un nennen “.“ ji ut . “ BD WR Pi DR 20 DE tert ? eier REEL RERRRER, . 2. t .. =.n# EN AR CH 2 KRT 3 “nn LAK; “ DI) “-. % % u u EFT SCHEN a. PR Pe EEE “ X; a er + . var Kar tg I + nr 3 u HR, ar Ar 7 > S 3 Be Kate SAY .. + 2% a ER n “. SO “ N “ IM I ER Kay ae, are wd Kr VUN ar RS ; (> ” ee nr RR Hrn KEN s ie eure . ER EEEELPE LK N La Da Dia DE DE BC De + RIED EHE ET ET eh “, DR Fer, “re LCD Mu EHE TE NEIN n N ‘ 5 > y .. E “+ Kl 6 5 r RN ET er ent 3 6 EEE Ft n . Aalen ee Id + x EM . .*, } NR ER «" LER nu Et IE HL Ye BER N : RG warn se 4 x AI BR # Br i er 4 [2 r Te ee re , rs ) ce“ . DR 2 RE 377 e. LIE BL ee we PFLÜGER® ARCHIV FÜR DIE GESAMTE PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER TIERE. HERAUSGEGEBEN VON MAX VERWORN PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE UND DIREKTOR DES PHYSIOLOGISCHEN INSTITUTS DER UNIVERSITÄT BONN UNTER MITWIRKUNG VON PROF. BERNHARD SCHÖNDORFF IN BONN. BAND HUNDERT UND FÜNFUNDSECHZIG. MIT 3 TAFELN UND 112 TEXTFIGUREN. Br—< BONN, 1916. VERLAG VON MARTIN HAGER. A ee 7 pe d iR ur BHf | 3 5% :ı ing, Inhalt. Erstes, zweites und drittes Heft. Ausgegeben am 11. August 1916. Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensi- bilität. Von Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Goldscheider. (Mit 2 Textfiguren) Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen des Rückenmarkes von Warmblütern und Kaltblütern. Von W. Storm van Leeuwen und M. van der Made. (Mit 19 Textfiguren.) (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht) . Quantitative pharmakologische Untersuchungen über die Reflex- funktionen des Rückenmarkes an Warmblütern. III. Mit- teilung. Wirkung von Äther Von W. Storm van Leeuwen (Konservator des Institutes). (Mit 15 Text- figuren.) (Aus dem N Institut der Reichs- universität Utrecht) Über die Wirkung von Äther auf che in Kreislauf. Von P. Schram, W. Storm van Leeuwen und M. van der Made. (Mit 6 Textfiguren.) (Aus dem pharma- kologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht) Beobachtungen der Blutbewegung im Auge. Von Dr. A. Bühler, Privatdozent in Zürich IRRE een Der 'T'hermostrom des Muskels. Gegen J. Bernstein. Von Wolfgang Pauli und Johann Matula, (Aus dem Laboratorium für physik.-chem. Biologie der k. k. Uni- versität Wien) er. Seite 84 157 Viertes, fünftes, sechstes und siebentes Heft. Ausgegeben am 15. September 1916. Der allgemeine Blutstrom und die Förderung der Biutdurch- strömung der Organe durch die Tätigkeit ihres Gefäss- systems. I. Förderung des Blutstromes durch aktive Be- 16289 IV Inhalt. teiligung der Gefässe am arteriellen Pulse. Von Dr. Franz Mares, Professor der Physiologie. (Aus dem physio- logischen Institute der k. k. böhm. Universität in Prag) . Zur Frage einer Förderung des Blutstromes durch pulsatorische Tätigkeit der Blutgefässe. Von Dr. Hubert Hühne, Assistenten des Institutes. (Mit 3 Textfiguren.) (Aus dem physiologischen Institute der k. k. böhm. Universität in Prag) U EN ; Der allgemeine Blutstrom und die Förderung der ken strömung der Organe durch die Tätigkeit ihres Gefäss- systems. II. Die Atembewegungen des Gefässsystems. Von Dr. Franz MareS, Professor der Physiologie. Mit 16 Text- figuren.) (Aus dem physiologischen Institute der k. k. böhm. Universität in Prag) . Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bak- terien. Il. Beeinflussungen der Atmung des Nitratbildners durch chemische Substanzen. Von Otto Meyerhof. (Mit 6 Textfiguren.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Kiel) ee a ee Zur Physiologie der Insektenmuskeln. Von R. H. Kahn. (Mit 32 Textfiguren.) (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag). Achtes, neuntes und zehntes Heft. Ausgegeben am 30. September 1916. Der allgemeine Blutstrom und die Förderung der Blutdurch- strömung der Organe durch die Tätigkeit ihres Gefäss- systems. III. Die Grundlagen der herrschenden vaso- motorischen Theorie. Von Dr. Franz MareS, Professor der Physiologie. (Aus dem physiologischen mei der k. k. böhm. Universität in Prag) . Der allgemeine Blutstrom und die Förderung der ihr bar} strömung der Organe durch die Tätigkeit ihres Gefäss- systems. IV. Mechanismus des Eigenbetriebs der Blut- durehströmung in verschiedenen Organen. Von Dr. Franz Mare$, Professor der Physiologie. (Aus dem physio- logischen Institute der k. k. böhm. Universität in Prag) . Der Zusammenhang der Atemkräfte und ihre Abhängigkeit vom Dehnungszustand der Atmungsorgane. Von Fritz Rohrer, Assistenzarzt der mediz. Poliklinik Tübingen. (Mit 4 Text- figuren) Seite 159 180 194 229 285 397 419 Inhalt. Bestimmung des Inhaltes und der Oberfläche des Brustraumes beim Lebenden. Von Fritz Rohrer, Assistenzarzt der mediz. Poliklinik Tübingen. (Mit 1 Treextfigun) . Die Kohlensäure des Muskels und ihre Beziehungen zur Ent- stehung und Lösung der Totenstarre. Von Leonhard Wacker. (Mit 1 'Textfigur) . Über den Einfluss des Alkoholgenusses auf die Harnsäurebildung und -Ausscheidung beim Menschen. Von Dr. phil. Karl Krieger, Arzt, Apotheker und Nahrungsmittelchemiker . Elftes und zwölftes Heft. Ausgegeben am 7. November 1916. Untersuchung des menschlichen Herzens in verschiedenen Lebens- altern in bezug auf die Grössenverhältnisse der Fasern und Kerne. Von P. Schiefferdecker. (Ausgeführt mit Unterstützung des Elisabeth T'hompson-Seience-Fund) Adrenalin und Nebennieren. Erster Teil. Komprimierung der Nebennieren und Adrenalin. Von Prof. Dr. L. Popielski, Direktor des Instituts. (Mit 5 Textfiguren und Tafel I—IIl.) (Aus dem Institut für experimentelle Pharmakologie der Universität Lemberg) . ae Adrenalin und Nebennieren. Zweiter Teil. Normales Blut, Nn. splanchn. und Adrenalin. Von Prof. Dr. L. Popielski, Direktor des Instituts. (Mit 1 'l'extfigur.) Aus dem In- stitut für experimentelle Pharmakologie der Universität Lemberg) . Quantitative pharmakologische Untersuchungen über die Reflex- funktionen des Rückenmarkes an Warmblütern. IV. Mit- teilung. Vergleich der Wirkung von Äther und Chloroform nebst Versuchen am Rückenmarkshund. Von W. Storm van Leeuwen, Konservator des Instituts. (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht). Zur Theorie des Kugelexzenters auf Grund des Zweikreise- berührungsproblems beim Kreis im Kreise. Von J. Mühsam. (Mit 1 Textfigur) RN ANE = Refraktärstadien in sensorischen Zentren. Von Dr. Hans Henning, Privatdozent in Frankfurt a. M... 445 452 419 499 an (or) [X EX [0 0) m 594 999 605 Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität. Von Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Goldscheider. (Mit 2 Textfiguren.) I. Beschreibung des Phänomens. Wenn man eine Hautfalte mit den Fingern so quetscht, dass ein Schmerz entsteht, und den Druck nunmehr konstant bleiben lässt, so tritt nach einiger Zeit eine Abnahme des Schmerzes ein, welche allmählich immer auffälliger wird. Nach einigen Minuten blasst der Schmerz vollständig bis zu einer Empfindung des Druckes ab; zuweilen bleibt bei der Druckempfindung ein ganz leichtes Weh- gefühl bestehen. Beim Öffnen der Finger pflezt dann eine flüchtige ‘Schmerzempfindung aufzutreten. Besser bedient man sich einer kleinen Gefässklemme, wie man sie im Laboratorium bei Tieroperationen verwendet. Durch eine Schraubenvorrichtung, welche ich anbringen liess, kann die Druckwirkung der Klemme noch verstärkt werden (Fie.]). Der Kneifschmerz wächst zu- nächst, nimmt dann nach eini- Fig.1. Die Klemme ist zur Verdeutlichung ‚gen, etwa 2—5 Minuten und leicht geöffnet gezeichnet. In Wirklichkeit ist sie im Ruhezustand geschlossen. Natür- liche Grösse. länger, ab und verschwindet nach weiteren 2—3 Minuten fast vollständig!); es kann vorkommen, dass eine sehr leichte oszillierende Schmerzempfindung zurückbleibt, häufig aber blasst der Schmerz vollkommen ab. Es sind nicht alle Stellen der Haut in 1) An manchen Hautstellen, zum Beispiel der straffen Haut des Hand- tellers, dauert der Schmerz viel länger, 15—20 Minuten hindurch, an. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 1 2 Goldscheider: gleichem Maasse geeignet; an manchen erzeust die Klemme über- haupt keinen Schmerz). Zuweilen tritt nach dem Anlegen der Klemme zunächst nur eine Druckempfindung auf, welche sich alsbald zum Schmerz entwickelt. Ist der Zeitpunkt erreicht, in welchem der Schmerz ganz oder nahezu verschwunden ist, was je nach der Hautstelle sehr ver- schieden lange dauert, so erzeugt das Entfernen der Klemme einen schnell vorübergehenden, aber oft recht unangenehmen Schmerz. Derselbe kann nieht etwa dadurch bedingt sein, dass die Haut beim Abnehmen der Klemme gezerrt wird. Die Konstruktion der Gefässklemme ist bekanntlich so, dass beim Druck auf die beiden Arme der Klemme die sich kreuzenden Enden sich voneinander ent- fernen, ohne dass irgendwelche Zerrung ausgeübt wird. Der Schmerz wird vielmehr lediglich dadurch bewirkt, dass die komprimierte Haut sich ausdehnt. Für die Richtigkeit der Deutung spricht, dass man den Schmerz durch allmähliches Lösen der Klemme verringern, ja bei sehr langsamem Vorgehen fast ganz vermeiden kann. Anderer- seits kann man den Schmerz von neuem anfachen, wenn man nach Lösung der Klemme die Haut an der betreffenden Stelle mit den Fingern auseinanderzieht. Löst man die Klemme, ehe der Zeitpunkt der Schmerzlosiekeit erreicht ist, so kann dieser Vorgang zwar auch eine schmerzhafte Empfindung erzeugen, aber von viel geringerer Intensität. Letzere zeigt eine deutliche Abhängiekeit von der Dauer des Klemmendrucks; kurz nach Anlegung der Klemme vollzieht sich die Abnahme der- selben ohne jedes Auftreten einer Empfindung: der vorhandene Kneif- schmerz verschwindet einfach. Hat die Klemme etwas länger gelegen, so entsteht bei der Lösung derselben eine leichte, noch nieht schmerz- hafte Empfindung des Gequetschtwerdens usw. Je längerer Zeit es be- durfte, den Kompressionsschmerz zum Verschwinden zu bringen, um so grösser ist der Schmerz bei der Entfernung der Klemme; er kaun unter Umständen (zum Beispiel am Handteller) ausserordentlich stark sein. Der Schmerz, welcher bei der Entfernung der Klemme auftritt, hat die grösste Ähnlichkeit mit dem beim Kneifen entstehenden, nur dass er mehr von innen heraus erfolgt, ähnlich wie ein neuralgischer Schmerz. Er steigt steil an und klingt schnell, aber immerhin nicht 1) Es handelt sich bei dem Abblassen und Verschwinden des Schmerzes um eine Anpassungserscheinung. Dieselbe hängt neben anderem von der Straff- heit des Gewebes ab. Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität. 3 so plötzlich ab, als er entstanden war. Der Schmerz kann den durch die Kompression bedingten primären Schmerz in seiner Intensität übertreffen, was damit zusammenhängt, dass die gequetschte Stelle hyperalgetisch wird (s. unten). Zieht man nach Entfernung der Klemme die eingedrückte Stelle auseinander, so wird der Schmerz noch verstärkt bzw. neu erzeugt). Die Hautklemme erzeugt ausser dem lokalen Schmerz noch eine sich auf einen mehr oder weniger grossen Bezirk ausbreitende Hyperalgesie. Dieselbe beginnt einige Sekunden nach Anbringung der Klemme und wächst allmählich. Sie entwickelt sich um so schneller und wird um so stärker, je grösser der primäre, durch die Klemme hervor- Fig. 2. + Klemme. Die punktierte Linie gibt den hyperalgetischen Bezirk an. gerufene Schmerz ist. Sobald letzterer abnimmt, wird auch die Hyperalgesie schwächer, bis zum völligen Erlöschen. Wird die Klemme bei noch bestehendem Schmerz entfernt, so nimmt die Hyperalgesie akut ab, kann aber bis zum völligen Erlöschen noch einige Sekunden beanspruchen. Wie die Hyperalgesie an Intensität zunimmt, so auch an Ausdehnung. Das betroffene Gebiet erstreckt sich vorzugsweise proximalwärts, viel weniger distalwärts von der Klemme und bildet einen Streifen, aessen Breite wie Länge von der Stärke des primären Schmerzes und der Zeitdauer seines Bestehens beeinflusst wird. Häufig nimmt das hyperalgetische Feld in proximaler Rich- tung an Breite zu. Die seitliche Ausdehnung ist meistens eine gleichmässige, aber auch Asymmetrien sind nicht selten, wie auch unregelmässige Formen der Begrenzung der Felder vorkommen. Die Klemme kann im hyperalgetischen Felde eine ganz exzentrische Lage einnehmen. Die Grenzen der hyperalgetischen Felder sind unscharf, da die Überempfindlichkeit allmählich abnimmt, und 1) Vgl. bezüglich der vorstehenden Beschreibung meine Arbeit: „Über Schmerz und Schmerzbehandlung“ (Zeitschr. f. physik. u. diätet. Therapie Bd. 19. 1915), aus welcher dieselbe übernommen ist. ] * 4 Goldscheider: meist bogenförmig, nicht gezackt, hier und da geradlinig. Wenn auch die distale Verbreitung meist geringer ist als die proximale, so kommt doch an manchen Körperstellen auch eine recht aus- gesprochene distale Hyperalgesie vor. Die Hyperalzesie äussert sich darin, dass Berührungen und Streichen der Haut zum Beispiel mit einem senkrecht aufgesetzten Haarpinsel ein schinerzhaftes Gefühl des Wundseins, leichte Nadel- stiche eine sich ausbreitende schmerzhafte Empfindung, gleichfalls dem Wundsein ähnlich, erzeugen. Leichte spitze Berührung zum Beispiel mit einer Bleistiftspitze wird schmerzhaft empfunden, an manchen Punkten mehr, an manchen weniger. Zusammendrücken einer Hautfalte er- zeust ein schmerzhaftes Brennen. Druck auf die Muskeln und Knochen erscheint schmerzhaft. Ja, die tiefe Sensibilität ist ganz besonders be- teiliet (s. unten). Bei starker Ausprägung der Hyperalgesie können selbst leichte Berührungen. eine stechende Empfindung hervorrufen. Der schmerzhafte Eindruck bei diesen Reizen ist nicht etwa darauf zu beziehen, dass die eingeklemmte Hautpartie durch Fort- eitung gezerrt oder bewegt werde (s. S. 11), oder dass die Berührungs- empfindung sich einfach mit dem primären .Schmerz mischt. Auch mittels der Kathode des konstanten Stroms kann man einen lokalen Schmerz mit einem hyperalgetischen Felde hervorrufen. Die Hyperalgesie überdauert ein wenig den elektrischen Kontakt. — Die folgenden Erörterungen beziehen sich ausschliesslich auf die durch die Klemme ausgelöste Hyperalgesie. Pathologisch bedingte Schmerzen erzeugen in derselben Weise wie der Klemmenschmerz während ihrer Dauer eine verbreitete Hyperalgesie. Ich erzeugte an meinem Unterarm durch momentane Berührung mit stark erhitztem Metall. einen Verbrennungsschmerz, welcher nicht bloss lokal lange nachdauernd empfunden wurde, sondern auch sofort ein weitreichendes, ebenso lange andauerndes proximales (und in geringerem Maasse ein distales) hyperalgetisches Feld erzeugte. Der Klemmversuch lässt die enge funktionelle Zusammengehörig- keit der Haut- und Tiefensensibilität erkennen. Der durch die Klemme erzeugte Schmerz ist ein Hautschmerz, nicht etwa ein vom sub- kutanen Gewebe abzuleitender Schmerz. Wenn man die Haut mittels der Klemme so vorsichtig fasst, dass die Abhebung derselben vom tieferen Gewebe minimal ist, wobei eine nennenswerte Reizung der Subeutis nicht zustande kommen kann, so tritt die Hyperalgesie und Irradiation im Gebiete der Tiefensensibilität trotzdem auf. Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität. 5 II. Natur der hyperalgetischen Bezirke. Der Umstand, dass die hyperalgetischen Bezirke sich nicht rund um die Klemme als Mittelpunkt anordnen, sondern an den Extremi- täten längsgestellt sind und proximal sich weiter ausdehnen als distal, lässt an Beziehungen zur Innervation denken. In demselben Sinne spricht die Gestalt und Orientierung der Bezirke am Rumpf. An der Brusthaut entstehen quereestellte, am Bauch schräg gegen | die Mittellinie hin abwärtsziehende, in beiden Fällen parallelstreifig begrenzte hyperalgetische Felder. Ferner hält sich die Hyperalgesie an gewisse feste Grenzen der Innervationsgebiete: So wird bei An- bringung der Klemme am Oberschenkel die Inguinalfalte kaum über- schritten. An der Brust und dem Bauch schneiden die hyperalge- tischen Bezirke an der Mittellinie ab, welche sie nur um wenige Millimeter überragen. Die von verschiedenen Stellen aus erzeugten hyperalgetischen Felder setzen sich zum Teil voneinander ab, zum Teil überlagern sie sich um kleinere oder grössere Strecken. Handelt es sich nun um peripherische oder spinale Territorien? Um diese Frage zu entscheiden, muss man möglichst starke Schmerz- reize anwenden; denn es wurde bereits gesagt, dass die Ausdehnung des hyperalgetischen Feldes mit der Intensität des Reizes wächst. Man erhält daher bei Reizen von ungenügender Stärke unvollständige Felder. Vielfältige mit starken Quetschreizen angestellte Versuche haben mir. nun ergeben, dass die hyperalgetischen Gebiete genau den spinalen (radikulären) Innervationsbezirken entsprechen. Man bedient sich amı besten der Prüfung der Tiefensensibilität, indem man mit einem Stück Kork oder einem Holzstäbehen mit abgerundetem Ende einen mässigen Druck ausübt. Die Untersuchung der Hauthyperalgesie lässt den vollen Umfang des Gebietes nicht sicher erkennen. Die hyperalgetischen Felder stellen sich als streifige Gebilde von grosser Länge dar, zum Beispiel bei Anheftung der Klemme an der Schwimm- haut zwischen den Fingern bis zum Oberarm reichend. Die Axial- linien der Extremitäten kommen als Grenzen gut heraus. In der Höhe der Klemme zeigt der hyperalgetische Bezirk eine leichte Aus- buchtung in querer Richtung; im übrigen ist er ziemlich geradlinig begrenzt. Eine gewisse Überlagerung der Gebiete, wie es von den spinalen Bezirken bekannt ist, ist häufig festzustellen (s. oben); manche Grenzen aber erweisen sich als scharf und konstant. Am Rumpf ist die Begrenzung der hyperalgetischen Felder der Brust- und Bauchhaut durch die Mittellinie ganz frappant. Man 6 Goldscheider: mag die Klemme noch so nahe an die Mittellinie legen, so findet man die letztere doch nur um Millimeter überschritten, während sich nach hinten die Hyperalgesie weithin erstreckt. Die Gebiete der Nervi eutanai anteriores und laterales prägen sich nicht als von- einander geschieden aus. Klemmen, welche im Bereich der laterales gesetzt werden, erzeugen Hyperalgesie bis fast zur vorderen Mittel- linie, solehe in der Nähe der letzeren bis weit in das Gebiet der Nervi laterales. An der Brust kann das hyperalgetische Feld eine Breite von drei Interkostalräumen besitzen. Am Bauch verlaufen sie, wie bereits erwähnt, schräg nach vorn und unten, an der Brust ist gleichfalls eine, aber viel geringere Neigung vorhanden. Stets sind die Felder an Brust und Bauch parallelstreifig begrenzt. Zur Technik möchte ich bemerken, dass an der Bauchhaut wegen ihrer physiologisch geringeren Schmerzhaftigkeit und ihrer Schlaffheit der Nachweis der Hyperalgesie schwieriger ist. Die letzere ist, wie an den Extremitäten proximal, d. h. nach hinten stärker entwickelt als .distal, was aber wegen der vorn strafferen Haut nicht leicht zu er- kennen ist. Wenn man durch gereckte Haltung oder Pressen die Haut stärker spannen lässt, so wird die Untersuchung erleichtert. Die Inguinalfalte bildet, wie erwähnt, eine scharfe Grenze, welche von oben oder unten her in manchen Versuchen gar nicht, in anderen nur wenig (medialwärts) überlagert wird. Klemmen dicht oberhalb derselben erzeugen sofort ein schräg von unten innen nach oben aussen verlaufendes parallelstreifig begrenztes Feld. Nähere Angaben über die Topographie der hyperalgetischen Felder werden an anderer Stelle gebracht werden. Dass der Sitz der Irradiation und Hyperalgesie nicht in der Peripherie, sondern in zentralen Leitungsbahnen gesucht werden muss, geht aus folgenden Momenten hervor: | 1. Die Bezirke entsprechen den spinalen mehr als den peri- pherischen. 2. Es ist nieht anzunehmen, dass so zahlreiche peripherische Anastomosen existieren, wie sie angenommen werden müssten, um die grosse Ausdehnung der Felder zu erklären. 3. Die der Tiefensensibilität dienenden Leitungswege verlaufen, wie man jetzt annimmt, in der Peripherie zum Teil getrennt von denjenigen der kutanen Sensibilität. Wenn der Hautreiz eine Hyperalgesie im Bereiche der Tiefensensibilität erzeugt, so kann dies also nur durch Vermittlung des Hinterhorns geschehen. Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität. 7 III. Erregbarkeitsverhältnisse im hyperalgetischen Felde. Die Hyperalgesie durchläuft eine zeitliche Kurve, derart, dass sie schnell ansteigt, sich einige Zeit auf der Höhe hält und dann allmählich absinkt, entsprechend dem primären Schmerz an der von der Klemme gefassten Stelle. Zuweilen schliesst sich an das erste Ansteigen des Schmerzes eine weitere allmähliche Steigerung desselben an, welcher die Hyperalgesie parallel geht. Da nicht bloss die Intensität der letzteren, sondern auch ihre Ausbreitung von der Stärke des primären Schmerzes abhänet, so kommt es vor, dass während der Sensibilitätsprüfung die Hyperalgesie an Intensität und Ausdehnung zunimmt, um weiterhin wieder abzunehmen. Die Hyperalgesie ist proximal stärker ausgesprochen und weiter ausgedehnt als distal; in dem sich unmittelbar an die Klemme an- schliessenden distalen Gebiet ist sie jedoch ebenso stark als in dem proximalen. Innerhalb des hyperalgetischen Feldes ist die Hyper- algesie nicht eleichmässig entwickelt; vielmehr ist sie in der unmittel- baren Umgebung der Klemme am stärksten; hier besteht eine Art von Kerngebiet der Hyperalgesie, von wo aus die letztere nun nach den Grenzen des Feldes hin allmählich abnimmt. Die Grenzen sind daher unscharf. Nach dem Entfernen der Klemme bildet sich die Hyperalgesie sofort zurück bis auf einen kleinen, an die Klemme proximal angrenzenden Bezirk, in welchem sie sich noch kurze Zeit erhält. Die tiefe Sensibilität ist, wie schon bemerkt, in grösserer räum- licher Ausdehnung an der Hyperalgesie beteiligt als die oberfläch- liche. Schon gelinder Druck auf die Muskeln kann eine schmerzhafte Empfindung hervorbringen; ebenso ist der Druck auf die Knochen schmerzhaft !). Schon normalerweise kann man sich leicht davon überzeugen, dass beim tiefen Eindruck mit der Fingerspitze einzelne Stellen sich in höherem Grade empfindlich zeigen als andere. Diese Stellen 1) Es handelt sich nicht etwa nur darum, dass der in die Tiefe gerichtete Druck durch seine grössere Stärke der Schmerzschwelle näher kommt. Die Tiefen- schmerzhaftigkeit kann den an derselben Stelle durch Zusammenpressen einer Hautfalte hervorgerufenen Schmerz bedeutend übertreffen. Wenn man mit dem Finger so über die tieferen Gebilde gleitet, dass man die Haut mit dem Finger verschiebt, so vermag schon gelinder Druck deutlichen Tiefenschmerz an be- sonderen Stellen zu erzeugen. 5 Goldscheider: sind beständig. Sie entsprechen ohne Zweifel Nervenästen und den Nerveneintrittsstellen in die Muskeln (zusammenfallend mit den elektro- motorischen Muskelpunkten). Sie finden sich nicht bloss an den Weichteilen, sondern auch an den Knochenflächen und -rändern. Wenn man in einem Gebiete Hyperalgesie erzeugt hat, so finden sich auch diese Stellen von besonders gesteigerter Empfindlichkeit. Tiefendruck ist hier vorzugsweise schmerzhaft. Diese Schmerz- druckstellen prägen sich in der unmittelbaren Empfindung nicht aus, man kann sie nur dadurch feststellen, dass man sie sucht. Sie fanden sich bei der Anbringung der Klemme am Handgelenk oder an der Schwimmhaut zwischen den Fingern bis zum Ellbogen hinauf und höher. Auch grössere Nervenstämme können druckschmerzhaft werden, zum Beispiel der Medianus am Handgelenk bei der Befesti- gung der Klemme am Handteller. Die Verbreitung der Schmerz- druckstellen wächst gleichfalls mit der Intensität des primären Schmerzes und mit seiner Dauer. Es ist daher recht wohl denkbar, dass ein starker und anhaltender Schmerz, welcher durch innere Ursachen bedingt ist (Neuralgie usw.), ganz entfernte Schmerzdruck- punkte erzeugt, was klinisch von Interesse ist. | Diese Stellen gesteigerter Tiefensensibilität reichen, wie die gesamte Hyperalgesie der letzteren, weiter als die Hauthyperalgesie. Anhaltender geringer Druck im hyperalgetischen Gebiet kann zu. einer wachsenden Schmerzempfindung führen (Summationsphänomen). Hierher gehört auch eine gleichfalls häufig zu machende Beobachtung: dass nämlich ein taktiler Reiz ausser dem schmerzhaften oberflächlich und scharf umschrieben empfundenen Schmerz noch eine tiefer ge- legene, breitere, diffundierende und zugleich nachdauernde Schmerz- empfindung erzeugt. n Durch die Hauthyperalgesie können Hautstellen, welche physio- logisch wenig sensibel sind, wie zum Beispiel die den inneren Knöchel des Fussgelenks bedeckende Haut, eine hohe Empfindlichkeit erlangen. Wenn man Druckpunkte und sogenannte Schmerzpunkte auf der Haut aufsucht und bezeichnet und nun die Klemme so anlest, dass dieselben in das hyperalgetische Feld zu liegen kommen, so kann man folgendes feststellen: bei senkrechtem leichten Eindruck einer feingespitzten Nadel reagieren die Punkte sofort mit Schmerz, und zwar die Druckpunkte mit der körnig quetschenden Schmerzempfin- dung, welche ihnen sonst bei stärkerer Reizung eigen ist; die Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität. (0) Schmerzpunkte mit fein stechendem Schmerz. Bei steigender oder von Anfang an sehr starker Hyperalgesie wird auch die Zwischen- haut schmerzhaft, so dass fast jeder Punkt derselben eine Schmerz- empfindung ergibt. Immerhin mit gewissen Unterschieden derart, dass an manchen Punkten mehr, an anderen weniger Schmerz auf- tritt. Einzelne analgetische Punkte sind auch hierbei vorhanden. Für die Lehre von den spezifischen Schmerznerven ist diese Be- obachtung nicht sehr günstig (vergleiche jedoch die Anmerkung Abschnitt V). Die gesteigerte Empfindlichkeit äussert sich nicht bloss in einer Hyperalgesie, sondern auch in einer wirklichen Hyperästhesie. Leichteste Berührungen mit einem gespitzten Hölzchen oder Haarpinsel erzeugen eine erhöhte und verschärfte Druckempfindung mit auf- fälliger Nachdauer (ein „Summen“), auch ein langdauerndes Kriebeln oder Priekeln. Leichteste Berührungen mit einer Nadel erscheinen feiner, spitziger, ohne deshalb schon schmerzhaft zu sein. Bei ge- ringer Verstärkung der Reize tritt dann gewöhnlich Schmerz auf, es komnit aber auch vor (besonders im Randgebiet des Feldes), dass Hyperästhesie ohne ausgesprochene Hyperalgesie besteht. Das hyper- algetische Feld prägt: sich in dem spontanen subjektiven Empfinden in der Regel relativ wenig aus. Erst bei der objektiven Sensibilitäts- prüfung wird die Hyperalgesie in ihrer ganzen Ausdehnung bemerkt. Dadurch erklärt es sich, dass bei schmerzhaften Zuständen entfernte Schmerzdruckpunkte vorhanden sein können, ohne dass der Leidende unmittelbar etwas davon empfindet. Ausser der Hyperalgesie tritt auch Hypästhesie auf. Die- selbe ist um so stärker, je grösser der primäre Klemmschmerz ist, wächst also mit der Hyperalgesie. Sie findet sich über das ganze hyperalgetische Feld verbreitet, ist distal meist stärker ausgesprochen als proximal und am meisten in dem unmittelbar distal von der Klemme belegenen Bezirk entwickelt. Es kommt aber auch vor, dass die Hypästhesie proximal mehr hervortritt als distal, oder dass sie beiderseits in gleicher Stärke besteht. Nach der Entfernung der Klemme bleibt die Hypästhesie im Gegensatz zur Hyperalgesie noch einige Zeit bestehen und bildet sich nur allmählich zurück; dies betrifft wieder vorwiegend den distalen Abschnitt und am meisten den unmittelbar an die Klemme angrenzenden Teil desselben. Die Hypästhesie ist an manchen Körperteilen mehr, an anderen weniger ausgesprochen (so erscheint sie zum Beispiel an der 10 Goldscheider: Brust und der vorderen Oberschenkelfläche weniger auffällig), aber sie fehlt nie. Die Hypästhesie betrifft sowohl die taktile wie die Temperatur- empfindlichkeit (s. unten). Leiseste Berührungen werden nicht emp- funden, die spezifische Druckempfindung ist abgestumpft; der senk- recht aufgesetzte Pinsel erscheint glatt, die Kitzelempfindung bei leichten Berührungen fehlt. Schon bei geringer Steigerung des: Reizes tritt Schmerz auf (sogenannte relative Hyperästhesie). Während normalerweise das Aufsetzen einer Nadelspitze eine spitzige Tastempfindung und sodann einen Schmerz hervorruft, tritt hier die erstere zurück, erscheint breiter und stumpfer oder fehlt ganz, bei zugleich erhöhter Schmerzempfindung. Von besonderem Interesse ist es, dass die Hypästhesie das hyperalgetische Hautgebiet meist ein wenig überragt (nicht aber das Gebiet der hyperalgetischen Tiefensensibilität), so dass dasselbe von einem hypästhetischen Rande umgeben ist. Der Rand wird am besten mittels feiner Pinselstriche nachgewiesen. Er kann schmaler oder breiter sein, auch ganz fehlen; es kommt übrigens auch das Umgekehrte vor, dass die Hauthyperalgesie weiter reicht als die Hypästhesie. Am proximalen Ende ist der hypästhetische Rand zwar sicher, aber doch weniger deutlich nachzuweisen als an den Seiten- teilen und dem distalen Ende. An letzerem überraet die Hypästhesie den hyperalgetischen Bezirk oft bedeutend. Die Feststellung der Hypästhesie kann sehr schwierig sein, weil sich die Erregbarkeitsverhältnisse oft schnell verändern. Ein Rand- stück, welches Soeben noch hypästhetisch erschien, kann schon bei der nächsten Berührung hyperästhetisch sein. Die distale Hypästhesie beruht nicht etwa auf einer Kompression sensibler Nervenzweige, denn sie hält durchaus die Grenzen der Innervationsbezirke ein, deren Verbreitung die hyperalgetischen Fel- der folgen. Es entsteht leicht der Eindruck, dass die Hypästhesie nach der Abnahme der Klemme stärker werde als vorher, aber die genauere Untersuchung zeigt, dass dieser Anschein nur dadurch bedinst ist, dass der Schmerz und die Hyperalgesie die Feststellung der Hypästhesie erschwerte; in Wirklichkeit bleibt nach der Entfernung der Klemme die Hypästhesie übrig, während die Hyperalgesie verschwindet. Eine Ausbreitung der Hypästhesie auf benachbarte Innervationsbezirke Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität. 1] wurde nie bemerkt, jedoch kommt zuweilen eine sich in die Nachbar- schaft verbreitende subjektive Vertaubungsempfindung vor. Wendet man eine Klemme von schwachem Federdruck an, welche nur einen Druck, aber keinen Schmerz erzeugt, so ist keine Hyperalgesie, wohl aber eine sehr geringe Hypästhesie für taktile Reize in einem kleinen distalen Bezirk nachzuweisen. Ein schnell vorübergehender Schmerzreiz erzeugt gleichfalls Hypästhesie. Die Hyperalgesie ist auch mittels des konstanten und unter- brochenen Stromes nachzuweisen. Sowohl die Kathode wie die Anode erzeugen bei Stromstärken, welche sonst unterhalb der Schmerzsch welle liesen, einen brennenden Schmerz, und zwar sowohl bei Schliessungen wie bei Dauerkontakt'). Bei letzerem tritt die Steigerung der Schmerz- empfindlichkeit besonders deutlich hervor. Am besten bedient man sich zweier knopfförmiger Elektroden, welche man dicht neben- einander aufsetzt, um ausgedehnte Stromschleifen zu vermeiden. Letzere wirken besonders beim unterbrochenen Strom störend und erzeugen zugleich Hemmungswirkungen (s. unten). Bei dieser An- ordnung löst der unterbrochene Strom eine doppelte Schmerz- empfindung aus: zunächst ist das Priekeln von erhöhter Schmerz- haftigkeit (während es zugleich zuweilen weniger scharf erscheint, analog der taktilen, relativen Hyperästhesie), und ferner tritt häufig ein tiefer liegender, diffuser, ziehend-kneifender Schmerz auf, welcher nach Absetzung der elektrischen Reizung nachdauern kann. Der- selbe ist als ein Summationsschmerz, analog der von Gad und mir seinerzeit beschriebenen sekundären Schmerzempfindung, anzusehen. Er ist deutlich von dem primären Schmerz zu unterscheiden. Am auffälligsten treten diese Erscheinungen im hyperalgetischen Kern- gebiet hervor. Dass einzelne Schliessungs- und Öffnungserresungen den Schmerz nicht so deutlich erzeugen, dürfte mit der ınomentanen Dauer der Reizung zusammenhängen. Auch die Hypästhesie ist durch elektrische Reizung in der Um- sebung der Klemme nachzuweisen. Die Kombination derselben mit der Hyperalgesie entspricht dem klinisch als relative Hyperästhesie bezeichneten Erregbarkeitszustande (s. oben). Auf einen bemerkenswerten Einfluss der elektrischen Reizung auf den primären Klemmschmerz wird unten einzugehen sein. 1) Hierdurch wird auch bewiesen, dass die Schmerzhaftigkeit taktiler Reize nicht etwa darauf beruht, dass durch den mechanischen Eindruck Zerrungen an der geklemmten Stelle ausgelöst werden (s. S. 4). 12 Goldscheider: Temperaturempfindung. Im hyperalgetischen Felde zeigt auch die Temperaturempfindlichkeit gewisse Beeinflussungen. Die auffälligste Erscheinung besteht darin, dass Kältereize Schmerz hervorrufen, am deutlichsten im hyperalgetischen Kerngebiet. Nicht bloss mit kalten Flächenreizen, sondern auch mittels punktförmiger Reizung einzelner Kältepunkte lässt sich diese Erscheinung feststellen. Die Kälteempfindung als solche kann dabei abgeschwächt sein, ist aber von einer Schmerzempfindung begleitet, welche nicht selten eine auffällige Nachdauer erkennen lässt. Es ist dies nicht bei allen Kältepunkten in gleichem Maasse der Fall; am ausgesprochen- sten bei solchen, welche Druckpunkten unmittelbar benachbart sind. Wenn die abgerundete Metalispitze, welche zur Reizung. benutzt wird, so weit erwärmt wird, dass sie einen für die Temperaturnerven indifferenten Reiz darstellt, so entsteht bei leichter Berührung der Kältepunkte kein Schmerz. Über die Erklärung dieser Erscheinung vel. das unten Gesagte. Ausserdem entsteht sehr häufig der Eindruck, dass die Kälte- empfindung selbst erhöht sei. Zunächst ist hier aufzuführen, dass zuweilen eine subjektive ausgebreitete kühle Empfindung schnell vorübergehend wie ein Kältehauch auftritt. Regelmässiger wird be- obachtet, dass Kältereize eine auffallend starke Kälteempfindung mit lange anhaltender Nachempfindung erzeugen, sowohl bei flächen- hafter wie bei punktförmiger Reizung. Die sonst nach mehrfacher Reizung eintretende Abschwächung der Kälteempfindung scheint zu fehlen. Dieser Zustand ist von kurzer, etwa 2—3 Minuten be- tragender Dauer und wird nur bei starker Hyperalgesie beobachtet. Oft-erscheint die Empfindung eisig bzw. eisig-brennend; Übergänge zur schmerzhaft-stechenden Empfindung kommen vor. Es ist sehr schwierig, darüber ins klare zu kommen, ob es sich um eine wirkliche Steigerung der Kälteempfindung o«der nicht vielmehr um eine Mit- erregung sensibler Hautnerven (leichte Druck-, Spannungs- und Schmerzempfindungen) handelt. Die Schwierigkeit wird. dadurch erhöht, dass der Kleimmschmerz die Beobachtung stört. Man muss sich erst daran gewöhnen, während des Bestehens des letzteren- derartige Sinnesbeobachtungen zu machen. Wahrscheinlich ist die „eisige“ Empfindung überhaupt keine reine Temperaturempfindung,. sondern eine mit sensiblen Erregungen gemischte. Hierfür spricht, dass starke Kälteempfindungen überhaupt von einer schneideuden Empfindung begleitet sind und eine Nachempfindung hinterlassen, Uber Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität. 13 welche derjenigen ähnlich ist, die von einer Druckempfindung zurück- bleibt. Ferner die Beobachtung, dass die eisige Empfindung ge- lesentlich auch dort wahrgenommen wurde, wo die Kälteempfindlichkeit in Wirklichkeit herabgesetzt war. Die anscheinend gesteigerte Kälteempfindlichkeit wechselt zeit- lich mit Herabsetzung derselben. Es kann unmittelbar nach dem Anlegen der Klemme Kältehyperästhesie auftreten, welche abklingt und einer Kältehypästhesie Platz macht. Auch kann dicht bei der Klemme Hyper-, in einiger Entfernung Hypästhesie bestehen. Auch das Umgekehrte wird beobachtet: dass das Anlegen der Klemme zunächst von einer Hypästhesie gefolgt wird, welche dann vorüber- gehend in Hyperästhesie übergeht. Im kältehypästhetisehen Gebiet kann endlich eine flüchtige Hyperästhesie wieder aufflackern. Die genauere Prüfung mittels exakt temperierter punktförmiger Reizungen der Kältepunkte ergab nun regelmässig auch bei anscheinend ge- steigerter Empfindlichkeit eine Hypästhesie. Ich bediente mich eines an einem Stiel befestigten, dieken, soliden Kupferzylinders, welcher nach unten eine in eine Spitze auslaufende kegelförmige Verjüngung besitzt. In dem Metallzylinder befindet sich eine bis in die Nähe der Spitze gehende Bohrung, in welche ein Thermometer eingelassen werden kann. Es wurde sowohl eine Verschiebung der Reizschwelle wie eine Herabsetzung der Empfindung bei gleichbleibender Reizung festgestellt. Zum Beispiel: An der Beugefläche des Unterarms werden Kältepunkte bestimmt. Schwelle 29,50 C. 290 C. erzeugen eine deutlich kühle, 28,50 C. eine kalte Empfindung. Die Klemme wird so angelegt, dass die Kältepunkte in das proximale hyperalgetische Kerngebiet zu liegen kommen. Die nunmehrige Prüfung ergibt, dass sich die Schwelle bei 28,5° C. be- findet. 27,75°C. erzeugen eine kalte Empfindung wie sonst 28,5 C. Eine Abnahme der Hauttemperatur war nicht erfolgt. Die Kältehypästhesie beruht nicht etwa auf einer Überlagerung der Empfindung durch Klemmschmerz, denn seitlich von der Klemme in geringer Entfernung von derselben wird Kälte ebenso deutlich als vor Anlegung der Klemme empfunden. Die Kältehypästhesie schwankt; es kommt vor, dass sie sich nach Anlegung der Klemme sehr schnell entwickelt und dann, obwohl dieselbe liegen bleibt, etwas nachlässt. Sie ist distal wie proximal vorhanden. Es erscheint mir hiernach zweifelhaft, ob es sich bei den vorher mitgeteilten Beobachtungen um eine wirkliche Hyperästhesie 14 Goldscheider: der Kälteempfindung handelt. Undenkbar wäre dies immerhin nicht, da ja auch Hyperästhesie der Drucknerven neben der Hyperalgesie beobachtet worden ist (s. oben). Nach der Entfernung der Klemme besteht durchweg Kältehypästhesie, welche sich allmählich verliert. Ganz ähnlich verhält sich die Wärmeempfindung. Auch bei Wärmereizen kann im hyperalgetischen Gebiet der Eindruck einer erhöhten Wärmeempfindung entstehen. Die Beobachtungen fallen sehr verschieden aus. Zuweilen fehlt dieser Eindruck voll- ständig, zuweilen ist er vorhanden; es scheint dann, dass sogar schwache Wärmereize eine wirkliche Wärmeempfindung, nicht eine brennende oder heisse Empfindung hervorrufen; meistens freilich handelt es sich um brennend warme oder heisse Sensationen. Dass der brennende Charakter nichts mit der Wärmeempfindung als solcher zu tun hat, geht daraus hervor, dass auch die durch die eintretende Wärmehypästhesie abgeschwächten Wärmeempfindungen brennend sein können. Man kann im hyperalgetischen Felde den Übergang der warmen brennenden Empfindung in eine abgeschwächte Wärmeempfindung, welche aber von dem gleichen Brennen begleitet ist, bei Anwendung des gleichen Wärmereizes beobachten. Auch im Gebiet des Wärmesinns beobachten wir im hyperalgetischen Felde den Wechsel von scheinbarer Hyperästhesie mit Hypästhesie, auch das gleichzeitige Vorkommen eines scheinbar hyperästhetischen Be- zirkes (in der Umgebung der Klemme) innerhalb eines grösseren hypästhetischen. Die brennende heisse Empfindung ist zuweilen geradezu überraschend: selbst ein minimaler Reiz kann dann eine Empfindung wie von heissem Wasser hervorrufen. Diese Zustände von gesteigerter Empfindlichkeit sind vorübergehend. Auch subjektive Wärmeempfindung kommt .nach dem An- legen der Klemme gelegentlich vor. Die Prüfung mit dem adäquaten Reiz schien bei diesem schnell vorübergehenden Zustand eine erhöhte reine Wärmeempfindung ohne Brennen zu ergeben. Einmal gelang es, diese subjektive Empfindung an einer Stelle (Kleinfingerballen) zu erzeugen, an welcher vorher festgestellt worden war, dass ein Reiz von 33° C. eine nur eben merkliche lauliche Empfindung er- zeuste. Jetzt wurde derselbe Reiz deutlich warm empfunden, während er geraume Zeit nach dem Versuch wieder dieselbe lauliche Empfindung hervorrief wie vorher. Freilich kann es sich hier um eine Vermischung mit der subjektiven Wärmeempfindung gehandelt haben. Auch Versuche folgender Art wurden ausgeführt: Im hyper- Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität. 15 algetischen Felde wurde eine Stelle gefunden (meist am Rande des -hyperalgetischen Kerngebietes gelegen), wo die Reizung mit Schwellen- reizen (33—832,5 ° C.) eine auffällige lebhafte Wärmeempfinduug erzeuste;, nunmehr wurde die Klemme entfernt, und jetzt trat bei gleichem Reiz nur eine lauliche Empfindung auf, welche nach er- neutem Anlegen der Klemme sehr bald wieder an derselben Stelle einer stärkeren Wärmeempfindung Platz machte. Es ist erforderlich, dass für diese Versuche eine Stelle von sehr guter physiologischer Wärmeempfindliehkeit ausgesucht wird. Der Versuch gelang öfter, und zwar an verschiedenen Hautgebieten, jedoch das negative Ergebnis war häufiger als das positive. Entsprechende Versuche wurden übrigens auch für den Kälte- sinn angestellt, welche eleichfalls nicht entscheidend und gleichmässig ausfielen. Sollte eine wirkliche Wärmehyperästhesie vorkommen, so ist sie jedenfalls von äusserst flüchtiger Art. Die Versuche an einzelnen Wärmepunkten ergaben wie beim Kältesinn lediglich Hypästhesie. Die Hypästhesie ist um so stärker, je grösser der Kleinmschmerz ist und bessert sich mit dem Nachlasse desselben ein wenig, um nach der Entfernung der Klemme noch eine Zeitlang nachzudauern. Sie ist distal wie proximal vorhanden, zuweilen scheint die distale zu überwiegen. Die Wärmehypästhesie ist nicht etwa eine schein- bare, dadurch bedingte, dass die Wärmeempfindung durch den Klemm- schmerz überlagert wird, denn seitlich von der Klemme in der gleichen Entferaung ist trotz des Schmerzes unverminderte ne keit vorhanden. Sehr deutlich ist die Erhöhung des Wärmeschmerzes. Die- selbe lässt sich auch an einzelnen an Druckpunkte angrenzenden Wärmepunkten feststellen. Die beschriebenen Erscheinungen der Wärmehyperästhesie sind in der Hauptsache auf sensible Erregungen (Wärmeschmerz) zurück- zuführen: Brennen usw. Dieselben können auch bei verminderter Wärmeempfindung vorhanden sein. Schwache Wärmereize, welche bei der vorliegenden Wärmehypästhesie kaum Wärmeempfindung er- zeugen, können trotzdem stechend-brennende Empfindungen auslösen. Was die bekannte Frage betrifft, ob die Hitzeempfindung durch Miterregung von Kältenerven oder durch sensible Erregungen be- dingt ist, so sprechen die Beobachtungen entschieden für letzteres. Denn eine Überempfindlichkeit der Kältenerven ist fraglich, jeden- 16 Goldscheider: falls nicht regelmässig und nur ganz vorübergehend vorhanden. Hitzeempfindung kann sogar bei gleichzeitiger Wärmehypästhesie — bei welcher dann auch Kältehypästhesie besteht — vorhanden sein. Die Hypästhesie des Temperatursinns ist von geringerer räum- licher Ausdehnung als die taktile. Es wurde auch untersucht, ob unter dem Einfluss der Hyper- algesie die mechanische Erregbarkeit der Temperatursinnes- punkte gesteigert ist; ferner ob die Erregung der Wärmepunkte durch Kältereize bzw. der Kältepunkte durch Wärmereize leichter zustande kommt. Beides ist nicht der Fall. Nach der Entfernung der Klemme findet sich an den beiden eingedrückten Stellen noch für kurze Zeit eine Steigerung der Schmerzempfindliehkeit. Dabei ist die Empfindung für leichteste Berührungen und für Temperaturreize herabgesetzt, während etwas stärkere, aber immerhin noch leiehte Berührungen eine prickelnde Empfindung hervorrufen. Hatte die Klemme lange Zeit gelegen, so kann auch die Druckempfindung ganz aufgehoben sein, bei er- heblicher Steigerung der Schmerzempfindlichkeit. Juceken. Einer besonderen Beachtung bedarf ein im hyper- algetischen Felde nicht selten auftretendes unangenehmes Jucken, welches sowohl unmittelbar wie besonders nach dem Berühren und Streiehen der Haut auftritt und lange nachdauern kann. Am stärksten nehme ich das Jucken beim Klemmen der Fingerschwimmhaut wahr, und zwar besonders im Handteller , weniger stark an den Fingern selbst. Auch bei der Anbringung der Klemme am Handteller ist es sehr stark. Es ist ein schmerzliches Jucken, wie es auch bei Entzündung der Haut, besonders im Abheilungsstadium, auftritt. Recht deutlich findet sich das Jucken auch an der Unterleibshaut. Das Jucken bildet sich zunächst und hauptsächlich proximal, wenn es auch distal nicht fehlt. Leises Streichen erzeugt dasselbe deutlicher als starkes. Auch Kältereize lassen das Jucken besonders in der Nachempfindung hervortreten. Nach dem Abnehmen der Klemme dauert das Jucken noch ein wenig nach. Am Handrücken ist das Jucken nicht in so auffälliger Weise zu erzielen als am Handteller. Die Beziehungen des Juckens zur Hyperalgesie, beweisen, dass dasselbe eine dem Schmerz verwandte Empfindung ist. Es tritt unter ähnlichen Bedingungen wie der Schmerz auf. Wahrscheinlich ist es wie dieser ein Summationsphänomen. Besonders auffällig ist, Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilitä. 17 dass am Handteller an der Stelle der Befestigung der Klemme, wenn der Kompressionsschmerz nachlässt — was am Handteller sehr lange, 15—20 Minuten, dauern kann —, ein Jucken zurückbleibt. Wahr- scheinlich, weil es durch den Schmerz, mit welchem es gleichzeitig entsteht, bis dahin überlagert wurde. Eine Beziehung des Juckens zum Schmerz fand auch Thöle!). Derselbe untersuchte, in welcher Zeitfolge und Ausbreitung bei Er- zeugung von Rückenmarksanästhesie die verschiedenen Gefühls- qualitäten verschwanden bzw. zurückkehrten. Er ermittelte, dass nach Eintritt der Analgesie Schmerzreize Jucken erzeugen, und schliesst aus seinen mannigfachen Beobachtungen: Juckgefühl entsteht durch im Vergleich zum Schmerzgefühl geringere Reize normal reagierender Schmerzfasern oder durch gleich starke Reizung von vermindert er- regbaren Schmerzfasern. Kitzelempfindung verhalte sich zum Tast-ı sinn wie Juckempfindung zum Schmerzsinn. Aus meinen Beobachtungen ergibt sich freilich, dass das Jucken bei gesteigerter Erregbarkeit auftritt. Wenn Thöle’s Ansicht zutreffend wäre, so müsste ein unterschmerzlicher Reiz zunächst Jucken und bei weiterer Steigerung Schmerz erzeugen, bzw. es müsste bei Hypalgesie Jucken auftreten — während es sich in Wirklichkeit bei Hyperalgesie findet ?). IV. Beeinflussung des Klemmschmerzes und der durch die Klemme erzeugten Hyperalgesie durch künstlich gesetzte Reize. Der durch die Klemme erzeugte Schmerz kann durch Hautreize, welche in der Nähe der Klemme angebracht werden, beeinflusst werden. Leises Streichen über die Haut sowie Kitzeln verdunkelt den Schmerz etwas, solange das Streichen ausgeführt wird. Eine Nachwirkung besitzt dasselbe nicht. Von Interesse ist, dass die Wirkung um so mehr zurücktritt, je weiter entfernt von der Klemme das Streichen ausgeführt wird. Befindet sich die Klemme an der Beugeseite des Arms, so wirkt das Streichen an der Streckseite viel weniger als dasjenige an der Beugeseite usw. Streichen an der 1) Neurolog. Zentralbl. 1912 Nr. 31. 2) Die Erregbarkeitsverhältnisse im hyperalgetischen Felde haben eine ge- wisse entfernte Ähnlichkeit mit denjenigen, welche bei der Regeneration von Hautnerven gefunden worden sind; wenigstens finden sich einige gemeinschaft- liche charakteristische Züge. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Pd. 165. 2 18 Goldscheider: entsprechenden Stelle der kontralateralen Extremität hat keinen: Einfluss. at Auch Kälte- und Wärmereize, in der Nähe der Klemme an- gebracht, können ganz vorübergehend die Schmerzempfindung und die Hyperalgesie mildern, besonders lokal wechselnde Berührungen mit kaltem Metall (über die erregenden Wirkungen vel, oben) oder, in noch höherem Grade, die Applikation eines kalten Wasser- strahls oder einer von kaltem Wasser durchflossenen Metallkapsel proximal von der Klemme. Einen auffälligen Einfluss auf den Nach- lass des Klemmschmerzes äussern elektrische Reizungen, auch dann, wenn dieselben noch nicht schmerzhaft sind. Beim Faradisieren wirkt nicht bloss die Stärke, sondern auch die Verbreitung, in welcher das Prickeln empfunden wird, ein. Auch der bei der Ent- fernung der Klemme auftretende Schmerz erscheint abgeschwächt, wenn gleichzeitig elektrische Reizungen stattfinden. Nach dem Ab- setzen der elektrischen Reizung tritt der Klemmschmerz sofort oder anschwellend wieder hervor. Massage der Muskulatur im hyperalgetischen Gebiet verdunkelt‘ sleichfalls, solange sie ausgeführt wird und mit geringer Nachdauer, den Schmerz. Auch das Kneten der oben erwähnten besonders. schmerzhaften Druckstellen erzeust nur eine ganz vorübergehende Beeinflussung des primären Schmerzes, welche um so geringfügiger ist, eine je. grössere Intensität letzterer besitzt. Wird die Klemme am Unterarm befestigt, so bewirkt kräftiges Zusammenballen der gleichseitigen Hand, offenbar mittels der ent- stehenden Druckempfindungen, eine Abschwächung der Schmerz- empfindung, ohne merklichen nachdauernden Erfolg. Das Ballen’ der gegenseitigen Faust ist von einer gewissen, aber viel geringeren Wirkung. Appliziert man nicht allzuweit von der Klemme eine zweite, welche grösseren Schmerz erzeugt, so wird die Schmerzempfindung an der ersten Klemme nahezu ausgelöscht. Bei grösserer Entfernung: voneinander, zum Beispiel wenn die eine Klemme an der Beuge-: fläche, die andere an der Streckfläche des Unterarms angebracht. wird, ist die gegenseitige Beeinflussung viel geringer. Befestigt man die Klemme an symmetrischen Punkten beider Arme, so. ist kaum eine Abschwächung der einen Empfindung durch die andere zu bemerken.: Wenn der durch eine Klemme erzeugte Schmerz durch eine zweite in der Nähe angebrachte überlagert worden ist, so tritt der- Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität. 19 selbe sofort wieder stärker hervor, sobald die zweite Klemme gelöst wird. Diese Erscheinung ist besonders auffallend und sehr leicht wahrzunehmen. Diese gegenseitigen Beziehungen zweier Schmerzempfindungen sind von alters her bekannt und in dem Satz ausgedrückt worden: Duobus doloribus simul obortis unus obseurat alterum. Die Schmerztherapie durch Erzeugung von Gegenschmerzen macht hiervon Gebrauch. Nicht bloss im Gebiete der Schmerzempfindung treffen wir diese Empfindungshemmung durch Reize; so werden Parästhesien, juckende Empfindungen usw. durch Reiben und Kratzen betäubt. Im hyper- alcetischen Gebiet erzeugen Pinselstriche lebhaftes Priekeln. Nach kurzem scharfen Reiben der betreffenden Hautstelle wird diese hyperästhetische Empfindung sofort zum Verschwinden gebracht. Auch zwischen verschiedenartigen Sinnesorganen kommen ähnliche Beziehungen vor. Bei dem Klemmversuch wirken Reizungen im hyperaleetischen Gebiet in höherem Grade verdunkelnd auf den Schmerz als solche ausserhalb desselben. Durch eine Art von Umkehrung des Versuchs kann man nachweisen, dass der proximal von der Schmerzquelle ange- brachte Reiz diesen Einfluss allgemein mehr hervortreten lässt als der distale.e. Man macht eine natürliche Druckschmerzstelle (s.oben) durch starkes Kneten und Drücken schmerzhaft, so dass schon leichtester Druck eine schmerzliche Empfindung erzeugt. Wenn man. jetzt ein oder zwei Hautklemmen nicht allzuweit entfernt proximal befestigt, so findet sich die Schmerzempfindlichkeit, solange der Klenımschmerz besteht, an der betreffenden Stelle wesentlich herabgesetzt. Schon Zusammenkneifen der Haut im proximalen Gebiet wirkt vorüber- gehend stark herabsetzend auf die Hyperalgesie. Distale Klemmen verdunkeln die Hyperalgesie zunächst gleichfalls, aber in erheblich geringerem Grade; weiterhin kann die Schmerzempfindlichkeit sogar gesteigert erscheinen, da die Stelle in den Bereich der von der Klemme ausgehenden Hyperalgesie gelangt. Bei der proximal an- gelegten Klemme dagegen befindet sie sich in dem hinter der Klemme sich entwickelnden hypästhetischen Gebiet. Es kann sich hierbei nicht bloss. um psychische Vorgänge derart handeln, dass das Bewusstsein mit einem neuen Empfindungsinhalt gefüllt werde, welcher die bestehende Empfindung verdränge oder von ihr ablenke. Dies geht zwingend daraus hervor, dass die nachbarschaftlichen Verhältnisse eine so grosse Rolle spielen. 2* 20 Goldscheider: Vielmehr liegen wirkliche Hemmungen innerhalb der Nerven- leitung bzw. der sensiblen Zentren vor, wenn auch das psychische Moment nieht ganz in Abrede zu stellen ist. Es gehört dies in das Kapitel von der gegenseitigen Bahnung und Hemmung von Nerven- errezungen, wie wir sie auch gerenüber dem Ablauf von Reflexen und von motorischen Impulsen vorfinden. Eine in den Leitungs- bahnen ablaufende Erregung bzw. ein dort befindlicher Erresungs- zustand kann durch anderweitige Reize verstärkt oder abgeschwächt werden. Eine schmerzhafte Erregung kann durch nachbarschaftliche Reize der verschiedensten Art, starke wie schwache, .auf dem Wege der Hemmung gemildert werden. Wahrscheinlich so, dass durch die Fortleitung der interkurrierenden Reize chemische Spannkräfte inner- halb der Nervenbahnen verbraucht werden, welche .der Leitung der ursprünglichen Erregung entzogen werden. Iın übrigen ist das Problem der Hemmung noch zu wenig erforscht, um sich irgend- welche präziseren Vorstellungen über die dabei ablaufenden Vorgänge machen zu können. Einen Einfluss der künstlichen Blutstauung auf den durch die Klemme erzeugten Schmerz habe ich nicht wahrnehmen können. Bei Entzündungen, Gelenkerkrankungen usw. ist die schmerzstillende Wirkung der Stauung, wie ich mich selbst oft überzeugt habe, sicher vorhanden. Dieselbe beruht daher wahrscheinlich auf einer eünstigen Beeinflussung der krankhaften Schmerzursache, nänlich der Entzündung selbst, nicht auf einer solchen der Sensibilität an sich. V. Irradiation der Kälte- und Wärmeempfindung. Es liegt nahe, zu untersuchen, ob eine ähnliche Irradiation, wie sie für den lokalen, dauernd einwirkenden Schmerzreiz gefunden wurde, auch bei Temperaturreizen nachzuweisen ist, Ein kalter bzw. warmer Metallblock!) wird einer Hautstelle angelegt. Die Reizungen werden mittels eines Zündhölzcehens, dessen eines Ende mit Watte umwickelt ist, bzw. mittels des oben be- schriebenen exakt zu temperierenden Kupferzylinders ausgeführt. Nach Anlegung des kalten Metallblocks an eine Extremität wird zuweilen eine Ausbreitung der Kälteempfindung wie ein kalter 1) Neuerdings bediente ich mich auch eines flachen gerundeten Kupfer- hohlgefässes, welches von Wasser durchflossen wird. Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität. 21 Hauch beobachtet, sowohl in proximaler wie in distaler Richtung, jedoch in ersterer überwiegend; weniger nach den Seiten hin. Dies ist am deutlichsten, wenn zur Anlegung eine Stelle von physiologisch grosser Kälteempfindlichkeit gewählt wird. Nach der Entfernung ein Metallmasse kann eine minutenlang dauernde allmählich ver- blassende, kühle Nachempfindung beobachtet werden. Meist wurde der Metallblock von Lufttemperatur gewählt. Berührungen proximal und distal von dem Kälteblock rufen nun neben der Berührungs- empfindung eine auffällige Kälteempfindung hervor. Der Bezirk, in welehem dies geschieht, zeigt bei den einzelnen Versuchen eine verschieden weite Ausdehnung. In manchen Fällen ist er auf die unmittelbare Umgebung. beschränkt, in anderen breitet er sich während des Kontaktes der Metallmasse, und zwar proximal mehr als distal aus. Nach einiger Zeit blasst die Erscheinung ab und verschwindet, und zwar mit dem Nachlassen und Erlöschen der primären Kälteempfindung. Durch leiehte Verschiebungen der Kälte- quelle, durch welche neue Kälteempfindungen erzeugt werden, kann dann die abgeblasste taktile Kälteempfindung neu angefacht werden. Die Erscheinung der Kältemitempfindung ist um so stärker ausgesprochen, je intensiver die primäre Kälteempfindung ist. Die Entfernung, in welcher die Erscheinung noch auftritt, kann eine Handbreite, von der Kältequelle an zerechnet, betragen. Auch die Abkühlung einer Hautstelle durch den Chloräthylstrahl kann das Phänomen erzeugen, welches unmittelbar nach der Appli- kation des Chloräthyls vorhanden ist, aber schnell verschwindet. Es ist nicht erforderlich, dass die Kältequelle einen grossen Umfang hat. Selbst bei Anwendung einer Metallkugel von 1 em Durchmesser (Mandelquetscher) ist die Erscheinung nachzuweisen. Während der Untersuchung müssen durch weiche, warme Lagerung des zu prüfenden Gliedteiles störende Temperaturempfindungen ferngehalten werden. Die Untersuchung muss ferner in einem gut- gewärmten Raum stattfinden. Handelt es sich um Hautgebiete, welche sonst bedeckt sind, so muss die Adaptierung nach der Ent- blössung abgewartet werden. Die Berührung mit dem mit Watte umhüllten Hölzchen von Lufttemperatur ruft unter normalen Verhältnissen kaum eine Kälte- empfindung hervor. Auch wenn man den oben beschriebenen Metallzylinder auf den Indifferenzpunkt erwärmt und mit der Spitze oder einem kleinen 22 Goldscheider: Stück der abgeschrägten Fläche Berührungen ausführt, kommt die Kälteempfindung zustande. Ja sogar eine leichte Erwärmung über den Indifferenzpunkt tut der Erscheinung keinen Eintrag. Man empfindet dann zwar häufig warm, aber. zuweilen kalt; zuweilen folgt der kalten eine warme Empfindung; auch Wettstreit der Emp- findungen wird beobachtet, niemals dagegen eine Hitzeempfindung. Regelmässiger und deutlicher wird freilich die Kälteempfindung, wenn das Reizobjekt eine Temperatur von 32—31°C. besitzt. Bei einer Reiztemperatur von 29,5° C. kann die Kälteempfindung ganz auffallend stark sein. Eine weitere auffällige Erscheinung ist, dass selbst die Berüh- rung kälteunempfindlicher Stellen eine lokale Kälteempfindung er- zeugen kann, wenn die Kältequelle sich in der Nähe befindet und die primäre Kälteempfindung mächtig ist. Die Empfindung wird auch dadurch nicht beeinträchtigt, dass die Versuchsperson die Stelle, an welcher die Reizung vorgenommen wird, betrachtet. Wenn man, anstatt den Kälteblock in dauernden Kontakt mit der Haut zu bringen, folgeweise Berührungen mit demselben aus- führt, wobei gewöhnlich eine Kältenachempfindung zurückbleibt, kann man eine schnell vorübergehende Steigerung der Kälteempfindung bei Wattehölzehenberührung hervorrufen. Die „taktile Kältemitempfindung“ zeigt wie die Een Be- ziehungen zu den Innervationsgebieten. Sie erstreckt sich an den Extremitäten mehr in die Länge als in die Breite und ist proximal mehr ausgesprochen als distal. Sie hält dieselben Grenzen ein wie das hyperalgetische Feld. So erstreckt sie sich, wenn der kalte Metall- kolben im obersten Teil der vorderen Oberschenkelfläche angelegt wird, nicht oder nur wenig über die Inguinalfalte hinaus nach oben. Wird die Kältequelle am Unterleib oder an der Brust seitlich von der Mittellinie angebracht, so schneidet das Phänomen an der Mittellinie ab oder überragt dieselbe um höchstens eine Finger- breite; auch bei grosser Annäherung an die Mittellinie ändert sich hieran nichts. Dagegen ist die Kältemitempfindung seitlich in schräg aufwärtsgehender Richtung (am Unterleib) ziemlich weit zu ver- folgen. Legt man den Metallblock genau in der Mittellinie an, so geht der Bezirk eine kurze Strecke weit nach beiden Seiten. Wenn man an derselben Stelle, wo der Metallblock angelegt wurde, die Klemme anbringt, so entspricht der hyperalgetische Bezirk dem- jenigen, in welchem sich die Kältemitempfindung verbreitet gezeigt hatte, nur dass er meist grösser ist. Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität. 23 nd Wie bei der Hyperalgesie, so lässt sich auch bei der Kälte- mitempfindung eine seitliche Überlagerung der in der Längsrichtung gestreckten Bezirke nachweisen. So erstreckte sich der Bezirk, in welchem die Kältemitempfindung gefühlt wurde, bei der Applikation des Metailblocks an der radialen Seite des Handrückens bis zum vierten Metarkarpalknochen und überschritt um drei Querfinger das Handgelenk, um dort gleichfalls bis zur Verlängerung des vierten Metakarpalknochens zu reichen. Der Bezirk deckte sich vollkommen mit demjenigen der kutanen Hyperalgesie, welcher durch Anlegung der Klemme an derselben Stelle erzeust wurde. Am Arm, am Oberschenkel ist die Überlagerung deutlich nachzuweisen. Die Erhöhung der Kälteempfindlichkeit wurde in doppelter Weise genauer geprüft: 1. Es wurde eine physiologisch wenig kälteempfindliche Stelle ausgesucht und die dortige Kälteempfindlichkeit unter Anwendung des gleichen Kältereizes mit einer Stelle von physiologisch grösserer Kälteempfindlichkeit verglichen. Nunmehr wurde distal von der ersten Stelle der luftkalte Metallblock angelegt. Die Kälteempfindung erschien jetzt an dieser deutlich intensiver als an der Stelle von physiologisch stärkerer Kälteempfindlichkeit. Dieser Versuch wurde an verschiedenen Körperstellen mit meist dem gleichen Erfolge aus- geführt. 2. An der Beugefläche des Unterarmes wurde die Kältereiz- - schwelle bei 29,5° C. festgestellt. Deutliche Kühleempfindung bei 29,0°C., Kälteempfindung bei 28,0° C. Nach distaler Anlegung des luftkalten Metallkolbens wurde schon bei 29,5°C. eine deutlich kühle, bei 29,0°C. kalte, bei 23,7°C. recht kalte, bei 28°C. sehr kalte, eisige Empfindung festgestellt. Ähnliche Ergebnisse eaben andere Prüfungen. Auch die Prüfung einzelner Kältepunkte liess gesteigerte Kälteempfindung erkennen. Es wurden jedoch auch Verminderungen der Empfindlichkeit beobachtet (s. unten). Die Kältemitempfindung verschwindet im allgemeinen, sobald die Kältequelle von der Haut entfernt wird. Nur vereinzelt kommt es vor, dass sie eine ganz kurze Zeit nachdauert. Wird der Kontakt der Metallmasse zeitlich so lange ausgedehnt, dass dieselbe nicht mehr als kalt empfunden wird, so ergeben sich bezüglich der Kälte- mitempfindung divergierende Resultate: es kommt vor, dass dieselbe trotzdem nachweisbar ist, ebenso aber auch, dass sie erloschen ist. 94 Goldscheider: Proximal mehr als distal von der Kältequelle ist in einer ge- wissen Ausdehnung (eine Hand breit und mehr) die Empfindung für Berührung herabgesetzt, welche stumpf und pelzig erscheint. Die Abstumpfung nimmt mit der Dauer des Kältekontaktes zu, intensiv wie räumlich. Sie ist besonders ausgesprochen, wenn der Metall- block Kälteschmerz erzeugt. Letzterer äussert sich in einem schmerz- haften, ausstrahlenden Ziehen ähnlich einem rheumatischen bzw. neuralgischen Schmerz. Auch Stiche werden proximal dicht am Kältekontakt stumpfer empfunden. Die Steigerung der Kälteempfindlichkeit entwickelt sich nach der Anlegung des Kälteblocks sehr schnell, aber doch nieht momentan. Vielmehr geht ihr eine Herabsetzung der- Kälteempfindlichkeit voran. Berührt man unmittelbar nach dem Auflegen der kalten Metallmasse die proximal und distal angrenzende Haut mit einem schwachen Kältereiz (Kupferzylinder von 25—26° C.), so findet man die Kälteempfindung zunächst deutlich herabgesetzt; distal ist diese Hypästhesie stärker und ausgedehnter als proximal. Auch verschwindet. sie proximal äusserst schnell, um der irradiierenden Kältehyper- ästhesie und Kältemitempfindung Platz zu machen, während sie sich distal länger hält. Es ist ein interessantes Phänomen, wie zunächst der Kältereiz abgeschwächt empfunden wird und nun alsbald die Kälteflut hereinbrieht und die Kältemitempfindung in sich steigernder Intensität auftritt. Proximal wird dieser Wechsel rapid durchlaufen, während es distal allmählich geht. Es handelt sich hierbei nicht um ° eine psychische Kontrastwirkung. N Auch die Wärmereize werden vermindert empfunden. Bei der Diffussion der Kälteempfindung tritt dann die oben beschriebene Erscheinung hinzu, dass die Wärmeempfindung durch die Kälte- mitempfindung unterdrückt wird. Man muss sich schwacher Wärme- reize bedienen, um die Wärmehypästhesie nachzuweisen — wie es eben auch von den Kältereizen gesagt wurde; starke Wärmereize lassen die Abschwächung nicht so deutlich erkennen. Ähnliche irradiierende und hyperästhesierende Wirkungen er- zeust die Anlegung eines warmen Metallblocks, nur dass die Er- scheinung hier viel auffälliger ist. Der Kontakt der Wärmequelle hinter- lässt eine, oft lange anhaltende Wärmenachempfindung. Um die Erscheinung der Wärmemitempfindung hervorzurufen, muss die primäre Wärmeempfindung ziemlich stark sein, jedoch bedarf es nicht einer Hitzeempfindung, wenn auch freilich die Erscheinung bei Übar Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilitä. 25 einer primären Hitzeempfindung besonders auffällig hervortritt. Man wählt am besten eine physiologisch gut wärmeempfindliche Stelle zur Anlegung des Metallblocks aus. Die Wärmeempfindung breitet sich wie eine warme, die Haut übergiessende Flut von der Wärmequelle her aus, vorwiegend in proximaler Richtung. Dies geschieht in zunehmender Weise, deut- licher, als es bei der Kälteempfindung der Fall ist. Auch die Nach- empfindung kann sich in proximaler Richtung ausdehnen. Berührung mit dem Wattehölzchen (von Lufttemperatur) oder einem auf den Indifferenzpunkt erwärmten Reizobjekt erzeugt eine von Wärme- einpfindung begleitete bzw. gefolgte Berührungsempfindung. Die Erscheinung ist proximal von der Wärmequelle stärker ausgesprochen als distal und erstreckt sich an den Extremitäten weniger seitlich als in der Längsriehtung. Sie ist am bemerkenswertesten in der Nähe der Wärmequelle und nimmt mit der Entfernung allmählich ab. Proximal ist sie über eine Handbreite weit nachzuweisen. Die Wärmeempfindung wird deutlich an der Stelle des taktilen Reizes gefühlt, und diese Lokalisation bleibt auch mit voller Schärfe be- stehen, wenn die Versuchsperson die Stelle betrachtet. Also alles wie beim Kältesinn. Auch von wärmeunempfindlichen Punkten aus gelingt das Phänomen, ebenso zuweilen, wenn man leicht-kühle Reize an- wendet, wobei zunächst eine Kälteempfindung auftritt, die dann in Wärmeempfindung umschlagen kann. Isolierte, adäquate Reizung der Kältepunkte erzeugt Kälteempfindung, welche zuweilen nachträglich von Wärmeempfindung überlagert wird. Die Reizung von Punkten, welche weder Kälte- noch Wärmepunkte sind, mittels kalter Be- rührung erzeugt eine indifferente oder warme Empfindung, zuweilen zunächst eine indifferente, die dann von Wärmeempfindung gefolgt wird (s. unten). Jedoch ist die Wärmemitempfindung intensiver, wenn man indiffe- rente oder minimale Wärmereize anwendet bzw. wärmeempfindliche Stellenoder Wärmepunkte berührt. Ja auch die physiologische Wärme- empfindlichkeit spielt eine Rolle in dem Sinne, dass bei Berührung von physiologisch gut wärmeempfindlichen Stellen die Erscheinung deutlicher ist als beim Gegenteil. Dasselbe gilt übrigens auch für die vorher beschriebene Kältemitempfindung. Die Wärmemitempfindung kann vereinzelt auch nach der Entfer- nung des Metallblocks noch kurze Zeit nachdauern. Sie kann ferner 26 Goldscheider: gelegentlich noch vorhanden sein, obwohl die primäre Wärmeempfindung durch die Dauer des Kontaktes bereits unmerklich geworden ist. Die subjektive sich ausbreitende Wärmeempfindung kann fehlen, ohne dass die Wärmemitempfindung fehlt; jedoch pflegt letztere aller- dings besonders ausgesprochen zu sein, wenn erstere vorhanden ist. Der gewöhnliche Verlauf der Erscheinung ist so, dass dieselbe kurze Zeit nach der Anlegung der Wärmequelle auftritt, sodann zunimmt und sich weiter ausbreitet, um weiterhin wieder abzunehmen, sobald die primäre Wärmeempfindung nachlässt. Auf gute Adaptierung der entblössten Haut ist auch hier durch- weg zu achten. Die bei der Berührung gefühlte Wärmeempfindung präsentiert sich in verschiedener Weise. Bald fühlt man die Berührung un- mittelbar warm, bald empfindet man eine blosse Berührung und gleichsam getrennt von ihr, aber an derselben Stelle eine mehr diffuse Wärmeempfindung. Die Bezirke, in welchen die Wärme- mitempfindung sich verbreitet, gleichen wiederum den hyperalgetischen Feldern. Alles, was über Begrenzung und Überlagerung beim Kälte- sinn gesagt wurde, gilt auch für den Wärmesinn. Es wurden auch beim Wärmereiz topographische Vergleichungen der Prüfungsstelle mit Stellen von physiologisch höherer Wärme- empfindlichkeit ausgeführt, mit demselben Ergebnis wie beim Kältereiz. Die irradiierende Ausbreitung der Wärmemitempfindung tritt besondere deutlich hervor bei folgendem Vorgehen: Man betupft eine beliebig ausgewählte Stelle, etwa an der Beugefläche des Unter- arms, folgeweise mit dem Wattehölzchen, legt sodann den erwähnten warmen Metallblock distal von der Stelle an und betupft letztere weiter; nach kurzer Zeit fühlt die Versuchsperson, wie die Wärme sozusagen angekrochen kommt, und empfindet nunmehr die Be- rünrungen als warm. Wie es beim Kältekontakt beschrieben wurde, so erzeugt auch der Wärmeblock, dessen‘ Temperatur so bemessen wurde, dass es zu einer Hitzeempfindung nicht kam, eine deutliche Herabsetzung der Berührungsempfindung, besonders proximal, etwa vier Finger breit. Diese Hypästhesie ist nicht etwa die Folge des Druckes der Metallmasse, welcher freilich an sich eine gewisse Herabsetzung der Berührungsempfindlichkeit, aber in viel geringerer Verbreitung und Stärke hervorrufen kann; denn wenn man dem Metallblock eine indifferente oder lauliche Temperatur gibt, so entsteht nur eine Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität. 927 minimale Hypästhesie in einem schmalen, einen halben Finger breiten Abschnitt unmittelbar proximal von demselben. Die durch den Wärmekontakt ausgelöste Hypästhesie bildet sich, wenn man die Metallmasse der allmählichen Abkühlung — aber nicht unter den Indifferenzpunkt — überlässt, bis auf den erwähnten schmalen Streifen zurück. Die Hypästhesie ist von geringerer Stärke und weniger ausgedehnt als die durch den Kältekontakt bewirkte. Tiefer Druck erscheint in der Nähe des Wärmeblocks weicher und milder, ohne dass die Empfindung für die Druckunterschiede anscheinend verändert ist. Die Erscheinung bedarf noch der näheren Untersuchung. Schwache Wärmereize (von 37,0°C.) werden unmittelbar nach dem Auflegen der warmen Metallmasse abgeschwächt empfunden; die Hypästhesie ist distal stärker und ausgedehnter als proximal. Die Irradiation und Steigerung der Wärmeempfindlichkeit macht dieser Abschwächung alsbald ein Ende. Es verläuft alles, ebenso wie es vorher für die Kältereize nach dem Anlegen des Kälteblocks beschrieben wurde. Auch eine leichte, schnell vorübergehende Herabsetzung der Kälteempfindlichkeit in einer ein bis zwei Finger breiten proximalen Zone ist vorhanden. Im ganzen ist die hypästhesierende Wirkung auf Druck- und Temperaturreize bei Anwendung der kalten Metallmasse bedeutender als bei derjenigen der warmen. Um festzustellen, ob die beschriebene Temperaturmitempfindung auf einer fortgeleiteten Abkühlung oder Erwärmung der Haut beruht, wurden Temperaturmessungen mittels eines Hautthermometers (mit flach aufliegender Spirale) ausgeführt. Für die Versuche wurde der Unterarm gewählt. Derselbe muss zunächst längere Zeit entblösst gehalten werden, bis die Abkühlung der Haut einen konstanten Wert erreicht hat, da sonst Abkühlungen vorgetäuscht werden können, welehe in Wirklichkeit durch die Entblössung bedingt sind. Es wurden Stellen bezeichnet und gemessen, welche in verschiedenen Entfernungen von dem aufzulegenden kalten oder heissen Metall- block gelegen waren. Nach Anlegung des letzteren wurde die Messung fortgesetzt. Das Ergebnis war, dass sowohl der kalte wie der heisse Metallblock Temperaturveränderungen der Haut nur in nächster Nähe erzeugt, und dass zu der Zeit, wo entfernt von jenem die kalte oder heisse Mitempfindung auftritt, objektive 28 Goldscheider: Temperaturveränderungen an der Stelle der Empfindung fehlen. Beispiele: 1. Unterarm längere Zeit entblösst. Die Temperatur der gewählten Stelle hält sich auf 30,8°C. Der unter der kalten Wasserleitung ge- kühlte Metallblock, welcher eine eisige Kälteempfindung hervorruft, wird distal 1,6 em entfernt angelegt (vom Rande der Thermometer- spirale bis zum Rande des Metallblocks gemessen). Die Kältemit- empfindung breitet sich schnell proximalwärts aus, so dass Berührungen mit dem Wattehölzchen weit über die gemessene Stelle hinaus kalt - erscheinen. Die Temperatur der letzteren hält sich währenddessen noch auf 30,8° C und sinkt erst nach längerer Zeit auf 30,70 C. 2. Eine andere Stelle hat sich nach längerer Entfernung auf 29,3° C. eingestellt. Distal wird in 3,5 em Entfernung der heisse Metallblock angelegt. Die Wärmeempfindung breitet sich aus, so dass besonders die proximale Partie, au welcher das Thermometer angelegt ist, wie in eine warme Flut getaucht erscheint und die Berührungen mit der Thermometerspirale selbst warm empfunden werden. Trotzdem steiet die Temperatur dortselbst nicht. Das Thermometer war zudem noch annähernd auf die Hauttemperatur vorgewärmt worden. Auch in der Entfernung von 1 cm vom Metall- block keine Erhöhung der Hauttemperatur. Erst bei 0,3 em Ent- fernung steigt das Therinometer, welches gegen strahlende Wärme geschützt wurde, auf 30,4°C. Nach der Entfernung des Metallblocks zeigte die stark gerötete Haut dortselbst 34,5° C. Eine sichtbare Rötung ‚der Haut wurde bei der Ausbreitung der subjektiven Wärmeempfindung nicht bemerkt. Erstere bildete sich nur in der unmittelbaren Umgebung der Wärmequelle. 3. Eine Stelle des Unterarms hatte sich nach längerer Ent- blössune auf 31,8 °C. eingestellt (die Zimmertemperatur war an diesem Tage höher). Der heisse Metallkloben wird distal in der Entfernung von 4,3 cm angelegt. Es verläuft alles, wie oben beschrieben (sub- jektive Wärmeempfindung, Wärmemitempfindung bei Berührung), die Temperatur der Stelle verändert sich nicht. Das Thermometer wird nunmehr langsam gegen den Metallblock hin vorgeschoben. Erst bei einer Entfernung von 0,5 cm steigt es, und zwar auf 32,4°C. 4. Eine Stelle des Unterarms zeigt 30,4° C. In 1,6 cm Entfernung distal wird der Metallblock so heiss azgelegt, dass es eben ertragbar ist. Intensive Wärmeempfindung in weiter proximaler Ausbreitung. - Wärmemitempfindung deutlich. Das Thermometer zeigt dabei keine Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität. 29 Erhöhung. Est später, sehr allmählien beginnt es zu steigen und erreicht 32,3 C. Die Messungen lassen erkennen, dass eine sehr langsame Ab- kühlung oder Erwärmung der Haut durch Fortleitung eintritt, welche mit der Erscheinung der Irradiation der Temperaturempfindung und der taktilen Temperaturmitempfindung nichts zu tun hat. Auch vasomotorische Vorgänge spielen keine Rolle. Was das Wesen der taktilen Temperaturmitempfindung betrifft, so entsteht zunächst die Frage, ob es sich um eine echte Temperatur- empfindung handelt oder etwa um eine Empfindung, welche auf die Erregung der allgemein sensiblen Nerven der Haut zurückzuführen ist, wie wir es oben von der anscheinenden Temperatursinnhyperästhesie bei der Hautklemme feststellten. Diese Möglichkeit wird um so näher gerückt, als Kälte- wie Wärmereize auch zu Erregungen (ieser Nerven führen und Spannungs- und Schmerzempfindungen hervor- rufen. Kälte kann auch Herabsetzung der Berührungsempfindung bewirken. Ferner ist die bekannte Beobachtung zu erwähnen, dass kalte Gegenstände eine stärkere Druckempfindung erzeugen als warme, welche man gleichfalls auf eine gleichzeitige Reizung der sensiblen Nerven zurückführen muss. Es kommt hinzu, dass die Kältemitempfindung besonders dann ausgesprochen ist, wenn der Kältereiz „eisig“, die Wärmemitempfindung, wenn der Wärmereiz „heiss“ empfunden wird. Beide Qualitäten aber, eisig wie heiss, sind keine reinen Temperaturempfindungen, sondern enthalten noch eine aus der Mitreizung sensibler Hautnerven stammende Teilempfindung. . Endlieh ist in diesem Zusaınmenhange des merkwürdigen Umstandes zu vedenken, dass die Berührung temperaturunempfindlicher Punkte und Stellen die taktile Temperaturmitempfindung hervorrufen kann. Demgegenüber ist zu bemerken, dass die taktile Temperatur- mitempfindung an sich die Qualität einer reinen Temperatur- empfindung aufweist. Sie ist weder eisig noch brennend noch stechend, wie es bei der Klemmhyperalgesie der Fall war. Sie findet sich ferner auch, ohne dass die primäre Temperaturempfindung einen eisigen oder heissen Charakter aufweist; dass der letztere die Mitempfindung besonders deutlich hervortreten lässt, liegt vielmehr offenbar daran, dass eben die primäre Temperaturempfindung in solchen Fällen be- sonders intensiv ist. Freilich kann es vorkommen, dass die taktile Temperaturmitempfindung nebenher noch etwas Brennendes oder Eisiges enthält, wenn die. primäre Empfindung durch diese Empfindungs- 30 Goldscheider: bestandteile ausgezeichnet war. Sie kann namentlich bei sehr starkem, primärem Kältereiz, welcher schneidend empfunden wird, gleichfalls brennend oder schneidend sein. Hier handelt es sich dann neben der Irradiation der Kälteempfindung noch um eine irradiierende Hyperalgesie, welche der durch die Klemme bedingten analog ist. Es liegt ferner sehr nahe, die Erscheinung der taktilen Temperaturmitempfindung als eine einfache Sinnestäuschung anzusehen, nämlich als eine Verschmelzung der Berührungsempfindung mit der an einer anderen Stelle der Haut ausgelösten Temperatur- empfindung. Das Auftreten der Temperaturmitempfindung bei Be- rührung temperaturunempfindlicher Stellen, ferner der Wärme- empfindung bei Kältereizen, der Kälteempfindung bei Wärmereizen drängt geradezu zu dieser Auffassung. Hierzu ist zu bemerken: Eine Sinnestäuschung durch Versehmelzung der Empfindungen kommt tatsächlich vor, besonders wenn die Berührung in grosser Nähe des Metallblocks ausgeführt wird. Bei geschärfter Aufmerksamkeit jedoch vermag man die beiden Empfindungen zu trennen: man nimmt die Berührung wahr und, von ihr getrennt, die diffuse an der Stelle der Metallmasse vorhandene dauernde Temperaturempfindunge. In einem solchen Falle kann man von einer taktilen Temperaturmitempfindung nicht sprechen. Ist dagegen letzteres Phänomen wirklich vorhanden, so liegt eine irreführende Verschmelzung nicht vor. Die Beobachtungen, welche gegen eine solche sprechen, sind folgende: 1. Die taktile Temperaturmitempfindung wird streng lokalisiert .an der Berührungsstelle empfunden, auch wenn die Versuchsperson die Stelle betrachtet. Man nimmt die Empfindung räumlich getrennt von der diffusen Temperaturempfindung an der Kontaktstelle wahr. Nur dann, wenn die letztere die irradiierende Verbreitung ge- nommen hat, ist eine räumliche Sonderung natürlich nicht. möglich. 2. Die taktile Temperaturmitempfindung tritt in einer Verbreitung auf, welche den hyperalgetischen Feldern, d. h. spinalen Innervations- gebieten, entspricht. Sie fehlt selbst in relativ geringer Entfernung vom Metallblock oft, wenn die Berührung seitlich oder distal ge- schieht, während sie proximal in erheblicher Entfernung vorhanden ist. Wenn es sich um Verschmelzung handelte, so würde lediglich die Entfernung .von der Temperaturquelle, und zwar in beliebiger Richtung, bestimmend sein. BEN 3. Das Gebiet, in welchem die in Rede stehende Erscheinung - zustande kommt, vergrössert sich während des Kontaktes des Metall- Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität. 3] blocks (besonders in proximaler Richtung). Dies wäre bei Ver- schmelzung unverständlich und spricht für Irradiation. 4. Es komnit gelegentlich vor, dass die Erscheinung noch vor- handen ist, nachdem die primäre Temperaturempfindung bereits stark abgenommen hat oder erloschen ist. 5. Wenn es auch gelingt, von temperaturunempfindlichen Stellen. aus die Mitempfindung hervorzurufen, so ist sie doch viel stärker, wenn die Berührung temperaturempfindliche Stellen trifft. Ebenso erzeugt der gleichsinnige adäquate Reiz die Erscheinung in grösserer Intensität. als der indifferente. Endlich macht es für die Deutlich- keit der Erscheinung einen Unterschied, ob für den Berührungsreiz. Stellen von starker oder geringer physiologischer Temperaturempfind- lichkeit ausgesucht werden. Durch Abkühlung bzw. Erwärmung der Haut sowie durch Ver- engerung oder Erweiterung der Gefässe ist die Erscheinung gleich- falls nicht zu erklären (s. oben). Vielmehr erzeust der Temperaturreiz durch seine Intensität und Dauer eine irradiierende Erregung der die Temperaturempfindung leitenden Nervenbahnen, und zwar wahrscheinlich in der grauen Rückenmarksubstanz, ähnlich wie der Schmerzreiz und von ähnlicher Verbreitung wie die hyperalgetischen Felder. Ausdruck dieser Irra- diation ist zum Beispiel die subjektive, sich über ein gewisses, besonders proximales Gebiet der Haut. ergiessende Temperatur- empfindung. Taktile Reize, welche in das Irradiationsgebiet fallen, erzeugen folglich eine Temperaturempfindung als „Mitempfindung“.. Die Erscheinung ist nicht etwa so aufzufassen, dass die — bekanntlich tatsächlich vorhaudene — mechanische Erregbarkeit der peripherischen Endigungen der Temperaturnerven erhöht ist, sondern so, dass bei der zentralen Fortleitung der taktilen Reize die im Zustande erhöhter Erregbarkeit befindlichen Stellen der zentralen Temperatursinn- leitungsbahn mit anklingen. Diese Vorstellung schliesst freilich die Annahme ein, dass die Leitungsbahnen der taktilen Reize mit den- . Jenigen der Temperaturreize zentralwärts in irgendeiner Verbindung stehen. Eine solche Verbindung muss man jedoch auch aus anderen Gründen annehmen. Die Struktur der zentralen Bahnen lässt alle denkbaren Verbindungen zu; die geordnete Leitung vollzieht sich durch die Abstimmung der Erregbarkeitswerte der leitenden Neurone (Neuronschwellen.. Zum mindesten müssen die taktilen und die Temperatursinnbahnen in den Reflexbögen zusammentreffen, da Be- 39 Goldscheider: rührungen und Temperatur- (besonders Kälte-) Reize die gleichen Reflexbewegungen hervorrufen. Die gleiche Annahme, nur in umgexehrter Richtung, muss auch ‚gemacht werden, um die Schmerzhaftigkeit von Temperatur- reizen im hyperalgetischen Felde zu erklären. Denn da die Hyper- algesie auch hier nur in zentralen (spinalen) Bahnen sitzen kann, so muss eine Verbindung vorhanden sein, mittels welcher die Erregung der Temperatursinnesnerven auf ihrem zentralen Wege die Schmerzbahn mit erregt. Ferner weist die Beobachtung, dass im hyperalgetischer Felde die Temperatureinpfindungen, im kälte- und wärmehyper- ästhetischen Felde die Berührungsempfindungen herabgesetzt sind, auf solche zentralen Kontakte der Leitungshahnen hin. Auch die durch die Klemme erzeugte Hyperalgesie ist so auf- zufassen, dass die in ihr Gebiet fallenden Reize den Schmerz als Mitempfindung anklingen lassen '). Der durch Temperaturreize ausgelöste Schmerz kann zum Teil darauf zurückgeführt werden, dass dieselben stets die auf Druckreize eingestellten schmerzempfind- lichen Nerven mit erregen (denn die Temperatursinnesnerven sind an sich analgetisch), teils darauf, dass die die graue Substanz passierenden Temperaturnervenerregungen infolge des hyperalgetischen Zustandes jener schmerzhafte Mitempfindungen anklingen lassen. Die Ähnlichkeit, welche der Temperatursinn mit der Schmerz- empfindung in bezug auf das Zustandekommen der Irradiation und zentralen Übererresbarkeit zeigt, beruht offenbar darauf, dass beide durch die graue Substanz geleitet werden. Die engen gemeinsamen Beziehungen dieser Empfindungen sind auch sonst hinreichend bekannt. Es ergibt sich als selbstverständliche Folgerung aus dieser Auf- fassung, dass der gleichsinnige adäquate Reiz, welcher das über- empfindliche irradiierte Gebiet direkt passiert, die erhöhte Emp- findung noch intensiver zum Anklingen bringen wird. Auch macht es keine Schwierigkeiten der Erklärung, dass der adäquate Reiz paradox wirken kann. Wir brauchen die. Erfahrung, dass Kälte- reize auch die Wärmenerven, Wärmereize die Kältenerven physio- logisch zu erregen vermögen, gar nicht heranzuziehen, denn viel- 1) Wenn diese Vorstellung richtig ist, so würde allerdings die diffuse Hyper- algesie, welche durch die Klemme hervorgerufen wird, zu einem Einwand gegen die Lehre von den spezifischen Schmerznerven keinen Anlass geben. Dass ich diese Lehre trotzdem in ihrer gegenwärtig vielfach vertretenen Form für falsch halte, hoffe ich in einer weiteren Arbeit beweisen zu können. Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität. 33 leicht kommt bei unserer Beobachtung die Paradoxie nur auf Rechnung des gleichzeitigen taktilen Reizes. Übrigens spricht der Umstand, dass der Wärmereiz bei der zentralen Hyperästhesie und Irradiation des Kältesinns Wärme- und Kälteempfindung, aber nieht eine heisse Empfindung hervorruft, und ebenso die umgekehrte Beobachtung gegen die oben erwähnte Alrutz’sche Theorie von der Natur der Hitzeempfindung. Wenn die zentrale Hyperalgesie, wie im Klemmversuch, im- stande ist, unterschmerzliche Reize schmerzhaft werden zu lassen, so können vielleicht auch Nerven, welchen unter physiologischen Verhältnissen eine Schmerzschwelle nicht zukommt, unter der Ein- wirkung eines dauernden Reizzustandes schmerzempfindlich werden. Dies würde zum Beispiel auf die Frage des peritonitischen Schmerzes Licht werfen. VI. Deutung der beschriebenen Erscheinungen. Die Hypästhesie ist auf eine Hemmung der Erregung bei ihrer zentralen Fortleitung zu beziehen, nicht etwa auf eine psychische Überlagerung der Empfindung durch den Schmerz. Dies wird da- durch bewiesen, dass die Hypästhesie sich wie die Hyperalgesie nach spinalen Bezirken verbreitet. Der hemmende Einfluss des Schmerzes erstreckt sich nicht bloss anf die Berührungs- und Druck- empfindung (auch Kitzelempfindung), sondern auch auf die Temperatur- empfindung. Ob es auch im Bereich der Tiefensensibilität zu einer Hypästhesie kommt, ist nicht zu entscheiden, weil bei jedem tieferen Eindruck der Schmerz vorwaltet. Der Klemmversuch zeigt, wie ein Reiz gleichzeitig erregbarkeitssteigernde und -hemmende Einflüsse entfaltet. Die Hemmungswirkung steht in einem gewissen Verhältnis zur Stärke der Reizung. Kälte reizt die sensiblen Nerven mehr als Wärme und entfaltet auch grössere Hemmungen. Es ist hiernach verständlich, dass Kälte Schmerzen sowohl hemmen wie verstärken oder hervorrufen kann. Ob im Einzelfall die erregende oder die hemmende Wirkung mehr hervortritt, wird von verschiedenen Umständen abhängen, besonders von der latenten Überempfindliehkeit, welche durch Kältewirkung in einen so erossen Schmerz übergehen kann, dass die Hemmungs- wirkung der Kälte zurücktritt. Wärme vermag Schmerzen zu steigern, aber nicht in so hohem Grade als Kälte. Ihre Hemmungswirkung ist sehr gering. Die Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. > 34 Goldscheider: sechmerzstillende Wirkung der Wärme kann daher nicht allein auf Hemmung beruhen. Immerhin wird es vorkommen, dass ihr hemmender Einfluss bei gewissen Schmerzzuständen denjenigen der Kälte über- trifft, weil ihre erregenden Wirkungen gering sind und ihr dabei eine starke Irradiation zukommt. Sie wird viel weniger als die Kälte eine zunächst steigernde Wirkung auf den Schmerz ausüben. Hitze wirkt mehr erregend als Wärme und kann daher Schmerzen stärker hemmen als diese. Die Verbindung der Kältenerven mit den sensiblen müssen (funktionell gedacht) inniger sein als die der Wärmenerven. Die schmerzlindernden Wirkungen der Wärme müssen haupt- sächlich in anderer Weise zustande kommen als durch zentrale Hemmung. Es kommen folgende Arten der Wirkung in Betracht: l. Wärme kann schmerzlindernd wirken, indem sie Kälte ab- löst. Leichte Kälteeinflüsse sind sehr häufig vorhanden, ohne dass wir ihrer gewahr werden. Die erregende Wirkung der Kälte fällt weg, indem Wärme an ihre Stelle tritt. Die Erwärmung wird energischer wirken als die blosse Entfernung der abkühlenden Ein- flüsse, weil diese noch nicht sofort das Wärmegefäll in der Haut beseitigt. 2. Häufig handelt es sich bei therapeutischen Wärmeanwendungen in Wirklichkeit um Hitze, welehe in höherem Grade hemmend wirkt. 3. Wärme übt teils lokal, teils reflektorisch in inneren Organen eine hyperämisierende Wirkung aus. Die reflektorische Wirkung dürfte auch den Kältereizen zukommen. 4. Die lokale Temperatursteigerung der Gewebe (Nerven usw.) hat vielleicht direkte Wirkungen auf den schmerzhaften Prozess (Diathermie?). Der Nervenreiz hat die Neigung, bei zunehmender Intensität sich in der grauen Substanz der zentralen Leitungsbahnen aus- zubreiten (Irradiation)"), und zwar vorwiegend in zentripetaler Riehtung?). Hierbei wirkt er hemmend auf anderweitige, nachbar- schaftliche Erregungen. Letztere zeigen nach zwei verschiedenen Richtungen hin eine Veränderung: einerseits erscheinen sie geschwächt; 1) Die Irradiation ist vielleicht ein „zweckmässiger“ Vorgang, welcher zur Folge hat, dass einer Schädigung der Nervenbahnen durch die Intensität der Erregung vorgebeugt wird. 2) Ähnliches sehen wir bei der Ausbreitung der Reflexe. Über Irradiation und Hyperästhesie im Bereich der Hautsensibilität, 35 andererseits rufen sie Miterregungen des Irradiationsgebiets hervor. Die Erregung der nachbarschaftlichen Bahnen irrt also gleichsam ab: sie gelangt in das von dem ersten Reiz eingenommene Feld und setzt sich in der eigenen Leitungsbahn mit verminderter Stärke fort. Man muss sich vorstellen, dass die irradiierende Erregung neue, in einem gewissen Umkreise eintretende Erregungen ablenkt und zum Teil aufsaugt. So kommt es zu den Erscheinungen der Heinmung. Die Hypästhesie wird somit durch den teilweise „parodischen“ Ver- lauf der Erregung bedingt. Der Vorgang kann so gedacht werden: Bei der Irradiation werden Stücke der Leitungsbahnen (graue Substanz) ‚in einem gewissen Umfange errest, d. h. in einen Zustand erhöhter Anspruchsfähigkeit (Dissimilationsbereitschaft) gesetzt (Vertiefung der intermediären Neuronschwellen). Erregungen, welche dies Gebiet passieren oder auch nur streifen (Kollateralen der Nervenbahnen), werden folglich zum Teil in dasselbe übergehen, d. h. abgelenkt werden und ihren Weg zum Gehirn mit einer gegen die Norm ver- ringerten Energie fortsetzen. Dieser Vorgang wird von zwei Momenten abhängig sein: dem gegenseitigen Intensitätsverhältnis der Reize und den topographischen (nachbarschaftlichen) Beziehungen. Dem entspricht nun der Tat- bestand. Die Hemmung ist um so stärker, je enger benachbart die peripherischen Reizungen sind; es ist von besonderer Bedeutung, dass dieselben dem gleichen Wurzelbezirk angehören. Die durch einen Reiz ausgelöste Hemmungswirkung ist ferner von seiner Intensität und von dem Verhältnis derselben zur Intensität der anderen in Konkurrenz tretenden Reizungen abhängig. Aber nicht bloss in dem Sinne, dass die stärkere Erregung die schwächere auf- saugt, vielmehr übt auch umgekehrt die letztere einen hemmenden Einfluss auf die erstere aus. Man kann die Erklärung in demselben Prinzip finden: indem die schwächere nachbarschaftliche Erregung zu einem Teile in das Irradiationsgebiet abgelenkt wird, bahnt sie Wege, welche ihrerseits wieder ablenkend auf den hyperalgetischen Zustand des Irradiationsgebietes wirken. Die in dem von Spannungen erfüllten Felde aufgehäufte Energie erhält Abzugskanäle, das Drängen nach Ausbreitung wird durch die Verringerung der Widerstände, wie sie durch die nachbarschaftlichen Erregungen bewirkt wird, unterstützt. In diesem Sinne dürfte zum grossen Teil auch die therapeutische Anwendung „ableitender“, „kontrastimulierender“ Reize wirken. fi 3*+ 36 Goläscheider: Über Irradiation und Hyperästhesie usw. Ob ähnliche Vorgänge, wie wir sie für die Leitungsbahnen an- nehmen, auch in der Hirnrinde selbst stattfinden, entzieht sich vor- läufige ganz der Beurteilung. Wir wissen, dass innerhalb der Be- wusstseinstätigkeit Hemmungen durch Ablenkung der Aufmerksamkeit stattfinden wie andererseits Steigerungen der Empfindungen durch Konzentration der Aufmerksamkeit, dass stark erregte Vorstellungs- komplexe hemmend wirken usw. Es wäre verlockend, gewissen Parallelen zwischen diesen Bewusstseinsvorgängen und den Hemmungen und Bahnungen, welche sich innerhalb der Leitungsbahnen abspielen, nachzugehen; aber dies würde in das Reich der Hypothese führen. Die weit fortgeleiteten Wirkungen der Hautreize sind in klinischer und therapeutischer Beziehung von Wichtiekeit und klären manche Zusammenhänge auf. Um nur eins der in Betracht kommenden Momente anzuführen, so ist man im allgemeinen geneigt, das Wandern des Schmerzes und seine wechselnden Ausstrahlungen in dieses und jenes Nervengebiet ohne weiteres auf eine Fortbewegung des patho- losisch-anatomischen Prozesses (Neuritis usw.) zu beziehen. Aber diese Schlussfolgerung ist keineswegs zwingend: es kann sich ebenso- wohl auch um Irradiationen hyperalgetischer Bezirke handeln, welche durch einen stabilen Reizzustand geschaffen sind. Ja, der Nerven- stamm selbst kann, wie gezeigt wurde, sekundär druckschmerzhaft werden. Dies kommt auch klinisch vor und kann dann leicht irre- führend wirken. Vorstehende Arbeit wurde grösstenteils während meines Aufent- haltes im Felde ausgeführt. Dies möge zur Entschuldigung dafür dienen, wenn dieselbe hier und da technischen Laboratoriums- ansprüchen nicht voll genügt. 37 (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.) Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen des Rückenmarkes von Warmblütern und Kaltblütern. Von W. Storm van Leeuwen und M. van der Made. (Mit 19 Textfiguren.) In einer früheren Untersuchungsreihe über die Wirkung einiger Arzneimittel auf die Reflexfunktionen des Rückenmarks hat der eine von uns [Storm v. Leeuwen!)] gezeigt, dass sich an der dekapitierten oder dezerebrierten Katze durch elektrische Reizung mit Strömen von konstanter Stärke und bei gleichbleibendem Reiz- intervall längere Reihen von Beuge- oder Streckreflexen von an- nähernd gleicher Intensität auslösen lassen. Bei derartigen Versuchen kommt es aber — wie schon damals erörtert wurde — gelegentlich zu (scheinbar) spontanen Schwankungen in der Grösse der Reflexe. Diese spontanen Schwankungen stören bei genauen pharmakolo- gischen Untersuchungen sehr und es war deshalb erwünscht, die Ursachen derselben zu finden. Beim Arbeiten an der dezerebrierten Katze kann, wie Soecin und Storm van Leeuwen?) nachgewiesen haben, eine kleine Änderung der Kopfstellung der Tiere schon Einfluss auf die Grösse der ausgelösten Reflexe ausüben; aber auch wenn dieser Fehler vermieden oder wenn an der dekapitierten Katze gearbeitet wird, kommen immer noch Schwankungen unbekannten Ursprungs vor. Es erhob sieh nun die Frage, ob nicht Änderungen l) W. Storm van Leeuwen, Quantitative pharmakologische Unter- suchungen über die Keflexfunktionen des Rückenmarkes an Warmblütern. Pflüger’s Arch. Bd. 154 S. 307. 1913. 2) Ch. Socin und W. Storm van Leeuwen, Über den Einfluss der Kopfstellung auf phasische Extremitätenreflexe. Pflüger’s Arch. Bd. 159 S. 251. 1914. 38 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: in der Temperatur der Versuchstiere Schwankungen in der Reflex- grösse hervorrufen könnten. | Nach Erfahrungen bei früheren Untersuchungen schien dieses wahrscheinlich, und es war deshalb wünschenswert, in einer besonderen Versuchsreihe den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunk- tionen des Rückenmarks an Warmblütern zu untersuchen. Nach den ersten Versuchen in dieser Richtung stellte sich heraus, dass die Körpertemperatur der Versuchstiere (welche immer vom Rektum aus gemessen wurde) innerhalb bestimmter Grenzen (zwischen 35 und 37°C.) ziemlich wenig Einfluss auf die Intensität der Reflexe ausübte. Unterhalb und besonders oberhalb dieser Grenze aber lässt der Einfluss der Temperatur sich in ausgesprochener Weise merken. Nach diesen Erfahrungen und ausgehend von dem Gedanken, ' dass bei pharmakologischen Versuchen die Resorption und Wirkung von Giften auf Tiere ohne Wärmezentrum von der Temperatur ab- hängig sein könnte, wurde eine Methode auszubilden gesucht, um die Temperatur von dekapitierten oder dezerebrierten Tieren längere Zeit auf einer konstanten Höhe zu erhalten. Wie unten genauer beschrieben werden soll, gelang uns dieses in relativ einfacher Weise. Das Tier (ausschliesslich Katzen kamen zur Verwendung) lag auf einer elektrisch geheizten Unterlage und wurde ausserdem von oben durch eine Glühlampe erwärmt, welche automatisch erlosch, wenn die Temperatur des Tieres zu hoch wurde, und wieder eingeschaltet wurde, wenn die Temperatur zu stark sank. Bei näherer Unter- suchung erwies sich diese Methode aber für Reflexversuche als un- zweckmässig; denn es stellte sich heraus, dass sehr oft das Anbringen der Glühlampe über dem Tiere die Reflexe innerhalb weniger Minuten sehr stark beeinträchtigte, so dass dieselben bis auf einhalb oder noch weniger der Anfangshöhe zurückgingen. Es musste deshalb für Reflexversuche eine andere Methode gesucht werden. Auf Rat von Prof. Magnus versuchten wir nun durch Magen- spülungen mit warmem Wasser die Körpertemperatur der Tiere aufrechtzuerhalten. Diese Spülungen benachteilisten, wenn die Temperatur des Spülwassers nicht zu hoch genommen wurde, die Reflextätigkeit in keinerlei Weise. Deshalb wurde diese Methode weiter ausgebildet, und schliesslich kamen wir auf ein sehr einfaches Verfahren, wobei von einem Wasserbade mit Niveauhalter aus der Magen des Tieres permanent mit warmem oder kaltem Wasser durchspült wurde. Die Temperatur des Wasserbades wurde hierbei Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 39 von einem ins Rektum der Tiere eingeführten Thermoregulator aus reguliert. Eine genauere Beschreibung dieses Apparates wird unten gegeben werden. Wie schon hervorgehoben, ergab sich aus unseren Versuchen, dass bei einer Körpertemperatur von 35—37° die Reflexe ziemlich konstant bleiben. Bei höheren Temperaturen tritt meistens eine ziemlich schnelle Steigerung ein, die bei 33° ihr Optimum erreicht, während bei noch höheren Temperaturen die Reflexe rasch an Grösse abnehmen, ohne jedoch bei der höchsten Temperatur, welche er- reicht wurde (42°), ganz zu verschwinden. Dieser Befund widerspricht nicht den früheren Erfahrungen Sherrington’s u.a., dass dekaptierte Tiere für höhere Tempera- turen sehr empfindlich sind. Es ist sehr gut möglich, dass die Tiere - bei stundenlangen Versuchen am besten in gutem Zustand bleiben, wenn man die Temperatur nicht zu hoch steigen lässt (vielleicht schon infolge des Umstandes, dass bei niederer Temperatur der Stoff- wechsel auf ein niedrigeres Niveau eingestellt wird), das Optimum für eine kurzdauernde Reflextätigkeit aber trotzdem bei relativ hoher Temperatur liegt. Genaue Angaben über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexe bei Warmblütern fehlen übrigens in der Literatur. Dagegen finden sich eine grosse Menge Angaben über den Unterschied, welcher in dieser Beziehung zwischen Kalt- und Warmfröschen besteht. All- semein wird angenommen, dass bei Kaltfröschen Reflexe viel leichter auslösbar sind als bei Warmfröschen. Die diesbezügliche Literatur wird unten weiter besprochen werden, nur sei hier hervorgehoben, dass Biedermann zum Beispiel das verschiedene Verhalten von Kalt- und Warmfröschen auf Änderungen im Stoffwechsel dieser Tiere zurückführt, indem er annimmt, dass im Winter dissimilatorische Prozesse zurückgedrängt und assimilatorische Prozesse gesteigert sind, so dass im Winter Energie gespeichert wird. Der scheinbare Gegensatz in der Reaktion auf Temperatur- wechsel zwischen Kaltblütern und Warmblütern veranlasste uns, einige Versuche an Fröschen vorzunehmen. Es wurde sowohl am Winter- wie am Sommerfrosch der minimale Reiz festgestellt, der bei einer bestimmten Temperatur noch eben ausreichend war, um einen Reflex auszulösen. Dabei wurde gleichzeitig getrachtet, die Frage zu entscheiden, ob in der Reaktion des Winter- und des Sommerfrosches ein prinzipieller Unterschied vorhanden ist, ob ein 40 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: Winterfrosch nur deshalb bessere Refiexe gibt, weil er kälter ist, und ob bei gleichbleibender Temperatur Winter- und Sommerfroseh gleich reagieren. Es stellte sich hierbei heraus, dass zwischen der Reaktion der Warmblüter und des Winterfrosches auf verschiedene Temperaturen kein prinzipieller Unterschied bestehe, das heisst, für beide besteht eine bestimmte Optimumtemperatur, bei welcher die Reflexe am besten auslösbar sind. Dieses Optimum liegt bei der dekapitierten Katze bei 38°, beim dezerebrierten Kaltfrosch bei 5° (und ein zweites Optimum bei 19— 21°). Der dezerebrierte Sommer- frosch reagiert prinzipiell in derselben Weise wie der Winterfrosch, ist aber meistens weniger erregbar, rascher ermüdbar und reagiert oft bei Versuchen mit wechselnder Temperatur plötzlich überhaupt nicht mehr. Nachfolgend die genauere Beschreibung der Versuche an dekapi- tierten Katzen und an Fröschen. Versuche an dekapitierten Katzen. Methodik. Bei diesen Untersuchungen an dekapitierten Katzen war die Versuchsanordnung im wesentlichen dieselbe wie in den oben zitierten Versuchen von Storm van Leeuwen. Das Versuchstier (Katze) wurde nach der Sherrington’schen!) Methode dekapitiert. Danach lag das Präparat ruhig unter ausgiebiger künstlicher Atmung auf einer elektrisch geheizten Unterlage, bis die Narkose abgeklungen war und das Tier sich vom Schock erholt hatte. Dann wurde durch Reizung des N. peroneus mit Einzelinduktions- schlägen jede Minute ein Reflex ausgelöst und graphisch registriert. Es wurde in den hier zu -beschreibenden Versuchen nur der homo- laterale Beugereflex benutzt, weil derselbe nach früheren Erfahrungen am leichtesten auslösbar ist und die wenigsten Schwankungen in der Intensität zeigt. Wiewohl in den früheren pharmakologischen Untersuchungen die Temperatur der Versuchstieres gelegentlich gemessen worden war (dieselbe betrug dann meistens ca. 35°), wurde damals auf ein genaues Aufrechterhalten einer bestimmten Körpertemperatur nicht besonders geachtet. Jetzt aber war es notwendig, eine Methode zur künstlichen Erhitzung zu haben, die erstens einen raschen Temperatur- 1) C. S. Sherrington, A Mammalian Spinal preparation. Journ. of physiol. vol. 38 p. 375. 1909. Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 41 wechsel der Tiere gestattet und zweitens die Möglichkeit bietet, die Präparate während längerer Zeit auf konstanter Temperatur zu halten. Es gelang uns in zwei Weisen, ein brauchbares Verfahren auszuarbeiten : a) durch elektrische Heizung; b) durch permanente Magenspülung mit warmem oder kaltem Wasser. Wiewohl die erste Methode sich für Reflexversuche als unzweck- mässig erwies, wird sie hier doch beschrieben werden, weil sie für pharmakologische Untersuchungen anderer Art sehr brauchbar ist. a) Elektrische Heizung. Das Prinzip dieser Methode wurde einer Mitteilung von Eyster und Loevenhart!) entnommen. In dieser Mitteilung ist beschrieben, wie die Temperatur eines Wasserreservoirs durch elektrische Glühlampen auf konstanter Höhe gehalten werden konnte. Wir haben dieses Prinzip für unsere Zwecke umgearbeitet und zum folgenden Verfahren ausgebildet. Der Tisch, auf dem das Versuchstier liegt, wird durch elektrische Glühlampen von unten geheizt, aber die Zahl der Lampen wird so gewählt, dass die hierdurch hervorgerufene Hitze nicht ausreicht, um das Tier auf konstanter Temperatur zu erhalten. Wird also nichts Weiteres gemacht, so kühlt das Tier sehr allmählich ab. Um nun eine bestimmte Körpertemperatur aufrechtzuerhalten, wird ins Rektum des Tieres eine Art Thermoregulator eingeführt. Dieser Apparat (s. Fig. 1) besteht aus einem geschlossenem Kupferzylinder, dessen eine Ende (welches konisch zuläuft) ins Rektum eingeführt wird; das andere Ende ist mit einem Gummistopfen geschlossen, welcher von einem Thermometer (7) durchbohrt wird. Am Kupferzylinder ist ein Seitenrohr angebracht, welches teilweise aus Glas besteht und eben- falls mit einem Gummistopfen geschlossen ist. Durch diesen Gummi- stopfen geht ein feines U-Rohr, welches teilweise mit Quecksilber gefüllt ist. Ein (offener) Schenkel dieses Rohres bleibt innerhalb des Zylinders, der andere Schenkel ragt oben heraus. Auf letzterem ist eine Schraubenmutter angebracht durch welche Platindraht (P) mit Schraubenwindung geht. Der ganze Apparat ist mit 10 /oiger CaCl;- Lösung gefüllt. Wird nun dieser Thermoregulator ins Rektum des Tieres einge- führt, so steigt natürlich die Temperatur der Ca0l,-Lösung. Hierdurch wird das Quecksilber im linken Schenkel des U-Rohres nach unten gedrängt und steigt infolgedessen im rechten Schenkel. Hat dieses ein bestimmtes Niveau erreicht, so stösst es gegen den Platindraht P. 1) J. A. E. Eyster and A. S. Loevenhart, An apparatus for the per- fusion of isolated organs especially the isolated mammalian heart. Journ. of pharmacol. and exp. therap. vol.5 p. 57. 1913. 42 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: Es wird hierdurch eine Metallverbindung hergestellt zwischen einer mit dem Metalldraht P und einer mit dem Quecksilber in Verbindung stehenden Klemmschraube. Diese beiden Klemmschrauben sind mit einem Relais verbunden, welches in die Drahtleitung der über dem Versuchstier aufgestellten Glühlampe eingeschaltet ist. Die Schaltung ist so eingerichtet, dass der Stromzufuhr zur Glühlampe in dem Relais unterbrochen wird, sobald die Rektum- temperatur des Tieres (welche auf dem Thermometer (7) abgelesen werden kann) eine bestimmte Höhe erreicht. Es sinkt dann selbst- verständlich die Temperatur des Tieres. Sowie der Kontakt zwischen Fig. 1. Thermoregululator zur Einführung in das Rektum dekapitierter Katzen. Beschreibung siehe im Text. dem Metalldraht P und dem Quecksilber aufgehoben ist, brennt auch die Lampe wieder. Durch Ein- und Ausschrauben des Metalldrahtes P kann man die Temperatur einstellen, bei der im Relais die Strom- zufuhr zur Glühlampe unterbrochen wird. Diese Einrichtung hat sich als sehr brauchbar erwiesen. Man kann in dieser Weise die Temperatur dekapitierter und dezerebrierter Tiere stundenlang konstant (oder wenigstens innerhalb enger Grenzen schwankend) erhalten. Wie aber schon oben bemerkt wurde, hat diese Methode bei Reflexversuchen den Nachteil, dass durch die über dem Tiere aufgestellte Lampe die Reflextätigkeit sehr be- einträchtigt wird, wie zum Beispiel aus Fig. 2a u. 2b ersichtlich ist. Es ist dieses wieder ein Beispiel dafür, wie durch Reize (in diesem Falle Wärmereize von der Hand aus) Reflexe gehemmt werden können. Wenn es sich aber nur darum handelt, Tiere auf kon- 2] 3] Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. ‘Issnyursaqun Zu UAUOLNEAUONTINSNAL — 198019 J10J0S U9P.IOM OXxOXOY AI “urspuo odweiynpg Oyasıyya[D 99]]I59%pme AaL] wap Aoqn au pam ©» 19] "EZ dry UT OIM Sunupiouy °TA YonSsı0aA adweg uoy][94sodfne a9L], wop doqn Aura Sunuaajyumg yoeu axoajjJoy dop u9pa9amMAaassoın sojjauyag Ag "Std on Fam adwm 1 ‘Issngursaqun uodwer a9p uadunıquy Sep yanp uaqıofq (77) USEUONNEILONTONSNAL WINOApUr OIgq "IQ Oyoyqny oyarpsunadsın dAyT AOPoIm 9Xayay aIp u9gey uapmumm Z qfeyaouuı ‘u1ayuo uadwerf opıaq uopI9M 9 TOg 'AOULO]N Y9oU UOPIOM 9Xoyay oıp *odwerg 9yaAmz au 7 19T ’USPA9M Aoulaj] IX9FOY ALP Y9ınpom ‘J][89s93 AL] sep aoqn odurepyost] oydsııJoJD our pım » 1oq — 's9urg SIp Zundnag = uago weu ga "wyO 000031 Say uarepunyas wp "y 00° OyıeIszıay (X) OXdgeaasnag Aferayepouoy "9zyeyj aylomıdeyag IA YOnSsı9A — 'USPunYaS ur 419Z Ip IqLS Alu 9rayun All] "U9Y9S19A I JIW UOUOLNEAUONTONSUA Op *>< ur 9998 purs 9Xopoyy AI "PUWDISZIZINE UONMEAUONINSNN U9ISOJOFSnE snauo1ad "N usaaydııad sop Sunziayy yoınp Aaopal 19q pun xoyoy wopol 1994 Sjoqsf USUAPUngLBA uraqaajurfg wop Yu sap uayoygny aIp (aIuıT 91910) purs u9AansLy uadlıeIop UHPU9SJ0] up ur pun AosoIp uf OXx9]Joy A9p 98soAHd 9ıp June adweyn]g U94]J9ISASFnEe aaL]L, wop doqn Aaoure Ssnjyurm "eZ "old gan or N re . “ De wa“ “odaop Ya ät am wadwog 4 adwuy ash], 44 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: stanter Temperatur zu halten oder wenn pharmakologische Unter- suchungen angestellt werden, wobei die Reflextätigkeit ausser Be- tracht bleibt, ist die Methode sehr brauchbar. Für unsere Zwecke hat sich aber die jetzt zu beschreibende Methode besser bewährt. b) Methode mit permanenter Spülung des Magens. Das Prinzip dieses Verfahrens ist äusserst einfach, und elektrische Heizung ist hierbei ganz entbehrlich. Es werden bei den Versuchs- tieren durch den Ösophagus zwei Katheter in den Magen eingeführt. Durch den einen Katheter fliesst aus einem Wasserbad mit Niveau- halter warmes Wasser in den Magen; durch den zweiten Katheter fliesst das Wasser ab. Das Wasserbad wird durch einen Bunsenbrenner Fig. 3. Schema der Aufstellung bei der Erhitzung einer dekapi- tierten Katze durch permanente Magenspülung mit warmem Wasser. geheizt, und die Grösse der Flamme dieses Brenners wird von einem gewöhnlichen gläsernen Thermoregulator, der ins Rektum des Tieres eingeführt ist, reguliert. Vorstehendes Schema (Fig. 3) veran- schaulicht diese Anordnung. Um die Durchspülung auf den Magen zu beschränken, wurde unmittelbar nach der Dekapitation die Bauch- . wand des Tieres durch einen kleinen Schnitt geöffnet, der Pylorus mit einem Wollfaden abgebunden und die Bauchwunde danach wieder sorgfältig vernäht. Die Temperatur im Rektum konnte an einem in den Thermoregulator eingeschobenen Thermometer abgelesen werden. Manch- mal wurde auch ein Thermometer durch die Laparotomie-Wunde in die Bauchhöhle des Tieres geschoben und festgebunden. Wird -bei Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 45 dieser Versuchsanordnung die Temperatur des Tieres zu hoch und wird infolgedessen die Gasflamme unter dem Wasserbade gedämpft, so kühlt sich infolge des fortwährenden Einlaufens von kaltem Wasser aus der Wasserleitung das Wasser im Wasserbade sehr schnell ab; es dauert dann meistens ziemlich lange, bis das Wasser im Wasser- bade wieder eine Temperatur erreicht hat, welche die des Tieres über- steigt. Durch diesen Umstand unterlag die Körpertemperatur des Versuchstieres ziemlich grossen Schwankungen, und es hat sich deshalb als zweckmässig herausgestellt, das Wasserbad mit zwei Brennern zu erhitzen, von denen nur der eine mit dem Thermoregulator in Verbindung steht und der zweite immer gleich hoch brennt. Hierdurch wurde ein zu tiefes Herabsinken der Temperatur des Wasserbades und die hierdurch verursachten zu grossen Schwankungen in der Körpertem- peratur des Tieres beseitigt. Die Temperatur des.Tieres blieb bei dieser Versuchsanordnung bis auf 1!/a bis 2° C. konstant, was für unsere Zwecke vollkommen ausreichend war. Wir haben deshalb nicht versucht, eine grössere Konstanz in der Körpertemperatur zu erreichen, sind aber überzeugt, dass durch genauere Einstellung der beiden Gas- flammen eine feinere Regulierung der Körpertemperatur sehr gut mög- lich wäre. Die hier beschriebene Methode zur künstlichen Warmhaltung dezerebrierter oder dekapitierter Tiere beeinflusst die Reflextätiekeit der Tiere fast nie. Nur wenn man an sehr schlechten und schwach reagierenden Präparaten arbeitet, und besonders wenn man die Temperatur des Wassers zu hoch oder zu niedrig werden lässt, kann man gelegentlich eine Beeinträchtigung der Reflexe beobachten. Meistens aber stört dieses Verfahren bei Reflexversuchen in keinerlei Weise. Als Beispiel siehe Fig. 4. _ Die Temperatur des einströmenden Wassers wechselte in den verschiedenen Versuchen zwischen 14°C. und 50°C. Die meisten Präparate ertrugen auch höhere Temperaturen bis zu 55°C. noch sehr gut. Die Befürchtung, dass das heisse Wasser im Magen das Herz schädigen könnte, traf nicht ein. Aus einer Mitteilung von Winogradow!) geht übrigens auch hervor, dass selbst das Dureli- strömen der Perikards eines sich in situ befindenden Herzens mit einer Flüssigkeit bis zu 60° C. die Funktion des Herzens nur wenig - beeinträchtigt, bei kurzdauernder Durchströmung werden sogar höhere Temperaturen gut ertragen. Trotzdem also auch höhere Temperaturen sut ertragen werden, haben wir es als zweckmässig befunden, in langdauernden pharmakologischen Versuchen die Temperatur des l) W. Winogradow, Über die unmittelbare Einwirkung hoher Tem- peraturen auf das Herz. Zeitschr. f. Biol. Bd. 60 S.1. 1913. »Jdopugaoaun Iq19]q aXxoyayf Op 985019 HIq uadurjodue °) „OF UA aosseq Au Sunmdsussey pim » log -wyo 000031 Stay uaıepunyos wI 'M 004 SNıejszIay ’oxayeısanag afersyepouog 'ozyeyy ayerdesog °A YonsıoA 3 OX9jroy Jap 98ssoAHg ap Jne Jassey WawWIen JTWw Sunjndsuasem Aop SSnjJumg 7'311 x a >) TR) ur, „oh uaA JISSOM W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: 46 Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 47 einströmenden Wassers 45° C. nicht übersteigen zu lassen. Einmal hatte das plötzliche Einströmen sehr kalten Wassers (15°) eine Reflexsteigerung zur Folge. Es war dies ein sehr schlechtes Präparat. In den meisten Fällen wurden auch sehr niedrige Temperaturen gut. ertragen. Nachdem man bei der beschriebenen Versuchsanordnung während einiger Zeit warmes Wasser durch den Magen hat strömen lassen, lässt offenbar der Tonus der Magenwand nach, und derselbe dehnt sich stark aus, sodass man ihn sich deutlich vorwölben sieht. Diese starke Magenfüllung! hemmt interessanterweise die Reflextätigkeit des dekapitierten (vaguslosen) Tieres in keiner Weise. Die Methode der permanenten Magenspülung mit Wasser eignet sich besonders gut in Fällen, wo es nötig ist, die Temperatur eines Versuchstieres schnell steigen oder sinken zu lassen. Es wird dann der Thermoregulator aus dem Rektum entfernt und das Wasser im. Wasserbade entweder auf 50°C. gebracht (eventuell wird ein Thermo- regulator ins Wasserbad gestellt, der die Temperatur des Wassers fortwährend auf 50° C. hält), oder es wird die Erhitzung des Bades ganz weggelassen, so dass nur kaltes Wasser aus der Wasserleitung dem Magen des Tieres zufliesst. In Fällen, wo es sich nur darum handelte, ein Präparat von niedriger Temperatur zu haben, und die Zeit keine Rolle spielt, wurde mitunter die ganze Erhitzungsvorrichtung weggelassen und auch die Magenspülung abgestellt. Die Temperatur eines derartigen Präparates sank dann innerhalb einiger Stunden sehr beträchtlich, in Versuch IV zum Beispiel von 39,5 bis 26 ° innerhalb von 5 Stunden und in Versuch III von 39° bis 31° innerhalb von 2 Stunden. In den Fällen, wo eine Spülung mit kaltem Wasser vor- genommen wurde, ging die Abkühlung natürlich viel schneller. Auch erhebliche Temperatursteigerungen waren mit der Magenspülung in verhältnismässig kurzer Zeit zu erreichen. In Versuch XXXII zum Beispiel stieg die Temperatur durch Spülung mit Wasser von 38° bis 43° C. innerhalb von 2!/« Stunden von 27° auf 38,49. — Versuchsergebnisse. Der Einflusss dieser Temperaturänderungen auf die Grösse der ausgelösten Beugereflexe lässt sich nun nach dem Ergebnis von . 35 Versuchen folgendermaassen schildern. Das Einfliessen von kaltem oder heissem Wasser an sich hat in der Regel keinerlei Einfluss auf Grösse und Typus der Reflexe. Steigt oder sinkt infolge der Magenspülung die Körpertemperatur des Tieres, so hat das auf die Grösse der Reflexe einen verschiedenen Einfluss, je nachdem ober- halb oder unterhalb einer bestimmten Temperatur, die meistens bei 38° liest, gearbeitet wird. In den meisten Versuchen war nämlich 48 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: diese Temperatur eine optimale, das heisst, bei 33° waren die Reflexe am grössten. Wurde die Temperatur höher oder niedriger, so wurden die Reflexe kleiner. Überstieg die Temperatur 38° (es wurde bis zu 42° gegangen), so war die Senkung in der Reflex- höhe meistens ziemlich rasch, während bei einem .allmählichen Senken der Temperatur unterhalb 35° die Abnahme der Reflex- srösse sehr langsam vor sich ging. Es sei hierbei bemerkt, dass derartige Versuche, bei welchen die Temperatur von 35° bis 26— 27° sinkt, immer mehrere Stunden dauern; da nun — wie auch schon in früheren Arbeiten beschrieben worden ist — bei langdauernden Versuchen, auch wenn die Temperatur konstant gehalten wird, die Reflexe immer allmählich etwas kleiner werden, ist also das Sinken der Reflexhöhe bei Versuchen, wo die Temperatur unter 35° sinkt, nicht nur auf die Abnahme der Temperatur zurückzuführen. Lässt man, von niedriger Temperatur ausgehend (z. B. 26°), dieselbe all- mählich bis zu 35° steigen, so kann es vorkommen, dass (wie wir in zwei Fällen beobachteten) die Reflexe während des ganzen Ver- suches praktisch auf konstanter Höhe bleiben. Offenbar wird in diesen Fällen eine infolge des Höherwerdens der Temperatur auf- tretende Steigerung der Reflexgrösse durch das bei langdauernden Versuchen immer. auftretende Sinken der Reflexhöhe gerade aus- geglichen. — Fig. 5 gibt ein Beispiel des Einflusses des allmählichen Sinkens der Temperatur, während in Fig. 6 der Einfluss einer all- mählichen Temperatursteigerung veranschaulicht wird. (Gewissermaassen als eine Ausnahme ist Versuch 7 zu betrachten {s. Fig. 7). Die Ausgangstemperatur war hier 34°. Durch Ein- giessen warmen Wassers in den Magen und später durch permanente Magenspülung mit Wasser von 42—47 ° wurde die Rektumtemperatur bis 42° in die Höhe getrieben. Bis zu 38° blieben die Reflexe fast konstant, dann aber wurden sie rasch grösser, stiegen immer- fort an und erreichten schliesslich erst bei 42° ihr Maximum, welches ausserordentlich hoch war. Dann aber sanken die Reflexe sehr rapid ab, so dass sie — wiewohl die Temperatur wieder herunterging — nach einigen Minuten kleiner als beim Anfang des ‚Versuches geworden waren. In diesem Versuch gelang es nicht, die Reflexe durch Senkung der Temperatur wieder auf ihren Aus- gangswert zurückzubringen. Offenbar hat die zu hohe Temperatur das Präparat dauernd geschädigt. 49 Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. "I 088 0 10Q 989] oygyxayoay 19p wnwndog seq "wgo 000051 SIWAy usaepunyas wI "4 000T UOA oyaejszıay ’OXoya1adnag Pfeasyepouwog — "Iyprıdsyuo 00T Iyez aap ayejodun 9portodjeunoNn Jap ayqoyqny aıp ssep “Yuyaaıadum 9sIaM Jap ur pun u9ss9wassne uapanM S[IAIH SOPp uayoyqng uagyayam HAI "usgqasue (HIurT SJaayund) saaaysyonszo‘ sap anyerodwaywungyay aIp pun (arurT X —— <<) u9xayay USISOJIASNE oynurm apaf u9p Taq S[egaH sap uayoyqng aIp uayeuıpıg PIp puaıqem ‘ussenaduld uamump- ur oz aıp assızsqy A9p June IST uadunjjfeIsaeq] uayasıydeıd uapUasjoF up pun uosaıp u] 'IJI yansıoy uoA Sunjfe4sieq Aydsıydeag 9X9]Jay T9p 9SSsoAdg 9aIp Jnw anyeaadwa], Aop Ssnjjurmg °C "Id ) Bee, Bars ann a Bern, Bee — OL "908 Me 08 0.098 seen OT 0.068 Bere Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. W. Storm van Leeuwen und M. van der Made ) "wyo 000051 Stoayp ueıgpunyos uf Oxapp.Iasnag Aferoyefowor "IIXXX yonSsıoA UOUOLJAWAJUON[ONSUM 99NoOALpur pun Axoajjoy ne Funıosıoysinyeaodwo]L Joyarıygujje ssnpzurg °9 "Br "7 00657 SleIszIaoy ınyerodwo] -uoynunmf ut oz -oyepnwump[y [ Stolyy uoıgwrd wy * UOUONNEAFUONJINSUM 9YNBAIpUr — » — » — 9Xoyoyy 9zjey u9yaaıygıdeyop aop L10q a De en as i rer ee + al ze au De | A H— Sr 5 LM u a Fee aa Vo ats — ıı. Sr = =—— ee ] ee = _- imesedue] A| 2 Be Bi | Beer Dr: = 0 oL 0% “snouoggd "N Sop Sunziaoyg yaıtıf Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 51 Im sekundären Kreis 120000 Ohm. Der bei h aufgezeichnete Reflex und der nächstfolgende erreichten eine Hubhöhe 290—300. Reizstärke 3500 K. an der dekapitierten Katze. nt S m ——ı BE —— © © SOTL- 2 2 O0 San Einfluss allmählicher Temperatursteigerung auf den homolateralen Beugereflex Reflexe, ------ Temperatur. — Versuch VII, SO oO © Q oa arm {er} Lam! Tuinard 100 Fig. 7. 340 C. 330 0 Wiewohl also aus diesen Versuchen hervorgeht, dass eine Ände- rung der Körpertemperatur der Versuchstiere immer eine Änderung in der Reflexgrösse mit sich bringt, so sind doch — wenn die Tem- peratur 37° nicht übersteigt — die Änderungen in den Reflexen so gering, dass selbst bei sehr exakten pharmakologischen Untersuchungen 4* 523 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: Temperaturschwankungen von 1—2° die Genauigkeit der Resultate nicht beeinträchtigen. Besonders zwischen 35° und 37° ist meistens praktisch kein Einfluss der Temperatur auf die Reflextätigkeit wahr- nehmbar. Es genügt also, auch in genauen pharmakologischen Ver- suchen die Temperatur innerhalb dieser Grenzen zu halten. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass an dekapitierten Katzen bei sehr niedriger Temperatur noch ausgezeichnete Reflexe auslösbar sind. Hieraus geht hervor, dass bei Versuchen, wo die Grösse der ausgelösten Reflexe nicht besonders berücksichtigt wird, und vor allem bei Demonstrationen, welche innerhalb 1Y/e oder 2 Stunden nach der Dekapitation beendet sind, eine künstliche Erhitzung des Versuchstieres zur Not entbehrlich ist. Dass übrigens Warmblüter noch bei sehr niedriger Temperatur am Leben erhalten werden und selbst eine Temperatur von 24° während einiger Zeit ohne grosse Nachteile für das Leben ertragen können, geht aus Versuchen von Symes!) hervor. Symes beobachtete bei Untersuchungen über die Wirkung des Luminals an Kaninchen, welche tagelang mit diesem Narkotikum in Narkose gehalten wurden, gelegentlich Temperatursenkungen bis zu 24°. Er konnte in einigen Fällen die Temperatur durch künstliche Erhitzung wieder in die Höhe bringen und die Tiere am Leben erhalten. Interessant ist noch, dass wir an dekapitierten Katzen bei sehr niedriger Temperatur (ca. 27°) wiederholt das Auftreten lebhafter Spontanbewegungen beobachteten. Diese Bewegungen waren nicht etwa durch erhöhte Erregbarkeit der Nerven oder Muskeln hervor- serufene Muskelzuckungen, sondern koordinierte Bewegungen der Vorder- und Hinterextremitäten. Meistens wurden eine Art Sprung- bewegungen gemacht. Waren diese Bewegungen einmal aufgetreten, so blieben sie vorhanden, solange die Temperatur niedrig blieb. - Durch Erwärmen der Tiere konnten dann die Bewegungen wieder zum Verschwinden gebracht werden, wie aus Fig. 8 ersichtlich ist. Bei dekapitierten Tieren ist der Blutstrom bei niedrigen Tem- peraturen äusserst langsam. Wenn man nämlich bei einem derartigen Tier die beiden Art. femoralis durchschneidet, so fliesst nur sehr langsam sehr dunkles Blut heraus. Wiewohl in all diesen Versuchen die dekapitierten Katzen sehr ausgiebig künstlich geatmet wurden, so dürfte doch bei dieser sehr geringen Kreislaufsgeschwindigkeit 1) W. L. Symes, Observations on anaesthesia by phenyl- ethyl-malonyl- urea. Journ. of physiol. vol. 49 p. 126. 1915. -uopuny9g UI 0Z '7soJOSSne xoyay ura ziay ne ou; opel nu pam ST "uapunmyosı9A puıs u9HSUnSonagqjmerT d9Iq 0 008 anyeaodwa], (F y9eu uaynumm 05) Z 9A 'ourog AOpIaq uHdundamaqyneT auwguodg 9 928 SAAL], Sp anyerodurggumngyoy F Bg — 'wyOQ 000081 SI9Ay uaıepunyos wu "MU 0065 ANıeIszIay (alu 919g0) Hx9Feay99xg Pfeaoyepeıjuoy pun (alurT 910Jun) Ixay91asnag afersyefowog *A YOnSTOA ınyeıodwsay 1981ıporu 19q azJeyy uoyıoıyıdeyoap aap uodundonaqyner aueyuodg '8 AL a ram mie an u a 54 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: die Sauerstoffzufuhr zu den Geweben — also auch zu dem Zentral- nervensystem — sehr gelitten haben. Niechtsdestoweniger konnte bei dekapitierten Katzen, welche nach der Dekapitation stundenlans ohne Erhitzung gelegen hatten und deren Temperatur infolgedessen sehr herabgesunken war, durch Einzelinduktionsschläge geringer In- tensität noch sehr kräftige Reflexe ausgelöst werden (zum Beispiel bei Versuch IV 5 Stunden ohne Erhitzung, 27° C. Temperatur, Reizstärke 200 K. und 120000 Ohm im sekundären Kreis). Hieraus geht hervor, dass das Sauerstoffbedürfnis des Zentralnervensystems bei einer Temperatur, die etwa 10°C. unter der Norm liegt, sehr gering ist. Es ergab sich — nach Feststellung dieser Tatsache — die Frage, ob die Reaktionsfähigkeit des Rückenmarkes auf Gifte bei niedriger Temperatur auch verringert ist. Reaktion des Rückenmarkes auf Gifte bei niedriger Temperatur. Weil wir nun zu anderen Zwecken eine Untersuchungsreihe über den Einfluss des Äthers auf den homolateralen Beugereflex der dekapitierten Katze angestellt hatten, lag es auf der Hand, auch die Wirkung des Äthers bei niedriger Temperatur zu studieren. Über das Resultat der Ätherversuche wird in einer folgenden Mitteilung ausführlich berichtet werden. Hier sei nur erwähnt, dass bei diesen Untersuchungen unter anderem die Äthermenge bestimmt wurde, welche nötig war, um den homolateralen Beugereflex bei dekapitierten Katzen zum Verschwinden zu bringen. Diese Versuche wurden nun ebenfalls bei niedriger Temperatur angestellt, wobei sich heraus- stellte, dass es dann ausserordentlich lange dauert, bis die Reflexe durch den Äther zum Erlöschen gebracht wurden. Die Zufuhr des Narkotikums geschah durch die künstliche Atmung, wie das früher für das Chloroform beschrieben worden ist.!) Aus Fig. 9 u. 10 ist ersichtlich, wie bei niedriger Temperatur, selbst wenn enorm hohe Konzentrationen Äther zugeführt werden, die Reflexe langsamer verschwinden, als es bei normaler Temperatur mit mässiger Konzentration der Fall ist. Es muss hier bemerkt werden, dass die Deutung derartiger Ätherversuche durch den Umstand erschwert wird, dass — wie in 1) W. Storm van Leeuwen, loc. cit. Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 55 später zu beschreibenden Versuchen sich herausgestellt hat — ver- schiedene Tiere für Äther sehr verschieden empfindlich sind, und dass es Präparate gibt, welehe gegen Äther auch bei gewöhnlicher Temperatur sehr resistent sind. 120 100 A Temperatur 260€... 20 ZA CO Fig. 9. Einfluss hoher Ätherkonzentration auf den homolateralen Beugereflex bei niedriger Temperatur. Reflexe, — — — — Temperatur, — : — » — indirekte Muskelkon trak- tionen. — Versuch IV. Reizstärke 600 K. Im sekundären Kreis 120000 Ohm. Bei 1 Äther 1%/ (hohe Konzentration), bei 2 Äther 1%ı, bei 3 Ather !%o (nur ätherbeladene Luft wird zugeführt). Indessen auch unter Berücksichtigung dieser Fehlerquelle ist die Deutung der Ätherversuche bei niedriger Temperatur nicht einfach. Es hat sich nämlich in diesen Versuchen herausgestellt, dass bei niedriger Temperatur unter bestimmten Umständen durch 56 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: Reizung des zentralen Peroneusstumpfes mit Einzelinduktionsschlägen Muskelkontraktionen im Gebiete des peripheren Peroneus auftreten können, welche nicht reflektorischer Natur sind, aber selbstverständ- lich das Vorhandensein eines homolateralen Beugereflexes vortäuschen können. — Weil dieser Umstand wichtig ist zur Entscheidung der Frage, ob überhaupt bei niedriger Temperatur Reflexveränderungen mit der von uns verwendeten Anordnung fest- gestellt werden können, muss auf diese Erscheinung näher eingegangen werden. >. 5 Be } Li j Das Auftreten von Muskelkontrak- tionen nicht reflektorischer Natur nach Reizung des N. peroneus wurde zuerst in Versuch XXXIa beobachtet. In diesem Versuch wurden bei niedriger Temperatur in der gewöhnlichen Weise homolaterale Beugereflexe ausgelöst und dieselben da- nach mit Äther zum Verschwinden gebracht. Das Tier war gegen Äther sehr resistent, aber nach Zufuhr einer hohen Ätherkon- zentration in der Einatmungsluft wurden die Reflexe allmählich kleiner, und schliesslich verschwand die Beugekom- ponente ganz, und es trat nur .auf jeden Reiz (wie das noch in einigen anderen Versuchen beobachtet wurde) eine kleine Streckung des Fusses auf. Nach weiterer Ätherzufuhr machten diese Streckungen wieder Beugungen Platz, welche nach und nach etwas grösser wurden und trotz Zufuhr hoher Ätherkonzentrationen auf konstanter Höhe blieben. Weil nun ein ar derartiges Verhalten von einem Reflex ; $ nicht vorauszusehen war, wurde schliess- ne 10. Verschwinden des jjen der N. peroneus zentralwärts von omolateralen Beuge- ; > : neflexes auf eine kleine der Reizstelle mit ZenemspEodensgan- Ätherdosis bei normaler gebunden. Der hierauf folgende Reiz Temperatur, verursachte eine Muskelkontraktion von Reizstärke 2000 K. Im sekun- genau derselben Intensität wie vor dem es a ih Abbinden des Nerven. Damit war also bei d Blutentnahme. ‘ Zeit in bewiesen, dass die zuletzt ausgelösten Minuten. Kontraktionen keine Reflexe gewesen waren. Es wurde nun der N. peroneus so weit wie möglich von dem N. tibialis lospräpariert, es erfolgte aber auch hiernach noch stets auf Reizung des zentralen. Peroneus- stumpfes eine Beugung im Fussgelenk. Weil’ an die Möglichkeit gedacht wurde, dass in der Doppelelektrode, welche die beiden Enden Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 57 des N. peroneus enthielt, auf irgendeine Weise eine Reizung des peri- pheren N. peroneus stattfinden könnte, wurde der periphere Peroneus- stumpf durchschnitten. Dies übte keinen Einfluss auf die Reiz- erscheinung aus. Wurde aber ein Stück des peripheren N. peroneus exstirpiert, so traten auf Reizung des zentralen Peroneus keine Muskelkontraktion mehr auf. In dem beschriebenen Versuch wurde mit Einzelinduktionsschlägen gereizt. Die sekundäre Spirale des be- nutzten Kronecker-Induktoriums war auf 4500 K. eingestellt. Im primären Kreis befand sich ein Akkumulator, im sekundären Kreis war ein Kohlenwiderstand von 120 000 Ohm eingeschaltet. Der Ursprung der hier beschriebenen Erscheinung ist nicht ganz klar. Bevor ein Erklärungsversuch gemacht werden kann, muss erst die Frage gestreift werden, ob nicht einfach während der ganzen Dauer des Versuches Stromschleifen aufgetreten sind, so dass über- haupt keine Reflexe ausgelöst wurden. Hiergegen kann folgendes be- merkt werden: Die in dem beschriebenen Versuch XXXI A zuletzt vorhandenen Kontraktionen waren gegen Äther sehr unempfindlich, oder vielmehr sie wurden nach Ätherzufuhr grösser. Auch in anderen später be- obachteten Fällen, wo dieselbe Erscheinung auftrat, wurden die abnormen Muskelkontraktionen auf Zufuhr von Äther immer — und nach Chloro- form ebenfalls — grösser und waren noch deutlich vorhanden, nachdem das Versuchstier schon längst totnarkotisiert war. Im Versuch XXXI A aber sind auf Ätherzufuhr die ursprünglichen Kontraktionen kleiner geworden, dann hat sich ihr Typus geändert, und schliesslich sind dann Kontraktionen aufgetreten, welche nicht reflektorischer Natur waren. Die ersten Kontraktionen, welche durch Äther kleiner wurden, sind also als Reflexe zu betrachten. Hierfür spricht auch der Umstand, dass nach Ätherzufuhr zeitweise Streckungen auftraten. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die abnormen Kontraktionen erst einen Beugungs- typus, dann einen Streck- und nachher wieder einen Beugungstypus hätten. Gegen die Annahme, dass während der ganzen Dauer des Ver- suches nur durch Stromschleifen hervorgerufenene Kontraktionen regi- striert worden seien, spricht nicht nur der Umstand, dass wir früher gelegentlich bei derselben Versuchsanordnung das Auftreten von Strom- ‘ schleifen ausschliessen konnten, sondern auch besonders die in einer vor kurzem erschienenen Mitteilung von Sherrington und Sowton!) sefundenen Tatsachen. Sherrington und Sowton unterzogen die durch Einzelinduktionsschläge ausgelösten Reflexe einer genauen Unter- suchung, und hierbei stellte sich unter anderem heraus, dass bei Be- nutzung der Sherrington’schen Elektrode (die auch in unseren Versuchen zur Verwendung kam) bei Reizung mit Einzelinduktions- schlägen mit Reizstärke 7000 K. (100000 Ohm im sekundären Kreis) keine Stromschleifen auftraten. In unseren Versuchen war die ge- 1) C. J. Sherrington and S. C. M. Sowton, Observations on reflex responses to single breack-shocks. Journ. of physiol. vol. 49 p. 331. 1915. 58 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: wöhnlich benutzte Reizstärke 2500—4500 K. (im sekundären Kreis 120 000 Ohm). Aus alledem geht also hervor, dass in unserem Versuch XXXI A am Anfang des Versuches sicher Reflexe, am Ende des Versuches jedoch durch dieselben Reize sicher Muskelkontraktionen nicht reflek- torischer Natur ausgelöst worden sind. Weil diese Muskelkontraktionen im Anfang des Versuches nicht vorhanden waren, so muss sich während des Versuches etwas geändert, und zwar höchstwahrscheinlich die Erregbarkeit des peripheren N. peroneus gesteigert haben, so dass Stromschleifen diesen Nerv erregen konnten. Man muss also wohl annehmen, dass durch die Kombination von zweierlei schädlichen Einflüssen (niedrige Temperatur und Narkose) das Tier in einen Zustand gerät, in dem die Nerven eine erhöhte Reiz- barkeit oder Leitfähigkeit erhalten. Analoga liegen vor. So tritt in ‘den Nerven des Winterfrosches nach Abkühlung eine erhöhte Reiz- barkeit auf. Biedermann!) hat schon 1900 darauf hingewiesen, dass für den motorischen Nerven des Kaltfrosches das du Bois- Reymond'sche Reizgesetz nicht gilt In unserem Falle trat die Erscheinung am N. peroneus auf nach Abkühlung und Schädigung des Tieres (durch das Narkotikum). Wahr- scheinlich liegt hier eine Absterbeerscheinung vor. Dass übrigens in derartigen Versuchen das Präparat noch lebt, dass heisst das Herz noch schlägt, geht aus dem Umstand hervor, dass dem Rücken- mark eines solchen Präparates mit dem Blutstrom noch erhebliche Mengen Äther zugeführt werden können (es wurde bis zu 0,24 °/o ge- funden), was bei stillstehendem Herzen wohl als unmöglich zu be- trachten wäre. Vielleicht kommt auch bei Warmblütern eine ähnliche Erscheinung vor. So sieht man unter bestimmten Umständen vom Herzen aus sekundäre Zuckungen des Zwerchfells auftreten, infolge von Impulsen, welche dem Zwerchfell durch den N. phrenicus zufliessen. Hering hat diese Erscheinung zuerst beschrieben; Schiff beobachtete nachher das Auftreten dieser Zwerchfellzuckungen nach Durchschneidung des N. phrenicus und meirte, dass die Erscheinung auf einer Erreebar- keitssteigerung des Nerven beruhe. Munk und Schulz wiesen nach, dass die sekundären Zwerch- fellzuckungen auch beim intakten N. phrenicus auftreten können, wenn nämlich dieser Nerv aus der ihn umgebenden Scheide. frei präpariert wird und das Herz nach hinten sinkt, so dass der N. phrenicus direkt vom Herzen berührt wird. Langendorff?) hat dann schliesslich die Bedingungen, unter denen die Erscheinung auftritt, genau unter- sucht. Er fand, dass man das Phänomen auch beobachten kann ohne 1) W. Biedermann, Beiträge zur Kenntnis der Reflexfunktion des Rücken- markes. Pflüger’s Arch. Bd. 80 S. 408. 1900. 2) 0. Langendorff, Elektrophysiologische Mitteilungen. Pflüger’s Arch. Bd. 93 S. 277. 1903. — O. Langendorff, Notiz, die sekundären Zwerch- fellzuckungen betreffend. Pflüger’s Arch. Bd. 94 S. 555. 1903. Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 59 Nervendruck und ohne den Nerv frei zu präparieren und ohne selbst den Thorax zu eröffnen. „Es genügt sehr oft, um bei der Katze die Erscheinung zu sehen, dem chloroformierten Tier eine grössere Blut- menge zu entziehen oder auch es gänzlich zu verbluten zu lassen.“ Wurde einem Tier, das nach der Verblutung die Erscheinung zeigte, wieder Blut injiziert, so hörten die sekundären Zwerchfellzuckungen wieder auf. Nach Langendorff entsteht diese Erscheinung wahr- scheinlich dadurch, dass durch die Anämie das Herz so verlagert wird, dass die Nn. phreniei, besonders der linke in eine für das Zustande- kommen der Erscheinung günstige Lage zum Herzen gelangt. Er stellt aber eine eventuelle Erregbarkeitssteigerung des Nerven nicht ganz in Abrede. „Ausserdem, sagt er, mag auch eine Erregbarkeits- steigerung des Nerven im Spiele sein, vielleicht bedingt durch das Absterben des Zentralorgans.“ Wenn dieses zutrifft und also Schiff’s Erklärung richtig ist, so würde ein weiteres Beispiel vorliegen, wo sich nach Schädigung des Tieres (in casu GChloroformierung plus Blutentnahme) eine Erregbarkeitssteigerung eines motorischen Nerven zeigt.“ Nachdem die beschriebene Erscheinung im Versuch XXXIa zur Beobachtung gekommen war, wurde natürlich in allen weiteren Versuchen bei niedriger Temperatur danach gefahndet, ob eine ge- steigerte Erregbarkeit der Nerven aufgetreten sei, und in mehreren Fällen wurde auch diese Erscheinung beobachtet. Dieser Umstand hat zur Folge, dass Reflexversuche, bei welchen bei niedriger Tem- peratur ein Narkotikum zugeführt wird, nicht einwandfrei sind. Es kann deshalb auf vier Versuche, in denen wir bei niedriger Tem- peratur den Äthergehalt des Blutes und des Rückenmarkes im Augen- blicke, wo die Reflexe bis auf 0—20°/o ihrer Ausgangswerte her- untergegangen sind, bestimmten, kein grosser Wert gelegt werden. Es wurde zwar ein relativ hoher Äthergehalt im Blut und Rücken- mark gefunden, aber nach dem oben Erwähnten ist es möglich, dass die beschriebene Erregbarkeitssteigerung des Nerves hierbei eine Rolle gespielt hat. Es wurde versucht, die Frage, ob das Rückenmark der deka- pitierten Katze bei niedriger Temperatur für Gifte weniger empfind- lich sei, durch Versuche mit Chloroform ihrer Lösung näherzubringen. Das Chloroform war für derartige Versuche deshalb vorzuziehen, weil aus einer früheren Arbeit von dem einen von uus!) hervor- gegangen war, dass der Einfluss des Chloroforms auf die Reflex- tätigkeit des Rückenmarkes sehr viel regelmässiger ist als der des 1) W. Storm van Leeuwen, |. c. 60 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: Athers, so dass der Chloroformgehalt des Blutes, bei dem der homo- laterale Beugereflex bei bestimmter Reizintensität verschwindet, genau bekannt ist. Fälle, wo Chloroform erregend wirkte oder wo die Tiere eine erhöhte Resistenz gegen Chloroform hatten, kamen nie zur Beobachtung, so dass — wie erwähnt — Versuche über die Wirkung des Chloroforms bei niedriger Temperatur am Platze schienen. In einem derartigen Versuch wurde tatsächlich ein sehr hoher Chloro- formwert gefunden. In Versuch Ia nämlich waren bei einem Chloro- formgehalt des Blutes von 0,017°/o die Reflexe bei mässiger Reiz- stärke noch nicht ganz geschwunden, während bei normaler Temperatur die Reflexe mit der von uns benutzten Reizstärke bei einem Gehalt von 0,0127 °/o nur noch angedeutet waren. In einem zweiten Versuch trat aber die beschriebene erhöhte Erregbarkeit der Nerven wieder auf, so dass es unmöglich erschien, in dieser Weise ganz sichere Resultate zu erhalten. Um schliesslich doch die Frage, ob das Rückenmark bei niedriger Temperatur eine erhöhte Resistenz gegen Narkotika hat, entscheiden zu können, wurde eine neue Serie Chloroformversuche mit einigermassen geänderter . Versuchsanordnung angestellt. Statt des N. peroneus wurde n. l. zur Auslösung des homo- lateralen Beugereflexes der N. saphenus gereizt und der Chloroform- gehalt des Blutes und des Rückenmarkes bestimmt im Augenblick, wo mit Einzelinduktionsschlag (Reizstärke 2500 K. bis Maximalstand. in sekundären Kreis 120000 Ohm) eben noch ein Reflex auslösbar war. Das Auftreten von Stromschleifen konnte bei dieser Versuchs- anordnung absolut ausgeschlossen werden. Es wurden in dieser Weise zwölf Versuche angestellt, das Resultat ist aus Tabelle I (S. 61) ersichtlich. Aus dieser Tabelle geht hervor, dass zwischen 35 — 37,5° C. ein Chloroformgehalt im Blute von im Mittel 0,0072% und im Rückenmark von im Mittel 0,009 °/o erforderlich ist, um die durch Reizung des N. saphenus ausgelösten homolateralen Beugereflexe nahezu zum Verschwinden zu bringen. Diese Werte widersprechen nicht den in der früheren Chloroformarbeit erhaltenen Werten. Da wurde für den vom N. peroneus aus erhaltenen Reflex zwar ein höherer Chloroformgehalt gefunden, aber der homolaterale Beuge- reflex ist vom N. peroneus aus viel leichter auslösbar als vom N. saphenus aus. Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 61 Tabelle I. Chloroform- Cala | Versuch | Tem gehalt Im Mittel | geSfräen. Im Mittel Nr. peratur | des Blutes aka | 0E: %o 0/0 %o | %/o IvVcC 32 0,0043 0,0042 XIL 32 0,0073 0,0065 0.01 0,0064 Ic 33,5 0.008 | 0.005 I C 35 0,0068 N 0009} vc 37 0.007 | VI cc 37 0.009 | 22 | | 0,009 vIc 37,5 0.006 0.08 0) VII C 38 0,007 Dos xc 38 0.012 0,0093 0,014 0,0116 XIC 38 0.009 0,018 IX C 39,5 0,0064 s 0,0084 | XII C 39° 0.0085 \ 0,00745 0,01 \ 0,0092 Weiter ergibt sich, dass das Rückenmark bei niedriger Tem- peratur nicht mehr, sondern weniger resistent gegen Chloroform ist. Die Chloroformgehalte betragen zwischen 32 und 33,5° C. im _ Mittel 0,0065 °/0 für das Blut und 0,0064 für das Rückenmark. Die maximale Resistenz hat das Rückenmark offenbar bei ca. 38° C., also bei Körpertemperatur, bei welcher Temperatur auch die Reflextätigkeit eine optimale ist. Die Chloroformwerte bei 33° C. betragen 0,0093 °/ für das Blut und 0,0116 °/o für das Rückenmark. Bei noch höherer Temperatur nimmt offenbar die Resistenz wieder ab. Bei 39 und 39,5 °C. wurde im Blute im Mittel 0,00745 °/o Chloroform und im Rückenmark 0,0092 %/o gefunden. Zahlen, welche also wieder mit den bei 35—37 °C. gefundenen übereinstimmen. Die Frage, ob bei niedriger Temperatur überhaupt noch Reflex- versuche möglich sind, ist durch das Resultat dieser Untersuchungs- reihe in positivem Sinne entschieden. Bei Reizung des N. saphenus können auch unter den abnormen Verhältnissen Stromschleifen ver- mieden werden. Für Versuche bei gewöhnlicher Temperatur empfiehlt sich aber immer als bequemer die Reizung des N. personeus. — Aus den in diesem Abschnitt mitgeteilten Versuchen geht also hervor, dass die Reflextätigkeit des Rückenmarkes dekapitierter Katzen innerhalb bestimmter Grenzen — (von 35° bis 37° 0.) — nur wenig von der Temperatur beeinflusst wird. Beim Sinken der 62 _ W. Storm van Leeuwen urd M. van der Made: Temperatur (85° bis 26° C.) nehmen die Reflexe sehr allmählich an Grösse ab. Steigt die Temperatur der Versuchstiere oberhalb 37° C., so findet eine Steigerung der Reflexerregbarkeit statt, bis bei 38° C. ein Optimum erreicht wird. Bei Temperaturen über 38° C. werden die Reflexe in der Regel rasch kleiner, ohne jedoch bei der höchsten in den Versuchen erreichten Temperatur (42° 0.) ganz zu verschwinden. Versuche über den Einfluss der Temperatur auf die zum Narkotisieren - des Tieres erforderlichen Ätherkonzentrationen gaben kein einwands- freies Resultat. Gelegentlich kommt es nämlich vor, dass bei stark abgekühlten Präparaten nach Zufuhr eines Narkotikums eine er- höhte Reizbarkeit in den peripheren Nerven auftritt, so dass nach Reizung des zentralen Peroneusendes Muskelkontraktionen im Peroneus gebiete auftreten können, welche nicht reflektorischer Natur sind. ‚Das Vorhandensein derartiger Muskelkontraktionen macht Narkose- versuche bei niedriger Temperatur bei der üblichen Versuchsanordnung unsicher. Wird aber statt des N. peroneus der N. saphenus zum Auslösen des homolateralen Beugereflexes benutzt, so sind auch bei niedriger Temperatur pharmakologische Versuche möglich. Bei einer derartigen Untersuchung mit Chloroform ergab sich, dass das Rücken- mark bei niedriger Temperatur für Chloroform empfindlicher ist als bei normaler Temperatur; das Optimum der Resistenz liegt bei 385° 0., oberhalb dieser Temperatur wird die Resistenz wieder geringer. Untersuchungen an Fröschen. Angaben über den Einfluss der Temperatur auf die Reflex- funktionen von Warmblütern liegen in der Literatur nicht vor. Dagegen ist der Einfluss der Temperatur auf die Reflexerregbarkeit des Frosches von verschiedenen Seiten untersucht worden. Die Angaben fast aller Forscher stimmen darin überein, dass beim Frosch ein Sinken der Temperatur eine Steigerung der Reflex- tätigkeit und eine Erhöhung der Temperatur eine Abnahme der Reflexe zur Folge hat. Der erste, der diese Frage untersuchte, war Tarchanow!). Er beobachtete, dass beim dekapitierten Frosch durch Abkühlung des Rückenmarkes die Reflexerregbarkeit deutlich gesteigert wurde. Eine 1) J. Tarchanow, Über die Wirkung der Erwärmung resp. der Erkaltung auf die sensiblen Nerven, das Hirn und Rückenmark des Frosches. ‚Bull. de l’Acad. imp. de sc. de St. Petersbourg 1871. Fevrier. Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 63 Abkühlung des Rückenmarkes erreichte er, indem er den Vorderkörper des Frosches in Eis einpackte oder indem er dem Frosch ein mit Eis sefülltes Beutelchen über den Kopf zog. Die Reflexe wurden aus- gelöst durch chemische Reize (angesäuertes Wasser an den Pfoten des Frosches), und Tarchanow konnte nachweisen, dass der abgekühlte Frosch erstens seine Pfoten früher und schneller nach dem Eintauchen in die Säurelösung aus dieser herauszog, und dass zweitens die hervor- serufenen Reflexbewegungen auch „heftiger“ waren. Später sind Tarchanow’s Beobachtungen von anderen Autoren bestätigt worden. unter anderem von Wundt. Schliesslich hat dann Biedermann!) die Frage einer gründlichen Untersuchung unterzogen. Biedermann wies nach, dass bei einem Winterfrosch (er arbeitete nur an Temporarien) durch Abkühlung eine starke Steigerung der Reflexerregbarkeit her- vorgerufen wird. Bei 30°C. aber und selbst noch bis 25 0 C. ist das Tier sehr viel weniger reizbar als bei Zimmertemperatur. Nach Bieder- mann’s Auffassung, die er in seiner Arbeit ausführlich begründet und der — nach seiner Meinung unrichtigen — Auffassung Freus- berg’s gegenüberstellt, beruht der Unterschied in der Reflexerregbar- keit des Kalt- und Warmfrosches nicht nur auf dem Temperatur- unterschied, sondern hauptsächlich auf dem Umstand, dass der Kälte- frosch ein Winterfrosch ist. Nach Biedermann unterliegt der Stoff- wechsel des Frosches im Winter einer Änderung in dem Sinne, dass die dissimilatorischen Prozesse zurückgedrängt und die assimilatorischen Prozesse gesteigert sind. Es muss — nach Biedermann — „sogar als eine höchst zweckmässige Anpassung an die Lebensbedingungen be- zeichnet werden, wenn infolge eines Überwiegens der Assimilations- prozesse während jeder Kälteperiode — und das heisst für das Tier zu- sleich Ruheperiode — sozusagen Energie (Spannkraft) aufgespeichert wird, um dann beim nächsten Steigen der Temperatur zur Verfügung zu stehen“. Biedermann dehnt seine Auffassung bezüglich des Ein- flusses der Temperatur aus auf Nerv und Muskel, so dass nach ihm ein Unterschied besteht zwischen der Erregbarkeit eines Nerven, der einfach bis auf eine bestimmte Temperatur abgekühlt wird, und eines Nerven, der während längerer Zeit im Körper eines Winterfrosches sich befunden hat. — Es wird auf die Frage der Richtigkeit der Biedermann’schen Auffassung hier nicht eingegangen und nur be- merkt werden, dass Biedermann’s Theorie nicht erklärt, warum der Winterfrosch nur bei niedriger Temperatur eine erhöhte Reflex- erregbarkeit zeigt. Wenn im Winterfrosch während längerer Zeit durch Uberwiegen der Assimilationsprozesse Energie aufgespeichert wird, dann liegt kein Grund vor, weshalb ein Teil dieser aufgespeicherten Energie nicht auch bei Zimmertemperatur freigegeben werden sollte. Wie dem auch sei, an der Richtigkeit der von Biedermann gefundenen Tatsachen kann nicht gezweifelt werden, so dass an- genommen werden muss, dass sich beim Winterfrosch durch Senkung 1) W. Biedermann, Beiträge zur Kenntnis der Reflexfunktion des Rücken- markes. Pflüger’s Arch. Bd. 80 S. 408. 1900. 64 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: der Temperatur eine gesteigerte, durch Erhöhung der Temperatur eine verminderte Reflexerreebarkeit hervorrufen lässt. Nach unseren oben mitgeteilten Untersuchungen an der dekapitierten Katze würde sich also der Winterfrosch in dieser Beziehung gerade umgekehrt verhalten als der Warmblüter, bei dem im allgemeinen bei Steige- rung der Temperatur eine gesteigerte Reflexerregbarkeit beobachtet wird und nur oberhalb eines bestimmten Optimums (33° C.) der schädliche Einfluss der hohen Temperatur sich geltend macht und die Refiexe kleiner werden. Es erhob sich nun die Frage, ob nicht der Unterschied zwischen Winterfrosch und Warmblüter nur ein quantitativer sein könnte, und ob nicht Winterfrosch und Warm- blüter sich prinzipiell in gleicher Weise verhalten, nur dass die Optimumtemperatur, die beim Warmblüter bei 30°C. liegt, beim Winterfrosch viel niedriger liegt, so dass man sich, bei Zimmer- temperatur arbeitend, beim Warmblüter unterhalb, beim Winter- frosch oberhalb der Optimumtemperatur befindet. Ausgehend von dieser Hypothese haben wir eine Serie Unter- suchungen an Fröschen angestellt, über die jetzt berichtet werden soll. Die Hauptversuche dieser Serie wurden an Winterfröschen an- gestellt, dass heisst an Fröschen, welche seit Oktober 1914 im nicht- geheizten Keller des Institutes aufbewahrt worden waren. Die Versuche wurden in den Monaten Februar und März 1915 vor- genommen. Es kamen Eskulenten und Temporarien zur Verwendung. Im Juni 1915 wurden einige Versuche an Sommerfröschen ge- macht, wobei nur Eskulenten zur Verfügung standen. Bei sämtlichen Versuchen wurde bei Fröschen, denen 2—3 Tage vorher durch Einstich ins Foramen magnum das Gehirn und der Hirn- stamm einschliesslich der Medulla oblangata zerstört worden war, die minimale Reizstärke festgestellt, welche gerade genügte, um bei faradischer Reizung einer Zehe mit Öffnungsinduktionsschlag einen homolateralen Beugereflex auszulösen. Die Reizstärke wurde durch Verschiebung der sekundären Spirale eines Bowditch’schen Schlittens oder eines Kronecker-Induktoriums dosiert. Im primären Kreis befand sich ein Akkumulator. Die Temperatur der Tiere wurde immer mit einem tief ins Rektum eingeführten kleinen Thermometer gemessen, das auch während des Versuches im Rektum blieb, so dass die Temperatur des Tieres genau in dem Moment abgelesen werden konnte, in welchem mit der entscheidenden Reizstärke gereizt wurde. Letzteres Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 65 war nötig, weil Frösche sich nach dem Herausnehmen aus Wasser von bestimmter Temperatur ziemlich rasch wieder erwärmen bzw. abkühlen (die Tiere wurden immer bis zum Versuchsbeginn in einem Gefäss mit Wasser gehalten, dessen Temperatur etwas niedriger bzw. höher war als die Temperatur, die im Versuch verwendet ‚werden sollte). Es wurden im ganzen 45 Versuche an Winterfröschen und 10 Versuehe an Sommerfröschen angestellt. Aus den Versuchen an Winterfröschen ergab sich, dass bezüglich des Einflusses der Tem- peratur auf die Reflextätigkeit des Rückenmarkes zwischen Winter- fröschen und Warmblütern kein prinzipieller Unterschied besteht. Dei beiden Tierarten besteht eine optimale Temperatur für die Reflexerregbarkeit, nur liegt diese optimale Temperatur beim Warm- 'blüter viel höher als beim Winterfrosch. Beim Warmblüter lag die Optimumtemperatur bei 33° C., beim Winterfrosch betrug sie in 27 Versuchen an Temporarien im Mittel 5,5°C. (Minimum 3°C., Maximum 13°C.) und in 18 Versuchen an Eskulenten im Mittel 5°C. (Minimum 2°C., Maximum 9°C.). Unterhalb dieser optimalen Temperatur nimmt die Reflexerregbarkeit des Frosches schnell ab. Die niedrigste Temperatur, bei der ein Reflex ausgelöst werden konnte, betrug 0,5°C. Bei den Temperaturen, welche die optimale überstiegen, ver- hielten sich die verschiedenen Tiere verschieden, und es bestand überdies ein Unterschied in dem Verhalten von Temporarien und Fskulenten. Für Temporarien liessen sich drei Hauptformen in der Reaktion auf höhere Temperatur feststellen. Diese drei Reaktions- typen sind in Fig. 11, 12 u. 15 veranschaulicht. In diesen Figuren ist auf der Abszisse die Rektumtemperatur der Versuchstiere ein- getragen, während die Ordinaten den minimalen Stand des Induk- toriums angeben, bei dem gerade noch durch Reizung der Zehe ein Reflex auslösbar war. In Fig. 11 (Type I) wurde der erste Reflex bei 1,5° C. aus- zelöst, die optimale Temperatur lag bei 5° C., danach nahm die Reflexerregbarkeit bei steigender Temperatur allmählich ab, bis bei 29°C. kein Reflex mehr auslösbar war. Type II (Fig. 12) verhält sich ganz anders. Nachdem die Reflex- erregbarkeit ihr Optimum bei 6,5°C. erreicht hatte, wird sie bei steigender Temperätur kleiner und erreicht bei 18,5°C. ein Minimum. Danach wird sie aber wieder grösser un« erreicht bei 22,5° C. ein Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 165. b) 66 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: zweites niedriges Optimum. Bei noch höherer Temperatur nimmt die Erregbarkeit schnell ab (sie ist schon bei 24,5 °C. wieder be- trächtlich herabgesunken) und bei 30°C. ist auch bei Maximalstand des Induktoriums kein Reflex mehr auslösbar. 70% 1250 # 30 500 600 00 €00 900 1500 2000 2750 3000 3500 4000 4500 5000 5250 5500 Fig. 11. Einfluss der Temperatur auf die Reflexe beim Winter- frosch (Rana temporaria). Type I. In dieser und in den folgenden derartigen Figuren ist auf der Abszisse die Rektumtemperatur der Versuchstiere und auf der Ordinate der Minimalstand des Bowditch’schen Schlittens (Zahlen von 1 bis 20) oder des Kronecker-Induk- toriums (Zahlen von 10 bis 5500) eingetragen, bei dem beim Frosch eben noch mit Einzelinduktionsschlag ein homolateraler Beugereflex auslösbar war. — Die Zahlen in der Kurve bezeichnen die genaue Br klumtenp alu Gewissermaassen als ein Übergang zwischen Type I und II ist Type III (Fig. 13) zu betrachten. Es wird hier ein Optimum der Reflexerregbarkeit bei 5°C, erreicht, dann nimmt die Erregbarkeit Uber den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 67 etwas ab und bleibt nahezu konstant bis 16,5°C., nimmt dann sehr allmählich etwas ab bis 24,5°C. und geht dann rasch herunter, bis bei 30°C. gar kein Reflex mehr auslösbar ist. — IypesI a2 nr, 3277s. Versuche . Fig. 12. Einfluss der Temperatur auf die Reflexe beim Winter- frosch (Rana temporaria) Type Il. Bei den 18 Versuchen an Eskulenten kam Type I nicht zur Beobachtung; es wurde ypen 22,7 2, in 8 Versuchen, a t gefunden. 68 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: In Fig. 14 u. 15 werden Beispiele von Type II und III bei Versuchen an Eskulenten gegeben. — Die Optimumtemperatur für die Reflexerreebarkeit konnte in 22 Versuchen an Temporarien und in 17 Versuchen an Eskulenten festgestellt werden. Das Optimum lag bei den Temporarien im Mittel bei 5,5° C., bei Eskulenten bei 5°C. BER ERBEN BERmaE Fig. 13. Einfluss der Temperatur auf die Reflexe beim Winter- frosch (Rana temporaria) Type Il Ein zweites Optimum wurde 16 mal bei Temporarien und 19 mal bei Eskulenten beobachtet; es lag bei den Temporarien im Mittel bei 19,6°C. (Minimum 12,5°C., Maximum 25°C.), bei den Esku- lenten im Mittel bei 21°C. (Minimum 11°C., Maximum 30° C.). \ Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 69 Das Minimum zwischen den beiden Optima lag in elf Be- stimmungen an Temporarien .bei 15,6°C., in 14 Bestimmungen an Eskulenten bei 15°C. Die Temperatur, bei der gerade kein Reflex mehr auslösbar war, betrug bei maximalem Stand des Induktoriums 20 18 16 14 10 DD Fig. 14. Ei®#fluss der Temperatur auf die Reflexe beim Winter- frosch (Rana esculenta) Type I. - bei Temporarien aus 19 Bestimmungen im Mittel 27°C. (Minimum 24°C., Maximum 30°C.), bei den Eskulenten (zwölf Bestimmungen) 29,5°C. (Minimum 23° C., Maximum 31,5° C.). In Fig. 16 sind diese Verhältnisse für Temporarien, in Fig. 17 für Eskulenten schematisch dargestellt. Wie aus diesen Figuren ersichtlich, ist der Unterschied in dem Verhalten der Temporarien und Eskulenten nur ein sehr geringer. Die wesentlichen Unter- 70 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: schiede sind erstens, dass bei Eskulenten Type I in unseren Unter- suchungen fehlte und Type Ill stark ausgesprochen war, und zweitens, dass die maximale Temperatur, bei der noch Reflexe auslösbar sind, bei den Eskulenten etwas höher liegt als bei den Temporarien. 