezeigt wurde, kann man jedes normale Kaninchen, dem man den Kopf gedreht hat, aus der Seitenlage über den Rücken in die andere Fig. 9. Fig. 9—14. Kaninchen, linksseitige Labyrinthexstirpation, 29. Juni 1912. Kinematographische Aufnahmen der Rollbewegungen kurze Zeit nach dem Er- wachen aus der Äthernarkose. 238 R. Magnus und A. de Kleijn: Seitenlage rollen lassen, wobei das Tier genau die gleichen Be- wegungen ausführt wie ein rollendes Labyrinthkaninchen. Wenn das normale Tier aber über den Rücken gerollt ist, setzt es sich gewöhnlich sofort wieder auf und befindet sich dann in normaler Hockstellung. Nur wenn man es zufällig so trifft, dass das Kaninchen gerade Sprung- oder Strampelbewegungen macht, so rollt es auch über seinen Bauch und kann dann mehrere vollständige Rollungen hintereinander ausführen. Es ist uns dieses verschiedene Male bei normalen Kaninchen in der deutlichsten Weise gelungen, doch kann man dieses Zusammentreffen nicht jedesmal nach Willkür hervorrufen, und dieser Versuch eignet sich daher nicht zu Demonstrationen. In dem vorstehenden Abschnitte konnte auf Grund einer Reihe von Serienaufnahmen eine Analyse der Rollbewegungen einseitig labyrinthloser Kaninchen gegeben werden. Es handelt sich um Sprung- oder Laufbewegungen bei Tieren, deren Körper infolge der Operation eine spiralige Drehung bekommen hat, und die daher nicht vorwärts springen, sondern sich durch den Raum schrauben. Eine ganze Rollung um die Längsachse kommt durch zwei Sprünge zustande. von denen der eine das Tier über seinen Bauch, der andere über seinen Rücken dreht. Dabei werden jedesmal Extremitäten und: Wirbelsäule gestreckt. Durch diese Sprünge kommt das Tier abwechselnd in die rechte und linke Seitenlage, wobei es seine Beine beugt und die Wirbelsäule ventralflektiert. Sobald die eine oder die andere Seitenlage erreicht ist, beginnt sich der Vorderkörper zu drehen, wodurch sich die während des Sprunges verlorengegangene Drehung des Rumpfes wiederherstellt. Das Rollen erfolgt anfallsweise, zwischen den einzelnen Anfällen kann das Tier rahrg dasitzen. Das Rollen über den Rücken kann man bei normalen Kaninchen dadurch nachahmen, dass man sie mit gedrehtem Kopfe aus der einen Seitenlage über den Rücken in die andere bewegt. Dabei erfolgt dann genau dasselbe Herumschwingen des Beckens und der Hinterbeine wie bei rollenden Labyrinthkaninchen. Durch Geradesetzen des Kopfes kann man die Rollungen sofort unterbrechen. Die zum Zustandekommen des Rollens erforderliche spiralige Drehung des Körpers ist nach den Ergebnissen der früheren Ab- schnitte als Ausfallserscheinung, die Anfälle von Laufbewegungen sind als Reizerscheinung aufzufassen. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 239 4 5 | | 5 6 | u r2 n V 8 240 ° R. Magnus und A. de Kleiju: 8. Zusammenfassung. Aus dem verwickelten Symptomenkomplex, wie er nach einseitiger Labyrinthexstirpation beim Kaninchen auftritt, liessen sich in den vorstehenden Abschmitten diejenigen Folgezustände herausschälen, welche als direkte Wirkungen des Labyrinthausfalles betrachtet werden müssen. Dieses sind: ‚A. Dawerfolgen. 1. Die Augendeviation, welche auf der labyrinthlosen Seite stärker ausgesprochen ist und in sehr deutlicher Weise von der Stellung des Kopfes im Raume abhängt. Sie ist am stärksten, wenn das restierende Labyrinth nach unten gerichtet ist. Dagegen ist sie am, schwächsten, wenn das restierende Labyrinth nach oben gerichtet ist, also bei derjenigen Kopfstellung, welche das Tier beim Sitzen annimmt. 2. Die Halsdrehung nach der Seite des Labyrinthverlustes. Sie ist von der Augendeviation unabhängig. Ihr Grad hängt ebenfalls von der Stellung des Kopfes im Raume ab; sie ist maximal, wenn der Scheitel nach unten, minimal, wenn er nach oben sieht, ist aber auch bei der letzteren Kopfstellung noch sehr deutlich aus- gesprochen. Die Kopfstellung, bei welcher die Halsdrehung am stärksten ist, ist also nicht identisch mit derjenigen, bei welcher die Augendeviation maximal ist. 3. Die Drehung des ganzen Rumpfes bis zum Becken. Dieselbe erscheint als eine Fortsetzung der Halsdrehung. Durch beide zu- sammen bekommt der ganze Körper eine spiralige Drehung. 4. Die Wendung des Kopfes nach der Seite des Labyrinth- verlustes. Sie ist schwächer ausgesprochen als die Drehung und ebenfalls von der Lage des Kopfes im Raume abhängig. B. Vorübergehende Folgen. Die Abnahme des Strecktonus der Gliedmaassen an der Seite des Labyrinthwerlustes. Dieselbe ıst kurz nach der Operation stark ausgesprochen, wird schon nach wenigen Tagen deutlich geringer und schwindet nach etwa 8 Wochen ganz. Auf diese direkten Folgen des einseitigen Labyrinthwerlustes superponiert sich der Einfluss der Halsdrehung, welcher sich auf den Rumpf und die Glieder erstreckt. Dieser Einfluss ist sehr intensiv. Hierdurch wird erstens die durch den Labyrinth- Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation et. 241 242 . R. Magnus und A. de Kleijn: ausfall bewirkte Drehung des Kumpfes deutlich vermehrt, zweitens der Strecktonus der Glieder auf der Seite des intakten Labyrinthes sehr beträchtlich verstärkt, auf der anderen Seite ebenso stark ver- mindert. In den ersten 8 Wochen nach der Operation addiert sich dieser Effekt zu den vorübergehenden Folgen «es Labyrinthausfalles, nach dieser Zeit beherrschen die Halsreflexe den Extremitätentonus ganz allein. Die Kopfwendung hat nur einen geringeren Einfluss auf die Körperstellung. Man kann die Wirkung der Halsreflexe jederzeit dadurch aus- schalten, dass man den Kopf gegen den Thorax geradesetzt. Dann hat man es allen mit den direkten Labyrinthausfallsfolgen zu tun. Geradesetzen des Kopfes bei einem sitzenden Tier hat die folgenden Wirkungen: 1. Die Augendeviation wird verstärkt. 2. Die Rumpfdrehung wird vermindert, aber nicht vollkommen aufgehoben. 3. Der Strecktonus der Extremitäten wird (falls längere Zeit nach der Operation verstrichen ist) auf den beiden Körperseiten gleich. Kurze Zeit nach der Operation wird durch Geradesetzen des Kopfes der Tonusunterschied zwischen den beiderseitigen Glied- maassen nur vermindert. 4. Die abnorme Körperhaltung beim Sitzen wird nahezu voll- ständig korrigiert; es bleibt nur eine geringe Rumpfdrehung und in der ersten Zeit nach der Operation ein geringer Tonusunterschied der Gliedmaassen auf dem beiden Körperseiten übrig. 5. Die Rollbewegungen werden sofort unterbrochen. Dreht man einem Kaninchen nach einseitigem Labyrinthwerlust seinen Kopf nach der anderen Seite, so wird dadurch die Augen- deviation maximal, etwa vorhandener Nystagmus schwindet, der Rumpf dreht sich nach der entgegengesetzten Seite (wenn auch weniger, als die ursprüngliche Rumpfdrehung betrug). Kurz nach der Operation wird der Tonusunterschied zwischen den beiderseitigen Extremitäten aufgehoben, dagegen wird später sogar der um- gekehrte Tonusunterschied der Gliedmaassen hervorgerufen, und beim Sitzen tritt die spiegelbildlich umgekehrte abnorme Körper- haltung ein. Längere Zeit nach der Operation wird von dem sitzenden Tier die abnorme Körperstellung zum Teil korrigiert. Die Kopf- Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 243 a b (d d e 1 2 2 3 3 4 4 5 5 : 6 = 7 8 Ss Fig. 12. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154 17 244 R. Magnus und A. de Kleijn: drehung wird geringer, die Kopfwendung schwindet ganz, die Pfoten werden wieder symmetrisch gehalten. Bringt man das Tier aber in eine abnorme Lage, z. D. mit dem Kopfe nach unten, so tritt die abnorme Körperhaltung sofort wieder hervor. Die Korrektion der abnormen Stellung der Extremitäten wird mit Hilfe der Augen zustande gebracht und lässt sich durch Verschluss der Augen rück- gängig machen. Die Erregungen, welche kurze Zeit nach der Operation von der Wunde, wahrscheinlich hauptsächlich vom Oktavusstamme aus- gehen, veranlassen, verstärkt durch andere sensible Reize, Anfälle von sehr heftigen Lauf- und Sprungbewegungen. Da der Körper der Tiere spiralig gedreht ist, so erfolgt hierbei keine Progression, sondern das Tier schraubt sich durch den Raum. Dieses sind die Rollbewegungen. Einmaliges Rollen über den Rücken kann auch ohme Sprungbewegung zustande kommen. Über die Entstehung des Nystagmus haben wir keine besonderen Untersuchungen angestellt. Doch stellte sich heraus, dass bei der- jenigen Kopfstellung, bei welcher die Augendeviation maximal wurde, der Nystagmus verschwand, und bei derjenigen Kopfstellung, bei welcher die Augendeviation minimal war, der Nystagmus am stärksten auftrat. Von allen von uns untersuchten Tierarten sind die direkten Labyrinthausfallsfolgen beim Kaninchen am stärksten ausgesprochen. Wir haben daher die Schilderung der Versuche an diesem Tiere vorangestellt und die Ergebnisse am eingehendsten diskutiert. Bei den anderen Tierarten liegen die Verhältnisse einfacher. Daher wird die Darstellung kürzer sein können. III. Versuche an Meerschweinchen. 1. Methodik. Labyrinthexstirpationen beim Meerschweinchen sind von Dreyfuss!) beschrieben worden. Dieser machte einen grossen Schnitt um die Ohr- muschel, eröffnete den Gehörgang, entfernte Trommelfell und Gehör- knöchelchen und bahnte sich so den Weg zum Labyrinth. In anderen Fällen ging er im Dunkeln mit einem Exkavator durch das Trommel- 1) R. Dreyfuss, Experimenteller Beitrag zur Lehre von den nicht- akustischen Funktionen des Ohrlabyrinths. Pflüger’s Arch. Bd. 81 S. 604. 1900. 245 Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 246 R. Magnus und A. de Kleijn: fell und zerstörte von da aus das Labyrinth, Van Rossem!) er- öffnete die Bulla und brachte durch das Foramen rotundum eine Arsen- Lysolpaste in das Labyrinth, um dasselbe zu zerstören. Doch konnte er seine Tiere nicht länger als 9 Tage am Leben halten. Wir sind in derselben Weise vorgegangen wie beim Kaninchen, legten in Athernarkose von einem kleinen Hautschnitte am Halse medial vom Unterkieferwinkel unter Schonung von Gefässen und Muskeln die Bulla ossea frei, eröffneten diese mit dem Meissel, vergrösserten die Öffnung mit dem Papageienschnabel, schlugen darauf die Decke des Promontoriums mit dem Meissel fort und räumten das ganze Labyrinth aus, bis drei Bogengangsöffnungen und der Stamm des Oktavus freilagen. Die Öffnungen der Bogengänge wurden ausgeputzt, der Oktavusstamm mit der Spitze der Pinzette umgangen. Das Trommel- fell bleibt dabei unverletzt, die Heilungschancen sind sehr gute. Doch haben wir einige Tiere an Pneumonie verloren. Die Beobachtung der Tiere erstreckt sich bis über 7 Monate. 2. Allgemeines Verhalten der Meerschweinchen nach einseitiger Labyrinthausschaltung. Eine eingehende Schilderung der Folgen einer einseitigen Labyrinthexstirpation beim Meerschweinchen hat Dreyfuss aus dem Ewald’schen Laboratorium gegeben. Er sah direkt nach der Operation sehr heftige Symptome auftreten. die bereits am folgenden Tage zum grossen Teil geschwunden waren. Als Dauerfolge war vor allem eine Drehung des Kopfes nach der operierten Seite fest- zustellen. Van Rossem sah dagegen infolge der Ätzpaste, die er in das Labyrinth eingebracht hatte, die stürmischen Symptome bis zum Tode andauern. Unsere Erfahrungen decken sich in den wesent- lichen Punkten mit denen von Dreyfuss. Als Beispiel diene das abgekürzte Protokoll des von uns am längsten beobachteten Tieres: 3. Dezember 1912. Meerschweinchen IV. Exstirpation des linken Labyrinthes in Äthernarkose. Nach dem Erwachen aus der Narkose ist der Kopf 45° nach links gedreht, der Kopf und der ganze Rumpf sind stark nach links gewendet, so dass die Wirbelsäule nach links konkav ist und die Schnauze das linke Hinterbein berührt. Deutliche Deviation der Augen nach der operierten Seite, starker Nystagmus. Das Tier rollt nach links. 4. Dezember. Nystagmus noch vorhanden. Kopf beim Sitzen 30° nach links gedreht, in wechselndem Grade gewendet. Konkavität des Körpers viel geringer. Kein Rollen, dagegen Manegebewegungen 1) A. van Rossem, Gewaarwordingen en reflexen, opgewekt van uit de halfeirkelvormige kanalen. Onderz. Physiol. Labor. Utrecht V t.9 p. 151. 1908. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 247 Or S [0'o} 248 R. Magnus und A. de Kleijn: nach links. In Hängelage mit dem Kopfe nach unten Thorax 45°, Kopf über 90° gegen das Becken nach links gedreht, 20—30° nach links gewendet. Rechte Vorderpfote gestreckt. 5. Dezember. Beim Sitzen Kopf 30° gedreht, nicht mehr ge- wendet, das Tier kann im runden Käfig nach beiden Seiten an der Wand entlang laufen, kein Nystagmus. 7 Dezember. Sitzt so gut als normal, nur ist der Kopf 20 ° nach links gedreht. Bei dieser Kopfstellung ist die Augendeviation sehr ge- ring. Kein Nystagmus. Kein Rollen. Aus der Rückenlage kann das Tier sich rechts und links herum in die normale Hockstellung bringen. Beim Hängen mit dem Kopfe nach unten ist die untere Thoraxapertur 30°, die obere 45°, der Kopf 90° gegen das Becken gedreht, aber nicht mehr gewendet. 12. Dezember. Kopf beim Sitzen 60° gedreht, rechtes Vorder- bein gestreckt und abduziert, Hinterpfoten normal gehalten. Sehr geringe Augendeviation. Tier kann im Käfig rechts- nnd linksherum laufen. 18. Februar. Beim Sitzen ist der Kopf 45°, der Thorax 20° nach links gedreht. Das rechte Auge ist etwas nach oben, das linke etwas nach unten abgelenkt. Die Vorderpfoten werden symmetrisch gehalten, werden aber die Augen geschlossen, so wird das rechte Vorderbein gestreckt abduziert. Verschieblichkeit des ganzen Tieres auf der Unterlage ist nach links leichter möglich als nach rechts. Läuft lebhaft nach allen Seiten umher, frisst gut, ist sehr stark ge- wachsen. Beim Hängen mit dem Kopfe nach unten ist die untere Thoraxapertur 30°, die obere 60°, der Kopf 90° gegen das Becken nach links gedreht, nicht gewendet. Rechtes Vorderbein gestreckt. Von da an wird das Tier alle 14 Tage untersucht, ohne dass sich in seinem Verhalten bis zum 1. Juli 1913 etwas ändert. Als unmittelbare Folgen der Operation sind der Nystagmus, das Rollen, die starke Wendung des ganzen Körpers nach der Seite des Labyrinthverlustes, Manegebewegungen, bei einigen Tieren auch Kopfnystagmus anzusehen. Die Dauerfolgen sind am besten zu sehen, wenn das Tier mit dem Kopfe nach unten hängt. Als solehe sind nachweisbar die Augendeviation, die Drehung des Kopfes und des ganzen Rumpfes nach der operierten Seite und die Streckung des rechten Vorderbeines. Es erhebt sich nunmehr die Frage nach dem gegenseitigen Zu- sammenhang dieser Symptome. Wie für das Kaninchen werden wir auch hier zu erörtern haben, welche Folgezustände direkte Folgen des Labyrinthausfalles sind und welche sekundär durch die Drehung des Halses hervorgerufen werden. 3. Die Augensymptome. Die Augensymptome beim Meerschweinchen sind den beim Kaninchen beschriebenen sehr ähnlich. Nach linksseitiger Operation Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 249 ist das linke Auge ventralwärts und nach vorne, das rechte dorsal- wärts abgelenkt. Der Nystagmus schlägt in umgekehrter Richtung. Er ist unmittelbar nach der Operation am stärksten, geht aber bald an Intensität zurück, ist meist am folgenden Tage schon deutlich geringer und am zweiten bis neunten Tage endgültig verschwunden. Ebenso wie beim Kaninchen ist sowohl die Augen- deviation als der Nystagmus sehr stark abhängig von der Stellung desKopfes im Raume. Wenn z, B. nach links- seitiger Labyrinthexstirpation das sitzende Tier den Kopf nach links gedreht hält, so ist die Augendeviation minimal, der Nystagmus dagegen sehr stark ausgebildet. Dreht man dagegen den Kopf in umgekehrter Richtung, so dass sich das linke Auge oben befindet, so wird die Augendeviation maximal, und der Nystagmus nimmt deutlich an Stärke ab, verschwindet sogar in den meisten Fällen ganz. Steht der Kopf mit dem Scheitel nach oben und mit hori- zontaler Mundspalte, so erreichen Deviation und Nystagmus mittlere Werte Wie beim Kaninchen ist also bei maximaler De- viation der Nystagmus am geringsten und umgekehrt. Das Maximum für die Deviation der Augen ist dann vorhanden, wenn der Kopf aus der symmetrischen Stellung so gedreht ist, dass das intakte Labyrinth nach unten sieht und das Ohr der operierten Seite nach oben. Während der Nystagmus nur beschränkte Zeit nach der Operation nachzuweisen ist, erweist sich die Deviation mit der oben geschilderten Abhängigkeit von der Kopfiellms als eine konstante Dauerfolge. Unmittelbar nach der Operation ist auch in der Minimumstellung für die Augendeviation (Ohr der operierten Seite nach unten) die Augenablenkung vorhanden. Nach einigen Tagen wird sie jedoch bei dieser Kopfstellung geringer. Später, nach Wochen und Monaten, findet man dann bej dieser Stellung des Kopfes das nach unten ge- richtete Auge der operierten Seite meistens gar nicht mehr abgelenkt, während das nach oben gerichtete Auge der normalen Seite etwas dorsalwärts abgelenkt ist, so dass noch ein schmaler Rand der weissen Selera am Rande des unteren Augenlides zum Vorscheine komnit. Wenn man dagegen in diesem Stadium den Kopf in die Maximum- stellung für die Deviation bringst (Ohr der operierten Seite nach oben), so ist das nach oben gerichtete Auge der operierten Seite maximal abgelenkt. Es ist ventralwärts und nach vorn (nasalwärts) deviiert, und zwar so stark, dass manchmal überhaupt nur das 250 R. Magnus und A. de Kleijn: Weisse in der Lidspalte zu sehen ist. Das nach unten gerichtete Auge der nicht operierten Seite ist ebenfalls abgelenkt, aber nicht ganz so hochgradig als das andere. Es steht dorsalwärts, manchmal dorsal- wärts und etwas nach vorn. Es ergibt sich also, dass beim Meerschweinchen ähnlich wie beim Kaninchen die Augenablenkung und der Nystagmus von der Stellung des Kopfes im Raume abhängig sind; dass der Nystagmus am stärksten ist bei geringster Augendeviation und bei stärkster Augendeviation verschwindet; dass die Augendeviation durch einen tonischen Reflex von dem intakten Labyrinthe aus bedingt wird, dessen Stärke je nach der Stellung dieses Labyrinthes im Raume wechselt; dass, wenn bei intakten Tieren das eine Labyrinth sich in der Maximumstellung für die Augenabweichung befindet, das andere in der Minimumstellung ist. 4. Die Drehung von Kopf, Hals und Rumpf. Packt man einige Tage, Wochen oder Monate nach der Operation ein einseitig labyrinthloses Meerschweinchen an der Lendenwirbel- säule und lässt es mit dem Kopfe nach unten hängen, so ist sein Körper in derselben Weise und in der gleichen Richtung spiralig gedreht, wie wir das oben für Kaninchen beschrieben haben. Die untere (kaudale) Thoraxapertur steht 20—45°, im Mittel 30° gegen das Becken gedreht,. die obere (kraniale) Thoraxapertur 30—70°, im Mittel 45°, der Kopf ist meistens etwa 90° gegen das Becken gedreht. Dabei wird das Vorderbein der nicht operierten Seite ge- streckt gehalten. Der Kopf hängt gewöhnlich mit der Schnauze serade nach unten, eine Wendung ist nur in den ersten Tagen nach der Operation zu sehen, sie kann bis zu 30° betragen. Wenn man nun den Kopf gegen den Thorax gerade setzt, so wird diese spiralige Drehung desRumpfes aufgehoben, und der Körper des Tieres hängt vollkommen symmetrisch nach unten. Um sich vor Täuschungen zu hüten, kann man bei dieser Lage des Tieres auch den Thorax mit der Hand umfassen, so dass das Becken frei in der Luft schwebt. Auch unter diesen Umständen wird bei Geradesetzen des Kopfes die Beckendrehung aufgehoben. Es ereibt sich also ein wichtiger Unterschied gegenüber dem Kaninchen. Während bei letzterem nach Geradesetzen des Kopfes noch eine deutliche Beckendrehung erhalten bleibt, ist dieses beim Meerschweinchen nicht der Eall. Beim Meerschweinchen ist nur die Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 251 Drehung des Halses eine direkte Folge des Labyrinthausfalles. Die Drehung des übrigen Rumpfes ist keine direkte Wirkung des Labyrinthverlustes, sondern sekundär durch die Drehung des Halses zustande gebracht. Dasselbe Resultat erhält man, wenn man das Tier in Rücken- lage untersucht. Legt man ein einseitig labyrinthloses Meerschwein auf den Rücken, so dreht dasselbe seinen Kopf, so dass nach links- seitiger Operation das linke Auge nach oben (ventralwärts) sieht. Dann liest seine linke. Hinterbacke auf dem Tische auf. Setzt man nun den Kopf gegen den Thorax gerade, so stellt sich auch das Becken gerade. Besonders anschaulich ist dieser Versuch, wenn man ein Tier benutzt, das so gezeichnet ist, dass die Grenze zwischen seinen ver- schiedenfarbigen Flecken gerade über die ventrale Mittellinie ver- läuft. Man kann auch das ganze Tier mit der Hand in der Luft halten und die Reaktion des Beckens ungestört durch den Einfluss der Unterlage untersuchen. Stets ist das Resultat das gleiche. Nur bei zwei Tieren haben wir am ersten und zweiten Tage nach der Operation gesehen, dass beim Geradesetzen des Kopfes noch ein Rest von Rumpfdrehung erhalten blieb. Bei den übrigen Tieren war dieses auch am ersten Tage nach der Operation nicht der Fall. In Rückenlage mit gedrehtem Kopfe ist je nach der Lagerung des Tieres, geradeso wie beim Kaninchen, das Becken entweder im umgekehrten Sinne gedreht, oder die Lendenwirbelsäule nach der „Kieferseite“ konkav. Es sei daher auf die ausführliche, für das Kaninchen gegebene Schilderung verwiesen. Es ergibt sich aus den in diesem Abschnitte mitgeteilten Be- obachtungen, dass beim Meerschweinchen durch einseitige Labyrinth- exstirpation direkt (ausser einer vorübergehenden Wendung des Kopfes nach der operierten Seite) nur eine dauernde Drehung des Halses veranlasst wird. Die Drehung des übrigen Körpers, welche als Dauerfolge der Operation besonders bei Hängelage mit dem Kopfe nach unten sichtbar wird, ist eine sekundäre Folge, welche durch einen tonischen Halsreflex verursacht ist. Sie kann jederzeit durch Geradesetzen des Kopfes gegen den Hals rückgängig gemacht werden. Hierdurch ergibt sich ein wichtiger Unterschied gegenüber dem Kaninchen, bei welchem die Rumpfdrehung eine direkte Folge des Labyrinthverlustes ist und nur durch den genannten Halsreflex verstärkt wird. 252 R. Magnus und A. de Kleijn: 5. Der Tonus der Extremitäten. Legt man ein einseitig labyrinthloses Kaninchen auf den Rücken, ohne die Kopfdrehung zu korrigieren, so haben die Beine auf der Seite des Labyrinthverlustes geringeren Strecktonus als die Beine der anderen Körperseite. Der Tonusunterschied ist meistens an den Vorder- beinen grösser als an den Hinterbeinen, ist aber auch an den letzteren zu erkennen. Er ist noch 7 Monate nach der Operation nachzuweisen. Korrigiert man die Kopfdrehung, indem man den Kopf gegen den Thorax geradesetzt, so ist der Effekt ein verschiedener, je- nachdem man kurz nach der Operation oder einige Tage später untersucht. Kurz nach der Operation bleibt auch bei gerade- gesetztem Kopfe der Tonusunterschied zwischen den beiderseitigen Extremitäten bestehen, wenn er auch durch Geradesetzen des Kopfes verringert wird. Man muss dann, um den Strecktonus der Glieder auf beiden Seiten gleich zu machen, den Kopf mehr oder weniger stark nach der anderen Seite drehen, also die Kopfdrehung über- korrigieren. Schon nach wenigen Tagen ändert sich das. Frühestens am zweiten, spätestens am sechsten Tage ist bei geradegesetztem Kopfe der Gliedertonus beiderseits gleich. Dieses Verhalten bleibt danach monatelang bestehen. Dreht man dann den Kopf nach der anderen Seite, so kehrt sich der Tonusunterschied der Extremitäten um, und die Beine der operierten Seite bekommen grösseren Streck- tonus. In diesem Stadium ist also der Tonusunterschied der Ex- tremitäten des einseitig labyrinthlosen Meerschweinchens ausschliess- lich durch die Kopfdrehung bedingt. Hieraus folgt, dass beim Meerschweinchen eine direkte Wirkung des einseitigen Labyrinthverlustess auf den Tonus der Gliedmaassen nur wenige Tage nach der Operation nachzuweisen iet, indem die Extremitäten der operierten Seite schlaffer sind als die der anderen Seite. Während beim Kaninchen dieser Einfluss etwa zwei Monate lang deutlich war, handelt es sich beim Meer- schweinchen nur um einen schnell vorübergehenden Effekt. Nach dieser Zeit ist der Tonusunterschied der Glieder auf den beiden Körper- seiten ausschliesslich bedingt durch die Drehung des Halses‘ und kann jederzeit durch Korrigieren der Kopfstellung rückgängig ge- macht werden. Wird der Kopf nach der anderen Seite gedreht, so kehrt sich der Tonusunterschied der Glieder um. Dieser Einfluss der Kopfdrehung ist eine Dauerfolge der Operation. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 253 6. Die Körperhaltung beim Sitzen. Wenn wir die Frage erörtern, in welcher Weise sich die bisher geschilderten Einflüsse kombinieren, um die Haltung des sitzenden Tieres zustande zu bringen, so ist es zweckmässig, die verschiedenen Stadien nach der Operation getrennt zu besprechen. Direkt nach der Operation und noch am folgenden Tage ist das Tier bereits imstande aufrechtzusitzen, der Kopf ist 45° oder mehr nach der operierten Seite gedreht; der Thorax hängt nach derselben Seite über. Ausserdem ist der Kopf und der ganze Rumpf nach der Seite der Operation gewendet, so dass die Schnauze das Hinterbein berührt. Das Vorderbein der gesunden Seite ist stark gestreckt und abduziert. Bereits in diesem Stadium kann man durch Geradesetzen des Kopfes die Stellungsanomalie des Tieres aufheben. Sie kommt also überwiegend durch die Kopfabweichung zustande. Dass die Rumpf- drehung direkt nach der Operation ganz oder wenigstens über- wiegend eine Folge der Halsdrehung ist, wurde oben gezeiet. Der Tonusunterschied der Vorderbeine ist in diesem Stadium nicht ausschliesslich von der Kopfdrehung beherrscht, die direkte Wirkung des Labyrinthverlustes spielt auch noch mit, ist aber, wie auch der Erfolg des Kopfgeradesetzens beweist, von untergeordneter Bedeutung. Es ist schon Dreyfuss aufgefallen, dass direkt nach der Operation wohl das Vorderbein der gesunden Seite gestreckt und abduziert ist, nicht aber das Hinterbein der gesunden Seite. Dieses liegt manchmal geradezu unter dem Leibe, und es kann das Hinterbein der operierten Seite sogar, wie wir in einem Falle sahen, gestreckt und abduziert sein. Diese scheinbare Ausnahme erklärt sich in einfacher Weise. Sie ist nämlich durch die sehr starke Wendung des Tieres bedinst und verschwindet, wenn man die Wendung korrigiert. Durch die Wendung werden nämlich die Gliedmaassen der operierten Seite zu „Kieferbeinen“ und erhalten grösseren Strecktonus; dieser Effekt wirkt also der Hals- drehung und der direkten Wirkung des Labyrinthausfalls entgegen. An den Vorderbeinen sind diese letzteren Einflüsse so stark, dass sie nicht überkompensiert werden können; an den Hinterbeinen bekommt dagegen die Wendung manchmal die Uberhand. Korrigiert man aber die Wendung, so wird auch das Hinterbein der gesunden Seite gestreckt und das der operierten Seite gebeugt. Durch Drehung des Kopfes nach der anderen Seite kann man es meistens schon in diesem Stadium erreichen, dass das Vorder- bein der operierten Seite gestreckt und abduziert, das der gesunden Seite gebeugt wird, und dass das Tier eine Haltung annimmt, als ob ihm das andere Labyrinth exstirpiert worden wäre. 254 R. Magnus und A. de Kleijn: Untersucht man ein Meerschweinchen einige Tage oder Wochen nach der Operation, so sitzt es mit seiner Längsachse in einer geraden Linie, die Wendung ist verschwunden (nach 2—5 Tagen). Dagegen bleibt die Drehung des Kopfes bestehen. Sie beträgt im Mittel 45° kann auch an einzelnen Tagen bis zu 80° erreichen. Der Thorax hängt etwas nach der operierten Seite hinüber. Dieses kommt teilweise durch die Drehung des Rumpfes, teilweise durch den Tonusunterschied der Vorderbeine zustande. Die Neigung der vorderen Thoraxapertur beträgt gewöhnlich 20—30°, seltener bis zu 45°, auch die hintere Thoraxapertur kann etwas (bis zu 15°) nach der .operierten Seite überhängen. Durch Geradesetzen des Kopfes wird dieses Überhängen des Thorax sofort beseitigt, indem dann sowohl die Rumpfdrehung als auch der Tonusunterschied der Glieder rückeängisgemacht wird. Dieser letztere ist beim frei- sitzenden Tiere in diesem Stadium noch sehr deutlich. Besonders sieht man die Streckung und Abduktion des Vorderbeines der ge- sunden Seite. An den Hinterbeinen ist der Unterschied geringer. Durch Geradesetzen des Kopfes verschwindet die Differenz, die beiden Vorderbeine werden völlig symmetrisch gehalten. Dreht man den Kopf nach der anderen Seite, so tritt die umgekehrte Stellung der Vorderbeine auf, das der operierten Seite wird gestreckt, das andere mehr gebeugt gehalten. Setzt man das Tier auf eine rauhe Unterlage, z. B. eine Strohmatte, so lässt es sich infolge der Streckung des Vorderbeines der normalen Seite schwerer nach dieser als nach der Seite des Labyrinthverlustes verschieben. Wird aber der Kopf gerade gesetzt, so ist auch die Verschieblichkeit nach beiden Seiten eleich. — In diesem Stadium sind also alle Haltungs- anomalien des Rumpfes und der Glieder ausschliesslich ver- anlasst durch die Drehung des Halses. Nach einiger Zeit lernt nun das Meerschweinchen, cerade so, wie wir es für das Kaninchen beschrieben haben, beim Sitzen die abnorme Haltung seiner Vorderbeine zu korrigieren. Untersucht man ein Tier einige Monate nach der Operation, so hält es beim Sitzen seinen Kopf noch (ca. 45°) gedreht, auch der Thorax hängt noch etwas nach der operierten Seite über infolge der durch die Hals- drehung veranlassten Rumpfdrehung, aber die Vorderbeine werden jetzt symmetrisch gehalten. An dieser Kompensation sind (wie beim Kaninchen) die Augen beteiligt. Schliesst man nämlich dem Tiere die Augen, so tritt die Streckung und Abduktion des Vorderbeines Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 255 der gesunden Seite wieder hervor. Lässt man die Augen dagegen wieder frei, so wird das abduzierte Vorderbein angezogen, und das Tier sitzt wieder wie ein normales. — Hat man durch Verschliessen der Augen die Haltungsdifferenz der. Vorderbeine hervorgerufen, so lässt sie sich durch Geradesetzen des Kopfes aufheben, durch Drehen des Kopfes nach der anderen Seite in die spiegelbildlich umgekehrte verwandeln. — Da beim Sitzen mit offenen Augen in diesem Stadium die Vorderbeine symmetrisch gehalten werden, so ist auch die Ver- schieblichkeit des frei sitzenden Tieres nach rechts und links nicht mehr so stark voneinander verschieden wie in den früheren Stadien. Dass überhaupt die Körperhaltung beim Meerschweinchen sehr stark durch die Stellung des Kopfes beeinflusst wird, ergibt sich auch daraus, dass die in der vorhergehenden Abhandlung beim sitzenden normalen Kaninchen beschriebenen Reflexe auf Heben und Senken des Kopfes sich auch sowohl beim normalen wie beim einseitig labyrinth- losen Meerschweinchen in jedem Stadium nach der Operation nachweisen lassen. Heben des Kopfes bewirkt tonische Streckung, Senken Er- schlaffung der Vorderbeine. Es handelt sich überwiegend um einen Halsreflex, da derselbe Erfolg meistens auch eintritt, wenn die gleiche Kopfbewegung bei Rückenlage des Tieres ausgeführt wird. Ferner haben wir bei einem Meerschweinchen nach doppelter Labyrinth- exstirpation folgende Halsreflexe nachweisen können: Streckung der Vorderbeine bei Heben, Beugung derselben bei Senken des Kopfes; Streckung der „Kieferbeine“ und Beugung der „Schädelbeine“ bei Drehen und Wenden des Kopfes; Konkavität der Wirbelsäule nach der „Kiefer- seite“ auf Drehen des Kopfes !). Es hat sich demnach ergeben, dass die Haltung, welche der Körper des einseitig labyrinthlosen Meerschweinchens beim Sitzen einnimmt, so gut wie ausschliesslich bedingt ist durch den Einfluss, welchen die Kopfdrehung auf den Tonus der Rumpf- und Extremitäten- muskeln ausübt. Geradesetzen des Kopfes bewirkt daher eine normale Haltung des Tieres. Von geringerem und vorübergehendem Einfluss ist die Kopfwendung, welche in den ersten Tagen nach der Operation zu sehen ıst. Dagegen ıst die geringe Differenz im Gliedertonus, welche als direkte Folge des einseitigen Labyrinthverlustes unmittelbar nach der Operation auftritt und nach wenigen Tagen verschwindet, I) Anmerkung bei der Korrektur: Graham Brown (Quart. Journ. of exp. Phys. vol. 4 p. 273. 1911) hat beim Meerschweinchen auf Ventralbeugung des Kopfes tonische Streckung, auf Dorsalbeugung des Kopfes tonische Beugung der Hinterbeine als inkonstante Reaktion auftreten sehen. Danach würden sich die Halsreflexe auf die Hinterbeine beim Meerschweinchen gerade so verhalten, wie bei Katze und Hund, und umgekehrt wie beim Kaninchen’ 256 R. Magnus und A. de Kleijn: zu schwach, um einen nachweisbaren Einfluss auf die Haltung beim Sitzen ausüben. — Nach. längerer Zeit lernt das Tier die abnorme Haltung seiner Gliedmaassen zu korrigieren. An dieser Kompen- sation sind die Augen beterligt. 7. Die Rollbewegungen. Die Schilderung der Rollbewegungen beim Meerschweinchen kann sehr kurz sein, da sich in allen wesentlichen Punkten eine Übereinstimmung mit den Befunden beim Kaninchen ergeben hat. Es sei daher auf die für diese Tiere oben gegebene ausführliche Schilderung verwiesen. Die Intensität und Dauer des Rollens wechselt beim Meer- schweinchen sehr stark. Manche Tiere rollen während zweier Tage, andere nur direkt nach der Operation; manche Tiere rollen spontan durch das ganze Zimmer, andere führen auf Reizung nur ein oder zwei Rollbewegungen aus. Wie beim Kaninchen tritt das Rollen anfallsweise auf, und zwischendurch kann ein Tier ganz ruhig in Hockstellung sitzen, um darauf, wenn es gereizt wird, in heftiges Rollen zu verfallen. Wir haben von einem Meerschweinchen kinematographische Aufnahmen beim Rollen von vier verschiedenen Seiten aufgenommen. Das Studium der Films ergibt, dass es sich ebenfalls um Lauf- bewegungen des spiralig gedrehten Tieres handelte. Um eine ganze Rollung zu vollenden, muss das Tier zwei Sprünge ausführen, deren einer es über den Bauch, deren anderer es über den Rücken rollen lässt. Zwischendurch kommt es in eine der beiden Seiten- lagen, in welcher es seine Wirbelsäule ventralwärts krümmt, die Pfoten beust und die Drehung des Vorderkörpers gegen das Becken wiederherstellt. Bei jedem der beiden „Sprünge“ wird die Wirbel- säule gestreckt, die Vorderpfoten gehen nach vorne, die Hinterpfoten nach hinten, und das Tier wirft sich genau auf die gleiche Weise, wie es für das Kaninchen geschildert worden ist, nach der anderen Seite hinüber. Bei dieser Gleichheit der Bewegungen ist die Reproduktion der Kinogramme überflüssig. Gegenüber dem Kaninchen ergeben sich beim Meerschweinchen folgende Unterschiede beim Rollen. Der Körper des Meer- schweinchens ist kürzer und gedrungener, die Extremitäten kürzer. Aus dem letzteren Grunde ist es für das Tier nicht so schwierig als für das Kaninchen, beim Rollen über den Bauch seine Hinter- Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 257 beine von der einen Seite auf die andere zu bringen. Infolgedessen braucht die Streekung der Hinterbeine nach hinten auch nicht so exzessiv zu sein als beim Kaninchen. Doch ist sie stets vorhanden. Diejenige Phase der Bewegung, welche beim Meerschweinchen mit der grössten Kraft und Schnelligkeit erfolgt, ist nicht wie beim Kaninchen der Sprung über den Bauch, sondern der über den Rücken. Dieser erfolgt mit einem schnellen „Ruck“. Offenbar hängt dieses mit der gedrungenen Körperform zusammen, die diese Bewegung am schwierigsten zustaude kommen lässt. Sieht man von oben auf ein rollendes Meerschweinchen, so sieht man geradeso wie beim Kaninchen, dass das Tier abwechselnd seinen Körper nach rechts und nach links krümmt; der Übergang zwischen den beiden gekrümmten Stellungen (Seitenlage) erfolgt jeweils durch eine schnelle Sprungbewegung. Weun das Tier in die Seitenlage gelangt ist und nunmehr die Drehung seines Vorderkörpers gegen das Becken wiederherstellt, so ist häufig besonders gut zu erkennen, dass dabei sich die „Kiefer- beine“, besonders das vordere, deutlich strecken. Es ergibt sich also, dass ebenso wie beim Kaninchen die Roll- bewegungen des Meerschweinchens anfallsweise auftretende Sprung- bewegungen eines speiralig gedrehten Tieres sind, das sich dabei durch den Raum schraubt. Da die spiralige Drehung des Körpers durch den Ausfall des einen Labyrinthes veranlasst ist, die Anfälle von Laufbewegungen durch Reiz ausgelöst werden, so handelt es sich auch hier um eine Kombination von Reiz- und Ausfalls- erscheinungen. Der wichtigste Reiz scheint hierbei von der Operations- wunde selber, vermutlich vom Oktavusstamm auszugehen. Das wird unter anderem dadurch wahrscheinlich gemacht, dass in den Versuchen van Rossem’s, der das Labyrinth nicht chirurgisch, sondern mit Hilfe einer Ätzpaste entfernte, die Tiere bis zum Tode rollten. 8. Zusammenfassung. Als direkte Folgezustände der einseitigen Labyrinthexstirpation sind beim Meerschweinchen anzusehen: A. Dawerfolgen. 1. Die Augendeviation, welche in der Weise von der Stellung des Kopfes im Raume abhängt, dass sie maximal ist, wenn sich 258 R. Magnus und A. de Kleijn: das intakte Labyrinth unten, minimal dagegen, wenn sich das intakte Labyrinth oben befindet. 2. Die Halsdrehung nach der Seite des ip nie Dagegen ist beim Meerschweinchen (im Gegensatz zum Kaninchen) weder eine Drehung des ganzen Kumpfes noch eine Wendung des Kopfes als direkte Dauerfolge der Labyrinthexstirpation nach- ZUWweisen. BD. Vorübergehende Folgen. 1. Abnahme des Strecktonus der Gliedmaassen an der Seite des Labyrinthverlustes. Sie ıst nur unmittelbar nach der Operation nachzuweisen und ist nach wenigen Tagen verschwunden. 2. Wendung des Kopfes nach der operierten Seite. Auch diese dauert nur wenige Tage an. (3. Drehung des Rumpfes nach der Seite des Labyrinthverlustes. Dieselbe fehlt in der Mehrzahl der Fälle und lässt sich in den anderen nur kurze Zeit nachweisen.) Als Folge der Halsdrehung superponieren sich auf die genannten Symptome die folgenden Dauerveränderungen: 1. Die Drehung des Rumpfes. 2. Der Tonusunterschied der Extremitäten. Der Strecktonus ist auf der gesunden Seite („Kieferseite*) erhöht, auf der anderen („Schädelseite“) vermindert. Die Vorderbeine werden dabei stärker beeinflusst als die Hinterbeine. (Die vorübergehende Kopfwendung kann ihrerseits eine vorüber- gehende Streckung im Hinterbein der operierten Seite zur Folge haben.) Wie beim Kaninchen kann man die Wirkung der Halsreflexe jederzeit dadurch ausschalten, dass man den Kopf gegen den Thorax geradesetzt. Dann hat man es allein mit den direkten Labyrinth- ausfallsfolgen zu tun. Geradesetzen des Kopfes hat beim sitzenden Tier, wenn die ersten Tage nach der Operation vergangen sind, die folgenden Wirkungen: 1. Die Augendeviation wird verstärkt. 2. Die Rumpfdrehung wird aufgehoben. 3. Der Strecktonus der Gliedmaassen wird auf beiden Körper- seiten gleich. 4. Die abnorme Körperhaltung wird vollständig korrigiert. Drehen des Kopfes in umgekehrter Richtung bringt die spiegel- bildlich entgegengesetzten Haltungsanomalien hervor. _ Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 259 Längere Zeit nach der Operation wird wie beim Kaninchen von dem sitzenden Meerschweinchen die abnorme Stellung seiner Vorderbeine korrigiert. Herbei spielen die Augen eine wichtige Rolle Werden diese verschlossen, so tritt die Stellungsanomalie wieder hervor. Infolge von sensibelen Reizen, welche hauptsächlich von dem verletzten Oktavusstamm auszugehen scheinen, aber auch durch andere Reize verstärkt werden können, kommt es bei den Tieren in den ersten Stunden bzw. Tagen häufig zu Anfällen von heftigen Lauf- und Sprungbewegungen. Diese führen bei der spiraligen Drehung des ganzen Körpers zu den bekannten Rollbewegungen. Ihr Mechanismus ist, wie kinematographische Aufnahmen zeigten, im Prinzipe der gleiche wie beim Kaninchen. Vergleicht man diese Resultate mit den beim Kaninchen erhaltenen, so sieht man, dass beim Meerschwein die Verhältnisse wesentlich einfacher liegen. Schon wenige Tage nach der Operation ist als direkte Folge der Operation nur noch die Augendeviation und die Halsdrehung nachzuweisen. Die übrigen Haltungsanomalien: Rumpf- drehung und Tonusunterschied der beiderseitigen Extremitäten, sind sekundäre Folgen der Halsdrehung. Beim Meerschweinchen lässt sich also der tonische Einfluss der Halsreflexe besonders rein studieren. IV. Versuche an Katzen. Labyrinthexstirpationen an Katzen sind schon von verschiedenen Seiten ausgeführt worden [Kreidl!), Camis?)]. Eine eingehende Schilderung der Folgeerscheinungen bei diesem Tiere ist aber unseres Wissens noch nicht gegeben worden. Katzen eignen sich wegen der Eleganz ihrer Beweeungen sehr gut zu Beobachtungen über Labyrinthausfallsfolgen. Dagegen kann man sehr viel weniger gut eine Analyse der Symptome an ihnen vornehmen, weil sie sich das Geradesetzen des Kopfes, die Hängelage mit dem Kopfe nach unten, die Prüfung des Tonus der Glieder in Rückenlage usw. lange nicht so ruhig gefallen lassen wie Kaninchen und Meerschweinchen. Selbst 1) A. Kreidl, Gesellsch. der Ärzte in Wien, 21. Dezember 1895. Vgl. Wiener klin. Wochenschr. 1896. 2) M. Camis, Contributi alla fisiologia del Labirinto. Nota VI. Sulla miosi e sulla midriasi paradossa nel gatto labirintectomizzato. Arch. di Farma- cologia sperim. vol. 12. 1911. Pilüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 15 260 R. Magnus und A. de Kleijn: zahme und an das Laboratorium gewöhnte Tiere kratzen gelegent- lich. Trotzdem haben wir eine srössere Reihe von Beobachtungen anstellen können. Wir verfügen über fortlaufende Beobachtungen an 13 Tieren, und ausserdem über kürzer dauernde Versuche an über 30 Katzen. Ein Teil der Beobachtungen wurde an Katzen an- gestellt, welche zu Tonusversuchen für unsere frühere Mitteilung !) operiert wurden. ar Die Methodik der Operation ist von De Kleijn?) eingehend beschrieben worden. Auf diese Schilderung sei hier verwiesen. 1. Allgemeines Verhalten der Katzen nach einseitiger Labyrinthexstirpation. Zunächst sei als Beispiel das abgekürzte Protokoll einer ein- seitig labyrinthexstirpierten Katze gegeben: Katze „Labu“. 3. Juli 1911. In Atropin-Äthernarkose Exstir- pation des linken Labyrinthes. Drei Bogengangsmündungen und der Stamm des Nervus octavus im Porus acusticus internus freigelegt. 1/2 Stunde nach der Operation: Horizontaler Nystagmus nach rechts. Geringe Augendeviation nach links. Uhrzeigerbewegungen im um- gekehrten Sinne des Uhrzeigers. Kopf nach links gedreht. Dabei wird die Schnauze manchmal gerade nach vorne gehalten, meistens ist aber eine Wendung des Kopfes nach links vorhanden. Schwankt beim Sitzen. Etwas horizontales Kopfpendeln. Sitzt mit dem linken Hinter- bein breitbeinig. Neigung, nach links zu fallen. 4. Juli. Sitzt aufrecht im Käfig, nur mit dem linken Hinterbein breitbeinig. Kopf ca. 45° nach links gedreht, ausserdem nach links gewendet. Auch die Brustwirbelsäule ist nach links gewendet. Trinkt aus einer Schüssel ; dabei schwankt der ganze Körper nach links und droht, nach links umzufallen, was auch manchmal passiert. Beim Vorwärtslaufen stellt sie die Körperachse richtig in der Richtung auf ihr Ziel ein, trotzdem weicht sie etwa 45° nach links ab. Später stützt sie sich an der Mauer mit der linken Seite. Wenn sie kein festes Ziel hat, macht sie Uhrzeigerbewegungen nach links, wobei die Wirbelsäule deutlich nach links gekrümmt ist. Springt vorsichtig vom Schoss und kommt dabei richtig auf die Pfoten, wackelt aber danach stark. Linke Pupille enger als die rechte. Nystagmus nach rechts. Die beiden linken Beine haben etwas geringeren Strecktonus als die rechten Beine. Passive Bewegung des Kopfes nach links ist leicht auszuführen, nach rechts dagegen nur unter Überwindung eines starken Widerstandes möglich. 5. Juli. Läuft mit ihrer linken Seite an die Wand und darauf an dieser entlang. Kann aber auch frei durch das Zimmer geradeaus 1) Pflüger”s Arch. Bd. 145 8.455. 1912, 2) Pflüger’s Arch. Bd. 145 8.549. 1912. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 261 laufen, weicht aber dabei gelegentlich nach links ab. Fällt noch manch- mal nach links. Keine Uhrzeigerbewegungen mehr. Leichter horizontaler und rotatorischer Nystagmus nach rechts. Kopf nach links gedreht, aber nur noch gelegentlich nach links gewendet. Rumpfwirbelsäule nicht mehr gewendet. 6. Juli. Frisst Fleisch. Kopf nach links gedreht, manchmal auch noch nach links gewendet. Rumpf nicht mehr gewendet. Fällt beim Laufen manchmal nach links. Keine Uhrzeiger- und Manegetouren mehr. Linke Pupille etwas enger als rechte. Die beiden linken Beine setzen der passiven Beugung viel weniger Widerstand entgegen als die rechten. Sitzt manchmal mit dem linken Vorderbein breitbeinig. Beim Fressen wird die Drehung und Wendung des Kopfes viel stärker. 7. Juli. Kein Nystagmus mehr. Pupillen gleich. Weicht beim Laufen noch etwas nach links ab. Fällt auch noch gelegentlich nach links. Der Strecktonus der linken Beine deutlich geringer als der der rechten. Kann die Treppe heruntergehen. 8. Juli. Springt aus dem Käfig. Kopf deutlich nach links ge- dreht, aber kaum noch gewendet. Sitzt nicht mehr breitbeinig. Das Tier lässt sich auf der Unterlage viel leichter nach links als nach rechts verschieben. Fällt nicht mehr beim Laufen. 6. September. Sitzt völlig aufrecht. Kopf kann nach allen Seiten gedreht werden, wird aber beim ruhigen Sitzen und beim Laufen meist nach links gedreht gehalten. Sitzt mit dem linken Hinterbein etwas breitbeinig. Isst und trinkt gut. Kein Nystagmus, keine Differenz der Pupillen und der Lidspalten. Läuft nach einem Ziele sicher gerade- aus. Manchmal weicht sie aber beim Laufen noch ca. 30° nach links ab. Beim Trinken nimmt die Drehung und Wendung des Kopfes deut- lich zu, ebenso sitzt sie dann breitbeiniger. Springt mit Sicherheit von einer Höhe von 1,30 m herunter, springt dabei aber immer noch deutlich nach links. Während sie aus der Schüssel trinkt, lässt sich der Körper auf der Unterlage leichter nach links als nach rechts ver- schieben. 24. Oktober. Kopf nach links gedreht, nicht gewendet. Drehung nimmt beim Fressen, beim Trinken und beim Sehen nach vorgehaltenem Fleisch deutlich zu. Kann den Kopf nach allen Richtungen wenden. Sprinst vom 2 m hohen Schrank, dabei ist ausser der Kopfdrehung keine weitere Anomalie zu bemerken. Läuft die Treppe ganz gerade herunter. Springt auf einen Stuhl. Nur beim sehr schnellen Laufen weicht sie gelegentlich noch nach links ab. Auf der Unterlage ist der Körper des sitzenden Tieres leichter nach links als nach rechts zu verschieben. 25. Oktober. Zum Versuche dezerebriert (siehe Pflüger’s Arch. Bd. 145 S. 478. 1912). Sektion ergibt die vollständige Entfernung des linken Labyrinthes; linke Bulla leer; linker Octavusstamm sehr viel dünner als der rechte. Gehirn und Meningen reizlos. Wie man sieht, sind anfangs nach der Operation sehr deutliche Erscheinungen vorhanden; ein grosser Teil derselben bildet sich jedoch zurück, und nach einigen Monaten benimmt sich das Tier fast wieder wie ein normales, so dass es besonderer Aufmerksamkeit 18 * 262 R. Magnus und A. de Kleijn: bedarf, um noch Labyrinthausfallsfolgen bei ihm festzustellen. Das obige Protokoll gibt eine gute Vorstellung, wie sieh dieser Vorgang allmählich abspielt. Zur Ergänzung sei noch aus dem Protokoll einer anderen Katze das Verhalten an den ersten Tagen nach der Operation geschildert: Katze „La-a“. 19. September 1911. Morgens 9 Uhr. Atropin- Äthernarkose. Linksseitige typische Labyrinthexstirpation ohne Ver- letzung des Fazialis. Drei Bogengangsöffnungen uud Octavusstamm freigelegt. Sofort nach dem Erwachen aus der Narkose ist der Kopf nach links gewendet und gedreht. Das rechte Vorderbein ist steifer als das linke. Die Differenz schwindet bei Geradesetzen des Kopfes. Leichter horizontaler Augennystagmus. 11 Uhr. Horizontaler Nystagmus. Sitzt auf und miaut. Uhr- zeigerbewegungen nach links. Kopf nach links gedreht. Etwas hori- zontales Kopfpendeln. Nachmittags 3 Uhr. Sitzt aufrecht mit etwas Schwanken. Kopf nach links gedreht und meist nach links gewendet. Kann den Kopf nach rechts und links wenden. Uhrzeigerbewegungen nach links. Läuft aber auch durch das Zimmer, wobei sie häufig auf die linke Seite fällt, sich aber darauf sofort wieder aufrichtet. Während sie die Achse ihres Körpers richtig nach dem Ziele, auf das sie zuläuft, ein- gestellt behält, weicht sie beim Vorwärtslaufen etwa 45° nach links ab. Beim Stehen hängt der Körper deutlich nach links herüber. Steht links breitbeinig. Körper ist leichter nach links verschieblich als nach rechts. Horizontaler Nystagmus. 20. September. Kopf nach links gedreht und gewendet. Körper leichter nach links als nach rechts verschieblich. Läuft manchmal geradeaus, manchmal für kurze Strecken (ohne Änderung der Richtung des Körpers) um 90° nach links. Fällt manchmal beim Laufen nach links. Sucht die Mauer und stützt sich links. Sitzt mit dem linken Vorder- und Hinterbein breitbeinig. Beim Laufen hängt der Körper nach links herüber. Manchmal, nur für kleine Strecken, Manegetouren nach links. Horizontaler Nystagmus. Facialis intakt. 21. September. Springt aus dem Käfig, fällt dabei nach links. Läuft nur mit geringer Abweichung nach links; fällt dabei manchmal nach links; bevor sie fällt, macht sie einige Schritte 90° nach links. Kopf mehr gedreht als gewendet. Beim Sitzen werden die beiden linken Beine nur noch wenig breitbeinig gehalten. Nystagmus noch vorhanden. Trinkt Milch und isst Fleisch, dabei horizontales Kopf- pendeln, das sonst fehlt. Bei Verschluss der Augen mit der Kopf- kappe keine Zunahme der Symptome. Sonst wie gestern. So wie in diesen beiden Protokollen geschildert, entwickeln sich und verschwinden mit geringen individuellen Differenzen in der Intensität und der Dauer die einzelnen Symptome nach einseitigem Labyrinthverlust bei der Katze. Es ist nun zu erörtern, was wir über das Zustandekommen und die gegenseitige Abhängigkeit dieser Folgezustände feststellen können. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 203 2. Die Augensymptome. a) Sympathicuslähmung. Camis!) hat angegeben, dass bei Katzen nach Labyrinth- exstirpation am Auge der operierten Seite eine vorübergehende Sympathicuslähmung (vorgezogene Nickhaut, enge Lidspalte und enge Pupille) angetroffen wird. Wie De Kleijn?) gezeigt hat, beruht dieses darauf, dass die postganglionären Sympathicusbahnen für das Auge bei der Katze durch das Mittelohr verlaufen und bei der Operation - daher in mehr oder weniger srossem Umfange mitverletzt werden. Diese Symptome haben daher mit dem Ausfall der Labyrinthfunktion als solcher nichts zu tun, sondern sind als Folge einer Nebenverletzung bei der Operation zu betrachten. (Es ist möglich, dass ausserdem nach Exstirpation des Labyrinthes eine wenige Tage dauernde reflek- torische Reizung des gleichseitigen Okulomotorius eintritt, welche eine geringgradige Miose auf der operierten Seite veranlasst. Doch bedarf dieser letztere Punkt noch weiterer Untersuchung.) kb) Augenablenkung und Nystagmus. Während beim Kaninchen und Meerschweinchen die Augen- _deviation zu den markantesten Dauersymptomen des Ausfalles eines Labyrinthes gehört, tritt dieselbe bei der Katze durchaus zurück. Erstens ist sie sehr geringgradig und zweitens nur von kurzer Dauer. Es bedarf besonderer Aufmerksamkeit, um überhaupt das Vorhandensein einer Augenablenkung festzustellen. Unmittelbar nach der Operation sieht man, dass beide Bulbi seitlich (horizontal) nach der Seite des fehlenden Labyrinthes abgelenkt sind, und dass ausserdem eine rotatorische Deviation besteht, indem der Oberrand der Pupille beiderseits nach der Seite der Operation verdreht ist. Ausserdem ist das Auge der operierten Seite ventralwärts, das andere etwas dorsalwärts deviiert. Die Ablenkung ist auf der Seite der Operation stärker, aber auch hier nur so weit vorhanden, dass man infolge der horizontalen Deviation eben den weissen Skleralrand auf der nicht operierten Seite erscheinen sieht. Schon am zweiten Tage nach der Operation ist die Deviation minimal und verschwindet nach einigen weiteren Tagen ganz. Direkt nach der Operation ist ein deutlicher Nystagmus zu sehen. Auf den ersten Blick scheint derselbe keine bestimmte Richtung zu haben, indem sowohl die Hin- wie die Herbewegung mit nicht sehr verschiedener Geschwindigkeit erfolgen. Erst bei 1) A. a. 0. Archivio di Farmacologia sper. vol. 12. 1911. 2) A. a. 0. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 26 S.4. 1912. 264 R. Magnus und A. de Kleijn: näherer Beobachtung kann man auch hier erkennen, dass die Be- wegung in der einen Richtung schneller erfolet als in der entgegen-- gesetzten. Der Nystagmus schlägt, wie auch beim Kaninchen und Meerschweinchen, in der der Deviation entgegengesetzten Richtung, er ist horizontal mit seiner schnellen Komponente nach der ge- sunden Seite gerichtet, rotatorisch schlägt der Oberrand der Pupille ebenfalls nach der gesunden Seite. Dieser Nystagmus ist gewöhnlich nur in den ersten 24 Stunden nach der Operation gut ausgebildet, am zweiten Tage ist er meistens nur noch angedeutet, und am dritten oder vierten Tage ist er vollständig verschwunden. Nur in einem Falle waren am sechsten und siebenten Tage noch geringe Spuren von Nystagmus zu sehen. Wenn der Nystagmus geschwunden ist, ist auch gewöhnlich keine Deviation der Augen mehr nach- zuweisen. Auch bei der Katze ist ein Einfluss der Kopfstellung auf die Augendeviation und den Nystagmus vorhanden. Wird beim stehenden Tier der Kopf nach der Seite der Operation (Ohr der operierten Seite ventralwärts) gedreht, bis die Mundspalte vertikal steht, so nimmt die Augendeviation ab, und der Nystagmus wird maximal. Bei der umgekehrten Kopfdrehung (Ohr der gesunden Seite ventralwärts) erreicht die Augenabweichung den höchsten Grad, und der Nystagmus nimmt sehr stark ab oder schwindet ganz. In der Mittelstellung des Kopfes (und ebenso bei Rückenlage) sind Augendeviation und Nystagmus mittelstark entwickelt. Schon in den ersten Tagen nach der Operation, wenn also die Augenabweichung noch vorhanden ist, kann das Tier seine Bulbi nach allen Seiten, und auch nach der der Deviation entgegengesetzten Seite, bewegen. Gerade dadurch wird der Nachweis der Abweichung so erschwert. Nach wenigen Tagen sind die Augenbewegungen, So- weit sich das wenigstens ohne besondere feinere Messmethoden fest- stellen lässt, von denen einer normalen Katze nicht zu unterscheiden. 3. Die Haltung von Kopf, Hals und Rumpf. ., Unmittelbar nach der Operation ist der Kopf nach der Seite des fehlenden Labyrinthes gedreht und gewendet. Durch die Drehung (um die Achse: Schnauze-Hinterhauptsloch) wird das Ohr der operierten Seite ventralwärts bewegt, durch die Wendung (um die Achse: Scheitel—Schädelbasis) wird die Schnauze dem Hinterbein der operierten Seite eenähert. Direkt nach der Operation überwiegt gewöhnlich die Wendung. re Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 265 Diese Kopfabweichung ist unabhängig von den Augen, denn sie bleibt auch nach dem Anlegen einer Kopfkappe bestehen und tritt auch ein, wenn man dezerebrierten Tieren mit durchtrennter optischer Bahn ein Labyrinth entfernt. Ausserdem überdauert die Kopfdrehung die Augenabweichung. Unter 15 Versuchen an ent- hirnten Katzen wurde nach der Exstirpation des einen Labyrinthes der Kopf siebenmal rein nach der operierten Seite gewendet (ohne Drehung), sechsmal war die Wendung stärker ausgesprochen als die Drehung, zweimal war der Kopf gleichmässig gedreht und gewendet. An die Wendung des Halses schliesst sich häufig am ersten Tage nach der Operation eine deutliche Wendung der ganzen Rumpfwirbelsäule nach der operierten Seite an, wodurch der ganze Körper dann einen nach der operierten Seite konkaven Bogen bildet. Diese Rumpfwendung ist aber gewöhnlich am folgenden Tage schon wieder verschwunden. Ebenso ist die Wendung des Halses eine vorübergehende Erscheinung. Nach 2—3 Tagen ist sie bereits weniger ausgesprochen als nach der Operation und geht im Laufe der ersten Woche noch weiter zurück. Meist sieht man, dass nach einigen Tagen der Kopf willkürlich auch nach der anderen Seite gewendet werden kann, in der Zwischenzeit aber nach der operierten Seite gewendet gehalten wird. Später wird die Kopfwendung noch geringer, ist häufig gar nieht mehr sichtbar und wird vor allem nur deutlich, wenn die Aufmerksamkeit des Tieres irgendwie ab- geleukt ist, also z. B. wenn es frisst oder trinkt. Später können auch diese geringen Reste der Kopfwendung ganz schwinden. Dagegen ist die Kopfdrehung eine Dauerfolge der Operation. Sie ist direkt nach derselben gewöhnlich nicht so ausgesprochen und tritt gegen die Wendung zurück, bald aber gewinnt sie die Ober- hand. Sie übersteigt beim sitzenden oder laufenden Tiere gewöhn- lich nicht 45°, beträgt manchmal auch nur 20—30°, bleibt aber stets nachweisbar. Nach einigen Wochen wird auch sie geringer, 10—30°; wir haben sie aber auch bei monatelang fortgesetzter Be- obachtung niemals vermisst. Wie die Wendung, so wird auch die Drehung des Kopfes dann jedesmal deutlicher, wenn das Tier frisst, trinkt oder im Begriffe ist, vom Tische herunterzuspringen usw. Man bekommt durchaus den Eindruck, als ob, wenn die Auf- merksamkeit des Tieres abgelenkt wird, irgendwelche Kompensations- vorgänge, die das Tier gegen seinen abnormen Körperstand an- wendet, minder wirksam würden. Dass solche Kompensations- 366 | R. Magnus und A. de Kleijn: vorgänge tatsächlich gegenüber der Kopfabweichung ins Spiel treten, wird weiter unten zu zeigen sein. Ebenso wie beim Kaninchen und Meerschweinchen schliesst sich nun an die Drehung des Halses eine entsprechende Drehung des sanzen Rumpfes an. Dass etwas Derartiges vorhanden sein muss, sieht man manchmal schon an dem ruhig stehenden oder dem laufenden Tiere, bei welchem man, besonders bei der Betrachtung von hinten, ausser der Drehung des Kopfes noch ein Überhängen des Rumpfes, besonders des Thorax nach der operierten Seite fest- stellen kann. Doch ist dieses, wie sich aus den früheren Be- obachtungen bei Kaninchen und Meerschweinchen ergibt, kein sicherer Beweis für Rumpfdrehung, da dasselbe auch durch un- gleichen Strecktonus der Beine auf den beiden Körperseiten hervor- gebracht werden könnte. Einen wirklich sicheren Nachweis dieser Drehung kann man nur führen, wenn man das Tier an der Lenden- wirbelsäule packt und mit dem Kopfe nach unten hängen lässt. Das lassen sich aber nur die-wenigsten Katzen ohne Sträuben ge- fallen, und so kommt es, dass wir nur bei vier Tieren die Rumpf- drehung genauer untersuchen konnten. Am besten gelang dieses bei einem Kätzchen von 3 Monaten, dem die Krallen geschnitten waren. In Hängelage mit dem Kopfe nach unten zeigte sich eine sehr hochgradige spiralige Drehung des ganzen Körpers, die ganz der auf Fig. 1—3 vom Kaninchen abgebildeten Drehung entsprach. So war z.B. am dritten Tage nach der Operation die untere Thorax- apertur 45°, die obere Thoraxapertur 90° und der Kopf 135° gegen das Becken gedreht. Ähnliche Werte liessen sich an den übrigen Tagen sowie direkt nach der Operation feststellen. Diese Drehung des Rumpfes ist ganz oder wenigstens zum erössten Teile eine direkte Folge des Labyrinthausfalles, denn sie bleibt auch nach Geradesetzen des Kopfes gegen den Thorax bestehen. Es ist nicht ganz leicht zu entscheiden, ob beim Geradesetzen des Kopfes die Rumpfdrehung überhaupt geringer wird. Jedenfalls lässt sich mit Sicherheit sagen, dass, wenn eine solche Abnahme vorhanden ist, sie Jedenfalls sehr gering ist. Es scheint also die Drehung des Halses die Rumpfdrehung nur wenig zu verstärken !). 1) Bei normalen kleinen Kätzchen tritt bei Kopfdrehen in Rückenlage eine Konkavität der Lendenwirbelsäule nach der „Kieferseite“* auf. Reflexe vom Hals auf den Rumpf sind also vorhanden, wenn sie auch nach einseitigem Labyrinthverlust nur geringe Wirksamkeit entfalten. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 267 Erwähnung verdient ferner noch der Kopfnystagmus. Derselbe ist nach einer typisch ausgeführten Operation beim ruhig sitzenden Tier nur direkt nach dem Erwachen aus der Narkose vorhanden und kann auch ganz fehlen. An den folgenden Tagen tritt er häufig noch beim Essen und Trinken auf, wenn das Tier zur Nahrungsaufnahme seinen Kopf und seine Augen fixieren muss. Später als am siebenten Tage haben wir ihn nicht mehr wahrgenommen. Er verschwindet oder wird jedenfalls viel geringer, wenn dem Tiere mit einer Kopfkappe die Augen verschlossen werden. 4. Der Tonus der Extremitäten. Über den Strecktonus der Beine kann man sich bei einseitig labyrinthlosen Katzen am besten ein Urteil verschaffen, wenn man die Verschieblichkeit des Körpers nach rechts und nach links bei dem auf einer rauhen Unterlage (Strohmatte) sitzenden Tiere prüft. Dieses sucht der Verschiebung durch Streekung der Beine auf der Seite, nach welcher die Bewegung gerichtet ist, entgegenzuwirken. Diese Streckung fühlt man als Widerstand gegen die seitliche Ver- schiebung, und wenn man das Tier abwechselnd nach rechts und nach links bewegt, bekommt man ein gutes Urteil über etwa vor- handene Tonusunterschiede. Dieses Verfahren hat ausserdem den Vorteil, dass man dabei den Kopf geradesetzen oder ihm die um- gekehrte Drehung geben und den Einfluss dieser Maassnahmen auf den Gliedertonus leicht feststellen kann. Ein anderes Verfahren, das gute Resultate gibt, ist die ver- gleichende Prüfung des Widerstandes gegen passive Beugung in den beiden Ellbogengelenken. — Dagegen lassen es sich die meisten Katzen nicht gefallen, wenn man sie auf den Rücken legt, und den Tonus ihrer Beine direkt vergleicht. Doch haben wir an dem letzterwähnten Kätzchen auch dieses letztere Verfahren anwenden können. Direkt nach dem Erwachen aus der Narkose ist bei manchen Tieren, wenn man den Kopf gegen den Thorax gerade setzt, der Tonus der Gliedmaassen beiderseits gleich. Es lässt sich bei ihnen ein direkter Einfluss des Labyrinthausfalles auf den Gliedertonus nicht nachweisen. In der Mehrzahl der Fälle dagegen sind direkt nach der Operation die Beine auf der Seite des Labyrinth- verlustes schlaffer als auf der anderen (bei geradegesetztem Kopfe). Fast stets ist dieser Unterschied aber bereits am folgenden Tage verschwunden, und nur in einem Falle haben wir nach 24 Stunden noch einen deutlichen, am zweiten bis vierten Tage noch einen 268 R. Magnus und A. de Kleijn: minimalen Tonusunterschied der Glieder bei Korrektion der Kopf- abweichung gefunden. Nach dieser Zeit lässt sich, soweit unsere Erfahrungen reichen, ein direkter Einfluss des Labyrinthausfalles auf den Gliedertonus nicht mehr nachweisen. Ein solcher ist also stets nur von geringer Dauer, ist meistens nur sehr wenig aus- geprägt und kann auch ganz fehlen. Wenn man normale Katzen dezerebriert und ihnen darauf ein Labyrinth exstirpiert oder mit Kokain ausschaltet, lässt sich ähnliches feststellen. In 14 unter 17 Fällen war danach bei geradegesetztem Kopfe der Strecktonus der Glieder auf der Seite des Labyrinthverlustes geringer als auf der anderen, in den drei anderen Fällen dagegen war er beiderseits gleich. Bei dezerebrierten Tieren lässt sich der Glieder- tonus leichter prüfen als bei normalen, weil erstere gewöhnlich keine Spontanbewegungen machen, Während der direkte Einfluss des Labyrinthausfalles auf den Gliedertonus gering und vorübergehend ist, ist der Einfluss der Halsreflexe um so deutlicher. Auch hier wieder sind die durch die Drehung des Halses ausgelösten tonischen Reflexe auf die Glieder bei weitem die wichtigsten. Denn erstens ist die Drehung des Halses eine Dauerfolge der Operation, und zweitens hat Drehung einen stärkeren Einfluss auf die Extremitäten als Wendung. Da nach einseitigem Labyrinthverlust der Kopf nach der Seite der Operation gedreht wird, so sind die Beine auf dieser Körper- seite „Schädelbeine“ und erfahren eine Abnahme ihres Strecktonus, die Beine der gekreuzten Seite sind „Kieferbeine“ uud werden stärker gestreckt. Infolgedessen findet man zu jeder Zeit nach der Operation, wenn das Tier frei dasitzt, einen stärkeren Strecktonus der Beine auf der gesunden Seite. Diesen kann man direkt fühlen, wenn man den Widerstand gegen passive Beugung in den beiden Ellbogen- gelenken vergleicht; am besten stellt man ihn durch Untersuchung der Verschieblichkeit des Tieres auf der Unterlage fest. Das frei- sitzende Tier lässt sich leichter nach der Seite der Operation ver- schieben als nach der anderen. Sobald man aber den Kopf gegen den Thorax geradesetzt, verschwindet dieser Unterschied (wenigstens, wenn man diesen Versuch nicht in den allerersten Tagen nach der Operation anstellt, wo der obenerwähnte direkte Labyrintheinfluss noch vorhanden sein kann). Dreht man den Kopf nach der anderen Seite, so lässt sich das Tier naclı der gesunden Seite leichter ver- schieben, verhält sich also so, als ob ihm das andere Labyrinth herausgenommen worden wäre. Bei der obenerwähnten kleinen Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 269 Katze konnten wir diesen Einfluss der Kopfdrehung auf den Tonus der Beine mit demselben Resultat in Rückenlage direkt untersuchen. Es zeigte sich, dass die Vorderbeine stärker beeinflusst wurden als die Hinterbeine. Das geschilderte Verhalten des Gliedertonus haben wir bis zu 115 Tagen nach der Operation nachweisen können. Längere Beobachtungen haben wir bisher nicht angestellt. Die Wendung des Kopfes ist nur in den ersten Tagen nach der Operation stärker ausgesprochen und kann daher auch nur anfangs den Gliedertonus heeinflussen. Da die Wirkung eine gering- gradigere ist als die der Kopfdrehung, so kann man ihren Einfluss häufig vernachlässigen. Gerade bei der Katze kann aber doch gelegentlich der Effekt der Kopfwendung auf den Gliedertonus direkt nach der Operation deutlich werden. Da der Kopf nach der Seite des Labyrinthverlustes gewendet wird und dadurch die Beine der operierten Seite zu „Kieferbeinen“ werden, so bekommen bei hochgradiger Kopfwendung die Extremitäten auf der Seite des fehlenden Labyrinthes mehr Tonus, und es muss daher die Kopf- wendung im entgegengesetzten Sinne auf die Glieder wirken als die Kopfdrehung und der direkte Einfluss des Labyrinthausfalles.. In einem Falle haben wir daher sogar gesehen, dass direkt nach der Operation die Beine der operierten Seite stärker gestreckt waren als die der gesunden, wobei zugleich eine starke Wendung des Kopfes nachzuweisen war: Katze „La-ce*. 23. September 1911, 9'e Uhr. Exstirpation des linken Labyrinthes. Drei Bogengangsöffnungen und Octavusstamm freigelegt. Facialis intakt. Direkt nach der Operation ist der Kopf stark nach links gewendet, nicht deutlich gedreht, die beiden linken Beine haben stärkeren Strecktonus als die rechten. 101/a Uhr. Tier sitzt auf. Kopf nach links gedreht, linke Vorderpfote schlaffer als rechte. Wird der Kopf genau gerade gesetzt, so wird der Unterschied geringer, aber die linke Vorder- pfote ist immer noch deutlich schlaffer als die rechte. Bei Drehung des Kopfes nach links nimmt der Unterschied zu, bei Drehen nach rechts nimmt er ab bis zur Gleichheit. Wird aus der symmetrischen Stellung der Kopf nach links gewendet, so verliert das rechte Bein an Tonus; wird er nach rechts gewendet, was nur gegen starken Wider- stand möglich ist, so verliert das linke Bein an Tonus. Die Kombination von Drehen und Wenden hat deutlich gegensinnigen Effekt. 24. September. Kopf nach links gedreht und gewendet. Beide linken Beine haben weniger Strecktonus als die rechten. Bei Gerade- setzen des Kopfes verschwindet der Unterschied im Gliedertonus zwischen rechts und links fast vollständig. 270 R. Magnus und A. de Kleijn: Es handelt sich also, wie man sieht, nur um einen bald vorüber- gehenden Einfluss. Das gleiche kann man gelegentlich bei dezere- brierten Tieren feststellen, bei denen nach der Exstirpation eines Labyrinthes die Kopfwendung häufig stärker ausgesprochen ist als die Drehung (s. oben). So haben wir in vier Versuchen an dezerebrierten Katzen gesehen, dass nach Fortnahme eines Labyrinthes der Tonus der gleichseitigen Extremitäten bei geradegesetztem Kopfe geringer war als der der ge- kreuzten Seite. Durch die starke Wendung des Kopfes wurde dieser Einfluss gerade überkompensiert, so dass der Strecktonus beiderseits gleich wurde. In zwei anderen Versuchen wurde der Tonusunterschied der Glieder, der bei geradegesetztem Kopfe vorhanden war, durch die starke Kopfwendung sogar überkompensiert, so dass die Beine der operierten Seite stärker gestreckt waren als die der normalen Seite. Die Einflüsse, welche nach einseitiger Labyrinthexstirpation den Strecktonus der Gliedmaassen bedingen, sind also nach dem Vorhergehenden folgende: Die Drehung des Kopfes bewirkt durch einen tonischen Halsreflex, dass die Glieder auf der operierten Seite weniger, auf der normalen Seite mehr Strecktonus bekommen. Da die Halsdrehung eine Dauerfolge der Operation ist, so ist auch dieser Halsreflex ein dauernder. Unmittelbar nach der Operation wird dieser Unterschied bei der Mehrzahl der Tiere verstärkt durch einen direkten Einfluss des Labyrinthausfalles, der aber nur einen oder wenige Tage dauert. Wenn der Kopf nach der Operation stark gewendet ist, so wirkt dieses dem geschilderten Tonusunterschied entgegen, kann ihn sogar vorübergehend überkompensieren. Auch hierbei handelt es sich um einen schell vorübergehenden Einfluss. 5. Körperhaltung und Bewegung. Schon eine oder wenige Stunden nach der Operation sitzt eine einseitig labyrinthlose Katze aufrecht da und beginnt auch häufig schon umherzulaufen. Die Drehung und Wendung des Kopfes nach der operierten Seite, die Wendung des Rumpfes nach derselben Seite und der Tonusverlust der Beine auf dieser Körperseite sind bereits geschildert. Beim Sitzen äussert sich der Tonusverlust der betreffenden Beine dadurch, dass das Tier mit denselben breitbeinig dasitzt. Während also das Kaninchen die Extremitäten der gekreuzten Seite, welche mehr Strecktonus haben, abduziert, stehen bei der Katze die schlafferen Beine der operierten Seite etwas mehr seitlich. Dieses ist häufig am Vorder- und Hinterbein, manchmal auch nur Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 271 am Hinterbein allein deutlich. In der ersten Woche nach der Operation ist das fast stets zu sehen; später lernen die Tiere diese Stellung zu korrigieren, und man kann dann das breitbeinige Sitzen nur gelegentlich beobachten. In den ersten Tagen nach der Operation schwanken die Tiere beim Sitzen und Laufen seitlich hin und her. Nach 1—5 Tagen sitzen sie wieder ruhig. Solange die Wendung des Kopfes und des Rumpfes stark aus- gebildet ist, beschreibt das Tier, wenn es läuft, Uhrzeigerbewegungen nach der operierten Seite oder, wenn auch die Hinterbeine sich beim Laufen besser mitbeteiligen, Manegetouren. Da die Wendung aber sehr bald nau so, wie soeben geschildert. Es verhindert also auch die Durchtrennung der betreffenden cervicalen Hinterwurzeln nicht das Zustandekommen der Kompensation der Kopfabweichung, welche hauptsächlich. dureh "die ‘Muskulatur der ersten Halssegmente bedingt ist: Die veränderte zentrale Innervation kann sich also noch äussern: s Nach Entfernung des Grosshirns, nach Ausschaltung der Augen, nach Exstirpation us Tabyinthe, und nach Durehtrennung der obersten 282 . -R. Magnus und A. de Kleijn: eervicalen Hinterwurzeln. Auf welche Weise sie aber zustande kommt, bleibt nach wie vor dunkel. Be .. Dagegen ist wohl verständlich, wieso mit Hilfe dieser. ver- änderten zentralen Innervation die Katzen lernen, wieder besser zu laufen, zu springen, zu sitzen usw. Wie oben gezeigt wurde, beruht ein grosser Teil dieser Störungen auf dem Tonusunterschied der beiderseitigen Gliedmaassen. Tritt nun eine teilweise Kompensation der Kopfstellung ein, so wird auch der Tonusunterschied der Ex- tremitäten geringer und damit auch die hiervon abhängigen Störungen der Bewegung und Hältung. Dass tatsächlich der Tonusunterschied der Glieder längere Zeit uach der Operation durch die Abnahme der Kopfdrehung geringer wird, liess sich durch Untersuchung der seit- lichen Verschieblichkeit feststellen, ebenso, dass der Unterschied sofort wieder stärker wurde, wenn die ursprüngliche Kopfdrehung wiederhergestellt wurde. Es ist wohl überflüssig zu betonen, dass wir nicht glauben, hiermit alle oder auch nür alle wichtigeren Einrichtungen ermittelt zu haben, welche bei Katzen zur schliesslichen Kompensation der Labyrinthausfallsfolgen benutzt werden. Sicherlich spielen dabei noch viele Momente mit, welche sich bisher nicht übersehen lassen. 8. Zusammenfassung. Als direkte Folgen der einseitigen Labyrinth- ausschaltung sind bei der Katze anzuschen: A. Dauerfolgen. 1. Die Halsdrehung nach der Seite des Labyrinthverlustes. Sie ist nach unseren früheren Feststellungen von der Stellung des Kopfes im Raume abhängig. Das Maximum «si erreicht, wenn der ‚Scheitel nach unten gerichtet ist. 2. Die Drehung des ganzen Rumpfes bis zum Becken, B. Vorübergehende Folgen. 1. Die Augendeviation nach der Seite der Operation sowie der Nystagmus in der enigegengesetzten Richtung. Die Deviation ist auf der Seite der Operation stärker. Ihr Grad hängt in der Weise von der Stellung des Kopfes im Raume ab, dass sie am hoch- gradigsten wird, wenn die Seite des intakten Labyrinthes nach unten gerichtet ist. Die Maximumstellung für die Augenabweichung ıst also nicht identisch mit der für die Halsdrehung. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 283 2. Die Wendung des Kopfes nach der Seite des Labyrinth verlustes, an welche sich eine ee Wendung des Rumpfes anschliessen kann. 3. Eine inkonstante und schnell. vorübergehende Schlaffheit der Glieder auf der Seite der Operation. Auf diese direkten Labyrinthausfallsfolgen superponieren sich als Folgen der Halsdrehung: A. Dawerfolgen. 1. Ob die durch den Labyrinthausfall bewirkte Drehung des Rumpfes durch einen Halsreflex verstärkt wird, konnte nicht mit Sicherheit entschieden werden. 2. Die Drehung des Halses bewirkt einen dauernden Tonus- unterschied der beiderseitigen Gliedmaassen, wodurch die Beine auf der operierten Seite einen verminderten, die auf der gekreuzten Seite einen gesteigerten Strecktonus bekommen. 3. Auf diesen Tonusunterschied lassen sich eine Reihe von Bewegungsstörungen und Haltungsanomalien beziehen, wie das breit- beinige Süzen mit den Beinen der operierten Seite, das seitliche Umfallen und Abweichen nach der operierten Seite beim Laufen und Springen und anderes mehr. B. Vorübergehende Folgen. Die vorübergehende Wendung des Halses kann, wenn sie sehr hochgradig ist, unmittelbar nach der Operation dem geschilderten Tonusunterschied der Beine entgegenwirken und denselben in seltenen Fällen sogar zeitweise überkompensieren. Schaltet man bei Katzen durch Durchschneidung der drei obersten cervicalen Hinterwurzelpaare die Halsreflexe aus und entfernt ihmen danach ein Labyrinth, so bekommen sie weniger Störungen als Tiere mit erhaltenen Halsreflexen. Solche Tiere zeigen alle direkten Labyrinthausfallsfolgen: die Drehung des Halsess und Rumpfes, sowie die vorübergehenden Symptome, Augendeviation und Nystagmus, Kopfwendung und (inkon- stant) eine passagäre Schlaffheit der Glieder auf der operierten Seite. Dagegen fehlt ihnen der dauernde Tonusunterschied der beider- scitigen Extremitäten, die- Beeinflussbarkeit des Gliedertonus ‘durch Halsreflexe, das breitbeinige Sitzen auf der operierten Seite, das seit- liche Abweichen und Umfallen beim Laufen und Springen und anderes. 284 R. Magnus und A. de Rleijn: Der schnelle teilweise Ausgleich der Störungen nach einseitigem Labyrinthverlust bei Katzen beruht zum Teil auf einer allmählich eintretenden Änderung der zentralen Innervatiomen. Diese bleibt auch nachweisbar nach Ausschaltung des Grosshirns, der Augen, des anderen Labyrinthes und der drei obersten cervicalen Hinter- wurzelpaare. Sie betrifft hauptsächlich eine veränderte Innervation der Augen und der Halsmuskeln. . Durch letzteres werden sekundär dann auch diejenigen Labyrinthausfallsfolgen vermindert, welche auf dem Tonusunterschied der Gliedmaassen beruhen. Eine Korrektion der Haltungs- und Bewegungsanomalien mit Hilfe der optischen Eindrücke scheint bei der Katze eine geringere Rolle zu spielen. V. Versuche an Hunden. Eine Beschreibung der Folgezustände einseitiger Labyrinth- ausschaltung beim Hunde ist unter anderem von Bechterew?!) und neuerdings von Camis?) gegeben. Bechterew durchschnitt den N. acusticus, zu dem er sich den Weg von der Hinterhauptsschuppe her bahnte. Auch Camis®) ging vom Planum oceipitale aus vor (an der Basis der Apophysis jugularis) und zerstörte von hier aus die Bogengänge, in einigen Fällen auch die Schnecke. Beide Autoren haben direkt nach der Operation . stürmischere. Erscheinungen ge- sehen, als wir sie beobachtet haben. Wir haben nach dem Vorgange von Ewald (a. a. ©. $. 195) die Entfernung des Labyrinthes von der Bulla aus vorgenommen, wobei sich alle Nebenverletzungen am besten vermeiden lassen. Die Technik war im einzelnen genau die gleiche, wie die von uns bei der Katze verwendete. Es sei daher auch für den Hund auf die Schilderung des Verfahrens von de Kleijn*) verwiesen. .Der einzige Unterschied ist, dass dem Hunde die knöcherne Scheidewand in der Bulla fehlt, die bei der Katze das Mittelohr in zwei Teile teilt. Das Trommelfell bleibt, im Gegensatz zu der Ewald’schen Methode, unverletzt. 1) W. Bechterew, Pflüger’s Arch. Bd. 30 S. 312. 1883. 2) M. Camis, Contrib. alla Fisiol. del Labirinto. IIL.- Effetti -della Labirintectomia nel cane particolarmente sulla inuervazione vasomotoria. Fol. neuro-biol. vol. 6 p. 138. 1912. Be art 3) M. Camis, Contrib: & la !physiol. de labyrinthe. - IM. Une methode operatoire pour la destruction des ‚canaux ‚demi- circulaire ‚du chien. Arch. ital. de Biol. t. 55 p. 180. 1911. 4) Pflüger”s Arch. Bd. 145 8: 549. 1912. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 2385 1. Allgemeines Verhalten der Hunde nach einseitiger Labyrinth- exstirpation. Im ganzen wurde bei acht Hunden die einseitige Labyrinth- exstirpation ausgeführt. Fünf von diesen Tieren wurden vor oder nach der Operation dezerebriert, die drei anderen wurden 42, 56 und 67 Tage lang beobachtet, zweien von ihnen wurde danach das andere Labyrinth herausgenommen. Da bei den Versuchshunden die Symptome sich in ganz gleichartiger Weise entwickelten, und da es uns nur darauf ankam, festzustellen, ob die Ausfallserschei- nungen beim Hunde denen bei der Katze beobachteten ähnlich seien, haben wir vorläufig uns mit dieser Zahl von Experimenten besnügt. Tatsächlich ist der Verlauf ganz ähnlich wie bei der Katze, nur erfolgt die Rückbildung der zuerst starken Ausfails- erscheinungen noch schneller als bei jener. Zunächst sei wieder ein typisches Protokoll im Auszuge mit- geteilt, um den allgemeinen Ablauf der Erscheinungen _ zu. ver- deutlichen: Braunschwarzer Hund. 13. Dezember 1912. In Äther- narkose Exstirpation des rechten Labyrinthes, Vestibulum ausgeräumt, Bogengangsöffnungen freigelegt und ausgeputzt, Porus acusticus internus vorsichtig mit dem Meissel geöffnet, Nervus octavus mit der Pinzette umgangen. Schluss der Operation 10 Uhr 45 Min. 11 Uhr (!/e Stunde nach der Operation). Liegt im Käfig, rollt nach rechts (noch halb in Narkose). Kopf 30° nach rechts gedreht, linkes Vorderbein gestreckt abduziert. Auf den Boden gesetzt, fällt er mehrmals nach rechts um. Sehr starke Augendeviation, linkes Auge - nach oben-nasal, rechtes Auge nach unten-aussen. Sehr starker Nystagmus. In Rückenlage bei geradegesetztem Kopf Tonus der beiden rechten Beine geringer als der der linken. Nach dem völligen Er- wachen aus der Narkose rollt der Hund nicht mehr. : 12 Uhr. Rollt nicht. Kopf 30° nach rechts gedreht. Uhrzeiger- bewegungen nach beiden Seiten. Rechte Beine stärker gestreckt als linke. 4 Uhr 30 Min. Augenabweichung nach rechts, Nystagmus nach links. Kopf 10° nach rechts gedreht, kann auch nach links gewendet werden. Läuft breitbeinig und unsicher im Zimmer umher, fällt manch- mal nach rechts um. Andeutung von Uhrzeiger- und Manegebewegungen nach rechts, kann aber nach allen Richtungen laufen. Manchmal läuft er einige Schritte schräg nach vorne-rechts. Schwankt etwas beim Stehen. Kein Kopfpendeln. In Rückenlage bei geradem Kopf kein Tonusunterschied zwischen den rechten und linken Beinen. In Hänge- lage mit Kopf unten ist die untere Toraxapertur nicht, wohl aber der Kopf 90° gegen das Becken gedreht, 14. Dezember. Läuft unruhig, noch etwas breitbeinig im Zimmer umher, strauchelt dabei manchmal nach reehts und ‚weicht etwas nach 286 R. Magnus und A. de Kleijn: dieser Seite ab.. Kopf 30° nach rechts gedreht, kann nach allen Seiten gewendet werden. Als ihm Fleisch vorgehalten wird, kann er sich nicht auf den Hinterbeinen aufstellen. Frisst aber nachher das Fleisch gut. Augendeviation nach rechts, Nystagmus geringer als gestern. Springt vom Stuhl, fällt dabei nicht, weicht aber etwas nach rechts ab. 16. Dezember. Geringe Augenabweichung, kein Nystagmus. Kann die Augen nach allen Seiten bewegen. Springt aus dem Käfig (Tisch- höhe), kommt dabei mit dem Bauch auf den Boden, fällt aber nicht. Läuft viel besser und nur noch wenig unsicher. Strauchelt manchmal noch etwas nach rechts, aber fällt nicht. Kann sich gut auf den Hinter- beinen aufstellen. 17. Dezember. Läuft sicher ohne zu straucheln, noch etwas breit- beinig. Springt vom Tisch, knickt dabei mit den Vorderbeinen ein, fällt aber nicht, Augendeviation verschwunden. 20. Dezemter. Kopf deutlich nach rechts gedreht. Läuft sehr sicher, nur beim schnellen Laufen noch manchmal leichtes Straucheln nach rechts. Springt vom Tisch, ohne zu fallen, knickt dabei nur etwas mit den Vorderbeinen ein. Beim Versuch, die Treppe herunter zu laufen, fällt er nach rechts und danach Hals über Kopf die Treppe herunter. Kann auch die Treppe nicht herauflaufen. 14. Januar. Sehr lebhaft. Kopf 300°—-45° nach rechts gedreht, kann nach allen Seiten gewendet werden. Keine Augenabweichung. Steht auf den Hinterbeinen, springt vom Tisch, ohne zu fallen, fürchtet sich, die Treppe herunter zu laufen. In Hängelage mit dem Kopfe nach unten ist die untere Thoraxapertur 20°, die obere 30 °—45 °, der Kopf 90° nach rechts gedreht. 21. Januar. Läuft die Treppe vorsichtig, langsam, aber ohne zu fallen herunter, Kann auch treppauf laufen. Kopf beim Stehen 45 nach rechts gedreht, Thorax hängt etwas nach der rechten Seite über. 28. Januar. Springt gut vom Tisch, wackelt danach aber etwas nach rechts. Auf vorgehaltenes Fleisch stellt er sich auf den Hinter- beinen auf, dabei sind Kopf und Thorax schraubenförmig nach rechts gedreht (Kopf bis zu 90°). 7.. Februar. Läuft mit Sicherheit die Treppe herunter. Es sind noch folgende Ausfallserscheinungen an ihm nachweisbar: Beim Stehen ist der Kopf 30° nach rechts gedreht, der Thorax hängt mit seinem vorderen Teil noch etwas nach rechts über. In Hängelage mit dem Kopfe nach unten ist die untere Thoraxapertur 20°, die obere 30°, der Kopf 80° nach rechts gedreht. Das linke Vorderbein ist an diesem Tage nicht, wohl aber an anderen Tagen deutlich stärker gestreckt als das rechte. 12. Februar (56 Tage nach der Exstirpation des rechten Laby- rinthes). Exstirpation des linken Labyrinthes. Darauf Linkswendung des Kopfes, Augendeviation nach links. Nystagmus nach rechts. Keine Drehung des Thorax. Bei den beiden anderen Hunden war der Verlauf der Symptome im wesentlichen der gleiche, nur waren bei ihnen überhaupt keine Rollbewegungen zu beobachten. Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation et. 9287 Uber das Zustandekommen und die gegenseitige Abhängigkeit der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation haben wir folgende Feststellungen machen können. 2. Die Augensymptome. Die Augendeviation ist beim Hunde deutlicher als bei der Katze. Beide Augen sind dabei nach der Seite des fehlenden Labyrinthes abeeleukt, und zwar das Auge der operierten Seite stärker als das andere; das Auge der operierten Seite ist ausserdem nach unten, das der gesunden -Seite -nach oben :deviiert. - Schon am folgenden Tage nach der Operation ist die Augenabweichung geringer und verschwindet nach 3—4 Tagen ganz. Der Nystagmus schlägt mit seiner schnellen Komponente in der umgekehrten Richtung als die Augendeviation. Er ist direkt nach der Operation sehr stark aus- gesprochen, nach 24 Stunden bereits deutlich vermindert und nach 2—3 Tagen ganz verschwunden. Einmal glückte es am vierten Tage, den fehlenden Nystagmus während der Untersuchung des - Tieres wieder schwach temporär zum Vorschein zu bringen. Am ersten oder zweiten Tage nach der Operation ist das Tier meist schon imstande, seine Bulbi aktiv nach allen Richtungen zu bewegen. Nach 5—4 Tagen sind überhaupt bei der gewöhnlichen Untersuchung keine Störungen der Augenbewegungen zu erkennen. Im Gegensatz zum Kaninchen und Meerschweinchen und in Übereinstimmung mit der Katze ist also die Augendeviation beim Hunde keine Dauerfolge der einseitigen Labyrinthexstirpation. 