u Pu Au PAST PR DL En ae ar a De EEK) KR " TR TE, fe een 4 “ I ZUcH »% But er * N + Kr * ” ER ee A a Tan erkrer LEST, BT TER er Eh N we CH) ME AU ur h RES u DR + en Hr er a En Ye + are Eh E97) a /A | n FLÜGER® ARCHIV FÜR DIE GESAMTE PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER TIERE HERAUSGEGEBEN ‚ VON E. ABDERHALDEN A. BETHE -R. HÖBER HALLE A.S, FRANKFURT A.M. KIEL 171. BAND BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1918: “Inhaltsverzeichnis. Einführung. Tomaszewski, Privatdozent Dr. Z. Über die chemischen Erreger der Magen- drdsen; Naar on Re von Knaffl-Lenz, E. Über die kolloidehemischen Vorgänge bei der Hämolyse Wachtel, Curt. Über die Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik auf Vorgänge im tierischen Organismus. . ...... Fleisch, Alfred. Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung auf die Blutgefässe. (Mit 18 Textiguren) ....... 2 222.0.. Basler, Prof. Dr. Adolf. Über die Blutbewegung in den Kapillaren. Bekitwenlune, (Mit 7 Dextfiguren) ... . we an nee... Boden, E., und Neukirch, P. Elektrokardiographische Studien am isolierten i Säugetier- und Menschenherzen bei direkter und indirekter Ableitung. OB eschaunen)E en een, Karplus, Prof. Dr. J. P., und Kreidl, Prof. Dr. A. Gehirn und Sympathicus. a FeNBIttenlunen a ne Pütter, August. Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 1—IV. Mntenluns ieeresBextiiguren). .. „.»....0... ES RE NE FR LA Stigler, Prof. Dr. Robert. Zwei Modelle zur Demonstration des Einflusses der Schwere auf die Blutverteilung. (Mit 3 Textfiguren) ....... Stigler, Prof. Dr. Robert. Der Einfluss des Nebenhodens auf die Vitalität ÜREORELMEALOZOENE NE ee er ee aloe nee Stigler, Prof. Dr. Robert. Ein Modell des menschlichen Blutkreislaufes. New Nexttieuzen)ae ee a Ne, Se a Stigler, Prof. Dr. Robert. Ein Projektions-Tachistoskop („Metakontrast- appazauo)s (Mitzl0- Bextnonren). 2... a. nennen Szymanski, J. S. Versuche über den Lernvorgang bei den weissen Ratten während der Ruhe- bzw. Aktivitätsperioden. (Mit 1 Textfigur) Szymanski, J. S. Versuche über die Fähigkeit der Hunde zur Bildung von optischen Assoziationen. (Mit I Textigur) : .» .. vo... ...2.. Szymanski, J. S. Die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei weissen Ratten und Tanzmäusen. (Mit-10 -Textfiguren) . ....... Szymanski, J. S. Über Umdrehreflexe bei den Käfern. (Mit 2 Textfiguren) Szymanski, J. S. Versuche über die Wirkung der Faktoren, die als Antrieb zum Erlernen einer Handlung dienen können. (Mit 2 Textfiguren). . . Kautsky, Dr. Karl. Zur normalen und pathologischen Physiologie des GI LS Ay SD ee elle sl hehe RE Moral, H. Über die Wirkung von Narkoticis auf den Froschuerven unter dem Einfluss von Temperaturänderungen. (Mit 13 Textfiguren) Baumann, (€. Beiträge zur Physiologie des Sehens. VII. Mikterlune (MEI. Teig RE ee RE AUTORS ORRBN EIN TR ee Seite it dem 171. Band geht Penser s Archiv für die gesamte M Physiologie des Mens®hen und der Tiere“ in die Hände des unterzeichneten Verlages über. Es erhält seine wissenschaftliche Führung ‘durch die drei unterzeichneten Herausgeber. Beide, Herausgeber wie Verleger, vereinen sich zu ihrer neuen gemein- samen Arbeit, getragen von dem Bewusstsein einer grossen Ver- antwortung für das Gedeihen desjenigen Organs der physiologischen Forschung, das ein halbes Jahrhundert hindurch wohl der hervor- ragendste Schauplatz aller wesentlichen Wandlungen und der Fort- entwiekelung der Physiologie in Deutschland gewesen ist. Seit Eduard Pflüger im Jahre 1868 das Archiv gründete, hat die Physiologie durch innere Wachstumskräfte ihren Umfang mächtig erweitert. Neben die ersten Probleme, die vornehmlich mit den Werkzeugen der Physiker gelöst wurden, sind mehr und mehr solche Fragestellungen getreten, zu deren Beantwortung die Methoden der Chemiker und Physikochemiker erforderlich sind. So wird es nur der Natur dieser Entwickelung angemessen erscheinen, wenn bei der Gelegenheit einer Neuordnung in der Leitung von Pflüger’s Archiv die Vielfältigkeit der von den Physiologen zu lösenden Aufgaben sich auch in Zahl und Richtung der Heraus- geber spiegelt. Entsprechend den drei Hauptlinien der aan: auf denen der Fortschritt der Physiologie sich bewegt, haben die Heraus- geber die Geschäfte folgendermaassen unter sich verteilt: Abderhalden übernimmt die Bearbeitung aller physiologischen Beiträge mit vorwiegend chemischer Fragestellung und Methodik ; | Bethe bearbeitet die physikalisch-physiologischen Beiträge mit vorwiegend physikalischer, operativer und rein beobachtender Methodik; Höber übernimmt das Gebiet der physiologischen Arbeiten mit vorwiegend physikalisch-chemischer Fragestellung und Methodik. | | vl — ‚Die: Arbeiten,. welehe nur mittelbar der‘ Erforschung ' der Lebensvorgänge dienen, sollen — der bisherigen Überlieferung ent- . sprechend. — möglichst, aus ‚dem. Archiv, fern gehalten: werden, ‚ um so mehr, als für. deren Veröffentlicheng. bewährte andere Archive und Zeitschriften vorhanden sind. ‚Wir richten an die Fachgenossen die Bitte, wie,den bisherigen ‚ Herausgebern, so auch .uns das Vertrauen in eine gründliche und sachgemässe Führung entgegenzubringen.. Die, Leitung des Archivs wird sich bemühen, durch, rasche und genaue Erledigung ihrer Arbeit, durch kritische Siehtung der Eingänge, ebenso wie durch nachdrückliches Hinwirken auf eine angemessene Kürze in der Dar- stellung die Interessen des Faches ‚nach. Möglichkeit zu wahren. ‚Mit ‚dem. Übergang. des, Archivs in, andere ‚Hände, war eine Verzögerung in. der Drucklegung einer Reihe von Beiträgen ver- knüpft, welche noch ‚von. den bisherigen Herren Herausgebern an- genommen, worden sind und etwa zwei Bände füllen werden. Um eine weitere Verzögerung zu vermeiden,, lassen wir diese Beiträge ‚ In schneller Folge erscheinen. : Die :Herausgeber: -Ahderhalden. . Bethe. Höber. Der Verl ag: . Julius Springer. (Aus dem Institute für experimentelle Pharmakologie der Universität Lemberg.) Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. Zweiter Teil. Über den Einfluss der Eiweissverdauungsprodukte und der Extraktivstoffe auf die sekretorische Tätigkeit des Magens. Von Privatdozent Dr. z. Tomaszewski, Assistent der medizinischen Klinik. In der sekretorischen Tätigkeit des Magens lassen sieh deutlich zwei Phasen unterscheiden. Die erste von der Anwesenheit der Speisen in der Mundhöhle während der wirklichen oder Scheinfütterung abhängige Phase der Sekretion ist von Pawlow, dessen Schüler (Sanocki, Ketezer) sie einer eingehenden Untersuchung unter- zogen haben, als „psychische“ bezeichnet worden; Pawlow betrachtet die Sekretion in dieser ersten Phase als Effekt der begehrlichen Esslust als Ausdruck des beim Tiere sich einstellenden’ Appetits. Popielski, welcher die durch Sanocki und Ketezer experimentell gewonnenen Tatsachen genauer analysiert hat, betrachtet die während des Essens 'erfolgende Sekretion des Magensaftes als einen re- flektorischen Vorgang, welcher von den in der Mundhöhle während des Kauaktes wirkenden Reizen abhängig ist. Die Geschmacks- und Geruchsreize spielen dabei keine Rolle; beim Trinken von Bouillon zum Beispiel, welche genug auf Geschmack und Geruch wirkende Stoffe enthält, stellt sich die Sekretion des Magensaftes nicht ein, ebenso unterbleibt sie nach Einnehmen von Milch, wie überhaupt von flüssigen Speisen. Dagegen erfolgt die Sekretion nach Einnahme von ausgekochtem, keine löslichen Stoffe mehr enthaltendem Fleisch. Da in diesem keine Substanzen enthalten sind, welche sich wäh- rend des Kauens lösen und auf die Endigungen der sensiblen Nerven in. der Schleimhaut ‘der Mundhöhle wirken könnten, kann also das Fleisch auf die Schleimhaut nur einen rein mechanischen Reiz Pflüger's Archiy für Physiologie. ‚Bd. 171. 1 9 Z. Tomaszewski: ausüben. Man kann sich aber andererseits. überzeugen, dass, wenn man dem Hunde in die Mundhöhle runde Steine einführt, keine Sekretion von Magensaft auftritt, obwohl die Steine durch Zungen- bewegungen in der Mundhöhle verschoben werden und auch längere Zeit im Kontakt mit der Mundhöhlenschleimhaut bleiben. Es folgt daraus, dass das Fleisch dadurch die Sekretion des Magensaftes an- regt, dass es gekaut wird, und dabei in innigsten Kontakt mit dem Zahnfleische, in welchem die auf reflektorischem Wege die Sekretion des Magensaftes anregenden Reize entstehen, kommt. Die Berührungs-. reize durch Kontakt der Speise mit dem Zahnfleische können also nur beim Essen einer harten Nahrung, also zum Beispiel von Fleisch, Brot usw. entstehen. Es ist uns aus den Untersuchungen von Schmidt und Bidder bekannt, dass das Betrachten des Fleisches allein schon die Sekretion des Magensaftes anregt. Die Experimente an Tieren überzeugen uns, dass, um Sekretion von Mazensaft hervor- zurufen, es genügt, dem Tiere überhaupt irgendeine begehrenswerte Nahrung zu zeigen. Die tägliche Beobachtung von Laboratoriums- tieren mit Mageenfisteln ergibt ferner, dass auch das Erscheinen des sewöhnlich die Tiere fütternden Gehilfen, sogar das ferne, beim Ab- drücken der Türklinke entstehende Geräusch genügt, um eine sehr reichliche Magensaftsekretion zu verursachen. Auch der bei Hunden hochentwickelte Geruchsinn verrät ihnen die Anwesenheit der Speise, worauf die Magensaftsekretion sich sofort einstellt. Diese Phänomene kommen nach Popielski!) auf folgende . Weise zustande: Verschiedene Teile der grauen Substanz des Ge- hirnes sind untereinander mittels einer Reihe von Fasern derart verbunden, dass der an einer Stelle entstehende psychische Eindruck durch Assoziationsfasern auch anderen Teilen des Gehirnes übermittelt wird. Es genügt deswegen nur ein einziger Eindruck, um im Gehirne auch andere Eindrücke, die der gegebene Gegenstand ge- wöhnlich hervorruft, entstehen zu lassen; es genügt zum Bei- spiel der Geruch einer Orange, um sofort die Vorstellung dieser Frucht mit allen ihren Eigenschaften: Gestalt, Geschmack usw. zu wecken. Deswegen ruft auch der Anblick des Fleisches oder nur sein Geruch das Bild des Fleisches mit allen seinen Eigenschaften: Ge- DR, Popielski, Die Bedeutung des Essaktes in der Verdauung. Arbeiten d. milit.-ärztl. Gesellsch. in Moskau 1912. Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. II. 3 ruceh, Geschmack usw. hervor; ausserdem aber "entsteht gleichzeitig die Vorstellung der Berührungseindrücke, d. h. solcher Eindrücke, welche beim Essen des Fleisches und Berührung des Zahnfleisches durch gekaute Fleischstücke zustande kommen. Die psychischen Berührungseindrücke bilden für die sekretorischen Zentren der Magendrüsen dieselben Reize wie die unmittelbar in der Schleimhaut des Zahnfleisches beim Kauen fester Speisen entstehenden. . Die Berührungseindrücke können beim Tiere auf sehr ver- schiedene Weise zustande kommen; es genügt zum Beispiel, die Klinke der Tür, durch welche gewöhnlich der Gehilfe dem Tiere Futter bringt, zu bewegen, um diesen Berührungseindruck hervor- zurufen; in diesem Falle führt also ein akustischer Reiz zur Se- kretion des Magensaftes. Diese nebensächlichen, nicht wesentlichen Einflüsse, welche die Magensaftsekretion beeirflussen, bildeten mit Bezug auf die Speichel- drüsen den Gegenstand eingehender Untersuchungen des Pawlow’schen Laboratoriums; dieses Laboratorium führte auch eine spezielle, bis jetzt ausschliesslich für die sekretorische Tätigkeit der Speicheldrüsen gültige, Nomenklatur ein. Jeder Reiz, welcher durch direkte Ein- wirkung auf die Oberfläche der Mundhöhlenschleimhaut die Sekretion des Speichels verursacht, bildet die Quelle der „absoluten“, „un- bedingten“ Reflexe; im Gegensatz dazu bildet jeder andere, fern von der Mundhöhle wirkende Reiz die Quelle der „bedingten“ Re- flexe. Die Mundhöhle ist also der Entstehungsort absoluter Reflexe für die Tätigkeit der Speicheldrüsen. Jede Eigenschaft der Nahrung, sogar ihre Farbe, jedes mit dem Einführen der Speisen in die Mund- höhle zusammenhängende Phänomen kann die Ursache der Speichel- sekretion, also Quelle bedinster Reflexe bilden. Die zweite Eigenschaft der bedingten Reflexe ist die Mitwirkung höherer Gehirnzentren bei ihrer Entstehung; nach Ausschaltung der Gehirnrinde, wie es bei den an progressiver Paralyse erkrankten Menschen der Fall ist, treten sie, wenigstens von manchen sensiblen Körperoberflächen, nicht mehr auf. Die Untersuchungen von Zielonyj!) an Tieren, denen die Gehirnhemisphären entfernt wurden, ergaben, dass die bedingten, an 1) G. P. Zielonyj, Observations sur des chiens, aux quels on a enleve les hemispheres cerebraux. Compt. rend. des seanc. de la soc. de Biol. Seance de la r&union biol. de S. Petersbourg, 12 mars 1913 t. 34 p. 707. 1 * 4 Z. Tomaszewski: Gesichtseindrücke geknüpften Reflexe nicht mehr auftraten. Die an Gehöreindrücke geknüpften Reflexe traten in nicht absolut sicherer Weise auf. Eine weitere wichtige Eigenschaft der bedingten Reflexe ist die Tatsache, dass jeder Reiz, welcher auf das Zentralnervensystem gleich- zeitig mit dem gewöhnlich zur Entstehung des bedingten Reflexes führenden Reize wirkt, diesen letzteren zurückhält oder, wie Pawlow saet, „hemmt“. In den weiteren Versuchen führte Pawlow noch den Begriff „Lösung der Hemmung oder Aufhebung der Hemmung durch einen dritten Reiz“, welcher auf irgendeinen sensiblen Apparat des Körpers einwirkt, ein. Wie schon bemerkt, beziehen sich diese Tatsachen auf die sekretorische Tätigkeit der Speicheldrüsen, obwohl Pawlow selbst und manche seiner Schüler diese Beeriffe auch auf die Magendrüsen, allerdings bis jetzt nur auf Grund der Analogie, übertragen. Auch Pawlow betrachtet jetzt die psychische Sekretion des Magensaftes als einen zusammengesetzten Reflex, welcher durch Reizung des Zentralnervensystems durch verschiedene, auf sensible Organe ein- wirkende Eigenschaften der Speisen bedinst ist. Als bewiesen und feststehend muss nun die Tatsache betrachtet werden, dass die Se- kretion des Magensaftes auch ohne direkte Einwirkung der Speisen auf die Schleimhaut der Mundhöhle, welche ähnlich wie für die Speicheldrüsen als Quelle der absoluten Reflexe gelten muss, erfolgen ‘ kann. Deswegen betrachtet auch Pawlow!) die psychische Sekretion des Magensaftes als Ausdruck der bedingten, teilweise angeborenen, ‚andererseits während des Lebens des Individuums erworbenen oder schliesslich, wie dies in den Experimenten der Fall ist, in einer gewissen Richtung ausgebildeten Reflexe. In der Arbeit von Krzyszkowski sagt aber Pawlow, dass die Konsistenz der Speise auf.die psychische Sekretion des Magensaftes einen deutlichen Einfluss ausübt, indem harte Speisen die psychische Sekretion viel mehr anregen als flüssige. Damit findet die Ansicht von Popielski über die Bedeutung der Berührungsreize, welche nur beim Essen harter Speisen, wie Fleisch, Brot usw., entstehen können, ihre volle 1) Krzyszkowski, Neue Tatsachen zur Physiologie der Magendrüsen S. 170—173. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades. St. Petersburg 1906. (Russisch.) | Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. II. 5 Bestätisung. Die psychische Sekretion des Magensaftes ist also ein reflektorischer Vorgang, und was diesen Punkt anbelangt, bestehen zwischen den Autoren keine Meinungsverschiedenheiten. Die bisher gebräuchliche Bezeichnung „psychischer“ Saft ist deswegen voll- - kommen unrichtis und den Tatsachen widersprechend, was auch Pawlow zugibt!). Popielski hat vorgeschlagen, diesen Saft als „primären“ zu bezeichnen; die Sekretion dieses „primären“ Saftes hört nach der Durchschneidung der Nn. vagi auf, was mit absoluter - Sicherheit seine nervöse Herkunft beweist. Durch die Durch- schneidung der Nn. vagi wird gleichzeitig die erste Phase der sekretorischen Tätigkeit des Magens ausgeschaltet, und es tritt nur die zweite Phase der Sekretion auf, welche Popielski als „se- kundäre“, Bickel als „parenchymatöse“ und Pawlow als „chemische“ bezeichnet?). Eine andere Methode, die erste Phase der Sekretion auszuschalten, besitzen wir nicht, da beide Phasen der Sekretion zwar nicht gleichzeitig auftreten, jedoch nur durch ein sehr kurzes Zeit- intervall, kaum 5—6 Minuten, voneinander getrennt sind. Die erste Phase der Sekretion des Magensaftes beginnt 5—6 Minuten nach Anfang der Fütterung, die zweite Phase gewöhnlich schon nach 10—12 und nur ausnahmsweise erst nach 30 Minuten. Die erste Phase läuft in 2—4 Stunden ab, die zweite dauert je nach der Qualität und Quantität der Speisen: 8—10—12 Stunden. Beide Phasen verlaufen also ziemlich lange Zeit (2—4 Stunden) zusammen ; ‚es kann deswegen bei intakten Vagusnerven nur ein Teil der zweiten Phase Gegenstand der Untersuchung bilden. Nach der Durchschneidung der Nn. vagi fällt die erste Phase fort, die zweite tritt aber ohne Ver- änderung auf und ist während ihrer ganzen Verlaufszeit der Unter- suchung direkt zugänglich. Die zweite Phase der Sekretion des Magensaftes tritt nur dann ein, wenn die Speisen in den Magen gelangen. In normalen Ver- hältnissen, bei intakten Vagusnerven, wirkt der abgesonderte Magen- saft auf die genossenen Speisen, und es entstehen Peptone, Albumosen, im allgemeinen Eiweissabbauprodukte. Mit dem Fleische gelangen in den Magen im fertigen Zustande im Fleische vorhandene Extraktiv- stoffe, wie Kreatin, Kreatinin, Sarein, Carnin, Xantin, Hypoxantin u. a. = \ 1) Krzyszkowski, l. ec. 8. 169. 2) Lobasow, Die sekretorische Tätigkeit der Magendrüsen S. 68—116. Dissertation. St. Petersburg 1896. (Russisch.) 6 Z. Tomaszewski: Die genannten Extraktivstoffe befinden sich auch im konzentrierten Zu- stande in der Bouillon, besonders reichlich in Liebig’ s Fleischextrakt. Bei der Erörterung der Frage, welche Substanzen die Sekretion des Magensaftes in der zweiten Phase beeinflussen, müssen wir an erster Stelle die genannten Körper: Eiweissabbauprodukte und Extraktivstoffe - in Betracht ziehen. Im Verlaufe der Verdauung gehen diese Körper als Chymusbrei in den Darm über und können eventuell auch von hier aus die sekretorische Tätiekeit des Magens, und zwar die zweite Phase beeinflussen. Die Sekretion des Magensaftes kann also, wie wir vermuten, sowohl vom Magen als auch vom Darme aus beeinflusst werden. Ob diese Vermutung tatsächlich richtig ist, inwieweit der Magen bzw. der Darm an der Anregung der Sekretion des Magen- saftes teilnimmt, kann nur auf experimentellem Wege beantwortet werden. Der Lösung dieser Frage ist die vorliegende Arbeit gewidmet. Der erste Teil umfasst die Untersuchungen über den Einfluss von Eiweissverdauungsprodukten (hauptsächlich des Peptons Witte), der zweite erörtert den Einfluss der Extraktivstoffe auf die Sekretion des Magensaftes. Ehrmann stellte fest, dass auf Einführung von Stärke, Natrium nucleinicum, Wasser, Milchzucker, Pepton Witte!) per os Magensaft- sekretion erfolgt (am kleinen Magen nach Bickel). Er erklärt das damit, das beim Durchgang dieser Substanzen durch den Pylorus oder das Duodenum oder Berühren der Schleimhaut gewisse Sekretine entständen, welche die Magensekretion anregen. Die chemische Saft- sekretion nach Nahrungsaufnahme, besonders nach Fleischgenuss, kann sowohl eine Folge der Wirkung von Sekretinen sein, die sich in der Schleimhaut bilden, wie auch von Erregern, welehe in der Nahrung vorhanden sind oder entstehen. Der Autor nimmt jedoch nicht an, dass dies Abbauprodukte von Eiweisskörpern sein könnten, da die subkutane Einführung von solchen (Pepton, Sarein, Kreatinin, Allanin, Glykokoll) keine Sekretion bewirkt. Über den Einfluss von Pepton selbst existieren nur wenige und ziemlich widerspruchsvolle Angaben. So bestehen, abgesehen von den eben erwähnten Beobachtungen Ehrmann’s, ähnliche Angaben von Rheinbold?) am Hunde mit 1) Pepton soll in grossen Gaben per os (15—20 g in Wasser) am Bickel- schen Magen eine ziemlich starke Sekretion hervorrufen. 2) Rheinbold, Über den Sekretionsablauf an. dem der extragastralen . Nerven beraubten Magenblindsack. Intern. Beitr. Bd. 1 S. 65. Über die chemischen Erreger der Magendrüsen, II. , Bickel’schem Magen (starke Absonderung von Magensaft nach Ein- führung per -os von flüssigem Pepton in grosser Dose (50,0 g Pepton Witte + 50,0 g Wasser). Die reflektorische Wirkung des Peptons von der Schleimhaut des Duodenums aus erwähnt auch Edkins. Nach Peptoninjektion ins Blut erhielt ferner Gley') Sekretion von Magen- saft. Popielski stellte Sekretion nach intravenöser Einführung von - Dosen, die nur geringe Blutdrucksenkung bewirken, fest, ohne stärkere allgemeine Erscheinungen (Vasodilatinwirkung). Schliesslich treffen wir in der Literatur Arbeiten, welche sich mit dem Studium der Einwirkung von einer Reihe von Substanzen „auf die Macensaftsekretion beschäftigen. In seiner oben erwähnten » Arbeit schreibt Rheinbold Substanzen, die an der Zusammen- setzung von Eiweiss beteiligt sind, einen Einfluss auf die Magensaft- sekretion zu (Versuch am Bickel’schen Magen: Fütterung des Hundes mit ausgekochtem, also von Extraktivstoffen freiem Fleische bewirkte Sekretion). Die Resorption von die Nahrung zusammen- setzenden Stoffen soll nach diesem Autor die Anregung zu einer heftigen Sekretion geben, während das Sekretin nur die Eigenschaft der Sekretionsförderung in geringem Maasse besitzen soll. Während die Wirkung von Pepton und Eiweissabbauprodukten bis heute eine Streitfrage ist, scheint der Einfluss von Extraktiv- ‚substanzen und von Liebig’s Fleischextrakt keinem Zweifel zu unterliegen. Die hervorragende Einwirkung des subkutan injizierten Fleisch- extraktes von Liebig stellten Molnar?), Ehrmann und H. Po- pielski?) fest. Eisenhardt‘) fand im Molken, in der Milch, dem Fleisch und den Röstprodukten von Getreidekörnern gewisse Stoffe, die nicht mit der Nährsubstanz identisch sind und bei subkutaner Injektion weniger per os Sekretion von Magensaft hervorrufen. . Die Tatsache, dass diese Stoffe in gewissen Fällen gleich stark vom Magen wie vom Blute aus wirksam ‚sind, weist darauf hin, dass es sich hier um Körper handelt, die resorbiert werden und dann vom Blute aus wirksam sind. Ähnliche Stoffe fand Kisseleff?) auch in wässerigen Auszügen aus 1) Gley, Bulletin du museum d’histoire naturelle t. 3 p. 264. 1897. — Arch. d. sciens. biol. (St. Petersburg) t. 11. 1904. 2) Molnar, Deutsche mediz. Wochenschr. 1909 Nr. 17. 3) Popielski, Lemberger mediz. Wochenschr. 1909 Nr. 5. 4) Eisenhardt, Intern. Beitr. Bd. 2 S. 203. 1910. 5) Kisseleff, Intern. Beitr. Bd. 3 S. 133. 1911. 8 Z. Tomaszewski: frischen Gemüsen (Spinat, Spargel, Salat) und in pflanzlichen Röst- produkten (Malzkaffee usw.). Diese Körper bewirken Sn bei subkutaner oder intravenöser Einführung. Um zu erforschen, welche Teile des Verdauuneskanals durch Nahruugsstoffe zur Sekretion vom Magensaft gebracht werden, haben E. S. Edkins und M. Tweedy') an Katzen Versuche in akuter Form angestellt. Sie führten also durch den Zwölffingerdarm einen Gummiballon in Tellerform ein, zwecks Isolierung des Pars 'pylorica vom Fundus. Die Nahrungsstoffe liessen sie entweder ins Duodenum oder in den Pylorusteil gelangen und bestimmten nach gewisser Zeit Azidität der pbysiologischen Salzlösung, welche im Quantum von 30 ccm im Magenfundus als sekretorischer Teil eingeführt wurde. Es hat sich nun gezeigt, dass die Wirkung vom Fleischextrakt die stärkste ist, dann kommen der Reihe nach Glukose und Dextrin, am schwächsten dagegen Salzsäure. Methodik. Die angewandte Methodik war verschieden, je nach dem ver- folsten Ziele des betreffenden Versuches. Alle Versuche sind an Hunden in chronischer Form ausgeführt worden. Für diejenigen ‘Experimente, in welcher der Einfluss des Darmes auf die Magensaft- sekretion untersucht werden sollte, wurden Hunde benützt, welchen ausser der Magenfistel auch eine Duodenalfistel angelegt worden war. Die Isolierung des Magens vom Darme geschah mittels eines in den Darm eingeführten und mit Luft aufgeblähten Gummiballons. Diese Methode bot anfangs grosse Schwierigkeiten; trotz genauer Aufblähung des Ballons gelangte oft die in den Darm eingeführte Flüssigkeit in den Magen, wenn auch nur in kleiner Menge. Dieser Umstand hatte auf den weiteren Verlauf des Versuches einen unerwünschten, störenden Einfluss, weil die, wenn auch kurzdauernde Anwesenheit der Flüssigkeit im Magen von hier aus die Sekretion anregen und zu der irrtümlichen Schlussfolgerung führen konnte, dass diese Sekretion nur unter dem Einflusse der in den Darm eingeführten Flüssigkeit erfolet sei. Es schien, dass sich diese Methode der Isolierung des Darmes vom Magen überhaupt nicht anwenden lassen 1) E. S. Edkins and M. Tweedy, The naturals channels of absorption evoking the chemical mechanism of pas secretion. Journ. of Physiol. vol. 38 p- 263. 1909. Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. II. 9) würde, und wir waren im Begriffe zu einer anderen, bereits von Pawlow in den Arbeiten mancher seiner Schüler angewandten Methode überzugehen. Die von Pawlow benützte Methode gestaltet sieh folgendermaassen: Die Serosa-Museularisschichte des Duodenums wird dicht neben dem Pylorus eingeschnitten; auf diese Weise wird die Sehleimhaut entblösst, mit zwei Ligaturen gefasst und zwischen ihnen quer durchschnitten. Die Schleimhautstümpfe werden in ent- sprechender Richtung eingestülpt, mit einer Reihe von Nähten ge- schlossen, daraufhin die durchschnittene Serosa-Museularisschieht mit Nähten vereinigt. Die Isolierung des Darmes vom Magen ist bei dieser Methode absolut sicher. Das Tier muss durch eine künstliche ‘ Verbindung des Magens mit dem. Darme, welehe mittels Gummi- oder Glasröhre hergestellt wird, gefüttert werden. Den ganzen Tag von 6 Uhr früh bis 6 Uhr abends, muss das Tier im Ständer aufrecht stehen, damit die genossenen Speisen vom Magen in den Darm über- sehen können. Der Gehilfe muss sich immer beim Tiere aufhalten, um gegebenenfalls die durch das Gummirohr in den Darm durch- gehenden Speisen manuell weiterzubewegen. Die Technik dieser Operation ist an und für sich ganz einfach und begegnet keinen Schwieriekeiten;; diese beginnen erst nach der Ausführung der Operation, mit dem Momente, wo das Tier gefüttert und genährt werden muss. Angesichts dieser tatsächlich bedeutenden Schwierig- keiten haben wir beschlossen, die Ursache, warum die in das Duodenum eingeführte Flüssigkeit in den Magen zurückfliesst, zu prüfen und festzustellen. Es hat sich gezeigt, dass der anfangs an einem zu biegsamen Katheter in den Darm eingeführte Gummiballon infolge Darmkontraktionen sich sehr schnell verschiebt und in den unterhalb der Fistel gelegenen Darmteil gelangt, derart, dass die in den Darm hineingegossene Flüssigkeit ohne Schwierigkeit in den Magen einfliesst. Deswegen haben wir einen starken, steifen Katheter gewählt, auf welchem der Gummiballon, der aus drei Schichten Kondomgummi bestand, befestigt wurde. Bei ‚entsprechender Auf- blähung und genauer Einstellung des Ballons (nicht im Pylorus) ge- langte die Flüssickeit nicht mehr in den Magen. Daher haben wir uns auch weiter dieser Methode bedient. Sie hat uns die Möglichkeit in die Hand gegeben, den Einfluss verschiedener, nur in den Darm eingeführter Körper zu beobachten. Bei der Untersuchung ‘ihres Einflusses vom Magen aus musste ein Teil des Magens ausgeschaltet und daraus ein vollkommen von dem 10 SR Z. Tomaszewski: restlichen Teile, dem sogenannten „grossen“ Magen, isolierter „kleiner“ Magen gebildet werden. Um in diesen Versuchen alle psychischen Momente fernzuhalten,. habe ich den kleinen Magen nach der Me- thode von Heidenhain, d. ji. mit Durchschneidung aller Schichten der Magenwand, ausgeführt. Bei der Ausführung dieser an sich schweren Operation hat sich das Fassen der Magenwand mit zwei Paar grossen, leicht ausgebogenen Klemmen sehr gut bewährt. Zwischen beiden Klemmen wird die Wand durchschnitten, wobei weder eine Blutung stattfindet noch der Mageninhalt, welcher die Bauchhöhle verunreinigen könnte, heraustritt. Der kleine Magen wird aus dem fundalen, also sekretorischen Teile des Magens ge- bildet. Da es für die Zwecke meiner Versuche von grosser Be- deutung war, möglichst grosse und leicht feststellbare Ausschläge der Sekretion des Magensaftes zu erhalten, so war es nötig, vom Magen einen möglichst grossen Teil zwecks Bildung des kleinen Magens herauszuschneiden. Diese Bestrebung erschwert aber sowohl den Eingriff an und für sich als auch das Erhalten des Lebens der Tieree. Pawlow sagt ausdrücklich, dass es zum Gelingen der Operation unbedingt nötig ist, nur einen kleinen Lappen heraus- zuschneiden, welcher in seinen Operationen kaum Yao—!/ss des Magens ausmachte. Wir haben aber annähernd "/-—!/s des Magens, d. i. 6—5mal mehr als Pawlow herausgeschnitten. Als störender Nachteil dieser Operation erfolet manchmal die Ausstülpung der Schleimhaut des kleinen Magens. Um dieser Komplikation vor- zubeugen, ist es ratsam, den kleinen Magen mit einigen Nähten an die Ränder der Serosawurde beim Verschliessen der Bauchwand anzuheften; es ist auch sehr zweckmässig und für den weiteren postoperativen Verlauf selır vorteilhaft, den kleinen Magen mit Omentum zu umkleider, was vor der Möglichkeit des Auftretens einer Peritonitis schützt und der Ausstülpung der Schleimhaut vor- beust. Als Folgezustand der Operation, wobei der kleine Magen aus einem grossen Lappen gebildet wurde, stellt sich eine kolossale Sekretion von Magensaft ein, worauf schon Sanocki, Lobasow und hauptsächlich Popielski aufmerksam gemacht haben'!). In 34 Stunden beträgt das Quantum des ausgeschiedenen Saftes, welcher normale Azidität und ausgesprochen peptische Eigenschaften besitzt, über einen Liter. Diese gesteigerte Sekretion dauert ”—10 Tage Ä 1) Popielski, Lemberger ärztl. Wochenschr. 1913 Nr. 50 (polnisch). 7 Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. II. 11 und verringert sich allmählich. Die grossen Mengen des sich ab- scheidenden Magensaftes können den kleinen Magen dehnen, was die Lockerung der Nähte und Hindurchtreten des Inhaltes in die Bauchhöhle zur Folge haben kann. _ Deswegen führt Popielski in den kleinen Magen ein Gummidrainrohr ein, welches mit einer Naht an die Bauchhaut angeheftet wird. Durch 10—14 Tage muss täglich das Drainrohr von Blutgerinnseln befreit und gereinigt und der stag- nierende Magensaft aus dem kleinen Magen herausgelassen werden. - Das skizzierte Vorgehen sichert den günstigen postoperativen Ver- lauf; eine Peritonitis kommt bei peinlichster Beobachtung der operativen Aseptik sehr selten vor. Die oben erwähnte gesteigerte Sekretion aus dem kleinen Magen erinnert an die parälytische Se- kretion des Speichels, nur dass sie weitaus grössere Dimensionen an- nimmt. Die Ursache dieses Phänomens sieht Popielski (l. c.) in der Reizung der sekretorischen Nerven, die sich infolge ihrer Durch- schneidung bei Bildung des Lappens für den kleinen Magen einstellt. Die Degeneration der sekretorischen Fasern des N. vagus, die bei Bildung des Lappens für den kleinen Magen nach Heidenhain durchsehnitten worden sind, führt auch zweifellos eine Degeneration von Endigungen herbei. Dadurch wird jedoch die Einwirkung von Nn. vagi auf die sekretorische Tätigkeit des Heidenhain’schen Magens keineswegs aufgehoben. Vom Hauptstamm des N. vagus zweigt sich ein Ast zum Plexus coeliacus ab, von denen wieder längs den Blutgefässen mehrere Nerven zum Magen ziehen. Um die gänz- liche Beseitigung der Einwirkung von NN. vagi auf den Heiden- hain’schen Magen erzielen zu können, müssten die Nn. vagi im Brustkorb oder am Halse durchschnitten werden. In den Versuchen an Hunden mit Magen- und Duodenalfistel war es unumgänglich nötig, die „psychische“ Beeinflussung der Se- kretion mittels Durehschneidung der Vagusnerven auszuschalten; in manchen Versuchen wurde die Durchschneidung dieser Nerven am Halse ausgeführt. Ich gehe nun zur Darstellung der Ergebnisse meiner Versuche in mögliehster Kürze über. | I) 1. c. — Sanocki, Die Erreger der Magendrüsentätigkeit S. 90. Disser- tation. St. Petersburg 1892. — Labasow, 1. c. S. 139—156. 2) Vgl. auch: Renner, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 110 S. 101. 1915, zitiert nach Ascher und Pearce. — Zeitschr. f. Biol. Bd. 63 S. 85. 1913. 2 Z. Tomaszewski: Untersuchungen über den Einfluss von Eiweiss- verdauungsprodukten auf die Sekretion des Magensaftes. Es sollte zunächst in Einleitungsversuchen geprüft werden, welchen Einfluss auf die Magensaftsekretion die Eiweissverdauungsprodukte unter möglichst normalen Verhältnissen vom Darme aus ausüben. Deswegen sind die ersten Versuche an Hunden mit intakten Nn. vagi ausgeführt worden. Selbstverständlich musste man schon a priori mit der Möglichkeit rechnen, dass die Sekretion des „primären“ Saftes aus oben schon erörterten Ursachen auftreten wird. Manche Fx- _ perimente, von denen einige anschliessend angeführt werden, haben einen ausgesprochenen Einfluss der in den Darıı eingeführten Eiweiss- verdauungsprodukte festgestellt; zur Prüfung gelangte hauptsächlich Pepton Witte (P. W.) Versuch I. 31. Januar 1912. Hund „Nero“. Gewicht 27 kg. Der rechte N. vagus unterhalb der Pulmonalabzweigungen durchschnitten. Magen- und Duodenalfistel. In das Duodenum wird ein harter, mit Gummiballon armierter und ein anderer weicher Katheter, welches zum Eingiessen der zu unter- suchenden Flüssigkeiten bestimmt ist, eingeführt. Beide Katheter sind in’ einem das Fistelrohr fest abschliessenden Korke montiert. Der Magen wird mit lauwarmem Wasser gründlich ausgespült. 10h 25’ Anfang der Beobachtung 11& 15’ 5,0 cem Magensaft Gesamte Azidität 58 11h 30' 3,0 2 ) » ” 60 ul un 3,0 2) 2) » ) 91 10n.00°7,0. ; 60 in das ehren. vrmmenlem 500 eem 10 %/o ige P. W.-Lösung innerhalb 5 Min, eingeführt ab so2 4105 E Gesamte Azidität 89 12545130, „ 5 S i 84 100 ä i a) ini 70%, ; ; a 17302 8.0... : ® , 95 14945...9,0.. R ; : 95 ah 00° 14,3 ” ” ” e) 100 a ee . 2100 ah 30' 30 2) » ” ” 90 24 45 3,0 2) ” ” ” 13 3h 00! 1,0 30 6 br} » ” ” Die Sekretion hat 10 Min. nach Einführung der P. W.-Lösung angefangen und dauerte 3 Stunden; in dieser Zeit sind 85 ccm Magen- . saft abgesondert worden. Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. Il. 13 Um die Überfüllung des Darmes mit grossen, auf einmal ein- geführten Flüssigkeitsmengen zu vermeiden und die Resorption dadurch nicht zu erschweren, wurde im nächsten Versuche die Lösung des P. W. langsam eingegossen. Versuch II. 3. Juni 1912. Hund „Zolty*“. Gewicht 31 kg. Der rechte N. vagus unterhalb der Pulmonalabzweigungen durchschnitten. Magen- und Duodenalfistel. Zwei Tage vor dem Versuche bekommt ‘der Hund als Nahrung nur Milch. Nach Einführung des Katheters in das Duodenum wurde der Magen gründlich ausgespült. 9h 15’ Anfang der Beobachtung 9h 30' 6,5 ccm Magensaft Gesamte Azidität 75 9h 45’ 14,0 „ ) 5 $)) » 120 102 00° 25, : \ 120 400 10 16, » \n „ 45 10 30’ 0,5 45 10h 45" Anfang "der Einführung de 56i igen P. W. -Lösung; innerhalb 15 Min. werden 200 ccm eingeführt 11h 10’ innerhalb 10 Min, sind 200 ccm eingeführt worden 11h 20’ ie : 11h 10° Anfang der Beobachtung 11h 25’ 8,5 ccm Magensaft Gesamte Azidität 80 11h 40' 5,0 = 5 S 8 90 der Hund schläft 11h 55° 8,5 ” » ” ” 100 126 10’ 240 , “ ee 110 12h 25’ 21,5 „ - \ 110 124.107 18,0, a z ‚Nr 110 12h De 20,0 ” „ ” ” 100 55,10..21.0°%, E - € 100 eo 5,0, 2 e E 60 aa a un n 23 VDE E 5 ii 10 Anfang der Sekretion 10 Min. nach Einführung der P. W. -Lösung; die Sekretion dauerte 2 Stunden 45 Min., wobei 133,9 cem Magensaft abgesondert wurden. In diesem Versuche entfällt, ne die Berechnung ergibt, auf 1 kg Gewicht des Tieres 4,5 cem Magensaft; dagegen entfällt im Versuche I, in welchem eine zweimal stärkere Lösung des P. W. (10°/o ige) verwendet wurde, nur 3,2 ccm auf 1 kg Ge- wicht des Hundes. Dieser Umstand verdient Aufmerksamkeit und erlaubt die Folgerung, dass die Ursache .der Sekretion des Magen- saftes in beiden oben angeführten Versuchen höchstwahrscheinlich nicht die im P. W. enthaltenen Körper sind, sondern irgendwelche andere Ursachen, die jedoch mit den chemischen Eigenschaften des P. W. nichts Gemeinsames haben. ‘Es war naheliegend, zu vermuten, dass vielleicht der Einführungsakt an und für sich die Ursache der Sekretion des Magensaftes bildet. Wenn das tatsächlich der Fall wäre, dann müsste die Verlängerung des Einführungsaktes die Sekretion bedeutend 14 Z. Tomaszewski: steigern. Um sich davon zu überzeugen, wurden im Versuche II 500 cem 5°/oige P. W.-Lösung in kleine Portionen geteilt und inner- halb 1 Stunde eingeführt. Versuch III. 28. Mai 1912. Hund „Kudlaty I“. Gewicht 17 kg, mit Magen- und Duodenal- fistel. Nach Einführung des Katheters in das Duodenum wurde der Magen ausgespült. 10h 50’ Anfang der Beobachtung 11h 05’ gesammelt 2,5 ccm Magensaft Gesamte Azidität 20 112 20° . 14), 10 11h 20’ in das Duodenum ‚werden 30 cem 5% i ige 'P W. -Lösung eingef. 4107502 a) ” „ 100 ” 9 %oi ige „ » ” 11 h 40' ” ” er) » 100 ” d Yoi 1ge » ” br} 250: 29 „ ” 50 5) 50/0 ige ” ” ” 11 h #5) : 5) 2” » ” 50 2 5 Oo ige ” ” ” 12h 00’ 2m ” ” 50 ei) d %/o ige » ” ” 12h 05° >) » o) 50 » d %o ige ” » ” 12h 15° BI » e) 90 ” 50/0 ige ” ” OR 12 h 20 b) ” ” ” 20 ” d %o ige ” BD) » Bis 12h 20° wurden in das Duodenum insgesamt 500 cem 5 %o ige P. W.-Lösung eingeführt ; Gesamte Azidität 11h 45’ gesammelt 6,5 ccm Magensaft während 25’ 52 12h 00’ ONE > 92 ba ale 5 12:0, : 115 125 30’ die Saftınenge wurde nahe bestimmt 12h 45’ gesammelt 18,0 ccm Magensaft 92 15 00° E 17,5 & 3 110 ale ar a 22.02 2 118, 1b 30’ era : 136 ul) 2, 2100, ; 92 ah 00’ e 55°, $ 62 ah 15’ i 3,5 ; 42 B ah 30 » 2,9 ” ” 16 ah 45 n an = 17 3h 00 n 98% 2 17 3h 15’ . 50°, - 16 3h 30' ” 3,0 ” ” 10 Die Sekretion dauerte 4 Stunden, wobei 144,0 ccm agent abgesondert wurden; es entfallen somit auf 1 kg Gewicht des Hundes wenigstens 8,5 cem Magensaft (von 125 15’ bis 12h 30’ wurde der Magensaft nicht gesammelt). Dieser Versuch beweist, dass tatsächlich die Verlängerung der Zeitdauer des Einführungsaktes die Magensaft- sekretion in ausgesprochener Weise steigert. Die Vermutung, dass die Ursache der Sekretion nach Einführung des P. W. in den Darm im Einführungsakte an und für sich liest, fand ihre Bestätigung darin, dass 10 /oige, mit kolloidalem Eisen gefällte Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. II. 15 ® Lösung von P. W., in welcher eine Verminderung des Gehaltes an wirksamen Körpern zu erwarten war, eine ausgiebigere, und zwar zweimal reichlichere Sekretion des Magensaftes hervorrief als eine gleiche Menge mit Eisen nicht behandelter 10 °/oiger Stammlösung. Im Versuche vom 20. März 1912, an demselben Hunde „Nero“, der zum Versuche I verwendet wurde, sind innerhalb 4 Stunden nach Einführung von 500 cem 10°o, mit kolloidalem Eisen gefällter P. W.-Lösung (Einführungszeit 45 Minuten) 182 eem Magensaft aus- geschieden worden. | Es hat sich ferner gezeigt, dass auch die Einführung der physio- logischen 0,9°/o NaCl-Lösung eine reichliche Sekretion des Magen- saftes zur Folge hat. Somit wird es zur Gewissheit, dass in den chemischen Eigenschaften des P. W. keinesfalls die Ursache der Se- 'kretion des Magensaftes zu suchen ist. Man könnte aber vermuten, dass die Einführung der Flüssigkeiten in den Darm an und für sich, die Berührung der Schleimhaut mit der eingeführten Flüssigkeit und die Durehspülung mit der eingegossenen Lösung, mit einem Worte die mechanische Einwirkung der Flüssigkeit auf die Darmschleimhaut die Ursache der Sekretion sein kann. Diese Vermutung ist aber angesichts der Tatsache hinfällig geworden, dass die Manipulationen bei der Einführung allein, ohne dass überhaupt Flüssigkeit in das Duodenum eingegossen wurde, ebenfalls eine Sekretion zur Folge haben können. Es war jetzt einleuchtend, dass die Sekretion des Magensaftes nur vom „psychischen“, den Einführungsvorgang be- gleitenden Momente, also von einem jener Eindrücke abhängig war, welche in Psyche des Tieres als Berührungsempfindungen sich offen- baren und in weiterer Folge, wie oben ausgeführt wurde, zur Sekretion des Magensaftes führen. . Falls diese Vermutung die richtige wäre, müssten sich Versuche finden, in denen nach Einführung von P. W. in das Duodenum keine Sekretion erfolgt. Mit demselben Hunde, bei welchem P. W. schon einmal Sekretion hervorgerufen hat, wurde ein Versuch angestellt, welcher ein solches Ergebnis hatte. Am 14. März .1912 wurde dieser Versuch am Hunde „Nero“ unter ein wenig anderen Bedingungen als sonst ausgeführt. Seit dem ersten Versuche an diesem Tiere waren 20 Tage verflossen; um auf die Psyche des Hundes nicht einzuwirken, haben wir ihm die Augen zugedeckt und alle Mani- ‘pulationen, welche bei der Einführung der Flüssigkeit gewöhnlich vorgenommen werden — das Herumhantieren mit den Glasgegen- ständen, Messzylindern usw. — ganz geräuschlos ausgeführt. Die 16 Z. Tomaszewski: auf diese Weise vorgenommene Einführung von 500 eem 5 Jo iger P. W.-Lösung hatte keine Sekretion zur Folee. Man konnte erwarten, dass beim Hunde, welcher auf verschiedene, gegen seinen Magen-Darm-Kanal gerichtete Eingriffe mit der Sekretion des „primären“ Magensaftes überhaupt nie reagiert hat, auch nach Einführung von P. W. in das Duodenum sich keine Sekretion des Magensaftes einstellen werde. Ein solcher Hund, der in vielen an ihm früher ausgeführten Versuchen auf verschiedene Eingriffe nie mit der Sekretion des. „primären“ Saftes reagierte, war der Hund „Kudlaty II“, mit 16!/e kg Gewicht, mit Magen- und Duodenalfistel. An diesem Hunde wurde der Versuch IV, am 1. Dezember 1913 ausgeführt. Nach Einführung des Katheters in das Duodenum wurde der Magen ausgespült. Um 85h 00’ Anfang der Beobachtung Bis 9h 00’ erfolgt keine Sekretion; Reaktion neutral. In das Duo- denum werden 100 cem warmen Wassers eingeführt Bis 9h 30’ keine Sekretion. Innerhalb 15 Min. werden in das Duo- denum 500 ccm einer warmen 5 °/oigen Lösung von P. W. eingeführt „ 9 45’ keine Sekretion; Reaktion alkalisch 2 10b 00' ” b}) ” ” sn LOS : I „ ; der Hund beleckt sich, aus der Magentistel fliesst schaumiger Speichel ” A025 » ” » » Der Versuch wird abgeschlossen. Versuch V. 3. Dezember 1913. Hund „Kudlaty II“. Gewicht 16!/a ke. (Derselbe, elle zum vorigen Versuch verwendet wurde.) Einführung des Katheters in das Duodenum; Durchspülung des Magens. Um 75 30’ Anfang der Beobachtung Von 8 20’ bis $Sh 35’ werden in das Duodenum 500 cem 10 %o iger P. W.-Lösung von Zimmertemperatur eingeführt Bis 9b 00’ keine Sa an rg AOL „ , Reaktion alkalisch. Die bei manchen Hunden trotz aller Vorsichtsmaassregeln auf- tretende Sekretion unterbleibt nach Durchschneidung der Nn. vagi vollkommen. Nachdem dem Hunde „Zolty I“ die Nn. vagi am Halse durchschnitten worden sind (der eine unterhalb der Pulmonal- abzweigungen am 28. Mai 1912, der andere am Halse am 12. Juli 1912), erfolgt nach Einführung von 500 cem 5 /oiger P. W.-Lösung Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. II. 17 in das Duodenum bei ihm keine Sekretion mehr; während der ganzen zweistündigen Beobachtungszeit bleibt die Reaktion alkalisch, Wir kommen somit zu der ganz bestimmten Schlussfolgerung, dass die Eiweissverdauungsprodukte, als P. W. in den Darm eingeführt, von hier aus die Sekreiion des Magensaftes nicht anzuregen vermögen. Nun musste noch untersucht werden, welchen Einfluss auf die Magensaftsekretion die Fleischverdauungsprodukte, in denen ausser Eiweisskörpern noch Extraktivstoffe vorhanden sind, ausüben. Der . diesbezügliche | Versuch VI wurde am 12. Juni 1912 am Hunde „Zolty II“ mit. beiderseits intrathorakal durchschnittenen Nn. vagi, Ösophagotomie, Magen- und Duodenalfistel angestellt. Für diesen Versuch wurde aus dem Fleische ein Präparat auf folgende Weise vorbereitet: 250 g Pferdefleisch wurden mit 250 ccm reinen, bei der Scheinfütterung eines Hundes gewonnenen Magensaftes übergossen und im Thermostaten bei kon- stanter Temperatur, 37,5° C., durch 48 Stunden gehalten. Am Tage nach dem Hineinstellen in den Thermostaten wurden dem Gemische noch 100 cem Wasser von der Temperatur 37° C. hinzugefügt. - Vor dem Beginne des Versuches wurden in das Duodenum die Katheter hineingeschoben und der Magen des Versuchstieres durchgespült. 85 00’ Anfang der Beobachtung &h 45’ gesammelt 0,6 ccm Magensaft 9h 15’ ” 0,5 ” r)) '9h 45 ” 0,0 ”» ” 10h 15’ N 0,0 ” ” 10h 45’ a » I p)) 10h 47’ Anfang der Einführung (in das Duodenum) des auf oben be- schriebene Weise verdauten Fleisches (250 g Fleisch + 250 ccm Magensaft + 100 ccm Wasser) in der Gesamtmenge von 550 ccm, auf 38° C. erwärmten Flüssigkeit, von deutlich saurer Reaktion. Die Einführung wurde um 11R 01’ beendet. Gegen Schluss der Einführung treten beim Hunde Brech- bewegungen auf, die jedoch bald schwinden 115 15’ 0,0 cem Magensaft 30,0; pi mA 00 , 5 $)] » 12h 45’ 1,0 ,„ schleimiger, saurer Flüssigkeit; Reaktion auf Congo —0 15 00’ 0,0 „ Magensaft 15 15’ 0,0 „ 5 1h30200 3 15h 45’ 0,0 „ i Während der zweistündigen Beobachtung tritt keine Sekretion auf. Beim Herausnehmen des Katheters, nach Abschluss des Ver- suches, entleeren sich aus der Duodenalfistel etwa 6—7 ccm Galle. Aus diesem Versuche kann man schliessen, dass die Verdauungs- produkte des Fleischeiweisses keine Sekretion hervorrufen. Er be- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 2 18 Z. Tomaszewski: weist ferner, dass die Extraktivstoffe ebenfalls keinen Einfluss auf die Sekretion des Magensaftes ausüben. Es blieb die Frage zu beantworten, ob P. W. vom Magen aus die Sekretion des Magensaftes fördernd beeinflussen kann. Um dies zu entscheiden, wurden zweierlei Versuche angestellt: 1. an Hunden mit dem Heidenhain’schen „kleinen“ Magen; 2. an Hunden mit Magen- und Duodenalfistel, bei denen aber auch die beiderseitige Vagotomie ausgeführt worden war. Über die Grösse und den Charakter der Sekretion orientieren uns nun die folgenden Versuche VII und VII. Versuch VH. 3. Juli 1912. Hund „Ozarny“. Gewicht 16a kg, mit dem Heidenhain- schen Magen, 11& 00° Anfang der Beobachtung 11h 15’ 2,5 ccm Magensaft Gesamte Azidität 88 ii 50120 , ' ; 0 11h 45' Sl, ” ” DI 76,6 12h 00’ 25 , Ä 76 ” ” 12h 00’ hat der Hund allein einen Teil der vorbereiteten 10 %o igen P. W.-Lösung ausgetrunken, der Rest wurde ihm mittels Magensonde in den Magen hineingegossen. Der ganze Vorgang dauerte 8 Min.; die Gesamtmenge der P. W.-Lösung betrug 500 ccm. 125 15° 2,0 ccm Magensaft Gesamte Azidität 60 122 50, 30, ; ; ee 1257457 13,0, % N N 113,8 0 \ ä a IR 15' 12,5 » e) 99 ” 132 1h 80° 10,5 , 5 : 121 ih 45' 7,0 ” ” » ” 116 280 a N ; ! 02 ah 15° 2,9 b)] p2] » ’ 12 2h 30’ 1,5 27) 2 ” » 53 2hr45r .5.0.., 5 \ } 56 3h 00’ 5,0 54 ” » ” » . Die Absonderung des Magensaftes setzte 30 Min. nach Anfang der Einführung von P. W.-Lösung ein und dauerte 3 Stunden. In dieser Zeit wurden 74,5 cem Magensaft gesammelt. Versuch VIII. 30. Mai 1912. Hund „Bialy“. Gewicht 27,7 kg, mit dem Heidenhain- schen Magen, 10h 45’ Anfang der Beobachtung 11h 00’ 1,0 ccm Magensaft Gesamte Azidität 57 149.151 0,78 1, 2 [ | Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. I. 19 11h 30’ 1,25 ccm Magensaft Gesamte Azidität 48 uk. 0, 75 e 52 11a 55° Is 125 00' werden in den Magen mittels Masensonde 500 ccm 10°/o ige P. W.-Lösung eingeführt. a, mel: 8,0 cem Magensaft Gesamte Azidität 110 12h 30° n oO. » n „ 135 Ba. 19,0 5 ” = 140 15 00 n 10,07, » n) n 135 1h 15' » 10,5 2 ” » $ b7] 135 1 h 30 % » 10,0 » ” ” ” 140 1 h 45 \ b)] 13,0 ” ” 67) ” 140 2 h 00 5 » 8,5 ” bb) 2 ” 135 ah 15 ”. SHORl D) „ » 94 | ah 30° o) 2,9 ” )) 5) ” 80 ah 45 » 2,2 » o) B) b) 99 3 h 00' ” 2,0 ” » ” ” 50 Die Sekretion des Magensaftes beginnt 15 Min. nach Einführung von P. W.-Lösung und dauert 3 Stunden; die Gesamtmenge des in dieser Zeit produzierten Magensaftes beträgt 99,3 cem. In den nächstfolgenden Versuchen IX und X habe ich die Aus- giebigkeit der Magensaftabsonderung auf Grund der Aziditätszunahme der in den Magen eingeführten 10 °/oigen P. W.-Lösung zu beurteilen versucht. Die 10 %oige Stammlösung des P. W. hat eine Azidität von etwa 10 (!/ıo normal NaOH). Versuch IX. 14. November 1912. Hund „Zolty II“, mit Magen- und Duodenalfistel und. beider- seitiger intrathorakaler Vagotomie. Durchspülung des Magens, Ab- sperrung des Duodenums in der üblichen Weise mittels eines Gummi- ballons. 10h 05° Anfang der Beobachtung 105 20’ gesammelt 1,5 ccm Magensaft ) 10h 35 ” iL, ” ” I, ,. 09, ; 11h 05’ 3 0.00% „' = 6,2 ccm Masensaft 11h 20’ h DNS „| Gesamte Azidität 20 11h 85" er) 0,5 5 ” ” 11h 50' 0,4 ) 11h 55’ wurden in den Magen 500 cem 10 °%o iger P. W.-Lösung ein-, seführt 12h 25’ beträgt die Azidität der Flüssigkeit im Magen . . . 40 12 Iı 40 ” ” 6) b)] be) 2” ” ge m 42 ui 10° ” » ” » » ” ” IHN): 208 1h 40 ” ” » » ” ” ” Se aD 85 2h 10% » e)) ” „» er} ” ” Y s . 90 2h40’ , E „ des aus dem Magen entleerten Restes 112 DI: 20 Z. Tomaszewski: Versuch X. 14. Dezember 1912. Hund „Zolty II“. Das Duodenum wird durch Aufblähung des am Katheter befestigten Ballons abgesperrt. 8h 45’ Anfang der Beobachtung 9h 15’ gesammelt 1,0 ccm Magensaft Gesamte Azidität 47 gh 45’ oe \ 10h 00’ oe i 10h 00’ in den Magen wurden 500 cem 10 /oiger P. W.-Lösung ein- geführt 10% 30’ aus dem Magen wurden nur 350 ccm Flüssigkeit entleert, was darauf hinweist, dass ein Teil der eingeführten P. W.- Lösung in das Duodenum übergegangen ist. Die Lage des Gummiballons im Duodenum wurde korrigiert. Zu der aus dem Magen entleerten Flüssigkeit wurden 150 cem 10 %o iger P. W.-Lösung hinzugefüst und in 15 ccm des Gemisches die Azidität bestimmt; sie beträgt 60. Der Rest 485 ccm wurde um 11h 40’ wiederum in den Magen eingeführt 125 10’ wurden aus dem Magen 475 ccm Flüssigkeit entleert und in 10 ccm die Azidität bestimmt; sie beträgt 65. Der Rest 465 ccm wurde in den Magen hineingegossen 12h 40’ aus dem Magen wurden 440 ccm herausgelassen. In 10 ccm bestimmte Azidität beträgt 65. Der Rest von 430 cem wurde wiederum in den Magen eingeführt 1b 10’ aus dem Magen 430 ccm herausgelassen; die Azidität in 10 cem bestimmt S0. Der Rest von 420 ccm in den Magen eingeführt aus dem Magen wurden 400 ccm entleert; die Azidität in 10 ccm bestimmt 90. Der Rest wird wiederum in den Magen eingeführt 2h 10’ aus dem Magen entleeren sich 350 ccm; die Azidität be- trägt 98. Der Rest von 350 cem zurück in den Magen eingeführt Die Azidität der jetzt entleerten ne (300 cem): beträgt 110. Die Versuche IX und X ergeben, dass das in den Magen ein- geführte P. W. die Absonderung des Magensaftes in ausgesprochener Weise fördernd beeinflusst. Durch die Versuche VII und VII an Hunden mit dem „kleinen“ Magen wurde sichergestellt, dass die Endigungen der autonomen Nerven keinesfalls den Angriffspunkt für die Wirkung der im P. W. enthaltenen Körper bilden können, weil die während der Operation durchschnittenen Nerven degenerieren. Diese Versuche, ebenso wie auch der IX. und X. Versuch, beweisen auf das schlagendste, dass das zentrale Nervensystem auf die durch das P. W. hervorgerufene Ausscheidung des Magensaftes durchaus keinen Einfluss ausübt. > > 1h 40 - %h 40 Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. II. > Es wäre jetzt die Frage über den Mechanismus der Magensaft- sekretion unter dem Einflusse des P. W. zu erörtern. Die Beeinflussung der Magensaftsekretion auf dem Blutwege durch die in das Blut re- sorbierten Komponenten des P. W. dürfen wir mit absoluter Sicher- heit ausschliessen, da die Einführung des Peptons in den Darm, wo hauptsächlich die Resorption stattfindet, keine Sekretion des Magen- saftes zur Folge hat. Die subkutane Einspritzung des P. W. bleibt auch ohne Einfluss auf die Sekretion. Es erschien mir aber trotz- dem besonders wichtig, den Einfluss intravenöser Einführung von P. W. auf die Magensaftsekretion einer Prüfung zu unterziehen. Für den diesbezüglichen Versuch, den ich anschliessend folgen lasse, wurde ein Hund mit beiderseits am Halse durchschnittenen Vagus- nerven gewählt. Versuch XI. 24. Mai 1912. Hund „Nero“. Gewicht 21!/a kg. Der eine N. vagus unterhalb der Pulmonalabzweigungen vor 1!/g Monaten, der andere am 23. Mai am Halse durchschnitten. Magen- und Duodenalfistel. Einführung des Katheters in das Düodehun. Durchspülung des Magens. 11h 20° Anfang der Beobachtung 11h 35’ gesammelt 2,0 ccm Magensaft Gesamte Azidität 92 ehr 50 5 Zeller es e = 92 12h 20’ ” 1,5 ” b) 3) b) 50 12h 50’ b) 2,0 ” ” b) e) 50 1& 00’ 0,5, ; . 72 1 00’ in die V, saphena werden al com "50; iger B.o\WW. „Lösung eingespritzt 1h 00’ 40” Erbrechen. Starke Unruhe. Der Hund schreit 15h 01’ 40” wiederum Erbrechen. Das Tier ruhig 15 01’ 50” starke, explosive Absonderung des Magensaftes, welche 30 Sek. (bis 1h 2’ 20”) dauert. Es sind 20 ccm Saft von der Azidität 80 ausgeschieden worden 1h 06’ gesammelt 2,5 cem Magensaft Ges. Azidität 130 1h 09’. E Kar, 3 R „ 130 Der Hund schläft Ih 12’ b>] .: b>] 2 ” b7] 130 1h 18’ b>] 2,0 ” N ; ” N 130 12,21. ” 1,2 B) n ” 2) 130 La e Ä so a 2 130 1h 30’ in die V. saphena wurden 11 cem 5 Opige P. W.-Lösung eingeführt 1h 31’ der Hund beleckt sich; Unruhe geringeren Grades 1h 33° gesammelt 2,0 ccm Magensaft Gesamte Azidität 100 1h 36 » 0, 5 2 F I 5 100 ir 39’ P>] 1 A) ” ” n ” 100 ER ” 0,3 0 5 B: % 100 an 45’ n 0,6 ” b)) n » 100 1h 48’ 5 0,6 e x 100 22 Z. Tomaszewski: Es ist also aus dem eben angeführten Versuche ersichtlich, dass zwischen der Sekretion des Magensaftes nach der ersten intravenösen und nach der intrastomachalen Einführung des P. W. sehr bedeutende prinzipielle Unterschiede bezüglich des Charakters sowie auch der Grösse der Sekretion bestehen. Die Absonderung des Magensaftes nach intravenöser Einführung erfolgt explosiv und dauert kurz, wobei gleichzeitig ausgesprochene Symptome der Allgemeinwirkung des P. W.., Symptome, welche für die Wirkung des Vasodilatins nach dessen in-. travenöser Einführung spezifisch sind, auftreten. Bei der zweiten, !/g Stunde nach der ersten ausgeführten intra- venösen Einführung der gleichen Menge von P. W., begegnen wir schon den für das Vasodilatin so sehr charakteristischen Immunisations- symptomen; die Allgemeinwirkung ist also sehr schwach, kaum an- gedeutet, die Sekretion des Magensaftes sehr gering und kurzdauernd. Damit gewinnen wir noch einen Beweis dafür, dass die in P. W. enthaltenen chemischen Körper nach ihrer Resorption in das Blut keinen Einfluss auf die Sekretion des Magensaftes ausüben. Die Wirkung kann sich also nur auf die Magenschleimhaut beschränken. An der Stelle möchte ich an die im Jahre 1902 veröffentlichten wichtigen Untersuchungen von Popielski erinnern‘). In einigen Versuchsreihen hat Popielski den Nachweis erbracht, dass die sekretorische, der zweiten Phase entsprechende Tätigkeit des Magens auch dann ungestört bleibt, wenn das ausserhalb des Magens ge- legene Nervensystem vollkommen entfernt wurde. Diese Versuche sind in chronischer Form angestellt worden. In der ersten Versuchs- reihe wurde das Rückenmark vom elften Wirbel abwärts entfernt, in der zweiten Serie wurde ausser dem Rückenmarke vom elften Wirbel abwärts auch der Plexus coeliacus exstirpiert; in der dritten Versuchs- serie endlich wurde der Plexus coeliacus und beide Nn. sympathici, vom Zwerchfell angefangen bis zum Kreuzbeine, exstirpiert und ausserdem beide Nn. vagi,am Halse durchschnitten. Es hat sich herausgestellt, dass in jedem Falle die Magendrüsen einen sauren, Eiweiss verdauenden Maägensaft absonderten. Auf Grund dieser Untersuchungen hat sieh Popielski dahin geäussert, dass die Magenschleimhaut diejenige Stelle bildet, von welcher aus die auf- genommenen Speisen die Sekretion des Magensaftes anregen und, 1) Popielski, Über das peripherische reflektorische Zentrum der Magen- drüsen. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 16 H.5. 