0 5 10 15 20 25 30 35 Fig. 15. Einfluss der Temperatur auf die Reflexe beim Winter- frosch (Rana esculenta). Type Ill. Auch in der Intensität der Reize, welche zum Auslösen der Reflexe benutzt werden. mussten, bestand kein wesentlicher Unter- schied. Temporarien und Eskulenten waren gleich reizbar. In einer Hinsicht bestand aber zwischen Temporarien und Eskulenten ein ausgesprochener Unterschied. In den Versuchen, welche zur Bestimmung der Maximum- temperatur, bei welcher noch Reflexe auslösbar sind, herangezogen Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 71 worden sind, waren die Frösche immer bis zum Anfang des Ver- suches bei Zimmertemperatur (ca. 16° C.) oder Kellertemperatur (ea. 10° C.) gehalten worden und waren nachher nur so lange im Wasser von niedriger oder höherer Temperatur geblieben, bis sie die Temperatur des Wassers angenommen hatten. Letzteres geschah innerhalb weniger Minuten. — Weil nun Biedermann!) in seinen Auseinandersetzungen über die Ursachen der gesteigerten Erregbarkeit des Winterfrosches besonderen Nachdruck gelegt hat auf Stoffwechseländerungen, welche Fig. 16. Schema des Einflusses der Temperatur auf die Reflexe bei Temporarien. bei niedriger Temperatur beim Frosche auftreten, haben wir unter- sucht, ob sich zwischen dem Verhalten von Winterfröschen, welche vor dem Versuche im Keller bei ca. 10° C. gehalten wurden, und von solchen, welche mehrere Stunden (bis zu 24 Stunden) vor dem Versuche auf Eis bewahrt wurden, ein Unterschied nachweisen liess. — Aus diesen. Versuchen ergab sich, dass bei den Temporarien in dieser Hinsicht der Unterschied sehr gering, ‘bei den Eskulenten aber mehr ausgesprochen ist. 1) Loe. eit. 72 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: Bei den Temporarien war der einzige Unterschied, dass die auf Eis aufbewahrten Tiere etwas empfindlicher gegen hohe Temperaturen waren, so dass die maximale Temperatur, bei der noch Reflexe aus- lösbar waren, im Mittel bei 25° C. lag, während sie bei Tieren, welche vorher nicht in Eis gelegt waren, im Mittel 27° C. betrug. Bei den Eskulenten war nun, wie gesagt, der Unterschied etwas erösser. Bei den vorher bei Zimmer- oder Kellertemperatur ge- haltenen Tieren war die maximale Temperatur für die Reflextätig- keit etwas höher als bei den Temporarien; sie betrug nämlich im IN KA u ENAHE ZEZREERBE Fig. 17. Schema des Einflusses der Temperatur auf die Reflexe bei Eskulenten.: Mittel 29,5° C. Die auf Eis aufbewahrten Eskulenten waren aber gegen hohe Temperatur viel empfindlicher, die maximale Temperatur lag bei 21° C. Eskulenten und’ Temporarien verhalten sich also diesbezüglich etwas verschieden. Bei beiden Froscharten aber ist die Reaktion auf Temperaturänderungen bei Tieren, welche vorher auf Eis bewahrt worden sind, und bei Tieren, welche vorher bei Keller- oder Zimmertemperatur gehalten sind, prinzipiell dieselbe, und besonders bei Temperaturen unterhalb 20° C. ist kein wesent- licher Unterschied zwischen den auf beide Weisen vorbehandelten Tieren nachweisbar. Dieser Umstand spricht sehr gegen Bieder- Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 73 mann’s Auffassung von der Ursache der gesteigerten Reflexerregbar- keit des Winterfrosches, denn aus unseren Versuchen geht hervor, dass genau dieselbe Erregbarkeitssteigerung, welche der Winterfrosch nach Schneepackung zeigt, auch bei einem Winterfrosch beobachtet werden kann, der nur während einiger Minuten der niedrigen Tem- peratur ausgesetzt ist, wenn nur in beiden Fällen die Rektum- temperatur der Tiere gleich niedrig ist. — Man kann nicht an- nehmen, dass sich innerhalb einiger Minuten so tiefgreifende Stoft- wechseländerungen im Froschrückenmark abspielen, dass Dissimilations- vorgänge geheinmt, Assimilation gefördert und Energie gespeichert wird. Die Tatsache, dass beim Winterfrosch durch Senkung der Temperatur (bis zu einem gewissen Optimum) eine gesteigerte Reflex- erregbarkeit hervorgerufen werden kann, wird also durch Bieder- mann’s Theorie nicht erklärt. Wenn sich aber zeigen Jiesse, dass hinsichtlich der Reaktion auf Temperaturänderungen zwischen Winter- und Sommerfrosch ein prinzipieller Unterschied bestehe, so könnte diese Tatsache mit Biedermann’s Auffassung in Übereinstimmung gebracht werden. — Zur Entscheidung dieser Frage haben wir zehn Versuche an Sommerfröschen angestellt, welche alle im Juni 1915 vorgenommen worden sind. Die verwendeten Frösche (es standen leider nur Eskulenten zur Verfügung) waren alle einige Tage, bevor sie zum Versuch verwendet wurden, frisch gefangen. Das Resultat dieses Versuches war folgendes: Die allgemein herrschende Auffassung, “dass Sommerfrösche weniger erreebar sind als Winterfrösche, konnte bestätigt werden; es waren im Durchschnitt stärkere Reize nötig, um einen Reflex auszulösen, als bei Winterfröschen, und überdies fiel es auf, dass die Sommerfrösche im allgemeinen empfindlicher gegen schädliche Einflüsse waren. So wurde zum Beispiel die Dezerebrierung schlechter vertragen, es gingen nach diesem Eingriff mehr Tiere ein als im Winter, und die Schockerscheinungen traten stärker auf. . , Aber abgesehen von einer geringeren Erregbarkeit (die vielleicht gerade auf dem Schock beruhte) reagierten die Tiere auf Temperatur- änderungen prinzipiell in derselben Weise wie Winterfrösche. Fig. 18 gibt ein Beispiel eines Versuches an einem Sommerfrosch. Das in diesem Versuch verwendete Tier war insofern als eine Ausnahme zu betrachten, als es besser erregbar war als die meisten Sommer- frösche. Der Reaktionstypus ist aber derselbe wie Typus II bei 4 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: den Winterfröschen (vgl. Fig. 14). Wiewohl in den meisten Fällen der Einfluss der Temperatur nicht 'so deutlich war als in Fie. 18, so war doch in sämtlichen Versuchen bei niedriger Temperatur ein Optimum der Reflexerregbarkeit nachzuweisen. “Dieses Optimum Fig. 18. Einfluss der Temperatur auf die Reflexe beim Sommer- frosch (Rana esculenta). lag im Mittel aus zehn Versuchen bei 6,8° C. (Minimum 3,5° C., Maximum 12°C.), liegt also fast 2°C. höher als beim Winterfrosch. Ein zweites Optimum bei höherer Temperatur kam in sechs Fällen zur Beobachtung, es lag im Mittel bei’ 15°C. (Minimum 14° C., Maximum 20°C.). Die maximale Temperatur, wobei gerade noch ein Reflex auslösbar war, wurde zehnmal bestimmt, sie betrug im Mittel 18,5° C. (Minimum 14° C., Maximum 24° C.). Gerade wie l Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 763 oO beim Winterfrosch wird also beim Sommerfrosch ebenfalls durch Senkung der Temperatur bis zu einem gewissen Optimum eine gesteigerte Reflexerregbarkeit hervorgerufen. Dass die Optimum- temperatur beim Sommerfrosch etwas höher liegt, hat vielleicht vom teleologischen Gesichtspunkt aus Interesse. Das zweite Optimum lag beim Sommerfrosch bedeutend niedriger als beim Winterfrosch, es lag nämlich im Mittel bei Zimmertemperatur. Dieses zweite Optimum war aber nicht so konstant vorhanden und nicht so deut- lich ausgeprägt als beim Winterfrosch. — Merkwürdig ist der Um- stand, dass die Maximumtemperatur für die Reflexerregbarkeit so niedrig ist. Es wird unsererseits als sehr wahrscheinlich betrachtet, dass die Tatsache des Verschwindens der Reflexe bei so niedriger Temperatur als Folge des raschen Temperatur wechsels betrachtet werden muss und im Grunde nur eine Schockerscheinung ist. Denn im Sommer steigt die Aussentemperatur häufig oberhalb 16°C., ohne die freilebenden Tiere offenbar zu schädigen. Die gesteigerte Reflex- erregbarkeit auf Temperatursenkung tritt sowohl beim Sommerfrosch wie beim Winterfrosch in prinzipiell derselben Weise innerhalb einiger Minuten auf und ist unabhängig davon, ob der Winterfrosch während 24 Stunden oder nur während einiger Minuten stark ab- eekühlt worden ist. — Die Tatsache, dass überhaupt der Winterfrosch mehr erregbar ist als der Sommerfrosch, kann auf Stoffwechseländerungen im Sinne Biedermann’s beruhen. Die Möglichkeit besteht, dass die Er- scheinung einfach durch die Annahme erklärt werden kann, dass das Zentralnervensystem des Sommerfrosches besser durchblutet, also besser ernährt wird und dadurch mehr empfindlich gegen eine ohne Narkose vorgenommene Dezerebrierung ist, so dass nach diesem Eineriff die Schockerscheinungen schwerer sind als beim Winter- frosch. Das Ergebnis dieser Versuche ist also, dass die Reflexerregbar- keit des Rückenmarkes des Winter- und Sommerfrosches in prinzipiell - derselben Weise von Temperaturveränderungen beemflusst wird wie beim Warmblüter. Nur liegt das Optimum für die Reflexerregbar- keit bei der dekapitierten Katze bei 358° O., beim Winterfrosch bei 5° (., beim Sommerfrosch bei 6,8° C. Es leuchtet ohne weiteres ein, dass dieser Befund absolut nicht in Widerspruch steht zu den Erfahrungen früherer Autoren, die ge- funden haben, dass Abkühlung eines Winterfrosches dessen Reflex- 6 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: | erregbarkeit steigert. Nur geht aus unseren Versuchen hervor, dass diese Forscher ihre Versuchstiere wohl nie bis zu 0°C. abgekühlt haben dürften, sondern mit Eiseinpackungen und derartigen Maass- nahmen beim Frosch wahrscheinlich eine Temperatur von 2—5°C. erreicht haben. Auch die Erfahrungen Cayrades’, der bei Erhöhung der Temperatur eines Frosches eine Reflexsteigerung beobachtet hat, sind jetzt begreiflieb. Biedermann!) zitiert eine Angabe von CayradesinEckhardt’s Bearbeitung der Physiologie des Rücken- markes in Hermann’s Handb. Bd. 2 Teil 2 S. 43, wonach „bei langsamer Steigerung der Temperatur die auf irgendeine Art aus- gelösten Reflexe (beim Frosch) energischer werden und die einzelnen Kontraktionen eine längere Dauer zeigen“. Bei Temperaturen von 29—30°C. soll nach Cayrades auf diese Weise ein Tetanus ent- stehen können. Letztere Angabe, das Auftreten von -Tetanus bei einer Temperatur von 30° C., ist im Zusammenhang mit unseren Versuchen unerklärlich, es ist nur die Frage, auf welche Weise die Temperatur gemessen worden ist. Der Umstand aber, dass bei steigender Temperatur die Reflexerregbarkeit zunimmt, könnte möglicherweise so zu erklären sein, dass, ausgehend von der Zimmer- temperatur, durch allmähliche Erhitzung die Temperatur erreicht wird, bei der ein zweites Optimum vorhanden sein kann. Beim Experimentieren an einem Frosch, der sich verhält wie das Tier, das bei dem in Fig. 14 veranschaulichten Versuch zur Verwendung kam, könnte man, wenn man von Zimmertemperatur ausgehend nur erhitzt und das Tier nicht abkühlt, zu dem Ergebnis kommen, dass bei steigender Temperatur die Reflexerregbarkeit des Frosches ge- steigert wird. Auch folgende Beobachtung Biedermann’s?) könnte nach unseren Versuchen eine Erklärung finden. Wenn man bei einem dekapitierten Frosch das Rückenmark, nachdem es zuerst durch Schneepackung. stark abgekühlt ist, nachher durch Auflegen eines. mit warmem Wasser getränkten Wattebausches rasch auf eine relativ hohe Temperatur bringt, so kann man — nach Biedermann — fast immer beobachten, dass „als erster Erfolg eine oft sehr be-. deutende Steigerung der Erregbarkeit (auftritt), die sich in 1) Biedermann, loc. eit. S. 415. 2) Loc. eit. S. 456. Über den Eiufluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 77 einer starken Zunahme der Höhe jeder Einzelzuckung verrät, aber freilich nur von sehr kurzer Dauer ist und alsbald in das Gegenteil jener schon früher erwähnten Abnahme der Anspruchs- fähigkeit umschlägt, wobei das Rückenmark selbst auf die stärksten, den Nervenstamm treffenden Reize auch nicht spurweise reagiert“. Bei einem Frosch, der vorher schon längere Zeit auf 10—20° C. eehalten war, gelang es nie, durch Auflegen eines mit warmem Wasser getränkten Wattebausches eine solche primäre Steigerung der Reflexerreebarkeit zu erhalten, es trat unmittelbar eine Senkung derselben auf. — Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese von Biedermann be- schriebene Erscheinung so zu erklären ist, dass sein Versuchstier durch die Schneepackung auf eine Temperatur gebracht war, die etwas unterhalb der Optimumtemperatur lag. Durch Auflegen des Wattebausches wurde dann erst das Optimum passiert (kurzdauernde Steigerung der Reflexerregbarkeit) und erst danach die Temperatur erreicht, bei der die Reflextätigkeit beeinträchtigt wird. In diesem Gedankengang ist es ganz selbstverständlich, dass bei Fröschen, welche schon eine Temperatur von ca. 20°C. haben, die Erscheinung nicht auftritt. — i Sehr eut im Einklang mit unseren Erfahrungen stehen auch die Ergebnisse einer Versuchsreihe von Githens!), der Unter- suchungen angestellt hat über den Einfluss der Temperatur auf die Wirkung von Strychnin auf Frösche. Es war bis dahin immer als feststehend angenommen worden, dass die Wirkung von Arznei- mitteln auch beim Frosch bei hoher Temperatur intensiver sei als bei niedriger Temperatur. Guinard?), Richet?), Luchsinger®), Scehliek?), Kunde‘) u. a. hatten sich in diesem Sinne geäussert. Kunde hatte Frösche bei Zimmertemperatur mit Strychnin injiziert 1) Thomas Stotesbury Githens, The influence of temperature on the action of strychnin in frogs. The journ. of exper. med. vol. 18 p. 300. 1913. 2) L. Guinard, La morphine et l’apomorphine. Paris 1899. (Zit. nach Githens.) 3) Ch. Richet, La chaleur animale p.212. Paris 1839. (Zit. nach Githens.) 4) B. Luchsinger, Pflüger’s Arch. Bd. 15 S. 510. 1879. 5) R. Schlick, Pflüger’s Arch. Bd. 47 8.171. 18%. 6‘ F. Kunde, Virchow’s Arch. f. Path. u. Anat. Bd. 18 8. 357. 1860. (Zit. nach Githens.) 78 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: und dann die Tiere in Gefässe von verschiedener Temperatur ge- bracht. Die Frösche, welche bei der höchsten Temperatur gehalten waren, bekamen am schnellsten Tetanus. Am nächsten Tag waren alle Tiere normal, aber wenn sie dann in Eis gebracht wurden, be- kamen sie neuerdings Tetanus. Aus diesem und ähnlichen Versuchen schloss Kunde, dass bei kleinen Dosen Strychnin durch Hitze der Tetanus aufgehoben, bei grossen Dosen jedoch durch hohe Tem- peratur Tetanus hervorgerufen wird. Githens hat nun Kunde’s Experimente nachgepruft und da- bei die Versuchsanordnung etwas geändert. Es wurden in seinen Versuchen die Frösche nach der Strychnininjektion in Gefässe von bestimmter Temperatur gebracht (von 5—30° C.) und in diesen Gefässen gelassen. Sein Resultat war folgendes: Nach Injektion von 0,0006 mg Strychnin pro Gramm bekamen alle Tiere Krämpfe, nach Injektion von 0,0005 mg bekamen die Tiere, welche bei 5, 27 und 30°C. gehalten waren, Krämpfe, bei 21° C. zeigte keines Krämpfe, bei 13, 18 und 24° C. hatten einige Krämpfe. Nach 0,0003 mg zeigten die Tiere bei 5° C. Krämpfe, zwischen 13 und 21° C. nicht, oberhalb 24° C. inkonstant. Nach Githens’ Erfahrung liest das Optimum für die Strychnin- wirkung also bei 5° C., während sich bei ca. 24° C. ein zweites Optimum befindet. Der Umstand, dass Githens’ Erfahrungen im Widerspruch stehen mit denjenigen früherer Beobachter, findet seine Erklärung darin, dass Githens seine Beobachtung an den Fröschen über Stunden (bis zu 24 Stunden) ausgedehnt hat. Bei niedriger Temperatur dauert es nämlich sehr lange — besonders bei kleinen Dosen —, ehe die Strychninwirkung sich geltend macht. So kann eine bestimmte Dosis zum Beispiel bei 31° C. innerhalb 1 Stunde Krämpfe auslösen, während bei 5° C. dieses Resultat erst nach vielen Stunden bzw. einem ganzen Tag auftritt. Offenbar geht also bei höherer Temperatur die Resorption des Giftes schneller, während die optimale Wirkung des Strychnins bei genügend langer Beobach- tungszeit bei 5° C. liegt (mit einem zweiten Optimum bei ca. 24° C.). Hieraus geht also hervor, dass bei denjenigen Temperaturen, welche sich in unserem Versuch als Optimum herausstellten, auch die Wir- kung des Strychnins, welches seinen Angriffspunkt im Rückenmark hat, eine optimale ist. — Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. 79 Es muss jetzt die Frage erörtert werden, inwieweit die in unseren Versuchen gefundenen Tatsachen wirklich als Einflüsse der Tem- peratur auf das Zentralnervensystem betrachtet werden dürfen. Es könnte die Möglichkeit bestehen, dass durch den Einfluss der Tem- peratur auf Nerv und Muskel ein Einfluss auf das Rückenmark vor- getäuscht wurde. ES sei diesbezüglich von Anfang an bemerkt, dass derartige Einflüsse auf Nerv und Muskel höchstwahrscheinlich beim Zustandekommen der Änderungen der Reflextätigkeit eine Rolle spielen, denn die Änderungen, welche durch Schwankungen der Tem- peratur in diesen peripheren Gebilden bewirkt werden, gehen mit den Änderungen in der Reflextätigkeit mehr oder weniger parallel. Es wird sich aber zeigen lassen, dass, wiewohl eine Mitbeteiligung der peripheren Mechanismen nicht auszuschliessen ist, doch auch ein direkter Einfluss der Temperatur auf das Rückenmark angenommen werden muss. — Über den Einfluss der Temperatur auf Form und Grösse der (Frosch-) Muskelzuckung liegen Untersuchungen von Gad und Hey- mans und de Boer vor. Gad und Heymans!) untersuchten die Hubhöhen des Froseh- muskels bei verschiedener Temperatur und fanden sowohl bei iso- metrischer als auch bei isotonischer Aufzeichnung ein Minimum der Hubhöhe bei 19° C. Von 19° C. an auf- und abwärts stieg die Hubhöhe wieder, bis bei 0 und 30°C. ein Maximum erreicht wurde. De Boer?) konnte Gad’s und Heymans’ Befund bestätigen und gab für die Erscheinung folgende Erklärung: Die bei Zimmertemperatur aufgenommene Muskelkontraktion besteht immer aus der Summe zweier Komponenten: einer schnellen und einer langsamen Kontraktion. Letztere langsame tonische Kontraktion, welche auch nach de Boer die Erscheinung der Funke’schen Nase hervorruft, tritt nur bei Temperaturen unter- halb 19° C. auf und erreicht bei 0° C. ihr Maximum, während die schnelle Muskelkontraktion ihr Maximum bei 30° C. erreicht. Die schnelle Kontraktion ist also für das Optimum bei 30° C., die 1) J. Gad und J. F. Heymans, Über den Einfluss der Temperatur auf die Leistungsfähigkeit der Muskelsubstanz. Arch. f. Physiol. von Du Bois- Reymond 1890, Supplbd. S. 59. 2) S. de Boer, Die Bedeutung der tonischen Innervation für die Funktion der quergestreiften Muskeln, Zeitschr. f. Biol. Bd. 65 S. 286. 1915. Ss0 W. Sterm van Leeuwen und M. van der Made: tonische Kontraktion für das Optimum bei 0°C. verantwortlich. — Die Änderung in der Hubhöhe des Muskels bei verschiedener Tem- peratur ist in Fig. 19, die der Publikation von de Boer entnommen ist, schematisch dargestellt. Aus alledem ist ersichtlich, dass, wie- wohl der Verlauf der Kurve de Boer’s den in Fig. 16 u. 17 ge- zeichneten Kurven, die den Einfluss der Temperatur auf die Reflex- erregbarkeit veranschaulichen, ähnlich ist, die Veränderungen, welche bei Änderung der Temperatur in der Reflexerregbarkeit hervorgerufen werden, doch nicht von der Wirkung der Temperatur auf den Muskel abhängig sein können. Das Optimum für die Muskelkontraktion liegt bei 0 und 30° C., und bei diesen Temperaturen ist die Reflex- 30° Fig. 19. Schema des Einflusses der Temperatur auf die Hubhöhen des Froschmuskels. (Dieses’ Schema ist der Arbeit von de Boer entnommen.) erreebarkeit gerade eine minimale. Die Minimumtemperatur für die Muskelkontraktion (19° C.) nähert sich dagegen sehr der. Tem- peratur, bei welcher für die Reflexerregbarkeit ein zweites Optimum besteht. — a e ‚ ‚Da also Einflüsse der Temperatur auf die einfachen Muskel- kontraktionen nicht Änderungen der Reflexerregbarkeit vortäuschen können, muss noch der Einfluss der Temperatur auf die peripheren Nerven studiert werden. Hierbei kommen nicht nur die moto- yischen, sondern auch die sensibelen Nerven in Betracht, denn eine erhöhte Reizbarkeit der sensibelen Nerven (im Hautgebiet) könnte ebenfalls eine erhöhte Reflexerregbarkeit vortäuschen. Bezüglich des Einflusses der Temperatur auf die Reizbarkeit der Nerven liegen sehr genaue Untersuchungen vor von Gotch und Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. S1 Maecdonald!). Sie konnten nachweisen, dass bei Reizung mit Einzelinduktionsschlägen die Erregbarkeit des Froschnerven bei Senkung der Temperatur von 30 auf 5°C. abnimmt und bei Steige- rung der Temperatur zunimmt. Die zum Teil abweichenden Resultate anderer Autoren, Hirschberg, Howell, Budget und Leonard und Efron?), beruhen — wie Gotch und Macdonald nach- weisen konnten — auf Versuchsfehlern und auf dem Umstand, dass der Unterschied zwischen Reizbarkeit und Leitfähigkeit des Nerven nicht genügend berücksichtigt wurde. Der Einfluss der Temperatur auf die Leitfähigkeit des Nerven ist von Boyecott?) eingehend studiert worden. Boycott wies erstens nach, dass die Kühlung des Nerven an sich als Reiz wirken und Tetanus hervorrufen kann. Weil aber hierbei Temperaturen zur Verwendung kommen, welche unterhalb 0° C. liegen, ist diese Tatsache für die vorliegende Arbeit nicht von Interesse. Der Einfluss der Temperatur auf die Leitfähigkeit des moto- rischen Nerven erwies sich als verschieden, je nachdem mit Einzel- induktionsschlägen oder mit galvanischen Strömen gereizt wurde. Im ersteren Fall war zwischen —8 und 38° C. kein Einfluss der Temperatur nachweisbar. Nur bei starker Abkühlung trat gelegent- lich vermehrte Leitfähiekeit auf, verursacht durch beginnende Er- frierung des Nerven. Bei Reizung mit galvanischen Strömen war manchmal ebenfalls kein Einfluss der Temperatur vorhanden, ge- legentlich aber trat auf Abkühlung eine vermehrte Leitfähigkeit auf. — Die Leitfähigkeit des sensibelen Nerven bei verschiedenen Temperaturen wurde studiert, indem bei Fröschen der Effekt be- obachtet wurde, welcher durch Kühlung des N. iscehiadieus zentral von der Reizstelle auf durch verschiedene Reize ausgelöste Reflexe hervorgerufen wurde. Es zeiete sich hierbei, dass durch Kühlung kein Einfluss auf die Leitfähigkeit für afferente Impulse ausgeübt wurde. — Schliesslich sei bemerkt, dass nach Boyecott Kühlung der Haut des Froschfusses eine Verminderung der Reizbarkeit zur Folge hat. 1) F.Gotch and J. S. Macdonald, Temperature and excitability. Journ. of Physiol. vol. 20 p. 247. 1896. 2) Literatur siehe bei Gotch und Macdonald. 3) A. E. Boycott, On the influence of temperature on the Ende of Nerve. Journ. of physiol. vol. 27 p. 488. 1902. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 6 32 W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: „Ihe lethargy“ schreibt er: „shown by frogs artificially cooled and during the winter months is due, at any rate in great part, to a diminution of irritability in the region of the cutaneous end- apparatus rather than to a block in the perepheral nerves, or in the reflex arcs of the cord“; überdies zitiert er eine Beobachtung von Grigoresceu, der nachwies, dass die kutane Sensibilität des Frosches während der Winterzeit vermindert ist. — Aus diesen Untersuchungen über den Einfluss der Temperatur auf die Reizbarkeit und Leitfähigkeit des Froschnerven ergibt sich also, dass nur in einem Falle (Reizung des motorischen Nerven mit galvanischen Strömen) auf Abkühlung gelegentlich mit einer Steige- rung reagiert wurde. In allen anderen Fällen wurde bei Abkühlung die Erregbarkeit und Leitfähigkeit geringer. Hieraus geht hervor, dass der Einfluss der Temperatur auf den Nerven ein ganz anderer ist, als für die Reflexerregbarkeit des Rückenmarkes gefunden wurde. Man darf aus diesen Erfahrungen am Nerven und den oben be- sprochenen an Muskeln wohl schliessen, dass die in dieser Arbeit mit- geteilten Einflüsse der Temperatur auf die Reflexerregbarkeit des dezerebrierten Frosches nicht aurch Wirkungen auf Muskel oder Nerv vorgetäuscht worden sind. Versuchsergebnisse. 1. Die Grösse der durch Einzelinduktionsschläge bei der dekapi- tierten Katze ausgelösten Reflexe wird durch Änderung der Tem- peratur beeinflusst. 2. Es besteht ein optimale Temperatur — welche meistens bei 38° C. liegt —, wobei die Reflexe am grössten sind. Oberhalb und unterhalb dieser Temperatur nehmen die Reflexe an Grösse ab. 3. Die Abnahme der Reflexe bei Temperaturen unterhalb 38°C. geht sehr langsam vor sich, besonders zwischen 35 und 37°C. sind kaum Änderungen in den Reflexen wahrnehmbar. Es empfiehlt sich also, bei genauen pharmakologischen Untersuchungen die Rektum- temperatur der Versuchstiere nur zwischen 35 und 37° C. schwanken zu lassen. 4. Die Abnahme der Reflexe beim Steigen der Temperatur oberhalb 38° C. geht meistens sehr rasch. Bei 42° C. sind die Reflexe aber noch deutlich vorhanden. 5. Die Reflexerregbarkeit dezerebrierter Frösche wird durch Änderungen der Temperatur in prinzipiell derselben Weise beeinflusst, Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen usw. s3 wie sie für die Katze beschrieben worden ist; es besteht in der Reaktion der Winterfrösche und der Sommerfrösche ebenfalls kein prinzipieller Unterschied. 6. Die Optimumtemperatur für die Reflexerregbarkeit liegt beim Winterfrosch im Mittel bei ca. 5°C., beim Sommerfrosch im Mittel bei 6,8° C. 7. In den meisten Fällen besteht bei einer höheren Temperatur noch ein zweites Optimum. Dieses zweite Optimum liegt bei Winter- fröschen im Mittel bei 19° C. (Temporarien) oder 21° C. (Esku- lenten). Bei Sommereskulenten liegt es niedriger, nämlich bei 15° C. 8. Die Maximumtemperatur, bei der mit unserer Versuchs- anordnung beim Frosch noch Reflexe auslösbar sind, liegt beim Winterfrosch im Mittel bei 27° C. (Temporarien) oder 29° C. (Eskulenten), beim Sommerfrosch im Mittel bei 18,5° C. 9. Der Umstand, dass Frösche bei niedriger Temperatur eine gesteigerte Reflexerreebarkeit zeigen, kann nicht auf tiefgreifenden Stoffwechseländerungen beruhen, wie Biedermann sie angenommen hat, denn genau dieselben Änderungen, welche beim Winterfrosch nach langdauernden Fispackungen auftreten, lassen sich auch durch kurzdauernden Aufenthalt in kaltem Wasser hervorrufen. Überdies rea- gieren Sommerfrösche prinzipiell in derselben Weise wie Winterfrösche. 10. Der dezerebrierte Sommerfrosch ist aber weniger erregbar als der Winterfrosch. Dies kann auf Stoffwechseländerungen im Sinne Biedermann’s beruhen. Möglich bleibt es aber, dass der Unterschied nur darauf beruht, dass beim Sommerfrosch nach der Dezerebration schwerere Schockerscheinungen auftreten. 11. Die beschriebenen Änderuugen in der Reflexerregbarkeit können nicht durch den Einfluss der Temperaturänderungen auf Muskel oder Nerv vorgetäuscht werden, denn diese Gebilde reagieren auf Änderungen der Temperatur nicht in gleicher Weise wie das Rückenmark. 12. Es wurden zwei Methoden zur künstlichen Warmhaltung von dekapitierten oder dezerebrierten Katzen beschrieben. Beide Methoden ermöslichen es, die Tiere stundenlang auf konstanter Tem- peratur zu halten. Die erste Methode, wobei mit elektrischen Glüh- lampen geheizt wird, eignet sich nicht für Reflexversuche; die zweite Methode, wobei permanente Magenspülung mit warmem Wasser vorgenommen wird, ist für Reflexversuche sehr zweckmässig. 6* 4 W. Storm van Leeuwen: (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.) Quantitative pharmakologische Untersuchungen über die Reflexfunktionen des Rückenmarkes an Warmblütern. III. Mitteilung. Wirkung von Äther. Von W. Storm van Leeuwen (Konservator des Institutes). (Mit 15 Textfiguren.) In der ersten Mitteilung!) habe ich über die Wirkung von Chloroform, Stryehnin und Coffein auf die Reflexfunktionen des Rückenmarkes dezerebrierter oder dekapitierter Katzen berichtet. Besonders für das Chloroform wurden die quantitativen Verhältnisse genau studiert, und es hatte sich bei diesen Untersuchungen heraus- gestellt, dass ein scharfer Parallelismus zwischen dem Chloroform- eehalt des Blutes und dem quantitativen Verhalten der Reflexe in den verschiedenen Stadien der Narkose nachweisbar ist. Es erschien wünschenswert, auch das Verhalten des Äthers in analoger Weise zahlenmässig festzulegen, vor allem auch deshalb, weil sich in früher vorgenommenen Versuchen "herausgestellt hatte, dass sich am Rückenmarkstier beim Narkotisieren mit Äther gelegent- lich statt eines allmählichen Verschwindens der Reflexe ein anfäng- liches Grösserwerden derselben nachweisen lässt, dass also der narkotisierenden Wirkung des Äthers ab und zu eine reflexsteigernde Wirkung vorangeht. Interessant wäre es, den Athergehalt des Blutes in einem derartigen Stadium gesteigerter Reflextätigkeit kennen- zulernen. 1) W. Storm van Leeuwen, (uantitative pharmakologische Unter- suchungen über die Reflexfunktionen des Rückenmarkes an Warmblütern. Pflüger’s Arch. Bd. 154 S. 307. 1913. Quantitative pharmak. Untersuchungen über die Iieflexfurktionen usw. 85 Es bedürfte überdies der Aufklärung, ob diese erregende Wir- kung des Äthers durch direkten Finfluss auf das Rückenmark zu- stande kommt oder ob dureh Einfluss des Äthers auf Muskel oder Nerv — also auf periphere Mechanismen — eine erregende Wirkung auf das Rückenmark vorgetäuscht wird. Für das Chloroform war schon längst bekannt, dass eine Wirkung dieses Narkotikums auf Nerv und Muskel erst bei Konzentrationen auftritt, welche die bei Reflex- versuchen in Betracht kommenden weit übersteigen, wie sich auch in vom Verfasser angestellten Kontrollversuchen zeigte. Stillschwei- send hat man bis vor kurzem angenommen, «dass dasselbe auch für Äther eilt!). Schon in — nicht veröffentlichten — Versuchen, die Modrakowski und Verfasser Anfang 1914 angestellt haben, zeigte sich aber, dass sich an dem isolierten und mit unverdünntem Blute durchströmten Katzenhinterbein ein deutlicher Einfluss des Athers (in Konzentrationen, wie sie bei gewöhnlichen Narkosen zur Ver- wendung kommen) auf die durch elektrische Reizung des N. peroneus ausgelösten Muskelkontraktionen nachweisen lässt. Überdies haben Auer und Meltzer?) gefunden, dass beim normalen Tier im Toleranzstadium der Äthernarkose auch ein deutlicher Einfluss auf .die durch indirekte oder direkte Reizung ausgelösten Muskelkontrak- tionen ausgeübt wird. Ks musste also der Möglichkeit Rechnung getragen werden, dass vielleicht in der Äthernarkose gelegentlich ein erregender Einfluss auf Muskel oder Nerv ausgeübt wird, wo- durch eine gesteigerte Reflexerreebarkeit des Rückenmarks vor- getäuscht werden kann. Wie aus den unten näher zu beschreibenden Versuchen hervorgehen wird, lässt sich in der Tat gelegentlich eine erregende Wirkung des Äthers auf durch Reizung des N. peroneus hervorgerufene Muskelkontraktionen nachweisen. Dass diese Er- resung aber nicht die Ursache der eventuell auftretenden Äther- erreeung der Reflextätiekeit sein kann, geht aus dem Umstand hervor, dass gesteigerte Reflexerregbarkeit und Äthererregung des peripheren Systems (Nerv und Muskel) nicht parallel gehen. Wir können über Versuche berichten, wo durch Äther die Reflexerreg- barkeit des Rückenmarks gesteigert wird und die durch Reizung 1) Siehe zum Beispiel E. Poulsson, Lehrbuch der Pharmakologie S. 14. Leipzig 1909. 2) John Auer and S. J. Meltzer, The effect of ether inhalation upon the skeletal motor mechanism. Proc. Amer. Society for pharm. and exp. ther. the journ. of pharmac. and exp. therapeutics vol. 5 p. 521. 1914. 86 W. Stormvan Leeuwen: eines Nerven hervorgerufenen Muskelkontraktionen gleich gross bleiben oder sogar kleiner werden, und umgekehrt gibt es auch Versuche, wo nach Beginn der Narkose die Reflexe sofort beträchtlich an Grösse abnehmen und die indirekten Muskelkontraktionen Bub En flusst bleiben oder deutlich grösser werden. Der Umstand, dass in verschiedenen Versuchen gleichzeitig der Einfluss des Narkotikums auf die Reflexe und auf die Muskel- kontraktionen studiert werden musste, machte es notwendig, die in der ersten Mitteilung beschriebene Versuchsanordnung ein wenig zu ändern. Auch die künstliche Warmhaltung der Versuchstiere musste geändert werden, weil sich die bis jetzt immer benützte Methode als unzweckmässig erwiesen hatte !). Versuchsanordnung. Die Versuchsanordnung war — bis auf die oben erwähnten Aus- nahmen — im wesentlichen dieselbe wie die in der ersten Mitteilung beschriebene. Nur wurde in dieser Versuchsreihe nur an dekapitierten und nicht mehr an dezerebrierten Tieren gearbeitet, weil sich in Ver- suchen von Socin und Storm van Leeuwen?) herausgestellt hat, dass bei dezerebrierten Tieren durch Drehen des Kopfes ein sehr grosser Einfluss auf Grösse und Typus der phasischen Reflexe aus- geübt werden kann. Besonders der Umstand, dass dieser Einfluss auf‘ die Reflexe nicht nur auftritt, wenn durch Drehen des Kopfes die von Magnus und de Kleijn°®) beschriebenen sichtbaren Tonusänderungen auftretep, sondern auch wenn dies nicht der Fall ist und sich an- scheinend an dem Tiere nichts geändert hat, machte es für genaue ‚pharmakologische Untersuchungen wünschenswert, nur an dekapitierten Tieren zu arbeiten. Überdies haben wir uns in den Versuchen der vorliegenden Arbeit auf Untersuchungen des homolateralen Beuge- reflexes beschränkt und die Wirkung des Narkotikums auf den ge- kreuzten Streckreflex ausser Betracht gelassen. In den ersten Äther- versuchen stellte sich nämlich heraus, dass Äther auf den Beugereflex verschiedener Tiere einen sehr verschiedenen Einfluss ausübt, so dass die Verhältnisse viel komplizierter sind als bei Chloroform. Es wurde deshalb beschlossen, nur das Verhalten dieses Reflexcs, der am leichtesten auslösbar ist und nach früheren Erfahrungen die kon- stantesten Resultate gibt, zu untersuchen. 1) W.Storm van Leeuwen und M. van der Made, Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen des Rückenmarkes von Warmblütern und Kaltblütern. Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 37. 2) Ch. Socin und W. Storm van Lceuwen, Über den Einfluss der Kopfstellung auf phasische Fxtremitätenreflexe. Pflüger’s Arch. Bd. 159 S. 251. 1914. 3) R. Magnus und A. de Kleijn, Die Abhängigkeit des Tonus der Extremitätenmuskeln von der Kopfstellung. Pflüger’s Arch. Bd. 145 8. 455. 1912. Quantitative pharmak. Untersuchungen über die eflexfunktionen usw. 87 Die Operation der Tiere wurde übrigens genau so vorgenommen wie in den früheren Chloroformversuchen, nur wurde zur Anfangs- narkose vor der Dekapitation natürlich Äther benutzt, und bei der Präparation des N. peroneus wurde nicht nur das zentrale Ende des Nerven, sondern auch das periphere Stück mit einem Faden. versehen. Weil im jedem Versuch nicht nur Reflexe, sondern auch durch Reizung des motorischen Nerven ausgelöste Muskelkontraktionen registriert werden mussten, war es auch nötig, die früher beschriebene Sherrington’ sche Elektrode derartig zu ändern, dass sie beide Enden des Nerven fassen konnte. Die Elektrode erhält dadurch folgende Gestalt (Fig. 1). Fig. 1. Modifizierte Sherrington-Elektrode. a und a’ zentrales und peripheres Ende des N. peroneus, b Faden, c Platin- elektrode, d Stöpsel. — Das zentrale und das periphere Ende eines Nerven können in derselben Elektrode aufgenommen werden. Wie in den früheren Versuchen, wurde auch jetzt durch Reizung des zentralen Endes des N. peroneus mit Einzelinduktionsschlägen jede Minute ein Reflex ausgelöst und graphisch registriert. Mittels eines früher beschriebenen Apparates!) wurde automatisch dafür ge- sorgt, dass die Öffnungsschläge abgeblendet wurden. Zur Reizung des peripheren Endes des N. peroneus war ein zweites Induktorium auf- gestellt, von welchem aus der Nerv mit Doppelinduktionsschlägen gereizt wurde, wobei jedoch die Reizstärke möglichst so gewählt wurde, dass der Schliessungsschlag unterhalb der Reizschwelle blieb, so dass 1) W. Storm van Leeuwen, Quantitantive pharmakologische Unter- suchungen über die Reflexfunktionen des Rückenmarkes an Warmblütern. Pflüger’s Arch. Bd. 154 S. 307. 1913. Sg W. Storm van Leeuwen: fast immer nur eine Kontraktion registriert wurde. In den Kurven wurden diese Muskelkontraktionen, zum Unterschied von den Reflexen, mit M versehen. Nicht immer gelang es, in dieser Weise den Schliessungsschlag auszuschalten, gelegentlich war auch bei Minimal- stand des Induktoriums der Schliessungsschlag noch wirksam. In diesem Falle wurde eine kleine und eine grössere Kon Ku neben- einander registriert. Zur Aufrechterhaltung einer genügenden Körpertemperatur wurden in den früheren Versuchen die Versuchstiere auf eine erhitzte Unter-. lage gelegt und mitunter ausserdem noch eine elektrische Glühlampe über das Tier gestellt. In den ersten Versuchen dieser Serie sind wir in derselben Weise vorgegangen. Nachdem sich aber (wie schon ansführlich in der vorhergehenden Arbeit beschrieben worden ist) !) herausgestellt hatte, dass das Anbringen einer elektrischen Glühlampe über dem Tiere die Grösse der Reflexe sehr beeinträchtigen kann, wurde die Heizung mit Glühlampen unterlassen und statt dessen die Tiere durch permanente Magenspülung mit warmem Wasser erwärmt. Die hierbei benutzte Methode ist in der zitierten Arbeit ausführlich beschrieben. Normalperiode. Mit dieser geänderten Versuchsanordnung gelang es uns in den meisten Fällen lange Reihen von Reflexen von annähernd gleicher Intensität zu registrieren, und wiewohl doch noch gelegentlich Un- regelmässigkeiten in den Kurven auftraten, waren doch in dieser Versuchsreihe die Reflexe in den Normalperioden regelmässiger als in den früheren Versuchen. Auch jetzt kam es noch manchmal vor, dass während länger dauernder Versuche die Reflexe allmählich etwas kleiner wurden. Die Ursache dieser Erscheinung konnte ebensowenig als früher aufgeklärt werden, aber jedenfalls geschah dieses Abnehmen der Intensität der Reflexe so allmählich und langsam, dass die Genauigkeit der Versuche hierdurch nicht beinträchtigt wurde. Es sei hier überdies ausdrücklich erwähnt, dass es in den mehr als 100 Reflexversuchen, die wir bis jetzt angestellt haben, niemals vorgekommen ist, dass die Reflexe spontan grösser wurden. Es ist diese Tatsache deshalb wichtig, weil es in den unten zu be- schreibenden Versuchen gelegentlich vorkommt, dass unter Einfluss des Äthers eine Steigerung der Reflexgrösse wahrnehmbar ist. Nach dem oben Gesagten braucht also nie daran gezweifelt zu werden, dass diese Steigerungen in der Tat durch die Ätherwirkung hervorgerufen worden sind, da, wie gesagt, spontane Steigerungen nie vorkommen. 1) W. Storm van Leeuwen und M. van der Made, Über den Einfluss. der Temperatur auf die Reflexfunktionen des Rückenmarkes von Warmblütern. Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 41. 1916. Quantitative pharmak. Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. 89 Atherversuche. Nachdem in der Normalperiode eine Anzahl Reflexe von gleicher Intensität registriert worden waren, wurde den Tieren mit der Ein- atmunesluft Äther zugeführt, manchmal in kleineren, manchmal in erösseren Konzentrationen. Nachdem sich der Einfluss des Narko- tikums auf die Reflexe geltend gemacht hatte und ein bestimmtes Stadium der Narkose erreicht worden war, wurde den Tieren Blut entnommen und der Äthergehalt dieses Blutes chemisch bestimmt. Während dieser Blutertnahmen wurde die künstliche Atmung immer abgestellt, so dass sich die Konzentration des Äthers im Blute während dieser Zeit nicht ändern konnte und die gefundenen Zahlen also die wirklichen Ätherkonzentrationen im Blute geben. In einer Anzahl Versuche wurde auch unmittelbar nach der Blut- entnahme der Rückenmarkskanal des Tieres geöffnet, das Rückenmark herausgenommen und auch dessen Äthergehalt chemisch bestimmt. Bei den Ätherbestimmungen wurde die von Nieloux!) beschriebene Methode benutzt. Diese Methode ist relativ einfach und gibt sehr genaue Resultate. Beim Einarbeiten in die Methode war es mir von grossem Nutzen, dass Herr Nicloux so freundlich gewesen war, mir seine Methode persönlich zu demonstrieren. Es wird bei der Nicloux’schen Ätherbestimmung ca. 10 ccm des Blutes in 1°/oiger Pikrinsäure aufgefangen. (Die genaue Menge des entnommenen Blutes wurde durch Wägung des Gefässes mit der Pikrinsäurelösung vor und nach der Blutentnahme bestimmt.) Aus der Pikrinsäurelösung wird der Äther wnter bestimmten Kautelen in Wasser überdestilliert, und danach wird der Äthergehalt dieser wässerigen Ätherlösung nach Zusatz von konzentrierter Schwefelsäure mit einer Lösung von Kaliumbichromat bekannter Stärke titrimetrisch bestimmt. Zur Bestimmung des Äthergehaltes des Rückenmarkes wurde das ganze Rückenmark des Tieres in ein vorher gewogenes Gefäss mit 1°/oiger Pikrinsäurelösung gelegt und mit Pinzette und Schere möglichst zerkleinert. Es wurde dann aus dieser Lösung der Äther in Wasser überdestilliert und weiter genau wie bei den Ätherbestimmungen im Blute behandelt. Wie schon bemerkt, gab’ die Nicloux’sche Methode auch in unserer Versuchen sehr genaue Resultate. In einer Serie von sechs Kontrollbestimmungen mit Blutportionen, denen bekanute Mengen 1) M. Nicloux, Les anesthesiques generaux au point de vue chimico-physio- logique p. 5l. Paris 1908. 90 W. Storm van Leeuwen: Äther zugesetzt worden waren, war (wie aus Tabelle I ersichtlich ist) der mittlere Fehler 1,7 °o. Der grösste Fehler war 3°o und der kleinste 0,8%. Tabelle. Versuch Blutmenge an a e We Fehler Nr. ccm mg mg 0/0 I 10 18,9 end ca. — 1,0 II 10 ba 12,0 ca. + 2,5 III 10 15,12 15,0 ca. — 0,8 IV 10 9,45. 9,75 ca. + 3,0 V 10 10.28.00 10,5 ca. + 2,0 VI 10 12,75 12,85 ca. + 0,8 Fehler im Mittel 1,7 Für ihre Hilfe bei den Ätherbestimmungen und bei einem Teil der Tierversuche bin ich Frl. van der Made zu grossem Dank verpflichtet. Im ganzen kann über 52 gelungene Ätherversuche berichtet werden. In 25 Fällen wurden Ätherbestimmungen im Blute vor- genommen. 19mal wurde dabei auch der Äthergehalt des Rücken- markes bestimmt. Nebenbei kann das Resultat von 3 Versuchen über Narkosestarre mitgeteilt werden und von einigen Versuchen an Katzen, welche totnarkotisiert worden waren, und deren Blut und Rückenmark also den Äthergehalt im Augenblicke des Todes zeigten. Einfluss des Äthers auf den homolateralen Beugereflex. In den meisten Fällen ist die Wirkung des Äthers auf den homolateralen Beugereflex prinzipiell dieselbe wie die früher be- schriebene des Chloroforms. Nach Einschalten der Narkose werden die Reflexe meistens sofort kleiner, und je nachdem kleine oder grössere Konzentrationen Äther zur Verwendung kommen, stellen sich die Reflexe auf ein neues, niedrigeres Niveau ein oder ver- schwinden ganz. Ein Beispiel für ersteres Verhalten gibt Fig. 2. Das Verschwinden der Reflexe durch Äther wird in Fig. 3 dargestellt. In bezug auf die in diesen Versuchen zur Verwendung kommenden Ätherdosen sei folgendes bemerkt. Das Narkotikum wurde den Tieren in allen Fällen mit der künstlichen Atmung zugeführt, und hierbei konnte durch Änderung der Einstellung zweier Hähne das Verhältnis zwischen ätherfreier Luft und der durch eine mit Äther vefüllten Flasche getriebenen Luft reguliert werden. In dem in Quantitative pharmak, Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. 9] Fig. 2 veranschaulichten Versuch wurde zwischen 5b und ce die Hahn- stellung 3:10 gewählt, das heisst, es wurden dem Tiere 3 Teile mit Äther beladener Luft und 10 Teile ätherfreier Luft zugeführt. Es ist das die Ätherkonzentration, welche im Institute häufig bei 120 # Fie.2. Kleinerwerden der Reflexe durchmittelstarke Dosen Äther. Graphische Darstellung von Versuch A. S. XI. In diesen und den folgenden graphischen Darstellungen ist auf der Abszisse die Zeit in Minuten eingetragen, während die Ordinaten die Hubhöhen des Hebels angeben. Zu diesem Zwecke sind die wirklichen Hubhöhen des Hebels ausgemessen und in der Weise um- gerechnet, dass die Hubhöhe der Normalperiode immer ungefähr der Zahl 100 ent- spricht. — Homolaterale Beugereflexe. Reizung jede Minute mit Einzelinduktions- schlag. Reizstärke 500 K. Im sekundären Kreis 21000 Ohm. Bei a Ather 2:10; bei b Äther 3:10; bei e Ather 4:10. lansgdauernden Narkosen benutzt wird. Im Anfang der Narkose wird meistens Hahnstellung 4:10 gewählt. Bei letzterer Hahnstellung verschwinden die Reflexe in den meisten Fällen innerhalb einiger Minuten. Hierbei sei bemerkt, dass ein gesetzmässiger Zusammen- hang zwischen der Hahnstellung im Narkoseapparat, der Tiefe der Narkose und der Geschwindigkeit, mit der die Reflexe nach Ein- 93 W. Storm van Leeuwen: stellen der Narkose kleiner werden — wie das bei Chloroform der Fall ist!) —, in der Äthernarkose keineswegs vorliegt. In Fig. 3 sind die Reflexe ganz zum Verschwinden gebracht durch eine Äther- konzentration (Hahnstellung 2:10), die niedriger ist als diejenige, welche in Fig. 2 (zwischen b und c) die Reflexe während 14 Minuten auf einem ziemlich konstanten Niveau hielt (Hahnstellung 3:10). Auf diese Unregel- mässigkeit in dem Verhalten der Reflexe während der Äthernarkose wird unten zurück- zugreifen sein. Nach Abstellen der Narkose kehren die Reflexe meistens rasch zurück und erreichen in kurzer Zeit wieder ihre ursprüngliche Grösse, wie zum Beispiel aus Fig. 4 ersichtlich ist. (Diese Fig. 4 ver- anschaulicht einen der wenigen Versuche, die in dieser Serie ausnahmsweise an dem eekreuzten Streckreflex angestellt worden sind.) In der früheren Chloroformarbeit?) ist: mitgeteilt worden, wie es beim Narkoti- sieren mit Chloroformluft von konstanter Zusammenstellung gelegentlich gelang, die Reflexe lange Zeit (bis zu 21 Minuten) auf einem bestimmten niedrigen Niveau konstant zu halten. Wir können bier über einen ähnlichen Ätherversuch berichten. In Ver- 5 ß such A. S. VI (Fie. 5) blieben die Reflexe Te. een 36 Minuten nach Einstellung des Äthers kleine Dosis Äther. auf 80°/o der ursprünglichen Höhe — 7 Mi- Versuch I. Homolaterale Beugereflexe. Reizstärke Nuten nach Abstellen der Narkose war voll- DB er m en ständige Erholung aufgetreten. | peratur 86°C. Bei a Äther Versuche dieser Art geben keine Aus- nr ln. kunft darüber, welcher Äthergehalt der Ein- atmungsluft zu einer guten Narkose erforder- lich ist, denn derjenige Teil der Einatmungsluft, welcher durch die Ätherflasche gestrichen ist, hat sich dabei zwar mit Äther beladen, 120 ' | Y BB =: 2. Is a NeaS7326: DL. CAS. Quantitative pharmak. Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. 05 sich aber nieht mit Äther sättigen können; überdies schwankt wegen des schnellen Verdampfens des Äthers die in der Flasche befindliche Menge dieses Narkotikums fortwährend, so dass genaue Berech- nungen schon aus diesem Grunde nicht möglich wären. -Das Fest- stellen der zur Narkose erforderlichen Konzentrationen des Äthers in le en en Re lt, € Fig. 4 Verschwinden des gekreuzten Streckreflexes durch Ather und Wiederansteigen desselben nach Abstellen des Narkotikums. Versuch A. S. IX. Reizstärke 2500 K. Im sekundären Kreis 20000 Ohm. Reizung jede 40. Sekunde. Bei a Ather 2:10; bei db wird das Narkotikum weggelassen; in c vollständige Erholung der Reflexe. Zeit 40 Sekunden. b—c = 4 Minuten. der Einatmungsluft lag auch nicht im Rahmen dieser Arbeit. Es sind diese Werte aus den Arbeiten anderer Autoren genügend bekannt. Auf eine ausführliche diesbezügliche Literaturangabe kann hier verzichtet werden, weil dieselbe in einer Arbeit von Kochman!) 1) M. Kochman, W. Ritschel, 0. Stange usw.,: Über kombinierte “ Narkose. [.—VI. Mitteilung. Arch. intern. de pharm. et de ther. vol. 22 p. 23. 1913. 94 W. Storm van Leeuwen: Reizung jede Zeit 40 Sekunden. geres Niveau nach Äther. Im sekundären Kreis 20000 Ohm. ge Erholung der Reflexe. 7 Minuten. Reizstärke 2500 K. gereflexe. ; bei db Ather weggelassen; bei c vollständi a—b —= 26 Minuten, b—c Homolaterale Beu Fig. 5. Einstellen der Reflexe auf ein konstantes niedri Bei a Äther 1:10 Versuch A. 8. VI. 40. Sekunde. ‘ \ | [=] =) oO 100) DI Te) = op) aa ja 6 110 10 9 und seinen Mitarbeitern in erschöpfender Weise gegeben wird. Es seien hier deshalb nur aus einer Tabelle von Kochman’s Mit- arbeitern, Ritschel und Stange, die von den verschiedenen früheren Autoren gefundenen Zahlen angegeben. Quantitative pharmak. Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. 95 Als minimal narkotische Konzentration wurde in der Einatmungs- luft gefunden (ausgedrückt in Volumprozent): Smromwi: bena Kaninchen. . sv nlın. 2.23 ebrerst: beim Hundı a 020020... 22105650)0 P. Bert: beim Hund und Mensch . . . - . 6.2%o (hicht tief) Dreser: beim Mensch . . . .:3;6°%o und 5,8%o Spencer: beim Kaninchen und Katze . 3,10—3,62 %/o Kionka: beim-Kaninchen . .........21-—-7,9% ‚Honigman: beim Kaninchen . . . . : 6,8-9,7 %o Madelung: beim Kaninchen . . . . 45-5.0% Zu dieser Tabelle kann man noch die Werte von Schwinning!) heranziehen, „der beim Hunde mit einer Konzentration von 3,6 °/o eine mehr oder minder deutliche Narkose“ erhielt, die Tiere „reagierten nicht mehr auf Kneifen“, Die von den verschiedenen Autoren gefundenen Werte schwanken also zwischen 2,1°o und 10,65. Ursache der sehr grossen Diffe- renzen in den mitgeteilten Werten ist, wie auch schon Kochman hervorhebt, der Umstand, dass verschiedene Forscher erstens an ver- schiedenen Tieren gearbeitet haben, vor allem aber verschiedene Kriteria für das Bestehen einer Narkose benutzt haben. Um genaue Werte für den Äthergehalt der Einatmungsluft während der Narkose zu erhalten, haben Ritschel und Stange am Kaninchen eine Serie sehr genauer Untersuchungen vorgenommen. Es wurden den Tieren mit der Einatmungsluft steigende Konzentrationen Äther zugeführt und gasanalytisch die Konzentrationen bestimmt, die zur Narkose nötig waren, oder es wurden den Tieren Luft- Äther-Gemische bekannter Konzentrationen zugeführt und der Effekt beobachtet, welchen diese Konzentrationen auf die Tiere ausübten. Beide Methoden brachten ein übereinstimmendes Resultat. Die Konzentration, welche nötig war, um eine so tiefe Narkose hervorzurufen, dass alle Reflexe, auch die Reaktion auf schmerzhafte Reize, geschwunden waren, betrug 10 °/o, die minimale Konzentration, bei der die Tiere operationsfähig waren, aber 6/0. Nach den hier erwähnten Untersuchungen von Ritschel und Stanee kann man also schliessen, dass zum Aufrechterhalten einer guten Narkose ein Äthergehalt von 6—10 Volumenprozent der Einatmungsluft erforderlich ist. Man darf hiernach wohl annehmen, dass die Ätherkorzentration, welche in unseren Versuchen bei der Hahnstellung 4:10 erreicht wird, etwas mehr als 7 °/o beträgt. Wie schon bemerkt wurde, tritt in den meisten Fällen unmittel- bar nach Einstellen der Narkose ein allmähliches Kleinerwerden der Reflexe ein. Auffallend ist hierbei aber, dass dieses Verschwinden der Reflexe meistens bei weitem nicht so regelmässig vor sich geht als in der Chloroformnarkose. Aus einem Vergleich zwischen Fig. 6 1) G. Schwinning, Über die Sättigung des Tierkörpers mit Äther während der Narkose. Dissertation. Giessen 1904. 9 W. Storm van Leeuwen: - und Fig. 7 ist dieses ersichtlich. In Fig. 6 wurde eine kleine Dosis Äther (2:10), in Fig. 7 eine kleine, nach der Laboratoriumserfahrung ungefähr ebenso stark wirkende Dosis Chloroform (1:10) dem Tiere zugeführt. Dass überhaupt das Eintreten der Äthernarkose in diesen Versuchen viel weniger regelmässig vor sich geht als in Chloroform- versuchen, geht aus Versuchen hervor, in denen nach Einschalten der Äthernarkose die Reflexe gleichgross bleiben oder nach einem 110 100 60 s0 10 Fig. 6. Unregelmässiges Absinken der Reflexhöhe nach einer kleinen Dosis Ather. Versuch A. S. XV. Homolaterale Beugereflexe. Reizstärke 2500 K. Im sekundären Kreis 21000 Ohm. Reizung jede 45. Sekunde. Bei a Äther 2:10; bei d Blutentnahme. Zeit 45 Sekunden, a—b = 24 Minuten. anfänglichen Kleinerwerden wieder an Grösse zunehmen. Und schliess- lich gibt es Fälle, wo statt eines Verschwindens der Reflexe durch die Ätherzufuhr eine Vergrösserung derselben hervorgerufen wird, so dass eine Erregung der Reflextätiekeit des Rückenmarkes vor- liegt. Ein Beispiel einer derartigen Äthererreeung gibt Fig. 8. Es wurde in diesem Versuch anfänglich 2:10 Äther gegeben. Als hierdurch die Reflexe, nachdem sie anfangs kleiner geworden waren, wieder an Grösse zunahmen, wurden höhere Konzentrationen ge- wählt und schliesslich enorm hohe Ätherkonzentrationen benutzt (bis zu 6:10 und 10:10), wodurch die Reflexe statt kleiner immer Quantitative pharmak. Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. 97 grösser wurden und die Anfangshöhe weit überstiegen. Zuletzt wurden dann mit Chloroform die Reflexe zum Verschwinden ge- bracht. Etwas anders verlief der in Fig. 9 veranschaulichte Versuch. Hier wurden nach Zufuhr von 2:10 Äther die Reflexe sofort grösser, einceen danach etwas herunter und blieben dann bis db, also während 26 Minuten, unter fort- währender Ätherzufuhr auf ungefähr derselben Höhe, welche vor der Ätherzufuhr erreicht wurde. Durch 4:10 Äther wurden dann die Reflexe kleiner, und bei 5:10 Äther blieben sie 8 Minuten hindurch kon- stant auf 20° der An- fangshubhöhe (c-d). Durch eine sehr hohe Ätherkon- zentration (7:10) wurden sie schliesslich noch nicht ganz zum Verschwinden gebracht. Bei e wurde die Ätherzufuhr abgestellt. Die Narkose hatte dann Fig. 7. Regelmässiges Absinken der 49 Minuten gedauert. Reflexhöhe nach einer kleinen Dosis 1/s Stunde nach Abstellen en un Versuch N. S. IV. Homolaterale Beugereflexe. Reiz- der Narkose hatten die stärke 2500 K. Im sekundären Kreis 21000 Ohm. 5 i Bei a Chioroform 1:10; bei 5b Blutentnahme. Reflexe wieder ihre Aus- Zeit in Minuten. a—b —= 21 Minuten. gangshöhe erreicht. Ein derartiees Verhalten gegen Äther wurde noch in einer Anzahl anderer Fälle beobachtet. Reflexumkehr. Wie schon in der früheren Chloroformarbeit erwähnt worden ist, hat zuerst Sherrington eine Reflexumkehr während der (Chloro- form-) Narkose beobachtet. Wir haben in der genannten Arbeit ein Beispiel geben können, wie unter Einfluss des Chloroforms zwar Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. } 7 98 W. Storm van Leeuwen: keine Reflexumkehr, aber allerdings eine Änderung des Reflextypus nachweisbar war. In den Ätherversuchen der vorliegenden Arbeit ist auf das Vorkommen einer Reflexumkehr sorgfältig geachtet worden, BEBEBRREEZ, BNP zuBEE TE Im sekundären Kreis 21000 Ohm. r 4:10; d—e Äther 5:10; e-f = Äther 10:10; bei f Reizstärke 2500 K. Chloroform 1:10. Zeit 40 Sekunden. teigernde Wirkung des Äthers. Fig. 8. Reflexs Homolaterale Beugereflexe. b—c Ather 3:10; ed = Athe VI. S. ® a ri | a—b Äther 2:10) Versuch A. 100 a 110 und tatsächlich trat zweimal eine wirkliche Umkehr des homolateralen Beugereflexes ein. Am deutlichsten war diese Umkehr zu beobachten in Versuch XXIX (Fie. 10). Die in diesem Versuch vor der Äther- zufuhr ausgelösten Reflexe zeigten eine ziemlich starke „Rebound“- Quantitative pharmak. Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. 99 kontraktion. Nach der Ätherzufuhr (in einer Dosierung, wie sie im Institut für gewöhnliche Narkosezwecke üblich ist) wurden die Beuge- komponente des Reflexes sofort kleiner. Die „Rebound“kontraktion Kreis 2700 Ohm. Im sekundären K. Reizstärke 5500 a—b Äther 2:10; b—c Äther 4:10; c—d Äther 5:10; d—e Äther 7:10; a—e —=49 Minuten; e—-f—= 29 Minuten. ee \ Fig. 9. Reflexsteigernde Wirkung des Äthers. Homolaterale Beugereflexe. | \ AN | Bei e Atherzufuhr aufgehoben; bei f vollständige Erholung. Zeit 40 Sekunden. en Be] Versuch A. S Q (>) =) © (==) [=] < < Q {oe au Lam) (=) aD .%0 > oo De) an nm | - um! I! blieb zuerst gleichgross, als aber nach 3 Minuten die Beugekomponente geschwunden war (bei @), war sie schon etwas grösser als im Anfang. Nach weiteren 3 Minuten (bei db) war sie viel grösser geworden und blieb noch längere Zeit unter fortgesetzter Ätherzufuhr bestehen. — | = | 100 Von der Beugekomponente des W. Storm van Leeuwen: Reflexes war in diesem Stadium nicht die geringste Spur (auch bei direkter Besichtigung des Präparates nieht) mehr wahrnehmbar. Hier liegt also ein Fall von typischer Reflexumkehr nach Äther vor. — Fig. 10. Umkehr des homolateralen Beugereflexes nach Ätherzufuhr. Bei b ist flexes aufgetreten ist. ch kleiner, so dass sie bei « grösser und der Schliessungsschlag (s) relativ grösser. eit (bei 5) grösser. Im sekundären Kreis 120000 Ohm. Der homolaterale le Umkehr des Beugere s und wird nach einiger Z so dass da eine tota Reizstärke 4500 °K. Auf Ätherzufuhr wird die Beugekomponente ras ler Ätherzufuhr mehr sichtbar, Die Muskelkontraktionen werden nach d rebound“ bleibt aber gleich gros Spur Homolaterale Beugereflexe. Beugereflex hat einen starken „rebound“. kaum noch sichtbar ist, der „ von der Beu gekomponente keine Versuch XXIX. Eine erregende Wirkung von Äther auf die Funktionen von anderen Organen haben Vernon und Jastreboff nachgewiesen. Vernon!) hat nämlich am Herzen ge- zeigt, dass, nachdem durch Einwirkung von Äther die Kontraktionen anfänglich kleiner geworden waren, die- selben später wieder an Grösse zunahmen. Jastre- boff?) hat nachgewiesen, dass die Kontraktionen der Vagina bei Kaninchen durch Chloroform und Äther erst verstärkt und danach ge- lähmt werden. Eine anfäng- lich erregende Wirkung von Chloroform auf das isolierte Säugetierherz und auf den isolierten Säugetiermuskel haben Sherrington und Sowton!) nachgewiesen, 1)H.M. Vernon, The mode of union of certain poisons with cardiac muscle. Journ. of physiol. vol. 41 p. 194. 1910. 2) N. W. Jastreboff, Über die Kontraktionen der Vagina bei Kaninchen. Du Bois-Rey- mond’s Arch. 1884 S. 115. 3) C.S. Sherrington and S. C.M. Sowton, On the dosage of the mammalian heart by Chloro- Quantitative pharmak. Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. 10] während Holinrgren, Knoll und Cushny eine Anfangserregung des Atemzentrums nach Chloroformzufuhr fanden. Ein Grösserwerden .der Reflexe nach Chloroformzufuhr kam aber in unseren früheren Versuchen niemals zur Beobachtung. Bezüglich des Grösserwerdens der Reflexe durch Äther sei hier noch bemerkt, dass diese Erscheinung mehrmals zur Beobachtung kam bei Versuchen an Tieren, welche vor der Äthernarkose erst chloro- formiert worden waren. Es waren in solchen Fällen die Reflexe erst durch Chloroform zum Verschwinden gebracht worden und danach den Tieren Blut entnommen. Während dieser Blutentnahme wurde immer die künstliche Atmung abgestellt. Wurde dann gelegentlich nach der Blutentnahme die künstliche Lungenventilation wieder ein- geschaltet (wobei das Chloroform natürlich weggelassen wurde), so lebten die Tiere meistens zwar noch, waren aber durch all diese Maassnahmen erheblich geschädigt. Es dauerte demgemäss meistens ziemlich lange, ehe auf Reizung des Nerven wieder Reflexe auftraten, und niemals erreichten sie ihren anfänglichen Wert. Nachdem sich aber nach längerer Zeit die Reflexe wieder auf ein konstantes Niveau eingestellt hatten, wurde gelegentlich Äther zugeführt, und sehr oft sah man unter diesen Umständen ein Grösserwerden der Reflexe auf- treten, oft waren selbst sehr erhebliche Äthermengen nicht imstande, die Reflextätigkeit des Rückenmarkes in derartigen Versuchen zum Verschwinden zu bringen. Zu der Zeit, wo diese Versuche im Gange waren, war mir aber eine Tatsache noch unbekannt, worüber Frl. van der Made und ich in einer früheren Arbeit berichtet haben !), nämlich dass unter bestimmten Umständen bei der von uns an- gewandten Versuchsanordnung auf Reizung des zentralen Endes des N. peroneus Kontraktionen in den Muskeln des Unterschenkels her- vorgerufen werden können, welche nicht reflektorischer Natur sind. In der zitierten Arbeit haben wir derartige Kontraktionen auftreten sehen, nachdem einer sehr stark abgekühlten dekapitierten Katze Äther oder Chloroform zugeführt wurde. Wir haben dabei nachweisen können, dass die hier in Betracht kommenden Muskelkontraktionen auftreten infolge von Erregungen, welche nach elektrischer Reizung des zentralen Peroneusstumpfes auf irgendeine Weise auf den peri- pheren Peroneusstumpf übergeleitet werden. Man muss dabei wohl annehmen, dass durch die Kombination von zweierlei schädlichen Ein- flüssen das Tier in einen Zustand gebracht wird, in dem die Nerven eine erhöhte Reizbarkeit oder Leitfähigkeit besitzen. form. Thompson Yates and Johnston, Report vol. 5 part. 1 p. 81. 1903. — C. S. Sherrington and S. C. M. Sowton, On the relative effects of Chloro- form upon the heart and upon other muscular organs. British med. Journal July 22°d. 1905. 1) W. Storm vanLeeuwen und M. van der Made, Über den Einfluss der Temperatur auf die Reflexfunktionen des Rückenmarkes von Warmblütern und Kaltblütern. Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 37. 1916. 102 W. Storm van Leeuwen: In den obenerwähnten Versuchen nun, wo, nachdem eine de- kapitierte Katze chloroformiert worden war, nach der Blutentnahme wieder (scheinbar ?) Reflexe auslösbar waren, welche auf Zufuhr von Äther in der Regel grösser statt kleiner wurden, muss der Möglichkeit Rechnung getragen werden, dass nicht Reflexe, sondern einfache Muskelkontraktionen registriert worden sind. Derartige Muskel- kontraktionen könnten dann in analoger Weise wie in unseren Ver- suchen an abgekühlten Tieren zustande gekommen. sein. Die zu dem Auftreten des Phänomens nötigen Schädigungen könnten durch die vorhergegangene Chloroformierung und Blutentnahme bewirkt werden. Weil also, wie gesagt, die Deutung derartiger Versuche zweifelhaft ist, haben wir dieselben in der vorliegenden Arbeit nicht weiter berück- sichtigt. Wo im nachfolgenden also von Äthererregung die Rede ist, haben die Angaben nur Beziehung auf Versuche an kräftigen, sehr reizbaren: Präparaten, bei denen von Absterbeerscheinungen keine Rede ist. Dass übrigens in gewöhnlichen, bei normaler Temperatur angestellten Ätherversuchen und in den früheren Chioroformversuchen die beschriebene abnorme Erscheinung am Nerven nicht eine Rolle gespielt haben kann, ist in der obenzitierten Arbeit ausführlich dar- “ getan. Auch die S. 97 beschriebene, nach Äther auftretende Reflex- umkehr kann nicht auf einer eventuellen Erregbarkeitssteigerung der peripheren Nerven beruhen, denn die nach Äther grösser werdende „Rebound“-Kontraktion war eine Streckung des Fusses, während sonst, wenn Stromschleifen übergehen, Beugungen des Fusses auftreten. Auch in den Fällen aber, wo es ganz sicher ist, dass nur Reflexe registriert werden, beweist ein nach Ätherzufuhr stattfindendes Grösser- werden der Reflexe noch nicht’ mit Sicherheit, dass in der, Tat eine gesteigerte Reflextätigkeit des Rückenmarkes vorliest, weil, wie schon oben hervorgehoben worden ist, der Äther in Narkosekonzentrationen auch auf die peripheren Mechanismen (Nerv, und Muskel) einwirkt. Diese Möglichkeit wurde berücksichtigt in einer Versuchsreihe, wo nicht nur die Reflexe, sondern auch indirekte Muskelkontraktionen registriert wurden, und in gewissen Phasen der Narkose Äther- bestimmungen: .des Blutes und des Rückenmarkes yusianunmen wurden. — / 0 Das Resultat dieser Versuchsreihe ist in nachstehender Tabelle 2 (S.. 103) dargestellt. In dieser Tabelle ist: in enalte e und d een, an nach Ätherzufuhr (bis zu einem ‘in Spalte h und i verzeichneten Gehalt) “ı9uro]7 MOISSOITyIS pun 1988015 uUrP UHPAnM *yuw)suoy 7819 UAGOITq UOUOLTEAUONTIASUN Id (G -NEAJUONTONSNN MIA (E -uny9S ur yoIs PurJ9g UOTINSIOA UHITPUR uUA]]E UT Yo9ByU9SEFUTD PURISIOPIMBAIXTT UION SIOAM UHABPUNYOS UT IBM u9yonSsIo‘ uosoıp up (IT U9FY9I9AID Pun 1985019 819 UHPANM U9UOTINEAJUONJOFSUN Id (F ‘yue4suoy ua (UEUOLTTEIUONENSNN) aXoyay Ad (2 "19MSSUuRSsnYy HAUT AOP9IM yogurp "JIOMSZUBSNY UHITT AHP9IM Y9BURp UHITITOAID pun Tour]? 519 UHPAnM u9Uuor} "wyo 000051 UoA purIsıopımus]goyy ua SIOIy uaıup IXXX ga —) — E = dzye "A 006% 0/0 LOT'O o9LTO | o82E ze %osTT | — |sal Be © day] "MU 0001 9/0 680.0 0/0 810 oL’9E | , 90.09 = %oL me 9 DOCK S aoyey] "I 0003 9/0 8810 9% 8ST'O 0048 |(Vo8L Mose | 008 |WSZI—| IMdv '9 XXX = "1 006% 0/0 8070 YrSTo BESTE ZIDOX 3 1oyeyl 'M 0008 0/0. 820.0 0109800 | 0748 —. 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In früheren Versuchen über den Einfluss des Chloroforms auf einfache Rückenmarksreflexe liess sich ein ziemlich scharfer Parallelis- mus zwischen dem Chloroformgehalt des Blutes und dem Grad, bis zu welchem die Reflexe durch das Narkotikum beeinträchtigt, worden waren, nachweisen. Wie aus Tabelle 2 ersichtlich ist, besteht ein derartiger Par- allelismus bei Äther nicht. So wurden zum Beispiel in Versuch XVII die Reflexe durch einen Äthergehalt des Blutes von 0,07 %o bis auf 10°o der ursprünglichen Hubhöhe heruntergebracht, während das- selbe Resultat in Versuch XXVII erst bei einem Gehalt von 0,158 °/o erreicht wurde und in Versuch XXXII bei einem Gehalt von 0,176 °/o die Reflexe noch grösser waren als zu Anfang des Versuches. Schaltet man aber (diejenigen Versuche aus, in denen durch Äther eine Steigerung der Reflexe oder der Muskelkontraktionen hervorgerufen wurde, und lässt man desgleichen Versuche ausser Betracht, wo die Tiere offenbar eine abnorm hohe Resistenz gegen Äther hatten, so lässt sich doch eine Serie von sechs Versuchen in Tabelle 3 ver- einigen, wo ziemlich übereinstimmende Werte gefunden wurden. Tabelle 3. Reflexe x | Äthergehalt Versuch herunter Tempe- Athergehalt des Rücken- Reizstärke Nr. as en ratur des Blutes ranlkas I 0 36,0 9 0,110 %o _ 1000 K. II 0) 36,5 9 0,090 9/0 — 800 K. VI 10 %0 Sau 0,073 9/0 — 23500 K. XVI 10 %o 37,0 ° 0,080 ®/o 0,100 %o 2500 K. XVII 5%o 35,9 ° 0,082 %0 0,112 %o 2500 K. XVII 10 %o 36,0 9 0,070 %/e 0,080 %/o 800 K. In dieser Tabelle ist das Resultat von sechs Versuchen zu- sammengestellt, welche regelmässig verliefen und unter den gleichen Quantitative pharmak. Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. 105 Versuchsbedingungen angestellt wurden. Die Rektumtemperatur der Tiere wechselte von 35—37,7°C. Die Reizstärke wurde zu Beginn des Versuches immer so gewählt, dass während der Normalperiode in den verschiedenen Versuchen Hebelausschläge von annähernd der- selben Grösse erhalten wurden. Es ergibt sich, dass in vier Ver- suchen bei einem Äthergehalt des Blutes von 0,07—0,082/o, im Mittel also 0,0760, die Reflexe bis auf 5—10°/o des Anfangswertes heruntergegangen waren. Der Äthergehalt des Rückenmarkes betrug im Mittel 0,097. Bei einem Gehalt des Blutes von im Mittel 0,1°/o waren die Reflexe durch den Äther ganz zum Verschwinden gebracht. In zwei Versuchen wurde bei einer Temperatur von 39° C. gearbeitet. Die in diesen Versuchen gefundenen Werte, welche in Tabelle 4 dargestellt sind, stimmen mit denjenigen aus Tabelle 3 gut überein. In Versuch XII wurden bei einem Äthergehalt des Blutes von 0,125°/o (Rückenmark 0,1°/o) die Reflexe bis auf 3 %/o, in Versuch XIII bei einem Gehalt im Blute von 0,09°/o (Rücken- mark 0,08°/0) die Reflexe bis auf 1°/o heruntergebracht. Im Mittel wurde im Blute also 0,108°/o, im Rückeumark 0,09 °/o gefunden. Tabelle 4. Reflexe - Äthergehalt Yarııı herunter | Zempe- | Athergehalt | ges Rücken- ‚ Reizstärke Nr. fe ann? ratur des Blutes marken XI 3.0 39° 0,125 %o 0,10 %o 450 K. XII 1%o SIR 0,090 %/o 0,08 %/o 2500 K. Aus den Versuchen in Tabelle 3 und 4 geht also hervor, dass bei einem Äthergehalt des Blutes von ca. 0,1% und des Rückenmarkes von ca. 0,09% die durch Einzelinduktionsschläge mässiger Intensität ausgelösten Reflexe zum Verschwinden gebracht werden. Für Chloroform wurde unter denselben Bedingungen ein Gehalt im Blute von 0,0127 0 gefunden !), so dass in dieser Hin- sicht der Wirkungsgrad von Äther und Chloroform sich verhält wie 1:8 oder, ausgedrückt in Molekularkonzentrationen, wie 1: 12,6. Wenn dem Umstand Rechnung getragen wird, dass (nach Nieloux) DL. ce. S. 330. 106 - W, Storm van Leeuwen:. vom im :Blute vorhandenen .Chloroform das Plasma nur 12% ent- hält, während vom Äther 48° sich im Plasma befinden, so ist das wirkliche Verhältnis der Wirkungsgrade zwischen Äther und Chloro- form 1:50. Wie schon bemerkt, hatte es — wegen zu grosser Unregelmässigkeit im Verhalten verschiedener Tiere — keinen Zweck, um, wie bei den Chloroformversuchen, bei den Ätherversuchen in anderen Stadien der Narkose den Äthergehalt des Blutes zu be- stimmen. Man muss sich darauf beschränken, festzustellen, dass bei vielen Katzen ein Äthergehalt des Blutes von 0,1% genügt, um die Reflexe zum Verschwinden zu bringen.: Ausgehend von diesen Ver- suchen, würde man also erwarten können, dass während des Toleranz- stadiums der Äthernarkose ein ähnlicher oder etwas höherer Wert im Blute gefunden wird. In der Literatur finden sich diesbezüglich nur wenig Angaben. Denn während der Chloroformgehalt des Blutes in den verschiedenen Stadien der Narkose von einer Anzahl Autoren untersucht worden ist, liegen ausser den älteren Mitteilungen von Lassaigne!) und L. Lallemand, M. Perrin et J. Duroy?), die mit inexakten Methoden gearbeitet haben, über den Äthergehalt des Blutes während der Narkose nur Untersuchungen von N. Frantz?) und Nicloux vor. Frantz liess Kaninchen „ziemlich konzentrierte Ätherdämpfe*, einatmen. „Sobald vollständige Narkose eingetreten war“, wurde Blut entnommen und der Äthergehalt desselben, und deseleichen der Äthergehalt von Leber und Hirn, chemisch bestimmt. Er fand im ersten Versuch im Blute .0,036 %o, im zweiten Versuch 0,037 °/o, im. Mittel also 0,0365 0. ‘Im Hirn fand: er in beiden Versuchen 0,060 %o. | | | Wahrscheinlich war die von Frantz benutzte Methode ungenau, wiewohl in Kontrollbestimmungen, -in denen dem Blute bekannte Mengen Äther zugeführt wurden,‘ bei der'nachherigen Analyse etwas mehr als 90 °/o des zugeführten “Äthers zurückgefunden wurden. 1) Lassaigne, Resultats obtenus en examinant sous le point de vue chimique le sang veineux d’un animal avant'et.apres l’inhalation de l’air charge de vapeurs d’ether. Compt. rend. de l’acad:/de science.;t. 24 p. 359. 1847.. 2) L. Lallemand, M..Perrin.et J; Duroy,, Du röle de T’alcool et des anesthesiques dans Porganisme. Recherches experimentales. Paris 1860. {F. Chamerst, editeur.) N ; 3) R. Frantz, Über das Verhalten des Äthers im tierischen Organismus. Inaug.-Dissert. Würzburg 189. Quantitative pharmak. Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. 107 Tatsache ist, dass die von ihm gefundenen Werte, besonders der Äthergehalte im ‚Blute, so niedrig sind, dass nach unseren Er- fahrungen und denen Nieloux’ bei einem derartigen Äthergehalt keine Narkose bestehen kann. Wir fanden zum Beispiei in Ver- such XXII bei einer dekapitierten Katze, die erst tief mit Äther narkotisiertt und nach Ausschalten der Narkose während 1 Stunde ausgiebig künstlich geatmet worden war, so dass sie vollständig aus der Narkose aufgewacht sein musste, einen Äthergehalt des Blutes von 0,042°/ und des Rückenmarkes von 0,05°%%. Das sind also Werte, wie Frantz sie beim Kaninchen während der Narkose fand. Der Umstand, dass Frantz an Kaninchen, Nieloux an Hunden und wir an Katzen gearbeitet haben, kann den grossen Unterschied der Ätherzahlen nicht erklären. Nicloux!) bestimmte bei Hunden den Äthergehalt des Blutes in drei Stadien der Narkose, nämlich „au seuil de l’anesthösie“, „a l’anesthesie deelar6ee“ und im Moment des Todes. Er fand: für die Narkoseschwelle . . . . 0,105-—0,11 %o, während vollständiger Narkose . 0,13 —0,14 Po, im Moment des Todes . . . . 0,16 —0,17 lo. Überdies bestimmte er im Moment des Todes noch den Äthergehalt von Gehirn und Medulla oblongata und fand in sechs Versuchen Werte von 0,151—0,163 Jo. Die von Nieloux gefundenen Zahlen sind in Übereinstimmung mit unseren Erfahrungen an Katzen. Man darf annehmen, dass im Moment, wo mit mittelstarkem faradischen Reiz bei einer dekapi- tierten Katze kein Reflex mehr auslösbar ist, das Präparat sich „au seuil de l’anesthesie“ befindet. Nicloux findet in diesem Stadium 0,105—0,11%o Äther im Blute, wir fanden 0,10. — Die . von uns bei sehr resistenten Tieren oder bei solchen Tieren, welche auf Äther mit gesteigerter Reflexerregbarkeit reagieren, gefundenen Zahlen sind naturgemäss viel höher. — Bei der Besprechung von den in Tabelle 1 zusammengestellten Werten haben wir uns bis jetzt beschränkt auf die Ergebnisse von Versuchen, welche bei normaler oder hoher Temperatur angestellt wurden, und welche überdies ganz regelmässig verliefen. Es müssen jetzt die anderen Versuche besprochen werden. DM. Nicloux, Les anesthesiques generaux au point de vue chimico- physiologique. Paris 1908. | 108 W. Storm van Leeuwen: In untenstehender Tabelle 5 sind vier Versuche gegeben, wo die Temperatur der Tiere sehr niedrig war (27—31° C.). Tabelle >. | Indirekte Äthergehalt | Athergehalt Reflexe | Muskelkon- & a des Rücken- & Versuch herunter | traktionen ven 2 ne | markes in Reiz- Nr. bis auf | herunter bis ewichts- | Gewichts- stärke auf prozenten | prozenten IV 20 %o 20 %/o ud 0,17 % —_ 600 K. VIM 12% 16 %0 30,7 0,21 %o — 1000 K. IX 0 50 %/o Sl 0,108 %o 0,146 %o 30 K. XIV 10 %o 20 °/o 28,42 0,24 ®/o | 0,24 °%o 3500 K. Wie aus dieser Tabelle hervorgeht, sind bei niedriger Tem- peratur weit höhere Werte im Blute und Rückenmark erforderlich, um die Reflexe bis auf ein bestimmtes Niveau herunterzubringen, als bei normaler Temperatur. Ich möchte aber auf diese Versuche keinen allzu grossen Wert legen, weil immer die Möglichkeit be- steht, dass in denselben die oben beschriebene, bei niedriger Tem- peratur am Nerven gelegentlich auftretende Erscheinung eine Rolle gespielt hat. Besonders die Versuche VIII und XIV sind zweifelhaft. In den Versuchen IV und IX aber gingen die Reflexe nach Äther- zufuhr so regelmässig und allmählich herunter, dass diese Werte wahrscheinlich als genau betrachtet werden müssen. In Versuch IV war ein Äthergehalt im Blute von 0,17 erforderlich (das ist die Dosis, die sonst im Augenblicke des Todes im Blute gefunden wird), um die Reflexe bis auf 20° der Anfangshöhe herunterzubringen. In Versuch IX waren die Reflexe bei einem Äthergehalt von 0,108 /o im Blute verschwunden. Hierbei wurde aber im Rückenmark ein sehr hoher Wert gefunden, nämlich 0,146 °/o. Wiewohl es sich also nicht mit Sicherheit aus diesen Versuchen schliessen lässt, besteht doch immerhin die Möglichkeit, dass bei niedriger Temperatur von den Tieren grössere Mengen Äther er- tragen werden als bei höherer Temperatur. Für Chloroform haben wir nachweisen können, dass die Resistenz des Rückenmarkes gegen dieses Gift bei niedriger Temperatur geringer ist als bei normaler Temperatur. (Siehe Storm v. Leeuwen und v. d. Made, I. c.) In den bis jetzt beschriebenen Versuchen sind stets nach Äther- zufuhr die Reflexe kleiner geworden, während die Muskelkontrak- tionen sich entweder gar nicht geändert haben oder ebenfalls kleiner Quantitative pharmak. Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. 109 geworden sind. Letzteres ist also in Übereinstimmung mit Auer’s und Meltzer’s Befund, dass während der Äthernarkose schon im Toleranzstadium ein Einfluss auf Muskel und Nerven ausgeübt wird. Nur geht aus unseren Versuchen hervor, dass die Muskelkontrak- tionen viel später beeinflusst werden als die Reflexe, und manchmal noch gar nicht beeinträchtigt sind, wenn die Reflexe schon fast ganz zum Verschwinden gebracht sind. Aus einer früher vorgenommenen Versuchsreihe war bekannt, dass Äther gelegentlich statt eines Kleinerwerdens der Reflexe eine Reflexsteigerung hervorrufen kann. In den ersten 18 Versuchen aus Tabelle 2 wurde ein derartiger Einfluss des Äthers nicht beobachtet. In Versuch XIX aber wurden auf Ätherzufuhr die Reflexe nicht kleiner, sondern es trat eine derartige Reflexsteigerung auf, dass die Reflexe schliesslich‘ viermal so gross waren als im Anfang des Versuches. Der Äthergehalt im Blute war in diesem Stadium sehr hoch und betrug 0,2%. Auch im Rückenmark wurde ein hoher Wert gefunden (0,16°/). Das in diesem Versuch verwendete Tier war ein sehr kräftiger Kater. Dies und die Tatsache, dass in den Versuchen, in welchen früher eine erregende Wirkung des Äthers beobachtet worden war, auch sehr grosse kräftige Tiere zur Ver- wendung gekommen waren (auf das Geschlecht wurde damals noch nicht geachtet), veranlasste uns zu der Frage, ob vielleicht aus dem Geschlecht der Versuchstiere ihre wechselnde Reaktion auf Äther . zu erklären sei, und zwar in dem Sinne, dass Kater auf Äther mit einer anfänglichen Erregung reagieren, während bei weiblichen Katzen sofort eine Narkose des Rückenmarkes auftritt. Zur Entscheidung dieser Frage sind dann in dieser Serie eine Anzahl Versuche an- gestellt worden, bei denen meistens Kater zur Verwendung kamen. Die Jahreszeit war für eine derartige Untersuchung besonders günstig, weil gerade in dieser Zeit (Versuch XIX—XXXII wurde angestellt zwischen 9. März 1915 und 27. April 1915) die meisten Katzen brünstig sind, so dass erwartet werden konnte, dass eventuelle Unter- schiede in den beiden Geschlechtern während dieser Zeit besonders ausgeprägt sein würden. Hierzu kommt noch der Umstand, dass die Versuche, in denen früher eine erregende Wirkung des Äthers gefunden wurde, im September und März stattfanden, also in Monate, die innerhalb einer Brunstperiode der Katzen fallen. Wie nun aus den Versuchen XIX—XXXII in Tabelle 2 hervor- geht, war wirklich in drei von den neun Fällen, wo Kater zur Ver- 110 W. Storm van Leeuwen: wendung kamen, eine erregende Wirkung des Äthers auf Reflexe oder Muskelkontraktionen, oder auf beide, nachzuweisen. In vier anderen Versuchen war zwar keine Erregung wahrnehmbar, aber es bestand wenigstens eine so hohe Resistenz gegen Äther, dass die Reflexe bei hohen Ätherkonzentrationen im Blute entweder gleich- gross blieben oder nur ganz unbeträchtlich heruntergingen. (In Versuch XXVI nur bis zu 70°/o bei einem Äthergehalt im Blute von 0,2 °/o und im Rückermark von 0,19 /o.) In zwei Versuchen aber, wo die Versuchstiere ebenfalls Kater waren, trat keine erregende Äther- wirkung auf. In einem dieser Fälle (Versuch XXVII) wurden hohe Ätherwerte im Blute und Rückenmark gefunden, im anderen Falle (Versuch XXXD nicht. Ausserdem sei bemerkt, dass in Ver- such XXXII bei einer weiblichen Katze eine sehr deutliche Er- rezung durch Äther auftrat; diese Katze war schwanger und abor- tierte während des Versuches. Schliesslich muss noch hervorgehoben werden, dass von den sieben Katern, bei denen eine erhöhte Resistenz cegen Äther vorlag, zwei kastrierte Tiere waren; bei beiden waren aber wahrscheinlich noch Reste von den Geschlechtsdrüsen vorhanden. Eine einfache Erklärung der Ätherwirkung in dem Sinne, dass Kater (in der Brunstzeit und vielleicht auch ausserhalb dieser Zeit) auf Äther mit einer Steigerung der Rückenmarksreflexe reagieren, während bei Katzen sofort Narkose eintritt, ist sicher nicht zulässige. . Mit Sicherheit kann man nur feststellen, dass erstens in den Ver- suchen, :wo nicht ‚auf das Geschlecht der Tiere geachtet wurde, Äthererregung nur in den Monaten September und März, also in der Brunstzeit auftrat, und dass weiter bei neun Untersuchungen an Katern (wobei zwei kastrierte) in sieben Fällen eine Äthererregung oder wenigstens eine erhöhte Resistenz gegen Äther festgestellt wurde. In den beiden anderen Fällen war einmal eine. leicht: gesteigerte Resistenz da, während in einem Falle normale Ätherwerte gefunden wurden. In einem am 27. April 1915 angestellten Versuch, wo das Versuchstier sicher eine weibliche (schwangere) Katze war, wurde eine deutliche Erregung festgestellt. Zwischen 9. März 1915 und 27. April 1915 wurden im ganzen zehn Tiere untersucht, sieben Kater, zwei kastrierte Kater und eine Katze. Von diesen zehu Tieren zeigten acht eine Äthererresung oder gesteigerte Resistenz, zwei Tiere (beide Kater) nicht. Es bleibt also die Frage, ob für dieses abnorme Verhalten gegen Äther die Jahreszeit, während welcher die Versuche vorgenommen werden, Quantitative pharmak. Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. 111 oder das Geschlecht der Versuchstiere ausschlaggebend sei, bis jetzt unentschieden. In einem Falle wurde versucht, durch Injektion von einem Extrakt aus dem Testikel eines Katers einen Einfluss auf die Reflextätigkeit und auf die Resistenz gesen Äther auszuüben, jedoch ohne Erfolg. Die Frage soll aber später weiter untersucht werden. Die Versuche aus Tabelle 2 waren noch in einer anderen Hin- sicht von Interesse. Schon nach der ersten Feststellung der er- regenden Wirkung des Äthers auf die Rücken- marksreflexe war die Möslichkeit in Betracht gezogen worden, ob die erregende Wirkung auf das Zentralnerven- system nicht durch eine erregende Wirkung auf die peripheren Gebilde (Nerv und Muskel) vor- getäuscht werde. Und besonders erhob sich diese Frage, nachdem sichherausgestellt hatte, dass im Gegensatz zu Chloroform Äther schon in den bei der gewöhn- lichen Narkose in Be- tracht kommenden Kon- zentrationen auf das periphere System ein- wirkt. Wäre diese Er- klärung richtig und also 150 . | | il ll | Fig. 11. Gleichzeitiges Kleinerwerden der Reflexe und indirekten Muskel- kontraktionen nach Atherzufuhr. Versuch XIV. Homolaterale Beugereflexe. Reiz- stärke 3500 K. Im sekundären Kreis 120000 Ohm. Reizung jede Minute. Bei a Atherzufuhr. — In dieser Figur werden die Reflexhöhen durch eine gezogene Linie , die Muskelkontraktionen durch eine — - — -— dargestellt. die Athererregsung des Rückenmarkes nur eine scheinbare, so müsste in allen Fällen, wo sich eine gesteigerte Reflexerregbarkeit Storm van Leeuwen: W. 112 “uapunyag UI YoZ arur] 9A1ojuf) "A9SS015 SEeMJ9 yaeuep pun uapIoM A9UIOJN SEMI9 9819 yaıweu *uoyjegaoA JAgayasum YIIS UHUOLINEAUONTONSNIN OIp puaayem *ı9utajy yoeuep pun UAPI9M 1958019 SEMI9 819 9XSHOY Ip Aynynziaogyy A9p yoeu ssep ‘yoIs JqIsıe Aunssgwsnmy Aoneuad Tag 'soursg Sep Sundnag — uago yveu Jogqaf "UHTOSIHA U MW UHUOHFEAUONTSNSDA UEaAIpur 9rp °% [IOJd WEULD Ju PuIs oxopay alıı (HIST UHPIom gzynuaq yereddy 1910pur uro uayansa9A u9aayeds uap ur [IeM ‘uHpıI9M UHYIISA9A UOJUTEMAII A9undF UOP JLm Jyarıu u9Sunjjogsuyeg uapuajraynzyw uauonsIaA‘ UAOAM uap ur pun 9saıp A9qe uHUUOY ST “Jaynzaanz Aayyy UAUOLEIU9ZUOM 985049 9191], WOP UHPIEM Hunfjegsuyer dasaıp Tag) °9:0T AayyY q Bg °'0L:0T Oyyy 2 190g wyo 000081 SIHAy UOABPpunyas WI 4 00CZ ONARIszIay "oxoparoänag afersyepouogg 'IXX yansıa‘ Ju8Jsuoy ayejosun U9UOLJNEIJUONJINSUM UWOJNYaııpur ap pum axoajjJay 9aıIp uoqloq dayyy U9Soq 1988018 aynynz Jny I "Old. 115 harmak. Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. Quantitative p "u9punyaS UT 9Z UaYaSIaA 7 JUL MEUOHNEIUONTONSNN Op °% [IFA WEUTD Jım puis 9XOJOY IA 'SS0AF YOIL3]d UagIaIq UAUONFENNUONTENSHN aIp ‘uspunmy9sed q Tag purs pun A9UIO]Y 10708 UHPI9M 9X9gay Alq '(SISOA auraM) OL:I Joy » Tag "wgO 000051 Say usapunyas wI "MI 0005 SNIEIszIOy "OXapadssnag ofersyepouoy "IIITAXX Yonsıo A 'SS0oA3 Q9TA]S uUAALIAJq UYUO1INLAJYUONTONSUM U9IJM9aALPpuLaLp '1IOutoTNoxXajjJoyoaıp uopAaoMm ıyunynzaayuyvyJnv ‘FL’ x = v = Er N OLE "uopunyaS UL 19Z UayoSI9A zy7 wourd ILL UHUOTMEAUONTINSUM Ip °% JIEJgq Woura yıur purs oxayayy aIlE — 'qE,98S019) ur A9jfouyds A9qe UAWY9U UHUOLNEIAUONTINSNN 91 “IOUIIIN OXOYay Ip one uopIoM q yoeN "uaduedozısjundsy euogsdurjzuy Adıyı JoJ1oL\ Tap ne SIq UUBp Puls UHUOTNEAUONTINSNA 91P ‘Suejuy WIOIM SS0A3 0SU9I9 9OU HXafay aIp Puıs q TOg 'Aaula]?| JA0J0S UAUONNENUONONSNA 91P “19SS9AS UHPIOM HX9HaY Al "(SISOA aurap) OT:Z my » 107g wgQ 000051 Fleay uaaepunyos wy 'y 0005 ALWIszIay 'OXopj410onag aferoyefoumoy "XXX YonsıoA -IIULAJY UHAUOTINRAIUONTONSNTN UAINOALPpUT 9IP ‘TOSssoA1d axa]Joy Alp uapıaam aynjnzıaayyy Fnv EI "SI 2) Bd. 165. Pflüger's Archiv für Physiologie. 114 W. Storm van Leeuwen: zeigte, auch eine Erregung [el Kb) ei K& re ° Se der (indirekten) Muskel- [eb] . 5 @ muss also angenommen un un .. =57253 werden, dass nach Äther- = = zufuhr die Reflexerregbar- ==5358 keit und die Erregbarkeit nn) R o . . =®n&%5 bei indirekter Muskel- FE Be reizung unabhängig von- einander gesteigert sein können. Bezüglich des Ein- flusses von Äther auf die durch indirekte Reizung der Muskelkontraktionen behalten. des Versuches ist s kleiner als ö. Versuch XXXII. (Quantitative pharmak. Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. 115 hervorgerufenen Muskelkontraktionen sei noch folgendes bemerkt. Wie schon oben beschrieben, war in unseren Versuchen bei Reizung des peripheren Peroneusstumpfes meistens die Reizstärke so gewählt, dass der Schliessungsschlag keinen Effekt hatte und nur der Öffnungsschlag eine Kontraktion auslösen könnte. Ge- legentlich wurde nun beobachtet, dass unter dem Einfluss des Äthers „ger Schliessungsschlag — auch wenn er vorher subliminal gewesen war — ebenfalls eine Muskelkontraktion verursachte, und in Fällen, wo vorher beide Reize eine Kontraktion gegeben hatten, sah man ab und zu die Muskelkontraktion des Schliessungsschlages — die vorher die kleinere gewesen war — relativ grösser werden, so dass sie fast derjenigen des Öffnungsschlages gleich wurde (s. z. B. Fig. 15). Dies zeigt, dass diese Erscheinung nicht nur auf einer erhöhten Er- regbarkeit des Nerven beruhen kann, denn dann würde sich nicht das Verhältnis zwischen der Schliessungs- und Öffnungskontraktion eeändert haben. Anhangsweise sei erwähnt, dass Auer und Meltzer in der zitierten Publikation mitteilen, dass in sehr tiefer Äther- narkose beim Hunde durch Reizung eines peripheren Nerven nicht mehr eine tetanische Kontraktion des Muskels, sondern nur Einzel- zuckungen ausgelöst werden konnten. — Narkosestarre. In früheren Versuchen über die Wirkung des Chloroforms auf das Zentralnervensystem !) habe ich den Chloroformgehalt des Blutes bestimmt während der in Narkose auftretenden „Narkosestarre“ der Extremitäten. Es wurde als Minimalwert, bei dem die Narkose- starre noch vorhanden sein konnte, 0,0166 %o Cloroform im Blute gefunden, und als Maximalwert 0,028°o. Aus diesem Befund zing im Zusammenhang mit in derselben Arbeit beschriebenen Reflex- versuchen hervor, dass bei allmählichem Eintreten der Chloroform- narkose die Narkosestarre in einem Stadium auftritt, in welchem die phasischen Reflexe schon erheblich beeinträchtigt sind. Bei immer tiefer werdender Narkose verschwinden dann zuerst die phasischen Reflexe, während erst bei einem Chloroformgehalt des Blutes, bei dem gar keine Reflexe mehr auslösbar sind, die Narkose- starre verschwindet. Es wurde damals bemerkt, dass dieses Ver- halten übereinstimmt mit der jedem Narkotiseur bekannten Erfahrung, 1) L. c. S. 335. g* 116 W. Storm van Leeuwen: dass, wenn die Glieder eines Patienten, der vorher „gespannt“ hat, allmählich schlaff werden, dann auch alle Rückenmarksreflexe auf die Körpermuskulatur erloschen sind und das „Toleranzstadium“ erreicht ist. Nach dieser Auffassung wird also in der Chloroformnarkose das Toleranzstadium durch das Verschwinden der Narkosestarre ein- geleitet. Letzteres trifft für die Äthernarkose nicht zu, wie aus jetzt zu beschreibenden Ätherversuchen ersichtlich sein wird. Versuch XI. 12. Febr. 1915. Katze unter der Glasglocke mit Äther narkotisiert. Trachea mit Faden angeschlungen. Tier wacht allmählich aus der Narkose auf, Narkosestarre ist anfangs vorhanden und verschwindet allmählich. Es wird jetzt dem Tiere ein Wattebausch mit Äther vorgehalten, worauf die Narkose wieder tiefer wird und erst in den Vorder-, später auch in den Hinterbeinen Narkosestarre eintritt. Als die Starre in den Vorderbeinen maximal und in den Hinterbeinen deutlich vorhanden ist, wird die Luftröhre mit dem Faden zugebunden und das Tier durch Durchschneidung der Karotiden entblutet, wobei es lebhafte Bewegungen macht. Ein Teil des Blutes wird in Prikrinsäurelösung aufgefangen und der Äthergehalt chemisch bestimmt. Nach der Entblutung wird der Rückenmarkskanal geöffnet, das Rückenmark schnell herausgenommen und sein Äthergehalt ebenfalls chemisch bestimmt. Es fand sich im Blute ein Äthergehalt von 0,1% und im Rückenmark 0,08 lo. Versuch XX, 10. März 1915. Katze. Äthernarkose unter der Glasglocke. Aufgebunden. Tracheotomie — künstliche Atmung eingeleitet und Äthernarkose (Hahnstellung 4:10) eingeschaltet. Es besteht eine deutliche Narkose- starre, die bei Tieferwerden der Narkose in den Hinterbeinen ganz verschwindet, in den Vorderbeinen geringer wird, aber noch vorhanden bleibt. Vertiefung der Äthernarkose (Hahnstellung 6:10). Als im linken Vorderbein die Starre ganz verschwunden und im rechten Vorderbein nur noch eben angedeutet ist, wird die Trachea abge- klemmt und aus den Karotiden Blut entnommen. Das Herz schlägt noch. Nach der Entblutung wird das Rückenmark herausgenommen. Äthergehalt des Blutes . . . . . 02% Äthergehalt des Rückenmarkes. . . 0,18%o Versueh XXIV. Versuchsanordnung genau wie im Versuch XX. Blutentnahme ebenfalls im Augenblicke, wo die Narkosestarre (die zuletzt nur noch in den Vorderbeinen anwesend war) ganz verschwunden ist. — Nach der Entblutung wird das Rückenmark herausgenommen und das Gross- hirn mit dem Teil des Hirnstammes, der oralwärts vom Tentorium cerebelli liegt, ebenfalls. Äthergehalt des Blutes . . Ks ..105181010 Äthergehalt des Reken. ee. 0500 Grosshirn (mit einem Teil des Hirnstammes) 0,19 °/o Quantitative pharmak. Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. 117 Aus diesen Versuchen geht hervor, dass — gerade wie bei Chloroform — in Äthernarkose bei einem Äthergehalt des Blutes, wobei die phasischen Reflexe schon erheblich beeinträchtigt sind, das heisst auf mittelstarke Einzelinduktionsschläge nur noch minimale Ausschläge auftreten, die Narkosestarre voll entwickelt sein kann. Im Gegensatz zu der Chloroformnarkose, wo das Verschwinden der Starre das Toleranzstadium einleitet, verschwindet in der Äther- narkose die Starre erst bei Ätherwerten im Blute, die diejenigen, welche im Toleranzstadium gefunden werden, weit übersteigen. In der Tat sind die Maximalätherwerte im Blute — und dementsprechend auch die Ätherwerte im Rückenmark und Hirn — so hoch, dass sie die im Moment des Todes vorhandenen Ätherwerte erreichen und vielleicht übersteigen (die Ätherwerte im Blute betrugen im Mittel 0,19%, im Rückenmark im Mittel 0,165 Yo, im Gehirn 0,19 %o). Hieraus geht also hervor, dass man beim Narkotisieren mit Äther als Kriterium für das Vorhandensein einer „guten Narkose“ nicht, wie das bei Chloroform vielfach üblich ist, das Verschwinden der : Narkosestarre betrachten darf. Weil die Versuche über Narkosestarre im März vorgenommen wurden und nicht auf das Geschlecht der Tiere geachtet worden war, so war es möglich, dass bei diesen Versuchstieren deshalb ein so hoher Wert für die obere Grenze der Narkosestarre gefunden wurde, schon weil sie vielleicht zu den gegen Äther wenig empfindlichen Tieren gehörten. Um dieses auszuschliessen, wurde im Januar 1916 an einer weiblichen Katze Versuch XXXV angestellt, der genau so verlief wie Versuch XX und XXIV. Es wurde im Augenblicke, wo - die Narkosestarre fast verschwunden war (nur in dem einen Vorder- bein noch angedeutet), die Trachea abgeklemmt, das Tier entblutet und das Rückenmark herausgenommen. Es wurden gefunden: im Blutee. 0. 22... 01700 Ather: im Rückenmark . . . . 0,143% Äther. Hieraus darf geschlossen werden, dass auch bei einer normalen Katze ‘das Verschwinden der Narkosestarre erst bei sehr hohen Äther- konzentrationen im Blute und Rückenmark stattfindet. Letzteres stimmt sehr schön mit den Erfahrungen von Ritschel und Stange!) überein. Sie fanden nämlich bei Bestimmungen des Äthergehaltes der Einatmungsluft, welche zur Erhaltung einer guten 1) 16x @, 118 W. Storm van Leeuwen: Narkose beim Kaninchen erforderlich ist, dass, wenn als Kriterium für „gute Narkose“ das totale Verschwundensein aller Reflexe be- trachtet wird, ein Äthergehalt in der Einatmungsluft nötig ist (10%), der hinter der tödlichen Konzentration (10,6°%0) nur um einige Zehntelprozente zurückbleibt. Wurde aber als Kriterium der tiefen Narkose das „Operationsfähigsein“ der Tiere betrachtet, so genügte ein Äthergehalt in der Einatmungsluft von 6°/o. Ritschel und Stange schliessen aus ihren Versuchen, dass allerdings, wenn nur die Operationsfähigkeit ins Auge gefasst wird, die Narkosebreite des Athers diejenige des Chloroforms weit übersteigt, jedoch bei wissen- schaftlichen Untersuchungen, wo als Kriterium für tiefe Narkose ein gänzliches Verschwundensein aller Reflexe angenommen werden muss, die Narkosebreite des Äthers sehr gering und viel kleiner als die des Chloroforms sei. Diese Schlussfolgerungen von Ritschel und Stange werden durch die von mir während der Narkosestarre im Blute und Zentralnervensystem gefundenen Ätherzahlen vollkommen bestätigt. Äthergehalt des Blutes und des Rückenmarkes im Moment des Todes. Der Äthergehalt des Blutes und des Gehirns im Moment des Todes ist in einer Anzahl von Fällen durch Nieloux!) beim Hunde bestimmt worden. Er fand in Versuchen im Moment des Todes im Blute 0,16—0,17°/o, im Gehirn 0,151—0,163°/o Äther. Weil aber immerhin die Möglichkeit bestand, dass für Katzen andere Werte in Betracht kommen und in der vorliegenden Arbeit stets an Katzen experimentiert wurde, war es wünschenswert, in einigen Versuchen die betreffenden Zahlen für Katzen zu bestimmen. Es wurden des- halb vier Versuche angestellt. In diesen Versuchen wurde eine Katze unter eine Glaselocke gesetzt und mit Äther so tief narkotisiert, dass Atemstillstand eintrat. Es wurde daun unmittelbar dem Tiere Blut zur chemischen Analyse entnommen und auch das Rückenmark her- ausgenommen und dessen Äthergehalt bestimmt. Das Resultat ist. aus nachstehender Tabelle 6 (S. 119) ersichtlich. Aus den Versuchen dieser Tabelle ergibt sich, dass bei der hierbei zur Verwendung kommenden Narkotisierungsmethode sehr niedrige Werte im Blute und Zentralnervensystem im Augenblicke des Atemstillstandes gefunden werden. Offenbar wird bei dieser I) JH @ Quantitative pharmak. Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. ]19 Methode das Tier unter der 15 Liter fassenden Glasglocke teilweise erstickt. Sherrington and Sowton!) haben für die Chloroform- wirkung auf das isolierte Herz schon nachgewiesen, dass bei Sauer- stoffmangel und CO,-Übermaass in der Durchströmungsflüssigkeit geringere Chloroformkonzentrationen schon genügen, um das Herz zum Stillstand zu bringen, als bei Benutzung von mit Sauerstoff beladener Durchströmungsflüssigkeit. tabelle © Ätherkonzentrationen bei der Katze im Moment des Todes beim Narkoti- sieren unter der Glasglocke. Versuch Aal | Äthergehalt des Äthergehalt des des Blutes in Rück ir | een: Nr. Gewichtsprozenten an | ans TE RE | XXXVI 0,111 os = 0,083 °/o XXXVI 0.115 9, 0.095 %/o 0,1 % XXXVII 0, 116 0% 0,114 %o 0,103 %o XXXIX 0,124 /o 0,09 9% OSLO Im Mittel 01% |) 01%, | 089% Um festzustellen, ob die gefundenen Werte wirklich deshalb so niedrig sind, weil beim Narkotisieren unter der Glasglocke die Tiere an Sauerstoffmangel litten, wurde Versuch XL—XLII angestellt. In dieser Versuchsreihe wurden die Katzen erst mit Äther narkoti- siert und aufgebunden, und nachdem eine Glaskanüle in der Trachea eingebunden war, liessen wir die Tiere erst teilweise aus der Nar- kose aufwachen. Dann wurde die Glaskanüle mit Müller-Ventilen verbunden, von denen die eine Flasche teilweise mit Äther gefüllt war. Wir liessen nun die Katzen abwechselnd durch die Müller- Ventile und ganz frei atmen, so dass sehr allmählich die Narkose vertieft wurde. Wenn Atemstillstand eingetreten war, wurde die Trachea abgeklemmt, Blut zur Analyse entnommen und ebenfalls der Äthergehalt von Rückenmark und Gehirn bestimmt. Die ge- fundenen Zahlen sind aus nachstehender Tabelle 7 (S. 120) ersichtlich. Die im Blute und Rückenmark gefundenen Werte stimmen mit den- jenigen, welche Nic!oux beim Hunde im Augenblicke des Todes fand, 1) C. S. Sherrington and S. C. M. Sowton, On the effect of Chloro- form in conjunction with carbonie dioxide on cardiac and other muscle. Brit. Med. Journ. July 14':. 1906. 120 W. Storm van Leeuwen: gut überein. Unsere Gehirnwerte sind sehr niedrig. Wahrscheinlich ist in diesen Versuchen der Äther noch nicht langsam genug zugeführt worden, so dass sich das Gehirn nicht genügend mit Äther hat beladen können. Spätere Versuche haben uns gezeigt, dass bei der Katze beim Narkotisieren mit Äther oder Chloroform der Gleichgewichts- zustand zwischen Äthergehalt des Blutes und des Zentralnerven- systems beim Rückenmark schneller eintritt als beim Gehirn. Sehr wahrscheinlich sind also in Tabelle 7 die Ätherwerte im Gehirn zu niedrig. Tabelle 7. Äthergehalt im Blute, Rückenmark und Gehirn bei der Katze im Moment des Todes. Äthergehalt Versuch de en Si | Auen des Nr. Gewichtsprozent eKelnarzS | ul | XL 0,171 %o 0,194 %/o | — XLI WEBIYR 0,145 %/o | 0,134 %o XLII 0,17 %o 0,163 %/o 0,13 %o XLIII 0,152 %o 0,173 9/0 0,12 %o Im Mittel 0,164 %o 0,17 %o | 0,128 %/o ° Die in dieser Arbeit gefundenen Werte über den Äthergehalt des Blutes und des Rückenmarkes in verschiedenen Stadien der Äthernarkose lassen sich — ähnlich wie es für Chloroform gemacht worden ist — mit den von Nieloux während der Narkose und den vonSchram, van der Made und mir!) für die Beeinflussung des Herzens durch Äther gefundenen Werten zu einer Tabelle zusammen- stellen, aus welcher der Zusammenhang zwischen der Wirkung des Äthers auf die Reflextätickeit, auf das Atemzentrum und auf das Herz ersichtlich ist. Schlusssätze. 1. Wiewohl kein scharfer Parallelismus zwischen dem Äther- gehalt des Blutes (und Rückenmarkes) und der Herabsetzung der Reflextätigkeit bei der dekapitierten Katze besteht, gaben Bestim- mungen des Äthergehaltes des Blutes und Rückenmarkes bei ganz oder fast ganz aufgehobenen Beugereflexen in einer Anzahl von Fällen gut übereinstimmende Resultate. 1) P. Schram, W. Storm van Leeuwen und M. van der Made, Über die Wirkung von Äther auf Säugetierherz und Kreislauf. Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 123. 1916, Quantitative pharmak. Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. 12] Tabelle 8. Äthergehalt des Blutes und des Rückenmarks in Gewichtsprozent in verschiedenen Stadien der Narkose. Äthergehalt Äthergehalt des : Wirkung auf Herz und des Blutes Rückenmarks Aurosctiei Kreislauf Homolaterale Beuge- reflexe nur noch an- 0,1 %0 0,09 %/o gedeutet bei mittel- Keine. starken Einzelinduk- tionsschlägen !). 0,105°/0-0,11%/0 | Keine. (Nicloux). Beginnende Schädigung des 0,13%/0-0,14°/ en { Gute Narkose vasomotorischen Zentrums. eg (Nicloux). Geringe Blutdrucksenkung, L keine Herzwirkung. 0,1%/0-0,18%0 | 0,08%/0-0,158°/0 Narkosestarre. == Deutliche Schädigung des Kreislaufs. — Blutdruck- senkung, keine Herzwir- kung. Herzstillstand b. d. intakten, künstlich geatmeten Katze. Herzstillstand bei der künst- lich geatmeten Katze nach Durchschneidung der Vagi oder Atropininjektion. Herzstilistand an der iso- lierten Herz-Lungenzirkula- tion nach Starling. Herzstillstand am isolierten, 0.553 9% mit unverdünntem Blute 4 durchströmten Herzen nach Langendorff. 0,164 %/0 0,17. %/o Atemstillstand. 0,25 °/o —_ — 0,31 %o — — 0,44 %o —_ = un je mn, ln ne ann 2. Gelegentlich kamen bei der dekapitierten Katze Fälle von abnorm hoher Resistenz gegen Äther und Fälle von Reflexsteigerung nach Äther zur Beobachtung, und zwar meistens bei Katern und in der Brunstperiode, in einigen Fällen aber auch ausserhalb dieser Periode und auch bei kastrierten Katern und weiblichen Katzen. 3. Es konnte — in Übereinstimmung mit Meltzer und Auer — nachgewiesen werden, dass auch die durch Reizung des motorischen Nerven ausgelösten Muskelkontraktionen schon durch Ätherkonzen- trationen beeinflusst werden können, wie sie bei gewöhnlicher Nar- kose in Betracht kommen. ; l) Die Fälle, wo eine abnorm hohe Resistenz gegen Äther vorlag, sind hierbei nicht berücksichtigt. 122 W. Storm van Leeuwen: Quantitative pharmak. Untersuchungen usw. 4. Die Muskelkontraktionen werden nach Ätherzufuhr manchmal grösser, manchmal kleiner und bleiben mitunter unbeeinilusst. 5. Das Kleiner- oder Grösserwerden der Muskelkontraktionen geht nicht parallel mit der Beeinflussung der Grösse der Reflexe. so dass zum Beispiel die gelegentlich beobachtete gesteigerte Reflex- erregbarkeit nach Äther nieht durch Steigerung der Muskelkontrak- tionen vorgetäuscht sein kann. 6. Es wurde einmal eine deutliche Umkehr des homolateralen Beugereflexes nach Ätherzufuhr beobachtet. 7. Narkosestarre kann bei geringem Äthergehalt des Blutes und Rückenmarkes schon voll entwickelt sein, aber die Starre verschwindet bei stets zunehmender Narkosetiefe erst bei sehr hohen Ätherkonzen- trationen, die sich denjenigen, welche im Augenblicke des Todes ge- funden werden, nähern. 8. Der Äthergehalt des Blutes und des Rückenmarkes im Moment des Todes wurde in einigen Fällen bestimmt und gab (in den ein- wandfreien Versuchen) Werte, welche mit den von Nieloux beim Hunde gefundenen gut übereinstimmen. (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.) Über die Wirkung von Äther aufSäugetierherz und Kreislauf. Von P.Schram, W. Storm van Leeuwen und M. van der Made. (Mit 6 Textfiguren.) Nachdem der eine von uns (S. v. L.)!) in einer früheren Unter- suchungsreihe den Einfluss des Äthers auf die Reflextätigkeit des Rückenmarkes studiert und dabei den Äthergehalt des Blutes und des Rückenmarkes in verschiedenen Stadien der Narkose bestimmt hatte, ergab sich die Frage, welchen Einfluss die hierbei in Betracht kommenden Ätherkonzentrationen auf den Zirkulationsapparat aus- üben. Ein derartiger Vergleich zwischen der Wirkung auf Rücken- marksfunktionen und Herz war für das Chloroform möglich ge- wesen, weil Sherrington and Sowton?) nach Versuchen 'an isolierten, mit unverdünntem Blute durchströmten Katzenherzen die genauen Chloroformkonzentrationen angegeben hatten, welche das Herz zu schädigen resp. zum Stillstand zu bringen imstande waren. Für Äther aber lagen analoge Untersuchungen nicht vor. Zwar gab es eine Anzahl Arbeiten über die Wirkung des Äthers auf das Herz, aber in keinem dieser Versuche war mit unverdünntem Blute ge- arbeitet worden, so dass die gefundenen Zahlen für unsere Zwecke keinen Wert hatten. Eine kurze Übersicht der Literatur möge dieses veranschaulichen. 1) Quantitative pharmakologische Untersuchungen über die Reflexfunktionen des Rückenmarkes an Warmblütern. III. Mitteilung: Wirkung von Äther. Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 84. 1916. 2) C. S. Sherrington and S. C. M. Sowton, On the dosage of the isolated mammalian heart by chloroform. The British Med. Journ. vol. 2 p. 162. 1904. 124 P. Schram, W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: Literaturübersicht. Die ältesten hier zu berücksichtigenden Versuche stammen von Dieballa!). Er durchströmte isolierte Froschherzen mit NaCl-Lösung und fügte dieser Lösung steigende Mengen Äther zu. Ein Äther- gehalt von 0,235°/o war in seinen Versuchen ohne Einfluss auf das Herz; bei 0,47 °/o war eine Wirkung wahrnehmbar, die Kontraktionen wurden kleiner; aber es war ein Gehalt von 2,840 nötig, um inner- halb 2!1/a Minuten das Herz zum Stillstand zu- bringen. Die ersten Versuche am Warmblüterherzen sind von Bock). Er arbeitete am isolierten Herz-Lungenkreislauf des Kaninchens. Das Narkotikum wurde den Tieren mit der Einatmungsluft zugeführt. Er fand: „Trotz der bedeutenden eingeatmeten Äthermengen und trotz ziemlich lange fortgesetzter Inhalation erzeugte der Äther in den an- gestellten Versuchen kein oder geringes Sinken des Blutdrucks, und auch im letzten Falle stieg er nach dem Ausstellen der Inhalation sehr schnell wieder bis zu seiner ursprünglichen Höhe an.“ Leider vermeldet Bock nur die Dauer der Ätherinhalation, nicht aber den Äthergehalt der Einatmungsluft oder des Blutes. Pick?) veröffentlichte im nächsten Jahr eine Arbeit über die Gefässwirkung verschiedener Gifte. Er bestimmte den Einfluss auf Blutdruck und Geschwindigkeit des Blutstroms. Chloroform verursachte (Gefässerweiterung im Abdomen und Gehirn und Blutdrucksenkung, Äther „bei zur Narkose genügenden Mengen wohl keine so hochgradige Blutdrucksenkung, aber analoge Veränderungen der Ausflussmengen aus den Venen“. Angaben über die Konzentrationen des Äthers im Blute fehlen, nur gibt er an, dass zum Beispiel in einem Versuche an einem Hund, wo der Blutdruck im Anfang des Versuches 146 mm Hg betrug, derselbe nach Einatmung von Äther bis auf 112 sank und in einem Stadium, wo die „Reflexe geschwunden waren“, zwischen 95, 88 und 109 schwankte, Elfstrand*) studierte die Wirkung verschiedener. Narkotika auf den Blutdruck bei Kaninchen. Er fand, dass Äther auf den Blutdruck dieser Tiere weniger Einfluss ausübt als andere Narkotika, zum Beispiel Chloroform oder Pentan. Er führt aber keine Beweise dafür an, dass beim Narkotisieren mit den verschiedenen Giften die Narkose immer gleich tief war. 1) G. Dieballa, Über die quantitative Wirksamkeit verschiedener Stoffe der Alkohol- und Chloroformgruppe auf das Froschherz. Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmak. Bd. 34 S. 147. 1894. 2) J. Bock, Untersuchungen über die Wirkung verschiedener Gifte auf das isolierte Säugetierherz. Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmak. Bd. 41 S. 173. 1898. 3) F. Pick, Über Beeinflussung der ausströmenden Biutmenge durch die Gefässweite ändernde Mittel. Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmak. Bd. 42 S. 399. 1899. 4) M. Elfstrand, Beobachtungen über die Wirkung einiger aliphatischer Kohlenwasserstoffe, verglichen mit derjenigen des Äthers, und über das Verhalten der Vaguserregbarkeit während der Narkose. Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmak. Bd. 43 S. 435. 1900. Uber dıe Wirkung von Äther auf Säugetierherz und Kreislauf. 125 Knoll!) hatte schon vor Jahren bei Versuchen an Kaninchen, die er durch eine Trachealfistel Äther und Chloroform einatmen liess, festgestellt, dass „die Erscheinungen an der Blutdruckkurve bei der Inhalation von Äther weit weniger ausgeprägt sind als bei der Chloro- forminhalation“., Für Tiere mit durchschnittenen Vagi galt „dies in noch weit höherem Maass*. Auch hier wird nicht der exakte Beweis geliefert, dass die Chloro- form- und Äthernarkosen gleich tief waren. Nach seinen Versuchen ist es aber sehr wahrscheinlich, dass erstens Äther einen viel geringeren Einfluss auf den Blutkreislauf hat als Chloroform, und zweitens, dass der Einfluss des Äthers sich bei Anwendung mässiger Dosen auf die Vasomotoren beschränkt, während Chloroform in dieser Dosierung schon das Herz schädigt. Einen Beweis für diese Auffassung brachte Mac William?). Er registrierte bei Katzen gleichzeitig den Blut- druck und die Kontraktionen von Vorhof und Kammer und führte dann seinen Versuchstieren durch die künstliche Atmung Chloroform und Äther zu. Er fand, dass bei Dosen, welche ausreichten, um den Kornealreflex verschwinden zu lassen, Äther eine Blutdrucksenkung hervorrief, aber noch keinen Einfluss auf das Herz ausübte, während Chloroform bei dieser Narkosetiefe nicht nur eine Blutdrucksenkung verursachte, sondern auch das Herz schädiste. Bei einer Untersuchung über die Todesursache bei Chloroform- und Äthernarkose kam Cushny?) nach Versuchen an Kaninchen und einigen Hunden, denen er die Narkotika durch die künstliche Atmung zuführte, zu dem Resultat, dass beide Narkotika im Prinzip dieselbe Wirkung haben. „Bei beiden folgt Tod durch Atmungs- oder fast gleichzeitiger Herz- und Atmungslähmung.“ In den bis jetzt besprochenen Untersuchungen über die Wirkung des Äthers auf Herz und Kreislauf der Warmblüter fehlen Angaben über die in den Versuchen zur Verwendung kommenden Konzentrationen des Narkotikums. Tunnicliffe and Rosenheim und O. Loeb haben aber in ihren Versuchen an isolierten Säugetierherzen genaue Bestimmungen des Chloroform- oder Äthergehaltes der Durchströmungsflüssigkeit gemacht. Tunnicliffe and Rosenheim) durchbluteten isolierte Säuge- 1) Ph. Knoll, Über die Wirkung von Chloroform und Äther auf Atmung und Blutkreislauf. II. Mitteilung. Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wissensch. Bd. 78 Abt. 3 S. 223. 1878. 2) J. A. Mac William, Report on an experimental investigation of the action of Chloroform and ether. British Med. Journ. vol.2 p-831. 18%. 3) A. Cushny, Über Chloroform- und Äthernarkose. Zeitschr. f. Biol. Bd. 28 S. 365. 1891. 4) F. W. Tunnicliffe and O. Rosenheim, On the action of chloroform, ether, alcohol and acetone upon excised mammalian heart. Journ. of physiol. vol. 29. 1905. Proc. physiol. Soc. p. 15. 126 P. Schram, W. Storm van Leeuwen und M. van der.Made: tierherzen mit Locke’s Lösung. Zufügung von 0,01 °/o Chloroform hatte einen merklichen Einfluss. 0,1 o Chloroform brachte das Herz zum Stillstand. Äther wurde nur in Dosen bis zu 0,020 angewandt. „Ihe effect of weak and strong solutions alike was to produce at first slight irregularity and slowing, but the effect was quite transient. Schliesslich hat Loeb!) die Wirkung des Äthers auf das isolierte Katzenherz untersucht. Als Durchströmungsflüssigkeit wurde ein Blut- Kochsalzgemisch benutzt. Loeb fand als minimal schädigende Dosis 0,133 °/o und als minimal letale Dosis 1,7°0. Diese Zahlen sind wesentlich geringer als diejenigen Dieballa’s. Dies mag wohl zum Teil seine Erklärung in dem Umstand finden, dass Dieballa am Froschherz, Loeb aber am Warmblüterherz gearbeitet hat, und dabei wird ersterer seine Versuche bei weit niedrigerer Temperatur angestellt haben als Loeb. Wie aus dieser kurzen Zusammenstellung der Literatur er- sichtlich ist, liegen keine Angaben vor über die Äthermengen, welche dem unverdünnten Blute zugefügt werden müssen, um bestimmte Änderungen in der Herztätigkeit hervorzurufen. Zweck der vorliegenden Arbeit ist, diese Lücke auszufüllen. Auf vier verschiedene Weisen haben wir eenaue Ätherzahlen in un- verdünntem Blute zu ermitteln versucht: 1. durch Versuche am isolierten Herz-Lungenkreislauf nach Starling; durch Blutdruckversuche am intakten Tiere mit intakten Vagi; durch Blutdruckversuche am intakten Tiere mit durchschnittenen Vagi oder nach Atropineinspritzung; 4. durch Versuche am isolierten Herzen. en m D I. Einfluss des Äthers auf das Herz bei Versuchen mit isoliertem Herz-Lungenkreislauf nach Starling. ? Von P.:W. Schram, W. Storm van Leeuwen und M. van der Made. Seit 1912 haben Starling?) und seine Mitarbeiter eine Reihe von Untersuchungen über die Mechanik des Säugetierherzens ver- öffentlicht, wobei ein sehr bequemes und zweckmässiges Verfahren 1) 0. Loeb, Die Wirkung des Alkohols auf das Warmblüterherz. Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmak. Bd. 52 S. 459. 1905. 2) Knowlton and E. H. Starling, The influence of variation in temp. and blood pressure on the performance of the isolated mammalian heart. Journ. of physiol. vol. 44 p. 205. 1912. Über die Wirkung von Äther auf Säugetierherz und Kreislauf. 127. benützt wurde, welches sich auch in unserem Institut sehr gut be- währt hat. Fur eine genaue Beschreibung der Methode (isoliertes Herz-Lungenpräparat zum künstlichen Kreislauf) sei auf die ursprüng- liche Literatur verwiesen. In der deutschen Literatur ist das Ver- fahren von Straub!) und von Socin?) beschrieben worden. Unsere Versuchsanordnung wich nur in zwei Punkten von der Starling’schen Methode ab. Starling arbeitete mit nur teilweise defibriniertem Blut und setzte Hirudin zu, während wir in jedem Ver- such das sorgfältig defibrinierte Blut von drei oder vier Katzen ver- wendeten ohne Zusatz von Hirudin. Eine zweite Abweichung von der Starling-Methode, welche schon von Socin beschrieben wurde, be- stand darin, dass das Zeitvolumen mit dem von Condon?°) beschrie- benen Volummesser gemessen wurde, Registriert wurden in unseren Versuchen: a) Das Volumen des Herzens. Hierzu war das Herz in einem Glasballon eingeschlossen, über den Ballon war das Peri- kard gestülp. Der Raum zwischen Herz und Perikard stand durch einen weiten Gummischlauch in Verbindung mit einem Pistonrekorder, dessen Ausschläge registriert wurden. b) Der Druck im künstlichen arteriellen System wurde mit einem gewöhnlichen Quecksilbermanometer registriert. c) Das Zeitvolumen. Bei Benützung des Condon’schen Volummessers wird jedesmal, wenn 10 ccm Blut das arterielle System durchströmt haben, ein elektrischer Kontakt geschlossen und auf dem Kymographion markiert. Ein typischer Versuch verlief nun folgendermaassen. Vor dem Anfang der eigentlichen Operation wurden drei oder vier Katzen in Äthernarkose entblute. Dieses Blut wurde sorgfältig defibriniert und diente zur Füllung des Apparates. Es wurde dann das eigentliche Versuchstier narkotisiert und die Operation nach Starling vorgenommen. Meistens arbeitete das Herz, nachdem es am Ende der Operation mit dem Apparat in Verbindung gebracht worden war, sofort tadellos weiter. Ab und zu aber trat offenbar infolge der Durchströmung mit dem defibrinierten Blute Bronchialmuskelkrampf auf, so dass fast keine Luft mehr in die Lunge gepresst werden konnte und die Sauer- stoffversorgung des Herzens sehr litt. Einige Tropfen Adrenalin, welche dann dem Blute zugesetzt wurden, beseitigten diesen Bronchialmuskel- krampf fast momentan. *) 1l)M. Straub, Dynamik des Säugetierherzens. Deutsch, Arch. f. klin. Med. Bd. 115.8. 531. 1914. 2) Ch. Socin, Experimentelle Untersuchungen über akute Herzschwäche. Pflüger’s Arch. Bd. 160 S. 132. 1914. 3) N. C. Condon, A magnet-tipper for recording outflow. Journ. of physiol. vol. 46. Proc. physiol. Soc. Jun. 28. 1913. 4) Siehe Socin, a. a. O. 128 P. Schram, W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: Nachdem eine genügend lange Normalperiode registriert worden war, wurde den Lungen mittels der Einatmungsluft Äther zugeführt, erst in kleineren, später in grösseren Konzentrationen. Der Einfluss des Äthers war bei den kleineren Konzentrationen (wie sie im Laboratorium gewöhnlich zu Narkosezwecken benützt werden) sehr gering, es trat meistens eine geringe Dilatation des Herzens auf, der Blutdruck blieb normal, das Zeitvolumen änderte sich wenig oder gar nicht. Wurden dagegen grössere Mengen Äther angewandt, so dilatierte das Aerz immer mehr, das Zeitvolumen nahm ab, der Blutdruck sank, und bei noch höheren Konzentrationen traten. Puls- unregelmässigkeiten auf. Selbst wenn die ganze Einatmungsluft, ehe sie die Lungen erreichte, durch Äther gestrichen war, gelang es noch nicht, so hohe Ätherwerte im Blute zu erhalten, dass das Herz da- durch zum Stillstand gebracht wurde. Manchmal wurde deshalb in das venöse Reservoir des Apparates reiner Äther gegossen. Durch diese sehr grosse Äthermenge wurde das Blut dann meistens hämo- lytisch, aber trotzdem reichte die Dosis manchmal nicht aus (wie- wohl die Herztätigkeit natürlich sehr geschädigt wo) um das Herz sanz zum Stillstand zu bringen. Es sei hierbei bemerkt, dass Langendorff und sein Schüler Brandenburg gezeigt haben, dass im Gegensatz zu Kaninchenblut lackfarbenes Katzenblut für das isolierte Katzenherz unschädlich ist. „Cytolytisches Blut von solcher Beschaffenheit vermag mehrere Stunden lang ein ausgeschnittenes Katzenherz in guter und regelmässiger Tätigkeit zu erhalten.“!) Die bekannte schädliche Wirkung des hämolytischen Blutes verschiedener Tierarten beruht auf dem Kali- reichtum der Blutkörperchen. Die Blutkörperchen des Hundes und der Katze enthalten nur wenig Kali, diejenigen des Menschen, Kanin- chens und des Schweines aber sehr viel. Demgemäss ist das cytolytische Hunde- und Katzenblut nicht giftig. Dagegen sind die anderen Blut- arten, wenn sie Botnbie geworden sind, für das isolierte Säugetierherz schädlich. In bestimmten Phasen der Ätherwirkung wurde dem Apparate Blut entnommen und der Äthergehalt desselben chemisch bestimmt. Es kam dabei die von Nieloux?) ausgearbeitete Methode zur Verwendung. Diese Methode hat sich — wie schon in einer früheren 1) 0. Langendorff, Über die angebliche Unfähigkeit des lackfarbenen Blutes, den Herzmuskel zu ernähren. Pflüger’s Arch. Bd. 93 S. 286. 1903. 2) M. Nicloux, Les anesthesiques generaux au point de vue chimico- physiologique. Paris 1908. Über die Wirkung von Äther auf Säugetierherz und Kreislauf. 129. Arbeit von einem von uns mitgeteilt wurde!) — im Institut sehr gut bewährt. Es wurde in vier Stadien der Ätherwirkung den Tieren Blut entnommen: a) in drei Fällen vor dem Zusatz von Äther (Kontrollversuch); b) im Stadium der beginnenden Schädigung; c) im Stadium der stark ausgesprochenen Schädigung; d) im Stadium, wo Herzstillstand aufgetreten war oder das Herz zwar noch schlug, aber so stark geschädigt worden war, dass es zu wesentlicher Arbeitsleistung nicht mehr imstande war. Das Resultat der Ätherbestimmungen ist aus Tabelle I er- sichtlich. Tabelle 1. Versuche am isolierten Herz-Lungenkreislauf nach Starling. a b | C d e Beginnende | R Schädigung. Ge- | : Starke Dila- Stärkste V ersuch —£ & .) ringe Dilatation. | Beginnende tation. Puls- Schädigung. Kein Einfluss | Zeitvolumen auf Schädigung. Ge- unregelmässig- Herz leistet Nr. (Kontroll- ca. 92/0 Blut- | ringe Dilatation. | yaiten. Zeit- ent versuch) druck unbeein- | Zeitvolumen RE { h Ausst. Keine | £ 750 volumen auf mehr bzw. steht Pulsunregek | 1% | weniger als 500% still mässigkeiten | | ; I — } MO Yo |. Milz Ya 0,26 %o 0,39 %o I — Oo 20: 9lo (0,207 °/0) — III 0,044 90 — 0,19 %o 0,31 %o 0,33 %o IV 0,046 %/o 0,15 %o 0,216 °/o 0,301 %o 0,334 %/o V _ 0,123 %/o — 0,39 %o 0,326 %/o VI _- 0,075 %/o — — | 0,48 %o VI 0,043 %o 0,133 °/o _ 0,344%o | 0,44 %o Zu dieser Tabelle ist folgendes zu bemerken: a) Kontrollbestimmungen über den Äthergehalt des Blutes vor dem Anfang des eigentlichen Versuches waren notwendig, weil das in den Versuchen zur Verwendung kommende Blut immer Tieren entstammte, welche in Äthernarkose entblutet worden waren. In drei Fällen wurde dieser Wert bestimmt, wobei 0,044 °/o, 0,046 °/o und 0,048°/o gefunden wurden, im Mittel also 0,0460. Dieser Wert ist im Vergleich mit den später in Betracht kommenden Mengen 1) W. Storm van Leeuwen, Quantitative pharmakologische Unter- suchungen über die Reflexfunktionen des Rückenmarkes an Warmblütern. III. Mitteilung. Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 84. 1916. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 9 130 P. Schram, W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: so niedrig, dass das Resultat der weiteren Versuche durch diese kleinen Äthermengen im Blute in keinerlei Weise beeinträchtigt werden kann. b) Eine beginnende Schädigung des Herzens wurde angenommen, wenn das Herz anfing zu dilatieren, der Blutdruck aber noch normal „ Bletertrtchme ah &% IRRE s oO, 123% st son ANEIINEEEERSION. oe BR, N ve t{wnon Leatvolumen a Fig. 1. Isolierter Herz-Lungenkreislauf nach Starling. Versuch V. Beginnende Schädigung des Herzens durch 0,123 /o Äther. Bei a Einschaltung einer mässigen Atherkonzentration. Geringe Dilatation des Herzens. Zeitvolumen und Blutdruck wenig beeinflusst. Bei b Blutentnahme. Die Änderungen im Ventrikelvolumen und Blutdruck nach 5b sind durch die Blutentnahme vorgetäuscht. (Auf ?/3 verkleinert.) war, keine Pulsunregelmässigkeiten aufgetreten waren und das Zeit- volumen nicht niedriger als bis auf ca. 92° des ursprünglichen Wertes heruntergegangen war. In diesem Stadium war der Äther- gehalt als Minimum 0,075°o als Maximum 0,16°/o (s. als Beispiel Über die Wirkung von Äther auf Säugetierherz und Kreislauf. 131 Fig. 1). Zwischen diesem Stadium der beginnenden Schädigung und dem nächsten Stadium der schweren Schädigung liegen einige Werte (Spalte ec), bei welchen das Herz ebenfalls ein wenig dilatiert, der Blutdruck ein wenig herabgesunken, auch noch keine Pulsunregel- mässiekeiten aufgetreten waren, aber das Zeitvolumen schon bis auf Lee Aelkar. im hiutneservoit. a. Vertriket ) en N m ———, en Fig. 2. Isolierter Herz-Lungenkreislauf nach Starling. Versuch III. Starke Schädigung des Herzens durch 0,310 Ather. Bei 'a Zufuhr einer grossen Menge Ather. Starke Dilatation des Herzens. Auftreten von -Pulsunregelmässigkeiten. Senkung des Blutdrucks.. — Das Zeitvolumen nimmt ab. Die Schwankungen in der Ventrikel- und Blutdruckkurve nach b sind teilweise durch die Blutentnahme verursacht. (Auf !/a verkleinert.) 75—90°/o des Anfangswertes heruntergegangen war. Die Ätherwerte betrugen 0,17—0,216 Jo. d) Im Stadium schwerer Schädigungen war das Herz stark dilatiert, der Blutdruck gesunken, das Zeitvolumen auf weniger als 9* 132 P. Schram, W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: die Hälfte des ursprünglichen Wertes zurückgegangen und Puls- unregelmässigkeiten aufgetreten. Die Ätherwerte betrugen 0,26 bis 0,39 °/o (s. als Beispiel Fig. 2). e) Im letzten Stadium, schwerster Schädigung, schlug das Herz meistens zwar noch, war aber nieht mehr imstande, die Zirkulation zu unterhalten. Die äussere Arbeit war also auf 0 heruntergegangen. In einem Falle stand das Herz tatsächlich still. Die hierbei ge- fundenen Ätherzahlen betrugen 0,33—0,44 ?/o. Bei zwei Versuchen wurden etwas abweichende Werte gefunden. In Versuch II waren schon bei einem Äthergehalt von 0,207 °/o Puls- . unregelmässigkeiten aufgetreten, der Blutdruck war auf ca. 20 mm herabgesunken, und das Zeitvolumen betrug nur noch 18°/o des ur- sprünglichen Wertes. Dieses Herz war offenbar sehr empfindlich gegen Äther. Ein Beispiel eines Herzens, das sehr resistent gegen Äther war, gab Versuch V. Hier traten bei einem Äthergehalt des, Blutes von 0,267 °/o (dieser Wert ist nicht in der Tabelle aufgenommen) Pulsunregelmässigkeiten auf. Dieser Wert gehörte also eigentlich unter c. Das Zeitvolumen war hier aber nur bis auf 85° herunter- gegangen, und auch die Dilatation war eine geringe. Trotz erheblicher Ätherwirkung war die Funktion dieses Herzens also nur wenig gestört. Bezüglich der hier gefundenen Ätherzahlen sei noch folgendes bemerkt. Nach unseren Erfahrungen findet man im Blute eines Tieres, welches totnarkotisiert ist, einen Äthergehalt von im Mittel 0,164 0. Aus Spalte b geht nun hervor, dass eine derartige Kon- zentration, welche also als die tödliche Konzentration für ein nor- males Tier betrachtet werden muss, das Herz bei unserer Versuchs- anordnung nur sehr wenig schädigt. Bis zu Ätherkonzentrationen von 0,16°/o tritt doch nur eine sehr geringe Dilatation auf, und das Zeitvolumen ist nur .um wenige Prozente gesunken. Schwere Schädigungen treten erst bei weit höheren Konzentrationen auf. Bei der Beurteilung dieser Zahlen muss in Betracht gezogen werden, dass das Herz sicb bei unserer Versuchsanordnung unter sehr günstigen Bedingungen befindet, weil es bei konstanter Blutzufuhr immer gegen einen konstanten Druck arbeitet. Wir haben den Widerstand im künstlichen Kreislauf immer auf ca. SO mm Hg ein- gestellt, weil sich aus den Versuchen von Starling ergeben hat, dass bei diesem Druck das Herz unter den erreichbar günstigsten Bedingungen arbeitet. Starling wies auch nach (und wir haben uns in unseren Versuchen davon überzeugen können), dass niedrigere Drucke vom Herzen schlecht vertragen werden. Dies hat offenbar Über die Wirkung von Äther auf Säugetierherz und Kreislauf. 133 seinen Grund in dem Umstand, dass bei niedrigem arteriellen Druck das Koronarsystem nicht genügend durchblutet wird und infolge- dessen die Sauerstoffversorgung des Herzens leidet, wodurch dasselbe sehr geschädigt wird. Wie schon bemerkt wurde, haben wir in unseren Versuchen den arteriellen Druck auf ca. 80 mm Hg gehalten. Beim Narkotisieren eines intakten Tieres aber sinkt der Blutdruck allmählich, anfangs infolge der Lähmung des vasomotorischen Zentrums, später auch durch direkte Wirkung des Narkotikums auf das Herz. Sowie aber nun der Blutdruck unter einen bestimmten Wert gesunken ist — und dieser Wert wird beim intakten Tier auch wohl in der Nähe von SO mm Hg liegen —, addiert sieh zu der Wirkung des Äthers auf das Herz noch die schädliche Wirkung eines ungenügenden Koronarkreislaufes. Es liess sich also erwarten, dass beim intakten Tier — auch bei künstlicher Ventilation der Lungen — schon geringere Äther- mengen genügen würden, um das Herz zum Stillstand zu bringen, als bei Versuchen am Starling-Apparat. Wie sich im nächsten Abschnitt herausstellen wird, war dies in der Tat der Fall. Bei Versuchen am Starling-Apparat mit unver- dünntem Blute wird also durch einen Äthergehalt des Blutes von 0,046° das Herz nicht beeinflusst, be- sinnende Schädigung tritt auf bei 0,16%, sehr starke Schädigung bei 0,26%. Die tödliche Konzentration wurde meistens nicht erreicht, sie muss etwa bei 0,4 lo liegen. Zur Beantwortung der Frage, welche Ätherkonzentration beim intakten Tier mit künstlicher Atmung als die tödliche für das Herz zu betrachten sei, wurden die jetzt zu beschreibenden Versuche angestellt. II. Versuche am intakten Tiere bei künstlicher Atmung mit und ohne Vagotomie. Von W. Storm van Leeuwen und M. van der Made. Die Versuchsanordnung in dieser Serie war die gewöhnliche. Die Tiere (Katzen) wurden narkotisiert, dann wurde in die Trachea eine Trachealkanüle eingebunden und die künstliche Atmung ein- geschaltet. In beide Karotiden wurde eine Glaskanüle eingebunden; 134 P. Schram, W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: die eine Kanüle diente zur Registrierung des Blutdruckes, die zweite zur Blutentnahme. In den ersten Versuchen blieben die Vaei intakt, in den späteren wurden sie durehschnitten. Nachdem sich heraus- gestellt hatte, dass zwischen den Versuchen mit und ohne Vagotomie ein deutlicher Unterschied wahrnehmbar war, wurden noch einige Versuche an Tieren mit intakten Vagi, denen Atropin eingespritzt wurde, angeschlossen. | Versuche an Katzen mit intakten Vagi. In diesen Versuchen wurde, ehe mit der Registrierung des Blut- druckes angefangen wurde, die Äthernarkose abgestellt, und wir liessen die Tiere teilweise aufwachen. Dann wurde mit der Registrierung des Blutdruckes begonnen, und nachdem der meistens sehr hohe Blutdruck einigermaassen konstant geworden war, wurde dem Tiere gleich eine ziemliche Konzentration Äther mit der Einatmungsluft zugeführt, welche um ein weniges diejenige überstieg, die im Institut zu gewöhnlichen Narkosezwecken meistens benützt wird. Meisters erfolgte unmittelbar nach Einschalten der Narkose ein allmähliches Absinken des Blutdruckes, welcher sich dann gelegentlich auf ein neues Niveau einstellte.e War dies der Fall, so wurde die Äther- zufuhr vermehrt; dies hatte dann ein neues Herabsinken zur Folge, und schliesslich stellte sich der Blutdruck meistens auf ein Niveau von 40—60 mm Hg ein. Wenn nun die Ätherzufuhr so reguliert wurde, dass dem Tiere ausschliesslich solehe Luft zugeführt wurde, welche durch Äther gestrichen war, so sank bisweilen der Blutdruck noch mehr, und das Herz wurde zum Stillstand gebracht. Oft aber trat selbst bei dieser Ähermenge kein Herzstillstand ein und wurde noch ein Druck von 40—60 mm Hg aufrechterhalten. Es wurde dann die Ätherflasche in ein Gefäss mit Wasser von ca. 30°C. ge- stellt. Dies hatte ein sofortiges und schnelles Herabsinken des Blut- druckes zur Folge, und im Augenblicke, wo fast gar keine Schwan- kungen mehr im Manometer sichtbar waren, also ganz kurz bevor das Herz stillstand, wurde Blut entnommen. Bezüglich dieser Blutentnahme sei folgendes bemerkt. Die Ent- nahme geschah aus einer der Karotiden des Tieres. Stand das Herz dabei noch nicht ganz still, so gelang es gelegentlich, die zur Äther- bestimmung notwendigen 10 cem Blut zu gewinnen. Geschah die Ent»ahme dann sehr schnell, so ergab die chemische Bestimmung des Äthergehaltes nahezu den exakten Wert im Moment des Todes. Über die Wirkung von Äther auf Säugetierherz und Kreislauf. 135 Es ist ein solcher Wert in der Tabelle mit (+) bezeichnet. Stand aber das Herz bei der Blutentnahme schon still, so musste Thorax- massage. gemacht werden, und die Entnahme dauerte etwas länger. Wurde die künstliche Atmung während dieser Zeit nicht abgestellt, so wurde, weil die Einatmungsluft einen sehr hohen Äthergehalt hatte, im Blute ein zu hoher Wert gefunden. Es sind diese Zahlen in’der Tabelle mit (+) bezeichnet. Wurde schliesslich während der Blutentnahme die künstliche Ventilation abgestellt, oder gelang es nicht, genügende Mengen Blutes aus der Arterie zu bekommen, so dass auch venöses Blut zur Verwendung kam, so wurde selbst- verständlich ein etwas zu niedriger Wert gefunden, denn ein Teil des in dieser Weise gewonnenen Blutes hatte im Körper sehon Äther abgegeben und hatte nicht während der Passage durch die Lungen sich von neuem mit Äther beladen können. Derartige Werte sind mit (—) bezeichnet. Es wurden in dieser Weise acht Versuche angestellt. Eine Übersicht der gefundenen Ätherwerte gibt Tabelle 2. Tabelle 2. Versuche an intakten Katzen mit intakten Vagi. Äthergehalt des Blutes. ı Blutdruck | Blutdruck | Ischiadiceus- | Max. farad. Ver- ee bis bis Reizungohne |Reizungohne| Herz- such Anaspi! auf drei auf die | Einfluss auf | Einfluss auf | stillstand Nr. usst‘) | Viertel 1) | Hälfte!) | Blutdruck Blutdruck %/o %o %o %/o %o %o I — _ (0,180) — | — — ii =: ser Se 0,202 () 66 $) | ‘) = 1206ER 2280206 x 11 _ 1155 0,136 100 0,172 _ | —_ 0,190 (—) 152 | vu 159 0,11 — — 0,11 — 0,207 (—) vu — 2 = 0,212 2010 0,270 (+) Nele Ne; | 2 —— = ‘ po 2 _ XI 196 0,138 0,138 | 0,237 (—) Xn — u 0,206 — — | 0,206 0,323 (+) BO | XII _ | u Tre 0,183 — 0,183 0,250 (+) 1) Die Bruchzahlen beziehen sich auf den Blutdruck. Der Zähler gibt den Anfangsblutdruck, der Nenner den Blutdruck im Augenblick der Blutentnahme. 136 P. Schram, W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: In den Versuchen dieser Tabelle ist viermal Blut entnommen worden im Stadium, wo der Blutdruck auf zirka die Hälfte der Anfangshöhe heruntergegangen war. Die Werte schwanken von 0,101—0,212°%. Ein Zusammenhang zwischen der Höhe des Aus- gangsblutdruckes und der Grösse der Ätherkonzentration, die nötig war, um diesen Blutdruck bis auf die Hälite zu reduzieren, ist hier nicht nachweisbar. Es geht aus diesen Versuchen hervor, dass das vasomotorische Zentrum der verschiedenen Tiere für Äther sehr verschieden empfindlich ist. In Versuch III wurde Blut entnommen, nachdem der Blutdruck von 206 auf 155, also auf drei Viertel des ursprünglichen Wertes heruntergegangen war. Der Äthergehalt des Blutes betrug 0,136 %. Einen ähnlichen Wert (0,138°/) gab Versuch XI. Der Blutdruck war anfangs 170 und sank bis auf 126. Interessant war Versuch VII, wo bei einem Äthergehalt des Blutes von 0,110 der Blutdruck noch absolut unverändert geblieben war. In Versuch XII brachte eine sehr hohe Ätherkonzentration (0,206 %/) den Druck nur von 98 auf 74. In Versuch I wurde dem Tiere auf einmal eine sehr grosse Menge Äther zugeführt. Der Druck blieb erst konstant, sank dann plötzlich steil ab. Das Blut enthielt in diesem Augenblick 0,18 ’/o Äther. In sieben Versuchen wurde Blut entnommen, wenn das Herz nahezu stillstand. Die gefundenen (—)-Werte betrugen im Mittel 0,209 %o, die zwei (+)-Werte im Mittel 0,2960. Aus diesen beiden Zahlen lässt sich schliessen, dass ein Äthergehalt von ca. 0,250 %/o genügt, um bei den meisten Katzen mit intakten Vagi das Herz zum Stillstand zu bringen. Sehr schön in Übereinstimmung hiermit ist die in Versuch XIII gefundene Zahl. Hier geschah die Blut- entnahme sehr schnell unmittelbar vor dem Tode des Tieres, so dass dieser Wert als sehr genau betrachtet werden muss. Es wurden 0,250°/o Äther im Blute gefunden. In dieser Versuchsreihe konnte beiläufig der Einfluss der Äther- narkose auf die durch faradische Reizung des N. ischiadieus hervor- gerufenen Blutdruckänderungen studiert werden. Faradische Reizung dieses Nerven gibt bekanntlich bei den meisten intakten Katzen eine Blutdrucksteigerung. Nach Einschalten der Äthernarkose nimmt die Grösse dieser reflektorischen Blutdrucksteigerung ab, und die Steigerung kann in eine reflektorische Senkung des Blutdruckes Über die Wirkung von Äther auf Säugetierherz und Kreislauf. 137 übergehen. In beiden Fällen aber wird schliesslich ein Stadium erreicht, wo faradische Reizung gar keinen Einfluss mehr auf den Blutdruck ausübt. Wurde in diesem Stadium Blut entnommen, so zeigte sich, dass bei Benutzung mittelstarker Ströme 0,11°/o und 0,138°/e Äther im Blute den Effekt der Reizung aufhoben. Bei Benützung stärkster faradischer Reizung (im primären Kreis ein Akku- mulator und maximaler Stand des Induktoriums) betrugen diese Zahlen 0,183, 0,206 und 0,212°o. Letzteres heisst also, dass bei einem Äthergehalt des Blutes, weleher unter gewöhnlichen Umständen ein normales Tier töten würde (Werte über 0,17 °/o), das vasomoto- rische Zentrum noch durch Reizung des N. ischiadieus, wenn auch nur schwach, doch erregt: werden kann. Es hat sich bei dieser Versuchsreihen als oherausgestellt, dass in intakten Tieren mit intakten Vagi ein Äthergehalt des Blutes von 0,250°/o genügt, um das Herz zum Stillstand zu bringen. Es ergab sich nun die Frage, ob beim Zustandekommen dieses Herzstillstandes auch eine Wirkung des Äthers auf das Vaguszentrum eine Rolle spielen könnte. Um dieses entscheiden zu können, wurden einige Versuche an Katzen mit durchschnittenen Vagi angestellt. Versuche an intakten Katzen mit durchschnittenen Vagi. Die Versuchsanordnung war genau dieselbe wie in den vorigen Versuchen, nur wurden bei den Tieren die Vagi durchschnitten. Die Blutentnahme im Augenblicke, wo das Herz stillstand oder nahezu - stillstand, geschah ebenfalls genau in derselben Weise, wie oben be- schrieben. Dementsprechend sind auch die in diesen Versuchen ent- haltenen Ätherwerte mit dem Zeichen (+) oder (—) versehen. Das Resultat der Versuche ist aus Tabelle 3 (S. 138) ersichtlich. Aus dieser Tabelle ergibt sich, dass der Minimumwert, bei dem das Herz einer Katze (mit durchschnittenen Vaegi) zum Stillstand gebracht wurde, im Mittel 0,274°/o (0,268 und 0,2800) und der Maximumwert im Mittel 0,353 °/o beträgt. Es wird also der Äther- gehalt, der in den meisten Fällen imstande ist, das Herz zum Still- stand zu bringen, ungefähr bei 0,310 °/o liegen. Versuch IX ist einigermaassen als eine Ausnahme zu betrachten, das Versuchstier hatte, wie sich bei der späteren Sektion heraus- stellte, eine Pneumonie, der Äthergehalt des Blutes im Moment des Todes war ziemlich niedrig und betrug nur 0,267 ®o. 138 P. Schram, W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: Tabelle 3. Versuche an intakten Katzen mit durchschnittenen Vagi. Äthergehalt des Blutes. Max. faradisch Blutdruck bis auf Ren hd V h S 8 ve die Hälfte‘) Einfluss auf Herz An Blutdruck stillstand merkungen Nr. %o "Vin %o = 198 h V U 0,233 —_ 0,351 (+) 107 r 128 VI 0; 0,109 _ 028 C) | IX — — (0,267) Pneumonie X EN 0,186 0,186 0,354 (+) Wie aus Spalte 2 ersichtlich ist, haben wir in vier Fällen den Äthergehalt des Blutes im Augenblicke bestimmt, wo die Narkose derart schädigend auf den Kreislauf eingewirkt hatte, dass der Blut- druck bis auf zirka die Hälfte des ursprünglichen Wertes gesunken war. Weil in diesem Falle arterielles Blut entnommen wurde, während das Herz noch sehr kräftig schlug, so sind die hierbei ge- wonnenen Zahlen viel genauer als die obigen. Trotzdem sind die Differenzen zwischen den bei diesen vier Fällen gefundenen Werten sehr gross. In Versuch VI war der Anfangsblutdruck 128, ein Äther- gehalt von 0,109 °/o genügte schon, um diesen Druck auf 60 herunter- zubringen. Offenbar war das vasomotorische Zentrum dieses Tieres sehr leicht beeinflussbar. Dass nicht Schwäche des Herzens die Ur- sache war, zeigt der Umstand, das die tödliche Konzentration für das Herz eine relativ hohe war ((—)-Wert 0,280 /o). In Versuch V war zur Herabsetzung des Blutdruckes von 200 auf 107 eine Ätherkonzentration von 0,233 °/o nötig, also mehr als die doppelte Menge wie diejenige aus Versuch IX. Die Zahl dieser Versuche ist natürlich zu gering, um aus ihnen weitgehende Schlüsse ziehen zu können; nur sei bemerkt, dass in den Fällen mit hohen Ätherwerten der Anfangsblutdruck hoch war und in den Fällen mit niedrigen Ätherwerten auch der Anfangs- 1) Die Bruchzahlen beziehen sich auf den Blutdruck. Der Zähler gibt den Anfangsblutdruck, der Nenner den Blutdruck im Augenblick der Blutentnahme Über die Wirkung von Äther auf Säugetierherz und Kreislauf. 139 blutdruck niedrig war. Wie dem auch sei, auf jeden Fall geht aus diesen Versuchen hervor, dass das vasomotorische Zentrum der verschiedenen Tiere für Äther sehr verschieden empfindlich ist. Wie zu erwarten war, sind die Ätherkonzentrationen, welche beim intakten Tiere mit durchschnittenen Vagi das Herz zum Still- stand bringen, niedriger als die im vorigen Abschnitt für die isolierte Herz-Lungenzirkulation gefundenen. Indessen nähern sich die höchsten . Zahlen am intakten Tiere (0,353°/o) den niedrigsten Zahlen, welche am Starling-Apparat gewonnen wurden (0,330 °/o). Nachdem in den oben beschriebenen Versuchen sich heraus- gestellt hatte, dass das Herz von Katzen mit durchschnittenen Vagi resistenter gegen Äther ist als das Herz von Katzen mit intakten Vagi, war noch festzustellen, ob die gleiche Erhöhung der Resistenz gegen Äther sich erreichen liesse durch Injektion mit Atropin bei einem Tier mit intakten Vaei. Wir haben fünf Versuche in dieser Richtung angestellt. Die Versuchsanordnung war wieder genau die- selbe wie in den beiden vorigen Serien, nur wurde den Katzen vor dem Anfang des Versuches 2—2!/g mg Atropin intravenös injiziert. Das Resultat dieser Versuche ist aus Tabelle 4 ersichtlich. Tabelle 4. Versuche an intakten Katzen mit intakten Vagi nach Einspritzung von Atropin. Äthergehalt des Blutes. Blutdruck bis auf No | zirka ein Drittel) Herzstillstand Anmerkungen Nr. 0/0 %/o XIV _ 0,247 (—) XV — ‚33 (+) XVI = 0,28 0,291 (+) XVII 0,275 0,556 (+) XVII — 0,126 Ausgebreitete Pneumonie. In Versuch XV und XVI geschah die Blutentnahme sehr schnell, in einem Stadium, wo das Herz gerade noch schlug, und es müssen diese Werte deshalb als sehr exakt betrachtet werden; der Äther- gehalt des Blutes betrug 0,333°/o und 0,291 °/o, im Mittel also 0,312°/o. Der Wert aus Versuch XVII war zu hoch (0,356 °/o), in diesem Versuch schlug das Herz bei 0,275 °/o sicher noch. Versuch XIV gibt eine zu niedrige Zahl. Das Mittel von Versuch XVII und XIV 140 P. Schram, W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: beträgt aber wieder ca. 0,300 %0. Aus diesen vier Versuchen kann also geschlossen werden, dass bei Katzen mitintakten Vagi nach Einspritzung von Atropin ein Äthergehalt von ca. 0,310 °/o im Blute erforderlich ist, um das Herz zum Stillstand zu bringen. Es stimmt dieser Wert vollkommen überein mit den an Katzen mit durchschnittenen Vagi sewonnenen Zahlen. Man muss aus diesen letzten Versuchen also wohl schliessen, dass während tiefer Narkose dem Herzen schädliche Einflüsse durch die Nn. vagi zufliessen. Dass in tiefer Narkose der N. vagus noch erregbar ist, geht auch aus den Versuchen von EIf-. strand!) hervor. Elfstrand hat das Verhalten der Vagus- erregbarkeit während der Narkose an Kaninchen studiert und fand, dass während tiefer Narkose die Erregbarkeit des Vagus zwar ab- nimmt, so dass durch faradische Reizung dieses Nerven kein Herz- stillstand mehr hervorgerufen werden kann, dass aber in tiefster Narkose noch ein deutlicher Einfluss durch Vaeusreizung auf den Blutdruck ausgeübt werden kann. Der Unterschied, der in unseren Versuchen in der Resistenz gegen Äther zwischen Tieren mit und ohne Vaeotomie gefunden wurde, stimmt mit den Erfahrungen von Knoll?) überein. Knoll studierte bei Kaninchen die Wirkung von Äther und Chloroform auf Kreislauf und Atmung. Das Narkotikum wurde den Tieren mit der Einatmungsluft zugeführt. Um die Nachteile der auf die Vagotomie folgenden Verengerung der Stimmritze auszuschalten, wurde bei den Tieren eine Trachealfistel angelegt. Gelegentlich wurde auch künst- liche Atmung angewandt. Knoll fand nun, dass Chloroform von Tieren mit durchschnittenen Vagi schlechter ertragen wird als von Tieren mit intakten Vagi. Äther dagegen wurde von den vagoto- mierten Tieren besser vertragen. Letzteres steht also mit unseren Erfahrungen in Einklang. Anhangsweise sei noch das Ergebnis von Versuch XVIII erwähnt. Nach Einschalten einer ziemlich hohen Ätherkonzentration in der Einatmungsluft sank hier der Blutdruck ausserordentlich rasch und steil herunter, so dass innerhalb 2!/a Minuten Herzstillstand ein- 1) M. Elfstrand, Beobachtungen über die Wirkungen einiger aliphatischer Kohlenwasserstoffe, verglichen mit derjenigen des Äthers, und über das Verhalten der Vaguserregbarkeit während der Narkose. Arch. f. exper. Pathol. u. Pharm. Bd. 43 S. 435. 1900. 2) P. Knoll, Über die Wirkung von Chloroform urd Äther auf Atmung und Blutkreislauf. Ber. d. Wiener Akad. 3. Abt. Bd. 78 S. 223. 1878. Über die Wirkung von Äther auf Säugetierherz und Kreislauf. 141 getreten war. Das in diesem Augenblick entnommene Blut enthielt nur 0,126°/o Äther. Bei der Sektion stellte sich heraus, dass dieses Tier an einer ausgebreiteten Pneumonie gelitten hatte. Der Verlauf der Blutdrucksenkung dieses Versuches ist aus Fig. 3 ersichtlich. Zum Vergleich ist in Fig. 4 der Verlauf des Blutdruckes aus Versuch XVII gegeben. In beiden Fällen handelte es sich um Tiere mit intakten Vagi, welche vor dem Versuch 2!/e mg Atropin intra- venös eingespritzt bekommen hatten. Die mit der künstlichen Atmung zugeführte Ätherkon- zentration war auch in beiden Fällen die gleiche. Wiewohl also beim Narko- tisieren eines intakten Tieres weit niedrigere Äthermengen schon genügen, um das Herz zu schädigen resp. zum Still- stand zu bringen, als bei .Ver- suchen am Starling-Apparat, so geht aus den Versuchen dieses Abschnittes doch hervor, dass die Ätherkonzentrationen, welche bei unserer Versuchsanordnung das Herz zum Stillstand bringen, immer noch beträchtlich höher liegen (Minimum 0,250 °/o) als ER : die durch Nicloux und uns im _Yersuch XYIIL. Resistrierung des Blut- Moment des Todes gefundenen druckes. Bei a '%/10 Ather mit der } { künstlichen Atmung zugeführt. Der Blut- (0,1700). Weiter lässt sich aus druck sinkt steil von 158 mm Hg auf denVersuchenanintaktenTieren ee ne nen mitintaktenVagi schliessen, dass bei Ätherkonzentrationen im Blute, welche niedriger als die von Nieloux gefundenen sind, und also von einer Grössenordnung sind, welche im Toleranzstadium der Narkose wiederholt erreicht werden muss, schon einen deutlichen Einfluss auf den Kreislauf ausgeübt werden kann. Namentlich kann der Blutdruck bei diesen Konzentrationen beträchtlich herabgesetzt sein (Versuch II, III, VII und XI!). Diese Blutdrucksenkung beruht offenbar auf Schädigung des vasomotorischen Zentrums, da das Herz erst bei höheren Konzentrationen geschädigt a 0 aeher Yo | 142 P. Schram, W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: wird. Das Ergebnis der Atropinversuche eröffnet die Möglichkeit, den schädigenden Einfluss auf das Herz zu vermindern. Bei intakten Katzen mit intakten Vagi und bei künstlicher Atmung ist also eine Ätherkonzentration im Blute von 0,101—0,212°%o imstande, den Kreislauf zu schädigen. Herzstillstand wird bei 0,250°%0 hervor- gerufen. Bei intakten Tieren mit ausgeschalteten Vagi schwanken die Zahlen für die Schädigung des Kreislaufes innerhalb derselben Grenze. Herzstill- stand tritt aber erst bei ca. 0,3100 auf. Fig. 4 Intakte Katze. 2!/a mg Atropin. _ Versuch XVII. Registrierung des Blutdruckes. Bei « 1%ıo Ather mit der künstlichen Atmung dem Tiere zugeführt. Der Blutdruck sinkt viel allmählicher als in Fig. 3. Sektion: Vollkommen gesundes Tier. (Auf */s verkleinert.) Versuche am isolierten Katzenherzen. Von W. Storm van Leeuwen und M. van der Made. Aus den bisher beschriebenen Untersuchungen ist hervorgegangen, dass die letale Ätherdosis für das Herz in Versuchen am isolierten Herz-Lungenkreislauf nach Starling viel höher ist als bei Ver- suchen am intakten Tiere. Der Grund dieses Unterschiedes ist — wie schon oben betont wurde — der Umstand, dass bei Versuchen am Starling-Apparat der Blutdruck bis zuletzt konstant bleibt, Über die Wirkung von Äther auf Säugetierherz und Kreislauf. 143 während bei Versuchen am intakten Tiere der Blutdruck nach der Ätherzufuhr allmählich sinkt und also zu der Ätherwirkung noch der ungünstige Einfluss eines niedrigen Blutdruckes und der hier- durch verursachten ungenügenden Ernährung des Herzens kommt. Es lag nun auf der Hand, zu’ untersuchen, ob das Katzenherz, wenn es unter noch günstigere Ernährungsbedingungen gebracht würde als bei Versuchen am Starling-Apparat, noch höhere Äther- konzentrationen ertragen würde. Zu diesem Zwecke haben wir einige Versuche an isolierten Katzenherzen angestellt, welche nach dem Langendorffschen Verfahren mit unverdünntem Blute durch- strömt wurden. Diesem Blute wurden steigende Mengen Äthers zu- geführt, und es wurden die Grenzkonzentrationen bestimmt, welche das Herz zu schädigen und welche es zum Stillstand zu bringen imstande waren. Eine derartige Untersuchung war um so mehr erwünscht, als Dieballa!) und Loeb?) in ihren Versuchen an isolierten Frosch- resp. Warmblüterherzen Äthermengen gefunden haben, welche die in den vorigen Abschnitten in Betracht kommenden Zahlen weit überschritten. Dieballa hatte die Herzen mit NaCl- Lösung durchströmt, Loeb.mit Blut-Kochsalzgemisch gearbeitet, und es erhob sich die Frage, ob dieser Umstand die grossen Unterschiede zwischen den von uns und von den beiden erwähnten Autoren ge- fundenen Zahlen restlos erklären könnte. Wir können über neun gelungene Versuche am Langendorff- Apparat berichten. Es wurde immer mit Katzenherzen gearbeitet, die mit unverdünntem,, defibriniertem Blute durchströmt wurden. Die Temperatur des Durch- strömungsblutes wurde in jedem einzelnen Versuch bis auf 0,5 ° konstant gehalten und schwankte in den verschiedenen Versuchen zwischen 25 ° und 37°. Um das unverdünnte Blut mit genügender Geschwindig- keit durch das Koronarsystem pressen zu können, musste dasselbe unter ziemlich hohen Druck gebracht werden, manckmal bis zu 200 mm Hg. Während der Dauer eines Versuches blieb der Druck konstant. Es wurden in diesen Versuchen die Ausschläge eines Vorhofs. und der Kammern getrennt registriert. Nachdem bei Durchströmung mit ätherfreiem Blute eine genügend lange Normalperiode geschrieben worden war, wurde auf ätherhaltiges Blut umgeschaltet und der Effekt beobachtet. Herzstillstand wurde angenommen, wenn innerhalb einiger Minuten, nachdem das ätherhaltige Blut das Herz erreicht hatte, das. Herz zu schlagen aufhörte. 1) Dieballa, |. c. 2). 0. Loeb, 1. e. 144 P.Schram, W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: Nach Beendigung eines Versuches wurde der Äthergehalt des Durchströmungsblutes bestimmt. Hierzu wurde immer eine Blut- probe aus dem Reservoir genommen, also immer Blut benützt, welches das Herz noch nicht erreicht hatte. Deshalb wurden immer genaue Werte erhalten. Das Resultat dieser Versuchsreihe ist aus Tabelle 5 ersichtlich. Tabelle 5. Versuche an isolierten Katzenherzen bei Durchströmung mit unver- - dünntem Blute. Äthergehalt des Blutes. Starker Einfluss. Stärkste Kein | Sehr Kontraktionen er = Versuch [Einfluss auf| geringer bis auf die a u da“ das Herz Einfluss Hälfte bis ein tillstand | | Viertel stillstand. Nr. %o %o %o % 0% I 0,077 0,286 2 ar Be, II — — _— 0,525 III — — — — 0,560 IV I —_ — — 0,576 V = — 0,506 me VI — 0,28 = E u VI = 0,384 — en VII — — 0,389 Bu - Zu dieser Tabelle ist folgendes zu bemerken. "Ein Äthergehalt von 0,28 °/o hat bei Durchströmung des isolierten Katzenherzens nur einen sehr geringen Finfluss. Eine deutlich ‘ schädliche Wirkung wird hervorgerufen durch Konzentrationen, die etwas unterhalb 0,40°/o liegen. Das sind also Konzentrationen, welche bei Versuchen am Starling-Apparat das Herz fast zum Stillstand brachten. Ein Beispiel vom Einfluss einer Ätherkonzen- tration von 0,384 °/o gibt Fiv. 5. Herzstillstand wurde in drei Ver- suchen erreicht mit Ätherwerten, welche im Mittel 0,553 9 ‚betrugen. Ein Beispiel des Herzstillstandes dureh Äther gibt Fig. 6. : Der Ventrikel stand in diesem Versuch fast sofort nach dem Einströmen des ätherhaltigen Blutes still, das Atrium schlug noch etwas länger weiter. Wir verfügen aber auch über Versuche, wo bei einer ähn- lichen Konzentration Ventrikel und Atrium gleichzeitig stillstanden. Bei Versuchen am Langendorff-Apparat hat also ein Äthergehalt von 0,280% nur eine sehr geringe, 0,390°0 eine deutlich schädigende Wirkung auf das Herz. Eine Konzentration von ca. 0,55°%o bringt das Herz schnell zum Stillstand. Über die Wirkung von Äther auf Säugetierherz und Kreislauf. 145 Fasst man das Resultat der drei Abschnitte zusammen, so ergibt sich folgendes: a) Diejenigen Ätherkonzentrationen, welehe im Toleranz- ET TESTEN TEEN LEE TIERE TE NT ET LTETTEO TRETEN GETTETELTE ETTEN Hhex Ö, 38 4 v72 Ae Fin Sekunden S a Äteı'um solhork a Hliges B£ut ee | | stadium der Äthernarkose bei der Katze im Blute gefunden werden, schädigen den Kreislauf wenig und das Herz beinahe gar nicht. b) Diejenigen Ätherkonzentrationen, welche imstande sind, ein nor- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 10 Y ) Kontraktionen von Atrium und Ventrikel Isoliertes Katzenherz nach Langendorff. Durchströmung mit unverdünntem Blute. Fig. 5. 1 Versuch VII. Bei a wird dem Herzen Blut mit 0,384°/o Ather zugeführt. werden kleiner, aber es tritt kein Herzstillstand auf. Die Temperatur des Blutes schwankt um 0,6 ° 146 P. Schram, W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: . 4 aetkerhaltiges Blut wuek 00H, Ö, I yA aalher. 136. Atrium o stlsten d ß des Ve nfrckef's = , z $ » Br “ E Jet un Se kunden in, And un Jan an a ia. FIRE ER PR Fig. 6. Isoliertes Katzenherz nach Langendorff. Durchströmung mit unverdünntem Biute. Versuch II. Bei « wird dem Herzen Blut mit 0,525 Äther zugeführt. Der Ventrikel steht fast sofort still. Das Atrium macht noch kleine Kontraktionen, welche aber auch nach einigen Minuten aufhören. Die Temperatur des Blutes schwankt um 0,5° C. Über die Wirkung von Äther auf Säugetierherz und Kreislauf. 147 males Tier zu töten, üben auf den Blutdruck einer intakten künstlich geatmeten Katze einen deutlich schädigenden Einfluss aus, und zwar sowohl durch Schädigung des vasomotorischen Zentrums als durch Vaguswirkung auf das Herz. Das Herz selbst wird bei derartigen Konzentrationen direkt nur schwach beeinflusst. e) Die Äther- konzentration, welche das Herz eines intakten Tieres bei künst- licher Lungenventilation tötet, beträgt 0,2500. Es wird aber ein . solches Herz nicht durch den Äther allein zum Stillstand gebracht, ‚sondern auch andere Faktoren wirken mit; an erster Stelle Einflüsse, welche durch die Nn. vagi dem Herzen zufliessen. Werden diese Einflüsse durch Injektion von Atropin oder Durchschneidung der Vagi aufgehoben, so erträgt das Herz Dosen bis zu 0,310 °%/o. Aber auch diese Konzentration würde das Herz nicht töten, wenn sich zu dem schädliehen Einfluss des Äthers nieht noch die infolge des niedrigen Blutdruckes auftretende mangelhafte Ernährung des Herzens gesellen würde. Wird letzterer Einfluss ausgeschaltet wie in Ver- suchen am Starling-Apparat oder am nach Langendorff durch- strömten Herzen, so lässt sich die minimal letale Dosis für das Herz auf 0.40 9/0 bzw. 0,55 °/o steigern. Schliesslich sei bemerkt, dass die von uns am isolierten Herzen gewonnenen Ätherzahlen, verglichen mit den von Sherrin gston und Sowton!) unter denselben Umständen gefundenen Chloroform- werten, das Verhältnis des Wirkungsgrades von Äther und Chloro- form ergeben. Sherrington und Sowton fanden als minimal letale Dosis in unverdünntem Blute für Chloroform 0,1%. Wir fanden für Äther 0,55.°/. Hieraus ergibt sich durch eine einfache Be- rechnung, dass, um dieselbe Wirkung auf das Warmblüterherz her- vorzurufen, von Äther neunmal stärkere Molekularkonzentrationen erforderlich sind als von Chloroform. Wird aber hierbei in Betracht gezogen, dass Äther sich in ganz anderer Weise zwischen Blut- körperchen und Plasma verteilt als Chloroform, so ändert sich dieses - Verhältnis sehr. Wie schon aus Versuchen von Pohl?) hervorgeht, verbindet sich in einer Lösung von Chloroform in Blut das Chloro- form „vorwiegend mit den morphotischen Bestandteilen, also mit den 1) C. S. Sherrington and 8. C. M. Sowton, |. c. 2) J. Pohl, Über Aufnahme und Verteilung des Chloroforms im tierischen Organismus. Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmak. Bd. 28 S. 239. 1891. 10% 148 P. Schram, W. Storm van Leeuwen und M. van der Made: roten Blutzellen“. Nieloux!) hat später nachgewiesen, dass in einer Lösung von Chloroform in Blut 83°/o des Chloroforms sich in den Blutzellen befinden und nur 12/0 im Plasma zu finden sind. Für Äther liegen die Verhältnisse anders. Äther ist in Wasser viel besser löslich als Chloroform, und es ist — nach Nieloux — im Blute nur zu 52° an die Blutzellen und zu 48° im Plasma ge- bunden. Zwar gibt Frantz°) an, dass die Lösungsverhältnisse des Chloroforms sich auf Äther ausdehnen lassen, und dass es „den Eindruck macht, dass die Bindung desselben (des Äthers) eine innigere ist als die des Chloroforms“. Aber die Ätherbestimmungen von Frantz sind viel weniger genau als die von Nieloux. Man darf also wohl annehmen, dass das Äther sich im Blute ungefähr gleich- mässig auf Blutzellen und Plasma verteilt. Weil also von im Blute vorhandenem Chloroform das Plasma nur 12 °% enthält, während von Äther 48°/o im Plasma sich befinden, so ist das wirkliche Verhältnis der Wirkungsgrade zwischen Äther und Chloroform nieht wie 1:9, sondern wie n = ı : a 100 100 Beziehung ein Chloroformmolekül 36 Äthermolekülen gleichwertig ist. Dieballa hatte auf Grund seiner Versuche am mit NaCl- Lösung durchspülten Frosehherzen ein Verhältnis von 1:36 gefunden. Loeb fand nach Versuchen an isolierten, mit Blut-Kochsalzgemisch durehströmten Säugetierherzen ein Verhältnis von 1:35. —1:36°), das heisst also, dass in dieser Das von uns gefundene Wirkungsverhältnis zwischen Äther und Chloroform stimmt also mit dem von Dieballa nnd Loeb überein. Loeb hat bei seiner Berechnung den Unterschied in der Ver- teilung (auf Blutkörperehen und Plasma) zwischen Äther und Chloro- form nicht berücksichtigt. Überdies sind seine absoluten Zahlen viel höher als die unserigen, so dass ein Vergleich zwischen seinen Ver- suchen und denen der vorliegenden Arbeit nicht möglich ist. 1)M. Nicloux, ]l. c. S. 37. 2) M. Nicloux, |. c. 8.291. 3) R. Frantz, Über das Verhalten des Äthers im tierischen Organismus. Inaug.-Diss. Würzburg 1895. 4) In der vorhergehenden Arbeit wurde für die Aufhebung des homo- lateralen Beugereflexes der Katze ein Wirkungsverhältnis zwischen Chloroform und Äther von 1:50 gefunden. \ Über die Wirkung von Ätber auf Säugetierherz und Kreislauf. 149 Schlusssätze. 1. Beim Narkotisieren einer intakten Katze mit Äther unter künstlicher Atmung tritt Herzstillstand auf bei einem Äthergehalt des Blutes von 0,250°/o; werden Einflüsse des Vaguszentrums aus- geschlossen durch Atropin oder Vagotomie, so beträgt die minimal letale Dosis für das Herz 0,310 °%o. 2. Wird der schädliche Einfluss der in tiefer Narkose erfolgenden Blutdrucksenkung ausgeschaltet und das Herz am Starling-Apparat unter günstigere Ernährungsbedingungen gebracht, so steigt die minimal letale Konzentration auf ca. 0,44 °)o. 3. Wird die Ernährung des Herzens noch besser gesichert und das isolierte Katzenherz nach Langendorff mit .unverdünntem Blute durchströmt, so wird die minimal letale Konzentration 0,553 /o. 4. Das Verhältnis der Wirkungsgrade von Äther und Chloro- form beträgt, ausgedrückt in Molekularkonzentrationen, unter Be- rücksichtigung des verschiedenartigen Verteilungsmodus dieser Nar- kotika auf Blutkörperchen und Plasma nach Versuchen mit un- verdünntem Blute 1:36. 5. Bei Ätherkonzentrationen im Blute, wie sie beim Narkoti- sieren normaler Tiere in Betracht kommen (0,13—0,14 °/o), kann, be- sonders in Fällen, wo der Anfangsblutdruck hoch war, eine Blut- drucksenkung auftreten, wobei der Blutdruck bis auf drei Viertel des Anfangswertes (in einem Fall bis auf die Hälfte) heruntergehen kann. Diese Senkung wird verursacht durch Beeinflussung des vasomotorischen Zentrums und Vaguswirkung. Der Herzmuskel wird durch diese Ätherkonzentrationen noch kaum geschädigt. 6. Bei Ätherkonzentrationen, welche im Blute totnarkotisierter Tiere gefunden werden (ca. 0,17 °/o), ist der Kreislauf einer Katze, deren Lungen künstlich ventiliert werden, meistens schon deutlich geschädigt. Auch diese Ätherkonzentrationen wirken auf den Herz- muskel noch wenig ein. 150 : A. Bühler: Beobachtungen der Blutbewegung im Auge. Von Dr. A. Bühler, Privatdozent in Zürich. Jedermann kennt die hellen, raschen Fünkchen, die zum Beispiel nach heftigem Bücken durch das Gesichtsfeld huschen. Es ist all- gemein bekannt, dass es sich dabei um eine endoptische Erscheinung handelt, eine Erscheinung, deren Objekt nicht in der Aussenwelt, sondern im Beobachter selbst liegt. Wo und wodurch das Phänomen zustande kommt, ist noch unentschieden. Wenn wir absehen von Vermutungen, dass es sich hierbei um Reizerscheinungen nervöser Natur zwischen Optikusaustritt und Sehzentrum handelt, so kon- vergieren die meisten Annahmen dahin, die Ursachen des Phänomens im Auge selbst zu machen. Bewegungserscheinungen kleinster Teile im Auge, die als Licht oder Schatten wahrgenommen werden, fasst man zusammen als „Mouches volantes“. Darunter gruppieren sich zweifellos sehr verschiedene Phänomene. Zum Beispiel sind die beim mikro- skopierenden Auge sichtbaren schattenhaften Punkte oder Fäden oder Rosenkränze sicher als Staubpartikelehen in der Tränen- flüssigkeit vor der Hornhaut zu deuten. Sie. erscheinen in unmittel- barem Anschluss an den Liderschlag, und ihre Bewegung ist gleich- förmig im Sinne der Schwere. Andere Mouches volantes sind die Schatten beweglicher (pathologischer?) Glaskörpereirschlüsse. An dieser Stelle will ich mich ausschliesslich mit den oben- genannten fliegenden, hellen Funken beschäftigen. Die Schwierigkeit der Deutung dieser Leuchtfunken hat zweifellos ihren Grund in der raschen Vergänglichkeit der Erscheinung. Kaum hat man beginnen wollen, sie zu studieren, so ist sie verschwunden, und willkürlich lässt sie sich nicht wieder hervorrufen. Ich hatte nun vor einigen Jahren Gelegenheit, das Phänomen längere Zeit, ja oft länger, als mir lieb war, zu beobachten. An einer nicht eben Beobachtungen der Blutbewegung im Auge. 151 schweren, aber berufshalber verschleppten Influenzapneumonie hatte ich 3 Wochen im Bett gelegen. Als ich mich am ersten warmen Frühlingstag in den Sonnenschein legte und zum hellen Himmel hinaufsah, kreisten vor meinen Augen zahllos ununterbrochen die bekannten Leuchtfunken wie. schwärmende Mücken oder Leucht- käfer, bis ich mich nach !