3. Die Haltung von Kopf, Hals und Rumpf. Direkt nach der Operation ist der Kopf nach der Seite des Labyrinthverlustes gedreht und gewendet. Manchinal überwiegt die Drehung, manchmal die Wendung. Diese Kopfabweichung ist un- abhängig von den Augen, denn sie tritt auch an vorher dezerebrierten Tieren ein, bleibt bestehen, wenn man die Tiere nachher dezerebriert, und überdauert ausserdem die Augendeviation, welche nach einigen Tagen verschwunden ist, während die Kopfdrehung beim Hunde eine Dauerfolge der Operation darstellt. Die Wendung nimmt bald nach der Operation an Intensität ab, schwindet nach einigen Tagen vollständig und kommt danach nur gelegentlich, besonders wenn das Tier in abnorme-Körperlagen gerät, 288 R, Magnus und A. de Kleijn: zur Beobachtung. Schon kurz nach der Operation kann der Kopf auch aktiv nach der anderen Seite gewendet werden. Die Drehung des Kopfes nimmt in den ersten Tagen nach der Operation an Stärke zu und bleibt danach unverändert bestehen. Sie beträgt beim Stehen zwischen 20° und 45° Nach einiger Zeit ist der Hund imstande, seinen Kopf auch willkürlich nach der anderen Seite zu drehen. Beim ruhigen Stehen und beim Laufen kommt aber stets die Kopfdeviation wieder zum Vorschein. Auch beim Hunde schliesst sich an diese Kopfdrehung eine ent- sprechende Drehung des ganzen Rumpfes an. Diese ist beim stehenden Tiere daran zu erkennen, dass der Thorax etwas nach der Seite der Operation überhängt, was besonders beim schnellen Laufen deutlich wird. Besser aber lassen sich diese Dinge bei Hängelage mit dem Kopfe nach unten untersuchen. Genau wie bei Kaninchen, Meerschwein und Katze kann man dann eine Drehung der oberen und unteren Thoraxapertur gegen das Becken sehen. Dieselbe ist in den ersten Tagen nach der Operation noch gering, wird aber dann hochgradiger und bleibt danach dauernd bestehen. Z. B. war bei dem Hunde, dessen Protokoll oben wiedergegeben worden ist, in den ersten 4 Tagen nach der Operation die untere Thoraxapertur überhaupt noch nicht gegen das Becken gedreht, die Drehung der oberen Thoraxapertur schwankte zwischen 0° und 20° Nach Ab- lauf der ersten Woche dagegen war die untere Thoraxapertur 20 bis 30°, die obere 30-45°, der Kopf 70--90° gegen das Becken gedreht, und diese Drehung blieb bis zum Ende der Beobachtung bestehen (56 Tage). Bei einem anderen Hunde war. am ersten Tage bei Hängelage mit dem Kopfe nach unten überhaupt noch keine Drehung des Thorax gegen das Becken nachweisbar; nach drei Tagen war sie aber bereits voll entwickelt und betrug bis zum 62. Tage für die untere Thoraxapertur 20—30°, für die obere 35—45°, für den Kopf 70—90°. Diese Drehung des ganzen Körpers entspricht vollständig der oben auf Fig. 1—3 für das Kaninchen abgebildeten. Während bei der Katze beim Geradesetzen des Kopfes die Drehung des Thorax gegen das Becken ganz oder fast unverändert bestehen blieb, so dass diese Drehung auf eine direkte Wirkung des Labyrinthausfalles bezogen werden musste, und es fraglich blieb, inwieweit ausserdem noch ein Halsreflex mitspielte, finden wir beim Hunde das umgekehrte Verhalten. In bezug auf seine Rumpfdrehung verhält sich der Hund ähnlich wie das Meerschweinchen. Setzt Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation et. 289 man seinen Kopf gegen den Thorax gerade, so steht auch der Thorax gegen das Becken gerade. Es ist also die Rumpfdrehung im wesextlichen durch einen Halsreflex bedingt, und es bleibt fraglich, ob daneben ausserdem noch ein geringer direkter Einfluss des Labyrinthausfalles mitspielt. Nachweisen konnten wir einen solchen jedenfalls nicht. Unter zahlreichen Prüfungen schien nur ein einziges Mal bei einem Hund bei gerade gesetztem Kopfe eine geringe Rumpfdrehung zurückzubleiben, an den anderen Tagen stand bei demselben Tiere bei gerade gesetztem Kopf auch das Becken gegen den Thorax gerade. — Das gleiche Ergebnis hatte die Untersuchung der Rumpfdrehung in Rückenlage, Dieselbe war bei unkorrigierter Kopfdrehung deutlich und und beun Geradesetzen des Kopfes. _ Drehen des Kopfes nach rechts oder links bei Rückenlage des Tieres hatte, wenn dasselbe nicht starke Abwehrbewegungen machte, deutlich denselben Effekt, wie er in der vorigen Abhandlung beim Kaninchen beschrieben worden ist. Linksdrehen des Kopfes (linkes Ohr ventralwärts) bewirkte z. B. entweder eine Drehung des Beckens mit der linken Hinterbacke nach unten oder eine Konkavität der Lendenwirbelsäule nach rechts. Rechtsdrehen hatte den ‚spiegel- bildlich entoesengesetzten Effekt. — Kopfwenden in Rückenlage führte ebenfalls zu Konkavität ‘der Lendenwirbelsäule nach der Seite, nach der die "Schnauze gerichtet war. Aus dem oben wiedergegebenen Protokoll ergibt sich, dass man auch gelegentlich (nicht immer), wenn das Tier auf seinen Hinterbeinen steht und ‘den Kopf nach oben richtet, um nach Fleisch in _der Luft zu schnappen, die spiralige Drehung "des ganzen Körpers auftreten sehen kann, Kopfpendeln und Kon tar Talk wir nur bei einem unserer Hunde, und zwar nur direkt nach dem Erwachen aus der Narkose, beobachten können, Als Dauerfolge der Operation tritt demnach beim Hunde eine Drehung des Kopfes nach der operierten Seite ein. Diese hat ihrerseits durch einen tonischem Halsreflex eine gleichgerichtete Drehung des Rumpfes zur Folge. Ob ausserdem diese Rumpf- drehung auch durch eine direkte Wirkung des Labyrinthausfalles unterstützt wird, dafür konnten wir keine Anhaltspunkte gewinnen. Vorübergehend tritt nach der Operation eine Wendung des Kopfes nach der operierten Seite auf. Die Kopfabweichung ist unabhängig von den Augen. 290 R. Magnus und A. de Kleijn: 4. Der Tonus der Extremitäten. Bei einem unserer Hunde war bereits direkt nach dem Erwachen aus der Narkose bei gerade gesetztem Kopfe der Tonus der beider- seitigen Extremitäten eleich (Prüfung in Rückenlage). Hier _ war also von Anfang an ein direkter Einfluss des Labyrinthausfalles auf den Gliedertonus nieht nachweisbar. In allen anderen Fällen, und zwar sowohl bei den normalen als auch bei den dezerebrierten Hunden hatten bei gerade gesetztem Kopfe die Glieder auf der Seite der Operation einen geringeren Strecktonus als auf der anderen Seite. Dieser Uuterschied dauerte aber immer nur kurze Zeit. In dem oben genauer beschriebenen Falle war er bereits nach 6 Stunden verschwunden, nur einmal war er noch nach 24 Stunden vorhanden. Der direkte Einfluss des Labyrinthausfalles auf den Gliedertonus ist also, wie bei der Katze, inkonstant und nur von geringer Dauer. Nach dieser Zeit sind Tonusunterschiede an den beiderseitigen Gliedmaassen ausschliesslich durch die Kopfabweichung bedingt. Die Drehung des Kopfes führt wie bei den anderen untersuchten Tier- arten zur Abnahme des Strecktonus auf der Seite der Operation und zur Streckung der Glieder auf der gekreuzten Seite. . Diesen Ein- fluss kann man am besten erkennen, wenn man das Tier mit dem Kopfe nach unten hängen lässt. Dann ist gewöhnlich-das Vorder- bein der gekreuzten Seite deutlich stärker gestreckt. Oder man bringt das Tier in Rückenlage, wobei der Unterschied meistens ebenfalls an Vorder- oder Hinterbeinen deutlich zu erkennen ist. Auf Geradesetzen des Kopfes verschwindet dieser Tonusunterschied. Schon Bechterew hat eine sehr anschauliche Beschreibung von der starken Streckung und Abduktion der gekreuzten und der Beugung und Schlaffheit der gleichseitigen Beine gegeben, welche er kurze Zeit nach der Operation beobachten konnte. Wenn die Hunde sich soweit erholt haben, dass sie frei im Zimmer umherlaufen, ist der Tonusunterschied gewöhnlich nieht mehr unmittelbar zu erkennen, tritt aber in Rücken- oder Hängelage meistens deutlich hervor. Die Wendung des Kopfes ist gewöhnlich :nur direkt nach der Operation stark ausgebildet. Daher kann sie auch nur in diesem Stadium einen deutlichen Einfluss auf den Gliedertonus ausüben. Dieser Einfluss wirkt, wie oben S. 269 auseinandergesetzt ist, dem der Kopfdrehung entgegen und kann ihn unter Umständen über- kompensieren. Dieses haben wir beim Hunde in zwei Fällen ge- a Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 291 sehen, in denen direkt nach der Operation eine starke Wendung und fast keine Drehung des Kopfes vorhanden war. Hierdurch geriet das Vorderbein der operierten Seite in starke tonische Streekung, während das gekreuzte Vorderbein aktiv gebeugt war. Geradesetzen des Kopfes liess diesen Unterschied alsbald verschwinden. Wenige Stunden später war in dem einen Falle der Kopf mehr gedreht, und infolgedessen war nunmehr auch das Bein der gekreuzten Seite das tonisch gestreckte. Beim Hunde wirken also nach einseitiger Labyrinthexstirpation folgende Einflüsse bei der Erzeugung von Tonusunterschieden der Glieder zusammen: Die Drehung des Halses ruft durch einen tonischen Halsreflex eine Zunahme des Strecktonus auf der gekreuzten und eine Abnahme desselben auf der operierten Seite hervor. Es- handelt sich um eine Dauerwirkung. In den ersten Stunden nach der Operation kommen hierzu noch zwei weitere Einflüsse: erstens eine inkonstante Einwirkung des Labyrinthausfalles selber — dieser wirkt in demselben Sinne —; zweitens eine inkonstante Einwirkung der Kopfwendung — diese wirkt im entgegengesetzten Sinne als der erstgenannte Halsreflex. Als Gesamtresultat ergibt sich, dass nur in der Minderzahl der Fälle und nur für kurze Zeit die Beine auf der Seite der Operation stärker gestreckt sind, während sonst stets die Deine auf der gekreuzten Seite mehr Strecktonus haben. 5. Kompensationsvorgänge. Bei dem einen der beiden Hunde, dem 56 Tage nach der Ent- fernung des ersten auch das zweite Labyrinth exstirpiert wurde, trat lirekt nach der Operation Kopfwendung, Augendeviation und Nystagmus in der umgekehrten Richtung wie nach der ersten Operation auf. Bei «lem anderen Hunde war der Zwischenraum zwischen beiden Operationen 67 Tage. Nach der zweiten Operation war Augendeviation, Nystagmus und geringe Kopfdrehuug im umgekehrten Sinne zu beobachten. Wır können also die Angaben von Bechterew (a. a. O.) bestätigen. Nach Jem, was oben bei Besprechung der ähnlichen Feststellungen bei der Katze auseinandergesetzt ist, tritt nach der ersten Operation zugleich auit dem Rückgang der ersten heftigen Operationsfolgen eine kom- pensatorische Änderung der zentralen Innervation ein, über deren Natur wir zunächst nichts Sicheres aussagen können. Diese ist zum Teil die Ursache dafür, dass die Hunde so schnell wieder lernen, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 20 399 R. Magnus und A. de Kleijr: sich richtig zu bewegen. Diese Kompensation bezieht sich primär allein auf die Augen und die Kopfstellung. Über die Rolle der Augen bei dem Auseleich der Labyrinth- ausfallsfolgen haben wir beim Hunde keine besonderen Versuche angestellt. 6. Körperhaltung und Bewegungen. Die Stellungs- und Bewegungsanomalien nach einseitiger La- byrinthexstirpation beim Hunde sind denen sehr ähnlich, welche wir im vorigen Abschnitt bei der Katze eingehend geschildert haben. Nur ist der Ausgleich der Störungen ein noch schnellerer und voll- ständigerer. Rollbewegungen haben wir nur einmal gesehen, als das betreffende Tier noch nicht vollständig aus der Narkose erwacht war, in allen anderen Fällen fehlten sie. Die Stellungsanomalien des Kopfes, Rumpfes und der Glieder direkt nach der Operation sind oben ge- schildert. Wenn der Hund nach der Operation sieh aufstellt und beeinnt, umherzulaufen, was schon nach einer Stunde erfolgen kann, so steht er breitbeinig und schwankend, fällt gelegentlich nach der Seite des Labyrinthverlustes und weicht beim Laufen etwas seitlich ab. Uhrzeiger- und Manegebewegungen haben wir nur bei einem Tier in den ersten Stunden nach der Operation andeutungsweise auftreten sehen, solange die Wendung des Kopfes und die daran anschliessende des Rumpfes noch deutlich war. Das seitliche Abweichen beim Laufen, das bei der Katze so markant ist, war bei unseren Hunden am ersten Tage nach der Operation gewöhnlich noch angedeutet, am zweiten Tage dagegen nicht mehr zu sehen. Dann wird auch der breitbeinige Stand weniger deutlich, und das Schwanken beim Stehen verschwindet. Beim Laufen strauchelt der Hund in den ersten Tagen noch häufig nach der Seite der Operation. Aber schon nach 4—6 Tagen sieht man es sehr viel seltener und meist nur beim schnellen Laufen. Später schwindet es ganz. Umfallen nach der operierten Seite er- folet (auch beim Laufen) gewöhnlich schon am Tage nach der Operation nicht mehr. Nimmt man dazu, dass die Hunde schon nach }/a—1 Wochen imstande sind, auf den Hinterbeinen zu stehen und zu tanzen, so sieht man, dass alle diejenigen Störungen beim Laufen und Stehen, welche, wie oben gezeigt wurde, bei der Katze hauptsächlich durch die Schwäche der Beine auf der operierten Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation ete. 293 Seite verursacht werden, beim Hunde schnell abnehmen. Mit anderen Worten, der Tonusunterschied der Glieder, welcher, wie erwähnt, sich in Hängelage oder in Rückenlage, also in abnormen Körper- stellungen, beim Hunde noch nach mehreren Monaten nachweisen lässt, ist beim Stehen und Laufen nicht stark genug, um hochgradige Bewegungsstörungen herbeizuführen. Auch die Beine der operierten Seite sind nicht so tonusarm, dass sie nicht das Körpergewicht tragen könnten. Damit stimmen auch unsere Beobachtungen über das Springen der Tiere. Ein Hund sprang bereits am ersten Tage nach der Ent- fernung des rechten Labyrinthes gut vom Stuhl und wich dabei etwas nach rechts ab. Am dritten Tage sprang er aus dem Käfig, am vierten vom Tisch, wobei er noch etwas einknickte. Nach 14 Tagen sprang er ohne jede Störung vom Tisch und wackelte nur nachher etwas nach der operierten Seite. Ein anderer Hund sprang nach 10 Tagen vorsichtig, aber gut vom Tisch auf den Boden. — Die grössten Schwierigkeiten haben die Hunde beim Treppablaufen. Bei dem einen dauerte es 21 Tage, bei dem anderen 10 Tage, bis er es wieder gut gelernt hatte. Sehr auffällig ist die besonders von Ewald betonte Tatsache, dass, wenn die Hunde einmal bei einer dieser Übungen heftig gefallen sind, sie gewöhnlich in der nächsten Zeit nicht dazu zu bekommen sind, sie zu wiederholen. Das ist beim Springen und Treppenlaufen besonders deutlich. Nach Ablauf von einigen Monaten ist bei den Tieren ausser der Kopfdrehung und vielleicht einem geringen Überhängen des Thorax nach der operierten Seite überhaupt bei der gewöhnlichen Beobachtung keine Anomalie zu entdecken, und man muss sie erst in Hängelage mit dem Kopfe nach unten bringen, um an der starken Drehung des ganzen Rumpfes und eventuell der Streckung des ge- kreuzten Vorderbeines zu erkennen, dass es sich um den Verlust eines Labyrinthes handelt. - 7. Zusammenfassung: Als direkte Folgen der einseitigen Labyrinth- exstirpation lassen sich beim Hunde nachweisen : A. Dawerfolgen. Die einzige direkte Dauerfolge der Operation ist die Hals- drehung nach der Seite des fehlenden Labyrinthes. Sie ist nach 20,* 294 R. Magnus und A. de Kleijn: unseren früheren Feststellungen in der Weise von der Lage des Kopfes im Raume abhängig, dass sie maximal wird, wenn der Scheitel nach unten gerichtet ist. B. Vorübergehende Folgen. 1. Die Augendeviation nach der Seite der Operation und der Nystagmus in der entgegengesetzten Richtung. 2. Die Wendung des Kopfes nach der Seite des Labyrinth- verlustes. 3. Eine inkonstante und nach wenigen Stunden vorübergehende Schlaffheit der Glieder auf der Seite der Operation. Auf diese direkten Labyrinthausfallsfolgen superponieren sich als Folgen der Halsdrehung: A. Dauerfolgen. 1. Die Drehung des ganzen Rumpfes bis zum Becken. 2. Der Tonusunterschied der beiderseitigen Gliedmaassen, wo- durch die Beine auf der operierten Seite einen verminderten, die auf der gekreuzten Seite einen gesteigerten Strecktonus bekommen. B. Vorübergehende Folgen. Die vorübergehende Wendung des Halses kann, wenn sie sehr hochgradig ist, unmittelbar nach der Operation dem geschilderten Tonusunterschied der Deine entgegenwirken und denselben in seltenen Fällen sogar zeitweise überkompensieren. Beim Hunde findet ein schneller Ausgleich der Störungen nach einseitigem Labyrinthverlust statt. Hlieran beteiligt sich unter anderem eine Änderung der zentralen Innervationen, welche, wie bei der Katze, hauptsächlich die Augen und die Halsmuskeln betrifft. VI. Schluss. Wie sich aus den im vorstehenden mitgeteilten Einzelbeobachtungen ergibt, konnte die in der Einleitung aufgeworfene Frage, in welcher Weise sich direkte Labyrinthausfallsfolgen und tonische Halsreflexe bei den Folgezuständen einseitiger Labyrinthexstirpation kombinieren, beantwortet werden. Es hat sich als möglich erwiesen, diejenigen Symptome, welche durch die Drehung und Wendung des Halses bedingt sind, von den eigentlichen Labyrinthsymptomen zu sondern. Dabei stellte es sich heraus, dass diesen Halsreflexen ein sehr be- merkenswerter Anteil an dem gesamten Komplex von Störungen Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 295 zukommt. Schaltet man die Halsreflexe aus, so werden die Folgen des einseitigen Labyrinthverlustes viel geringer. Für den Erfolg unserer Untersuchung war es von entscheidender Bedeutung, dass es gelingt, jederzeit die Halsreflexe dadurch auszuschalten, dass man den Kopf gegen den Rumpf gerade setzt. Diejenigen Störungen, welche dann noch übrig bleiben, wurden als direkte Folgen des Labyrinthausfalles angesehen. Bei den vier untersuchten Tierarten haben sich nun- sehr interessante Unterschiede ergeben in der Art, wie sich diese beiden Gruppen von Einflüssen zu dem Gesamtbild der Labyrinth- ausfallsstörung kombinieren. Während bei allen vier Tierspezies die Halsreflexe, wenn auch in verschiedener Intensität, so doch wenigstens in den Haupteigenschaften gleichartig vorhanden sind, erwiesen sich die direkten Labyrinthausfallsfolgen als sehr verschiedenartig, sowohl was ihre Intensität und Dauer, als auch was ihre Verteilung auf die verschiedenen Muskelgruppen des Körpers anbetrifft. Wenn zunächst die Halsreflexe etwas näher betrachtet werden, so ist eine ihrer vornehmlichsten Eigenschaften ihre lange Dauer. Wir haben schon in den früheren Mitteilungen darauf hingewiesen, dass es sich um Reflexe der Lage handelt, welche so lange andauern, als der Kopf in der betreffenden Stellung fixiert gehalten wird. Bei den damaligen Versuchen handelte es sich aber immer nur um eine mehr oder weniger grosse Zahl von Minuten. Die oben geschilderten Beobachtungen, z. B. an Kaninchen, zeigen aber, dass diese Reflexe, welche durch Drehung des Halses ausgelöst werden, wochen- und monatelang fortbestehen können, ohne zu ermüden. Und selbst wenn ein Kaninchen nach mehreren Monaten imstande ist, die durch Hals- reflex bedingten Stellungsanomalien mit Hilfe der Augen zu korri- gieren, genüst es, die Augen zu verschliessen, um sofort zu sehen, dass die Impulse vom Halse aus noch in unveränderter Stärke fort- bestehen. Es ist wohl seit langem bekannt, dass die propriozeptiven Impulse, welche nach Brondgeest eine wichtige Quelle des Muskel- tonus ausmachen, während der ganzen Dauer des Lebens bestehen. Dass aber durch afferente Erregungen, welche durch eine bestimmte Stellung eines Körperteiles ausgelöst werden, abnorme Körper- haltungen von einer derartigen Dauer zustande kommen können, ist überraschend. Die Bedeutung dieses Befundes für die Physiologie und Pathologie der Körperstellung liegt auf der Hand. Es handelt sich eben um tonische Reflexe von praktisch unbegrenzter Dauer. 296 R. Magnus und A. de Kleijn: Dass es sich bei den Halsreflexen, soweit sie bei den Folge- zuständen der einseitigen Labyrinthexstirpation in Wirksamkeit treten, für alle vier untersuchten Tierarten um im wesentlichen gleichartige Einflüsse handelt, ersieht man aus folgender Tabelle: Kaninchen | Meerschwein Katze Hund Kopfdrehen wirkt ! sehr deutlich | sehr deutlich | bei Labyrinth- _ sehr deutlich auf den Rumpf verlust nicht nachweisbar, ver- | mutlich gering vorhanden Kopfdrehen wirkt | sehr deutlich | sehr deutlich sehr deutlich deutlich auf die Glieder (bes. Vorder- beine) Kopfwenden gering gering f gering gering wirkt auf die Glieder | | Die Beeinflussung des Muskeltonus durch diese Reflexe ist bei allen bisher untersuchten Tieren identisch. Stets tritt auf Kopf- drehen und Kopfwenden Zunahme des Strecktonus in den „Kiefer-. beinen“ und Abnahme des Streektonus in den „Schädelbeinen“ ein. Der Tonus der Beugemuskeln verhält sich gerade umgekehrt, er steigt in den „Schädelbeinen“ und sinkt in den „Kieferbeinen“. In den Muskeln von Schulter, Ellbogen, Hüfte und Knie sind diese Veränderungen stärker ausgesprochen als in den Fussgelenken. Ausser- dem wird die Rumpfwirbelsäule beim Drehen und Wenden des Kopfes nach der „Kieferseite* konkav, oder sie dreht sich, wenn der Hals gewendet wird, so, dass der Rumpf die Drehung des Halses fortsetzt. Die übrigen in früheren Mitteilungen geschilderten Halsreflexe, z. B. die Beeinflussung des Gliedertonus durch Heben und Senken des Kopfes, sind natürlich bei den einseitig labyrinthlosen Tieren ebenfalls vorhanden und lassen sich an ihnen jederzeit hervorrufen, aber sie wirken nicht mit bei dem Zustandekommen der charakte- ristischen Symptome des einseitigen Labyrinthverlustes. Die Bedeutung, welche nun diese durch den abnormen Kopfstand ausgelösten und bei allen untersuchten Tieren ganz gleichartigen Halsreflexe für die Körperstellung und die Bewegungsmöglichkeiten nach der Fortnahme des einen Labyrinthes bei den vier verschiedenen Tierarten haben, ist trotzdem ausserordentlich verschieden. Man braucht nur ein Kaninchen und einen Hund wenige Wochen nach Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 297 der Operation miteinarder zu vergleichen. Das Kaninchen sitzt in einer höchst auffallenden Zwanesstellung mit Abduktion des gekreuzten Vorderbeines, der Hund dagegen läuft fast wie ein normaler umher, und es bedarf aufmerksamer Untersuchung, um nachzuweiser, dass dieselben Halsreflexe auch bei ihm noch wirksam sind. Aufhebung der Halsreflexe durch Geradesetzen des Kopfes verändert dieses Bild beim Kaninchen wie mit einem Zauberschlage und lässt das Tier fast völlig wie ein normales dasitzen, während der schon vorher sich fast normal bewegende Hund in Stellung und Bewegungen kaum mehr verbessert wird. Der Hund hat die Möglichkeit, trotz des vorhandenen Tonusunterschiedes der Glieder und trotz der Drehung seines Rumpfes zu laufen, zu springen, Treppen zu steigen usw., das Kaninchen muss mühsam allmählich lernen, einen Teil der Störungen nach Monaten mit Hilfe der Augen zu kompensieren. Meerschweinchen und Katze stehen zwischen diesen beiden Extremen in der Mitte. Da nach der Entfernung eines Labyrinthes die Kopfdrehung eine Dauerfolge darstellt, die Wendung dagegen, wenigstens. bei Meerschweinchen, Katze und Hund schnell vorübergeht, so ist be- greiflich, dass die durch die Kopfwendung ausgelösten Halsreflexe bei den letztgenannten Tieren nur vorübergehend deutlich werden, während die Halsdrehreflexe Dauerfolgen der Operation geworden sind. Diejenigen Störungen, welche nach Geradesetzen des Kopfes gegen den Hals noch vorhanden sind, fassen wir als direkte Labyrinthausfallsfolgen auf. Unter ihnen lassen sich bei jedem der untersuchten Tiere zwei Gruppen unterscheiden. Ein Teil derselben stellt Dauerfolgen der Operation dar, welche nicht zurückgebildet werden können. Ein anderer Teil tritt nur vorüber- eehend auf und ist nach Stunden, Tagen oder Wochen nicht mehr nachzuweisen (s. Tab. S. 301). Eine solche vorübergehende Folge des einseitigen Labyrinth- ausfalles ist bei allen vier geprüften Tierspezies die Erschlaffung der Extremitäten auf der Seite der. Operation. Diese wird bedingt durch den Nachlass des Tonus der Streckmuskelu, besonders in Hüfte, Knie, Schulter und Ellbogen. Die Dauer dieses Tonus- verlustes der Glieder auf der Seite der Operation zeigt dagegen grosse Unterschiede. Beim Kaninchen ist er durchschnittlich 2 Monate nachzuweisen, beim Meerschweinchen einige Tage, bei der Katze ist 298 R. Magnus und A. de Kleijn: er inkonstant und meist am folgenden Tage verschwunden, beim Hunde ist er inkonstant und dauert nur einige Stunden. Sehr durchgreifende Unterschiede ergeben sich im Verhalten. der Augen infolge des einseitigen Labyrinthverlustes. Bei allen Tieren sind, wenn man von der gleichzeitig auftretenden rotatorischen. Deviation (und bei Hund und Katze von der Ablenkung nach oben und unten) absieht, die Augen nach der Seite des fehlenden La- byrinthes abgelenkt. Das heisst, dass das übriebleibende Labyrinth einen besonderen Einfluss auf die Bewegung der Augen nach der gekreuzten Seite ausübt. Diese Ablenkung der Augen nach der Seite des fehlenden .Labyrinthes äussert sich bei den beiden Tier- arten mit seitlich stehenden Augen (Kaninchen und Meerschweinchen): darin, dass das Auge der operierten Seite ventralwärts, das der gesunden Seite dorsalwärts gerichtet ist. Bei den beiden Tierarten mit mehr frontalstehenden Augen (Hund und besonders Katze) ist dagegen die seitliche Ablenkung in horizontaler Richtung nach der Seite der Operation das hervorstechende Symptom (doch stelıt. auch bei ihnen das Auge der operierten Seite mehr ventralwärts, das andere mehr dorsalwärts).. Der durchgreifende Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen von Tieren besteht nun darin, dass bei Kaninchen und Meerschweinchen die Aucenabweichung eine Dauerfolge der Operation darstellt, bei Hund und Katze dagegen vorübergeht. Ob dieses verschiedene Verhalten irgend etwas mit. der erwähnten räumlichen Anordnung der Augen im Kopfe zu tun hat, bedarf weiterer Untersuchung. Bei allen untersuchten Tieren ist die konstanteste und eleichartigste Dauerfolge des einseitigen Labyrinthverlustes die Drehung des Kopfes. nach der Seite der Operation. Hierdurch wird das Ohr der operierten Seite in ventraler Richtung gedreht. Diese Kopfabweichung gibt dann ihrerseits Anlass zu den obenerwähnten tonischen Dauer-Halsreflexen. Bei allen Tierarten ist ferner kurze Zeit nach deın Eingrift eine Wendung des Kopfes mit der Schnauze nach der Seite der Operation nachweisbar. Diese geht bei Meerschweinchen, Katze und Hund bald vorüber, ist beim Kaninchen auch längere Zeit nacher wenigstens in abnormen Körperlagen nachzuweisen. Wir halten es für durchaus möglich, dass es sich bei der Drehung und Wendung des Kopfes gar nicht um zwei wesensverschiedene Reaktionen der Halsmuskulatur handelt, sondern dass derselbe Tonus- unterschied der Halsmuskeln je nach dem Gesamttonus der Halsmuskeln Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 299 den Kopf das eine Mal mehr in die gedrehte, das andere Mal mehr in die gewendete Stellung bringt. Doch ist es andererseits auch sehr gut möglich, dass die Labyrinthe einen stärkeren und dauernderen Einfluss auf die Muskeln des Atlas-Epistropheusgelenkes als auf die der übrigen Halsgelenke ausüben. Eine Entscheidung wäre nur durch schwierige Detailversuche an den sehr kompliziert angeordneten Hals- muskeln zu erbringen. Eine Drehung des Rumpfes nach der Seite des fehlenden Labyrinthes als direkte Labyrinthausfallsfolge hat sich nur beim Kaninchen und bei der Katze nachweisen lassen. Bei beiden stellt sie eine Dauerfolge der Operation dar. Beim Meerschweinchen ist sie schwach und inkonstant und dauert höchstens nur kurze Zeit. Beim Hunde hat sie sich überhaupt nicht auffinden lassen. Bei Hund und Meerschwein ist also die auch bei ihnen sehr deutlich ausgebildete Rumpfdrehung ausschliesslich (bzw. überwiegend) auf einen Halsreflex zu beziehen. In Verbindung mit dem oben über die Reflexe vom Hals auf den Rumpf Gesagten ereibt sich demnach, dass die Rumpfdrehung nach einseitigem Labyrinthverlust beim Kaninchen durch kombinierte Wirkung des Labyrinthausfalles und des Halsreflexes, beim Meerschweinchen und beim Hunde dagegen ausschliesslich (bzw. überwiegend) durch Halsreflex, bei der Katze überwiegend durch direkte Wirkung des Labyrinthausfalles zustande kommt. Berücksichtigt man ausschliesslich die direkten Folgezustände der einseitigen Labyrinthexstirpation, und nimmt man die bei allen vier Tierarten gemachten Beobachtungen zusammen, so ergibt sich schon hieraus, dass die Labyrinthe in Beziehung stehen zu der Muskulatur der Augen, des Halses, des Rumpfes und der Glieder. Man darf aber nicht ausser acht lassen, dass wir durch die Fort- nahme des einen Labyrinthes immer nur über einen Teil der Be- ziehungen der Labyrinthe zur Körpermuskulatur Aufschluss erhalten können. Wenn z. B. beim Hunde nach Exstirpation eines Laby- rinthes bei gerade gesetztem Kopfe keine Rumpfdrehung vorhanden ist, so kann das entweder dadurch zustande kommen, dass die Labyrinthe nicht in direkter Beziehung zum Tonus der Rumpf- muskeln stehen, oder dadurch, dass ein Labyrinth einen gleich- starken Einfluss auf den Muskeltonus beider Rumpfseiten aus- übt. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten kann man nur durch den Vergleich des Tonus der Rumpfmuskeln bei normalen und doppelseitig labyrinthlosen Hunden entscheiden, was natürlich lange 300 R. Magnus und A. de Kleijn: nicht so klare Resultate ergeben kann wie. der Vergleich des Tonus der rechten und linken Rumpfmuskeln bei dem gleichen Tiere. Durch das Studium der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation kann man also nur diejenigen Beziehungen der Labyrinthe zur Körpermuskulatur aufdecken, bei deuen ein Labyrinth die Muskulatur einer Körperseite stärker beeinflusst als die der anderen. Nun haben wir bereits in unseren früheren Mitteilungen eine zweite Gruppe von Erscheinungen beschrieben , welche ebenfalls einen Einfluss der Labyrinthe auf den Tonus der Körpermuskulatur beweisen. Es sind das die tonischen Reflexe von den Labyrinthen auf die Muskulatur der Extremitäten und des Halses. Für die Reflexe auf die Glieder liessen sich folgende Gesetzmässigkeiten feststellen: Es gibt nur eine Stellung des Kopfes im Raume, bei welcher die Streckmuskeln der Glieder maximalen Tonus haben (Scheitel unten, Mundspalte etwas über die Horizontale gehoben) und nur eine Stellung des Kopfes im Raume, bei der sie minimalen Tonus haben (Scheitel oben, Mundspalte etwas unter die Horizontale gesenkt). Bei allen anderen Lagen des Kopfes herrscht ein intermediärer Strecktonus. Der Tonus der Beuge- muskeln der Gliedmaassen verhält sich gerade umgekehrt, er ist am grössten, wenn sich der Scheitel oben, und am geringsten, wenn er sich unten befindet. Der Einfluss eines Labyrinthes erstreckt sich mit gleicher Stärke auf die Extremitäten der beiden Körper- seiten. — Für die Reflexe von den Labyrinthen auf die Halsmuskeln liess sich feststellen, dass es ebenfalls nur eine Stellung des Kopfes eibt, bei welcher der Tonus der Nackenheber und der Widerstand gegen Drehen und Wenden des Kopfes maximal ist. Diese Kopf- stellung ist dieselbe, bei der auch die Gliederstrecker maximalen Tonus haben. Bei der umgekehrten Kopfstellung ist der Tonus der Nackenheber und der Widerstand gegen Drehen und Wenden des Kopfes minimal, und die Beuger des Nackens be- kommen erhöhten Tonus. Die Reflexe auf die Nackenmuskeln unter- scheiden sich dadurch von denen auf die Glieder, dass der Einfluss eines Labyrinthes auf die Nackenmuskeln ein streng einseitiger ist. Beiden Reflexgruppen ist aber gemeinsam, dass es sich um Reflexe der Lage handelt, um Dauerreflexe, welche solange un- verändert bestehen bleiben, als der Kopf seine betreffende Lage im Raume beibehält. 301 Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 'puny pun 92Yyeyf ‘usypuruey 19q Se 97][08 uoyfeyN1aA SIOPUR 9A9L], WOSOIP Toq YOIS aqfosaop sep “nyep aydesye]L ouray yDopaf yyarıds sy "Iyansasyun JyaLu y9ou UETDULWMUISITHHN wIOg AOysıq IST ISHJIOAUJULIÄgerT wosTmosum Toq SunyormAgeydoy Aop Yeyısusyuf Ip June ommey wı seJdoy sap SungfoIg dop Ssngumm od (Z "uoqeg uapunyod USNIWIOL], U9IOPUE UHP Tag 918 Am aM ey puryspdoyyp woA Noysıdueygqy 9y91o]d aıp opunyy wıoq suwgesän A9p SSep “yaıpurayosıygem PIeMM UOA aqesuy 9Ip yoaınp Pam “ueaar], usdopue 19q 9IM usa] Yaıpuyz ossıumeudo‘ 9Lp wesaıp TEN gone y9opal sseq Iyansıoyun Iyaıu opung wıag aım uogeg opuejspdoyy WOA uorrgIaapussny Aap Noysısuryqy alq (I ‘yonap93 ayog Aaypıugomad UT U9S]OT HPuogasdsqNdoA “ars.ınyy) Yayasg Aapuayals Syayas ur purs u9S[oFIoNeKT (aapunyg sıuam anu pun yueJsuoyul) 91aS U9JaaLLado a9p ne aurag aop Sunyreyosa 0 uoyun [Pray9S uuaa ‘wnwixem "suyjurskgqer] uopuajyaF sap 9I9S Aop yoeu Sunpua ; uayun 19RayaS| uuam "unwmıKopr "syaıhgug uapuarya} sap amag ap you bunyaul (lser °S oO e ‘pjeaq] usyun jursÄger] sojyeyur uu9M YIIJUTDYISITEA UMWKBIA, ‘suyurtiqe] uopuayoF SOp JunyyaIy Aap UL (jeJuozLıoy "saq) ueanYy Aopıraq uonelaag BLUE (uapunay9s -I9A 988], USPU9SJoF we “JueIsuoyur) 919g U9JA9LLado (83%, L981u19) 9a u9419LLado a9p Fne guragg Aap Sunyepydsa] | AOp ne Hurag] Aap Sunyyrepyosamf sypurıhgnT Uapwanya) sap ayuagSı op yonu bunyau usIun [enayag uuom “wnunxem "syyunıkg®] uapualyaf sop 9aS Aap ypeu Sunpua naumn 12IYIS uuon "UmunKnopL "sıpurıhiguT wopuayal sap Nas op you Dunyaul aayı1ajs 93nY "SLNOSTDTaTL) "aayun yyuraıkger] soJyejur UUHM ‘WNWIXBAL ‚sygurikqer] uapuayya} SOp Sunyydıy A9p ur (Jeyuozruoy ‘s9q) uaonYy Aoplaq UOlyerAdg 9zyey (4197 OZIny SU9ISUIOy ‘JueIsuoyur) 0 ‘(„ SyyurtÄge] uapua]yoF sap 9aS Aop yoeu JunpuoM *(„sygurshignT Wapuayya) sap anagSı ap yamu Dunyaut „ay.ımys abny "bimasıy2a]H) Worun yaurskguT sayynzur uuon "UNnWWCHT "sygurıhgug wapuanjal sap Bungyaug 43p wı (n.ıuaa -08.10P) uobny .1apraq UoymıaaT UTOALOSIIOTN (uay9o M 8) daS U9N1ELIEdO dp ne aulagg Jop Sunyyeryasay syyunıhgu vapuanya) sap oas' op you bunyaut uayun 19ayag vun "ununsppr "sıqurshiguT wopualya} sap ayıagı op yanu Dunpuafl uoyum PRaYIS uuon MunWmchjir "sygurshgug wapuoya} sap ag op yaau Dumyauy 04.095 abny "Duasy2ıa)H uogun yyurıhguT sayymyur unon "ununznpır ‚sypmıshguT wapuanyal sap bunmyauf „ap mr (0.44u9% -08.10P) von Y4aPr2q VOYMAACT uoyouruey h | ourag \ [ ) jyduunyy | “ S[eH | t uoouYy | | uw U9FIBIHL], UOUHPITYISIOA UHP I9Q U9S[OFITEFSHETJULIÄgeT 9YYO-udq 302 R. Magnus und A. de Kleijn: Aus den in dieser Mitteilung beschriebenen Beobachtungen hat sich nun ferner ergeben, dass ganz Ähnliche Beziehungen auch zwischen den Labyrinthen und den Augenmuskeln bestehen. Wird ein Labyrinth exstirpiert, so ist die danach auftretende Deviation beider Augen abhängig von der Lage des Kopfes im Raume. Und zwar gibt es auch hier nur eine Stellung des Kopfes im Raunıe, bei welcher die Augendeviation maximal ist, und nur eine bei der sie minimal is. Es ist nun von Interesse, dass die Maximum- stellung für die Labyrinthreflexe auf Glieder- und Halsmuskeln nicht identisch ist mit der für die Augenmuskeln.. Die Maximum- stellung für Hals- und Gliedermuskeln ist bei Scheitel-unten. Hierbei haben beide Labyrinthe die gleiche Lage zur Horizontalebene. Die Maximumstellung für die Augendeviation ist aber bei gedrehtem Kopfe mit ganz oder nahezu vertikaler Mundspalte, wobei sich das nicht exstirpierte Labyrinth unten befindet. Sind beide Labyrinthe intakt, so befindet sich das andere Labyrinth dann gleichzeitig in der Minimumstellung. Von diesen Feststellungen werden wir auszugehen haben, wenn wir später die Frage erörtern, durch welche Teile des Labyrinthes (Otolithen ?) die tonischen Reflexe auf Glieder-, Hals- und Augenmuskeln ausgelöst werden. — Während der Ein- fluss eines Labyrinthes auf die Gliedermuskeln ein doppelseitiger, auf die Halsmuskeln ein streng einseitiger ist, steht ein Labyrinth mit den Muskeln beider Augen in Beziehung, wirkt aber stärker auf das gekreuzte Auge. Nunmehr erhebt sich die Frage, ob diese beiden Reihen von Fr- scheinungen, die direkten Labyrinthausfallsfolgen und die eben genannten tonischen Labyrinthreflexe in Beziehung zu- einander stehen. Lassen sich die direkten Labyrinthausfallsfolgen da- durch erklären, dass nach der Operation die tonischen Reflexe von dem einen Labyrinth fortfallen? Für die Augen und die Halsmuskeln ist dieses ohne Schwierigkeit möglich. Beim Kaninchen z. B. sind die Augenablenkungen, die man bei einem normalen, sitzenden Tier mit intakten Labyrinthen auf Drehen des Kopfes beobachtet, sehr gut zu erklären durch die Superposition der Einflüsse, die von den beiden Labyrinthen auf die Augenmuskeln ausgelöst werden. Und die Augen- deviation und ihre Abhängigkeit vom Kopfstande, wie sie nach ein- seitigem Labyrinthverlust auftritt, ist gut verständlich. Ebenso lässt sich die Kopfdrehung (und Wendung), wie sie bei einseitig labyrinth- losen Tieren eintritt, vollständig erklären durch den einseitigen Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 303 Fortfall der tonischen Labyrinthreflexe auf die Halsmuskeln. Aus diesem Grunde haben wir auch diese beiden Gruppen von tonischen Labyrinthreflexen in die Übersichtstabelle der direkten Labyrinth- ausfallsfolgen mit aufgenommen (S. 301). Dagegen ergeben sich vorläufig noch Schwierigkeiten, wenn wir die direkten Labyrinthausfallsfolgen an den Extremitäten auf den Fortfall der tonischen Labyrinthrefiexe beziehen wollen. Als Folge des Labyriuthausfalles findet sich eine (vorübergehende) Erschlaffung der Glieder der einen Körperseite. Die tonischen Labyrinthreflexe erstrecken sich dagegen von einem Labyrinth auf beide Körper- seiten. Es ist daher nicht zu verstehen, wieso durch den Fortfall eines Labyrinthes ein Tonusunterschied an den beiderseitigen Glied- maassen entstehen kann. An der Tatsache selber kann kein Zweifel bestehen. Wir haben schon in unseren früheren Versuchen an dezerebrierten Katzen, Hunden und Kaninchen häufig gesehen, dass nach der Ausschaltung eines Labyrinthes die gleichseitigen Extremitäten schlaffer wurden als die gekreuzten, dass aber trotzdem auf Änderung der Stellung des Kopfes im Raume auf beiden Körperseiten gleichstarke Tonusänderungen der Glieder eintraten (vgl. z. B. Pflüger’s Arch Bd. 145 S. 478. 1912). Aus diesem Grunde möchten wir vorläufig noch davon absehen, die direkten Labyrinthausfallsfolgen ohne weiteres zu beziehen auf den Fortfall der tonischen Labyrinthreflexe. Wenigstens für die Extremitäten ist dieses zurzeit noch nicht möglich. Vielleicht liegt die Erklärung hierfür darin, dass gerade auf die Glieder noch andere Einflüsse vom Labyrinth wirksam sind, als die genannten tonischen Reflexe. Die Störungen der Haltung und Bewegung nach einseitiger Labyrinthexstirpation gehen bei allen untersuchten Tieren nach einiger Zeit etwas zurück. An diesen Kompensationsvorgängen beteiligen sich zweifellos sehr verschiedene Mechanismen. Über einige deıselben haben wir Erfahrungen sammeln können. Beim Kaninchen und Meerschweinchen wird die abnorme Stellung der Gliedmaassen nach längerer Zeit mit Hilfe der Augen korrigiert. Durch Verschluss der Augen lässt sich stets die typische Stellungs- anomalie wieder hervorrufen. Sehr viel vollständiger sind die 'Kompensationsvorgänge bei der Katze und vor allem beim Hunde. Hier liess sich in Übereinstimmung mit früheren Autoren nachweisen, dass es sich um eine Änderung der zentralen Innervation handelt. So R. Magnus und A. de Kleijn: Wenn diese sich ausgebildet hat, bewirkt Exstirpation des zweiten Labyrinthes keine symmetrische Körperstellung, sondern ruft Augen- deviation und Kopfdrehen. nach der anderen Seite hervor. Die Umschaltung der zentralen Innervation bezieht sich also überwiegend auf die Augen- und Halsmuskeln. Bei der Katze liess sich zeigen, dass die veränderte Innervation der Halsmuskeln auch eintritt, wenn vorher die zugehörigen Hinterwurzeln durchschnitten worden sind. Ferner lässt, wenn die Innervationsänderung der Halsmuskeln sich einmal ausgebildet hat, dieselbe sich auch noch nachweisen nach Entfernung des Grosshirns, der Augen, der beiden Labyrinthe und der Hinterwurzeln der beteiligten Halsmuskeln. Von den stürmischen Anfangssymptomen, welche im unmittelbaren Anschluss an die Operation auftreten, haben wir den Nystagmus nicht zum Gegenstand einer besonderen Analyse gemacht. Von Interesse ist nur die Feststellunz, dass derselbe bei Kaninchen, Meerschweinchen und Katzen (und nach den Angaben von Ewald auch beim Hunde) bei verschiedenen Stellungen des Kopfes im Raume von verschiedener Intensität ist, und zwar hat sich durch- gehend herausgestellt, dass der Nystagmus stets bei derjenigen Kopfstellung am stärksten ist, bei welcher die Augendeviation am kleinsten ist. Umgekehrt verschwindet der Nystagmus oder wird wenigstens sehr schwach bei derjenigen Kopfstellung, bei welcher die Augenabweichung ihr Maximum erreicht. Diese Tatsache dürfte für jede Theorie des Nystagmus von Wichtigkeit sein. Eingehender haben wir uns mit den Rollbewegungen beschäftiet. Sowohl bei Kaninchen als bei Meerschweinchen wurden kinemato- graphische Serienaufnahmen des Rollens von verschiedenen Seiten aufgenommen. Dieselben ermöglichten es, eine vollständige Be- schreibung der: Rollbewegungen zu geben. Es stellte sich dabei heraus, dass das Rollen zustande kommt durch anfallsweise auf- tretende Lauf- und Sprungbeweeungen, wobei sich die Tiere infolge der spiraligen Drehung ihres Körpers durch den Raum schrauben. ‚Sowohl bei Kaninchen wie bei Meerschweinchen werden bei einer vollständigen Drehung um die Längsachse zwei Sprungbewegungen ausgeführt. Da die spiralige Drehung des Körpers eine (direkte oder indirekte) Folge des Labyrinthausfalls ist, während die Sprungbewegungen nur auf Reiz ausgeführt werden, und da der hauptsächlichste Reiz zu diesen Bewegungen von der ÖOperations- Analyse der Folgezustände einseitiger Labyrinthexstirpation etc. 305 wunde (Oktavusstumpf usw.) ausgeht, so erklärt sich das Zustande- kommen dieser charakteristischen Bewegungen durch eine Kombination von Austalls- und Reizerscheinungen. Und man versteht, warum die Rollbewegungen um so heftiger auftreten, je schlechter operiert worden ist. Bei schonender Operation kann man die Rollungen beim Kaninchen auf ein Minimum beschränken, bei Katzen und Hunden vollständig vermeiden. Selbst bei Kaninchen kann man nach sehr schonender Operation das Rollen ganz ausbleiben sehen. Zum Schluss sei noch kurz zusammengestellt, welche verschiedenen tonischen Einflüsse von den Labyrinthen und vom Hals auf die quergestreifte Muskulatur wir bisher bei unseren früheren Studien über den Einfluss der Kopfstellung und bei den jetzigen über die Labyrinthausfallsfolgen haben feststellen können: 1. Wirkung der Labyrinthe auf die Augen, Bei Änderung der Kopfstellung und bei einseitigem Labyrinth- ausfall: Ein Labyrinth wirkt auf beide Augen, auf das gekreuzte stärker. Das Maximum der Deviation tritt ein, wenn der Kopf seitlich gedreht ist und das wirksame Labyrinth sich unten befindet. Labyrinthausfall wirkt bei Kaninchen und Nee Reneitulne: u ‚bei Katze und Hund vorübergehend. 2. Wirkung der Labyrinthe auf den Hals. a) Bei Änderung der Kopfstellung: Der Einfluss ist einseitig. Das Maximum für die Nackenheber ist erreicht, wenn der Scheitel nach unten, für die Nackenbeuser,: wenn der Scheitel nach oben sieht. Der gleiche Einfluss besteht auf Drehung und Wendung des Halses. b) Bei einseitigem Lacyrinthausfall: Dauernde Drehung, ge- ringere bzw. passagäre Wendung des Halses. 3. Wirkung der Labyrinthe auf den Rumpf. - Bei einseitigem Labyrinthausfall: Dauernde Drehung des Rumpfes (nur bei Kaninchen und Katze). 4. Wirkung der Labyrinthe auf die Glieder. a) Bei Änderung der Kopfstellung: Ein Labyrinth wirkt auf die Extremitäten der beiden Körperseiten mit gleicher Intensität. Maximumstellung für die Gliederstrecker ist, wenn der Scheitel nach unten, für die Beuger, wenn der Scheitel nach oben sieht. 306 R. Magnus und A. de Kleijn: Analyse der Folgezustände etc. b) Bei einseitigem Labyrinthausfall: Der Einfluss ist einseitig; vorübergehende FErschlaffung der Glieder auf der operierten Seite. 5. Wirkung vom Hals auf die Glieder. a) Symmetrische Reflexe: Kopfheben bewirkt bei Katzen und Hunden Streckung der Vorder- und Beugung der Hinterbeine. Bei Kaninchen Streekung aller vier Beine. Kopfsenken wirkt umgekehrt. b) Gegensinnige Reflexe: Drehen und Wenden bewirkt Zunahme des Streektonus im Kieferbein und Abnahme im Schädelbein; der Beugetonus verhält sich umgekehrt. c) Vertebra-prominens-Reflex: Abnahme des Strecktonus aller vier Glieder. 6. Wirkung vom Hals auf den Rumpf. Kopfdrehen bewirkt Fortsetzung der Drehung auf den Rumpf oder Konkavität desselben nach der Kieferseite. — Kopfwenden . bewirkt Konkavität nach der Kieferseite }). 1) Wir verzichten darauf, nochmals eine Zusammenfassung der Einzel- beobachtungen in „Schlusssätzen“ zu geben. Der Leser findet eine solche in den kursiv (schräg) gedruckten Resumees am Ende der einzelnen Abschnitte auf Seite 194, 204, 205, 213, 214, 222, 223, 238, 240, 242, 244, 250, 251, 252, 253, 295, 256, 257, 258, 259, 270, 275, 277, 278, 282, 283, 284, 287, 289, 291, 293, 294, sowie in den Übersichtstabellen auf Seite 296 und 301. 907 (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.) Quantitative pharmakologische Untersuchungen über die Reflexfunktionen des Rückenmarkes an Warmblütern. J. Mitteilung. Wirkung von Chloroform, Stryehnin und Koffein. Von W. Storm van Leeuwen, Assistent. (Mit 16 Textfiguren.) Genaue quantitative Untersuchungen über den Einfluss von Arzneimitteln auf die verschiedenen Reflexfunktionen des Rücken- markes beschränkten sich bis vor kurzem im wesentlichen auf Be- obachtungen an Kaltblütern. ö Erst durch die grossen Fortschritte, welche die Physiologie des Zentralnervensystems in der letzten Zeit gemacht hat, ist die Möglichkeit geschaffen worden, derartige Versuche auch an Warm- blütern vorzunehmen. Es waren in dieser Hinsicht vor allen Dingen die Untersuchungen Sherrington’s bahnbrechend. Sherrington!) zeigte nämlich, wie man durch Dekapitieren einer Katze in kürzester Zeit auf einfache Weise ein vorzügliches, shockfreies Präparat herstellen kann, an welchem sich mehrere Stunden lang die Reflexfunktionen des Rückenmarkes studieren lassen. Ausserdem war schon einige Jahre vorher von ihm gezeigt worden ?), dass man auch dezerebrierte Tiere zu solchen Versuchen verwenden kann. Bei den massenhaften Untersuchungen, die bis zu dieser Zeit über den Einfluss der verschiedenen Gifte auf das Zentralnerven- system der Warmblüter angestellt worden waren, fehlte ein genauer Maassstab für die Intensität der Wirkung. ‘Als wesentliche Kriterien 1)C. S. Sherrington, A mammalian spinal preparation. Journ. of physiol. vol. 38 p. 375. 1909. 2) C. S. Sherrington, The integrative action of the nervous system 1906. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. _ 21 308 W. Storm van Leeuwen: hatte man nur den Augenblick, in welchem die Reflexe erloschen und den Zeitpunkt des Atmungs- resp. Herzstillstandes.. In den Zwischenstadien der gesteigerten bzw. herabgesetzten Erregbarkeit des Zentralnervensystems fehlte ein genauer Maassstab, und vieles war dem subjektiven Eindruck des Untersuchers überlassen. Zweck der vorliegenden Arbeit ist, das Verhalten der ver- schiedenen Reflexfunktionen des Rückenmarkes im Anfangsstadium der Chloroformnarkose einem genaueren Studium zu unterwerfen. Zu diesem Zwecke wurde in folgender Weise vorgegangen: Bei einer dekapitierten bzw. dezerebrierten Katze wurde durch Reizung eines bestimmten Nerven regelmässig jede Minute (oder jede 40. Sekunde) ein bestimmter Reflex — z. B. der homolaterale Beuge- reflex — ausgelöst. Diese Reflexe wurden graphisch registriert, und nachdem eine Anzahl Ausschläge von genügend konstanter Grösse aufgezeichnet waren, wurde der Einatmungsluft eine bestimmte Konzentration Chloroform zugefügt. Durch dieses Verfahren war es möglich, das Verschwinden der Reflexe genau zu studieren; und nachdem die Reflexe verschwunden bzw. bis auf einen Bruchteil ihrer- früheren Intensität zurückgegangen waren, konnte die Narkose auf- gehoben und die Rückkehr der Reflexe beobachtet werden. — In bestimmten markanten Phasen der Narkose wurde dann ausserdem den Tieren Blut entnommen urd der Gehalt desselben an Chloroform chemisch bestimmt. Dieses Verfahren hatte überdies den Vorteil, dass das Verhalten verschiedener Rückenmarksreflexe bei dem gleichen Narkotikum verglichen werden konnte. In den meisten Versuchen wurde bei Reizung des linken Nervus peroneus der gleichseitige Beugereflex registriert. Dieser Reflex wurde vor anderen bevorzugt, weil er bei fast allen Präparaten (auch den weniger erregbaren) vorhanden, dabei leicht zu registrieren ist und die konstantesten Ausschläge gibt. Manchmal wurde aber auch bei Reizung desselben Nerven der Streckreflex der gekreuzten Seite registriert. Dieser Reflex ist aber bei weitem nicht so konstant vorhanden und viel empfindlicher als der homolaterale Beugereflex. Der Kratzreflex schien für diese Versuche weniger geeignet, erstens, weil er durch Einzelinduktionsschläge gar nicht — oder nur sehr schwierig — auszulösen ist, und zweitens, weil man die Aus- schläge des Registrierhebels bei einem Kratzreflex sehr viel schwieriger ausmessen und unter sich vergleichen kann. Auch der Extensorstoss schien aus technischen Gründen zunächst ungeeignet. Quantit. pharmakol. Untersuchungen über die Reflexfunktionen etc. 309 Im nachstehenden soll eine genaue Schilderung der Versuchs- anordnung gegeben. werden, wobei eine Reihe Einzelheiten zu be- sprechen sind, welche scheinbar unwichtig sind, aber in Wirklichkeit die Versuchsresultate sehr beeinträchtigen können. Versuchsanordnung. Als Versuchstiere wurden ausschliesslich Katzen benutzt, die zu diesen Versuchen wohl die geeignetsten Tiere sind. Die Haupt- versuche wurden an dekapitierten Tieren angestellt; später habe ich zum Vergleich einige Experimente an dezerebrierten und normalen Tieren hinzugefügt. Zur Dekapitation wurde eine Katze zuerst mit Äther unter einer Glasglocke narkotisiert, dann schnell aufgespannt und tracheotomiert. Danach wurde mit Hilfe der künstlichen Atmung Chloroformnarkose eingeleitet und eine typische Dekapitation nach Sherrington') gemacht. Die Technik dieser Operation ist in dieser Zeitschrift von Klee?) geschildert. Die Operation ist einfach. Man muss aber möglichst schnell arbeiten. Ich bekam immer die besten Reflextiere, wenn ich sehr tief narkotisierte, aber die Dauer der Chloroformnarkose nur auf 6—8 Minuten beschränkte. Ausserdem hat es sich als notwendig er- wiesen, immer frisches Chloroform zu dieser Narkose zu benutzen. Wir haben im Anfang eine ganze Reihe von Versuchen misslingen sehen, nur weil während der Dekapitation Chloroform gebraucht worden war, welches längere Zeit in einer grünen Flasche im Laboratorium gestanden hatte. Nachdem ich einmal während der Chloroformnarkose mit einem Herzstillstand zu kämpfen gehabt hatte, habe ich versucht, die Operation unter Äthernarkose vorzunehmen. Manchmal bekam ich auf diese Weise ziemlich gute Präparate, hatte aber doch den Ein- druck, dass nach Chloroformnarkose die Reflexe nachher lebhafter und leichter auszulöser waren. Deshalb wurde in den späteren Versuchen wieder zur Chloroformnarkose übergegangen. Bei der Wahl der zu diesen Experimenten geeigneten Katzen wurde hauptsächlich darauf geachtet, immer vollkommen gesunde Tiere zu verwenden. Wenn Versuche misslangen, zeigte sich fast immer bei der Sektion, dass die Katzen eine Lungenentzündung hatten. Wiewohl auf Alter und Grösse der Tiere nicht besonders geachtet wurde, so fiel doch auf, dass die allerbesten Versuchstiere ganz grosse, aussergewöhnlich starke Katzen gewesen sind. Es hat sich als zweckmässig erwiesen, die Tiere am Tage des Versuches nicht zu füttern. Nach der Dekapitation liessen wir die Katzen immer — unter ausgiebiger künstlicher Atmung — 1 Stunde lang ruhig legen. Der Tisch, auf dem die Tiere während der ganzen Versuchsdauer lagen, 1).C. S. Sherrington, A mammalian spinal preparation. Journ. .of physiol. vol. 38 p. 375. 1909. -2) Ph. Klee, Der Einfluss der Vagusreizung auf den Ablauf der Verdauungs- bewegungen. Pflüger’s Arch. Bd. 145 S. 561.. 1912. al 30. > W. Storm van Leeuwen: war elektrisch geheizt; ausserdem war noch eineGlühlampe über dem Tier angebracht. Die Rectumtemperatur der dekapitierten Katzen sank unmittelbar nach der Operation schnell und blieb meistens während des ganzen Versuches auf 35—36° stehen. Vor Überhitzung muss man sich sehr hüten, weil — wie Sherrington schon in seiner oben zitierten Arbeit mitteilte — die Präparate gegen zu hohe Temperaturen sehr empfindlich sind. Fast unmittelbar nach der Dekapitation ist der Patellarreflex auszulösen, und in dem Maasse, wie die Narkose allmählich abklingt und das Tier sich von dem Shock erholt, kehren auch die übrigen Reflexe wieder. Nach !/a—!/s Stunde ist meistens schon der Beuge- reflex vorhanden, und etwa 1 Stunde post operationem sind alle Reflexe voll ausgebildet. Wenn dieses erreicht war, wurde der linke Nervus peroneus am Kniegelenk präpariert, abgebunden und peripher durchschnitten. Danach wurde die sehr einfache und bequeme — von Sherrington!) be- schriebene — Versuchselektrode angelegt. Die von mir gebrauchte Elektrode unterschied sich von der Sherrington’schen nur insofern, dass das zentrale Ende trichterförmig erweitert war, wodurch der Nerv — der manchmal stundenlang in der Elektrode verbleiben musste — weniger geschädigt wurde. Ausserdem befand sich in dem Glasrohr, welches die Platinelektrode umfasste, ein kleines Loch. Hierdurch war es möglich, während des Versuches durch Einspritzen von etwas physiologischer Kochsalzlösung den Nerv gegen Austrocknen zu schützen, Wenn die Elektrode richtig lag, wurde das Tier in rechte Seiten- lage gebracht, und wenn homolaterale Beugereflexe registriert werden sollten, wurde das linke Hinterbein in zwei Schlingen von Wollfaden schwebend gehalten. An der linken Pfote wurde ohne Verletzung ein Faden befestigt, der über eine Rolle zum Schreibhebel geleitet wurde. Als Schreibhebel wurde anfangs ein gewöhnlicher Aluminiumhebel be- nutzt, später aber ein Keith Lucas-Hebel, welcher senkrechte Linien schreibt und dadurch die genauere und bequemere Ausmessung der Kurven ermöglicht. Eine Abbildung dieser Hebel befindet sich bei Langley?). Zur. Reizung wurden anfangs kurze faradische Ströme benutzt. In den späteren Versuchen wurde aber immer mit Einzelinduktions- schlägen gereizt. Zu diesem Zwecke wurde vom Institutsmechaniker Imhoff ein Reizpendel mit Abblendevorrichtung verfertist, welches gewissermaassen eine Kombination eines elektrischen Brodie’schen Zeitpendels mit dem von Kingsbury und Dresbach?) beschriebenen „eut-out Key“ darstellt. Hierdurch wurde es möglich, alle Minuten einen Einzelöffnungsinduktionsschlag durch den Nerven zu schicken. 1) C.S. Sherrington, A mammalian spinal preparation. Journ. of physiol. vol. 33 p. 382. 1909. 2) J. N. Langley, Nerve fibres of bladder. Journ. of physiol. vol. 43 pal27 aloe 3) B. F. Kingsbury and M. Dresbach, Two new forms of „cut-out“ Key. Quart. journ. of experim. physiol. vol.3 p 111. 1910. Quantit. pharmakol. Untersuchungen uver die Reflexfunktionen etc. 311 Als Reizquelle diente ein mit einem Akkumulator bespannter In- duktionsapparat mit Kronecker’scher Skala. In den sekundären Kreis war meistens ein Widerstand von 21000 Ohm eingeschaltet, um zu vermeiden, dass kleine Verschiebungen des Nerven in der Elektrode einen Einfluss auf die Reizstärke haben konnte. In den primären Kreis war ein Elektromagnet eingeschaltet, der den Reizmoment auf dem Kymographion verzeichnete. Die Zufuhr flüchtiger Narkotica, wie z, B. Chloroform, geschah mit Hilfe der künstlichen Atmung, welche durch einen elektrisch ge- triebenen Blasebalg bewerkstelligt wurde. Der Luftstrom passierte eine Doppelwegstrecke, deren Querschnitt durch je einen Schlitzhahn nach Kronecker geregelt werden konnte. In den einen dieser Wege war eine Chloroformflasche eingeschaltet. Die Luft musste durch das Chloroform durchperlen. Auf diese Weise ist es möglich, ein bestimmtes und konstantes Gemenge von normaler und mit Chloro- form beladener Luft herzustellen. Diese Einrichtung hat sich im Laboratorium als sehr brauchbar erwiesen und arbeitet, wie sich auch wieder bei meinen Versuchen herausgestellt hat, mit grosser Konstanz. Nur muss man darauf verzichten, absolute Chloroformwerte für den Gehalt der Inspirationsluft berechnen zu wollen, denn bei dem Durch- blasen durch die Chloroformflasche wird die Luft nicht vollständig mit Chloroform gesättigt !). Eine kompliziertere Methode, welche absolute Chloroformzahlen für die Inspirationsluft geben würde, war für meine Versuche völlig entbehrlich, weil ich in bestimmten markanten Phasen der Narkose meinen Versuchstieren Blut entnahm und den Chloroformgehalt des- selben chemisch bestimmte. Bei diesen Blutentnahmen ging ich in folgender Weise vor: So- bald der Moment eingetreten war, in dem Blut entnommen werden sollte, wurde die Trachealkanüle ganz verschlossen und sofort die Ent- blutung aus der vorher eingeführten Karotiskanüle eingefangen. Während des Entblutens konnte also kein Chloroform ausgeatmet werden. Ich liess das Blut stets — unter stetigem Schütteln — tropfenweise in eine ziemlich grosse Menge 5 °oigen Weinsäurealkohols fallen, weil Buckmaster und Gardner?) in einer Kritik der Nicloux’schen Methode (s. unten) darauf hingewiesen haben, dass die Genauigkeit 1) Dieses ergibt sich aus einer einfachen Berechnung. Bei der Hahn- stellung 2:10, bei welcher 10 Teile normaler Luft und 2 Teile mit Chloroform beladener Luft gemengt werden, erzielt man nach mehrjähriger Erfahrung des Laboratoriums eine stundenlang andauernde und unschädliche Chloroformnarkose. Nach den übereinstimmenden Angaben von Rosenfeld, Buckmaster und Gardner, Günter u.a. musste der Chloroformgehalt der Atmungsluft demnach ca. 1 Vol.-Proz. betragen. Berechnet man aber, unter der Voraussetzung, dass aus der Narkoseflasche chloroformgesättigte Luft ausströmt, den Chloroformgehalt des Gemenges, so erhält man Werte von ca. 3 Vol.-Proz. Es kann demnach die Luft in der Flasche nicht mit Chloroform gesättigt sein. 2) G. A. Buckmaster and J. A. Gardner, The estimation of Chloro- form in the blood of anaesthetised animals. Proc. Roy Soc. vol. 79 B. p. 309. 1907. 312 W. Storm van Leeuwen: des Nicloux’schen Verfahrens sehr beeinträchtigt wird, wenn das chloroformhaltige Blut bei der Blutentnahme gerinnt. Eine Gerinnung „en masse“ trat bei meinen Blutentnahmen niemals auf, und auch nach der Destillation befand sich am Boden des Destillierkolbens niemals der „disc of leathery consistence“, welchen Buckmaster und Gardner beschreiben. Bei der chemischen Bestimmung des Chloroformgehaltes des Blutes bin ich nach der Nicloux’schen !) Methode vorgegangen. Bei diesem Verfahren wird das Blut in Weinsäurealkohol aufgefangen und das Chloroform durch Destillation in 96 P/oigen Alkohol übergeführt. Dieses Gemisch wird danach mit alkoholischer Kalilauge gekocht und der Chlorgehalt nach Zusatz von Kaliumchromat mit einer Standard-Silber- nitratlösung titriert. Dieses Verfahren erwies sich als ein sehr ge- naues. In einer Serie von sechs Kontrollversuchen, wobei zu ca. 20 g Blut eine bekannte Menge von Chloroform zugesetzt war, betrug der mittlere Fehler etwas weniger als 2°/o (Maximumfehler 3 °/o. Minimum- fehler 0,3 °o). Normalperiode. In allen Versuchen wurde Wert darauf gelest, immer eine ziemlich lange Normalperiode der Reflexe zu registrieren, ehe zur Anwendung von Arzneimitteln übergegangen wurde. In dieser Normalperiode wurde also — ebenso wie in dem: weiteren Versuch — jede Minute der N. peroneus des linken Hinterbeines mit einem Einzelöffnungsinduktionssehlag gereizt und die reflektorische Beugung des Beines registriert. In manchen Fällen gelang es, während längerer Zeit Kontraktionen von annähernd derselben Stärke zu registrieren. Ich muss aber gleich von vornherein darauf hinweisen, dass eine so gleichmässige und mathematisch konstante Normalperiode, wie man sie bei einem Nervmuskelpräparat bekommen kann, in Versuchen wie diesen nicht zu erzielen und auch nicht zu erwarten ist. Denn es wird bei dem Beugereflex nicht nur eine Gruppe von Muskeln gereizt, sondern tatsächlich beteiligt sich ein grosser Teil der Muskulatur des Beines an diesem Reflex, und nur die Resultante aller dieser Bewegungen wird durch den Hebel registriert. Dazu kommt noch, dass auch eine Änderung in der Stellung des betreffenden Beines eine Änderung der Intensität und selbst der Richtung des folgenden Reflexes verursachen kann. Ausserdem wird aus technischen Gründen eine kleine Stellungsänderung des Beines die Hubhöhe des Hebels auch bei übrigens konstanten Bewegungen der Extremitäten beeinflussen können. Schliesslich wird bei jedem Reflex nicht nur das Bein, sondern auch die Elektrode bewegt, und kleine Stellungsänderungen derselben können auch die Stärke des nächsten Reizes beeinflussen. 1) M. Nicloux,.Les anesthesiques generaux. Paris 1908. Quantit. pharmakol. -Untersuchungen über die Reflexfunktionen etc. 313 Es wird aber im nachfolgenden zu zeigen sein, dass sich trotz aller dieser möglichen Störungen manchmal eine überraschend kon- stante Normalperiode von langer Dauer (bis zu 2 Stunden) er- reichen liess. Um wirklich ganz konstante Ausschläge in der Normalperiode erzielen zu können, hätte man die verfeinerte Technik Sherrington’s anwenden müssen, der meistens nur einen afferenten Nerv und einen Muskel mit dem zugehörigen motorischen Nerven mit dem Zentral- nervensystem in Verbindung lässt und alles andere ausschaltet. Ich meinte indessen, dass für meine Zwecke die einfachere Technik, wie sie oben beschrieben worden ist, genügen würde. Nur muss noch bemerkt werden, dass bei meiner Versuchsanordnung nicht jeder beliebige Reflex an jedem Präparat sich untersuchen lässt. An den meisten Präparaten ist der gleichseitige Beugereflex sehr leicht auszulösen und mit hinreichender Konstanz zu registrieren. Der gekreuzte Streckreflex aber ist manchmal mit Einzelinduktions- schlägen schwierig auszulösen und gibt fast immer bedeutend weniger konstante Ausschläge. Schliesslich gibt es Präparate, die zwar sehr leicht erregbar sind, aber so viel spontane Bewegungen machen, dass von einer genauen Registrierung der Reflexe nicht die Rede sein kann. Infolgedessen habe ich stets erst nach der Dekapitation und nachdem die Reflexe voll ausgebildet waren, entschieden, ob der Versuch mit homolateralen oder mit gekreuzten Reflexen angestellt werden sollte, und dabei die weniger erregbaren Präparate zur Unter- suchung erregender Gifte benutzt und an den gut erregbaren Tieren mit Narkotieis experimentiert. Ein Beispiel einer guten Normalperiode bei Registrierung von Beugereflexen gibt Fig. 1, während Fig. 2a und 2b ein Beispiel der Normalperirde von gekreuzten Streckreflexen veranschaulichen. Zwischen Fig. 2a und 2b liest eine Pause von 1'/ Stunde, während welcher die Reflexe durch Äther zum Verschwinden gebracht waren und sich nach Abstellen des Äthers wieder vollständig erholt hatten. Bezüglich der Normalperiode aller dieser Reflexe muss noch bemerkt werden, dass bei Reizung mit Einzelinduktionsschlägen die Reflexe meistens die Tendenz haben, etwas kleiner zu werden, ohne dass dafür immer ein Grund aufzufinden wäre. Indessen erfolgt das Absinken der Kurve so langsam, dass die Genauigkeit des Resultats kaum dadurch beeinträchtigt wird. W. Storm van Leeuwen:. 314 Ehe zu dem Studium des Einflusses verschiedener Narkotika auf die Reflexfunktionen des Rückenmarkes übergegangen werden konnte, "soulaqdoJurgg uoyur Sop Sunsnag — uaun yoeu [jegef “uspunyog 08 MaozZ "wygo 00013 Stay 'yos wI "7 0095 OyaeIszIay 'Sepgossuogsgnpunpozumg Yu oynum opel snouored "AuaN Uoyum Sop Junziey 'oxoparesnegg oferoyepowof "AIX 'S'N YansıaA — IST JougoIazeg HSunziaoy Aep Fuawop] Aop [ewsopel arurT usasJun Aop me pusagem “oz Ip Yqld ruf adayyyıuı or "NeugDLszesjine xoyeyy Wepol Tag Sjogqep| Wauspungasa soaraL], Sop ursqlojutf], WEp Il sap uoyoyqny Ip (elurf ea1ago) purs uamdry uasnaıeIop uopuasjoF usp ur pun aosoıp uf "9zJey] ueNIoNIdegop AauTo 194 HXxoyeısanag uafelsyejowoyg Aap apoutedjemion I SI] [2 war noch die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass die Narkotika in der angewandten Konzentration nicht nur das Zentralnervensystem, sondern- auch die peripheren Organe (Nerv und Muskel) beeinflussen könnten. 315 Quantit. pharmakol.: Untersuchurgen über die. Reflexfunktionen etc. Um diese Möslichkeit auszuschliessen, wurde Versuch I an- In diesem Versuch war die ganze Aufstellung genau wie gestellt. "UHIBM JINONOSNOMANZ SIayyYy SOp UOIJEISqY yoeu pun Iyoeıgos uopumıyos -79, wnz Jouyy yoanp oXoyoy PIp 19Z aayojom pusaygem ‘az "SIT ypeu opungg 8/7] yaorsızaa Ist qQZ "B1g — 'sautog (u9IN991) uEFzNI9IN9S sap Sunsnag — uajun yoeu joqaf “Dunypaa4g —= uUag0 yoru [oqerf "uopunyag IE zZ "wuo 00015 Stay "995 wI "7 0085 ayıejsziaeyg Sepyassuongynpurmszumg Jıw our opel snauoıd "Ad9N uoyum Sop Sunzioy oporodjeunon 'Oxayoal99ıS 99200179) "IINX 'S'N yonsor ag pun wg “Sy ‘9zyey] uayıarzıdeyep A0uT 194 HXxoya1p9a1g U9Izne1Ned Aop Spolasdfewaon "eg "Sg ’ att des zentralen Endes des N. peroneus das periphere Ende desselben gereizt und die direkten st Muskelkontraktionen registriert. Es zeigte sich, dass nach 40 Minuten Nur wurde in den übrigen Versuchen. 316 W.Storm van Leeuwen: Narkotisieren mit ausserordentlich hohen Chloroformkonzentrationen (bis zu 4:10 Chloroform) sich die Hubhöhe des Hebels kaum ge- ändert hatte. pitierten Katze. (Erläuterung s. Fig. 2a auf S. 315.) Fig. 2b. Normalperiode der gekreuzten Streckreflexe bei einer deka Der direkte Einfluss des Chloroforms auf die Körpermuskeln ist schon von Sherrington und Sowton') studiert. Diese Autoren 1) C. S. Sherrington and S. C. M. Sowton, On the relative effects of Chloroform upon the heart and upon other muscular organs. British med. Journ. July 22 1905. Quantit. pharmakol, Untersuchungen über die Reflexfunktionen etc. 317 konnten nachweisen, dass der Einfluss von Chloroform auf die Körpermuskulatur achtmal geringer ist als der Einfluss auf das Säuge- tierherz. Und letzteres wird später durch Chloroform beeinflusst als das Z.N.S. Es lässt sich also hieraus schliessen, dass der direkte Einfluss des Narkotikums auf Muskel und Nerv die Untersuchungen über den Einfluss des Narkotikums auf die Funktionen des Z.N.S. nicht beeinträchtigen kann. Chloroform. Unter der ausserordentlich grossen Zahl von Arbeiten, die seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts über die Wirkung des Chloroforms auf das Zentralnervensystem publiziert worden sind, be- finden sich verhältnismässig nur wenige Angaben, welche für das vor- liegende Thema von Interesse sind. Die meisten Versuche waren zu ganz anderem Zwecke angestellt worden. Es fehlen in den betreffenden Mitteilungen genaue Angaben sowohl über die Dosierung des Chloro- forms wie auch über die Tiefe der damit erreichten Narkose. Ausser- dem war — wie schon oben bemerkt wurde — ein genaues Studium über das Verhalten der Reflexe in den ersten Stadien der Narkose — wegen der Schwierigkeit, für akute Versuche ein shockfreies Reflex- präparat herzustellen — bis vor kurzem unmöglich. Wenn auf die vor einigen Jahren erschienenen Arbeiten von Bayliss und von Sherrington vorläufig nicht näher eingegangen wird und nur die früher erschienenen Arbeiten anderer Autoren be- rücksichtigt werden, so lassen sich aus denselben im wesentlichen zwei Tatsachen entnehmen, welche für die vorliegende Arbeit wichtig sind. Es sind erstens bei einer Reihe von Autoren zahlenmässige An- gaben über den Chloroformgehalt der Inspirationsluft während einer suten Narkose zu finden, und zweitens liegen in einigen Arbeiten An- gaben über den Chloroformgehalt des Blutes während der Narkose vor. Von diesen Chloroformbestimmungen ‚im Blute sind besonders diejenigen für meine Arbeit wichtig, bei denen die Blutentnahme sofort, nachdem die Reflexe erloschen waren, geschah, weil diese Zahlen gewissermaassen die obere Grenze des von mir bearbeiteten Gebietes bilden. Angaben über den Chloroformgehalt der Inspirationsluft bei guter Narkose geben hauptsächlich Cushny, Rosenfeld, Kionka, Buckmaster und Gardner und Günter. Wiewohl die Zahlen der verschiedenen Autoren unter sich ziemlich grosse Differenzen auf- weisen, lässt sich doch hieraus schon ohne weiteres schliessen, dass der Chloroformgehalt der Inspirationsluft für eine gute Narkose ca. 1 Vol.-Proz. betragen muss. Die ersten genauen Angaben sind von Cushny!). Er hat mit einem ähnlichen Apparat gearbeitet, wie oben beschrieben ist. Nur hat er die chloroformfreie Luft durch Wasser l) A. Cushny, Über Chloroform und Äthernarkose. Zeitschr, f. Biol. Bd. 28 S. 374. 1891. Sg - W. Storm van Leeuwen: streichen lassen und erhielt hierdurch den Vorteil, dass das Öffnen des Chloroformhahnes nicht schon an sich eine Änderung des Wider- standes im Röhrensystem hervorrief. Wiewohl genaue Angahen über die Tiefe der Narkose bei Cushny fehlen, so lässt sich aus seinen Protokollen doch folgern, dass seiner Berechnung nach schon ein Gehalt der Inspirationsluft von weniger als 1 Vol.-Proz. eine tiefe Narkose hervorruft und nach 1—1!/s Stunde den Tod des Tieres zur Folge hat. Rosenfeld!), der schon mit einer sehr viel feineren Methode arbeitete und seinen Tieren genau bestimmte Gemische von Luft und Chloroformdampf einatmen liess, fand als mittlere Konzentration bei einer guten Narkose ca. 1 Vol.-Proz. Chloroform in der Inspirationsluft. Madelung?) fand, dass „Narkose mit voller Anästhesie und Verschwinden aller Reflexe“ bei Kaninchen erst bei Konzentrationen von 1°/o Chloroform ab erreicht werden kann. Buckmaster und Gardner?) liessen Katzen Chloroform-Luft- Gemische mit 2°/o- oder 30/o Chloroform atmen und notierten in ihren Protokollen unter anderem, nach welcher Zeit die Augenreflexe ver- schwunden waren. Bei 2°/o Chloroform dauerte es 11 und 4 Minuten, ehe diese Reflexe verschwunden waren; bei 3—4°/o Chloroformdampf 4 und 8 Minuten. In allen diesen Fällen trat nach 1—3 Stunden Atmungsstillstand auf, so dass auf Grund dieser Versuche 2 Vol.-Proz. Chloroformdampf in der Einatmungsluft als eine zu hohe Konzentration für eine gute Narkose anzusehen ist. Den niedrigsten Gehalt, bei lang fortgesetzter Narkose, fand Günter*). Seine Versuchsanordnung war eine ziemlich komplizierte, hatte aber den Vorteil, dass er seine Tiere ein Chloroform-Luft-Gemisch von sehr konstanter Zusammenstellung atmen lassen konnte. Der Gehalt der Inspirationsluft an Chloroform schwankte nur zwischen 0,81—0,85 °/o. Mit diesem Gemisch konnte Günter bei Hunden und Kaninchen eine gute Narkose herbeiführen. Es dauerte aber ziemlich lange, ehe die Tiere in tiefer Narkose waren (manchmal bis !/a Stunde). Auf Grund dieser Versuche ist man also wohl berechtigt, eine Chloroformkonzentration in der Inspirationsluft von ca. 0,81 Vol.-Proz. als die untere Grenze für eine gute Narkose anzusehen, während nach den Untersuchungen‘ anderer (vor allem Rosenfeld’s) ein Gemisch von 1 Vol.-Proz. Chloroform als das geeignetste für eine gute Narkose zu betrachten ist. Da ich in dieser Arbeit manchmal über Chloroformgemische von 1:10 und 2:10 (nach unserer Nomenklatur) zu reden haben werde, und 1) M. Rosenfeld, Über die Chloroformnarkose bei bestimmtem Gehalt der Inspirationsluft an Chloroformdämpfen. Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 37 S. 54. 189. 2) W. Madelung, Über Mischnarkose und kombinierte Narkose. Arch, f. experim. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 62 S. 409. 1910. 3) G. A. Buckmaster and J. A. Gardner, Rate of assumption of chloroform by the Blood. Proc. Roy. Soc. vol. 79B. p. 555. 1907. 4) E. Günter, Der Chloroformgehalt von Blut, Leber und Niere während der Narkose. Inaug.-Diss. Giessen 1906. Quantit. pharmakol. Untersuchungen über die Reflexfunktionen etc. 319 da, wie oben nachgewiesen, diese Werte, nach Volumprozenten berechnet, diejenigen Rosenfeld’s weit übersteigen, so möchte ich hier noch- mals ausdrücklich betonen, dass diese meine Zahlen nur einen re- lativen Wert haben und nicht ohne weiteres mit denjenigen anderer Autoren verglichen werden können, Dieses schliesst nicht aus, dass die oben beschriebene Methode für die Zwecke dieser Arbeit voll- kommen ausreichend war und — wie aus den chemischen Bestimmungen des Chloroformgehaltes des Blutes hervorging — genaue Konstanz des Narkotikums ermöglichte. Die Werte, welche ich bei den chemischen Bestimmungen des Chloroformgehaltes des Blutes fand, stimmen sehr gut mit denjenigen anderer Forscher überein. Die höchsten Zahlen, die bei meinen Ver- suchen in Betracht kamen und die sich also auf das Stadium der tiefen Narkose beziehen, wo alle Reflexe eben verschwunden sind, be- trugen etwas mehr als 0,02 Gewichtsprozent. Pohl!), von dem die ersten genauen Angaben über den Chloroform- gehalt des Blutes stammen, fand bei Hunden in der Narkose (ohne Angabe der Tiefe) einmal 0,018 und 0,042 °/0 und in tiefer Narkose 0,02 und 0,027 °o. Burkhardt?) bestimmte bei Kaninchen bei intravenöser Narkose den Chloroformgehalt des Blutes und fand während „reflexloser Narkose“ 0,0415 lo. Nicloux?) fand bei Hunden „au seuil de l’anesthesie“ 0,03 bis 0,04°o, welche Zahlen mit denjenigen von Tissot*) überein- stimmen. Buckmaster und Gardner?) arbeiteten an Katzen. Beim Narkotisieren mit einem 2°/oigen Chloroform-Luft-Gemisch waren ihre Chloroformzahlen im arteriellen Blut bei „Reflexes just gone“ 0,0193 %/o und in einem anderen Versuch beim Verschwinden des Augenlidreflexes 0,023 %o. Bei sehr konstanter Zufuhr eines 0,81— 0,85 P/oigen Chloroform- Luft-Gemenges mit einem technisch fast vollkommenen Apparat konnte Günter) in vier Versuchen an Hunden und einem Versuch an Kaninchen während suter Narkose 0,03 °/o Chloroform im Blute nachweisen, und die Werte von Hölscher’) stimmen mit denjenigen Günter’s überein. 1) J. Pohl, Über Aufnahme und Verteilung des Chloroforms im tierischen Organismus. Arch. f. experim. Pathol. und Pharmakol. Bd. 28 S. 239. 1891. 2) L. Burkhardt, Über Chloroform- und Äthernarkose durch intravenöse Injektion. Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 61 S. 332. 1909. 3) M. Nicloux, l. c. p. 27. 4) J. Tissot, Etude des conditions qui regissent la penetration du chloro- form jusqu’au sein des elements anatomiques pendant l’anesthesie. 1er Memoire. Journ. de physiol. et de pathol. generale t.8 p. 417. 1906. (Zitiert nach Nicloux.) 5) G. A. Buckmaster and J. A. Gardner, Rate of assumption of Chloroform by the blood. Proc. Roy. Soc. vol. 79 B. p. 558. 1907. 6) E. Günter, 1. c. S. 31. 7) F. Hölscher, Der Chloroformgehalt von Blut und Gehirn während der Narkose. Inaug.-Diss. Giessen 1906. 320 W. Storm van Leeuwen: Schliesslich hat noch Lattes!) bei Hunden „genau im Augenblick, wo die Tiere einschliefen“, Blut entnommen (obwohl es nicht genau beschrieben ist, geht doch aus seinen Protokollen hervor, dass diese Entnahme stattfand, als die Reflexe eben erloschen waren) und in diesem Blut auch einen Chloroformgehalt von ca. 0,03°%/o nachweisen können. Es ist also anzunehmen, dass während einer guten Chloroform- narkose im Blute ca. 0,03 °o Chloroform vorhanden ist, während in den Anfangsstadien der Narkose, auch wenn die Reflexe schon er- loschen sind, niedrigere Werte, bis ca. 0,02%/o, eefunden werden können. Bei meinen Versuchen waren folelich Werte unterhalb 0,02 °/o zu erwarten, und tatsächlich ist auch diese Grenze nur zweimal überschritten worden. Bis jetzt sind nur die Arbeiten früherer Autoren erwähnt, in welchen die Abhängigkeit der Chloroformnarkose von der Chloroform- konzentration des Blutes berücksichtigt wurde. Ehe aber zu der Be- schreibung meiner eigenen Versuche übergegangen wird, sind noch die Arbeiten von Bayliss und Sherrington zu erwähnen, in denen gezeigt wird, wie in der Chloroformnarkose eine Umkehr von Reflexen in den medullären (Bayliss) und spinalen (Sherrington) Zentren stattfinden kann. Schon 1870 hatte v. Cyon?) betont, dass bestimmte Unterschiede bei Blutdruckversuchen an verschiedenen Tierarten darauf beruhen, dass die Versuche an Hunden ohne Narkose, diejenigen an Kaninchen aber in Chloroformnarkose angestellt waren. Viele Jahre später konnte Bayliss®) nachweisen, dass in der Chloroformnarkose bei Kaninchen auf Reizung eines sensibeln Nerven eine reflektorische Blutdrucksenkung auftrat, während unter normalen Umständen auf Reizung desselben Nerven eine Blutdrucksteigerung erfolgte. In späteren Versuchen zeigte Bayliss*), dass in der Chloroformnarkose die reflektorische Reizung der Vasokonstriktoren in eine reflektorische Hemmüng umgewandelt wird. Bei spinalen Reflexen ist eine derartige Umkehr zuerst von Sherrington?°) nachgewiesen worden, und zwar für Strychnin. Dieses 1) L. Lattes, Über den Einfluss den das im Blute zirkulierende Fett auf die Giftwirkung des Chloroform ausübt. Münch. med. Wochenschr. 1910 Nr. 40 S. 2085. 2) v. Cyon, Bull. d. Acad. d. Science. de St. Petersbourg. Dec. 22 1870. (Zitiert nach Sherrington.) 3) W. M. Bayliss, On the physiology of the depressor nerve. Journ. of physiol. vol. 14 p. 302. 1893. 4) W. M. Bayliss, On reeciprocal innervation in vasomotor reflexes and the action of strychnine and of chloroform thereon. Proc. Roy. Soc. B. vol. 80 p- 375. 1908. 5) C. S. Sherrington, The integrative action. of the nervous system p- 106. 1906. Quantit. pharmakol. Untersuchungen über die Reflexfunktionen ete. 391 Gift verwandelt am Rückenmarkstier die reflektorische Hemmung in eine ‚reflektorische Erregung. Diese „Umkehr“ nun konnte Sherrington!) durch Chloroform — und in geringerem Maasse auch durch Äther — aufheben. Es liegt also auch in dieser Beziehung ein Antagonismus zwischen Strychnin und Chloroform vor. Sherrington und Sowton?) haben schliesslich versucht, auch ohne vorhergegangene Strychninisierung eine Umkehr der spinalen Reflexe durch Chloroform zu erzielen; tatsächlich ist dieses auch bei einzelnen Reflexen gelungen. Die reflektorische Kontraktion des Musc. vastocrureus, welche bei der dezerebrierten Katze auf Reizung eines homolateralen Nerven auftritt, wird in der Chloroformnarkose in eine schwache, aber deutlich sichtbare, reflektorische Hemmung ver- wandelt. ö Es kann jetzt dazu übergegangen werden, die Resultate meiner eigenen Untersuchungen mitzuteilen. Einfluss des Chloroforms auf den gleichseitigen Beugereflex der. Hinterbeine bei dekapitierten Katzen. Der homolaterale Beugereflex lässt sich an der dekapitierten Katze sehr leicht durch Reizung des N. peroneus auslösen. Eine Normalperiode eines solchen Reflexes bei Reizung mit Einzel- induktionsschlägen gibt Fig. 1. Beim Studium des Einflusses von Chloroform auf diesen Reflex habe ich zuerst untersucht, in welcher Weise sich dieser Reflex durch ganz kleine Mengen dieses Narkotikums ändern lässt. Zu diesem Zwecke wurde nach genügend langer Normalperiode "/a : 10 Chloroform eingestellt (s. z. B. Fig. 3a und 3b). Die Reflexe werden allmählich kleiner, verschwinden aber nach dieser Dosis fast niemals - ganz. Meistens stellen sie sich auf ein neues Niveau ein, welches nach 5—10 Minuten erreicht wird und wobei die Hubhöhe des Hebels nur 20—30°/o des ursprünglichen Wertes beträet. Interessant ist hierbei zu bemerken, dass die Reflexe sich auf diesem neuen Niveau während längerer Zeit erhalten können. Man kann dieses Einstellen auf ein konstantes niedriges Niveau nicht in jedem Versuch mit kleinen Chloroformkonzentrationen beobachten. Manchmal werden die Reflexe doch nach einiger Zeit allmählich kleiner. Weil aber — wie schon oben betont — die Reflexe öfters, auch ohne Narkotikum, 1) C. S. Sherrington, Strychnin and reflex inhibition of muscle. Journ. of physiol. vol. 36 p. 203. 1907. 2) C. S. Sherrington and S.C.M. Sowton, Chloroform and reversal of reflex effect. Journ. of physiol. vol. 42 p. 383. 1911. 3922 W. Storm van Leeuwen: die Tendenz haben, spontan etwas kleiner zu werden, so sind in dieser Beziehung die positiven Versuche mehr beweisend als die negativen; tatsächlich ist es einige Male gelungen, ein sol- ches niedriges Niveau während längerer Zeit zu registrieren. In Ver- such VI (Fig. 4) blieben noch 1:10 Chloro- form die Reflexe 21 Mi- nuten lang auf 65 °o der ursprünglichen Hubhöhe. | In einem anderen Versuch wurde nach 1:10 Chloroform ein derartiges Plateau von 13 Minuten Dauer be- obachtet, bei dem sich die Reflexe auf 3 /o der ursprünglichen Höhe hielten. 20 Mi- nuten nach Abstellung des Chloroforms hatten die Reflexe wieder die alte Hubhöhe erreicht. Plateaus von kürzerer Dauer traten in mehre- ren Versuchen auf. Es ist dieses Ein- stellen der Reflexe auf ein konstantes, niedri- ges Niveau besonders bemerkenswert, weil Winterstein!) vor ag i mtl butun gteoree (Auf !/a verkleinert.) peroneus jede Minute mit Einzelinduktionsschlag. Hebel nach unten — Beugung des linken Hinterbeines. hloroform. Dekapitierte Katze. Beim ersten Pfeil '/.:10 Chloroform, beim zweiten Pfeil 3/2: 10 Chloroform. Der Moment, in dem die gekreuzten Streckreflexe Reizung des linken Nerv. Zeit 80 Sekunden. ”“ En er iz &2 Fur | Sn oo De IWZ chl. nicht mehr wahrnehmbar waren, ist markiert, ebenso der Moment des Entblutens. Im sek. Kreis 21000 Ohm. 1) H. Winterstein, Beiträge zur Kenntnis der Narkose. Bioch. Zeitschr. Bd. 51 S. 143. 1913. Fig. 3a. Verschwinden der homolateralen Beugereflexe durch kleine Dosen C Versuch N.S. X. Homolaterale Beugereflexe. Reizstärke 2500 K. Quantit. pharmakol;: Untersuchungen über die Reflexfunktionen etc. 323 MIT LTE Fig. 3b. Verschwinden der hoınolateralen Beugereflexe durch kleine Dosen Chloroform. Dekapitierte Katze. | Graphische Darstellung von Versuch N.S. X, Fig. 3a. In diesen und den folgenden graphischen Darstellungen ist auf der Abszisse die Zeit in Minuten eingetragen, während die Ordinaten die Hubhöhe des Hebels angeben. Zu diesem Zwecke sind die wirklichen Hubhöhen des Hebels ausgemessen und in der Weise umgerechnet, dass die Hubhöhe der Normalperıiode immer ungefähr der Zahl 100 entspricht. (In Fig. 8a ist diese Zahl 20.) Homolaterale Beugereflexe. Reizung wie bei Fig. 3a. Zeit in Minuten. 1 1/o » nn 2 u Chloroform, up —7 Minuten, © „ € Entblutung, e er 8 4 45 Bere en z Ber. Bee \ SEBBBRZBRN: E BR Fig. 4. Einstellen der Reflexe auf konstantes Niveau nach Chloroform. Versuch VI. Homoıaterale Beugereflexe. Reizung jede 40 Sekunden mit Einzel- induktionsschlag. Reizstärke 150 K. Im sek. Kreis 21000 Ohm. Zeit in Minuten. Bei « 1:10 Chloroform, Der „ 5 Chloroform abgestellt, „_» » e vollständige Erholung, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 22 — 8 Minuten, — 21 ” 324 W. Storm van Leeuwen: kurzem wieder die Frage zur Spräche gebracht hat, inwieweit die Hemmung der oxybiotischen Prozesse, welche während der Narkose auftritt, für die Tiefe der Narkose verantwortlich gemacht werden muss. Winterstein ist der Meinung, dass infolge dieser Hemmung der oxybiotischen Prozesse im Körper die Narkoselähmung bei gleich- bleibender Konzentration des Narkotikums mit der Zeit eine Ver- stärkung erfahren muss, da eben die allmähliche Erstiekung hinzu- kommt. Diese Schlussfolgerung meint Winterstein durch Ex- perimente bestätigen zu können. Meine Versuche [Nr. VI (Fig. 4) und andere] stehen mit dieser Auffassung in direktem Widerspruch. Es bleiben hier bei Narkotisierung mit einem konstanten Chloroform- gemenge die Reflexe während 25 Minuten auf genau derselben Höhe. Von einem allmählichen Absinken der Kurve ist nicht die Rede, und dieses war auch auf Grund theoretischer Überlegungen kaum zu erwarten. Durch die Arbeiten Winterstein’s und vieler von ihm zitierter Autoren ist wohl bewiesen, dass durch Narkotika die oxybiotischen Prozesse gehemmt werden können, und weiter ist in der Winterstein- schen Arbeit gezeigt worden, dass diese Hemmung nicht allein Ursache der Narkose sein kann. Es liegt also auf der Hand, sich die Wirkung eines Narkotikums als die Summe zweier verschiedener Prozesse zu denken, nämlich: erstens der Wirkung des Narkotikums als solchem, zweitens der durch das Narkotikum verufsachten Hemmung der oxy- biotischen Prozesse. Aber auch wenn man sich auf diesen Standpunkt stellt, ist nicht — bei gleichbleibender Konzentration des Nar- kotikums — eine allmähliche Vertiefung der Narkose zu erwarten. Es werden sich doch die einzelnen Teile des Organismus (Blutzellen, Gewebsflüssigkeit usw.), nachdem einige Zeit mit einer bestimmten Konzentration des Narkotikums narkotisiert ist, mit einer konstanten Menge des Narkotikums beladen haben. Die nervösen Elemente werden bis zu einem gewissen Grade in ihrer Funktion gehemmt sein, und auch die Hemmung der oxybiotischen Prozesse wird zu einem bestimmten Grade fortgeschritten sein. Es ist nicht einzusehen, weshalb diese Hemmung — nachdem sie sich auf ein bestimmtes und von der Kon- zentration des Narkotikums abhängiges Niveau eingestellt hat — all- mählich fortschreiten und ein allmähliches Tieferwerden der Narkose hervorrufen muss. Wiewohl es also, nach den Winterstein’schen Auseinandersetzungen, möglich ist, dass in der Narkose die Hemmung der oxybiotischen Prozesse zu der Tiefe der Narkose beitragen wird, so ist die Schlussfolgerung Winterstein’s, dass sich infolgedessen die Narkose allmählich vertiefen muss, meines Erachtens nicht zwingend. Denn nicht nur die Intensität der Wirkung des Narkotikums als solchen, sondern auch die Tiefe der Hemmung der oxybiotischen Prozesse schreitet in der Strecke a—a! der in Fig.:4 veranschaulichten Kurve allmählich fort. Danach können beide Prozesse sich auf ein konstantes Niveau einstellen. Quantit. pharmakol. Untersuchungen über die Reflexfunktionen etc. 325 Es leuchtet ohne weiteres ein, dass eine Vertiefung der Narkose infolge einer Dauerschädigung des Organismus durch das Narkotikum bei der Beurteilung dieser Frage ganz ausser Betracht bleiben muss. Es sind die Versuche Winterstein’s u. a., in denen sich die Ob- jekte nach Abstellen der Narkose nur „unvollständig“ erholten, in dieser Hinsicht nicht: beweisend. Es hat schon Overton!) den Beweis geliefert, dass eine all- mähliche Vertiefung der Narkose bei gleichbleibender Konzentration des Narkotikums bei Kaulquappen nicht eintritt. anschaulichte Kurve darf als ein Beweis an- gesehen werden, dass die Winterstein’sche Ansicht auch bei Warmblütern nicht gilt. Bei einer Dosierung von 1:10 Chloroform verschwanden die Reflexe fast immer, und die Kurve der Hubhöhe fällt viel steiler ab wie bei */» :10 Chloroform. Dieses ist aus einem Vereleich von Fig. 5, 6a und 6b er- sichtlich. In Fig. 5 sinkt die Hubhöhe der Reflexe zwar schnell ab, es dauert aber 10 Mi- nuten, ehe die Reflexe ganz verschwunden sind. In Fie. 6a und 6b ist diese Zeit sehr viel kleiner (3 Min. 20 Sek. resp. 5 Min. 20 Sek.). In 5—7 Minuten sind bei Hahnstellung 1: 10 die Reflexe fast immer auf ein sehr niedriges Niveau zurückgegangen und in vielen Fällen ganz verschwunden. in Fig. 4 veranschaulicht wird, ist in dieser Hinsicht als eine Ausnahme zu betrachten, weil die Reflexe bei 1:10 Chloroform längere Zeit auf 65 %% der ursprünglichen Hubhöhe stehen- blieben. Sehr schön ist in dieser Figur das Wiederansteigen der Reflexe nach Eutfernung des Chloroforms zu beobachten. Bei 2:10 Chloroform?) geht das Ab- sinken der Kurve noch viel rascher; in 3—9 Reflexe meistens ganz verschwunden (Fig. 6a und 6b). Versuch Nr. 6, welcher Die in Fig. 4 ver- Fig. 5. Dekapitierte Katze. Homolaterale Beugereflexe. Versuch N.S. XI. Homolaterale Beuge- reflexe. Reizung jede Minute mit Einzelin- duktionsschlag. Reiz- stärke 2500 K. Im sek. Kreis 21000 Ohm. Zeit in Minuten. Bei a 1:10 Chloroform, bei 5 Chloroform ab- gestellt, a-b= 10 Min. Minuten sind die Auffallend 1) E. Overton, Studien über die Narkose 8.83. Jena 1901. 