1902. (a) Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. II. 3 falls die Sekretion auf nervösem Wege stattfindet, sie nur durch ‘ Vermittlung des in den Magenwänden gelegenen peripherischen Nervensystems erfolgen kann. Diese Versuche, neben denjenigen über ‘die Sekretion des Pankreassaftes, haben Bayliss und Starling?), zur Aufstellung der Hormonen-Theorie gedient; diese Theorie be- ruht darauf, dass die gegenseitige Einwirkung verschiedener Organe aufeinander nicht durch Vermittlung der Nerven stattfindet, sondern nur vermittels spezifischer Körper, der sogenannten Hormone, die, in das Blut resorbiert, die Tätigkeit des entsprechenden Organes anregen. Was speziell die Magendrüsen anbelangt, hat Edkins zur Be- kräftisung der Bayliss-Starling’schen Theorie sich dahin ge- äussert, dass die Pylorusschleimhaut des Magens diejenige Stelle bildet, an welcher unter dem Einflusse der Nahrungskomponenten das spezifische „Gastrie-Sekretin“ entsteht. Die Art und Weise, in der die Experimente von Edkins angestellt wurden, berechtigt aber keinesfalls zu ähnlicher Folgerung, und das tatsächliche, von Popielski?) angeführte Beweismaterial bestreitet die Edkins’schen Anschauungen). Im ersten Teile (Pflüger’s Arch. Bd. 169) der Arbeit habe ich Tatsachen angeführt, welche beweisen, dass das spezifische „Gastrie-Sekretin“ im Pylorusextrakte nicht enthalten ist. Den weiteren Beweis für diese Behauptung ergeben die unten folgenden Versuche XII und XII, in welchen die Wirkung des Extraktes aus der Muscularis des ganzen Magens sowie auch des Pylorusextraktes vom Darme aus geprüft wurde. Falls die Resorption des vermeint- lichen Sekretins tatsächlich von der Pylorusschleimhaut erfolgt, müsste die Wirkung der Extrakte vom Darme aus besonders stark sein, da hauptsächlich hier die Resorption stattfindet. Die Resorption vom Magen aus wird durch die Schüler Pawlow’s, welche eine Reihe gewiehtiger Tatsachen als Beweis anführen, überhaupt bestritten ®). l) Bayliss and Starling, Journ. of Physiol. vol. 28 8. 325. 2) Popielski, Über die physiol. Wirkung von Extrakten... Pflüger’s Arch. Bd. 123 S. 199—202. 1909. 8) Journ. of Physiol. vol. 36 p. 133; vol. 33 p. 265. 1906. 4) Sokolow, Zu der Analyse der sekretorischen Arbeit des Magens des Hundes S. 83—109. ° Dissertation. St. Petersburg 1904. 24 Z. Tomaszewski: Versuch XII. 18. Juli 1912. Hund „Nerus“. Gewicht 16 kg; mit Magen- und Duodenal- fistel und beiderseitiger intrathorakaler Vagotomie. In das Duodenum werden Katheter eingeführt, der Magen wird mit Wasser ausgespült. 8h 00’ Anfang der Beobachtung 9h 00’ gesammelt 0,0 ccm Magensaft.. Reaktion neutral 9h 08’ in das Duodenum werden 200 cem eines, aus der Muscularis N des Schweinemagens mit ga (im Verhältnisse 1:1) her- sestellten, mit Soda neutralisierten Extraktes eingeführt. Bis 10h 32’ erfolgt keine Sekretion. Es wurden nun 150 ccm eines mit N a (1:1) hergestellten neutralisierten Extraktes aus der Muscularis des Pylorus eingeführt. Bis 11h 30’ keine Sekretion. Der Gedanke, dass vielleicht im Sekretionsprodukte der Magen- drüsen, also im Magensafte, spezifische Sekretine sich befinden, welche in das Blut resorbiert die Sekretion anregen, war nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Zur Prüfung dieser Vermutung wurde des- wegen der Versuch XIII angestellt und die Wirkung des in den Darm eingeführten Magensaftes beobachtet. Versuch XIIL. 14. April 1913. Hund oe II“. Mit Magen- und Duodenalfistel und beider- seitiger intrathorakaler Vagotomie. 8h 25’ Anfang der Beobachtung 9h 00’ ges. 13,0 ccm Magensaft. - Reaktion sauer. Congo schwach + 9 h 5 ” 6, 0 P}) n ti ” er] ” Ir 9 h d 0 n ” 6 I 0 ” ” B7] D)] „ ” Ir ) h d d ” 0 I 7 ” ” » ag ” ” 2 In das Duodenum werden 100 ccm Magensaft eingeführt -10h 00’ Einführung beendet 10h 15’ ges. 0,1 ccm Magensaft. Reaktion sauer. Freie HC1 fehlt 10 h 30 N ) „ ” ” » ” ” ” 10h 45 ” 1,0 er] 2 ” 2 ” » ” 11h 00° 2 1,5 2 P}] ” ” 2 n » Die reflektorische Sekretion des Magensaftes, die ich hier näher erörtern möchte, kann infolge der Reizung von Endigungen der sensiblen Nerven, welche sich in der Magenschleimhaut befinden, zustande kommen. Die Zentren für diese reflektorische Sekretion können, wie Popielski nachgewiesen hat, sich nur in den Magen- wänden befinden. Sawitsch und Zielonyj'), aus der Pawlow’schen 2) W. Sawitsch und G. Zieliony, Zur Physiologie des ‚Pylorus. Pflüger’s Arch. Bd. 150 S. 128. Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. II. 235 Sehule, haben versucht, die Frage nach dem Mechanismus der Sekretion unter dem Einflusse der in den Magen eingeführten Körper in folgender Weise zu entscheiden: Für die Versuche wurde ein Hund vorbereitet, bei dem der pylorische Teil der Magenschleimhaut von dem fundalen getrennt war. In beiden, auf diese Weise getrennten Teilen des Magens waren Metallfistelröhren eingelegt; ausserdem ist eine Gastroenteroanastomose ausgeführt worden. Die Nn. vagi waren nicht durehschnitten. Aus den Forschungen der Pawlow’schen Schule folet, dass der Entstehungsort der sekretorischen Reize für die Tätig- keit der Magendrüsen nicht der fundale, sondern der pylorische Teil der Schleimhaut ist. Die oben erwähnten Autoren haben nun elehlonseh, die Schleim- haut des Pylorus mit 2°/oiger Kokainlösung zu anästhesieren und auf diese Weise gegen die Wirkung eingeführter Körper, welche als Reizmittel für die Magendrüsen gelten, nämlich des Liebig’schen Fleischextraktes und der Essigsäure, unempfindlich zu machen. Die Autoren kommen zu der Schlussfolgerung, dass das Kokain die Wirkung des Liebig’schen Fleischextraktes und der Essigsäure aufhebt. Zwecks Ausschaltung des Einflusses der Verengerung von Blutgefässen auf das Ergebnis der Versuche haben die Autoren gleichzeitig mit dem Liebig’schen Fleischextrakte auch Adrenalin ‚eingeführt, welches jedoch die Wirkung des Liebig’schen Eleisch- extraktes nicht aufgehoben hat. Man kann aber nicht umhin, aus- drücklich zu betonen, dass die Verengerung der Blutgefässe unter dem Einflusse des Adrenalins kurzdauernd und vorübergehend ist, im Gegensatze zur Wirkung des Kokains, das eine viel länger dauernde Verengerung der Blutgefässe verursacht. Schliesslich ist die Sekretion des Magensaftes nur in Versuchen mit dem Liebig’schen Fleisch- extrakte ausgeblieben, in den Experimenten mit der Essigsäure aber wurde nur eine Verringerung der Sekretion beobachtet. In den eben besproehenen Versuchen ist der Umstand von ausschlaggebender Be- deutung, dass die Autoren ihre Versuche am Hunde mit intakten Nn. vagi ausgeführt haben. Angesichts dieser Tatsache erscheint die Einreihung der von ihnen geprüften Körper (Liebig’s Fleisch- extrakt, Essigsäure) in die Reihe der Reizmittel für die Magendrüsen höchst zweifelhaft. Wie oben ausgeführt wurde, genüst schon der mechanische Akt allein, nämlich das Einführen der untersuchten Körper in den Magen-Darm-Kanal, um bei Hunden mit intakten Vagus- nerveneine ausgesprochene Sekretion von Magensaft hervorzurufen. Wie 26 i Z. Tomaszewski: wir weiter unten sehen werden, zeigen sich manche von der Pawlow- schen Schule als starke Reizmittel bezeichnete Körper in den. Ver- suchen an Hunden mit durchschnittenen Nn. vagi als vollkommen unwirksam. Das Ausbleiben oder die Verringerung der Sekretion nach Anwendung von Kokain kann deswegen nur .als Ausdruck . nebensächlicher sekundärer, rein äusserlicher, ausschliesslich mit dem Eingriffe bei der Einführung zusammenhängender Umstände an- gesehen werden. Mit Rücksicht darauf können die Versuche von Sawitsch und Zielionyj für die Frage nach der reflektorischen Sekretion des Magensaftes unter dem Einflusse in den Magen ein- geführter Körper keine beweiskräftige Geltung haben. Selbst- verständlich ist damit noch nicht gesagt, dass die reflektorische Sekretion überhaupt nicht stattfindet; sie ist aber noch nicht be- wiesen. Man muss jedoch schon jetzt irs Auge fassen, dass die in den Magen eingeführten Körper auf folgende Weise wirken können: Gewisse Körper passieren die Zellen der Magenschleimhaut und ge- langen in das Blut; während ihres Durchganges durch die Zellen reissen sie gewisse, in den Zellen vorhandene Körper mit oder bilden aus den Zellkomponenten neue Körper, welche für die Magen- drüsen Reizmittel darstellen. Ähnlich, wie aus den die Drüsenzellen passierenden Blutbestandteilen neue Körper gebildet werden und als Säfte (zum Beispiel Magensaft) nach aussen gelangen, können während des Durchganges der Nahrungskomponenten oder ihrer Produkte durch die Zellen in das Blut Körper vom Charakter der Reizmittel von den Zellen in das Blut mitgerissen oder neu gebildet werden. Diese Anschauung steht im engen Zusammenhange mit der Frage nach der Resorptionsfähigkeit der Magenschleimhaut. Sokolow, der schon oben erwähnte Autor aus der Pawlow’schen Schule, bemerkt aus- drücklich, dass die Verdauungsprodukte der Nahrung und die Extraktiv- stoffe im Magen nicht resorbiert werden und spricht der Magen- schleimhaut jedwede Resorptionsfähigkeit ab. Aus dem Versuche IX der vorliegenden Arbeit folgt, dass die Resorptionsfähigkeit der Magenschleimhaut tatsächlich nur sehr schwach angedeutet ist. In der ersten halben Stunde sehen wir eine Abnahme von kaum 10 ccm Flüssigkeit, was auch von dem Zurückbleiben dieser Menge in den Falten der Magenschleimhaut herrühren kann. Ungeachtet dessen ist die Azidität des in den Magen eingeführten P. W. von 10 auf 65 gestiegen, ein Umstand der auf eine stattfindende Sekretion von Magensaft mit Deutlichkeit hinweist. Pr - Über die chemischen Erreger der Magendrüsen, I. DR Man darf nicht vergessen, dass gleiehzeitig mit der Resorption, also mit der Abnahme der in den Magen eingeführten Flüssigkeits- menge, die Sekretion des Magensaftes erfolgt, was natürlich die Menge der Flüssigkeit vergrössert. Beide Prozesse können gleichen Sehritt halten und einander auf diese Weise aufheben, oder der eine von ihnen kann überwiegen. Durch die einige Male wiederholte Be- stimmung der in den Magen eingeführten Flüssigkeitsmenge kann man also die Frage nach der Resorptionsfähigkeit der Magenschleimhaut nicht entscheiden. Nur die quantitative Bestimmung der zur Unter- suchung verwendeten Körper ist imstande, die oben gestellte Frage genau zu lösen. Bei Anwendung solcher zusammengesetzter Körper, wie P. W. oder Liebig’s Fleischextrakt, ist die quantitative Be- stimmung eine beinahe unausführbare Aufgabe; die Schwierigeiten würden aber entfallen bei Anwendung einfacher Körper, wie zum Beispiel Essigsäure, NaCl, HC] oder anderer. Augenblieklich haben wir keine Beweise, welche entweder die Annahme einer reflektorischen Magensaftsekretion stützen oder andererseits die Annahme der Be- deutung des Resorptionsvorganges widerlegen könnten; beide haben bis jetzt eleiche Berechtigung. Chemische Eigenschaften der im P.W. | enthaltenen Reizmittel. Als diese Reizmittel können weder Peptone noch Albumosen an- gesehen werden. Lobasow!) verwendete zu seinen Untersuchunngen ein 15°/oiges, reines, im Laboratorium von Nencki vorbereitetes Pepton und beobachtete nur eine unbedeutende Sekretion, welche er mit Recht der Wirkung, selbst bei idealer Verarbeitung unvermeidbarer Verunreinigungen zuschreibt. Dass nicht die Albumosen die wirk- samen Körper sein können, kann man den Untersuchungen von Chizin?) entnehmen, der nach Anwendung eines reinen, beinahe ausschliesslich aus Albumosen bestehenden Präparates verschwindend kleine Sekretion beobachtet hat. Den Beobachtungen von Lobasow und Chizin kann deswegen eine Bedeutung beigemessen werden, weil sie an Hunden mit kleinem Pawlow’schen Magen bei voll- 1) Lobasow, l. ce. 8. 72—13. 2) Chizin, Die sekretorische Arbeit des Magens $. 132. Dissertation. St. Petersburg 1914. 38 Z. Tomaszewski: kommen intakter autonomischer Innervation gemacht worden sind. Wir haben gesehen, dass Hunde mit intakten Nn. vagi überhaupt sehr leicht mit Magensaftsekretion reagieren. In den oben angeführten Untersuchungen von Lobasow und Chizin war die Sekretion so gering, dass von einer solchen kaum gesprochen werden konnte, und eben diese Tatsache gibt einen sicheren Beweis dafür, dass die Peptone und Albumosen als Reizmittel für die Magendrüsen keines- falls betrachtet werden dürfen. Über die Wirkung anderer Kom- ponenten des P. W. wird weiter unten ‚bei der Seesen des Liebig’schen Fleischextraktes die Rede sein. Der Liebig’sche Fleischextrakt. Die in der Gestalt von Bouillonen allgemein verwendeten Extraktiv- stoffe spielen in der täglichen Ernährung des Menschen eine bedeutende Rolle. Auf diese Körper richteten die Forscher schon längst ihre Aufmerksamkeit, und es gelang bereits, viele Einzelheiten ihrer Wirkung auf den Organismus aufzudecken. \ Was die Wirkung auf die Magendrüsen anbelangt, wird von allen Autoren ausnahmslos den Bouillonen die Bedeutung starker Reizmittel für diese Drüsen beigemessen. Der Einfluss von Bouillon auf die Sekretion des primären Magensaftes ist bereits oben erörtert worden, und es erübrigt sich, nur näher zu besprechen, welchen Anteil die Bouillon an der zweiten Phase der Sekretion nimmt. Ähnlich wie bei P. W. habe ich mich vor allem damit befasst, die Wirkung der Bouillon auf die Sekretion des Magensaftes vom Darme aus zu prüfen. Dazu verwandte ich 5—10°/oige Lösungen vom Liebig’schen Fleischextrakte. Es hat sich herausgestellt, dass in den Versuchen an Hunden mit intakten Nn. vagi stets die Absonderung des Magensaftes erfolgte, und auch nach Anwendung mit Alkohol vorbehandelter Ex- trakte verringerte sich die Sekretion nicht; die Menge des abgesonderten Saftes schwankte bei einem und demselben Hunde in ziemlich weiten Grenzen. Schon dieser Umstand an und für sich deutet darauf hin, dass die Hauptursache der Sekretion nicht in den chemischen Eigen- schaften der eingeführten Bouillon zu suchen ist, sondern dass sie vielmehr von dem Eingriffe beim Einführen abhängt. Es hat sich tatsächlich herausgestellt, dass nach Durchschneidung der Nn. vagi - Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. II. 29 das Bild der Sekretion, wie es aus den unten folgenden Versuchen ersichtlich ist, sich vollkommen verändert. Zum Vergleiche führe ich zunächst ein Experiment an, welches am Hunde „Zolty I“, zur Zeit, als nur der eine N. vagus durch- schnitten war, angestellt worden ist. Versuch XIV. 7. Juni 1912. Hund „Zolty I“. Mit Magen- und Duodenalfistel. Der eine N. vagus ist am 28. Mai 1912 unterhalb der Pulmonalabzweigungen durchschnitten worden. 8h 80’ Anfang der Beobachtung 8$h 45’ gesammelt 12,0 cem Magensaft Gesamte Azidität 64 9 h 15% er} 12,5 ” ” N 2 64 8 h 30' ” 7,0 „ ”» ” » 50 9 h 45 { ” 10) „ „ ” ”» 59 10h 00’ „ 0,5 $) » „ $)) 49 10h 15' >) 0,7 ” pr} ” p)] 23 10h 30’ % 0,3%, 5 h „ schwach sauer 10 h 45 ’ 2 0,4 ” N Pr} ] pr?) » ” „ 11h 00' 0.2 11h 00’ bis 11h 35’ dauerte die Einführung von 500 cem 5 %o iger Lösung des Liebig’schen Fleischextraktes in das Duodenum 11h 45’ gesammelt 8,5 ccm Magensaft Gesamte Azidität 85 12 h 00° ” 4,5 ” p)) ” ” 65 12 h 15 B7) 19,0 ” ” 2” ” 75 12h 30 ” 24,0 ” ” ” ” 110 124 45’ ” 20,5 ” „ ” 7 110 1 h 00' ” 6,5 ” » ” 2 75 Hı Ds 15 ” 4,0 ” ” e)) ” 65 il h 30 i ” 2,7 ” ” P)] ” 65 Innerhalb 1!/s Stunden sind 89,7 cem Magensaft abgesondert worden. Der Beginn der Sekretion wurde nicht genau bestimmt, ist jedenfalls nicht später als 10 Minuten nach Anfang der Eingiessung von Bouillon in das Duodenum aufgetreten. Am 12. Juli 1912 ist dem obigen Hunde „Zolty I“ vom linken N. vagus am Halse ein 5 cm langes Stückchen reseziert worden. Gleich nach der Operation typische Veränderungen der Atmung, und zwar Verlangsamung auf acht Atemzüge in der Minute. Abends wurden in den Magen 800 cem Wasser eingegossen; am nächsten Tage der Magen ausgespült und abends Bouillonlösung eingeführt. Das Tier er- brieht. ist aber sonst wohl. 14. Juli Magenausspülung; abends wurden 800 cem Milch mit 400 g Weissbrot verfüttert. Kein Erbrechen. 15. Juli Gewicht 25 kg. Kein Erbrechen. Die im Magen in unbedeutender Menge stagnierenden Überreste wurden entfernt, dann der Magen gründlich mit Wasser Ben worauf sofort der V 'ersuch angestellt wurde. 30 Z. Tomaszewski: Versuch XV. 15. Juli 1912. Hund „Zolty I“. Gewicht 25 kg, mit beiderseitiger Vagotomie. 10h 30’ Anfang der Beobachtung 10h 45’ gesammelt 3,0 ccm Magensatt Gesamte Azidität 6 10% 50’ in das Duodenum wurden eingeführt 200 cem 5 °/oiges L. E. Al 05° ” ” ” ” ” 150 er) 5 0/0 iges ».» ln 10' b3) ” e) ” BD) 150 ” 5 0/0 iges MM 11h 10’ gesammelt 3,5 ccm Magensaft Gesamte Azidität 13 ı1h 257 b)] 3,0 ” ” ” 2 16 11h 40’ 5 20, " E | 10 11h 55 ” 4,0 ” ” ” ? h 20 12h 10 ” 3,0 ” ” ” ” 10 12h 25° ” 5,0 ” 2 ” ” 22 lan „ 10 „ » » 20 12h 55' as Y ® : 30 Der Hund schläft während des ganzen Versuches; vor der Ein- führung des Liebig’schen Fleischextraktes dauerte die Sekretion an. Nach ir es war eine unbedeutende Steigerung der Sekretion erst in 1 Stunde festzu tellen, Wenn man aber berücksichtigt, dass vor der Einführung des untersuchten Extraktes in 15 Minuten 3 ccm Magensaft ausgeschieden wurden, so beträgt die Zunahme eigentlich nur 2 cem. Auffallend ist auch die niedrige Azidität des sezernierten Saftes, woraus man schliessen kann, dass wir in diesem Falle mehr mit der Sekretion von Schleim und Speichel als von eigentlichem Masensaft zu tun gehabt haben. Eine ebenso unbedeutende Sekretion beobachtete ich bei dem Hund „Zolty II“ in den Versuchen, die ich nun folgen lasse. Versuch XVI. 13. Februar 1913. Hund „Zolty II“. Gewicht 26 kg, mit Magen- und Duodenal- tistel, Osophagotomie und beiderseitiger intrathorakaler Vagotomie. In die Duodenalfistel werden Katheter eingeführt. sh 45’ Anfang der Beobachtung 9h 20’ keine Sekretion. Reaktion alkalisch. 9h 20°’ wurden in das Duodenum 500 ccm 0,9 P/o iges NaCl eingeführt 9h 45’ die Einführung ist beendet. Keine Sekretion. 10h 00’ aus der Magenfistel gesammelt 0,4 cem alkalischen Schleimes. 10h 15’ 0,0 cem Magensaft 10h 20’ in das Duodenum wurden 250 cem 5%oigen Liebig’schen Fleischextraktes eingeführt. Die Einführung dauerte bis 10h 30’ 10h 45’ gesammelt 0,4 ccm MaBen air Reaktion schwach sauer, viel Schleim. 11h 00’ gesammelt 2,6 ccm Magensaft. Gesamte Azidität 16, Congo 0, viel Schleim. gesammelt 2,0 ccm Magensaft. Gesamte Azidität 16, Congo 0, viel Schleim. ns 11h 15 Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. II. 31 11h 30’ gesammelt 1,5 ccm Magensaft. Gesamte Azidität 12, Congo 0, viel Schleim. 11h 45’ gesammelt 0,5 ccm Magensaft. Reaktion stark sauer, Congo Spur +, viel Schleim. 125 00’ gesammelt 0,5 ccm Magensaft. Reaktion stark sauer, Congo Spur +, viel Schleim. Die überhaupt sehr schwache Sekretion fängt 25 Minuten nach Einführung des Extraktes an. Innerhalb 1!/ı Stunde sind 7,5 ccm schwach sauerer Flüssigkeit mit beträchtlicher Schleimbeimengung ausgeschieden worden. In diesem, ähnlich wie in dem vorigen Ver- suche, haben wir es also nur mit der Sekretion eines schwach saueren Schleimes zu tun, dessen Azidität auf eine gewisse Beimengung des möglicherweise in den Falten der Magenschleimhaut zurückgebliebenen Magensaftes hinweist. Versuch XVII. 27. Dezember 1912. Derselbe Hund „Zolty I“. 10h 00’ Anfang der Beobachtung. 10h 00’ 0,3 ccm Magensaft. Gesamte Azidität 36 10h 45° 0,5 ” ” r) >) 36 11.2500 0,3 ” "» ” ” 36 fin45’02 , j 36 11h 15’ bis 11h 25’ Einführung von 500 eem 10% isen Liebig- schen Fleischextraktes. 11h 25’ gesammelt 0,2 ccm Magensaft. Reaktion sauer 11h 40' . Mose, x Gesamte Azidität 14,3 E55, ” 0,9 ” » » 5) 1 ‚3 12 . 10 ” 1,3 ” ” » ) 14,3 12h 25’ ” 2,3 % b) » ) 40 12 h 40 2 ” 2,5 ” ” ? ’ 48 12h 55° ” 1,5 ” Pr] 2” ” 73 210 » 1,2 ” ” 5) 2) 0 1 h 25' ” 0,6 2 b}) r) 2” 40 1 h 40' ” 0,4 e>] Pr} 2” ” 40 Die Sekretion hat 30 Minuten nach Einführung des Extraktes angefangen und dauerte 1°/a Stunden, wobei 9 cem einer schwach saueren, schleimigen Flüssigkeit ausgeschieden wurden. Versuch XVIII. 13. Januar 1913. Hund „Zolty II“ (derselbe wie oben). Gewicht 26 kg. Um sich zu überzeugen, ob die Nn. vagi vollkommen durchschnitten worden sind, wurde der Hund zuerst mit Fleisch gefüttert; während ein- stündiger Beobachtung trat keine Sekretion auf. In den Magen wurden nun für 5 Minuten 50 ccm 5°/oigen Liebig’schen Fleischextraktes eingeführt; innerhalb "Y/a Stunde trat keine sauere Reaktion auf. Es wurden also um 32 Z. Tomaszewski: 11h 20’ in das Duodenum 500 ccm 5 Joigen Liebig’schen Fleisch- extraktes eingeführt, was bis 11h 30’ dauerte. Es zeigt sich neutral reagierender Schleim. 11h 40’ neutral reagierender Schleim. 11h 55’ 2,3 cem Flüssigkeit. Gesamte Azidität 47 12h 1020 „ 5 ed a & (mit Schleim) , 2 44 19 40085, j nnd 1a „ (mit viel Schleim) „ 5 50 18 al 20 5 z „21 oa, N r 13 1h 40’ nur sauer reaeierender Schleim. 1h 55 er] 2 2 2 Der Anfang der Sekretion fällt zwischen die 25. und 30. Minute; die Ausscheidung dauert 2 Stunden und liefert 16,3 ccm einer schleimigen Flüssigkeit von niedriger Azidität. Der vorhergehende Versuch XVII zeigt, dass Liebig’s Fleischextrakt, in zweimal grösserer Menge und zweimal stärkerer Konzentration als im Versuche XVI an- gewandt, keine ergiebigere Sekretion hervorgerufen hat. Im Ver- suche XVIII wiederum hat die 5%/oige Bouillonlösung sogar zweimal grössere Sekretion verursacht als im Versuche XVII (16,3 und 9 ccm). Die Sekretion in dem nun folgenden Versuche war auch ganz un- bedeutend. Versuch XIX. 15. Januar 1913. Hund „Zolty I“. Gewicht 26 kg (derselbe Hund wie u: sh 00’ Anfang der Beobachtung. Bis 9h 35’ keine Sekretion. 9h 35’ bis 9 55’ dauerte die Einführung von 500 cem 5 °/o igen Liebig’schen Fleischextraktes in das Imtanan 10h 10’ gesammelt 0,3 ccm 10h 25’ h 1, ‚ „ mit Schleim. : Reaktion neutral 105 40' „ Gesamte Azidität 8 1,3 10h 55' h 2,6 „ mit Schleim. Gesamte Arzidität 16 ulm » 2,4 )) B) ” ” 12 11h 25’ „ IE RN. N Reaktion sauer 11h 40' 1 1 11h 55. Wenn als Anfang der Sekretion der Zeitpunkt des Erscheinens der saueren Reaktion angenommen wird, dann fällt der Anfang erst auf das Ende der ersten Stunde nach der Einführung’des Extraktes; die Ausscheidung dauert somit 1!/a Stunde, wobei im ganzen 12,1 ccm einer schleimigen, schwach saueren Flüssigkeit abgesondert werden. Ausser den oben angeführten Versuchen verfüge ich über einige Versuche an demselben Hunde „Zolty II“, in welchen eine zwei bis dreimal grössere Ausscheidung festgestellt werden konnte. Über die chemischen Erreger der Magendrüsen, I. 3 (eV) Versuch XX. 20. Januar 1913. Hund „Zolty II“ (derselbe wie oben), mit beiderseitiger intra- thorakaler Vagotomie. 8h 15’ Anfang der Beobachtung 8h 45’ gesammelt 0,6 ccm Gesamte Azidität 20 gh 15° 2» 0 „E 2 2 ”» 20 9h 30' 0,3 ENG 9h 30' Hinführung in das Duodenum Sen 500 cem 5 Joi igen Liebig- schen Extraktes. 9h 45’ die Einführung ist beendet 10h 00’ gesammelt 0,2 cem Gesamte Azidität 28 10h 15’ Bi 05, x 28 10h 30’ s oe eines dicken Schleimes. Gesamte Azidität 50 10h 45’ 10,0), Gesamte Azidität 90 11h 00’ A ; u 11 h 15' ” 4,0 ” ” 2 80 IEh 30' : » 2,0 $)) ” » 80 a 0 16., \ 0 12h 00' ” 0,6 » B) ” 86 12h 15’ RES) LURlN 33 12h 30' ; 0,2 „ Schleim bei niedriger Azidität. Als auffallendes Ergebnis des angeführten Versuches muss hervor- sehoben werden, dass die Sekretion, die 1 Stunde nach Einführung des Extraktes in das Duodenum angefangen hat, beinahe ihr Maximum schon in der ersten Viertelstunde erreicht hat; auf dieser Höhe ver- bleibt sie noch während der nächsten 15 Minuten und fällt auf den ursprünglichen Wert in den folgenden zwei Viertelstunden. Ähnlich hohe Sekretion wurde in den folgenden Versuchen XXI und XXII beobachtet. Versuch XXI. 10. Januar 1913. Hund „Zolty II“ (derselbe wie. oben). Vor dem Versuche wurde der Magen ausgespült. 8h 00’ Anfang der Beobachtung 8h 15’ gesammelt 0,7 cem Gesamte Azidität 5 8h 30' 2 0,5 » P7] » 5) . &h 45° ” 0, 3 RN » b) 5) 9h 00' 0,2 b) 9h 07' Anfang der Einführung von 500 ccm 5 Ooigen Liebig’schen Extraktes. 9b 30’ die Einführung beendet. 9h 20’ gesammelt 0,3 ccm Gesamte Azidität 14 9h 35" b}] 0,4 ” : ” 2 et 9h 50' ” 9,5 P)) ” p)) 76 10h 05° ” 11,0 2 ” » s0 10h 20’ a AND r BRNN 82 (Schleimbeimengung) 10h 35’ h DLR, E 2 84 (Brechraiz) Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171, 3 34 Z. Tomaszewski: 10h 50’ gesammelt 6,5 ccm Gesamte Azidität 96 11h 05’ R Ne GH 11h 20' N OSTERN \ Bea un 5 ON N Y 5 10 11h 50’ i Or 1 en) 12h 05' h Des i E 8 Die Sekretion hat sich 40 Minuten nach Anfang der Einführung des Extraktes eingestellt und dauerte 1!/a Stunde; die Gesamtmenge des abgesonderten Saftes beträgt 41,4 ccm. Auch in diesem Versuche fällt es auf, dass die Sekretion bereits in den ersten 15 Minuten bei- nahe auf die maximale Grösse (9,5 ccm) steigt und in der nächsten Viertelstunde das tatsächliche Maximum von 11 ccm erreicht; das - Fallen bis heinahe auf die ursprüngliche Höhe vollzieht sich in den nächsten drei Viertelstunden. Den nächstfolgenden Versuch führe ich wegen eines Umstandes, welcher für die weiteren Erörterungen von besonderer Wichtigkeit ist, an. Versuch XXI. 7. Januar 1913. Hund „Zolty II“. 8b 00’ Anfang der Beobachtung. &h 15’ gesammelt 0,2 ccm. Spur sauerer Reaktion 8 h 30' n 0,1 n 2 2 n 8h 45 i ” 0,1 7 » 2 22] 9h 00' 0,1 2” » 2 n &) h 15' ” 0,2 ” 2 2 n o) h 30' 283 0,1 2 2 2 ” g9h 45' 0,0 ” er] ” 2 ” 9h 50’ bis 10h 05’ dauert die Einführung von 500 eem 5 %o igen Liebig’schen Extraktes in das Duodenum. Von der ein- geführten Flüssigkeit gelangen in den Magen etwa 10 cem. Der Magen wurde unverzüglich mit Wasser ausgespült. 10h 50’ gesammelt 10,0 ccm Gesamte Azidität 56 11h 05° )) 12,0 br] ” er} ] 98 11h 20’ ” 7,5 ”» »” 2 110 11h 35’ j AN ; \ 95 11h 50’ i 17ER ; N 73 12h 05’ 5 7a - \ 58 ee s 54 12h 35’ A Wr e S 52 12h 50 » 0,3 , » » 34 Der Beginn der Absonderung lässt sich nicht genau bestimmen; jedenfalls ist er nicht vor 40 Minuten nach Einführung des Extraktes aufgetreten. Das Maximum fällt auch in diesem Versuche auf die zweite Viertelstunde; in der ersten wird eine der maximalen sehr nahe liegende Saftmenge abgesondert. Die Sekretion dauerte 2 Stunden. Die Gesamtmenge des abgesonderten Magensaftes beträgt 38,9 cem. Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. I. 35: Die in jedem der drei letzten Versuche ausgeschiedene Saftmenge ist zwar nicht gross, beträgt aber doch das 2—3!/2fache jener Quan- tität, die in den ersten Versuchen festgestellt worden ist. Die Ur- sache dieser Differenz lässt sich nicht auf die Degeneration der sekretorischen Nervenfasern zurückführen, weil in den Versuchen vom Dezember die Sekretion geringer war als in den im Januar 1913, also später angestellten, Experimenten. Wir dürfen aber vermuten, dass die erwähnte Steigerung der Sekretion durch das Übergehen der Bouillon vom Duodenum in den Magen bedingt ist, was zunächst in dem Versuche XXII sichergestellt wurde, in den anderen zwei aber der Aufmerksamkeit leicht hat entgehen können. Aus der weiteren Folge dieser Arbeit wird sich ergeben, dass die Bouillon von der Magenschleimhaut aus tatsächlich eine ausgiebige Sekretion des Magen- saftes anrest. Die Beeinflussung der Sekretion des Magensaftes durch die Bouillon vom Darme aus ist, wie die oben angeführten Versuche beweisen, jedenfalls unbedeutend: die Sekretion beschränkt sich nur auf gesteigerte Absonderung eines schwach saueren Schleimes. Diese Sekretion lässt sich nicht als ein nervöser Reflexvorgang erklären, weil sie sich ziemlich spät, vielfach erst 1 Stunde nach Einführung des Extraktes, einstellt. Wir glauben diese Sekretion auf folgende Weise zu erklären. Nach Einspritzung von Atropin bleibt die Sekretion der saueren Flüssiekeit, auch beim Hunde mit intakten Nn. vagi, vollkoınmen aus, wie dem folgenden Versuche zu entnehmen ist. Versuch XXIII. 20. Juni 1912. Hund Zolty Il“. Gewicht 25 kg. Mit Magen- und Duodenal- fistel. Nn. vagi erhalten, nicht durchschnitten. Vor dem Versuche wird der Magen durchspült, in das Duodenum, wie üblich, zwei Katheter hineingeschoben. 9h 00’ Anfang der Beobachtung 9h 15’ gesammelt 4,5 cem g9h 30’ Ira“ gh 45’ DR 9h 47’ subkutane Einspritzung von 10 ccm 0,1 /o igem Atropin. sulf, (— 0,1 cem Atropin. sulf.). 105 00’ gesammelt 5,0 cem Pupillen weit 10h 15’ B 0,8 „ Reaktion sauer 10h 30° » 0,3 2 » » 10h 30' bis 10h 35’ dauert die Einführung von 500 ccm 5 /o igen Liebig’schen Extraktes in das Duodenum. 5*+ 36 it .. 2. Tomaszewski: 10h 45’ gesammelt 0,1 ccm: Reaktion alkalisch. a 0 11h 30’ na 11h 45’ 0,2 „ der Hund ist sehr unruhig. Aus der Magenfistel entleert sich alkalischer Schleim in geringer Menge. ‘ Aus diesem Versuche ergibt sich, dass die Sekretion des Magen- saftes ausbleibt und nur ganz unbedeutende Sekretion eines alkalischen Schleimes weiter vor sich geht. Bei dem zum vorliegenden Versuche verwendeten Hunde „Zolty I“ ist die Ösophagotomie nicht aus- geführt gewesen, und deswegen konnte der Speichel sehr leicht in den Magen gelangen, besonders während des nach Einführung einer grösseren Menge Flüssigkeit in das Duodenum nicht selten einen lien Er- brechens. Wenn wir diesen Umstand berücksichtigen, können wir annehmen, dass die wirklich aus dem Magen stammende Menge des Schleimes nur ganz unbedeutend ist. Da das Atropin die Speichelsekretion aufhebt, kann die nach Atropininjektion dennoch aus der Magenfistel sich absondernde schleimige Flüssigkeit nur in den Drüsen der Magen- schleimhaut ihren Ursprung haben. Die oben angeführten Versuche berechtigen auch zu der Folgerung, dass die in den Darm eingeführte Bouillon von hier aus auf die Se- kretion des Magensaftes ohne Einfluss bleibt und nur eine unbedeutende Sekretion von Schleim anregt. Diese Beeinflussung der Schleim- sekretion ist nicht durch die im Liebig’schen Extrakte enthaltenen Salze bedingt, da im Versuche XXIV vom 28. Juli 1912 am Hunde „Zolty I“ nach Einführung in das Duodenum von durch Verbrennung einer gewissen Quantität des Liebig’schen Extraktes gewonnenen Salzen keine Sekretion des Magensaftes beobachtet wurde. Extrahieren des Liebig’schen Extraktes mit Methyl- oder Äthylalkohol (Schüttel- extrakt) verändert die Art seiner Wirkung nicht, und es stellt sich auch jetzt nur die Sekretion einer schleimigen, schwach sauren Flüssigkeit ein. | Der nach vorangehender Vorbehandlung des Liebig’schen Ex- traktes mit kolloidalem Eisen gewonnene Phosphor-Wolframsäure- Niederschlag verursacht ebenso nur eine unbedeutende Sekretion. Die Einführung des Liebig”schen Fxtraktes in den Mastdarm bleibt auf die Sekretion des Magensaftes vollkommen ohne Einfluss, was sich aus dem folgenden ana ergibt: Versuch XXV. 15. Februar 1913. Hund „Zolty II“, mit Magen- und Duodenalfistel. Beider- seitige Vagotomie. Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. I. 37 8h 30’ Anfang der Beobachtung. 9h 00’ gesammelt 0,2 cem 9h 15’ RO Be: ..0,0.°, 9h 45’ N DER 10h 00’ x DEE, 10h 15’ 0, 10h 30’ in den Mastdarm werden 100 ccm 5 Joigen Liebig’schen Extraktes eingeführt. 10h 40’ dasselbe (100 ccm 5 Joiger Liebig’scher Extrakt) 10h 55’ gesammelt 0,1 cem alkalischen Schleimes; Einführung in den Mastdarm wie oben (100 ccm 5 oiger Liebig’scher Extrakt). 1 n 0,0 „ Einführung in den Mastdarm wie oben (100 cem 5 /oiger Liebig ’scher Extrakt) 116 15’ »...00 „ alkalischen Schleimes; Einführung in den Mastdarm wie oben (100 ccm 5 loiger Liebig’scher Extrakt). 12h 15' x 0,0 „ alkalischen Schleimes. Es war nun erforderlich zu prüfen, welchen Einfluss auf die Sekretion die in den Magen eingeführte Liebig’sche Bouillon aus- üben wird. Für die diesbezüglichen Versuche wurden Hunde mit „kleinem“ Heidenhain’schen Magen gewählt. Die Isolierung des Magens vom Darme war nicht nötig, da, wie wir gesehen haben, der Liebig’sche Extrakt vom Darme aus eine minimale und selber dann nur eine Sekretion eines schwach saueren Schleimes anregt. Über den Charakter und die Grösse der Sekretion geben uns die folgenden Versuche Aufschluss: Versuch XXVI. 15. April 1912. Hund „Bulany“, mit „kleinem“ Heidenhain’schen Magen. 9h 15’ Anfang der Beobachtung. N 9h 30’ gesammelt 0,4 cem Magensaft. Nach einem Tropfen mal roter Farbenumschlag ‚ ? N 9h 45 0,7 Nach einem Tropfen Tg NaOH roter Farbenumschlag 9h 45’ in den Magen werden mittels Schlauches 500 ccm 5 Yo igen Liebig’schen Extraktes hineingegossen. 10h 00’ gesammelt 0,8 cem Magensatt Gesamte Azidität 8 10h 15' b] 8,0 ” ” 2 n 101 10h 30° 5 10,0 , ; . a) Mau LS, } Ä „150 : 4 ; „ 150 0... 3,5 38 Z. Tomaszewski: 11% 15’ gesammelt 2,7 cem Magensaft. Gesamte Azidität 133 11 ı 30’ ” 1,5 ” r2) ” 2” 93 11 2 45 $}) 1,4 $}) ” ” ” 70 12 = 00' ” 1,2 PP] N „ ” 40 12 2 15 ” 0,4 ” ” ” b)) 25 12 1 30 $)) 0,2 ” ” ” ” 15 Da As a 0,05 Die Sekretion setzte ungefähr 20 Minuten nach Einführung der Bouillon in den Magen ein, erreichte das Maximum in der dritten und vierten Viertelstunde und ging allmählich innerhalb der folgenden fünf Viertelstunden bis auf die ursprünglichen Werte herunter. Die Gesamtdauer der Ausscheidung betrug 1 Stunde 55 Minuten, die Ge- samtmenge des abgesonderten Saftes 41,2 ccm. Die mittlere Azidität dieses Saftes ist hoch, die höchsten Werte entfallen auf die zweite, dritte und vierte Viertelstunde. Von besonderem Interesse ist aber die Tatsache, dass der im angeführten Versuche nach Einführung der Bouillon in den Magen festgestellte Sekretionstypus mit demjenigen beinahe identisch ist, der am Hunde „Zolty II“ in jenem Versuche beobachtet wurde, wo nach Einführung der Bouillon in das Duodenum die Sekretion aufgetreten ist. Diese Tatsache beweist auch, dass die Erklärung, die ich für die gesteigerte Sekretion in dem genannten Versuche abgegeben habe, tatsächlich auf Richtigkeit beruht. Ein ähnlicher Sekretionstypus wurde bei dem Hunde „Bialy“ im Versuche XXVII festgestellt. Versuch XXVII 4. Mai 1912. Hund „Bialy“, mit dem „kleinen“ Magen nach Heidenhain. Gewicht 21,700 ke. 9b 00’ Anfang der Beobachtung. 9b 15’ gesammelt 0,6 cem Magensaft. Gesamte Azidität 55 9 a 30 ' ” 0,2 Pr] n ” » BR 9 > 45 ” 0,6 » 2 ” 2 59 10 > 00 ” 0,2 ” ” ”» ” BR) 10 E 15 £ ” 0,4 Pr] ” 2 » 59 10 Hi 30 | 2 0,2 ” ” ” ” 55 10 » 45 ” 14 ” e7] ” ” 55 all 00' „ 2,0 ” 47) ” 2 55 Ink 15' p>] 1,7 P>) ” Pr] 2 59 ar h a0 & in den Magen werden mittels einer Gummisonde 500 ccm 5%oigen Liebig’schen Ex- { traktes eingegossen. 112 45) N ar), „... Gesamte Azidität 145 1200 ) AD) 2 » e) 155 12 2 15 ; „ 24,5 £)] ” ” 2 155 al 5oN, \ 3 28150 12 2 45 f » 2,0 p)} ” e) ” 150 Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. II. 39 14 00’ gesammelt 1,0 ccm Magensaft. Gesamte Azidität 100 1 N 15 { ” 0,7 2» P)] ” ” 60 10 30' 2 Aal ” 2 ” ” 25 Die Sekretion des Magensaftes stellte sich bereits in der ersten Viertelstunde ein und erreichte im Verlaufe der nächsten 15 Minuten das Maximum; die Quantität des in der dritten Viertelstunde ab- gesonderten Saftes bleibt nur wenig hinter der maximalen Sekretion zurück, geht aber schon in der vierten Viertelstunde plötzlich auf einen fünfmal kleineren Wert herunter. Die eigentliche Ausscheidung dauerte nicht ganze vier Viertelstunden und lieferte 73,3 ccm Magensaft. Was den Mechanismus der Sekretion anbelangt, können wir das Eine als sichergestellt betrachten, dass die in das Blut resorbierten Komponenten des Liebig’schen Extraktes auf die Sekretion keinen Einfluss ausüben; diese Tatsache ist dadurch bewiesen, dass nach Einführung der Bouillon in den Darm, wo hauptsächlich die Resorption stattfindet, die Sekretion des saueren Magensaftes nicht auftritt. Die Erklärung für den Sekretionsmechanismus können wir also nur in diesen zwei Vermutungen suchen, welche wir schon oben, bei Be- sprechung von Pepton Witte, aufgestellt haben. Für die reflektorische Sekretion unter dem Einflusse des Liebig’schen Extraktes dürfte diese Tatsache sprechen, dass die Absonderung ziemlich schnell nach Einführung des Extraktes einsetzt und verhältnismässig kurz dauert. Eine entscheidende Bedeutung kann aber dieser Tatsache nicht bei- gemessen werden. Chemische Eigenschaften des wirksamen Körpers im Liebig ’schen Extrakte. Der Liebig’sche Extrakt ruft eine bedeutende Sekretion von Magensaft hervor. Unter den Einflusse von 25 g dieses Extraktes wurden aus dem „kleinen Magen“, der bei unseren Versuchstieren ungefähr den siebenten Teil des ganzer Magens ausmacht, bei dem 21,7 kg schweren Hunde 71,5 cem Saft abgesondert; die Sekretion aus dem ganzen Magen innerhalb von 1"/e Stunden lässt sich auf 71,5 :7=500,5 cem, also eine grosse Menge, berechnen. Es be- ansprucht deswegen ein besonderes Interesse, den Charakter dieses die Sekretion so ‚mächtig anregenden Körpers zu bestimmen. Die Bearbeitung (Reinigung) des Extraktes mittels kolloidalen Eisens schwächt die Wirksamkeit des Extraktes 1!/amal ab, wie aus den folgenden zwei Versuchen zu schliessen ist. 40 Z. Tomaszewski: Versuch XXVII. 6. Mai 1912. Hund „Bialy“, mit dem Heidenhain’schen Magen. 94 00’ Anfang der Beobachtung. 9b 15’ gesammelt 1,6 ccm Magensatt. SI 30" ” 1,5 2 ” gu 45’ og , gu 50’ ee) 2 9% 51’ wurden in den grossen Magen mittels Gummischlauches 500 cem 5°/)oige Liebig’sche Bouillon, welche mit dem kolloidalen Eisen gereinigt worden ist, eingegossen. 10% 00’ gesammelt 3,0 ccm Magensatt. KON DR 1 11,5 105 36’ a a a 108 517 ” 6,0 2 2 11% 06’ x 30, ala y Da 115367 e Di » 1a ; No a0: 1lealı 06’ ” 1,6 PP] br) 122 21° e)] 1,5 ” pr} ] 126 36’ 4 10,38 124 5 5 0,2 P7] 2 Die in 2 Stunden abgesonderte Saftmenge beträgt 43,2 ccm, es entfallen demnach auf 1 g des Extraktes = — elarcemE Versuch XXVIII. 18. Juni 1912. - Hund „Bialy“, mit dem Heidenhain’schen Magen. Gewicht 2ileniake: 8" 55’ Anfang der Beobachtung. 9h 10’ gesammelt 1,6 ecm Magensaft. Gesamte Azidität 35 >>, » 0,6 » » ” » 40 U > ) 0,4 » » ” 5) 40 9% 55 ; ” 0,5 ” ” ” “ ” 40 10" 10 ) 1,0 ” 2) ” bi) 40 10% 25 ' ” 1,1 » D) b) ” 40 10% 85 06 40 2 2 2, ” ” 5 10% 35’ wurden in den Magen mittels Gummischlauches 400 ccm 5°/oigen, mit kolliodalem Eisen möglichst genau gefällten Liebig’schen Extraktes eingegossen. 10% 50’ gesammelt 8,8 cem Magensaft. Gesamte Azidität 100 11» 05’ ” 19,0 ” ” e) 5) 130 112202 BD) 4,2 » ” 2 » 112 13 35 » 1,6 e)) n) ” » 93 1109504 „ 0 » » » 60 12% 05° » 0,8 » 5) e) 7) 37 12% 20’ 2) 1,6 en) R) ” =) 75 Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. II. 41 Die in 2 Stunden abgesonderte Saftmenge beträgt 40 ccm; auf 1 g Extrakt entfallen somit 2 cem. Dass die Sekretion unter dem Einflusse des mit kolloidalem. Eisen gefällten Extraktes weniger aus- siebig ist als nach Anwendung des nicht gefällten, lässt sich damit erklären, dass die genaue Auswaschung des sehr reichlichen Keine schlages "beinahe och ist. Der wirksame Körper wird aus der Bouillon durch die Phosphor- Wolframsäure ausgefällt, wie uns der nun folgende Versuch überzeugt. versuch XXIX 19. Jun 1919. Hund „Bialy“ mit dem Heidenhain’schen Magen. Gewicht 21,700 ke. 8b 50’ Anfang der Beobachtung. 94 05’ gesammelt 0,8 ccm dicken Schleimes. Gesamte Azidität 8 94 20’ ” 1,2 ” ” 2 ” 8 SuT50 5 0, E 3 Reaktion neutral 95 50’ in den Magen wurden mittels Gummischlauches 500 ccm des aus 16 g Liebig’schen Extraktes gewonnenen Phosphor- Wolframsäure-Niederschlages eingeführt. 10% 05° gesammelt 1,0 ccm Magensaft. Gesamte Azidität 80 104 30’ 210,0 = x B 130 102 35’ ” 3,5 » = ” ” 130 102.50 ” 1,5 2) a » ” 76 Jaleı 05’ 2 0,6 ” » Pr] ” 66 11& 20’ an VaBanı 5 y a 230 118 357 i LE): 320, 5 . i 15 In 2 Stunden sind im ganzen 23,6 ccm. Magensaft gesammelt worden; auf 1 des Liebig’schen Extraktes entfallen also in diesem Falle 1,5 ccm Magensaft. Bei Anwendung des nicht gefällten Ex- traktes ergab die Umrechnung auf 1 g Liebig’schen Extrakt eine Ab- sonderung von 1,73—2,0 ccm. Bei Bearbeitung des Liebig’schen Extraktes mit 75 —80 °o Alkohol geht der wirksame Körper vollständig in das Filtrat über. Den Beweis dafür finden- wir im Versuche XXX, für welchen die Liebig’sche Bouillon auf folgende Weise vorbereitet wurde: 50 g Liebig’scher Extrakt wurde mit 80°/o Alkohol behandelt, der alkoholische Extrakt durch Destillation von Alkohol befreit und der Rückstand in 500 cem Wasser gelöst (= 10°) Lösung des Liebis- sehen Extraktes). Versuch XXX. 10. Jüni 1912. Hund „Bialy“ mit dem Heidenhain’schen Magen. 8% 25° Anfang der Beobachtung. 8» 40’ gesammelt 1,4 cem Magensaft. Gesamte Azidität 35 . a 0,1 | 14 ” ” ” ” ” 42 Z. Tomaszewski: 9b 10’ gesammelt 0,2 cem Magensatt. Gesamte Azidität 14 5) 5 25 \ ” 0,2 ” ” 2” ” 14 9 a 40 Ä ” 0,5 ” ” 2ER ” 14 I a 25) { ” 0,2 ” ” ” 2 14 10% 10' u RD 14 ” ” 2 »10% 12’ wurden in den Magen 500 cem 10 %oigen, in obiger Weise mit 80°o Alkohol vorbehandelten Liebig’schen Extraktes eingeführt. 10% 25’ gesammelt 12,6 ccm Magensaft. Gesamte Azidität 125 102 40' h 20,008 Ä, s , 160 101 55 ” 31,5 ” 2 2 2 155 Ahle 10, ” 16,5 ” 2 P}] 2 155 de = 25 ; ” 4,0 ” ” ” ” 130 11 a 40 | ” 3,0 ” ” b}] ” 100 el u 55 e>] 2,3 2 2 ” ” 88 12% 10' a6; N 81 7 ” Die Gesamtmenge des in 2 Stunden abgesonderten Saftes beträgt 97,7 ccm; auf 1 g Liebig’schen Extrakt entfallen demnach beinahe 2 ccm, worin wir den Beweis finden, dass der wirksame Körper in den 75—80 Y/oigen Alkohol vollständig übergeht. Um aber den wirk- samen Körper in möglichst reinem Zustande zu gewinnen, wurde der Liebig’sche Extrakt einer komplizierten Behandlung, welche im folgenden beschrieben wird, unterzogen: 25 g Liebig’scher Extrakt wurden zunächst mit kolloidalem Eisen gefällt, das Filtrat nach vorhergehender Einengung im Wasserbade mit H,SO, bis zur saueren Reaktion versetzt und mit Phosphor- Wolframsäure gefällt. Nun wurde der Phosphor-Wolframsäure-Nieder- schlag mit Bariumhydroxyd zersetzt, der Überschuss von Barium teil- weise mit CO, (aus dem Kipp’schen Apparate), teilweise mit ver- dünnter H,SO,, der Überschuss an H,SO, mit verdünnter Natr.- bic.-Lösung neutralisiert. Das auf 100 ccm eingeengte Filtrat wurde jetzt mit vierfacher Menge absoluten Äthylalkohols behandelt, filtriert, aus dem Filtrate der Alkohol verjagt und in einer Hofmeister’schen Schale abgedampft. Nach Austrocknung bei 105° C. während 4 bis 5 Stunden im Trockenschranke habe ich die Schale genau pulverisiert und durch 12 Stunden im Schüttelapparate mit absolutem Äthyl- alkohol ausgeschüttelt. Ein anderes Präparat wurde, nachdem die Bearbeitung auf obige Weise erfolgt war, mit Methylalkohol aus- geschüttelt. Nach Abfiltrierung wurde der Alkohol verjagt und der im Wasser gelöste Rückstand zu den Versuchen XXI und XXIH verwendet. Versuch XXXI 24. Juli 1912. Hund „Bulany“ mit „kleinem“ Magen nach Heidenhain. Gewicht 21,700 kg. 85 30’ Anfang der Beobachtung 8h 45’ gesammelt 0,5 ccm Magensaft Gesamte Azidität 40 3 00° ” 0,9 » ” ” » 40 95 00’ wurden in den Magen 400 ccm eines auf oben beschriebene Weise aus 25 g Liebig’schen Extraktes hergestellten, mit Äthylalkohol ausgeschüttelten Präparates eingeführt. Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. I. 43 95 15’ gesammelt 3,0 ccm Magensaft. Gesamte Azidität 100 SE 30 { ” 0! ” ” Pr] 2” 120 9 " 45 ” 1 R] 2 ” ” 123 10% 00' ” 4,0 ” 2 ” ” 123 10 » 15' 2” 2,0 ” » 2 = 120 DT: 30' » 0,5 ” 1 2 ” 100 10% 45 h ” 1,0 n ” - 2” ” 80 B) ” ” ” ” 52 11% 00' 0, 9) Innerhalb von 2 Stunden sind 19,8 ccm Magensaft aufgefangen worden. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Fällung mit kolloidalem Eisen und Phosphor-Wolframsäure die ursprüngliche Wirksamkeit des Extraktes ungefähr auf die Hälfte vermindert, glauben wir aus dem obigen Versuche schliessen zu dürfen, dass der Äthyl- alkohol den wirksamen Körper vollständig auflöst. Bei demselben Hunde sind nach 25 g Liebig’schen Extrakt 41,2 ccm Magensaft aus- geschieden worden, die Hälfte (20,1 ccm) entspricht beinahe genau der im letzten Versuche, unter Voraussetzung der zweimal schwächeren Wirksamkeit des Extraktes gewonnenen Saftmenge von 19,8 ccm. Versuch XXXII. 25. Juli 1912. Hund „Bulany“, mit „kleinem“ Heidenhain’schen Magen (der- selbe wie oben). 8% 15’ Anfang der Beobachtung. 8% 30’ gesammelt 1,1 ccm Magensatft. Gesamte Azidität 40 8 " 45 } ” 0,5 ” ” 2 40 9 u 00' 2 0,6 ” 2 2) ” 40 9 2 15 B2) 0,4 ”» » ” ” 40 I h 30 ' 2 0,4 ” ” 2 2” 40 I R 45 2 0,5 ) ” B2] 40 2 2” 9h 45’ in den Magen wurden 450 ccm eines auf obige Weise aus 25 g Liebig’schen Extrakt hergestellten, mit Methylalkohol ausgeschüttelten Präparates eingeführt. Der Hund erbricht davon 50 ccm. 10% 00’ gesammelt 2,0 ccm Magensaft. Gesamte Azidität 40 107715, 2) 9,9 ” » ) ” 100 10% 30' n 1,2 D) ” ” 5) 116 Numyas, „ 0,8 ” ” „ b) 100 11» 00° ” 1,5 ” » b) 5) 60 Li dan » 1,8 ” ) ” ” 83 11% 30: » 1,0 D) BD) ” D) 60 11" 45' ” 0,5 D) ” ” )) 40 12» 00’ » 0,6 "» » ) e) 30 12% 15’ D) 0,2 » ” ” ) 20 Die in 2 Stunden sezernierte Saftmenge beträgt 14,3 cem. Bei der Beurteilung dieses Extraktes muss in Betracht gezogen werden, dass der Hund 50 ccm des ihm in den Magen eingeführten Extraktes erbrochen hat; wäre das nicht der Fall gewesen, dann müsste die ausgeschiedene Saftınenge entsprechend mehr, und zwar 17,9 ccm be- 44 Z. Tomaszewski: tragen. Diese Zahl nähert sich aber sehr jener, welche wir im vorigen Versuche mit dem mittels Athylalkohols gewonnenen Schüttel- extrakte festgestellt haben. Auf Grund obiger, experimentell erhobener Befunde kann als sichergestellt betrachtet werden, dass das Xantin, Hypoxantin, Carnin und Sarein als in Alkohol unlösliche Extraktivstoffe den wirksamen Körper des Liebig’schen Extraktes nicht darstellen können. Das- selbe kann mit höchster Währscheinlichkeit auch vom Kreatinin gesast werden, das zwar in Alkohol — jedoch nur schwer — löslich ist; ein Teil dieses Körpers löst sich erst in 625 Teilen Alkohol. Lobasow!) hat mit Lösungen obengenannter Extraktivstoffe, deren Menge den Gehalt an diesen Substanzen in 10 & Liebig’schen Extraktes um vieles überstieg, experimentiert und keine Sekretion des Magensaftes beobachtet. Da Lobasow seine Versuche an Hunden mit Pawlow- schem Magen, also bei intakten Vagusnerven, angestellt hat, kann dem negativen Ergebnisse seiner Untersuchungen die entscheidende Be- deutung einer wirklich existierenden Tatsache beigemessen werden. Ebensowenig können auch die in Alkohol unlöslichen Albumosen den wirksamen Körper bilden, und auch die in Methylalkohol unlöslichen Peptone fallen ausser Betracht. Es bleiben aber noch die anorganischen Substanzen, welche ähnlich wie beim P. W. berücksichtigt werden müssen. Manche von diesen Körpern haben sich durch die Arbeiten der Pawlows’chen Schule den Namen nicht nur sicherer, sondern sogar starker Reizmittel für die Magendrüsen erworben. Das Wasser ist nach Pawlow ein allerdings schwaches, aber sicheres Reizmittel für die Magendrüsen?). Zur Reihe starker Reiz- mittel gehört Kochsalz ebenso wie Essigsäure, Buttersäure und Seifen; hier zählen auch der Pankreassaft und die Galle; die Liste dieser Reizmittel ist jedoch damit sicher noch nicht vollständig. Die Befunde der Pawlow’schen Schule, durch welche genannte Körper als Reizmittel für die Magendrüsen anerkannt wurden, sind an Hunden mit intakten Nn. vagi erhoben worden, und deswegen muss es als höchst zweifelhaft erscheinen, ob diese Körper in Wirklich- ‘ keit die Eigenschaften von Reizmitteln besitzen und als’soiche wirken können. l) Lobasow, l.c. 8.832. 2) Zielonyj, Zur Physiologie der Magendrüsen. Arch. biol. de l’Institut de med. exper. a St. Petersbourg t. 17 fasc. 5. (Russisch.) ’ Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. II. 45 Es ist schon oben gezeigt worden, dass jede Berührung des Magen-Darm-Kanals, jeder, sogar sehr entfernte Eingriff oder jede mit der Fütterung des Tieres im Zusammenhange stehende Handlung sofort die Magensaftsekretion auf psychischem Wege anregen. Dieser un- fassbare und schwer kontrollierbare psychische Moment ist die Ursache, dass ein und derselbe Körper einmal als Reizkörper für einen, den das andere Mal wiederum für einen anderen Teil des Magen-Darm-Kanals angesehen wurde. Das Fett zum Beispiel wurde anfanes als die Sekretion des Magensaftes hemmendes (Chizin, Lobasow) und die des Pankreassaftes anregendes Reiz- mittel (Damaskin) betrachtet. Da diese Befunde mit der Theorie der zweckmässigeen Anpassung im Einklang. stehen, wurden sie von der Pawlow’schen Schule als absolut sicher anerkannt. In einer hervorragenden Arbeit über den Einfluss der Fette auf die Sekretion des Pankreassaftes hat aber Studzinski einwandfrei nachgewiesen !), dass Neutralfette vollkommen gleicheültige, die sekretorische Tätigkeit der Pankreasdrüsse in keinerlei Weise be- einflussende Körper sind. | Vom genannten Autor ist auch ferner nachgewiesen worden, dass das Neutralfett die Magensaftsekretion in hemmender Weise nicht zu beeinflussen vermag?) Die Pawlow’sche Schule hat endlich auch selbst anerkannt, dass die Fette vom Magen aus eine Wirkung im hemmenden Sinne nicht ausüben, und dass nur vom Darme aus die Hemmung der Magensaftsekretion infolge Einwirkung . dieser Körper erfolgen kann. Wirschubski weist diesen Ge- danken vollständig zurück. A. Sokolow behauptet aber, dass die Fette doch imstande sind, eine Wirkung vom Darme aus auszuüben, und teilt sie in zwei Phasen ein, und zwar, in die erste, in der die Sekretion des Magensaftes gehemmt, und in die zweite Phase, in der sie in förderndem Sinne beeinflusst wird. Auch Piontkowski betrachtet die Fette insofern als Reizmittel für die Magendrüsen, als er den aus Fetten gebildeten Seifen sekretionsfördernde Eigen- schaften zuschreibt und den Angriffspunkt ihrer Wirkung ähnlich 1) Studzinski, Über den Einfluss der Fette und Seifen auf die sekre- torische Tätigkeit des Pankreas. Intern. Beitr. z. Pathol. u. Ther. d. Ernährungs- störungen Bd. 3 H.3. 1911. 2) Studzinski, Zur F rage über den Einfluss der Fette auf die Sekret.on des Magensaftes. Ber. d. kais. Univers. in Kiew 1914. 46 Z. Tomaszewski: wie Sokolow in den Darm verlest. Zielonyj betrachtet ebenso die Seifen als Förderer der Magensaftsekretion, steht aber insoweit im Widerspruche mit den Behauptungen von Piontkowski, als nach ihm die Seifen nur auf der Schleimhaut des pylorischen Teiles. des Magens ihre sekretionsanregende Wirkung entfalten können. Der Einfluss des unfassbaren psychischen Momentes offenbart sich in besonders ausgesprochener Weise in den Ver- suchen, welche am Hunde „Kudlaty“ mit intakten Nn. vagi an- gestellt wurden: Am 15. Februar 1914, 9b 00’ vormittags wurden in das Duo- denum 100 cem 4 Joiges Natrii oleiniei eingeführt. Während der ersten Stunde nach der Einführung wurde keine Sekretion beobachtet, und erst um 10" 00’ sind 2 eem Magensaft ausgeschieden worden; während der nächsten Stunde wurden 6,8 ccm Magensaft aufgefangen. Am 9. Februar 1914, um St 47’ vormittags wurden demselben Hunde 100 cem 2 ®/oiger (also zweimal schwächeren) Seifenlösung in das Duodenum eingeführt. Bis 10% 10’ sind aus dem Maeen 8,9 cem einer schwach auf Congo reagierenden schleimigen Flüssiekeit gesammelt worden. Am 11. Januar 1914. Nach 100 eem 1/oiger (also zweimal schwächeren) Seifenlösung sind in 1 Stunde 40 Minuten 48 ccm Magensaft ausgeschieden worden. Am 21. Januar 1914. Nach 100 cem 2°/oiger Seifenlösung . wurden in 1 Stunde 40 Minuten 69 ccm eines stark auf Congo reagierenden Saftes sezerniert (vgl. Versuch vom 9. Februar 1914: nach derselben Seifenlösung kaum 8,9 eem schleimiger, schwach sauerer Flüssigkeit). Diese Ungleichmässigkeit der Sekretion, dieses Missverhältnis zwischen der ausgeschiedenen Saftmenge und der Konzentration der angewandten Seifenlösung weisen darauf hin, dass die chemischen Eigenschaften der Seife an und für sich in der Beeinflussung der Sekretion keine Rolle spielen. Von entscheidender Bedeutung ist hier einzig und allein nur der Einführungsakt der Seifenlösung an und für sich, also dieser unfassbare psychische Moment, welcher solchen Körpern den scheinbaren Charakter von Reizmitteln auf- prägt, die in Wirklichkeit auf die Magensaftsekretion nicht den ge- ringsten Einfluss auszuüben vermögen. Es hat sich auch tatsächlich gezeigt, dass Wasser und Kochsalz, diese scheinbar so sicheren Er- reger der Magensaftsekretion, vollkommen wirkungslos sind. ha La a u nn Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. I. 47 Versuch XXXIII. 18. März 1914. Hund „Czarny“. Gewicht 9,200 kg; mit Magen- und Duodenal- fistel; beiderseitige intrathorakale Vagotomie. Das Duodenum wird mittels eines Gummiballons vom Magen abgetrennt. 8% 00’ Anfang der Beobachtung 85 40’ keine Sekretion; Reaktion der Magenschleimhaut alkalisch, In den Magen wurden jetzt 200 ccm 9°/o iges NaCl eingeführt, im Liebig’schen Extrakte befinden sich 9/0 anorganische Bestandteile. 95 10’ wurden aus dem Magen 64 ccm der früher eingeführten NaCl- - Lösung entleert; die Reaktion dieser Lösung ist alkalisch. 94 15’ in den Magen wurden 200 ccm 5 °/oiges NaCl eingegossen. 9b 45’ entleert davon 20 ccm 10» 15' ” ” 20 ” 10% 45 x N ER, Ela .:), „ Rest von 41 ccm. Die Reaktion aller ent- leerten Portionen ist alkalisch; dieser Befund ist entweder auf den von der Magenschleimhaut abgesonderten Schleim oder auf Speichelbeimengung zurückzuführen. Die Sekretion von Magensaft hat jedenfalls nicht stattgefunden. Es ergibt sich also mit absoluter Sicherheit, dass weder Wasser noch Kochsalz als Reizmittel für die Magendrüsen in - Betracht kommen können. Es entsteht nun aber die Frage, was für eine Art von Körpern im P. W. und im Liebig’schen Extrakt wirksam ist, wenn weder Wasser und Mineralstoffe noch Eiweissverdauungsprodukte und Ex- traktivstoffe als Reizmittel angenommen werden können. Der Ent- scheidung dieser Frage habe ich mich auf die Weise zu nähern versucht, dass ich die vagotomierten Versuchstiere mit Fleisch ge- füttert und nun den Verdanungsprozess und die Reaktion eingeführter Körper beobachtet habe. Es hat sich gezeigt, dass das verfütterte Brot im Magen nicht verdaut wird, sondern zu faulen beginnt. Wenn aber dem Hunde gleichzeitig mit dem Brote auch Wasser zum Trinken gegeben wird, — wird das Brot verdaut, der Magensaft reagiert sauer, Reaktion auf Congo wird deutlich positiv. Frisches Fleisch wird gut‘), das durch 6 Tage gekochte Fleisch überhaupt nicht verdaut (Lobasow). Wir können demnach mit Recht folgern, dass die die Sekretion des Magensaftes anregenden Körper im Brot und Fleisch im fertigen Zustande sich befinden, ihre Wirkung aber erst nach 1) Popielski, Zentralbl. f. Physiol. Bd. 16 H. 5. 1902. STE Z. Tomaszewski: Lösung im Wasser entfalten können. Es ist sehr naheliegend, dass ähnliche Körper auch in anderen Nahrungsmitteln enthalten sind. Die chemische Natur dieser Körper lässt sich heute noch nicht genau definieren, und die oben dargeleeten Eigenschaften müssen vorläufig zu ihrer Charakterisierung genügen. Als zweite wäre die Frage zu beantworten, an welchen Stellen des Magens der Angriffspunkt der Wirkung der genannten Körper sich befindet. Als diese Stelle wird von den Schülern Pawlow’s (Untersuchungen von Krzyszkowski, Zielonyj und Zielonyj mit Sawicz) die Schleimhaut des pylorischen Magenteiles bezeichnet. Bei den für diese Versuche gewählten Hunden wurde der pylorische Teil des Magens mittels eines Schnittes vom fundalen Teil getrennt, aus diesem letzteren der „Pawlow’sche Magen“ gebildet und am pylorischen Teile eine Fistel angelegt. Wenn man in den Fundus des Magens P. W., Liebig’schen Extrakt hineinbringt, so erhält man keine Sekretion, wohl aber, wenn man dieselben Substanzen in den Pylorusabschuitt einführt. Auch im Laboratorium von Popielski wurden im Jahre 1914 durch einen Mitarbeiter Untersuchungen über die Bedeutung des pylorischen Magenteiles angefangen. Es war geplant, den pylo- rischen Magenteil zu resezieren, ihn aber in der Bauchhöhle zu be- lassen, am fundalen und am pylorischen Teile sowie auch am Duo- denum Fisteln anzulegen und beide Nn. vagi intrathorakal zu durch- schneiden; alle Operationen sollten in drei Sitzungen ausgeführt werden. Es ist bis jetzt nicht gelungen, die operierten Tiere länger als 5—7 Tage am Leben zu erhalten; man kann aber hoffen, dass mit der Vervollkommnung) der Operationstechnik der Erfolg nicht auf sich warten lassen wird. Der Einfluss des subkutan und intravenös ein- geführten Liebig’schen Extraktes auf die Sekretion. Wir können in der Liebig’schen Buillon, welche aus Fleisch gewonnen wird, die Anwesenheit derselben Körper erwarten, die in den Extrakten eines jeden anderen Organes enthalten sind. Es hat sich tatsächlich gezeigt [Untersuchungen von Molnar!) und H. Popielski?)], dass nach subkutaner Einführung des Liebig’schen 1) Molnar, Deutsche med. Wochenschr. 1909 Nr. 17. 2) Popielski, Lemberger med. Wochenschr. 