/sz Stunde wieder in mein Zimmer zurück- ziehen musste. Das Phänomen wiederholte sich auch an den folgenden Tagen bei sonnigem Wetter. An trüben Tagen blieb es aus und blasste ınit fortschreitender Genesung ab. Mit voller Schärfe zeigte es sich wieder nach etwa i4 Tagen, als ich von der ersten grösseren Anstrengung (400 m Bergsteigen) ausruhend, auf dem Rücken liegend, wieder meine Augen zum hellen Himmel richtete. Seither konnte ich unter bestimmten Voraussetzungen die Er- scheinung öfter wieder mit grösserer oder geringerer Deutlichkeit hervorrufen. Über das Auftreten der Leuchtfunken konstatiere ich allgemein folgendes: Sie erscheinen, meist in geringerer Zahl, wenn man nach heftigem Bücken wieder zur Höhe schaut. Gleich wie das Bücken wirkt Niesen, Husten, Anstossen des Kopfes, kurz, Momente, die einen plötzlichen stärkeren Blutandrang zum Kopf bewirken. Vor- aussetzung ist, dass sich die Augen dabei auf eine breite, helle Fläche, am besten den Himmel oder eine weisse Strasse richten. Schliesst man die Augen, so verschwinden die Funken, ebenso wenn man den Blick von der lichten Fläche abwendet. Ist ein Teil des Ge- sichtsfeldes hell erleuchtet, ein anderer im Schatten, so erscheinen die Leuchtfunken nur im beleuchteten Teile. Daraus ergibt sich, dass das Phänomen abhängig ist vom äusseren Lichteinfall ins Auge, Lichteinfall im Bereiche des normalen Gesichtsfeldes, das heisst durch die Pupille. Beim Abblenden dieser hört die Erscheinung auf. Es werden durch intensives Licht von aussen gewisse Punkte im Augen- innern speziell beleuchtet. Diese Beobachtung schliesst die Annahme einer Entstehung der Funken durch retrobulbäre Nervenreizung oder chemische Prozesse aus. Diese beleuchteten Punkte sind unter gleichen Umständen von annähernd gleicher Leuchtkraft und von ziemlich gleicher Grösse unter sich. Sie erscheinen in gleicher absoluter Grösse beim Blick in die Ferne wie bei Akkommodation in die Nähe und behalten gleiche Schärfe und Helligkeit. Sie liegen also hinter den brechen- 152 A. Bühler: den Medien im Innern des Auges. Ihr scheinbar grösster Durch- messer beträgt ca. 2 mm, projiziert auf eine Sehweite von 25 em. Man hat schon gedacht an Flocken oder Zellen im Glaskörper, die durch oben genannte heftige Bewegungen aufgewirbelt und, ähnlich Staubpartikelehen, in den Lichtkegel gebracht worden seien. Dem widerspricht die Gleichartigkeit der Fünkchen. Diese wäre nicht möglich bei Glaskörpereinschlüssen, deren Abstand von der Netzhaut ja ganz verschiedenartig wäre, so dass Grösse und Licht- effekt der Funken sehr ungleich sein müssten. Die Gleichheit ist nur denkbar bei gleichartigen Körpern, die in einer Fläche parallel zur Netzhaut liegen. Auch die Art der Bewegung der Lichtfunken stimmt nicht mit der Annahme von Glaskörpereinschlüssen. Solche müssten, einmal aufgewirbelt, allmählich, der Schwere folgend, wieder sinken; sie be- wegten sich alle in einer annähernd senkrechten Richtung mit ungefähr gleicher Geschwindigkeit. Ganz anders ist die Bewegung der Leuchtfunken. Sie ist anscheinend selbständig und regellos nach allen Richtungen durcheinander, ganz unabhängig von der Schwer- kraft. Sie hat einige Verwandtschaft mit der Bewegung der Spermato- : somenköpfe im mikroskopischen Bild. Wir können sie vielleicht am besten vergleichen mit einem Schwarm spielender Silberfischehen über. hellem Grund : Eine kleine Strecke weit schiesst eines vorwärts, hält von Zeit zu Zeit einen Augenblick still, um gleich wieder weiter zu ziehen, immer wieder die Richtung wechselnd. Wenn das Fischlein uns bei seinen Wendungen die helle Seitenfläche zuwendet, so trifft deren kräftiger Lichtreflex unser Auge, bis es uns durch Zuwenden des dunkleren Rückens wieder entschwindet. So spielt der Schwarm anscheinend regellos durcheinander. Genau .so scheint die Bewegung der Lichtfunken. Hat man indessen Gelegenheit, das Bild länger zu studieren, so erkennt man doch einige Ordnung in dem Wirrwar. | Niemals laufen zwei Funken dicht nebeneinander her die gleiche Strecke, sondern stets einzeln. Wohl aber kommt es oft vor, dass mehrere Funken hintereinander in gleicher Richtung gehen. Dann besonders erkennt man, dass sie in bestimmten Bahnen kreisen. Eine Kette von 3, 4 Funken läuft ein kurzes Stück geradeaus. Dann biegen sie nacheinander in eine andere Richtung ab, um wieder ein Stückchen geradeaus zu laufen, wieder abzubiegen usw., bis sie plötz- lich aus .dem Gesichtsfeld verschwinden. Manchmal sondert sich an Beobachtungen der Blutbewegung im Auge. 153 einer Biesung ein Funke aus der Mitte einer Reihe von den übrigen ab und geht seinen eigenen Weg, während die nachkommenden dem ersten in der Reihe folgen. Daraus ergibt sich , dass die Zirkulation der Leuchtfunken in bestimmten, festgelegten Bahnen verläuft. Übersehen wir das Bild dieser im ganzen, so erkennen wir ein ziemlich regelmässiges Netz- werk mit annähernd rechtwinkligen Maschen von einer Seitenlänge, die ca. 4—6mal so gross ist wie der Durchmesser der Funken. Die Ausbildung des Netzes erscheint deutlicher in der Peripherie des Gesichtsfeldes. Im Zentrum scheint es zu fehlen, denn dort kommen keine Leuchtfunken hin. Wie schon gesagt, eine derart selbständige Bewegung in vor- geschriebenen Bahnen ist korpuskulären Glaskörpereinschlüssen nicht möglich. Der Embryologe kennt nun aber ein Bild, das dem ge- schilderten entspricht, ja bis in die Einzelheiten damit übereinstimmt: das ist die Bewegung. der Blutkörperchen in den Kapillaren des Schwanzes der Amphibienlarven oder in andern embryonalen Organen. Auch im menschlichen Auge gibt es keine andere regelmässige selbständige Bewegung körperlicher Elemente als die Blutbewegung. Die Lymphe fliesst in breiten Strömen, langsam, stockend, und trägt im Auge wenig oder keine Lymphkörper. Wir haben zwei Gefässnetze, die optischen Einfluss auf die Netz- haut gewinnen können, dasjenige der Aderhaut und dasjenige der Netzhaut. Ersteres liegt nicht in der Sehlinie, kann also direkt nur wahrgenommen werden, wenn seitliches Licht durch Sklera und Chorioidea hindurch auf die Netzhaut trifft. Reflektiertes Licht aus der Chorioikapillaris muss 2mal das Tapetum nigrum passieren, wird also, um zur Netzhaut zurückzugelangen, zu stark abgeschwächt, als dass es noch eine Wirkung hervorrufen könnte. Einfacher liegen die Verhältnisse bei der Kapillaris der Retinagefässe; denn nur Kapillaren sind durchsichtig genug um die Blutbewegung darin er- kennen zu lassen. Die Blutkörperchen der Retinagefässe liegen zwischer Lichtquelle und perzipierender Retinaschicht. Es kann also nicht wunderbar erscheinen, dass sie unter günstigen Umständen wahrgenommen werden, ja, es ist im Gegenteil ein Rätsel, wie sie für gewöhnlich der Aufmerksamkeit entgehen. Anatomisch stellen sich die Netzkapillaren folgendermaassen dar: Die dicht unter der Mebran limitans interna gelegenen Arterien lösen sich in ein weitmaschiges Kapillarnetz auf, das in den innern 5A A. Bühler: Lagen der Nervenfaserschicht liest. Daraus geht hervor ein etwas engmaschigeres Kapillargebiet, das, nach aussen von ersterem gelegen, bis zur Schieht der Ganglienzellen reicht. Mit dem Aufhören der Nervenfasern- und Ganglienzellenschicht in der Gegend der Fovea centralis endigen auch die Kapillaren der Netzhaut. Die Maschen- weite schwankt zwischen 0,02—0,075. Das Kapillarrohr selbst ge- “hört zu den engsten Gefässen; seine Öffnung beträgt nicht über 7 u und kann nach der Macula lutea hin bis unter 1 « sinken. Die Kapillarwand ist elastisch. Zufluss grösserer Blutmengen unter stärkerem Druck erweitert auch die engern derselben unter Um- ständen so weit, dass sie Blutkörperchen aufnehmen können. So können eben beim Husten, Niesen, Bücken die korpuskulären Elemente des Blutes in Kapillargebiete der Netzhaut gelangen, wo sie sonst nicht hinkommen. Solche Gegenden sind die Umgebung der Macula lutea. Ihre ungewohnte Erscheinung an dieser auf scharfes Sehen eingeübten Stelle wirkt als optischer Reiz: sie erregen die Auf- merksamkeit, sie werden wahrgenommen. Daraus erklärt sich die Erscheinung der Lichtfunken bei allen Momenten, welche vorüber- gehend einen erhöhten Kapillardruck im Auge bewirken, genügenden Lichteinfall vorausgesetzt. Der Umstand, dass ich nach längerer Krankheit die Erscheinung der Lichtfunken mit auffallender und anhaltender Deutlichkeit beobachten konnte, erklärt sich ohne Schwierig- keit daraus, dass das licht- und arbeitsungewohnte Auge für schwächer differenzierte Lichtreize, wie es die Lichtfünkchen auf dem hellen Hintergrund sind, empfänglicher geworden war. Ich war dadurch in der Lage, im ganzen Kapillargebiet der Retina bis an die Peripherie des Gesichtsfeldes die bewegten Blutkörperchen zu erkennen, nur die Stelle des zentralen Sehens blieb dauernd frei davon. Mit meiner Akkommodation hatte die Erscheinung nichts zu tun. Ich habe jetzt eine Hypermetropie von ca. Ys D. und sehe die Lichtfünkchen genau: so deutlich wie seinerzeit als Emmetrop von 3 Jahren. Sie ziehen durch mein Gesichtsfeld, ob ich das Buch in der Hand oder die Wand des Nachbarhauses oder die helle Wolke betrachte. Auch farbige Gläser, rot, gelb, blau, von genügender Helligkeit haben ihre Sichtbarkeit nicht gestört. Nur erscheinen sie im blauen Licht weiss, während ihre natürliche Farbe mehr dem Gelb der Glüh- lampen entspricht. Als Besonderheiten der Bewegung sei noch erwähnt: Die Fünkehen haben Lanzett- oder Rautenform bei etwa 2—3 mal grösserer Länge Beobachtungen der Blutbewegung im Auge. 155 als Breite. Sie bewegen sich stets in der Richtung ihres längsten Durchmessers unter leichter Schlängelung vorwärts. Sie erscheinen mit überraschendem Aufleuchten im Gesichtsfeld.. Im Wandern schwankt ihre Helligkeit, und im Erlöschen entschwinden sie der Beobachtung, wenn auch manchmal für Augenblicke ein huschender Schatten an Stelle des Lichtfunkeus verfolgt werden kann. Unter Umständen umgibt ein feiner, blasser, ovaler Schattensaum den hellen Kern. Ihre scheinbare Geschwindigkeit, projiziert in die Sehweite von 25 cm, schätze ich auf Grund von Vergleichen mit dem Pendel einer Uhr auf ca. 15 em pro Sekunde. Es entsteht noch die Frage, welche Art der Blutkörperchen diese Lichterscheinungen verursacht und auf welche Weise. Die weissen Blutkörperchen kommen nicht in Betracht; sie sind viel zu wenig zahlreich, um in dieser Menge und in Ketten hintereinander das Gesichtsfeld zu durchlaufen. Das können nur die Erythrozyten. Bei den Leukozyten ist es ihrer Grösse und der rauhen Oberfläche wegen nicht denkbar, dass sie die Netzhautkapillaren mit der Ge- schwindigkeit der Lichtfünkehen passieren können. Doch auch die roten Blutkörperchen sind zu breit für die Passage der meisten Netzhautkapillaren.. Da hilft ihnen ihre Elastizität. Sie werden in einem Scheibendurchmesser komprimiert, erhalten also elliptische Form, in welcher sie sich leicht durchzwängen. Dabei nehmen sie die auch vom frischen Blutbild vielfach bekannte napfförmige Gestalt an. Dem entspricht auch ihr Lichtbild: lanzett- oder rautenförmig. Damit sie aber ein positives Lichtbild auf die empfindlichen Schichten der Netzhaut werfen können, muss noch etwas dazu kommen: Die bikonkave Erythrozytenscheibe kann kein positives Bild entwerfen, wohl aber ihre Umwandlung in eine konkav-konvexe Linse. Eine solche, etwas in die Länge gezogen, gibt genau das Bild der Lichtfünkchen. - Demnach: verdanken die Lichtfunken den roten Blutkörperchen in den Retinakapillaren ihre Entstehung. Ich will nicht unterlassen, zu bemerken, dass diese Erklärung nicht für alle Erscheinungen endoptisch sich bewegender Punkte gilt, sondern nur für diese genau charakterisierten Lichtfünkchen. Andeutungen dieser Auffassung finden sich übrigens schon im Hand- buch der gesamten Augenheilkunde von Graefe und Saemisch (1876) und in Helmholtz’ Physiol. Optik (1896) ohne genauere Angaben oder Beweisführung. Im übrigen ist die Literatur hierüber spärlich und unbestimmt, so dass ich keine sicheren Vergleichspunkte 156 A. Bühler: Beobachtungeu der Blutbewegung im Auge. mit meinen Beobachtungen finde. Vielleicht gehören die Unter- suchungen von Norton (Americ. med. Ass. 1899) und Fortin (Recueil d’Ophth. 1907/09) hier her, von deren Publikationen ich leider nicht Einsicht nehmen konnte. Aus meinen Beobachtungen ergibt sich für die kapillare Blut- zirkulation in der Netzhaut folgendes: Das Blut fliesst in gleichmässiger Strömung ohne pulsatorische Schwankungen durch die Netzhautkapillaren. Die Geschwindigkeit beträgt bis zu 0,» mm in der Sekunde. Die roten Blutkörperchen folgen dem Blutstrom, indem sie zu elastischen länglichen Näpfchen oder konkav - konvexen Linsen komprimiert werden, die unter Schlängelung und Drehungen sich durch die engen Kapillaren zwängen. Sie wirken lichtbrechend in dem Sinne, dass sie einfallendes Licht von genügender Intensität auf die tieferen, lichtempfindlichen Schichten der Retina konzentrieren. Gewohnheitsmässige Anpassung lässt . diese Lichterscheinungen in der Regel nicht zur Wahrnehmung kommen. Sie fallen nur auf dann, wenn durch irgendwelche Um- stände (Krankheit usw.) das Auge längere Zeit sich ihrer entwöhnt hatte, oder wenn durch Steigerung des Blutzuflusses in den Netz- hautkapillaren die Erythrozyten in sonst ihnen verschlossene Kapillar- gebiete gelangen. 157 (Aus dem Laboratorium für physik.-chem. Biologie der k. k. Universität Wien.) Der Thermostrom des Muskels. Gegen J. Bernstein. Von Wolfgang Pauli und Johann Matula. In diesem Archiv Bd. 164 S. 102 veröffentlicht Bernstein eine Entgegnung auf unsere Arbeit!), die hier, soweit sie eine Be- mängelung unserer Methodik betrifft, erledigt werden soll. Unsere Methode lautet in der als solche gekennzeich- neten „wörtlichen“ Wiedergabe von Bernstein: darauf die Querschnitte einige Millimeter tief in die 0,6 °/o-NaCl-Lösung eingetaucht und die Muskeln, wie beschrieben, an der Elektrode befestigt. im Original: darauf die Querschnitte einige Millimeter tief in 0,6 %/o- ige NaCl-Lösung von 60°C. ein- getaucht und die Muskeln, wie beschrieben, an den Elektroden befestigt. Wir haben also vollkommen einwandsfreie Querschnitte benützt und lehnen alle breiten Erklärungen, Folgerungen und Mahnungen, die Bernstein an seine veränderte und unvollständige Anführung unserer Worte knüpft, ab. Das Gleiche gilt für die Ableitung vom Längsschnitt, die wir nie vom Sehnenende selbst, sondern entsprechend unterhalb desselben 1) Dieses Arch. Bd. 163 S. 355. 1916. 158 Wolfgang Pauli u. Johann Matula: Der Thermostrom des Muskels. vorgenommen haben. Hier liest das Missverstehen einer schematischen Zeichnung seitens Bernstein’s vor, das sich auch in einem zweiten Falle seiner Entgegnung wiederholt. Über die anderen Darlegungen Bernstein’s kann sich jeder zuverlässige und aufmerksame Leser an der Hand unserer Abhandlung leicht ein Urteil bilden. (Aus dem physiologischen Institute der k. k. böhm. Universität in Prag.) Der allgemeine Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung der Organe durch die Tätigkeit ihres Gefässsystems. I. Förderung des Blutstromes durch aktive Beteiligung der Gefässe am arteriellen Pulse. Von Dr. Franz Mares, Professor der Physiologie. Die Lehre vom Blutkreislaufe , insbesonders die herrschende vasomotorische Theorie, galt bisher als Muster einer voll- endeten, einfach mechanischen Erklärung einer Lebensverrichtung und als Gewähr dafür, dass sich ebenso alle anderen Lebensver- richtungen werden einfach mechanisch erklären lassen. Solche Er- klärungen haben sich aber insgesamt als viel zu einfach erwiesen. _ Und so kam zuletzt auch die Lehre vom Blutkreislaufe an die Reihe, wo es sich fragt, ob nicht auch ihre scheinbare Vollendung nur ein viel zu einfaches mechanisches Schema ist, welches unmöglich die lebendige Wirklichkeit umfassen kann. Nach dieser Lehre wird die Blutströmung durch die Herzarbeit allein bewirkt, wogegen das muskulöse Gefässsystem dem Blutstrome nur Widerstände entgegensetzt, durch deren Änderung der Blutstrom an einzelne Organe ihrem Bedarfe entsprechend verteilt wird. Die Herzarbeit muss demnach als eine übermässige angenommen werden, wenn sie durch den ständigen Widerstand der muskulösen Arterien zum grössten Teile aufgebraucht wird. Der Blutstrom wird als durch die muskulösen Sperrvorrichtungen der Arterien ge- hemmt vorgestellt, so dass er bei lokaler Eröffnung der Sperre das betreffende Gebiet überflutet. Durch den Vorteil einer sehr einfacher mechanischen Anschau- lichkeit hat diese Lehre die ältere Ansicht verdrängt, wonach die Pflüger’s Archiv für Physiologie, Bd. 165. 11 160 Franz Mare:: Blutgefässe selbst auch aktiv den Blutstrom fördern, ja sogar die Gewebe Blut aus den Arterien einsaugen und in die Venen weiter- treiben. Eine „Saugkraft“ des Gewebes ist mechanisch nicht vor- stellbar, ja der Begriff selbst ist mechanisch widersinnig. Sagt man, dass durch Heben des Kolbens einer Pumpe Wasser emporgesaugt wird, so versteht man doch, dass das Wasser durch den Luftdruck emporgehoben wird. Die „Saugkraft des Gewebes“, womit es Blut anzieht, hätte kein solches materielles Mittel. Deshalb wurde eine solche mechanisch unmögliche Vorstellung als Mystizismus ab- gelehnt. Die Tatsachen jedoch, welche zur Annahme einer aktiven Förderung des Blutstromes durch die Blutgefässe oder gar einer Saugkraft der Gewebe selbst geführt haben, sind keineswegs nur wegen ihrer mechanischen Unvorstellbarkeit abzulehnen; denn die menschliche mechanische Vorstellbarkeit ist kein Maass für die Möglichkeit der Dinge selbst. Solche Tatsachen gibt es aber in Fülle. Von den älteren wollen wir hier vorläufie absehen. Die neueren Untersuchungen des Chirurgen Bier!) über den Kolla- teralkreislauf und die reaktive Hyperämie haben solche Tatsachen über jeden Zweifel erhoben. Anämisiertes Gewebe ver- schafft sich ein Übermaass von arteriellem Blutzuflusse auch durch spärliche arterielle Verbindungen, als wenn es arterielles Blut mächtig ansaugen würde. Die anämisierte Haut rötet sich intensiv nach Wiedereröffnung des arteriellen Blutzuflusses, auch wenn die Arterie frei eröffnet ist und spritzt. Das anämisierte Gewebe schöpft gleichsam arterielles Blut aus einer eröffneten Arterie, aus welcher das Blut frei herausstürzen kann; es setzt dem Blutstrome einen geringeren Widerstand entgegen als das offene Ende der Arterie. Die herrschende physiologische Lehre ist von den Pathologen als unzulänglich in Hinsicht bestimmter Kreislaufsregulationen unter pathologischen Bedingungen befunden worden. Auch hierin darf sich die Physiologie einer Belehrung von seiten der Pathologie nicht verschliessen, denn die pathologischen Kreislaufsregulationen können Fähigkeiten und Verrichtungen des peripheren Gefässsystems hervor- rufen, zu deren Entwicklung ein Tierexperiment die richtigen Be- dingungen nicht setzen kann. In dieser Hinsicht verdienen die 1) A. Bier, Entstehung des Kollateralkreislaufe.. Virchow’s Arch. Bd. 147 S. 256. 1897. = Hi Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 161 Abhandlungen von Hasebroek!) eine besondere Beachtung. Den Ausgangspunkt von Hasebroek’s Untersuchungen bildet diepatho- logische Blutdrucksteigerung. Zur Erklärung dieser Kreis- laufsregulation nimmt Hasebroek an, dass normalerweise die Beschleunigung oder Vergrösserung der Blutdurchströmung eines tätigen Organs von diesem selbst, durch seinen Eigenbetrieb bewirkt wird, das ist durch rhythmische, diastolisch-systolische Be- wegungen seines inneren Gefässsystems, wodurch Blut aus den Arterien aspiriert und in die Venen getrieben wird. Dieser Eigentrieb wirkt auf den arteriellen Blutdruck herabsetzend, wogegen das Herz und das muskulöse Arteriensystem den arteriellen Blutdruck erhöhen. Reicht der Eigenbetrieb zur nötigen Blutdurchströmung eines tätigen Organs nicht aus, so wird durch Erhöhung des arteriellen Blutdrucks von seiten des arteriellen Systems und des Herzen nach- geholfen. Ist der Eigenbetrieb dauernd geschwächt, so wird diese Nachhilfe durch Steigerung des arteriellen Blutdrucks dauernd benötigst, es kommt zur pathologischen Blutdrucksteigerung, welche zur Arbeitshypertrophie der Arterienmuskulatur und des Herzens führt. Den Betrachtungen Hasebroek’s entsprechend, wären drei die Blutströmung bewirkende Faktoren zu unterscheiden: das Herz, die Arterien und das den Eigenbetrieb bewirkende innere. Gefäss- system jedes einzelnen Organs. _ Dieser lokale Eigenbetrieb hätte die dem Organe gerade nötige Blutdurchströmung herbeizuführen. Das Herz und das allgemeine muskulöse Gefässsystem hätte den alleemeinen Blutstrom zu unterhalten, aus welchem jedes Organ selbsttätig nach Bedarf schöpfen kann. Wenn dieser Eigenbetrieb nicht ausreicht, wird durch Stärkung des allgemeinen Blutstromes nachgeholfen, so dass die den allgemeinen Blutstrom unter- haltenden Faktoren, das Herz und die Arterien, dem lokalen Blut- strombetriebe dienstbar gemacht werden. Ist der Eigenbetrieb eines wichtigen Organs (der Niere zum Beispiel) dauernd geschwächt, so wird die pressorische Mehrarbeit der Arterien und des Herzens dauernd benötigt, es kommt zur pathologischen Blutdrucksteigerung mit Hypertrophie der Arterienmuskulatur und des Herzens. Das “ 1)K. Hasebroek, Über den extrakardialen Kreislauf des Blutes usw. Jena 1914. — Die Blutdrucksteigerung vom ätiologischen und therapeutischen Gesichtspunkt. Wiesbaden 1910. 112 162 Franz MareS: Pathologische besteht hier in der Schwächung des Eigenbetriebes, die Mehrarbeit des Herzens und der Arterien bedeutet eine Adaptation und eine Kompensation jener Schwäche. Es ist nicht zu verkennen, dass in den Betrachtungen Hasebroek’s mehr Physiologie enthalten ist als in der herrschenden vasomotori- schen Theorie, welche sich in solchen Fragen in arge Wider- sprüche verwickeln müsste. Das Wichtigste wäre nun, den Eigen- betrieb der Organe nachzuweisen und mechanisch zu erklären. Dieser Frage hat Hasebroek nur allgemeine Be- trachtungen gewidmet; denn sein eigentlicher Ausgangspunkt und sein Ziel ist die pathologische Blutdrucksteigerung. So war sein Augenmerk besonders auf die pressorische, den Blutdruck erhöhende Arbeit der muskulösen Arterien gerichtet. Diese versuchte er nachzuweisen, besonders daran, dass bei der pathologischen Blutdrucksteigerung das systolische Druckmaximum erhöht wird, wo- gegen das diastolische Druckminimum zurückbleibt, so dass diese Druckerhöhung nicht auf eine peripherische, vasokonstriktorische Widerstandssteigerung bezogen werden kann, sondern auf. eine Steigerung der Triebkraft hinweist, welche sich zu der des Herz- stosses hinzugesellt. Diese additionelle Triebkraft sucht Hasebroek in einer durch den Herzstoss erreeten, peristaltisch fortsehreitenden Zusammenziehung der Arterienmuskulatur, was er besonders an Eigentümlichkeiten des Pulses in verschiedenen Arterien, an der Dikrotie, sowie an elastischen Modellen nachzuweisen sucht). Die Physiologen haben sich an der neubelebten Frage über den aktiven Anteil der Blutgefässe an der Förderung des Blutstromes zunächst mit Stillschweigen beteiligt. Das Ansehen der herrschenden Lehre gebietet so. Nur Grützner?) hat „den Mut gehabt“, zanz entschieden, entgegen der Lehre, jene Frage zu bejahen. „Ich glaube nie und nimmer“, erklärte Grützner, „dass die Muskeln der Ge- fässe und die Muskeln des Herzens einander entgegenarbeiten sollten, sondern dass sie sich im Gegenteil unterstützen, und dass in den l) K. Hasebroek, Physikalisch - experimentelle Einwände gegen die sogenannte arterielle Hypertension; zugleich ein Beitrag zur Frage der aktiven Arterienbewegung. Pflüger’s Arch. Bd. 143 S. 519. 1912. — Über die Dikrotie des Arterienpulses nach Versuchen mit ihrer künstlichen Erzeugung in elastischen Röhren. Pflüger’s Arch. Bd. 147 8. 417. 1912. 2) P. Grützner, Betrachtungen über die Bedeutung der Gefässmuskeln und ihrer Nerven. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 89 S. 152. 1906. Der allgem. Biutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 163 Gefässen selbst Kräfte tätig sind, welche unabhängig vom Herzen das Blut weitertreiben.“ Grützner bekräftigte diese Überzeugung durch die Beobachtungen von Schiff, von Legros und Onimus, von Bezold und Gscheidlen, wies zuletzt auch auf die Versuche von Bier hin, welcher die reaktive Hyperämie durch eine Wilerstandsherab- setzung in den kleinen Gefässen zu erklären suchte: Nein, die Gefässe selbst müssen tätig sein. Von klinischer Seite ist die Wirkung der Gefässe richtig erkannt: nicht Schwäche des Herzens, sondern Schwäche der Blutgefässe verursacht manche Kreislaufstörungen. „Die Gefässe, insonderheit die Arterien, aber auch die Kapillaren und Venen sind akzessorische Herzen, welche die Tätigkeit des Herzens unterstützen und nebenher die Blutverteilung besorgen.“ Dieses entschiedene Auftreten gegen eine feststehende Lehre bereitete eine gewisse Verlegenheit.e. Langendorff hat in einem seiner letzten Aufsätze ') zugegeben, dass man daran denken könnte, dass auch die kontraktilen Elemente der Gefässwand sich an der Fortförderung des Blutes beteiligen; spontane rhythmische Kon- traktionen, unabhängig vom Herzen, welche an Arterien wahrgenommen werden, legten die Annahme nahe, dass die Arterien durch ihre eigene Systole und Diastole dem Blutstrome förderlich sein möchten. — Es gibt aber auch Pathologen, welche glauben sich an die von der „Mehrzahl der Physiologen“ festgehaltene Lehre halten zu müssen, dass nämlich das Herz im wesentlichen die Vorwärtsbewegung, die Gefässmuskeln im wesentlichen die Ver- teilung des Blutes versorgen (Strassburger). Zuletzt ist einer der Berufensten auf die Frage geführt worden, ob das Gefässsystem überhaupt: den Blutstrom fördert und somit als eiu Hilfsorgan des Herzens aufzufassen ist. K. Hürthle?) fand nämlich bei seinen Versuchen, die Beziehungen zwischen Blutdruck, Blutstrom und Gefässwiderstand messend festzustellen, dass beim normalen Pulse am Beginn der Drucksenkung die registrierte Strom- geschwindigkeit grösser ist, als dem (Herz) Drucke entsprechen würde, Da diese typische Abweichung physikalisch-mathematisch ’ 1) 0. Langendorff, im Lehibuch der Physiologie von Loewy und Zuntz S. 394. 1909. 2) K. Hürthle, Über die Beziehungen zwischen Druck und Geschwindig- - keit des Blutes in den Arterien. Pflüger’s Arch. Bd. 147 S. 525. 1910. 164 Franz Mares: nicht erklärt werden kann, muss man, sagt Hürthle, an die Möglichkeit einer physiologischen Ursache denken. „Nun wird von klinischer Seite den Arterien eine aktive Einwirkung auf die Be- wecung des Blutes zugeschrieben, die man sich meist als eine peristaltische, durch die Druekschwankung ausgelöste Welle vorstellt. In der Tat könnte das Anschwellen der diastolischen Stromstärke in bequemer Weise aus einer solchen Tätigkeit erklärt werden, man müsste nur annehmen, dass stromabwärts vom untersuchten Quer- schnitt eine neue Kraft in Form einer peristaltischen Welle auftritt, welche zu der des registrierten Drucks hinzukommt. Es fragt sich nur, ob die Hypothese so ausreichend begründet ist.“ Hürthle hat also die bisher für diese Hypothese vorgebrachten Gründe einer Prüfung unterzogen!). Schon Volkmann habe diese sehr alte Vorstellung mit guten Gründen widerlegt. Die Be- obachtungen von Legros und Onimus enthielten keinen Beweis einer physiologischen Peristaltik der Arterien, nachdemdieWirkung der gefässerweiternden Nerven festgestellt worden ist. Die Versuche von v. Bezold und Gscheidlen seien keine Stütze für die Annahme lokomotorischer Triebkräfte des Gefässsystem, dass nämlich ein sehr beträchtlicher Teil der bei der Zusammenziehung der kleinen Gefässe verwandten Muskelkraft zum Vorwärtsschieben des Blutes verwandt wird; denn ihr Ergebnis lasse sich aus einer reflektorischen Gefässerweiterung erklären. Hürthle’s Prüfung ist allzu streng. Besonders die letztere Untersuchungen, welche auch Grützner für beweisend hielt, er- regen weniger Bedenken als die dagegen vorgebrachten Einwände. Die Überführung von Blut aus den Arterien in die Venen nach dem letzten Herzschlage scheint doch eher durch Zusammenziehung als durch Erweiterung der kleinen Gefässe zustande zu kemmen. Es ist jetzt gerade die Frage, ob die „Gefässerweiterung“ ein die Blut- strömung fördernder Faktor ist, oder — umgekehrt? Zuletzt unterzieht Hürthle die Versuche von Hasebroek, die aktive Beteiligung der Arterien am Pulse zu erweisen, einer ab- lehnenden Besprechung. Die Annahme, dass die Arterien auf die pulsatorische Dehnung mit einer Kontraktion reagieren, könne, meint Hürthle, durch den Versuch von Bayliss nicht begründet werden, 1) K. Hürthle, Ist eine aktive Förderung des Blutstromes durch die Arterien erwiesen? Pflüger’s Arch. Bd. 147 S. 582. 1912. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 165 weil die von Bayliss beobachteten Arterienkontraktionen einen viel zu trägen Verlauf nehmen, so dass sie im Verlaufe eines Puls- schlages ihre Wirkung nicht entfalten können. Neuerdings fügte Hürthle!) noch hinzu, die Angabe von Bayliss habe sich bei der Nachprüfung durch von Anrep nicht als richtig erwiesen. v. Anrep°) berichtet jedoch, dass er die von Bayliss be- schriebenen Tatsachen vollständig bestätigen kann, bezieht aber die auf eine durch Drucksteigerung hervorgerufene Erweiterung erfolgende Kontraktion der Arterien aufeine Adrenalinwirkung, da dieselbe nach Abbindung der Nebennieren ausbleibt. Das Adre- nalin hat für die Tätigkeit der Blutgefässe eine besondere Bedeutung. Hasebroek hat die nach Adrenalinwirkung eintretende Erhöhung des pulsatorischen Druckmaximums und die Vergrösserung der Druck- amplitude für eine Bestätigung der aktiven Arterienmitarbeit am Pulse angesehen. Hürthle hat dagegen eingewendet, dass das nicht ohne weiteres einer sekundären in den Arterien auftretenden Kraft zugeschrieben werden kann; es müsste erst festgestellt werden, ob das nicht von einer Änderung der Elastizität der Aortenbahn, näm- lich einer Verminderung der Dehnbarkeit, herrührt, die sehr wahr- scheinlich unter der Adrenalinwirkung entsteht und zu einer Ver- erösserung der Druckschwankung führen muss. Wenn es auf Wahrscheinlichkeit ankommt, so dürfte das Adre- nalin eher die Kontraktilität der Arterienmuskulatur begünstigen als die Elastizität der Aortenbahn vergrössern. Über die Versuche Hasebroek’s an elastischen Schläuchen sagt Hürthle, dass durch dieselben in keiner Weise entschieden wird, ob die „klinische Blutdrucksteigerung“ tatsächlich durch eine Arterienkontraktion ver- aulasst wird oder auf andere Weise entsteht. Durch diesen Einwand wird man aber daran erinnert, auf welche Weise entschieden worden ist, dass die Arteriensmuskulatur sich an dem Pulse aktiv gar nieht beteiligt. Hürthle fasste das Ergebnis seiner Prüfung in den Worten zusammen, das keine einzige von den angeführten Beobachtungen oder Überlegungen einen Beweis für eine aktive Förderung des Blutstromes durch die Blutgefässe enthält: Die An- 1) K. Hürthle, Untersuchungen über die Frage einer Förderung des Blutstromes durch die Arterien. Pflüger’s Arch. Bd. 162 S. 302. 1915. 2) G. v. Anrep, On the part played by.the suprarenals in the normal vascular reactions of the body. The Journ. of Physiol. vol. 45 p. 310. 1912. 166 Franz Mares: nahme einer aktiven Einwirkung der Gefässe auf die Bewegung des Blutes ist daher eine unbewiesene Hypothese. | Wem die eigentliche Absicht Hürthle’s verborgen bliebe, der könnte dessen Urteil als eine „vernichtende Kritik“ der Hypothese von der Beteiligung der Blutgefässe an der Förderung des Blut- stromes auffassen und sich zum Verwerfen einer „unbewiesenen Hypothese“ verleiten lassen. Hürthle’s Absicht ist aber, auf den Wege des Zweifelns zur Gewissheit zu gelangen. Er sucht einen unzweifelhaften Beweis, welcher die Hypothese zu einer Tatsache erheben würde. Denn davon hängt der Fortschritt seiner eigent- lichen Aufgabe ab. Diese ist, die Beziehungen zwischen Blutdruck, Widerstand und Stromgeschwindigkeit messend festzustellen. Dazu hat er die Beobachtungszeit so weit gekürzt, dass eine Änderung des Gefässlumens während derselben als ausgeschlossen oder doch unwesentlich gelten kann, und dachte dies von der Zeit eines Puls- schlages annehmen zu können. Ändert sich aber sogar auch die Triebkraft während eines Pulsschlages durch die aktive Beteiligung der Arterie, dann erscheint die Aufgabe fast zur Unlösbarkeit ver- wickelt. Eine einfache Mechanik der Blutströmung wäre dann ‚überhaupt unmöglich. Deshalb braucht Hürthle Gewissheit in dieser Sache und kann sich hier mit keiner Hypothese begnügen, soll er seine eigentliche Aufgabe nicht aufgeben. Dieser Grund besteht aber für andere nicht. Ein direkt nicht zu beobachtendes Verhältnis, wie das der aktiven Beteiligung der Arterien aın Pulsschlage, kann doch durch verschiedene Erscheinungen nahegelegt werden, von welchen keine für sich allein beweisend ist, welche aber insgesamt einen festen Grund zu einer Hypothese aus- machen. So kann eine unbewiesene Hypothese doch sehr gut begründet sein. Und bewiesene Hypothesen gibt es über- haupt nicht. Den besten Grund für die Annahme einer aktiven Beteiligung “ der Arterien am Pulse bringt Hürthle selbst vor: diesystolische Schwellung des Blutstromes, das ist sein starkes Anschwellen über den berechneten Wert. Neuestens unterzieht Hürthle die systolische Schwellung einer überaus gründlichen Analyse durch Vergleichung der Beziehung zwischen Druck und Stromstärke bei rhythmischen Druckschwankungen in einem mechanischen Schema der arteriellen Bahn und in den lebenden Arterien des Hundes. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 167 Das Ergebnis ist, dass in den lebenden Arterien die registrierte Stromstärke, in der Umgebung des Gipfels der Druckkurve, um 12 bis 47 °/o grösser ist als die berechnete, wogegen im mechanischen Schema die Abweichung sehr gering ist. Weiter ergab sich, dass die systolische Schwellung bei der Kruralis grösser ist als bei der Karotis, und dass in der lebenden Blutbahn der Widerstand mit steigendem Drucke abnimmt. Hürthle führt nun die Frage der systolischen Schwellung in der arteriellen Blutbahn zur Entscheidung: Es bleiben nur die beiden Möglichkeiten übrig; entweder beruht die systolische Schwellung auf einer unbekannten physikalischen Eigenschaft der Blut- bahn, oder ist ihre Ursache eine physiologische. Die Ent- scheidung zwischen diesen Möglichkeiten erwartet er auf Grund dieser Überlegung: Ist die systolische Schwellung in physikalischen Eigenschaften der Bahn begründet, so wird sie auch bei künstlicher Durchströmung der Gefässe am toten Tier oder nach Lähmung der Gefässe am lebenden zum Vorschein kommen; entsteht sie aber unter aktiver Mitwirkung der Gefässwand, so wird sie bei den eben genannten Versuchen verschwinden und unter dem Einfluss gefäss- erregender Mittel eine Verstärkung erfahren. Die Entscheidung fiel zugunsten einer physiologischen Ur- sache der systolischen Schwellung aus. Sie verschwindet nach Lähmung der Gefässe und nach deren Absterben. Unter der Wirkung des Adrenalins entsteht eine ausgesprochene Steigerung der systolischen Schwellung derart, dass der diastolische Strom auf Null sinkt oder gar rückläufig wird und der gauze Strom auf den systolischen Teil des Pulses beschränkt erscheint. Man möchte meinen, dass also durch diese Versuche für eine physiologische Ursache der systolischen Schwellung entschieden ist. Hürthle selbst aber kann sich dafür noch nicht entscheiden: Da eine physikalische Grundlage der systolischen Schwellung nicht gefunden wurde, deshalb wird eine physiologische Ursache als möglich angenommen; sie besteht vielleicht in einem aktiven Eingreifen der Arterienwand in Form einer peristaltischen Welle, welche entweder durch systolische Energieentwicklung oder systolische Herabsetzung des Widerstandes wirken kann. Hürthle lässt demnach die Möglichkeit einer physiologischen Ursache nur deshalb zu, weil keine physikalische gefunden wurde. Dieser Standpunkt wäre berechtigt, wenn die Arterien inerte Schläuche 168 Franz Mares: wären. Sind es aber muskulöse Organe, so ist eine motorische Wirkung innerhalb derselben, wie es die systolische Schwellung des Blutstromes ist, in erster Linie auf ihre motorische Wirksamkeit zu beziehen und erst, wenn diese ausgeschlossen wäre, an eine un- bekannte physikalische Ursache zu denken. Ein Beweis, dass sich die Gefässmuskulatur an der pulsatorischen Förderung des Blut- stromes gar nicht beteiligt, ist niemals auch nur versucht worden. Das wird nur auf Grund der herrschenden vasomotorischen. Theorie behauptet und angenommen. Gegen die aktive Beteiligung der Arterieimmisknlauie am Pulse besteht nur ein Einwand, dass nämlich ihre Kontraktion zu langsam ist. Man müsste, sagt Hürthle, der glatten Muskulatur der Arterien eine Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung von einer Grösse zuschreiben, wie wir sie bei den glatten Muskeln der Vertebraten bisher nicht kennen. Wenn wir aber, fährt Hürthle fort, die fortschreitende arterielle Druckschwankung als auslösende Kraft der Reaktion der Muskularis betrachten, müssen wir eine Latenzzeit von höchstens 0,05 Sekunden annehmen, also von wenigstens zehnmal geringerer Dauer, wie sie bei diesen Muskeln bekannt ist. Aller- dings können wir vorläufig annehmen, schliesst Hürthle, dass die Gefässmuskeln der Warmblüter die von der Hypothese geforderten Eigenschaften besitzen, sind aber zu ihrem Nachweis verpflichtet. Vorläufig ist er nicht erbracht. | Die Verpflichtung zu einem Nachweise erscheint hier ziemlich unbestimmt, weil der Gegenstand desselben schwankend ist. Wird die pulsatorische Kontraktion der Arterienmuskulatur von der dureh den Herzstoss bewirkten Pulswelle als Reiz erregt, so pflanzt sich hier entlang der Arterien mit grosser Geschwindigkeit der Reiz fort, nicht aber die Erregung in der Arterienmuskulatur. Die Latenzzeit, auf welche nur es dann ankäme, kann bei direkter Reizung durch den adäquaten Reiz, als welcher hier der Stoss der arteriellen Pulswelle zu betrachten wäre, viel kürzer sein als die bei künst- licher Reizung der glatten Muskeln bekannte. Die Zeit, welehe von einem momentanen Lichtreize bis zum Beginne der Pupillenkontraktion verstreicht, ist, nach Garten!) kaum 0,5 Sekunden, worin auch die Reflexzeit einbegriffen ist. Bei direkter Reizung der isolierten, 1) S. Garten, Beiträge zur Kenntnis des zeitlichen Ablaufes der Pupillar- reaktion nach Verdunklung. Pflüger’s Arch. Bd. 65 S. 81. 1897. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 169 atropinisierten Iris durch Licht erfolgt, nach Guth'), eineprompte Kontraktion. So prompt könnte auch die Arterienmuskulatur auf den Reiz der Pulswelle reagieren, und man könnte den Nachweis dieser geforderten Eigenschaft gerade in der Tatsache der systolischen Schwellung erblicken, denn Eigenschaften werden den Wirkungen gemäss beigemessen. Hürthle verlangt einen evidenten Nachweis. Vergebens versuchte er pulsatorische aktive Schwankungen des Durchmessers der kleinen Arterien und Kapillaren im Froschmesenterium zu sehen und kinematographisch nachzuweisen. Die Frage einer aktiven Be- teiligung am Pulse bezieht sich jedoch auf Arterien, in welchen die systolische Schwellung nachweisbar ist, und hierin finden sich Unter- schiede schon bei den grossen Arterien, der Kruralis und der Karotis. Möglicherweise werden nicht alle Arterien in gleichem Maasse zur aktiven Beteiligung am Pulse herangezogen und einzelne von ihnen vielleicht nur dann, wenn eine Förderung des Blutstromes in ihrem Verzweigungsgebiete benötigt wird. Dabei müssten aktive Änderungen des Durchmessers der zugehörigen kleinen Arterien und Kapillaren gar nicht hervortreten und wären auch kein Beweis für die pulsa- torische Tätigkeit der zuführenden Arterien, durch welche die Blut- strömung verstärkt wird. Ähnlich verhält es sich mit den Versuchen, Aktionsströme an Arterien als Anzeichen ihrer Aktivität beim Pulse nachzuweisen. Die an Arterien beobachteten Ströme sind, nach den letzten Unter- suchungen von Blumenfeldt?), physikalische Strömungsströme. Aktionsströme an glatten Muskeln sind besonders von Fuchs?) an dem Rüsselretraktor von Sipuneulus, einem langen, aus sehr schmalen, in der Längsrichtung angeordneten Muskelfasern bestehenden Muskel , und von Brücke‘) an dem Retractor penis des Hundes, einem dünnen Bande longitudinal geordneter, glatter Muskeln, nach- gewiesen. Bei Ableitung von zwei Stellen der Längsachse einer 1) E. Guth, Untersuchungen über die direkte motorische Wirkung des Lichtes auf den Sphincter pupillae. Pflüger’s Arch. Bd. 85 S. 126. 1901. 2) E. Blumenfeldt, Experimentelle Untersuchungen über die Natur der pulsatorischen Gefässströme. Pflüger’s Arch. Bd. 162 S. 390. 1915. 3) R. F. Fuchs, Die elektrischen Erscheinungen an glatten Muskeln. Pflüger’s Arch. Bd. 136 S. 65. 1910. 4) E. Th. v. Brücke, Beiträge zur Physiologie der autonom innervierten Muskulatur. Pflüger’s. Arch. Bd. 133 8. 313. 1910. 170 Franz Mare:: Arterie dürften kaum die Aktionsströme ihrer Ringmuskulatur zum Vorschein kommen. Der beste Nachweis einer Muskeltätigkeit ist ihre motorische Wirkung; und das ist die systolische Schwellung des Blutstromes beim Pulse. Die systolische Schwellung müsste auch in einer Vergrösserung der Durchflussmenge zutage treten. Nach älteren Versuchen von Hamel fördert das Gefässsystem der Hinterbeine des Frosches bei rhythmischer, künstlicher Durchströmurg mehr Flüssiekeit als bei kontinuierlicher. Hürthle hat die Richtigkeit dieser Versuche, welche eine Hauptstütze der Hypothese für die neueren Forscher waren, in Zweifel gezogen. Auf seine Veranlassung wiederholte Schäfer!) diese Versuche und fand die Angabe Hamel’s nicht bestätigt, Die Ausflussmengen waren gleich, wenn die einwirkenden Mitteldrucke gleich waren. Nur bei Anwendung gefässerregender Mittel war der rhythmische Druck bedeutend überlegen. So fand Schäfer?) insbesonders, dass bei Adrenalin-, Pituitrin-, Digitalis- einwirkung. die Stromstärke zwar auf die Hälfte der normalen ab- nimmt, dass jedoch unter rhythmischem Drucke die Durchflussmenge um 30—40 Jo grösser ist als unter konstantem. Diese Mittel haben also neben der bekannten vasokonstriktorischen Wirkung auch einen die rhythmische Strömung fördernden Einfluss. Eine Er- klärung der fördernden Wirkung des Pulses bei Anwendung dieser Mittel kann zurzeit, sagt Schäfer, nicht gegeben werden. Es sei zwischen zwei Möglichkeiten zu entscheiden: ob unter der Wirkung des Pulses eine Abnahme des Widerstandes in der durch- strömten Bahn erfolgt, oder ob in den Arterien eine Kraft ausgelöst wird, welche die vom Herzen aufgebrachte unterstützt. Hürthle hat zur Erklärung der Adrenalinpulse dieselbe Alter- native gestellt. Die kleinsten Gefässe sind verengt: Unter dem Einfluss der Systole erfolgt dann entweder eine aktive Erweiterung der kleinsten Gefässe, deren Folge eine wesentliche Beschleunigung des Stromes ist, oder die hypothetische peristaltische Welle des Arteriensystems schafft während der Systole einen solchen Energie- 1) F. Schäfer, Vergleichung der beim konstanten und rhythmischen Druck durch die Hinterbeine des Frosches getriebenen Flüssigkeitsmengen. Pflüger’s Arch. Bd. 151 S. 97. 1913. 2) F. Schäfer, Der Einfluss gefässerregender Mittel auf die bei konstantem und rhythmischem Druck durch die Hinterbeine des Frosches getriebenen Flüssigkeitsmengen. Pflüger’s Arch. Bd. 162 S. 378. 1915. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 171 zuwachs, dass der diastolische Widerstand überwunden wird. Öder es laufen beide Vorgänge nebeneinander ab. Die Annahme einer Widerstandsherabsetzung scheint mechanisch viel einfacher zu sein als die einer Vermehrung der Triebkraft durch die hypothetische peristaltische Welle des Arteriensystems. In Wirklichkeit aber ist jene in viel höherem Grade hypothetisch. Denn eine aktive Erweiterung der kleinen Gefässe ist ein mechanisches Rätsel, wogegen die peristaltische Kontraktionswelle der Arterienmuskulatur so ziemlich auf der Hand liest. Es ist aber beides zugleich möglich: eine aktive Erweiterung des Gefässsystems vor der systolischen arteriellen Blutwelle und eine aktive Zusammenziehung nach derselben. Die Frage einer aktiven Gefässerweiterung erfordert aber eine besondere Untersuchung. Neuestens hat sich Hess!) gegen ein aktive Förderleistung der Arterien ausgesprochen. Er bespricht zunächst Hürthle’s „systolische Schwellung“, für welehe Hürthle die Möglichkeit einer physio- logischen Ursache zulässt. Hess meint dagegen, dass diese Er- scheinunge doch zu Lasten bekannter physikalischer Faktoren zu legen sei. Das sei besonders die durch die pulsatorische Druck- steigerung bewirkte Gefässerweiterung, wodurch die Abflussverhältnisse ausserordentlich bezünstigt werden. Der Einfluss der Arterienwandung auf die Blutströmung, der auch ohne aktive Förderleistung sicher besteht, wird, nach Hess, durch die ausserordentliche Abhängigkeit des Strömungswiderstandes vom Gefässunfang vermittelt. Diese Abhängigkeit, nicht eine aktive Förderleistung der Arterienwand, unterwirft den Blutstrom dem Einfluss der durchbluteten Arterie. Hess erörtert weiter die Frage, wie überhaupt in einem Röhrensystem einseitig gerichtete Flüssiekeitsströmung aktiv erzeugt werden kann. Eine allfällige Arbeitsleistung der Arterienwand muss stets mit einer rhythmischen Druck- und Querschnittsänderung ein- hergehen. Dabei kann ein einseitig gerichteter Strömungsantrieb nur entstehen, wenn in der anderen Richtung ein Strömungshindernis eingeschaltet ist. Ein solches Hindernis bilden die Semilunarklappen der Aorta für das gesamte stromwärts liegende Arteriengebiet. Da- bei müsste aber auch das Druckgefälle nach der Peripherie hin erhöht werden, also eine vorwiegend von den zentralen Arterien geleistete Drucksteigerung. I) W. R. Hess, Die Arterienmuskulatur als „peripheres Herz“? Pflüger’s Arch. Bd. 163 S. 555. 1916. 172 Franz MareS: " Aus diesen Erörterungen leitet Hess zunächst den Satz ab, dass es im Arteriensystem nur dort zu einem Strömungsantrieb kommen kann, wo erhebliche rhythmische Querschnittsschwankungen auftreten; denn nur dort sind die Grurdbedingungen für eine Arbeits- leistung und ihre Umsetzung in Strömung erfüllt. Damit fallen, folgert Hess, die peripheren Abschnitte der Arterienbahn für einen Strömungsantrieb von vornherein ausser Betracht, weil an den feinen Arterien nichts von ausgeprägten rhythmischen Querschnitts- schwankungen zu sehen ist. Als allfällig arbeitende Arterien kämen also, nach Hess, nur die mittleren und grossen in Frage, welche die geforderten Querschnittsschwankungen tatsächlich zeigen; es müsste nur erwiesen werden, dass diese nicht rein passiv durch den Herzpuls hervorgerufen werden, sondern aktiv erfolgen. Diese schwierige Frage versuchte nun Hess durch ein Experiment an der Karotis des Kaninchens zu lösen, indem er die passiven, von der Herzaktion hervorgerufenen Pulsationen durch Verstopfung der Arterie gegen das Herz zu eliminierte und das Volum des so ab- gesperrten, mit arteriellem Blut gefüllten Arterienabschnittes sehr genau registrierte, so dass unter solehen Bedingungen eine normale Reaktion der Arterienwand nicht mehr verborgen bleiben konnte. u: Es war aber keine Spur von Volumschwankungen, welche eine Aktion der Arterienwand anzeigen würden, zu entdecken. Aktive Pulsation der Gefässwand blieb auch in jenem Falle aus, wenn der Arterienabschnitt einer Druckschwankung ausgesetzt wurde Hess schliesst also mit der Frage: Sollen wir nun trotz diesen unbedingt negativen Resultaten der Arterienmuskulatur die Fähigkeiten zu einem aktiven Strömungsantriebe zuschreiben ? Diese Frage bedeutet ein verstärktes Nein. Hess hält sich dazu für berechtigt, da in den beschriebenen Experimenten der Arterie alle wesentlichen Bedingungen für die Erhaltung der normalen Reaktionsfähigkeit erfüllt waren. Dass hier auch keine Andeutung einer Reaktion sich bemerkbar : machte, erscheint Hess nur be- greiflieh, wenn eben der Arterie eine solche Arbeitsleistung über- haupt fremd ist. Einer solchen Yerallgementeneue eines negativen Befundes ist schwer unbedingt beizustimmen, unbeschadet der Tatsache, dass in diesen Experimenten der untersuchte Arterienabschnitt keine Reaktion gezeigt hat. Es können wohl wesentliche Bedingungen für die Er- haltung der normalen Re lem us sent erfüllt gewesen sein, Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 173 es fehlte aber vielleicht gerade die Bedingung, unter welcher die Reaktion ausgelöst werden würde. Die Arterie wurde präpariert, aufgeschnitten, mit festen Fremdkörpern gefüllt. Es fehlte in der- selben die pulsatorische Strömung arteriellen Blutes. ‘Wenn angenommen wird, dass gerade die pulsatorische Strömung den Reiz zur pulsatorischen Reaktion der Arterie abgibt, so fehlte hier eigent- lich die wesentlichste Bedingung einer Reaktion. Es ist äussert schwer die pulsatorische Reaktion der Arterie neben dem Herzpulse nachzuweisen; ebenso schwer aber ist es, dieselbe durch ihr Aus- bleiben nach Ausschliessung des Herzpulses zu widerlegen. Wenn die Arterien durch den Herzpuls ausgedehnt werden, wie Hess zur Erklärung der „systolischen Schwellung“ annimmt, so könnte durch .eine aktive Kontraktion der Arterie auf ihren ur- sprünglichen Umfang Arbeit geleistet werden, wodurch die Puls- strömung verstärkt werden kann. Erhebliche, sichtbare Quer- schnittsänderungen sind zu einer Arbeitsleistung nicht unbedingt notwendige. Eine grosse Arbeitsleistung kann auch auf einem sehr kurzen Wege geleistet werden, wenn die Kraft gross ist. Die Ring- muskulatur der Arterien, vom Querschnitt zum Querschnitt fort- schreitend, stellt eine sehr beträchtliche Kraft dar. Deshalb erscheint es auch nicht notwendig, die peripheren Abschnitte der Arterienbahn für einen Strömungsantrieb von vornherein ausser Betracht zu setzen. Die Frage, ob sich ‘das Gefässsystem überhaupt an der Förderung des Blutstromes durch die Organe beteiliet oder nicht, muss von allen zugänglichen Seiten in Angriff genommen werden, bevor eine entscheidende Antwort zu geben ist. Wir werden in der nächsten Abhandlung bekannte rhythmische Bewegungen des peripheren Gefässsystems in dieser Richtung untersuchen. Es ist wohl möglich, ja vielleicht gar wahrscheinlich, dass die pulsatorische Mitwirkung der Arterien an der Förderung des Blut- stromes nicht allgemein und andauernd ist, sondern erst dann hervor- tritt, wenn die Ansprüche eines oder mehrerer Organe an die Blut- durehströmung sehr gesteigert sind. Während der Ruhe könnte die Herztriebkraft zur Unterhaltung des allgemeinen Blutstromes genügen. Tatsächlich pulsieren die Arterien, ja die gesamten inneren Ge- fässe bestimmter Organe bei intensiver Tätiekeit derselben auffallend stark. Die aktive. Förderung des Blutstromes durch: die Blutgefässe betrifft vielleicht nicht so sehr den allgemeinen Blutstrom als vielmehr die Blutdurchströmung der einzelnen Organe je nach ihrem 174 Franz Mare®: Bedarfe. Die Blutverteilung, welche man den Arterien als Funktion zuschreibt, würde demnach nicht nur durch tonische Kontraktionszustände der Arterienmuskulatur als Sperrvorrichtungen bestimmt sein, sondern besonders auch durch rhythmische Kontrak- tionen derselben bewirkt werden. Demnach könnte man erwarten, dass die pulsatorische aktive Mitwirkung der Gefässe besonders in solehen Organen hervortreten könnte, welche auf grosse Änderungen der Blutdurehströmung eingerichtet sind, wie zum Beispiel die Unter- kieferdrüse, das Gehirn, die Niere usw., wo besonders auch das Gefässsystem für sich abgeschlossen ist. Die Hinterbeine des Frosches scheinen inbezug auf die Blutdurchströmung ziemlich indifferent, weshalb vielleicht die Mitwirkung ihrer Gefässe an der Blutdurch- strömung erst bei Anwendung gefässerregender Mittel nachweisbar ist. Auf Grund dieser Überlegung hat Dr. Hubert Hühne in diesem Institute Durchströmungsversuche an der überlebenden Säuge- tierniere durchgeführt, mit dem Ergebnisse, dass ihre Durch- spülung mit Locke’scher Lösung mittels rhythmischer Druckstösse eine bedeutend grössere Durchflussmenge ergibt als die unter konstantem Drucke, welcher dem Mittelwerte der Druckstösse gleich ist. Dies aber nur so lange, als das Organ überlebt. Der Unterschied schwindet allmählich und kann sich zuletzt zugunsten des konstanten Druckes umkehren. Die Arbeit von Hühne folgt. Die Frage, ob die Blutgefässe sich an der Förderung des Blut- stromes aktiv beteiligen, scheint in dieser allgemeinen Fassung nicht richtig gestellt zu sein. Die Blutgefässe können den Blutstrom aktiv fördern oder auch nicht, je nach Bedarf. Zur Orientierung würde sich vielleicht die folgende Unterscheidung empfehlen. Der allgemeine Blutstrom wird durch die Herzarbeit bewirkt, das Herz bestimint auch die unabänderliche Richtung des Stromes. Die Blutgefässe tragen zur Aufrechterhaltung des allgemeinen Blut- stromes zunächst dadurch bei, dass sie das allgemeine Strombett regulieren und den allgemeinen arteriellen Blutdruck auf einer ziemlich konstanten mittleren Höhe erhalten. Diese Reeulierung des allgemeinen Blutstromes besteht in wechselnden tonischen Kontraktionszuständen der Gefässmuskulatur, deren Koordi- nation durch das zentrale Nervensystem besorgt wird. Das ist der eigentliche Inhalt der herrschenden vasomotorischen Theorie, deren Mittelpunkt der arterielle Blutdruck gebildet hat. Diese Theorie wird jedoch nicht nur auf den allgemeinen Blut- Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 175 strom bezogen, sondern sie wird auch als eine Erklärung der Blut- durehströmung einzelner Organe je nach deren Bedarfe angenommen. Hierin aber musste sich die Theorie als unzureichend erweisen. Denn ihr allgemeines Schema ist der Regulierung des allgemeinen Blutstromes angepasst und kann deshalb den besonderen Blutdurch- strömungsverhältnissen verschiedener Organe nicht entsprechen. Ein Organ, dessen Tätigkeit mit einem intensiven Sauerstoffverbrauch verbunden ist, bedarf einer besonders gesteigerten Durchströmungs- geschwindigkeit des Blutes. Ein anderes, dessen Tätigkeit in einem massenhaften Stoff- oder gar Wärmeaustausch ohne dringendes Sauerstoff-Bedürfniss besteht, bedarf einer Vermehrung der strömenden Blutmenge viel mehr als einer Steigerung der Geschwindigkeit des Stromes. Diese bisher wenig beachteten Unterschiede in der Blut- durchströmung verschiedener Organe, auf welche wir noch besonders zurückkommen werden, können nach dem allgemeinen Schema der herrschenden vasomotorischen Theorie nicht nur nicht erklärt werden, sondern die Theorie sieht sich hierin in unlösbare Wider- sprüche verwickelt. Die Regulierung der Blutdurchströmung eines Organs muss der Betätigungsweise und dem Bedarfe des Organs entsprechen und des- halb von dem Organe selbst ausgehen, Es ist nun gerade die Frage, ob sie auch von dem Organe selbst, durch seine eigenen Kräfte aus- geführt wird: das ist die Erage des autonomen Eigenbetriebes der Blutdurchströmung durch die Organe und ihr eigenes Gefäss- system. Die herrschende vasomotorische Theorie bürdet die Mehrarbeit, welche mit der gesteigerten Blutdurehströmung der Organe verbunden ist, dem Herzen auf, und zwar andauernd, so dass es diese Mehrarbeit auch während der allgemeinen Ruhe zu leisten. hätte, wo sie durch den Widerstand der Gefässe unnütz aufgebraucht werden würde. Jede Theorie, welche zur Besorgung lokaler, besonderer: Bedürfnisse allgemeine, das Ganze betreffende Maassregeln annimmt, führt ins Pathologische. ! Zur: Unterhaltung des allgemeinen Blutstromes bedarf es, unter ruhigen Kreislaufsverhältnissen, vielleicht keiner aktiven Förde- rung desselben durch die Tätigkeit des allgemeinen Arteriensystems. Wohl ist aber eine solche Förderung durch das Venensystem, von den Körperkapillaren zum rechten Herzen anzunehmen. Wie mächtig diese Förderung sein kann, das zeigt ein schon von Harvey an- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 12 176 Franz Mares: gestellter und ‚seitdem vergessener Versuch. Wird bei einem Frosche ddas Herz, ohne Blutverlust, entblösst und der Truneusarteriosus unterbunden , so füllt sich das Herz allmählich prall mit Blut, das herauszutreiben es sich vergeblich durch immer häufigere Systolen anstrengt. Trotz des im Herzen immer mehr ansteigenden Druckes füllt es sich immer mehr, bis es gleichsam zu bersten droht. Mit soleher Gewalt wird Blut in das Herz hineingepresst. Eine eben- solche Überfüllung des Herzens mit Blut kommt zustande, wenn man den Frosch in eine Kohlensäureatmosphäre bringt. Da schwächen sich die Herzsystolen allmählich ab, bis sie ganz aufhören. Das Herz füllt sich aber immer mehr mit schwarzem Blut; so dass der Körper nahezu in sein Herz verblutet. Das sauerstofflose und mit Kohlensäure beladene Blut wird also mächtig von den Kapillaren und Venen zum Herzen getrieben. Die Förderung des allgemeinen Blutstromes durch das Arterien-. system erscheint nicht immer erforderlich; sie wird aber zweifellos benötigt, wenn es auf die Steigerung der Blutdurehströmung tätiger Organe ankommt. Diese Steigerung kann durch die Tätiekeit des eigenen Gefässsystems jedes Organs. bewirkt. werden und zwar in der jedem Organe entsprechenden Weise. Diese Spezialarbeit der gesteigerten Blutdurchströmung eines tätigen Organs wird von der herrschenden vasomotorischen Theorie dem Herzen aufgebürdet, welches demnach dauernd eine grössere Arbeit leisten müsste, als zur Unterhaltung des allgemeinen Blutstromes erforderlich wäre, welche Mehrarbeit aber im Ruhezustande durch den -Gefässwider- stand ohne Nutzen für den Blutkreislauf aufgebraucht werden würde. : Diese Spezialarbeit der lokalen Förderung des Blut- stromes in einem tätigen Organe kann seinem Bedürfnisse ent- sprechend von seinem eigenen Gefässsysteme geleistet werden, indem sich dessen Gefässmuskulatur am Pulse stärker aktiv beteiligt, oder indem das gesamte innere Gefässsystem des Organs eigene, vom Herzstosse unabhäneige rhythmische Bewegungen von ver- schiedenem Rhythmus und verschiedener Amplitude ausführt. Durch schnelle, pulsatorische Bewegungen von kleiner Amplitude würde das Gefässsystem wesentlich zur Steigerung der Durchströmungs- geschwindigkeit des Blutes im Organe beitragen. Tatsächlich erfolgt eine pulsatorische Blutstrombeschleunigung in Organen, deren Tätig- keit an eine gesteigerte Sauerstoffzufuhr gebunden ist, wie es Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 177 besonders bei der Unterkieferdrüse zutage tritt, und auch beim Gehirn und bei der Niere wahrscheinlich ist. Langsame rhythmische Bewegungen des Gefässsystems von grösserer Amplitude, wie die von Schiff an den Öhrgefässen des Kaninchens beobachteten, können eine Vermehrung der durchströmenden Blutmenge ohne wesentliche Steigerung der Durchströmungsgeschwindigkeit bewirken und dürften in solchen Organen erforderlich sein, deren Tätigkeit in einem Stoff- oder Wärmeaustausch besteht. Wird also die Frage einer aktiven Förderung des Blutstromes durch das Gefässsystem auf den allgemeinen Blutstrom bezosen und auf die Beteiligung der Arterien am Pulse beschränkt, so wird dadurch ihre Lösung erschwert. Denn der Nachweis der aktiven Beteiligung der Arterien am Pulse überhaupt ist schwer zu, erbringen, wie Hürthle gezeigt hat, weil sie vom Herzstosse kaum zu trennen ist, und weil diese Beteiligung bei verschiedenen Arterien vielleicht verschieden und überhaupt veränderlich ist. Die Frage wird einer Lösung näher gebracht, wenn die aktive Förderung nicht auf den allgemeinen Blutstrom, sondern auf die Blutverteilung bezogen wird, eine den Arterien von jeher zugeschriebene Verrichtung. Nur dürfte diese Verrichtung nicht in tonischen Kontraktionszuständen allein gesucht werden, sondern besonders auch inrhythmischen, diastolisch systolischen Bewegungen des besonderen Gefässsystems eines jeden Organs, wo- durch dieses autonom aus dem allgemeinen Blutstrome den ihm gerade nötigen Anteil durch eigene Kräfte schöpfen und in das Venensystem weiter treiben würde. Diese Bewegungen des eigenen Gefässsystems dürften bei verschiedenen Organen, ihrer besonderen Tätigkeitsform entsprechend, einen verschiedenen Rhythmus und ver- schiedene Amplitude haben. Ihr Nachweis würde zur Lösung der Frage einer Förderung des Blutstromes durch die Organe selbst mehr beitragen, als der eines aktiven Anteils der Arterien am Pulse, da solche Bewegungen unabhängig vom Herzstosse auftreten würden. Spontane rhythmische Kontraktionen sind in neuerer Zeit an ausgeschnittenen überlebenden Arterienstücken häufig beobachtet und untersucht worden. F. Müller!) sah zuerst Arterienstücke in Ringer-Lösung nach Zusatz von Yohimbin-Kontraktionen ausführen. 1) F. Müller, Ein Beitrag zur Kenntnis der Gefässmuskulatur. Arch. f. Physiol. 1906 Suppl. S. 421. 12* 178 Franz Mares: Bonis und Susanna!) fanden das Extrakt des hinteren Lappens der Hypophyse rhythmisch gefässerregend.. O. B. Meyer?) sah Gefässstreifen häufig deutliche periodische Verkürzungen und Ver- längerungen ausführen, wenn sie in körperwarmes defibriniertes Blut oder, noch besser, in Serum versenkt wurden; diese Bewegungen wurden durch Sauerstoffmangel ausgelöst und durch Sauerstoff- sättigung beruhigt. In Wasserstoffatmosphäre treten die rhythmischen Arterienkontraktionen regelmässig auf. Full?) hat an Rinder- arterienstreifen in Ringer-Lösung mit erhöhtem Kalkgehalt auto- matische Bewegungen beobachtet, welche durch Temperaturerhöhung beschleunigt wurden, unter Kohlendioxydeinfluss sofort aufhörten; Muskarin erhöhte, Atropin hemmte ihre Rhythmik. Die überlebenden Arterienstreifen können rhythmische Be- wegungen bei wechselnden tonischen Kontraktionszuständen, ähnlich wie das Herz, ausführen. So faad Günther‘), dass mit dem Auf- treten der ersten Kontraktion der Tonus zuzunehmen anfängt, welche Tonuszunahme aber allmählich wieder zurückgeht; die Tonuszunahme -erfolgt besonders bei Sauerstoffzufuhr; bei Wasserstoffzufuhr hörten die rhythmischen Bewegungen unter gleichzeitiger Tonusabnahme bald auf. Günther sah die rhythmischen Kontraktionen, unter entsprechendem Adrenalineinfluss, stundenlang mit einer staunens- werten Regelmässigkeit fortdauern. Er neigt der Meinung zu, dass die automatischen Bewegungen der Arterien, deren Frequenz aller- dings viel geringer ist als die der Herzaktion, dennoch „die Herz- arbeit zu unterstützen vermögen“. Die rhythmischen Bewegungen überlebender - Arterienstücke stehen in einem bemerkenswerten Verhältnis zu den Atmungsgasen: sie werden durch Sauerstoffmangel errest und durch reichliche 1) De Bonis und Susanna, Über die Wirkung des Hypophysenextraktes auf isolierte Blutgefässe. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 23 S. 169. 1909. 2) OÖ. B. Meyer, Rhythmische Kontraktionen an ausgeschnittenen Arterien. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 23 8. 685. 1909. — Über rhythmische Spontan- kontraktionen der Arterien. Zeitschr. f. Biol. Bd. 61 S. 275. 1913. 3) H. Full, Versuche über die automatischen Bewegungen der Arterien. Zeitschr. f. Biol. Bd. 61 8.287. 1913. S 4) G. Günther, Zur Kenntnis der Spontanbewegungen überlebender Arterien. Zeitschr. f. Biol. Bd. 65 S. 401. 1915. — Über den Einfluss ver- schiedener Gifte auf die Spontanbewegungen überlebender Arterien. Zeitschr. f. Biol. Bd. 66 S. 280. 1915. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 179 Sauerstoffzufuhr beruhigt; bei genügender Sauerstoffzufuhr werden sie sehr regelmässig und andauernd; Kohlensäure hemmt sie. Es ist naheliegend, dass solche diastolisch-systolischen Bewegungen der Blutgefässe, sofern sie im lebenden Körper zustande kommen, mit dem Atmunebedürfnisse der Gewebe, insbesondere der Gefässwände selbst zusammenhängen. Die „innere Atmung“ der Gewebe exiolst in einer vom Blute bereiteten Atmosphäre; der Blutkreislauf dient gleichsam zu ihrer Ventilation: seine Ausbildung erfolgt im Zu- sammenhange mit dem Atmungsbedürfnisse der Gewebe. Der vom Herzen betriebene allgemeine Blutstrom stellt gleichsam einen an- dauernden in bestimmter Richtung vor sich gehenden Luftzug dar, aus welchem jedes Gewebe seinem Bedürfnisse entsprechend Atem schöpfen kann. Das Gewebe atmet mittels der Diastole seines Gefäss- systemes arterielles Blut ein und treibt mittels der Systole desselben das abgebrauchte Blut in der vom Herzen bestimmten Richtung weiter. Die innere Atmung der Gewebe ist für die gesamten Hilfs- verrichtungen der Atmung maassgebend, in erster Linie für die Blutdurchströmung. So wird die Frage nahegelest, ob auch die äusseren, der Lungenventilation dienenden Atembewegungen von den Geweben aus mittels des Blutstromes geregelt werden. In diesem Sinne können periodische, diastolisch - systolische Bewegungen der Blutgefässe als „Atembewegungen des Ge- fässsystems“ bezeichnet werden. 180 Hubert Hühne: (Aus dem physiologischen Institute der k. k. böhm. Universität in Prag.) Zur Frage einer Förderung des Blutstromes durch pulsatorische Tätigkeit der Blutgefässe. Von Dr. Hubert Hühne, Assistenten des Institutes. (Mit 3 Textfiguren.) In den neueren Versuchen, eine aktive Beteiligung der Arterien- muskulatur am Pulse nachzuweisen, wodurch die Blutströmung pulsatorisch gefördert werden würde, werden die Untersuchungen von Hamel!) als erster Beleg angeführt, wonach die rhythmisch gespeisten Blutgefässe bei weitem mehr Flüssigkeit durchtreten lassen als die kontinuierlich durchströmten. Die Untersuchungen Hamel’s betrafen aber gar nicht, die Frage, ob durch den Herzstoss die Arterienmuskulatur zu einer Kontraktion angeregt wird, durch welche die Triebkraft des Blut- stromes vermehrt werden würde, und sind zur Lösung dieser Frage auch nicht zu verwenden. . Andererseits aber ist auch ihre Methode und ihr Ergebnis nicht vom Standpunkte dieser Frage zu beurteilen. Diese Untersuchungen bezogen sich auf die Beobachtung von Kronecker, wonach das durch die Blutgefässe von Froschmuskeln geleitete Blut unter gleichem Drucke nicht gleiche Geschwindigkeit behält; bei Erhöhung des Drucks tritt Ödem auf, periodische, kurz dauernde Druckerhöhungen werden von den Gefässen der Frosch- muskeln viel besser vertragen. Dementsprechend fand Hamel, dass die Blutgefässe der Froschhinterbeine einen ununterbrochenen, gleichmässigen Druck schwer ertragen, indem ihre Wände Flüssigkeit durchlassen, so dass 1) G. Hamel, Die Bedeutung des Pulses für den Blutstrom. Zeitschr. f. Biol. Bd. 25 S. 474. 1889. Zur Frage einer Förderung des Blutstromes durch puls. Tätigkeit usw. 181 sich Ödem bildet. Einen gleich lange dauernden Druck, welcher aber nicht kontinuierlich, sondern durch Pausen unterbrochen ein- wirkt, ertragen die Gefässe besser, so dass sich hierbei selten Ödem bildet und die Durchflussmenge grösser erscheint. Hamel suchte den Vorteil der rhythmischen Impulse darin, dass die wechselnde Be- wegung die Rlastizität der sehr biegsamen Arterienröhren intakt er- hält, und dass die Pausen der Gefässmuskulatur zur Erholung dienen. Wird also Hamel’s Befund, dass die rhythmisch gespeisten Gefässe bei weitem mehr Flüssiekeit durchtreten lassen als die kontinuierlich durchströmten, im Sinne einer Förderung der Strömung durch rhythmisch ausgelöste Arterienkontraktionen ge- deutet, so ist dafür nicht Hamel verantwortlich zu machen. Das bietet aber auch keinen Grund dazu, die Richtigkeit der Beobachtung Hamel’s in Zweifel zu ziehen, insofern dieselbe darauf be- schränkt bleibt, dass bei rhythmisch unterbrochener Durchströmung mehr durchfliesst als bei ununterbrochener Durchströmung, wenn in beiden Fällen die Gesamtzeit der Hahnöffnung gleich ist. Denn bei unterbrochener Durchströmung hört die Strömung nach Schluss des Hahnes nicht auf, sondern wird durch den Druck der elastisch gedehnten Gefässwand noch weiter unterhalten. Berück- “ sichtigt man nur gleiche Hahnöffnungszeiten, so muss bei unterbrochener Durchströmung die Durchflussmenge grösser er- scheinen, weil die Durchflusszeit tatsächlich länger ist. Die Elastizität der Gefässwand begünstigt überhaupt die rhyth- mische Durchströmnng, weil sie die Triebkraft gleichsam aufspeichert. Lässt man aus einem Druckgefässe mittels eines gemeinsamen, mit einem Hahne versorgten starren Anfangsstückes durch zwei ganz gleiche starre Röhren, von welchen jedoch die eine mit einem Wind- kessel versehen ist, Wasser fliessen, so ist bei ununterbrochener Durehströmung, nachdem der Luftdruck im Windkessel konstant geworden ist, die Ausflussmenge in gleichen Zeiten ganz gleich. Bei rhythmisch unterbrochener Durehströmung fliesst jedoch durch die mit dem Windkessel versehene Röhre viel mehr durch. In Hamel’s Versuchen trat dazu noch bei, dass bei ununter- brochener Durchströmung der Blutgefässe der Froschhinterbeine Flüssigkeit aus den Gefässen in das Gewebe austrat und Ödeme bildete; das konnte auch dazu beitragen, .dass bei unterbrochener Durchströmung mehr durchfloss, wenn hierbei keine Ödeme auftraten. 182 Hubert Hühne: Die Versuche Hamel’s erlauben also wohl einen Schluss über den Unterschied der Strömung in elastischen Gefässen bei konstantem und rhythmischem Drucke; dieser Schluss kann jedoch nicht auf eine Förderung der Durchströmung durch pulsatorische Kontraktionen der Arterienmuskulatur bezogen werden, was Hamel auch nicht getan hat. Hürthle!) hat sich also mit Recht dagegen gewendet, wenn neuere Autoren die Arbeit Hamel’s als eine der Hauptstützen dieser Hypothese, dass nämlich durch den rhythmischen Druck die Arterienmuskulatur zu rhythmischen, die Strömung fördernden Kon- traktionen angeregt wird, angesehen haben. Hürthle hat auch die Bedingungen festgesetzt, unter welchen ähnliche Versuche, die diese Hypothese zu erweisen hätten, angestellt werden müssten. Die beiden Faktoren, von welchen das Durchlaufen einer bestimmten Flüssigkeits- menge durch die Gefässe der Hinterbeine unter der Voraussetzung eines unveränderlichen Widerstandes abhängt, nämlich Mitteldruck und Zeit, müssen experimentell bestimmt werden. Der mittlere Druck ist für die in der Zeiteinheit abfliessenden Mengen ent- scheidend. Auf dieser Grundlage hat Schäfer?) die Durchströmung der Froschhinterbeine unter konstantem und rhythmischem Drucke unter- sucht, indem er in allen Versuchen den einwirkenden Druck, das Stromvolumen und die Zeit der Durchströmung maass. Das Ergebnis war, dass bei genau gleichem Mittelwerte des Druckes die Strom- mengen bei rhythmischer und konstanter Durehströmung, auf Druck- und Zeiteinheit berechnet, genau gleich sind. „Im Falle der Gleichheit der Mitteldrucke verhält sich also die untersuchte Blut- bahn des Frosches dem Strom gegenüber wie eine Glaskapillare. Ein fördernder Einfluss des Pulses lässt sich nicht feststellen.“ Schäfer konnte also die AngabeHamel’s, „dassdie rhythmisch gespeisten Gefässe bei weitem mehr Flüssigkeit durchtreten lassen als die kontinuierlich durchströmten“, nicht bestätigen. Die Un- zulänglichkeit der Hamelschen Versuche zum Nachweis einer aktiven Förderung der rhythmischen Strömung durch die Gefäss- 1) Hürthle, Ist eine aktive Förderung des Blutstromes durch die Arterien erwiesen? Pflüger’s Arch. Bd. 147 S. 586. 1912. 2) F. Schäfer, Vergleichung der bei konstantem und ehythmiseneen Druck durch die Hinterbeine des Frosches getriebenen Flüssigkeitsmengen. Pflüger’s Arch. Bd. 151 S. 97. 1918. Zur Frage einer Förderung des Blutstromes durch puls. Tätigkeit usw. 183 muskulatur wird so auch auf die rein mechanische Förderung derselben durch die Gefässelastizität erweitert. Die Blutbahn des Frosches soll sich dem Strome gegenüber wie eine Glaskapillare verhalten, wo sich ein fördernder Einfluss des Pulses nicht fest- stellen lässt. Indessen hat Schäfer bemerkt, dass das Ergebnis durch An- wendung gefässerregender Mittel wesentlich abgeändert wird, so dass sich hier eine bedeutende Überlegenheit des rhythmischen Druckes zeigt. So fand Schäfer!), dass unter Adrenalinwirkung die Strom- stärke, im Vergleich zum normalen Strome, zwar auf mehr als die Hälfte des normalen Wertes abnimmt, allein unter kon- stantem Drucke doch wesentlich mehr als unter dem rhythmischen, so dass sie hier um fast 40 °/o grösser bleibt, obzwar der rhythmische Mitteldruck etwas geringer war als der konstante. Bei Zusatz von Adrenalin zur Durchströmungsflüssigkeit ist der rhythmische Druck dem konstanten wesentlich überlegen. Ebenso bei Pituitrin und Disitaliseinwirkung fliesst unter rhythmischem Druck fast ein Drittel mehr durch die Bahn als unter konstantem. Diese als vaso- konstriktorische Mittel bekannten Substanzen zeigen die Eigen- schaft, die rhythmische Strömung zu fördern, derart, dass bei rhyth- mischem Druck die Stromstärke wesentlich grösser ist als bei kon- stantem, wenn die Mitteldrucke in beiden Fällen gleich sind. Das Gefässsystem steht normalerweise unter dem Einflusse von Adrenalin und Pituitrin, es dürfte also die normale Blut- strömung durch den pulsatorischen Betrieb des Gefässsystems be- deutend gefördert werden, was beim isolierten, dem normalen Adrenalineinflusse entzogenen Hinterbeinpräparate vom Frosche nicht hervortreten kann. Es wäre übrigens zu bedenken, dass die Förde- rung des Blutstromes durch pulsatorische Tätigkeit des Gefäss- systems nicht allgemein, konstant und bei allen Teilen des Gefäss- systems gleich zu sein braucht, sondern dass sie- dem Bedürfnisse entsprechend reguliert wird. Während des Ruhezustandes reicht - vielleicht die Herztriebkraft aus, um den allgemeinen Blutstrom zu unterhalten. Wird aber durch Tätigkeit der Organe ihre Anforderung an Blutdruckströmung gesteigert, dann erst tritt vielleicht eine 1) F. Schäfer, Der Einfluss gefässerregender Mittel auf die bei kon- stantem und rhythmischem Druck durch die Hinterbeine des Frosches getriebenen Flüssigkeitsmengen. Pflüger’s Arch. Bd. 162 8. 378. 1915. 184 Hubert Hühne: stärkere Förderung des Blutstromes in dem tätigen Organe durch pulsatorische Tätigkeit seines Gefässsystems ein. Verschiedene Organe haben bei verschiedenem Atmungsbedürfnis aueh versehiedenes Durch- strömungsbedürfnis. Es kann also die pulsatorische Förderung der Blutdurchströmung durch die Tätigkeit des Gefässsystems in be- stimmten Organen viel stärker hervortreten als in anderen. Die Hinterbeine des Frosches scheinen von diesem Gesichts- punkte aus zum Nachweis einer pulsatorischen Förderung ihrer Durch- strömung nicht besonders geeienet zu sein. Vielleicht dürfte eine solche Förderung bei bestimmten Säugetierorganen, welche grosse Anforderungen an die Blutdurchströmung machen, deutlicher hervor- treten. Wenn die Förderung der Blutdurehströmung des Organs in einer durch den Puls erregten Kontraktion der Gefässmuskuülatur be- steht, deren Triebkraft sich zu der des Pulses hinzugesellt, so dürfte sie nur so lange hervortreten, als das Gefässsystem erregbar und kontraktionsfähig bleibt. Nach dessen Absterben müsste jene Förderung aufhören oder nur in dem der Gefässelastizität eigenen Maasse sich zeieen, sofern es die eintretende postmortale Rigidität der Gefässmuskulatur zulässt. Auf Grund dieser Überlegungen haben wir künstliche Durch- strömunesversuche an überlebenden und abgestorbenen Säugetier- nieren mit sauerstoffhältiger Locke’scher Lösung durchgeführt. Die Niere ist. durch eine sehr lebhafte Blutdurchströmung aus- gezeichnet, ihr Gefässsystem bildet ein abgeschlossenes Ganzes, die Nierenarterie und die Nierenvene lassen sich leicht mit Zufluss- und Ausflusskanülen versehen. Die Versuche sind teils an der Niere von eben getöteten Kaninchen, wo dieselbe in ihrem natürlichen Zusammen- hange gelassen werden konnte, teils an ausgeschnittenen Nieren von eben geschlachteten Schweinen im Prager Schlachthause vorgenommen werden. Nach Einführung von Kanülen in die Arterie, die Vene und den Ureter wurde die Niere in ein angepasstes Glasgefäss ge- lest, welches mit körperwarmer Locke’scher Lösung gefüllt und dicht verschlossen wurde, so dass nur die drei Kanülen nach aussen führten. Das Gefäss war mit einem Manometer und einer Druck- fläche in Verbindung, um «den auf der Oberfläche der Niere lastenden Druck abändern und abmessen zu können. Die Arterienkanüle war mit einer anderen Druckflasche verbunden, aus welcher Locke’sche körperwarme Lösung durch die Nierengefässe geleitet wurde. Das Zuflussrohr war in der ersten Reihe der Versuche mit einem Hahn Zur Frage einer Förderung des Blutstromes durch puls. Tätigkeit usw. 185 und mit einem Quecksilbermanometer nahe an der Mündung in die Arterienkanüle versehen. Die Durchströmung wurde abwechselnd ununterbrochen und durch rhythmische Drehung des Hahnes 60—70 mal in der Minute unterbrochen ausgeführt. Die Ausfluss- menge aus der Venenkanüle wurde in bestimmten Zeitabschnitten von 30 oder :60 Sekunden in einem geeichten Gefässe gemessen. Bei rhythmischer Durehströmung wurde am Manometer des Zuleitungs- rohres das Druckmaximum und das Druckminimum abgemessen: und so der Mitteldruck bestimmt. Dieser Mitteldruck wurde dann bei der ununterbrochenen Durchströmung verwendet. Die Ausflussmengen wurden durch Dividierung mit dem einwirkenden Druck und mit der Zeit auf Druck- und Zeiteinheit (Minute) zurückgeführt, welche Grösse bei rhythmischer Durchströmung mit R, bei ununterbrochener Durehströmung mit X. bezeichnet ist. Wurde die im Gefässe eingeschlossene Niere unter höheren äusserliehen Druck gestellt, so trat Flüssigkeit aus dem Ureter hervor. Betrug der Druck etwa 50 mm Hg, so floss die Flüssigkeit nur aus dem Ureter hervor, der Ausfluss aus der Nierenvene aber versieste. Da dieser Umstand nicht Gegenstand dieser Untersuchung war, so wurde der auf der Niere lastende äussere Druck so weit herabgemindert, dass kein Ausfluss aus dem Ureter zum Vorschein kam und Flüssigkeit nur durch die Nierenvene abfloss. Die Ergebnisse der ersten Reihe der Versuche, teils an älteren abgestorbenen, grösstenteils aber an ganz frischen über- lebenden Nieren ausgeführt, sind in der nachfolgenden Tabelle zusammengestellt. An jeder Niere wurde eine Reihe von Einzeln- durchspülungen, abwechselnd unter rhythmischem und unter kon- stantem Drucke, ausgeführt und daraus die durchsehnittliche Ausfluss- menge bestimmt. Diese wurde auf Druck- und Zeiteinheit, das ist die Grösse AR bei rhythmischer und die Grösse X bei konstanter Durchspülung, zurückgeführt. Das Verhältnis R: X stellt den Unter- schied zwischen der rhythmischen und der konstanten Durchspülung _ zahlenmässig dar. Ist diese Zahl kleiner als 1, so ist die rhythmische Durehströmung geringer als die konstante. In dem Maasse, als diese Zahl grösser ist als 1, so überwiegt die rhythmische Durchströmung über die konstante. Die ersten drei in der Tabelle verzeichneten Versuche sind an vor längerer Zeit herausgenommenen und zweifellos bereits ab- gestorbenen Nieren angestellt. Hier zeiete sich die rhythmische 9ST“T 1380 Da 08 Sr 1180 1'8 08 92 97 —8r 01 ‘op I 960°T sc10 ssI . 08 sr 138'0 681 08 097 7-8 el ‘op rl Fell LSTI 061 08 28 IPETI 2.08 08 0.08 8358 oL ‘op I TEET 1:20 91 8 LS gE0 16 08 0'764 IS—LS oL ‘op sl 880°1 | 009°0° TI 08 BG E79°0 Sıl 0€ Ge BEN ii ‘op II 2LOT 208° 928 08 Sg c3g% EL 08. 098 09-86 SEE: ‚op oT &60°T 6TLT L’o8 08 68 088“I LIE 0€ 0'°8 1968 Is ‘op 6 9801 190'2 1673 08 € 78% sFE 08 0°TE 6388 L ‘op 8 8601 6LT's vr 08 sg 768° Ger 08 ag 8888 9I ‘op L Rs cal] 6861 88 08 29 1912 g'gg 08 0°IE 83-78 9 ‘op 9 = Fell 603.0 LTI 09 98 LEO LIGHT 09 g’eg ei ION OYOSLIT @ = [ ß ‘ ( \ ‘ = 9pOL u9p Ss 9541 6F10 sı’el 08 G$ 816‘0 IF 08 Tg 8358 al { eu uopumg FZ \; 2 966°0 TEL 29% 08 88 Frog 8.°6 DB 0868 oL "op e = 198°0 605.0 1'9 09 38 0870 | Fe 09 0.08 8078 L ‘op (d m Te | os | 018 | 09 | ze | vos | wm | 09 ces | Tezıe 21 { on ik N; I 2 = ei | um u | .& wwD ul = 3 uw = odusu | TE = ZISLETGN 5 Anatı == S ur . wu ur | uoyons.aA < SIE 18 ange I M Aa -ypand S "| [Joy annzd (N Surutazg = -I9A 2. ee 2. | Ss sn® ae S Zi ae = : HIN = FUNnWgASTDAn 9YuBJsuoy Sunwoggsydinı Sydsıugykyy eo) z "I 911998 .L Zur Frage einer Förderung des Blutstromes durch puls. Tätigkeit usw. 187 Durehströmung um ein weniges geringer als die konstante. Hin- gegen erscheint bei allen frischen, überlebenden Nieren ausnahmslos die rhythmische Durehströmung grösser als die konstante. Das gilt um so mehr, als der konstante Druck hierbei nicht dem Mitteldrucke, sondern dem Druekmaximum der rhythmischen Druckschwankungen entspricht, wobei die Durcehströmungs- zeiten ganz gleich sind. Die Überlegenheit der rhythmischen Durehströmung erscheint hier also ganz konstant, ist aber dennoch ziemlich gering, sie beträgt höchstens 1,3, durchsehnittlich nur 1,2 der konstanten. Schäfer fand an den Froschhinterbeinen unter Adrenalineinfluss das Verhältnis 1,4—1,7. In unseren Versuchen, welche vor der Ver- -öffentlichung Schäfer’s gemacht wurden, haben wir den Adrenalin- einfluss nicht beachtet, und es wären die Versuche in dieser Richtung später zu ergänzen. . Wir haben aber die Untersuchung von einer anderen Seite in Aneriff genommen. Ist die Überlegenheit der rhythmischen Durch- strömung durch eine aktive Förderung des Stromes von seiten des inneren Gefässsystems der Niere bedingt, welches durch den Puls- schlag als Reiz zur Tätigkeit angeregt wird, so ist dieser Reiz bei dieser Versuchseinrichtung zu schwach. Denn bei der Hervorbringung der Pulse durch rhythmisches Öffnen und Schliessen eines Hahnes im Zuleitungsrohre sind die Druckunterschiede zu geringfügig, der Druck sinkt nach Schliessung des Hahnes zu wenig, es werden keine eigentlichen Puls- schläge erzeugt. Bei der Einriehtung des Versuches ist also der Pulsschlag nachzuahmen, das heisst die Druckamplitude muss viel grösser ge- macht werden als bei der Hahnumdrehung, damit der Stossreiz zur Wirkung komme. Zu diesem Behufe haben wir die Herzschläge mittels eines mit Ventilen versehenen Kautschukballons nachgeahmt, der mittels Drehung eines passenden FExzenters rhythmisch zusammen- - gepresst wurde. Wir haben eine Form des Exzenters ausgesucht, durch welche die Form des Pulsschlages ziemlich gut nachgeahmt wurde. Die Einrichtung des Versuches ist aus der Fig. 1 leicht er- sichtlich. Die Druckschwankungen wurden mittels eines elastischen . Manometers registriert und die Druckmaxima und Druckminima mittels eines Quecksilbermanometers bestimmt. Der zur konstanten Durchströmung erforderte Mitteldruck wurde unter Führung der beiden IRB Hubert Hühne: Manometer durch entsprechende Hochstellung der Mariotte’schen Flasche hergestellt. Auf diese Weise sind folgende sechs Versuche ausgeführt worden. ap FI ZZEZZLLZIEEETZREZTLEITELLED Erster Versuch, 11. März 1914. Bei einem Kaninchen, das bei einem anderen Versuche durch Er- stickung verendete, wurden die Kanülen in die rechte Arteria und Vena renalis eingeführt, die Niere in situ gelassen und die Durch- strömungsversuche erst anderthalb Stunden nach dem Tode des Tieres begonnen. Im Mittel von neun abwechselnd unter rhythmischem und konstantem Drucke angestellten Durchströmungsversuchen war die Durchflussmenge ziemlich gleich, R:K — 10,44 :10,50 = 0,99. Zweiter Versuch, 18. März 1914. Die Durchströmungsversuche an der Niere in situ bei einem Kaninchen wurden eine Viertelstunde nach dem Tode des Tieres begonnen. Die Durchflussmenge in Kubikmillimeter während 1 Minute zeigten in den ersten sechs Versuchen folgendes Verhältniss: Zur Frage einer Förderung des Blutstromes durch puls. Tätigkeit usw. 139 Bei rhythmischer Durchströmung war die Durchflussmenge in einzelnen Versuchen (2, 3, 4, 5,) dreimal so gross als bei konstanter. Doch der Unterschied verschwindet plötzlich im Versuch 6, und in den nachfolgenden drei Versuchen kehrt sich das Verhältnis sogar um: | 2. 8. 9 R. 0 28 30 Fa. 60 36 36 = 0,33 0,77 0,8 Dritter Versuch, 26. März 1914. Die Durchströmungsversuche an der Niere in situ bei einem Kaninchen begannen eine halbe Stunde nach dem Tode des Tieres. Die Niere wurde durch in körperwarme Lockelösung getauchte Watte- tampons warm gehalten. Die Druckschwankungen bei rhythmischer H 5 Fig. 2, Druckschwankungen im dritten Versuche. Bei b Mitteldruck für konstante Durchströmung. Durchströmung hatten die in der Fig. 2 dargestellte Form und Am- plitude, Das Druckminimum sank hier bis auf Null. Der Mitteldruck 190 Hubert Hühne: für die konstante Durchströmung ist in der Fig. 2 durch die horizontale Linie C angezeigt. Die Durchströmungszeit war in allen Versuchen 3 Minuten, Der Versuch nahm folgenden Verlauf: 11h 15° 12h 15’ eranarı Ta), ee 2. Sn | ® I < 48 | 47 | 49.) 80. | 20 | 10 | 9 IE3| 4 | 55.147 |45 Kir oe aa | 4 4 F2 16 20 |20 |19 2: | ze lol 75 A| 25 | 2022| a au oo KH | le ) Das Übergewicht der rhythmischen Durchströmung erscheint hier in den ersten Versuchen ganz ausserordentlich; sie liefert eine bis zwölfmal grössere Durchflussmenge als die konstante Durchströmung. Bald aber vermindert sich die rhythmische Durchströmung und nähert sich, im Versuche 6 und 7, der konstanten. Durch Erneuerung der warmen Watteumkleidung der Niere hob sich die Durchflussmenge bei rhythmischer und konstanter Durchströmung. Die rhythmische blieb überhaupt sehr überlegen. In einem späteren Stadium, etwa zwei Stunden nach dem Tode des Tieres, gleicht sich jedoch das Verhältnis aus, indem die Durch- flussmenge bei rhythmischer Durchströmung abnimmt: 14 30’ 1, 1 08 IE | lan 16. 17. 182,19, | Re 1319 | il 1 ls | 14 1a 10 12 11 Ka 19 | im 10 | 10 10 10 10 10 = Re 1 | 1 15 14 1a 0 0 ven on Vierter Versuch, 16. April 1914. Die Durchspülungsversuche an der Niere des Kaninchens begannen eine halbe Stunde nach dem Tode des Tieres, Bei rhythmischer Durchströmung betrug das Druckmaximum 66—76 mm Hg, das Druck- minimum wurde ziemlich hoch, 20—30 mm Hg, gehalten. Die Druck- schwankungen sowie der bei konstanter Durchströmung benützte Mittel- druck sind in Fig. 3 graphisch dargestellt, wobei b die Höhe des Mitteldruckes oberhalb der Abszisse a bedeutet. Die Durchflusszeit betrug in allen Versuchen 2 Minuten. Die erste Phase des Versuches hatte folgenden Verlauf: R: Druckschwankungen mm Hg 73—30 | 27 cmm | 50 80 89 87 K: Mitteldruck mm Hg 49. ..... 23 cmm | 50 56 76 74 ie 1,02 1,0.1.:143 10 1,16) le Zur Frage einer Förderung des Blutstromes durch puls.. Tätigkeit usw. 191] Die anfangs spärliche Durchflussmenge steigerte sich rasch, bei der rhythmischen Durchströmung ‚jedoch bedeutend mehr als bei der konstanten. Die Überlegenheit der rhythmischen Durchströmung er- reichte hier aber nicht den hohen Grad wie im dritten Versuche, wo die Druckamplituden viel grösser waren, Fig. 3. Druckschwankungen im vierten Versuche. Bei b Mitteldruck, bei a Druckabszisse. In der zweiten Phase des Versuches trat eine Umkehr des Ver- hältnisses ein: } | R: Druckschwankungen £ nr za nee un K: uch mm Hg 45 | 89 198 » 11107101 75 57 15 0:9) 21,2. 01,06) 1533 -Die Durchflussmenge steigerte sich weiter, jedoch mehr bei der konstanten Durchströmung, unter ansehnlichen Schwankungen. Die Intervalle zwischen einzelnen . vu 2 un betrugen 5 Minuten. Fünfter er ud 3. Juni 1914. Wurhepulungsversuche an der isolierten Niere eines vor einer halben Stundei'geschlaehteten Schweines. so .n:d . 8,0 1245 55. 6 = R: Druckschwankhngen mm = 51 95 ,:::1,89122, 21,449, RE; Mitteldruck mm Hg’ DI 652% 1.16 N 70 76 leg; En sur a N ya / el 2yu K & De 14, ° . j .. ns . z Ri oO N: % . 9 sit 10, | “E, 11a e ‚un un 10 f D 1,0 Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 13 192 Hubert Hühne: ‘* Anfangs erscheint die rhythmische Durchströmung überlegen, der Unterschied gleicht sich jedoch bald aus. Sechster Versuch, 3. Juni 1914. Regelmässig abwechselnde rhythmische und konstante Durchspülung einer Schweinsniere, beginnend etwa 20 Minuten nach deren Entnahme vom Körper des eben geschlachteten Tieres. Durchflusszeit eine Minute, regelmässige Minutenintervalle zwischen den einzelnen Durchspülungs- versuchen. Die erste Phase des Versuches hatte folgenden Verlauf: 4. >». 8. 21.83.9310. 76 |66 159 55 156 54 [50 61 60 152 154 148 149 |48 R: Druckschwankung mm Hg 65—50 .! K: Mitteldruck mm Hs 56... 12 11 11 10) 12| 11 10 Anfangs ist die konstante Durchströmung überlegen; dann steigt aber die rhythmische rasch an, sinkt aber bald wieder ab. Die Durch- flussmenge vermindert sich überhaupt, doch mehr bei der konstanten Durchströmung,. Die zweite Phase des Versuches: I 12. | 18. | 714. | 15. 16. 17.02182,02192 520: R: Druckschwankung = mn He 15 1% 48.155 51. 51. 48 26 U Raser K: Mitteldruck eo je as as [a9 |50 |as |a5 ls ss 139 PN 1,01 1,02| 115 1,05 10| 10) 10| 10) 1127| 10 Der Gesamtverlauf dieses Versuches erweckt den Anschein, als wenn die Überlegenheit der rhythmischen Durchspülung in wellenförmigen Absätzen abklingen würde. Sie erhebt sich periodisch über die kon- stante Durchströmung, welche stetig abnimmt, so in den Versuchen 4, 8, 13, 19, welche einer regelmässigen Zeitfolge entsprechen. Als Ergebnis aller Versuche zeigt sich die Überlegenheit der rhythmischen Durchspülung der Säugetierniere über der konstanten unter bestimmten Bedingungen. Die erste Bedingung ist, dass die Niere ganz frisch und unbeschädigtist. Die Versuche an Kaninchen, wo die Niere in situ gelassen werden konnte, fielen in dieser Beziehung günstiger aus als die Versuche an Schweinsnieren, welche infolge der gewerbe- mässigen Behandlung des geschlachteten Tieres (Abbrühen der Haut usw.) Zur Frage einer Förderung des Blutstromes durch puls. Tätigkeit usw. 193 ziemlich spät und vom Körper isoliert zur Untersuchung gelangten. In etwa 2 Stunden nach dem Tode des Tieres ist die Überlegenheit der rhythmischen Durchströmung der Niere geschwunden. Die zweite Bedingung ist Warmhaltung der Niere. Das zeigte sich besonders im Versuche III, wo nach Erwärmung der Niere die Durchströmung sich sofort steigerte. Man kann diese Bedingungen in dem Sinne deuten, dass zur Überlegenheit der rhythmischen Durehströmung die Niere und ihr Gefässsystem reaktionsfähig sein muss, dass also die Über- legenheit durch einen physiologischen Faktor bedingt ist. Eine weitere Bedingung betrifft die Art und WeisederDruck- schwankungen bei rhythmischer Durchströmung. Sind die Druck- schwankungen schwach, wie die durch Hahnumdrehung bewirkten, so ist der Unterschied zwischen der rhythmischen und konstanten Durehströmung gering. Sind aber die Druckschwankungen sehr gross und steil, sind es wirkliche Pulsschläge, so steigt die Überlegenheit der rhythmischen Durchströmung sehr hoch, wie es besonders der dritte Versuch zeigt. Für die Durchströmung des reaktionsfähigen Organs erscheint die Grösse der Druckamplitude viel wichtiger als die Höhe des ständigen Mitteldrucks, wie die Vergleichung der Versuche 3 und 4 zeigt. Dies kann in dem Sinne gedeutet werden, dass die Pulsschläge als Reiz die Reaktion des physiologischen Faktors in der Niere hervorrufen, welcher der Überlegenheit der rhythmischen Durch- strömung bedingt. : Dieser Faktor ist zweifellos im inneren Gefässsysteme der Niere zu suchen. Diese Untersuchungen konnten nicht so gründlich weitergeführt werden, wie es die genaue Sicherstellung ihrer Ergebnisse er- fordert hätte, weil der Autor den Kriegsdienst angetreten hat. Da jedoch die bereits gewonnenen Ergebnisse für die sehr aktuelle Frage einer aktiven Beteiligung der Blutgefässe an der Förderung der - Blutdurchströmung einzelner Organe wichtig erscheinen, so mögen sie schon jetzt mitgeteilt werden, wobei der Autor hofft, seine Ver- suche noch gründlicher durchzuarbeiten. 13? 194 ° Franz Mares: (Aus dem physiologischen Institute der k. k. böhm. Universität in Prag.) Der allgemeine Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung der Organe durch die Tätigkeit ihres Gelässsystems. Il. Die Atembewegungen des Gefässsystems. ! m ; Von: Dr; Franz Mares, Professor der Physiologie. (Mit 16 Textfiguren.). Periodische, diastolisch - systolische Bewegungen des Gefäss- systems finden ihren äusserlich messbaren Ausdruck in periodischen Schwankungen des arteriellen Blutdruckes, indem die Diastole der peripheren Gefässe eine Senkung, die Systole eine Erhebung des arteriellen Blutdrucks zur Folge hat. Solche periodischen Blutdruck- schwankungen „verschiedener Ordnung“ 'sind seit den ersten Kymo- graphionversuchen beobachtet und eingehend untersucht worden. Man hat wohl erkannt, dass solche Blutdruekschwankungen von diastolisch- systolischen Bewegungen des peripheren Gefässsystems herrühren, hat aber alle Aufmerksamkeit den Blutdruckschwankungen allein zu- gewendet, denn der arterielle Blutdruck erschien als’ Haupt- faktor des Blutstromes. Die periodischen Bewegungen des peripheren Gefässsystems geschehen aber wohl nicht zur Hervorbringung der arteriellen Blutdruckschwankungen, sondern entsprechen zweifellos dem Bedürfnisse der Blutdurchströniung der Gewebe, welches der eigentliche Grund des Blutkreislaufes ist. Rhythmische, diastolisch- systolische Bewesungen des’ peripheren Gefässsystems müssen auf die Blutdurchströmung der Gewebe einen mächtig fördernden Ein- fluss haben, da sich die Gefässe bei ihrer Diastole aus dem arteriellen, unter Druck stehenden Reservoire mit Blut füllen und dieses durch ihre Systole in der vom Herzen bestimmten Richtung des allgemeinen Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 195 Blutstromes weiter treiben. Ihr Einfluss auf den arteriellen Blutdruck ist demnach nur als eine Rückwirkung zu betrachten, welche wohl für den Beobachter von Bedeutung ist, .da sie ihm die Perioden und Amplituden der rhythmischen Gefässbewegungen anzeigt und ihre Zusammenhänge zu verfolgen gestattet. Der arterielle Blutdruck zeigt gewöhnlich periodische Sahn: kungen im Rhythmus der Atembewegungen. Solche Blutdruck- schwankungen können aber zweierlei verschiedenen Ursprung haben und sind demnach zu unterscheiden. Ludwig und Einbrodt ‘ führten die respiratorischen Blutdruckschwankungen auf Änderungen des Atemdruckes im Brustraume zurück. Traube und Hering beobachteten aber den Atmungsrhythmus einhaltende, aber von dem Atmungsmechanismns des Brustraumes unabhängige arterielle Blut- druckwellen, welche auf periodische, im Rhythmus der Atem- bewegungen erfolgende Bewegungen der peripheren Gefässe zurück- geführt werden, die von Hering als „Atembewegungen des Gefässsystems“ bezeichnet worden sind. Zuerst ist die Frage zu betrachten, ob die Ludwig-Ein- brodt’schen Blutdruckwellen eine Förderung des Blut- stromes durch die Atembewegungen bedeuten oder nicht. Diese alte und verwickelte Frage braucht hier nicht ausführlich er- örtert zu werden, es genügt, auf ihre neuere Darstellung durch Tigerstedt!) zu verweisen. Die inspiratorische Drucksenkung im Brustraume begünstigt den Blutzufluss zum rechten Herzen, wogegen jedoch die exspiratorische Druckerhöhung denselben wieder behindert. Die inspiratorische Drucksenkung in den Lungenalveolen kann aber auch die Füllung der Lungenkapillaren mit Blut be- günstigen, während die exspiratorische Druckerhöhung das Blut zum - Jinken Herzen weitertreibt. Es kann also bei der Einatmung nieht nur Luft in die Alveolen, sondern auch Blut in die Lungen- kapillaren eingesogen werden, wo dann die Ausatmung das Blut zum linken Herzen weitertreibt, so dass sich diese beiden Einflüsse _ gegenseitig nicht aufheben, sondern ergänzen. Tigerstedt hat zuletzt ‘die Förderung der Blutzufuhr zum rechten Herzen durch die Atembewegungen in den Vordergrund gestellt, ohne die Bedeutung der Kapazitätsänderungen der Lungen- 1) R. Tigerstedt, Die respiratorischen Druckschwankungen im grossen Kreislaufe. Ergebn. d. Physiol. 1903 S. 560. 196 Franz Mares: kapillaren zu verkennen. Die Veränderungen in der Speisung des rechten Herzens stellen nach ihm hierbei den allerwichtigsten Faktor dar, das Gesamtbild der Erscheinungen werde vor allem von der Blutzufuhr nach dem rechten Herzen beherrscht. Es scheint aber doch, dass die Atembewegungen ganz besonders die Blut- strömung durch die Lungenkapillaren und die Speisung des linken Herzens fördern. So fanden Krogh und Lindhard!) den Lungenblutstrom während der Muskelarbeit sehr vermehrt, so dass das Schlagvolum des linken Herzens hierbei trotz Pulsbeschleunigung seine maximale Grösse erreicht. Dasselbe nehmen N. Zuntz, Plesch u. a. an. Dagegen sprechen wieder andere den Atem- bewegungen für die Förderung des Lungenblutstromes jede Bedeutung ab. So fand Lewis”) die Bedeutung, welche den respiratorischen intrathorakalen Druckschwankungen als Faktoren der arteriellen Blutdrucksehwankungen zugeschrieben wird, nur darin, dass die inspiratorische Druckherabsetzung im Perikarde die diastolische Füllung des Herzens fördert, wogegen die Widerstandsherabsetzung in den Lungenkapillaren ganz bedeutungslos ist. Endlich stellen Henderson und Barringer?°) jeden Einfluss der respiratorischen intrathorakalen Druckschwankungen auf den arteriellen Blutdruck gänzlich in Abrede. Zu den Ausführungen vonHenderson und Barringer kann man nicht umhin, einige Bemerkungen zu machen. Zuntz, Plesch, Krogh u. a. erachten die Atembewegungen, besonders bei an- gestrengter Muskelarbeit, für ein mächtiges Hilfsmittel zum Betriebe des Blutstromes zum linken Herzen, wodurch sein Schlagvolum be- deutend vergrössert wird. Henderson findet dagegen, dass das Schlagvolum des Herzens nicht vergrössert werden kann, und dass es sich bei gesteigerter Pulsfrequenz eher verkleinert. Die Blut- strömung wird nur durch die gesteigerte Pulsfrequenz vergrössert. Die Atembewegungen könnten sie höchstens dadurch fördern, dass 1) A. Krogh und J. Lindhard, Measurements of the blood flow through the lungs of man. Skand. Arch. f. Physiol. Bd. 27 S. 100. 1912. 2) Th. Lewis, Studies on the relationship between respiration and blood pressure. I. The effect of changes of intrapericardial pressure on aortic pressure. The Journ. of Physiol. vol. 37 p. 213. 1908. % 3) J. Henderson and Th. Barringer, The influence of respiration upon the velocity of the blood-stream. The Americ. Journ. of Physiol. vol. 31 p. 399. 1913. ’ Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 197 sie den venösen Blutdruck steigern, wodurch das rechte Herz während der verkürzten Diastole rascher ausgedehnt und mit Blut gefüllt wird. Die Erhebung des arteriellen Blutdrucks bei dessen respira- _ torisechen Schwankungen wird durch die inspiratorische Steigerung der Pulsfrequenz bewirkt. Die respiratorischen Schwankungen des negativen intrathorakalen Drucks sind auf die arteriellen Blut- druckschwankungen ohne Einfluss, weil sie nur auf ganz kurze Absehnitte der ausserhalb der Lungen verlaufenden Gefässe einwirken. Der grösste Teil der Lungengefässe, alle Kapillaren einbegriffen, steht nur unter dem atmosphärischen Drucke, wie die Blutgefässe der Arme) und Beine. „Solange die Glottis offen steht, ist die Er- höhung und Herabsetzung des intraalveolaren Druckes durch die Atembewegungen, bedingt durch Reibung der durch die Luftwege streichenden Luft, so geringfügig, dass sie vernachlässigt werden kann.“ Henderson und Barringer unterschätzen allzusehr den Ein- fluss der respiratiorischen Druckschwankungen im Thoraxraume auf die Blutdurchströmung der Lungen. Besonders die intraalveo- laren Druckschwankungen sind gar nicht so geringfügie. Denn sie bewirken die Einatmung und Ausatmung, trotz der Reibung in den Luftwegen, ihr Maass ist durch den Ein- und Ausatmungsdruck gegeben, der bei ganz ruhiger Atmung zwischen — 4 und 10 mm Hg schwankt. Die in die. Alveolarräume vorragenden Lungenkapillaren sind diesen Druckschwankungen sehr ausgesetzt. Wie leicht sie durch freie Lufteinblasung in die Trachea zusammengedrückt werden können, zeigt die Meltzer-Auer’sche „Apnöe“, deren Wirkung wir alsbald vorführen werden. Henderson und Barringer stützen jedoch ihre Ansicht auch auf Beobachtungen. Bei Hunden und Katzen mit eröffnetem Thorax, welche leieht komprimierte Luft spontan atmen konnten, beobachteten sie arterielle Blutdrucksehwankungen von demselben Charakter und in demselben Verhältnisse zu den Atmungsphasen wie bei Tieren mit unverselirtem Thorax. Wenn die Druckschwankungen im Thoraxraume zur Hervorbringung der arteriellen Blutdruck- schwankungen nötig wären, könnten sie, so schliessen die Beobachter, bei eröffnetem Thorax nieht zustande kommen. Die Autoren haben sich von vornherein verwahrt, dass sie es hier mit dem „vasomoto- rischen Element (wenn es ein solehes gibt)“ zu tun hätten, wodurch jedoch nieht ausgeschlossen ist, dass es hier ein solches gibt. Sie 198 Franz Mares: führen aber noch: weitere Beobachtungen vor, welche beweisen sollen, dass die Atembewegungen tatsächlich keinen Einfluss auf die Be-. schleunigung des Blutstromes haben. Wenn bei einem Hunde in der Asphyxie das Herz still steht und einige schnappende Atemzüge er- scheinen, so bewirken diese keinen Blutzufluss ins arterielle System, wie sie es nach der Theorie sollten. Dieselbe Wirkung müsste auch die Künstliche Lungenventilation haben; doch bewirken bei einem, toten Hunde die kräftigsten Luftdruckschwankungen in den Lungen mittels eines Blasebalgs kein Überführen von Blut in die Aorta, sondern ein Emphysem. Das alles ist sehr begreiflich, denn ohne Herztätigkeit können die Atembewegungen allein keine Blut- strömung bewirken. Es genügt aber nicht zur Behauptung, dass die respiratorischen Druckschwankungen im Thoraxraume keine Bedeutung für die Geschwindigkeit und das Volum des Blutstromes haben. = Die Atembewegungen sind im Gegenteil für den Lungenkreislauf von grosser Bedeutung. Die dabei auftretenden arteriellen Blut- druckschwankungen sind als eine Nachwirkung zu betrachten, ähn- lich wie die durch die peripheren Gefässbewegungen bewirkten. Wie diese peripheren Gefässbewegungen die Blutdurchströmung der Körper- organe fördern, so fördern die Atembewegungen die Blutdurchströmung der Lungen. Bei angestrengter Muskelarbeit wird die Blutdurch- strömung der Muskulatur durch Eigenbetrieb überaus gesteigert; es muss also in gleichem Maasse auch die Blutdurchströmung der Lungen gesteigert werden, soll der Blutkreislauf gleichmässig bleiben. Dazu dienen die verstärkten Atembewegungen im Vereine mit gesteigerter Herztätigkeit. Der schwere Thoraxapparat des Säugetiers mit der durch vielfache Reserven verstärkten Atmungs- muskulatur wäre eine sehr wenig zweckmässige Einrichtung, sollte er nur zur Lungenlüftung dienen. Diese könnte auf eine viel leichtere und gründlichere Weise, wie bei den Vögeln an- gedeutet ist, erzielt werden. Der schwere Atmungsapparat des Säuge- tiers ist offensichtlich so eingerichtet, dass die Luftströmung und die Blutströmung in den Lungen gleichen Schritt halten. Dazu wird also durch Atembewegungen zugleich Luft und Blut in die Lungen eingesaugt und herausgedrückt. Die Lufträume und die Bluträume der Alveolen füllen und entleeren sich in gleichem Rhythmus. Die Bluträume entleeren sich bei der Ausatmung gegen das linke Herz, dessen dadurch wechselnde Speisung die arteriellen Blut- Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 19% druckschwankungen "als Nachfolge der Lungenblutatmung hervor- bringt. | Die Blutströmung in den Lungenkapillaren wird durch Änderungen des Luftdrucks in den Lungenalveolen stark beeinflusst, was sich an der Speisung des linken Herzens und dadurch am arteriellen Blutdrucke deutlich bemerkbar macht. In solchen Beobachtungen, wo es auf die Schwankungen des mittleren arteriellen Blutdrucks ankommt, eignen sich besser kleine Tiere mit hoher Pulsfrequenz, Kaninchen, sowie die Registrierung des Drucks mit dem Quecksilber- manometer, wodurch die pulsatorischen Druckschwankungen abgedämpft werden. Mit dem arteriellen Blutdrucke sind zugleich auch die Atembewegungen zu registrieren, am besten plethysmo- graphisch, indem das Versuchstier in einen Atemkasten luftdicht eingeschlossen wird und die eingeschlossene Luft, durch eingelegte passende Körper auf ein kleines Maass gebracht, mittels einer Marey’schen Kapsel die Volumschwankungen der Atmung auf- schreibt. Diese Registrierung kann so fein gemacht werden, dass an der Atmungskurve auch die kardiopneumatischen Bewegungen sichtbar werden können. Das Tier atmet mittels einer T förmigen Trachealkanüle, durch deren Querstück, aus einem Gasometer, ein ge- linder Luftstrom geleitet wird, aus welchem das Tier erleichtert einatmet, und in welchen es etwas erschwert ausatmet; dadurch wird jede Röhrendyspnöe vermieden. Diese Einriehtung ist schon in Pflüger’s Arch. (Bd. 91 S. 529. 1902) beschrieben. (Siehe auch Pflüger’s Arch. Bd. 79 S. 197.) Der grosse Einfluss der respiratorischen intraalveolaren Luft- druckschwankungen auf den Blutstrom in den Lungen, auf die Speisung des linken Herzens und den arteriellen Blutdruck zeigt sich in folgenden einfachen Versuchen (Fig. 1). Bei ruhiger Atmung und . seichten arteriellen Blutdruckwellen wird plötzlich die Luftzuleitungs- röhre verschlossen. Die folgenden Atembewegungen bewirken nun stärkere Luftdruckschwankungen in den Alveolen; die Lungen können keine Luft ein- und ausatmen, wohl aber Blut. Das linke Herz wird rhythmisch mit mehr: Blut gespeist, die arteriellen Blutdruck- wellen werden bedeutend höher, und der arterielle Blutdruck steigt. Wird die Luftatmung freigegeben, so werden die Blutdruckwellen sofort seichter, und der Blutdruck sinkt. Diese Änderungen nehmen einen so raschen Verlauf, dass sie kaum auf Dyspnöe zu be- ziehen- sind. 200 Franz Mares: Der Blutstrom durch die Lungenkapillaren wird durch Erhöhung des Luftdrucks in den Alveolen sehr behindert, so dass infolge der spärlicheren Speisung des linken Herzens mit Erhebung des Luftdrucks in den Lungenalveolen der arterielle Blutdruck sinkt. So bewirken rasche Einblasungen in die Lungen mittels eines Blasebalges, wie sie zur Erzielung einer Apnöe angewendet werden, eine sehr be- (deutende Herabsetzung des arteriellen Blutdrucks, wobei die respira- Fig. 1. Vergrösserung der respiratorischen Blutdruckwellen durch Steigerung der respiratorischen Luftdruckschwankungen im Brustraume infolge Verschlusses der Luttzuleitung, wodurch gleichzeitig die respiratorischen Volumschwankungen des Brustraumes verkleinert werden. | AS UNNNANAMAANM N — | Fig. 2. Herabsetzung des arteriellen Blutdruckes infolge schneller Lufteinblasungen in die Lungen. Exspirationsstellung des Thorax während der Einblasungen. Nachfolgende Apnöe als eine sehr gedcehnte Inspirationsbewegung. Einsetzen der regelmässigen Atmung mit einer seichten Exspirationsbewegung. torischen Blutdruckwellen verschwinden (Fig. 2). Mit dem Aufhören der Lufteinblasungen beeinnt der Blutdruck sofort zu steigen und erreicht während der nachfolgenden Apnöe die ursprüngliche Höhe. Die plethysmographische Registrierung der Atmung zeigt hier, wie der Brustraum während der Lufteinblasungen eine tiefere und tiefere Exspirationsstellung einnimmt, was offenbar im Sinne eines Herine- Breuer’schen Reflexes zu deuten ist. Die nachfolgende Apnöe stellt sich dann nicht als ein Ruhezustand des Atmungsapparates dar, sondern als eine sehr langsame inspiratorische Bewegung, ‘so dass dann die regelmässige Atmung mit einer seichten Exspiration beginnt. Dieses Verhalten ist ganz typisch, es steht offenbar mit dem Hering-Breuer’schen Reflexe in Zusammenhang und dürfte auf eine zentripetale Reizung des Lungenvagus zurückgeführt werden. \D Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 201 Dureh stufenweise Steigerung des Luftdrucks in den Lungen- alveolen kann man den arteriellen Blutdruck auf eine beliebige Stufe herabsetzen. Fig. 3 stellt ein Beispiel aus einer Reihe solcher Versuche dar. Der Druck des aus einem Gasometer durch das Quer- stück einer Trachealkanüle geleiteten Luftstromes wurde auf etwa 20 mm He erhöht: dadurch wurde der arterielle Blutdruck sofort von 72 auf 44 mm Hg herabgedrück. Mit der Aufhebung des über- mässigen Luftdruckes steigt der arterielle Blutdruck sofort auf 54 mm Hg und erreicht dann langsamer die ursprüngliche Höhe. Die Erhöhung des Luftdrucks in der Trachealkanüle behindert sehr die Ausatmung, was besonders beim ersten Atemzuge hervortritt. Der Atmungsrhythmus wird durch längere Exspirationspausen ver- langsamt. Die respiratorischen Blutdruckwellen treten hier stärker hervor; sie ändern parallel mit der Atmung ihren Rhythmus, Fig. 3. Herabsetzung des arteriellen Blutdruckes durch Steigerung des Atmungs- luftdruckes; Erschwerung der Ausatmung, Aufblähung des Thorax; stärkere Ausprägung respiratorischer Blutdruckwellen von fast sinusoidaler Form bei be- hinderten und durch längere Pausen getrennten Atembewegungen. ihre Frequenz wird geringer. Aber die Form der Blutdruckwellen wird von der der Atembewegungen sehr verschieden: diese sind durch längere Exspirationspausen unterbrochen, während die Blut- druckwellen eine stetige Bewegung von fast sinusoidaler Form anzeigen. Dieses Merkmal erregt die Frage, ob diese Blutdruck- wellen als einfach mechanische Folgen der respiratorischen Druck- änderungen im Brustraume, im Sinne von Ludwig-Einbrodt aufzufassen sind, oder aber, ob sie rhythmischen Bewegungen des _ peripheren Gefässsystems im Sinne von Traube-Hering ent- sprechen. | Die in unseren Versuchen angewendete Durchlüftungsweise der Trachealkanüle kann leicht in die von Meltzer und Auer an- gegebene Methode zur Erzielung der Apnöe umgewandelt werden, dureh Anwendung einer doppelgängigen, bis zur Bifurkation reichen- den Trachealkanüle. Der aus dem Gäsometer durch eine solche 202 Franz Mares: Kanüle geleitete Luftstrom dringt dann tief in die Luftwege ein. Wird der diesen Luftstrom treibende Druck auf etwa 25 mm Hg erhöht, so erhält man:die Meltzer-Auer’sche „Apnöe“, wovon Fig. 4 ein Beispiel darstellt. Die Atembewegungen werden hier durch Erschwerung oder gar. Verhinderung der Exspira- tion eingestellt, die gleich- sam aufgeblähien Lungen verharren in einer Inspira- tionsstellung. Im weiteren Verlaufe dieser „Apnöe“ kommen allmählich zuerst ganz oberflächliche Atem- bewegungen zum Vorschein. Wird der die Lungen auf- blähende Luftdruck plötz- lich aufgehoben, so sinkt der Brustraum sofort in eine tiefe Exspirations- stellung herab, offenbar auf Grund des Hering- Breuer’schen Reflexes; sofort setzen beschleunigte Atembewegungen ein; nach etwa vier Atemzügen kehrt der Brustraum 'in die Nor- malstellung zurück. Beson- ” ährend der Aufblähung des entsprechenden Blutdruckwelle, egungen zu Ende der „Apnöe“. Mit $ des Thorax durch den Hering- 'änkte Ausatmung, Aufblähung des Thorax; sehr geringe angestrengte Atembew Tiefe Herabsetzung des arteriellen Blutdruckes w beginnend mit einem seichten Tale und mit nachfolgendem hohen Berge. Ein vereinzelter Atemzug am Anfang der „Apnöe“ mit der „Apnöe* nach Meltzer-Aucr; beschı Anderungen des Thoraxraumes durch sichtlich Aufhebung des Atmungsluftdruckes eine tiefe Exspirationsstellun x ders zu beachten ist hier 3 das Verhalten des arteri- = ‘ellen Blutdrucks: mit = dem Aufblähen der Lungen BER wird der Blutdruck rasch m = und sehr bedeutend, von Bs = S = —- ee ı Be & s B 2 2 8 gen die durch Aufblähun len Blutdruckes. Reaktion des Gefässsystems ge bewirkte tiefe Herabs 4 eferen Wellen; steile Schwankungen des Blut- des Blutdruckes unter Auftreten von Blutdruckwellen urch Freimachung der Herzdiastole. o des Thorax, bei der Meltzer-A uer’schen”,Apnöe“, 2 (=) Steigerung {o1 les Brustraumes, d dann von immer langsameren und ti druckes nach Entlastung d etzung des..arteriel zuerst im normalen Atmungsrhythmus, Fig. 5. Kaninchen, reagierten aber gegen die Lungenaufblähung ziemlich leb- haft, dieses sogar heftig. Diese Reaktion zeigt sich in sichtbaren, 204 Franz Mare®: angestrengten Atembewegungen, welche jedoch gegen den Druck des durch die Lungen geleiteten Luftstromes nur eine sehr geringe Änderung des Brustraumes bewirken und somit an der plethysmo- graphischen Atmungskurve kaum angedeutet sind. Besonders aber zeigt sich die Reaktion in einer Emporhebung des durch die Auf- blähung der Lungen herabgesetzten arteriellen Blutdruckes. Ein Beispiel davon zeigt die Fig. 5. Während hier der durch die Lungenaufblähung rasch herabgesetzte Blutdruck allmählieh wieder steigt, erscheinen beibestehender „Apnöe“ zuerst frequente und seichte (a), dann langsame und immer tiefere (b) Blutdruck- wellen, als wenn irgendwo ein Pumpwerk am Blutstrome zu ar- beiten anfınge. Diese während der Meltzer-Auer’schen „Apnöe“ auftretenden arteriellen Blutdruckwellen, auch von Foä!) beim kurarisierten Hunde beobachtet, könnten aufrhythmische, diastolisch-systolische Bewegungen der peripheren Körpergefässe bezogen werden. Da müsste aber zugleich eine zunehmende tonische Zusammen- ziehung derselben, wie sie bei höchster Disponöe vorkommt, an- genommen werden, weil die rhythmischen Bewegungen der peripheren Gefässe eine Senkung, nicht eine Erhebung des arteriellen Blutdrucks herbeiführen müssten. In diesem Falle wäre aber die Meltzer- Auer’sche „Apnöe“ nicht als ein Zustand befriedigten Atem- bedürfnisses und unnötiger Atembewegungen aufzufassen, sondern als ein Zustand höchster Dyspnöe; wo nur die Durchleitung von Luft durch die Trachea vor Erstickung schützt. Oder aber könnte die Reaktion gegen die Behinderung der Blutströmung zum linken Herzen durch die Lungenaufblähung in einer rhythmischen Tätigkeit der Lungengefässe bestehen, durch welche die Blut- ströomung zum linken Herzen rhythmisch gefördert und so die arteriellen Blutdruckwellen bei steigendem Blutdrucke hervorgebracht werden würden. Tatsächlich wird das linke Herz von den Lungen aus stark mit Blut überfüllt, wenn es sich gegen den (zum Beispiel durch Adrenalin) übermässig erhöhten arteriellen Blutdruck nur unvollständig entleeren kann. Vielleicht üben die Lungengefässe auf die Füllung des linken Herzens einen ähnlichen aktiven Einfluss aus wie die Körpergefässe auf die Füllung des rechten Herzens, 1) ©. Foä, Periodische Automatie des herzhemmenden und des vaso- motorischen Bulbärzentrums.. Pflüger’s Arch. Bd. 153 S. 513. 1913. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 205 den der oben erwähnte Versuch mit Unterbindung des Truncus arteriosus zeigt. Der Lungenkreislauf würde damit ein Rätsel mehr bieten. Jedenfalls ist die Meltzer-Auer’sche „Apnöe“ gar nicht als ein gleichgültiger Zustand anzusehen. Morawitz!) hat unter den sehr mannigfaltigen arteriellen Blutdruckwellen als eine besondere Art die „pulmonalen Reflexwellen“ aufgestellt. Sie sollten von den Lungen aus durch den Reiz sehr schneller Lufteinblasungen, ohne Vermittlung des Atmungszentrunis, allein durch Erregung einer rhythmischen Tätigkeit des Vasomotoren- zentrums zustande kommen. Vielleicht sind diese „pulmonalen Reflex- wellen“ mit.den bei der Meltzer’schen „Apnöe“ auftretenden gleichen Ursprungs, welcher in der mechanischen Behinderung des Lungenblutstromes durch den gesteigerten intraalveolaren Luftdruck zu suchen wäre. Der durch diese Behinderung des Lungenblut- stromes eintretende relative Sauerstoffmangel würde in den Geweben eine Beschleunigung des Blutstromes nötig machen, welche durch rhythmische Bewegungen der peripheren Gefässe bei gleichzeitiger tonischer Verengerung derselben bewirkt werden würde. Danach wären also diese Blutdruckwellen als Ausdruck einer Dyspnöe der Gewebe aufzufassen. Inwiefern ein solcher Zusammenhang, eine solche Koordination, einer Vermittelung des Nervensystems bedarf, ist eine Frage für sich. Durch Einbeziehung von „Nervenzentren“ in diese Verhältnisse wird die eigentliche Bedeutung der auftretenden rhythmischen Bewegungen verdeckt und ausser acht gelassen. Dyspnöe, besonders Dyspnöe aus relativem Sauerstoff- mangel, ruft solche arteriellen Blutdruckwellen bei steigendem Blutdrucke regelmässig hervor. So kann man diese Erscheinung durch Röhrendyspnöe zur allmählichen Entwicklung bringen. Fig. 6 zeigt einzelne Phasen dieser Entwicklung bei einem mit Chloral narkotisierten Kaninchen. In der ersten Phase der Atmung von in einer längeren Röhre stehender Luft sind die Atembewegungen noch ruhig (14 in der abgebildeten Phase), der Blutdruck. niedrig (52 mm Hg), die Pulsfrequenz mässig (57), die Blutdruckwellen nicht ausgebildet. In der zweiten Phase, nach einem Zeitabschnitte von etwa 100 Sekunden, erscheinen die Atembewegungen vertieft und etwas beschleunigt (18), die Pulsfrequenz verlangsamt (49), der Blutdruck l) P.Morawitz, Zur Differenzierung rhythmischer Blutdruckschwankungen. ° Arch. f. Physiol. 1903 8. 82. 206 Franz Mare®$: erhöht (72 mm Hg), langsame Blutdruckwellen kommen zum Vorschein. In der dritten Phase, nach einem weiteren Zeitabschnitte von 100 Sekun- = ‚.. den, bleiben dieAtembewegungen.unver- ändert, die Pulsfrequenz ist aber weiter gesunken (41), der. Blutdruck: bedeu- tend erhöht (94 mm Hg), die Blut- ‚drüuckwellen sehr ansehnlich verstärkt. Inder vierten Phase, bei gelinder Dureh- ». Jüftung der Atmungsröhre; schwinden .. ‚diese. Erscheinungen der Dyspnöe, die ' Blutdruckwellen' flauen ab,. der Blut- ‚druck sinkt ..bei zunehmender Puls- frequenz; 5), enzabnahme, Sekunden Phasen von je 15 in-vier Diese Erscheinungen entsprechen einem relativen Sauerstoffmangel der Gewebe, denn sie können auch durch Atmung sauerstoffarmer (15°o) Luft, bei guter Lungenventilation, her- vorgebracht werden. Bei ' Atmüng kohlensäurereicher, “aber genügend sauerstoffhaltiger Luft kommt es zu einer hochgradigen Blutdrucksteigerung -bei ‘abnehmender Pulzfreguenz, kaum aber zur Ausbildung von Blutdruck- wellen. ‚Der Zusammenhang “dieser ' Erscheinungen kann in der oben er- wähnten Weise:gedeutet werden. Dem Sauerstoffbedürfnisse der Gewebe kann bei spärlicher Sauerstoffzufuhr ins Blut '» durch Steigerung der Geschwin- digkeit des Blutstromes entsprochen spnöe ist Di er Blutdruckzunahme und Pulsfrequ Dauer nach Intervallen::von 100 Sekunden dargestellt. Der Verlauf der D #on-Blutdrackwellen bei Röhrendyspnöe, unter stetig hmender tonischer Gefässverengerung. j=10) RER R D \ s werden, und diese kann in den’ Ge- Lou = >] : = 2 E 5 weben durch rhythmische Bewegungen ein . ee ; 8 Rn =, ihres Gefässsystems bei gleichzeitiger ea . & u = tonischer Gefässverengerung' und Blut- 3 ‚ .drücksteigerung ”bewirkt werden. Es En . . . ” E2 ist wahrscheinlich, dass die rhyth- ‚mischen Bewegungen besonders von ‚den Gefässen der am meisten sauerstoffbedürftigsen Gewebe ausgeführt -werden, während das Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 207 Gefässsystem der Gewebe von geringem Sauerstoffbedürfnisse sich tonisch verengert. Es ist hier insbesondere die Unterscheidung zwischen Geschwindigkeitssteigerung des Blutstromes und Vergrösserung der strömenden Blutmenge hervorzuheben, welche bisher kaum beachtet worden ist. Dieser Unterschied ist besonders in Hinsicht auf die herrschende vasomotorische Theorie wichtig. Die durch diastolisch-systolische Bewegungen des Gefässsystems bewirkten arteriellen Blutdruckwellen zeigen eine überaus grosse Mannigfaltigkeit und Veränderlichkeit ebenso in ihrer Periodizität und ihrem Rhythmus als in ihrer Amplitude und besonders auch in ihrer Form. „Spontan“ treten sie auf und verschwinden, manchmal wechseln sie plötzlich ihren Rhythmus und ihre Form, oft erscheinen gleichzeitig nebeneinander Blutdruckwellen verschiedener Periode und verschiedener Form. Dieses Nebeneinanderbestehen deutet dar- auf hin, dass der Ursprung verschiedener Wellen in verschiedenen Gefässgebieten zu suchen ist, so dass ein Gefässgebiet schnellere und ein anderes gleichzeitig langsamere rhythmische Bewegungen ausführt. - Die grosse Mannigfaltigkeit und Veränderlichkeit der Blutdruck- wellen ist schon von den ersten Beobachtern, wie S. Mayer!), hervor- gehoben worden. Nur eines erscheint fest in ihrer Flucht: ihre Beziehung zur Atmung und zum Atembedürfnisse. Die gewöhnlichsten Blutdruckwellen halten den Rhythmus der Atem- bewegungen ein. Doch hat schon Knoll?) darauf -hingewiesen, dass auch die Blutdruckwellen von längerer Periode bestimmten rhythmischen Niveauschwankungen der Atembewegungen entsprechen. Die Beziehung der Blutdruckwellen zum Atembedürfnisse offen- bart sich darin, dass sie ganz regelmässig bei Dyspnöe und be- sonders bei Erholung von der Asphyxie stark hervortreten. Die bisherigen Untersuchungen der vom Atmungsmechanismus unabhängigen, obwohl doch mit der Atmung zusammenhängenden arteriellen Blutdruckwellen hatten-an erster Stelle die Überwindung ihrer Mannigfaltigkeit durch ihre Klassifikation und Einreihung in 1) S. Mayer, Über spontane Blutdruckschwankungen. Sitzungsber. d. kais. Akad. in Wien Bd. 74. Oktober 1876. 2) Ph. Knoll, Periodische Atmungs- und Blutdruckschwankungen. 'Sitzungs- berichte d. kais. Akad. in Wien Bd. 92 S.493. 1885. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 14 208 Franz Mares: Ordnungen zum Ziele. Die Traube-Hering’schen Wellen wurden von den Ludwig-Einbrodt’schen auf Grund ihres Zustande- kommens abgesondert; sie sollten nach Traube bei kurarisierten und vagotemierten Hunden und Katzen vorkommen. Hering be- obachtete sie auch beim Kaninchen, besonders bei einer gewissen venösen Beschaffenheit des arteriellen Blutes. Frederieq und Plumier!) wiesen ihre Unabhängigkeit vom Atmungsmechanismus nach, da sie auch bei Tieren mit weit eröffneten Brustraume, parallel mit den Atembewegungen der Rippenstümpfe auftreten. Von den Traube-Hering’scehen Wellen hat Fredericg?) die spontan auftretenden, vasomotorischen Blutdruckwellen von einem langsameren als dem Atmungsrhythmus unterschieden ‚und als S. Mayer’sche oder Wellen dritter Ordnung bezeichnet. Durch diese Klassifizierungen ist jedoch die Manniefaltigkeit der arteriellen Blut- druckwellen nicht erschöpft. Das wissenschaftliche Interesse wär bisher nur der Entstehungs- weise der arteriellen Blutdruckwellen zugewendet. Man nahm, seit Traube, an, dass die den Atmungsrhythmus einhaltenden Bilut- druckwellen durch rhythmische Innervation der Blutgefässe vom Atmungszentrum aus hervorgerufen werden. Ebenso erklärte Hering ihr Auftreten durch assoziierte Innervation der Blutgefässe und der Atembewegungen, worauf sich seine Bezeichnung derselben als „Atem- bewegungen des Gefässsystems“ bezieht. Man dachte weiter an eine assoziierte Tätigkeit des Atmungszentrums mit dem Herzvaguszentrum und dem Vasokonstriktorenzentrum im verlängerten Marke. Mit der Inspiration geht eine Steigerung der Pulsfrequenz einher, woraus eine Abnahme des Herzvagustonus erschlossen wurde; dieser Steigerung der Pulsfrequenz schrieb Frederieq einen Anteil an der nachfolgenden arteriellen Blutdrucksteigerung zu. Henderson und Barringer führen die Blutdruckwellen überhaupt nur auf respiratorische Änderungen der Pulsfrequenz zurück. Mit der In- spiration nahm man ‘auch eine Abnahme des Vasokonstriktoren- zentrums. als verbunden an. Wertheimer und Meyer?) be- trachteten das Atmungszentrum und die beiden Zirkulationszentren DL. Plumier, Traveaux du lab. de L. Fredericq t. 2 p. 352. 1899. 2) L. edertea, Arch. f. Physiol. S. 551 1887. 3) E. Wertheimer et E. Meyer, Variations respiratoires du harte dur caur. Audios de Physiol. 1889 p. 24. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 209 als eine funktionelle Einheit, so dass der Innervationsimpuls für die Atmungsmuskeln nur unter Abnahme des Innervationsimpulses zum Herzvagus und zu den Vasokonstriktoren erfolgen kann. Rulot und Cuveilier!) dachten an eine assoziierte rhythmische Tätigkeit dieser Zentren, welche unter noch nicht aufgeklärten Umständen zutage tritt. Nolf?) sprach. von einer habituellen Synergie dieser Zentren. | ES. Die Entstehung der Traube-Hering’schen Blutdruckwellen oder Wellen zweiter Ordnung, wird also auf einen Innervationsmechanis- mus zurückgeführt, in welchem das Atmungszentrum, wohl als ein automatisches Nervenzentrum, die führende Rolle spielen würde. Die Innervation der Atembewegungen wird hier als die ursprüngliche primäre Verrichtung betrachtet, von welcher die Innervation des Herzens und der Blutgefässe abhängig wäre. Die Bedeutung der hier angenommenen Assoziation oder Synergie bleibt jedoch unbeachtet. Diese Auffassung erscheint bei der Betrachtung der Blutdruck- wellen dritter Ordnung, welche ihren eigenen Rhythmus haben, un- zureichend. Diese Wellen erscheinen und verschwinden spontan und ändern oft ihren Rhythmus und ihre Form. Bottazzi?) hat eine systematische Untersuchung der Blutdruekwellen zweiter und dritter Ordnung unternommen und bei normalen, nicht narkotisierten Hunden gefunden, dass die Traube-Hering’schen Wellen wohl mit den Atembewegungen zusammenfallen, dass jedoch dieser Parallelismus kein absoluter ist, sowohl hinsichtlich der Zeitfolge als der Intensität. Der Synchronismus der vasomotorischen mit den Atmungs- impulsen der betreffenden Bulbuszentren findet, nach Bottazzi, nur so lange statt, als die Atmung des Tieres regelmässig und ruhig ist. Beim Aufhören oder bei abnormer Beschleunigung der Atem- bewegungen verwirren sich die Druckschwankungen zweiter Ordnung, nehmen einen eigenen, beständig unregelmässigen Rhythmus an oder hören vollständig auf. Der erwähnte Synchronismus findet, meint Bottazzi, in den Zentren wahrscheinlich mittels intrazentraler 1) Rulot et Cuveilier, Traveaux du labor. de L. Fredericgq. Liege TVep.1,,69521908 2) Nolf, Traveaux du labor. de L. Fredericgq t.7.p. 113. 1904. 3) Ph. Bottazzi, Zur Genese der Blutdruckschwankungen dritter Ordnung, Zeitschr. £. Biol.’ Bd..47 S. 487. 1906. 14* 210 Franz Mares: Bahnen statt. Blutdruckschwankungen dritter Ordnung, welche von Lueciani!) als Ausdruck einer autochthonen und automatischen, tonischen sowohl als rhythmischen Tätigkeit der muskulösen Gefäss- wände aufgefasst worden sind, können nach Bottazzi als. solche nur dann erkannt werden, wenn sie gleichzeitig mit den Schwan- kungen zweiter Ordnung vorkommen. Sie treten unter normalen Bedingungen selten auf, woraus Bottazzi schliesst, dass sie nicht den funktionellen Ausdruck eines normalerweise in Aktion tretenden physiologischen Mechanismus darstellen, sondern reflektorische Reak- tionen auf Reizung jeglicher Natur sind, und dass sie hypothetischer- weise zentralen oder peripheren Ursprungs sein können. Zweifellos existieren nach Bottazzi Schwankungen dritter Ordnung zentralen Ursprungs. Oft zeigen Hunde periodische Bewegungen aller Körper- muskeln, als ob nervöse Entladungen von den Zentren aus ein allgemeines Zusammenfahren des Körpers bedingen würden, dem eine sehr weite Blutdrucksehwankung entspricht. Diese nervösen Entladungen, meint Bottazzi, treffen wahrscheinlich auch das vasomotorische Zentrum, ähnlich wie breite Wellen, und rufen die Blutdruckschwankungen hervor. Die Genese der Schwankungen dritter Ordnung beruht demnach auf vom Zentrum ausgehenden gefässverengenden Impulsen; doch meint Bottazzi, dass sie auch peripheren Ursprungs sein könnten, ja es könne noch nicht die Möglichkeit in Abrede gestellt werden, dass sie ausschliesslich peri- pherer Herkunft sind. Zuletzt hat Foä?) die Traube- Hering schen Blutdruck- wellen beim Hunde im Zustande der Meltzer-Auer’schen „Apnöe“, „wo der Atmungsapparat unbeweglich ist und das Blut sowie die Nervenzentren sauerstoffreich erhalten werden“, untersucht. Die Blutdruckwellen bestehen hier ihrer Form und ihrem Rhythmus nach fort, auch wenn die Atembewegungen durch Kurarisierung des Tieres ganz ausgeschlossen sind. Nach Foä können die arteriellen Blut- druckschwankungen sowie die Schwankungen der Herzfrequenz, welche im gleichen Rhythmus wie die Atembewegungen erfolgen, keiner anderen Ursache zugeschrieben werden als einer auto- matischen, periodischen Tätigkeitder derInnervation 1) L. Luciani, Physiol. d. Menschen Bd. 1 S. 276. 1904. 2) C. Foä, Periodische Automatie des herzhemmenden und des vaso- motorischen Bulbärzentrums. Pflüger’s Arch. Bd. 153 3.513. 1913. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 2]1 des Herzens und der Gefässe vorstehenden Bulbär- zentren. Sie entstehen nicht durch Innervationsimpulse aus dem Atmungszentrum, welche auch das Herzvagus- und das vasomotorische Zentrum treffen würden; denn eine leichte Chloraldosis kann beim Hunde das Atmungszentrum inaktiv machen, das vasomotorische Zentrum bleibt aber periodisch aktiv. Ebenso hat bereits Wood!) die „Atembewegungen des Gefässsystems“ für unabhängig vom Atmungszentrum gehalten, da sie nach Vergiftung dieses Zentrums mit veratrum viride fortdauern. Kowalewski?) sah sie selbst nach Abtrennung des verlängerten Markes ungestört fortdauern. Wenn also die Traube-Hering’schen Blutdruckwellen, schliesst Foä, als „Atembewegungen der Gefässe“ definiert werden, so können wir diese Bezeichnung nicht in dem Sinne beibehalten, dass sie von der Tätigkeit des Atmungszentrums abhängen, sondern nur weil die vasomotorischen Perioden unter normalen Verhältnissen denselben Rhythmus wie die Atmung haben. Ä Blutdruckwellen dritter Ordnung sind, nach Foä, bei ruhigen und narkotisierten Hunden selten, erscheinen nur bei verallgemeinerten Muskelbewegungen oder Intoxikationen, bei kurarisierten Hunden auch unmittelbar nach Durchschneidung der Vagi. Sie bestehen auch in tiefster Chloralnarkose fort, wo die respiratorischen Blut- druckwellen verschwinden. Dies beweist, meint Foä, eine tiefgehende Verschiedenheit der beiden Wellenarten; die Wellen dritter Ordnung rühren von automatischen Bewegungen der Blutgefässe her und sind also peripheren Ursprungs, wogegen die respiratorischen. Blut- druckwellen durch Impulse von einem Bulbuszentrum hervorgerufen werden. Im Vordergrunde der Betrachtungen stehen die Traube- Hering’schen Wellen wegen ihres Verhältnisses zur Atmung. Die unregelmässig und selten auftretenden Blutdruckwellen dritter Ord- nung erwecken weniger Interesse, und man wäre geneigt, die sie hervorrufenden Bewegungen der Blutgefässe als automatisch auf- zufassen, nach dem Vorbilde der von Schiff an den Ohrarterien des Kaninchens beobachteten peristaltischen Bewegungen. Der Parallelismus zwischen den Traube-Hering’schen Blut- druckwellen und den Atembewegungen wird auf eine Assoziation 1) H. C. Wood, Origin of Traube curves. The Americ. Journ. of Physiol. vol. 2 p. 352. 1899. 2) N. Kowalewski, Arch. f. Physiol. 1872 S. 757; 1877 S. 417. 2]2 Franz Mares: oder Synergie zwischen den Kreislaufzentren und dem Atmungs- zentrum im verlängerten Marke zurückgeführt, wobei die. Initiative dem automatischen Atmungszentrum zugesprochen wird. Die Be- deutung einer solchen Assoziation oder Synergie wird aber gar nicht gewürdigt. Wenn man von einer Irradiation der vom Atmungs- zentrum ausgehenden Innervationsimpulse auf die benachbarten Herz- und Gefässzentren oder von nervösen Entladungen spricht, so erweckt es von dem Innervationsmechanismus eine Vorstellung wie vom Mechanismus der Witterungswechsel.e. Der Innervations- mechanismus aber ist zur Koordination der Verrichtungen, ent- sprechend den organischen Bedürfnissen, eingerichtet. So entsteht hier die Frage, welchem organischen Bedürfnisse die Koordination, Assoziation, Synergie der „Atembewe- gungen des Gefässsystems“ mit den Atembewegungen der Lungen zu entsprechen hätte. Der teleologische Leitfaden dürfte auch hier zur Auf- decekung des wirklichen Verhältnisses führen. Das Bedürfnis, welchem die „Atembewegungen des Gefässsystems“ zu entsprechen hätten, kann aus ihrer Wirkung erschlossen werden. Die Wirkung der rhythmischen, diastolisch-systolischen Bewegungen des peripheren (sefässsystems kann nicht bloss in der Hervorbringung von arteriellen Blutdruckwellen gelegen sein, denn diese sind offenbar nur eine Rückwirkung der eigentlichen Wirkung, welche wohl in einer Förderung des Blutstromes durch die Gewebe besteht. Das Bedürfnis, welchem die „Atembewegungen des Gefässsystems“ zu entsprechen haben, ist demnach in der Förderung des Blutstromes durch die Gewebe zu suchen, und es ist zweifellos in erster Linie. das Atmungsbedürfnis der Gewebe. Der Blutstrom durchlüftet gleichsam die Atmosphäre, in welcher die Gewebe atmen. Die Be- zeichnung „Atembewegungen des Gefässsystems“ wäre demnach im wörtlichen Sinne zu verstehen: Es sind Atembewe- sungen der inneren Atmung. Die Ursprünglichkeit der Atembewegungen des Gefässsystems dürfte in solchen Zuständen hervortreten, wo die Lungenatmung noch nicht in Funktion gesetzt ist oder ihre lahmgelegte Funktion erst wieder aufnimmt. Im fötalen Zustande ist das Atmungszentrum untätig und auch wenig erregbar; die äussere Atmung geschieht durch den Plazentarverkehr des Blutes. Automatisch-rhythmische Bewegungen der Plazentar- und Nabelschnurgefässe, wenn sie fest- Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 213 gestellt werden könnten, würden wahre „Atembewegungen der Blut- gefässe“ vorstellen. Ob die Nabelarterien, welche mit einer sehr mächtigen Muskulatur versehen sind, sich aktiv an den Pulsaktionen beteiligen und so den Plazentarblutstrom fördern, ist eine Frage. Grützner hat sie bejahend beantwortet, auf Grund seines Befundes, dass die künstliche Durchströmung lebender Nabelarterien besser in der natürlichen als in der entgegengesetzten Richtung vor sich geht. Hürthle konnte jedoch keine regelmässige Strömung durch diese Arterien herstellen. Die Nabelarterien verschliessen sich nämlich nach der Geburt automatisch durch Zusammenziehung ihrer kräftigen Muskulatur [Cohnstein und Zuntz'); Bueura?)]. Es ist aber sehr fraglich, ob sich diese Muskulatur nur in Hinsicht auf diese ihre letzte Funktion so stark entwickelt, vielmehr scheint es, dass ihre Entwicklung mit einer Funktion während des Fötallebens zusammenhängt, welche wohl in einer Förderung des Plazentarkreis- laufs bestehen kann. Dafür spricht, dass der Blutdruck in der Nabel- arterie viel niedriger ist als der arterielle Blutdruck des Neugeborenen, wogegen der venöse Druck viel höher ist, so dass zwischen den Nabelarterien und den Nabelvenen eine geringe Druckdifferenz be- steht (Cohnstein und Zuntz). Vielleicht fördern auch die Plazentar- gefässe selbst den Blutstrom, da nach der Geburt Blut aus der Plazenta in den Körper des Neugeborenen betrieben wird. Doch wenden wir uns zu anderen tatsächlich festgestellten Ver- hältnissen. Ein Zustand, in welchem die Ursprünglichkeit, entweder der Atembewegungen des Gefässsystems oder der der äusseren Atem- bewegungen, hervortreten könnte, ist die Asphyxie infolge voll- ständigen Sauerstoffmangels. In diesem Zustande werden die äusseren Atembewegungen eingestellt und der Blutkreislauf sehr abgeschwächt. Bei der nachfolgenden Erholung von der Asphyxie belebt sich der Blutkreislauf wieder, und die regelmässige Lungenatmung setzt wieder ein. Hier könnte es sich also zeigen, welches von beiden ur- sprünglicher ist und die Führung hat: die Atembewegungen des Gefäss- 1) J. Cohnstein und N. Zuntz, Untersuchungen über das Blut, den Kreislauf und die Atmung des Säugetierfötus. Pflüger’s Arch. Bd. 34 8. 173. 1884; Bd. 42 S. 342. 1888. 2) C. J. Bucura, Über den physiologischen Verschluss der Nabelarterien. Pfiüger’s Arch. Bd. 91 S. 462. 1902. 214 Franz Mares: systems, welche hier oft besonders stark hervortreten, oder die äusseren Atembewegungen ? Dieser Frage haben wir durch viele Jahre, seit unserer Unter- suchung über „Dyspnöe und Asphyxie* (Pflüger’s Arch. Bd. 91 S. 529. 1902), besondere Aufmerksamkeit zugewendet und verschiedene Belege dafür gesammelt, dass tatsächlich die Atembewegungen des Gefässsystems die ursprünglichen sind und den Rhythmus der äusseren Atembewegungen bestimmen. Die innere Atmung ist für die äussere bestimmend. Das Atmungsbedürfnis der Gewebe bestimmt zunächst ihre Blutdurch- strömung und bewirkt sie auch durch „Atembewegungen des Gefäss- systems“. In zweiter Linie wird dadurch auch die -Blutdurchströmung und Durehlüftung der Lungen bestimmt. Von allen Geweben hat wohl das Nervensystem das intensivste und dringendste Atmungs- bedürfnis. Es ist also anzunehmen, dass die Atembewegungen des Gefässsystems ebenso wie der Lungen in den Kreislaufs- und: Atmungszentren des verlängerten Markes ihren Ursprung nehmen. Doch ist damit nicht ausgeschlossen, dass alle Atembewegungen auch von jedem anderen in Atmungsnot geratenen Gewebe ausgelöst werden könnten. Die Lungenatmung, Durchblutung und Durchlüftung der Lungen einbegriffen, richtet sich zweifellos nach der inneren Atmung der Gewebe, als deren Ausdruck die „Atembewegungen des Gefässsystems“ zu betrachten wären. Denn die innere Atmung ist das Urphänomen, während die Lungenatmung eine sekundäre Hilfseinrichtung ist. Diese Betrachtung führt zu einer Umkehrung des bisher angenommenen Verhältnisses zwischen den Atembewegungen und den Traube- Hering’schen Wellen, so dass diese als Ausdruck der Atem- bewegungen des Gefässsystems den Rhythmus der Atembewegungen bestimmen würden. Diese Betrachtungen genügen gewiss nicht, um das zu behaupten, aber es wird durch dieselben die Freiheit er- lanst, eine solche Frage aufzustellen und den Erscheinungen in dieser Richtung nachzugehen, wie weit man da in der Erklärung des zwischen ihnen bestehenden Parallelismus kommen kann. Die Lungenatmung ist bei den Säugetieren so auffällig in den Vordergrund gerückt, dass die Atembewegungen des Gefässsystems sich dahinter verbergen. Unter gewöhnlichen Umständen werden jene immer als die Führenden erscheinen, voran das „automatische“ Atmungszentrum. Auch wenn die äusseren Atembewegungen un- Der allgem, Blutstrom und die F örderung der Blutdurchströmung usw. 215 möglich gemacht werden, so können doch die dabei auftretenden Traube-Hering’schen Wellen einer frustranen Innervation und Irradiation der Atmungsimpulse vom Atmungszentrum aus zugeschrieben werden, trotz oder vielmehr infolge der Unkontrollierbärkeit, ja Ir- rationalität einer solchen Hypothese. Die Atembewegungen erfolgen ganz regelmässig und unausgesetzt, wogegen die „Atembewegungen des Gefässsystems“ nur durch ihre Rückwirkung auf den arteriellen Blutdruck bemerkbar sind, wo sie dazu noch durch die Ludwig- Einbrodt’schen Wellen überdeckt werden können. Reine Sauerstoffmangelasphyxie wird dadurch herbeigeführt, dass anstatt des an der Tracheakanüle vorbeistreichenden Luftstromes Fig. 7. Anfang einer Sauerstoffmangel- Asphyxie; erstes Symptom steile Blut- ' drucksteigerung durch Gefässzusammenziehung; dann Abnahme der Herzfrequenz und Einstellung der Atembewegungen. ein Wasserstoff- oder Stickstoffstrom geleitet wird. Die Erholung von der Asphyxie erfolgt, sobald der Stickstofistrom wieder durch den Luftstrom ersetzt wird, ohne Nachhilfe mit künstlicher Lungen- durchlüftung. Als erstes Symptom des eintretenden Sauerstoffmangels erscheint regelmässig eine steile Erhebung des arteriellen Blutdrucks, hervor- gebracht durch eine rasche Verengerung des peripheren Gefäss- systems. Später erscheint Pulsverlangsamung infolge der asphyktischen Vagusreizung und allmähliche Abschwächung der Atembewegungen bis zu deren völliger Lahmlegung. Das Gefässsystem reagiert also als erstes auf den Sauerstoffmangel; ob unmittelbar oder durch Vermittelung des Nervensystems kann hier als eine besondere Frage dahingestellt bleiben. Diese Verhältnisse sind in Fig. 7 dargestellt. Man kann sie ebenso in der erwähnten Untersuchung nee S Arch. Bd. 91, Taf. XXI. Fig. 1, 3) finden. 216 Franz Mares: Die führende Rolle des Gefässsystems bei der At- mung tritt besonders deutlich bei der Erholung von der Asphyxie zutage. Der Blutkreislauf ist die ursprüngliche Atem- bewegung. Die Erholung von der Asphyxie erfolet durch Be- lebung des Blutkreislaufes, wo dann die Atembewegungen von selbst nachfolgen. Bereits in der angeführten Untersuchung über Asphyxie findet sich dieses Verhältnis hervorgehoben. Der Hauptfaktor bei der Erholung ist die Wiederherstellung des Blutkreislaufes; die Atembewegungen sind vom Blutkreislaufe abhängig. Die Erholung von der Asphyxie erfolgt manchmal nach Zuleitung von Luft zur Trachea sehr langsam, wenn nämlich die Lahmlegung der äusseren Atembewegungen andauert, so dass auch keine asphyk- tischen Atemzüge gemacht werden. Der Blutkreislauf ist bereits wieder belebt, aber das Blut wird bei andauerndem Stillstande der äusseren Atmung nur spärlich mit Sauerstoff versorgt. Da erscheinen oft tiefe langgezogene arterielle Blutdruckwellen von sehr regel- mässigem Rhythmus und Form. Und mit dem Berge der Blutdruck- weile kommt ein oder eine Gruppe von Atemzügen zum Vorschein. Ein sehr schlagender Beleg dafür findet sich in der erwähnten Ar- beit über Asphyxie (Pflüger’s Arch. Bd. 91) auf Tafel XXI, Fig. 7. Noch bedeutsamer ist Fig. 6 daselbst, wo die lange, regel- mässig fortschreitende Blutdruckwelle auf ihrem Berge eine Gruppe von Atemzügen trägt, welche von einer tiefen Einkerbung der Blut- druckwelle eingeleitet und von kleineren Blutdruckwellen begleitet sind. Das ist ein Beispiel Cheyne-Stokes’scher Atmung, welches ganz deutlich bezeugt, dass die Atemgruppen durch die Bluddruck- welle bestimmt sind. Neuerdings hat Barbour'!) periodische Gruppen von Atembewegungen von wahrem Cheyne-Stokes’schen Typus in. Verbindung mit Blutdruckwellen an mit Morphin vergifteten Katzen beobachtet, erklärte aber die Blutdruckwellen als eine Folge der periodisch aussetzenden Atembewegungen, doch ist seine Erklärung ziemlich kompliziert. Barbour hat eine solche periodische Atmung niemals ohne ausgesprochene Blutdruckwellen beobachtet und deshalb hervorgehoben, dass alle Theorien der periodischen Atmung auf die gleichzeitigen Blutdruckwellen Rücksicht zu nehmen hätten. : Die Abhängigkeit der äusseren Atembewegungen von den ar- 1) H. G. Barbour, Periodic respiration. 'The Journ. of Physiol. vol. 37 p- XX1. 1913. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 217 teriellen Blutdruckwellen kann bei etwas tiefer mit Chloral narkotisierten Kaninchen ganz spontan in. einer sehr deutlichen Weise hervortreten. Einen solchen seltenen ‚Fall stellt die Fig. S dar. Die Atembewegungen sind hier durch lange Pausen getrennt, 'er- scheinen gedehnt und angestrengt, auf eine krampfhafte Inspiration folgt eine aktive Exspiration. Diese seltsamen Atembewegungen entsprechen aber immer dem Berge einer sehr regel- mässigen, langgestreckten arteriellen Blutdruckwelle, wo gleichzeitig kleinere Blutdruckwellen im Rhythmus der ge- wöhnlichen Atembewegungen auftreten, welchen aber nur jene einzige krampf- hafte Atembewegung entspricht. Das Auftreten dieser Atembewegung wird offenbar durch die aufsteigende Phase der langgestreckten Blutdruck welle vorbereitet und durch ihren Berg gleichsam ausgelöst, in einer so be- stimmten Weise, dass man beim Kymo- graphieren dieses Falles (es wurden etwa zwölf solche Wellenlängen ver- zeichnet) aus dem Nahen des Wellen- berges das Auftreten des Atemzuges voraussagen Konnte. Die schweren Bewegungen des Thorax folgen, nach der asphyktischen Schädigung der Innervation, nicht immer dem leichteren Schritte der auftretenden Blutdruckwellen. Diese halten wohl ihren Rhythmus ein, die parallel gehenden Atembewegungen setzen aber hier und da aus; erst allmählich stellt sich ein fester Par- ge Pausen getrennte, Seltsame, durch lan Fig. 8. Abschwächung der Atmungsinnervation bei tieferer Chloralnarkose. Der Der Rhythmus , also mit einer Gruppe Die entsprechenden 1. chen Blutdruckwelle. der Blutdruckwellen erscheint hier als der ursprüngliche, Wellenberg mit kleineren Blutdruckwellen besetzt, die allmählich anwachsen und verschwinden respiratorischer Blutdruckwellen, die dem Cheyne-Stokes’schen Atmungstypus entsprecher Atembewesungen selbst erscheinen gleichsam zu einem einzigen, seltsamen Atemzuge verschmolzen. krampfhafte Atemzüge im Zusammenhange mit dem Wellenberge einer langen, periodis allelismus wieder her. Ein Beispiel gibt die Fig. 9, wo jedoch die Blutdruckwellen durch Schwankungen des Herzrhythmus hervor- gebracht erscheinen. 218 Franz Mares: Ein einziger Fall, wo die Blutdruekwellen den Rhythmus der normalen Ateınbewegungen einhalten würden, die Atembewegungen selbst aber zurückblieben, würde die Ursprünglichkeit der Blutdruck- wellen beweisen. Einen solehen Fall bietet Fie. 10. Nach einer sehr tiefen Asphyxie, wo es nötig war mit kurzer Lungendurchlüftung der Erholung nachzuhelfen, erhob sich der Blutdruck, und damit kamen auch spontane Atembewegungen, jedoch noch von asphyktischem Charakter, zum Vorschein. Jeder Atemzug entspricht einer seichten Finkerbung auf der sonst ziemlich geraden Blutdruckkurve, wodurch diese wellenartig gekerbt erscheint. Plötzlich aber erscheinen wahre Fig. 9. Während einer Erholung von der Asphyxie halten die Blutdruckwellen den Rhythmus ein, die Atembewegungen erscheinen arhythmisch. Fig. 10. Asphyktische, durch längere Pausen getrennte Atemzüge, verbunden mit Einkerbungen an der Blutdruckkurve, scheinbare Blutdruckwellen vor- täuschend. Spontanes Auftreten wahrer Blutdruckwellen im Rhythmus der nor- malen Atembewegungen, die hier aber durch die asphyktischen ersetzt bleiben. Blutdruckwellen im Rhythmus der normalen Atmung, echte Traube- Hering’sche Wellen, denen jedoch die asphyktischen Atemzüge nicht folgen können, so dass drei Blutdruckwellen in eine Periode der Atembewegungen fallen. Die während der Erholung von der Asphyxie auftretenden, durch längere Pausen -zetrennten asphyktischen Atemzüge sind regelmässig mit einer Einkerbung an der sonst gerade verlaufenden Blutdruckkurve verbunden, d. i. mit einer flüchtigen Blutdruck- senkung, welche nicht durch Verlangsamung der Pulsfrequenz oder Verminderung des Schlagvolums des linken Herzens verursacht, sondern vielmehr peripheren Ursprungs ist, als wenn der asphyktische Atemzug mit einer flüchtigen peripheren Gefässerweiterung verbunden wäre. In Fig. 10 stellen diese Einkerbungen schein- bare Blutdruckwellen dar, die sich aber von echten Blutdruck- Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 219 wellen durch ihre Form unterscheiden. Die asphyktischen Blut- drucksenkungen entsprechen nicht Tälern von echten Blutdruck wellen, weil sie auch isoliert oder in aperiodischen Intervallen, in Verbindung mit den asphyktischen Atemzügen, vorkommen. Fig. 11 zeigt die asphyktischen Blutdruckeinkerbungen und Atemzüge bei steigendem Blutdrucke während der Erholung von der Asphyxie, durch längere Pausen isoliert, so dass ersichtlich ist, dass die asphyktischen Blutdruckeinkerbungen nicht Teile von Blutdruckwellen sind. Die asphyktischen Blutdrucksenkungen in Verbindung mit asphyk- tischen Atemzügen treten besonders in Fig. 12 auffallend hervor. Am Anfang besteht hier tiefe Asphyxie mit Vagusherzstillstand und Atmungspause. Nach Luftzutritt steigt die Herzfrequenz und der Blutdruck; da erscheinen nun tiefe Einkerbungen an der Blutdruck- Fig. 11. Asphyktische Blutdruckeinkerbungen mit entsprechenden asphyktischen Atemzügen am Anfang der Erholung von der Asphyxie. Vor der dem vierten Atemzuge entsprechenden Blutdruckeinkerbung erscheint eine seichtere, gleichsam vorläufige Einkerbung ohne den zugehörigen Atemzug. Die Einkerbungen werden somit nicht durch die Atemzüge hervorgebracht. kurve und in Verbindung mit denselben die asphyktischen Atemzüge. Hier ist zu sehen, dass die asphyktischen Blutdrucksenkungen als eine ganz besondere, mit den asphyktischen Atemzügen in Zusammen- hang stehende Erscheinung zu betrachten sind, welche wahrscheinlich auf einer flüchtigen peripheren Gefässerweiterung beruht. Diese Er- ' scheinung ist ganz regelmässig. Belege dafür finden sich bereits in der ersten Untersuchung über Asphyxie. (Pflüger’s Arch. Bd. 91, Taf. XXII, Fig. 9.) | Der Unterschied zwischen den durch die asphyktischen Ein- kerbungen vorgetäuschten Blutdruckwellen und den echten Blutdruck- wellen zeigt sich deutlich in Fig. 13, welche eine ganz typische Erholung von der Asphyxie darstellt. Nach Luftzutritt steigt der Blutdruck mit zunehmender Pulsfrequenz. Auf der emporsteigenden Blutdruckkurve treten die asphyktischen Senkungen, begleitet von -uIHISIOA WNZ 9POLIaT Aadadue[ UOA uOTJa MM 919791} aouıuit ı97eds UHWWOYy uofjomyonıppirg woyosLiogeandset > USIMeM up uogeu !uodunddmaqwmeyy Aosaıp uaaAyny USE wıoq snd44sdununy Toflaramz “uogonyme udunsgmagwa}y USTBULIOU- ru ua‘ WI uojfomsponapymjg ayastıoyeatdsor aryem pfegos ‘uosnzwory uayasyyAydse u9p Aw uopummyosToA 9891p :uOsungToyuraganıpgulg oyasıyyAydse y9anp yduıpaq “uojfoaspnıpyujg drequroygas :soyponapyug sep Funaasto}g oyaseı yaınp arxÄydsy 19p uoA Sunjoyag "EI DIA S © , ri N =) 3 ; - es -uogungqaoyurayonipyngg uoyasıyyÄydse ; S uajor} Sıopuosoq Im Hdnzweoyy ayasıyyAydse Yıaynzyyny yoen osnedsdununy pun puegsjjlIsziapp-sndey yw omxAydsy 7] “Dıd © a Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 221 den asphyktischen Atemzügen, auf und täuschen scheinbare Blutdruck- wellen vor. Zwischen den asphyktischen Atemzügen erscheinen dann sehr schwache normale Atembewegungen, die rasch an Stärke zunehmen, so dass die asphyktischen Atemzüge zwischen ihnen ver- schwinden. Mit ihnen verschwinden auch die Blutdruckeinkerbungen, und echte Blutdruckwellen treten auf, zuerst im Rhythmus der nor- malen Atembewegungen, später auch noch Wellen von längerer Periode, deren Amplitude allmählich wächst, wie es nach Asphyxie regelmässig vorkommt, als wenn das Gefässsystem durch starke rhythmische Bewegungen das bei der Asphyxie abgebrauchte Blut in raschen Umlauf zu bringen suchte. Es entsteht die Frage, ob der asphyktische Atemzug ursprüng- lich ist und die ihn begleitende Blutdrucksenkung bewirkt, oder aber ob das Verhältnis nicht gerade umgekehrt ist, so dass die Blutdrucksengung die ursprüngliche wäre und den Atemzug auslöste. Ein vereinzelter Atemzug könnte durch die mechanische Druck- schwankung im Brustraume eine entsprechende Schwankung des arteriellen Blutdrucks bewirken, welche aber in einer Senkurg und einer nachfolgenden Erhebung bestehen müsste. So zeigte es sich bei dem vereinzeltem Atemzuge während der Meltzer-Auer’schen „Apnöe“, wie in der Fig. 4 dargestellt ist. Es ist kaum anzunehmen, dass ein vereinzelter Atemzug eine solche flüchtige Blutdrucksenkung herbeiführen würde, wie sie mit den asphyktischen Atemzügen ver- bunden erscheint. Viel wahrscheinlicher erscheint es, dass diese Blutdrucksenkung einer flüchtigen peripherischen Gefässerweiterung entspricht. Es wäre demnach ein asphyktischer Atemzug mit einer flüchtigen peripherischen Gefässerweiterung verbunden. Beides von einer gleichzeitigen Innervation herzuleiten, das. wäre eine Hypo- these, durch welche die Frage ohne Lösung abgebrochen werden würde. Es bleibt also die Möglickheit, dass die als eine Blutdruck- senkung auftretende flüchtige periphere Gefässerweiterung die ur- sprüngliche Bewegung ist, welche einen asphyktischen Atemzug einleitet. I Diese Möslichkeit ist als tatsächlich bestehend schwer nach- zuweisen. Doch können wir bestimmte Indizien dafür anführen. Die graphische Darstellung beider Bewegungen ist zur Entscheidung, welche von. beiden die ursprüngliche und führende ist, kaum zu verwerten. Bei noch so genauer Einstellung des leichten Pneumo- graphen und des schweren Quecksilberschreibers beim stillstehenden 322 Franz Mares: Kymographen kann man vor einer Verschiebung der Schreiber während der Rotation nicht sicher sein. Verlässlicher erscheint die unmittelbare Beobachtung der nahe aneinander gerückten Schreiber. Aus vielen Versuchen haben wir den Eindruck gewonnen, dass ein gewisses Zögern des Druckschreibers im Aufsteigen zuerst bemerk- bar ist, wonach das Auftreten der Drucksenkung und des Atem- zuges sicher zu erwarten ist. Das ist jedoch ein sehr subjektives Zeichen. DR Ein objektiver Beleg für die Ursprünglichkeit der Blutdruck- senkung könnte aber darin bestehen, wenn dieselbe das eine oder andere Mal ganz allein, ohne den begleitenden Atemzug auftreten ‘ würde, dieser aber nie öhne jene Drucksenkung. Solche Belege sind wir in der Lage vorzulegen. Fig. 11 zeigt die Blutdrucksenkungen in Begleitung der asphyk- tischen Atemzüge. Vor dem vierten Atemzuge erscheint jedoch eine schwache Blutdrucksenkung, der kein Atemzug entspricht. Erst die gleich nachfolgende stärkere Drucksenkung löst einen Atemzug aus. Während der Kohlensäurenarkose verlängern sich die Atem- pausen, so dass die Atemzüge ganz vereinzelt erscheinen, wie die asphyktischen Atemzüge bei Sauerstoffmangel. Unter Kohlensäure- einfluss steigt der Blutdruck allmählich nach einer langsam ‚vorüber- gehenden anfänglichen Senkung, alle Blutdruckwellen ausser den Pulswellen werden ganz ausgeglichen, die Blutdruckkurve verläuft ziemlich gerade. Jeder vereinzelte Atemzug erscheint auch hier mit einer flüchtigen Blutdrucksenkung verbunden, wie aus Fig. 14 zu ersehen ist. Nun erscheint hier aber nach einer Atempause von 33’ eine dreimalige respiratorische Blutdrucksenkung, bevor der Atemzug eintritt. Ganz ähnliche ‘ Blutdrucksenkungen erscheinen dann wieder nach 18” gruppenweise, ohne jedoch einen Atemzug auszulösen. Dieser erscheint erst nach 60” in Begleitung. einer respiratorischen Drucksenkung. Diese wohl seltenen aber desto schwerer wiegenden Belege machen es sehr wahrscheinlich, dass eine flüchtige peripherische Gefässerweiterung, als welche die respiratorische Blutdrucksenkung zu deuten ist, als ursprüngliche Atembewegung den äusseren Atemzug einleitet. Diese Gefässerweiterung bedeutet gleichsam einen Blutatemzug des Gewebes, durch welchen ein Luftatemzug ausgelöst wird. Auf diese Weise würde die innere Atmung die äussere bestimmen. ® Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 223 Bei der Erholung von der Sauerstoffmangelasphyxie entwickeln sich die normalen Atembewegungen allmählich, indem zwischen den “uojeuion wnz SıIq yaıgewpe gas JStunajgoseq snwyJAyy 19 „ogen oe] Wergt Opfemyonapynig oIp goIs uuom ‘uro 72998 Sunumeurm oıp *orxAydsy op uoA Zunjoyug out pusıyem WIO,g AOpepIoSnurs 7se7 UOA uOT[oMyONnIPINIg opuoyas Jorpered pun osnzwaIy-oJuugı1s3 uasneg 91adue] Yang 'cT Si . - | N anaanaaN : ann ; MR Ma N Rh it NULTER, Ynk Una nam jene: Y MY San HaArE a SL = Fern ee NN Ian | nA r { a Ya N N A Aal *JuT9y9sI9 IJSOJEFSNE wEsy9Ta]3 Zunqaoyumyonapjug 3NLıp Ip y9ınp 3819 op ‘uapunyag (9 U0A asneg A9uly ydeu SnzwaJYy u9uls 38192 Yıuyasqy ayLıp 19 "Sungasyursyonıpynjg uapusy9aıdsJu9 Aap Im SuzwaIy UEPuajanyne osneg uadue] uapunyaS 0E A9uld yoeu uaulo J9laz JYLugasqY 9omz Aal] uapungqaoa Sunqsayumayanipyng USJqIIS A9uLa JIW UOUTIYISII AANZWOIV U9JUUIA9 UASNeT Adaduef Aaowwı yaanp alq 9SONIEeUIINESUSTgOY UEFEIJ OUT Pu9ıgem uapfomyonıpynjg usyrpdurepadge Sıpueysjfoa 194 pun zuanbaırsing Jopuawyauge 1a Sundosısgsyonipujg yo FI "SI N E TER Van RER Inn van, va UN RANNARRANMNN asphyktischen Atemzügen zunächst ganz schwache Atembewegungen im normalen Rhythmus auftreten, welche dann an Stärke zunehmen, so dass dann die asphyktischen Atemzüge unter ihnen verschwinden. 15 Bd. 165. Pflüger’s Archiv für Physiologie. 224 * Franz Mares: Es tritt hier also während eines kurzen Zeitabschnittes zweierlei Typus von Atembewegungen zum Vorschein, worauf bereits in der Untersuchung über Asphyxie aufmerksam gemacht worden ist, wo sich auch Belege dafür vorfinden (Pflüger’s Arch. Bd. 91, Taf. XXII, 10, 31112): Die hier vorliegende Fig. 13 bietet ein weiteres Beispiel des zweifachen Atmungstypus während einer Phase der Erholung von der Asphyxie und zeigt nebstdem, dass mit den normalen Atem- bewegungen auch die echten respiratorischen Blutdruckwellen zum Vorschein kommen. Aus diesem Beispiele ist aber nicht zu ersehen, was ursprünglich ist, die normalen Atembewegungen oder die echten respiratorischen Blutdruckwellen. Die gerade auftretenden sehr schwachen Atembewegungen sind wohl früher zu beobachten; das. kann aber durch die Trägheit des Quecksilbermanometers bedingt. sein, welcher die ersten schwachen Druckschwankungen dämpft. Die Wiederbelebung des Blutkreislaufes und die Wiederaufnahme: der äusseren Atembewegungen bei der Erholung von der Asphyxie: können individuell verschiedene Formen annehmen. Eine wohl seltene: aber desto bedeutsamere Form ist in Fig. 15 dargestellt. Nach Luftzutritt erscheinen sofort kräftige Atemzüge in Verbindung mit sehr ausgeprägten Blutdruckwellen, so dass beide gleichen: Schritt halten. Anfangs ist der Schritt langsam, die Atemzüge sind durch. längere Pausen getrennt und die Blutdruckwellen gestreckt. Allmählich. wird aber der Rhythmus schneller, bis die Atembewegungen und die: Blutdruckwellen ganz normal erscheinen. Das Bedeutsame ist hier das Zusammenfallen der Phasen der Blutdruckwellen und der Atem- bewegungen: Der Atemzug beginnt, wenn sich die Blut- druckwelle ihrem Tale nähert. Man könnte diese Blutdruck- wellen für die Ludwig-Einbrodt’schen halten. Sind es aber echte Traube-Hering’sche Wellen, dann fällt die äussere Ein- atmung mit der Erweiterung des peripheren Gefässsystems zusammen: Die Bluteinatmung des Gewebeszieht die Lufteinatmung der Lungen nach sich. Dass die innere Atmung für die äussere bestimmend ist, wird wohl aus allgemeinen Gründen als feststehend angenommen. Aber die Art und Weise dieses Zusammenhanges wird durch trübe Vorstellungen erläutert. Das Nervensystem gilt noch immer: nicht nur als Beherrscher, sondern auch als Urquell der Verrichtungen. . So hätte ein intensiv tätiges Organ seine Atemnot nur dem „auto- Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 295 matischen“ Atmungszentrum zu melden, welches dann das Nötige veranlasst; die Meldung mag durch Bluthormone oder auf nervösem Wege geschehen. In dem so vorgestellten Zusammenhange fehlt aber das Wichtigste: das Blut und sein Kreislauf. Dem gesteigerten Atembedürfnisse eines tätigen Organs kann nur durch gesteigerte Blutdurchströmung desselben entsprochen werden; und diese wird in erster Linie durch rhythmische Tätigkeit seines eigenen Gefäss- system herbeigeführt, welches die Atemnot auch selbst direkt ver- spürt. Die gesteigerte Blutdurehströmung rhythmisch tätiger Muskeln wird durch ihre eigenen Kontraktionen hervorgebracht, der dadurch verstärkte Blutzufluss zum rechten Herzvorhof ruft eine Steigerung der Herzfrequenz hervor, und diese Verstärkung des allgemeinen Blutstromes bewirkt zweifellos auch die Verstärkung der Lungen- atmung. Es mag in diesem Zusammenhange wohl auch das Nerven- system eine Rolle spielen; aber diese kann unmöglich als eine „Irradiation* der motorischen Impulse auf das Herz- und Atmungszentrum‘“ dargestellt werden. Wir kommen auf diese Frage bei der Erörterung des Eigenbetriebes der Blutdurch- strömung der Muskeln zurück. Die äusseren Atembewegungen sind ganz gewiss von den mechanischen Verhältnissen des Blutkreislaufes abhängig. Das ergibt sich aus der Gesamtheit der Erscheinungen bei der Erholung von der Asphyxie, wo das Nervensystem offensichtlich erst allmählich von seiner Betäubung erwacht. Ein sehr schlagendes Beispiel für jene Abhängigkeit hat unlängst Hofbauer!) gebracht. Auf Grund der Erfahrung, dass Affekte mit Zirkulations- und Atmungs- störungen verbunden zu sein pflegen, untersuchte Hofbauer die Beziehungen zwischen Blutdruck und Atmung und fand, dass eine plötzliche Blutdrucksenkung, ‚hervorgebracht durch Eröffnung der Bauchaorta, immer vertiefte Atemzüge mit längeren Atempausen zur Folge hat; nach Wiederherstellung des Blutdrucks wird die Atmung wieder regelmässig. „Ob dies eine direkte Wirkung des Blutdrucks ist oder nervöse Verbindungen zwischen den Gefässzentren und dem Atemzentrum dabei mitspielen“, das lässt Hofbauer dahingestellt. Es können dabei nervöse Verbindungen des Gefässsystems mit dem Atmungszentrum mitspielen. Darauf weist der Einfluss 1) L. Hofbauer, Beziehungen zwischen Blutdruck und Atmung. Pflüger’s Arch. Bd. 138 S. 134. 