2) Es ist dieses die Hahnstellung, welche im Laboratorium zu dauernder tiefer Narkose der Versuchstiere benutzt wird. 22 * 326 W. Storm van Leeuwen: rasch erholen sich aber die Reflexe auch nach dieser grossen Dosis Chloroform. In zwei Fällen war 14 Minuten nach Abstellen des Narkotikums eine vollständige Erholung erreicht. — (ET (BE Be? ee (ee MR BE Bez Ben ® Fig. 6a. Fig. 6b. Fig. 6a und 6b. Homolaterale Beugereflexe. Einfluss einer starken Kon- zentration Chloroform. Dekapitierte Katze. Beide Kurven entstammen Versuchen an demselben Tiere. Versuch VII. Homo- laterale Beugereflexe.e Reizung jede 40 Sekunden mit Einzelinduktionsschlag. Reizstärke 150 K. In sek. Kreis 21000 Ohm. Zeit in Minuten. In beiden Figuren bei a Chloroform 2:10, bei d Chloroformabgestellt, bei c voll- ständige Erholung. In Fig. 6a a—b = 3 Minuten 20 Sekunden, in Fig. 6b a—b = 5 Minuten 20 Sekunden. In Tabelle I ist das Resultat von 18 Versuchen dargestellt. Die Zahlen geben die Prozente der ursprünglichen Hubhöhe an, bis zu welcher die Reflexe nach der angegebenen Zeit bei der genannten Chloroformkonzentration zurückgegangen waren. Tabelle I. Dekapitierte Katze. Homolaterale Beugereflexe. Chloroform. Hubhöhe in Prozenten der ursprünglichen Höhe Oalorolormt Lufsemise 2 Minuten | 4 Minuten | 6 Minuten nach Anfang | nach Anfang | nach Anfang der Narkose | der Narkose | der Narkose 1/3:10 in sieben Versuchen . . . 79 62 54 1:10 in neun Versuchen. ... . 50 27 23 2:10 in zwei Versuchen. ... . 20 2la 0 Quantit. pharmakol. Untersuchungen über die Reflexfunktionen etc. 327 Wie aus dieser Tabelle ersichtlich ist, sinkt also bei steigender Chloroformkonzentration die Hubhöhe immer rascher. ab. Das Wiedererscheinen der Reflexe nach Beendigung der Narkose kann nicht in ähnlicher Weise tabellarisch anschaulich gemacht werden, und zwar aus folgendem Grunde. Wie schon wiederholt bemerkt, werden die Reflexe bei längerer Versuchsdauer meistens später etwas kleiner, und weil nun das Wiederansteigen der Hubhöhe nach Ab- stellen des Narkotikums ziemlich langsam und sehr allmählich ver sich geht, so ist es öfters sehr schwierig, mit einiger Genauigkeit anzugeben, an welchem Punkte man die Erholung als vollständig betrachten soll. Ich muss deshalb auf genaue zahlenmässige Angaben verzichten und nur bemerken, dass in manchen Fällen (siehe z. B. Fig. 4, 6a und 6b) nach 15—20 Minuten nach Abstellen des Chloroforms die ursprüngliche Hubhöhe wieder ganz erreicht war. Eine Abhängiekeit der Erholungsdauer von der Konzentration des vorhergegebenen Chloroform-Luftgemenges liess sich nicht mit Deutlich- keit nachweisen. Wenn man in den verschiedenen Kurven das Absteieen der Hubhöhen bei den verschiedenen Chloroformkonzentrationen genau betrachtet, so fällt erstens die Schnelligkeit und die Regelmässigkeit auf, mit der dieses Absinken der Kurven bei etwas grösseren Kon- zentrationen stattfindet, und weiter ist es interessant, zu bemerken, dass fast immer unmittelbar nach dem Einstellen des Chloroforms schon der erste Reflex kleiner wird (höchstens gleich gross bleibt und — wenn alle Minuten gereizt wird — erst der nächste etwas kleiner wird). Aber niemals, in mehr als 30 Chloroformversuchen habe ich ein anfängliches Grösserwerden mit nachträglichem Absinken der Hubhöhe beobachten können. Ich hebe diese Tatsache hervor weil es sich in später zu veröffentlichenden Versuchen mit Äther herausgestellt hat, dass beim Narkotisieren mit kleinen Konzentrationen dieses Narkotikums ziemlich häufig die Reflexe anfangs grösser werden und erst bei höheren Dosen absinken. Auf eine solche Anfangserregung im Beginn einer leichten Chloroformnarkose wurde auch noch besonders geachtet, weil Sherrington und Sowton!) eine derartige Anfangserregung bei der Wirkung des Chloroforms 1) ©. S. Sherrington and S. C. M. Sowton, On the dosage of the mammalian heart by Chloroform. Thompson Yates and Johnston Report vol. 5 part 1 p. 81. 1908. 328 W. Storm van Leeuwen:. auf das isolierte Säugetierherz und Holmgren'), Knoll?) und Cushny?°)»eine Anfangserregung des Atmungszentrums beschrieben haben. Sherrington konnte noch nachweisen, dass diese kurz- dauernde. Erregung nicht irgendwie von Asphyxie abhängig sei. Verschwinden der homolateralen Is 7% Bengerchere durch Cloroform. Dekapitierte Katze. (Auf !/2 verkleinert.) Homolaterale Beugereflexe. Reizung jede halbe Minute mit Doppelinduktionsschlägen. Reiz- stärke. 2500 K. In sek. Kreis 21000 Ohm. Zeit 30 Sekunden. Es folgt jedesmal auf einen grösseren Ausschlag ein kleinerer. Dieses hänst mit einem alternierenden Wechsel der Reizstärke zusammen. Es müssen in diesem Versuch nur die Reflexe mit gerader und die mit ungerader Reihenzahl miteinander verglichen werden. Hebel nach unten — Beu- gung, Hebel nach oben = Streckung. In der Normalperiode folgt auf die anfängliche Beu- gung eine Streckung. Bei a wird 1:10 Chloroform eingestellt. Es verschwindet dabei die Streckkomponente eher als die Beuge- komponente. Schliesslich hat noch Ver- non?) gezeigt, dass bei der Wirkung von Äther auf das Schildkrötenherz nach. einem anfänglichen Kleiner- werden der Kontraktionen durch _ bestimmte Kon- zentrationen Äther noch während der Narkose die Reflexe wieder steigen können, allerdings ohne die ursprüngliche Höhe zu er- reichen. ‚Im Anschluss an den oben erwähnten Befund Sherrington’s, dass in der Chloroformnarkose eine Umkehr der Reflexe statt- finden kann, wurde genau darauf geachtet, ob sich auch bei meiner Versuchs- anordnung etwas Derartiges nachweisen lies. In der Tat war gelegentlich eine Änderung des Typus der einzelnen Reflexe nach Chloroform zu beobachten. Hierfür gibt Fig. 7 ein Beispiel. 1) Holmgren, Upsala Läkarefocrenings Förhandlingen 1867. (Zitiert nach Cushny.) 2) Ph. Knoll, Über die Wirkung von Chloroform und Äther auf Atmung und Blutkreislauf. Bd. 28 S. 363. 1891. Sitzungsber. d. Wiener Akad. Bd. 74 Abt. 3 S. 233. 1876. 3) A. Cushny, Über Chloroform und Äthernarkose. Zeitschr. f. Biol. 4) H. M. Vernon, The mode of union certain poisons with cardiae muscle. Journ. of physiol. vol. 41 p. 194. ‚1910. Quantit. pharmakol.: Untersuchungen über die Reflexfunktionen etc. 329 Chloroformbestimmungen im Blute. Nachdem in den oben beschriebenen Versuchen das Ver- schwinden und Wiederzurückkehren der Beugereflexe beobachtet war, — Beugung des gleich- Moment, in dem die gekreuzten Bei « Entblutung zur chemischen altes des Blutes. pitierte Katze. (Auf ?/s verkl.) g jede Minute mit Einzelinduktionsschlag. Reiz- In sek. Kreis 21000 Ohm. Zeit 30 Minuten, Hebel nach unten “Fig. 8b. gezeichnet. Reizun Fig. 8b. Homolaterale Beuge- reflexe. Dekapitierte Katze. Ein- fluss kleiner Dosen Chloroform. Graphische Darstellung des Ver- suchesaufFig.8a. Zeitin Minuten. Bei a "a:10 Chloroform, bei b gekreuzte Reflexe verschwunden, bei ce °/4:10 Chloroform, bei d Entblutung, a—c = 10 Minuten, c--d = 8 Minuten. Bei den Pfeilen !/2:10 und ®/4:10 Chloroform. Der Bestimmung des Chloroformgeh Reflexe nicht mehr zu sehen waren, ist auf der Kurve an wurde in anderen Versuchen Fig. 8a. Homolaterale Beugereflexe. Einfluss von Chloroform in kleinen Dosen. I!eka Versuch N.S. XIX. Homolaterale Beugereflexe. ® S in bestimmten, markauten =3 Phasen der Narkose dem SE Tiere Blut entnommen und ® 5 dessen Chloroformgehalt be- FE: stimmt. =: Die erste Aufgabe war, zu untersuchen, wie gross die Chloroformkonzentration im Blute in dem Augenblick war, wo die Reflexe auf Einzelinduktionsschläge (und zur Kontrolle auch. auf Doppelinduktionsschläge) absolut verschwunden waren. In einer zweiten Versuchsreihe wurde 330 W. Storm van Leeuwen: dem Präparat Blut entnommen, wenn die Reflexe bei stärkster Reizung kaum noch auszulösen waren, In der dritten Versuchs- reihe wurde zur Blutentnahme der Zeitpunkt gewählt, wo die Reflexe bei dem gewöhnlichen Reiz nur noch angedeutet waren, und schliesslich entnahm ich einige Male Blut, wenn die Hubhöhe des Hebels bis auf 30—50°%o und bis auf 10—20°/ der ursprüng- lichen Hubhöhe heruntergegangen war. Die gefundenen Werte sind auf Tabelle II zusammengestellt. Der Verlauf der Narkose bis zur Blutentnahme ist aus Fig. 3, 3a, 8 und 8a ersichtlich. Tabelle I. Dekapitierte Katze. Homeolaterale Beugereflexe. Chloroformgehalt des Blutes. Versuch Chloroformgehalt des Nr. Blutes Homolaterale Beugereflexe herunterge- = = en im Mittel Homolaterale Beugereflexe herunterge- 5. X 0,0105°/0 X im Mittel gangen bis auf 10—20 %/o Ss. XVI 0,0086 %/o 0,0095 %/o Hombolaterale Beugereflexe nur noch an- II 0,014 %o tn Mitte] gedeutet bei Einzelinduktionsschlag VI 0,013 %0 0.01% 0 2500 K. 21000 Ohm im sek. Kreis IX: | 0,011% . 2 Homolaterale Beugereflexe bei stärkstem Einzelinduktionsschlag nur noch an- ul ol} u 0,015 %o 0,0144 %/0 Ge u —— n munn Dun mn = | I! gedeutet Homolaterale Beugereflexe bei stärkstem XV 0,018 %0 m Mittel Einzelinduktionsschlag . absolut ver- XIX | 0,0175%0 0.0185 %% schwunden . xXX 0,02 %0 2 Homolaterale Beugereflexe verschwunden bei Doppelinduktionsschlag In einem Versuch (N.S. XXI) habe ich erst durch Chloroform die Reflexe zum Verschwinden gebracht und, nachdem sie sich bis auf 70°/o der ursprünglichen Hubhöhe wieder erholt hatten (Fig. 9), die Blutentnahme vorgenommen. Es fand sich im Blute ein Chloroform- gehalt von 0,0044. — Dieser Wert stimmt ohne weiteres mit denjenigen von Tabelle II überein. Wie man sieht, zeigt sich eine überraschende Übereinstimmung zwischen dem Chloroformgehalt des Blutes und dem Grade, bis zu welchem die Reflexe bei der graphischen Registrierung herabgesetzt oder aufgehoben sind; ein Resultat, welches sowohl für die Genauig- keit der chemischen Methode als auch der graphischen Reflex- registrierung spricht. ne > . XXIII | 0,023 %0 0,023 %/0 Quantit. pharmakol. Untersuchungen über die Reflexfunktionen etc. 331 Es ergibt sich, dass der Chloroformgehalt des Blutes bereits bei einer Konzentration, welche weit unter der „narkotischen“ liegt, die Rückenmarksreflexe deutlich herabsetzt, und dass eine fünfmal so grosse Konzentration im Blute erforderlich ist, um die Reflexe völlig zum Verschwinden zu bringen. Ausserdem ergibt sich aus dieser Tabelle II einen wie feinen Indikator die Registrie- rung der Reflexe für die Narkose- tiefe und den Chloroformgehalt des Blutes darstellt. Die in dieser Arbeit benutzte Methode wird sich als besonders ge- eienet erweisen bei vergleichen- den Untersuchungen über das Verhältnis der Wirkung der verschiedenen Narkotika, vor allem zwischen Chloroform, Äther und Alkohol. Über das Ergebnis derartiger Unter- suchungen hoffe ich später be- richten zu können. Blut- Reiz- Hebel nach unten — Beugung’ des —- u e - 3.2 + a» = is = ee SER, re > Dr ee En gebracht, kehren nach Ab- loroform. Danach Chloroform ab- (Auf !/s verkleinert.) Reizung mit Einzelinduktionsschlag jede Minute. Zeit in 30 Sekunden. prünglichen Hubhöhe erholt hatten. Analyse. pitierte Katze. Bei den Pfeilen "/:10 und 1:10 Ch entnahme zur chemischen gestellt, und nachdem sich die Reflexe bis auf 70% der urs Gekreuzte Streekreflexe. Der Streckreflex des ge- kreuzten Beines eignet sich zu genauer Reeistrierung sehr viel weniger gut alsder homolaterale Beugereflex. Der gekreuzte Reflex ist nämlich nicht an allen Rückenmarkspräparaten durch Einzelinduktionsschläge auszulösen und ist immer inkonstanter. Manchmal ist er im Anfang des Versuches vorhanden und verschwindet dann ohne nachweisbaren Grund, nachdem er einige Male registriert worden ist. Nur in besonders günstigen Fällen kann man also mit diesem Reflex experimentieren. Ein Beispiel eines gut gelungenen Versuches mit diesem Reflex gibt Fig. 10. Homolaterale Beugereflexe. stellung des Chloroforms zurück. Deka Im sek. Kreis 21000 Ohm. Versuch N.S. XXI stärke 1000 K. Fig. 9. Homolaterale Beugereflexe durch Chloroform zum Verschwinden gleichseitigen Hinterbeines. 332 W. Storm van Leeuwen: Der Reflex bestand aus einer anfänglichen Streckung der Ex- tremität mit nachfolgender Beugung. Beim Ausmessen zur graphischen Darstellung wurde bei diesem Reflex immer nur die Streckphase berücksichtigt. Schon bei Anwendung kleiner Mengen Chloroform verschwindet der gekreuzte Streckreflex ziemlich rasch, ‘wie ebenfalls auf Fig. 10a Fig. 10a. Verschwinden der gekreuzten Streckreflexe durch Chloroform. Dekapitierte Katze. Versuch N.S. XXI. Beschreibung siehe Fig. 2a und 2b. Bei den Pfeilen !/2:10 resp. 1:10 Chloroform. Nach dem Verschwinden der Reflexe Blutentnahme zur chemischen Analyse. ersichtlich ist. Sehr gut ist aus Fig. 10b, welche sich auf denselben Versuch bezieht, zu sehen, wie beim Zurückkehren des Reflexes nach der Narkose sich zuerst die Streckkomponente wiederherstellt und erst später auch die nachherige Beugung zurückkehrt. — (Für die Normalperiode dieses Versuches siehe Fig. 2a und 2b.) Wie schon einige Male bemerkt, ist der Streckreflex empfindlicher als der homolaterale Beugereflex. Ich habe in fast allen Chloroform- Quantit. pharmakol. Untersuchungen über die Reflexfunktionen etc. 333 versuchen mit Beugereflexen auch auf das Verschwinden des gekreuzten Reflexes geachtet und den Zeitpunkt, wo letzterer erloschen war, auf meinen Kurven markiert. Fast immer war kurz nach dem Anstellen Er Dekapitierte Katze. ee Ss Po Erholung nach Abstellen des Chloroforms. Fig. 10b. Gekreuzte Streckreflexe. Versuch N. S. XXII. Erholung der gekreuzten Reflexe, nachdem sie durch Chloroform (Fig. 10 a) zum Ver- schwinden gebracht worden sind. Die Streckkomponente erholt sich dabei eher als die Beugekomponente. des Chloroforms — wenn die homolateralen Beugereflexe bis auf ca. 50 °%/o heruntergegangen waren — der Streckreflex erloschen oder bis auf ein Minimum reduziert. Es liess sich also aus Tabelle II folgern, dass bei Blutentnahme in dem Moment, wo der Streckreflex 334 W. Storm van Leeuwen: nach Chloroform nur noch angedeutet war, ein Chloroformgehalt im Blute von ca. 0,0045 °o sich nachweisen lassen würde. Tatsächlich fand ich in einem derartigen Versuch (N.S, IV) einen Chloroform- gehalt im Blute von 0,005 /o. Es kommen indessen auch Ausnahmen vor. So wurde in einigen Fällen beobachtet, dass der gekreuzte Streckreflex ebenso resistent gegen Chloroform war als der homolaterale Beugereflex. Es wurde hier im Augenblick, wo durch Einzelinduktionsschläge beide Reflexe kaum noch auszulösen waren, im Blute 0,013 °o Chloroform gefunden. Als ganz abnorm ist ein Versuch zu bezeichnen, wo lange, nachdem der Beuge- reflex durch Chloroform zum Verschwinden gebracht worden war, der Streckreflex des gekreuzten Beines noch auszulösen und bei der Blut- entnahme nach halbstündiger Narkose noch nicht erloschen war. Der Chloroformgehalt dieses Blutes betrug 0,025°0, ein ausserordentlich hoher Wert. Wiewohl also gelegentlich Ausnahmefälle vorkommen, so geht aus diesen Versuchen Joch hervor, dass bei einer Chloroformkonzen- tration im Blute von ca. 0,005 %/o — also in einem Stadium, wo die homolateralen Reflexe etwa bis zur Hälfte ihrer ursprünglichen Stärke reduziert sind, die Streckreflexe des gekreuzten Beines meistens erloschen sind. Reflexe an dezerebrierten Katzen. Zum Vergleich mit den bei dekapitierten Katzen gefundenen Zahlen wurden noch einige Versuche an dezerebrierten Tieren vor- genommen, mit dem Resultat, dass im Prinzip dieselben Verhältnisse wie bei den dekapitierten Katzen nachgewiesen werden konnten. Der homolaterale Beugereflex lässt sich auch bei dezerebrierten Tieren manchmal gut registrieren, ist aber mit Einzelinduktions- sehlägen nicht so leicht auszulösen, wie dies bei dekapitierten Katzen der Fall ist. Durch die gleichen Chloroform-Luftgemische, die in den Haupt- versuchen benutzt wurden, konnten auch in diesen Versuchen die Reflexe zum Verschwinden gebracht bzw. bis auf eine bestimmte Höhe reduziert werden. Auch die Chloroformzahlen im Blute stimmten mit den bei dekapitierten Tieren gefundenen-Werten gut überein. So wurde z. B. in dem Augenblick, wo bei Einzelinduktionsschlägen die Beuge- reflexe ganz verschwunden waren, im Blute 0,015 °/o Chloroform gefunden. Bei einem anderen Versuche an einer dezerebrierten Pe WR 0 Quantit. pharmakol. Untersuchungen über die Reflexfunktionen etc. 335 Katze, in welchem mit Doppelinduktionsschlägen gereizt wurde, liess sich im Moment, als die Reflexe ganz erloschen waren, 0,025 %/o Chloroform im Blute nachweisen. Fig. 11 veranschaulicht den Verlauf eines solchen Versuches an einer dezerebrierten Katze. Fig. 11. Verschwinden der homolateralen Beugereflexe bei einer dezerebrierten Katze. (Auf !/a verkleinert ) Versuch N. S. XXIII. Homolaterale Beugereflexe bei dezerebrierter Katze. Reizung des linken Nervus peroneus jede Minute mit Doppelinduktionsschlag. Reizstärke 5000 K. Im sek. Kreis 21000 Ohm. Hebel nach unten — Beugung des gleichseitigen Beines. Bei dem ersten Pfeile 1:10 Chloroform. Bei dem zweiten Pfeile Blutentnahme zur chemischen Analyse. Narkosestarre. Es ist eine längst bekannte Tatsache, dass in einem gewissen Stadium der Narkose bei dem zu narkotisierenden Patienten bzw. Tier eine tonische Kontraktion der Streckmuskeln auftritt. Beim Narkotisieren eines Tieres ist das Auftreten dieser Narkosestarre meist besonders deutlich zu sehen. Das Tier liest in diesem Stadium der Narkose mit ganz steif gestreckten Extremitäten und gehobenem Halse. Versucht man die Extremitäten zu beugen, so stösst man auf einen sehr ausgesprochenen Widerstand. Sehr wahr- scheinlich ist diese Narkosestarre als analog zu betrachten mit der zuerst von Sherrington!) beschriebenen „Decerebrate regidity“, welche nach dem Dezerebrieren eines Tieres auftritt. — Das Auf- 1) C. S. Sherrington, The integrative action of the nervous system. 336 W. Storm van Leeuwen:;: treten der Narkosestarre würde in diesem Falle auf das Erloschensein der Grosshirnfunktionen bei noch vorhandenem Reflextonus der Muskeln weisen. Es erschien wünschenswert, bei meinen obigen Versuchen auch einige Untersuchungen über den Chloroformgehalt des Blutes während der Narkosestarre vorzunehmen. Zu diesem Zwecke wurden Katzen erst unter einer Glasglocke chloroformiert, dann schnell aufgespannt und tracheotomiert. Nachdem eine Glaskanüle in den Karotis ein- gebunden war, liess ich das Tier fast ganz aus der Narkose auf- wachen. Dann wurde mittels der künstlichen Atmung Chloroform- narkose (1:10) eingeleitet und, nachdem die Narkosestarre eingetreten war, Blut entnommen. Bei der Analyse fand sich hierin 0,0166 ?/o Chloroform. Dasselbe Tier wurde jetzt tief narkotisiert, bis die Extremitäten völlig schlaff waren. Es wurde darauf das Chloroform wieder abgestellt. Als darauf wieder die Narkosestarre eintrat, wurde abermals entblutet. In diesem wurde 0,017 °/o Chloroform gefunden. In einem zweiten Versuche wurde ebenfalls, nachdem das Tier aus der Anfangsnarkose aufgewacht war, chloroformiert und diesmal erst Blut entnommen, als die Starre voll entwickelt war. Dann wurde das Chloroförm abgestellt und, als das Tier fast eanz aufgewacht war, nochmals bis zur völligen Entwicklung der Starre chloroformiert. Es liessen sich in diesen beiden Blutportionen 0,025 %o resp. 0,028 °/o Chloroform nachweisen. Aus diesen Versuchen lässt sich also schliessen, dass der Chloroformgehalt im Blute während der Narkosestarre innerhalb ziemlich weiten Grenzen (0,0166 °/o bis 0,0280) schwanken kann, und dass die Starre noch bei einem relativ hohen Chloroformgehalt des Blutes bestehen kann. Die Maximum- werte, welche hierbei gefunden wurden, übersteigen tatsächlich alle bei meinen Versuchen über Reflexe gefundenen Werte. Es lässt sich hieraus schliessen, dass die propriozeptiven Reflexe, welche als Ursache der Narkosestarre betrachtet werden müssen, noch anwesend sind, wenn alle anderen Reflexe schon erloschen sind. Es stimmt das mit der jedem Narkotiseur bekannten Erfahrung, dass, wenn die Glieder eines Patienten, der vorher „gespaunt“ hat, allmählich schlaff werden, dann auch alle Rückenmarksreflexe auf die Körpermuskulatur erloschen sind und das „Toleranzstadium“ erreicht ist. Als höchste Werte bei der Narkosestarre fand ich 0,028 °%/o Chloroform im Blute, für tiefe Narkose Günter u.a. 0,03°/0. Die Werte schliessen also unmittelbar aneinander an. EEE, Quantit. pharmakol, Untersuchungen über die Reflexfunktionen etc. 337 Die in dieser Arbeit ermittelten Werte über den Chloroform- gehalt des Blutes bei verschiedenen Graden der Rückenmarkslähmung lassen sich gut mit den von Nicloux erhaltenen Werten des Chloroformgehaltes des Blutes im Moment des Todes und mit den von Sherrington und Sowton ermittelten Werten für die Be- einflussung des isolierten Säugetierherzens!) zu einer Tabelle zu- sammenstellen, aus der man die allmähliche Beeinflussung der Reflextätiekeit des Herzens und des Atmungszentrums bei zunehmender Narkosetiefe ersehen kaun (Tab. II). Tabelle II. Chloroformgehalt des Blutes in gewonnenen Prozenten in verschiedenen _ Stadien der Narkose. Wirkung Chloroformgehalt auf das Herz des Blutes in Narkosetiefe fi, Sngoeimeson gew. Prozenten and Sowton) homolaterale Beugerefiexe herabgesetzt 6 uules { bis auf 30—50 %0 } keine 0,005 gekreuzte Streckreflexe verschwunden keine homolaterale Beugereflexe herabgesetzt . 0,0095 { bis auf 1020 % \ keine homolaterale Beugereflexe bei stärkstem 0,0144 Einzelinduktionsschlag nur noch ange- keine deutet homolaterale Beugereflexe bei stärkstem iL 0,0185 { Einzelinduktionsschlag verschwunden \ us homolaterale Beugereflexe bei Doppel- ; wie { induktionsschlag verschwunden \ kenne 0,0166 — 0,028 Narkosestarre keine [ Pohl, Burkhardt, |) s er gute „Nicloux, Hölscher beginnende u Narkose |Tissot, Buchmaster und Schädigung L (Gardner, Günter, Lattes ne Gefahr der - Herabsetzung 0,06 { ee \ Nicloux, Pohl { 2 cn sichere : Herabsetzung u { Atemlähmung \ Nielouz, Fohl { % 65 %/0 0,10 Herzstillstand 1) Von den Versuchen, welche über die Beeinflussung des isolierten Säuge- tierherzens durch Chloroform gemacht sind, eignen sich nur die von Sherrington und Sowton für meine Zwecke, weil nur bei ihnen als Durchströmungstflüssigkeit unverdünntes Blut verwendet wurde. 338, W. Storm van Leeuwen: Nachdem die oben beschriebene Methode sich zum Studium des Einflusses eines Narkotikums auf das C.N.S. als sehr zweckmässig erwiesen hatte, erschien es wünschenswert, zu untersuchen, ob dieses Verfabren auch beim Studium des Einflusses erregender Gifte an- wendbar sei. Zu diesem Zwecke wurden einige Versuche mit Coffein und mit Strychnin angestellt. Coffein. Der erregende Einfluss von Coffein auf die Reflexfunktionen des Rückenmarks liess sich sehr deutlich in Versuch XVII (Fig. 12) nachweisen. In diesem Versuch waren zuerst durch Äther die homo- lateralen Beugereflexe zum Verschwinden gebracht. Nach Abstellen 4 vl /40 { Ba N a Beise NY As ae Bus < Be ‚Parse . meer sn BEE 2 Bu Keen er Fan = ale» a Een m anleeeen BT ‚ Fig. 12. Homolaterale Beugereflexe. Erregende Wirkung von Coffein. Dekapitierte Katze. Graphische Darstellung von Versuch XVIlb. Homolaterale Beugereflexe. Reizung mit Einzelinduktionsschlägen jede 40 Sekunden. Reizstärke 2500 K. Im sek. Kreis 21000 Ohm. Zeit in Minuten. Bei a 4:10 Äther, bei b Ather abgestellt. bei c Erholung bis auf 80%, Injektion 5 ccm 2%oiges Coffein. Natrio-Benz, subkutan, bei d Ather 4:10. des Äthers hatten sich die Reflexe bis auf 80% der ursprünglichen Hubhöhe erholt, und nachdem sie sich 6 Minuten auf dieser Höhe konstant gehalten hatten, wurden 5 cem 2°/oiges Coffein. Na.-Benz. subkutan eingespritzt mit dem Resultat, dass sich die Reflexe bis auf das Vierfache steigerten und durch eine Konzentration Äther, die in diesem Versuch vorher die Reflexe ganz zum Verschwinden gebracht hatte, nur bis auf die Ausgangshöhe reduziert wurden: u De ee u De Quantit. pharmakol. Untersuchungen über die Reflexfunktionen etc. 339 Der Antagonismus zwischen 'Coffein und Chloroform (in ihrer Wirkung auf das C.N.S.) liess sich auf folgende Weise nachweisen. Bei einer dekapitierten Katze wurden die homolateralen Beugereflexe reeistriert und nach einiger Zeit Chloroformnarkose eingeleitet, wo- (durch die Beugereflexe sehr viel kleiner wurden, ohne jedoch ganz zu verschwinden. Nachdem die Reflexe sich auf ein bestimmtes, sehr niedriges Niveau eingestellt hatten (ca. 15 °/o der ursprünglichen }ubhöhe), wurden zweimal 2 ccm 2°Joiges Coffein. Na.-Benz. in die Vena juzularis des Tieres eingespritzt. Der Erfolg dieser Injektionen | | { | ILA e2- J\ ı $0 A j A } | 2: 3 r = u 1 Al | ı w wll | Er] IWV 7] a L c L4 o 2 u ver N Pr : c Fig. 13. Homolaterale Beugereflexe. Coffein während der Chloroformnarkose. Dekapitierte Katze, Graphische Darstellung von Versuch XVI. Homolaterale Beugereflexe. Reizung jede 40 Sekunden durch Einzelinduktionsschlag. Reizstärke 2500 K. Im sek. Kreis 21000 Ohm. Zeit in Minuten. Bei a—d "/2:10 Chloroform, bei 5 In- jektion 2 cem Coffein. Natio-Benz. 2°%0 in Vena jug., bei c Injektion 2 cem Coffein. Natrio-Benz. 2°%/0 in Vena jug., bei d Chloroform abgestellt, bei e voll- ständige Erholung. ist in Fie. 13 deutlich zu sehen. Beide Male tritt nach der In- jektion eine kurzdauernde, aber deutliche Steigerung der Reflexe ein, wobei die Reflexe einmal sogar die ursprüngliche Hubhöhe er- reichten. In einem anderen derartigen Versuch liessen sich die Reflexe durch eine kleinere Menge Coffein (1 cem 1°/oiges Coflein. pur.) deutlich, wenn auch in geringerem Grade, steigern. Merkwürdig ist in diesen Versuchen (Fig. 13) die kurze Dauer der Coffeinerregung. Man kann indessen die Erregung länger dauern lassen, wenn man das Gift subkutan injiziert. Hierzu braucht man aber bei Versuchen an dekapitierten Tieren ziemlich grosse Dosen (bis 200 mg), was wohl damit zusammenhänst, dass bei den dekapi- tierten Tieren die Resorption der subkutan injizierten Gifte langsamer vor sich geht wie bei einem normalen Tier, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 2: “ i) ( 340 W. Storm van Leeuwen: Strychnin. Es wurden den Coffeinversuchen einige Versuche über die Wirkung des Strychnins angeschlossen. Die Wirkung von Strychnin auf das C.N.S. besteht erstens in einer Steigerung der Reflexerregbarkeit, und zweitens in einer Umkehr der Hemmungsreflexe. Die Umkehr Fig. 14. Homolaterale Beugereflexe. Erregende Wirkung von Strychnin bei intravenöser Zufuhr. Dekapitierte Katze. Graphische Darstellung von Versuch XVI. Homolaterale Beugereflexe. Reizung jede 40 Sekunden mit Einzelinduktionsschlag. Reizstärke 1000 K. Im sek. Kreis 21000 Ohm. Zeit in Minuten. Bei a 0,2 mg Strychnin intravenös. Fig. 15. Homolaterale Beugereflexe. Erregende Wirkung von Strychnin nach { subkutaner Injektion. Dekapitierte Katze. Graphische Darstellung von Versuch N. S. V. Homolaterale Beugereflexe. Reizung jede Minute mit Einzelinduktionsschlag. Reizstärke 2500 K. Im sek. Kreis 21000 Ohm. Zeit in Minuten. Bei @ 1 mg Strychnin subkutan. re el ee eK Be en ee u che Re Quantit. pharmakol. Untersuchungen über die Reflexfunktiouen etc, 341 der Hemmungsreflexe ist zuerst von Sherrington!) beschrieben worden, und später ist dieselbe (auch bei Reizung mit Einzelinduktions- schlägen) genauer von ihm untersucht worden?). Die erregende Wir- kung von. Stryehnin liess sich mit grosser Deutlichkeit in meinen Versuchen nachweisen. Fig. 14 zeigt, wie die homolateralen Beuge- reflexe bei der dekapi- tierten Katze durch intravenöse Zufuhr von 02 mg Strychnin ge- steigert werden. Es stimmt diese Dosis mit den Angaben von Sherrington und von Magnus und Wolf?) überein, die nach intra- venöser Injektion von 0,13 mg Strychnin — Beugung des Einzelinduktionsschlag. Reiz- Fig. 16d yebnin. Dekapitierte Katze. (Auf !/2 verkl.) Reizung jede Minute mit Zeit 30 Sekunden. Hebel nach unten Strychnin subkutan gegeben. Fig. 16b nach Fig. 16b, Fig. 16d ist registriert Ü ( 6 Min. nach Fig. 16c. Fig. 16'c, Fig. 16. Homolaterale Beugereflexe. Erregende Wirkung von Str ‘is. 16a, Fig. 16le ist registriert 6 Min, Zwischen Fig. 16a und Fig. 16b ist 1 m Homolaterale Beugereflexe. Im sek. Kreis 21000 Ohm. bei der Katze stets = ‚eine gesteigerte Reflex- .& = & . aan® Ex 7) >} erreebarkeit nachwei- FE sen konnten. "828 5 — {eb} Bei subkutaner In- Se er R 3 SUNHS jektion brauchte ich Sa R a e2enn grössere Dosen, beson- Dessas . . . 2 ders weil die Strychnin- aa 293382 versuche meistens an SER >a mn? wenig erregbarenTieren angestellt wurden, deren Zirkulation wahrscheinlich auch gelitten hat. 1) C. S. Sherrington, The integrative action of the nervous system. 2) C. S. Sherrington, Strychnin and reflex inhibition of skeletal muscle. Journ. of physiol. vol. 36 p. 185. 1907. 3) R. Magnus und C.G.L. Wolf, Weitere Mitteilungen über den Einfluss der Kopfstellung auf den Gliedertonus. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 149 S.447. 1913. 23* 342 W. Storm van Leeuwen: Quantit. pharmakol. Untersuchungen etc. Es dauert bei solchen Präparaten meistens ziemlich‘ lange, bis nach subkutaner Injektion von Strychnin Jie Steigerung der Reflexe auftrat, diese war dann aber öfters sehr stark, wie aus Fig. 15 ersichtlich ist. Bei der Strychninerregung sind die Beugereflexe meistens richt nur gesteigert, sondern ihr Typus ändert sich auch, so dass statt eines einphasigen Reflexes sehr oft ein mehrphasiger auftritt. Dieses ist in Fig. 16 veranschaulicht, wo einige Reflexe aus verschiedenen markanten Stellen der Serie nebeneinander wiedergegeben worden sind. Die Reflexe in Fig. 16 b, e und d sind bei schnellem Gang des Kymographions registriert. Es werden hierdurch die verschiedenen. Komponenten des einzelnen Reflexes getrennt ersichtlich. Man sieht bei Fie. 16a die kleinen Reflexe der Normalperiode. Bei Fig. 16b ist bereits auf die gleiche Reizstärke mit einem Einzelinduktionsschlage die Reflexzuckung vergrössert, und zwar gleich die erste Zuckung, an die sich dann noch eine zweite mit einer Andeutung von tonischer Nachwirkung anschliesst. Bei Fig. 16e ist die Zunahme der ersten Zuckung und die tonische Phase noch deutlicher, bei d erreicht die tonische Phase ihre volle Ausbildung. Dass Strychnin auch die direkte Reflexerreebarkeit auf einen Einzelinduktionsschlag steigert, ersieht man aus dieser Kurve mit voller Deutlichkeit. Versuchsergebnisse. 1. Bei dekapitierten (und dezerebrierten) Katzen lassen sich die gleichseitigen Beugereflexe (und die gekreuzten Streckreflexe) bei Reizung mit Einzelinduktionsschlägen längere Zeit hindurch mit solcher Regelmässigkeit hervorrufen, dass die quantitative Prüfung der Wirkung von Arzneimitteln auf die Reflextätiekeit des Rücken- marks möglich wird. | 2. Beim Chloroform liess sich auf diese Weise das Verhalten der Rückenmarksreflexe bei verschiedenem Chloroformgehalt des Blutes untersuchen; dabei ergab sich ein überraschend scharfer Parallelismus zwischen dem Grade der Herabsetzung der Reflextätigkeit und dem Chloroformgehalt des Blutes. 3. Eine Anfangserregung durch Chloroform liess sich an den, Rückenmarksreflexen nicht nachweisen. Rh, 4. Coffein bewirkt eine Zunahme der Rückenmarksreflexe sowohl am unvergifteten Tier als auch während der Chloroformnarkose. 5. Die Steigerung der Reflexerregbarkeit durch Strychnin lässt sich auch bei Reizung mit Einzelinduktionsschlägen nachweisen. 343 (Aus dem physiologischen Institut der Universität Wien.) Ein Beitrag zur Frage über tropische Fortbewegung. Dr. 3. S. Szymauski. (Mit 15 Textfiguren.) Einleitung. Es gibt zweierlei Arten der tropischen Fortbewegung. Die eine Art kommt vor, wenn ein Tier sich mehr oder weniger gerad- linig auf die Reizquelle zu bzw. von derselben fort mit relativ srosser Geschwindigkeit be- wegt (Tropismen nach Loeb, Bohnsura.). (Fie. 17.) Diese Art der Bewegung ist schnell beweglichen Tieren eigen. Die zweite Art lässt sich durch „Probierbewegungen“ (Jennings), d. h. durch orientierende, pendelnde bzw. kreisende Bewegungen des Vorderkörpers charakteri- sieren. Diese Fortbewecung geht derart vor sich, dass ein der Wirkung eines richtung- 1 Kiss bestimmenden Reizes ausgesetztes Tier seine Fortbewegung hier und da unterbricht, um Probierbewegungen auszuführen. Die Bahn, die das Tier von seinem Ausgangspunkt in der Richtung zu bzw. von der Reizquelle weg beschreibt, ist mehr oder weniger krumm (Fig. 1 17).. Die Bewegungsgeschwindigkeit ist relativ gering. Diese Bewegungsart, die insbesondere von Jennings, Holmes, Mast u.a. 3414 JS. Szymanski: studiert wurde, zeigen langsam bewegliche, meist (ausnahmslos?) kriechende Tiere. Die Feststellung der Abhängigkeit, die zwischen der allgemeinen Beweglichkeit und der Art der Fortbewegung besteht, war Ausgangs- punkt der vorliegenden Untersuchungen. Dieselben bezweckten, zu prüfen, ob die sich in der zuletzt beschriebenen Weise bewegenden Tiere vermöchten, sich mehr oder weniger geradlinig und ohne Probierbewegungen von der Reizquelle zu entfernen bzw. derselben anzunähern, wenn ihre allgemeine Beweglichkeit erhöht wäre. Dass eine solche Untersuchung nicht ganz aussichtslos wäre, seht aus einer Tatsache hervor, die ich bei G. Bohn gefunden habe. Bohn konnte nämlich bezüglich des Phototropismus der Seesterne folgendes feststellen: „Si on eonsidere de jeunes Etoiles de mer, tres actives, on les voit se diriger direetement vers les surfaces d’ombre on le lumiere, selon le signe du phototropisme ... Mais si on considere des Etoiles de mer plus ägees, on constate qu’en general elles ne se dirigent pas directement vers la surface d’ombre & laquelle elles arrivent finalement. Lorientation n’est pas direete; il semble ä premiere vue qu’elle se fasse par la methode de l’essai et de l’erreur“ (p. 78—79)}). | Die allgemeine Methode meiner Arbeit war die folgende: Nach- dem ich zunächst die Vertreter einer Tierart, die Probierbewegungen auszuführen vermag, im Zustande der erhöhten Beweglichkeit geprüft hatte, untersuchte ich dieselben im Zustande der verminderten Be- weelichkeit. Um die gewonnenen Resultate miteinander vergleichen zu können, berechnete ich zwei Werte, und zwar die Durchschnitts- geschwindigkeit der Fortbewegung unter dem Einfluss eines richtung- bestimmenden Reizes und die Strecke in Millimeter, auf die ein Aufenthalt mit Probierbewegungen fiel, so dass Weg (in Millimeter) I Teit (in Sekunden) Weg (in Millimeter) Zahl der Stellen mit Probierbewesungen » bedeuten; wenn kein Aufenthalt mit Probierbewegungen überhaupt vorkam, bezeichnete ich in solchen Fällen pp = x. 1) G. Bohn, Introduction A la Psychologie des animaux & symetrie rayonnee. Extr. du Bull. de l’Inst. gener. Psychol. Se an. 1908. Ein Beitrag zur Frage über tropische Fortbewegung. 345 Als Hauptkriterium habe ich den Wert von p angenommen. Es ist leicht einzusehen, dass, je geringer diese Zahl war, desto öfter ein Tier stehen blieb und Probierbewegungen ausführte; und um- gekehrt, je grösser diese Zahl war, desto weniger Probierbewegungen . ausgeführt wurden. In allen unten folgenden Abbildungen sind diese Werte bei schnellbeweglichen und langsambeweglichen Tieren gegenseitig zu vergleichen. Um diese Zahlen zu bestimmen, verfuhr ich derart, dass ich ein Versuchstier auf ein Blatt schwarzes Papier stets auf dieselbe Stelle setzte, und dann bei einigen zu Versuchen verwendeten Tier- arten (Mehlwürmer und Raupen von Spindelbaummotte), nach Vorbild von Mast, markierte ich den Weg mit weisser Tinte; die Stellen, . wo die Tiere Probierbewegungen ausführten, bezeichnete ich bei Mehlwürmern durch kleine Kreise, bei allen anderen Tierarten durch: kleine vertikale Striche. Auf allen unten folgenden Abbildungen bedeuten also: die fettausgezogene Kurve den Weg des Tieres; die kleinen vertikalen Striche (bzw. Kreise bei Mehlwürmern) die Stellen mit Probierbewegungen. Nach den Versuchen teilte ich das Blatt in zwölf Vierecke. Da ich wusste, dass jedes Blatt 33 xX 5l em gross war, konnte ich nun auf einem eleichkarierten Papierstück, dessen Grösse zehnmal ge- ringer war als die Grösse des schwarzen Blattes, die Wege und die Anzahl der Stellen mit Probierbewegungen für jedes Tier in ver- kleinertem Maassstabe eintragen. Auch die Länge des Weges war leicht zu berechnen, da ich wusste, dass 1 mm auf dem kleinen Blatt 1 cm des wirklichen Weges entsprach. So verfuhr ich mit Mehlwürmern. Die Wege der Raupen von Spindelbaummotten ver- kleinerte ich mittels eines Verkleinerungsapparates; die Länge des Weges maass ich unmittelbar auf dem schwarzen Papier. Bei allen anderen geprüften Tierarten verwendete ich nicht mehr weisse Tinte, sondern teilte vor den Versuchen das schwarze Papier (33 X 51 cm) mit rotem Stift in zwölf Vierecke; während des Versuches zeichnete ich auf einem gleichkarierten Stück Papier den Weg, und dann über- trug ich denselben auf 3,3 X 5,1 cm grossem, unten abgebildetem Papierstück. Die Zeit habe ich mit einer Stoppuhr gemessen. Da ich als Reizquelle meistens Licht angewendet habe, führte ich meine Versuche in einer Dunkelkammer aus; jedes Tier wurde immer einzeln geprüft. Die Messungen fanden für jede Tierart, wenn möglich, an einem Tag, immer zu gleicher Tageszeit, bei gleich- 946. read. SZ mans bleibender Zimmertemperatur statt. Ausserhalb der Versuehe wurden die Tiere im Hofe bzw. im geraumen Aquarium gehalten. Da «das weitere Verfahren für jede Tierart anders war, will ich die Versuche bei jeder Tierart separat behandeln. An dieser Stelle möchte ich nur noch die Gelegenheit benutzen, dem Herrn Prof. A. Kreidl für sein Entgegenkommen und seine wertvolle Kritik meiner Versuche den besten Dank auszusprechen. Mehlwürmer (Tenebrio molitor). | Bei den Larven von Tenebrio lassen sich im Mai!), in welchem Monate ich meine Versuche ausgeführt habe, zwei Arten unter- scheiden. Die eine Art, nämlich die jüngeren Larven, sind ziemlich beweglich; sie zeigen positiven Geotropismus und negativen Photo- tropismus. Ihre Fortbewegungsart ist, wie schon Vorversuche er- kennen liessen, ziemlich genau geradlinig. Die andere Art, die älteren Larven, welche knapp vor der Ver- puppung stehen, sind äusserst langsam vorwärtsbewegende Tiere, negativ geotropisch und schwach positiv phototropisch. Bei ihren phototropischen In NEN N 7 \ v Bewegungen lassen sich öfters Probier- bewegungen beobachten. Beide Arten sind leicht nach ihren e äusseren Formen schon vom ersten Blick Ee 1. an zu erkennen, und zwar ist der Hinterleib ig. 2. jüngerer Larven geradegestreckt (Fig. 2 7); der der älteren hingegen schwach gekrümmt und wie gelähmt (Fig. 2 2). Ausserdem ist das letzte Leibsegment bei jüngeren Larven abgerundet; bei den älteren hat es die Form einer Lanzen- spitze (Fig. 2). Zwecks der genauen Prüfung ihrer phototropischen Bewegungsart wurden 25 Stück Mehlwürmer, von denen Abb. 1—14 (Fig. 3) dem Typus der jüngeren Larve und der Rest, also Abb. 15—25 (Fig. 3), dem Typus der älteren Larve angehörten, in der Dunkelkammer derart geprüft, dass ein zu untersuchendes Tier immer auf dieselbe Stelle 0 (Fig. 3 Abb. 1) gesetzt und von links durch eine 25 kerzige elektrische Lampe, die in der Entfernung von 20 em von 0 unter- 1) Tenebrio schlüpft nach Brehm im Juli aus. Die Larven, mit welchen ich gearbeitet habe, begannen schon Ende Mai und Anfang Juni sich zu verpuppen. PEWRERT EEE ze: Ein Beitrag zur Frage über tropische Fortbewegung. 347 gebracht war, beleuchtet wurde. Das Tier bewegte sich in den meisten Fällen von der Lichtquelle fort, also von links nach rechts. Der Weg jedes einzelnen Tieres wurde in der oben erwähnten Weise aufgezeichnet. Kleine Kreise auf der Linie, die den Weg markieren sollte, bedeuteten die Stellen, wo Probierbewegungen aus- geführt wurden. Da die kriechenden Tiere beinahe immer geringe Zieckzackbewegungen mit dem Kopf ausführen, hielt ich in diesen und allen weiteren Versuchen bloss diejenigen Fälle für Probier- bewegungen, in welchen ein Tier mindestens drei pendelnde Be- wegungen mit Vorderkörper ausgeführt hatte. | Wie aus der Fig. 3 hervorgeht, zeigen die langsambeweeglichen, älteren Tiere (Abb. 1—15) im grossen und ganzen eine grössere Anzahl der Stellen mit Probierbewegungen, geringe Geschwindigkeit, weniger geradlinige Fortbewegungsart, die schnellbeweglichen, jüngeren (Abb. 16—25) hingegen keine oder nur wenige Probierbewegungen, grössere Geschwindigkeit, mehr geradlinige Fortbewegung. Raupen des Tagpfauenauges (Vanessa Jo) !). Gleich wie bei Mehlwürmern lassen sich unter gleich grossen Raupen des Taspfauenauges, die von derselben Stelle gesammelt wurden, mehrere Typen unterscheiden. | Jüngere, recht bewegliche Raupen sind stark positiv photo- tropisch und negativ geotropisch. Wenn dieselben auf den Tisch geleet werden, strecken sie sich sehr schnell aus und kriechen davon (Fig. 4 Abb. 1). Die älteren, knapp vor Verpuppung”) stehenden Larven sind sehr unbeweglich, indifferent oder gar negativ photo- tropisch und positiv geotropisch. Wenn dieselben auf den Tisch gelegt werden, rollen sie sich zusammen und bleiben unbeweglich liegen (Fig. 4 Abb. 2). Unter normalen Lebensbedingungen, auf Zweigen des wilden Weines bzw. in grossem mit gleicher Pflanze gefülltem Einmacheglas bleiben die Raupen mit frei herabhängendem und leichtgekrümmtem Vorderkörper bloss mit den hinteren After- füssen am Zweig haften (Fig. 5 Abb. 1). 1) Herr Prof. F. Werner hatte die Freundlichkeit, die Art dieser Raupen, wie auch die Art der Raupen von Spindelbaummotte und Blutegel für mich zu bestimmen. 2 2) Dass diese Larven sich wirklich knapp vor der Verpuppung befanden, hat mir die weitere Zucht derselben bewiesen. 348 J. S. Szymanski: | ee ; “ a0 Y 5 j Ein Beitrag zur Frage über tropische Fortbewegung. 3 (Fortsetzung). Fig. Fig. 4, Fig. 5. 390 ee fe Fig, 6. Ein Beitrag zur Frage über tropische Fortbewegung. 351 Fig. 6 (Fortsetzung). 902 J. S. Szymanski: Zwischen diesen beiden Typen lässt sich noch ein dritter un- gezwungen einschieben. Zu diesem Zwischentypus gehören die Tiere, die unter natürlichen Lebensbedingungen bloss mit den hinteren. Afterfüssen und Brustfüssen und freibleibendem Mittelkörper hängen. (Fig. 5 Abb. 2). Sie bewegen sich sehr langsam und sind schwach positiv phototropisch. In die Dunkelkammer gebracht und gleich den Mehlwürmern geprüft, indem sie, auf den Punkt 0 (Fig. 6 Abb. 1) gesetzt, von links mit einer l16kerzigen elektrischen Lampe beleuchtet wurden, blieben die älteren Larven (Typus 1 und 2) (Fig. 5 Abb. 1—15) unbeweglich liegen. Um dieselben zur Beweeung anzuspornen, musste: ich sie längere Zeit hindurch durch leise streichelnde Berührungen des Hinterkörpers mit einer feinen Nadel reizen. Nr. 10 (Fig. 5) bewegte sich bloss, wenn sie gereizt wurde; erst nachdem die Strecke A—B auf diese Weise zurückgelegt war, bewegte sie sich weiter, ohne gereizt zu werden (von D—0). Die jüngeren Raupen (Typus 3) bewegten sich ohne jede Reizung prompt und schnell fort. | Fig. 6 zeigt die Ergebnisse. Abb. 1—6 und 11 gehören dem ersten, Abb. 7—10 und 12—16 dem zweiten und Abb. 16—30 dem dritten Typus an. Die kleinen, auf der Weglinie eingetragenen Striche bedeuten in diesen und allen darauffolgenden Figuren die Stellen, wo Probierbewegungen ausgeführt wurden. Wie aus der Figur hervorgeht, bewegten sich langsambewesgliche Tiere auf den mehr krummen Bahnen, wobei sie viele Probier- bewegungen ausführten, schnellbewegliche Tiere hingegen krochen mehr oder weniger direkt zur Lichtquelle zu. Raupen der Spindelbaummotten (Hyponomeuta evonymella). Unter gleichgrossen Raupen dieser Art konnte ich keine ver- schiedenen Typen unterscheiden. Die Raupen bleiben im normalen Leben unbeweglich in den von ihnen verfertigten Gespinsten sitzen ; sie zeigen keinen ausgesprochenen bzw. sehr schwankenden Photo- tropismus. In die Dunkelkammer gebracht und von oben gleichmässig mit einer zehnkerzigen Lampe beleuchtet, zeigten sie dennoch eine be- stimmte Bewegungsart, indem sie äusserst langsam unregelmässige- Schleifen und Kreise von sehr geringem Durchmesser beschrieben; sehr oft blieben sie stehen und führten dabei ausgiebige Probier- Ein Beitrag zur Frage über tropische Fortbewegung. 353 bewegungen aus (Fig. 9 OA in den meisten Abbildungen). Rein schematisch lässt sich diese Bewegung durch Fig. 7 veranschaulichen, in der der grosse Kreis die Richtung der Fortbewegung, die grossen schwarzen Punkte mit den radialausstrahlenden Pfeilen einzelne Stellen mit Probier- bewegungen andeuten sollen. Diese Kreisbewegungen stehen im Zusammenhang mit der Hauptform der Fort- bewegung der Raupen im nor- malen Leben. Denn die Tiere stellen durch kreisförmige Be- wegungen das Gespinst her, in dem sie hausen. Ich habe öfters beobachtet, wie die Raupen das Gespinst verfertigen; in Fig. 8 sind die Bahnen verzeichnet, die in einem Falle die Raupen, die in ein umgekipptes zylin- drisches Gefäss gesetzt wurden, bei der Herstellung ihres Ge- spinstes beschrieben: sie führ- ten in äusserst langsamer Fort- bewegung unregelmässige, kreis- förmige Figuren aus; dabei sind sie beinahe auf jeder Stelle der Peripherie stehen geblieben und führten Probierbewegungen aus, um einen Faden möglichst: weit zu befestigen. Um nun ein und dasselbe Tier einmal im Zustande der normalen, also Jangsamen und IE Der, urker, Tram beisuur das andere Mal im Zustande der hineingezeichneten Kreise sind Bahnen, erhöhten Beweglichkeit prüfen (espinstes beschrieben, Zu Berinn der zukönnen, verfuhr ich folgender- Arbeit befanden sich ‚bei A sechs Tiere, Ä bei C und B je ein Tier. maassen: Nachdem ein Versuchs- tier einige Zeit hindurch seine ursprünglichen Kreisbewegungen aus- geführt hatte (Fig. 9 in sämtlichen Abbildungen von O—A), reizte ich Fig. 7. 394 z ' J. 8. Szymanski: un >) Se= » n6o S Se IS Fosse on & o Oral OA: 0.0.70 ‚D- 44 IR AB: g-4.66 ;p: 51.6 : 0.857 ;D:60 B =94 D g=1445 0A Ein Beitrag zur Frage über tropische Fortbewegung. 355 dasselbe mit leisen Berührungen eines feinen Haarpinsels. Das Tier begann infolge der Reizung schneller in der Richtung, in der seine Körperachse sich im Moment der ersten Einwirkung des Reizes befand, sich zu bewegen; ich reizte, trotz erhöhter Beweglichkeit, das Tier noch weiter fort, bis dasselbe den Punkt D in sämtlichen Abbildungen der Fig. 9 erreicht hat. Als Folge der Nachwirkung des Reizes bewegte sich das Tier schnell noch eine Strecke (von B—C in sämmtlichen Abbildungen der Fig. 9) weiter, bis dasselbe den Papierrand erreicht hatte. Die Bewegungsart dieser beschleunigten Bewegung (von B—C) unter Nachwirkung des Reizes habe ich mit der ursprünglichen Bewegung des Tieres (von O—.A4) verglichen. Sobald die Nachwirkung aufhörte, reizte ich abermals das Tier (von O—D sämtlicher Abbildungen mit Ausnahme Abb. 7, wo MN dasselbe bedeutet) und beobachtete wiederum die zweite Nachwirkung (von D—E sämtlicher Abbildungen und N P Abb. 7 Fig. 9). Aus der Fig. 9 leuchtet ein, dass dasselbe Tier sich im Zustande der erhöhten Beweglichkeit mehr geradlinig bewegte (mit Ausnahme des Falles DE Abb. 13) als im Zustande der verminderten Be- weglichkeit. Auch in denjenigen Fällen (4, 5, 9, 12, 18), wo das Tier von Anfang an ohne etwaige Reizung eine erhöhte Beweglichkeit zeigte, war nur eine geringe Anzahl der Stellen mit Probierbewegungen zu beobachten. Spannerraupen (Biston stratorius) !). Diese ausserordentlich gut in Hinsicht auf die Farbe und Form an ihre Umgebung angepassten Raupen sitzen fast den ganzen Tag hindurch unbeweglich, gespannt zwischen zwei Zweigen der Nähr- Fig. 10. pflanze. Eine einzige Bewegung, welche ich bei nichthungrigen, in Nahrung schwelgenden Raupen beobachtet habe, bestand in Kau- 1) Diese Raupen lieferte mir das Wiener Entomologische Institut von Winkler & Wagner, wo auch die Art bestimmt wurde. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd, 154. 24 396 J. S. Szymanski: reflexen und sehr seltenen Probierbewegungen. Die für Spannraupen typische Fortbewegung (Fig. 10) ist nur ganz ausnahmsweise zu beobachten. Indem die Tiere der Reihe nach in der Dunkelkammer in die Mitte (bei O Abb. 1 der Fig. 11) des schwarzen Papiers gesetzt und von links beleuchtet wurden, führten sie im Punkte 0 — wenigstens im Verlaufe von 3 Minuten, während welcher Zeit jedes Tier separat beobachtet wurde — mehr oder weniger lebhafte Probierbewegungen aus; von einem Fortbewegen war eigentlich keine Rede. Wenn ein Tier, wie z. B. Abb. 4,5, 7,8 (Fig. 11), sich vom Punkte O etwas entfernte, so geschah dies nicht durch aktive Spannerbewegungen (Fig. 10), sondern durch mehr passive Verschiebungen infolge des Gleichgewichtsverlustes bei Ausführen der Probierbewegungen. Das Tier, das mittels seiner zwei Afterfüsse am Boden haftete und mit Ein Beitrag zur Frage über tropische Fortbewegung. 357 übermässig ausgestrecktem Vorderkörper pendelte, kippte schliesslich um und fiel auf den Rücken. Bei dem Sichaufrichten verschob sich das Tier rein passiv etwas seitwärts. Nachdem das Umkippen sich mehrere Male wiederholt hatte, konnte das Tier relativ weit vom Punkte O verschoben werden. Das Bild änderte sich etwas, nachdem die Tiere einige Zeit zu hungern gezwungen waren. Schon im Glas, in dem die fastenden Tiere gehalten wurden, liessen sich lebhafte Probierbewegungen wahr- nehmen. Auch die typischen Spannerbewegungen (Fig. 10) bekam man öfters zu sehen. Gleich den nicht hungrigen Tieren in der Dunkelkammer ge- prüft, zeigten sich hungrige Raupen doch etwas beweelicher, indem sie sich meistens mittels aktiven Spannerbewegungen vom Punkt O entfernten. Die Zahl der Stellen mit Probierbewegungen konnte bei 24* 398 J. S. Szymanski: den besonders lebhaften Tieren bloss bis auf eins bzw. zwei herab- gesetzt werden (Fig. 10 Abb. 4, 9 und 10); im Zusammenhang da- mit war auch die Fortbewegung geradlinig. Der Vergleich zwischen Fig. 11 und 12 lehrt, dass auch in diesem r'alle die Bewegung der Tiere mit erhöhter allgemeiner Be- weglichkeit weniger Stellen mit Pendelbewegungen und mehr oder weniger ausgesprochene Geradlinigkeit zeigte. Blutegel (Aulastomum Gulo). Diese Tiere, an denen nebst Regenwürmern Probierbewegungen besonders eingehend durch Jennings und Holmes beschrieben wurden, bewegen sich meistens im Sinne des negativen Phototropismus ziemlich schnell fort, wenn sie direkt aus dem Aquarium, noch ganz mit Wasser bedeckt, geholt und auf ein feuchtes Papierblatt geleet werden. Fig. 13 (Abb. 1—10) zeigt die Wege der zehn im Zustande der „Hydratation“ (Bohn) geprüften Tiere, die in der Dunkelkammer mit einer 16kerzigen Lampe von links beleuchtet waren. Ganz anders verhalten sich dieselben Tiere, wenn sie aus- getrocknet, auf trockener Unterlage zu kriechen gezwungen sind; sie bewegen sich äusserst langsam im Sinne des positiven Photo- tropismus. Um die Tiere im Zustande der Austrocknung mit den im Zustande der „Hydratation“ vergleichen zu können, verfuhr ich folgendermaassen. Nachdem ich jedes der zehn Tiere, deren Wege in Fig. 13 (Abb. 1—10) abgebildet sind, geprüft hatte, setzte ich es in ein kleines mit Wasser gefülltes und mit laufender Nummer (1—10) bezeichnetes Glas. Nachdem alle Tiere im nassen Zustande geprüft waren, untersuchte ich dieselben gleich darauf abermals, indem ich sie zunächst mit einem Tuch sehr leise, aber gründlich abtrocknete und auf einem trockenen Papierblatt kriechen liess. Alle anderen Versuchsbedingungen blieben dieselben wie bei der Prüfung im Zustande der „Hydratation“. Fig. 13 (Abb. 1a—10a) zeigt die Wege der ausgetrockneten Tiere; dabei ist zu bemerken, dass je zwei gleiche Abbildungen, z. B. 3 und 3a usf., sich auf das gleiche Tier beziehen, und zwar so, dass die Zahl ohne Buchstabe dem Tiere im Zustande der „Hydratation“, die Zahl mit Buchstabe dem Tiere im Zustande der Austrocknung entspricht. Der Vergleich beider Reihen der Abbildungen und der entsprechenden Werte für p lässt erkennen, dass die Blutegel im Zustande der „Hydratation“, also schnellbewegliche Tiere, sich mehr geradlinig bewegen und weniger N hi u Ein Beitrag zur Frage über tropische Fortbewegung. 359 Stellen mit Probierbewegungen aufweisen (grossen Wert für p usf.) als die Blutegel im Zustande der Austrocknung, also langsam- bewegliche Tiere, die sich direkt entgegengesetzt verhalten (kleiner Wert für p usf.). Regenwürmer (Lumbricus terrestris). Frische, erst vor kurzem ausgegrabene Regenwürmer, die in der Dunkelkammer mit einer 16kerzigen Lampe von links beleuchtet wurden, bewegten sich auf einem feuchten Papierblatt direkt und Fig. 18. 360 J. S. Szymanski: ziemlich schnell von der Lichtquelle fort. Fig. 14 zeigt die Wege der 16 auf diese Weise geprüften Tiere. Fig. 14. Das Bild aber verändert sich, wenn wir die Tiere untersuchen, die schon längere Zeit (ca. 10 Tage) in einem mit sehr feuchter Ein Beitrag zur Frage über tropische Fortbewegung. 361 Erde gefüllten Einsiedeglas gehalten wurden. Solche Tiere, die sich bei Berührung mit der Hand im Gegensatz zu frischen Individuen schlaff und weich anfühlen, bewegen sich sehr langsam; der negative Phototropismus wird schwach und schwankend. Die Fig. 15 zeigt die Wege der 15 durch langes Halten in Gefangenschaft (in sehr feuchter Erde) geschwächten Tiere. Die- selben Tiere, im ganz frischen Zustande geprüft, bewegten sich ebenso schnell wie die Tiere, deren Wege in Fig. 14 abgebildet sind. 362 J. S. Szymanski: Der Vergleich beider Figuren (Fig. 14 und 15) zeigt, dass die frischen, also schnellbeweglichen Tiere sich mit grosser Geschwindig- keit mehr oder weniger geradlinig bewegen und weniger Stellen mit Probierbewegungen (p gross) aufweisen als die geschwächten, also langsambeweglichen Tiere, die sich direkt entgegengesetzt verhalten (Wege nicht geradlinig, Geschwindigkeit klein, p gering). Schlussfolgerung. Auf Grund der Versuchsergebnisse dieser Arbeit lässt -sich folgende allgemeine Schlussfolgerung ziehen: Wenn ein Tier bzw. verschiedene Vertreter derselben Art, die Probierbewegungen aus- zuführen vermögen, sich unter dem Einfluss äusserer oder innerer Faktoren im Zustande einer erhöhten allgemeinen Beweglichkeit be- finden, bewegen sie sich mit relativ grosser Durchschnittsgeschwindig- keit mehr oder weniger geradlinig zu bzw. von der Reizquelle fort, wobei sie sich nur auf wenigen Stellen aufhalten, um Probier- bewegungen auszuführen. Wenn hingegen dasselbe Tier bzw. ver- schiedene Vertreter derselben Art sich unter Einfluss äusserer oder innerer Faktoren im Zustand einer verminderten allcemeinen Be- weglichkeit befinden, bewegen sie sich mit relativ geringerer Durch- schnittsgeschwindigkeit auf mehr oder weniger krummen Bahnen zu bzw. von der Reizquelle fort, wobei sie an vielen Stellen stehen bleiben, um Probierbewegungen auszuführen. Es taucht hier ein neues Problem auf, und zwar was für eine Beziehung zwischen der allgemeinen Beweglichkeit und der Fort- bewegungsart besteht? Mindestens zwei Fälle sind hier wohl denkbar: l. Entweder beeinflusst die Beweglichkeit unmittelbar die Be- wegungsart, indem bei erhöhter Beweglichkeit die gesteigerte Tätig- keit der Fortbewegungsreflexe die Reflexe der Probierbewegungen unterdrückt; oder es nehmen bei Verminderung der allgemeinen Beweglichkeit die Probierbewegungen die Oberhand über die Fort- bewegungsreflexe. In diesem Falle wäre ein Antagonismus zwischen Probierbewegungs- und Fortbewegungsreflexen festzustellen: Die ge- steigerte allgemeine Beweglichkeit würde diese, die verminderte all- gemeine Beweglichkeit jene im positiven Sinne beeinflussen. 2. Oder beeinflusst die allgemeine Beweglichkeit bloss mittelbar die Bewegungsart, indem die gesteigerte allgemeine Beweglichkeit auch die Reaktionsfähigkeit der Sinnesorgane steigert, und infolge- dessen wird der richtungbestimmende Reiz stärkere Wirkung ausüben Ein Beitrag zur Frage über tropische Fortbewegung. 363 können; bei verminderter allgemeiner Beweglichkeit wäre das um- gekehrte der Fall. Für die zweite Voraussetzung spricht der Umstand, dass das Zeichen der Tropismen bzw. deren Intensität in unseren Versuchen sich in Abhängigkeit vom Zustande der allgemeinen Beweglichkeit ändert (Mehlwürmer [Fig. 3], Raupen des Taepfauenauges [Fig. 6], Regenwürmer [Fig. 14 und 15)). 364 G. Amantea: (Aus dem physiologischen Institut der Universität Rom.) Die | refllexogene Hautzone des Penis des Hundes für die Geschlechtsakte. Von Dr. med. &. Amantea (Assistent). (Mit 1 Textfigur.) Vor kurzem hat S. Baglioni!) die besondere Druckempfind- lichkeit der Glans penis am Menschen untersucht und dabei die Be- deutung der Papillen hervorgehoben, die mitunter auf der Corona deutlich siehtbar sind. „In der Haut der Eichel (so schliesst er seine Beobachtungen), namentlich der Corona, gibt es also periphere nervöse Aufnahmeorgane, die mit einer besonderen mechanischen Empfindungsform begabt sind, welche in hohem Maasse zur Auslösung der sexuellen Reflexe und zum Zustandekommen der Wollust bei- tragen. Auf diese Hautgegend trifft die Bezeichnung reflexogene Hautzone der Begattung zu, ebenso wie auf die in derselben vorhandenen Nervenendorgane der Name periphere Wollust- organe.“ Es gibt nun derartige Papillenorgane nicht bloss auf der Rute des Menschen (bei dem sie nicht immer vorkommen), sondern auch auf derjenigen anderer Säugetiere. Sehr lange Hautpapillen befinden sich z. B. in der Vorhaut des Pferdes; zahlreiche und mannigfaltige Pa- pillen besitzen Meerschweinchen und Katze; der Endteil jedes Organ- astes des Ornithorhynchus ist mit zahlreichen Hornstacheln ver- sehen?) usw. Diese Bildungen werden jedoch von den Zoologen auf Grund des Sitzes und der Richtung derselben dahin gedeutet, 1) S. Baglioni, Über eine besondere Druckempfindlichkeit der Glans penis. Ein Beitrag zur Kenntnis der an dem Geschlechtsakte teilnehmenden peripheren Empfindungen. Pflüger’s Arch. Bd. 150, S. 361—370. 1913. 2) H. Milne-Edwards, Lecons sur la physiologie et l’anatomie comparee de ’homme et des animaux. Paris 1870. — Wiedersheim, Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere. 1886. Die reflex. Hautzone des Penis des Hundes für die Geschlechtsakte. 365 dass sie zur Reizung der weiblichen Scheide oder zur Festhaltung der Rute innerhalb der Scheide dienen. Nach Baglioni (l. c.) hätten sie dagegen (wenigstens beim Menschen) die funktionelle Be- deutung spezifischer sensitiven Papillen, d. h. besonderer nervöser Aufnahmeorgane für die Wollustempfindungen. Ich habe am Hunde einige Untersuchungen ausgeführt, deren Ergebnisse mit der Annahme Baglioni’s übereinstimmen und den Gegenstand vorliegender Mitteilung bilden. I. Morphologische Beobachtungen. Beim Hunde besitzt der Penis!) zwei Schwellkörper, die mit zwei Schenkeln am Schambeinbogen entspringen, am Penisknochen enden, von einer weisslichen, derben. Albuginea umhüllt, mit ihren unteren Flächen die Harnröhrenrinne bilden. Der Penisknochen, der als eine Fortsetzung der Corpora cavernosa penis betrachtet werden kann, besitzt die Gestalt einer dreikantigen Hohlsonde, wird von dem Gewebe der beim Hunde sehr langen Eichel, von den Corpora cavernosa glandis und dem Bulbus cavernosum umgeben. Die Eichel (welche von einigen Autoren unrichtig geleugnet wird) ist ausserordentlich lang; sie ist ungefähr in der Mitte ihrer Länge am dünnsten und schwillt in kaudaler und ovaler Richtung, ganz besonders aber in ersterer an (vgl. Fig. 1). Die erste Anschwellung spitzt sich im Bereiche des Endfortsatzes des Rutenknochens derart zu, dass ıman von einer Penisspitze reden kann. Das Schwellgewebe der Fichel besteht aus zwei Schwellkörpern, einem oralen und einem aboralen. Der orale, zylindrische Schweilkörper (Spitzenschwell- körper) bildet eine abgeplattete Anschwellung, die den oralen Teil des Penisknochens und die Urethra umgibt, spitzenwärts abnimmt und sich verliert. Der aborale, kugelige Schwellkörper bildet einen dorsal und seitlich vortretenden Wulst, der die aborale Hälfte des Rutenknochens einnimmt, den sogenannten Bulbus glandis (Schwellknoten, Eichelwulst), der den Penisknochen dorsal und seitlich umgibt und an ihn unverschieblich befestigt ist, dagegen den Suleus urethralis des Knochens vollständig freilässt. Bei der Erektion, die an dem vorderen Ende des Penis beginnt und bei der Begattung erst nach der Einführung des Penis in die Scheide völlig wird, 1) W. Ellenberger und H. Baum, Anatomie des Hundes. Berlin 1891. — T. Athanasiu et T. Carvallo, Chien in Richet’s Dictionnaire de physiologie t. 3 p. 476. 366 G. Amantea: schwillt der, unter gewöhnlichen Umständen verhältnismässig kleine Eichelwulst so sehr an, dass dadurch die Entfernung des Organs aus der Scheidehöhle verhindert wird. Die ganze Eichel ist durch dünne, rosige, einer Schleimhaut ähnliche Haut umhüllt, welche am hinteren Teil des Bulbus nach vorn wieder umschlägt zur Bildung einer sehr langen Scheide (Prä- putium), innerhalb deren die Eichel gewöhnlich liest. Eine besondere Beachtung verdient die Beschaffenheit dieser Hautgegend, wegen des Vorhandenseins sichtbarer Hauterhebungen, die den Papillen der menschlichen Corona entsprechen. Zwar er- wähnen schon Ellenberger und Baum derartige Bildungen, denen sie aber den (unserer Ansicht nach) irrtümlichen Wert von Lymph- follikeln zuschreiben. „An dem drüsenlosen Penisblatte und an der drüsenhaltigen Lamelle des parietalen Blattes des Präputiums kommen, namentlich an der Umschlagstelle (Grund des Präputial- sackes), viele Lymphfollikel vor, die unter Umständen kleine, rund- liche mit blossem Auge erkennbare und fühlbareVorragungen darstellen.“ Ich habe nun folgendes gefunden: bei allen von mir bisher danach (etwa 20) untersuchten Hunden verschiedenen Alters und Rasse waren Hauterhebungen vorhanden, die nur in der Zahl und, unter gewissen Grenzen und Umständen, in der Verteilung individuell schwankten. Ihre Gestalt ist rundlich, etwa einer Halbkugel bzw. Abschnitten winziger Kugeln ähnlich; einige sind höher, von vorn nach hinten abgeplattet und stets nach hinten gekrümmt. Durch- messer schwankt zwischen 0,5 und 2 mm; gewöhnlich ist er bei grösseren Hunden grösser. Beim schlaffen Penis ragen «die Papillen auf der Hautoberfläche wenig vor, doch sind sie immer durch Tasten fühlbar. Bei dem Erektionszustande nehmen sie auch an Volumen zu, und dabei treten in ihrem Innern Blutgefässe zutage, die sonst unsichtbar sind. Diese intrapapillaren Gefässe füllen sich auch dann mit Blut, wenn Hyperämie der Haut durch mechanische Reizung (Reibung durch Finger oder Glasstab) hervorgerufen wird. Die Zahl der Papillen wechselt von Tier zu Tier; bei einigen kann das Hundert überstiegen werden, niemals konnte ich weniger als fünfzig zählen. In der Verteilung ist stets eine gewisse Regelmässigkeit wahrnehmbar, sie sind nämlich stets nach longitudinalen, von vorn nach hinten, oder transversalen Reihen, dagegen fast niemals nach schrägen oder unregelmässigen Reihen geordnet. Was aber am wichtigsten erscheint, ist deren Sitz, d. h. die Gegend, Die reflex. Hautzone des Penis des Hundes für die Geschlechtsakte. 367 wo die Papillen auftreten. Wie aus der Fig. 1 ersichtlich, beschränken sich die mit Papillen versehenen Hautgegenden auf die Umgebung des Bulbus penis. Namentlich sind die hintere Hälfte der den Bulbus bedeckenden Haut und die anliegenden Hautgegenden (Um- schlagstelle und das hintere Drittel bis Hinter- hälfte des Parietalblattes) des Präputiums stark mit Papillen besät, und zwar dorsalwärts mehr als ventralwärts; in einer noch spärlicheren Zakl kommen sie seitwärts vor. Oft treten sie auch in der Haut der vorderen Hälfte des Bulbus auf; bei zwei Fällen fand ich solche auch in den vorderen Hautregionen vor. Die Haut der übrigen Teile der Eichel, also ihrer mittleren und vorderen Abschnitte, sowie die dem Ostium präputiale anliegenden Teile zeigen nie sichtbare Papillen, indem sie völlig glatte Fläche haben. Man kann infolgedessen be- haupten, dass es beim Penis desHundes eine auf beinahe die ganze Ober- fläche des Bulbus und die unmittel- \ bar anliegenden Teile des Präpu- \W N tiums beschränkte Hautzone gibt, welche stets mit vorragenden Pa- pillen versehen ist. Wenn die Eichel le au en beim Schlaffzustande im Präputium steekt, be- sichtbar gemachte schlaffe 5 5 € { Eichel eines mittelgrossen rühren sich beide mit Papillen versehenen Haut- Hundes, in natürl. Grösse segenden (des Bulbus und des Präputiums), in- Yo" der Rückenfläche ge- ; sehen. @ orale Anschwel- dem sie aufeinander liegen. Wenn die Eichel, lung und Penisspitze; wie bei der Begattung, aus dem Präputium als once heraustritt, welches nach hinten zurückgetrieben er die wird, kann die unmittelbare Fortsetzung (Kontinuität) beider Gegenden (des Bulbus und des Präputiums) wahrgenommen werden, da dabei die papillenreiche Präputialgegend die dem Bulbus unmittelbar nach hinten anliegenden Penisteile be- deckt. Bei dem Begattungsakte kommt schliesslich offenbar die sämtliche mit Papillen versehene Hautzone mit den Wänden der Vulva und Vagina in Berührung. Histologische Untersuchungen des Baues der Papillen sind im Gang. 368 G. Amantea: II. Physiologische Untersuchungen. Die eigentümliche Gestalt des Penis, vor allem das Vorhanden- sein der Papillen in den Gegenden, welche den besonderen Druck- reizen (wiederholte Reibungen) des Begattungsaktes am meisten. ausgesetzt sind, liessen mir das Organ als ein sehr geeignetes Versuchsobjekt erscheinen, an dem ich die am Menschen ausgeführten Untersuchungen Baglioni’s wiederholen und seine Ansicht bezüglich des peripheren Entstehungsortes und der Aufnahmeorgane der Wollust- empfindungen nachprüfen konnte. Der Versuchsgang war ein ziemlich leichter; es handelte sich hauptsächlich darum, die Wirkung verschiedener künstlichen Reize auf die mit Papillen versehene Hautzone bzw. auf die papillenfreie Haut der Eichel vergleichend festzustellen. Bei meinem Fall war jedoch eine eingehende psycho-physiologische Analyse der Reiz- wirkungen fast wie ausgeschlossen, da ich dabei nur auf die objektive Feststellung der Reaktionen (Reflexe) und des allgemeinen Verhaltens der Tiere angewiesen war. Doch war, wie mir scheint, der Ertrag der Beobachtungen ein ziemlich reicher und zwar nicht nur im Ge- biete der Physiologie der Sinne und der Zentren, sondern auch im Gebiete der Tierpsycholosie. Mittelgrosse, ausgewachsene und frische Hunde fand ich dazu am geeignetsten. Wie Baglioni fand ich, dass die Wirkungen der angebrachten künstlichen Reize wesentlich wechseln, je nach- dem sie inadäquat oder adäquat sind. Als inadäquat sind punktförmige oder starke breitflächige, thermische oder elektrische Reize (Schmerzreize) zu bezeichnen, als adäquat erscheinen auch hier mittelstarke breitflächige Druckwirkungen. 1. Wirkung der inadäquaten Reize. Beim Schlaffzustande des Penis rufen schwache mechanische, auf einen Punkt oder eine Papille oder eine umschriebene papillen- freie Hautgegend der Eichel oder des Präputiums beschränkte Reize ebenso wie schwache thermische oder faradische Reize keinerlei deutliche oder konstante Reaktionen hervor. Starke mechanische Reize (Kneifen an Hautfältchen oder an Papillen, Nadelstiche usw.), ebenso wie starke thermische und faradische Reize (Schmerzreize) rufen komplizierte Reflexe hervor, d. h. Zurückziehung des Organs, Kontraktion des Sphinkter ani, Senkung des Schwanzes, mitunter Schreien und Verteidigungsversuche (Beissen). ER Die reflex. Hautzone des Penis des Hundes für die Geschlechtsakte.. 369 Beim Erektionszustande haben letztere Reize, namentlich wenn sie an den Vorderteilen der Eichel appliziert werden, die Hemmung der Erektion, d. h. die Erschlaffung des Gliedes zur Folge. Goltz!) hatte bei seinen klassischen Untersuchungen an Rücken- markshunden beobachtet, dass durch elektrische bzw. stark mecha- nische Reizung der Vorhaut, des N. ischiadieus, der Hinterpfote, des Hodensackes und der Aftergegend Hemmung der Erektion bewirkt werden kann. Die Unterdrückung der Erektion erzielte ich, wie ge- sagt, besonders durch Anbringung von Schmerzreizen auf die vor dem Bulbus liegende Eichelhaut. 2. Wirkung der adäquaten Reize. Wird einem von einem Assistenten in der normalen Stellung auf den Vieren ruhig gehaltenen Hunde durch Zurückschiebung des Präputiums die Eichel mit dem Bulbus völlig blossgelegt und die papillenhaltige Zone mittels eines mit Vaselin schlüpfrig gemachten breitflächigen Gegenstandes oder Fingers hin und her gerieben, so reagiert das Tier sofort mit den rhythmischen eigentümlichen Be- wegungen, die es mit dem Hinterkörper bei der Begattung vollführt. Lässt man nun dieselben Reize auf die glatten papillenfreien Haut- gegenden der vorderen Eichelabschnitte einwirken, so beobachtet man in der Mehrzahl der Fälle keinerlei Reaktionen seitens des Tieres. Noch bessere und deutlichere Resultate erzielt man aber, wenn man anstatt des Fingers oder eines anderen stumpfen Gegenstandes zur adäquaten Reizung das Präputium selbst anwendet, das man dann, ohne Blosslegung der Eichel, mit dem Zeigefinger und dem Daumen der rechten Hand entweder auf die vordere papillenfreie Eichelhaut, oder auf die hintere papillenhaltige Bulbushaut rhythmisch hin und her schiebt. Mit dem Zeigefinger und dem Daumen der linken Hand wird dabei die mittlere Gegend der Vorhaut gegen den Penisknochen unverrückbar festgehalten, damit die Reizung wirklich auf den genannten Gegenden lokalisiert bleibt. Der Unterschied der Reizwirkung ist dann ein frappanter. Die Reizung der papillenfreien Hautzone bewirkt fast gar keine Erregung, der Hund bleibt dabei meist gleichgültig oder reagiert höchstens durch Wedeln; nur selten tritt eine 1) Fr. Goltz, Über die Funktionen des Lendenmarkes des Hundes. (Unter Mitwirkung von A. Freusberg.) Pflüger’s Arch. Bd. 8, S. 460—498. 1874. 370 G. Amantea: Andeutung von Erektion auf, die nie vollständig wird, ebenso erfolgt keine Ejakulation. Die Reizung der papillenhaltigen Hautzonen, welche beim Verfahren ganz gut erfolet, weil die zwei aufeinanderliegenden, mit Papillen versehenen Hautflächen dabei gegeneinander gerieben werden, bewirkt sofort aie eigentlichen rhythmischen Koitusbewegungen des Hinterkörpers, die immer mehr an Beschleunigung und Umfang zunehmen, starke Erektion, bis schliesslich schon nach 5—30 Sekunden die ersten Samenergüsse ejakuliert werden !). Zugleich werden Atem- und Pulsbewegungen beschleuniet, was offenbar auf Ausbreitung der Erregungen auf andere Zentren beruht. Dieses wesentlich verschiedene Verhalten der papillenfreien und papillenreichen Hautzonen des Hundepenis ist immer überaus deut- lich und kann bei einem geeigneten Tiere mehrere Male nach- einander innerhalb weniger Minuten experimentell nachgewiesen werden. Diesbezüglich möchte ich noch folgende, eigentlich mehr der Tierpsychologie gehörende Erfahrung erwähnen. Die Hunde ge- wöhnen sich sehr leicht an diese Experimente, indem sie sich immer mehr gerne dazu hergeben. Sehr schnell befreunden sie sich, auch wenn sie anfangs unzahm waren, mit dem Experimentator, den sie immer nachher unter anderen erkennen und feiern; manchmal ge- raten sie beim blossen Sehen des Experimentators in eine wahre geschlechtliche Allgemeinerreeung. Selbst dann ist der schroffe Unterschied zwischen beiden Hautzonen der Eichel wahrnehmbar. Wir können daraus schliessen, dass die papillenhaltige Hautzone des Hundepenis die direkte periphere reflexogene Zone der Geschlechts- akte (Koitusbewegungen, Erektion und Ejakulation) darstellt, und dass im Gegensatz zu älteren Angaben von Eckhard?) und Goltz?) 1) Nach den ersten Samenergüssen führt das Tier mit den Beinen eigen- tümliche Bewegungen aus, als ob es (wie es bei der normalen Begattung tat- sächlich tut) vom Rücken des Weibchens herabsteigen wollte. Wird dann künst- lich nachgeahmt, was bei der Begattung geschieht, d. h. der Penis nach hinten zurückgekrümmt, so beobachtet man, dass der Erektionszustand unter strotzendem Bulbus noch einige Minuten fortdauert, während zugleich immer weiter neuer Samen bespritzt wird. Dies lässt wahrscheinlich erscheinen, dass beim Hunde die Hjakulation fast die ganze Begattung dauert, wodurch anderseits das Fehlen der Samenbläschen erklärbar wäre. 2) Eckhard, Beiträge zur Anatomie und Physiologie Bd. 3 S. 125, Bd. 4 S. 71, Bd. 7 8. 69. Giessen. 3). ec. Die reflex. Hautzone des Penis des Hundes für die Geschlechtsakte. 371 auch beim unversehrten, ebenso wie beim spinalen Tiere, durch ad- äquate Reizung dieser Hautgegend stets Koitusbewegungen, Erektion und Ejakulation experimentell zu erzielen sind. Goltz erzeugte bei dem Rückenmarkshund leicht die Erektion, indem er „die Vor- haut auf dem Penis einigemal sanft mit dem Finger hin und her rieb“, offenbar weil er dadurch die papillenbaltige Hautzone indirekt reizte. 3. Folgen der örtlichen Anästhesie. Der funktionelle Wert der Papillen als periphere Aufnahme- organe der sexuellen Erregungen wird ferner auch durch die Ergeb- nisse örtlicher, durch Stovain erzeugten Anästhesierung bewiesen. Hierzu injizierte ich etwa 0,5 cem einer 5°/cigen Stovainlösung mittels der Pravatz’schen Spritze unter die Haut mehrerer Punkte der papillenhaltigen Gegend des Bulbus und des Präputiums. Bald hierauf war völlige Empfindungslosiekeit für die inadäquaten Reize mittlerer und stärkerer Intensität in der ganzen Haut der Eichel und des Präputiums nachweisbar. Unter diesen Bedingungen riefen die adäquate Reizung der papillenhaltigen Gegenden während der Dauer der Anästhesie (etwa 60 bis 100 Minuten) weder Koitus- bewegungen noch Erektions- und Ejakulationsreflexe hervor. Bei der Abschwächung der Anästhesie begannen auf die adäquate Reizung hin zunächst die Koitusbewegungen wieder aufzutreten; dann auch eine schwache Steifung der Rute und spärliche Samenbespritzung, die aber immer noch mit langer Verspätung (etwa nach 1 Min. und mehr adäquater Reizung) erfolgte. Beim Verschwinden der Anästhesie trat das gewöhnliche Ergebnis wieder vollständig auf. Wird nun dieselbe Menge Stovainlösung unter die Haut der vor dem Bulbus gelegenen glatten Eichelhaut injiziert, so dass eine völlige Empfindungslosigkeit für die inadäquaten Reize mittlerer und stärkerer Intensität nur in der vorderen Hälfte der Eichel entsteht, und wird dann die papillenhaltige, noch empfindende Hautzone des Bulbus und Präputiums adäquaterweise gereizt, so wird das normale Ergebnis ohne Störung erhalten. Die Erektion tritt dann immer völlig auf, doch wird dieselbe nicht durch starke mechanische oder elektrische Reizung der vorderen Eichelabschnitte wie gewöhnlich gehemmt, weil eben letztere Hautgegenden unter der Stovainwirkung sich befinden. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 25 372 G. Amantea: Die reflex. Hautzone des Penis des Hundes etc. Schlüsse. 1. Beim Penis des Hundes gibt es eine Hautzone, welche beinahe die ganze Oberfläche des Bulbus glandis und die anliegenden, beim Schlaffzustande ihn bedeckenden, tieferen Teile des Präputiums ein- nimmt, und nur ausnahmsweise sich auf die Vorderhälfte der Eichel erstreckt. Diese Zone ist durch das Vorhandensein vorragender, rundlichen Abschnitten von Kügelchen ähnlichen, in Längs- oder radialen Reihen geordneten Papillen gekennzeichnet, deren Zahl individuell zwischen 50 und mehr als 100 schwankt. : 2. Inadäquate Reizung. Die gewöhnlichen Druckreize (Stiche, Quetschung) sowie die thermischen oder elektrischen Reize auf die ganze Hautfläche der schlaffen Eichel oder des Präputiums rufen bei schwacher, unterschwelliger Stärke keinerlei Reaktion hervor; bei zunehmender, wirksamer Stärke lösen sie stets Abwehr- reflexe und Schmerzäusserungen aus. Beim Erektionszustande lösen sie reflektorische Hemmung der Erektion aus. 3. Adäquate Reizung. Die breitflächigen, zu gleicher Zeit oder rasch aufeinander folgenden Druckwirkungen auf die vor dem Bulbus oder in den vorderen Teilen des Präputiums gelegene papillenfreie Hautfelde rufen undeutliche oder keine Reaktionen hervor. Dieselbe adäquate Reizung der mit Papillen versehenen Hautzone des Bulbus und der hinteren Teile des Präputiums löst dagegen die sämtlichen Begattungsakte (Koitusbewegungen, Erektion und Ejaku- lation) aus. Die hierzu geeignetste experimentelle Reizung besteht darin, dass man mit den Fingern die Vorhaut auf der papillen- haltigen Zone des Bulbus rhythmisch hin und her schiebt. 4. Die durch subkutane Injektion von Stovainlösung herbei- geführte örtliche Anästhesie der vor dem Bulbus gelegenen Eichel- haut hebt nicht die durch adäquate Reizung ausgelösten Geschlechts- akte auf; die durch dasselbe Mittel erzeugte Anästhesie der papillen- haltigen Zone unterdrückt dagegen völlig die genannten Reaktionen während der ganzen Dauer der Empfindungslosigkeit (60—100 Min.)- 5. Die mit Papillen versehene Hautzons der Eichel des Hundes kann mithin als wahre reflexogene Hautzone für die Ge- schlechtsakte (Koitusbewesungen, Erektion und Ejakulation) be- trachtet werden; denn dort, d. h. in den Papillen, sind die Aufnahme- organe für die spezifischen Geschlechtsbewegungen gelegen. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Freiburg i. Br.) Zur vergleichenden Physiologie des His’schen Bündels. Il. Mittelilune. Die atrioventrikuläre Erregungsleitung im Amphibienherzen. Von Dr. med. 3. Nakano (Tokio). (Mit 15 Textfiguren.) Inhaltsübersicht. ER 92 Physiologiseh-anatomische Einleitung , - .. .. 1. 2.2.0.2. 3173 In VISISeHR ee re RA RA NE: 375 INES V/ersuchenameRroschherzen. . 0. 2. en lab nn 38l DiemBEncehnisse am Hroschherzen. . - > .. . . cn... onen 391 Nesversuchezam Salamanderherzen.. „2%... 2 0... 0.2. 2 a. 393 NizeRweebnissecam-Salamanderherzen . 2... .„ Dunn nen. 398 VII, Zusammenfassung der Ergebnisse. . . .».. » 22 2 2 2 02 20. 399 I. Physiologisch-anatomische Einleitung. Seitdem die ältere Auffassung von Eekhard und Marchand, nach deren Versuchen am Froschherzen die Überleitung der Er- regung von den Vorhöfen zum Ventrikel an das Vorhandensein der beiden Bidder’schen Atrioventrikularganglien gebunden schien, durch Gaskell!) dahin abgeändert war, dass vielmehr ein musku- löser Verbindungsring zwischen A. und V. die Erregungsleitung hesorge, dessen Verletzung einen mehr oder minder vollkommenen Block herbeiführe, hat sich doch bis heute weder in anatomischer noch in physiologischer Hinsicht ein klares Bild über die a.-v. Erregunssleitung bei unserem gewöhnlichsten Versuchstiere gewinnen lassen. 1) Journ. of physiol. vol. 4 p. 61 and 75. 1884. Pflüger’s Archiv für Physiologie, Bd. 154. 26 374 J. Nakano: Wenngleich der völlig negative Befund von J. Dogiel!) be- züglich muskulöser Verbindungen zwischen den drei Hauptabschnitten des Froschherzens sich gegenüber Untersuchungen von His jun.?) F. B. Hofmann’), Keith mit Flack?) und Mackenzie°), und Külbs‘) nicht mehr aufrechterhalten lässt, so bestehen doch, be- sonders zwischen den Angaben von Keith und Külbs, so ge- wiehtige Unterschiede, dass allein die anatomischen Ergebnisse keineswegs ein Urteil über die Frage gestatten, ob und in welchem Maasse bereits eine Differenzierung der Erresungsleitung im Atrioven- ° trikularringe des Amphibienherzens eingetreten sei. Nachdem H. Laurens’) am Reptilienherzen, das er auf An- regung von Prof. Mangold untersuchte, bereits eine sehr ver- schiedene Bedeutung der a.-v. Verbindungsbündel für die Erregungs- leitung gefunden hatte, musste es ebenso wünschenswert erscheinen, auch am Herzen des Frosches und anderer Amphibien nach den Anfäugen derartiger physiologischer Differenzierungen zu suchen. Physiologische Untersuchungen über die Bahn der a.-v. Erregungs- leitung im Amphibienherzen fehlen bisher fast völlig. F. B. Hof- mann?) kommt in seiner Arbeit über die Furktion der Scheide- wandnerven des Froschherzens zu dem Ergebnis, dass die Scheide- wand an der zeitlichen Regelung der Herzperistaltik vollkommen unbeteiliet ist, dass diese vielmehr durch Bahnen vermittelt wird, welehe diffus in der Vorhofswand verteilt sind. Durchschneidungs- versuche an der Vorhofswand hatten gezeigt, dass völlige Durch- trennung derselben die regelmässige Aufeinanderfolge der Kon- traktionen des Sinus und Ventrikels für immer aufhebt. Hiernach wie nach den anatomischen Untersuchungen Keith’s?) war zunächst eine ringsherum gleichmässige Leitungsfähigkeit auch für den neuromuskulären Atrioventrikularring zu erwarten. Wie Keith es beschreibt, sind bei den Amphibien Vorhöfe und 1) Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 70 S. 781. 1907. 2) Arbeiten a. d. med. Klinik zu Leipzig 1893 S. 14. 3) Arch. f. Anat. (u. Physiol.) 1902 S. 66. 4) Journ. of anat. and physiol. 1907 p. 172. 5) Lancet t.1 p. 101. 1910. 6) Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Ther. Bd. 11 S.51. 1912. 7) Pflüger’s Arch. Bd. 150 8.139. 1913. 8) Pflüger’s Arch. Bd. 60 S. 146 u. 170. 1895. 9) kb €: Zur vergleichenden Physiologie des His’schen Bündels. II. 375 Kammer durch einen vollständigen muskulösen Ring, der in den Ventrikel trichterförmig sich einstülpt und unterhalb der atrio- ventrikulären Klappen in die Kammermuskulatur übergeht, anatomisch verbunden. Der obere Teil dieses Trichters ist durch Bindegewebe von der Kammer getrennt. Erst unter der Basis der Scheidewand geht er auf die innere Schicht der Kammermuskulatur über. Hier ist die Verbindung in allen Teilen des Kanals gleichmässig und zeigt eine Differenzierung nur insofern, als sie an der Basis des interaurikulären Septums am stärksten ist. Histologisch ist jedoch dieser Verbinduneskanal von der gleichen Muskulatur gebildet wie die übrigen Herzabschnitte. Diese anatomischen Verhältnisse wurden nun später von Külbs!) in anderer Weise dargestellt. Nach diesem Autor vereinigt sich beim Frosch der aurikuläre Kanal mit der Ventrikelmuskulatur nur seitlich, und zwar dadurch, dass sich von vorn und hinten ein Bindegewebsstreifen einschiebt und so den Muskelring in zwei muskulöse Halbrinnen trennt. Diese Angabe von Külbs erscheint dadurch von besonderer Bedeutung, dass sie auf eine anatomische Differenzierung des Reizleitungssystems hinweist und auch für das Ergebnis des physiologischen Experimentes noch eine andere Möglichkeit als die oben zunächst in Aussicht gestellte erwarten lässt. Unsere Versuche zeigten, dass noch eine dritte Mög- lichkeit bezüglich der a.-v. Erregungsleitung am Amphibienherzen verwirklicht ist. II. Methodik. Die Versuche wurden am Frosch (R. eseulenta und fusca) und am Feuersalamander (Salamandra maculata) angestellt. Die Be- wegungen der Vorhöfe und der Kammern wurden mittels der Gaskell-Engelmann’schen Doppelsuspensionsmethode aufge- zeichnet, wobei stets der linke Vorhof und die Ventrikelspitze die Suspensionspunkte bildeten. Den Fröschen und Salamandern wurde unmittelbar vorher durch Dekapitierung und Rückenmarksausbohrung das Zentralnervensystem zerstört. Danach wurde das Herz heraus- geschnitten und nach der Isolierung mit dünnen Stecknadeln, die etwas unterhalb der Atrioventrikulargrenze eingestochen wurden, auf einer Korkplatte befestigt. Zur Untersuchung der funktionellen Leistungen der ver- schiedenen Bahnen des Atrioventrikularrings wandte ich das Durch- schneidungsverfahren an. Beim Frosch schnitt ich zuerst den Bulbus De une 96 * 376 J. Nakano: arteriosus von dem Ventrikel ab und löste dann vorsichtig das viscerale Perikardium in gewisser Ausdehnung von der Atriumwand ab. Dieses Verfahren ist leicht ausführbar, weil das viscerale Peri- kardium mit der Atriumwand nur ganz lose verwachsen ist und auch an der atrioventrikulären Grenze ohne Verwachsung auf den Ven- trikel übergeht, so dass man die Schere in diese Zwischenräume leicht einschieben kann. Beim Feldfrosch lässt sich diese Mani- pulation leichter ausführen als beim Wasserfrosch. Wenn man nun- mehr das in der beschriebenen Weise abgelöste Perikardium nach oben zieht, so liest ganz deutlich die Atrioventrikulargrenze vor, von deren dunkelroter Färbung sich eremefarbige, rhythmisch sich stark kontrahierende Bündel abheben, die an der ventralen Seite meist mehr unregelmässig, aber an der dorsalen Seite, wie die genauere Beobachtung zeigt, oft an drei Stellen, namentlich an den beiden Seiten und in der Mitte, zusammenlaufen. In drei Fällen unter SO Fröschen (ein Wasserfrosch, zwei Feld- frösche) konnte ich eine ziemlich scharfe Konzentration dieser Bündel an der atrioventrikulären Grenze auf vier Stellen — den beiden seitlichen und ventral wie dorsal in der Mitte — beobachten. Durch die angegebene Präparation hat man den Atrioventrikular- ring vollständig freigelegt und kann sich dadurch bei den Versuchen besser orientieren. Ich bemerkte übrigens infolge dieser Mani- pulationen oft schon eine ganz geringe Verlängerung der atrio- ventrikulären Überleitungszeit, die indessen in kurzer Zeit wieder zur Norm zurückkehrte. Beim Salamander ist der Atrioventrikular- ring am isolierten Herzen schon ganz deutlich zu sehen. Zur einfacheren Verständigung über die Versuche erscheint es zweckmässig, den atrioventrikulären Ring in acht Bündel, nämlich die beiden lateralen, das ventrale, dorsale und die vier dazwischen liegenden, wie die Fig. 1 zeigt, einzuteilen. Beim Salamander war nur eine Unterscheidung in vier Bündel möglich, weil die Kleinheit des Herzens eine weitere Einteilung nicht zuliess, X Zur funktionellen Untersuchung der einzelnen Bündel schnitt ich stets eines nach dem anderen durch, prüfte jedesmal die dadurch herbeigeführte Leitungsstörung mittels der registrierenden Methode, liess dann immer eines der Bündel allein zurückbleiben und suchte genau festzustellen, ob und in welchem Grade die Leitung erhalten blieb, und wieweit das betreffende Bündel durch weitere Schnitte Zur vergleichenden Physiologie des His’chen Bündels. II. 307 noch reduziert werden konnte. Bei Durchschneidung der Scheide- wand ist es unvermeidlich, dass einige Bündel der Vorhofswand gleichzeitig verletzt werden. Bei Isolierung der Scheidewand ist es mir dagegen sicher und leicht gelungen, die Vorhofswand etwas oberhalb der atrioventrikulären Grenze zirkulär zu umschneiden, also an einer Stelle, wo die Scheidewand von der Atriumwand vollständig abgetrennt ist. Die Scheidewand sieht mehr durchscheinend aus und lässt kaum eine Kontraktion er- 8 kennen, während die Atriumwand G milchig getrübt erscheint und sich stark kontrahiert. 