1909 Nr. 5. (Polnisch.) Über die chemischen Erreger der Magendrüsen. I. 49 Extraktes die Magensaftsekretion erfolet; sie ist unbedeutend, und dieser Umstand weist darauf hin, dass während der Zubereitung der Bouillon (Kochen des Fleisches) ein Teil des wirksamen Körpers verloren geht. Molnar hat ferner nachgewiesen, dass durch das Atropin die unter dem Einflusse des Liebig’schen Extraktes er- folgende Sekretion nicht aufgehoben wird: eine Beobachtung, welche sich mit den im ersten Teile vorliegender Arbeit: „Über die Sekretion des Magensaftes unter dem Einflusse von Organextrakten“ nieder- gelegten Befunden im Einklange befindet. Die Wirkung des Liebig’schen Extraktes nach intravenöser Ein- führung ist durch Lobasow!) und Popielski?) bereits geprüft worden; es ergab sich, dass zwar die Sekretion des Magensaftes erfolgt, dass sie aber sehr geringfücig ist. Bei der Prüfung der Wirkung intravenös eingeführten Liebig’sehen FExtraktes muss die Anwesenheit der in ihm enthaltenen Kaliumsalze berücksichtigt werden; die diesbezüglichen, im Laboratorium von Popielski angestellten Untersuchungen ergaben, dass die intravenöse Einführung des Liebig’schen Extraktes tatsächlich eine für Kaliumsalze typische Verlanesamung und Abschwächung des Herzschlages, nach grösseren Gaben Herzstillstand und Tod des Versuchstieres zur Folge hat. Um die Wirkung der Kaliumsalze zu eliminieren, hat Popielski den Liebig’schen Extrakt mit absolutem Alkohol, in dem die Lösung der Kaliumsalze nicht erfolgt, bearbeitet und festgestellt, dass die Wirkung nach intravenöser Einführung für das Vasodilatin typische Merkmale aufweist, und zwar: Blutdrucksenkung, Ungerinnbarkeit des Blutes, Sekretion von Speichel und Pankreassaft und Unruhe des Tieres. Die Sekretion des Magensaftes, welche Lobasow und Popielski beobachtet haben, ist also auf die Wirkung des Vasodilatins zurück- zuführen. | Der Liebig’sche Extrakt enthält somit drei wirksame Körper: 1. einen, welcher vom Magen aus wirkt; 2. das Vasodilatin, das nach intravenöser Einführung seine Wir- kung entfaltet; 3. eine dritte Substanz, die bei subkutaner Einführung wirkt ‚und den Extrakten aus allen Organen gemeinsam ist. 1) Lobasow, 1. c. 8. 99—9. 2) Popielski, Zentralbl. f. Physiol. Bd. 16 H.5. 1912. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 4 50 Z. Tomaszewski: Über die chem. Erreger der Magendrüsen. II. Die Ergebnisse meiner in dieser Arbeit enthaltenen Unter- suchungen lassen sich in folgenden Schlusssätzen zusammen- fassen : 1. Die Eiweissverdauungsprodukte, Extraktivstoffe und Salze regen die Sekretion des Magensaftes vom Darme aus nicht an. 2. Nach Einführung in den Magen verursachen die Eiweiss- verdauungsprodukte ünd die Extraktivstoffe eine ausgiebige Ab- ‚sonderung des Magensaftes. 3. Wasser und Kochsalz regen die Sekretion des Magensaftes weder vom Magen noch vom Darme aus an. & 4. Die Sekretion des Magensaftes, welche durch Eiweiss- verdauungsprodukte (P. W.) und Extraktivstoffe vom Magen aus an- gerest wird, findet auch nach vollkommener Entfernung des peri- pheren, ausserhalb des Magens gelegenen Nervensystems statt. 5. Diese Sekretion erfolgt auch nach vollkommener Degeneration der Endigungen des autonomen Nerven. 6. Die Frage nach dem in den Eiweissverdauungsprodukten und im Liebig’schen Extrakte enthaltenen wirksamen Körper, lässt sich folgendermaassen beantworten: a) Albumosen, Peptone, Extraktivstoffe und Salze lösen keine: Sekretion aus; | b) der wirksame, die Sekretion fördernd beeinflussende Körper ist wasserlöslich und befindet sich im fertigen Zustande in Brot und Fleisch, möglicherweise auch in vielen anderen Nahrungsmitteln ; e) der wirksame Körper löst sich im Äthyl- und Methylalkohol und wird durch Phosphor-Wolframsäure, nicht aber durch das kolloidale Eisen gefällt. 7. Der wirksame Körper kann die Sekretion anregen: a) entweder auf reflektorischem Wege durch Vermittlung der in der Magenwand gelegenen Ganglien oder b) infolge des Resorptionsprozesses und Durchganges durch die Zellen der Magenschleimhaut. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Angriffspunkt der Wirkung nicht in der Schleimhaut des ganzen Magens, sondern nur im pylorischen Teil gelegen ist. u a ran Lin in Über die kolloidehemischen Vorgänge bei der Hämolyse. Von Dr. E. von Knaffl-Lenz. (Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Wien.) (Ausgeführt mit Unterstützung der Fürst Lichtensteinspende.) | Seitdem Overton!) feststellte, dass organische Substanzen im Verhältnis zu ihrer Fettlöslichkeit in die Pflanzenzellen eindringen, und daraus den Schluss zog, dass die Zellmembran wahrscheinlich aus Lipoiden bestehe, wurde von einer Reihe von Autoren gezeigt, dass dieselbe Gesetzmässigkeit im grossen und ganzen auch für die Permeabilität der roten Blutkörperchen gelte (Grijns?), Hedin?°), Koeppe®).) Sie zeigten, dass lipoidlösliche Stoffe leicht in die Erythroeyten eindringen, in geringen Konzentrationen keine Ver- änderung hervorrufen, in höheren jedoch Hämolyse bedingen. Koeppe zieht aus seinen Untersuchungen den Schluss, dass die Hämolyse durch Zerstörung oder Lösung der fettähnlichen Membran hervorgerufen wird. Auch Pascuceci?) nimmt auf Grund seiner Versuche an künst- lichen Cholestearin-Lecithinmembranen an, dass die Oberfläche aus un- löslichen, quellbaren mit Lipoid durchtränkten Eiweissmembranen besteht, und dass das Lackfarbigwerden der Erythrocyten durch eine _ Destruktion dieser Membran bedingt sei. Eine weitere Stütze dieser Hypothese wurde in den Experimenten von Fühner und Neubauer‘) gefunden, durch die Feststellung der Proportionalität der hämolytischen Kraft chemisch indifferenter Substanzen mit ihrer Lipoidlöslichkeit. Auch W. Frei’) kommt nach kritischer Besprechung der bisherigen 1) Overton, Vierteljahrsschr. d. naturf. Gesellsch. in Zürich Bd. 40 8. 1 u. Bd. 44 8. 88. 2) Grijns, Pflüger’s Arch. Bd. 63 S. 86. 3) Hedin, Pflüger’s Arch. Bd. 68 S. 229 u. Bd. 70 S. 525. 4) Koeppe, Pflüger’s Arch. Bd. 99 S. 39 u. Bd. 107 S. 86. 5) Pascucci, Hofmeister’s Beiträge Bd. 6 S. 543. 6) Fühner u. Neubauer, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmak. Bd. 56 $. 333. 7) W. Frei, Zur Theorie der Hämolyse. . Berlin. 4. * r 52 E.: von Knaffl-Lenz: Untersuchungen zu dem Schluss, dass die Hämolyse eine typische Membranreaktion sei und durch Permeabilisierung dieser Lipoid- hülle zustande komme. Die Tatsache, dass alle fettlöslichen Substanzen in die Zellen leicht eindringen, nichtfettlösliche entweder gar nicht oder nur in geringen Mengen und sehr langsam, ist eigentlich der einzige Grund und die einzige Stütze für die Annahme einer lipoiden Umhüllung jeder Zelle. Ein strikter Beweis für die Richtigkeit dieser Hypothese wurde jedoch nie erbracht. Es gibt jedoch eine Reihe von Tatsachen, die gegen diese Auffassung sprechen. Wenn wir die Eizelle, die Ur- zelle, aus der schliesslich alle anderen entstehen, betrachten, so kann man wohl mit Sicherheit behaupten, dass die Membran nicht aus Lipoid, sondern aus Eiweiss besteht, und dass Lipoide auch keinen wesentlichen Bestandteil derselben bilden können. Man kann durch Cytolyse der Seeigeleier mit destilliertem Wasser und nachherigem Zentrifugieren die Membranen vom lipoidreichen Protoplasma trennen. Es gelingt durch keines der fettlösenden Mittel die Membranen zu lösen oder zu zerstören. Man sieht auch bei Einwirkung von eytolytischen Substanzen keine Veränderung der Membran, sondern nur des Proto- plasmas. Ich!) habe seinerzeit auf Grund von Cytolysestudien an Seeigeleiern den Schluss gezogen, dass die Eizelle der Hauptsache nach aus einer Emulsion von Lipoiden und Eiweiss besteht, die von einer wenig quellbaren Eiweisshülle umgeben ist; dass jede chemische oder physikalische Einwirkung, die eine Verflüssigung oder Lösung der Protoplasmalipoide hervorruft, das Ei dadurch zur Cytolyse veranlasst, dass das in seinem Aggregatzustand veränderte Protoplasma durch Wasseraufnahme quillt, wobei es in manchen Fällen zum Platzen der Eiweissmembran kommen kann. Diese Ansicht wurde auf folgende Beobachtung gegründet. Eier, die kurze Zeit auf 41° C. erwärmt wurden, hellten sich plötzlich auf und vergrösserten ihr Volumen bedeutend bei vollständig erhaltener Membran. Bei Temperaturen von 45°C. konnte das Aus- treten stark lichtbrechender Tröpfehen aus dem aufgehellten Proto- plasma innerhalb der Membran beobachtet werden. Wurden solche Eier längere Zeit in benzol- oder ätherhaltiges Seewasser gebracht, 1) E. v. Knaffl-Lenz, Pflüger’s Arch. Bd. 123 S. 279. — Siehe auch J. Loeb, Die chemische Entwicklungserregung des tierischen Eies. Springer, Berlin 1909, wo ein Teil der Versuche durch Bilder wiedergegeben ist. Über die kolloidchemischen Vorgänge bei der Hämolyse, 53 so verschwanden diese Tröpfehen, woraus geschlossen wurde, dass es sich um Lipoidtröpfehen handle. Eier, die sofort auf 52° C. erwärmt oder vor der Erwärmung auf 45° C. mit Formalin oder Sublimat kurz vorbehandelt waren, zeisten nur Aufhellung des Protoplasmas und Austritt der lichtbrechenden Tröpfehen, jedoch keine merkliche Volumsvergrösserung. Durch Koagulation des Eiweisses war die sekundäre Quellung verhindert. Die Aufnellung des Protoplasmas war also durch Verflüssigung der Protoplasmalipoide bedingt, erst dann konnte das Eiweiss wesentlich quellen. Kurze Einwirkung der Hämolytika bewirkte die Bildung einer Befruchtungsmembran, längere in höherer Konzentration eine momentane Aufhellung des Protoplasmas mit. darauffolgender Quellung, ebenso wie bei der Ein- wirkung höherer Temperaturen. Auch die eytolytische Wirkung stark hypotonischer Salzlösungen zeigte dasselbe Bild der Cytolyse: Nach einer Einwirkungszeit von etwa 5 Minuten, während der die Eier ihr Volumen nur sehr wenig vergrösserten, trat momentan Aufhellung des Protoplasmas mit darauffoleender Quellung auf. Diese Befunde zeigen deutlich, dass die durch Wärme, Hämo- lytika oder Hypotonie hervorgerufenen Cytolysen eine identische Ursache haben, die nicht durch eine Lösung oder Destruktion der Membran, sondern durch eine Änderung des Aggregat- zustandes der Protoplasmakolloide bedingt ist. Der Angriffspunkt ist in den Lipoiden des Protoplasmas zu suchen. Die Quellung tritt erst ein, nachdem die Lipoide zur Lösung oder Verflüssigung gebracht sind ; aus der hypotonischen Lösung diffundiert Wasser in die Zelle, die Salzkonzentration wird soweit verringert, dass sie nicht mehr hinreicht, die lipoiden Zellkolloide in unverändertem Lösungszustand zu erhalten. Es ist bekannt, dass Lipoide in destil- liertem Wasser stark quellen und sich scheinbar lösen, und dass Neutralsalze aus solchen Lösungen die Kolloide wieder fällen, daher _ auch die Lösung der Lipoide verhindern können). Die Hämolyse in isotonischen Harnstofflösungen dürfte ebenfalls darauf zurückzuführen sein, dass Salze aus den Blutkörperchen austreten (vel. Gürber- Calugareanu?)) und durch Harnstoff ersetzt werden. Letzterer 1) Hofmeister, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmak. Bd. 28 S. 210. — Pauli, Hofmeister’s Beiträge Bd. 3 S. 225. — Höber, Hofmeister’s Beiträge Bd. 2 8.35. — Porges u. Neubauer, Biochem. Zeitschr. Bd. 7 S. 152. 2) Gürber, Habilitationsschrift. Würzburg 1904. — Calugareanu, These de Paris 1902. 54 7 E'von Knaffl-Lenz’' beeinflusst als Nichtelektrolyt den Dispersitätsgrad der Kolloide nur unwesentlich und wirkt daher ähnlich wie destilliertes Wasser. Dass auch die Permeabilitätsverhältnisse in der kolloiden Membran durch Änderung des Quellungszustandes andere werden, ist selbstverständlich, doch sicher nicht, wie meistens angenommen wird, ausschlaggebend für die Cytolyse. Da Hämolyse durch die gleichen chemischen und physikalischen Einflüsse wie die Zytolyse hervorgerufen wird, so ist die Annahme berechtigt, dass auch die Ursachen die gleichen sind und die Hämolyse analog verläuft. Der Austritt des Blutfarbstoffes aus der Zelle wird durch oben erwähnte Einwirkungen ermöglicht, da sie die Diffusions- fähigkeit der Kolloide (in diesem Falle des Hämoglobins) erhöhen. Die Diffusion eines Kolloides ist unter anderem abhängig von dem Dispersitätsgrad, von der inneren Reibung und vom osmotischen Druck. Quellungsfördernde Einflüsse vermindern die innere Reibung, erhöhen den Dispersitätsgrad und den osmotischen Druck. Bei der Auffassung der Hämolyse als Quellungsvorgang sind die Bedingungen für den Farbstoffaustritt gegeben. Bei dieser Erklärung erübrigt sich die Annahme einer Lipoid- membran. Es war sicher ein Fehler, die Oberfläche aller Zellen bei dem verschiedenen elektiven Permeabilitätsvermögen der Organzellen als gleichartig aufzufassen und alle Einwirkungen auf die Zellen von den Eigenschaften einer supponierten Lipoidmembran abhängig zu machen. Es haben sich dadurch grosse Schwierigkeiten für die Er- klärung des Durchtrittes der gerade biologisch wichtigsten Substanzen, der nicht lipoidlöslichen, ergeben. Auch die Annahme einer nicht lipoiden Membran (allenfalls einer Haptogenmembran) ermöglicht eine Erklärung für das raschere Eindringen und für die Anreicherung lipoidlöslicher Substanzen im Gegensatz zu den nicht lipoidlöslichen. Die fettlöslichen Stoffe sind alle oberflächenaktiv, sie setzen die Öberflächenspannung wesentlich herab, müssen sich daher in der Oberfläche nach dem Gibbs-Thomson’schen Gesetz anreichern und infolge des höheren osmotischen Druckgefälles stärker diffun- dieren. Im Inneren der Zelle werden sie zum grossen Teil osmotisch unwirksam dureh Übertritt aus der wässerigen in die lipoide Phase, wodurch ein weiteres Eindringen und Anreicherung der Substanzen in der Zelle ermöglicht wird. Die nicht lipoidlöslichen Stoffe erhöhen teilweise die Oberflächenspannung (Elektrolyte) oder sind überhaupt nicht oberflächenaktiv, sie reichern sich daher an der Oberfläche nicht Über die kolloidchemischen Vorgänge bei der Hämolyse. 55 an und werden nach dem Eindringen auch nicht osmotisch unwirksam. Dadurch erklärt sich ihr langsames Eindringen und ihre Unfähigkeit, sich in der Zelle anzureichern. Nach obigen Ausführungen wäre die Cytolyse oder Hämo- lyse nicht durch Lösung oder Destruktion einer lipoiden Membran bedingt, sondern durch eine Zustandsänderung der lyophilen Protoplasmakolloide, etwa in dem Sinne, dass sie disperser oder aus dem Gel- in den Solzustand übergeführt werden. Für die tatsächliche Einwirkung von Narkotieis auf den Zustand von lipoiden Kolloiden sprechen eine Reihe von Untersuchungen. So haben Moore und Roaf!) gezeigt, dass ätherische Organextrakte, in Wasser aufgeschwemmt, durch geringe Mengen indifferenter Narko- tika, wie zum Beispiel Alkohol, Äther, Benzol, Chloroform usw., aus- geflockt werden. Goldsehmidt und Pribram?) wiesen ebenfalls nach, dass Leeithinemulsionen, in Kochsalzlösung aufgeschwemmt, durch geringe Mengen gefällt, durch grössere gelöst werden, während Harn- stoff sich indifferent verhält. Auch Calugareanu°) beobachtete die Ausflockung von Lipoidsol durch geringe Chloroformkonzentrationen. Ferner zeisten Handovsky und Wagner‘) ebenfalls an Lipoid- solen, dass die Viskosität durch Zusatz von Narkotieis erniedrigt und die Elektrolytempfindlichkeit bedeutend gesteigert wird. Eine Reihe von Autoren [Warburg und Wiesel?°), Vernon®), Batelli und Stern”)] machten die Beobachtung, dass die Hemmung von Ferment- wirkung durch Narkotika von einer Fällung begleitet ist, die der narkotischen Kraft proportional verläuft. Aus allen diesen Befunden geht hervor, dass Narkotika je nach der Konzentration den Lösungszustand ]yophiler Kolloide beeinflussen können. Für eine analoge Einwirkung auf die Zell- kolloide sprechen die Versuche von Osterhout°), welcher feststellte, 1) Moore und Roaf, Proc. of the Roy. Soc. Ser. B, vol. 73 p. 382, vol. 77 p. 86. 2) Goldschmidt und Pfibram, Zeitschr. f. exper. Pathol. Bd. 6 8.1. 3) Calugareanu, Biochem. Zeitschr. Bd. 29 S. 96. 4) Handovsky und Wagner, Biochem. Zeitschr. Bd. 31 S. 22. 5) Warburg und Wiesel, Pflüger’s Arch. Bd. 144 8. 456. 6) Vernon, Biochem. Zeitschr. Bd. 47 S. 374. 7) Batelli und Stern, Biochem. Zeitschr. Bd. 52 S. 226 u. 253. 8) Osterhout, Science #. 37 2. 3. 56 E. von Kn ffl-Lenz: dass die Leitfähigkeit von Zylindern, die aus Laminariascheiben zusammengesetzt waren, durch geringe Narkotikumkonzentrationen vermindert, durch grosse vermehrt wird. Zu den gleichen Resultaten führten die Untersuchungen von Joel!) (unter Höber) an roten Blutkörperchen. Höber’) erklärt die: Abnahme der Leitfähiekeit durch Verdichtung der Zellmembran, die Erhöhung durch Auf- loekerung derselben. Auch die Feststellungen von Arrhenius und Bubanovic?), dass geringe Narkotikummengen die durch Hypotonie bedingte Hämolyse zu hemmen vermögen, während grössere die Hämo- lyse verstärken, kann im Sinne einer je nach der Konzentration ver- schiedenen Einwirkung auf den Quellungszustand der Erythrocyten aufgefasst werden. Von diesen Gesichtspunkten ausgehend wurde die Einwirkung leicht zellpermeabler Substanzen auf das Volumen der Erythrocyten untersucht. Wie aus den folgenden Experimenten hervorgeht, sind die indifferenten Narkotika in geringen nieht hämolytischen Mengen imstande, eine deutliche Volumsverminderung hervor- zurufen. In hypotonischen Lösungen verhindern sie die Quellung, in manchen Fällen wirken sie auch da noch stark entquellend. Harnstoff hingegen, der ebenfalls leicht in Blut- körperehen eindrinst, verringert nie das Volumen, in den meisten Fällen ruft er sogar eine Volumsvergrösserung hervor. Diese Tatsachen erklären die von Arrhenius und Bubanovi& beobachtete Schutzwirkung durch Quellungshemmung. Die bedeutende Volumsabnahme der Zellen kann nicht durch eine Schrumpfung der Membran, sondern nur durch eine Entquellung des Protoplasmas verursacht sein. Die Bildung der Befruchtungsmembran bei Seeigeleiern durch kurze Einwirkung geringer Narkotikum- konzentrationen kommt möglicherweise ebenfalls durch eine Volums- verringerung und Retraktion des Cytoplasmas zustande. Dafür spricht auch die entwicklungserregende Wirkung von hypertonischem See- wasser (vel. Loeb I. c.). Für die früher erörterte Auffassung, dass die Cytolyse durch eine kolloidale Zustandsänderung des Protoplasmas und nicht durch 1) Joel, Pflüger’s Arch. Bd. 161 8.1. 2) Höber, Physik. Chemie der Zelle, 4. Aufl., S. 361. 3) Arrhenius und Bubanovil, Meddelanden f.k. Vetenskapsakademiens Nobelinstitut vol. 2 no. 32. Über die kolloidchemischen Vorgänge bei der Hämolyse. 57 Permeabilitätsänderung oder Zerstörung einer lipoiden Membran bedinest ist, bietet die im folgenden wiedergegebene Einwirkung der Narkotika eine weitere Stütze. Inwiefern diese Befunde für eine Kolloidtheorie der Narkose verwertet werden können, soll in einer späteren Arbeit besprochen werden. Experimenteller Teil. Methodik. Die Volumsbestimmungen wurden an serumfrei gewaschenen Kaninchenblutkörperchen, einige auch an menschlichen, nach der Hämatokritmethode ausgeführt. Zur Verwendung kamen Röhrchen, ähnlich denen, wie sie von Koeppe!) angegeben wurden; der kapillare Teil der Röhre war in 60 Teile geteilt, von denen jeder Teilstrich 0,005 cem entsprach. Die 3mal mit 0,9 °/oiger Kochsalz- lösung gewaschenen Blutkörperchen wurden mittels einer Kapillar- pipette in ungefähr gleicher Menge in die Hämatokritröhrchen gefüllt, hierauf mittels einer schnellaufenden Zentrifuge (4000 Umdrehungen) so lange geschleudert, bis sich das Volumen nicht mehr änderte und die Erythrocyten lackfarbig erschienen. Die Durchmischung der Blutkörperchen mit der Narkotikumlösung erfolgte nach Entfernung der abzentrifugierten Kochsalzlösung durch Aufsaugen der Blut- körperehen aus dem graduierten Teil mittels eines zu einer feinen Kapillare ausgezogenen Glasrohres, welches mit der Untersuchungs- flüssigkeit quantitativ nachgewaschen wurde. Auf diese Weise war es möglich, an denselben Blutkörperchen nach Einwirkung der Substanzen durch Zentrifugieren abermals das Volumen zu bestimmen. In den Kontrollversuchen mit reiner Koch- salzlösung wurde vor und nach dem Durchmischen und Zentrifugieren stets das gleiche Volumen abgelesen, ein Beweiss, dass diese Methode zur Bestimmung so kleiner Volumsveränderung, wie sie sich in folgenden Versuchen ergeben, exakte Resultate liefert. In den folgenden Tabellen ist in: Kolonne a die Menge Kochsalzlösung in Kubikzentimetern, a Be » Narkotikumkochsalzlösung in Kubikzenti- metern, 1) Koeppe, Du Bois-Reymond’s Arch. Bd. 154. 8 E. von Knaffl-Lenz: Kolonne e das Blutkörperchenvolumen in reiner Kochsalzlösung (das ist vor der Einwirkung desNarkotikums) in }/ıoo cem, d das Blutkörperchenvolumen nach Einwirkung des Nar- kotikums in /ıoo cem, n e die Differenz der beiden Volumina, Ä & Ei 2 5 ü x in Prozenten an- gegeben. Versuche mit Äthylalkohol (0,7 n). In den folgenden Versuchen wurde eine 0,9%oige Kochsalz- lösung verwendet, die in bezug auf Alkohol 0,7 normal (etwa 30%) war. Tabelle I. | ls 0,6 2,90 2,90 _ — Kontrolle 0,5 0,1 2,30 2,30 — _ 0,4 0,2 2,10 2,10 —_ — 0,3 0,3 2,39 2.45 +010 | + 43% Nirgends Hämolyse 0,2 0,4 2,40: 2,95 +0,25 | + 10, 4.°%/0 0,1 0,5 2,10 2,40 +0,30 | + 14, ‚3 lo Kontrolle 0,9 %o NaCl; 60 Minuten bei 18° C. Tabelle I. Yale dee lol a 0,6 — 1,75 1,75 —_ en Kontrolle 0,5 0,1 1,60 155 | —0,5 | — 3,1% |) 0,4 0,2 1,55 1,50 — 0,05 | — 3,2 %o 0,3 0,3 1,95 1,45 —0,10 | — 6,5% Nirgends Hämolyse 0,2 0,4 1,60 1,35 — 0,25 | — 15,0 /o 0,1 0,5 1,50 1,30 — 0,20 | — 13,3 Vo | Kontrolle 0,9 %/o NaCl; 270 Minuten bei 18° C, Tabelle II. 2 | b | C | d | e T | 0,6 | _ 2,20 | 2,20 — | — Kontrolle 94 1.02 | 200 | 205 | +005 | + 25% N 0a | Aa 02002. 7290. 1.245 | 208 | can en 010 1.05.| 25 | 200 | 2085 | 71560 |) Kontrolle 0,9% NaCl; 60 Minuten bei 20° C. Über die kolloidchemischen Vorgänge bei der Hämolyse. - 59 Tabelle IV. a 0,6 — 2,20 2,20 | — — Kontrolle 04 | 02 | 225 | 225 Me En = oa En 500 N 7 + Nirgends Hämolyse 01 105 | 2315 | 220 | +005 | +33 % |) Kontrolle 0,9% NaCl; 160 Minuten bei 180 C. Tabelle V._ a b | c | d | e | f | 0,7 — 2,98 2,98 — — Kontrolle 08 | 04 | 220 | 2,20 = = ER 02 | 05 | 260 | 270 | zo10 | +38 % \ 20 Min.Ibei) 37°C. 03 | 04 | 240 | 220 | —o20 | 83 % a ao. 02 1 05 | 20 | 235 | -015 | - 625% 08 | 04 |-220 | 215 | 005 | 23 % !\ 40 Min. bei 37° C. 02 | 05 | 210 | 200 | 0,10 | —48 % |y 240 Min. bei 20° c. Kontrolle 0,9% NaCl; 40 Minuten bei 37° C., 60 Minuten bei 20°C. Im letzten Röhrchen Spur Hämolyse. Aus Tabelle I und III ersieht man, dass Alkohol in bestimmten Konzentrationen bei kurzer Einwirkung (60 Minuten bei 18—20° C.) eine Volumsvergrösserung hervorruft. Tabelle 2 zeigt, dass nach 4—-5malsolanger Einwirkungszeit in derselben Konzentration eine beträchtliche Volumsverminderung eintritt. Aus Tabelle 4 und 5 geht ebenfalls hervor, dass nach kurzer Einwirkung Volums- vermehrung, nach längerer allenfalls keine Veränderung, nach langer Einwirkung Volumsverminderung festzustellen ist. Die anfängliche Volumszunahme kommt dadurch zustande, dass ' Alkohol rascher in die Zelle eindringt, als Wasser diosmiert, nach erfoletem Gleichgewicht tritt jedoch eine Volumsverminderung bis zu 15° auf. Die Verringerung der Volumsabnahme bei höheren Temperaturen und langer Einwirkungszeit dürfte sekundär durch Absterben der Blutkörperchen bedinst sein. Die folgenden Versuche zeigen die Hemmung der Quellung in hypotonischen Lösungen bei Gegenwart von Alkohol. Versuch 6 ist mit Kaninchen-, 7, S und 9 mit Menschenerythroeyten angestellt. 60 . E. von Knaffl-Lenz: Bei den letzteren kommt es trotz der starken Hypotonie nicht nur zur Hemmung der Quellung, sondern sogar zu starker Entquellung. Tabelle VI. Se: 0,7 — | 1,80 2,25 +0,45 | + 25,0% | Kontrolle 0,75%/0 NaCl 0,6 0,1 1,60 2,10 +0,50 | + 31,2% 0,5 0,2 1,30 1,55 +0,25 | + 19,2% 0,4 0,3 1,35 1,60 +0,25 | + 185% 0,3 0,4 1,40 1,60 +0,20 ı + 14,3 % Nirgends Hämolyse 0,2 0,5 1,35 1,55 + 0,20 | + 14,80 %0 0,1 0,6 1,30 1,35 +0,05 | + 3,85% — 0,7 1,35 1,40 +0,05 | + 37% Kontrolle 0,75 °%/o NaCl; 45 Minuten bei 37° C. Die folgenden drei Versuche sind mit gewaschenen, menschlichen Erythroeyten angestellt. In Versuch VII kam 0,75% NaCl-Lösung zur Verwendung, die in bezug auf Alkohol 0,7 normal war. Tabelle VI. a | b | C | d | e | f | 0,7. — 1,75 1,80 +0,05 | + 2,85% | Kontrolle 0,75% NaCl DE ol 5 Leo Zn 20, 04 | 08 | 15 | 140 | 2005 | 235 %0 |! 45 Minuten bei 370.@ 62 | v6 155 15 [00 es ne —_ | Kontrolle 0,75% Nadl 06 |’ 01° | 750 | 150 m er 04 | 03 ! 150 | 135 | 0,15 | 10,0% | 170 Minuten bei 220. Doreen on | Dr Im folgenden Versuch wurde 0,6%oige NaCl-Lösung ver- wendet. Tabelle VI. jene 1 a oo os | 175 | 200 610, | Konmelle eos Nacı 06 | 0172| 160 | 170 | oo 60% | en a en een | NE Über die kolloidchemischen Vorgänge bei der Hämolyse. 61 Versuch IX wurde mit einer 0,52Poigen NaCl-Lösung, die in bezug auf Alkohol einfach normal war, angestellt. Tabelle IX. | ee a 0,7 | == 2,20 2,80 ,| + 0,1 + 4,55 °/0 | Kontrolle 0,52% NaCl 0,5 0,2 1,95 1,75 — 0,20 | — 10,3 - 90 04 | 0,8 2,05 1,80 —0,25 | —12,2 °%o 0,3 0,4 1,95 1,75 —0,20 | — 10,3 9% 30 Min. bei 37° C. 0,2 0,5 2,00 1,75 — 0,25 | — 12,5 °o 200 Min. bei 25° C. 0,1 0,6 2,00 1,80 — 0,20 | —10,0 % —_ 0,7 2,25 1,95 — 0,20 | — 89 %o In den letzten drei Versuchen trat in keinem der Röhrchen Hämolyse auf; dagegen hämolysierten die Blutkörperchen in 0,4 Jo iger NaCl-Lösung auch bei Gegenwart von Alkohol, so dass eine genaue Ablesung nieht möglich war. Versuche mit Äthyläther. In Versuch X wurde die Einwirkung von 0,9°'oiger Kochsalz- lösung, die in bezug auf Äther !/- normal (etwa 1/0), in Ver- such XI 0,75%biger Kochsalzlösung, die in bezug auf Äther !/;s normal war (etwa 1,5 °/0), auf gewaschene Kaninchenerythrocyten geprüft. Auch in’ diesen Fällen zeigt sich bei längerer Einwirkung in isotonischen als auch in hypotonischen Lösungen die entquellende Wirkung geringer Äthermengen. In den bisher erwähnten Versuchen wurden die Proben unter öfterem Umschütteln wohl verschlossen stehen gelassen, um eine Verdunstung des Narkotikums zu verhindern. Tabelle X. a b | c | d | e | ii | 0:7 143,70 [2,70 BR , | Kontrolle 0,9% NaCl 0,6 0,1 2,10 2,10 — — \ 0,5 0,2 2,30 2,30 — = 0,4 0,3 2,45 2,40 —0,05 | — 2,0 Yo] HF 0,3 0,4 1,95 1,85 — 0,10 1 — 5,1 % 200 Min. bei 25° C. 0,2 0,5 1,90 1,80 — 0,10 | — 5,8 Nirgends Hämolyse 0,1 0,6 2,20 2,10 — 0,10 | — 46 °% _ 0,7 1,95 1,80 —0,15 | — 7,7 % J 62 E. von Knaffl-Lenz: Tabelle XI. a b | c | d | BERRE | f | 0,7 ai 250 | 275 | #025 | -+10,0% | Kontrolle 0,75% NaCl 061° 0,1 335 | 260 | +02 | +106% N 0,5 0,2 210 | 240 | #030 | + 14,3% | [5 0! a | 900 Men per 2500 0:3 1.0.4.1: 9.00. 17 295 103 005.1 2 230% Ne nal 01.106 1950. 90502 | 2900. - 390% en bel 300 75,205), °715.90%% Versuche mit Athylurethan (Kahlbaum). Zur Verwendung kamen Kaninchenerythroceyten und Y/so normal Urethanlösung in 0,9%oiger Kochsalzlösunse. Versuch XII zeigt, dass geringe Hypertonie der Kochsalzlösung nach 70 Minuten keinen messbaren Einfluss auf das Volumen ausübt und dass Urethan nach dieser Zeit ebenfalls wirkungslos ist, nach längerer Einwirkung und bei höherer Temperatur aber ebenf 2llE eine Entquellung hervorruft (XII). Tabelle XI. a b | (0 | d Re e f | 06 2 %1050617150 = = Kontrolle 0,9% NaCl 06 1,25. | 1.75 — = 0,92% NaCl a | 1,55 | 1,55 ne ‚un 0,93%/6 NaCl 0410221155 155 u N ae Das ae = — | 70 Minuten bei 20° C. 0,2 0,4 1,55 1,55 —_ — | Spur Hämolyse 1706 |, 150 .1.150 2 Z Tabelle XIll. a | b | C | d | e | T | u | | 0,6 — 2,15 2,15 — — Kontrolle 0,9%o NaCl u 0,1 205.1, 200.00 Wo A a | D 02 12135 1185 | 010.) - 510% SR ee | 02 0417900 |. 285 7 005) 75% Nektar 911 05 | 15 | 180 | —005 | —2,7% Se J a een Über die kolloidchemischen Vorgänge bei der Hämolyse. 63 Versuehe mit Salieylamid. Salieylamid (!/ıoe normal) wirkt in isotonischer (Versuch XIV) und schwach hypotonischer Lösung ebenfalls entquellend (Ver- mer) Tabelle XW. 10 es ad re a ERE ee Ten 0,7 — 1,85 1,85 — — Kontrolle 0,9 °/o NaCl] 0,6 0,1 2,35 2,39 E= = 0,5 0,2 2,30 2,20 —0,10 | — 4,40 %0 0,4 0,3 2,35 220 | — 0,15 | — 6,40 %0 120 Minuten bei 17°C. 0,3 0,4 2,25 2,15 — 0,10 | — 4,40 °/o Nirgends Hämolyse 0,2 0,5 2.15 2,00 — 0,15 | — 6,97 % 0,1 0,6 2,15 2,00 | —0,15 | — 6,97 %o | In diesem Versuche war die NaÜl-Lösung für die Kontrolle ebenfalls 0,90, während das Salieylamid in 0,85P/oigem NaCl gelöst war. or Tabelle XV. a | b | e | d | h | | | | 0,5, za 2,05 2,05 Zr — Kontrolle 0,9 %/o NaCl 02 03 I 25 | 21 | Zoe | 2850 2% I 50 Minuten bei 37° 0. Er 0,5 2,10 1,90 | — 0,20 — 9,50 % Nirgends Hämolyse Versuch mit Benzamid. Benzamid wirkt in der gleichen Konzentration wie das vorher- gehende, nur ein wenig schwächer (Versuch XV]). Tabelle XVl. a b | © | d | e | f | Dome 2:90. | 2,90 ai | en Kontrolle 0,9% NaCl oo ara |, 2,65 1 0,05 I — 1,90.% 2 0% |oa | 25 | 25 | -010 | 395% \ Ne E00 oe ars 3.65 1 0.10 | — 3:60%0 rende nee 0005210093517 295. 1 0.10 .| — 420% 5 M Versuch mit Kampfer. Eine 0,9°/’oige NaCl-Lösung, die mit Kampfer durch mehrstündiges Schütteln gesättigt war, ruft nach längerer Ein- wirkung ebenfalls Volumsverminderung hervor (Versuch XVII). 64 E. von Knaffl-Lenz: Tabelle XVM. a b | C d | e | f | 0,7 a = _ Kontrolle 0,9%% NaCl 0,6 | 0,1 1.70 |? 1.70 — = ) 05 | 02 1,55 1506.00 | 32%. 041,08 1. 160 08 1552 |j#- 0.05.1.-8,1%% N 200 Minuten bei 25° C. 03 | 04 | 1,70 | 1,60 | —0,10 | —5,9% [j 0.2°.17.0:5 1° 155 12.150091 005012 3200 1) 01 1 06 | 135 | 180 | —0,05 | — 2,7% | Spur Hämolyse —_ 0,7 1,60 1,70 | + 0,10 + 6,3% | Hämolyse deutlich Versuche mit Harnstoff. Harnstoff ruft in verschiedenen Konzentrationen weder in isotonischer noch in hypotonischer Kochsalzlösung Entquellung (Versuch XVII, XIX, XX), sondern Quellung hervor. Tabelle XVII. !/so n. Harnstoff in 0,9%oiger NaQl-Lösung. a b G d | e | ir | aa) | 9,30 a ER Kontrolle 0,9% NaCl 06 | 01 | 220 | 220 = & N M. | 92 | 38 | 20 | #095 | #358%% || 60 Minen bt 10 c 4 a8 20 72,50% | 60 \ C. 03 | 04 | 220 | 225 | +005 | + 250% Eur von nolyee in 0,2 0,5 1,90 195 | 7.0051, 22985700 | au Er on = —— Tabelle XIX. 1/5so n. Harnstoff in 0,9 Yoiger NaQl-Lösung. a b C d | e | fi | 0,6 27945 7245 Br | Lu | Kontrolle 0,9%/0 NaCl 05.21.01 129:95 1.055 2 Wa erg ae Ne 0a | 02 | 205 | 210 | +00 | + Same || Joammaeapeitzee 03 | 08 | 220 | 325 | +0,05 | +2,3% | De neh 02 | 04 | 2855 | 245 | +0,10 | +43% [j Häm - R 02.1205. 985.21 3905 17 0101) DER Über die kolloidehemischen Vorgänge bei der Hämolyse. 65 Tabelle XX. 1/50 n. Harnstoff in 0,75%o iger NaCl-Lösung. a b C | d e | 5, | A 1,835 | 315 | +0,30 | + 16,2% | Kontrolle 0,75% NaCl 06 | 01 | 170 | 205 I #085 | + 20,6% 1) 05.102 1,50 Des, 20052 .2232% Re En | :5 | 100 | #025 | #oaad [1,00 Ahnntenbei 97, 0- 0,8 Ye 1,00 2,10 | ee n In fast allen Röhrchen 02 105 | 145 !,180 | 4035 ! + 241% Se kalse er o 10 |. 3,05% | #035 «| 20,6% | En Se) ea 072 1155 | 185.1 4050: |: + 198% Nicht hämolytische Saponinkonzentrationen hatten keinen nachweisbaren Einfluss auf das Erythrocytenvolumen. Zusammenfassung. 1. Die indifferenten Narkotika bewirken in nicht hämo- lytischen Konzentrationen eine Verkleinerung des Blutkörperchen- volumens, die auf eine Entquellung des Protoplasmas zurück- zuführen ist. Die Hemmung der durch Hypotonie verursachten Hämolyse ist dadurch bedingt. 2. Die Ursache der Cytolyse (Hämolyse) durch Narkotika in höherer Konzentration, Wärme und Hypotonie ist eine ein- heitliche Sie beruht in einer Zustandsänderung der Protoplasmakolloide (Quellung). 3. Der Angriffspunkt zytolytischer Agenzien ist nicht in die Membran, sondern ins Protoplasma zu verlegen. 4, Die Annahme einer lipoiden Umhüllung der Zellen ist nicht berechtigt. Sie ist auch nicht zur Erklärung des leichten und raschen Eintrittes fettlöslicher Stoffe in die Zelle notwendig. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass die Zellen von einer Eiweissmembran (Haptogenmembran) begrenzt sind. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. hi) Über die Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik auf Vorgänge im tierischen Organismus. Von Curt Wachtel, Berlin. s1ı. Eine Untersuchung über die Anwendbarkeit des zweiten Haupt- satzes der Thermodynamik auf. Vorgänge im tierischen Organismus wird manchem überflüssig erscheinen, da ja der zweite Wärmesatz ein allgemein anerkanntes Naturgesetz enthält, dessen allgemeine ‚Gültigkeit billigerweise nicht in Zweifel gezogen werden darf. Dem- gegenüber sei jedoch darauf hingewiesen, dass der zweite Hauptsatz ein Erfahrungssatz ist, dessen Gültiekeit für das Gebiet derjenigen Vorgänge, die von der exakten Physik behandelt werden, ausser Frage steht; dagegen ist es bisher in keinem einzigen Falle gelungen, die Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes auf Vorgänge im leben- den Organismus so einwandfrei zu erweisen, wie es einer exakten physikalischen Betrachtungsweise entspricht. Auf Grund zahlreicher Erfahrungen hat sich die Physik von der Anschauung freigemacht, als ob einem Naturgesetz unbedingste Gültigkeit zuzuschreiben sei, vielmehr lässt ein jedes Naturgesetz in gewissen Grenzfällen so weitgehend im Stiche,‘ dass die Festlegung der Grenzen des Bereiches, innerhalb dessen es unbedingt gültig ist, eine der wichtigsten Auf- gaben werden kann. Wir werden später zu erörtern haben, welchen Einschränkungen die Gültiekeit des zweiten Hauptsatzes auf dem Gebiete der reinen Physik unterliegt. Zum Beweise dafür, wie wenig die Bedeutung des zweiten Hauptsatzes für das Geschehen im tierischen Organismus klargestellt ist, sei hier folgende Bemerkung von von Smoluchowski!) angeführt: 1) M. v. Smoluchowski, Gültigkeitsgrenzen des zweiten Hauptsatzes der Wärmetheorie. Vorträge über die kinetische 'Theorie der Materie und der Elek- trizität. Gehalten in Göttingen auf Einladung der Kommission der W olfskehl- Stiftung von M. Planck, P. Debye usw. S. 119. Leipzig 1914. Über die Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik usw. 67 „Ein Perpetuum mobile ist also möglich, falls man nach der üblichen Methode der Physik den experimentierenden Menschen als eine Art ‚Deus ex machina‘ auffasst, welcher von dem momentanen Zustand der Natur fortwährend gerau unterrichtet ist und die mikro- skopischen Naturvorgänge in beliebigen Momenten ohne Arbeits- leistung in Gang setzen oder unterbrechen kann. Er brauchte so- mit durchaus nicht wie ein Maxwell’scher Dämon die Fähigkeit zu besitzen, einzelne Moleküle abzufangen, würde sich aber doch schon in obigen Punkten von wirklichen Lebewesen unterscheiden. Denn die Hervorbringung irgendeines physikalischen Effektes durch Betätigung des sensorischen wie auch des motorischen Nervensystems derselben ist immer mit einer Energieentwertung verbunden, ab- gesehen davon, dass ihre ganze Existenz an fortwährende Dissipation derselben gebunden ist.“ „Ob also bei Berücksichtigung dieser Umstände wirkliche Lebe- wesen dauernd oder wenigstens in regelmässiger Weise Arbeit auf Kosten der Wärme niedrigster Temperatur erzeugen können, erscheint wohl recht zweifelhaft, wiewohl unsere Unkenntnis der Lebens- vorgänge eine definitive Antwort ausschliesst.* 82 Die bisher angestellten Untersuchungen singen gewöhnlich in der Weise vor, dass der Betrachtung ein bestimmter, mehr oder weniger gut abgegrenzter bezw. abgrenzbarer physiologischer Prozess zugrunde gelegt und die bei diesem Vorgang auftretenden Enereie- wandlungen bestimmt, bezw. unter Zugrundelegung mehr oder minder" slaubwürdiger Hypothesen berechnet wurden; sodann wurde ein Gewinn- und Verlustkonto der umgewandelten Energiemengen auf- gestellt, daraus ein „Nutzeffekt“ berechnet und dieser mit dem bei Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes zulässigen Höchstwert des Nutzeffektes verglichen. Der andere mögliche Weg besteht darin, dass man die Gültigkeit des zweiten Hauptsatzes zunächst voraus- setzt, mit Hilfe desselben unter Zugrundeleeung eines bestimmten physiologischen Vorganges Folgerungen berechnet, die Zulässickeit dieser Folgerungen einer experimentellen Prüfung unterzieht und aus dem Ergebnis den Schluss auf die Gültigkeit des zweiten Haupt- satzes zieht. Beide Wege sind beschritten worden, ohne jedoch zu einem befriedigenden Resultat zu führen. Dieser Misserfolg beruht darauf, dass es bisher nicht gelungen und mit den uns 5* 68 Curt Wachtel: heute zur Verfügung stehenden Mitteln physiologischer Experi- mentierkunst anscheinend noch nicht möglich ist, einen im leben- den Organismus vorgehenden Prozess zu finden, der sich in allen Einzelheiten so weit analysieren liesse, dass alle für die Unter- suchung erforderlichen Grössen experimentell messbar wären. Der beste Beweis für die Unzulänglichkeit der angestellten Unter- suchungen ist darin zu sehen, dass bis in die neuste Zeit immer wieder neue Versuche angestellt wurden, so dass z. B. die Literatur über die Thermodynamik des Muskels bereits einen ver- hältnismässig erheblichen Umfang angenommen hat und beständig weiter wächst. So bedauerlich an sich die Erkenntnis von der Unzulänglichkeit unserer physiologischen Experimentierkunst auch sein mag, so dürfen wir uns derselben doch nicht verschliessen, Wenn wir trotzdem versuchen wollen, uns über die Gültigkeit des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik für Vorgänge im tierischen Organismus klar zu werden, so bleibt uns nur noch die Möglichkeit einer Prüfung unter Anwendung einer rein formalistischen Be- trachtungsweise. Wir werden also eine für die Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes charakteristische Eigenschaft physikalischer Pro- zesse finden müssen, und werden, falls dieselbe auch den in Frage stehenden Vorgängen im lebenden Organismus zukommt, daraus den Schluss auf die Gültigkeit des zweiten Hauptsatzes für letztere Vor- eänge ziehen können. Demgemäss soll in den folgenden Betrachtungen gezeigt werden, dass die für diesen Zweck in Betracht kommende charakteristische Eigenschaft die Irreversibilität physikalischer Vorgänge ist, dass also, wenn der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie richtig ist, sämtliche Naturprozesse in Wirklichkeit irreversibel sind, daher auch umgekehrt, wenn sämtliche Vorgänge im tierischen -Organismusirreversibel sind, der zweite Hauptsatz uneingeschränkt für alles organische Geschehen Gültiekeit besitzt. Im Interesse einer einheitlichen Darstellung soll auf die Gefahr hin, allgemein Bekanntes zu erörtern, die Bedeutung des Irreversibili- tätsbegriffes sowohl vom thermodynamischen wie vom molekular- kinetischen Standpunkte aus abgehandelt werden. Im Zusammen- hang damit werden kurz die allgemeinen Einschränkungen, denen die Gültigkeit des zweiten Hauptsatzes unterworfen ist, erörtert a a Baur Über die Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik usw. 69 werden. Im Anschluss hieran wird sich, wie ich hoffe, die Be- sprechung der physiologischen Prozesse wesentlich vereinfachen. Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie enthält das Prinzip von der Erhaltung der Energie für solche Vorgänge, bei denen Um- setzungen von Wärme stattfinden, sei es, dass ein dem Vorgang unterworfenes Körpersystem Wärme aufnimmt oder abgibt, sei es, dass mechanische oder andere Energiearten in Wärme verwandelt werden oder aus Wärme entstehen. Bezeichnen wir mit U die Änderung der gesamten Energie eines abgeschlossenen Körpersystems, so ist nach dem Energieprinzip: N Eee) das heisst in Worten: die einem gesen alle äusseren Einwirkungen abgeschlossenen Körpersystem innewohnende Energie ist konstant. Ist das betrachtete Körpersystem nicht gegen die Aussenwelt abgeschlossen, so ist die Energieänderung, welche das System bei irgendeinem natürlichen Vorgange erleidet, gleich der von dem System geleisteten Arbeit A vermindert um die dem System zu- seführte Wärmemenge ®: UA el Ge.) Für den Grenzfall (A—=0, ®=0) geht. diese Gleichung in die erste über, bildet also eine allgemeine Forniulierung des Energie- prinzips. N Die oberflächliche Betrachtung dieser Gleichungen hat gelegent- lich dazu geführt, in dem Energieprinzip nichts anderes als eine Definition zu erblicken. Denn wenn Gleichung (1) in irgendeinem speziellen Falle nicht zuträfe, so brauchte man nur eine neue Energieform einzuführen, um die Gleichung wieder zu befriedi- gen, und Gleichung (2) lehrt scheinbar nichts anderes als die Messung einer Enersiedifferenz. Darnach besässe das Energieprinzip eine rein formalistische Bedeutung. Dass diese Betrachtungsweise zu eng ist, ergibt sich ohne weiteres, wenn man den Inhalt der Gleiehung (2) folgendermaassen ausspricht: Erleidet ein Körper- system eine bestimmte Zustandsänderung, so ist die Energieänderung unabhängig von der Art des Überganges. Leet man der Betrachtung einen Kreisprozess zugrunde, bei welehem Anfangs- und Endzustand 70 Curt Wachtel: identisch sind, also U—=0 ist, so folgt aus Gleichung (2), dass die von dem System während des Kreisprozesses geleistete äussere Arbeit A der aufgenommenen Wärmemenge Q proportional ist: Ve En a 3) wo der Proportionalitätsfaktor J das mechanische Wärmeägquivalent bedeutet. $ 4. Aus der Gültigkeit des Energieprinzips ergibt sich ohne weiteres, dass es unmöglich ist, eine Maschine zu konstruieren, welche fort- während und unbegrenzt von sich aus äussere Arbeit zu leisten ver- mag. Eine solche Maschine bezeichnet man. als Perpetuum mobile erster Art. Jedoch erscheint es im Einverständnis mit dem ersten Hauptsatz durchaus im Bereich der Möglichkeit liegend, dass sich eine Vorrichtung finden liesse, die imstande wäre, die Wärme der Umgebung fortgesetzt in nutzbare Arbeit zu verwandeln. Das Lutt- meer oder der Ozean stellen infolge ihrer ungeheuren Wärme- kapazität ein unermessliches Enereiereservoir dar, aus dem die ge- dachte Vorrichtung beliebige Mengen von Wärme entnehmen könnte, um sie in äussere Arbeit zu verwandeln. Eine derartige Maschine bezeichnet man als ein Perpetuum mobile zweiter Art; zahlreiche Versuche haben es wahrscheinlich gemacht, dass eine solche Vor- richtung herzustellen unmöglich ist, und zu der Annahme geführt, dass die Existenz eines Perpetuum mobile zweiter Art mit einem Naturgesetz in Widerspruch stehe. Dieses Gesetz fanden Carnot und Clausius in dem zweiten Hauptsatze der Thermodynamik. Dieser lehrt die quantitativen Beziehungen, welche die Verwandel- barkeit der Energie einschränken. Den wesentlichen Inhalt des zweiten Hauptsatzes bildet daher die Aussage, dass sich ein be- stimmter Vorgang in einer bestimmten Richtung vollziehen muss. Betrachten wir z. B. die Joule’schen Versuche zur Bestimmung des mechanischen Wärmeäquivalents, so wäre es mit dem ersten Wärmesatze durchaus vereinbar, den Prozess vollständig rückgängig zu machen, indem man dem Flüssigkeitsreservoir die durch die Reibung der Schaufelräder beim Sinken des Gewichtes entstandene Wärmemenge mit Hilfe irgendwelcher beliebiger Mittel entzöge und dadurch das Gewicht wieder auf die ursprüngliche Höhe höbe. Dass dies tatsächlich unmöglich ist, lässt sich nicht a priori beweisen, vielmehr müssen wir es als Erfahrungstatsache hinnehmen. Unter „vollständig rückgängig“ machen versteht man dabei, dass der End- a en nd Sl in a Über die Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik usw. 71 zustand in allen Einzelheiten mit dem Anfangszustand durchaus identisch ist, dass also nicht nur das Wärmereservoir wieder genau die gleiche Temperatur und das Gewicht genau die gleiche Höhe besitze wie im Anfang, sondern dass auch alle für die Wieder- herstellung des Anfangszustandes benutzten Mittel sich wieder in genau dem gleichen Zustand befinden, den sie zu Anfang hatten. Ein Vorgang, der in diesem Sinne vollständig rückgängig gemacht werden kann, heisst „reversibel“, ist dies nieht möglich, ‚ir- reversibel“. Ist von einem in der Natur sich abspielenden Vor- gang der Anfanes- und der Endzustand in allen Einzelheiten be- kannt, so liefert der zweite Hauptsatz eine Beziehung zwischen den für die beiden Zustände charakteristischen Grössen und das Kriterium für die Reversibilität oder Irreversibilität, also für die Richtung des Voreanges. Hierin besteht die Bedeutung des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik. $ 5. Für die mathematische Formulierung des zweiten Hauptsatzes reichen wir daher mit dem Energiebegriff nicht aus, vielmehr gilt es eine Grösse zu finden, welche durch einen bestimmten Zustand des betrachteten Systems genau/bestimmt ist und welche ausserdem die Eieenschaft besitzt, bei Zustandsänderungen des Systems ent- weder konstant zu bleiben, sofern diese reversibel sind, oder zu wachsen, sofern es sich um irreversible Prozesse handelt. Diese Grösse ist von 'Clausius die Entropie $ des Systems genannt worden und ist definiert als die durch die absolute Temperatur 7 dividierte Differenz von Gesamtenergie U und freier Energie A. U—A Sn) Für einen Kreisprozess, bei welchem Anfangs- und Endzustand identisch sind, ergibt daher der zweite Hauptsatz, dass die mit dem Vorgang verbundene Entropieänderung gleich Null ist: NN ee AL), Für eine beliebige Zustandsänderung ist die Änderung der Entropie notwendig grösser als Null: AN SO ea (0) Ist das betrachtete Körpersystem nicht gegen die Aussenwelt ab- geschlossen, sondern nimmt es Arbeit und Wärme aus der Um- gebung auf, so ist die Entropieänderung, die es bei dem Vorgang erleidet, 72 Curt Wachtel: 48-2420. el) wobei 7 die absolute Temperatur der von dem System aufgenomme- nen Wärmemenge @ bedeutet. Somit postuliert der zweite Haupt- satz für alle Vorgänge in der Natur die Irreversibilität, sofern die- selben mit Reibung oder Wärmeleitung verbunden sind; reversible Prozesse haben lediglich die Bedeutung der idealen Grenzfälle.. Um- gekehrt würde im Sinne dieser Darstellung der zweite Hauptsatz seine Bedeutung als Naturgesetz völlig einbüssen, sobald es gelänge, einen der natürlichen als irreversibel geltenden, Vorgänge umkehrbar zu gestalten !). $ 6. Des weiteren ist es noch erforderlich, die Bedeutung des zweiten Hauptsatzes einer kurzen Besprechung vom Standpunkte der kine- tischen Molekulartheorie aus zu unterziehen, da sein Geltungsbereich durch diese in gewissen Beziehungen eingeschränkt wird und der Irre- versibilitätsbegriff im Zusammenhange damit ebenfalls begrenzt wird. Bei der molekularkinetischen Behandlung thermodynamischer Zustände kann man so vorgehen, dass man für jedes einzelne Molekül des betrachteten Systems die charakteristischen Koordinaten für einen bestimmten Zeitpunkt angibt und dadurch die erfolgenden Zustands- änderungen des Systems für beliebig lange Zeiten im voraus ein- deutig bestimmt. Eine derartige Betrachtungsweise bezeichnet man mit Planck als „mikroskopisch“. Der Mikrobeobachter ist also ein mit übermenschliehen Fähigkeiten begabtes Wesen, das imstande ist, einzelne Moleküle auf ihrem Lebenswege zu verfolgen, entsprechend dem eingangs erwähnten Max well’schen Dämon. Im Gegensatz dazu steht der Makrobeobachter, welcher viel ein- facher zu Werke geht, da er für die einzelnen Moleküle als In- dividuen kein Interesse hat und nicht haben kann, weil ihm das Mittel fehlt, Eigenschaften einzelner Moleküle wahrzunehmen. Der Makrobeobachter muss sich damit begnügen, einzelne Parameter des Systems zu berücksichtigen, welche von einer in der Regel grossen Anzahl von Molekülen dargestellt werden und der Messung bequem 1) Die Darstellung der vorangehenden Paragraphen seschah im engsten An- schluss an: Nernst, Theoretische Chemie, 5. Aufl., S. 16—31. 1909. — Planck, Thermodynamik, 4. Aufl., 8. 76#f. 1913. — Planck, Über neuere thermodynamische Theorien S.5ffl. Leipzig 1912. — Die Darstellung der foleenden Paragraphen folgt: M. v. Smoluchowski,l. c. S. 37—121. Über die Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik usw. 73 zugänglich sind. Er beschränkt sich auf die Beobachtung von Volumen, Druck, Schwerpunktskoordinaten usw. Die Betrachtungs- weise des Makrobeobachters ist also wesentlich einfacher als die des Mikrobeobachters, da sie eine viel geringere Anzehl von Zahlen- angaben erfordert. Dafür verzichtet der Makrobeobachter aber auf die eindeutige Festlegung der Zustandsänderungen des Systems. Denn jeder Makrozustand urnfasst eine überaus grosse Anzahl von Mikrozuständen, deren jeder eine eigene von den andern verschiedene Richtung der Zustandsänderung bedingt. Der Mikrobeobachter be- rechnet das zeitliche Geschehen mit eindeutiger Bestimmtheit, der Makrobeobachter nur mit Wahrscheinlichkeit. Im Verlaufe genügend langer Zeiträume werden alle möglichen Makrozustände einmal durchlaufen, wobei sich die einzelnen Makro- zustände sehr verschieden häufig wiederholen, die Wahrscheinlichkeit der einzelnen Zustände wird also sehr ungleich sein. ‚Von dieser Auffassung ausgehend‘ konnte Boltzmann zeigen, dass die Entropie eines Makrozustandes dem Logarithmus seiner Wahrscheinlichkeit proportional ist. Damit ist die molekularkinetische Definition des Entropiebegriffes gegeben. Diejenigen Zustände, welche die grösste Zahl gleichartiger Mikro- zustände umfassen, die also am häufigsten vorkommen und das durch- schnittliche Verhalten des betrachteten Systems innerhalb sehr grosser Zeitabschnitte darstellen, sind die wahrscheinlichsten und entsprechen daher dem Maximum der Entropie. Die merklich weniger wahr- scheinliehen Zustände, denen also ein geringerer Entropiewert zu- kommt, werden so viel seltener in Erscheinung treten, dass das durehschnittliche Verhalten des Systems während unermesslich langer Zeiträume dem zweiten Hauptsatze gemäss stattfinden wird. Se Nach diesen Vorbemerkungen können wir voraussehen, dass sich das Verhalten natürlicher Systeme zunächst in folgenden zwei Fällen von dem vom zweiten Hauptsatz geforderten unterscheiden wird, nämlich erstens für den Fall, dass das beobachtete System aus einer so geringen Anzahl von Molekülen besteht, dass die Ab- weichungen (Schwankungen um den Mittelwert) vom durchschnitt- lichen Verhalten wahrnehmbar werden; zweitens für den Fall, dass die innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zu erwartende maximale Abweichung vom durchschnittlichen Verhalten in Erscheinung tritt. Sn 74 Curt Wachtel: Ein Beispiel möge zur Erläuterung angeführt werden. Be- trachten wir eine kolloidale Goldlösung mit Hilfe des Ultramikro- skops und bestimmen wir in bestimmten Zeitabständen die Zahl der im Gesichtsfeld befindlichen Goldteilchen und findet man etwa folgende Reihe: 12000200132412310211113112511102331, usw., so finden wir, dass gegenüber dem aus der Reihe hervorgehenden Mittelwert v = 1,55 sehr erhebliche Schwankungen auftreten. Da jede Partikel der dispersen Phase mit gleicher Wahrscheinlichkeit irgendeine Lage innerhalb des Gefässes annehmen kann und im Laufe der Zeit auch alle möglichen Lagen einnehmen wird, so ist der wahrscheinlichste Fall, der der gleichmässigen Verteilung, der unwahrscheinlichste der, dass alle Teilchen in dem betrachteten Raume anwesend sind, der Rest des Gefässes aber leer ist. Der _ Thermodynamiker muss also fordern, dass in jedem Augenblick eiu bis zwei, genau 1,55 Körper im Gesichtsfeld vorhanden sind. In Wirklichkeit stellen also die in der angeführten Reihe gefundenen Abweichungen vom Mittelwert ebenso viele Abweichungen vom zweiten Hauptsatz dar, und in dem zweiten Falle, dass alle vor- handenen Teilchen sich in einem Augenblick im Gesichtsfeld be- finden, haben wir den anderen Modus des tatsächlichen Versagens des zweiten Hauptsatzes vor uns. Nach welcher Zeit dieser zweite Fall eintreten wird, lässt sich nicht abschätzen. Für die 13 Minuten dauernde Beobachtungsreihe von The Svedberg beträgt die maxi- male Abweichung 7. Handelt es sich um Systeme, die eine sehr grosse Anzahl von Molekülen enthalten, so wird die dritte Fehlergrenze des zweiten Hauptsatzes gegeben durch die Bestimmung der Wiederkehrzeit der- jenigen Zustände, welche von dem durchschnittlichen Verhalten des beobachteten Systems abweichen. Auf. Grund eingehender Wahr- scheinlichkeitsberechnungen, deren Aufführung in diesem Zusammen- hange zu weit vom Ziele abführen würde, sucht v. Smoluchowski die Zeit zu bestimmen, innerhalb deren in einem Würfel von 1 cm Seitenlänge in einer Mischung gleicher Teile Sauerstoff und Stick- stoff einmal selbsttätig eine teilweise Entmischung derart einträte, dass die Konzentration des Sauerstoffs in der einen Hälfte des Raumes um etwa 1°/o höher wäre als in der anderen. Er findet 14 i B \ 5 1 die fragliche Zeit von der Grössenordnung 10 ® Sekunden. Über die Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik usw. 75 gs. Aus den vorstehenden Wahrseheinlichkeitsbetrachtungen ergibt sich einerseits, dass vom molekularkinetischen Standpunkte aus streng genommen irreversible Prozesse nicht existieren. Denn man braucht die Beobachtuneszeit nur hinreichend lange zu wählen, um für jeden beliebigen Vorgang das Prinzip der Irreversibilität ausser Kraft gesetzt zu sehen. Andererseits aber hat sich aus den quanti- tativen Berechnungen ergeben, dass die in Frage kommenden Zeit- räume so ungeheuer gross sind, dass die praktische Bedeutung der Thermodynamik dadurch nicht beeinträchtigt wird; Ob der mensch- liche Beobachter einen Vorgang als irreversibel auffassen muss oder nicht, hängt lediglich davon ab, ob der Anfaneszustand des be- trachteten Systems sich im Augenblick mehr oder weniger dem durch- sehnittlichen Verhalten des Systems nähert. Bei der Kürze des menschlichen Lebens und der ungeheuer geringen Wahrscheinlich- keit der vom Durchschnitt abweichenden Zustände werden wir jedoch _ fast niemals die automatische Wiederkehr derselben erleben. Immer- hin aber begeht der Thermodynamiker, welcher die Irrevessibilität der Naturvoreänge postuliert, — um einen Vergleich von v. Smolu- chowski zu gebrauchen, — denselben Fehlschluss, wie etwa die ersten Frühlingsblumen glauben könnten, dass das Klima des Welt- alls immer wärmer werde, da sie die Abkühlung im Herbst niemals erleben. Zusammenfassend können wir bemerken, dass trotz der Ein- schränkungen, welche die thermodynamische Formulierung des zweiten Hauptsatzes von seiten der statistischen Molekulartheorie erfährt, für die praktische Anwendung die Bedeutung der Irreversibilität natürlicher Vorgänge als das Kriterium für die Gültigkeit des zweiten Hauptsatzes in vollem Maasse bestehen bleibt. $9. Zur Vermeidung von Missverständnissen bei der Frage- stellung der nunmehr beginnenden Besprechung der in Betracht kommenden physiologischen Vorgänge sei nochmals besonders hervorgehoben, .dass es sich nicht um die Beantwortung der Frage handelt, ob der tierische Organismus eine kalorische Maschine ist oder nicht, auch nicht um die Frage, ob der Muskel eine einfache oder eine kalorische Maschine ist, oder ob er chemische oder Oberflächen- energie in Arbeit umwandelt. Es handelt sich auch nicht darum, 76 Curt Wachtel: den mechanischen Wirkungserad des Gesamtorganismus oder des Muskels zu berechnen, vielmehr haben wir nichts anderes zu tun, als die vorhandenen tkermodynamischen Untersuchungen, welche unter Zugrundelegung physiologischer Vorgänge angestellt wurden, darauf hin zu sichten, ob es gelungen ist, einen Vorgang zu finden, welcher die Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes zu beweisen gestattet. Alle Untersuchungen der oben erwähnten Art haben in diesem Zusammenhange nur eine sekundäre Bedeutung, insofern sie uns unter Umständen das Zahlenmaterial an die Hand liefern, auf Grund dessen wir die Berechtigung oder Nichtberechtigung der An- wendbarkeit des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik prüfen können. Bekanntlich hat Danilewsky!) den Bruchteil der als äussere Arbeit erscheinenden, vom Organismus täglich gelieferten Gesamt- enereie zu etwa 20°0o berechnet. Er kommt zu diesem Resultat, indem er die mechanische Leistung eines Arbeiters in einer Sekunde zu 7 kgm annimmt, bei achtstündiger Arbeitsleistung also zu einer Summe von rund 200000 kem gelanst, während die gesamte tägliche Energieproduktion 1371000 kem beträgt. Rechnet man dazu die Arbeit des Herzens, der Atemmuskeln, der. akzessorischen Muskel- kontraktionen usw. mit zirka 100000 kem, so erhält man den Quotienten von 300 0000/1371000. Nun ist ohne weiteres zuzugeben, dass es wohl keinen Menschen bisher gegeben hat, der eine der- artige Arbeitsleistung ohne Ruhepause wirklich hervorzubringen im- _ stande wäre. Man?) hat deshalb versucht, unter Zugrundelesung anderer Verhältnisse, die den natürlichen Arbeitsbedingungen körper- lich arbeitender Menschen näher kommen, günstige Resultate zu errechnen, und hat auf diese Weise weit niedrigere Werte für die Arbeitsleistung des menschlichen Gesamtorganismus erhalten. Es liegt auf der Hand, dass derartige Berechnungen, welche jeder Will- kür freiesten Spielraum lassen, für unsere Untersuchungen keinen Wert haben können. | s 10. Je nach der Art der zugrunde gelegten Arbeit hat man Quotienten berechnet, welche zwischen 1 und 12°/o schwanken. Die Tatsache, 1) Pflüger’s Arch. Bd. 30 S. 176. 