1911. 15* 226 Franz Mares: einer Depressorreizung auf die Atembewegungen hin. Francois Franek!) hat vor Jahren angegeben, dass abnormale Erregung der Fig. 16. Verwirrung der Atembewegungen bei elektrischer Reizung des zentralen Depressorstumpfes. Aorta oder des Herzens reflektorisch Stör- ungen der Atembewegungen hervorrufen kann. Eine mechanische Erregung der Aortenintima oder des Endokards’ hat einen inspiratorischen Krampf zur Folge; es kann dabei auch zu einer Dispnöe mit Ver- tiefung und Verlangsamung oder mit Be- schleunigung und Abflachung der Atem- bewegungen kommen. Wir haben eine besondere Aufmerksamkeit dem Einfluss der elektrischen Reizung des Nervus depressor auf die Atembewegungen zu- gewendet und fanden dabei diese sehr selten unverändert. Meistens werden die Atem- bewegungen unregelmässig verworren, wie in der Fig. 16, abgeflacht und beschleunigt, in manchen Fällen aber auch vertieft und verzögert. Es ist unmöglich, durch künstliche Reizung eines zentripetalen Ner- ven seine natürliche, von seinen durch den adäquaten Reiz erregten Rezeptoren geregelte Wirkungsweise zu. erforschen. Man muss sich hier also mit der Feststellung eines Einflusses der zentripetalen Gefässnerven auf die Atmung begnügen. Als adäquater Reiz für die Depressor- rezeptoren werden arterielle Blutdruck- schwankungen angenommen. Nach der ur- sprünglichen Annahme wäre ihre Aufgabe, den arteriellen Blutdruck auf konstanter Höhe zu erhalten und besonders als ein Sicherheitsventil gegen übermässige Blut- drucksteigerung zu dienen. Nun steht aber im Vordergrunde der Betrachtung nicht 1) Francois Franck, Dyspnoes reflexes d’origine cardio-aortique. Arch. de Physiol. 1390 p. 508. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 9237 mehr der arterielle Blutdruck, sondern die Blutdurchströmung der Gewebe. Der Nervus depressor hat nachgewiesene Beziehungen zum peripheren Gefässsystem und zur äusseren Atmung. So könnte er vielleicht ein Vermittlungsglied zwischen der inneren und äusseren Atmung darstellen, welches durch die „Atembewegungen des Gefässs- systems“ und die ihnen entsprechenden Blutdruckschwankungen in Gang gesetzt werden würde. Die Art des Zusammenhanges zwischen der inneren und der äusseren Atmung ist eine besondere Frage; hier handelt es sich zuerst darum, diesen aus allgemeinen Gründen anzunehmenden Zusammenhang auch als tatsächlich bestehend zu erweisen. Zusammenfassend halten wir dafür, dass die hier vor- gebrachten Beobachtungen die Abhängiekeit der äusseren Atmung von der inneren darlegen und die Vermittelung dieses Zusammen- hanges durch den Blutstrom und das periphere Gefässsystem Our scheinlich machen. Die Blutdurchströmung eines Organs wird in erster Linie durch sein Atmungsbedürfnis bestimmt, und durch die Tätigkeit seines eigenen Gefässsystems gefördert. Diese rhythmische Tätigkeit des inneren Gefässsystems eines Organs kann als seine innere Atem- bewegung betrachtet werden, wodurch das Organ Blut ein- und ausatmet. Als eine Rückwirkung dieser rhythmischen Gefässtätigkeit er- scheinen die arteriellen Blutdruckwellen, welche um so stärker hervortreten, je dringender das Atmungsbedürfnis der Organe geworden ist. Eh Die arteriellen Blutdruckwellen zeigen bestimmte Beziehungen zu den äusseren Atembewegungen, indem die gewöhnlichsten von ihnen mit diesen gleichen Rhythmus einhalten. Dieser Zusammen- hang wurde bisher so gedeutet, dass die respiratorischen Blutdruck- wellen oder „Atembewegungen des Gefässsystems“ als eine Nebenwirkung der Atmungsinnervation zu betrachten wären. Der allgemein gültige Satz, dass die innere Atmung für die äussere bestimmend ist, berechtigt aber zu der Frage, ob nicht gerade umgekehrt die respiratorischen Blutdruckwellen als Ausdruck der inneren Atembewegung die ursprünglichen sind und den Rhythmus der äusseren Atembewegungen bestimmen. Diese Frage lässt sich durch Beobachtung der gewöhnlichen Atembewegungen und Blutdruckwellen nicht beantworten. Hingegen 2938 Franz MareS: Der allgemeine Blutstrom usw. bie tet die Erholung von der Asphyxie, wo nach Erlahmung des Blutkreislaufes und der Atembewegungen beides allmählich wieder auflebt, viele Belege, wo die ursprüngliche und führende Bedeutung des Blutkreislaufes als innere Atembewegung hervortritt. Als erstes Anzeichen der Erholung erscheint die Erneuerung des Blutkreislaufes, nach welcher sich die äusseren Atembewegungen von selbst, ohne künstliche Nachhilfe, einstellen. Die asphyktischen Atemzüge werden regelmässig von einer flüchtigen Blutdrucksenkung eingeleitet, welche einer flüchtigen peri- pheren Gefässerweiterung entspricht. Diese innere Bluteinatmung löst die äussere Lufteinatmung aus; denn jene erscheint ur- sprünglich, diese folgt ihr nicht immer. - Die respiratorischen Blutdruckwellen im natürlichen Atmungs- rhythmus erscheinen manchmal in. einer Phase der Erholung, wo die äusseren Atembewegungen noch den asphyktischen Charakter tragen, selten sogar noch während der asphyktischen Atempause. Der normale Atmungsrhythmus erscheint also als ein dem Gefässsysteme ursprünglich eigener. Die Bezeichnung „Atembewegungen des Gefässsystems“ :st demnach im wörtlichen Sinne zu verstehen. Als Be- wegungen der inneren Atmung bestimmen sie durch Ver- mittlung des Blutdrucks, des Nervensystems oder anderes die äusseren Atembewegungen. Die Frage einer Förderung des Blutstromes in den einzelnen Organen durch die Tätigkeit ihres Gefässsystems bedeutet eine Stellungnahme gegen die herrschende vasomotorische Theorie. Damit wird die Aufgabe gestellt, die tatsächlichen Grundlagen und Voraussetzungen dieser Theorie aufzudecken und einer Prüfung zu unterziehen. Diese Aufgabe wird in einer besonderen Abhandlung durchgeführt. Eine andere Aufgabe besteht in der Darlegung eines Mechanis- mus, durch welchen das Gefässsystem verschiedener Organe ihre Blutdurehströmung fördern und regeln könnte. Auch dieser Aufgabe wird in einer weiteren Abhandlung entsprochen. 229 (Aus dem physiologischen Institut der Universität Kiel.) Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. IT). Beeinflussungen der Atmung des Nitratbildners durch chemische Substanzen. Von Otto Meyerhof, (Mit 6 Textfiguren.) Inhaltsübersicht. as Erstes Kapitel. Hemmung der Atmung durch indifferente Narkotika und Blausaurekle NEN N en 230 ‘Zweites Kapitel. Hemmungen durch Ammoniak und Ammoniakderivate. . 241 A) Ammonlake ee ke le Des 241 b)rAmmomakderivater;.. 10 0400. aan a ya a: 246 Drittes Kapitel. Wirkung einiger lipoidunlöslicher Nichtleiter auf Atmung und Wachstum der Nitratbakterien . .. . 2... 222 222200 253 Viertes Kapitel. Wirkung der Anionen . ...... 2222220202. 256 a) sAnorganischer Anionen.z... u N ee an . 256 b)EOrganische Anionen.. 2... en ee ie 258 Fünftes Kapitel. Kationenwirkungen: Erdalkalisalze .......... 266 Sechstes Kapitel. Kationenwirkungen: Schwermetalle und seltene Erden . 272 a) Allgemeines; seltene Erden ©... . 2... nwcn.n 272 b)RQuecksülbersalzer urn Dorn elle 275 O)ASılbersalzer 33. 2 er ee SR LINE Jan 273 OeBisensalzense. nn era na a 279 SZ USATDINEDTASSUNTEE Su. HE na ne BER an 282 In der vorigen Arbeit ist die Atmung der Nitratbakterien in Flüssigkeitskulturen eingehend untersucht und die den Atmungs- prozess bestimmenden Faktoren auf ihre quantitative Wirkung hin geprüft worden. Den Hauptgegenstand der vorliegenden Unter- 1) Siehe Pflüger’s Arch. Bd. 164 S. 353. 1916. 2330 Otto Meyerhof: suchung bildet die Beantwortung der Frage, wieweit die Gesetz- mässigkeiten, die sich bei der Beeinflussung der Oxydationsprozesse für verschiedene chemische Substanzklassen an anderen Zellen er- geben haben, für den eigenartigen Oxydationsvorgang des Nitrat- bildners gültig sind, und welche Besonderheiten dabei zutage treten. Dabei ist die Untersuchung stellenweise über bisher studierte Beein- flussungen der Atmungsvoreänge ausgedehnt worden. Im Verlauf der Untersuchung werden sich neben manchen Übereinstimmungen eine grosse Anzahl interessanter Abweichungen ergeben neben einigen Erscheinungen, die bei anderen Zellen nicht bekannt sind und von “ denen es fraglich ist, ob sie spezifische Eigenschaften des Nitrat- bakteriums erkennen lassen. Es liegt nafürlich nahe, auch den Weg der Untersuchung hier einzuschlagen, der von Warburg und mir in jüngerer Zeit beschritten wurde!): durch geeignete Zer- störung der Zellen den Atmungsprozess von den übrigen Lebens- erscheinungen zu trennen, also zum Beispiel etwa das „Nitratferment“ durch Abtötung der Bakterien in Aceton-Äther zu erhalten und das chemische Geschehen dann unbeeinflusst durch die Eigenschaften der 'lebenden Zellplasmahaut und anderer vitaler Faktoren zu studieren. Leider ist die Atmung des Acetonpulvers der Nitratbakterien ausser- ordentlich gering; sie beträgt im günstigsten Fall !/—1°/o der Atmung der lebenden Zellen. Es musste deshalb auf eine systematische Untersuchung der Atmung der „Nitritoxydase“ verzichtet werden. Erstes Kapitel. Hemmung der Atmung durch indifferente Narkotika und Blausäure. Als wichtigstes Kriterium, ob die Nitritoxydation des Nitrat- bildners in physikalisch-chemischer Hinsicht gleicher Natur wie der Atmungsvorgang höherer Zellen ist, musste sein Verhalten indifferenten Narkotieis gegenüber angesehen werden. Warburg fand mit verschiedenen Mitarbeitern, dass die Be- einflussung der Atmung aller untersuchten Zellen (Vogelblutzellen, Vibrionen, Leberzellen, Zentralnervensystem) durch indifferente Nar- kotika dieselben Gesetzmässigkeiten aufweist, nicht nur insofern, als die Overtonsche Reihe der homologen Reihe für die Reihenfolge der Hemmungen bei ihnen zutrifft, sondern auch darin, 1) O. Warburg und O. Meyerhof, Pflüger’s Arch. Bd. 148 S. 295. 1912. Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 231 dass die absolute Grösse der Hemmungen für die einzelne bestimmte Narkotikumkonzentration bei ‘allen Zellen annähernd gleich ist!). Eine genauere Untersuchung mit Vogelerythroeyten ) lieferte ferner für die einzelne Substanz den Beweis, dass die Hemmung ungefähr linear mit der Konzentration zunimmt, und dass dementsprechend die Kombination zweier Narkotika gerade die Summe der einzelnen Hemmungen ergab; eine einfache Addition. Dagegen fand sich eine interessante Ausnahme von dieser additiven Wirkung bei der Kom- bination mancher indifferenten Narkotika mit Blausäure: In diesem Fall ist die Gesamthemmung geringer, als der Summe der einzelnen Hemmungen entspricht, und aus der besonderen Art der Hemmungs- abnahme lässt sich auf eine Verdrängung der Blausäure durch das Narkotikum vom Ort ihrer Wirkung schliessen. Wie verhält sich nun der Oxydationsvorgang des Nitratbildners diesen Substanzen gegenüber? Prüft man die Konzentration eines Urethans oder höheren Alkohols, durch die eine fast völlige Atmungshemmung bei den genannten Zellarten eintritt, so tritt beim Nitratbildner ebenfalls eine fast völlige Atmungshemmung ein: die absoluten Konzentrationen sind in diesem Fall gleich. Prüft man dagegen eine Narkotikumkonzentration, bei der im allgemeinen eine Atmungshemmung von knapp 50 °/o zu erwarten ist, so ist die Hemmung in diesem Fall beim Nitratbildner erheblich kleiner, unter Umständen null. Mit anderen Worten, die Hemmungskurve für verschiedene Konzentrationen eines Narkotikums besitzt hier — im ‚Gegensatz zu den Vogelerythrocyten — einen stark gekrümmten, gegen die Abszissenachse (Konzentration) konvexen Verlauf. Wenn beispielsweise in einem Versuch 42 Millimol Isobutylurethan 10 °/o hemmten, hemmen 84 Millimol 96 %o. Derartige Hemmungskurven für verschiedene Urethane und iso-Amylalkohol sind auf den Fig. 1—5 abgebildet. Die Hemmungszunahme ist bei einigen Stoffen so stark, dass man geradezu von einem „Schwellenwert“ der Hemmung sprechen kann. So ergibt sich zum Beispiel — in drei Versuchen — die Hemmung von 33 Millimol iso-Amylalkohol zu 0, während die 1) Zusammenfassung: Asher-Spiro Bd. 14 S. 295. 1914. — Vgl. auch 0. Meyerhof, Hemmung unbefruchteter und befruchteter Seeigeleier durch Urethane. Pflüger’s Arch. Bd. 157 S. 287. 1914. 2) Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 76 S. 831. 1912, 232 Otto Meyerhof: Hemmung von 57 Millimol 5, 10, 10—18°%, die Hemmung von 74 Millimol in zwei dieser Versuche 75 und 85 °/o beträgt. Ob die Hemmung nun im ersten Fall absolut null ist oder nur innerhalb der Fehlergrenze der Methodik so gefunden wird, ist natürlich nicht entscheidbar. Ersteres ist aber wahrscheinlicher, zumal die Atmung unterhalb der „Schwelle“ — in der methodischen Genauigkeits- grenze — eher grösser als kleiner ist wie die Atmung der Kon- trollen. 700 Hemmung in Prozenten > fo 20: 300 Wo 500 600 Millimol Äthylurethan > Fig. 1. Auf jeder der Kurven in Fig. 1—4 ist das Ergebnis eines Ver- suchs abgebildet. Vergleicht man zwei verschiedene Versuchsserien mit demselben Narkotikum untereinander, so fallen die Punkte stets un- gefähr, aber doch nicht genau zusammen. Das findet seine Er- klärung nicht nur in der Genauigkeit der Atmungsmessung selbst, sondern vor allem in der Schwierigkeit, bei dem geringfügigen, der Bakterienflüssigkeit zugefügten Lösungsquantum ganz genau gleiche Narkotikumkonzentrationen zu erzielen, da ja bei der Steilheit der Hemmungskurven ein ganz geringes Plus in der Konzentration schon eine erhebliche Hemmungszunahme hervorruft. Die Form der Kurven ist aber jedesmal fast gleich. Dies ist ein Beweis, dass es sich hierbei um ein die Fehlergrenzen weit über- schreitendes Phänomen handelt. Zur Illustration sind auf der Fig. 5. (iso-Amylalkohol) zwei Kurven — aus zwei Versuchen mit ver- schiedener Bakterienkultur — eingezeichnet. Hemmung in Prozenten > Hemmung in Prozenten > 700 80 60 % Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 233 Übrigens nimmt die Hemmung im einzelnen Versuch, besonders bei höherer Narkotikumkonzentration, progressiv in der Zeit zu. Es müssen deshalb gleiche Zeiten untereinander verglichen werden. Die Versuchszeit für die auf den Kurven dargestellten Versuche betrug 4—5 Stunden. 100 80 R 60 3 s 40 = = 210 E = 50 100,790 200 2350 0 5 10 15 20 IE Millimol Prupylurethan > Millimol i-Amylurethan > Fig. 2. Fig. 3. A & 5 N = & © = Ss = = De Ss N FFFRPER & = E24) VOR ECO 200° 100 0 ED) 0 BOSSE EDN 100 Millimol Isobutylurethan. Millimol i-Amylalkohol. Fig. 4. Fig. 5. Weniger stark ist der gekrümmte Verlauf der Hemmungskurve bei Methylurethan (und auch bei Methylalkohol), da hier bei Ver- doppelung der Konzentration keine erhebliche relative Vermehrung 234 Otto Meyerhof: der Hemmung zu erkennen ist: So hemmt zum Beispiel 0,4 Mol Methylurethan 25°, 0,8 Mol 59°. Das hängt möglicherweise mit dem Umstand zusammen, dass in 0,4 molarer Lösung auch alle anderen, nicht-narkotischen, Stoffe Hemmungen von ähnlicher Grösse zeigen. — Dagegen verhält sich Phenylurethan ebenso wie die auf den Kurven dargestellten Substanzen, doch wurden für diesen Stoff nicht genügend Punkte der Hemmungskurven bestimmt, um ein anschauliches Bild ihres Verlaufs zu geben. (Versuche damit siehe am Schluss des Kapitels). Bezüglich der Theorie der merkwürdig gekrümmten Hemmungs- kurven ist darauf hinzuweisen, dass die Krümmung derjenigen, die bei einem einfachen Adsorptionsvorgang zu erwarten wäre, genau entgegengesetzt ist. Dabei müssten die Stoffe in höherer Konzen- tration relativ schwächer als in niedriger wirken, was auch bei den durch Narkotika hervorgerufenen Fermenthemmungen wirklich der Fall ist!). Kombiniert man zwei Narkotika in Konzentra- tionen, die jede für sich eine sehr geringfügige, eventuell gar keine Hemmung zeigen, so ist die resul- tierende Hemmung nicht geich der Summe der Einzel- hemmungen, sondern ausserordentlich viel stärker. Kombinationsversuch I: Wir kombinieren 42 Millimol Isobutyl- urethan und 50 Millimol Propylurethan. Ersteres hemmt gegen 10 %/, letzteres 00; beide zusammen hemmen 75°. Das ist aber genau das, was erwartet werden muss. Bedenken wir, dass, falls wir zu 42 Millimol Isobutylurethan noch etwa 25 weitere Millimol Isobutylurethan hinzufügen würden, sich auch eine Hemmung von 75 °/o ergeben würde Nun hemmt in höherer Konzentration Propylurethan gerade halb so stark wie Isobutylurethan. Also muss es denselben Effekt haben, ob wir 25 Millimol Isobutylurethan oder 50 Millimol Propylurethan hinzufügen. Kombinationsversuch II: 42 Millimol Isobutylurethan, Hemmung für sich allein gegen 10 °/o, kombiniert mit 100 Millimol Propylure- than, Hemmung für sieh allein: 23 %o, Kombinationshemmung 100 %. Diese Verstärkung — die übrigens auf manche Erfahrungen der Pharmakologie Licht zu werfen vermag?) —, gilt aber nicht etwa nur zwischen Stoffen einer Substanzklasse. 1) 0. Meyerhof, Pflüger’s Arch. Bd. 157 S. 263. 1914. 2) Siehe anderseits Bürgi, Zeitschr. f. exper. Path. u. Ther. Bd. 8 S. 523 und Zeitschr, f. allgem. Physiol. Bd. 14 8. 39. Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 235 Kombinationsversuch III: 42 Millimol Isobutylurethan: Hem- mung im Versuch: 15°, kombiniert mit 55 Millimol iso-Amyl- alkohol: Hemmung im Versuch: 5°/o. Kombinationshemmung 95 °/o, Bei der Kombination von Narkotikum und KCN ergibt sich ein sanz anderes Verhalten: die von Warburg gefundene Verdrängung der Blausäure von ihrem Wirkungsort lässt sich auch beim Nitrat- bildner feststellen. Die Hemmungskurve der Blausäure selbst ist von den bisher beschriebenen abweichend und annähernd gerad- linig. Dabei ist aber die Atmungshemmung des Nitratbildners durch KCN 20mal so gross wie die Hemmung der Vogelerythrocyten. Während nach Warburg ! n. KCN die Atmung Ei 10000 der roten Blutzellen um 30 75 °/o hemmt, wird etwa die gleicheHemmungbeimNi- ' 9 1 4 tratbildner durch -— _— 500000 a - | KCN hervorgerufen. Für einen Versuch ist der = Hemmungsverlaufin Fig. 6 = = dar gestellt !). = Die absolute Gröse " 2 r g Pan, der Bläusäure - Hemmun- 10-8 Mol KON > gen wird in verschiedenen Fig. 6. Versuchennichtganzgleich gefunden, sei es in Abhängigkeit von veränderlichen Eigenschaften der Bakterienkultur oder der Nährlösung. (Hydrolyse des KCN? vgl. die Anmerkung.) Doch kann dies, weil die Unterschiede nicht beträchtlich sind, unberücksichtigt bleiben. In zahlreichen Hemmungsversuchen 1) Es ist hier wie im folgenden stets angenommen, dass die Konzentration HON gleich der hergestellten Konzentration KCN ist. In Anwesenheit von grossen Mengen Bikarbonat wird man in so ausserordentlich verdünnten KCN-Lösungen die Hydrolyse in KOH + HCN als ziemlich vollständig annehmen können, auch bei einer alkalischen Reaktion von 97. 8,8. Sollte das aber auch nicht ganz der Fall sein, und daher die absolute hemmerde Konzentration von HCN noch niedriger liegen, ist doch ein Vergleich mit den Warburg’schen Messungen gestattet, da diese (siehe Onaka-Warburg, Zeitschr. f. pkysiol. Chemie Bd. 70 S. 438. 1911) bei einer ähnlichen Reaktion (Phenolphthalein: Spur rosa) an- gestellt sind. 236 Otto Meyerhof: mit KCN ergab sich für 2 - 107° m KCN eine Hemmung von 25—35 Io, für 4 - 107° m KCN 55— 70%, für 5 - 1076 m KCN 65—85 %, (für jede Konzentration etwa zehn Versuche). Die Hemmungen sind im Unterschied zu den vorigen gar richt progressiv. Bei der Kombination von Blausäure und Narkotikum wäre, falls keine Verdrängung stattfinden würde, ebenfalls eine, wenn auch nicht ganz so beträchtliche Verstärkung zu erwarten wie bei der Kombination zweier Narkotika.. Wird jedoch die Blausäure ver- drängt, so muss unter Umständen die Kombination eine kleinere Hemmung ergeben, als die Hemmung der Blausäure allein beträgt: ein von Warburg realisierter Falle. Würde dagegen das Narkotikum auch merklich von der Blausäure verdrängt, so wäre bei Kombination schwach hemmender KCN-Dosis mit stark hemmender Narkotikum- Dosis auch eine Abschwächung der Narkotikumhemmung zu erwarten, was von ihm nicht beobachtet werden konnte. Dieselben Gesetzmässigkeiten lassen sich, nur nicht ganz so ausgesprochen, auch bei den Nitratbakterien aufzeigen. Es müssen natürlich alle nötigen Einzelmessungen in einer Versuchsserie ge- macht werden, um von den erwähnten Schwankungen ganz un- abhängig zu sein. A. Kombination von Narkotikum + KCN gibt eine kleinere Hemmung als die Summe der Einzelhemmungen. Kombinationsversuch IV. 5>< 107% KCN hemmt 69 %/o 42 X 107? Isobutylurethan hemmt 15 /o 5 x< 107° KCN + 42% 107? Isobuthylurethan hemmen 73 lo. Kombinationsversuch \. 5>< 107° KCN hemmt 69 ?/o 97 >< 1073 iso-Amylalkohol hemmt 5 °o 5% 1076 KCN + 57 x 107° iso-Amylalkohol hemmen 71%. Kombinationsversuch VI. 2>< 107% KCN hemmt 27 %o 0,5 m Methylurethan hemmt 27 % 2% 107° KCN + 0,5 m Methylurethan hemmen 36 %o. B. Kombination von Narkotikum + KCN gibt sogar eine kleinere Hemmung als die Hemmung von KCN allein: Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 237 Kombinationsversuch VI. 4>< 107° KCN hemmt 65 9/o 0,5 m Methylurethan hemmt 27 °o 4x 10° KCN + 0,5 m Methylurethan hemmen 55 o. Kombinationsversuch VII. 4x 107° KCN hemmt 56 %/o 42. x 103 Isobutylurethan hemmt 8 °/o 4x 107° KCN + 42 X 107° Isobutylurethan hemmen 40 %o. Die gleichen Resultate ergeben folgende Wiederholungen: Kombinationsversuch RK. 4x 107° KCN hemmt 56 /o 0,5 m Methylurethan hemmt 23 %o 4>< 107° KCN + 0,5 m Methylurethan hemmen 46 Jo. Kombinationsversuch X. 4>< 107° KCN hemmt 64 /o 0,5 m Methylurethan hemmt 21 /o 4% 10° KCN + 0,5 m Methylurethan hemmen 54%. Kombinationsversuch XI. 4% 107° KCN hemmt 64 /o 42 x 107° Isobutylurethan hemmt 0 %/o 4%< 107% KCN + 42 X 10° Isobuthylurethan hemmen 57 /o, C. Kombination von schwach hemmender KCN-Dosis und stark hemmender Narkotikum-Dosis: die Hemmung ist ebenso gross wie die Hemmung des Narkotikums allein (aber auch nicht kleiner als diese). Kombinationsversuch XlIl. 2X 107° KCN hemmt 32 %o 63 x 1072 Isobutylurethan hemmt 69 %o 2>< 107° KCN + 63 X 1072 Isobutylurethan hemmen 69 %o. Versuehe. Über die Methodik der Atmungsmessungen vgl. die vorige Arbeit.!) Für die Kurven Fig. 1—6 sind folgende Versuche benutzt. Athylurethan (Fig. 1.) Molgewicht 89. Je 2,5 cm Bakterien + Urethan. 1) Pflüger’s Arch. Bd. 164 S. 353. 1916. 2338 Otto Meyerhof: 1. Asa 3. 4. > 6. Kor- | 1% = | 2% = | 3% = | 4% — | 5% — trolle |0,11 Mol |0,22 Mol | 0,33 Mol | 0,44 Mol 0,55 Mol Kubikmillimeter (03 1 34 1 60.5 41,5 10,5 0 in 4h 30’ . ; i ! Hemmung in Proz. 4 29 ol 88 100 Propylurethan. (Fig. 2.) Molgewicht 103. 2,5 Bakterien + Propylurethan. 1. 2. 3. 4. 9. a IH | 2 = Kontrolle 57° Millim. | 103 Millim. | 154 Millim. | 206 Millim. Hemmung in Proz. — 0 23 68 100 Isobutylurethan. (Fig. 4.) Molgewicht 117. 2,5 ccm Bakterien + Isobutylurethan. 1. 2. 3. 4. 9. 6. Kon- | 0,25% = | 0,5 %0 = |0,75%o=| 1% — | 1,3% = trolle | 21 Millim. | 42 Millim. | 64 Millim. | 85, Millim. | 110 Millim, | Kubikmillimeter © oe = A = 2. In AB 104 — 94 41 "4,5 0 Hemmung in Proz. — 0 10 63 96 100 iso-Amylurethan. (Fig. 3.) Molgewicht 131. 3 ccm Bakterien — Amylurethan. 15 2. 3. 4. 0,16% = | 0,27% — 0,33 = Kontrolle| 19 Millimol | 20,5 Millimol| 25 Millimol Kubikmillimeter O, in 4h 30’ 77 71 bp) 12 Hemmung in Prozenten . . — 8 29 85 iso-Amylalkohol. (Fig. 5.) Molgewicht 88. Versuch I. 2,5—8,0 ccm Bakterien + Amylalkohol. 1. Kontrolle Kubikmillimeter 0, 73 INA 2 Hemmung in Proz. . 2. 0,16 Yo 19 Millim. 73 0 3. 0,33% —= 38 Millim. sl 0 4, 0,5 Yo —= 57 Millim. 59,5 18 d. 0,65 Yo — 74 Millim. 18 a5 Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. 11. 239 iso-Amylalkohol. Versuch IL: 3 cem Bakterien + Amylalkohol. yE 9. 3. 4. oh 2 03382/0— 7.055.%/0, 70169 l0oR — 108,0, — Kontrolle | 38 Millimol | 57 Millimol | 74 Millimol | 90 Millimol a = — _ Kubikmillimeter Os 59 a | ietikmilineer 0 |} | - | 0 | m | 0. Hemmung in Pro... | — 0 8 e. 100. KCN. (Fig. 6.) Molgewicht 65. 2,5 cem Bakterien + KCN. In allen Versuchen mit KCN wurden Verdünnungen aus einer RR! 10 AgNO, titriert wurde und daraus der Verdünnungsmodus berechnet. Stammlösung hergestellt, die jedesmal vor der Verdünnung mit u Rn se Kontrolle 1: 10 DVS 4..10280:|78..1028 een O2 71 57 = 3 7 Hemmung in Proz. —_ 20 27 56 90 Methylurethan. Molgewicht 75. 2,5 ccm Bakterien + Methyl- - urethan. 1. 9, 3, Kontrolle | 3%%=0,4 Mol | 6%=0,8 Mol Kubikmillimeter OÖ, in 3h 30’ - 62,5 46,5 26 Hemmung in Prozenten. . . — 25 59 In mehreren andern Versuchen ergibt sich für 0,5 Mol 21—30 Jo, 0,7 Mol 46—53°/o, 1,1 Mol 100 °/o Hemmung. Phenylürethan. Molgewicht 165. Stammlösung 50 in. Äthyl- alkohol. 0,1 cem wird mit 5 ccm der Bakterienkultur vermischt und damit Verdünnungen derart hergestellt, dass in 2. 0,5 cem dieses Gemisches mit 1,5 ccm weiterer Bakterienkultur verdünnt werden, in 3. 1 cem mit 1 cem Bakterienkultur, 4 2 ccm des Gemisches ohne Zusatz. | en 9, a 4. 0,05% = | 005% —= | 0,1% — Kontrolle| ]’5 Millimol | 3,0 Millimol | 6,1 Millimol Kubikmillimeter O, in Al 92 78 Be 0 Hemmung in Prozenten. . — 15 40 100 Pflüger’s Archiv für Physiologie, Bd. 165. 16 Otto Meyerhof: Kombinationsversuche. Narkotika untereinander: I und II. OS 1. 2. 3. A 0,5%/0 Pro- | 10 Propyl- 0,5% Iso- kensele pylurethan urethan |butylurethan Kubikmillimeter O, in 4h. 104 105 8 94 Hemmung in Prozenten. . — 0 | 23 10 ni N 5. 6. z Kontrolle 0,5°/o Propylurethan | 10/0 Propylurethan + 0,5°/o Isobutylur. + 0,5% Isobutylur. Kubikmillimeter OÖ, in 4Y/a h 34 21 0 Hemmung in Prozenten. . — 75 100 III. IL 2. 63 4. Kon 0500186: 0,5 0 0,5%/0 Dorn. A i-Amyl- h 0,50%/0 Amyl- trolle | butylurethan Alhal alkohdil Kubikmillimeter O; in 54 50’ | 108 9 103 5 Hemmung in Prozenten . . 15 #) 95 Narkotika und Blausäure, IV und V, i 1. 2. 3. 4. 5 6. 0,5 %/olso-| 0,5 %o _s |0,5%o1so-| 0,5 °/o nos butyl- Amyl- En : butylur. | Amylalk urethan | alkohol + KCN | + KCN Kubikmillimeter O, | e een N 108 91 103 34 29 31 Hemmung in Pıoz _ 15 B) 69 73 1 VI und VI. N 5% 2, 2. 4. 5. 6 4% 4 %o 4 %o Kon- | y ethyl. 2.10-° | 4-10-% | Methylur. Methylur. .10-8 .10-6 trolle | urethan | KEN KCN + 2 en ; n In ni: |\ 40 40 205 | 35 24 Hemmung in Proz. — 27 27 65° 36 30 Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 241 VIII und IX. Dr ienaraens 4. 5. 6 5 _& | 0,5% 4% |0,5%0Iso-| 4% Se a Isobutyl- | Methyl- | butylur. | Methylur. urethan | urethan + KCN | + KCN Kubikmillimeter O, 48 Ai 44 97 29 6 Ina: een Kubikmillimeter 0, 71 31 | N ir Bi INES Hemmung in Proz. — 56 8 23 40 46 X und XI. ; 1. 2. 3 a5 3. 3 | 6. 4/0 0,5 %/o 4% 0,5% Iso- Methyl- | Isobutyl- |Methylur. butylur. urethan | urethan | + KCN | + KCN Kubikmillimeter 0, 67 04 59 67 1 99 inkarbr 30: = Hemmung in Proz. — 64 21 0 54 57 XL. l. 2 a 4. Kon-| 2.10 © | 0,1580 Io: | "0 oebuiyl urethan trolle KCN butylurethan ı KON Kubikmillimeter O, in 5b 30’ | 178 120 55 by) Hemmung in Prozenten . . — 32 69 69 Zweites Kapitel. Hemmungen durch Ammoniak und Ammoniakderivate. a) Ammoniak. Winogradsky hat die interessante Tatsache entdeckt, dass Ammonsulfat schon in geringfügiger Konzentration, nämlich von etwa 3-10 7* n an das Wachstum der Nitratbakterien verzögert, in der Konzentration von etwa in komplett hemmt. Diese Feststellung war besonders merkwürdig, weil ja der Nitratbildner im Boden ‚in Symbiose mit dem Nitritbildner lebt und daher offenbar dauernd in Gegenwart geringer Mengen Ammonsalz existieren muss. Wie dies möglich ist, ist der Gegenstand verschiedener Hypothesen. Winogradsky und Omelianski machten die Annahme, dass die nitrifizierende Tätigkeit beider Bakterien im Boden in getrennten Perioden erfolgt, derart, dass erst nach gänzlichem Verschwinden 16% 2423 Otto Meyerhof: des Ammons im Boden der Nitratbildner anfinge, das gebildete Nitrit zu oxydieren!. Boullanger und Massol?) glaubten nach- weisen zu können, dass Ammonsalz nur das Wachstum frisch ge- impfter Kulturen von Nitratbakterien stark hemmt, dagegen die Tätigkeit der schon gut gewachsenen Kultur weniger stark be- einträchtigt, so dass etwa der Schluss erlaubt wäre, dass die Atmung weniger stark als das Wachstum «ehemmt würde. Später stellten sie fest, dass die Wachstumshemmung bei Verringerung der Kon- zentration des Na500,, also bei Abstumpfung der Alkaleszenz, ge- ringer ist als gewöhnlich, und kamen dadurch auf die Vorstellung, dass die Wachstumshemniung nicht durch Ammonsalz, sondern durch freies Ammoniak bewirkt würde?). Das folgende zeigt, dass die letztere Hypothese das Richtige trifft, während die Annahme, die Atmungshemmung sei kleiner als die Wachstumshenmüne, unzutreffend ist. Die Versuche, den Einfluss des NH, auf die Atmung zu er- weisen, begegneten anfangs ne Schwierigkeiten. Es zeigte sich, dass schon bei Zugabe von etwa an (NH,)SO, zu 0,10 NaN0, eine geringe Spontanoxydation des gebildeten NH,NO, auftritt. Durch alle möglichen Variationen liess sich dieselbe beeinflussen und ins- besondere durch Zugabe grösserer Mengen SO,” in der Regel be- seitigen. Aber auch dies Mittel erwies sich als nicht ganz zuverlässig, besonders dann, wenn die Reaktion etwas weniger alkalisch war als pr —=8,8. Schliesslich wurde festgestellt, dass die Spontanoxydation bei einer Nitritkonzentration von 0,05°o und darunter ausbleibt oder nur so schwach angedeutet ist, dass der daraus entspringende Fehler vernachlässigt werden kann. Daher sind alle folgenden Ver- suche und ebenso die mit. aliphatischen Aminen bei einer NaNO;- Konzentration. von 0,05 °/o angestellt. | Bei Zugabe von Ammonsalz zur Bakieriesd ändert Sr die Reaktion. Gibt man (NH,):SO, direkt zu, wird sie saurer, fügt man dagegen (NH,)sSO, mit so. viel NaOH hinzu, als zur Freisetzung des NH; erforderlieh ist, wird, sie alkalischer. Ungefähr gleich bleibt ‚sie nur bei Zugabe von (NH,)CO,.. Gelegentliche Versuche wurden 1) Vgl. Ömelana Zentralbl. f. Bakteriol. m 2 gr 5 8 ie Leni 2) Ann. Pasteur Bd.'17 S. 492. 1908. 3), Compt. rend. 1905 p. 637. Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 243 auch damit gemacht, indem jedesmal der NH, Gehalt der Salzlösung durch Titration (mit Methylorange) bestimmt wurde. Da es aber iim ganzen nicht zweckmässig ist, den Karbonatgehalt ‚der Lösung für die Atmungsversuche noch zu erhöhen (ausgiebige Lüftung ist nieht angebracht, weil dabei NH,-Verluste eintreten können), wurden die endgültigen Versuche alle mit (NH,)SO, angestellt — teils unter entsprechender Zugabe. von NaOH — und in der Kon- trolle eine ähnliche Reaktionsverschiebung vorgenommen. Ausserdem wurde die Reaktion sorgfältig mit Indikatoren geprüft. Von der Benutzung eines Ammoniakgemisches nach Michaelis wurde ab- gesehen, weil sich die H’-Konzentration desselben bei Zugabe zur Bakterienlösung doch verschiebt. Wenn NH, und nicht NH, oder (NH,)sSO, die Atmung beeinflusst, so muss offenbar der Wirkungs- unterschied zweier gleich konzentrierter (NH,),SO,-Lösungen bei verschiedener H°-Konzentration unter Umständen erheblich grösser sein als bei Verdoppelung der (NH,)zSO,-Konzentration und gleicher H--Konzentration. Das ist inder Tat auch der Fall. Ammon- salz hemmt bei normaler Reaktion der Kulturflüssigkeit (pa-—= 3,8) die Atmung ebenso stark oder stärker wie — nach den Bestimmungen Winogradsky’s — das Wachstum. Diese Hemmung nimmt jedoch bei abgeschwächter Alkaleszenz stark ab, bei vermehrter deutlich zu. Aus der vorigen "Arbeit ist bekannt, dass die optimale Zone der H--Konzentration für die Atmung recht schmal ist, zwischen pn- = 8,3 und 9,3 gelegen. Man kann daher weder eine Reaktion herstellen, bei der das zugegebene Ammonsalz vollständig hydrolysiert ist, noch eine solche, bei der lediglich NH, und kein NH, vorhanden ist. Man kann nur das Verhältnis beider im einen gewissen Bereich ver- schieben. Es: ist daher auch weder in einem Fall die maximale Hemmung zu erwarten, die der betreffenden Konzentration NH, ent- spricht, noch im andern Fall die Hemmung null). Um den Unter- schied der Hemmungen möglichst gross zu machen, wurde die Reaktion 1) Man wird aus der für eine bestimmte H*- Konzentration zu: wählenden Zusammensetzung des Michaelis’schen Ammoniumgemisches schliessen können, dass umgekehrt bei gegebener H*- Konzentration etwa so viel NH; frei ist ‚als bei der betreffenden H*°-Konzentration dort benötigt wird: Bei, 18° C. (der Temperatur, bei der die H*- Konzentration bestimmt wurde) ist das Verhältnis nn für Pr 80 Has, 83 'ıe, 8,6 = ls, 89— !h, 92 = !la, jan — Yı, (Vgl. Michaelis, Abderhalden’s Handb. Bd. 3 (2) S. 1337.) we 244 Otto Meyerhof: öfters nach beiden Seiten noch über das Atmungsoptimum verschoben. Dabei muss man aber wegen der Steilheit der 9z-- Kurve vorsichtig zu Werke zu gehen und die Reaktion der Kontrolle und der NH,- haltigen Versuchslösungen ganz gleich machen oder die letzteren eher in der Richtung zum Optimum halten, um a fortiori auf die Hemmung: schliessen zu können. 1. Beispiel einer Hemmung durch (NH,)SO, bei ver- schiedener H*-Konzentration: n (NH,)S0, 500° 1. 2 ccm Bakterienkultur als Kontrolle. 2. 2 ccm a + (NH,),S0,. 3. 2 ccm 5 . + (NH,)sS0,; im Einsatzrohr KOH, 4. 2,2 ccm „angesäuerter“ Bakterienkultur (12 ccm + 1,6 — HC). 9. 2,2 ccm 2 as ; im Einsatzrohr KOH. 6.. 2,2 ccm s 5 + (NH,)S0;. 7 2,2, cem 5 5 + (NH,),SO,; im Einsatz- rohr KOH. | 1 2 3 4. 5) 6 | 7 ee O, in N 100 50 49 88 88 82 | 59 Hemmung in Prozent. — 0 98 7 Drretwanı an. 8,8 86 | 9(-9,2) 8,0 8,3 | 7,8-8,0 Man sieht hier, wie die blosse Anwesenheit von KOH im Einsatz- rohr genügt, infolge der durch Absorption von CO, bewirkten Reaktionsverschiebung die Hemmung zu verstärken. In der Mehr- zahl der folgenden Versuche wurde für den Vergleich der Hemmung bei abgeschwächter und verstärkter alkalischer Reaktion so verfahren, dass für die „verstärkte alkalische Reaktion“ zu der Bakterienlösung, der etwas NaOH zugesetzt war, (NH,),SO, samt der zur Freisetzung des NH, erforderlichen Menge NaOH zugegeben wurde, zur Kontroll- lösung aber eine äquivalente Menge Na;SO, + NaOH. Dann ist die Kontrolle also noch etwas alkalischer als die durch NH; „gehemmte“. Lösung. Umgekehrt wurde für die „abgeschwächte alkalische Reaktion“ zur Bakterienlösung, der HCl zugesetzt war, (NH,)sS0O, ohne NaOH zugegeben; zur Kontrolle nur Na;SO, oder gar nichts. In diesem Fall ist die Kontrolle ebenfalls etwas stärker alkalisch als die NH, haltige Versuchslösung. Im ersten Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 245 Fall wird daher die Hemmung künstlich etwas verkleinert — Reaktion zum Optimum verschoben —, im zweiten Fall künstlich vergrössert — Reaktion vom Optimum verschoben —, und trotzdem zeigt sich im ersten Fall, bei gesteigerter Alkaleszenz, eine bedeutend grössere Hemmung als im zweiten Fall, bei abgeschwächter Alkaleszenz. Das ist also ein Beweis a fortiori für den Unterschied der Hemmung. 2. Beispiel, mit stärkster N Enenlirn der Reaktion. A. Angesäuerte Bakterienlösung: 10 cem + 1,5 HCl. To 1. 2,2 ccm Bakterien + HC], mit Wasser. 22.2 .cem > + HCl, „ Tom -(NH,),S0;. 3. 2,2 ccm £ + HCl, „ Be B. Alkalisierte Bakterienlösung: 10 eem + 0, 157 09 NaOH. 4. 2,2 ccm Bakterien mit [(Na,)S0, + abe ER 9. 2,2 cem A 5 Wasser. 6. 2,2 cem 2 & 1000 [(NH,)sSO, + NaOH]. 7. 2,2 ccm x a er nn + NaOH]. Br 2. 3. 4. 5 6. 7. En ailimeter 0, in \ 47 44 3 | 37 63 17 8,9 Hemmung in Prozenten —_ 8 30 = = { 1) a (4) Die 6: DSF 7,8 7,8 7,6 9,6 9,2 9,4 9,5 In der folgenden Tabelle sind die Ergebnisse einiger Versuchs- reihen zusammengestellt. Ganz streng lassen sich die Werte nicht untereinander vergleichen, weil gelegentlich etwas anders als bei dem letztgeschilderten Versuch verfahren wurde und auch öfters mit Na;CO, statt mit NaOH alkalisch gemacht wurde. Trotzdem ergibt sich ein ganz eindeutiges Resultat. In der Horizontalreihe sind die Exponenten der H°-Konzentration angegeben, in den senk- rechten Spalten verschiedene (NH,)sSO,-Konzentrationen. Je nach- dem die Zahlen der Kolonnen mehr nach rechts oder links verschoben sind, nähert sich ihr Pr. der betreffenden Grenzzahl. Die in.einer Horizontalreihe stehenden gehören zu einer Versuchsserie. Man sieht, wie beträchtliche Konzentrationsunterschiede NH, bei gleichem px. nur einen relativ schwachen Einfluss auf die Hemmungsgrösse haben. aA. Otto Meyerhof: u NEN,SO,; | na ee ne un en | Ä 88,5 85-9 | 9-95 | über 95 Ban ee 0,005 EIER we, - —[ EL E: REN EL ln, LE 0,002 a Zn Eu =, en 20 2 Se & 0,0015 a 56 ee ee Wr ae am ee 8 a a , A 0,001 — —_— — a Se BE Se Br en gt Bo — 4 — za a 0,000 7 a ne Bu 0. De Rn ©, = 0,00033 ige a en. | Er = _ _ a 0 0,000 15 (| = le an zum 2 Eine. Reihe von Versuchen wurde der Frage gewidmet, „ob NH, ebenfalls imstande ist, Blausäure zu entgiften“. In der Tat war die Kombinationshemmung immer kleiner als die Summe der Einzel- hemmungen, aber nie kleiner als die Blausäurehemmung allein. Da das genaue Festhalten der Reaktion hier ja sehr wichtig ist, reichen die Versuche zu einer sicheren Entscheidung nicht aus, doch ist eine teilweise Entgiftung wahrscheinlich. b) Ammoniakderivate. Dass die Zunahme der Hemmung von Ammonsalzlösungen bei Verstärkung der alkalischen Reaktion auf der Freisetzung der: Base beruht, wird durch Versuche mit Aminen bestätigt. Wir erfahren dabei auch die Ursache für dies Verhalten. Diese Versuche führen zu den in folgenden „Leitsätzen“ zusammengestellten Resultaten, die durch Beispiele und Tabellen belegt werden: 2 1. Die Aminsalze hemmen wie dieAmmoniumsalze: in gleicher Grössenordnung und stark zunehmend bei verstärkter alkalischer Reaktion. Diese Abhängiekeit von der- Reaktion scheint bei den aliphatischen Aminen eher noch grösser zu sein als bei NH,, offenbar weil sie stärkere Basen als Anımoniak sind und daher einer noch stärker akalischen Reaktion BalnEn um völlig hydrolytisch gespalten zu werden. | Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitritizierender Bakterien. Il, 247 2. Die quaternären Ammoniumsalze, deren Basen dureh KOH: nicht mehr in Freiheit "gesetzt werden, hemmen im ganzen vielschwächer, undin stark alka- lischer Lösung nicht stärker als in abgeschwächt alkalischer. ‘8. Nur diejenigen aliphatischeun Amine hemmenin der Grössenordnung von NA,, die nach OvertonsFest- stellung befähigt sind, leicht in Zellen einzudringen, während andere, in ihrem chemischen Verhalten ähn- liche, aber „lipoidunlösliche“‘ Amine, wie zum.Beispiel die Diamine, nicht oder sehr viel schwächer hemmen. Daraus geht hervor, dass der wahrscheinliche Grund, weshalb nur NH, und die Amine, aber nichtihre Salze hemmen, darin liegt, dass nursieindie Zelleeindringen können. ee! { 4. Bei den aliphatischen Aminen lassen sieh folgende Gesetz- mässiekeiten feststellen: Die niederen Glieder der Reihe wirken schwächer als NH,, am schwächsten wie es scheint die mittleren: Propyl- und Isobutylamin, während die beiden ersten Glieder der Reihe dem Ammoniak näher stehen. Eine ganz genaue Feststellung jst durch die starke Abhängigkeit der Hemmung von der OH'- Konzentration erschwert. Bei den höheren Gliedern aber kehrt sich das Verhältnis um und zwar nimmt die Heinmung, unabhäneig da- von, ob es primäre, sekundäre oder. tertiäre Amine sind, allein nach dem Gesiehtspunkt der „Lipoidlöslichkeit“ zu, die ja bekanntlich der Oberflächenaktivität der Stoffe ungefähr parallel ist, so dass der im folgenden öfters benutzte Ausdruck nichts darüber präjudizieren soll, auf welche der beiden Eigenschaften es ankommt. Infolgedessen hemmt iso-Amylamin, dessen Lipoidlöslichkeit viel geringer ist als die von iso-Anıylalkohol. (es ist mit Wasser mischbar), schon wieder wie etwa Methylamin, Heptylamin aber etwa 4mal so stark wie NH,, Diamylamin 5—6mal so stark, Triamylamin gut 10 mal so stark. Diese Hemmung beruht aber nicht etwa auf der Wirkung der Stoffe als indifferenter Narkotika. Denn bei einer molaren Konzentration, bei der zum Beispiel Heptylamin 35 °/o hemmt en! hemmt der viel lipoidlöslichere Heptyialkohol überhaupt noch richt. ‚Vielmehr liegt hier eine Vereinigung physikalischer und chemischer (spezifischer) Hemmung vor, ähnlich etwa wie bei der Blausäure, 248 Otto Meyerhof: die sich einerseits nach Warburg an den Strukturelementen der Zelle stark anreichert, ausserdem aber noch einen spezifischen (chemischen) Effekt auf den Oxydationsvorgang besitzt. 5. Von den aromatischen Aminen verhält sich zum Beispiel Benzylamin, dessen NH, an einer Methylgruppe befestigt ist, wie die Amine der Fettreihe und hemmt fast so stark wie NH,. Wo aber die NH,-Gruppe am Kohlenstoffring befestigt ist, wie zum Beispiel bei Anilin, ist die Hemmung schwächer, als sie bei gleicher Lipoid- löslichkeit bei den Aminen der Fettreihe gefunden wird, und selbst stark lipoidlösliche Stoffe dieser Art, wie zum Beispiel die Naphthyl- anmıine henımen noch schwächer als die niederen aliphatischen Amine. Noch schwächer aber — in dem in Betracht gezogenen Kon- zentrationsbereich überhaupt nicht — hemmt Pyridin, dessen Stickstoff im Ring selbst befestigt ist. Doch auch bei den hydrierten Pyridin- basen ist die oben beschriebene Gesetzmässigkeit festzustellen: so hemmt Coniin=Propylpiperidin etwa 4mal so stark wie Piperidin, von dem es sich kaum in seiner Dissoziation noch in seinem chemischen Verhalten, sondern nur in seiner „Lipoidlöslichkeit“ unterscheidet. 6. Bei den Alkaloiden endlich ist die Wirkung der NH,-Gruppe noch mehr verwischt. Vielmehr scheint die Hemmungsgrösse der Alkaloide ihrer im allgemeinen bekannten Giftigkeit Bakterien gegen- über zu entsprechen. Während Morphin in dem untersuchten Kon- m 2000 Chinin: 60— 80%, also etwa doppelt soviel wie die von NH,. Übrigens eilt auch hier, dass nur die freie Alkaloidbase hemmt; denn die Hemmung nimmt mit Erhöhung der Alkaleszenz stark zu. Die hier beobachteten Hemmungen sind ganz verschieden von denen, die Warburg und Grafe durch dieselben Stoffe bei Vogel- blutzellen feststellten !): dort ergibt sich, dass die Hemmung wesent- lich dem Dissoziationsgrad der Base entspricht, daher hemmen zum Beispiel Coniin, Piperidin, Methylamin gleich und doppelt so. stark wie NH,. In unserm Fall spielt der Dissoziationsgrad keine oder nur eine indirekte Rolle bei den Hemmungen. Sie müssen auf einer spezifischen Wirkung der NH,- bzw. NH,-Gruppe beruhen, die in die zentrationsbereich gar nicht hemmt, beträgt die Hemmung von 1) E. Grafe, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 79 S. 421. 1912. Die gleiche Gesetzmässigkeit zeigt übrigens nach Fühner unl Neubauer auch die Hämolyse durch Amine im Gegensatz zur Hämolyse durch Narkotika. Arch. f. exp. Path. u. Pharmak. Bd. 56. S. 343. 1907. Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. 11. 449 Zelle gelangt und sich an den Oxydationsorten in bestimmter Kon- - zentration anreichert. Aliphatische Amine. Alle Amine wurden als salzsaure Salze benutzt (Kahlbaum). Die wenigen nur als freie Base er- hältliehen wurden durch Zugabe überschüssiger Salzsäure als Salze gelöst. Vor Versuchsbeginn wurde zu den Lösungen der salzsauren Amine soviel NaOH zugegeben, als zur Freisetzung der Basen er- fordert wird, und gleich von dem Gemisch zu der Bakterienlösung eine berechnete Menge hinzugefügt. So dürfte die Flüchtigkeit mancher Amine nur geringe Verluste verursacht haben; im übrigen sind die Versuche so angestellt, wie bei NH, unter Versuch 2 be- schrieben wurde. Die Reaktion wurde nach Schluss des Versuchs durch Phenolphthalein und Thymolphthalein bestimmt. Es ist nicht möglich, sie in allen Versuchen ganz gleich zu machen, zumal auch die Dissoziationskonstante der Aminbasen zum Teil erheblich ver- schieden ist. Für jeden Stoff eine ähnliche Tabelle anzufertigen, wie‘ oben für NH,, wäre zu zeitraubend. Die Mehrzahl der Amine wurde in wiederholten Versuchen bei einer Reaktion zwischen p7- 9,2 und 9,5 geprüft. In der später folgenden Tabelle sind die dabei erhaltenen Grenzwerte der Hemmung angegeben. Das in den „Leitsätzen“ Gesagte sei nun an Beispielen demonstriert: 1. Abhängigkeit der Hemmungsgrösse von der OH’- Konzentration. Beispiele: Versuch 1. 1. 2 ccm Bakterienflüssigkeit + 0,2 dest. Wasser. n 2. 2 ccm 5 + 0,2 10 HCl. n Son : ; 3. 2 ccm + 0,2 io HCl mit —- -Trimethylamin- ni chlorid. 4. 2 ccm a + 0,05 =, N3,00,. 5. 2 ccm x + N3,C0, mit 00 [rimeth. (alkal.). | 1 2 >. 4 b) a he) 103 89 117 45 Hemmungin Prozenten _ - 14 — 62 ns 8,8 8,2 8,3 9,2 3 250 Otto Meyerhof: ' Versuch Il. | 1. 2 ecm Bakterienflüssigkeit. 2.2 ccm > + HÜl. | 3..2 cem ä + HCI mit nn - Methylaminchlorid. 4. 2 ccm: 2 -2N8,00,. en h Boca “ + Na,C0, mit - 99 Methylaminehlorid | | 0 (alkal.) 1. | 2 3% 4: 4 SER I. ; ne 0 " "5 70 >0 Nie. 105. Hemmungin Prozenten _ —: 29 —_ 4 LEN De zukalın 0 ss oa | Sn 9,5 I 2. Die Hemmung der, quaternären Ammoniumsalze ist unabhängig von der Reaktion. : i n Versuch: Tetramethylammoniumchlorid 1000° 1. 2 ecm Bakterienflüssigkeit. 2. 2°cem HG]. u; 3. 2 cem N + HCl mit N(CH,),Cl, 4. 2 ccm: En + NaOH. S 5. 2 ccm 2 + NaOH mit N(CH,),Cl (alkalisch). | 1. 2 | 3 4.20% K 5) ! | | Kubikmillimeter O, in 63 s6 | Ar 57 4. Bl BUS WERE : Ar Hemmung in Prozenten = — 20 — 15 Dr zirka. 8,2 8,2 32 9,3 9,3 3. Amine, die nach Overton nicht oder schwerin Zellen eindringen, hemmen nur zeringfügig. ‚Beispiele: 1. Äthylendiamin'). Vergleich von Äthylendiamin (Dissoziationskonstante — 8,5 : 10) Diäthylamin (Dissoziationskonstante Ammoniak (Dissoziationskonstante —=1,2 - 105) — 1,9 : 10>)2) 1) Siehe Overton in Nagel’s Handb. d. Physiol. Bd. 2 S. 821. 2) Lunden, Affinitätsmessungen. 1908. Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. I. 251 1. 2 ccm 'Bakterienflüssigkeit + NaOH. 9. 2 ccm BEE NAOHEmit En Äthylendiamin. 3. 2 ccm Mb + NaOH: „ 500 Diäthylamin. A 2. ccm. iingma! + NaOH ,„ 500 NH;,. | 1 2 > | 4 Kubikmillimeter O, in 31 30° . as 0.0 Ma len Hemmung in Prozenten . . . . U U ee) 67 Danke... ne sd. 32 0.099 9,4 Ein weiteres Beispiel ist das heterozyklische Piperazin = Diäthylendiamin, nach Overton kaum lJipoidlöslich!); es gibt in 500 Lösung keine Hemmung. Hierher zu rechnen ist ferner zum 2. Guanidin, das trotz seiner drei Aminogruppen bei 94 —= 9,3 in -Lösung nur 10°, in 20/0 hemmt. 1000 n 500 ‚Völlig wirkungslos ist aber die Aminogruppe in nichtbasischen Verbindungen, Säureamiden und dergleichen: z. B. Harnstoff, Nitro- guanidin, Asparagin, ferner in aliphatischen Aminen, die durch Substitution ihre basische Natur verlieren, zum Beispiel: Nitrosodi- methylamin; diese Substanzen hemmen noch nicht in 505 - Lösungen oder bei noch höherer Konzentration. Gemeinsam ist diesen Stoffen die geringe oder fehlende „Lipoidlöslicehkeit.“ 4, Vergleich der Hemmung der aliphabischen Amine. Oben ist bereits die Schwierigkeit. erwähnt worden, genau gleiche OH’-Konzentrationen für alle Versuche herzustellen. Und selbst wenn dies gelingt, ist auch ein Vergleich zum Beispiel zwischen Diäthylamin (Dissoziationskonstante: 1,3 - 102) und NA, (1,9 - 10) nieht genau, weil bei identischer OH’-Konzentration ein verschiedener Teil beider Stoffe in Salzbindung und als freie Base vorhanden ist. Es sind deshalb recht zahlreiche Versuche in verschieden kombinierten Serien gemacht worden, um das Verhältnis der Hemmungsgrössen der Stoffe eindeutig festlegen zu können. Davon sind in der folgen- 1) A. a. 0. S. 828. 252 Otto Meyerhof: den Tabelle nur die extremen Differenzen der OH’-Konzentration, die benutzt wurden, und die dazu gehörigen Hemmungen angegeben,. wobei aber doch in der Einordnung in die Rubriken eine gewisse Willkür nicht zu vermeiden war. Die Reihenfolge der Hemmungen in den Versuchsserien war meist ganz übereinstimmend, auch bei abweichender Reaktion. Nur Methylamin hemmte gelegentlich bei eleicher Reaktion verschieden stark. In der Tabelle sind für die Mehrzahl der Amine die Hemmungen in a und 00” Lösung bei 9,, — 9,2 und 9,5 angegeben; für die stärker hemmenden auch kleinere Konzentrationen bei ungefähr identischer H’-Konzentration (9,3). | Hemmung in Prozenten von | Hemmung in Prozenten von \ au m Substanz 1000 500 Pp. ca. 92 Py-. ca. 9,5 Pp. ca. 92 | 97. ca. 8,5 Ammoniak . . . . 50 70—75 5) ca. 80 Methylamin . . . 25—42 63 70 — 85 Äthylamin. . . . - 25 54 — 83 n-Propylamin ... . — 44 — 64 Isobutylamin. . . 20 39 42 — 57 62 iso-Amylamin . . . 33 48 55 — 778 Heptylamin . . . . 85—100 — — — Dimethylamin . . - 19 | 69 50 Diäthylamin . . . - 15— 83 52 50 75 Diisobutylamin. . . 70—80 _ 95 Diamylamin . .. . 100 — - en Trimethylamin . . . 30 45 46 — 62 67 Triäthylamin. . . . 24—44 = 52 61 — Allylamın!. .2.0.°: — 28 —_ 50 Benzylamin . . . . 40 70 65 85 Stärker hemmende Amine bei pr = 9,3 ca. Hemmung in Prozenten von Substanz n an = lan 20000 10000 5000 2000 Diisobutylamin. . . ee — —_ 33 Triisobutylamin . . — _ 36 59 56 Diamylamin . . . 12 29T 65 76 35 Triamylamin. ... . 46 58 90 — Heptylamin . — — Sl 641) 84 85 m D z000° Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 253 5. Hemmung der aromatischen Amine. Die Hemmung les stark dissoziierten Piperidin und Coniin ist von der OH'-Kon- zentration sehr abhängig. Die in der folgenden Tabelle angegebenen Hemmungen sind bei pr — 9,5 gemessen. Dagegen ist die Hemmung der übrigen angeführten Substanzen, die viel schwächer dissoziiert sind, auch weniger variabel. Hemmung in Prozenten von Substanz m m a 1000 500 350 Bringen ea nel: 0 0 Bei Biperdin on. 15 98 ce Connie 50 47 93 Be ANINEE Dee ea a 0 13 30 e-Naphtylamin. . ..».... 23 52 4a &-Naphtylamin. ....... 19 54 — 6. Hemmung der Alkaloide. Die Messungen geschahen bei p»r —=92— 9,3. Verwandt wurden die Salze der Pharma- kopoe : Morphinum hydrochlor., Chininum hydrochlor.; Atropinum sulfur., Brucin und Nikotin als freie Basen (Kahlbaum). Hemmung in Prozenten von m m I m m m m 6000 3000 . 2000 1000 500 250 Nikotin . . — — —_ 15 23 93 67 Morphin. . — —_ = 0 0 — Brucin... . en = 14 A — Atropin . . — — - 19 23 50—80 — Ehnmar al, 30.1 47:53 |. 80 95 an er Da im Kapitel für alle Arten Versuche, die in den Tabellen wiedergegeben sind, Beispiele in extenso mitgeteilt sind, sehe ich von der Wiedergabe weiterer Versuchsprotokolle ab. Drittes Kapitel. Wirkung einiger lipoidunlöslicher Nichtleiter auf Atmung und Wachstum der Nitratbakterien. Für unsere Betrachtung lassen sieh die organischen Stoffe nach physiologischen Gesichtspunkten in drei Gruppen teilen: 1. die nar- kotisch wirksamen Substanzen; 2. die nichtnarkotischen Nichtleiter ; 254 ‚Otto Meyerhof:’ 3. die :Alkalisalze mit. organischem Anion. Beispiele. der ersten -Gruppe sind in den beiden vorigen Kapiteln. behandelt, sowohl der indifferenten wie der basischen Narkotika. Die dritte Gruppe soll erst im nächsten Kapitel im Anschluss an die anorganischen Anionen besprochen werden. _ Hier mögen einige Bemerkungen über .die zweite Gruppe folgen. Stoffe, die in diese Gruppe gehören, wie Glukose, Mannit, -Asparagin usw., sind im allgemeinen vorzügliche Nährstoffe für Mikroorganismen. Um so auffälliger war die Fest- stellung von Winogradsky und Omelianski!), dass diese Substanzen nicht nur von den nitrifizierenden Bakterien nicht an- gegriffen werden, sondern dass sie sogar in sehr geringer Kon- zentration das Wachstum der Kulturen beeinträchtigen bzw. ver- hindern. Diese Tatsache war ohne Analogie, wurde aber später auch bei einigen andern kohlenstoffautotrophen Bakterien wieder- gefunden. Aus einigen Versuchsreihen zog Winogrädsky den Schluss, dass die Stoffe um so schädlicher auf das Wachstum wirken, je höher ihr Molekulargewicht und — im allgemeinen — je ge- eigneter sie für die Ernährung gewöhnlicher Bakterien sind. Nitrit- und Nitratbildner verhielten sich ziemlich gleich, nur war Ne letztere weniger empfindlich. Man konnte erwarten, dass sich diese Feststellung bei der Atmung wiederfinden liess, ähnlich wie die Ammoniakhemmung. Aber nichts dergleichen. Die genannten Substanzen sind für die Atmung vollkommen indifferent. Und erst bei osmotischen Konzentrationen, die den im nächsten Kapitel angeführten „Salzhemmungen“ entsprechen, treten Hemmungen von ähnlicher Grösse auf. Ja, die Stoffe mit höherem Molekulargewicht, wie Mannit und Glukose, wirken nicht stärker, sondern eher schwächer als die mit niederem, zum Beispiel Harnstoff. Wie gross der Unterschied zwischen Atmunges- und Wachstumsbeeinflussung ist, mag man daraus ersehen, dass nach Winogradsky Glukose, in einer Konzentration von 0,0025 m das Wachstum deutlich sehädiet, in 0,015 m völlig hindert, wofür zahlreiche übereinstimmende Kulturversuche mitgeteilt wurden. Dagegen hemmt Glukose in 0,3 m-Lösung die Atmung überhaupt nicht, in 0,6 m etwa 10°o, erst bei 0,8 m tritt eine progressive Atmungshemnung von 25—30°/o auf. Asparagin hemmt ‚das Wachstum nach Winogradsky bei 0,003 m, verhindert es 1) Zentralbl. f. Bakt. Abt.2 Bd.5.S. 329. 1899. Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 255 ad bei 0,05 m; dagegen hemmt erst 0,15 m die Atmung um 10—20 %o. Auch Mannit (bei W. keine Angaben) zeigt bei der. höchsten ge- prüften Konzentration von 0,15 m noch keine Hemmung. Harnstoff hemmt nach Winogradsky das Wachstum bei 0,15 m, hebt es bei 0,3:m auf. Die Atmungshemmung bei 0,15 m ist 0; bei 0,5 m 320%. Hier nähern sich .also wenigstens die Grössenordiuheen. Wenn bei den höheren. Konzentrationen überhaupt Atmungs- hemmungen auftreten, sind sie immer deutlich progressiv, doch macht sich bei den. als nicht-hemmend bezeichneten Konzentrationen auch im Verlauf von 4—5 Stunden keine allmählich einsetzende Hemmung bemerkbar. Längere Versuche, über 12—24 Stunden, lassen sich unter diesen Umständen wegen der Infektionsgefahr mit fremden Keimen nicht anstellen. | Die Deutung dieser starken Differenz im Verhalten der Stoffe gegenüber Atmung. und Wachstum scheint mir die zu sein, dass sich - die Nitratbakterien ihnen gegenüber verhalten wie die meisten andern Zellen: ihre Plasmahaut ist für sie fast undurchlässig. Nur im ‘Verlauf: langer Zeit dringen sie merklich ein, sei es, dass von vorn- "herein eine sehr beschränkte Durchlässigkeit für diese Stoffe besteht, sei ı es, dass sie erst dureh eine von den Stoffen selbst hervorgerufene Oberflächenveränderung verursacht wird. “Und erst jetzt können ‘diese für das Nitratbakterium nicht ' veratembaren „zellfremden“ "Substanzen ihren schädigenden Einfluss entfalten, der sich wohl auch zunächst auf die Atmung und vermittels den ciben auf das Wachs- tum: erstrecken dürfte. ee Die Atmungshemmung der untersten Glieder der homologen Reihen fällt in einen. ganz ähnlichen Konzentrationsbereich wie die der hier. erwähnten Substanzen. So hemmt Methylalkohol in 0,5 m Lösung. 20%, in 1 m- Lösung: 30°/o. Methylurethan in 0,5 m- Lösung 20 bis 30%. Aceton in 0,5 m-Lösung 15/0. Doch ist in diesen Fällen die Atmungshemmung nicht progressiv. Dass deutet offenbar auf einen andern Mechanismus; diese Stoffe gelangen schnell in die Zelle, sind aber dort chemisch "indifferent“. ‚Beispiel für den progressiven Verlauf der Hemmungen : 1. 2 cem Bakterien. 2. 2 ccm » + 1 cem Glukose: Gesamtkonzentration 0,8 m | (16 %). Ä 3. 2 ccm a +. 0,7 ccm Asparagin: Gesamtkonzentration 0,15 m (1,8%). Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 165. 17 256 Otto Meyerhof: ı el E Künknliimeer on A 34, 40. a BR a RE 71 öl 66 Hemmung in Prozenten in 38h 10’ . . . _ 17 2 ” ” ” ” mals NE 43 13 Im ganzen‘. ve N ee 28 7 Viertes Kapitel. Wirkung der Anionen. Da die Alkalikationen, wie schon in der vorigen Arbeit mitgeteilt wurde, bis zu hohen Konzentrationen keine erkennbare Wirkung auf die Atmung zeigen, ist es für das Studium der Anionwirkungen gleichgültig, welches Kation benutzt wird. Es wurde fast stets das Na-Salz verwaudt. Dementsprechend ergaben aber Versuche mit K- und Li-Salzen, die gelegentlich probiert wurden, dieselben Resultate. a) Anorganische Anionen. - Der Einfluss von CO,’, NO,, NO, ist schon in der vorigen Arbeit untersucht worden. NaNO, hemmt sehon in Konzentrationen von 0,5°/, d. h. 0,07 n gegenüber dem Optimum um 20/0. Eine ‚gleich grosse Hemmung besitzt NaNO, erst in 0,6 n-Lösung. NaHCO, dagegen hemmte in 0,25 m (0,5 n)-Lösung 30%. Hemmungen der- selben Grössenordnung wie die letztgenannten begegnen wir nun bei den meisten „indifferenten“ Salzen von ähnlicher osmotischer Kon- zentration. Sie wurden schon öfters erwähnt und als „Salzhemmung“ bezeichnet. Die folgende Tabelle, die auf Äquivalente (nicht Mole) bezogen ist, mag darüber orientieren. Äquivalent Stoff 0,05n | 0,12-0,15n | 0,25—0,3 n | .0,5—0,6 n NaNO, nt 18 30 _ 74 NaNO, ga a () 24 NaHCO,... 0. u en ) 33 Nacl 0. _- 0—10 15 35 (Na) ne 10-20 34 45) — -—- N) = 5 = 25 Na,;HPO rue: n 14 | 201) 503) Nasen... 0. 14 _ 34 _ .. | Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 257 Man sieht, dass wesentlich nur Nitrit und Borat sich durch stärkere Hemmung auszeichnen (ausserdem Jodid, dass nicht-konstante Hem- mungen gibt, die wohl auf etwas abgespaltenem Jod beruhen dürften). — Dieser Umstand gibt doch zu denken: Borsäure ist von allen auf- geführten nach Overton die einzige, die glatt in die Zellen ein- dringt. Nach den Feststellungen vieler Autoren ist nun Borax in Lösung teilweise nach der Formel Na;B,0, —=2(NaOH + H,BO,) zerfallen !), wobei nach Lundberg die OH'-Konzentration unabhängig von der Boraxkonzentration 1,9 - 10”? ist. Das gibt umgerechnet pr-—=9,3. Dieser Zerfall muss um so mehr für unsere karbonat- reiche Lösung von p-— 8,8 zutreffen. Es sind also die Bedingungen für das Eindringen einer gewissen Menge Borsäure in die Zellen gegeben. Unter diesen Umständen liegt es nahe, die übrigen schwachen Hemmungen gar nicht auf das Eindringen des Anion, sondern auf den osmotischen Druck, also die Wasserentziehung zurückzuführen. Das lässt sich allerdings nicht direkt beweisen. Gelegentliche Versuche orientierten auch darüber, dass das Nitrat, wie in,der vorigen Arbeit erwähnt wurde, sich tatsächlich am günstigsten verhält, und dass bei gleicher Äquivalentkonzentration sowohl Atmung wie Wachstum durch andere Anionen stärker gehemmt werden. Beispiel: Je 2 ecem Bakterien, ea. 0,5°o NaNO, enthaltend, werden benutzt: 1. ohne Zusatz, 2. mit NaNO, 1,8°/o —= 0,22 m (zusammen 2,3 /o), 3. mit’ NaCl 1,3% — 0,22 m. Atmung bestimmt I. in 4!/s Stunden. II. 19 Stunden später in 4"/s Stunden. (Dazwischen keine vollständige Sauerstoffversorgung.) 1 DR 3 Kubikmillimeter O;,: Iin 4/eh... . 71 16 62 O;: II „ 4a h. nr 64 58 26 Aussleberechnetiuin same. —_ +8% — 13 %0 Wachstumsquotient. . . . 2... 0,90 0,76 0,42 1) Vgl. Shelton, Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 43 S. 494. — Walker, Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 32 S. 137. — np Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 69 S. 442. 1909. It 258 Otto Meyerhof: kb) Or ganische Anionen. Aunliche Hemmungen ergeben So auch bei den wenigen ge- prüften mehrbasischen organischen Säuren, dagegen erheblich grössere bei den übrigen. Von den ersteren seien folgende drei Salze aufsehe 0,3—0,25 n 0,6 n oe — Na a, no | R nn Na ER ir h> ale . Die Hemmung von oxalsaurem Kalium ist stark progressiv. Die angegebene gilt für eine Zeit von 2 Stunden. In 5 Stunden beträgt die Hemmung für 0,6 n 45 "6, für 0,5.n 1020 Oo. Winog rad sky hatte die im dritten Kapitel erwähnten Wachstums- hemmungen durch organische Stoffe auch bei einigen organischen Alkalisalzen festgestellt. So hemmt nach ihm essigsaures Na in 0,1 m- Lösung das Wachstum und hebt es in 0,2 m auf. Doch daraus lassen sich, wie wir sahen, keine Schlüsse auf die Atmungsbeeinflussung (in kurzer Zeit) ziehen. | Tatsächlich sind nun die Hemmungen erheblich grösser als bei den bisher besprochenen Salzen. Am stärksten hemmt ameisen- „saures Na; ziemlich gleich essigsaures, propionsaures, buttersaures, valeriansaurcs Na und am schwächsten das Na-Salz der ‚einzigen - geprüften Oxysäure: Milchsaures Na. Dieses steht-schon den vorher beschriebenen recht nahe. Eine genaue Festlegung der Grösse der Hemmung hat zunächst mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass die Hemmungen nicht proportional der Konzentration zu nehmen, sondern viel schwächer, besonders auffällig bei ameisensaurem Na: so hemmt zum Beispiel 0,07 m :49°/o; 0,15 m :53 0; 0,3 m : 69 %o. Überdies ergaben sich bei den Versuchen solche Schwankungen, dass noch ein anderer Faktor im Spiel sein musste, der dann auch im wesent- lichen ermittelt werden konnte. Zunächst liegt es nahe, auch hier an die DKUUE hydrolytisch abgespaltener Säure . zu denken, Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 259 zumal die Fettsäuren lipoidlöslich sind, Milehsäure. weniger, die mehr- wertigen Säuren gar nicht. Dann müsste aber mit. Abstumpfung der Alkaleszenz die Hemmung zunehmen. Das war nicht der Fall. Dagegen zeigte sich bei den verschiedenen Variationen, dass der Nitritkonzentration. ein bedeutender Einfluss auf die Hemmung zu- kommt: bei einer Konzentration von 0,4—0,5°/0 NaNO, sind die. Hemmungen durchschnittlich um ein Drittel oder die Hälfte kleiner als bei einem NaNO;-Gehalt zwischen 0,05—0,1 lo. E Diese Feststellung gilt für alle untersuchten Fettsäuren, ausser Ameisensäure, ferner für die später angeführten aromatischen Säuren, nieht dagegen für die nur schwach hemmenden mehrbasischen und die andern, die „Salzhemmung“ zeigen. Dagesen wurde sie nach- träglich im geringeren Grade auch für Borsäure festgestellt. Die folgende Tabelle veranschaulicht das Gesagte für die genannten "Nitritkonzentrationen,, wobei je zwei nebeneinanderstehende Zahlen einem Versuch entstammen. | Salzkonzentration— 0,3n | Salzkonzentration — 0,15n Nitrit- Nitrit- Nitrit- Nitrit- konzentration | konzentration]| konzentration | konzentration 0,05—0,1%0 | 0,4—0,5°/o | 0,05—0,1%0 | 0,4—0,5 9/0 Ameisensaures Na. ; | 68 69 56 49 Essigsaures Na... 64 44 = — Essigsaures Li . . . 61 39 35 16 Propionsaures Na. . 66 30 36 — Buttersaures Na. . . 63 38 43 — Valeriansaures Na. . 50— 70 —_ 44 _ Milchsaures Na... . 36 18. | 20 —_ Doch sei gesagt, dass nicht alle Schwankungen zwischen den Versuchen dadurch erklärt werden. Diese zeigten sich besonders bei Versuchen mit Natriumacetat. So wurde bei Wiederholung des in der Tabelle angeführten, durchschnittlichen, Versuches gefunden bei den beiden Nitritkonzentrationen: 0,05—0,1°/o und 0,4—-0,5 %/o für 0,3 n: 79 und 57 °/o-Hemmung. Im entgegengesetzten extremen Fall für 0,3 n bei den genannten Nitritkonzentrationen 48 und 31 %o. Die auffällige Erscheinung, dass die Hemmungen bei höherer Nitritkonzentration schwächer werden, erinnert an eine von mir bei 260 Otto Meyerhof: Invertasehemmungen gemachte Feststellung!), dass bei wachsender Substratkonzentration (Glukose) die Hemmungen durch die meisten - Narkotika kleiner werden. Es wurde dafür die hypothetische Deutung gegeben, dass das Substrat einen Teil des Narkotikums von der Fermentoberfläche verdrängt. Sollte das nicht in unserm vorliegenden Fall ebenso sein? Wir fragen deshalb gleich, ob auch die Hemmung durch indifferente Narkotika bei wachsender Nitrit- konzentration abnimmt. Das ist nun bei den höheren Gliedern der homologen Reihe durchaus nicht der Fall und bei den niedersten - nur andeutungsweise: ' Prozentische Hemmung NaNO, NaNO, 0,05 0/0 0,5%0 Aceton 0,9-:m el. la ae 18 13 Methylalkohol 15 m... .... 38 30 Methylurethan 0,66 m ...... 993 46 Methylurethan 0,5 m. ...... Sl 20 Nur der Umstand, dass diese noch in die Fehlergrenze fallenden Differenzen alle gleichsinnig sind, spricht dafür, dass hier derselbe Unterschied in sehr abgeschwächtem Masse vorliegt. Trotzdem glaube ich könnte man die obige Deutung akzeptieren; man würde etwa sagen können, dass die stark oberflächenaktiven Narkotika durch Nitrit nicht merklich von den Atmungsflächen verdrängt werden, dass dies aber bei den schwächer adsorbierbaren schon bemerklich wird und ganz ausgesprochen bei solchen Stoffen, deren Oberflächen- aktivität der des Nitritanion nahestehen dürfte: bei den organischen Anionen. NE Hier ist von der Vorstellung Gebrauch gemacht, dass die fett- sauren Salze merklich in die Zelle eindringen und diese Annahme erhält eine gewisse Stütze durch Versuche mit den Salzen einiger aromatischer Säuren :: Die drei isomeren Oxybenzoesäuren unterscheiden sich nach Böseken und Watermann?) stark durch ihre Lipoid- ‚löslichkeit (während sie übrigens die Oberflächenspannung Wasser Ä a N Br) gegen Luft nicht erniedrigen). Der Teilungskoeffizient Wasser be- 1) Pflüger’s Arch. Bd. 157 S. 264. 1914. 2) Akademie d. Wissensch. in Amsterdam 1912 S. 620. Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 261 trägt für ortho-Oxybenzoesäure (Salizylsäure) 11,8, für para-Oxybenzoe- säure 0,6, für meta-Oxybenzoesäure 0,4. Ferner ist der Teilungs- koeffizient der Benzoesäure 12,6. Die Autoren fanden, dass dem- entsprechend das Wachstum von Penieillium glaukum durch Benzoe- säure und ortho-Oxybenzoesäure stark gehemmt wurde, nicht dagegen durch die beiden andern Oxybenzoesäuren. Gleichgültig nun, ob hier wiederum die Lipoidlöslichkeit, die ihr vermutlich parallel gehende Oberflächenaktivität (für die die Oberflächenspannung Wasser: Luft kein sicherer Massstab ist) oder selbst chemische Wirkungen mass- gebend sind!), so ist doch das Eindringen in die Zelle und für die stark lipoidlöslichen Stoffe die Anreicherung in ihr gar nicht zweifelhaft und unter den in Betracht kommenden Umständen die “ Voraussetzung der Wirkung. Falls nun der Nitratbildner sich den Alkalisalzen dieser Säuren gegenüber ähnlich verhält, ist dies ein . starkes Argument zugunsten des Eindringens der Salze bzw. ihrer Anionen. Und das ist in der Tat der Fall! Das salizylsaure Natrium hemmt etwa dreimal so stark als die beiden andern Isomeren. Das benzoesaure Natrium ähnlich wie die letzteren, aber etwas stärker. Prozentuale Hemmung bei einer NaNO,-Konzentration 0,1 o in 0,066 m 0,12 m o-oxybenzoesaures Na... .»...... 75 90 p-oxybenzoesaures Na . . . .. 2.2 .. 27 47 m-oxybenzoesaures Na... ....... 33 52 Benzoesaures Na . . .. . ER AEFRE NE 42 54 Diese Tabelle ist das Ergebnis einer Versuchsserie. Bei ver- schiedenen Versuchen muss auch hier auf die Abhängigkeit der Hemniung von der Nitritkonzentration Rücksicht genommen werden. Hemmung in Prozenten bei 0,05-0,1%/0NaNO,| bei 0,5%%0 NaNO, 0,05 m salizylsaures Na. ...... 70 49 0,15 m benzoesaures Na . ..... 70 47 1) Chemische Wirkung lässt sich gerade in diesem Fall wohl nicht aus- schliessen. So gibt zum Beispiel nur die Salizylsäure mit Eisenchlorid Violett- fäarbung; die p- und m-Oxybenzoesäure nicht. Das könnte ein Hinweis auf eine chemische Giftwirkung der ersteren Verbindung sein! AR - Otto Meyerhof: „Dass ‚diese Hemmung durch hydrolytisch abgespaltene Säure‘ hervorgerufen‘ wird,: ist nicht; wahrscheinlich, da die Salizylsäure eine relativ starke Säure ist (Dissoziationskonstante :1,0:-:1072), erheblich stärker: als ihre Isomeren. (Dissoziationskonstante p- Be 107°; m-Oxybenzoesäure:: 8,5 - 107°). a 1 ; ‚Dass: die Nitratbildner gegenüber andern Zellen eine in Manches) Riehtuine erhöhte Durchlässigkeit besitzen, geht wohl schon aus ihrer Fähickeit zur Aufnahme von NO, bzw. NO, hervor.: Im übrigen: lassen sich aber gerade viele sonst schwer verständliche Eigentümlich- keiten in ihrem Verhalten, die in den vorigen Kapiteln erörtert wurden, am plausibelsten dadurch erklären, dass man ihnen im ganzen . ähnliche Durchlässigkeitsverhältnisse zuschreibt, wie sie bei :höheren Zellen gefunden wurden. Als solche Momente seien hier zusammenfassend angeführt: 1. Dass zur: Assimilation nur ge-. löste. Kohlensäure verwandt wird, aber kein flxes Karbonat. Kohlen- . säure ist lipoidlöslich; Karbonate nicht. 2. Dass nur NH, und Amine die Atmung hemmen, nicht ‚aber ihre Salze; und dass andrer- seits nur die basischen Amine hemmen, die lipoidlöslich sind; und obwohl die Hemmung eine. spezifische Eigenschaft der Amingruppe ist, lipoidunlösliche Körper mit mehreren Aminogruppen nicht oder schwach hemmen. 3. Dass lipoidunlösliche Nichtleiter, die das - Wachstum — und vielleicht auch in langer Zeit die Atmung — schon in sehr kleinen Konzentrationen hemmen, also in längerer Zeit. recht giftig sind, wie zum Beispiel Glukose — in hundertfach höherer Konzentration die Atmung innerhalb einiger Stunden nicht be- einflussen.!) 4. Dass von allen untersuchten anorganischen Salzen Borax, das „Äipoidlösliche“ Borsäure abspaltet, weitaus am stärksten hemmt.; Endlich werden wir im übernächsten Kapitel, noch einem weiteren interessanten Beispiel begegnen: dass das lipoidlösliche HzC],, obwohl ausserordentlich viel schwächer dissoziiert wie das lipoidunlösliche Hg(NO,),, die Atmung in Abwesenheit von Cl’ stärker herabsetzt als letzteres. Selbst bei den hier behandelten organischen Anionen haben wir noch eine Analogie mit dem Verhalten der höheren Zellen: diejenigen organischen Salze besitzen eine besonders STosse Wirkung, deren Anionen in saurer Lösung bzw. deren Säure- moleküle lipoidlöslich sind: Fettsäuren, aromatische Säuren, während 1) Es lässt sich andererseits für diese Körner nicht ausschliessen, dd sie spezifische Wachstumssifte sind! BER Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 263 die Salze der. mehrbasischen lipoidunlöslischen Säuren sich wie indifferente anorganische Salze verhalten. Es handelt sich. hierbei nur um eine indirekte Beweisführung, und manche der erwähnten Tatsachen kann ‚man auch anders zu erklären versuchen. ‚Im ganzen sprechen sie mir aber doch dageeen, dass Alfred Fischer’s auf Plasmolyseversuche gesründete Annahme, die Bakterien seien im Gegensatz zu höheren Zellen für beliebige anorganische Salze in kürzester Zeit und grösstem Umfang reversibel durchlässig'), für die Nitratbakterien gültig u Versuche. a) 2nonganlsgle Anionen‘ (über NOy, NO,; 00," s. die vorige. Arbeit). ° Es wird nur eine Auswahl aus den: im Text verwandten Proto- kollen wiedergegeben. IE 1. 2 cem Bakterien. | le mit 0,7°/o NaCl a n). 2. 2) ccm. 3. 2 ccm & „ 3,5 NaCl (0,6 n). 4.52 com „ 0,83% Na5S0, (0,12 n). 5. 2 ccm ; „ 410 Na,SO, (0,6 n). | 1 | 2 | 3. | 1. 5. Kubikmillimeter O, in 34. | 69 | 73 a 52 Hemmung in Prozenten. . — 0 | 55) 4 25 1. 2 ccm Bakterien. 2. 2 ccm h mit 8,4°%/o Na5HPO, (0,7 n). 3. 2 ccm k „ 4,2%o Na,;HPO, (0,35 n). 4. 2 cem ei „ .1,4°o Na;HPO, (0,12 n). 5. 2 cem i „ 2°%o NaSCN (0,25 n). 6. 2 cem & „0,05 /o NaSCN (0,06 n). IS, 2200 Kubikmiliimeter O, in 3h 30’ fo) 42 | 68 74 96 74 Hemmung in Prozenten . . u 50 | 20 14 34 14 Na,B,0, bei zwei Nitritkonzentrationen. Molgewicht (mit 10 aq.) 382,3. 1. 2 cem Bakterien mit 0, 05 %/o NaNO,. 2. 2 cem Er 5 0.05 0%/o NaNO, mit 5,6 °/o Borax (0,25 n). 1) Jahrb. f. wiss. Botanik Bd. 27 S. 1. 1895. Ya. A. Fischer gegenüber auch Paine, Über Durchlässigkeit von alaltezel EN. Proc. Roy. Soc. vol. 34, Ser. B, p. 289. 1912. Ban‘ ki 2654 Otto Meyerhof: 3. 2 ccm Salslaen mit 0,05°%/0 NaNO, mit 2,8°/6 Borax (0,12 n). 4. 2 ccm 5 '„ 0,5 %o NaNO.,. a | 5. 2 ccm N 0) 5 0%/o NaNO, mit 5,6%0 „ 6. 2 ccm ; a 0,5 Yo NaNO, „ 2810 2 2 Fr Kubikmillimeter mA... | 8 | 35 | 58 90 | » Hemmung in Prozenten . . — 13 42 63 36 b) Organische Anionen. 1. 2 ecm Bakterien (0,1°/o NaNO, e). 2. 2 ccm s + 5°) oxalsaures K. (0,6 n). 3. 2.cem n + 2% 5 025m): 4. 2 ccm 5 + 3,7°/o valeriansaures Na (0,3 n). 5. 2 ccm 5 + 1. 800 (0,15 n). 6. 2 ccm & +3 2,9% buttersaures Na (0: 3.n). 7. 2 ccm h +1 ‚6% 5 ‚ (0,15 n). Kubikmillimeter O, in Ih 30’ 29, 5 0, „ 4u 50! 63 33 | 46 Hemmung in Proz. „ 14 30’| — 15 0 = — — 2 EU EN LLAR.50L 45. |: 20: |. 50. 200 Sa 1. 2 ccm Bakterien. 2. 2 ccm 5 + 0,25 n oxalsaures K 3. 2 ccm 5 +0,12 n a 4. 2 cem x + 6% Glukose — 0,3 m 1 | 2 3. 4. Kubikmillimeter O, in 3h 30’. . 60 59 61 57 O5 92 86 92 88 Hemmung in Prozenten in 5h 10’ — 6 0 b) (progressiv) Hemmung durch. fettsaure al bei verschiedener Nitritkonzen- tration. 1. 2 cem Bakterien. 0,07 °/o NaNO,. 2. 2 ccm u + 0,3 m essigsaures Li. 8. 2 ccm 2 +0,15 m s ” 4. 2 ccm n + 0,3 m ameisensaures Na. 5. 2 ccm & 0,4 °/o NaNO,. 6. 2 ccm 2 + 0,3 m essigsaures Li. 7. 27 cem Gi + 0,15 m 5 8 2 ccm 5 +0,33 m ameisensaures Na. Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. Il. 265 Kubikmillimeter O, in 3b 20’. | 74 | 29 | 48 | 24 | 74 | 45 | 62 | 28 Hemmung in Prozenten. ...| — ‚61 | 35 68 | — | 39 | 16 | 69 1. 2 eem Bakterien mit 0,06 /o NaN0,. 2. 2 ccm = n 5 + 0,05 m salizylsaures Na. 3. 2 ccm 5 + 0,3 m essigsaures Na. 4. 2 ccm a = & + 0,3 m buttersaures Na. D2recm 5 „ 0,5% NaNO, 6. 2 ccm a = A + 0,05 m salizylsaures Na. 7. 2 ccm A 5 5 + 0,3 m essigsaures Na. 8. 2 ccm 5 ei 5 + 0,3 m buttersaures Na. | || als 6 | 8 Kr | | Kubikmillimeter O, in 4l/eh. . 120 | 36 | 43 | 44 12) 97 | 63 1:69 Hemmung in Prozenten. .. .| — | | 64 | Ge | 49 | 44 | 38 j 1. 2 ccm Bakterien (0,06 %/0 NaN0,). 2. 2 ccm 5 + 0,3 m propionsaures Na. 3. 2 cem a + 0,5 m milchsaures Na. 4. 2 cem a + 0,05 m Isobutylurethan. 5. 2 ccm 8 (0,40/o NaN0,). 6. 2 ccm 5 + 0,3 m propionsaures Na. fe gen & + 0,15 m > 5 8. 2 ccm 2 + 0,3 m milchsaures Na. Om 2Rcem ® + 0,05 m Isobutylurethan. BRHBBSEREEE | I Kubikmillimeter O0, in 3b. . | 74 | 25 | 47 | 35 | 60 | 42 | 48 | 50 | 46 Hemmung in Prozenten.. . | 66 | 36 | 26 | — | 30 | 20 | 18 | 24 Vergleich derisomeren Oxybenzoesäuren und Benzoe- säure. Nasalicylat (Heyden), reagiert schwach sauer gegen Lakmus, wird mit einem Tropfen 15 NaoH auf 10 ccm 0,6 m Salz gegen Phenolphthalein schwach rosa. Es liegt also „neutrales Salz“ vor, wird, wie angegeben (pz — ca. 8,5), der Bakterienlösung zugesetzt. m-Oxybenzoesaures Na (Kahlbaum): gegen Lakmus neutral; Neutral- rot pm — 6,5—7 erfordert 2,8 ccm 15" NaOH in 10 ccm 0,6 molar, um gegen Phenolphthalein blassrosa zu werden. Dies entspricht der so viel schwächeren Dissoziation der Säure. Es wird mit dieser Reaktion (pz- ca. 8,5) der Bakterienlösung zugesetzt: 0,95 g + 6,25 ccm 266 Otto Meyerhof: n 10° baum) reagiert in 0,6 m Lösung gegen Neutralrot fast genau neutral (Vergleich mit Phosphatgemisch pz. = 0), aber gegen Lakmus und Lakmoid stark alkalisch: bei Vergleich mit Phosphatgemischen : 97-— 9,2. Sein übriges Verhalten entspricht aber der Reaktion gegen Neutralrot, so dass der Farbenumschlag von Lakmus auf einer Anomalie be- Wasser + 2,8 Na0H = 0,6 m, p-Oxybenzoesaures Na (Kahl- ruhen muss. Es fordert 5 ccm 10” NaOH in 10 ccm 0,6 m Lösung, | um gegen Phenolphthalein blassrosa zu werden. Dies entspricht wiederum der noch schwächeren Dissoziation der p-Oxybenzoesäure. Wird so (0,95 g + 4,05 Wasser + 5 ccm 15" Na0H) der Bakterienlösung zu- gesetzt. Benzoesaures Na 0,6 m reagiert neutral, wird mit einem n Tropfen 10 „a0H auf 10 ccm leicht alkalisch gemacht. 1. 2,0 ccm Bakterienlösung (+ Wasser) 2. 2,0 ccm Mil mit 0,066 m o-oxybenzoesaures Na 3. 2,0 cem a 0.12 m 5 5 4. 2,0 ccm Rn „ 0,066 m m-oxybenzoesaures Na 5. 2,0 ccm ” ” 0,12 m 2) ” 6. 2,0 cem a „ 0,066 m p-oxybenzoesaures Na 7. 2,0 cem e »=..0,127 m A 5 8. 2,0 ccm 5 „ 0,066 m benzoesaures Na 9. 2,0 ccm ” s Wlan 5 5 mn | | | Bee: Kubikmillimeter O, in 35h . . [142 | 36 | 14 | 9 | 68 103 | 751 8 | 69 Hemmung in Prozenten . — | 6) | 90 | 33 | 92 = 47 | 42 | 4 Fünftes Kapitel. Kationenwirkungen: Erdalkalisalze. bei den ausgedehnten Untersuchungen Warburg’s über die Beeinflussung der Oxydationsvorgänge in Zellen ergab sich gegenüber den lipoidlöslichen Stoffen ein völlig gleichmässiges Verhalten der verschiedenen Zellarten, nicht aber gegenüber den lipoidunlöslichen, speziell den Salzen. Die hier zutage tretende Differenz kann man als eine verschiedene „Salzempfindlichkeit“ bezeichnen, die nach Warburg eine Eigenschaft der äussersten Zellgrenzschicht sein muss, denn auch in die „salzempfindlichen“ Zellen sollen die Salze in der Versuchszeit nicht merklich eindringen. Beispiele hierfür bildet das Verhalten der Seeigeleier einerseits, der Vogelerythrocyten Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 267 andererseits gegenüber: zellisotonischen Lösungen der Alkali-' und Erdalkalisalze!). Die intakten Vozelblutzellen atmen in 'all diesen Lösungen längere Zeit hindurch ganz oleich, die Seeigeleier äusserst verschieden; so wird die Atmung frischbefruchteter an in -NaCl-Lösung um das 4—5fache gegenüber EBEEL gesteigert, CaC],-Lösung enorm herabgesetzt USW. Wie steht es nun mit der. - Salzempfindlichkeit“. der. Nitrat- 'bakterien? So hoehgradig wie die der Seeigeleier ist sie offenbar nicht, da, wie schon früher erwähnt, K‘, Na°, Li‘, Meg keinen ‚merk- ‚liehen Einfluss auf die Atmungsgrösse ausüben. Das Folgende zeigt aber, dass sie auch nicht so gering wie die: der Blutzellen ist, ‘sondern zwischen beiden Extremen die ‘Mitte hält. | | Besonders interessant in dieser Hinsicht ist das Verhalten der - Bakterien gegenüber. Erdalkalisalzen: die Hemmung erweist sich enorm abhängig von der H°-Konzentration. Dieselbe Ba-Konzentration kann 10 oder 100°/0 hemmen, je nach der nur wenig verschiedenen Reaktion, und daselbe gilt ebenso für Sr- und Ca-Salz. Dabei braucht nur die Optimumstreeke der. Atmung zwischen pr = 8,3 und 9,3, ja eigentlich nur bis 9,0 berücksichtigt zu werden. Wenn ‚beieinergegendiesaure Seite zu verschobenen Reaktion die Atmung noch gerade optimal istodereben abfällt _(2#»—=82--83), so ist die Hemmung bei passender Wahl der Erdalkalikonzentration fast null, währendsiebei pr» —=88—9,0 bei dieserKonzentration komplett sein kann. Für die Anstellung der Versuche gilt. folgendes: Gibt man Ba(NO,), oder BaCl, zur Bakterienflüssigkeit, so fällt natürlich ein Teil Ba mit CO,, SO, und PO, aus. :Dieser Teil ist bei verschiedener Alkaleszenz ziemlich konstant oder höchstens in stärker alkalischer Lösung etwas grösser, weil im ändern Fall noch etwas Kohlensäure ungebunden bleiben kann. Das würde also entgegengesetzt wirken wie der wirkliche Unterschied der Hemmungen. Dass andrerseits der Niederschlag selbst nicht für die Hemmung verantwortlich: ist,. geht daraus hervor, dass bei Ca-Salz, wo er sehr viel geringer ist, dieselbe Er- scheinung auftritt. Man kann leicht überschlagen , dass maximal etwa 0,015 m Ba, weniger Sr und Ca durch die in der Kulturflüssigkeit vorhandenen Änionen, besonders das Karbonat, gefällt wird. Um diesen Betrag möglichst zu verringern und die Abstufung der Alkaleszenz zu erleichtern, wurde stets mit Kulturflüssigkeit gearbeitet, die mit HCl versetzt war, und die freigemachte Kohlensäure vor dem Erdkalizusatz durch Luftstrom entfernt. — Setzt man zu der karbonathaltigen Bakterien- lösung Bariumsalz im Überschuss, so entfärbt sich zugesetztes Phenol- 1) Vgl. Warburg in Asher-Spiro, Ergebn. d. Physiol. Bd. 14 S. 268. 1914. 2068 Otto Meyerhof: phthalein, und zwar auch dann, wenn man die Bariumsalzlösung ‚selbst durch zugegebenes NaOH stark alkalisch gemacht hatte. Das kommt daher, dass das Karbonat, das die alkalische Reaktion der Bakterienflüssigkeit bestimmt, ausgefällt wird und als Anionen nur NO,, NO, und CY gelöst bleiben. Wegen dieser zweiten Reaktions- verschiebung darf man beim vorherigen „Ansäuern“ der Kultur nicht soviel HCl benutzen als sonst, und ferner muss nach dem Erdalkali- zusatz wiederum kräftig durchlüftet werden, um nichtgebundene Kohlen- säure zu entfernen. Ausserdem ist es hier aber zweckmässig, im Ein- satz der Atmungsgläschen KOH zu verwenden, zumal die dadurch bedingte Reaktionsverschiebung bei Erdalkaligegenwart geringfügig ist und keinen störenden Einfluss auf den Ausfall des Versuches zeigt. Die H°-Konzentration, bei der der einzelne Versuch angestellt wird, entnimmt man am besten aus einem mit Indikator versehenen Kontrollversuch. Es lässt sich nicht vermeiden, dass während der vorbereitenden Manipulationen sich die Reaktion, die ja wesentlich durch Ba(OH), bestimmt wird, ändert und falls man im Einsatz keine Kalilauge verwendet, auch noch während des Versuchs. Andererseits wurde aus- geschlossen, dass etwa nur die anfängliche stärkere Steigerung der Alkaleszenz für die Hemmung verantwortlich ist. Es wurde stets zu der mit HCl versetzten Kulturlösung, nach Abfüllen der Kontrollen insgesamt Erdalkalisalzlösung zugegeben, stark durchlüftet, in die Atmungsgläschen abgefüllt und dann in die einzelnen Gläschen in steigenden Mengen NaOH zugegeben auf Grund jeweils gemachter Vorversuche mit _ Indikatorzusatz. Um nun zu zeigen, dass die anfängliche Steigerung der Alkaleszenz nicht ausschlaggebend ist, wurde in einigen Fällen die zugegebene NaOH nach 5 Minuten bis !/a Stunde wieder vollständig mit HCl neutralisiert. Die Hemmung war dann zwar etwas grösser als in den nicht alkalisch gemachten Lösungen, aber sehr viel kleiner, als in den alkalisch gebliebenen. Wir können daraus auch schliessen, dass die „Erdalkalifhemmungin kurzen Zeiten zwarnicht vollständig, aber doch grossenteils reversibel ist. Beispiele: I. Barium. 1. 21 cem Bakterienkultur + 1,9 1, Ha. BaCl, 0,17 m. 1. 2 ccm angesäuerte Bakterienkultur (kein KOH im Einsatz). 2. 2 cem B h + 0,4 cem BaCl, 24,5 %/o 3. 2 ccm 3 3 + 0,4 cem BaCl, 24,5 °/o 4. 2 ccm % NR + 0,4 ccm BaCl, 24,5 %/o n + 0,1 59 NaOH. 5. 2 cem ki N + 0,4 cem BaCl, 24,5 00 n 0 ——- : nn ‚15 50 NaOH 6.227cem R n + 0,4 cem BaCl, 24,5 Jo + 0,25 NaOH. 20 Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 269 1 2. 3 | 4 RR Kabıkmillimeter O, in 2h 40’ Sl 45 47 37 26 0 lJemmung in Prozenten . . . — 10 OB 3225 50 100 Pp. am Schluss etwa . . . 8,3 | 8,0 8,0 8,4 | 3,45 92 2. 24 cem Bakterienkultur + 2,2 1, Hol. BaCl, in 0,09 m Lösung verwandt. 1. 2,2 eem Bakterien (+ Wasser) 2. 2,2 ccm „. „mit BaCl, 0,09 m 3. 22cm , - Bach, 0,09 m 015 50" Na0H | im Einsatz KOH. A 2a cm \, „ Ball, 0,099 m + 02 55 NaOH | im - Einsatz KOH. 5. 22cm , „ BaCı, 0,08 m + 0,25 55, NaoH | im Einsatz KOH. : 1 2, | 3 4. 5: Kubikmillimeter O, in 33h . .. 87 17 78.2 39 25 Hemmung in Prozenten ; —_ 12 12 By) 12 Py. am Schluss etwa. ..... — 8,0 33 8,5 8,6 3..27 ccm Bakterienkultur + 2,4 1, Ho. 0,09 m BaC],; im Einsatz KOH. 1. 2 ccm Bakterien. Dr aälscem. , „, mit 0,09 m Ba. oem: „ 0,09 m Ba + 0,35 35" NaOH n —-HC1!), + 0,25 50 Cl!) 4. 2 ccm Bakterien mit 0,09 m Ba + 0,22 35" NaOH. N Dee, | | I Kubikmillimeter O, in 34 17 69 97 4 Hemmung in Prozenten BR — 10 25 95 Pz. am Schluss etwa. ..... 8,2 ? 8,4—5 8,8 1) Zur Neutralisation wird nach 5—10 Minuten HCl zugegeben und die Lösung einige Minuten durchlüftet. »U32 27} m 70 a Otto Meyerhöf: Rn 4. 21 ccm'Bakterien + 1,9 10a. 0,035 m Balls; im Einsatz KOH. a. cem Bakterien. ; 22, '2.cCm x &mit 0,035 m: BaC];. 3. 20m a, 0,035 m BaCl, + 0,25 DE & z un Li BE) c -H 1 rasen. +05 > a) 4. 2 ccm , 0,035 ı m’ Babl,. “ 0,15 I -NaoH. Be 8 les a Ds >, NaOH. 2 1. LE 2. ee | 5. . Kubikmillimeter 103 in oh. u 47 92 .,,1226 Hemmung in Prozenten > 20 15 eva Pg am Schluss. ....... 33 | 8,6 8,0 8,8 9,0 ‚I. Strontium. 5. 0,05 m SrCh;; im Einsatz KOH. ‚1. 2 ccm Bakterien, a N 72922.cem 2 er mit. SrCl, 0,05 m. 3. 2 ccm % 5 „ srCl, 0,05 m + 0 aa n -Na0H. 1.2 com a Sch, 0,05 m + 0,2 zn" NaOH. 5. 2 ccm er ah 0,05 m + 0,5 59 Na0H. W Ze m 7 | DE 1 2 | >. | + 6} Kubikmillimeter O, in 34... | 89 | 8 | 46 | 30 9 Hemmung in; Prozenten :. , -: |: —. .|, 28 #7: u 65 90 Py. am Schluss etwa... . . . S — 8,0 86, 88 6. SrCls: 0,006. m; im Einsatz KOH. 1. 2 ccm angesäuerte Bakterienkultur. 2. 2 ccm ASER A i mit 0,006 m ‚SrCl,. 3. 2 cem: a) ol SD -NAOHS un. 4. 2 ccm R ae 0,15 R_Naom, 25 1) HCl nach 30 Minuten zugegeben. Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 271 2 ee EU NEFFEN EEE EEE ER 1. 2. 3. 4. Kubikmillimeter 0; in 3b... - 74 | 68 52 n Hemmung in Prozenten . . . - _ 8 nr I Py. am Schluss etwa. ... . - 8,9 84 8, \ III. Calcium, 7. 0,17 m Ca(NO,); im Einsatz KOH. 1. 2 cem Bakterienkultur + HCl. 2. 2 cem N + HCl mit Ca(N0,), 3. 2 ccm & + HCl „ Ca(N0,) 4. 2 ccm 2 HC Oo). 08 56 NaOH. 522 cem + HCl „ Ca(N0,) + 0,3 55" NaOH. 1 2 3 | 4 | 5 | | | Kubikmillimeter 0, in 33h... 74 50 36 2 0 Hemmung in Prozenten . . . . — 32 50 97 100 Dir ONE Sa er 8,3 84 8,8 9,0 9,2 8. Ca(NO,), 0,035 m; im Einsatz KOH. 1. 2 eem Bakterienkultur + HCl. 2. 2 ccm 5 + HCl mit 0,035 m Ca(N0,),. 3. 2 ccm 5 + HCl „ 0,035 m Ca(N0,), + 0,05 >57 NaOH. 4. 2 ccm 5 + HCl „ 0,035 m Ca(N0,), + 0,1 35" Na0H. Dr 2 ccm 5 + HCl „ 0,035 m Ca(N0,), n —.-NaOH. + 0,15 50 a0 | 1 | 2. Ä 3 4. | >. SER | Kubikmillimeter O, in Ah... 82 68 50 49 | 40 Hemmung in Prozenten . ... . — 17 39 40 Sl Bam" Schlusse . . -..... 33 82 3,6 883 9,0 l _ Die vorstehend angegebenen Versuche zeigen auch, dass die ‚Hemmung in alkalischer Lösung sich noch in sehr kleinen Kon- ‚zentrationen bemerkbar macht, bei 0,035 m Ca und Ba, und 0,006 m Sr, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 18 272 Otto Meyerhof: wovon doch noch ein Teil als Niederschlag ausgefällt wird! Nach allen sonstigen Erfahrungen wird man für die beschriebene Fr- . scheinung kein Eindringen der Erdalkalisalze in die Zellen annehmen, sondern eine Beeinflussung der Oberfläche 2). Sechstes Kapitel. Kationenwirkungen : Salze der Schwermetalle und seltenen Erden. a) Allgemeines; seltene Erden. ,». Das Studium der Sehwermetallwirkungen auf die Oxydation. des Nitratbildners bietet im ganzen ein ziemlich eintöniges Bild. Die Hydroxyde: der. Metalle sind bekanntlich nahezu unlöslich; die Karbonate sind etwas löslicher, aber die unter diesen Umständen bei einer. H’-Konzentration von 1088 erreichbaren Konzentrationen sind doch recht klein. Eine Verschiebung der Reaktion durch die sauer reagierenden Metallsalze über das Atmungsoptimum darf natür- lich nicht zugelassen werden; man muss den Ffiekt durch Zugabe von NaOH kompensieren. Man kann dann sagen, dass die grosse Mehrzahl: der Metalle in einer Konzentration, die noch eine kolloide Lösung ergibt oder auch schon einen geringen Niederschlag, über- haupt keine Wirkung auf die Atmung äussern; auch nicht einmal das sonst so giftige Cu, dessen Karbonat noch relativ gut löslich ist. Merkwürdigerweise tritt aber eine Hemmung auf, wenn ein stärkerer Niederschlag des Carbonats vorhanden ist, und je mehr Nieder- schlag, um so grösser die Hemmung, bis zu 100°. Ganz gleich verhalten sich die Metallsalze hierbei nicht, so ist der Cu-Niederschlag erheblich „eiftiger“ als der Al-Niederschlag, der so gut wie keine Hemmung: ergab. Die Resultate (geprüft wurden Cu, Al, Zn, Cd, Mn, Fe, La, Ce) sind im ganzen schlecht reproduzierbar, da sie auch, aber nicht so übersichtlich, von der H--Ionenkonzentration abhängig sind; auch scheint die Reihenfolge der Zusätze, die Durch- lüftung; usw. eine Rolle zu spielen. Im ganzen glaube ich, dass es sich primär um ‚eine Agglutination der Bakterien dabei handeln dürfte. 1 1) Nach neuen Versuchen von Fitting sollen Zellen von Rhoeo discolor für K-Salze’ in längerer Zeit gut durchlässig sein, etwas weniger für Na- und ‘noch weniger 'für Li-Salze, und gänzlich undurchlässig für Ba-Salze. Ba fe ‚wiss. Bot‘! en Festschrift) Bd. 56 S. 1. 1915. i 2: Untersuchungen über den Ätmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 2373 Gut reproduzierbar und übersichtlich sind dagegen die Versuche mit seltenen Erden, die im ganzen sich ähnlich wie die übrigen Metalle verhalten: Die Hemmung nimmt hier, ganz ähnlich wie bei den Erdalkalisalzen, mit wachsender Alkaleszenz stark zu, — aber auch in diesem Fall nur in Konzentrationen, wo Ns vor- handen sind, in kleineren nicht. Für die Abstufung der Alkaleszenz wurde ganz ähnlich wie bei den Erdalkalien verfahren. Nur wurde die Bakterienkultur nicht mit HCl versetzt, sondern umgekehrt unmittelbar nach dem Salz- zusatz die Lösung durch NaÖOH-Zugabe bis etwa pr-— 8,3 über- neutralisiert. Nach der Lüftung wurde in die Atmuneseläschen ab- gefüllt und hier steigende Mengen NaOH zugesetzt. Die Abhängigkeit vom Alkaleszenzgrad sieht man besonders schön daran, dass bei gut gelungenen Versuchen die Sauerstofizehrung in den Gefässen, in denen sich kein KOH im Einsatz befindet, beträchtlich grösser ist als in den KOHhaltigen: weil in letzterem Fall durch die CO;- Absorption die Reaktion alkalischer wird. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass vorher die überschüssige Kohlensäure vollständig durch ausgiebige Lüftung entfernt ist. Beispiele: La(NO,;)s; En und 7 (+ 6 aq: Molgewicht 433). 1. 2 ecm Bakterien. 2. 2 cem a mit jao-ta (neutralisiert). > m : en 3. 2 com ” es 01% N Im Einsatz KOH, m n 4. ,2 ccm seh in - » ” 140 “ ” an 2 30 NaOH Im Einsatz KOH. m 5. 2 ccm 5 n 00 1a (neutralisiert). 5 " 6. 2 ccm h S 500 1a 5 2 »„ . KOH. m Te an NR soo a = + 01 = NaOH. . Im Einsatz KOH. | 1 2 3 4 | 5) | 6 7 Kubikmillimeter , ins: I|9a ee | \15 | 8: | 76: «| 52 Hemmung in Prozenten . .-| — 22 40 80 >,Ü mon 34 Py, am Schluss etwa. . ... 861.85 | ..80 | 8&9.| 2 &5.2:490 122 92 274 Otto Meyerhof: m L I, a(NO,); 140 1. 2 ccm Bakterien 2. 2 ccm 5 mit La Rn (neutralisiert) | KOH im Einsatz. m n 3. La — —-N 2 cem # er 140 5 + 0,1 50 a0H KOH im Einsatz. m n AN 2NCC La —— —-N an ” „ 4 140 „ IE 0,16 20 a0H KOH im Einsatz. = 1 2 3. | 4 | Kubikmillimeter O0, in 3h . .. 70 69 26 9 Hemmung in Prozenten. ... . — 8 63 88 Py. am Schluss etwa. ..... 8,8 8,6 8,9 | 9,3 m i Ge(NO,):: 140 (+ 6 aq: Molgewicht 440) 1. 2 cem Bakterien. 22 2 ecm ü mit Ce (neutralisiert) | KOH im Einsatz. 3. 2cm , .e& 5 + 0,08 50" Na0H | KOH im Einsatz. as oNcema ce Ba + 0,15 35" Na0H | KOH im Einsatz, 1 2 5% | 4 TR aRBE ee | | Kubikmillimeter O0, in 2h 40’ . 44 34 25 16 Hemmung in Prozenten . .. . — 28 43 65 Py. am Schluss etwa 8,8 8,6 8,9 9,2 m Ö NO 3 aaznle e( 3)3 140 1. 2 ccm Bakterien. 2. 2 cem Bakterien mit Ce (neutralisiert). | Im Einsatz KOH. 3,19. cm ce he 0 55 NaOH. 4. 2 cem A (08 B + 0,15 55 NaOH. 1 2 | 3 4 Kubikmillimeter 0, in 3h 40’. . 82 | 64 | 90 20 Hemmung in Prozenten . . . . _ 22 39 75 Pr amaSehlussn 22. 2.20% 8,8 58 9,0 9,3 Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. 11. 275 b) Quecksilbersalze. Wie zu erwarten war, weicht die Wirkung der Hg” und Ag’-Salze von den übrigen Metallsalzen sehr ab. Die bekannte Giftigkeit dieser Salze für Mikroorganismen kommt in der Atmungs- hemmunz durch sie in enorm kleinen Konzentrationen zum Ausdruck. Dass diese Konzentrationen erheblich kleiner sind als die „des- infizierende Dosis“ ist einleuchtend. Eine Atmungshemmung tritt natürlich schon ein, wenn die Hauptmasse der Bakterien geschädigt, eventuell sogar nur reversibel beeinflusst wird, während zur „Des- infektion“ erfordert wird, dass das resistenteste Individuum getötet ist. Dass es sich bei den Atmungshemmungen in diesem Fall um irreversibele Vorgänge handelt, geht mit Wahrscheinlichkeit aus der stark progressiven Zunahme der Hemmungen hervor. Diese steht in auffälligem Gegensatz zu der Atmungshemmung durch HCN, die in einem ähnlichen Konzentrationsgebiet stattfindet, aber während längerer Zeit ganz konstant bleibt. Die Hg"-Salze zeigen bekanntlich schon eine Reihe physikalischer Besonderheiten. Hier interessiert hauptsächlich, dass speziell HgCl, _ in relativ hoher Konzentration selbst in schwach alkalischer Lösung glatt gelöst bleibt. Da obendrein die Löslichkeit durch NaCl-Gegen- wart noch erhöht wird, so bleibt HgCl, in der Bakterienflüssigkeit 505 Lösung klar gelöst, und erst bei En tritt ein Niederschlag von HgO auf. Derartige hohe Konzentrationen kommen aber gar nicht in Frage. Daher haben wir es im folgenden stets mit homogen gelöstem Hg-Salz zu tun. Infolge der starken Verschiedenheit der Dissoziation und der Lipoidlöslichkeit der Salze muss auch das Anion berücksichtigt werden. Die Äquivalentleitfähigkeit — 435 — für Hg(NO,), beträgt etwa 100, für HgC], 1,5, für Hg(CN); 0,18%). Bekanntlich haben Paul und Krönig die verschiedene Giftigkeit der Hg-Salze, so die grössere Giftigkeit von HsCl, gegen- über Hg(CN), auf die Verschiedenheit der Dissoziation zurückgeführt ?). Dass dies aber nicht der einzig verantwortliche Faktor sein kann, vielmehr die Lipoidlöslichkeit eine grosse Rolle dabei spielt, ist von Höber hervorgehoben worden®): denn das schwach dissoziierte, aber ‚bei pr —=8,8 noch in l) Vgl. Abegg’s Handbuch d. anorg. Chemie Bd. 2 S.2. 1905. 2) Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 21 S. 414. 1896. 3) Physik. Chemie d, Zelle, 4. Aufl., S. 477. 276 Otto Meyerhof: lipoidlösliche HgCl, ist viel giftiger als das stark dissoziierte, aber lipoidunlösliche Hg(NO,), ! Da die Hemmung durch Quecksilbersalze stark progressiv ist, - so müssen für den Vergleich der hemmenden: Konzentrationen gleiche Zeiten zugrunde gelegt werden. Die folgenden Angaben beziehen sich alle auf die Zeit von 3—4 Stunden. Dann hemmt im Mittel 12 - 10° m HsCl, SO—90 lo; 5 - 10”%.m 50—60 %0; 2,5.- 1078: 0—10°o. Diese Hemmung ist nun auch stark abhängig von der H‘-Konzentration, aber gerade im entgegengesetzten Sinne wie die bisher beschriebenen: die Hemmung nimmt mit Verringerung der Alkaleszenz stark zu. Das ist leicht verständlich und ein Hinweis auf inr Zustandekommen: in der stark verdünnten alkalischen Lösung ist HgCl,(+ NaOH) grossenteils hydrolysiert als HgO(+ NaCl) vor- handen, wenn auch in Lösung gehalten. Mit abnehmender Alkaleszenz bildet sich immer mehr HgCl,-Molekül, und nur dies kann, als lipoidlöslich, in die Zelle eindringen. Folgende Tabelle ergab sich für ein C’z-- Bereich innerhalb des Atmungsoptimums. Die in einer Horizontalen stehenden Werte sind gleichzeitige Messungen einer Versuchsserie. Mol. ‘ Hemmung in Prozenten bei Konz. HgCl er a Pr = 88 = 9 2,5 > 10-® 16 0 N) ill 70 40 0 122.108 95—100 15 36 2 ee 100 85—100 75 Gelegentlich sind die Kulturen noch empfindlicher gegen Sublimat, als in dieser Tabelle angegeben. Auch kann schon wegen der zeit- lichen Hemmungszunahme keine genaue Übereinstimmung zwischen zwei Versuchen mit verschiedener Kultur erwartet werden. Bei empfindlichen Kulturen kann man durch noch weitergehende Ab- stumpfung der Alkaleszenz in äusserst kleinen Konzentrationen Hem- mungen hervorrufen: Beispiel: Bakterienkultur wird bei normaler Reaktion pr = 8,8 in 3®/a Stunden durch 2,5 - 10-*m HgCl,-Lösung 40°/o gehemmt; dagegen bei p-—1,8 (absolute Atmungshemmung der Kontrolle — 30°) beträgt die Hemmung durch 2,5 - 107% m : 85 °/o; durch 1.2107°°780%0:; durch 5.21072.230:2/0: Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. Il. 277 ‘ Vergleicht man — in einer Versuchsserie — die, Hemmung durch HgCl,, Hg(NO;), und HgCl,; mit reichlichem NaNO;: Zusatz, so ergibt sich in den gewöhnlichen Kulturen kein deutlicher Hemmungsunterschied: das ist auch nicht zu erwarten, weil Cl‘ so- wieso in der Kultur vorhanden::ist: und daher auch' stets Bildung von HeC], stattfinden wird. — Ganz anders aber ist das Ergebnis, wenn eine '„salzfreie Kultur“, wie sie am Schluss. .der ‘vorigen Arbeit beschrieben wurde, mit. HgCl, und Hg(NO,);..versetzt wird; hier ist ja nur :noch eine Spur NaCl. vorhanden und die Möglich- keit zur Bildung ‘von HgCl,-Molekül daher sehr verringert: In . diesem Fall ist dieHemmung durch Hg(NO,), schwächer als durch HgCl,. Und dieser Unterschied verschwindet, wenn Salzlösung zu einer mit Hg(NO,), versetzten „salzfreien“ Kultur hinzugegeben wird: He(NO,), + Salzlösung, die Cl’ enthält, hemmt dann wie HgC],. Beispiele: 1. Gewöhnliche Kultur. g 2 ccm Bakterien mit 12 . 107° m HgCl, werden gehemmt . 66 %0 Drcem?. ., no lin Loth, , x = ....9090 2 ccm 3% „12.1059 H2O], und 5: NaNO0, werden ; gehemmt, 592.010 2 ccm 3 ad 22 6 HgCl, und — —-NaNO, werden Er 2 | a 30 %/o Pareem Sa 3 2 lem Hg(N0,)st) werden gehemmt 61 %/o 2 cem » 5° 105 Hg(NO,), 2 ” 20 lo 2. Salzfreie Kultur.; er cem Bakterien mit 12. 10° m HgCl, werden gehemmt . 80 °/o 2 2 ccm . 9210-2 Hook, 3 25 %/o SDrccme „. 12-107° Hg(NO,), werden gehemmt. 40/0 2 ccm ” » 3.1025 Hg(NO,)s ae 10 %/o 2 cem ji „= 102.102 Ho(NO)), und konzentrierter ms, ln der Sormalkulunlonns ‘werden - gehemmt. ... .2. 74 0/0 Versuche mit He(ON), wurden angestellt, um den Einfluss des CN’ dabei festzustellen. Es ergibt sieh: Hg(CN), hemmt stärker als Hell, unter identischen Bedingungen ; aber schwächer als äquivalentes KCN. Dass die Blausäure durch Hg „entgiftet“ wird, sieht man 1) Hg(NO,),: wird in 0,06 m HNO, heiss gelöst. Nach der erforderlichen Verdünnung () wird es gegen Phenolphthalein neutralisiert. In so starker Verdünnung fällt kein basischer Niederschlag mehr aus. 2378 Otto Meyerhof: ei sehr schön, wenn man die Hemmung von HgCl,, KCN und 'HsCl, + KCN (in äquivalenter Konzentration) vergleicht. Die Hem- mung der Blausäure verschwindet dann im letzten Fall beinahe völlig. Die Hemmung von Hg(CN), ist meist etwas stärker als die von HgCl; + KCN. — Die Erklärung für die „Entgiftung“ ist jeden- falls die, dass statt der durch Hydrolyse aus KCN gebildeten Blau- säure bei Hg-Gegenwart das lipoidlösliche Hg(CN), in die Zelle diffundiert, das gar nicht hydrolysiert ist. In der Zelle kann aber das an Hg gebundene CN-Anion viel schwerer in Reaktion treten als freie Blausäure, wie ja auch zum Beispiel Hg(CN), mit Silber- nitrat kein Cyansilber bildet. Die chemische Affinität des CN zu Hg ist grösser als zu den blausäureempfindlichen Zellbestandteilen. Mithin verhält sich hier CN ganz ähnlich wie in komplexer Bindung. Beispiele: 1. 2,2 cem Bakterien mit 5 - 10°“ n KCN werden gehemmt 85 %o 2,2 ccm a „2,5 ..10n%m. ((=5..,105°n) Hg(CN), werden gehemnt 50% 2,2 ccm x „5.1058 n KON t 2,5 - 10 HgCl, werden gehemmt . 250 [2,2 ccm s „ 2,5 - 10° m HgCl, werden gehemmt 10 %/0]') 2. 2,2 cem Bakterien mit 4 - 106 n KCN werden gehemmt 78 %o 2,2 ccm 5 „ 2,5 : 10”® m Hg(CN), werden ge- hemmt :.. ..:....000 202 16020 2,2 ccm ; „ 2,5 - 107% m HgCl, werden gehemmt 10 %0 2,2 ccm s „. 4:1076$nKCN+2,5-10 *HgCl, 25% ec) Silbersalze. Silbernitrat ähnelt in seinem Verhalten gegenüber den Nitrat- bakterien den Quecksilbersalzen, hemmt aber in noch kleinerer Kon- zentration. Die Hemmung ist stark progressiv und zeigt ziemliche Schwankungen zwischen verschiedenen Versuchen, ohne dass eine eindeutige Abhängigkeit von Comw Cno, oder Cxo, zutäge tritt. Die „salzfreie“ Kultur verhielt sich wie die normale. Die Anwesen- heit von CI’ spielt also offenbar in so weitgehender Verdünnung des Silberions und bei der hohen Konzentration NO, keine Rolle mehr: Das Silbersalz ist demnach vollständig gelöst. In 4 Stunden beträgt die durchschnittliche Hemmung von 2-10 m AgNO,: 60—70°%, von 1 - 10° m: 40/06. Auch hier wird die Kombination AgNO,+ KCN 1) Nicht derselbe Versuch. Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 279 untersucht. Das Ergebnis: Entgiftung von KCN und gleichzeitig teilweise Entgiftung von Ag’ bietet hier vielleicht ein geringeres Interesse, da sich ja ein echtes Komplexsalz, [Ag(CN),]K bilden muss und die schwächere Wirkung komplex gebundenen Metalls wie Cyans bekannt ist. Doch zeigt sich hier sehr schön der Unterschied zwischen der konstanten Hemmung durch HCN und der progressiven durch Ag’, die bei der Kombination sich in gleicher Weise geltend macht, so dass ich einen derartigen Versuch mitteile: cem Bakterien, cem Bakterien mit 2,4 - 10% KCN. ccm S s 1.-1078.AgN0,. ccm . »„ 24-1076 KCN + 1-10 AgNO0, ccm 5 85 1028 KON: ccm S 2 13.105° AsNO,. ccm 5 „35.1076 KCN + 1,8 - 107° AgN0,. “= oo ss 67 = NSIOSTPRODHm DDyDDDDDN TUTIUDT DU DU - EN | 1. 2. 3 RA, | 6. 7. Kubikzentimeter O, in 24. | 43:1" 25 39 38 | 12 18,5| 22,5 5 0, „ 4550’ | 119 62 73 8 35 28 38 Hemmung in Prozenten in 2 | — 4 23 12 74 57 48 3 = „ in 4h 50’ 48 38 32 70 77 68 Man sieht, dass für beide Konzentrationen die Hemmung der Koni- bination kleiner ist als durch jeden Stoff einzeln: am deutlichsten . ist das für die ersten 2 Stunden; wegen der Zunahme der Hemmung in der folgenden Zeit sowohl in der AeNO,-Lösung wie in der (AgNO, + KCN)-Lösung im Gegensatz zu der KCN-Lösung verwischt sich der Unterschied mit der Zeit. Die Wahl von 2 KCN auf 1 AgNO, war nicht nur durch die Komplexformel nahegelegt, sondern auch deshalb nötig, weil Ag stärker hemmt als äquimolekulares KCN und daher die „Entgiftung“ der Blausäure in diesem Fall nicht deutlich erkennbar sein würde. d) Eisensalze. Eisensalz, das sich in hoher Konzentration ebenso verhält wie die in der Gruppe (a) betrachteten Metallsalze, wird hier aus im folgenden ersichtlichen Gründen besonders behandelt. Winogradsky hat seiner Nährlösung eine beträchtliche Menge Eisensalz zugefüst: 0,4g Fe(SO,) auf 1 Liter, weil er festgestellt zu haben glaubt, dass das Wachstum durch einen Überschuss an Eisensalz beschleunigt wird '). 1) Zentralbl. f. Bakt., 2. Aufl., Bd.5 S. 329. 1899. 280 N Otto Meyerhof: In den genauesten Versuchen war diese Beschleunigung allerdings nicht beträchtlich: "/s. Es sei dahingestellt, ob auch dies Resultat nicht auf Zufälliekeiten beruht (oder auf Änderung der Reaktion). Jedenfalls ergeben meine Versuche, dass die Vermehrung des Eisens über die im destillierten Wasser und den Salzen schon enthaltenen Spuren hinaus selbst für monatelange Zuchten nicht erforderlich ist: Es zeigten sich nie bemerkliche Verschlechterungen des Wachs- tums gegenüber den Kulturen, denen etwas Fisensalz zugesetzt war. Der gelegentliche Tisenzusatz bestand dann in 0,05 g Fe,(SO,);, auf 1 Liter. Mehr zu nehmen empfahl sich nicht wegen der Niederschlagsbildung. — Hieraus darf aber nicht auf die Bedeutungslosigkeit des Fe-Salzes für die Bakterien ge- schlossen werden: denn prüft man eine grössere Menge ohne Eisen- salz hergestellter Nährlösung mit der empfindlichen Rhodanprobe: KCNS + HCl; Ausschütteln mit Äther: so nimmt der Äther stets eine schwache, aber deutliche Rosafärbung an, die nicht nur durch die Reagenzien bewirkt wird !). Zentrifugiert man aber die Bakterien aus einer derartigen „eisenfreien Nährlösung“ ab und prüft den Bakterienniederschlag mit CNSK, HCl und schüttelt mit einer gleichen Menge Äther aus, so ist die Rotfärbung viel stärker als in ’ einem gleichen oder selbst mehrfachen Volumen. der Nährlösung: Die Bakterien haben Eisensalz gespeichert. Wenngleich diese Eisenspeieherung nicht notwendig mit Lebensvorgängen der Bakterien- zelle in Zusammenhang zu. stehen braucht?), so ist sie doch im Lichte folgender Feststellung von Interesse: Setzt man zu einer schwach sauren Lösung von NaNO,, in der schon eine eben merk- liche Spontanoxydation der salpetrigen Säure stattfindet, Eisenoxydul- salz in Lösung von annähernd derselben ‚H°-Konzentration, so dass sich zunächst die Reaktion nicht verschiebt, so ist die Oxydations- geschwindigkeit erheblich gesteigert. Dieses Plus entstammt nicht der Oxydation von FeO in Fe,O,, sondern beträgt das Vielfache 1) S. Miller-Kiliani, 4. Aufl., S. 146. Die hierauf aufgebaute quantitative Methode von Lachs und Friedenthal (Biochem. Zeitschr. Bd. 32 S. 1530. en vgl. Warburg, Heidelberger Sitzungsber. math.-naturw. Klasse Bd. 4 S. 6) liess sich für mich wegen der zu geringen Bakteriensubstanz nicht ver- wenden. 2) Nach Lieske (Jahrb. f. wissenschaftl. Botanik Bd. ff) S. 116. a speichert Gelatine aus verdünnten FeÜl,;-Lösungen sowie aus Leitungswasser beträchtliche Mengen Eisensalz. Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 281 des zu dieser Reaktion benötigten Säuerstoffes. Diese Oxydations- steigerung erinnert sehr lebhaft an die von Warburg beschriebenen, durch Fe-Salz beschleunigten Autooxydationen organischer Verbin- dungen !), die, wie er zeigte, von fundamentaler Bedeutung für die Atmung des unbefruchteten Seeigeleis sind. Indessen scheint es, dass in unserem Fall das Eisen nicht als typischer Katalysator wirkt, sondern dass in Gegenwart von Fe-Salz die Lösung eine allmähliche Reaktionsverschiebung nach der sauren Seite erleidet, und ‘dieser Vorgang die Oxydation beschleunigt (in geringerem Umfang verstärkt sich die saure Reaktion mit der Zeit auch ohne Eisen, indem sich aus HNO, die stärker dissoziierte HNO, bildet). — Die Spontan- oxydation überhaupt begipnt etwa bei pr —=4,5. Am geeignetsten für die Versuche erwies sich Mohr’sches Salz (FeS0, - (NH,)SO, + 6aq.), das in =, Lösung (0,8 °/o)' eine ziemlich konstante Reaktion von 94 — 4,5 zeigte. Gibt man es zu einem Puffer- gemisch hinzu, zum Beispiel Zitratgemisch nach Sörensen, dass das Eisen nicht ausfällt, von derselben oder sogar stärker sauren Reaktion, so wird die Reaktion durch den Eisensalzzusatz nicht saurer. Es werden dann die Oxydationsgeschwindigkeiten zweier Nitrit-Zitratgemische von gleicher H*-Konzentration mit und ohne Fe verglichen. Kontrollen mit ‚Fe-Salz ohne Nitrit ergeben die Korrektur für die Oxydation des Eisen- oxyduls, die bei Mohr’schem Salz in einigen Stunden höchstens die Hälfte der theoretisch möglichen Sauerstoffaufnahme beträgt. Noch stärkere Beschleunigungen der Oxydation durch Eisensalz findet man übrigens bei Benutzung von Phosphatgemischen oder der mit HCl versetzten Nährlösung an Stelle von Zitrat. Doch ist. hier der Vorgang durch teilweise Ausfällung des Eisens kompliziert. Beispiele: Je 1,5 cem Zitratgemisch + 0,3 eem 1°/o NaNO, ohne und mit Fe \ m (0,5 cem &0 Mohr'’sches Salz). 465 |: 465 4,15 | 4,15 Bin Aral) ohne Fe | mit Fe | ohne Fe | mit Fe N N en ns | = Kubikmillimeter O, in 5b ... | 14 | 43 | 64 | 250 1) Heidelberger Sitzungsber. naturw. Klasse Bd.4 S.1. Siehe auch Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 85 S. 412. 1912, Thunberg, Skandinav. Arch. f. Physiol. ‘Bd. 24 S. 90. 1910. 282 Otto Meyerhof: Je 1,5 eem Zitratgemisch + 0,2 cenm 1 Io NaNO, + 0,5 ccm 7 Mohr’sches Salz bzw. Wasser. Py. (Zitrat) 3 3,7 3 ohne Fe mit Fe Fe ohne NaNO, Kubikmillimeter O0, in3hb. . .. . 59 | 224 | 20 Es sei dahingestellt, ob diese Versuche eine Eisenkatalyse bei der Nitritoxydation beweisen und einen Fingerzeig für den Mechanismus der Nitritveratmung in der Zelle geben. Mit anderen Metallsalzen konunte ich die hier beschriebenen Erscheinungen nicht beobachten. Zusammenfassung. Erstes Kapitel. Der Oxydationsvorgang des Nitıatbildners wird in demselben Konzentrationsbereich durch Narkotika gehemmt wie die Atmung höherer Zellen. Die Hemmung ist aber insofern ab- weichend, als sie mit wachsender Konzentration weit stärker als proportional zu ihr zunimmt. Die Hemmungskurven sind zur Ab- szissen- (Konzentrations-) Achse stark konvex. Infolgedessen ergibt: auch die Kombination zweier Narkotika in schwach hemmender Dosis eine ausserordentliche Verstärkung gegenüber der Summe der Einzelhemmungen. Andererseits lässt sich die von Warburg an Vogelerythroeyten gefundene Entgiftung der Blausäure dureh Nar- kotika auch hier beobachten. Zweites Kapitel. Es wird durch Versuche bewiesen, dass die von Winogradsky entdeckte stark wachstumshemmende Wirkung von Ammonsalz auf einer Atmungshemmung beruht, die aber nicht durch das Ammonsalz selbst, sondern durch freies Ammoniak hervor- gerufen wird. Und zwar hemmt bereits NEE bei Pa —= 9,5 1000 etwa 70°/o. Die aliphatischen Amine hemmen — ebenfalls nur als Basen — in Grössenordnung des Ammoniak; die niederen schwächer, die höheren erheblich stärker, wobei die Hemmung der „Lipoid- löslichkeit“ der Verbindungen parallel geht. Lipoidunlösliche Amine, wie die Diamine, hemmen nicht oder wenig. Aromatische Amine und Alkaloide hemmen im allgemeinen schwächer. Es wird wahr- scheinlich gemacht, dass die Wirkung von Ammoniak und seinen Derivaten beruht: erstens auf dem Eindringen der Basen in die Zelle Untersuchungen über den Atmungsvorgang nitrifizierender Bakterien. II. 283 (im Gegensatz zu ihren Salzen), zweitens auf einer spezifischen Wirkung der NH,;- bzw. NH,-Gruppe, drittens bei den höheren Gliedern auf einer Kombination dieser Wirkung mit der Fähigkeit zur Anreicherung an den Atmungsorten. | Drittes Kapitel. Lipoidunlösliche Nichtleiter, die nach Wiuogradsky das Wachstum schon in sehr kleinen Konzentrationen hemmen, beeinflussen die Atmung in kürzerer Zeit überhaupt m 100 - Glukose gehemmt, die nieht: so wird das Wachstum schon durch Atmung noch nicht durch = Viertes Kapitel. Die Mehrzahl der anorganischen Alkalisalze hemmt schwach und ziemlich ähnlich, von etwa 0,5 n an. Eine Ausnahme macht neben dem ’-Nitrit vor allem Borax. Das wird auf die Fähigkeit desselben bezogen, hydrolytisch Borsäure abzuspalten, die nach Overton in Zellen eindringt, „lipoidlöslich* ist. Die schwache Hemmüng durch die übrigen Salze und ebenso einiger mehrwertiger organischer beruht vielleicht auf dem osmotischen Druck. Dagegen hemmen die Fettsäureanionen und einige geprüfte aromatische Anionen erheblich stärker. Durch Versuche mit den drei isomeren oxybenzoesauren Salzen wird es wahrscheinlich ge- macht, dass in diesen Fällen die Salze in die Zelle eindringen. Ausserdem ergibt sich hier auch eine starke Abschwächung der Hemmungen mit wachsendem Nitritgehalt der Lösung, die als Ver- drängung der hemmenden Substanz von den Atmungsorten durch den „Nährstoff“ aufgefasst werden kann. Fünftes Kapitel. Von den Kationenwirkungen sind besonders die der Erdalkalisalze auffällig, deren Hemmung von der OH’-Kon- zentration stark abhängig ist und innerhalb des Atmungsoptimums mit wachsender Alkaleszenz fast von 0—100°/o zunehmen kann. Sechstes Kapitel. Die meisten Schwermetallsalze, so auch Cu, hemmen erst von Konzentrationen an, bei denen ein starker Nieder- schlag des Metalllıydroxydes vorhanden ist. Die Atmungshemmung ist hier wahrscheinlich erst die Folge anderweitiger Veränderungen (Agglutination?). Bei den seltenen Erden, Ce!!! und La!" ergibt sich unter diesen Umständen ebenfalls eine starke Zunahme der Hem- mung mit wachsender OH’-Konzentration. Dagegen hemmen Hg!- und Ag-Salze ausserordentlich stark und dabei progressiv. HegCl, 984 Otto Meyerhof: Untersuchungen über den Atmungsvorgang usw. hemmt unter durehschnittlichen Bedingungen in 3—4 Stunden die Atmung in 5 - 10° m-Lösung um 60°. Die Hemmung nimmt mit abnehmender Alkaleszenz, jedenfalls wegen Zurückdrängung der Hydrolyse, stark zu. In Abwesenheit von Cl’ ist die Hemmung von Hg(NO,), schwächer als von HgCl, entsprechend der verschiedenen Lipoidlöslichkeit der Salze. Hg(CN), hemmt stärker als HgCl, aber schwächer als äquivalentes KCN. Diese „Entgiftung“ der Blausäure ist offenbar chemischer Natur: das lipoidlösliche He(CN), ist nicht hydrolysiert, und die Affinität des CN zu Hg überwiegt diejenige zu den blausäureempfindlichen Zellbestandteilen. — Ag-Salz hemmt bereits in 1,5 - 107° m-Lösung durchschnittlich 60°/o in 4 Stunden. Die Hemmung ist stark progressiv und schwankt in ziemlich weiten Grenzen. | E Eisensalz wird von den Bakterien aus eisenarmer Lösung an- gereichert. Die Autooxydation der salpetrigen Säure wird in Gegen- wart von Eisenoxydulsalz (Mohr’schem Salz) beschleunigt. Doch scheint hier. keine typische Fisenkatalyse vorzuliegen, sondern eine allmähliche Aziditätssteigerung durch Eisensalz bewirkt zu werden. Ob ein Zusammenhang. zwischen dieser Erscheinung und. der Eisen- anreicherung in den Zellen vorliegt, muss dahingestellt bleiben. , - (Aus. dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) "Zur Physiologie der Insektenmuskeln. Von 2 32 Textfiguren.) «Neben den bekannten Untersuchungen über den Mechanismus des: Insektenfluges (Marey, Landois, v. Lendenfeld u. a.), welche vorwiegend über die Frequenz der dem Flügelschlage dienen- den Muskelaktionen Aufschluss gegeben haben, gibt es nur wenige experimentelle Arbeiten, welche sich mit der Muskulatur der Insekten in muskelphysiologischer Hinsicht beschäftigen. Das liegt wohl haupt- säehlich an dem Mangel an geeigneten Untersuchungsobjekten. Denn die zur Verfügung stehenden Muskeln sind klein, sehr zart und schwer überlebend zu präparieren und setzen dadurch der Anwen- dung muskelphysiologischer Methodik zum Teil unüberwindliche Hindernisse entgegen.. Die bisher vorliegenden Untersuchungen be- schäftigen‘ sich ‘mit der die. Käferbeine ‚in Bewegung setzenden Muskulatur und stammen von v. Fleischl, Sehönlein und Rollett. Von ihnen wird später im Vergleiche mit unseren Resul- taten die Rede sein. Ferner sind eine Reihe von Untersuchungen über die an zum Teil ausgeschnittenen, überlebenden Insekten- muskeln zu beobachtenden, wellenförmig über die Organe fort- schreitenden Bewegungserscheinungen angsstellt worden (Bowman, Brücke, Kühne, Aeby). Über diese ist in. den später zu | Autjerenden Untersuchungen von Rollett ausführlicher berichtet. Anatomisches und funktionelles Verhalten des Untersuchungs- objektes. Starre. Absolute Muskelkraft. Wir besprechen im. Folgenden die Resultate ‚von muskelphysio- Deechen: Untersuchungen an einem bisher nicht ‚benutzten, aber: zu ‚Vielem: sehr geeigneten. Objekte, an den mächtigen Sprungbeinen 286 R. H. Kaho: von Locusta viridissima, der grossen grünen Laubheuschrecke. Dieses Versuchstier steht bei uns zulande zur Zeit der beendigten Feldmahd im August und Anfang September zur Verfügung. Allerdings ist es nicht leicht, eine genügende Anzahl unbeschädigter Exemplare zu erhalten. Denn lässt man beim Einfargen nicht die grösste Vorsicht walten, dann entledigen sich die Tiere ihrer Sprungbeine durch Autotomie, und es kommt vor, dass die zum Fänge auszesendete Person zehn Heuschrecken mit zusammen nur fünf Sprungbeinen - einliefert. Indessen ist es doch im vorigen Sommer gelungen, etwa 35 unbeschädigte Exemplare zu erhalten, an denen die zu be- schreibenden Versuche angestellt worden sind. Unter der gewöhnlichen Pflege, welche man den Tieren in einem nicht besonders dazu ein- gerichteten Laboratorium angedeihen lassen kann, bleiben dieselben nur wenige Tage in versuchsfähigem Zustande. Es hat sich heraus- gestellt, dass man sie amı Besten in einen bedeckten grossen Aquarien- glase hält, welches, mit grünen Pflanzenzweigen gefüllt, feucht gehalten wird, und dessen Luft man fleissig, am Besten durch Durch- blasen, erneuert. Nalırung nalımen die Tiere nur wenig zu sich. Gelegentlich wurden Blätter von Sambucus nigra angefressen, da- gegen wurden tote Gefängnisgenossen recht begierig verzehrt. Auf solche Weise gelang es meistens, die Tiere 3—5 Tage versuchsfähig zu erhalten. _ Bei der verhältnismässigen Spärlichkeit des Ma- terials und dem Wunsche, möglichst viele verschie- dene, wenn auch vorläufig nur orientierende Versuche anzustellen, konnte Manches nur flüchtig ausgearbeitet werden und muss späterer genauer Untersuchung vor- behalten bleiben. Im Allgemeinen ergaben die Versuche in- dessen ganz interessante Resultate, welche eine Mitteilung schon in Anbetracht des Umstandes rechtfertigen, dass über die Insekten- muskulatur nicht viel bekannt ist. | Das Untersuchungsobjekt bildeten, wie erwähnt, die Sprungbeine, nämlich die im Schenkel des Sprungbeines eingelagerten Muskeln. Sie sind es, welche einerseits den Sprung des Tieres vermitteln, andererseits vor und nach dem Sprunge die sprungbereite Haltung des Beines herstellen. Eine Darstellüng der anatomischen Verhält- nisse der Beinmuskulatur der Sprun&beine der Heuschrecke habe ich in der mir zur Verfügung stehenden Literatur nicht aufgefunden. Daher war ich darauf angewiesen, das anatomische Verhalten der Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 2387 in Betracht kommenden Muskeln, soweit es für physiologische Zwecke nötig war, selbst zu untersuchen. Es stellte sich, wie zu erwarten war, heraus, dass die Anordnung der Muskeln im Schenkel des Heuschreckensprungbeines im Prinzip jener entspricht, welche in den Käferbeinen mehrfach beschrieben worden ist. Um zunächst in groben Umrissen unser Untersuchungsobjekt zu beschreiben, führen wir eine schematisch gehaltene Skizze des linken Sprungbeines von Locusta, von aussen gesehen, vor. Fig. 1. Fig. 1 zeigt dasselbe in jener Haltung, aus welcher das aın Boden sitzende Tier den Sprung vollführt. Das Bein gliedert sich in fünf Teile, die Hüfte (Coxa, 7), den Schenkelring (Trochanter, Sch), den Schenkel (Femur, Sche), die Schiene (Tibia, Schi) und den Fuss (Tarsus, F). Es entsprieht dies dem allgemeinen Bau- plane des Insektenbeines, von dem zum Beispiel bei Kolbe!) ein gutes Schema zu finden ist. Mit dem Rumpfe ist die Hüfte des _ Sprungbeines durch eine Hüftangel (trochantinus) verbunden. Der Sehenkelring ist an den Sprungbeinen verhältnismässig sehr klein und von dem vorspringenden Rande der Hüfte zum grossen Teil verdeckt. Der Schenkel ist bei den Heuschrecken sehr stark kolbig verdickt und hat die Form einer Keule. Der dicke Teil des Schenkels 1) H. J. Kolbe, Einführung in die Kenntnis der Insekten S. 273. Berlin 1893. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 19 "988 N R- Hi Kan: enthält die Muskeln, welche zu unseren Experimenten dienten. Diese bewegen die im Kniegelenke (X) eingelenkte Schiene, und zwar streng im Sinne der Beugung und Streckung mit Ausschluss jeder anderen Bewegungsweise. Dieses Gelenk ist nämlich ein Winkel- gelenk (Scharniergelenk), indem die beiden Gliederenden nicht bloss durch eine Gelenkhaut verbunden, sondern auch mit Gelenkhöckern bzw. entsprechenden Vertiefungen ausgestattet sind. Auf solche Weise ist die Bewegung der Tibia gegen den Schenkel nur um eine Achse bzw. nur mit einem Grade der Freiheit möglich!). Schenkel und Schiene zusammen bilden unser Untersuchungsobjekt. Die Muskeln, welche im Femur enthalten sind, finden sich bei Loeusta prinzipiell in derselben Anordnung, welche auch bei anderen Insekten eilt. Es sind zwei, die Schiene bewegende Muskeln vor- handen, ein Strecker und ein Beuger der Schiene. Bei Bur- meister?) findet sich die Bemerkung, „dass bei Locusta diese Muskeln sehr gross und besonders am Grunde nach der Form des Schenkels bauchig“ sind. Eine gute Abbildung und Beschreibung der Verhältnisse im Schenkel von Dytiseus ist von Bauer?) ge- liefert worden. Der M. extensor tibiae liegt an der Lateralseite des Schenkels, mit der er fast der ganzen Länge nach verwachsen ist. Mit kräftiger Sehne inseriert er am lateralen Tibiafortsatz. Der M. flexor tibiae ist bei Dytiscus bedeutend stärker als der Ex- tensor. Er entspringt, ähnlich wie dieser, an der Medianseite und ist mit ihr auch fast der ganzen Länge nach verwachsen. Er be- steht aus zwei, durch ihre Faserrichtung deutlich getrennten Bäuchen, ‘die mit gemeinsamer Sehne am medialen Tibiafortsatz inserieren. "Endlich findet sich im Schenkel noch ein dritter Muskel, nämlich ein Muskelbaueh des M. flexor unguium, welcher die Kralle beugt. Der zweite Bauch desselben entspringt in der Schiene und um- -sehliesst hier die Sehne des ersten, indem sich seine Fasern eben- falls mit ihr verbinden. Die Sehne selbst geht durch das Schenkel- Schienengelenk hindurch. Sehr ähnliche Verhältnisse sind für den ‘Hirschkäfer bei Graber*) und für die Biene bei zaude ab- 1) Genaueres über Gelenke der Insekten bei Kolbe, a. a. O. S. 289. 2) H. Burmeister, Handb. d. Entomologie Bd. 1 8.282. Berlin 1832. 3) A. Bauer, Die Muskulatur . von „Dytiscus marginalis. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. 95 S. 594. 1910. 4) V. Graber, Die Insekten, I. Teil $S. 160. München 1877. : 5) E. Zander, Handb. d. Bienenkunde, III. Teil S. 46. Stuttgart 1911. (rs Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 289 gebildet. Auch bei der Biene finden sich alle drei erwähnten Muskeln in der Schiene vor, ein Chitinfaden zieht als Krallensehne durch Schenkel, Knie, Schiene, Ferse und Fussglieder. Diese Ein- richtung von Führung einef Sehne durch mehrere Gelenke hindurch kommt auch sonst bei den Insekten vor). Bei Locusta, der Heuschrecke, zeigen die Muskeln des Schenkels des letzten Beinpaares insofern ein charakteristisches Verhalten, als es sich um Sprungbeine handelt. Entsprechend der geforderten mächtigen Leistung beim Sprunge sind sie besonders entwickelt, namentlich der Strecker der Schiene besitzt ein Volumen, wie es bei den Insekten wohl nur selten noch vorkommt. Da in den zu beschreibenden Versuchen der Fuss des Sprungbeines keine Rolle spielte, ist für uns das Verhalten des Flexor unguium, welcher auch bei Locusta typisch vorhanden ist, ohne weiteres Interesse. Dagegen sei zunächst in gröberen Umrissen das Verhalten von Strecker und Beuger des Sprungbeines an der Hand eigener Untersuchungen ge- schildert. Der M. extensor tibiae, der Strecker der Schiene, ist ein ungemein stark entwickelter gefiederter Muskel, dessen Bauch in jenem Teile des Schenkels liegt, welcher, .von aussen betrachtet, bauchförmig auf der oberen und äusseren Fläche des proximalen Drittels desselben hervorspringt. Das Chitinskelett des Schenkels bildet an dessen nach unten (bodenwärts) und etwas nach innen ge- wendeten Fläche eine Art von Verstärkungspfeiler mit einer boden- wärts sehenden Rinne. Gleich einer länglichen Haube sitzt diesem Pfeiler eine gewölbte Chitinkuppel auf, der eben erwähnte Skelett- bauch, welcher den Strecker der Schiene umschliesst. Fig. 2, welche den rechten Schenkel von Locusta schematisch in der Ansieht von innen nach Abhebung der Chitindeeke vorführt, lässt diese Einlagerung des Streckers erkennen. Der Muskel ist mehrzeilig gefiedert, die einzelnen Muskelfasern sind ziemlich kurz und treten unter erheblichem Winkel an eine zentral im Muskel- bauche gelegene Sehne heran. Sie entspringen an der Innenfläche der Chitinhautwölbung, und zwar im wesentlichen an der äusseren und oberen Fläche. Fig. 3 zeigt den rechten Schenkel in der An- sicht von aussen. Das hauptsächliche Ursprungsfeld des Streckers 1) Vgl. 0. Bütschli, Vorlesungen über vergl. Anatomie, 2. Lieferung $. 414. Leipzig 1912. 19 * 290 _R.H. Kahn: der Schiene ist durch kleine Kreise markiert. Aus Fig. 4 (Ansicht von innen) ist zu ersehen, dass sich dieses Ansatzfeld zwar auch über die Dorsalfläche des Schenkels nach innen erstreckt, dass aber die Mitte der Innenfläche selbst keine’ Muskelansätze trägt. Tat- sächlich kann man hier die Chitindecke vorsichtig abheben, ohne wesentliche Muskelansätze zu zerstören. Durch solche Abhebung gewinnt man Präparate wie jenes, nach welchem schematisch Fig. 2 gezeichnet wurde. Die in dieser Figur links gelegenen Partien des Streckers entspringen an der dorsalen und zum Teil an der ab- m ee : ‚0 0% AI 0000 00° © co Oo ‚00 bie, 2. 22 0 Bess. ne eehobenen inneren Chitinwand, die rechts gelegenen kommen aus ‚der Tiefe von der: lateralen, in der Fig. 2 abgewendeten Wand des 'Schenkels. Dureh die geschilderten Ursprungsverhältnisse. entsteht also ein gefiederter, starkbauchiger Muskel. In der Achse des Muskels findet sich. eine: flache Chitinsehne, an welche sich die einzelnen Muskelfasern ansetzen. Diese Sehne zieht als ein helles, breites und sehr dünnes Band ‚unter der dorsalen Wand des. Schenkels kniewärts. : An der ventralen, bodenwärts gerichteten Fläche des ‚Schenkels verläuft der M.flexor tibiae, der Beuger der Schiene. Dieser Muskel ist bei Locusta weitaus schwächer als der Strecker. Auch ist er anders gebaut. Sein Ansatzfeld an der Innenfläche der Chitinhülle. ist in Fig. 3 punktiert zu erkennen. Seine Fasern entspringen Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 291 wesentlich an dem proximalen Drittel des obenerwähnten, das Hauptgerüst des ganzen Schenkels bildenden Chitinpfeiler, haupt- sächlich an dessen lateralem Teile. Der dünne Muskelbauch liegt etwa an der.Innenfläche der erwähnten, bodenwärts sehenden Rinne des Pfeilers. Der Muskel ist im wesentlichen einseitig gefiedert, seine Fasern sind 8S—10 mm lang und liegen also annähernd der Zugrichtung des Muskels parallel. Sie heften sich an eine dunkel- braun gefärbte, bandförmige Chitinsehne an, welche unter der ven- tralen Schenkelfläche an der Innenseite des Pfeilers kniewärts zieht. Die beiden Muskelbäuche sind voneinander durch eine in der Schenkel- achse ziehende starke, wie es scheint, unverästelte Trachee getrennt, welche durch das Kniegelenk in die Schiene zieht. Ausserdem liegt derselben eine lange, sehr dünne, glasklare Sehne einer Schenkel- portien des M. flexor unguium an. Die zugehörigen spärlichen Muskel- fasern entspringen im proximalen Teile des Schenkels zugleich mit jenen des Streckers, die Sehne zieht zu dem in der Schiene liegenden Teile des Krallenmuskels. Fig. 2 zeigt in der Mitte des Schenkels die beschriebene Trachee, im rechten Teile die Lage der Fasern des Beugers der Schiene. Es ist also zu ersehen, dass Strecker und Beuger sich vor allem dadurch voneinander unterscheiden, dass der erstere kürzere Muskel- fasern, aber einen um vieles grösseren Querschnitt besitzt. Während er demgemäss zu grosser Kraftentfaltung fähig ist, wird die Leistungs- fähigkeit des schlanken Beugers eine weit geringere sein. Das ent- sprieht auch der Art der Beanspruchung des Beines bei seiner wesentlichsten Leistung, beim Sprunge. Die beiden bandförmigen Chitinsehnen ziehen nun zu beiden Seiten der Trachee durch die Röhre des distalen Schenkelabschnittes zum Kniegelenke, um an der Schiene zu inserieren. Diese besitzt einen eigentümlich gestalteten Kopf, welcher im wesentlichen einen zweiarmigen Hebel mit ungleich langen Armen darstellt. Fig. 5 zeigt grobschematisch die hier herrschenden Verhältnisse. Das distale Ende des Schenkels besitzt an der lateralen und medialen Seite je einen Fortsatz, welcher innen die Gelenkvertiefung trägt. In dieser ruhen jederseits ein Gelenkhöcker des Schienenkopfes. Dieser ist, wie in Fig.5 dargestellt, bajonettförmig von der „Diaphyse“ der Schiene abgebogen und wird durch die Drehungsachse des Ge- lenkes, welche die beiden Gelenkshöcker (*) verbindet, im Verhältnis | von etwa 1:2 geteilt. Der dadurch entstehende längere Hebelarm, 292 R. H. Kahn: an dessen Ende die Sehne des Streckers angreift, misst bei mittel- grossen Tieren etwa 1 mm. Am Ende des kürzeren Hebelarmes inseriert die Beugersehne. Der Kopf der Schiene ist hohl, gegen den Schenkel geöffnet, und es tritt durch diese Öffnung zwischen den beiden Sehneninsertionspunkten die Trachee und die feine Sehne des M. flexor unguium in die Schiene ein. Das ganze Gelenk ist durch eine Gelenkhaut umschlossen, welche, vom Schenkel kommend, sich am „Halse“ der Schiene befestigt. Auf deren etwas N Lagerungsverhältnisse sei hier weiter nicht eingegangen, Es ist klar, wie durch die Wirkung der Muskeln auf den zwei- armigen Hebel Streckung und Beugung der Schiene zustande kommt. Trach Fig. 5. Dabei wirkt also der mächtige Strecker an einem etwa doppelt so langen Hebelarme als der Beuger. Im ruhenden Zustande des Tieres halten diese beiden Muskeln als reine Antagonisten einander das Gleichgewicht in einer ziemlich charakteristischen Stellung der Schiene zum Schenkel. Der Winkel, den die beiden Teile des Beines mit- einander einschliessen, beträgt etwa 40° Die Stellung des Beines in der Ruhe, während der Leib des Tieres annähernd horizontal über dem Boden schwebt, ist in Fig. 1 wiedergegeben. Schneidet man das Bein in der Hüfte ab, so wird regelmässig der Winkel grösser. Gewöhnlich steht dann die Schiene zum Schenkel im rechten Winkel. Es ist also in der Ruhestellung des Tieres der Beuger der Schiene insofern im Übergewicht, als durch eine Einfluss- . nahme, welche von höheren Orten kommt, entweder ein erhöhter Tonus des Beugers oder eine stärkere Erschlaffung des Streckers andauernd aufrechterhalten wird. Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 293 :Aus der beschriebenen Stellung heraus ist das Tier imstande, zu Springen. Gewöhnlich aber vermindert es vor dem Sprunge den Winkel zwischen Schenkel und Schiene noch mehr, und zwar bis zu 25° und weniger. Indessen habe ich selbst bei Locusta im Labora- torium nie beobachtet, dass Schenkel und Schiene einander bis zur Berührung genähert werden, wie das bei Burmeister, Kolbe und du Bois-Reymond!) angegeben ist. Auch streckte Locusta viridissima niemals die Oberschenkel wagrecht aus und klappte die Schienbeine ein, wie es Graber.berichtet. Der Sprung erfolst nun durch gleichzeitige Kontraktion der beiden Strecker der Schienen, durch welche eine Streckung der Kniee oft bis zu 180 ° erfolgt. Dadurch wird dem Körper jener Stoss nach oben und vorn erteilt, welcher ihn fortschnellen lässt. Unmittelbar danach führt der Beuger die Schiene wieder in die Ausgangsstellung zurück. Natürlich sind mit den beschriebenen Bewegungen auch noch andere sehr kompli- zierte in: den benachbarten Gelenken zwangsläufig verbunden, auf welche hier weiter nicht eingegangen sei. Die oben beschriebene Ruhestellung in einem Winkel von etwa 40° wird weiters sofort verändert, wenn man eine der beiden Muskel- sehnen durchschneidet. Nach Eröffnung der Gelenkhaut lassen sich mit einiger Übung die Sehnen ziemlich leicht mit feinen Instrumenten hervorholen und isoliert durchtrennen. Durch das Loch in der Ge- lenkhaut wird eine Eröffnung der Leibeshöhle verursacht, welche zum Austritte von Blutflüssigkeit aus der Öffnung führt. Diese vertrocknet sehr bald, nachdem sie das Gelenk und die Falten der Gelenkhaut von aussen erfüllt hat, und führt auf solehe Weise häufig zu einer Versteifung des Gelenkes, namentlich dann, wenn keine weiteren Bewegungen des Gelenkes: mehr eingetreten sind. Es sind daher die Folgen der Sehnendurchsehneidung am lebenden Tiere nur in der ersten Zeit leicht, später aber nur mit Vorsicht zu beurteilen. Die Durchschneidung der Beugersehne verursacht sofort eine Streckung im Kniegelenk. Die Schiene steht nun «in _ einem Winkel von etwa 90° gegen den Schenkel. In dieser Stellune bleibt sie am lebenden Tiere weiterhin stehen, so dass der Fuss den Boden nicht mehr berührt, während der Schenkel die normale Haltung beibehält. Es befindet sich also der Beuger unter normalen I) R. du Bois-Reymond, Physiologie der Bewegung in Wıinterstein’s Handb. d. vergl. Physiol. Bd. 3 1. Hälfte‘S. 123. 1911. 294 R. H. Kahn: Verhältnissen andauernd in einem ziemlich hohen Grade tonischer Verkürzung. Die Durchschneidung der Streckersehne dagegen be- wirkt sogleich vermehrte Beugung der Schiene. Diese steht nun im Winkel von 25—30° zum Schenkel und steht steil am Boden auf. Beim Laufen des Tieres wird daher, da der Fuss am Boden haftet, das Kniegelenk passiv gestreckt und sofort wieder aktiv gebeugt. nel Da nach Abschneiden des Beines von der Hüfte eine Winkelstellung im Kniegelenke von etwa 90° ebenso eintritt wie nach Durchschnei- dung der Beugersehne, während nach Durchschneidung der Strecker- sehne der am ruhenden Tiere schon recht spitze Winkel (ca. 40°) noch spitzer wird, so ergibt sich, dass alle diese Erscheinungen im Wesentlichen auf die unter normalen Verhältnissen sehr hochgradige, zentral bedingte tonische Verkürzung des Beugers zurückzuführen sind. Der Strecker dagegen verhält sich nach Abschneiden des Beines ebenso wie nach Verlust seines Antagonisten. Er ist also nicht andauernd in tonischer Verkürzung, sondern wird durch seinen Antagonisten passiv gedehnt erhalten. Dieses Verhalten der beiden Muskeln entspricht dem Hauptzwecke der Verwendung des letzten Beinpaares beim Sprunge. Denn die andauernde tonische Verkürzung des Beugers gewährleistet die sprungbereite Haltung des Beines, die leichte Anspannung des Streckers unterstützt nach bekanntem muskelphysiologischem Gesetze infolge Minderung des Verlustes an sogenannter Anspannungszeit die rasche, kräftige Wirkung bei seiner plötzlich einsetzenden Kontraktion. Entsprechend dem weit grösseren Querschnitte und dem Angriffe an einem etwa doppelt so grossen Hebelarme überwiegt bei gleich- zeitiger Tätigkeit der Strecker bei Weitem über den Beuger. Diese Erscheinung ist durch künstliche Reizung des Beines schwer dar- zustellen. Die einfachste, schon von Fleischl!) am Käferbein an- gewendete Methode besteht im Einstechen von mit Drähten armierten Nadeln in den sonst unversehrten Schenkel zum Zwecke der elektrischen Reizung. Die Resultate, welehe man hierbei erzielt, sind an unserem Objekte ganz unregelmässig. Denn je nachdem die beiden Muskeln von den Stromschleifen getroffen werden, und je nach der wechselnden Stromdiehte in ihnen, überwiegt das eine Mal die Beugung der 1)E. Fleischl, Über das Verhalten von Käfermuskeln gegen Reize. Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1875 Nr. 29 S. 469. Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 295 Schiene, dann wieder die Streckung, und man kann es je nach der Wahl der Reizstellen auch erzielen, dass eine Bewegung im Knie- gelenke überhaupt nicht stattfindet. Sehr charakteristisch hingegen ist das Überwiegen des Streckers bei eintretender Wärmestarre. Was die Verhältnisse bei der Starre unserer Muskeln überhaupt anlangt, so habe ich mich sehr bemüht, regelmässige Befunde bezüglich des Eintrittes der Totenstarre zu erheben. Ein Erfolg wurde dabei nicht erzielt. Wie es scheint, tritt die Totenstarre erst sehr spät ein. Aber es gelingt kaum, mit Sicherheit sie zu konstatieren. Eine Steifigkeit der Gelenke durch Muskelrigidität ist nicht festzu- stellen, vielleicht zum Teil weil man bei der Prüfung stets an einem sehr langen Hebelarm arbeitet. Auch eine nennenswerte Stellungsänderung der Extremitätenteile zueinander tritt nicht ein. So gelang es mir überhaupt nicht, vor dem Eintritt der Ver- troeknung, (bzw. bei Aufbewahrung des Präparates in der feuchten Kammer vor Eintritt der Fäulnis) mit Sicherheit die Totenstarre zu konstatieren. Ganz anders verhält es sich mit der Wärmestarre. Die Versuchsanordnung zur Beobachtung derselben ist sehr einfach: Man amputiert das Bein an der Hüfte und die Schiene in der Mitte ihres Verlaufes, durchschneidet die Sehne eines der beiden Muskeln, am besten die des Beugers, und befestigt das Präparat mit feinen Fäden an dem Quecksilbergefässe eines feinen Thermometers, so dass der Schenkel senkrecht steht, während die Schiene im Winkel ca..90° stehend senkrecht zur Thermometerachse sich befindet. Nun befestigt man das Thermometer senkrecht an einem Stativ, so dass das Quecksilbergefäss mit dem proximalen, die Muskeln enthaltenden Schenkelende in ein Becherelas mit Wasser oder Kochsalzlösung eintaucht. Indem man das Wasser langsam erwärmt, beobachtet man zugleich den Stand der Quecksilbersäule und das Verhalten des Kniegelenkwinkels. Solche Versuche ergeben mit grosser Regel- mässigkeit, dass der Winkel bei einer Temperatur von 45° C. zu wachsen beginnt, wenn die Beugersehne durchschnitten war. Der Strecker verkürzt: sich nun sehr rasch, die Schiene stellt sich dem Schenkel parallel, und in dieser vollkommenen Streckstellung bleibt der Muskel dauernd in Starreverkürzung. Eine anfäneliche. Ver- kürzung bei niedrigerer Temperatur, wie sie in Analogie mit den Muskeln anderer Tierarten von Vernon!) an Dytiseus beschrieben 1) H. M. Vernon, Heat rigor in cold-blooded animals. Journ. of Physiol. vol. 24 p. 239. 1899. sau 296 R. H. Kahn: worden ist, habe ich an Locusta bei dem beschriebenen Verfahren nicht beobachtet. Es mag sein, dass hier die Kraft, mit welcher sich der Muskel anfänglich verkürzt, eine so geringe ist, dass die Schiene nicht bewegt wird. Immerhin wäre es auffällig, dass die zweite, nach Vernon schwache Verkürzung hier so umfangreich sein sollte. Vernon gibt für den Beginn der zweiten Verkürzung 46° C. an. Das stimmt mit unseren Befunden gut überein. Übrigens wäre dieses für den Insektenmuskel angegebene Verhalten an unserem Objekte, falls einmal genug Material zur Verfügung, leicht noch genauer zu verfolgen, zumal die Untersuchungen von Vernon unter der Ungunst seines Objektes (Beine von Dytiscus) offenbar zu leiden hatten. Stellt man die beschriebenen Versuche an, ohne vorher eine der beiden Sehnen durchschnitten zu haben, dann bekommt man den Effekt der Wärmestarre der ganzen Muskulatur zu sehen. Dieser besteht in Streckung der Schiene bis 180°. Es überwiegt also bei weitem der Strecker. Jedoch beginnt die Bewegung der Schiene erst bei einer etwas höheren Temperatur (ca. 48° C.), offenbar als Ausdruck des Umstandes, dass zunächst beide Muskeln einander das Gleichgewicht halten. Schliesslich macht sich das Übergewicht des Streckers geltend. Endlich sei zur Charakteristik unserer Muskeln noch einiges über die sogenannte absolute Muskelkraft erwähnt. Seit jeher hat die Tatsache Aufmerksanıkeit erregt, dass gerade die Insekten er- staunlicher körperlicher Kraftleistungen fähig sind. Eine ganze Reihe von Forschern!) beschäftigte sich damit, die Zug-, Schiebe- und Tragkraft dieser Tiere beim Gange, Sprunge uud Fluge festzustellen. Die besonderen Leistungen, welche dabei festgestellt wurden, er- klären sich zwanglos aus dem Borelli’schen?) Satze. Tatsächlich findet man die absolute Muskelkraft im Sinne E. H. Weber’s (Grösse des im Überlastungsverfahren eben vom Muskel gehobenen (sewichtes, bezogen auf seinen (Querschnitt) bei Insektenmuskeln nicht auffallend hoch. Camerano?) hat an verschiedenen Insekten- arten die absolute Kraft der Kaumuskeln bestimmt. Er fand auf solche Weise mittlere Werte von 3,6—6,9 kg. Beim Menschen lassen 1) Näheres hierüber bei Kolbe, a. a. O. S. 375. 2) Näheres hierüber bei R. du Bois-Reymond, a. a. 0. S. 97. 3) Camerano, Recherches sur la force absolue des muscles des insectes. Arch. ital. de Biol. t. 18 p. 149. 1893. Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 297 sich bekanntlich Werte von 6—10 kg, beim Frosche etwa 3 kg er- heben. An unseren Muskeln kommt man mit folgendem »-Verfahren zu regelmässigen Resultaten. Das Bein wird in der Hüfte amputiert, die Beugersehne wird durchschnitten, die Schiene in ihrer Mitte durchtrennt, und nun steckt man den Schenkel mit zwei feinen, mit Drähten armierten Nadeln auf einen passend zugeschnittenen, im Stative befestigten Kork, so dass er vertikal mit dem Kniegelenke nach oben fixiert ist. Die Nadeln werden derart eingestochen, dass die eine durch den proximalsten Teil des Schenkels, die andere in seiner Mitte auf der Beugeseite des Kniegelenkes durchgestossen wird. Ausserdem hält eine durch das distale Ende des Schenkels ebenfalls auf der Beugeseite durchgestochene stärkere Nadel das Präparat ganz unbeweglich. Nun wird die Schiene genau 10 mm vom Drehpunkte des Kniegelenkes mit einer feinen Wagschale aus Seidenpapier, die an feinen Seidenfäden aufgehängt ist und auf der Tischplatte eben aufsteht, wenn der Winkel im Kniegelenke etwa 80° beträgt, versehen. Auf solche Weise kann man den Strecker mit verschiedenen Gewichten überlasten und durch elektrische Reizung mittels der eingestochenen Nadeln jenes Gewicht feststellen, welches der Muskel eben zu heben imstande ist. Natürlich sind dabei alle hier nieht näher zu erörternden Kautelen, welche sonst bei muskel- physiologischen Untersuchungen üblich sind, anzuwenden. Gang und Resultat eines solchen Versuches seien gleich geschildert. Der Strecker eines Präparates hob bei Reizung mit einem übermaximalen Öffnungs- induktionsschlage das Gewicht von 4,5 g, im’ Tetanus 18 g, eben von der Unterlage ab. ‚Da, wie oben erörtert wurde, die Strecker- sehne ziemlich genau 1 mm von der Drehungsachse des Gelenkes an der Schiene angreift und das Gewicht in 10 mm Entfernung am zweiarmigen Hebel wirkte, entspricht die eben vom Muskel ab- gehobene Last einem direkt wirkenden Gewichte von 130 g im Tetanus. Der Durchmesser des etwa kreisrunden Muskelbauches betrug 2,2 mm, der Querschnitt also 3,8 qmm. Daraus ergibt sich die absolute Muskelkraft pro Quadratzentimeter mit 4737 g.: Das ist ein den Versuchen von Camerano ganz entsprechender Wert. Natürlich ist ein solcher Versuch mit allerlei Fehlern behaftet. In- dessen kommt es auch auf den genauen absoluten Wert nicht an, sondern nur auf eine beiläufige Feststellung. Keinesfalls kann von einer besonders grossen abzulnten Muskelkraft des ansekeumuskels die Rede sein. Kl Eh 298. R. H. Kahn: Nachdem wir bisher das allgemeine Verhalten unseres Unter- suchungsobjektes geschildert haben, beginnen wir nunmehr mit der Vorführung einer Reihe spezieller Versuche, welche zum Zwecke hatten, die Resultate der Anwendung gebräuchlicher muskelphysio- logischer Untersuchungsverfahren an unseren Insektenmuskeln. zu prüfen. | Einzelzuekung bei direkter Reizung. Zum Zwecke der graphischen Verzeichnung der Zuckungen bei direkter elektrischer Reizung unserer Muskeln wurde ein einfaches Verfahren eingeschlagen, welches durch Fig. 6 erläutert wird. Fig. 6. Auf ein passend zurechtgeschnittenes Stück einer Korkplatte (in ein Stativ gefasst, welches eine feine Drehung seiner Stange um ihre Längsachse gestattet) wird der Schenkel mit zwei feinen, mit Zuleitungsdrähten armierten Nadeln (a) angesteckt. Handelt es sich um Registrierung der Tätigkeit des Streckers (Fig. 6 A), dann steht das Knie oben, bei Benutzung des Beugers (Fig. 6 BD) sieht es nach unten. Der Schenkel wird in beiden Fällen nicht vertikal gestellt, sondern wird derart geneigt an den Kork gesteckt, dass die Schiene, welche nahe dem Kniegelenke (bei b) mit einem entsprechenden Gewichte (mit Klebwachs angekitteter Kupferdraht) belastet ist, den Muskel leicht dehnt. Sie bildet daher im Falle A (Strecker) mit dem Schenkel einen spitzen, im Falle BD (Beuger) einen stumpfen Winkel. Von den Nadeln, welche den Induktionsreiz zuführen, Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 299 steckt die proximale stets knapp an der Schnittfläche im Schenkel. Die distale Nadel aber, wenn es sich beim Versuche um den Strecker handelt, möglichst an der ventralen, für den Beugerversuch an der dorsalen Seite, jedesmal etwa in der Mitte des Schenkels. Auf solche Weise weicht die Nadel stets der im Versuche benutzten Muskelsehne aus. Die nicht benutzte Sehne wird zu Beginn der sanzen Präparation durehschnitten. Dabei lässt sich auch bei einiger Übung die Sehne des M. flexor unguium sowie die zwischen den Sehnen in die Schiene ziehende Trachee leicht durehschneiden. Nun wird die Schiene etwa in der Mitte durchtrennt, über das proxi- male Ende ein kurzer, feiner Strohhalm (e) geschoben, welcher eine feine Sehreibspitze aus steifem Seidenpapier trägt, und die ganze Anordnung so aufgestellt, dass die Schreibspitze mit zweckmässiger Reibung auf der fein berussten Kymographiontrommel schreibt. Es schreibt also die Schiene ihre durch die Muskeln bewirkte Bewegung selbst auf. Leider ist der Hebel verhältnismässig kurz und die Be- wegung relativ umfangreich. Daher beschreibt die Hebelspitze einen Kreisbogen von ziemlich geringem Durchmesser und recht grosser Länge, was der Treue der Kurvenform bei bewegter Schreibfläche natürlich nicht förderlich ist. Indessen kommt der: speziellen Ge- staltung der Kurve keine besondere Wichtigkeit zu, so dass keine Maassnahmen getroffen wurden, dem geschilderten Übelstande zu begegnen. Durch die geschilderte Anordnung erhält man also bei Zu- führung einzelner Induktionsschläge in der gebräuchlichen Weise und bei Verwendung eines rasche Trommeldrehung gestattenden Kymographions (mit Antrieb durch fallendes Gewicht) einzelne Zuckungskurven von Strecker und Beuger. Derartige Kurven von Käfermuskeln sind bereits von Rollett!) vorgeführt worden. Dieser Forscher untersuchte an einer Reihe von Käfern, vorzüglich an den beiden Schwimmkäfern Dytiseus und Hydrophilus, an Melolontha, dem Maikäfer und an Lucanus cervus, dem Hirschkäfer, unter Anderem auch das Verhalten des Beugers und Streckers, welche den Schenkel des hintersten Beinpaares bewegen. Diese Muskeln, welche l) A. Rollett, Zur Kenntnis des Zuckungsverlaufes quergestreifter Muskeln. Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. in Wien, math.-naturw. Klasse Bd. 89 Abt. 3 ‘8.346. 1884. — A. Rollett, Beiträge zur Physiologie der Muskeln. Denkschr. d. Akad. d. Wissensch. in Wien, math.-naturw. Klasse Bd. 53 S. 193 (S. 241). 1887. 300 R. H. Kahn: im Innern des Leibes gelegen sind, wurden durch Eröffnung der ‚Bauchhöble freigelegt, und durch Anlegung von Elektroden direkt sereizt. Die Bewegungen des Schenkels wurden durch Fadenzug auf den Schreibhebel eines Marey’schen Myographions übertragen. Dabei fand eine ungemein starke Vergrösserung der Muskelverkürzung statt,: welche Rollett für die beiden Schwimmkäfer auf 77—78fach berechnet. Als wesentlichstes Resultat ergab sich bei diesen Ver- suchen ein charakteristischer Unterschied in der Dauer und Form der Einzelzuckung bei den verschiedenen Käferarten. Wir ver- zeichnen in der folgenden Tabelle nach Rollett die von ihm ge- fundenen Mittelwerte. Mechanisches Dauer Käfer Latenzstadium | der Zuckung in Sekunden |- in Sekunden Dytiscusen..... 2 oc cc. 0,017 20112 Hydrophilus ...... 0,047 0,350 Melolontha. ...... 0,075 0,572 Danach besitzen also verschiedene Käfer flinke bzw. träge Muskeln als Beweger der Schenkel ihrer Beine. Durch histologische Studien stellten Rollett!) u. a. fest, dass die Fasern aller Muskeln bei jedem einzelnen dieser Käfer ganz die gleiche Struktur erkennen lassen, dass sie aber bei den verschiedenen Käferarten in charakte- ristischer Weise verschieden gebaut sind. (Die Unterschiede be- ziehen sich auf die Form und Anordnung der Cohnheim’schen Felder, die Lage der Kerne und die Anlage des Sarkoplasmageäders.) Diese Beobachtungen an den Muskeln der verschiedenen Käferarten stellen also ein Analogon zu den bekannten Erscheinungen an den ‚Wirbeltiermuskeln. Die flinken Dytiseusmuskeln sind den sogenannten ‚weissen, die trägen Hydrophilusmuskeln den roten Wirbeltiermuskeln vergleichbar. Abgesehen von den in der vorstehenden Tabelle eingesetzten verschiedenen Werten für das Stadium der. latenten Reizung und die Dauer der Zuckung zeigen die von Rollett mitgeteilten Kurven bei den verschiedenen Käfern auch eine sehr verschiedene Hubhöhe, DA. Rollett, Untersuchungen über den Bau der quergestreiften Muskel- fasern. Denkschr. d. Akad. d. Wissensch. in Wien, math.-naturw. Klasse Bd. 49 S.81 und Bd. 51 S. 24. 1885. ; Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 301 welche bei Dytiscus am grössten, bei Melolontha weitaus am kleinsten ist. Indessen ist bei dieser sowie auch zum Teile bei der Beurteilung der Kurvenform nicht zu übersehen, dass die Eigentümlichkeit des Objektes ganz gleiehmässige, ja offenbar auch nur mit Sicherheit übersehbare technische Versuchsbedingungen nicht zuliess. Ver- schiedenheiten in der Anfangsspannung der Muskeln, Zugrichtung des Fadens, Grösse der Belastung bewirken bekanntlich mehr oder minder grosse Verschiedenheiten der Höhe und Form der Kurve. Die ungemein niedrige Kurve von Melolontha kann wohl zum Bei- spiel leicht ihre Ursache in zu grosser Belastung oder ungünstigen Übersetzungsverhältnissen gehabt haben. Mit der in Fig. 6 erläuterten Versuchsanordnung wurden nun in unseren Versuchen Strecker und Beuger einer Prüfung ihrer Zuckungskurven bei Einzelreizung unterzogen. Zunächst ist zu be- merken, dass die Überlebensdauer der amputierten Beine eine un- gemein grosse ist. Ohne weitere Zuriehtung bleibt die Muskulatur viele Stunden vollkommen erregbar. Das ist zu einem wesentlichen Teile dem Umstande zuzuscheiben, dass der Chitinmantel des Schenkels die Vertrecknung uud sonstige Schädlichkeit lange Zeit völlig abhält. Die Erregbarkeit beginnt erst zu schwinden, wenn die Vertroeknung von der Schnittfläche aus erheblich weiterschreitet. Dureh Einlegen des Präparates in eine feuchte kammer lässt sich das Unbrauchbarwerden noch viel weiter verzögern. Diese Maass- nahme hat auch den weiteren Vorteil, dass an der bei der Durch- schneidung einer Sehne in der Kniegelenkshaut entstandenen Öffnung nicht so rasch eine Eintrocknung der ausgetretenen Blutflüssigkeit und damit eine teilweise Ankylose des Kniegelenkes eintritt. Es sei noeh erwähnt, dass ıman mit einiger Übung an der medialen Fläche des Schenkels den Chitinpanzer eröffnen kann, ohne wesentliche Muskelansätze zu zerstören. (Vel. Fig. 4 und das hierzu auf S. 290 Gesagte.) Dann lassen sich die Muskeln durch direkte Applikation von Elektroden reizen. Indessen ist die Überlebensdauer soleher Präparate recht gering, und diese Präparationsweise bietet keinen Vorteil gegenüber der oben geschilderten. Nach Eröffnung der Chitinhülle pflegt die Reizbarkeit der Muskeln nach 30—60 Minuten erloschen zu sein. In allen unseren Versuchen betrug die Entfernung von der Drehungsachse des Kniegelenkes bis zur Schreibspitze ziemlich genau 40 mm. Da die Entfernung des Angriffispunktes der Streckersehne 302 R. H. Kahn: vom Drehungspunkte des Hebels, wie oben erwähnt, etwa 1 mm, die entsprechende für die Beugersehne etwa die Hälfte beträgt, wurden unsere Muskelkurven des Streckers mit etwa 40 facher, jene des .Beugers mit etwa 80 facher Vergrösserung. verzeichnet. Die Gewichte wurden stets in gleicher Grösse und annähernd der gleichen geringen ‚Entfernung. von der Drehungsachse aufgesetzt. Fig. 7b. Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 303 Wir führen in Fig. 7a ein Beispiel der Zuckungskurven des Streckmuskels vor. Die Zeitschreibung beträgt Hundertel Sekunden. Wie man sieht, handelt es sich um eine Kurve, welche in ihrem Aussehen der Kurve, welche man vom Froschmuskel bei der gleichen Trommelgeschwindigkeit zu sehen gewohnt ist, etwa entspricht. Vom Momente des Reizes bis zur Abhebung der Kurvenlinie von der Abzisse vergeht ein mechanisches Latenzstadium von 0,012 Sekunden. Die Zuckungsdauer beträgt 0,102 Sekunden. Die Kurvenform ist durch den oben auf S. 299 erwähnten Umstand etwas entstellt. | Fig. 7b zeigt ein Beispiel der Zuckungskurve des Beugers, unter den gleichen Bedingungen aufgenommen. Hier beträgt das mechanische TEEN MEER Te Mae In Fig. 8. Latenzstadium 0,011 Sekunden, die Zuckungsdauer 0,083 Sekunden. Die Hubhöhe ist in der Kurve des Beugers etwa halb so gross als in der des Streckers. Hierbei ist aber der Umstand zu berücksich- tigen, dass der Strecker an einem etwa doppelt so langen Hebel- arme wirkt wie der Beuger, indem beide das gleiche Gewicht zu heben haben. Es zeigen also beide Muskeln annähernd die gleichen Verhältnisse an ihrer isotonischen Zuckungskurve bis auf den regel- mässigen Umstand, dass die Zuckung des Beugers erheblich kürzere Zeit dauert als die des Streckers. Diesem Umstand und der relativ höheren Belastung entsprechend sind auch die „elastischen Nachschwankungen‘ an der Kurve des Beugers viel besser ausgeprägt als an der des Streckers. Fig. 8 zeigt das Resultat eines eigens zu dem Zwecke, dies zu zeigen, angestellten Versuches an Beuger (B) und Strecker ($) des gleichen Tieres unter ganz gleichen Versuchsbedingungen. (Die Vergrösserung war etwas grösser als in den übrigen Versuchen.) Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 20 304 „et. H: Kahn: Es ist klar, dass es sich hier wesentlich um ein physikalisches Pro- blem' handelt. Das beim Entstehen der Beugerkurve rasch sinkende; Gewicht dehnt den dünnen Beuger erheblich über seine ursprüngliche‘ Länge aus. Dagegen ist diese Dehnung bei dem langsamer er- schlaffenden Beuger, der auch einen viel grösseren Querschnitt be-' sitzt, nur wenig ausgesprochen. Die Erscheinung ist vollkommen’ jener analog, welche man im Vergleiche der Zuckungskurven von- Sartorius und Gastroknemius des Frosches zu sehen gewöhnt ist. In den Kurven von Rollett ist das gleiche Verhalten an den ver- schieden rasch ahlaufenden Zuckungskurven der verschiedenen Käfer-, muskeln zu sehen und auf die gleichen Umstände zurückzuführen. Die an den Kurvenbeispielen erhobenen Zeitwerte für das mecha-, nische Latenzstadium und die Zuckungsdauer entsprechen durchaus . jenen, welche man bei oftmaliger Wiederholune der Versuche an frischen Präparaten findet. Sie sind durchweg kürzer als die kürzesten von Rollett an Dytiscus gemessenen Werte. Was die Dauer des mechanischen Latenzstadiums anbelangt, so sind Rollett’s und unsere Werte sicher zu gross. Denn Gelegenheit zum Auftreten einer „Latenz der Methodik“ !) ist in unseren, vor allem aber in Rollett’s Versuchen reichlich vorhanden. Dadurch ist wohl die sogenannte Latenzzeit des Gesamtmuskels fehlerhaft vergrössert. ‚worden. Indessen dürfte bei unseren Versuchen, in denen stets auf eine genügende Anfangsspannung der Muskeln Wert gelegt wurde, und bei welchen der einzige Hebel, die Schiene, recht starr und unnachgiebig war, der in der Methodik gelegene Fehler sehr gering: gewesen sein. Immerhin ist unser Wert für die mechanische Latenz- zeit an Locusta wesentlich kleiner als bei Rollett an Dytiseus. Auch unsere Werte für die Zuckungsdauer sind weit geringer.- Die Muskeln des Sprungbeines von Locusta sind also noch flinker als die funktionell nahestehenden Schenkelbeuger und -strecker von Dytiseus. Das nächste Objekt in der Reihe der abnehmenden Zuekungsgesehwindigkeit dürften die Flügelmuskeln der Insekten. bilden, vor allem jener mit, langsamem Flügelschlage. Aus der ge-, ringen Zahl der mir diesbezüglich zur Verfügung stehenden Kurven: setze. ich in Fig. 9 eine Zuckungskurve bei Einzelreizung. eines, Flügelmuskels von Aeschna cyanea, der grossen blauen Libelle, ein. 2 A men Über die, elektröinorartschen Wirkungene idös, wasserarmen: Muskels. ‚Pflüger! IL Arch,, ‚Bd, 97 S. 457. 1908. Ü Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 305 Solehe Kurven gewinnt man derart, dass man bei möglichst grossen Exemplaren einen Flügel (am besten einen vorderen) derart zuschneidet, .dass durch einen Längsschnitt die kaudale Flügelhälfte abgetrennt wird, um den Luftwiderstand zu verkleinern. Auf diese Weise erhält man einen Flügelstreifen, :welcher durch die Hauptadern genügend versteift ist, um eine feine Schreibspitze aus. steifem Seidenpapier zu tragen und seine Exkur- sionen auf der berussten Trommel zu verzeichnen. Die geringe Menge Kleb- masse, mit welcher die Schreibspitze be- festigt ist, genügt als Belastung. Nun öffnet man genau,durch einen Sagittal- schnitt den Thorax des Tieres, wodurch die den ganzen Thorax durchsetzenden Flügelmuskeln ohne weiteres freiliegen. Man sticht nun am Rande des Abduktor oder des Flexor des Vorderflügels!), ohne den Muskel weiter zu verletzen, zwei sehr feine, mit Drähten armierte Nadeln ein, welche zugleich das ganze Präparat (Kopf und Hinterleib abgeschnitten) auf einer Korkplatte festhalten. Fig. 9 (von rechts nach links zu lesen) zeigt das Resultat einer Reizung des Präparates mit einem einzelnen In- ar duktionsschlage. Das mechanische Latenz- Be > stadium beträgthieretwa 0,015 Sekunden’), | Fig. 9. 1) Die Anatomie dieser Muskeln, auf welche wir hier nicht eingehen können, ist zum Beispiel bei Kolbe, a. a. ©. S. 367 genauer beschrieben. 2) Die Zeitschreibung in allen diesen Versuchen erfolgte mit Ausnahme jener, bei welchen die Verwendung des Jaquet’schen Chronographen genügte, durch Registrierung des Phasenwechsels des Wechselstromes aus dem Prager elektrischen Starkstromnetze, mittels eines feinen elektromagnetischen. Markierers unter Vorschaltung entsprechender Widerstände. ._Eigens angestellte Vergleichs- versuche mit Stimmgabeln haben ergeben, dass dieser Phasenwechsel sehr genau 20* 306 R. H. Kahn: die Zuckungsdauer 0,076 Sekunden. Eirsteres ist auffallend gross. Das liegt zweifellos an den gerade hierfür ungemein ungünstigen mecha- nischen Verhältnissen. Der Vergrösserungshebel, das Flügelstück, ist ein wenig biegsam, es muss daher erhebliche Zeit verloren gehen, bis sich nach Beeinn der Muskelkontraktion die Schreibspitze in Bewegung setzt. In Wirklichkeit ist sicherlich das mechanische Latenzstadium des Gesamtmuskels viel kleiner, zumal es sich um recht kurze Muskeln von erheblichem Querschnitt handelt. Die Zuckungsdauer ist noch kleiner als am Beuger des Sprung- beines von Locusta. Es ist zu vermuten, dass an den Flügelmuskeln anderer Insekten noch weit geringere Werte für die Dauer der Einzelzuckung festgestellt werden können. Vermutlich bei jenen, bei welchen die Frequenz des Flügelschlages eine viel grössere als bei den Libellen ist. Während nach Marey!) die Libelle 23 Flügel- schläge in der Sekunde ausführt, steigt die Zahl derselben bei der Hummel auf 240, bei der Stubenfliege gar auf 330. Übrigens verhält sich der Flügelmuskel der Insekten histologisch anders als die anderen Muskeln und funktionell wahrscheinlich ebenfalls. Denn während die Muskeltätigkeit zum Beispiel bei der Bewegung der Beine der Insekten zweifellos kurze Tetani darstellen, scheint das beim Flügel- schlage anders zu sein. Hier handelt es sich möglicherweise um Einzelzuekungen, eine Möglichkeit, welche allerdings nicht erwiesen ist und wohl nur schwer erweisbar sein dürfte. Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung im Muskel. Nach dieser Abschweifung kehren wir nun wieder zu unserem Objekte, den Muskeln der Sprungbeine von Locusta, zurück. Neben den bereits beschriebenen Erscheinungen bei der Einzelzuckung interessiert weiters die Frage nach der Geschwindigkeit der Er- in der Zeit verläuft und von den gelegentlich vorkommenden geringen Ände- rungen der Stromspannung ganz unabhängig ist. Fehler konnten erst in der dritten Dezimale (0,00001 Sekunde) nachgewiesen werden, übersteigen also nicht einen für unsere Versuche zu vernachlässigenden Wert. — In Fig. 9 sowie in den Fig. 12 und 15 ist das Resultat dieser Zeitschreibung insofern verunstaltet, als durch einen Fehler in der Justierung des Markierers der Schreibhebel des- selben störende Eigenschwingungen vollführte, welche in Fig. 9 besonders gross sind. 1) E. J. Marey, Memoire sur le vol des insectes et des oiseaux. Ann, Scienc. natur. 5. ser. (Zool.) t. 12 p. 49. 1869. (Diese Veröffentlichung konnte ich nicht selbst einsehen.) - Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 307 regungsleitung in der Muskelsubstanz. Darüber gibt es vorläufig an Insektenmuskeln keine Untersuchungen. In Anbetracht des Um- standes, dass die Muskelfasern des Beugers der Schiene nahezu parallel zur Längsachse dieses dünnen Muskels verlaufen und eine Länge von S—10 mm erreichen, wurde versucht, eine direkte Be- stimmung der Geschwindigkeit der Erregungsleitung an diesem Ob- jekte vorzunehmen. Wenn diese Versuche auch von vornherein nicht als technisch ganz einwandfrei bezeichnet werden können, so entspricht das Resultat doch so ziemlich den zu erwartenden Verhält- nissen, so dass die Versuchsanordnung der Mitteilung wert erscheint. Fig. 10 zeigt dieselbe im Schema (linkes Sprungbein von aussen). Das ganze Sprungbein (mit Schenkelring und Hüfte) wurde amputiert Fig. 10. und zunächst mit einer starken Nadel (N) auf einem passend zu- geschnittenen Korke, der in einem Stativ befestigt war, so an- geheftet, dass die Nadel durch die Streckerseite des Schenkels durch- gestossen wurde und der Schenkel horizontal stand. Die Schiene war kurz abgeschnitten. Nun wurden zwei feine, mit Drähten armierte Nadeln durch das Bein in den Kork gestossen, so dass die eine (a,) durch die Hüfte, die andere (a) in der Gegend des pro- ximalsten Ursprunges des Beugemuskels der Schiene eingestochen wurde. Eine Reizung durch einzelnen Induktionsschlag verursachte eine Einzelzuckung des Beugers, Nun wurden in die Rinne des Chitinpfeilers, welcher dem Schenkel die Hauptstütze gibt (vgl. Fig. 3 und das auf S. 289 hierüber Gesagte), in der aus der Fig. 10 ersicht- lichen Weise zwei sehr dünne, lange und spitzige Nadeln (D und b,) parallel zueinander, im gegenseitigen Abstande von genau 6 mm, durch die Chitinhülle bis eben in den darunter ziehenden Beuger 308 ar, Kahn: eingestochen. Bei neuerlicher Reizung des Muskels bewegten sich beide Nadeln hauptsächlich in der von ihnen gegebenen Ebene in der Richtung zum Kniegelenk. Dabei diente die ‘Stelle des Durch- stiches durch den Chitinpanzer als Hypomochlion des durch eine jede Nadel‘ gebildeten zweiarmigen Hebels.' Die ganze Anordnung wurde nun derart vor den photographischen Registrierapparat ge- bracht, dass. die oberen Nadelenden zwei Stellen des Spaltes (Sp) bedecekten. So könnten also die Bewegungen der Nadeln und zu- gleich die Bewegungen des Hebels des zeitmessenden Apparates auf dem bewegten Film reeistriert werden. Die Registrierung ergab bei Einzelreizung des Muskels den Beeinn der Bewegung beider Nadeln zur gleichen Zeit, und zwar bei schwellennaher und übermaximaler Reizung. Es bestand nun die Hoffnung, am entnervten Muskel bei direkter Reizung einen zeitlichen Unterschied im Beginne der Be- wegungen der beiden Nadeln als Ausdruck der für die Erregungs- leitung verfliessenden Zeit feststellen und messen zu können. Hier ist der Einwand zu stellen, dass die distal eingestochene Nadel schon durch die am proximalen Muskelende beginnende Kontraktion passiv gleichzeitig bewegt werden könnte. Tatsächlich ist dieser Einwand nicht abzuweisen, indessen stellt es sich bei Anstellung solcher Versuche heraus, dass die Resultate dafür sprechen, dass die erwäbnte Fehlerquelle keine bemerkliche Rolle spielt. Zunächst ist über die Entnervung ein Wort zu sagen. Das einfachste Mittel scheint das Curare. Indessen hat Rolle tt!) ge- funden, dass das Curare bei Käfern seinen Dienst versaete. Es gelang ihm nämlich auf keine Weise, die Tiere für seine Versuche dureh Curare vollkommen zu immobilisieren. Die recht zahlreichen Mitteilungen von Forschern aus älterer Zeit:über Curarewirkung an Wirbellosen sind einander recht widersprechend und nicht sehr klar. In manchen Fällen wurden aber bestimmte, der Wirkung des Giftes auf die Wirbeltiere analoge Erfolge erzielt. So wären besonders die auch methodisch sehr interessanten Versuche von Krukenberg?) an Hirudo und besonders an den Raupen von Sphinx euphorbiae zu erwähnen, welche BCE, Bus auch nn 'Wirbellosen nervöse 1) Denkschr. Bd. 58 s 208. Zit. auf S. 299. 2: 2) Fr. W. Krukenberg, Vergleichend -toxikologische Unkeruehunsenl Vergl.-physiol. Studien I. Abt. d. 1. Reihe S. 77 (110). Heidelberg 1880. — Fr. W. Krükenberg, Die Curarewirkung an den Raupen von Sphinx euphorbiae Vergl.-physiol. Studien I. Abt. d. 1. Reihe S. 156. Heidelberg 1880. j Zur Physiologie der 'Insektenmuskeln. 309 Apparate an der Peripherie durch das Curare gelähmt bzw. ihrer Einwirkung auf die Muskulatur beraubt werden. Diese Versuche bestanden im Wesentlichen in Analogie zu dem bekannten Claude Bernard’schen Versuche der Unterbindung der Art. iliaca beim Frosche in-der Unterbrechung der Säfte- und Blutbewegung im Blutegel und in der Raupe durch zwei, den ganzen Körper ein- schnürende Ligaturen, welche das Tier in drei gleich grosse Ab- schnitte zerlegten, die aber miteinander in nervöser Verbindung blieben. ' Curareinjektion in das Mittelstück immobilisierte dessen Muskeln, machte sie für indirekte, nicht aber für direkte Reizung unempfänglich, liess aber die nervösen Funktionen des Mittelstückes,; geprüft an dem Verhalten der Aussenstücke, intakt. An unserem Objekte ist das Curare wirksam. Einige Tropfen einer 0,25°/oigen Lösung von Curarin. sulfur. mit der Spritze an roxımal P - a a Se Fig. 11. beliebiger Stelle, am besten in den Thorax injiziert, verursachen binnen wenigen Minuten bei völlig erhaltener direkter Muskelerreg- barkeit komplette Lähmung des Tieres. Auch hier liesse sich ver- mutlich ganz gut:ein dem Claude Bernard ’schen ähnlicher Versuch ausführen, welcher die periphere Nervenlähmung direkt erweist. Damit habe ich mich, vor Allem wegen des Mangels an Material, nicht weiter beschäftigt. Indessen sprechen die Resultate unserer Versuche selbst für. eine periphere Lähmung kan. für Aufhebung ihrer Wirkung auf die Muskulatur. Wir führen in Fig. 11 das Resultat vor, welches man erhält, wenn man den oben beschriebenen Versuch am curarisierten Beine vornimmt. Dabei wird die Reizstärke zweckmässig schwellennahe gewählt. Dann beginnt die Bewegung nicht, wie früher, an beiden eingestochenen Nadeln, zu gleicher Zeit, sondern an der, der Reiz- stelle näher gelegenen,; proximal eingestochenen Nadel früher. Die Originalfilms eignen sich leider wegen ihrer zu grossen Zartheit der 310 R. H. Kahn: Details nicht zur Reproduktion. Daher erläutern wir das Versuchs- resultat an einer an der Hand eines Originals angefertigten Zeichnung (Fig. 11). Die Zeitschreibung verzeichnete 0,01 Sekunden. Die zeit- liche Differenz zwischen den beiden Abhebungspunkten der Nadel- kurven betrug nahezu 0,004 Sekunden. Da die Distanz der die Nadeln bewegenden Punkte des Muskels genau 6 mm betrug, so ergibt die Berechnung eine Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kon- traktionswelle von etwa 1,5 m in der Sekunde. Dieser Wert ist im Verhältnis zu den am Frosche und an den Muskeln der Wirbeltiere erhobenen Werten!) sehr klein. Jedoch stimmt dieser Befund mit der von Rollett?) geäusserten Vermutung überein, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass bei den Insekten- muskeln auch die längsten Erregungswellen und damit auch die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung weit hinter jenen der Vertebraten zurückbleiben. Diese Vermutung steht bei Rollett im Zusammenhang mit zwei von ihm und anderen?) genauer be- obachteten Tatsachen. Man beobachtet an Insektenmuskeln (Käfer, Corethralarven) in normalem Zustande unter dem Mikroskop Kon- traktionswellen der verschiedensten Länge und Fortpflanzungs- geschwindigkeit. Sie sind alle relativ sehr kurz (bis zu 0,03 mm), und pflanzen sich mit sehr geringer Geschwindigkeit fort (bis zu 0,08 mm-Sekundengeschwindigkeit. Weiters besteht eine vielfache Verknüpfung der einzelnen Muskelfasern mit den Nerven. Die Fasern der Insektenmuskeln besitzen auffallend viele Nervenhügel (bis zu neun Hügel auf einer Strecke von 1 mm). Hierin sieht Rollett eine Einrichtung, die geeignet wäre, bei der Erregung vom Nerven aus auch bei verhältnismässig kurzen Wellen von geringer Fort- pflanzungsgeschwindigkeit doch eine „rasche Summierung“ derselben. zur Kontraktion zu bewirken. 1) Eine Reihe von Zahlen, welche für das gleiche Objekt oft sehr ver- schieden lauten, aber durchwegs weit grösser sind als unser Wert, findet man zum Beispiel in Biedermann’s Elektrophysiologie I. Abt. S. 123. Jena 1895, oder in Nagel’s Handb. d. Physiol. Bd. 4 S. 444. 1907 zusammengestellt. 2) A. Rollett, Untersuchungen über die Kontraktion und Doppelbrechung der quergestreiften Muskelfasern. Denkschr. d. Akad. d. Wissensch. in Wien, math.-naturw. Klasse Bd. 58 S. 41. 1891. — A. Rollett, Über Wellen- bewegung in den Muskeln. Biol. Zentralbl. Bd. 11 S. 180. 1891. 3) Siehe auch: K. Hürthle, Über die Struktur der quergestreiften Muskel- fasern von Hydrophilus im ruhenden und tätigen Zustand. Pflüger’s Arch. Bd. 126 S. 1. 1909. — Daselbst auf S. 45 eine Tabelle über Fortpflanzungs- geschwindigkeiten dieser Kontraktionswellen bei Hydrophilus (0,08—0,13 mm/see). Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 311 Wie immer dem auch sei, die Vermutung, dass auch die längsten Erregungswellen und damit ihre Fortpflanzungsgeschwindigkeit bei den Insektenmuskeln verhältnismässig klein seien, scheint sich im Experimente mit direkter Reizung zu bestätigen. Weitere Versuche an anderen, ebenfalls geeieneten Objekten werden dazu beitragen, die Sache weiter zu erhärten. Wirkung von Änderungen der Temperatur auf die Zuekungskurve. Wir gelangen nun zur Besprechung weiterer Versuche an unseren Muskeln bei direkter Reizung, welche zum Zwecke hatten, die Ein- wirkung verschiedener Temperaturen auf die Zuckungskurve zu studieren. Die Änderung der Temperatur unseres Objektes während des Experimentes gelang nicht leicht. Einen eigenen Apparat, ähn- lich jenem zu bauen, welchen man für den. Froschmuskel benutzt, verbot der Umstand, dass die zur Verfügung stehenden Tiere rasch verbraucht werden mussten. Nach verschiedenen missglückten Im- provisationen stellte es sich als das Beste heraus, auf Genauigkeit der Temperaturabstufungen zu verzichten und ohne besonderen Apparat zu arbeiten. Es wurde also die Erhöhung der Temperatur in der Weise vorgenommen, dass das zum Versuche völlig vor- bereitete Präparat nach Verzeichnung einer isotonischen Zuckungs- kurve durch Anblasen mit der warmen Luft einer Heissluftdusche („Fön“) in toto erwärmt wurde. Durch verschiedene Dauer des Anblasens wurde eine genügende Abstufung der Erwärmung erzielt bzw. wurden im Laufe der langsam erfolgenden Temperaturzunahme weitere Zuckungskurven registriert. Auf solche Weise liess sich schliesslich vollkommene Wärmestarre der Muskeln erreichen. Die Abkühlung des Präparates erfolete durch Berieselung mit kaltem Wasser, wobei mit der Registrierung in der gleichen Weise vor- gegangen wurde. DBeiderlei Prozeduren änderten Nichts an der sonstigen Anordnung des Versuches. Die Resultate waren konstant und zeigten für Strecker und Beuger merkwürdigerweise ein verschiedenes Resultat. In Fig. 12 ist eine Schar von sieben isotonischen Zuckungs- kurven des Streckers vorgeführt. Der Versuch begann mit der Verzeichnung der Zuckung bei Zimmertemperatur. Es war ein kalter Tag (1. September), und die Temperatur im Laboratorium betrug 17° C. Die so gewonnene Kurve ist mit 17° bezeichnet. Nun 312 _R.H. Kahn: folgte die Erwärmung durch warme Luft. In gemessenen Zwischen- räumen entstanden nun bei immer steigender Temperatur drei weitere Kurven, deren Hubhöhe immer mehr zu-, deren’ Zuckungsdauer und ER) &$ 32 = >] S Ss Ss SE SR = SU = <= SE A AA AAN ! ) A YA Y AV rm f 2 Aa Latenzstadium abnahm. Nun wurde eine Pause von einiger Zeit eingeschaltet undsodann das Präparat mit kaltem Wasser be- rieselt. Weitere drei Zuckungen zeigten ein zunehmendes An- steigen der Zuckungshöhe, Zu- nahme der Latenzzeit und der Zuckungsdauer. Dabei wurde aber die Hubhöhe, welche bei Zimmertemperatur aufgetreten war, nicht erreicht. Eine weiter- gehende Abkühlung war, nicht möglich, da Eis nicht zu be- schaffen war. Wir setzen die aus der Kurve gemessenen Werte in eine Tabelle, wobei zu bemerken ist, dass die hier dar- sestellten Erscheinungen regel- mässige Befunde am Strecker darstellen.© Es gelingt sogar öfters, durch langdauernde Ab- kühlung bei Zunahme der La- tenzzeit und der Zuckungsdauer ‚die Hubhöhe über das‘ bei Zimmertemperatur erreichte Maass hinaus zu steigern. Aus der Tabelle (S. 313), welche mit abnehmender Tem- peratur fortschreitet, geht die regelmässige Abhängigkeit der Elemente der Einzelzuckung vonder Temperaturohne weiteres hervor. Schon die Zuckung bei Zimmertemperatur (17° C.) dauert länger und hat eine etwas längere Latenzzeit als die oben erwähnten Einzelzuckungen des Streckers. Denn es gab in den Tagen dieser Ver- Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 313 suche kühlere Witterung als die ganze Zeit vorher. Bei zunehmender Erwärmung steigt die Hubhöhe ausnahmslos. "Bei Abkühlung unter Zimmertemperatur: nimmt sie zunächst ab, steigt aber bei weiterer Ab- kühlung wieder an. ‘Gelegentlich übertrifft sie wieder, wie oben er- wähnt, die Hubhöhe bei Zimmertemperatur. Die Zuckungsdauer wird bei Erwärmung. immer kürzer, ebenso die Latenzzeit. ’Bei Abkühlung erreicht die Zuekungsdauer, während die Latenzzeit nur mehr wenig oder gar nicht mehr zunimmt, ungemein hohe Werte, so dass sich der Zuckungsverlauf bequem durch Zusehen verfolgen lässt, zumal die Zuckungen in diesem Stadium öfters sehr hoch sind. Hubhöhe Zuckungsdauer Latenzzeit mm Sekurden | Sekunden 2 a bei steigender 23,5 0,103 0,011 up. alnr 21,5 0.158 0,013 bei 17°C. I9ar 0,251 0,014 | 16,9 über 0,4 0.015 Bei leader 17,4 | über 0,4 0,015 p In der in Fig. 12 reproduzierten Kurvenschar bemerkt man nun noch eine bisher nicht erörterte Zuckungskurve, welche von einer weit höher gelegenen Abszisse ihren Ursprung nimmt und mit sehr geringer Hubhöhe und Zuckungsdauer verläuft. Sie entspricht einer Reizung zur Zeit einer bereits teilweise eingetretenen Wärmestarre des Muskels. Man ersieht daraus, dass auch in diesem Zustande der Insektenmuskel noch reizbar ist, wenn auch der Reizerfolg nur gering ausfällt. Derartige Erscheinungen, welche man ebenfalls öfters beobachten kann; sind dadurch charakterisiert, dass der Zu- stand des Muskels noch reparabel ist. Abkühlung bewirkt ein Zu- rückgehen der Kontraktur und weiteres normales Verhalten des Muskels. Br | ir Das Verhalten des Beugers bei Veränderung‘ der Temperatur ist ein typisch anderes. a, i “ Wir bringen zunächst in Fig.. 13 eine Schar: von sechs Kurven, deren höchste bei Zimmertemperatur (17° C.) gewonnen wurde. Weitere Temperaturerhöhung hatte sofort eine Verminderung der Zuckungshöhe und eine Verringerung der Zuckungsdauer zur Folge, Erscheinungen, welche sich im Laufe weiterer Erwärmung noch 314 R. H. Kahn: steigerten. Auch die Dauer des Latenzstadiums nahm ab. Die Zuckungsdauer, welche bei Zimmertemperatur (Zeitmessung wie in Fig. 12) 0,093 Sekunden betrug, verkürzte sich bis zu 0,058 Sekunden, während die Hubhöhe auf weniger als die Hälfte sank. Bei Ab- kühlung des Muskels stiegen wiederum Zuckungshöhe und -dauer an, das Latenzstadium nahm zu (Fig. 14). Es stellte sich also am Beuger das unerwartete Verhalten heraus, dass die Dauer der Zuekung zwar ebenso wie beim Strecker mit zunehmender Temperatur ab- nahm, die Höhe aber jede Steigerung von 17° C. an vermissen liess. Dieses Resultat am Beuger war in allen Versuchen konstant. Wir bringen in Fig. 15 das Resultat eines weiteren solchen Ver- suches, der auch die Wirkung der Abkühlung erkennen lässt. Kurve 7 wurde bei Zimmertemperatur geschrieben. Sodann wurde der Beuger erwärmt und nach einiger Zeit die Kurve 2 verzeichnet, welche dem oben Erwähnten vollkommen entspricht. Nun folgte die Abkühlung. . In gemessenen Abständen wurden die zwischen 2 und Z gelegenen Kurven mit immer mehr wachsenden Hubhöhen und Zuckungsdauern verzeichnet, bis schliesslich nach längerer Dauer der Abkühlung in den Kurven 7 und 8 eine längere Zuckungsdauer, aber auch eine wesentlich grössere Hubhöhe verzeichnet wurde als bei Zimmer- Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 315 temperatur. Es lässt sich also sagen, dass die Elemente der Einzel- zuckung beim Beuger mit wachsender Temperatur ab- und mit sinkender zunehmen. In Anbetracht des unerwarteten Resultates bringen wir noch ein weiteres Beispiel. Fig. 16. In Fig. 16 stellt die mit 7 bezeichnete Kurve die Zuckung bei Zimmertemperatur dar. 2, 3 und # sind die Zuckungskurven bei wachsender Temperatur. Nach Abkühlung mit kaltem Wasser wurden die Kurven 5 und 6 verzeichnet. Es ist wiederum zu ersehen, dass Zuckungshöhe und -dauer mit steigender Temperatur ab-, mit sinkender zunehmen. Ebenso verhält sich das Latenzstadium, Am Froschmuskel sind bekanntlich die Veränderungen der Form der Zuckungskurve bei wechselnder Temperatur vielfach studiert worden. Eine Übereinstimmung in den Resultaten verschiedener Autoren ist nicht zu finden. Indessen ist es wohl allgemein bekannt 316 R. H. Kahn: und jederzeit leicht zu erweisen, dass der Froschmuskel, wenn man ihn nicht übermässig. belastet, bei Temperatursteigerungen von 19 bis 30°C. höhere und kürzere Zuekungskurven liefert, als bei 19°, C., und dass der, Muskel bei Abkühlung unter 19° C. stets viel Jangsamer und sehr häufig auch höher zuckt als vorher. Fig. 17 stellt die Repro- Auktion einersolchen Kurven- schar aus unserer Sammlung dar, welche vom Gastro- knemius von Rana fusca bei verschiedenen Tempera- turen gewonnen ist. Der Muskel war in die von Gad und Heymans!) ver- wendete Vorrichtung zur Änderung seiner Temperatur versenkt und mit geringem Gewichte belastet. Die am Streckmuskel der Sprungbeinschieneerhobenen Befunde stimmen mit den am Froschmuskel unter den ge- schilderten Verhältnissen re- ' eistrierten Kurven überein, bis auf die beim Frosche häufige Erscheinung, dass bei starker Abkühlung die Zuckungshöhe wächst. Aller- dings haben in unseren Ver- . suchen derart starke Ab- kühlungen des Muskels (5 °C. und- Fwönieen nicht stattfinden können. ber, Beugemuskel der Jule. verhält: 0) Bon alt Anlass Inner- Fig. 17. y Siehe Näheres na an bei: Bien ne a. 2.:0. S. 82.und in Nagel’s Handb. a. a, 0. S. 458.: & Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 317 halb der bisher untersuchten Grenzen der Temperaturänderungen wird mit zunehmender Temperatur Zuckungshöhe und -dauer immer kleiner, mit abnehmender Temperatur grösser. Das Latenzstadium wächst in allen drei Fällen mit abnehmender Temperatur. Diese Versuche können nicht als abgeschlossen gelten. Es wird doch nötig sein, mittels eines geeigneten Apparates unter Kontrolle der; erreichten Temperaturhöhen erweiterte Versuche anzustellen, um die Differenz im Verhalten von Strecker und Beuger und deren Ursache genauer zu ergründen. Dabei den Froschmuskel unter verschiedenen Bedingungen mit einzubeziehen, wird im Hinbliek auf die ein-) ander widersprechenden Detailangaben verschiedener Untersucher nicht unzweckmässig sein. Einzelzuckung bei indirekter Reizung. Latenzzeit der Endplatte. Die Auslösung von Zuckungskurven an unserem Objekte ist nicht nur bei direkter Reizung durch das Einstecken von Nadeln in die Muskelsubstanz, sondern auch bei Reizung der den Beuger und Strecker motorisch versorgenden Nerven möglich. Allerdings ist es kaum möglich, die zu unseren Muskeln ziehenden motorischen Nerven gesondert zu präparieren, ohne ihre Funktionsfähigkeit zu schädigen. Eine solche Präparation ist aber auch gar nicht nötig. Denn man kann.die Nerven ganz bequem in situ reizen und die Kontraktion der Muskeln dabei registrieren. Auch ist es gar nicht. nötig, die sehr zarten und leicht verletzlichen Nerven ganz zu entblössen. Man eröffnet durch einen genauen Längsschnitt in der Mittellinie des Rückens den Thorax, zieht die Wundränder auseinander und räumt vorsichtig die Eingeweide aus. Sodann schiebt man von der inneren ventralen Leibeswand den Fettkörper beiseite, worauf die im Thorax liegenden Muskeln, die das Bein bewegen, sichtbar werden. Ver-. senkt man zwischen diese feine Nadelelektroden, so kann man ganz schonend die zur Innenmuskulatur des Beines ziehenden Nerven _ reizen. Hat man das Präparat in der Art mit Nadeln auf Kork festgesteckt, dass ein Sprungbein die in Fig. 6a skizzierte Stellung einnimmt, so lässt sich nach Durchschneidung der Beugersehne die indirekte ausgelöste Einzelzuckung des Streckers leicht registrieren. Spontane Bewegungen erhält man, von den Ganglienknoten aus- gelöst, nur in der ersten Zeit. Sie verschwinden binnen kurzem, offenbar infolge Absterbens der zelligen Nervenelemente. 318 R. H. Kahn: Die Reizstärke, welche hier angewendet werden muss, ist ver- hältnismässig gering, so dass trotz der geringen Entfernung von den Oberschenkelmuskeln (10—15 mm) Stromschleifen auf diese nicht zu befürchten sind. Sie lassen sich übrigens durch Kontroll- versuche leicht ausschliessen, welche darin bestehen, dass man mit scharfem Messer in der Hüfte durchschneidet, ohne den Kontakt an den Schnittstellen aufzuheben. Dann ist die Reizung im Thorax wirkungslos. Der Erfolg der indirekten Reizung ist der gleiche wie bei der direkten, nur folgt die Zuckung dem Momente des Reizes später. Die Ursache ist auch an unserem Objekte darin gelegen, dass — Fig. 18. abgesehen von dem Zeitverluste für Nervenleitung — die Über- tragung der Erregung vom Nervenende auf den Muskel sehr erheb- liche Zeit beansprucht. Das Resultat eines solchen, direkt auf diesen Umstand gerich- teten Versuches ist in Fig. 13 zu sehen. Es wurde nach dem Helmholtz’schen Verfahren die Zeit bestimmt, welche zwischen dem Beginn zweier Zuckungen vergeht, von denen die eine direkt am Muskel, die andere am Nerven unweit des Muskels ausgelöst wurde. Auf solche Weise bestimmte bekanntlich Bernstein am Froschmuskel die Übertragungszeit mit etwa 0,003 Sekunden. Ein Erfordernis für die richtige Ausmessung dieser zeitlichen Differenz in derartigen Kurven liegt in der vollkommenen Kongruenz beider Kurvenlinien. Leider ist es in unseren Versuchen in keinem Falle gelungen, eine solche vollkommen zu erzielen. Während in den beiden in der Fig. 18 vorgeführten Fällen die fragliche Zeit mit 0,0036 bzw. 0,0040 Sekunden gemessen wird, beträgt sie in anderen Zur Physiologie der: Insektenmuskeln. 319 derartigen Versuchen etwas geringere Werte. Eine Berechnung der Mittelzahl ergibt einen Wert von 0,0035 Sekunden als zeitlichen Betrag, um welchen sich die Muskelzuckung (Strecker) bei indirekter Reizung gegen jene bei direkter Reizung verspätet. Von dieser Zahl wäre nun, um die Übertraguneszeit zu erhalten, noch der Betrag für die Leitungszeit in dem kurzen Nervenstücke abzuziehen, welches sich zwischen Elektroden und Muskel befindet. Diese Zeit fällt kaum wesentlich ins Gewicht. Über die Fortpflanzungsgeschwindig- keit der Erregung im Insektennerven ist nichts bekannt. Aber an- genommen, die Erregung pflanzte sich im markhaltigen !) Nerven der Insekten mit der gleichen Geschwindigkeit fort wie beim Frosche, so käme eine Sekundenzahl in der fünften Dezimale in Abzug. Und selbst für den Fall, dass man viel geringere Fortpflanzungsgeschwin- digkeiten, etwa wie man sie an den marklosen Nerven vor Wirbel- losen festgestellt hat, annehmen wollte, ergibt sich kein ins Gewicht fallender Abzug. Man kann also für die Übertragungszeit der Er- regung vom Nerven auf den Muskel bei Insekten Ja wie beim ‚Frosche etwa 0,003 Sekunden feststellen. Superposition. Eine Reihe von Versuchen mit doppelter direkter Reizung wurde an unseren Muskeln zu dem Zwecke durchgeführt, um deren Fähig- keit, Zuckungen zu superponieren, zu prüfen. Dabei wurde in der bekannten Weise vorgegangen, welche im wesentlichen darin besteht, dass man mittels zweier entsprechend angeordneter Kontaktschlüssel rasch hintereinander, aber in regulierbaren Intervallen, maximale Reize auf das Präparat wirken lässt. Die Schlüssel werden auto- matisch von der bewegten Schreibfläche selbst bedient. Die Fähig- keit, Zuckungen zu superponieren, ist bei unseren Muskeln besonders gut ausgesprochen; der Beuger scheint hierin den Strecker noch zu übertreffen. | Ein Beispiel so gewonnener Kurven ist in Fig. 19 (auf die Hälfte verkleinert) zu sehen. Es handelt sich um den Beuger der Schiene, dessen erster Reizung eine zweite, einmal etwa zur Zeit des Gipfels der Zuckung (obere Kurve), das andere Mal bald nach Zuekungs- 1) Über die Anatomie und Histologie des Nervensystems bei den Insekten. Siehe Kolbe, a. a. O. S. 420. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 21 320 R.H. Kahn: beginn hinzugefügt wurde. Die durch die Superposition der Zuckungen erreichten Hubhöhen sind äusserordentlich gross. Im ersten Falle beträgt die Höhe der summierten Zuckung mehr als das Doppelte der einfachen, im zweiten Falle ist die summierte Zuckung nahezu dreimal so hoch wie die einfache. Diese Höhenzunahmen übertreffen INK a NY N a X „N I N oh N N NY NY NY ya IR | Fig. 19. die am Froschmuskel zu beobachtenden bei weitem. Die Dauer der summierten Zuckung ist weit grösser als die Zeit zwischen dem Be- geinne der ersten und dem Ende der zweiten einfachen Zuckung. Beim Froschmuskel pflegt gewöhnlich das umgekehrte Verhältnis die Fig. 20. Regel zu sein!). Auch die Superposition zweier Zuckungen bei Ver- legung des zweiten Reizes in das Latenzstadium des ersten erzeugt eine bedeutende Steigerung der Hubhöhe. 1) Vgl. H., Sewall, On the effect of two succeeding stimuli upon muscular contraction. Journ. of physiol. Bd. 2 S. 164. 1880. Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 321] Eine solche Erscheinung ist in Fig. 20 vom Beuger zu sehen. Die Hubhöhe der summierten Zuckung beträgt mehr als das Doppelte der einfachen. Endlich bringen wir noch in Fig. 21 (auf die Hälfte verkleinert) eine Kurve der Superposition zweier Zuckungen durch den Strecker der Schiene. Der zweite Reiz folgte dem ersten in dem sehr kurzen Intervall von 0,006 Sekunden. Dabei ist die Summation sehr ausgesprochen. Es wäre interessant, an unseren Muskeln die genaueren Verhältnisse bei der Superposition: zweier Zuckungen zu erheben, im besonderen auch das kleinste Intervall Fig. 21. noch Summation bewirkender: Reize. Dieses dürfte an diesem Ob- jekte sehr klein sein. Am Froschmuskel hat Sewall!) das kleinste Intervall mit 0,001 Sekunden ‚festgestellt. Dazu fehlte bisher ge- nügend grosses Material. Jedenfalls ist die Summationsfähigkeit unserer Muskeln sehr gross. Ermüdung dureh Einzelreize. Prüft man die Ermüdbarkeit unserer Muskeln durch Einzelreize, so stellt es sich heraus, dass sie sich gegenüber serienweiser Reizung recht resistent verhalten. In Fig. 22 ist ein Ausschnitt aus einer Ermüdungsreihe des Streckers der Schiene zu sehen. Die Reizung erfolgte mit maximal wirkenden Öffnungsschlägen in Intervallen von etwas über 0,5 Sekunden. Nach 350 Zuckungen ist die Hubhöhe kaum vermindert, die Zuckungs- dauer nicht verändert. Von hier ab macht sich allmählich die Ab- nahme der Hubhöhe geltend; nach 1000 Zuckungen beträgt sie aber 1) A. a. 0. S. 173. 21 = 399 R. H. Kahn: immer noch etwa ein Drittel der ursprünglichen Hubhöhe (oberste Kurvenlinie), ohne dass eine Verlängerung der Zuckungsdauer ein- getreten wäre. Diese letztere ist im Gegenteil um etwa ein Drittel vermindert, eine Erscheinung, welche auch weiterhin unter weiterer Abnahme der Hubhöhe andauert und zu den am Froschmuskel zu erhebenden Befunden sehr im Gegensatze steht. Leichter ermüdbar ist durch die- geschilderten Maassnahmen der Beuger. Hier tritt die Abnahme der Zuckungshöhe rascher ein —— = | ——= (| I Il I) \ i i TINN | Au N IN Fig. 22. (Fig. 23), hält sich aber doch nach etwa 1000 Zuckungen noch auf ziemlicher Höhe. Eine Verlängerung der Zuckungsdauer ist auch hier nicht zu konstatieren. Tetanus. Es war beabsichtigt, an unseren Muskeln das Verhalten des Tetanus, die Verschmelzungsfrequenz, sowie eine Reihe weiterer hierher gehöriger Fragen zu studieren. Indessen stellte es sich bald heraus, dass durch eigentümliche Verhältnisse solchen Untersuchungen an diesem Objekte besondere Schwierigkeiten entgegenstehen. Vor allem die ausserordentlich grosse Hinfälligkeit des Beugers, aber auch des Streckers gegenüber rhythmischer Reizung mit stärkeren Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 23 Induktionsströmen. Dann das ungemein leichte Auftreten eines eigentümlichen Phänomens, auf welches seinerzeit Schönlein an Käfermuskeln aufmerksam machte, nämlich das Erscheinen relativ langsam verlaufender rhythmischer Bewegungserscheinungen bei gleich- mässiger tetanischer Reizung. Diese Umstände haben bisher alle Bemühungen, an dem vorhandenen, ja nicht sehr reichlichen Ma- teriale Tetanusstudien anzustellen, zunichte gemacht, so dass nichts Anderes erübrigt, als die erwähnten, immerhin sehr interessanten Erscheinungen vorzuführen. Zunächst lässt sich vor allem am Strecker ein gleichmässiger Bilde Fig. 24. r Tetanus, wenn auch nicht mit völliger Verschmelzung der einzelnen Wellen, mit relativ geringer Reizfrequenz erzielen. Fig. 24 zeigt ein solches Beispiel. Bei derartigen Versuchen emp- fiehlt es sich, da die Hubhöhe meistens so gross wird, als sie unter den gegebenen Verhältnissen der Schienenbewegung überhaupt werden kann (Streckung des Kniegelenkes bis 180°), eine Übertragung der Schienenbewegung durch Fadenzug auf einen Schreibhebel vor- zunehmen. Das ist im vorliegenden Falle geschehen. Die Reiz- frequenz betrug 18 in der Sekunde; nur Öffnungsschläge waren wirksam. Die einzelnen Zuckungen sind nicht vollkommen ver- schmolzen. Genaueres über die Verschmelzungsfrequenz auszusagen, ist nicht möglich, weil es trotz aller Bemühungen bisher nicht ge- lang, solche Versuche an einem Objekte öfters zu wiederholen. Am 324 R. H. Kahn: Beuger konnten derartige Befunde bisher überhaupt nicht erzielt werden. Er ermüdet hierbei ungemein rasch und liefert sogleich so enorme Kontraktionsrückstände, dass jede Vergleichung der Kurven ausgeschlossen erscheint. Am Strecker und Beuger erhält man dann öfters sehr niedrige Tetani, welche aber schon bei ungemein nied- riger Reizfrequenz (15— 20 Reize pro Sekunde) vollkommen glatt erscheinen. Das deutet darauf hin, dass die Dauer der einzelnen Zuckungen in diesem Zustande sehr verlängert sein müsste, was aber tatsächlich, wie oben bei den Ermüdungsversuchen auseinander- gesetzt wurde, gar nicht der Fall sein dürfte. Kurz, es gelang kisher nicht, die hier interessierenden Fragen unter solchen Verhältnissen zu studieren, welche Schlüsse auf das normale Verhalten der Muskeln erlauben würden. Die Untersuchungen von Rollett n) haben im Gegensatze hierzu vorzügliche Ergebnisse über den Tetanus an den Muskeln, welche den Schenkel der Käfer bewegen, geliefert. Glatter, andauernder Tetanus liess sich hier, wie es scheint, ohne jede Schwierigkeit er- zielen. Zwischen den Muskeln von Dytiseus und Hydrophilus machten sich ceharakteristische Unterschiede geltend. Ebenso wie bezüglich des Verhaltens der Einzelzuckungen waren die Muskeln dieser beiden Käferarten auch bezüglich der Ausdauer im Tetanus den weissen bzw. roten Wirbeltiermuskeln vergleichbar. Ich hoffe, dass weitere Untersuchungen bei reicherem Materiale auch an unserem Objekte zu Resultaten führen werden. Diese oben schon erwähnten rhythmischen Erscheinungen bei gleichmässiger tetanisierender Reizung hingegen sind sehr leicht zu erzielen und äusserst merkwürdig. Schönlein?) hat bei seinen Untersuchungen an Käferbeinen bei Anwendung minimaler Reiz- stärken Derartiges gesehen. Er reizte die im Schenkel von Dytiseus "und Hydrophilus liegenden Muskeln durch eingestochene Nadeln und verzeichnete die Bewegungen der Schiene, indem er sie durch Faden- zug auf einen leichten Schreibhebel übertrug. Er beobachtete bei dauernder tetanischer Reizung rhythmische Kontraktionen und rhyth- misch unterbrochene Tetani. Alles dies jedoch nur bei minimalen Reizen innerhalb geringer Änderung der Reizstärke. Weitere Ver- 1) Denkschriften 1887. A. a. O. S. 210. 2) K.Schönlein, Über rhythmische Kontraktionen ge Muskeln auf tetanische Reizung. Arch. f. Anat. u. Physiol. (Physiol. Abt.) 1882 S. 369. Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 325 stärkung des Reizes bewirkte an seinem, dem unsrigen nahe ver- wandten Objekte glatten und anhaltenden Tetanus „solange der Muskel noch kontraktionsfähig ist“, eine Erscheinung, welche, wie oben bemerkt, an unseren Muskeln bisher nur sehr schwierig zu erzielen war. Rollett!) hat sich über die Befunde von Schönlein sehr zurückhaltend ausgesprochen. „Man kann sich keine Form der elektrischen Reizung vorstellen, bei welcher die Gefahr, dass eine artefakte, durch die Unvollkommenheiten des Reizapparates allein bedingte Rhythmik auftrete, so gross ist wie bei dem Verfahren von 'Schönlein.“ Indessen hat Schönlein selbst dem Verhalten ‚seines Unterbrechers Aufmerksamkeit geschenkt und ist nicht der _;Meinung, dass es sich in seinen Kurven um Artefakte handle. Auch konnte er am Froschmuskel mit der gleichen Versuchsanordnung ‚derartige Erscheinungen nicht erzielen. Ferner hat Schönlein die ganz analogen Befunde von Richet?) an tetanisch gereizten 'Scherenmuskeln vom Krebs bestätigend nachgeprüft. Richet fand: „Li ’on soumet le muscle ä des courants eleetriques se succedant rapide- ment, mais assez faibles pour ne pas produire le rapprochement complet et persistant des deux branches de la pince, on voit que, quoique le cou- rants ne cessent pas d’exciter le muscle, la branche mobile s’Ecarte et se ‚rapproche successivement avec une sorte de rythme tres r&gulier.“ Das Phänomen wurde von Richet in Kurvenform vorgeführt; eine be- ‚friedigende Erklärung konnte er nicht geben. „Peut-&tre s’agit-il ‚d’un &puisement de l’exeitabilit6, &puisement survenant tres vite, et amenant le relächement du muscle. Mais, une courte periode de repos etant suffisante pour rendre au muscle sa contractilite, la contraetion recommence de plus belle, et ainsi de suite. Ces alter- natives d’&puisement et de r¶tion expliquent la succession de contraetions et de relächements du musele.“ Endlich hat auch noch de Varigny?°) die gleiche Erscheinung an verschiedenen Crustaceen, bei Cephalopoden und einer Meduse beobachtet. 1) Denkschriften 1887. A.a. 0. S. 199. 2) Ch. Richet, Contribution ä la physiologie des centres nerveux et des muscles de l’Ecrevisse. Arch. de physiol. norm. et pathol. serie 2® t. 6 p. 262 ‚et 522. 1830. (Trävaux du laborat. de M. Ch. Richet, t. 1 p. 1. Paris 1893.) 3) H. de Varigny, Sur le tetanos rythmique chez les muscles d’inverte- 'bres. ‚Arch. de physiol. norm. et pathol. ser. 3 t.7 p. 151. 1886. 326 R. H. Kahn: Diesen Befunden nun reihen sich die noch zu schildernden Er- scheinungen an den Schenkelmuskeln von Locusta an. Es ist aber sogleich zu bemerken, dass dieselben nicht etwa bloss unmittelbar an der Reizschwelle und innerhalb sehr enger Grenzen der Reiz- stärke, wie bei Schönlein, oder nur bei sehr hohen Frequenzen der Reizfolge zu erzielen waren; sondern in weiten Grenzen der Reizstärke von der Schwelle an war bei gleichmässig andauernder rhythmischer Reizung nichts Anderes zu erhalten, als mehr oder weniger rhythmisch unterbrochene Zuckungen bzw. kurze Tetani. Fig. 25. Erst bei relativ geringem Rollenabstande des reizenden Induktoriums erschien der andauernde Tetanus (wie oben in Fig. 24), worauf in kürzester Zeit, gewöhnlich unter Eintritt erheblichen Kontraktions- rückstandes, die Reizbarkeit des Präparates schwand. Wir bringen nun in den folgenden Figuren einige Beispiele der in Rede stehen- den Erscheinungen. Fig. 25 zeigt den Erfolg einer andauernden Reizung des Streckers der Schiene durch Öffnung eines Vorreiberschlüssels (bei &). Die Reizfrequenz (nur Öffnungen waren wirksam) betrug 31 Reize in der Sekunde, die Stromstärke war derartig, dass Einzelzuckungen maximal waren. Wie man sieht, .erfolete ein ziemlich regelmässiger, lang- Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 3237 samer Wechsel von rascher Kontraktion und langsamer Erschlaffung, welcher etwa 6,5 Sekunden andauerte und sich siebenmal wieder- holte. Das entspricht etwa einer Frequenz von 66 derartig rhyth- misch wiederkehrenden Erscheinungen. Nun wurde der Vorreiber- schlüssel geschlossen. Nach seiner neuerlichen Öffnung nach einer Pause von etwa 10 Sekunden begann das gleiche Spiel wieder. Fig. 26 zeigt die zweite Serie von derartigen, nunmehr weniger regelmässig erfolgenden „rhythmischen“ Erscheinungen. Mit etwa Fig. 26. der gleichen Frequenz (aber weniger regelmässig) und sehr ver- schiedener Hubhöhe kam es zu immer neuem, tetanischem Anstiege und lanesamerem Absinken der Kurve, ohne dass der Muskel während der Dauer der Reizung völlig erschlafft wäre. Auch weiterhin kam es bei jeder neuen Reizung zu der gleichen oder einer sehr ähn- lichen Erscheinung. Andere Fälle boten prinzipiell das gleiche, aber in anderer Form dar. Fig. 27 zeigt noch ein Beispiel der merkwürdigen Erfolge bei andauernder tetanischer Reizung des Streckers mit nicht zu starkem Strome. Im ersten Teile der Kurve kommt es nur zu einer Reihe 328 R. H. Kahn: von Zuckungen mit anschliessendem, Jangsamem Erschlaffen. Nach kurzer Pause beginnt ein etwa 11/s Sekunden dauernder Tetanus, welchem wieder ganz unregelmässig auftretende Verkürzungsformen folgen. (Zeit in 0,2 Sekunden.) Fig. 28. Endlich noch zwei Beispiele vom Beuger der Schiene. Bei diesem Muskel erscheint bei Reizung mit schwachen tetanisierenden Strömen meistens eine recht regelmässige Folge ganz kurzer Tetani. Im ersten Teile der Fig. 28 tritt eine solche bei Reizung mit In- duktionsstron: von 28 Reizen (Öffnungen) in der Sekunde ein. Die Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 329 Hubhöhen und auch die Grösse der jeweiligen Erschlaffung sind sehr verschieden, die Frequenz beträgt etwa vier in der Sekunde. Bei neuerlicher Reizung änderte sich das Verhalten des Muskels. Nach fünf kurzen tetanischen Kontraktionen kam es zu einem länger dauernden, bald stufenweise abfallenden Tetanus. Bei späterer Rei- zung erschienen wieder die rhythmischen Kontraktionen. In einem anderen Falle, vom Beuger (Fig. 29) kam es bei an- dauernder tetanischer Reizung mit 18 pro Sekunde Reizfrequenz zum Auftreten tetanischer Verkürzungen, welche mit einer Frequenz von etwa sieben pro Sekunde mehr oder weniger grosse Schwankungen der Intensität aufwiesen. Fig. 29. Bei Betrachtung der Kurven, noch weit mehr aber bei An- stellung der Experimente selbst, hat man durchaus den Eindruck, dass die Ursachen dieser schwer erklärlichen Erscheinungen im Muskel selbst und nicht in der Versuchsanordnung liegen müssen. _ Immerhin ist die Anordnung der Versuche keine ideale und es wird, sich empfehlen, durch allerlei Kontrollen, welche bei genügendem Versuchsmaterial leicht angestellt werden können, Versuchsfehler mit völliger. Sicherheit auszuschliessen. Wie man sieht, sind also die Versuche bezüglich des Tetanus an unserem Objekte keineswegs abgeschlossen. Die ungemein grosse Hinfälligkeit der Muskeln gegenüber andauernder stärkerer tetani- 330 R. H. Kahn: sierender Reizung mag ihre Ursache in der Unzweckmässigkeit der Reizart haben. Sie kontrastiert gar zu auffällig mit den andauernden und ungemein. kräftigen :tetanischen Aktionen, welche an diesen Muskeln im Wege des Reflexes zu erzielen sind. Dagegen bemerkt man niemals am unversehrten Tiere rhythmische Aktionen der Beine, abgesehen vom Schreiten. Es müsste also das leichte Auftreten der eigentümlichen tetanischen Rhytmen bei dauernder Reizung als eine Erscheinung bezeichnet werden, welche dem biologischen Verhalten dieser Tiere in keiner Weise entspricht. Allerdings werden die Schenkelmuskeln, vor allem der Strecker normalerweise auch nur zu ganz kurzem, wenn auch kräftigem Tetanus gebracht. Indessen scheint ein solcher Vergleich der Effekte der künstlichen Reizung mit der biologischen Verwendungsart nicht zutreffend. Denn die Methodik der Reizung ist ja bei unseren muskelphysiologischen Ver- suchen überhaupt ganz „unphysiologisch“. Reizversuche mit anderer Art der Reizung werden vielleicht andersartige Erfolge zeitigen. Aktionsströme. Wir beschliessen die noch in vieler Hinsicht unvollständigen Untersuchungen an unseren Insektenmuskeln mit der Schilderung der Versuche zur Darstellung der elektrischen Phänomene bei der Muskel- tätigkeit. Die grösste Schwierigkeit bei diesen Experimenten liegt in der Ableitung. Man kann, wie oben erwähnt wurde, die Muskeln nicht in ausgedehntem Maasse freilegen, ohne sie erheblich zu schädigen. Eine Ableitung zum Saitengalvanometer ist also nur durch Löcher möglich, welche man in den Chitinmantel bricht. Nun besteht ein grosser Übelstand darin, dass sich die Muskelsubstanz unter solehen Löchern bei ihrer Kontraktion ganz erheblich ver- schiebt. Dadurch ergeben sich die von stark beweglichen Muskeln (Froschherz usw.) her wohlbekannten Schwierigkeiten der festen An- legung von Elektroden in erhöhtem Maasse. Denn die Ränder des Loches schieben gleichsam bei der Bewegung der darunterliegenden Muskelstellen die Elektroden über diese hinweg, was natürlich zu einer Verunstaltung der Kurven der Aktionsströme führen muss. Die Anlegung und Durchfädelung von Seilelektroden führte zu gar keinen brauchbaren Resultaten. Solche konnten erst, wenn auch durch die Bewegung der Muskeln verunstaltet, gewonnen werden, als feine Drähtehen aus Neusilber mit umgebogenen Spitzen durch die Trepan- Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 331 löcher in der Chitinhaut in die Muskeln eingehakt wurden. Die freien Enden dieser Drähtchen, welche also gleichsam aus dem Schenkel heraushingen, waren nicht fixiert, sondern tauchten in je ein kleines Quecksilbernäpfehen. Auf solche Weise waren die Dräht- chen freibeweglich und folgten ganz gut den Bewegungen des Muskels. Diese ganze Versuchsanordnung ist nur als eine provisorische zu be- trachten. Eben als dieselbe durch passenderes Material und weitere Verbesserungen geeigneter gemacht werden sollte, ging für dieses Jahr das Versuchsmaterial definitiv zu Ende. Aus den bisher an- gestellten neun Versuchen an drei Tieren geht nur hervor, dass die Darstellung der Aktionsströme unserer Muskeln ziemlich rein mög- lich sein wird, und dass der zuletzt eingeschlagene Weg der Ablei- tung noch verbesserungsfähig sein dürfte. Es sei noch erwähnt, dass elektrische Erscheinungen an Heu- schreckenmuskeln schon einmal beobachtet worden sind. Es hat nämlich Tschachotin') gelegentlich seiner Untersuchungen über Demarkationsströome an den verschiedensten Tierarten auch die Schenkelmuskulatur der Sprungbeine einer Orthoptere, der Feld- heuschrecke Acridium aegypticum, benutzt. Er fand an Muskeln, welche dem Schenkel entnommen wurden, Demarkationsströme von sehr erheblicher Kraft (32—78 Millivolt). Bemerkenswert ist ferner der Umstand, dass sich am Querschnitt nach Autotomie des Beines nur ein relativ sehr geringer Strom ableiten liess, der sich nach einem knapp daneben gesetzten künstlichen Schnitte um das Mehr- fache steigerte. Wir bringen nun an der Hand zweier Kurven eine Erörterung der bisher erzielten Resultate. Fig. 30 ist eine Zeichnung nach der am besten und, wie es „cheint, am reinsten gelungenen Kurve der Aktionsströme des Streckers bei einzelner Reizung. Die Zeichnung ist genau mit den Details und zeitlichen Verhältnissen des Originals (Film) ausgeführt und eignet sich besser als dieses zur einfachen Reproduktion und Erörterung der Einzelheiten. (Von rechts nach links zu lesen.) Der Schenkel wurde über der Hüfte enukleiert und in der gleichen Lage auf Kork gesteckt, wie es in Fig. 10 dargestellt er- 1) S. Tschachotin, Über die bioelektrischen Ströme bei Wirbellosen und deren Vergleich mit analogen Erscheinungen bei Wirbeltieren. Pflüger’s Arch. Bd. 120 S. 565. 1907. 392 R. H. Kahn: scheint. Jedoch erfolgte die Befestigung derart, dass der Strecker der Schiene unversehrt blieb, indem die haltenden Nadeln nach Durehsehneidung der Beugersehne durch die Beugeseite des Schenkels durchgestochen wurden, und dass das kurze übriggelassene Schienen- ende sich vor dem Spalte des photographischen Reeistrierapparates bewegen konnte. Die Zuführung der Reize erfolgte indirekt durch zwei feine, mit Drähtehen armierte Nadeln, welche in geringem Ab- stande voneinander durch die Hüfte durchgestossen wurden. Auf diese Weise wurden also die zu den Schenkelmuskeln ziehenden Nerven gereizt. Die Ableitung zum Galvanometer erfolgte in der Fig. 30. eben beschriebenen Weise mit zwei feinen Neusilberhäkchen, welche durch zwei feine Löcher im Chitinmantel (an den in Fig. 10 mit x bezeichneten Stellen) eingeführt wurden. Die Einrichtung des Saiten- galvanometers war die gebräuchliche mit entsprechend stark ge- spannter Saite. So hergerichtet, wurde das Präparat mit eben gut wirksamen einzelnen Schliessungs- und Öffnungsschlägen gereizt. Ein elektro- magnetisches Signal verzeichnete (Fig. 30, unterste Kurvenlinie) den Moment der Schliessung bzw. Öffnung des I. Stromes, die Schiene: verzeichnete (mittlere Kurvenlinie) die Muskelkontraktion, während die Saite die abgeleiteten elektrischen Erscheinungen (oberste Kurven- linie) registrierte. Für die Verzeichnung der Zeit war durch Jaquet und Speichenrad gesorgt. In dem in Fig. 30 entworfenen Koordi- Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 3IF- natensystem bedeutet die Seite eines Quadrates in der Abszisse 0,2 Sekunden, in der Ordinate nicht genau 1,5 Millivolt. Die Kurve | ist von rechts nach links zu lesen. Die einzelnen elektrischen Erscheinungen sind bei beiden Arten der Reizung (Öffnungs- bzw. Schliessungsinduktionsschlag) bis auf den Anfang ganz gleich. Eine Entstellung der Kurven durch her- einbrechenden Induktionsstrom erfolgt also im wesentlichen nicht. Sehr kurze Zeit vor dem Beginne der Tätigkeit des elektromagne- tischen Signales erfolgt ein kleiner Saitenausschlag, welcher bei Schliessung des ersten Stromes abwärts gerichtet ist. Das ist zweifel- los der ‚Ausdruck einer in die Saite gelangten Stronischleife des. Schliessungsinduktionsschlages. Ihm folgt eine kleine Zacke, welche aufwärts gerichtet ist. Im Momente, in welchem das Sienal die Öffnung des I. Stromes anzeigt, hat eine kurz zuvor beeinnende Erhebung der Saitenkurve ein geringes Maass erreicht, welchem sich: (im Original deutlich) mit einem ganz leichten Knick eine weitere Aufwärtsbewegung anschliesst. Es handelt sich hier offenbar eben- falls um eine kleine Stromschleife des Öffnungsinduktionsstromes, dessen entgegengesetze Richtung und steilerer und höherer Verlauf bekanntlich in der Saitenkurve zum Ausdruck kommt sowie an- schliessend um die gleiche oder sehr ähnliche Zacke, wie sie im. ersten Falle (bei der Schliessung) der Stromschleife folgt. In beiden. Fällen erfolgt nun ein hoher und steiler Saitenausschlag nach unten, welcher nach neuerlicher geringer, aufwärtsgerichteter Überschreitung der Abszisse der Saitenkurve in eine relativ langsam erfolgende:- Senkung zu derselben übergeht. Derartiger oder sehr ähnlicher Kurven wurden unter den geschilderten, am besten gelungenen Ab- leitungsverhältnissen 21 gewonnen. Acht von ihnen entsprechen den. in Fig. 30 vorgeführten genau, die übrigen unterscheiden sich im wesentlichen durch andere Form und grössere Dehnung des letzten. Kurventeiles nach der grossen abwärts gerichteten Schwankung und _ durch deren sehr verschiedene Höhe. Die Dauer der ganzen elek- trischen Erscheinung ohne die Stromschleife beträgt, am Originale gemessen, etwa 0,19, bis zum Ende der grossen abwärts gerichteten Zacke 0,043 Sekunden. Die mechanische Aktion beginnt in diesen Kurven etwa 0,008 Sekunden nach der elektrischen (an solehen Kurven gemessen, an denen keine Stromschleife zu sehen war), dauert aber sehr lange an, da die Erschlaffung mangels einer stärkeren Belastung sehr verzögert 394 R. H. Kahn: ist. Das mechanische Latenzstadium ist also hier erheblich kürzer, als oben bei mechanischer Registrierung gefunden wurde. Auch das erklärt sich leicht aus der mangelnden Belastung. Bei dieser Ge- legenheit ist zu erwähnen, dass stärkere Belastung oder Fixierung der Schiene für die ruhigere Anlegung der Elektroden und über- haupt für die Reinheit der elektrischen Erscheinungen keinen Vorteil zu bieten scheinen. Denn die schlechtesten, sichtlich am meisten . verunstalteten Kurven wurden bisher an solchen Präparaten erhalten, deren Schiene fixiert war. Dabei sieht man auch, dass die Ablei- tungselektroden sich mindestens ebenso bewegen wie bei unbelasteter Schiene. Br Offensichtlich ist der Endteil der geschilderten elektrischen Er- scheinung durch die mechanischen Ereignisse im Schenkel entstellt. Es dürften hier sowohl Widerstandsänderungen an den Elektroden durch die grobe mechanische Verschiebung der Teile als auch Änderungen der teilweisen inneren Abgleichung der Aktionsströme in dem geschlossenen Organe in Betracht kommen. Wie weit das gleiche für die übrigen Teile der Kurve in Betracht kommt, lässt sich vorläufig nicht sagen. Diese Experimente sollen vor allem, sobald neues Material zur Verfügung seht, ihre Fortsetzung finden. Jedenfalls ist die Darstellung von Aktionsströmen bei der Einzel- zuckung des Insektenmuskels, wenn auch vorläufig noch nicht ganz rein, gelungen. Wir beschliessen nunmehr unsere Erörterungen mit der Er- wähnung von Versuchen, Aktionsströme des Streckers der Schiene bei tetanischer Reizung abzuleiten. Die Experimente, welche darin bestanden, bei der bisher beschriebenen Versuchsanordnung durch Induktionsströme tetanisierend zu reizen, sind alle durchaus mis- lungen. Denn die Saite begann infolge einbrechender Stromschleifen zu schwingen und lieferte ganz unbrauchbare Kurven. Es wurde daher der Versuch gemacht, zunächst Aktionsströme von reflekto- rischem Tetanus des Streckers zu gewinnen. Einer der so unter- nommenen Versuche lieferte Kurven, welche, untereinander gleich, der Erörterung wert sind. Die Herrichtung des Präparates gestaltete sich derart, dass das ganze Tier in geeigneter Weise mit Nadeln, ohne es wesentlich zu verletzen, auf Kork gesteckt wurde, während der eine Schenkel nach Durehschneidung der Beugersehne wiederum in einer der Fig. 10 etwa entsprechenden Weise fixiert, wie eben beschrieben, abgeleitet und vor den Reeistrierspalt gebracht wurde. Zur Physiologie der Insektenmuskeln. 335 Die Reizung erfolgte durch kurzes Kneifen der Bauchhaut mit einer Pinzette aus Elfenbein. Darauf erfolgte jedesmal eine reflektorische, gedehnte Streckung der Schiene. Fig. 31 zeigt die Kurve der hierbei abgeleiteten elektrischen Erscheinungen (von links nach rechts zu lesen). Die Zeit ist in 0,2 Sekunden verzeichnet, die mittlere Kurvenlinie zeigt die Be- wegung der Schiene im Sinne der Beugung als Erhebung, die obere Kurvenlinie ist die Saitenkurve. Man sieht, dass infolge der Reizung der Muskel eine länger andauernde tetanische Kontraktion ausführt. Kurz vor deren Beginn wird die Saite unruhig und vollführt nun eine Zeitlang mit einiger Regelmässigkeit sehr rasch einander folgende Ausschläge, welche an jene Erscheinungen erinnern, die man bei —HHuylyn lim Fig. 31. Ableitung von tetanisierten Muskeln zu sehen gewöhnt ist. Die Frequenz dieser Kurvenzacken beträgt etwa 60 in der Sekunde, also einen Wert, welcher innerhalb der bei solcher Gelegenheit zu beobachtenden Grenzen liegt. Zur Zeit der beginnenden langsamen Erschlaffung des Muskels (keine Belastung, Beugersehne durch- schnitten) wird die Höhe und auch die Frequenz dieser Wellen weit geringer (ca. 253—30 in der Sekunde). Am Ende der Er- sehlaffung nimmt die Höhe der Wellen wieder etwas zu, die Fre- quenz dagegen nicht. Nach eingetretener Muskelruhe sind die Wellen verschwunden. Natürlich ist eine solehe Kurve nur mit Vorsicht zu beurteilen, zumal bisher nicht mehr als ein einziger leidlich gelungener Ver- such durehgeführt werden konnte, wenn auch eine Reihe von Kurven dieses Versuches ganz das gleiche Resultat ergaben. Es wäre natür- . lieh verlockend, den 60er Rhythmus in unserer Kurve als den Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 22 336 R. H. Kahn: Zur Physiologie der Insektenmuskeln. . Rhythmns unseres Muskels bei physiologischer Innervation zu be- zeichnen. Möglicherweise ist Versuch und Resultat auch richtig. Es könnten aber auch mehrere Fehlerquellen im Spiele sein, welche nur durch oftmalige Anstellung des Versuches unter verschiedenen Erfolg versprechenden Modifikationen auszuschalten wären. Hierüber wird bei späterer Gelegenheit Weiteres zu berichten sein. 337 (Aus dem physiologischen Institute der k. k. böhm. Universität in Prag.) Der allgemeine Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung der Organe durch die Tätigkeit ihres Gefässsystems. II. Die Grundlagen der herrschenden vasomotorischen Theorie. "Von Dr. Franz Mares, Professor der Physiologie. Allgemein anerkannte Lehren sind oft ein Hemmnis des Fort- schrittes in der wissenschaftlichen Erkenntnis. Wir wollen unter- suchen, ob das nicht auch von der Lehre über die Verrichtungen der Blutgefässe, besonders von der herrschenden vasomotorischen Theorie gilt. Jede Lehre beruht auf einem dogmatischen Untergrunde. Physiologische Lehren haben einen solchen Untergrund in der allgemeinen Forderung, dass alle Lebensverrichtungen auf be- kannte physikalische Kräfte zurückzuführen sind. Diese Forderung ist insofern berechtigt, als die Lebensverrich- tungen körperliche Vorgänge sind, welche nur durch körper- liche, das sind physikalische Kräfte bewirkt werden können. Die Forderung wird aber verfänglich, insofern sie nur bekannte physi- kalische Kräfte zulässt. Denn was für physikalische Kräfte in den Lebensvorgängen wirksam sind, das ist eine empirische Frage, welehe keine apriorische Beschränkung verträst, und welche empirisch noch lange nicht beantwortet ist. Als bekannte Kräfte kann man solche betrachten, deren Wirkungsweise mechanisch vorstellbarist. Diese Vorstellbarkeit ist jedoch durch das mensch- liche Erkenntnisvermögen bestimmt, woraus eben jene apriorische Beschränkung entspringt, welche alle unbekannten, das sind mechanisch nicht vorstellbaren Kräftewirkungen als „mystische“ abweist. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 23 338 Franz Mares: In der Lehre vom Blutkreislaufe und besonders in der Lehre von den Verrichtungen des Gefässsystems ist die erwähnte Forderung streng durchgeführt. Es werden hier nur bekannte, das sind mechanisch vorstellbare Kräftewirkungen angenommen. Die Lehre verfuhr darin so strenge, dass sie die tatsächlich beobachteten Er- scheinungen in ihrem Sinne umdeutete, so dass in manchen Fällen die Deutungen an Stelle der Tatsachen gesetzt worden sind. 1. Die Hämodynamik von Volkmann. Die Lehre vom Blutkreislaufe ist zuerst von Volkmann!) auf rein mechanischen Prinzipien und Versuchen begründet worden. Die schon damals umstrittene Frage, ob neben dem Herzen noch andere treibenden Kräfte des Blutstromes anzunehmen sind, hat Volkmann im allgemeinen verneint, aus dem Grunde, weil solche Kräfte mechanisch unfassbar wären. Zur Annahme solcher Kräfte, schrieb er, trieb besonders die Erscheinung, dass das Blut vorzugsweise nach den Teilen strömt, welche sich im Zustande lebendiger Erregung befinden, was doch vom Herzen allein nicht abhängen kann. Es schien, als ob das tätige Organ das Blut einsaugen würde; man sprach von einer Attraktion des Blutes durch das tätige Gewebe. Volkmann meinte nun alle Attraktionstheorien damit widerlegen zu können, dass die Anziehungskraft der Haargefässe der Blut- beweeung nichts nützen könnte, weil sie das angezogene Blut auch halten würde. Man müsste den Haargefässen auch noch eine Pro- pulsionskraft gegen das venöse Blut zuschreiben. (H., S. 312, 335.) Zu den Kräften, welche einen lokalen Einfluss auf die Blut- bewegung ausüben könnten, zählte Volkmann auch solche, welche den Adhäsionskoeffizienten des Blutes in gesonderten Gefäss- abschnitten umändern, durch eine Umstimmung des Gewebes zustande kommen und zur örtlichen Blutverteilung beitragen können. Diese Bemerkungen Volkmann’s sind in der weiteren Ent- wicklung der Lehre unbeachtet geblieben. Wir werden bei der Erörterung der Verrichtungen der Haargefässe auf ihre Bedeutung zurückkommen. Über die Mitwirkung der Arterien bei der Vorwärtsbewegung des Blutes hat sich Volkmann ablehnend ausgesprochen. Er er- klärte wohl die Überführung des Blutes aus den Arterien in die 1) A. W. Volkmann, Die Hämodynamik nach Versuchen. Leipzig 1850. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 339 Venen nach dem letzten Herzstosse zunächst durch die grössere Spannung der Arterien, in welcher die Herztriebkraft aufgespeichert ist, dann aber auch dadurch, dass sich die Arterien mittels ihrer lebendigen Kontraktilität.noch weiter zusammenziehen und ihren Inhalt weiter in die Venen entleeren, wo dann nach dem Ab- sterben der Gefässwände wieder eine elastische Frweiterung der durch ihre Muskeln verengt gewesenen Arterien stattfindet. Volkmann hat hier einen Mechanismus beschrieben, der eine aktive Förderung des Blutstromes durch die Arterien ganz annehmbar macht: eine aktive Kontraktion bewirkt als Nachfolge eine elastische Erweiterung der Arterie. Würde sich dieses Zusammen- spiel von Kontraktilität und Elastizität rhythmisch wiederholen, so würde es ein mächtiges Betriebsmittel des Blutstromes sein. Volk- mann lässt es aber nur einmal, und das erst nach dem Tode, zu- stande kommen, weil ihm rhythmische Bewegungen der Arterien unannehmbar scheinen. Er sagt: „Dis vor kurzem waren viele Physio- logen geneigt, zu glauben, dass der Blutlauf durch die lebendigen Kräfte der Gefässe wesentlich unterstützt werde, gegenwärtig dürfte diese Ansicht nur wenige Anhänger haben. Die Bewegungen der Arterien geschehen überaus langsam, und die Verengerung der Gefäss- höhle, welche sie herbeiführen, ist eine anhaltende. Derartige Kon- traktionen bieten der Blutbewegung keine Vorteile. An eine Unter- stützung des Kreislaufs durch die Bewegungen der Blutgefässe konnte man nur so lange glauben, als man das Pulsieren der Arterien für eine Wirkung der lebendigen Kontraktilität hielt. Bei den Würmern vertreten pulsierende Gefässe die Stelle des Herzens, und bekanntlich entwickelt sich dasselbe auch in den vollkommensten Geschöpfen aus einem einfachen pulsierenden Schlauche, Bliebe die Organisation durch Hemmungsbildung auf dieser Stufe stehen (herzlose Monstra), so wäre der Kreislauf vollkommen verständlich dureh die pulsierenden Gefässe.“ (H., S. 328.) Man kann keine festere Grundlage für die Annahme einer aktiven Förderung des Blutstromes durch die Arterien finden als diese von Volkmann angegebene: es ist die ursprüngliche Verrichtung der Arterien, welche erst durch die Entwicklung des Herzens ent-. behrlich geworden ist. Ist sie auch anscheinend entbehrlich, so ist sie doch möglich und kann unter Umständen nützlich oder gar notwendig werden. Ob die Arterien so schnelle rhythmische Be- wegungen ausführen können wie das Herz, ist eine Frage der Erfahrung, 23* 340: 02. Franz Märe8: welche nicht von vornherein verneint werden kann, da ja doch das Herz selbst als ein besonderes Arterienstück zu betrachten ist. Volkmann würde eine Unterstützung des Kreislaufs durch die Bewegungen der Arterien zulassen, wenn das Pulsieren der Arterien eine Wirkung ihrer lebendigen Kontraktilität wäre. Dies hält er jedoch für ausgeschlossen: „Bei den Würmern ist das Pulsieren der grossen Gefässstämme allerdings ein selbständiges, bei den Wirbel- tieren dagegen ist es nur Folge des Herzstosses (H., S. 310). Der Anteil der Arterien am Pulse’ beschränkt sich auf die Ausübung ihrer elastischen ‘Kraft (S. 410); ein selbständiges Pulsieren der Arterien, nach Analogie des Herzpulses , kommt bei den Wirbeltieren nicht vor; denn die Muskelfasern der Arterienwände sind nur zu langsamen Kontraktionen befähigt (S. 411).“ 2 Der Arterienpuls ist wohl eine Folge des er ein selbständiges Pulsieren der Arterien kommt vielleicht gar nicht or. Das schliesst jedoch nicht aus, dass die Arterien dennoch einen aktiven Anteil am Pulse haben können, auch wenn nur langsame Kontraktionen derselben bekannt wären. Es ist sehr schwer, diesen Anteil zu beweisen; das genügt aber nicht dazu, ihn Sr auszu- schliessen. Es sind Veränderungen der Pulskurve in ihrem Verlaufe vom’ Zentrum zur Peripherie bekannt geworden, welche zweifellos durch das Gefässsystem bewirkt werden. So hat O0. Frank!) gefunden, dass‘ die zentrale Pulskurve in der diastolischen Phase einen lang- samen Abfall zeigt, wo die periphere eine fast horizontale Linie, in vielen Fällen sogar eine Erhebung darbietet. Die Druckexkursionen des ‘peripheren Pulses sind vergrössert; höcht auffallend ist weiter, dass das Druckmaximum in der Femoralis etwas höher zu liegen scheint als in der Aorta. Frank suchte die Ursache dieser Ver- änderung in einer Reflexion der Pulswellen in der Peripherie, ebenso wie v. Kries und v. Frey. Die peripherwärts immer mehr sich ausbildende Pulsdikrotie ist durch die Zusammensetzung des peripheren Systems bedinst. Nach Frank sind diese Ver- änderungen des Pulses nach den Prinzipien der Wellenlehre noch nieht erklärt; es besteht nur die Aussicht, dass man sie voll- ständig auf Grund der Prinzipien des Windkessels wird analysieren | 1) 0. Frank, Der Puls in dan Arterien. sd f. Biol. Bd. 46 8.:442 1905. Be ae Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 34l können, wenn es nicht zweckmässiger erscheint, sie auf die Lehre von den Mitschwingungen zurückzuführen: ! .. Die Veränderungen des Pulses müssten wohl nur auf Wellen- reflexionen oder Mitschwingungen zurückgeführt werden, wenn die Zusammensetzung des peripheren Systems keine eigenen Kräfte aufzuweisen hätte, welche in den Verlauf des Pulses aktiv eingreifen könnten. Die peripherwärts fortschreitende Ausbildung der Arterienmuskulatur, ihre besondere Reizbarkeit durch Stoss und Dehnüng zeigt, dass solche Kräfte da sind. Also dürfen sie bei der Erklärung nicht ausser acht gelassen werden, solange nicht der strikte Beweis erbracht ist, dass’ diese Kräfte auf den Ver: lauf der Pulskurve keinen Einfluss haben. Die Last des Beweises fällt, also, jenen zu, welche jede Beteiligung der Arterienmuskulatur am Pulse in Abrede stellen und denselben als eine bloss mechanische Übertragung ‘des Herzstosses auf das elastische Schlauch- system der Blutgefässe erklären. Ba Ein, soleher Beweis ist niemals erbracht worden; es besteht nur eine Behauptung, welche durch stetige Wiederholung die Geltung einer Tatsache erworben hat. Diese Behauptung ist zuerst von V olkmann aufgestellt worden, dass nämlich der Auteil der Arterien am Pulse sich auf die Ausübung ihrer elastischen Kraft beschränkt. „Die durch die vom Herzen in das Arteriensystem eingetriebene Blut- masse“, erklärte Volkmann, „bewirkt eine ungleiche Ausdehnung und Spannung des Systems, welche sich in elastischen Röhren aus- gleichen muss.“ „Auf dieser Ausgleichung beruht die Welle des Schlauches, welche, wie man sieht, einen durchaus mechanischen Ursprung hat. Ein selbständiges Pulsieren der Arterien kommt nur bei Würmern, nicht aber bei Wirbeltieren vor. Diese Tatsache, und nicht die ana- tomischen Untersuchungen über die Beschaffenheit der Arterienfaser müssen entscheiden. Mögen auch die neueren mikroskopischen Untersuchungen wieder wahrscheinlicher gemacht haben, dass die Arterienfasern zu dem Systeme des Muskel- gewebes gehören, so ändert dies an der fraglichen Ange- legenheit nicht das mindeste. Allerdings scheinen die Arterienwandungen hin und wieder mit organischen Muskelfasern ausgestattet zu sein, aber diese Fasern sind nur zu langsamen Kontraktionen befähigt und besitzen das Vermögen des Pulsierens bestimmt nieht.“ (H., 8. 410—411.) 342 Franz Mare®: Die Behauptung des ausschliesslich mechanischen Ursprungs des Arterienpulses ist also älter als der unzweifelhafte Nachweis der Arterienmuskulatur, und dieser wird das Vermögen, sich am Pulse aktiv zu beteiligen, früher abgesprochen, als sie als solche über- haupt erkannt und anerkannt ist. Das Entscheidende ist nicht die anatomische oder gar physiologische Beschaffenheit der „Arterien- faser“, sondern die einfach mechanische Anschaulichkeit. Volkmann,„schloss seine Betrachtungen über die Mitwirkung der Blutgefässe an der Fortbewegung des Blutes damit, dass das Herz als Pumpwerk genug Kraft besitzt, um die Blutmasse im Kreis- laufe durch das gesamte Gefässsystem zu treiben: „Neben dem Herzen gibt es keine Kraft, welche für sich allein den Kreislauf in höheren Tieren durchzuführen verinöchte. Kräfte, welche die Leistungen der Herzpumpe in bemerkenswerter Weise unterstützten, sind nicht nachweisbar.“ (H., S. 341.) Ohne Herz ist bei Wirbeltieren gewiss kein Bluskreislauf möglich. Ebenso gewiss gibt es auch keine andere Kraft, welche für sich allein den Kreislauf durchzuführen vermöchte. Aber Kräfte, welche in bemerkenswerter Weise die Leistungen der Herzpumpe unter- stützten, könnten vielleicht doch nachgewiesen werden und sind also nicht von vornherein auszuschliessen. Solche Kräfte sind vielleicht zur Füllung des Herzens sogar notwendig, und vielleicht werden sie auch zur Förderung des Lungenkreislaufs benötiet. Hier handelt es sich aber besonders um Kräfte, welche die Blutdurchströmung der verschiedenen Organe je nach deren Bedarf fördern würden. Volk- mann selbst hat ja an solche Kräfte gedacht, da er den angeführten Sätzen folgende Bemerkungen beifügte: „Diese Behauptungen hindern nicht, einzugestehen, dass es neben dem Herzen noch andere Kräfte gebe, welche in den Vorgängen des Blutumlaufs vielleicht von grösster Bedeutung sind. Die mechanische Kraft des Herzens ist genügend, um das Blut durch das gesamte Gefässsystem hindurchzutreiben. Diese Kraft leistet viel, aber nicht alles. Wie sich das Blut in der Gefässverzweigung verteile, darauf hat das Herz nicht den: mindesten Einfluss. Fliesst zu einem Organe mehr Blut, als uach der Disposition seiner Gefässe erwartet werden musste, so tritt nun der Fall ein, wo nach neuen blutbewe- senden Kräften zu suchen ist.“ (H., S. 342.) „Solche Kräfte führen im feinen aus, was durch die Kraft des Herzens nur im rohen skizziert ist. Die zeitweiligen Bedürfnisse Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 343 der Orsane fordern Modifikationen des Blutstromes, können sie aber nicht machen. Das Hauptmittel dazu ist die Veränderlichkeit der Gefässweite durch die Muskelkraft und die Elastizität der Arterienwände. Tätigkeit der Gefässmuskeln sowie Änderungen des Blastizitätsmodulus verändern die Gefässweite. Die nachzebenden Gefässe werden durch den Blutdruck erweitert. Die Pathologen sind immer der Ansicht gewesen, die Hyperämien der Kongestionen und Entzündungen von einem aktiven Andrange des Blutes zu den Teilen abzuleiten; die Hyperämien und Anämien sind aber passive Folgen der veränderten Gefässweite.“ (H., S. 344.) Der Gedanke an neue blutbewegende Kräfte, welche die Blutdurchströmung der einzelnen Organe je nach ihrem Bedürfnisse fördern würden, entgleist hier also in das Gegenteil, in den Ge- danken an widerstandsetzende Kräfte, welche die Gefässweite verändern. Die Entgleisung erfolgte zweifellos durch den Druck der einfach mechanischen Anschaulichkeit dieser Art der Blut- verteilung, welche auch die Wurzel der späteren vasomotori- schen Theorie bildet. 2. Die vasomotorische Innervation. Die Bedeutung der Eigenbewegung der Blutgefässe für die Blut- verteilung an einzelne Organe ist durch die Entdeckung der vaso- motorischen Innervation ans Licht getreten. Doch auch hier warf das Licht Schatten, in welche man sich zurückzog. Ein merk- . würdiger Streit entstand zwischen den Entdeckern über die Betäti- gungsweise der Blutgefässe, aus welchem die herrschende vaso- motorische Theorie als Sieger hervorging. Zur Beleuchtung der Frage, ob nicht vielleicht gerade diese Lehre an der Schatten- seite steht, ist es erforderlich, das tatsächlich Beobachtete von seiner Deutung rein zu sondern. Claude Bernard beobachtete nach Durchschneidung des Hals- sympathieus und besonders nach FExstirpation des Gangl. cerv. sup. eine bedeutende Erwärmung und stärkere Durchblutung der Ohr- muscheln. Die Arterien füllen sich mehr mit Blut und schlagen kräftiger, der Blutstrom ist beschleunigt, wie die schnellere Absorption von Giftstoffen aus dem Gewebe zeigt. Bei elektrischer Reizung des Kopfstumpfes des Sympathieus kehren die Erscheinungen ins Gegenteil um, die Blutgefässe verengern sich, der Blutstrom wird geringer, die Temperatur der Teile sinkt. 344 Franz Mares: Bernard erklärte sich diese Erscheinungen durch eine Erhöhung der „Vitalität der Gewebe“, welche durch den Sympathieus- einfluss ‚niedergehalten wird. Die Erwärmung und die stärkere Durchblutung der Teile wären Folgen ihrer erhöhten Vitalität. Die Erweiterung der Arterien käme durch Ansaugung des Blutes von seiten des Gewebes zustande (par un appel du sang qui se fait dans les parties correspondantes). Brown-S&quard, Waller und Schiff erklärten dagegen die Erweiterung der Arterien für die Folge einer Lähmung der Gefässmuskeln, weil die Reizung des durchschnittenen Hals- sympathicus eine Verengerung dieser Gefässe hervorruft. Dieser Nerv sei demnach der eigentliche motorische Nerv der Gefässmuskeln, dessen Durchschneidung eine Lähmung derselben zur Folge hat, so dass eine paralytische Erweiterung der Gefässe zustande kommt. Bernard widersprach dieser Auffassung ganz entschieden. Er hielt es nach seinen Versuchen für unmöglich, die vermehrte Durch- blutung der Teile durch eine Lähmung ihrer Arterien zu erklären. Das Wort Paralyse sei hier der Ausdruck einer Theorie viel mehr als einer erwiesenen Tatsache (Lec. sur les fonet. du Systeme nerveux t.2 p.509). Der Andrang des Blutes zum Gewebe sei gar nicht einer Lähmung ähnlich. Wenn durch Reizung des Sympathicus der Blutstrom vermindert wird, so könne das nicht als eine Ver- stärkung der Gefässfunktion angesehen werden. Kurz, die Zir- kulationserscheinungen nach Sympathieusdurchschneidung haben nicht einen passiven, sondern aktiven Charakter, ähnlich der Tur- seszenz einer tätigen Drüse oder dem Blutandrang zur Umgebung einer frischen Wunde. Wenn man die Arterien mit Blut gefüllt und kräftiger schlagend sieht, so kann man das doch nicht als eine Paralyse bezeichnen (Syst. nerv., t.2 p. 510). | Schiff!) machte Bernard Vorwürfe darüber, dass er einer vitalistischen Ansicht anhänge und trotz aller Widerlegung bei seiner sonderbaren Theorie stehen bleibe, dass er besonders die Gefässlähmung nach Sympathieusdurchschneidung zu leugnen versuche und als eine Hypothese ansehe, dass er die Blutstrom- beschleunigung nicht als passiv, sondern als aktiv bezeichne. Der Vitalismus Bernard’s, schrieb Schiff, ist überall auf eine lebhafte 1) M. Schiff, Gesammelte Beiträge zur Physiologie Bd. 1 S. 111, 139, 253, 254. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 345 Opposition gestossen. Brown-Sequard protestierte zuerst gegen die Theorie Bernard’s, ebenso Waller. Schiff selbst hielt dafür, dass, wenn der erhöhte Blutzufluss zu den Kopfteilen durch - erhöhte Vitalität derselben bewirkt werden würde, damit eine Blut- drucksteigerung in der Karotis verbunden sein müsste, fand diese aber nicht. Doch erachtete er es selbst nicht als entscheidend. Eine Blutdrucksteizerung in der Karotis würde nur dann nötig sein, wenn der erhöhte Blutzufluss infolge erhöhter Vitalität der Teile durch den Blutdruck bewirkt werden würde. Stellte sich aber Bernard die neuroparalytische Blutfülle so vor, dass sie durch ein Ansaugen des Blutes von den enervierten Geweben zustande komme, so dürfte allerdings der erhöhte Blutdruck in der Karotis fehlen (G.B., Bd.1S.114). Die Grundtatsache der vasomotorischen Theorie, welche hier Schiff gegen Bernard verteidigt, ist die anhaltende Gefäss- erweiterung in der Ohrmuschel nach Durchschneidung des Hals- sympathicus und die Gefässverengerung bei dessen elektrischer Reizung. Die Theorie selbst ist aber dem Innervationsschema der Skelettmuskulatur nachgebildet: nach Durchschneidung des motorischen Nerven wird die Muskulatur gelähmt, bei elektrischer Reizung desselben gerät sie in Tetanus. Die nach Durchschneidung des Gefässnerven gelähmten Gefässe werden passiv ausgedehnt. Schiff ist der Frage ausgewichen, durch welche Kraft diese Ausdehnung erfolgt, so dass er später erklären konnte, er habe niemals die Gefässausdehnung dem Blutdrucke zugeschrieben. Das Innervationsschema der Skelettmuskulatur hat. sich in mancher Richtung als irreführend erwiesen. Die Tätigkeit der Skelettmuskulatur ist durchaus an die Innervation gebunden, so dass ein enervierter Muskel gelähmt bleibt und degeneriert. Den Grund kann man in der Koordination der Körperbewegungen finden; hier darf sich kein Muskel selbständig rühren und muss nur dem Innervationsbefehle Folge leisten. Kann ein Skelettmuskel ‚seine natürliche Verrichtung ganz selbständig ausführen, so braucht er dazu keiner Innervation; so nahmen, in dem Versuche von Goltz, die Schliessmuskeln der Leibesöffnungen nach Entfernung des Rücken- marks ihre Funktion wieder auf. Tatsächlich werden auch die Gefässe nach ihrer Enervation nicht gelähmt. Ebenso ist ihre anhaltende Verengerung bei elektrischer Reizung des Gefässnerven kein Ausdruck ihrer natürlichen Betätigungs- weise, sondern ein Artefakt, ähnlich einem Tetanus der Beinmusku- 346 Franz Mares: latur bei Reizung der Ischiadieus. Niemand wird glauben, dass dieser Tetanus die einzige natürliche Bewegungsform des Beines ist; von der Gefässverengerung bei Reizung des Gefässnerven wird es aber angenommen. Der Entdecker der vasomotoriscehen Innervation wollte von einer solchen vasomotorischen Theorie nichts wissen. Lieber liess er den Tadel des Vitalismusaberglaubens über sich er- gehen und sich von seinen eigenen Schülern in dieser Sache ver- lassen sehen. Bernard schrieb die Vermehrung und Beschleunigung des Blutstromes der Arbeit des Gewebes selbst zu. Der Mechanismus einer solchen Wirkung blieb allerdings verborgen. Darin besteht . hier der ganze „Vitalismus“. Es ist belehrend, wie der eifrigste Widersacher Bernard’s später zu der gleichen Überzeugung gekommen ist. Schiff hat nämlich neben der passiven Gefässerweiterung nach „Lähmung“ der Gefässmuskeln infolge der Nervendurchschneidung auch noch eine aktive Gefässerweiterung festgestellt (G.B., Bd.18.139). Wird ein Tier (Hund), dessen Ohrgefässe auf der nach Sympathycusdurchschneidung „gelähmten“ Seite ausgedehnt sind, irgendwie erregt, so erweitern sich die Ohrgefässe auf der gesunden Seite noch viel mehr durch Erregung der Gefässe, deren Innervation erhalten ist. Schiff schrieb: „Sehen wir die Ausdehnung der Gefässe mit der Mehrzahl der heutigen Physiologen als einen passiven Zustand an, als eine Er- schlaffung ihrer Ringfasern, so lässt sich keine Erklärung dieser Erscheinung geben; wenn nur Lähmung oder nachlassende Tätigkeit (der Ringfasern) eine Erweiterung der Gefässe bedingt, und die An- regung der Nervenaktion sie nur verengern kann, woher kommt es, dass sich hier gerade die Gefässe, deren Nerven gelähmt sind, weniger erweitern, dass die Blutwallung und die aus ihr hervorgehende Wärme- erhöhung stärker an der Seite hervortritt, wo die Gefässnerven noch tätig sind? Diese Tatsachen scheinen die Notwendigkeit der Mit- wirkung der Nerventätigkeit bei der Erzeugung starker oder fieber- hafter Kongestionen zu beweisen.“ (G.B., Bd.1S. 141.) Schiff bezog also diese aktive Gefässerweiterung auf Inner- vation des Gewebes und hielt sie für unabhängig vom Blutdrucke. Die einzigen, der Innervation zugänglichen Elemente der Gefässwände seien, meinte er, die Ringmuskelfasern, durch deren aktive Inner- vation aber nur eine Verengerung des Gefässlumens bewirkt werden könne. Trotzdem aber bestehe eine Innervation, welche aktiv eine Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 347 Erweiterung der Blutgefässe hervorruft: „Diese Gefässerweiterung ist tatsächlich Wirkung einer Nerventätigkeit und kann in keiner Weise auf ein Erschlaffen der Gefässe noch auf eine Erschöpfung der vaso- konstriktorischen Nerven bezogen werden. Obzwar der Mechanismus, das Werkzeug der aktiven Gefässerweiterung, bisher unseren For- schungsmitteln unzugänglich ist, so bezeugt doch nichts seine ana- tomische Unmöglichkeit. Wir können provisorisch nur sagen, dass der Mechanismus der Gefässverengerung durch die mikroskopische Betrachtung der Gefässmuskeln erklärt ist, dass aber die aktive Gefässerweiterung nicht der Gefässwandung selbst eigen zu sein scheint, sondern dass sie durch Vermittlung der intervaskulären Ge- webe bewirkt wird. Es wäre gewagt, eine direkt beobach- tete Tatsache zu leugnen nur aus dem Grunde, dass wir ihren Mechanismus noch nicht begreifen.“ (G. B., Bd. 1 S. 158.) Als man dann die aktive Gefässerweiterung Schiff’s durch eine Erschöpfung der vorher anhaltend zusammengezogenen Gefässe zu erklären suchte, brachte Schif f die leicht zu beobachtende Er- scheinung dagegen vor, dass sich die zentrale Ohrarterie des Kanin- chens sofort erweitert, wenn man die Haut über derselben leicht streichelt; oberhalb und unterhalb der gestreichelten Stelle bleibt die Arterie unverändert; der Erweiterung geht keine Verengerung voran; die Erweiterung erfolgt auch nach Durchschneidung des Hals- sympathieus, wird aber nieht durch einen erhöhten Blutzufluss be- wirkt. Also keine Lähmung der Gefässmuskeln, keine mechanische Ausdehnung durch vermehrten Blutzufluss oder verminderten Blut- abfluss, sondern ein lokaler Effekt lokaler Reizung (G.B., Bd.1 S. 194). Für die weitere Ausbildung der herrschenden vasomotorischen Theorie war ausschlaggebend, dass die vasomotorischen Erscheinungen zuerst an den Ohrgefässen als anhaltende Gefässerweiterungen und verengerungen beobachtet worden sind, wodurch die bereits von Volkmann geäusserte Überzeugung bestärkt wurde, dass die Gefäss- muskulatur nur zu langsamen Kontraktionen und Erschlaffungen be- fähigt ist. Die Regulation der Blutdurchströmung der Haut ist so zum Vorbilde der Blutdurchströmungsregulation in allen Organen überhaupt geworden. Wären anstatt jener künstlichen Gefäss- bewegungen die natürlichen von Schiff ebenso an der Ohrmuschel beobachteten rhythmischen Arterienbewegungen in den Vordergrund gestellt worden, so wäre vielleicht eine wohl nicht so einfache, aber 348 Franz Mare®: den natürlichen Verhältnissen mehr entsprechende VPSOMOBSEISNE Theorie zustande gekommen. N Dem Einflusse jener Theorie hat selbst Bernar d, trotz seines Widerspruches, nicht widerstehen können, wie sich bei seiner Deutung der von ihm entdeckten Blutdurchströmung der Unterkieferdrüse bei Reizung der Chorda gezeigt hat. Die tatsächlich beobachteteten Er- scheinungen sind hier, nach Bernard’s Beschreibung, die folgenden. Bei Reizung der Chorda wird das aus der Drüsenvene vorher tropfenweise abfliessende dunkelrote Blut hellrot und spritzt stossweise heraus. Die Blutströmnng erfährt also eine palsay torische Beschleunigung. Bernard versuchte nun eine Erklärung aan Esche zu geben: „Der Nerv kann nicht direkt auf das Blut einwirken, sondern kann die Beschleunigung des Blutstromes nur durch Dilatation der Blutgefässe hervorrufen. Der N. tympanico-lingualis ruft “eine Erweiterung der Blutkapillaren der Drüse hervor, so dass das Blut aus der Arterie in die Vene gelangt, ohne die Pulsbeschleu- nigung durch das Herz zu verlieren, und man sieht dann das Blut aus der Drüsenvene in sakkadierten Stössen herausstürzen, als wenn es sich um eine wahre Arterie handelte; diese venöse Pulsation hört auf, sobald die Einwirkung des N. tympanico-lingualis nach- lässt oder ganz aufhört.“ (L. sur les liquides de l’org., t. 2 p. 277.) Die Erweiterung der Blutkapillaren in der Unterkiefer- drüse bei Reizung der Chorda ist also keine beobachtete Tatsache, sondern eine Annahme zur Erklärung der tatsächlich beobachteten pulsatorischen Beschleunigung des Blutausflusses aus der Drüsen- vene. Diese Annahme beruht auf einer weiteren Annahme, dass eine solche Blutstrombeschleunigung nur durch eine Erweiterung der Blutkapillaren zustande kommen könne. Diese Annahme ist aber sehr fraglich, obzwar sie allgemein gemacht wird. Wie kann eine Erweiterung der Blutkapillaren zu einer Blutstrombeschleunigung in denselben führen, da hydro- dynamisch die Erweiterung des Strombettes eine Verlangsamung der Strömung in demselben zur Folge hat? Wie kann durch die Er- weiterung der Kapillaren die Pulsbeschleunigung erhalten bleiben, da das Erlöschen des Pulses durch Erweiterung des Strombettes erklärt wird? Auf diese Fragen werden wir noch zurückkommen. Die allgemein angenommene Gefässerweiterung in der Unterkieferdrüse unter dem Chordaeinfluss hat denn auch in neuerer Der allgem. Blutdruck und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 349 Zeit eine Überraschung bereitet: die gleiche Blutstrombeschleunigung in der eingegipsten Drüse Auch darauf kommen wir noch zurück. | Bernard hat in bezug auf die Unterkieferdrüse der von ihm bekämpften Theorie eine Konzession gemacht und nicht mehr auf der aktiven Beschleunigung des Blutstromes durch die Tätigkeit des durchströmten Gewebes selbst bestanden. Diese Auf- fassung ist aber von seinem ursprünglichen Gegner aufgenommen worden. Br _ Sehiff hat die Beobachtungen Bernard’s darin ergänzt, dass bei der Chordareizung der Blutdruck in der Drüsenvene rhythmisch ansteigt. Drückt eine Feder auf die Vene so, dass der geringe Blut- ausfluss während der Ruhe gesperrt ist, so beginnt mit der Chorda- reizung sofort Speichelabsonderung und Turgeszenz der Drüsengefässe. Die auf die Vene drückende Feder gibt den Pulsationen nach, wird von der Venerhythmisch gehoben, wobei immer ein Blutstrahl herausspritzt. Die Pulsationen der Vene und ihre Turge- szenz bezeugen eine Erhöhung des Blutdruckes in derselben. Die Druckerhöhung in der Vene spricht nicht dafür, dass die Blutstrombeschleunigung einfach durch eine passive Erweiterung der Kapillaren bedingt wäre. So dachte auch Schiff an eine neue rhythmische Kraft, welche in der Drüse selbst durch den Chorda- _ einfluss erweckt wird, eine Triebkraft, welehe den arteriellen Blut- druck übersteigt und auch in der Austreibung des Sekretes zutage tritt. Keine von den beobachteten Erscheinungen, meinte Schiff, weist auf die Quelle dieser additionellen Kraft hin, welche von Ludwig einfach Sekretionsenergie genannt worden ist. Schiff dachte an eine Wand zwischen dem Blute und dem Sekrete, welche diese Kraft hervorbringt, durch eine Art von „Kontraktion“. Es steht nichts der Annahme im Wege, dass das Drüsenparenchym selbst die Quelle einer Kraft sein kann, welehe das Drüsensekret heraus- treibt. Die Beschleunigung des Blutstromes geht parallel mit der reichlichen Sekretausscheidung. Die propulsive Kraft stammt aus dem Gewebe selbst und braucht nicht auf kon- traktilen Elementen zu beruhen. Ihre Entwicklung ge- schieht durch Innervation. — Wir werden auf die Möglichkeit einer - Verwirklichung dieser Ideen von Schiff zurückkommen. Zur Beurteilung. des Zustandekommens der pulsatorischen Blut- strombeschleunigung in der Unterkieferdrüse sind noch folgende Be- 350 Franz Mares: obachtungen Bernard’s zu beachten. Die Pulsationen des aus der Drüsenvene bei Reizung der Chorda hervorstürzenden Blutstromes sind bei unversehrtem Halssympathicus schwach, verstärken sich aber sehr nach Durchschneidung desselben. Der Halssympathicus hemmt tonisch die Pulsationen. Nach blosser Sympathieus- durehschneidung wird der Blutstrom aus der Drüsenvene wohl auch beschleunigt, jedoch ohne Pulsationen. Diese erscheinen sofort bei Reizung der Chorda, wobei sich die Drüsenvene stossweise gleichsam aufrichtet. Nach Durchschneidung aller mit der Drüse verknüpften Nerven ruft die Chordareizung eine reichliche Speichelabsonderung und eine Blutstrombeschleunigung hervor, wobei das Blut aus der Drüsenvene in sakkadierten Stössen mehrere Zentimeter weit herausspritzt. (L. sur les liquides de l’org., t. 2 p. 289—302.) Die Chorda tympani ruft tatsächlich eine pulsatorische Blutstrombeschleunigung in der Unterkieferdrüse hervor. Wird also dieser Nerv als ein echter „Vasodilatator“ vorgeführt, so ist das, um Bernard’s Worte zu gebrauchen, der Ausdruck einer Theorie, nicht aber der beobachteten Tatsache. Diese Theorie beruht auf der Annahme, dass eine pulsatorische Blutstrom- beschleunigung nur durch eine Erweiterung der Blut- kapillaren zustande kommen kann. Die pulsatorische Blutstrom- beschleunigung erfolgt hier unter bedeutender Blutdruckerhöhung in der ausführenden Drüsenvene, so dass sie einen bedeu- tenden Widerstand in derselben zu überwinden vermag. Das deutet auf eine eigene, in der Drüse selbst entstehende rhythmische Triebkraft hin, welche, durch die Chordainnervation hervorgerufen, durch die Sympathieusinnervation tonisch gehemmt wird. Die Chorda könnte demnach als „Vasorhythmisator“, der Sympathicus als „Vasotonisator“ aufgefasst werden. Als echter „Vasodilatator“ wird der Chorda tympani der N. erigens an die Seite gestellt. Hier zeigt sich nun die Verdeckung und Umdeutung der tatsächlichen Erscheinungen durch die Therie in einem besonders grellen Lichte. Der Entdecker der Wirkung der Nn. erigentes, Eckhard!), hat bei Reizuug 1) €. Eckhard, Untersuchungen über die Erektion des Penis beim Hunde. Beitr. zur Anat. und Physiol. Bd.3 S. 123—166. 1863. — C. Eckhard, Zur Lehre von dem Bau und der Erektion des Penis. Beitr. zur Anat. und Physiol. Bd. 4 S. 69—88. 1869. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 35] dieser Sakralnerven eine vom Bulbus urethrae zur Eichel fort- schreitende Anschwellung des Corpus cavernosum urethrae beobachtet, bewirkt durch einen mächtigen, von hinten nach vorn gerichteten Blutstrom. Das Blut stürzt dabei aus dem angeschnittenen Corpus cavernosum mit bedeutender Gewalt in einem weit- spritzenden Strahle hervor und ist von mehr arterieller als venöser Farbe. Zur Erklärung der Erscheinung dachte Eckhard zuerst an eine aktive Erweiterung der zuführenden Blutbahn. Aber an den grösseren Ästen der im Bulbus sich verzweigenden Arterie ist keine Erweiterung zu finden, behauptet mit ziemlicher Gewiss- heit Eckhard. So dachte er bei der Annahme einer solchen Ge- fässerweiterung nicht allzu eilig sein zu sollen, bei dem vollkommenen Mangel positiver experimenteller Be-. weise. Er erklärte den Mechanismus der Erektion ganz anders. Die Arteria pudenda ist mit einer ungemein starken Muskulatur versehen, welche wesentlich aus einer Längsfaserschicht besteht. Am Übergange der Arterien in die Kavernen fand Eckhard dick- wandige Endkölbehen mit einer feinen Öffnung an ihrer Spitze, welche im Ruhezustande durch die Elastizität der Arterienwand so gut wie geschlossen ist. Zieht sich nun unter dem Einflusse des erigierenden Nerven die Längsmuskulatur der Arterie zusammen, so muss sich die Öffnung an der Spitze des Endkölbchens erweitern, wodurch dem Blute an unzähligen Stellen der Zutritt in die Kavernen geöffnet wird. Dadurch konmt auch eine Blutdrucksenkung inderzuführenden Arterie zustande, was an einem Manometer in der Cruralis merklich ist. Eckhard fasste hier also den vermehrten Blutzufluss nicht als eine Folge einer Erweiterung der arteriellen Gefässbahn auf, da eine solehe gar nicht zu beobachten ist, er bezeichnete auch die von ihm entdeckten Nerven nicht als „Vasodilatatoren“, sondern als erigierende Nerven, entsprechend der tatsächlichen Beobachtung. Ausdrücklich sprach er sich auch gegen die Erklärung ‘der Erektion durch eine Erschlaffung der Gefässmuskulatur, im Sinne der herrschenden Theorie, aus, weil dabei anzunehmen wäre, dass sich diese Muskulatur in einer kontinuierlichen Tätigkeit ohne Er- müdung befinden müsste, da mit ihrer FErschlaffung sofort Erektion entstehen würde. Trotz dem Einspruche Eckhard’s werden die Nn. erigentes als echte „gefässerweiternde“* Nerven geführt und diese Deutung 3593 Franz Mare$: Eckhard selbst zugeschrieben. Die Grundlage zu dieser Umdeutung bilden die Versuche von Lov6n „Über die Erweiterung von Arterien infolge einer Nervenerregung“ (Berichte der kgl. sächs. Ges. d. Wissensch. 1866). Da mir das Original nicht zu- eänglich ist, führe ich diese Versuche nach der ausführlichen Dar- stellung von Gruenhagen (Lehrb. d. Physiol. Bd. 3 S. 575. 1887) vor. Danach hätte Lov&n nachgewiesen, dass während der Reizung der Nn. erigentes eine Erweiterung, zwar nicht an dem Stamme und den gröberen Ästen der A. dorsalis, wohl aber an den kleinen Arterienästen innerhalb der Schwellkörper zu be- obachten ist. | Die Beobachtung selbst besteht aber in folgendem. Trug Loven -vom Corpus cavernosum urethrae vorsichtig von der Ober- fläche her Schicht um Schicht ab, bis er auf einzelne stossweise hervorquellende hellrote Stämmchen traf, so sah er dieselben nach Beginn der Nervenreizung hoch aufspritzen und beträchtliche Blutmengen liefern. Da die Erscheinung auch dadurch hätte bedingt sein können, dass innerhalb der Penis auf irgendeine Weise das Blut infolge der Nervenreizung eine Vermehrung der Strom- kräfte erhält, bestimmte Lov&n den Druck, unter welchem das Blut im Schwellkörper während der Erektion steht, und fand, dass dieser Druck etwa nur die Hälfte des Blutdruckes in der Karotis betrug. Daraus schloss er, dass jeder Grund zu einer An- nahme neuer Triebkräfte fehlt: es bleibe also keine andere Erklärung übrig als die, dass die Erektion die Folge einer sogenannten „aktiven Er vo une “ der kleinsten Arterien der Schwell- körper ist. So wurden die Nn. erigentes zur besonderen Klasse der g efässdilatierenden Nerven beigezähl.e Gruenhagen fügte noch diese Bemerkung bei: „Wie dieselben den erforderlichen Er- schlaffungszustand der ihnen untergebenen glatten Arterienmuskulatur zuwege bringen, ist freilich hier wie dort unklar. Aber welche Vor- stellung man über den Modus ihrer Wirkung auch hegen mag: dass die Nn. erigentes zu derselben Klasse von Nerven gehören, von denen aus durch Reizung eine beträchtliche Gefässerweiterung hervor- gerufen Miorden kann, wird niemals mehr in Zweifel zu ziehen sein.‘ Erschlossene „Tatsachen“ können immer in Zweifel gezogen werden. Lov&n hat, ebenso wie Eckhard, keine Erweiterung Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 353 der kleinsten Arterien des Corpus cavernosum beobachtet, sondern ein hohes, stossweises Aufspritzen.hellroten Blutes aus diesen Arterien, bei Reizung der erigierenden Nerven. Der Schluss, dass dieses hohe, stossweise Aufspritzen durch eine Er- weiterunge der Arterien bedingt ist, beruht auf keiner Beobachtung; es ist keine solche Erweiterung zu finden, wie Eckhard besonders hervorgehoben hatte. Der Schluss stützt sich bloss darauf, dass hier keine eigene Triebkraft eingreift, da der Druck in der Vena dorsalis penis oder in der stark bis zur Tiefe der Kavernen skarifizierten Uretra nur bis etwa zur Hälfte des Karotisdruckes ansteigt. „Die Herzkraft genügt, um eine Erektion zustande zu bringen“ (Nikolsky)!)). So wurde auch diese Verrichtung dem Herzen zugeschrieben. Die Schlussfolgerungen, durch welche die „Tatsache der Gefäss- erweiterung“ erschlossen worden ist, sind sehr wenig zwingend. Wie hoch müsste der Blutdruck in der Vene und den Kavernen an- steigen, damit die Annahme einer eigenen Treibkraft nicht aus- seschlossen werden könnte? Wenn bei der Erektion der Blut- druck in der zuführenden Arterie sinkt und in den abführenden Venen steigt (Eckhard, Francois-Franck)?), wie ist da eine Vermehrung und Beschleunigung des Blutstromes durch blosse Gefäss- erweiterung zu begreifen ? Das Züstandekommen einer aktiven Gefässerweiterung durch Nerveneinfluss ist selbst der dunkelste Punkt der herrschenden vasomotorischen Theorie; dazu ist der Einfluss einer solchen Gefäss- erweiterung auf die Blutdurchströmung eine hydrodynamisch gar nicht gelöste Frage, so dass die Annahme, dass durch die Gefässerweiterung der Blutstrom beschleunigt wird, gar nicht sicher feststeht. Wenn der Druck in der zuführenden Arterie sinkt und in der abführenden Vene steigt, also die einzig angenommene Herztriebkraft abnimmt, wie kann da eine Gefässerweiterung eine anhaltende, stossweise auf- zpritzende Blutstrombeschleunigung hervorbringen ? Die Annahme, dass hier eine eigene Triebkraft eingreift, ist also gar nicht auszuschliessen. Die Erektion dürfte nicht durch das Herz 1) W. Nikolsky, Ein Beitrag zur Physiologie der Nn. erigentes. Arch. f. Physiol. 1879 S. 210. 2) Francois-Franck, Recherches sur l’innervation vasomotrice du penis. Arch. de Physiol. 1895 p. 122, 138, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 24 354 Franz Mares: allein, sondern durch rhythmische, unter Nerveneinfluss stehende Pulsationen der Penisarterien selbst zustande kommen. Francois- Franck führt ältere Beobachtunzen an, dass bei der Erektion die Dorsalarterien des Penis sich ausdehnen und stärker pulsieren. Die Erektion erfolgt auch in einem pulsatorischen Rhythmus. Der N. pudendus wird als Antagonist des N. erigens für einen Verengerer der Penisarterien angesehen. Es wird jedoch nach Lov&n angegeben, dass nach Durchschneidung dieses Nerven der Durchmesser der Dorsalarterien des Penis zunimmt, und dass die Pulsationen derselben lebhafter werden. Es scheint dem- nach zwischen dem N. pudendus und dem N. erigens ein ähnliches Verhältnis zu bestehen wie zwischen dem Halssympathicus und der Chorda t ympani. Der Antagonismus wäre also durch die tonische und die rhythmische Bewegungsform der Arterien zu charakterisieren, was den tatsächlich beobachteten Änderungen der Blutdurehströmung entspricht, während die Charakteristik durch Gefässverengerung und Gefässerweiterung hypothetische Annahmen und Deutungen enthält. 3. Die Lehre von Marey. Die Entdecker der vasomotorischen Innervation sind nicht Begründer der herrschenden vasomotorischen Theorie, der sie im Gegenteil widersprachen. Sie waren geneigt, eigene Trieb- kräfte des Blutstromes anzunehmen, welche im Gewebe unter dem Nerveneinflusse ausgelöst werden und die Blutdurchströmung des Gewebes fördern, obeleich sie über die Wirkungsweise dieser Kräfte ganz im unklaren blieben. Hier galt die von Schiff hervorgehobene Maxime, dass man eine beobachtete Tatsache nicht bloss deswegen abweisen dürfe, weilihr Mechanismus ver- borgen ist. Diese durch Beobachtung des lebendigen Blutstromes gewonnene Einsieht wurde jedoch durch die dogmatische Klarheit in den Schatten gestellt, wonach mechanisch unverständliche Wirkungsweisen durch- aus abzulehnen sind. So kam es, dass die tatsächlichen vasomoto- rischen Erscheinungen durch eine einfach mechanische vasomoto- rische Theorie geradezu verdeckt worden sind. Der Hauptvertreter des dogmatischen Mechanismus in den Fragen des Blutkreislaufes ist Marey!), der sich jedoch hierin auf die 1) E. J. Marey, Physiologie medicale de la circulation du sang. Paris 1863. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 355 physikalische Richtung der deutschen Physiologen stützte. Die Grund- sätze, welche Marey seiner Physiologie des Blutkreislaufes voran- stellte, sind für den mechanistischen Dogmatismus charakteristisch: „Die moderne Wissenschaft würde eine Tatsache nicht für erklärt erachten, wenn sich diese Erklärung darauf beschränkte, die Tatsache rühre von einer unerklärbaren Lebenseigenschaft her. Erklärung ist aber die Hauptaufgabe der Wissenschaft. Unerklärliche Tat- sachen gehören nicht in die Wissenschaft.“ Der erste Satz zielt wohl darauf hin, dass die Lebensverrichtungen auf physikalische oder mechanische Wirkungsweisen zurückzuführen sind und nur so erklärt werden können. Unerklärbare Lebens- eigenschaften können gewiss keine Lebensverrichtung erklären. Aber der letzte Satz ist bedenklich. Würde man unerklärliche Tatsachen aus der Wissenschaft ausschliessen, so würde man freilich eine ein- fache und widerspruchslose Lehre bekommen, nach welcher man im voraus bestimmen könnte, was möglich und was unmöglich ist. In Marey’s Lehre vom Blutkreislaufe sind nun nur solche Tatsachen aufgenommen, welche einfach mechanisch erklärt werden können. Meistens sind es auch an einfachen mechanischen Modellen beobachtete Tatsachen, welche auf den lebendigen Blutkreislauf übertragen werden, nicht also Beobachtungen an lebendigen Blutgefässen, wie die von Bernard, Schiff, Eckhard u.a. Marey hatte eine ehrwürdige Scheu vor Vivisektionen. „Bei mir finden Sie kein Skalpell,“ sagte er, als ich 1890 die Ehre hatte, sein Laboratorium besuchen zu können. Nach Marey kann die Blutbewegung durch die Herz- kontraktion allein erklärt werden, nicht aber die Blutverteilung. Deshalb habe man Spezialkräfte erdacht, wie appel du sang, aetivite locale usw.: „Nirgends zeigte sich die Gefahr des Räsonierens über Entitäten und imaginäre Kräfte so deutlich wie in der Frage der peripheren Blutverteilung. Die alte physiologische Schule wurde so zur Anerkennung vielfacher unbekannter Kräfte verleitet. Wir werden _ zeigen, dass alle Veränderungen in der (peripheren) Blutbewegung auf Grund physikalischer Gesetze erklärt werden können, und dass zu ihrer unmittelbaren Hervorbringung die Natur eine einzige vitale Kraft verwendet: die Kontraktilität.“ (C.d. S.p. 17.) Die Kontraktion der Kapillaren setzt dem Herzen, nach Marey, Widerstände entgegen, wodurch nicht nur der periphere Blutumlauf, sondern auch die Herztätiekeit selbst geregelt wird. 24.* 356 Franz Mares: Bei grossem Widerstande verlangsamt das Herz seine Schläge. Wenn aber die Kapillaren das Blut leicht durchlassen, so werden die Herz- schläge beschleunigt (C.d. S. p.17). Sowie ein Lastschieber seinen Sehritt beschleunigt, wenn der Widerstand der Last abnimmt, so beschleunigt auch das Herz seine Schläge, wenn der Widerstand durch Erchlaffung der Kapillaren geringer wird (C.d.S. p. 208). Die Pulsfrequenz hängt von dem Widerstande ab, den das Herz zu über- winden hat. Die Pulsbeschleunigung im Fieber, bei angestrengter Muskelarbeit, bei hoher Temperatur ist die Folge einer Erleichterung des Blutumlaufes durch die Kapillaren (C.d.S. p. 209). „Nach einer Muskelanstrengung ist die Pulsfrequenz sehr hoch, und da die Blutströmung durch die Kapillaren sehr lebhaft und die Haut- temperatur erhöht ist, so ist man zunächst geneigt, zu glauben, dass die bluttreibenden Kräfte vermehrt sind und das Herz mehr Energie entwickelt. Für uns aber hat die Erscheinung eine ganz andere ‚Ursache: die Pulsbeschleunigung ist eine Folge der Erleichterung des Blutstromes durch die kleinen Gefässe. Die leichter durch- gängigen Gefässe lassen das Herz seine Systolen rascher und freier ausführen. Würde hier die Beschleunigung des Blutstromes durch Erhöhung der Triebkraft bewirkt sein, so müsste eine Blutdruck- steigerung bestehen; der Blutdruck ist aber niedriger. Durch diese Tatsachen ist man dazu geführt, die Erscheinungen der zirkulatorischen Aktivität, im Gegensatz zu den in der Physiologie darüber herrschenden Ideen, nicht durch Steigerung der Herztrieb- kraft, sondern durch Verminderung der durch die Gefässkontraktilität gesetzten Widerstände zu erklären. Daraus folgt, dass das, was man für eine Steigerung der Kräfte hielt, für uns die Folge einer Schwäche ist.“ (C.d.S. p. 223.) Marey’s Darstellung der Abhängigkeit der Herzfrequenz vom peripheren Widerstande könnte als ein Vorbild einer sehr einfachen, mechanisch-anschaulichen Erklärung bezeichnet werden. Sie trifft das lebendige Geschehen nicht. Eine Strombeschleunieung durch Widerstandsherabsetzung bei abnehmender Triebkraft könnte nicht von langer Dauer sein. Ein so einfacher mechanischer Zu- sammenhang würde auf dem kürzesten Wege zum stabilen Gleich- gewichte führen. Die Frage einer Abhängigkeit der Herzfrequenz von dem peripheren Widerstande oder vom arteriellen Blut- drucke hat viele Schwierigkeiten mit sich gebracht, wie wir noch ‚darlegen werden. Es zeigte sich hier, dass sehr einfache mechanische Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 357 Erklärungen verwickelter regulatorischer Lebensverrichtungen ebenso gefährlich sind als das Räsonieren über Entitäten und imaginäre Kräfte; sie sind eigentlich die primitivste Art des Räsonierens. Die Verhältnisse der Blutströmung und der Herzarbeit bei angestrengter Muskelarbeit werden wir noch besonders zu betrachten haben. Marey hatte auch die Frage berührt, ob die Arterien durch rhythmisch koordinierte Pulsationen, welehe durch den Herzstoss aus- gelöst werden würden, den Blutstrom pulsatorisch beschleunigen könnten. Er hat anerkannt, dass der Blutdruck auf das Innere der Blutgefässe als ein Reiz zur Kontraktion einwirken könnte (C.d.S. p- 320). Es wäre zwar erlaubt, sagte er, die eigentümliche dikrotische Form der Pulswelle auf eine Arterienkontraktion zu beziehen, aber die rhythmischen Kontraktionen der Arterien hätten niemals die Frequenz der Herzschläge, so dass sie nicht imstande wären, nach jedem Herzschlage eine Pulsation auszuführen. Besonders aber will er jene Annahme damit widerlest haben, dass man den dikrotischen Puls auch künstlich an einem elastischen Rohre hervor- bringen könne. Demnach wäre der Arterienpuls als ein rein physi- kalisches Phänomen aufzufassen, hervorgebracht durch die Geschwin- digkeit des in die Arterien geworfenen Blutes und durch die Elastizität der Gefässwand, welche in der Flüssigkeitssäule Schwingungen, alter- nierend in zentrifugaler und zentripetaler Richtung hervorruft (C.d.S. p. 266—274, 320). Die Gefässkontraktilität hat, nach Marey, keine andere Aufgabe, als die peripheren Blutwege zu verengern oder frei zu lassen. Dafür hat er einen Grund vorgebracht, welcher nach ihm noch immer wiederholt wird, und der ist: ; „Man wollte, im Gegenteil, die Gefässe mit einer impulsiven Systole ausstatten, welehe ähnlich wirken würde wie die der Herz- kammern. Man hat aber vergessen, dass selbst die Herzsystole unfähig wäre, das Blut in einer bestimmten Richtung zu treiben, wenn keine Klappen da wären, welche die Richtung des Stromes bestimmen... Die Kapillaren mögen sich rasch kontrahieren, ihre Wirkung wird das Blut ebenso in die Arterien zurücktreiben als in die Venen weiter fördern.“ (C.d.S.p. 18.) Die Klappen sind aber da und verhindern einen Blutrückfluss aus den Kapillaren in die Arterien ebenso wie aus den Arterien in die Herzkammern. Diese Klappen bedingen den arteriellen Blut- druck, welcher die Blutströmung in der Richtung gegen die Venen 358 Franz Mares: zu bewirkt und aufrechterhält. Eine Systole der kleinen Gefässe wird zunächst diese Strömung gegen :die offenen Venen fördern, in den Arterien wird sie aber als Rückwirkung eine Drucksteigerung hervorrufen, welche für die Förderung der Strömung gegen die Venen zu auch nicht verlorengeht. Diese Rückwirkung zeigt sich in den arteriellen Blutdruckwellen, welche den rhythmischen Bewegungen des deripheren Gefässsystems entsprechen. Ebenso, wie die blutstromfördernde Wirkung einer Gefässsystole, hat Marey auch die Saugwirkung einer aktiven Diastole der Blutgefässe entschieden abgewiesen: „Gewisse Autoren haben zwei Kräfte zur Bewirkung von Ände- rungen des Blutstromes in verschiedenen Körperteilen angenommen; die eine ist die Kontraktion, die andere die aktive Dilatation der Gefässe. Diese zweite Kraft würde das vorstellen, was man früher - ‚la force d’appel du sang‘ nannte; sie scheint uns gar nicht wirklich zu sein. Es genüst in der Tat, dass die Kontraktion eines Gefässes nachlässt, damit sich dieses Gefäss durch den Blutdruck aus- dehne. Diese Erweiterung kann freilich, nach den schönen Ver- suchen Bernard’s, durch Nervenreizung herbeigeführt werden; aber da hat man einfach anzunehmen, dass durch diese Innervation eine Erschlaffung der Gefässwand bewirkt wird, so dass sich die Gefässe durch den Blutdruck ausdehnen lassen. Zur Erklärung der Veränderungen des Blutstromes in den Kapillaren genügen also zwei antagonistische Kräfte: die erste sucht fortwährend die Gefässe aus- zudehnen, das ist die arterielle Spannung, deren Quelle die Herz- arbeit ist. Die andere Kraft kämpft fortwährend gegen diesen Blut- druck an und hält die Gefässe mehr oder weniger verengt; das ist die Gefässkontraktilität. Wenn diese Kraft nachlässt, so dehnt der Blutdruck die Gefässe aus, wodurch .sie für den. Blutstrom durch- gängiger werden, so dass dieser sich beschleunigt.“ (C. d. S. p. 18—21.) Zuletzt wandte sich Marey ausdrücklich gegen Bernard und Schiff. „Es kommt bei uns zu einer Rückkehr zu metaphysischen Dok- trinen zurück, welche doch genug ihre Sterilität gezeigt haben. Heute bekämpft Cl. Bernard aus ähnlichen Rücksichten zur Tradition Theorien, welche teilweise auf seinen eigenen Versuchen gegründet sind und die Kongestion durch Lähmung der Blutgefässe erklären. Unser gelehrter Physiologe lässt sich heute durch der Ideenzug, den Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 359 er selbst hervorgerufen, kaum bewegen. Einige scheinbare Schwierig- keiten sind in betreff der Drüsenvasomotoren entstanden, deren Reizung zur Erweiterung der Blutgefässe dieser Drüsen führt. Schiff, dessen Arbeiten zur Bereicherung der Fhysiologie in diesem Punkte so viel beigetragen haben, suchte die aktive Gefässerweiterung und Ansaugung des Blutes auf alte Ideen zurückzuführen. Eine unnötige Anhäufung von Hypothesen, um nur die Annahme zurück- zuweisen, dass es Nerven gibt, deren Einfluss die Gefässmuskeln zur Erschlaffung bringt. Solche Nerven gibt es aber tatsächlich, der Herzvacus ist von derselben Art. Sie haben eine aktive para- lysierende Wirksamkeit; ebenso wirken auch die vasodilatatorischen Nerven.“ (C.d.S.,p. 39%.) So ist von Marey die vasomotorische Theorie begründet worden, im offenen Gegensatze zu den Entdeckern der lebendigen vasomotorischen Erscheinungen, und zwar als eine klare, einfache, mechanisch-anschauliche Lehre, feindlich allen dunklen Vorstellungen, begründet durch Versuche an mechanischen Modellen , mittels derer Marey sich traute, „Wahres vom Falschen zu trennen und Konjekturen durch Gewissheit zu ersetzen“ (C.d.S. p.25). Manches von den Darstellungen Marey’s ist wohl aufgegeben worden; aber das Ganze seiner vasomotorischen Theorie ist zu einer allgemein angenommenen Lehre geworden. Ihre ganz geläufigen Sätze sind, in Marey’s Worten kurz wiedergegeben, die folgenden: Im normalen Zustande sind die Gefässe mit einer gewissen Energie kontrahiert. Der Halssympathicus wirkt als ein gewöhnlicher motorischer Nerv, seine Durchschneidung lähmt die Gefässe, welche dann durch den Blutdruck ausgedehnt werden. Die Reizung eines vasodilatatorischen Nerven ruft eine Gefässerweiterung hervor, so dass das Blut hellrot in sakkadierten Stössen aus der Vene heraus- spritzt. Das Volum des Organes muss notwendig mit dem Zustande seiner Gefässe wechseln und ist ein treuer Ausdruck dieses Zustandes (C. d. S. p. 312). Die Entzündung eines Gewebes ist von einer Er- schlaffung seiner Gefässe begleitet; diese ausgedehnten, atonischen Arterien geben einen viel stärkeren Puls. Diese Erscheinung wurde lange für den Ausdruck einer speziellen pulsatorischen Gefässtätigkeit gehalten, welche Idee aber irrig ist; die Arterien pulsieren nur passiv. „Nichts ist leichter nachzuweisen, als wenn man dieses Phänomen an einem Schema reproduziert: ein weiteres Rohr gibt 360 Franz Mares: \ einen stärkeren Puls.“ Die Stärke des Pulses hängt von der arteriellen Spannung ab; nicht von der Energie der Kammersystole, sondern von dem Zustande des Blutstromes in den letzten Verästelungen des Gefässsystems. Das beweisen wieder Versuche an Röhrenschemen (C. d. S. p. 235). Die febrile Röte entsteht infolge einer Erschlaffung der Arterien. Im Fieber arbeitet das Herz nicht stärker. Beim trabenden Pferde entsteht Pulsbeschleunieung mit ähnlichen Sym- ptomen wie im Fieber, und doch gibt es hier keine Vermehrung der Herzarbeit, weil der Blutdruck herabgesetzt ist. Die Beschleu- nigung des Blutstromes ist eine Folge der Widerstandsherabsetzung in den erschlafiten Gefässen. Zur Erklärung der Kongestion oder lokaler Hyperämie hat man unzulängliche Hypothesen aufgestellt: Annahmen einer lokalen Aktivität, einer vermehrten Vitalität, und ähnliche. Ausdrücke wie „raptus sanguinis, appel du sang vers les organes“ müssen aus der medizinischen Sprache verschwinden, weil die Organe keine Saugwirkung auf das Blut ausüben können. Es sind nur zwei Kräfte, deren Wirklichkeit gut bewiesen ist: der Blut- druck und die Kontraktilität der Gefässe. Diese genügen zur Er- klärung aller möglichen Zustände der Blutzirkulation. Es gibt keine Erscheinung der Kongestion, welche nicht auf eine sehr einfache Weise durch Verminderung der kontraktilen Kraft der Gefässe erklärt werden könnte (C.d.S. p. 137, 233, 235, 395 usw.). Marey’s Lehre hat eine vollendete, widerspruchslose, dogma- tische Form, so dass sie leicht gelehrt und gelernt werden kann, wo Volkmann’s „Hämodynamik“ doch noch manches mechanisch Unfassbare enthielt oder wenigstens zuliess und — das Zweifeln nicht verbot! Marey’s Lehre nahm eine einzige „vitale“ Kraft an, die Kontraktilität, welche sie am Gefässsysteme so verteilte, dass ein Teil derselben als Pumpwerk, der andere als Sperrvorrichtung wirkte. Das Hauptziel der Lehre ist eine möglichst einfache mechanische Darstellung des Blutkreislaufes. Ihre Tendenz ist offen gegen Cl. Bernard gerichtet, der vor einer zu weit gehenden Ver- einfachung der physiologischen Probleme eindringlich gewarnt hatte. 4. Unzulänglichkeit der Lehre Marey’s. Die Kritik einer allgemein angenommenen, einfachen und klaren Lehre, welche naturgemäss an Stelle der Klarheit und Einfachheit dieser Lehre wieder nur die ursprüngliche Dunkelheit und Verwick- lung der Vorgänge setzen muss, kann auf keine freundliche Aufnahme Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 361 rechnen. Sie findet zunächst keine Beachtung und wird mit still- ‚schweigender Geringschätzung abgetan. Wenn mit der Zeit die von einer solchen Kritik vorgebrachten Gründe eingesehen werden, so erscheinen sie schon selbstverständlich und die Kritik überflüssig. Dieses Los ward dem ersten Kritiker der Marey’schen Lehre in vollem Maasse beschieden. Ramon Turrö!), ein spanischer Autor, hatte zu frühzeitig die Schwächen der Lehre aufgedeckt, so dass er sich zu beschweren hatte, dass er „unbekannt und ohne Verdienste ins Lächerliche ge- zogen wurde“. Es hiess, als wollte er die Harvey’sche Lehre vom Blutkreislaufe umstürzen. Es handelte sich aber nur um die vasomotorische Theorie von Marey, welche auf der vorgefassten Meinung gegründet ist, dass die Fortbewegung des Blutes vom - Herzen allein bewirkt wird. Die wahre Verrichtung der Blut- gefässe kann dann gar nicht erkannt oder, was noch misslicher ist, gar nicht anerkannt werden. Turrö wandte sich besonders gegen Märey’s Theorie der Vasodilatation, welche dadurch zustande kommen soll, dass die paralytisch erschlafften Blutgefässe durch den Blutdruck oder Biutandrang ausgedehnt werden. Zu einer solchen Ausdehnung müsste ein Widerstand in der peripheren Verzweigung der Arterie gegeben sein, welcher den Blutausfluss aus derselben erschweren würde. Tat- sächlich besteht aber gerade das Gegenteil, die Blutströmung ist im Gebiete der erweiterten Arterie erleichtert und beschleunigt. Der Blutandrang ist die Folge, nicht die Ursache der Gefässerweiterung. Das Blutgefäss ist wirksam, nicht das Blut (das ist der Blutdruck). Das Blutgefäss erweitert sich selbst, so dass es auf das Blut saugend einwirkt, was man als „appel du sang“ bezeichnet hat. Man erklärt die Umwandlung der rhythmischen Herzarbeit in den stetigen Blut- druck durch die Ausdehnung der elastischen Arterien unter peripheren Widerständen. Zugleich nimmt man aber eine Ver- engerung der Arterien durch die tonische kontrahierte Gefäss- muskulatur an. Die Arterien überhaupt können aber nicht gleichzeitig ausgedehnt und verengt sein. Eine elastische Ausdehnung und Spannung durch den Blutdruck kann bei den 1) Ramon Turrö, La circulation du sang. Examen critique de la theorie regnante sur le mouvement circulatoire du sang et essai sur la theorie par laquelle on doit la remplacer. Paris 1883. 362 Franz Mares: muskelarmen grossen Arterienstämmen bestehen; die muskelreichen peripheren Organarterien sind aber durch den vasokonstriktorischen Tonus mehr oder weniger verengt. Die grossen Arterienstämme sind durch Ausdehnung retraktil gespannt, die kleinen muskulösen Arterien aber durch aktive Verengerung dilatatorisch gespannt. Nimmt ihr Muskeltonus ab, so erweitern sie sich durch ihre Elastizität. Die Gefässerweiterung ist demnach eine durch die Elastizität der Arterienwand vermittelte Nachwirkung der vor- hergehenden Kontraktion der Gefässmuskulatur. Diesen Unterschied in der Funktion der grossen Arterienstämme und der kleinen muskulösen Arterien hatte auch Marey erkannt (C.d.S. p. 134), liess aber die Bedeutung der Elastizität dieser Arterien für ihre Erweiterung beim Nachlassen ihres Muskeltonus ausser acht, welche Bedeutung bereits Volkmann anerkannt hatte. Die Aktivität der Arterien schilderte Turr6 weiter in der Weise, dass sich das Arteriensystem der Blutmenge genau anpasst. Eine blutleer gemachte Arterie zieht sich zusammen und Öffnet sich wieder allmählich dem erneuerten Blutzuflusse. Bei künstlicher Durchblutung eines Organs setzen die zusammengezogenen, ‚blutleeren Arterien dem Blutstrome grossen Widerstand entgegen, öffnen sich aber demselben nach und nach. Ein reichlicher Blutzufluss ruft eine Erweiterung der Arterie hervor, aber nicht passiv durch den Blutdruck, sondern die Arterie öffnet sich selbst dem Blutstrome, indem ihr Muskeltonus nachlässt. Die Blutgefässe sind auf Änderungen der Blutströmung sehr empfindlich und reagieren auf dieselben direkt. Die durch den Herzschlag bewirkte Blutwelle ruft zunächst eine Er- weiterung des dieselbe gerade aufnehmenden Arterienabsehnittes her- vor, wonach eine aktive Zusammenziehung desselben erfolgt, durch welche die Blutwelle weitergeschoben wird. Das Gefäss ist hier aktiv, nicht das Blut. Die Pulswelle ist nicht bloss eine elastische, sondern eine muskuläre Bewegung der Arterie. Turrö schliesst seine Ausführungen mit den Worten: Mehr Physiologie, weniger Mechanik! Marey’s Erklärung der Vasodilatation ist denn auch all- gemein verlassen worden. Schiff hatte schon frühzeitig erklärt, dass er niemals behauptet habe, die erschlafften Blutgefässe würden durch den Blutdruck ausgedehnt werden. Marey hat die Widerstände in den Kapillaren überhaupt überschätzt, wo doch schon Volkmann dieselben wegen der geringen Strömungsgeschwindiekeit ziemlich Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 363 gering angenommen hatte. Die sehr einfache mechanische Erklärung der Gefässerweiterung durch den Blutdruck entspricht auch den tatsächlichen physiologischen Verhältnissen nicht, da selbst beträcht- liche und plötzliche Blutdrucksteigerung keine Ausdehnung der kleinen Arterien und Kapillaren, auch bei durchtrennten Gefässnerven, hervor- ruft, und da Beschleunigung der Blutströmung vorkommt, wobei .der Blutdruck in der zuführenden Arterie sinkt und in der abführenden Vene steigt. Die Annahme einer aktiven Gefässerweiterung durch physiologische Wirksamkeit der Gewebe selbst ist mechanisch nicht vorstellbar und deshalb für den dogmatischen Mechanismus unan- nehmbar. Die erweiternde Wirkung der Längsmuskelfasern der Arterien ist zweifelhaft, die der durch vorhergehende Kontraktion der Ringmuskelfasern hervorgerufenen expansiven Elastizität der Arterien- rückwände ist kaum in Betracht gezogen worden. So begnügt man sich mit der Erklärung, dass der Mechanismus der Vaso- dilatation unbekannt ist. Gegenüber der Annahme einer aktiven Gefässerweiterung, welche durch eine eigene Kraft zustaude kommen und dadurch eine Saugwirkung auf das Blut ausüben würde, verhält man sich im allgemeinen ablehnend. Durch welchen Mechanismus eine Gefässerweiternng auch zu- stande kommen mag, diese Frage ist für den Bestand der Lehre nicht entscheidend; der Mechanismus mag vorderhand verborgen bleiben. Der entscheidende Punkt, mit dem die Lehre steht oder fällt, das ist die Annahme, dass eine Blutstrombeschleunigung, welche durch stossweises Hervorspritzen hellroten Blutes aus der Vene eines Organs gekennzeichnet ist, nur durch eine Erweite- rung der inneren Gefässe des Organs zustande kommen könne. Diese Annahme gründet sich auf die Überlegung, dass die tonisch verengten Gefässe der Strömung Widerstand entgegensetzen, zu dessen Überwindung der grösste Teil der Herztriebkraft aufgewandt wird. Wird also dieser Widerstand durch Erweiterung der Gefässe herab- gesetzt, so wird ein erösserer Teil der Triebkraft zur Förderung der Strömungsgeschwindigkeit frei. Das alles erscheint hydrodynamisch ganz sicher. Es ist aber nicht alles. Es wird hier nur ein äusserlicher Umstand des Wider- standes in Betracht gezogen, die Gefässweite; der wesentliche Faktor desselben, die innere Reibung, wird aber vernachlässigt. Würde durch Erweiterung der Gefässe die Strömunesgeschwindickeit steigen, so würde dadurch wieder die innere Reibung zunehmen. In welchem 364 Franz Mare®: Verhältnisse sind diese Umstände? Steigt denn überhaupt die Strömungsgeschwindigkeit durch blosse Erweite- rung der Gefässe? In einem durch konstante Triebkraft gespeisten Röhrensysteme ist das Verhältnis zwischen Strömungsgeschwindiekeit@G und Gefässweite E dadurch bestimmt, dass ihr Produkt die Durch- flussmenge D darstellt: @G- E=D. Die Strömungsgeschwindig- keit ist demnach durch den Quotienten aus Durchflussmenge und Gefässweite bestimmt, @—= D:E. Das heisst, bei gegebener Durch- flussmenge ist die Strömungsgeschwindiskeit desto grösser, je enger die Gefässe. Die Durehflussmenge kann dureh Steigerung der Strömungs- geschwindigkeit oder durch Erweiterung der Gefässe oder durch beides zugleich vergrössert werden. Sie kann auch bei Verengerung der Gefässe steigen, wenn die Strömungsgeschwindigkeit sehr gesteigert wird. Kommt es auf eine hocheradige Steigerung der Ström ungs- geschwindigkeit an, so ist dazu gerade die Verengerung der Gefässe das passende Mittel. Wird in einem durch konstante Triebkraft gespeisten Röhrensysteme eine Stelle erweitert, so vermindert sich in dem erweiterten Röhrenabschnitte die Strömungsgeschwindigkeit; sie steigt in einem verengten. Wohl kann durch Erweiterung eines Röhrenabschnittes die Du rchfluss- menge zunehmen, durch seine Verengerung die Durchfluss- menge abnehmen; aber in dem verengten Abschnitte ist die Strömungsgeschwindigkeit gesteigert, in dem erweiterten vermindert. Wie war es möglich, dass angesichts dieser sehr einfachen und evidenten hydrodynamischen Verhältnisse die Überzeugung sich so befestigen konnte, dass eine Erweiterung der Blutgefässe eine Steigerung der Strömungsgeschwindigkeit in den er- weiterten Gefässen bewirke? Das war durch die Verwechslung von Durchflussmenge und Durchflussgeschwindigkeit möglich, welche von Marey in so gewundener Weise begangen worden ist, dass sie nicht leicht aufzudecken war. Ältere Physiologen haben gelehrt, dass eine Verengerung der Blutgefässe eine Steigerung der Stromgeschwindigkeit in den- selben zur Folge hat. Marey hat aber diese Lehre als einen Irrtum abgewiesen (C. d. S. p. 134). Diesen „lange unter den Physiologen akkreditierten Irrtum“, dass die Verengerung der Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 365 Gefässe die Blutströmung in ihrem Innern beschleunigt, führt Marey auf Thomson zurück, nach welchem er von vielen wieder- holt wurde. Zur. Aufklärung dieses Irrtums erörtert Marey die Frage, wie die Gefässweite die Menge der durchströmenden Flüssig- keit ändert. „Die physikalischen Gesetze, auf dieses Problem an- gewandt belehren uns,“ sagt Marey, „dass die Gefässverengerung den Blutdurchfluss verlangsamen wird, da sie durch Reibung die Strömung hemmt“. Man begreife demnach, dass die Erweiterung der Kapillaren die Blutströmung erleichtern, ihre Verengerung die- selbe verlangsamen wird. Man habe an eine Beschleuni- gung der Zirkulation in den verengten Gefässen aus dem Grunde geglaubt, weil in den vereneten Partien einer Röhre die Flüssigkeit tatsächlich schneller fliesst als in den erweiterten Partien derselben. Doch wird dabei die Ausflussmenge durch die Verengerung ver- kleinert: „Man darf also die Beschleunigung der Bewegung jeder einzelnen Moleküle an einem Punkte mit der Beschleunigung der Strömung selbst nicht verwechseln.“ Diese Warnung vor Verwechslungen verdeckt die darin .begangene. „Gefässverengerung verlangsamt den Blutdurchfluss“ soll heissen: vermindert die Durchflussmenge,. „Beschleu- nigung der Strömung selbst“ soll heissen: Vergrösserung der Durcehflussmenge, Der Strom ist durch zwei Grössen gekenn- zeichnet: die extensive Grösse der strömenden Menge und die intensive Grösse der Strömungsgeschwindigkeit. Im verengten Gefässabschnitte ist die Strömungsgeschwindigkeit gesteigert, die strömende Menge verkleinert. Wenn also die älteren Physiologen mit Thomson angenommen haben, dass im Inneru eines verengten Gefässgebietes dieStrömungs- geschwindigkeit gesteigert ist, so war das kein Irrtum. Es ist dagegen ein Irrtum, wenn die Vergrösserung der Durchflussmenge als „Beschleunigung der Strömung selbst“ aufgefasst wird, wodurch die tatsächliche Beschleunigung der Strömung im Innern des verengten Gefässabschnittes in eine „Verlangsamung der Strömung selbst“ verwandelt wird. Tatsächlich erscheint die Blutströmung in erweiterten Gefässen des Mesenteriums verlangsamt, wie bereits Cohnheim!) festgestellt hat. 1) J. Cohnheim, Über Entzündung und Eiterung. Klassiker der Medizin, herausgeg. von K. Sudhoff, Bd. 23 S. 44. 1914. 366 Franz Mare®: In der herrschenden Lehre wird die intensive Grösse der Strömungsgescehwirdigkeit von der extensiven Grösse der strömenden Blutmenge nieht genau unterschieden. Man bemisst die Blutdurchströmung eines Gefässgebietes gewöhnlich nach der Durch- flussmenge. Diese kann aber ebenso durch Steigerung der Strömungsgeschwindigkeit auch bei Verengerung des Gefässgebietes und Verkleinerung der strömenden Blutmenge als durch Vergrösserung dieser bei Erweiterung des Gefässgebietes und Verlangsamung der Strömung zustande kommen. Die Beschaffenheit des ausströmenden Blutes sowie die Art des Ausströmens kann anzeigen, welches von beiden stattfindet. Spritzt hellrotes Blut aus dem Gefässgebiete stossweise heraus, so beruht die Blutstromvermehrung besonders auf einer Geschwindigkeitssteigerung der Strömung. Die Regulierung der Blutdurchströmung verschiedener Organe wird von der herrschenden Lehre durch Erweiterung und Verengerung der Organgefässe in einer einheitlichen und mechanisch anschaulichen Weise erklärt. Es ist aber die Frage, ob eine solche „Erklärung“ den tatsächlichen Verhältnissen gerecht wird, und ob ein solches ein- heitliches Schema der lebendigen Manniefaltigkeit nicht Gewalt antut. Die Blutdurehströmung verschiedener Organe wird zweifellos der besonderen Betätigungsweise eines jeden von ihnen angepasst. Organe, deren Funktion mit intensivem Sauerstoffbedürfnis verbunden ist, bedürfen während ihrer Tätigkeit einer intensiven Erneuerung des arteriellen Blutes von höchster Sauerstoffspannung, wobei eine dünne Schicht des auf der Berührungsfläche mit dem Gewebe sich er- neuernden Blutes von Vorteil wäre. Hier kommt es also auf eine Steigerung der Strömungsgeschwindigkeit an, nicht auf eine Vergrösserung der strömenden Blutmenge. In solehen Organen, wie zum Beispiel im Nervensystem, finden sich die engsten Kapillaren, und es ist ganz unwahrscheinlich, dass die benötiete Steigerung der Stromgeschwindigkeit hier durch Erweiterung der Kapillaren zustande käme. Andere Organe zeigen neben grossem Sauerstoffbedürfnis auch noch einen massenhaften Stoffaustausch mit dem Blute, wie die Speicheldrüsen, die Nieren und andere; ihre Blutdurchströmung während der Tätigkeit wird intensiv durch Steigerung der Strömungsgeschwindiekeit und extensiv durch Vergrösserung der zuströmenden Blutmenge vergrössert. Die Haut vermittelt die Wärmeabgabe aus dem Blute. Dazu Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 367 bedarf es einer längeren Berührung mit einer grösseren Menge von Blut. Bei der Blutdurehströmung der Haut zum Behufe der Wärme- abgabe kommt es also nicht auf Steigerung der Strömungsgeschwin- digkeit an, sondern auf Vergrösserung der strömenden Blutmenge: die Hautgefässe erweitern sich, die Haut rötet sich und wird wärmer. Es war für die Lehre von der Blutverteilung verhängnisvoll, dass die ersten vasomotorischen Beobachtungen gerade an der Haut ge- macht worden sind, so dass die Durchströmungsweise der Haut auf alle Organe ohne Unterschied übertragen wurde. Die Regulierung des allgemeinen Blutstromes ist von der Reeulierung der Blutdurchströmung der einzelnen Organe zu unterscheiden, wie es in der Aufschrift dieser Abhand- lungen angedeutet ist. Das sind zwei verschiedene Funktionen: des Gefässsystems. Die erstere besteht in der Regulierung der allgemeinen Blutbahn und in ihrer Anpassung an die veränderliche Blutmenge. Diese Funktion verrichtet das Gefässsystem mittels seiner wechselnden . tonischen Kontraktionszustände, welche zentralistisch durch das Nerven- system geordnet werden. Diese Funktion des Gefässsystems er- läutert die herrschende vasomotorische Theorie in befriedigender Weise. Aber zur Erläuterung der anderen Funktion des Gefässsystems, das ist der Regulierung der Blutdurchströmung einzelner Organe je nach ihrem verschiedenen Durchströmungsbedürfnisse, dazu erscheint diese vasomstorische Theorie unzulänglich. Darauf war ihr Sinn ur- sprünglich auch nicht gerichtet. Die Blutdurehströmung jedes einzelnen Organs wird seiner be- sonderen Betätigungsweise angepasst. Diese Anpassung geht von dem Organe selbst aus und wird von seinem eigenen inneren Gefäss- systeme ausgeführt. Wie ein jedes Organ in betreff seiner Betätigungsweise mit einer „spezifischen Energie“ ausgestattet ist, so ist auch sein inneres Ge- fässsystem für eine besondere Art der Blutdurchströmung eingerichtet. Hier erscheint die Frage nach besonderen blutbewegenden Kräften am Platze. 5. Unzulänglichkeit der Lehre in betreff pathologischer Kreislaufsregulationen. Wie sich die herrschende vasomotorische Theorie bei der Er- klärung pathologischer Störungen der Blutdurchströmung verschiedener 368 | Franz Mares: Organe und deren Kompensationen bewährt hat, davon hat man in der Physiologie bis vor kurzem wenig erfahren. Meistens beugten. sich die Pathologen vor der in der Physiologie herrschenden Lehre. Dennoch ist aber der stärkste Anstoss zur Überprüfung dieser Lehre von Pathologen ausgegangen. Rosenbach!) trat zuerst ganz offen und entschieden gegen die Lehre auf; er tadelte die Überschätzung des Experimentes am Tiere und besonders die Versuche an mechanischen Schemen gegenüber der klinischen Beobachtung in Fragen des Blutkreislaufes. Das Er- gebnis des Experimentes sei der Ausdruck einer Katastrophe im Organismus, während die klinische Beobachtung der Kreislaufstörungen die allmähliche Anpassung feststellen kann. Doch setzte Rosenbach an Stelle der einfachen Kreislaufmechanik eine dunkle Protoplas- madynamik, welche manchen davon abzuwenden vermöchte, die innerlich anerkannte Unzulänglichkeit der Lehre auch offen zu be- kennen. Durch dunkle Saug- und Druckkräfte des Protoplasmas kann nichts erklärt werden: darin behält Marey recht. Volk- mann und Marey haben ganz richtig eine mechanische Er- klärung des Blutkreislaufes angestrebt; ihre Erklärungen waren aber viel zu einfach und sind voreilig als definitiv angenommen worden. Die Saug- und Druckkräfte der Gewebe und ihrer Haargefässe, die von Bernard und Schiff angenommen, aber als mechanisch unverständlich abgewiesen wurden, sind zunächst in ihrer Tatsäch- lichkeit zu prüfen. Stünde die Tatsache fest, so könnte sie, wie Schiff hervorgehoben hatte, nicht aus dem Grunde bloss geleugnet werden, dass wir ihren Mechanismus nicht kennen. Die nächste Aufgabe wäre, diesen Mechanismus aufzudecken oder wenigstens seiner Möglichkeit nach annehmbar zu machen. Die Versuche des Chirurgen Bier?) über die Entstehung des Kollateralkreislaufes haben die aktive Wirkung des Gewebes auf den Blutzufluss zu demselben ganz evident gemacht. Ein an- ämisiertes Gewebe verschafft sich einen übermässigen Zufluss von arteriellem Blute auch durch spärliche arterielle Verbindungen, wie auch die in der Chirurgie seit lange bekannte reaktive - I) 0. Rosenbach, Die Grundlage der Lehre vom Blutkreislaufe. Wien 1894, 2) A. Bier, Entstehung des Kollateralkreislaufes. Virchow’s Arch. Bd. 147 S. 256. 1897. Der allgem. Biutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 369 Hyperämie eines durch elastische Kompression vorher blutleer gemachten Gewebes zeist. Wie mächtig und mit welcher Gewalt das Blut in das anämisierte Gewebe „gelockt“ wird, zeigen Bier’s Versuche an anämisierter Haut, welche auch aus geöffneten und spritzenden Arterien reichlich. Blut schöpft. Bier sprach hier, wohl in Hinsicht auf die herrschende Lehre, von einer gewaltigen Herabsetzung der Widerstände in den kleinen Gefässen des anämisierten Gewebes, obgleich er selbst bemerkt, dass eine grössere Herabsetzung des Widerstandes als eine quere Durchschneidung sämtlicher Gefässe nicht gedacht werden kann. Jene „ausserordent- liche Herabsetzung der Widerstände“ müsse für die Ausbildung des Kollateralkreislaufes eine gerade so mächtige Förderung sein, als wenn der Blutdruck um die gleiche Höhe stiege, als die Widerstände sich vermindern. Durch diese Ausdrucksweise trachtet Bier die Annahme einer vom Gewebe auf den Blutzufluss ausgeübten posi- tiven Kraftwirkung zu umschreiben. Bier fand weiter, dass anämisiertes Gewebe „die Widerstände“ durchaus selbständig, ohne Vermittlung des Nervensystems regelt, und zwar je nach seinem Atmungsbedürfnisse. Wird das Blut - „asphyktisch“ gemacht, so entsteht in der anämisierten Haut keine reaktive EHyperämie. Die Kapillaren des anämisierten Gewebes ver- schliessen sich gegen asphyktisches Blut, dem arteriellen öffnen sie sich beeierig. Verschiedene Gewebe zeigen eine verschiedene Re- aktionsweise gegen die Beschaffenheit des Blutes, was Bier als „Blutgefühl der Gewebe“ bezeichnet hat. Nach Bier’s Versuchen beeinflusst ein zwar isolierter, aber mit dem Gefässsysteme natürlich zusammenhängender Körperteil seine Biutdurcehströmung ganz anders, als ein völlig abgeschnittener den künstlichen Strom defibrinierten Blutes beeinflusst. : Hier zeigt sich zunächst auch eine lebhafte Hyperämie der Haut und reichlicher Blutausfluss aus der Vene; dann verfärbt sich aber allmählich die Haut dunkelblau, das Blut stockt in den Gefässen und fliesst aus der Vene nur spärlich ab. Ganz anders, wenn das isolierte Bein die natürliche Verbindung seiner Arterien und Venen beibehält und vom natürlichen Blutstrome durchsetzt wird; hier weicht die. anfängliche reaktive Hyperämie einer Erblassung, niemals kommt es zu einer venösen Hyperämie durch Blutstauung. Das Hauptmoment sieht hier Bier in der pulsatorischen Blutstrombeschleuni- gung, durch welche die Tätigkeit der Gefässe angerest wird. Es Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 25 370 -: Franz Mares: scheint auch, dass defibriniertes Blut die Kapillaren beschädiet und wichtiger Fähiekeiten beraubt, wofür auch die Erfahrungen mit Trans- fusion defibrinierten Blutes sprechen. Matthes!) hat sich die Frage gestellt, ob es uber eine Saugwirkung.in der.Peripherie gibt. Bier und seine Schüler hätten darzutun gesucht, dass .das Gewebe arterielles Blut selbständig „anlockt“ ; doch brauche man noch nicht zu der Bier’schen Annahme zu greifen, dass das Gewebe arterielles und venöses Blut unter- scheiden könne. Matthes möchte die Wirklichkeit einer Saug- wirkung des Gewebes nach ihrer Vorstellbarkeit beurteilen, indem er fragt: Kann man sich theoretisch überhaupt die Möslichkeit einer Saugwirkung vorstellen? Diese Frage erörtert er auf folgende Weise. Nach Strieker können sich die Kapillaren durch Verschmälerung ihrer protoplasmatischen Wandung, nach Art amöboider Bewegung, erweitern, wobei ihr Querschnitt unverändert bleibt. Für eine solche Erweiterung würde der \V.ersuch von Henderson und Loewi sprechen, welche an einer eingegipsten Unterkieferdrüse bei Reizung der Chorda vermehrten Blutstrom hervorriefen, trotzdem sich das Organ nicht erweitern konnte. Bei dieser Erweiterungsweise er- scheine die Annahme einer peripherisch wirkenden Saugkraft nicht unmöglich. Hier hat Matthes einen Punkt berührt, von welchem aus ein Weg zur Lösung der Frage des peripheren Blutstrombetriebes führen könnte. Was die Tatsache einer peripheren Saugwirkung anbelangt, hat Matthes auf den negativen Druck in den Arterien von Leichen hingewiesen, hervorgerufen durch die Elastizität der Arterienwand nach der agonalen Kontraktion ihrer Muskulatur; weiter darauf, dass beim Menschen die reaktive Hyperämie anfangs mit einer Druck- senkung in der zuführenden Arterie verbunden ist, wodurch die Annahme einer peripheren Saugwirkung nahegelegt wird. | In den Betrachtungen der Pathologen über die Blutstromregulation wird gegenüber den als unzulänglich erkannten mechanischen Er- klärungen einer teleologischen Betrachtungsweise gehuldigst, was bei den exakten Physiologen Anstoss erregen und dieselben gegen die vorgebrachten Ergebnisse misstrauisch und geringschätzend machen könnte. So leitet Bier seine Untersuchungen mit der Be- 1) M. Matthes, Zur Lehre vom Kreislauf in der Peripherie. Deutsches Arch f. klin. Med. Bd. 89 S. 381. . 1907. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 371 merkung ein, dass die Verteilung des Blutstromes besonderen Lebenseinflüssen gehorche, und dass da etwas mehr teleolo- gisches Denken nützlich sei. Auch Hasebroek, dessen Be- trachtungen über den Eigenbetrieb des Blutstromes durch die Organe wir alsbald zu erwähnen haben werden, hält dafür, da es nicht möglich sei, in die Tiefe des Geschehens im Sinne einer kausalen Erklärung einzudringen, müsse und dürfe man ein teleolo- gisches Walten des Organismus als letzte treibende Ursache heranziehen. Teleologisches Denken ist der Physiologie ebenso unvermeidlich als unentbehrlich, wie die allgemeine Anwendung der Begriffe Be- dürfnis oder Ordnung zeigt. Doch ist das teleologische Denken an eine strengere Kritik gebunden als das bloss kausale, weil es ver- ickelter ist. Wenn Bier zum Beispiel sagt, dass das Bedürfnis nach Blut in einem: Gewebe auch einen erhöhten Blutzufluss zu demselben bewirkt, so ist eine solche Ausdrucksweise sehr brachylogisch. Sie bedeutet, dass das erlebte Bedürfnis den Organismus zum Aufsuchen von physischen Mitteln veranlasst, durch welche der nötige Blutzufluss bewirkt wird. Ebenso kann das teleo- logische Walten des Organismus ohne physische Mittel nichts bewirken. Alle Verrichtungen, deren Grundlage in Stoff- und Energie- wandlungen besteht, sind an erster Stelle ihrer mechanischen Instrumentation nach zu erklären. Die wird aber durch einen ganz besonderen Zusammenhang bestimmt, nämlich den zwischen Bedürfnis und Mittel. Durch diesen teleologischen Zusammenhang sind erst die Lebensverrichtungen als solche charak- terisiertt und von den blossen anorganischen Stoff- und Energie- wandlungen unterschieden. Die meisten Lebensverrichtungen sind viel besser nach ihrem teleologischen Zusammenhange als nach ihrer mechanischen Instrumentation bekannt, so dass der teleologische Leitfaden sur Aufdeckung ihres Mechanismus führen kann. Ist der Mechanismus der Blutstromregulierung in den einzelnen Organen verborgen, so kann doch an seiner Stelle nicht eine teleologische Erklärung gegeben werden, in der Meinung, dass damit das weitere Nachforschen nach dem Mechanismus abgetan ist. Denn es muss hier ein Mechanismus von Ursachen und Wirkungen vorausgesetzt werden, und es ist schon viel getan, wenn ein solcher Mechanismus auch nur seiner Möglichkeit nach vorgestellt wird. Die teleologische Erklärung kann die kausale gar nicht ersetzen, da sie dieselbe 29 Ara Franz MareS: voraussetzt. Sie betrachtet eine ganz andere Art des Zusammen- hanges, den zwischen Bedürfnis und Mittel. Der kausale Zusammen- hang von Ursache und Wirkung führt geradeaus durch ein physi- kalisches Medium; der Zusammenhang zwischen Bedürfnis und Mittel führt dagegen durch ein physiologisches Medium, das des Er- lebens. Bedürfnisse werden erlebt und treiben dadurch zum Aufsuchen der entsprechenden Mittel an. Das anämisierte Gewebe erlebt die höchste Atemnot und verwendet alle seine physika- lischen Kräfte, wie ein Erstickender, auf die Zufuhr von Sauerstoff, das sind Kräfte, welche Massen bewegen können und auch durch Gewichte messbar sind. Das Erleben eines Bedürfnisses kann als Gefühl bezeichnet werden, womit auch das besondere nicht physikalische Medium des teleologischen Zusammenhanges gekennzeichnet ist. Man kann sagen, dass ein Organismus oder auch ein Gewebe seine Bedürfnisse erlebt und Mittel zu ihrer Befriedigung anwendet. Das Wort Gefühl führt hier zu weit ins Psychologische. Spricht also Bier vom „Blutgefühl der Gewebe“, so ist damit der Tatbestand allzu „psyehovitalistisch“ verfärbt, wo derselbe rein physiologisch dar- gestellt werden kann. Das Betonen der teleologischen Betrachtungs- weise und die psychovitalistische Ausdrucksweise erwecken leicht Widerspruch im Namen der „exakten Forschung“, durch welchen auch die rein tatsächlichen Verhältnisse betroffen werden. In dieser Beziehung ist eine Polemik von Thöle!) gegen Bier belehrend. Thöle verwirft die herrschende Lehre von der Blutverteilung ganz entschieden: „Für uns sind die Gesetze der klassischen Hämodynamik ein für allemal uneültig. Sie lässt die Druckdifferenzen nur durch die Herz- arbeit zustande kommen und betrachtet die Gefässe als passiv ver- änderliche elastische Röhren. Sie vernachlässigt das neuromuskuläre System der Gefässe vollständig. Die Physiologie hat aber längst erkannt, dass die Blutbewegung nicht nur von der Herzarbeit, sondern auch von der Gefässarbeit abhängt. Die Gefässe belasten das Herz insofern, als sie- dem freien Ausfluss des Blutes aus dem Herzen grösseren Widerstand entgegensetzen; sie entlasten es aber insofern, als sie vermöge einer durch Reizung ihres neuromuskulären Systems ausgelösten Peristaltik das Blut vorwärtstreiben.“ | 1) F. Thöle, Das vitalistisch-teleologische Denken in der heutigen Medizin. Stuttgart 1909. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 373 So hält Thöle die reaktive Hyperämie für unverständlich nach ‘ den Gesetzen der klassischen Hämodynamik und unerklärlich durch Gefässlähmung; er nimmt an, dass darin periphere Triebkräfte wirksam sind, richtet aber seine Polemik gegen Bier’s vitalistische Dar- stellung dieser Verhältnisse, welche nur mechanisch-kausal zu erklären seien. Denn wenn man sage: der Körper hat die Fähiekeit, durch Lebenseinflüsse sein Blut so zu lenken, wie es für die Erhaltung der Teile nötig ist; oder: die starke Durchblutung der Organe tritt wesentlich da auf, wo die Gefässe des Blutes in erster Linie bedürfen, so finde man uns mit Vitalismus und Teleologie ab. Derartige Be- trachtungen seien unwissenschaftlich und wertlos. Ebenso der Beeriff „Blutgefühl“, durch welchen erklärt werden soll, wie das Gewebe arterielles Blut „anlockt“ und gegen venöses sich wehrt. Die Physio- locie als Naturwissenschaft habe nur die körperlichen Vorgänge mechanisch-kausal zu erklären; die Bedeutung dieser Vorgänge und des Lebens als Ganzen gehöre in das Gebiet der Natur- philosophie. Thöle’s Standpunkt erscheint sehr fest; es wäre bloss zu be- merken, dass Naturphilosophie nur innerhalb der Naturwissenschaft möslieh ist, da sie sich ausserhalb dieser als unmöglich erwiesen hat. Es ist unzweifelhaft richtig, dass die Physiologie eine mechanisch- kausale Erklärung der Lebensvorgänge anzustreben hat, und dass auch die Blutströmung nur nach den Gesetzen der Mechanik zu erklären ist. Doch die Bewertung der Bedeutung dieser Vorgänge als Lebensverrichtungen kann aus der Physiologie nicht aus- geschlossen werden, da bei der Unzulänglichkeit der bisherigen mechanischen Frklärung wenig übrig bliebe. Das Aufsuchen der mechanischen Instrumentation der Lebensverrichtung würde nicht erleichtert werden, wenn ihre Bewertung ausgeschlossen wäre. Die mechanisch-kausale Erkenntnis und die teleologische Bewertung der Lebensvorgänge sollen sich nicht ausschliessen, sondern ergänzen. Physiologie kann in pure Physik nicht aufgelöst werden, weil das Hauptmerkmal der Lebensvorgänge unaufgelöst bliebe: die Ordnung der mechanischen Vorgänge entsprechend den Bedürfnissen des Organismus. Die Bewertung ist eine Schöpfung des Lebens, wofür es keinen Maassstab in der Physik eibt. Bei den Erscheinungen der reaktiven Hyperämie und ähnlicher Kreislaufsregulationen wäre vielleicht eine teleologische und psycho- yitalistische Ausdrucksweise besser zu vermeiden, wenn es sich be- 374 Franz Mare®: sonders um das Zustandekommen derselben handelt. Indessen ist Thöle’s mechanisch-kausale Erklärung dieser Erscheinungen an einer anderen Ausdrucksweise gescheitert. Diese Erklärung geht dahin, dass es sich um vermehrte Reizung der Gefässnerven und um Erhöhung des neuromuskulären Tonus handelt, dass die Dilatatoren- reizung den Zustand grösserer Weite schafft, dass die Peristaltik an den erweiterten Gefässen durch stärkere und schnellere Impulse vermehrt wird, dass die peripherischen 'Gefässganglien die auto- matischen Zentren der Blutverteilung sind, usw. In einer solchen mechanisch-kausalen Erklärung werden die „Lebenseinflüsse* durch „Nerveneinflüsse“ ersetzt, als wäre das Nervensystem ein bekannter Mechanismus und die Ganglien bekannte Automaten. Die pathologische Blutdrucksteigerung und ihre Be- deutung als einer Kreislaufsregulation haben wir bereits nach den Untersuehungen von Hasebroek angeführt und wollen hier einiges nachtragen, was für die weitere Ausbildung der Frage eines Eigenbetriebes der Blutdurchströmung der einzelnen Organe bemerkenswert erscheint. Ein typisches Beispiel des Eigenbetriebes und der Nachhilfe durch Steigerung des arteriellen Blutdrucks zeigen, nach Hasebroek, die Verhältnisse bei angestrengter Muskelarbeit. Die Blutdurch- strömung rhythmisch-tätiger Muskeln ist bedeutend vermehrt. Dabei erscheint der arterielle Blutdruck erniedrigt oder erhöht, je nach dem Individuum. Beim Pferde findet sich regelmässig Druck- senkung, wie Marey, Kaufmann, Zuntz festgestellt haben. Beim Hunde dagegen fanden Tangl und Zuntz Drucksteigerung. Auch beim Menschen steigt der Blutdruck, wenn die Muskelarbeit nicht geübt wird. Bei tränierten Sportsleuten findet sich, selbst bei sehr schwerer Arbeit, Drucksenkung. Hasebroek erklärt den Zusammenhang folgendermaassen: Solange der Eigenbetrieb der Muskeln ausreicht, bleibt der Blutdruck unverändert oder sinkt sogar infolge der gesteigerten peripheren Aspiration. Übersteigen aber die Ansprüche der Muskeln an die Blutzufuhr die Leistungsfähigkeit ihres Eigenbetriebes, so bedarf es einer Nachhilfe von rückwärts durch eine korrelative Mehrarbeit des Herzens, d. i. durch eine Er- höhung des arteriellen Blutdrucks. Das Pferd, ein altes Arbeitstier, kommt mit dem peripheren Eigenbetrieb der Muskeln aus, der Hund appelliert sehr bald an die Nachhilfe des Herzens. Zum Vergleich wollen wir eine Erklärung des Zusammenhanges Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 375 im Sinne der herrschenden Lehre anführen'): Die benötigte Blut- durehströmung tätiger Muskeln erfolgt infolge einer Erweiterung der Muskelarterien und Kapillaren; da jedoch diese lokale Gefäss- erweiterung auf die Dauer nicht genügt, so wird der gesamte Blut- strom durch Verstärkung der Herzarbeit beschleunigt. Neben der Gefässerweiterung ist also auch eine Verstärkung. der Herz- frequenz bei jeder Muskelanstrengung nötig. Der Blutdruck steigt dabei durch Steigerung des Tonusim Vasomotorenzentrum des Gehirns. — Man sieht, wie hier die Lehre zwischen der Annahme einer Gefässerweiterung und einer Gefässverengerung schwankt. Wie diese Lehre den Zusammenhang zwischen Muskel- arbeit und Steigerung der Herzfrequenz darstellt, das werden wir noch sehen. Die autonome Blutversorgung tritt, nach Hasebroek, besonders bei der Niere hervor, welche bei gesteigerter Tätigkeit Blut aspiriert, wie Hasebroek aus den Untersuchungen von Landergren und Tigerstedt entnommen hat. Diese?) fanden nämlich beim Hunde, dass die eine nahezu enervierte Niere durchströmende Blutmenge grossen Schwankungen unterliest, ganz unabhängig von den Variationen des Aortendrucks, was sie auf Änderungen des Widerstands in den Nieren- gefässen zurückführten, welche trotz ausgiebiger Zerstörung der Nierennerven Tonusschwankungen darbieten. Die Nierengefässe reagieren direkt auf das sie durchströmende Blut. Einem Strome kalten Salzwassers setzen sie grossen Widerstand entgegen. Die Blutdurehströmung der Niere wird besonders durch harntreibende Stoffe vermehrt, welche spezifisch auf die Nierengefässe einwirken, die sich infolgedessen erweitern. In manchen Fällen zeigt sich dabei eine Abnahme des Nierenblutdrucks bei gleichzeitiger Zunahme der durchströmenden Blutmenge. Bei genügend hohem Aortendruck und starker Erweiterung der Nierengefässe nimmt der Nierenarteriendruck ab, trotz der grossen Zu- nahme der durch die Nieren strömenden Blutmenge. 1) E. Stadler, Der Einfluss der Muskelarbeit in Beruf und Sport auf den Blutkreislauf. Volkmann’s Samml. klin. Vortr. Nr. 688. 1913. 2) E. Landergren und R. Tigerstedt, Studien über die Blutverteilung im Körper. II. Abhandl.: Die Biutzufuhr zu der Niere. Skand. Arch. f. Physiol. Bd. 4 S. 241. 189. 3b - Franz Mare®: Diesen Widerspruch will Hasebroek so gelöst haben: die Vermehrung der Blutdurchströmung wird durch Eigenbetrieb der: Nierengefässe bewirkt, so dass dabei der Blutdruck in der Nieren- arterie abnehmen kann. Hasebroek nimmt eine grosse „Aspirationsbreite“ der Nieren-. gefässe an, bedingt durch ihre Länge und das doppelte Kapillar- system, welches nieht nur keine hohen Widerstände setzt, sondern im Gegenteil dem andrängenden Blute durch Aspiration zu Hilfe kommt. Bei forcierter Nierentätigkeit kommt es auch zur Steige- rung des arteriellen Blutdrucks durch pressorische Arbeit des Arterien- systems und des Herzens; ebenso wenn ein grosser Teil der Nieren- oefässe durch Verstopfung mit Öl (Bittorf) unwirksam gemacht wird. Die Blutdrucksteigerung ist hier nicht durch erhöhte Wider- stände, sondern durch vermehrte pressorische Arbeit des arteriellen Systems bedingt. Die ‚Überempfiudlichkeit der Nierengefässe, bei Sublimatintoxikation nach Schlayer, deutet Hasebroek als eine erhöhte Reaktionsfähigkeit derselben auf den Reiz der Pulswelle, bestehend : in diastolisch-systolischen Bewegungen, worauf auch die starke Pulsation einer solchen Niere hinweist. In: allen Organen bestehen pulsatorische Vorgänge, wo es gilt den Blutstrom zu beschleunigen; doch ist diese Eigenarbeit, so selbständig sie an sich ist, auf. die Mitwirkung einer kräftigen Pulswelle eingestellt, worin die dominierende Stellung des Herzens hervortritt. ' Die pathologische Blutdrucksteigerung, als Kompensation des dauernd geschwächten Eigenbetriebs eines wichtigen Organs, tritt besonders bei der Granularnephritis (Schrumpfniere) hervor, welche mit Verödung vieler Malpiehi’schen Gefässknäuel verbunden ist, wo- bei die noch erhaltenen hyperplastisch vergrössert erscheinen; die Nierenarteriolen, Nierenarterien, die Aorta und das linke Herz zeigen eine hochgradige Hypertrophie der Muskulatur, welche von Hasebroek als eine wahre Arbeitshypertrophie infolge ver- mehrter pressorischer Arbeit gedeutet wird. Sind nämlich die inneren Nierengefässe in grösserer Ausdehnung zum Eigenbetrieb des Blut- stromes unfähig geworden, so übernehmen diese Arbeit zunächst die noch gesunden und werden dementsprechend hypertrophisch. Reicht diese Kompensation zur Erhaltung der nötigen Blutgeschwindigkeit in der Niere nicht aus, dann setzt weiter stromaufwärts mit ver- mehrter pressorischer Arbeit die Aorta und das Herz ein und da- mit auch die charakteristische Steigerung des Blutdruckmaximums. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 377 Man betrachtet die Hypertrophie der Nierenarterien allzusehr als pathologisches Vorkommnis und zu wenig als Anpassungs- vorgang, daman bei der Annahme nurtonischer Betätigungs- form der Arterien mit der Hypertrophie im Sinne korrelativer Mehrarbeit nicht viel anfangen kann. Diese Betrachtungen Hasebroek’s erwecken einen darin nicht ausgesprochenen Gedanken: dass die Malpighi’schen Gefäss- knäuel nicht als eine Filtrationsvorrichtung, sondern als ein zum Betriebe des Blutstromes in den Nieren dienendes Organ zu betrachten sind. Die Art und Weise ihrer Hyper- plasie bei der Glomerularnephritis, wie sie zum Beispiel von Ponfick!) in Gestalt sehr zellenreicher, blatt- und seetang- ähnlicher Gebilde dargestellt wird, ist dafür sehr bezeichnend. Diesen Gedanken werden wir alsbald näher ausführen. Entsprechend seinem Ausgangspunkte, der pathologischen Blut- drucksteigerung, hat Hasebroek besonders die pressorische Wirk- samkeit des arteriellen Systems nachzuweisen und mechanisch dar- zustellen versucht. Den eigentlichen peripheren Eigenbetrieb der Blutströmung durch die Organe selbst, welcher vorwiegend aspiratorisch und blutdrucksenkend wirkt, ‚behandelt er nur im allgemeinen ?). Den Ausgangspunkt seiner diesbezüglichen Betrachtungen bildet der Grundsatz, dass der Stoffwechsel, be- sonders der Sauerstoffverbrauch im Protoplasma, für die Geschwindigkeit der Blutdurchströmung bestimmend ist. Durch den Zellenstoffwechsel werden in den Kapillaren Kräfte aus- gelöst, welche die gerade nötige Blutdurehströmung bewirken; es ist ja, nach Roux, selbst auch die Bildung von Kapillaren an eine Re- gulierung vom Parenehym aus gebunden. Über die Art der protoplasmatischen Triebkräfte des Blutstromes in den Kapillaren stellt Hasebroek auf Grund neuerer Erkenntnisse allgemein-biologische Betrachtungen an, so dass er wohl über die Protoplasmadynamik Rosenbach’s hinauskommt. Der ‚protoplas- matische Betrieb zeigt sich bei den einfachsten Zellenorganismen in der Säfteströmung, in der Strömung des Protoplasmas selbst, in den 1) E. Ponfick, Untersuchungen über die exsudative Nierenentzündung, Atlas Taf. XVI Fig. 76, 77, 78. Jena 1914. 2) K. Hasebroek, Über den extrakardialen Kreislauf des Blutes usw. 8. 1—40. Jena 1914. 378 Franz Mares: kontraktilen Vakuolen und anderen. Die protoplasmatische Bewegung nimmt von der Ektoplasmaschicht ihren Ausgang; eine Plasma- haut im Sinne Pfeffer’s bildet das Hauptorgan zur Umwandlung osmotiseher Molekularkräfte in mechanische Massenbewegung. Dadurch kann auch in den Interstitien eines Zellenkomplexes ein Druckgefälle entstehen, welches eine Säfteströmung bewirkt. Die Umwandlung molekularer in molare Kräfte geschieht weiter durch Quellung und Abquellung von Kolloidsubstanzen, welche besonders bei Pflanzen sogar plötzliche Bewegungen bewirken kann. Die Kontraktilität nnd Elastizität des Protoplasmas kann ebenso rhythmische Druck- und Saugwirkungen ausüben. Als Grundlage soleher rhythmischen Bewegungen kann der Rhythmus der beiden Grundprozesse des Stoffwechsels, d. i. der Dissimilation und der Assimilation, betrachtet werden. Solche ganz allgemeine Betrachtungen weisen wohl nur auf Möglichkeiten hin, welche bloss gedacht, aber nicht vor- gestellt werden können, solange kein sichtbares Substrat für die- selben gezeigt wird. Solche Möglichkeiten zur Erklärung der Säfteströmung im Tierkörper, nach Analogie der Säfteströmung in Pflanzen usw., haben schon den älteren Physiologen, welche die Physiologie auf dem breiten Grunde einer allgemeinen Biologie auf- zubauen suchten, wie Johannes Müller, auch vorgeschwebt. Doch konnte der durchaus nur konkret denkende Volkmann eine der- artige Berufung als überhaupt nicht zulässig abweisen und diese Ab- weisung mit der Übertreibung bekräftigen, dass die ohne ein Druck- werk durchgeführte Saftbewegung in den Vegetabilien die Annahme nicht gestattet, dass auch im Tiere die Stosskraft des Herzens entbehrlich sei (H., S. 326). Hasebroek weist denn auch auf das Substrat hin, wo die Umwandlung der molekularen Zellenkräfte in die Blutbewegung stattfindet, nämlich auf die Kapillarwände. Dabei beruft er sich auf die Beobachtungen von Natus am lebendigen Pankreas, wo mit der Drüsentätigkeit die Geschwindigkeit der Blutströmung in den Kapillaren zunimmt, ganz unabhängig von ihrer Lumenweite. Es muss hier zur Erhaltung und vollends zur Erhöhung der Strömung irgendeine Tätickeit der Wandelemente selbst vorhanden sein. Dabei denkt er aber an die kontraktilen, von Rouget und S. Mayer, beschriebenen Zellen, welche nach Steinach und Kahn, Neigung zu spontanen, rhythmischen Kontraktionen zeigen. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 379 Das scheint jedoch ein Abweg zu sein, auf dem nicht weit zu kommen ist. Weiter weist Hasebroek auf die Untersuchungen von Gradinescu hin, wonach die den Stoffwechsel fördernde Wirkung des Adrenalins in einer Erregung des Kapillar- endothels zu suchen ist, durch welches der Stoffaustausck zwischen Blut und Gewebeplasma vermittelt wird; unter der Einwirkung des Adrenalins zeigt sich eine Formveränderung an den Kapillarwänden, wobei anfangs, bei schwacher Adrenalinwirkung, eine Erhöhung der Strömungsgeschwindigkeit zu beobachten ist. Aus alledem geht wohl hervor, dass der Eigenbetrieb des Blut- stromes in einem Organe in der Tätigkeit seiner Kapillarwandzellen zu suchen ist, welehe durch die Stoffwechselprodukte des Organs angeregt wird, wobei besonders auch spezifische Stoffe, wie das Adrenalin, mitwirken. Die Wirkungsweise der Kapillarwandzellen ist jedoch dadurch nicht aufgeklärt, auch nicht einmal vorstellbar gemacht. Wenn der Eigenbetrieb vorwiegend aspiratorisch wirk- sam ist, so ist diese Wirkung durch die Kontraktilität der Rouget’schen Kapillarwandzellen kaum zu erklären. Es müssen dabei die Kapillarendothelien selbst wirksam sein, und ihre Wirksam- keit muss auch mit dem Stoffaustausche und besonders mit der Flüssigkeitsverschiebung aus.dem Blute in das Ge- webe irgendwie zusammenhängen. Das bleibt in den Ausführungen Hasebroek’s unaufgeklärt. Dagegen ist die Förderung des Blutstromes durch die pres- sorische Wirksamkeit der rhythmischen Arterienkontraktionen durch diese Ausführungen so wahrscheinlich gemacht, dass sie auch von der exakten Physiologie angenommen werden kann, besonders in Anbetracht der Leichtfertigkeit, mit der dieselbe das Gegenteil angenommen hatte und behauptete. Hasebroek meint, dass die exakte Physiologie mehr zu verlangen hat als eine nur mögliche oder wahrscheinlich richtige Deutung, ehe sie etwas als Tat- sache hinnimmt! Demgemäss vertritt er die aktive Mitwirkung der Gefässe an dem Vorwärtstreiben des Blutes zurückhaltend nur als eine absolut notwendige Arbeitshypothese, um Ver- ständnis für viele Erscheinungen zu vermitteln, deren bisherige Deutung nicht ohne Widersprüche gegenüber elementaren Be- obachtungen möglich ist. Die Kraft dieses Ausdrucks mässigt er durch die Zurückhaltung, weil die Anerkennung des Kernes seiner Darlegungen eine grosse Umwälzung der Kreislaufsphysiologie be- 380 Franz MareS: Der allgemeine Blutstrom usw. . deuten würde, die manche ehrwürdigen und in mühevoller Arbeit gewonnenen Begriffe stürzen müsste. Der Umsturz bedroht die herrschende vasomotorische Theorie, welche, wie wir gesehen haben, ‚gegen die bessere Über- zeuzung der eigentlichen Entdecker der vasomotorischen Erscheinungen aufgestellt worden ist. Der Umsturz wäre also eigentlich eine Re- stauration. S8l (Aus dem physiologischen Institute der k. k. böhm. Universität in Prag.) Der allgemeine Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung der Orgare durch die Tätigkeit ihres Gefässsystems. IV. Mechanismus des Eigenbetriebs der Blutdurchströmung in verschiedenen Organen. Von Dr. Franz Mares, Professor der Physiologie. .Die Blutdurchströmung verschiedener Organe ist, entsprechend ihrer verschiedenen Betätigungsweise, als verschieden anzunehmen, was tatsächlich auch zutrifft. Die Regulierung seiner Blutdurch- strömung muss von jedem Organe selbst ausgehen, und es ist die Frage, ob sie auch von jedem autonom durch seine eigenen Kräfte ausgeführt wird. Die herrschende vasomotorische Theorie vermag wohl die Regulierung des allgemeinen Blutstromes auf eine einheitliche Weise, durch Vermittlung des zentralen Nervensystems zu erklären; in der Erklärung der Blutdurchströmung verschiedener Organe erweist sie sich jedoch als unzulänglich. Die ersten Beobachter der lebendigen Kreislaufserscheinungen haben angenommen, dass jedes tätige Gewebe das benötigte Blut aus dem allgemeinen Blutstrome selbsttätig schöpft. Der Ein- wand, dass die Ansicht von „aspiratorischen Vorgängen in der Peripherie“ schon von Volkmann widerleet worden ist, trifft nicht zu, daVolkmann’s Absicht gegen Einwürfe gerichtet war, wonach der Blutkreislauf durch den Betrieb der Blutgefässe allein auch ohne Herz zustande komme, dass also nicht das Herz, sondern die Lebenstätiekeit der Gefässe oder gar eine vitale Selbstbewezung .des Blutes die Ursache des Kreislaufs sei. Diesen Sinn hat Volkmann’s Schlusssatz (H., S. 341), dass es neben dem Herz- 382 Franz Mares: stoss keine Kraft gibt, welche für sich allein den Kreislauf durch- zuführen vermöchte. Bei der Verteilung des Blutes auf einzelne Organe liess Volkmann „neue blutbewegende Kräfte“ zu, und solche sind auch später von Bernard und Schiff auf Grund be- stimmter Erscheinungen angenommen worden. An der Tatsächlich- keit solcher peripherer Triebkräfte nur aus dem Grunde zu zweifeln, dass man sich ihre Wirkungsweise mechanisch nicht vorstellen kann, ist nicht berechtigt, weil eine Veranschaulichung einer solchen Wirkungsweise schon ihrer blossen Möglichkeit nach genügt, solche Zweifel zu beheben. Es gibt in dieser Beziehung schon so viele tatsächliche Beobachtungen, dass es nicht so sehr nötig ist, sie durch neue zu vermehren, als die schon bekannten synthetisch in Zusammenhang zu bringen. Wir beginnen mit den einfachsten und sichersten. | 1. Eigenbetrieb des Blutstromes in tätigen Muskeln. Ein unzweifelhafter Nachweis des peripheren Eigenbetriebes der Blutdurchströmung ist an physiologisch tätigen Muskeln durch die Untersuchungen von Chauveau und Kaufmann erbracht worden, obwohl die Autoren selbst ihren Befund nicht in diesem Sinne ge- deutet haben. Es liegt hier auch der Mechanismus der Wirkungs- weise dieses Eigenbetriebes klar zutage. Diese Untersuchungen be- treffen den Kaumuskel des Pferdes während seiner physiologischen, rhythmisch verlaufenden Tätigkeit, wobei seine Blutdurchströmung bis auf das Fünffache vermehrt erscheint. Kaufmann!) beschreibt diese Überaktivität der Blutdurchströmung wie folgt: Sind die Kiefer in Ruhe, so fliesst das Blut aus der geöffneten Muskelvene in einem dünnen Faden oder tropfenweise ab. Wenn das Kauen besinnt, so sieht man das Blut in einem enormen, sakkadierten Strahle hervorschiessen. Die Sak- kaden entsprechen den sukzessiven Zusammenziehungen des M. mas- seter. Bei jeder Zusammenziehung des Masseters entsteht gleichzeitig eine Blutdruckerhöhung in der maxillo-muskulären Vene und Arterie. Diese venösen Pulsationen entstehen nicht durch die normalen arteriellen Pulsationen, welche sich durch das erweiterte Kapillarnetz des Muskels fortpflanzen würden, sondern 1) M. Kaufmann, Recherches experimentales sur la circulation du sang dans les muscles en activite physiologique. Arch. de Physiol. 1892 p. 279. Der allgem.: Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 383 sind eine Folge des durch die Muskelzusammenziehung bewirkten Blutbetriebes. Bei jeder Zusammenziehung drückt der Muskel die Gefässe seines Gewebes lebhaft zusammen und treibt das Blut kräftig heraus. Die rhythmischen Kontraktionen des Muskels bewirken auf seiten des venösen Blutlaufs dieselbe Wirkung wie die Herzsystolen auf seiten des arteriellen. Rhyth- mische Kontraktionen jedes Muskels wirken auf das sein Gewebe füllende Blut ebenso ein wie die Herz- systolen auf das die Herzhöhlen füllende Blut ein- wirken; sie schicken Blutwellen durch die Venen, welche einen wahren peripheren Venenpuls hervorbringen. Diese Blutwellen können auch in die Arterien eindringen und den Herzpuls modifizieren. Dieser arterielle Puls peripheren Ursprungs kann beim Kaninchen bis in die untere Partie der Karotis reichen, das Blut unterliegt hier einer Rückströmung. Trotzdem aber leitet Kaufmann die pulsatorische Steigerung des Blutdurchflusses nicht von den wie ein Herz wirkenden rhyth- mischen Kontraktionen des Muskels ab, sondern von einer enormen Erweiterung der Muskelkapillaren und von der Be- schleunigung der Herztätigkeit. Diese enorme Erweiterung ist aber nicht beobachtet, sondern daraus erschlossen, dass dabei der Blutdruck in der Muskelarterie merklich sinkt und in der Muskelvene bedeutend steigt. Ja, Kaufmann hielt die Muskelkontraktionen für ein Hemmnis des infolge der Gefäss- erweiterung im Muskel anschwellenden Blutstromes, da er erklärte: der Blutstrom im tätigen Muskel unterliegt zwei entgegengesetzten Einflüssen; die Gefässerweiterung unterstützt ihn, die Muskelkontrak- tion drückt aber die Gefässe mechanisch zusammen, so dass der Blutstrom unterbrochen wird und sakkadiert erscheint. Darin ist der Einfluss der herrschenden Lehre deutlich. Wie kann durch eine blosse Gefässerweiterung eine andauernde Blutstromvermehrung oder gar Beschleunigung zustande kommen, wenn dabei der Blutdruck in der Arterie sinkt und in der Vene steigt, also die einzig angenommene Triebkraft abnimmt? Ist die Wirkung der Muskelkontraktion auf das die Muskelkapillaren füllende Blut der des Herzens zu vergleichen, wie kann diese Wirkung als ein Hemmnis der Blutströmung aufgefasst werden? Das könnte man vielleicht bei der Annahme einer „vitalen Selbstbewegung des Blutes“; da würde auch die Herzdiastole die Blutströmung fördern 384 Franz Mares: und die Herzsystole dieselbe hemmen, da sie den Druck strom- abwärts erhöht und die Strömung intermittierend macht. Diese Verwirrung verschwindet sofort, wenn man den Zusammenhang so auffasst, wie er sich Kaufmann selbst auf den ersten Blick dar- geboten hat: durch die Muskelkontraktion wird das die Muskel- kapillaren füllende Blut in die Venen ausgetrieben, bei der Muskel- erschlaffung füllen sich seine entleerten Kapillaren wieder mit Blut durch den arteriellen Blutdruck. Rhythmische Muskelkontraktionen wirken auf den Blutstrom im Muskel wie die eines Herzens. Damit ist der Eigenbetrieb der Blutdurchströmung eines physiologisch tätigen Muskels anerkannt. Keine Beobachtung zwingt dazu, zur Erklärung der so mächtig gesteigerten Blutdurchströmung des tätigen Muskels eine besondere oder gar enorme Erweiterung seiner Kapillaren anzunehmen, zu welcher auch wenig Zeit übrig bliebe. Das einfache Freiwerden der durch die vorhergehende Kontraktion entleerten Muskelkapillaren kann auf das arterielle Blut saugend einwirken und die beobachtete Blutdrucksenkung in der Muskelarterie verursachen. Als eine sehr verwickelte Frage wird in der Physiologie der Zusammenhang zwischen der Muskeltätigskeit und der Herzfrequenz behandelt. Bei ausgebreiteter Muskeltätigkeit würde durch die gesteigerte Blutdurchströmung das arterielle System bald erschöpft werden, ‚wenn es vom Herzen in gleichem Maasse nicht nachgefüllt würde. Der periphere Eigenbetrieb muss durch den zentralen allgemeinen Betrieb kompensiert werden. Kauf- mann!) fand, dass die Herzaktion unfähig wird, den normalen Biut- druck zu erhalten, wenn bei fast allgemeiner Muskeltätigkeit „die periphere Gefässerweiterung“ sehr ausgebreitet ist; eine lokale „Gefässerweiterung“ könne das Herz leicht kompensieren, eine allgemeine kaum. Bei sehr angestrengten Muskelbewegungen ohne vorhergehende Übung sei das Herz unfähig, den arteriellen Blutdruck auf seiner Höhe zu erhalten. Tang]l und Zuntz?) haben angenommen, dass in der Norm jede motorische Innervation eines Muskels mit einer Erweiterung 1) M. Kaufmann, Influence des mouvements musculaires sur la circulation arterielle et cardiaque. Arch. de Physiol. 1892 p. 495. 2) F. Tangl und N. Zuntz, Über die Einwirkung der Muskelarbeit auf den Blutdruck. Pflüger’s Arch. Bd. 70 S. 544. 1898. Der allgem, Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 385 seiner zuführenden Gefässe verbunden ist, „wie der Versuch von Chauveau und Kaufmann dargetan*. Sie fanden auch, dass eine solche Gefässerweiterung in vielen Muskelgruppen zugleich erfolgend den arteriellen Blutdruck herabsetzen müsste, falls nicht andere Momente dem nicht entgesen wirkten; und als ein solches Moment nennen sie in erster Linie die Förderung des Venen- stromes durch die Muskelarbeit. Das andere Moment ist die Steigerung der Herzfrequenz. Es ist erstaunlich, welche Schwierigkeiten die Frage des engen Zu- sammenhanges zwischen der Herzfrequenz und der Muskeltätigkeit der herrschenden Lehre bereitet hat, und noch mehr, dass diese an den Schwierigkeiten nicht schon längst gescheitert ist. Marey erklärte die Pulsbeschleunigung, wie schon erwähnt, als eine Folge der Erleichterung der DBlutdurchströmung der erweiterten Muskelgefässe, so dass das Herz weniger Arbeit zu leisten hat und schneller schlagen kann. Eine solche Erklärung hat es vielleicht bewirkt, dass man diese Frage nicht weiter berührte und nur das Zustandekommen der Herzbeschleunigung bei der Muskelarbeit zu erklären suchte. So suchte Johansson!) die Wege z zu ermitteln, auf welchen die Muskelarbeit auf die Herztätigkeit einwirkt. Es können das nervöse Wege sein, oder Blutwege der Stoffwechselprodukte arbeitender Muskeln, oder aber auch Zirkulationsänderungen, welche mechanisch auf das Herz einwirken. Die Steigerung der Pulsfrequenz entsteht besonders bei willkürlichenBewegungen, kaum bei passiven oder künstlich durch tetanische Reizung des Rückenmarks hervorgerufenen. Hier erscheint sie, wenn die tetani- schen Kontraktionen mit Erschlaffung abwechseln; doch tritt keine Pulsbeschleunigung ein, wenn die Bauchaorta und die Vena cava inferior unterbunden sind. Nach Lösung der Ligatur steigt sofort die Pulsfrequenz, auch wenndie Muskeln nieht tetanisiert wurden. Demnach, so schloss Johansson, beeinflussen die Pulsfrequenz nicht so sehr Muskelstoffe als vielmehr die Änderung der Blutströmung selbst. Bei dieser Schlussfolgerung ist jedoch Johansson nicht ge- blieben. Er liess sich davon dadurch ableiten, dass Schwankungen 1) J. E. Johansson, Über die Einwirkung der Muskeltätigkeit auf die Atmung und die Herztätigkeit. 'skand. Arch. f. Physiol. Bd. 5 S. 20. 1895. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 26 386 Franz Mares: des arteriellen Blutdrucks die Pulsfrequenz nicht be- einflussen. So meinte er, dass Änderungen der Zirkula- tionsverhältnisse bei der Steigerung der Herzfrequenz während der Muskelarbeit sehr wenig in Betracht kommen. Auch die Muskelstoffe seien daran wenig beeinflusst. Es sei zum grössten Teile die Miterregung der Zentren der beschleuniger- den Herznerven, welche bei der willkürlichen Muskelarbeit die beträchtliche Steigerung der Pulsfrequenz verursacht. - Gleichzeitig hat H. E. Hering!) aus der Gesamtheit seiner Versuche geschlossen, dass die Steigerung der Herzfrequenz bei der Muskeltätigkeit hauptsächlich an die Integrität der Beschleuni- sungsnerven gebunden ist, unterstützt durch Abnahme der Er- egung herzhemmender Nerven. Athanasiu und Carvallo?) sahen wohl den Zweck des Zu-. sammenhanges zwischen der Muskeltätigkeit und dem Herzrhythmus in einer Sieherung des Blutkreislaufes, doch leugneten sie einen Zusammenhang der Herzbeschleunigung mit den Kreislauf- änderungen. Denn sie fanden die Herzbeschleunigung un- abhäneig von Änderungen des arteriellen Blutdrucks, obgleich sie: doch die Beschleunigung des Venenblut- stromes aus tätigen Muskeln hervorgehoben haben. Die Pulsbeschleunigung entsteht, meinen sie, auf reflektorischem Wege, indem zentripetale Frregungen vom tätigen Muskel aus den Tonus des Herzhemmungszentrums im Kopfmarke abschwächen. Diese Herzbeschleunigung bezweckt hauptsächlich die Regelung des arteriellen Blutdrucks. | | So war alle Aufmerksamkeit auf den arteriellen Blut- druck gerichtet und wichtigere Kreislaufverhältnisse wurden übersehen. Mansfeld?) hat wohl die „staunenswerteKoordination*® zwischen der Muskeltätigkeit und der Herzarbeit hervorgehoben, doch sah er sie darin, dass mehr Blut durch die Muskeln getrieben 1) H. E. Herin g, Über die Beziehung der extrakardialen Herznerven zur Steigerung der Herzschlagzahl bei Muskeltätigkeit. Pflüger’s Arch. Bd. 60 8.429. 1895. 2). J. Athanasiu et J. Carvallo, Le travail musculaire et le rhytme du ceur. Arch. de Physiol. 1898 p. 347, 552. 3) J. Mansfeld, Die Ursache der motorischen Akzeleration des Herzens. Pflüger’s Arch. Bd. 134 S. 598. 1910. und Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 387 wird, und zwar durch die verstärkte Herzaktion, unter- stützt von einer „«Gefässerweiterung“ in den tätigen Muskeln. Das Zustandekommen der zweckmässigen Koordination zwischen der Muskelarbeit und der Herztätigkeit erklärte Mansfeld durch den auf der Blutbahn dem Herzen zugeführten Wärmereiz, der jedoch nicht direkt auf den Herzmuskel einwirken würde, sondern auf temperaturempfindliche Nerven des rechten Herzens, welche reflek- torisch durch Akzeleranswirkung, wobei aber auch die Herzvaei eine wichtige Rolle spielen, den Pulsschlag beschleunigen. Mansfeld fand nämlich am entnervten Herzen bei künstlicher Muskel- arbeit nicht'eine Spur von Pulsbeschleunigung. Die Erwärmung des venösen Blutes im tätigen Muskel könnte wohl vom rechten Herzvorhof aus eine Steigerung der Puls- frequenz hervorrufen; auf diesem Wege könnte der Zusammen- hang zwischen der Muskeltätigkeit und der Herzfrequenz aufgedeckt werden. Ob dieser Zusammenhang durch einen Wärmereiz und auf reflektorisehem Wege zustandekommt, ist sehr fraglich. Aulo!) meinte, dass hier ein schnell wirkender Faktor gesucht werden muss, da die Steigerung der Pulsfrequenz bei der geringsten Muskel- anstrengzung fast augenblicklich zustande kommt. Dass der Blut- druck diesen Faktor nicht darstellt, folgt aus Johansson’s Versuchen, sagt Aulo und sieht keine andere Annahme übrig als die Johansson’s, dass die Steigerung der Pulsfrequenz durch Miterregung der Herznerven beim. Abgeben der moto- rischen Impulse verursacht ist. Das nennt Aulo eine „Irra- diation des motorischen Impulses nach den Zentren der Herznerven‘. Ebenso finden Gasser und Meek?°) die Annahme Johans- son’s damit begründet, dass die sofort mit der Muskelanstrengung ‚beginnende Steigerung der Herzfrequenz nicht durch direkte Wirkung von Muskelmetaboliten oder durch Reflexe bewirkt sein kann; der einzige Mechanismus, der in so kurzer Zeit wirken kann, sei der nervöse. Die Pulsbeschleunigung tritt, nach Gasser und 1) T. A. Aulo, Muskelarbeit und Pulsfrequenz. Skand. Arch.-f. Physiol. Ba. 21 S. 146. 1909. — T. A. Aulo, Weiteres über die Ursache der Herz- beschleunigung bei der Muskelarbeit. Skand. Arch. Bd. 25 S. 377. 1911. 2) H. S. Gasser and W. J. Meek, A study of the mechanism by which muscular exereise produces acceleration of the heart. The Americ. Journ. of Physiol. vol. 34 p.48. 1914. 26 * 388 Franz Mares: Meek, auch nach Exstirpation des Ganelion stellatum ein, wird aber durch Vagusdurehscehneidung behindert. Die „Irradiation des motorischen Impulses“ würde demnach den Vagustonus sch vächen. Zu ihrer Überraschung fanden aber Gasser und Meek bei Hunden eine merkliche Steigerung der Herzfrequenz bei Muskel- anstrengung auch nach Durchschneidung aller äusseren Herznerven und auch nach Ausschaltung der Nebeunieren; diese Herzbeschleunigung möchten sie der Teinperaturerhöhung zuschreiben, „Irradiation von motorischen Impulsen auf das Herzvaguszentrum“ ist eine gar unphysiologische Hypothese Irradiation be- deutet einen Durchbruch der Koordination, der Hauptfunktion des Nervensystems. Ein äusserer das Nervensystem treffeuder Reiz könnte vielleicht in demselben irradiieren; der Erfole wäre aber keine koordinierte Verrichtung, sondern beispielsweise Jack- son’s Epilepsie. Der asphyktische Reiz kann alle Kopfinarkzentren betreffen, es erfolgen aber daraus allgemeine Krämpfe und Herz- stillstand durch Vagushemmung. Geht man einem physiologischen Zusammenhange nur in rein kausaler Richtung nach, ohne die Führung des teleologischen Leitfadens, so trifft man schwerlich den richtigen. Wäre die Steigerung der Herzfrequenz bei der geringsten Muskelanstreneung nur durch blosse Miterregung bedingt, so wäre es besser, dieses lästige Herzklopfen zu beseitigen, wie andere | überflüssige Mitbewegungen durch Übung beseitirt werden. Es handelt sich hier aber um eine „taunenswerte Koordination zur Sicherung des Blutkreislaufs“. Wird durch die tätige Muskulatur viel mehr Blut durchgetrieben, so dass der Venenstrom mächtig anschwillt, so muss auch das Herz in gleichem Maasse mehr Blut aus den Venen in die Arterien treiben, wenn der Blutkreislauf nieht unterbrochen werden darf. Die durch die Muskeltätiekeit be- wirkte Kreislaufsänderung selbst muss es sein, welche die Steigerung der Herzfrequenz hervorruft. Denn die Koordination der Kreislaufsbeweeung muss von den Kreislaufsäuderungen selbst aus- ‚gehen, wie die Koordination jeder Bewegung von ihr selbst ausgeht. Es zeugt von tiefer Einsicht, dass Johansson uuter den die Herzfrequenz bei der Muskelarbeit anregenden Faktoren auch die Änderung der Blutströmungselbst hervorgehoben hat. Doch suchte er diese Änderung im arteriellen Blutdrucke und liess den Gedanken fallen, da der arterielle Blutdruck die Herzfrequenz nicht beeinflusst. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 389 Als das Wesentliche erscheint hier jedoch nicht der arterielle Blutdruck, sondern das bedeutente Anschwellen des Venen- blutstromes, an dem sogar der Rhythmus der Muskelzusammen- ziehuueen zum Ausdruck komint. Es ist also anzunehmen, dass der verstärkte Blutzufluss zum rechten Herzvorhof die raschere Herztätiekeit hervorruft, gerade in dem. Maasse, dass das Herz den reichlicheren Blutzufluss ohne Stauung weiterfördert. SH Die gewohnte Überschätzung der Bedeutung des arteriellen Blutdrucks hat die Aufmerksamkeit von diesem wesentlichen Um- stande abzeleukt. Der arterielle Blutdruck wirkt auf die. linke Herzkammer. während ihrer refraktären Phase und kann vielleicht nur die Kraft der Systole beeinflussen. Der Herzrhythmus wird - aber von dem im rechten Vorhof eingeschlossenen Venen- sinus bestimmt; hier kann der vermehrte venöse Blutzufluss die Entstehung der systolischen Erregung beeinflussen. So entsteht die Frage, ob tatsächlich die Herzfrequenz durch den venösen Blutzufluss beeinflusst wird. Man könnte hier sicher eine Entdeckung machen, wenn die Tatsache nicht schon längst bekannt wäre. An festgestellten Tatsachen mangelt es nicht so sehr als an der synthetischen Zusammenfügung derselben, ohue welche eine lose Tatsache der Vergessenheit: nicht entgehen kann. . Tsehirjew y fand am Froschherzen bei Steigerung des Druckes der durehströmenden Flüssigkeit Beschleunigung der Herzschläge durch Verkürzung der diastolischen Pause. Luchsinger und Ludwig?) stellten die Schlaefolge des Herzens als eine Funktion des intrakardialen Druckes fest; bei Füllung des Froschherzens von der Vena cava inferior aus steigt mit dem Füllungsdrucke die Pulsfrequenz Der beschleunigende Einfluss des venösen Blutzuflusses auf das Säugetierherz erschien zweifelhaft. Tigerstedt®) hat aus Ver- suchen von Howell uud Donaldson am Herzpräparate nach Martin gefolgert, dass im grossen Ganzen die Pulsfrequenz auch vom venösen Drucke ziemlich unabhängig ist. Bei erhaltenem . DS. Tschirjew, Über den Einfluss der Blutdruckschwankungen auf den Herzrhythmus. Arch. f. Physiol. 1877 S. 179. 2) J. M. Ludwig und B. Luchsinger, Zur Physiologie des Herzens. Pflüger’s Arch. Bd. 24 S. 227. 1881. 3) R. Tigerstedt, Physiologie des Kreislaufes $. 299. 1893. 30 .: Franz Mares: natürlichen Zusammenhange des rechten Herzens mit dem Venen- system ist jedoch der beschleunigende Finfluss des venösen Blut- zuflusses kaum zu bezweifeln, wie aus den Versuchen von Johansson hervorgeht. Johansson!) fand nämlich beim Hunde nach Zerstörung der äusseren Herznerven, bei Reizung des Halsmarks oder des Splanch- nicus, dass zuerst die arterielle Blutdrucksteigerung erscheint, welcher eine kurz dauernde Pulsbeschleunigung folgt, die jedoch bei der Wiederholung der Reizung und der Druck- steigerung ausbleibt. Da also die arterielle Drucksteigerung für sich allein die Schlagzahl des Herzens nicht mehrt, so dachte Johansson an den durch die erste Vasokonstriktion bewirkten vermehrten venösen Blutzufluss zum rechten Herzen als - Ursache der Pulsbeschleunigung. Das hat dann Tigerstedt ganz bestimmt ausgesprochen: die Hauptursacehe der Puls- beschleunigung, wenigstens bei der durch ausgiebige Gefäss- kontraktion bedingten arteriellen Drucksteigerung ist in der plötzlich vermehrten Blutzfuhr zum Herzen zu suchen, wodurch die Abteilungen des Herzens, welche den ganzen Herzschlag einleiten, zu einer schnelleren Tätigkeit gebracht werden. Diesen Gedanken hat Johansson, wie erwähnt, auch bei seiner Erörterung des Zusammenhanges zwischen Muskelarbeit und Herz- frequenz berührt, jedoch abgestellt. Und auch hier hat Johansson gefunden, dass nach Freigeben des Blutstromes in der vorher ver- schlossenen Vena cava inferior die Pulsfrequenz unmitttelbar steigt, auch wenn die Hinterbeine vorher nicht tetani- siert wurden. Die Steigerung der Pulsfrequenz bei willkürlichen Bewegungen ist viel beträchtlicher als beim künstlichen Tetanisieren der Muskeln, weil die natürlich-rhythmische Muskelbewesung den venösen Blut- strom ausgiebig fördert, wogegen der künstliche Tetanus die Blut- strömung hemmt. Vielleicht hängt mit der Änderung venösen Blut- zuflusses zum rechten Herzen auch die Änderung der Pulsfrequenz bei Änderungen der Körperlage zusammen. Ist irgendwo eine einfach mechanische Erklärung einer Kreis- laufsregulation am Platze, so ist es hier. Die Blutdurchströmung 1) J. E. Johansson, Die Reizung der Vasomotoren nach der Lähmung der zerebrospinalen Herznerven. Arch. f. Physiol. 1891 S. 103. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 391 des Muskels bei seiner natürlichen Tätigkeit wird durch seinen Eigenbetrieb gefördert, indem der rhythmisch tätige Muskel auf das ihn durchströmende Blut wie ein Herz einwirkt. Der dadurch beschleunigte und vermehrte venöse Blutstrom regt das Herz zu gesteigerter Tätiekeit an, durch welche die von der Muskulatur bewirkte Beschleunigung und Vermehrung des Blutstromes aus den Arterien in die Venen mit ebensolcher Beschleunigung aus den Venen durch die Atmungsfläche in die Arterien ausgeglichen wird. Bei angestrengter, ausgebreiteter Muskelarbeit wird der gesamte Blut- strom beschleunigt. Der Ursprung dieser Beschleunigung ist in dem tätigen Muskelgewebe; durch den so beschleunigten Blutstrom wird das Herz und die äusseren Atembewegungen zu gesteigerter Tätigkeit herangezogen. Alle diese drei Faktoren leisten die zar Beschleunigung des Gesamtblutstromes erforderliche Mehr- arbeit, ein jeder in dem ihm entsprechenden Maasse, nicht das Herz allein. 2. Eigenbetrieb des Blutstromes in den Drüsen. . Die Erscheinungen der Blutdurchströmung der Unterkieferdrüse bei Reizung der Chorda haben Schiff zu der Überzeugung geführt, dass hier eine besondere rhythmische Kraft zur Wirkung kommt, ähnlich der, welche das Sekret austreibt; er dachte an eine Wand zwischen dem Blute und dem Sekrete, welche unter dem Chordaeinflusse jene Kraft hervorbringt, die nicht auf Kontraktilität zu beruhen braucht. Diese Wand kann in erster Linie die Kapillarwand sein. Die Annahme, dass sich unter dem Chordaeinflusse die Kapillaren der Drüse erweitern und dass dadurch eine solche Widerstands- herabsetzung eintritt, dass der Blutstrom in den Kapillaren seine pulsatorische Beschleunigung beibehält, entspricht dem Tatbestande nieht und ist auch hydrodynamisch verkehrt. Entsprechend dieser Annahme hat man auch als selbstverständlich angenommen, dass dabei das Volum der Drüse zunimmt. Nun hat aber Bunch!) gefunden, dass die Unterkieferdrüse bei Reizung der Chorda regelmässig eine bedeutende Volumabnahme zeigt, wenn der Speichel frei abfliesst. Wird der Drüsenausführungsgang 1) J. L. Bunch, On the changes in volume of the submaxillary gland during activity. 'The Journ. of Physiol. vol. 26 p.1. 1900. 392 Franz Mares: vor der Chordareizung verschlossen, so erfolgt bei der Reizung-nach einer anfänglichen Volumabnahme eine Volumzunahme der Drüse. Wird die Ausstossung eines Sekrets durch Atropin gelähmt, so be- wirkt die Chordareizung eine aktive Ausdehnung der Drüse. Bunch hat seinen Befund dennoch im Sinne der herrschenden Lehre gedeutet. Die Volumabnahme sei durch die Ausstossung des Sekrets bedingt, dessen Volum grösser ist als das der Gefäss- erweiterung. Dafür spreche, dass die Anschwellung der atropinisierten Drüse früher eintrift als die Blutstrombeschleunigung in der Drüsen- vene: denn die erweiterten Gefässe erfordern: einen additionellen Blutzufluss zu ihrer Füllung, wodurch sich die Blutstrombeschleunieung in der Drüsenvene etwas verspätet. Damit erscheint aber die Er- klärung der Strombeschleunigung durch Gefässerweiterung preis- gegeben, diese bewirkt demnach eine Ve rzögerung der Be- schleunigung. Ist schon das Volum des Drüsensekrets, nach der Annahme von Bunch, grösser als die angenommene, Gefässerweiterung, so kommt dazu noch das Volum der vermehrten Lymphe. Das Blut erfährt in der Drüse einen bedeutenden Wasserverlust. Es wird, nach dem Befunde von Barcroft!), reicher an Sauerstoff und Blutkörperchen. Der Wasserverlust ist zu Anfang der Chorda- reizung grösser als: die Speichelmenge, der Überschuss vermehrt die Lymphe. Der mächtige, aus dem Blute durch die Drüse abgeleitete Wasserstrom bedeutet eine beträchtliche Volumver- kleinerung des die Drüse durchströmenden Blutes. Das passt nicht zu der Annahme einer Gefässerweiterung in der Drüse, zur Erklärung der gleichzeitigen pulsatorischen Blutstrom- beschleunigung. Dafür erhebt sich hier die Frage, ob diese Beschleunigung nicht vielmehr eine Folge des aus dem Blute durch die Kapillarwand in das Drüsengewebe ge- triebenen Wasserstromes ist. | Die allgemeine Überzeugu ng, dass eine Blutstrombeschleuni- sung nur durch eine Widerstandsherabsetzung und diese nur durch eine Gefässerweiterung, unter Volumzunahme des Organs, zustande kommen könne, hat zu einer Überrasehung geführt. Loewi, Fletcher 1) J. Barcroft, The gaseous metabolism of the submaxillary gland. The Journ. of Physiol. vol. 25 p. 479. 1900. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 393 und Henderson!) haben gefunden, dass die vom Nervezzentrum abgetrennte Niere sich unter Koffeineinfluss mächtig ausdehnt, wobei arteriellfarbiges Blut durch die bis dahin blaurote Nierenvene schiesst. Also ganz im Sinne der herrschenden Annahme. Doch hat Loewi?) bei trocken gefütterten Tieren mit armseliger Diurese während der Sommerhitze Koffeiudiurese ohne merkliche Zunahme des Nieren- volums beobachtet. Er gipste also die Niere ein, um jede Volumzunahme derselben unmöglich zu machen. Trotzdem trat aber nach Koffeininjektion eine mächtige Diurese ein. Dieses un- erwartete Ergebnis weckte in den Beobachtern Zweifel an der Zulässiekeit der üblichen Onkometermessung als sicheren Maassstabs für Gefässerweiterung. Deshalb prüften sie die Stromgeschwindigkeit an der Farbe des Venenblutes: das Blut schoss auch nach Eineipsung der Niere rein arteriell durch die Nieren- vene | Henderson und Loewi?) haben also die Frage, „dass bei der Vasodilatatorenreizung die allgemeine Gefässerweiterung vielleicht gar nicht die alleinige Ursache der Strombeschleunigung ist, sondern dass gleichzeitig noch eine davon unabhänzige Widerstandsherab- setzung im Stromgebiet eintrete“, an der Unterkieferdrüse einer Prüfung unterzogen. Sie verhinderten die Anschwellung der atro- pinisierten Drüse beim Huude durch Eingipsen und reizten die Chorda. Es trat eine Steigerung des Blutdurchflusses durch die Drüse ebenso ein wie bei unbehinderter Ausdehnungsmöglichkeit. Daraus schlossen sie, dass die Strombeschleunigung hier nicht durch Ausdehnung der Blutgefässe, sondern nur durch Wegfall eines inneren Widerstandes in der Strombahn erfolgen kann, das ist durch eine Erweiterung des Gefässlumens ohne Ausdehnung des Gesamtgefässes. Eine solehe Erweiterung ist an den Kapillaren von Stricker und Tarchanow beobachtet worden, wo sich die wand- ständigen Zellen durch Wasseraustritt verkleinern können, so ‚dass das Lumen weiter wird, bei unverändertem Gesamtquerschnitt der Kapillare. 1) 0. Loewi, Untersuchungen zur Physiologie und Pharmakologie der Nierenfunktion. II. Mitteilung. Über den Mechanismus der Koffeindiurese. Arch. f. exp. -Pathol. und’ Pharmakol. Bd. 53 S. 15. 1905. 2) V. E. Henderson und O. Loewi, Über die Wirkung der Vasodilata- torenreizung. “Arch. f. exp. Pathol. und Pharmakol. Ba. 53 S. 56. 1905. 394 Franz Mare$: Ein Wasseraustritt aus den Kapillarepithelien kann mit dem Wasserstrome aus dem Blute in das Drüsengewebe in Zu- sammenhang gebracht werden, wenn man annimmt, dass er sich rhythmisch und koordiniert wiederholt. Ein einmaliger Wasseraustritt aus den Kapillarepithelien kann durch ihre Volum- abnahme eine stationäre Erweiterung des Kapillarlumens herbei- führen, aber keinen Wasserstrom hervorbringen. Der mächtige Wasserstrom ist aber da und kann nur durch die Kapillarepithelien hindurchgehen. Heidenhain!) hat gezeigt, dass die Triebkraft des Wasser- stromes aus dem Blute in das Gewebe der tätigen Unterkieferdrüse nicht vom Blutdruck herrührt, auch nicht von einer Steigerung dieses Druckes „durch irgendwelche akzessorische Kräfte, zum Beispiel durch rhythmische Kontraktionen der kleinsten Drüsenarterien“. Die Zirkulationsänderung ist, nach Heidenhain, nicht die Ursache der gleichzeitigen Absonderung, das Verhältnis ist eher umgekehrt: Die Absonderung ist die Ursache der Blutstrombeschleuni- gsune. Heidenhain verleste diese Triebkraft in das Drüsen- sewebe, also vor den Wasserstrom aus dem Blute.. An die Kapillarepithelien dachte Heidenhain nicht, weil er es für eine fundamentale Tatsache hielt, dass während der Absonderung aus den Blutgefässen der Drüse immer nur gerade so viel Wasser austritt, als in dem Sekrete erscheint; denn niemals, bei noch so langer Absonderung werde die Drüse ödematös oder beschleunige sich der Lymphstrom aus derselben. Nun ist aber die Beschleunigung des Lymphstromes aus der Unterkieferdrüse bei Reizung der Chorda von Asher und Bar- bera?) und besonders von Bainbridge?°) erwiesen worden. Es ist also die Triebkraft des Wasserstromes nicht in den Drüsenzellen zu suchen, sondern inden Kapillarepithelien, welche gleichsam an der Quelle des Wasserstromes sitzen. Es entsteht die Frage, welche Art von Triebkraft die Kapillarwände entwickeln könnten. Marey wollte zur Erklärung aller Kreislaufserscheinungen nur eine einzige vitale 1) R. Heidenhain, Hermann’s Handb. d. Physiol. Bd.5 (1) S. 44. 1888. 2) L.Asher und A. G. Barb£ra, Untersuchungen über die Eigenschaften und die Entstehung der Lymphe. Zeitschr. f. Biol. Bd. 36 S. 199. 189. 3) F. A. Bainbridge, Observations on the Iymphflow from the sub- maxillary gland of the dog. The Journ. of Physiol. vol. 26 p. 79. 1900. Der allgem, Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 395 Kraft zugelassen haben: die Kontraktilität. Man denkt auch allgemein bei motorischen Leistungen tierischer Gebilde immer zuerst an die Kontraktilität, obzwar Schiff bereits darauf hingewiesen hat, dass die von der Scheidewand zwischen Blut und Gewebe gelieferte Kraft nieht auf Kontraktilität zu beruhen braucht. Die Kontraktilität ist eine ziemlich hochentwickelte, geordnete Verrichtung, welche ein spezifisch differenziertes Organ erfordert. Vielleicht kommen doch auch bei tierischen Gebilden Kraftentfaltungen vor, welche auf einfacheren, bloss physikalischen Bedingungen be- ruhen, wie es bei den Pflanzen der Fall ist. Die Wände der Blutkapillaren sind mit sternförmig erzweieten Zellen belegt, deren Ausläufer die Kapillarwand umspannen und durch ihre Kontraktion zu dünnen, längsgestreiften Strängen zu- sammenschnüren, wie Steinach und Kahn!) gefunden haben. Die durch diese Rouget’schen Zellen bewirkte Zusammmenschnürung der Kapillare bleibt nicht örtlich beschränkt, sondern erstreckt sich weiter, und es zeigt sich eine Neigung zu rhythmischen Kon- traktionen. Neben dieser Bewegungsart der Karla die auf einer Form- änderung besonderer Zellengebilde beruht, ist eine andere, zuerst von Stricker beobachtete Bewegungsart festgestellt, welche durch eine Volumänderung der protoplasmatischen Kapillarwand oder der Kapillarepithelien bewirkt wird. Durch Anschwellung der Kapillarepithelien wird das Kapillarlumen verengt, durch Ab- schwellung derselben erweitert. Recklinghausen und "Tarehanoff?) haben diese Bewegungsart der Kapillaren näher untersucht; Severini°) hat ihre Abhängigkeit von den Atmungs- gasen beobachtet, indem Sauerstoffzufuhr eine Verengerung der Kapillare durch Anschwellen ihrer Wände, Kohlensäure das Gegenteil hervorruft. Biedl hat diese Bewegungen der Kapillaren im Frosch- mesenterium bei Erwärmung auf 45° gesehen. Nach Stricker ist diese Bewegungsart der Kapillaren den Vorgängen in den Drüsen analog: die Lumina ann durch Vergrösserung der Zellen kleiner. 1) E. Shoinaah und R. H. Kahn, Echte Kontraktilität und motorische Innervation der Blutkapillaren. Pflüger’s Arch. Bd. 97 S. 105. 1903. .2) J. Tarchanoff, Beobachtungen über kontraktile Elemente in den Blut- und Lymphkapillaren. Pflüger’s Arch. Bd. 9 S. 407. 1874. 3) Severini, Referat Hofmann-Schwalbe, Jahresberichte Bd. 2 S. 78—80. 1881. 396 : Franz Mares: Die Stricker’sche Bewegungsart der Kapillaren hat. wenig Beachtung gefunden, solange man keine besondere Bedeutung dafür anzunehmen hatte. Erst die Blutdurchströmung der ein- gegipsten Unterkieferdrüse bei der Chordareizung hat Loewi und Matthes auf dieselbe aufmerksam gemacht. Die Anschwellung der Kapillarepithelien erfolgt zweifellos durch Wasseraufnahme aus dem Blutplasma, und zwar durch Quellung der Protoplasmakolloide; durch nachfolgende Abquellung kann das Wasser an das Gewebe weitergegeben werden. Durch rhythmische Quellung und Abquellung der Kapillar- epithelien müsste so ein Wasserstrom aus dem Blute in das Gewebe zustande kommen, dessen Triebkraft auf der Quellung und Abquellung der Zellen beruhen würde. Die Regulierung dieser physikalischen Prozesse kann durch den physiologischen Stoffwechsel der Kapillarepithelien, der unter dem Nerveneinflusse steht, bestimmt werden. Die Bedeutung der Kapillarwand als eines reizbaren und spe- zifisch tätigen Organs ist besonders durch die Untersuchungen Heidenhain’s über die Lymphbildung ans Licht getreten. Die Kapillaren bewirken durch eigene koordinierte und geregelte Tätigkeit einen Wasserstrom aus dem Blute in die Gewebe. 3 Künstliche Durehströmung abgetrennter Organe mit Locke- scher Lösung schädigt, nach H&don und Fleig!), die Kapillar- wände so, dass sie Flüssigkeit. durchlassen, welche das Bindegewebe des Organs infiltriertt und die weitere Durchströmung hemmt. Athanasiu und Gradinescu?) fanden nun, dass das Adrenalin diese Infiltration verhindert, indem sie den „Tonus* der Kapillar- endothelien stärkt, so dass sich ihre „Poren“ verschliessen. Unter Adrenalineinfluss : nimmt anfangs die Strömungsgeschwindiekeit in den Kapillaren zu, später nimmt sie ab und kann bei grösseren Adrenalindosen ganz aufhören. Die Kapillaren zeigen Einschnürungen, an einigen Stellen verenet sich ihre Öffnung. Gradinesceu deutet diese Einschnürungen als eine Folge der Zusammenziehung 1) E. Hedon et C. Fleig, Action de serums artificiels et du serum sanguin sur le fonctionnement des organs isoles des mammiferes. Arch. internat. de Physiol. t. 3-p. 95. 1905. 2) A.V.Gradinescu, Der Einfluss der Nebennieren 'auf den Blutkreislauf und den Stoffwechsel. Pflüger’s Arch. Bd. 152 S. 187. 191%, Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 397 der Endothelzellen. Damit erklären sich, nach Gradineseu, die Folgen beiderseitiger Nebennierenexstirpation: das Blutplasma tritt durch die Kapillarwand unverändert in das Gewebe über, die Lymphströmung erscheint aber trotzdem vermindert. Daraus wäre für unseren Zweck hervorzuheben, dass die Kapillar- epithelien ohne den anregenden Adrenalineinfluss unverändertes Blutplasma durchlassen, welches aus dem Gewebe nicht als Lymphe abfliesst. Es dürfte sich also bei der normalen Lymph- bildung um Entnahme von Wasser aus dem Blute handeln. Die von Gradinescu gegebenen Abbildungen der unter Adrenalin- einfluss auftretenden Einschnürungen der Kapillaren (Pflüger’s Arch. Bd. 152 S, 223) entsprechen denen von Tarehanoff (Pflüger’s Arch. Bd. 9 Taf, VIIb Fig. 5, 6) viel mehr als denen von Steinach und Kahn (Pflüger’s Arch. Bd. 97 Taf. I Fig. 6 u. 7). Sie dürften also nach Stricker durch An- schwellung der spindelförmigen Zellenelemente der Kapillarwand zustande kommen, | Wenn die Kapillarepithelien durch Quellung und Abquellung, welche durch ihre innere Tätigkeit geregelt wird, einen Wasser- strom aus dem Blute in die Gewebe bewirken, der als Lymphe abfliesst und zur Abführung- der .Drüsensekrete dient, welchen hämodynamischen Einfluss auf den Blutstrom muss dieser aus dem Blute aktiv geschöpfte Wasserstrom haben? Zuerst wird das Volum des durchströmenden Blutes um das abgeschöpfte Wasser verkleinert und durch nachströmendes Blut ersetzt. Die den Wasserstrom ableitende Triebkraft wird der arterielle Blutzufluss steigern, gleichsam eine Saug- wirkung auf denselben ausüben. Hier erhebt sich die Frage der hämodynamischen Bedeutung des Lymphstromes. Wenn weiter durch die koordinierte Quellung und Abquellung der Kapillarepithelien das Kapillarlumen abwechselnd verengt und erweitert wird, so wird dadurch eine rhythmisch wirkende Trieb- kraft entfaltet, welche dem die Kapillaren durchströmenden Blute eine rhythmische Beschleunigung zu erteilen vermag. Die Kapillar- epithelien können durch die ankommende Pulswelle zur Abquellung und gleich danach wieder zur Quellung veranlasst werden, wodurch sich die Kapillare vor der ankommenden Blutwelle eröffnen und nach ihr aktiv verengern würde. Dadurch würde der Blutstrom in den 398 Franz Mare®: Kapillaren eine aktive pulsatorische Beschleunigung erfahren, die tatsächlich in dem. aus der Vene pulsatorisch hervorschiessenden Blutstrome zum Vorschein kommt. Die pulsatorische, durch Quellung und Abquellung der Kapillarepithelien bewirkte Lumenänderung jeder einzelnen Kapillare des Organs könnte ganz geringfücig und kaum bemerkbar sein: der Erfolg würde durch Summation der koor- dinierten, von Querschnitt zu Querschnitt jeder einzelnen Kapillare fortschreitenden Bewegung aller Kapillaren des Organs zu er- klären sein. In den Kapillarepithelien können also ähnliche physikalische Kräfte zur Entfaltung kommen wie in den aktiven Wurzelzellen der Pflanzen, welche Wasser und Salze aus dem Nährboden aufsaugen und in die Höhe treiben (Blutungsdruck der Stengelstümpfe und ähnliche). ‚Die Kapillarepithelien sind gleichsam die in den Nähr- boden eingesenkten Wurzelzellen des Tierkörpers. Ältere Beobachtungen über die motorische Einwirkung der Kapillaren auf das Blut, welche in der herrschenden Hämo- dynamik wenig Beachtung gefunden haben, mögen hier kurz in Er- innerung gebracht werden. H. Weber hat in den Schwimmhaut- kapillaren eines fest unterbundenen Froschschenkels Blutandrang zu einer gereizten Stelle beobachtet. Ryneck hat diese Beobachtung ausführlich beschrieben; nach Umschnürung des Schenkels oberhalb des Kniegelenks steht nach einigen Schwankungen das Blut in den Schwimmhautkapillaren still; wird eine Stelle mit Ammoniak gereizt, so fliesst von allen Seiten Blut zu dieser Stelle, die Blutkörperchen werden in den Kapillaren zusammengedrängt, so dass diese wie rötliche Fäden zur gereizten Stelle hinstrahlen. Vulpian beobachtete ein ähnliches Hindrängen von Blut zu einer mit Nikotin gereizten Stelle der area vasculosa des Hühner- embryo. Frey hat in der Froschzunge bei Reizung des N. glosso- pharyngeus Strombeschleunigung und Gefässerweiterung gesehen. Siaweillo!) fand jedoch diese Gefässe nicht erweitert, doch strömte das Blut in die Kapillaren aus Arterien und Venen bei Reizung des N. glossopharyngeus, auch in ausgeschnittener Zunge. Doch sind solehe Beobachtungen sehr schwierig und wenig verlässlich. 1) J. Siaweillo, Mikroskopische Untersuchungen der durch den Reiz der Vasodilatatoren verursachten Veränderungen des Blutstromes. Le Physiolo- giste Russe t. 1 p. 187. 1899. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 399 Die reichliche Wasserabsonderung in der Niere ist mit | einer Blutstrombeschleunigung verbunden, so dass arteriell- farbiges Blut aus der Nierenvene hervorschiesst, und das auch bei eingegipster Niere, wie Loewi unter Koffeineinfluss gefunden hat. Es erhebt sich auch hier die Frage, ob die Blutstrom- beschleunigung als eine Folge des aus dem Blute abgeleiteten mächtigen Wasserstromes gedeutet werden kann. Das Harnwasser quillt in den Malpighischen Körperchen aus dem Blute hervor. Diese werden als eine Filtrations- vorriehtung angesehen, wo das Wasser aus dem Blute durch den Blutdruek ausgepresst wird; auch noch diese Arbeit wird dem Herzen aufgebürdet. Nach der Filtrationstheorie dient das engere Vas eferens zur Erhaltung des Filtrationsdruckes. Das ist zu viel Teleologie für eine so rein mechanische Theorie. Vielleicht ist hier das Verhältnis rein mechanisch: das Vas eferens ist enger, weil das Blutvolum durch den Wasserverlust im Glomerulus kleiner ge- worden ist. Lindemann?) hat neuestens eine neue Theorie der Nieren- funktion entwickelt, nach welcher das Glomerularsystem ein Apparat zur Regulierung des osmotischen Gleichgewichts im Organismus ist und nur Wasser auf osmotischem Wege abgibt, während die Kanäl- chen harnfähige Stoffe und Wasser ausscheiden. Ohne die Theorie zu erörtern, heben wir zu unserem Zwecke nur ihren Hauptpunkt hervor: der Glomerulus ist ein neues Gebilde, das mit dem Auftreten des geschlossenen Kapillarsystems innigst ver- bunden ist; die Harnsekretion ist auch nach Ausschaltung der Glomeruli möglich, als eine ursprüngliche und selbständige Ver- richtung des Kanälchensystems. Ist dem so, dann kann der Glomerulus als eine Zirkula- tionseinriehtung betrachtet werden. Gewöhnlich wird der Glomerulus als ein Gefässknäuel angesehen. Es ist aber ein zellen- reiches Gebilde, ein Synzytium, was besonders an den hyper- plastischen Glomerulen der Schrumpfniere zutage tritt. Das Knäuel- synzytium kann durch koordinierte Quellung und Abquellung Wasser aus dem Blute schöpfen und dadurch den Blutzufluss zur Niere steigern. Es kann dadurch auch die Blutströmung durch die 1) W. Lindemann, Zur Lehre von den Funktionen der Niere. Ergebn. d. Physiol. v. Asher u. Spiro, Jg. 14 S. 618. 1914. 400 Franz Mares: Kapillaren der Nierenkanälchen umlm) also gleichsam wie ein Nierenherz wirken. Experimentelle Untersuchungen an ausgeschnittenen Nieren- stücken können kaum entscheiden, ob die Nierenzellen durch Osmose oder durch Quellung wirksam sind, wie Ehrenberg!) erfahren hat. Es wären hier vielmehr pathologische Erfahrungen zu sammeln und zu würdigen. Die Auffassung des Glomerulus als eines zum Betriebe des Blutstromes in der Niere dienenden Organs findet eine Stütze in. der Hyperplasie der erhaltenen Knäuelsynzytien in der Schrumpfniere, wo als erstes Syınptom Polyurie erscheint, und wo es besonders auf die Erhaltung des. BlJutstromes- durch das schrumpfende Organ ankommt. 3. Eigenbetrieb des Blutstromes im Gehirn. Die Regulierung der Blutdurchströmung des Gehirns ist durch experimentelle Untersuchungen der Druckverhältnisse in den Gehirn- gefässen und der Schwankungen des Hirnvolums schwer zu ermitteln; die darauf gegründeten Anschauungen sind auch sehr verschieden. Ihre Hauptgrundlage bildet jedoch die herrschende vasomoto- rische Theorie, welche behauptet, dass eine Steigerung der Blutdurchströmung eines Organs nur durch eine Widerstandsherab- setzung in seinem Gefässsystem und diese nur durch eine Erweiterung der Gefässe zustande kommen kann. | Beim Gehirn stösst aber diese Behauptung auf eine natür- liche Schwierigkeit, der Art, wie sie künstlich durch Eingipsung bei der Niere und der Unterkieferdrüse erzeugt wurde. Das Gehirn ist in der Schädelkapsel eingeschlossen. Daraus hat’ bereits Monro gefolvert, dass das Gehirn aus den Arterien nur so viel Blut auf- nehmen kann, als aus demselben gleichzeitig in die Venen abfliesst. Das bedeutet, dass nicht die Blutfülle des Gehirns, sondern nur die Gesehwindigkeit des Blutstromes im Gehirn veränder- lieh ist. | | Auf Grund des Satzes, dass das Gesamtvolum der Hirn- gefässe unveränderlich ist, hat Geigel?) deduziert, dass im Gehirn 1) R. Ehrenberg, Experimentelle Beiträge zur Theorie der Harnsekretion. Pflüger’s Arch. Bd. 153 S.1. 1913. 2) Geigel, Haben die Gehirngefässe ein konstantes Volum? Pflüger’s Arch. Bd. 105 8. 620. 1904. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 401 spastische Verengerung der arteriellen Seite einen erhöhten, paralytische Erweiterung dagegen einen verminderten Blutdurehfluss zur Folge haben muss. Diese Deduktion steht im Widerspruch zur herrschenden vasomotörischen Theorie, welche sich nur durch einen Durchbruch des Monro’schen Satzes behaupten kann. In diesem Sinne hatte Hürthle!) gegen Geigel eingewendet, dass seine Theorie sich im Widerspruch mit den gegenwärtigen Anschauungen und Erfahrungen befindet, dass jedoch ihre Grundvoraussetzung, nämlich die Unveränderlichkeit des Gesamtvolums der Blutgefässe im Gehirn nicht zutrifft, da die Zere- brospinalflüssigkeit dureh Sekretion und Resorption einem raschen Wechsel unterliest. Fensen?) führte weiter aus, dass die Schädel- kapsel durchaus nicht einen starrwandigen, unveränderlichen Raum einschliesst; die dünnwandigen Venenplexus im Wirbelkanal können bei lokaler Druckerhöhung Platz schaffen, und in den Scheiden der Hirnrückenmarksnerven stehen der Zerebrospinalflüssigkeit Abfluss- wege offen, so dass ein Anwachsen der Blutfülle im Gehirn durch Abfluss der Zerebrospinalflüssigkeit möglich wird. Die Veränderlichkeit der Gesamtkapazität der Hirngefässe auch bei geschlossener Schädelhöhle wird von allen behauptet, welche vasomotorische Erscheinungen am Gehirn, im Sinne der herrschenden Theorie, untersuchten. So meinten Biedl und Reiner?), dass dureh Eröffnung der Schädelhöhle die hydrodynami- schen Bedingungen der Blutdurchströmung des Gehirns nur insofern geändert werden, als dass zu den vielen bestehenden elastischen Stellen in der Wand des Hirnrückgratskanais eine mehr hinzu kommt. Diese Stellen ermöglichen Volumänderungen des Zentralnervensystems durch Hinauf- und Hinunterfluten der Zerebrospinalflüssiekeit inner- halb weiter Grenzen und vermögen so für relativ grosse Inhalts- vermehrung Platz zu schaffen, da sie sich schon durch geringen Druck dehnen lassen. Biedl und Reiner fanden mittels Druck- messung in der Karotis und im Arterienzirkulus des Gehirns spontane, periodisch wiederkehrende Schwankungen der Weiteder Gefässlumina, gänzlich unabhängig vom Blutdruck, und bezogen 1) K. Hürthle, Zentralbl. f. Physiol. Bd. 4 S. 84. 1890. 2) P. Jensen, Über die Innervation der Hirngefässe. Pflüger’s Arch. Bd. 103 S. 209. 1904, 8) A. Biedl und M. Reiner, Studien über Hirnzirkulation und Hirn- ödem. Pflüger’s Arch. Bd. 79 S. 158. 1900. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 27 402 Franz Mare®: diese auffallenden Druckvariationen auf periphere Innervation der Hirngefässe, über deren Vermögen sich aktiv zu kontrahieren und zu dilatieren kein Zweifel herrschen könne. So hat auch E. Weber!) angenommen, ‘dass es für die Blutversorgung des Ge- hirns durchaus kein Nachteil ist, am eröffneten Schädel Ver- suche anzustellen, obzwar die hydrostatischen Verhältnisse innerhalb der Schädelkapsel nicht so einfach sind wie in anderen Körperteilen; aber die Verhältnisse sind, nach Weber, dennoch nicht so verschieden, wie zum Beispiel Geigel meinte, der durch seine mathematischen Deduktionen zu dem Schlusse kam, dass die Verengerung der arteriellen Blutgefässe des Gehirns die stärkste Blutversorgung desselben herbeiführe, ihre Erweiterung die geringste. Der Gedanke an eine solche Möglichkeit sei jetzt völlig beseitigt worden. Wir wissen bestimmt, behauptet Weber, dass es sich um eine aktive Erweiterung der Hirngefässe handelt, wenn das Hirnvolum zunimmt, die einzelnen Volumpulse des Hirns sich vergrössern und der allgemeine Blutdruck unverändert bleibt. Er- weiterung und Verengerung der Hirngefässe kann bei geschlossener Schädelhöhle ebenso eintreten wie nach Eröffnung derselben, durch Ver- schiebung einer entsprechenden Menge von Zerebrospinalflüssigkeit. Ein Hin- und Herschieben der Zerebrospinalflüssigkeit würde jedoch Arbeit erfordern, welche die Theorie folgerichtig wieder dem Herzen aufbürden würde. Wäre die Erweiterung der Hirn- gefässe nur durch Verdrängung der Zerebrospinalflüssigkeit durch den Blutandrang möglich, so würde doch das Blut leichter in die freien Venenabführungswege abfliessen. Das heisst, dass es im Gehirn eher zu einer Steigerung der Blutstromgeschwindigkeit kommen kann als zu einer Erweiterung der Hirngefässe. | Dem Satze von Monro gemäss wäre eine stärkere Durch- blutung des Gehirns durch Steigerung der Strömungs- geschwindigkeit möglich, wobei die jeweilige Blutfülle des Gehirns unveränderlich wäre. Es erhebt sich also die Frage, worin eine stärkere oder bessere Durchblutung des Gehirns zu be- stehen hat. Die herrschende vasomotorische Theorie macht eine solche Unterscheidung nicht; für sie bedeutet eine stärkere Durchblutung überhaupt eine grössere Blutfülle. Bei dem 1) E. Weber, Über die Selbständigkeit des Gehirns in der Be seiner ne Arch. f, Physiol.. 1908 S. 457. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 403 intensiven Sauerstoffbedürfnisse des Gehirns ist kaum zu be- zweifeln, dass es hier auf eine schnelle Erneuerung arteriellen Blutes von höchster Sauerstoffspannung ankommt, also aufeine Steigerung der Strömungsgeschwindigkeit, nicht aber auf eine Ver- grösserung der strömenden Blutmenge. Die Annahme, eine solche Geschwindiekeitssteigerung werde durch Erweiterung des Hirn- gefässsystems zustande gebracht, wäre hydrodynamisch un- zutreffend, da eine solche Erweiterung wohl eine Vergrösserung der strömenden Blutmenge, nicht aber eine Steigerung, sondern viel- mehr eine Verlangsamung der Strömungsgeschwindigkeit herbeiführen müsste. Im Lichte der herrschenden vasomotorischen Theorie erscheint der feste Einschluss des Gehirns in der Schädelkapsel als ein Hindernis für die freie Blutdurchströmung desselben, welches durch die elastischen Verschlüsse des Hirnrückgratkanals behoben werden muss. Nach einem solehen Durchbruch des Monro- schen Satzes sind die Schwierigkeiten für die Theorie nicht behoben. Es erhebt sich hier die Frage, ob der feste Einschluss des Gehirns in die Schädelkapsel nicht, gerade im Gegenteil, als eine Einrichtung zur Förderung der Blutdurchströmung des Gehirns zu betrachten ist, ähnlich wie der geschlossene Brustraum eine solche für die Blutdurchströmung der Lungen darstellt. Der Satz von Monro ist gar nicht so leicht zu umgehen. Hill!) hat diesen Satz seinen Betrachtungen über die Blutdurchströmung des Gehirns zugrunde gelegt: das Gehirn könnte wohl um so viel mehr Blut aufnehmen, als durch Zurückdrängen der Zerebrospinal- flüssigkeit Platz gemacht werden kann, das ist aber sehr wenig, etwa nur 3 ccm. Nur so viel kann von einem in die Schädelhöhle eingeführten Fremdkörper ohne Steigerung des intrakraniellen Drucks und Zusammenpressung der Hirngefässe verdrängt werden. Durch Steigerung des arteriellen Blutdrucks können die Hirngefässe nicht ausgedehnt werden, sie nähern sich dabei dem Schema rigider Röhren, in welchen durch grösseren Druck nur die Geschwindigkeit der Strömung gesteigert wird. Nach Hill wird die Blutdurchströmung des Gehirns in dieser Weise nur durch den allgemeinen arteriellen Blutdruck bestimmt, wozu besonders das splanchnische Gefäss- system dient. 1) L. Hill, Schäfer’s Textbook of Physiology vol. 2 p. 141. 1900. 27 * 404 Franz Mares: Ebenso hat auch Bayliss!) den Satz von Monro hervor- gehoben, besonders in Hinsicht auf die Untersuchungen der Blut- durehströmung des Gehirns bei eröffneter Schädelhöhle, welche des- halb keine verlässliche Information geben köunen. Bayliss erhebt die Frage, weiches der Nutzen der muskulösen Bekleidung der Ge- hirnarteriolen sei, wenn es keine vasomotorischen Nerven für das Gehirn eibt. Diesen Nutzen sieht er in der Reaktion der Arterien auf Dehnung: liessen sich die Gehirnarteriolen «durch Steigerung des Blutdrucks ausdehnen, se würden dadurch die Gehirnkapillaren und Venen komprimiert werden, da das totale Volumen der Blutgefässe in der Schädelhöhle fast ganz konstaut ist. Die muskulöse Wand der Gehirnarteriolen kontrahiert sich aber, nach Bayliss, gegen einen ausdehnenden Druck, wodurch die Arteriolen steif gemacht werden, so dass die Drucksteigerung ihre volle Wirkung auf die Geschwindigkeit des Stromes ausüben kann. Das durch die herrschende vasomotorische Theorie befestigte Vorurteil, dass die Tätiekeitsform «der Gefässmuskulatur nur eine statische sein kann, erschwert die freie Einsicht in die Verhält- nisse. Der Nutzen der Steifheit der Gehirnarteriolen wäre leichter und einfacher durch erössere Elastizität ihrer Wand zu er- zielen als durch eine muskulöse Bekleidung derselben. Wird diese durch Druck zur Kontraktion augereet, so kann sie mehr leisten als blosse RBlastizität, die nur deu einwirkenden Druck wiedergibt. Sie kann den Druck vergrössern und dadurch Arbeit leisten, das ist, zur Steigeruue der Strömungssesehwindickeit aktiv beitragen. Das um so mehr, weun die Kontraktion nicht nur einmal auf eive Steigerung des arteriellen Blutdrucks erfoleen würde und spastisch bestehen bliebe, sondern sieh rhythmisch wiederholte. Ist die Gefässmuskulatur durch Steirerunge des arteriellen Blutdrucks reizbar, so wird sie auf die in den Arterien tatsächlich wirkenden Druck- steigerungen reagieren. Der mittlere Blutdruck ist ein blosser Maassbegriff und besteht tatsächlich im arteriellen System nicht. Tatsächlieh sind die pulsatorischen Drucksehwankungen. Wenn die Gefässmuskulatur auf diese Druckstösse reagieren Kann, so wird sie nieht spastisch, sondern rhythmisch reagieren, das heisst aktiv mitpulsieren. 1) W. M. Bayliss, Innervation der Gefässe. Ergebn. d. Physiol. von Asher u. Spiro Jg. 5 8,339. 1906. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 405 DieGehirnpulsationen sind an der noch nicht geschlossenen Schädelkapsel von jeher bekaunt. Sie erscheinen regelmässig auch nach Eröffuune der schon geschlosseuen Schädelhöhe und treten an der eröffueten St-lle als Volumscehwaukungen des Gehirns hervor, welehe den Rhythmus der Herzschläge und der Atembewegungen einhalten. Diese Gehirnpulsationen werden auf eine passive Ausdehnung der Gehirngefässe durch die entsprechenden Blutdruckschwankungen bezogen. Die muskulöse Bekleiduug der Gehirnarteriolen würde dem- nach bei nicht geschlossener Schädelhöhle eine solche Ausdehnung nieht verhindern. Es dürfte ihr auch bei geschlossener Schädel- höhle eine solehe Aufzabe nicht zukommen, da dieser Verschluss jene Ausdehnung selbst verhindern kann. Die Pulsationen der Gehirn- gefässe können vielmehr als Ausdruck ihrer eigenen Tätigkeit auf- gefasst werden. Biedl und Reiner haben auch spontane, von den allgemeinen arteriellen Blutdruckschwankungen unabhängige Druckschwaukungen im Hirugefässsystem beobachtet. Es ist nun die Frage, ob die bei eröffneter Schädelhöhle als Volumschwankuugen hervortretenden Gehirnpulsationen auch bei geschlossener Schädelhöhle als Volumscehwankungen bestehen. Hier wird der Satz von Monro von entscheidender Be- deutung. Ist das Gesamtvolum des Schädelinhalts unveränderlich, so sind bei fest geschlossener Schädelhöhle Volumscehwankungen des Gehirns durch Blutfüllung ausgeschlossen, wenn man keine grossen Verdrängungen der Zerebrospinalflüssigkeit aus der Schädelhöhle, die doch auch pulsatorischerfolgen müssten, nicht aunehmen will. Bei geschlossener Schädelhöhle köunen die von den Arterien- kontraktionen ausgehenden Drucksteigerungen nur durch Ge- schwindigkeitssteigerungen des Blutstromes gegen die Venen zu ausgeglichen werden. Der feste Einschluss des Gehirns in der Schädelspalte kann als eine besondere hämodynamische Einrichtung aufgefasst werden. Ver- läuft zum Beispiel an den Gehirnarteriolen eine Kontraktionswelle, so wird vor derselben uud durch dieselbe das Kapillarsystem er- weitert, da die Gesanitkapazität der Blutgefässe konstant bleibt; in dem Maasse, als sich ein Abschnitt des Gefässsystems verengt, wird sich ein anderer erweitern. Lie Gehirnarteriolen wirken durch ihre Verengerung auf den Blutstrom zugleich drückend und saugend ein. Ist die Kontraktionswelle abgelaufen, so füllen sich die Gehirn- 406 Franz Mares: arteriolen wieder mit Blut, und in demselben Maasse muss das Blut aus den Kapillaren und Venen weiter entweichen. Nach Eröffnung der Schädelhöhle ist der Mechanismus dieses Triebwerks gestört, ein Teil der aufgewendeten Triebkraft geht in Volumschwankungen des Gehirns für den eigentlichen Blutstrombetrieb in demselben verloren. Der Einschluss des Gehirns in die starre Schädelkapsel stellt sich so nicht allein als eine Schutzvorrichtung, sondern auch als eine Vorrichtung zum Eigenbetrieb des Blutstromes dar, der beim Gehirne besonders auf die Steigerung der Strömungs- geschwindigkeit hinzielt. Der Eigenbetrieb des Blutstromes im Gehirn kann aber auch durch aktive Ableitung eines Wasserstromes aus dem die Gehirngefässe durchsetzenden Blute zustande gebracht werden. Einen solchen Wasserstrom stellt die Zerebrospinalflüssiekeit dar, welche aus den Piagefässen und besonders aus den Telae chorioideae beständig hervorquillt, die Hirnhöhlen und die Sub- arachnoidealräume füllt und -durch die Nervenscheiden fortwährend abfliesst. Die Zerebrospinalflüssigkeit wird nicht einfach sezerniert und wieder resorbiert, auch wird sie nicht zwischen der Hirn- und der Rückeratshöhle hin und her geschoben, sondern fliesst in einem beständigen Strome aus den Hirnhöhlen gegen das Rück- grat, von wo sie durch die Nervenscheiden in das Lymphsystem ge- lanst und sich mit der Lymphe in die Vene ergiesst. Diese Erkenntnis ist aus chirurgischen Beobachtungen hervor- gegangen und zuerst von Cathelin!) ausgesprochen worden. Die Grundtatsache ist hier das ununterbrochene, fortwährende Hervor- quellen der Zerebrospinalflüssigkeit aus dem Subarachnoidealraume bei Verletzungen des Rückgrats. Die Richtung des beständigen Stromes der Zerebrospinalflüssigkeit aus der Schädelhöhle in den Rückgratskanal zeigt eine in die Membrana oceipito-atlantiea eingestochene Nadel. Die Menge der aus einem verletzten Rückgrats- kanal ausfliessenden Zerebrospinalflüssigkeit kann ein erstaunliches Maass erreichen. Der Abfluss ist während der Ruhe spärlich, steigert sich bei einer Erregung, so dass die Flüssigkeit stossweise, synchron mit dem arteriellen Pulse hervorspritzt; es gibt einen selbständigen Puls der Zerebrospinalflüssigkeit, der von dem Pulse des Blutgefäss- 1) F. Cathelin, La circulation du liquide cephalorachidien avec appli- cations & la therapeutique. Paris 1912. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 407 systems unabhängig ist. Der normale Abfluss der Zerebrospinal- Hlüssigkeit erfolgt durch die perivaskulären „lymphatischen“ Scheiden in das eigentliche Lymphgefässsystem und mit der Lymphe in das Venensystem. Der Abfluss geschieht auch durch die Scheiden der Hirn-Rückenmarksnerven. Die Zerebrospinalflüssigkeit bewegt sich also in einem Kreislaufe wie die Lymphe. Die Zerebrospinalflüssigkeit ist ein Sekret der Epithelien, welche besonders die Kapillaren der Telae chorioideae bekleiden und welche als Chorioidealdrüse bezeichnet werden. Das Sekret ist von der Lymphe verschieden, da es kaum Spuren von Protein- stoffen enthält und eine wässerige Lösung der Plasmakrystalloide darstellt. Mestrezat!) bezeichnet es als ein Dialysat, da in demselben spezifische, durch den Metabolismus .der Zellen bereitete Stoffe fehlen; diese Zellen wären demnach nicht als spezifisch sezer- nierende, sondern als dialysierende Zellen zu bezeichnen. Die Ausscheidung der Zerebrospinalflüssigkeit geschieht nieht durch me- chanische Einwirkung des Blutdruckes, sondern durch die Tätigkeit der Epithelien, welche von bestimmten Stoffen beeinflusst werden kann. Die neuesten Untersuchungen von Dixon und Halliburton’?) ergaben besonders, dass das Extrakt der Chorioidealdrüse selbst einen vermehrten Ausfluss der Zerebrospinalflüssigkeit aus einer Fistel hervorruft; den wichtigsten Einfluss auf die Bildung der Zerebrospinal- flüssigkeit haben jedoch der Sauerstoffmangel und derKohlen- säureüberschussim Blute Dixon und Halliburton kommen auch zu der Annahme eines Kreislaufes der Zerebrospinalflüssig- keit, da bei ununterbrochener Bildung derselben auch ein fort- währender Abfluss aus dem kranio-spinalen Raume auf natürlichen Abflusswegen bestehen muss. Die Zerebrospinalflüssigkeit füllt die Hirn- und Rückenmarks- höhlen unter einem bestimmten Drucke, so dass sie bei Eröffnung derselben hervorspritzt. Die Angaben über den Druck der Zerebro- spinalflüssigkeit und seine Beziehungen zum Blutdrucke waren bis- her schwankend.. Dixon und Halliburton finden den Druck 1) W. Mestrezat, Nature vraie du liquide cephalorachidien. Journ. de Physiol. et de Pathol. gen. t. 14 p. 504. 1912. 2) W. E. Dixon and W. D. Halliburton, The cerebro-spinal fluid. I. Secretion of the fluid. The Journ. of Physiol. vol. 47 p. 215. 1913. — II. Cerebro-spinal pressure. The Journ. of Physiol. vol. 48 p. 128. 1914. 408 Franz Mares: niedriger als den Venendruck im Toreular des Gehirns und durch den Blutdruck kaum beeinflusst. Der Druck der Zerebrospinal- flüssigkeitisteinselbständiger, unabhängiger, sekre- torischer Druck. Er ist durch die sekretorische Tätigkeit der Chorioidealdrüse bestimmt, was sich besonders bei Beeinflussung dieser Tätigkeit durch besondere Stoffe kundgibt. Das Chorioideal- extrakt bewirkt eine Erhöhung des Drucks der Zerebro- spinalflüssigkeit, zugleich auch des Venendrucks, dagegen aber eine Senkung des arteriellen Blutdrucks. Das Chloro- form bewirkt eine noch grössere Erhöhung des Drucks der Zerebro- spinalflüssigkeit; der arterielle Blutdruck sinkt immer, wenn der Druck der Zerebrospinalflüssigkeit steigt; der Venendruck kann sich dabei verschieden ändern. Der Druck der Zerebrospinalflüssigkeit ist ganz unabhängig vom Venendrucke; es ist ein selbständiger sekretorischer Druck. Den wichtigsten Einfluss auf die Bildung der Zerebrospinal- flüssiekeit haben, nach Dixton und Halliburton, Kohlen- säureüberschuss und Sauerstoffmangel im Blute, also die Atmungsreize. Einatmung von kohlensäurehaltiger Luft hat so- fort einen steilen Anstieg des Drucks der Zerebrospinalflüssiekeit zur Folge; ebenso steigt dieser Druck in der Asphyxie, wo der arterielle Blutdruck sinkt. Bezeichnend in dieser Beziehung sind die älteren Angaben, dass der Zerebrospinaldruck während der Inspiration sinkt und während der Exspiration steigt. Diese Verhältnisse weisen auf eine besondere. Bedeutung der Bildung und der Strömung der Zerebrospinalflüssigkeit hin. Die. Flüssigkeit selbst scheint ihrer Zusammensetzung nach keine besondere Bedeutung zu haben. Nach Mestrezat stellt sie ein blosses wässeriges Dialysat aus dem Blutplasma vor. Als eine Nährflüssigkeit, welehe mit den Gewebs- elementen des Nervensystems in innigste Berührung zu kommen hätte, ist sie kaum aufzufassen, da sie in den Hirnhöhlen gebildet wird und der eigentlichen Nährstoffe fast vollständig entbehrt. Da- gegen ist der Zusammenhang ihrer gesteigerten Bildung und Strömung mit dem Atmungsbedürfnis des Gehirns auffallend. Dem gesteigerten Atmungsbedürfnisse, besonders dem Sauerstoffbedarfe des Gehirns kann nur durch eine Steigerung des arteriellen Blutzuflusses und der Durchströmungsgeschwindigkeit des Blutes im Gehirne entsprochen werden. So wird die Frage nahegelest, ob und auf welche Weise durch gesteigerte Bildung und Strömung der Zerebrospinalflüssigkeit Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchstiömung usw. 409 eine Steigerung des arteriellen Blutzuflusses in das Gehirn bewirkt werden kann. Die Säule der Zerebrospinalflüssigkeit kann bei aufrechter Körper- stellung durch ihr Gewicht in der geschlossenen Schädelhöhle eine Saugwirkung ausüben, wodurch der arterielle Blutzufluss zum Gehirne gefördert werden kann. Einen solehen hydrostatischen Einfluss hat, nach einer Bemerkung von Morat und Doyon, Marey an- genommen, doch dürfte dadurch nur das Gewicht der arteriellen Blutsäule ausgeglichen werden, und die Zerebrospiualflüssigkeit könnte stets dieselbe bleiben. Ihre fortwährende Neubildung und Abströmung aus der Schädelhöhle in den Rückgratkanal kann aber auch eine dynamische Wirkung ausüben. Die gesteigerte Bildung der Zerebro- spinalflüssiekeit durch die Chorioidealepithelien erfolgt unter Druck- steigerung der Flüssiekeit und Drucksenkung im arteriellen Systeme: der arterielle Blutdruck sinkt immer, wenn der Druck der Zerebrospinalflüssigkeit steigt. Durch die Tätigkeit der Chorioidealepithelien, welehe in rhythmischer Quellung und "Ab- quellung bestehen kann, wie der selbständige Puls der Zerebrospinal- flüssiekeit anzeigt, wird ein Wasserstrom aus dem Blute gleichsam hervorgepumpt und dadurch eine Saugwirkung auf das arterielle Blut ausgeübt. Wie die fortwährende Bildung und Abströmung der Zerebrospinal- flüssigkeit, so kann auch die Lymphbildune und Lymph- strömung überhaupt als eine Einrichtung zur Förderung des Blutstromes in den Geweben durch aktive Ableitung eines Wasserstrommes aus ihren Blutkapillaren angesehen werden. In jedem Organe ist die Steigerung der Blutdurehströmung mit einer Steirerung des Lymphabflusses verbunden. Die gesteigerte Lymph- bildung hängt gewiss mit der gesteigerten Stoffumwandlung im tätigen ÖOreane zusammen und dient zur Abführung seiner Stoffwechsel- produkte. Wäre dies aber die eigentliche Aufgabe des Lymphstromes, so wäre seine Einmündung in den Blutstrom nahe dem rechten Herzen organisch kaum verständlich. Wird aber mit der Lymphe der zu dem Betriebe des Blutstremes iu den Blutkapillaren ab- gesonderte Wasserstrom wieder in das Blut, weit abwärts vom Betriebsorte, zurückgeführt, so ist eine solche Einrichtung hämo- dynamisch so verständlich wie das Zurückführen eines Mühlbaches zurück in den Fluss. 410 Franz Mares: 4. Widerstand der Kapillaren. Die hier vorgebrachten Betrachtungen über den Eigenbetrieb der Blutdurchströmung tätiger Organe durch die aktive Wirksamkeit ihrer Kapillaren stellen sich in Widerspruch zu der herrschenden Lehre, welche in den Kapillaren nur einen Widerstand gegen den vom Herzen getriebenen Blutstrom erblickt und die gesteigerte Blut- durehströmung tätiger Organe nur durch Herabsetzung dieses Wider- standes infolge einer Erweiterung der Kapillaren erklärt. Diese Lehre beurteilt den Widerstand der Kapillaren nur nach ihren Dimensionen, also nach äusserlichen Widerstandsumständen und . macht hierin zwischen den Kapillaren verschiedener Gewebe keinen Unterschied. Doch zeigte sich darin schon bei den Begründern der Lehre eine ungleiche Schätzung des Kapillarwiderstandes.. Volk- mann, dem es um den Nachweis zu tun war, dass das Herz allein genügt, um das Blut durch den ganzen Kreislauf zu treiben, schätzte den. Widerstand der Kapillaren ziemlich niedrig, weil die Strömungs- geschwindigkeit in denselben und damit die innere Reibung, also der wesentliche Widerstandsfaktor, ziemlich gering ist. Marey hingegen veranschlagte den Widerstand der Kapillaren hoch, als eine Bedingung der hohen Arterienspannung. Diese ist aber eher dem Widerstande der Endarterien zuzuschreiben, so dass die Schätzung Volkmann’s richtiger erscheint. Die Kapillarwand selbst wurde als eine indifferente Membran betrachtet, durch welche Stoffe diffun- dieren und Flüssigkeiten durch den Blutdruck filtriert werden, bis Heidenhain durch seine Untersuchungen über die Lymphbildung gezeigt hat, dass die Kapillaren ein reizbares, spezifisch tätiges Organ sind, was jedoch noch immer auf Widerspruch stösst. Die ältere Hämodynamik hat den peripheren Gefässwiderstand bei unveränderten Dimensionen der Gefässe, besonders ihrer Weite, als konstant angenommen und erleichterte sich auf diese Weise die Betrachtung des Zusammenhanges zwischen dem arteriellen Blut- druck und der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes. Erst Hürthle!) hat hervorgehoben, dass zur Bestimmung dieses Zusammenhanges alle drei Grössen gemessen werden müssen und hat Methoden an- gegeben, den Widerstand in verschiedenen Gefässgebieten zu messen. 1) K. Hürthle, Über den gegenwärtigen Stand der Lehre von der Blut- bewegung. Sep.-Abdr. Breslau 1904. Pflüger’s Arch. Bd. 82 S. 415. 1900. Arch. f. Physiol. 1907 Suppl. 8. 37. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 411 Die unter seiner Führung angestellten Widerstandsmessungen ergaben bei verschiedenen Gefässsystemen so grosse Unterschiede, dass sie nicht auf die Unterschiede in den Dimensionen der Kapillaren be- zogen werden können. So fand Tschuewsky!) den Widerstand im Verzweigungsgebiete der A. eruralis viermal so gross als im Gebiete der A. carotis; und ausserordentlich gering zeigte sich der Widerstand im Gefässsystem der Schilddrüse. Doch war man ge- neigt, auch diese Unterschiede auf Änderungen des Durchmessers der Kapillaren zu beziehen. In Rücksicht auf die festgewurzelte Überzeugung, dass engere Kapillaren einen grösseren Widerstand dem Blutstrome entgegensetzen, ist es merkwürdig, dass die engsten Kapillaren gerade in Organen anzutreffen sind, welche an die Blutdurchströmungsgeschwindigkeit die grössten Ansprüche machen, wie die graue Nervensubstanz, wo- gegen indifferente Gewebe, wie die Knochen, die weitesten Kapillaren haben. Die Strömungsgeschwindigkeit in den Lungen ist bedeutend srösser als in den Körperkapillaren, und doch gehören die Lungen- kapillaren zu den engsten. Der arterielle Blutdruck kann bei ge- gebener Herzaktion als Ausdruck des peripheren Gefässwiderstandes betrachtet werden. Dem niedrigen Drucke in der A. pulmonalis und der Schwäche der rechten Herzkammer entsprechend muss der Widerstand der Lungenkapillaren trotz ihrer Enge und trotz der grossen Strömunesgeschwindigkeit in denselben sehr gering sein. Dazu können noch bis nahezu drei Viertel der Lungenkapillaren un- wegsam gemacht werden, ohne dass die Blutdurchströmung der Lungen wesentlich behindert erschiene. Es sind also nicht so sehr die äusserlichen Widerstandsfaktoren wie die Gefässweite, welche den Widerstand der Blutgefässe be- stimmen, als vielmehr die wesentlichen, das ist die Beschaffen- heit der Gefässwand und der Flüssigkeit. Diese wurden in der Hämodynamik als unveränderlich angenommen nach dem Vorbilde der Hydrodynamik, wo es sich um Strömung von Wasser in Glasröhren handelt und wo der Widerstand nur mit den Dimensionen der Röhren sich ändert. Die wesentlichen Faktoren des Widerstandes sind die Adhäsion 1) J. A. Tschuewsky, Über Druck, Geschwindigkeit und Widerstand in der Strombahn der A. carotis und cruralis sowie in der Schilddrüse und im Musculus gracilis des Hundes. Pflüger’s Arch. Bd. 97.8. 210. 1903. 412 Franz Mares: der Flüssigkeit an die Gefässwand und die Kohäsion der Flüssig- keit, womit der Grad der inneren Reibung bei der Strömung bedingt ist. Hürthle!) hat zuerst auf die Bedeutung der Viskosität des Blutes für die innere Reibung und die Strömungsgeschwindigkeit hingewiesen und eine Methode zur Bestimmung der Viskosität des lebenden Blutes angegeben. Danach bestimmte Burton-Opitz?) die Änderungen der Blutviskosität unter verschiedener Ernährung, Temperatur usw. Die Kliniker haben erwartungsvoll der Blut- viskosität eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Den Einfluss der Viskosität oder der inneren Reibung des Blutes auf die Blutströmung in überlebenden Organen und in Körperteilen während des Lebens haben du Bois-Reymond, Brodie und Müller?) dem Poiseuille’schen Gesetze ent- sprechend gefunden: es besteht eine Proportionalität zwischen der inneren Reibung oder der Viskosität des Blutes und der Aus- flussmenge oder der Strömung. Die Viskosität wurde durch Zusatz von Blutserum oder von Blutkörperchenbrei geändert. Wenn die Viskosität des Blutes unter normalen und pathologischen Be- dingungen nur in den Grenzen veränderlich ist, wie bisher gefunden wurde, so sind solehe Änderungen, nach diesen Autoren, von keiner einschneidenden Bedeutung. Sie fanden zum Beispiel im Darme, trotz erheblicher Verdünnung des Blutes, keine Zunahme, sondern Abnahme der Stromgescehwindigkeit; die Änderung des Gefässlumens sei viel wirksamer. Die innere Reibung sei neben den äusseren, durch die Gefässweite gesetzten Widerständen, von viel gerineerer Bedeutung für die Blutströmung und werde von klinischer Seite vielfach überschätzt. Die Bedeutung der inneren Reibung, welche hier als von der Viskosität allein abhängig dargestellt wird, scheint damit allzu- sehr unterschätzt gegenüber der Gefässweite. Doch beruht der äusserliche, mit der Gefässweite veränderliche Widerstand durch- aus auf dem wesentlichen Widerstande der inneren Reibung. 1) K. Hürthle, Über eine Methode zur Bestimmung der Viskosität des lebenden Blutes und ihre Ergebnisse. Pflüger’s Arch. Bd. 82 S. 415. 1900. 2) R. Burton-Opitz, Weitere Bestimmungen der Viskosität des Blutes. Pflüger's Arch. Bd. 119 S. 359. 1907. 3) R. du Bois-Reymond, T. G. Brodie, F. Müller, Der Einfluss der Viskosität auf die Blutströmung und das Poiseuille’sche Gesetz. Arch. f. Physiol. 1907 ‚Suppl. 8. 37. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 413 Diese aber hänet nicht allein von der Viskosität der Flüssigkeit ab, sondern in erster Linie von ihrer Adhäsionandie Gefässwand. Haftet die Flüssigkeit der Gefässwand nicht an, so fliesst sie oder geleitet ohneinnere Reibung, unabhängig von ihrer Viskosität. Wenn die Flüssigkeit der Gefässwand anhaftet, so ist die innere Reibung um so ausgedehnter, je enger das Gefäss, da die anhaftende Schicht im Verhältnis zur fliessenden Menge um so grösser ist. Die: Hauptfrage betrifft also nicht so sehr die Viskosität des Blutes als vielmehr seine Adhäsion an die Gefässwand. Diese Frage ist auch für die Verteilung des Blutstromes an verschiedene Organe von grosser Bedeutung. Das Haften der Flüssigkeit an der Gefässwand ist nicht von der Viskosität, sondern von der Natur der Flüssiekeit und der Gefässwand bestimmt. Die Natur der Blutgefässwand wurde bisher ganz ausser acht gelassen, da sie als unveränderlich, wie die eines Glasröhrchens, angenommen wurde. Es hat aber bereits Volkmann hervorgehoben, dass in betreff der Blutstromregulierung von Änderungen der Blutviskosität nicht viel, viel mehr dagegen von Änderungen der Gefässwand erwartet werden kann: „Zu den Kräften, welche einen lokalen Einfluss auf die Blut- bewegung ausüben, gehören auch jene, welche den Adhäsions- koeffizienten des Blutes in gesonderten Abschnitten des Gefässsystems umändern: wir wissen von solchen Kräften sehr wenige, Der Wert des Adhäsionskoeffizienten wird von der Be- schaffenheit des Blutes ebenso wie der Gefässwand bestimmt; auf die Blutänderung kommt es aber wenig an, weil sie nicht örtlich, sondern im ganzen Gefässsysteme zur Wirkung käme und zur Regelung der Blutverteilung gar nichts beitragen würde. Örtliche Blutstockungen können durch Umstimmung des Gewebes zustande kommen, durch welche die Adhäsion zwischen Blut und Gewebe ver- mehrt wird“ (H. S. 357). Wie man eine solche „Umstimmung des Gewebes“ ganz konkret auffassen kann, werden wir weiter zeigen. Zunächst ist die bisherige Behandlung der Frage des Haftens des Blutes an der Gefässwand zu überblicken. Diese Frage wurde meist in Verbindung mit der der Gültiekeit des Poi seuille’schen Gesetzes für die Blut- strömung in den Blutgefässen behandelt, weil dieses Gesetz die Be- netzung der Gefässwand durch die strömende Flüssigkeit voraussetzt. Da das Gesetz für die Blutströmung angenommen wurde, so wurde 414 Franz Mares: damit auch die Benetzung der Gefässwand mit Blut wie der einer Glaskapillare angenommen. B. Loewy!) fand das Poiseuille’sche Gesetz bei Durchströmung von defibriniertem Blut durch Glas- kapillaren gültig und nahm es auch als für die Blutkapillaren gültig an. Dass diese vom Blute benetzt werden, schloss er daraus, dass in den Kapillaren der Austausch von Blut- und Gewebsbestandteilen vor sich geht. Gegen Freund, welcher die gerinnungshindernde Eigenschaft der Gefässwände auf den Mangel der Adhäsion zurück- führte, suchte Loewy die Adhäsion aus dem Ansaugen des Blutes in den Blutgefässen und aus der Tropfenform des Blutes an der Gefässintima zu erweisen und schloss, dass vollkommene Benetzung zwischen Blut und der Innenwand der Blutgefässe stattfindet. Die Benetzung, das ist die Unbeweglichkeit der die Intima berührenden Blutschichte, wird zum Stoffaustausch zwischen Blut und Gewebe für erforderlich gehalten. Es sind jedoch auch Zweifel an der Benetzung der Gefässwand durch das Blut laut geworden. Die Adhäsion des Blutes an die Blutgefässwand und die da- durch bedingte innere Reibung des strömenden Blutes findet einen sichtbaren und messbaren Ausdruck in der schichtweisen Zunahme der Strömungsgeschwindigkeit in der Richtung von der Gefässwand gecen die Gefässachse. Durch den sehr schnellen Achsenstrom werden die roten Blutkörperchen fortgewiesen, so dass in der lang- samer strömenden Wandschichte nur Blutplasma fliesst und Leukocyten dahinrollen. Diese nach Poiseuille benannte Randzone im Ver- hältnis zu der die Blutkörperchen führenden Axialzone könnte als ein messbarer Ausdruck der Adhäsion des Blutes an die Gefässwand, bei gegebenem Gefässdurchmesser und gegebener Strömungs- geschwindigkeit angesehen werden. Erschiene die Strömungs- geschwindigkeit des Blutes an der Wand und in der Achse eines Blutgefässes gleich, so dass sich keine zellenfreie Randzone bilden würde, so könnte man annehmen, dass das Blut an der Blutgefäss- wand nicht haftet, sondern gleitet. Die Frage nach dem Gleiten des Blutes an der Blut- sefässwand versuchte Thoma?) durch Beobachtung der zellen- 1) Benno Loewy, Die Reibung des Blutes. Pflüger’s Arch. Bd. 65 S. 447. 1897. — Benno Loewy, Über die Adhäsion des Blutes an der Wandung der Blutgefässe. Arch. f. Physiol. 1899 Suppl. S. 89. 2) R. Thoma, Die Viskosität des Blutes und seine Strömung im Arterien- system. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin Bd. 99 S. 565. 1910. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 415 freien Randzone zu beleuchten... In Glasröhrchen gleitet das Blut nicht, die Randzone bildet einen grösseren Bruchteil der strömenden Flüssigkeit. Bei abnehmender Geschwindiekeit wird die Breite der Randzone kleiner, doch muss die Geschwindiekeitsänderung sehr gross sein, um eine bemerkbare Änderung der Breite der Rand- zone hervorzurufen. In allen der Beobachtung zugänglichen Arterien erscheint die Breite der Randzone gleich gross, etwa 0,005—0,01. mm, doch ist sie schwer zu messen. Ein Gleiten ist. demnach nicht zu erkennen, womit es jedoch nicht ausgeschlossen ist. Thoma sieht ein Anzeichen einer Gleitung des Blutes an der Gefässwand darin, dass die Abänderung der Viskosität des Blutes nur eine sehr geringe Änderung der Ausflussmenge aus Blutgefässen, im Vergleich zu Glaskapillaren, hervorruft, wie aus den Versuchen von du Bois- Reymond, Brodie und Müller zu entnehmen ist. Die Viskosität wäre wohl für die Strömung belanglos, wenn das Blut an der Blut- gefässwand gleiten würde, weil dabei die innere Reibung wegfiele. Doch würde es, wie Thoma sagt, unvorsichtig sein, gleich auf ein Gleiten des Blutes zu schliessen. Bei aller Vorsicht kann man doch behaupten, dass die Blut- strömung in lebenden Blutgefässen sich anders verhält als in Glaskapillaren, dass also das für diese festgestellte Gesetz von Poiseuille auf die Blutgefässe keine volle Anwendung finden kann. Rothmann!) hat die völlige Ungültigkeit dieses Gesetzes für die Blutströmung in Blutgefässen zuerst theoretisch abgeleitet und auch durch Versuche bestätigt. Das Gesetz hat für Sus- pensionsflüssigkeiten keine Geltung; füllt ein Blutkörperchen die Kapillare ganz aus, so muss sich die Flüssigkeit wie ein massiver Zylinder durch die Kapillare bewegen, so dass alle Teile innerhalb eines Querschnittes dieselbe Geschwindigkeit haben müssen. Die Strömungsgeschwindigkeit ist hier nicht in der einfachen, durch die Poiseuille’sche Formel gegebenen Weise von den Dimensionen _ der Kapillare und dem treibenden Druck abhängig, sondern sie ist vielmehr eine komplizierte Funktion des Druckes, des Quotienten aus Körperchengrösse und Kapillardurehmesser und der relativen Zahl der suspendierten Blutkörperehen; es könnten vielleicht noch andere Faktoren in Betracht kommen. 1) M. Rothmann, Ist das Poiseuillle’sche Gesetz für Suspensionen gültig? Pflüger’s Arch. Bd. 155 8. 318. 1914. 416 Franz Mares: Vielleicht ist die Uneültiekeit: des Poiseuille’schen Gesetzes für die Blutkapillaren auch dadurch bedingt, dass das Blut die Blut- oefässwand nieht so benetzt wie die Glaswand. Hier ist es aber bemerkenswert, dass in bestimmten Blutzefässgebieten die Blut- durehströmung. dem Poiseuille’schen Gesetz entsprechend, in anderen aber von dems-Iben sehr abweichend befunden wurde. Solche „widersprecehende“ Ergebnisse erhielten zum Beispiel du Bois- Reymond, Brodie uud Müller bei der Prüfung des Einflusses des Druckes auf die Durchflussmenge bei künstlicher Blutdurch- strömung der Lungen und des Darms eines eben getöteten Tieres. Bei den Lungen tritt keine Proportionalität zwischen Druck und Durehflussmenee hervor, dagegen ist sie sehr deutlich bei dem Dünndarm. Bei den Lunren steiet die Durchflussmenge un- verhältnismässig mehr als der Druck; wird dieser verdoppelt, so vermehrt sich jene sechs- bis achtmal. Dies erklärten die Be- obachter damit, dass die Gefässe der Lungen viel leichter dehn- bar sind als die Gefässe des Darns. Die Ursache dieses erossen Unterschiedes in der Blutdruck- strömung der Lunge und des Darıns kann aber auch darin gelegen sein, dass das Blut au der Wand der Lungenkapillaren gleitet, an der der Darmkapillaren jedoch haftet. Da wäre eine alte Be- obachtuug von R. Wagner!) von grosser Bedeutung, ‘wonach in den Luneen- und Kiemengefässen der Poiseuille’sche Raum fehlt und die roten und weissen Blutkörperchen untereinandergemenst fort- schreiten, trotzlem sie von keinem anderen Beobachter wieder- gesehen worden ist. Luciani?) führt die Beobachtung Wasner’s mit der Erklärung an, dass es zu einer Sonderung wegen der grösseren Strömungsgesehwindigkeit des kleinen Kreislaufes und des kürzeren Weoes desselben au Zeit mangelt. Das Fehlen der Randzone in den Blutgefässen der Atmungs- fläche, wenn es sich bestätigen sollte, würde vielmehr auf ein Gleiten des Blutes an der Gefässwand zurückzuführen sein. Zum Gasaustausche ist vielleicht ein Haften des Blutes an der Ge- fässwand nicht so erforderlich wie zum Stoffaustausche im Darme. Zur Ernährung haben die Lungen auch ein besonderes 1) Hermann’s Handbuch der Physiologie. Rollet, Bd. 4 (1) S. 314. 2) L. Luciani, Physiologie des Menschen. Bearb. von Baglioni und Winterstein, Bd. 1 S. 131. Jena 1905. Der allgem. Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung usw. 417 Gefässsystem. Durch Gleiten des Blutes an der Wand der Lungen- gefässe würde der ausserordentlich geringe Widerstand der Lungenkapillaren, trotz deren Enge und der grossen Strömungs- geschwindigkeit, seine Erklärung finden. Die Frage, ob das Blut an der Gefässwand haftet oder gleitet, ist in dieser allgemeinen und disjunktiven Fassung nicht richtig gestellt. Sie hätte vielmehr zu heissen: In welehen Organen und unter welehen Umständen haftet oder gleitet das Blut an der Gefässwand? So trifft die Frage den Hauptpunkt, auf den sie bereits Volkmann gelenkt hat: Die Blutverteilung an verschiedene Organe, ihrem Bedürf- nisse entsprechend, kann auch durch Änderung des Wider- stands ihres Gefässsystems herbeigeführt werden; diese aber braucht nicht auf einer Änderung der Gefässweite allein zu beruhen, sondern auf Änderung der Beschaffenheit der Gefäss- wand, wodurch das Haften des Blutes an der Gefässwand und damit die innere Reibung geändert wird. Solche Änderungen der Beschaffenheit der Blutgefässwand können durch die Tätigkeit der Kapillarepithelien hervorgebracht werden. Die „Umstimmung des Gewebes“, an welche Volk- mann gedacht hat, wodurch örtliche Blutstockung, aber auch Blut- beschleunigung bedingt werden könnte, beruht vielleicht auf einer solchen Tätigkeit der Kapillarepithelien. Die von diesen gebildete Oberfläche, mit der das Blut in Berührung kommt, .kann als eine vom Zellprotoplasma bereitete Plasmahaut betrachtet werden, in ähnlicher Weise, wie es Pfeffer!) von der Plasmahaut der Pflanzen- zellen angenommen hat. Würde die Plasmahaut der Kapillarepithelien aus Proteinstoffen aufgebaut werden, so müsste sie vom Blute benetzt werden, so dass dieses an der Plasmahaut haften bliebe und nur unter innerer Reibung fortbewegt werden könnte. Würde hingegen die Plasmahaut von Lipoidstoffen durchsetzt werden, dann würde das Blut nicht an_derselben haften, und der Blutstrom würde an der Gefässwand ohne innere Reibung gleiten. Solche - Änderungen ihrer Plasmahaut könnten die Kapillarepithelien rasch, entsprechend verschiedenen Reizen und Bedürfnissen, ausführen. Die Lehre vom Blutkreislaufe suchte einer physiologischen Lösung unzugängliche Fragen durch hydrodynamische Versuche an Röhren 1) W. Pfeffer, Pflanzenphysiologie Bd. 1 S. 77 ff. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 28 418 Franz MareS: Der allgemeine Blutstrom usw. zu entscheiden. So suchten wir auch den Einfluss der Beschaffenheit der Gefässwand auf die Strömung zu prüfen, nicht um die physio- logische Frage dadurch zu entscheiden, sondern nur zu illustrieren. Wir versuchten die Durchströmung eines Glasrohres mit Wasser bei blanker innerer Oberfläche des Rohres und nach Überziehung der- selben mit einer feiner Paraffinschiehte unter sonst eleichen Be- dingungen zu vergleichen. Die Herstellung des Paraffinüberzuges ist ziemlich schwierig. In günstigen Fällen fliesst tatsächlich durch die paraffinierte Röhre mehr durch als durch dieselbe Röhre im blanken Zustande, trotzdem hier der Durchmesser etwas grösser ist. Doch kehrt der Erfolg bald ins Gegenteil um, weil der Wasserstrom Paraffinfetzen losreisst, welche das Rohr verstopfen. Die Versuche werden in anderer Anordnung fortgesetzt. Übrigens ist eine solche Illustration der Verhältnisse kaum nötig, um das in reiner mecha- nischer Anschauung evidente Verhältnis klarer zu machen. Mechanische Verhältnisse sind überhaupt in reiner Anschauung viel klarer als in empirischer Durchführung. Die in diesen Abhandlungen vorgebrachten Betrachtungen über den allgemeinen Blutstrom und die Förderung der Blutdurchströmung verschiedener Organe sind nicht als Behauptungen, sondern als Fragen zur weiteren Erforschung aufzufassen. Ihre Grundlage bilden neben einzelnen eigenen Beobachtungen manche altbekannte Tatsachen, die hier aber in neue Zusammenhänge gebracht werden, welche die herrschende Lehre fern von sich gehalten hat. Die Verhältnisse des Blutkreislaufes erscheinen in diesem. Lichte viel verwickelter, als diese Lehre zulassen möchte. Es bricht aber die Überzeugung durch, dass eine einfache am überhaupt nicht möglich ist. 419 Der Zusammenhang der Atemkräfte und ihre Abhängigkeit vom Dehnungszustand der Atmungsorgane. Von Fritz Rohrer, Assistenzarzt der mediz. Poliklinik "Tübingen. (Mit 4 Textfiguren.) Inhaltsverzeichnis. BnBNEE SH Se N RER PER BO ee A a 419 I. Die an der Oberflächeneinheit der Brusthöhle wirkenden Kräfte... . 421 A. Zusammenhang und Ausgleich der Atemkräfte ... 2. .2.... 421 1. Die Spannung des Brusthöhleninhaltes und der innere Spannungs- AUSDIETOHEEE FR en BR RE ee 421 2. Die Spannung in der Umgebung der Brusthöhle und der äussere SPAHRUNGSAUSGREIENE N ee ale een 422 B. Die Verhältnisse bei Muskelerschlaffung . ....... ee AA 1. Messung der elastischen Spannungsresultante bei Muskel- BESCHlattın ne a Ne 424 2. Die elastische Spannung der Brusthöhlenumgebung . . .. . 428 C. Die Verhältnisse bei maximaler Muskelanstrengung . ...... 431 1. Die maximale inspiratorische und exspiratorische Kraft... . . 451 2. Die maximale inspiratorische und exspiratorische Muskelkraft. 433 D. Indirekte Messung der elastischen Kräfte und die Verhältnisse beimyplimphyseme pn a le ee ee 435 II. Die an der Gesamtoberfläche der Brusthöhle wirkenden Kräfte. . . . 488 N SATNINENTASSUNGRE N Bee N ee en lee 442 Die äussere Atmung ist ein rhythmischer Bewegungsvorgang, an welchem ein grosser Teil des Körperstammes und seiner Inhalte sich beteiligt. Die einzelnen Organe dieses morphologisch überaus komplizierten Systems erfahren Lage- und Formänderungen, die so koordiniert sind, dass der obere Abschnitt der Leibeshöhle, der Brustraum und sein Inhalt, dabei abwechselnd Volumvergrösserung und Verminderung erfährt. 28 * 420 Fritz Rohrer: Wenn man die Lehr- und Handbücher der Physiologie und Spezial- arbeiten über die Atmungsmechanik durchsieht, gewinnt man den Ein- druck, dass bei der Untersuchung dieses Vorganges bisher das Haupt- gewicht auf die Feststellung der kinematischen Verhältnisse, der Koordi- nation einzelner Lage-, Form- und Volumänderungen, der Betätigung bestimmter Muskelgruppen und ihre Bedingtheit durch Form und Anordnung des Skelettes und der Weichteile, gelegt wurde. Diese Tendenz kommt auch zum Ausdruck in der grossen Zahl von Apparaten, die zu diesem Zweck konstruiert wurden !). Die rönt- senologischen Untersuchungen bewegen sich ebenfalls in dieser Richtung. Über die Grösse der bei der Atmung wirkenden mus- kulären, elastischen usw. Kräfte sind im einzelnen spärliche Angaben vorhanden, dagegen sind die Vorstellungen über ihr Zusammen- arbeiten wenig entwickelt?). Es scheint mir dies ein Mangel, indem, wie die Geschichte der Physik mehrfach zeigt, bei komplizierten Bewegungsvorgängen, durch die Kenntnis der veranlassenden Kräfte und ihres Ineinandergreifens die Einsicht in den Ablauf des Vor- sanges an Tiefe und oft auch die Darstellung an Einfachheit gewinnt. Die nachstehenden Ausführungen stellen einen Versuch dar für die verschiedenen Dehnungszustände der Atemorgane, die hier zu- nächst als statische Zustände angenommen sind, die Grösse und gegenseitige Abhängigkeit der Atemkräfte festzustellen. Die Dynamik der Atmung wird Gegenstand einer späteren Untersuchung sein. Die Messung der statischen Atemkräfte geschieht durch Be- stimmung der Druckerhöhung bzw. Erniedrigung, welche sie der Thoraxluft zu erteilen vermögen. Diese Druckdifferenz, welcher die Atemkräfte das Gleichgewicht halten, wirkt ringsum an der Brust- höhlenoberfläche. Die Messung der Druckdiffererz mit einem Mano- meter orientiert zunächst nur über die Kräfte an der Oberflächen- einheit der Brusthöble. Um die Gesamtkräfte zu erhalten, sind diese Werte mit der Oberflächengrösse des Brustraumes zu mul- tiplizieren. 1) Tigerstedt, Handb. d. physiol. Methodik Bd. 2 Abt.2 S.4-18. 2) Zum ‚Beispiel: Boruttau in Nagel’s Handb. d. Physiol. Bd. 1 S. 21—25. — R. du Bois-Reymond, Ergebn. d. Physiol. v. Asher u. Spiro Bd. 1 (2) S. 377—402. 1902. — Minkowski, Handb. d. allgem. Pathol. ı Krehl u. Marchand Bd. 2 — Waldenburg, Pneumatische Behandlung S. 69-81. 1880. — Tendeloo, Studien über die Ursachen der Langenlauis heiten. Physiol. Teil S. 1-33. 1902. Der Zusammenhang der Atemkräfte und ihre Abhängigkeit usw. 421 = Die an der Oberflächeneinheit der Brusthöhle wirkenden Kräfte. A. Zusammenhang und Ausgleich der Atemkräfte. 1. Die Spannung des: Brusthöhleninhaltes und der innere Spannungsausgleich. Für die an der Oberflächeneinheit der Lungen wirkende Kraft fanden wir in einer früheren Arbeit!) den Ausdruck p—pa-+ Pan. P.ı ist die bei einem gegebenen Dehnungszustand vorliegende elastische Retraktionskraft pro Quadratzentimeter Oberfläche, p.n die Druck- differenz zwischen Lungenluft und Aussenluft; sie ist für Inspiration mit positivem, für Exspiration mit negativem Vorzeichen in die Formel zu setzen. Wenn »—=(0 wird, ist pa=—Pun, d. h. die elastische Re- traktionskraft der Lungen ist durch die pneumatische Druckdifferenz messbar, welche ihr das Gleichgewicht hält (Donders). Die elastische Retraktionskraft der Lungen pro Quadratzentimeter Ober- fläche ist nach den Untersuchungen Gloetta’s eine lineare Funktion des Lungenvolumens?). Wir fanden den Ausdruck? ) pa =Ppıun + k:® (2 in Litern, k—4,5, pı in Zentimeter H,O). In gleicher Weise wie die Lungen befinden sich auch die Organe des Mediastinums zwischen Sternum, Wirbelsäule, Diaphragma und den beiderseits anliegenden Lungen in Spannung. Infolge der leichten Verschieblichkeit der Lungen, welche den Hauptvolumanteil des Thoraxraumes füllen, ist ein nahezu idealer Spannungsausgleich möglich *), so dass an jeder Flächeneinheit der Brusthöhlenwandung die gleiche, senkrecht nach innen gerichtete Kraftresultante angreift. Die Dehnungsgleichung der Lungen P=Pa, +49 9 + Pan gilt daher gleichzeitig auch für den gesamten Brusthöhleninhalt. Eine Sonderstellung ist bei extremer Inspiration oder Exspiration nur für die medial oberhalb des Hilus gelegenen Lungenabschnitte anzunehmen °). 1) Pflüger’s Arch. Bd. 162 S. 261. 2) Pflüger's Arch. Bd. 152 S. 339—864. 3) Pflüger’s Arch. Bd. 162 S. 282—283. 4) Pflüger’s Arch. Bd. 162 S. 289. 5) Pflüger’s Arch. Bd. 162 $. 290. 422 Fritz Rohrer: Eine Sonderstellung besizen ferner infolge der Herztätigkeit die Bluträume des Mediastinums. Die Spannung dieser Inhalte des Brustraumes überträgt sich nach allen Riehtungen auf die Wandungen desselben, die nach unten hin durch das Diaphragma, nach den Seiten durch Sternum, Rippen, Interkostalmuskulatur, Wirbelsäule, nach oben hin durch die Muskulatur und übrigen Organe der oberen Brustapertur gebildet werden, und setzt sich hier ins Gleichgewicht mit den von aussen angreifenden dehnenden Kräften. 2. Die Spannungen in der Umgebung der Brusthöhle und der äussere Spannungsausgleich. Die dehnende Kraft p, welche in einem bestimmten Zeitpunkt an der Brusthöhlenoberfläche angreift, ist die Resultante aus zwei Kräften. a) Die eine Komponente sind die muskulären Kräfte, welche teils direkt (Diaphragma), teils auf dem Umweg über das kom- plizierte Hebelsystem des Thoraxskelettes, oder durch Vermittlung des Bauchhöhleninhaltes (Bauchwandmuskulatur) auf die Brusthöhlen- oberfläche einwirken. Der Übertragung der indirekt wirkenden Muskelkräfte geht in jedem Zeitpunkt eine entsprechende elastische Spannung der die Kraft übertragenden Skelettabschnitte und Weich- teile parallel. Diese den momentan wirkenden Muskelkräften ent- ‚ sprechenden Spannungen können wir als Da oder Kraftüber- tragungs-Spannungen bezeichnen. b) Als zweite Komponente wirken sekundäre, während einer anderen Atemphase durch Speicherung muskulärer Arbeit erzeugte Spannungsmomente: elastische Spannungen (Rippenknorpel, Band- apparate, Weichteile) und Schweremomente (Gewicht der Thorax- wand, Bauchinhalt, vor allem Lebergewicht). Diese sekundären Spannungsmomente kommen zum Ausdruck in der momentanen Form (Torsion der Rippenknorpel) und Lage der einzelnen Teile der Brusthöhlenumgebung, sie sind abhängig vom Dehnungszustand der Brusthöhle, dagegen unabhängige von der in diesem Zeitpunkt wirkenden Muskelkraft. Im Gegensatz dazu können bei einem be- stimmten Dehnungszustand in verschiedenstem Maasse und auch in verschiedenem Sinn (inspiratorisch oder exspiratorisch) Muskelkräfte wirken und entprechende Kraftübertragungs-Spannungen vorhanden sein. Es geht daraus hervor, dass die Kraftübertragung nur geringe Der Zusammenhang der Atemkräfte und ihre Abhängigkeit usw. 493 Deformation der Skelett- und Weichteile erfordert, dass diese oft hohen Spannungen transitorisch sind und bei einem gegebenen Dehnungszustand nicht als gespeicherte Energie nach Aufhören der Muskeltätigkeit zu einer passiven Atembewegung Verwendung finden können, wie die sekundären Spannungen. - Die senkrecht zur Brusthöhlenoberfläche gerichtete Komponente dieser letzteren Spannungsmomente än einer bestimmten Oberflächen- einheit der Brusthöhle sei p.« io, die dorthin fortgeleitete senkrecht wirkende muskuläre Kraft pmusı. Es ist dahn die dehnende Kraft an dieser Stelle: PD — Pmusk + Pel ihor, | Da diese Kraft gleich und entgegengesetzt dem Zug des Brust- inhaltes ist, gilt die Beziehung: P = Pmusk + Pe thor — Pel pulm + Pam. An jeder Oberflächeneinheit des Brustraumes ist in einem. be- stimmten Zeitpunkt die innere Spannungsresultante gleich gross wie die äussere. Weil durch intrathorakalen Druckausgleich die erstere überall von gleicher Grösse ist, gilt dasselbe für die äussere Spannungs- resultante. Dieser Ausgleich der äusseren Spannungen ist die Folge und geht auf dem Wege des inneren Spannungsausgleiches im Brustraum. Zwischen den Brustwandunssabschnitten befindet sich der gleich- mässig gespannte Brustinhalt, welcher wie eine ideale Flüssigkeit alle an der Wandung ansetzenden Zug- oder Druckkräfte unter sich zum Ausgleich bringt. | Normalerweise sind die elastischen und muskulären Kraftent- wicklungsmöglichkeiten derart gleichmässig in der Brusthöhlenumgebung verteilt, dass alle Wandungsabschnitte, indem sie teils in Ruhe bleiben und nur durch zunehmende elastische und muskuläre Spannung den Zug des Brustinhaltes tragen (Wirbelsäule, hintere Thoraxfläche, Tonus des Arreetor trunci) oder indem sie im Sinne der gerade vorhandenen Respirationsphase sich bewegen (seitliche und vordere Thoraxfläche, Diaphragma), der Bedingung des Spannungsausgleichs genügen. Wenn unter pathologischen Verhältnissen die gleichmässige Ver- teilung der Kraftentwicklungsmöglichkeiten in der Brusthöhlenumgebung gestört ist, können normalerweise respiratorisch ausgiebig bewegte Brustwandabschnitte, infolge Spannungsausgleiches mit den übrigen Abschnitten, viel weniger bewegt werden, oder sich in umgekehrtem Sinn wie diese bewegen und so die Aufgabe der Atembewegung, die Volumänderung des Brustraumes beeinträchtigen, z. B. inspiratori- sches. Emporsteigen des Diaphragmas bei Phrenicuslähmung (ähnlich auch die inspiratorische Ansaugung des Mediastinums bei halbseitigem offenem Pneumothorax). Auch hier ist in jedem Zeitpunkt die äussere 424 Fritz Rohrer: Spannung an allen Brustwandabschnitten gleich, zum Beispiel das ge- lähmte Zwerchfell wird dem durch den Brustinhalt übertragenen Zug der übrigen Brusthöhlenwand folgend, inspiratorisch so weit emporge- sogen, bis seine elastische Spannung dem Zuge Gleichgewicht hält. B. Die Verhältnisse bei Muskelerschlaffung. 1. Messung der elastischen Spannungsresultante bei Muskel- erschlaffung. Die Kraft, welehe die Muskulatur auf die Oberflächeneinheit ausübt, ist nach obenstehender Gleichung: Dmusk —= — Peltnor + Pelpulm + Pan = I Pe + Pan- Die Grösse der äusseren sekundären Spannungen, P.1io,, kann nicht direkt bestimmt werden, dagegen gibt uns die letztere Gleichung den Weg zur Bestimmung von Ip. für die verschiedenen Dehnungs- zustände der Atemorgane. | Wenn man bei irgend einemDehnungszustand die Luftwege abschliesst und die Atemmuskulatur erschlaffen lässt, wird Pnusı — 0 und F pa = — Pan. Die sekundäre Spannkraft des Brusthöhlen- inhaltes und ihrer Umgebung ist pro Oberflächeneinheit für irgend- einen Dehnungszustand der Atemorgane, gleich der intrathorakalen Druckdifferenz bei Muskelerschlaffung. Für eine 28 Jahre alte, gesunde männliche Versuchsperson von 166 em Körperlänge und 3,3 Liter vitaler Kapazität, ergaben sich in sitzender Stellung, bei Muskelerschlaffung und Abschluss der Luftwege durch ein offenes Wassermanometer für je !/s Liter aus- einanderliegende Dehnungszustände, die einzeln durch Exspiration in ein Trockenspirometer von Barnes, ausgehend von maximaler Inspirationslage erhalten wurden, folgende Werte für I pa: Exspiration in Litern ae —— Er 0-2 | 4 ER 2 Zp,,;:; Zentimeter H,O | — 36 Die Messungen wurden ohne nochmalige Kenntnisnahme der früheren Werte später nachkontrolliert. Es ergaben sich für die vier mittleren Werte Schwankungen bis +1 cm H,O, für die äusseren bis + 2 cem H;d. In Fig. 1 sind über den ne nwoltinne, als Abszissen diese Druckwerte als Ordinaten aufgetragen. Die Kurve (Z) des intra- thorakalen Druckes bei Muskelerschlaffung schneidet die Abszisse bei Der Zusammenhang der Atemkräfte und ihre Abhängigkeit usw. 495 der elastischen Gleichgewichtslage der Atmungsorgane: gewöhnlicher Exspirationszustand. Oberhalb dieses Dehnungszustandes bedingt I pa einen Überdruck, unterhalb einen Unterdruck im Tkorax..:. Die Kurve des Druckverlaufs ist in dem für die Atmung hauptsächlich in Betracht fallenden Dehnungsbereich von ca. '/2 Liter unterhalb bis ea. 1!/z Liter oberhalb der Gleichgewichtslage von annähernd gleichmässiger Neigung, während sie gegen die extreme Inspiration. und noch mehr gegen die extreme Exspirpation hin einen zunehmend steileren Verlauf nimmt. Fig. 1. Abszissenwerte nach links = Fxspiration in Litern von maximaler Inspiration aus. Ordinatenwerte = Druck in Zentimetern H,O bei ab- geschlossener Glottis und Muskelerschlaffung. — I Kurve der elastischen Spannungsresultante im Sitzen. /I Kurve der elastischen Spannungs- resultante im Liegen. In dem mittleren 2 Liter umfassenden Dehnungsbereich, zwischen 0,5 und 2,5 der Tabelle, wo 2 p., eine lineare Funktion des Dehnungs- zustandes ist, findet sich eine Druckänderung von + 18 zu — 10 — 28 cm H,;0, pro Liter Dehnungsänderung also 14 cm H,O Druck- änderung. Wenn in diesem Dehnungsbereich von einem Zustan-l Zp., aus eine Volumänderung von @-Liter erfolgt, ist der am Schlusse erreichte Spannungswert Spa —= IPpa, + ka: 9 (ka 14). 426 Fritz Rohrer: Wenn der Atemzug von Gleichgewichtslage aus erfolgt ist Ip., —0 und Spa = 14:@ cm H,O (2 ist inspiratorisch mit positivem, exspiratorisch mit negativem Vorzeichen in die Formel zu setzen. Da ein Anteil von 9a 10, durch Schweremomente geleistet wird, ist es von Interesse, ob die Yp,.-Kurve bei wechselnder Körperhaltung oder -lage ändert. Messung in aufrechter Körperlage bei gesenkten und bei senkrecht erhobenen Armen ergab keinen Unterschied. Da- gegen zeigt sich eine deutliche Erhöhung aller Druckwerte im Liegen und noch mehr im senkrechten Hangen mit dem Kopf nach unten; für letztere Stellung wurden nur die Werte für extreme Inspiration und Exspiration gemessen. Die vitale Kapazität im Liegen bestimmte sich zu 3,0 Liter, im Hangen wurde sie nicht gemessen; wir nehmen den letzteren Wert als geltend an. Die Werte für aufrechte Körper- lage wurden zum Vergleich in folgender Tabelle nochmals beigesetzt. Exspiration in Litern 833 | 3 | 25 | 2.]15],7 105] 0 —36 —26 —10|—2| 4[10| 18 28 — |—16|— 2| 6/10 | 18] 36 | 34 — 1-2) — | -|-\-|-[|5 Aufrechte Lage: 2'p,, cm H;0. Liegen: 3p,, cm H,0. . ..... Hangen: Sp, cm H,O ... Wie die Tabelle und Fig. 1 zeigt, ist für die 3p.-Kurve im Liegen (II) der Verlauf höher, aber annähernd parallel dem bei aufrechter Stellung. Zwischen 0,5 und 2,5 ist die Druckänderung pro Liter auch hier 14 cm! H,0. Der Schnittpunkt mit der Ab- szissenachse, d. h. die elastische Gleichgewichtslage ist näher an die Exspirationslage herangerückt. Es entspricht dieses Ergebnis der röntgenologischen Beobachtung, dass im Liegen das Zwerchfell höher steht ?). In ähnlicher Weise ist die Yp.-Kurve abhäneig von Änderungen (der elastischen Momente. Schon beim Normalen ist eine solche Änderung möglich dureh Anbringung äusserer exspiratorisch wirkender, inspiratorisch sich spannender Vorrichtungen. Es wurde bei der: Versuchsperson in der Höhe des Proz. xiphoideus eine elastische Stauungsbinde mit mässiger Spannung angelegt und nun im Sitzen 1) Groedel, Atlas und Grundriss der Röntgendiagnostik in der’inneren Medizin 8.46. ‚1909. Der Zusammenhang der Atemkräfte und ihre Abhängigkeit usw. 497 ‚die gleichen Messungen wie oben wiederholt. Die vitale Kapazität war 3,0—3,1 Liter. Die Werte ohne Binde sind zum Vergleich beigesetzt. Exspiration in Litern are lftelehefo 13808 | | | Mit elast. Binde: Zp, cm 0 | — |-10|- 2| 6|ı2| 20 | as |.sg Ohne „ es >39, em 1.0736: 26: 10 8 28 — 4/10|1 | | ae ni, | _ Die Kurve entspricht etwa derjenigen im Liegen. Interessant ist, dass durch diese Zufügung eines nicht unbeträchtlichen Spannungs- momentes am Thorax (die Gleichgewichtslage wird um -'/2 Liter in exspiratorischer Richtung verschoben) die Neigung der Kurve in den mittleren Partien kaum beeinflusst wird. Zwischen 0,5 und 2,5 ist die Differenz 30 cm H,O pro Liter Dehnung also eine Spannungs- zunahme von 15 em H,O. Über die Abhängigkeit von Yp.ı vom Dehnungszustand der Atem- organe liegen, wie ich erst nach Ableitung meiner Bestimmungs- methode sah, bereits Untersuchungen von Jaquet!) und Bernoulli?) vor. Die Messungen geschahen auch bei Muskelerschlaffung, indem die Versuchsperson in eine pneumatische Kammer gesetzt wurde, deren Kombination mit einem grossen maschinell angetriebenen Blasbalg rythmische Druckänderung der Kammerluft ermöglicht. Die Volumänderung des Thorax bei verschiedenen Druckänderungen werden spirometrisch gemessen. Diese Methode, welche die elastische Spannungs- änderung der Atemorgane bei einer Änderung des Dehnungszustandes durch eine äussere Luftaruckänderung misst, sonst aber auf dem- selben Prinzip wie unsere Methode beruht, hat den Nachteil einer umfangreichen komplizierten Apparatur. Ferner scheint es mir viel leichter, bei abgeschlossenen Atemwegen und sistierter Atmung die Muskeln erschlaffen zu lassen, als dies möglich ist bei durch äussere Druckänderungen bewirkten passiven Atembewegungen. Bernoulli®) nahm Messungen an sechs Versuchspersonen vor und erhielt ganz ähnliche, in den mittleren Partien annähernd gleich- mässig geneigte, gegen die extremen Lagen zunehmend steilere 1) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmaköl. 1903 Supplbd. S. 309—316. 2) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 66 S. 313—333. 1911. 3) Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 66 8. 321. 1911. 428 Fritz Rohrer: Kurven, wie wir für unsern Fall finden. Aus Kurve III und IV, welche auch Männer von 28 Jahren betreffen, messe ich pro Liter Volumdehnung in dem mittleren 2 Liter umfassenden Dehnungsbereich eine Yp.- Änderung von 10,5 bezw. 9,5 mm He, entsprechend 14,3 bezw. 12,9 em H,;0. In unserem Fall fanden wir 14 em H,O. Die direkte Messung von 3p. verschiedener Dehnuneszustände bei Muskelerschlaffung erfordert immerhin auch bei unserem Vor- gehen eine ziemliche Übung der Versuchsperson. Ein orientierendes, vor allem für klinische Zwecke genügend genaues indirektes Mess- verfahren, welches viel rascher und auch bei wenig intelligenten Patienten anwendbar ist, werden wir später angeben. 2. Die elastische Spannung der Brusthöhlenumgebung. N». besteht aus den beiden Komponenten pa nor Und Perpum. Da wir den Gesamtwert wie auch die letztere Komponente (S. 421) kennen, ergibt sich aus der Gleiehung Ip. — Pa pum — Patnr durch Um- stellung die ‚Beziehung , nach welcher für die einzelnen Dehnungs- zustände pP.” zu berechnen ist. Pa thor — Pel pulm Da ; Da es sich um den Ausdruck eines Kräftegleichgewichts Kamclah, entspricht der Gleichheit Entgegengesetztkeit der Vorzeichen, zum Beispiel bei Gleichgewichtslage Sp«a=0 ist der Thoraxzug nach aussen gleich und entgegengesetzt dem Zug des Brustinhaltes nach innen. In Fig. 2 sind die Linie für Papum (III) und die Kurven für Patn» (I und II) eingezeichnet. Kollaps und Reserveluft nehmen wir für die Versuchsperson, deren vitale Kapazität (3,3 Liter), unter dem Mittel liegt, entsprechend kleiner als die Mittelwerte an: 0,55 bzw. 1,1 Liter. Die Kurven für paimor bei verschiedener Körper- stellung sind ähnlich denjenigen von Sp., aber flacher und tiefer gelegen. Sie zeigen. entsprechend jenen einen geraden Verlauf im mittleren Dehnungsbereich. Bei Gleichgewichtslage sind sie gleich- weit unterhalb der Abzeissenachse wie die Lungenelastizitätslinie ober- halb. Ihre Schnittpunkte mit der Abszissenachse, für aufrechte Haltung ca. ?/s Liter unter maximaler Inspiration, entsprechen der elastischen Gleichgewichtslage der Brusthöhlenwandung bei diesen verschiedenen Körperstellungen. Ihre zunehmende Steilheit gegen die extremen Lagen hin ist dadurch bedingt, dass hier neue Spannungs- momente auftreten, indem in den verschiedenen Gelenken des Thorax- Der Zusammenhang der Atemkräfte und ihre Abhängigkeit usw. 429 skelettes die Bewegungsmöglichkeit erschöpft wird und eine elastische Dehnung der Gelenkkapseln und Bänder einsetzt, anderseits, indem die Weichteile des Thorax und exspiratorisch das Zwerehfell, in- spiratorisch die Bauchdecken ihrer Dehnungsgrenze sich nähern. Die raschere Spannungsänderung gegen die exspiratorische Grenzlage hin scheint mir dahin deutbar zu sein, dass hier das während der vor- gehenden Exspirationsbewegung durch die Bauchpresse in die Brust- Res.Luft =1,1 Liter. Vit. Kapazität = 3,3 Liter. Fig. 2. Abszissenwerte — Lungenluftvolum in Litern. Ordinatenwerte = Druck in Zentimetern H.0. — I Kurve der elastischen Spannung in der Brusthöhlen- umgebung im Sitzen. /I Kurve im Liegen. III Linie der elastischen Retraktions- kraft des Brustinhaltes. höhle emporgetriebene Diaphragma rascher der Grenze der Dehnbar- keit sich ‚nähert, .als umgekehrt bei inspiratorischer Grenzlage die Bauchdecken angespannt werden. Die verschiedene Lage der 9.1:1.,-Kurve bei verschiedener Stellung des Körpers ist, wie schon betont, durch die wechselnde Wirkung der Schwereniomente bedingt. In aufrechter Haltung hat das Thorax- gewicht die Tendenz, den Thoraxbinnendruck zu erhöhen, der Gewichts- zug des Bauchinhaltes (Leber usw.) wirkt umgekehrt im Sinne einer Druckverminderung. Wie das Höhersteigen der Kurve im Liegen zeigt, überwiegt bei aufrechter Körperlage das letztere Moment. 30.222203 Fritz Rohrer: Ein weiteres Moment, welches auf die Lage der P.1or-Kurve Einfluss hat, ist die Form der Brusthöhle. Wenn wie bei Muskel- erschlaffung nur elastische Kräfte und Schweremomeute wirken, be- sitzt der Brustraum infolge innern und äussern Spannungsausgleiches diejenige Form, bei welcher an jeder Oberflächeneinheit die gleiche elastische Kraft wirkt: Pa mo —Papum + Pam. Wenn muskuläre Kräfte sich mitbeteiligen, ist infolge des Spannungsausgleiches zwar Panusı + Patnor für alle Oberflächeneinheiten gleich; dagegen kann das Ver- hältnis der. beiden Komponenten zueinander, an-versehiedenen Stellen der Brusthöhlenwand verschieden sein, und es ist fraglich, ob der Mittelwert von Pain, dann gleichgross ist wie bei Muskelerschlaffung. Ferner kann die Aktion der inspiratorischen und exspiratorischen Muskulatur, da sie verschiedene Angriffspunkte haben, bei dem eleichen Dehnungszustand etwas verschiedene Brusthöhlenform und damit Verschiedenheit der Verteilung von Pe: und vielleicht auch des Mittelwertes derselben bedingen. Wenn man zum Beispiel aus- eehend von Gleichgewichtslage bei geschlossener Glottis maximal inspiratorische, ‘nachher maximal exspiratorische Muskelkraft wirken lässt, so ändert dabei die Thoraxform in verschiedenem Sinn. Es tritt allerdings das eine Mal durch Dehnung der Lungenluft eine Erhöhung, das andere Mal eine Kompression und "Verringerung des Dehnungszustandes ein, welche für “unsere Versuchsperson nach Berechnung aus Gesamtvolumen und Druckänderung beidemal ea.-0,3 Liter beträgt. Um dieses Moment zu vermeiden, lässt man vor der inspiratorischen Anstrengung dieses Volumen ins Spirometer - ausatmen, vor der exspiratorischen so viel einatınen. Auch dann ist noch eine Verschiedenheit der Thoraxform, vor allem in den unteren Abschnitten, zu beobachten. Bei in genannter Weise hergestelltem gleicherossem Thoraxinnenraum ist der Umfang 4 em unterhalb des Processus xiphoideus: elastische Gleichgewichtslage . . 2. 2.2 2... 68,5 em maximale inspiratorische Anstrengung . . . . 71 cm maximale exspiratorische Anstrengung . . . . 68 m Wie dieser Versuch zeigt, ist bei gleichem Dehnungszustand die Thoraxform bei Muskelanstrengung eine etwas andere als bei blossem Wirken elastischer Kräfte, und zwar ist sie bei inspiratorischer An- ‚strengung mehr in inspiratorischem, bei exspiratorischer mehr in exspiratorischem Sinne verändert. Entsprechend. ist anzunehmen, dass: im ersten Fall die P.umo-Kurve einer :Oberflächeneinheit der Der Zusammenhang der Atemkräfte und ihre Abhängigkeit usw. 431 Thoraxinnenfläche nach oben, im zweiten Fall nach unten verschoben ist. Der Unterschied wird aber der geringen Formdifferenz ent- sprechend klein sein, und wenn auf der diaphragmalen Seite der Brusthöhle die Verhältnisse umgekehrt liegen, kann für den mittleren Peitro-Wert die Differenz sogar verschwinden. Die Pa 1n0,- Kurve ist auch beeinflussbar durch Anbringung äusserer elastischer Momente. Das Anlegen einer elastischen Binde am "Thorax verschiebt die pamr-Kurve nach oben, ungefähr ihrem Ver- lauf im Liegen entsprechend, ohne wesentlich ihre Neigung zu beein- flussen. Letzteres scheint darauf hinzuweisen, dass der Organismus die Form der Atmung den gegebenen Verhältnissen so anpasst, dass mit dem Liter Volumdehnung die geringste Zunahme des Mittel- wertes von Pain”, verbunden ist. Dieses Moment ist wahrscheinlich auch bestimmend für den Atemtypus. Wenn z. B. abdominell durch raumbeengende Organe (Gravidität, Tumoren, Meteorismus) oder durch beengende Kleider eine Volumänderung mit grosser elastischer "Spannungszunahme verbunden ist, so wiegt kostaler Atemtypus vor. Die diaphragmale Atmung scheint mit geringerer Spannungszunahme verbunden zu sein, indem sie normalerweise vorherrscht. Wenn durch Altersveränderungen der Thorax starr wird, pflegt die kostale Atınung sogar weitgehend eingeschränkt zu werden, und weil die elastischen Kräfte abdominell im Gegenteil zum Thorax im Alter sich verringern, sehen wir beim Emphysem, obschon ein Teil der Brusthöhlenwandung starrer, d. h. fähiger zur inspiratorischen Speicherung elastischer Kräfte ist, trotzdem die Exspiration erschwert und nur unter Beiziehung muskulärer Kräfte vor sich gehen, indem die vorherrschende Bauchatmung bei den verringerten elastischen Spannungen im Abdomen des Emphysematikers pro Liter Volum- dehnung unter geringerer Np.-Änderung einhergeht und damit für eine passive Exspiration nachher geringere Kräfte zur Verfügung stehen .(S. 438). .C. Die Verhältnisse bei maximaler Muskelanstrengung. 1. Die maximale inspiratorische und exspiratorische Kraft. Sie ist bei einem bestimmten Dehnungszustand messbar durch die alveoläre Druckdifferenz, welche bei abgeschlossenen Atemwegen ‚unter maximaler Anspannung der inspiratorischen bzw. exspiratorischen ‚Muskulatur. erzeugt wird. 432 Fritz Rohrer: Es. ist zu berücksichtigen, dass inspiratorisch dabei die Thorax- luft gedehnt, exspiratorisch komprimiert wird. Wenn der Lungenluft- gehalt im Ausgangszustand , bei Barometerstand b, Z Liter beträgt und eine Druckdifferenz Dan erzeugt wird, so ist noch dem Mariotte- schen Gesetze das erreichte Volumen: !Y=L1 ——— wobei inspira- a torisch das obere, exspiratorisch das untere Vorzeichen gilt, (b ist für Tübingen ca. 730 .mm Hg.) Die gemessene inspiratorische bzw. exspiratorische Kraft ist auf den so kerrigierten Dehnungszustand zu beziehen. Da p.n bis !/z Atmosphären, L bis 5 Liter en kann, darf diese Korrektur nicht unterlassen werden. Für die gleiche Versuchsperson wie oben, im Sitzen ad aus- gehend von derselben, je "/s Liter auseinanderliegenden Dehnungs- zuständen erhalten wir folgende Werte: Exspiration in Litern 3, 8 nee Lungenluftvolum a Sl | 14 1,9 | 24 | 29| 34 ‚39 4,4 Max. Exspirationsdruck Al SER in Zentimetern H;50.|: : 0 48 \ 86 106 1116 1124 132° 1142 Korrig. Bezugsvolumen sl 1933| us. 2a 2,6. 30 3,88 Max. Inspirationsdruck | u in Zentimetern H,O. | -138 -133 -122 -111 -99,: Korrig. Bezugsvolumen 1,27 1,61 2,17 2,7 3 Die Exspirationsdrucke wurden mit dem nach Zentimeter H,O geeichten Manometer von Recklinghausen gemessen, die Inspirations- drucke :mit einem offenen Quecksilbermanometer und in Zentimeter H,O umgerechnet. (Technik der Messung, S. 435 — 436.) In Fig. 3 sind über den Dehnungszuständen als Abszissen. (diese Druckwerte als Ordinaten aufgezeichnet und durch Kurven ver- bunden. Die nach oben liegende Kurve des maximalen Exspirations- druckes (/) hat ihren Höchstwert bei maximaler Inspirationslage, von der aus eine nicht unbeträchtliche Exspirationsbewegung erfolgt (ea. 0,55 Liter), bis der Überdruck der Lungenluft der exspiratorischen Kraft das Gleichgewicht hält. Bis zu einem Dehnungszustand, der ca. '/» Liter oberhalb der maximalen Exspiration liegt, sinkt die Exspirationskraft annähernd gleichmässig auf zirka die Hälfte ihres Anfangswertes, um dann von hier an steil bis ‚auf Null: ul maxi- maler Exspirationslage zu sinken. AIDS Die nach unten liegende Kurve der maximalen’ inspiratorischen Kraft (IT) zeigt einen ähnlichen, nur gleichmässig gebogenen Ver- Der Zusammenhang der Atemkräfte und ihre Abhängigkeit usw. 433 lauf in umgekehrter Richtung, ea. °/a Liter unterhalb der maximalen Inspirationslage ist ungefähr noch die Hälfte des bei maximaler Exspirationslage messbaren höchsten Wertes vorhanden. - 140 120 100 80 60 40 20 —20 — 40 260 — 80 — 100 — 120 — 140 Fig. 3. Abszissenwerte — Lungenluftvolumen in Litern. Ordinatenwerte = Druck in Zentimetern H;0. — I Kurve des maximalen Exspirationsdruckes. II Kurve des maximalen Inspirationsdruckes. I/II Kurve der maximalen exspiratorischen Muskelkraf. IV Kurve der maximalen inspiratorischen Muskelkratt. V Kurve der elastischen Spannungsresultante. 2. Die maximale inspiratorische und exspiratorische Muskelkraft. Da Parse = Per + Paw ist und wir für die verschiedenen Dehnungs- zustände sowohl I p.; wie den inspiratorischen und exspiratorischen Höchstwert von 9.» kenzen, können wir durch Addition, unter Be- rücksichtigung der Vorzeichen, die Werte der maximalen inspira- torischen und exspiratorischen Muskelkraft der verschiedenen Dehnungs- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 29 434 Fritz Rohrer: zustände berechnen. Unter normalen Verhältnissen ist die p.r-Kurve für diese inspiratorischen und exspiratorischen Zustände, wie wir sahen, wahrscheinlich wenig verschieden von derjenigen bei Muskel- erschlaffung, die der Messung zugänglich ist (S. 4351). In Fig. 3 ist diese Kurve nochmals eingezeichnet (V). Unterhalb der Gleich- sewichtslage wirkt >p. inspiratorisch. Die Ordinatenwerte sind hier bei der inspiratorischen Kurve von P.» zu subtrahieren, bei der exspiratorischen P9.n-Kurve zu addieren, um die Pmusı Werte zu er- halten. Oberhalb der Gleichgewichtslage sind die Verhältnisse um- gekehrt. Bei Gleichgewichtslage ist pa —=0 und Panuss — Pan- Die Kurve der maximalen exspiratorischen Muskelkraft (IIT), die wenig geneigt verläuft und gegen die maximale Exspiration hin plötzlich abfällt, zu einem Wert der gleich und entgegengesetzt dem extremen exspiratorischen Wert von Ip. ist, ist durch die Abnahme der muskulären Kraft bei zunehmender Muskelverkürzung zu deuten. Vor allem werden mit dem exspiratorischen Sinken des Thorax für die Bauchmuskulatur die Bedingungen der Kraftentfaltung zunehmend ungünstiger. Die Kurve der maximalen irspiratorischen muskulären Kraft- entwicklung (ZV) verläuft annähernd umgekehrt wie die der ex- spiratorischen Kraft. Auch ihr Verlauf ist wohl bedingt durch die Abnahme der Kraftleistung mit zunehmender Muskelverkürzung. Da ferner die Brusthöhlenoberfläche inspiratorisch wächst, so ge- schieht die Abnahme der Kraft pro Oberflächeneinheit gegen die maximale Inspirationslage hin hier rascher als die Abnahme der exspiratorischen Kraft gegen maximale Exspiration hin. Dort ist durch die exspiratorische Verkleinerung der Brusthöhlenoberfläche die Kraftabnahme durch Muskelverkürzung zunächst fast kompen- siert, die Kurve ist wenig geneigt und fällt dann mit einer Biegung plötzlich ab. Hier wirkt die Oberflächenzunahme, in gleichem Sinn. wie die Muskelverkürzung, bei fortschreitender Inspiration verkleinernd auf Pauss der Oberflächeneinheit; die Kurve fällt gleichmässig ge- krümmt gegen die maximale Inspiration hin, wo sie einen Wert er- reicht, der gleich und entgegengesetzt dem extrem inspiratorischen Wert von Ip. ist. Der wichtigste Inspirationsmuskel, das Zwerch- fell, zeigt hinsichtlich der Verkürzung im Verlaufe der Inspiration besondere Verhältnisse. Einerseits würde die inspiratorische Senkung des Centrum tendineum eine Verkürzung des Abstandes zwischen Origo und Insertio der Muskelbündel bedingen, anderseits die Der Zusammenhang der Atemkräfte und ihre Abhängigkeit usw. 435 inspiratorische Erweiterung der unteren Thoraxapertur eine Ver- längerung. Da eine von maximaler Exspiration ausgehende In- spirationsbewegung zunächst mit einer rapiden Erweiterung der unteren Thoraxapertur einsetzt, ist der Anstieg den die Kurve der maximalen inspiratorischen Muskelkraft hier zeigt, so zu deuten, dass zunächst der verlängernde Einfluss überwiegt. D. Indirekte Messung der elastischen Kräfte und die Verhältnisse beim Emphysem. Die maximale exspiratorische Muskelkraft zeigt zwischen maxi- malem Inspirationszustand und einem Dehnungszustand, der ea. !/s Liter oberhalb der maximalen Exspiration liegt, eine annähernd gleich- mässige Abnahme, die in gleichem Sinn erfolgt wie die Ände- rung der elastischen Retraktionskraft der Respirationsorgane: Np.. Die Änderung von X p.in diesem Bereich ist ferner bedeutend grösser, in unserem Fall z. B. ca. doppelt so gross wie die der Muskel- kraft. Die Änderung der maximalen Fxspirationskraft ist ent- sprechend in diesem Dehnungsbereich hauptsächlich abhängig von der Änderung von Yp.. (Fie.3 Kurve III, V und J). Wenn wir die maximale Exspirationskraft für die beiden ge- nannten Dehnungszustände bestimmen {Pan,, Pan,) und die Differenz beider Werte durch die vitale Kapazität (C) teilen, erhalten wir einen rohen Relativwert für die Änderungserösse der elastischen Retraktionskraft der Respirationsorgane pro Liter Dehnung (%.) l — Pam, — Pam; Eli aweE; ° Ü In folgender Tabelle sind eine Anzahl derartiger Bestimmungen bei Männern mit gesunden Respirationsorganen zusammengestellt. Die Messung der vitalen Kapazität und der Druckwerte erfolgte stets drei- bis viermal. Die letzteren sind mit einem offenen Hg-Manometer bestimmt, und zwar wurde als richtiger Wert nicht der höchste Punkt, zu dem die Hg-Säule für einen Moment emporgetrieben wird (Schleuderung), sondern der höchste Punkt, auf dem sie nachher einige Sekunden oder länger verharrt, betrachtet. Die Schleuderung wurde meist durch lang- sam gesteigerte Druckentfaltung überhaupt vermieden. Die Messung ge- schah vom Mund aus. Als Mundstück wurden stumpfwinklig abgebogene Trinkröhrehen verwendet, die ca. 3—4 cm tief in die Mundhöhle ein- seführt wurden, um das Pressen vom Mund aus zu vermeiden. Wenn man zuerst die Spirometerbestimmung vornimmt, begreifen auch wenig intelligente Leute rasch, dass sie von der Lunge her pressen sollen. Für die Berechnung von %,, sind die höchsten bestimmten Werte der vitalen Kapazität und des maximalen Exspirationsdruckes in maximaler 29 * 436 Fritz Rohrer: Inspirationsstellung zu benutzen. Für die Bestimmung des maximalen Exspirationsdruckes nahe der maximalen Exspirationsstellung liess ich zuerst vollständig exspirieren, dann möglichst wenig, ungefähr einem gewöhnlichen Atemzug entsprechend, inspirieren und nun ins Mano- meter den Druck entfalten. Es wurden hier meist vier bis sechs Messungen vorgenommen, die ersten zwei weggelassen und von den übrigen, die meist wenig streuten, das Mittel genommen. Die ganze Untersuchung erfordert mit Ruhepausen 10—15 Minuten. Schwierig- keiten ergeben sich nur bei hypochondrischen Neurasthenikern, die sich ängstlich hüten, ihre ganze Exspirationskraft zu entfalten. Bis jetzt sind mir nur drei solche Versager vorgekommen. Diese drei Versuche sind ausgeschaltet worden, während sonst alle bisherigen Versuche im folgenden zusammengestellt sind. | | Nr. Name Alter Grösse I | Palv, Palw; ke 1 S. E. 8 128 | 1,6 40 26 8,15 2 Sch. E. all “144 1,7 68 45 13,5 3 VG: 11 139 1,9 70 44 13,7 + 195 (Ce 12 144 1,8 12 46, 14,4 d W.L. 23 171 4,2 74 24 111,8) 6 O0. H. 27 167 37 120 74 12,4 7 Reh: 28 166 3,3 126 80 13,9 8 F. E. 35 160 9,4 112 64 14,1 g Sb dk 40 = 3,8 108 56° 13,7 10 G. K. 41 165 3,6 96 43 14,7 11 8.0. 47 169 30 124 84 11,4 12 2.C. 48 — 4,6 122 67 11,9 13 B. W. 49 166 3,9 78 44 9,7 14 F. M. 50 166 3,9 64 30 IM Ein Anteil von Pan, —Pan, wird durch muskuläre Kräfte ‚dargestellt, und es ist für die Verwendbarkeit der Formel wichtig, ob Anderungen der muskulären Kräfte das. Ergebnis beeinflussen. Fall 7 ist die gleiche Versuchsperson wie oben in Abschnitt B und (©. Die dortigen Messungen lagen hier ca. 4 Wochen zurück. Durch dauernde Ubung hat inzwischen die Versuchsperson ihre exspiratorische Kraftentfaltung ca. um 20° erhöht. Wenn wir dort (S. 433) aus der Kurve die Werte von Pan, und Pan, (*/2 Liter obermaximaler Exspiration) ablesen 104,3 — 57,3 3,3 — 14,2 gegenüber 13,9 hier. Ein umgekehrter Fall ist Nr. 5 Patient ist in der Rekonvaleszenz von einer einige Monate zurückliegenden Magen- blutung ‘und zeigt, infolge noch verringerter muskulärer Leistungsfähigkeit, für sein Alter sehr niedrige Werte von P«n, und Pan,. Der ka-Wert ist etwas niedrig, schliesst sich aber gut der übrigen Reihe an. Weit- gehende Änderungen der muskulären Kräfte sind, wie diese zwei Beispiele zeigen, von kaum zu: berücksichtigendem Einfluss auf die Grösse von %.. Dieser Wert muss also im wesentlichen nur abhängen von der elastischen Kraftänderung pro Liter Dehnung, und Verschieden- “heiten von A, werden Verschiedenheiten der letzteren entsprechen. und in Millimeter Hg umrechnen, erhalten wir k,. — Der Zusammenhang der Atemkräfte und ihre Abhängigkeit usw. 437 Die hier mit in Millimeter Hg-Säule gemessenen Drucken, berechneten Relativwerte, entsprechen ziemlich genau den absoluten Werten in Zentimeter H,0. (Fall 7: %., 13,9 und 14,2; absoluter Wert |[S. 425] ka 14 cm H30.) | Wie die Versuchsreihe zeigt, ergibt diese Bestimmungsmethode für die Zunahme der elastischen Kraft der Respirationsorgane pro Liter Dehnung bei gesunden Individuen wenig verschiedene Werte. Besonders nahe liegen die %.-Werte von Fall 2—10, für Männer zwischen 11—41 Jahren. Das Mittel dieser neun Bestimmungen ist: 13,6; der niedrigste und höchste Wert : 11,9 und 14,7. Im ersten Dezennium, wo der Thorax noch leicht deformierbar ist, haben wir geringere Werte zu erwarten. Fall 1; 8J, ka=8,175. Die Werte der zweiten Hälfte des 5. Dezenniums liegen teil- weise deutlich unterhalb der Werte früherer Lebensalter. Diese Erscheinung, welche mit beginnenden Altersveränderungen der Re- spirationsorgane in Zusammenhang zu bringen ist, leitet über zu den Verhältnissen, wie wir sie beim Emphysem finden: 18 Fälle von typischem Emphysem mit Thoraxstarre, welche in gleicher Weise wie oben vermessen wurden, geben folgende Mittelwerte: Vitale Kapazität Pair: | Pam, | k, 24 68,9 | 49,1 | 7,1 Die einzelnen %.-Werte verteilen sich folgendermaassen: RK. IRRE 3-5 | 5-6 | 6-7 | 7-8 | 8-9 | 9-10 | 10-12 Zahl dessen Davon acht Fälle mit C J3 Liter. | 1 Ss Dass das Ergebnis nicht abhängt von der beim Emphysem oft vorhandenen Verringerung der vitalen Kapazität zeigen die zuletzt hervorgehobenen acht Fälle, deren vitale Kapazität zwischen 3,1 bis 3,5 Liter liegt. Das Emphysem ist für die Atemphysiologie von Interesse, weil hier, trotzdem der morphologische Rahmen der Respirationsorgane weitgehend sich verschoben hat und fast alle Momente, die normaler- weise für die Atemmechanik wichtig sind, quantitativ geändert haben, doch das gleiche Beziehungsgesetz der Atemkräfte silt. 438 Fritz Rohrer: Wie unsere Untersuchungsreihe beweist, ist beim Emphyse- matiker die Änderung der elastischen Kraft pro Liter Volumänderung der Respirationsorgane gegenüber dem Normalen bedeutend verringert, auf die Hälfte bis ein Drittel. Wenn die Atemorsane um ein be- stimmtes Volumen voh der Gleichgewichtslage entfernt sind, stehen hier für die Exspiration entsprechend geringere Kräfte zur Verfügung. Es entspricht diese Feststellung der Beobachtung, dass die Exspiration des Emphysematikers sehr erschwert ist und meist unter Beiziehung muskulärer Kräfte erfolet. Dieser wie mir scheint sichergestellte Befund steht nur schein- bar im Widerspruch mit der Thoraxstarre des Emphysematikers. Die hier in höherem Maasse vorhandenen elastischen Momente sind von geringem Einfluss, weil die thorakale Atmung eingeschränkt ist (S. 431), anderseits sind für die vorherrschende abdominelle Atmung die elastischen Widerstände herabgesetzt, teils durch Alterserschlaffung der Bauchwände, teils, weil durch die meist vorhandene, oft sogar sehr bedeutende, Vorwärtsbiegung der Brustwirbelsäule der Thorax dem Becken sieh nähert. Das Abdomen zeigt beim Emphysematiker entsprechend eine eigenartige Oberflächengestaltung. Besonders charakteristisch ist eine 2—4 cm oberhalb des Nabels quer ver- laufende Furche, welche äm ausgeprägtesten im Stehen und bei stärker kyphotischen Emphysematikern zu beobachten ist. Ein An- teil an der Verringerung von A. ist beim Emphysematiker auch durch die elastische Erschlaffung des Lungengewebes bedingt. II. Die an der Gesamtoberfläche der Brusthöhle wirkenden Kräfte. Für den Inhalt des Brustraumes der Versuchsperson bei gewöhn- licher Exspirationsstellung erhalten wir nach der in nachstehender Arbeit über: „Bestimmung des Inhaltes und der Oberfläche des Brustraumes beim Lebenden“ entwickelten Methode einen Wert von 9,345 Liter. Die Brusthöhlenoberfläehe bestimmt sich zu 18,54 qdm, für einen anderen Dehnungszustand J zu 6,065-J°”%. Die Reserveluft der Versuchsperson beträst 1,5 Liter. Für die oben mehrfach be- nützten, je !/e Liter auseinanderliegenden Dehnungszustände erhalten wir folgende Übersicht: Der Zusammenhang der Atemkräfte und ihre Abhängigkeit usw. 439 Lungenluftvolumen in Litern ehr Brusthöhleninbalt: Liter. .| 3,85 | 4,15 465. SB) 9,65 615 6,65 Brusthöhlenoberfläche: qdm | 14,86 | 15,63 | 16,9 I Re a I 7,15 22,5 Während sich beim Übergang von maximaler Exspiration zu maximaler Inspiration das Brusthöhlenvolumen der Versuchsperson nahezu verdoppelt, wächst dabei die Brusthöhlenoberfläche auf etwa das 1!/efache des Anfangswertes. Pro Liter Dehnung vergrössert sich die Brusthöhlenoberfläche je nach dem Ausgangszustand um 21/2-—2 qdm. Um die Gesamtkräfte zu erhalten, sind die oben angegebenen Werte der Kräfte am qem Öberfläche », für jeden Dehnungszustand mit der entsprechenden Oberflächengrösse O zu multiplizieren. Für p incem H,O und O in qdm ist die Gesamtkraft in Kilogramm: Ges.Kr.—=0,1-p- Oke. Wie mir durch die früheren Ausführungen genügend gesichert erscheint, darf für die im Innern des Thorax wirkenden Kräfte: P=Peipum + Pan, die auch am Mediastinum angreifen, die ganze Brusthöhlenoberfläche als Wirkungsfläche betrachtet werden. Das gleiche eilt auch für die äussere Kraftresultante: P—Pmuss + Peitnor- Als Anteil der dehnenden Kraft » sind an jeder Oberflächeneinheit die dorthin fortgeleiteten, senkrecht zur Oberfläche ansetzenden Komponenten der muskulären und elastischen Kräfte zu betrachten. Peithor massen wir bei Muskelerschlaffung und sahen, dass bei Muskel- anstrengung der Mittelwert von Primo, nur wenig verschieden von ersterem Wert sein kann; der übrige Anteil von p muss also durch muskuläre Kraft geleistet werden, und die muskuläre Gesamtkraft wäre entsprechend als O-(p— Pain.) anzusehen. Wenn wir zunächst nicht berücksichtigen, dass die muskulären Kräfte in der direkten Spannrichtung der Muskeln je nach den Hebelverhältnissen verschieden sein können von der von ihnen auf die Brusthöhlenoberfläche ausgeübten Kraft, so scheint noch ein weiterer Grund zu bestehen, der einen solchen Unterschied bedingen könnte. Die Bewegung der einzelnen Brusthöhlen-Wandungsabschnitte bei der Atmung ist von verschiedener Grösse. Es besteht die Mösliehkeit, dass die Muskulatur nur an den hauptsächlich bewegten 440 Fritz Rohrer: Abschnitten wirkt und die übrigen dureh innern Druckausgleich auf die gleiche Spannung gebracht werden, ähnlich wie in einer hydrau- lischen Presse, von einem kleineren bewegten Wandungsteil aus, die gesamte Oberfläche des mit Flüssiekeit gefüllten Binnenraumes der Presse infolge der Druckfortpflanzung auf den gleichen Druck gebracht wird, wie er an der kleinen bewegten Fläche wirkt. So könnte zum Beispiel bei maximaler exspiratorischer Druckentfaltung die Bauch- presse, das Diaphragma in die Brusthöhle emportreibend, zugleich durch die Steigerung des thorakalen Binnendruckes auch die Brust- korbinnenfläche indirekt auf gleich hohe Spannung bringen. In diesem Fall wäre dann im wesentlichen nur das Zwerchfell als eigentliche Wirkungsfläche von Pnusr zu betrachten. Wie mir scheint, darf dieser Vergleich mit der hydraulischen Presse nicht auf die Respirationsorgane angewandt werden. Das Thoraxskelett ist ein in allen seinen Teilen bewegliches System. Sogar die Brustwirbelsäule, die- relativ die geringste Bewegungs- möglichkeit besitzt, zeigt sagittal und frontal eine nicht unbeträcht- liche Biegungsfähiekeit. Den von vorn her sagittal angreifenden Zug oder Druckmomenten des Brusthöhleninhaltes gegenüber ver- hält sich die Brustwirbelsäule nicht passiv, so dass sie entsprechend der Zug- oder Druckrichtung ihre Form anpassen würde, sondern wir sehen im Gegenteil inspiratorisch, wo der Zug des Brustinhaltes nach vorn wächst, eine zunehmende Gradstreckung (der arreetor trunei ist entsprechend als ein schon normalerweise zum Teil in- spiratorisch tätiger Muskel anzusehen), bei exspiratorischer Kraft- anstrengung umgekehrt eine Vorwärtsbiegung der Brustwirbelsäule. Da sogar dieser am weniesten bewegliche Teil des Brustkorbes bei der Atmung sich aktiv verhält, scheint mir, dass auch für Pmusr die Gesamtoberfläche der Brusthöhle als Bezugsfläche anzusehen ist. Wie weit infolge der Hebelverhältnisse die gesamte Spannung in der Zugrichtung der einzelnen Atmungsmuskeln verschieden ist von der auf die Brusthöhlenoberfläche wirkenden, muskulär geleisteten Gesamtkraft, wäre nur durch eingehende Untersuchung der Hebel- verhältnisse zu entscheiden. Für die spätere Untersuchung über die Atmungsarbeit ist ein allenfalls statisch vohandener Unterschied der zwei Kraftsummen nebeusächlich, indem die Arbeitsgrösse beider- seits gleich sein muss. Fig. 4 zeist die Grösse der Gesamtkräfte in Kilogrammen bei den verschiedenen Dehnungszuständen. Die einzelnen Ordinaten- .Der Zusammenhang der Atemkräfte und ihre Abhängigkeit usw. 441 werte sind aus Fig. 3 (S. 435) dureh Multiplikation mit der den einzelnen Dehnungszuständen entsprechenden Oberflächengrössen der Brusthöhle berechnet. ; Fig. 4. Abszissenwerte — Lungenluftvolum in Litern. Ordinatenwerte —= gesamte, an der Brusthöhlenoberfläche wirkende Kraft in Kilogramm, nach oben exspiratorischer Druck, nach unten inspiratorischer Zug. — I Kurve der maximalen exspiratorischen Gesamtkraft. II Kurve der maximalen in- spiratorischen Gesamtkraft. III Kurve der maximalen exspiratorischen muskulären Gesamtkraft. /1VY Kurve der maximalen inspiratorischen musku- lären Gesamtkraft. V Kurve der elastischen Gesamtkraft. Die Kurven verlaufen ähnlich wie die der Kräfte an der Oberflächeneinheit. Noch auffallender als in Fig. 3 ist hier die Zurückbiegung der Kurve der maximalen inspiratorischen Muskel- kraft, die wir oben (S. 434) auf die besonderen Verhältnisse des - Zwerchfells zurückführten. Auch die Kurve des maximalen inspira- torischen Gesamtdruckes zeigt hier eine leichte Rückbiegung. Die höchste inspiratorische Kraftentfaltung bei unserer Versuchsperson: 220 kg, ist etwas unterhalb der Gleichgewichtslage möglich, die der inspiratorischen Muskulatur ist bei Gleichgewichtslage 210 kg. d 442 Fritz Rohrer: Die höchste exspiratorische Kraftentwicklung findet sich nahe der maximalen Inspirationsstellung. Der exspiratorische alveoläre Gesamtdruck an der Brusthöhlenoberfläche beträst hier für die Ver- suchsperson 305 kg, die muskulär bedingte Gesamtkraft 266 ke. Die muskuläre Gesamtkraft bei Gleichgewichtslage ist für die Ver- suchsperson exspiratorisch eleicheross wie inspiratorisch. Die elastischen Kräfte allein üben bei maximaler Inspirations- stellung einen Druck von 63 kg, bei maximaler Exspirationsstellung - einen Zug von 53,5 kg an der Brusthöhlenoberfläche aus. Da unsere Versuchsperson eine unter dem Mittel liegende vitale Kapazität und mässig kräftig entwickelte Muskulatur besitzt, dürften für Erwachsene alle Werte durchschnittlich noch höher liegen. Zum Vergleich mit diesen Ergebnissen diene die Schätzung von Donders!), dass die maximale Kraftleistung der Atemmuskulatur über,200 ke betrage, und die Angabe von Fiek!), dass die Museuli intercostales externi allein einer Kraftentwicklung von ca. 94 kg fähig sind. | Zusammenfassung. 1. Die Atemkräfte sind messbar durch die Druckdifferenz, welcher sie Gleichgewicht halten. Der so bestimmte Manometerwert entspricht der Kraftgrösse an der Oberflächeneinheit des Brustraumes. 2. Der Zusammenhang der Atemkräfte unter statischen Ver- hältnissen für irgendeine Flächeneinheit der Brusthöhlenoberfläche ist in folgender Gleichung darstellbar: P — Pmusk Ein Pei tnor — Pel pulm Sr Paw 1 — Resultante der äusseren Kräfte (dehnende Kraft) — Resul- tante der inneren Kräfte (Retraktionskraft des Brusthöhlen- inhaltes). Prmusk — senkrecht zur Brusthöhlenoberfläche wirkende muskulär geleistete Kraft. Pa tor — senkrecht zur Brusthöhlenoberfiäche wirkende, durch elastische und Schweremomente in der Brusthöhlenumgebung bedingte Kraft. Papum — elastische Retraktionskraft der Lungen pro Quadrat- zentimeter Oberfläche. Pım — alveoläre Druckdifferenz. DR. du Bois-Reymond, Mechanik der Atmung. Ergebn. d. Physiol. v. Asher-Spiro Bd. 1 (2) S. 402. 1902. Der Zusammenhang der Atemkräfte und ihre Abhängigkeit usw. 443 3. Der Brusthöhleninhalt bringt wie eine ideale Flüssiekeit alle im Innern und an verschiedenen Stellen seiner Oberfläche wirkenden Kräfte unter sich zum Ausgleich: innerer und äusserer Spannungs- ausgleich. (Nur zwei kleinere Volumanteile des Brustraumes besitzen eine Sonderstellung. a) Die medial oberhalb des Hilus gelegenen Lungenabschnitte bei tiefer Inspiration und Fxspiration. b) Die Bluträume des Mediastinums infolge der Herzmuskeltätiskeit.) 4. Die elastische Spannungsresultante (Ipa — Pa pum — Pal thor) ist direkt messbar durch die bei Muskelerschaffung von ihr bedingte alveoläre Druckdifferenz. Die Sp.-Werte sind abhängige vom Dehnungszustand der Atem- organe (Fig. 1, Kurve /), und zwar ist im mittleren, hauptsächlich für die Atmung wichtigen, 2 Liter umfassenden Dehnungsbereich die elastische Spannungsresultante eine lineare Funktion des Lungen- luftgehaltes, das heisst die Änderung der elastischen Spannung er- folgt hier proportional der Volumänderung (® in Litern): Ma — Da, SE ka ® Q. Die Sp.-Änderung pro Liter Volumänderung beträgt hier für die Versuchsperson %ı—= 14 em Wassersäule. Die 3».--Werte sind ferner abhängig von der Körperlage, indem dabei die Schweremomente je nachdem in verschiedener Richtung wirken. Die Sp.-Kurve im Liegen (Fig. 1, Kurve //) ist gegenüber der im Sitzen nach aufwärts verschoben, ohne dass sie ihre Neigung ändert (kı—=14cm H,O). Die Anbringung einer elastischen Binde am Thorax erhöht alle >'p.-Werte, auch hier, ohne dass die Neigung der Kurve wesentlich ändert. 5. Ein Relativwert der Xp.-Änderung pro Liter Dehnungs- änderung der Respirationsorgane (k.) wird indirekt erhalten durch Messung des maximalen Exspirationsdruckes in maximaler Inspira- tionsstellung (P.n,) und etwa !/e Liter oberhalb maximaler Exspira- tionsstellung (P«n,) und Teilung der Differenz beider Werte durch die vitale Kapazität (CO): Re Dendmehun: Für 9.n, und un, in Millimeter Hg und C in Litern erhält man annähernd %,: in Zentimeter Wassersäule. Die so bestimmten %.-Werte sind für Männer vom zweiten bis Anfang des fünften Dezenniums wenig verschieden. Neun Messungen liegen zwischen 11,9 und 14,7. 444 Fritz Rohrer: Der Zusammenhang der Atemkräfte usw. In höherem Alter sinkt ka, um beim Altersemphysem noch etwa die Hälfte des früheren Wertes zu betragen. (Durchschnitt für 13 Emphysematiker: ka = 17,1). 6. Die elastische Spannung in der Brusthöhlenumgebung (Pa tor) ist aus den Yp.ı Werten zu berechnen, durch Subtraktion der für die einzelnen Dehnuneszustände annähernd bekannten Retraktionskraft (Donders, Cloetta) der Lungen. Aus den >p.-Kurven im Sitzen, Liegen und bei Anbringung einer elastischen Binde ergeben sich die entsprechenden 9. mo- Kurven, die tiefer und etwas flacher liegen als die ersteren. (Fig. 2.) Bei der Muskelerschlaffung ist Pu, an allen Oberflächen- einheiten der Brusthöhle gleich gross. Bei Muskelwirkung ist der Durcehschnittswert von 9. inor wenig verschieden von dem bei Muskel- -erschlaffung. Für die Wahl des Atemtypus ist massgebend die Grösse der durchschnittlichen 9. nor, bezüglich Sp,-Änderung, und zwar ist der- jenige Typus herrschend, der unter den gegebenen Verhältnissen inspiratorisch die geringste Spannungszunahme bedingt. 7. Die maximale inspiratorische und exspiratorische Kraft ist abhängig vom Dehnungszustand der Atemorgane (Fig. 3; Kurve 7 und IJ). Die maximale muskuläre Kraft ist aus den letzteren Werten durch Subtraktion der elastischen Kraft (Sp.) zu berechnen. Ihre Abhängigkeit vom Dehnuugszustand (Fig. 3; Kurve I/II und IV) ist durch die ändernde Distanz von Ursprung und Ansatz der Atem- muskeln und durch die ändernde Grösse der Brusthöhlenoberfläche zu erklären. "8. Die an der gesamten Brusthöhlenoberfläche wirkenden Kräfte berechnen sich aus den Kräften an der Flächeneinheit und der Oberflächengrösse (0). Bei einem gegebenen Dehnungszustand ist unter statischen Verhältnissen: O - Panun = O0: Pat ©: Pan- Die Grösse der einzelnen Werte bei den verschiedenen Dehnungs- zuständen ist für die Versuchsperson durch die Kurven von Fig. 4 dargestellt. Die maximale Kraftentfaltung beträgt für die Versuchs- person inspiratorisch 220 kg, exspiratorisch 305 ke. 445 Bestimmung des Inhaltes und der Oberfläche des Brustraumes beim Lebenden. Von Fritz Rohrer, Assistenzarzt der mediz. Poliklinik Tübingen. (Mit 1 Textfigur.) Für die Bestimmung dieser zwei atmungsphysiologisch wichtigen Grössen fehlen bis jetzt genügend zuverlässige und vor allem direkte Methoden. Eine Messung an der Leiche wäre wenig genau, indem die Deformation der Brusthöhle bei ihrer Eröffnung schwer ein- schätzbar ist. Eine rohe Orientierung über die zu erwartenden Werte gibt folgende Überlegung. Bei gewöhnlicher Exspirationsstellung ist der Lungenluftgehalt ca. 2,8 Liter. Das Gewebsvolumen !) der blutleeren Lungen beträgt ca. 0,95 Liter, das des blutleeren !) Herzens ca. 0,3 Liter, die übrigen Mediastinalgebilde (Gefässe, Trachea, Ösophagus, Lymphdrüsen) können wir zu ungefähr ebensoviel ver- anschlagen: 0,3 Liter, etwa gleichviel wird auch das Blutvolumen in Herzhohlräumen, Lungengefässen usw. ausmachen. In die Brust- höhle ragt ferner als Pfeiler vor die Brustwirbelsäule mit ihrem ganzen vor der Verbindungsebene der Fossae costales gelegenen Absehnitt. Nach Vermessung an Abbildungen in Merkel’s Handb. der topogr. Anat.?) ist dieses hereinragende Wirbelsäulenvolumen zu ca. 0,6 Liter zu rechnen. Für den Brusthöhleninhalt bei gewöhn- licher Exspiration erhalten wir als Rohwert: 23,35 +0,95-+3 0,3 + 0,6==ca. 5,25 Liter. Eine Kugel von diesen Inhalt hat die kleinstmögliche Oberfläche: 14,6 qdm. Anderseits scheint die Brust- höhle ihrer Form nach der Kugel näher stehend als ein qua- dratisches Prisma von 1 qdm Grundfläche und gleichem Inhalt, dessen 1) Vierordt, Anat. Daten 1906 S. 34. 2) Bd. 2 S. 366—367. 1899. 446 Fritz Rohrer: Oberfläche 23 qdm beträgt. Zwischen diesen Grenzen muss die Brusthöhlenoberflächengrösse liegen. Eine wesentlich genauere Bestimmungsmethode ergibt sich aus folgendem: | Wenn man Thoraxgefrierschnitte?) betrachtet, zeigt sich der Brusthöhlenhorizontalschnitt in verschiedenster Höhe als Queroval, dessen hintere Seite etwas stärker abgeplattet ist. (Der vorragende Teil der Brustwirbelsäule ist morphologisch und auch dynamisch zum Brusthöhleninhalt zu rechnen. Die an diesen vorspringenden Pfeiler angreifenden Kräfte übertragen sich auf den hinten gelegenen Frontalschnitt, der die Rippenbögen hinten als gerade Linie ver- bindet, und setzen sich hier ins Gleichgewicht mit äusseren Kräften: Spannungen der Wirbel- bosenbänder, Torus des Arrector trunei). Wenn wir den Querdurchmesser als a, den Sagittaldurchmesser als b bezeichnen, so entspricht nebenstehende Konstruktion nach Form und Inhalt sehr gut URN. a Eh > dem Brusthöhlenquerschnitt. . Einem mittleren Rechteck von der Tiefe d und Breite a — b, sind beiderseits Halbkreise vom Radius !/2 b angesetzt. Der In- halt dieser Figur ist: «- b— 0,214 - b?, der Umfang: 2:@+ 1,1415 b. Die Orthodiagraphie gibt uns die Möglichkeit, am Lebenden die Grössen a für alle, die Grössen b für die meisten Brusthöhlenquer- schnitte direkt und genau zu bestimmen. Wenn man am Seiten- orthodiagramm, dessen zirka oberes Drittel durch den Schulterschatten verdeckt ist, nachher mit dem Taststift die vordere und hintere mediane äussere Brustkorbkontur einzeichnet und das Jugulum markiert, so ist, indem vom Sagittalothodiogramm her bekannt ist, wie hoch die Pleurakuppel über dem Jugulum steht, alles gegeben, um auch die fehlende Spitze des Transversalorthodiagrammes mit senügender Genauigkeit zu zeichnen. Aus Sagittal- und 'Transversalorthodiagramm kann für beliebig viele Brusthöhlenquerschnitte die Grössen a und b gemessen und 1) Merkel, Handb. d. top. Anat. Bd. 2 Fig. 113—114. 1899. Bestimmung des Inhaltes und der Oberfläche des Brustraumes usw. 447 nun schichtweise Inhalt und Oberfläche der Brusthöhle unter An- nahme des oben gezeichneten leicht schematisierten Querschnittes berechnet werden. j Bei der Inhaltsberechnung ist für die unterhalb der Ebene der Zwerchfellhöhe gelegenen Zwickel ein nach ihrer Form und ge- messenen Flächengrösse eingeschätzter Wert einzusetzen. Der mög- liche Fehler ist klein für den Gesamtwert. Bei der Oberflächenberechnung kann für die einzelnen Schichten die Formel des Kegelstumpfmantels verwendet werden, wobei der Mittelwert aus oberem und unterem Umfang mit dem Mittelwert der aus den Orthodiagrammen gemessenen Längen der Mantellinie zu mul- tiplizieren ist. Die oberste Spitze der Brusthöhlenkörpers kann als 'konoides Zelt mit einem quergestellten First angesehen werden, die doppelte gemessene Firstlänge gibt den oberen Umfang; dann gilt die gleiche Formel wie vorhin. Eine ähnliche Methode kann zur Bestimmung der diaphragmalen Brusthöhlenfläche verwendet werden. Einem mittleren Streifen von der Breite a«—b, dessen Krümmungs- länge aus dem Transversalorthodiagramm zu messen ist, schliessen sich beiderseits zwei halbkegelförmige, etwas sphärisch gekrümmte Flächen an. Der untere Umfang jeder der letzteren ist '/eb - x. Für die Länge der Mantellinie sind’ drei Messungen möglich, deren Mittelwert verwendet wird. In dieser Weise wurde die Berechnung für einen 23jährigen Mann L. W., mit gesunden Respirationsorganen, 171 em Körper- länge, 4,2 Liter vitaler Kapazität, 1,7 Liter Reserveluft, durchgeführt. Während der Aufnahme der Orthodiagramme wurde ungezwungene ruhige Atmung innegehalten und die Zwerchfellkontur für gewöhn- liche Exspirationsstellung eingezeichnet. Zur Berechnung teilte ich die Orthodiagramme durch ein System horizontaler, in regelmässigem Abstand von 2 em voneinander entfernter Parallelen. Für das Seitenorthodiagramm ist die Körpervertikale als Bezugsvertikale zu nehmen. . | Als Inhaltsgrösse des Brustraumes bei gewöhnlicher Exspiration erhalten wir für die Versuchsperson 5748 cem, rund 5° Liter, als Oberfläche 2020 gem, wovon auf die diaphragmale Fläche 405 qem, also ?/s fällt. | Die Oberflächengrösse, ca. 20 qdm, liegt ungefähr in der Mitte derjenigen, welche eine Kugel und ein quadratisches Prisma von 1 qdm Grundfläche und gleiehem Inhalt besitzen: 15,54 bzw. 25 qdm. 448 Fritz Rohrer: Wenn wir annehmen, dass bei Volumänderungen die Brusthöhle ihre geometrische Form beibehält, was annähernd der Fall ist, er- halten wir für einen anderen Brusthöhleninhalt J die Oberfläche nach der Formel ah en al 2/3 0 —120: Be 5 Für die Versuchsperson (vit. Kap.: 4,2 Lit.; Res. Luft 1,7 Lit.) ergibt sich folgende Übersicht: Brusthöhlen- Brusthöhleninhalt oberäche Liter qdm Maximale Exspiration . ...... 4,05 15,8 Gewöhnliche au ann 5,15 20,0 Maximale Inspiration ....... 8,25 25,4 Der Inhalt bei maximaler Exspiration verteilt sich auf Residual- luft und Gewebsvolumen. Wenn wir hier die erstere, der etwas hohen vitalen Kapazität entsprechend, über dem Mittel rechnen, ca. 1,35 Liter, so ist das Gewebsvolumen zu ca. 2,7 Liter anzusetzen, ein Wert, der wenig ober der anfangs vorgenommenen rohen Schätzung liegt. Zwei andere Fälle, die in gleicher Weise vermessen und be- rechnet wurden, ergaben folgende Werte: Alter | Grösse a Inhalt |Oberfläche Name Jahre em Vit. Kap. | re | ddın O = konst. J’% RB. Aue 23 160 3,4 | 9,694 19,25 — 6,075 - J?3 Rap 28 166 3,3 | 5,345 18,54 | — 6,065 - J%s Wie die drei Bestimmungen zeigen, verhalten sich die Brust- höhlenvolumina verschiedener Individuen, bei gewöhnlicher Exspira- tionsstellung, nicht, wie man annehmen möchte, proportional den vitalen Kapazitäten. Die Bestimmungsmethode des Brusthöhleninhaltes scheint mir bei genauer Durchführung der Berechnung eine geringe Fehler- möglichkeit zu besitzen, und wenn einmal von anatomischer Seite gute Angaben über das Gesamtgewicht bzw. Gewebsvolumen der Brustorgane plus Inhalt des vorspringenden Wirbelsäulenpfeilers vorliegen, so wird sich aus Brusthöhleninhalt in gewöhnlicher Ex- spirationsstellung, durch Substraktion von Reserveluft und Gewebs- Bestimmung des Inhaltes und der Oberfläche des Brustraumes usw. 449 volumen, ein zuverlässiger Wert für die Grösse der Residualluft ergeben. Da die Bestimmung des Brusthöhleninhaltes auch in dieser Richtung praktische Bedeutung gewinnen kann, möchte ich hier noch eine wesentliche Vereinfachung der Inhaltsberechnung anführen: Es sei ein beliebiger, in bezug auf eine Sagittalebene bilateral- symmetrischer Körper vom Inhalt J gegeben. Seine Höhe sei h, die Flächengrösse seiner Sagittalprojektion #,, die der Transversal- projektion F,. Dann ist t der mittlere Transversal- und 2 der / mittlere Sagittaldurchmesser und das Produkt der drei Dimen- sionen: nm 21. RD) stellt einen Relativwert der Inhaltsgrösse des Körpers dar: Wenn wir Körper von gleicher Form, aber verschiedenem Inhalt nehmen, so ist J,:Je:Jun=Pı:Pa2:Pn, d. h. es ist allgemein: ep u Die Konstante % ist abhängig von der Körperform. Für eine Anzahl bilateralsymmetrischer Körper, deren Inhalt und Projektionsflächengrösse bekannt ist, bestimmt sich % zu: k— reden! or re geradgestelite quadratische Pyramide . . :1,33 Elliptischer und Kreis-Zylinder . . . . :0,786 = — Ellipsoid, Halbellipsoid, Kugel, Halbkugel : 0,849 — .. Elliptisches und Kreis-Paraboloid . . . :0,883 —= == Elliptischer und Kreis-Keeel . . . . . :1L0 = — Bei dieser Reihe sehr verschieden geformter bilateraler Körper sehen wir eine mässige Variabilität von %. DBei gradflächigen und bei sphärischen Körpern ist mit zunehmender Zuspitzung (z. B. Zylinder — Kugel — Paraboloid — Kegel) eine Erhöhung von % verbunden, indem durch die kleinen Durchmesser die Durchschnitts- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 30 450 Fritz Rohrer: werte = und 2 herabgedrückt und dadurch ? gegenüber J relativ kleiner wird. Wenn ein bilateraler sphärischer Körper sagittal halbiert und durch ein, auf Horizontalschnitten geradlinig begrenztes Zwischenstück verbunden wird, nähert sich der neue Körper mehr der Quader, und k nähert sich entsprechend allmählich dem Wert 1. Wenn wir z.B. ein Kreisparaboloid vom Grundflächendurchmesser b in dieser. Weise halbieren und durch ein Zwischenstück verbinden, so ist, wenn der neue Querdurchmesser der Grundfläche «a ist, die Breite des Zwischen- stückes a—b, die Tiefe db. Alle Horizontalschnitte dieses Körpers haben eine Form, wie wir sie oben leicht schematisierend für die Brusthöhlenquerschnitte annahmen. Ebenso kommt dieser Körper in seiner räumlichen Form sehr nahe derjenigen der Brusthöhle. Nach Berechnung erhält man für % den allgemeinen Ausdruck: 1— 0,4117 = B 1— 0,33 - — a nn 2% — 0,883: Do kr 0.933: a R:_0:0558 a a 3 a 2 2 = E entspricht etwa dem normalen Thorax. In unserem 1. Fall haben wir in Zwerchfellhöhe das Verhältnis " — — — 0,634. 2 2 — 1 würde einem sehr tiefen, — !/s einem sehr flachen Thorax entsprechen. Zwischen diesen Extremen ändert k um etwa 7 °o. Für die oben genannten drei Fälle wurde die Flächengrösse der in 2 cm Streifen geteilten Orthodiagramme, unter Anwendung der Inhaltsformel des Trapezes, bestimmt. Wir erhalten folgende Übersicht: Brust- » SH Nr. Name höhlen- E, F, h Penn k inhalt qdm qdm dm h 1 IESavE 9,148 4,941 2,183 9,15 6,39 0,9 2 IRIRAS 9,694 5,014 2,666 2,15 6,22 0,909 3 R. F 5,345 4,911 2,569 2,15 9,86 0,912 ‚Die Höhe "h, die zufällig in allen drei Fällen gleich ist, entspricht der Distanz zwischen höchster Erhebung des Zwerchfells und der Verbindungslinie der Pleurakuppeln. Bestimmung des Inhaltes und der Oberfläche des Brustraumes usw. 451 Der Faktor % besitzt für normale Thoraxformen, soweit aus diesen drei Bestimmungen geschlossen werden darf, eine geringe Schwankungsbreite. Der Mittelwert beträgt k = 0,907. : Die geringe Variabilität von % für normale Thoraxverhältnisse entspricht der aus geometrischen Überlegungen geschlossenen relativ geringen Schwankung von % für sehr tiefe und sehr flache Thoraxformen. Die Bestimmung von F, und F, kann mit ausreichender Ge- nauigkeit auch durch Aufzeichnung auf gleichmässig starken Karton, Ausschneiden und Wägung geschehen. Noch rascher und genauer ist die Messung der Flächen mit einem Planimeter. Anhang. de S F, ER Für die klinische Anwendung der Formel J—= k ist es genügend genau, wenn wir k stets gleich 0,9 annehmen. Bei zehn normalen erwachsenen Männern zwischen 23 und 40 Jahren erhielt ich folgende Werte: Alter. ai. Boa 23 os 04 or | 07 128 35 |39 140 ae 16a leo rl | lea. ee lee te = Vitale Kapazität: Liter | 3,5| 34 | 22 |- | 327 | 2a 38 | 35I— 38 a nen: \ 49) 5,66 5,755| 5,5 316, 54 5845| 52| 5,91 571 Soweit aus dieser Bestimmungsreihe geschlossen werden darf, ist das Brusthöhlenvolumen für erwachsene Männer wenig verschieden. Der Mittelwert dieser zehn Fälle ist ca. 5,5 Liter. _ Zwischen Grösse des Brusthöhlenvolumens und vitaler Kapazität zeigt sich kein Parallelismus. Die Unabhängigkeit beider Werte von- einander ist begreiflich, indem das Brusthöhlenvolumen in gewöhnlicher Exspirationsstellung dem Gleichgewichtszustand der passiven Atem- kräfte entspricht, während die vitale Kapazität von anatomischen Momenten abhängt: Bewegungsmöglichkeit des Zwerchfells und der Gelenke des Brustkorbes. Bei Emphysematikern finde ich fast stets bedeutend erhöhte Brusthöhlenvolumina (Mittelwert von 14 Fällen 7,4 Liter), worüber ich an anderer Stelle eingehender berichten werde. (Münchener med. Wochenschrift: Studien über das Wesen und die Bustehung des Emphysems. Im Druck liegend.) 