7 Um mich hinsichtlich der Durchschneidungen genau zu orien- nn a tieren, verwendete ich eine Zeiss- 6 Br ir sche Binokularlupe, und versicherte Kiel, Poposınphzches Schemalder mich mit deren Hilfe, wie weit Atrioventrikulargrenze. 1 Ventrales die Faser abgeschnitten sei. Die Bündel 3 Rechtes laterale Bündel geringste Faserdicke, die ich z. B. > ee, Don am linken lateralen Bündel unter laterales Bündel. 7 Linkes laterales erhaltener Koordination ohne Aus- a nuolsienles fall der Kammersystole erzielte, betrug nach Augenmaass ca. 0,3 mm. Hiernach war zu vermuten, dass die vollständige Aufhebung der Reizleitung hier erst nach totaler Abtrennung der verbindenden Bahn eintreten würde. Von der Durchführung genauer Messungen der übriggebliebenen Bündel- breite wurde abgesehen, da es bei der angewandten Durchschneidungs- methode nicht angängig schien, den Grad der Spannung und Dehnung der Fasern mit genügender Sicherheit in Rechnung zu ziehen. Übrigens hat in allerletzter Zeit L. Haberlandt!), mit ganz anderer Methodik und auch von anderen Fragestellungen ausgehend, die Physiologie des Atrioventrikulartrichters beim Frosch in Angriff genommen und mit elektrischer Reizung eine systematische Prüfung der funktionellen Wertigkeit der A.-V.-Trichtergegend versucht. Es wurden vier bis sechs Elektrodennadeln unterhalb der A.-V.- Grenze durchgestochen, und die zwischen den einzelnen benachbarten Elektrodenpaaren abwechselnde Stromzuführung ergab, dass das Ge- z ]) Zeitschr. f. Biol. Bd. 61 S.1. 1913. 378 J. Nakano: biet der mittleren Reizelektroden die grösste Erregbarkeit besass, und dass sich von hier aus am leichtesten durch kurzdauernde Reizung am schlaglosen Herzen eine Reihe von Pulsationen auslösen liess. Diese „Triehtergegend“ umfasst, mit unserem topographischen Schema (S. 377) verglichen, jedenfalls wohl die unterhalb unseres ventralen, aber ebenso auch entsprechend dem Durchstich der Elektrodennadeln die unterhalb unseres dorsalen Bündels gelegene Partie. \ Auf einige technische Schwierigkeiten bei der Anwendung der Suspeusionsmethode zur gleichzeitigen Registrierung der Vorhofs- und Ventrikelbewegung möchte ich hier noch hinweisen, die weni- ger bei Aufzeichnung der nor- malen Herztätigkeit in Be- tracht kommen, dabei auch, wie die Literatur zeigt, ohne Bedenken geduldet wurden, die indessen gerade bei der Re- ENERGE gistrierung dissoziierter Herz- Fig. 2. Rein mechanische Vergrösserung tätigkeit zu schweren Miss- der während der Ventrikelsystolen erfolgen- ; & x den Vorhofskurven bei Dissoziation. deutungen der Kurven führen könnten. Ich meine einmal die rein mechanische Beeinflussung der Vorhofskurve durch die übergeleitete Ventrikelbewegung bei mangelhafter Fixierung des Herzens auf der Unterlage, wodurch freilich bei koordiniertem Herz- schlage kaum Missverständnisse entstehen können, wohl aber bei Versuchen über die physiologische Leitungsfähigkeit eines als Brücke zwischen A. und V. übriggelassenen Bündels. Hierbei kann nämlich dadurch leicht eine rückläufige Beeinflussung oder Erregunesleitung von V. nach A. vorgetäuscht werden, wie es beispielsweise Fig. 2 zeigt, in der bei völliger Dissoziation der A.- und V.-Schläge jede in das Bereich der aufsteigenden Ventrikeltätigkeit fallende Vorhofs- kontraktion eine Verstärkung erfahren hat, die einen dem Alternans ähnlichen Zustand vortäuscht. Ebenso handelt es sich in Fig. 3, in deren zugehörigem Versuche nur noch die Vorhofsscheidewand als Verbindung übrig war und, wie man sieht, völlige Dissoziation bei fast gleicher Frequenz von A. und V. bestand, nicht um rückläufig vom Ventrikel her ausgelöste Vorhofsextrasystolen, vielmehr um rein mechanisch durch Zug des sich kontrahierenden Ventrikels bedingte Zur vergleichenden Physiologie des His’schen Bündels. II. 379 passive Bewegungen, die der Vorhof zwischen seinen Systolen aus- führte. Ferner. ist auch bei der Verwendung der elektrischen Reizung zur Prüfung der Erregungsleitung grösste Vorsicht geboten, da hierbei die verschiedene und während eines Versuches wechselnde Erregbarkeit von A. und V., wie auch wohl der verschiedene Wider- stand des Vorhof- und Ventrikelgewebes zu leicht misszudeutenden Fig. 3. Mechanische Beeinflussung der Vorhofskurven durch die Kammertätigkeit bei Dissoziation. Ergebnissen führen können. So zeigt Fig. 4 den Versuch an einem Froschherzen, dessen Ventrikel infolge der vorgenommenen Durch- schneidungen — die Vorhofsscheidewand war auch hier allein noch Fig. 4. Extrareize bei vollkommenem Block, nur rückläufig (von V nach A) zu Extrasystolen auch des nicht gereizten Herzabschnittes führend (s. Text). übrig — stillstand, während der Vorhof gleichmässig weiterschlug. Hier rief die elektrische Reizung mit für die Kammer etwas über- schwelligen Strömen, die mittels Stromwenders abwechselnd dem A. und V. zugeführt wurden, an beiden Herzabschnitten Extrasystolen hervor, und es liess sich eine scheinbare Fortleitung der so hervor- gerufenen Erregung, jedoch nur im rückläufigen Sinne von V. nach A., nicht aber rechtläufig von A. nach V., beobachten, wie die Figur zeigt. An der zu geringen Erregbarkeit des Ventrikels konnte diese Erscheinung nicht gelegen haben, da sich nachweisen liess, dass die 380 J. Nakano: Kammer in diesem Falle im Gegensatze zur Norm eine geringere Reizschwelle besass als der Vorhof. Offenbar hatten vielmehr die Stromschleifen beim Übergange von V. nach A. den geringeren Widerstand gefunden als in umgekehrter Richtung und dadurch eine rückläufige Erregungsleitung durch das Septum vorgetäuscht. Endlich sei noch auf die allgemein experimentellen Schädigungen des Herzens hingewiesen, die bereits in der Laurens’schen Arbeit hervorgehoben wurden und bei meiner Durchschneidungsmethode zum grossen Teil auf die mechanische Schädigung zurückzuführen waren. So war auch in den vorliegenden Versuchen immerhin darauf zu achten, dass die Störungen der Erregunssleitung bei operativer Einengung der Leitungsbahn ausser durch die Verengerung derselben auch durch die dabei unvermeidliche mechanische Be- Fig. 5. Vorübergehende (s. Fig. 6) Dissoziation, nach Einengung der Atrio- ventrikularverbindung durch mechanische Reizung hervorgerufen. einflussung herbeigeführt sein konnte. Erst kürzlich hat v. Kries?) darauf hingewiesen, dass, wenn es auch am nächsten liest, bei den nach derartigen Durchschneidungsversuchen auftretenden Block- erscheinungen an die Einengung der Bahn zu denken, doch daneben auch die funktionelle Änderung in Betracht gezogen werden muss, die das stehengebliebene Stück durch die benachbarte Verletzung erfahren haben kann. In der Tat liess sich in meinen Versuchen, besonders aber durch absichtlich hinzugefügte mechanische Eingriffe, wie Ziehen, Schütteln und dergleichen, gelegentlich Ventrikelsystolen- ausfall oder selbst vollständige Dissoziation hervorrufen (Fig. 5). Diese Störungen gehen indessen nach einiger Zeit stets wieder zurück (Fig. 6) und lassen sich eben dadurch mit ziemlicher Sieher- N), & 2) Skandinav. Arch. f. Physiol. Bd. 29 S.89. 1913. Zur vergleichenden Physiologie des His’schen Bündels. 1. 381 heit von denjenigen unterscheiden, die auf die Verengerung der Brücke selbst zu beziehen sind. Derartige Fälle von vorübergehender, experimentell hervor- serufener, vollkommener Dissoziation zwischen A. und V. dürften, wenn sie auch wohl nicht mehr ganz vereinzelt dastehen, vom praktisch medizinischen Standpunkte Interesse beanspruchen. Fig. 6. Wiederherstellung der Koordination nach Dissoziation (s. Fig. 5). III. Versuche am Froschherzen. 1. Bedeutung des rechten lateralen Bündels für die atrio- ventrikuläre Erregungsieitung. a) Veränderungen nach Durchsehneidung des Bündels. Beispiel 1. An dem isolierten normalen Herzen betrug die Frequenz und die As.-Vs.-Zeit . . um 9b 15’ 40 pro Min. und 0,26 Sek. Nach Durchschneidung des Bündels. .. „ 93’ 3,» la Beispiel 2. (Wasserfrosch.) Nokia ars ES um 8b 40’ 36 pro Min. und 0,33 Sek. Nach Dprehschneidung........ .... ee ai Beispiel 3. (Feldfrosch.) Noto um 105 00’ 32 pro Min. und 0,30 Sek. NacheDurchsehneidung » .. 0... ... 1008280 ee 0,000, Beispiel 4. (Feldfrosch.) Normale ns um 9h 30’ 36 pro Min. und 0,31 Sek. NacheDurchschneidunge.. 2... ... ROSE UN DDR Re 0 Beispiel 5. (Feldtrosch.) NIGBEEl SR ee ME um 3h 30’ 23 pro Min, und 0,30 Sek. Nachölurehschneidunge 2. ..... ro BRAD DD a N ST: Wie man aus diesen Beispielen ersieht, lässt sich nur eine ge- ringe Verminderung in der Frequenz und eine minimale Verzögerung 382 J. Nakano: der As.-Vs. nachweisen, Veränderungen, wie sie schon in der Laurens’schen Arbeit als allgemein experimentelle Schädigungen beschrieben wurden. Die aufgenommenen Kurven zeigen keine be- sondere Veränderung. b) Veränderungen bei alleinigem Übrigbleiben des rechten lateralen Bündels. 2 Schläge | As.-Vs. a ns Beispiel 6. (Feldfrosch.) Normal. 7 Ar e eR um 2h 15’ 5) 0,45 Bei alleinigem Übrigbleiben des Bündels „, 2h 45’ 36 ° 1,05 Beispiel 7. (Feldfrosch.) Normal: re k um 9h 10’ 33 0,45 Bei alleinigem Übrigbleiben des Bündels 94 30’ 3 0,56 Beispiel S. (Wasserfrosch.) INOENa en RE um | 9ıh 30’ 27 0,39 Bei alleinigem Übrigbleiben des Bündels „, 10h 15’ 18 0,81 Beispiel 9. (Feldfrosch.) INGEMalR ae N um sh 20° 3 | 0,45 Bei alleinigem Übrigbleiben des Bündels „ &h 40' 27 0,6 Beispiel 10. (Wasserfrosch.) INIOrIn ale N um 3h 10’ | 39 | 0,40 5 3h 50’ 0 Bei alleinigem Übrigbleiben des Bündels Fig. 7a- Fig. 7b. Fig. 7a. Normal. Fig. 7b. Erhaltung der Koordination bei alleinigem Übrig- bleiben einer minimalen Brücke des rechten lateralen Bündels. Das allein übrige rechte laterale Bündel wurde bis auf eine minimale Faser reduziert, so dass es sich mit der feinsten Schere nicht mehr weiter verjüngen liess. Dabei beobachtet man nun oft Dale: Zur vergleichenden Physiologie des His’schen Bündels. II. 383 vorübergehenden Systolenausfall der Kammer, aber schliesslich schlägt das Herz wieder gut koordiniert mit kräftiger Schlagfolge. Fig. 7b zeigt die Kurve eines Froschherzens, dessen Kammer mit dem Vorhof nur noch durch eine ganz dünne Faser verbunden ist. Die Verlängerung der As.-Vs.-Zeit ist hier ziemlich bedeutend. 2. Bedeutung des linken lateralen Bündels für die atrio- ventrikuläre Erregungsleitung. a) Veränderungen nach Durchschneidung des linken lateralen Bündels. Zeit | Schläge | As.-Vs. | Zimmer- j \in der Min. Sek. | temp. (° C.) Beispiel 11. (Wasserfrosch.) Normaler: 2.2... um 5h 20° 36 0,31 13 Nach Durchschneidung . . . „ 8h 95’ 39 0,46 2 Beispiel 12. (Wasserfrosch.) Normale een. um Sun 27 0,3 16 Nach Durchschneidung . . . „ 3h 30’ 24 0,36 Beispiel 13. (Wasserfrosch.) Normalessemen 0.08 um 9n 00’ 40 0,25 125 Nach Durchschneidung . . . „ 9b 08’ 39 0,37 2 Beispiel 14. (Feldfrosch.) IN Games are ee um | 8530’ | 3 0,30 13 Nach Durchschneidung .. . „ | 8540’ 36 0,46 = Beispiel 15. (Feldfrosch.) Normal anna. um | 105 40’ | BB) 0,38 195 Nach Durchschneidung . . . „ | O4’ 3 0,52 > In diesen Fällen war also ebenfalls eine beträchtliche Ver- zögerung der As.-Vs.-Zeit zu konstatieren. Die Frequenz und Kontraktionsform des Herzens boten dagegen keine wesentliche Ver- änderung. b) Veränderungen bei alleinigem Übrigbleiben des linken late- ralen Bündels. ° As.-Vs. Zimmer- Schläge Sek. | temp. 0°C.) Zeit |inderMin. Beispiel 16. (Feldfrosch.) Normal nee arena Re um 32h 30’ 45 0,31 R Bei alleinigem Übrigbleiben des 13,5 Bundels mar, um a 9 42 0,46 84 J. Nakano: Zeit Schläge | As.-Vs. | Zimmer- inderMin.| sex. temp.(° C.) Beispiel 17. (Feldfrosch.) Normalen um 4h 15’ 30 0,30 Bei alleinigem UÜbrigbleiben des 16 Bündels ci es es um 4h 50' 24 0,42 Beispiel 18. (Wasserfrosch.) Normale um 9h 237 30 0,30 Bei alleinigem Übrigbleiben des 16 Bundels an a Se um | 10h W’ 30 0,45 Beispiel 19. (Feldfrosch.) Normal za ke ee: um 9b 15’ 34 0,31 Bei alleinigem Übrigbleiben des 16 Bündelsenetnaeı 0. um Ih 50’ 24 0,63 Beispiel 20. (Wasserfrosch.) Normalen eek: um 2h 23’ 39 0,39 Bei alleinigem UÜbrigbleiben des 12,5 Bündels asien um 2h 50 38 0,39 Beispiel 21. (Feldfrosch.) Normal ee pe Er er um 5h 05 45 0,45 Bei alleinigem Übrigbleiben des 15 Bundelsewe ce ae um 6h 38’ 38 0,72 Fig. 8a. Fig. Sb. Fig. Sa. Normal. Fig. 8b. Erhaltung der Koordination bei alleinigem Übrig- bleiben einer minimalen Brücke des linken lateralen Bündels. In diesen Fällen konnte ich fast ausnahmslos weder Systolen- ausfall noch sonstige Störungen der Erregungsleitung beobachten, wenn auch das Bündel zur minimalen Faser verdünnt wurde (s. Fig. Sb). 3. Bedeutung des dorsalen Bündels für die Erregungsleitung. a) Durchschneidung des dorsalen Bündels. As.-Vs. Zimmer- Sek. temp.(°C.) Schläge | Zeit ind Min. Beispiel 22. (Wasserfrosch.) Normal agent um 8b 20° 27 Nach Durchschneidung. . . „ sh 26’ 21 Zur vergleichenden Physiologie des His’schen Bündels. I. 385 Zeit Schläge | As.-Vs. | Zimmer- inder Min. Sek. temp. (9 C.) Beispiel 23. (Wasserfrosch.) Naumall ea. 2.0: 4, um 4h 15’ 40 0,26 15 Nach Durchschneidung . , . „ 4h 18’ 42 0,3 2 Beispiel 24. (Feldfrosch,) Normalen, .: Fe sumale 28.6240 35 0,3 13:5 Nach Durchschneidung . . . „ | 3544’ 36 0,45 28 Beispiel 25. (Feldfrosch.) Normaler sn, um 10h 10’ | 27 0,55 135 Nach Durchschneidung . . . „ 10h 15’ 36 0,77 = Beispiel 26. (Feldfrosch.) Nennell oo DB RR um | 95 00’ 33 0,31 18.0 Nach Durchschneidung . .. „ | 9504’ 38 0,36 2 Im grossen und ganzen bemerkt man hier nur sehr geringe Veränderungen der As.-Vs.-Zeit und der Frequenz. b) Alleiniges Übrigbleiben des dorsalen Bündels. Zeit | Schläge | As.-Vs. Zimmer- inderMin.| sek, temp. (°C. Beispiel 27. (Wasserfrosch.) Normalen. ns um 9h 25’ 36 0,35 Bei alleinigem UÜbrigbleiben des 16 Bundelsee2..0.,.. ..... = um | 10h 00’ 36 0,62 Beispiel 28. (Feldfrosch.) Normalen 5 um 8h 40’ 25 0,45 5 Bei alleinigem UÜbrigbleiben des 15,5 Bunlelse .20......% . um 9h 307 21 0,81 Beispiel 29. (Feldfrosch.) Normal 2 re um 2h 32’ 36 0,35 e Bei alleinigem Übrigbleiben des 15 Bundelsva, 2 2.2.2068 um 3507’ 36 0,58 Beispiel 30. (Wasserfrosch.) Na las um ml 32 0,30 Bei alleinigem Übrigbleiben des | 15,5 Bündelsa er 3, u: um 9h 43’ 30 0,61 Beispiel 31. (Weasserfrosch.) Normale ren 2 um 4h 15’ | 39 0,36 Bei alleinigem Übrigbleiben des 207 16 Bündelsy es. es re um 4h 35’ | 34 0,7 | In diesen Fällen schlägt das Herz in vollständiger Koordination, bis das Bündel zur dünnsten Faser reduziert worden ist. In einem Falle bemerkte ich während des Versuches einen vorübergehenden 386 72] NRkano: Systolenausfall der Kammer (Beispiel 28). As.-Vs. zeigt sich stets bedeutend verlängert. Die Kammerkontraktion zeigte gelegentlich eine spitzere Kurve als normal. 4. Bedeutung des ventralen Bündels für die Erregungsleitung. a) Durchschneidung des ventralen Bündels hatte keinerlei nennenswerte Störungen zur Folge. | Schläge | As.-Vs. | Zimmer- za | inderMin.| Sek, temp. (°C.) Beispiel 32. (Wasserfrosch., Normal u.se ner um | 11h 03’ 30 0,28 15 Nach Durchschneidung. .. „ | 115 07’ 30 0,3 Beispiel 33. (Wasserfrosch.) Normal ee: um | 5 25’ 36 0,34 135 Nach Durchschneidung . . . „ | 831’ 3) 0,36 ) Beispiel 34. (Wasserfrosch.) Normaler er ara um | 2503’ 40 0,3 15 Nach Durchschneidung. .. „ | 2107 42 0,31 Beispiel 35. (Feldfrosch.) Nowmalasessa ts ee. um 3h 03’ 28 0,33 16 Nach Durchschneidung . . . „ 3h 08’ ol 0,35 Beispiel 36. (Feldfrosch.) Normaler rer um 10h 30’ 34 0,31 155 Nach Durchschneidung . . . „ 10h 36’ 34 0,34. , b) Alleiniges Übrigbleiben des ventralen Bündels. Zeit Schläge | As.-Vs. Zimmer- inderMin., Sek. temp. (°C.) Beispiel 37. (Feldfrosch.) Normalen re: um g9h 15’ 36 0,45 Bei alleinigem UÜbrigbleiben des 15 Bündels.Rs 2 8 wu um 9h 50' 36 1,05 Beispiel 38. (Feldfrosch.) Normale Br Fe um 9h 20° 41 0,30 Bei alleinigem Übrigbleiben des 14,5 Bündel rer um 10h 05’ 36:4. Li Beispiel 39. (Wasserfrosch.) Normalen Sr ee um 2h 35’ 32 0,34 Bei alleinigem UÜbrigbleiben des 15 Bündels in. kenn es: um 2h 57' 32 0,95 Beispiel 40. (Feldfrosch.) Normale a ee um 4h 10’ 36 0,40 Bei alleinigem Übrigbleiben des 16 Bündelstimt na um 5h 15’ 33 1,26 Zur vergleichenden Physiologie des His’schen Bündels. II. 387 Hier war es unverkennbar und sehr bemerkenswert, dass das ventrale Bündel sich in keinem Falle bis zur minimalen Faser reduzieren liess, ohne dass die Reizleitungsstörung mehr oder minder deutlich auftrat. Die oben angegebenen Werte für As.-Vs, beziehen sich natürlich noch auf den gut koordinierten Zustand. Fig. 9 zeigt einen derartigen Versuch mit starker Verzögerung von As.-Vs. (b) gegenüber der Norm (a) und mit Kammersystolenausfall (e. d.). Fig. 9a. Fig. 9b. EI van a Fig. 9c. Fig. 9d, Fig. 9a. Normal. Fig. 9b. Verzögerung von As.-Vs. Fig. 9c, d. Ventrikel- systolenausfall bei alleinigem UÜbrigbleiben einer Brücke des ventralen Bündels. Falls das Bündel bis auf das kleinste Kaliber reduziert wurde, wie es bei den vorigen Bündeln geschah, so bekam ich in den meisten Fällen vollständige Dissoziation. Nur ausnahmsweise beobachtete ich, dass die Faser auch dann noch zur partiellen Koordination mit Systolenausfall ausreichte. 5. Bedeutung der ventrolateralen und dorsolateralen Zwischen- bündel für die Erregungsleitung (siehe Schema S. 377). Die Versuche mit alleinigem Ubriebleiben des einzelnen Zwischenbündels gaben im einzelnen Falle verschiedene Resultate. 388 J. Nakano: a) Rechtes ventrolaterales Bündel. Beispiel 41. (Feldfrosch). Das isolierte Herz zeigte um 8h 50’ 40 Schläge in der Minute mit 0,25 Sek. As.-Vs.. Um 9h 45’ isolierte ich ein dünnes Bündel im rechten ventralen Quadranten. Dabei entstand ein Ausfall der Ventrikelsystole. Um 9h 53 stellte sich die Erregungsleitung wieder her, und es folgte alle zwei oder drei Kontraktionen ein Ausfall der Ventrikelsystole.. Um 9h 57’ war sie wieder vollständig hergestellt. As.-Vs, war bis 0,6 verzögert. Der Herzschlag betrug 30 pro Minute. Wie man an der Kurve (Fig. 10 b) sieht, ist die Kontraktionsform der Kammer deutlich abgeplattet und verkleinert. Hierbei genügt dann ein leichter mechanischer Reiz an der Faser, um Systolenausfall (Fig, 10 c) oder sogar in anderen Fällen einen Stillstand der Kammer oder Dissoziation herbeizuführen, Fig. 10a. Fig. 10c. Fig. 10a. Normal. Fig. 10c. Dissoziation infolge mechanischer Reizung bei allein erhaltenem rechten ventrolateralen A.-V.-Bündel. Andere Versuche mit dem rechten ventrolateralen Bündel er- gaben folgende Resultate: Zur vergleichenden Physiologie des His’schen Bündels. II. 389 Ya: Schläge | As.-Vs. | Zimmer- linderMin. eg, | temp. (°C.) Beispiel 42. (Feldfrosch.) Nommaleses a: ..: 0%). um 1-17 95, 3 0,3 | Bei alleinigem Ubrigbleiben des | - | 16 Bundelsd Mann % 8; um 3h 00’ 39 0,62 | Beispiel 43. (Feldfrosch.) Nero... 2. 24... um 10h 23° | 45 OS Bei alleinigem UÜbrigbleiben des | | 15,5 Bandelsaer a So 8 um | 10h 55’ 39 STATE b) Linkes ventrolaterales Bündel. Bei allein übrigem linkem ventrolateralen Quadranten konnte ich stets Ausfall der Ventrikelsystole beobachten. | Schläge | As.-Vs. | Zimmer- zZ inderMin.| geg. | temp. 0C.) Beispiel 4. (Feldfrosch.) Normal? 2... ..... umge Co | 30 770,492 7 219,9 Nach der Isolierung des betreffenden Bündels betrugen die Herzschläge 18. As.-Vs. 0,54 Sek. Beispiel 45. (Feldfrosch.) Nom ee um 4430’ | 36 0,45 | 0,95 Naekhlsoherune . . . ... . 5 SLR Dee 15 In beiden Fällen blieb der Systolenausfall ohne Wieder- herstellung. a) Rechtes dorsolaterales Bündel. Wieweit dieses allein noch die a.-v. Erregungsleitung zu über- nehmen vermag, zeigen folgende Versuche: As.-Vs. Zimmer- Ser... | temp.(0C. Schläge. Zeit |;nderMin. Beispiel 46. (Feldfrosch.) Nermaltsr! Zi, 22; Eike um sh 35’ 38 | 0,34 145 Isolierung des Bündels . 5 9 00’ 36 0,89 z Beispiel 47. (Wasserfrosch.) INommalse na 2.2. en. um: | 34710" 33 | 0,41 16 Isoliernng des Bündels. .. „| 3545’ 28 0,95 Ausser der sehr erheblichen Verzögerung von As.-Vs. war auch vorübergehender Systolenausfall zu bemerken, und es gelang nur mit grosser Schwierigkeit, das Bündel bis zu minimaler Verdünnung Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 27 390 J. Nakano: zu reduzieren, ohne dass Kammersystolenausfall eintrat, der jedoch bei weiterer Erholung allmählich wieder in den Vollrhythmus überging. b) Linkes dorsolaterales Bündel. Vene Schläge | As.-Vs, Zimmer- in der Min. | Se temp. (° C.) Beispiel 48. (Feldfrosch.) Normale va a een um 4h40' | 40 0,3 Bei alleinigem Ubrigbleiben des | a 15 Bündels. a u ae um 5h 15’ 30 0,9 Beispiel 49. (Wasserfrosch.) Normale re um 2219. | 35 0,34 Bei alleinigem Übrigbleiben des 15,5 Bündel me 0, um| 240° | 8 0,89 Auch bei alleinigem Übrigbleiben dieses Bündels kam es im allgemeinen stets zu Ventrikelsystolenausfall. 6. Bedeutung der Vorhofs-Scheidewand für die Erregungs- leitung. a) Durchschneidune der Scheidewand. Schläge | As.-Vs, | Zimmer- 2 inderMin.| sek, temp. (°C.) Beispiel 50. Normalnsaıe ser es um Ih 40' 42 0,31 15 Nach Abschneidung ee 1h 55' 40 0,36 Beispiel 51. Normal wi %. Naar um | 35 35’ 38 0,30 16 Nach Abschneidung .... „| 3543’ 33 0,31 Bei der Durchschneidung des Septums legte ich zuerst einen kleinen Längsschnitt an der ventralen Wand des Vorhofs an, und von dieser Schnittspalte aus schnitt ich mit einer spitzen Schere die Scheidewand etwa 2 mm oberhalb der atrioventrikulären Grenze durch. Hierbei ist es meist nicht zu vermeiden, dass zugleich auch einige Fasern ventraler und auch dorsaler Bündel verletzt werden. b) Versuch mit alleinigem Übriebleiben der Scheidewand. Das alleinige Übrielassen der Scheidewand führte in zwölf Fällen ausnahmslos zum Stillstand des Ventrikels (Fig. 11). In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle traten spontane Kammer- kontraktionen erst nach 5—15 Minuten ein. Die Kammerkontraktionen Zur vergleichenden Physiologie des His’schen Bündels. II. 391 verlaufen dabei höher, aber langsamer und völlig dissoziiert von der Vorhofstätiekeit (Fig. 11). Nach einer Reihe solcher Kontraktionen tritt wieder Stillstand ein. Wenn sich auch bei einzelnen Fällen Verschiedenheiten darboten, so führten doch fast alle Fälle nach einigen Wiederholungen derartiger automatischer Erregungen der Kammer zum dauernden Stillstande. Der Vorhof dagegen schlug noch stundenlang ununterbrochen. Fig. 11. Stillstand und Automatie der Kammer bei allein übriger Vorhofs- scheidewand. Tabelle über die Bedeutung der einzelnen atrioventrikulären Verbindungs- bündel für die Koordination der A,- und V.-Tätigkeit am Froschherzen (vgl. Schema S. 377). Allein übriges ae Frequenz Systolen- | Koordination Bündel ausfall | r. lateral | stark verzögert | kaum verändert | vorübergehend erhalten l. lateral gering verzög. | etwas verringert kein ohne Störung er- halten dors. stark verzögert | unverändert |selten, vorüber-| völlig erhalten gehend ventr. sehr stark verz. | kaum verändert stets meist völlig auf- gehoben r. ventrolat. | sehr stark verz. | kaum verändert | beträchtlich, Ventrikelstill- vorübergehend | stand oder Dis- soziation l. ventrolat. | sehr stark verz. | stark verringert dauernd i.übrigen erhalten r. dorsolat. | stark verzögert | etwas verringert | stets, vorüber- erhalten gehend l. dorsolat. | sehr stark verz. | etwas verringert stets erhalten IV. Ergebnisse am Froschherzen. Zur besseren Übersicht über die angeführten Versuche diene die vorstehende Tabelle, aus der sich leicht die Bedeutung der ver- DT 399 J. Nakano: schiedenen atrioventrikulären Verbindungsbündel für die atrio- ventrikuläre Erregunesleitung und Koordination ablesen lässt. Wenn es sich auch im allgemeinen bestätigte, dass jedes Bündel des A.-V.-Ringes imstande ist, die Erregungsleitung zwischen A. und V. mehr oder weniger aufrecht zu erhalten, so ergibt die vorliegende Untersuchung doch aus den verschiedenen Folgen der äussersten Verschmälerung der einzelnen Bündel mit Sicherheit eine zum mindesten quantitativ verschiedene funktionelle Wertiskeit der einzelnen Bündel und damit bereits den Beginn einer Differenzierung der a.-v. Erregungsleitung im Froschherzen. Den drei ventralen Bündeln könnte man eine Bedeutung für die Koordination der A.- und V.-Tätigkeit fast völlig absprechen ; jedenfalls besitzen sie in dieser funktionellen Hinsicht den geringsten Wert, da nach grösstmöglicher Verdünnung dieser einzelnen Bündel, wenn sie allein übrieblieben als A.-V.-Verbindung, die Koordination entweder ganz aufgehoben war oder ein dauernder Ventrikelsystolen- ausfall oder Ventrikelstillstand eintrat. Entsprechend war auch während noch bestehender Koordination die As.-Vs.-Zeit am stärksten verzögert. Im Gegersatz hierzu liessen sich besonders das dorsale wie auch die lateralen Bündel auf den minimalen, nicht weiter operativ reduzierbaren Querschnitt verjüngen, ohne dass andere Störungen als höchstens Verzögerung der As.-Vs.-Zeit und vorübergehender Ventrikel- systolenausfall eintraten. Es brauchte hier aber auch, bei sehr all- mählichem etappenweisen Fortschritt der Durchschneidungen, gar keine Beeinträchtigung der Kammertätigkeit aufzutreten. Die höchste funktionelle Bedeutung für die a.-v. Erregungs- leitung besitzen demnach das dorsale und die beiden lateralen Bündel, während die beiden dorsolateralen Bündel insofern hinter ihnen zurückstehen, als bei ihrer alleinigen Zurücklassung ein Ventrikelsystolenausfall nicht vermieden werden konnte, wie er bei den anderen ebengenannten drei Bündeln gar nicht oder selten nur vorübergehend auftrat. Dieses Verhalten von dorsalem, rechtem und linkem lateralen Bündel einerseits und von rechtem und linkem dorsolateralen Bündel andererseits erinnert an die eingangs er- wähnte Beobachtung, die an drei von 80 Fröschen gemacht werden konnte und in der Feststellung einer Konzentration der Bündel auf die beiden seitlichen und ein dorsales und ventrales bestand. Funktionell besteht offenbar auch sonst am Froschherzen diese Zur vergleichenden Physiologie des His’schen Bündels. II. 393 Differenzierung für die FErregungsleitung unter Steigerung der Funktion dorsal und lateral und gleichzeitiger Herabsetzung auf der ventralen Seite. V, Versuche am Salamanderherzen. In Anbetracht der in den Hauptgruppen der Amphibien auf- tretenden Unterschiede im anatomischen Bau des Herzens, wie sie schon in dem unvollendeten Zustande der Vorhofsscheidewand bei den Urodelen gegenüber den Anuren zum Ausdruck kommt, und wie sie auch die Erwartung funktioneller Differenzen nahelegen, er- schien es von Interesse, die beim Frosch angestellten Versuche auch auf einen Vertreter der Urodelen auszudehnen, und es wurde zu diesem Zwecke der Feuersalamander (Salamandra maculata) gewählt. Da das Herz bei diesem Amphib ausserordentlich viel kleiner ist als beim Froschherzen, so konnte ich die Erregungsleitung hier nur in vier Quadranten der A.-V.-Verbindung, und zwar in den beiden lateralen, dem ventralen und dorsalen Bündel, prüfen. Das heraus- geschnittene Herz schlägt eine Stunde lang regelmässig. Der Bulbus zeigt auch hier eine lebhafte Kontraktion im Anschluss an die der Kammer. An der dorsalen Fläche des Herzens verläuft ein ziemlich breites, bindegewebiges Band vom Sinus direkt nach dem Ventrikel hinüber. Dieses Gebilde entspricht offenbar dem Ligamentum dorsale bei der Fidechse und der Schildkröte!). Wie Laurens!) im Gegensatz zu Imcehanitzky°) für das Reptilienberz, so konnte ich auch für das Salamanderherz leicht nachweisen, dass dieses Lig. dorsale für die Erregungsleitung keine Rolle spielt. Während die Durchschneidung dieses Stranges keinerlei Störungen mit sich bringt, führt das alleinige Übrigbleiben des Lig. dorsale stets zum Stillstand der Kammer, die nachher in ganz verlangsamtem Tempo ‚automatisch weiterschlägt. Beim Frosch habe ich die Versuche über die verschiedenen Bündel im einzelnen mitgeteilt. Beim Salamander wird es in An- betracht der viel geringeren Anzahl der Versuche zweckmässiger sein, die Versuchsergebnisse einzelner Fälle zu schildern. l) Laurens, |. c. 2) Arch. f. Anat. (u. Physiol.) 1909 S. 117. 394 J. Nakano: Salamander I. Beim normal isolierten Herzen be- trug um 9h 18’ die Frequenz 38, As.-Vs. 0,48 Sek. bei einer Zimmertemperatur von 15°C. Die Durchschneidung des dorsalen Bündels (des Atrioventrikular- rings, nicht zu verwechseln mit dem Lig. dorsale s. sinoventriculare) um 9h 25’ führte eine ziemlich bedeutende Verminderung der Frequenz (26) und eine Verzögerung der As.-Vs. (0,69 Sek.) herbei. Um 9h 32’ wurde das rechte laterale Bündel durchschnitten; die Anzahl der Schläge verminderte sich bis auf 21 in der Minute, As.-Vs. blieb dabei in demselben Verhältnis, Herzkurven vom Feuer- salamander (s. Text). Fig. 12a. Um 95h 36’ wurde das linke laterale Bündel durchschnitten; so- gleich entstand ein gleichzeitiges Schlagen der Vorhöfe und Kammer, das nach eini- gen Sekunden in vollständigen Block überging. Um 9h 39’ trat schon Stillstand der Kammer ein. Bald nach dem Stillstehen des Ventrikels fand eine starke Abschwächung der Vorhofs- kontraktionen statt, und zwar derart, dass sie nicht mehr zu registrieren waren. | v Fig. 12b. Herzkurven vom Feuersalamander (s. Text). Zur vergleichenden Physiologie des His’schen Bündels. IT. 395 Salamander II. Zeit Frequenz | As.-Vs. | Zimmer- \inder Min. | Sek. | temp. (°C.) Normal isoliertes Herz. . . um 2h 15’ 33 0 Das linke laterale Bündel durch- | 16 geschnitten +... >... um 2h 20°’ ale len! | Nach weiterer Durchschneidung auch des rechten lateralen Bündels um 2h 98’ bemerkte ich auch wieder ein nur kurz dauerndes und gleich im Anschluss an die Durchschneidung des Bündels auftretendes, gleichzeitiges Schlagen des Vorhofs und der Kammer. Darauf folgte dann Kammersystolenausfall, der zuerst im Verhältnis von 1:2, später von 1:3 auftrat. Wie die Kurven in Fig. 12 b zeigen, war jedesmal Fig. 13. Fig. 13a, b, ce. Fortsetzung von Fig. 12 (s. Text). 396 | J. Nakano: die erste Ventrikelkontraktion die stärkste, die zweite und dritte der Reihe nach schwächer, und der letzten schloss sich dann der Ausfall an. Die genaue Messung der As.-Vs. ergab auch eine Verzögerung in der Reihe von 1,14 : 1,29, 1,35 und später von 1,35 und 1,50 Sekunden. Um 2h 35’ stellte sich die Koordination der Schläge des Vorhofs und der Kammer besser wieder her, doch blieb noch ein Ausfall der Kammersystole bestehen (Fig. 13a). Um 3 wurden die ventralen Bündel abgeschnitten, doch erlitt der Zustand dadurch keine wesent- liche Veränderung (Fig. 13 b). Jetzt handelte es sich also um alleiniges Übrigbleiben der dorsalen Bündel und der Scheidewand.. Um 3h 10’ wurden die dorsalen Bündel abgeschnitten, und so blieb die Scheidewand allein übrig. Sogleich erfolgte totaler Block. Alle 20 Sekunden trat eine Kammerkontraktion auf, während im Vorhof alle 4 Sekunden ein Schlag erfolgte (Fig. 13 c). Salamander III. Zeit Frequenz | As.-Vs. | Zimmer- inderMin.| gek. temp. (°C.) Normal um 8h 23’ 27 0,6 Nach Durchschneidung des dor- 16 salen Bündels ...... um 85h 29° 27 0,6 Hier war eine bedeutende Verkleinerung der Kontraktionen der Kammer wie auch der Vorhöfe zu beobachten. Nach Durchschneidung des ven- | | | | tralen Bündels...... um | Sh 35’ Be | — Kammer und Vorhöfe zeigen einen guten Schlag in koordiniertem Zustand ohne Kontraktionsausfall oder Unregelmässigkeit. Nach Durchschneidung des rechten | | | lateralen Bündels .... . um 8h 407 | 24 | 0,87 | — Nachdem jetzt nur das linke laterale Bündel übriggeblieben, war doch keine Koordinationsstörung nachzuweisen, obwohl die Verzögerung der As.-Vs. ziemlich erheblich wurde und die Kontraktionen der Kammer wie der Vorhöfe in gleicher Weise beeinträchtigt schienen. Die Ver- bindungsbrücke war auch wie beim Frosch so ziemlich bis zum dünnsten Bündel reduzierbar, ohne dassin dem Zustand noch irgendeine Veränderung herbeigeführt wurde. Salamander IV. | Zeit Frequenz | As.-Vs. | Zimmer- inderMin.| sex, | temp. (°C.) Nach Durchschneidung des ven- tralen Bündels. ..... um 10h 28’ 33 0,39 Nach Durchschneidung des dor- 16 salen Bündels”. . 2. 2 um 10h 33’ 30 0,41 Nach Durchschneidung des linken 10h 35’ 29 0,77 Normal... en um ee 10h 25’ 33 0,39 lateralen Bündels . .. . = an Ah a RE Zur vergleichenden Physiologie des His’schen Bündels. 11. 397 Vorhöfe und Kammer schlugen bis zum Schluss stets rhythmisch- regelmässig, nur ab und zu liess sich eine geringe alternierende Kon- traktion der Kammer nachweisen, wie ich sie in anderen Fällen allein schon infolge der Isolierung des Herzens bemerkte, Salamander V. | et | Frequenz | As.-Vs. Zimmer- inderMin.| < temp. (C.) “ | | Sek. | temı | | Normalen... . Sasz.a zum A 127 5) 45 | 0,36 15 Nach Durchschneidung der beiden lateralen Bündel um 4h 17’ trat unter gleichzeitigem Kammersystolenausfall eine eigentümliche Ver- änderung der Schlagfolge ein, die in periodisch wiederkehrendem Verlust der Ventrikelfunktion bestand (Fig. 14a und b). Diese Er- scheinung wurde jedoch als koordinierter Zustand betrachtet. Fig, 14a. Fig. 14b. Fig. 14b. (Fortsetzung.) Fig. 14. Periodischer Verlust der Ventrikelfunktion beim Salamander. 398 J. Nakano: Nach 10 Minuten war nur noch der Systolenausfall (1:2) zu be- obachten (siehe Fig. 15a). Die einzelne Kontraktion war sehr ab- geschwächt, und die As.-Vs. bis-auf 1,14 Sekunde zerzögert. Fig. 15b. Fig. 15 c. “Fig. 15a, b, ce. Fortsetzung von Fig. 14 (s. Text). Um 4h 33’ erfolgte die Durchschneidung des ventralen Bündels und der Scheidewand. Hierauf zeigt sich die Erscheinung des totalen Blocks (Fig. 15 b). Doch kurz nachher trat ein Zustand ein, in dem die Kammerkontraktion mit der der Vorhöfe mit allmählich verlängerter As.-Vs.-Zeit koordinierte; dies alles war ähnlich dem, was man vorher nach der Durchschneidung der beiden lateralen Bündel beobachtete. 3 Minuten später reichte die Koordination mit Systolenausfall wieder aus (siehe Fig. 15 ce). VI. Ergebnisse am Salamanderherzen. Ziehen wir aus den im vorhergehenden einzeln beschriebenen Fällen das Ergebnis, so zeigt sich bezüglich der Bedeutung der ver- schiedenen Bündel des a.-v. Verbindungsringes für die a.-v. Erregungs- u Zur vergleichenden Physiologie des His’schen Bündels. II. 399 leitung eine grundsätzliche Übereinstimmung mit den am Frosch- herzen gewonnenen Resultaten. Auch im Salamanderherzen tritt eine gewisse Differenzierung der a.-v. Erregungsleitung aus der in dieser Beziehung sehr verschiedenen funktionellen Wertigkeit der einzelnen Bündel beim alleinigen Übrigbleiben deutlich hervor. Auch hier reicht das ventrale Bündel allein zur Koordination beider Herz- abschnitte nicht aus (Fall 1) und erweist dadurch wie beim Frosch- herzen seine geringe, wenn nicht überhaupt abzustreitende Bedeutung für die a.-v. Erregungsleitung. Am besten und ohne andere Störung als Verzögerung von As.-Vs. hatten die beiden lateraten Bündel, jedes für. sich allein nach Durchschneidung der übrigen drei Bündel, des ventralen, dorsalen und gegenseitig-lateralen, die Koordination aufrecht (3,4); nächst diesen dann das dorsale, bei dessen alleinigem Übrigbleiben allerdings in unseren Fällen ein lange anhaltender bzw. dauernder Ventrikelsystolenausfall eintrat (2,5). Die Vorhofsscheidewand wie auch das Ligamentum dorsale s. sinoventriculare haben auch beim Salamanderherzen für die a.-v- Erregungsleitung keinerlei Bedeutung. VII. Zusammenfassung der Ergebnisse. Am Frosch-!) und Salamanderherzen ergab sich aus Durch- schneidungsversuchen in der Atrioventrikulargrenze eine gewisse Differenzierung der atrioventrikulären Erregunssleitung. Die verschiedene funktionelle Wertigkeit des einzelnen Bündels des Atrioventrikularringes wurde nach dem Auftreten oder Aus- bleiben von vorübergehenden und dauernden Überleitungsstörungen nach Durchschneidung sämtlicher übrigen Bündel und operativer Reduktion des betreffenden, allein übriggebliebenen auf ein minimales Faserbündel beurteilt. Während das dorsale wie auch das rechte und linke laterale Bündel sich auf den minimalen, operativ nicht weiter reduzierbaren Querschnitt bringen liessen, ohne dass, wenn überhaupt, andere Störungen als höchstens ein schnell vorübergehender (Frosch) oder länger anhaltender (Salamander) Kammersystolenausfall eintraten, konnte bei alleinigem Übrigbleiben des rechten und linken dorso- lateralen?) Bündels ein Kammersystolenausfall in keinem Falle ver- 1) Ergebnisse am Froschherzen s. auch 8. 391. 2) Siehe Schema auf S. 377. 400 J. Nakano: Zur vergl. Physiologie des His’schen Bündels,. II. mieden werden, und bei Übrigbleiben einer allein aus Fasern des ventralen oder eines der beiden ventrolateralen Bündel bestehenden A.-V.-Brücke war die atrioventrikuläre Koordination entweder meist völlig aufgehoben (ventrales und rechtes ventrolaterales Bündel beim Frosch, ventrales beim Salamander, wo ventrolaterale nicht be- sonders unterschieden werden konnten) oder nur mit bleibendem Kammersystolenausfall erhalten (linkes ventrolaterales Bündel). Hiernach kommt im Amphibienherzen den dorsalen und der lateralen Partien der Atrioventrikularverbindung eine höhere funktionelle Bedeutung für die a.-v. Erregungsleitung zu als den ventralen Teilen, Auch im Salamanderherzen spielt weder die Vorhofsscheidewand (vgl. Frosch) noch das Ligamentum dorsale s. sinoventrieulare (vgl. Reptilien) bei der a.-v. Erregunssleitung eine Rolle. Zum Schluss erfülle ich die angenehme Pflicht, Herrn Professor E. Mangold für die Anregung zu dieser Arbeit wie für die freundliche Anleitung meinen herzlichen Dank auszusprechen. 401 (Aus dem physiologischen Institute der Universität Graz.) Über das Verhalten des Muskels im Muskel- presssaft. Von Dr. Th. Birnbacher, Assistenten am Institute. (Mit 2 Textfiguren.) Inhaltsverzeichnis. Einleitung" 2898: Bea ERE EUTIN MORE ELTA BR 401 Mersneksanordnung und Technik... 2 3: ns ame Da 402 I-sbiesvferkürzung des; Muskels im Presssafte. --. ...... .. 2... 406 II. Die Bedingunger für das Auftreten der Verkürzung des Muskels im RES SS TE ER ee a N Nr er Rene Bee 410 lee Bresssafg warmestarrer Muskeln... 52. 2... wer. a- 410 2sDie- Dialyse! des Bresssaftes . %...- Diva... en. ERS NL 3. Die Neutralisation des Presssaftes . . : . 2... : 2.2. m... 414 4. Die Verkürzung und Gewichtszunahme des Muskels im Presssaft frischer Muskeln und in Säurelösungen . . . » 2. 22 22.2.0. 418 5. Der Presssaft unter Sauerstoffdruck abgestorbener Muskeln. . . . 428 PANSENAINENTASSUN OHREN ee le een 432 NAleramiyerzeichnise.. Werl ee TB a 433 Einleitung. Im Jahre 1907 hat Winterstein!) nachgewiesen, dass der Säugetiermuskel bei ausreichender Sauerstoffversorgung seine Er- regbarkeit verliert, ohne starr zu werden. Die Totenstarre des Muskels stellt demnach eine Erstickungserscheinung dar; sie ist nicht die Form, in der der Muskel abstirbt, sondern bedingt durch die Anhäufung intermediärer Stoffwechselprodukte bei ungenügender Sauerstoffversorgung. Zahlreiche Einflüsse, wie Ermüdung, mangel- 1) H. Winterstein, Über die physiologische Natur der Totenstarre des Muskels. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 120 S. 225—248 (S. 247). 1907. AND Th. Birnbacher: hafte Durchblutung usw., beschleunigen den Eintritt der Starre, indem sie teils das Auftreten dieser Stoffwechselprodukte begünstigen, teils die Wegschaffung derselben verhindern. Ihre Anhäufung führt zu einer Schädigung des Muskelgewebes, die in früh eintretender Unerreebarkeit und Starre ihren Ausdruck findet. Diese Überlegungen liessen die Frage auftauchen, ob es nicht möglich sei, einen schädigenden Einfluss dieser beim Absterben des Muskelgewebes gebildeten anoxydativen Zerfallsprodukte auf den überlebenden Muskel festzustellen. Von der Vorstellung ausgehend, dass diese Erstiekungsstoffe auch im Presssafte der Muskeln vorhanden sein müssen, untersuchte ich das Verhalten frischer, unverletzter, überlebender Muskeln im Muskelpresssafte. Ich bediente mich dazu der Muskeln von Rana esculenta. Versuchsanordnung und Technik. Als Versuchsobjekte dienten drei Muskeln: Gastroenemius, Sartorius und Semitendinosus (Caput dorsale). Namentlich der letzte der genannten Muskeln eignet sich, wenn er in entsprechender Weise präpariert wird, ganz vorzüglich zu den Untersuchungen über die Presssaftwirkung. Vor dem Herauspräparieren der Muskeln wurde der Frosch quer durehsehnitten. Ich stach das spitze Blatt einer anatomischen Schere unterhalb des Austrittes der Plexus ischiadiei aus dem Rückenmarke seitlich in die Bauchwand ein und durchtrennte mit einem Scheren- schlag quer zur Längsachse des Tieres den Rücken. Sodann wurde die vordere Bauchwand durchschnitten und nun erst, um den Frosch zu töten, Gehirn und Rückenmark ausgebohrt. Auf diese Weise vermied ich, die Muskulatur der hinteren Extremitäten beim Töten der Tiere heftig und ungleich zu erregen. Die Präparation des Gastrocnemius erfolgte in der üblichen Weise unter sorgfältiger Vermeidung von Verletzungen der Muskel- oberfläche. Die proximale, aus der Kniekehle entspringende Sehne wurde möglichst lang belassen, um sie in eine Schieberpinzette klemmen zu können, obne Muskelfasern mitzuquetschen. Der Sartorius eienete sich zu vorstehenden Versuchen am wenigsten, da sich seine kurze, zarte, proximale Sehne, ohne ein Stück Beckenknochen mitzunehmen, schwer ohne Quetschung von Muskelfasern fassen lässt. Da es häufig nötig war, zwei sym- Über das Verhalten des Muskels im Muskelpresssaft. 403 metrische Muskeln desselben Tieres zu benutzen, war es mir nicht möglich, den Beckenknochen mitzupräparieren, da an demselben beide Sartorii inserieren. Die besten Dienste leistete mir, wie erwähnt, der Semi- tendinosus!) (Caput dorsale). Ich benutzte ihn daher auch fast aus- schliesslich zu den nachstehenden Untersuchungen und zog Gastro- enemius und Sartorius nur zum Vergleiche heran. Der Semi- tendinosus setzt sich aus zwei schlanken Köpfen (Caput dorsale und Caput ventrale) zusammen. Letzteres lässt sich vom ganzen Semi- tendinosus abpräparieren, und man hat nun einen zarten, schlanken Muskel vor sich, der an jedem Ende eine dünne, lange Sehne trägt. Die nachstehend beschriebene Versuchsanordnung diente zur Registrierung der Verkürzung von Froschmuskeln, die in verschiedene Flüssigkeiten eingetaucht wurden. Sie hatte folgenden Ansprüchen zu genügen: Es musste möglich sein, den Muskel rasch und voll- ständig in die Flüssigkeit einzutauchen und diese nach beliebig langer Einwirkung wieder zu entfernen. Da aus den hinteren Extremitäten eines Frosches nur relativ geriuge Mengen Presssaft zu gewinnen sind (bei grösseren Tieren ca. 5—9 ccm) und das Pressen eine ziemlich zeitraubende Arbeit war, die auch an die physische Kraft des Experimentators nieht geringe Anforderungen stellte, musste mit dem Presssaft sparsam umgegangen werden. Die mir zur Verfügung stehende Presse gestattete höchstens die Extremitätenmuskulatur eines Tieres auf einmal zu pressen. Ausserdem war es nötig, für jeden Versuch Presssaft frisch zu bereiten; die Verwendung grösserer Mengen wäre schon aus Rücksicht auf den Materialverbrauch nicht gut möglich gewesen. Daher hatte die Versuchsanordnung auf möslichste Beschränkung in dieser Hinsicht zu achten. Ferner musste sie gestatten, die Verkürzung des belasteten, in die unter- suchte Flüssiekeit getauchten Muskels zu messen und, wenn nötig, auch graphisch zu registrieren. Endlich sollte es möglich sein, den Muskel, sei es in Flüssigkeit, sei es in Luft, durch Induktionsschläge auf seine Erregbarkeit zu prüfen. Der Muskel M wurde horizontal ausgespannt (s. Fig. 1. Ein Sehnenende desselben war in eine Schieberpinzette S geklemmt, die l) Gaupp, Ecker und Wiedersheim, Anatomie des Frosches, 3. Aufl., 1. Abt. S.184. Vieweg, Braunschweig 1896. 404 Th. Birnbacher: von einem Stativ getragen wurde, und zwar so, dass sie lotrecht stand. Durch die zweite Sehne stach ich ein Platinhäkchen, an das ein gewichster Seidenfaden F' geknotet war. Dieser führte über eine sehr leicht bewegliche Hartfiberrolle ? mit horizontal stehender Achse und wurde mittels eines an seinem anderen Ende befestigten Häkchens mit einem Arme eines zweiarmigen, horizontal stehenden Hebels 7 verbunden, der die Verkürzung des Muskels an einer berussten Trommel anschrieb. Der andere Hebelarm trug ein Ge- wicht @, das ebenso wie der Angriffspunkt des Muskels in ver- schiedene Entfernungen von der Drehungsachse des Hebels gebracht werden konnte; dadurch waren Belastung und Hebelvergrösserung SUITE verschieden zu wählen. Gewöhnlich benutzte ich vierfache Ver- grösserung bei einer Belastung von 4 g. Um auch zwei Muskeln gleichzeitig an derselben Trommel schreiben lassen zu können, be- nutzte ich ein Hebelpaar, das nach dem Prinzip der „Hebel für doppelte Suspension“ ') — Engelmann benutzte diese Methode zu seinen Untersuchungen über die Erregung des Herzens — gebaut war. Die Gefässe, deren ich mich zum Eintauchen des Muskels in die Flüssigkeit bediente, wurden durch Abschleifen der Längswand kleiner, an beiden Enden zugeschmolzener Glasröhren hergestellt. Es waren kleine Schiffehen, deren Kaliber und Länge so gewählt wurde, dass die Muskeln bei Verwendung geringer Flüssiekeits- 1) Tigerstedt, Handb. d. physiol. Method. Bd. 2 S. 125. Hirzel Leipzig 1911. ; Über das Verhalten des Muskels im Muskelpresssaft. 405 mensen vollständig und ohne Behinderung unter die Flüssigkeits- oberfläche getaucht werden konnten. Meist benutzte ich Schiffchen von 75 mm Länge und 9 mm Innendurchmesser; sie waren auf 8 mm Distanz der offenen Ränder aufgeschliffen und fassten ca. 5 cem Flüssigkeit. Diese Gefässe eigneten sich sehr gut zur Umspülung von Semitendinosi und kleineren Sartorien; für Gastrocnemien verwendete ich etwas kürzere und breitere Schiffehen. Sie sind auf ein Stativ aufsteckbar und können mittels einer daselbst angebrachten Hebevorrichtung gehoben und gesenkt werden, so dass der horizontal zwischen Schieberpinzette und Rolle ausgespannte, mit dem Hebel verbundene, belastete Muskel bei der Hebung des Schiffehens (Fig. 1, Sch) in die Flüssigkeit, bei Senkung desselben wieder aus derselben taucht. Die Rolle und die Spitzen der Branchen der Schieberpinzette tauchen mit ein. Der Auftrieb des Muskels in der Flüssigkeit ist so gering, dass er bei der gewählten Hebelvergrösserung (vierfach) und Belastung (4 g) nicht den geringsten Hebelausschlag beim Eintauchen des Muskels zu erzielen vermag. Zur Prüfung der direkten Erreebarkeit wurden dem Muskel von oben her zwei Platin- elektroden (Fig. 1, £, E,) angelegt, die ihn nicht an der Verkürzung behinderten und, wenn nötig, während des Ein- und Austauchens in ihrer Lage belassen werden konnten. Die Reizung erfolgte mit Induktionsöffnungsschlägen eines absolut geeichten Schlitteninduk- toriums nach Kronecker’s Modifikation aus der Werkstätte Gebr. Bischhausen in Bern. In den primären Stromkreis war ein Doppelakkumulator von 4 Volt Spannung geschaltet. Zum Pressen der Froschmuskeln diente mir eine kleine Lymph- presse. Ich verwendete stets nur die Muskulatur der hinteren Ex- tremitäten, die in Leinwandsäckchen ohne Zusatz von Sand usw. ausgepresst wurde. Wenn es darauf ankam einen möglichst wenig durch Blut gefärbten Presssaft zu erhalten, wurden die Frösche früher entblutet. Ich durchspülte das Gefässsystem des durch einen Schlag auf den Kopf betäubten Tieres vom Bulbus aortae aus mit Ringer- oder physiologischer Kochsalzlösung nach der Methode von Kühne). Nachdem ich mich überzeugt hatte, dass die Durch- spülung und Befreiung der Muskeln von Blut vor dem Pressen 1) W. Kühne, Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen der kontraktilen Substanzen. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859 S. 564—640 und S. 748—835 (8. 769). Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 28 406 Th. Birnbacher: keinen nachweisbaren Einfluss auf die Wirksamkeit des Presssaftes ausübt, sah ich davon später ab. Es kam Presssaft frischer und Presssaft totenstarrer Muskeln zur Verwendung). Zur Gewinnung des ersteren wurden die Muskeln sofort nach dem Tode der Tiere von den Knochen abpräpariert, mit einer grossen Schere zerschnitten und in Leinwandsäckchen gepresst. Der Starrepresssaft wurde aus Muskeln gewonnen, die zur Beschleunigung des Prozesses bei höherer Temperatur gehalten worden waren. Einem Frosche wurde die Haut dicht unter dem Ansatze der oberen Ex- tremitäten ringsherum durchschnitten, dann gegen das Becken zurückgeklappt und dann das Tier in der früher erwähnten Weise quer durchschnitten. Nun konnte die leere Haut über dem. durch- schnittenen Kreuzbein fest mit Bindfaden zusammengebunden werden, um die Muskulatur vor dem Eindringen von Wasser zu schützen. Dieses ganze unenthäutete Schenkelpräparat wurde im Wasserbad von 31° C. — ich verwendete stets 0,65 %/o Kochsalzlösung (obwohl - die Muskeln nicht enthäutet waren) — in den Brutschrank gestellt. Nach ca. 6—10 Stunden war die Muskulatur völlig starr. Sie wurde von den Knochen abgeschnitten und gepresst. Um Presssaft von Muskeln, deren Starre bereits gelöst war, zu gewinnen, beliess ich sie entsprechend länger im Brutschranke. I. Die Verkürzung des Muskels im Presssaft. Sobald der frische, unverletzte Froschmuskel in Froschmuskel- presssaft getaucht wird, verkürzt er sich. Die Verkürzung beginnt am Semitendinosus ca. 0,25—0,5 Sekunden nach dem Eintauchen und erreicht das Maximum nach ca. 5—10 Sekunden. Sie erfolst meist nicht ruckweise, sondern stetig, wie aus der beigegebenen Kurve (Fig. 2) ersichtlich ist. Der Semitendinosus behält diese Verkürzung verschieden lange Zeit bei, um sich hernach wieder im Verlaufe von 10—40 Minuten, bei einer Belastung von 4 g, bis zur 1) Wenn im folgenden vom Presssaft frischer oder Presssaft toten- starrer Muskeln die Rede ist, beziehen sich diese beiden Ausdrücke natür- lich nur auf den Zustand der Muskeln vor dem Pressen. Denn da die Muskulatur unter der starken mechanischen Schädigung des Pressens auch erstarrt, ist selbst- redend der sogenannte Presssaft frischer Muskeln auch ein Presssaft starrer Muskeln. Der Presssaft frischer Muskeln soll kurz als „frischer Presssaft“, der starrer Muskeln als „Starre-Presssaft“ bezeichnet werden. Über das Verhalten des Muskels im Muskelpresssaft 407 ursprünglichen Länge nachzudehnen. Die Nachdehnungszeit des Gastroenemius stimmt ungefähr mit der des Semitendinosus überein; viel rascher als die anderen beiden Muskeln erreicht jedoch meist der Sartorius bei gleicher Belastung seine ursprüngliche Länge wieder. Nach kurzer Zeit!) tritt völlige Unerregbarkeit der Muskeln im Presssafte ein. Gastroenemien sind nach 1—3 Stunden, Semi- Fig. 2. Verkürzung des Semitendinosus im frischen Presssalt. a Zeitmarkierung, !/2 Sek., b Eintauchmarke, ce Verkürzungskurve. tendinosi nach 25—45 Minuten für selbst starke faradische Reize unerregbar. Nach Übertragen der Muskeln in physiologische Koch- salzlösung sieht man jedoch häufig die Erregbarkeit wiederkehren, wenn die Übertragung nicht zu lange nach eingetretener Unerreg- barkeit vorgenommen wird. Die Starreverkürzung zeigen in Press- saft eingelegte Muskeln stets früher als in 0,65 /oiger Kochsalzlösung 1) Bekanntlich bleiben Froschmuskeln in physiologischer Kochsalzlösung tagelang erregbar. 2 * [0,9] A408 Th. Birnbacher: liegende, wovon ich mich durch Versuche, die meist am Gastroenemius auseeführt wurden, in einer Reihe von Fällen überzeugen konnte. Zu diesen Versuchen wurden stets symmetrische Muskeln desselben Tieres verwendet, die, gleich belastet, ihre Verkürzungen an einer langsam rotierenden berussten Trommel anschrieben. Im Presssaft konnten vom Momente des Eintauchens bis zur völligen Unerregbarkeit niemals Zuekungsen des Muskels wahrgenommen werden, wie sie in physiologischer Kochsalzlösung, namentlich in der ersten Zeit nach dem Einhängen, sehr oft zu beobachten und schon von Nagel!) be- schrieben worden sind. Der Semitendinosus verkürzt sich, wenn er mit 4 g belastet ist, im Presssafte frischer Muskeln ungefähr um 25—35 Längenprozente?). Ein Semitendinosus der durchschnittlichen Länge von 35 mm leistet, mit 4 & belastet, bei der Kontraktion um 25—85 °o eine Arbeit von 3,5—4,9 glem. Es verkürzen sich selbst mit aller Vor- sicht präparierte, symmetrische Muskeln desselben Tieres bei der- selben Belastung und in demselben Presssafte nicht um dasselbe Stück. Ich verwendete grosse Mühe auf die Erzielung derselben Verkürzung symmetrischer Muskeln in demselben Presssaft, da ich damit ein wertvolles Maass zur Vereleichung der verkürzenden Wirkung verschiedener Presssäfte zu gewinnen hoffte. Es muss je- doch bemerkt werden, dass die Beurteilung der Wirksamkeit ver- schiedener Presssäfte nach den Verkürzungen, die sie an selbst symmetrischen Muskeln desselben Tieres erzeugen, vorsichtig zu ge- schehen hat, und dass kleine Verkürzungsdifferenzen gar nichts be- weisen. Jedenfalls spielt der physiologische Zustand des Muskels, Schädigung seiner Oberfläche, Zerrung, Austrocknung usw., eine erosse Rolle, Zufälligkeiten, die selbst bei der schonendsten Prä- paration nicht ganz zu vermeiden sind. Ich beschränkte mich daher in der Hauptsache darauf, zu untersuchen, unter welchen Be- dingungen die Verkürzung im Presssafte überhaupt ‘zustande kommt, und wodurch sie zu verhindern ist. Die Verkürzung tritt nur einmal auf, d. h. ein Muskel, der sich einmal im Presssafte verkürzt hat, zeigt bei einer zweiten Umspülung 1) W. Nagel, Experimentelle Untersuchungen über die Totenstarre bei Kaltblütern. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 58 S. 279—307 (S. 291). 1894. 2) Die Verkürzung ist stets in Prozenten der Länge des unverkürzten, be- lasteten Muskels angegeben. Bei Bestimmung der Muskellänge wurde von einer Insertion der Muskelfaser an die Sehne bis zur anderen gemessen. DZ Pi Über das Verhalten des Muskels im Muskelpresssaft. 409 keine Verkürzung mehr, es sei denn, dass er nach der ersten Verkürzung längere Zeit hindurch in Ringer- Lösung oder physiologischer Koch- salzlösung ausgewaschen wurde. Durch mehrmaliges Ausspülen in diesen Salzlösungen lässt sich zuweilen die Verkürzung im Presssafte mehrmals an demselben Muskel erzielen, doch wird sie immer ge- ringer und tritt endlich gar nicht mehr auf. Dieses einmalige Auf- treten der Verkürzung macht den Muskel für weitere Verkürzungs- versuche untauglich und erlaubt nicht, zwei Presssäfte an demselben Muskel zu vergleichen, wenn sie in ihrer Wirksamkeit nicht sehr verschieden sind, in welchem Falle der wirksamere bei späterer Umspülung noch eine weitere Kontraktion zu erzielen vermag. Zunächst musste festgestellt werden, ob die Verkürzung eine Folge der direkten Einwirkung des Presssaftes auf die kontraktile Substanz des Muskels sei, oder ob der Presssaft vielleicht auf den Nerven erregend wirke, so dass die Kontraktion unter Vermittlung der nervösen Elemente des Muskels entstehe. Gegen eine Reizung vom Nerven aus spricht schon die lange Latenzzeit von 0,25-—0,5 Sekunden, ferner die langsame Kon- traktion — der Semitendinosus braucht mindestens 2—3 Sekunden vom Beeinn der Verkürzung bis zu ihrem Maximum —, endlich die langsame Nachdehnung, die bis zur Erreichung der ursprüng- lichen Länge mindestens 5 Minuten in Anspruch nimmt. Auf das Eintauchen des Nerven in Presssaft reagiert der Muskel in keiner Weise. Die Presssaftkontraktion lässt sich ebenso am curaresierten Muskel beobachten wie am normalen. Als Beleg sei hier ein Versuch geschildert. Versuchsprotokoll Nr. 25. Nachdem sämtliche Muskeln eines curaresierten Frosches vom Nerven aus unerregbar geworden waren, wurden die zwei Semi- tendinosi und die zwei Sartorien präpariert und mit Presssaft frischer Froschmuskeln umspült. | Länge | Verkürzung stur Se, 36 mm 12,7 mm == 35,3 %o . 48 Se, 36, Bun Kr Sa, 48), 380 == 790 x Sa, 18) 68 , = 142% ar 410 Th. Birnbacher: Aus der Art der Kontraktion, der Wirkungslosiekeit des Press- saftes gegenüber dem Nerven und der Wirkung auf den euraresierten Muskel geht hervor, dass die Verkürzung des Muskels im Presssafte durch direkte Einwirkung desselben auf die Muskelsubstanz zustande kommt. Wir haben es bei der Presssaftwirkung offenbar mit einer direkten chemischen Reizung des Muskels zu tun, worauf wir im Laufe dieser Untersuchungen noch zurückkommen werden. Die Verkürzung frischer Froschmuskeln trat in allen Presssäften ungefähr in derselben Stärke auf; eine Ausnahme bildete nur der Presssaft von Muskeln, die in fast reiner Sauerstoffatmosphäre ab- gestorben waren; dieser erzeugte keine Verkürzung am frischen Froschmuskel. In derselben Weise wie Presssaft frischer, wirkt Presssaft toten- starrer oder totenstarr gewesener Froschmuskeln. Auch er erzeust eine Verkürzung am frischen Muskel, die sich weder durch die zeit- lichen Verhältnisse ihres Auftretens noch durch ihre Grösse von der Verkürzung im frischen Presssaft unterscheiden liess. U. Die Bedingungen für das Auftreten der Verkürzung des Muskels im Presssaft. 1. Presssaft wärmestarrer Muskeln. Auch im Presssaft wärmestarrer Muskeln sind dieselben Wir- kungen auf den frischen Froschmuskel zu beobachten. Kühne!) unterscheidet bekanntlich eine bei 40° C. eintretende Wärmestarre, die er mit der bei niedereren Temperaturen auftretenden Zeitstarre identifiziert, und eine bei 45° C. zu beobachtende noch intensivere Starre, die von ihm als eigentliche Wärmestarre bezeichnet wird. Ich bereitete mir wärmestarre Muskeln durch Eintauchen enthäuteter Froschschenkelpräparate in 0,65 /oige Kochsalzlösung, die auf der entsprechenden Temperatur erhalten wurde. Bei 40° C. werden, wie Kühne selbst angibt, nur dünne Muskeln, wie z. B. Sartorien, sofort nach dem Eintauchen völlig starr; es ist daher nötig, ganze Schenkelpräparate längere Zeit in der auf 40° C. erwärmten Koch- salzlösung zu belassen, um zu erreichen, dass auch die inneren Fasern dieselbe Temperatur annehmen und erstarren. Man darf nicht versäumen, sich beim Abpräparieren der Muskulatur von der 1) Kühne, l. c. S. 7%. Über das Verhalten des Muskels im Muskelpresssatt. 411 völligen Starre und Unerregbarkeit tiefer gelegener Muskelabschnitte zu überzeugen. Bei zu kurzer Wärmeeinwirkung fand ich manchmal die von einem Mantel erstarrter Muskelsubstanz umgebenen, zentral gelegenen Fasern noch frisch und erregbar. Im allgemeinen genügt ein Verweilen von '/—1 Stunde in der Kochsalzlösung von 40° C. für Präparate nicht zu grosser Frösche; bei 45° C. sind meist 10—15 Minuten hinreichend. Die Untersuchung der Presssäfte solcher bei 40 oder 45° C. erstarrter Muskeln ergab nun, dass in ihnen die Verkürzung des frischen Semitendinosus mit dem gleichen zeitlichen Verlaufe und ungefähr in derselben Grösse zu beobachten ist wie in den Press- säften frischer oder zeitstarrer Muskeln. Die Verkürzungen treten am frischen Semitendinosus stets auf und betragen im Mittel 25>—35 °/o der Länge des unverkürzten mit 4 g belasteten Muskels. Es lässt sich kein Einfluss der Erstarrungstemperatur auf die Wirksamkeit des Presssaftes nachweisen. Die Verkürzung tritt auch im Presssafte gekochter Muskeln ein. Die enthäuteten Schenkelpräparate wurden in siedende Kochsalzlösung getaucht und ca. 5 Minuten lang darin belassen; die Muskeln waren weich gekocht und liessen sich mit der Pinzette leicht vom Knochen abziehen. Auch der Presssaft dieser gekochten Muskeln wirkte kontrahierend auf den frischen Semi- tendinosus, Gastrocnemius oder Sartorius. Kontrollversuche mit Presssaft, der aus frischen, wärme- oder zeitstarren Froschmuskeln bereitet und dann gekocht worden war, bestätigten diese Befunde. Es lässt sich durch Aufkochen des Presssaftes nicht einmal eine Abschwächung seiner kontrahierenden Wirkung auf den frischen Froschmuskel erzielen. Ein Versuch über die Hitzebeständigkeit der Verkürzungskörper im Presssafte wird im folgenden (s. S. 413) bei Besprechung der Dialyse des Presssaftes Erwähnung finden. Die Substanzen, welche die Kontraktion des frischen Frosch- muskels im Presssafte bewirken, werden also auch bei dem relativ rasch verlaufenden Absterbeprozesse des plötzlich einer hohen Tem- peratur (Siedehitze) ausgesetzten Muskelgewebes gebildet und sind hitzebeständig. 2. Die Dialyse des Presssaftes. Wenn man Presssaft, sei es frischer, totenstarrer oder wärme- starrer Froschmuskeln gegen grössere Mengen einer für den frischen Froschmuskel indifferenten Flüssigkeit dialysiert, verliert der Press- 412 Th. Birnbacher: saft seine verkürzende Wirkung auf den frischen Muskel. Die die Verkürzung bewirkenden Stoffe gehen also offenbar in die indifferente Flüssigkeit über, sie sind dialysabel. In der Tat lassen sie sich auch darin nachweisen. Dialysiert man nämlich ein bestimmtes Volumen Presssaft gegen ungefähr dasselbe Volumen einer physio- logischen Salzlösung (0,65 /oige Kochsalz- oder Ringer-Lösung), so wirkt auch diese ebenso stark kontrahierend auf den frischen Muskel wie der Presssaft. Zur Dialyse verwendete ich Abderhalden’s Diffusionshülsen Nr. 579 A (Schleicher & Schüll, Düren). Diese Hülsen wurden vor dem Gebrauch nach Abderhalden’s Vorschrift auf ihre Durch- lässigkeit für Peptone und Undurchlässigkeit für Eiweiss geprüft. Der Presssaft wurde stets gegen 0,65 Jo ige Kochsalzlösung dialysiert. Natürlich ergibt auch die Dialyse gegen Ringer-Lösung dieselben Resultate, wovon ich mich durch Kontrollversuche überzeugen konnte. Hier mögen zwei Versuche über die Wirkung mit verschiedenen Mengen 0,65 /oiger Kochsalzlösung dialysierten Muskelpresssaftes Platz finden. Versuchsprotokoll Nr. 44. 5 ccm frischen Muskelpresssaftes werden gegen 200 cem 0,65 lo iger Kochsalzlösung bei Zimmertemperatur (20°C.) 12 Stunden lang dia- "lysiert. 5 ccm desselben Presssaftes werden gegen 5 ccm Kochsalz- lösung dialysiert. Nun werden zwei Semitendinosi desselben Frosches jeder zuerst mit dem °/eoo und darauf mit dem °/s dialysierten Press- safte umspült. Tänge Verkürzung in Verkürzung in 7 Be- 08 5/200 Presssaft 5/s Presssaft lastung Sı 3l mm — 9,7 mm = 18,4 %/o 4g Sa Dan, = el 4„ Im Presssafte, der mit der 40fachen Menge 0,65 /oiger Koch- salzlösung dialysiert worden war, zeigt der frische Froschmuskel keine Verkürzung; derselbe Muskel verkürzt sich jedoch bei Um- spülung 'mit Presssaft, der mit derselben Menge 0,65 °/oiger Kochsalz- lösung dialysiert wurde. Versuchsprotokoll Nr. 43. 12 cem frischen Presssaftes werden gegen 12 ccm 0,65 Po iger Kochsalzlösung bei Zimmertemperatur (20°C.) 7 Stunden lang dia- lysiert. Mit dem dialysierten Presssafte und dem Kochsalzlösungs- Über das Verhalten des Muskels im Muskelpresssaft. 413 dialysat!) wird je ein frischer Semitendinosus desselben Frosches um- spült und die Verkürzung registriert. 2 E Be- | Länge Verkürzung ] lung Sı 40 mm 12,7 mm = 31,7 %/o 48 dialysierter Presssaft S5 40 „ 125°, 91,290 4 „ Kochsalzlösungsdialysat Wenn Muskelpresssaft mit derselben Menge 0,65 °/oiger Kochsalz- lösung dialysiert wird, wirkt sowohl er als auch das Kochsalzlösungs- dialysat ungefähr gleich stark verkürzend auf den frischen Frosch- muskel. Dasselbe Resultat wie am Presssafte frischer Froschmuskeln erhält man auch bei Dialyse von Presssäften des zeitstarren und wärmestarren Muskels, einerlei, ob der Muskel im starren Zustande oder nach Eintritt der Starrelösung gepresst wird. Die Substanzen, welche die Verkürzung des frischen Frosch- muskels im Muskelpresssafte bewirken, sind dialysabel, sie sehen durch Membranen hindurch, die für Eiweisskörper undurch- lässig sind. An dieser Stelle möchte ich einen Versuch über die Hitze- beständigkeit der Verkürzungsstoffe im Presssafte anführen, der am Kochsalzlösungsdialysat leichter und bequemer auszuführen ist als am Presssafte selbst, da die Ausfällung der Eiweisskörper dabei weesfällt. Versuchsprotokoll Nr. 46. 12 ccm frischen Presssaftes werden gegen 12 ccm 0,65 PJoiger Kochsalzlösung bei Zimmertemperatur 14 Stunden lang dialysiert. Das Kochsalzlösungsdialysat wird in zwei gleiche Teile geteilt, deren einer aufgekocht wird. Zwei Semitendinosi desselben Frosches werden, einer mit der gekochten, der andere mit der nicht gekochten Hälfte des Dialysates umspült und die Verkürzungen registriert. n B Be- Länge Verkürzung 1 Ba & S, 34 mm 7,7 mm — 22,6 °/o 48 gekochtes Dialysat S, 3 8. = 22,80% 4 „ nicht gekochtes Dialysat 1) In der Folge sei, wenn von der Dialyse des Presssaftes gegen physiologische Kochsalzlösung gesprochen wird, der dialysierte Presssaft als Presssaftdialysat, die Kochsalzlösung als Kochsalzlösungsdialysat bezeichnet. 414 Th. Birnbacher: Die Verkürzungen der Semitendinosi sind in beiden Dialysathälften, in der gekochten wie in der nicht gekochten fast gleich, Siede- hitze zerstört nicht die Verkürzungsstoffe im Presssaft- dialysat. 3. Die Neutralisation des Presssaftes. Die Eigenschaften der erwähnten, im Presssafte enthaltenen Stoffe, dialysabel und hitzebeständig zu sein, legten die Vermutung nahe, dass die Verkürzung und frühe Erregbarkeitsabnahme frischer Muskeln im Presssafte auf einer Säurewirkung beruhen könnte. Sowohl Presssaft frischer als auch totenstarrer Muskeln reagiert sauer, und es wäre immerhin möglich, dass diese beim Absterben des Muskel- gewebes gebildete Säure — in erster Linie hätten wir an Milchsäure, eventuell an Phosphorsäure zu denken — chemisch reizend auf den Muskel wirke und seine Verkürzung bedinge. Wenn man den frischen Froschsemitendinosus mit Milchsäure- oder Phosphorsäurelösungen umspült, zeigt er gleich nach dem Ein- tauchen eine Verkürzung. Dieselbe tritt innerhalb gewisser Grenzen um so rascher ein und ist um so stärker, je höher die Konzentration der Säure gewählt wird. Zu den Versuchen über die Verkürzung frischer Froschmuskeln in Milchsäurelösungen verwendete ich Acidum laetieum puriss. albiss. von Merck. Sowohl Milchsäure- als auch Phosphorsäurelösungen wurden mit 0,65 °/oiger Kochsalzlösung her- gestellt, und es enthielt die 1 /oige Lösung 1 g Milchsäure bzw. 1 g Phosphorsäure in 100 g der Kochsalzlösung. In Konzentrationen von ca. 1 °/oiger Milchsäure oder ca. 0,1 °/oiger Phosphorsäure verkürzt sich der frische Semitendinosus ungefähr so stark wie in Presssaft frischer Froschmuskeln. Die schwächste Konzentration, in der noch eine Verkürzung des Semitendinosus zu beobachten war, ist die einer 0,1°/oigen Milchsäurelösung oder 0,01 °/oigen Phosphorsäurelösung. Manchmal tritt jedoch in diesen Lösungen keine Kontraktion mehr ein. In bezug auf die Grösse der Verkürzung frischer Froschmuskeln in den erwähnten Säure- lösungen gilt auch das vorher über die Presssaftverkürzung Gesagte. Zwei symmetrische Muskeln desselben Tieres verkürzen sich in der- selben Säurelösung selten um das gleiche Stück. Auch hier lassen sich aus kleinen Verkürzungsdifferenzen selbst sorgfältig präparierter, symmetrischer Muskeln desselben Tieres keine Schlüsse ziehen. Doch konnte beobachtet werden, dass die Kontraktion des frischen Semiten- dinosus in Milchsäurelösungen von 0,5 °/o oder Phosphorsäurelösungen Über das Verhalten des Muskels im Muskelpresssaft. 415 von 0,05°/o stets und in 0,05 °/oigen Milchsäure- oder 0,005 °/o igen Phosphorsäurelösungen nicht auftritt. Um möglichst gleichmässige Verkürzungen, sei es im Presssaft, sei es in Säure, zu erhalten, empfiehlt sich die Verwendung von Semitendinosis grösserer Frösche. An Muskeln kleinerer Tiere sind die Verkürzungen bedeutend un- gleichmässiger und die Semitendinosi, diese ohnehin zarten Muskeln, sehr schwer unverletzt zu präparieren. Die besten Ergebnisse er- hielt ich mit grossen, kräftigen Tieren, die vor dem Töten möglichst wenig beunruhigt worden waren, so dass die Muskeln in unermüdetem Zustande zur Verwendung kamen. Wenn im folgenden von Säurelösung oder Säure schlechthin gesprochen wird, ist darunter stets Milchsäure oder Phosphorsäure zu verstehen, da nur diese beiden Säuren zu den vorliegenden Untersuchungen verwendet wurden. Wenn Säurelösung neutralisiert wird, verliert sie die kontrahierende Wirkung auf den frischen Froschmuskel. 1°/oige Milchsäure resp. 0,1 °o ige Phosphorsäure wurde mit Natronlauge unter Zusatz von Phenolphthalein als Indikator neu- tralisiert; der Laugenzusatz erfolgte bis zum Auftreten schwacher Rosafärbung. In dieser neutralen Lösung erfolgte keine Verkürzung des frischen Froschmuskels, wohl aber verkürzten sich die Muskeln sofort bei nachträglicher Umspülung mit nicht neutralisierter 1 Po iger Milchsäure bzw. 0,1°/oiger Phosphorsäure. Versuchsprotokoll Nr. 27. 1°/oige Milchsäurelösung wird mit Natronlauge bis zu schwacher Rosafärbung (Phenolphthalein als Indikator) neutralisiert. Jeder Semi- tendinosus zweier Frösche wird zuerst mit dieser neutralisierten Milch- säurelösung und darauf mit nicht neutralisierter 1°/oiger Milchsäure- lösung umspült. nes Verkürzung in neutr. | Verkürzung in 1°o iger Be- ans 1°/oiger Milchsäurel. Milchsäure lastung S, 36 mm — g 6,3 mm = 17,5 %/o 48 S; 3657, = 9,3750 — 29,890 4 „ S; Bay — 4a. la Un 4 „ S, 3 „ —_ 4,5 „ =13,6% 4 „ Alle vier Muskeln zeigen keine Verkürzung in der neutralen Lösung, jedoch verkürzen sie sich in nicht neutralisierter 1 /oiger Milchsäure. 416 Th. Birnbacher: Versuchsprotokoll Nr. 49. Dasselbe Resultat erhält man bei Umspülung mit neutralisierter, resp. nicht neutralisierter 0,1 %/oiger Phosphorsäure. änge Verkürzung in neutr. | Verkürzung in 0,1%/eiger Be- 5 0,1°/oiger Phosphorsäure Phosphorsäure lastung Sı 39 mm — 10,5 mm = 30 '/o 49 S, DO, — br 132, 83010 4 „ In mit Natronlauge neutralisierten Säuren tritt nicht nur keine Verkürzung des frischen Froschmuskels ein, sondern derselbe nimmt darin auch im Verlauf einer Stunde nicht an Gewicht zu (vel. Kap. II, 4, S. 424). Um zu erfahren, ob auch die Verkürzung des frischen Frosch- muskels im Froschmuskelpresssaft eine Wirkung der beim Absterben des Muskels gebildeten Säure sei, suchte ich festzustellen, ob Presssaft durch Neutralisation die Fähigkeit verliere, auf den frischen Muskel kontrahierend zu wirken, oder ob wenigstens eine Abschwächung der Wirkung dadurch zu erzielen sei. Zur Neutralisation wurde 25 °/oige Natronlauge verwendet. Die Benutzung niederer Laugen- konzentrationen wurde vermieden, um die Konzentration des Press- saftes möglichst wenig zu verändern. Als Indikator diente Phenol- phthalein in alkoholischer Lösung, und zwar 1 g in 100 cem 96 V/oigen Alkohols. Da es nur auf die Neutralisation, nicht auf die Ermittlung der Säuremenge im Presssafte ankam, wurde derselbe nicht titriert. Vor der Neutralisation war der Presssaft stets durch Kochen ent- eiweisst worden, oder ich führte die Neutralisation am Kochsalz- lösungsdialysate aus. Das zu untersuchende Dialysat wurde in zwei gleiche Teile geteilt, eine Hälfte neutralisiert, und nun mit der neutralisierten und der anderen zur Kontrolle dienenden Hälfte je ein frischer Semitendinosus desselben Frosches umspült und die Ver- kürzung registriert. Die zahlreichen Neutralisationsversuche, die teils an durch Kochen enteiweisstem Presssafte, teils an Kochsalzlösungsdialysaten von Presssäften zeitstarrer, wärmestarrer und frischer Muskeln ausgeführt wurden, führten zu dem Ergebnisse, dass es nicht gelingt, die verkürzende Wirkung des Presssaftes auf den frischen Muskel durch Neutralisation abzu- schwächen oder gar aufzuheben. Neutraler Presssaft be- hält ungefähr dieselbe verkürzende Wirkung wie nicht neutraler. Über das Verhalten des Muskels im Muskelpresssaft. 417 i Versuchsprotokoll Nr. 37. Wärmestarre Muskeln, die im Wasserbade bei 45 °C. erstarrt waren, werden gepresst. Der Presssaft wird zur Enteiweissung gekocht und vom Eiweisskoagulum siedend abfiltriert. Das Filtrat wird in zwei Teile geteilt, die eine Hälfte mit Natronlauge (Phenolphthalein als In- dikator) bis zu schwacher Rosafärbung neutralisiert. Mit der neutra- lisierten und der nicht neutralisierten Filtrathälfte wird je ein Semiten- dinosus desselben Frosches umspült. 4 en: Be- | Länge Verkürzung ne | Sı 36 mm 14 mm = 33,90 4.8 nicht neutral. Filtrat Sa BO u, serlYN 4 „ neutralisiertes Filtrat Sowohl im neutralisierten als auch im nicht neutralisierten Filtrat treten dieselben Verkürzungen der beiden Semitendinosi desselben Frosches auf. Versuchsprotokoll Nr. 43. 12 ccm frischen Presssaftes werden mit 12 cem 0,65 P/oiger Koch- salzlösung 7 Stunden lang bei Zimmertemperatur (20 °C.) dialysiert. Das Kochsalzlösungsdialysat wird in zwei gleiche Teile geteilt und einer davon mit Natronlauge (Phenolphthalein als Indikator) bis zu schwacher Rosa- färbung neutralisiert. Mit derneutralisierten und der nicht neutralisierten Dialysathälfte wird je ein Semitendinosus desselben Frosches umspült. | Länge Verkürzung ne Sı | 36 mm 11,5 mm = 31,9% | 48 neutralisiertes Dialysat Sa | Se, 10 ,„ = 294% | A | nicht neutral. Dialysat Im neutralisierten sowohl als auch im nicht neutralisierten Koch- salzlösungsdialysat des frischen Presssaftes verkürzen sich die beiden Semitendinosi desselben Frosches annähernd um dasselbe Stück. Versuchsprotokoll Nr. 46. 12 ccm frischen Presssaftes werden gegen 12 ccm 0,65 Jo iger Kochsalzlösung 14 Stunden lang bei Zimmertemperatur (20° C.) dialysiert. Das Kochsalzlösungsdialysat wird in zwei gleiche Teile ge- teilt und eine Hälfte zuerst gekocht, dann noch mit Natronlauge — Phenolphthalein als Indikator — bis zu schwacher Rosafärbung neutralisiert. Mit der gekochten, neutralisierten Dialysathälfte sowie mit der anderen wird je ein Semitendinosus desselben Frosches um- spült und die Verkürzung registriert. | Länge Verkürzung Belastung Sı 40 mm | 11,7 mm — 29,2%0 4 g |gekocht., neutralis. Dialysat Sg 39 „ [110 „ = 28,2% 4 nicht gekocht., nicht neutrali- ” . siertes Dialysat 418 Th. Birnbacher: Sowohl im gekochten, neutralen Dialysat als auch im unverän- derten Dialysat treten annähernd dieselben Verkürzungen frischer Semitendinosi desselben Tieres auf. Der frische Froschmuskel verkürzt sich im neutralisierten Press- saft oder Kochsalzlösungsdialysat ebenso wie im unveränderten, sauren Presssaft. Die Verkürzung ist demnach zum mindesten nichtalleinals Wirkungderim Presssafte vorhandenen Säure anzusehen, sondern wird hauptsächlich durch die Gegenwart anderer im Muskelsafte anwesender Substanzen hervorgerufen. 4. Die Verkürzung und Gewichtszunahme des Muskels im Presssaft frischer Muskeln und in Säurelösungen. Jacques Loeb!) hatte im Jahre 1898 gezeigt, dass ein Muskel in einer 0,7 °/oigen NaCl-Lösung in der ersten Stunde sein Gewicht nicht wesentlich ändert, dass er aber, wenn man nur eine Spur einer Säure zufügt, erheblich an Gewicht zunimmt. Ich untersuchte nun die Gewichtszunahme des Semitendinosus im frischen Froschmuskelpresssafte und vergleichsweise in Milchsäure- und Phosphorsäurelösungen ?). Die Semitendinosi wurden sorgfältig präpariert, rasch mit Filtrierpapier an der Oberfläche abgetrocknet und gewogen. Hernach umspülte ich sie mit Presssaft oder Säure- lösung und registrierte am Muskelhebel die Verkürzung; gleich darauf — ohne die Nachdehnung abzuwarten — wurde der Muskel vom Apparate abgenommen, abermals sorgfältig zwischen Filtrier- papier abgetrocknet, wieder gewogen und endlich in die Flüssigkeit eingeleet, mit der er umspült worden war. Vom Beginne der Muskelpräparation bis zu diesem Einlegen in die Flüssigkeit (Press- saft oder Säurelösung) vergingen ca. 15 Minuten. Weder bei der Verkürzung in Presssaft noch in Säurelösungen (1—0,1 0 ige Milchsäure oder 0,1— 0,01 /oige Phosphorsäure) lässt sich eine Gewichtszunahme des Muskels nachweisen. Die Ver- kürzung selbst geht also nicht mit messbarer Flüssigkeitsaufnahme des Muskels einher, sondern die letztere setzt erst später ein. Im Presssafte frischer Froschmuskeln geht die Gewichtszunahme des frischen Semitendinosus viel langsamer vor sich als in Säurekonzen- trationen, die noch keine Verkürzung des Muskels bewirken. Der 1) J. Loeb, Physiologische Untersuchungen über Ionenwirkung. Arch. f. d. ges. Physiol., I. Mitt., Bd. 69 S. 1—27 (S. 14). 1898. 2) Die Säurelösungen waren stets mit 0,65 °/oiger Kochsalzlösung hergestellt. Über das Verhalten des Muskels im Muskelpresssaft. 419 frische Semitendinosus zeigt in frischem Presssafte, in dem er sich stark verkürzt, im Verlaufe einer Stunde noch keine Gewichtsänderung, während in Milchsäure von 0,05°%o oder Phosphorsäure von 0,005°0 keine Verkürzung, dafür aber im Zeitraum einer Stunde schon eine sehr deutliche Gewichts- zunahme eintritt. Selbst nach drei- bis vierstündigem Liegen in frischem Presssaft erfährt der Semitendinosus eine bedeutend geringere Gewichtszunahme als nach einstündigem Verweilen in den erwähnten schwachen Säurekonzentrationen, die noch nicht verkürzend auf den Muskel wirken. Bei der Betrachtung von Muskeln, die in Presssaft gelegen haben, fällt sofort ihr verschiedenes Aussehen gegenüber Muskeln auf, die dieselbe Zeit in Säurelösungen, selbst von den erwähnten geringen Konzentrationen, verweilt hatten. Der in Säure gelegene Semitendinosus ist von weisser Farbe, weich, gallertig, durchscheinend, seine Sehnen sind gequollen, völlig durchsichtig und lassen sich leicht zerdrücken oder abreissen. Diese Verände- rungen treten relativ rasch, oft schon nach einer halben Stunde in den oben erwähnten Säurelösungen ein. Nach längerem Verweilen im Presssafte hingegen sind die Semitendinosi zäh, teigig, von rötlichweisser Farbe, undurchsichtig, die Sehnen bleiben fest, sehen nicht gequollen aus und halten einem beträchtlichen Zuge stand, ohne zu reissen. Diese Eigenschaften behalten die Muskeln nach selbst 24stündigem Liegen im Presssaft bei. Es seien nun einige Versuche über Verkürzung und Gewichts- zunahme des Semitendinosus in frischem Muskelpresssafte und in Säurelösungen mitgeteilt. Versuchsprotokoll Nr. 34a. Zwei frische Semitendinosi desselben Frosches werden heraus- präpariert, gewogen, der erste mit frischem Presssaft, der zweite mit 0,05 %/oiger Milchsäurelösung umspült und die Verkürzungen registriert. Darauf werden sie abermals gewogen und sofort der erste in den Presssaft, der zweite in die Milchsäurelösung gelegt. Eine Stunde nach dem Einlegen werden die beiden Muskeln abermals gewogen. Gewicht Ver- Gewicht | 1 Stunde nach dem vor der | kürzung | sofort Einlegen Ver- in er Gewichts- kürzung | Längen- | kürzung Gewicht N 8 Den g g Prozenten S, 0,17 18,5 0,17 VAT 0 frischer Presssaft S 0,17 0 0,17 O1l9sE 211,8 Milchsäure 0,05 °/o 420 Th. Birnbacher: Der erste Semitendinosus verkürzt sich im Presssafte, nimmt in demselben jedoch im Verlaufe einer Stunde nicht an Gewicht zu. Der zweite Muskel verkürzt sich in der 0,05 °/oigen Milchsäure nicht, nimmt darin jedoch-in derselben Zeit um 11,8 °/o an Gewicht zu. Versuchsprotokoll Nr. 34b. Zwei Semitendinosi werden wie im vorigen Versuche behandelt, der erste mit frischem Presssafte, der zweite mit 0,1 °/oiger Milch- säurelösung. Gewicht | Ver- | Gewicht | 1 Stunde nach dem vor der | kürzung | sofort Einlegen v . [nach der Er eıs in as A a kürzung | Längen- | kürzung | "W!C se g Bzaen g g Prozenten S, | 0,155 21,9 0,155 0,155 0 frischer Presssaft Sa 0,155 3,1 0,155 0,18 16,1 Milchsäure 0,1 %/o Der erste Muskel verkürzt sich im Presssafte ungefähr siebenmal so stark als der zweite in der Milchsäurelösung; der Presssaftmuskel zeigt nach einstündigem Verweilen im Presssafte keine Gewichtszunahme, der Milchsäuremuskel hat in der Milchsäure in derselben Zeit um 16,1 °/o seines Gewichtes zugenommen. Versuchsprotokoll Nr. 31. Von zwei Semitendinosis wird wie in den beiden vorhergehenden Versuchen der eine mit frischem Presssaft, der zweite aber mit 1 °/oiger Milchsäurelösung umspült, und es werden die Verkürzungen sowie Gewichtszunahmen verzeichnet. Gewicht Ver- Gewicht | 1 Stunde nach dem vor der | kürzung | sofort Einlegen Ver m nach der a & Ver- : Gewichts- kürzung | Längen- | kürzung | Gewicht | „nahme & prozenten Mn 8 0 Sı 0,18 28,1 0,18 | 0,18 0 frischer Presssaft S; 0,21 16,1 0,21 | 0,285 35,1 Milchsäure 1 %o Sowohl im Presssaft als auch in der 1 Y/oigen Milchsäure ver- kürzen sich die Semitendinosi. Nach Ablauf einer Stunde hat der in der 1 °/oigen Milchsäure gelegene Muskel bereits 35,7 °/o an Gewicht zugenommen, während am Semitendinosus im Presssafte zu derselben Zeit keine Gewichtszunahme nachweisbar war. Uber das Verhalten des Muskels im Muskelpresssaft. 421 Versuchsprotokoll Nr. 54. Von zwei frischen Semitendinosis desselben Tieres wird der eine mit frischem Presssafte, der andere mit 0,005 ®/oiger Phosphorsäure um- spült und es werden die Verkürzungen sowie die Gewichtszunahmen verzeichnet. Gewicht Ver- Gewicht | ! Stunde nach dem vor der | kürzung | sofort inleraı San i nach der F er- in Wer) En on un ne 5 ewic zunahme kürzung Ben kürzung en g Denen g g Prozenten S, 0,21 32,9 0,21 0,21 0 frischer Presssaft Sa 0,205 0 0,205 0,225 I Phosphorsäure 0,005 0 1 Der erste Semitendinosus verkürzt sich im Presssafte stark, nimmt jedoch im Laufe einer Stunde in demselben nicht an Gewicht zu. Der zweite Muskel zeigt keine Verkürzung in der 0,005 ®/oigen Phosphorsäure, erfährt aber darin in derselben Zeit eine deutliche Gewichtszunahme. In den soeben beschriebenen Versuchen waren die Muskeln mit 4 g belastet; die Versuchstemperatur betrug 20°C. Aus den geschilderten Versuchen geht hervor, dass der frische Frosehmuskel (Semitendinosus) in schwachen Milchsäure- oder Phos- phorsäurelösungen, die auf ihn noch nicht verkürzend wirken, im Laufe einer Stunde eine deutliche Gewichtsvermehrung erfährt. In konzentrierteren Säurelösungen, die ungefähr so stark kontrahierend auf den Muskel wirken wie frischer Presssaft, nimmt er noch be- deutend mehr Wasser auf. Im frischen Presssafte dagegen lässt sich — trotz dessen saurer Reaktion — im Verlaufe einer Stunde an ein- gelegten frischen Muskeln keine Gewichtsänderung nachweisen. Muskelpresssaft hat stets höheren esmotischen Druck als Blut- serum!). Frederieq°) bestimmte die Gefrierpunktserniedrigung des Muskelpresssaftes von Rana esculenta mit / = 0,52—0,53°; der osınotische Druck dieses Presssaftes wäre also etwas niedriger als der einer 1 /oigen Kochsalzlösung, deren Gefrierpunktserniedrigung 1) F. Bottazzi, Das Cytoplasma und die Körpersäfte. Winterstein, Handb. d. vergl. Physiol. Bd. 1 1. Hälfte (S. 407). 1912. 2) L. Fredericq, Sur la concentration moleculaire des tissus solides de quelques animaux d’eau douce. Arch. intern. de physiol. t.2 p. 127 tabl. 9. 1905. (Zitiert nach Bottazzi.) 8) W. Nagel, Handb. d. Physiol. d. Menschen Bd. 2 S. 779. Vieweg, . Braunschweig 1907. Pflüger’s Archiy für Physiologie. Bd. 154. 29 422 - Th. Birnbacher: A = 0,5898) beträgt. Froschblutserum ist ungefähr isotonisch mit einer 0,6—0,7 '/oigen Kochsalzlösung. Nun hat M. H. Fischer!) nachgewiesen, „dass Muskel desto weniger in einer Säurelösung quillt, je höher die Konzentration eines Salzes in der Lösung ist“. Wenn der höhere osmotische Druck des Muskelpresssaftes also durch eine höhere Salzkonzentration des- selben bedingt wäre, könnte die langsame Quellung frischer Frosch- muskeln im Presssafte vielleicht in der quellungsherabsetzenden Wirkung der Salze ihren Grund haben. Gestützt auf Versuche Buglia’s schliesst jedoch Bottazzi?), dass die Erhöhung des osmotischen Druckes im Presssafte wenigstens teilweise von Nichtelektrolyten herrührt. Er sast: „Also hat sich auch bei diesen Versuchen (Buglia’s) der osmotische Druck des Muskelsaftes deutlich höher gezeigt als der des Blutserums, und da die elektrische Leitfähigkeit beider Flüssigkeiten fast dieselbe ist, muss man annehmen, dass die grössere molekulare Konzentration wenigstens teilweise von Nichtelektrolyten oder wenig elektrolytisch dissoziierbaren Stoffen herrührt.“ Nach M. H. Fischer?) teilen jedoch Nichtelektrolyte nicht die bei Elektrolyten ausgesprochene Fähigkeit, die Wasserabsorption durch Muskeln in Säurelösungen zu beeinflussen. Neuerdings hat auch Beutner*) bewiesen, dass gelöste Proteine den Wasseraustausch von Muskel und umgebender Lösung nicht in deutlich erkennbarer Weise beeinflussen. Es erscheint demnach zweifelhaft, ob die langsame Wasseraufnahme des Muskels im Presssafte durch eine quellungsherabsetzende Wirkung von Salzen erklärt werden könne. Wie eigene Versuche beweisen, erfahren Muskeln im Verlaufe einer Stunde auch in 1 °/oiger Kochsalzlösung, der eine geringe Menge - Säure zugesetzt wurde, so dass noch keine oder nur eine ga:ız geringe Verkürzungin diesen Lösungen eintritt, eine deutliche Gewichtszunahme. Der Salzgehalt einer 1°/oigen Kochsalzlösung vermag demnach die quellungesbefördernde Wirkung noch nicht oder nur sehr schwach verkürzender Säurekonzentrationen nicht unschädlich zu machen. 1) Martin H. Fischer, Über die Analogie zwischen der Wasserabsorption durch Fibrin und durch Muskel. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 124 S. 69—99 (S. 76). 1908. 2) Bottazzi, |. c. S. 414. 8), M. EL zEitlsichlers 12e.23:296. 4) R. Beutner, Einige weitere Versuche, betreffend osmotische nnd kolloidale Quellung des Muskels. Bioch. Zeitschr. Bd. 48 H.3 S. 217—224 (S. 224.) 1912. ns ice; Über das Verhalten des Muskels im Muskelpresssaft. 423 Versuchsprotokoll \r. 58a. Zwei Semitendinosi werden mit einer Lösung von 0,05 °/o Milch- säure und 1°/o Kochsalz umspült und die Gewichtszunahmen in einer Stunde verzeichnet. Gewicht Ver- Gewicht | 1 Stunde nach dem vor der | kürzung en Einlegen Ver- in ee = . | Gewichts- kürzung | Längen- | kürzung Gewicht Ara \ in Gew.