1882. 2) E.Simonson, Der Organismus als kalorische Maschine und der zweite Hauptsatz S. 14ff. Charlottenburg 1912. Über die Anwendbarkert des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik usw. 77 dass der Mensch in der Not Sekundenleistungen bis zu mehr als ‘einer Pferdestärke hervorbringen kann, hat ebenfalls zu Zweifeln darüber geführt, ob man den tierischen Organismus als Wärme- maschine betrachten dürfe, dass er vielmehr einem Elektrizitätswerk vereleichbar sei, in welchem der zweite Wärmesatz unmittelbar nur auf die eigentlich treibende Dampfmaschine angewandt werden dürfe, nieht aber auf das ganze Werk. Auf Grund der bekannten Unter- suchungen von Rubner und Atwater bestreitet Zuntz!) die Berechtigung der Schreber’schen?) Auffassung, da dureh die Untersuchung der erstgenannten Autoren als erwiesen angesehen werden könne, dass eine Aufspeieherung von Energie im rubenden Organismus in nennenswertem Maasse nicht stattfinde. Auch über diese Frage ist es bei weitem noch nicht gelungen, Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Autoren herbeizuführen. Inwiefern der Blutzucker und das Glykogen der Leber oder irgendwelche andere energiespeichernde Einrichtungen im tierischen Organismus in diesem Zusammenhange als Akkumulatoren aufzufassen sind, ist je nach der Stellunenahme der verschiedenen Untersucher verschieden beurteilt worden. _Aus der Art der zuerunde gelesten Vorgänge, aus der Willkür und der grossen Zahl der dabei unterlaufenden Schätzungen ergibt sich ohne weiteres, dass wir alle diese Untersuchungen bei der Beantwortung der vorliegenden Frage ausschalten müssen, da das Zahlenmaterial, welches sie liefern, jeder Zuverlässigkeit ent- behrt, besonders aus dem Grunde, weil es unmöglich ist, für kurze Zeiträume das Verhältnis der wit der Nahrung aufgenommenen Energie und der geleisteten Arbeit zu vergleichen. Auf Grund dieser Erwägung glaubten wir es unterlassen zu dürfen, auf die umfang- reichen Diskussionen näher einzugehen, welche über die Frage an- gestellt worden sind, ob der tierische Gesamtorganismus als kalorische Maschine zu betrachten sei oder nicht. gs 11. An dieser Stelle sollen einige Bemerkungen über die Anwendbar- keit des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik auf physiologische ‚Vorgänge eingefügt werden. Das Gesetz von der Erhaltung der Energie im Tierkörper schlechtweg als Axiom aufzustellen, wie Liebig es tat, oder als „Denknotwendiekeit“, welche eines ex- 1) N. Zuntz, Physik. Zeitschr. Bd. 3 Nr. 9. 1902. 2) Schreber, Physik. Zeitschr. Bd. 3 Nr. 6 u. 12. 1902. 78 Curt Wachtel: perimentellen Hinweises nieht bedarf, diese Anschauungen konnten in der Biologie ebensowenig auf die Dauer aufrecht erhalten werden, wie es in der reinen Physik als irrtümlich bezeichnet werden musste, wenn man gelegentlich in dem ersten Hauptsatze nichts, weiter als eine Definition erblicken wollte. Deshalb stellte als erster Helm- holtz!) den Versuch eines experimentellen Beweises für die Gültig- keit des Gesetzes von der Erhaltung der Energie im Tierkörper auf. Doch verfügte Helmholtz nicht über ausreichend genaues Zahlen- material, so dass er die Frage nur „annähernd bejahen“ zu können glaubte. Auf eine exakte experimentelle Grundlage wurden diese FErörterungen erst durch die Untersuchungen von Rubner?) gestellt, welcher 99,5 °/o der Energie, die von Tieren mit der Nahrung auf- _ u senommen wurde, in den Ausgaben wiederfand. Diese Ergebnisse waren erst möglich, nachdem es gelungen war, die zuverlässigen Methoden der Ernährungsphysiologie auszugestalten. Auf eine nähere Besprechung der Untersuchungen von Rubner und Atwater ein- zugehen, würde den Rahmen der vorliegenden Abhandlung über- schreiten. Wir wollen uns auf den Standpunkt stellen, dass die Gültigkeit des ersten Hauptsatzes für den Tierkörper durch die an- geführten experimentellen Untersuchungen zum mindesten im aller- höchsten Maasse wahrscheinlich gemacht worden ist. $ 12. Auf eingehenderen ernährungsphysiologischen Untersuchungen über die Muskelarbeit fussen die Untersuchungen über die Thermo- dynamik des Muskels von Chauveau und Zuntz. Besonders die klassischen Arbeiten von Zuntz haben zu einer genaueren Kenntnis von dem Wirkungsgrad des Muskels geführt. Es ist hier nicht der Ort, in eine eingehende Besprechung der Ghauveau’schen und Zuntz’schen Ableitungen einzutreten. Bezüglich der Einzelheiten muss auf die Originalarbeiten und auf die ausführlichen Abhand- lungen von Frank°®) und Weiss“) verwiesen werden. 1) H. v. Helmholtz, Über die Erhaltung der Kraft S. 69 u. 70. Berlin 1847, und Enzykl. Wörterb. d. mediz. Wissenschaften. Art. „Wärme“. 2) Vgl. z. B. M. Rubner, Kraft und Stoff im Haushalte der Natur S. 23ff. Leipzig 1909. 8) O. Frank, Eh nn des Muskels. Ergebn. d. Physiol. Bd. 3 H.2 S. 348. 1904. Br 4) G. Weiss, Die Muskelarbeit nach den Untersuchungen von Chauveau. Ergeb. d. Physiol. Bd. 9 S. 369. 1910. Über die Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik usw. 79 Es soll zunächst nur andeutungsweise wiedergegeben werden, dass Chauveau eine Formel abgeleitet hat, welche eine Verfolgung der im Motor vorgehenden Energiewandlungen mit befriedigender Genauigkeit zulässt, solange es sich um einen in allen Einzelheiten bestimmten Einzelvorgang und einen bestimmten Motor handelt. Die Formel von Chauveau lautet: D = PH+0,+ Q,, worin bedeutet: D = Gesamtausgabe, PH == Arbeit beim Heben des Gewichtes P auf die Höhe ZH, %, = die dem Motor zu liefernde Enereie, wenn er einfach das Gewicht hält; ‘0 —- die dem Motor zu liefernde Energie, wenn er sich leer mit derselben Geschwindigkeit dreht, wie wenn er die Arbeit PH verrichtet. Da es nicht möglich ist, alle Glieder der Chauveau’schen Formel in derselben Einheit zu messen, z. B. die Äquivalenz von PH als absorbiertem O, und abgegebener CO,, so ist die Be- stätigung der Chauveau’schen Formel am Muskel nicht gelungen. Bei dem einfachen Halten eines Gewichtes erscheint die ver- brauchte Energie vollständig als Wärme wieder. Die Summe der Wärmemengen, welche beim einfachen Halten des Gewichtes und bei der Erzeugung der Geschwindigkeit im Leeren entwickelt werden, müsste also der Wärmemenge gleichen, die beim Heben des Ge- wichtes entwickelt wird. Diese Wärmemenge musste man messen. Die übergrosse Feinheit dieser Messungen stellt das Resultat so sehr -in Frage, dass die Chauveau’schen Ergebnisse für die Prüfung der Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes auf die Thermodynamik des Muskels nicht mit Aussicht auf Erfolg herangezogen werden könnten. Im besten Falle würden sich Annäherungswerte ergeben. $ 18. Zuntz sucht den Wirkunesgrad der Muskeltätigkeit zu be- stimmen durch Untersuchung des Stoffwechsels des gesamten Tier- körpers unter dem Einfluss der Muskeltätigkeit. Er berechnet den Wirkungserad für die Steigarbeit aus der Differenz dieser Steig- arbeit und der bei der horizontalen Bewegung geleisteten Arbeit, indem er sie in Verhältnis zu den Differenzen des gesamten Energie- aufwandes in beiden Fällen setzt, ohne dass er es unterlässt, die Arbeitsleistung bei der horizontalen Bewegung zu schätzen. Es be- 80 Curt Wachtel: steht daher nieht der geringste Zweifel, dass die Untersuchuneen von Zuntz zu einer ausreichend genauen Kenntnis von dem maxi- malen Wirkungsgrad der Muskeln führen, obwohl die strenge Defini- tion des Wirkungsgrades verlangt, dass die gesamte äussere Arbeit, die bei dem Steigen geleistet wird, durch den gesamten Energie- aufwand, der zu der Leistung dieser Arbeit nötig ist, dividiert wird. s 14. Weit weniger erheblich sind für uns die umfangreichen Er- örterungen darüber, welcher Art die Energiewandlungen im arbeiten- den Muskel sind. In den Untersuchungen von Fick!) ist der maxi- male Wirkungskreis für den ausgeschnittenen Froschmuskel unter günstigen Bedingungen zu etwa 25—30 °/o berechnet worden, und es liegt Veranlassung vor, diese Zahl der Grössenordnung nach als richtig zu betrachten. In der Diskussion darüber, inwiefern der Muskel als thermodynamische oder chemische Maschine aufzufassen ist, sucht Fick die Anziehungskräfte chemischer Natur durch grobe Vor- stellungen anschaulich zu machen. Biedermann?) charakterisiert diese als „Beispiel für eine gewisse Art mathematisch-physikalischer Betrachtungsweise von Vorgängen innerhalb lebendiger Substanzen, die unter dem Anschein der Exaktheit doch mehr geeignet erscheint, Unklarheit zu fördern, als ein wirkliches Verständnis anzubahnen‘. Bernstein?) fasst die Energie des Muskels als Oberflächen- energie auf. In der Oberflächenschicht vollzieht sich nach Bern- stein die Umsetzung der Energie in Arbeit direkt aus der chemi- schen Energie, während in der übrigen Masse der tätigen Muskel- substanz aus der chemischen Energie direkt Wärme gebildet wird. Als Verhältniszahl für Oberflächenspannung zu Gesamtenereie ergibt sich 0,20, was in der Grössenordnung der von Fick geforderten Zahl entspricht. Abgesehen von der Frage, ob eine derartige Auffassung über- haupt berechtigt ist, ob die Oberflächenenergie wirklich als Quelle der Muskelkraft anzusehen ist, so sind doch alle diese Berechnungen viel zu ungenau, um an ihrer Hand in eine Prüfung der Anwendbar- keit des zweiten Hauptsatzes eintreten zu können. i 1) Vgl. z. B. Myothermische Untersuchungen. Wiesbaden 1889. 2) W. Biedermann, Vergleichende Physiologie der irritablen Substanzen. Ergeb. d. Physiol. Bd. 8 S. 183. 1909. 3) J. Bernstein, Pflüger’s Arch. Bd. 35 S. 308ff. 1901. Über die Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik usw. 8] $ 15. In einer Reihe von Arbeiten!) findet der zweite Hauptsatz An- wendung zur Berechnung der osmotischen Arbeit der Nieren. Von der Tatsache ausgehend, dass die Gesamtkonzentration des Harns diejenige des Blutes übersteigt, werden Zahlenwerte berechnet, welche die sekretorische Arbeit der Niere darstellen sollen. Abgesehen von der Erörterung, inwiefern derartige Berechnungen experimentell be- friedigende Grundlagen besitzen, liest es klar auf der Hand, dass sie für eine Prüfung der Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes nicht in Betracht kommen, da hierzu erforderlich wäre, dass sämt- liche Partialdrucke der im Blut und im Harn gelösten Stoffe genau bekannt wären, was bei weitem nicht der Fall ist, und da ferner diese Berechnungen nur für den idealen Grenzfall zuträfen, dass die Nierenarbeit ein reversibler Prozess wäre, was ebenfalls im höchsten Maasse unwahrscheinlich ist. Ebensowenig führt die thermodynamische Behandlung bio- elektrischer Ströme durch Bernstein?) zu Resultaten, welche für den vorliegenden Zweck verwertbar sind. Alle angeführten sowie zahlreiche nicht erwähnte Untersuchungen dieser Art stellen teils mehr, meist weniger erfolgreiche Anwendungen des zweiten Haupt- satzes auf physiologische Vorgänge dar, ohne. dass ein einziger Fall bekannt geworden wäre, welcher einwandfrei für die Gültigkeit des zweiten Hauptsatzes spräche. $ 16. Eine andere Gruppe von Vorgängen legen Baron und Pölänyi°) ihren Untersuchungen zugrunde, nämlich gewisse chemische Reaktio- nen der Reaktionsreihen, welehe im Organismus von dem Stoff- wechsel vollzogen werden, wie z. B. die Verbrennung von Trauben- zucker zu Wasserdampf und Kohlendioxyd.. Im Gegensatz zu Zuntz u. a., welche mit dem Vorhandensein erheblicher Temperatur- differenzen zwischen einzelnen Regionen des homoiothermen Orga- nismus rechnen, nehmen Baron und Pölänyi an, dass die von ihnen untersuchten Vorgänge isotherm verlaufen, weil durch diese l)v. Rhorer, Pflüger’s Arch. Bd. 109 S. 375. 1905. — Galeotti, Engelmann’s Arch. 1902 S. 200. — Dreser, Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 29 S. 303. 1892. 2) Pflüger’s Arch. Bd. 92 S. 521. 1902. 8) Biochem. Zeitschr. Bd. 53 S. 1. 1913. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 6 82 j Curt Wachtel: Annahme die Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes vereinfacht wird. Um die Veränderung der freien Energie bei chemischen Pro- zessen zu berechnen, ist die Kenntnis der Reaktionskonstante nötig. Zur Bestimmung der gesamten Veränderung der freien Energie für eine nicht zu kurze Zeitperiode bedarf man daher der Anwendung des Nernst’schen Wärmetheorems. Da die Temperaturkurve der spezifischen Wärme bei den untersuchten Substanzen nicht bestimmt ist, bedienen sich Baron und Pölänyi einer für diesen Fall von Nernst angegebenen Annäherungssformel. 5 Die Summe der Abnahme und der Zunahme der freien Enereie im Organismus und in jenen Körpern, an die der Organismus freie Energie abgibt, bzw. von denen er solche aufnimmt, dienen zur Berechnung der Bilanz der Veränderungen der freien Enereie für einen speziellen Stoffwechselversuch. Vorausgesetzt wird, dass alle Veränderungen im Organismus während der untersuchten Periode sowie alle Veränderungen der Stoffe, die den Organismus während dieser Zeit passiert haben, im Endergebnisse nichts anderes als Verbrennung des Eiweisses, Fettes und Zuckers sowie Fettbildung aus Zucker sind. Daneben kann der Organismus noch mechanische Arbeit celeistet haben. Immer muss die gesamte Abnahme der freien Energie grösser sein als die Wärmeabgabe, und zwar sind diese um nicht mehr als 13 °/o voneinander im Organismus verschieden, wenn es sich um Reaktionen mit grossen Wärmetönungen handelt, wie dies für die angeführten Stoffwechselprozesse zutrifft. Allein die speziellen Dimen- sionen der Abnahme der freien Energie der speziellen Vorgänge, um die es sich handelt, führen zu dem Ergebnis, das keineswegs aus dem zweiten Hauptsatz im allgemeinen zu folgern ist. Wenn die Veränderungen der freien Energie nicht bekannt sind, so sagt der zweite Hauptsatz nichts. $ 17. Für die speziellen Vorgänge werden folgende Be- dingungen aufgestellt: > Die Verbrennung von Traubenzucker im Organismus erfolgt nach der Formel: 66H4205 4 C0;,—=6H,0 +6C0,, Temp. — 37°C.; Anfangszustand:: fester Zucker und Sauerstoff von 150 mm Spannung. Über die Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik usw. 83 Endzustand: CO, von 40 mm und Wasserdampf von 20 mın Spannung. Verbrennung von Fett (Tristearin): O5, Hy10o Os + 81,5 O, = 57 CO, + 55 O,, Temp. = 37° C.; Anfangszustand: Festes Fett und Sauerstoff von 150 mm Spannung. Endzustand: CO, von 40 mm und Wasserdampf von 18 mm Spannung. Verbrennung von Eiweiss: Das Eiweissmolekül wird in zwei Teile zerlegt, von denen sich der eine in Kohlendioxyd, Carbamid und Wasser umsetzt, der andere in andere Molekülarten. Für den ersten Teil wird die Summe der Wärmetönung und Veränderung der freien Energie entsprechend der speziellen Kenntnis der reagierenden Moleküle berechnet, für den anderen Teil werden nur die möglichen Grenzen berechnet. Dieser zweite Teil beträgt beim Menschen etwa !/ıo der gesamten Ben Eiweiss- . menge. Demnach: 1g Eiweiss ta-0,=bC0O;,+ cH;s0 + d CO(NH,)s + 0,1 „andere Moleküle“. Reaktionsformel des ersten Teils: 1008 Eiweiss + 4,54 O, = 0,6 CO (NH;,), + 2,3 H,0 + 3,81 C0,, Temp. 91°C. Anfangszustand: . Festes Eiweiss und Sauerstoff von 150 mm Spannung. Endzustand: Kohlendioxyd von 40 mm, Wasserdampf von 13 mm Spannung und Carbamid im Harn zu 2°/o gelöst. Zusammensetzung und osmotischer Druck des Harns führen zur Berechnung von Anteil zwei. Die Synthese von Fett aus Traubenzucker erfolgt im Organismus nach der folgenden einfachen Formel: 19 C,H15 0, = 2 C,Hı100s +4 Hs0 + 49 0,, welche der Be- rechnung zugrunde gelest wird. Die angeführten Bedingungen führen immer zu dem gewünschten Resultat. Sie wurden so ausführlich angeführt, um ein objektives Urteil zu ermöglichen über die sehr klaren und anschaulichen physi- kalischen Deduktionen der Autoren. Wenn auch für die Berechnung nur der Anfangs- und Endzustand des Prozesses maassgebend sind, 5 6*F 84 Curt Wachtel: der Weg des Überganges von dem einen in den anderen Zustand aber belanelos, so sind doch auch die von Baron und Pölänyi angenommenen Anfanes- und Endzustände mehr oder minder will- kürlich, wenn man auch zugeben mag, dass sie möglich oder sogar wahrscheinlich sind. Völlig überzeugende Beweise für die Gültig- keit des zweiten Hauptsatzes für physiologische Vorgänge bieten sie daher leider nicht. $ 18. Für die experimentelle Prüfung der Frage nach der Anwendbar- keit des zweiten Hauptsatzes kommen, wie wir gesehen haben, Messungen des Wirkungsgrades einzelner Organe, Organsysteme oder nach Anfangs- und Endzustand genau definierbarer Stoffwechsel- vorgänge in Frage. Für derartige Messungen sind in den voran- stehenden Besprechungen einige besonders wichtige Beispiele an- seführt. Hierbei darf nicht übersehen werden, dass die angeführten Untersuchungen häufig ganz andere Zwecke verfolgten, als Beweise für die Gültigkeit des zweiten Hauptsatzes zu bringen; sie setzten diese häufig einfach voraus und hatten etwa nur das Ziel, einen Wirkungsgrad als solehen zahlenmässig festzustellen. Deshalb wird der Wert dieser Arbeiten und das reiche Material neuer Tatsachen, das in ihnen enthalten ist, nicht herabgesetzt, wenn wir zu dem Schlusse gelangen mussten, dass keine der angeführten Experimental- untersuchungen die Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes auf Vor- eänge im lebenden Orsanismus so eindeutig beweist wie etwa die Joule’schen Versuche die Gültigkeit des ersten Wärmesatzes. Nachdem wir uns also von der Unzulänglichkeit der Messungen des Wirkungsgrades der Organe überzeugt haben, bleibt als einziges Kriterium für die Gültigkeit des zweiten Hauptsatzes für physio- logische Prozesse der Begriff der Irreversibilitä. „Darüber, dass die arbeitenden Organe sich aber mehr oder weniger irreversibel betätigen, kann wohl gar kein Zweifel bestehen. Denn betrachten wir als nächstliegendes Beispiel allein etwa den Muskel, so bedeutet jede sogenannte statische Arbeit desselben, jeder Tetanus, jede iso- metrische Zuckung einen Verlust an freier. Energie, der durch Reibunsen und Dehnungen bei der Kontraktion bedingten Verluste gar nicht zu gedenken. Dass die Verhältnisse in anderen’ Fällen nicht besser liegen, halte ich für höchst wahrscheinlich, wenn man bedenkt, wie selten sich überhaupt reversible Prozesse realisieren Über die Anwendbarkeit des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik usw. 85 lassen !).“ Zumindest ist bisher noch kein physiologischer Vorgang bekannt geworden, der in Wirklichkeit reversibel verläuft?). Da aber, wie wir im ersten Teile der Abhandlung gesehen haben, sämt- liche Naturprozesse irreversibel sein müssen, wenn der zweite Haupt- satz der Wärmetheorie richtig ist, so muss dieser auch so lange un- bedingte Gültigkeit für alle Vorgänge im lebenden Organismus besitzen, wie es nicht gelingt, einen physiologischen Prozess in Wirklichkeit reversibel zu leiten. Mit dieser rein formalen, eigentlich indirekten Beweisführung müssen wir uns bei dem heutigen Stande physiologischer Experi- mentierkunst begnügen. 1) R. Höber, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe, 3. Aufl., S. 635. Leipzig 1911. 2) Herrn Prof. Dr. Abderhalden verdanke ich den Hinweis darauf, dass die fermentative Fettspaltung und -synthese, welche bekanntlich reversibel geleitet werden kann, für die Diskussion der thermodynamischen Probleme in der Physiologie voraussichtlich von Bedeutung werden kann. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Zürich.) Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäure- wirkung auf die Blutgefässe. Von Dr. Alfred Fleisch, Zürich. (Mit 18 Textfiguren.) Es ist eine bekannte Tatsache, dass sich die Blutgefässe ar- beitender Organe erweitern und dass durch diese Widerstands- herabsetzung eine vermehrte Durchblutung dieser Organe herbei- seführt wird. Für das Zustandekommen dieser Gefässerweiterung stehen dem Organismus vornehmlich zwei Wege zur Verfügung, nämlich die zentrale Innervation der Gefässe und lokale Zustands- änderungen. Für den ersten Modus der zentralen Innervention tritt vor allem Asher!) ein, indem er den Mechanismus der Gefäss- erweiterung durch die Funktion der vasomotorischen Nerven erklärt. Bei vermehrtem oder vermindertem Blutbedarf eines Organes sollen Vasodilatatoren bzw. Vasokonstriktoren vom Zentrum aus erregt werden. Um eine vermehrte Durchblutung im Momente der Mehr- arbeit zu garantieren, fordert Asher ein synchrones Zusammen- arbeiten von motorischen und vasomotorischen Nerven; gleichzeitig mit dem Aktionsimpuls zu einem Muskel würden somit seine Vaso- dilatatoren vom Zentrum aus erregt werden. Anderseits liegen Belege vor, welche auf einen peripher an- sreifenden Mechanismus der Gefässerweiterung deuten, indem von ver- schiedenen Autoren eine gefässerweiternde Wirkung gewisser Dis- similationsprodukte des Stoffwechsels gefunden wurden. So be- 1) L. Asher, Pflüger’s Arch. Bd. 136 S. 411. 1910. — L. Asher, Zeitschr. f. Biol. Bd. 47 S. 87 u. Bd. 52 S. 298. ve Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 87 obachtete als erster Gaskell'), dass bei Durchleitung von stark verdünnter Milch- oder Essigsäure durch den Museulus mylohyoideus des Frosches eine Gefässerweiterung eintritt. Gaskell wies schon auf die Möglichkeit hin, dass die Bildung saurer Stoffwechselprodukte in arbeitenden Organen die Ursache der Vasodilatation sein könnte. Ebenso beobachtete Bayliss?) eine Gefässerweiterung im Frosch- muskel beim Durchströmen mit verdünnter Milchsäure. Analoge Resultate liegen vor von Severini®), Tomita*, Schwarz und Lemberger?°). Die beiden letzteren Autoren injizierten in das arterielle System vom Gefässzentrum isolierter Organe kleinste Säuremensen, die eine kurzdauernde Gefässerweiterung bewirkten. Sie führen die peripher dilatatorische Wirkung von Säuren auf eine peripher angreifende Kohlensäurewirkung zurück, da durch jede in das Blut eingeführte stärkere Säure aus dem im Blute reichlich vorhandenen Na;C0O,-Kohlensäure freigemacht und damit die Kohlen- säurespannung des Blutes erhöht werde. Gemäss diesen Befunden neigen sie zur Ansicht, die Gefässerweiterung in tätigen Organen auf die Mehrproduktion von Kohlensäure und anderer saurer Stoff- wechselprodukte zurückzuführen. Schon früher hatte Barcroft‘) auf Grund seiner Experimente an der Glandula submaxillaris der Katze die Ansicht geäussert, dass die Gefässerweiterung in tätigen Organen einzig und allein die Folge von der Einwirkung von Dissimi- lationsprodukten sei. Barcroft registrierte gleichzeitig den Speichel- fluss und den Blutabfluss aus der Vene der Glandula submaxillaris nach Reizung der Chorda tympani. Er konstatierte das bekannte Anschwellen sowohl des Speichelflusses als auch des Blutstromes. Wesentlich ist dabei die Beobachtung, dass die Blutwelle, das heisst die künstliche Steigerung des Blutstromes, ihr Maximum später zeigt als die Speichelwelle, das ist das künstlich hervorgerufene Anschwellen des Speichelflusses.. Es scheint also, dass die Blutwelle ein Folge- 1) W. H. Gaskell, Journ. of. physiol. vol. 3 p. 48. 1830—18832. 2) W.M. Bayliss, Ergeb. d. Phys. 5. Jahrg. S. 319. 1906. — W.M. Bayliss, Proc. of the phys. soc. Journ. of physiol. vol. 26 no. XXXII. 1900—1901. 3) L. Severini, Perugia 1881. 4) Ch. Tomita, Pflüger’s Arch. Bd. 116 S. 299. 1907. 5) C. Schwarz und F. Lemberger, Pflüger’s Arch. Bd. 141 S. 149. 1911. — D. R. Hooker, Journ. of physiol. vol. 6 no. XXVIII p. 361. 6) J.Barcroft, Proc. physiol. soc. Journ. of physiol. vol. 35 p. 30. 1907, vol. 36 p. liii. 1907—1908. 38 Alfred Fleisch: zustand der Speichelwelle ist, indem die Blutwelle eine Konsequenz der mit der Drüsentätigkeit verbundenen, vermehrten Bildung von Dissimilationsprodukten ist. Für die Existenz einer peripheren Regulation der Gefässweite sprechen auch die zahlreichen Versuche von Bier!) über die Ent- stehung des arteriellen Kollateralkreislaufes, aus welchen mit Sicher- heit hervorgeht, dass die reaktive Hyperämie vollkommen unabhängig vom Gehirn immer nur durch Mangel an arteriellem Blute her- vorgerufen wird. Arterielle Hyperämie ist aber der sichtbare Aus- druck einer Gefässerweiterung und einer vermehrten Blutzufuhr. Das Auftreten der reaktiven Hyperämie an nervös vollkommen isolierten Extremitäten beweist, dass das Gewebe von sich aus die Fähigkeit besitzt, seine Blutzufuhr je nach Bedarf zu erhöhen. Es ist also eine vom Zentrum unabhängige periphere Regulierung der Gefäss- weite vorhanden, deren Inszenierung durch den Blutbedarf des Ge- webes selbst geschieht. Bei dem durch die aufgeführten Untersuchungresultate sicher- gestellten Einfluss der Peripherie auf die Gefässweite kommen nun zwei Mechanismen in Betracht: Entweder handelt es sich um eine direkte Einwirkung der aktiven Stoffe (z. B. eben der Dissimilations- produkte) auf die Gefässmuskulatur selbst, oder aber die Regulation ist an die Existenz von spezifischen sensorischen Nerven gebunden, durch deren Vermittlung die Gefässweite erst sekundär, das heisst. auf dem Reflexwege beeinflusst wird. Diese zwei Möglichkeiten sind in den zitierten Arbeiten nirgends auseinandergehalten. Doch scheint, dass wohl die meisten Autoren ohne spezielle Diskussion einen direkten Einfluss auf die Gefässwände annehmen. So spricht Bay- liss von der gefässerweiternden Wirkung gewisser chemischer Sub- stanzen der Stoffwechseltätiekeit, welche auf die Blutgefässe direkt wirken sollen, und er bezeichnet die Arteriolen für solehe Körper wie Kohlensäure ganz allgemein empfindlich. Auch Bareroft denkt ‚an eine direkte Einwirkung von Dissimilationsprodukten auf die Gefässwände. | Eine präzise Scheidung zwischen diesen beiden Möglichkeiten trifft W. R. Hess?), indem er sich ausdrücklich für die Mitwirkung 1) A. Bier, Arch. f. pathol. Anatomie u. Physiol. Bd. 147 S. 256 u. 444. 1897, Bd. 153 8. 306 u. 434. 1898. 2) W. R. Hess, Pflüger’s Arch. Bd. 163 S. 439. Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 89 eines sensorischen Apparates ausspricht, der eigens in den Dienst der Querschnittsregulierung der Gefässe eingestellt sei. Er führt eine Reihe von Gründen an, welche ihn zu der Annahme drängen, dass nur bei einer fortlaufenden sensorischen Kontrolle der Gewebs- durchblutung eine exakte Anpassung der Blutversorgung an den Blutbedarf denkbar sei. Der die Durchblutung des Gewebes kon- trollierende sensorische Apparat ist, so nimmt Hess an, der Angriffs- punkt der dilatatorisch wirkenden. Dissimilationsprodukte. Aus dem Bestreben, zu der von Hess aufgeführten theoretischen Arsumentation einen experimentellen Beitrag zu leisten, ist der Plan zu dieser Arbeit entstanden. Zweck derselben ist es also zu untersuchen, ob es sich bei de, Querschnittsveränderung, die wir unter dem Einfluss von Dissimi- lationsprodukten zustande kommen sehen, um eine direkte Beein- flussung der Gefässwand handelt, oder ob sich Beobachtungen bei- bringen lassen, dass diese Querschnittsregulation auf der Vermittlung eines spezifischen sensorischen Apparates basiert. - Was nun die Art der wirksamen Substanz — oder wirksamen Substanzen — anbetrifft, so geht aus den angeführten Arbeiten her- vor, dass die wirksamen Substanzen entweder Säuren im allgemeinen, oder Kohlensäure eventuell Milchsäure im besonderen sind. Doch ist die erweiternde Wirkung von Säuren auf die Blut- - gefässe nicht unbestritten. So hat Mosso) die Beobachtung gemacht, dass kohlensäuregesättigtes Blut eine Gefässverengerung bedingt, die auf Sauerstoff nur langsam zurückgeht. Ferner haben Ischikawa’) und Pearce®) auf Säuredurchleitung immer eine Verengerung beobachtet. Die Experimente von Ischikawa bestanden in der künstlichen Durchströmung der vom Körper abgeschnittenen hinteren Extremitäten des Frosches mit Kochsalzlösung von 0,750. Ischi- kawa fasst seine Resultate folgendermassen zusammen: „Kohlen- säure zeigt niemals eine vasodilatatorische Wirkung. Geringe Kohlensäuremengen von 10—15 Vol.-Proz. haben keine Wirkung, während starke Konzentrationen von 23—65 Vol.-Proz. immer Gefäss- verengerung bewirken. Organische wie anorganische Säuren (Milch- säure, Phosphorsäure, Salzsäure) haben keine gefässerweiternde, sondern nur gefässverengernde Wirkung. Der Sauerstoff hat keine ]) Mosso, Sächs. Ber. Bd. 26 S. 330 ft. 1874. 2) H. Ischikawa, Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 16 S. 223. 1914. 3) R. G. Pearce, Zeitschr. f. Biolog. Bd. 62 S. 243. 1913. 90 Alfred Fleisch: Wirkung auf die Gefässweite.“ Den gegensätzlichen Befund Ischi- kawa’s werden wir ohne weiteres verstehen, sobald wir unsere eigenen Resultate aufgeführt und analysiert haben werden. Apparatur und Versuchsanordnung. Die Versuche wurden ausschliesslich an grossen Fröschen durch- geführt. Sie bestanden in künstlicher Durchströmung der hinteren Extremität mit Ringer-Lösung. Der Frosch ist bekanntlich für künstliche Durcehströmungsversuche besonders geeignet, da sich die operative Technik verhältnismässig einfach gestaltet, und zudem keine Rücksichtnahme auf die Temperatur nötig ist. Ferner genüst, wie ‚die Experimente zeigen, für das anspruchslosere Gewebe des Kalt- blütlers sauerstoffgesättigte Ringer-Lösung mit Dextrose voll- kommen, um eine für längere Versuchszeit ausreichende Versorgung des Parenchyms mit Sauerstoff und Nährmaterial zu garantieren. Da direkte Beobachtungen der Gefässveränderungen unter dem Mikroskop, wie sie Gaskell ausführte, nur sehr ungenaue Resultate liefern und speziell kleinere Schwankungen überhaupt nicht wahr- genommen werden können,. verwendete ich die Reeistrierung des Durehflussvolumens. Die übliche Methode der Registrierung der Ausflussmenge, wie sie beim Trendelenburg’schen Präparate geübt wird, hat sich mir als nicht ganz zuverlässig erwiesen. Bei der Trendelen- burg’schen Anordnung wird je eine Kanüle in die Aorta abdomi- nalis und die Vena abdominalis eingelegt, nachdem vorher die beiden Venae iliacae communes unterbunden sind. In der Venenkanüle lag nun sehr häufig die Ursache von Störungen. Es entleert sich selbst nach längerem Durchströmen mit Ringer- Lösung immer noch etwas Blut aus der Vene, wobei sich die Venenkanülen gelegentlich ver- stopfen. Oder es tritt infolge einer Spontanbewegung des Frosches während des Versuches eine Abkniekung der Vene ein. In einigen Versuchen war ich gezwungen, beide Extremitäten gleichzeitig ge-_ trennt künstlich zu durchströmen. Dabei zeigte sich, dass es technisch kaum möglich ist, in dem engen Raume vier Kanülen so einzuführen, dass nachher sämtliche funktionieren. Aus diesen Gründen wurde nach einigen Versuchen von der Registrierung des Ausfluss- volumens Abstand genommen und eine Methode ausgebaut, welche die genaue Registrierung der Zuflussmenge gestattet. Dadurch wird die Venenkanüle überflüssig, und alle Störungen, die durch sie Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 91 bedinst sein können, fallen somit weg. Diese Methode hat den weiteren Vorteil, dass durch den Wegfall der Venenkanüle die operative Technik vereinfacht wird. Bei dieser Methode wird es dann auch möglich, beide Extremitäten gleichzeitig zu durchströmen. Die Registrierung der Zuflussmenge nach dem Überlaufsprinzip. Um bei der Registrierung der Zuflussmenge jede Schwankung des Durchflussvolumens sowohl im Moment ihrer Entstehung als auch Im s Me a ) | ZI SS BEN NNBNE W Y Bio im Verlaufe der Veränderung quantitativ genau verfolgen zu können, ist eine fortlaufende Registrierung der Durchflussmenge nötig. Hierzu ist nachfolgend beschriebene Apparatur konstruiert worden, die sich nach unseren Erfahrungen sehr bewährt hat. Auf einem in vertikaler Richtung verschiebbaren Stativ befinden sich zwei Standflaschen R und R' als Reservoirs (s. Fig. 1), wovon die eine Ringer-Lösung, die andere Ringer-Lösung plus den entsprechenden Zusatz enthält. Beide Reservoirs sind mit der T- Röhre T durch Schläuche & verbunden. Das Abklemmen des einen oder anderen Schlauches gestattet den Wechsel der Durchströmungs- llüssigkeit.. Nach der T-Röhre ist ein Widerstand W eingeschaltet in Form einer engen Glaskapillare, die bei konstantem Druck eine 92 Alfred Fleisch: konstante Flüssigkeitsmenge durchtreten lässt. Nach dem Widerstand teilt sich der Flüssiekeitsstrom in einer zweiten T-Röhre 7’. Der eine Teil des Stromes geht zum Frosch, der andere durch die Flasche F zum Überlaufsrohr Ü, wo die abfallenden Tropfen regi- striert werden. Ist nun die Gesamtzuflussmenge, die minutlich durch den Widerstand hindurehtritt, grösser als die Durchströmungsmenge, welche nach dem Frosch abfliessen kann, so geht der Überschuss nach dem Überlauf und tropft dort als die Überlaufsmenge ab. Gesamtzuflussmenge (durch denWiderstand) | I re —_— Durehströmungsmenge Uberlaufsmenge (Durch das Gefässsystem des Fro- (Überschuss der Gesamtzufluss- sches abfliessend) menge über den Abfluss durch den Frosch) Wir haben somit die Beziehung: Gesamtzuflussmenge — Durch- strömungsmenge plus Überlaufsmenge , oder Durchströmungs- menge — Gesamtzuflussmenge minus Überlaufsmenge. Das heisst: Wir bestimmen die Durchströmungsmenge indirekt aus der Differenz zwischen Gesamtzuflussmenge und Überlaufsmenge. Die Überlaufsmenge wird durch die an der Abtropffläche des Überlaufrohres Ü abfallenden Tropfen registriert. Die Grösse der Gesamtzuflussmenge wird vor oder am Schlusse des Versuches durch Ausschalten des Froschkreislaufes bestimmt. Dabei fliesst die Gesamt- zuflussmenge durch den Überlauf ab, aus dessen Registrierung dem- entsprechend die Gesamtzuflussmenge bestimmt werden kann. Durch Ausschalten des Froschkreislaufes wird die Durchströmungsmenge in ebiger Gleichung gleich Null, es ist somit: Gesamtzuflussmenge — Überlaufsmenge. Aus dem Gesagten geht hervor, dass sämtliche Variationen der Durehströmungsmenge durch den Frosch mit quantitativ entsprechenden, aber entgegengesetzten Variationen der Überlaufsmenge einhergehen. Die Überlaufsmenge nimmt also genau um diejenige Menge zu, um welche die Durchströmungsmenge kleiner wird. Ebenso nimmt die Überlaufsmenge um den Betrag ab, um welchen die Durehströmungs- menge anwächst. h Es ist von besonderer Wichtigkeit, dass während des ganzen Versuches die Durchströmungsflüssigkeit unter absolut konstantem Druck in das Gefässsystem des Frosches einströmt. Dieser Forderung mr Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 93 JS ist Rechnung getragen, indem der Druck P, unter welchem die Flüssigkeit in den Frosch einfliesst, konstant ist. P ist der Druck der Wassersäule, deren Höhe gegeben ist in der Höhendifferenz zwischen der Abtropffläche des Überlaufes und dem Frosch. Um die Grösse dieses Druckes P für jedes Versuchstier nach Belieben verändern zu können, ist das Froschbrett an einem Universalstativ angebracht. Schraubendrehung ermöglicht die Höheneinstellung des Frosches und damit die Festlegung des gewünschten Druckes P. Es hat sieh mir für P ein Druck von 13—17 cm Wassersäule am geeienetsten erwiesen, da einerseits kleinere Drucke ein zu kleines Durehflussvolumen ergeben, anderseits aber ein grösserer Druck zu stärkerem Ödem führt. Die Grösse der Gesamtzuflussmenge durch den Widerstand ist abhäneig von der Höhe des Flüssigkeitsspiegels in den Standflaschen, und zwar ist für eine bestimmte Widerstandskapillare die Gesamt- zuflussmenge durch den Widerstand direkt proportional der Höhen- differenz zwischen Flüssiekeitsspiegel in den Standflaschen und Ab- tropffläche des Überlaufes. Diese Höhendifferenz wird so gross ge- wählt, dass die Gesamtzuflussmenge grösser ist als die voraussichtlich maximale Durchströmungsmenge durch den Frosch. Denn bei starkem Anwachsen der Durchströmungsmenge darf die Überlaufsmenge nie - gleich Null werden, da sonst die Tropfenregistrierung des Überlaufes sistiert. Anderseits ist aber eine sehr grosse Tropfenzahl der Über- laufsmenge ungünstig, da dadurch die Fehlerquellen sich etwas ver- erössern und zudem die Orientierung während des Versuches über die Variationen erschwert ist. Am geeignetsten hat sich als Über- laufsmenge eine minutliche Tropfenzahl von 10—12 erwiesen. Um zu Beginn jedes Versuches die Überläufsmenge auf das Optimum zu bringen, sind die grossen Reservoirflaschen auf einem in vertikaler Richtung leicht beweglichen Stativ angebracht. Durch ein Höher- oder Tieferstellen der Reservoirs wird die Gesamtzuflussmenge durch den Widerstand vergrössert bzw. verkleinert. Durch diese Mani- pulation bleibt der Druck P, unter dem die Flüssig- keit in den Frosch einströmt, vollkommen unbeein- -flusst. Hierfür ist lediglich massgebend die Höhendifferenz zwischen Frosch und Abtropffläche des Überlaufes. Durch die Höhenverschiebung der Reservoirs wird somit das Einstellen der Überlaufsmenge auf das gewünschte Optimum auf äusserst bequeme Weise erreicht. Um ein Sinken des Flüssiekeitsspiegels in den Standflaschen und dadurch 94 Alfred Fleisch: Verkleinerung der Gesamtzuflussmenge während des Versuches auszuschalten, wurden Flaschen mit grossem Querschnitt gewählt, und zudem gestatten Schraubenstative, auf welchen die Flaschen an- gebracht waren, das Sinken des Flüssigkeitsspiegels während des Versuches durch Emporschrauben der Flaschen von Miller zu Millimeter zu kompensieren. Die Registrierung der Überlaufsmenge erfolgt durch die ab- fallenden Tropfen, die auf ein an einem dünn ausgezogenen Glas- faden schräg befestigtes, paraffiniertes Deckgläschen aufschlagen. Jeden Tropfenaufschlag registriert der Glasfaden auf der Trommel eines Kymographions. Lässt man auf der Trommel noch einen Jaquet’schen Chronographen mit Sekundenausschlag zeichnen, so kann die Bildungszeit eines jeden Tropfens auf der Kurve direkt ab- gelesen werden. Um Variationen der Tropfengrösse möglichst auszuschlagen, wurde bei Herstellung der Abtropfröhrcehen folgendermassen verfahren : Ein Glasröhrehen wurde angekerbt, mit flüssigem Wachs bestrichen und nach dem Erstarren des Wachses durchgebrochen. So diente nur die wachsfreie Bruchfläche als Abtropffläche, und ein Emporsteigen der Flüssigkeit an der Aussenseite des Röhrchens infolge der Kapil- -Jarität wird vermieden. Bei getrennter Durchströmung der beiden Extremitäten liefert die andere Bruchfläche eine der ersten genau gleich grosse Abtropflläche. Um einem zu frühen Abschleudern der Tropfen durch Erschütterung zu begegnen, sind die Abtropfröhrchen an schweren, sehr stabilen’ Stativen angebracht. Zudem wird jede Erschütterung während des Versuches vermieden. Noch ein zweiter, meines Wissens von anderen Untersuchern vernachlässigter Faktor findet in unserer Versuchsanordnung Berück- sichtigung, nämlich die Differenz der Oberflächenspannung zwischen kohlensäurehaltiger und kohlensäurefreier Lösung. Die experimentellle Untersuchung hat ergeben, dass ceteris paribus die Differenz der Tropfenzahl zwischen kohlensäure- und sauerstoffgesättieter Lösung 10°/o beträgt, indem die Tropfen- bildungszeit der kohlensäurehaltigen Lösung infolge von veränderter Oberflächenspannung um 10°/o grösser ist! Dieser störende Faktor, der natürlich zu Täuschung Veranlassung gibt, wurde beseitigt durch das Einschalten der Flasche F' in die Zweigleitung zur Registrierung. Die Flasche wird mit sauerstoffgesättister Ringer-Lösung gefüllt und mit einem dichten Gummistopfen verschlossen, durch den zwei Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 95 Glasröhren führen. Durch die eine Röhre wird die Experimentier- flüssiekeit auf den Grund des Gefässes zugeführt, durch die andere fliesst sie von oben ab zur Registrierung. Wird nun während eines Versuches die Durchströmungsflüssigkeit gewechselt und mit kohlen-. säurehaltiger Lösung experimentiert, so fliesst diese auf den Grund des Gefässes, während zur Registrierung sauerstoffhaltige Lösung ab- fliesst. Die Kohlensäure diffundiert natürlich durch das ganze Ge- fäss, aber dieser Vorgang geht so langsam von statten, dass man für die Versuchsdauer eine konstante Abtropfflüssigkeit hat. Es wäre denkbar, dass die Viskosität der Lösung durch den verschiedenen Gasgehalt beeinflusst würde; wie aber die direkte Be- stimmung mit dem Viskosimeter und die funktionelle Prüfung der Apparatur zeigte, spielt dieser Faktor keine Rolle. Verwertung der Registrierungsresultate zur Konstruktion der Kurven. Das Ziel in der Verwertung der Registrierungsresultate ist die Herstellung einer Kurve, welche die Schwankungen in der Durch- strömungsmenge durch den Frosch wiedergibt. Dieses Ziel ist er- reicht, wenn wir in einem Koordinatensystem die zu verschiedenen Zeiten bestimmte minutliche Durchströmungsmenge eintragen. Als "Abszisse wird die Zeit, als Ordinate die Minutenmenge aufgetragen. Um diese Aufzeichnungsweise zu erreichen, gingen wir folgender- maassen vor: Für jeden Tropfen wird an der Zeichnung des Chrono- sraphen auf 0,1 Sekunden genau abgelesen, in welchem Zeitpunkt des Experimentes er fiel. Sind n—1 und n zwei aufeinanderfolgende Tropfen und bezeichnet man mit f„_1 die Zeit, die vom Beginn des Experimentes an bis zum Fallen des Tropfens (a—1) verstrichen ist, und mit Z, die Zeit bis zum Fallen des Tropfens », so ist die Bildungs- zeit des Tropfens n = 1 — tu. Als Abszisse des Tropfens n wird der Zeitpunkt eingetragen, in welchem er fiel, also Z,, Soll 1 em der Abszisse einer Minute des Experimentes entsprechen, so entfallen auf 1 mm 6 Sekunden. Also = — Abszisse des Tropfens r» in Millimeter. ‘ Als Ordinate des Tropfens » wird die Zahl der Tropfen be- rechnet, die pro Minute bei gleichbleibenden Verhältnissen dureh den Überlauf fliessen würden. Es ist dabei 60 Bildungszeit des Tropfens n — Anzahl der Tropfen auf die Minute be- rechnet. 96 Alfred Fleisch: Wird für sämtliche Tropfen so verfahren, so erhalten wir eine Kurve der Überlaufsmenge. Gesucht ist aber die Kurve der Durch- strömungsmenge des Frosches. Dazu sei auf die auf Seite 7 auf- gestellte. Gleichung erinnert: Durehströmungsmenge — Gesamtzuflussmenge minus Überlaufsmenge. Wir haben somit noch die Differenz zu bilden zwischen der Gesamt- 'zuflussmenge und der Überlaufsmenge. Das geschieht am einfachsten graphisch, indem wir die Kurve einfach um 180° drehen, das heisst auf den Kopf stellen. Haben wir bei der Konstruktion der Kurve die Werte von rechts nach links eingetragen, so entspricht nun die auf den Kopf gestellte Kurve von links nach rechts gelesen der Kurve des Durcehströmungsvolumens durch den Frosch. Die OrdinatennulliniegehtdurchdenKurven- punkt, welcher gefunden wird, wennder Abflussdurch den Frosch durch Abklemmen der Zweigleitung unter- brochen, also das Durchströmungsvolumen gleich Null ist. Bei der Konstruktion der Kurve haben wir es in der Hand, die Bildungszeit eines jeden Tropfens — d. h. die Basis unserer Berech- nung — auszumessen und den berechneten Betrag von Tropfen zu Tropfen einzutragen. Oder aber wir bestimmen die Bildungszeit als Mittel aus der Bildungszeit mehrerer sich folgender Tropfen. Den ersten Berechnungsmodus müssen wir anwenden, wenn es sich darum handelt, die Kurve dort genau zu konstruieren, wo sie Veränderungen des Stromvolumens anzeigt. Die letztere Berechnungsweise dürfen wir dort anwenden, wo keine wesentlichen Variationen in der Strömungsmenge bestehen. Die funktionelle Prüfung der Apparatur hat ergeben, dass ‘sämtliche Fehlerquellen in der Apparatur einschliesslich der- jenigen des Abtropfmechanismus und der Ausrechnung der Kurven zusammen einen Maximalbetrag von + 0,1 Tropfen pro Minute aus- machen. Dieser Betrag entspricht einem Prozent des mittleren Durchflussvolumens durch den Frosch. Die Kurvenpunkte sind so gross eingezeichnet, dass sämtliche Fehlerquelleninnerhalb der Punkte zu liegenkommen. Die Festlegung dieser Fehler- breite ist bei der Interpretation wohl zu beachten, indem jede Schwankung der Kurve mit Sicherheit auf Veränderung: der Durch- strömungsmenge durch den Frosch bezogen werden muss. | Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 97 Zur Illustrierung, wie die Kurvenausrechuung,. geschieht, sei hier ein kurzes Beispiel angeführt: Zeitpunkt des Tropfen- Abszisse in Ordinate in Tropf Tropfenfalles bildungszeit Millimetern Zentimetern UDIen in Sekunden in Sekunden t, 60 t,, ze KEN Na] No 0 — —_ —_ N 9,7 9,7 1,5 6,2 Ng 18,6 X) 3,0 6,7 Na 26,5 7,9 4,0 7,6 n4 33,9 7,0 5,9 8,6 Durchführung der Versuce. Zur Verwendung sind ausschliesslich grosse Exemplare von Rana eseulenta gekommen. Der Frosch wird gut curaresiert auf ein Kork- brett aufgespannt, die Haut über dem Abdomen breit entfernt und nach doppelter Unterbindung der Vena abdominalis diese zwischen den beiden Licaturen durchgeschnitten. Um beim Öffnen des Ab- domens den Blutverlust nach Möglichkeit zu vermeiden, werden alle blutenden Gefässe unterbunden. Im Interesse eines bequemen Zu- sanges zur Aorta und den grossen Venen muss das Rectum samt Blase reseziert werden, nachdem vorher die kleinen Blasenvenen und das Rectum doppelt unterbunden sind. Nach sorgfältigem Frei- präparieren der Aorta und ihrer Teilungsstelle und der beiden Venae iliacae communes werden Schlingen um die Aorta gelegt, ferner um eine Art. iliaca communis und um die beiden Venae iliacae com- munes. Zuerst wird die Ligatur der Aorta zugezogen, peripher dieser Lisatur die Aorta angeschlitzt und eine Kanüle eingeführt, worauf sofort mit der künstlichen Durchströmung begonnen wird. Von der Aorta aus wird nachher die Kanüle in die eine Arteria iliaca vorgeschoben und mittels der schon vorhandenen Schlinge fest- gebunden. Sobald alles Blut durch die Ringer-Lösung aus den hinteren Extremitäten in den Froschkörper getrieben ist und die Venae iliacae communes somit abblassen, werden sie unterbunden und peripher der Ligatur die Venen einfach scharf durchgeschnitten. Desgleichen wird die Vena abdominalis durehschnitten, sodass die durch das Gefässsystem der Extremitäten passierte Flüssigkeit frei ausfliessen kann. In den Versuchen mit isolierter Durchströmung von nur einer Extremität wurde der Nervenplexus der anderen Ex- Pflüger’s Archiv für Pbysiologie. Bd. 171. Ti 98 Alfred Fleisch: tremität durchschnitten, um allfällige Reflexe dieses blutleeren Beines - auszuschalten. Bei den Versuchen mit gleichzeitiger Durchströmung der beiden hinteren Fxtremitäten wird, um in jede Arteria iliaca eommunis eine Kanüle einführen zu können, folgendermaassen ver- fahren: Nach Unterbindung der Aorta wird peripher der Ligatur die Aorta in der Längsriehtung bis zur Teilungsstelle aufgeschlitzt, und der Schnitt dann Y-förmig in die beiden Äste fortgesetzt. In den so entstandenen Führungsrinnen der aufgeschlitzten Gefässe können die Kanülen verhältnismässig leicht in das Lumen der entsprechenden Arteria iliaca communis vorgeschoben und eingebunden werden. Es ist dabei aber vor allem darauf Bedacht zu nehmen, dass nach dem Anschlitzen der Gefässe die Kanülen rasch eingeführt und mit der Durehströmung rasch begonnen wird, da sich sonst in den an- geschnittenen Gefässen sehr leicht Thromben bilden. Bei den ersten Versuchen beobachtete ich regelmässig im Beginne der künstlichen Durchströmung eine ziemlich reichliche Durchfluss- menge, die aber sehr rasch zurückging. Um die Möglichkeit einer Ausschaltung einzelner Gefässbezirke durch Thrombosierung als Ur- sache dieser Reduktion des Durchflussvolumens klar zu stellen, liess ich bei diesen Experimenten im Verlaufe des Versuches für kurze Zeit Ringer-Lösung durchströmen, die mit Methylenblau gefärbt war. Die Blaufärbung der Haut der ganzen Extremität, besonders auch der Zehen und Schwimmhäute und die Imbibition sämtlicher Gefässe und des gesamten Parenchyms mit blauem Farbstoff bewiesen, dass die sanze Extremität durchströmt wurde. Somit konnte nieht die Aus- schaltung von Gefässhbezirken die Ursache der nachträglichen Ver- minderung des Durchflussvolumens sein, sondern diese Reduktion musste durch eine peripher oder zentral bedingte Gefässkontraktion verursacht sein. Eine Reihe von Untersuchungen ermöglichte ihre wirkliche Ursache zu erkennen und zu beheben. Wie später (Tabelle 2, 3 und 4) gezeigt wird, ist es der Sauerstoffmangel, welcher die Ursache der fraglichen Gefässverengerung ist. Diese tritt nur auf, wenn ge- wöhnliche luftgesättiste Ringer-Lösung zur Durchspülung verwendet wird, sie tritt jedoch nicht auf, wenn gleich von Anfang an Durch- strömung mit sauerstoffgesättigter Ringer-Lösung inszeniert wird. Als Besonderheit unserer Versuche soll noch hervorgehoben sein, dass wir nicht Gehirn und Rückenmark des Frosches ausbohrten, oder f .. . 24 ! # den ganzen Oberkörper des Frosches entfernten, wie Ischikawa ver- fuhr, um eine Einwirkung des Zentralnervensystems auf die peripheren EN USER ETEEE EB SR En 2 Se Ban Zen Luna nn nn I ii te et ai en Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 99 Gefässe auszuschalten. In unseren Versuchen musste im Gegenteil darauf Bedacht genommen werden, Gehirn und Rückenmark in guter Reaktionsfähigkeit zu erhalten. In diesem Sinne musste noch ein störendes Moment seine Berücksichtigung finden, nämlich der Sauer- stoffmangel des Froschoberkörpers. Durch die Curaresierung war der Frosch seiner Lungenatmung beraubt, und durch die Operation war auch seine Hautrespiration beeinträchtigt. Berücksichtigt man ferner ‘den Blutverlust während der Operation und nachher während des Versuches, so ist eine starke Venosität des Blutes, wie sie regelmässig beobachtet wurde, leicht verständlich. Die Kohlensäureanhäufung im Blute bewirkt eine Erregung des Vasomotorenzentrums, deren Folge eine Kontraktion der peripheren Gefässe ist. Um den Sauerstoffhunger zu beheben, brachte ich den Frosch samt Korkbrett während des ganzen Versuches in eine Glaskammer mit reiner Sauerstoffatmosphäre. Der Erfolg rechtfertigte diese Massnahme, indem der periphere Tonus ver- ringert wurde und der Frosch bedeutend länger und besser reaktions- fähig blieb. Es ist das deshalb von besonderem Wert, da Reaktionen der Gefässweite nur so Jange mit wesentlichem Ausschlag eintreten, als der Frosch noch gut reaktionsfähig ist. Wahl der Durehströmungsflüssigkeit. Für experimentelle Untersuchungen an Gefässen ist, sofern ein künstlicher Kreislauf eingerichtet wird, die Wahl der Durchströmungs- flüssiekeit von grundlegender Bedeutung wegen der hohen Empfind- ‚liehkeit der Gefässe, die bei jeder noch so geringen Schädigung ihre normalen Reaktionen einbüssen können. -In dieser Hinsicht wäre _ zweifellos die Durchströmung mit defibriniertem oder hirudinisiertem arteigenem Blut das schonendste Verfahren. Doch stand mir eine so grosse Menge Froschblut, wie ich sie für die zahlreichen Versuche benötigt hätte, nicht zur Verfügung, und zudem liefert eine künstliche | Durchströmung mit Blut eine Anzahl von Faktoren, deren Beurteilung sehwierig und unzulänglich ist. So kann die Wirkung von ver- schiedenen Säuredosierungen nicht beurteilt werden, da ein Teil der zum Blut zugesetzten Säure bekanntlieh in Bindung geht und dadurch unwirksam gemacht wird. Auf die Verwendung artfremden Blutes verzichtete ich um so mehr, als eine Schädigung der Gefässe durch das artfremde Serum nicht auszuschliessen ist. Ersatzflüssigkeiten in Form von Salzlösungen haben den Vorteil der grösseren Haltbarkeit und der konstanten Viskosität, was bei Verwendung von verdünntem Blut 7 * 100 Alfred Fleisch: wegen der Sedimentierung der korpuskulären Elemente nicht der Fall ist. Die genaue Dosierung der Säurezusätze zu Salzlösungen gestattet eine direkte Vergleichung der Resultate verschiedener Versuche. Is ungeeignete Ersatzflüssigkeit für längere Zeit dauernde Durchströmung betrachte ich die physiologische Kochsalzlösung, wie sie zum Beispiel Ischikawa verwendete; denn auf Grund der blossen Isotonie lässt sich keine physiologisch indifferente Ersatz- flüssigkeit herstellen. Die biologische Äquivalenz, die von der . Durchströmungsflüssigkeit gefordert werden muss, wird nur durch eine differenzierte Berücksichtigung aller wirksamen Ionen erreicht. , Die bekannten Ersatzflüssigkeiten von Ringer und Locke tragen dem Rechnung. Für meine Versuche wurde Ringer’sche Lösung benützt mit folgender Zusammensetzung: Aqua dest. 1000; NaHCO; 0,1; CaCl, 0,2. KCL 0,075; Dextrose 0,5 mit Sauerstoff gesättigt. Da es uns speziell darauf ankommt, die Säurewirkung auf die Gefässe zu untersuchen, so müssen wir besonders sorgsam auf die Einhaltung der (H‘)-Ionen-Konzentration achten, wie sie im Blute besteht. Die (H°)-Ionen-Konzentration des Blutes beträgt normal!) (H’) — 0,25 - 107°, während die (H’)-Ionen-Konzentration der ver- wendeten Ringer-Lösung 0,2 - 1077 beträgt. Zur Beurteilung der Tauglichkeit der angewandten Methode sei hier eine Kurve aufgeführt, welche die sichere Funktion der Apparatur und die Reaktionsfähigkeit des Präparates dartut. Sämtliche reprodu- zierten Kurven sind auf ein Drittel der Originalkurven verkleinert. Tabelle]. Untersuchung über die Feststellung der Reaktionsfähigkeit des Präparates und der Funktion der Apparatur. x — Zeit von Beginn der Registrierung an in Minuten. y — Zugehörige Durchflussmenge in Tropfen pro Minute berechnet. »: 08 1,1 14 1,7 1,9 2,0 22 2,7 3.0 ve: 3012 - 101. °.100°. 00 6,070 6,2 60 60 ze 9 34 37 4,0 4,3 4,5 4,8 5,1 54 y: 65 71 7.4 82 83 9,6 99.107 109 xY 56 5,9 62 6,4 6,6 6,7 7,1 1,3 7,6 v 14- 12. :19. Ps’ Ba 0 Ds. ps py 9 298.59 82 8,5 8,8 9,2 9,5 98. 41017108 y: 935 - 21367189. .180...199, :143..0144 0 16 2 095 1) R. Höber, Physik. Chemie, 4. Aufl., S. 194. 1914. — Tschermak, Allgem. Physiol. Bd. 1, 1916. = B: 1 BETEN ” NE EREN VEER EE a az De en ie a ’ 1 le an ul a ee a ae Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 101 Tabelle I (Fortsetzung). 10,8 18.159 0114 11,8 12,3 12,6 12,9 13,2 13,5 15,0 15,0 15,2 15,2 15,4 15,5 15,9 16,1 16.2 Be na 01a. 150.2 155. 159,162). = 16,6. 16,9 160 105 168 13 165: 166 165. 165 165 17,3 17,6 18,0 18,4 13,7 19,1 19,4 19,7 20,0 16,5 16,7 16,7 16,7 16,8 16,7 16,9 16,9 16,9 20,4. 20,8 211 21,5 21,8 22,2 22,5 22,9 23,2 17,0 16,9 17,0 17,0 16,9 17,0 16,9% 172 17,0 29,0% 28,9 24,5 25,0 25,4 26,0 26,5 26,8 27,0 17,2 17.2 17,5 17,3 17,3 17,5 17,4 17,5 17,4 27,1 28,2 23,6 17,4 17,5 17,4 Die fettgedruckten Zahlen sind diejenigen Werte, die bei durschschnittenem Nervenplexus erhalten wurden. wu ug un un au Hy Ns re 15 J 8 = “= =) = = 2 [=] 2 =} 3 — 0 5 10 15 20 25 Minutenzahl. Kurve 1. Durchströmen einer hinteren Extremität des Frosches mit sauerstoff- gesättister Ringer-Lösung. Auf Durchschneiden des Nervenplexus erfolgt rasch ‘ eine starke Gefässverengerung, die anfangs schnell und später langsamer in eine dauernde Erweiterung übergeht. Die Durchschneidung erfolgt bei Ns. Wie Tabelle und Kurve 1 zeigen, ruft eine Plexusdurchschneidung eine Gefässkonstriktion hervor, deren Dauer bis zur vollen Auswirkung regelmässig I-——-1'/s Minuten beträgt. Die sekundäre Dilatation nach der Nervendurchschneidung ist zweifellos auf den Wegfall des zen- _ tralen Tonus zurückzuführen. Aus dieser Kurve ist ersichtlich, dass der Gefässmuskel- wie der Gefässnervenapparat sich ‘während des Versuches sowohl in bezug auf Dilatation, als auch Konstriktion 102 . Alfred Fleisch: “ funktionsfähig erhalten, und dass wir dureh die angegebene Apparatur und die Auswertung der Resultate zu einem übersichtlichen Bild vasomotorischer Vorgänge gelangen. Einfluss des Sauerstoffmangels auf die Blutgefässe. Um die Wirkungsweise des peripheren Regulationsmechanismus zu untersuchen, handelt es sich vor allem darum, die Qualität und die Dosierung des physiologischen Reizes, der diesen Mechanismus in Funktion setzt, zu finden. Da das Strömungsvolumen eine direkte Funktion des Blutbedarfes ist, so kann das ursächliche Moment für die Gefässquerschnittsänderungen jenen Faktoren zugesprochen werden, die das arterielle vom venösen Blute unterscheiden. Es könnten also als adäquater Reiz für den peripheren Gefässregulationsmechanismus Sauerstoffmangel einerseits und Anhäufung von Stoffwechselprodukten, insbesondere Kohlensäure, anderseits in Betracht kommen. Um die Wirkung des Sauerstoffmangels auf die Gefässe klar- zustellen, wurden mehrere Versuche mit sauerstofffreier Ringer- Lösung ausgeführt, die durch Auspumpen mittels der Wasserstrahl- pumpe gasfrei gemacht war. Über die Ringer-Lösung geschichtetes Paraffinöl verhinderte nachträgliche Absorption von Luft. Tabelle 2 Untersuchung des Einflusses von sauerstofffreier Ringer-Lösung auf die Blutgefässe, der Froschextremität. x — Zeit von Beginn der Registrierung an in Minuten. y = Zugehörige Durchflussmenge in Tropfen pro Minute berechnet. xr 0,3 0,5 0,8 1,0 12 1,5 E17. 