30 * 452 Leonhard Wacker: (Aus dem pathologischen Institut der Universität München.) Die Kohlensäure des Muskels und ihre Beziehungen zur Entstehung und Lösung der Totenstarre!). Von Leonhard Wacker. (Mit 1 Textfigur.) Die Ursache der Totenstarre steht in innigem Zusammenhange mit dem Energiestoffwechsel des Muskels, und zwar ist anzunehmen, dass für den Dauerzustand der Starrekontraktion ähnliche Be- dingungen und chemische Vorgänge maassgebend sind, wie für die physiologische Muskelkontraktion. Während bei der physiologischen Tätigkeit des Muskels eine allzu grosse Säureanhäufung vermieden wird und mit Hilfe der Blutzirkulation ein Abtransport der an- gefallenen Kohlensäure stattfindet, ist der Dauerzustand bei der Starrekontraktion gerade durch übermässige Säureproduktion hervor- serufen und auf den Umstand zurückzuführen, dass eine normale Kohlensäureabfuhr unmöglich geworden ist. An Stelle der Atmungs- tätigkeit ist ein langsames Entweichen der Kohlensäure getreten, mit dem die Lösung der Starre Hand in Hand geht. Schon früher wurde darauf hingewiesen, dass die Hauptursache der Totenstarre in einem Kohlensäuredruck innerhalb der Muskelfaser zu suchen sein dürfte. Eine Druckbildung ist begreiflich, wenn die Annahme, dass die Kohlensäure aus Alkalibikarbonat unter Einwirkung von Säure ent- steht, sich als richtig erweisen sollte. Wichtige Gründe sprechen 1) Vgl. hierzu die vorangegangenen Arbeiten: Zur Kenntnis der Totenstarre und der physiol. Vorgänge im Muskel. Münchener med. Wochenschr. Bd. 62 S. 874 und 913. 1915. — Anoxybiotische Vorgänge im Muskel. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 163 8. 491. 1916. — Physik. und chem. Vorgänge im überlebenden Muskel als Ursache der Totenstarre. Biochem. Zeitschr. Bd. 75 S. 101. 1916. Die Kohlensäure des Muskels und ihre Beziehungen zur Entstehung usw. 453 für einen solchen Prozess, den man sich in folgender Weise vor- stellen kann: Der Energiestoffwechsel des Muskels ist im wesentlichen identisch mit dem Kohlehydratabbau zu Kohlensäure bzw. Bikarbonat und Wasser. Eiweiss und Fett kommen als direkte energiespendende Materialien wahrscheinlich nicht in Betracht, da der Muskel, gleich einer Maschine, seines architektonischen Aufbaues wegen, nur in der Lage zu sein scheint, ein einheitliches Brennmaterial zu verarbeiten, Die anderen Nährstoffe müssen demnach vorher an anderer Stelle des Organismus in die Kohlehydratform übergeführt werden. Das dem Muskel in Form von Traubenzueker zugehende Kohlehydrat wird bei der Aufnahme, durch Umwandlung in Glykogen, gespeichert und nach Bedarf zum Betriebe herangezogen. Der Abbau des Glykogens erfolgt in verschiedenen Durchgangsstadien über die Milch- säure, die ihres sauren Charakters wegen durch die Alkalien des Muskels und Blutes, insbesondere und in letzter Linie durch das Alkalibikarbonat unter Kohlensäurebindung neutralisiert werden muss. Daraus erklärt sich der Gehalt des Muskels an freier Kohlensäure. Das dabei entstehende Alkalilaktat enthält noch die Hauptmenge des Energiewertes der Kohlehydrate und kann daher zur Wärme- produktion dienen. Es wird .in jedem sauerstoffhaltigen Medium, sowohl im Muskel als auch im Blute, stufenweise oxydiert, wobei es als Endprodukt des Kohlehydratabbaues das Alkalibikarbonat liefert. Das Vorkommen der milchsauren Salze und des Natrium- bikarbonates im Blute wird uns dadurch verständlicher. Bei der Oxydation des Alkalilaktates wird genau wieder soviel Alkalibikarbonat produziert, als vorher zur Neutralisation der im Muskel entstandenen Milchsäure erforderlich war. Auf diese Weise kann bei schwerer Arbeit wohl eine vorübergehende, nie aber eine dauernde Säure- anhäufung im Organismus stattfinden; andererseits ergibt sich daraus, dass der Glykogenabbau beschränkt und selbsttätig reguliert sein muss, um den Organismus vor Übersäuerung, die über das vor- handene Alkalidepot hinausgeht, zu schützen. Die Entbindung der Kohlensäure aus Alkalikarbonat kann durch Monoalkaliphosphat, Albuminateiweiss oder aber direkt durch Milch- säure erfolgen. In den ersten beiden Fällen ist Monoalkaliphosphat und Albuminateiweiss vorher durch die Einwirkung von Milchsäure auf Dialkaliphosphat oder Alkalialbuminat entstanden, so dass als letzte Ursache des Sauerwerdens des Muskels immer die Milchsäure- 454 Leonhard Wacker: bildung aus Kohlehydrat angesehen werden muss. Dieser Neutrali- sationsprozess der Milchsäure ist, gleichgültig ob er direkt oder in- direkt erfolgt, von erheblicher Bedeutung für den Stoffwechsel, da bekanntlich die Kohlensäure aus dem Alkalibikarbonat unter den Bedingungen der Atmungstätigkeit nicht restlos entweichen kann. Es ist also notwendig, dass dieselbe in Freiheit gesetzt wird, um dann, physikalisch gelöst oder in lockeren Bindungsverhältnissen, mit den Bestandteilen des Blutes fortgeführt und in den Lungen ab- gestossen werden zu können. Das bei der Neutralisation entstandene milehsaure Natron wird wieder zu Bikarbonat oxydiert und kann dann die Oxydation weiterer Mengen von Kohlehydrat bzw. Milch- säure vermitteln. Während der Nachweis des Bikarbonats im Blute nach dem Fällen des Eiweisses mit Alkohol im eingeengten Filtrat, beispiels- weise durch Auftreten einer Rotfärbung beim Aufkochen nach Zusatz von etwas Phenolphtalöin, erfolgen kann, ist die Anwesenheit von Bikarbonat im Muskel durch Auskochen desselben nicht direkt zu beweisen. Aus dem Verhalten des Muskels hat man auf die Anwesenheit einer Substanz geschlossen, welche Kohlensäure in grösserer Menge in lockerer Bindung enthält und dieselbe in der Wärme und bei der Arbeit abgibt. Diese Eigenschaften besitzt das Natriumbikarbonat. Nach Siegfried!) soll diese Substanz jedoch mit Phosphor- fleischsäure identisch sein; zwingende Beweise hierfür liegen aller- dings nicht vor. Die Speicherung grosser Mengen eines Stoffwechselendproduktes, wie Kohlensäure, in einem Organ ist unter allen Umständen auf- fallend, denn die Zelle lässt es sonst nie zur Anhäufung von Abbau- produkten kommen. Sie wird verständlich, wenn der Kohlensäure, bevor sie den Organismus verlässt, noch eine physiologische Funktion zukommt. In dem folgenden, experimentellen Teil sollen 1. die Entstehung des Alkalibikarbonates durch Oxydation des Alkalilaktates im menschlichen Organismus, 1) Siegfried, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 21 S. 360 u. 380. 1896; Bd. 22 8.95 u. 248. 1896; Bd. 28 S. 524. 1899. Die Kohlensäure des Muskels und ihre Beziehungen zur Entstehung usw. 455 2. die reversiblen chemischen Prozesse in ihrer Beziehung zur Frage der Anwesenheit von Alkalibikarbonat im Muskel, 3. der Verbrauch und die Regeneration des Alkali- bikarbonates im Muskel iin bezug aufErmüdung und Erholung, die Kohlensäureabgabe der Leichen, 5. die Kohlensäure als Ursache der Lösung der Totenstarre besprochen werden. 1. Die Entstehung des Alkalibikarbonates durch Oxydation des Alkalilaktates im menschlichen Organismus. Da der Kohlehydratabbau über die Milchsäure führt und letztere nach der Neutralisation zu Alkalibikarbonat verbrennt, ist nicht die Kohlensäure, sondern das Alkalibikarbonat als Endprodukt des Kohlehydratabbaues anzusehen. Die Kohlensäure wird erst durch einen sekundären, allerdings auch mit dem Kohlehydratabbau eng in Verbindung stehenden Prozess, mit Hilfe der Milchsäure in Frei- heit gesetzt. Allem Anschein nach kommt gerade diesem Prozesse zur Arbeitsleistung des Muskels eine grosse Bedeutung zu. Aus diesem Grunde steht die schon von Liebig!) festgestellte Tatsache, dass pflanzensaure Alkalien im tierischen Organismus zu Alkali- bikarbonat verbrennen, im Vordergrund des Interesses. Es ist eine bekannte Tatsache, dass Früchte und Gemüse, ins- besondere Sauerkirschen und Sauerkraut, den Harn alkalisch machen. Gerade im Sauerkraut?) ist die Anwesenheit erheblicher Mengen von Milchsäure erwiesen. Der einige Zeit nach dem Genuss von Sauerkraut produzierte Harn trübt sich beim Aufkochen unter Ab- scheidung von Erdphosphaten infolge seiner grösseren Alkaleszenz. Dieselbe Eigenschaft nimmt der Harn nach Aufnahme von wässerigen Lösungen von milchsaurem Natron an. Sind die aufgenommenen Mengen nicht über 10 g gewesen und geschah die Aufnahme nur einmal, so ist in diesem Falle meist keine Abscheidung von Natrium- 1) J. Liebig, Ann. d. Chem. u. Pharm. Bd. 50 S. 161. 1844. — Nencki und Sieber, Journ. f. prakt. Chemie Bd. 26 S. 35. 1882. 2) Conrad, Chem. Zentralbl. Bd. 1 S. 1098. 1897. 456 Leonhard Wacker: bikarbonat bemerkbar, sondern die Bikarbonatbildung äussert sich bloss in der Vermehrung anderer alkalischer Bestandteile des Harnes. Erfolet die Zufuhr grösserer Mengen von Laktat an aufeinander- folgenden Tagen, so kommt es zur Abscheidung von Natriumbikarbonat. Der Organismus hält demnach eine bestimmte Menge Alkalibikarbonat fest bzw. er ergänzt und erhöht sein Alkaleszenzdepot. Geht aber die Zufuhr an alkalibildenden Substanzen über eine gewisse Menge hinaus, so wird der Überschuss an Alalameız schliesslich als Bi- karbonat durch den Urin abgeführt. Wie sich der Organismus einerseits von einem Überschuss an Alkalien befreit, kann er andererseits durch Abgabe von Ammoniak- salzen auf Kosten der Harnstoffbildung und durch Abfuhr von Harn- säure und sauren Phosphaten eine Ansammlung von Säure verhindern. Dies ist sehr wichtig, denn zur Aufrechterhaltung der Oxydationen und zum Betriebe der Muskeltätigkeit bedarf der Organismus eines Depots von alkalischen Bestandteilen, das heisst Stoffen, die Säuren aufzunehmen vermögen, wenn sie auch im Sinne der physikalischen Chemie nicht als alkalische Körper aufzufassen sind. Solche Sub- stanzen, die Milchsäure neutralisieren können, sind schon im Muskel gestapelt; es sind dies Dialkaliphosphate, Alkalialbuminate und, wie wir später sehen werden, auch Alkalibikarbonat. Durch Verbrennung des entstandenen Alkalilaktats reguliert und regeneriert der Organismus seine Alkaleszenz bis zu einem gewissen Grade selbst. Der Einfluss der Nahrungsaufnahme auf den Alkaleszenzbestand wird, wie die Versuche lehren, durch Abgabe allenfallsiger Überschüsse ausgeglichen. Aus den nachfolgenden Tabellen I und II auf S. 457 und Tabelle III auf S. 458 sind die Vorgänge klar ersichtlich. Tabelle I zeigt die Reaktion (von 10 cem) des normalen mensch- lichen Harnes bei verschiedenartiger Ernährung. Die Summe der alkalischen und sauren Bestandteile schwankt zwischen 40 und 61 cem 1gSäure 7 Alkali pro 100 cem bei einem spezifischen Gewicht von ee Die Säure kann sich unter normalen Verhältnissen so weit steigern, dass gar keine Alkaleszenz mehr vorhanden ist (Tabelle I, Nr. 4). Andererseits kann durch geeignete Nahrungsmittel (Sauerkraut) die Azidität gegenüber der Alkaleszenz ganz zurücktreten (Tabelle I, Nr. 2). Solche Harne trüben sich beim Kochen unter Abscheidung von Erdphosphaten. Die Kohlensäure des Muskels und ihre Beziehungen zur Entstehung usw. 457 osradsyasto]J) we ‚0g yg un aossey ul uomeN 'sqajıu 5 Q] uoA Huyeumy uosunyIowag "MEINIONES UOA SSnu9d) Ye u9sunydowag [64 n Zeuoguentgzuloy 6° ER 20 wd,cun | (Do2D8z0L]| 08 = | SungnaL 68 67 OL wrd,0848 | (Do8DEsOL| vor | . 9 (meayıoneg Au ae] 97 sl vg ud 0 us | (D008)820T | 06 a osnedssenim q1 97 Es El ud 28 usl | (DoSD8c0L| 98 el yeuoqzenigt uroyl | Sungnus, SC or O1 we ‚0&uTT | (D02DEz0T | 99 Re or sr we ‚08 u0T | (00918207 | 49 < ae) 09 Surayl 09 we ‚00 a6 | (Oo9DSZ0T | 08 | uwy'T "€ uwopoy | Spros a + | zpprog T | own Funo 3 um) IN unoq oT = 5 9qesqy 1op souieH a un Rn en, n 37 sap yupınen) uw) yonsıor ut ZU9ZSo]ey ö -II uoyeıto a |y ma zu9zsojey]y | oA1d yeyıpızy "zodg DH tt tt "uoyE9AUIEH 9IP FE UOLEN WOANBSTIIU UOA HUTeUznYy dOsıjewurs SSnyurf I e1[94® L 5 0% GeTeHE RG wd,00u9 | (009Dzzor]| — 5 07 0 + 07 wu ‚00 usl | (O0M)aa0ıI| — n 19 0: 159 | = |, 7 zei 67 co vv use ya ANoncDleso Korea: HM Sungt.LL, sr 07 80 wd,0ea8 | (Dosm6Iot| 088 |'H 3 A617 cr I 08 u ‚00 wol | (O0SDG20'T | 2a | H We "I m —m [Ts kn uogooy | SpPosT + | zyrog IE | meyıy Lruoo 2 a N ren = H’08S „ | 1elVz en een sap ur zuozsopey | 102 OT od | weg] 09 QI 19Z EEE) -uIeH uopegtoA \.Iy-Faeıprzy zu9zsopenV | od Jeypızy ‘zods GT "SOULBH UATEULIOU SOp UOLNLOY A9p u9FunyuemyaS OUoStZofoisÄygg I e119q4®.L ep UONDoyy 5 (3R], Topu92]0) ur) h pseussugy dp | wog “epy \ = LE 01 UF we ‚0746 |(D08D) 2207 | 08 1 umsa/,g '3sonqostepy | qm uayooy = kan nulense 08 08 12 wd,oeuL |(O.oSMoe0TIog | . 9 Noel uegereuer la = acig 84 1 20 wd,0u9 DO | , < -nesyojlu 8 0] WOA rag Sa) Fol 86 90 wd,0TuC | (O9 008) 080°L | S6L 7 WwWUBUNV "wu dl 86 ul da9qnı) ou h “uoayeN uayooyy wIad 8'681 6° T’oL 86 a) ud,0Frug |(D 061 880‘1 | 088 g weoıngsga]Llwu 3 GT UOA T9oJJu9 qULL, swgeumy AodLsod { = = = EN LE 80 we,0&ulT|CO 08T) «s0T | 001 | , ydeu us AofeuıoN SungnaL — — 0'% IC Fe "ue,08u6 | (O0 08T) S30'T | 08 LED 5 gzL8 1199 -}u9 eN AOPoIm oe SungqnıL E= qeyguoy | FE IT BEI ‚ud ‚0846 | (DO oCD 6EOT | 0o| , "TI Se! &1 30 54 cr 01 ud,0@uL | (DO o€81) 8201| 36 ‘OL ee 0‘9T 0% Page 39 00 wd,18u9 (DocMraoL|os | © 6 Den nn uno | CUPDEAUT || arg 6,8 89 sr vo w-d,9Tug |(O06Das0T| 6 | © "8 A ee -O9-2AnES 0'82 <9 gL EL &0 ep ug (2 vet) 020,1 Oel en ‚S -zjes Au) 697 58 69 gg ac: a w°d ‚0846 do I G FL 9 E -[yewu Sungnas, -[oueyd AM) = -SdeHIM SOSOoJy>dSIOF y] gr eg OIL 0°IT | Aamegouoy |'wd,SFugl |(O oLI) 8301 | 89 EIZEG S 0381 OIL gel Tel 0 “ure ‚GCuIT| (DO 08T) TOT | 021 en = SungnLL SET &g L'9 19 90 we ,‚8gu0l | (OD oT) 8807 | SE SE = "IOSse\ UI [eb] uUoleN SIINBSUITLUL 4 8coaayomue,gLuol E — — er zul BE we ,gCu6 |(D 061) F20‘T | 06 SZ, "uoayeN woanesyapLu sg] UuoA = : — augeumny u e ‚CH ug Je] — —_ 67 co 27 we,chyuL | 0STD 820'L | 078 |uief IT °9 0L Q ° eo sros 1 we Pos a sros a 3 u) AN ws w99 Q] o1d gytl 00 u 9qe3 Sr u9Funy aus u = [m enum syros > BON ci N -qv Op En vano ı d sap -uIeI] ‘sd u mo9Tzu0z| LIDO ap) o1d sap IyDIMaH yansı9a A H OL 0I uayeyao‘ J9p ur yeu w99 UI -SsoJeN]V o1d zu9z Yeyıpızy 1197 ‘zodg ug] = -oqaeyıg | UOYAEAIT | HYENPIZV| -SOJeNIV ei ım Li Ma DB PP m | "JEINLLWUNLITEN UOA AUNFnZ YOBU Jeuogaeygtqumten UoA Zunprayosqy pun WOLNLAKLIEH TI eI19q®.L Die Kohlensäure des Muskels und ihre Beziehungen zur Entstehung usw. 459 Tabelle II behandelt den Einfluss der erstmaligen Aufnahme von 10 & milchsaurem Natron auf die Harnreaktion beim Menschen. Der Rückgang der Azidität und die Zunahme der Alkaleszenz ist deutlich sichtbar, ohne dass es zur Bikarbonatausscheidung gekommen wäre. Eine nochmalige Steigerung der Alkaleszenz lässt sich durch Sauerkraut hervorrufen. Tabelle III gibt eine Übersicht über die Wirkung einer wieder- holten Zufuhr (an aufeinanderfolgenden Tagen) von milchsaurem Natron. Die Alkaleszenz steigt erheblich, bis 125 eem 1 SOR, schliesslich sind keine sauren Bestandteile mehr zugegen. Der Harn färbt sich schon, ohne zu kochen, mit Phenolphtalöin rot. Über die Mengen des im Urin (siehe Tabelle II) abgegebenen Natriumbikarbonats gibt folgende Zusammenstellung Aufschluss: : ER San | Eur: ib 2) red oo | m Ara ee Ss#er Sn ge - [«5) omo + oO m5& SOoSo D == oO S [=] = 2% = n a8 28-2 aaa. | 325 Seel a.c see a = en} = Verere se laeasa ans Sara „une esse See ng BR SR- = = ee = esHa 223 such] 3532 | 5%. aSseaA|ı 255 |s5S5H5| el s"s nSınS US OO 8 Dun o2= oa2v o508 S.H zso>5 o=EsS as- En 3 =a33 no ıa am vo SaoSS| DS aJos|n Eee u = zH = S ae = = Pre) So o-—_A 3SsSso < rS SD Sn. oa es oa Fi: Sons >@ = 3=3 288 ’ Nr. g g 150% g g 0/9 Seas 6 15 11,25 372,6 3,130 4,173 37,0 2m 7 10 1,9 262,4 2,024 2,638 36,1 2h 15’ Die Menge des im Urin erscheinenden Bikarbonats reicht lange nicht an die theoretisch geforderte Quantität heran. Dies kann zweierlei Ursachen haben. Erstens kann ein grosser Teil des Bi- karbonats (unter Abscheidung von Kohlensäure) zur Neutralisation saurer Stoffe, wieMonoalkaliphosphat, Albuminateiweiss und dergleichen, im Organismus selbst verbraucht werden, und ferner besteht die Möglichkeit, dass nicht alles zugeführte milchsaure Natron oxydiert wurde. Das Natriumlaktat des Handels ist eine razemische Ver- bindung. Möglicherweise ist die optische Antipode der Fleischmilch- säure, das heisst die l-Äthyliden-Milchsäure, als eine im Organismus nieht vorkommende und daher schwerer oxydierbare Verbindung durch den Harn wieder abgeschieden worden. Leider war ich aus 1) Nach Mitteilung der Firma Kahlbaum enthielt das zu den Versuchen verwendete „Milchsaure Natron“ 25 °/o Wasser. 460 Leonhard Wacker: äusseren Gründen nicht in der Lage, dies mit Hilfe eines Polari- sationsapparates zu kontrollieren. Quantitative Bestimmung der Harnreaktion. Zur Bestimmung der Azidität wurden 10 cem Harn mit 30 cem Wasser verdünnt, mit 2—3 Tropfen eines 1 >loigen alkoholischen Phenolphtalöinlösung versetzt und mit 15-NaOH bis zur bleibenden Rotfärbung titriert. Zur Feststellung der Alkaleszenz werden gleichfalls 10 ccm Harn mit 30 cem Wasser verdünnt und mit 5—6 Tropfen einer ge- sättigten alkoholischen Methylrotlösung versetzt. Bei alkalischem Harne erhält man eine kanariengelbe Lösung, bei sauren Harnen ist die Färbung orangerot. Bei der Titration mit ı5 550.B, erfolgt der Umschlag von Kanariengelb nach Orangerot und ehem Rosenrot. Da die Nuance nicht immer genau festzuhalteu ist, stellt man sich ein für allemal einen Typ her, auf den man bei der Titration ein- stellt. Die Herstellung des Typs geschieht wie folgt: 5 cem einer Dinatriumphosphatlösung (M. G. 358,4) werden mit 35 cem Wasser verdünnt und 5 Tropfen einer gesättigten alkoholischen Methylrot- a zugegeben. Die kanariengelbe Lösung liefert mit 1,4 cem einer — m -SO,H, eine rosenrote Färbung, die zur Einstellung und Beurteilung der Harnprobe dient. Die qualitative Ermittlung des Bikarbonatgehaltes des Harnes geschah durch anhaltendes Aufkochen und Zusatz eines Tropfens Phenolphtalöinlösung. Eine Rotfärbung deutet auf Natriumkarbonat. Zur quantitativen Be- stimmung verdünnt man wieder 10 cem Harn mit 30 eem Wasser, setzt einige Tropfen Phenolphtalöinlösung zu und kocht, bis Rot- färbung auftritt. Hierauf titriert man warm mit SO, , bis die Rotfärbung verschwunden ist, kocht wiederum anhaltend und titriert nach eingetretener Rötung mit 15H. Dieses Kochen und Titrieren wird fortgesetzt. bis unter zeitweiligem Er satz des verdampften Wassers, beim Kochen keine Rotfärbung mehr erscheint. Die Kohlensäure des Muskels und ihre Beziehungen zur Entstehung usw. 461 2. Die reversiblen chemischen Prozesse im Muskel und ihre Beziehungen zur Frage der Anwesenheit von Alkalibikarbonat. Da das Bikarbonat als solches im Muskelextrakte nicht nach- weisbar ist, so tritt die Frage an uns heran, ob dasselbe im Muskel überhaupt deponiert wird, oder ob die Neutralisation der durch den Kohlehydratabbau entstehenden grossen Milchsäuremengen dadurch geschieht, dass Bikarbonat (entstanden durch Oxydation von milch- saurem Alkali) aus dem Blute in den Muskel hinübertritt. Gegen die letztere Auffassung spricht das Verschwinden der Kohlensäure produzie- renden Substanz beim Tetanus und bei der Arbeit!). Gesetzt den Fall, die im Muskel nachgewiesene freie Kohlensäure wäre durch “ Übertritt des Bikarbonats des Blutes entstanden, so müsste sie einen Druck. verursachen. Da im Muskel Dialkaliphosphat und Alkalialbuminat gespeichert sind, würde die Kohlensäure einen der früher besprochenen chemisch-reversiblen Prozesse?) einleiten, die zur Bildung von Alkalibikarbonat, neben Monoalkaliphosphat oder Albuminat-Fiweiss, führen. Zur Erleichterung des Verständ- nisses seien die in Frage kommenden Vorgänge nochmals schematisch dargestellt: Na;HPO, + CO, + H,0 77 NaHC0;, + NaH;PO, Alb®) K+ CO, + H,0 zZ? KHCO, + AlbH NaH;PO, + Alb. K7? > NaKHPO, + AlbH. Man kommt demnach umdie Annahme, dass Alkali- bikarbonat im Muskel, zum mindesten zeitweise, vor- handen sein muss, nicht herum. Dagegen kann man mit Recht gegen diese Erklärung den Einwand erheben, dass die Prozesse beim Nachlassen des Kohlensäuredruckes wieder rückläufig werden können. Demgegenüber sei darauf hingewiesen, dass drei umkehr- bare chemische Reaktionen vorliegen, die ineinander eingreifen, wo- durch vielleicht ein langsames Entweichen der Kohlensäure mit Hilfe der Blutzirkulation erfolgen kann. Das Studium der Reaktionen für sich und in ihren gegenseitigen Beziehungen wird hier erst Auf- ‚klärung bringen. | 1) R. Stintzing, Pflüger’s Arch. f. d, ges. Physiol. Bd. 18 S. 414 und 417. 1878. 2) Biochem. Zeitschr. Bd. 75 S. 124. 1916. 3) Alb = Eiweisskomponente des Alkalialbuminates. 462 Leonhard Wacker: Die Vermutung, das Bikarbonat könnte sich auf dem Wege der Neutralisation dem Nachweise entzogen haben, ist daher nicht un- berechtigt. Schon im Extrakte frischer Muskeln findet sich eine erhebliche Menge Azidität !), neben der Bikarbonat unter den Ver- suchsbedingungen des Auskochens nicht existenzfähig ist. Der ganze Aufbau der lebenden Organismen aus Zellen spricht für eine räumliche Scheidung der einzelnen chemischen Substanzen und eine Separierung der zahlreichen, verschiedenartigen, chemischen Prozesse. Es könnten also, um ein triviales Beispiel heranzuziehen, Säuren und Bikarbonat im Muskel, ähnlich wie beim Brausepulver, räumlich getrennt sein und auf Wasserzutritt die Kohlensäureentwick- lung stattfinden. Von Wasserverschiebung im arbeitenden Muskel ist in der Literatur allenthalben die Rede. Eine Steigerung des osmotischen Druckes durch Abbau des Glykogens zur Milchsäure könnte beispiels- weise eine solche verursachen. Die Mikrostruktur des quer- sestreiften Muskels mit den abwechselnd einfach- und doppelt lichtbrechenden Schichten könnte ebenfalls als Beweis für eine räumliche Scheidung von Säure und Base in den Muskelelementen gelten. Welche der in Frage kommenden Substanzen den- isotropen und welche den anisotropen zuzurechnen sind, muss einer besonderen Untersuchung vorbehalten bleiben. Erwähnt sei nur, dass feste Alkaliphosphate und Natriumbikarbonate doppeltbrechend sind und beim Auflösen in Wasser diese Eigenschaft verlieren. Dabei ist die leichte Löslichkeit der Phosphate und die Schwerlöslichkeit des Natriumbikarbonates zu berücksichtigen. Es wird vielleieht möglich werden, mit Hilfe dieser Anhaltspunkte, die chemische Natur der sogenannten „kon- traktilen Substanz“ ?) herauszufinden. Das vor Eintritt der Säurebildung beim Auskochen des frischen Muskels beobachtete Aufschäumen deutet gleichfalls auf eine räum- liche Trennung hin. Es zeigt an, dass im frischen Muskel neben Bikarbonat noch saure Körper zugegen sind. Durch das Auskochen wird die feine Architektur des Muskels energischer zerstört, wie 1) Biochem. Zeitschr. Bd. 75 S. 1041. 1916. 2) Engelmann, Untersuchungen über die mikroskopischen Vorgänge bei der Muskelkontraktion. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 18 S. 23. 1878. Die Kohlensäure des Muskels und ihre Beziehungen zur Entstehung usw. 463 durch alle anderen Maassnahmen; die sauren, wie die alkalischen Bestandteile werden ausgelaugt und neutralisieren sich gegenseitig unter CO,- Entwicklung, die als Ursache des Aufschäumens anzu- sehen ist. Bei länger gelagertem Muskel, besonders nach erfolgter Lösung der Starre, findet beim Auskochen kein Aufschäumen mehr statt. Durch die Säurebildung wurde die Kohlensäure in Freiheit gesetzt, sie ist durch Diffusion entwichen und kann bei der Extraktion kein Aufschäumen mehr bewirken. Die Titration des Extraktes frischer Muskeln gibt also wahrscheinlich nicht die wahren Verhältnisse über die Verteilung von Alkaleszenz und Azidität im Muskel wieder, wohl aber gestattet sie ein Urteil über den Fortgang der Säurebildung im Muskel und über den Einfluss der Säure auf die anderen reaktions- fähigen Muskelsubstanzen. In früheren Mitteilungen!) wurde berichtet, dass die Summe von Alkaleszenz plus Azidität im Muskel vom Tode bis zur Lösung der Totenstarre gleich einer konstanten Zahl ist, die ausgedrückt in Gramm Milchsäure 0,7°/o (nach Vervollkommung der Technik des Extrahierens 0,8) beträgt. Dieses Gesetz gründet sich auf die Tat- sache, dass im Muskel als wesentlicher Bestandteil der Alkaleszenz ?) Dialkaliphosphat enthalten ist. Wirkt auf dieses basische Salz eine zur Neutralisation nicht vollkommen ausreichende Menge Milchsäure ein, so bildet sich milchsaures Alkali, saures Monoalkaliphosphat, und ein Rest von alkalischem Dialkaliphosphat bleibt übrig. Titriert man im Muskelextrakt vor und nach Einwirkung der Milchsäure die Azidität und Alkaleszenz, so gibt die Verschiebung in der Azidität die Menge der Milchsäure an, aber die Summe von Alkaleszenz und Azidität, vor Einwirkung der Milchsäure, muss gleich sein der Summe von Alkaleszenz und Azidität nach Einwirkung derselben. War vor dem Hinzukommen der Milchsäure schon etwas saures Mono- alkaliphosphat zugegen, so ändert dies nichts am Ergebnis der Titration, solange die hinzugekommene Milchsäure nicht im Überschuss vor- handen war. Dieses, vom chemischen Standpunkte aus, wohl ver- ständliche Gesetz weist aber für die Verhältnisse im Muskel eine Lücke auf, es ist nur annähernd gültig, denn die die Muskelreaktion 1) Münchener med. Wochenschr. 1915 a. a. O. Tabelle IV. 2) Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 163 S. 498. 1916. 464 Leonhard Wacker: bedingenden Substanzen bestehen nicht nur aus Mono- und Di- alkaliphosphaten, sondern es sind noch Alkalialbuminate und die in Rede stehenden Alkalibikarbonate zu berücksichtigen. Wenn Milch- säure auf letztere beiden Salze, gleichgültig ob sie ein homogenes Gemisch bilden oder ob sie räumlich getrennt sind, einwirkt, so wird Kohlensäure in Gasform sogleich oder erst beim Extrahieren- mit heissem Wasser entweichen, und die in Wasser unlösliche, saure Eiweiss-Komponente des Alkalialbuminats wird im Muskel zurück- bleiben. Es wird daher ein Fehlbetrag in der Azidität, verursacht durch die entwichene Kohlensäure und das zurückgebliebene Albuminat- Eiweiss, erscheinen müssen, der sich aber nur dadurch äussern kann, dass die „sogenannte“ Konstante sich etwas verringert. Waren im frischen Muskel ein saures Salz (wie Monoalkaliphosphat) und Alkalibikarbonat räumlich geschieden, so kann die Kohlensäure bei der Extraktion entwichen sein, ohne dass es auf die Konstanz der Summe von Alkaleszenz plus Azidität einen Einfluss auszuüben vermochte. Anders liegen die Verhältnisse beim Albuminateiweiss ?), da dasselbe mit zunehmender Säure (im Muskel), im Extrakt er- heblich abgenommen hat. Diese Abnahme muss sich unter allen Umständen durch ein Säuredefizit äussern. Es kann in Anbetracht des grossen Eiweissmoleküls ein geringer Betrag sein, aber er muss doch zur Geltung kommen. In der Tat ist in Tabelle IV (Münchner med. Wochensch. 1915) beim frischen Kaninchenmuskel, gegenüber dem totenstarren, ein kleiner Überschuss vorhanden. Die Unter- schiede liegen aber innerhalb der Fehlergrenze, weil der Farb- umschlag des Methylrots nicht sehr scharf ist. 3. Der Verbrauch und die Regeneration des Alkalibikarbonats im Muskel in bezug auf Ermüdung und Erholung. Das Verhalten des isolierten Muskels ist ein verschiedenes, je nachdem er anoxybiotisch oder in Sauerstoffatmosphäre arbeitet [Fletscher?)]. Bei Ermüdung und erschöpfender Arbeit in Luft (also bei mangelhafter Sauerstoffversorgung) nimmt die Alkaleszenz rasch ab, der Muskel wird sauer. Im letzten Stadium, bei wieder- holter Reizung, tritt die Starre mit erhöhter Kohlensäureproduktion 1) Biochem. Zeitschr. Bd. 75 Tabelle I Serie 3. 1916. 2) Vgl. hierzu Fr. Vergär’s Referat in Asher- a s Ergebn. d. a Bd. 15 8.41 u. 65. 1916. Die Kohlensäure des Muskels und ihre Beziehungen zur Entstehung usw. 465 ein. Die Ermüdung, ein Vorläufer der Starre, ist also auf einen Rückgang der Alkaleszenz zurückführbar. Wie aus -früheren :Versuchen und Erörterungen bekannt ist, wird der Alkaleszenzrückgang bedingt durch den Übergang der Dialkali- ‘phosphate in Monophosphate und die Zersetzung der Alkalialbuminate. Der Eintritt der Starre fällt demnach mit dem Verbrauch der oben- genannten Salze und der Zersetzung von Alkalibikarbonat zusammen. Mit. anderen Worten: Die Starre tritt ein, wenn die, bei der Säurebildung freiwerdende Kohlensäure keine Substanzen mehr vorfindet, welche Kohlensäureunter Bikarbonatbildung zu binden vermögen. Daher das Zu- sammenfallen einer grossen Kohlensäureproduktion mit dem Starre- eintritt, denn Monoalkaliphosphat und Albuminateiweiss sind nicht in der Lage, Kohlensäure zu binden. Der Kohlensäuredruck in den Muskelfasern bleibt daher bestehen, ° und die durch den Druck be- dingte Starre ist eingetreten. - In einer Sauerstoffatmosphäre liegen die Verhältnisse anders als in Luft oder Stickstoff... Bei der Arbeit wird mehr CO, pro- duziert, Ermüdung und Starre treten nicht so rasch ein, und ein er- müdeter 'Muskel kann sich nach einiger Zeit erholen. Es fragt sich, wie sich dieses Verhalten auf Grund der vertretenen Anschauungen erklären lässt. ini “Im isolierten Muskel kommt es mit fortschreitender Neutralisation der rebudeten 'Milchsäure zu einer Anhäufung von milchsaurem Alkali. Solange noch Sauerstoff verfügbar ist, wird auch dieses Salz den physiologischen Prozess fortsetzen und zu Alkalibikarbonat oxydiert werden.‘ Ist der Sauerstoff aufgebraucht, so wird der Muskel allmählich sauer, und es tritt die Starre ein.- Bringt man den Muskel aber in eine Sauerstoffatmosphäre, so geht die Oxydation des milchsauren- Alkalis!) zu Alkalibikarbonat weiter, das heisst die Alkaleszenz wird durch das Bikarbonat regeneriert.: Die Milchsäure setzt aus dem Bikarbonat, direkt oderindirekt, Kohlensäure in Frei- heit, das neugebildete milchsaure Alkali oxydiert’sich wieder. Der Kohlehydratabbau geht weiter, weil dureh die Regeneration der 1) Bekanntlich sind die Auakeire von een viel leteltter, esıkierbar als die. ‚zugehörigen freien Säuren.. Die Anwesenheit. von ‚Alkalien -und, von Sauerstoffüberträgern . beschleunigt den Vorgang. Das ‚Endprodukt derartiger Oxydationen, die zum sascel mit ne on! in der: ‚Kälte vor "sich schen, ist Bikarbonat. Bu Wr: Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 31 466 Leonhard Wacker: Alkaleszenz auch die Hemmung auf diejenigen Fermente aufgehoben ist, welche die Milehsäurebildung aus Glykogen beeinflussen. Die Vermehrung der CO,-Bildung bei Anwesenheit von Sauerstoff ist durch die fortwährende Bikarbonat- und erneute Milchsäureproduktion er- klärlich. Die Verzögerung des Eintritts der Starre hängt mit der Regeneration der Alkaleszenz zusammen, weil Dialkaliphosphate und Alkalialbuminat bei dem Prozess nicht vollkommen aufgebraucht worden sind und ihre Funktion, die Kohlensäure zu binden und den Druck zu beseitigen, auszuüben vermögen. Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Erholung des Muskels gleichbedeutend ist mit Regeneration der Alkaleszenz durch Oxydation des Alkalilnbası zu Alkalibikarbonat. Der Grund, warum ein erholter Muskel nach der Kontraktion, wenn er nicht mehr gereizt wird, in den Ruhezustand zurückkehrt, liegt in der Anwesenheit von Dialkaliphosphat und Alkalialbuminat, da beide Substanzendiefreigewordene Kohlensäure aufnehmen und den Kohlensäuredruck in der Muskelfaser be- . seitigen können. Die Ursache, weshalb ein über- säuerter Muskel nach der Kontraktion nicht in den Ruhezustand zurückkehren kann, istin der Zersetzung des Dialkaliphosphats und der Albuminate zu suchen. Die im sauren Muskel vorhandenen Monoalkaliphos- phate und Albuminat-Eiweisskörper können keine Kohlensäure mehr binden, aer Muskel muss daher im Kon- traktionszustand, das heisst in der Starre, verharren. Bei den Untersuchungen über die Stoffwechselvorgänge im Muskel wird meist stillschweigend angenommen, dass der Kohlehydratabbau im absterbenden Muskel mit der Milchsäurebildung abgeschlossen ist. Die Fleteher’schen Versuche über das Verhalten des Muskels in Sauerstoff lehren das Gegenteil. Die Oxydation des milchsauren Natrons kann unter diesen Umständen noch weiter gehen, und sehr wahrscheinlich wird im frischen, warmen Muskel der Oxydations- prozess noch einige Zeit anhalten. Durch diesen nebenherlaufenden Prozess erklärt sich, weshalb man im absterbenden Muskel immer eine erössere Glykogenabnahme findet, als theoretisch der gebildeten Säuremenge entspricht. So betrug zum Beispiel die Glykogen- abnahme im Kaninchenmuskel (Biochem. Zeitschr. 1916, Tabelle IH) Die Kohlensäure des Muskels und ihre Beziehungen zur Entstehung usw. 467 im Mittel 0,229 °/0, während die Säurezunahme nur 0,1580 (gegen- über der theoretischen Menge von 0,251 °/o) war. Es wäre daher ein Trugsehluss, wenn man aus diesem Missverhältnis den Rücksehluss ziehen wollte, dass die Milchsäure kein Abkömmling des Glykogens ist. 4. Die Kohlensäureabgabe der Leichen. Jede Leiche eibt nach dem Tode des Individuums Kohlensäure in Gasform, an die Umgebung ab. Da im Magen-Darm-Kanal schon bald nach dem Tode Gärungsprozesse einsetzen, wurden die Ver- suche zur quantitativen Bestimmung der abgegebenen Kohlensäure- mengen an ausgeweideten Tieren vorgenommen. Weil der Leiche mit dem Ausweiden viel Wärme entzogen wird, wurde die Prozedur immer erst einige Zeit nach dem Tode vorgenommen, um den Ein- tritt der Totenstarre nicht in unerwünschter Weise zu verzögern. Die Resultate der Untersuchung beim Meerschweinchen, Ka- ninchen und am M. quadriceps des Menschen sind aus den nachfolgenden Tabellen V, VI, VII und VIII ersichtlich. Die Menge der abge- gebenen Koklensäure ist erheblich, so dass nicht angenommen werden kann, dass solche Quantitäten im Muskel präexistieren. Wahr- scheinlich sind zwei Ursprungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen: Die erste Quelle dürfte die CO,-Entwicklung aus Natrium- bikarbonat bei der postmortalen Säurebildung sein, die zweite die Kohlensäureproduktion bei der Fäulnis. Welche Rolle der Luft- sauerstoff und autolytische Prozesse spielen, müssen weitere Unter- suchungen ergeben. 31 * | 1.019 sıro‘o | soo0o—[asTz'89 | ‚oour [w ® ‚oo wir sıa ww ‚00 uL | Indy og x I rsor: | »uaro‘o | 0000'0 = |rogaiza | ‚eeng |: 2200 0md.oong oaggaumppearogg | -68°8 23100 | 00000 F [rnaz‘a9 | ‚ooug | °: ° ° © wed ‚co ol usjuugugd A9p Jungen | - — — —_ 7088'29 — ee FLUT COMO "uoayny -nzyomınZ yereddemey u : s an on emesutes | 680 | 2100| 21000 |as0e78 | ‚our u wcrus Sum syno | udlun -un ne st ougeugy ar | 9EoL | FFI00 | 70000 —| 77 2 N und ce nr -uon -yung aassuw yereddeänes => £080°0 | 2000 | SseT'st | ‚og ur | wid ‚co up sıq ww d ‚ct yo “OUDTO]IOLL 19p Sunpromsny 80 82100 | 02000 | 09eT88 | u uo | .. : 2.7.% swnd ‚ce ur a1 8210,02 1.900,01 07«1822 | corner ı f SpuBsa 1 60a euer 81 99000 9900°0 { zserse | — gu | ZI .e Joy] 3 | 3 3 su9anes opunyg Ze] IN ee a s| ames sayeredde| °P Se ar ’ tl se a2 -uo]yoy | Hwyeunz | -Ieyt so opus yoansaa A -yanp pP OT lea Sop I9p oqesueneoz osuam | UESOH pIMaN | jyezuy 3 "HOTITUIHOULIMISTIHNL AOUTD AgEFALIANRSUATLo] ZN SOETSIGEAT: . . Leonhard Wacker 470° ve900 | 28800 | zorze9 | ‚e< ul L200 | 2200 | 0GLL%9 | ‚00 uE wurd ,cT nol stq ,00 ws Funpromsny Ho nm uw ‚09 u6 uuog | — „| 8r71s9 I ZEN ER 'q 01€ elrrr 16820 | 883169 | ‚08 us "SOyeI 078 9ISTF rsıco | 9EE8°79 | ‚00 ug -wdderey sap SungnzuoN = = = sc1er9 == — ZIUN 95 80% 3289 8 79800 | FIE0's9 | ‚Or ul 6,8 8909'8 63500 | 0600°89 | ‚SG us gs‘e 68°G°E 7200 | 186619 | ‚08 us c0‘8 chLrE 26800 | 0LL8°19 | ‚00 u8 HE gegg‘E SCET0 | 0882.19 | ‚SCI us = ZIEN 'C9 038 01:38 98700 | 3449°T9 | ‚00 uS 169 velss$ 0Fr%30 | 911919 | ‚00 ur 20‘9 76667 oFFEo | 9L4ET9 | ‚00 u8 or‘E F719'7 90680 1 98109 | ‚Er ul = zIeN 75 38°7 £880°% 9730 | <98F09 | ‚00 uF : BInS sıHr8T 009807 170078:092 | .Onue | 2 222 777 oe srer | sısrt | scero 008864 | We ‚soyeı 06% 09660 | zero | greese | ‚oT ug -eddereyy sop Sunjpmpmon — — — 061564 5 017 8088°0 99830 | SIEE6E | ‚OF ul e ‚08 ug Sıq we ‚00 ul ZIEN "EG -wd ‚00 u9 sıq w 'd ‚06 ugl d ‚08 ugI sıq we ‚OF u6 628 825% 9810 | 083909 | ‚00 us ue ‚Op a8 Sıq uw ‚00 u2 ZIEN "88 007 | er6co | Fec0o | zsares | seung | “sad ‚OT u9 06% 88800 | 0EOLO | 869069 | geus | "7 7.2 surdiceus "u9sso]y9s OLE rl Bd er u 2 un 3 pen aaqu yereddy | 08% 01,30 | 20210 | 020888 | ‚Se ul | "we ,cg ug Stq we ‚00 uL | ZIEN "Is ur d ‚ — — 0S6C'TL == 189 6,179 sc980 | 98L2TL | ‚ST ug — udy 'y 66% 16519 F1800 8sZI0 TIL | ‚00 us 89,9 2020 9 cgr50 FIE60L | ‚00 ur v0r7 cH08'T 97080 0789°0L | ‚00 u& 1031 | 9ere's | 12897 eostond a S = adv ud ug sopea es | re | 2090 | zsrs89 | ‚00 ua -eddergey sop Sunmmen | — = = 0856.29 = = mdy v6 82808 808F°0 8660.59 ‚05 u9 v8 <109% 06250 061479 | ‚SG u6 "XI IRL OyOIg "Uoneay 17 | ezuss | 292 | 00g8#9 | ‚ST ug = mady 7 any Jogsum 8 GT uoa [ | ‚|, 01900) | ougeuguaogorg w d url] 2Ie | 89667 [602800 | 8e26'89 | ‚ |13n00" |62,5262| 0,1290 |0,3074| 4,43 9 N [han oord 373708 No,2458 [05512] 6,97 |4n 30° Neufüllung 4450’ Bin: his d. Kaliapparates. En 1m Nuss’ 62,4840 | 0,1112 | 0,6624 | 2,69 >| Auoor am |h2n00° [62,860 | 0,9760 [10384 | 3,18 ano am De Non 4sr [639225 | 0,3625 [1,4000 | 4,06 Bemerkungen zu Versuch 6. Muskel 18h p. m. aus‘ der. totenstarren Leiche (Sektion Nr. 434. 1916) entnommen, Verwendet wurden 693 g vom rechten und zum Teil auch vom linken M. qua- driceps. Sektionsbefund: Oervixruptur (Puerperium) mit Peritonitis. 30 jährige 9. Kohlensäureabgabe in 48 Stunden 1,4 g = 712 cem aus 693 g Muskel. Da die atmosphärische Luft nur 3—4 Volumprozent Kohlensäure- gas (— 0,0068 g pro 10 Liter Luft) enthält, ist ein etwaiger kleiner Fehler, verursacht durch Luftkohlensäure, für die Beweisführung der Kohlensäureabgabe der Leichen, gegenüber den zur Wägung ge- langenden grossen Kohlensäuremengen, belanglos. Die Kohlensäureabgabe betrug: bei einem 641 g schweren Meerschweinchen innerhalb 3 Tagen 0,38 g CO, —= 0,19 Liter CO, Gas, bei einem ausgeweideten 1900 & schweren Kaninchen I innerhalb 6 Tagen 4,44 g CO, — 2,26 Liter CO, Gas, bei einem ausgeweideten 2202 g schweren Kaninchen II innerhalb 8 Tagen 7,50 g CO, — 3,81 Liter CO, Gas, bei 693 g des M. quadriceps des Menschen in 2 Tagen 1,40 g CO, —= 0,71 Liter CO, Gas. -us9aynmzyonanz adnepey] op Sunaonaumm A9dıylazJy991 IJyaru 9Sjorur HISnLLOA FN® YydLajjora IST Jqez odııparu lg (I "uurdeqsygans Oo "uw d ‘ygT “uoyosuom 8.08 glLeT = GE60°I u6r 86 7 sop sdooripenb 'y wor 8 669 0'273 gErr'0 = 71080 198 —0 Si ) 72 E687°0 gleeo - »980°L = ;8 gel 71980 OTST‘O (1 LEBE‘0 u LIT EHI 2 6‘87 7296.0 LL68'O LIELE WEPL—6ll 9 1.08 8062,0 6007°0 oSTEL 16IT 66 y g‘Ll G6rE0 G982.0 09L2°0 196 —IL 7 ‘3 0855 :YPplomadsny OrL 808 996°'0 <6TF'O 9EELL 186 —IL 7 & "3 0061 :PpIoMadsny Dal 61780 Ipr00 0199°0 gl U 'g = 3 2013 :3y91madpuager] Url 86820 78030 s6rT‘0 uly —88 2 = :uogoutuey] &L 9zr1‘0 E00T‘O 01130 180 —0 I li = = = 8082.0 80970 el —6F & > "3 179 :9qo1Modpuager] Fee == | so|:“. |“ Eier Ser ea oa) = 7 => Seen Be Zen Sogleich nach dem Tode entnommener Muskel!)| 49,3 0,44 45,2 0,41 | 94,5 | 0,69 Einftt de 5-51/gh nach dem Tode!)| 29,0 | 0,26 | 60,0. | 0,54 | 89,0 0,1541 I L 39-24h nachdemTode!)| 253 1022 | 644 | 0,58 | 89,7 | 0,06 aure 48h.nach dem Tode!) .| 28,0 | 0,25 60,9 |: 0,55 88,9 0,04 Lösung der 78h.nach dem Tode!) .| 21,3 0,19 66,7 0,59 88,0 | 0,06 Starre 8mal 24h. nach dem | i Tode, erste Probe. ..| 37,3 0,33 69,3 0,62 |106,6 | 0,41. Smal 24h nach dem Tode, zweite Probe. .| 50,7 1.045 | 613 | 055 [1120 | 0,71 Die vorstehende Tabelle IX gibt die Ergebnisse dieser Unter- suchung wieder. In den Zeilen 1—4 sind Mittelzahlen über die Reaktion des Kaninchenmuskels aus den. Versuchen 1 bis 5 3. Serie Biochem. Zeitschr. Bd.75 1916 S. 104 angeführt und diesen in den Zeilen 5—7 die neuen Zahlen (Versuch 3 zur CO,- Bestimmung aus der Kaninchenleiche) gegenübergestellt. Man bemerkt eine Abnahme der Alkaleszenz im Muskel bis über 78 Stunden nach dem Tode und eine dementsprechende Zunahme der Azidität. Das Albuminateiweiss des Extraktes nimmt schrittweise mit:.der Alkaleszenz ab, das heisst, der unlösliche Eiweisskörper im Muskel nimmt zu. Nach Beginn der Fäulnis aber ist ein bedeutender Anstieg der Alkaleszenz, wahrscheinlich durch Bildung von Fäulnisbasen, zu verzeichnen, der eine Verringerung des unlöslichen Albuminateiweisses im Muskel bzw. eine Vermehrung der löslichen Albuminate im Extrakt im Gefolge hat. 1) Mittel aus den Versuchen 1, 2, 3, 4 und 5 der Serie 3 Tabelle I. Biochem. Zeitschr. Bd. 75 S. 104. 1916. 478 Leonhard Wacker: Die Kohlensäure des Muskels usw. Zur Zeit der Lösung der Totenstarre ist von einer Zunahme des Albuminateiweisses im Muskelextrakt noch nichts zu bemerken; daraus muss geschlossen werden, dass dem Albuminateiweis bei der Ent- stehung und Lösung der Totenstarre keine wesentliche Rolle zukommt. 6. Zusammenfassung. 1. Die beim Glykogenabbau entstehende Milchsäure wird bei der Neutralisation unter Kohlensäureentbindung in Alkalilaktat über- geführt. 2. Das entstandene milchsaure Alkali verbrennt im Muskel und im Blute zu Alkalibikarbonat. Dabei bildet sich genau wieder so viel Al- kalibikarbonat, als vorher zur Neutralisation der Milchsäure verbraucht worden war. Auf diese Weise wird die Alkaleszenz im Organismus regeneriert und erhalten. 3. Obwohl das Alkalibikarbonat im Muskelextrakt nicht nach- weisbar ist, deuten auch die chemisch reversiblen Prozesse darauf hin, dass, zum mindesten zeitweise, Alkalibikarbonat im Muskel vorhanden ist. ' 4. Ausser den chemisch umkehrbaren Prozessen, spricht für das Vorhandensein von Alkalibikarbonat (nebeu sauren Substanzen, wie Monvalkaliphosphat und Albuminateiweiss) im Muskel noch das Aufschäumen beim Extrahieren des frischen Muskels, im Gegensatz zum gelagerten. | 5. Die Zunahme der Azidität steht im Zusammenhang mit Er- müdung und Starre, die Vermehrung der Alkaleszenz mit Erholung. 6. Die postmortal gebildete Säure produziert aus Alkalibikarbonat Kohlensäure. Der Druck der letzteren ist die Ursache der Totenstarre. 7. Das langsame Entweichen der Kohlensäure aus den Muskeln der Leichen ist die Veranlassung zur Lösung der Totenstarre. 479 Über den Einfluss des Alkoholgenusses auf die Harnsäurebildung und -Ausscheidung beim Menschen. Von Dr. med. et phil. Karl Krieger, Arzt, Apotheker und Nahrungsmittelchemiker. Schon bevor man etwas wusste von der Rolle, welche die Harn- säure bei der Gicht spielt, galt es als eine Erfahrungstatsache, dass reichlicher Alkoholgenuss diese Krankheit ungünstig beeinflusse, ja für ihre Entstehung mitverantwortlich zu machen sei. Nachdem man nun in den gichtisch veränderten Geweben Harnsäureablagerungen fand, lag es nahe, nach einem Zusammenhang zwischen Alkoholgenuss und Harnsäurebildung zu suchen. Mit der Erforschung dieses an- genommenen Zusammenhanges haben sich denn auch in den letzten Jahrzehnten verschiedene Forscher beschäftigt. Die Harnsäurebildung war bei diesen Versuchen mit der Harnsäureausscheidung zu identi- fizieren, da wir zu ihrer Messung kein anderes Mittel haben. Voraus- gesetzt werden muss dann allerdings, dass die gebildete Harnsäure alsbald und vollständig ausgeschieden werde. | Zu übereinstimmenden Ergebnissen sind die Untersucher nicht gelangt. Fragt man sich nach den Gründen der sich völlig wider- sprechenden verschiedenen Versuchsergebnisse, so wird man gewiss einen Teil der Widersprüche den starken individuellen Schwankungen im Purinstoffwechsel zugute halten müssen. Andererseits lässt sich aber auch nicht verkennen, dass durchaus nicht bei allen Versuchen die Versuchsanordnung und Versuchstechnik einwandfreie und ge- sicherte Resultate erwarten liessen. Ich habe daher die bisherigen und zwei neue, eigene Versuche nach der Versuchsanordnung zu- sammengestellt und will sie von diesem Gesichtspunkt aus besprechen. I. Versuche mit Harnsäurebestimmung nach der Heintze’schen Salzsäuremethode. Bei den sehr geringen Mengen Harnsäure, welche in der jeweils zur Untersuchung verwandten Harnmenge enthalten sind, muss das 480 Karl Krieger: Bestimmungsverfahren sehr genau sein, ein Erfordernis, dem die Salzsäuremethode nach den Feststellungen E. Salkowski’s so wenig entspricht, dass die Fehlerquellen der Methode vielleicht grösser sind als die zu erwartenden Veränderungen der Harnsäureausscheidung. Die Versuche, welche auf dieser Bestimmungsmethode aufgebaut sind, sind die ältesten und .wurden gemacht zu einer Zeit, wo man noch kein besseres Bestimmungsverfahren für Harnsäure kannte. Sie sind längst überholt und verdienen keine Beachtung mehr. Allen unten besprochenen Versuchen liegen die als beste bekannte Silbermagne- siumuratmethode (Salkowski und ihre Modifikationen) oder die fast ebenbürtige Ammoniumuratmethode (online und ihre Mods fikationen) zugrunde. ; i II. Versuche an Hunden. Solche sind mit exakter Viersuchanordnung von Ehittenden‘) und mit weniger guter Technik von Donogany und Thibald?) angestellt worden. Jedesmal bewirkte der Alkohol eine starke.Ver- mehrung ‚der Harnsäureausscheidung. Die Ergebnisse sind jedoch nicht auf die Verhältnisse beim Menschen zu übertragen, weil die Harnsäure im Stoffwechsel des Hundes eine ganz andere Rolle spielt als in dem des Menschen. Die Versuche ergaben eine Steigerung der Harnsäureausscheidung. a | III. Versuche von v. Jaksch°).. ' Die Versuche sind an kranken Kindern gemacht. . Sie sind durch- aus nicht stichhaltig. Beim physiologischen Versuch an gesunden Menschen sind wir. berechtigt, im Anschluss an die Verabreichung eines Stoffes auftretende Veränderungen im Körperhaushalt als durch diesen Stoff bedingt anzusehen. Ob wir dazu auch bei den v. Jaksch’schen kranken Versuchspersonen berechtigt sind, wenn auch bei allen acht eine Verminderung der Harnsäureausscheidung stattfand, ist fraglich. Man könnte auch an durch. die Krankheit (Fieber?) verursachte, zu- fällige Stoffwechselstörungen denken. Aber aus einem weit triftigeren 1) R. H. Chittenden, The influence of Alcohol on Proteid Metabolism. The Journ. of Physiol. vol. 12 8. 220f. Cambridge 1891. 2) Donogany und Thibald, Einfluss des Alkohols auf den ae zerfall. Ungar. Arch. f. Med. Bd.3 S. 189 ff. \ x ROT aksch, Der ‘Weingeist als Heilmittel. Verhandl. d. Kongr. f. inn. Med. Bd. 7 8.105 ff. Wiesbaden 1888. 5 Tail sa Über den Einfluss des Alkoholgenusses auf die Harnsäurebildung usw. 481 Grunde sind die v. Jaksch’schen Versuche unbedingt abzulehnen ; v. Jaksch sammelte den Harn nur von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends, also nicht die ganze Tagesmenge. Man hat also nicht die mindeste Kenntnis darüber, wieviel Harnsäure jeweils im Restharn noch vorhanden war; noch weniger ist man in der Lage, den Mittel- wert der täglichen Harnsäureausscheidung ganzer Versuchsperioden zu berechnen. Die Alkoholperioden dauern übrigens in den v. Jaksch- schen Versuchen höchstens drei Tage, sind also doch wohl allzu kurz. IV. Versuche von Camerer!). Camerer vergleicht nicht alkoholfreie Periode und Alkohol- periode eines und desselben Versuchsobjektes miteinander, sondern Harnsäureausscheidung männlicher und weiblicher Personen bei fünf Ehepaaren, indem er erstere als gewohnsheitsmässige Alkoholtrinker, letztere als Abstinenten oder Mässige einander gegenüberstellt. Die Kost hält er bei Ehepaaren ohne weiteres für genügend gleichmässig. Seine Versuche können also eine ernste Beachtung wohl nicht be- anspruchen. V. Versuche von Laquer?). Laquer findet die Harnsäureausscheidung unter dem Einfluss des Alkohols sehr stark herabgesetzt. Dieses Resultat sowohl wie die von Laquer angewendeten ausserordentlich hohen, ganz gewiss toxischen Alkoholgaben verschaffen den Laquer’schen Versuchen eine Ausnahmestellung unter den übrigen. Versuchspersonen waren Laquer selbst und ein Dr. G. Die Versuchskost war eine gemischte Kost. Ueber die Art der Nahrungsmittel werden Angaben gemacht, nicht aber über die tägliche Gleichmässigkeit nach Art und Menge. Bier wurde auch in den „Normalperioden“ in mässigen Mengen ge- geben. Demnach sind die „Normalperioden“ mässige Alkoholperioden, die „Alkoholperioden“ exzessive Alkoholperioden. Das Harnsäure- bestimmungsverfahren war die Silbermagnesiumuratmethode. Im folgenden gebe ich die Versuchsergebnisse in Zahlen wieder. 1) W. Camerer, Zur Lehre von der Harnsäure und Gicht. Deutsche med. Wochenschr. Bd. 17 S. 356 ff. 1891. 2) B. Laquer, Über die Ausscheidungsverhältnisse der Alloxurkörper im Harn. Verhandl. d. Kongr. f. inn. Med. Bd. 14 S. 333 ff. Wiesbaden 1896. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 32 482 Karl Krieger: a) Versuch an Dr. ©. Gemischte Kost: Morgens Kaffee, Brötchen mit Butter; abends reichliche Fleischmahlzeit, 1 Liter Bier. Harn- Harn- Nr. Datum menge säure Bemerkungen ccm g 1895 1 — — — Keine Kostzusätze. 2 5./6. Dez. 1350 1,4016 5 5 B) Ga 1140 0,8220 a 5 4 Tälee 2225 0,9057 15 s 5 So 1825 0,9042 n n 6 ENAL 1160 0,5916 Mn 5 7 OA, 975 0,7587 n N 8 I 5 1000 0,7119 n . I 121390 % 1220 0,8394 5 n 10 13./14. „ 1150 0,9360 " 5 11 14.15. ,„ 1450 0,6930 5 ” 12 NS, — — n n 13 NIS 5 1500 0,7605 h h we 5 1210 | 0,6315 S x 15 NSHNOE 1295 0,5295 S ” 16 192005 1065 0,9969 5 H 17 Alle 1230 0,7491 N 5 18 21.22. , 2755 0,9063 5 " 19 22.123. „ 1935 0,9264 5 n 20 23.124. „ 1430 0,8364 5 e 21 24./25. „ 1500 0,5475 5 n 22 a u 28330 0,7839 5 5 3 He al > 2950 0,9912 } \ 25 28.1295 2010 0,4059 > > 26 29.130. , 1610 0,9594 5 ® 27 a ne 1150 0,6912 n 5 31. Dez. 189: 23l en, N oss0 1,9554 h [ 1896 29 1./2. Jan. — — " " 30 Zion 970 0,6072 5 » 3 \ { Fachinger-Wasserperiode, nicht be- 37 m Er FR rücksichtigt. a \ _ _ = Teeperiode, nicht berücksichtigt. 42 | Leitungswasserperiode, nicht be- 44 \ ar Hr nz rücksichtigt. 4 \ RT a a Milchperiode, nicht berücksichtigt. 52 22. Jan. 890 0,5448 1750 ccm Porter = 146 g Alkoho!. 53 Br 1300 0,0597 1750!cem, Moose 54 2a. 5 1820 0,6672 1750 cem Ale —= 1268, BB) DD. 2000 0,6201 Molicem ar. Elder 96 A, 3200 0,4575 2800 ccm Rheinwein. 57 Del A 3360 0,7728 2100 cem & 38 DR 2050 0,2133 1750 ccm Moselwein. 39 PIE, 1750 0,3009 2100 cem “ 60 Bu. 1300 0,0495 — Mittelwerte der einzelnen Perioden: Normalperiode. . . 0,8401 g Harnsäure täglich | Verminderung: Alkoholperiode. . . 0,4545 g h 5 45,90 Io. Über den Einfluss des Alkoholgenusses auf die Harnsäurebildung usw. 483 b) Versuch an Laquer. . Kost: Morgens Tee, mit Fleisch belegtes Butterbrot; mittags Fleisch, Gemüse, Kartoffeln;. abends belegtes Butterbrot, !/ı bis !/g Liter Münchener Bier. i Harn- Harn- Nr. Datum menge | säure Bemerkungen cem g 1895 1 4./5. Dez. 1835 | 0,7413 | Keine Kostzusätze. 2 b.l6.,, 1025 | 0,4623 . R 3 SH 953 | 0,5478 " = 4 1.18. ” TE SE ” ” 5 SE 1725 0,9486 » 5 6 30a, 1705 | 0,6036 3 y 7 1O.RS 7, 1260 | 0,6627 5 x 8 la 390 | 0,5187 5 5 9 Layl3n 1385 | 0,6981 a h 10 13./14. , 1100 0,6297 5 Ü 11 14/15. „ 1200 | 0,9348 N ; 12 15./16 , 1235 | 0,8745 n Re 3 ON, 1010 | 0,7932 e 2 14 ZU. 1400 | 0,6651 5 5 15 TSYARSERN 1490 | 0,8001 > 5 16 191/20. , 1260 , 0,7887 n a 20.2). , 0 18 a: Y 2610 15299 |» ! 19 22.128. 2120 | 0,6033 5 5 20—22 23.25. n' Eur == » . 23 29.126. „ 1540 , 0,7269 5 A 24—27 23, E= = Fachinger-Wasserperiode, 2s {| 31. Dez. 189% [11370 | 0,8301 | Keine Kostzusätze 1896 a, ML mo 1532|, 5 31—37 3/10. € _ — Fachinger-Wasserperiode. 98 I, 1200 , 0,8412 | Keine Kostzusätze. 39 103 1010 , 0,9363 5 5 40 132% 850 ı 0,7413 n 3 41 A023 1140 | 1,1160 | Reichliches Mittag- und Abendessen. 42 —44 19... = — Leitungswasserperiode. 45—51 8.122 =, — — Milchperiode. 92 DO, 1010 | 0,0210 | 200 g Whisky — 120 g Alkohol. B) Be, 18307 0,5361. 7200577, 7 Zr, 54 DASUN, 2320 | 0,6309 | 200 g u 212.008, . 55 2 880 | 0,2850 | Urinverluste. 56 26 1520 — Keine Kostzusätze. 57 HER 1080 | 0,4989 5 " 98 ICh, 1750 Er 2) 2) 59 DIE, 1160 | 0,5544 5 s 60 0. ” Er Br ” » 61 31. ” ee Sa » ” 62 1. Febr. — — N h 63 2 1100 | 0,0990 - » 64 9. ” 1450 Art ” ” Mittelwerte der einzelnen Perioden: Normalperiode. . . 0,7524 g Harnsäure täglich \ Verminderung: Alkoholperiode. . . 0,3960 g 5 5 48,7 00. * I E) [3] [897 484 Karl Krieger: Auffällig ist bei beiden Versuchspersonen das starke Schwanken der Harnsäureausscheidung schon in der Normalperiode. Man könnte daraus den Einwand herleiten, die Versuche seien wegen ausser- gewöhnlicher individueller Stoffwechselunregelmässigkeit oder wegen sehr unregelmässiger Lebensweise. der Versuchspersonen nicht beweis- kräftie. Von dem Versuch an Laquer selbst, der nur drei Alkohol- tage aufweist, möchte ich das gelten lassen. Vergleicht man aber bei dem Versuch an Dr. G. die achttägige Alkoholperiode mit der Normalperiode, so ist die Verminderung. der Harnsäure doch so augenfällig und hochgradig, dass sie nicht mehr bloss auf das Konto _ einer zufälligen Schwankung gesetzt werden kann. Vergleicht man nun diesen Versuch mit den in ihren Ergebnissen völlig abweichenden Versuchen anderer Autoren, so wird man geradezu darauf gestossen, den Grund der Abweichung in dem schon erwähnten anderen Punkte zu suchen, in dem die Versuche differieren, nämlich in der exzessiven Höhe der Alkoholgaben. Diese muss einen toxischen Einfluss auf die Ausscheidungsorgane gehabt haben, so dass die verringerte Harnsäure- ausscheidung nicht auch eine verringerte Harnsäurebildung bedeutet. Ueber den Einfluss des Alkohols auf die Harnsäurebildung erfahren wir aber nur dann etwas, wenn wir Bildung und Aus- scheidung gleichsetzen können. Für die Erkenntnis des Einflusses des Alkohols auf die Harnsäureausscheidung ist der Versuch bedeutungsvoll. VI. Versuche von Herter und Smith!) und von Haeser?). Bei diesen Versuchen wurde, wie bei Laquer, eine purin- haltige Kost in unkontrollierter Menge gegeben. Der Puringehalt der Nahrung ist also unbekannt und muss als schwankend angesehen werden. Er ist aber von erheblichem Einfluss auf die Harnsäure- bildung. Die Harnsäure entstammt bekanntlich einer endogenen Quelle, dem Nuklein der Zellkerne der verbrauchten Körperzellen, und einer exogenen Quelle, dem Purinkörpergehalt der Nahrung. Man hat also in diesen Versuchen schon einen die Harnsäuremenge sicher verändernden Faktor von unbekannter, schwankender Grösse, l) Herter and Smith, Observations on the Excretion of Uric Acid in Health and Disease. New York medical Journ. vol. 55 p. 617 ff. New York. 2) H. Haeser, Der Einfluss des Alkohols auf die Harnsäureausscheidung. Inaug.-Diss. Greifswald 1901. Über den Einfluss des Alkoholgenusses auf die Harnsäurebildung usw. 485 den Puringehalt der Nahrung. Führt man nun noch einen möglicher- weise verändernden Faktor, den Alkohol, ein, so kann dessen Ein- fluss wohl kaum erfolgreich zum Gegenstand der Untersuchung ge- macht werden. Aus den unten angegebenen, von diesen Unter- suchern gefundenen Zahlen, die einen Einfluss des Alkohols auf die Harnsäurebildung nach einer bestimmten Richtung hin nicht erkennen lassen, kann man nicht schliessen, dass der Alkohol einen solchen nicht gehabt habe. Die Harnsäure ist in diesen Versuchen bestimmt worden nach der Silbermagnesiumuratmethode. a) Versuche von Herter und Smith. Nr. un u Bemerkungen g il 0,599 Kein Alkohol. 2 0,682 E > 3 0,601 Mässiger Genuss von Bier und Champagner. 4 0,697 57 g Whisky. 5 0,620 IIEE R 6 0,630 a 7 0,657 Kein Alkohol. 8 0,643 5 » I 0,754 227 g Champagner. 10 0,655 454 9 n 11 0,686 680 g n 12 0,643 Kein Alkohol. Mittelwerte bei Herter und Smith: Alkoholfreie Tage . . .’. 0,645 g Harnsäure täglich. Nilnskytagen ; 2 2..0.2..0.0.2.2 2 .0,649 81085, n Champasnertager.n.. ... . 0,098 87, 5 Keine Erhöhung an den Whiskytagen, 8,22 °/o Erhöhung an den Champagnertagen. b) Versuch von Haeser. Harn- Harn- Datum menge säure Bemerkungen ccm g 1900 18. Jan 960 0,9240 Keine Kostzusätze. 19555 1050 0,9810 ; ” 20 900 0,8760 : 5 212.03 1100 0,8475 h " Da 1030 0,9240 ; 5 DIR 1360 0,9072 : n 24. .,; 700 0,6940 „ > 29. 1, 660 0,6940 5 ® 26 600 0,5900 5 5 486 Karl Krieger: Harn- Harn- Datum menge säure Bemerkungen ccm g 1900 6. Febr. 1300 0,6575 1200 cem Wasser. aan 2450 0,5062 1600 ccm ® Sn 1050 0,6000 1200 ccm is In, 2760 1,0129 2000 cem : 16:0 1200 0,7680 75 ccm 96°/oiger Alkohol + 1500 ccm Wasser. INTRO, 2760 0,7314 75ccm I6'/oiger „ + 150llecemss lb 205, 3400 0,5542 79ccm 96Yoiger „ +1500ecem „ ER 2080 0,6336 75ccm 96%oigerr „ +1500cem $„ 209 2, 2500 0,7450 75ccm 6%iger „ +1500cem „, 2a > 1680 0,3114 79ccm 96%Yoigerr „ +1500cem , DD 3120 0,9017 219ccm 99%Yoiger „ -+1o00cem , BES“ 2500 0,7400 75 cem 96%oiger „ +1500ccm ,, 24. „ 2830 0,9679 75ccm I6/oiger „ +1500cem , DO 1600 0,7856 75cem I6V/oiger „ + 1500 ccm, Mittelwerte des Haeser’schen Versuches: Normalperiode . . . . . 0,8288 g Harnsäure täglich. Wasserperiode. ..0...2.2. 0094272 $ “ Alkoholperiode. . . . . 0,7644 g x H In der Alkoholperiode Erniedrigung um 7,77 °/o gegen die Normal- periode, dagegen Erhöhung um 10,11 o gegen die Wasserperiode. VII. Versuche von Leber!), Herrmann?), Beebe Nr. 1, 6, 7, 14, 15°), Rosenfeld*), Pringsheim?°). Auch diese Untersucher gaben eine purinhaltige Kost, ohne deren Puringehalt zu kontrollieren, haben jedoch eine Gleichmässigkeit des Gehaltes zu erreichen gesucht durch Gleichmässigkeit der Art und Menge der täglichen Nahrungsmittel. Inwieweit ihnen das ge- lungen ist, dafür dürften wir wohl einen ziemlich zuverlässigen Maass- stab haben in der mehr oder weniger grossen Gleichmässigkeit der täglichen Harnsäureausscheidung in den alkoholfreien Perioden. Der Hauptnahrung, dem Fleisch, wandten Rosenfeld und Pringsheim 1) H. Leber, Zur Physiologie und Pathologie der Harnsäureausscheidung beim Menschen. Berliner klin. Wochenschr. Bd. 34b S. 956 fl. Berlin 1897. 2) A. Herrmann, Über die Abhängigkeit der Harnsäureausscheidung von Nahrungs- und Genussmitteln mit Rücksicht auf die Gicht. Deutsches Archiv f. klin. Medizin Bd. 43 S. 273 fi. Leipzig 1888. 3) 8. P. Beebe, The effect of Alcohol and alcoholic fluids upon the ex- cretion of acid uric in man. American Journal of Physiology vol. 12 p. 13 ff. 4) G. Rosenfeld, Der Alkohol als Nahrungsmittel. Therapie d. Gegen- wart, Jahrgang 1900 S.56ff. Berlin. 5) J. Pringsheim, Alkohol und Eiweissstoffwechsel. Zeitschr. f. physik. und diätet. Therapie Bd. 10 S. 274 ff. 1906/7. Über den Einfluss des Alkoholgenusses auf die Harnsäurebildung usw. 487 ihr Hauptaugenmerk zu. Sie kauften gutes Muskelfleisch gleich für den ganzen Versuch, befreiten es von Fett und Sehnen, mahlten es fein und teilten den Fleischbrei in gleich schwere Portionen. Diese Sorgfalt machte sich belohnt durch eine grosse Gleichmässig- keit der Harnsäureausscheidung an den alkoholfreien Tagen. Das gerade Gegenstück dazu bieten die Versuche von Leber, deren alkoholfreie Perioden nicht vertrauenswürdig aussehen. Diese Ver- suche sind wohl am besten trotz der „nach Art und Menge gleichen Kost“ in die vorhergehende Klasse VI einzureihen. Leber fand denn auch einmal eine nicht bedeutende Erhöhung, das andere Mal eine geringe Erniedrigung der Harnsäureausscheidung. Einen dritten Versuch von Leber habe ich nicht berücksichtigt, weil die Versuchs- person gichtkrank war. Bei den übrigen hier genannten Versuchen findet sich überall eine meist beträchtliche Erhöhung der Harnsäure- ausscheidung. Das Bestimmungsverfahren war bei Pringsheim die Ammoniumuratmethode, sonst die Silbermagnesiumuratmethode. Im folgenden gebe ich die tabellarische Übersicht. a) Versuche von Leber. Versuch Nr.l. Urin- RE Datum menge un Bemerkungen ccm g 1896 23. Okt. 2600 1,026 Keine Kostzusätze, 24. „ 1330 1,061 2 n a 1920 0,999 x K BB, 1950 1,122 £ S a, 2170 1,340 : n ZB, 2250 1,276 n Re 2a 1325 0,829 720 ccm Maltonsherry !). - Sl; 1400 0,876 720 ccm n Sl; 1630 1,266 450 ccm 5 1. Nov. 1700 1,227 720 ccm 5 DR. 1750 1,176 1090 ccm S Sl, 1450 1,054 720 ccm a A 1650 1,317 Keine Kostzusätze. 5, 1600 1,114 \ R 62, 2450 1,080 hr = N 1800 1,007 h = SI 2100 1,076 n 5 Versuchsperson Leber selbst. Mittelwerte: Vorpenioder 2,2.0.2..225137 2 Harnsäurer täglich Verminderung Alkoholperiorde. . . 1,071 g x R 5,81 lo. Nachperiode. eiklase: n „ 1) In 100 ccm 12,63 & Alkohol. 488 Karl Krieger: Versuch, Nr 2. Urin- N Datum menge kannste Bemerkungen ccm g ’ 1897 | 7. Jan. 1200 0,862 Keine Kostzusätze. SR 1260 0,857 3 5 92% 1200 0,979 I; r, 10, ; 1020 0,791 n 5 JajE. Op 1090 0,961 = n 120%, 1400 0,899 720 ccm Maltonsherry !). SE 1560 1,114 720 ccm S TA. EN 1810 0,760 720 ccm 5 19.08 1400 0,906 720 ccm ” NOS 1940 0,953 720 ccm U, 1120 0,542 Keine Kostzusätze. 18275 1280 1,032 & 5 ER 1560 0,989 H “ Versuchsperson Laboratoriumsdiener S. Mittelwerte: Vorperirde . . . . 0,890 g Harnsäure täglich Steigerung Alkoholperiode . . . 0,926 g 5 E 4,04 Po Nachperiode. 22.7.2 ,0,95472, = = b) Versuch von Herrmann. Harn- Harn- Datum menge säure Bemerkungen ccm g 1. Tag | 2430 0,752 | 1 Flasche Blutwein. 2. 1570 0,673 le ©, & 3. 1900 0,750 1!/e 4.0, 2400 0,639 Keine Kostzusätze 2)» De 1940 0,709 h > & 2010 0,684 h n ar 2440 0,812 2 Flaschen Blutwein. Se 2150 0,676 1 Flasche Bordeaux, 1 Flasche Rauenthaler. Se 1670 0,712 1 Flasche Burgunder, 1 Flasche Blutwein. Id), un 1980 0,643 1 Flasche r: Ungarwein, 1 Flasche Brauneberger. 1.) 2630 0,703 1 Flasche Btutwein, 1 Flasche Eraungb = 129 Ne, 1519 0,644 Keine Kostzusätze. 100, 2250 0,707 5 5 14. ,, 2140 0,714 H A lo; 1760 0,648 n “ 6% 2760 0,646 > 5 ae 2000 0,640 a “ Mittelwerte: An alkoholfreien Tagen 0,670 g Harnsäure täglich. AneSkoholtasen en Vralame x Steigerung der Harnsäureproduktion durch "Alkohol: 6,72 0. 1) In 100 cem 12,63 g Alkohol. 2) In der Normalkost ist 1 Liter böhmisches Bier mit enthalten. Über den Einfluss des Alkoholgenusses auf die Harnsäurebildung usw. 489 ec) Versuche von Beebe. Versuch Nr. 1 (Versuchsperson A.). Harn- ESSEN, Datum menge Eure un Bemerkungen ccm g 12. Okt. 1310 0,540 Keine Kostzusätze. TE 1310 0,562 “ A 14. „ 195 0,601 N 5 19. 1000 0,695 n & lc 7 1000 0,624 n u; In, 820 0,652 5 = 18% 1010 0,675 ” R 13.2. 830 0,618 50 ccm Alkohol (+ Wasser). 20 1120 0,663 60 cem 5 Ballon er 1320 0,798 70 ccm 5 Dane, 1300 0,820 70 ccm 5 23, 1200 0,787 80 ccm ® 24. „ 1600 0,648 90 cem 5 28. 5 1400 0,600 Keine Kostzusätze. AO, 1050 0,634 5 > PEN 930 0,647 3 x 28.» 1130 0,579 R 5 Mittelwerte: Vorperiode . . . . 0,635 g Harnsäure täglich. Alkoholperiode. . . 0,755 g n n Naehperiode. . .. x 0,6158 N S Steigerung durch Alkohol gegen die Vorperiode: 18,8 /o. Versuch Nr. 6 (Versuchsperson A.). Urin- SE Datum menge | Harnsaure - Bemerkungen ccm | g 19. Dez. 1500 0,500 Keine Kostzusätze. 20, 1400 0,524 5 5 la 1120 0,556 5 ö ") ZA 1360 0,659 = 5 1) En 1500 0,567 5 > ”) 24. 1480 0,824 500 ccm Portwein [15,5°%0o Alkohol] '). ZN 1400 0,722 500 cem n 26. „ 1340 0,570 Keine Kostzusätze. Ale». .. 1260 0,612 n 2 28: 19, 1220 0,617 5 n Zan 1310 0,573 „ a 1340 0,529 ) 5 ol, 1400 0,672 500 ccm Portwein, leranz 1340 0,612 500 ccm 3 Zee 1540 0,573 Keine Kostzusätze. 3. ” 397 0,612 ” » Mittelwerte: Vorperiode . . . . 0,560 g Harnsäure täglich Steigerung Erste Alkoholperiode. 0,773 & 38,0 %o. ” B)] 1) Leichte Erkältung. 490 Karl Krieger: Erste Nachperiode. . 0,580 g Harnsäure täglich \ Steigerung Zweite Alkoholperiode 0,642 & S ll Zweite Nachperiode . 0,592 g ” ” Dieser Versuch sowie die Versuche Nr. 7 und 15 von Beebe sind wegen der allzu kurzen Alkoholperioden weniger wertvoll. Versuch Nr.a7 (Wersuchspierson Harn- 5 Datum menge En ur Bemerkungen ccm g 21. Febr. 1000 0,516 Keine Kostzusätze. WE 1120 0,498 " ° Dan 920 0,528 5 » 24. „ 890 0,696 350 cem Portwein. 2a Ei 890 0,810 350 ccm * 20 1000 0,552 Keine Kostzusätze. BAEN. 1240 0,576 5 Mittelwerte: Vorperiode . . . . 0,514 g Harnsäure täglich Steigerung Alkoholperiode. . . 0,753 g 46,5 °/o Nachperiode. . . . 0,564 2 ” ” 2 ” Versuch Nr. 14 (Versuchsperson A.). Harn- a Datum menge Harnsäure | Bemerkungen ccm g | 23. Febr. 1060 0,354 Keine Kostzusätze. Ze 1240 | 0,432 8 r 2 1370 0,516 en ® 2b 1000 0,528 7 0,520 e > 2 1200 0,516 n n DS 1700 0,625 1050 cem Ale. 1. März 1400 0,768 1050 cem „>, DR 1460 0,612 1050 com „ Be 1260 0,738 1050 cem ,„- An 3 1920 0,558 Keine Kostzusätze. Da, 1120 0,564 A S Su 1000 0,540 5; N Mittelwerte: Vorperiode . . . . 0,520 g Harnsäure täglich (unter Fortlassung von Tag 1 und 2). Alkoholperiode. . . 0,685 g Naecıpeniode. . 7. 722055422 ” ” ” ” Steigerung durch Alkohol gegen die Vorperiode: 31,7 Jo. Über den Einfluss des Alkoholgenusses auf die Harnsäurebildung usw. 49] Versuch Nr. 15 (Versuchsperson F.). Harn- Mi: ; Datum menge | Lammeiune Bemerkungen ccm | g 1. Tag 1080 0,378 Keine Kostzusätze. Zu 820 0,390 2 » 3 1040 0,432 n N 4. „ 1500 0,516 1050 ccm Ale. Dal 1100 » 0,490 1050 cem „ Ge, 860 0,402 Keine Kostzusätze. Mittelwerte: Vorperiode . . . . 0,400 g Harnsäure täglich Steigerung Alkoholperiode . .°. 0,503 g & r 25002108 d) Versuch von Rosenfeld. Datum Harnsäure | Mittelwerte Bemerkungen | 1897 29./80. Sept. 0,506 | Keine Kostzusätze. IOKkt: 0,502 0,503 » 5 2. 0,502 5 3. Ä 0,555 j) 60 ccm Alkohol 4. 0,576 60 ccm u h ccm 2 1, 0,53 nenn 155 & Rohrzucker. Sr 0,489 2 158 g 5 Steigerung der Harnsäurebildung durch Alkohol um 14,11 o gegen die Vorperiode. e) Versuch von Pringsheim. Datum Harnsäure Mittelwerte Bemerkungen 5 ——— 1905 I: Okt. 0,68040 | Keine Kostzusätze. 1687, 0,68544 m EN arten Be R 4 ea, 0,62496 J 5 5 © 0,73282 | 60 g Alkohol 0 0,74571 60 8 : a 0.66973 9,72107 ee. DD 0,73602 120 g “ a 0,72345 Keine Kostzusätze. Steigerung der Harnsäurebildung durch Alkohol um 6,10 /o gegen die Vorperiode. 492 . Karl Krieger: VIII. Versuch Nr. 2 von Beebe!) und Selbstversuche des Verfassers. In allen bisher angeführten Versuchen ist die zweifache Her- kunft der Harnsäure nicht berücksichtigt worden. Sie hätte jedoch berücksichtigt werden müssen, denn es erscheint durchaus nicht ausgeschlossen, dass der Alkohol auf die endogene und die exogene Harnsäurebildung verschieden einwirkt. Der Alkohol könnte zum Beispiel eine Wirkung auf das Ausgangsmaterial der Harnsäure- produktion, die Zellkerne, "haben. Er köntte als Protoplasmagift lebende Zellkerne des Körpers zum Absterben und zum Abbau zu Harnsäure bringen. Dadurch würde er eine Vermehrung der endo- genen Harnsäure allein bewirken. Er könnte ferner die Uricolyse, den Abbau der Harnsäure zu Harnstoff, behindern. Das würde in einer Vermehrung der endogenen und der exogenen Harnsäure zum Ausdruck kommen. Es wäre also wünschenswert, zunächst einmal reine Versuche über die endogene Harnsäure bei Alkoholgenuss zu haben. Bisher lag leider nur ein derartiger Versuch von Beebe vor. Beebe ersetzte in der Versuchskost seiner übrigen Versuche das Fleisch durch Eier und erhielt so eine neue, ausserordentlich purinarme, praktisch purinfreie Kost, auf der sich sein Versuch Nr. 2 aufbaut. Im folgenden gebe ich die tabellarische Übersicht. Versuch Nr. 2 von Beebe (Versuchsperson A.). Datum Harnmenge | Harnsäure Bemerkungen ccm g 20. Nov. 1200 0,551 Keine Kostzusätze. BABES 1300 0,562 N; e Ban 1600 0,545 n a 23 1350 0,523 5 5 An 1050 0,534 ” se 2, 1230 0,595 & % ZU 1200 0,551 & 5 ZUBE, 1595 0,552 120 g Whisky von 45 %0 Alkohol Dh 1180 0,600 150 g ® „45% 5 28), 1240 0,628 150 g 5 „45 Io „ 30:25 1310 0,584 150 g en „45% 5 1. Dez. 1300 0,606 150 g a „45% s DE; 1320 0,656 150 g r 3 Aorlio 5 Do 1320 0,595 150 g E „45° 3 4. n 1310 0,557 Keine Kostzusätze. Da, 1200 0,612 ee R bay, 1320 0,573 „ - ar 1000. 0,562 » Sn 1250 0,556 5 N I 1200 0,628 160 g Whisky von 45 °/o Alkohol. I0mar> 1100 0,628 160 g 5 „45 90 ” 1) Vgl. Anmerkung 3, S. 486. Über den Einfluss des Alkoholgenusses auf die Harnsäurebildung usw. 493 Mittelwerte: Vorperiode . . . . 0,554 g Harnsäure täglich N Steigerung durch Erste Alkoholperiode. 0,604 g e = Alkohol 9 Jo. Nachperiode. . . . 0,572 g R „ Steigerung durch Zweite Alkoholperiode. 0,628 g & N h Alkohol 9,8 °/o In der zweiten Alkoholperiode 13,36 0/o Steigerung gegenüber der Vorperiode. Ich habe ebenfalls zwei Versuche dieser Art, und zwar an mir selbst, im Mai und Juni 1914 angestellt, nachdem sich in früheren Stoffwechselversuchen mit Alkohol!) gezeigt hatte, dass ich infolge besonderer Regelmässigkeit des Stoffwechsels eine sehr geeignete Versuchsperson für Stoffwechselversuche bin. Mein Alter betrug da- mals 29 Jahre, mein Körpergewicht etwa 55 kg bei 1,59 m Körper- grösse, und ich erfreute mich bester Gesundheit. Die tägliche Ver- suchskost bestand aus: 1,5 Liter Milch, S0 g Reis, 4 Eiern, 50 g Butter, 300 g Brot, 15 & Zucker, einigen Gramm Kochsalz. Auf den Tag war die Kost folgendermaassen verteilt: Morgens 8 Uhr: 0,4 Liter Milch, 1 Ei, 15 g Butter, 100 g Brot; mittags: 80 g Reis, 0,7 Liter Milch, 1 Ei, 20 g Butter, 100 & Brot, 15 g Zocker: abends: 0,4 Liter Milch, 9 Eier, 15 & Butter, 100 g Brot. Im zweiten Versuch nahm ich !/e Liter Milch weniger und gab dafür, jedoch nur an den alkoholfreien Tagen, "/s Liter Wasser zu. Die Alkoholzugabe bestand im ersten Versuch aus 75 eem 60 g) Aleohol absolutus, verdünnt mit 150 eem Wasser und versetzt mit Spuren Vanillin und Saecharin. Von dem Gemisch wurde je ein Drittel zu den Mahlzeiten genossen. Im zweiten Versuch wurde helles Bier von 3,6% Alkolhol- gehalt in täglich verschiedener, aus der Tabelle ersichtlicher Menge genossen, und zwar je ein Sechstel nach den Mahlzeiten, die übrig- bleibende Hälfte des Bieres über den Tag gleichmässig verteilt. Die Aufwendung an Muskelarbeit, die für die Harnsäurebildung keineswegs belanglos ist, dürfte an den einzelnen Tagen recht gleich- mässig gewesen sein. Ich lebte streng gleichmässig nach der Uhr und verrichtete nur ganz leichte Laboratoriumsarbeit. Als Bestimmungsverfahren für die Harnsäure diente die Silber- magnesiumuratmethode. Der Harn wurde mit Wasser täglich auf l) K. Krieger, Die Verwertung der Energie des Alkohols für die Muskel- arbeit. Pflüger’s Arch. f. Physiol. Bd 151 S. 479 ff. 1913. A9IA Karl Krieger: 2000 cem aufgefüllt und gelinde erwärmt, dann nach dem Erkalten in Arbeit genommen. Bestimmt wurde die Harnsäure zweimal je in 100 ecem. (An zwei Tagen, an denen die Harnmenge 2 Liter überstieg, wurde sie im 20. Teil der Harnmenge bestimmt.) Diese Arbeitsweise bewirkte die Wiederauflösung etwa auskristallisierter Harnsäure, eine einfachere Umrechnung und Erhöhung der Genauig- keit durch Arbeiten in gleichen Konzentrationen. Die Ergebnisse der Versuche zeigen sich in folgenden Tabellen: Erster Versuch des Verfassers. | Harn- Datum menge | Harnsäure Bemerkungen ccm g 1914 16. Mai 1040 0,4673 Keine Kostzusätze. 1735 1400 0,4603 » » 18. 950 0,4335 10% | 110 | 01822 404608 ! \ 20 1010 0,4435 » y 2:05 900 0,5376 60 g Alkohol, mit Wasser genommen, 22. " 1130 0,5543 60 g » » D) ” 29. „ 890 0,4872 60 8 ” p7) ” ” 24. „ 1560 0,5712 608 Pr) ” ” ” 23 1640 0,5107 608 D) ” 5) ” 200 1620 0,5864 Dee » » » Als 1530 0,6294 608 D) 2) ICH; 1410 0,5409 Keine Kostzusätze. 29. . 1050. | 0,5006 ) : BOREe, 1220 0,4570 a, „ Mittelwerte: Vorperiode . . . . 0,4574 g Harnsäure täglich. Alkoholperiode. . . 0,5529 g 2) » Nachperioder 22 27: 0.4995 g 5 Steigerung in der Alkoholperiode um 20, 88 0%/o gegen die Vor- periode. Zweiter Versuch des Verfassers. Datum Harnmenge Harnsäure Bemerkungen ccm g 1914 9. Juni — — Keine Kostzusätze. 107,725 8350 0,4435 has ie 1, ;, 970 0,4335 & 5 12:05, 950 0,4301 2 A Sohn 800 0,4301 “ x da 900 0,4704 1,2 Liter helles Bier. de 1400 0,5611 149,5, n ER Über den Einfluss des Alkoholgenusses auf die Harnsäurebildung usw. 495 | Ditom Harnmenge | Harnsäure Bemerkungen ° ccm | 1914 | 16. Juni 2600 0,6888 2,4 Liter helles Bier une, 2400 0,6148 ! 3,027, e 3 IS: 2000 0,7022 24, M 4 1a 1000 0,7022 a " = 20, 1440 0,6417 MI: A S Zi, 910 0,5745 a “ e DO, 1500 0,6014 1,2 ” ZB 750 0,5476 eine Kostzusätze. 24. ,„ 940 0,4771 R e DONE 920 0,4535 3 * Mittelwerte: Vorperiode. . . . 0,4343 g Harnsäure täglich Steigerung durch Alkoholperiode . . 0,6177 g ei n Bier 42,23 %o. Nachperiode *. ...70,4927 g R s Mein erster Versuch, der am besten mit dem Versuch Nr. 2 von Beebe vergleichbar ist, zeigt eine Erhöhung der endogenen Harnsäure um 20,88 °o. Er ist, wie der Beebe’sche Versuch, mit stark konzentriertem Alkohol angestellt. Man könnte nun folgern, der konzentrierte Alkohol habe „als Ätzmittel“ die oberflächlichen Zellschichten des Magen-Darm-Kanals angegriffen, und die Zellkerne dieser zugrunde gegangenen Zellen hätten das Purinmaterial für die Erhöhung der Harnsäurebildung geliefert. Diese Folgerung setzt mein zweiter, mit Bier angestellter Versuch ins Unrecht, der trotz stärkster Verdünnung des Alkohols eine weit grössere Harnsäuresteigerung aufweist, die allerdings wohl nicht völlig dem Alkohol zur Last zu legen ist (vielleicht zum Teil der Kohlensäure?). Aber eine anders ceartete giftige Wirkung des Alkohols, die nichts mit Ätzung zu tun hat, auf die Körperzellen ist vorhanden und gibt sich aus dem Verlauf der Nachperiode aller drei Versuche zu erkennen. Die ganzen Nachperioden zeigen erhöhte Harnsäurewerte mit langsamem Abfall zur Norm. Das lässt an eine allgemeine Zellvereiftung denken, die zum mehr oder weniger langsamen Tode zahlreicher Zellen führte. Hätte die Alkoholwirkung nicht in einer Zellschädigung, sondern nur in der Behinderung der Uricolyse, der Oxydation der Harnsäure zu Harnstoff bestanden, so wäre, da der Alkohol sehr schnell im Körper verbrennt, ein plötzlicher Abfall der Harnsäure zur Norm bei Einsetzen der Nachperiode zu erwarten gewesen. Be- hinderung der Uricolyse lag neben der Zellschädigung noch vor, 496 Karl Krieger: sei es, dass die urieolytischen (oxydierenden) Fermente direkt ge- schädigt wurden, sei es, dass die ausserordentlich schnelle und lebhafte Oxydation des Alkohols sie so stark in Anspruch nahm, dass sie sozusagen von der Harnsäure abgehalten wurden. Bewiesen wird die Schädigung der Uricolyse durch Vergleiche der an derselben Versuchsperson vorgenommenen Versuche Nr. I und Nr. 2 von Beebe (Versuch Nr. 1 s. unter VII, ec). Versuch Nr. 1 bei purinhaltiger Kost zeigte eine Harnsäureerhöhung von 18,8°/o, Versuch Nr. 2 eine solche von 9°%o bei purinfreier Kost. “ Der Vergleich zeigt, dass die exogene Harnsäure ebenfalls durch Alkohol vermehrt wird. Das ist aber nur durch Schädigung der Urieolyse denkbar, da hier die gleiche Menge eingeführter Purinstoffe bei Alkoholzufuhr eine grössere Menge Harnsäure liefert als bei Alkoholenthaltung. Weitere in Aussicht genommene Versuche nach dieser Richtung hin verhinderte der Ausbruch des Krieges, der mich zum militärärztlichen Dienst rief. Wir sehen in meinem zweiten Versuch, dass die Harnsäure- ausscheidung mit steigenden Alkoholdosen grösser und mit fallenden geringer wird, aber nicht entsprechend der jeweiligen Alkoholdosis, sondern etwas nachhinkend. Das Nachhinken würde sich ungezwungen aus meiner oben ausgesprochenen Annahme eines teils lJangsameren, teils schnelleren Todes der vereifteten Zellen erklären. Ein be- sonderes Verhalten zeigt der 17. Juni. An diesem Tage der grössten Alkoholgabe zeigt sich ein beträchtlich geringerer Harnsäurewert, als man nach dem sonstigen Gang der Ausscheidung erwarten musste. Diese Erscheinung erinnert an die Laquer’schen Versuche und bekräftigt den von mir aus diesen Versuchen gezogenen Schluss, dass bei einer gewissen Höhe der Alkoholdosis das Ausscheidunges- vermögen für die gebildete Harnsäure so weit herabgesetzt wird, dass die Ausscheidung der Bildung nicht mehr Schritt zu halten vermag. Ich denke, das begegnet auch dem Einwand, die vermehrte Harn- säurebildung durch Alkohol in den hier angeführten Versuchen sei nur eine scheinbare, in Wirklichkeit handle es sich dagegen um eine vermehrte Ausscheidung früher im Körper liegengebliebener Harnsäure. Man kann doch nicht wohl dem Alkohol einmal Be- hinderung, das andere Mal Begünstigung der Ausscheidung zu- schreiben. Ausserdem hätte man, wenn der letzte Einwand zuträfe, recht geringe Werte in den Nachperioden erwarten müssen. Während des Krieges bin ich noch auf eine Arbeit von Landau aufmerksam Über den ‚Einfluss des;Alkoholgenusses auf, die Harnsäurebildung usw. 407 geworden ;., von. der..niim leider nicht: das Original, sondern nur ein. von, Landau..selbst'.gegebenes Referat!) zugänglich war. : Die Alkoholdosis ‚betrug in’Landau’s Versuchen 150 eem 57 °/o Alkohol. Von sieben: ‚Uutersuchten- war bei fünf, eine meist beträchtliche: (bis. 50/0). Erhöhung .der endogenen Harnsäure nachweisbar. Bei einem, trat keine besondere Erhöhung.ein, bei dem anderen eine Erniedrigung, und. zwar: ‚infolge. toxischer Wirkung des Alkohols. Diese toxische Wirkung konnte dann durch Verabreichung. der halben Alkoholdosis beseitigt werden. - Zur Untersuchung der exogenen Harnsäure fügte Landau zur purinfreien Kost Hypoxanthin und Nukleinnatrium hinzu. Nunmehr trat bei Alkoholdarreiehung Verminderung der Harnsäureausscheidung ein. Landau ist jedoch der Ausicht, dass es sich hier nicht um eine Verminderung der Harnsäurebildung handle. Er will aus den Versuchen den Schluss ziehen, dass die Harnsäure von den Nieren normalerweise noch soeben, bei Alkoholdarreichung nieht mehr be- wältigt. werden konnte. _ Zusammenfassung. IE ehe leisen die Produktion der Harnsäure im ganzen. „‚(Herrmann, Beebe, Rosenfeld, Pringsheim), und zwar a der endogenen durch Schädigung der Körperzellen und der | Urieolyse (Beebe, Krieger, Landau); b). der ‚exogenen durch Schädigung der Uricolyse (Beebe). | a Alkohol . ‚kann, ‚trotz vermehrter Bildung die Ausscheidung ‚der | Harnsäure vermindern (Laquer, Krieger, Landau). aa N | Anhang. Beebe?) hat noch Versuche angestellt über den zeitlichen Ver- lauf des Einflusses des Alkohols auf aie Harnsäureausscheidung. Er gab am „Kontrolltag“ eine Mittagsmahlzeit, bestehend aus 100 g Schinken, 75 g Brot, 25 g Butter, 400 ccm Kaffee, 100 g Bananen; am „Alkoholtag“ dieselbe Mahlzeit mit ziemlich grossen Mengen Alkohol in Form von verdünntem Spiritus, Ale oder Portwein. Die Versuche an verschiedenen Versuchspersonen zeigten am Kontrolltag 1) A. Landau, Przemiana cial purynowych wustrojn iudzkim oraz wplyw na nia alcoholu. Medycyna i Kronika Lekarsca Bd. 2 S. 1094. Warschau 1908. 2) Vgl. Anmerkung 3, S. 486. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 33 498 Karl Krieger: Über den Einfluss des Alkoholgenusses usw. nach der Mittagsmahlzeit, der einzigen Mahlzeit am Tage, ein Steigen der Harnsäureausscheidung bis zu einem Maximum gegen 5—6 Uhr nachmittags. Am Alkoholtage trat dieselbe Erscheinung ein, aber mit wesentlich höheren Zahlen. Nur bei zwei Versuchspersonen war ein Einfluss des Alkohols nicht zu erkennen. Wegen der: vorzüg- lichen Übereinstimmung ‘der übrigen Versuche (Nr. 4, 5, 8, 9, 10, 11) besehränke ich mich darauf, nach Beebe eine Tabelle der Dureh- schnittsresultate aus diesen wiederzugeben. Harnsäuremenge Harnsäuremenge Zeit am Kontrolltag am Aikoholta g g 9NUhr vormittags en. 0,0189 ' 0,0190 10) SERRIURBERRE TS RN Ha RENDERS EINER 0,0157 0,0163 JE LE RRE E 0,0171 0,0164 12 2,2. u. mittause an Nana 0,0161 0,0144 17... Knachmittausten ie nu. 0,0128 0,0162 Du, EN RAR URS Paar RD 0,0156 0083 3 ER SE le 0,0193 0,0257 Ars RN NER RD AN 0,0236 0,0283 De, EN NEN ER ANR Den 0,0248 0,0342 Ge EN RENE ELBA NE LION NE 0,0255 0,0288 Rest bis 9 Uhr vormittags . . . .. ‚3380 0,4420 1n,24>Stunden. na un 0,5274 0,6608 Die Tatsache, dass während der Verdauung einer purinhaltigen Kost eine Steigerung der Harnsäureproduktion stattfindet, und dass diese Steigerung bei Alkoholgenuss erheblich grösser wird, zeizt, dass der Alkohol störend in den Abbau der Purinsubstanzen eingreift. Sie ist ein weiterer Beweis für die Schädigung der Urieolyse durch Alkohol. 499 Untersuchung des menschlichen Herzens in verschiedenen Lebensaltern in bezug auf die Grössenverhältnisse der Fasern und Kerne. “Von P, Schiefferdecker. (Ausgeführt mit Unterstützung des Elisabeth Thompson-Seience-Fund.) In einer Reihe von Arbeiten habe ich bisher gesunde und er- krankte Muskeln, solche in Atrophie und solche in Hypertrophie be- findliche, von Menschen und von verschiedenen Tieren aus allen. Klassen der Säugetiere untersucht, um das Grössenverhältnis der Fasern und Kerne festzustellen in seinen Beziehungen zu der Funktion der Muskeln. Das Wort „Funktion“ ist hier in weitester Bedeutung gebraucht, denn es umfasst nicht nur die Art der Tätigkeit des einzelnen Muskels im Verhältnisse zu den anderen Muskeln desselben Tieres, sondern auch das Verhältnis der Art der Muskeltätigkeit eines Tieres, das einer Klasse angehört, zu der .eines Tieres aus einer anderen Klasse und ferner die Tätigkeit eines jugendlichen Muskels im Vergleiche zu der eines erwachsenen, eines gewöhnlichen Muskels im Vergleiche zu der eines hypertrophierten, eines nicht- geübten im Vergleiche zu der eines geübten und eines erkrankten im Vergleiche zu der eines gesunden oder eines in anderer Weise erkrankten Muskels. Ich habe im Verlaufe dieser Reihe von Arbeiten immer wieder zeigen können, dass mit der von mir angewandten Methode Ergebnisse zu erzielen sind, die sonst mit keiner anderen Methode erreichbar sind, und dass sich bestimmte, immer wieder zu bestätigende Gesetze feststellen lassen, welche für das Verständnis der Organe, die wir als Muskeln bezeichnen, von grosser Wichtigkeit sind. Ich habe weiter immer wieder zeigen können; dass der Muskel gerade sehr geeignet ist für diese Untersuchungea wegen seiner grossen Veränderlichkeit. Ich babe aber auch immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Arbeiten daher nicht nur für das Verständnis der Muskeln, sondern für das aller anderen Organe des Körpers von Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 34 500 P. Schiefferdecker: Wichtigkeit sind. Selbstverständlich würde es am besten sein, wenn man die sämtlichen Organe in derselben Weise untersuchen würde, wie ich es für die Muskeln getan habe, da sich dann sicher auch sehr wichtige Unterschiede in dem Verhalten der verschiedenen Organe ergeben würden, welche erst ein näheres Verständnis für das. Verhalten des gesamten Körpers anbahnen würden. Diese Unter- suchungen sind aber leider so ausserordentlich mühsam und erfordern in so ausgedehnter Weise gut geschulte Hilfskräfte, dass schon die umfangreiche Untersuchung von Muskeln für mich bisher nur mit. srösster Mühe durchführbar war. Merkwürdigerweise scheinen meine: bisherigen Untersuchungen nur in geringem Grade das Verständnis der Forscher gefunden zu haben. Ich bedauere das und kann nur hoffen, dass dieses Verständnis sich doch noch allmählich einstellen wird. Ein Anfang dazu ist ja allerdings in letzter Zeit durch die Arbeiten von Prenant!) und - Edens?) gemacht worden. Die ganz neue Methodik der Untersuchung, bei der die Zahlen: eine grosse Rolle spielen, wird wohl hauptsächlich die Ursache dafür sein. Ausser den Zahlenverhältnissen habe ich bei meinen Untersuchungen aber auch in eingehender Weise den ganzen Muskelaufbau, das Binde- gewebe und die elastischen Fasern berücksichtigt und zeigen können, dass in dieser Beziehung jeder Muskel einen ganz spezifischen Bau aufweist, geradeso wie sich dies auch für die Kern- und Fasergrössen nachweisen liess. Aus den letzteren ergab sich weiter, dass ein jeder Muskel ein recht kompliziert gebautes Organ ist, das seine ganz spezifischen Eigenschaften besitzt. Nachdem ich so aus meinen bisherigen Unterneh eine srosse Menge von Erfahrungen gesammelt hatte über den Aufbau der Skelettmuskeln, schien es mir an der Zeit, auch jenen merk- würdigsten und interessantesten Muskel des Körpers zu untersuchen, das Herz, das in seiner Art ja ganz einzig dasteht. Für diese Untersuchung gab es nun zwei Wege: einmal konnte man das Herz bei einer Anzahl verschiedener Tiere vergleichend untersuchen, 1) A. Prenant, Problömes cytologiques generaux souleves par l’etude des cellules musculaires. Journ. de l’Anat. et de la Physiol. t. 47 p. 449—524, avec 28 fig. 1911. — Derselbe, Ebenda p. 602—680, avec 28 fig. — Derselbe, Ebenda t. 48 p. 109—181, avec 20 fig. 1912. — Derselbe, Ebenda p. 259—835, avec 18 fig. 2) E. Edens, Über Herzhypertrophie. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 111 S. 288—309. 1913. Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 501 zweitens in den verschiedenen Alterszuständen bei demselben Wesen. Der letztere Weg war der einfachere und erlaubte, zunächst einmal eine Grundanschauung des Organes zu gewinnen; war eine solche erst einmal gewonnen, dann konnte später der andere Weg noch eingeschlagen werden. Infolgedessen habe ich zunächst den letzteren gewählt und als Lebewesen den Menschen, da es für uns und für die ganze Medizin sicher am wichtigsten ist, über das menschliche Herz einigermaassen Klarheit zu erhalten. En Es war nun nicht ganz einfach, für eine solche Untersuchung das nötige Material zu erhalten, namentlich da es nötig war, mög- lichst normale Organe auszuwählen. Im Laufe mehrerer Jahre ist es mir indessen doch geglückt, 20 Herzen zu erhalten, welche den Anforderungen einigermaassen entsprachen; 18 von diesen sind der folgenden Untersuchung zugrunde gelegt worden. Was das Lebens- alter anlangt, so betrug dieses zweimal 1 Jahr, einmal 1!/«, einmal 2 Jahre, zweimal 3 Jahre, einmal nicht genau bestimmt 3—4 Jahre, dann kam allerdings eine grosse Lücke, die nicht auszufüllen war, denn es folgten jetzt gleich 10 Jahre, dann zweimal 15 und einmal 16 Jahre, dann 22, 24, 27, 52 Jahre. Soweit handelte es sich um Deutsche. Ausserdem erhielt ich noch ein Herz von einer 77jährigen Italienerin, einem 21jährigen Kamerunneger und einem 30jährigen Chinesen. Es war also auch menschliches Vergleichsmaterial vor- handen für anthropologische Zwecke, wenn auch nur in sehr geringer Menge. Es waren bei dem Materiale beide Geschlechter vertreten, wenn auch nicht immer in gleicher Menge, so waren von 10—16 Jahren nur Mädchen vorhanden, bei den Erwachsenen dagegen zwei Männer und zwei Frauen, abgesehen von den oben schon aufgeführten Aus- ländern. Im einzelnen bestand das Material aus folgenden Personen: 1. Wi., weiblich, 1 Jahr, Todesursache nicht mitgeteilt. . Ni., Geschlecht nieht angegeben, 1 Jahr, Keuchhusten. . Wey., männlich, 1'!/s Jahre, Diphtheritis. Bal., weiblich, 2 Jahre, Diphtheritis. Lang., Geschlecht nicht angegeben, 3 Jahre, Diphtheritis. . Gö., Geschlecht nicht angegeben, 3 Jahre, Keuchhusten. Hum., Geschlecht nicht angegeben, Peribronchitis. Kreut., weiblich, 10 Jahre, Pneumonie, Peritonitis. . Mädchen X, 15 Jahre, Diphtheritis. 10. Cre., weiblich, 15 Jahre, Tuberkulose. ll. Fren,, weiblich, 16 Jahre, Todesursache nicht angegeben. 34 * PoDN os © 502 | P. Schiefferdecker: 12. Mann A, 22 Jahre, gestorben nach Verwundung im Kriege. 13. MannB, 24 Jahre, gestorben nach Verwundung im Kriege. 14. We., weiblich, 27 Jahre, Tuberkulose, Pneumothorax. 15. Frau Z, 52 Jahre, leichte Herzhypertrophie, Mitralinsuffizienz. 16. Mus., Italienerin, 77 Jahre, Aneurysma, Magencareinom. 17. Kamerunneger, 21 Jahre, Pneumonie. 15. Chinese, 30 Jahre, Typhus. Um ein möglichst gleichmässiges Muskelmaterial zu haben, das sich ausserdem gut für Längs- und Querschnitte orientieren liess, wurde stets ein Papillarmuskel des linken Ventrikels ein- gelest, und zwar in eine 10 °/oige Formollösung, da diese am be- quemsten zu beschaffen war und die Präparate auch sehr gut erhielt. Ich habe demnach. also nicht die Muskulatur der Herzwand unter- sucht, welche bei der Zusammenziehung des Herzens ja eigentlich tätig ist, sondern den klappenspannenden Papillarmuskel. Es ist daher, genau genommen, nicht richtig, wenn ich in dieser Arbeit von der Herzmuskulatur als soleher spreche. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass gerade infolge des spezifischen Baues der Muskulatur in bezug auf ihre Funktion, in der Tat eine Verschieden- heit besteht zwischen dem Papillarmuskel und der Herzwand. Aber einmal muss man dann auch annehmen, dass solche Verschiedenheiten bestehen zwischen verschiedenen Abschnitten der Herzwand, und diese verschiedenen Stellen kann man nicht sämtlich untersuchen, und zweitens, wenn man wirklich ein bestimmtes Stück der Herz- wand untersuchen wollte, würde es sehr schwer sein, immer wieder genau dasselbe allen Herzen zu entnehmen, und dann würde auch der komplizierte Aufbau der Wand hinderlich sein, da ich für meine Methode genaue Quer- und Längsschnitte brauche. Solche kann man aber nur im Papillarmuskel einigermaassen sicher und bequem er- halten. Endlich stellt der Papillarmuskel doch immerhin einen Teil der Herzmuskulatur dar, und man kann daher wohl annehmen, dass der wesentliche Aufbau der Herzmuskulatur in jedem Falle auch an ihm nachzuweisen sein wird, wenn auch vielleicht ein wenig modifiziert. Hier kam es ja aber nur darauf an, zuerst einmal den Grundaufbau des Herzens festzustellen und hierfür eine möglichst sichere Stelle zu wählen. Ich habe mich hier eingehender über diesen Punkt aus- gesprochen, damit mir nicht später der Vorwurf gemacht werden kann, dass ich ohne weiteres den Papillarmuskel mit der ganzen Herzwand identifiziert hätte. Die Untersuchungsmethode war: Ein- Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 503 bettung in Celloidin, Schnittfärbung mit Hämatoxylin, sauer, nach Ehrlieh, und Eosin für die Darstellung der Fasern und Kerne, nach Calleja zur Darstellung des Bindegewebes, mit Carmin und Fuchsin-Resoreiu zur Darstellung der Kerne und des elastischen Ge- webes, also genau so, wie bei meinen früheren Arbeiten. Die Kon- servierung des Herzmuskels war stets gut. Längs- und Querschnitte liessen sich sehr gut herstellen, daher liessen sich auch die Quer- schnitte der Fasern und Kerne bei 1000 facher Vergrösserung gut aufzeichnen und ausmessen und die Länge der Kerne gut messen. Das sind ja aber die Maasse, auf die es ankommt. Es wurden aufgezeichnet und ausgemessen von: Ve ee 2 20,2.900: Fasern, 402-Kerne Nee ee 5 Se Vena 500.;..;, Ada Bale aenen 800 5 Aal ame aa. 800 AD Rn, HOEn Br e 3 300; Benaman 800 s 3dhııı, Ines .. 2000 e Ba Mädchen X.20020..2........500 5 394 ra ee x SLR bear en ..N:500 5 28341, SMkannrAnsı.. 2... 22500 x 290. 0 nRanm Bess wa. .02.0500002., 208 7 & Mens era se....:000 ; Boa, Ina Zen ols 26A, DRS a. D00 E De Kamerunneger. . . . 500 a Skor r, Chinese... 500 5 200 5, Summe: 9000 Fasern, 6188 Kerne Es ist dies immerhin schon ein ziemlich reichhaltiges Material, namentlich wenn man in Betracht zieht, dass das Herz insofern einen anderen Aufbau zeigt als die Skelettmuskeln, als seine Fasern weit weniger stark in der Dicke schwanken als die der letzteren. In- folgedessen war es beim Herzen auch nicht möglich und auch nicht nötig, verschiedene Fasergruppen nach ihrer Grösse zu unterscheiden, und so konnten die sämtliehen Gruppentabellen fortfallen, und es blieben nur die Haupttabellen übrig, welche eine allgemeine Über- 504 P. Schiefferdecker: sicht geben. Dadurch wurde die rechnerische Bearbeitung vereinfacht und auch das Verständnis für den Leser erleichtert. Neben den eigentlichen Herzfasern treten nur jene bald mehr dünnen, bald mehr dieken Verbindungsäste auf dem Querschnitte als selbständige Faser- querschnitte hervor, die natürlich sämtlich kernlos sind. Diese müssen mit gezeichnet und mit ausgemessen werden, denn sie wirken ja bei der Kontraktion mit. Es würde auch unmöglich sein, fest- zustellen, wenigstens mit hinreichender Genauigkeit, ob man eine Herzfaser oder einen solchen Ast auf dem Querschnitte vor sich hat. Würde man nur die Herzfasern selbst ausmessen, so würde sich die Zahl der Kerne im Verhältnisse zu der der Fasern erhöhen. Auch dann würde man noch immer eine Anzahl kernloser Querschnitte erhalten, denn die Kerne sind ja nicht so lang als die Fasern. Aus den soeben mitgeteilten Zahlen geht nun schon hervor, dass die Zahl der Kerne im Verhältnisse zu der der Fasern am höchsten ist bei den jungen Kindern und von da bis zu den Er wachsenen immer mehr abnimmt. Wenn diese Abnahme auch nicht ganz gleichmässig und regelmässig geschieht, so ist sie doch zweifellos vorhanden. Sie könnte verursacht werden einmal dadurch, dass mehr Äste auf dem Querschnitte. hervortreten, und dadurch, dass die Fasern im Verhältnisse zu der Kernlänge länger geworden sind. Wahrscheinlich wird beides der Fall sein, sicher das letztere. Es würde demnach der Muskelquer- schnitt vom Kinde zum Erwachsenen immer kernärmer werden. Ich verweise wegen dieser Verhältnisse auch auf die später zu besprechenden „Kernfaserzahlen“. Bei meinen früheren Muskelarbeiten habe ich immer zuerst eine genauere histologische Beschreibung der jedesmaligen Muskeln auf Quer- und Längsschnitten gegeben, bevor ich auf die Zahlenwerte einging. Es handelte sich dabei fast immer um verschiedene Muskeln, und so war es natürlich, dass der Aufbau derselben, auch was Bindegewebe und elastische Fasern anlangte, mehr oder weniger stark verschieden .sein musste. Hier beim Herzen liegt die Sache anders, da es sich in allen Fällen nur um das menschliche Herz handelt, allerdings um Muskeln aus verschiedenen Lebensaltern. Der ganze Bau des Herzens ist bekanntlich derartig, dass unter diesen Umständen keine grösseren Verschiedenheiten in dem histologischen Aufbaue.zu erwarten sind, und so kann ich mich bei der jetzt fol- genden Besprechung auf zwei Punkte beschränken, nämlich auf das Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 505 ‘Verhalten der Kerne und aufdasdes Sarkoplasmahofes, welcher die Kerne umgibt. ‚Bei Wi. sind die Kerne auf dem Längs- schnitte ziemlich gleichmässig mittelbreit; es finden sich viele direkte Kernteilungen, . diese eben geteilten kurzen Kerne wurden bei der Längenbestimmung nicht berücksichtigt, kurz vor der Teilung waren die Kerne zum Teile natürlich: sehr lang. Auch bei Ni. fanden sich viele direkte Teilungen, sonst waren die Kerne mittelbreit und teil- weise auch recht breit. . Bei Wey. zeigten sich die. Kerne auf dem Längsschnitte ziemlich unregelmässig, bald breit, bald schmal. .Kern- teilungen waren selten. Bei Bal. erschienen die Kerne recht gleich- mässig, meist lang und schmal; hin und wieder. nur fanden sich durch direkte Teilungen entstandene Doppelkerne. _Bei-Lang. erschienen die Kerne lang und schmal, vielfach aber: auch sehr kurz; hin und wieder zeigten sich durch direkte Kernteilungen entstaridene Doppel- kerne. Bei Gö. fanden sich. ziemlich häufig sehr grosse, breite, flache Kerne, selten kurze Kernreihen. Diese letzteren muss man sich durch wiederholte direkte Teilungen entstanden denken. Bei Hum. fanden sieh nur hin‘und wieder durch direkte Teilung ent- standene Doppelkerne.. Bei der 10jährigen Kreut. zeigten sich die Kerne verschieden breit, hin und wieder durch direkte Teilung ‘entstandene Doppelkerne. Bei dem L5jährigen Mädchen X waren die Kerne verschieden breit, teilweise-recht lang, also voraussichtlich vor der Teilung stehend; :hin und ‚wieder fanden sich auch durch direkte Teilung entstandene Doppelkerne, Die Kerne der 15jährigen Cre. waren im ganzen ziemlich breit, .aber verschieden: in ihrer Form; durch Teilung entstandene Doppelkerne waren selten. Bei der 16jährigen Fren. waren die Kerne teilweise sehr breit und flach, zeigten aber verschiedene Formen. Hier fanden sich auffallend viele direkte Kernteilungen, also Doppelkerne, mehr oder: weniger dicht aneinianderliegend. Die Art .der Krankheit war. in diesem Falle nicht angegeben. Bei dem 22jährigen Manne A zeigten sich ausser vielen direkten Teilungen in Form von Doppelkernen noch kurze. und mässig lange Kernreihen, in denen die durch direkte ‚ Teilung -entstandenen Kerne dieht aneinander lagen. - Bei dem 24jährigen Manne B fanden sich mässig viele ‘durch direkte Teilung entstandene Doppelkerne. Bei. der 27jährigen We. er- schienen die Kerne mehr: lang und mässig- breit, Teilungen waren kaum sichtbar. Bei der52jährigen Frau Z waren durch direkte Teilung entstandene Doppelkerne sehr selten, Kernreihen: waren gar 506 Pesch er er lecker nicht vorhanden. Der ganze Muskel zeigte in ausgeprägter Weise Fragmentierung; es war der einzige derartige Fall, den ich bei meinen Herzuntersuchungen gefunden habe. Es ist das vielleicht auf- fallend, da nach den Angaben der Pathologen Fragmentierung sonst häufig vorkommen soll. Die Ursache derselben scheint ja bisher noch unbekannt zu sein, und ebenso scheint es noch unbekannt zu sein, in welcher Weise diese Fragmentierung vor sich geht, und welche Bedeutung den so entstandenen Stücken zukommt. Bei der 77jährigen Italienerin Mus. erschien die Kernform auf dem Längssehnitte sehr wechselnd, auch geschrumpfte und vielleicht auch etwas gequollene Formen traten auf. Teilungen fanden sich nicht. Bei dem 21jährigen Kamerunneger erschienen die Kerne auf dem Längsschnitte breit und mittelbreit, teilweise auch ziemlich lang, also wohl vor der Teilung stehend; durch direkte Teilung entstandene Doppelkerne waren nur hin und wieder zu finden. Bei dem S0jährigen Chinesen erschienen die Kerne mittelbreit und breit, hin und wieder auch Doppelkerne und kurze Kernreihen. | Es geht aus dem Ebengesagten hervor, dass die Form der Kerne aufdem Längsschnitte beideneinzelnen Herzen ziemlich verschieden war, dassin vielen Fällen durch direkte Teilung entstandene Doppelkernesichin mehr oder weniger grosser Verbreitung fanden, und dass mitunter auch kürzere oder längere Kernreihen auf- traten. Bei den jungen Kindern .konnte man ja daran denken, dass diese Teilungen ein Wachstum des Herzmuskels an- deuteten, wie es in diesem Alter zu erwarten war. Hierfür sprach, dass bei den l1jährigen Kindern Wi. und Ni. sich sehr viele Kern- teilungen vorfanden, aber bei dem 1!/« Jahre alten Wey. waren die Kernteilungen selten, und bei der 2jährigen Bal. und bei dem öjährigen Lang. fanden sieh auch nur hin und wieder Teilungen, bei dem 3jährigen Gö. nur seltene, kurze Kernreihen und auch bei dem 3—4jährigen Hum. nur hin und wieder Kernteilungen. Es . geht hieraus hervor, dass man entweder annehmen muss, dass nur im 1. Lebensjahre noch lebhaftere Zellver- mehrung resp. Kernvermehrung stattfindet, oder dass diese Teilungen nieht nur auf das Wachstum zu be- ziehen sind, sondern auch aus anderen Ursachen ent- stehenkönnen. Nun finden wir auch bei den 10- und 15jährigen Mädchen diese Teilungen in ganz ähnlicher Weise und bei der Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 507 der 16jährigen Fren. sogar sehr viele soleher Doppelkerne, ähn- lich auch bei dem 22jährigen Manne A, bei dem ausserdem auch längere Kernreihen auftreten, und bei dem 24jährigen Manne B. Bei den beiden 27 und 52 Jahre alten Frauen sind die Teilungen dagegen selten. Bei dem Kamerunneger fanden sie sich nur hin und wieder und ebenso bei dem Chinesen, bei dem auch. kurze Kernreihen auftraten. Bei der 77jährigen Italienerin wurden keine Teilungen beobachtet. Diese Be- obacehtungen sprechen dafür, dass die Teilungen nicht nur auf das Wachstum des Muskels Bezug haben, son- dern dass sieauch ausanderen Ursacheneintreten. Ich will hier gleich bemerken, dassirgend welche Degenerations- erscheinungen an diesen Doppelkernen oder Kern- reihen niemals zu beobachten waren, dass essichalso bei ihnen um einen degenerativen Kernzerfall nicht handeln konnte. Auch an den Herzfasern selbst waren irgendwelche Degenerationserscheinungen nicht zu beobachten. Ich habe nun schon in meinen früheren Muskel- arbeiten immer wieder darauf hinweisen können, dass das Verhalten der Kerne in bezug darauf, ob sich Doppelkerne oder kurze Kern- reihen fanden, immer als ein sicherer Hinweis daraufan- zusehen war, dass das Gleichgewicht des Muskels ge- stört war. Diese Störung konnte verschiedener Natur sein. Sie konnte hervorgerufen werden durch eine Krankheit oder auch da- durch, dass der Muskel in anderer Weise gebraucht wurde als sonst, dass er infolgedessen durch die stärkere Tätigkeit in Hypertrophie oder durch die mangelnde Tätigkeit in Atrophie begriffen war. Muskeln von gesunden, gleichmässig lebenden Tieren, die rasch ge- tötet worden waren, oder von Embryonen, oder von Neugeborenen, die rasch abgestorben waren, zeigten solche Teilungen oder Kern- reihen niemals oder wenigstens fast niemals. Man wird infolgedessen wohl bei diesen Herzbefunden ebenfalls annehmen dürfen, dass die Krankheiten, an denen die Personen zugrunde ge- sangen waren, eine wesentliche Ursache für die hier aufgefundenen Teilungen gewesen sind. Bei den noch wachsenden Personen kann aber natürlich, und namentlich bei den ganz jungen Kindern, auch eine dem Wachstume des Herzensdienende Kern- und Zellvermehrung vorhanden sewesen Sein. Es erscheint nach den Befunden so, als ob 508 . -P. Schiefferdecker: diese letztere sich hauptsächlich im 1. Lebensjahre äussere, Selbstverständlich ist es möglich, dass auch in späteren Lebensjahren noch ein Kern- resp. Zellersatz vorkommen kann, doch kann man. hierüber nichts wissen. Die mehr oder weniger langen Kernreihen sind wohl sicher auf Gleichgewichtsstörungen zurück- zuführen, deren Ursachen in unseren Fällen die Krankheiten gewesen sein werden. Dass auch ‚starke psychische Einwirkungen sie hervor- zurufen vermögen, habe ich. in meiner Zwerchfellsarbeit!) bei einem Hingerichteten zeigen können, der sich vorher längere Zeit in grosser Aufregung befunden hatte,. sonst aber ein durchaus gesunder und kräftiger. Mann. war. | Wie aus dem Mitgeteilten kensaigehl) fanden sehn im Herzen nur direkte Kernteilungen, niemals Mitosen. Diese. Be- obachtung stimmt durchaus überein mit den Befunden an den bisher von mir untersuchten Skelettmuskeln; auch bei diesen fanden sich nur direkte. Teilungen. RR al Auch die Sarkoplasmah öfe, wolche die Kerne umgeben und bekanntlich namentlich. an den beiden Kernpolen als mehr oder weniger lange, sich zuspitzende Streifen hervortreten, zeigten in meinen Fällen wesentliche Verschiedenheiten. Hier ist es zunächst interessant, dass sie bei den sämtlichen kleinenKindern, bei dem 10jährigen Mädchen und auch bei den beiden 15jährigen Mädchen überhaupt nicht sichtbar waren; erst bei. der l6jährigen Fren. waren sie, aber auch nur selten, sichtbar. ‘Bei dem 22jährigen Manne erschienen sie schon an allen Kernen mässig gross, bei dem 24jährigen Manne weniger deutlich, aber doch meist sichtbar. Bei der 27jährigen We. war dagegen nur hin und wieder etwas Sarkoplasma an den Kernen zu erkennen; bei der 52jährigen Frau.Z mit. leichter Herzhyper- trophie aber zeigten sich an allen Kernen grosse Sarkoplasmahöfe, die ausserdem eine deutliche bräunliche Pigmentierung erkennen liessen. Bei dem 2ljährigen Kamerunneger lag um die Kerne -teil- weise etwas Sarkoplasma,. bei dem 30jährigen Chinesen an allen Kernen mässie viel Sarkoplasma, und bei.der.77jährigen ) 1) P. Schieff er decker, Untersuchungen über den feineren Bau und die Kernverhältnisse des Zwerchfelles in Beziehung zu seiner Funktion sowie über das Bindegewebe der Muskeln. ‘Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 139 S.-337—427, mit 7 Textfiguren und 4 Fahnentabellen. 1911. 7 Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 509 Italienerin waren oft ziemlich grosse Sarkoplasmahöfe zu erkennen mit mehr oder weniger deutlicher Pigmentierung. Aus den soeben mitgeteilten Beobachtungen über die Sarko- plasmahöfe geht wohl mit Sicherheit hervor, dass sie mit dem Alter grösser und deutlicher werden: Erst mit dem 16. Lebensjahre werden sie hin und wieder sichtbar, sind bei Erwachsenen mehr oder weniger deutlich ausgebildet, werden im höheren Alter (52 und 77 Jahre) sehr deutlich und enthalten zu dieser Zeit auch mehr oder weniger bräunliches Pigment, endlich scheint auch eine Herzhypeıtrophie auf sie Einfluss zu haben, oo auf Grösse wie Pigmentierung. Ich habe oben von den wechselnden Formen der Kerne auf den Längsschnitten gesprochen, diesen entsprechen natürlich auch wechselnde Formen aus den Querschnitten. Die Kern- querschnitte können hier rund erscheinen, aber auch viele Ab- weichungen von dieser Form erkennen lassen, so mehr oder weniger eckige Formen und namentlich auch vielfach mehr in die Breite gezogene, mehr oder weniger plattenförmige. Diese entsprechen dann den grossen, breiten Kernen, die auf dem Längsschnitte so deutlich hervortreten, und auch auf diesem einen sehr dünnen, durchsichtigen Eindruck machen.. Welche Bedeutung diese verschiedenen Kern- formen besitzen, ist natürlich sehr schwer zu sagen. Je grösser die Oberfläche eines Kernes im Verhältnisse zu seinem Inhalte: ist, um so stärker werden die Wechselbeziehungen des Kernes zu dem um- gebenden Zellkörper sein können; ob aber dies wirklich der .Grund für diese verschiedenen Kernformen ist, kann man nicht wissen. Man kann hier nur an die Möglichkeit, dass es so sei, denken. Ich habe in meinen bisherigen Muskelarbeiten mehrfach Gelegenheit gehabt, auf diesen Punkt näher einzugehen. So bei den grossen Kernen der Froschmuskeln !), so bei den kleinen und zierlichen der Vogelmuskeln?). Aus diesem Grunde. habe ich bei diesen Arbeiten auch zuerst das Verhältnis des Kerndurchmessers zu .der Kernlänge berechnet und dabei sehr interessante Resultate erhalten. Ich habe 1) P. Schiefferdecker, Untersuchung einer Anzahl von Muskeln von Rana esculenta in bezug auf ihren Bau und ihre Kernverhältnisse. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 140 S. 363485. 1911. 2) P. Schiefferdecker, Untersuchung einer Anzahl von Muskeln von Vögeln in bezug auf ihren Bau und ihre Kernverhältnisse. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 150 S. 487—548, mit 9 Figuren im Text. 1913. 510 P. Schiefferdecker: auch für die Herzmuskeln dies Verhältnis festgestellt und werde darauf später einzugehen haben. Diese Feststellung der Zahlenwerte und ihre Besprechung macht aber durchaus nicht die hier soeben gegebene Besprechung der Kernformen überflüssig, sondern wird diese letztere nur zu einem mehr abgerundeten Ganzen vervollständigen. Ich muss jetzt noch auf einen anderen Punkt eingehen. Der Herzmuskel besitzt ja bekanntlich einen anderen Bau wie die Skelettmuskeln. Er steht etwa in der Mitte zwischen den glatten Muskeln und den quergestreiften Skelettmuskeln. Hierauf brauche ich nicht näher einzugehen. Der Herzmuskel enthält aber auch, geradeso wie die glatten Muskeln und die quer- gestreiften Skelettmuskeln, Hämaglobin, Muskelhämoglobin, und der Gehalt an diesem ist, wie das namentlich Lehmann!) in einer sehr eingehenden Arbeit nachgewiesen hat, bei den verschiedenen Muskeln desselben Tieres und bei denen verschiedener Tiere recht verschieden. Die glatten Muskeln enthalten davon sehr wenig, die quergestreiften Skelettmuskeln sehr verschieden viel; für diese kommt Lehmann zu dem Schlusse: „Ein quergestreifter Warmblütermuskel ist im allgemeinen um so blutreicher, je häufiger und intensiver er beansprucht wird.“ „Blutreicher“ bedeutet in dem eben angeführten Satze „reicher an Muskelhämoglobin“, wie ich hier, um Missverständ- nisse zu vermeiden, gleich bemerken will. Wie Lehmann hervor- hebt, ist dieser Satz bereits früher vielfach in ähnlicher Form aus- gesprochen worden, so auch von Knoll in seiner umfangreichen Muskelarbeit. Die untersuchten Kaltblüter hatten sehr blasse Muskeln, was mit ihrem geringen Stoffwechsel und den trotz aller Ausnahmen meist trägen Bewegungen gut übereinstimmt. Die glatten Muskeln der untersuchten Warmblüter enthielten keine merklichen Hämaglobin- mengen (S. 344). Auch die von mir festgestellten Kern-Faserwerte entsprachen beim Frosche durchaus dieser Angabe. Die einzelnen Skelettmuskein können sehr grosse Unterschiede in ihrem Hämoslobin- gehalte zeigen, so dass zum Beispiel beim Kaninchen die dunkelsten Muskeln des gleichen Tieres im Durchschnitt 20 mal mehr davon enthalten als die hellsten und 6—8 mal soviel als die mittelfarbigen Körpermuskeln. Das Herz enthält nun bei allen Tieren besonders viel Hämoglobin und übertrifft meist hierin das Zwerchfell, das sonst 1) K. B. Lehmann, Untersuchungen über den Hämoglobingehalt der Muskeln. Zeitschr. f, Biol. Bd. 45 oder N. F. Bd. 27 S. 324—345. 1904. Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 511 nach dem Herzen der an Hämoglobin reichste Muskel ist. Nur beim Rinde enthält das Zwerchfell noch mehr Hämoglobin als das Herz. Das Herz zeichnet sich also durch seinen besonders hohen Hämoglobingehalt deutlich vor den übrigen Muskeln aus, es ist zweifellos auch wohl bei den meisten Tieren am meisten tätig und angestrenst. Die Muskeln junger Tiere sind stets ärmer an Hämo- globin als die der erwachsenen, „offenbar, weil sie noch wenig an- gestrenet wurden. Nur das Herz des jungen Tieres zeiet annähernd den Blutgehalt des erwachsenen, weil es seit früher Fötalzeit be- ständig tätig ist. Schon der ausgetragene Fötus hat ein stark rot- sefärbtes Herz“ (S. 341). Das Herz zeichnet sich also auch bei jungen Tieren schon vor den übrigen Muskeln aus und sogar noch stärker als bei den erwachsenen. Mir scheinen diese Untersuchungen von Lehmann sehr wichtig zu sein für das Verständnis der ganzen Herztätiekeit.e Lehmann sagt allerdings noch: „Der Herzmuskel zeiet, wie oben schon erwähnt, wegen seiner Mittelstellung zwischen glatten und quergestreiften Muskeln trotz seiner starken Leistung keinen so maximalen Gehalt, wie er bei einem Organ aus typischen quergestreiften Muskeln zu erwarten gewesen wäre“ (S. 341). Wenn das Herz nun aber, trotz dieser seiner morphologischen Stellung, mehr Hämoglobin enthält als die Skelettmuskeln, so scheint mir diese Tatsache um so bemerkenswerter zu sein und scheint mir da- für zu sprechen, dass der Hämoglobingehalt eines Muskels in der Tat für seine Funktion von grosser Bedeutung sein muss, denn das Herz kann seinen hohen Hämoglobingehalt ja nur seiner Funktion wegen erhalten haben, da er ihm seiner morphologischen Stellung nach eigentlich nicht zukommt. Nach diesen histologischen Betrachtungen will ich jetzt übergehen zu der Besprechung der durch die Ausmessung der Herzmuskelfasern und -kerne erhaltenen Zahlenwerte. In Tabelle I sind die Zahlen für dieGrösse der Faserquer- schnitte zusammengestellt, und zwar jedesmal die aus sämtlichen Fasern gewonnene Durchschnittszahl, die maximale und die minimale Zahl. Von diesen letzten beiden Zahlen hat hauptsächlich die maxi- male Bedeutung, da sie mir wirklich die Grösse eines Herzmuskel- faserquerschnittes angibt, während die minimalen Zahlen sich natur- gemäss nur auf die Grösse der Querschnitte der abtretenden Äste beziehen. Bei der Durchsehnittszahl sind aber natürlich beide be- “ rüceksichtist worden. Immerhin werden bei dieser die Zahlen für ler P. Schiefferdecker: die Fasern bei weitem am stärksten einwirken, da ‚die Quersehnitte dieser auf dem Querschnitte des Muskels in weit grösserer Menge vorhanden sind. -: Wenn man nur die Herzfaserquerschnitte hätte ausmessen wollen, dann würde man nur die Querschnitte haben be- rücksichtigen dürfen, in denen sich Kerne befanden, da diese das einzig; sichere Kennzeichen für einen Faserquersehnitt sind; dann würde man aber wieder den Fehler begangen haben, dass man nicht alle kontraktilen Elemente, die bei der Herztätigkeit DENE, be- rücksichtigt hätte. Bei dieser Tabelle I ergibt sich schon, dass man die hier unter- suchten Herzen ungezwungen in verschiedene (sieben) Abteilungen zerlegen kann, wobei dann noch ein Muskel übrigbleibt, der als pathologisch sich von den übrigen etwas unterscheidet, der der Frau Z, bei welcher ja eine leichte Hypertrophie des Herzens vorhanden war. Überblickt man die Reihe der Durchschnittszahlen, so erkennt man leicht, dass die Grösse des Faserquerschnittes mit dem Alter bis zum Erwachsenen hin zunimmt. Bei der ersten Gruppe, den Kindern von 1—1'!/ı Jahren, betragen die Zahlen 97, 109 und 121 qu, im Durchschnitte 109 qu. In der zweiten Gruppe, welche die Kinder von 2—4 Jahren enthält, liegen die Zahlen: 139, 135, 132 und 140 qu, sehr nahe aneinander; ihre Durchschnittszahl ist 136 qu, eine Zahl, die wesentlich höher ist als die der vorigen Gruppe. Die Zahlen der ersten Gruppe lagen nicht so eng aneinander wie die der zweiten, es konnten das individuelle Unterschiede sein; die Ursache konnte aber, und das ist wohl wahr- scheirlicher, auch die sein, dass die Altersangabe nicht genau genug war, und in diesem Alter können Unterschiede von einigen Monaten natürlich schon viel ausmachen. Jedenfalls kann man aber wohl annehmen, dass vom 1. zum 2. Lebensjahre ein starkes Wachstum der Fasern in bezug auf ihre Quer- schnittsgrösse eintritt. Als Vertreter der dritten Gruppe kann die 10jährige Kreut. dienen mit 151 qu. Leider konnte ich aus der Zeit zwischen 4 und 10 Jahren und aus der zwischen 10 und 15 Jahren keinen Herzmuskel erhalten, sonst hätte man die Übergänge besser verfolgen können. Immerhin ist die allmähliche Steigerung der Querschnittsgrösse auch so hinreichend deutlich: 136 :151, und ebenso der Unterschied gegenüber der nächsten Gruppe,. der der Halbwüchsigen, die aus den beiden 15 jährigen und dem 16jährigen Mädchen besteht. Hier sind die Zahlen: 192, 190 und Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 513 Tabelle I. Herzmuskeln. Flächeninhalt eines Faserquerschnittes im Durch- ‚schnitte, Maximum; Minimum im Quadratmikra. Name Alter Grösse des Faserquerschnittes und Geschlecht * | inJahren | Durchschnitt | Maximum | Minimum Wi, weiblich. . 2... 1 97 | 180 95 NR N 109 8 109 190 45 Wey., mämlich. ..- : . 121 190 45 Balsweiblich.... 2 139 | 200 55) Lama 3 185 (136 215 60 Bea... 3 132 { ® 210 45 Em nes 3—4 140 ) 265 70 Kreut,weiblich ... | » 151 280 40 Madehen X... 0... 15 192 290 95 Ere., weiblich... . - . 15 190 N 185 320 75 Eirenssweiblich2u.0..22: 16 173 315 80 ee N = 22 272 | 500 115 Narnape 24 243 N 261 505 45 we weiblich 0. 27 268 J 520 65 Manz ee‘ 52 177 415 35 Mus., Italienerin :. . . - 77 426 845 85 Kamerunneger. .....: 21 376 9 830 | 90 Ohnwases ee 30 352 5° es | 08 173 qu. Die letztere Zahl ist sicher als individuelle Abweichung anzusehen und beruht vielleicht auf dem durch die Krankheit herbei- geführten Körperzustande; leider war mir die Art der Krankheit nicht mitgeteilt worden. Die Durchschnittszahl aus dieser Gruppe ist 185 qu, also wieder wesentlich höher als die des 10 jährigen Mädchens. Zur nächsten Gruppe gehören dann die beiden 22- und 24jährigen Männer und .die 27jährige Frau, das ist daher die Gruppe der jugendlichen Erwachsenen. Die Querschnittsgrösse beträgt hier 272, 243 und 268 qu, die Durchschnittszahl 261 qu. Diese ist also wieder wesentlich höher als die Zahl der Halbwüchsigen (185 qu). Diese Zahl, 261 qu, wird man zunächst wohl als die ungefähre normale durchschnittliche Querschnittsgrösse der Herzmuskelfasern in dem erwachsenen Herzen der Deutschen ansehen dürfen (allerdings der Fasern zusammen mit den Ästen). Selbstverständlich würde sich diese Zahl bei einem 514 P. Schiefferdecker: grösseren Materiale noch mehr oder weniger stark ändern können, und ebenso kann man wohl als sicher annehmen, dass sie Änderungen zeigen wird in den verschiedenen Teilen von Deutschland, so nament- lich Verschiedenheiten zwischen den Bewohnern des Flachlandes und des Gebirgslandes und ebenso auch sehr wahrscheinlich zwischen Menschen mit verschiedener Beschäftigung. Auf solche Feinheiten konnte ich in dieser Arbeit nicht eingehen; um sie aufzufinden, müssten weitere Arbeiten ausgeführt werden, mit grösserem und entsprechendem Materiale. Für mich handelte es sich zunächst nur darum, die Grundzüge des Herzaufbaues festzustellen. Untersucht man die prozentuale Zunahme zwischen den einzelnen Gruppen, so zeigt sich folgendes: Die Durch- schnittszahl der 2—4jährigen Kinder ist um 25°/o grösser als die der jungen Kinder der ersten Gruppe. also für den geringen Zeitunterschied ein sehr bedeutender Grössenunter- schied. Zwischen der zweiten Gruppe und der nur durch die 10jährige Kreut. vertretenen dritten Gruppe liegt ein Unterschied von etwa 7 Jahren, der Unterschied der Fasergrösse beträgt aber nur 11°. Zwischen der 1Ojährigen Kreut. und der nächsten Gruppe der 15—16jährigen Mädchen liegt ein Unterschied von 5—6 Jahren, der Grössenunterschied beträgt hier 22°/o, also wesent- lich mehr als wie im vorigen Falle, aber doch immer noch geringer als der zwischen der ersten und zweiten Gruppe. Zwischen dieser Gruppe der Halbwüchsigen und der der Erwachsenen beträgt der Unter- schied wieder etwa 5—6 Jahre, der Grössenunterschied aber 41 /o. In dieser Zeit hat also eine sehr starke Vergrösserung stattgefunden. Wir finden also einmal ein besonders starkes Wachs- tum in der Zeit vom 1. zum 2. Lebensjahre und dann ein sehr lebhaftes Wachstum in der Zeit vom ]>. bis 16. Lebensjahre an biszumerwachsenen Zustande. Auch das Wachstum zwischen dem 10. und 15. Lebensjahre, also in dem Beginne der Pubertätszeit, ist nicht unbeträcht- lich, aber doch geringer als in den beiden anderen Perioden. Am seringsten ist die Zunahme während der mittleren Kinderzeit, vom 3. oder 4. Lebensiahre bis zum 10. hin. Selbst- verständlich würden wir bei grösserem Materiale auch in bezug auf diese Vergrösserungszahlen noch genauere Werte erhalten, immerhin dürften aber auch die hier gegebenen schon einigermaassen sichere Schlüsse erlauben, denn die Zahlen sind sehr eindeutig. Die beiden Untersuchung des menschl: Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 515 Exoten zeigen weit höhere Zahlen als die Deutschen. Das ist anthropologisch natürlich sehr interessant und wichtig und lässt den Wunsch entstehen, auch für diese Völkerschaften eingehende Untersachungen auszuführen. Merkwürdigerweise stehen die Zahlen der ganz verschiedenen Rassen angehörenden beiden Exoten mit 376 und 352 qu einander sehr nahe, die Durchschnittsgrösse ist 364 qu. Der Unterschied gegenüber der deutschen Mittelerösse be- trägt 400, ist also sehr erheblich. Die in den späteren Tabellen noch näher zu betrachtenden Zahlenwerte werden erzeben, wie weit auch sonst erhebliche Unterschiede zwischen den Exoten und den Deutschen vorhanden sind. Die 77jährige Italienerin muss wohl wieder als eine besondere Gruppe angesehen werden, haupt- sächlich wegen ihres hohen Alters. Sie hat ein Aneurysma gehabt und ist an Carcinom des Magens gestorben. Ob diese beiden Krank- heiten auf das Herz von Einfluss gewesen sind, kann man kaum wissen. Es bliebe also zunächst das hohe Alter übrig, um die sehr lıohe Zahl 426 qu, für den Faserquerschnitt zu erklären. Dass die Verschiedenheit des Volkes, Deutsche zu Italiener, einen so wesent- lichen Unterschied sollte begründen können, ist wohl sehr un- wahrscheinlich. Nun zeigten, wie ich oben angegeben habe, die Kerne in diesem Falle keine reinen Formen mehr, sie waren un- regelmässig, runzelig, vielleicht teilweise auch gequollen, die Sarko- plasmahöfe waren sehr gross, und wenn ich auch sonst keine Be- sonderheiten an den Fasern feststellen konnte, so kann man doch nach dem Gesagten wohl annehmen, dass dieser Herzmuskel nieht mehr normal war, hieraus könnte sich dann die ungewöhnlich hohe Zahl für die Fasergrösse wohl ohne Schwieriekeit erklären. Im Gregensatze zu dieser ungewöhnlich hohen Zahl zeigt die Frau Z. bei ihrer leiehten Herzhypertrophie eine auffallend geringe Zahl, 177 qu. Ich werde hierauf noch später einzugehen haben, wenn ich. erst die Zahlen der nächsten Tabellen besprochen habe. Ganz besonders hoch sind die Maxima der Exoten gegenüber den Deutschen. Während der Unterschied der durchschnittlichen Fasergrösse 40°, der kleineren Zahl betrug, ist der Unterschied der Maxima sogar etwa 690. Die Fasern der Exoten unterscheiden sich also von denen der Deutschen zweifellos durch eine gröbere, diekere Ausbildung. Vergleicht man das Verhältnis der Zahl für die durehschnittliche Fasergrösse mit der für das Maximum, so findet ınan für die erwachsenen Deutschen 100: 195, für die Exoten 100: 236 Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. \ 35 516 P. Schiefferdecker: und für die Italienerin 100 :198. In dieser Beziehung stimmt also die Italienerin recht gut mit den Deutschen überein, während die Exoten sich wesentlich anders verhalten: bei diesen letzteren sind die Fasern augenscheinlich nicht nur im Ganzen eröber, sondern auch unregelmässiser gebaut, will- kürlicher, wenn man so sagen darf. Beides spricht für einen primitiveren Bau des Herzens, also für eine tiefere Stufe. Vergleicht man nun die hier gefundene Grösse der Herzmuskelfasern mit der Grösse der Fasern aus den von mir bisher untersuchten Skelettmuskeln, so zeist sieh, dass eigentlich nur die bekanntlich sehr dünnen Fasern der menschlichen Augenmuskeln (Reectus oeuli superior) einiger- maassen an Grösse mit den Herzmuskelfasern zu vereleichen sind. Sie waren noch kleiner als diese, da sie zwischen 158 und 198 qu lagen!) (S. 282), alle anderen bisher gemessenen Muskein zeigen sehr erheblich viel grössere Zahlen, so zum Beispiel der Del- toides Zahlen zwischen 973 und 1421 qu, der Pectoralis major 944 qu, der Biceps brachii 1199 qu usw. Selbst die ja im ganzen als klein zu bezeichnenden Vogelmuskeln sind meist weit grösser, nur der Semimembranosus des Huhnes mit 274 qu stimmt ziemlich genau mit den deutschen Muskeln überein und der Peetoralis major des Sperlings mit 353 q« mit den Muskeln der Exoten?) (S. 515). Hieraus geht jedenfalls hervor, dass die Herzmuskelfasern des Menschen mit zu den kleinsten menschlichen Muskelfasern gehören. In Tabelle II sind die Werte für die „Kernzahl“, die „Kern- grösse“ und für die „Absolute“ und „Relative Kernmasse“ angegeben. Zunächst finden wir die „Kernzahl“, d. h. die Anzahl der Kerne, die durechsehnittlich auf einen Faserquerschnitt entfallen. Während bei den Skelettmuskelfasern oft mehrere Kerne in einem Faserquerschnitte ent- halten sind, findet sich bei der Herzmuskelfaser bekanntlich nie mehr als ein Kern (auf dem Querschnitte!), dies ist daher auch die konstante 1) P.Schiefferdecker, Muskeln und Muskelkerne. 317 Seiten mit 20 Ab- bildungen im Text. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1909. 2) P. Schiefferdecker, Untersuchung einer Anzahl von Muskeln von Vögeln in bezug auf ihren Bau und ihre Kernverhältnisse. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 150 S. 487—548, mit 9 Figuren im Text. 1913. HL Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 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Schiefferdecker: Zahl für das Maximum. Da nun der Kern niemals die ganze Länge des Faserabschnittes einnimmt, so wird man auf dem Querschnitte immer eine Zahl von kernlosen Fasern finden, wozu dann noch die (Querschnitte der Nebenäste kommen. Je kürzer im Verhältnisse zur Länge des Faserabschnittes der Kern ist, um so mehr kernlose (uerschnitte werden sich vorfinden. Die Durchschnittszahlen für die Kernzahl lassen nun deutlich erkennen, dass zweifeilos vom Jungen Kinde bis zum Erwachsenen hin eine Abnahme der Kernzahl eintritt. Vergleichen wir die einzelnen Gruppen, so ergibt sieh, dass zwischen der ersten und zweiten Gruppe der Unterschied sehr gering ist: die 2jährige Bal. und das 3jährige Kind Lang. zeigen noch Kernzahlen in derselben Höhe wie (die Kinder der ersten Gruppe. Eine stärkere Abnahme findet statt bei dem jährigen Kinde Gö. und bei dem 3—4jährigen Kinde Hum. Diese plötzliche Abnahme ist nicht zu erklären und muss vielleicht als individuelle Eigentümlichkeit angesehen werden. Die Kernzalıl der 10jährigen Kreut. ist wieder höher als die der letztgenannten Kinder und die Zahlen der beiden 15jährigen Mädchen ent- spreelien ihr recht gut, so dass bis zu dieser Zeit hin die Abnahme eine nur sehr geringe ist. Eine stärkere Abnahme zeigt zuerst die 16jährige Fren., und ihre Zahl stimmt auffallend gut überein mit der der beiden erwachsenen Männer, während die der 27jährigen We. wieder etwas höher ist. Eine stärkere Abnahme der Kernzahltrittalso augenscheinlich ersteininderZeit, dadie Halbwüchsigenzuden Erwachsenen auswachsen. Die Zahlen für die beiden Exoten stimmen mit den Zahlen für die deutschen Erwachsenen recht gut überein, während die Querschnitts- zahlen der Fasern bei ihnen ja bedeutend höher waren. Auch die Zahlen für die 77jährige Italienerin und für die Frau 2. stimmen mit den übrigen Zahlen für die Erwachsenen durchaus überein, während die Zahlen für die Faserquerschnitte deutliche Unterschiede erkennen liessen. Bei diesen Zahlen für die Kernzahl ist das Verhalten der Faser nicht weiter berücksichtigt worden, es handelt sich um die „Absolute Kernzahl“, wie ich sie genannt habe, um anzudeuten, dass sonst nichts weiter dabei berücksichtigt worden ist. | Ich habe oben schon gesagt, dass die einfachste Erklärung für diese Abnahme der Kernzahl wohl die ist, dass die Fasern stärker der Länge nach auswachsen im Verhältnisse zu den Kernen. Ist diese Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensalte'n usw. 519 Erklärung richtig, so müsste man ein besonders starkes Wachstum in der Zeitzwischen dem 15. oder 16. Lebens- jahre und dem Erwachsenen annehmen, das Herz müsste also in dieser Zeit sieh besonders stark ver- "grössern. | Um nun auch in einfacher Weise die Dicke der Fasern dabei zu berücksichtigen, habe ieh die „Kernfaserzahlen“ berechnet, welehe nıir angeben, auf wieviel Quadratmikra des Faserquerschnittes durchsehnitt- lich ein Kernent fällt. Diese Zahlen sind zusammengestellt worden in Tabelle III. Aus dieser Tabelle ergibt sich nun zweifellos, dass die Kernfaserzahlen mit dem Alter zunehmen, d.h. dass die Menge der Quadratmikra, auf welche ein Kern entfällt, immer grösser wird, so dass dieKerneim Verhältnisse zur Fasermasse des Quer- schnittes immer seltener werden. Entsprechend diesen Zahlen wird auch das Verhältnis der Kerne im mikroskopischen Bilde des Muskelquersehnittes sein, ich werde also bei älteren Herz- ımuskeln im Gesichtsfelde des Mikroskopes weniger Kerne sehen als Tabelle II. Herzmuskeln. Kernfaserzahlen. Alter Kern- a Bus ehlerhi: in Jahren faserzahl | NeBweiblichin et an ae 1 123 IN N RN u se 1 140 Mesa Rmannichunseee ee ae a la 142 BEIFBWEINICHWERS ee er 2 168 LION EN N ae 3 164 (RR N EN 3 186 Hum Se 2 ! ; 3 4 203 Keresuite weiblich an Se ee 10 199 NadcheneXr ge Nee en leer 242 UNertweiblich ass ee a nasse 15 | 253 Dream, welehe ea 16 | 304 Mann A el rain 22 | 461 NETTER: JR De N ee 24 450 We. weiblich . - .. . BR, EZ 27 | 401 EINEN 7 RE ser ae So ENTE 32 339 in elklienerin.er ON 77 2760 Kamennanesera ta ee ae u. 21 597 (NORE ar RE N NW BER 30 | 690 520 P. Schiefterdecker: bei jüngeren. Die Zahlenreihe wirkt: in dieser Tabelle so deutlich, dass ich auf die einzelnen Zahlen nicht näher einzugehen brauche, man erkennt leicht das dauernde Ansteigen. Eine Ausnahmestellung, die vorläufig nicht näher zu erklären ist, nehmen hier wieder die beiden Kinder Gö. und Hum. ein. Ferner zeigt die Frau Z. eine verhältnismässig niedrige Zahl und die 77jährige Italienerin eine auffallend hohe. Die beiden Exoten unterscheiden sich hier wieder deutlich von den erwachsenen Deutschen. Während also dieabsolute Kernzahlbeiden Exoten und den Deutschen gut übereinstimmte, Ändert sich das Verbältnis, so- bald die Fasergrössen in Betracht gezogen werden, der zwischen den beiden Gruppen bestehende Unter- schied muss also auf dem Verhalten der Fasern be- ruhen, nicht auf dem der Kerne. Vergleicht man das Verhalten der Kernfaserzahlen bei: den sonstigen von mir bisher untersuchten Muskeln, so ereibt sich, dass die des menschlichen Augenmuskels etwas kleiner sind!) (S. 282 u. 283), die des Zwerchfelles?) (S. 390) zum Teile ähnlich, zum Teile aber auch ziemlich viel grösser sind. Die des Augenmiuskels laecen zwischen 214 und 344, die des Zwerchfelles zwischen 461 und 584, wenn man einen Nichtdeutschen ausschaltet. Ziemlich ähnlich ist ein Teil der Kernfaserzahlen der Vogelmuskeln?) (8. 532), doch waren hier recht grosse Unterschiede zu verzeichnen, die einzelnen Muskeln verhielten sich darin sehr verschieden. Bei den sonst noch untersuchten Skelettmuskeln des Menschen waren die Zahlen meist wesentlich höher (790, 726, 621, 749, 492), wobei die letztgenannte niedrigste Zahl dem Serratus anterior angehörte!) (S. 283). Also auch nach diesen Zahlen erinnern die Herzmuskelfasern des Menschen noch am ersten an die kleinen Skelettmuskeln, dann weiteran das Zwerchfell. 1) P. Schiefferdecker, Muskeln und Muskelkerne. 317 Seiten mit 20 Abbildungen im Text. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1909. 2) P. Schiefferdecker, Untersuchungen über den feineren Bau und die Kernverhältnisse des Zwerchfelles in Beziehung zu seiner Funktion sowie über das Bindegewebe der Muskeln. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 139 S. 337—427, mit 7 Textfiguren und 4 Fahnentabellen. 1911. 3) P. Schiefferdecker, Untersuchung einer Anzahl vor Muskeln von Vögeln in bezug aufihren Bau und ihre Kernverhältnisse. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 150 8. 487—548, mit 9 Figuren im Text. 1913. Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensalterr usw. 521 In der zweiten Kolumne der Tabelle II finden wir die Zahlen für die „Absolute Kerngrösse“ in Quatratmikra. Diese sind gewonnen durch die Ausmessung der Kernquerschnitte, es sind also die Zahlen für die Grösse der Kernquerschnitte. Hier er- geben die Durchschnittszahlen nun sehr klar eine fortschreitende Zunahme der Grösse des Kernquerschnittes bis zum erwachsenen Zustande hin. Das ist ein sehr wichtiges Er- gebnis. Nicht nur der Faserquerschnitt nimmt fortdauernd an Grösse zu, sondern auch der Kernquerschnitt. Der Grad dieser Zu- nahme ist aber, wenn man die entsprechenden Zahlen für die Gruppen bei den Kernen und Fasern vergleicht, durchaus ver- schieden. Die Durchschnittszahl für die Kerne der ersten Gruppe beträst 9,88 qu, die für die der zweiten 10,38 qu, die Zunahme beträgt hier also nur 5°%o, während sie bei den Fasern 25% war. Die Zahl für die 1Djährige Kreut. beträgt für die Kerngrösse 15,80 qu, während die Durchsehnittszahl der Halb- wüchsigen 15,93 qu ist, diese Zahlen stimmen also fast genau überein, während bei den Faserzahlen eine Steigerung um 22/0 stattfand. Während die Durchsehnittszahl für die Gruppe der Halb- wüchsigen 15,95 qu beträgt, ist die der Erwachsenen 17.14 qu; hier hat eine geringe Steigerung um 7°/o stattgefunden, während bei den Fasern hier eine Steigerung um 41°/o vorhanden war. Die Gesamtsteigerung von der Gruppe der ganz jungen Kinder bis zu der der Erwachsenen hin beträgt bei der Kerngrösse nur 73 °/o, während sie bei der Fasergrösse 140°o ausmachte, also fast das Doppelte. Die Fasergrösse wächstalso weit regelmässiger und weitschnelleralsdie Kerngrösse. Dazu kommt weiter, dass die Zahlen für die Kerngrösse in den einzelnen Gruppen starke Verschiedenheiten zeigen, die wohl nur als individuelle aufgefasst werden können. Auch dies ist sehr wichtig, da es das erste Mal ist, dass es gelingt, solche individuellen Verschiedenheiten für das Wachstum eines Zellteiles während der Entwicklung festzustellen. Welche Be- deutung die individuelle Verschiedenheit für den Bau des Herzens hat, ist vorläufig noch sehr schwer zu sagen; ich werde hierauf weiter unten bei der Besprechung des „Kernvolumens“ noch näher einzugehen haben. Von den beiden Exoten stimmt die Kern- grösse des Kamerunnegers durchaus überein mit der der er- wachsenen Deutschen, seine Fasergrösse war ja wesentlich höher. 522 P. Schiefferdecker: Also auch hier zeigt sieh wieder, dass die Grösse des Kern- querschnittes und die des Faserquerschnittes nichtin einem bestimmten Verhältnisse zueinander stehen, eine Beobachtung, die ich übrigens auch schon bei den Skelett- muskeln iminer wieder gemacht habe. Die Kerugrösse des Chinesen ist bedeutend höher, sie stimmt fast genau überein mit der der 77jährigen Italienerin, welche von den Europäern die höchste Stelle einnimmt. Wie wir oben schon gesehen haben,. waren in diesem letzteren Falle aber wohl besondere Veränderungen der Kerne eingetreten, so dass man sie nicht mehr als normal ansehen konnte. Eine besonders geringe Kerngrösse zeigt die Frau Z. bei ihrer leichten Herzhypertrophie; hierauf werde ich gegen den Schluss dieser Arbeit hin noch näher eingehen. Die bei den früheren Beobachtungen von mir gemachten Erfahrungen in bezug auf die Kerngrösse bei Kindern und Erwachsenen hat verschiedene Resultate ergeben, je naclı den untersuchten Muskeln. So zeigte sich bei dem Augenmuskel!) (S. 282 u. 283) eine wesentliche Grössenzunahme von dem neu- veborenen Kinde zum Erwachsenen (5,85 : 7,92 — 8,94).. Ebenso beim Deltoides (8,29: 7,40 — 7,84.) Der. Grad. der Grössen- zunahme war bei den beiden Muskeln wesentlich verschieden. Bei dem Zwerchfelle?) (S. 390) dagegen war die Kerngrösse bei dem Neugeborenen genau dieselbe wie bei dem Erwachsenen (5,44: 4,73 — 6,51). Bei Embryonen mittleren Alters war die Kern- grösse dagegen weit bedeutender als die des Erwachsenen, und bei dem Levator palpeprae superioris übertrug sich diese embrvo- nale Eigentümlichkeit noch auf das neugeborene Kind !) (S.282u. 282). Der menschliche Herzmuskel würde also in dieser Hinsicht dem Deltoides und dem Reetus oculi superior des Menschen am meisten ähnlich sein. d.h. er würde in bezug auf die Kerngrösse eine deut- liche Weiterentwicklung zeigen. Auch dass die Grösse des Kernquerschnittes nicht in einem bestimmten Ver- hältnisse zu der des Faserquerschnittes steht, habe 1) P. Schiefferdeeker, Muskeln und Muskelkerne. 317 Seiten mit 20 Abbildungen im Text. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1909. 2) P. Schiefferdecker, Untersuchungen über den feineren Bau und die Kernverhältnisse des Zwervhfelles in Beziehung zu seiner Funktion sowie über das Bindegewebe der Muskeln. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 139 S. 837—427 mit 7 Textfiguren und 4 Fahnentabellen. 1911. Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 523 ich schon bei meinen früheren Untersuchungen immer wieder hervorheben können. Der Herzmuskel würde also, wenn er auch histologisch eine andere Stellung einnimmt als die Skelettmuskeln, doch in diesen Eigentümlichkeiten den Skelettmuskeln durchausähn- lich sein. Dass bei dem Zwerchfelle des Menschen die Kerngrösse des Neugeborenen schon so genau übereinstimmte mit der des Er- wachsenen habe ich seinerzeit so zu erklären versucht, dass das Zwerchfell des Neugeborenen schon sehr frühzeitig eine gauz Ähnliche Tätickeit zu entfalten hat wie bei dem erwachsenen Menschen, dass das Zwerchfell also schon in sehr früher Zeit eine weit vorgeschrittene Entwicklung besitzt. Es ist in dieser Hinsicht recht interessant, zu sehen, dass das Herz, welches schon während der ganzen Embryonal- zeit tätig gewesen ist, doch vom jungen Kinde bis zum Er- wachsenen hin noch, soweit man zunächst aus der Kernerösse schliessen kann, eine wesentliche weitere Entwicklung durchzumachen hat. Herz und Zwerchfell sind ja die einzigen Muskeln, welche fortgesetztrhythmisch tätig sind, sie zeichnen sich, wie ich oben schon hervorgehoben habe, daher auch beide durch einen besonders erossen Hämoglobingehalt aus; da ist es denn besonders interessaut, auch weitere Vergleiche zwischen ihnen durchzuführen. : Es folgen zwei Kolumnen, welche weniger wichtig sind, aber eventuell zur Orientierung ‚ganz praktisch sind: die „Relative Fasergrösse“, die mir angibt, wie sich die Zahl für die durchschnittliche Querschnittsgrösse eines Kernes verhält zu der durcehschnittlichen Querschnittsgrösse einer Faser; die „Relative Fasermasse“, die mir angibt, in welchem Ver- hältnisse die durchschnittliche Kernmasse zu der durchschnittlichen Masse einer Faser steht. Hierauf folgt dann die „Absolute Kernmasse“, d. h. dieGesamt- masse der Querschnitte der Kerne auf einem Faser- querschnitte im Durcehschnitte in Quadratmikra. Diese Zahlen sind hier ganz interessant, sie lassen einen deutlichen Absatz erkennen zwischen den Kindern bis zum 4. Jahre und den übrigen Personen vom 10. Jahre an bis zum erwachsenen Zustande. In den beiden 524 P. Schiefferdecker: Kindergruppen stimmen die Durehschnittszahlen (8,01 und 7,87) recht gut untereinander überein, .eine ähnliche Übereinstimmune herrscht zwischen der Vurchsehnittszahll der Halbwüchsigen (10,98), zu der in voller Übereinstimmung noch die der 1Ojährigen Kreut. tritt, und der Durehsehnittszahl der Erwachsenen (10,19). Man kann hieraus wohl den Schluss ziehen, dass mit dem 10. Lebens- jahre die gesamte Masse der Kerne, d. h. die Quer- schnittsmasse derselben vollständig entwickelt ist, ob schon früher, kann ich nieht sagen, da zwischen dem 4. und 10. Lebensjahre in meinem Materiale eine Lücke vorhanden ist. Es folgt jetzt ein sehr wichtiges Maass, die „Relative Kern- masse“, d. h. die auf einem Querschnitte der Fasern durchschnittlich befindliche Kernmasse in Prozenten der Fasermasse. Diese Zahl eibt mir also das richtige Ver- hältnis der Kernmasse zur Fasermasse an, und da dieses für das Verhalten der Zellen resp. Fasern von der grössten Bedeutung sein dürfte, so besitzen die hier zusammengestellten Zahlen eine grosse Wichtiekeit. Man erkennt schon deutlich bei dem Überblicke über diese Kolumne, dass hier vom jungen Kinde bis zum Er- wachsenen hin eine wesentliche Abnahme stattfindet, d. h. die Fasern der älteren Personen arbeiten mit einer geringeren Kernmasse als die der jüngeren, ‚natürlich wit einer verhältnis- mässig geringeren in bezug auf die Fasererösse, mit einer ab- solut grösseren. Während die Gruppe der jüngsten Kinder eine Durchsehnittszahl von 7,36 ergibt, zeigt die Gruppe der 2- bis 4jährigen Kiuder eine solche von 5,77, die der Halbwüchsigen eine solehe von 5,93 und die der erwachsenen Deutschen eine solehe von 3,90. Das sind sehr merkwürdige Zahlen. Man muss aus ihnen den Schluss ziehen, dass vom 1. zum 2. Lebensjahre schon eine wesentliche Verminderung der Kernmasse im Verhältnisse zur Fasermasse eintritt, dass das so entstandene Verhältnis wenigstens bis zum 16. Lebensjahre andauert, und dass schliesslich bei dem Übereanse zum erwachsenen Zustande ein’ weiterer rascher Abfall eintritt. Wen wir das Vernalten der übrigen, bisher schon durch- gesprochenen Zahlenwerte überlegen, so können diese eigenartigen Verhältnisse der Relativen Kernmasse nur auf das eigenartige Faserwachstum zurückgeführt werden, welches der Zunahme der Kernmasse durchaus nicht parallel ver- läuft. Nach diesen bei der Relativen Kernmasse gewonnenen Zahlen Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebersaltern usw. 595 muss man also annehmen, dass fast während derganzenKind- heit, mit Ausnahme des 1. Lebensjahres, das Herz mit annähernd (verhältnismässig) derselben Kernmasse arbeitet, und dasserstbeim Übergange zum erwachsenen Zustande, — in welchem Lebensjahre, lässt sieh nach meinem Materiale noch nicht genau angeben, jeden- ‚falls aber nach dem 16. Lebensjahre — eine wesentliche relative Verminderungdieser Kernmasse eintritt, d.h. also, dass in dieser Zeit eine starke Vermehrung der Fasermasse im Verhältnisse zur Kernmasse eintritt, und das hat sich ja aus Tabelle 1 schon feststellen lassen. Diese Abnahme der Relativen Kernmasse ist durchaus nicht unbedeutend. Fassen wir ‘die Durchsehnittszahlen vom 2. Lebens- jahre an bis zum 16. zusammen, die so gut miteinander übcrein- stimmten, so ergibt sich gegenüber dem 1. Lebensjahre eine Ab- nahme von 109 auf 79, von dieser Zeit an bis zum Erwachsenen eine Abnahme von 100 auf 67, und wenn man die Abnahme von den Kindern aus dem 1. Lebensjahre bis zu den Erwachsenen hin feststellt, eine Abnahme von 100 auf 53, also fast genau auf die Hälfte; um soviel ist also in dieser Zeit das Wachstum der Fasern stärker gewesen als das der Kerne. Das ist ein sehr beträchtlicher Unterschied. Eine Ausnalmestellung vimmt hierbei die lOjährige Kreut. ein mit 7,94, also einer Zahl, welche noch höher ist als die der jüngsten Kinder. Nach den übrigen Zahlen zu urteilen, muss man diese Zahl wohl als eine individuelle Eigentümlichkeit ansehen; der Fall ist recht interessant, da er erkennen lässt, wie stark in- dividuelle Eigentümlichkeiten sein können. Vergleicht man diese für das menschliche Herz gefundenen Zahlen für die Relative Kernmasse mit den bisher von mir bei den Skelettmuskeln gefundenen, so ergibt sich, dass diefür dasHerz gefundenen Zahlen sehr hoch sind. Was die Zahlen für die erwachsenen Muskeln anlangt, so stimmen sie einigermaassen überein mit denen, die ich für den Reetus oeuli superior des Menschen gefunden habe (3,76, 2,57, 2,34, 4,17, im Durehschnitte 3,16)') (S. 282 u. 283), doch ist auch hier die Durchsechnittszahl 1) P. Schiefferdecker, Muskeln und Muskelkerne 317 Seiten mit 20 Abbildungen im Text. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1909. 526 P. Schiefferdecker: etwas niedriger (3,16 : 3,90). Diese für den. Augenmuskel gefundenen Zahlen sind aber bis Jetzt die höchsten gewesen; auch die der roten Kaninehenmuskeln, die zwischen 1,94 und 2,83 lagen !), (S. 282 u. 285) waren niedriger, und doch haben diese roten Muskeln im Verhältnisse zu den übriger schon: sehr hohen Zahlen. . Die Zahlen für das Zwerchfell lagen sämtlich um 1,00 herum?) (S. 390), die für die Vogelmuskeln etwa um 0,75 herum?) (S. 530), also in. beiden Fällen Zahlen, die mit denen des Herzens gar nicht zu vergleichen sind. Das Herz des erwachsenen Menschen arbeitet also mit einer Kernmasse, die weit grösser ist als die der Skelettmuskeln, mit Ausnahme der der Augenwuskel, diesichibrschon einigermaassen nähert. Die Werte für die übrigen menschlichen Skelettmuskeln (Deltoides, Pectoralis, Biceps, Serratus) waren sämtlich weit niedriger und lagen zwischen 0,99 und 1,391) (S. 282 u. 283). Zwischen ihnen und dem Auzenmuskel bestand also eleichfalls ein sehr grosser Unterschied. Ich habe gerlaubt, annehmen zu dürfen, «lass diejenigen Muskeln, welehe besonders häufiz und eventuell auch besonders andauernd tätie sind. als charakteristisches Merkmal eine besonders hohe Relative Kernmasse besitzen. Das stimmt für die roten Kaninchen- ınuskeln und für die roten Augenmuskeln. Beide siud ausserdem auseezeichnet durch einen hohen . Hämoglobingehalt. Beı der Karausche stimmte dies insofern nicht mehr, als die Zahlen für die Relative Kernmasse hier bei den roten und. weissen Muskeln an- nähernd gleich waren!) (S. 282 u. 283). Ich. habe schon damals hervorgehoben, dass die Höhe des Hämoglobingehaltes also jedenfalls nicht immer mit einer hohen . Relativen Kernmasse zusammen zu fallen brauche. und (dass die roten und weissen Muskeln bei den verschiedenen Tieren verschiedene funktionelle Bedeutung haben müssten. Bei dem menschlichen Zwerchfelle sind ja die Zahlen 1) P. Schiefferdecker, Muskel und Muskelkerne. 317 Seiten mit 20 Abbildungen im Text. Johann Ambrosius Barth, Leipig 1909. 2) P. Schiefferdecker, Untersuchungen über den feineren Bau und die Kernverhältnisse des Zwerchfelles in Beziehung zu seiner Funktion sowie über das Bindegewebe der Muskeln. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 139 S. 337—427, mit 7 Textfiguren und 4 Fahnentabellen. 1911. 3) P. Schiefferdecker, Untersuchung einer Anzahl von Muskeln von Vögeln in bezug auf ihren Bau und ihre Kernverhältnisse. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 150 8. 487—548, mit 9 Figuren im Text. 1913. Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 597 für die Relative Kernmasse sehr viel niedrizer, obgleich doch auch dieses ein andauernd tätiger und roter Muskel ist; hier müssen also noeh besondere, bisher unbekannte Verhältnisse vorlieeen. Für das Herz würde ja meine frühere Aunahme, dass eine hohe Relative Kernmasse einem stark tätigen Muskel entspricht, wieder stimmen. Sehr auffallend sind hier beim Herzen die ungemein hohen Zahlen für die Relative Kernmasse beiden ganzjungen Kindern. Zahlen von dieser Höhe habe ich bei den bisher unter- suchten Neueeborenen noch niemals gefunden. Ausserdem. waren die Zahlen des Neugeborenen gewöhnlich kleiner als die des Er- wachsenen, nur die von Embryonen mittleren Alters waren schr hoch und erreichten annähernd die Höhe der hier beim Herzen ge- fundenen. So wies ein 5monatiger männlicher Embryo beim Zwerchfelle die Zahl 7,27 auf, der Neugeborene dagegen nur 0,531) (S. 3890). Bei dem menschlichen Deltoides hatte der Muskel eines 4monatigen Embryos die Zahl 6,26, der des Neu- geborenen dagegen 0,58?) (S. 252 u. 283). Mit diesen embryonalen Zahlen lassen sich die Herzmuskelzahlen aber wieder nicht vergleichen, da einmal das Herz des jungen Kindes auch histologisch auf einer weit höheren Entwicklungsstufe.steht, und da zweitens das Verhältnis zum Erwachsenen ein ganz anderes ist. Leider habe ich für diese Arbeit embryonale Herzen nicht verwenden können, vielleicht ist mir eine Untersuchung dieser später noch möglich. Wir haben also gesehen, dass das Herz in bezug auf diese wichtige Zahl für die Relative Kernmasse eine ganz besondere Stel- lung den anderen Muskeln gegenüber einnimmt, auch, was sehr wichtig ist, dem Zwerchfelle gegenüber. Die Durchschnittszahl für die Relative Kernmasse der beiden Exoten (3,07) ist etwas kleiner als die der erwachsenen Deutschen. Hält man eine hohe Zahl der Relativen Kernmasse für die Tätigkeit des Herzens für günstig, so würde also das Herz dieser beiden Exoten etwas weniger günstig gebaut sein. 1) P. Schiefferdecker, Untersuchungen über den feineren Bau und die Kernverhältnisse des Zwerchfelles in Beziehung zu seiner Funktion sowie über das Bindegewebe der Muskeln. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 139 S. 337—427, mit 7 Textfiguren und 4 Fahnentabellen. 1911. 2) P. Schiefferdecker, Muskeln und Muskelkerne. 317 Seiten mit 20 Abbildungen im Text. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1909. 528 - P. Schiefferdecker: Die Zahl für die Frau Z. (leichte Herzhypertrophie) zeigt kaum einen Unterschied zezenüber den anderen Erwachsenen. Die Zahl für die 77jährige Italienerin ist kleiner als alle übrigen. Der Grund hierfür wird in den nicht mehr normalen Verhältnissen des Herzens zu finden sein. Dass die Zahl der Frau Z. annähernd die gleiche ist wie die der beiden übrigen Erwachsenen — sie liegt ja nur ganz wenig unter dem Durchschuitte —, ist insofern nicht uninteressant, als ich seinerzeit für die Aktivitätshypertrophie bei dem Sartorius des Hundes eine erhebliche Verringerung der Relativen Kernmasse (0,58 : 0,24) feststellen konnte!) (S. 282 u. 283). Eine leichte Herzhypertrophie muss man doch wohl auch als eine Aktivitätshypertrophie ansehen und so müsste man eigentlich eine Verringerung der Zahl erwarten. Die hier festzustellende Ver- ringerung ist aber so ausserordentlich gering, dass sie kaum Be- achtung verdient. Wir wissen ja allerdings nicht, welche Höhe die Zahl für die Relative Kernmasse bei diesem Herzen gehabt hat, als es noch normal war. Es is aber auch denkbar, dass in diesem Falle neben einer wirklichen Hypertrophie auch schon eine. Dehnung des Herzens eingetreten war, wofür in hohem Grade die geringe Grösse des Faserquersehnittes spricht (Tabelle I). In diesem Falle würde es nun darauf ankommen, in welchem Maasse eine solche Dehnung der Faser auf den Kern eingewirkt haben kann. Dadurch werden die Verhältnisse ziemlich verwickelt. Ich werde weiter unten noch weiter über diesen Fall zu sprechen haben. Wir werden bei der - Betrachtung der weiteren Tabellen sehen, dass in der Tat manches für eine Dehnung spricht. Es würde sicher ausserordentlich interessant sein, diese Untersuchung des Herzens nach meiner Methode auf Herzen in verschiedenen Graden der Hypertrophie auszudehnen. Für jetzt war es mir nicht möglich, dieser Arbeit noch eine weitere Aus- dehnung zu geben. Es war ja auch zunächst das Wichtigste, erst einmal den Aufbau des normalen Herzen, soweit er durch. meine Methode klar gelest werden konnte, festzustellen. In Tabelle IV habe ich die Zahlen für die „Kernlänge“ und noch zwei andere Kernmaasse zusammengestellt. Die „Kernlänge“ wurde direkt an Längsschnitten ausgemessen, und ausser den Durch- schnittsmaassen sind Maxima und Minima angegeben worden. Ich REES chiefferdecker, Muskeln und Muskelkerne. 317 Seiten mit 20 Abbildungen im Text. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1909. Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 599 Tabelle IV. Herzmuskel. Kernlänge, Maximum, Minimum in.Mikra und Kern- volumen in Kubikmikra, Kerndurchmesser zu Kernlänge (DK: LK). | Alter | Kernlänge | 2 | Name a —_ er Kern- DK: LK z Durch- ei Ar und Geschlecht a a Max. | Min. | volumen Wi., weiblich . . 1 11,90 18,64 9,82 108 1:30) ı INT. >; 1 8,81 15,14 6,90 91 1: 2,45 7 2,88 Wey., männlich . 11/a 9,67 16,31 6,99 100 12,69 Bal., weiblich. . 2 13,47 18,64 8,15 142 Ezastan Lang. 3 12,98 | 18,64 9,32 107 1:4,06 | 3.68 Go. 3 12,14 | 18,64 9,32 148 ee Be. se os se 9530| 1) Kreut., weiblich. 10 12,33 17,47 6,99 194 | 1: 2,68 Mädchen X... . 15 17,47 25,63 | 11,65 227 1:4,39 Cre., weibüch.. . 15 15,14 DaB 092 230 1: 3,44 73,63 Fren., weiblich . 16 15,31 27,96 9,32 303 1: 3,06 Manns Aue... 22 13,74 28,00 | 10,00 259: 1: 2,86 Mannes... 24 9,85 16,31 9,82 172 1:2,05.7 2,51 We., weiblich . . an ll 20,97 6,99 177 122,62 DIENT VZO On | 52 16,97 26,00 | 10,00 212 1: 4,24 Mus., Italienerin. um 13,14 23,30 9,32 283 1: 2,53 Kamerunneger.. . 21 11,09 17,47 6,99 196 172,31 2.46 Chineserpran. 0: 30 13,56 20,97 9,32 296 122.61, Durch- Kleine schnitts- Kerne 185, zahl 12,90 ° grosse ! Kerne 262 habe bei meinen bisherigen Muskelmessungen für die Feststellung der Kernlänge gewöhnlich 100—300 einzelne Messungen verwendet, vielfach genügten schon 100; auch bei dieser Untersuchung bin ich mit 100 Einzelmessungen gut ausgekommen. Die Anzahl der Einzel- ‚messungen hängt natürlich davon ab, ob die Kerne sehr verschiedene Längenmaasse zeigen oder ob sie mehr gleichmässig erscheinen, je mehr das Letztere der Fall ist, um so weniger Einzelmessungen sind nötig. Bei meinen bisherigen Untersuchungen hatte sich stets er- ‘ geben, dass die „Kernlänge“ ein ausserordentlich konstantes Maass war, bei weitem das konstanteste von allen. Schon beim Neu- geborenen, ja mitunter schon beim Embryo, waren die Zahlen genau so gross wie bei dem Erwachsenen. Was sich später an den Kernen änderte, war nicht die Länge, sondern die Dicke, die Grösse des 530 P. Schiefferdecker: Flächeninhaltes des Kernquerschnittes. Dasselbe galt auch, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, für die während des Lebens auf- tretenden physiologischen und pathologischen Veränderungen der Kerne, nur bei manchen atrophischen Zuständen nahm die Kernlänge zu‘). Ebenso war die Kernlänge ausserordentlich konstant bei dem- selben Muskel verschiedener Menschen. Auch hier änderte sich nur die Dieke. Der Herzmuskel des Menschen ist der erste, bei dem ziemlich grosse Verschiedenheiten in bezug auf die Kernläuge festzustellen sind. Überbliekt man die Durchschnittszahlen, so zeigt sich, dass sie in der ersten Gruppe der ganz jungen Kinder 11,90, 8,81 und 9,67 betragen, im Durch- sehnitte 10,12. In der zweiten Kindergruppe sind sie be- trächtlich höher (13,47; 12,98; 12,14; 13,51), Durchsehnittszahl 13,02. Die 10jährige Kreut. hat 12,33. Sehr hoch sind die Zahlen in der Gruppe der Halbwüchsigen (17,47; 15,14; 15,31), Durch- schnittszahl 15,97, also eine sehr starke Steigerung gegen die beiden ersten Gruppen. Bei den Erwachsenen dagegen sind die Zahlen wieder erheblich niedriger (13,74; 9,85; 11,51), Durchschnittszahl 12,03; mit diesen Zahlen stimmen gut überein die Zahlen für die beiden Exoten (11,09; 13,56) mit der Durchschnittszahl 12,32. Überlegen wir uns diese Zahlen, so scheint es mir ausgeschlossen zu sein, dass es sich um eine Zunahme der Kernlänge von den jungen Kindern bis zu den Erwachsenen hin handeln kann. Finden wir doch in der Gruppe der jungen Kinder dieselben Zahlen wie in der der Erwachsenen (9,67 : 9,85 und 11,90 : 11,51). Dass die Durch- schnittszahl der jungen Kinder nur 10,12 beträgt gegenüber 12,03 bei den erwachsenen Deutschen, kann nur als Zufall angesehen werden, bedingt durch die zufällige Zusammenstellung der Zahlen. Nachdem dies festgestellt ist, folgt daraus, dass auch die höheren Zahlen in der zweiten Kindereruppe und bei den Halbwüchsigen nur zufällige sein können, das heisst Zahlen vonindividuellem Werte. Daraus folgt dann allerdings, und das ist sehr wichtig, dass bei der Kernlänge des menschlichen Herzens indivi- duelle Verschiedenheiten eine recht grosse Rolle 1) P. Schiefferdecker, Beiträge zur Kenntnis der Myotonia congenita,- der Tetanie mit myotonischen Symptomen, . der Paralysis agitans und einiger anderer Muskelkrankheiten, zur Kenntnis der Aktivitätshypertrophie und des normalen Muskelbaues. Mit klinischen Beiträgen von Prof. Fr. Schultze. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. Bd. 25 H. 1-48. 1—345, mit 15 Tafeln. 1903. Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 531 spielen, im Gegensatze zu allen bisher von mir ge- messenen Muskeln. Nach den hier vorliegenden Zahlen schwankt die Kernlänge des menschlichen Herzens zwischen 8,81 « und 17,47 u, also ungefähr um das Doppelte. Das sind ganz ausserordentlich grosse Unterschiede. Es wird dies sofort klar, wenn ich die Zahlen für die Kernlänge der bisher gemessenen Muskeln anführe. Bei dem Augenmuskel') (S. 282 u. 283) lagen die Zahlen zwischen 10,68 u und 12,30 «u bei den Erwachsenen, während die Zahl für das neu- geborene Kind 11,15 u betrug, also in die Breite für die Zahlen der Erwachsenen fiel. Bei dem Deltoides (ebenda) betrugen die Zahlen für die beiden Erwachsenen 11,90 « und 12,60 u, die eines viermonatigen Embryos war 12,60 u und die eines neugeborenen Kindes 12,40 u, die beiden letzteren stimmten also nicht nur uuter- einander, sondern auch mit den Zahlen der Erwachsenen vollkommen überein. Bei dem Zwerchfelle?) (S. 402) des Menschen lagen die Zahlen für die Erwachsenen zwischen 12,50 « und 14,46 u, zeigten also nur ganz geringe Unterschiede. Die Zahl eines fünfmonatigen Embryo war 13,57 u, die eines Neugeborenen 12,50 u; sie stimmten also untereinander wieder sehr gut überein und lagen in der Breite der Zahlen für die Erwachsenen. Also ein ganz anderes Ver- halten wie bei dem Herzen. Auch bei der Aktivitäts- hypertrophie des Sartorius des Hundes?) (S. 282 u. 283) zeigten die Zahlen des normalen (12,18 «) und des hypertrophierten Muskels (11,35 u) nur einen so geringen Unterschied, dass er nieht irgendwie als wesentlich anzusehen war. Sind die Maasse für die Kernlänge des Herzens schon sehr merkwürdig, so werden wir gleich noch erfahren, dass ein anderes Kernmaass, das „Kernvolumen“, noch interessantere Verschiedenheiten aufweist. 1) P.Schiefferdecker, Muskeln und Muskelkerne 317 Seiten mit 20 Abbildungen im Text. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1909. 2) P. Schiefferdecker, Untersuchungen über den feineren Bau und die Kernverhältnisse des Zwerchfelles in Beziehung zu seiner Funktion sowie über das Bindegewebe der Muskeln. Arch f. d. ges. Physiol. Bd. 139 S. 337—427, mit 7 Textfiguren und 4 Fahnentabellen. 1911. 3) P. Schiefferdecker, Beiträge zur Kenntnis der Myotonia congenita, der Tetanie mit myotonischen Symptomen, der Paralysis agitans und einiger anderer Muskelkrankheiten, zur Kenntnis der Aktivitätshypertrophie und des normalen Muskelbaues. Mit klinischen Beiträgen von Prof. Fr. Schultze. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. Bd. 25 H. 1—4 8. 1—345, mit 15 Tafeln. 1903. Pflüger's Archiv für Physiologie. .Bd. 165. 