- 8 Br ® g Prozenten | Sı 0,26 0 0.26 | 0,27 3,8 Milchsäure 0,05 °/o S, 0,26 ) 0,26 | 0,27 3,8 in NaCl 1% Keiner der beiden Muskeln verkürzt sich in der Säure-Kochsalz- lösung, beide nehmen aber in einer Stunde an Gewicht zu. Versuchsprotokoll Nr. 5S bb. Derselbe Versuch mit Phosphorsäure 0,005 %/o in 1 /oiger Koch- salzlösung. Gewicht er Gewicht | Stunde nach dem vor der | kürzung | sofort Einlegen Ver- in Be Gewichts- kürzung | Längen- | kürzung | Fewicht | zunahme 2 = in 8 Be g g Prozenten | Sı 0,24 | 0 0,24 0,245 2 Phosphorsäure S, 0,24 | () 0,24 0,245 2 0,005 % in NaCl 10/0 Keiner der zwei Muskeln verkürzt sich, doch nimmt jeder an Gewicht zu. Versuchsprotokoll Nr. 59. Von zwei Semitendinosis wird der eine mit Milchsäure 0,1 °/o in 1°/oiger Kochsalzlösung, der andere mit Phosphorsäure 0,01 Yo in 1°/oiger Kochsalzlösung umspült und es werden die Verkürzungen sowie die Gewichtszunahmen verzeichnet. | Gewicht | Ver- | Gewicht | 1 Stunde nach dem vor der | kürzung | sofort Omas Ver- in ee Gewichts- kürzung | Längen- kürzung Gewicht | zunabme ; 5 in 8 DEE g Prozenten Sı 0,205 6,3 0,205 0,22 1,3 Milchsäure 0,1°/o in NaCl 1° Sa 0,145 Sl 0,145 0,155 6,9 Phosphorsäure [0,0100 in NaCl 190 23 * 424 Th. Birnbacher: Jeder der beiden Muskeln verkürzt sich nur schwach in der Säure-Kochsalzlösung, nimmt aber im Laufe einer Stunde deutlich an Gewicht zu. .An dieser Stelle mögen zwei Versuche Platz finden, auf die früher (S. 416) verwiesen wurde. Sie zeigen, dass der Muskel in mit Natronlauge (Phenolphthalein als Indikator) neutralisierter Milchsäure oder Phosphorsäure im Laufe einer Stunde sein Gewicht nicht nachweisbar ändert. Versuchsprotokoll Xr. 51. Von zwei Semitendinosis desselben Tieres wird einer mit 0,5 %Joiger Milchsäure, die mit Natronlauge (Phenolphthalein als Indikator) bis zur schwachen Rosafärbung neutralisiert wurde, der zweite mit nicht neutralisierter 0,5 %oiger Milchsäure umspült, und es werden die Ver- kürzungen und Gewichtszunahmen verzeichnet. Gewicht | Ver- | Gewicht I 1 Stunde nach dem vor der | kürzung | sofort Zinlaren Ver- in oe ft Gewichts- kürzung | Längen- | kürzung Gewicht | zunahme 5 in g Brozenten g Prozenten S, 0,205 0 0,205 0,205 0 neutralisierte Milch- säure 0,5 Yo S, 0,21 31,6 0,21 0,27 28,6 nicht ueutralisierte Milchsäure 0,5 %o Versuchsprotokoll Nr. 50. Von zwei Semitendinosis wird einer mit 0,1°/oiger Phosphorsäure, die mit Natronlauge wie. in Versuch Nr. 51 neutralisiert wurde, der zweite mit nicht neutralisierter 0,1 °/o iger Phosphorsäure umspült und es werden die Verkürzungen und Gewichtszunahmen registriert. Gewicht Ver- | Gewicht | 1 Stunde nach dem vor der | kürzung | Sofort | Einlegen Ver- in ne Gewichts- kürzung | Längen- | kürzung Gewicht | zunahme in g zent g Prozenten Sı 0,28 0 0,28 0,28 0 neutralisierte Phos- phorsäure 0,10 Sa 0,23 39,1 0,23 0,35 25 nicht neutralisierte Phosphorsäure 0,10 In beiden Versuchen verkürzen sich die Semitendinosi in den neutralisierten Säuren nicht und nehmen darin im Verlaufe einer Über das Verhalten des Muskels im Muskelpresssaft. 495 Stunde nicht an Gewicht zu. In den nicht neutralisierten Säuren tritt starke Verkürzung und starke Gewichtszunahme ein. In beiden Versuchen waren die Säurekonzentrationen mit 0,65 P/oiger Kochsalzlösung hergestellt. Fleteher und Hopkins!) bestimmten die Milchsäuremenge im ruhenden Muskel mit 0,015 °/o. Sie steigt jedoch nach mechanischen Reizen sofort an und erreicht bei Erhitzung der Muskeln auf 40° (1 Stunde) oder auf 100° eine Konzentration von 0,4—0,5 0. Kon- zentrationen von 0,1—0,5°/o Milchsäure reichen hin, am frischen Muskel eine Verkürzung zu bewirken; derselbe erfährt darin aber auch im Laufe einer Stunde eine (deutliche oder starke Gewichtszunahme. Die lange dauernde Gewichtskonstanz frischer Muskeln im stets sauer reagierenden frischen Presssafte ist eine auffallende, aber durch vielfache Versuche bestätigte Tatsache, über deren Ursachen ich mir kein bestimmtes Urteil bilden konnte. Da Säurelösungen, die selbst ganz geringe Verkürzungen am frischen Senitendinosus hervorrufen, eine starke Gewichtszunahme desselben in einer Stunde bewirken, müsste man wohl annehmen, dass eine solche auch an in Presssaft liegenden Muskeln bei gleich langer Einwirkung deutlich hervortreten würde, wenn die Wirkung des Presssaftes auf den Muskel volle Identität mit einer Säurewirkung erkennen liesse. Statt dessen finden wir: Verkürzung des Muskels in Presssaft und Säuren, Quellung nur in Säuren, nicht im Presssaft; Beseitigung der verkürzenden Wirkung durch Neutralisation nur bei Säuren, nicht bei Presssaft. Es wäre immerhin denkbar, dass auch die im Presssaft vor- handene Säure verkürzend auf den frischen Muskel wirken könnte. Da aber durch Neutralisation nicht einmal eine Abschwächung der verkürzenden Presssaftwirkung zu erweisen ist, müsste man annehmen, dass sich der Muskel unter dem Einflusse der anderen, nicht säure- artigen Substanzen schon so stark verkürzt, dass auch Säuren — in den physiologisch in Betracht kommenden Konzentrationen — keine Steigerung der Wirkung mehr zu erzielen imstande sind. Bei Weg- schaffung dieser Säuren (Neutralisation) verkürzt sich trotzdem der Muskel gleich stark, da die anderen kontrahierenden Stoffe allein schon eine maximale Verkürzung erzeugen. 1) W. M. Fletcher und F. G. Hopkins, Lactic acid in amphibian muscle. Journ. of Physiol. vol. 35 H. 4 p. 247. 426 Th. Birnbacher: Wir haben zwei verschiedene Wirkungen der Säuren zu unter- scheiden: erstens die Verkürzung, die am frischen Muskel gleich nach dem Eintauchen desselben in Säurelösungen. auftritt, und zweitens die Quellung, die in der Gewichtszunahme resp. Wasser- aufnahme der Muskelsubstanz in Säuren ihren Ausdruck findet. Die gleich nach der Säureeinwirkung einsetzende Verkürzung findet un- gefähr in Milchsäurekonzentrationen von über 0,1 °/o oder Phosphor- säure von über 0,01°/o statt und lässt sich nur am noch erregbaren, ausgeruhten, nicht geschädigten Muskel beobachten. Ein Muskel, der infolge Ermüdung bereits einen Verkürzungsrückstand zeigt, kon- trahiert sich — auch wenn der Verkürzungsrückstand bereits rück- gebildet, aber der Muskel noch nicht erholt ist — in Säurelösungen, die am frischen, unermüdeten, symmetrischen Muskel eine Ver- kürzung erzeugen, nicht mehr oder nur sehr wenig. Je grösser der Verkürzungsrückstand war, desto geringer ist im allgemeinen die Säureverkürzung. Ganz dasselbe gilt auch für die Kontraktion des Muskels im Muskelpresssaf. Ein ermüdeter Muskel, der bereits einen Verkürzungsrückstand zeigte, verkürzt sich auch im Presssafte nicht mehr oder nur sehr wenig im Vergleich zu dem symmetrischen, ausgeruhten Muskel desselben Tieres. Die Verkürzung des Froschmuskels, die sofort nach der Umspülung des- selben mit Presssaft oder Säurelösungen auftritt, ist also nur an frischen, unverletzten, ausgeruhten Muskeln zu beobachten. Dies dürfte auch ein Grund sein, warum es trotz sorgfältiger Präparation sehr selten gelingt, an symmetrischen Muskeln desselben Tieres, selbst in demselben Presssafte oder derselben Säurelösung ganz gleiche Verkürzungen zu erzielen; denn jede Schädigung, wie Zerrung, Austrocknung usw., vermindert die Verkürzungsfähigkeit des Muskels in Presssaft oder Säurelösungen. Man erhält den Eindruck, als ob Schädigungen oder Ermüdung des Muskels auf seine Verkürzungsfähigkeit im Presssafte ebenso wirkten wie das Eintauchen des frischen Muskels in Presssaft, das auch nur das erstemal von einer Verkürzung sefolst ist, ausser der Muskel hat Zeit, sich zwischen zwei Um- spülungen mit Presssaft durch längeres Verweilen in einer plıysio- logischen Salzlösung zu erholen. Im Presssaft verkürzte Muskeln kontrahieren sich auch nicht mehr bei der Umspülung mit Säure- lösungen der erwähnten Konzentrationen (Milchsäure 0,1—1 bo, Phosphorsäure 0,01—0,1°/o), und umgekehrt ist Presssaft ohne Wirkung "re. Über das Verhalten des Muskels im Muskelpresssaft. 497 auf säureverkürzte Muskeln. Sowohl die Säure- als auch die Press- saftverkürzung des Froschmuskels ist demnach an seine Erreebarkeit und Unversehrtheit gebunden. Die zweite Wirkung der Säuren auf den Muskel, die Quellung, tritt sowohl in Konzentrationen ein, die auf den frischen Muskel gleich rach dem Eintauchen verkürzend wirken, als auch in niedriger konzentrierten Säurelösungen, die diese Kontraktion zu erzeugen nicht imstande sind. In Milchsäurekonzentrationen unter 0,1—0,05 °/o oder Phosphorsäure unter 0,01—0,005 0 ist keine Verkürzung des frischen Semitendinosus zu beobachten, wohl aber quillt derselbe in diesen Lösungen viel rascher als etwa in neutraler 0,65 °/oiger Koch- salzlösung. JaequesLoeb!) betont, dass die Quellung des Muskels in Säuren keineswegs an seine Erregbarkeit gebunden ist. Er sagt: „Die Gewichtszunahme des Muskels unter dem Einfluss von ver- dünnten Säuren und Alkalien geht also auch dann noch weiter, wenn der Muskel seine Erregbarkeit schon verloren hat.“ Schwarz?) hat nachgewiesen, dass der tätig gewesene Muskel in isotonischer Kochsalzlösung bedeutend rascher quillt als der ruhende. Ermüdung befördert und begünstigt also die Quellung, während sie die be- schriebene Presssaft- und Säurekontraktion verhindert. Ebenso wirken Schädigungen erheblich beschleunigend auf die postmortale Milch- säurebildung im Muskel, wie Fleteher und Hopkins?) sicher- gestellt haben, und beschleunigen aus ebendeniselben Grunde auch die Quellung. Säure- und Presssaftverkürzung treten jedoch am geschädigten Muskel nicht mehr oder in weit geringerem Masse auf als am unversehrten. Zusammenfassend wäre demnach festzuhalten, dass der frische Muskel (Semitendinosus) in jeder der verwendeten Milchsäure- oder Phorphorsäurelösungen, die ihn verkürzen, im Verlaufe einer Stunde eine relativ starke Gewichtszunahme erfährt, selbst in Lösungen, die 1°/o Kochsalz enthalten. Demgegenüber lässt sich im stark ver- kürzenden frischen Muskelpresssafte im Zeitraum einer Stunde keine Gewichtsänderung nachweisen. Diese Ergebnisse sowie die Tatsache, dass Presssaft oder dessen Kochsalzlösungsdialysat durch Neutrali- Do Loenb,.l.c. S. 14. 2) K. Schwarz, Über die Quellung und Tnfonellune ruhender und tätig gewesener Froschmuskeln in isotonischen Kochsalzlösungen. Bioch. Zeitschr. Bd. 37 S. 34—46 (S. 36). 1911. 5) Fletcher and Hopkins, |. c. p. 247. 498 Th. Birnbacher: sation mit Natronlauge die verkürzende Wirkung nicht verliert, ja, dass nicht einınal eine Abschwächung derselben zu beobachten ist, lässt die Behauptung berechtigt erscheinen, dass die Ver- kürzung des frischen Muskels im Presssafte zum mindesten nicht allein durch Säure bedinet ist, sondern dass sie vielmehr hauptsächlich durch die Einwirkung anderer Sub- stanzen auf das intakte, nicht geschädigte Muskelgewebe veranlasst wird. 5. Der Presssaft unter Sauerstoffdruck abgestorbener Muskeln. Wie schon eingangs erwähnt, beobachtete Winterstein, dass der Säugetiermuskel bei ausreichender Sauerstofizufuhr nicht starr wird. Er betrachtet die Totenstarre des Muskels als Erstickungs- erscheinung, bedingt durch die bei ungenügender Sauerstoffversorgung: erfoleende Anhäufung intermediärer Stoffwechselprodukte. In schöner Übereinstimmung mit diesen Tatsachen stehen die Beobachtungen von Fleteher und Hopkins), nach denen in Sauerstoffatmosphäre die Neubildung von Milchsäure im absterbenden Muskel hintan- gehalten und sogar eine bereits erfolgte Milchsäureanhäufung be- seitigt werden kann. Anknüpfend an diese Beobachtungen suchte jeh zu ermitteln, ob auch jene Substanzen, die die beschriebene Verkürzung des frischen Muskels im Presssafte erzeugen, nur in Muskeln auftreten, die bei ungenügender Sauerstoffversorgung absterben. Wenn sich diese Vor- stellung als richtig erwiese, hätten wir auch diese Stoffe als unter den Bedingungen der Erstieckung im Muskel sich auhäufende, inter- mediäre Stoffwechselprodukte anzusehen. Ebenso wie diese Stoffe bei ihrem Entstehen den seiner normalen Lebensbedingungen be- raubten Muskel schädigen, entfalten sie bei plötzlicher Einwirkung auf den frischen Muskel ihre Wirkung auf denselben, als deren Aus- druck die rasche Verkürzung und Erregbarkeitsabnahme im Press- safte anzusehen wäre. Zur Gewinnung von Presssaft unter Sauerstoffdruck unerregbar gewordener Muskeln konnten nicht ganze Froschschenkelpräparate benutzt werden, da dickere Muskeln auch in fast reiner Sauerstoff- atmosphäre ersticken und erstarren. Die im Inneren dicker Muskeln gelegenen Fasern sind der Sauerstoffversorgung nicht zugänglich und 1) Fletcher and IIopkins, l.c. 8. 247. Über das Verhalten des Muskels im Muskelpresssaft. 429 daher auch der Erstickung unterworfen. Am einwandfreiesten wäre wohl die Verwendung von Froschsartorien oder Semitendinosen. Sie ist aber leider nicht durchführbar, da zu grosse Mengen dieser zarten Muskeln erforderlich wären, um die für den Versuch nötige Press- saftmenge zu erhalten. Ich bediente mich daher der Gastroenemien kleiner Frösche und erhielt damit bei genügend hohem Sauerstoff- drucke auch völlig einwandfreie Ergebnisse. Die Gastroenemien mehrerer Frösche wurden sorgfältig, unter Vermeidung von Ver. letzungen, präpariert und in Ringer- Lösung eingelegt. Die Ringer Lösung hatte folgende Zusammensetzung: bo NaCl Ole oe NaHCO, 0,02. 2027 Ca@], - VOUS REN Der höhere Natriumkarbonatgehalt der Lösung (Ringer ver- wendet 0,01°%o NaHCO,) wurde nach Berg') gewählt, der auf Grund von Versuchen über Ermüdung und Restitution des über- lebenden M. sartorius beim Frosch diesen höheren Karbonatgehalt empfiehlt. Die in der Ringer-Lösung liegenden Gastrocnemien wurden nun in der Autoklave einem Sauerstoffdruck von 10 Atmo- sphären ausgesetzt. Nachdem völlige Unerregbarkeit auch für starke faradische Reize eingetreten war, presste ich die Muskeln aus. Mit diesem Presssafte wurden nun frische Froschsemitendinosi um- spült. Sie zeigten keine Verkürzung. Zur Kontrolle untersuchte ich noch die Verkürzungsfähiekeit derselben Muskeln in frischem Presssafte; in diesem trat die Verkürzung stets ein. Zweifellos ist nicht nur die reichliche Sauerstoff- versoreung des absterbenden Muskels eine Bedingung für die Wesschaffung intermediärer Stoffwechselprodukte, sondern auch die Wirkung der physiologischen Salzlösung, wie schon Winterstein?) in seiner oben erwähnten Untersuchung über die physiologische Natur ‚der Totenstarre bewiesen hat. Es gelang ihm nur den in Ringer- Lösung liegenden, oder wenigstens von derselben benetzten Säugetier- muskel bei ausreichender Sauerstoffversorgung sehr lange erregbar zu erhalten. In einer mit Kochsalz- oder Ringer - Lösung isotonischen 1) F. Berg, Einige Untersuchungen über Ermüdung und Restitution des überlebenden M. sartorius beim Frosch. Skand. Arch. f. Physiol. Bd. 24 S. 345 bis 366 (S. 355). 1911. 2) Winterstein, l.c. S. 237. 430 Th. Birnbacher: Traubenzuckerlösung verliert der Muskel seine Erregbarkeit sehr rasch, gewinnt sie aber beim Übertragen in Ri nger-Lösung wieder woraus Winterstein schliesst, dass nicht das Vorhandensein von Flüssigkeit schlechthin die Rückkehr der Erregbarkeit unerregebar gewordener Muskeln bewirke, soudern dass die Anwesenheit von Salzen hierzu erforderlich sei. Ich konnte beobachten, dass der Presssaft von Gastrocnemien, die in Ringer-Lösung bei Atmosphärendruck starr und unerregbar geworden waren, schwächer verkürzend wirkt als Presssaft frischer oder bei Abwesenheit physiologischer Salzlösungen abgestorbener Muskeln. Umspült man nämlich frische Semitendinosi zuerst mit dem erst erwähnten Presssaft, so tritt eine Verkürzung ein, die bei gleich darauffolgender Umspülung desselben Muskels mit dem Press- safte frischer Muskeln sich vergrössert. R Dass die Produkte des anoxydativen Zerfalles aber auch in die Salzlösung übergehen, lässt sich daraus vermuten, dass in Salz- lösungen, in denen Muskeln erstarrt waren — wenn die Lösungs- mengen im Verhältnis zu den eingelesten Muskelmengen nicht zu gross waren, — bedeutend früher Unerregbarkeit frischer Muskeln eintritt als in frischen Salzlösungen. Auch die Starreverkürzung des Gastroenemius ist in diesen Starresalzlösungen viel früher zu be- obachten als in reiner, frischer Salzlösung. Hier mögen zwei Versuche zur Erläuterung des Gesagten Er- wähnung finder. | Versuchsprotokoll Nr. 32. Vier frische Gastrocnemii wurden in Ringer-Lösung in die Autoklave gelegt und einem Sauerstoffdrucke von zehn Atmosphären ausgesetzt. Nach 168 Stunden wurden sie herausgenommen. Sie waren selbst für starke faradische Reize unerregbar. Mit dem Presssafte dieser Muskeln werden vier frische Froschsemitendinosi umspült. Gleich darauf wurden dieselben mit Presssaft frischer Froschmuskeln umspült. E Verkürzung in Verkürzung in Be- Limes Sauerstoff-Presssaft frischem Presssaft lastung Sı 34 mm —_ 6,7 mm — 19,7°%0 48 Sa 34 ,„ — OR oo 4 „ Sa Ola En 927, = 24,900 4 „ S4 3, _ 2, eN U 4 „ Im Presssafte der unter Sauerstoffdruck unerresbar gewordenen Muskeln verkürzen sich die frischen Semitendinosi gar nicht, dagegen alle bei darauffolgender Umspülung mit Presssaft frischer Muskeln. Über das Verhalten des Muskels im Muskelpresssaft. 431 Versuchsprotokoll Nr. 35. Acht frische Gastrocnemii kleiner Frösche werden in 100 ccm Ringer-Lösung in die Autoklave gelegt und einem Sauerstoffdrucke von zehn Atmosphären ausgesetzt (Versuchstemperatur —= 20° C.). Nach 120 Stunden werden die Muskel herausgenommen. Alle sind für selbst starke faradische Reize völlig unerregbar. Acht andere frische Gastro- cnemii werden in 100 ccm Ringer-Lösung eingelegt (bei Atmo- sphärendruck). Nach 48 Stunden sind alle für starke faradische Reize unerregbar und starr. Nun werden vier frische Semitendinosi, jeder zuerst mit dem Sauerstoffmuskel-Presssaft, darauf mit dem Starre-Presssaft und schliess- lich mit Presssaft frischer Muskeln umspült nnd werden ihre Ver- kürzungen in den drei Presssäften registriert. | Verkürzung H - Verkürzung | 5 Länge | in Sauerstoff- a “ in frischem 1 En Presssaft Ben Presssaft asiung S; [30 mm — 2 mm= 6,7% | 45 mm= 15°%o 48 Sa — 2, em. a, inuh Z, Sr & eo A Se = ae an nun 4) Im Presssafte der unter Sauerstoffdruck unerregbar gewordenen Muskeln zeigen die frischen Semitendinosi gar keine Verkürzung. Alle verkürzen sich jedoch im Presssafte der unter Atmosphärendruck in Ringer-Lösung erstarrten Muskeln. Eine weitere Verkürzung erfährt jeder Semitendinosus im Presssafte frischer Muskeln. Aus den soeben geschilderten Versuchen geht hervor, dass die Substanzen, welche die Verkürzung des frischen Froschmuskels im Muskelpresssafte bewirken, beim Absterben des Muskelgewebes bei mangelhafter Sauerstoffversorgung entstehen. Die Verkürzung des frischen, ungeschädigten Froschmuskels, die gleich nach seiner Umspülung mit Froschmuskelpress- saft auftritt, wäre alsFolge einer direkten chemischen Reizung der Muskelsubstanz unterder Einwirkungvon Stoffwechselprodukten aufzufassen, die beim anoxy- dativen Zerfalldes lebenden Muskelgewebes entstehen. Zum Schlusse möchte ich noch erwähnen, dass sowohl Presssaft frischer Kaninchen- als auch Meerschweinchenmuskeln auf den frischen Froschmuskel (Gastrocnemius, Sartorius, Semitendinosus) verkürzend wirkt. Sogar im Presssafte von Kaninchenleber und Kaninchenlunge sah ich den frischen Froschmuskel sich verkürzen. Dagegen erzeugt Kaninchenblutserum ebensowenig wie Froschblut eine Verkürzung. 433 Dh Biienibralcihiesses; Auch in 96 Stunden altem Kaninchenblutserum war nicht die Spur einer Kontraktion des Frosehmuskels zu beobachten. Peptonlösungen üben in den untersuchten Konzentrationen von 0,5—5 °/o keine ver- kürzende Wirkung auf den Froschmuskel aus. Ich begnüge mich mit dem Hinweise auf diese Tatsachen, ohne mich vorläufig näher darauf einzulassen, doch hoffe ich, später noch darüber berichten zu können. Zusammenfassung. Im Froschmuskelpresssafte verliert der frische, überlebende Froschmuskel sehr rasch seine Erregbarkeit, und zwar der Semitendi- nosus durchschnittlich in 25—45 Minuten. Der frische, unverletzte, nicht geschädigte Froschmuskel (Gastro- enemius, Sartorius oder Semitendinosus) verkürzt sieh sofort nach dem Eintauchen in Presssaft frischer, zeitstarrer oder wärmestarrer Froschmuskeln. Auch im Presssafte von Muskeln, deren Starre bereits gelöst ist, tritt die Verkürzung ein. . Die Verkürzung des frischen Muskels im Presssafte ist die Folge einer direkten Einwirkung desselben auf die kontraktile Substanz des Muskels, sie entsteht nicht unter Vermittlung des Nerven. Die Substanzen, welche die Verkürzung des Froschmuskels im Presssafte bewirken, sind hitzebeständig: sie werden durch Siedehitze (kurzes Aufkochen) nicht zerstört. Die eben erwähnten Stoffe gehen durch Membranen, die für Eiweisskörper undurchlässig sind, hindurch; sie sind dialysabel. Durch Neutralisation des Presssaftes bzw. der Kochsalzlösung, gegen die derselbe dialysiert wurde, lässt sich die verkürzende Wirkung auf den frischen Muskel nicht beheben oder abschwächen. Milchsäure- oder Phosphorsäurelösungen, die auch verkürzend auf den frischen Muskel wirken, verlieren «diese Fähigkeit durch Neu- tralisation. Daraus geht hervor, dass die Verkürzung frischer Muskeln im Presssafte nicht allein als Wirkung der in demselben vorhandenen Säure anzusehen ist, sondern dass sie hauptsächlich durch die Gegenwart anderer beim Absterben des Muskelgewebes gebildeter Stoffe hervorgerufen wird. Der frische Froschmuskel (Semitendinosus) erfährt in frischem Presssafte im Laufe einer Stunde keine messbare Gewichtsänderung. In derselben Zeit zeigt er jedoch in Milchsäure- oder Phosphorsäure- Konzentrationen, die noch nicht einmal verkürzend auf ihn wirken, Über das Verhalten des Muskels im- Muskelpresssaft. 433 eine deutliche Gewichtsvermehrung. Dieselbe tritt sowohl in Säure- konzentrationen ein, die mit 0,65 °/oiger als auch in solchen, die mit 1%oiser Kochsalzlösung hergestellt sind. Schädigungen und Ermüdung beeinträchtigen die Verkürzungs- fähigkeit des Muskels im Presssafte oder in Säurelösungen. Je grösser der Verkürzungsrückstand ermüdeter Muskeln ist, desto ge- ringer ist im allgemeinen ihre Presssaft- oder Säureverkürzung. Dieselbe ist an die Erregbarkeit des Muskels gebunden. Presssaft unter Sauerstoffdruck abgestorbener Muskeln wirkt nicht verkürzend auf den frischen. Muskel. Die Verkürzung des frischen, ungeschädieten Froschmuskels, die gleich nach seiner Um- spülung mit Froschmuskelpresssaft zu beobachten ist, wäre demnach als Folge einer direkten chemischen Reizung der Muskelsubstanz unter der Einwirkung von hauptsächlich nicht säureartigen Stoff- wechselprodukten aufzufassen, die beim Zerfall des lebenden Muskel- gewebes unter den Bedingungen der Frstiekung entstehen. Auch Presssäfte von Meerschweinchen- oder Kaninchenmuskeln sowie Kaninchenorganpresssäfte verkürzen den frischen Froschmuskel. Literatur. 1) F. Berg, Einige Untersuchungen über Ermüdung und Restitution des über- lebenden M. sartorius beim Frosch. Skand. Arch. f. Physiol. Bd. 24 S. 345 bis 366. 1911. 2) R. Beutner, Einige weitere Versuche, betreffend osmotische und kolloidale Quellung des Muskels. Bioch. Zeitschr. Bd. 48 H.3 S. 217—224. 1913. 3) F. Bottazzi, Das Cytoplasma und die Körpersäfte. Winterstein, Handb. d. vergl. Physiol. Bd. 1 1. Hälfte. 1912. 4) Martin H. Fischer, Über die Analogie zwischen der Wasserabsorption durch Fibrin und durch Muskel. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 124 S. 69 bis 99. 1908. 5) W. M. Fletcher and F. G. Hopkins, Lactic acid in amphibian muscle. Journ. of Physiol. vol. 35 (4) p. 247. 6) L. Fredericq, Sur la concentration moleculaire des tissus solides de quelques animaux d’eau douce. Arch. intern. de physiol. t.2 p. 127. 1905 (Zitiert nach Bottazzi.) 7) Gaupp, Ecker und Wiedersheim, Anatomie des Frosches, 3. Aufl., 1. Abt. Vieweg, Braunschweig 1896. 8) W. Kühne, Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen der kon- traktilen Substanzen. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859 S. 564—640 u. 748—835. 434 Th. Birnbacher: Über das Verhalten des Muskels im Muskelpresssaft. 9) J. Loeb, Physiologische Untersuchungen über Ionenwirkung. Arch. f. d. ges. Physiol., I. Mitt., Bd. 69 S. 1-27. 1898. 10) W. Nagel, Experimentelle Untersuchungen über die Totenstarre bei Kalt- blütern. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 58 S. 279—307. 1894, 11) W. Nagel, Handb. d. Physiol. d. Menschen Bd. 2. Vieweg, Braun- schweig 1907. 12) K. Schwarz, Über die Quellung und Entquellung ruhender und tätig ge- wesener Froschmuskeln in isotonischen Kochsalzlösungen. Bioch. Zeitschr. Bd. 37 8. 34—46. 1911. 13) Tigerstedt, Handb. d. physiol. Methodik Bd.2. Hirzel, Leipzig 1911. 14) H. Winterstein,.Über die physiologische Natur der Totenstarre des Muskels. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 120 S. 225—248. 1907. 435 Das Grundgesetz des Naturwirkens. Von Th. Schwartze, Berlin-Friedenau. (Mit 4 Textfiguren.) T; Alles Geschehen ist in seiner elementarsten Form auf den elastischen Stoss zurückzuführen. Sehen, Hören und Tastgefühl werden durch Stösse gegen unser Nervensystem hervorgerufen. Die Stösse des Blutes sind das Zeichen des Lebens. Gehobene und wieder freigelassene Körper fallen unter den Stössen der Schwer- kraft zur Erde zurück. Die Planeten werden durch die Stösse der Zentralkraft in bestimmten Bahnen um die Sonne getrieben. Der Stoss ist als der Ausgleichungsprozess zwischen dem relativen Maximum und Minimum zweier in Wirkung und Gegenwirkung be- findlichen Kräfte anzusehen. Wenn dmnach in dem Ausgleichungs- prozess zwischen zwei Kräften einerseits ein Wachstum eintritt, so muss andererseits eine entsprechende Abnahme stattfinden, wenn das Gesetz der Erhaltung der Kraft zur Geltung kommen soll. Die herkömmliche Infinitesimalmethode krankt daran, dass bei ihr nur die sogenannte arithmetische Funktion behandelt wird. Hierbei wird nur das Wachstum der veränderlichen Grösse in Betracht ge- zogen; daher kommt man in der herkömmlichen Anwendung dieser Methode über die einseitig phorononiische Betrachtung der Bewegung, auf welcher alles Geschehen beruht, nicht hinaus. Deshalb kann man aber auch mittels der heutigen sogenannten höheren Mathematik die Naturgesetze nicht in genügend klarer Weise formulieren, sondern muss sich mit der empirischen Auffassung derselben be- gnügen. Man vernachlässigt dabei die bei den physikalischen Vor- gängen mitwirkenden verborgenen Bewegungen und Massen, auf deren wesentliche Bedeutung für die wahre Erkenntnis dieser Vor- gänge schon Anfang der dreissiger Jahre des verflossenen Jahr- 4305 Th. Schwartze: hunderts der berühmte Analytiker William Rowan Hamilton aufmerksam gemacht hat, obschon auch seine Formeln noch nicht zu der genügenden Klarheit in dieser Hinsicht führen. Auch Helmholtz, der berühmte deutsche Physiker, hat auf die Wichtie- keit dieser verborgenen Bewegungen und Massen hingewiesen !). In der arithmetischen Funktion der Differertialrechnunz, für welehe wir als Beispiel die in der Dynamik zu benutzende Formel y — %° wählen, wird bei der üblichen Differentiation gesetzt y+ dy — (< + dx): und daraus unter Nullsetzung von dy und dx gefolgert dy dx Ausdrucks ist übersehen, dass in einem physikalisch-mechanischen System, welches hier durch «? dargestellt ist, mit der Zunahme des einen Faktors des die Wirkungsgrösse eines Kraft symbolisierenden Produkts x? die gleichwertige Abzahme des anderen Faktors ver- bunden sein muss, wenn in dem relativ freien Wirken der Natur- kräfte das Prinzip der Erhaltung der Kraft zur Geltung kommen soll. Folglich ist anstatt der obigen üblichen Differentialgleichung zu setzen («+ dx) (x — dx) = x: — dx?. Wird hierbei noch be- rücksichtigt, dass der relativ kleinste Teil einer gegebenen Grösse doch immer nur die Maasseinheit sein kann, nach welcher der numerische Wert dieser Grösse bestimmt ist, so erhält man die Gleichung («+ 1) (e — 1) = x&?— 1°. Hierbei ist aber anzunehmen, dass die bei Ausführung der Multiplikation von («+ 1) (@ — 1) auf- tretende Differenz 2 — x —= 0 die äussere Wirkung bedeutet, welche in die verborgene innere Wirkung 2x übergeht. Demnach ist x — 1? —=2x zu Setzen. Zur Auflösung dieser Gleichung, d.h. zur Wertbestimmung von x, ist zu setzen 202 a2 722 172 and daraus folgt x Wa )=1,d.h. <= V2+1, deun es ist (VY2?+) 2? —-)=2-—-1=1= (Y2) — 12 Daraus folet x—=3+2Y2. Folglich ist 2 — 1?=2(V2+1). Hiermit wäre nun eigentlich schon das elementarste Grundgesetz des Naturwirkens formuliert, jedoch ist dasselbe noch etwas eingehender zu behandeln, wozu aber einige Vorbemerkungen nötig sind. s ) — 2x. Bei der Herleitung dieses unklaren gleich m gesetzten. 1) In einem Aufsatze: „Über die physikalische Bedeutung des Prinzips der kleinsten Wirkung“ im Journal für reine und angew. Mathematik 183€ Das Grundgesetz des Naturwirkens. 437 Iusofern die im statischen Zustande, also nur in zeiträumlicher Fxtensität sich darstellende Kraft bei eintretender, durch einen Widerstand veranlassten Wirkung in Intensität oder innere ver- borgene Wirkung übergeht, verschwindet sie. Deshalb wird die statische Kraft als Geschwindigkeit (Veloeität) mit dem Symbol ® bezeichnet. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass in prinzipieller Hinsicht die besriffsmässige Einheit in bezug auf ihr Hervortreten im Ausgleichungsprozess zwischen Wirkung und Gegenwirkung einer Zweiheit entspricht, so dass dem relativen Werte nach v»=2 zu 2 : ® setzen ist, deninach besteht aber auch die Beziehung ® — DR Rücksicht auf die gebräuchliche Definition der geometrischen Be- Mit schleunigung I. ergibt sich für die Zeitkonstante des Ursprungs der Bewegung!), d.h. für = r== Y2, die Bestimmung j — - — Y2. Wenn ein Körper gegen einen Widerstand in Bewegung gesetzt wird, so mnss erst dieser als Gegenwirkung auftretende Widerstand überwunden werden, bevor dem Körper eine freie Bewegung mit einer gewissen Geschwindigkeit mitgeteilt werden kann. Diese dem Körper mitgeteilte, in bezug auf seine absolute Masseneinheit als Geschwindigkeit bezeichnete Kraft besitzt im Moment ihres Ent- stehens den Maximalwert ihrer Extensität. Durch den kontinuierlich dagegen wirkenden Widerstand wird aber diese allmählich verringert und schliesslich zu Null. Es ist anzunehmen, dass hierbei der Körper eine der zu Null gewordenen Geschwindigkeit entsprechende dynamische Masse in sich aufgenommen hat, welche bei einem elastischen Körper einer als Gegenwirkung hervortretenden lebendigen Kraft entspricht. In bezug darauf ist anzunehmen, dass in dem Körper bei der Erzeugung der Geschwindigkeit ein dieser Ge- schwindigkeit gleichwertiges Vermögen zur Kraftaufnahme entstanden ist. Dieses Kraftaufnahmevermögen entspricht dem Begriffe der elektrostatischen Kapazität, welche bei Auslösung eine ihr ent- sprechende Gegenwirkung hervorbringt, indem der Kondensator die seiner Kapazität zugeführte Ladung in der Form eines elektrischen Stromes wieder abgibt. Wird nun diese Wirkungsweise der Sub- stanz auf die Schwerkraft bezogen, so folgt daraus, dass diese Kraft 1) Vgl. den Aufsatz „Die Zeitkonstante des Ursprungs der Empfindung“ im Bd. 148 S. 523—534 dieses Archivs. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 30 438 Th. Schwartze: bei der Einwirkung auf den ruhenden Körper dessen Kapazität er- füllt und mit der dadurch hervorgerufenen Gegenwirkung gegen das äussere Kraftfeld reagiert. Demnach wird vorausgesetzt, dass die wirkende Kraft sich mit sich selbst in das Gleichgewicht setzt und ihre Wirkung aufhebt. Hierdurch wird das Körpergewicht erzeugt. Sobald aber der Körper der Wirkung der als Schwerkraft be- zeichneten Zentripetalkraft des räumlichen Kraftfeldes ausweichen und in die freie positive Fallbewegung übergehen kann, wird von der Kapazität desselben die aufgezwungene Kraft wieder ausgestossen, so dass die Kapazität wieder frei wird, wodurch der Körper in ent- sprechender Weise an Gewicht verliert. Der Nachweis der Gewichts- zunahme beim Steigen und der Gewichtsabnahme beim Fallen eines Körpers kann mittels der Atwood’schen Fallmaschine geführt werden). Die als die relative Geschwindigkeit bezeichnete Stoss- geschwindigkeit, welche bei dem Stoss zwischen zwei Körpern in Betracht zu ziehen ist, wird durch die Differenz der absoluten Ge- sehwindigkeiten v, und v, bestimmt, ist aber die eine Geschwindig- keit im Sinne der Richtung relativ zur anderen negativ, durch die Summe. In bezug auf das Prinzip der Erhaltung der Kraft ist vorauszusetzen, dass die Summe der den beiden Körpern bei- zulegenden Kapazitäten c, und c, der Stossgeschwindiekeit, also der Differenz v, — vs bzw. der Summe der absoluten Geschwindig- keiten, gleichwertig ist. Ferner ist in bezug auf das Prinzip der Erhaltung der Kraft vorauszusetzen, dass die Differenz bzw. die Summe der nach dem elastischen Stoss hervortretenden resultieren- den Geschwindigkeiten V! und V, gleich der Differenz bzw. der Summe der vor dem Stoss in Betracht kommenden Geschwindig- keiten ist. Demnach besteht die Gleichung ar Ya a a ar 20% Wird diese Gleichung in entsprechender Weise in zwei Gleichungen zerlegt, so erhält man die beiden Grundformeln des Stossgesetzes für elastische, bis zur Grenze ihrer Elastizität beanspruchte Körper, nämlich % — 265 —=V, und» +24=V.. Hierbei ist ohne Rücksicht auf den numerischen Wert, ob grösser oder kleiner, die mit der Geschwindigkeit v,;, zu verbindende 1) Dieser Nachweis wurde in dem Aufsatze: „Die Zeitkonstante des Ur- sprungs der Empfindung“ im Bd. 148 S. 528 dieses Archivs geliefert. rn a Das Grundgesetz des Naturwirkens. 439 Kapazität mit c, und die mit der Geschwindigkeit v, zu verbindende Kapazität mit c, bezeichnet. Setzt man nun voraus, dass gleiche Bewegungssrössen C4% —=(z3V, zum Stoss kommen, so besteht die Proportion %:9%,=c63:c, d. h. für v, grösser als ”» muss © grösser als c, sein. Wird nun in bezug auf die elementarsten Formeln c,—1, und mit Rücksieht auf die Aufnahme der Anfangs- geschwindigkeit v—2, die andere Kapazität a3, die kleinste Geschwindigkeit % — 2 gesetzt, So ist %, — 6 anzunehmen, um gleiche Bewegungsgrössen zu erhalten. Demnach bestehen die Formeln 6—2—=4 und 2+6=8. Für den Zeitpunkt des Gleichgewichtes zwischen Wirkung und Gegenwirkung ist aber zu setzen 6—1=5 und 24+35=2. Sewiaman aber 9, —A und » 2, co 2 und a —A, und nimmt man an, dass die Körper gegeneinanderlaufen, so ist vg negativ zu nehmen. Daraus folgt 4—8—=—4 und —2+4=2. Für den Zeitpunkt des Gleichgewichtes ist aber 4—4—=( und —2+2=0 zu Setzen. Es ist hierbei zu berücksichtigen, dass die in Betracht gezogenen Bewegunesgrössen zwar quantitativ gleich, qualitativ aber verschieden und gewissermaassen von entgegengesetzter Natur in bezug auf Ge- schwindigkeit und Kapazität bzw. auf den aus der Gegenwirkung der Kapazität entstehenden Druck sind, wobei die Geschwindigkeit dem Begriff der Extensität und der Druck dem Begriff der Intensität entspricht. Bei der herkömmlichen Betrachtungsweise des Stosses werden anstatt der Kapazitäten die wägbaren Massen unter der Voraus- setzung vollkommener Elastizität in Betracht gezogen, welche durch m bezeichnet werden. Dabei geht man von der Formel My% + Moda Fi = My + Mg also von der Formel des Gleichgewichtes oder des sogenannten unelastischen Stosses aus, wobei weiche plastische Massen voraus- zusetzen sind und als Axiom angenommen wird, dass die Bewegungs- gsrössen vor und nach dem Stoss die gleiche algebraische Summe ergeben. Bei der hier vorgenommenen Entwicklung der Stoss- 30 * 440 Th. Schwartze: formeln ist dieser Satz aus den Formeln abzuleiten, indem man eine jede der beiden Formeln mit der in der anderen Formel in Betracht kommenden Kapazität multipliziert und alsdann die beiden Formeln addiert. Unter der Voraussetzung quantitativ gleicher, qualitativ aber in bezug auf Intensität und Extensität verschiedener Bewegungserössen c, V, und c, V, erhält man auf diese Weise die Gleichung Di ie 1 Demnach wird der herkömmlich als Axiom aufgestellte Satz: die algebraischen Summen der Bewegungsgrössen sind vor und nach dem Stoss einander gleich, aus den Formeln des Stossgesetzes ab- geleitet. Da ferner nach dem System der relativen Werte in bezug f v° vg° auf zwei verschiedene Kräftesysteme v, = und v, — > zu setzen ist, so ergibt sich aus der vorhergehenden Formel ohne weiteres die Formel Cd + CV — CC Vı” + 6 Vr°, d. h. die Summen der lebendigen Kräfte sind vor und nach dem Stoss einander gleich. II. Die vorher aufgestellten Formeln des Stossgesetzes zeigen, dass gleichzeitig mit der einer Differentiation entsprechenden Kompensation % —2C;— V, auch eine dem Begriff der Integration entsprechende Kombination 99 +2c,=[, stattfindet. Setzt man nun voraus, es wäre c=v, und &=%, und man könnte mit demselben Recht, mit welchem Newton die Kraftfunktion durch die Multiplikation zweier dynamisch gedachter Massen symbolisiert hat, durch die Multiplikation der beiden Gleichungen, in prinzipieller Hinsicht, wieder eine Gleichung bilden, so würde man die Formel — 2 % Ua © Va V,V; Sea erhalten. Da es sich hierbei nicht um eine auf absolute Werte be- zogene arithmetische Formel, sondern um eine auf relative Werte bezogene prinzipielle Formel, also um eine besondere Ausdrucksweise der Kraftfunktion handelt, so kann anstatt der so erhaltenen Formel auch ohne Bedenken gesetzt werden %° — Ve —=2Av de. Das Grundgesetz des Naturwirkens. 441 Demnach werden durch die quadratischen und somit als statisch betrachteten Grössen numerisch oder quantitativ gleichwertige, quali- tativ aber verschiedene Grössen ausgedrückt, für welche in dem | entsprechenden Produkt die als Intensität und Extensität zu unter- scheidenden beiden Faktoren nicht numerisch gleichwertig sind. In bezug auf lebendige, durch das halbe Produkt auszudrückende Kräfte kann eine derartige Grösse nach ihrem relativen numerischen Werte durch die Fläche eines rechtwinkligen Dreiecks geometrisch dar- gestellt werden, wobei die eine Kathete dem relativen Werte der Intensität, die andere Kathete dem relativen Werte der Extensität, die Fläche also dem relativen Werte einer im Produkt aus Dichte und Volumen bestimmten dynamischen Masse entspricht. Die In- tensität bedeutet kinetischen Druck, die Extensität bedeutet statische Geschwindigkeit, d. h. in gleichförmige Bewegung übergegangene und daher als Intensität verschwundene Kraft. Beiläufig ist hier darauf hinzuweisen, dass absolut statischer, d. h. jede Bewegung aus- schliessender Druck überhaupt nicht denkbar ist. Der Begriff des Druckes setzt das Bestreben nach Bewegung voraus. Ist dieses Bestreben Null, so ist auch der Druck Null. Dauert aber das Be- streben fort, so summieren sich seine Elemente zur Geschwindigkeit, die fortdauernd wachsen würde. Demnach kann der Druck nur in der Wechselwirkung molekularer Schwingungen bestehen, die nur nach der einen Seite hin in ihrer stossweisen Wirkung bemerkbar werden. Wir nehmen nun an, dass sich zwei durch kongruente recht- winklige Dreiecke, also durch die Hälften entsprechender rechteckiger Parallelogramme, nach der vorher gemachten Voraussetzung dar- gestellte Kräfte in der Weise zu einem mechanischen System zu- sammensetzen, dass die als Geschwindiekeiten zu betrachtenden, gegenseitig verschiedenen Katheten derselben in einer geraden, horizontalen Linie vereinigen, während die beiden anderen, die In- tensitäten oder Druckwirkungen darstellenden Katheten parallel zu- einander in gleichem Sinne gerichtet sind. In dieser Anordnung entspricht das gedachte System einem im Gleichgewicht befindlichen ungleicharmigen Hebel, der als das älteste und einfachste Beispiel der Zusammensetzung zweier in Wirkung und Gegenwirkung sich ausgleichender Kräfte zu betrachten ist. Durch Fig. 1 wird ein solches System dargestellt. Die beiden rechtwinkligen, kongruenten, in verschiedenen Lagen angebrachten 449 Th. Schwartze: und dadurch die verschiedenen Qualitäten der durch sie dargestellten Kräfte symbolisierenden Dreiecke sind mit abd und ace bezeichnet. Die Katheten ab und ac liegen in einer geraden Linie und ent- sprechen dem ungleicharmigen, im Punkte a gestützt gedachten Hebel, die Senkrechten an den Enden desselben, den zusammengesetzten Extensitäten der beiden durch die Flächen der Dreiecke nach ihren relativen Werten dargestellten Kräfte. Die Intensitäten dieser Kräfte sind nach ihren relativen Werten durch die beiden anderen Katheten bd und ce dargestellt und entsprechen den an den Enden der Fig. 1. Hebelarme im umgekehrten Verhältnis dazu stehenden Gewichten, Bezeichnet man den grösseren Hebelarm ab mit r,, den kleineren ae !mit v5, so ist das grössere Gewicht auch durch v, und das kleinere durch 7, bestimmt. Werden die Gewichte in der Bedeutung von Intensitäten durch Einklammerung von den die Fxtensitäten bedeutenden Hebelarmen unterschieden, so besteht für das Hebel- gesetz die Gleichung (r,)rz = (r5)r;. Die Hypotenusen der beiden Dreiecke sind durch add=ae—=Yr,?-+r;? bestimmt; sie sind als die den Schwer- oder Zentralpunkt des Systems stützenden Kräfte anzusehen. In bezug auf Wirkung und Gegenwirkung wird von diesen Stützkräften das Quadrat adfe gebildet, dessen Fläche gleich 17 +r,° ist und als Ausdruck des relativen Wertes der statischen Stütz- oder Erhaltungskraft des Systems angesehen werden kann- In folge der verschiedenen Qualität der in bezug auf Quantität gleich- Das Grundgesetz des Naturwirkens. A443 YıYa 2 dargestellten Kräfte bildet die Diagonale af— V2(r,?-+r3?) mit der vertikalen statischen Stützlinie des Systems den Winkel fag= 9, wodurch angedeutet wird, dass das System durch Schwingung um diesen Ausschlagwinkel sich im Gleichgewicht erhält. Dies ist bei der Übermacht der räumlichen Schwerkraft auf die im Verhältnis zum Erdball verschwindend kleinen Gewichtsmassen eines wirklichen Hebels unbemerkbar und ist als molekulare, den Schwerpunkt des. Systems beeinflussende Bewegung zu denken. wertigen, durch die Dreiecke abd und ace nach den Flächen Der Winkel @ entspricht der Phasendifferenz - zwischen der Intensität und Extensität der an den Enden der Hebelarme an- greifenden Kräfte und wird bestimmt durch die Beziehung cos p — a__Nn+r af var) r,+13=V2(r?+r;?) sein müssen, was nicht möglich ist. Für Für g=0 ist cos g=1, folglich würde %) No ist cos De v2 zusetzenden Schwingung gleich 45°. Wird die Fläche des dem Winkel @ entsprechenden Dreiecks als Ausdruck der dynamischen Stützkraft des Systems bzw. als die Zentripetalkraft einer natürlichen Zentralkraft betrachtet, so wird diese Fläche, wie sich leicht nach- weisen lässt, durch die Gleichung also der Ausschlagwinkel der voraus- (m+r) (ri —P2) u ARE 2 2 bestimmt, demnach ist für die dem doppelten Winkel entsprechende, in der Summation von Wirkung und Gegenwirkung bestehende Stütz- oder Zentripetalkraft des Systems der Ausdruck r,? — ra? in Betracht zu ziehen und mit den Hebelkräften in Beziehung zu bringen, welche mit Rücksicht auf die Zusammensetzung von Wirkung und Gegen- wirkung beiderseits des Stützpunktes a wirkende Kraftkomponente Yjr, in der Grösse 2r,r, zur Wirkung kommt. Hierbei ist voraus- gesetzt, dass die beiderseits des Schwerpunktes a wirkende Kraft sich in Wirkung und Gegenwirkung aus zwei gleichen lebendigen : v7 iR Kräften N 2 zusammensetzt und somit einer durch das Produkt r, r, bestimmten Parallelogrammfläche entspricht. Demnach besteht für das stets als ein kinetischer bzw. dynamischer, mechanischer Zustand 444 Th. Schwartze: eines Kräftesystems vorauszusetzende, also schwingende Gleichgewicht die Gleichung Ye — Ne —=2rır, oder in bezug auf relative Werte die in üblicher Weise dargestellte Gleichung On Tun Vo —— 2 % Vg Daraus folst: = 0 y=%(V2+1)=o, cotang = und bzw. 2 ro %—=r(V2—-1)=v, tang a Hiermit ist für das sogenannte statische Gleichgewicht eines mechanischen Systems in prinzipieller Hinsicht auf den einer Phasen- differenz entsprechenden Winkel der gedämpften Schwingung hin- gewiesen. III. Als ein Kreisprozess wird derjenige dynamische Vorganz be- zeichnet, in welchem ein Körper seinen bei Beginn des Vorganges vorhandenen Zustand nach einer Reihenfolge von Zustandsänderungen wieder erreicht. Das ist zum Beispiel bei einem elastischen Körper der Fall, der durch eine zeitweise wirkende Kraft eine höchstens bis an seine Elastizitätsgrenze gehende Formveränderung erleidet. Abgesehen von der Einwirkung störender äusserer Kräfte ist ein schwingendes Pendel als der Repräsentant eines Kreisprozesses ins- besondere zu betrachten. Die Schwingungen des Pendels sind auf einen Stoss zurückzuführen, durch den, wie bei jedem auderen Ge- schehen, der in Bewegung versetzten Substanz eine lebendige Kraft eingepflanzt wird, welche in einem mechanischen System unentwegt beharrt, solange sie nicht durch äussere, nicht zu dem System ge- hörige Kräfte eine Einbusse erleidet, was allerdings infolge des Zusammenhängens der Dinge nicht völlige zu umgehen ist. Von Galilei wurde der Durchgang des Schwerpunktes eines Pendels durch den tiefsten Punkt seiner Schwingungsbahn als ein von dem schwingenden Massenpunkte mit der von ihm erlangten Geschwindig- keit ausgeführter Stoss gegen das Schwerkraftsfeld angesehen. Wir setzen hierbei voraus, dass die durch den vorhergehenden An- triebsstoss bzw. durch den diesen Antriebsstoss im Verlauf des dynamischen Vorganges ersetzenden Niederschwung die schwingende Substanz von der ihr im Ruhezustande aufgezwungenen Schwere Das Grundgesetz des Naturwirkens. 445 oder Raumkraft befreit und somit deren Kapazität zur Aufnahme von Raumkraft freigemacht wird. Bei dem Aufschwung wird diese Kapazität mit komprimierter Raumkraft erfüllt, welche gegen das äussere statische Raumkraftfeld reagiert und somit den positiven Widerstand hervorruft, durch den die vom Antriebsstoss erzeugte Steiskraft allmählich aufgehoben wird. Durch die noch fortdauernde Reaktion der mit Raumkraft überfüllten Kapazität der Substanz wird alsdann der Sinn der Bewegung umgekehrt und der die Fall- beschleunigung unter Mitwirkung der Beharrung erzeugende negative Widerstand hervorgerufen. Demnach wird die Kapazität der frei fallenden Substanz von der vorher ihr aufgezwungenen Raumkraft befreit, welche demnach durch die Kapazität der Substanz aus ihrem statischen Zustande teilweise in einen dynamischen oder kinetischen Zustand versetzt und gewissermaassen individualisiert wird. An der Wirkungs- weise der Atwood’schen Fallmaschine lässt sich nachweisen, dass ein freies mechanisches System, d. h. ein System, welches infolge der ihm eingepflanzten lebendigen Kraft Wirkung und Gegenwirkung in sich selbst erzeugt, sich aus vier, in ihrer Summe die Gesamt- intensität des Systems bildenden elementaren Kräften zusammensetzt, von denen zwei, nämlich der negative Widerstand der Kapazität der dabei in Betracht kommenden Substanz und der positive Widerstand des Raumkraftfeldes, als statische Kräfte und zwei, nämlich die Wirkung und Gegenwirkung der Kapazität der Substanz, als dyna- mische Kräfte zu betrachten sind). Demnach kommen für die Substanz drei elementare Kräfte und für das äussere Raumkraftfeld eine elementare Kraft in Betracht und die kleinste Wirkungsgrösse des Systems beträgt ein Viertel der Gesamtkraft oder der Intensität des Systems. Von der Betrachtung der nur auf einen Teil des Kreisumfanges zu beziehenden Pendelbewegung gehen wir zur Betrachtung der kontinuierlichen, auf den ganzen Kreisumfang zu beziehenden Zentral- bewegung über, von welcher die elliptische Bewegung und die gerad- linige Schwingung abzuleiten ist. In bezug auf die freie natürliche Kreispewegung ist das Zu- sammenwirken einer Zentralkraft und einer substantiellen Masse vorauszusetzen. Die Zentralkraft ist aus zwei sich in Wirkung und 1) Man vgl. den Aufsatz: „Die Zeitkonstante des Ursprungs der Empfindung“ im Bd. 148 S. 528 dieses Archivs. 446 . . Th: Schwartze: Gegenwirkung im Gleichgewicht befindlichen konzentrischen Kratt- feldern zusammengesetzt zu: denken; sie wird geometrisch durch zwei. konzentrische, mit dem Radiusverhältnis 1: Y2 beschriebene Kreise dargestellt, wie Fie. 2 zeist. Die Kreisflächen stehen daher im Verhältnis 1:2; von dem äusseren Kraftfelde wird die Hälfte überdeckt und somit die Kapazität des inneren Kraftfeldes von dem äusseren Kraftfelde ausgeglichen, so dass zur Ausgleichung der Rück- wirkung des inneren Kraftfeldes ein dieser Rückwirkung quantitativ gleichwertiges ringförmiges äusseres Kraftfeld vorhanden ist, welches von dem universellen unendlichen Kraftfelde umgrenzt zu denken ist. Demnach ist anzunehmen, dass durch einen entsprechenden Teil des universellen Kraftfeldes das durch die zweiteilige Zentralkraft gebildete System in seinem Be- stande erhalten wird. In bezug dar- auf ist also eigentlich ein dreiteiliges, aus drei gleichwertigen Kraftfeldern gebildetes zentrales System voraus- gesetzt. Wir nehmen nun an, dass in das zweiteilige, die eigentliche Zentralkraft bildende System eine relativ als Punkt zu betrachtende substantielle Masse eintritt, die mit einer gewissen (reschwindiekeit den Umfang des inneren Kraftfeldes bei a tangiert und zufolge ihres Beharrungsvermögens ihre Bewegung weiter zu verfolgen strebt. Wenn in dem ringförmigen, das innere Kraftfeld umgebenden Kraftfelde kein Widerstand vorhanden wäre, so würde der bewegte Massenpunkt mit seiner ursprünglichen Geschwindigkeit bei b segen das statische, relativ als stahlhart zu denkende universelle Kraft- feld stossen und, infolge der Elastizität, rechtwinklig zu seiner ursprüng- lichen Bewegungsrichtung, ohne Geschwindigkeitsverlust reflektiert werden. Wenn dieser Vorgang sich in gleicher Weise fortsetzt, So bewegt sich der träge Massenpunkt längs des Umfanges eines das innere kKreisförmige Kraftfeld tangierenden Quadrats. Da aber dem das innere Kraftfeld gleich einer Atmosphära umgebenden ring- förmig dargestellten Kraftfeide ein elastischer Widerstand beizu- legen ist, so wird der träge Massenpunkt aus seiner tangentialen geraden Bewegungsrichtung derartig abgelenkt, dass er sich in einer En 2. Das Grundgesetz des Naturwirkens. 447 Wurfparabel bewegt und in bezug auf den durch 45° bestimmten Zentriwinkel der vollkommenen Reflexion im Punkte ce den Umfang des inneren Kraftfeldes wieder erreicht. Die radiale Strecke bc entspricht demnach, relativ zum Radius des inneren Kraftfeldes, dem auf den trägen Massenpunkt vom äusseren Kraftfelde bzw. von der Zeutripetalkraft ausgeübten Druckmaximum, insofern der Vorgang geometrisch, d. h. phoronomisch betrachtet wird. Dynamisch wird die dabei zur Wirkung kommende Kraft durch die Differenz der von den Radien ob und oc in bezug auf die Bewegung des trägen Massen- punktes beschriebenen Sektoren, also durch die Differenz zweier quadratischer, als Kräfte zu betrachtender Grössen dargestellt. Wird nun aber, um zu einer bequemen Formulierung des Vorganges zu gelangen, angenommen, dass der gedachte Massenpunkt sich in den an die Endpunkte der seine Bahn darstellenden Wurfparabel ge- lesten Tangenten ad und dc bewegt, so wird die diesen trägen Punkt bewegende Kraft durch die Fläche des Tangentenvierecks adco symbolisiert. In bezug auf ihre beiden, im Zeitpunkte der Aus- gleichung identischen, der Wirkung und Gegenwirkung entsprechenden Komponenten, wird diese Kraft in die beiden kongruenten recht- 0 winkligen, dem Zentriwinkel von —_ entsprechenden Dreicke aod und dco zerlest. Bezeichnet man nun, in bezug auf die relativen Werte, die linearen geometrisch dargestellten, der Extensität und Intensität entsprechenden Faktoren dieser Kräfte durch oa—=o (in bezug auf den Trägheitsradius des inneren Kraftfeldes) und durch ad = de =i (in bezug auf die einer Geschwindigkeit entsprechende Tangentialkraft), so erhält man die Beziehungen 2 — tang = s und - — cotang . oder, in bezug auf die relativen numerischen Werte dieser Winkel- funktionen {0 i=e(V?2 —1)unde=1(VY2 +1). Multipliziert man nan die erste Gleichung mit oe, die zweite mit 2, so erhält man die Gleichung ee ea), Diese Gleichung kann aber aus der Gleichung ee — ?=2oi abgeleitet werden. Zu dieser Gleichung gelangt man auf die folgende ‘Weise: 448 Th. Schwartze: In bezug auf ein rechtwinkliges Dreieck, dessen Katheten mit a und db, dessen Hypotenuse mit ce und dessen durch die Hypotenuse und grössere Kathete a eingeschlossener Winkel mit «& bezeichnet wird, gelten die Gleichungen ee le BR ab ed ae 2 cCOS«@- sin « sin?«' Demnach besteht die Gleichung 2ab 2 2, en an sin2«' Erhebt man das durch diese Gleichung dargestellte mechanische System durch Quadrierung auf ein System der nächst höheren Ordnung, so erhält man ee sin? 2«' Um die Kapazität dieses Systems zu befreien und somit das System für das Maximum der Kraftaufnahme empfänglich zu machen, wird beiderseits die Gesamtintensität 4 a?b? subtrahiert. Hieraus folst 4 a? b2 sin? 2« Fed = —_ Aa2b?—A 022 cotang? 2 «. Wird nun der Winkel 2@=45°, also gleich dem Winkel der im Zeitpunkte des elastischen Gleichgewichts zwischen Wirkung und Gegenwirkung in Betracht kommenden Winkel der vollkommenen Reflexion gesetzt und dann die Gleichung zurückradiziert, so erhält man a —b’—=2ab,. In bezug auf relative Werte kann also im allgemeinen gesetzt werden On 05 Div, und hieraus ist wieder die Gleichung „2 (vV2+1)=v2 (V2 —1) abzuleiten. Betrachtet man die Tangentialstrecke ad—=de=:i als die geometrische Darstellung einer elementaren Stosskraft, so kann diese, nach Fig. 2, 16 mal im Kreisumfang herumgelegt werden. IV. Um zu einer noch allgemeineren Formel zu gelangen, aus der die vorhergehenden Formeln abzuleiten sind, wird nun ein in seiner Flächengrösse einer lebendigen Kraft entsprechendes beliebiges, vor- erst spitzwinklig und ungleichseitiges Dreieck abc (Fig. 3) in Be- tracht gezogen. Wird die Basis dieses Dreiecks als eine konstante Das Grundgesetz des Naturwirkens. 449 Grösse angesehen und der gegenüberliegende Punkt c derartig bewest gedacht, dass die beiden anderen Dreieckseiten eine konstante Summe bilden, so beschreibt der Punkt c eine Ellipse, deren Brennpunkt durch die Endpunkte «@ und 5 der konstanten Basis gebildet werden. Die konstante Summe der beiden anderen Dreieckseiten ist aber eleich der Länge der grossen Achse dieser Ellipse. Die konstante Strecke ab entspricht der doppelten Exzentrizität der Ellipse bzw. der Kompensationsresultante des Systems. Die Mittellinie de des Drei- ecks entspricht der halben Kombinationsresultante des durch das dem Dreieck entsprechende Parallelogramm gebildeten Systems. Um zu der gesuchten Formel zu gelangen, hat man sich von den Punkten a und db Senkrechte auf die entsprechend verlängerte Mittellinie de gefällt zu denken. Wir bezeichnen 1 die als die längere Diago- nale eines entsprechenden Parallelogramms zu den- kende doppelte Strecke der Mittellinie, in der Be- deutung der Kombinations- resultante des Systems, mit R, und die der doppelten L Exzentrizität der gedach- 7 ten Ellipse entsprechende Basis ab des gegebenen Dreiecks, in der Bedeutung der Kompensationsresultante des Systems mit A,. Ferner wird der Winkel an der Spitze ce des Dreiecks mit « und, in bezug auf die beiderseits der Mittellinie «ad liegenden Teilwinkel dieses Zusammensetzungswinkels, der an der Seite ac anliegende Winkel mit «,, der an der Seite dc anliegende Winkel mit «, be- zeichnet. Ferner ist noch der von den beiden Resultanten R, und R, eingeschlossene spitze Winkel bde=w, sowie dessen Komplements- winkel @, unter der Bezeichnung Kompensationswinkel, in Betracht zu ziehen. Unter diesen Voraussetzungen bestehen die. Gleichungen Fig. 3. Jay sin [02] neo, Is sin [42] R,+ Rs COS w’ = = Jah Se Js COS w In bezug auf die Gleichung tang a, = tang a, + tang @, 1 — tang a, tang &, 450 Th. Schwartze: erhält man durch Einsetzen der betreffenden Werte 2 R,R, sin ee oder BR? — Ra —=2.R,R, Cotang o 605 © unter der Voraussetzung sin®=cosgQ. Hiermit ist die gesuchte allgemeine, für freie und unfreie mechanische Systeme geltende Gleichung formuliert. Zu ihrer Diskussion sind die bekannten beiden Gleichungen des herkömmlichen Parallelogrammgesetzes der Kräfte R?=v? +0? + 20,0 008 @ und Ra? —= v,? + 09% — 20,05 608 a in Betracht zu ziehen. Dieselben ergeben Rı?— Rz? —=4v,v,; 608 a und 2 R, R,— V(v}?+V5?)? — 4v,?V9? cos? a, sin «@ Multipliziertt man die erste dieser Gleichungen mit nz = ||, tang @ = so erhält man AR? —Rz?—4v,v, eotang «sin « und, wenn sin@==cos@ gesetzt wird, IE der DM — 2 v, v5 eotang @ CoS Q. Wird dann ferner = — — =: 07° — v5” gesetzt, so erhält man v? — Vy” — 2 v,v, cotang a cos p, d. h. in einem freien Kräftesystem sind die inneren, den beiden Resultanten entsprechenden Kräfte durch die äusseren Kräfte be- stimmt, indem die Beziehungen bestehen R,=vV2 und RR —=%,V2. Demnach ist in einem, ein freies Kräftesystem darstellenden Parallelogramm die Kombinationsresultante R, und die äussere Kraft v, als relativ konstant anzusehen. Man kann ein solches Parallelo- sramm leicht mittels zweier konzentrischer Kreise konstruieren, deren Radien dem Verhältnis 1: V2 entsprechen, und dabei an- nehmen, dass die elementaren Kräfte v, und »,; mit der Zeit- konstanten des Ursprungs der Bewegung oder des Geschehens zu multiplizieren sind, um die resultierenden Kräfte hervorzubringen. Wird in den beschriebenen konzentrischen Kreisen ein Radius des grössten Kreises, also ein Radius, der dem relativen Werte v2 ent- spricht, angenommen und dazu ein Radius des kleineren Kreises, der die absolute Einheit darstellt, unter einem Winkel zwischen 0° und 45° gezogen, so ist das gesuchte Parallelogramm des freien Systems bestimmt; die das der Hälfte des Parallelogramms ent- Se, Das Grundgesetz des Naturwirkens. 451 sprechende Dreieck abschliessende Seite v, liegt in dem ringförmigen, den inneren Kreis umgebenden Raum. Die beiden anderen Seiten des Parallelogramms sind von den Endpunkten der Kombinations- resultante parallel zu den bereits bestimmten beiden Seiten v, und v; zu ziehen. Die Kompensationsresultante A, schneidet die Kom- binationsresultante A, auf dem Umiange des inneren Kreises, auf dem sich der so bestimmte Schwerpunkt des freien Systems bewest, wenn der Zusammensetzungswinkel der elementaren Kräfte v, und v, verändert wird. In diesem Parallelogramm ist der Zusammen- setzungswinkel « der elementaren Kräfte gleich dem Zusammen- setzungswinkel = 90° — , d.h. die äusseren und inneren Kräfte des Systems arbeiten mit gleicher Phasendifferenz und also mit dem kleinsten Zwange. Demnach ist in dem freien System sin « —=cosp zu setzen und daher bestehen die Gleichungen R?— R?—=2R,R, 0608 und U — Va? — 20,0, 008 0, wodurch das freie System gekennzeichnet ist. Unter Berücksichtigung der Formeln I — ie — Vo” 4 2 %, (DB) COS & Ra’ =vy? + Va? — 20,05 608 @ des Parallelogrammgesetzes sind die Gleichungen R?— R’—4vv,cose und R,R, Vo? + 02)? —- 4v,2v,2 cos? & aufzustellen. Wird die erste dieser beiden Gleichungen mit sin @ m l multipliziert, so bleibt die Gleichung in quantitativer Hin- sicht unverändert, aber die Gleichung nimmt die folgende Form an: R,? — Rz? —=4v,v, cotang a sin a, wobei sin «= cos gesetzt werden kann und scmit der Zusammen- setzungswinkel «@ der elementaren Kraft durch den auf den Zusammen- setzungswinkel ® der Resultanten zu beziehenden Kompensations- winkel, als Symbol der Kapazität des inneren Systems bezogen wird. Zur Bestimmung dieses Kompensationswinkels sind demnach die Gleichungen aufzustellen. ee 2 vd, Sin «& NAT V(v2 + v2)? — 4 v1? v9? cos? a al 2 1 2 und p v —— Vor sIn = = V@;2 + 952)? — 4072052 cos? a 452 Th. Schwartze: Quadriert man diese Formeln, so erhält man die Ausdrücke für die relativen Wirkungsgrade der beiden Komponenten des freien Systems, in welchem cos = sin « ist. Wird cos —=1, also sin g — 0 gesetzt, so folet daraus ©, —=v, und ebenso RR—=R,. Die Gleichung der Ellipse, welche in bezug auf ein freies System der Projektion eines unter 45° gegen die Projektionsebene geneigten Kreises entspricht, geht unter der gemachten Voraussetzung cos = | über in die Gleichung eines Kıeises, für welchen die Beziehung - — Jon zur Geltung kommt, d. h, für die relativ freie Bewegung auf einem Kreisumfange ist die Geschwindigkeit gleich dem Radius (Radius vektor) der Kreisbahn zu setzen. Wir haben vorher in bezug aut Fig. 3 im dritten Abschnitt darauf hingewiesen, dass diese freie Geschwindigkeit durch den Widerstand des äusseren Kraftfeldes nicht zum Ausdruck kommen kann, sondern dass diese Geschwindigkeit nur als der Ausıruck der wirksamen Stosskraft zu betrachten ist, welche im Ursprung der Bewegung zur Geltung kommt, und dass demnach dieser Ursprung der Bewegung auf sin a=cosp—(, also auf cos@—1, zu beziehen ist, woraus sich die Gleichung vr — ge —2v00V, bzw. RE — Re? —=2aR,R, für den Ursprung der freien Bewegung ergibt. Diese Gleichung kann sowohl auf die Bewegung in der Kreisbahn wie auch auf die daraus abgeleitete geradlivige Schwingung bezogen werden und ereibt das für den Ursprung der Bewegung in Betracht kommende Maximum und Minimum zwischen Intensität und Extensität des Systems. Zu der allgemeinen Gleichung für die Bewegung in der Kreisbahn ge- langt man, wenn in der für die Bewegung in der elliptischen Bahn die der Kompensationsresultante A, entsprechende Exzentrizität gleich Null gesetzt wird, wobei aber zu berücksichtigen ist, dass zwar in der Differenz R,? — Rz? in Grösse Rz?—0, ein Produkt 2 R,R, aber Ra gleich einer unbegrenzt klein anzusehenden Einheit zu setzen ist. Daraus folgt A,—=2, d.h. AR, entspricht der Anfangs- geschwindigkeit. ” Um zur allgemeinsten Herleitung der Gleichung für das Grund- gesetz des Naturwirkens zu gelangen, ist in bezug auf Fig. 4 ein beliebiges Parallelogramm abdc der Kräfte vorauszusetzen. In bezug darauf ist vorauszusetzen, dass die sich kombinierenden Kräfte Das Grundgesetz des Naturwirkens. 453 eines. mechanischen Systems sowohl auf ihre gegenseitigen Richtungen ‘wie auch rechtwinklig zu diesen Richtungen Momente, d.h. elementare Stosswirkungen, entwickeln. Die Momente der ersten Art sind als zwangläufige, innere (intensive), dem Begriff des kinetischen Druckes entsprechende Wirkungsgrössen, die Momente der zweiten Art _als freie, äussere, statische und daher dem Begriff der Geschwindigkeit entsprechende Wirkungsgrössen zu betrachten. LE 4 {RR Fig. 4. Bezeichnet man in Fig. 4 die Parallelogrammseiten «5 =v, und a@c==v,, den von ihnen eingeschlossenen Winkel bac=a, so erhält man für die inneren, dem kinetischen Druck entsprechenden Momente ae=v,c0sa und a9 —=v, Cosa, für die freien äusseren, als Geschwindiekeiten betrachteten Momente ah—=v,sina und ak=v, sin e. In bezug auf die Formeln | =: +05? + 20,95 608 a und Rz? = v,? + vv? — 20,0, 608 a erhält man also für die Resultanten «f und «© der diesen Momenten entsprechenden Parallelogramme aefg und ahik die Ausdrücke R,cos« und R,sin«. Die Resultanten ergeben ein Parallelogramın aidf. Da dieses Parallelogramm auch von dem anderen Endpunkt d der Diagonale ad des ursprünglich gegebenen Parallelogrammes ab de konstruiert werden kann, so fällt die Kombinationsresultanute des Parallelogramms aödf mit derjenigen des Parallelogramms abde, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. ol 454 _ Th. Schwartze: also mit der Kombinationsresultante AR, zusammen. Bezeichnet man den Winkel ‘af des Parallelogramms a:df mit @, so besteht für dasselbe die Gleichung RR,’ = R,’ e08°a + Rz’sin®a +2 R,R, cos asin @ cos p und daraus folgt die früher entwickelte allgemeine Gleichung R,?— R;’—2R,R, ceotang @ cos p, welche schon vorher diskutiert worden ist. Aus dieser Gleichung wurde in bezug auf die elementaren Kräfte die Gleichung vr — dg —=2 v0, C08 a des freien Systems abgeleitet. Aus dieser Gleichung wieder ergeben sich die Beziehungen ae 45 0 v —=%(V2+1)=v, cotang =: 0 und u —v, (VY2 —1)=», tang >. Multipliziertt man die erste Gleichung mit v,, die zweite mit v), so erhält man 0 0 —=v,"tang - | (95) d%ı = (1) da —= v5? cotang > In den durch die Multiplikation der Grössen v, und », erhaltenen, dynamischen Grössen entsprechenden Produkten, welche zwei quanti- 'tativ gleiche, qualitativ aber verschiedene Wirkungserössen zum Ausdruck bringen, sind die den Intensitäten entsprechenden Faktoren eingeklammert. Aus der den Ursprung der Bewegung oder des Geschehens symbolisierenden Gleichung | % — lg —=2vv lässt sich daher die Gleichung 0 9 — 97 tanıe : entwickeln, deren kosmologische Bedeutung wir schon früher !) nach- gewiesen haben. Wird in dieser Gleiehung », eleich der theoretisch geltenden grössten Fallgeschwindiekeit von 11000 bis 11200 Sekundenmeter ge- setzt, so ergibt diese Gleichung 300 Millionen Sekundenmeter, also einen Wert, welcher der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichtes und 45° v5” cotang 1) In dem Aufsatz: „Die Zeitkonstante des Ursprungs der Empfindung“ im Bd. 148 S. 522—534 dieses Archivs. ee ee ee rn a A a a = . a s F | Das Grundgesetz des Naturwirkens. 455 demnach auch der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Schwerkraft oder kosmischen Gravitation entspricht. In der Fig. 4 ist die Zusammensetzung zweier Kräfte in der Form von Parallelogrammen dargestellt; damit dürfte die Lehre von der Zusammensetzung der Kräfte wesentlich vervollkommnet worden sein. Um diese Parallelogramme nach ihren relativen Flächen- grössen F' zu bestimmen, sind die folgenden Gleichungen aufzustellen : Parallelogramm abde—- FF, —=v,%Sine, aefg=F, = v, 608 «v5 008 @- sin a— v0, 608? asin«, ahik = F,— v, Sin « - v, Sin @- sin @—=v,v, Sin? «sin a, aidf=F,—=R,cosa- R,sin«:c0sp — R,R; Cosa sin a c0S Q. | Daraus folet, dass das Parallelogramm 7, der inneren latenten Kräfte addiert mit dem Parallelogramm 7,.der äusseren freien Kräfte eine Summe ergibt, welche dem Parallelogramm 7, gleichwertig ist, so dass die Gleichung F, + F,—= F, besteht. Zur näheren Bestimmung des Parallelogramms 7, ist die vorher zur Bestimmung des Kompensationswinkels @, für dessen Sinus geltende Gleichung und der auch vorher angegebene Wert des Produktes R, R, zu berücksichtigen. Danach ist F, — (v,? — v3?) cos « sin a. Wird nun der einer Phasendifferenz zwischen Intensität (motorische Kraft) und Extensität (Entwicklungsschnelliskeit) entsprechende Winkel « gleich 45°, also gleich dem für den Ursprung der Bewegung in Betracht kommenden Winkel der vollkommenen Reflexion gesetzt und 7, mit der Zeitkonstanten z— Y2 des Ursprungs der Bewegung multipliziert, so ist die Gleichung v% — Va —2vt, aufzustellen, indem cos 45 ° = sin 45 ? — = zu setzen ist. Damit st wieder die schon auf sehr verschiedenen Wegen abgeleitete Formel für den Ursprung der Beweeung oder des Geschehens bestimmt. In ihrer allgemeinen Bedeutung ist diese Formel einer Funktion auch für diein physiologisch-psychologischer Hinsicht bemerkenswerte Beziehung zwischen Reiz und Empfindung in Anwendung zu bringen und es ist zu versuchen,’ zwischen dieser Funktion und der Funktion, durch welche das die Beziehung zwischen Reiz und Empfindung symbolisierende Weber’sche Gesetz: „Reiz = Logarithmus der Empfindung“ zum Sa A450 A Th. Schwartze: Ausdruck gebracht ist, ausfindig zu machen. Hierbei ist die im Ausdruck des Weber’schen Gesetzes benutzte, auf die jeder realen Bedeutung entbehrende sogenannte Konstante e der herkömmlichen Differentialrechnung begründete Basis des sogenannten natürlichen Logarithmensystems durch die in rationeller Weise ent- wickelte und als eine dynamische Grösse charakterisierte Zeitkonstante des Ursprungs der Bewegung zu benutzen. Bezeichnet man den Reiz mit « und die Empfindung mit y, die Zeitkonstante des Ursprungs der Empfindung mit e— Y2 und die absolute Zeiteinheit mit ?’—=], so besteht die Proportion y—=tr:l, woraus folst 21° = yr A dann 1 10, 2 Yv Inzibezus auf unser System der relativen Werte!) wird nun & als die Anfangs- geschwindigkeit ©, —=2 gesetzt, d. h. die Einwirkung des Reizes muss erst diese der elementaren lebendigen Kraft = entsprechenden, als Geschwindigkeit bezeichnete und als Geschwindigkeit gemessene Wirkungsgerösse annehmen, bevor die den Reiz im Sinnesorgan er- zeugende Wirkung der Aussenwelt auf das empfindende Bewusstsein hervorgerufen und somit die Schwelle des Reizes bzw. die Schwelle der Empfindung erreicht wird. Wird nun in der Gleichung 2 —=yr die den Reiz erzeugende Wirkung £—=v,=2 gesetzt und berück- sichtigt, dass die Zeitkonstante des Ursprungs der Empfindung durch t—= V2 bestimmt ist, so folgt daraus y—=YV2, d.h. die in der ‚Entstehung begriffene Empfindung wird als eine Beschleunigung und somit als ein negativer Widerstand angesehen, welche durch die Kapazität des Sinnesorgans gegeben ist. Das Sinnesorgan muss also erst die der elementaren Wirkungsgrösse <—=v, u entsprechende Wirkungsmenge oder Wirkungsmasse in sich aufnehmen, bevor diese "Wirkungsgrösse als Empfindung zum Bewusstsein kommt oder, mit anderen Worten: der negative Widerstand der Kapazität des Sinnes- organs muss vorerst ausgeglichen bzw. nullifiziert werden. damit ein ‚positiver, die bewusste Empfindung hervorrufender Widerstand ent- steht. Die Periode dieses Ausgleichs zwischen der den Reiz hervor- bringenden äusseren Einwirkung und der Kapazität des Sinnesorgans 1) Man vergleiche unseren Aufsatz: „Die Zeitkonstante des Ursprungs der Empfindung“ im Bud. 148 S. 522—534 dieses Archivs. Das Grundgesetz des Naturwirkens. : . 457 wird aber nach der einer irrationalen Zahl entsprechenden ‘Zeit- konstante z— Y2 des Ursprungs der Empfindung gemessen. Demnach besteht zwischen dem Zusammenwirken von Reiz, Empfindung und Bewusstsein eine Analogie mit der elektrischen Kraftübertragung, zu welcher ein Elektrogenerator, ein Elektromotor und ein die lehendige Kraft erzeugendes Element, sei es Dampf- oder Wasserkraft, vor- handen sein muss. Durch den mittels der lebendigen Kraft in Be- wegung gesetzten Elektrogenerator wird elektrischer Strom erzeugt, der dem Elektromotor zugeführt wird, um in dessen mit einem Nervensystem zu vergleichenden Drähten Spannung und somit eine elektromotorische Gegenkraft hervorzubringen, durch welehe erst der Elektromotor seine Wirkung nach aussen erlangt. Bevor dieses ge- schieht, muss erst durch Ausgleichung der Kapazität des Elektro- motors dessen negativer Widerstand überwunden und positiver Wider- stand, d. h. elektromotorische Gegenkraft erzeugt werden. Demnach kann die als Empfindung zum Bewusstsein kommende Reizung eines Sinnesorgans als die Differenz zweier lebendiger Kräfte, die wir als ge Reizkraft und Empfindungskraft mit Z und . bezeichnen wollen, angesehen werden. Ferner ist die begriffsmässige Einheit der zum Bewusstsein kommenden Empfindung, welche dieser Differenz gleich- wertig zu setzen ist, durch das Produkt der Extensität x der Reiz- kraft und der Intensität y der Empfindungskraft zu symbolisieren. In diesem Sinne stellen wir die Gleichung auf SI oder —y—2iny. s Daraus folgt een): und ya). Multipliziert man die erste dieser beiden Gleichungen mit , die zweite mit y, so erbält man - | i y’ Ben 1) & (0) 5 — 4 tang 7 Die kosmische Bedeutung dieser elementaren Formel des Natur- wirkens haben wir schon in dem vorher erwähnten Aufsatze über die Zeitkonstante des Ursprungs der Empfindung nachgewiesen. In bezug darauf dürfte wohl der vorliegende Aufsatz als ein Ausdruck der Einheit des Kosmos mit Einschluss des physisch-psychischen Geschehens zu betrachten sein. oder y? eotang 458 Th. Schwartze: Das Grundgesetz des Naturwirkens. Wird in der oben aus der Proportion 2:y=r:t° für =] abgeleiteten Gleichung 2==yr in bezug auf den Ursprung der Empfindung «—=2 und y=r— Y2 gesetzt, so ergibt sich in bezug auf die relativen Werte die Gleichung £—=y?—1? und daraus folgt xz==logy in bezug auf die Basis z. Diese logarithmische Gleichung entspricht dem Weber’schen Gesetz, welches als die Grundlage zur exakten Gestaltung der Physiologie zu betrachten ist. 2 Nach unserem System der relativen Werte kann aber = und die zur Schwelle des Reizes führende, weil die Kapazität des 2 Sinnesorgans ausgleichende Einheit der Empfindungskraft durch z ausgedrückt werden. Wird ferner die an der Schwelle des Reizes durch das Zusanımenwirken von Reiz und Bewusstsein hervortretende bewusste Empfindung in ihrer begriffsmässigen Einheit durch das Produkt xy symbolisiert, so ergibt sich die Gleichung 2 2 a-I-m und daraus folgt, wie schon nachgewiesen wurde, y=x(V2—]1) oder &—=y(V2+1). Aus dieser Gleichung ergibt sich aber die Formel 0 0 — a? tang ©, y? cotang — durch welche das kosmische Grundgesetz zum Ausdruck kommt. Das aus dem Geschehen hervorgehende Sein und wiederum das das Geschehen bedingende Sein ist mechanisch als das Produkt aus Geschwindigkeit und Druck, in bezug auf die lebendige Welt als das Produkt aus Freiheit und Notwendigkeit anzusehen. Dieses Produkt entspringt aus der Differenz zweier lebendiger Kräfte. Wir haben versucht, den Zusammenhang zwischen Geschehen und Sein durch mechanische Analogien nach Möglichkeit zu erklären. 459 (Aus dem physikal. Institut der kaiserl. techn. Hochschule zu Moskau.) Theorie der Lichtreizung der Netzhaut beim Dunkelsehen. Von Professor Dr. P. Lasareff. - In meiner Arbeit über die Ionentheorie der Reizung!) habe ich theoretisch nachgewiesen, dass die Entstehung der Erregung irgendeines reizempfindlichen Gewebes mit dem Vorhandensein der erregenden und erregungshemmenden Ionen in solcher Weise ver- knüpft ist, dass die Beziehung C, Er erfüllt sein muss. C, ist die Konzentration der erregenden, C, die der erregungshemmenden Ionen und A eine Konstante (C, und C, sind sehr klein angenommen). Dieses Gesetz wollen wir das Loeb’sche nennen, da dieses für Muskel- und Nervenerregung zuerst von Loeb?°) experimentell entdeckt wurde. Für kontraktile Gewebe (Protoplasma) wurde dieses Gesetz von mir?) aus Bernsteins®) Vorstellungen über die Rolle der Oberflächenspannung bei der Kontraktion theoretisch abgeleitet, wobei man annahm, dass die Öberflächenspannung eine lineare Funktion der Ionenkonzentration ist?). De 1) P. Lasareff, Pflüger’s Arch. Bd. 135 S. 196. 1910. 2) J. Loeb, Vorlesungen über die Dynamik der Lebenserscheinungen S. 112. Leipzig 1906. 3) P. Lasareff, Biol. Zeitschr. Bd. 2 S. 168. 1911. (Russisch.) 4) J. Bernstein, Die Kräfte der Bewegung in der lebenden Substanz. Braunschweig 1902. 5) Die nach meiner Anregung ausgeführten Versuche von Srebnitzki haben nachgewiesen, dass diese Annahme für kleine lonenkonzentrationen gilt. W. Srebnitzki, Journ. d. russisch. physik.-chem. Gesellsch. Bd. 44 S. 145. 1912. (Russisch.) AGO P. Lasareff: Wie meine weiteren Berechnungen zeigen !), lassen sich aus der Formel (I) alle von Nernst?) für elektrische Reizungen gefundenen Gesetze ableiten. Es wäre deshalb interessant, diese Formel (I), welche die Bedingungen der minimalen Erregung definiert, auch auf andere Erregungsvoreänge auszudehnen, und daher bezweckt vor- liegende Arbeit gerade die Anwendung der Ionentheorie der Er- regung auf die Erscheinungen des Dämmerungssehens. Allgemeine Theorie. Wir setzen im weiteren voraus, dass bei jeder Gesichts- empfiordung in den lichtempfindlichen Stoffen der Netzhaut eine photochemische Reaktion verläuft, und dass gewisse Produkte der- selben (Ionen) reizend’ auf die Endorgane der Sehnerven wirken können. | ö Beim Dunkelsehen ist dieser Prozess mit dem Vorhandensein des liehtempfindlichen Pigments (Sehpurpur), welcher die Stäbchen färbt, enestens verbunden, und fällt das Gesetz der Zersetzung dieses Pigments durch das Licht, wie es aus Trendelenburg’s Untersuchungen ®) klar hervorgeht, mit dem von mir*) an Jicht- empfindlichen Farbstoffen gefundenen Gesetze?) zusammen. % Nach diesem Gesetz besteht zwischen der absorbierten Enersie- menge und der Reaktionsgeschwindigkeit des Ausbleichens eine ein- fache Proportionalität ganz unabhängig davon, welche Strahlen auf die lichtempfindlichen Substanzen einwirken. | Wie von mir‘) weiter nachgewiesen wurde, ist dieses einfache Gesetz nur für die Farbstoffe mit einem Absorptionsband sültie. 1) P. Lasareff, Pflüger’s Arch. Bd. 135 S. 198—201. 1910. 2) W. Nernst, Göttinger Nachrichten. Mathem.-physik. Kl. 1899 S. 104. — W. Nernst, Sitzungsber. d. Berl. Akad. Bd. 1 S. 3. 1908. — W. Nernst, Pflüger’s Arch. Bd. 122 S. 275. 1903. 3) W. Trendelenburg, Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorgane Bd. 37 8.2, 1904. — W. Trendelenburg, Abhandlungen zur Physiologie der Gesichtsempfindungen Bd.3 8.6. Herausgegeben von J. v. Kries. Leipzig 1908. 4) P. Lasareff, Annalen der Physik Bd. 24 S. 661. 1907. 5) Vgl. P. Lasareff, Journ. d. russisch. physik.-chem. Gesellsch. Bd. 40 S. 19. 1908. (Russisch) — W. Trendelenburg, Ergebn. d. Physiol. Bd. 11 S. 1. Wiesbaden 1911. — Victor Henri et J. Larguier des Bancels, Journ. de physiol. et de pathol. generale t. 13 p. 841. 1911. — J. v. Kries, Zeitschr. f. Elektrochemie Bd. 18 S. 465. 1912. 6) P. Lasareff, Annalen der Physik. Bd. 37 S. 812. 1912. Theorie der Lichtreizung der Netzhaut beim Dunkelsehen. 461 Haben Farbstoffe zwei oder mehrere übereinandergelagerte Ab- sorptionsstreifen, so kann das Ausbleichen in jedem dieser Bänder mit einer konstanten, aber von derjenigen in den anderen Bändern verschiedenen Geschwindigkeit. vor sich gehen. Deshalb: kann das Verhältnis der zersetzten Farbstoffmengen zu den absorbierten Energiemengen innerhalb des Absorptionsgebietes nicht konstant sein. Die Anwendung des Gesetzes des Ausbleichens ist deshalb nur auf das Ausbleichen des Sehpurpurs, welches ein Absorptionsband hat, zulässig. Beim fovealen Sehen, für welches die Pigmente noch nicht gefunden sind, und deren optische Eigenschaften deshalb noch nicht bekannt sind, können diese Gesetze nur annähernd erfüllt sein. Bei jeder photochemischen Reaktion als erstes Stadium _der- selben muss eine Ausscheidung von Elektronen stattfinden '), und wenn die darauffolgende Reaktion in einem flüssigen Medium ver- Jäuft, so müssen die freigewordenen Elektronen sich mit deu Neutral- molekülen verbinden und auf solche Weise die Ionen bilden. Nach unserer fundamentalen Voraussetzung bedingen diese Ionen bei ihrer Bildung den Erregungszustand der Nerven. Die Reaktionsgleichung kann auf folgende Weise erhalten werden. Es sei € die Konzentration des Sehpurpurs in der lichtempfindlichen Schicht der Netzhaut, J die Intensität des darauffallenden Lichtes und C,' die Konzentration der Reaktionsprodukte der photochemischen Zersetzung des Purpurs. Die Geschwindigkeit der Produktenbildung unter dem Einfluss des Liehtes muss der vom Sehpurpur absorbierten Energiemenge proportional sein. Die auf solche Weise gebildeten Produkte müssen schnell entfernt werden, und dies geschah teilweise durch Fortdiffusion und hauptsächlich auf rein chemischem Wege. Die Geschwindigkeit dieses Prozesses muss von (,' abhängen, und im weiteren wollen wir diese Geschwindigkeit proportional C}’ setzen ?). 1) P. Lasareff, Annalen d. Phys. Bd. 37 S. 820. 1912. — P. Lasareff, Das Ausbleichen von Farbstoffen, und Pigmenten im sichtbaren Spektrum. (Ein Versuch, die Grundgesetze der chemischen Wirkung des Lichtes zu untersuchen.) Moskau 1911. (Russisch.) 2) Die photochemische Reaktion im Sehpurpur ist vom chemischen Stand- punkte aus keine umkehrbare und gehört zu solcher Klasse der Reaktionen, welche als scheinbar umkehrbare bezeichnet werden können. (Vgl. R. Luther und J. Plotnikow, Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 61 S. 513. 1908.) Die voll- ständige Wiederherstellung des Pigments in vivo rührt von den biologischen Pro- zessen in den Zellen her. f 462 P. Lasareff: Unter diesen Annahmen bekommen wir!) dC, dt worin «, und «, Konstante und % Absorptionskonstante sind, und J (1—.e-*‘) die vom Sehpurpur absorbierte Energiemenge be- deutet. Diese Gleichung lässt sich vereinfachen, wenn wir annehmen, dass die Konzentration des Purpurs C sehr klein (theoretisch ver- schwindend klein) ist. In diesem Falle geht die Reaktionsgleichung in die folgende — nel Zee) —cohln, — SEM Orr era) über. Wir setzen im weiteren voraus, dass die Bildung der Produkte im lebenden Auge der Gleichung © —= (,— C}' genügen muss, worin Co die anfänglich im Dunkeln bestehende Konzentration des Pig- mentes ist?).. Wenn wir diesen Wert C in die Gleichung II ein- setzen, so bekommen wir nn + Q (kJ + 05) Se ca, kJC, == 0 Für das Integral dieser Differentialeleicenung haben wir cıkJIC, Dee ern: a Me 1 kJC + % Die willkürliche Konstante M kann aus den anfänglichen Be- dingungen gefunden werden. Am Anfang der Lichtwirkung (t — 0) muss die Produktenkonzentration C,' gleich Null sein, d. h. ER a, kJ CO, | Vu und daher a kJ CO, In kJ + 1) Vgl. W. Nernst, Theoretische Chemie. Stuttgart 1913. 2) Es ist dabei vorausgesetzt, dass bei der Berücksichtigung der Prozesse der Pigmentswiederherstellung in den Zellen, der Vorgang bei kleinen Produkten- konzentrationen (C,' nach der Gleichung einer umkehrbaren Reaktion vor sich geht. Bei dieser Annahme lässt sich der ganze Ausbleichungsprozess des Seh- purpurs nur summarisch darstellen, da wir die Reaktion dabei ausser Acht lassen, welche den ganzen Wiederherstellungsvorgang irreversibel macht und darin be- steht, dass die Produkte photochemischer Reaktion mit anderen Stoffen auf nicht umkehrbarem Wege reagieren. (Vgl. R. Luther und J. Plotnikow, |. c.) Theorie der Lichtreizung der Netzhaut beim Dunkelsehen. 463 Setzen wir diesen Wert von M in die obige Gleichung ein, so erhalten wir 6, kJ ak) + Diese Gleichung stellt den allgemeinen Ausdruck der Produkten- bildung für homogenes Licht vor. Wirkt ein gemischtes (z. B. weisses Licht) auf den licht- empfindlichen Stoff ein, so kann die Intensität der homogenen Strahlengattung, welche im Schwingungsintervalle von n bis n + dn liegt, durch die Gleichung: In — In Jg: An dargestellt werden, worin q. eine von der Energieverteilung im Spektrum abhängige Konstante und J, die Intensität des auf- fallenden gemischten Lichtes sind. Die absorbierte Energiemenge muss in diesem Falle gleich b b Q — ne FR = Jg ORfEl.qn dn 1 RR e(ıkJ+ eo Ray (III) sein; A, ist die bezügliche Absorptionskonstante, a und 5b sind der kleinste und der grösste Wert von ». Für die Wirkung des ge- mischten Lichtes erhalten wir daher die Differentialgleichung: ! b n — Jg EL Ve, An dn SI &o C . . . (IV) Wie leicht zu sehen ist, sind die Differentialgleichungen (II), (IV) der Form nach identisch, und kann deshalb das Integral der Gleichung (IV) erhalten werden, wenn wir in der Formel (III) k und ü < J durch k,—= /k„qn dn und J, ersetzen; wir erhalteu dadurch b a kyd, ak), + &s Was die Bedingung der Erregungsentstehung anbetrifft, so können wir voraussetzen, dass die Konzentration der bei der photo- chemischen Reaktion sich bildenden Ionen (sowohl erregenden C, als auch erregungshemmenden (C,) von der Konzentration der Reaktionsprodukte C} abhängt; daher können wir Z=F(0) 2 eo, 1-—e-abhte)i), , (V) setzen; F'(C,) ist eine nicht näher zu definierende Funktion von C,. Da bei der minimalen Erregung die Gleichung = —= A erfüllt 2 464 P. Läsareff: ist, so muss für diesen Fall A=F ((C,) sein; wenn wir die Wurzel der obigen Gleichung durch B bezeichnen, so ist für die Erregungsentstehung bei gewissen äusseren Bedingungen - N — 5 B a Ws fa en D . (VD notwendig. Die allgemeinen Gleichungen für die minimale Erregung müssen deshalb foleende Form annehmen. Für homogenes Licht bekommen wir aus der Gleichung (II) NE EN ey: a nee e ee) und für gemischtes Licht erhalten wir aus der Formel IV LAN ER, a hg Ig Whg Jg aa) : Ei — ah NEE Dr „! e 9°9 l, VID worin Ay =; kg dn ist. Alle oben besprochenen Ergebnisse sind, wie schon oben gesagt wurde, streng nur auf das Dämmerungssehen anwendbar, aber als Annäherungsformeln dürften diese in manchen Fällen auch für das foveale Sehen dienen. Über die Beziehung des Schwellenwertes und Helligkeitswertes der verschiedenen Strahlen des Spektrums zu der vom Sehpurpur absorbierten Energiemenge. In diesem Kapitel wollen wir die Reizschwelle für dauernde Belichtung suchen. In diesem Falle muss Z als sehr gross (theo- retisch unendlieb gross) angenommen werden, und die Formel “u für homogenes Licht geht in die folgende ak) en men oder Go BI 0) & über. O5 —C, ist die Sehpurpurkonzentration in dem Zeitmoment t==, und wir wollen dieselbe mit (© bezeichnen; dann ist BE 0) up Für gemischtes Licht erhalten wir aus der Formel (IV): = hl. ee 00, Theorie der Lichtreizung der Netzhaut beim Dunkelsehen. 465 ‚Bei der Reizschwelle müssen nach der Formel (VI) folgende Beziehungen erfüllt sein: - (Homoeenes Licht) G—B— :kIC OT) P2 (Gemischtes Licht) Q,' — Bd, Na) Bei sehr kleiner Konzentration (theoretisch verschwindend kleiner), wie es in unserem Auge der Fall ist, drückt kJ C die vom Seh- purpur absorbierte Energiemenge aus, und die Formel (XT) zeigt folgendes: wenn für eine homogene Lichtgattung bei der Absorption einer bestimmten Energiemenge eine eben merkliche Empfindung entsteht, so muss für jede andere Lichtart auch eine eben merkliche Empfindung bestehen, falls die absorbierte Energiemenge dieselbe Grösse hat. Diese Resultate stimmen vollkommen mit denjenigen überein, die Trendelenburg!) bei seinen Untersuchungen über das Dämmerungssehen gefunden hat. Aus der allgemeinen Theorie können wir auch die Helligkeits- werte der verschiedenen Strahlen des Spektrums berechnen, obgleich es hier sich nicht um eine minimale Erregung handelt. Wie wir oben gesehen haben, ist die Konzentration der Reaktions- produkte durch die Gleichungen (IX) und (X) gegeben. Diese Gleichungen sind auch für die überschwelligen Reize gültig, also auch für Helligkeitsvergleichungen der verschiedenen Teile des Spektrums. Zwei überschwellige Lichtreize können uns von der- selben Intensität erscheinen, wenn die entsprechende Konzentration der Reaktionsprodukte und folglich die Ionenkonzentration in beiden Fällen dieselben sind. Wenn deshalb ein homogenes und ein gemischtes Licht gleiche Empfindungen hervorrufen, so müssen die aus der Formel (IX) und aus der Formel (X) genommenen Werte für C,' gleich sein, d. h. kl — kn daher I 20 (XIN) worin R= k,Co eine Konstante bedeutet. J, stellt eine Intensität des gemischten Lichtes vor, welche in ihren physiologischen 1) W. Trendelenburg,l. c. 466 P. Lasareff: Wirkungen der Intensität / des homogenen Lichtes äquivalent ist. J, ist deshalb der Helligkeitswert des spektralen Lichtes J. Wenn für die betreffende Vergleichung ein homogenes Licht zur Anwendung kommt, so geht in diesem Falle die Formel (XII) in folgende kJIO, KkIC, Eon über, worin J, die Intensität des zur Vergleichung angewandten homo- genen Lichtes (Dämmerungswert), k, die dementsprechende Ab- sorptionskonstante und AR, eine Konstante sind. | Da bei kleinen ©, kJ Co, der vom Sehpurpur absorbierten Energiemenge gleich ist, so müssen nach obigen Gleichungen die Helliekeitswerte der homogenen Strahlen beim Dämmerungssehen (Dämmerungswerte) der vom Sehpurpur absorbierten Energiemenge proportional sein. Da ausserdem nach dem Grundgesetze der Photochemie die Reaktionsgeschwindigkeit des Sehpurpurausbleichens (in vitro) der absorbierten Energie proportional ist, so müssen die Dämmerungs- werte, absorbierte Energiemenge und Reaktionsgeschwindigkeiten des Sehpurpurausbleichens sich proportional ändern. Diese Resultate stimmen vollkommen mit den von Trendelen- burg!) experimentell erhaltenen überein. Ist die Intensität der Strahlen in den verschiedenen Bezirken des Spektrums die gleiche (J = Konst.), so drückt die Formel (XIV) aus, dass die Hellickeitswerte der verschiedenen homogenen Strahlen der Absorptionskonstante des Sehpurpurs für diese Strahlen % pro- portional sind. Wir erhalten dadurch das Resultat, welches König?) schon früher experimentell gefunden hatte. IR (XIV) Reizschwelle bei kurzdauernder Belichtung. Wir gehen nun dazu über, die Gesetze der Reizschwelle bei kurzdauernder homogener Belichtung (während der Zeit i) zu unter- 1) W. Trendelenburg, Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorg. Bd. 37 S. 30-45. 