2,0 2,3 R 80 8,05 8,0 8,0 S1 ae) 80 7,9 Re 2,9 2,8 30 3,2 3,9 3,1 3,9 4,1 4, y: 7,9 S,05 s1 7,6 6,9 61 9,7 5,6 5 22 4,5 4,7 5,1 5,4 9,6 8 9,9 6,1 6, y: 5,6 5,0 5,9 59.194 9,9 9,4 9,9 5,4 x> 6,6 6,3 7,0 7,2 7,9 1,8 81 08 8,6 y: 3,4 5,4 9,6 9,6 3,6 9,8 5,1 9,6 5,9 >8- 8,9 9,2 9,4 9,7 10,0 10,4 10,7 11,0 11,3 y: 5,6 9,6 5,6 5,69 3,8 8 9,8 6,0 6,0 x= 11,6 39 12,2 12,4 12,8 13,3 13,6 13,9 14,2 y: 5,9 6,1 6,2 6,2 6,4 6,6 6,6 6,7 6,8 x? 14,5 14,8 15,1 15,4 15,9 y: 6,8 6,9 7,0 7,0 7,0 Die fettgedruckten Zahlen entsprechen denjenigen Werten, die unter Einwirkung von sauerstofffreier Ringer-Lösung erhalten wurden. N EN Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 103 I I I 0 gi ae E Ki S EN P J ” en 3 j& es 5 & je = Sun 10 15 Minutenzahl. Kurve 2. Anfänglich Durchströmung mit sauerstoffgesättigter Ringer -Lösung. Während des Versuches Einleitung von sauerstofffreier Lösung (I), die eine Gefässverengerung verursacht. Erneute Zufuhr von sauerstoffgesättigter Lösung (IT) hemmt den weiteren Abfall, bringt aber erst nach längerer Zeit (3 Minuten) einen sehr langsamen und geringfügigen Rückgang der Verengerung zustande. Tabelle 3. Untersuchung des Einflusses von sauerstofffreier Ringer- Lösung bei durchschnittenem Nervenplexus. x — Zeit von Beginn der Registrierung an in Minuten. y = Zugehörige Durchflussmenge in Tropfen pro Minute berechnet. 1,3 1,5 1,8 2,0: 52223 2,9 2,8 3,0 3 29,05 29,1 29,10, 29] 29,1 29,1 29,15 23.0, 29 3,6 3,9 4,2 4,5 4,6 4,8 5,0 9,2 b) ag 29,1 29,0 290 288 28,7 2389 2833 .2 Bd; 9,6 5,65 5,7 5,8 6,1 6,2 6,3 6 26,1 25,7 24,8 24,0 23,4 20,8 196 197 16, 6,7 6,8: 7,0 7,2 7,4 7,6 7,1 7,9 80 16,1 15.3 14,8 13,6 13,0 13,0 12,6 12,5 1147 8,2 83 8,5 8,9 NR 9,5 9,7 10,0 10,2 12,C 12,2 12,8 13,0 13,35 13,8 14,0 13,95 14,0 10,5 10,7 10,9 11,0 11,2 11,5 1a re) 12,0 14,2 14,8 , 150 14,6 14,7 14,8 15,0 15,0 14,8 12,3 12,6 12,9 13,2 13,4 13,7 14,1 14,4 14,6 15,0 15,4 15,4 15,4 15,5 15,8 15,7 16,0 15,8 15,3 15,6 15,9 16,2 16,4 16,6 17,0 : 18,1 18,1 18,1 ie fettgedruckten Zahlen sind diejenigen Werte, die unter Einwirkung von sauerstofffreier Ringer-Lösung erhalten wurden. HERSRUM UNSEREN UN HUN AN N SH UM HH rt > 0 at IN oO 104 Alfred Fleisch: ; { I E ” | E ; 3 25 I ä | 20 a ne Wett urn, a 15 | pr” 20 BG .“ Y „10 E = =5 & = 2 i =] er ee pe ar 5 10 15 20 2105 Minutenzahl. Kurve 3. An der mit sauerstoffgesättigter Ringer - Lösung durchströmten Extremität sind die Nerven durchschnitten, weshalb das Durchflussvolumen sehr gross ist. Bei Einleiten. von sauerstofffreier Ringer-Lösung (I) erfolgt eine rapide, äusserst intensive Gefässverengerung, die durch erneute Sauerstoffzufuhr (17) aufgehalten und allmählich, aber nur zu einem Bruchteil wieder rückgängig ge- macht wird. Eine vollständige Restitution tritt nicht wieder ein. Die reproduzierten Versuchsresultate (Tabelle 2 und 3 mit den entsprechenden Kurven 2 und 3) und vier weitere gleich durchgeführte # Experimente mit gasfreier Lösung stimmen in ihrem Resultate darin = überein, dass Sauerstoffmangel immer eine rasche und intensive Gefässverengerung auslöst, die bei nur kurze Zeit dauernder Finwirkung der gasfreien Lösung sehr Janesam und nur zum Teil wieder rückgängig gemacht wird, während nach längerer Einwirkung der gasfreien Lösung durch erneute Sauerstoffzufuhr die Konträktion nicht mehr behoben wird, sondern sich noch weiter aus- Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 105 bildet. Die mangelhafte Rückbildungsfähigkeit dieser Kontraktion, die manchmal zu fast vollständigem Verschluss der Gefässlumina führt, lest nahe, dass es sich dabei um eine nicht mehr innerhalb der physiologischen Grenze liegende direkte Reizung der Gefässe handelt! Das Zustandekommen dieser Kcentraktion an der nervös vollkommen isolierten Extremität (wie Tabelle und Kurve 3 demonstriert) beweist, dass diese Kontraktion nicht auf dem Reflexwege eintritt, sondern dass sie rein peripherer Natur ist. Es wäre denkbar, dass diese Dauerkontraktion eine Eigen- tümliehkeit des vollständigen Sauerstoffmangels ist, während rela- tiver Sauerstoffmangel eine entgegengesetzte Wirkung ausüben könnte. Zur Beurteilung dieser Frage sei auf Tabelle und Kurve 4 hin- gewiesen, welche sich auf einen Versuch mit luftgesättigter Ringer- Lösung bezieht. Eine solche Lösung bringt natürlich Sauerstoff zum Gewebe entsprechend dem Sauerstoffpartiardruck der Atmosphäre (= — 145 mm He). Tabelle 4. Registrierung des Einflusses von luftgesättigter Ringer-Lösung. x — Zeit von Beginn der Registrierung an in Minuten. y = Zugehörige Durchflussmenge in Tropfen pro Minute berechnet. 006 11 1,4 1,6 1,8 2,1 2,3 9,6 8 = 089 8,2 8,3 82 8,1 82 8,2 8,1 8,2 20030 3,3 3,6 3,8 4,2 45 4,7 4,9 5,1 8 4 8,5 enge 8,4 82 Se 5,8 6,2 6,5 6,7 6,9 72 7,4 a1 s,0 7,8 7,4 7,3 z1 7.9 6,9 6,8 Er. 76 7,7 8.0 82 84 8,9 9,1 9,4 9,7 enge 6,6 6,6 6,5 65 6,4 65 6,5 6,6 200.102 104 .106:.°108:. JR. MA Ale 18 En. 65 6,6 67.20.68 6,8 7,1 72 72 72 Ban 100.94 arg al Br 187 Re) 7.0 73 7,3 7,4 75 AR 1.6 Bere ara 91 15015160 Be 22785. 71,8 7,9 7,9 1.8 7,8 7,8 7,9 1,8 Se RD ee: Bang 79 7,9 Die fettgedruckten Zahlen sind diejenigen Werte, die unter Einwirkung von luftgesättigster Ringer-Lösung erhalten wurden. 106 Alfred Fleisch: Tropfenzahl pro Minute. 6) 10 15 Minutenzahl. Kurve 4 Zu Beginn Durchströmung mit sauerstoffgesättigter Ringer- Lösung; nachher Wechsel zu luftgesättigter Lösung (/), die eine leichte Gefässverengerung verursacht. Auf erneute Sauerstoffzufuhr (1I) geht die Kontraktion langsam zurück. Luftgesättiete Ringer- Lösung verursacht ebenfalls eine Gefäss- kontraktion, die aber bedeutend langsamer eintritt und viel schwächer ist als bei vollkommenem Sauerstoffmangel. Die Rückbildungsfähigkeit dieser Kontraktion, die durch Sauerstoffzufuhr sogar vollständig be- hoben wird, zeigt, dass noch keine bleibende Gefässschädigung ein- . getreten ist. Vollkommener und relativer Sauerstoffmangel sind also nicht die Ursache der Gefässerweiterung, wie sie bei zunehmendem Bluthunger des Gewebes beobachtet wird. Blosser Sauerstoffmangel verursacht im Gegenteil regelmässig eine Gefässverengerung. Durch dieses Resultat wird die Frage aufgeworfen, ob denn sauerstoffgesättigte Ringer-Lösung (Partiardruck des Sauerstoffs — 720 mm Hs) fähig ist, den Gefässen und dem Gewebe die zum Leben notwendige Sauerstoffmenge zu liefern, oder ob die Gefässe nicht auch hierbei in einen Zustand relativen Sauerstoffmangels ge- raten. Obgleich die sauerstoffgesättigte Ringer-Lösung eine viel a geringere Sauerstoffkapazität besitzt als das Froschblut, so ist die Möglichkeit zur ausreichenden Ernährung des Gewebes doch gegeben, weil die Viskosität des Froschblutes um ein Vielfaches grösser ist als diejenige der Ringer-Lösung. Infolgedessen tritt die Strömungs- geschwindigkeit und somit das Minutenvolumen des Blutes gegenüber dem Minutenvolumen der Ringer-Lösung stark zurück. Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 107 Die Wirkung der Kohlensäure auf die Blutgefässe. Wenn, wie wir nun erkannt haben, der blosse Sauerstoffmangel für die Gefässerweiterung nicht in Frage kommt, so müssen als adäquater Reiz für die Inszenierung einer regulatorischen Gefäss- querschnittsänderung die sauren Stoffwechselprodukte, insbesondere die Kohlensäure, wirksam sein. Ich habe die Wirkung der Kohlen- säure in verschiedenen Dosierungen systematisch durchgeprüft und gebe hier einige typische Resultate wieder. Die Versuche sollen womöglich den Widerspruch erklären zwischen Gaskell, Bayliss, - Schwarz und Lemberger einerseits — Autoren, die auf Säure- durchleitung Gefässerweiterung erhielten — und Ischikawa und Pearce anderseits, welche auf Säuren Gefässkontraktion konstatierten. ° | Die Kohlensäure wurde aus dem Kipp’schen Apparat genommen und, um die mitgerissene Salzsäure zu entfernen, durch mehrere Waschflaschen mit Natriumbikarbonat geleitet. Die Salzsäure setzt sich dabei in NaCl und CO, um. Tropfenzahl pro Minute. 5 10 15 20 Minutenzahl. _ Kurve 5. Beginn mit sauerstoffgesättigter Ringer-Lösung. Auf Einleiten von kohlensäuregesättigster Lösung (CO,) von etwa 100 Vol.-Proz. CO, erfolgt zuerst eine Erweiterung, die dann plötzlich einer Verengerung Platz macht. Tabelle 5. Registrierung des Einflusses von kohlensäuregesättigter Ringer-Lösung. x — Zeit von Beginn der Registrierung an in Minuten. y = Zugehörige Durchflussmenge in Tropfen pro Minute berechnet. x 09 Bo DR 1,6 BR a VER ENEE na sa area 8.5 59 ne a N Rt. ir 008 065. 6416. 5 en tt 72 2 RD SS Se EN N 108 Alfred Fleisch: Tabelle 5 (Fortsetzung). SE kohlensäuregesättigter Ringer-Lösung erhalten wurden. Tabelle 6. Registrierung des Einflusses von kohlensäuregesättigter Ringer- Lösung. A x — Zeit von Beginn der Registrierung an in Minuten. y = Zugehörige Durchflussmenge in Tropfen pro Minute berechnet. Mn SE Die fettgedruckten Zahlen sind diejenigen Werte, die unter Einfluss von kohlensäuregesättigter Ringer-Lösung erhalten wurden. x Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 109 Tropfenzahl pro Minute. or RR] or wa m) > Minutenzahl. - | Kurve 6. Einleiten von gesättigter CO,-Lösung (CO;) bewirkt minimale Erweiterung, gefolst von einer starken Verengerung, die auf O,-Zufuhr (O,) nicht mehr zurückgeht. Tabelle 7. Registrierung des Einflusses von Ringer-Lösung mit 50 Vol.-Proz. Kohlensäure. x — Zeit von Beginn der Registrierung an in Minuten. y = Zugehörige Durchflussmerge in Tropfen pro Minute berechnet. Sch 0,1. 0,3 0,6 0,9 11 1,3 60 2,1 2,4 y: 3,25 3,9 3,4 3,2 32 3,39 3,3 3,25 3,45 = 2,8 1 3,9 3,7 4,2 4,6 4,9 BrB} 9,6 y: 34 3,45 3,9 3,1 3,6 3,8 3,8 3,85 33 SR 3,9 6,2 6,5 6,7 6,9 za 1,3 7,5 7,7 vw 3,9 4,2 4,2 4,2 42 4,2 4,4 4,6 4,6 SE) 8,0 81 84 8,6 8,8 8,9 9,1 9,3 y: 4,7 4,7 4,7 4,75 4,75 5,9 5,0 5,0 52 x: 9,5 SIT 9,9 10,0 10,2 10,3 10,4 10,6 10,7 y: 52 5,15 9,15 5,0 5,0 4,85 4,5 4.65 #5 x: 10,8 10,9 11,1 11,4 11,6 11,8 12,0 12,2 12,3 y: 3 4,3 4,3 4,1 3,9 3,9 3,9 4,0 4,1 x: 12,5 12,7 12,9 10.1232.13,9 13,4 13,6 13,9 14,1 y: 4, 41 4,2 4,1 4,2 42 42 4,5 4,2 RS: 14,3 14,5 14,7 14,9 15,2 15,5 15,7 15,9 16,1 y: 4,3 4,3 4,4 4,5 4,59 4,6 465 405 2 x: 16,6 17,0 17,4 1.8.1820 18,6 18,9 19,1 19,3 BY: 4,7 4,85 4,85 4,9 31 51 915 51 5,2 x: 19,7 19,9 "y: 5,15 91 Die fettgedruckten Zahlen sind diejenigen Werte, die unter Kohlensäure- wirkung erhalten wurden. C02 v Tropfenzahl pro Minute, 5 10 15 20 Minutenzahl. - Kurve 7. Anfangs Durchströmung mit sauerstoffgesättigter Ringer-Lösung, nachher von Ringer-Lösung, die ausser Luft etwa 50 Vol.-Proz. Kohlensäure enthält (CO,); die Wirkung besteht in einer geringfügigen, langsamen Er- weiterung, die in eine leichte Kontraktion übergeht. 110 UM EN Hu AH TR nm Be x — Zeit von Beginn der Registrierung an in Minuten. - y = Zugehörige Durchflussmenge in Tropfen pro Minute berechnet. Alfred Fleisch: Tabelle 8. Registrierung des Einflusses von Inftgesättister Ringer-Lösung, die 10 Vol.-Proz. Kohlensäure enthält bei durchschnittenem Nervenplexus. 2,4 12,75 4,5 19,5 6,8 13,1 92 12,0 112 115 13,3 11,6 2,6 12,75 4,8 19,55 7,3 12,8 9,4 11,8 11,4 11,4 13,5 11,5 2,9 12,85 5,0 12,6 7,5 12,9 9,7 11,8 11,6 11,5 13,7 115. 3,2 12,85 5,3 12,6 7,8 12,95 9,9 11,6 11,9 114 13,9 11,6 34 12,75 14.3 11,5 Die fettgedruckten Zahlen sind diejenigen Werte, die unter Kohlensäure- wirkung erhalten wurden. Tropfenzahl pro Minute. 0,6 10,4 3,0 10,1 = (80 J en 10 h) Minutenzahl. Kurve 8. An diesem Präparat ist der Nervenplexus durchschnitten. Beginn der Durchströmung mit sauerstoffgesättigter Ringer-Lösung. Darauf Wechsel und Einleiten von luftgesättister Lösung (CO), die 10 Vol.-Proz. Kohlensäure enthält. Zuerst erfolgt eine geringe Erweiterung, die in eine leichte Kontraktion übergeht. Tabelle 9. Registrierung des Einflusses einer sauerstoffgesättigten Ringer-Lösung, die 5 Vol.-Proz. Kohlensäure enthält. Zeit von Beginn der Registrierung an in Minuten. Zugehörige Durchflussmenge in Tropfen pro Minute berechnet. 1,0 10,4 3,3 10,2° 12 10,6 3,5 10,4 1,5 10,2 3,8 10,25 10 1,6 10,5 4,0 9,9 $) 15 2,0 10,4 42 10,2 9,3 10,3 4,4 10,15 Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 111 Tabelle 9 (Fortsetzung). ug ep ee ee 5 ll 01 596.10 990.104: 98 al a a ee ee ©=-1 ‚8 3,2 9,8 9,7 9,5 9,5 9,8 9,7 10,0 9,6 92.1008. 101.2.740.3.°2 105. 3 -100..10,9 511,0 ve 02 08.11.12. 06. 15 B1 23 11,2 11,4 11,5 11,6 11,8 1210.04 198 12,5 12,7 12,4 12,3 12,65 13,0 13,2 13,3 135 135 136 15,0 13,2 13,3 15,5 13,7 13,9 14,0 14,2 14,4 12,6 11,4 11,2 11,2 11,1 11,1 110 110 109 14,6 15,0 15,2 15,6 15,9 16,3 16,6 16,9 17,3 10,8 11,0 10,3 11,0 11,0 10,9 ILS IE RB 2 en. 180. 2190. 185 2 187.189. .191.: 7108 Bet ns 218. 18.16 Aber Ile» 114 197.500 ..202 205 °2900...210 213 215.218 Meer 215 109 2108 ..1082 107 1054105 32,0 ee ee a nn Be Dr 00.085 71022003 21015 710,159,9% 100 25,0 25,3 25,6 23,9 - 26,1 9,9 9,95 9,8 9,75 9,73 Die fettgedruckten Zahlen sind diejenigen Werte, die unter Kohlensäurewirkung erhalten wurden. -. Ren Kin din «Bu Hu AR au iM 15 Se e A n = ee RE 10 NV h E N; E E = = 2 H ER = 21 8 5’ m eö 5 10 15 20 25 Minutenzahl. Kurve 9. Beginn der Durchströmung mit sauerstoffgesättigter Ringer-Lösung. Auf Zufuhr von sauerstoffgesättigter Lösung, die 5 Vol.-Proz. Kohlensäure ent- hält (CO,), erfolgt eine intensive Gefässerweiterung, die von einer plötzlichen : Kontraktion unterbrochen wird. Wie die Tabellen 5 und 6 und die dazugehörigen Kurven zeigen, verursacht kohlensäuregesättigte Ringer-Lösung zuerst eine flüchtige Gefässerweiterung, die dann plötzlich in eine intensive Kontraktion übergeht. Luftgesättigte Ringer-Lösung, die 50 Vol.-Proz. Kohlen- säure enthält, wie bei Tabelle 7, oder nur 10 Vol.-Proz. Kohlensäure, 112 Alfred Fleisch: wie bei Tabelle 3, ergeben ein prinzipiell gleiches Resultat, nur tritt die konstriktorische Phase langsamer und weniger intensiv auf. Es ist aus diesen Kurven klar ersichtlich, dass die luftgesättigten Lösungen mit Kohlensäurezusatz auf das Gefässlumen eine doppelte Wirkung ausüben, die sich in eine erste dilatatorische und in eine zweite konstriktorische Phase differenziert. Die Dilatation muss der Kohlen- säurewirkung zugeschrieben werden, da luftgesättiste Ringer-Lösung, wie Tabelle 4 zeiet, keine Erweiterung, sondern nur eine Verengerung hervorruft. Die konstriktorische Phase dagegen kann durch die hohe Konzentration der Kohlensäure, oder mit Berücksichtigung der in den Tabellen 2, 3 und 4 wiedergegebenen Resultate durch die konstrik- torische Wirkung des Sauerstoffmangels bedinet sein. Um dies klar- zustellen, sei auf Tabelle 9 verwiesen, in welcher die Folgen des Sauerstoffmangels dadurch eliminiert sind, dass die Kohlensäure (5 Vol.-Proz.) zu einer sauerstoffgesättigten Lösung zugefügt wurde. Jede Veränderung der Kurve muss nun einzig und allein auf die Kohlensäure bezogen werden. Der rasche und intensive Anstieg der Kurve beweist, dass die Kohlensäure tatsächlich eine dilatatorische Funktion ausübt; aber ebenso deutlich spricht der plötzliche Abfall dafür, dass die Kohlensäure auch eine- konstriktorische Wirkung haben kann. Die Ursache dieser Doppelwirkung wird klar, wenn man sich den Mechanismus des Strömens einer Flüssigkeit in einer Röhre vergegenwärtigt. Die Flüssiekeitsteilchen, die nahe der Wandung liesen, bewegen sich nur langsam vorwärts, während das Strahlzentrum die grösste Schnellickeit aufweist. Wird nun während des Versuches die Durch- strömungsflüssigkeit gewechselt, so bewegt sich die zweite, die kohlen- säurehaltige Durchströmungsflüssiekeit, vor allem im Zentrum des dünnen Zuleitungsschlauches vorwärts und kommt vorerst in schwächerer Konzentration im Gefässsystem an. Erst allmählich steigt die Kohlensäurekonzentration der in das Gefässsystem strömenden Flüssiekeit, bis schliesslich die volle Konzentration erreicht wird. Berücksichtigt man diese Tatsache, so ist es klar, dass die Dilatation durch die schwachen Kohlensäurekonzentrationen, die Kontraktion hingegen durch die höhere Konzen- tration verursacht ist. Bei Verwendung von schwächerer Kohlensäurekonzentration muss somit die konstriktorische Phase ausbleiben, wenn unser eben gezogener Schluss richtig ist. Vorerst soll noch auf Tabelle 10 verwiesen werden, welche bei Een 3 um Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 113 durchschnittenen Nerven genau dasselbe Resultat anzeigt, wie Tabelle 9 unter sonst gleichen Bedingungen. Da die Kohlensäure auch an der vom Zentrum nervös isolierten Extremität ihren dilatatorischen und konstriktorischen Effekt zustande bringt, so ist der Schluss gerecht- fertiet, dass die Kohlensäure an einem rein peripheren Mechanismus angreift, der sich auch bei Isolierung von den Nervenzentren im Rückenmark und Gehirn funktionstüchtig erhält. Tropfenzahl pro Minute. 5 10 15 20 Minutenzahl. Kurve 10. An diesem Präparate ist vor dem Versuch der Nervenplexus durch - schnitten worden. Im Beginne Durchströmung mit sauerstoffgesättigter Ringer- Lösung. Auf Zuleitung von sauerstoffgesättigter Lösung + 5 Vol.-Proz. Kohlen- säure (CO,) erfolgt eine intensive Gefässerweiterung, die von einer plötzlichen Kontraktion unterbrochen wird. Tabelle 10. Registrierung des Einflusses von sauerstoffgesättigter Ringer-Lösung mit 5 Vol.-Proz. Kohlensäure bei durchschnittenem Nervenplexus. x — Zeit von Beginn der Registrierung an in Minuten. y = Zugehörige Durchflussmenge in Tropfen pro Minute berechnet. 0,4 0,7 nl 1,4 1,8 2,2 2,4 2,6 2,9 11,7 11,6 11,5 11,4 11,3 11,1 11,2 11,1 11,6 3,1 3,3 3,4 36 5, 3,8 3,9 4,0 4,1 11,8 12,0 12,35 16 13,0 13.1 134 137 13,9 4,2 4,4 4,6 4,8 4,9 5,1 9,2 5,4 5,9 14,4 14,6 1525 155 15,7 15,7 1615 16,7 15 9,1 6,0 6,2 6,4 6,7 6,9 7,2 7,4 T 14,75 150 151 15.2 15,1 15,4 15,45 15,4 15 Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. KR da an AR {0/0} 114 Alfred Fleisch: Tabelle 10 (Fortsetzung). x 8,0 82 8,3 84 8,6 87 Sl ea ale. yo. 3550155 150.48. 55.50 12 157.156 97 ss [er) 9,9 10,2 10,3 10,4 10,6 10,7 10,8 11,0 15,5 15,6 1555 1535 15,0 14,4 14,6 1545 153 als oe Baer er 1900 188 55 BI 534 232 32 250 Bl 56 10 ae 137, 4189. 100 A or aa ca 4198 25 1 2 28 9 49 145 15,1 15,3 15,6 15,9 16,1 16,3 16,6 16,8 17,1 14,6 14,6 14,5 14,5 14,5 145 144 142 141 17,3 17,7 18,0 18,3 18,6 19,0 19,3 19,7 20,0. 14,1 14,0 13,9 13,5 1375 136 13,6 134 13,35 20,3 20,7 21,0 21,3 21,6 21,8 22,1 2A 970227 > 231 12,9 12,9 12,7 12,2 15 125 12,4 23,0 23,3 23,6 23,9 ? 12,35 123 12,1 12,1 Die fettgedruckten Zahlen sind diejenigen Werte, die unter Kohlensäurewirkung erhalten wurden. h 4 00:00. .00 U ea EEE - I = did Zr dir — > Er © Tabelle 11. Die Wirkung einer 3 volumprozentigen Kohlensäurelösung bei gleich- zeitiger Registrierung der Durchflussmengen beider Extremitäten. x — Zeit von Beginn der Registrierung an in Minuten. y = Zugehörige Durchflussmenge in Tropfen .pro Minute berechnet. Obere Kurve (®): x: 04 0,7 1,1 1,5 1,9 BO a v.. 155. 155.155 195 55 15 154. 156 156 a en 42 4,7 5,1 5,6 5,9 ne le y.,.156 055° be 57. 158 . 1585% 41615, 1695 161 dh 7,7 8,0 8,3 8,6 8,8 ol ga 0m v0 1695. 171° 715 198° 175 106 108 1800188 2:22410,0.,.100% 106° 1092 ara ol 70100 ve,.185° 186. 183. 1895, 21855 1855. 189 186 21805 385. O1 13,3.0 Kae 139 a a oe ee lelesers as aan ae 3:05,68 -161% 164 6a deze ls et y180 2.1700 ee oT TE 1.09 eb 1882191 N 219521909, 90200 009 215 210 van 17. re Tas 17 oe 2.8 996% 9915 0.2360. 289,009 vs 1005, 17205. 1705. 11705 a5 Die fettgedruckten Zahlen sind diejenigen Werte, die unter Kohlen lure, wirkung erhalten wurden. Untere Kurve (OÖ) zu Tabelle 11: x 0,3 0,6 1,0 12 1,6 1,8 220..026, 99 v..,,1005% 905 .99..99%, 0905. 995..31005. 08. 100 x EICH Bo er A Se ee v:..100°. 9065 99, 99.1004 1005. 1002 1005 10, Experimentelle Untersuehungen über die Kohlensäurewirkung usw. 115 Tabelle 11 (Fortsetzung). x: 5,9 6,3 6,4 7,5 7,8 8,0 8,4 8,6 9,0 y: 1000 104 10,8 1315 138 13,7 137 36 137 x: 9,3 9,6 10,0 10,2 10,7 11,0 Lore I. Ed y: 138 395 1,065 12 157 15,8 15,95 16,15 16,2 \ 324 12,1 12,4 12,8 13,3 13,7 14,2 14,5 14,8 152 wat 16,2 16,3 16,25 16,4 16,4 16,4 164 162 16,25 wa 19,7 16,1 16,6 17,2 17,6 17,9 18207187022. 192 ve. 164.164 16,3 16,4 16,4 1645 164 164 16,35 x: 19,6 20,1 20,5 21,0 21,9 22,2 221 232 23,6 y: 1645 1645 1645 16,5 16,4 © 16,6 16,55 16,55 16,55 x: 24,3 | y: 16,6 Die fettgedruckten Zahlen sind diejenigen Werte, die unter Koblensäure- wirkung erhalten wurden. a en ee Hl ni 20 = [210 aus, Tropfenzahl pro Minute. 3 10 15 20 25 Mimutenzahl. Kurve 11. Gleichzeitige getrennte Durchströmung beider Extremitäten mit sauer- \ stoffgesättister Ringer-Lösung. Auf Zufuhr von sauerstoffgesättigter Lösung ’ + 3 Vol.-Proz. CO, zu beiden Extremitäten (CO,) erfolgt eine Erweiterung, die am stärker kontrahierten Gefässsystem ausgiebiger ist. O0, bedeutet Unter- brechung der Kohlensäurezufuhr. Tabelle 12. Wirkung einer Kohlensäurelösung von 0,5 Vol.-Prozent. x — Zeit von Beginn der Registrieruug an in Minuten. y = Zugehörige Durchflussmenge in Tropfen pro Minute berechnet. 0,4 0,7 1,1 1,5 1 2, 13,9 13,8 13,6 13,7 13,5 15, 36 3,9 4,2 4,5 4,9 5, 55) 13,4 13,45 134 13,4 13, wuun 116 Alfred Fleisch: Tabelle 12 (Fortsetzung). 6,6 69 ie 7,6 7,9 s,1 8Ay sd or 13,5 13,6 13,6 13,7 13,7 13,8 13,9 13,9 14, 9,2 9,4 9,7 9,8 10,0 10,2 10,5 10,8 11,20 13,9 14,1 14,0 14,15 143 14,4 14,55 14,5 14,55 Das. oa. Joaa oo ae „A 24 WA US 2 VUB As As 18 as 146: 149° 151. 0154 0156 159, 162.2 165 1a. 141.) 1864. 34.018800 1595, 0156. as 55 16,7 17,1 17,5 17,8 15,7 13,6 13,8 13,9 Die fettgedruckten Zahlen sind diejenigen Werte, die unter Kohlensäure- wirkung erhalten wurden. wu Ein En Kirn Kr co fi u i Be ae (=) Tropfenzahl pro Minute. St . [ | RER a Wa Een 5 10 15 Minutenzahl. | Kurve 12. Beginn der Durchströmung mit sauerstoffgesättigter Ringer-Lösung. Auf Zuleitung von sauerstoffgesättigter Ringer - Lösung + 0,5 Vol.- Proz. Kohlensäure (CO,) entsteht eine geringfügige Gefässerweiterung, die auf Unter- brechung der Kohlensäurezufuhr (O,) wieder zurückgeht. Zur Untersuchung über die Ursache der konstriktorischen Phase wurde ein Versuch gemacht, dessen Tabelle und Kurve 11 die Wirkung einer 3 Vol.-Proz.-Kohlensäurelösung bei gleichzeitiger Durchströmung beider Extremitäten demonstriert. In dieser Konzentration fällt die konstriktorische Phase weg, und die Kohlensäure hat rein dila- tatorischen Effekt, dessen Ausschlag aber für beide Extremitäten ungleich ist, indem der erzielte Strömungseffekt im verengerten Gefässsystem grösser ist. Die Konzentration von 3 Vol.-Proz. Kohlensäure hat sich mir für meine Versuche am ge- eignetsten erwiesen, da sie den maximalen Strömungs- Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 117 zuwachs liefert, ohne von einer konstriktorischen Phase gefolgt zu sein. Mit Abnehmen der Konzentration ver- Kleinert sich auch der dilatatorische Effekt, und als Reizschwelle darf eine Konzentration von 0,5 Vol.-Proz. Kohlensäure bezeichnet werden, welche, wie Tabelle 12 zeiet, gerade noch einen deutlichen Zuwachs des Strömungsvolumens ergibt. Durch diese Befunde ist der genannte Widerspruch zwischen Bayliss, Gaskell und den anderen Autoren einerseits und Isehikawa und Pearce anderseits gelöst. Fs erweist sich die Höhe der Konzentrationalsmaassgebend dafür, ob der dilatatorische oder der konstriktorische Effekt zutage tritt. Aus den Resultaten ergibt sich ferner unabweislich die Folgerung, dass die Kohlensäure ein regulatorisches Agens für die Gefässweite und somit für das Strömungsvolumen darstellen kann, und dass sie eine Konzentration von ungefähr 3 Vol.-Proz., im höchsten Fall aber eine solche unter 5 Vol.-Proz. in Ringer-Lösung besitzen muss. Es wirft sich hier die Frage auf, wie sich diese Zahlen zu der Kohlensäurekonzentration im Blute stellen, die 40 und mehr Vol.-Proz. beträgt. Dabei muss in Betracht gezogen werden, dass nicht die Gesamtkonzentration der Kohlensäure im Blute, sondern nur die freie Kohlensäure für die Wirkung in Betracht fällt. Im Blute ist weitaus der erösste Teil der Kohlensäure an die Bestandteile des Plasmas und an das Hämoglobin gebunden, und nur ein kleiner Teil ist frei ab- sorbiert und somit als Kohlensäure wirksam. Die Menge dieser freien Kohlensäure ist gegeben durch die entsprechenden Partialdrucke, die beim Warmblütler etwa 20 mm Hg für das arterielle und 40 mm Hg für das venöse Blut betragen. . Berechnet man daraus die freie Kohlen- säure in Volumprozent mittels des Absorptionskoeffizienten, der für Blut für 38° C. 0,511 beträgt, so ergibt sich für das arterielle Blut 1,3 Vol.-Proz. freie Kohlensäure und für das venöse 2,68.-Vol.-Proz. Kohlensäure. Diese Daten beziehen sich allerdings auf den Warm- blütler, aber man darf wohl annehmen, dass der Unterschied gegen- über dem Blute des Frosches nicht in eine andere Grössenordnung fällt. Diese Rechnung soll nicht mehr als den Charakter einer Orientierung haben, dass die in vivo wirksamen Konzentrationen in diejenige Grössenordnung fallen, die wir in unseren Versuchen als die optimale gefunden haben. 118 - Alfred Fleisch: Die Wirkung der Kohlensäure auf die Blutgefässe. Es ist von Interesse, zu wissen, ob die beschriebenen Wirkungen der Kohlensäure dieser als solcher zukommen, oder ob sie lediglich ihrem Säurecharakter zugeschrieben werden müssen. Um in dieser Frage Orientierung zu erhalten, machte ich Versuche mit Salzsäure- zusatz zu Ringer-Lösung, nachdem diese mit Sauerstoff vollkommen oesättiet worden war. Von den zahlreichen aneestellten Experi- menten sind einige typische Versuche wiedergegeben. Wie Tabelle 13 zeigt, verursacht Ringer-Lösung mit einer Salzsäure- konzentration von !ıooo n eine intensive Gefässerweite- rung, die auf Unterbrechung der Salzsäurezufuhr rasch abfällt. Im Gegensatz dazu liefert, wie Tabelle 14 zeigt, eine grössere Konzentration einer Salzsäurelösung von HC] */ıooo n eine sofortige Kontraktion, die im Verlaufe von Minuten wieder zurückgeht; auf Unterbrechung der Salzsäurezufuhr entsteht dann eine Dilatation. Ein prinzipiell gleiches Resultat demonstrieren die später aufgeführten Versuche (Tabellen und Kurven 16 und 17) mit Salzsäurekonzentrationen von ®/ıooo n und Y/ıoo normal. Diese Versuche zeigen deutlich, dass Salzsäure ähnlich wie Kohlen- säurejenachder Konzentration eine entgegengesetzte Wirkung auslöst, indem schwache Konzentration von HCl !ıooo n Gefässdilatation, erössere Konzentration hingegen Gefässkontraktion bewirken. Tabelle 13. Registrierung des Einflusses einer sauerstoffgesättigten Ringer-Lösung mit einer Salzsäurekonzentration von !/ıooo n. x — Zeit von Beginn der Registrierung an in Minuten. y = Zugehörige Durchflussmenge in Tropfen pro Minute berechnet. x% 1,.l 1,5 1,8 2,2 2,6 31 3,9 3,9 4,2 y: 14,1 14,15 1425 1445 145 14,6 14,55 146 141 x: 4,8 9,2 3,0 9,9 6,3 6,8 71 7,6 80 y: 14,852 15.05 715.050 15.15, 7319,25 215,3 15,25 15,1 15,3 x 8,4 8,7 8,9 Sl 9,83 9,6 9,8 Eh) 10,1 VE 15,4 1535 15,6 1573 1,85 1605 165 16,6 16,75 Re 10,4 10,6 10,8 11,0 11,3 11,5 11,7 12,0 12,3 y: 17,4 17,7 18,0 1825 186 18,7 19.0 19,3 19,69 xt 12,6 13,0 13,4 13,9 14,5 15,1 15,8 16,7 rd y: 20,0 20,4 20,7 21.0 212 21,4 21,6 21,9 22,0 x 19,17 19,6 20,0 20,3 20,5 20,6 20,7 20,9 21,0 y: 22,3 21,1 20,2 19,0 17,25 15,8 15,1 14,55 14,3 Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 119 Tabelle 13 (Fortsetzung). all 21,2 21,3 21,4 21,6 21,7 21,967 222,1, 722,2 ver 18,9 14,05 1375 13,6 13,4 13,9 144 14,75 14,75 x: 22,4 22,6 22,8 23,1 23,9 23,6 y: 14,75 15,0 15,0 15,2 15,355 15,45 Die fettgedruckten Zahlen sind diejenigen Werte, die unter Salzsäurewirkung 20 15 10 Tropfenzahl pro Minute. or Beeren erhalten wurden. HOL 02 f f 5 10 15 20 Minutenzahl, Kurve 13. Anfänglich Durchströmen mit sauerstoffgesättigter Ringer -Lösung. Auf Durchströmung mit sauerstoffgesättigter Ringer-Lösung (HC]) mit einer Salzsäurekonzentration von !/ıooo n erfolgt eine intensive Gefässerweiterung, die nach Unterbrechung der Salzsäurezufuhr (O,) rasch zurückgeht. Tabelle 14. Registrierung des Einflusses einer sauerstoffgesättigten Ringer-Lösung mit einer Salzsäurekonzentration von *1o0o n. x — Zeit von Beginn der Registrierung an in Minuten. y = Zugehörige Durchflussmenge in Tropfen pro Minute berechnet. 0,3 15,7 2,9 15,9 5,3 14,9 le “HM 0,6 0,9 12 15 1,8 EEE EN: 107 219556 1520 VBoRbs ı Blaex 159 32 3,5 3,8 4,1 4,4 2302750, 59 59 539 161 12 164 164 166 161 5,4 5,6 5,7 5,8 6,0 GO IN 205 hr 139.439 04139..1485 3142 48 150,050 120 Alfred Fleisch: Tabelle 14 (Fortsetzung). 6,9 al 7,4 7,5 7,8 81 8,4 8,7 8,9 145 1485 185 11 15,05 154 15,6 16,0 16,2 9,1 9,3 32100 10,3 10,6 11,0 11,3 11,6 16,4 16,6 16,75 16,7 16,5 1675 1,5 170 16% 118 3.12:1 104000126. 2.129 le iss se 170° .165 166. 1627. 166. 170. 17,35 189. ex 140... 145. 12702450, 153.0.2156 2160 tos s 190. 194. 5195. 1970199 1990.19, 0% IB. dal A er N. 180, sen ae. je 1a 196. 194. 2 1945..189 186 1805 ins Sie 192.190. 21982.0.20,0 202, 004 07... .20,90 1 16.352, 215,0 a5, [a5 . 18,5. 512 Bl, 05000053 ae ae 11,6 Die fettgedruckten Zahlen sind diejenigen Werte, die unter Salzsäurewirkung er- halten wurden. ; HCL° 02 Y ) >0 F 15 I . [LEI 10 ® wu day ak ak un un a Fa Ne) &) Tropfenzahl pro Minute. ee 5 10 15 20 Minutenzahl. Kurve 14. Beginn der Durchströmung mit sauerstoffgesättigter Ringer-Lösung. . Auf Zuleiten von sauerstofigesättigter Ringer-Lösung mit einer Salzsäure- konzentration von *100o n (HCl) erfolgt eine kurze Kontraktion. Auf Unter- brechung der Salzsäurezufuhr (O,) erfolgt eine rasche Erweiterung, die spontan wieder abfällt. Eine Frage bleibt hier noch zu erörtern, warum in den Ver- suchen mit grösserer Konzentration bei Unterbrechung der Salzsäure- zufuhr Gefässerweiterung eintritt. Vielleicht dürfte folgende Er- » Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 121 klärung zutreffend sein: Die Salzsäure hat, wie auch die Kohlen- säure, eine doppelte Wirkung, die sich aus einer, bei schwacher Konzentration auftretenden, erweiternden Komponente und einer vereneernden Komponente zusammensetzt, welehe nur bei höherer Konzentration in Erscheinung tritt. Hat nun bei Durehströmung mit höherer Salzsäurekonzentration eine Gefässverengerung stattgefunden, und wird sodann die Salzsäurezufuhr unterbrochen und mit salzsäure- freier ‚Lösung weiter durchströmt, so wird die Salzsäure nur langsam aus dem Gefässsystem ausgewaschen. Die Salzsäurekonzentration ‘im Gefässsystem nimmt also nur allmählich ab und erreicht dabei einen Grad, bei dem die konstriktorische Komponente wegfällt, während für die Auswirkung der dilatatorischen Komponente nun erst die Grundlage ihrer Wirksamkeit, nämlich eine schwache Salz- säurekonzentration gegeben ist. Da die Salzsäurekonzentration aber weiterhin beständig abnimmt, muss schiesslich auch die dilatatorische ‘ Komponente verschwinden, was sich in einem Zurückgehen der Dilatation äussert. Die Ähnlichkeit der Wirkung der Kohlensäure und der Salz- säure — die Gefässerweiterung bei schwachen und die Verengerung bei starken Konzentrationen — legt die Vermutung nahe, dass bei beiden Stoffen die Wirkung durch das gleiche Agens hervorgerufen wird. Dieses Agens könnte einmal die (H’)-Ionen-Konzen- tration der Lösungen sein, oder aber es könnte in beiden Fällen eine spezifische Wirkung der Kohlensäure dafür angesprochen werden; denn im Falle des Zusatzes der Salzsäure wird bei Gegen- wart von Natriumbikarbonat Kohlensäure freigemacht. In diesem Sinne deuten Schwarz und Lemberger ihre Versuche, über welche auf S. 88 referiert ist. Ob die gleiche Umsetzung auch in der Ringer-Lösung so weit möglich ist, dass durch die Salzsäure eine wirksame Kohlensäurekonzentration zustande kommt, darüber verschafft die Mengenrelation des Natriumbikarbonats und der beiden Säuren in Grammol ausgedrückt Klarheit. Ein Liter Kohlensäure wiest bei Zimmertemperatur 1,79 g. In 1 Liter einer 3 volumprozentigen Kohlensäurelösung ‚sind somit 0,0557 g Kohlensäure enthalten. Daraus berechnet enthält eine 3 volumprozentiee Kohlensäurelösune 0,0012 g Mol Kohlensäure. In 1 Liter Ringer-Lösung ist 0,1 g Natriumbikarbonat enthalten, was 0,0012 g Mol entspricht. Das in der angewandten Durchströmunesflüssigkeit vorhandene Natrium- 122 ; Alfred Fleisch: bikarbonat reicht also gerade aus, um. bei vollständiger Abspaltung der Kohlensäure eine Konzentration von 3 Volumprozent zustande kommen zu lassen. Ferner ist der Salzsäuregehalt einer !/ıooo n Lösung = 0,001 g Mol pro Liter) ausreichend, um die entsprechende Kohlensäuremenge in Freiheit zu setzen. Durch die dargelegte Rechnung könnte man sich verleiten lassen, auch die Salzsäure- wirkung nun positiv als indirekte Kohlensäurewirkung zu erklären. In diesem Schlusse ist jedoch vorsichtig zu sein, solange wir nicht die Dissoziationsverhältnisse in Betracht gezogen haben. Betrachtet man anderseits die Gefässdilatation lediglich als eine Wirkung der (H')-Ionen- Konzentration, so ist darauf hinzuweisen, dass die (H’)-Ionen-Konzentration der Yıooo n Salzsäure 60 mal grösser ist als die (H‘)-Ionen- Konzentration einer 2—3 volum- prozentigen Kohlensäurelösung, indem nach den Berechnungen von Laqueur und Verzar!) für !/ıooo n Salzsäure (H’)—= 1:10%, für eine 2—5 volumprozentige Kohlensäurelösung etwa 1,7-107° beträgt. Sofern tatsächlich nur die Weasserstoffionenkonzentration das dilatatorische Agens wäre, so sollte man allerdings erwarten, dass die wirksamen Säurekonzentrationen annähernd die gleiche Wasserstoffionenkonzentration besitzen. In einem so komplizierten Ionengemisch, wie es die Ringer-Lösung darstellt, kann aber ein definitives Urteil nur auf die experimentelle Bestimmung der Leit- fähigkeit begründet werden. Auf jeden Fall wagen wir nicht, aus den bisher von uns auf- geführten Resultaten eine Entscheidung zu fällen, ob nämlich die Kohlensäure als solche, oder die Wasserstoflionenkonzentration die Ursache der Gefässdilatation ist. Diskussion der Resultate. In erster Linie wollen wir die Resultate der eigenen Versuche in Vergleich setzen zu den Befunden anderer Autoren. Wie bereits auf S. 89 erwähnt wurde, fand Ishikawa beim Durchströmen mit verschiedenen, von ihm geprüften Säuren Gefässverengerung. Das Ausbleiben der Gefässerweiterung auf Säuredurchleitung in Ishi- kawa’s Versuchen scheint mir dadurch begründet, dass Ishikawa nur mit luftgesättigter physiologischer Kochsalzlösung 1) Laqueur und Verzär, Pflüger’s Arch. Bd. 145 8. 395. 1911. Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 123 durchströmte. Ich habe oben ausgeführt, dass eine Durchströmungs- Hüssiekeit, die nur dem osmotischen Druck gerecht wird, aber das Ioneneleichgewicht vollkommen unberücksichtigt lässt, auf die hoch- empfindlichen Gefässe wahrscheinlich schädigend wirkt. Zudem war die Durchströmungsflüssiekeit nur mit atmosphärischer Luft und nicht mit reinem Sauerstoff gesättigst; dass aber Sauerstoffmangel für die Gefässe nicht indifferent ist, zeigen meine Versuche aufs deutlichste (vgl. Tabellen und Kurven 2, 3 und 4). Die geringsten Säurekonzentrationen, mit denen Ishikawa arbeitete, war ferner eine luftgesättiste Kochsalzlösung, 10—15 Volumprozent Kohlen- säure enthaltend, wobei er gar keine Veränderung der Durchfluss- menge konstatierte, während er bei grösseren Konzentrationen regel- mässig nur Gefässverengerung erhielt. Nun machte ich auch in meinen Versuchen die Beobachtung, dass die Gefässdilatation nicht ganz regelmässig auftrat, und dass sie namentlich dann ausblieb oder ungenügend war, wenn die Gefässe vorher irgendeine Schädigung erlitten hatten, sei es infolge höherer Säurekonzentrationen oder vorübergehendem Sauerstoffmangel, wenn nicht sofort nach Unter- bindung des natürlichen Kreislaufes die Durchströmung mit sauerstoff- gesättigter Ringer- Lösung einsetzte. Wenn aber infolge solcher Schädigung die Dilatation ausblieb, so trat doch regelmässig auch an schwerst geschädigten Gefässen auf grössere Säurekonzentration die Gefässkontraktion ein. Dieser Umstand, dass die Säure- dilatation nur ‘bei feinster Dosierung der Reize und nur am vollkommenintakten Präparate auftritt, während die Kontraktion sich bei viel kräftigeren Dosen und an weniger schonend behandelten Gefässen einstellt. legt die Vermutung nahe, dass der Angriffspunkt bei der Säuredilatation an anderen emp- findlicheren Elementen stattfindet als bei der Konstriktion. Im speziellen ist daran zu denken, dass der konstriktorische Effekt die Folge einer direkten Gefässmuskelreizung ist, während die Dilatation durch die Vermittlung nervöser Elemente zustande kommt. Mit dieser Ver- mutung stellen wir uns allerdings in Gegensatz zu der Auffassung, welche verschiedene Autoren in bezug auf den Mechanismus der Kohlensäuredilatation äussern. Gaskell, der die konstriktorische Phase der Kohlensäurewirkung nicht beobachtet hat, denkt sich den dilatatorischen Effekt als Folge einer direkten erschlaffenden Wirkung der sauren Stoffwechselprodukte auf die Gefässmuskulatur. 124 Alfred Fleisch: Winterstein!) spricht von einer „spezifisch Jlähmenden Wir- kungsder Kohlensäure“, und Full?) vermutet eine „narkoti- sierende Wirkung der Kohlensäure auf die glatte Muskulatur“. Solchen Anschauungen kann ich mich unmöglich anschliessen, und zwar aus verschiedenen Gründen nicht. So spricht gegen eine Lähmung die Tatsache, dass grössere Konzentrationen erregend, das heisst gefässzusammenziehend wirken, während doch durch diese erösseren Konzentrationen eine Verstärkung der Narkose zu er- warten wäre. Das umgekehrte Verhalten wäre wohl verständlich, nämlich Erregung bei kleineren Dosen und Lähmung bei höheren Konzentrationen. Noch gewichtiger als diese Argumentation spricht gegen die gefässlähmende Wirkung der Kohlensäure die Beobachtung, die durch Tabelle und Kurve 15 belegt ist. In diesem Experiment trat wie in früheren auf Durchströmung mit 3 Volumprozent Kohlen- säure eine starke Gefässerweiterung ein. Auf der Höhe der Dila- tation wurde der Nervenplexus durchschnitten, worauf eine intensive Gefässkontraktion eintrat. Wie in Tabelle 1 und auf S. 100 u. 101 gezeigt und ausgeführt wurde, wirkt eine Nervendurchscehneidung als starker Reiz auf die Vasokonstriktoren, der regelmässig eine Gefäss- kontraktion auslöst. Tabelle 15. Die Wirkung einer Nervendurchschneidung auf die Gefässe im Momente einer Kohlensäuredilatation. x — Zeit von Beginn der Registrierung an in Minuten. y = Zugehörige Durchflussmenge in Tropfen pro Minute berechnet, x: 02 0,5 0,8 11 1,4 1,7 20, .028.,00 216 mon 38 845 0,85 8,5 845 86 A N x: 29 3,1 34 3,8 4,0 43 46 37499.8059 N 8,5 2a. 85 8,3 Sale WI 5,8 6,1 6,4 6,7 7,0 RS vellrgis 84 8,4 8,3 8,4 84 sa Sn ze 280 8,2 8,4 8,6 8,8 9,0 go ga age yv: .:.90. 104.10 16 19.20 21 22 24 299° 100° 2.210,1° 0103.2305 2108. 11002 1a reg y: 2192 9,3 en) 41 41 15: 45 ze 12,01 0 128 2% 12,60 2119,98 08 1502 1 195 1. 1a Sa Te a 5,0 52 54 53 56.058 0.0650 el 0158 or lo ae ve .0069 63° 65 6,6 6,7 6,9 70.0 mar a 1) Winterstein, Pflüger’s Arch. Bd. 133 S. 167. 1911. 2) H. Full, Zeitschr. f. Biol. Bd. 61 S. 287. 1918. Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 125 Tabelle 15 (Fortsetzung). 18,1 18,5 13,8 19,1 19,5 19,9 20,2 20,6 21,0 10,9 12,4 12,8 13,3 13,6 13,8 14,1 14,3 14,4 - 21,4 21,8 22,2 22,7 23,1 23,6 24,0 24,3 24,9 14,4 14,4 14,5 1835 149 15,0 150 150 15,1 5 25,3 25,9 15,3 15,4 Die fettgedruckten Zahlen sind diejenigen Werte, die unter Kohlensäurewirkung erhalten wurden. Die schräggedruckten Zahlen sind die Werte während der Wirkung des Nervenschnittes. u «HM Tropfenzahl pro Minute. Minutenzahl. Kurve 15. Zu Beginn Durchströmung mit sauerstoffgesättigter Ringer - Lösung. Auf Einleiten von Kohlensäurelösung von 3 Vol.-Proz. (CO,) erfolgt eine starke Gefässerweiterung. Auf der Höhe der Erweiterung wird der Nervenplexus durch- schnitten (Ns), worauf eine rapide Gefässkontraktion eintritt, die von selbst in eine starke Erweiterung übergeht. Wenn nun aber die auf Kohlensäure dilatatierten Gefässe auf vasokonstriktorische Reize ansprechen und sich ausgiebig kon- trahieren, so können sie sich nicht in einem Zustande der Narkose oder Lähmung befinden. Nach den erhaltenen Kurven ist die An- sprechbarkeit der Gefässe auch nicht im geringsten vermindert; man vergleiche den Durchschneidungseffekt in Kurve 1, welcher sich auf ein Präparat bezieht, das bei der Durchschneidung der Kohlensäure- . wirkung nicht unterstellt war! Eine besondere Bedeutung erfährt die Tatsache der gefäss- dilatatorisch wirksamen Säurekonzentration durch die Untersuchungen von Winterstein, Versuche, welche allerdings auf den ersten ‚, Blick mit unserer Frage kaum etwas zu tun haben. Winterstein 126 Alfred Fleisch: bestimmte nämlich die für Erregung des Atemzentrums wirksamen Konzentrationen in die Grössenordnung von Yıooo n Salzsäure oder 2—3 Volumprozent Kohlensäure. In unseren Versuchen, die voll- ständig unabhängig und ohne einen Gedanken an die Winter- stein’schen Versuche ausgeführt wurden, ergab sich als dilatatorisch wirksame Säurekonzentration für Salzsäure "/ıooe n und für Kohlen- säure 3 Volumprozent. Also eine frappante Übereinstimmung! Diese gleiehe Empfindlichkeit leet die Vermutung nahe, dass es sich auch in unserem Falle wahrscheinlich — wie im Winterstein’schen Falle sicher — um die primäre Er- regung nervöser Elemente handelt, deren adäquater Reiz Kohlensäure oder Säure ganz allgemein ist. Im gleichen Sinne, wenn auch weniger zwingend, ist folgende Beobachtung zu deuten: Einer Anzahl Personen gab ich gewöhn- liches Wassser zu kosten, dem Salzsäure in verschiedenen Kon- zentrationen zugesetzt war. Salzsäurekonzentrationen von ®/ıooo n konnten dabei von gewöhnlichem Wasser gar nie unterschieden werden, Lösungen von *ıooo n wurden selten von verändertem Ge- schmack befunden, und erst bei Salzsäure °/ıooo n wurde ein säuer- licher Geschmack wahrgenommen. Die für Wahrnehmung von Säuren spezifisch differenzierten Elemente unseres Geschmacksapparates stehen an Empfindlichkeit gegenüber den Elementen, an welchen die gefässdilatatierende Wirkung von Säuren angreift, zurück! Dass dabei etwas anderes als auch ein sensorischer Apparat in Frage kommt, kann ich mir nicht denken. Endlieh mnss doch auch folgende Argumentation in Berück- sichtigung gezogen werden: Die regulatorische Querschnittsverände- rung des peripheren Kreislaufapparates vollzieht sich nicht nur aproximativ. Wir haben im Gegenteil Beweise dafür, dass die An- . passung des Gefässquerschnittes ungemein fein dosiert ist, so dass bei vermehrtem Blutbedarf nicht nur ein qualitativer Ausschlag er- folst, sondern dass die Querschnittsveränderung quantitativ so dosiert ist, dass die Blutzufuhr genau dem Blutbedarf angepasst ist. Wenn bei dieser regulatorischen Anpassung der Gefässweite die Dissi- milationsprodukte eine entscheidende Rolle spielen, so ist nicht ein- zusehen, wie diese feine Dosierung durch einen Zustand der Narkose oder Lähmung zustande kommen kann. Die Dosierung der querschnittsverändernden Gefässmuskelakte wird sich ohne die Mitwirkung eines sensorischen Apparates eben- Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 127 sowenig vollziehen können, wie die Dosierung der Skelettmuskel- kontraktionen es tun kann, um so weniger, als der Einfluss der Gefässmuskulatur auf die Zirkulation nicht weniger als quantitativ konstant ist. Denn je nach den hämodynamischen Bedingungen ist eine sehr verschiedenartige Gefässmuskelerregung notwendig, um eine bestimmte Änderung der Zirkulation herbeizuführen. Ich weise auf die Ausführungen von W. R. Hess!) hin, welcher in seiner Arbeit „Über die periphere Regulierung der Blutzirkulation“ diese Beziehungen eingehend erläutert hat. Ich bin mir darüber klar, dass keine der angeführten Begrün- dungen als entscheidender Beweis gelten kann; wohl rücken sie aber die Wahrscheinlichkeit in den Vordergrund, dass die Kohlen- säure an einem spezifischen sensorischen Apparate angreift. AufjedenFall schliessen wir den Gedanken an eine lähmende, bzw. narkotisierende Wirkung der Kohlensäureauf die Gefässmuskulatur aus. | Im Bestreben, weiteres experimentelles Material zu dieser ganz prinzipiellen Frage heranzuschaffen, führte ich meine Versuche noch in einer bestimmten Richtung weiter. Diese Versuche bestanden in gleichzeitiger getrennter Durchströmung der beiden hinteren Extremitäten des Frosches mit sauerstofigesättigter Ringer- Lösung. Während des Versuches wurde dann an der einen Ex- tremität, welche der Kürze halber als Experimentierbein be- zeichnet werden soll, die Durchströmungsflüssigkeit gewechselt und mit säurehaltiger Lösung durchströmt. Durch gleichzeitige Regi- strierung beider voneinander unabhängigen Durchflussmengen kann festgestellt werden, ob eine Säurewirkung im Experimentierbein eventuell begleitet ist von irgendeiner Reaktion auf das indifferent gelassene Reaktionsbein. Wenn ja, so kann natürlich diese Reaktion auf nichts anderes als auf die Mitwirkung eines sensorischen Apparates bezogen werden, dessen Leistungen sich nicht nur lokal, sondern in einem weiteren Umkreis des Gefässsystems geltend machen. Die angestellten Untersuchungen ergaben folgende Beobachtung: In einer ganzen Reihe von Versuchen erfolgte auf starke Variationen der Durehflussmenge des Experimentierbeines gar keine Veränderung 1) W. R. Hess,?Pflüger’s Arch. Bd. 168 S. 439. 1917. N 128 Alfred Fleisch in der Durchflussmenge des Reaktionsbeines. Dieser anfängliche Misserfolg legte die Vermutung nahe, dass die nervösen Bahnen, auf welchen eventuelle Reflexe von der einen Extremität auf die andere übergehen, zerstört waren. Dass bei nicht äusserst subtilem Vorgehen beim Einbinden der Kanülen in die Aorta nervöse Unter- bindungen unterbrochen werden können, ist bedingt durch die be- nachbarte Lage des Ganglions symp. IX und X, ferner XI. Beide Ganglion symp. empfangen Fasern aus den Wurzeln des Plexus lumbosacralis und geben ferner Fasern ab nach der Aorta und ihren Verzweigungen. Bei den zwei wiedergegebenen Versuchen (Tabellen und Kurven 16 und 17) wurde unter vorsichtigster operativer Technik ein Durchreissen dieser Fasern. vermieden, und der Erfolg war das Auftreten eines Reflexes, der in einer Gefässverengerung bestand. Die Intaktheit dieser sympathischen Fasern scheint mir also für das Zu- standekommen dieses konstriktorischen Reflexes auf die andere Ex- tremität notwendig zu sein. Wegen der geringen Zahl der erfolg- reichen Versuche möchte ich mich darüber nieht positiver ausdrücken. Soviel darf ich jedoch behaupten, dass eine direkte Säurewirkung im Reaktionsbein vollkommen ausgeschlossen ist. Da das Reaktions- bein während des ganzen Versuches mit sauerstoffgesättigter Ringer- Lösung durchströmt wird, ist in beiden Fxtremitäten genau der gleiche intravaskuläre Druck. . In einigen Versuchen war die Durch- strömungsflüssigkeit des Experimentierbeines mit Methylenblau ge- färbt, und der Erfolg war, dass das Exverimentierbein bis zur Median- linie mit Farbstoff stark imbibiert wurde, während das Reaktions- bein vollkommen farblos blieb. Tabelle 16. Durchströmung der einen Extremität mit °ıooo n Salzsäurelösung bei gleichzeitiger Registrierung der Durchflussmenge der anderen Extremität. x — Zeit von Beginn der Registrierung an in Minuten. y = Zugehörige Durchflussmenge in Tropfen pro Minute berechnet, Experimentierbein (Durchströmung mit Salzsänre) (KON)8 x: 0,4 0,8 11 1,4 1,8 2,2 2,6 29 vw 109 11,0 10,8 10,4 10,65 10,9 11.0-.0.10,8%% 10% x: 3,6 3,9 4,2 4,7 5,0 5,3 ER 6,1 6,5 y: 106 10,5 10,55. 10,65 10,4 10,5 10:47 210,505 402 x: 6,8 2 7,4 N 7,8 7,9 8,0 82 8,5 ve02102 102 100 100 S,S ı,9 6,5 55 63 x: 8,8 9,2 9,5 9,8 10,1 10,4 10.723.11:.0000.118 y: 6,05 5 06 615 60 5,9 5.65. 555.0 5:55 Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 129 Tabelle 16 (Fortsetzung). Ber 000, 1030,.126.11239., 132.1,134.9187:.714,0 an 55 5,8 5,6 6.0 SS er Ma a8 5 Br Belle 161 ee) 7,3 ci a 7,1 OT al le 1.177. 0.182 v: 695 69 bs 65 Die fettgedruckten Zahlen sind diejenigen Werte, die unter Salzsäurewirkung er- halten wurden. Reaktionsbein zu Tabelle 16 (während des ganzen Versuches mit sauerstofi- gesättigter Ringer-Lösung durchströmt) (@): x: 04 0,7 1,1 1,4 18 2,3 2,7 3,0 3,4 er 1 IE .109 165 15° 115 115 1A x: 3,8 42 4,7 Sl 3,4 3,8 6,2 6,4 6,7 en lo‘ 11 0109. 110. 109 108... 108 x: 2 1,9 7,8 8,0 82 163) 8,7 89 92 oT 1055 105.100 10,0 9,5 995.,.90.00 941 Re: 35) 9,8 10,0 10,2 10,6 10,9 11,3 eferd 12,0 y: 9,6 10,05 10,0 10,15 10,25 10,3 10,4 10,5 10,6 os 106 109 182. 136.0.189:.. 141, 145., 149 y: 10,55 10,6 10,4 10,4 10,35 10,3 10,25 10,3 10,3 SzE 15,2 15,9 15,9 16,2 16,7 17,0 17,4 17,6 18,3 y: 10,3 10,3 10,1 10,25 10,3 10,25 10,15 10,15 10,15 15 = HA 02 m N ee Tropfenzahl pro Minute, Minutenzahl. Kurve 16. Während des ganzen Versuches ist das Reaktionsbein (®) von sauer- stoffgesättigter Ringer-Lösung durchströmt, das Experimentierbein (©) nur im Beginne. "Auf Einleiten von sauerstoffgesättigter Ringer-Lösung + */ıooo n Salz- säure ins Experimentierbein (HCl) erfolgt in diesem eine intensive Gefäss- verengerung. Etwas später erfahren die Gefässe des Reaktionsbeines ebenfalls eine Verengerung. (O5; —= Unterbrechung der Säurezufuhr im Experimentierbein.) Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 9 Alfred Fleisch: 150 Tabelle 17. Durchströmung der einen Extremität mit Y/ıoo n Salzsäurelösung bei gleich- zeitiger Registrierung der Durchflussmenge der anderen Extremität. x — Zeit von Beginn der Registrierung an in Minuten. y = Zugehörige Durchflussmenge in Tropfen pro Minute berechnet. Experimentierbein (Durchströmen mit Salzsäure) (O): ME. Die fettgedruckten Zahlen sind diejenigen Werte, die unter Salzsäurewirkung erhalten wurden. Reaktionsbein zu Tabelle 17 (während des ganzen Versuches mit sauer- stoffgesättigter Ringer-Lösung durchströmt) (®): Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 131 Ir © HCL 0% - I I EN 2 Re me N ee etcen. E m Da £ Dt! = Ve N Te © Hr vo o = RE a5 m E Ei SE L Ne So BL Isa BR Me 5 10 15 0. Minutenzahl. Kurve 17. Das Experimentierbein (©) ist im Beginne, das Reaktionsbein (@®) während des ganzen Versuches mit sauerstoffgesättister Lösung durchströmt. Auf Einleiten von sauerstoffgesättigter Ringer- Lösung + "/ıoo n Salzsäure ins Experimentierbein (HC]I) erfolgt in .diesem eine intensive Gefässverengerung. 1/a Minute später erfolgt im Reaktionsbein ebenfalls eine geringe Gefässverengerung. (0; = Unterbrechung der Säurezufuhr im Experimentierbein.) Säuredurchströmung eines Gefässbezirkes ver- ursacht also, sofern die nervösen Bahnen erhalten sind, eine Kontraktion in entfernteren, zirkulatorisch vollkommen unabhängigen Stromgebieten. Daist nun niehts anderes möglich, als dass die Säure im Ex- perimentierbein auf sensible Apparate wirkt, durch deren Erregung ein verengernder Impuls auf die Ge- fässe der anderen Extremität zustande kommt. Noch kann eingewendet werden, dass der beobachtete Reflex lediglich durch Erregung anderer sensorischer Nervenendigungen, zum Beispiel in der Haut, zustande kommt, durch deren Reizung bekanntlich ein pressorischer Blutdruckeffekt ausgelöst werden kann. - Doch spricht das Ausbleiben dieses Reflexes bei zerstörten sympathischen Fasern, aber intakten zentripetalen und zentrifugalen Bahnen des Plexus gegen diese Erklärung. Zufammenfassung. Die Einleitung orientiert über die bis jetzt bekannt gegebenen Beobachtungen über die Kohlensäurewirkung auf die peripheren Blutgefässe. Es wird die Notwendigkeit dargelegt, zur Beseitigung von Widersprüchen und zur Aufhellung der Wirkungsweise das vor- 9* 132 Alfred Fleisch: handene experimentelle Material zu ergänzen, und zwar speziell im Sinne einer exakten Dosierung der Kohlensäurewirkung. Die Durchführung der Versuche geschieht unter Anwendung einer eigenen Apparatur, welche es gestattet, fortlaufend die in ein künstlich durchströmtes Froschpräparat einströmende Zuflussmenge zu registrieren. Durch Umgehung einer die Abflussmenge fassenden Venenkanüle wird die präparatorische Technik vereinfacht und Fehlerquellen beseitigt. Resultate. . Vollkommener und relativer Sauerstoffmangelin der Durehströmungsflüssigkeit verursachen regel- mässig eine Gefässverengerung. Die Art der Kohlensäurewirkung — ob konstriktorisch oder dilatatorisch — erweist sich als eine Funktion der Säure- konzentration. Sie ruft in schwachen Konzentrationen eine Gefässerweiterung, in stärkeren eine Gefäss- verengerung hervor. Die Kohlensäure greift an einem vom Zentrum unabhängigen peripheren Mechanismus an. Ä Salzsäurekonzentrationen von !ıoon erzeugen ebenfalls Gefässerweiterung, grössere Konzentrationen Gefässverengerung, wie bei Kohlensäure. Ob die Salzsäure eventuell durch die aus dem Natriumbikarbonat freigemachte Kohlensäure wirkt, kann nicht entschieden werden. Die konstriktorische Wirkung der Säuren wird als eine direkte Reizung des Gefässmuskelapparates be- trachtet. Die von verschiedenen Autoren vertretene Ansicht von einer die Gefässmuskulatur Jähmenden bzw. narkotisierenden Wir- kung der Kohlensäure wird ausdrücklich abeelehnt; denn die Gefässe bewahren trotz Kohlensäurewirkung ihre volle Ansprechbarkeit für andere Reize. Die optimale Konzentration für das Zustandekommen eines dilatatorischen Effektes durch Kohlensäure beträgt 3 Volumprozent. Es entspricht dieser Wert genau der von Winterstein für die - Erregung des Atemzentrums als wirksam befundenen Konzentration. Die Übereinstimmung lest die Vermutung nahe, dass dort wie hier Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäurewirkung usw. 133 Elemente gleicher Art, d. h. nervöse Elemente der Angriffs- punkt der Kohlensäurewirkung sind. Unter näher dargeiegten Bedingungen lässt sich ein Gefäss- reflex nachweisen, der von einem der Kohlensäure- wirkung ausgesetzten Strombahnabschnitt auf einen anderen selbständig durcehströmten aber in nervöser Verbindung belassenen Strombezirk übergeht. Diese Beobachtung erweist, dass durch die kohlensäurehaltige Ringer- Lösung ein nervöser Apparat in Tätigkeit gesetzt wird. Zum Schlusse spreche ich Herrn Prof. Dr. W. R. Hess, auf dessen Anregung und unter dessen Leitung die Arbeit durchgeführt wurde, meinen besten Dank aus. Über die Blutbewegung in den Kapillaren. I. Mitteilung. Registrierung der Strömungsgeschwindigkeit. Von : Professor Dr. Adolf Basler, Tübingen. (Mit 7 Textfiguren.) Was für den ganzen Organismus die umgebende Luft und die Zufuhr der Nahrungsmittel, das bedeutet für die Zellen des Körpers das in den Haargefässen strömende Blut. Aus dem Blute reisst die Zelle den Sauerstoff an sich, aus dem Blute nimmt sie die zur Energieerzeugung notwendigen Brennstoffe auf. - Von den Änderungen der Strömungsgeschwindigkeit in den verschiedenen Gefässen übt des- halb die in den Kapillaren vor sich gehende den unmittelbarsten Einfluss auf die Versorgung der Zellen aus. Zur Beurteilung der Ernährung eines bestimmten Gewebes ist es somit mindestens ebenso wichtig, die Strömungsverhältnisse in den zugehörigen Kapillaren zu kennen, als diejenigen in den grossen Arterien, zu deren Ver- sorgungsgebiet ja durchaus heterogene Gewebe gehören. Während zur Untersuchung der Strömungsgeschwindigkeit in den grösseren Gefässen naturgemäss verhältnismässig komplizierte Ap- parate notwendig sind, braucht man zur Beobachtung der Vorwärts- bewegung des Blutes in den Kapillaren nur ein Mikroskop. Um mich bei dieser Art der Untersuchung nicht auf oberfläch- liche und besonders durchsichtige Organe beschränken zu müssen, bediene ich mich zur Beleuchtung eines entsprechend geformten Glas- stäbchens!) (Lichtleiters), das unter das durchleuchtete Organ ge- 1) A. Basler, Über eine neue Methode zur mikroskopischen Untersuchung innerer Organe des lebenden Tieres im durchfallenden Licht nebst dem Versuch einer Theorie der das Licht leitenden Glasstäbe. Pflüger’s Arch. Bd. 167 S. 228. 