36 332 P' Schiefferdecker: Die Zahl für das „Kernvolumen‘“ soll mir diekörperliche Grösse des Kernes versinnbildlichen. Sie wird so gewonnen, dass die Durchschnittszahl für die Grösse der Kernlänge multipliziert wird mit der Durchsehnittszahl für die Grösse des Kernquerschnittes. Führe ich das aus, so erhalte ich den Kubikinhalt eines Zylinders, der die Länge der Kernlänge besitzt und als Querschnitt eine: Kreisfläche, deren Inhalt dem Flächeninhalte des durchschnittlichen Kernquerschnittes entspricht. Einen Kern von dieser Form gibt es in Wirklichkeit natürlich nicht; dieser so gewonnene Kern ist ein Kunstprodukt, man kann aber annehmen, dass er etwa den- selben Kubikinhalt besitzt wie der wirkliche Kern, das heisst wie: der wirkliche Durchsehnittskern, der natürlich auch nicht existiert, und dessen Inhalt bei Zugrundelegung der richtigen Kernform nicht zu berechnen sein würde. Für dieses „Kernvolumen“ erhält man nun bei den menschlichen Herzen sehr interessante Zahlenwerte. Überbliekt man die Zahlenreihe, so ergibt sich zunächst leicht, dass die zweite Kindergruppe wesentlich höhere Zahlen zeigt wie die erste, die Steigerung beträgt im Durchschnitte 35%. Sodann zeigt sich eine wesentliche weitere Steigerung bis zu der l0jährigen Kreut. hin, während von hier an durch die Gruppe der Halb- wüchsigen hindurch bis zu der Gruppe der Erwachsenen hin die: Zahlen auf derselben Höhe bleiben. Hieraus würde zunächst folgen,. dass der Kubikinhalt desKernes bei dem menschlichen Herzen schon im 10. Lebensjahre seine volle Grösse erreicht und von da an konstantbleibt. Ob diese Normal- grösse schon früher erreicht wird, konnte ich nicht feststellen, da ich zwischen dem 4. und 10. Lebensjahre kein Material bekommen. habe. Diese Beobachtung stimmt überein mit der schon oben mit- geteilten, dass die Querschnittsgrösse des Kernes schon im 10. Lebens-: jahre ihre volle Grösse erreicht. Nun lehren diese Zahlen aber noch etwas anderes. Schon in der ersten Kindergruppe zeigen die Zahlen ziemlich grosse Unterschiede, diese werden noch grösser in der zweiten Kinder- gruppe und treten weiterhin sehr deutlich hervor in den Gruppen vom 10. Lebensjahre an. Hierbei möchte ich noch gleich hervor- heben, dass die Zahlen für die beiden Exoten sich in bezug auf diese Unterschiede durchaus ähnlich verhalten wie die der er- wachsenen Deutschen. In der Gruppe der erwachsenen Deutschen finden wir einerseits die Zahl 258, andererseits die Zahlen 172 und Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 533° 177; bei den Exoten einerseits 296, andererseits 196. In der Gruppe der Halbwüchsigen zusammen mit der 10jährigen Kreut. finden wir einerseits die Zahl 194, andererseits die Zahlen 227, 230 und 303. Es geht hieraus hervor, dass sichin diesen Gruppen immer kleine und grosse Zahlen vorfinden, die wesentlich voneinander verschieden sind. So ist zum Beispiel die Zahl des 22jährigen Mannes (253) um 47°o grösser als die des 24jährigen Mannes (172), die des Chinesen (296) ist um 51 °/o grösser als die des Kamerunnegers (196). In der Gruppe der Halbwüchsigen zusammen mit der 10jährigen Kreut. finden wir ähnliche Unterschiede: 194 einerseits, gegenüber 227, 230 und 303 andererseits. Die Durchschnittszahl für diese drei letzten Zahlen beträgt 253, diese Zahl ist um 30 %0 grösser als 194, also ebenfalls ein sehr bedeutender Unterschied. Diese Unterschiede bahnen sich auch schon in sehr deutlicher Weise an in der zweiten Kindergruppe, in der die Durchschnittszahl der drei grösseren Kerne um 35 °/o grösser ist als die des einen kleinen Kernes. Auch in der ersten Kindergruppe zeigen sich schon deutliche Unterschiede, die allerdings bei weitem nicht so gross sind wie die späteren, und bei denen es zweifelhaft sein kann, ob sie in derselben Weise zu deuten sind. Bei der Betrachtung der Kernlänge ergibt sich dann weiter, dassdiese verschiedene Grösse der Kern- zolumina wohl zum Teile mit von derLänge der Kerne abhängt, aber durchaus nicht allein vonihr, ja nicht einmal in der Hauptsache. So zeigt das Mädchen X zum Beispiel bei einer Kernlänge von 17,47 u ein Kernvolumen von 227, während die beiden anderen Mädchen bei einer Kernlänge von 15,14 u ein Kernvolumen von 230 und bei 15,31 u ein solches von 303 aufweisen. Die Querschnittsgrösse des Kernes ist hierbei also von wesentlicher Bedeutung. Es scheint mir, dass man aus den besprochenen Zahlen nur den einen Schluss ziehen kann: dass es Menschen gibt, welche in der Herzmuskulatur „grosse Kerne“ und andere, welche „kleine Kerne“ besitzen. Es ist dies sehr merkwürdig. Ich habe die Vermutung, dass solches vorkommen könnte, schon in meiner ersten Muskelarbeit!) ausgesprochen, doch 1) P. Schiefferdecker, Beiträge zur Kenntnis der Myotonia congenita, der Tetanie mit myotonischen Symptomen, der Paralysis agitans und einiger anderer Muskelkrankheiten, zur Kenntnis der Aktivitätshypertrophie und des 36 * 534 P. Schiefferdecker: konnte ich es dort allerdings nicht beweisen. Ich will die Stelle aus meiner ersten Muskelarbeit hier wörtlich anführen, da ich das, was ich damals über diese Sache gesagt habe, auch jetzt nicht anders vorbringen könnte. Ich habe damals!) (S. 129—130) mich in fol- gender Weise ausgedrückt: „Die genaue Übereinstimmung, welche das Kernvolumen bei den beiden normalen Muskeln zeigt, und die starken Veränderungen des- selben, welche bei den pathologischen Muskeln auftreten, lassen ver- muten, dass die Zahlen des Kernvolumens nicht rein zu- fällige sind, sondern ihre wesentliche Bedeutung für die Muskeln besitzen. Wir werden weiter unten bei den Frauen- muskeln noch weitere sehr eigenartige Veränderungen des Kernvolumens finden, und ich kann hier schon hervorheben, dass weitere, noch un- veröffentlichte Untersuchungen diese Annahme, dass das Kernvolumen für den normalen Muskel eine ganz bestimmte, nicht zufällige Grösse darstellt, durchaus bestätigen. Es ist also möglich, dass wir in dem Kernvolumen eine Grösse besitzen, welche für den betreffenden Muskel charakteristisch ist. Es drängen sich hier sofort zwei Fragen auf: Erstens, ist das Kernvolumen charakteristisch für die gesamten Muskeln eines Tieres oder eines Menschen ? oder zweitens ist es charakteristisch für einen Muskel bei verschiedenen Menschen oder bei verschiedenen Tieren derselben Art? Im ersten Falle würde es eine für das be- treffende Individuum charakteristische Zahl darstellen, und das wäre dann die erste solche, welche wir besitzen würden; im zweiten Falle würde es charakteristisch für einen Muskel, eventuell auch für eine - Muskelgruppe sein. Endlich wäre es auch möglich, dass bis zu einem gewissen Gräde beides der Fall wäre, dass das Kernvolumen charak- teristisch für den betreffenden Muskel oder die betreffende Muskelgruppe ist, dass es aber gleichzeitig auch durch die Beschaffenheit des Indi- viduums beeinflusst wird. Bei den beiden hier untersuchten normalen Deltoidei stimmt die Grösse des Kernvolumens zufällig ausserordentlich genau miteinander überein. Von anderen menschlichen Muskeln, deren Untersuchung noch nicht abgeschlossen ist, weiss ich aber, dass indi- viduelle Schwankungen in dem Kernvolumen sicher vorkommen. Nehmen wir nun an, dass die Volumengrösse desselben Muskels bei verschiedenen Menschen innerhalb bestimmter Grenzen schwanken kann, so würde ein Mensch X ein kleineres, ein Mensch Y ein grösseres Kernvolumen bei demselben Muskel besitzen können. Nun wäre es ganz gut denkbar, dass bei sämtlichen Muskeln des X die Kernvolumina (jedesmal natürlich innerhalb der bestimmten Grenzen) verhältnismässig niedrig, normalen Muskelbaues. Mit klinischen Beiträgen von Professor Fr. Schultze. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. Bd. 25 H. 1—4 S. 1—345, mit 15 Tafeln. 1903. 1) P. Schiefferdecker, Beiträge zur Kenntnis der Myotenia congenita, der Tetanie mit myotonischen Symptomen, der Paralysis agitans und einiger anderer Muskelkrankheiten, zur Kenntnis der Aktivitätshypertrophie und des normalen Muskelbaues. Mit klinischen Beiträgen von Professor Fr. Schuitze. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. Bd. 25 H. 1-4 S. 1—345, mit 15 Tafeln. 1903. Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensalteın usw. 535 die Kernvolumina des Mannes Y verhältnismässig hoch sein könnten, so würden wir für die einzelnen Muskeln oder Muskelgruppen charak- teristische Kernvolumina haben, und doch würde ihnen gleichzeitig der individuelle Stempel aufgedrückt sein. Wir würden von Menschen mit grossen und von Menschen mit kleinen Muskelkernen reden können, und es wäre ja wohl denkbar, dass dadurch auch gleichzeitig ein charakteristisches Kennzeichen für den gesamten übrigen Körperbau segeben wäre, das erste individuelle Kennzeichen, welches wir besitzen würden. Wir wissen ja sehr genau, dass jeder Mensch von dem anderen verschieden ist, in dem gesamten Ver- halten seines Körpers. Jeder Arzt weiss sehr genau, wie verschieden die Menschen auf Krankheiten und Arzneiwirkungen reagieren. Jeder Arzt sehnt sich danach, ein Kennzeichen zu haben, nach dem er die Menschen ihrer Beschaffenheit nach erkennen und einteilen kann; aber wenn der Anatom und Physiologe auf die Frage nach einem solchen Kennzeichen antworten soll, so kann er höchstens bedauernd seine Unwissenheit eingestehen. Es ist also ein dringendes Bedürfnis, irgend- ein objektives Kennzeichen zu haben. Vielleicht wäre eine solche Feststellung der Kerngrösse der erste Anfang zu einer weitergehenden Aufdeckung solcher Kenn- zeichen, die schliesslich auch dem Arzte von Nutzen sein können. Um derartige Dinge festzustellen, dazu gehören aber natürlich ungemein ausgedehnte Untersuchungen. Vielleicht gibt diese Arbeit die Anregung zu solchen. Was ich hier soeben besprochen habe, ist ja zurzeit alles nur als möglich zu bezeichnen; es sind Möglichkeiten, welche durch weitere Untersuchungen geprüft werden müssen; mir scheinen diese Möglichkeiten aber wichtig genug zu sein, um sie hier kurz zu erörtern.“ In dieser Weise habe ich mich im Jahre 1903 ausgesprochen, also vor 13 Jahren. Inzwischen habe ich ja nun durch meine Muskeluntersuchungen eine ganze Reihe von Tatsachen und FEr- fahrungen gesammelt. Da bin ich nun zunächst immer wieder zu dem Schlusse gekommen, dass das Kernvolumen in der Tat charakte- ristisch ist für den betreffenden Muskel. Ein jeder Muskel be- sitzt also sein eigenes Kernvolumen. Sodann habe ich aber mehrfach bestätigen können, dass dieses Kernvolumen bei ver- schiedenen Menschen für denselben Muskel etwas verschieden ist, aber mit verhältnismässig geringen Abweichungen um eine Mittelzahl schwankt. Zweifellos besitzen also verschiedene Men- schen für denselben Muskel ein verschieden grosses Kernvolumen,dasaberinderBreitederSchwankungen für ein spezifisches Kernvolumen liest. So lag das Kern- volumen des Rect. oculi superior bei vier verschiedenen Er- wachsenen zwischen 93 und 107 (107; 93; 97; 103), die höchste Zahl war also um 13/0 grösser als die niedrieste. Das Kernvolumen 536 P. Schiefferdecker: des Deltoides bei zwei Erwachsenen betrug 93 und 96!) (S. 282 u. 283), Zahlen, die ganz dicht zusammenliegen. Weit stärker waren die Unterschiede zwischen den Zahlen des Kernvolumers beim Zwerchfelle?) (S. 402); hier lagen die Werte für die erwachsenen Deutschen zwischen 66 und 92 (73; 66; 70; 71; 75; 92), bei einem Kroaten betrug die Zahl merkwürdigerweise 143. Hier war also die höchste Zahl um 38 /o grösser als die niedrigste. Bei den Zahlen für das Zwerchfell fiel aber noch etwas anderes auf: der sehr grosse Unterschied zwischen der Zahl 92 einerseits und den übrigen Zahlen andererseits. Wie man sieht, liegen diese letzteren ziemlich nahe aneinander, der grösste Unterschied liegt zwischen 66 und 75, die letztere Zahl ist um 14°o grösser als die erstere. Das entspricht genau dem Verhältnisse bei dem Augenmuskel. Die Mittelzahl der kleineren Zahlen für das Zwerchfell beträgt 71; vergleicht man diese mit der höchsten Zahl (92), so ist diese um 30°/o grösser. Das ist ein sehr viel grösserer Unterschied, als wir ihn bis jetzt kennen- gelernt haben. Bei der Zwerchfellarbeit konnte ich mit diesen ver- schieden grossen Unterschieden nicht viel anfangen, da das vorliegende Material noch zu gering war. Nach der vorliegenden Untersuchung über das Herz liegt die Sache anders. Hier finden wir von der 10jährigen Kreut. an, durch die Gruppen der Halbwüchsigen und Erwachsenen hindurch, bei Weglassung der Frau Z (als pathologisch) und der Italienerin (als senil), die folgenden zwei Zahlenreihen: erstens 194; 172; 177; 196 und zweitens 227; 230; 303; 253; 296). In der ersten Zahlenreihe beträgt der grösste Unterschied 140, in der zweiten 13°/o. Diese Unterschiedszahlen entsprechen genau den oben für den Augenmuskel und für die kleinere Zahlenreihe des Zwerchfelles gefundenen: 13°o und 14°/o. Diesen kleinen Unter- schieden steht hier beim Herzen gegenüber der grosse Unterschied zwischen den Durchschnittszahlen aus den beiden Reihen: 185 und 262, der 41°/o beträgt. Bei dem Zwerchfelle hatte ich für diesen „grossen“ Unterschied 30° gefunden. Wir finden also beim Zwerch- felle und beim Herzen zwei verschiedene Unterschiede, einen „kleinen“ 1) P. Schiefferdecker, Muskeln und Muskelkerne 317 Seiten mit 20 Abbildungen im Text. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1909. 2) P. Schiefferdecker, Untersuchungen über den feineren Bau und die Kernverhältnisse ‘des Zwerchfelles in Beziehung zu seiner Funktion sowie über das Bindegewebe der Muskeln. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 139 8. 337—427, mit 7 Textfiguren und 4 Fahnentabellen. 1911. Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 537 und einen „grossen“; es fragt sich nun, wie das zu deuten ist, Mir scheint die folgende Deutung geeignet zu sein: Es gibt zwei Arten von Unterschieden in bezug auf die Grösse des Kernvolumens: „individuelle“ und „Gruppenunterschiede“, die ersteren sind weit kleiner als die letzteren. Es muss zwei grosse Gruppen von Menschen geben: solche mit „kleinen“ Kernen und solche mit „grossen“. In jeder von diesen beiden Gruppen gibt es dann wieder „individuelle“ Unterschiede. Dass diese beiden Menschengruppen durch ihre „Gross- kerniekeit“ und „Kleinkernigkeit“ scharf voneinander getrennt sind, ist klar. Es ist weiter höchstwahrscheinlich, dass diese Kernunter- schiede sich nicht auf die Muskelkerne beschränken, sondern den sämtlichen Geweben und Organen zukommen werden. Eine Be- schränkung auf die Muskeln allein würde ja gar nicht zu verstehen sein. Bei dieser Sachlage ist man weiter gezwungen, anzunehmen, dass sich diese Eigenschaft vererben wird, und daraus folst dann wieder, dass sie ererbt ist. Man wird daher annehmen müssen, dass zwei „Urrassen“ existiert haben mit diesen Eigenschaften. Diese Urrassen müssen schon bestanden haben vor der Bildung unserer jetzigen Rassen. Infolge der Vermischung dieser „gross- kernigen“ und „kleinkernigen“ beiden Urrassen ist eine Mischrasse entstanden, in welcher bald die grossen, bald die kleinen Kerne ‚hervortraten. Von dieser „Urmischrasse“ stammen die von mir unter- suchten Deutschen ab. Wieviel weitere Völkerstämme zu dieser weissen Rasse, der die Deutschen angehören, zu zählen sein würden, lässt sich vorläufig bei unseren so unsicheren Anschauungen über die Rassen nicht angeben. Ich habe mich daher möglichst vorsichtig ausgedrückt. Wie weit die sonst noch jetzt vorhandenen Rassen von dieser Urmischrasse oder von den beiden Urrassen je für sich ab- stammen, lässt sich vorläufig nicht sagen. Von den beiden hier untersuchten Exoten war der Neger „kleinkernig“, der Chinese „gross- kernig“; das kann ein Rassenmerkmal sein, es kann aber auch ebenso- gut ein Zufall sein, dass von diesen gemischtkernigen beiden Rassen gerade ein kleinkerniger und ein grosskerniger Mensch zur Unter- suchung gekommen sind. Hierüber müssen weitere Untersuchungen bei den verschiedenen Rassen Auskunft geben. Sollten. unsere jetzigen Rassen zum Teil von je einer der: beiden Urrassen abstammen, so würden ihre Abstammung und ihre Verbreitung leicht zu verfolgen sein. Es ist übrigens wohl als sicher anzunehmen, dass sich der Unter- schied zwischen jenen beiden Urrassen nicht: auf die ‚verschiedene 538 P. Schiefferdecker: ® Kerngrösse beschränkt haben wird; es werden noch weitere Unter- schiede im feineren Baue bei ihnen vorhanden gewesen sein, die voraussichtlich auch bei den jetzt lebenden Menschen der beiden Gruppen nachzuweisen sein werden; weitere Untersuchungen werden hierüber Aufschluss geben. Dass ich bei dem Zwerchfelle seinerzeit nur den einen Fall von (rosskernigkeit fand, war Zufall; ich konnte aber damals noch nicht zu den Schlüssen gelangen, die ich jetzt ziehen konnte, da nur dieser eine Fall vorlag, der unverständlich war. Erst die bei dem Herzen gefundenen Reihen liessen die Bedeutung jenes Fundes bei dem Zwerchfelle erkennen. Die von mir bei dem Zwerchfelle berechnete Unterschiedszahl von 30 °o zwischen den kleinen und dem einen grossen Kerne ist übrigens natürlich nur als sehr unsicher anzusehen und könnte sich bei Berücksichtigung einer grösseren Zahl von grossen Kernen wesentlich ändern. Vielleicht würde sie dann der für das Herz gefundenen (41 °/o) ähnlicher werden. Lässt man bei der Berechnung der Zahl für das Herz die beiden Exoten fort, so ändern sich die Zahlen nur wenig: 181 (statt 185) und 253 (statt 262), Unterschiedszahl 40 %o (statt 41°/o). Zwischen den beiden Exoten selbst beträgt die Unterschiedszahl 51 °/o. Bemerken möchte ich hierzu noch, dass die Faserdicke durch Grosskernigkeit und Kleinkernigkeit nicht beeinflusst wird. Ein weiteres Beispiel dafür, dass die Grösse des Kernquerschnittes un- abhängig ist von der des Faserquerschnittes. Ob die Grösse des Kernunterschiedes beim Kinde schon ebenso gross ist wie bei dem Erwachsenen, lässt sich nach meinem Materiale noch nicht feststellen. Bei der zweiten Kindergruppe findet man drei grosse Kerne und einen kleinen; die Durchschnittszahl der srossen beträgt 144, die Zahl des kleinen ist 107, der Unterschied ist 35 %/o, nähert sich also schon sehr der Zahl für die ausgebildeten Kerne. Bei der jüngsten Kindergruppe sind die Zahlen nicht ge- nügend ausgeprägt, um sie für diese Frage verwenden zu können. Jedenfalls scheint der Unterschied aber schon bei den 2—4jährigen Kindern deutlich vorhanden zu Sein. Auch diese Beobachtung spricht für einen grundlegenden Unterschied. Bei einer Vermehrung des Materiales werden sich auch diese Zahlen erst genauer feststellen lassen. Auffallend ist es ja, dass gerade bei zwei Muskeln, die in bezug auf ihre Funktios einander so ähnlich sind wie Herz und Zwerch- Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 539 fell, diese Gruppenunterschiede so deutlich hervorgetreten sind. Beides sind für das Leben durchaus notwendige Muskein mit rhyth- mischer Tätigkeit. Es ist daher wohl möglich, dass bei diesen ur- sprünglichsten Muskeln, wenn ich so sagen darf, dieser Unterschied besonders stark hervortritt. Möglich ist es aber, dass es nur Zufall gewesen ist, dass ich bei den vier Menschen, von denen der Rect. oculi superior untersucht worden ist, keinen Vertreter der anderen Gruppe erwischt habe. Es ist die Frage überhaupt noch offen‘, ob bei allen Muskeln diese Gruppenunterschiede gleich stark hervor- treten werden, und dasselbe eilt von den übrigen Organen des Körpers, bei denen die Unterschiede überhaupt noch erst nachzuweisen sein würden. Man kann also kurz zusammenfassend sagen: Das Kern- volumen besitzt für jeden Muskel eine spezifische Grösse. Von dieser finden sich bei verschiedenen Menschen Abweichungen zweierlei Art: 1. „individuelle“, die verhältnismässig gering sind und, wieesnachden bisherigen Feststellungen scheint, nicht mehr wie 13— 14° der kleineren Zahl ausmachen. 2. „urrassige“, die weit grösser sind und nach den bisherigen Feststellungen etwa 30—41°/o der kleineren Zahl betragen. Die ersteren sind Kennzeichen für die Verschieden- heit der Individuen voneinander, wie ich das schon vor 13 Jahren in meiner ersten Muskelarbeit hervor- gehoben habe; es sind die ersten zahlenmässig fest- gestellten Unterschiede zwischen den einzelnen Men- schen. Als solche sind die daher sehr wichtig. Die letzteren sind von wesentlich anderer Be- deutung; sie erlauben den Schluss auf das Vorhanden- sein von zwei Urrassen, von denen wahrscheinlichdie sämtlichen jetzt lebenden Menschen abstammen: ent- weder von der durch Vermischung der beiden Urrassen entstandenen Urmischrasse oder von den einzelnen Urrassen selbst. Genaueres hierüber muss erst noch festgestellt werden. Die eine dieser Urrassen war „grosskernig“, die andere „kleinkernig‘. Bei den beiden jetzt lebenden, die Kerneigentümlichkeiten jener Urrassen aufweisenden Menschengruppen finden 540 P. Schiefferdecker: sich wieder die individuellen Unterschiede in — wie es scheint — gleicher Höhe. Auf die Fasergrösse hat dieser Unterschied der Kerngrösse keinen Einfluss. Es ist klar, dass auch physiologisch ein wesent- licher Unterschied zwischen diesen beiden urrassig verschiedenen Menschengruppen vorhanden sein muss, namentlich wenn, wie das anzunehmen ist, dieser Grössenunterschied der Kerne sich auf alle Organe und Gewebe bezieht. Der Stoffwechsel der Zellen und damit des ganzen Körpers wird wesentlich verschieden bei beiden sein. Der Unterschied ist also anthropo- logisch und physiologisch von grösster Bedeutung. Man wird zunächst wohl annehmen dürfen, dass die „Gross- kernigkeit“ eine tiefere Stufe in der phylogenetischen Entwicklung darstellt als die „Kleinkernigkeit“, denn eine Verteilung der gesamten Kernmasse auf viele kleine Kerne wird für den Stoffwechsel der Zellen günstiger sein als eine Verteilung auf wenige grosse. Hierfür spricht ja auch als deutliches Beispiel das Verhalten des Frosches, als Typus des Kaltblüters, zu den höheren Tieren, den Warmblütern, so namentlich, als hochstehendes Beispiel dieser, zu den Vögeln. Ich verweise in dieser Hinsicht auf meine entsprechenden Arbeiten !). Zwischen Herz und Zwerchfell besteht in bezug auf das Kern- volumen der nicht unwesentliche Unterschied, dass bei dem Zwerch- felle die Verschiedenheit der Kerngrösse so gut wie ganz auf die Verschiedenheit der Grösse des Kernquerschnittes zurückzuführen war, da die Kernlänge in allen Fällen nahezu übereinstimmte, während beim Herzen in bezug auf die Kernlänge bedeutende Unterschiede, bis zum Doppelten, festzustellen sind. Das Zwerchfell verhielt sich in dieser Hinsicht wie die sonstigen bisher untersuchten Skelett- muskeln, das Herz nimmt dagegen eine ganz eigenartige Stellung ein. Vielleicht beruht dies darauf, dass das Herz auch histologisch eine ganz andere Stellung einnimmt als die Skelettmuskeln. Die 1) P. Schiefferdecker, Untersuchung einer Anzahl von Muskeln von Rana esculenta in bezug auf ihren Bau und ihre Kernverhältnisse. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 140 S. 363—435. 1911. — P. Schiefferdecker, Unter- suchung einer Anzahl von Muskeln von Vögeln in bezug auf ihren Bau und ihre Kernverhältnisse. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 150 S. 487—548, u Figuren im Text. 1913. Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 541 Herzmuskulatur nimmt eine Mittelstellung ein zwischen der glatten Muskulatur und der quergestreiften Skelettmuskulatur. Ich habe bisher noch keine Gelegenheit gehabt, die glatte Muskulatur nach meiner Methode zu untersuchen; es ist aber wohl möglich, dass eine solche Untersuchung den Schlüssel für das Verständnis dieses eigen- articen Verhaltens des Herzens liefern würde. Dass diese Unterschiede in der Kerngrösse nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Tieren vorkommen werden, ist wahr- scheinlich. Sollte das beim Hunde der Fall sein, so würde eine Untersuchung der so zahlreichen Hundeformen wahrscheinlich recht wichtige Ergebnisse für die so komplizierten Abstammungsverhält- nisse dieser Tiere liefern. Ich will jetzt übergehen zu einer anderen Betrachtungsweise der Kernform, zu dem „Dicke-Länge-Verhältnisse“ des Kernes (Tabelle IV). Ich habe diese Verhältniszahlen in meinen ersten drei Muskelarbeiten noch nicht berechnet, erst bei der Untersuchung der Froschmuskeln wurde ich darauf aufmerksam, dass sie von Wichtigkeit sind. Eine Kugel hat bekanntlich im Verhältnisse zu ihrem Inhalte die kleinste Oberfläche; je mehr ein Körper von der Kugelform abweicht, um so grösser wird seine Oberfläche im Ver- hältnisse zu seinem Inhalte. Das Verhältnis der Oberfläche zu ‘dem Inhalte ist bei den Kernen recht wichtig, denn je grösser die . Oberfläche eines Kernes ist, um so reger werden voraussichtlich die chemischen und physikalischen Beziehungen des Kernes zu der Zelle sein — wenigstens falls die chemische Zusammensetzung und die physikalische Beschaffenheit des Kernes sonst dieselbe ist —, und auf diese Beziehungen müssen wir doch wohl den Einfluss des Kernes auf die Zelle zurückführen. Nun habe ich, wie oben schon. an- gegeben, das Kernvolumen in der Weise festgestellt, dass ich aus der Kernlänge und dem Kernquerschnitte einen Zylinder berechnete, der in seinem Inhalte dem Inhalte eines Durchschnittskernes ent- sprach. Wenn ich nun den Durchmesser des kreisförmigen Zylinder- querschnittes berechne und ihn mit der Kernlänge vergleiche, wobei der Durchmesser gleich „l* gesetzt wird, dann erhalte ich die erwähnten Verhältniszahlen, den „Kernindex“. Ich habe dieses Verhältnis . kurz bezeichnet als „DK : LK“ das heisst „Dicke des Kernes“ : „Länge . des Kernes“. Je grösser die zweite Zahl, die Indexzahl, ist, um so länger ist der Kern im Verhältnisse zur Dicke, um so mehr weicht er also von der Kugelform ab, um so grösser wird also seine Ober- 42 E. Schiefferdecker: AL fläche im Verhältnisse zu seinem Inhalte sein, um so stärker kann also auch der Einfluss des Kernes auf die Zelle sein. Aus den so sewonnenen Zahlen geht nun einmal hervor, dass sie von der Grösse des Kernvolumens nicht abhäneig sind, die verschieden grossen Kerne können ganz Ähnliche Verhältniszahlen besitzen. Die Kernform ist also unabhängig von der Kerngrösse. Zweitens ergibt sich aus diesen Zahlen, dass die Gruppe der jüngsten Kinder und die der Erwachsenen, einschliesslich der beiden Exoten, ganz ähnliche Ver- hältniszahlen aufweisen, dass dagegen die Gruppe der 2—4jährigen Kinder und die Gruppe der Halbwüchsigen wesentlich grössere Zahlen zeigen, die 10jährige Kreut. schliesst sich aber den erst- genannten Gruppen an. Während die Gruppe der jüngsten Kinder eine durchschnittliche Verhältniszahl von 1: 2,88, oder einfacher den Index 2,88 besitzt, die 10 jährige Kreut. 2,68, die Gruppe der er- wachseren Deutschen 2,51 und die beiden Exoten 2,46 aufweisen, alles Zahlen, die verhältnismässig gut untereinander übereinstimmen, zeigt die zweite Kindergruppe die Indexzahl 3,68 und die Gruppe der Halbwüchsigen 3,63, Zahlen, die wieder merkwürdig gut unter- einander übereinstimmen. Wie soll man nun dies eigentümliche Verhalten richtig deuten? Ich meine, man könnte daran denken, dass während bestimmter Zeiten der kindiichen Ent- wicklung eine besonders lebhafte Kerntätigkeit nötig sei. Dann würden die für die zweite Kindergruppe und für die Halbwüchsigen gefundenen Zahlen verständlich sein. Die anders- artige Zahl der 10jährigen Kreut. würde darauf schliessen lassen, dass dieses Lebensjahr in eine Periode geringerer Kerntätigkeit fiele. Man müsste also annehmen, dass die Zeit der Kindheit in verschiedene Perioden zerlegt werden könne, in denen die Grösse der Kerntätigkeit verschieden ist. Bei den grossen Lücken in meinem Materiale vermag ich diese Perioden noch nicht genauer zu begrenzen, das muss späteren Unter- suchungen überlassen bleiben. Ich kann nach der vorliegenden Unter- suchung es nur als wahrscheinlich hinstellen, dass sie vorhanden sind, und das ist schon wichtig genug. Selbstverständlich würden überhaupt noch weitere Untersuchungen nach dieser Richtung not- wendig sein, um die Wahrscheinlichkeit, dass solche Perioden vor- handen sind, zu erhöhen oder sie in Gewissheit zu verwandeln. Dass in der Zeit der Kindheit in der Tat verschiedene Wachstums- Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 543 perioden zu unterscheiden sind, ist wohl sehr wahrscheinlich. Auch Stratz!) nimmt das an in seinem Buche über den Körper des Kindes. Die von Stratz angenommenen Perioden würden aller- dings nicht genau, aber doch immerhin einigermaassen, zusammen- fallen mit denen, die wir nach dem Verhalten des Herzens wahr- scheinlich zu unterscheiden haben würden. Stratz nimmt die folgenden Perioden an: 1. das Säuglingsalter (0—1 Jahr), 2. die Periode der ersten Fülle (1—4 Jahre), 3. die der ersten Streckung (—7 Jahre), 4. die der zweiten Fülle (3—10 Jahre), 5. die der ‘zweiten Streekung (11—15 Jahre), 6. die der Reife (15—20 Jahre). Wie man sieht, würden einige von den Stratz’schen Perioden mit den für das Herz anzunehmenden zusammenfallen. Auffallend ist die hohe Indexzahl der Frau Z (4,24) im Gegen- satze zu denen der übrigen Erwachsenen. Sie spricht dafür, dass in diesem Falle eine wesentliche Veränderung der Kernform in- folge des die leichte Herzhypertrophie bedingenden Klappenfehlers eingetreten ist. Man könnte da zunächst an eine Dehnung der Herzfasern denken, wodurch eine Verdünnung dieser und gleichzeitig eine Dehnung des Kernes und damit auch eine Verlängerung und Verdünnung dieses eingetreten wäre. Ich habe schon oben darauf aufmerksam gemacht, dass in dem Falle der Frau Z manches für eine solche Dehnung spricht. Eine Verlängerung des Kernes habe ich bisher nur in meiner ersten Muskelarbeit bei Atrophien feststellen können. Von einer solchen kann in dem vorliegenden Falle nicht die Rede sein. Für den Fall der Frau Z müsste man wohl annehmen, dass zu- nächst eine leichte Hypertrophie mit Vergrösserung der Fasern ein- getreten ist, dann eine Dehnung mit Verlängerung und Verdünnung von Kern und Faser. Hierfür würde auch die niedrige Zahl für die Grösse des Faserquerschnittes sprechen. Weiter könnte man hier aber auch annehmen, dass infolge der erhöhten Tätigkeit des Herzens und infolge der für die Hypertrophie anzunehmenden stärkeren Zelltätigkeit auch eine erhöhte Einwirkung des Kernes auf die Zelle nötig geworden sei, und dass auch aus diesem Grunde sich die Form des Kernes verändert habe, geradeso wie in den ver- 1) C. H. Stratz, Der Körper des Kindes und seine Pflege, 3. Aufl., XVI und 336 Seiten mit 312 Figuren im Text und 4 Tafeln. Ferdinand Enke, Stuttgart. 1909. 544 P. Schieffedecker: schiedenen Kindheitsperioden. Das Wahrscheinlichste ist wohl, dass beides zusammen eingetreten ist. Es würde dies dann zugleich ein Beispiel sein für die Veränderlichkeit der Zellteile bei wechselnder Tätigkeit infolge von veränderten Ansprüchen an das Organ. Die berechneten Verhältniszahlen geben mir das Verhältnis der Kernoberfläche zu dem Kerninhalte immerhin nur in groben Um- rissen an. Die Kernform kann ja noch in ganz anderer Weise von der Kugelform und von der angenommenen Zylinderform stark ab- weichen. Ich habe in der histologischen Beschreibung am Anfange dieser Arbeit schor angeführt, dass die Kerne im Herzen häufig mehr als Platten erschienen oder auf dem Querschnitte andere un- regelmässige Formen zeigten, so zum Beispiel mitunter mehr an Dreiecke erinnerten. Derartige Kernformen werden natürlich noch eine weitere starke Oberflächenvergrösserung im Verhältnisse zum Inhalte bewirken. Diese verschiedenartigen Abweichungen der Kern- form zahlenmässig zu berücksichtigen, ist aber völlig ausgeschlossen. Will man mit ihnen ebenfalls rechnen, so muss man eben die oben gegebene Beschreibung des mikroskopischen Bildes für jeden Fall zu Hilfe nehmen. Vergleicht man die hier angeführten Verhältniszahlen mit den bei den bisher untersuchten Muskeln gefundenen, so ergibt sich, dass die Kerne der Herzmuskelfasern im Verhältnisse zur Länge sehr dick sind, dicker als fast alle bisher untersuchten. Die Kerne des menschlichen Augenmuskels zeigen Verhältniszahlen, die bei Erwachsenen zwischen 1: 2,98 und 1: 3,87 liegen; die Zahlen für den Deltoides sind 1:3,72 und 1:4,20 (auch bei Erwachsenen); beide Zahlen würden also höher sein als die bei dem Herzen für die Erwachsenen gefundenen (2,51 und 2,46 für die Deutschen und die Exoten im Durchschnitte) und würden etwa den Zahlen für die zweite Kindergruppe und für die Halbwüchsigen entsprechen. Von Zahlen bei anderen Tieren würden nur die für die roten Kaninchenmuskeln (zwischen 1:3,17 und 1:5,49) und die für die roten Karauschen- muskeln (1:2,23 und 1:3,50) ähnlich sein, während die für die weissen Muskeln bei beiden Tieren wesentlich andere sind, (Kaninchen 1:6,09 bis 1:811 und Karausche 1: 6,96 und 1:7,67). Bei diesem Vergleiche ist es ganz interessant, dass die roten Muskeln dieser beiden Tiere sich dem stark roten Herzmuskel und den Skelettmuskeln des Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 545 Menschen, die nach Lehmann!) ebenfalls als rote Mus- keln anzusehen sind, in dieser Hinsicht stark nähern, während die weissen Muskeln eine wesentliche Ab- weichung erkennen lassen. Bei den weissen Muskeln des Frosches’) (S. 423) lagen die Verhältniszahlen zwischen 1:6,2 und 1: 9,5, nur eine war noch höher (1: 11,5). Diese Zahlen entsprechen also ganz gut den hier soeben von den weissen Muskeln des Kaninchens und der Karausche angegebenen. Da die Frosch- muskelkerne sonst weit grösser waren als die der genannten Tiere und des Menschen, so ist die Ähnlichkeit dieser Verhältniszahlen um so auffallender und würde für eine wesentliche Bedeutung der- selben sprechen. Ganz verschieden von den bisher angeführten waren diese Verhältniszahlen bei den Hühnermuskeln°) (S. 535), bei denen sie zwischen 1: 21,00 und 1:40,00 lagen, während sie bei dem Pectoralis des Grünfinks und des Sperlings 1: 14,00 und 1:15,50 betrugen. Bei diesen Vogelmuskeln war also die Grösse der Oberfläche im Verhältnisse zu der des Inhaltes eine sehr be- deutende. Was endlich das menschliche Zwerchfell anlangt, so zeichneten sich bei diesem diese Verhältniszahlen nicht besonders vor denen der übrigen Körpermuskeln aus, sondern lagen in der Breite dieser; doch waren sie meist höher als die des menschlichen Herzens. Sie lagen zwischen 1:93,46 und 1:5,70, entsprachen also auch wieder mehr kürzeren und dickeren Kernen mit verhältnis- mässie geringer Oberfläche. Da das Zwerchfell auch wieder ein stark hämoglobinhaltiger Muskel ist, so bestätigt diese Beobachtung die Annahme, dass die stark hämoslobinhaltigen Muskeln kürzere unddickere Kerne besitzen, während dieschwach hämoglobinhaltigen Muskeln längere und dünnere auf- weisen, die stark hämoglobinhaltigen Muskeln würden also danach Kerne mit verhältnismässig geringer Oberfläche besitzen, die schwach hämoglobinhaltigen solche mit verhältnismässig grosser Oberfläche. I)K. B. Lehmann, Untersuchungen über den Hämoglobingehalt der Muskeln. Zeitschr. f. Biol. Bd. 45 oder N. F. Bd. 27 S. 324—345. 1904. 2) P. Schiefferdecker, Untersuchung einer Anzahl von Muskeln von Rana esculenta in bezug auf ihren Bau und ihre Kernverhältnisse. Arch. f. d. ges, Pbysiol. Bd. 140 8. 363—435. 1911. 3) P. Schiefferdecker, Untersuchung einer Anzahl von Muskeln von Vögeln in bezug auf ihren Bau und ihre Kernverhältnisse. Arch. f. d. ges. Physiol.- Bd. 150 S. 437—548, mit 9 Figuren im Text. 1913. 546 P. Schiefferdecker: Hieraus würde dann wieder zu schliessen sein, dass die Beziehungen des Kernes zu der Zelle bei den blassen, schwach. hämoglobinhaltigen Muskeln stärkere und regere sind als bei den stark hämoglobinhaltigen, roten Muskeln, an deren Spitze das Herz steht. Diese Annahme würde wieder passen zu der bekannten Beobachtung, dass, bei manchen Tieren wenigstens, die blassen Muskeln sehr schnelle Bewegungen ausführen, während die roten mehr lanesame und dauernde Bewegungen vollführen. Diese Beobachtung stimmt ja aller- dings nicht für alle Tiere. Beim Frosche zum Beispiel war die Er- klärung für die verhältnismässig grosse Kernoberfläche nicht in der Schnelligkeit der Bewegungen zu suchen, sondern darin, dass die Muskelfasern hier nur wenige, aber sehr grosse Kerne besassen. Durch die Grösse der Kernoberfläche wurde dieses für die Muskel- tätigkeit sehr ungünstige Verhältnis wenigstens einigermaasen wieder ausgeglichen. Ich habe hier soeben das auffallend grosse Kernvolumen beim Frosche erwähnt; es war grösser, und zwar erheblich grösser, als alle bei den sonstigen Tieren und dem Menschen bisher gefundenen Werte. Vergleicht man nun aber die Zahlen für den Herz- muskel des Menschen mit den bisher gefundenen Wer- ten für dasKernvolumen, so ergibtsich diesehr merk- würdige Tatsache, dass sie mit denen des Frosches recht gut übereinstimmen, also weit grösser sind als alle sonst gefundenen. Ich will hier einige Beispiele dafür anführen. Das Kernvolumen für den Augenmuskel!) (S. 282 u. 283) der menschlichen Erwachsenen lag zwischen 93 und 107, das für den Deltoides betrug 93 und 96, für den Pectoralis major 92, für den Biceps 97, für den Serratus 106. Die Zahlen für den Levator palpebrae superior des erwachsenen Menschen waren 54 und 68. Die Zahlen für die weissen Kaninchen- muskeln lagen zwischen 55 und 86, die für die roten zwischen 83 und 124. Die Zahlen für die weissen Karauschenmuskeln betrugen 34 und 38, und die für die roten lagen zwischen 18 und 39. Die für das Zwerchfell?) (S. 402) lagen zwischen 66 1) P. Schiefferdecker, Muskeln und Muskelkerne. 317 Seiten mit 20 Abbildungen im Text. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1909. 2) P. Schiefferdecker, Untersuchungen über den feineren Bau und die Kernverhältnisse des Zwerchfelles in Beziehung zu seiner Funktion sowie über Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 547 und 92 und endlich die der Vogelmuskeln!) (S. 535) zwischen 24 und 50. Man erkennt aus den mitgeteilten Zahlen, dass die Kerne des menschlichen Herzmuskels ganz ausser- ordentlich gross sind, und dassin dieser Hinsicht der Herzmuskel wieder eine ganz besondere Stellung ein- nimmt. Da sie nun ausser der Grösse noch eine verhältnismässig sehr geringe Oberfläche besitzen, so wird das Verhältnis zwischen Kern und Zelle nach dem oben Besprochenen, was Form und Oberfläche anlangt, ein recht ungünstiges, aber allerdings der Funktion des Herzens angepasstes sein, insofern es für eine andauernde, mässig grosse Tätigkeit spricht. Da ist es dann wohl denkbar, dass zu bestimmten Zeiten der kindlichen Entwicklung in der Tat ein günstigeres Verhältnis eintreten muss durch eine Verlängerung der Kerne, und damit eine Vergrösserung der Kernoberfläche, wie ich es oben für die zweite Kindergruppe und die der Halbwüchsigen als denkbar und möglich hingestellt habe. Man braucht ja zum Beispiel nur anzunehmen, dass in solchen Perioden der kindlichen Entwieklung ein stärkeres Wachstum des Körpers und damit des Herzens ein- trittt, wofür das gewöhnliche Verhältnis des Kernes zur Zelle nicht ausreicht. Durch diese eigenartigen Kernverhältnisse würden vielleicht auch jene Herzerscheinungen zu verstehen sein, die jetzt im Felde bei so vielen Soldaten infolge der sehr starken und andauernden‘ Märsche aufgetreten sind. Der hierbei verlangten stärkeren Zelltätigkeit entsprechen eben nicht die Kernverhält- nisse. Um dieser Frage näher zu treten, würden Untersuchungen des Herzens von gut trainierten Sportsleuten sehr erwünscht sein. Es dürfte nur sehr schwierig sein, das Material dazu zu erhalten. In Tabelle V habe ich die Zahlen für die „Modifizierten Kern- zahlen“ und die für die „Gesamtkernmasse“ zusammengestellt. das Bindegewebe der Muskeln.‘ Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 139 S. 337—427, mit 7 Textfiguren. und 4 Fahnentabellen. 1911. 1) P. Schiefferdecker, Untersuchung einer Anzahl von Muskeln von Vögeln in bezug auf ihren Bau und ihre Kernverhältnisse. ‘ Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 150 S. 487548, mit 9 Figuren im Text. 1913. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 37 548 P. Schiefferdecker: Tabelle V, Herzmuskeln. Modifizierte Kernzahlen und Gesamtkernmasse. Name Alter Modifizierte Gesamt- und Geschlecht in Jahren Kernzahlen kernmasse Wii. weiblich own 2% 1 0,88 95 Nissen 1 1,14 21,05 104 7104 Wey., männliche... 1!/a 1,13 113 Balls weiblich a 2: 2 0,79 | 12 } Tanga man 3 0,81 87 RER 3 0,76 9% 112 g [01 1 ER Re 3—4 0,66 94 Kreut., wablich: 2... 10 0,80 155 Mädchen Rx rn 15 0,58 0.61 132 Gre,, weiblichn. a0 2.2. 15 0,64 J 0,52 147 7141 Biriens, weiblichen 2 16 0,48 145 Mann Auer 22 0,56 142 MannıB ir N 24 0,71 70,64 122132 Wie, weiblien 2.2.2 2% 27 0,75 133 Fra. Zn RER He 2 0,40 835 Mus. (Italienerin). . ....» 17 0,55 156 Kamerumnesers 0. 2 2.2: 21 0,73 143 De Chinese ° . 30 0.457059 12) 425 Über die „Modifizierten Kernzahlen ist zunächst das Folgende zu sagen. Die „Absoluten Kernzahlen“, welche direkt durch Be- rechnung als Durchschnittszahlen gefunden werden, geb2ı mir wohl richtige Grössen an für den betreffenden Muskel, erlauben mir aber nicht, das richtige Verhältnis zu finden, wenn ich zwei verschiedene: Muskeln miteinander vergleiche, wenigstens wenn diese Muskeln Kerne von verschiedener Länge besitzen. Da die Kernzahl der Fasern festgestellt wird durch die Auszählung der Kerne auf den Querschnitten, so werde ich verhältnismässig hohe Kernzahlen er- halten bei Muskeln, welche lange Kerne haben, und verhältnismässig niedrige bei Muskeln, welche kurze Kerne haben. Die langen Kerne werden eben auf den Querschnitten häufiger getroffen worden sein als die kurzen. Wenn ich also beim Vergleiche von Muskeln mit. verschieden langen Kernen die Verhältniszahlen der wirklich vor- handenen Kerne richtig erhalten will, so muss ich dabei die Kernlänge berücksichtigen. Ich muss also die direkt gewonnenen „Absoluten Kernzahlen“* durch Rechnung abändern unter Berücksiehtigung der Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 549 Kernlängen. Es folgt hieraus, dass die so gefundenen „Modifizierten Kernzahlen“ nur relative Zahlen sind, die nur Geltung haben für die gerade miteinander verglichenen Muskeln. Für diese sind sie aber auch die einzig richtigen und daher von Wichtigkeit. Vereleicht man nun die in Tabelle V aufgeführten „Modifizierten Kernzahlen“ mit den in Tabelle II aufgeführten „Absoluten Kern- zahlen“, so findet man hier beim Herzen recht wesentliche Unter- schiede, da die Zahlen für die „Kernlänge“ ja recht grosse Unter- schiede aufwiesen. Bei den früher von mir untersuchten Muskeln waren die Zahlen für die „Kernlänge“ nur sehr wenig voneinander verschieden, und infolgedessen waren dann natürlich auch die Unter- schiede zwischen den „Modifizierten“ und den „Absoluten Kernzahlen* meist nur so gering, dass sie kaum ins Gewicht fielen. Ich habe daher früher die „Modifizierten Kernzahlen“ auch nur wenig benutzt; hier beim Herzen sind sie aber wesentlich. Ich habe oben bei der Besprechung der „Absoluten Kernzahlen“ feststellen können, dass eine Verringerung der Kernzahl von den Kindern bis zum Erwachsenen hin zweifellos eintritt, wenn auch individuelle Verschiedenheiten hierbei deutlich hervortraten. Nament- lich auffallend war eine starke Verringerung, die nach Schluss des 15. Lebensjahres bis zum Erwachsenen hin eintrat. Auch bei den „Modifizierten Kernzahlen“ ist eine solehe Abnahme deutlich, doch tritt hier eine starke Abnahme schon ein in der Gruppe der Halb- wüchsigen und bleibt dann weiter bei den Erwachsenen bestehen. Es liegt dies daran, dass bei den halbwüchsigen Mädchen gerade besonders lange Kerne auftraten. Ich muss es dahin gestellt sein lassen, wie weit hier bei dem doch immerhin nur sehr geringen Materiale der Zufall eine Rolle gespielt hat. Sehr auffallend ist auch der sehr grosse Unterschied zwischen dem Kamerunneger und dem Chinesen (0,73 : 0,48), der bedingt wird durch die auffallend langen Kerne des Chinesen. Nehmen wir die Durchschnittszahlen der verschiedenen Gruppen, so erhalten wir für die erste Kinder- gruppe die Zahl 1,05, für die zweite Kindergruppe 0,75 (also ein sehr beträchtlicher Unterschied), für die lOjährige Kreut. 0,80, für die Gruppe der Halbwüchsigen 0,52, eine auffallend niedrige Zahl, die im wesentlichen herbeigeführt wird durch die sehr geringe Zahl für die 16jährige Fren. Die Gruppe der er- wachsenen Deutschen ergibt die Zahl 0,64 und die der beiden Exoten 0,59. Wie man sieht, sind die Zahlen für die Gruppe Old 550 EeH P. Schiefferdecker: der Halbwüchsigen, für die der erwachsenen Deutschen und für die der beiden Fxoten im ganzen nicht wesentlich verschieden, wenn man die besonders niedrige Zahl von Fren. nicht berücksichtigt. Lässt man die ‚letztere bei der Gruppe der Halbwüchsigen aus, so steigt die Durehschnittszahl auf 0,61 und stimmt dann in der Tat recht gut überein mit den beiden Zahlen für die Erwachsenen (0,64 und 0,59). Es scheint also, dass die Kernzahlen im 15. Lebens- jahre schon die Höhe erreichen, die sie später beim Erwachsenen besitzen. Es würde dieses eine Korrektur des Schlusses sein, den ich oben aus den „Absoluten Kernzahlen“ ge- zogen habe. Mit den bei früheren Muskeln gewonnenen Zahlen kann man diese „Modifizierten Kernzahlen“ nicht direkt vergleichen, da sie, wie gesagt, als relative Zahlen nur für die hier verglichenen Muskeln ihre Berechtigung haben. In der letzten Kolumne der Tabelle V sind die Zahlen für die „Gesamtkernmasse“ angegeben. Diese Zahlen sind so gefunden worden, dass die „Modifizierte Kernzahl“ multipliziert wurde mit dem „Kernvolumen“. Auch diese Zahlen sind dementsprechend nur re- lative, welche nur Wert haben für den Vergleich der gerade in Rede stehenden Muskeln. Es sind Verhältniszahlen, welche mir an- geben, in welchem Grössenverhältnisse die Gesamtkernmasse in gleichen Faserabschnitten der betreffenden Muskeln stehen. Hieraus folgt, dass sie mir auch das Grössenverhältnis für die Gesamtkern- masse eines gleich grossen Herzabschnittes angeben müssen. Da zur Berechnung der Zahlen für die Gesamtkernmasse ziemlich viele einzelne Berechnungen notwendig sind und hierbei mehrere Zahlen verwendet werden, die sich bei dem im ganzen doch immer noch sehr geringen Materiale, das zur Verwendung gekommen ist, stets nur einigermaassen sicher haben finden lassen, so kann man wohl an- nehmen, dass diese Zahlen für die „Gesamtkernmasse“ mit etwas grösseren Fehlern behaftet sein werden als die meisten anderen Zahlenwerte, doch werden sie im grossen und ganzen wohl einen genügend richtigen Ausdruck der wirklich vorhandenen Verschieden- heiten ergeben. Man muss sie also mit Vorsicht verwenden. Aus diesen Zahlen folgt nun jedenfalls so viel, dass vom Kinde bis zum Erwachsenen eine nicht unwesentliche Zunahmeder Kernmasse stattfindet — es ist hierbei nur die Zunahme der Kerne berücksichtigt, nicht die der Fasern —, und dass beim Unt ersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 551 10jährigen Kinde schon die Zahl für die Erwachsenen erreicht wird. Auch hier treten aber wieder ziemlich starke individuelle Verschiedenheiten hervor, welche das Gesamtbild mehr oder weniger stören. Etwas Weiteres lassen diese Zahlen noch erkennen, was mir recht wichtig zu sein scheint. Ich habe oben bei der Besprechung der Zahlen für das Kernvolumen feststellen können, dass unter meinem Materiale sich Menschen befanden, welche „grosse Kerne“ und andere, welche „kleine Kerne“ besassen. Die Unterschiede zwischen den beiden Kernarten waren recht erheblich. Vergleicht man nun diese in Tabelle IV aufgeführten Zahlen mit den Zahlen der „Gesamtkernmasse“, so erkennt mıan leicht, dass diese Unter- schiede im Kernvolumen bei der Gesamtkernmasse mehr oder weniger stark verwischt werden. Ich will nicht die sämtlichen Zahlen mit- einander vergleichen, es ist ja leicht, das selbst auszuführen, sondern nur ein paar Stichproben anführen. So hat die 1Ojährige Kreut. ein Kernvolumen von 194 und eine Gesamtkernmasse von 159, während die 15jährige Cre. ein Kernvolumen von 230, aber eine Gesamtkernmasse von 147 aufweist, und die 16jährige Fren. sogar bei einem Kernvolumen von 303 eine Gesamtkernmasse von 145, Ähnlich auffallend ist der Unterschied bei den beiden Exoten: der Kamerunneger hatte ein Kernvolumen von 196, der Chinese von 296, die Zahlen für die Gesamtkernmasse sind aber 143 und 142, stimmen also genau miteinander überein. Es ergibt sich hieraus sehr deutlich, dass die hohen Zahlen für dieKernvolumina durchaus nicht bestimmend sind für die Kernmasse eines Muskels. Das ist ein sehr wichtiger Schluss. Zwei Menschen mit ganz verschieden grossen Kernen könnenin ihren Muskeln also trotzdem eine gleiche oder Ähnliche Kernmasse besitzen. Es findet hier also augenscheinlich ein Ausgleich statt durch andere Kernverhältnisse. Trotzdem ein solcher Ausgleich ein- treten kann, würde zwischen den beiden gedachten Menschen doch ein wesentlicher Unterschied bestehen bleiben infolge der verschiedenen Kerngrösse: die Verteilung der Kernmasse würde eine andere bei beiden sein und das Verhältnis der Kerne zu den Zellen. Das würden aber für die ganze Funktion sehr wichtige Unterschiede sein. Hier beim Herzen sind die Zahlen für die Gesamtkernmasse bei den verschiedenen Erwachsenen einander ziemlich ähnlich, das 592 P. Schiefferdecker: braucht aber nicht immer der Fall zu sein, wie das Beispiel des Zwerchfelles erkennen lässt. Bei diesem waren die Zahlen für die Gesamtkernmasse sogar recht stark verschieden bei den untersuchten Erwachsenen !) (S. 407). Sie schwankten zwischen 87 und 154 (bei den Deutschen), unterschieden sich also um 77°o. Dabei war auch hier wieder nachzuweisen, dass die Grösse der Zahlen für das Kern- volumen für die Höhe der Gesamtkernmasse nicht entscheidend war, es fanden also auch hier Auseleiche oder Änderungen durch andere Kernverhältnisse statt. Die Unterschiede bei der Gesamtkernmasse waren aber bei dem Zwerchfelle grösser als die bei dem Kern- volumen: bei dem letzteren 38°/o, bei der ersteren dagegen 77 °/o, also etwa das Doppelte. Indiesen Kernverhältnissen unter- scheidet sich also das Herz recht wesentlich von dem Zwerchfelle. Ob dieser Unterschied in seiner histologischen Be- schaffenheit oder in seiner Funktion begründet ist, lässt sich vor- läufig nicht sagen. Eine ganz besondere Stellung nimmt hier auf Tabelle V die Frau Z mit ihrer leichten Herzhypertrophie ein. Die „Modifizierte Kernzahl“ ist bei ihr ganz besonders klein (0,40), und dementsprechend ist dann auch die Zahl für die „Gesamtkernmasse“ weit kleiner als alle anderen (85). Die „Absolute Kernzahl“ war ja schon recht klein, dazu kam die recht bedeutende „Kernlänge“, und so ergab sich dann die niedrige „Modifizierte Kernzahl*. Auch das „Kern- volumen“ war verhältnismässig klein (212), denn man muss nach dieser Zahl annehmen, dass diese Frau „grosskernig“ gewesen ist, und für grosse Kerne ist die Zahl 212 nicht hoch. Dass das Kern- volumen trotz der hohen Zahl für die Kernlänge doch nur gering war, liegt an der Kleinheit der Zahl für die „Absolute Kerngrösse“ (Tabelle II), die deutlich kleiner war als die übrigen Zahlen der Er- wachsenen. Vielleicht kann man aus diesen Zahlen wieder schliessen, dass in diesem Falle neben einer leichten Hypertrophie vor allem eine Dehnung des Herzens vorhanden war, infolge deren eine Dehnung der Herzmuskelfasern und damit auch der Kerne ein- getreten war, wobei aber die Fasern etwas stärker gedehnt worden waren als die Kerne. Für eine solche Dehnung der Fasern mit 1) P. Schiefferdecker, Untersuchungen über den feineren Bau und die Kernverhältnisse des Zwerchfelles in Beziehung zu seiner Funktion sowie über das Bindegewebe der Muskeln. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 139 S. 337—427, mit 7 Textfiguren und 4 Fahnentabellen. 1911. Untersuchung des menschl, Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 553 einer daraus folgenden Verdünnung derselben, welche die Dicken- zunahme mehr als aufhob, spricht ja auch die in Tabelle I an- geführte sehr geringe Grösse des Faserquerschnittes (177 :261, als Durchschnittszahl der Erwachsenen). Für eine solche Dehnung, auch der Kerne, spricht dann weiter die in Tabelle II angeführte sehr kleine Zahl für die Grösse des Kernquerschnittes (12,48: 17,14 als Durchsehnittszahl für die Erwachsenen). Für eine solche Dehnung des Kernes spricht dann endlich weiter auch die in Tabelle IV an- geführte sehr hohe Zahl für die Kernlänge (16,97 :12,03, als Durch- sehnittszahl der Erwachsenen). Ich habe oben schon angeführt, dass es, nachdem ich in dieser Arbeit die Grundzüge des Herzaufbaues nach meiner Methode festgestellt habe, nun sehr wichtig sein würde, erkrankte Herzen, namentlich auch die verschiedenen Grade der Hypertrophie und Dehnung, in derselben Weise zu untersuchen. Vielleicht ist es mir noch möglich, eine solche Untersuchung aus- . zuführen. Leicht wird sie nicht sein, einmal wegen der Beschaffung des Materials und dann vor allem wegen der dabei zu berück- sichtigenden verschiedenen Erkrankungserscheinungen. Sie würde aber wahrscheinlich sehr wichtige Resultate ergeben für das Ver- ständnis dieser Erkrankungszustände. In der vorliegenden Arbeit habe ich diesen Fall von leichter Hypertrophie ja nur aus dem Grunde mit verwendet, um einen Eindruck davon zu bekommen und zu geben, wieweit bei einer solehen Erkrankung Abweichungen von dem normalen Baue zu erwarten sind, und es hat sich ja nun auch ergeben, dass hier starke Abweichungen vorhanden sein werden. Recht interessant ist es dabei, dass aus der in Tabelle II angeführten Zahl für die relative Kernmasse hervorgeht, dass das Verhältnis der Kernmasse zur Fasermasse, das ja zu den wichtigsten gehört, bei der Frau Z. noch kaum eine Abweichung von dem Durchschnitte der übrigen Erwachsenen erkennen lässt (3,73 :3,90, als Durchschnitts- zahl der Erwachsenen); die Zahl ist nur ganz wenig kleiner. Ich habe aber oben schon hierzu bemerkt, dass man ja allerdings nicht wissen kann, wie gross die Zahl vor der Erkrankung gewesen ist. Immerhin kann man wohl annehmen, dass die Verkleinerung der Zahl nur eine ganz geringfügige gewesen ist, und daraus folgt dann der weitere Schluss, dass bei der Dehnung des Herzens Kern und Faser sich in annähernd gleichem Grade verändert haben müssen; wahrscheinlich ist die Faser etwas stärker gedehnt worden als der Kern. 554 »P. Schiefferdecker: Ein Schluss, der für. den Mechanismus einer solchen Dehnung a wichtig ist. Edens!) teilt in seiner Arbeit mit, dass Zielonko?) die Muskelfasern hypertrophischer Herzen dünner als normal gefunden habe und angenommen habe, die Massenzunahme beruhe auf dem Wachstume präexistierender junger Zellen oder Zellenneubildung. Die spätere Forschung habe nachgewiesen |Goldenberg?°), Tangl*), Stadler’) u. a.], dass die Muskelfasern hypertrophischer Herzen einen grösseren Querdurchmesser als die normaler Herzen haben, doch bestehen Meinungsverschiedenheiten darüber, ob die Vom durch die Vergrösserung des Sarkoplasmas [Albrecht®), Mor- purgo?)] oder der Fibrillen [Aschoff®)] stattfindet. Tangl und Stadler beobachteten wechselndes Verhalten des Sarkoplasmas, das heisst zuweilen normale Mengen, zuweilen überwiegende Vermehrung. Das interstitielle Bindegewebe soll in reinen Fällen nicht vermehrt sein (Tangl); Stadler beschreibt dagegen als konstante Erscheinung diffuse Bindegewebszunahme, die er als Korrelat zur Muskelhyper- trophie auffasst (S. 291). Er sagt dann weiter, nachdem er auf meine Untersuchungen über die Aktivitätshypertrophie beim Hunde ein- gegangen ist: „Wir sehen, die Hauptvermehrung erfährt der Teil des Muskels, den wir als Nährspeicher der Muskulatur anzusehen pflegen, das Sarkoplasma, eine geringe Zunahme zeigen die kontraktilen Ele- mente, die wichtige Kernsubstanz dagegen geht im Verhältnisse zurück.“ (Dies letztere bezieht sich auf meine Befunde beim Hunde. Verf.) „Es liegt nahe, anzunehmen, dass die durch den Vorgang der Hyper- trophie im Baue des Muskels bewirkten Änderungen in sich die Grenzen 1) E. Edens, Über Herzhypertrophie. Deutsches Arch. f. klin. Medizin Bd. 111 8. 288-309. 1913. 2) Zielonko, Pathol.-anatomische und experimentelle Studien über Hypertrophie des Herzens. Virchow’s Arch. Bd. 62. 1875. (Zitiert nach Edens.) 3) Goldenberg, Über Atrophie und Hypertrophie der Muskelfasern des Herzens. Virchow’s Arch. Bd. 103. (Zitiert nach Edens) 4) Tangl, Über die Hypertrophie und das physiologische Wachstum des Herzens. Virchow’s Arch. Bd. 116. 1889. (Zitiert nach Edens.) 5) Stadler, Experimentelle und histologische Beiträge zur Herzhyper- trophbie. Deutsches Arch. f. klin. Medizin Bd. 91. 1908. (Zitiert nach Edens.) 6) Ehrenfried Albrecht, Der Herzmuskel und seine Bedeutung für Physiologie, Pathologie und Klinik des Herzens. Ein Versuch zur Entwicklung einer allgemeinen Pathologie und Symptomatologie der Herzmuskelerkrankungen auf anatomischer Grundlage. Mit 7 Tafeln. Berlin 1903. (Zitiert nach Edens.) 7) B. Morpurgo, Über Aktivitätshypertrophie der willkürlichen Muskeln. Eine experimentelle Studie. Virchow’s Arch. Bd. 150 S. 522-554, mit 1 Tafel. 1597. (Zitiert nach Edens.) 8) Aschoff-Tawara, Die heutige Lehre von den pathologisch - anato- mischen Grundlagen der Herzschwäche. Jena 1906. (Zitiert nach Edens.) = Untersuchung des menschl. Henzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 555 für die Ausdehnung des Prozesses tragen. Maassgebend für das er- reichbare Optimum wird die Zahl und Grösse der ursprünglichen Bau- teile des Muskels sein. Die relative Abnahme der Kernmasse macht es wahrscheinlich, dass der Stoffwechsel dieses wichtigen Bestandteiles der Zelle vermindert wird und erklärt so vielleicht, warum die Kraft- zunahme des Muskels verhältnismässig rascher an die Grenze kommt, die nicht überschritten wird. Die Kernverminderung hindert, so können wir uns vorstellen, dass mehr zugeführte Nahrung für den Aufbau neuer Fibrillen nutzbar gemacht wird.“ (S. 292.) Edens!) hatte, wie er mitteilt, bei seinen Untersuchungen den Wunsch, die „Relative Kernmasse“ zu bestimmen. Da aber die vollständige Verarbeitung einer grösseren Anzahl von Herzen nach meiner Methode, wie er angibt, eine nicht zu bewältigende Auf- gabe war, „so blieb nur der Ausweg, den Herzmuskel chemisch darauf zu bearbeiten, ob sich aus dem Verhältnisse des Gesamtstickstoffes zu dem aus dem Kerne stammenden eine relative Kernmasse er- schliessen liess, die Schiefferdecker’s Befunden entsprach.“ (S. 296.) Es wurden in dieser Weise untersucht fünf normale Fälle, vier Fälle von Hypertrophie und zwei Fälle von Atrophie. Bei dieser Methode erhielt Edens für das normale Herz Zahlen zwischen 1,08 und 1,83, beim hypertrophischen Herzen zwischen 1,00 und 1,85, beim atrophischen Herzen zwischen 1,851 und 2,05. Vergleicht man diese Zahlen mit den oben von mir angegebenen, so ersieht man, dass diese chemischen Zahlen von den mit meiner Methode gewonnenensehrstarkabweichen. Da ieh nach der ganzen Art der Gewinnung meine Zahlen für sicherer halten muss, und da dieselben auch, wie ich in Tabelle II gezeigt habe, vom Kinde bis zum Erwachsenen hin eine deutliche Reihe bilden, was auch für ihre Richtigkeit spricht, so muss ich annehmen, dass die von Edens angewendete chemische Methode nicht geeignet war. Es wird also wohl zunächst nichts weiter übrig bleiben, falls man solche Untersuchungen ausführen will, als meine Methode zu benutzen, wenn sie auch, wie ich gerne zugeben will, sehr mühevoll ist. Dafür ergibt sie aber auch Zahlenwerte, welche hinreichend sicher sind, um sie zu weitgehenden Schlüssen zu be- nutzen, und schafft uns Einsicht in wichtige Verhältnisse, die wir auf eine andere Weise nicht erhalten können. 1) E. Edens, Über Herzhypertrophie. Deutsches Arch. f. klin. Medizin Bd. 111 S. 285—309. 1913. 556 : P, Schiefferdecker: Zu der von Edens angewendeten chemischen Methode möchte ich übrigens noch bemerken, dass ich bei meiner Methode ja nur die Grössenverhältnisse der Kerne und Fasern feststelle. Wieweit die Kerne und Fasern bei den verschiedenen Zuständen des Muskels sich chemisch verändern oder wieweit sie bei den verschiedenen Muskelarten, zum Beispiel den roten und weissen Muskeln, chemisch voneinander verschieden sind, das muss ich völlig unberücksichtigt lassen. Diese Dinge können nur durch besondere Untersuchungen festgestellt werden. Selbstverständlich hat meine Untersuchunes- methode, wie eine jede, ihre bestimmten Grenzen, aber innerhalb dieser erzielt sie Leistungen, die für jede bis jetzt bekannte andere Methode unmöglieh sind. Zusammenstellung der Resultate. 1. Die Form der Kerne auf dem Längsschnitte war bei den einzelnen Herzen ziemlich stark verschieden, oft traten sehr flache Formen auf, wodurch eine bedeutende Vergrösserung der Oberfläche erzielt wird. In vielen Fällen fanden sich durch direkte Teilung entstandene Doppelkerne in mehr oder weniger grosser Verbreitung und mitunter auch auf dieselbe Weise entstandene kürzere oder längere Kernreihen. Indirekte Kernteilung fand sich niemals. Es stimmt dies überein mit meinen bisherigen Befunden an den Skelettmuskeln. 2. Die Kernteilungen sind zum Teile wohl zu beziehen auf das Wachstum des Herzens. Hierfür spricht, dass man gerade bei den Kindern aus dem 1. Lebensjahre sehr viele Kernteilungen vorfand. Zum Teile sind sie aber sicher auch zu beziehen auf andere Ur- sachen, so namentlich auf die Einwirkung der Krankheit auf das Herz, wie ich das für die Skelettmuskeln früher gezeigt habe, bei denen Doppelkerne oder kurze Kernreihen immer als ein sicherer Hinweis darauf zu betrachten waren, dass das Gleichgewicht des Muskels gestört war. 3. Nach den besonders zahlreichen Kernteilungen im 1. Lebens- jahre kann man wohl annehmen, dass zu dieser Zeit ein besonders lebhaftes Wachstum des Herzens vorhanden ist, oder besser aus- gedrückt, eine besonders lebhafte Vermehrung der Herzmuskelzellen, deren weiteres Auswachsen dann später stattfindet. 4. Sarkoplasmahöfe um die Kerne waren bei den sämtlichen kleinen Kindern, bei dem 10jährigen Mädchen und auch bei den beiden l15jährigen Mädchen überhaupt nicht sichtbar, erst bei dem Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 557 16jährigen Mädchen fanden sie sich hin und wieder; bei den Er- wachsenen waren sie meist an allen Kernen mehr oder weniger deutlich und bei der 77jährigen Frau oft sehr gross. Bei einer 92jährigen Frau mit leichter Herzhypertrophie zeigten sich an allen Kernen grosse Sarkoplasmahöfe mit deutlicher, bräunlicher Pigmentie- rung. Eine mehr oder weniger deutliche Pigmentierung fand sich auch bei der 77jährigen Frau. Es geht aus dem Gesagten hervor, dass die Sarkoplasmahöfe erst gegen den Zustand der Reife hin sichtbar werden, dass sie mit dem höheren Alter an Grösse zu- nehmen und dass sie besonders deutlich werden bei Herzhypertrophie. Eine Pigmentierung tritt einmal im höheren Alter ein und zweitens bei Herzhypertrophie. Der Kamerunneger und der Chinese verhielten sich in dieser Hinsicht wie die Deutschen. 9. Die Grösse des Faserquerschnittes nimmt bei den Herzmuskel- fasern im allgemeinen bis zum erwachsenen Zustande hin mit dem Alter zu. Die sehr starke Zunakme bei der 77jährigen Frau dürfte wohl auf eine Veränderung der Herzmuskulatur zurückzuführen sein. Eine besonders starke Zunahme der Querschnittsgrösse findet sich vom 1. zum 2. Lebensjahre (25 °/o). Eine weitere, besonders starke Zunahme vom 15. oder 16. Lebensjahre bis zum erwachsenen Zu- stande hin (41/o). 6. Die in dieser Arbeit gefundene Zahl von 261 qu wird man wohl zunächst als die ungefähre, normale, durchschnittliche Quer- schnittsgrösse der Herzmuskelfaser (allerdings unter Berücksichtigung des Faseräste) bei den jugendlichen erwachsenen Deutschen ansehen dürfen. Verschiedenheiten werden aber wahrscheinlich je nach Gegend und Beschäftigung auftreten. Die beiden Exoten (Kamerunneger und Chinese) zeigten für den Faserquerschnitt um etwa 40°/o höhere Zahlen als die Deutschen, für die Maxima sogar um etwa 69°/o höhere. Das Verhältnis der Zahl für die durchschnittliche Fasergrösse zu der für das Maximum war bei den Deutschen 100 : 195, bei den Exoten 100 : 236. Bei den Exoten sind die Fasern augenscheinlich nicht nur im ganzen gröber, sondern auch unregelmässiger ausgebildet, beides spricht für einen primitiveren Bau des Herzens, also für eine tiefere Stufe, was anthropologisch sehr interessant und wichtig ist. 7. Im Vergleiche zu den Skelettinuskeln des Menschen besitzt das Herz Fasern, die zu den kleinsten menschlichen Muskelfasern BES P. Schiefferdecker: gehören. Je feinfaseriger ein Muskel ist, um so grösser ist im all- gemeinen seine Nervenversorgung, und um so feiner kann seine Funktion abgestuft werden. Hiernach würde das Herz sehr günstig in dieser Beziehung stehen, das Herz der Exoten aber weniger günstig als das der Deutschen. ' S. Vom jungen Kinde bis zum Erwachsenen hin tritt zweifellos im Verhältnisse zu den Fasern eine Abnahme der. Kernzahl ein. Besonders stark ist diese Abnahme in der Zeit des Auswachsens der Halbwüchsigen zu den Erwachsenen. Die Zahlen für die beiden Exoten stimmen mit denen für die Deutschen recht gut überein. Es stimmt dieser Befund damit überein, dass ein besonders starkes Wachstum des Faserquerschnittes in dieser Zeit nachzuweisen ist. Es folet hieraus, dass das Herz sich in dieser Zeit besonders stark vergrössert. Die Anzahl der Quadratmikra der Faserquerschnitte, auf die ein Kern entfällt, wird .also vom jungen Kinde bis zum Erwachsenen hin immer grösser. Die Zahlen für die beiden Exoten stimmen mit denen für die Deutschen recht gut überein; dagegen ist bei ihnen die Menge der (Quadratmikra des Faserquerschnittes, auf die ein Kern entfällt, er- heblich grösser. 9. Es zeigt sich bei der kindlichen Entwieklune des mensch- lichen Herzmuskels eine fortschreitende Zunahme der Grösse des Kernquerschnittes (vgl. auch Nr. 12). Der Grad der Zunahme stimmt aber durchaus nicht überein mit dem der Zunahme des Faserquer- schnittes. Dieser letztere nimmt weit regelmässiger, weit schneller und weit länger zu als der Kernquerschnitt. 10. Die Grösse des Kernquerschnittes zeigt während der Ent- wicklung wesentliche individuelle Verschiedenheiten. Es ist dies sehr wichtig, da es wohl das erste Mal ist, dass es gelingt, solche indivi- duellen Verschiedenheiten für das Wachstum eines Zellteiles während der Entwicklung festzustellen. 11. Beim Zwerchfelle des Menschen stimmte die Querschnitts- grösse des Kernes bei dem Neugeborenen schon recht gut überein mit der des Erwachsenen. Das Zwerchfell zeigte also schon sehr früh eine weit vorgeschrittene Entwicklung. Herz und Zwerchfell sind die beiden einzigen dauernd rhythmisch tätigen menschlichen Muskeln. Da ist es wichtig, dass das Herz, abweichend vom Zwerch- felle, noch eine wesentliche weitere Entwicklung bis zum erwachsenen Zustande hin durchzumachen hat. Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 559 12. Es scheint, dass beim Herzen im 10. Lebensjahre schon die Querschnittsgrösse der Kerne vollständig entwickelt ist. 13. Was das sehr wichtige prozentuale Verhältnis der Kern- masse zur Fasermasse anlangt, die „Relative Kernmasse“, so hat sich ergeben, dass vom jungen Kinde bis zum Erwachsenen hin eine wesentliche Abnahme derselben stattfindet. Zu zwei Zeiten ist diese _ Abnahme besonders stark: am Ende des ersten Lebensjahres und bei der Entwicklung der Halbwüchsigen zu den Erwachsenen. Fast während der ganzen Kindheit bleibt die Zahl annähernd gleich. 14. Die für das Herz gefundenen Werte für die „Relative Kern- masse“ sind ausserordentlich gross; das Herz des erwachsenen Menschen arbeitet also mit einer Kernmasse, die weit grösser ist als die der Skelettmuskeln. Am meisten nähern sich dem Herzen in dieser Hinsicht noch die Augenmuskeln. Sehr auffallend sind beim Herzen die ungemein hohen Zahlen für die „Relative Kernmasse“ bei den ganz jungen Kindern. Für diese fehlt jeder Vergleich bei den Skelettmuskeln. Das Herz nimmt in bezug auf die prozentuale Kernmasse den anderen Muskeln gegenüber eine ganz besondere Stellung ein, auch, was sehr wichtig ist, dem Zwerchfelle gegenüber. Bei den beiden Exoten war die „Relative Kernmasse“ ein wenig kleiner als bei den erwachsenen Deutschen, also etwas ungünstiger. 15. Die „Kernlänge“ war bei den bisher untersuchten Skelett- muskeln bei weitem das konstanteste Maass, bei dem menschlichen Herzmuskel lassen sich dagegen ziemlich grosse Verschiedenheiten feststellen. Diese Verschiedenheiten sind individuelle Das Herz ist von den bisher untersuchten Muskeln der einzige, bei dem individuelle Verschiedenheiten in dieser Hinsicht eine so grosse Rolle spielen. 16. Während der Entwicklung des Herzens vom jungen Kinde bis zum Erwachsenen hin nimmt die Kernlänge nicht zu. Die Skelett- muskeln verhielten sich ebenso. 17. Der Kubikinhalt des Kernes, das „Kernvolumen“, erreicht beim menschlichen Herzen schon im 10. Lebensjahre seine volle Grösse (ob schon früher, kann ich nicht sagen) und bleibt von da an konstant. Es geht das aus den oben besprochenen Zahlenwerten hervor, da die Kernlänge während der ganzen Entwicklung konstant bleibt und der Kernquerschnitt im 10. Lebensjahre seine volle Grösse erreicht. 15. Die Zahlen für das „Kernvolumen“ lassen deutlich erkennen, dass bei manchen Menschen die Kerne der Herzmuskulatur weit 560 P. Schiefferdecker: grösser sind als bei anderen. Fasst man diese Beobachtung zu- sammen mit den bei den früheren Muskeluntersuchungen gemachten, so gelangt man zu den folgenden Schlüssen: Das Kernvolumen be- sitzt für jeden Muskel eine spezifische Grösse, diese zeigt aber bei den verschiedenen Menschen Abweichungen zweierlei Art: a) „individuelle“, die verhältnismässig gering sind und, wie es nach den bisherigen Feststellungen scheint, nicht mehr wie 13—14 /o der kleineren Zahl ausmachen; b) „urrassige“, die weit grösser sind und nach den bisherigen Feststellungen etwa 30—40 °/o der kleineren Zahl betragen. Die ersteren sind Kennzeichen für die Verschiedenheit der In- dividuen voneinander, wie ich das schon vor 13 Jahren in meiner ersten Muskelarbeit als möglich hervorgehoben habe; es sind die ersten zahlenmässig festgestellten Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen. Als solche sind sie daher sehr wichtige. Die letzteren sind von wesentlich anderer Bedeutung. Sie er- lauben den Schluss auf das Vorhandensein von zwei „Urrassen“, von denen wahrscheinlich die sämtlichen jetzt lebenden Menschen ab- stammen: entweder von der durch Vermischung der beiden Urrassen entstandenen „Urmischrasse“ oder von den einzelnen Urrassen selbst. Die eine dieser Urrassen war „grosskernie“, die andere „kleinkernig“. Bei den beiden grossen Menschengruppen, welche jetzt diese Kerneigentümlichkeiten aufweisen, finden sich wieder die individuellen Unterschiede in, wie es scheint, gleicher Höhe. . Auf die Fasergrösse hat dieser Unterschied der Kerngrösse keinen Einfluss. Es ist klar, dass auch physiologisch ein wesentlicher Unterschied zwischen diesen beiden jetzt lebenden, urrassig verschiedenen Mensehengruppen vorhanden sein muss, namentlich wenn, wie das anzunehmen ist, dieser Grössenunterschied der Kerne sich auf alle Organe und Gewebe bezieht. Der Stoffwechsel der Zellen und damit der des ganzen Körpers wird bei beiden wesentlich verschieden sein. Der Unterschied ist also anthropologisch und physiologisch von grösster Bedeutung. Da derartige Kernunterschiede wahrscheinlich auch bei Tieren vorkommen werden, so dürften diesbezügliche Untersuchungen bei den zahlreichen Hundeformen, deren Abstammung so verwickelt ist, wahrscheinlich sehr interessante Ergebnisse liefern. 19. Ob diese Verschiedenheit der Kerngrösse sich so stark Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 561 ausgeprägt wie beim Herzen und beim Zwerchfelle bei allen Muskeln finden wird und bei sämtlichen sonstigen Organen, lässt sich vor- läufig nicht sagen. Bei den vier früher von mir untersuchten Exem- plaren des Rectus oculi superior fanden sich nur individuelle Unter- schiede; es ist ja aber sehr wohl möglich, dass die damals unter- suchten Menschen zufällig alle zu einer Gruppe gehörten. Auch unter den Menschen, deren Zwerchfell ich untersucht habe, war ja nur einer, der zu der anderen Gruppe gehörte. Hierüber müssen weitere Untersuchungen an möglichst umfangreichem Materiale Aufschluss geben. Es ist denkbar, dass bei Herz und Zwerchfell diese Unterschiede besonders stark hervortreten, da diese beiden Muskeln für das Leben von der grössten Bedeutung, gewissermaassen grundlegend für das Leben sind und bei allen Menschen dieselbe Bedeutung haben, während die sonstigen Skelettmuskeln funktionell sehr verschieden entwickelt werden können. Durch die funktionelle Differenzierung könnten die Unterschiede mehr oder weniger stark verändert werden. Auch hierüber müssen weitere Untersuchungen erst Klarheit: schaffen. 20. Das „Dieke-Länge-Verhältnis“ des Kernes (Durchmesser zu Kernlänge), die „Indexzahl“, erwies sich zunächst als unabhängig von der Grösse des Kernvolumens; die Kernform ist also unabhängig von der Kerngrösse: Weiter ergaben die für dieses Verhältnis gefundenen Zahlen, dass die Zeit der Kindheit in verschiedene Perioden zerlegt; werden kann, in denen die Einwirkung des Kernes auf die Zelle, die Kern- tätigkeit,. verschieden gross ist. Ob diese Perioden zusammenfallen mit den von Stratz angenommenen Perioden, liess sich nach meinem Materiale noch nicht entscheiden. 21. Fasst man die für das Herz gefundenen Zahlen des „Dicke- Länge-Verhältnisses“ zusammen mit den bisher für die Skelett- muskeln von mir gefundenen, so ergibt sich, dass in bezug auf dieses Verhältnis zwischen den stark hämoglobinhaltigen Muskeln und den schwach hämoglobinhaltigen augenscheinlich ein deutlicher Unter- schied besteht: die ersteren haben kürzere und dickere Kerne, niedrige Indexzahlen, die letzteren längere und dünnere, hohe Indexzahlen. Die menschlichen Skelettmuskeln müssen danach im wesentlichen zu den stark hämoglobinhaltigen Muskeln gerechnet werden, vor allem das menschliche Herz, was auch mit den Beobachtungen von Leh- mann übereinstimmt. 562 P. Schiefferdecker: 22. Das Kernvolumen des menschlichen Herzmuskels ist weit grösser als das der menschlichen Skelettmuskeln; die Kernlänge stimmt mit der der Skelettmuskeln recht gut überein, es ist also der Kernquerschnitt, welcher diese besondere Grösse bewirkt. Jeden- falls nimmt der Herzmuskel in bezug auf seine Kerngrösse eine sanz besondere Stellung ein. 23. Nach dem bisher Gesagten spricht das morphologische Ver- hältnis des Kernes zur Zelle bei dem menschlichen Herzmuskel für eine mässig grosse, aber andauernde und kräftige Tätigkeit des Herzmuskels. Da ist es denkbar, dass zu bestimmten Zeiten der kindlichen Entwicklung eine stärkere Einwirkung des Kernes auf die Zelle erwünscht ist (zum Beispiel für stärkere Wachstumsvorgänge), und dass zu diesen Zeiten daher eine Änderung in dem „Dicke-Länge- Verhältnisse“, in der Indexzahl, eintritt. Vielleicht sind. auf dieses so ganz eigenartige „Dicke- Länge- Verhältnis“ bei den Herzmuskelkernen auch jene Herzerscheinungen zurückzuführen, die jetzt im Felde bei so vielen Soldaten aufgetreten sind, infolge der sehr starken und andauernden Märsche. Der hierbei verlangten stärkeren Zelltätigkeit entsprechen eben nicht die Kern- verhältnisse. 24. Vom Kinde bis zum Erwachsenen findet eine nicht un- wesentliche Zunahme der Kernmasse statt; es wird hierbei schon im 10. Lebensjahre die Zahl für die Erwachsenen erreicht. 25. Auf die Grösse der Gesamtkernmasse hat die Grösse des Kernvolumens keinen Einfluss; Menschen mit verschieden grossen Kernen können genau dieselbe Gesamtkernmasse haben. Selbst- verständlich bleibt deshalb doch zwischen den beiden Menschenarten ein Unterschied bestehen: trotz derselben Gesamtkernmasse werden bei den „grosskernigen“ und den „kleinkernigen“ Menschen die Stoffwechselverhältnisse in den Zellen und damit im ganzen Körper wesentlich verschieden sein. Die Grösse der Gesamtkernmasse zeigt bei dem menschlichen Herzen im erwachsenen Zustande nur leichte individuelle Verschiedenheiten. Bei dem menschlichen Zwerchfelle waren dagegen recht grosse Verschiedenheiten vorhanden. In dieser Hinsicht unterscheiden sich also Herz und Zwerchfell deutlich. Bei den „grosskernigen“ Menschen wird ein Versagen des Herzens bei ungewöhnlichen Anstrengungen eher eintreten als bei „kleinkernigen“. Dasselbe wird voraussichtlich für alle Organe des Körpers gelten. Die „Grosskernigkeit“ wird als eine primitivere und damit tiefere Untersuchung des menschl. Herzens in verschiedenen Lebensaltern usw. 563 Stufe der menschlichen Entwicklung anzusehen sein als die „Klein- kernigkeit“. 26. Der hier untersuchte Fall einer leichten Herzhypertrophie ergab nach meiner Methode zum Teile recht stark abweichende Werte. Ich verweise wegen dieser Betrachtungen auf den Text. Jedenfalls geht aus diesen Beobachtungen aber hervor, dass es sehr wünschenswert erscheint, die Verhältnisse bei Herzhypertrophien und bei Herzatrophien nach meiner Methode zu untersuchen. Literatur. 1) P. Schiefferdecker, Beiträge zur Kenntnis der Myotoria congen ita der. Tetanie mit myotonischen Symptomen, der Paralysis agitans und einiger anderer Muskelkrankheiten, zur Kenntnis der Aktivitätshypertrophie und des normalen Muskelbaues. Mit klinischen Beiträgen von Prof. Fr. Schultze. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. Bd. 25 H. 1—4 S. 1—345, mit 15 Tafeln. 1903. 2) P. Schiefferdecker, Muskeln und Muskelkerne. 317 Seiten mit 20 Abbildungen im Text. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1909. 3) P. Schiefferdecker, Untersuchungen über den feineren Bau und die Kernverhältnisse des Zwerchfelles in Beziehung zu seiner Funktion sowie über das Bindegewebe der Muskeln. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 139 S. 337—427, mit 7 Textfiguren und 4 Fahnentabellen. 1911. 4) P. Schiefferdecker, Untersuchung einer Anzahl von Muskeln von Rana esculenta in bezug auf ihren Bau und ihre Kernverhältnisse. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 140 S. 363—435. 1911. 5) P. Schiefferdecker, Untersuchungen über die Rumpfmuskulatur von Petromyzon fluviatilis in bezug auf ihren Bau und ihre Kernverhältnisse, über die Muskelfasern als solche und über das Sarkolemm. Arch. f. mikr. Anat. u. Entwickelungsgesch. Bd. 75 S. 422—495, mit 2 Tafeln und 3 Textfiguren. 1911. 6) P. Schiefferdecker, Untersuchung einer Anzahl von Muskeln von Vögeln in bezug auf ihren Bau und ihre Kernverhältnisse. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 150, S. 487—548, mit 9 Figuren im Text. 1913. 7) A. Prenant, Problemes cytologiques generaux souleves par l’etude des cellules museulaires. Journ. de l’Anat. et de la Physiol. t.47 p. 449-524, avec 28 fig. 1911. 8) A. Prenant, Ebenda p. 602—630 avec 28 fig. 9) A. Prenant, Ebenda t.48 p. 109—181, avec 20 fig. 1912. 10) A. Prenant, Ebenda p. 259—335, avec 18 fig. 11) K. B. Lehmann, Untersuchungen über den Hämoglobingehalt der Muskeln. Zeitschr. f. Biol. Bd. 45 oder N. F. Bd. 27 S. 324—345. 1904. 12) E. Edens, Über Herzhypertrophie. Deutsches Arch. f. klin. Medizin Bd. 111 S. 288—309. 1913. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 35 564 P. Schiefferdecker: Untersuchung des menschl. Herzens usw. 13) Ph. Knoll, Über protoplasmaarme und protoplasmareiche Muskulatur. Denkschr. d. k. Akad. d. Wiss. z. Wien, math.-naturw. Kl. Bd. 58 S. 633-700. mit 9 Tafeln. 1891. | 14) C. H. Stratz, Der Körper des Kindes und seine Pflege. 3. Aufl. XVII u. 368 Seiten mit 312 Figuren im Text und 4 Tafeln. Ferdinand Enke, Stuttgart. 1909. 15) Zielonko, Pathol.-anatomische und experimentelle Studien über- Hypertrophie des Herzens. Virchow’s Arch. Bd. 62. 1875. (Zitiert nach. Edens.) (Ri 16) Goldenberg, Über Atrophie und Hypertrophie der Muskelfasern des. Herzens. Virchow’s Arch. Bd. 103. (Zitiert nach Edens.) | 17) Stadler, Experimentelle und histologische Beiträge zur Herzhyper- rophie. Deutsches Arch. f. klin. Medizin Bd. 91. 1908. (Zitiert nach Edens.): 18) Tangl, Uber die Hypertrophie und das physiologische Wachstum des Herzens. Virchow’s Arch. Bd. 116. 1839. (Zitiert nach Edens.) 19) Ehrenfried Albrecht, Der Herzmuskel und seine Bedeutung für- Physiologie, Pathologie und Klinik des Herzens. Ein Versuch zur Entwicklung einer allgemeinen Pathologie der Herzmuskelerkrankungen auf anatomischer Grundlage. Mit 7 Tafeln. Berlin 1903. (Zitiert nach Edens.) 20) B. Morpurgo, Über Aktivitätshypertrophie der willkürlichen Muskeln. Eine experimentelle Studie. Virchow’s Arch. Bd. 150 S. 522—554, mit 1 Tafel. 1897.. (Zitiert nach Edens.) 21) Aschoff-Tawara, Die heutige Lehre von den pathologisch-anato- mischen Grundlagen der Herzschwäche. Jena 1906. (Zitiert nach Edens.) 969 (Aus dem Institut für exper. Pharmakologie der Universität Lemberg.) Adrenalin und Nebennieren. Erster Teil. Komprimierung der Nebennieren und Adrenalin. I Von Prof. Dr. L. Popielski, Direktor des Instituts. (Mit 5 Textfiguren und Tafel I—Ill.) Das Problem der inneren Sekretion ist gegenwärtig im Mittel- punkte des Interesses. Es gibt bald keine Krankheit mehr, die man nicht in irgendeinen Zusammenhang mit Störungen in der inneren Sekretion bringt. Sogar der Selbstmord wird von einigen Autoren als Folge von Störungen innerer Sekretion angesehen, obgleich dieser eine sehr komplizierte Erscheinung ist, abhängig von Ursachen ver- schiedenster Natur, deren Erforschung, wenn nicht unmöglich, jeden- falls sehr schwer ist. In der Lehre von der inneren Sekretion tritt auf den Plan zuerst die Frage des spezifischen Sekretes, das man in den Organ- extrakten sucht. Als eine ganz sichere Tatsache erachtet man das Vorhandensein eines spezifischen Sekretes in den Extrakten von zwei Organen, nämlich in der Schilddrüse und den Nebennieren. Was die Schilddrüse anbetrifft, so silt die Wirksamkeit ihrer Extrakte in Krankheiten, die mit einer Hypofunktion der Schilddrüse verbunden sind, im sogenannten Hypothyreoidismus, als eines der wichtigsten Beweise für das Vorhandensein eines spezifischen Sekretes in den Extrakten der Schilddrüse. Anderseits sollen solche von Basedowkranken (Hyperthyreoidismus) schon nach einmaliger Injektion in das Blut bei gesunden Hunden (rassenreine Terriers, durch Inzucht degeneriert) Basedow-Krankheitserscheinungen hervorrufen. Auf diese Weise vermeinte man den Beweis für das Vorhandensein eines Se- 38 * 566 L. Popielski: kretes in der Schilddrüse erbracht zu haben. Schon a priori scheint es etwas unwahrscheinlich zu sein, dass nach einmaliger Injektion !) des Extraktes aus Basedowstruma experimentell die Basedowkrank- heit entstehen könnte, die sonst bei Menschen als Folge von chronischen und langdauernden Veränderungen des Organismus auftritt. In der Tat wurde in den Versuchen von Modrakowski?) nachgewiesen, dass auch die: Extrakte aus normalen Schilddrüsen dieselben Er- scheinungen hervorrufen, wie sie Klose mit den Extrakten aus Basedowstruma erhielt: Blutdrucksenkung, verminderte Blutgerinnbar- keit und Krämpfe. Was den Exophthalmus anbetrifft, so ist dieser eine wenig charakteristische und übrigens oft bei erschrockenen Hunden auftretende Erscheinung, so dass dieser Beweis, dem Klose eine grosse bedeutung zuschreibt, nicht in Betracht kommen kann. Dieselben Erscheinungen, welche der Auszug der normalen Schilddrüse hervorruft, treten auch unter dem Einflusse von Ex- trakten aus jedem beliebigen anderen Organe auf und können des- halb als spezifische Wirkung der Basedowstruma nicht angesehen werden. Übrigens, wenn in den Extrakten der Schilddrüse wirklich ein Sekret vorhanden wäre, so dürfte es nicht schwer sein, es in reinem Zustande zu erhalten, da es von den Verdauungssäften nicht zerstört wird; in den Magen-Darm-Kanal eingeführt erweisen sich die Präparate der Schilddrüse gleichfalls wirksam. Dessen ungeachtet hat man bis jetzt das Sekret in reinem Zustande nicht erhalten können. Trotzdem lassen sich die Anhänger der Theorie, dass in den Schild- drüsenextrakten ein spezifisches Sekret enthalten sei, nicht ent- mutigen. Das Vorhandensein des Adrenalins in den Nebennieren- extrakten gilt ihnen als ein genügender Beweis, dass in den Ex- trakten der Schilddrüsen ebenso wie in denen anderer Organe spezi- fische Sekrete vorhanden sein müssen. Aber wenn wir auch in den Nebennierenextrakten Adrenalin finden, so ist damit noch nicht be- wiesen, dass das Adrenalin ein spezifisches Sekret dieser Drüse ist. In die Extrakte gehen auch die chemischen Bausteine der Organe über. Auch dürfte das in der Drüse gebildete Sekret nicht an Ort und Stelle bleiben, sondern im Maasse, wie es gebildet wird, in das Blut übergehen. Wenn das Sekret nicht sofort in das Blut über- 1) H. Klose, Experimentelle Untersuchungen über die Basedow’sche Krankheit. Arch. f. klin. Chir. Bd. 95 S. 649. 1911, 3 2) G. Modrakowski, Über die Identität des blutdrucksenkenden Körpers mit dem Vasadilatin. Pflüger’s Arch. Bd. 133 S. 291. 1910. Adrenalin und Nebennieren. I. 567 sehen würde, so müsste man annehmen, dass es in der Drüse selbst sich sammle, also einen Vorrat bildet, aus dem es alsdann in kleinen Mengen in das Blut abgegeben würde. In diesem Falle könnte aber von einer inneren Sekretion nicht mehr die Rede sein, da deren Wesen an die Vorstellung einer sofortigen Abgabe des Sekretes ins Blut gebunden ist. Allerdings könnte dieser Umstand allein nicht verhindern, dass das Adrenalin doch ein Sekret ist; man müsste nur den Zusatz „inneres“ weglassen. Da also das Vorhandensein von Adrenalin in den Extrakten noch nicht als Beweis gelten darf, dass dieses wirklich ein Sekret ist, versuchte man es in dem Blute, hauptsächlich in dem. aus der Nebenniere herauskommenden nachzuweisen. In der Tat ist es auch mittels verschiedener Methoden gelungen das Adrenalin in dem venösen Blute der Nebennieren festzustellen. Jedoch denkt ausser Borberg!) keiner von den Autoren daran, dass man beim Entnehmen des Blutes aus der Vene der Nebenniere dabei auf diese einen Druck ausüben kann. Auch in den Versuchen Borberg’s, der die Bauchhöhle öffnete, Klemmen auf die Vene cava inferior unterhalb des Diaphragma anlegte und die Nieren- venen unterband, ist es nieht nur nicht ausgeschlossen, sondern sogar ganz sicher, dass dabei die Nebenniere komprimiert wurde. Haupt- sächlich machen Marchand?) und Gierke?) darauf aufmerksam, dass man esin den mikroskopischen Bildern der Blutgefässe der Nebennieren nieht mit den Produkten einer aktiven Sekretion zu tun hat, sondern mit den Produkten, welche aus den Nebennieren herausgedrückt wurden. Diese beiden Autoren bemerken ausdrücklich, dass schon ein geringes Berühren der Nebennieren genügt, um Parenchymteile in die Vene hineinzupressen. Herter erhielt bei der Kompression dieser Organe Glykosurie, was auch deutlich auf das Übergehen des Adrenalins in das Blut hinweist. Wenn man nun in Betracht zieht, dass man das Blut entweder aus der Vene der Nebennieren oder aus der Vena cava inferior nimmt, welche in unmittelbarer Nachbar- schaft der Drüse selbst gelegen sind, so scheint ein Druck auf die- selbe nicht nur wahrscheinlich, sondern auch unvermeidlich zu sein. 1) Borberg, Das Adrenalin und der Nachweis desselben. Skandinav. Arch. f. Physiol. Bd. 27 S. 341. 2) Zit. nach Bayer. Ergebn. d. pathol. Anat. XIV. Jahrg. S. 34. 868 L. Popielski: An dieser Stelle erlaube ich mir folgende Worte von F. Blum!) anzuführen: „Wer jemals an Nebennieren sich experimentell versucht hat, weiss, wie schwierig gerade die Eingriffe in dieser Gegend, dicht neben der unteren Hohlvene, sind, wie schwer zueänglich und wie zerreisslich dies Organ ist! Und da soll ohne Druck und Verletzung Blut aus der abführenden Vene entnommen worden sein?“ Mich auf die oben angeführten Erörterungen von Marchand, Gierke, Herter und Blum stützend, war ich überzeugt, dass ein Druck auf die Nebennieren Adrenalin in das Blut hereinführt. Meine eigenen Untersuchungen ?) habe ich ausschliesslich an Hunden nach Durehtrennung des Rückenmarks unterhalb der Medulla oblongata und bei künstlicher Atmung ausgeführt. Die Nebennieren erreichte ich von einem Lumbalschnitt her durch eine Inzision zwischen den Bauch- und Lumbalmuskeln. Bei einigen Versuchen resezierte ich, um besseren Zutritt zu bekommen, die zwölfte bis neunte Rippe. Den Druck auf die Nebennieren übte ich entweder mittels der Finger aus oder mittels einer Pinzette. Was die Intensität des Druckes anbetrifft, so bezeichnete ich ihn erstens als Berührung, zweitens als Druck. Die Zeitdauer dieses Eingriffes bestimmte ich auf der Blutdruckkurve in Sekunden. Die Ergebnisse dieser Experimente stellte ich auf entsprechenden Kurven dar, von denen ein Teil schon in vorläufigen Mitteilungen: 1. im „Zentralblatt für Physiologie“ Bd. 27 Nr. 9 (1913), und 2. im „Bulletin de l’Academie des sciences de Cracovie“ Serie B, Mars 1913, veröffentlicht wurde. Den Übergang des Adrenalins ins Blut prüfte ich in meinen Experimenten mittels Blutdrucksteigerung, welche Erscheinung ja für die Wirkung des Adrenalins so ausserordentlich charakteristisch ist. Der Druck auf die Nebennieren ergab eine bedeutende Steigerung des Blutdruckes. So rief ein Druck von 45 Sekunden Dauer auf 1) F. Blum, Weitere Mitteilungen zur Lehre von dem Nebennierendiabetes. Pflüger’s Arch. Bd. 90 S. 628. 1902. 2) Diese Untersuchungen wurden der Akademie der Wissenschaft in Krakau am 14. Oktober 1912 vorgelegt. Ähnliche Ergebnisse erhielten auch: Hoskins and Clayton Peek, Wirkung der Nebennierenmassage auf den Blutdruck. Journ. of the americ. med. assoc. vol. 60 nr. 2Sal9l Adrenalin und Nebennieren. ]. 569 die linke Nebenniere mit Unterbrechungen alle 3—4 Sekunden eine Blutdrucksteigerung von 92 mm Hg bis 230 mm Hg, das heisst um 138 mm Hg, wie es aus Fig. 1 (Taf. I) ersichtlich ist. Diese Blutdrucksteigerung tritt auch nach Durehtrennung der Nn. vagi und Nn. splanchniei auf. So erhielt ich am 8. Oktober 1912 bei einem 5!/e kg schweren Hunde nach Durchschneidung des Rückenmarks, der Nn. splauchniei und Nn. vagi bei Druck auf die Nebenniere mittels der Finger unter der Kontrolle der Augen während 1 Minute eine Blutdrucksteigerung von 60 mm Hg bis auf 180 mm He, das heisst um 120 mm Hg, was aus Fie. 2 (Taf. I) ersichtlich ist. Sogar eine unbedeutende und kurzdauernde Berührung ruft schon bedeutende Blutdrucksteigerung hervor (Fig. 3, Taf. I). Aus dieser Figur ist es ersichtlich, dass eine Berührung während 15 Sekunden eine Blutdrucksteigerung von SO mm Hg bis auf 120 mm He, das heisst um 40 mm Hg hervorgerufen hat. Im allgemeinen gilt es als Regel, dass, je länger der Druck dauert, desto höher die Blutdrucksteigerung ist. So stieg am 3. Oktober 1912 der Blutdruck bei einem 5"s kg schweren Hunde _ nach einem während 40 Sekunden ausgeübten Drucke von 54 mm Hg bis 88 mm He, das ist um 34 mm Hg, Druck während 1 Minute er- ‘ höhte den Blutdruck von 56 mm Hg auf 123 mm Hg, das heisst um 72 mm Hg, wiederholter Druck um 78 mm, zum vierten Male um 72 mm He. Von Wichtigkeit ist bei diesen Versuchen die Intensität (des Druckes. Eine blosse Berührung ruft eine geringere Blutdruck- steigerung .hervor als wirklicher Druck. Die Blutdrucksteigerung beginnt erst 6—10 Sekunden nach Aufhören des Druckes; in 50—60 Sekunden erlangt sie ihr Maximum, um nachher wieder langsam zu fallen. Manchmal kommt es vor, dass nach Beendigung | des Druckes die Blutdruckerhöhung anfangs unbedeutend ist, dann genügt es, den Hund auf die andere Seite zu legen, um den Blut- ‚druck zu erhöhen. So stieg bei einem 11 kg schweren Hunde am 4. Oktober 1912 nach einem auf die linke Nebenniere ausgeübten ‚Druck der Blutdruck von 60 mm Hg auf 98 mm Hg; nachdem man ‚aber den Hund auf die rechte Seite gelegt hatte, ergab sich weitere Erhöhung von 95 mm bis 160 mm, also um 62 mm Hg. Dem Anwachsen geht eine kleine Blutdrucksenkung voran, die zum Beispiel auf Fig. 1, Taf. I — 18 mm Hg beträgt. Bei dieser Figur wurde der | Beginn des Druckes etwas später aufgezeichnet, als er in Wirklich- 570 L. Popielski: keit eintrat. Auf Fig. 2 (Taf. I) ist diese Blutdrucksenkung sehr gering. Was die Ursache dieser Senkung anbetrifft, so kann man vorläufig nur Vermutungen aufstellen. Man könnte daran denken, dass die Blutdrucksenkung von einem Druck auf die V. cava infer,, an der die Nebenniere unmittelbar gelegen ist, abhängt. Sie dürfte auch die Folge einer Erweiterung der Blutgefässe sein, die man kleinen Dosen von Adrenalin zuschreibt. Auch folgende Ursache könnte man nicht ausschliessen. Unter dem Einflusse von Adrenalin verengern sich die kleinen Arterien, aus denen Blut rasch in die Venen hereinfliesst. Wir haben es also mit einer momentanen Blutüberfülluug der Venen und mit einem Blutmangel der grossen Arterien zu tun. Dieser momentane Blutmangel in den grossen Arterien könnte vielleicht einen Grund für die oben erwähnte Blut- senkung abgeben. Es ist interessant, dass eine ähnliche Blutdruck- senkung auch nach Reizung der Nn. splanchniei auftritt. Eine gleiche Blutdrucksenkung beobachtete Asher in seinen Experimenten über den Einfluss der Nn. splanchniei auf die Adrenalin- sekretion. Asher behauptet nähmlich, dass diese Blutdrucksenkung von einer reflektorischen Beeinflussung des Gefässzentrums in der Medulla infolge von Reizung des Peritoneums durch Stromschleifen !) abhängig ist. Diese Ansicht aber ist nicht richtig. Denn erstens hat Asher seine Experimente in Urethannarkose?) ausgeführt, was eine reflektorische Erregbarkeit der Zentren ausschliesst. Zweitens habe ich auch ohne Narkose nach Durchtrennung des Rückenmarks unterhalb der Medulla oblongata eine ähnliche Blutdrucksenkung beim Reizen des N. sympathicus im Brustkorbe erhalten. Analysieren wir nun die von mir bei Druck auf die Neben- . nieren erhaltenen Resultate! Vor allem könnte man hier als Grund der Blutdrucksteigerung den Einfluss der Reizung des Peritoneums annehmen. Dieser Einfluss könnte nur auf reflektorischem Wege durch die Gefässzentren ausgeübt werden. Da jedoch bei meinen Experimenten das Rückenmark unterhalb der Medulla oblongata, wie ebenfalls die Nn. splanehniei durchschnittten waren, fällt diese Vermutung fort. Ausserdem rief der Druck auf die Nebennieren die Drucksteigerung l)L. Asher, Die innere Sekretion der Nebenniere und deren Inner- vation. Zeitschr. f. Biol. Bd. 58 H. 6 S. 286. 2) INC 8280: Adrenalin und Nebennieren. I. 571 nicht während des Druckes selbst hervor, wo man einen Reiz des Peritoneums hätte annehmen können, sondern erst nach seiner Be- endigung. . Es kam vor, dass sowohl während des Druckes, als auch nach Beendigung desselben der Blutdruck nur um weniges stieg, und erst, nachdem der Hund auf die andere Seite gelegt war, be- deutend in die Höhe ging, was ich übrigens schon oben erwähnt habe. Dieses Experiment schliesst also die Annahme ganz aus, dass bei dem Drucke auf die Nebennieren die Reizung des Peritoneums irgendeinen Einfluss auf die Blutdrucksteigerung haben könnte. Weiter könnte man vermuten, dass, während wir auf die Neben- nieren einen Druck ausüben, wir den danebenliegenden N, splanch- nieus reizen und somit den Blutdruck erhöhen. Diese Vermutung hätte eigentlich einen rein theoretischen Charakter, denn die Druck- erhöhung erfolgte nur beim Drucke auf die Nebennieren allein, die zwar nahe dem Splanchnieus gelegen, aber jedenfalls genügend von ihm entfernt sind. Um jedoch ganz sicher einen Reiz des N. splanehnieus ‚auszuschliessen, nahm ich die Nebenniere unter Kontrolle der Augen zwischen eine Pinzette und übte auf diese Weise ausschliesslich auf die Nebenniere den Druck aus. Das Resultat dieses Experimentes ist aus der Fig. 4 (Taf. II) ersichtlich, wo bei einem 5!/a kg schweren Hunde der Blutdruck von 56 mm Hg bis 182 mm He, d. h. um 126 mm Hg stieg. Die Frage über die Einwirkung des N. splanchnieus auf die Blutdrucksteigerung versuchte ich nun weiter zu analysieren. Bei der Reizung des peripheren Endes des N. splanchniecus resp. des N. sympathieus mit genügend starkem Strome erhält man eine ähnliche Blutdrucksteigerung wie beim Drucke der Nebennieren (siehe Fig. 5 u. 6!) [Taf. II]). Aus diesen Kurven ersehen wir, dass der Blutdruck nach einer kurzen latenten Periode fast gleich mit Beeinn der Reizung des N. sympathicus steigt. Angesichts dessen könnte man sich fragen, ob nicht das Adrenalin einen Anteil an der Blutdrucksteigerung nach Reizung des N. splanchnieus nimmt. Beim Reizen des N. splanchnicus wird dieser lisiert, also etwas angezogen, womit gleich- zeitig ein mechanischer Druck auf die Nebennieren ausgeübt wird. Und in der Tat überzeugte ich mich, dass es genügt, den N. splanchnieus auf die Elektroden zu legen, ohne ihn noch zu reizen, um den Blut- 1) In Fig. 5 und 6 ist versehentlich die Höhe des Blutdruckes von der untersten anstatt von der Sekundenlinie berechnet. 572 L. Popielski: druck um etliche Millimeter Hg zu steigern. Deshalb versuchte ieh nicht den N. splanchnieus, sondern den N. sympathicus im Brustkorbe zu reizen, den ich durch Resektion der 9. bis 11. Rippe öffnete. Das An- ziehen allein und das Legen auf die Elektroden des N. sympathieus im Brustkorbe verursachte aber keine Blutdrucksteigerung. Indessen stieg nach Reizung des N. sympathiceus der Blutdruck auf ähnliche Weise wie beim Drucke auf die Nebennieren. Man könnte sich. nun fragen, ob die Reizung des N. sympathieus, respektive des’ N. . splanchnieus nicht deshalb den Blutdruck erhöhte, weil beim Reizen Adrenalin in das Blut übergeht. Diese Vermutung wäre gerecht- fertigt auf Grund der Untersuchungen jener Autoren, nach denen die Adrenalinsekretion unter dem Einflusse der Nn. splanchniei steht. Meine zu diesem Zwecke ausgeführten Experimente haben diese Fragen in befriedigender Weise gelöst. Versuch vom 9. Oktober 1912. Hund 6Y/s kg schwer. Durch- trennung des Rückenmarks unterhalb der Medulla oblongata. Beide Nn. vagi am Halse durchschnitten. Der linke N. sympathieus im Brustkorbe ligiert. Reizung desselben mit Induktionsstrom bei Ent- fernung der Induktionsspulen von 85 em (Element Grene). Ich eing folgendermaassen vor: Die linke Nebenniere exstirpierte ich, ohne jedoch den N. splanchnieus, der oberhalb der Nebenniere liegt, anzugreifen. Ein Druck auf die Stelle, wo die Nebenniere lag, gab keine Blutdruck- steigerung, was nochmals darauf hinweist, dass ein Druck auf den N. splanchnieus und auf das Peritoneum auf die Blutdrucksteigerung keinen Einfluss hat. Auf die rechte Nebennierenvene legte ich eine Klemme. Wenn ich jetzt auf die Nebenniere während 1 Minute einen Druck aus- übte, erhielt ich eine Blutdrucksteigerung, was beweist, dass trotz der Klemme das Adrenalin in das Blut überging. Dann verlängerte ich den Hautschnitt, präparierte die rechte Nebenniere aus den um- gebenden Geweben heraus und, indem ich unterhalb der Nebenniere eine Ligatur durchzog, ligierte ich die Nebennierenvene dicht an 3ihrer Einmündung in die V. cava inferior. Daraufhin traten keine Veränderungen mehr auf, weder im Blutdruck, noch in der Herzfunktion. Die Reizung des N. sympathieus gab jedoch eine bedeutende Blutdrucksteigerung, wie das ersichtlich ist aus der Kurve 6 (Fig. 6. Taf. III), wo bei einer Reizung während 45 Sekunden der Blutdruck von 46 mm Hg bis 126 mm Hs, d.i. um S0 mm v) Adrenalin und Nebennieren. ]. 57: (e) stieg. So sehen wir, dass das Adrenalin, eventuell die Nebennieren keinen Einfluss auf die durch Reizung des N. sympathicus hervor- gerufene Blutdrucksteigerung ausüben. » Wenn ich jetzt auf die in der Bauchhöhle zurückgelassene Neben- niere einen Druck ausübte, konnte ich keinen Effekt erreichen. Die Möglichkeit eines Einflusses des Adrenalins auf die Blutdrucksteigerung beim Reizen des N. splanchniecus war der Gegenstand von Er- wägungen einiger Autoren. So sah Anrep!) beim Reizen des N. splanehnieus eine doppelte Blutdrucksteigerung: einerseits hing diese vom N. splanchnicus, anderseits vom Adrenalin ab. Eine solche Blutdrucksteigerung ist verständlich, wenn wir beim Reizen des N. splanchnieus einen Druck auf die Nebennieren entweder unmittel- bar oder durch Anziehen des Nerven ausüben. Ähnliche Resultate, wie Anrep, haben auch Gley und Quinqaud erhalten. Jedoch behaupten die beiden letzteren Autoren ?), dass die zwei Wirkungs- arten nicht bei allen Tieren in gleichem Maasse ausgebildet sind. So zum Beispiel übt bei Katzen die Exstirpation der Nebennieren . keinen Einfluss aus auf den Effekt der Splanchnieus-Reizung. Ferner stellten einige Autoren, nämlich Gautrelet und Thomas?), von der Ansicht ausgehend, dass das Adrenalin ein normales Reizmittel für die Endigungen des N. sympathieus ist, die Behauptung auf, dass nach Exstirpation der Nebennieren die Erregbarkeit des N. sym- pathieus sich vermindert. Eine Bestätigung ihrer Behauptung sehen sie daran, dass nach Exstirpation der Nebennieren die Reizung des N. sympathicus eine geringere Blutdrucksteigerung und keine Glyko- surie hervorruft. Dennoch stimmt diese Ansicht von Gautrelet und Thomas mit den Tatsachen nieht überein und muss also auf- gegeben werden. Durch den Versuch (S. 572) vom 9. Oktober 1912 ge- lang es mir zu beweisen, dass die Meinung von Gautrelet und Thomas nicht richtig ist. Natürlich konnten Gautrelet und Thomas nach Exstirpation der Nebennieren keine Glykosurie er- halten, welche in ihren Versuchen infolge des aus den: Nebennieren 1) Anrep, On the part played by the suprarenals in the normal vascular reactions of the body. Journ. of Physiol. vol. 45 p. 307—317. 1912. 2) Compt. rend. de la Societe de Biol. t. 67 S. 798. 1909. 3) Influence de la secretion surrönale sur les actions vasomotrices, depen- dants du nert splanchnique. Compt. rend. hebd. de l’Acad. d. scienc. t. 157 p- 66. 7 Juillet 1913. Ref. Journ. de Physiol. et de Pathol. gener. 1913 no. 5 15 Sept. p. 1078. 874 L. Popielski: während der Reizung des N. splanchnieus ausgepressten Adrenalins auftrat. Wenn nun in meinen Versuchen mit Drücken der Neben- nieren die Ursache der Blutdrucksteigerung das Adrenalin sein sollte, so müsste man dieses im allgemeinen Blutkreislauf feststellen können, Von .den vielen Adrenalinbestimmungsmethoden im Blute habe ich zwei biologische gewählt: erstens die hämodynamische an Tieren, hauptsächlich an Kaninchen, und zweitens die Reaktion am isolierten Darmstücke in Thyrode’s Flüssigkeit (NaCl = 8,0; CaCl, = 0,2; KCl = 0,2; MgCl, = 0,1; NaH,;PO, —= 0,05; NaHCO, = 1,0; Dex- trose — 1 o: .Aquae destillatae 1000,0). Diese beiden Methoden erlauben uns nicht nur mit absoluter Sicherheit das Vorhandensein von Adrenalin festzustellen, sondern sogar annähernd seine Menge zu bestimmen. Bei der ersten Methode dient als Indikator für das Vorhandensein von Adrenalin die Blut- drucksteigerung; bei der zweiten das Verschwinden des Darmtonus und der Zuckungen. Um das Adrenalin in möglichst grosser Konzentration zu er- halten, nahm ich das Blut aus der V. cava inferior oberhalb der Nebennierenvene nach Cannon mittels eines Katheters, der durch die V. eruralis eingeführt wurde. Es zeigte sich jedoch, dass man die- selben Resultate mit dem Blute aus der Arteria carotis erhält. Das Blut defibrinierte ich genau mittels Schütteln mit Glasperlen. Das so erhaltene Blut benutzte ich sofort zur Untersuchung, indem ich es entweder einem Kaninchen oder demselben Hunde einführte. Das gleiche Blut gebrauchte ich auch zur Reaktion mit dem isolierten Darmstücke. Ich muss noch zufügen, dass ich zum Vergleiche noch ‘vor dem Drücken der Nebennieren. eine Blutprobe auf oben erwähnte Weise untersucht habe. Dreimal ‚wiederholte ich dieses zur Be- stimmung des Adrenalins ausgeführte Experiment mit dem gleichen Resultate. Zur Illustration will ich die Resultate zwei dieser Unter- suchungen anführen. Versuch vom 11. Oktober 1912. Hund 10 kg schwer; das Rückenmark unterhalb der Medulla oblongata durch- trennt. Vor dem Drücken wurde Blut genommen; sodann begann man auf die linke Nebenniere einen Druck auszuüben. Als der Blutdruck stieg, führte man in die V. cava inferior einen Katheter ‚ein und nahm wieder Blut. Nach Defibrinierung wurden 5 cem dieses Blutes einem 2700 g schweren Kaninchen, welches mit Äther narkotisiert war, in die V. jugularis externa eingeführt. Der Blut- druck stieg auf die für Adrenalin charakteristische Weise von 76 mm Adrenalin und Nebennieren. ]. 575 Hg auf 120 mm Hg, das heisst um 44 mm. Ebenfalls wurde durch 5 ccm von demselben Blute augenblicklich der Tonus und die Peristaltik eines isolierten Darmstückes während der. Dauer von 5—6 Sekunden aufgehoben. Dagegen erhielt man beim Einführen des vor dem Drucke gewonnenen Blutes eine Blutdrucksenkung und keine Veränderung des Darmtonus. Versuch vom 15.Februar 1913. Hund 13 kg schwer. Rückenmark unter der Medulla obl. durch- trennt. Künstliche Atmung. Das aus der Arteria carotis und V. cava inferior vor dem Drucke entnommene Blut er- höht den Darmtonus, wie es aus der Fig. 1 und 2 ersicht- lich ist. Der Druck wurde Bes & i Fig. 1. Zusatz (bei >) von defibrinierten, auf die linke Nebenniere aus- : \ £ mit Cannon’scher Methode entnommenen geübt. Alsder Blutdruck stieg, (aus den V. cava inf.) Blute. führte man in die V. cava inferior einen Katheter ein und nahm Blut. Vom defibrinierten Blute wurden 6!/s cem in die V. jugularis externa einem 2500 g schweren Fig. 2. Zusatz von defibriniertem (aus der Koratis) Blute zur Thyrode-Lösung. Kaninchen in tiefer Äthernarkose (also nach Erlöschen des Corneal- reflexes) eingeführt. Der Blutdruck stieg von 78 mm Hg auf 106 mm Hg, also um 23 mm (Fie. 3). Mit 5 cem von demselben Blute wurden der Tonus und die Zuckungen am isolierten Darme aufgehoben (Fig. 4). Auf Fig. 5 ist der Einfluss von reinem Adrenalin in einer Menge von 1 cem 1: 100000, das ist 0,00001 —= 0,01 mg auf das- selbe Darmstück dargestellt. L. Popielski: 576 m {0b mm oo. | Fig. 3. Injektion (bei >) von 6!/a cm defibrinierten Blutes des Hundes in die Blutbahn des Kaninchens. \ Fig. 4. Zusatz von 5 ccm des’ während der Nebennierenkompression entnommenen Blutes. N fee Q $ M Fig. 5. Zusatz von reinem Adrenalin in der Menge von 0,01 mg. Adrenalin und Nebennieren. I. 577 Wie also ersichtlich, hat 0,01 mg Adrenalin eine beinahe ganz gleiche Wirkung auf den Darm, wie in (Fig. 4) 5 eem Blut, das während der Komprimierung einer Nebenniere entnommen wurde. Wenn wir annehmen, dass die erhaltene Wirkung proportional ist zur Adrenalinmenge, so wäre in 5 ccm Blut 0,01 mg Adrenalin enthalten, also im Gesamtblute eines Hundes von 13 kg ungefähr 0,002 g Adrenalin. Bei einem 78 kg schweren Menschen müsste nach einem solchen Drucke im Blute 0,002 X 6 = 0,012 g Adrenalin vorhanden sein. Wir sehen also, dass beim Drücken der Nebennieren Adrenalin in das Blut übergeht, welches die von uns: beobachtete Blutdruck- steigerung hervorruft. Obgleich es nun ganz klar ist, dass das Adrenalin aus den Nebennieren kommt, so ist der .genauere Mechanismus des Über- ganges nicht ganz verständlich. Man könnte sich vorstellen, dass wir beim Drucke das Adrenalin aus der durch die Nebenniere gehenden Vene nur weiter in die Blutbahn hineinpressen, wohin das Adrenalin, als Produkt der inneren Sekretion, ständig übertritt. Diese Frage suchte ich auf folgende Weise zu lösen. Im Brust- korbe komprimierte ich die Aorta während 1 Minute: der Blutdruck in der Arteria carotis stieg gewaltige an. Nach Entfernung der Klemme ging ein starker Blutstrom durch die Nebennierenvene. Wenn nun in der Vene Adrenalin vorhanden wäre, so müsste es der Blutstrom in den allgemeinen Kreislauf mitnehmen. Dennoch stieg bei diesem Experiment der Blutdruck nicht, was darauf hin- weist, dass in den Nebennierenvenen sich kein Adrenalin sammelt. Nun ging ich zum Drücken der Nebenniere über, wobei ich wieder die gleiche Blutdrueksteigerung erhielt wie vorher. Es ist also un- zweifelhaft, dass während des Drückens das Adrenalin unmittelbar aus der Nebenniere stammt. Es blieb noch eine wichtige Frage zu entscheiden, welchen Einfluss jedes weitere Drücken der Nebenniere auf den Blutdruck ausübt. Es zeigte sich nur, dass, wenn man die Nebenniere nach 5 Minuten wieder drückt, der: Blutdruck steigt, jedoch um weniges. Wenn man aber nach 20 Minuten wieder drückt, steigt der Blutdruck fast so hoch wie beim ersten Drücken. Aus der Tatsache, dass das Drücken nach 5 Minuten einen sehr schwachen Effekt hervorruft, könnte man schliessen, dass das Adrenalin während dieser Zeit sich noch nieht von neuem bilden konnte, wozu mindestens 20 Minuten nötig sind. Ich muss jedoch hinzufügen, dass das Aus- bleiben der Reaktion nach 5 Minuten sicherlich einen anderen Grund 578 i L. Popielski: hat, als der Mangel von Adrenalin in den Nebennieren. 5 Minuten nach Ausüben des Druckes in der Zeit, wo der Blutdruck wieder normal wird, befindet sich im Blüte noch eine grosse Menge von ‘Adrenalin, das man leicht mittels des Experimentes am isolierten Darme nachweisen kann. Adrenalin ist also im Blute vorhanden, und dennoch kann man es mittels Steigerung des Blutdruckes nicht nachweisen. In dieser Hinsicht stimmen meine Untersuchungen mit denen von Weiss und Harris!) überein. Erst nach 20 Minuten, wenn das Adrenalin aus den Geweben, auf welche es wirkt, verschwunden ist, erhält man beim Drücken der Nebennieren wieder den gleichen Effekt wie beim ersten Male. Angesichts dessen ist es schwer an- zunehmen, dass es sich in diesem Falle um eine Regeneration des Adrenalins handelt, oder um dessen Neubildung in der verhältnis- mässig kurzen Zeit von 20 Minuten. Auch nach mehrmaligem Wiederholen des Experimentes, jedesmal mit einer Pause von 20 Mi- nuten (ich habe es neun- bis zehnmal wiederholt), wird das Adrenalin nicht merklich verbraucht. Ich muss noch hinzufügen, dass auch nach zehnmaligem Drücken die Nebennieren histologisch sich ebenso intensiv mit Chrom färben wie die normalen. Auch die Erstickungsversuche an Tieren während drei Minuten üben keinen Einfluss aus auf den Effekt des Drückens. Die von mir ausgeführten Experimente beweisen nur, wie ausser- ‚ordentlich vorsichtig man sein muss beim Ziehen weitgehender Schluss- folgerungen aus Tatsachen, die nicht den Forderungen einer exakten physiologischen Analyse entsprechen. Speziell verliert jene Tatsache, dass man Adrenalin in deın Venenblute der Nebennieren nachgewiesen hat, jede Bedeutung als Beweis dafür, dass das Adrenalin ein Sekret ist. Die Experimente an den Nebennieren erfordern eine ganz spezielle Vorsicht, da das Adrenalin ein stark wirkender Körper ist. Um eine kleine, aber schon wirksame Menge zu erhalten, genügt ein kaum merkbarer mechanischer Druck. Die Ansicht, dass das Adrenalin einen normalen Reiz für den Gefässtonus darstellt, muss man endgültig verlassen, und die Bedeutung der Nebennieren für den Organismus darf man nicht in der Sekretion des Adrenalins suchen. Sie liegt wahrscheinlich nicht in der Absonderung: irgend- 1) Zit. nach Bayer |. c. S. 32. Adrenalin und Nebennieren. I. 879 eines Körpers, sondern in der Entgiftung, in der Eliminierung schäd- licher Substanzen. Diese Ansicht wird auch unterstützt durch die aussergewöhnlich grosse Zahl von Arterien in den Nebennieren, welche sogar un- mittelbar aus der Aorta abgehen. An injizierten Präparaten von Hunden habe ich deren sieben gezählt, die nur zu einer Nebenniere gehen. Schon diese grosse Zahl der Gefässe zeigt uns, welche grosse Blutmenge durch beide Nebennieren hindurchgehen muss. Die Er- scheinungen, welche bei Hunden erst 3—4 Tage nach der Exstirpation der Nebennieren auftreten, weisen darauf hin, dass wir es hier nicht mit dem Mangel eines Körpers, sondern mit der Bildung eines neuen eiftigen zu tun haben. Wenn nun der ganze Adrenalinvorrat, den man aus den Nebennieren, zum Beispiel durch Drücken, heraus- bekommen kann, im Charakter eines Sekretes in das Blut übergehen würde, so müsste der Organismus ständig an Adrenalinvergiftung leiden, was man ja sehr leicht im Blute des allgemeinen Kreislaufes nachweisen könnte. Mich auf meine Versuche mit dem Abklemmen der Aorta stützend, habe ich!) ausgerechnet, dass bei einem 80 kg wiegenden Menschen sich täglich 0,5 g Adrenalin ausscheiden würden. Die Ergebnisse mit dem Drücken der Nebennieren steigern diese Menge auf 0,96 g pro die. Tatsache ist, dass wir aus den Nebennieren Adrenalin erhalten können, welches aber als solches in den Nebenniereu wahrscheinlich nicht existiert. Man muss annehmen, dass es in labiler Verbindung mit gewissen Körpern steht, von denen es leicht losgelöst werden kann, zum Beispiel unter dem Einflusse der CO, des Blutes. Wenn das Adrenalin in fertigem Zustande vorhanden wäre, So müsste es, als ein kristallisierbarer, gut im Wasser löslicher Körper durch Diffusion leicht in das Blut gelangen. Indessen bedarf es des Druckes, der Anämie oder der Erstickung, damit es im Blute er- scheine. Die Ergebnisse weiterer Untersuchungen über das Adrenalin und die Nebennieren werden im zweiten Teile dieser Arbeit an- geführt werden. 1) Pflüger’s Arch. Bd. 139 S. 574. 1911. Pflüger’s Archiv für Plıysiologie. Bd. 165. 39 80 Fig. L. Popielski: Adrenalin und Nebennieren. I. Erklärung der Tafeln. Alle Kurven sind von links nach rechts zu lesen. 1. 4. Oktober 1912. Hund von 11 kg Gewicht. Durchschneidung des Rücken- marks. Die Kurve stellt den Effekt von Komprimierung der Nebenniere während 45 Sekunden dar. Der Blutdruck stieg von 74 auf 230 mm Hg,, also um 156 mm Hg (um !/s verkleinert). g. 2. 8. Oktober 1912. Hund von 5!/2 kg Gewicht. Durchschneidung des Rückenmarks. Nervus splanchnicus wurde auf Ligatur genommen. Effekt von Komprimierung der linken Nebenniere zwischen den Fingern während einer Minute. Der Blutdruck hob sich von 60 mm auf 180 mm, also um 120 mm Hs. .3. Effekt von Berührung der Nebenniere während 15 Sekunden beim Hunde vom 4. Oktober 1912. Der Blutdruck hob sich von 80 mm auf 120 mm, also um 40 Hg. .4. 8. Oktober 1912. Hund von 51/a kg Gewicht. Effekt von Komprimierung des einen Teiles der Nebenniere mittels Pinzette, des übrigen zwischen den Fingern während einer Minute. Der Blutdruck hob sich von 56 mm auf 182 mm Hg, also um 126 mm Hg. .5. 9. Oktober 1912. Hund von 6V2 kg Gewicht. Durchschneidung des. Rückenmarks und der Nn. vagi. Effekt von Reizung des N. sympathicus. mittels unterbrochenen Stromes bei Entfernung der Spulen von 85 cm während 45 Sekunden. Der Blutdruck hob sich von 46 mm auf 126 mm H, also um 126 mm Hg. g. 6. Effekt von Reizung des reehten N. sympathicus in der Brusthöhle mit. unterbrochenem Strom bei Entfernung der Spulen von 85 cm während 45 Se- kunden bei demselben Hunde nach Ausschneidung der linken und Unterbindung von Gefässen der rechten Nebenniere. Der Blutdruck hob sich von 68 mm. auf 144 mm Hs, also um 76 mm Hg. Tafel I. Pflüger’s Archiv f. d. ges. Physiologie Bd. 165. AAMA MAN | | | | 106 mmHg, an 220 mE, MlmmBg. TER men Hg MonHg a Hy, n | ı | | | l | | | ne Fe a Fr NE 5 1 \ Rom) en Fig. 1 (um !/ı verkleinert) | 1 i 1 1 1 h ! 1 ı 1 | | | Mana | | Da 2; 180 m H. \ mm 22 m 17 15%. mmHg | ı 1 | 1 . = ! f | Komp der 1 Nebenni | Fig. 2 rt S----- EISER. Si 3 N do) Sg: 3 Ss An EÜnmä, BemmH, 120mm Hs. I I ‘ l \ ı a | Berührung der linken Nebenniere, Fig. 3. Verlag von Martin Hager, Bonn. 80 vom also ı Fig. 4 8. des e Finge 182 r di, Rück mitte] 45 Se 126 n Dies, (&, \0 unter! kunde von ( auf 1: Pflüger's Archiv f. d. ges. Physiologie Bd. 165. Tafel II, | III I I IN N ANA Verlag von Martin Hager, Bonn. 2 BB, are Ha SAN u Lehe Wire DACH EN m hr ll Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 165. Tafel III 26 mm Hy 68 mm Hg | 16 mm IIy Reizung des linken N. sympathicus. Fig. 5. 16 mm Hg 126 mm Hy 90 mm Hy Reizung des linken N. sympathicus, He. Verlag von Martin Hager, Bonn. AR ee 98l (Aus dem Institut für exper. Pharmakologie der Universität Lemberg.) Adrenalin und Nebennieren. Zweiter Teil. Normales Blut, Nn. splanchniei und Adrenalin. Von ‚Prof. Dr. L. Popielski, Direktor des Instituts. (Mit 1 Textfigur.) Wie man aus der vorangegangenen Arbeit (Pflüger’s Archiv Bd. 165 S. 565) ersehen kann, bewirkt auch das sachte, fast unmerk- liche Berühren der Nebennieren das Erscheinen von Adrenalin im Blute. Diese Tatsache hat eine hervorragende Bedeutung angesichts der Ex- perimente, vermittels deren verschiedene Verfasser sich bemühten, das Adrenalin als Produkt der sekretorischen Nebennierentätigkeit im venö- sen Blute der Nebennieren nachzuweisen. Wenn aber diese Autoren bei der Blutentnahme aus den Venen der Nebennieren den Einfluss der Komprimierung dieser Organe nicht beachteten, wie kann man solchen Experimenten eine überzeugende Bedeutung zuschreiben ? Das Anlegen der Ligatur selbst reicht aus, um aus den Nebennieren grosse Menge Adrenalin ins Blut hineinzutreiben. Das auf diese Weise herausgepresste Adrenalin hielten einige Verfasser für das Produkt der sekretorischen Nebennierenfunktion, während es in Wirklichkeit ein ausgepresstes und nicht ein sekretorisches Nebennierenprodukt war. Ich will mich kurz mit den Versuchen, mit Hilfe deren die Verfasser angeblich das Vorfinden des Adrenalins in dem venösen Blute der Nebennieren bewiesen haben wollen, befassen. Cybulski!) erwähnt, dass das aus den Nebennieren entnommene Blut den Blutdruck erhöht. Er hat jedoch nicht bewiesen: 1. dass der Blutdruck sich durch das Adrenalin 1) Cybulski, Über die Funktion der Nebenniere. Wien. med. Wochenschr. 1895 Nr. 6, 7. 39* 982 L. Popielski: und nicht durch einen anderen Körper erhob; 2. dass das aus anderen Drüsen entnommene Blut diese Eigenschaft nicht besitzt. Dagegen hat Cytowiez!), ein Schüler Cybulski’s, bewiesen, dass auch aus anderen Drüsen entnommenes Blut die Eigenschaft, den Blutdruck zu erhöhen, besitzt. So steigerte Blut aus der Gl. suprarenalis den Blutdruck um 40—180 mm Hg, Blut aus der Gl. thyreoidea um 10—40 mm Hg und aus dem Pankreas um 10—45 mm He. In Wirklichkeit jedoch erhöht das Blut aus allen Organen und — wie wir weiter sehen werden — auch aus der Gl. suprarenalis den Blutdruck nicht, sondern erniedrigt ihn. Solche Blutdruckerniedrigung erhält man aber nur durch das defibrinierte Blut, während das Serum den Blutdruck erhöht. Indessen fand Cytowicz „keinen scharfen Unterschied“ in der Wirkung des Serums und des defibrinierten Blutes und gebrauchte zu seinen Experimenten vorwiegend das Serum. Den Unterschied zwischen diesem und defibriniertem Blute sieht man dann nicht, wenn das Blut schlecht defibriniert wurde, wobei die Bildung von Gerinnseln nicht verhindert wurde. Dann identifiziert sich das Blut in bezug auf die Wirkung mit dem Serum, in welchem sich blutgefässeverengende und damit Adrenalinwirkung simulierende Körper befinden. Das Adrenalin konnte sich jedoch in dem aus den Nebennieren sowohl von Cybulski wie auch von den anderen Verfassern entnommenen Blute als Produkt der mechanischen Ein- wirkung auf die Nebennieren befinden. Die Versuche Trendelenburg’s mit Hilfe der isolierten Ge- fässe der unteren Extremität des Frosches berücksichtigen ebenfalls nicht die Anwesenheit von blutgefässeverengenden Körpern im Serum. In den Untersuchungen Ehrmann’s, die er mit Hilfe seiner auf der Erweiterung der Pupille des Froschauges beruhenden Methode ausführte, fällt dieser Vorwurf fort angesichts dessen, dass das Adrenalin die spezielle Eigenschaft, die Pupille zu erweitern, besitzt. Dagegen wurden die Vorwürfe, welche Borberg der Ehrmanı- schen Methode macht, nicht beseitigt, und die Anforderungen, denen die Ehrmann ’sche Methode genügen sollte, nicht erfüllt. O’Connor?) 1) COytowicz, Über den Einfluss des venösen Blutes verschiedener Drüsen auf den Blutdruck. Bullet. intern. de l’Acad. de sciences de Cracovie. Serie B. Octobre 1912 S. 1126. 2) O’Connor, Über den Adrenalingehalt des Blutes. Arch. f. exp. Pharm. Bd. 67. H. 3. Adrenalin und Nebennieren. II. 583 gebrauchte sowohl die Methode Trendelenburg’s wie die von Magnus (isolierter Darm). Mit Hilfe der Magnus’schen Methode bewies er das Vorkommen von Adrenalin im venösen Nebennieren- blute, schloss jedoch die Komprimierung der Nebennieren nicht aus. Mit Recht gibt ÖO’Connor an, dass er das Adrenalin in dem venösen Blute der Nebennieren vorfand, ohne dadurch die Frage zu berühren, ob das Adrenalin wirklich ein Sekret der Nebennieren ist. In letzter Zeit untersuchte Borberg mit Hilfe der modifizierten Methode Ehr- mann’s das venöse Blut der Nebennieren auf seinen Adrenalin- gehalt. Borberg erwähnt die Möglichkeit der Nebennieren- komprimierung, schliesst sie aber nicht aus. Um festzustellen, ob das Adrenalin ein steter Bestandteil des venösen Nebennierenblutes ist, bemühte ich mich in meinen Ver- suchen, die Komprimierung der Nebenniere während der Entnehmung des aus dieser ausfliessenden Blutes zu vermeiden. Anfangs wollte ich das Blut aus der Nebennierenvene vermittels einer mit deren peripheren Ende verbundenen Spritze entnehmen. Es war aber nicht möglich, das Blut zu sammeln, da die Vene während des Ausziehens des Stempels sofort einfiel. Um den natürlichen Ausfluss des Blutes aus der Vene ausnützen zu können, war es nötig, Ligaturen um die Vena cava inferior ober- halb und unterhalb der Nebennierenvenen anzulegen. Man konnte aber dabei die Nebennierenkomprimierung nicht vermeiden. Daher beschloss ich, das Blut aus den Nebennierenvenen auf folgende Weise zu sammeln. Ich führte durch die Vena jugularis externa dextra einen Katheter bis unterhalb der Einmündungsstelle der Lebervenen in die Vena cava inferior ein. Der Katheter hatte an seinem Ende eine dünne Blase. In das periphere Ende der Venae cavae inferioris führte ich von der Vena iliaca aus eine Kanüle zur Sammlung des Blutes ein. So vorsichtig wie möglich unterband ich beide Venae renales und Venae lumbales, die in die Vena cava inferior zwischen den Neben- nieren- und Nierenvenen einmünden. Dann wurde die Blase mit Luft gefüllt und das Lumen der Venae cavae inferioris verschlossen und das Blut floss durch die Kanüle aus; dieses Blut durfte man für ausschliessliches Nebennierenblut ansehen. Es wurde nach ge- nauer Defibrinierung sofort zu den Versuchen verwandt. Freilich wird die Möglichkeit der Nebennierenkomprimierung auch bei dieser Art der Blutentnehmung nicht ganz sicher ausgeschlossen. Zunächst 984 L. Popielski: ist diese Komprimierung während der Unterbindung der erwähnten Venen in der Bauchhöhle, dann durch zu grosse Annäherung der = | Fig. 1 (um "/a verkleinert). Blase an die Nebenniere und schliesslich dureh zu starkes Aufblasen möglich. Nach Beendigung des Versuches untersuchte ich, ob das Bläschen die Mündung der Nebennierenvenen nicht verschloss. Versuch vom 19. Januar 1913. Hund von 8 kg Gewicht. Rückenmark unter der Medulla _ oblongata durchtrennt. Künstliche Atmung. ‘In den peripheren Teil der Vena cava inferior ist eine Kanüle zur Blutentnahme eingeführt; die oben erwähnten Venen in der Bauchhöhle unterbunden. 1!/’e Stunden nach diesen Vorbereitungen Ein- führung eines Katheters durch die Vena jugularis externa in die Vena cava inferior. Das nach dem Aufblasen des Ballons aus der Vena cava inferior ausfliessende Blut wurde exakt defibriniert. 7 cem davon wurden demselben Hunde in die Vena jugularis injiziert (0,75 cem auf 1 kg, was eine kleine Quantität darstellt. Nach den Versuchen von Dr. Studzinski erniedrigen den Blutdruck erst 20 cem aufl kg bis auf0); danach sank der Blutdruck deutlich: die obere Grenze von 65 mm auf 56 mm, die untere von 46 mm auf 40 mm, wie auf der Kurve zu sehen ist (Fig. 1). Dasselbe Blut be- wirkte keine erkennbare Tonuserniedrigung am isolierten Darme. Wenn man nun den Ballon etwas hinunterrückt und dadurch einen Druck auf die Nebennieren ausübt, befindet sich Adrenalin im Blute. Es zeigte sich also, dass das venöse Blut der Nebenniere, wenn es ohne Druckausübung auf diese entnommen wird, den Blutdruck ebenso er- niedrigt wie das Blut aus jedem anderen Organ. ‘ Den gleichen Mangel an Adrenalin im Blute der Nebennierenvene beobachtete auch Tschebok- sareff in einigen Versuchen. Blut, welches er ohne Reizung des N. splanchnieus, also ohne Nebenniere zu drücken, aus der Nebennierenvene entnommen hatte, bewirkte nicht Steigerung, sondern Senkung des Blutdrueckes. Adrenalin und Nebennieren. II. 585 Die oben beschriebene Methode der Blutentnahme aus den Nebennierenvenen benutzte ich, um festzustellen, ob wirklich der Sympathieus der Sekretionsnerv der Nebenniere ist. Um mechanischen Druck und Reizung der Nebenniere durch Anziehen des N. splanchnicus auszuschliessen, beschloss ich, den N. sympathicus in der Brusthöhle zu reizen. Es stellte sich heraus, dass während der Reizung des Sympathieus entnommenes Blut den Blutdruck erniedrigt. Nach Entfernung des Katheters bewirkt Reizung des Sympathieus Blutdruckerhöhung, was sein normales Funktionieren bewies. Dagegen nimmt während der Sympathicus- reizung der Blutausfluss aus der Nebennierenvene erheblich zu, was mit den Befunden von Biedl, Dreyer sowie Tscheboksareff übereinstimmt. Bei den Versuchen der Autoren, welche den N. sympathicus reizten, haber wir es nicht nur mit einer An- ziehung des Nerven, sondern auch mit unmittelbarem Druck auf die Nebennieren zu tun. Bei den Versuchen von Grek!) in meinem Laboratorium wurde der N. splanchnieus gereizt, um seinen Einfluss auf die chemischen Eigenschaften des Urins festzustellen. Es ergab sich das Auftreten von Zucker. Bei näherer Untersuchung dieser Erscheinung stellte sich heraus, dass beim Anziehen des Splanchnieus während der Reizung ein unmittelbarer Druck auf die Nebenniere ausgeübt wurde. Überdies wurde auch auf die Niere selbst ein Druck erzeugt, was sich in Vermehrung der Urinabsonderung bei der jedesmaligen Splanchnicusreizung zeigte. Dieses mechanische Moment wäre der Aufmerksamkeit entgangen, wenn nicht die para- doxe Erscheinung der Urinvermehrung bei jeder Reizung, also beim Anbringen des. Nerven auf die Elektroden, aufgetreten wäre. Die Versuche von Tsceheboksareff?), welche die Anwesenheit von Adrenalin im Nebennierenvenenblute während der Reizung des N. splanchnieus dartun, können also nicht als Beweis, dass dieser der Sekretionsnerv der Nebenniere sei, gelten. Bei seinen Resultaten spielt der unmittelbare Druck auf die Nebenniere bei Anlesung der Klemme auf die Vena cava inferior die Hauptrolle. 1) Grek, Über den Einfluss der Durchtrennung und Reizung des N. splanchn. auf die Ausscheidung von Chloride und das Auftreten von Glykosurie bei Reizung des N. splanchn. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 68 S. 306. 1912. 2) Tscheboksareff, Über die sekretorischen Nebennierennerven. Pflüger’s Arch. Bd. 137 S. 59. 1910. L. Popielski: [edy ( (0,2) & Interessant ist das Vorgehen von Asher') bei ähnlichen Ver- suchen. Er bedeckte die Nebenniere mit in warmer Kochsalzlösung getränkter Watte unter Vermeidung angeblich jedes Druckes. Dann wandte er aus ganz unverständlichen Gründen Gefässpinzetten zur Ab- klemmung der Nebennierenvenen an. Die Abklemmung der Neben- nierenvene hatte keinen Einfluss auf den Blutdruck. „Die blosse Wiederöffnung ohne sonstigen Eingriff bewirkt auch keinen oder nur unwesentlichen Druckanstieg.“ Es ist offenbar, dass die von Asher angewandten Eingriffe hätten vermieden werden müssen. Gerade sie sind vollkommen ausreichend, um den unbedeutenden Blut- druckanstieg zu erzeugen, welchen der Autor bei der Reizung des Splanchnieus beobachtete. Deswegen ist auch die Ansicht von Svale Vincent, welcher sich auf die Versuche von Asher stützt, dass man gegenwärtig schon nieht mehr zweifeln dürfe, dass das Adrenalin ein Sekretions- produkt der Nebenniere ist, da wir sogar die Sekretionsnerven kennen, noch etwas verfrüht (Ergebnisse der Physiologie 1913). Ich kehre jetzt zu der Frage, ob das Adrenalin sich im normalen Blute befindet, zurück. Das Adrenalin erhöht den Blutdruck. Nach manchen Autoren wird der Tonus der Blutgefässe durch das Sekret der Nebennieren, das Adrenalin unterhalten. Der Gefässtonus ist eine seit langem bekannte Tatsache. Nach Durchschneidung des Rückenmarkes unter der Medulla oblongata und Durchtrennung der Nn. splanchniei sinkt der Blutdruck. Diese Tatsachen beweisen, dass der Gefässtonus von dem Tonus des Gefässnervenzentrums abhängt. Wenn also das Adrenalin den Gefässtonus unterhalten sollte, so müsste seine Wirkung eine zentrale sein. Es ist jedoch eine un- umstössliche Tatsache, dass es eine periphere Wirkung auf die Blut- sefässe ausübt. Allein Cybulski noch vertritt die Ansicht, dass Adrenalin auf zentralem Wege den Blutdruck erhöht. Obwohl er mit seiner Ansicht allein steht, so müssen wir doch seine ex- perimentellen Unterlagen genauer betrachten, da wissenschaftliche Fragen nicht auf dem Wege der Abstimmung entschieden werden. Auf der zentralen Wirkung des Adrenalins fussend, schuf Cybulski eine ganze Theorie der Nebennierenfunktion.e Nach ihm ist das Sekret der Nebenniere der normale Erreger folgender Nervenzentren: 1) L. Asher, Die innere Sekretion der Nebenniere und deren Innervation. Zeitschr. f. Biol. Bd. 58 H. 6 S. 281 und 282. Adrenalin und Nebennieren. II. 587 des Herzhemmungszentrums, des Herzbeschleunigungs-, des Atem-, des Gefässnervenzentrums und aller Wahrscheinlichkeit nach den Muskeltonus beherrschenden Zentren. Die experimentellen Grund- lagen, auf denen er anfangs seine Ansicht stützte, war von Szymonowicz!) geliefert. Dieser spricht jedoch deutlich von Ver- suchen, bei denen trotz Rückenmarkdurchschneidung unter der Medulla oblongata und Zerstörung des Rückenmarkes Nebennierenextrakt den Blutdruck erhöhte. So zum Beispiel im Experiment IX (l. e. S. 122, 123) nach Durchtrennung und Zerstörung des Rückenmarkes, insofern es mit dem Drahte erreicht werden konnte, steigerte 1 ccm 5 P/oiges Nebennierenextrakt den Blutdruck von 1 mm auf 116 mm Hg (um 115 mm Hg). Vor der Zerstörung hob die gleiche Menge von Nebennierenextrakt den Blutdruck von 70 ınm bis 192 mm Hg, .das heisst um 122 mm Hg. Verfasser rechtfertigt dieses Resultat durch das Ergebnis der Sektion, bei der man sich überzeugte, dass das Mark zum grössten Teil nicht zerstört worden war. Der Verfasser durchtrennte das Rückenmark vor der Einführung des Drahtes: 1. in der Höhe zwischen dem zweiten und dritten Halswirbel; 2. zwischen dem zweiten und dritten Brustwirbel; 3. in der Höhe des achten Brustwirbels und 4. in der Höhe des elften Brustwirbels. Im Experiment VIII dagegen steigerte sich der Blutdruck nur nach Durchtrennung des Halsmarkes von 2 cem 5°/oiges Nebennieren- extrakt, die in kurzen Intervallen eingeführt wurden, nur um 10 mm Hg, während vor der Durchtrennung von 1 cem 5P/oiges Extrakt um 83 mm Hg stieg, was, nach Szymonowiez, als Maassstab dienen kann, inwiefern die Verengerung der Gefässe von den Zentren im verlängerten Marke abhängt. Das Ergebnis des Experiments VIII steht also im auffallenden Widerspruch mit dem Ergebnis von Experiment IX. Im Experiment X sank der Blutdruck nach Zer- störung des Rückenmarkes mit dem Draht bis auf 0; sodann hob 1 eem 1Poiges Nebennierenextrakt den Blutdruck auf 10 mm He. Im Versuche XII (l.c. 129, 130) wurde das Mark mittels Draht von der Hälfte des Halsmarkes nach unten bis zum Lendenteile zerstört. Der Blutdruck sank bis 0. Nach 1!/s eem 10 /oiges Nebennieren- extrakt steigt er auf 14 mm Hg. Es ist schwer zu begreifen wie angesichts angeführter Experimente, 1) Szymonowicz, Die Funktion der Nebenniere. Pflüger’s Arch. Bd. 64 (Versuche VIII, IX, XII) S. 120, 124, 125, 135. 1896. 588 L. Popielski: die ganz sicher beweisen, dass nach Durchtrennung des Rückenmarkes der durch Adrenalin hervorgerufene Blutdruck gewaltig steist (zum Beispiel im Experiment IX von S mm bis auf 153 mm Hg) und nach seiner Zerstörung noch ganz deutlich, Cybulski der Ansicht sein konnte, dass das Adrenalin jenen Faktor darstellt, welcher das Zentral- nervensystem, speziell die Zentren des verlängerten Markes, beherrscht. Dessen ungeachtet bemühte sich Cybulski weitere Beweise für seine Ansicht zu erbringen. Derartige Beweise enthält die Arbeit von Welecki aus seinem Laboratorium. Diese Arbeit besitzt die Bedeutung, dass sie die Versuchsfehler zu erkennen erlaubt, auf denen Cybulski seine Ansicht aufbaut. Welecki!) illustriert seine Arbeit mit einer Kurve, auf der zu sehen ist, dass nach Entfernung der Medulla oblon- gata und des Rückenmarkes der Blutdruck fast bis Null bei unsicht- baren Herzschlägen herabsinkt. Ein solcher Stand kann aber nur die Folge des Blutverlustes im Anschluss an die Operation sein, jedoch nicht des Ausschlusses der Nervenzentren. Bei einer sehr geringen Blutmenge aber vermag selbst eine hochgradige Gefässverengerung nicht genügend Blut in die grossen Gefässe, in welchen wir den Druck messen, hineinzutreiben, wenigstens gleich nach der Ope- ration. Unter diesen Bedingungen können selbst grosse Andre- nalinmengen den Blutdruck nicht erhöhen, wenn nicht gleich- zeitig grössere Flüssiekeitsmengen eingeführt worden. In der Tat erhielt Welecki erst nach der Injektion einer: 200 mal grösseren Adrenalindosis eine geringe Blutdrucksteigerung, natürlich peripherer Natur. Schliesslich ist die angewandte Methode selbst unsicher. Der Autor, welcher einen Draht in den Rückenmarkskanal einführte, kontrollierte seinen Eingriff nicht und überzeugte sich nicht, ob und inwieweit die Nervenzentren zerstört waren. Bei dieser Methode der Rückenmarkzerstörung kommt es vor, dass der Draht zwischen die Dura mater und die Wirbel gelanst und an der harten Rückenmarks- haut herabgleitend nicht die beabsichtigte Zerstörung der Nerven- zentren bewirkt. Deswegen ist auch diese Methode, wie überhaupt alle Arten von unkontrollierbaren Eingriffen, in der Physiologie verworfen. Allein sicher ist die Methode des Ausschneidens des Rückenmarkes in seiner ganzen Länge unter Kontrolle des Auges. In einem an- geführten Experimente erwähnt Welecki die Extirpation des Rücken- markes, sagt aber nicht, wie das geschehen ist. Die Methode mit 1) Welecki, Verhandl.d. Akad.d. Wissensch. in Krakau Bd.47 Serie B. 1907. Adrenalin und Nebennieren. II. 589 dem Drahte ist schon deswegen abzuweisen, weil, abgesehen von der Unsicherheit der Zerstörung der Zentren, sicherlich die Blut- gefässe zerstört und zerrissen werden, was Blutdrucksenkung bis Null zur Folge hat, wie das bei Welecki der Fall war, d. h. der Blutdruck gelangt zu einem Stande, bei welchem überhaupt jedes Experimentieren aufhören sollte. Offenbar haben jedoch W elecki’s!) Experimente Cybulski?) nieht vollkommen überzeugt, da er gemein- sam mit ihm mit einer neuen Probe zum Nachweise der zentralen Adrenalinwirkung auftrat. Diese neue Probe war ein Experiment, das man seiner Idee nach als ein wahres Experimentum crucis bezeichnen könnte. Dabei handelte es sich um Isolierung des Gehirns vom übrigen Körper und Einwirkung des Adrenalins unmittelbar und ausschliesslich auf das Gehirn. Diese Isolierung wurde am Hunde in folgender Weise vor- genommen: In die Arteria eruralis wurde eine Kanüle zur Ver- bindung mit dem Manometer eingeführt. In das periphere Ende einer Karotis wurde eine Kanüle zur Adrenalininjektion in der Richtung nach dem Gehirn eingebracht. Das Blut floss aus dem Gehirn durch die Venae jugulares nach aussen; ferner wurde um den ganzen Hals (ausgenommen der Arteriae carotides und der Nn. vagi) eine gemeinsame Ligatur angelegt, um den Blutstrom, wie man annahm, in allen Venen, welche das Blut vom Hirn zum Körper abführen, zu unterbrechen. Die Forscher überzeugten sich,. dass Adrenalininjektion in das periphere Karotisende den Blutdruck stark in die Höhe treibt. Auf Grund dessen stellte es Cybulski als absolut sichere, keinem Zweifel unterliegende Tatsache hin, dass Adrenalin durch zentrale Einwirkung den Blutdruck erhöht. Wir müssen jedoch von jedem physiologischen Eingriffe die Sicherheit verlangen, dass das angestrebte Ziel wirklich erreicht werde. Die Forscher hätten sich überzeugen müssen, ob die Isolierung der Hirn- gefässe wirklich erreicht wurde. Es wäre nicht schwer gewesen, sich davon zu überzeugen. Wir kennen einige Körper, die eine charakte- ristische periphere Wirkung ausüben, wie zum Beispiel Atropin und Curare. Wenn die Methode der Hirnisolierung der Autoren ihr Ziel erreichte, so müsste Atropininjektion in der Richtung zum Gehirn keine Herzwirkung ergeben; es sollte also keine Pulsbeschleunigung 1) Welecki, Lwowski Tyg. lek. Nr. 3 S. 35. 1910. 2) Cybulski, Ibidem Nr. 7 S. 104. 1910. 590 L. Popielski: auftreten und Reizung der N. vagi sollte die gewöhnliche Herz- verlangsamung bewirken. Schliesslich wissen wir, dass in den Knochenkanälen die mächtigen Arteriae et Venae vertebrales ziehen, die selbst bei Anwendung von grosser Kraft durch eine Massenligatur am Halse nicht zu unter- binden sind. Durch diese Venen gelangte das in Gehirn injizierte Adrenalin in den übrigen Körper und bewirkte bei den Versuchen der Autoren Blutdruckerhöhung durch periphere Gefässverengerung. Schliesslich, wenn Cybulski in Versuchen von Welecki die Wirkung des Adrenalins auf die Zentren des verlängerten Markes gesehen hat, so hätte er diese Zentren vernichten müssen und nachsehen, ob er auch dann eine Drucksteigerung erhalten - hätte. Ich führte ähnliche Versuche aus, die jedoch zeigten, dass das Adrenalin sowohl vor als auch nach der Vernichtung des ver- längerten Markes bis zur gleichen Höhe eine Blutdrucksteigerung hervorruft. Natürlich kann Cybulski, von seinen Versuchen aus- gehend, wie einen Faden aus einem Knäuel Theorien heraus- ziehen. . Wir sehen also, dass seine Ansicht von der zentralen Adrenalinwirkung sich auf fehlerhafte Versuche aufbaut und keine Geltung ‘haben kann. Dagegen leisten die Versuche, welche - die periphere Adrenalinwirkung erweisen, von Biedl, Gottlieb, Pruszynski!) den Ansprüchen der physiologischen Analyse voll- kommen Genüge. Pruszynski nimmt zwar die Möglichkeit einer Adrenalinwirkuns auf die Zentren an, weil der dadurch erhöhte Blut- druck nach Durchschneidung des Rückenmarkes unter der Medulla oblongata etwas absinkt. Wenn man jedoch den Blutverlust bei dieser Operation berücksichtigt, so ist diese geringe Drucksenkung ganz verständlich. Man kann nicht umhin, zu berücksichtigen, dass das Adrenalin, indem es durch Gefässverengerung die Zentren an- ämisch macht, eine Reizung derselben hervorrufen kann. Diese Wirkung ist jedoch eine sekundäre. Es ist interessant, dass Pruszynski und Welecki die gleiche Methode der Rückenmarks- zerstörung anwandten. Aber während erster auch nach diesem Eingriffe eine beinahe gleich starke Blutdrucksteigerung durch Adrenalin erhielt, blieb sie bei letzterem vollkommen aus. Zu er- wähnen ist, dass Pruszynski sich durch die Autopsie von der Zer- störung des Rückenmarkes überzeugte, während Welecki das nicht tat. l) Pruszynski, Gazeta lek. Juni 1904. Adrenalin und Nebennieren. II. 591 Wenn also Adrenalin den Gefässtonus nicht auf zentralem Wege unterhält, so ist jedoch damit seine Wirkung auf den Gefässtonus überhaupt noch nicht ausgeschlossen; denn man könnte sich vor- stellen, dass die Blutgefässe ausser dem zentralen noch einen peri- pheren Tonus besitzen. Um diese Vermutung zu erweisen, musste man die Nebennieren exstirpieren und den Blutdruck untersuchen. Einige Forscher, wie Szymonowicz, sahen nach dieser Operation Blutdrucksenkung. Jedoch macht Lewandowski mit Recht darauf aufmerksam, dass ein solcher Effekt von der Schwere des operativen Eingriffes an sich abhängen könne. Man muss die Methode der Nebennierenexstirpation, wie sie bisher von einigen Forschern ange- wandt wurde, berücksichtigen. Sie erfolste durch Eröffnung der Bauchhöhle in der Linea alba. Beim Aufsuchen und Exstirpieren der Nebennieren werden die Eingeweide nach aussen gelagert und im Verlauf von längerer Zeit der Abkühlung ausgesetzt. Die Folge davon ist Abkühlung auch des Blutes, was Verlangsamung der Herz- aktion und Blutdrucksenkung bewirkt, das heisst gerade die Er- scheinung, welche man für eine Folge der Nebennierenexstirpation ansieht. Wenn man dagegen diese Organe entfernt, indem man sie durch einen Schnitt zwischen den Rücken- und Bauchmuskeln an- geht, so erhält man weder Veränderungen der Herztätigkeit noch des Blutdruckes. Cybulski hat versucht die Ansicht, dass das Adrenalin ein Sekret der Nebennieren sei, auf. galvanometrischem Wege zu beweisen. Unter seiner Leitung bestimmte Czubalski (Der Einfluss des Adrenalins auf den Charakter der Aktionsströme in den Muskeln, Bulletin de l’Academie des Sciences de Cracovie Serie B p. 183. April 1913) mit Hilfe des Einthoven’schen Galvano- meters die Kurve der Aktionsströme in den Muskeln eines normalen Frosches. 48 Stunden nachdem die Nebennieren ausgebrannt waren, als die Herztätigkeit sehr geschwächt und die Beweglichkeit ver- mindert war, zeichnete er wieder die Kurve der Aktionsströme auf. Es zeigte sich, dass dabei die zweite Phase dieser Ströme schwand. Wenn er aber in das Blut Adrenalin einführte, trat die zweite Phase wieder auf, was beweisen soll, dass das Adrenalin als Sekret der Nebennieren eine bessere und ausgiebigere Muskeltätigkeit bewirke. Doch wurden diese Experimente ganz und gar nicht analysiert. Vor allem hebt das Adrenalin die Herz- und Gefässtätigkeit, wodurch ebenfalls die geschwächte Muskeltätigkeit gesteigert wird. Am meisten auffallend ist die Tatsache, dass beide Autoren die gleiche Kurve 92 L. Popielski: der Aktionsströme, das heisst eine solehe ohne die zweite Phase, als eine typische (dritter Normaltypus) Kurve für die Muskeln der normalen Frösche mit unversehrten Nebennieren, erachten. Es ist eine absolut sichere Tatsache, dass man aus der Neben- niere Adrenalin erhalten kann. Unter anderem bewirkt Druck auf die Nebenniere Übergang von Adrenalin ins Blut. Es wäre schwerlich zu vermuten, dass durch den Druck ein neuer Körper entsteht. Deshalb ist die Frage wichtig, in welcher Form sich das Adrenalin in der Nebenniere befindet? Sei es in freiem Zustande, die Zwischen- zellräume ausfüllend, oder sei es in irgendeiner anderen Form? Ersteres ist wenig wahrscheinlich. Adrenalin ist ein krystallinischer Körper, der leicht in Wasser löslich ist. Wenn es als solches in der Nebenniere vorhanden wäre, so müsste es durch Diffusion ins Blut übergehen, wo es mit Leichtigkeit nachzuweisen wäre. Demgegen- über lässt es sich weder im allgemeinen Kreislauf noch im Venen- blute der Nebennieren feststellen. Deswegen ist folgende Vermutung wahrscheinlich: Durch Drücken der Nebenniere pressen wir Organ- teilchen als Zellen durch die Kapillargefässchen. Durch Einwirkung von Blutbestandteilen, möglicherweise von CO,, wird aktionsfähiges Adrenalin frei. Als weiterer Beweis, dass das Adrenalin nicht in freier Form in der Nebenniere existiert, kann das Experiment mit Abklemmung der Brustaorta dienen. Wenn man diese für einige Minuten abklemmt, so steigt nach Entfernung der Klemme der Blut- druck erheblich. So erhöhte er sich in einem Versuche (Pflüger’s Archiv Bd. 139, 1911. S. 572) von 26 mm Hg auf 90 mm He, das ist um 64 mm He. Die Aorta klemmte ich in der Brusthöhle ab und überzeugte mich, dass das Maximum der Blutdrucksteigerung 7 Minuten nach Beginn der Abklemmung eintritt. Nun könnte man folgendermaassen schliessen: Das Adrenalin gelangt ununterbrochen in den Blutkreislauf. Nach Unterbrechung desselben sammelt sich in der Nebennierenvene so viel Adrenalin an, wie im Verlauf von 7 Minuten abgesondert wird. Nach Entfernung der Klemme gelangt dann die ganze abgesonderte Adrenalinmenge auf einmal in den allgemeinen Kreislauf, was eine gewaltige Druckerhöhung bewirkt. Wenn dieser Gedankengang richtig wäre, so müsste der Blutdruck, der nach 7 Minuten Abklemmung (l. ce. S.573) von 26 mm auf 90 mm, : 64 das ist um 64 mm Hg, anstieg, nach 1 Minute Abklemmung um 7 mm, Adrenalin und Nebennieren. II. 593 das ist um 9 mm Hg, sich erheben. Indessen ergibt Abklemmung von 1 Minute gar kein Anwachsen des Blutdruckes. So kann also das Adrenalin, welches in den Versuchen mit Aortaabklemmung den Blutdruck steigert, nicht als Sekret der Drüse entstammen. Dagegen erscheint folgender Schluss wahrscheinlich: Während der Abklemmung ‚ der Brustaorta hört die Blutzufuhr zur Nebenniere vollkommen auf. Unter solchen Bedingungen kann das in der Nebenniere gebildete Adrenalin nicht das Produkt des normalen sekretorischen Schaffens sein, sondern nur der Ausdruck von Zellzerfall. Anämie der Neben- nieren ist also eine der Modalitäten, bei denen Adrenalin in der Drüse frei wird, von wo es durch Diffusion in die Vene und nach Abnahme der Aortenklemme weiter in den allgemeinen Blutdruck gelangt. 594 W.. Storm van Leeuwen: (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.) Quantitative pharmakologische Untersuchungen über die Reflexfunktionen des Rückenmarkes an Warmblütern. IV. Mitteilung. Vergleich ‚der Wirkung von Äther und Chloroform- nebst Versuchen am Rückenmarkshund. Von W. Storm van Leeuwen, Konservator des Instituts. In früheren Untersuchungsreihen !) ist bei Katzen und Hunden der Chloroform- und der Äthergehalt des Blutes in verschiedenen Stadien der Narkose und unter verschiedenen Versuchsbedingungen untersucht worden. Es hat sich bei diesen Untersuchungen heraus- gestellt, dass, wiewohl Äther und Chloroform im wesentlichen eine gleichartige — lähmende — Wirkung auf das Zentralnervensystem ausüben, verschiedene Zentren des Zentralnervensystems für diese beiden Narkotika sehr verschieden empfindlich sind. Teilweise war dieses übrigens schon aus Untersuchungen anderer Autoren bekannt. Zweck der vorliegenden Mitteilung ist, die Resultate früherer Arbeiten zusammenzustellen und die Differenzen in der Wirkung von Äther und Chloroform zahlenmässig darzustellen. Ehe hierzu übergegangen werden kann, muss kurz das Resultat einer Versuchsreihe an Rücken- markshunden mitgeteilt werden, deren Ergebnisse bis jetzt noch nicht publiziert worden sind. Es handelt sich um Versuche an drei Rückenmarkshunden, welche längere Zeit (%/«—3 Jahre) im Laboratorium gehalten und teilweise zu anderem Zwecke benutzt worden waren. 1) W. Storm van Leeuwen, Quantitative pharmakologische Unter- suchungen über die Reflexfunktionen des Rückenmarkes an Warmblütern. I. Mitteilung. Pflüger’s Arch. Bd. 154 S. 307. 1913. II. Mitteilung. Pflüger’s Arch. Bd. 159 S. 291. 1914. III. Mitteilung. Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 84. 1916. Quant. pharmakol. Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. 595 Versucehsanordnung. Die Methodik war äusserst einfach. — Die Versuehstiere waren drei Hündinnen, Corrie I, Corrie II und Carolina, bei denen in tiefer Narkose das Rückenmark in der Nähe des zwölften Thorakal- wirbels durchsehnitten worden war. Die Hunde waren, als sie zu diesen Versuchen benutzt worden waren, in ausgezeichnetem Zustand, zeieten sehr deutliche Reflexe und die von Magnus!) beschriebenen Schaltungen. Es waren vorhanden: Patellarreflex, homolateraler Beugereflex, kontralateraler Streckreflex, reflektorische Laufbewegungen, Extensorstoss, Propriozeptive Reflexe und Schaltungen. Corrie I zeigte überdies einen sehr deutlichen Kratzreflex. Zum Versuche wurde das Tier narkotisiert, dann wurde ein Schlauch durch den Mund in die Trachea eingeführt und nach dem Verfahren von Meltzer und Auer mit chloroform- oder äther- haltiger Luft insuffliert. Es wurde dann unter aseptischen Kautelen eine Kanüle in eine Karotis eingeführt und danach so tief narkoti- siert, bis der zu untersuchende Reflex (Beugereflex, Extensorstoss, Kratzreflex) gerade nicht mehr auslösbar war. Es wurde dann schnell etwas Blut aus der Karotis entnommen und dessen Gehalt an Chloroform oder Äther nach der in früheren Mitteilungen be- schriebenen Nieloux’schen Methode bestimmt. Die so gewonnenen Zahlen sind in den Protokollen mit (+) versehen, weil diese Werte natürlich etwas zu hoch sind. Unmittelbar nach der Blutentnahme wurde die Chloroform- oder Ätherzufuhr abgestellt, und wenn danach der Reflex gerade wieder auslösbar war, wurde abermals Blut ent- nommen und dessen Gehalt an Narkotikum bestimmt. Dieser Wert _ war naturgemäss etwas zu niedrig, und derartige Werte sind mit (—) bezeichnet. Bei den Chloroformversuchen wurde meistens in einem Versuch viermal Blut entnommen (im ganzen ca. 90 cem), bei den Äther- versuchen achtmal (ebenfalls c ca. 90. cem). 1) R. Magnus, Zur Regelung der Bewegungen durch das Zentralnerven- system. III. Mitteilung. Pflüger’s Arch. Bd. 134 S. 545. 1910. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 165. 40 596 W. Storm van Leeuwen: Nach Beendigung des Versuches wurde die benutzte Karotis abgebunden und die Muskel- und Hautwunde genäht. Nach einigen Wochen konnte derselbe Hund dann abermals zu einem Versuch verwendet werden. Bei Carolina wurde überdies noch während eines. Versuches Blut aus der Art. brachialis entnommen. — Das Resultat der verschiedenen Versuche ist folgendes: (Die Zahlen geben den Gehalt des Blutes an Chloroform oder Ather in Gewichtsprozenten an.) 23. September 1913. Corrie I. Chloroformversuche. Bixtensorstoss 12.2. 2022 00322 o1C5) Extensorstoss 2.2. ..2....0085, 2/04C9) Kratzreilex . 2. ...2.. 0.2.0026 Joe) Kratzreflex 2 .2.7.222.022,.20:03683 loc) 7. Oktober 1913. Corrie I. Chloroformversuche. Extensorstos . . . . . 0,026 Jo (—) Beugerellex 02 22 22.2.2 0,037 Joe) Extensorstoss . . . .. . 0,043% (+) Beugerellex.. . . 20.20270.02340,C) 26. Mai 1915. Corrie IL. Chloroformversuche. Eixtensorstoss . ... 2.22.0036 Joch) Extensorstoss . . . . . 0,025 %o —) Bxtensorstossn » 02.2.2002. 002 oe) Extensorstos . . 2... .0,025 %o (—) 9, Juni 1915. Corrie Il. Chloroformversuche. Extensorstoss . . . . .0,080%0 (+) Extensorstoss . 2... 2.2 9,018%e (CI) Beugereflex . . . . . ..0,039°% (+) Beugereflex . . . 2... 0,0829) (—) 25. Februar 1916. Carolina. Chloroformversuche. Beugereilex 1. 200, 228.0,058 oc) Beugereflex . . . 2... 0,080 9 (—) 2. Juni 1916. Carolina. Ätherversuche. Beugerellex , 2. 222.009. Yo) Beugerellex 0.2 202202003190 En) Beugereflex . .. ». . . . 0,065 Yo C-) Beugereiex . -. . . . ... 0,090 Yo (+) Aus diesen Versuchen ergibt sich also für den Extensorstoss- im Mittel von sechs Versuchen als (+) Wert 0,034°/o, im Mittel von vier Versuchen als (—) Wert 0,024°/o, so dass angenommen werden kann, dass das arterielle Blut im Augenblicke, wo der Ex- tensorstoss verschwindet, 0,029 °/o Chloroform enthält. Für den Beugereflex wurde in drei Versuchen als (+) Wert im Mittel 0,045 0, als (—) Wert 0,028°/o gefunden. Der Chloroform- Quant. pharmakol. Untersuchungen über die Reflexfunktionen usw. 597 gehalt des Blutes im Augenblicke, wo der Beugereflex nicht mehr auslösbar ist, beträgt also 0,034 ?/o. Für den Kratzreflex wurde in einem Versuch als (+) Wert ge- funden 0,0368 0, als (—) Wert 0,026°/o, im Mittel also 0,031 °/o. Die Chloroformzahlen für diese drei Reflexe betragen also un- gefähr 0,03%; für den Extensorstoss etwas niedriger, für den Beuge- veflex etwas höher. Dieses ist sehr gut in Übereinstimmung mit der Erfahrung anderer, unter anderen Nieloux’s, dass bei „guter Narkose“ das Blut ca. 0,03 °/o Chloroform enthält. Für den Ätherversuch verfügen wir nur über vier Werte, und es wurde dabei nur der Beugereflex untersucht. Die beiden (+) Werte betragen ea. 0,09 %/o, der (—) Wert 0,065 °/o, im Mittel 0,077 Jo. In einem Falle wurde sehr scharf der Moment getroffen, wo der Reflex eben verschwunden war; es wurde da der (+) Wert 0,081 /o sefunden. Hieraus darf also geschlossen werden, dass im Augen- blicke, wo bei diesem Hund der Beugereflex eben verschwunden war, das Blut ca. 0,080 Äther enthielt. Dieser Wert liegt unterhalb der Zahlen, welche meistens während „guter Narkose“ gefunden werden. Wenn jetzt sämtliche Chloroform- und sämtliche Ätherwerte, welche bis jetzt bei verschiedenen Tieren für verschiedene Stadien der Narkose gefunden worden sind, zusammengestellt werden, so ergibt sich für das Chloroform folgende Tabelle I und für Äther Tabelle II. Tabelle I. Chloroformgehalt des Blutes in Gewichtsprozenten. 1. Homolateraler Beugereflex bei starkem Einzelinduktionsschlag verschwunden (dekapitierte Katze) -. - - 2.2.2.2... 0,0185 Yo 2. Dasselbe bei Doppelinduktionsschlag (dekapitierte Katze). . 0,023 9% 3. Narkosestarre bei der Katze verschwunden . ....... 0,028 0 4. Extensorstoss beim Rückenmarkshund verschwunden. . . . 0,029 %6 3. Kratzreflex beim Rückenmarkshund verschwunden . . .. . 0,031 %o 6. Homolateraler Beugereflex bei der intakten Katze nach fara- dischem Reiz verschwunden ....... SENSE EN 0,032 %o 7. Homolateraler Beugereflex beim Rückenmarkshund . ver- SCHWUNdEN- SON Ne en 4 te a Ne 0,034 %o 8. Narkoselaufbewegungen bei der Katze verschwunden. ... . 0,036 %o 9. Atemstilistand bei jungen Hunden (venöses Blut). ... . 0,037 0/0 10. Homolateraler Beugereflex beim normalen Hund (faradische Reizung)sverschwundenn en a. en en 0,056 90 11. Erwachsener Hund, Atemstillstand (arterielles Blut) ca. . 0,06--0,07 Yo 40 * 598 W. Storm van Leeuwen: Quantitative pharm. Untersuchungen usw. Tabelle 1. Äthergehalt des Blutes in Gewichtsprozenten. 7. Homolateraler Beugereflex beim Rückenmarkshund ver- Schwunden era: 0 Der a Re 0,08 %0 1. Homolateraler Beugereflex beim starken Einzelinduktionsschlag verschwunden (dekapitierte Katze) ... -. . 2.2... 0,10 9% 10. Homolateraler Beugereflex beim intakten Hund mit faradischem Reiz. verschwunden 0.2. we a 0,111 %o 6. Homolateraler Beugereflex bei der intakten Katze ver- schwunden (aradischersReiz)e 02. 0 0,116 %o 9. Atemstillstand bei jungen Hunden (venöses Blut) .... 0,139 9/0 — Atemstillstand bei erwachsenen Katzen (arterielles Blut) 0,164 °/o 11. Atemstillstand bei erwachsenen Hunden (arteriellese Blut) 0,16—0,17 %o 3. Narkosestarre bei der Katze verschwunden ........ 0,18 %/0 Wie aus diesen Tabellen ersichtlich ist, ist die Reihenfolge für die Beeinflussung verschiedener Zentren des Zentralnervensystems durch Cloroform und durch Äther sehr verschieden. Wenn für das Chloroform die Reihenfolge durch die Zahlen 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11 dargestellt wird, so ist die Reihenfolge für Äther 7, 1, 10, 6, 9, 11, 3. Die Differenzen sind sehr erheblich, besonders die Zahlen für die Narkosestarre (Chloroform 3), und ebenfalls die Zahlen für das Verschwinden des Beugereflexes beim Rückenmarks- hund (Chloroform 1) weichen sehr stark ab. Diese grossen Unter- schiede zwischen der Äther- und Chloroformwirkung machen es ver- ständlich, dass, wenn bei der. Beurteilung der Narkosetiefe nicht ein sehr eng umschriebenes Kriterium verwendet wird, sondern mehrere Kriterien durcheinander benutzt werden, bei Kombinations- versuchen mit Äther-Chloroformgemischen auf das Vorhandensein einer Potenzierung der Wirkung geschlossen werden körnte, ohne dass eine solche tatsächlich vorhanden ist. Bei exakteren Unter- suchungen könnte sich daun eventuell herausstellen, dass nur eine einfache Addition, vielleicht sogar eine Abschwächung der Wirkung, stattfindet !). 1) Siehe zum Beispiel W. Storm van Leeuwen, Über den Synergismus von Arzneimitteln. I. Mitteilung. Pflüger’s Arch. Bd. 166. 1916. 999 Zur Theorie des Kugelexzenters aufGrund des Zweikreiseberührungsproblems beim Kreis im Kreise. Von J. Mühsam. (Mit 1 Textfigur.) Ich schlage ein altes Thema an, das aber durch die Jahrhunderte hallt, die Mechanik des Kugellagers reicht in die Gegenwart. Die apollonische Berührungsaufgabe für drei Kreise als höchstes, setzt das Zweikreiseberührungsproblem voraus. (Euklid 300 a. Chr., Apollonius von Pergae 200 a. Chr., Archimedes 200 a. Chr.) Ich habe Ergebnisse aus dem Zweikreiseprobleım beim Kreis im Kreise. Ich legte mir die Frage vor: „Wieviel Kreise erfüllen den Ausschnitt der Ebene zwischen zwei Kreisen, von welchen ein Kreis ganz innerhalb des andern liegt? Die ausfüllenden Kreise sollen die beiden grundlegenden Kreise und sich nachbarlich berühren und eine aufschliessende Reihe bilden. Welche Grösse muss die Zentrale der beiden grundlegenden Kreise nach Ausmaass der Durchmesser der grundlegenden beiden Kreise haben bei diesen aufeinander aufschliessenden Berührungs- kreisen an die beiden grundlegenden Kreise, Kreis im Kreise ?“ Der grosse Geometer Jakob Steiner (um 1833) nennt solche aufschliessende Kreise „konkludierende* Kreise und löst viele Auf- gaben derselben. Ich trat an die Aufgabe von einer anderen Seite heran und verfolgte das Ziel der Feststellung, ob und wie die Zentrale der beiden grundlegenden Kreise eine Grösse habe, welche durch das Ausmaass der Durchmesser der grundlegenden beiden Kreise be- stimmt ist. Der Kreis OA umschliesst den Kreis OB; die Gerade AB ist die Zentrale und heisst c; ihre Endpunkte sind Punkte xA und xB, 600 J. Mühsam: Der Ort der Mittelpunkte der Berührungskreise an diese beiden Kreise ©A uud ©B ist die Ellipse: diese Ortsellipse heist AB. Unter den Berührungskreisen an die beiden grundlegenden Kreise OA und OB ist ein Kreis der kleinste und ein Kreis der grösste. Der kleinste Kreis heisst ©O@, der grösste Kreis heisst ©H. Die Gerade GH hat ihre Endpunkte in den Punkten <«G und «A. Die Gerade GH hat dieselbe Richtung als die Gerade AB. Die Strecken AB und GH sind Strecken einer Geraden. Die Ortsellipse AB hat die Hauptachse GH. Der Durchmesser des Kreises ©A — 2r,, wenn der Radius des Kreises OA —r, ist. Der Durchmesser des Kreises OB=2r,, wenn der Radius des Kreises OB — r, ist. ax u Dann ist die Hauptachse der Ortsellipse AB—=2a=(r, + rı). Berührung ist etwas Gegenseitiges, ich halte mich jetzt an den Kreis OA und an den Kreis ©B nicht mehr, sondern an den Kreis OA und an den ©@G: dann liegt der Punkt * RS a a > Rn | | —_ [russ Io | | + je ES Ro SS le$ ES a a > > | | IS IS a a 8 | = 7 le Ss 1 ER | se = | | IS IS % B (SS IS © or) En IS IS au au Ellipse A@ Ellipse AZ Ich gebe für die Ortsellipsen (>) >) >) Fe AB, AG, AH im Ausmaasse von 7, r,, c, d und f die Hauptachsen, Neben- achsen und Parameter an und habe hier nur zu sagen, dass CD um *@ der Durchmesser des ©G ist und d benannt wird; ebenso dass EF um xH der Durchmesser des OH ist und f benannt wird. (Siehe nebenstehende Tabelle der Ellipsen.) Diese Ergebnisse kommen aus der allgemeinen Mittelpunktsgleichung der Ellipse ax? + b’y? —1. Ich stelle den Grenzfall fest, in welchem die Ortsellipse AB von der >) Ortsellipse A@ berührt wird, ebenso den Grenzfall der Berührung für die & Ortsellipse AB. 1. Für den Berührunesfall der & = Ortsellipsen AB und AG ist ET = Ta sie V(r? 2 275° ar Srar,) Ca = 9 — Zentrale dieses Falles für ©A und ©B, | 2. Für den Berührungsfall der Ortsellipsen AB und AH ist a +7, 3VCc = A nr RR) — Zentrale dieses Falles für ©A und ©B. Es ergibt sich O4,— On; die An- schauung ergibt, dass die Nebenachse der Ortsellipse AG — der Nebenachse der Ortsellipse AB — der Nebenachse der Ortsellipse AH ist. Der Grenzfall ergibt die Einsicht 602 J. Mühsam: in das Auftreten der Fälle, in welchen die Ellipsen zum Schnitt kommen. Aus der Formel der Tabelle d«= se V2r.=d folgt dieses: seien 7. und r, als Grössen festgehalten: steigt, die Grösse c, so fällt die Grösse d, fällt die Grösse .c, so steigt die Grösse d. Es ist aus dem bisher Beigebrachten der Zusammenhang in diesen Fällen zu r. und », ersichtlich. Trete der allgemeine Fall „konkludierender“ Kreise an OA und OB auf, so bilden ihre uullas uns ein Polygon, welches ein- geschrieben ist der Ortsellipse AB und von*@ über