1904. — W. Trendelenburg, Abhandlungen zur Physiologie der Gewichtsempfindungen Bd. 3 S. 35—50. 2) A. König, Gesammelte Abhandlungen zur physiologischen Optik 8. 338 Leipzig 1903. Het Theorie der Lichtreizung der Netzhaut beim Dunkelsehen. 467 suchen. Die Konzentration der Reaktionsprodukte kann auf folgende Weise geschrieben werden (Gleichung II). 3 hd or Bd I ag, ] bei der Reizschwelle muss ausserdem CO,’ —=B sein. Wir entwickeln e=-(@:*J +2) jn eine Reihe und behalten wegen der Kleinheit von ? nur die Glieder mit ? und £? bei; dann erhalten wir VB [art ET daraus bekommt man für Jt B 1 C,0ı k (kJ + 0,)t |! 3 2 | ei — Wegen der Kleinheit des t kann obige Formel annäherungs- weise durch folgende men (a, kJ + @)t I CO, k |: ı 2 | ersetzt werden, oder endlich Det 5 Ost a 0.06 Macht man die Substitution b 1 2 Febles 1 O,0, k [= B Be 2 Ok e 2) 20h, 2.0 [worin « und 5 immer positiv sind], so erhält man aus obiger Gleichung folgende =h En IT Rd Die Formel für gemischtes Licht erhält man aus der Formel (XV), wenn man % und J durch k, und J, ersetzt. Die lineare Beziehung zwischen Jt und £ ist deshalb sowohl für homogenes als auch für jedes gemischte Licht bewiesen. Wenn 5 nicht die Konzentration der Reaktionsprodukte bei dem Schwellen- wert bedeutet, sondern diejenige Konzentration, die unter der Wirkung dauernder überschwelliger Belichtung in der Netzhaut er- zeugt wird, so muss die Formel (XV) auch für beliebige inten- sivere Reize gelten und gibt deshalb die Beziehung zwischen der Einwirkungszeit t solcher Reize und deren Intensität, falls diese 4058 P. Lasareff: Reize-im Vergleich mit einer konstanten Lichtquelle dieselbe schein- bare Intensität aufweisen. Ist t verschwindend klein (praktisch sehr klein), so bleibt das Produkt J? gleich der Konstanten a. Dieses Resultat wurde von Bloch!), Charpentier?) und Max Dou- sall®) für sehr kleine ? experimentell nachgewiesen. Genauere Versuche der Schwellenwertsbestimmung bei kurzdauernder Be- lichtung von Blondel und Rey), welche in grossem t-Intervall gearbeitet haben, zeigen, dass die Beziehung J und t eine kom- pliziertere sein muss als diejenige, die von den obengenannten Forschern vermutet wurde, und zwar wächst J?, wie es aus ihren Messungen hervorgeht, linear mit ?°), so dass die Versuche und die oben entwickelte Theorie sehr genau übereinstimmen. Die Resultate dieser Arbeit können folgendermaassen zusanımen- gestellt ‚werden: 1. Aus der Annahme, dass bei der Wirkung des Lichtes auf die Netzhautpigmente (Sehpurpur) ein photochemischer Prozess ver- läuft, wurde die Konzentration der Reaktionsprodukte abgeleitet. 2. Es wurde aus dem allgemeinen, früher von mir theoretisch gefundenen Gesetz der Erregung (Loeb’sches Gesetz) und aus der Gleichung der photochemischen Reaktion in den Netzhautzellen die Bedingung für den minimalen Erregungszustand der Netzhaut ge- funden. 3. Die allgemeine Formel der Erregung wurde auf die Wirkung der verschiedenen Strahlen auf die Netzhaut angewandt, wobei sich ein einfaches Gesetz herausgestellt hat, nach welchem der Reiz- schwelle beim Dunkelsehen gleiche vom Sehpurpur absorbierte Energiemengen entsprechen. Dieses Gesetz stimmt vollkommen mit den experimentellen Untersuchungen überein. Es wurden auch die Helligkeitswerte der verschiedenen Strahlen des Spektrums berechnet, wobei die Resultate die von König und Trendelenburg experimentell gefundenen Ergebnisse bestätigen. 1) Bloch, Compt. rend. de la Soc. de Biol. t.2 p. 495. 1885. 2) Charpentier, Compt. rend. de la Soc. de Biol. t.2 p.5. 1887. 3) MacDougall, Journ. of Psychol. vol. 1 Abt. 2. Juni 1904. 4) A. Blondel et J. Rey, Journ. de Physique ser. 5 t.1 p. 530. 1911. 5) Vgl. auch J.L. Hoorweg, Journ. de Physique ser. 5 t. 2 p. 177. 192. Theorie der Lichtreizung der Netzhaut beim Dunkelsehen. 469 4. Die Anwendung der allgemeinen Formel der Erregung auf die Empfindungen bei kurzdauernder Belichtung (während der Zeit ?) gibt dabei die Beziehung ee Jt=a+bt. (J ist die Lichtintensität bei der Reizschwelle, «a und 5 sind Konstante.) Diese theoretische Formel gilt für homogenes und für gemischtes Lieht und stimmt mit den Beobachtungen von Blondel und Rey vollkommen überein. Pflüge:r’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 92 470 W. N. Boldyreff: Der Einfluss des Schilddrüsenapparates auf die Wärmeregulierung bei Hunden. Die Methode der Hervorrufung und Heilune der krank- haften Anfälle, die bei Hunden nach Exstirpation der Schild- und Nebenschilddrüsen typisch sind). Von Ww.N Boldyreff (Russland, Kasan). Nach Versuchen, teilweise gemeinsam ausgeführt mit stud. $S. A. Pissemsky und stud. 6. W. Anrep. Dem Gedächtnis meines geliebten Lehrers J. R. Tarchanoff. Vor 5 Jahren wurden von mir in der Woronesher Medizinischen Gesellschaft zuerst Versuche mit Störung der Wärmeregulation an Hunden vorgeführt, die des vollständigen Schilddrüsenapparates be- raubt waren, d. h. der beiden Gl. thyreoideae und aller vier para- thyreoideae (internen und externen Fpithelialkörperchen). Seit jener Zeit haben sich unsere Untersuchungen bedeutend vorwärts bewegt; gegenwärtig erstreckt sich unser Material auf einige Dutzend Hunde, und ausserdem wurden auch noch einige Versuche an anderen Tieren (Katzen und Kaninchen) angestellt. Wie bekannt, haben die Hunde zwei völlig abgesonderte Schild- drüsen. Jede dieser Drüsen hat zwei Nebenschilddrüsen — zwei kleine Körperchen von gelber Farbe, in der Grösse etwas kleiner als Linsen. Die zwei erwähnten Drüsen bilden bei den Hunden sozusagen mit dem Körper der Schilddrüse ein anatomisches Ganzes, wobei das „innere“ Körperchen in das eigentliche Gewebe der 1) Demonstriert in den Sitzungen der Woronesher medizinischen Gesell- schaft am 19. Mai 1908 (in Woronesh) und der physiologischen Sektion des elften Pirogowsker Kongresses am 23. April 1910 (in Petersburg). Die vorläufigen Mitteilungen über diese Versuche wurden in deutscher Sprache im Zentralblatt für Physiologie Bd. 22 Nr. 10. 1908 und in russischer Sprache im „Russki Wratsch“ 1903 Nr. 27 veröffentlicht. Der Einfluss des Schilddrüsenapparates auf die Wärmeregulierung etc. 471 Schilddrüse eingeschlossen ist und in deren Tiefe liegt; das „äussere“ dasesen befindet sich auf deren Oberfläche, jedoch unter der Kapsel (Kohn). Bei der gewöhnlichen Operation der Schilddrüsen- exstirpation bei Hunden ist die Entfernung auch sämtlicher Neben- schilddrüsen unvermeidlich. (Die Nebenschilddrüsen [Gl. para- thyreoideae] dürfen nicht mit den bisweilen angetroffenen Er- gänzungsschilddrüsen [Gl. thyreoideae successoriae] verwechselt werden; letztere sind ihrem histologischen Bau nach den Schild- drüsen analog, während die ersteren sich durchaus von ihnen unter- scheiden. Dasselbe lässt sich, wie es scheint, auch von der physio- logischen Rolle aller dieser Drüsen sagen.) | Alle erwähnten Drüsen (sechs an der Zahl) zusammengenommen werden wir den Schilddrüsenapparat nennen. In ähnlicher Weise wie bei den Hunden ist dieser Apparat auch bei einigen anderen Vertretern des Tierreiches konstruiert, bei Karnivoren und Omnivoren, z. B. bei den Katzen und beim Menschen; bei den Nagetieren da- segen (z. B. Kaninchen) und Grasfressern (Ziegen) sowie einigen anderen Tieren befinden sich die Nebenschilddrüsen nicht in einer solchen innigen Verbindung mit den Schilddrüsen und sind manchmal von diesen bedeutend entfernt gelegen. Darum geht bei einer Schilddrüsenexstirpation an pflanzen- fressenden Tieren nicht der ganze Schilddrüsenapparat verloren, sondern nur ein Teil desselben, und augenscheinlich können dieselben infolge dieses Umstandes wieder genesen. Die Karnivoren und Omnivoren dagegen verlieren bei der genannten Operation den ganzen Apparat und gehen nach derselben in den ersten Tagen oder Wochen zugrunde Ich werde hier keine Literaturangaben über die Funktionen der Schilddrüsen und Nebenschilddrüsen anführen. Diese Angaben sind zu umfangreich und bisweilen sehr widerspruchsvoll'); die 1) Die pbysiologische Charakteristik der Schilddrüsen und Nebenschilddrüsen sowie Literaturangaben können Interessenten unter anderem in folgenden Arbeiten finden: 1. M. Schiff, Gesammelte Beiträge zur Physiologie, drei Bände. Lau- sanne 1874. — 2. J. Sandström, Über eine neue Drüse. Referat. Schmidt’s Jahresbücher 1880 Nr. 114. — 3) J. A. Reverdin, Note sur 22’ operations dı goitre. Rev. med. Suisse rom. 1883 et Contribution & l’etude du myxoedema. II. Congr. Chir. Franc. 1886. — 4) Th. Kocher, Über Kropfexstirpation und ihre Folgen. Arch. f. klin. Chir. Bd. 29. 1883 und andere Artikel. — 5) Viktor Horsley, F.R.S., Die Funktion der Schilddrüse. Internationale Beiträge zur wissenschaftl. Med. Festschr. R. Virchow Bd. 18.401. Berlin 1891. — 32 * 472 W. N. Boldyreff: Besprechung derselben würde uns zu lange von unserer Hauptaufgabe, der experimentellen Untersuchung der Funktion des Schilddrüsen- apparates, ablenken. | Da bei unseren Versuchen dieser Apparat vollständig entfernt wurde, so ist vorläufig bei Besprechung unseres Materials nicht die unbedingte Notwendiekeit vorhanden, auf die Einzelheiten der Literatur einzugehen und den Versuch zu machen, die Funktionen aller genannten Drüsen abzugrenzen. Eine derartige Aufgabe käme eher der zukünftigen als der gegenwärtigen Physiologie zu, die noch nicht über genügendes Material verfüst, um diese Aufgabe erfüllen zu können. Hunde, die auf operativem Wege aller Schild- und Nebenschild- drüsen beraubt werden, leiden bekanntlich an Störungen vieler wichtiger Funktionen des Organismus: bei ihnen wird vor allem die Atmung, dann der Blutkreislauf, die Verdauung, der Stoffwechsel und die Wärmeregulierung gestört. Solche Tiere gehen dann bald nach der Operation zugrunde (durchschnittlich nach ungefähr 2 Wochen), unter Erscheinungen starker Erschöpfung und subnormaler Temperatur, wobei während des Verlaufes der Krankheit sich nicht selten Anfälle der sogenannten Tetanie (Krämpfe) entwickeln. Sehr oft tötet ein solcher Anfall das Tier schon in den ersten Tagen nach der Operation. Was die Temperaturschwankungen bei den in der obenbeschriebenen Weise operierten Tieren angeht, so finden wir in der Literatur fortwährende Hinweise auf das ‘Sinken der Temperatur der Tiere in den letzten Lebenstagen; bisweilen wird noch erwähnt, dass die starken Krampfanfälle die Temperatur ‚merklich erhöhen, was schon a priori zu erwarten war. Im all- gemeinen aber wurde eine sorgfältige und systematische Temperatur- untersuchung bei solchen Tieren nicht ausgeführt. 6) E. Gley, Eine Reihe von Artikeln in „Archives de Physiologie normale et pathologique“ und „Comptes Rendus de la Societe de Biologie“. — 7) A. Kohn, Die Epithelkörperchen. ‘ Sammelreferat. Ergebnisse der Anatomie und Ent- wicklungsgeschichte 1899 und 1900. — 8) W. W. Paschutin, Kursus der all- gemeinen und experimentellen Pathologie Bd.1. St. Petersburg 1901. (Russisch.) — 9) P. W. Petrowski, Zur Physiologie der Schilddrüse. Über den Einfluss der Thyreodektomile auf den Stoffwechsel. 1904. (Russisch.) — 10) H. Boruttau, Innere Sekretion. Nagel’s Handb. der Physiol. d. Menschen. Bd. 2 Teil l. Braunschweig 1906. — 11) Arthur Biedl, Innere Sekretion S. 29—107. Berlin 1910. Der Einfluss des Schilddrüsenapparates auf die Wärmeregulierung etc. 473 Einige Autoren [Horsley‘), Eiselsberg?), Smith°)] haben gefunden, dass die operierten Tiere gewissermaassen die Fähigkeit der Wärmeregulation verlieren und gegen die für sie äusserst schäd- liche Abkühlung nicht ankämpfen können. Die Erwärmung solcher Tiere aber hilft nach der Meinung dieser Autoren den krankhaften Folgen der Entfernung des Schilddrüsenapparates zu widerstehen. Ohne Zweifel ist eine solche Anschauung mehr auf klinische Be- obachtungen als auf experimentelle Ergebnisse gegründet. Die Kliniker kennen schon längst die Störungen der Wärmeökonomie bei Personen, die an Krankheiten des Schilddrüsenapparates leiden, oder die auf operativem Wege desselben beraubt wurden. So haben Prof. N. A. Weljaminoff (ich berichte nach seinen Worten und nach den Worten seines Assistenten Dr. W. N. Tomaschewski) und später einige andere schon seit langer Zeit und ziemlich häufig scharfe und durch nichts zu erklärende Temperaturschwankungen beobachtet an Personen, bei denen die Schilddrüsen entfernt worden waren. Unserer Überzeugung nach können sich die Untersuchungen in dieser Richtung sowohl an Menschen als auch an Tieren sehr frucht- bringend erweisen. Ich gehe nun zur Besprechung unserer Ergebnisse über. Wir hatten uns zur Auigabe gestellt, in möglichst sorgfältiger Weise Hunde zu beobachten, die des Schilddrüsenapparates beraubt waren, und bald bemerkten wir bei den Tieren Temperaturschwankungen, die mit den typischen krankhaften Anfällen in Verbindung stehen (klonische Krämpfe), die bei solchen Tieren willkürlich entstehen. Bei Beobachtung des Verlaufs des Anfalles überzeusten wir uns bald, dass in dem Maasse, wie seine Stärke zunimmt, auch die Temperatur steigt; wir kamen auf den Gedanken, ob nicht eine solche Temperaturerhöhng bei den Tieren nicht deren allgemeinen Krankheitszustand verschlimmert, und ob nicht diese Temperatur- erhöhung allein Krampfanfälle hervorrufen kann, wenn man die operierten Tiere bei anscheinend vollkommenem Wohlbefinden erhitzt. Die Versuche bestätigten bald unsere ‚Vermutung. Es folgen hier die Ergebnisse einiger derartiger Versuche. 1) V. Horsley, I. c. 2) A. F. Eiselsberg, Wiener klin. Wochenschr. Nr. 5 S. 81. 1892. — A. F. Eiselsberg, Die Krankheiten der Schilddrüse S. 31. Wien 1901. 3) J. L. Smith, The Journal of Physiologie vol. 12 p. 379. 1894. \ 474 9 N. Boldyreff: Tabelle 1. Übermässige Temperaturerhöhung bei Hunden, die des Schilddrüsen- apparates beraubt waren (bei deren Erwärmung). mm tee nee m nn nn Versuch I. Versuch I. Erwärmung im warmen Erwärmung im warmen Zimmer Zimmer i £ Verände-| Zei Verände- Zeit | Operierter Hund - | Operierter Hund in Ne rung der in N? rung der Min. i Temp. | Min 1 Temp. Vor dem Versuche Temp. in recto = { "si } Temperatur nach der Erwärmung Vor dem Versuche Temp. in recto ar = 37,4 Temperatur nach der Erwärmung 25 40,2 +21 10 37,6 +02 Krämpfe noch 10 37,9 +0,3 ls 38,3 +04 klonische Krämpfe le 38,9 +0,6 > 39,7 +08 Im 1283 ganzen | | Versuch II Versuch IV Erwärmung im warmen Zimmer (Temperatur + 35° C.) Erwärmung im warmen Zimmer &0 SE &0 RR Zeit | Normaler | 3 S Ope- = = Zeit | Normaler 5 = Ope- BE in Hund | S rierler) = = in Hund 3 van ea a xı |25| ud | 5.| Na.) ee in. iR e Sl E S in. r. E | Nn4 E Ss Vor dem Versuche Vor dem Versuche ll Temp. in Temp. Re { Temp. in \ Ei { Temp. in \ na recto 39,2 Fee! 37, 5 recto 38,4 Tecto 37,7 Temperatur nach der Erwärmung Temperatur nach der Temperatur 50 | 39,2 0 402 | +27 20 | 38,5 |+ 01 | 33,9 | +12 klonische Krämpfe noch 35 39,2 0 40,3 | + 0,11 noch 20 3834 | —0,1 39,8 |+09 N) 39,2 0 40,3 0 20 38,4 0 #1 +03 Im | 0 +28] Im 0 +24 ganzen ganzen 105 | 60 a B le en ee Der Einfluss des Schilddrüsenapparates auf die Wärmeregulierung etc. 475 Tabelle 1 (Fortsetzung). Versuch V Versuch VI Erwärmung im warmen Zimmer Zeit in Min. l Temperatur nach der Erwärmung noch 25 15 | 15 (Temperatur + 37°C.) Erwärmung im warmen Zimmer (Temperatur + 37° C.) on Normaler 3 = Ope- © end 3 ES rierter Ns 3& Hund 5 E | M.5 Vor dem Versuche \ Br {| Temp. in Temp. in recto 38,9 recto 38,8 38,8 0 I 38 38,8 0 402 38,8 0 40,5 38,8 ) 0 Veränderung der Temp. Y- +0,9 +0,4 +0,3 0 +16 on on R. Zeit | Normaler 3 = Ope- 5 = in Hund = = rierter = = £ Su| Hund |5 „ Min. Nr. 4 S © Nr.6 #3 > = r. SE ra Vor dem Versuche { Temp. in \ Er {| Temp. in \ Er recto 38,1 recto 38,6 Temperatur nach der Erwärmung 15 3833 1+02 392 | +06 noch 20 38,9 0 39,9 | +0, 2 38,3 0 40,3 | +0,4 Im + 0,2 +1, ganzen 60 Versuch VII Versuch VII Erwärmung im warmem Zimmer Zeit in Min. l Temperatur nach der Erwärmung (Temperatur + 35° C.) Erwärmung im warmen Zimmer SR Sr m, u _ Normaler, 5 & Ope- S =| Zeit |Normaler Ss Ope- = =: Hund |<& rierter | © © a Em rierter | = = - Hund B= n > = & Hund {= n Nr. 5 ‚© S|ır.z |22[ Min Nr.6 |5& | ms |283 > > = Vor dem Versuche Temp. in | {| Temp. in recto 38,6 $ \lreeto 37,6 15 38,6 0 33,6 noch 15 38,6 0 39,8 n "| 38,6 0 40,1 im l 0 | ganzen 3” | Y— +10 +12 +03 + 2,5 20 noch d il „ 20 Temp. in \ R {| Temp. in recto 38,6 recto 33,0 Temperatur nach der Erwärmung 38338 |+02] 386 38,7 en 0,1 39,8 38,7 0 42,5 Krämpfe und Tod +01 im ganzen [7] 0 Vor dem Versuche Y— +0,6 +12 +2,7 +45 476 0 W.N. Boldyreff: Tabelle 1 (Fortsetzung). Durchschnittsziffern aus allen acht Versuchen. Erwärmung im warmem Zimmer (Temperatur + 36° C.) Norm (normale Hunde) Zeit in Minuten Naclı | Bemerkungen der Operation | über die operierten Hunde Vor dem Versuche {| Temp. in recto Temp. in recto N Dem Anschein nach voll- 5 pP. 1 Ze kommen gesund Veränderungen der Temperatur nach der Erwärmung 0 +01 | +12... Atemnot und Herzklopfen noch 20 + 0,09 +08... gewöhnlichstarke Krämpfe - gewöhnlich starke, häufige a | mul | a das. {| Krämpfe und Tod. a ganzen +02 . +26 60 Der Kontrollhund bot während der ganzen Versuchszeit keine Abweichung von _ der Norm dar. Wie wir sehen, wurden fast alle Versuche gleichzeitig an zwei Hunden, einem operierten und einem Kontrollhunde, ausgeführt; beide wurden zusammen unter völlig gleichen Bedingungen in einem warmen Zimmer untergebracht. Bei den (normalen) Kontrolltieren erhob sich die Temperatur nach dem Durchschnitt aller in der Tabelle angeführten Versuche nach einer einstündigen Erwärmung um nur 0,2° C,, während bei den operierten Hunden die Temperaturerhöhung die gewaltige Ziffer + 2,60C. erreichte. In den meisten Fällen entwickelte sich gleichzeitig mit der 'Temperaturerhöhung bei den operierten Hunden auch ein typischer Krampfanfall (in der Tabelle ist dies nicht überall angegeben); in einigen Versuchen aber erhob sich die Temperatur so hoch, dass das Tier gleich auf der Stelle zugrunde ging. Manchmal, - „wenngleich verhältnismässig sehr selten, rief die Erwärmung nur schwache Krämpfe hervor; eine übermässige Erhöhung der inneren Temperätur aber war bei den operierten Tieren immer vorhanden. Dies wurde schon in den ersten Tagen nach der Operation beobachtet. Als Kontrollhunde wurden Tiere von ungefähr gleichem Gewicht, Körperbau und Alter wie die operierten Hunde gewählt. Während des Verlaufs der Versuche wurden an den normalen Hunden nicht ein einziges Mal irgendwelche Abweichungen von der Norm beobachtet. Wir sehen also aus der Tabelle 1 erstens, dass die Erhöhung der äusseren Temperatur des das operierte Tier umgebenden Mediums jedesmal auch eine Erhöhung der inneren Temperatur des Tieres hervorruft, d. h. dass eine Überhitzung des Tieres stattfindet, und ausserdem zweitens, dass eine solche Überhitzung von typischen Krampfanfällen begleitet wird. Der Einfluss des Schilddrüsenapparates auf die Wärmeregulierung etc. 477 Anfänglich erwärmten wir die Tiere mit warmer Luft, indem wir sie in einen Raum mit hoher Temperatur brachten. Dann arbeiteten wir eine geeignetere Erwärmunugsmethode aus, indem wir das Tier in ein warmes Bad tauchten, und erhielten noch bessere und demonstrativere Resultate. Die Krampfanfälle erscheinen oft als Todesursache der operierten Tiere. Unstreitig wirken sie immer in der vernichtendsten Weise auf ihre Gesundheit und beschleunigen das Nahen des Todes. Nachdem wir nun auf diese Weise eine der Ursachen für die Entstehung solcher Anfälle gefunden hatten, wäre zu erwarten ge- wesen, dass man auf dieser Basis das Leben der operierten Tiere leichter unterstützen und es auf längere Zeit im Vergleich mit der gewöhnlichen, oben angegebenen Dauer ihres Lebens!) nach der operativen Entfernung des Schilddrüsenapparates verlängern könnte. Tatsächlich gelang es uns, gestützt auf die erhaltenen Er- gebnisse, bereits den ersten operierten Hund 1!/s Monat lang zu erhalten (statt 2 Wochen, unsere frühere Durchschnittszeit); vielleicht würde er noch bedeutend länger gelebt haben, wenn er nicht durch eine zufällige Ursache zugrunde gegangen wäre, und zwar infolge der Unachtsamkeit der Person, welche mit der Beobachtung des Hundes betraut war). _ Die mit diesem Hunde angestellten Versuche überzeugten uns, dass sogar 1 Monat nach der Operation die Fähigkeit der Wärme- regulation in der früheren Weise gestört blieb. ö (Tabelle 2 siehe auf $. 478.) Ich wiederhole also, die Erwärmung der in der oben erwähnten Weise operierten Hunde kann das Auftreten eines starken Krampf- anfalles hervorrufen und die Tiere sogar töten; allem Anschein nach ist bei solchen Hunden ein spezielles physiologisches Werkzeug ver- dorben, mit dessen Hilfe sich bei normalem Zustande die schädlichen Folgen der Erwärmung vermindern. Die des Schilddrüsenapparates beraubten Hunde aber verlieren die Fähigkeit, nicht nur gegen hohe Temperatur anzukämpfen, sondern auch gegen niedrige wird die Fähigkeit der Ankämpfung in 1) Ich berühre hier nicht die Ausnahmefälle (mit Ergänzungsdrüsen), wo die Tiere fast 1 Jahr und noch länger nach der Operation lebten. 2) Ausserdem lebten noch drei Hunde dank der von uns angewandten Maassregein je zwei Monate. Länger konnten wir sie nicht erhalten, alle gingen ein. 478 W. N. Boldyreff: Tabelle 2. Einfluss der Erwärmung auf einen des Schilddrüsenapparates beraubten Hund, an welchem der Versuch einen Monat nach der Operation an- gestellt wurde. Erwärmung im Wannenbad (Temperatur + 40° C.) Zeit Temperatur | Veränderung er in Minuten in recto der Temp. 5 Vor dem Versuche 38.4 Bi Der IIund ist dem_Anschein nach völlig 32 { gesund Nach der Erwärmung 3 AUS — Atemnot noch 7 — —_ Zuckungen in einzelnen Muskeln 2 starke Krämpfe in den Schläfenmuskeln a 18 20,5 + 21 { und in den Vorder- und Hinterbeinen zeitweilig leichte Krämpfe, Aussehen N 40,5 3 { munter Im ganzen 45 — | Vorstehende Tabelle zeigt, dass auch nach Verlauf eines Monats nach der Operation das Tier, wie früher, in den ersten Tagen nach derselben nicht fähig war, gegen die hohe Temperatur anzukämpfen ; unter ihrem Einfluss entwickeln sich bei dem Tier in der früheren Weise typische Krampfanfälle, und die innere Temperatur steigt rapid (Störung der Wärmeregulation). gleichem Maasse aufgehoben. Wenn wir unsere Hunde in kaltes Wasser brachten, konnten wir sie leicht dadurch töten. Jedoch traten hierbei gewöhnlich (Ausnahmen siehe unten) keine Krampf- anfälle auf; vielmehr hörten vorher vorhandene Krampfanfälle bei der Abkühlung des Tieres sofort auf. | (Tabelle 3 siehe auf S. 479.) Wir sind auf diese Weise berechtigt, folgende Schlüsse zu ziehen: 1. Die des Schilddrüsenapparates beraubten Hunde verlieren die Fähigkeit der Wärmeregulation, und folglich steht dieser Apparat mit der genannten Fähigkeit in irgendeinem engen Zusammenhange. 2. Die während eines Krampfanfalles vorgenommene Abkühlung ist für das operierte Tier nützlich, da sie fähig ist, einen derartigen Anfall aufzuheben. Ferner untersuchten wir, wie bald nach der Operation die Hunde die Fähigkeit verlieren, mit Erfolg gegen hohe und niedrige Temperatur anzukämpfen. € Der Einfluss des Schilddrüsenapparates auf die Wärmeregulierung etc. 479 Tabelle 3. Gleichzeitige Erwärmung und dann Abkühlung eines Kontrollhundes und dreier operierter Hunde. e E 0) 0) BR) Er. 28 |se ae E|sE 3:|88 38 „© |e8 2558 35 5° see) Bu la {in Earl en 4 » SS = I vo= 3 u D = I Du = ec a | = zZ 53 SS =5E no © =5 3) a o N as! a = Sn =] = = = Sn = Vor dem Versuche Temp. ‚Temp. ‚Temp. | Temp. - | in recto |? - Sjin recto 7 - — in recto - s[inrecto |? - — 38,6 37,7 354 | 38,2 Nach Erwärmung im gemeinsamen Bade (Temperatur + 40° C.) 30] 395 +09] 40,9 |+32| Krämpfe | 397 |+13] 399 |+1,7| Krämpfe Nach Abkühlung im Freien (Temperatur + 7,5° C.) d. Krämpfe = _oz$8|d. Krämpfe 15] | a 601 hören auf j a 57| 32 231 hören auf Die Tabelle zeigt, dass bei dem normalen Hunde Nr. 7 sowohl die Erwärmung als auch die Abkühlung wenig Einfluss auf seine Temperatur haben (Temperaturschwankung —= 0,9°C.), während bei allen drei operierten Tieren die Erwärmung die Temperatur sehr stark steigert und bei zweien Krämpfe hervorruft: die Abkühlung dagegen setzt sie scharf herab (Temperaturschwankung bei Hund Nr.9 = 6,9° C., beverlsnde Ne. 107 —5,2.2%°€., bei Hund Nr. 11 — 2,5°°C.) und lässt die früher entwickelten Krampfanfälle zum Stillstand kommen. Es ergab sich, dass sie sich schon in den ersten Stunden nach der Operation leicht überhitzten’ und sich ebenso leicht abkühlten. Im Verlaufe der Zeit, vom Moment der Operation an ge- rechnet, leidet die Wärmeregulation mehr und mehr. Wiederholte Erwärmungen und Abkühlungen werden von den operierten Tieren augenscheinlich schlechter als vorher ertragen !). Wir gehen jetzt zu den Versuchen mit dem Einfluss hoher und niedriger Temperatur auf die Krampfanfälle über und werden uns direkt an die Zahlen halten. 1) Es darf jedoch hier nicht unerwähnt bleiben, dass in einem Erwärmungs- versuche das Tier manchmal die hohe Temperatur im Anfang des Versuches schlechter ertrug als am Ende. So brauchen sich die sich im Anfang ent- wickelnden Krampfanfälle später nicht zu wiederholen. Dieser scheinbare Wider- spruch mit dem soeben Besprochenen ist mir vorläufig noch unverständlich. 480 W. N. Boldyreff: Tabelle 4. Vergleichende Wirkung der Erwärmung und Abkühlung auf einen des Schilddrüsenapparates beraubten Hundes in den ersten Stunden und Tagen nach der Operation (ohne krankhafte Anfälle und während derselben). Versuch I Normaler Hund Nr. 8 Operierter Hund Nr. 12 Temperatur vor dem Versuche | (4 Stunden nach der Operation) in recto 39,4 Temp. vor demVersuche in recto 38,7 Zeit m. ©; FE ER >; E Er EEE m us ur = ie 20:5 m 0:5 in Min: |" pem: SE S5=|S5=| Tem- De =ER SSR peratur 3. 32. 32, |paatr >=. |32.|535> h = © ee = = SS xy = en RAN == SE N== Erwärmung im gemeinsamen Bade (Temperatur + 42° C.) Temperatur nach der Erwärmung 20 396 | +02 — —_ 398 | +11 a lese noch 20 | 39,6 + 0,0 | 120 80 40,0 | +02 | e] ler mie h x | | al zählen Abkühlung im Freien (Temperatur + 2° - Temperatur nach der Abkühlung 30 | 39,1 | 05 | — | _ | 33,8 a | — | _ Versuch II Operierter Hund Nr. 12 'maler Hund Nr. 8 an (12 Stunden nach der Operation) Temperatur vor dem Versuche Im in reeto 39,1 Temperatur vor dem Versuche Zeit Er in recto 38,9 Ka eaik | Veränderung Veränderung Temperatur der Temperatur der | Temperatur | Temperatur Erwärmung im gemeinsamen Bade (Temperatur + 42° C.) Temperatur nach der Erwärmung + 0,4 39,6 +01 40,3 + 0,7 +0,77 20 noch 15 39,9 39,6 Abkühlung im gemeinsamen Bade (Temperatur + 7,5° C.) Temperatur nach der Abkühlung 30 | 39,0 —0,6 | 35,8 | —45 Der Einfluss des Schilddrüsenapparates auf die Wärmeregulierung etc. 481 Tabelle 4 (Fortsetzung). Versuch III Normaler Hund Nr. 8 Operierter Hund Nr. 12 ar n (24 Stunden nach der Operation) | sccto 388 © | Temperatur vor dem Versuche in reeto 38,8 in Min, Ver- Ver- = Tem- Tem- : änderung t änderung Anmerkungen DES igerTemp.| DETatur Beam. Vor dem Beginn des Versuches entwickelte sich bei dem operierten Hund von selbst ein Krampfanfall, der 65 Min. dauerte; Temperatur stieg dabei auf 40,8 :& I — — | 4,8 +20 | Unwillkürliche Krämpfe Erwärmung im gemeinsamen Bade (+ 40° C.) 20 39,0 + 0,2 41,6 +0, Krämpfe verstärken sich noch 15 39,0 +00 42,0 +0, 4 US ämpfe dauern zeitweilig en 39,2 0,2 42,2 + 02 fort Im ganzen — +04 _- +14 50 Abkühlung im gemeinsamen Bade (+ 9°C.) al IE ER I SEE Winote üren a Imganzen — — 0,5 | — — 1,4 | Versuch IV (Heilung eines unwillkürlich entwickelten Krampfanfalles) Operierter Hund Nr. 12 (42 Stunden nach der Operation) Temperatur vor dem Versuche in recto 38,3 Zeit 7 in Min | andern in Min. Tem- ln, Anmerkungen peratur er Temperatur Zweiter unwillkürlicher Krampfanfall dauert ungefähr 30 Minuten, wobei die Temperatur bis zu 42,0° C. steigt Speichelfluss, starke Krämpfe, Puls und 30 | — +53,7 Atmung nieht zu zählen; Hund kann nieht stehen Abkühlung im gemeinsamen Bade (+ 10° C.) ; Krämpfe hören auf, Puls und Atmung 2 oz N | kehren fast zur Norm zurück (Puls ch 36,2 31 | 130, Atmung er in a Hund Im ganzen _ —5,8 10 482 W.N. Boldyreff: Wie wir aus dieser Tabelle sehen, erhöht die Erwärmung des operierten Hundes dessen Temperatur übermässig und kann einen Krampfanfall nach sich ziehen; die Abkühlung dagegen erniedrigt die Temperatur übermässig; wird die Abkühlung während des Anfalles angewendet, so bringt sie diesen zum Aufhören. Einen solchen Ein- fluss zeigt die hohe und niedrige Temperatur schon in den ersten Stunden nach der Entfernung des Schilddrüsenapparates. Also sogar die nicht sehr starke und schon in den ersten Stunden nach der Operation vorgenommene Erwärmung zieht ein übermässiges Steigen der Temperatur bei den operierten Tieren nach sich, sowie die Entstehung von Krampfanfallen (oder eine Verstärkung derselben, wenn sie schon früher aufgetreten waren). Die Abkühlung dagegen ruft eine umgekehrte Wirkung hervor. Es muss noch darauf hingewiesen werden, dass die Abkühlung be- deutend rascher wirkt. Es ist merkwürdig, dass die Abkühlung fähig ist, nicht nur die durch die Überhitzung der Tiere künstlich hervorgerufenen Anfälle aufzuheben, sondern auch solche Anfälle, die sich unwillkürlich von selbst entwickelt hatten. Wir erwarben auf diese Weise ein wirksames Heilverfahren gegen Krampfanfälle. Es ist verständlich, dass die Überhitzung und starke Abkühlung bei den operierten Tieren nicht nur die Wärmeregulierung allein stört. Wir sprechen schon nicht von Krämpfen, die sich in einigen Fällen — bei der Erhitzung — verstärkten oder neu entstehen, wenn vorher keine vorhanden waren, während sie sich in anderen Fällen — bei der Abkühlung — verloren, nachdem sie bis zur An- wendung der Abkühlung bestanden hatten. In beiden Fällen wirkt die Wärme und die Kälte in hohem Grade auf die Arbeit des Herzens und auf die Atmung. Bei der Erwärmung wird sowohl diese als jene unregelmässig beschleunigt, sogar wenn keine Krämpfe vorhanden sind; bei einer mässigen Abkühlung dagegen werden diese beiden Funktionen zur Norm zurückgeführt, wenn vorher aus irgendwelchen Gründen Ab- weichungen von derselben vorhanden waren. (Tabelle 5 siehe auf S. 483.) Nicht nur die äussere Erwärmung der des Schilddrüsenapparates beraubten Tiere führt die oben beschriebene Wirkung herbei. Auch andere Einflüsse, die fähig sind, die Temperatur ihres Körpers zu erhöhen, wirken durchaus analog. Die Tabelle 6 (S. 484) liefert hierfür augenscheinliche Beweise. Der Einfluss des Schilddrüsenapparates auf die Wärmeregulierung etc. 483 Tabelle5. Der Einfluss starker Erwärmung und Abkühlung auf die Temperatur, den Puls und die Atmung eines des Schilddrüsenapparates beraubten Hundes und eines Kontrollhundes. Normaler Hund Nr. 9 Operierter Hund Nr. 13 (48 Stunden nach der Operation) Gewicht — 15 kg Gewicht — 14 kg Zeit | = &| : © .| So „az 88 > Sselans ne os Eike Selle in Min. | = S 933 S=2=|53$ == 55 SE a3nlsär]Eairen- - Anmerkungen 5. 2. <82.|3. |s2e s8> AT DaaNsalg” TZAN=- Vor dem Versuche a 38,8 | 100 16 | 38,7 | 120 oo { Dem Anschein nach völlig gesund Schwache Erwärmung durch Luft (Temperatur des Zimmers + 30° C.) 15 | 280 | 1 en ‚niehtzu } zählen, || ungef, { Häufige u. starke Krämpfe 2 | sehr S B = a weien |f 230 im ganzen Körper noch15| 393 | 144 | 26 (ju. klein) Abkühlung im Freien (Temperatur + 1° C.) 15 89,6 | 140 20 41,0 | 170 | 180 Zeitweilig Krämpfe Seltene, schwache Zuckun- noch 15| 39,4 | 120 | 20 39,3 | 140 36 2] gen, nur im Schläfen- | muskel Die Krämpfe haben ganz aufgehört ” 15| 392 | 110 | ıs | 374 | 180 21 | Aufenthalt im Zimmer (Temperatur +19°C.) _ 60 | 39,4 | 110 17 | 36,81 112=1-46- | keine Krämpfe Schwache Erwärmung durch Luft (Temperatur des Zimmers + 26,5° C.) Beginn von Zuckungen im > | zu - | a 120510 {| Schlätenmuskel Ähnlich wie bei der Temperatur vollziehen sich auch in der Häufigkeit der Pulsschläge und der Atmung starke Schwankungen durch Erwärmung und Abkühlung bei den operierten Tieren, während bei den (normalen) Kontrolltieren diese Grössen wenig schwanken. So ergab bei dem operierten Hund die Temperatur in der kurzen Zeit des Versuches eine Schwankung von 5,8° C., bei dem Kontrollhund da- gegen nur von 0,8; die Häufigkeit der Pulsschläge wuchs bei dem ersteren von 90 bis zu unzählbaren Ziffern an (über 250—300), die Atmung von 15 bis zu 250, während sich bei dem letzteren der Puls nur von 100 auf 144 und die Atmung von 16 auf 26 beschleunigte. Also wird bei den des Schilddrüsenapparates beraubten Hunden ausser den Störungen in der Wärmeregulation auch eine hochgradige 'Unbeständigkeit in der Funktion der Apparate des Blutkreislaufs und AS - W. N. Boldyreff: der Atmung beobachtet. Die warmblütigen Tiere verwandeln sich ge- wissermaassen in kaltblütige, die nicht fähig sind, ihre Temperatur in den Grenzen der Norm zu halten; dabei tritt eine deutliche Affek- tion der Apparate des Blutkreislaufs und der Atmung ein, d. h. der wichtigsten Organe der Wärmeregulation (auch die Wärmeregulation der Haut wird gestört; siehe weiter unten Tabelle Nr. 6). Tabelle 6. Einfluss der Muskelarbeit (inneren Erwärmung) auf einen des Schild- drüsenapparates beraubten Hund. ml al anel2} Operierter Hund Nr. 14 Hund Nr. 10 Zeit | = | he Se „(IE s28e598|E2|523 | 890= in Min.| SS ©3=3 °3=3| 5% ar =3= = 2-8 | Ss 28 -5. = 53 Anmerkungen ea) an zormaar {o) 23 SS Näel 38 See sEs | = een near Vor dem Versuche Eu | 383 | 110 | 16 | 334 | 132 | 0» [ Dem Ansehein nach völlig gesun ‚ Gehen und Laufen dr at < Leichte Krämpfe in den 15 | 39,3 120 | 25 | 37 180 | 76 {| ie Ne) Huber ee: we | Die Krämpfe hören auf Wieder Gehen und Laufen ö Wieder Krämpfe in den 15 39,3 |, 120 24 404 250 | 150 2! Schläfenmuskeln und in | | den Hinterbeinen len {| Pie Krämpfe hören wieder Wieder Gehen und Laufen 10 | 39,0 | 110 | 22 | 39,5 | 200 | 120 | Die Krämpfe erneuern sich Wie aus dieser Tabelle ersichtlich, sind die des Schilddrüsen- apparates beraubten Hunde auch nicht imstande, gegen die innere Er- hitzung, die durch mässige Arbeit hervorgerufen wurde, anzukämpfen. Während bei dem Kontrolltier die Temperatur um 1,0°C. stieg und die Geschwindigkeit des Pulses und der Atmung sich fast nicht ver- änderte (der Puls beschleunigte sich von 110 auf 120, die Atmung von 16 auf 23), stieg die Temperatur des operierten Tieres um 2,0° C., der Puls beschleunigte sich fast um das Doppelte (von 132 auf 250), und die Atmung beinahe um das Siebenfache (von 22 auf 150); wäh- rend der Muskelarbeit erschienen bei dem operierten Hunde jedesmal Krämpfe; bei dem gesunden Kontrollhunde dagegen wurde, wie zu er- warten war, etwas Derartiges nicht beobachtet!). Es ist interessant, 1) Diese Versuche wurden im Winter bei Zimmertemperatur ausgeführt; als ich aber versuchte, sie an einem anderen operierten Hunde im Sommer zu Der Einfluss des Schilddrüsenapparates auf die Wärmeregulierung etc. 485 zu bemerken, dass die Temperatur der Haut bei dem normalen Hund um 2,0° C. stieg, während sie bei dem operierten Hund fast un- verändert blieb (sie stieg um nicht mehr als 0,2°C.). Dies weist auf eine Störung der durch die Haut vermittelten Wärmeregulation hin. Wir haben Versuche mit Erhitzung und Abkühlung nicht nur an Hunden, sondern auch an Katzen und Kaninchen ausgeführt. In der Tabelle 7 (S. 486) sind unsere an Katzen erhaltenen FErgeb- nisse angeführt. Wie ersichtlich, stimmen dieselben fast ganz mit den bei den Versuchen mit Hunden erhaltenen überein. Dies ist auch verständlich, denn der Schilddrüsenapparat der Katzen und Hunde ist im allgemeinen sehr ähnlich gebaut. Was nun die Kaninchen angeht, deren Schilddrüsenapparat von dem der Hunde bedeutend abweicht, so stehen unsere allerdings nicht zahlreichen Versuche in vollem Eirklang mit den Literaturangaben und weisen darauf hin, dass die Kaninchen beim Verlust der Schilddrüsen (ihnen verbleiben hierbei die Nehenschilddrüsen) gleich den normalen die Erhitzung und die Abkühlung leicht ertragen, wobei die Erhitzung bei ihnen keine typischen Krampfanfälle hervorruft !). wiederholen, zu heisser Zeit, erschienen jedesmal schon nach.3 Minuten so starke Krämpfe, dass der Hund hinfiel und keinen Schritt mehr ausführen konnte. Es ist merkwürdig, dass sich in der heissen Zeit bei dem Hunde oft örtliche Krämpfe in den- jenigen Muskeln entwickelten, mit denen er zu arbeiten begonnen hatte, und zwar nach den leichtesten und kurzandauerndsten Bewegungen. Wenn er z. B. ver- suchte, Wasser zu trinken, so erschienen bei ihm nicht selten schon nach den ersten Schlucken Krämpfe in den Muskeln der unteren Kinnlade. Wird nicht diese Beobachtung zur Erklärung des Mechanismus: der eigentlichen Entstehung der all- gemeinen Krämpfanfälle, die bei normaler Temperatur des Tieres entstehen, dienen? Es kann sein, dass schon die ersten Kontraktionen irgendwelcher willkür- lichen oder einiger glatten Muskeln auf Grund gestörter Wärmeregulation und besonderer Sensibilität des operierten Tieres den Temperaturschwankungen gegen- über nochmals klonische örtliche Krämpfe nach sich ziehen können (weil sich die Muskeln überhitzen); dies aber ruft eine weitere Erwärmung des Tieres und die damit verbundenen Folgen hervor. Es versteht sich, dass ich die eben aus- gesprochene Ansicht nur als eine Vermutung, als einen ersten Versuch zur Auf- klärung ansehe und dabei keineswegs vergesse, dass bei den operierten Hunden noch eine beständige Quelle ihrer Überhitzung vorhanden ist, die aus den an ihnen beobachteten ausgehreiteten fibrillären Zuckungen in den Muskeln entspringt. 1) Weder der Blutverlust bei der Operation noch die Eiterung in der Wunde nach derselben, noch das Nahrungsregim wirkten in merklicher Weise ‘(bei Hunden) auf die Resultate unserer Versuche ein. Ich weise darauf hin, dass einige Autoren sehr geneigt waren, derartigen Momenten einen zu wichtigen Einfluss auf den Verlauf der Krankheitsprozesse bei Hunden, die der Schild- drüsen beraubt waren, zuzuschreiben. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154, 33 486 W. N. Boldyreff: Tabelle 7. Einfluss der hohen und niederen Temperatur auf des Schilddrüsen- apparates beraubte Katzen. &n ER i SS P = Zeit| Normale | 2 = Operierte = = | Pr © © © © ‚in | ‚Katzen | 5 Anmerkungen Katzen == Anmerkungen Min.|Nr.1u.2' 8 % NEalruR2 en ei j ers or | > | > na Vor dem Versuche Normale Katze Nr. 1 Operierte Katze Nr. I Temp. in _ Temp. in \ Fer | EEE { recto 39,5 recto 39,2 Erwärmung im gemeinsamen Bade (Temperatur + 38° C.) 207 5396 2709) | 4,0 1+08| Vor dem Versuche Normale Katze Nr. 2 Operierte Katze Nr. 2 Temp. in|\ __ Temp. in\ | - Alrecto 39,3 recto 35,4 Erwärmung im gemeinsamen Bade (Temperatur + 40° C.) ( Nach 9 Minuten die ersten Krämpfe, die 30 Sn 40,1 2 sich dann fünfmal | wiederholen Aus dem Wasser genommen und im Zimmer gelassen (bei 19° C.) 40 Ba | 371 -30[ Die Kran hören Abgekühlt im Freien (Temperatur + 1°C.) keine Abweichungen | - von der Norm; lebte } A : Ging einige Stun- 15 | 36,0 I-2,,3 sach dem Versuche| 349 |_131}\den nach dem Ver- nochüb. einenMonat sch zaermle und wurde dann ver- : 5 nichtet Die angeführten Versuche bezeugen, dass auch die Katzen, gleich den Hunden, mit dem Verlust des Schilddrüsenapparates die Fähigkeit der Wärmeregulation verlieren. Ferner ruft die Überhitzung auch bei ihnen Krampfanfälle hervor. Die Abkühlung aber ist, ebenso wie bei den Hunden, fähig, solche Anfälle zu heilen. Die beschriebenen Versuche enipfehlen wir warm als Unterrichts- demonstrationen für die Studenten bei Vorlesungen (oder für die praktischen Übungen) über Physiologie oder Pathologie. Der Versuch gelingt verhältnismässig leicht; er erfordert nicht viel Zeit und keine komplizierten Einrichtungen oder lange Vor- bereitungen; für die Studenten aber ist es äusserst wichtig, die typischen Krampfanfälle selbst zu sehen und sich persönlich von der 487 Der Einfluss des Schilddrüsenapparates auf die Wärmeregulierung etc. Zangsaopypdg IS ur SOSSH.LSULON AONYSMOS -Odlg "IX S9p ur -Y9S uayosıSojorsäyd d9p SUnzyIS dop uf ( (OI6T Tady Eu) \ -IPON d9USPUOLOM (SO6L TEIL '6D) IFEUOS[[PSIH uaypstunz 19p FUunzyIs dop u] ( UHUOLJEITSUOULAKT OP 97 pum IA10 | po 'n Sunwyy a9p uaaoupny AutDqLogurg °P UTONSnpL Op pun UJONSNWLOFRTUDS Up Ur waFunyonz elpemyps ayas wWOUTIqAOJUrg Up ur opdueayy 9YaRjs "UI €z yoeu ‘uppysnwurJe]yas ddp uosunyonz apteyds "un OL ypeu ‘Jowmoyy "U Eg YDeN U9FUNyA9ULULY 61 + Cor 97T pun cq "IN apung 94.139129d0 | WION A9p U0A uadungdTongy suroy 30+ 9 00F myerodum],) opeg uawesumuwss wm Sunwaemag = g'8g 070991 ur dur], — |gggopaaurdwj| — 5 [ap] 9!T AN punH sI IN punH oyansıay WOP dor | | uUMON A9p UOA | ser 25 uodungopagy | 70 — 688 07 | 9uloy (I 088 anyerodwa],) 9peg] uowesumweos mr SunwIgmarg — | gg 0paı ur 'dusj, — |p'6gopaaurdmwap]| — ST AN punH Ir ıN pund aydansaa‘ WOP ION in! is = 91 AN == . Sy o anyeaod Te ae N anyerod 52 ei ce 2 EN wo, OP (u3pıoMm -woL A9P one) "up UI Zunaapur| Juaopjua use] Q uodungprouuy | Suntopue = 2 NCy/ 19 | 104 uadem UOSUACD) -ION cl pın IL AN E apun ofewioN (uaaoıyeigsuotusl] AOyaıyuayo A9IoMmz Hyeynsay) "opuny 9Jqueasg soyerwddeuasn.ippiiy>s s9p Fae ınyersdwo]L A9yoy ssuyurg ‘8 otTag®eL 488 W. N. Boldyreff: Resultate der Demonstration vom 19. Mai 1908: Der Kontroll- und der operierte Hund wurden in einem gemeinsamen Bade von 38°C. erwärmt. Vor der Erwärmung betrug die Temperatur des ersteren 39,0°, des letzteren 37,8%. Nach 40 Minuten Erwärmung war die Temperatur des normalen Hundes fast ohne Veränderung ge- blieben (—0,1°), während sie bei dem operierten Hund stark ge- stiegen war, nämlich bis auf 41,7° (d. h. um 3,9°); schon gleich am Anfang des Versuches (nach im ganzen 3 Minuten) wurde an ihm Atemnot beobachtet, dann (nach 10 Minuten) erschienen starke Zuckungen in den Schläfenmuskeln und endlich (nach 25 Minuten) sehr starke, im ganzen Auditorium sichtbare Krämpfe der Hinterbeine. Nach Aufhebung der Erwärmung verschwanden bei dem operierten Hunde die Krämpfe schnell, worauf auch seine Temperatur zur Norm zurückkehrte. Resultate der Demonstration vom 23. April 1910: Der Kontroll- und der operierte Hund wurden gemeinsam in einem Bade in gläserner Wanne bei 40°C. erwärmt. Vor der Erwärmung betrug die Temperatur des ersteren 38,8°, des letzteren 38,6°. Nach 30 Minuten Erwärmung stieg die Temperatur des normalen Hundes nur bis zu 39,0° (d. h. im ganzen um 0,2°), bei dem operierten Hunde dagegen bis auf 40,5° (d.h. um 1,9°). Bei letzterem wurden Zuckungen der Schläfenmuskeln und der Muskeln der hinteren Ex- tremitäten beobachtet, aber in ziemlich schwachem Grade. Nach 15 Minuten der Erwärmung krepierte der operierte Hund an Über- hitzung (Aufhören der Atmung); der Kontrollhund dagegen zeigte keine Abweichung von der Norm. Die weiteren, von mir mehrfach angestellten ähnlichen Vorlesungs- demonstrationen gaben immer ungefähr dasselbe Bild und machten auf die Anwesenden einen sehr starken Eindruck. gewaltigen Macht des Experimentators, dieselben nach seinem Be- lieben hervorzurufen und zu heilen, zu überzeugen. (Tabelle 8 siehe auf S. 487.) In einigem Widerspruch mit den Resultaten der angeführten Versuche stehen die Ergebnisse Horsley’s und Eiselberg’s, die sich auf den Menschen, den Affen, die Katze und das Schaf beziehen. Nach diesen Autoren, wie auch nach vielen anderen, wirkt die Erwärmung auf die thyreoidektomierten Tiere günstig, die Abkühlung aber vernichtend. Dieser Widerspruch jedoch, mehr scheinbar als wirklich, ist schon zum Teil durch die Arbeiten Smith’s, der im Sinne von Horsley arbeitete, aufgeklärt worden. Nach Smith ist bei mässigem Grade von Wärme und Kälte die erstere nützlich und die letztere schädlich; bei starken Graden aber ist sowohl die Er- wärmung als auch die Abkühlung von ungünstigem Einfluss. Wir wollen hoffen, dass auch die übrigen Punkte der Meinungs- verschiedenheiten mit der Zeit analysiert und beseitigt werden. Der Einfluss des Schilddrüsenapparates auf die Wärmeregulierung etc. 489 Über die nützliche Wirkung der Kälte, in welchen Fällen es auch sein möge (ich bemerke dies besonders), spricht Smith nicht. Doch ist er, wie es scheint, der erste, der sich über die wärme- regulierende Funktion der Schilddrüsen ausgesprochen hat. Was nun die obenerwähnten Meinungsverschiedenheiten der Autoren hinsichtlich des Schilddrüsenapparates angeht, so hoffen wir, dass weitere Versuche die in der Literatur vorhandenen Widersprüche ausgleichen und dass sie erklären werden, um was es sich bei diesen Widersprücheu eigentlich handelt. Vorläufig aber werden wir uns erlauben, das von uns angegebene Verfahren der Hervorrufung und Heilung der Krämpfe der Aufmerksamkeit sowohl der Physiolegen als auch der Kliniker zu empfehlen. Den ersteren kann es bei ihren experimentellen Untersuchungen von Nutzen sein; den letzteren bringt es vielleicht insofern einigen Gewinn, indem es etwas Licht auf die Ursachen der Krampferscheinungen oder der Entstehung übermässiger 'Temperatursprünge, wenn hierzu keine anderen Gründe vorliegen, wirft, und indem es den Weg zeigt, auf welchem es in einer mehr oder weniger entfernten Zukunft gelingen wird, die Krampfanfälle zu beruhigen und die Hyperthermie zu be- kämpfen. Hauptschlussfolgerungen. 1. Die vollkommene Thyreoidektomie führt die warmblütigen Tiere (Hunde und Katzen) auf den Grad der kaltblütigen zurück, oder mit anderen Worten: der Schilddrüsenapparat spielt eine wichtige Rolle in der Wärmereeulation. 2. Durch Erwärmung ist es möglich, einen typischen Krampf- anfall bei den thyreoidektomierten Hunden (und Katzen) hervor- zurufen. 3. Durch Abkühlung kann man einen solchen oder auch einen unwillkürlich entstandenen Anfall heilen. Ergänzung. Die auf meinen Vorschlag und unter meiner Anteilnahme an- gestellten und noch nicht veröffentlichten Versuche des Studenten G. W. Anrep, die als Fortsetzung meiner früheren Untersuchungen dienten, geben auch einige Hoffnung, die Ursache des Widerspruches zwischen den Ergebnissen Eiselberg-Horsley’s und anderer Autoren einerseits und unseren Versuchen andererseits aufzuklären. Indem diese Versuche G. W. Anrep’s unsere Ergebnisse hinsichtlich 490 W.N. Boldyreff: des schädlichen Einflusses hoher und des nützlichen niederer Temperaturen auf die des Schildärüsenapparates beraubten Tiere durchaus bestätigen, weisen sie ferner noch einige uns früher nicht bekannte Eigentümlichkeiten auf; wenn wir nämlich das Tier aus der für dasselbe vernichtend wirkenden hohen Temperatur in niedrige Temperatur überführen, so beeinflussen wir es günstig; wenn die übermässige Wärme vorher bei dem Tiere den gewöhnlichen Krampfanfall hervorgerufen hatte, so wurde derselbe durch die Kälte abgebrochen, worauf ich schon früher (siehe oben) hingewiesen hatte. Hiermit ist jedoch die Sache noch nicht abgetan. Wie die Ver- suche G. W. Anrep’s zeigen, bemerkt man bei dem Tiere, wenn es stark abgekühlt wird, nach der ersten günstigen Phase der Ab- kühlung (mässiger Grad im Vergleich zu der Temperatur des Mediums oder nach der Dauer des Versuches) eine zweite schädliche Phase (bei übermässiger Abkühlung), wobei eine Erstarrung zuerst der einzelnen Muskeln der Extremitäten, dann der Rumpfmuskeln und schliesslich des ganzen Körpers eintritt, was bei andauernder und starker Abkühlung ein Aufhören der Atmung und den Tod des Tieres nach sich zieht. Ausserdem kamen auch bisweilen tatsächlich seltene und schwache klonische und stark ausgeprägte tonische Krämpfe vor. Diese Erscheinungen treten auch schon bei sub- normaler Temperatur ein. Wahrscheinlich wurden dieselben auch von Horsley, Eiselsberg, Smith und anderen Autoren be- obachtet, die von einem schädlichen Einfluss der Kälte sprechen; der nützliche Effekt aber der letzteren, besonders beim Abkühlen des Tieres im Moment des eigentlichen Eintretens der Krämpfe und der damit verbundenen übermässigen Temperaturerhöhung wurde von diesen Autoren anscheinend als ein anfängliches Übergangs- stadium der Abkühlung des Tieres und der durch dieselbe hervor- gerufenen Erscheinungen nicht bemerkt. So wiederhole ich denn, diese anfängliche Phase der Abkühlung ist nützlich (unsere Versuche), sie kann aber in eine weitere, schon schädliche und sogar für das Tier durchaus tödliche Phase über- gehen (Versuche von G. W. Anrep). Ich halte es für erlaubt, in Verbindung mit dem hier Erörterten folgende Fragen zu stellen: 1. Hängt nicht die bei einigen Tieren und Menschen be- obachtete Unfähigkeit des Ertragens einer hohen Temperatur von der Unzulänglichkeit der Funktion ihres Schilddrüsenapparates ab? Der Einfluss des Schilddrüsenapparates auf die Wärmeregulierung etc. 491 2. Stehen nicht auch mit dieser ungenügenden Tätigkeit dieses Apparates einige krankhafte Erscheinungen in Verbindung, die bis- weilen an Menschen bei Erhöhung der Temperatur des umgebenden Mediums beobachtet werden? Kann nicht besonders der Sonnen- stich (oder Ohnmacht infolge eines heissen Wannen- oder Dampf- bades usw.) eine Folge der ungenügenden Funktion dieses Apparates sein ? 3. Liegt nicht ferner der Eklampsie der Kinder ebenfalls irgendeine Unregelmässigkeit in der Entwicklung und Arbeit dieses Apparates zugrunde !)? 4. Wird nicht endlich die Eklampsie der Gebärenden auch durch die angegebene Ursache bedingt? — Eine solche Vermutung hat auch das für sich, dass man in den letzten Jahren versucht hat, und mit Erfolg, die Eklampsie der Gebärenden mit Schilddrüsen- präparaten zu heilen. Wenn die hier gestellten Fragen auch nur zum Teil im posi- tiven Sinne entschieden werden, so muss doch auch die Therapie in den aufgezählten Krankheitsfällen mit den von uns angeführten physiologischen Ergebnissen rechnen. Auch die Hygiene ist nicht behindert, diese Ergebnisse im Auge zu behalten, denn wenn hohe äussere Temperatur schädlich und sogar vernichtend für manche Leute sein kann, so ist es an öffentlichen Orten, bei grossen Menschenansammlungen, Soldatenmanövern, öffentlichen Arbeiten usw. erforderlich, Maassregeln zu treffen nicht nur hinsichtlich der erforderlichen Reinheit der Luft, sondern auch gleichermaassen gegen die Überhitzung der Räumlichkeiten oder der Leute, die sich in heisser Zeit in zu grossen Gruppen, wenngleich unter freiem Himmel, ansammeln. Wir wollen hoffen, dass bei weiteren experimentellen und klinischen Untersuchungen diese Seiten der Frage nicht unbeachtet gelassen werden. Die Wichtigkeit ihrer Aufklärung liegt für die theoretische und klinische Medizin zu klar auf der Hand, als dass sie noch weiterer Beweise bedürfte. 1) Ein Kinderarzt teilte mir mit, dass er vor kurzer Zeit in einem Falle von schwerer Eklampsie bei einem Kinde mit gutem Erfolg die Abkühlung des Kindes angewandt habe; der Anfall hörte sogleich auf. 492 Georg Ganter und Alfred Zahn: (Aus der medizinischen Poliklinik der Universität Freiburg i. Br.) Über die Beziehungen der Nervi vagi zu Sinus- knoten und Atrioventrikularknoten. Von Georg Ganter und Alfred Zahn. (Mit 13 Textfiguren.) Einleitung. Die Literatur über die Wirkung der N. vagi auf die Tätigkeit des Herzens ist eine ausserordentlich grosse. Die anatomische Ent- deckung der spezifischen Muskelgewebe des Säugetierherzens und die Ergebnisse der experimentellen Untersuchung ihrer Funktion haben indessen für zwei Grundeigenschaften des Herzens die Frage- stellung wesentlich eingeengt, nämlich was den Einfluss der Vagi auf Reizbildung und Reizleitung anlangt. Es dürfte nämlich nun- mehr dieses Problem für das Säugerherz in der Weise fassbar sein, dass man die Beziehung der N. vagi zu den spezifischen Muskel- geweben des Herzens zu ermitteln sucht. Die neueren Untersuchungen auf diesem Gebiete sind denn auch unter den genannten Gesichtspunkten angestellt und verwertet worden. So erklären Einthoven und Wieringa!) die un- gleichartigen Wirkungen des Vagus bei Morphinreizung, die sich in Frequenzabnahme, partiellem oder totalem Block und Auftreten von abnormen Kammererregungen äussern, mit der Annahme, „dass im Stamm des Herzvagus verschiedene Gruppen von efferenten Fasern vorhanden sind, von denen einige mit den Vorhöfen, andere mit dem Aschoff-Tawara’schen Knoten und wieder andere mit je einem Schenkel des atrioventrikulären Bündels in Verbindung stehen“. 1) W. Einthoven und J. H. Wieringa, Ungleichartige Vaguswirkungen auf das Herz, elektrokardiographisch untersucht. Pflüger’s Arch. Bd. 149 8.48. 1912. Über die Beziehungen der N. vagi zu Sinusknoten u. Atrioventrikularknoten. 493 Von besonderem Interesse sind vor allem die Untersuchungen von Rothberger und Winterberg!) sowie von A. Cohn?). Diese Autoren fanden nämlich im Experiment Differenzen in den Angriffspunkten beider Vagi in dem Sinne, dass der rechte Vagus vorwiegend den Sinusknoten, der linke überwiegend den Atrio- ventrikularknoten beeinflusst. Definitive anatomisch-histologische Untersuchungen über die Be- ziehung der Vagi zu den spezifischen Geweben des Herzens, speziell mit Berücksichtigung des Verlaufs der Fasern des rechten und linken Vagus, liegen bislang nicht vor. Differenzen in dem Verteilungs- gebiet beider Nerven sind entwicklungsgeschichtlich zu erwarten (vgl. hierzu Aschoff, Sitzung der Freiburger med. Gesellsch. vom 21. Mai 1913, Deutsche med. Wochenschr. 1912 Nr. 25). Wir haben daher bei unseren Untersuchungen, die die Fest- stellung der Beziehung der N. vaei zu den spezifischen Muskel- geweben des Herzens, in erster Linie des Sinusknotens und Atrio- ventrikularknotens, zum Gegenstand hatten, stets auf das Verhalten des rechten und linken Nerven geachtet. Versucehsanordnunge. Die einfache Reizung der N. vagi, wie se Rothberger und Winterberg, A. Cohn u. a. in ihren Versuchen benutzt haben, gestattet an sich, je nach ihrem Effekt auf Schlagzahl und Schlag- folge, eine. Reihe von Schlüssen auf den genaueren Angriffspunkt dieser Nerven. Wir haben uns dieser einfachen Reizung ebenfalls bedient, haben sie aber in den meisten Versuchen in Kombination mit der Methode?) der lokalisierten Erwärmung und Abkühlung an- gewandt. Dies bedeutet nun nicht nur eine Erweiterung der Ver- 1) J. Rothberger und H. Winterberg, Über die Beziehung der Herz- nerven zur atrioventrikulären Automatie. Pflüger’s Arch. Bd. 135. 1910. — J. Rothberger und H. Winterberg, Über die Beziehung der Herznerven zur automatischen Reizerzeugung und zum plötzlichen Herztode. Pflüger’s Arch. Bd. 141. 1911. 2) A. Cohn, On the differences in the effects of stimulation of the two vagus nerves on rate and conduction of the dog’s heart. Journ. of exp. Med. vol. 16 p. 732. 1912. 3) Zur Methodik vgl. G. Ganter und A. Zahn, Pflüger’s Arch. Bd. 145 S. 337. 1912. — G. Ganter und A. Zahn, Sitzungsber. der Freiburger med. Gesellsch. Deutsche med. Wochenschr. 1912 Nr. 25. — A. Zahn, Pflüger’s Arch. Bu. 151 S. 247. 1913. 494 Georg Ganter und Alfred Zahn: suchsbedingungen und somit der Versuchsergebnisse, sondern bietet auch in willkommener Weise die Möglichkeit, die Effekte der ein- fachen Reizung zu verschärfen und, was noch wichtiger ist, die aus diesen Effekten gefolgerten Schlüsse direkt zu kontrollieren. Einige Beispiele dürften dies am besten erläutern. Wenn die Reizung des rechten Vagus Frequenzverlanesamung des ganzen Herzens ohne Änderung des As.-Vs.-Intervalles hervorruft, so liegt es nahe, anzunehmen, dass der gereizte Nerv vorwiegend an der normalen Reizbildungsstätte hemmend einwirkt, also am Sinusknoten. Wird nun durch eleichzeitige Erwärmung der Sinusknotengegend die Frequenzabnahme wieder völlig kompensiert und tritt dabei trotz der eventuell erhöhten Frequenz keine Überleitungsstörnng auf, so kann die obengemachte Annahme als richtig gelten. Ereibt ferner beispielsweise Reizung des linken Vagus eine geringe Frequenz- abnahme des Vorhofs und gleichzeitig eine Überleitungsstörung, so ist daraus zu folgern, dass der linke Vagus ebenfalls am Sinusknoten einwirkt, in erster Linie aber am Atrioventrikularknoten. Dieser Schluss ist richtig, wenn Erwärmung des Sinusknotens die Frequenz- abnahme wieder auf die Norm oder darüber bringt, und ferner, wenn die Überleitungsstörung sich durch Erwärmung des Atrio- ventrikularknotens völlig. wieder aufheben lässt. Nach Ausschaltung des Sinusknotens vermittels Kälte oder nach seiner definitiven Zerstörung durch Abklemmen war es weiterhin mög- lich, die Einwirkung der Vagi auf die Reizbildung der übrigen Zentren, speziell des Atrioventrikularknotens, schärfer hervortreten zu lassen. In einigen Versuchen haben wir auch den Einfluss der Vagi auf die Leitung von Reizen untersucht, die den Atrioventrikular- knoten in entgegengesetzter Richtung passieren als in der Norm. Wir haben zu diesem Zwecke an der Kammer (meist nach Aus- schaltung des Sinusknotens) einen faradischen Dauerreiz von einer solchen Intensität gegeben, dass ihn die Kammer mit rhythmischen Kontraktioneu beantwortete. Wir haben unsere Versuche an Hunden, Katzen, Kaninchen und Ziegen angestellt und haben die Tätigkeit von Vorhof und Kammer in üblicher Weise mit Marey’schen Kapseln und Luftübertragung auf ein Castagna’sches Schleifenkymographion registriert. Die Resultate unserer Versuche haben wir in den Tabellen I—V zusammengestellt. Tabelle V diene als Beispiel für die Durch- führung der Versuche im einzelnen. trikularknoten. 495 10ven knoten u. 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Atrioventrikularknoten. 499 "II e1194® L "ueggaif] :9soyaeN| "UEyDULUBy Ur Oyons.coA Georg Ganter und Alfred Zahn: 900 "SUB Yurlg USISYOIpuLqaaA u91asuUn ANJIaIT IM uoypaaıds “usyı9Ma9A NZ 9][oIg Aasaıp uR ayuewmedx] uapıoq emp ‘oroejsad sun 19p ‘sarıyy NOA yerwroyan) uaopy 'LOIsesue 'gq "I Zangqraa,g pAyusuf uoyosısojorsägd wt (ZI6T "CPI PA 'yıy S.A03N]JA) SUazaor Sop 9q9M93 -[ONSNA uayosyzods Aop uoyung oıp JoqN uogunyonsasyun) ue1ayNAF A9dasum yoryuagaped IM uagey oyonsıoA uopIaq 9SOIq (T I ir = MS 4:7 °4 Zar = 295827 :0 Sa < MS I = i == I So Br (q II6T EN 76 2 >= G'8 — @ N ‘6 i8 (+ = 1% Sir < MS | TI6T Te "IT I us — I 0 > N T 1TeA1oyu] zuanba.uy 11eA19}u] zuonba.uy u -SA-"SV -SJOQIOA Ö 'SA-'SYV -SJOUIO A yansıo A syum snSeA Sy99L SUIeA °(,u9SdIZ ue HUIMSAIOA "AI aIl24®eL "uegjoaf) :9soyıIleN Sinusknoten u. Atrioventrikularknoten. 501 . vagi zu Über die Beziehungen der N 6 Ur +++ ++ ++ reAaayuf -SA-SY OL 007 0L 08% 061 OLI 095 061 067 OF 018 098 061 zuanba.uy -SJOQIOA 009 01 I AL. 076 076 06 ol 03 I 0 076 se I + 016 068 G18 I ae CL2 L ae 095 06 ii +0 081 puejsq® as [| Toy zusam bo a ueneir "u JunzIial N -SA-SY MS -SN0B N 0%6 009 oT 08 01 016 0LT 086 Sl 07 ‚Q =! 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Ken Kure), der dieses Negativwerden des As.-Vs.-Intervalles infolge Vagusreizung während des Bestandes der atrioventrikulären Automatie vor kurzem ebenfalls beschrieben hat, nimmt an, dass dabei der Ausgangspunkt der atrioventrikulären Reizbildung eine Änderung erfährt „in dem Sinne, dass diese mehr nach der Kammer zu liegen kommt“. In Fällen von totalem Block haben Einthoven und A. Cohn atypische Kammerelektrokardiogramme erhalten, die bald auf eine Reizentstehung im rechten, bald im linken Schenkel des Reiz- leitungssystems hinwiesen. Auch über den Grad der Vagushemmung auf diese tertiären Zentren lässt sich vorerst noch wenig aussagen. Ein Einfluss dürfte im Experiment wohl da anzunehmen sein, wo die Kammer un- abhängig vom Vorhof abnorm verlangsamt schlägt, während in den Fällen von relativ hoher Kammerfrequenz bei vollkommener Diso- ziation eine Hemmung fraglich erscheint. Auch hier dürfte in individuellen Differenzen die Erklärung dieser wechselnden Befunde zu suchen sein. In den Übereinstimmungen mit den Befunden von Roth- berger und Winterberg sowie A. Cohn ergibt sich aus unseren Versuchen, dass beide Vaei die spezifischen Knotengewebe in der Regel in ungleichen Graden beeinflussen, und zwar in der Weise, dass der rechte Vagus stärker als der linke auf die Reizbildung im Sinusknoten und umgekehrt der linke intensiver auf den Atrio- ventrikularknoten einwirkt, vor allem was die Hemmung der Über- leitung anlangt. Diese Scheidung der Angriffspunkte beider Nerven findet sich nun keineswegs immer in scharf ausgeprägter Weise; es kommen vielmehr, wie aus den Tabellen hervorgeht und was hier ausdrücklich hervorgehoben sei, recht erhebliche individuelle Unter- schiede hervor. Ferner ist bei der Beurteilung des Angriffspunktes beider Nerven die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Reizung desselben Vagus unter denselben äusseren Bedingungen gelegentlich verschiedene 1) Ken Kure, Über die Pathogenese der heterotopen Reizbildung unter dem Einflusse der extrakardialen Herznerven. Zeitschr. f experim. Pathol. und Therap. Bd. 12 H.3 S. 389. 1912. — Ken Kure hat in seinen Versuchen, wie er selbst hervorhebt, fast immer nur die Reizung des rechten Vagus vor- genommen. Über die Beziehungen der N. vagi zu Sinusknoten u. Atrioventrikularknoten. 513 Effekte haben kann. Als typisches Beispiel diene der Versuch an Ziege Nr. 2 Hier ergiebt die erste Reizung (beider Nerven) geringe Vorhofsverzögerung mit dauerndem Halbrhythmus, die zweite da- gegen starke Vorhofsverzögerung ohne Block oder höchstens mit Ausfall eines Kammerschlages (vgl. auch Katze Nr. 3, Fig. 13 a u. 5). Es handelt sich hier somit um ein funktionelles Überwiegen der einen oder anderen Fasergruppe, dessen Ursache sich vorerst wohl noch nieht mit Bestimmtheit angeben lässt. Möglicherweise stehen diese Befunde in Beziehung zu der als „Ermüdung des. Vagus“ be- kannten Erscheinung, die darin besteht, dass trotz andauernder Vagusreizung die frequenzhemmende Wirkung abnimmt. Hierher gehört wohl auch die Beobachtung, dass die Blockwirkung der Vagi meistens in dem ersten Stadium einer Reizung am intensivsten ist (vgl. Fig. 13a). Dasselbe eilt auch für die Verlängerung des As.- Vs.-Intervalles durch Vagusreiz. Endlich ist noch eine Beobachtung näher zu erörtern, auf die sich ein grosser Teil der vorliegenden Ergebnisse gründet, nämlich die Tatsache, dass die Wirkung des Vagus auf die reizbildenden Stellen durch Erwärmung dieser Gebiete aufgehoben werden kann. In ähnlicher Weise fand Clark!) am Froschherzen, dass durch lokale Erwärmung der Sinusgegend und ihrer unmittelbaren Um- gebung die hemmende Vaguswirkung sich ganz oder teilweise be- seitigen liess. Alle übrigen Stellen waren ohne Fffekt. Stewart?), der selbst eine Förderung der Vaguswirkung durch Erhöhung der Herztemperatur annimmt, fasst die Clark’schen Befunde als eine „Störung der Ganglienzellen oder deren Synapsen auf, die in die Bahn der Hemmungsnerven eingeschaltet sind (vorübergehende Lähmung durch Hitze)“. Diese Deutung erscheint uns indes nicht sehr wahrscheinlich, einmal weil es sich in unseren Versuchen nicht um einen Block innerhalb der Vagusbahn, sondern um eine Be- einflussung der Endapparate dieses Nerven handelt, und fernerhin weil die von uns angewandten Wärmegrade stets nur ausgesprochen fördernde Wirkungen erkennen liessen. Nach unseren Versuchen erscheint die Wirkung der Vagi auf eine reizbildende Stelle vollkommen analog der Wirkung der Ab- 1) G. H. Clark, The influence of increase of temperature upon the inhibi- tory mechanisme of the heart of the frog. Journ. of physiol. vol. 44 p. 169. 1912. 2) G. N. Stewart, Einfluss der Herztemperatur auf die Tätigkeit der Hemmungsnerven des Herzens. Zeitschr. f. Biol. Bd. 59 8. 531. 1913. 514 G. Ganter und A. Zahn: Über die Beziehungen der N. vagi etc. kühlung dieser Stelle. Das Wesen der Kältewirkung besteht nun zweifellos in einer Verzögerung der Reaktionsgeschwindigkeit der normalen Prozesse, und es liegt nahe, dieses Prinzip auch für die hemmende Wirkung der Vagi anzunehmen. Ob diese Verzögerung speziell die Restitutionsprozesse nach der Systole betrifft, wie F. B. Hofmann!) meint, dafür geben unsere Befunde keinen ent- scheidenden Anhalt. Dagegen scheinen sie uns gegen die Vor- stellung Gaskell’s?) zu sprechen, der das Wesen der Vaguswirkung in einer Begünstigung der „anabolen Prozesse“ (Assimilierung) er- blickt. Herrn Professor Morawitz sprechen wir für das rege Inter- esse an unseren Untersuchungen und die vielfache Unterstützung, die er uns zuteil werden liess, unseren aufrichtigsten Dank aus. 1) F. B. Hofmann in Nagel’s Handb. d. Physiol. Bd. 1 S. 274. 1909. 2) Gaskell, Journ. of Physiol. vol. 4 p. 105. 1883, and vol.7 p. 410. 1887. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Utrecht.) Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. Die Kundt’scehe Röhre in der Phonetik. Von Dr. ©. E. Benjamins, Ohren-, Hals- und Nasenarzt. Assistent für experimentelle Phonetik. (Mit 16 Textfiguren.) Als Hauptton eines (im Sinne des Ohm-Helmholtz’schen Gesetzes) zusammengesetzten Klanges kann man denjenigen partiellen. Ton betrachten, der die grösste Energie besitzt. Für die Vokalfrage wichtig ist die Ermittelung des Haupttons eines Vokals. Alle die in dieser Richtung bis jetzt angewandten objektiven Methoden haben den Nachteil, dass entweder die komplizierte Fourier’sche oder eine andere mehr oder weniger willkürliche Methode der Analyse angewandt werden musste. Dazu kommt noch, ‚dass, mit Ausnahme von Versuchen von Raps und Peters, wovon später die Rede sein wird, immer schwingende Membranen zur Registrierung der Stimmvibrationen benutzt worden sind. In diesem Aufsatze möchte ich die Ergebnisse einer einfachen Methode mitteilen, mit der man ohne Vermittlung von Membranen den energetisch stärksten Ton registiieren kann, wobei es sich herausgestellt hat, (dass die Kundt’schen Staubfiguren herangezogen werden können. Bevor ich jedoch zur Beschreibung meiner Versuche übergehe, scheint es mir zweckmässig, zum richtigen Verständnis namentlich mit Rücksicht auf Fehlerquellen einige physikalische Betrachtungen vorauszuschicken. I. Physikalisches. Die 1866 von Kundt!) publizierte Meihode der Staubfiguren wurde von ihm angewandt zur Bestimmung der Schallgeschwindigkeit 1) Kundt, Über eine neue Art akustischer Staubfiguren und über die An- wendung derselben zur Bestimmung der Schallgeschwindigkeit in festen Körpern and Gasen. Poggendorf’s Annalen Bd. 127. 1866. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 55) 516 C. E. Benjamins: in festen Körpern und Gasen. Das Prinzip ist bekanntlich folgendes: In einer gut getrockneten Glasröhre von bestimmter Länge und Durchmesser, worin man ein sehr leichtes und trockenes Pulver, z. B. Lykopodium, gebracht und durch Schütteln über die ganze innere Fläche verteilt hat, lässt man einen Ton klingen. Das Pulver fällt dabei auf den Boden und bildet schöne Figuren, wobei in den Schwingungsbäuchen das heftig bewegte Pulver sich in langen Rippungen quer auf die Längsachse der Röhre legt, während in den Knotenpunkten das Pulver in ziemlicher Ruhe geblieben ist. In späterer Zeit hat man das Verfahren ein wenig geändert, indem das Pulver nicht über die ganze Oberfläche, sondern in einem dünnen Streifen regelmässig über die ganze Längsachse der Röhre verteilt wird. Die Röhre wird dann um ihre Längsachse ein wenig gedreht, damit der Pulverstreifen etwas neben der Mittellinie zu liegen kommt. Geht der Ton durch, so fällt das Pulver in den Schwingungsbäuchen herab und bleibt in den Knotenpunkten liegen. Man bekommt so eine schöne gefranste Figur (siehe Fig. 9 S. 536). Nun kann man bequem den Abstand zwischen zwei Knoten- punkten oder zwei Schwingungsbäuchen, also die halbe Wellenlänge des Tones bestimmen. Ist » die Schwingungszahl, A die Wellen- länge des Tones und v die Schallgeschwindigkeit, so folgt aus der bekannten Formel vo—= nA, dass man mit der Bestimmung von A aus den Staubfizuren entweder v aus der bekannten Schwingungszahl des Tones oder » aus der bekannten Schallgeschwindigkeit berechnen kann. Fur unseren Zweck brauchen wir die Formel nur zur Be- stimmung der Schwinzuneszahl des registrierten Tones, da die Schall- geschwindiekeit in der Luft und in Röhren bekannt ist und die Wellenlänge in unserer Röhre direkt zu messen ist. Kundt!) machte schon in seinen ersten Publikationen auf die verschiedenen Einflüsse aufmerksam, die zu Fehlern Veranlassung geben können; auch andere Autoren haben die Faktoren zum Zu- standekommen der Figuren näher studiert; es folge hier eine Zu- samınenfassung der bekannten Tatsachen. 1. Einfluss der Röhrenweite. Diese kann sich auf zwei Weisen zeigen. a) In dem direkten Einfluss auf das Zustande- kommen der Figuren. Es ist leicht verständlich, dass in weiten - 1) A. Kundt, Untersuchungen über die Schallgeschwindigkeit der Luft in Röhren. Poggendorf’s Annalen Bd. 135. 1868. Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. 517 Röhren wegen der grösseren Energieforderung die Figuren schwerer zustande kommen wie in engeren. Dagegen wird die Wahrnehmung in engeren Röhren für kompliziertere Töne, wie in unserem Falle, - öfters durch ein Zuviel an Rippungen gestört. Die ganze Luftmenge gerät dabei in Schwingung, und an Stellen, wo sonst beinahe Ruhe herrscht, wie in den Knotenpunkien, treten jetzt Schwingungsfiguren auf. Die engeren Röhren sind also nur für relativ leise Töne geeignet. Einen Einfluss auf die Form der Figuren werden wir später kennen lernen. Die Länge der Figuren steht zu der Weite der Röhren in Be- ziehung, weil: b) die Schallgeschwindigkeit damit zusammen- hängt. Bei den Untersuchungen von Regnault und le Roux!) wurde die Schallgeschwindigkeit in Röhren von 7 bis 110 em Weite auf annähernd 330 m pro Sekunde gefunden. Schon Regnault und später Kundt haben festgestellt, dass die Schallgeschwindigkeit in Röhren abnimmt, wenn die Weite der Röhre abnimmt. Für jede beliebige Röhre wäre die Schallgeschwindigkeit ce zu bestimmen nach der Helmholtz-Kirchhoff’schen Formel !): = (|) ( L— 2,5) wobei © — Schallgeschwindigkeit im freien 2yVYan Raum, r —= Radius der Röhre, n — die Schwingungszahl des benutzten Tones und y = eine Konstante, bestimmt durch die Reibung und Wärmeleitung der die Röhre füllenden Luft, die elastische Nach- giebiekeit und die äussere Reibung der Röhrenwand, die für normale Luft und für Glasröhren auf 0,00742 bestimmt wurde. Aus der Formel geht hervor, dass sowohl beim Steigen der Röhrenweite als bei Zunahme der Schwingungszahl des benutzten Tones, ce grösser wird, und zwar ist die Vergrösserung der Schall- geschwindigkeit direkt proportional zum Röhrendurchmesser und zur Wurzel aus der Schwingungszahl. Von den experimentell gewonnenen Zahlen werde ich nur die von Kundt?) erwähnen, weil andere Autoren nur mit engeren Röhren und höheren Tönen gearbeitet haben. 1) Nach Auerbach’s Akustik im Handbuch der Physik von Winkel- mann. 1909, 2) Kundt, l. c. 1868. 35 * 518 C. E. Benjamins: Durchmessser Halbe Wellenlänge des benutzten Tones der Röhren in Millimetern 90 mm 45 mm 30 mm 55 332,8 332,8 332,8 Schall- 26 332,1 332,6 333,4 geschwindigkeit 13 329,4 329,8 330,8 in der Röhre bei 6,5 323 327,1 328,1 0°C. 5,5 305 818,8 Man sieht, dass bei tieferen Tönen der Einfluss der Röhrenweite auf die Schallgeschwindigkeit grösser ist als bei höheren Tönen. Kundt bemerkt dazu: „Zuerst ist zu beachten, dass eine Ver- ringerung der Schallgeschwindigkeit schon merklich wird, wenn der Durchmesser des Rohres nahe gleich der Viertel- welle des benutzten Tones ist.“ (Z. B. Durchmesser 13 mm, bei einer halben Wellenlänge von 30 mm, gibt schon eine Ver- ringerung bis 330,8 m.) „Ist aus diesen Versuchen mit kurzen Wellenlängen zu schliessen auf Töne mit grösseren, so mussten für tiefere Töne die Röhren ausserordentlich weit sein, wenn die Schall- geschwindigkeit nicht geändert werden soll.“ Diese Fxtrapolierung seiner Befunde hat Veranlassung gegeben zu der Annahme, dass für tiefere Töne die Methode der Kundt’schen Staubfiguren ungeeignet sei, weshalb sie zum Studium der mensch- lichen Stimme nicht herangezogen worden ist. Auf dem italienischen Kongresse für Laryngologie, Otol. und Rhinol. September 1912!) wurde von Stefanini über die „Tubi de Kundt“ erklärt, dass sie nur geeignet wären für hohe und sehr musikalische Laute. Wir werden später sehen, dass dies nicht zu- trifft. In der Literatur findet man hier und da doch auch schon, dass die Methode für tiefere Töne Anwendung gefunden hat, z. B. ein Versuch von Klimpert?), wo er bei der von Melde?) zur Erzeugung von transversalen Schwingungen angegebenen Versuchs- anordnung Töne bis zu 328 Schwingungen in einer Röhre von 1,58 m Länge und 17 mm Durchmesser leitete. Dann erwähnt Klimpert in seinem Buche auch die Versuche von Oosting, wobei Töne von 1) Atti del XV Congresso della Soc. Ital. di Laryngologia otol. e Rhinol. Venezia 17—21. Sept. 1912. 2) R. Klimpert, Lehrbuch der Akustik. 3) Melde, Über Klangfiguren, durch Luftvibrationen gebildet. Poggen- dorf’s Annalen 1870. Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. 519 256 Schwingungen in einer Röhre von 1 m Länge und 35 mm Durchmesser registriert wurden. Man wird später sehen, dass in meinen Versuchen Töne bis zu 150 v. d. registriert wurden, ohne störende Beeinträchtigung der Schallgeschwindigkeit, allerdings war dazu eine grosse Intensität er- forderlich. 2. Einfluss der Röhrenlänge. Experimentell und theoretisch ist nachgewiesen worden, dass die Länge der Röhre keinen Einfluss haben kann auf die Länge der registrierten Wellen, dass also keine Resonanz der Röhre im Spiele ist. Doch hat, wie schon Kundt zeigte, die Röhrenlänge einen gewissen Einfluss auf das Zustandekommen der Figuren. Was ge- schieht nämlich in der Röhre? Die Schallwellen werden am geschlossenen Ende reflektiert, und durch Interferenz der hin und zurück laufenden Wellen wird die fortlaufende Wellenbeweeung in eine stehende verwandelt. Es ent- stehen Bäuche und Knoten. Am geschlossenen Ende einer Röhre muss annähernd Ruhe sein und demzufolge immer ein Knotenpunkt gefunden werden. Soll nun die Interferenz der ankommenden und der reflektierten Wellen eine vollkommene sein, so müssen auch erstere ihren Knotenpunkt am Ende der Röhre finden, was geschieht, wenn die Länge der Röhre ein Vielfaches der Viertelswellenlänge des erregenden Tones ist. Es tritt dann, wie Tyndall!) es aus- drückt, „complete addition of impulses* auf, und der Staub wird kräftigst fortbewegt, um sich manchmal ganz plötzlich nach den be- kannten Figuren zu ordnen. Natürlich treten bei nicht so günstigem Verhältnis zwischen Tonhöhe und Tubuslänge die Figuren doch auf, aber schwerer und öfters unregelmässig, wovon später noch die Rede sein wird. Durch diesen Einfluss der Länge der Röhren werden wir bei unseren Versuchen einigermaassen beschränkt. Vor allem auch durch die Tatsache, dass wir es mit sehr grossen Wellenlängen zu tun haben, wodurch möglichst lange Röhren gefordert sind und die von Kundt angegebene Methode zum Variieren der Länge mittelst eines Stempels für unseren Zweck von wenig Nutzen ist, da Verkürzung der Röhre schädlich auf das Messungsresultat wirkt. Doch können wir uns bisweilen helfen, wenn eine Röhre für einen bestimmten Ton nicht ganz geeignet ist. Durch das Offen- 1) John Tyndall, Sound. 1867. 520 C. E. Benjamins: lassen des Röhrenendes wird nämlich die theoretische Länge der Röhre vergrössert. Helmholtz!) hat für offene Röhren nach- gewiesen, dass „die offenen Enden einer schwingenden Luftsäule nicht die Grenzen sind, von denen aus die Lage der Knoten und Bäuche eigentlich berechnet werden muss, sondern diese Grenzen um ein Stück über die Enden hinaus liegen“. Öffnet man also das vorher verschlossene Ende der Versuchs- röhre, so wird die theoretische Länge vergrössert. Fig. 1. Staubfiguren in einer offenen Röhre. G@ —= Grenze der Wellen- bewegung nach Helmholtz. Dazu kommt dann, wie aus vorstehender Figur 1 ersichtlich, am Ende ein Bauchteil statt des Knotens zu liegen. ; Allerdings ist für offene Röhren ein stärkerer Ton erforderlich, weil der Rückprall der Wellen nicht so vollkommen ist wie beim geschlossenen Ende. 3. Beschaffenheit der Röhrenwand. Da es sich für uns nur um Glasröhren handelt und schon von Kundt nachgewiesen wurde, dass die Dieke der Wandung keinen Einfluss hat, so ist nur die Beschaffenheit der Innenwand zu be- rücksichtigen. Bei Röhren von 25 mm an aufwärts hat Kundt keinen Einfluss nachweisen können; bei engeren dagegen hat ein Rauhmachen der Wand eine deutliche Verzögerung der Schallgeschwindigkeit, bis zu 20—25 m, zur Folge. Kundt erklärt diesen Einfluss aus einer grösseren Reibung und einem Wärmeaustausch, wodurch die Kon- stante y der Kirchhoff-Helmholtz’schen Formel grösser wird. Ein anderer Einfluss bei den weiten Röhren, so wie ich sie für meine Versuche brauchte, besteht in dem schwereren Zustande- kommen der Figuren, wenn die Innenwand zum grössten Teil von Pulver bedeckt ist. Ich kam dazu, denselben . Staub nur zwei-, höchstens dreimal zu benutzen, dann die Röhre erst mit einem Wattepfropfen gut auszuwischen und mit einem neuen Lykopodium- streifen zu versehen. 1) Nach Melde, Akustik. 1883. Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. 521 4. Einfluss der Menge und Beschaffenheit des Pulvers. Die Pulvermenge hat nur in engen Röhren einen verzögernden Einfluss (bis 9 m in einer 6,5 mm weiten Röhre (Kundt). Doch ist es anzuraten, immer so wenig wie möglich Pulver zu benutzen, da erstens die Figuren dann leichter und schöner entstehen und zweitens die Röhre länger rein bleibt. Kundt und andere Autoren haben verschiedene Pulverarten durchgeprüft. Lykopodium, Korkfeilicht und feine Kieselsäure haben sich als leichte Pulver am meisten bewährt. Auch Dämpfe, wie .z. B. Salmiakdampf, sind angewandt worden; diese formen aber keine Figuren, sondern verschwinden aus den Bäuchen, um sich an den Knotenpunkten abzusetzen. Einen nennenswerten Einfluss auf die Resultate hat die Art des Pulvers nicht gehabt. 5. Die Intensität des benutzten Tones hat nach Kundt keinen Einfluss auf die Schallgeschwindigkeit in den Röhren, eine Erscheinung, die von vielen Seiten bestätigt worden ist. Für uns hat die Intensität insofern Bedeutung, als weite Röhren erst auf starke Töne reagieren und damit bei der Beurteilung der Resultate der Voekalanalyse Rechnung getragen werden muss. Weiter sieht man öfters folgendes: Bei ziemlich schwachem Ton treten in dem Bauche nur kurze Figuren auf, während der Rest der Staublinie in Ruhe bleibt. Schwillt der Ton an, so kommen immer mehr Rippungen zum Vorschein. Der Bauchteil scheint sich nach den Knotenpunkten zu vergrössern, bis bei sehr starken Tönen die Luft in den Knotenpunkten in genügend starke Bewegung gerät, um auch dort Rippungen zu geben, wodurch das Messen der Wellen- längen sehr erschwert wird. Es empfiehlt sich also, nur mittelstarke Töne zu benutzen. 6. Die Tonhöhe. Wie schon früher bemerkt und aus der Kundt’schen Tabelle auf S. 518 ersichtlich ist, steht der Einfluss der Tonhöhe, obwohl Resonanz dabei ‚ausgeschlossen ist, doch mit dem der Röhrenweite in verwickelter Weise in Zusammenhang. Früher haben wir gesehen, dass die Kirchhoff’sche Formel zeigt, dass die Sehalleeschwindigkeit direkt proportional ist zur Wurzel der Schwingungszahl. Wird der Ton tiefer, so tritt Ver- zögerung ein, 522° C. E. Benjamins: Was die Röhrenweite dabei betrifft, so kann man im allgemeinen sagen, dass nur bei engeren Röhren eine deutliche Verzögerung der: Schallgeschwindigkeit auftritt, was auch ersichtlich ist aus folgender Tabelle von Webster Low). Röhre nei | en ni, De | Deines Millimeter 28,0 327,3 397,5 397,7 398,3 398,7 17.1 3952 325,5 398.0 396,7 3278 9,35 320,6 391.2 3219 393,6 395.3 Kundt hatte aus seinen Ergebnissen geschlossen, dass die Schall- geschwindigkeit schon geändert wird, wenn der Durchmesser der Röhre nahe gleich der Viertelswelle des benutzten Tones ist. Ist sie viel kleiner, so würde eine beträchtliche Verzögerung eintreten. Für weite Röhren scheint aber diese Regel nicht zutreffend zu sein. Schon aus den Kundt’schen Zahlen ist dies ersichtlich. In seinen Röhren von 26 mın Durchmesser geht ein Ton von 90 mm halber oder 45 mm Viertelswelle unverzögert durch! Nach der Kirchhoff’schen Formel kann man berechnen, dass, wenn ein Ton von 90 mm halber Wellenlänge, also von ungefähr 1830 v. d. durch einen Tubus von 26 mm Durchmesser ungehindert durchgeht, Töne von 250—350 v. d., wie ich sie benutzte, Röhren von ungefähr 5—7 em Durchmesser brauchen, um unverzögert durch- zugehen. Wir werden später sehen, dass ich bei meinen Ver- suchen. wo das Verhältnis zwischen Röhrenweite und Viertelwellen- länge z. B. 28:5 war, von dieser im Kundt’schen Sinne un- eünstigen Sachlage nicht gestört worden bin. %. Einfluss des Druckes kommt für unsere Versuche nieht in Betracht; er ist übrigens nicht vorhanden. Ss. Die Temperatur hat auch auf die Schallgeschwindigkeit in Röhren den Einfluss, der in dem Faktor VI + at ausgedrückt ist. Y: =YV,-Vl-+at. Da unsere Versuche aber annähernd bei derselben Temperatur vor- genommen wurden, können wir diesen Einfluss vernachlässigen. 1) Zitiert nach Auerbach’s Akustik. Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. 523 9. Schliesslich ist die Art und Weise, wie der Ton in die Röhren eintritt, von Kundt studiert worden. Dabei hat sich gezeigt, dass die Grösse der gemessenen Wellen ungeändert bleibt, ob der Ton durch den ganzen Querschnitt oder durch einen Teil derselben in die Röhre tritt, und dass es gleichgültig ist, ob der Schall erst durch eine Röhre von anderem Durchmesser geführt ist. Diese Tatsache ist deshalb von Bedeutung, weil wir dadurch imstande sind, eventuell einen Schalltrichter mittels Gummiröhren mit der Glasröhre zu ver- binden. 10. Das Entstehen von unregelmässigen Figuren. Kundt machte die Erfahrung, dass eine bis zwei den Enden der Röhre nächstliegende Figuren immer unregelmässig und für Messungen nicht zu verwerten sind. Die anderen Figuren waren hei seiner primitiven Versuchsanordnung auch nicht ganz regelmässig, so dass er für seine Bestimmungen immer einen Mittelwert nehmen musste. Er schreibt diese Unregelmässigkeiten den Erschütterungen der Glasröhre zu, wodurch die Staubkörner sich im Sinne der Savart’schen spiralförmigen Knotenlinie am Boden der Röhre zu bewegen bemühten. Er gibt an, dass man dies dadurch vermeiden kann, dass man die Schallquelle von der Versuchsröhre mittels Gummieinschaltung getrennt hält. Bei meinen Versuchen kam diese Erklärung nur in Betracht beim sehr kräftigen Hineinsingen in die Röhren; aber un- regelmässige Figuren kamen auch vor bei mässiger Tonbildung, wenn nämlich die Tonhöhe für die betreffende Röhre ungeeignet war. Hier könnte vielleicht eine ungünstige Interferenz der ankommenden und zurückkehrenden Wellen zur Erklärung dienen. In vorstehender Figur 2 stellen die ausgezogenen Linien die ankommenden Wellen, die gestrichelten die reflektierten dar. Durch den Phasenunterschied wird in den sich bedeckenden Bauchteilen die Bewegung aufgehoben. Sie ist allein in genügender Weise vorhanden an den Stellen, wo in den beiden Wellen Knotenpunkte sind. Die schraffierten 524 C. E. Benjamins: Stellen zeigen die in dem Falle entstehenden unregelmässigen Staubfiguren. Auf eine besondere Abweichung macht J. Müller!) aufmerksam, nämlich einen Schiefstand der Figuren. Dabei treten in bestimmter Reihenfolge schiefe und gerade Figuren auf. (Fie. 3.) EL A N 1921 NRZ | Fig. 3. Er versucht dies zu erklären durch ein Mitschwingen der Röhren in einen Unterton von "s n-Anzahl Schwingungen. SW | Se | Fig. 4. Die Erklärung folgt aus der Fieur 4. In meinen engeren Röhren habe ich diesen Schiefstand öfters gesehen; er war aber nicht störend für die Messungen. Schliesslich sei noch erwähnt, dass in engen Röhren ein lauter Stimmton manchmal ganz unregel- mässige Figuren geben kann. Kayser?) macht aufmerksam auf das Auftreten von sehr starken ÖObertönen, wodurch die Staubfiguren verzerrt erscheinen und eine sichere Messung nicht möglich ist. Das dürfte sich auch in ünseren engeren Röhren abspielen. Die schwächeren Partialtöne, die sonst nicht zur Geltung kommen, werden in diesen Röhren bei zu lautem Singen mitregistriert. Auch kommt es dabei vor, dass in den Knotenpunkten, wo sonst zwar nicht absolute Ruhe herrscht, aber doch so viel, dass der Staub ruhig bleibt, auch genügend starke Bewegung entsteht, um kleine Figuren zu erzeugen, die für die Schärfe der Messung schädlich sind. So kann es sogar vorkommen, dass die ganze Röhrenlänge eine unabgebrochene Reihe Rippungen zeigt, worin die einzelnen Wellen durch seichte Einkerbungen am Rande der Figur angedeutet sind. 1) J. Müller, Über Schallgeschwindigkeit in Röhren. Wiedemann’s Annalen Bd. 11. 1903. 2) H. Kayser, Bestimmung des Verhältnisses der spezifischen Wärmen usw. durch Schallgeschwindigkeit. Wiedemann’s Annalen Bd. 2. 1877. Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. 525 Es bleibt mir nur noch übrig auf eine Erklärung der Entstehung der Rippungen in den Staubfiguren etwas näher einzugehen, weil hieraus die für uns wichtige Folgerung zu ziehen ist, dass aus einem zusammengesetzten Ton immer der energetisch Stärkste in den Staub- figuren am klarsten zum Ausdruck kommt. Um diese Erklärung, welche grosse Schwierigkeiten bereitet, haben sich verschiedene Physiker bemüht. Kundt!) zeigte schon in seinen ersten Versuchen, dass es die bewegte Luft ist, die das Semen Iycopodii in die schönen be- kannten Formen legt, und nicht die Schwingungen der Röhre selbst. Zwei Versuche zeigen es unzweideutig an: erstens Änderte sich die Zahl der Staubfiguren, wenn die Röhre statt mit Luft mit irgend- einem anderen Gase gefüllt war, und zweitens bildeten sich . die Figuren nicht in einer luftleeren Röhre, sondern das Pulver legte sich beim Tönen in die Punkte der Savart’schen Spirale, die am Boden der Röhre liegen. Dvoräk?) weist in seinem Erklärungsversuch darauf hin, dass „Je stärker die Impulse des Mittels sind, in dem sich der Staub be- findet, desto weniger Stellen sich finden werden, wo der Staub ruhig liegen bleibt. Der Abstand der Rippen wird alse im Mittel grösser werden, darum sind auch in verdünnter Luft die Rippenabstände verhältnis- mässig kleiner als in dichteren, ebenso sind die Rippenabstände im Schwingungsbauche grösser als nahe beim Kooten“. Er gibt folgende Erklärung für die Höhenzunahme der Rippungen und das Zusammenschmelzen von nahe bei- einanderliegenden Rippungen (Fig. 5). Der nach dem Lumen der Röhre zu- gekehrte Gipfel der Rippungen macht eine Pendelbewesung zwischen b und b‘. Fig. 5. Ist die Form ab’c, so entsteht ein auf- wärtsgerichteter Gegendruck d, der im nächsten Moment, wenn b’ sich wieder nach d hin bewegt, zur Geltung kommt und die Teilchen aufwärts treibt. Stehen zwei Rippungen so nahe beieinander, dass DrKundt,1..er 1866: 2) Dvoräk, Über die Entstehungsweise der Kundt’schen Staubfiguren. Poggendorf’s Annalen 1874. 