1917. Über die Blutbewegung in den Kapillaren. 1. 135 schoben wird, wodurch es gelingt, jedes Gewebe von unten nach oben mit hinreichend intensivem Licht zu durchsetzen, so dass die Beobachtung im durchfallenden Licht ermöglicht wird. Die Wirkung des Lichtleiters beruht darauf, dass die Lichtstrahlen an den Seiten des Glasstäbehens durch totale Reflexion zurück- geworfen werden, weshalb sie während ihrem ganzen Verlauf bis zu der Stelle, wo sie in den untersuchten Körperteil gelangen, in dem Glase bleiben müssen. Nun steckt aber der Lichtleiter mit seinem äussersten Ende im tierischen Gewebe. Bei der unvermeid- lichen Berührung des Glases mit Gewebssaft muss ein Teil der Strahlen in diese Flüssigkeit, deren Brechungsexponent dem des Glases ziemlich ähnlich ist, gelangen und wird so dem durch- leuchteten Organ entzogen. Trotzdem ist, wie meine Ergebnisse beweisen, die der Beobachtung zu gute kommende Lichtmenge auch so noch: recht gross. Immerhin liesse sich eine Verbesserung der Methode dadurch erreichen, dass diejenigen im Tierkörper steckenden Teile des Lichtleiters, an welchen Reflexionen stattfinden, mit einem Spiegelbelag überzogen werden. Aber das gleichmässige Versilbern solch dünner Glasstäbehen ist sehr schwierig und demzufolge mit erheblichen Kosten verknüpft. Da ich gerade die Billigkeit des Lichtleiters bezw. die Möglichkeit, ihn jederzeit selbst herstellen zu können, als grossen Vorzug betrachte, so schien es mir für die vor- liegende Untersuchung nicht nötig, den Lichtverlust, der sich leicht durch Verstärkung der Lichtquelle ausgleichen lässt, durch Ver- silberung zu vermeiden. Für bestimmte Zwecke, die uns hier nicht interessieren, ist allerdings ein Spiegelbelag unerlässlich; ich werde darauf bei anderer Gelegenheit noch eingehend zu sprechen kommen. Da die einfache Beobachtung nur eine mehr oder weniger zu- verlässige Schätzung der Strömungsgeschwindigkeit gestattet, schien es mir wichtig, die Fortbewegung des Blutes auf photographischem ‘Wege zu registrieren. Dabei beschränkte ich mich nicht auf die Haargefässe im engeren Sinn, sondern bezog auch kleinste Arterien und kleinste Venen mit in den Kreis der Untersuchung. Ausführung der Registrierung. Jede unmittelbare Registrierung von Bewegungen im lebenden Körper stösst begreiflicherweise auf gewisse Schwierigkeiten, die sich jedoch im vorliegenden Falle verhältnismässig leicht überwinden liessen. So ist schon die wichtigste Bedineung für eine graphische 136 Adolf Basler: Registrierung, dass die Bewegung geradlinig verläuft, gewöhnlich in der Natur nicht erfüllt. Bei meinen ersten Beobachtungen mit dem Lichtleiter war mir aufgefallen, dass die Blutgefässe im Sartorius des Frosches sich durch ihre regelmässige Anordnung auszeichnen!). Sie verlaufen in den Zwischenräumen zwischen den parallel angeordneten Muskelfasern und sind jedenfalls in einer Länge, wie sie für die mikroskopische Projektion in Betracht kommt, fast genau geradlinig. Diese Gefässe schienen mir für meine Versuche von vornherein wie geschaffen, und an ihnen wurden auch alle im folgenden beschriebenen Beobach- tungen ausgeführt. | Fig. 1. Froschbrettchen mit Frosch von oben gesehen. Zum Versuch wurde der kurarisierte Frosch auf einem Frosch- brettehen mit dem Rücken nach unten aufgebunden, die Haut eines Schenkels wurde über dem M. sartorius gespalten und der Licht- leiter, wie bei meinen früheren Versuchen, unter den Muskel ge- schoben. Fig. 1 stellt von oben gesehen das Froschbrettehen mit dem darauf befestigten Frosch dar. Die Figur zeigt auch die Ein- richtungen, mit deren Hilfe der Lichtleiter in der gewünschten Lage gehalten wird. h In dem Ansatz aus Holz « lässt sich ein Winkelstück bc um den Schenkel b als Achse drehen. An dem Teile ce ist mit Hilfe 1) W. Spalteholz (Die Verteilung der Blutgefässe im Muskel. Abhandl. d. kgl. sächs. Gesellsch. d. Wissensch., mathem.-phys. Klasse Bd. 14 S. 507. 1888) reproduziert in Fig. 3, 4 und 5 die Gefässverteilung im M. adductor magn. des Kaninchens. An diese Abbildungen erinnert, wenn man von den grösseren Ge- fässen absieht, der Froschsartorius; nur dass in ihm die Kapillaren noch regel- mässiger verlaufen. Über die Blutbewegung in den Kapillaren. 1. 137 einer kleinen Muffe das Stäbehen d befestigt, das seinerseits die beiden durch Schrauben feststellbaren Schieber e, e trägt. Zwischen die einander zugekehrten entsprechend geformten Endstücke dieser Sehieber wird der Lichtleiter f an der gewünschten Stelle ein- seklemmt. Das Froschbrettehen wird mit dem daraufliegenden Frosch genau in der eleichen Weise wie zur einfachen Beobachtung unter das Mikroskop (ich verwendete stets Leitz, Obj. 3, Okular 2) ge- schoben und der Muskelbezirk, weleher untersucht werden soll, ein- gestellt. Beleuchtung und Einstellung. Als Lichtquelle dient eine Bogenlampe 5b Fig. 2, deren Licht- strahlen durch eine grosse Kondensorlinse e und ausserdem durch Fig. 2. Während das Holzgestell und der photographische Verschluss perspek- tivisch gezeichnet sind, sind die Kohlen der Bogenlampe, das Wassergefäss und die Linsen im Durchschnitt dargestellt. eine zweite Konvexlinse d hindurchgehen. Der mit Wasser gefüllte Glasbehälter c hat den Zweck, einen Teil der Wärme zu absorbieren. Das Mikroskop ist mit a bezeichnet. Es wird so aufgestellt‘, dass der Konvergenzpunkt der Lichtstrahlen auf das freie Ende des Licht- leiters fällt. Durch entsprechende Einstellung des Mikroskops lässt sich in einer bestimmten Höhe über dem Ende des Tubus ein reelles Bild des Präparates erzeugen. Um dieses zu sehen, wird auf die beiden 12 cm über dem Okular liegenden Holzstäbehen f, und fs eine Mattglasscheibe g gelegt. Wie die beiden Leisten f, und fs ge- lagert sind, soll später beschrieben werden. Auf dem so entstehenden 138 Adolf Basler: Bilde heben sich besonders die verschiedenen Gefässe gut von der Umgebung ab. . ‚Bei heller Beleuchtung erkennt man sogar in ihnen die Blutzirkulation. Registriereinriehtung. Soll die Fortbewegung in einem bestimmten Gefäss registriert werden, dann darf natürlich nur dieses und nichts von der Um- gebung sichtbar werden, was sich dadurch erreichen lässt, dass Fig. 3. zwischen Mattscheibe und Mikroskop eine undurchsichtige Platte ge- bracht wird; in ihr befindet sich ein Spalt, dessen Ränder sich eng an das Gefäss anschliessen. Da aber die Abbildungen der Gefässe an im voraus unbekannten Stellen der Mattscheibe liegen und da sie in den verschiedensten Richtungen verlaufen, ist es notwendig, dass der Spalt je nach Bedarf verschoben und gedreht werden kann. Den genannten Anforderungen wird in folgender Weise genügt. Über dem Mikroskop steht ein sehr stabil gebautes Gestell aus 3,5 em dicken Holzstäbchen (vgl. Fig. 2 S. 157). Die vier senkrechten Stäbe Ah, bis A, sind 85 em lang und werden durch die in zwei Etagen angeordneten 40 cm langen Querstäbe ©, bis @, und k, bis a Über die Blutbewegung in den Kapillaren. I. 139 k, zusammengehalten. Über die Stäbe A, und k, werden die schon oben erwähnten Stäbchen f, und fs gelegt, die, solange es sich nur um die Gewinnung eines Überbliekes handelt, die Mattscheibe g tragen. Zur Ausführung der Registrierung wird die Mattscheibe abgenommen und an ihre Stelle eine 7 mm dicke runde Metallplatte von 25 em Durch- messer gelegt. Die Platte ist in Fig. 3 von oben gesehen dargestellt. Das Wichtigste an ihr ist der 37 mm lange Spalt a, der mit Hilfe einer Schraube db, die an einem Schieber ce angreift, beliebig weit gestellt werden kann. Zur Einstellung wird der Spalt voll- j n) DOLL DLLLELL. SS VELLILIELLL, SN NY N ESSTITITEEEEE ZT — NESSIISIIICSSI Fig. 4. ständig geöffnet, so dass er etwa 1 em weit ist. Kommt ausserdem über ihn die Mattscheibe g Fig. 2 zu liegen, dann sieht man auf ihr wieder das Präparat abgebildet. Jetzt sucht man in dem Bild ein Gefäss, in welchem die Blutbewegung registriert werden soll, aus, dreht und schiebt die Scheibe so lange, bis die der Schraube 5 gegen- überliegende Seite des Spaltes hart an dem einen Gefässrand anliegt. Mit Hilfe der Schraube 5 wird hierauf der Spalt so weit verengert, dass die andere Seite des Gefässes von dem Schieber ce berührt wird. Zur Abblendung von Seitenlicht wird zwischen Mikroskop und Platte eine 10 cm lange, vierkantige Hülse von 4 em Durchmesser aus schwarzem Karton (b Fig. 5) gebracht, die unten durch ein 15 em langes, schlauchähnliches Ansatzstück aus undurchsichtigem Stoff verlängert ist. Die Kartonhülse ist an einem Stativ (c Fig. 5) 140 Adolf Basler: so befestigt, dass sie an ihm gehoben und gesenkt werden kann. Am oberen Ende geht sie in einen kleinen Holzrahmen über, dessen obere Fläche mit schwarzem Samt überzogen ist, so dass sie sich dicht an die Metallplatte anschliesst. Das untere Ende des Stoff- schlauches lässt sich mit Hilfe eines Bindfadens um den Tubus des Mikroskops zusammenziehen. Einen besonderen Teil der Einrichtung bildet die 35 mm breite Trommel a (Fig. 4) von 10 em Durchmesser. Sie dreht sich in einem der Hauptsache nach aus Holz hergestellten Kasten c mit- samt der durch sie gelegten Achse b. Der Kasten ist nach Art mancher photographischer Apparate mit schwarzer Leinwand über- zogen und mit einem weit übergreifenden Deckel d verschliessbar. Nach Abheben des Deckels ist die Trommel zugänglich und kann im Dunkelzimmer mit dem Film bespannt werden. Die Trommel- achse b ist nach der einen Seite hin verlängert und wird beim Ver- such mit einem Rad e versehen, durch welches von einem Uhrwerk aus mit Hilfe einer Transmission die Drehung der Trommel bewirkt wird. Die untere Wand des Trommelgehäuses wird durch eine an den Rändern etwas vorstehende Metallplatte f gebildet, welche in ihrer Mitte einen der Trommelachse parallelen 4 cm langen, 1 cm breiten Ausschnitt g besitzt, der durch einen Schieber % verschlossen werden kann. Der Schieber wird ınit dem Stäbchen ‘, das am Ende einen Knopf % trägt, bewest. Bei der Aufnahme des Photogramms muss sich der Film selbstverständlich senkrecht zur Gefässachse, also auch senkrecht zu dem in der runden Platte (Fig. 3) befindlichen Spalt bewegen. Mit anderen Worten: Die Trommelachse muss parallel zum Spalt stehen. Damit nun der die Trommel enthaltende Kasten immer in die richtige Lage kommt, sind an der Metallplatte (Fig. 3) vier kurze nach oben stehende Metallstäbchen d, bis d, Fig. 3 angebracht, welche genau in Einschnitte an der Grundplatte f des Trommelgehäuses (Fig. 4) passen. Ausserdem wird der vor- stehende Teil der Platte f beiderseits durch die zwei mit Kopf ver- sehenen, drehbaren Haken e, und & (Fig. 3) festgeklemmt. Da die Trommel bei jedem Versuch , entsprechend dem Verlauf des untersuchten Gefässes in einer anderen Richtung steht, so muss das sie treibende Uhrwerk über der Trommel aufgestellt werden, damit die Uhrwerks- und Trommelachse ohne Schwierigkeit bei jeder Lage des untersuchten Gefässes parallel zueinander gerichtet werden Über die Blutbewegung in den Kapillaren. 1. 141 können (vgl. Fig. 5). Zur Aufnahme des Uhrwerkes » ist über den Stäbehen :, bis :, ein Brett m befestigt. Dasselbe ist mit einem - runden Ausschnitt versehen, durch den die Transmission / ! hindurch- treten und durch Vermittlung des Rades g die in dem Kasten e eingeschlossene Reeistrier- trommel in Drehung versetzen kann. Die runde Metallplatte mit dem verstellbaren Spalt ist in Fig. 5 mit d bezeichnet. b stellt die auf S. 139 be- schriebene, an. einem beson- deren Stativ.c befestigte Hülse dar, die über den oberen Teil des Mikroskops gesteckt wird. In Fig. 5 sind ausserdem wie in Fie. 2 die senkrechten Stäbe des Holzeestelles mit A und .die Querstäbe mit k und ö bezeichnet. Natürlich darf bei jedem Versuch der Film nur während einer Umdrehung der Trom- mel exponiert werden, sonst würden ja mehrere Photo- gramme übereinander gezeich- net. Um dies zu ermöglichen, wird in den Strahlengang des Lichtkegels ein photogra- phischer Verschluss 7 (Fig. 2) eingeschaltet, der durch Druck auf einen Gummi- ballon m geöffnet bzw. ge- schlossen werden kann. So- Fig. 5. Aufstellung zur Registrierung. Von dem Mikroskop ist zur Vereinfachung der Skizze nur der Tubus a dargestellt. lange die Trommel anläuft, bleibt der Verschluss abgesperrt; während dieser Zeit kann kein Licht auf das Ende des Lichtleiters fallen, und der über dem Spalt sich bewegende Filmstreifen wird nicht belichtet. Sobald die Trommel sich gleichmässig dreht, wird unmittelbar, ehe der Film den Spalt erreicht, geöffnet. Nach Ablaufen des Films wird das Licht durch Druck auf den Ballon sofort wieder abgeblendet. 142 Adolf Basler: Um zur rechten Zeit Öffnen und schliessen zu können, muss man über die Lage des Filistreifens in dem Kasten senau unterrichtet sein. Aus diesem Grunde ist an der dem Triebrade abgekehrten Seite der Trommelachse b, Fig. 4 B ein kleines Rädchen / an- gelötet, auf dem bestimmte Zeichen angebracht sind, an denen man die jeweilige Lage des Filmstreifens in dem Trommelgehäuse er- kennen kann. Um die Verzeichnung von Zeitmarken auf dem Photosramm zu ermöglichen, ist an der S. 139 beschriebenen Hülse, nahe bei ihrem oberen Ende, eine kleine Öffnung angebracht, durch die der Zeiger eines Jaquet’schen Chronographen gesteckt werden kann, der seinen Schatten auf den Spalt wirft und so gleichzeitig mit dem Gefäss photographiert wird. Ergebnisse. Die mit der beschriebenen Versuchsanordnung erhaltenen Photo- sramme stellen Systeme von schrägen Linien dar. Dabei entspricht jeder helle Strich des Negativs einem Blutkörperchen (oder wenn es Fig. 6. Jeder schräge Strich entspricht einem Blutkörperchen. Zeitmarken —= Sekunden. sich um grössere Gefässe handelt, einem Konglomerat von solchen). "Man darf natürlich nicht erwarten, dass die Striche so kontrastreich werden wie in Kapillarelektrometerkurven. Aber immerhin sind sie deutlich genug für die Bestimmung ihrer Richtung und Länge. Namentlich im durehfallenden Licht heben sich die Linien gut von der Umgebung ab. Die Höhe der Kurve wird verhältnismässig kurz, weil das Gefässbild bald aus dem Spalt heraustritt. In Fig. 6 ist die Pause einer meiner Kurven wiedergegeben. | Da sich die Trommel senkrecht zur Fortbewegungsriehtung des Blutes dreht, so müssen die verzeichneten Linien um so steiler werden, je schneller sich die Blutkörperchen fortbewegen. Will man aus solchen Kurven die Geschwindigkeit der Blutkörperchen er- mitteln, dann braucht man nur die Geschwindigkeit der Trommel- drehung und die Vergrösserung zu kennen. Die Trommelgeschwindig- Über die Blutbewegung in den Kapillaren. I. 143 keit ist aus den Zeitmarken unmittelbar zu ersehen, und die Ver- grösserung betrug in allen meinen Versuchen 29,2:1. Durch Aus- messen der oben dargestellten Kurve lässt sich zum Beispiel ermitteln, 7 ee ten en Kon muitane niem mer me filaniTem un > mn em me Hamm wo. ame nn em ee aaa a en FE + 7 F ? 3 EZ Z Fig. 7. Die schrägen Striche ab, cd, ef usw. stellen einige wenige der sämt- lichen in dem Photogramm enthaltenen Striche dar. Auf der darunter liegenden Linie bedeuten die nach oben gerichteten Dreiecke Sekundenmarken. Die Zeiten, in denen jedesmal ein solcher Strich abgeht, sind mit O0, 1, 2 usw. bezeichnet. dass ein Strichpunkt in einer Sekunde um 14 mm gestiegen ist. Die wirkliche Bewegung der Blutkörperchen ist aber 29,2 mal kleiner; also bewegt sich ein Blutkörperchen in der Sekunde um — mm — 0,5 mm. 144 Adolf Basler: Bei meinen Versuchen schwankten die Geschwindigkeiten je nach der Art des Gefässes zwischen 0,24 und 1,7 mm in der Sekunde. Die einzelnen Striche verlaufen geradlinig und parallel zueinander, wenn das Blut in dem untersuchten Gefäss sich gleichmässig fort- bewegt. Ändert sich aber die Strömungsgeschwindigkeit in einem Gefäss pulsatorisch, wie dies bei kleinen Arterien der Fall ist, dann sind die Striche nicht mehr alle parallel, sondern es wechseln steilere Strichgruppen mit weniger steilen ab. Ein solehes Photogramm ist schematisch in Fig. 7 skizziert, wobei zunächst nur derjenige Teil der Zeichnung betrachtet werden wolle, der im Gebiete der Klammer { liegt. Diese Kurve besagt, dass die Sekundengeschwindigkeit in der Zeit 2: 1,5 mm betrug, in der Zeit 7: 0,66 mm. Die Geschwindig- keit zur Zeit 2 war die grösste (systolische), die zur Zeit 7 die kleinste (diastolische). Natürlich gibt jeder Strich die Geschwindig- keit eines anderen Blutkörperchens wieder. Will man sich ein Bild machen über die Fortbewegung eines einzelnen Blutkörperchens, dann muss man die verschiedenen Striche der Kurve aneinanderreihen mit Hilfe einer Konstiuktion, wie sie im oberen Teil der Fig. 7 durch- geführt ist. \ Die Linie abc e! stellt dann die Fortbewegung eines Blut- körperchens dar. Sie entspricht der Kurve, welche durch Auf- zeichnung der Blutströmung mittels der registrierenden Stromuhr von Hürthle!) erhalten wird. Hier wie dort stellt die Ordinate eines bestimmten Punktes den zu dieser Zeit im ganzen zurück- gelegten Wege dar. Soll aus dieser Kurve eine solche abgeleitet werden, bei der jede Ordinate der Geschwindigkeit, d. h. dem Weg in der Zeiteinheit proportional ist, etwa wie bei dem v. Kries- schen ?) Flammentachogramm, dann müsste man die Linie ab de T umzeichnen, in der Art wie es Fick°) für das Plethysmogramm 1) K. Hürthle, Beschreibung einer registrierenden Stromuhr. Pflüger’s Arch. Bd. 97 S. 193. 1903. 2) J. v. Kries, Über ein neues Verfahren zur Beobachtung der Wellen- bewegung des Blutes. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1837 S. 254, und Studien zur Pulslehre. J. Mohr, Freiburg 1892. 3) A. Fick, Die Geschwindigkeitskurve in der Arterie des lebenden Menschen. (Braunmüller, Wien 1869.) Gesammelte Schriften Bd. 3 S. 550 (554). Würz- burg 1904. Über die Blutbewegung in den Kapillaren. 1. 145 ausgeführt hat. Die Kurve Figur 7 stellt die Integralkurve des Tachogramms dar. Die soeben kurz erwähnten Ergebnisse‘ mögen den Gang und den Zweck der Untersuchungen ‚etwas anschaulicher machen. Ge- nauer soll auf sie erst in einer späteren Mitteilung eingegangen werden. Als die wesentliche Aufgabe der vorliegenden Publikation betrachte ich die Beschreibung der Methoaik. Was man bei meinen Untersuchungen sieht, bezw. aufschreibt, das ist die Bewesung der roten Blutkörperchen. Über die Strömung der Flüssigkeit können wir natürlich keinen Aufschluss erhalten. Mögen nun die Körperchen sich mit der Geschwindigkeit des axialen Blutstromes bewegen, wie es Nicolai!) annimmt, oder nach der Frank ’schen ?) Auffassung mit der mittleren Geschwindigkeit der Strömung einer Kapillare; jedenfalls ist die Bewegung der Blut- 'körperchen ein Ausdruck für die zurzeit ın dem betreffenden Ge- fäss herrschende Strömungsgeschwindigkeit. I) Fr. Nicolai, Die Mechanik des Kreislaufes. W. Nagel’s Handbuch der Physiol. Bd. 1 S. 661 (765). 1909. 2) O0. Frank, Hämodynamik. R. Tigerstedt’s Handbuch der physiol. Methodik Bd. 2 S. 1 (260). 1911. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 10 (Aus der medizinischen Klinik der Universität Kiel.) Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetier- und Menschenherzen bei direkter und indirekter Ableitung. Von E. Boden und P. Neukirch. (Mit 44 Textfiguren.) Inhaltsübersicht. Sa Binleitung au a 0 DU See N ENTER 146 ZursBiteratura. sl, el ee ea ee ee 148 Methode der Durchströmung 2 2... ee: Ag A. Direkte Ableitung der Stromkurye des isoliert schlagenden Säugetier- und Menschenherzenst.n Ben De en else. a ee rt eeeee 149 B. Indirekte Ableitung der Stromkurve des isoliert schlagenden Säugetier- 2 Zund> Menschenherzenssausidem Körper 2 a ee 153 C. Indirekte Ableitung der Stromkurve des isoliert schlagenden Säugetier- und Menschenherzens ausserhalb des Körpers: Fluide Ableitung ... .. 158 137, Zur. Technik. 2.2, a A Re :159 2. Rorm der. Stromkurye .... Mana N u Re N oe 160 3. Änderung der Stromkurve durch Wechsel in der Menge der Leit- Hüssiskäit. ar. an. Sa N Se 165 4. Änderung der Stromkurve bei Drehung des Herzens in der Längsachse 167 5. Änderung der Stromkurve am verstümmelten Herzen (Ventrikel— Spitze 170 6. Änderung der Stromkurve bei Störung in der Synchronie der Ven- trikelanbeit) „sten Ka er Re oe ee 177 7. Bewertung und Gegensatz der fluiden Ableitungsmethode gegenüber der direkten Ableitung vom Herzen und der Ableitung bei geöffnetem Thorax... man De oe N N ae RE 184 Einleitung. Die Form und Grösse der Stromkurve des schlagenden Herzens ist bekanntlich keine absolute. Sie unterliegt vielmehr den Ein- flüssen verschiedener, zum Teil bekannter, zum Teil unbekannter Faktoren. Einmal ist anzunehmen, dass die bei der Herzaktion ent- Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 147 stehenden elektrischen Ströme teils im Herzinnern, teils in den das Herz umgebenden Geweben „kurz geschlossen“ werden: Das Ekg. des gefensterten Frosches ist grösser als das des unversehrten Tieres. Die Stromkurven bei direkter Ableitung vom schlagenden Organ sind grösser und formenreicher als bei indirekter. Sie enthalten meist diphasische Vorhofs- und Nachschwankungen, deren negative Kompo- nente bei indirekter Ableitung verlorengeht. Die Herzstromkurve kommt also bei indirekter Ableitung von der Körperoberfläche ver- ändert und gleichsam abgerundet im Galvanometer zum Ausdruck. Ferner sind bekanntlich die Lage des Herzens im Brustraum und die Wahl der Ableitungspunkte für die Stromkurvenform bestimmend. Diese Faktoren sind sämtlich bei der Ableitung vom unversehrten Körper in ihren Einfluss auf die Stromkurve nur teilweise kon- trollierbar und erschweren so den Einblick in die am Herzen sich abspielenden elektrischen Erscheinungen. Daher mussten sich auch die ersten Versuche, aus der Stk. des menschlichen Herzens allein eine physiologische Erklärung des Ekg.s zu geben, in der Haupt- sache auf Hypothesen stützen. Einen besseren Einblick in die Frage des Ekg.s erhielt man durch indirekte Ableitung vom Tier bei geöffnetem Thorax: Die Lage des Herzens im Brustraum und zu den Ableitungspunkten wurde dadurch kontrollierbar; man konnte die Änderung der Stk. bei künstlich gewählten Bedingungen studieren. Man lernte so am Tierexperiment den kombinierten Anteil des rechten und linken Herzens an der Stk. kennen, ferner den Gegensatz von Herzbasis und Spitze, die atypischen Kammer-Ekg.s bei Extrareizen und die Bedeutung des Reizleitungssystems für die Form des Stromkurven- reliefs. Eine weitere Reihe von Untersuchungen wurde bei direkter Ableitung vom schlagenden Herzen mit verschiedenen Methoden aus- geführt. Auch sie lieferten wichtige Einblicke in die Elektrophysio- logie und in die Pharmakologie des Herzens, besonders beim Kalt- blüter. Wenn nach alledem eine einheitliche Kritik der vom Herzen erzeugten Stk. nicht vorliegt, so ist unter anderem die Vielfältigkeit und Variabilität der eingangs erwähnten Faktoren und die Schwierig- keit ihrer Deutung von wesentlichem Belang. Insbesondere sind die verschiedenen Methoden der Ableitung für die Beurteilung und kritische Verwertung der erhaltenen Stromkurven von Bedeutung: Zahlreiche, in der Literatur enthaltene Widersprüche sind auf Ver- 10* ern E. Boden und P. Neukirch: schiedenheit der jeweiligen Ableitungsbedingungen zurückzuführen. Resultate, die bei direkter Ableitung vom Herzen gewonnen sind, werden mit soichen bei indirekter Ableitung verglichen. Versuche beim zeöffneten Thorax finden sich auf solche bei geschlossenem Brustraume übertragen. Beobachtungen aus tierexperimentellen Untersuchungen scheinen uns von vornherein nur dann auf das Eke. des Menschen übertragbar, wenn sie unter den gleichen Ableitunes- bedingungen wie dieses gewonnen sind. Die im folcenden ausgeführten Studien sollen den Wert und die Verschiedenheit der direkten und indirekten Ableitungsmethode her- vorheben und eine indirekte Ableitungsmethode für das isolierte Säugetier- und Menschenherz angeben, die den Ableitungsbedingungen des vom unversehrten Körper erhaltenen Eke. entspricht. Ferner soll die Bedeutung dieser Methode für Fragen der Physiologie und Pharmakologie des isolierten Herzens hervorgehoben werden. Zur Literatur. Elektrokardiographische Untersuchungen am isolierten Menschen- sowie am überlebenden Hundeherzen liegen bisher nicht vor. Im Jahre 1911 berichtet Zbyszewski!) über Beobachtungen am Ekg. des isolierten Kaninchenherzens. Nach vergeblichen Versuchen, indirekt vom schlagenden Herzen abzuleiten, legte der Verfasser unpolarisierbare Elektroden direkt an die Herzoberfläche an. Er erhält dabei Stromkurven, die dem Typus des menschlichen Ekg.s ähnlich sind. Er glaubt einen Unterschied der vom rechten und linken Herzen abgeleiteten Stromkurve finden zu können. Und zwar sollen bei den vom rechten Herzen abgeleiteten Stk. „akzessorische“, nach unten gerichtete Zacken auftreten, dageren bei Ableitung vom. linken Herzen fehlen. Ferner beobachtet Z. eine Vergrösserung der T-Sehwankung bei Steigerung der Durchströmungsflüssigskeit und eine Verkleinerung bei Verminderung. Diese Resultate, ausschliess- lich bei direkter Ableitung gewonnen, sind nach unserer Erfahrung nur in beschränktem Maasse verwertbar; wir werden ausführlich auf die Bedeutung solcher: direkter Ableitungen zurückkommen. I) L. Zbyszewski, Beobachtungen über das Ekg. des isolierten Herzens. Aus d. physiol. Institut der Univer:ität Lemberg. ; Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 149 Methode der Durchströmung. Die im folgenden ausgeführten Studien wurden an 52 Kaninchen- und 14 Hundeherzen ausgeführt. Ferner wurden 3 Säuglings- und 4 Kinderherzen durchströmt, die wir dem Pathologischen Institut sowie der Kgl. Frauen- und der Kel. Kinderklinik der Kieler Uni- versität verdanken. 3 Die Tötung der Tiere erfolgte durch Verbluten aus der Oarotis. Zur Vermeidung von Gerinselbildung im Herzen ist es vorteilhaft, sleiehzeitig durch die Vena jugularıs physiologische Kochsalzlösung einströmen zu lassen und so das Tier fast blutfrei zu spülen. Nach Einbindung einer langen Kanüle lässt man sofort mit ca. 50 em Gefälle physiologische Kochsalzlösung durch den Coronarkreis strömen. Während die Durchströmung dauernd im Gange ist, wird das ..Herz vorsichtig herausgeschnitten. Zeitweise wird das Kochsalzreservoir unter die Ebene des Herzens gesenkt, um so bei negativem Druck und dadurch geöffneten Aortenklappen den |. Ventrikel das noch enthaltene Blut austreiben zu lassen. Heben und Senken des Reservoirs wird mehrmals wiederholt. Auf diese Weise kann das von Langendorff u. a. vorgeschriebene leichte Massieren des Herzens vermieden werden, da es geeignet ist, durch Verletzung Störungen in dem elektrischen Verhalten der Herzoberfläche hervor- zurufen. Mit der Herausnahme menschlicher Herzen wurde ca. 20—30 Minuten post mortem gewartet, nachdem vorher stets der elektrische Stillstand des Herzens festgestellt worden war, das heisst, bis im Galvanometer keine Ausschläge mehr. siehtbar waren. Fötale Herzen konnten noch mehrere Stunden post mortem zum Schlagen gebracht werden. Im übrieen wich die Technik der Herausnahme des Herzens nur insofern ab, als die Spülung durch die Vena jugularis unterblieb. Als Durchströmungsflüssiekeit wurde einige Male Locke’sche Lösung, meist aber Tyrode’sche Lösung verwendet, deren Reaktion mittels Neutralrot, zuweilen auch mittels der Gaskette auf möglichst genaue Neutralität (7 = 0,5 : 1077) geprüft wurde. Als Saiten- galvanometer diente die Hut’sche Apparatur. A. Direkte Ableitung der Stromkurve vom isoliert schlagenden Säugetier- und Menschenherzen. Die mit der angegebenen Methode durchströmten Herzen wurden zunächst direkt zum Galvanometer abgeleitet. 150 E. Boden und P. Neukirch: Zur Technik: Bei dieser direkten Ableitung kam die Locke- sche Apparatur (Journ. of phys. 1907) fast unmodifiziert in Gebrauch. Das Füllungsgefäss, in welchem bei diesem Apparat das Herz suspen- diert ist, wurde mit einer Anzahl Öffnungen von ca. 1 cm Durchmesser versehen, durch welche die ableitenden, Elektroden geführt wurden. Wir benutzten als solehe anfangs feinste Silberfäden, die mit rund- geschliffener Nadel unter dem Perikard durchgeführt wurden; später Tonstiefel und Calomel-Elektroden mit Wollfäden, welch letztere wegen ihrer absoluten Unpolarisierbarkeit besonders geeignet schienen. Die Befestisung der Wollfäden konnte an der Herzbasis durch blosses Isol. Kaninchen|hern 8 Dir. KR r. Herzohuft. Kentrikees la. NIT aa NL TEN Teen Fig. 1. Anlegen bewirkt werden, auch an der Ventrikelspitze blieben die Wollfäden bisweilen an der feuchten Oberfläche haften. In anderen Fällen wurden sie am Perikard angenäht. Es sei hier schon hervor- gehoben, dass die verschiedenen Elektroden keine untereinander prinzipiell abweichenden Resultate erzielten. Die mit vorstehender Methode vom isoliert schlagenden Herzen direkt, abgeleiteten ‘Stromkurven ergaben im wesentlichen immer identische Bilder, nur in verschiedenen Variationeu. Fig. 1 zeigt eine Silberfadenableitung eines isoliert schlagenden Kaninchenherzens vom r. Herzrohr zur 1. Ventrikelspitze. Darunter ist die mit Marey’scher Kapsel mechanisch reeistrierte Herzspitzenkurve. Die erste Zackengruppe entspricht der Vorhofsaktion. Sie stellt sich bei direkter Ableitung stets als diphasische Schwankung dar. Die darauffolgende Hauptschwankung ist im vorliegenden Bilde Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 151 eine schnell verlaufende diphasische Schwankung mit negativer An- fanesschwankung. In vielen Fällen ist diese Hauptschwankung deutlich triphasisch (Fig. 2). Nach einer träger verlaufenen kleinen positiv gerichteten Zacke senkt sich der Galvanometerfaden zur Bildung der Nachschwankung. Sie ist in den meisten Fällen diphasisch, in Form und‘ Grösse jedoch ausserordentlich variabel. Ableitungen von verschiedensten Punkten der Herzoberfläche ergaben stets die drei in Fig. 1 dargestellten Zackengruppen in verschiedenen Variationen. Es gelang nicht, auch nicht mit Tonstiefeln oder Calomel-Elektroden, eine für das r. oder 1. Herz charakteristische Dıireit& A Fig. 2. Stromkurvenform zu sichern, wie Zbyszewski für das Kaninchen- herz festzustellen glaubt. Bei Metallfadenableitung bekamen wir grössere und formenreichere Ausschläge wie bei „beine mit Ton- stiefeln und Calomel-Elektroden. Partielle Schädigungen des r. oder 1. Ventrikels oder totale Abtragung einer Kammer änderte bei dieser direkten Ableitung das Stromkurvenbild nicht, vorausgesetzt, dass die Elektroden an un- verletzter Stelle des Herzmuskels liegen blieben. Fig. 3 zeigt die Stk. eines isoliert schlagenden Kaninchenherzens bei Silberfaden- abteilung vom r. Vorhof zur Spitze der l. Kammer. Fig. 4 zeigt dasselbe Herz bei gleicher Ableitung, einige Minuten nachdem der r. Ventrikel und das Septum total entfernt worden ist. Eine wesent- liche Änderung des Stromkurvenreliefs ist nicht zu erkennen. Man kann aus ihm die schwere Verstümmelung des Herzens nichs ab- 132,08 E. Boden und P. Neukirch: lesen. Auch die Abtragung des 1. Ventrikels ändert das Stk. nicht, ebensowenig die Abtragung der Herzspitze. Immer zeisen sich die drei aus dem Ekg. des Menschen bekannten Gruppen von Schwankungen. Es gelang auch, gelegentlich rhythmisch schlagende JAAAAAAA AA AAAAAAA Ventrikelstreifen in den Galvanometerkreis einzuschalten. Es er- gaben sich dabei diphasische Schwankungen mit einer deutlichen Nachschwankune. AAMAAAAAAAAAAA AA Fig. 4. Auch vom überlebenden Hundeherzen sowie vom Säugelings- herzen wurden Stk. direkt abgeleitet bei intakter Oberfläche wie nach partieller Schädigung. Die Resultate stimmen mit denen beim Kaninchenherzen gewonnenen überein. Fig. 39b (siehe unten) zeist, die Stromkurve des isolierten Herzens eines 7 Monate Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 153 alten Fötus bei direkter Ableitung (A Vorhof zur r. Ventrikelspitze). Der 1. Ventrikel ist total entfernt, so dass nur die Vorhöfe und der r. Ventrikel schlagen. Trotzdem gibt die Stromkurve ein Relief, das vor der Aufnahme vor der Verstümmelung nicht abweicht. Man erkennt die gut ausgeprägten drei Zackengruppen wie in Fig. 1 net der direkten Ableitung vom isolierten Kaninchenherzen. Es ist hiernach bei der direkten Ableitungsmethode nicht mög- lich, eine typische Form für die Stromkurve des isolierten Warm- blüter- oder Menschenherzens darzustellen. Die Stromkurvenbilder sind nicht von genügender Konstanz und nicht untereinander ver- eleichbar. Es spielen hier, wie schon Binthoven am Kaltblüter- herzen hervorhob, verschiedene Faktoren eine Rolle: Einmal ist es nicht möglich, von anatomisch identischen Stellen der Herzoberfläche abzuleiten. Ferner ist der Wechsel der Temperatur und Feuchtig- keit von Bedeutung, vor allem aber der Umstand, dass Verletzungen des. Herzmuskels bei dieser direkten Ableitung unvermeidlich sind. Die Reinheit der Stromkurve wird dadurch gestört (indem sich be- kanntlich der geschädigte Muskel negativ-elektrisch zu dem nicht geschädigten Teil verhält). Die Resultate nach Abtragung einzelner Herzteile stimmen mit den Resultaten von Samojloff und von Eiser am Kaltblüterherzen überein. Diese Autoren erhielten eben- falls bei direkter Ableitung vom verstümmelten Herzen des Frosches mehr oder weniger typische Ekgs. Die Inkonstanz der gewonnenen Stromkurven machen diese direkte Ableitungsmethode für experimentelle Untersuchungen am Warmblüterherzen ungeeignet. . B. Indirekte Ableitung der Stromkurve des isoliert schlagenden Säugetier- und Menschenherzens aus dem Körper. Lest man das isoliert schlagende Warmblüter- oder Menschen- herz in den mit Tyrode’scher Lösung angefüllten Thorax zwischen die Lungen zurück und leitet jetzt das Ekg. von den Extremitäten ab, so erhält man Stromkurven, die besonders bei Ableitung // u. //] von dem in vivo erhaltenen Ekg. im wesentlichen nicht abweichen. Zur Technik: Bei den Versuchstieren wurden die abzuleitenden Extremitäten sorgfältig rasiert; es kamen meist Zinkstäbe, mit Zink- sulfatbinden befestigt, als Elektroden zur Anwendung. In manchen Fällen wurden die Lungen künstlich aufgebläht, um einen besseren 154 E. Boden und P. Neukirch: Kontakt herbeizuführen. Bei der queren Ableitung 7 entstanden meist kleinere Ausschläge wie bei Ableitung ZZ und ZIT. Es ist das dadurch erklärt, dass bei Ableitung / der ungenügende Lungenkontakt sowie vor allem der fehlende Thoraxschluss verändernd auf die Stromkurve wirken kann, mehr als wie bei Ableitung ZI und III, wo durch das. geschlossene Abdomen abgeleitet wird. Fig. 5 zeigt das Ekg. eines Kaninchens in vivo bei Ableitung IT (Zinksulfat). Man erkennt deutlich die spitze Vorhofzacke P, dann VUTTUUUWV IUUUTUNTnnTnVnnYnTv Ekg einesKanınchens m viro SE ET TED EEE Abıa StK des Herzens desselben TRETEN Ce: s) - iso. liert m ausdem Thorax obgelwutet: AbGLH Fig, 5. Fig. 6. die Hauptschwankung mit sichtbarer Q-Zacke und der folgenden hohen runden Nachschwankung 7. Fig. 6 gibt die Stk. des Herzens dieses Kaninchens isoliert und in oben angegebener Weise zwischen die Lungen in physiologische Lage eingelegt. Die Pfotenableitung blieb unverändert. Vorhof- und Hauptschwankung zeigen keine wesentliche Veränderung, die Nachschwankung ist diphasisch ge- worden, der Herzrhythmus ist langsamer. Im wesentlichen aber zibt Fig. 6 die Schwankungen des in Fig. 5 abgeleiteten Ekgs. Auch bei Hunde- und Menschenherzen gelingt es, in gleicher Weise Strom- kurven isoliert schlagender Herzen zu erhalten, die eine Identität mit dem vom unverletzten Körper in vivo abgeleiteten Ekg. zeigen. In Fig. 7 sieht man das Ekg. eines ausgetragenen Neugeborenen in ‚vivo bei Ableitung 7—1II. Fig. 8 zeigt die Stromkurven des post mortem durchströmten und zwischen die Lunge eingelegten Herzens diesesKindes bei denselben drei Ableitungen. Auch hier kommt eine Identität in der Richtung der Potentialschwankung zum Ausdruck. 155 Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 8 'Sıq ‘48 'S14 “wg DId ıyY 77 a7 2 hi PEIREIKLE wa41oy] “ıap apss2p Su22u>Jj s2p IS in and nn RN UlMAAAAAAAA AL MTNTWYTETTn 9, Bq Se Sa ed Is pery mauabauabsnv sau Oyg 156 P6 SL 96 3 E. Boden und P. Neukirch: oo] "SL CO a wor ST "usa fga Ayuy 7) DT mar)je> | 4 ZN surruag g$2p bo] jorshyg nr wm Se ar Nzern nn seen reden y u Tyı NER | II » Heu, 2), mpununy 704 : ’p DEIN, Ira RN 105% Fr xBJ0y)J ? oTay "Z4%, Unpurudy 70sf Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 157 Die folgenden vier Figuren zeigen die konstanten Änderungen, die bei Drehung der Herzachse im Brustraum eintreten; Fig. 9a zeigt die Stromkurve eines isoliert schlagenden Kaninchenherzens aus dem Körper abgeleitet (Ableitung //) in physiologischer Lage. Man er- kennt die einphasische Vorhofsschwankung, darauf eine kleine Q-Zacke, die steile R-Zacke und eine kurze S-Zacke, die nach der Horizon- talen folgende Nachschwankung ist diphasisch mit positiver Anfangs- sehwankung. Wird jetzt der r. Ventrikel nach vorn (ventral) ge- dreht, so wird die Vorhofsschwankung niedrig, häufig negativ; die führende Hauptzacke wird stets negativ. Die Nachschwankung bleibt diphasisch, wird meist flacher und zeigt einen negativen Be’ ginn, Fig.9b. Wird die Drehung der Herzachse weitergeführt, so dass der r. Ventrikel nach |., der l. nach r. situiert wird, so erhält man natürlich das Spiegelbild der Ausgangsstellung, Fig. 9c. Kommt der 1. Ventrikel nach vorn (ventral) zu liegen, so tritt die Q-Zacke stets deutlich hervor, die Hauptschwankung wird spitz und steil, Fig. 9d, die Nachschwankung behält ihre Form wie in Fig. 9c. . Diese am isolierten Kaninchenherzen gezeigten Veränderungen des Stromkurvenreliefs durch Drehung um die Längsachse treten in gleicher und stets typischer Weise auch beim Hunde- und Menschen- herzen auf. Man konnte so beim Menschen den Einfluss der Lage- - veränderung der Ventrikel auf die drei üblichen Ableitungen be- obachten. Die Wiedergabe solcher Drehungskurven der Herzachse sowie die Besprechung der naheliegenden Beziehungen soleher Ver- änderungen der Stromkurve zur Pathologie des klinischen Ekgs. er- folgt an der Hand der unten angegebenen einfacheren Methode. Im Gegensatz zu der direkten Ableitung des schlagenden Herzens kommen bei der indirekten Ableitung aus dem Brustraum Läsionen ‘des Herzmuskels oder Abtragungen von Kammern in charakteristischer Weise zum Ausdruck. Fig. 10a zeigt wieder die physiologische Aus- gangsstellung des in die Brusthöhle eingelesten isoliert schlagenden Kaninchenherzens mit dem oben beschriebenen Relief. Fig. 10b zeigt die Veränderung, die eingetreten ist, nachdem der r. Ventrikel durch Scherensehnitt entfernt wurde: die R-Zacke ist verschwunden. Dagegen erscheint eine negative Spitzzacke als führende Haupt- schwankung. Die Nachschwankung ist einphasisch positiv geworden. Fig. 10e zeigt die entsprechende Veränderung bei gleicher Methode nach Abtragung des ]. Ventrikels. Hier erscheint nach der kleinen P-Zacke eine grosse positive Spitzzacke als führende Haupt- 158 E. Boden und P. Neukirch: ' schwankung. Die diphasische Nachschwankung ist einphasisch nega- tiv geworden. Es entstehen also bei Abtrennung der Kammern korrespondierende typische Veränderungen: Bei isoliert schlagender le. Kammer eine grosse negative Spitzzacke mit positiver Nach- schwankung, bei isoliert schlagender r. Kammer eine positiv führende Spitzzacke mit negativer Nachschwankung. Eppinger und Roth- berger haben solche Abtragungen am Hundeherzen in situ vor- engommen (Ableitung Anus-Ösophagus), sie sahen dabei „nach Ab- tragung der l. Kammer ein einphasisch aufwärts gerichtetes Eke., nach Entfernung der r. Kammer eine im ganzen einphasisch ab- wärts gerichtete Kurve“!). Ferner berichtet A. Hoffmann von grossen diphasischen Schwankungen mit erster abwärts gerichteter Phase, die er am Hunde nach Abtragung des r. Ventrikels be- obachtete. Diese Befunde sind im ganzen übereinstimmend mit den Resultaten der vorliegenden Untersuchungen. Im übrigen soll auf die kritische Verwertung solcher Beobachtungen am partiell ge- schädigten Herzen ebenfalls weiter unten eingegangen werden. Es muss hier noch erwähnt werden, dass bei dieser indirekten Ab- leitungsmethode aus dem Körper durch Einlegen des Herzens in den mit Flüssigkeit gefüllten Brustraum die Galvanometersaite „wandert“ und eine starke Kompensation nötig macht. Ferner ist durch das Abträufeln der Flüssigkeit aus dem Thorax ein Nass- werden des Körpers und der Unterlage unvermeidlich, so dass auf die Dauer eine reine Ableitung nicht erzielt wird. C. Indirekte Ableitung der Stromkurve des isoliert schlagenden Säugetier- und Menschenherzens ausserhalb des Körpers: „Fluide Ableitung“ 2). Taucht man das isoliert schlagende, nach Langendorff durch- strömte Säugetier- oder Menschenherz in eine physiologische Lösung, so dass es -allseitig mit Flüssigkeit umgeben ist, und orientiert gegen den r. und |. Ventrikel je eine Platinblechelektrode,. so erhält man im Saitengalvanometer eine Stromkurve, die dem bei Ableitung 1 vom intakten Körper erhaltenen Ekg. absolut identisch ist. 1) Zitiert nach Kahn, Das Ekg. Ergebn. d. Physiol. 1914. 2) Vgl. Boden-Neukirch, Verhandlungen des Kongresses für innere Medizin. Wiesbaden 1914.) Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 159 1. Zur Technik. Die einfachste Form dieser indirekten Ableitung ausserhalb des Körpers ist folgende: Aus einer Vorratsflasche mit Nährlösung strömt die Flüssigkeit durch eine in einem Kupfergefäss befindliche Wärmschlange hindurch in die Herzkanüle ein. Das Herz befindet sich in einem mit Überlaufhahn versehenen Glasgefäss, in welchem zwei Platinblechelektroden von ca. 2—8 qem Fläche verstell- bar angebracht sind (siehe Fig. 11). Die Elektroden- blätter hängen dieht an der Glaswand, ohne diese zu berühren, fast senkrecht zur Ventrikelscheidewand. Sie sind so orientiert, dass die dem r. Herzen gegenüber- liegende Elektrode der Ab- leitung von der r. oberen Extremität, die dem |. Her- zen gegenüberliegende der | Ableitung von der ]. oberen Extremität entspricht. Durch eine Markierung an der Herz- _kanüle kann immer die gleiche Stellung der Ven- trikel zu den Ableitungs- elektroden gesichert werden. Die "Entfernung der Elek- trodenblätter vom Herzen beträgt 1-2 cm. Der Raum- inhalt des Ableitungsgefässes muss in einem relativen Verhältnis zur Grösse des abzuleitenden Herzens stehen, nach Maassgabe der oben erwähnten Bedingungen. Die Einrichtung ist einfach und hat den Vorzug, bei Herzen ver- schiedener Grösse Verwendung finden zu können, indem nach Bedarf ein grösseres oder kleineres Gefäss zur Aufnahme des Herzens dient. Das Glasgefäss kann leieht auf konstanter Temperatur gehalten werden. Um den Rücktransport durch den Sauerstoffstrom vornehmen zu lassen, kann auch eine Modifikation des Locke’schen Apparates Fig. 11. 160 E. Boden und P. Neukirch: zur Anwendung kommen (Fig. 12). Statt des von Locke verwandten Triehtergefässes wird ein Glasgefäss benutzt, in welchem das Herz zwischen zwei eingeschmolzenen Platinblechelektroden suspendiert ist. Durch Anbringung einer dritten Elektrode am Boden des Ge- fässes können beliebig statt der queren auch schräge Ableitungen vorgenommen werden. In der Höhe der Einbindungs- stelle der Kanüle befindet sich ein Ausflussrohr; die hier abfliessende Flüssig- keit wird wie beim Locke- schen Apparat durch Sauer- stoffstrom wieder gehoben und. fliesst in die Vorrats- flasche zurück. 2. Form der Strom-: kurve. Fie. 13a zeiet das Ekg. eines 7 Monate alten Säuelings bei Ableitung 7. Man erkennt das für das jugendliche Herz typische Fke.-mit der tiefer führen- den S-Zacke. Fig. 13b zeict die Stromkurve des Herzens dieses Säuglings 40 Minuten post mortem durchströmt und in oben angegebener Weise fluid i abeeleitet. Die Schwan- kungen stimmen mit den in Fig. 13 a fast überein. Vor allem ist der für das jugendliche Herz charakteristische Typ identisch mit dem in vivo erhaltenen Eke. Fig. 14a bringt wiederum ein Säuglings-Eke. bei Ableitung / kurz ante mortem. Fig. 14b gibt die Stromkurve des kurz post mortem durehströmten und fluid abgeleiteten Herzens desselben Säuglines. Auch hier identische Kurvenreliefs mit für das Alter typischen Zacken. In Fig. 15a sieht man das Ekg. eines 2 Jahre alten scharlachkranken Kindes bei Ableitung /. In diesem Alter ist Fig. 12. Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 161 [4 g.ernes "4 Mon:alten Sauglings. A&.T. ? ir S Fie. 13b. Eky. » =) = EZ ES > au Hr eh) .-— : ee Ä ® 2% 2; ® 3 a BEE r = D — 77 = a 2) my = = schläge der Galvanometersaite sind grösser, die negativen Phasen — be- sonders die $-Schwankung —, die in Fig. 21a und Fig. 21b kaum aus- geprägt waren, treten hier deutlich hervor. Das Gesamtrelief erinnert an die bei direkter Ableitung erhaltenen Stromkurven. In anderen Fällen ist es möglich, Form und Richtung der Potentialschwankungen durch Ableitung. aus verschieden grossen Flüssigkeitsmengen zu ver- Fig. 22 b. Fie. 22a. Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 167 ändern. In Fig. 22a und Fig. 22b sind Stk. eines 3 Monate alten Hundes aus zwei verschieden grossen Ableitungsgefässen bei sonst gleicher Orientierung der Platinblätter zu den Ventrikeln sichtbar. Im besonderen sei betont, dass keine Achsendrehung des Herzens eintrat. Die entstandenen Änderungen des Stromkurvenreliefs in den letztgenannten beiden Bildern lassen sich nicht durch Nähern oder Entfernung der Elektroden zum Herzen in ein und demselben Gefäss hervorbringen. Es handelt sich hier offenbar um den von der Menge der Leitflüssigkeit abhängigen, komplizierten Austausch der vom Herzen erzeusten Ströme, der nach dem Ohm’schen Gesetz verläuft. Uns interessiert die Tatsache, dass die Form der Stromkurve von der Dichte des das Herz umgebenden Kontaktmediums weit- gehend beeinflusst wird. 4. Die Änderungen in der Stromkurve bei Drehung des Herzens in der Längsachse. Nachdem mit dieser fluiden Ableitungsmethode zum ersten Male die Möglichkeit gegeben war, konstante Stromkurven des überlebenden Warmblüter- und Menschenherzens zu erhalten, konnte man natur- semäss den verschiedensten Fragestellungen nähertreten. Wir studierten zunächst die Formabweichungen der Stk. durch Lage- veränderung des Herzens zu den Ableitungspunkten. Es ergab sich dabei, dass seitliche Verschiebung des Herzens zwischen den Elek- troden ohne Achsendrehung das Stromkurvenrelief nicht beeinflusst. Dagegen zeigten sich bei Drehungen um die Längsachse konstante Änderungen, wie wir sie bei den künstlich gewählten Lageverände- rungen des isolierten Herzens im offenen Thorax (vgl. Teil B) bereits kennengelernt haben. Fig. 23a zeigt die Kurve eines künstlich durchströmten Hunde- herzens fluid abgeleitet in physiologischer Ausgangsstellung. (Hinter der diphasischen Nachschwankung ist wieder eine U-Zacke sichtbar.) Fig. 23b zeigt die Kurve desselben Herzens, nachdem der r. Ven- trikel um ca. 60° nach vorn (ventral) gedreht worden ist. Die Vor- hofzacke ist flacher. Die führende Hauptschwankung ist stark negativ geworden, die Nachschwankung hoch positiv und einphasig. Dieses Kurvenrelief erinnert an das Ekg. bei einseitig rechts hyper- trophischem Herzen, wie wir es bei Mitralstenosen häufig sehen, ferner an Ekgs. von Säuglingsherzen und kongenitalen Herzfehlern. Wird 168 E. Boden und P. Neukirch: der 1. Ventrikel um etwa 45° nach vorn (ventral) gedreht (Fig. 23e), so tritt stets die Q-Zacke deutlich hervor. Die R-Zacke wird hoch und steil, die Nachschwankung einphasig negativ. Der Typ der Stk. Stk.eimes isol. Hundeherzens. AbT. Physsol. kusg angsstellung Fig. 23 a. 5 HKyieim da: Dr f Ventr. ca 60’ yentralgedreht T Stk.wie in Fig da Jerl.Kntr.eg 45’ventral gedreht Fig. 23 c. erinnert an die Form der Ekgs. bei einseitig links hypertrophischem Herzen, wie wir sie bei chronisch interstitiellen Nierenerkrankungen oder bei Aortenfehlern sehen können. Auch am isolierten Menschenherzen sind diese Änderungen des Stromkurvenreliefs bei Drehung der Herzachse konstant darzustellen. Fig. 24a zeigt die Stk. eines 2 Jahre alten Kinderherzens. Fig. 24b "6a 'SLAa "305 311 763 "314 20% "SL "Da "SA DETABR | ‘162 31 nn a a nn N ee 1 er sap y Jaysruab) H2] 7 un 2] s2p ] Syaylaıay “1 San bump) lau Mm N M M Sulauaypumayjosı saın'yJg DEZ BE ‘ar "SA er "LH | >1)19 il lu 170 E. Boden und P. Neukirch: gibt die Stk. desselben Herzens nach einer Achsendrehung, wobei der r. Ventrikel ca. 35° nach vorn (ventral) zu liegen kam. Man erkennt wieder das Negativwerden der führenden Hauptschwankung. Die Vorhofsschwankung sowie die Nachschwankung sind hoch und positiv. Diese Stk. könnte als typisches Ekg. einer starken Mitral- stenose gelten. Fig. 24e zeigt dasselbe Herz, nachdem der ]. Ven- trikel um etwa 45° nach vorn (ventral) gedreht worden ist. Die Q-7acke, die vorher nicht sichtbar war, tritt jetzt klar hervor. Die R-Zacke ist spitz und steil. Die Nachschwankung zeigt eine tiefe negative Kniekung. \ Diese experimentell erzeusten, konstant auftretenden Form- änderungen der Stk. stützen die Annahme Groedel’s und Mönke- berg’s, dass die bekannten Abweichungen des Ekgs. von dem Normal- typ bei gewissen Herzfehlern als Folge von Achsendrehungen des hypertrophischen Herzens im Brustraum aufzufassen sind. Beachtens- wert für die klinische Bewertuug der 7-Zacke ist der Umstand, dass die Nachschwankung zugleich mit der Hauptschwankung bei Achsen- drehung Form und Grösse ändert. Gegen die Annahme, dass es sich bei Säuglingsherzen, die ja auch den Typ der Fig. 24b zeigen, gleich- falls um eine Achsendrehung des Herzens mit Vorlagerung des r. Ventrikels handeln könne, sprechen die Stk. unserer acht künstlich durehströmten Säuglingsherzen. Diese zeigen sämtlich in der physio- logischen Ausganssstellung, in der, wie erwähnt, die Elektroden fast senkrecht zu der Kammerwand orientiert sind, von vornherein ihren charakteristischen Typ mit tiefer negativer Hauptschwankung, während bei älteren Herzen derselbe Typ erst nach Drehung des r. Ventrikels ventralwärts erreicht wird. Wir glauben vielmehr, dass die charakte- ristische Form des Säuglings Ekes. durch einen vom älteren Herzen abweichenden Anteil beider Kammern an elektromotorisch wirksamer Substanz zu erklären ist. 5. Die Änderungen der Stromkurve am verstümmelten Herzen. a) Kammerverletzungen. Wie bei der Ableitung des isolierten Herzens aus dem Brust- raum, kommen auch bei der fluiden Ableitung Verletzungen des Herzens je nach ihrem Sitz in charakteristischer Weise zum Ausdruck. Ent- . sprechend den bereits betonten günstigeren Aufnahmebedingungen der entstehenden Potentialschwankungen bei der fluiden Ableitung werden bei dieser schon die feinsten Verletzungen der Herzoberfläche in der Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 17] Stromkurve nachweisbar. Es sei hier noch einmal betont, dass auch bei sämtlichen Versuchen an verstümmelten Herzen ein Wandern der Galvanometersaite nicht eintrat: die Nadel blieb bei Öffnung und Schliessung des Galvanometerstromkreises in der Nullage. Ruhe- ströme, die bei der Verletzung auftreten, kommen bei der angewandten Apparatur nicht zum Ausdruck. Aus einer grossen Serie von Versuchen an künstlich geschädigten Herzen, die durchweg gleiche Resultate ergaben, seien folgende drei Versuche angeführt. Versuchzt: Fig. 25a zeigt die Stromkurve eines unverletzten isolierten Kaninchenherzens fluid abgeleitet. Fig. 25b gibt die Wirkung einer kleinen, etwa erbsengrossen Tangentialschädigung des r. Ventrikels (Betupfen mit Fliesspapier). Die positive Hauptschwankung ist kleiner seworden, die S-Zacke grösser und führend. Die Nachschwankung bleibt diphasisch, aber mit positiver Anfangsschwankung. Wird jetzt die Schädigung des r. Ventrikels weitergeführt durch eine keilförmige Exzision aus der r. Ventrikelwand (Fig. 25c), so verschwindet die positive R-Zacke ganz. Wir sehen nach der Vorhofsschwankung eine tiefe negative Phase, der eine positive flachere Schwankung folgt. Die Stromkurve erinnert an das atypische Ekeg. der I. Kammerextrasystole („Iypus L“). Wird jetzt der 1. Ventrikel durch eine etwa gleich srosse Exzision geschädigt (Fig. 25d), so wird eine positive Zacke führend, der eine flachere negative Zacke folgt („Typus R“). Die Ab- tragung der Wand des r. Ventrikels (Fig. 25e) lässt die führende Hauptschwankung wieder negativ werden, die Abtragung der 1. Ventrikel- wand macht sie wieder positiv (Fig. 25f). Entfernung der Papillar- muskeln des r. Ventrikels lässt die Richtung der führenden Zacke negativ werden (Fig. 255). Abtragung der Papillarmuskeln des 1. Ven- trikels endlich lässt sie wieder positiv werden (Fig. 25h). Man er- kennt zunächst allgemein, dass die Richtung der führenden Schwankung bei Ventrikelverletzungen willkürlich durch ein Plus an Verstümmelung einer Ventrikelseite bestimmt werden kann. Versuch 2. Fig. 26a zeigt die Ausgangsstellung eines fluid abgeleiteten un- verletzten Kaninchenherzens.. (Man erkennt eine auffallend grosse U-Zacke.) Durch einen Schnitt in das Lumen des 1. Ventrikels tritt der oben bezeichnete „Typus R“ hervor (Fig. 26b). Wird jetzt der r. Ventrikel durch eine keilförmige Exzision verletzt, so schlägt hier die positive Richtungszacke nicht um. Die Schwankung wird nur kleiner (Fig. 26c). Diese Verkleinerung kann aber durch eine Exzision aus dem 1. Ventrikel wieder zum Verschwinden gebracht werden (Fig. 26d). Fig. 26e zeigt die Stromkurve nach totaler Entfernung des 1. Ven- trikels: Eine hohe positive Spitzzacke, der eine flachere negative Phase folgt. Fig. 26f zeigt die Stromkurve der allein schlagenden Vor- höfe. Fig. 268 die Stromkurve des allein schlagenden r. Vorhofs. E. Boden und P. Neukirch: 172 713 ‘14 9) A Ppıg Sa D)8 "LA ‘413 "Sa e1g "SL an en Ai LT “Su 798 314 995 "SL "P 93 'Sıd 295 SA "4.95 "SA ajD Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 173 Versuch 3. Fig. 27a gibt wiederum die Stromkurve eines unverletzten isolierten Kaninchenherzens. Ein flacher, etwa linsengrosser Tangentialschnitt am r. Ventrikel (Fig. 27b) vertieft wieder die S-Zacke. Ein Schnitt in das Lumen des r. Ventrikels bringt den „Typus L“ hervor (Fig. 27c). Eine Exzision aus dem r. Ventrikel stimmt diesen „Iyp ZL* sofort nm „Typ R“ um, im Gegensatze zum vorher- _ gehenden Versuch, wo der der durch Schädigung des 1. Ventrikels hervorserufene Typ % bei eintretender Gegenverletzung des r. Ven- trikels nicht umschlug, sondern nur kleiner wurde. Fig. 27e zeigt die Stromkurve, nachdem die r. Ventrikelwand abgetragen ist. Man erkennt die Form einer normalen Stromkurve; die schwere Ver- stümmelung beider Kammern ist nicht zu erkennen. Fig. 27f zeigt die Wirkung der Abtragung der Papillarmuskeln des r. Ventrikels. Der 1. Ventrikel schlägt allein. Im Gegenbild zu Fig. 26b sieht man hier eine tiefe negative Spitzzacke, der eine flachere positive folgt. Zusammenfassend ergeben die Versuche bei künstlicher Kammer- schädigung folgendes Resultat: Erbsen- bis linsengrosse Tangential- verletzungen der Herzoberfläche ändern das Stromkurvenrelief des fluid abgeleiteten isolierten Kaninchenherzens. Und zwar gewinnt bei Tangentialverletzung des r. Ventrikels die negative S-Zacke an Grösse, die positive Nachschwankung wird grösser oder diphasisch mit positiver Anfangsschwankung. Umgekehrt bei Verletzung des 1. Ventrikels tritt die positive R-Zacke stärker hervor. Die positive Nachschwankung wird negativ oder diphasisch mit tiefer negativer Anfangsschwankung („Übergangsformen“ — Nicolai —). Wird eine Schnittverletzung in die Ventrikel gesetzt, die das Lumen eröffnet, so treten charakteristische Änderungen der Stromkurve hervor, die an die Form. der atypischen Ekgs. bei Kammerextrasystolen des r. und l. Herzens erinnern („Typus R und ZL*). Diese Veränderungen erhält man auch bei Exzisionen aus den Ventrikeln oder bei Ab- tragung ganzer Ventrikelwände. Die angeführten Typen treten dort am reinsten hervor, wo der eine Ventrikel unversehrt blieb oder die Verstümmelung des einen die Verletzung des anderen stark überbietet. Die Verletzung des einen Ventrikels bringt somit den Typ des anderen unverletzten hervor; sind beide Ventrikel verletzt, so tritt der Typ des minderverletzten zutage. Jedoch ist der R-Typ bei etwa korrespondierender Verletzung prävalierend, d. h. ein durch Ver- letzung des r. Ventrikels herbeigeführter Typus Z schlägt bei jeder Verletzung des 1. Ventrikels sofort in den Typus R um. Dagegen 174 E. Boden und P. Neukirch: behält ein durch Verletzung des ]. Ventrikels entstandener Typus & seinen Charakter oft noch nach totaler Abtragung der r. Ventrikel- wand. Erst die Entfernung des r. Papillarsystems vom Septum führt zu einem Umschlag in den Typus Z, jedoch auch nur vorüber- sehend; nach kurzem stellt sich der „Typus R“ spontan ein. Es kann vorkommen, dass schwer verstümmelte Ventrikel doch eine normale Stromkurve geben, offenbar dann, wenn kompensatorisch gleichwertige Teile von der Abtragung betroffen sind. Die isoliert schlagenden Vorhöfe ohne Kammern zeigen eiue diphasische Schwankung mit kleiner unmittelbar folgender Nach- schwankung. Nach Abtragung des 1. Vorhofs bleibt eine positive steile Schwankung, der eine kleine negative folgt. Diese typischen Änderungen der Stromkurve durch Verletzung des einen oder anderen Ventrikels treten am isolierten Hunde- und am Menschenherzen in gleicher Weise auf. Nur genügen hier nicht — wie beim Kaninchenherzen --- schon Tangentialverletzungen, vielmehr sind grössere Verstümmelungen notwendig. Es: ist das wohl so zu erklären, dass bei der mehr netzförmigen Ausbreitung des Reizleitungssystems beim Kaninchen schon kleinste Verletzungen stets elektromotorisch wirksame Teile treffen, während beim Hunde und beim Menschen bei der mehr astartigen Verzweigung des Reiz- leitungssystems ein Ausschalten elektromotorisch wirksamer Herz- partien nicht bei jeder Verletzung eintritt. b) Abtragung der Herzspitze. Fig. 28a stellt die fluid abgeleitete Stromkurve eines isolierten Kaninchenherzens mit dem gewohnten Relief dar. Fig. 28 b zeigt die Änderung nach Abtragung der Herzspitze (Scherenschnitt) Anstelle der R- und T-Zacke ist eine grosse positive Schwankung sichtbar mit folgender flacher negativer Phase. Die Stk. gleicht der Form, die wir nach Verstümmelung des l. Herzens kennengelernt haben. Etwa dasselbe Bild gibt Fig. 28c, nachdem etwa zwei Drittel des Herzens abgetragen sind. In Fig. 29a sieht man die Stromkurve eines anderen isolierten Kaninchenherzens, unverletzt. In der folgenden Fig. 29b ist die Herzspitze abgetrennt. Eine Änderung des Stromkurvenreliefs ist kaum nachweisbar. Vielleicht ist eine kleine negative Phase in der Nachsehwankung hinzugetreten. In jedem Fall ist die Nachschwankung deutlich erkennbar. Bei weiterer Abtragung des Herzens etwa bis Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 175 zur Mitte ist bei der gleichen Ableitung kein Ausschlag im Galvano- meter zu erhalten, obwohl die Kammern sich deutlich kontrahieren NTTTTTUTTTTTe OITTTTHTTTANTTTETN TATIATTIIATTTTTUTTN Stk,gines rsul.scıl. Nanuinchur - aa deyHerzspile. Nach Hılrayung Von ca 4 de, 5 herzens. ; Herzens. BEL AI AAN Fig. 8a. Fig. 28b. Fig. bh ch Rbtray ung des Hersputze bs Kur Herzmilte u: Kuntfermug ces £- Kentr. Nach Abl agıng der Herzspilze Fig.-30a. : Fig. 30b. und die direkte Ableitung von den Vorhöfen zu den Ventrikeln das gewohnte Stromkurvenbild ergeben. Es wurde darauf der Rest des 1. Ventrikels in toto entfernt. Nunmehr traten bei indirekter Auider Ableitung grosse positiv gerichtete Spitzzacken auf mit kleiner 176 E. Boden und P. Neukirch: folgender negativer Phase, wie wir bei Verletzung der I. Kammer zu sehen gewöhnt sind (Fig. 29e). (Daneben trat eine Dissoziation auf.) Auch am Herzen eines 5 Monate alten Fötus trat nach Ab- tragung der Herzspitze eine Änderung im Kurvenbilde nicht auf. Fig. 30 a zeigt die Stromkurve dieses Fötus bei unperletztem Herzen. Die folgende Figur 30 b ist nach Abtragung der Herzspitze gewonnen. Auch hier ist eine Änderung des Stromkurvenreliefs nicht eingetreten, im besonderen ist die Nachschwankung unverändert erkennbar. Aus einer Reihe solcher gleichsinnigen Versuche kommen wir zu folgendem Schluss: Die Abtragung der Ventrikelspitze braucht die Form der Stk. bei fluider Ableitung nicht zu verändern. Eine Änderung scheint dann zu unterbleiben, wenn beide Kammern in einer relativen Gleichmässigkeit von dem Spitzenverlust getroffen werden. Wir sahen bereits (Fig. 27 e), dass dieselben Verhältnisse bei der Abtragung von Ventrikeln vorliegen. Auch hier kann das Stromkurvenrelief „normal“ bleiben, trotz schwerer Verletzungen beider Ventrikel, offenbar dann, wenn elektromotorisch gleichwertige Ventrikelteile von der Abtragung getroffen sind. Das Fehlen jeden Ausschlages im Galvanometer nach Abtragung des Herzens bis zur Mitte (siehe oben) ist wohl so zu erklären, dass zufällig die Potentialschwankungen der restierenden Ventrikel unter- einander „kurz geschlossen“ wurden, so dass eine Potentialdifferenz an den Ableitungselektroden nicht zustande kam. Sobald durch Abtragung auf einer Kammerseite dieser „Gleichgewichtszustand“ gestört wurde, traten wieder kräftige Schwankungen hervor. Man erhält bei der Übersicht über eine grosse Anzahl solcher stets gleichsinnigen Abtragungsversuche den Eindruck, dass tat- sächlich ein gewisser Gleichgewichtszustand der elektromotorisch wirksamen Teile beider Kammern in der normalen Stromkurve zum Ausdruck kommt. Dieser Gleichgewichtszustand wird durch die eleichmässige Übertragung des Reizes auf beide Kammern durch das Reizleitungssystem herbeigeführt. Fällt durch Läsion einer Herzseite oder durch Stillstand eines Ventrikels (siehe unten) oder durch Störung im Reizleitungssystem (siehe unten) ein Teil der elektromotorisch wirksamen Substanz eines Ventrikels aus, so macht sich dieser Ausfall durch typische Änderung der Strom- kurve bemerkbar. Der Umstand, dass Abtragung der Herzspitze die 7-Zacke nicht zu ändern braucht, spricht dafür, dass bei der Entstehung der Nachschwankung nicht Muskelelemente wirksam sind, Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 177 die der Herzspitze spezifisch angehören, sondern dass — die Ein- thoven’sche Anschauung vorausgesetzt — jeder Herzstnmpf im. Er- regungsaustausch mit der Herzbasis eine T-Zacke hervorbringen kann. 6. Die Veränderung der Stromkurve des fluid abgeleiteten Herzens bei Störung in der Synchronie der Ventrikelarbeit. Es war zu erwarten, dass bei fluider Ableitung der Stromkurve des isolierten Herzens Rhythmusstörungen jeder Form gut zum Aus- druck kamen. Zahlreiche interessante Einzelbeobachtungen können hier keinen Raum finden. Nur sei hier auf Veränderungen hin- gewiesen, die die Stromkurven bei Störung in der Synchronie der Ventrikelarbeit erleiden. St eines 3.Hon. alten Kindes Aus ersfopfurg der Ärl cgonar_ sın. orung (D d Pyrnehronse der Hen!R Fig. 31a. Fig. 31b. Fig. 3la undb gibt die Stk. eines 3 Monate alten, an Brand- wunden gestorbenen Kindes bei fiuider Ableitung. Man erkennt das typische Kurvenrelief des juvenilen Herzens mit der abwärts gerichteten Hauptschwankung. Der absteigende Ast ist in der Mitte. verdickt und zeigt eine leichte bajonettartige Knickung. Beide Ventrikel kontrahieren sich kräftig. Durch eine sichtbare Verstopfung der Art. coron. sin. trat plötzlich eine Störung in der Schlasfolge beider Ventrikel ein, indem der 1. Ventrikel gleichsam nachschlug. Die Stk. zeigte jetzt grosse rhythmische diphasische Schwankungen mit positiven Anstieg. Der absteigende Ast der positiven Phase sowie der aufsteigende Ast der negativen Phase erleidet vor Er- reichung der Nullage einen scharfen Knick. Eine positive Nachschwankung folet. Die negativen Phasen sowie die Nach- schwankungen alternieren in der Grösse; eine Vorhofsschwankung ist nicht erkennbar. Es ist möglich, dass der Knick im absteigenden Ast der Hauptschwankung (Fig. 31a) bereits durch eine Störung in Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 17]. 12 178 E. Boden und P. Neukirch: der Kontraktion des 1. Ventrikels bedingt ist, bis durch völlige Verlegung der Art. coron. sin. die in Fig. 3lb ersichtliche Ver- änderung der Stk. eintrat. Wenn die angegebene Beobachtung auch kein Beweis für die Asynchrorie der beiden Kammern ist, so ist doch die Auflösung der vorher typischen Säuglings- Stk in zwei segensätzlich gerichteten Spitzzacken bemerkenswert, besonders in. Würdigung der folgenden Beobachtung. Am Kaninchenherzen näm- lieh ist ein Stillstand eines Ventrikels öfters zu beobachten. Man erhält dann bei fluider Ableitung stets eine ganz charakteristische- Veränderung der Stk. Fig. 32 zeigt ein isoliertes Kaninchenherz, bei: EEE TECH STE ESTER Bol herz - Klurdabge la hr. nr ee E le da: Bot. hanın chen her € Der Phealv 15T abgerrn GEH . ALERT, Sa SE FE Eee IE Pe PR ARE a a ur En Fig. 32. Fig. 33. dem der 1. Ventrikel plötzlich keine Kontraktionen mehr zeigt, ' während sich der r. Ventrikel deutlich kontrahiert. Die Stk. boten. vorher das übliche Relief des fluid abgeleiteten Kaninchenherzens.. Man erkennt nach der Vorhofszacke eine tiefe Q-Zacke, eine positiv | gerichtete Spitzzacke, der eine flache negative Phase folst. Die Stk.. entspricht absolut der oben gezeigten Figur die die Veränderungen der Stk. nach Abtrennung des 1. Ventrikels aufwies (vel. Fig. 25 f)... Auch Fig. 33, die nach Abtrennung des 1. Ventrikels eines anderen. fluid abgeleiteten Kaninchenherzens erhalten ist, weist eine völlige: Übereinstimmung mit der Stk. nach Stillstand des 1. Ventrikels auf. Diese völlige Übereinstimmung in einer Reihe gleichsinniger . Beobachtungen berechtigt zu der Annahme, dass der in Fig. 32% gegebene Stromkurventyp in der Tat die elektrischen Erscheinungen. nur eines isoliert tätigen Ventrikels zum Ausdruck bringt. Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 179 In einer weiteren Reihe von Versuchen wurde die Wirkung der Unterbrechung der Reizleitung auf die Kammerstromkurve studiert. a wıe Fe. Der! /gwerasch Schenhat ist Ya [mer se durchsehrirffem - HMrertierern der Porbehe % 1 m 2 2a nee) Fig. 34c. Fig. 34 a zeigt die Stk. des isolierten Herzens eines jungen Hundes mit gut ausgeprägter Zackenbilduns. Mit einem rund ge- schliffenen Skalpel wird darauf der r. Ventrikel in der Höhe der. Vorhofskammererenze durchstochen. Diese Verletzung bringt keinerlei Veränderungen in der Stromkurve hervor. Nunmehr wird 12* 180 P Srhenddl. schnestheng derder Iabrer. Menvc isch. Hrandeherztgs Fig. 35. E. Boden und P. Neukirch: das Skalpel in die Öffnung vorgeschoben und ein Schnitt durch den r. Tawara- schen Schenkel gelegt. Das Stromkurven- relief zeigt sofort starke Veränderungen: An Stelle der Gruppe Q-R-S ist eine hohe- Doppelschwankung sichtbar mit negativer Anfangsphase (Fig. 34b). Die Über- leitungszeit ist etwas verlängert. Der Ver- such, den 1. Tawara’schen Schenkel zu durchschneiden, gelingt in diesem Falle nicht. Es wird nur ein Ast des Schenkels getroffen). Die Stk. ändert sich in der in Fig. 34e sichtbaren Weise: An Stelle der diphasischen Schwankungen treten einphasische positive Schwankungen auf. Beachtenswert ist das Alternieren der Vor- höfe nach der zweiten grösseren Vorhofs- schwankung. Bei gelungener Durchschnei- dung des I. Tawara’schen Schenkels treten diphasische Sehwankungen mit positiver Anfangsschwankung auf. Diese Beobach- tungen nach Schenkeldurchschneidung stim- men mit den Resultaten der bekannten - Versuche Eppinger’s und Roth- berger’s überein, die am frei gelegten Hundeherzen nach Zerstörung der Leitung in einem der Schenkel des Reizleitungs- systems atypische diphasische. Ekgs. auf- treten sahen mit ausgesprochener Gegen- sätzlichkeit, je nachdem der r. oder 1. Schenkel getroffen war. Fie.35 zeigt einen Block nach beider- seitiger Schenkeldurchschneidung am iso- lierten Hundeherzen. Man erkennt .di- phassiche Vorhofsschwankungen — 66in der Minute —, dazwischen seltene Kammer- 1) Nach Eröffnung des Herzens nur makro- skopisch geprüft. Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 18] schläge vom rechstseitigen Typ mit positiver Anfangsschwankung — 43 in der Minute. Es gelang auch. am isoliert schlagenden Menschenherzen eine Schenkeldurchschneidung auszuführen. Fig. 36a gibt die Strom- kurve des isoliert schlagenden Herzens eines 2 Jahre alten, an Scharlach gestorbenen Kindes. Man erkennt eine leicht gespaltene Vorhotszacke, die folgende R- und eine dem Alter entsprechend tiefe Sb ernes 2 fahre ee danges. Es d abge ler Te Fig. 36b. S-Zacke, sodann die positive Nachschwankung. Dieses Stromkurven- relief des isolierten Herzens ist absolut identisch mit dem Ekg. des Kindes in vivo bei Ableitung I (vgl. Fig. 15a). Auch hier wird, wie oben beschrieben, ein rund geschliffenes Skalpel in die 1. Ventrikel- wand eingestochen; eine Verletzung, die die Stk. nicht ändert. Sodann wird an der Kammerscheidewand unter den Aortenansatz ein Querschnitt gelest. Die Stromkurve (Fig 36b) zeigt sofort starke Veränderung. Die R- und S-Zacke erscheinen um das Dreifache vergrössert wie vorher. Von der Mitte des aufsteigenden Astes der S-Zacke aus erhebt sich mit breitem, noch unter der Nullage 182 E. Boden ünd P. Neukirch: ruhendem Aste eine spitze, hohe Nachschwankung. Die Über- leitungszeit ist etwas verlängert. Diese Veränderungen blieben bis zu der Unterbrechung des Versuches konstant. Das unversehrte Herz wurde dem Pathologischen Institut der Kieler Universität über- bracht, ‘wo eine Durchtrennung des l. Tawara’schen Sehenkels Fig. 37. Der eröffnete 1. Ventrikel nach Durchschneidung des 1. Tav. Schenkels. festgestellt wurde !). Das beiliegende Bild (Fig. 37) veranschaulicht die Lage des Schenkelschnittes nach Eröffnung des 1. Ventrikels. 1) Aus dem Protokoll des pathologischen Instituts (Dr. Westphal). Das Herz des Kindes wurde am Morgen nach vorgenommener Sektion vor dem Herrn der inneren Abteilung gebracht. In die Aorta war eine Glaskanüle von ent- "sprechender Weite eingebunden. Das Herz ist etwa so gross wie die Faust der Leiche von sehr fester Konsistenz. Sein Perikard ist überall zart und durchsichtig, unter ihm finden sich entsprechend dem Versorgungsgebiet des vorderen absteigenden Astes der 1. Kranzarterie zahlreiche kleine stecknadelkopfgrosse bräunlichrote Fleckchen. Am l. Ventrikel befindet sich 5—6 mm unterhalb der Artioventrikular- grenze ein 7 mm lange, bis zu 3 mm weit klaffende glattwandige Schnittwunde, die tief in das Myokard hineinreicht. Vom rechten Vorhof aus wird mit stumpfer Branche der Schere das Mitralostium durchschnitten und der Schnitt wie ge- wöhnlich bis zur Herzspitze fortgesetzt, von dort aus der übliche Schnitt am Septum entlang zum Aortenostium hinausgeführt. Der nunmehr offen daliegende 1. Ventrikel ist von entsprechender Weite, sein Endokard überall zart und durch- sichtig. Unter ihm finden sich in geringer Anzahl besonders in einem etwa gut Elvktrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 183 Es ist hiermit zum ersten Male experimentell für den Menschen «ler Beweis erbracht, dass das Reizleitungssystem für die Form des Ekg.s bestimmend ist, indem der Ausfall einer Schenkelleitung typi- sche Veränderungen setzt. Endlich sei auch hier noch im Anhang folgende Beobachtung mitgeteilt. In Fig. 38 sieht man die Stk. des isoliert schlagenden Herzens eines 3 Jahre alten, an Scharlach gestorbenen Kindes. Wieder zeist sich das für das ‚jugendliche Alter typische Grössen- linsengrossen Gebiet am Septum, etwa 1,5 cm von der Herzspitze entfernt, feine, kleine stecknadelkopfgrosse rote Verfärbungen. 8 mm unterhalb der rechten Aortenklappe läuft etwas schräg zum Ansatz eine 2,1 cm lange bis zu 5 mm weit klaffende Wunde mit glattem Rande; am oberen Wundrand befindet sich eine etwa 5 mm lange spitzwinklig abgehende, das Endokard gerade durch- schneidende Verletzung. Die Tiefe der ‘Verletzung schwankt zwischen 3 und 4 mm. Ein von der mehr blassrötlichen Umgebung sich deutlich abhebender, mehr weisslich-grauer, von der rechten Aortenklappe in 4 mm Breite am Septum nach unten ziehender, sich dort difus - verzweigender, leicht erhabener Gewebs- streifen liegt gerade in der Mitte des Schnittes. Seine untere und obere Partie sind daher völlig voneinander getrennt. Entsprechend der Schnittwunde auf der Aussenseite des 1. Ventrikels unter dem I. Herzohr findet sich ebenfalls auf der Innenseite des Ventrikels eine hier etwas längere, gut 1,2 mm lange glattrandige, bis 4 mm weit klaffende Schnittwunde. 1 cm dick, von blass rötlich- brauner Farbe. Fig. 38b. 5 Fig. 38a. Der 1. Ventrikel ist im Durchschnitt Der r. Ventrikel wurde vorläufig IH. des 1 sol. Herzens ernm 3 Dion. alfen Krndıa. aus praktischen Gründen nicht eröffnet (Photographie). 184 E. Boden und P. Neukirch: verhältnis der R- und S-Zacke. Nach Zusatz von Adrenalin zu der Durchströmungsflüssigkeit beginnen die beiden Kammern plötzlich zw fliimmern, während die beiden Vorhöfe kräftig weiterschlagen. Man sieht anfangs grosse, verschieden hohe Ausschläge der Galvanometer- saite, die streckenweise aber auch in regelmässigen Intervallen und in fast gleicher Höhe aufeinanderfolgeen.. Es sind im ganzen n-förmige Zacken, auf der Nullinie verlaufend.. Der absteigende- Ast enthält meist kleinwellige Zwischenzacken. Eine Vorhofsaktion: ist nicht mit Sicherheit zu erkennen. Nach einigen Minuten be- ginnt der 1. Ventrikel eine Kontraktion zu machen, der bald mehrere folgen. Am r. Ventrikel ist keine Kontraktion erkennbar. Die Stk. zeigt in dieser Periode grosse, nach abwärts gerichtete Zacken, die offenbar als automatische Kammerschläge anzusehen sind. Es zeigt sich somit, wie zu erwarten stand, dass Kammer- fimmern am menschlichen Herzen dieselben elektrischen Er- scheinungen darbietet, wie wir sie aus tierexperimentellen Be- obachtungen auseiebig kennen, und dass unter Adrenalin wie beim Tier gehäufte kammerautomatische Schläge entstehen können mit. atypischen Kammer-Ekes. T. Bewertung und Gegensatz der fluiden Ableitungsmethode gegenüber der direkten Ableitung vom Herzen und der Ab- leitung bei geöffnetem Thorax. Fig. 39b zeigt die Stk. eines 7 Monate alten Fötus bei direkter Ableitung vom r. Herzohr zur r. Kammerspitze. Der 1. Ventrikel ist möglichst vollständig abgetragen wie im Bilde (Fig. 39a) er- kenntlich. Die Stk. zeigt dieselben Zackensruppen wie vor der Verstümmelung. Wir erkennen eine diphasische Vorhofsseswankung,, eine diphasische Hauptschwankung und eine flache 7-Zacke, ein Relief, wie wir es bei der direkte Ableitung vom Herzen zu sehen gewöhnt sind (vgl. Teil A). Die Verstümmelung des Herzens ist wieder wie stets. bei direkter Ableitung in keiner Weise erkennbar. Im Gegensatz hierzu tritt der Ventrikelverlust bei der indirekten Ableitung deutlich zutage (Fig. 39 ec). An Stelle der tiefen negativen Hauptschwankung des unverletzten jugendlichen Herzens (Fig. 39 d) sehen wir eine ein- phasische positive Spitzzacke, der eine kleine flache positive Er- hebung folet. In dieser 'charackteristischen Veränderung der Stk. kommt also der Ventrikelverlust bei der indirekten Ableitung zum Ausdruck (vgl. Fig. 33). h 155 Elektrokardiographische Studien.am isolierten Säugetierherzen usw. ‘Por SA o0r "ad 07 SA PN LIE PERL £ 431 JIELBHLSIY SIE LIE SUSTLSGZMUD BUTJZHNSAY 9 720% SUSZITYSPF "P6E "STA 268 "14 "468 SEA ZL P 4 = — a/Z1777 ® SL I A0H ya) 5 72 74 d wurde H/6 19/20 yaoL Sy sp Jy$ Myadany WISE Uy sp ydıs Sny207 Sp yo > N 186 E. Boden und P. Neukirch: Dieselben Verhältniss sind im folgenden Versuche erkennbar In Fig. 40 b sieht man die Stk. eines 9 Tage alten ausgetragenen Kindes bei direkter Ableitung vom r. Vorhof zur r. Kammerspitze. Der 1. Ventrikel sowie das Septum sind entfernt, so dass nur die r. Ventrikelschale schlägt. Infolge der Verstümmelung trat eine Dissoziation zwischen Vorhof und Ventrikel ein. Wir erkennen wieder die drei Zackengruppen : eine diphasische Vorhofs- und Haupt- schwankung uud eine flache positive Nachschwankung wie vor der Verletzung. | Fig. 40 e zeigt die Wirkung der Kammerabtragung bei fluider Ableitung. Wieder sehen wir an Stelle der vorher (Fig. 40 d) dem Alter entsprechenden negativen Hauptschwankung eine hohe Spitz- zacke mit positiver Richtung, der eine kleine flache Zacke in ent- gegengesetzter Richtung folgt. Wir haben diesen Stromkurventyp nach Kammerabtragung am Kaninchenherzen mehrmals verfolgen können (vgl. Fig. 25f bis Fig. 33). Auch hier tritt also nur bei der indirekten Ableitung eine nachweisbare Änderung des Stromkurven- reliefs nach der Kammerabtragung ein. Diese beiden Beispiele am isolierten Menschenherzen zeigen, wie die direkte Ableitung nur das Potential der jeweiligen Ab- leitungspunkte zum Ausdruck bringt. Die allgemeine Anwendung der direkten Ableitung vom Herzen erscheint damit beschränkt. Sie gibt Rhythmusstörungen in geeigneter Weise wieder, versagt aber überall, wo Lage-, Form- oder Zustandsänderung des ge- samten Herzens in Frage kommen. (Im besonderen ist es nach Be- obachtungen am isolierten Herzen nicht zulässie, Resultate über Richtung und Verlauf von künstlich erzeugten Extrasystolen bei direkter Ableitung auf die Verhältnisse beim Menschen zu über- tragen.) | Auch eine Ableitung aus dem Körper bei geöffnetem Brust- raum kann — wie Beobachtungen an post mortal schlagenden Herzen zeigen — bei gewissen Fragestellungen zu Fehlschlüssen führen. Es sei hier folgende Beobachtung mitgeteilt: Fig. 41 zeigt noch einmal das Ekg. des oben erwähnten ausgetragenen Neugeborenen bei Ableitung J—11]. Einige Minuten nach Eröffnung des Thorax begann das Herz spontan wieder zu schlagen. Ableitung III ergab dabei ein fast unverändertes Ekg. wie in vivo. Bei Ableitung 17 erscheint die R-Zacke etwas vergrössert. Ableitung I dagegen zeigt eine deutliche Verkürzung der negativen Hauptschwankung (Fig. 42 a). Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 187 Die Verkleinerung der Hauptschwankung bei Ableitung J ist, wie oben erwähnt, offenbar durch den fehlenden Thoraxschluss zu er- klären. Ja, es kann sogar nach Eröffnung der Brusthöhle die kurgeberenen: Re, 2 Eh des ı5ol Atrzenseimes TE \ NM JAAh AA Teak Wb. We Fig. 41a. Fig. 41b. Fig. Alc. ) em Pr) 9 DE NEN mw a hergs #r0 Erf. Mrz - En 4 ER uprmTan arkrhr. AHÜLE SR LA 7 Ya HL. He Fig. 42a. so Rig. AD. Fig. 42c. ‚ mr m MM. Ayas te u Im r vr ' ; AA) rdaaı Faelkss. DA BZ et nn Fig. 43a. Fig. 43b. m er age, Richtung der Hauptschwankung bei Ableitung ] in die Gegen- -riehtung umschlagen, während Ableitung 17 und 11] unverändert bleiben. Fig. 43 zeigt das Ekg. eines 7 Monate alten moribunden Fötus bei Ableitung Z—-11I. Auch hier begann unter Sauerstoff- 188 E. Boden und P. Neukirch: zutritt nach Eröffnung des Thorax das Herz erneut zu schlagen Die Stromkurve zeiet bei Ableitung 1/I keine wesentliche Änderung, bei Ableitung 1] ist wieder die R-Zacke etwas höher wie in vivo. Bei Ableitung I aber ist die vorher negative Hauptschwankung positiv geworden (Fig. 44 a). Diese Veränderungen in der Richtung der Hauptschwankung bei Änderung der geschlossenen Ableitungsbedinszungen, im Verein mit den Beobachtungen über die Veränderung der Stromkurve beim Wechsel in der Menge der Leitflüssigkeit (s. Fig. 22) mahnen zu erosser Vorsicht bei Übertragung von tierexperimentellen Be- obachtungen am geöffneten Brustraum auf das klinische Ekg. 2. 7 7 ” Kam 48. Apres yet LA, wien 113 3.4. [hararero) Br IT RE (NR N @2 gr" Alu? spa wrr Ir 2 an ea Er 4 mn Ei rn ge - 7 a aa ey a era x en Fig. 44b. Fig. 44. Das von der unverletzten Körperoberfläche abgeleitete Ekg. des Menschen in seinem bekannten Typus ist, wie man sich auch im einzelien seine Entstehung deuten möge, die Resultierende be- stimmter gesetzmässiger Veränderungen, welche die vom Herzen er- zeusten elektrischen Ströme infolge partiellen Kurzschlusses mit der das Herz umgebenden physiologischen Gewebsflüssigkeit erleidet. Erfahrungen aus tierexperimentellen Untersuchungen scheinen uns von vornherein nur dann auf das Ekg. des Menschen übertragbar, wenn sie wie dieses durch ein die Herzoberfläche allseitig gleich- mässig umgebendes Medium aufgenommen sind. Eine solche Ableitungsmethode, die den Ableitungsbedingungen des „klinischen Ekg.s“ entspricht, glauben wir für das isolierte Säugetier- und Menschenherz in der angegebenen fluiden aus methode dargestellt zu haben. - Es sei hier noch darauf hingewiesen, dass die fluide Ableitungs-. methode dureh die Konstanz ihrer Stromkurvenform zur Prüfung pharmakologischer Agentien am Menschenherzen geeignet erscheint. EEE ELTERN EEE 15 ER a EHER WELCHE Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw. 189 _ Auch hier zeigte sich ein wichtiger Gegensatz gegenüber der direkten Ableitungsmethode. Während diese, wie erwähnt, Rhyth- musstörungen in gleicher Weise zum Ausdruck bringt, treten bei der fluiden Ableitungsmethode unter der Wirkung gewisser Pharmaka Formabweichungen der Stromkurve auf, die bei der direkten Methode nicht erkennbar sind. Über solche pharma- kologische Untersuchungen sowie über den Einfluss von Temperatur und Strömungsgeschwindigkeit sowie wechselnden Ionengehalt der Nährflüssigkeit auf die Stromkurve des isolierten Menschenherzens soll an anderer Stelle berichtet werden. Zusammenfassung. 1. Direkte Ableitung. Das isoliert schlagende Säugetier- oder Menschenherz gibt bei. direkter Ableitung von der Herzoberfläche von den: verschiedensten Stellen aus drei Gruppen elektrischer Schwankungen wie das vom Körper abgeleitete Ekg. Die Vorhof- und Nachschwankungen sind meist diphasisch, die Hauptschwankungen diphasisch oder triphasisch. Die erhaltenen Stromkurven sind sehr inkonstant in Form und Grösse bei scheinbar gleichen Ableitungsbedinsungen. Weitgehende Ver- stümmelungen des Herzens haben auf die Stromkurve keinen Einfluss, sofern nicht die Elektroden an Stellen verletzten Gewebes angelegt werden. Diese direkte Ableitungsmethode am Warmblüterherzen ist wegen der Inkonstanz der erhaltenen Stromkurve für experimentelle Untersuchungen nicht geeignet. 2. Indirekte Ableitung aus dem Körper. Das isolierte Säugetier-- oder Menschenherz gibt in den mit Tyrode’scher Lösung angefüllten Thorax zwischen die Lungen zurück- ‚gelegt, Stromkurven, die besonders bei Ableitung I/ und III eine Identität mit dem in vivo erhaltenen Eke. aufweisen. Drehungen um die Längsachse des Herzens ergeben konstante Veränderungen des Stromkurvenreliefs. Läsionen oder Abtragungen des einen oder anderen Ventrikels ergeben typische Veränderungen der Stromkurve. 3. Indirekte „fluide* Ableitung. Taueht man das isolierte Säugetier- oder Menschenherz in eine physiologische Lösung, so dass es allseitig mit Flüssigkeit umgeben ist und orientiert gegen den rechten und linken Ventrikel je eine 190 E. Boden und P. Neukirch: Platin-Blech-Elektrode, so erhält man im Saitengalvanometer eine Stromkurve, die mit dem vom intakten Körper abgeleiteten Eke. identisch ist. Diese „fluide* Ableitung ermöglicht es, das Warmblüter- oder Menschenherz unabhängig von der Atmung und dem Einfluss der extrakardialen Herznerven sowie des peripheren Gefässsystems unter Kontrolle des Auges selbstgewählten Bedingungen zu unterwerfen. Das Stromkurvenbild bleibt bei gleicher Versuchsanordnung absolut. konstant. Von Bedeutung für die zu erzielende Identität der Stromkurve: mit dem vom. Körper abgeleiteten Eke. ist vor allem das relative Verhältnis der Leitflüssigkeitsmenge zur Grösse des Herzens. Durch Wechsel in der Menge dieser Flüssigkeit kann sich die Stromkurve in Form- und Zackenrichtung ändern: Bei geringer Menge treten die negativen Phasen hervor, die Stromkurve nähert sich der Form, die man bei direkter Ableitung erhält. Bei zu grosser Menge der Kontaktflüssigkeit werden die Ausschläge flacher und indifferenziert.. Seitliche Verschiebungen des Herzens zwischen den Blektroden ohne Achsendrehung ändern das Stromkurvenrelief nicht. Bei Drehungen um die Längsachse treten typische Veränderungen ein. Sie stützen die Annahme, dass die bekannten Abweichungen des menschlichen Ekg.’s vom Normaltyp bei gewissen Herzfehlern als Folge von Achsendrehungen des pe une en Herzens im Brust- raum aufzufassen sind. Verletzungen des Herzens kommen bei der fluiden Ableitung | in charakteristischer Weise zum Ausdruck. Es treten bei Läsionen der einen oder anderen Kammer typische Formveränderungen der Stromkurve auf. Verletzungen des einen Ventrikels bringt den „Typ“ des andern unverletzten hervor. Sind beide Ventrikel geschädigt, so tritt der „Typ“ des mindergeschädigten hervor. Schwer verstümmelte Herzen können eine normale Stromkurve geben, wenn die Läsion kompensatorisch gleichwertige Teile trifit. Auch die Abtragung der Herzspitze ändert die Stromkurve bei fluider Ableitung: nicht, wenn beide Kammern .in einer relativen Gleichmässiskeit von dem Spitzen- verlust getroffen sind. Im besonderen bleibt die Nachschwaukung bei solchen Läsionen unverändert. Es kann also jeder Herzstumpf im elektrischen Austausch mit der Herzbasis eine 7-Zacke hervor- bringen. Asynchronie in der Ventrikelarbeit scheint zu zwei gegensätzlich gerichteten Spitzzacken zu führen. Stillstand einer Kammer zeigt Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetierherzen usw, 191 eharakteristische Stromkurvenveränderung, die identisch ist mit der Stromkurve, die man nach totaler Abtragung derselben Kammer er- hält. Die Form der Stromkurve einer isoliert schlagenden Kammer ist damit gegeben. Durchschneidungen der Schenkel des Tawara- schen Reizleitungssystems am isolierten Hundeherzen geben grosse diphasische Schwankungen, wie sie durch Eppinger und Roth- berger am Hundeherzen in situ zuerst dargestellt worden sind. Auch am isolierten Menschenherzen gelang es, die Wirkung der ein- seitigen Schenkeldurchschneidung zu beobachten. Es wurde so zum erstenmal experimentell für den Menschen der Beweis erbracht, dass das Reizleitungssystem für die Stromkurvenform bestimmend ist, indem durch die Durchschneidung eines Schenkels typische Ver- änderungen hervorgebracht werden. Kammerflimmern sowie automatische Ventrikelschläge zeigen am isolierten Menschenherzen dieselben elektrischen Erscheinungen, wie sie aus tierexperimentellen Beobachtungen bekannt sind. Vergleichende Versuche an künstlich geschädigten isolierten Mensehenherzen bei direkter und indirekter fluider Ableitung heben im Verein mit Beobachtungen an postmortal schlagenden Herzen bei geöffnetem Thorax die Bedeutung hervor, die die Ableitung aus einer „geschlossenen“ Kontaktzone für die kritische Verwertung einer - Stromkurve hat. Die indirekte fluide Methode entspricht durch ihre Ableitung aus einem gleichmässig das Herz umgebenden Medium den - Ableitungsbedingungen iu vivo. Sie bildet also ausserhalb des Körpers, dem Experiment und der Beobachtung zugänglich, die Ab- leitungsverhältnisse im Körperverband nach. Infolge der Identität der dabei erhaltenen Stromkurven mit dem vom Körper abgeleiteten Ekg. und infolge der Konstanz und Formenreinheit des Kurvenreliefs erscheint diese’ „fluide“ Ableitungsmethode für physiologische und pharmakologische Fragen am isolierten Säugetier- und Menschenherzen besonders geeignet. Naehsatz. . Die Zusammenstellung dieser Studien wurde durch den Krieg unterbrochen. Die Wiederaufnahme an der Front hat die ursprüng- liche Anlage und Ausarbeitung nicht überall durchführen lassen. Eine Heranziehung der Literatur war nicht möglich. Wir haben uns daher .im wesentlichen mit der Mitteilung der experimentellen Ergebnisse begnügen müssen. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Wien.) Gehirn und Sympathieus. IV. Mitteilung. Von Prof. Dr. 3. P. Karplus und Prof. Dr. A. Kreidl. I. In unserer zweiten Mitteilung über Gehirn und Sympathicus !) berichten wir, dass die Zerstörung des subkortikalen Zentrums im Zwischenhirn oder frontale Durchtrennung des Gehirns, spinal von diesem Zentrum, den Sympathieusreflex an den Augen auf Schmerz- reize aufheben, und wir folgern daraus, dass dieser Reflex im Zwischen - hirne übertragen wird. Wir müssen jedoch nun diese Angabe dahin ‚einschränken, dass die Übertragung nicht ausschliesslich und unter allen Umständen nur im Zwischenhirn erfolst. Wir haben nämlich kurz vor Kriegsausbruch (Juli 1914) in einigen Versuchen uns davon überzeugt, dass bei Katzen auch nach vollkommener Durchtrennung des Mittelhirns auf Ischiadieusreizung ein Rest von Wirkung auf die Niekhaut, auf Ober- und Unterlid erhalten bleiben kann, während wir allerdings eine Wirkung auf die Pupille nicht mehr beobachten konnten. Nach Durchsehneidung des Halssympathieus blieb bei diesen Tieren die Niekhautbewegung auf Ischiadieusreizung aus, während die Lidspaltenerweiterung in einem Falle auch dann noch persistierte. Wir müssen also wenigstens das Niekhautzurückziehen als eine Wirkung von Schmerzreizen auf den Sympathieus ansehen, die noch nach Abtragung des Mittelhirns be- obachtet werden kann. Von dieser Tatsache haben wir uns auch kürzlich in einem einschlägigen Versuche wieder überzeugen können; es ist uns aber während des Krieges nicht möglich, die Frage weiter 1) Pflüger’s Arch. Bd. 135 S. 401. 1910. Gehirn und Sympathicus. 193 systematisch zu verfolgen. Anderseits schien es uns bei der leider unabsehbaren Dauer des Krieges doch richtig, mit der Mitteilung dieser Einschränkung unserer früher aufgestellten These nicht länger zurückzuhalten.‘ Wir fügen zwei kurze Protokollauszüge bei. Versuch vom 21. Juli 1914. Erwachsene Katze. Äthernarkose, Freilegung der Gegend der Vierhügel, Abtragung der Hinterhautlappen. Der linke Ischiadicus wird mit einer tiefliegenden Elektrode montiert und gereizt: Maxi- male beiderseitige Pupillenerweiterung, Lidaufreissen, Nickhautzurück- ziehen. Abkühlung der vorderen und hinteren Vierhügel mit Chloräthyl- spray. Ischiadiceusreizung hat dieselbe Wirkung wie vorher. Ein- schnitt in die vorderen Vierhügel, um besser in die Tiefe kühlen zu können, Einlegen von Watte in den Einschnitt und weitere Abkühlung ändert nichts an dem Reizeffekt des Ischiadieus. _ Vollkommene Durchtrennung des Mittelhirns.. Die Pupillen sind nun weit, wie es etwa der Okulomotoriuslähmung entspricht, und Ny- stagmus tritt auf, Die Lidspalten sind mässig weit, die Nickhäute liegen etwas vor. Bei einer ganzen Reihe von Reizungen des Ischia- dieus tritt nun jedesmal deutlich Zurückziehen der Nickhaut und Auf- reissen der Lider auf, während wir eine Erweiterung der allerdings ohnehin weiten Pupillen nicht konstatieren können. Durchschneidung des linken Halssympathicus. Neuerliche Ischia-, dicusreizung. Das linke Auge zeigt nun weder Nickhautzurückziehen noch Lidaufreissen, während am rechten Auge diese Phänomene noch sehr prompt auftreten. (Tags darauf Lidaufreissen auch bei durch- schnittenem Halssympathicus.) Sektion: Das Gehirn ist entsprechend dem Mittelhirn vollkommen durchtrennt, der Schnitt geht durch den hinteren Anteil der vorderen Vierhügel, durch die Hirnschenkel 1 mm vor der Brücke. Versuch vom 22. Juli 1914. Erwachsene Katze. Äthernarkose, Luxation und Abtragung der Oeccipitallappen, Freilesung der Vierhügelgegend beiderseits. Der linke Ischiadicus wird mit einer tiefliegenden Elektrode montiert und ge- reizt: Sympathicus-Trias an den Augen. Versuch, das Mittelhirn in der Gegend der vorderen Vierhügel zu durchtrennen. Nach dem Schnitt sind die Pupillen nicht sehr weit, sondern zunächst mittelweit, die linke enger als die rechte. Ischia- dieusreizung mit mässig starken Strömen bewirkt deutlich Zurückziehen der Nickhaut beiderseits und Erweiterung beider Lidspalten, während keine Wirkung auf die Pupille auftritt. Denselben Effekt haben auch sehr starke Ströme. Während der nächsten halben bis dreiviertel Stunden verengern sich die Pupillen spontan mehr und mehr, immer wiederholte Ischiadieusreize haben keinen Einfluss auf die Pupillenweite bei deut- lichem Lidaufreissen und Nickhautzurückziehen. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 13 194 J. P. Karplus und A. Kreidl: Durchschneidung des einen und dann des anderen Halssympathieus. Nach der Durchschneidung des Sympathicus fällt auf der einen, dann auch auf der anderen Seite die Bewegung der Nickhaut bei Ischiä- dicusreizung weg, während die Erweiterung der Lidspalte und zwar sowohl das Herabsinken des Unterlides als das Heben des Oberlides- bestehen bleiben. Zwischenhirnreizung nach Durchschneidung des Halssympathicus und des Mittelhirns hat keinerlei Wirkung auf die- Ausen. Die Sektion ergab, dass die Mittelhirndurchtrennung eine vollkommene war. Bemerkenswerterweise tritt auch nach Durchschneidung des Mittel- hirns eine Art „Schmerzäusserung“ bei Ischiadicusreizung auf, das Tier schlägt längere Zeit mit dem Schweif herum, pfaucht. Der Korneal-- reflex war erhalten, der Lichtreflex der Pupillen fehlte. Aus den mitgeteilten Protokollauszügen geht auch hervor, dass- die Vierhügel bei der Übertragung des Schmerzreflexes auf den Sympathieus nicht beteiligt sind. Wir hatten schon kurz vorher in einer Reihe von Versuchen. das oberste Halsmark mittelst Chloräthylspray abgekühlt und dabei die Reflexe auf Pupille, Lid und Nickhaut bei Ischiadieusreizung: regelmässig erlöschen sehen, während die Reflexe auf die oberen. Extremitäten bestehen blieben. Lässt man die Tiere spontan atmen, so sieht man die Sympathicuswirkung bei Ischiadieusreizung zugleich mit dem Sistieren der Atmung aufhören und mit dem Auftreten der- spontanen Atmung wieder zurückkehren, mitunter auch schon einige- Sekunden vorher. Versuch vom 29. Mai 1914. Erwachsene Katze. Tracheotomie. Die Membrana obturatoria wird durchtrennt, der linke Ischiadicus elektrisch gereizt: Maximale Pupillenerweiterung, Lidaufreissen, Nickhautzurückziehen. Abkühlung des obersten Halsmarks durch Chloräthylspray. Die spontane Atmung hört auf, die künstliche wird eingeleitet. Das Herz schlägt weiter. Ischiadiceusreizung: Keine Wirkung auf die Augen, aber- lebhafte Reflexe an den oberen Extremitäten. Nach einigen Minuten hat die Ischiadicusreizung wieder volle Wirkung. In diesem Moment atmet das Tier bei Weglassen der künst- lichen Atmung noch nicht spontan. Einige Sekunden später atmet es wieder spontan. Es wird neuerlich narkotisiert, auf Ischiadicusreizung tritt die Sympathicus-Trias an den Augen auf. Neuerliche Abkühlung bis zum Aufhören der spontanen Atmung: Einleitung künstlicher Atmung. Das Herz schlägt weiter. Jetzt ist die Ischiadieusreizung ganz ohne Wirkung auf die Augen bei prompter Wirkung auf die vorderen Extremitäten. Es wird wieder das Ab- klingen der Abkühlung bis zum Auftreten spontaner Atemzüge ab- gewartet, nun ruft auch die Ischiadieusreizung prompt beiderseits die- ee I en a Da ed En ai Gehirn und Sympathicus. 195 volle Sympathicuswirkung an den Augen hervor. (Bei den Abkühlungen des Zentralnervensystems haben wir die Atmungsluft durch im Wasser- bad liegende Metallschläuche vorgewärmt, das Tier selbst durch die Leiter’sche Vorrichtung vor Abkühlung geschützt.) Vienerct vom 2. Juni 1914. Erwachsene Katze. Äthernarkose, Tracheotomie, Freilegung des oberen Halsmarks durch die Membrana obturatoria hindurch, Ischia- dieusreizung: Trias an den Augen. Abkühlung des obersten Halsmarks mit Chloräthyl. Während der Abkühlung Auftreten von Nystagmus. Vor dem Sistieren der willkür- lichen Atmung wird künstliche Atmung begonnen. In Zwischenräumen von einigen Sekunden wiederholte Ischiadicusreizungen. Die Reaktion an den Augen nimmt allmählich ab, ist dann vollkommen erloschen, während die Reflexe an den beiden oberen Extremitäten und Krümmung des Rückens auf Ischiadicusreizung nach wie vor auftreten. Der Kornealreflex ist dauernd vorhanden. Die Abkühlung wird sistiert, der Ischiadicus weiter elektrisch gereizt. Nach mehreren Sekunden tritt die Trias an den Augen wieder auf, ausserdem natürlich die Reflexe an den oberen Extremitäten und auch Gesichtverziehen. Der Versuch wird dreimal wiederholt. Jedesmal wird die Ischia- dieusreizung nach der Abkühlung für die Augen ganz wirkungslos, während die volle Wirkung auf die oberen Extremitäten erbalten bleibt, und nach der Erwärmung tritt die Trias an den Augen prompt wieder auf, Wir lassen es bei diesen Versuchen nicht zum Atemstillstand kommen, sondern unterhalten dauernd künstliche Atmunse. Aus diesen Versuchen könnte man den Schluss ziehen, dass die Reflexübertragung jedesfalls nicht kaudalwärts von der Medulla ob- longata stattfindet. Damit würden auch die Ergebnisse jener Versuche übereinstimmen, in denen wir eine vollkommene Durchtrennung des obersten Halsmarkes vornahmen. Wir beobachteten dann bei elek- - trischer Ischiadieusreizung keine Wirkung au den Augen mehr, wohl aber Reflexbewegungen an den oberen Extremitäten. Versuch vom 27. Mai 1914. Halbjährige Katze. Äthernarkose. Montierung des linken Ischia- dieus mit tiefliegender Elektrode. Elektrische Reizung: Trias an beiden Augen. Die linke Hälfte des obersten Zervikalmarks (in der Höhe des Austritts der hinteren Wurzeln des ersten Zervikalnerven) wird durch- trennt. Danach tritt bei Ischiadicusreizung unverändert die Trias an beiden Augen auf. Nun wird der Schnitt erweitert, auch die rechte Markhälfte durchtrennt, künstlich geatmet. Ischiadicusreizung hat keine Wirkung auf die Augen. Nach einer halben Stunde ist der Kornealreflex vorhanden, der Lichtreflex der Pupillen ist vorhanden, die Pupillen sind untermittel- weit, die Nickhäute liegen recht weit vor. Ischiadicusreizung hat keine 13* 196 J. P. Karplus und A. Kreidl: Wirkung auf die Augen. Das Tier bewest die Augen willkürlich, dabei ändert sich die Pupillenweite. Zwei Stunden später sind beide Pupillen sehr eng, fast spalt- förmig, werden aber auf Lichteinfall deutlich noch enger. Auf Trigeminus- reizung (in der Nase) werden deutlich beide Pupillen etwas weiter, während die vorliegenden Nickhäute und die Lider keine Wirkung er- kennen lassen. Bei Ischiadicusreizung aber tritt auch bei den stärksten Strömen absolut keine Reaktion an den Augen auf; dabei sind die Pupillen dauernd eng, zeigen gute Lichtreaktion, der Kornealreflex ist vorhanden. (Die Pupillenerweiterung auf Trigeminusreizung ist offen- bar als Okulomotoriushemmung aufzufassen.) Reizung des linken Plexus brachialis mit starken Strömen bewirkt Reflexe auch in der rechten oberen Extremität und in beiden Hinterbeinen, hat aber auf die Augen absolut keine Wirkung. Von der Rückenmarkswunde, von der peri- pheren Lippe der Durchtrennungsstelle lässt sich durch mässige elek- trische Ströme die typische Trias an beiden Augen auslösen, ebenso wird sie durch Sympathicusreizung am Hals hervorgerufen. Wir haben in einer Reihe von Versuchen Längsspaltungen des Rückenmarkes in der Regio cilio-spinalis in manniegfacher Weise mit einfachen und doppelten queren Halbseitendurchtrennungen des Rückenmarkes kombiniert. Auch diese Versuche sprachen gegen die Bedeutung der Regio eilio-spinalis als sympathisches Reflexzentrum. Wir haben uns über diese Frage schon in unserer dritten Mitteilung !) geäussert, doch war es uns eben wegen des Krieges auch hier nicht möglich, zu vollkommen einwandfreien Resultaten zu gelangen. Wir müssen vielmehr im Gegensatz zu unseren Versuchen hervorheben, dass Luchsinger?) bei elektrischer Reizung des zentralen Stumpfes des frei isolierten Nervus medianus von mit Pikrotoxin oder Strychnin vergifteten Katzen eine gewisse Pupillen- erweiterung (um 2—3 mm) auf jener Seite auftreten sah, deren Nervus sympathicus erhalten war. Auch berichtet Anderson?) über Versuche bei nichtvergifteten mit Äther narkotisierten Katzen, welche nach Durchschneidung des Rückenmarks in der Höhe des ersten Cervicalis bei elektrischer Reizung des zentralen Endes des Isehiadieus (nachdem in beide Augen 1/0 Eserin eingeträufelt worden war) eine geringe Pupillenerweiterung, spurweises Zurückziehen der Niekhaut und Liderweiterung zeigten. 1) Pflüger’s Arch. Bd. 143 S. 119. 1911. | 2) Luchsinger, Weitere Versuche und Beobachtungen zur Lehre von den Rückenmarkszentren,. Pflüger’s Arch. Bd. 22 S. 158. 3) Anderson, Reflex pupil-dilatation by way of the cervical sympathetic nerve. Journ. of physiol. vol. 30 p.,15. 1904. Gehirn und Sympaihicus. 197 Die Beweiskraft negativer Versuche muss gegenüber derjenigen von positiven wohl zurückstehen, und wir müssen annehmen, dass ein Rest von Reflexwirkung auf den Halssympathieus bei Schmerz- reizen auch nach Abtrennung des Gehirns vom Rückenmark im Rückenmark selbst übertragen werden kann. Es kann hier vielleicht an die spinalen, neben den medullären bestehenden Vasomotoren- zentren erinnert werden. II. In unserer Mitteilung I!) haben wir hervorgehoben, dass bei Hypothalamusreizung ausser den okulopupillären Symptomen. eine Reihe weiterer Erscheinungen auftritt, „mit deren genauerem Studium wir nun beschäftigt sind, so Tränen- und Speichelsekretion, profuse ‚Schweisssekretion an allen vier Pfoten, anhaltende Kontraktionen der eefüllten und der leeren Blase, gelegentlich Schreien der Tiere“. Müller und Glaser?) schreiben nun in ihrer Arbeit über die Innervation der Gefässe: „Da diese Partie des Zwischenhirns die einzige Stelle des Gehirns ist, von der aus mit Sicherheit vegetative Vorgänge beeinflusst werden können, so liegt es nahe, auch die zerebrale vasomotorische Innervation in dieser Gegend zu lokalisieren. Auf eine schriftliche Anfrage teilte mir nun Herr Prof. Karplus mit, dass bei seinen mit Prof. Kreidl angestellten Versuchen tat- sächlich „beiReizung des Sympathicuszentrums im Hypo- thalamus zugleich mit den Augensymptomen, dem Schwitzen, der Tränensekretion immer auch eine sehr deutliche Kontraktion der Blutgefässe auftritt; kleinere Blutgefässe werden unsichtbar (Katze). Nach der Reizung tritt mit dem Zurückgehen der übrigen Reizwirkungen wieder die stärkere Gefässfüllung hervor.“ Damit ist zum erstenmal erwiesen, dass von einer bestimmten Stelle des Gehirns ein bestimmter vasomotorischer Effekt in der Körperperipherie erzielt werden kann.“ Was das Tatsächliche betrifft, haben wir dieser Mitteilung nichts hinzuzufügen. Müller und Glaser sind aber auf Grund unserer Wersuche dahingelangt, die alte Lehre Karl Ludwig’s vom Gefäss- nervenzentrum in der Medulla oblongata anzuzweifeln und dieses Zentrum in den Hypothalamus zu verlegen. Demgegenüber müssen wir nnn auf Grund seither angestellter Versuche hervorheben: Auch 1) Gehirn und Sympathicus. 1. Mitteilung. Pflüger’s Arch. Bd. 129 S. 144. 1909. 2) Deutsche Zeitschr. f{. Nervenheilk. Bd. 46 S. 329. 1913. 198 . J. P. Karplus und A. Kreidl: nach vollkommener Durchtrennung des Mittelhirns tritt auf Ischiadieusreizung noch allgemeine Blutdruck- erhöhung auf. Wenn also auch ein vasomotorischer Einfluss des Hypothalamus durch uns sichergestellt ist, so besteht doch die Lehre vom Vasomotorenzentrum in der Medulla oblongata zurecht. Wir hatten in der Mitteilung I auch erwähnt: Eine auffallende Wirkung auf den Blutdruck hatte die Reizung nicht. Dem ist hin- zuzufügen, dass wir uns bei fortgesetzten Versuchen davon überzeugt haben, dass doch die Hypothalamusreizung auch beim kurarisierten Tiere eine deutliche Blutdrucksteigerung zur Folge haben kann. Die übrigen Sympathieuswirkungen dieser Reizung hängen aber keineswegs _ von der Blutdrucksteigerung ab; bei vielen Reizungen kommt es nicht zur Blutdrucksteigerung, und doch sind die okulopupillären Er- scheinungen, das Schwitzen usw., sehr deutlich. Bezüglich der. Leitungswege der Vasomotoren im Rückenmarke haben wir gelegentlich unserer Untersuchungen über Schmerzleitung im Rückenmark einige dort nicht publizierte Beobachtungen gemacht. Bei Katzen sahen wir nach einer Halbseiten- durchschneidung des Rückenmarks in der Höhe des ersten Zervikal- nerven regelmässig Gefässparese an den Extremitäten der Durch- schneidungsseite; diese Parese war nach 24 Stunden geringer, aber noch nachweisbar. Bei einem Affen fand sich 5 Stunden nach Halbseitendurchschneidung in der Höhe des Calamus seriptorius deutliche Gefässparese der vorderen und hinteren Extremität der Durchschneidungsseite, die am nächsten Tag nur mehr spurweise vorhanden war. Bei einem anderen Affen durchschnitten wir das Halsmark links zwischen erster und zweiter Zervikalwurzel, das Dorsalmark rechts in der Höhe der elften Dorsalwurzel. Am Tag nach den Durchschneidungen waren die Hände der hinteren Ex- tremitäten auffallend warm (Gefässparese), die Hände der vorderen viel kühler, dabei die rechte noch etwas kühler als die linke (links Andeutung von Gefässparese). Am nächsten Tage waren die Hände der vorderen Extremitäten eleich kühl, die der hinteren warm, und so blieb es bis zu dem 9 Tage nach der Operation eingetretenen Exitus des Tieres. (Durch die Sektion wurde verifiziert, dass die Halbseitendurchschneidungen gelungen waren.) Die vollkommene Rückenmarksdurchtrennung bzw. zwei Halbseitendurchtrennungen (rechts und links) führen somit beim Affen (Macacus) zu anhaltender Gefässparese, die Halbseitendurchtrennung nur zu einer vorüber- EEE REN EEE Ar ER IE rn 97 Gehirn und Sympathicus. 199 zehenden. Wir dürfen aus den mitgeteilten Versuchen den Schluss ziehen, dass beim Affen und bei der Katze jede Rückenmarkshälfte vorwiesend, aber nicht ausschliesslich, vasomotorischen Einfluss auf die Extremitäten ihrer Seite hat, ein Ergebnis, das mit einer Reihe von Angaben in der Literatur übereinstimmt. Wir haben oben aus unserer ersten Mitteilung zitiert, dass Hypothalamusreizung bei der Katze zu profuser Schweisssekretion an allen vier Pfoten führt. Schon vorher hatte in einer unter der Leitung des einen von uns (Kreidl) ausgeführten Arbeit über die zerebrale Beeinflussung der Schweisssekretion Winkler!) auf die Regio subthalamiea hingewiesen. Uber die Leitungswege dieser ‘sekretorischen Impulse im Rückenmarke ist nichts Sicheres bekannt. In einer klinischen Studie über Störungen der Schweisssekretion bei Verwundungen des Nervensystems ‚hat sich kürzlich der eine von uns (Karplus)°) diesbezüglich folgendermaassen geäussert. „Es scheint mir zweifellos, dass das Rückenmark sowohl ein Zentralorgan für die Schweisssekretion ist, ein Zentralorgan mit seg- mentaler Gliederung, als auch anderseits ein Leitungsorgan. Es ist meines Erachtens wahrscheinlich, dass es sich hier nicht um eine mehr kompakte Bahn, um einen Schweissstrang handelt, vielmehr überhaupt nicht um lange Bahnen, sondern vorwiegend oder ausschliesslich um eine Leitung durch kurze Bahnen unter Mitwirkung der grauen Sub- stanz — aber doch um präformierte Leitungsbahnen. Wir haben ja auch bezüglich der Sensibilitätsleitung in den letzten Jahren gelernt, dass die Vorstellung einer Leitung durch lange Bahnen durchaus un- genügend ist. Die Schweissleitung findet im Rückenmark wahrschein- lich auf jeder Rückenmarksseite für die gleiche Körperseite statt, wenigstens soweit Rumpf und Extremitäten in Frage kommen.“ Die letzte Einschränkung war nötig, da wir ja experimentell _ festgestellt hatten, dass wenigstens bei der Katze jede Halsmarkhälfte Impulse für beide Halssympathiei leitet. Da jede Grosshirnhälfte anscheinend einen gewissen Einfluss auf die Schweisssekretion der sekreuzten Körperhälfte hat, wenn auch nur als Hemmungsorgan (Karplus), so schien die schon früher von anderer Seite geäusserte Vermutung einer Kreuzung der- Schweissbahnen in der Gegend der Pyramidenkreuzung nicht unplausibel. Wir haben uns jedoch bei der Katze durch einen Versuch überzeugt, dass auch nach Halbseiten- (durehtrennung des Halsmarkes in der Höhe des ersten Cervicalis auf 1) Pflüger’s Arch. Bd. 125 S. 584. 1908. 2) Wiener klin. Wochenschr. Bd. 29 S. 31. 1916. 200 J. P. Karplus und A. Kreidl: Gehirn und Sympathicus. Zwischenhirnreizung profuses Schwitzen an allen vier Pfoten auftritt. Falls es also überhaupt lange Schweissbahnen im Rückenmark gibt und ihnen die ausschliessliche Leitung der sekretorischen Impulse des Gehirns zukommt, so gehen sie gewiss keine totale Kreuzung ober- halb der Medulla spinalis ein, und jede Halsmarkhälfte leitet Schweissimpulse zu allen vier Extremitäten (Katze). So wie die Frage nach der Übertragung der Schmerzreflexe sehen wir auch die Frage nach den Leitungswegen der vasomotorischen und sekretorischen Impulse durch die wenigen mitgeteilten Versuche nicht für erledigt an und beabsichtigen, unsere Studien nach Be- endieung des Krieges fortzusetzen. Studien zur Theorie der Reizvorgänge. I.—IV. Mitteilung. Von Prof. Dr. August Pütter - Bonn. (Mit 7 Textfiguren.) I. Die allgemeinen Grundlagen der Theorie. Einleitung. Die beiden grossen Gebiete der Physiologie, von denen das eine die physikalischen und chemischen Vorgänge in den. lebenden Systemen, die Erscheinungen des Stoffumsatzes und Stoff- austausches, erforscht, und das andere die Reizerscheinungen zu beschreiben und zu verstehen sucht, stehen in ihren theoretischen Grundlagen zurzeit noch in keinem inneren Zusammenhange. Die: Begriffe der Reizphysiologie, wie Erregbarkeit, Reizschwelle, Er- regung, Hemmung, Bahnung, Lähmung, Ermüdung, Erschöpfung, Erholung usw., haben zunächst nur einen einfach beschreibenden Sinn und behalten ihn zu Recht, gleichviel, ob die bestimmten Vor- stellungen über stoffliche Änderungen besonderer Art, die etwa der einzelne Forscher mit ihnen verbindet, anerkannt oder abgelehnt werden, gleichviel, ob die Forscher überhaupt genauere Vorstellungen über die Vorgänge bei den Reizerscheinungen für nützlich halten oder die Begriffe nur beschreibend aufgefasst wissen wollen. Dass jeder Reizvorgang mit stofflichen Veränderungen im lebendigen System verbunden ist, ist keine besondere Theorie, sondern eine Grundvorstellung ganz allgemeiner Natur. Die Aufgabe, die sich für eine allgemeine Theorie der Reiz- vorgänge ergibt, lässt sich folgendermaassen fassen: ı Die Reizvorgänge sollen aus den Vorstellungen heraus verstanden werden, die wir auf Grund der Er- .forsehung des Stoffumsatzes und Stoffaustausches über die Vor$änge in den lebenden Systemen ge- wonnen haben. 202 August Pütter: Gelingt das, dann erscheint die Theorie der Reizvorgänge nur als spezieller Teil der allgemeinen Theorie der Lebensvoreänge, und die beiden grossen Gebiete der Stoffwechselphysiologie und der Reiz- physiologie sind auf eine gemeinsame Basis gestellt. Als „verstanden“ sollen im folgenden die Vorgänge gelten, die in ihren zahlenmässig erfassbaren Eigenschaften (Richtung, Grösse und zeitlicher Verlauf der Veränderungen) durch ma thematisch formulierte Gesetze darstellbar sind, in denen bestimmte physikalisch-chemische oder physiologische Anschauungen zum Ausdruck kommen. Die Art, wie im folgenden die physiologischen Aufgaben mathe- matisch behandelt werden sollen, unterscheidet sich erheblich von der üblichen Art theoretischer Betrachtungen der Lebensvorgänge. Ich verspreche mir daher keinen Nutzen von einer historisch-kritischen Auseinandersetzung mit den bisherigen Anschauungen über das Ver- hältnis der physikalischen oder chemischen Vorgänge in den lebenden Systemen zu Reizvorgängen und wähle eine rein systematische Form der Darstellung. Der Wert dessen, was die Theorie leistet, lässt sich nieht danach beurteilen, wie weit sie von verbreiteten An- schauungen abweicht oder mit ihnen übereinstimmt, sondern nur danach, inwieweit sie imstande ist, die Beobachtungen über Reiz- voreänge zahlenmässig richtig darzustellen, inwieweit sie es ermöglicht, aus einfachen, mathematisch fassbaren Vor- stellungen heraus Vorgänge zu begreifen und als notwendige Folgen des Stoffumsatzes und Stoffaustausches ab- zuleiten, die bisher nur als gegebene Beobachtungen mehr oder minder unvermittelt nebeneinander standen. 