526 C. E. Benjamins: ihr Abstand kleiner ist als die Amplitude der Pendelbewegung, so verschmelzen die beiden, die kleinere gebt in der grösseren auf. Eine theoretische Untersuchung von Bourget erwähnt Melde in seinem Lehrbuch !), wonach die Streifen ihre Entstehung dem Mitauftreten von hohen Obertönen verdanken sollen. Die erste grundlegende und jetzt allgemein akzeptierte Er- klärung stammt von Walter König?). Von der Annahme ausgehend, dass die Schallbewegung in einer idealen Flüssiekeit stattfindet, was auch in der Kundt’schen Röhre möglieh ist, weil die Staubteilchen im Verhältnis zu der Wellen- länge des Tones sehr klein sind, hat König die Sätze der Hydro- dynamik auf sie angewandt. Theoretisch und experimentell hat König gezeiet, dass die Strömung einer idealen Flüssiekeit um zwei Kugeln herum haupt- sächlich zwei Kräfte .erzeugt, die eine, parallel der Strömungs- richtung, hat auf den Staubkügelchen eine abstossende, die andere, senkrecht zur Strömungslinie, hat eine anziehende Wirkung. Es resultiert aus der Kombination dieser Kräfte eine Rotation, die das Bestreben hat, z. B. eine kleine Scheibe zu drehen in einer Ebene senkrecht zur Strömungsrichtung, wie es in der Tat bei den Versuchen mit’dem Rayleigh’schen Spiegelchen geschieht. Durch einen einfachen Versuch ist das Bestreben der beiden Kräfte zu demonstrieren (Fig. 6). Man hängt in einer Röhre zwei feine Kügelchen in geringer I € & Entfernung voneinander auf, ee Re 2 zunächst hintereinander (7) iu der Längsachse, dann stossen sie sich während des Tönens ab, und danach nebeneinandergestellt (2), senkrecht zur Achse, ziehen sie sich an. Befinden sich nicht zwei, sondern viele Körperchen in einer schwingenden Luftmasse, so haben sie ebenso das Bestreben, sich in Ebenen aneinanderzulegen, die senkrecht zur Schwingungsrichtung stehen und die sich gegen- einander in einem bestimmten Abstande halten. Die Rippungen der Staubfiguren sind demnach nichts anderes als solche Anordnungen des Staubes in Flächen, die auf der Schwingungsrichtung senkrecht stehen. Fig. 6. 1) Melde, Akustik. 1883. 2) Walter König, Hydrodynamisch akustische Untersuchungen. Wiede- mann’s Annalen Bd. 42. 1891. Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. 527 König. bestimmt die Grösse der beiden Kräfte durch folgende Formeln: Sp RS Rs WM: DM — — me sin © (1-5 cos? ©) und 0 SrpRen,: W. 2—— en cos © (3—5 cos? ©) 0 worin R und AR, den Radius der Kugelchen, », den Abstand zwischen beiden, W, die Geschwindigkeit des Stromes, die Dichte des Mediums und © den Winkel zwischen Verbindungslinie der Mittel- punkte der Kugeln und Strömungsrichtung vorstellen. Aus den Formeln ist ersichtlich, dass die wirkenden Kräfte dem Quadrat der Geschwindigkeit proportional sind. Rn Hiermit ist in Übereinstimmung, dass die Rippen im Schwingungs- bauche am stärksten ausgebildet sind. Später hat König!) mit neueren Methoden die Kräfte direkt gemessen, wobei sich die Richtigkeit seiner Theorie herausstellte. Auch von anderer Seite, z. B. von J. Robinson?), ist die König’sche Theorie als richtig anerkannt und erweitert worden. Eine Ergänzung hat diese Theorie durch Cook?) erfahren, der zeigte, dass ausser den hydrodynamischen Kräften einer Flüssigkeit noch andere im entgegengestellten Sinne arbeitenden Kräfte, die mit der Reibung zusammenhängen, wirksam sein können. In unserem Fall bleiben alle Faktoren der König’schen Formel gleich, bloss W, die Strömungsgeschwindigkeit, ändert sich und demgemäss die Kräfte, und zwar im geraden Verhältniss zu dem Quadrat dieser Geschwindiekeit. Und da dieses Quadrat ein Faktor der Energie des Tones ist, so ist daraus zu schliessen, dass die Bildung der Rippungen der Schallenergie gerade proportional ist, und dass aus einer Reihe von Tönen derjenige Ton die besten Figuren geben wird, der die grösste Energie besitzt. Der Partialton eines 1) W. König, Neuere Untersuchungen zur Theorie der Kundt’schen Staubfiguren. Physiol. Zeitschr. Bd. 12 S. 991. 1911. 2) J. Robinson, Bemerkungen zur König’schen Theorie über die Bildung der Rippen usw. Physiol. Zeitschr. Bd. 9 S. 807. 1908. — J. Robinson, On König’s Theory of the Ripple formation. Phil. Mag. 1909 and 1910. 3) 8. R. Cook, On Flutings in a Sound Wave and the Forces due to a Flux of Viscous Fluid round Spheres. Phil. Mag. 1902. 928 C. E. Benjamins: Vokales, der in der Kundt’schen Röhre zum Vorschein kommt, ist also der energetisch stärkste, ist der Haupttondes Vokales. II. Methodik. 1. Die Röhren. In der Auswahl der Röhren wurde ich beeinflusst durch den Umstand, dass die käuflichen Röhren, wenigstens in den weiteren Sorten, nie länger als 1,55 m waren. Wir haben in der physikalischen Einleitung gesehen, dass gerade für die tieferen Töne, die eine grosse Wellenlänge geben, längere Röhren erwünscht sind. Dadurch kam es auch, dass der von Kundt angegebene verschiebbare Stempel nur probeweise im Anfang gebraucht wurde. Der Übersichtlichkeit wegen werde ich im folgenden die Maasse der Röhren immer durch einen Bruch angeben, wovon der Zähler den Innendurchmesser, der Nenner die Länge bezeichnet, alles in Zentimeter. Meine Röhren hatten nun folgende Maasse: 97/155, bllıse ) 18/40, 13/100, "/lıas, 18/ıss, b8jısa, 18/200, */so, */155, 55/100, ?lıss, ®P/ıss, 65/70, 78/155. Es stellte sich heraus, dass die Röhren ?/Jıas und °”/ı5ss ziemlich leicht die.scehönsten Firmen gaben und die Röhre "®/ıss am leichtesten anspricht. Allerdives war bei dieser letzten, wie bei allen engen Röhren, ein Papptriehter mit möglichst weiter Resonanzbreite und Gunmiverbindung nötig, um die ganze Schallmasse in die Röhre zu bekomiuen. Im vorigen Abschnitt haben wir gesehen, dass dieses erlaubt ist, und dass die Gummiverbindung nötig ist, um Erschütterungen der Röhre zu vermeiden. Man hat durch diese relativ enge Röhre den Vorteil, etwas leiser sprechen zu können, dagegen den Nachteil, bei lauteren Tönen eher unregelmässige Figuren zu bekommen. Es lässt sich übrigens auch so ungefähr bestimmen, welche Röhrenlänge am besten passt für eine gegebene Stimmhöhe; denn die Länge soll, wie wir im vorigen Abschnitt gesehen haben, ein Vielfaches der Viertelwellenlänge sein, wobei zu bedenken ist, dass relativ selten der Stimmton bei den verschiedenen Vokalen registriert wird. Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. 529 Die beiden engsten Röhren sind untauglich, weil selbst beim -Jeiseren Sprechen zu viel Rippungen erscheinen und die Figuren immer unregelmässig sind. Die weitesten Röhren von 6,5 und 7,8 cm - Durchmesser geben wunderschöne Figuren, aber sie fordern eine zu grosse Kraft der Stimme, wodurch die Aussprache der Vokale un- natürlich wird und die Stimme schnell ermüdet. 2. Die Versuchsanordnung. Die gut mit einem Wattebausch ausgeputzte trockene Röhre wurde in der früher beschriebenen Weise von einem sehr schmalen Streifen trockenen Lykopodiums versehen und auf zwei Klümpchen Klebewachs auf einem Tisch horizontal gestellt; zunächst mit dem Streifen in der Mitte, dann wurde die Röhre um einen kleinen Winkel in der Längsachse gedreht, bis der Pulverstreifen sich ein wenig neben der Mittellinie befand. Der besseren Sichtbarkeit der Figuren wegen nude die Reikee auf ein schwarzes Tuch gestellt. Das Ende der Röhre wurde ent- weder ganz geschlossen oder mittels eines kleinen Röhrchens in der Mitte des Korken mit der Aussenluft in Verbindung gelassen und bei einer dritten Versuchsreihe ganz offen gelassen, Auf der Länge der gemessenen Wellen hatte dies gar keinen Einfluss; nur für das leichtere Zustandekommen der Figuren war ein Öffnen der sonst immer geschlossenen Röhre bisweilen von Nutzen. Über das öftere Reinigen der Röhre nach einem oder zwei Versuchen und über die Papptrichter-Gummiverbindung bei engeren Röhren ist schon vorher alles mitgeteilt. In die Röhren von 4 cm Durchmesser hinauf wurde direkt hineingesprochen oder gesungen. Alle Versuche, die Bildung der Staubfiguren zu erleichtern, z. B. durch fest schliessende Mundtrichter, Membranen usw., haben keinen Erfole ‚gehabt. Nur sollen die Hände an die Seiten des Mundes gehalten ‚werden, um den Schallverlust möglichst gering zu machen, jedoch ohne Berührung der Röhre. 3. Die Höhenbestimmung des Stimmtones fand auf verschiedene Weise statt. Erstens wurde der Ton einer Edelmann’schen Stimmgabel nachgesungen, dann wurde ein Kehl- tonschreiber benutzt, wobei der Apparat von Krueger-Wirth mit dem von Rosapelly-Zwaardemaker abgewechselt wurde. Beide Instrumente wurden zuvor miteinander und mit dem Phonographen verglichen, sie gaben dabei gleiche Resultate. Wurde der Kehlton- 530 - €. E. Benjamins: schreiber von Krueger-Wirth benutzt, so registrierte ich die Zeit mit derselben Kapsel nach der von H. Gutzmann!) empfohlenen Methode, die eine zierliche gezackte Wellenlinie gibt, wobei die Stimm- bandschwingungen bequem auszuzählen sind (s. Fig. 10 auf S. 538). Schliesslich wurde zur Kontrolle einige Male der Grundton auf dem Phonographen bestimmt. Zugleich wurde dann zum Vergleich die Vokalperiode nach Fourier analysiert, wovon später noch die Rede sein wird. Bei der phonographischen Aufnahme wurde der Phonograplı auf den Boden aufgestellt. 4. Die Messungen. Kundt gibt an, dass die Wellen an den Enden der Röhre nieht mitzumessen sind, und dass möglichst viel Halbwellen gemessen werden müssen. In meinen Röhren war ich bei den langen Wellen immer auf zwei oder drei Halbwellen, bei der längsten sogar auf eine nur beschränkt. Es wurden die Mittelpunkte zweier Schwingungs- bäuche mit Kreide auf dem schwarzen Tuch markiert und so die Halbwelle mittels Messstab gemessen, oder es wurde bei den kürzeren Wellen einfach die ganze Welle abgepasst. Die Messung des Abstandes zwischen zwei Knotenpunkten ist schwer, weil in unserer Röhre keine Ruhepunkte, sondern Ruhestrecken vorkommen. Wenn mit dem Kehltonschreiber eine wechselnde Tonhöhe bestimmt wird, so soll man nur die erstkommenden Schwingungen zur Be- rechnung benutzer; denn die Staubfiguren entstehen meistens schon im Anfange des Tönens. Die Genauigkeit des Messens ist ziemlich gross. Natürlich darf man für diese grossen Fieuren Exaktheit bis zu 1 mm nicht ver- langen, wie dies in den kleinen Röhrchen bei hohen Tönen der Fall ist. Ein Fehler von 1 em gibt in der Berechnung der Schwingungszahl bei Wellenlängen von ungefähr 50 em einen Fehler in der Schwingungs- zahl von ca. 13 v. d., und bei den grösseren Wellen, z. B. von ungefähr 80 cm ein Fehler von 5 v. d., was auf die Ergebnisse keinen grossen Einfluss haben kann. Doch ist meistens das Messen mit ziemlich grosser Genauigkeit möglich, vor allem bei sehr reinen Röhren (man vergleiche dazu die photographischen Abbildungen). Um aus der gemessenen Wellenlänge die Schwingungszahl des registrierten Tones zu bekommen, war es nötig, die Schallgeschwindiekeit in den 1) H. Gutzmann, Physiologie der Stimme und Sprache. 1909. Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. 531 Röhren zu wissen. In der physikalischen Einleitung ist darüber Genügendes mitgeteilt. Da die Zahlen höchstens um 1 oder 2 m Differenz geben würden, und daraus bei der Berechnung nur ein Unterschied von wenigen Schwingungen entstehen, was für unseren Zweck gleichgültig ist, so habe ich es für erlaubt gehalten, immer die Regnault’sche Zahl für die Schallgeschwindigkeit in Röhren, nämlich 330 m pro Sekunde, zu benutzen, wobei mit einer leichten Verzögerung Rechnung getragen wird. 5. Die Versuchsergebnisse. Es stellt sich heraus, dass die Röhren für meine Stimme nur bis zu 9° (193 v. d.) herab verwendbar waren; deshalb habe ich versucht, ob auch tiefere Töne in der Röhre sichtbar zu machen wären, auch deshalb, um zu beweisen, dass die Registrierung der Obertöne nicht eine künstliche, eine gezwungene war. Die Orgelpfeifen des Laboratoriums waren nicht imstande, Staub- figuren in den weiten Röhren zu geben. Es stand aber noch ein grosses Nebelhorn mit tiefem Ton zur Verfügung, bestehend aus einer metallenen Zunge und einem grossen, langen Metalltrichter. Der Grundton wurde auf zwei Weisen bestimmt. Erstens wurden die Erschütterungen der Wand am Ende des Hornes mittels eines Kehltonschreibers registriert, dessen Ansatzstück im Inneren des Hornmundes luftdicht aufgeklebt war, und zweitens wurde in einen Papptrichter hineingeblasen, an dessen Ende der Ansatz des Kehlton- schreibers verklebt war. Beide Male hatte der Grundton 130 v. d. Das zweitemal wurde auch der dritte Partialton mitregistriert (Fig. 7). Fig. 7. Zeitmarkierung in der von Gutzmann angegebenen Weise. Bei leisem Anblasen erschien nun in der Röhre »8/200 der Grundton mit einer Wellenlänge von . . 260—264 em, bei härterem Anblasen der zweite Partialton mit einer Wellenlänge von . . . 180% und bei festem Anblasen der dritte len. mit einer Wellenlänge von . . . ı 88 ” Die weiteren Röhren reagierten gar nei auf Takes Anblasen ; nur bei festem Blasen erschienen dann immer Staubfiguren mit Pflüger’s Archiv für Physiologie. Ed. 154. 36 532 C. E. Benjamins: A—=88cm. Es war hiermit bewiesen, dass die Röhre "/200 einen tiefen Ton von 130 v. d. registrierte und die weiteren Röhren eine viel grössere Energie beanspruchen, wobei allerdings das Horn den dritten Partialton sehr intensiv gab. Von den Vokalen wurde nur die Reihe A, O und U untersucht. Die anderen werden später an die Reihe kommen. Mit meiner eigenen Stimme fand ich folgendes. Die Versuche sind zusammengenommen, wobei der Stimmton nur mit dem Gehör bestimmt wurde durch Vergleich mit einer Edelmann’schen Stimm- gabel. Die Schwingungszahl des Grundtones ist hierbei natürlich nicht ganz sicher. In einer anderen Reihe wurde deshalb ein Kehl- tonschreiber benutzt. (Siehe Tabelle I auf S. 533 und Tabelle II auf S. 534.) Bei der ersten Tabelle waren zwei Fehlerquellen möglich, erstens beim Nachsingen der Tonhöhe und dann beim Ausmessen der Halb- wellen, bei der zweiten Tabelle nur letztere. Doch stimmen die Resultate ziemlich überein. | Als erstes Resultat zeigt sich, dass der stärkste Ton ein har- monischer Oberton des Stimmtones ist. Ferner ist auffallend, dass bis zu einem Stimmton von 210 v.d. der dritte Partialton in die Röhre kommt und beim Steigen des Grundtones zuerst der zweite Partialton erscheint, während endlich bei den höchsten Tönen meiner Stimme, nämlich d’ und e’, sich eine Neigung zeigt zum Hervorbringen des Grundtones. Man hat also ein Sinken der Ordnungszahl des Haupttones beim Steigen des Stimmtones, ein Verhalten, das nicht auf einer in engen Breiten schwankenden festen Tonhöhe des Haupttones beruht, sondern auf einem eigentümlichen Verlauf seiner Schwingungszahlen. Diese zeigen nämlich beim Steigen des Grundtones von g° bis e' über gewisse Strecken ein regelmässiges Ansteigen, um jedesmal beim Ordnungszahlwechsel wieder stark ab- zufallen. Bei dem nächsten Vokal werden wir das gleiche sehen. (Siehe Tabelle III auf S. 534.) Bei A sieht man wieder den eigentümlichen Verlauf der absoluten Schwingungszahlen des Haupttones, nämlich das jedesmalige schroffe Herabsinken beim Ordnungszahlwechsel, und das allmähliche Wieder- ansteigen bis zum nächsten Wechsel. Bei b° scheint eine Übergangs- stelle zu sein; meistens wird der vierte Partialton registriert, aber ein paarmal kam der dritte zum Vorschein. ° Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. 533 (1) (218) (For) } on 1088 'S I 786 rIl er ME GT 'SLA oyoıs) ne uoypunız) op uoy9S doIy Yone Yın woplomsıg Z 16 hfe Voge—uz (068) ıp ‘SS 6 sIg 79 ggg —=ug (8a) 2 (d 1L7 0L sr—ug (ie) & N2% GL yer—=ug (Le) ® SrL/g 8 899 89 BLE—=UuR| (E61) «6 u9wWmoNag NZ UEAIHNSANEIS 9ULoy (ZI) F SIT/gig ‘3 'SLg UaIy9SIO SH "uSpuelIoA UOIPundD) 19P yoıynoep yoou uoJ (1) (088) (001) \ 09=uz| (ee) > -[enNIeg UOIOMZ ualogıdessne yıejs WOP uagqau aIyoy dop ur em SH 3 099 08 ü 6 819 LG osg —ug| (068) ıP 3 SIE v9 gIe—ug| (8%) 2 6 0F7 GL sr —ug (re) 3 ver gL rer ug (Te) 8 898 8g 6Lg—=ug| (E6T ch 221, u9WWONI NZ USANSHANEIS 9UION (ZU) 6 698 | 84 osg—=ug| (06E) 6 688 69 gig—ug (io) 2 -uoseyadurs affoqeL A9p Ur yonsıoy uro nu 3 S6F 19 sur Gr fewsapaf 7s1 so ‘oyaopaım yoezIyou puıs 9YuoWLIOdXT UAISTOUL ALT 3 SCH Zu 7e=ug| (IR » ‘Sue ]-e UIO J40}SJUO Sa ‘uadurs nz A9po ass g 668 68 bie — we (ech eh nz urı zued 0 jeyo‘ up ‘lomgos SO IST U9UOTL, U2AJEN up Tag UIWWONII NZ UEMSHANEIS Yuroy (LUD) of} EST/g (244) |An=916 | 36 916 4 de (258) In=1T14| 42 185 3 5] 148 g° keine Staubfiguren zu bekommen a° (217) | 4 n= 868 | 37—38 | 868—891 4 b° (244) | An—=96 | 34 970 4 b° (244) 3n=132| 45 1393 B) Meistens kommt der ce 258 |3n—=1M4| 43 767 3 vierte Partialton, d’ (2%) |3n=810 | 38 868 3 ein paarmal wurde e (325) | 2 n= 650 | 49— 51 647—673 2 der dritte regi- mit Kehlton- Bunien schreiber auf- genommen Blıas 3n—9%0| 35 942 3 Vokal „a* (wie in „Kopf“). 5/148 250 3n— 150 46 al a 270 3n = 810 40 838 | 3 Es wurden ein paar orientierende Versuche gemacht mit A (wie in „Kopf“), um zu sehen, ob mehr der O- oder A-Charakter Sich dabei zeigt. Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. 535 Der Ä verhält sich hiernach wie A. Der Ä-Charakter der tieferen O-Klänge könnte so vielleicht die Ordnungszahl 3 erklären. Tabelle IV. Vokal „Oe“ (deutsch „U*). Röhre in v. d. Tonhöhe des Stimmtones ®% 18/188 fe 9° (133) b> (244) c° (258) d' (290) 5/148 92 x a° (217) b° (244) ed’ (258) d' (290) mit Kehlton- schreiber bestimmt 200 260 270 | 300 2n keine Figuren Wellenlänge A des registrierten Tonesin Zentim. Berechnete Schwingungszahl des registrierten Tones n’ in v.d. 319— 392 429 —444 2n = 386 | 84—88 | an — 488 70 2n = 516 60 2n = 580 |, 58—59 keine Figuren 2n = 434 | 75—78 2n=488 | 67 2n = 516 | 66—68 — 114/116 2n = 400 8 _ 124 — 124 — 114 Ordnungszahl des registrierten zu bekommen HDDD DDDD a u u RN} Partialtones Bemerkungen Mehreremal wiederholt extra Aus dieser Tabelle geht wieder dasselbe hervor, was wir bei A und O gesehen haben, nur liegen hier die Stellen der Ordnungs- zahlverschiebung 2:1 tiefer. Ferner ist die Strecke, worauf Grundton mit zweitem Partialton sich abwechseln, ziemlich gross, was wohl daran liegen mag, dass das U nicht immer oleich dunkel aus- gesprochen wird. Man hört oft einen deutlichen O-Charakter, vor allem bei den tieferen Tönen. Um nun den Unterschied zwischen den drei Vokalen zu zeigen, stelle ich die Ordnungszahlen in einer Tabelle zusammen. Tonhöhe » A 0 Oe des Stimmtones (deutsch U) 9° (198) — 3 2 a° (217) 4 2 2 b° (244) 4 (3) 2 2 c' (258) 3 2 2 () d' (290) 3 2) 1 (2) e' (325) 2 22) 1 amıns: C. E. Ben 996 (uagasosıaq SSeRuLTggHWumNusT7Z) Jraıygdeısojoyd Sunurpurn usqjosıop ur ‚p ne uoyD0adso3 srr/, aayoyy zop un afeyoA dIq °6 LA [44 „ll [44 "O Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. 537 Man sieht, dass auf «° und 5° ein Unterschied zwischen o und «w nieht besteht. Auf den drei höheren Tönen meiner Stimme besteht beim „oe“ immer, die Neigung, den Grundton rein, d. h. ohne Markierung anderer Partialtöne in die Röhre zu bringen, während dies beim „o“ selten und nur auf d’ und e’ der Fall ist, wobei dann immer der zweite Partialton auch deutlich markiert ist. Der Unter- schied zwischen A und den beiden anderen ist ohne weiteres klar, nur auf den höchsten Ton meiner Stimme wird der Unterschied weniger markant, was merkwürdigerweise auch für das Gehör der Fall ist. Im allgemeinen kann man sagen, und auf der Kurve auf S. 540 ist dies zu sehen, dass die Ordnungszahl des Haupttones der Reihe nach von A über O nach U immer kleiner wird. Bei den zwei Tönen, in denen meine Stimme am intensivsten ist, ce’ und d', ist das Verhältnis der Ordnungszahll A—0—U fast immer 3—2—1, wodurch mir die Demonstration sehr leicht fällt. Die drei Photographien (Fig. 9), gemacht von demselben Abschnitt der Röhre °/ıss mit den Staubfiguren meiner drei Vokale auf d’, ge- sprochen und in vollkommen derselben Vergrösserung aufgenommen, zeigen das Verhalten aufs unzweideutigste. ‚Jetzt werde ich die Befunde bei einzelnen Versuchspersonen tabellarisch mitteilen. Sie sind leider nicht vollständig, da ich die Gäste des Laboratoriums immer nur kurze Zeit zur Verfügung hatte. Um auch eine Kinderstimme zu registrieren, habe ich mein Töchterchen von 11 Jahren, welches eine kräftige Stimme hat, veranlasst, in die Röhren zu Sprechen. (Siehe Tabelle V auf 8. 538.) Auch bei den Versuchspersonen sieht man denselben Gang des Ordnungszahlwechsels. Es ist mir gelungen, einen tiefen Bariton, Herrn G., und einen hohen Tenor, Herrn de R., heranzuziehen, um meine eigenen, ziemlich engen Grenzen erweitern zu können. Beim O hat sich als Regel gezeigt, dass ganz in der Höhe der Stimme der Stimmton vorherrschend wird. Ich konnte selbst nicht höher als e’ (321 v. d.) kommen. Herr de R. hat es bis 460 v.d. gebracht. Allerdings hat er dabei sehr laut geschrien. (Siehe Tabelle VI und VII auf S. 539.) Wir finden also im grossen und ganzen eine Bestätigung der Befunde mit meiner eigenen Stimme. Stellen wir z.B. die drei Vokale meines Töchterchens auf g’ nebeneinander, dann bekommt man als Hauptton für A, 0, OE den dritten, zweiten resp. ersten Partialton. U ER BR Su N N LT ae! 538 C. E. Benjamins: a RUNDE RITTER EEE VE N\okallysorr USE IR RE DE ED EB Ben =SEs|ı Ass o8r 2558 PR 258 V hs- 38. 9 d SEN Een Su) SESUETSZ ER SH ee In leon|lesası gen Bemerkungen person 5.8 In Bar ı sah, | Sms Rn ZRS|ISERS|SERS 3 =35 R383158* REN a8 Wh er ee SH ash © Herr G., 5/ıas e (162) 3n=48 66 500 3 Herr A. hat grössere tiefe Bariton- fr 172) 3n=516 70 471 3 Mühe, den Ton der stimme g (193) |2n=3%6| 9 366 2 Stimmgabel richtig nachzusingen. Mit Herr A., 5/148 a° (217) keine Staubfiguren zu bekommen dem Kehltonschrei- schwache D° (244) | 2n=488 | 62 932 2 ber sind die Ergeb- Stimme, c' (25889) |2n—=516 | 62 992 2 nissegenauer. Auch mangelhafte d’ 2%) |2 n=580 60 550 2 gelang es ihm nicht Artikulation e 825) | 2 n= 650 92 634 2 immer, ein reines 0 18/183 a° 217) | 2 n=434 12 458 2 zu sagen. Auf b>z. B. sagte er öfters 3,und Mein 18/183 c' keine Staubfiguren zu bekommen bekam dann A=46 Töchterchen, d (290) |2 n = 580 59 559 2 oder n’ = 717, also 11 Jahre alt e (825) | 2 n=650 90 660 2 den dritten Partial- 1 (845) |2n=690 | 48 637 2 ton in der Röhre 9 (383%) |2 n= 774 45 133 2 a (435) I2 n— 870 37 on 2 ' 12 45 1 Hier scheint wieder BE az 9c0f 86) | 916 2 | Ge Ca m san. der ÖOrdnungszahl- Herr de R., 5/148 (13 |2n=36 | 78 423 2 wechsel. In den hoher Tenor, b° (244) | 2 n=488 67 492 2 FigurensindGrund- ungenaues de (258) |2n=5l6 63 923 2 ton und zweiter Par- Nachsingen sht tialton gleich schön der ib markiert Stimmgabel bestimmmte Schwingungs- zahl N Herr de R., | "*/20o 260 2n=520| 62 532 2 hoher Tenor, 310 2 n = 620 54 611 2 70/0 92 369 1l 436 76 434 1 460 70—12 | 458—471 1 Herr A. 4/155 220 2n — 440 69 422 2 5/148 300/10 In Va) 94 611 2 Herr v. L. 18/200 250 2n=500 | 66 500 2 |Kurve als Beispiel der Methode des Herr v.d.H. | Plıss 250 2n=500 | 66 500 2 Stimmtonschreibers | beigefügt (s. Fig. 10) Herr P., 1,8/900 310 2n—=620 | 54 611 2 Tenor 5/148 360 2n=720 | 46 717 2 De re LET Bauer Fig. 10. Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. 539 uoyjerjIeg 9yLıp a9p yaımap yone 19q® A0AI9U ° UOpunıd Jop TOqIOIg yeıy SH usdunyaawag u9wmoyeg NZ UOINSLT HUuToy m I | 888 cg | = (1sE) ‚6 u9WWONIA NZ UHANSLT 9UTON al EST /grr U9UIA9ITIOT, UIOTA I 768 Il (068) ‚P BHL/g "JA A110 ° 998 06 9g—=uR (E67) Eizleiiin ge ZireEennen ee 2a] Jdyaals saflelelajaeeeee ee — Bine Er eze 2u 2 ee FHEBIERISISEBIER Be elle Eli Hi = Salzen ee See GEBEN Eger BEBee.LLL > EEr EA Beeren eneseo Eozeejaneojajseealgngeea nennen «oo Sue2re 2 2nale naaazernareenm Dale ale ee] efefe ee [nee] ae ze 20, 2 212 BlePlaje leise] eisjal sie gEDEN GENE enge FE a3 I I a ST olglz | feel ee en °7 EBREEN BER nr EmEeeeeel DEEEERBERE DEE Tee ea EKZEENaREN erE een aeeo oN 0 300 2oo 300 40 0 500 200 200 %x0o 8 500 200 800 400 ı Bıo-alıl. Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. 541 Der eigentümliche Gang der absoluten Schwingungszahlen des Haupttones bei den drei Vokalen ist daraus ohne weiteres ersichtlich: das allmähliche Steigen dieser Zahlmitdem Grundton, um jedesmal beim Ordnungszahlwechsel in schroffer Weise herabzusinken. II. Es ist nach zwei Seiten hin interessant, die bevorstehenden Be- funde zu vergleichen mit denen früherer Untersucher. Erstens sind die nach subjektiver Methode gewonnenen Zahlen auf ihre Richtigkeit zu prüfen, denn wenn auch Auerbach!) mit Recht betont, dass bei einem Vergleich von sub- und objektiven Methoden mit dem psyehophysischen Faktor Rechnung getragen werden muss, so ist anderseits der gefundene Wert des stärksten Tones der Vokale so viel grösser als die der anderen Partialtöne, dass ein direkter Ver- gleich wohl gestattet ist, vor allem, wo es sich nur um relative Grössen handelt. Mit den Resultaten der objektiven Methoden ist ein Vergleich von vornherein möglich. Was nun die auf subjektivem Wege ge- wonnenen Resultate anbelangt, so müsste man an erster Stelle den epochemachenden Brief von Donders?) an Brücke nennen, wobei zum ersten Male die Tatsache gezeigt wurde, dass die Mundhöhle bei verschiedenen Vokalen auf verschiedene Tonhöhen abgestimmt ist. Aber Donders hat nur die Flüstervokale untersucht, und weil dabei der Einfluss der wechselnden Tonhöhe auf den Mundstand wegfällt, so ist ein Vergleich mit Versuchen, wobei der Stimmton benutzt wird, nicht gut möglich. Auch Helmholtz?) hat grösstenteils stumme Vokale mittels seiner Stimmgabelresonanzmethode untersucht. Doch scheint mit den Resonatoren auch die laute Stimme auf verschiedene Tonhöhen untersucht zu sein, obwohl man in seiner Arbeit vergebens nach einer präziseren Angabe der desbetreffenden Versuche sucht. Be- kanntlich kam Helmholtz zu der Annahme, dass die Vokalklänge sich dadurch von den Klängen der meisten anderen musikalischen ]) Auerbach, Akustik, 1. c 8. 69. 2) Donders, Über die Natur der Vokale. Arch. f. d. holl. Beitr. z. Natur- u. Heilk. Bd. 1. 1858. 3) Helmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen, 3. Aufl., 1870. 942 C. E. Benjamins: Instrumente unterscheiden, „dass die Stärke ihrer Obertöne nicht von der Ordnungszahl derselben, sondern von deren absoluter Ton- höhe abhängen“. So fand er für die Reihe A, O, U als feste verstärkte Partial- töne 5b", b' und f. Beim Steigen des Grundtones wird also die ÖOrdnungszahl des verstärkten Partialtones kleiner werden. Helm- holtz erwähnt: „Übrigens ist es gerade beim A besonders auf- fallend, wie kleine Verschiedenheiten in der Tonhöhe beträchtlichen Abänderungen -in dem Klange des Vokals entsprechen.“ In seinem Laboratorium hat Auerbach!) seine bekannten Untersuchungen gemacht, die eine Erweiterung der Helmholtz’schen Befunde in quantitativer Richtung darstellen, wobei es sich zeigte, dass wohl beim Steigen desGrundtones ein Fallen der Ordnungs- zahl des am meisten verstärkten Teiltones auftrat, jedoch derart, dass dessen absolute Tonhöhe mit dem Stimmton steigt! Also keine feste Lage des sogenannten Haupttones! Die betreffenden Tabellen für A, O, U mögen hier folgen, sie enthalten die Verteilung der Gesamtintensität 100 auf die einzelnen Partialtöne. Tonhöhe I II IH | IV V VI vl Dumpfes T, 07T 35 14 29 7 4 1 g 33 30 16 14 5 1 eu ed’ 40 28 10 19 3 Zr g’ 49 ? ® — == = = Helles U. e 20 31 | 23 16 5 3 3 g 18 45 24 8 3 2 Ze € 39 39 18 3 1 En | a g’ 61 28 9 2 es - N . ©. e 9 16 36 14 | 12 9 | 4 g 19 46 17 11 6 1 Be ed’ 35 43 31 10 | 2 er an 19 | 38 16 | 3 4: = = DAR er 5 | 7 12 | 20 15 30 7 g 8 13 17 30 29 8 2 ce’ 11 21 36 | 29 8 2 er g 19 42 5. 10 | 2 2 en 1) Auerbach, Untersuchungen über die Natur des Vokalklanges Poggendorf’s Annalen Erg.-Bd. 8. 1876. Über den Hauptton des gesungenen oder laut: gesprochenen Vokalklanges. 543 Setzen wir nun die Ordnungszahlen der am meisten verstärkten Töne aus diesen Tabellen untereinander und daneben eine ähnliche Reihe aus meinen Zahlen, so bekommt man folgendes (c kommt bei mir nicht vor): Auerbach, Benjamins und Versuchs- ÖOrdnungszahl des am meisten ver- personen, Ordnungszahl des Ton- stärkten Tones bei Haupttones bei höhe dumpfes | helles U U oO A U | (0) | A g 1 2 2 4 2 3 4 & 1 1 2 3 2(1) 2 3 g' 1 1 1 2 1 1 2 Daraus ist die merkwürdige Übereinstimmung dieser auf zwei so ganz verschiedene Weisen erlangten Zahlen ersichtlich. Die kleinen Unterschiede können der verschiedenen Nationalität der Untersucher zugeschrieben werden. Da Auerbach seine Be- stimmungen durch Schätzung mittels des mit Resonatoren bewaffneten ‚Gehörs machte, so legt die Bestätigung seiner Resultate mittels einer reinen physikalischen Methode wohl ein Zeugnis ab von der grossen Ausbildung und Feinheit seines Gehörsinnes. Von den mit objektiven Mitteln bearbeiteten Versuchen stehen zum Vergleiche natürlich obenan diejenigen, bei welchen auch die Schwingungen freier Luft, ohne Zwischenschaltung einer Membran studiert wurden. Es sind dies die Arbeiten von Raps!) und neuer- dings von Peters?). Letzterer hat leider noch keine näheren Resultate veröffentlicht. Was Raps betrifft, so stimmen seine Ver- suche in vielen Hinsichten mit den meinigen überein. Erstens be- nutzt er keine Membran, sondern er lässt die Strahlen einer inter- mittierenden Lichtquelle zur Hälfte durch ruhende, zur anderen durch die von der Stimme tönende Luft gehen; beide Hälften werden ver- eint, also zur Interferenz gebracht und die stattfindende, schwingende Bewegung der Interferenzstreifen photographiert, wobei Raps schöne Kurven bekommen hat. Nur die Vokale A, O, U wurden unter- sucht, und zwar musste ziemlich laut gesungen werden, um brauchbare 1) A. Raps, Über Luftschwingungen. Wiedemann’s Annalen Bd. 50. 1893. 2) W. E. Peters, A new and accurate Method of photographing speech. Vox 1913 Heft 3. 944 C. E. Benjamins: Amplituden zu bekommen. Weiter hatte seine Stimme denselben brauchbaren Umfang wie die meinige, von fis oder gis bis e'. Mit seiner Schlussfolgerung stimmen meine Ergebnisse vollkommen überein. Sie lautet: „Aus den hier vorliegenden Versuchsergebnissen geht hervor, dass die kräftig gesungenen Vokale A, O, U einen besonders stark ausgeprägten Oberton enthalten. Derselbe hat keine feste Ordnungszahl, sondern bei steigender Tonhöhe sinkt seine Ordnungszahl. Der Ton ist auch nicht von absolut fester Tonhöhe, sondern nimmt eine solche Höhe innerhalb eines gewissen Bereiches an, dass er harmonisch zum Grundton ist.“ Jetzt bin ich zu den vielen Resultaten gekommen, die durch Vermittlung von Membranen erhalten sind, und da möchte ich sofort betonen, dass es sich in meinem Falle nur um den Hauptton, den energetisch stärksten Ton der Vokale handelt, während wir die Zusammensetzung der Vokale aus weiteren Partialtönen vorläufig nicht in Betracht ziehen. Es dürfte zu weit führen, wenn ich alle diesbezüglichen Arbeiten zum Vergleich heranziehen würde. Die entweder mittels Fourier’scher Analyse (eventuell mit der Hermann’schen Schwerpunktsbestimmung) oder mittels der von Hermann angegebenen Proportionalausmessung und bei kleinen äquidistanten Zacken mit der einfachen Auszählung gefundenen Tat- sachen haben gelehrt, dass es bei jedem Vokal ein mehr oder weniger ausdehnbares Gebiet von Obertönen gibt, die besonders verstärkt sind. Die engsten Grenzen sind dabei von Hermann!) gefunden. Ich werde mich hauptsächlich an seine Arbeiten halten. Natürlich sind die verdienstvollen Arbeiten von Boeke, Hensen, Pipping, Seripture, Lloyd, Samojloff, Struycken, Poirot und vieler anderen nicht weniger wert, herangezogen zu werden, aber es handelt sich hier darum, das Prinzip zu vergleichen, und nicht um Einzelheiten. Hermann, der bekanntlich hauptsächlich den Edison’schen Phonographen benutzte, hat als Resultat seiner Forschungen gefunden: erstens eine annähernd feste Lage des charakteristischen Tones oder Formanten, zweitens, dass dieser Ton auch unharmonisch zum Stimm- tone sein kann, drittens, dass der Grundton der Vokale, den man doch mit dem Ohre am stärksten wahrnimmt, in den Kurven schlecht ausgeprägt ist. 1) L. Hermann in vielen Arbeiten in diesem Archiv. Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. 545 1. Aus dem ersten Satze folgt, dass die Ordnungszahl des Formanten beim Steigen des Grundtones fallen muss. Setzen wir die vergleichbaren Werte der Ordnungszahl von Hermann und die mit meiner Stimme gewonnenen nebeneinander, so bekommen wir: m: Hermann Benjamins nu A 0 | U a U g 4 3 3(1) 4 3 2 a 3 3 — 4 2 — b 3 2—8 2—3 3 2 2 Ei 3 2 (später 1) 3 2 2 () d’ 2 2 3 20 1 e’ — 2 _ 2 1—2 = Was A anbelangt, ist der Unterschied nicht gross, etwas grösser bei OÖ und U, wobei auch die Schwingungszahlen folgendermaassen mehr oder weniger abweichen: Für A findet Hermann einen Formant zwischen e®—g:s? und ich e—ais? (650—970 v. d.), | und für O findet Hermann einen Formant zwischen e—dis? und ich e—dis? (330—611 v, d), für U findet Hermann einen Formant zwischen c’—f’ und d’—e? und ich c'—cis? (256—546 v. d.). Obwohl bis jetzt bei meinen Versuchen also nur für A von einer annähernd festen Lage des Formanten die Rede sein kann, so wird es noch schwerer, davon zu sprechen, wenn die Zahlen der Stimme des hohen Tenors Herrn de R. und die meines Töchterchens herangezogen werden. Herr de R. hat z. B. für A einen Hauptton zwischen gös’—c® (412—1031 v. d.), mein Töchterchen hat für A einen Hauptton zwischen ars’—cis®? (916—1100 v. d.). Für O sind die Zahlen von Herrn de R. fis’—dis? (369—611 v. d.) und von meinem Töchterchen ais!—ais? (458—916 v. d.). Für U hat Herr de R. einen Hauptton zwischen d’—gis’ (288 bis 402 v. d.), und für U hat das Mädchen auf der einzigen Note, die sie kräftig genug sagen konnte, g’ (388 v. d.). Bei viel Widersprechendem ist erfreulicherweise doch auch etwas Übereinstimmendes. Die Gegend des Haupttones nämlich 546 C. E. Benjamins: liegt bei allen Autoren, so auch bei mir, für U am tiefsten, dann kommt OÖ, und schliesslich ist sie beim A noch höher. 2. Was nun die Möglichkeit eines zum Grundtone unharmonischen Formanten anlangt, so haben bekanntlich mehrere Autoren, wie Auer- hach!) und Pipping?), das Vorkommen eines unharmonischen Partialtones für unmöglich erklärt. Natürlich widerlegen meine Versuche dieses Vorkommen keines- wegs, jedoch will ich betonen, dass sich in meinen Röhren nur harmonische Partialtöne gezeigt haben (wobei natürlich nur die Versuche, welche unter Benutzung des Kehltonschreibers ausgeführt sind, berücksichtigt werden können). 3. Das Zurücktreten des Grundtones ist auch bei meinen Röhren wieder deutlich. Nur bei den höheren Tönen des A und O besteht die Neigung zum Überwiegen des Stimmtones, während beim U eher der Grundton zum Hauptton wird, was auch Hermann in seiner vierten Arbeit beschrieben hat. Zum Schluss dieses Abschnittes möchte ich noch die Ergebnisse meiner vergleichenden Versuche zwischen Röhre und Phonographen erwähnen, während ich auch imstande bin, diein unseren Laboratoriums- büchern eingetragenen Zahlen der vielen Fourier’schen Analysen, die Herr deRochemont (in meinen Tabelle als Herr de R. angedeutet) früher von seiner eigenen Stimme gemacht hat, wiederzugeben. Beim Vokal A, auf einen Stimmton von 279 v. d. gesprochen, wurde in der Röhre eine Wellenlänge von 33 cm gemessen, was einem Hauptton von 368 v. d. entspricht, also annähernd dem dritten Partialton. Die Fourier’sche Analyse ergab nun folgende Amplituden: GGG (GGG G Cs © Co Cu Ca an ae a2 22 was nach den Intensitäten umgerechnet Vn®? I? gibt: BEN ITANDeN Ie T ToTıalte 2.0 öl aaa era er 2 Der vierte Partialton wird also nach der Analye der stärkste Ton sein, was nicht ganz mit der direkten physischen Regi- strierung in der Röhre stimmt l) Auerbach, Akustik, |. c. 2) Pipping, Über die Theorie der Vokale. Acta soc. scient-Fenniae 1894. — Zur Lehre von den Vokalklängen. Zeitschr. f. Biol. Bd. 27. 1890, und Bd. 31. 1895. Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. 547 Für O bekam ich folgendes: Stimmton 258 v. d. In der Röhre kam eine Wellenlänge A — **/ss em oder n’ — °%/sı5 v. d., was dem zweiten Partialton entspricht. Die Analyse gab: Q, 0r 0; Q, O5 Os Q, 07 07 0, 0 C, 1 C, 2 2.2.2009 ao Dre DE ES oder in Intensitätszahlen: I, J; J; I, I, I, I, Js Js Io Jı Iıa Zoe 30 20 6 1417 23.020712 712 Der zweite Partialton ist hiernach der stärkste, was vollkommen mit dem in der Röhre registrierten Ton stimmt. Für „U“ wurde auf dem Stimmton von 287 v. d. ein A—=114 em in der Röhre gefunden oder »’— 288, was mit dem Grundton über- einkommt. Bei der Analyse ergab sich: GG G G40GG GG GG 0 Co Cu Or 5.8: MAN Are Re en Ben Br Bea re) was folgende Intensitäten gibt: en un 5 u ah Lk: DZ % SB 252 72167 45.200.927 787 18%: 713.°110.0 Hier soll der dritte Partialton der Hauptton sein, was nicht übereinstimmt mit der Röhre. Nach diesen Kontrollversuchen können wir also sagen, dass die Ergebnisse der Röhrenversuche sich auch bei direktem Vergleich nicht mit der Analyse der Phonographenglyphyk decken. Die Ordnungszahlen der Formanten, die Herr de Rochemont früher bei der Analyse bekam, werde ich jetzt neben die Befunde der Staubfiguren stellen. Grundton Ordnungszahl des Haupttones v..d. Glyphyk Staubfiguren ( 2 4 = 25 4 Vokal Al ns. | 304 3 3 3% 2 2 254 4 2 Vokal ee an; { 974 3 2 293 3 1 Nokalsume a een. { 304 b) 1 Vor allem besteht beim O und U wieder keine Übereinstimmung. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bi. 154. 37 548 . C. E. Benjamins: Über den Hauptton ete, Wenn es erlaubt ist, aus dem Vorangehenden eine Schluss- folgerung zu ziehen, so darf sie sich natürlich nicht über die Natur der Vokale aussprechen, da doch nur eine Teilerscheinung des Vokalklanges dabei untersucht ist; diese bildet aber einen so wichtigen Anteil bei den üblichen Betrachtungen, dass doch eine Berechtigung vorliegt, um aus der Fülle von Theorien eine als die mir am meisten sympathische auszuwählen, und so möchte ich mich folgender Zusammenfassung aus Auerbach’s Akustik anschliessen: „Der Klang der Vokale beruht auf dem Tableau der Intensitäten der Partialtöne, und zwar zunächst für einen bestimmten Sington, für einen anderen Sington ist das Tableau ein anderes. Man kann das so ausdrücken, dass der Klang in erster Linie von der absoluten Lage des Verstärkungsgebietes bzw. des charakte- ristischen Tones abhängt, in zweiter aber von der relativen Ver- teilung, wobei die Anpassung an das harmonische Verhältnis erfolgt, unharmonische Töne also ausgeschlossen erscheinen. Man kann aber — und das ist viel einfacher und der Gesamtheit des Phänomens entsprechender — auch sagen: der Klang hängt nur vom relativen Verteilungsgesetz ab, mit veränderter Singhöhe ändert sich dieses Gesetz und damit der Klang des Vokals. In der Tat kann niemand behaupten, dass es einen von der Tonhöhe durchaus unabhängigen Vokalklang gibt, ja, in manchen Fällen wird die Änderung so stark, dass sie von der Grössenordnung der Verschiedenheit des Klanges zweier verschiedener Vokale wird.“ VI. Ohne tiefer auf die Sache einzugehen, will ich jetzt schon er- wähnen, dass man zum Studium der Zusammensetzung der Vokale auch wohl die Staubfiguren benutzen kann. Es war in dieser Arbeit hauptsächlich die Aufgabe, den Hauptton der Vokale zu untersuchen, doch kam dabei schon einiges über das Vorkommen anderer Partial- töne in den Figuren zum Vorschein, das ein näheres Studium hier- von wünschenswert erscheinen lässt. Obertöne in den Staubfiguren sind schon ein paarmal erwähnt worden. So finden wir bei Schwendt!) erwähnt, dass in seinen l) Schwendt, Experimentelle Bestimmungen der Wellenlänge usw. Pflüger’s Arch. Bd. 75. 1899. ‘u9y901ds98 Iyeayy uoq[osıop Au puroyeuus opımMa ST °P OyayuoL, ‘srt/; Algo 'oeor Toap ‚29p ayaneqssundumyg *ZI "DA 317* BR un i 1a 119 "lo "alt alas ah: 1 >39 Tree 550 C. E. Benjamins: weiteren Röhren niemals Obertöne in Form kleiner Bäuche zum Vorschein kamen, aber wohl sah er dieselben, wenn er sich einer zu engen Röhre bediente. Stets war dabei die Wellenlinie ganz regelmässig, nur einen einzigen Ton darstellend. = =: = = Fig. 13. Fig. 14. Bei Kayser!) finde ich, dass das Auftreten von starken Obertönen wohl einmal die sichere Messung seiner Staubfiguren unmöglich machte. Es ist begreiflich, dass bei dem bis- herigen Gebrauch der Kundt’schen Röhre die Obertonfrage sich nicht oft 1) M. Kayser, Bestimmung des Ver- hältnisses der spezifischen Wärmen usw. durch Schallgeschwindigkeit Bd. 2. 1877. 3 Zum Vergleich Fig. 15. Vokal „O“ auf e’ gesprochen. Röhre ?/ı4s cm. Registrierter Grundton, nebst zweitem Partialton. ein Zentimetermaass. Über den Hauptton des gesungenen oder laut gesprochenen Vokalklanges. 551 in den Vordergrund drängte. Die untersuchten Töne wurden fast stets musikalisch und auch physisch möglichst rein genommen. Bei der zusammengesetzten Schwingungsform der Vokale liegt die Sache einigermaassen anders. Die Betrachtung der Photo- graphien (Fig. 12) zeigt den Unterschied in der Gestalt der Schwingungsbäuche der auf derselben Tonhöhe in derselben Röhre gesprochenen drei Vokale. _A gibt immer kürzere, verhältnismässig hohe Figuren, O längere und U die längsten. Dabei bedenke man wohl, dass, je lauter man in den Röhren spricht oder singt, je länger die Figuren im Schwingungsbauche werden. Sieht man die Figuren genauer an, so wird man öfters sehen, dass nur je der Zweite sich vollkommen gleich ist. Dies hängt damit zusammen, dass die zwei zu einer Welle gehörigen Schwingungsbäuche eine entgegengesetzte Phase vorstellen. Bei den Messungen sind sie aber alle einander vollkommen gleich. (Fig. 13.) Wird nun in den Knotenpunkten 2, £ und 6 auch eine stärkere Luftbewegung stattfinden, so ist ersichtlich, dass damit eine sehr grosse Welle registriert wird von der halben Schwingungszahl. (Fig. 14.) Dies sieht man bei den Tönen, wo der zweite Partialton mit dem Grundton abwechselnd auftritt, wie wir es bereits früher für O sahen. Die Photographie (Fig. 15) stellt diesen Grundton des OÖ dar, auf e' in der Röhre °/ızs gesprochen. Bei meinem Töchterchen "trat auch bei A auf a’ gesungen eine derartige Figur auf, wobei dann der zweite Partialton in einer eigen- tümlichen Form zum Vorschein kam, die wohl ein wenig an den Phonographenglyphyk erinnert. (Fig. 16.) Fig. 16. Nimmt man nun engere Röhren, so entstehen die Obertöne viel leichter, und so liegt hier wahrscheinlich ein dankbares Terrain für die Nachforsehung der Vokalfrage vor, auch in der Richtung der Zergliederung in mehrere Partialtöne. 552 Ph. Klee: (Aus der I. medizinischen Klinik zu München.) Der Einfluss der Splanchnicusreizung auf den Ablauf der Verdauungsbewegungen. Röntgenversuche an der Katze. Von Dr. Ph. Klee. (Mit 9 Textfiguren.) In früheren Versuchen !) wurde gezeigt, dass die von Cannon?) in die Tierphysiologie eingeführte radiologische Methode die Mög- lichkeit gibt, die noch umstrittenen Fragen der äusseren Innervation der Magen-Darmbewegungen von einem neuen Gesichtspunkte aus in Angriff zu nehmen. Die gewöhnlichen Versuchsmethoden älterer Experimente über den Einfluss efferenter Nerven auf die Verdauungsbewegungen war die Beobachtung oder Registrierung von Bewegungsänderungen der Magen-Darmmuskulatur, meist nur an einer umschriebenen Stelle. Das Röntgenverfahren lässt die Wirkung dieser Nerven auf die Beförderung des Inhaltes des Magens und Darmes er- kennen. Gerade diese Frage erscheint für das Verständnis nervöser Motilitätsstörungen beim Menschen von besonderer Wichtigkeit. Dass bei der Mannigfaltiekeit nervöser und mechanischer Reflexe am Magen-Darm-Kanal Steigerung oder Hemmung der Tätigkeit der Magen-Darmmuskulatur nicht gleichbedeutend ist mit der Förderung oder Zurückhaltung der Ingesta, wurde früher bereits betont. 1) Klee, Der Einfluss der Vagusreizung auf den Ablauf der Verdauungs-. bewegungen. Pflüger’s Arch. Bd. 145 S. 557. 1912, und 29. Kongress für innere Medizin 1912 S. 171. 2) Cannon, The mechanical factors of digestion.e Arnold, London 1911. Zusammenfassende Darstellung. Der Einfluss der Splanchnicusreizung etc. 553 Es gelang mit Hilfe der Röntgenmethode, die Einwirkung des Vagus auf Magenperistaltik und Verweildauer der Speisen im Magen, auf die Reflexe und das rhythmische Spiel der Sphinkteren, auf die - Dünn- und Diekdarmpassage unter verschiedenen Versuchsbedingungen festzustellen. ' Die Absicht dieser Arbeit war es, mit dem gleichen Verfahren den Einfluss des Splanchnicus zu untersuchen. Die in der Literatur vorliegenden Versuche über die Wirkung des Splanchnieus auf die Bewegungen des Verdauungskanals sind zahlreich und zum Teil voller Widersprüche. Es ist anzunehmen, dass sich viele dieser widersprechenden Angaben aus den oft schwer zu beurteilenden und leicht zu Fehlerquellen führenden Methoden erklärt, die eine Eröffnung der Bauchhöhle, Einbinden eines Ballons usw. nötig machen. Gerade für die Beurteilung von Nerven- einflüssen sind die durch diese Eingriffe auftretenden störenden Reflexe nicht zu unterschätzen. Wertheimer'), Bayliss und Starling”), Hotz?) u. a. stellten diese Reflexe im Experiment dar. Magnus‘) wies ausdrücklich auf sie hin. Auf eine ausführliche Wiedergabe der älteren Literatur soll ver- zichtet werden. Es sei auf die zusammenfassende Darstellung von Starling?°) in den Ergebnissen der Physiologie verwiesen. Im Vergleich zu meinen Resultaten sind folgende Arbeiten von Interesse: Im Magen fand: Contejean®) 1892 bei Splanchnieusreizung tetanische Kontraktion aller Muskeln des Magens, speziell der zirkulären Fasern, 1) E. Wertheimer, Inhibition reflexe du tonus et des mouvements de l’estomac. Arch. de physiol. t. 5 ser. 4. p. 379. 1892. 2) Bayliss and Starling, The movements and innervation of the small intestine. Part. I. Journ. of Physiol. vol. 24 p. 99. 1899. — Parts II and II. Journ. of Physiol. vol. 31 p. 260. 1902. 3) G. Hotz, Beiträge zur Pathologie der Darmbewegungen. Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Medizin u. Chirurgie Bd. 20 S. 256. 1909. 4) Magnus, Die Bewegungen des Verdauungsrohres. Handb. d. physiol. Methodik von R. Tigerstedt Bd. 2 Abt. 2 S. 99. 1908. 5) Starling, Überblick über den gegenwärtigen Stand der Kenntnisse über die Bewegungen und die Innervation des Verdauungskanals. Ergebn. d. Physiol. Bd. 2 S. 446. 1902. 6) Contejean, Action des nerfs pneumogastrique et grand sympathique sur l’estomac chez les batraciens.. Arch. de physiol. ser. 5 t. 4 p. 640. 1892. 994 Eh.oRlee: dagegen Morat!) 1893 Sinken des Tonus und Verschwinden der Kontraktionen. Nach Page May?) (1904) hat der Splanchnieus keinen direkten Einfluss, weder motorischen noch hemmenden, auf die Magenbewegung. Er glaubt, dass der motorische Effekt, den frühere Beobachter sahen, auf einer Kontraktion des Zwerchfelles beruhe, und der ‚gelegentliche hemmende Effekt durch die Kontraktion der Blutgefässe infolge der Splanchnicusreizung und die dadurch gesetzte Zirkulationsstörung zu erklären sei. Im Gegensatz zu ihm fand Elliot?) 1905 wieder Erschlaffung des Magens und Hemmung der Bewegungen, Nicht so widerspruchsvoll wie am Magen erscheinen die Angaben über die Wirkung des Splanchnicus auf den Dünndarm. Wenn man von den ältesten Untersuchungen absieht, in denen der Splanchnicus als motorischer Dünndarmnerv angesehen wurde, ist die von Pflüger*) 1857 zuerst bewiesene Hemmungswirkung des Splanchnicus auf den Dünndarm nur selten bestritten worden. Legros und Onimus?) fanden niemals Erschlaffung, sondern Tonuszunahme als Folge der Splanchnieusreizung. Jacobij°) (1892) sah auf Reizung des Haupt- stammes des Splanchnicus Hemmung der durch Vagusreizung entstandenen peristaltischen Bewegungen unter Kontraktion der Gefässe. Morat’) (1893) konstatiert Sinken des Tonus. Courtade und Guyon?) (1892) fanden Erschlaffiung der Längsmuskulatur und tonische Kon- traktion der Ringmuskulatur, dabei Verminderung der rhythmischen Bewegungen. Nach Bunch?) (1897) enthalten die Splanchnici bei allen Tieren zwei verschiedene Fasern, Kontraktion verstärkende und Kontraktion vermindernde. Pal:°) schliesst aus seinen Versuchen, dass der Splanchnicus motorischer Nerv für den Dünndarm sei, dass er durch seine motorischen Leistungen die Hemmungserscheinungen hervor- rufe und durch denselben auch den Darmtonus reguliere. Bayliss und Starling!!) schreiben dem Splanchnicus reine Hemmungswirkung 1) Morat, Sur quelques particularites de l’innervation motrice de Pestomac et de l’intestin. Arch. de physiol. ser. 5 t.5 p. 142. 1893. 2) Page May, The innervation of the sphincters and musculature of the stomach. Journ. of physiol. vol. 31 p. 260. 1904. 3) Elliot, The action of adrenalin. Journ. of physiol. vol. 32 p. 401. 1905. 4) Pflüger, Über das Hemmungsnervensystem für die peristaltischen Be- wegungen der Därme. Berlin 1857. 5) Legros und Onimus, Journ. de l’anatomie et de la physiol. 1869. Zitiert nach Pal, Arch. f. Verdauungskrankh. Bd.5. 1899. 6) Jacobij, Beiträge zur physiol. und pharmakol. Kenntnis der Darm- bewegungen usw. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 29 S. 171. 1892. 7) Morat, Il. c. 8) Courtade et Guyon, Influence motrice du grand sympathique sur /’intestine grele. Arch. de phys. ser. 5 t.9 p. 422. 1897. 9) Bunch, On the origin, course and cell-connections of the viscero-motor nerves of the small intestine. Journ. of physiol. vol. 22 p. 357. 1897/98. 10) J. Pal, Über den motorischen Einfluss des Splanchnicus auf den Dünn- darm. Arch. f. Verdauungskrankh. Bd. 5 S. 303. 1899. 11) Bayliss and Starling, |. c. Der Einfluss der Splanchnicusreizung etc. 555 zu, unabhängig von seiner vasokonstriktorischen Eigenschaft. Niemals beobachteten sie am Darm irgendeinen motorischen Effekt Unsicher wie die Magenwirkung ist auch unsere Kenntnis von der Wirkung des Splanchnicus auf den Diekdarm. Nach Pflüger!) können die Bewegungen des Dickdarms durch Reizung der Splanchniei weder gehemmt noch angeregt werden. Ebenso sahen Bayliss und Starling?) keine Wirkung des Splanchnicus superior, wohl aber hemmende Wirkung der Splanchnici inferiores. Boehm?°) hat in jüngster Zeit mit Hebel- und Ballonregistrierung Innervationsversuche am Dickdarm angestellt und kommt zu dem Resultate, dass der Splanchnicus superior sowohl Tonusverminderung wie Tonusvermehrung am Dickdarm hervorrufen könne. Die Antiperistaltik blieb in den meisten Fällen unverändert. Mitunter schienen sich die einzelnen Wellen etwas abzuflachen. Die Kontraktionsringe am Ende des proxi- malen Kolons konnten nie zur vollständigen Erschlaffang gebracht werden. Zuweilen erweiterten sie sich unter dem Einflusse der Reizung etwas. Das distale Kolon verharrte in den meisten Fällen in Ruhe. Die Wirkung des Sympathicus auf die Sphinkteren untersuchte Elliot*). Er fand bei Sympathieusreizung Kontraktion des Sphincter pylori und Sphincter ileocolicus. Angaben über die Bewegungen des Inhalts des Magens und Darms bei Sympathicusreizung finden sich in der mir vorliegenden Literatur nicht. Eigene Versuche. Meine im Vorliegenden geschilderten Ergebnisse gründen sich auf Versuche an 35 Katzen. Vor dem Versuche hatten die Tiere 24 Stunden gehungert. Die Versuchsanordnung war im wesentlichen dieselbe, wie ich sie früher beschrieben habe. Um Narkose und psychische Einflüsse zu vermeiden, wurden auch hier die Tiere nach dem Verfahren von Sherrington°) de- kapitiert. Da hierbei mit dem Gehirn und der Medulla oblongata das Vaguszentrum entfernt ist, wurde noch eine weitere Versuchs- reihe nötig, bei der Vaguseinflüsse erhalten blieben. In diesen Ver- 1) Pflüger, 1. c. 2) Bayliss and Starling, The movements and innervation of the large intestine. Journ. of physiol. vol. 26 p. 107. 1900. 3) Boehm, Über den Eirfluss des Nervus sympathicus und anderer autonomer Nerven auf die Bewegungen des Dickdarms. Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 72 S.1. 1913. 4) Elliot, l. e., und The innervation of the ileo-colic sphincter. Journ. of physiol. vol. 31 p. 157. 1904. 5) Sherrington, A mammalian spinal preparation. Journ. of physiol. vol. 38 p. 375. 1909. 556 Ph. Klee: suchen wurde bloss das Grosshirn durch einen Schnitt von dem Hirnstamm getrennt (Dezerebration). In zwei Fällen wurde das Rückenmark vom Brustmark abwärts zerstört. In zwei Fällen wurden die Nebennieren vor der Reizung exstirpiert. Die grossen Splanchniei wurden retroperitoneal beiderseits durch- schnitten. Das Peritoneum blieb intakt. Wird nur ein Splanchnieus durchschnitten, bekommt man reflektorische Hemmung und keine deutlichen Magen-Darmbewegungen. Das periphere Ende wurde — fast in allen Fällen nur einseitig, und zwar rechts — auf eine Elektrode gelest und mit Hilfe eines Kronecker’schen Schlitten- induktoriums (10000 Windungen, Eichungsskala 1—10000) in wechselnden Zeitabständen faradisch gereizt. Die Reizstärke schwankte zwischen 200 und 4000 Einheiten. Den zum Versuch fertig präparierten Tieren wurde mittels Schlundsonde Wismut-Kartoffelbrei (5 : 25 g) in den Magen eingeführt. Dann wurden sie auf das Durchleuchtungsbrett gelegt, und die Magen- Darmbewegungen vor, während und nach Splanchnieusreizung be- obachtet. Die Registrierung der Änderungen des Wismutschattens erfolgte durch Schirmpausen oder photographische Aufnahmen !). Die Beobachtungszeit betrug bis zu 12 Stunden. Im einzelnen war die Versuchsanordnung folgende: Äthernarkose, Tracheotomie, künstliche Atmung mit A.E. C.-Narkose, Längsschnitt an der Grenze der langen Rückenmuskeln und queren Bauchmuskeln dicht unter der letzten Rippe, Präparation und Durchschneidung des Nervus splanchnicus major beiderseits retroperitoneal 1—2 cm zentral- wärts vom Ganglion coeliacum. Der rechte Splanchnicus wird an- geschlungen und auf eine Ludwig’sche Versenkelektrode gelegt, diese fixiert. Naht. Unterbindung der Karotiden. Darauf entweder nach weiterer Unterbindung der Aa. vertebrales und der übrigen Halsgefässe Abtrennung des Kopfes im Atlantooceipitalgelenk oder nach Trepanation 1) Die Durchleuchtungen und Aufnahmen erfolgten in dem Tierexperimentier- zimmer. Von der Röntgenapparatur befand sich hier nur der Durchleuchtungstisch (mit Röhre) und ein Hebel zum Einschalten des Primärstromes. Induktorium, Unterbrecher, Reguliertisch usw. standen in dem seitlich eine Etage tiefer liegenden klinisch-diagnostischen Röntgenkabinett, von dem aus eine gut isolierte Leitung den Sekundärstrom zur Röhre führte. Auf diese Weise war die Fort- führung des Versuches in dem Tierexperimentierzimmer ermöglicht bzw. erübrigte sich die Aufstellung eines zweiten vollständigen Röntgenapparates. Die sich gut bewährende Einrichtung (von der Firma Reiniger, Gebbert & Schall ausgeführt) wird im Zentralblatt für Röntgenstrahlen von Herrn Privatdozent Dr. Otten und mir kurz beschrieben werden. Der Einfluss der Splanchnicusreizung etc. 557 am rechten Planum temporale-Schnitt durch den Hirnstamm dicht vor dem Tentorium cerebelli. Abstellung der Narkose, künstliche Erwärmung auf elektrisch erwärmbarem Operationsbrett, Sobald die Narkose abgeklungen ist und das Tier wieder leb- hafte Reflexe zeigt, Einführung von Wismutbrei in den Magen und Aufbinden des Tieres auf das Röntgenbrett. Bei guter Magen-Darm- tätigkeit photographische Aufnahme vor und nach Splanchnicusreizung sowie Schirmbeobachtung. I. Splanehnicusreizung bei Ausschaltung des Vaguszentrums. In diesen Versuchen wurde dekapitiert. Die dekapitierten Tiere lassen sich bei künstlicher Atmung und Erwärmung ohre Gehirn und Medulla oblongata bis zu 28 Stunden bei guter Herztätigkeit und guten Reflexen erhalten. Der Ablauf der Verdauungsbewegungen kann im Röntgenbilde von der Magenentleerung bis zur Defäkation verfolgt werden. Infolge des fehlenden Varuseinflusses sind die Be- wegungen langsamer und unregelmässiger als beim Normalen. Vor allem ist die Magenentleerung verspätet und verzögert, die Sphinkter- tätigkeit unregelmässig und die Dünndarmpassage verlangsamt. Die in den folgenden Versuchen vorgenommene Splanchnieusdurch- schneidung verringert diese Abweichungen vom Normalen sehr. Die Einzelheiten der durch die Dekapitation verursachten Veränderungen des normalen Ablaufes der Verdauungsbewegungen sind früher aus- führlich geschildert worden. Ein nochmals zur Kontrolle vorgenommener Versuch mit De- kapitation und Splanchnikotomie bestätigte die früher gewonnenen Resultate: | 25 Minuten nach Fütterung mit Wismutbrei traten regelmässige lebhafte peristaltische Wellen des Pylorusteiles des Magens auf; nach 40 Minuten füllte sich der Dünndarm. Es zeigten sich lebhafte Dünndarmperistaltik und rhythmische Segmentationen ; nach 4!/a Stunden war Diekdarmfüllung zu bemerken. Nachdem die erste Durchleuchtung gezeigt hatte, dass den Vor- versuchen entsprechend regelmässig Magenperistaltik und Magen- entleerung auftrat, wurde der Splanchnieus faradisch gereizt. In einigen Fällen verharrte der Magen dauernd in Ruhe. Es zeigten sich nicht die geringsten Bewegungen. Es handelte sich dann entweder um kranke Katzen, oder die Tiere hatten vorher aus Ver- sehen Fressen erhalten. 558 Ph. Klee: a) Wirkung auf Magenperistaltik und Magenentleerung, Die Reizung des Splanchnieus war, wenn die Elektrode richtig lag und eine genügende Stromstärke angewandt wurde, stets von einem deutlichen Effekt auf den arbeitenden Magen gefolet. Die Wirkung war immer eine hemmende. Niemals konnte ein motorischer Einfluss festgestellt werden. Am deutlichsten zeigte sich die Hemmung an dem lebhaft sich bewegenden Pylorusteil des Magens. Zunächst standen die vorher regelmässig von der Grenze des Pylorusteiles zum Pylorus hinlaufenden peristaltischen Wellen still, es war keine Bewegung am Magen mehr zu entdecken. Dann erschlafften die die Peristaltik erhaltenden Kontraktionsringe der Musku- latur des Pylorusteiles vollkommen. Der ganze Magen glättete sich. Irgendwelche Einschnürungen waren nicht mehr vorhanden. Während der ganzen Dauer der Reizung lag der Magen regungslos wie ein schlaffer Sack da. Bei jeder Reizung wiederholte sich derselbe Vorgang. Die hierbei sichtbar werdenden Änderungen des Wismutschattens erläutern einige vor und während Splanchnicusreizung aufgenommene Photogramme (Fig. 1—3). Bei Fig. 1 ist nur der untere Magenpol auf die Platte gekommen. Versuch F. VII. 23. Juni 1913. Katze. Dekapitiert. Nach Röntgenphotogrammen des Magens (40 Minuten nach Fütterung). Fig. 1a: Vor Splanchnicusreizung. Lebhafte Peristaltik. Fig. 15: Nach 20 Sekunden Splanchnicusreizung. Totale Hemmung. Fig. 1. (Auf Ya verkleinert.) Fig. 2. (Auf !/a verkleinert.) Versuch F. VO. 23. Juni 1913. Katze. Dekapitiert. Nach Röntgenphotogrammen des Magens. 1 Stunde nach Fütterung. Fig. 2a: Vor Splanchnicusreizung. Lebhafte Peristaltik. Fig. 2b: Nach 20 Sekunden Splanchnicusreizung. Totale Hemmung. Der Einfluss der Splanchnicusreizung etc. 559 Versuch F. VI. 17. Juni 1913. Katze. Dekapitiert. Nach Röntgenphotogrammen des Magens. (1!/2 Stunde nach Fütterung) Fig. 3a: Vor Splanchnicusreizung. Peristaltik. Fig. 356: Nach 20 Sekunden Splanchnicusreizung. Hemmung. Fig. 3. (Auf !/a verkleinert.) Die gleichen Bilder zeigen die übrigen Photogramme und zahl- reiche Schirmpausen. Die Abbildungen demonstrieren sehr gut, wie die Hauptwirkung der Splanchnieusreizung sich am Pylorusteil des Magens bemerkbar macht. Der Fundusteil behält seine vorherige Gestalt bei. Nur erscheint er mehr gerundet, kleine flache Wellen werden ausgeglichen. Die Zeitdauer, die zwischen Einsetzen der Reizung und Wirkung auf den Magen vergeht, ist nur kurz. In einigen Fällen hörte momentan mit Einschaltung der Reizung jede Bewegung am Magen auf. In der Mehrzahl der Fälle liefen die peristaltischen Wellen noch 5—10 Sekunden (mit der Uhr kontrolliert) zum Pylorus und standen dann still. Vollständige Erschlaffung, wie sie im Bilde wiedergegeben ist, trat zwischen der 7. und 20. Sekunde der Reizung ein. Starke Ströme erzeugten früher Hemmung als schwache. Eine ähnliche Latenzzeit wurde früher bei Vagusreizung beobachtet. Die Reizwirkung dauerte nach Ausschaltung der Reizung noch einige Zeit an. Frühester Beginn der Bewegungen nach Aufhören des Reizes war nach 20 Sekunden. Gewöhnlich vergingen 1—2 Mi- nuten, bis sich die ersten peristaltischen Wellen wieder zeigten. Auch hier gewann man den Eindruck, dass die Stärke des an- gewandten Stromes für die Dauer der Reizwirkung ausschlaggebend war. Die nach Ablauf der Reizung wieder auftretende Peristaltik unterschied sich von der vorhergehenden weder in der Regelmässigkeit noch der Tiefe der Kontraktionen (Fig. 4). 560 Ph. Klee: Versuch F.IV. 6. Mai 1913. Katze. Dekapitiert. Schirmpausen des Magens. (45 Minuten nach Fütterung.) Fig. 4a: Vor .Splanchnieusreizung. Normale Peristaltik. Fig. 4b: Nach 15 Sekunden Splanchnicusreizung (Stromstärke 200). Hemmung. Fig. 4c: Nach 60 Sekunden Splanchnicusreizung. Hemmung. Fig. 4d: 1 Minute nach Aus- schalten der Reizung. Wieder normale Peristaltik. 19 I) Fig. 4 (Auf Ys verkleinert.) Man könnte die Frage diskutieren, ob nicht das durch die Reizung des Splanchniecus ausgeschwemmte Adrenalin die Ursache dieser erst nach einer gewissen Latenzzeit auftretenden Hemmung des Magens und der die Reizung überdauernden Wirkung bilde. Wir wissen, dass Adrenalin den Magen zur Erschlaffung bringt [Elliot!)]l. Dass der Splanchnieus sekretorischer Nerv für die 1) Elliot, L. ce. Der Einfluss der Splanchnicusreizung etc. 561 Nebenniere ist, kann wohl als erwiesen angesehen werden !),. Wie zwei aus dieser Frage heraus angestellte Versuche, in denen die Nebennieren der Tiere total exstirpiert waren, ergaben, zeigt die Wirkung des Splanchnieusreizes auf den Magen denselben Verlauf wie oben. Auch hier erzeugte "Splanchnieusreizung Hemmung der Peristaltik und nachfolgende Erschlaffung der Kontraktionen der Magenimuskulatur. Fig. 5 zeigt zwei Photogramme, die diese Wirkung des Splanchnieus in anschaulicher Weise demonstrieren. Versuch 6.X. 15. August 1913. _ Katze. Dezerebriert. Nebennieren exstirpiert. 2 Uhr 5 Minuten Fütterung. Röntgenphotogramme von Magen und Darm. Fig. 5a: Vor Splanchnicusreizung. Sehr lebhafte Magenperistaltik. Am Dünndarm lebhafte Peristaltik und rhythmische Segmentationen. Fig. 5b: Nach 50 Sekunden Splanchnicusreizung. Hemmung der Magenperistaltik. Erschlaffung der Kontraktionen, Vollständige Hemmung der Dünndarmbewegungen. 56 Sekunden nach Ausschaltung der Reizung treten wieder gleichzeitig Magen- und Dünndarmperistaltik auf. Fig. 5. (Auf !/a verkleinert.) Inwieweit der Tonus der Magenmuskulatur durch die sympathische Reizung verändert wird, ist mit dem Röntgenverfahren nieht sicher zu entscheiden. Bei Palpation erschien der Magen schlaffer, der Wismutschatten war leichter in seiner Gestalt zu verändern als ohne Splanchnieusreizung. Der Wismutbrei liess sich leicht aus dem Fundusteil in den Pylorusteil hinüberdrücken und umgekehrt. l) Vgl. L. Asher, Die innere Sekretion der Nebenniere und deren Inner- vation. Zeitschr. f. Biol. Bd. 58 S. 274. 1912. (Dort die übrige Literatur.) Ph. Klee: N (op) D Niemals jedoch, und das scheint mir wesentlich, gelang es während Splanchnicusreizung manuell Mageninhalt in das Duodenum zu befördern. Es beweist diese Tatsache, dass der Splanchnicus jedenfalls nicht auch den Sphineter pylori zur Erschlaffung bringt. Ob er aktiv den Pylorus kontrahiert, kann aus diesen Versuchen nicht direkt geschlossen werden. Doch erscheint es wahrscheinlich nach den Experimenten Elliot’s, der feststellen konnte, dass Sympathicusreizung, ebenso wie Adrenalininjektion, den Pylorus fest schliesst. Eine spontane Entleerung von Mageninhalt in den Dünndarm wurde vom ersten Moment der Reizung an während der ganzen Dauer der Reizung niemals beobachtet, auch wenn die Entleerung vorher regelmässig und gleichmässig erfolgt war. Selbst in den Fällen, in denen nach Einschaltung des Reizes die peristaltischen Wellen noch einige Zeit bis zum Pylorus hinliefen, konnten sie keinen Wismutbrei mehr in den Dünndarm befördern. Es trat also wohl Pylorusschluss vor der Hemmung der Peristaltik auf, nach der Hemmung der Peristaltik dann Erschlaffung der Kontraktionen. Wertheimer!) zeigte 1392 an curarisierten Hunden, dass die Reizung des zentralen Stumpfes des Ischiadicus reflektorische Hemmung der Magenbewegung und Tonusabnahme hervorruft. Bayliss und Starling?) wiesen dann für den Dünndarm nach, dass die Reizung des zentralen Endes eines sensiblen Nerven Hemmung des Darmes hervorruft, dass diese Hemmung der Darmbewegung aber nur dann eintritt, wenn mindestens einer der Splanchniei intakt ist, eine Be- obachtung, die Hotz?) bestätigen konnte. In zwei Versuchen prüfte ich diese Verhältnisse am Magen. Es wurde das zentrale Ende des Nervus cruralis gereizt. Die Splanchniei waren beide durchschnitten. Auch bei stärksten Strömen trat keine Veränderung der Magenbewegung auf, während Reizung des Splanchnieus in demselben Versuche prompte Wirkung hatte. Versuch F.IX. 26. Juni 1913. Katze. Dekapitiert. Rechter Splanchnicus auf Elektrode. 4h 15’ Fütterung. 4h 20’ sehr lebhafte Magenperistaltik. 45h 30' Beginn der Dünndarmfüllung. 1) Wertheimer, |. c. 2) Bayliss und Starling, |. c. 8) Hotz, l. c. Der Einfluss der Splanchnicusreizung etc. 363 9h 00’ Splanchnicusreizung (Reizstärke 2000) hemmt sofort die Magenperistaltik. -. Nach einigen Sekunden tritt totale Erschlaffuug des Magens ein. ° _ 9h 15’ deutliche Peristaltik. Nun Reizung des N. cruralis; auch bei stärkeren ‘Strömen keine Wirkung der Reizung auf die Magenperistaltik. 9h 16’ Splanchnicusreizung. Sofort Hemmung der Peristaltik und nach einigen ; Sekunden Erschlaffung des Pylorusteiles. (Beides wiederholt, stets das- selbe Resultat.) - Ein anderer Versuch führte zu demselben Ergebnis. b) Wirkung auf Dünndarmbewegungen und Weiter- beförderung des Dünndarminhaltes. Die "Wirkung der Splanchnieusreizung auf den Dünndarm war, ebenso wie am Magen, stets eine hemmende. Auch hier wurde niemals ein motorischer Effekt beobachtet. Der Eintritt der Reiz- wirkung erfolgte nicht, wie meist am Magen, nach einer kurzen Latenzzeit, sondern in allen Fällen momentan. Niemals wurden nach Einschaltung des Reizes am Dünndarm während der Reizung noch Bewegungen vesehen. Es standen sowohl peristaltische Bewegungen wie rhythmische Segmentationen- sofort still. Die Wismutschatten veränderten, soweit sich das objektiv feststellen liess, ihre Gestalt kaum. Ob feinere Veränderungen des Tonus stattfanden, die auf der photographischen Platte oder bei der Durchleuchtung nicht deutlich hervortraten, muss dahingestellt bleiben. Nur in einigen Versuchen fiel auf, dass die Wismutschatten nach oft wiederholten Splanchnieusreizungen in den reizfreien Intervallen auffallend lang- gezogen, fadenförmig dünn erschienen. Man gewann den Eindruck, dass:der Tonus des Dünndarms allmählich zugenommen habe. Peri- staltik und rhythmische Segmentationen waren dabei erhalten. ‘Während der Reizung selbst veränderte sich das Bild jedoch nicht. Eine Fortbewegung des Inhalts des Darmes wurde während: der Reizung niemals beobachtet. War der Darminhalt durch rhythmische Segmentationen in zerstreute kleine Schatten zerteilt, behielt er ‚dieses Bild’ meist regungslos während der ganzen Dauer der Reizung bei. Nur in einigen Fällen scheint eine Erschlaffung des betreffenden Darmabschnittes und dadurch ein Zusammenfliessen des Inhalts, ähnlich wie am Pylorusteil des Magens, eingetreten zu sein. Der Effekt der Reizung war am ganzen Dünndarm yleichmässig deutlich. Untere und obere Darmabschnitte wurden gleichzeitig gehemmt. In allen Versuchen, in denen Magen- und Dünndarmperistaltik deutlich war, und in. denen die Magentätigkeit durch Reizung ge- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 38 564 Ph. Klee: hemmt wurde, war immer auch Hemmung der Dünndarmtätigkeit zu verzeichnen. Der Effekt auf den Dünndarm trat zuerst ein. Schwache Ströme, welche den Magen noch nicht beeinflussten, wirkten oft schon auf den Dünndarm. Die durch den Reiz erzeugte Hemmung überdauerte die Reizung meist einige Minuten. Exstirpation beider. Nebennieren beeinflusste die Wirkung der Splanchnieusreizung auf die Dünndarmbewegungen nicht. Waren die Splanchniei majores durchschnitten, konnte die Peristaltik durch Reizung eines sensiblen Nerven, ebenso wie am Magen, nicht mehr gehemmt werden. Die Wirkung des Splanchnicus auf den Diekdarm wird unten bei Besprechung der Versuchsergebnisse an dezerebrierten Katzen erörtert. II. Splanchnieusreizung bei intaktem Vagus. Wie oben erwähnt, wurde in dieser Versuchsreihe der Hirn- stamm dicht vor dem Tentorium cerebelli quer durchtrennt und damit das Grosshirn ausgeschaltet. Medulla oblongata und Vagus- zentrum blieben erhalten. In der Ausführung dieser Operation hielt ich mich an das von Sherrington!) und von Magnus?) u Verfahren, auf deren Schilderung ich verweisen kann. Diese dezerebrierten Tiere stellen, wie ich mich in einer Reihe von Vorversuchen überzeugte, ähnlich wie die dekapitierten Tiere ein ausgezeichnetes Präparat zum Studium der Verdauungsbewegungen dar, Sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der Intensität der Magen-Darmtätiekeit in sehr bemerkenswerter Weise von den de- kapitierten Tieren. Während diese eine verlangsamte Tätigkeit er- kennen lassen, eine Hypombotilität, zeichnen sich die dezerebrierten Katzen durch eine zum Teil ganz aussergewöhnliche, die Verhältnisse am normalen lebenden Tier übersteigende Hypermotilität des Magens und Darmes aus. Diese über die Norm hinausgehende Steigerung der Motilität muss, wie weitere Versuche ergaben, auf Einflüsse auf dem Wege der Vagusbahn zurückgeführt werden. Auf diese Ver- hältnisse wird an anderer Stelle näher eingegangen werden. 1) C. S. Sherrington, On the plastic tonus and proprioceptive reflexes, Quart. journ. of exper. physiol. vol. 2 p. 109. 1909. 2) Magnus, Zur Regelung der Bewegungen durch das Zentralnerven- system. II. Pflüger’s Arch. Bd, 130 S. 253. 1909. BEN Der Einfluss der Splanchnicusreizung etc. 565 Abgesehen von der Intensität unterschieden sich die Verdauungs- bewegungen im übrigen in ihrer Art nicht von der des normalen Tieres. Magenperistaltik, Sphinktertätigkeit, Peristaltik und rhyth- mische Segmentationen des Dünndarms, Antiperistaltik des Kolons traten in der bekannten Weise auf. Wie zu erwarten, trat die Wirkung des Splanchnieus bei dieser gesteigerten Motilität des Magens und Darmes in ganz besonders deutlicher Weise hervor. Am Magen fand sich auch hier genau wie bei Ausschaltung des Vagus Hemmung der Peristaltik und Erschlaffung des Pylorusteiles. Versuch @. VII. 10. Juni 1913. Katze, Dezerebriert. Nach Röntgenphotogrammen. 31e Stunden nach Fütterung. Fig. 6a: Vor Splanchnicusreizung. Sehr lebhafte Peristaltik. Fig. 6 b. Während Splanchnicusreizung. Sofort Hemmung. 3, Fig. 6. (Auf !/a verkleinert.) Auch die im Gegensatz zum normalen Tier und zum vaguslosen Tier sich bis zum Fundus erstreckenden Wellen, die lebhaft an das Bild des Magens bei Vagusreizung erinnern, wurden durch die Reizung des Splanchnieus sofort aufgehoben, Fig. 7 demonstriert diese Verhält- nisse in charakteristischer Weise: Versuch 6. IV. 11. Mai 1913. Katze. Dezerebriert. Schirm- pausen 20 Minuten nach Fütterung. Fig. 7a: Vor Splanchnicusreizung. ; Abnorm starke Peristaltik. Auch der Fundusteil des Magens ist in lebhafter Erregung. Fig. 75. Nach 10 Sekunden Splanchnicusreizung. Totale Hemmung der Bewegungen. 1 Minute 33 Sekunden nach Aus- setzen der Reizung wieder lebhafte Fig. 7. (Auf !/a verkleinert.) Peristaltik. 38 * 966 Ph. Klee: - Hier ist die Wirkung des Splanchnieus, die in den vorher- gehenden Versuchen hauptsächlich nur am Pylorusteil des Magens nachzuweisen war, auch auf den Fundusteil klar zu erkennen. Die zwischen Einsetzen der Reizung und Reizwirkung bestehende Latenzzeit verhielt sich bei Vaguserhaltung genau so wie bei - Vagusausschaltung. Meist trat der Höhepunkt der Wirkung nach 10—15 Sekunden ein. Zum Eintritt des Effektes bedurfte es nicht grösserer Reizstärke als bei Vagusausschaltunge. Auch hier über- dauerte die Hemmung die Ausschaltung des Reizes nur kurze Zeit, eine halbe bis mehrere Minuten. Wie Fig. 8 zeigt, war die dann wieder auftretende Peristaltik nicht schwächer als die vorhergehende. Versuch 6. VII. 28. Mai 1913. Katze. Dezerebriert. Schirmpausen. Fig. 8a: Vor Splanchnicusreizung. Gute Peristaltik. Fig. 8b: Nach 12 Sekunden Splanchnicusreizung (Reizstärke 1200). Fig. 8c: 1!/a Minute nach Ausschalten der Splanchnicusreizung. Wieder lebhafte Peristaltik. Fig. 8. (Auf ?/2 verkleinert.) Ein Übertritt von Mageninhalt in das Duodenum fand bei Hemmung der Peristaltik nicht mehr statt. Der Pylorus blieb ge- ‚schlossen. | Über die Wirkung des Splanchnicus auf den Dünndarm bei intaktem Vagus ist nicht viel zu sagen. Sie unterschied sich nicht von der bei Vagusausschaltung. Die äusserst lebhafte Peristaltik ‚und die rhythmischen Segmentationen wurden — meist momentan ‚mit Einsetzen des Reizes — gehemmt. Tonusveränderungen konnten "nieht sicher festgestellt werden. Der Einfluss der Splanchnicusreizung etc. 567. Wirkung des Splanchnicus major auf den Dickdarm. Während bei dekapitierten Tieren nur seltene und spärliche Be- wegungen am Dickdarm zu unterscheiden sind, konnte bei dezere- brierten Tieren zeitweise eine sehr lebhafte Motilität des Kolons, speziell des proximalen Teiles, beobachtet werden. Antiperistaltik war meist in ausgeprägtester Weise zu sehen. Ich erwartete deshalb gerade an diesem Präparat von der Reizung des Splanchnieus sichere Aufschlüsse über seine Diekdarmwirkung. Jedoch ergaben sich bei einem Vergleich der Protokolle im Gegensatz zu dem prompten Effekt des Splanchnieus auf den Magen und Dünndarm, am Dick- darm widersprechende Resultate. Diese Inkonstanz des Eifektes der elektrischen Reizung des Splanchnieus betont auch Boehm!) in seinen Diekdarmuntersuchungen. Am ehesten war eine Wirkung am proximalen Kolon zu ver- muten. Was die Antiperistaltik anbetrifft, so wurde sie in den meisten Fällen auch durch die stärksten Ströme, die eine sehr deutliche Hemmung des Magens und Dünndarms hervorriefen, nicht beeinflusst. In einem Versuche lief bei schwacher Reizstärke, welche Hemmung am Magen und Darm hervorrief, die Antiperistaltik ungehemmt weiter; sie sistierte jedoch bei Einschaltung stärkerer Reize. Manchmal schien sie etwas abgeschwächt zu werden. In der Mehrzahl der Reizungen jedoch gingen die antiperistaltischen Wellen ruhig weiter, während die Bewegungen am Magen und Dünndarm stillstanden — Als Beispiel einige Auszüge aus den N Versuchsprotokollen : Versuch 6.I. 18. März 1913. Katze. Dezerebriert. Rechter Splanchnicus major auf Elektrode. 6"'/a Stunden nach Fütterung am proximalen Kolon sehr schöne Antiperistaltik. Splanchnicusreizung (schwache Reizstärke), kein Effekt. Die Antiperistaltik läuft ruhig weiter. Stromstärke auf etwa 4000 gesteigert. Die Anti- peristaltik wird vollständig aufgehoben. Schirm- pausen des proximalen Kolons. Fig. 9a: Vor Splanchnicusreizung. Fig. 9b: Nach Splanchnicusreizung mit starken Strömen. Versuch 6.V. 26. März 1913, Katze. Dezerebriert. 64 50’ Nach 25 Sekunden Splanchnicusreizung (1500) erfolgt Stillstand der vorher sehr lebhaften Magenperistaltik. Am proximalen Kolon Anti- Fig. 9. (Auf !/s verkleinert.) 1) Boehm, |. c. 568 Ph. Klee: peristaltik, welche durch den Reiz, die Hemmung der Magenbewegung hervorruft, nicht beeinflusst wird. Nun Steigerung der Stromstärke. Auch jetzt läuft die Antiperistaltik des proximalen Kolons ruhig weiter. . (Dasselbe wiederholt mit demselben Resultat.) 75 15’ Splanchnicusreizung (1000—1500. Hemmung der Magen- und Darm- bewegung. Am proximalen Kolon unbeeinflusste Antiperistaltik. Der an der Grenze des proximalen Kolons der Katze häufig bestehende Kontraktionsring der Muskulatur wurde durch Splanchnieus- reizung nicht in eindeutiger Weise verändert. Manchmal schien eine. geringe Erschlaffung einzutreten. Ausgelöst oder verstärkt konnte er durch die Reizung nicht werden. | Bei diesen unsicheren und wechselnden Ergebnissen am proxi- malen Kolon ist hervorzuheben, dass die Nebennieren und -die Splanchniei inferiores intakt waren. (Nur in einem Diekdarmversuch war das Rückenmark vom Brustmark abwärts zerstört; in diesem Falle war eine Einwirkung des Splanchnicus nicht zu erkennen.) In Anbetracht unserer Kenntnis von der Wirkung des durch Splanchnicusreizung sezernierten Adrenalins auf Magen und Darm und im Hinblick auf die Möglichkeit, dass durch sensible Reize re- flektorisch über die Bahn der Splanchnici inferiores und das Ganglion mesentericum inferius das Kolon gehemmt werden kann, darf man die genannten Faktoren nicht ganz ausser acht lassen. Ob am proximalen Kolon feinere Veränderungen des Tonus der Muskulatur nach Splanchnieusreizung stattfanden, kann nicht mit dem Röntgenverfahren entschieden werden. Jedenfalls waren stärkere Veränderungen, die eine auf der photographischen Platte sichtbare Erschlaffung oder eine Zunahme des Kontraktionszustandes hätten erkennen lassen, wie wir sie am Pylorusteil des Magens fanden, niemals nachweisbar. Gemeinsam war allen Versuchen am proximalen Kolon nur die Tatsache, dass ein motorischer Effekt nicht zu erzielen war, d. h. eine Vorwärts- oder Rückwärtspbewegung des Darminhaltes konnte bei ruhendem Darm durch Splanchnieusreizung nicht erzeugt und bei arbeitendem Darm auch nicht verstärkt werden. Trat eine erkennbare Wirkung ein, war sieimmer eine hemmende. Ganz eindeutig lagen die Verhältnisse am distalen Kolon. Hier konnte in keinem Falle eine Einwirkung der Reizung des Splanchnieus major nachgewiesen werden, auch nicht, wenn man vom Rectum her den Darm durch einen Einlauf mit Wismutbrei füllte. Der Einfluss der Splanchnicusreizung etc. . 569 Die durch einen Glycerineinlauf hervorgerufene Defäkationsbewegung wurde durch eine gleichzeitig einsetzende Reizung des Nerven in ihrem Ablauf nicht gehindert. Zusammenfassung. Der Einfluss der elektrischen Reizung des peripheren Stumpfes des Nervus splanchnieus major auf Magen-Darmbewegungen und Be- förderung des Magen-Darminhaltes wurde mit Hilfe des Röntgen- verfahrens untersucht. Als Versuchsobjekte dienten Katzen. Gross- hirneinflüsse und Narkose wurden durch die Methode der Dekapitation oder Dezerebration vermieden. Im ersten Falle ist das Vaguszentrum ausgeschaltet, im zweiten sind Vaguseinflüsse, im verstärkten Masse, erhalten. Gereizt wurde der rechte Splanchnicus major. 1. Die Wirkung der Splanchnieusreizung auf die Magen- bewegungen war immer eine hemmende. Die Magenentleerung wurde sofort aufgehoben. Die Peristaltik stand still, die Kontraktions- ringe der Muskulatur erschlafften. Die volle Wirkung trat ein nach einer Latenzzeit von wenigen Sekunden und überdauerte die Aus- schaltung des Reizes eine bis mehrere Minuten. Ein motorischer Effekt im Sinne einer Verstärkung der Bewegungen war niemals zu erkennen. Bei doppelseitiger Splanchnikotomie trat eine reflektorische Hemmung des Magens nach Reizung des zentralen Endes eines sen- siblen Nerven nicht mehr ein. 2. Der Sphineter pylori wurde durch Splanchnicusreizung nicht zur Erschlaffung gebracht. Er blieb während der Dauer der Reizung fest geschlossen. 3. Die Wirkung der Splanchnicusreizung auf die Dünndarm- bewegungen war immer eine hemmende. Die Weiterbeförderung des Dünndarminhaltes sistierte sofort. Die Peristaltik und de rhyth- mischen Segmentationen standen mit Einsetzen der Reizung augen- blicklich still. Die Wirkung überdauerte die Ausschaltung des Reizes um eine bis mehrere Minuten. Ein motorischer Effekt im Sinne einer Verstärkung der Bewegungen war niemals zu erkennen. 4. Die Wirkung des Splanchnieus major auf Magen und Dünn- darm wurde durch vorherige Exstirpation beider Nebennieren nicht beeinflusst. 5. Eine Wirkung des Splanchnieus major auf die Diekdarm- bewegungen war mit dem Röntgenverfahren nur in der Minder- 570 Ph. Klee: Der Einfluss der Splanchnicusreizung etc. zahl der Fälle feststellbar. Wurde sie beobachtet, war sie immer eine hemmende. Ein motorischer Effekt im Sinne einer Verstärkung der Vorwärts- oder Rückwärtsbewegung des Dickdarminhaltes trat niemals ein. Am distalen Teile des Kolons wurde eine Wirkung des Splanch- nieus major in keinem Falle gesehen. Durch Glycerineinlauf hervor- gerufene Defäkationsbewegungen konnten durch Splanchnicusreizung nicht gehemmt werden. 571 (Aus dem Institute für allgem. und experim. Pathologie der Universität Wien. Studien 1 über die Bestimmung des Ausgangspunktes ventrikulärer Extrasystolen mit Hilfe des Elektrokardiogramms. Von Prof. ©. J. Rothberger und Prof. H. Winterberg. (Mit 6 Textfiguren und Tafel I.) Während die Elektrokardiographie sich bezüglich der Diagnose der Hypertrophie sowie der Insuffizienz des Herzmuskels nur in be- schränktem Maasse bewährt hat, nimmt sie für die Erkenntnis der Rhythmusstörungen unzweifelhaft den ersten Rang unter allen Unter- suchungsmethoden ein. Insbesondere kommt hier der Umstand in Betracht, dass in so einfacher Weise — durch Ableitung von den Extremitäten — eine Kurve gewonnen werden kann, welche Ab- normitäten im Reizursprunge und Reizablaufe auf den ersten Blick erkennen lässt und eine bisher ungeahnte Präzision in der Diagnosen- stellung ermöglicht. Diese Präzision eilt allerdings den praktischen Bedürfnissen weit voraus: oft zeigt uns das Elektrokardiogramm gerinefügige, aber doch unverkennbare Störungen des Erregungs- ablaufes an, deren Bedeutung für den betreffenden Fall und für die menschliche Pathologie überhaupt derzeit kaum richtig eingeschätzt werden kann. Zu den auffälligsten Anomalien des Reizursprungs und Erregungs- ablaufes gehören die ventrikulären Extrasystolen, welche sich im Elektrokardiogramm meist in einer jeden Zweifel ausschliessenden Weise erkennen lassen. Die genaue Lokalisation des Ausgangspunktes dieser atypischen Herzkontraktionen wird gewiss auch praktisch wichtig werden, obwohl vorläufige die Methode offenbar viel mehr leistet, als die Praxis gegenwärtig braucht. 572 C. J. Rothberger und H. Winterberg: Literatur. Einthoven!) hatte schon 1906 beobachtet, dass den Inter- mittenzen im Arterienpulse abnorme Schwankungen im Elektro- kardiogramm entsprechen, als deren Ursache er bereits damals den abnormen Erregungsablauf ansah; er schlug deshalb vor, nicht von Extrasystolen, sondern von atypischen Systolen zu sprechen. Ein Jahr später zeigten Kraus’ und Nicolai”), dass man durch direkte Reizung des rechten bzw. linken Ventrikels des Hunde- herzens diphasische, einander entgegengesetzte Elektrogramme er- halte. Später fügten Nicolai und Rehfisch®) ergänzend hinzu: „Am schärfsten ausgesprochen ist dieser Gegensatz, wenn man das Herz einerseits in der Nähe der Spitze möglichst weit nach links und andrerseits an der Basis möglichst weit nach rechts reizt, während eine Reizung auf der linken Seite der Basis und eine Reizung an der Spitze mehr nach rechts zu (also beide Male an der Grenze zwischen rechtem und linkem Ventrikel) ein fast identisches Elektrokardiogramm bietet. Im übrigen folgt auf die Reizung jedes Punktes ein für diesen Punkt charakte- ristisches Elektrokardiogramm, das sich mehr oder weniger in seiner Form den genannten Extremen nähert.“ In seiner ausführlichen Arbeit kommt Einthoven*) wieder auf die atypischen Flektrokardiogramme zurück, und hier finden wir auch den ersten Versuch, bei einer Patientin den ‚Ausgangspunkt der ventrikulären Yxtrasystolen zu lokalisieren, welche bei Ab- leitung I dem Typus der rechtsseitigen, bei Ableitung II und II. dem der linksseitigen entsprachen. Einthoven sagt, Ableitung I zeige, „dass der Ursprung der Kontraktionswelle dichter bei der rechten als bei der linken Herzhälfte liegt, während man mit Hilfe der Ableitung III dartun kann, dass der Ursprung sich mehr der Spitze als der Basis nähert. Die geringe Höhe der Spitzen bei Ab- leitung II stimmt zu der Annahme, dass die Kontraktionswelle rechts bei der Herzspitze ihren Anfang genommen hat.“ Auch in einem zweiten Falle liess sich derselbe Ausgangspunkt für die abnormen Kontraktionen feststellen, während in einem dritten Falle die Extra- 1) Einthoven, Le Tel&cardiogramme. Arch. internat. de phys. t. 4 p- 132. 1906. 2) Kraus und Nicolai, Berliner klin. Wochenschr. 1907 Nr. 25 u. 26. 8) Nicolai und Rehfisch, Zentralbl. f. Physiol. Bd. 22 Nr. 2. 4) Einthoven, Pflüger’s Arch. Bd. 122.8. 578. 1908. Studien über d. Bestimmung d. Ausgangspunktes ventrik. Extrasystolen etc. 573 systolen an der Basis entstanden und zur Spitze fortschritten. Das E.-K. zeigte bei Ableitung I eine breite, niedrige, nach aufwärts ge- richtete R-Zacke und eine positive Nachschwankung. Die geringe Höhe der Spitzen erklärt Einthoven dadurch, dass die Welle nahezu rein von der Basis zur Spitze geleitet wird. In seinem, mit Kraus veröffentlichten Buche über das E.-K. teilt Nicolai’) die Formen der ventrikulären Extrasystolen in drei Grundtypen ein: den Typus A der von der Spitze ausgehenden, den Typus B der basalen Fxtrasystolen und einen Typus CÜ; dieser entspricht jenen Kontraktionen, welche in einer von Basis und Spitze ungefähr gleich weit entfernten Zone entspringen und nicht mehr die typische Form, sondern unregelmässige kleine Ausschläge zeigen; zwischen diesen Grundtypen gibt es alle möglichen Übergänge. Die Lage der zentralen Zone (C) entspricht für die Ableitung II beim Menschen ungefähr der Grenzlinie zwischen beiden Kammern. Fast gleichzeitig berichtete Rehfisch’) über seine mit Nicolai ausgeführten Versuche, aus welchen hervorgeht, „dass eigentlich jede Stelle der vorderen Wand des Herzens ihr eigenes Elektrokardiogramm zeigt“. „Ziehen wir durch das Herz eine Linie, die etwas parallel dem Septum verläuft, sich aber doch mehr der Medianlinie des Herzens -nähert, so entsprechen alle oberhalb der Linie ausgelösten Extrasystolen mehr oder minder, nur etwas ver- ändert, dem E.-K. der Basis, die unterhalb derselben dem der Herz- spitze. Diejenigen Extrasystolen aber, die unmittelbar an dieser Interferenzzone liegen, zeigen wieder eine ganz besondere Form“ (Verdopplung der Initialschwankung). In seiner „Mechanik des Kreislaufes“ gibt Nicolai’) die beiden Haupttypen der ventrikulären Extrasystolen wieder, bezeichnet aber als ihren Ausgangspunkt die Basis des rechten bzw. die Spitze des linken Ventrikels. Als erster hat dann Kahn) die Elektrogramme der ventri- kulären Extrasystolen bei verschiedenen Ableitungen experimentell untersucht. Er reizte am Hundeherzen hintereinander drei Stellen, nämlich erstens an der Basis des rechten Ventrikels, ziemlich weit von der Kammergrenze entfernt, zweitens an der Spitze des rechten 1) Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm S. 162. Leipzig 1910. 2) Rehfisch, Deutsche med. Wochenschr. 1910 Nr. 21 u. 22. 3) Nicolai, Nagel’s Handb. d. Physiol. Bd.1 S. 822. 1909. 4) Kahn, Zentralbl. f. Physiol. Bd. 23 Nr. 14. 1910. SL: C. J. Rothberger und H. Winterberg: Ventrikels nahe dem rechten Herzrande, und drittens an der Spitze des linken Ventrikels, möglichst weit nach links. Er kommt zu dem Schlusse, dass bei Ableitung I und II nur die von der Basis des rechten und der .Spitze des linken Ventrikels ausgehenden Extra- systolen sich bezüglich ihrer Elektrogramme gegensätzlich verhalten, während Basis und Spitze der rechten Kammer identische Kurven geben. Die Verhältnisse bei Ableitung III bedürfen jedoch noch eines besonderen Studiums. Die von Kahn sichergestellten Ver- schiedenheiten der:atypischen E.-K. „beziehen sich also auf rechts und links, nieht aber auf Basis und Spitze.“ Kahn!) ist dann noch einmal auf diese Frage zurückgekommen und hat, was bisher merkwürdigerweise nicht geschehen war, auch die dorsale Herzfläche in den Kreis seiner Untersuchungen gezogen, in welchen jedoch nur die ll. Ableitung angewendet wurde. Er fand nun in Übereinstimmung mit seinen früheren Angaben, dass Basis und Spitze sich nur dann gegensätzlich verhalten, wenn sie verschiedenen Kammern angehören, während jede Kammer für sich identische Elektrogramme gibt, ob der Reiz an der Basis oder an der Spitze eingewirkt hat. Reizung des linken Ventrikels an der Basis hinten, wenn auch möglichst weit nach oben und nach rechts, gibt doch ebenso linksseitige Extrasystolen wie Reizung an der Herz- spitze, während sogleich gegensätzliche Elektrogramme erzielt werden, wenn man in gleicher Höhe die Kammergrenze nach rechts über- schreitet. Das Vorkommen kleiner und unbestimmter Ausschläge bei Reizung an der Interferenzzone Nicolai’s bestätigt Kahn sagt jedoch, dass solche Befunde selten und nach ihrem Zustande- kommen unklar seien. Wir?) haben dann darauf hingewiesen, dass die Annahme, einer ventrikulären Extrasystole entspreche immer ein atypisches Elektro- gramm, nicht allgemein gültig ist. Denn wir sahen bei Reizung gewisser, an der ventralen Fläche des Herzens gelegener Punkte E.-K., welche von normalen nicht zu unterscheiden waren. Die Versuche sind an dem durch eine mässige Muskarindosis zum Still- stande gebrachten Hundeherzen in der Weise ausgeführt, dass in einer zwischen dem vorderen Rande des rechten Herzohres und der Herzspitze gelegenen Geraden absteigend einzelne Extrasystolen aus- 1) Kahn, Zeutralbl. f. Physiol. Bd. 24 Nr. 16. 1911. 2) Rothberger u. Winterberg, Zentralbl. f. Physiol. Bd.24 Nr. 21. 1911 Studien über d. Bestimmung d. Ausgangspunktes ventrik.. Extrasystolen etc. 575 gelöst werden. Die Reizung an der Kammerbasis gibt, wie bekannt, die typische Form der rechtsseitigen Extrasystole; die Ausschläge werden jedoch, je weiter man zur Kammergrenze herabsteigt, immer kleiner; ist man an dieser letzteren angelangt, so bekommt man ein E.-K., welches durchaus die Charaktere eines normalen aufweist. Wir erklärten diesen Befund dadurch, dass von diesem gereizten Punkte aus auf dem Wege der ungebahnten Reizausbreitung die beiden Kammern in demselben zeitlichen Intervall zur Kontraktion gebracht werden, ' wie es de norma auf dem Wege des Reizleitungssystems geschieht. Lewis?) findet auf Grund ausgedehnter klinischer und experi- menteller Erfahrungen, dass nicht zwei Reizpunkte am Herzen genau dieselbe Kurve geben, dass aber doch die unbegrenzte Zahl der von- einander abweichenden E.-K. im wesentlichen mit den drei von Kraus und Nicolai angegebenen Typen übereinstimmen. Lewis bemerkt ferner: „Jener Kurventypus, den man gewöhnlich als den apikalen ansieht, ist in modifizierten Formen von einem grossen Muskelbezirk zu erhalten, der sich an der Rückseite des Herzens oft fast bis zur aurikulo-ventrikulären Furche erstreckt, also so weit nach der Basis reicht, dass man nicht verstehen kann, warum die . erste Schwankung so deutlich die spitzennegative Richtung aufweist. Eine ausreichende Erklärung für die Kurventypen je nach dem Ur- sprung in bestimmten Herzbezirken ist oft ungemein schwer zu geben, und es ist wahrscheinlich, dass künftig eine eingehendere Beachtung der Anordnung der Ventrikelmuskelfasern, ihren Verlaufsrichtungen und den Verbindungsbrücken der einzelnen Schichten geschenkt werden muss.“ Und weiter (S. 163): „Es ist gegenwärtic nichts anderes als eine grobe Lokalisierung des Ausgangspunktes vorzeitiger ventrikulärer Schläge beim Menschen möglich; denn wir haben ja nur jene Anhaltspunkte, die uns die Untersuchungen beim Hund liefern, bei dem das Herz aber eine andere Lage einnimmt.“ Lewis verspricht sich besser auf den Menschen anwendbare Ergebnisse aus Versuchen am Affen. Endlich hat Nieolai?) Übergangsformen zwischen den Extremen der basalen und apikalen Extrasystolen beschrieben, ohne jedoch den Ausgangspunkt derselben anzugeben. Er bezeichnet diese Übergangs- typen als Ra und Rd und denkt sich ihre Entstehung durch eine 1) Lewis, The mechanism of the heart beat. London 1911. Übersetzung von Hecht S. 160. Wien 1912. 2) Nicolai, Zentralbl. f. Physiol Bd. 26 Nr. 2. 576 C. J. Rothberger und H. Winterberg: Mischung zwischen dem normalen E.-K. und einem diphasischen Aktionsstrom. Wir werden sehen, dass die Übergangsformen, welche Nicolai abbildet, von bestimmten Partien der Herzoberfläche aus- gelöst werden können. Im Anschlusse an eine Beobachtung beim Menschen, bei welchem uns eine sichere Lokalisation des Ausgangspunktes der ventrikulären Extrasystolen auf Grund der oben dargelegten Angaben anderer Autoren nicht möglich schien, haben wir die Untersuchung der ganzen Frage neuerdings in Angriff genommen. Wir konnten bald fest- stellen!), dass es eine nahe dem linken Herzohre gelegene Stelle gibt, deren Reizung zu Extrasystolen führt, welche bei Ableitung I dem Typus der linksseitigen, bei Ableitung Anus-Ösophagus oder Ableitung III dagegen dem Typus der rechtsseitigen Extrasystolen entsprechen. Derartige entgegengesetzte Formen, wie wir sie beim Menschen sahen und experimentell erzeugten, sind in der Klinik öfter beobachtet worden ?); schon Einthoven hat, wie eingangs er- wähnt, einen solchen Fall zu analysieren versucht. In neuester Zeit beschreibt er?) die bei morphinisierten Hunden beobachteten aty- pischen E.-K. und sagt bei dieser Gelegenheit, dass beim Menschen sich die Form der atypischen E.-K. bei verschiedenen Ableitungen bedeutend ändere und besonders bei Ableitung I fast umgekehrt sei wie bei Ableitung III. Kürzlich hat Hering*) unsere experimentellen Befunde be- stätigt; er sagt, „dass es sehr von der Ableitung abhängt, wie die Form der künstlich ausgelösten Kammerextrasystolen sich gestaltet,“ denn auch er fand, so wie wir, nach Reizung einer Stelle am linken Ventrikel entgegengesetzte E.-K. bei Ableitung I und Ableitung Anus-Ösophagus’). 1) Rothberger und Winterberg, Zentralbl. f. Herzkrankh. Bd. 4. Juni 1912. 2) A. Hoffmann, Zentralbl. f. Herzkrankh, Bd. 4 S. 192. 1912. 3) Einthoven, Pflüger’s Arch. Bd. 149 S. 54. 1912. 4) Hering, Deutsche med. Wochenschr. S. 2159, 14. Nov. 1912. 5) Fig. 11 und 12 scheinen jedoch bei Hering verwechselt zu sein. Wir haben niemals nach Reizung des linken Ventrikels bei Ableitung I eine rechts- seitige Extrasystole gesehen. Fig. 12 (Ableitung Anus-Ösophagus) zeigt dagegen eine linksseitige Extrasystole.. Auch die Grösse der Ausschläge in beiden Figuren spricht für eine Verwechslung, welche freilich auch im Text zu berichtigen wäre. Fig. 13 und 14 entspricht dagegen unseren Befunden. Studien über d. Bestimmung d. Ausgangspunktes ventrik. Extrasystolen etc. 577 ‚Wie aus den oben angeführten Literaturangaben hervorgeht, ‚liegt bezüglich der Form der den ventrikulären Extrasystolen ent- sprechenden E.-K. bereits ein ziemlich umfangreiches und verläss- liches experimentelles Material vor. Trotzdem ist aber eine sichere Lokalisation des Ausgangspunktes heterotoper Kammerschläge bis jetzt nicht erreicht worden; wir haben uns bemüht, diese Lücke dadurch auszufüllen, dass wir nicht nur eine, sondern zwei senkrecht aufeinanderstehende Ableitungsrichtungen anwendeten. Die Über- tragung der im Experimente gewonnenen Resultate auf den Menschen wird aber hauptsächlich dadurch erschwert, dass bei diesem die Extrasystolen wahrscheinlich nicht von der Aussenfläche des Herzens ausgehen, sondern von verschiedenen Stellen des Reizleitungssystems, von welchem wir anzunehmen haben, dass es in sehr enger Be- ziehung zu den reizbildenden Apparaten steht. Wir haben auch diese Art der Erregung, wenigstens ee. nachzuahmen versucht, indem wir die nach Durchschneidung eines Tawara’schen Schenkels auftretenden atypischen Kontraktionen !) bei beiden Ableitungen verzeichneten?). Dabei wird eine Kammer auf dem normalen Wege erregt, während die andere, deren Schenkel durchschnitten ist, mit der Kontraktion so nachhinkt, wie bei der ventrikulären Extrasystole, der ja auch die Form des E.-K. entspricht. Ist also z. B. der rechte Schenkel durchschnitten, so ist der Vor- sang so, als ob der linke Ventrikel durch einen im Stamme des linken Schenkels angreifenden Reiz zur Kontraktion gebracht worden wäre. Dass dieser Reiz kein Extrareiz, sondern vom Vorhofe herab- geleitet worden ist, kommt für den Erregungsablauf unter diesen Bedingungen nicht in Betracht. Diese eben beschriebenen Versuche sollten auch die Möglichkeit bieten, für die Diagnose der einseitigen Blockierung der Überleitung beim Menschen sicherere Anhaltspunkte zu liefern, als sie eine Ableitung allein bieten kann. Versuchsanordnung. Unsere Versuche sind ausschliesslich an Hunden mit eröffnetem Thorax ausgeführt; die Tiere waren durch Morphin (subkutan) und Äther narkotisiert. Zur Reizung dienten Einzelschläge, welche dem 1) Eppinger und Rothberger, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 70 Heft 1/2 und Zentralbl. f. Physiol. Bd. 24 Nr. 23. 2) Rothberger und Winterberg, Zentralbl. f. Herzkrankh. Bd. 5 8. 206. 1913. 2 DES C. J. Rothberger und H. Winterberg: Herzen durch eine Doppelelektrode zugeführt wurden; diese letztere bestand aus zwei in einem Abstande von ungefähr 2 mm parallel gelegten, voneinander isolierten Nadeln, deren Spitzen so umgebogen waren, dass sie leicht in das Herzfleisch eingehakt werden konnten. Zur Verzeichnung des E.-K. waren einerseits Neusilberstäbe in das Reetum und den Ösophagus eingeschoben, anderseits die Vorder- extremitäten in Zinkzylinder gesteckt, welche mit Kochsalzlösung gefüllt waren. Vier Drähte führten zu einer Wippe, so dass man bei unveränderter Lage der Reizelektrode rasch von Ableitung I zur kraniokaudalen Ableitung übergehen konnte. Nun ist allerdings der Widerstand bei Ableitung I grösser, dementsprechend sind die Zacken des E.-K. kleiner; dies spielt aber für die vorliegende Frage kaum eine Rolle, da ja nur die Form der atypischen Elektrogramme. zu untersuchen war. Wo bei. Ableitung I die Ausschläge zu klein waren, wurde die Empfindlichkeit des Galvanometers durch Kurz- schliessen im Vorschaltwiderstande verdoppelt, wodurch die Unter- schiede in der Zackengrösse bei beiden Ableitungen ungefähr aus- geglichen wurden. Ausser dem E.-K. haben wir immer auch die Suspensionskurven vom rechten Herzohr und dem Konusteil des rechten Ventrikels ınit aufgenommen. Die einzelnen Reizpunkte lagen immer in einer Linie, welche entweder in der Längsachse des Herzens oder quer über die Vorder- oder’die Hinterfläche des Herzens gelegt war. Nach jeder. Reizung wurde noch vor der Entfernung der Elektrode ein Zwirnfaden genau an der Reizstelle durchgeführt und zu einem Zügel geknotet. Nach Abschluss des Versuches konservierten wir dann das Herz mit seinen Zügeln in Formol. Auf diese Weise war es möglich, die Reizstellen in viel exakterer Weise zu fixieren, als es durch die gewöhnlich ge- übte Beschreibung oder selbst durch Skizzierung des Herzens in situ möglich ist. Die in. Formol fixierten Herzen wurden dann in einer ihrer normalen Lage entsprechenden Stellung von vorne und von hinten photographiert, wobei die Versuchsergebnisse in über- sichtlicher Weise geordnet werden konnten (s. Fig. 5). Endlich wollen wir noch hervorheben, dass wir Versuche aus- geführt haben, in welchen wir die Ableitung Anus-Ösophagus mit der Ableitung III verglichen, was bezüglich der Übertragung der Er- gebnisse auf die menschliche Pathologie nötig war. Wir bemerken gleich hier, dass diese beiden Ableitungen immer gleichsinnige Elektro- gramme ergaben, wenn auch meist geringfürige Unterschiede in der Studien über d. Bestimmung d. Ausgangspunktes ventrik. Extrasystolen etc. 579 Form zu erkennen wären. Es können demnach die bei der Ableitung Anus-Ösophagus gewonnenen Resultate im wesentlichen auch für die Ableitung 11ll als gültig angesehen werden. Ergebnisse. 1. Extrasystolen von der Basis des linken Ventrikels (Vorderfläche), nahe dem Herzohr. Der Gegenstand unserer vorläufigen Mitteilung!) war die Tat- sache, dass man von einer nahe dem linken Herzohr gelegenen Stelle Extrasystolen auslösen kann, deren Elektrogramme bei Ab- leitung I dem linksseitigen, bei Ableitung Anus-Ösophagus jedoch dem rechtsseitigen Typus entsprechen. Die hier in Betracht kommende Stelle (Taf. I Fig. 1) ist bei normaler Lage vom Herzohr teilweise verdeckt und wird erst gut zugänglich, wenn man dieses zurück- schlägt. Man sieht dann an dieser Stelle, wo sich die Wand der linken Kammer am weitesten gegen die Herzbasis zu erstreckt, ein bei verschiedenen Herzen verschieden grosses Territorium von Fett- gewebe, welches an der Atrioventrikulargrenze gelegen ist. Die wechselnde Ausdehnung dieses für die Auslösung von Extrasystolen ungeeigneten Gebietes mag die Tatsache erklären, dass die Elektro- gramme der zugehörigen atypischen Kontraktionen gewisse un- wesentliche Varianten aufweisen. Die Tatsache selbst, dass nach Reizung an der besprochenen Stelle bei Ableitung I Extrasystolen vom Typus der linksseitigen, bei Ableitung Anus-Ösophagus vom Typus der rechtsseitigen erhalten werden, haben wir in allen Versuchen bestätigt gefunden. Als Beispiel reproduzieren wir Fig. 1 (folgende Seite) aus einem Versuche, der an einem subkutan morphinisierten und mit Äther narkotisierten Bulldog von 13!/s kg ausgeführt wurde. Die nach Morphin eintretende starke Erhöhung des Vagus- tonus, welche uns durch die Verlangsamung der Herzschläge die Auslösung der Extrasystolen erleichtern sollte, hatte zur Folge, dass der suspendierte rechte Vorhof sich sehr schwach kontrahierte; ferner zeist auch das E.-K. bei der Ableitung Anus-Ösophagus die von uns?) als charakteristisch für hohen Vagustonus beschriebenen Ver- 1) Rothberger und Winterberg, Zentralbl. f. Herzkrankh. Bd. 4 S. 185. Juni 1912. 2) Rothberger und Winterberg, Pflüger’s Arch. Bd. 135 S. 545. 1910. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 39 580 C. J. Rothberger und H. Winterberg: änderungen, vor allem die Verkleinerung der Vorhofzacke und die Vergrösserung der Zacke R (Fig. 1b). (Siebe Taf.I Fig. 1.) Ableitung A.-O, Ableitung I. Fig. la und b. 20. März 1912. Extrasystolen von der Basis links, unter dem linken Herzohr. Die an den atypischen Kontraktionen beobachteten Varianten beziehen sich fast ausschliesslich auf die Ableitung Anus-Osophagus; manchmal ist die A%-Zacke der Extrasystole nicht viel höher als die Studien über d. Bestimmung d. Ausgangspunktes ventrik. Extrasystolen ete, 58] des Normalschlages; wenn nun ausserdem dieser letztere eine negative Nachschwankung zeigt, dann sieht die Extrasystole aus wie ein etwas vergrössertes Normalelektrogramm. Dabei ist jedoch hervorzuheben, dass bei der Reizung ‘nahe dem linken Herzohr leicht Stromschleifen auf dieses letztere übergehen und zum Auf- treten aurikulärer Extrasystolen führen. Man muss deshalb in zweifelhaften Fällen die Suspensionskurve des Vorhofs zu Rate ziehen. Die Abgrenzung der nahe dem linken Herzohr gelegenen Stelle, von welcher die entgegengesetzt gerichteten Elektrogramme erzielt werden können, wird sich aus der folgenden Darstellung ergeben. 2. Von der Stelle am linken Herzohr quer über das Herz. Wir wollen zunächst die Elektrogramme derjenigen Extrasystolen in Betracht ziehen, welche man erhält, wenn man von der beschriebenen Stelle an der linken Aurikel (Taf. I Fig. 1) quer über das Herz nach rechts zu bis auf die rechte Kammer fortschreitet und sich dabei mög- lichst in gleicher Entfernung von der Herzspitze hält (Taf. I Fig. 2 Pfeil I). Man erreicht dabei sehr bald den Suleus interventricularis, in welchem die Coronargefässe verlaufen, und welcher ungefähr der Pro- jektion des Kammerseptums auf die Vorderfläche des Herzens ent- spricht. Bezüglich der Form der atypischen Elektrogramme ergibt sich dabei, dass der bei Ableitung Anus-Ösophagus ge- wonnene rechtsseitige Typus im wesentlichen unverändert bleibt, wenn man von der basalen Partie der linken Kammer über den Suleus auf die rechte Kammer fortschreitet. Die einzelnen Formen, welche dabei zur Beobachtung kommen, unterscheiden sich etwas bezüglich der Höhe und Breite der beiden Anteile der diphasischen Schwankung, entsprechen aber unzweifelhaft dem Typus der rechts- seitigen Extrasystole, und man wäre bei alleiniger Berücksichtigung dieser Ableitung nicht imstande zu entscheiden, welche vom linken und welche vom rechten Ventrikel ausgelöst worden ist (s. Fig. 2b und d, folgende Seite). Ganz anders ist es dagesen bei Ableitung I. Sowie man an die Grenze zwischen den beiden Kammern kommt, ändern sieh die den atypischen Kontraktionen entsprechenden Ausschläge. Während sie unter dem linken Herzohr stets den Typus der linksseitigen Extrasystole aufweisen, werden sie an den Coronargefässen oft klein und unbestimmt, um erst jenseits derselben, im rechten Ventrikel, die typische Form der rechtsseitigen Extrasystole anzunehmen. In 9 * 5823 C. J. Rothberger und H. Winterberg: dem in Fig. 2 dargestellten Versuche wurde an einer, knapp links von den Coronargefässen gelegenen Stelle eine typisch linksseitige Fig. 2a. Fig. 2b. Fig. 2a und b. 20. März 1912. Basis, links vom Coronargefäss. IL A-Öl, Fig. 2c. | Fig, 2.d. | Fig. 2c und d. 20. März 1912. Basis, rechts vom Coronargefäss. | Extrasystole ausgelöst (Fig. 2a), welche sich kaum von der unter- scheidet, welche nach Reizung der Stelle am linken Herzohr auf- | getreten war (s. Fig. 1a). | Studien über d. Bestimmung d. Ausgangspunktes ventrik. Extrasystolen etc. 583 Dagegen konnte grade gegenüber, knapp rechts neben dem Coronargefäss, schon eine deutlich rechtsseitige Extrasystole erzielt werden (Fig 2c). Die Ausschläge werden nur um weniges grösser, wenn man weiter bis auf die Basis der rechten Kammer fortschreitet. Die oben beschriebenen Übergangsformen, die beim Passieren des Suleus interventr. bei Abl. I auftreten, haben wir noch in mehreren anderen Versuchen feststellen können und dabei wieder nur un- wesentliche Abweichungen beobachtet. In einem Versuche ging beim Überschreiten der Kammergrenze der Typus der linksseitigen ganz unvermittelt in den der rechtsseitigen Extrasystole über, und zwar ohne Verkleinerung der Ausschläge, während in einem anderen Falle das knapp rechts von den Coronargefässen ausgelöste Elektrogramm so kleine Zacken aufwies, dass seine Zugehörigkeit zu einem be- stimmten Typus nicht zu erkennen war. 3. Von der Stelle am linken Herzohr zur Herzspitze. Die im Längsdurchmesser des linken Ventrikels am linken Herz- rande ausgelösten Kontraktionen (Taf. I Fig. 2 Pfeil II) zeigen bei Ableitung I ausnahmslos den’ Typus der linksseitigen Extra- systole (Fig. 3a, ec, e, g, i). Dagegen zeigen sich bei Ableitung Anus-Ösophagus interessante Übergangsformen, welche in ganz anderer Weise von einem Typus zum anderen führen, als dies beim Übergang in horizontaler Richtung der Fall war. Aus den dem- selben Versuche entnommenen -Kurvenbeispielen der Fig. 3b, d, f, h, k ist zunächst zu ersehen, dass die Höhe der ersten, nach aufwärts gerichteten Zacke der diphasischen Schwankung um so mehr ab- nimmt, je weiter man von der Basis des linken Ventrikels zur Spitze fortsehreitet; gleichzeitig bildet sich immer mehr eine darauffolgende negative Zacke 8 aus. Die Nachschwankung, welche bei der basalen Extrasystole ganz nach abwärts gerichtet ist, wird zweiphasisch (Fig.3d) und verändert sich in der Weise, dass die negative Phase immer seichter, die darauffolgende positive Phase dagegen immer höher wird (Fig. 3f). Wenn man ungefähr in der Mitte zwischen Basis und Spitze des linken Ventrikels angelangt ist, bekommt man eine Kurvenform, bei welcher die Zacken R und 5 ungefähr gleich lang, die Nachschwankung dagegen schon vollständig positiv und meist sehr hoch ist (Fig. 3h)!). Der weitere Übergang zur typisch links- 1) Ganz ähnlich ist die von Nicolai beschriebene Übergangsform, die wir bereits auf S. 576 erwähnten. Auch Kahn hat schon vorher diese Übergangs- form gesehen. € Sg “ıyozIaH uoyu we 9][9I4g A9p aayunN "ZIEL ZıeN 038 Qu eg 'Sıq 'PE 'SIa } BRBRAREBEEZEEREIGE IBUNSLEULLERENLELBESELELLERENEULUREHELEENLUNUGEHENNN GERN PIERRE D TRIER T TE ER I DE I N Studien über d. Bestimmung d. Ausgangspunktes ventrik. Extrasystolen etc. 585 seitigen Extrasystole erfolgt dann durch weitere Abnahme von R, Vertiefung von $ und Erhöhung der Nachschwankung (Fig. 3k). I. A.-Ö. u. ; a | 2 IEANESREURLRRERUN GNS ; i DEERESSERSELEE NIE ES 020) Fig. 38. Fig. 3g und h. 20. März 1912. Ungefähr in der Mitte zwischen Basis und Spitze links. TETEHTULERERTEELLUNSRUEREUEEEULEUUEUERUTEUEHERTTERERT + RREHRÄHTRH RBB RER RRRRR PER BHER EDER TEREEN \ ITUUWERELTUUUEENTHUNTITERESUUUUTEEUEEREEREN LESE 5) Kirn itd EHERERSTELESLEELEEEES. EESHERDERENERADLLAA GE KUNTERTRERTIITERTEREEDERFRIERERRTER TTS EER ER EEEN Fig. 3i. Fig. 3k. Fig. 3i und k. 20. März 1912. Weiter zur Herzspitze. Ausnahmsweise lassen sich von der Mitte zwischen Basis und Spitze bei kraniokaudaler Ableitung auch atypische Elektrogramme ge- winnen, bei welchen die Zacken R und S sehr klein sind, so dass 586 C. J. Rothberger und H. Winterberg: die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Typus nur an der aufwärts gerichteten Nachschwankung erkannt werden kann. 4. Extrasystolen von der Hinterfläche des Herzens. Wenn man von der mehrfach erwähnten Stelle am linken Herzohr weiter nach links auf die Hinterfläche des Herzens fort- schreitet (im Sinne der dahin zu projizierenden Pfeillinie I in Taf. I Fig. 2), so verlässt man sehr bald, und zwar noch im Bereiche des linken Ventrikels, das Gebiet, von welchem bei Ableitung Anus-Öso- phagus rechtsseitige Extrasystolen zu erzielen sind. Manchmal kann man noch Übergangsformen erhalten, in welchen die erste nach auf- wärts gerichtete Phase verkleinert und die Nachschwankung positiv wird. Gewöhnlich aber bekommt man sogleich bei beiden Ableitungen ausgesprochen linksseitige Extrasystolen. Das erscheint zunächst bezüg- lich der Ableitung Anus-Ösophagus verwunderlich, da es auch dann zutrifft, wenn die Elektroden an der Vorhofkammergrenze hinten hoch oben angelegt worden sind. Nun reicht allerdings die Atrioventri- kulargrenze an der Hinterfläche des Herzens nicht so weit gegen die Herzbasis als an der Vorderfläche; diese Neigung gegen die Spitze zu: scheint aber nicht ausreichend, um den Übergang der basalen Form der Extrasystole bei kraniokaudaler Ableitung in die apikale zu erklären. Wie wir bereits früher (S. 575) erwähnten, ist dieses Verhalten auch Lewis schon aufgefallen. Die Richtung und meist auch die Form der atypischen Schwan- kungen bleibt dann meist bis zur Kammergrenze an der Hinterseite des Herzens unverändert; aber auch hier bezeichnen die grossen Coronargefässe gewöhnlich die Grenze. Überschreitet man diese gegen die rechte Kammer, so erhält man zuerst bei Ableitung I rechtsseitige Extrasystolen, wenn auch mit verkleinerten Ausschlägen, während Ableitung Anus-Ösophagus oft noch den linksseitigen Typus ergibt. Hier ist indessen die Lage des Herzens wichtig. So haben wir in einem Versuche schon nach Eröffnung des Thorax festgestellt, dass das Herz auffallend stark nach links gedreht war, so dass man von vorn nur die äusserste Spitze des linken Ventrikels zu sehen bekam. Als wir nun an der Hinterseite, knapp rechts und knapp links neben dem Coronargefäss, hoch oben an der Basis Extra- systolen auslösten, bekamen wir rechts bei beiden Ableitungen und Studien über d. Bestimmung d. Ausgangspunktes ventrik. Extrasystolen ete. 587 links noch bei Ableitung I rechtsseitige Extrasystolen; nur Anus- Ösophagus zeigte bei Reizung links den linksseitigen Typus. Noch ausgesprochener war die Abweichung in einem anderen Versuche, wo sogar die Reizung an der Hinterfläche der linken Basis bei Ableitung I rechtsseitige Extrasystolen ergab; jenseits der Kammer- grenze schlug auch die bei Ableitung Anus-Ösophagus erhaltene Form sogleich in den rechtsseitigen Typus um. Ähnlich ist es in dem in Fig. 4 dargestellten Beispiele, in welchem wir wieder von der am linken Herzohr gelegenen Stelle auf die Hinterseite des Herzens fortschritten. Obwohl, wie die Autopsie zeigte, alle gereizten Punkte dem linken Ventrikel an- gehörten, wurde doch von dem zuletzt gereizten bei Ableitung I eine rechtsseitige Extrasystole erzielt (Fig. 42), während der ungefähr in der Medianlinie des Körpers gelegene Punkt e eine Übergangsform ergab. Bei Ableitung Anus-Ösophagus wurde die Übergangsform von der basalen zur apikalen Form schon viel früher erhalten, und zwar un- gefähr am linken Herzrande (Fig. 4d). Man kann demnach sagen, dass an der Hinterfläche des Herzens die Grenze für die beiden Typen bei Ableitung I an der Kammer- grenze gelegen ist, während die kraniokaudale Ableitung auch inner- halb des rechten Ventrikels gewöhnlich apikale (linksseitige) Formen ergibt. Hier sind jedoch die Varianten in der Drehung des Herzens um seine Längsachse von Bedeutung. Die dabei in Betracht kommenden Unterschiede sind oft ganz erheblich. Wir wissen aus früheren Versuchen, in welchen wir das linke Herzohr suspendieren wollten, dass dieses manchmal ohne weiteres vorliegt, bei anderen Tieren aber erst nach ausgiebiger Drehung des Herzens nach rechts erreicht werden kann. 5. Extrasystolen vom rechten Ventrikel. Die Elektrogramme der Extrasystolen, welche man von der Basis des rechten Ventrikels auslösen kann, sind bereits so oft be- schrieben worden, dass wir sie nicht weiter besprechen wollen; be- kanntlich zeigen sie bei beiden Ableitungen die basale Form. Uns interessieren hier hauptsächlich diejenigen Formen, welche man erhält, wenn man über die Kammergrenze auf den linken Ventrikel fortschreitet. Derartige Übergangsformen (Ableitung Anus-Ösophagus) haben wir bereits früher beschrieben; sie wurden, wie wir in der 588 C. J. Rothberger und H. Winterberg: Einleitung (S. 574 und 575) erwähnten, erhalten, indem wir an der Vorderseite des Herzens von der Basis zur Spitze übergingen. IE A.-Ö. Fig. 4a. Fig. 4b. Fig. 4a und b. 25. Februar 1913. Unter dem linken Herzohr. I. A-Ö. PORSOANAÄSN ARENA N Fig. &c. Fig. 4d. Fig. 4c und d. 25. Februar 1913. Weiter nach links. In den vorliegenden Versuchen gingen wir von der Mitte des rechten Herzrandes aus und dann an diesem entlang über die Herz- spitze auf den linken Herzrand über. Dabei lässt sich folgendes Studien über d. Bestimmung d. Ausgangspunktes ventrik. Extrasystolen etc. 589 Verhalten der atypischen Elektrogramme feststellen: Bei Ableitung I bekommt man gewöhnlich typisch rechtsseitige Extrasystolen bis zu Fig. 4e. Fig. 4f. Fig. 4g und h. 25. Februar 1913. Weiter nach rechts. den Coronargefässen (Fig. 6a, e, e); erst jenseits derselben, also in Partien, welche schon den unteren Anteilen des Septums und der Herzspitze angehören, nehmen die Ausschläge an Grösse ab (Fig. 6g,i,1); 590 C. J. Rothberger und H. Winterberg: von der Herzspitze selbst erhält man oft kleine, schwer bestimmbare Übergangsformen, und erst vom linken Herzrande lassen sich typisch linksseitige Extrasystolen auslösen (Fig. 6n). Fig. 5b. Hinterseite. Fig. 5a und b. 3. Juni 1912, Siehe Fig. 6. Vorderseite. Fig 5a. Bei der Ableitung Anus-Ösophagus hingegen liest die Grenze schon an den Coronargefässen (Fig. 6b, d, f). Auch hier ist es immerhin merkwürdig, dass man an der rechten Kammer ziemlich weit gegen die Herzspitze zu absteigen kann und immer Studien über d. Bestimmung d. Ausgangspunktes ventrik. Extrasystolen ete. 591 noch „basale“ Elektrogramme erhält, wie dies ja schon Kahn hervor- gehoben hat. Allerdings bekommt man manchmal in einiger Ent- fernung von den Coronargefässen schon Übergangsformen, in welchen, ähnlich wie wir es an der linken Kammer beschrieben, die erste, nach aufwärts gerichtete Phase verkleinert und die Nachschwankung positiv wird (Fig. 6d), ja, in selteneren Fällen sogar schon links- seitige Extrasystolen. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass die unteren Anteile des Kammerseptums weiter basalwärts liegen als die Coronargefässe, was man auch daran erkennen kann, dass selbst am dilatierten Herzen die betreffende Partie eingesunken erscheint (Fig. 5a). An den Coronargefässen selbst, jedenfalls aber jenseits derselben, be- kommt man bei Ableitung Anus-Ösophagus stets linksseitige Extra- systolen (Fig. 6). Diese gerade an die Kranzgefässe angrenzende Partie der Herzspitze gibt also analog wie die Stelle am linken Herzohr bei beiden Ableitungen entgegengesetzte Flektrogramme (Fig. 6e, f), nur dass sie hier bei Ableitung I dem rechtsseitigen, bei Ableitung Anus-Ösophagus dem linksseitigen Typus entsprechen. Als Beispiel für die eben besprochenen Verhältnisse reproduzieren wir den Versuch (Fig. 6) mit den dazu gehörigen Photo- grammen (Fig. 5). Ein besonderer Kommentar ist demnach wohl nieht nötig. Besprechung der Ergebnisse. Das Studium der Elektrogramme der künstlich erzeugten aty- pischen Kontraktionen hat sich lange auf die extremen Formen be- schränkt, welche man einerseits bei Reizung der Herzbasis, ander- seits der Herzspitze erhält. Dementsprechend hat auch Nieolai jene Zone, innerhalb welcher Übergangsformen auftreten, anfangs so eingezeichnet, dass sie ungefähr senkrecht zur Längsachse des Herzens zwischen Basis und Spitze verläuft. Im Gegensatze hierzu hat Kahn gefunden, dass die Gegensätzlichkeit der gewonnenen Kurven sich nicht auf Basis und Spitze bezieht, sondern von der Zugehörigkeit des gereizten Punktes zum rechten oder zum linken Ventrikel abhängt. Unser Befund, nach welchem man von einer nahe dem linken Herzohr gelegenen Stelle und von dem rechten Anteile der Herzspitze entgegengesetzte Elektrogramme erhalten kann, je nachdem man Ableitung I oder Ableitung Anus-Ösophagus (bzw. Ableitung III) anwendet, zeigt jedoch, dass auch die von Kahn aufgestellte Regel nicht ganz zutrifft. “(EG "DIA 'S) UOSSPjoRTBU0I0N) usp uy = y pun 99 'Sıı (& 2 hd Ss) ozyıds anz aaygN °p pun 99 'Sıq a "SLA 'S) Spusızıon usyy99l uy "q pun 8 °ZI6T Tune 'g 9 SA 79 314 | EL ELLE TONER EEE TEENS AI APIIILTE REDE '0-V (2.9 31 °s) syum Yoeu 1oproM 1 's) ozydszıofy Jop uy 'y pun 19 °oLy (S/F g 31 's) 9zyıdszıayy nz 199 M 'y pun 5 "ZI6T tunf'g "9 'Sıı wpun 19 17 9 ‘2 Q "ug arg 19 SQ ERLELU EURER SLESSETEEI TEN EEUDSEH ES ERUNNERDL SEE HUREN BESEEUEESEEZEREHEERERE: IM 594 C. J. Rothberger und H. Winterberg: Es entsteht nun die Frage, in welchem Sinne unsere in der vorliegenden Mitteilung dargelegten Befunde entscheiden. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Form des Elektrogrammes künstlich ausgelöster Herzschläge allerdings in erster Linie von der Lage des gereizten Punktes abhänst, dass aber die Art der Ableitung ebenso entscheidend ist. Wir werden deshalb die bei Ableitung I und bei Ableitung Anus-Ösophagus gewonnenen Resultate gesondert besprechen. a Fig.6n. 3. Juni 1912. Weiter nach links auf den linken Herzrand (s. Fig.5 8). Ableitung I (siehe Taf. I Fig. 3). An der Vorderfläche des Herzens verläuft die Grenzlinie so, dass ‘sie sich an der Herzbasis eng an die grossen Coronargefässe an- schliesst; alle Punkte, die rechts liegen, geben rechtsseitige Extra- systolen und umgekehrt. Dabei ist die Zone, innerhalb welcher un- bestimmte oder Übergangsformen erhalten werden, sehr schmal, so dass der eine Typus fast unvermittelt in den anderen übergeht. Von einem ungefähr in der Mitte der Längsachse des Herzens gelegenen Punkte an verlässt jedoch die Grenzlinie die Coronargefässe und zieht fast senkrecht zur Herzspitze, so dass der rechte Anteil der Spitze des linken Ventrikels bei Ableitung 1 rechtsseitige Extra- systolen gibt. Da nun die Herzspitze beim Hunde gewöhnlich ziemlich genau in der Medianlinie liegt, haben wir versucht, ob dieser auffällige Studien über d. Bestimmung d. Ausgangspunktes ventrik. Extrasystolen etc. 595 Verlauf der Grenzlinie in den apikalen Anteilen’ dureh möglichst ausgiebige Verlagerung des Herzens verschoben werden kann. In einem Versuche, in welchem das Herz etwas weiter nach links lag als gewöhnlich, haben wir einen in der Medianlinie gelegenen, der Spitze des rechten Ventrikels angehörenden Punkt zur Reizung ge- wählt und die ausgelösten Extrasystolen bei normaler Lage sowie nach auseiebiger Verlagerung des Herzeus nach rechts und links auf- genommen. Wir erhielten jedoch von diesem Punkte immer typisch rechtsseitige Extrasystolen von derselben Form, obwolıl das Elektro- gramm der normalen Herzschläge insbesondere nach Verlagerung des Herzens nach rechts bedeutende Veränderungen aufwies. Es dürfte demnach die Lage des gereizten Punktes zur Medianlinie nicht das ausschlaggebende Moment sein, worauf ja auch der Verlauf der Grenz- ‚linie hinweist. Immerhin ist aber zu berücksichtigen, dass unsere Be- funde am blossgelegten Herzen:erhoben worden sind, und dass infolge des Zurückweichens der Lungen bei offenem Thorax die Ableitungs- bedingungen für die an der Vorderfläche des Herzens gelegenen An- teile wesentlich verändert sein können. An der Hinterfläche des Herzens (s. Taf. I Fig. 3 B) fällt die Grenzlinie zwischen den Bezirken, welche bei Ableitung I rechts- bzw. linksseitige Fxtrasystolen geben, in den meisten Fällen mit dem Verlauf der Coronargefässe zusammen; sie entspricht also ungefähr der Kammergrenze, wobei wir vor allem die basalen Teile der Hiuter- fläche im Auge haben. Hier ist jedoch die Lage des Herzens, speziell der Grad der Drehung um seine Längsachse von Bedeutung, worauf wir schon oben (S. 586f.) hingewiesen haben. In jenen Fällen nämlich, in welchen man nach Eröffnung des Thorax vom linken Ventrikel nur die Spitze zu sehen bekommt, gehört der grössere An- teil der Hinterfläche der linken Kammer an; dementsprechend fällt auch die Grenzlinie zwischen jenen Bezirken, welche bei Ableitung I rechts- bzw. linksseitige Extrasystolen geben, noch in den Bereich der linken Kammer (s. Fig. 4). Ableitung Anus-Ösophagus. An der Vorderfläche des Herzens (Taf. I Fig. 4 A) stellt die Grenze zwischen jenen Gebieten, welche rechts- bzw. linksseitige Extrasystolen geben, keine scharfe Linie dar; es besteht hier viel- mehr eine ziemlich breite Zone, innerhalb welcher atypische Elektro- gramme mit kleinen Ausschlägen erhalten werden. Die Lage dieser Pflüger’s Archiv für Plıysiologie. Bd. 154. 40 596 C. J. Rothberger und H. Winterberg: Grenzzone entspricht ziemlich gut dem Schema von Nicolai), nur dass nach unseren Befunden die Grenzen dieser Zone keine geraden Linien darstellen, sondern einen bogenförmigen Verlauf aufweisen. Daraus ergibt sich, dass rechtsseitige Extrasystolen von einem viel grösseren Anteile der Vorderfläche des Herzens erhalten werden, als es nach dem Schema von Nicolai anzunehmen wäre; dagegen sind linksseitige Extrasystolen mit Sicherheit nur von dem relativ kleinen, die Herzspitze darstellenden Anteile des linken Ventrikels auszulösen. Die Lage der Grenzzone entspricht nicht der Lage der Kammerscheidewand; diese liegt vielmehr weiter gegen die Herzbasis zu. Dagegen stellt fast die ganze Hinterfläche des Herzens (Taf. I Fig. 4 B, unterhalb des roten Striches) ein Gebiet dar, von welchem, wie wir oben ausgeführt haben, bei Ableitung Anus-Ösophagus links- seitige Extrasystolen erhalten werden; nur an der Basis des rechten Ventrikels gibt es ein mehr oder weniger ausgedehntes Gebiet, von welchem sich rechtsseitige Extrasystolen auslösen lassen. Zur Veranschaulichung unserer wesentlichen Befunde diene die in Taf. I Fig. 5 gegebene. schematische Übersicht. Zu ihrem Ver- ständnisse nehmen wir den in erster Linie auf der Tafelfigur re- präsentierten Fall als Beispiel; dieser zeigt, dass Extrasystolen, welche sowohl bei Ableitung I als auch bei Ableitung Anus-Ösophagus den basalen Typus aufweisen, von jenen Stellen an der Vorder- und Hinterfläche des Herzens erhalten werden,. welche in den neben- stehenden schematischen Figuren rot angezeichnet sind. Diese atypischen Kontraktionen können aber auch im rechten Tawara’schen Schenkel ausgelöst sein. Frühere Untersuchungen ?) haben uns nämlich gezeigt, dass nach einseitiger Blockierung der Erreeungsüberleitung von den Vorhöfen auf die Kammern bei Ableitung I und Anus-Ösophagus (bzw. Ab- leitung III) gleichsinnige Veränderungen des E.-K. auftreten. Es ist daher wohl mit Sicherheit anzunehmen, dass dies auch für jene ventri- kulären KExtrasystolen zutrifft, deren Reizursprung in einem 1) Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm S. 162 Fig. 53. Leipzig 1910. Das Schema von Rehfisch (Deutsche med. Wochenschr. 1910 Nr. 21/22) zeigt einen etwas anderen Verlauf der Grenzzone; es ist jedoch so stark schemati- siert, dass wir darauf nicht weiter eingehen wollen. 2) Rothberger und Winterberg, Zentralbl. f. Herzkrankh. Bd. 5 SA Studien über d. Bestimmung d. Ausgangspunktes ventrik. Extrasystolen etc. 597 Tawara’schen Schenkel liegt; denn für den Erregungsablauf in den Kammern ist es gleichgültig, ob der Reiz in einem Schenkel des Reizleitungssystems entsteht oder ihm allein durch Blockierung des anderen Schenkels von den Vorhöfen aus zugeleitet wird. Es ist daher anzunehmen, dass atypische Kon- traktionen, welche im linken Tawara’schen Schenkel entstehen, inbeiden Ableitungen diphasische Schwan- kungen vom Typus der linksseitigen Extrasystolen zur Folge haben werden und umgekehrt. | Eine Erklärung für die Art und Weise, in welcher die ver- schiedenen Typen der Extrasystolen zustandekommen, können wir vorläufig nicht geben. Aus unseren Befunden erhellt, dass der Lage des gereizten Punktes zu den Ableitungsstellen keine ausschlag- gebende Bedeutung zukommt. Man braucht nur einen Blick auf Taf. I Fig. 3 A zu werfen, um zu sehen, dass bei Ableitung I die Grenzlinie gar keine Beziehungen zur Medianlinie hat. Es gibt einen grossen, links von der Medianlinie gelegenen Anteil des rechten Ventrikels, welcher typisch rechtsseitige Extrasystolen gibt. | Analoges gilt für die Ableitung Anus-Ösophagus, worauf ebenfalls der Verlauf der Grenzzone (Taf. I Fig. 4 A) hinweist. Man be- kommt von der unteren Hälfte des linken Ventrikels meist typisch linksseitige Extrasystolen; geht man jedoch in gleicher Höhe auf den rechten Ventrikel hinüber, so erhält man rechtsseitige Extrasystolen, obwohl beide gereizten Punkte gleich weit von der Anus- bzw. Ösophaguselektrode liegen. CR Es könute demnach scheinen, als ob es doch auf die Zugehörig- keit des gereizten Punktes zu einem Ventrikel ankäme; aber auch das ist nicht der Fall. Denn es gibt eine Partie des linken Ven- trikels, welehe bei Ableitung I rechtsseitige Extrasystolen gibt (rechter Anteil der Herzspitze), während dasselbe bei einem anderen Teil der linken Kammer (beim linken Herzohr) für die Ableitung Anus- Ösophagus eilt. Anderseits gibt die Hinterfläche der rechten Kammer bei kraniokaudaler Ableitung linksseitige Extrasystolen. Für die Beziehung der Form der Extrasystole zur Lage des ge- reizten Punktes müssen also noch andere Momente maassgebend sein. Vielleicht könnte hier eine von Nicolai geäusserte An- schauung zur Erklärung beitragen. Nicolai unterscheidet bekannt- lich die gebahnte Reizausbreitung, wie sie dem normalen Erresungs- ablaufe entspricht, von der ungebahnten Ausbreitung, wie sie bei der 40 * 598 €. J. Rothberger u. H. Winterberg: Studien über d. Bestimmung etc. künstlichen Auslösung einer Extrasystole in Betracht kommt. Weiter nimmt Nicolai!) an, dass das Reizleitungssystem besser leitet als alle übrigen Herzgebilde; es wird also eine an irgendeinem Punkte gesetzte Erregung sich nur so lange vollkommen ungebahnt ausbreiten, bis sie irgendwo auf das Reizleitungssystem stösst; von da an wird sie den besser leitenden Weg wählen. Wenn wir nun berück- sichtigen, dass der Vorgang der Erregunssleitung im Elektrokardio- gramm überhaupt nicht zum Ausdruck kommt, sondern nur der Er- regungszustand der Muskulatur, so wird es begreiflich erscheinen, dass die Lage des gereizten Punktes nur indirekt bestimmend sein kann. Denn nicht die am gereizten Punkte selbst entstehende Negativität bewirkt, dass die Saite nach unten oder nach oben ausschläst, sondern es kommt darauf an, welche Muskelpartien von dem gereizten Punkte aus in Erregung versetzt werden. Wir sind auf Grund unserer bisherigen Befunde nicht im- stande, diese Ansicht zu beweisen, aber manches spricht dafür, dass die Erregungsleitung von dem gereizten Punkt aus eine grosse Rolle spielt. Wir wollen ferner zum Schlusse nochmals besonders betonen, dass unsere Befunde mit Reizung oberflächlich gelegener Punkte des Hundeherzens am eröffneten Thorax gewonnen wurden und daher auch vorläufig nur für diese Versuchsanordnung gültig sind. Aus diesen Bemerkungen möge auch entnommen werden, dass wir eine Übertragung der in der vorliegenden Mitteilung an- geführten Befunde auf die menschliche Pathologie vorläufig für eänzlich unzulässig halten. Eine Nutzanwendung lässt sich aber doch auch für die Klinik ziehen. Aus unseren Befunden geht deutlich hervor, dass die Be- stimmung des Ausgangspunktes ventrikulärer Extrasystolen mindestens zwei Ableitungen erfordert, deren Ebenen senkrecht aufeinander stehesi. Unsere Untersuchungen zeigen also aufs neue, wie richtig der seit jeher von Einthoven vertretene und erst kürzlich wieder von Samojloff?) betonte Standpunkt ist, dass man sich bei der Aufnahme des menschlichen Elektrokardiogramms nicht auf eine Ableitung allein beschränken dürfe. 1) Nicolai, Zentralbl. f. Physiol. Bd. 26 Nr. 2. 2) A. Samojloff, Pflüger’s Arch. Bd. 153 S. 196. 1913. % Pflüger's Archiv £.d. ges. Physiologie, Ba.154. Tafıl. > EIN Fiq.5. Abl. 1. Abl.A-Ö, ir Eadrasyvstole vom rechten, Tarara'schen Schenkel 1 ni 153 f Fig.3. \, J fü | | A. Forderfläche. B.Hinterfläche. | | | | | Fig 4 Z | = ee N 4 I 2 | N N Extrasvstole vom linken, Tamara'schen Schenkel A. Vorderfläche BHinterfläche. Verlag v.Martin Hager. Born Lsth. Aust. v: F.Wirtz, Darmstadt . 599 (Aus der Medizinischen Klinik in Heidelberg.) Über sauerstoffatmende Körnchen aus Leberzellen und über Sauerstofflatmung in Berkefeld- Filtraten wässriger Leberextrakte. Von Otto Warburg. Die folgenden Versuche entstanden aus der Nachprüfung einiger Angaben Batelli’s und Stern’s über Sauerstoffatmung tierischer Organe. Die wesentlichsten dieser Angaben stelle ich zunächst kurz zusammen. \ | Batelli und Stern unterscheiden im Mechanismus der Sauer- stoffatmung zwei Prozesse: die Hauptatmung und die akzessorische Atmung. „Die akzessorische Atmung . . . ist fermentativer Natur.“ „Die Hauptatmung, deren Intensität unvergleichlich grösser ist, existiert in allen Geweben. Sie weist ein eanz anderes Verhalten als die akzessorische Atmung auf. So kann sie z. B. nicht in Ab- wesenheit von Zellen stattfinden“ (Asher-Spiro, Ergebn. d. Physiol. Bd. 12 S. 226). „Die verschiedenen Faktoren, die die Vitalität der Zellen beeinträchtigen, schwächen oleichzeitig auch die Hauptatmung.“ „Der von Zelltrümmern möglichst befreite wässrige Auszug weist eine äusserst geringe oder gar keine Hauptatmung auf. Hingegen sind die bei der akzessorischen Atmung beteiligten Substanzen in Wasser löslich und gehen in den wässrigen Auszug über“ (Biochem. Zeitschr. Bd. 21 S. 505. 1909). „Die akzessorische Atmung bleibt. .. 24 Stunden und noch länger in den Geweben nach dem Tod des Tieres intakt, während die Hauptatmung in der Mehrzahl der Organe sehr labil ist.“ „In einigen Fällen dauert die akzessorische Atmung mit derselben Intensität ziemlich lange fort: SO Minuten zum Bei- spiel. In anderen Fällen hingegen nimmt die Intensität sehr bald ab, nach 15—20 Minuten zum Beispiel.“ (Frgebn. d. Physiol. Bd. 12 S. 215 und 216). 600 Otto Warburg: Die Frage, ob es in der Tat zwei verschiedene Verbrennungs- mechanismen in der Zelle gibt,. soll hier nicht diskutiert werden. Dagegen wollen wir uns mit einigen der tatsächlichen Angaben be- schäftigen, die nach der ganzen Anlage der Versuche und auch nach der nicht immer präzisen Form der Wiedergabe zu Kritik und Nachprüfung herausforderten. Ich habe mich dabei auf Versuche an der Säugetierleber beschränkt, die sich nach Batelli und Stern besonders gut zum Studium der beiden Arten von Atmung eignet. Bedenken gegen die tätsächlichen Angaben von Batelli und Stern haben schon zwei englische Forscher, Harden und Maclean, geäussert !); im besonderen vermissten sie die Atmung in den Organ- extrakten, die „akzessorische Atmung“, und sprachen die Vermutung aus, dass die akzessorische Atmung zum Teil, wenn nicht ausschliess- lich, durch Verunreinigung mit Bakterien vorgetäuscht sei. Dieser Kritik habe ich mich in einem Referat über Sauerstoffatmung ?) an- geschlossen. Im Laufe der folgenden Untersuchung jedoch bin ich zu der Ansicht gekommen, dass die „akzessorische“ Atmung aus Lebergewebe weniger Bakterienatmung war, als vielmehr zum überwiegenden Teil Atmung kleiner, aus der Leberzelle selbst stammender Formelemente. A. Die Hauptatmung. Untersuchungsmethode nach Batelli und Stern?®). Das Organ wird dem durch Aderlass getöteten Tier sofort entnommen und durch eine feinlöcherige Fleischhackmaschine gegeben. Dann wird mit Wasser, Salzlösung oder Blut aufgenommen, bei 33—40 in einer geschlossenen Flasche geschüttelt und schliesslich der Gas- raum analysiert. Die Kohlensäure wird als Differenz der nach dem Versuch vorhandenen und der präformierten Kohlensäure bestimmt *). — Durch die Behandlung mit der Fleischhackmaschine werden die Zellen 1) Journ. of Physiol. vol. 43 p. 34. 1911. 2) Asher-Spiro, Ergebn. 1913. 3) Journ. de Physiol. et de Path. generale 1907 Nr. 1. — Biochem. Zeit- schrift Bd. 21 S. 487. 1909. 4) In meinem Referat Asher-Spiro 1913 habe ich bei Besprechung eines Batelli-Stern’schen Versuches die Vermutung ausgesprochen, dass die präformierte CO, nicht bestimmt sei. Aus dem Zusammenhang der Arbeit ergibt sich aber, dass die präformierte CO,, wenn sie auch nicht angegeben, so doch bestimmt war. Über sauerstoffatmende Körnchen aus Leberzellen etc. 601 nur zum Teil lädiert; der Leberbrei besteht im wesentlichen aus intakten Zellen, deren anatomischer Zusammenhang verändert ist. Anfangsoxydationsgeschwindigkeit nennen wir die Oxydationsgeschwindigkeit des Leberbreies in den ersten Perioden des Schüttelversuches; die Länge der Perioden betrug in den Ver- suchen von Batelli und Stern meist 30—60 Minuten. Die Anfangs- oxydationsgeschwindigkeit war für Hundeleberbrei 4000 cem. Sauer- stoff pro Stunde und Kilo Leber). Diese Zahl ist ganz ausserordentlich hoch. Harden und Maclean?), die eine Reihe der Batelli-Stern’schen Versuche nachprüften, fanden in Organbreien viel niedrigere Weite, beispiels- weise für Hundeleberbrei 400 eem pro Kilo Leber und Stunde. Die Zahl von Batelli und Stern ist auch deshalb so auf- fallend hoch, weil sie höher ist als die höchste Zahl, die Bareroft und Shore?) für den Sauerstoffverbrauch der intakten Leber im lebenden Tier erhielten. Nach Barceroft und Shore schwankt der Sauerstoffverbrauch der Katzenleber, je nach dem Ernährungs- zustand, zwischen 300 und 3000 cem pro Stunde und Kilo. Der „Tod des Tieres“ und die Anfangsoxydations- geschwindigkeit. Der Tod des Tieres spielt in den Forschungs- berichten von Batelli und Stern eine grosse Rolle. Die Haupt- atmung, die Atmung der Organbreie, ist um so kleiner, je später nach dem Tod des Tieres die Organe zerstückelt und zum Versuch verwendet werden. Auf die akzessorische Atmung hat der Tod des Tieres weniger Einfluss, und so ist ein Unterschied zwischen Haupt- und akzessorischer Atmung, dass die erstere nach dem Tod des Tieres „sehr labil“ ist, die letztere nicht. In Versuchen, die Usui*) auf meine Veranlassung mit intakten Leberläppehen von Mäusen angestellt hat, ergab sich, dass der Sauerstoffverbrauch des isolierten Läppchens stundenlang konstant blieb. Der Sauerstoffverbrauch des kleinsten Leberläppchens, das wir benutzten, war etwa 500 cem pro Kilo und Stunde?) bei 38°, 1) Biochem. Zeitschr. Bd. 21 S. 483. 1909. 2) Journ. of Physio]. vol. 43 p. 34. 1911. 3) Journ. of Physiol. vol. 45 p. 296. 1912. 4) Pflüger’s Arch. Bd. 147 S. 100. 1912. 5) Usui betonte in der Einleitung zu seiner Arbeit, dass es ihm nicht darauf ankam, festzustellen, wieviel Sauerstoff eine bestimmte Gewichtsmenge Leber verbrauche; eine solche Frage könne einwandfrei nur durch Blutgasnalysen im 6023 Otto Warburg: also immer noch grösser als der Minimalwert Barceroft’s für die Leber in der lebenden Katze. Somit kann von Batelli und Stern nicht der Einwand erhoben werden, das, was Usui gemessen habe, sei gar nieht mehr die Hauptatmung, sondern nur noch die akzessorische Atmung gewesen. Ferner ist hier eine Arbeit von Masing!) zu erwähnen, der die herausgeschnittene Kaninchenleber künstlich durchströmte und eine stundenlange Konstanz des Sauerstoffverbrauchs beobachtete. Die absoluten Mengen Sauerstoff, die verbraucht wurden, betrugen durchschnittlich 1200 eem pro Kilo und Stunde; also auch Masing hatte es in der Batelli-Stern’schen Terminologie sicher mit der - Hauptatmung zu tun. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der „Tod des Tieres“ — physiologisch ausgedrückt: Sistierung der nervösen Einflüsse, Unterbrechung der Zirkulation und der durch sie ‚vermittelten Korrelationen — keineswegs den Erfolg hat, dass die Atmung der isolierten Leber schnell absinkt. Wenn also Batelli und Stern finden, dass eine Leber, die sie 60 Minuten nach dem Tod des Tieres aus dem Tier herausnehmen, schon eine auf die Hälfte reduzierte Anfangsgeschwindigkeit zeigt, so hat das offenbar in Be- sonderheiten der Technik seinen Grund. In der Tat werden bei der Batelli-Stern’schen Versuchsanordnung die Organe bei Körpertemperatur Sauerstoffmangel ausgesetzt; wir wissen aber, dass bei obligat aeroben Zellen Sauerstoffentziehung einen Abfall der Oxydationsgeschwindigkeit für die darauffolgende Zeit zur Folge hat?). Was im besonderen die Leber betrifft, so hat Masing') beobachtet, dass der Gaswechsel seiner isolierten Lebern um so lebenden Tier beantwortet werden kann. — Umgekehrt können Fragen, wie sie Usui gelöst hat, nicht durch Versuche am lebenden Tier beantwortet werden, weil beispielsweise bei einer Konzentration von 5°/o Urethan das Herz nicht mehr schlägt. Wenn also Loewy (Oppenheimer’s Handb. d. Biochemie Ergänzungs- band S. 226) die absoluten Werte Usui’s als „abnorm niedrig“ bezeichnet, so Jiegt darin offenbar keine Kritik der Usui’schen Arbeitsmethode (Usui hat in seiner Arbeit eine Tabelle zusammengestellt, aus der hervorgeht, dass die absoluten Werte für den Sauerstoffverbrauch umso höher lagen, je kleiner die benutzten Leberläppchen waren. Er erklärte das so, dass in grösseren Leber- läppchen ein grösserer Teil infolge Sauerstoffmangels nicht atme.) 1) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmak. Bd. 69 S. 431. 1912. 2) Diakonow, Ber. d. d. botan. Gesellsch. Bd. 6 S.1. 1881. Über sauerstoffatmende Körnchen aus Leberzellen etc. 603 kleiner war, je länger sie bei Körpertemperatur und unter- brochener Zirkulation gehalten worden waren. Abfallder Anfangsoxydationsgeschwindigkeit. Der Abfall der Oxydationsgeschwindigkeit der Leber im toten Tier wurde von Batelli und Stern so festgestellt, dass verschiedene Zeiten nach dem Tod des Tieres die Lebern herausgenommen und die Anfangsoxydationsgeschwindiekeiten verglichen wurden. Neben diesem Abfall ist nun in den Arbeiten von Batelli und Stern noch von einem ganz anderen Abfall die Rede, nämlich vom Abfall der Anfangsgeschwindigkeiten im Laufe des Schüttelversuches. Dieser Abfall hat natürlich mit Sauerstoffmangel nichts zu tun, sondern ist auf andere Mängel der Versuchsanordnung (Einfluss des Flüssigkeits- zusatzes zu dem lädierten Gewebe, Einfluss des Schüttelns oder einfach Einfluss der Gewebsläsion ?) zurückzuführen. B. Die akzessorische Atmung. Zum Studium der akzessorischen Atmung verfahren Batelli und Stern in verschiedener Weise !), Erste Methode: Das Organ wird in dem Körper des toten Tieres gelassen, bis die Hauptatmung verschwunden ist, sonst wie beim Studium der Hauptatmung weiter verfahren. Die Hauptatmung ver- schwindet verschieden rasch, und so müssen die Organe verschieden lange Zeit im toten Tier gelassen werden. Um sich zu überzeugen, dass die Hauptatmung zerschwunden ist, prüft-man, ob die Atmung des Gewebebreies durch „Pnein“ (wässeriger Muskelauszug von Rind oder Pferd) noch aktiviert wird. Solange das der Fall ist, ist noch Haupt- atmung da, und man muss weiter warten. — Diese Methode schien mir für eine Nachprüfung wenig geeignet, einerseits, weil die Akti- vierung mit Pnein von Harden und Maclean?) nicht beobachtet werden konnte, also zum mindesten nicht immer auftritt, anderseits, weil die Lebern im Körper des toten Tieres durch Einwanderung und Vermehrung von Bakterien verunreinigt werden. Zweite Methode: Das Organ wird einige Stunden im Körper des toten Tieres gelassen, dann zerkleinert; der Brei wird mit der doppelten Menge Wasser durchgerührt, die Flüssigkeit koliert und zentrifugiert. Die Atmung der beim Zentrifugieren erhaltenen über- 1) Biochem. Zeitschr. Bd. 21 S. 487. 1909. 2) Harden und Maclean,|.c. 604 Otto Warburg: stehenden Flüssigkeit wird gemessen. Diese zweite Methode habe ich im wesentlichen befolgt, bin nur insofern von ihr abgewichen, dass ich die Organe ganz frisch verwandte; denn nach der De- finition ist die Hauptatmung nicht wasserlöslich; es hat also keinen Zweck, auf ihr Verschwinden zu warten und die Lebern gleichzeitig der Infektionsgefahr auszusetzen. Ehe ich zu eigenen Versuchen übergehe, seien einige Zahlen mitgeteilt, die Batelli und Stern bei Befolgung der beiden be- schriebenen Methoden erhielten!). Diese Zahlen sind nach den Angaben der Forscher nur Durchsehnittswerte, recht grosse individuelle Abweichungen für ein und dasselbe Gewebe derselben Tiergattung sollen vorkommen. Nach der ersten Methode fanden Batelli und Stern für Hundeleber einen Sauerstoffverbrauch von 520 cem pro Kilo und Stunde. Es ist das fast die Hälfte des Wertes, den Masing bei der Durchblutung der intakten Leber erhielt; es ist mehr als der Minimalwert Barcroft’s für die intakte Leber im lebenden Tier. Wir erinnern uns hierbei der Angabe, dass die bei der akzessorischen Atmung beteiligten Substanzen wasserlöslich seien; es wäre also ein erheblicher Bruchteil der Atmung der intakten Leber wasserlöslich. Nach der zweiten Methode, im wässerigen Auszug, fanden Batelli und Stern einen Sauerstoffverbrauch von 370 eem pro Stunde und Kilo extrahierter Leber [Pferd ?). Auch dieser Wert ist ganz auffallend hoch. Eigene Versuche. Hunde wurden in Morphium- oder Äther- Morphiumnarkose aus der Arteria femoralis entblutet. In einigen Fällen wurden die Hunde von der Vena femoralis aus mit physiologischer Koch- salzlösung möglichst blutfrei gespült. Die Organe wurden rasch mit der Schere zerschnitten und mit Sand zerrieben. Darauf wurde mit der doppelten Menge?) Wasser übergossen, durchgerührt, 10 Minuten zentri- fugiert und die überstehende Flüssigkeit bei 33° auf Atmung untersucht. Der Sauerstoffverbrauch wurde nach Warburg- Siebeck*) durch Schütteln in einem geschlossenen Gefäss, in dem 1) Biochem. Zeitschr. Bd. 21 S. 487. 1909. 2) Nach der Tabelle ist bezügl. der akzessorischen Atmung kein wesent- licher Unterschied zwischen Pferde- und Hundeleber, so dass Versuche an Hunde- lebern und Pferdelebern vergleichbar sind. 3) Auf 60 g Leber 120 ccm Wasser. 4) Siebeck in Abderhalden’s Biochem. Arbeitsmethoden Bd. 6. Über sauerstoffatmende Körnchen aus Leberzellen etc. 605 die Kohlensäure durch Kalilauge absorbiert wurde, aus der Druck- abnahme berechnet. Als Manometer dienten Haldane-Bareroft’sehe Wassermanometer. Je 1 oder 2 ccm Zentrifugat wurden für eine Bestimmung verwendet. Das Volumen, in dem die Druckver- minderung auftrat, war etwa 10 ccm, so dass eine Sauerstoffabsorption von 0,1 cem einen Ausschlag von 100 mm hervorbrachte. Die Kohlensäureproduktion wurde gemessen als Differenz der bei Luftdurchleitung abgegebenen plus der durch Säure austreibbaren, minus der präformierten. Je 20 cem wurden für eine Bestimmung verwendet; im wesentlichen wurde in der von mir be- schriebenen Weise verfahren !). Resultate Qualitativ konnte die Angabe von Batelli und Stern bestätigt werden, dass die Extrakte Sauerstoff verbrauchen und Kohlensäureintypischem Verhältnis produzieren. Quantitativ jedoch ergaben sich sehr grosse Unterschiede gegenüber den Zahlen der genannten Autoren, und zwar waren die Werte, die ich erhielt, sehr viel kleiner. Beispielsweise verbrauchten 2 cem Extrakt in drei verschiedenen Versuchen: 0,110 eem Sauerstoff (0° 760 mm) 0,081 ” ” (0° 760 » ) 0,087 „5 „ (0° 760 „); im Mittel betrug also der Sauerstoffverbrauch auf 100 cem Extrakt 4,65 eem Sauerstoff pro Stunde. Batelli und Stern erhielten aus 60 g Leber ein Extrakt, das bei 40° 22 cem Sauerstoff in einer Stunde verbrauchte; wieviel Extrakt die Autoren erhielten, geben sie nicht an. Ich erhielt unter denselben Bedingungen beim Zentri- fugieren 100 eem überstehende Flüssigkeit. 100 cem „Extrakt“ verbrauchen also nach Batelli und Stern 22 cem Sauer- stoff. Meine Zahlen beziehen sich auf nicht gespülte Tiere. Wurden die Tiere mit Kochsalzlösung gespült, so waren die Werte durchweg niedriger. Meine Zahlen wurden bei einer Versuchsanordnung erhalten, bei der die Sauerstoffbestimmung etwa 30 Minuten nach der Herausnahme der Leber aus dem Tier begann. Es war daran zu denken, dass Batelli und Stern schneller gearbeitet haben und dass bei meinen Versuchen eine besonders starke Anfangsatmung 1) Hoppe-Seyler’s Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 81. 1912. 606 Otto Warburg: in die Vorbereitungszeit gefallen war. Das ist deshalb nicht wahr- scheinlich, weil der Sauerstoff innerhalb der ersten halben Stunde so gut wie nicht abnahm, erst dann langsam zu sinken begann. Auch der Narkose-Äther ist für meine niedrigeren Werte nicht verantwortlich zu machen, denn die Werte waren nicht grösser, wenn der Äther fortgelassen wurde. Morphium wirkt selbst in gesättigter Lösung nicht auf die Zellatmung; es lag also kein Grund vor, das Morphium fortzulassen. Stärkeres oder schwächeres Zerreiben hatte, in den von mir versuchten Grenzen, nicht den Erfolg, dass lie Werte höher wurden. Schliesslich fand ich, dass es einen Weg gibt, die Atmung des Extrakts zu steigern; damit war gleichzeitig der Schlüssel zur Er- klärung der hier bestehenden Unstimmigkeiten gegeben. C. Die Körnchenatmung. Wenn man die „Extrakte“, über deren Atmung soeben berichtet wurde, unter dem Mikroskop betrachtet, so findet man keine intakten Zellen, keine Kerne, auch keine zusammenhängenden Zell- oder Kern- trümmer; dagegen ist das Gesichtsfeld voll kleiner, runder, in Brown’scher Molekularbewesung begriffener Gebilde Daneben finden sich auch Fetttröpfehen und sehr vereinzelt rote und weisse Blutzellen. Die Extrakte waren auf einer gewöhnlichen Runne’schen Zentrifuge 10 Minuten zentrifusiert. Zentrifugierte ich länger, z. B. 1 Stunde, so setzten sich mehr Körnchen ab, die überstehende Flüssig- keit wurde klarer, ihr Atmungsvermögen nahm ab; frei von Körnchen habe ich die Extraktflüssickeit auch nach stundenlangem Zeutrifugieren nicht bekommen. Es hat sichnun herausgestellt, dass das Körnchen- sediment stärker atmet, alsdieüberstehendeFlüssig- keit. Zum Nachweis der Sedimentatmung verfährt man so, dass man den mit Wasser gemischten Leberbrei nur ganz kurz zentri- fugiert, etwa 2 Minuten. Man erhält dann eine dichte Körnchen- suspension als überstehende Flüssigkeit, ohne eine irgendwie in Betracht kommende Menge von Zellen, Kernen oder zusammen- hängenden Trümmern. Diese dichte Körnchensuspension gibt bei kurzem Zentrifugieren (10 Minuten) zwei Schichten: eine tiefere, körnchenreichere, stärker atmende, und eine überstehende, Über sauerstoffatmende Körnchen aus Leberzellen etc. 607 körncehenärmere, schwächer atmende. Beispielsweise verbrauchten je 2 een Körnchensuspension überstehende Schicht . . . 0,087 eem Sauerstoff unterstehende Schicht . . . 0,150 ” ” Auch 10 Minuten langes Zentrifugieren schädigt die Körnchenatmung [sie verhält sich ganz ähnlich wie die von Onaka und mir vor einiger Zeit beschriebene Atmung der Blutplättehen Y)]; die Schädigung ist viel geringer, wenn man die Körnchensuspension in Eis verpackt zentrifugiert. Dass dabei keine erhebliche Schädigung eintritt, kann so nachgewiesen werden, dass man nach dem Zentrifugieren das Sediment wieder aufwirbelt und nun mit einer nicht zentrifugierten Kontrolle vergleicht. Die Zahlen des folgenden Beispiels wurden also so er- halten, dass von der diehten Körnchensuspension ein Teil als Kontrolle auf Eis kam; je 5 cem wurden ferner, in Eis verpackt, 10 Minuten zentrifugiert. Dann wurde das Sediment in einem Röhrchen wieder aufgewirbelt, aus dem zweiten Röhrchen die überstehende Schicht abpipettier. Dann wurde der Sauerstoffverbrauch gleichzeitig in 2 cem jeder Probe bestimmt. Folgende Werte wurden in 1 Stunde erhalten: | Kontrolle. . ». . 2... 0,180 ccm Sauerstoff (0° 760 mm) auteewarbelt ‘. ..".-. . » .0,175 , : (NETZE UBErE) überstehende Flüssigkeit . . 0,110 , 5 (VZEORES) Mit diesem Befund ist also ein Weg. gegeben, wie man die Atmung der „Extrakte“ vermehren kann. Folgende Zahlen wurden erhalten, wenn nur kurz zentrifugiert wurde. Je 2 cem verbrauchten in 60 Minuten in vier verschiedenen Versuchen: 1. 0,20 eem Sauerstoff (0° 760 mm) 28 0,18 „ „ (0 u 760 ” ) 5% 0,14 » ”„ (0 2 760 ” ) 412 020, 5 UT) Dass die Körnchensuspension nicht nur Sauerstoff verbraucht, sondern auch in typischem Verhältnis Kohlensäure produziert, zeigt fol- gendes Beispiel (die präformierte Kohlensäure wurde in diesem Versuch nicht direkt bestimmt, sondern die Kontrolle wurde 1 Stunde ohne Sauerstoff bei 38° gehalten. In der präformierten Kohlensäure steckt 1) Onaka, Hoppe-Seyler’s Zeitschr. f. physiol. Chemie. 71, 193. 1911. 608 Otto Warburg: also auch die eventuell anoxybiotisch gebildete Kohlensäure, so dass die Differenz nur die unter Sauerstoffeinwirkung gebildete Kohlensäure ergibt): 23 cem dichter Körnchen- suspension gaben nach einstündiger Luftdurchleitung und nach darauf- folgendem Ansäuern 2,98 ccm CO, (0° 760 mm) ab. 23 ccm derselben Körnchensuspension gaben bei einstündiger Anoxybiose und nach darauffolgendem Ansäuern 1,42 cem CO, (0° 760 mm) .ab. Also waren unter dem Einfluss des Sauerstoffes 1,56 cem Kohlensäure neu gebildet worden. Gleichzeitig wurde in 2 cem eine Sauerstoffbestimmung aus- geführt, die bei der gleichen Temperatur einen Verbrauch von 0,2 eem in 60 Minuten ergab. Das ist, auf 23 cem umgerechnet, ein Verbrauch von 2,3 cem. Der respiratorische Quotient ist somit: In einigen Versuchen gewann ich den Eindruck, dass die Körnchenatmung durch längeres Zerreiben mit Sand herabgesetzt werden kann; wenn ich auch nicht mit Sicherheit behaupten kann, dass dem so ist, so habe ich doch, wenn es mir auf den Nachweis der Körnehenatmung ankam, die Lebern später nicht mehr mit Sand zerrieben, sondern auf einem Holzbrett mit einem Holzhammer zer- klopft. — An Stelle des Wassers habe ich in späteren Versuchen 1,2°/oige Kaliumchloridlösung als Verdünnungsflüssiskeit benutzt, unter anderem deshalb, weil die Körnchensuspension dann leichter frei von Blutzellen und deren Resten gewonnen werden kann. Ver- dünnt man ınit Wasser, so entstehen aus den Blutzellen durch osmotische Cytolyse „Schatten“, die nicht so schnell wie die intakten Zellen sedimentieren und deshalb schwerer von den Körnchen zu trennen sind. Folgendes Verfahren, das an Meerschweinchen- lebern ausprobiert wurde, empfehle ich besonders zum Nachweis der Körnchenatmung: Das Meerschweinchen wird durch Halsschnitt entblutet und die Leber sofort mit Holz zu einem Brei zerklopft, wozu etwa 2 Minuten erforderlich sind. Der Brei wird mit der doppelten Gewichtsmenge 1,2 °/oiger Kalium- ehloridlösung übrgossen, durchgerührt und dann auf einer kleinen Runne’schen Zentrifuge 3—5 Minuten zentrifugiert. Man erhält vier scharf gegeneinander abgegrenzte Schichten. Die unterste Schieht enthält das Bindegewebe mit Zellnestern und intakten Über sauerstoffatmende Körnchen aus Leberzellen etc. 609% Zellen. Dann folgt eine rote Schicht, die reichlich Blutzellen enthält; dann folgt eine feine weisse Schicht, bestehend aus Körnchen und vereinzelten Zellstückchen. Darüber steht die Körnchensuspension, in der man selbst beim Durchsuchen vieler Gesichtsfelder in der Regel keine Blutzellen und keine zu- sammenhängenden Zelltrümmer, sondern ausschliesslich kleine Par- tikelehen in Brown’scher Bewegung findet. In manchen Fällen sind in der überstehenden Schicht noch einige Leberzellenfragmente ; man hat dann nur nötig, in einer geschlossenen Flasche einige Male kräftig zu schütteln; dabei werden etwa vorhandene Zelitrümmer zerschüttelt, und die Suspension besteht ausschliesslich aus Partikelchen in Brown’scher Bewegung. Die Sus- pension kommt dann in Eis. Vor Licht geschützt, behält sie ihr Atmungsvermögen mindestens 8 Stunden unverändert bei und kann im Laufe dieser Zeit zu quantitativen Experimenten benutzt werden. Der Sauerstoffverbrauch der so hergestellten Suspension betrug pro Kubikzentimeter und Stunde bei 38° 0,12—0,15 cem Sauerstoff. Während des Schüttelns im Laufe der Versuchs- stunde war der Sauerstoffverbrauch häufig fast konstant, manchmal nahm er langsam ab, so dass bei einem Sauerstoffverbrauch von 0,14 eem pro Stunde etwa 0,8 cem auf die erste halbe Stunde und 0,6 cem auf die zweite halbe Stunde fallen. Zum Nachweis der Körnchenatmung werden Proben, in Eis verpackt, 15 Minuten zentrifugiert; ein Teil der Körnchen setzt sich dabei als weisser Bodensatz ab. Man entfernt mit einer Pipette die überstehende Flüssigkeit zur Hälfte, wirbelt mit der anderen Hälfte das Sediment auf und bestimmt sofort in 1 oder 2 cem jeder der beiden Flüssigkeiten ‘den Sauerstoffverbrauch. Folgende Zahlen wurden beispielsweise erhalten (38°): 1 eem Flüssigkeit ohne Sediment verbrauchte in 1 Stunde 0,058 cem Sauerstoff (0° 760 mm). 1 eem Flüssigkeit mit Sediment verbrauchte in 1 Stunde 0,150 cem Sauerstoff (0° 760 mm). 1 cem Flüssigkeit ohne Sediment verbrauchte in 1 Stunde 0,055 eem Sauerstoff (0° 760 mm). 1 ecem Flüssigkeit mit Sediment verbrauchte in 1 Stunde 0,160 eem Sauerstoff (0° 760 mm). 610 Otto Warburg: Der Unterschied im Sauerstoffverbrauch der verschiedenen Schiehten war also sehr erheblich. — Die Schädigung der Sediment- atmung durch Zentrifugieren, auch durch Zentrifugieren bei niedriger Temperatur, war etwas stärker als bei den oben angeführten Versuchen mit Suspensionen aus Hundelebern. Vergleicht man die Abnahme der Atmung in der überstehenden Schicht und die Zunahme der Atmung in der unterstehenden Schicht, so findet man, dass der Atmungsbetrag, der in der überstehenden Schicht verschwunden ist, nur zum Teil in der unterstehenden Schicht wiedergefunden wird. Beispielsweise verbrauchten je 1 cem pro Stunde: in der ursprünglichen Körnchensuspension 0,120 eem Sauerstoff „“ „. überstehenden 'Schicht ° . . ... . 0,055 „©, „ünterstehenden Schieht” . .. 2.0.1607, # In der überstehenden Schicht war also verschwunden 0,12 — 0,055 — 0,065; in, der unterstehenden Schicht aber wurde nicht gefunden 0,12 + 0,065 —= 0,185, sondern nur 0,160. Sehliesslich sei noch darauf hingewiesen, dass die überstehende® Schicht dieser Versuche nicht frei von atmenden Körnchen war; durch läugeres Zentrifugieren wurden weitere Körnchenmengen aus- geschleudert. Deshalb kann auch aus den angeführten Zahlen nicht berechnet werden, wie sich die Atmung der Körnchensuspension auf Körnchen und Zwischenflüssiekeit verteilt. ”» ” Wenn man die Körnchen, die man beim Zentrifugieren erhält, in Salzlösungen aufschwemmt, so ist die Atmung fast völlig ver- schwunden. Bei Berücksichtigung dieser Tatsache könnte man die Frage aufwerfen, ob vielleicht nicht die Körnchen atıneten, sondern nur die Zwischenflüssiekeit, und ob nicht der Unterschied in der Atmung der verschiedenen Schichten so herauskäme, dass die Körnchen das Brennmaterial für die in der Flüssiekeit ablaufenden Verbrennungen lieferten. Die überstehende Schicht atmete dann nur deshalb schwächer, weil ihr das Brennmaterial ausginge. Diese Auffassung ist zunächst deshalb recht wenig wahrscheinlich, weil die Unterschiede in den verschiedenen Schichten schon bei Beginn des Atmungsversuches da sind, während sie sich nach der obigen Hypo- these erst im Laufe des Versuches herausbilden und fortgesetzt zu- nehmen sollten. — Ferner lässt sich ein Experiment anführen, das zuungunsten der Hypothese entscheidet. Erhitzt man die Körnchen- suspension 5 Minuten auf 70°, schüttelt kräftig und filtriert durch le rn Acıa Über sauerstoffatmende Körnchen aus Leberzellen etc. 611 ein Faltenfilter, so erhält man ein Filtrat, das nur noch ganz wenig Sauerstoff verzehrt. In dieser Flüssiekeit lassen sich die Körnchen ohne allzu beträchtliche Schädigung ihrer Atmung aufschwemmen. Beispielsweise verbrauchten je 2 cem bei 38° in 1 Stunde: Körnchen in Hitzeextrakt 0,0730 eem O, (0° 760 mm) Elifzeextzakt.. e . 0,0092... „(09760 °,.). Will man hier nicht die ganz unwahrscheinliche Annahme machen, dass in dem Hitzeextrakt die Atmung der Zwischenflüssigkeit durch die Körnchen aussergewöhnlich stark (um das Achtfache) vermehrt wird, so bleibt nur die zweite Möglichkeit, dass in der Tat die Körnchen atmen. — Die Atmungsgrösse der Körnchensuspension im Vergleich zur Atmungsgrösse der intakten Leber. Bevor wir unsere Berechnung anstellen, wollen wir uns klar machen, dass unsere Zahlen für die Körnchensuspension Minimal- zahlen sind; dass man viel grössere Zahlen erhalten müsste, wenn bei der Herstellung der Körnchensuspension nicht grosse Verluste an Körnchen erlitten würden. Diese Verluste lassen sich bei dem ein- geschlagenen Isolierungsverfahren zunächst nicht vermeiden. Denn wie oben erwähnt, wird mit den Zelltrümmern und Blutzellen immer ein Teil der Körnchen mit abzentrifugiert. Wir erinnern uns ferner daran, dass die Atmung der Körnchen- suspension zwar zum grössten Teil aus Körnchenatmung besteht, dass aber auch nach langdauerndem Zentrifugieren in der überstehenden Flüssigkeit eine Restatmung übrigbleibt. Diese Restatmung zusammen mit der Körnchenatmung ist die Atmung der „Körnchensuspension“. Nehmen wir der Durchschnittswert von 0,14 cem Sauerstoff pro Stunde und 1 cem Körnchensuspension (38°), so verbrauchen 100 ccm unter den gleichen Bedingungen 14 ccm Sauerstoff. 100 cem Körnchensuspensiou werden aus etwa 60 g Lebergewebe erhalten oder 1700 cem aus 1 kg Lebergewebe. Aus 1 kg Lebergewebe wird also ein Sauerstoffverbrauch von 17 x 14— 238 eem pro Stunde in Form von Körnchensuspensionsatmung erhalten. — Nach Masing verbraucht eine intakte, aus dem Körper entfernte Leber im Mittel 1200 eem Sauerstoff pro Kilo und Stunde unter den gleichen Be- dingungen. Ein Fünftel der Atmung der intakten Leber ist also in Form von Körnchensuspensionatmung ge- wonnen worden. Wenn eine Schätzung erlaubt ist, so möchte Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 154. 41 612 Otto Warburg: ich die Vermutung aussprechen, dass dieser Wert ohne die an- geführten Verluste mindestens doppelt so gross sein würde, — Sind die atmenden Körnchen identisch mit den präformierten Zellgranula? Es ist klar, dass hier eine bedeutungsvolle Frage zur Dis- kussion gestellt wird. Wenn nämlich die chemische Reaktion, aus deren Energie die Zellarbeit stammt, auch in den freien Granula abläuft, so ist damit jedenfalls die Möglichkeit gegeben, dass die Granula in bezug auf Arbeitsleistung autonom sind. Betrachtet man vor dem ersten Zentrifugieren einen Tropfen der Suspension (die also Zellen, Zelltrümmer und Körnchen enthält) unter dem Mikroskop, so findet man leicht Zelltrümmer, die gerade im Begriff sind, zu zerfallen. Man beobachtet dann, wie die Granula in die umgebende Flüssiekeit austreten und draussen ohne -deut- liche Veränderung weiter existieren. Der einzige in die Augen springende Unterschied ist der, dass die Granula, die in der Zelle bewegungslos waren, draussen in lebhafter Brown’scher Bewegung erscheinen. Auf diese Art also kann man die Entstehung der Körnchensuspension sehen, und die Identität von Körnchen und Granula ist evident. Wenn nun auch sicher der grösste Teil der Körnchen prä- formierte Granula sind, so lässt sich andererseits nicht beweisen, dass die Körnchen ausschliesslich präformierte Granula sind, und dass der atmende!) Anteil des Sediments aus präformierten Granula besteht. Für die Indentität zwischen präformierten Granula und den atmenden Körnchen des Sediments spricht noch folgendes: 1. Wenn man aus Blutzellen, die im Vergleich zur Leber nur ganz verschwindend wenig Granula enthalten, auf gleiche Weise _ einen Auszug herstellt, so findet man so gut wie keine Körnchen und auch keine Atmung. 2. Das durch oxydative Synthese entstehende Indophenol erscheint nach den Beobachtungen der Histologen besonders in den Granula der Zelle?). | 1) Nicht alle Körnchen atmen! Vergl. 8. 615. 2) v. Gierke, Münchner med. Wochenschr. 1911. S. 2315. — Graeff, Frankfurter Zeitschr. f. Pathol. Bd. 11. 1912. — van Herwerden, Arch. Intern. de Physiol. 1913 p. 359. Über sauerstoffatmende Körnchen aus Leberzellen ete. 613 Bakterien. Schliesslich sei noch mit einigen Worten auf die Frage eingegangen, wieweit bei meinen Versuchen die Gefahr bestand, dass Bakterien irgendwie eine Rolle spielten. Ich habe anfangs stets nach Beendigung des Atmungsversuches Ausstriche ge- macht und mit Methylenblau gefärbt, aber beim Durchsuchen vieler Gesichtsfelder Bakterien nicht gefunden. Nun kann man bekanntlich Leber nicht steril erhalten, und ich will auch nicht bestreiten, dass ein geübter Bakteriologe nach längerem Suchen einige Bakterien gefunden hätte. Um aber die Atmungswerte, wie ich sie beobachtete, durch Bakterien zu erhalten, braucht man schon eine dichte Bakterien- suspension, massenhaft Bakterien in einem Gesichtsfeld*). Es darf also ganz bestimmt behauptet werden, dass an den von mir gegebenen Werten Bakterienatmung mit einem messbaren Bruchteil nicht be- teiligt war. Übrigens habe ich nur anfangs mit sterilisierten Gläsern ge- arbeitet; später wurden die Gefässe mit alkoholischer heisser Kali- lauge gereinigt und dann mit destilliertem Wasser nachgespült. D. Die Atmung nach Filtration durch Berkefeld-Kerzen. Selbst durch einstündiges Zentrifugieren der Körnchensuspension erhält man keine körnchenfreie Flüssigkeit; sehr viel längeres Zen- trifugieren kam wegen der Gefahr der Bakterienentwicklung nicht in Betracht. Um also zu entscheiden, ob auch die Zwischenflüssigkeit atmete, musste ein anderer Weo eingeschlagen werden, und es lag nahe, durch Kerzen zu filtrieren. Hierbei erhältmanäatmende Filtrate. Wir wollen uns zunächst klar machen, was dieses Resultat beweist und was es nicht beweist. Die benutzten Kerzen waren Berkefeld-Kerzen; sie lassen die Körnchen, von denen bisher die Rede war, die Körnchen von der Grösse der im Hellfeld deutlich unterscheidbaren präformierten Lebergranula, nicht durch. Wir sind also zu der Schlussfolgerung berechtigt, dass die Zwischenflüssigkeit unserer Körnchensuspension atmet. Diese Zwischenflüssiekeit braucht aber keineswegs frei von Formelementen zu sein. Bekanntlich gibt es eine ganze Reihe von Formelementen, die nicht sichtbar sind, und.die selbst die engporigen Chamberland-Kerzen passieren. So wäre es auch durchaus denkbar, dass in den Berkefeld-Filtraten noch ultramikroskopische 1) Vgl. 0. Warburg und Wiesel, Pflüger’s Arch. Bd. 144 S. 465. 1912. 41* 614 Otto Warburg: Formelemente !) suspendiert sind. Man wird sich deshalb bei einer derartigen Trennung auf die Feststellung beschränken müssen, welche sichtbaren Formelemente zurückgehalten wurden oder aber, wenn es sich um Trennung ultramikroskopischer Teilchen handelt, welche Teilchengrösse den abgetrennten Partikelchen zukommt. Zur Filtration der Körnchensuspension benutzte ich die 5 cm lange Kerze mit Porzellanring; die Druckdifferenz war der Luftdruck gegen das Vakuum der Wasserstrahlpumpe. Das Filtrat wurde in einzelnen Fraktionen aufgefangen. Die ersten Fraktionen waren sehr eiweissarm und atmeten nicht; die späteren Fraktionen waren eiweissreicher und atmeten. Waren etwa 20 cem durch die kleine Kerze durchgedrückt, so hatte die nun folgende Fraktion die maxi- male Atmungsgrösse, das heisst, spätere Fraktionen atmeten nicht stärker. Natürlich haben solehe Angaben keine unbedinste Gültig- keit, weil die Kerzen nicht ganz gleichmässig geliefert werden. Die zum Filtrieren geeignete Körnehensuspension wurde so gewonnen, dass Hundelebern mit Sand fein zerrieben, dann mit der doppelten Gewichtsmenge Wasser übergossen wurden. Das Gemisch wurde 15 Minuten scharf zentrifugiert, die überstehende Flüssigkeit ab- gehoben und sofort filtriert. Die Filtration dauerte etwa 10 Minuten. Die späteren Filtratfraktionen sahen im auffallenden Licht trübe aus, wie Serum, im durchscheinenden Licht ziemlich klar. Unter dem Mikroskop sieht man im Hellfeld ein ganz feines Wimmeln, ähnlich wie im Serum, während die Körnchen verschwunden sind. Der Sauerstoffverbrauch in einer Stunde bei 38° pro Kubikzentimeter betrug nicht mehr als 0,05 cem; in 100 ccm also etwa 3 ccm Sauerstoff. Da man 1700 Filtrat aus einem Kilo Leber erhält, so wurden also ca. 50 cem Sauerstoff in der einem Kilo Leber entsprechenden Filtratmenge verbraucht. Im Vergleich zu der Masing’schen Zahl für die intakte Leber ist das etwa 4% der Leberatmung. Auch Kohlensäure bildet sich in den Filtraten, wie folgender Versuch zeigt: 23 cem Filtrat verbrauchten in 60 Minuten 0,43 cem Sauer- stoff; 23 cem Filtrat gaben 0,35 ccm präformierte Kohlen- 1) Auch die Fermente haben „Struktur“. Wir bezeichnen sie aber nicht als „Formelemente“, weil sie richt imstande sind, aus sich heraus Arbeit zu leisten, weil sie keine Maschinen sind. Über diese Abgrenzung vergl. ©. Warburg, Asher-Spiro 1913. Über sauerstoffatmende Körnchen aus Leberzellen etc. 615 säure; 23 cem Filtrat gaben nach 60 minutenlangem Luftdurchleiten und nachherigem Ansäuren 0,59 cem Kohlensäure. Es waren also nen gebildet 0,59 — 0,35 —= 0,24 cem Kohlen- säure. Der respiratorische Quotient berechnet sich daraus zu: 0,24 0, 73 — 0,56 und war also etwas niedriger, als bei Zell- oder Körnchenatmung. Wie stark die Atmung der Körnchensuspension beim Durch- treiben durch die Kerze vermindert wird, hängt natürlich davon ab, wie lange die Körnchensuspension vorher zentrifusiert war. Je länger sie zentrifugiert war, um so weniger „abfiltrierbare Atmung“ enthält sie. In einem Fall, nach halbstündigem scharfen Zentri- fugieren, wurden Filtratfraktionen erhalten, die nur wenig schwächer als die nickt filtrierte Suspension atmeten. Da trotzdem vor dem Filtrieren noch sehr reichlich Körnchen vorhanden waren, so folgt, dass durch längeres Zentrifugieren die atmenden Körnchen!) ziem- lich vollständig abgeschleudert werden können. Die Atmungsgrösse der Filtrate im Vergleich zur Atmung der intakten Leber ist ziemlich klein; immerhin relativ nicht kleiner als die Gärung des Hefepresssaftes im Vergleich zur Gärung der ent- sprechenden Menge intakter Hefezellen. Die absolute Atmungsgrösse dagegen ist noch immer sehr bedeutend und, wie besonders hervor- gehoben sei, weit entfernt von den durch die Mess- methode gesteckten Fehlergrenzen. 2 cem Filtrat, die Menge, die zur Bestimmung verwendet wurde, verbrauchten in einer Stunde 0,06 cem Sauerstoff. Das entspricht am Manometer einem Aus- schlag von 60 mm, während die Fehlergrenze etwa 2 mm beträgt. Die Filtratatmung kann also auf etwa 3°o vom Wert festgestellt werden. E. Die akzessorische Atmung. Ausgerüstet mit den in den vorhergehenden Abschnitten ge- wonnenen Erfahrungen wollen wir uns jetzt fragen, was Batelli und Stern als „akzessorische“ Atmung gemessen haben. Sie er- hielten in 100 cem Extrakt einen Sauerstoffverbrauch von 22 ccm pro Stunde, während wir in der entsprechenden Filtratmenge 3 cem pro Stunde erhielten. Es gibt zur Erklärung wohl nur zwei Alter- 1) Nicht alle Körnchen ! 616 . Otto Warburg: nativen: entweder haben Batelli und Stern, obwohl sie zentri- fugiert haben, .so kurz zentrifugiert, dass die Sedimentatmung nicht entfernt wurde; oder sie haben die Sedimentatmung abzentrifugiert, in der überstehenden Flüssigkeit aber reichlich Bakterien gehabt. Haben vielleicht gelegentlich auch beide Umstände — wenn die Organe nach 24 stündiger Inkubation im toten Tier benutzt wurden — zusammengewirkt, so möchte ich mich doch mehr für die erste Alternative entscheiden. Denn wenn stark zentrifusiert worden wäre, wäre doch auch ein erheblicher Bruchteil der Bakterien ab- geschleudert worden. Ferner spricht für meine Auffassung eine Bemerkung auf Seite 500 der Arbeit!): „Immerhin muss man be- denken, dass der wässerige Auszug selbst nach enereischem Zentri- fugieren trübe bleibt und Zelltrümmer enthält.“ Es stimmt diese Bemerkung allerdings nicht recht zur Bezeichnung der gemessenen Atmung als „akzessorische“ Atmung, für die es ja gerade charakte- ristisch sein soll, dass sie wasserlöslich ist und bei Ausschluss von Zelltrümmern vor sich geht (siehe die betreffenden oben zitierten Stellen, die derselben Arbeit entnommen sind). _ Als besonders beweisend für die „Wasserlöslichkeit“ der ak- zessorischen Atmung werden Versuche mit Auszügen von Azeton- präparaten angeführt!). Diese Auszüge sollen „recht klar“ sein. (Seite 502 derselben Arbeit). Ich habe die Versuche wiederholt und gefunden, dass die genau nach Vorschrift hergestellten Auszüge nicht klar sind, sondern voll von leicht abzentrifugierbaren Partikeln. Da es mir nicht gelang, in diesen Auszügen nach dem Zentrifugieren Atmung nachzuweisen, so habe ich mich mit der Versuchsanordnung nicht weiter beschäftigt. Im ganzen liegen die Verhältnisse wahrscheinlich so, dass die „akzessorische* Atmung in den Leber- auszügen zum grösseren Teil Körnehenatmung gewesen ist, zu einem kleinen Teil Atmung der Zwischen- flüssigkeit. — Schliesslich noch eine Bemerkung über die negativen Resultate von Harden und Maclean. Harden und Maclean arbeiteten nach der Buchner’schen Methode. Was die Leber anbetrifit, so kann ich ihre Angaben im wesentlichen bestätigen; Presssaftatmung ist nicht sicher nachweisbar. Dass die Körnchenatmung nicht in den . 1) Biochem. Zeitschr. Bd. 21. 1909. Über sauerstoffatmende Körnchen aus Leberzellen etc. 617 Presssaft übergeht, ist ohne weiteres verständlich. Dass auch die Atmung der Zwischenflüssigkeit im Presskuchen zurückgehälten wird, findet ein Analozon in meinen Versuchen darin, dass die ersten Fraktionen der Berkefeld-Filtrate nicht atmeten. Zusammenfassung. 1. Aus Säugetierlebern lassen sich Suspensionen kleiner, Brown'’sche Bewegung zeigender Körnchen gewinnen, die Sauer- stoff verbrauchen und Kohlensäure bilden. Die Oxydationsgrösse war etwa !/s der Oxydationsgrösse der entsprechenden Menge in- takten Lebergewebes, wenn der Masing’sche Mittelwert von 1200 eem pro Kilo und Stunde der Vergleichsrechnung zugrunde gelegt wird. Die Körnchen sind wahrscheinlich identisch mit den präfor- nierten Lebergranula. 2. Aus Säugetierlebern lassen sich mittels Filtration durch Berkefeld-Kerzen Flüssigkeiten gewinnen, die Sauerstoff ver- brauchen und Kohlensäure bilden. Die Oxydationsgrösse war etwa 4°) von der Oxydationsgrösse der entsprechenden Menge intakten Lebergewebes. Filtratatmung und Zellatmung stehen, der Grössen- ordnung nach, in ähnlichem Verhältnis zueinander wie die Buchner- sche Presssaftgärung zur Hefezellengärung. 3. Die „akzessorische“ oder „wasserlösliche“ Atmung aus frischem Lebergewebe, die Batelli und Stern beschrieben haben, ist wahrscheinlich zum grösseren Teil Körnchenatmung. Ein kleiner Teil ist auf Rechnung der Zwischenflüssigkeit zu setzen und kann in der üblichen Terminologie als „wasserlösliche* Atmung bezeichnet werden. 4, Die Atmung intakter, aus dem Körper entfernter Leber- läppchen bleibt stundenlang konstant. Die Labilität der Atmung der intakten Zellen — der sogenannten Hauptatmung — wird bei der Versuchsanordnung von Batelli und Stern vorgetäuscht durch Schädigungen, die die Lebern infolge von Sauerstoffmangel erleiden. Altenburg Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co. = MR e DR 3 g RN OT) RENTEN INS KuRah Vorl, it 77:9