1. Grundannahmen. Der Zustand der lebendigen Systeme ist in jedem Augenblick der Ausdruck für das Verhältnis der Geschwindigkeiten der Vorgänge des Stoffumsatzes (chemische Vorgänge) und des Stoff- austausches (physikalische Vorgänge). Die einzelnen Geschwindig- keiten hängen einerseits von Systembedingungen ab und andererseits von Bedingungen, die unabhängig von den Eigenschaften der Systeme sind, d. h. von äusseren Bedingungen. Besteht eine bestimmte Kombination von äusseren Bedingungen längere Zeit unverändert, so bilden sich in den lebenden Systemen Gleich- gewichtszustände heraus, stationäre Zustände, bei denen keine Beschleunigungen mehr auftreten. Wir können einen solchen Studien zur Theorie der Reizvorgänge, 203 Zustand als „Grundumsatz“ bezeichnen. Wird nun eine oder werden mehrere äussere Bedingungen verändert, so wird dadurch eine oder es werden mehrere Geschwindigkeiten verändert, das Gleich- gewicht wird gestört. Eine Änderung einer äusseren Bedingung, die die Geschwindig- keit eines oder mehrerer Stoffwechselvorgänge verändert, nennen wir einen Reiz. Seine Wirkung erkennen wir in der Störung des Gleich- gewichtes der Vorgänge in der lebendigen Substanz. Eine solche Gleichgewichtsstörung nennen wir einen Reizvorgang, eine Reizung. Es ist hiernach eine Grundannahme der Theorie, dass zwischen den Vorgängen, die im Grundumsatz in den lebenden Systemen ablaufen, und zwischen den Reizvorgängen keine qualitativen Unterschiede bestehen, sondern nur quantitative Unterschiede. Durch diese Annahme werden die Reizvorgänge erst einer mathe- matischen Behandlung zugänglich. Was die Gesetze anlangt, nach denen die Vorgänge in lebenden Systemen, ablaufen, so sollen im folgenden grundsätzlich nur solche Gesetzmässigkeiten angenommen werden, die aus der Physik und Chemie bekannt sind, und zwar reichen wir zunächst aus mit den beiden folgenden Annahmen: Alle chemischen Reaktionen, die bei den Reizvorgängen vor- _ kommen, sind umkehrbare Reaktionen, d.h. sie sind dem Massenwirkuungsgesetz unterworfen, und für alle physikalischen Vorgänge des Stoffaustausches gilt das Gesetz der Diffusion, wo- nach die Menge eines Stoffes, die durch die Einheit des Querschnittes hindurehtritt, proportional dem Diffusionskoeffizienten und proportional dem Konzentrationsgefälle ist. Ausser: den chemischen und physikalischen Eigenschaften der lebenden Systeme muss die Theorie der Reizvorgänge grundsätzlich stets die räumliche Anordnung der Teile des lebenden Systems, d.h. seine Form, berücksichtigen, da sie für die Grösse der Flächen des Stoffaustausches und damit für das Verhältnis der Geschwindig- keiten des Stoffumsatzes und Stoffaustausches von wesentlicher Be- deutung ist. Endlich muss ebenfalls grundsätzlich stets die Grösse des Systems, an dem die Reizvorgänge ablaufen, berücksichtist werden, da die zeitlichen Eigenschaften des Reizvorganges in weitem Maasse von den Abmessungen der reizbaren Gebilde abhängig sind. Damit ein Reizvorgang zustande kommen kann, müssen in den lebenden Systemen Stoffe vorhanden sein, deren physikalische oder 204 August Pütter: chemische Eigenschaften durch die Reize verändert werden. Wir wollen solche Stoffe „sensible Stoffe* oder kurz „S-Stoffe* nennen. Die S-Stoffe bilden ein Glied in der Reihe der Stoffe, die zwischen den Nährstoffen und den Stoffwechselprodukten stehen, d.h. es sind „intermediäre Stoffwechselprodukte“. Wir haben es in der Theorie der Reizvorgänge ausser mit den S-Stoffen selbst noch mit den Stoffen zu tun, die die Vorstufen der S-Stoffe sind, und weiter mit denen, die im Stoffumsatz aus den S-Stoffen entstehen. Wir wollen das Ausgangsmaterial, aus dem die S-Stoffe entstehen, als A-Stoffe bezeichnen, und die Stoffe, die aus den S-Stoffen im Stoffumsatz hervorgehen, wollen wir „Erregungs- stoffe* oder „R-Stoffe“ nennen. Die Grundannahme für die Theorie der Reiz- vorgänge ist nun, dass der Zustand der Erregbarkeit bzw. der Erregung durch die jeweilige Konzentration der R-Stoffe bestimmt ist. Die Menge der A-, $- und R-Stoffe, die in der Zeiteinheit gebildet wird, hängt von der Geschwindigkeit des Stoff- umsatzes ab. Die Konzentration der A-, $- und R-Stoffe, die in jedem Augenblick besteht, hängt ausser von der Geschwindigkeit des Stoff- umsatzes von den Bedingungen des Stoffaustausches (Grösse und Form der reizbaren Gebilde und damit der Flächen des Stoff- austausches) und von der Geschwindigkeit der Vorgänge des Stoff- austausches pro Flächeneinheit ab. Die Änderung der Konzentration der Stoffe mit der Zeit ist eine verwickelte Funktion der Reizintensität, deren Form zu bestimmen, eben die Aufgabe der Theorie ist. Über das Schieksal der R-Stoffe muss noch eine Annahme ge- macht werden: Sie müssen entweder aus dem Raum, in dem sie entstehen, d. h. aus dem Raum, in dem sich die S-Stoffe befinden, entfernt werden oder innerhalb dieses Raumes in eine andere Form umgewandelt werden, in Stoffe, die nicht mehr beim Reizvorgang wirksam sind. Wir reichen vorläufig mit der ersten Annahme aus, dass die R-Stoffe den Raum verlassen, in dem sie aus den S-Stoffen entstehen, und nehmen, unserem oben aufgestellten Grundsatz folgend, an, dass diese Entfernung durch Diffusion entsprechend dem Kon- zentrationsgefälle erfolst. Für die Beziehung der A-, S- und AR-Stoffe zueinander, so- Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 205 En} lange sie in demselben Raum vereint sind, machen wir die Grundannahme (s. o.), dass sie durch umkehrbare Reaktionen mit einander verknüpft sind, nach dem Schema: Ausser 5 mal. 2. Vereinfachungen. s Um die canz allgemein gehaltenen Grundannahmen leichter mathematisch behandeln zu können, bedarf es einiger verein- fachender Annahmen. - Es war von dem Raum die Rede, innerhalb dessen eine Um- wandlung von 4-Stoffen in S-Stoffe und von S-Stoffen in ‚R-Stoffe erfolst. Diesen Raum wollen wir den „Reizraum“ nennen und haben im allgemeinsten Falle darunter irgend einen Teil der lebenden Zelle zu verstehen, der nach allen Seiten im Stoffaustausch mit den umgebenden Teilen des Systems steht. _ Werden in einem soichen „freien“ Reizraum die S-Stoffe unter der Wirkung eines Reizes mit grösserer Geschwindigkeit als vorher im Grundumsatz in R-Stoffe umgewandelt, so müssen aus allen um- gebenden Teilen der Zelle S-Stoffe nach der Stelle des rascheren Umsatzes hindiffundieren, es muss in der Umgebung der gereizten Stelle die Konzentration der S-Stoffe abnehmen und’ damit die Ge- schwindigkeit der Nachlieferung der S-Stoffe durch die A-Stoffe zu- nehmen. Es müssen weiter die A-Stoffe, die in vermehrter Menge entstehen, und deren Konzentration dadurch an der gereizten Stelle zunimmt, nach allen Seiten wegdiffundieren. Dieser allgemeinste Fall der Vorgänge im freien Reizraum ist recht verwickelt, und es wäre eine grosse Vereinfachung, wenn wir Systeme hätten, bei denen sich der Reizvorgang entweder in der sanzen Zelle oder in einem fest umgrenzten Teil der Zelle, in einem Reizraum von konstanter Form und Grösse abspielt, und zwar in allen Teilen des Reizraumes gleichzeitig. Es soll hier zunächst nur von dem primären Reizvorgang die Rede sein, von den Veränderungen, die unmittelbar unter der Wirkung des Reizes vor sich gehen, und an die sich dann weiter die Erscheinungen der Erregungsleitung und die Tätigkeit von Er- folesorganen anschliessen. Wir kennen nun tatsächlich Systeme, bei denen der primäre Reizvorgang auf bestimmt gestaltete Teile der Zelle beschränkt ist, 206 August Pütter: Fälle, in denen nur ein bestimmter Zellteil S-Stoffe enthält. Solche Systeme finden sich unter den spezifischen Zellen der verschiedensten Sinnesorgane. Die erste Vereinfachung besteht also darin, dass wir den primären Reizvorgang nieht an indifferenten Zellen untersuchen, die in ihrem „ganzen Zellkörper für alle möglichen Reizarten erreebar sind, sondern an Sinneszellen, und dass wir bei diesen auch nur die Erregung durch adäquate Reize betrachten. Eine weitere Vereinfachung, die für die erste Bearbeitung nütz- lich ist, liegt in der Wahl der Reizart. Wir wollen zunächst den Verlauf der Vorgänge darstellen, die sich unter der Wirkung eines Reizes vollziehen, der im Beginn der Reizung sogleich auf seine volle Intensität anschwillt und daun be- liebig lange mit konstanter Intensität einwirkt, so lange, dass sich ein neuer Gleichgewichtszustand ausbilden kann. Da müssen wir sogleich auf ehemische Reize verzichten, denn bei ihnen ist der zeitliche Verlauf der Intensität, die am sensiblen Element wirkt, in verwickelter Weise von der Konzentration und Menge der Stoffe und von der Zeit abhängie. Ähnlich liegen die Dinge für Temperaturreize. Es bleiben also übrig: mechanische Reize, elektrische Reize und Lichtreize. ! Unter den mechanischen Reizen genügt der Druckreiz den An- forderungen, die wir stellen, mas er in Form des Schwerkraft- oder: Zentrifugalreizes ausgeübt werden oder als Druck eines festen Körpers, der ohne Bewegung den reizbaren Elementen aufliest. Dagegen soll der Schallreiz wegen seiner besonderen Form zunächst ausscheiden. ; Von der Verwendung elektrischer Reize müssen wir zunächst sanz absehen, denn für sie ist bezeichnend, dass sie für kein lebendes. System den adäquaten Reiz darstellen, so dass wir nirgends Sinnes- organe für ihre Aufnahme finden. Auch reizen sie die lebendigen Systeme nie in ihrer ganzen Ausdehnung, vielmehr geht die Reizung (in pölar verschiedener Weise) von eng begrenzten Stellen aus, und wir haben hier alle die Verwicklungen, die sich aus dem Stoff- austausch im freien Reizraum ergeben, so dass der Verlauf der: Erregungen durch den elektrischen Strom nur gemeinsam mit der oben angedeuteten Theorie des allgemeinsten Falles der Beizupz behandelt werden kann. Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 207 In idealer Weise genügt das Licht als Reiz allen Anforderungen eines einfachen Falles. Wir denken zunächst an eine Stäbchen- oder Zapfenzelle der menschlichen Netzhaut und wollen die Vor- sänge verfolgen, die sich an ihr abspielen, wenn sie dauernd mit Licht von bestimmter Intensität gereizt wird. Den Reizraum bildet, wie wir aus experimentellen Erfahrungen wissen, das Aussenglied der Stäbchen- oder Zapfenzelle.e. In ihm müssen also die A-, S- und R-Stoffe vorhanden sein. Die Aussenfläche des Stäbchens sehen wir als undurchlässig für die A- und S-Stoffe an, dagegen als durchlässig für die R-Stoffe. Bei völliger Abwesenheit von Licht laufen in dem Stäbchen oder Zapfen die Vorgänge des Grundumsatzes ab, d.h. es entstehen dauernd S-Stoffe aus A-Stoffen, es gehen dauernd S-Stofie in R-Stofte über, und diese diffundieren dauernd aus dem Aussengliede des Stäbehens hinaus. Das Gleichgewicht, das im Dunkeln besteht, ‘wird bei Zutritt von Licht dadurch gestört, dass die S-Stoffe mit erösserer Ge- schwindigkeit in R-Stoffe verwandelt werden. Es muss also zunächst die Konzentration der AR-Stoffe steigen. Dadurch nimmt aber auch die Menge der A-Stofie zu, die pro Zeiteinheit das Aussenglied des Stäbehens verlassen, und dieser vermehrte Abfluss verhindert, dass die Konzentration unter der dauernden Wirkung des konstanten Reizes dauernd steist. Es muss sich an einen Anstieg der Kon- zentration der A-Stoffe ein Gleichgewichtszustand anschliessen, der dureh eine, gegenüber dem Grundumsatz erhöhte, aber mit der Zeit nicht mehr veränderliche Konzentration der R-Stoffe aus- gezeichnet ist. ; 3. Das Modell. Um die Aufgabe leichter vorstellbar zu machen, die darin liest, die jeweilige Konzentration der S-Stoffe und AR-Stoffe als Funktion der Reizintensität (J) und der Zeit (f) darzustellen, ist es zweck- mässig, ein Modell zu ersinnen, an dem der Verlauf der Vorgänge zu übersehen ist. Es drängt sich der Vergleich mit einem Gefäss auf, in das Wasser einfliesst und aus dem gleichzeitig durch eine Öffnung im Boden Wasser ausfliesst. Das hydrodynamische Modell würde aber, wenn es ausgeführt würde, keine zahlenmässig richtige Darstellung der Vorgänge ergeben können, denn die Ausflussgeschwindigkeit aus dem Loch im Boden des Gefässes wäre in jedem Augenblick pro- 208 August Pütter: portional der Wurzel aus der Höhe der Wassersäule, während es sich in dem Falle, den das Modell erläutern soll, um die Diffusion eines gelösten Stoffes handelt, deren Geschwindigkeit der Höhe des Konzentrationsgefälles proportional ist. Da wir die Konzentration der AR-Stoffe ausserhalb des Reizraumes als nahezu Null ansehen könneu, so ist die Menge, die pro Flächeneinheit den Reizraum verlässt, proportional der jeweiligen Konzentration. Die Konzentration stellen wir im Modell durch die Höhe der Wasser- säule dar, und wir müssen dementsprechend in den Gleichungen, durch die die Veränderungen an dem Modell beschrieben werden sollen, die Ausflussgeschwindigkeit stets proportional der Höhe der Wassersäule setzen. Dadurch wird das Modell zu einem „Ge- .dankenmodell“, das nur als Hilfsmittel der Vorstellung zweckmässig ist. Man könnte natürlich auch von der Benutzung des Modells ab- sehen und unmittelbar aus den physikalischen und physikalisch- chemischen Bedingnngen des reizbaren Gebildes heraus die Formeln ent- wickeln. Da sich mir aber das Modell zur Erleichterung der eigenen Vor- a stellung und vor allem auch zur Ver- ständieung mit einem mathematischen Fachmann sehr gut bewährt hat, halte ich es für zweckmässig, auch in der Darstellung nicht auf dieses Hilfs- “mittel zu verzichten. Das Modell ist folgendermaassen beschaffen: In einem Gefäss 0 (Fig. 1), dessen Höhe a ist, befindet sich Wasser bis zur Höhe &. Der Wasserzufluss zu dem Gefäss ist so geregelt, dass er nur oberhalb der oberen Grenze der Wassersäule, also nur auf der Strecke (a—x) stattfindet. Seine Grösse ist proportional der Strecke (a—x) und proportional einem Faktor p, der die Grösse des Zuflusses pro Einheit der Strecke misst. Am Boden des Gefässes befindet sich ein Loch, durch das das Wasser ausfliesst. Der Ausfluss ist proportional der Höhe der Wasser- 'säule x und dem Faktor q, der von der Grösse des Loches abhängt. Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 209 Aus dem Gefäss O fliesst das Wasser in das Gefäss U, das eleichfalls am Boden ein Loch hat. Der Einfluss in das untere Gefäss ist eleich dem Ausfluss aus dem oberen, der Ausfluss aus dem unteren ist proportional der jeweiligen Höhe des Wasserstandes jn U, die wir y nennen, und proportional dem Faktor r, dessen Grösse von der Grösse der Ausflussöffnung abhängt. Die Aufgabe ist: Es sollen die jeweiligen Höhen des Wasser- standes in OÖ und U, also die Grössen © und y, als Funktionen der Zeit t dargestellt werden. Die Aufstellung und Integration der Differentialgleichungen, die zur Lösung dieser Aufgabe nötig sind, gingen über meine mathe- matischen Kenntnisse hinaus. Ich leete daher Herrn Geheimrat‘ Study die Aufgabe vor, mit der Bitte, sie zu lösen. Durch die freundliche Unterstützung, die ich bei ihm fand, ist es mir möglich eeworden, den Plan zur Bearbeitung der Theorie der Reizvorgänge durchzuführen, denn aus den Gleichungen, die die Lösung dieser Aufgabe darstellen, lassen sich die wichtigsten Folgerungen ziehen. Ihre Erweiterung ermöglicht die Bearbeitung einer Reihe von Auf- ‚gaben der theoretischen Physiologie. Herrn Geheimrat Study meinen herzlichsten Dank für seine wertvolle Hilfe an dieser Stelle zum Ausdruck zu bringen, ist mir ‚ein lebhaftes Bedürfnis. Die Lösung der Aufgabe hat folgende Form: Der Einfluss in das obere Gefäss ist: p-(a—a)dt I0O10 h : 2 er @ N Zi I<20 Yu = | | ; Au 5 R us De mr a . Fig. 2. \ Als Beispiel wählen wir aus den oben entwickelten Gründen eine Lichtsinnzelle im menschlichen Auge. Die Zeiten, die den verschiedenen Intensitäten zugeordnet sind, wenn die Schwelle gerade erreicht wird, müssen in einem bestimmten. zahlenmässieen Verhältnis stehen, das sich aus der Theorie ab- leiten lässt. Stimmen diese theoretisch berechneten Zeiten mit den beobachteten. überein, so müssen wir das als einen Beweis für die Richtigkeit oder wenigstens für die Zweckmässigkeit der theoretischen Annahmen be- Die Berechnung gestaltet sich folgendermaassen: Wir gehen von der Gleichung 6) aus und setzen in ihr 9, = 0,01 und r—=0\1. Wir wollen ferner annehmen, dass in unserem Beispielsfall die Reiz- schwelle erreicht sei, wenn J=1,0 ist. Dann erhalten wir die Gleichung: 2) 0,1e 1,01+0,01J 0,91 +0,01J die für J=1 und t=& die Lösung ergibt: 0,2 - 100 Y—— 1.0.0003 19,61. 100 — e- 1140 N:1 d- ul Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 217 Das bedeutet: Die Reizsenwelle soll erreicht sein, wenn die Konzentration der AR-Stoffe im Reizraum y = 19,61 geworden ist. Dadurch, dass wir für g, und r bestimmte, zunächst beliebige, Zahlenwerte eingesetzt haben, ist auch die Höhe der Konzentration der Stoffe im Grundumsatz bestimmt. Sie beträgt y=9,9, wie man leicht findet, wenn man die Gleichung 6) J=0 und t=o, sowie die Zahlenwerte für 9, und r einsetzt. Die Reizintensität J—=1 war oben dadurch definiert, dass sie den Wert von g, verdoppelt. Dass diese Intensität die des Schwellen- reizes ist, wie wir es eben angenommen haben, ist eine willkürliche Festsetzung zum Zweck der Durchreehnung eines Beispielsfalles. Die Bedinsung für die Erreichung der Schwelle ist nunmehr gegeben durch die Gleichung 10): Eee) Be _ moiHo0 At 9 een lı 0,91+0,017°° .+d.er 1 \ en re RO): Um aus ihr die Zeit Z, die erforderlich ist, um unter der Wirkung der Reizintensität J die Konzentration y=19,61 zu erreichen, müssen wir noch die Integrationskonstanten ce und d berechnen, die dureh den Anfangszustand bestimmt sind. Da es sich um eine absolute Schwellenreizung handelt, die ‚bei völlig dunkeladaptiertem Auge stattfindet, so ist der Anfangs- zustand der des Grundumsatzes, und zwar haben die Grössen x, und %, die zur Berechnung der Konstanten e und d nötig sind (S. 0.), den Zahlenwert, den x und y bei Reizung mit der Reizintensität J—=(0 nach unendlich langer Zeit erreichen. Es ist also: 1 | in — Eon 99,0 N 100 - 0,01 A 0,1 (1 + 0,01) Daraus ergibt sich nach Gleichung 9) der Wert: c—= 99 [1 + 0,01 (1 + J)] — 100 und d ist nach Gleichung 7) zu berechnen: 0,01(1+J) c-0,1 O1 +0,01 A 1004 Dear) A oder aufgelöst nach d: 99 [1,01 + 0,01 J] = 1a] SSL 99 = IE BOOT 0 Sl a rl. GN Oo LT hin 218 August Pütter: Die folgende Tabelle 1 gibt für eine Reihe Werte von J die Zahlenwerte von c und d und, nach Gleichung 10) berechnet, die Zeit t, während welcher die Reizintensität J wirken muss, um die Konzentration der Schwellenreizung zu erzeugen. Die Gleichung 10) ist eine transzendente Gleichung, die durch Probieren zu lösen ist. Die Berechnung gestaltet sich aber doch recht einfach, einmal dadurch, dass für kleine Werte von J und grosse Werte von Z das zweite Glied des Ausdrucks in der Klammer verschwindend klein wird, wodurch die Gleichung zu einer einfachen Exponentialgleichung wird, und ferner dadurch, dass man bei den grösseren Werten von J und kleineren von ? aus den vorhergehenden Zahlen für © schon ungefähr die Lösung kennt, so dass man stets. leicht ein Wertepaar von £ findet, von denen der eine einen zu hohen, der andere einen zu niederen Wert ereibt. Zwischen beiden wird dann linear interpoliert. | Tabelle 1. a | a | a | ei | Dei 1,000 — — 0) 0) 1,01 0,9899 — 49,650 46,8 47,80 1,05 1,0295 — 50,316 30,7 32,24 1,10 1,079 — 51,750 24,0 26,40 1,20 1,178 — 53,882 18,1 21,72 1,50 1,475 — 59,250 11,0 16,50 2,00 1,970 — 65,198 7,2 14,40 3,00 2,960 — 73,944 4,23 12,69 4,00 3,95 — 79,194 3,09 12,36 3,00 4,94 — 82,000 2,38 11,90 6,00 9,93 — 84,256 1,88 11,28 7,00 6,92 — 85,935 1,54 10,50 10 9,89 — 89,030 1,07 10,70 B} 29,69 — 93,364 0,35 10,50 40 39,59 — 93,575 0,26 10,40 50 49,49 — 93,559 0,208 10,40 100 98,99 — 92,950 0,108 10,80 200 197,98 — 91,324 0,055 11,00 300 494,95 — 90,437 0,0224 11,20 1000 989,99 — 89,830 0,0114 11,40 Um die Ergebnisse der Rechnung bequem mit den experimentellen Erfahrungen vergleichen zu können, ist im Stabe 5 der Tabelle 1 das Produkt von Intensität und Zeit J - Zt gebildet. Wie die Tabelle 1 zeist, ist dieses Produkt für die Reizintensität J=:1,0 unendlich gross: Der Reiz bewirkt ja nie eine Erregung, wie lange er auch wirken mag. Für einen Reiz, der den Schwellen- SET ED a ST re a ET tie: Seas Ent Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 2319 reiz nur um 1°/o übertrifft, beträgt das Produkt 47,3. Es fällt dann rasch, beträgt bei J—=1,1 nur noch 26,4, bei J—=2,0 nur 14,4 und erreicht bei J=40 mit dem Wert 10,4 sein Minimum. Nun steigt das Produkt wieder ganz langsam, so dass es für J—= 1000 erst 11,4 beträgt. Diesen Wert überschreitet das Produkt praktisch auch bei den höchsten Werten von J nicht mehr. Wir hatten in diesem ersten Beispielsfall die Annahme gemacht, dass der Schwellenreiz ein Reiz von der Intensität wäre, dass er den Wert von q, verdoppelt, wodurch die Konzentration der R-Stoffe von 9,9 auf 19,61, also fast auf das Doppelte, steigt. Diese An- nahme ist willkürlich. Um ihren Einfluss auf das Resultat ab- schätzen zu können, wollen wir die Rechnung für zwei andere Fälle durchführen. Wir wollen einmal annehmen, dass die Reizschwelle schon er- reicht sei, wenn die Konzentration der AR-Stoffe von 9,9 auf 10,89 (d. h. um 0,99) zunimmt, d. h. wir wollen annehmen, dass dem Schwellenreiz der Zahlenwert 0,1 zugeordnet ist. Die folgende Tabelle 2 eibt für einige Intensitäten die Werte von c und d, die Reizzeiten ? und das Produkt J - i. Die Reizintensität ist ausser in dem Maasse, das sich aus den theoretischen Festsetzungen ergibt, auch in Vielfachen des Schwellenwertes ausgedrückt. Tabelle 2. Reizintensität J Konstanten | : > Reizzeit Afen in in Vielfachen |- 2 Er theoretischem | des Schwellen- a = Maass reizes EUR 0,100 1,00 — u 6) — 0,131 Ianl 0,2297 —- 11,395 14,6 1,92 0,145 1,45 0,1336 — 12,536 12,0 1,74 0,172 1,72 0,1603 — 14,520 8,85 1,52 0,199 le) 0,1870 — 16,420 7,0 1,39 0,224 2,24 0,2118 — 18,105 6,1 1,36 0,506 5,06 0,5010 — 33,23 2,24 1,13 In derselben Weise ist Tabelle 3 berechnet für den dritten Bei- spielsfall, in dem angenommen ist, dass die Nullschwelle erreicht wird, wenn y= 100 geworden ist, d. h. wenn der Schwellenreiz den Wert J= 10,11 hat. Eine Übersicht über die Resultate der Rechnung gewinnt man 220 August Pütter: am leichtesten durch eine bildliche Darstellung, wie sie Fig. 3 gibt. Die Koordinaten sind beide in logarithmischem Maassstabe gezeichnet, damit die Anfangsteile der Kurven, die am bemerkenswertesten sind, genauer dargestellt werden können. Als Abszissen sind die Reiz- intensität in Vielfachen des Schwellenwertes genommen, als Ordinaten die Produkte von Intensität und Zeit, und zwar so, dass das Produkt stets als einstellige Zahl dargestellt ist, und nicht so, dass die Werte aus Tabelle 2 als einstellige, die aus Tabelle 1 als zweistellice und die aus Tabelle 3 als dreistellige erscheinen, denn es kommt ja nur auf das Verhältnis der Werte von J-Z bei verschiedenen Inten- sitäten an. Tabelle 3. Reizintensität J — REN a Reizzeit fa im theoretischen in Vielfachen ge m Maass | des Schwellenreizes 10,11 1,0000 6) 6.) 10,15 1,0049 57 579 10,20 1,009 49 500 10,50 1,049 3 LT 11,0 1,09 26 286 12,0 1,18 19,2 232 15,0 1,49 12,0 180 20,0 1,99 7,9 158 30 3 4,87 146 40 4 3,63 145 50 5 2,81 140,5 100 10 1,5 150 200 20 0,78 156 1000 100 0,20 200 Die Kurve «a stellt den Fall dar, dass eine Erhöhung um 10 °o (Tabelle 2), Kurve b (Tabelle 1), dass erst die Verdoppelung und Kurve c (Tabelle 3), dass eine Erhöhung der Konzentration auf das Zehnfache der Ruhekonzentration der R-Stoffe, also ihres Wertes im Grundumsatz, eine Schwellenreizung macht. Für die Kurve b war schon darauf hingewiesen, dass der Wert J-t ein Minimum erreicht, wenn J - 40—50 ist und dann für höhere Werte von J wieder ein wenig steigt. Diese Eigentümlichkeit ist in Kurve ce noch ausgesprochener. Sie erreicht das Minimum schon bei dem fünffachen Schwellenwert und steigt nicht unbeträcht- lich wieder an. Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 99] In Kurve a kommt ein soleher zweiter Anstieg nicht mehr in merkbarer Weise zustande. Der Verlauf ist dem der Kurve b sehr ähnlich. Ei ee ERGBHanN “ae HH | EHE BERBREINNN | JE] EEEEEESEERE ; . dass, wenn die Reizzeit länger als 0,5—0,6 Sekunden ist, din Lichtintensität, die eine eben merkliche Erregung bewirkt, nicht mehr weiter sinkt, dass also bei einer Reizzeit von 0,5—0,6 Sekun- den die Intensität des Schwellenreizes das Minimum erreicht. Wenn man berücksichtigt, dass die unvermeidlichen Fehler in der Bestimmung der Schwellen kaum geringer als 10% sein werden, so ersieht man, dass diese Beobachtungen qualitativ mit dem übereinstimmen, was die Theorie erfordert: Für hohe Reizintensität, d. h. bei Reizen, die stärker als der sechsfache Wert des Schwellen- reizes sind, ist das Produkt J-t zwar nicht konstant, aber die Unterschiede der Werte liegen innerhalb der Fehlergrenzen der Be- obachtungen (10 °/o Fehler, d. h. 10,4—11,4 s. Tabelle 1). Dann folgt ein Intervall, innerhalb dessen das Produkt J mit abnehmender Reizintensität bis zur Schwellenintensität wächst. Reize, die unterhalb der Schwelle liegen, können natürlich durch keine Verlängerung der Reizzeit überschwellig gemacht werden. Den Prüfstein für die Theorie stellen aber die zahlen- mässigen Verhältnisse von J und ? dar, wenn ? zwischen 0,05 und 0,5 Sekunden liest. Die Zahlen hierfür hat v. Kries!) festgestellt. Nach seinen Untersuchungen hat das Produkt von Reizintensität und Zeit, das eben hinreicht, um eine Helligkeitsempfindung im menschlichen Auge auszulösen, folgende Werte: Tabelle 4. 3 Intensität Produkt aus Zeit in Sekunden Intensität und Zeit r in beliebigem Maass J»t J 0,79 0,05 15,80 0,366 0,125 00 1,038 0,166 6,20 1,074 0,200 5,97 1,132 0,250 4,51 1,352 0,333 4,08 1,500 0,500 3,00 1,944 0,600 3,24 Werden die Versuche auf längere Zeit als auf es Sekunden ausgedehnt, so sinkt die Intensität, die zur Schwellenreizung hin- reicht, nieht mehr, d. h. die Intensität 3,0—3,24 oder im Mittel 1) v. Kries, Über die zur Eıregung des Sehorgans erforderlichen Energie- mengen. Zeitschr. f. Sinnesphysiol. Bd. 41 S. 373—394. 1907. SQ 1 n a7 a 1 9 c Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 233 3,12, die in 0,5 Sekunden noch eine Reizwirkung hervorruft, ist nur noch unmerklich von der Reizschwelle verschieden. Wir setzen also den Wert 3,12— 1,0 - J und bezeichnen das Produkt 3,12 - 0,55 = 1,716 als 1,00. Es ergeben sich dann die beiden ersten Stäbe der Tabelle 5. Im dritten Stabe sind die berechneten Werte für J-t ein- getragen, die den Annahmen entsprechen, die wir oben in Tabelle 2 machten, und der Vergleich mit dem vierten Stabe, in dem die Differenz zwischen Beobachtung und Berechnung in Prozenten aus- gedrückt ist, zeigt deutlich, wie ausgezeichnet die Theorie die be- obachteten Zahlen darzustellen vermag. Für J=1,00 gibt die Theorie natürlich als Produkt J - £ den Wert ©. Der beobachtete Wert 217 entspricht einer Intensität von 1,15. Die Fehler überschreiten nicht 3°o in jeder Richtung, d.h. im ganzen 15%, was mit der erfahrungsmässigen Ungenauigckeit derarttiger Beobachtungen übereinstimmt. Tabelle 5. Produkt JH, i Reizintensität i A se enz : beobachtet | J ee berechnet Prozenten 1,00 2,17 ee en 1losal 1,96 1,92 — AN) 1,45 1,65 1.74 rn 1,72 1,59 1,52 —_ 44 1,99 ol! 1,39 — 7,9 2,24 1,27 1,36 ro 5,06 1,14 1,13 N) Wollten wir die Werte der Tabelle 1 zum Vergleich heran- ziehen, so würde sich eine schlechtere Übereinstimmung ergeben. Die Fehler würden grösser sein, und zwar würden die berechneten Werte für die kleinen Reizintensitäten durchweg zu niedrig sein, während die Zahlen der Tabelle 2 eine ausgezeichnete Ausgleichung der beobachteten Werte ergeben. Das menschliche Auge verhält sich also bei Schwellenreizung so, als ob die Konzentration der A-Stoffe, die im Grundumsatz (im Dunkeln) vorhanden ist, 9,9 Einheiten betrüge und eine Zunahme um 0,99 Einheiten notwendig und hinreichend wäre, damit eine merkliehe Erregung zustande kommt. Da der höchste Wert, den die Konzentration der R-Stoffe theo- retisch erreichen kann, 1000 Einheiten beträst, so würde die Kon- zentration im Grundsatz nur 1: 101 dieses Grenzwertes sein. » 224 August Pütter: Die Erfahrungen über die Intensität des Reizes, der eine eben merkliche Erregung bewirkt, und über seine Abhängigkeit von der Zeit liessen sich bisher nicht in einheitlicher Form darstellen. Man musste zunächst die beiden Fälle einander gegenüberstellen, in denen ‚die Reizintensität unabhängig von der Reizdauer ist (für Reizdauern von >0,5 Sekunden), und in dem sie umgekehrt proportional der Reizdauer ist (für Reizdauern von <0,05 Sekunden). Zwischen diese beiden Fälle schiebt sich, wie v. Kries!) schon 1904 vermutete und später experimentell erwies (s. o.), ein Gebiet, in dem eine ver- wiekeltere Abhängickeit zwischen Reizintensität und Reizzeit besteht. Aus meiner Theorie der Reizvorgänge ergibt sich die Abhängigkeit der Reizintensität von der Zeit in sanz allgemeiner Weise. Als Grenzfall erscheint der Fall, dass die Reizintensität — innerhalb der Fehlergrenzen — umgekehrt proportional der Reizzeit ist, und ebenso der andere Fall, dass die Reizintensität unabhängig von der Reizzeit ist. Die Theorie gibt ‘aber nicht nur die Grenzfälle, sondern auch das da- zwischenliegende Gebiet, und zwar — das ist grund- sätzlich wichtig — zahlenmässig richtig. Die Theorie lässt erkennen, dass die Zeit, die zur Schwellen- reizung nötig ist, eine Exponentialfunktion der Reiz- intensität ist. Für das menschliche Auge drängt sich die Erkenntnis ohne weiteres auf, dass die Regel, nach der J - t für Schwellenreize einen konstanten Wert haben soll, nur beschränkte Bedeutung haben kann. Bei pflanzlichen Objekten liest die Sache anders. Durch eine Reihe experimenteller Untersuchungen wurde hier der Nachweis versucht, dass in weitesten Grenzen das Gesetz der eben merklichen Reizung durch die Gleichung J - t= constans aus- gedrückt sei. Die graphische Darstellung dieser Beziehung ergibt eine Hyperbel, und deshalb bezeichnete Fröschel diese Form des Gesetzes der Nullschwelle als „Hyperbelgesetz“. Nach der hier vertretenen Auffassung handelt es sich bei dem E Hyperbelgesetz nicht um ein Gesetz, sondern um eine Näherungsformel, die für einen Grenzfall mit hinreichender ‘Genauigkeit erfüllt ist. 1) Nagel’s Handbuch Bd. 3 erste Hälfte S. 247. Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 295 Betrachtet man kritisch die Beobachtungstatsachen, auf die sich ‚das Hyperbelgesetz begründet, so ergibt sich folgendes: Die grössten Zahlenreihen gibt Blaauw!) für die heliotropische Krümmung der Keimpflanzen von Avena sativa. Das Produkt von Intensität und Zeit, das nach seinen Anschauungen konstant sein und 21 Meterkerzensekunden betragen soll, schwankt tatsächlich zwischen 16,2 und 27,5 M.K.S., d. h. der höchste Wert ist um 70% höher als der geringste. Bei keiner der angewandten Reizintensitäten überwiegen deutlich die höheren oder niederen Werte, wenn auch Hindeutungen auf einen bestinnmten Gang vorhanden zu sein scheinen. Man wird also . zunächst annehmen müssen, dass Fehler von 70°/o innerhalb des Bereichs der Möglichkeit bei diesen Unter- suchungen liegen. Würde das Verhalten der Haferpflänzchen dem Beispielsfalle 3 (s. Tabelle 3) entsprechen, so würde bei einer Reizintensität, die die Schwellenintensität um das Fünffache übertrifft, das Minimum des Produktes J - t liegen. Sein Zahlenwert ist 140,5. Werte bis zu dem Betrage 1,7 - 140,5 — 240 würden innerhalb der Fehler- erenzen liegen, d. h. eine Abweichung, die diese Grenzen über- schreitet, würde bei Steigerung der Reize überhaupt nicht erreicht werden und bei einer Herabsetzung erst dann, wenn die Reiz- intensität schwächer als 1,18 der geringsten erresenden Intensität würde, denn für J—=1,18 hat das Produkt erst den Wert 232. Es wäre also mit einer Methode, die Fehler von 70°/o nicht zu ver- meiden gestattet, eine Abweichung von der Interpolationsformel, die als Hyperbelgesetz bezeichnet wird, gar nicht feststellbar. Etwas günstiger würden die Verhältnisse liegen, wenn die Er- regungsvorgänge dem Beispielsfall der Tabelle 1 entsprächen. In diesem Falle würde etwa bei der Reizintensität J== 1,5 die Fehler- erenze überschritten werden. Vielleicht ist die Deutung der Zahlen aber noch verwickelter, denn es wäre wohl möglich, dass bei der sehr langen Dauer der Reizversuche mit schwachen Reizen (Reizzeit über 40 Stunden) Änderungen der Erregbarkeit der Pflänzchen, die vom Entwicklungs- zustande oder von der Umstimmung abhängen, in Betracht kämen. Als erkennbare Abweichung von der Regel der konstanten Pro- . 1) A. H. Blaauw, Die Perception des Lichtes. Recueil des Travaux Botaniques Neerlandais vol. 5 p. 209. F. E. Macdonald, Nijmegen 1909. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 15 936 August Pütter: dukte der Reizintensität und Reizzeit kann man den Fall der Licht- reizung von Phycomyces nitens auffasen, den gleichfalls Blaauw beschreibt. Seine Zahlen sind in der folgenden Tabelle & enthalten. Tabelle 6. Phyeomyeces nitens. Zeit der Reizung Intensität in Produkt J- t in Dekund on Meerkeraen in M.K.S. in relativen Werten 0,0025 44.000 110 100 0,010 11000 110 100 100 0,044 2444 107 97 1,580 3 115,5 105 } 100,0 1,46 146 133 Wenn man nach der guten Übereinstimmung der Versuche, die mit Intensitäten von 44000 bis 73 Meterkerzen angestellt wurden, die Versuchsfehler in diesem Falle nur auf 10° schätzt, so würde das Resultat des Versuches mit 1,46 M.K. als deutliche Abweichung von. der Regel des konstanten Produktes erscheinen, und man müsste, je nachdem man den Beispielsfall Tabelle‘ 1 oder 3 annimmt, der Reizintensität von 1,46 M.K. den relativen Wert 2,0 bzw. 1,4 bis 1,5 zuschreiben. Eine Ausdehnung der Versuche auf Reizintensitäten von weniger als 1,46 M.K. müsste dann ein rasches Anwachsen des Produktes J : t ergeben. Sollte der Wert J- t=133 (relativ): noch innerhalb der Fehlergrenzen liegen, so ergäbe sich für diesen Fall dieselbe Kritik wie für den ersten, d. h. es würde die Methode zu grob erscheinen, um das Anwachsen des Produktes J-t bei schwachen Reizen erkennen zu lassen. Dasselbe gilt für Fröschel’s!) Untersuchungen an Lepidium sativum, die mit Fehlern von 48°/o behaftet sind. Es liest also keine Veranlassung vor, in den Erfahrungen der Pflanzenphysiologie eine Widerlesung der allgemeinen Anschauungen zu sehen, die hier entwickelt werden, und die nicht auf das mensch- liche Auge zugeschnitten sind, sondern eine ganz allgemeine Be- arbeitung der Reizvorgänge anstreben. Die Forderung, dass als Grenzfall — und nur als Grenzfall — 1) Paul Fröschel, Untersuchung über die heliotropische Präsentations- zeit. (I. Mitteilung.) Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wiss. in Wien. Math.-nat. Kl. Bd. 117 Abt. I. Wien 1918. Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 297 das Produkt J - ? einen praktisch konstanten Wert annehmen muss, ergibt sich ja ohne weiteres aus der Theorie, und die Erfahrungen an Pflanzen wie am menschlichen Auge bestätigen sie. Die Gültig- keit der Grenzfallregel reicht um so weiter, je grösser die Versuchs- fehler der Schwellenbestimmungen sind. Ausser für den Lichtreiz ist für Pflanzen auch für den Reiz, den die Beschleunigung der Schwere ausübt (geotropische Reaktionen), aus den Untersuchungen von Fitting und von Bach zu ersehen, dass im Grenzfall J - = constans wird. Es bedarf noch eines Wortes der Erläuterung dafür, dass es möglich ist, die Verhältnisse der Reizung von Pflanzen und des menschlichen Auges durch dieselbe Formel zahlenmässig zu erfassen. Es liest das an der Wahl der Einheiten der Reizintensität und der Zeit, die wir festgesetzt haben, und deren Zweckmässigkeit sich hier erweist. Die Reizintensität wird in Vielfachen des Schwellen- reizes ausgedrückt oder in dem theoretischen Maass, in dem als Einheit der Wert gilt, der die Reaktionskonstante q, verdoppelt. Als gleich sind damit Reize bezeichnet, die gleiche Wirkungen in bezug auf den Stoffwechsel ausüben, die aber, physikalisch be- trachtet, sehr verschieden sein können und in den Fällen der Licht- reizung des menschlichen Auges und des Pilzes Phyecomyces tat- sächlich sehr verschieden sind. Als Einheit der Zeit definierten wir die Zeit, in der die Einheit der S-Stoffe aus den A-Stoffen entsteht, wenn die Konzentration der S-Stoffe-um eine Einheit vom Grenzwert (a) verschieden ist. Wie lang im einzelnen Falle diese Zeit ist, lässt sich leicht ab- leiten: Wir kennen ja für die verschiedenen Reizintensitäten die Reizzeiten in relativem und in absolutem Maass. Die folgende Tabelle 7 gibt die Berechnung der Zeiteinheit für das menschliche Ause. Der Intensität, die im ersten Stabe aufgeführt ist, entspricht Tabelle 7. e En } EARERL Absolute Reizzeit Länge der Relative Intensität | Relative Reizzeit inSekanden Beseinhei ine 5,06 23,6 0,050 2.209 2,24 56,5 0,125 2,22 1,99 76,0 0,166 2,18 1,72 93,0 0,200 2,15 1,45 114,0 0,250 2,20 R 1,31 150,0 0,330 2,20 228 August Pütter: die relative Reizzeit, die der zweite Stab gibt. In absolutem Maass hat diese Zeit die Länge, die der dritte Stab enthält, woraus sich ohne weiteres die Länge der Zeiteinheit (letzter Stab) ergibt. Die Länge der theoretischen Zeiteinheit beträst danach für das menschliche Auge 2,20. | Für den Pilz Phyeomyces würde .die Zeiteinheit 1,5 Sekunden betragen, wenn wir der Reizintensität von 1,46 M.K. den relativen Wert 2,0 geben, d. h. die Zeiteinheit ist für ihn 680 mal so lang wie für den Stäbchenapparat des menschlichen Auges. Diese Ausführungen stellen keine vollständige Bearbeitung der Theorie der Nullschwelle dar, denn sie erörtern nur die Be- dingungen, unter denen die eben merkliche Erregung eintritt, wenn der Reiz im Augenblick {= 0 vom Werte Null auf den endgültigen Wert anschwillt und dann konstant auf diesem verharrt. | Für diesen Fall kamen wir mit der Formulierung aus: Die Null- schwelle wird erreicht, wenn die Konzentration der R-Stoffe eine gewisse Höhe überschreitet. Wir hätten aber ebensogut sagen können Die Nullschwelle wird erreicht, wenn die Konzentration der R-Stofle unter der Wirkung des Reizes mit einer gewissen Anfangsgeschwindig- keit zu steigen beginnt. Für den Fall, dass die Reizintensität in unendlich kurzer Zeit ihre volle Intensität erreicht, ist diese Formu- lierung sachlich identisch mit der ersten. Erst eine Bearbeitung der Fälle, in denen die Reizintensität mit endlicher Geschwindigkeit von Null zu ihrem vollen Wert ansteigt, kann zeigen, .ob nicht etwa die Konzentration der R-Stoffe bei Schwellenreizung eine Funktion der Geschwindiekeit des Anstieges der Reizintensität und damit der Geschwindigkeit der Konzentrationszunahme der A-Stoffe ist. Erst eine solche Untersuchung kann zu einer ganz allgemeinen Formulierung der Bedingungen der Nullschwellenreizung führen. Ergebnis. 1. Die Reizintensität, die notwendig undhinreichend ist, um eine Schwellenreizung des menschlichen Auges zu bewirken, ist eine Exponentialfunktion der Zeit, während der der Reiz einwirkt. Dieser Satz ergibt sich als notwendige Folgerung aus der - allgemeinen Theorie und wird durch die Beobachtung bestätigt. ‘Die Theorie gestattet zahlenmässig richtig, für. E' jede Reizzeit die notwendige Intensität zu berechnen, und Jässt Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 229 als Grenzfälle erkennen, dass für kurze Reizzeiten (<0,05 Sekunden) die Intensität umgekehrt pro- portional der Reizzeit ist, für lange Reizzeiten (>0,5 Sekunden) dagegen unabhängig von der Reizzeit. . Das sogenannte „Hyperbelgesetz“ der Schwellen- reizung ist kein Gesetz, sondern eine Näherungs- . formel für den Grenzfall, in dem die Intensität umgekehrt proportional der Reizzeit ist. Je grösser die Beobachtungsfehler sind, um so weiter reicht die Gültigkeit der Näherungsformel. Ä . Die absolute Länge der theoretischen Zeit- einheit beträgt für das menschliche Auge 2,20 o. 230 August Pütter: ’ III. Die Unterschiedsschwelle. Die Wirkung zweier Reize von endlicher Intensität wird erst dann merklich verschieden, wenn der Unterschied ihrer Intensitäten einen gewissen Wert überschreitet. Die Differenz der eben merklich verschiedenen Intensitäten heisst die Unterschiedsschwelle. Die Unterschiedsschwelle stellt den allgemeinen Fall der Unter- scheidung von Reizen dar, während die Nullschwelle ein Grenzfall ist, bei dem es sich um die Unterscheidung zweier Intensitäten handelt, von denen die eine Null ist... Die Theorie der Unterschieds- schwelle muss als Grenzfall das Gesetz der Nullschwelle ergeben, erst dann ist der ganze Komplex von Erscheinungen, der sich auf die Tatsache der Reizschwellen bezieht, dem Verständnis erschlossen. Um die Theorie der Unterschiedsschwelle entwickeln zu können, wollen wir zunächst betrachten, welche Wirkung verschieden starke Reize ausüben, wenn wir von der Grundgleichung der Reizvorgänge ausgehen. Wir haben zunächst nur die einfache Frage zu erörtern, welchen Wert die Konzentration der R-Stoffe im Reizraum unter der Wirkung eines Reizes bestimmter Intensität nach unendlich langer Zeit an- nimmt. Dieser Wert ergibt sich aus der Gleichung 3), wenn wir t=& setzen, und lautet: a-2:q I rot Nach den Festsetzungen, die wir über die Grössen a, p und r getroffen haben (a—= 100, p—=1, r—=0,1), nimmt diese Gleichung die Form an: Ian q ee, ee LE). Die Grösse g ist: 9=g (1 + kJ), wo J die Reizintensität be- deutet. Wir wollen wieder, wie oben, g—=0,01 und k=]1 setzen und erhalten: 0,01(1+J) 1+001(1+J)' Diese Gleichung gibt die höchste Konzentration der Z-Stoffe, die durch die Wirkung eines bestimmten Reizes im Reizraum er- zeugt werden kann. Dem Reiz von der Intensität J—=0 entspricht die Konzentration y= 1000 12). Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 231 der A-Stoffe im Grundumsatz, die in diesem Beispiel y — 9,9 ist. Der Reizintensität J= oo entspricht die Konzentration y == 1000 N in — 1000). Wie die Konzentration der R-Stoffe mit wachsender Reizintensität ansteigt, zeigt übersichtlich Tabelle 8 und Kurve «a in Fie. 4. Tabelle S. Reizintensität Konzentration Zuwachs der Konzen- in theoretischem Maass der R-Stoffe für = tration für die Einheit J= yY— der Reizintensität 7 %y 0 9,9 ; 9,71 1 ea 9,51 2 29,12 9,16 b) 56,60 890 10 99,10 7,44 \ 20 173,50 9,47 N 50 337,70 e 3,29 100 5302,40 1,654 2300 667,80 0,552 500 833,60 0,151 1.000 909,10 0,0438 2.000 952,90 0,0046 10 000 990,00 0,00001 100 000 999,00 [6% 1000,0 In Tabelle 3 ist im ersten Stabe die Intensität und im zweiten die zugehörige Konzentration der AR-Stoffe aufgeführt. Der letzte Stab gibt an, um wieviel die Konzentration wächst, wenn die Inten- sität des Reizes um eine Einheit zunimmt. Es ist ohne weiteres zu ersehen, dass der Zuwachs der Grösse y, der einem konstanten Zuwachs der Intensität / entspricht, um so kleiner wird, je grösser JJ und dementsprechend auch y bereits ist. Die Kurve «a in Fig. 4 veranschaulicht diese Verhältnisse noch besser. Als Abszissen sinddie Reizintensitäten, als ÖOrdinaten die Konzentrationen der Reizstoffe, beide in logarithmischem Maasstabe aufgetragen, und es ist ohne weiteres zu sehen, dass die Werte von y eine Exponentialfunktion der Werte von J sind. Die Linie b in Fig. 4 zeigt die Werte von /y und lässt er- kennen, dass auch diese eine Exponentialfunktion von J darstellen, deren Zahlenwert bei den kleinsten Werten von J am grössten ist. Die Theorie der Unterschiedsschwelle hat die Frage zu beantworten: Welche Veränderung muss die Konzentration der AR-Stoffe erleiden, damit ein Reiz J’ als merklich verschieden von dem Reize J erscheint? DD (9) DD August Pütter: Die Annahme, die die Theorie über die Art dieser Veränderung machen muss, ist bereits durch die Annahme über die Bedingung der Nullschwelle festgelegt, die wir oben machten, und die sich in der experimentellen Prüfung bewährte. Solange es sich um die Unterscheidung von Dauerreizen handelt, die im Beginn der Reizung unendlich schnell ihren vollen Wert erreichen, müssen wir den An- satz machen: i Die Unterschiedsschwelle ist erreicht, wenn die Konzentration der R-Stoffe um einen konstanten Be- trag anwächst. Dieser Ansatz trägt der Bedingung Rechnung, dass die Null- schwelle nur als ein Sonderfall der Unterschiedsschwelle erscheinen soll. Für die Form der Reize, die wir bisher allein betrachten, ist diese Formulierung sachlieh gleichbedeutend mit der anderen: Die Unterschiedsschwelle ist erreicht, wenn die Konzentration der R-Stoffe mit einer bestimmten Anfangsgeschwindigkeit steigt. Es wird später zu erörtern sein, welche Fassung der Bedingung die richtige ist. Inwieweit sie etwa einer noch all- semeineren Form bedarf, lässt sich erst ermitteln, wenn wir die: Wirkung anschwellender und abschwellender Reize untersuchen. Für die erste Betrachtung genügt die Festsetzung, dass ein konstanter Zuwachs der Grösse y eine eben merkliche Verstärkung der Reizung bedingen soll. Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 233 Wir gehen wieder von dem Beispielsfalle aus, in dem « —= 100, p=lk=]1, r=0,1 und 9= 0,01 ist, und müssen, um das Bei- spiel eines Gesetzes der Unterschiedsschwelle abzuleiten, noch eine Festsetzung darüber machen, welchen Zahlenwert wir dem Werte der Nullschwelle zuordnen wollen. Es sei J—=0,5 der Schwellenwert, d. h. die Nullschwelle werde erreicht, wenn die Konzentration der AR-Stoffe von dem Werte, den sie im Grundumsatz hat, auf den Weıt steigt, den sie unter der Wirkung des Reizes J— 0,5 annimmt. Alle Zahlen des Beispielsfalles sind aus Tabelle 9 zu entnehmen. Dem Grundumsatz entspricht y = 9,9, der Reiz J—=0,5 lässt y auf 14,77 anwachsen. Bei dieser Konzentration soll die Null- sehwelle erreicht sein, d. h. sie ist erreicht, wenn y um 4,87 Ein- heiten zugenommen hat, und daraus ergibt sich als Bedingung der Unterschiedsschwelle: Die Unterschiedsschwelle wird erreicht, wenn die Konzentration der A-Stoffe um 4,87 Einheiten zunimmt. „Welche Steigerung der Reizintensität J nötig ist, damit diese Bedingung erfüllt ist, ist aus dem dritten Stabe der Tabelle 9 zu ersehen. Wir bezeichnen den eben merklichen Zuwachs von J mit AJ. Im letzten Stabe der Tabelle ist endlich noch die relative Unterschiedsschwelle in Prozenten der Reizintensität, d. h. also der Wert 100 - — angegeben. Der Wert von /J ist durch lineare Interpolation zwischen zwei Werten von J gewonnen, die nahe beieinander liegen. Zur Übersicht über die Resultate der Tabelle dient die Kurve « (Fig. 5). Das Resultat der Berechnung ist folgendes: Die relative Unter- schiedsschwelle erreicht bei einer mittleren Reizintensität ein Minimum. In der Nähe dieses Minimums ändert sich der Wert der relativen Unterschiedsschwelle nur sehr langsam mit der Reizintensität, so dass eine experimentelle Feststellung der Schwelle hier ein Gebiet ergeben würde, innerhalb dessen die relative Unterschiedsschwelle konstant erscheint. Je grösser die Versuchs- fehler der Bestimmung sind, um so breiter wird der Spielraum sein, innerhalb dessen die Unterschiedsschwelle der Reizintensität pro- portional oder, was dasselbe bedeutet, die relative Unterschieds- schwelle konstant erscheint. Bei schwachen, der Nullschwelle nahen Reizen ändert sich die Unterschiedsschwelle /J nur sehr langsam, 234 August Pütter: d. h. die relative Unterschiedsschwelle fällt rasch mit steigender Reizintensität. Bei sehr starken Reizen (die der Reizhöhe nahe liegen) steigt die Unterschiedsschwelle rasch an, rascher als die Reiz- intensität, so dass auch die relative Unterschiedsschwelle in diesem Intervall rasch ansteigt. Tabelle 9. Reizintensität onzen ann 7 | 100.27 Y T 0,00 9,9 05 e 0,5 14,77 05 100 1.0 19.61 0,51 51 15 24,39 0,515 34,5 2.0 29,12 0,522 26.2 3.0 38.46 0,530 17,7 4,0 47,62 0,534 13,3 5,0 56.60 0,550 11,0 6.0 65,41 0.560 94 7.0 74,07 0,572 32. 80 89,57 0,590 TA 10.0 99,10 0.605 6.05 12,0 1150 0,64 53 15.0 137,9 0.682 4,6 20.0 173,5 05 | 3,6 22,0 187.0 50.0 337.7 50° 589 \ 112 2,26 75.0 431, 80.0 447.4 \ 1,55 2,07 100,0 502,4 \ a 110.0 526,1 Y 2,05 2,05 200 667,8 > ur \ 4,64 2,32 500 23 510 836.3 \ 15,0 5 1.000 909,1 1100 916,7 \ 64,0 6,4 1900 950.0 2.000 952.9 \ 168 88 10.000 990.1 \ Bevor wir diese Ergebnisse der Theorie mit den Beobachtungen vergleichen, wollen wir noch einen zweiten Beispielsfall durchrechnen, um zu zeigen, welchen Einfluss die Veränderung der Grösse 9,, durch die der Wert von y für den Grundumsatz bestimmt ist, auf den Verlauf der Kurve der relativen Unterschiedsschwellen hat. Wir geben q, statt 0,01 den Wert 0,1, d.h. wir nehmen einen Fall, in dem y im Grundumsatze (d. h. für J=0) den Wert 90,9 hat. Da wir die Festsetzung beibehalten, dass der Intensität der ET un 2 - Studien zur Theorie der Reizvorgänge, 235 Nullschwelle der Zahlenwert 0,5 zugeordnet ist, ergibt sich weiter, dass wir als Bedingung der Schwelle ansetzen: Die Schwelle wird erreicht, wenn y von 90,9 auf 130,4, d. h. um 39,5 Einheiten an- Steigt. Die zur Übersicht nötigen Zahlen gibt Tabelle 10 in der- ih Su | 70 = 70 \- N Sa NH + 20 a IN 7-07 70 70 0 m° wow m° Fig. 5. selben Anordnung, wie sie für Tabelle 9 erläutert wurde. Zur Ver- anschaulichung dient die Kurve 5 (Fig. 5). Der Fall unterscheidet sich von dem ersten Falle in folgenden Punkten: Das Minimum der relativen Unterschiedsschwelle liest wesentlich höher als im ersten Falle, es hat den Wert 18,2 °/o, während es im ersten Falle 2,05% betrug. Das Minimum wird schon bei einer Reizintensität J— 10 erreicht, während es im ersten Falle erst bei J==100 erreicht wurde. Die Änderung der relativen Unterschieds- 256 August Pütter: schwelle mit der Intensität ist auch in der Nähe des Minimums sehr steil, ein Intervall annähernder Konstans würde nur bei sehr ungenauen Versuchen gefunden werden können und dann auch nur eng sein. | Tabelle 10. | nase AI 1 5 HN | 110.5 0,00 90,9 0,5 © 0,50 130,4 0,534 107,0 1.00 167 0.6 60.0 1,50 >00 0.64 43,0 3.0 230,97 0.73 36,5 3,0 285,70 0.84 28.0 40 333,3 0.96 24.0 5.0 374 - 1.04 208 6.0 412 be a 18,8 7.0 447 10.0 525 12.0 565 \ 2,0 18,2 20.0 680 22,0 698 } — u 50.0 836 en a \ 15,5 33,0 100 909 150 938 h 6 68,0 Es sei noch auf einen Punkt hingewiesen: Die Festsetzungen über die Nullschwelle und die Unterschiedsschwelle stehen in un- mittelbarem Zusammenhang miteinander; dagegen ist die Fest- setzung über den Zahlenwert von /J, der der Schwellenreizung zu- geordnet ist, durchaus willkürlich. Das hat seinen guten Sinn: Wie aus der ganzen Darstellung hervorgeht, unterscheiden sich unter- schwellige und überschwellige Reize in der Art ihrer Wirkung durch- aus nicht, die Schwelle ist kein ausgezeichneter Punkt in der Kurve, die die Beziehung von Reizintensität und primärer (unmittelbarer). Reizwirkung darstellt. Die Bedeutung der Reizschwelle wird am besten durch die Worte Verworn’s!) gekennzeichnet: „Der Begriff der Reizschwelle hat daher nur einen Wert, wenn er gebraucht wird in Relation auf einen bestimmten Indikator. Die Reizschwelle desselben lebendigen Systems kann für verschiedene Indikatoren ganz verschieden hoch l) Max Verworn, Erregung und Lähmung. G.Fischer, Jena 1914. S.40. Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 237 liegen. Die Verwendung des Begriffs der Reizschwelle erfordert also immer die Angabe desjenigen Indikators, der zu ihrer Bestimmung benutzt wird.“ / Die Grösse der Schwelle kennzeichnet nicht eine Eigenschaft des Systems, an dem der Reiz seine unmittelbaren Wirkungen ent- faltet, sondern eine Eigenschaft des Systems, durch dessen Ver- änderungen man sich Kunde von diesen unmittelbaren Wirkungen verschafft. Vermöchten wir die unmittelbaren Reizwirkungen direkt zu verfolgen, könnten wir die Zunahme der Konzentration der R-Stoffe messend feststellen, so würden wir keine Erscheinung finden, die auf die Tatsache der Reizschwelle hinweisen würde. Tabelle 11. "Unterschiedsschwellen für Druckreize. Normal- Eben unterscheidbares DT gewicht J Vergleichsgewicht AJ 100. g g 1,0 1,5 0,5 50 5,0 6,0 1,0 20 10,0 11,01 1,01 10,1 25,0 26,33 1,33 3,3 50 92,11 2,11 42 75 77,76 2.76 Sn 100 103,53 3,98 3,9 150 155,03 5,03 3,4 200 206,40 6,40 3,2 Er Zum Vergleich der theoretischen Ergebnisse mit den Beobachtungs- tatsachen wähle ich als erstes Beispiel die Unterschiedsschwellen für Druckreize. Die Zahlen (Tabelle 11) sind der Arbeit von Stratton!) entnommen und beruhen für die Gewichte von 10—200 g auf seinen Messungen. Für die Unterschiedsschwellen bei Belastung mit 1 bzw. 5g sind die Zahlen von Dohrn bzw. Kruth eingesetzt. Die Zahlen zeigen, dass für Druckreize von 1-50 g hin die relative Unterschiedsschwelle stark fällt, in dem Intervall von 75—200 g ziemlich konstant ist und hier mit 3,2—3,7 °/o ihren ge- 1) Georg Malcolm Stratton, Über die Wahrnehmung von Drückände- rungen bei verschiedenen Geschwindigkeiten. — Wundt, Philosophische Studien Bd. 12 S. 524—586. 1895/96, i 238 August Pütter: ringsten Wert erreicht. Druckreize von 300—400 & werden schon als unbequem empfunden, weshalb die Untersuchung nicht auf stärkere Reize ausgedehnt wurde. Versleichen wir die Ergebnisse der Beobachtung mit unserem ersten Beispielsfalle (Tabelle 9), so finden wir folgendes: Für die Intensitäten, denen wir die Werte 75—100 zu- ordneten, erreicht die relative Unterschiedsschwelle ihren geringsten Wert und ist hier für einen Spielraum von etwa 70—140 praktisch konstant. Für schwächere Reize steigt die relative Unterschieds- schwelle steil und ebenso für stärkere. Ihr Minimum ist niedriger als in dem beobachteten Falle. Wie wir durch den Vergleich der beiden Beispielsfälle oben zeigten, hängt der Zahlenwert des Minimums. von der Grösse g, ab, und wenn wir nicht 2,05 °0 als Minimum er- halten wollen, sondern 3,2°0, so müssen wir für q, statt 0,01 den Wert 0,015 setzen. Wir berechnen also die Unterschiedsschwellen des Druckreizes nach der Formel: 0,015 (1+J) 140,01-A +9): 20 Die Festsetzung, dass dem Schwellenwerte von J die Zahl 0,5. entsprechen soll, halten wir fest und finden dann als Unterschieds- schwellen die Werte, die im dritten Stabe der folgenden Tabelle 12. stehen. Die Übereinstimmung zwischen Beobachtung und Rechnung ist sehr befriedigend. Für Reizwerte von 75—200 ist die Schwelle praktisch konstant, und auch für 50 ist sie noch kaum erhöht, wie: es der Beobachtung entspricht. Die gut beobachteten Werte für 25- und 10 stimmen mit den berechneten aufs beste überein, ebenso: der Wert für 5g. Dass der Wert für 1g, der nach der Rechnung 82% sein sollte, nach der Beobachtung nur 50°%0 ist, erscheint. deshalb als keine bemerkenswerte Abweichung, weil sich bei den. Intensitäten, die der Nullschwelle nahe liegen, die relativen Unter- schiedsschwellen sehr stark mit den Reizintensitäten ändern und die Nullschwellen der einzeinen Druckpunkte verschieden sind, so dass hier die grössten Abweichungen vorherzusagen sind. Die Gleichung, die wir benutzen, gibt also eine vollständige und einfache Beschreibung der Beobachtungstatsachen über die Unter- schiedsschwellen des Druckreizes. Die Nullsehwelle muss nach unserer Darstellung bei 0,5 g er- reicht sein. Die absolute Höhe dieses Wertes hängt von der Fläche ab, mit der der Druck ausgeübt wurde. In der Arbeit von Stratton y— 100 - 13). Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 939 [=] sind hierüber keine Angaben gemacht. Das interessanteste Intervall ist das, das bei Gewichten von 25 g und weniger liest. Gerade für diese Spanne haben wir die wenigsten Untersuchungen. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass es die suggestive Kraft des Weber’schen Gesetzes von der Konstanz der Unterschieds- schwellen war, die Untersuchungen, die im Bereich einer „unteren Abweichung“ dieses Gesetzes lagen, als unfruchtbar erscheinen liess. Diese „untere Abweichung“ umfasst beim Druckreiz ein Intervall, das zwischen den Reizintensitäten 1 und 50 [oder sogar 100] liegt, wenn wir den Schwellenwert als 1 bezeichnen, während die Regel der konstanten relativen Unterschiedsschwelle nur für die enge Spanne zwischen den Intensitäten [50 oder] 100—400 gilt. Die „obere Abweichung“ ist experimentell nicht zu erreichen, da solehe starken Druckreize schon unbequeme Nebenwirkungen haben, die eine Unter- suchung hindern. In Fig. 5 gibt die gestrichelte Linie die Lage der Punkte, die nach Gleichung 13 berechnet sind. Die beobachteten Werte würden nur für J=1 erkennbare Abweichungen von der berechneten Kurve zeigen. g Tabelle 12. Unterschiedsschwellen für Druckreize. Eben merklicher Zuwachs in Prozenten Normalgewicht des Normalgewichtes u beobachtet berechnet 1 50 82 5) 20 18,5 10 10,1 10,1 25 3 2 50 4,2 3,9 75 3,7 3,4 100 3,9 32 150 34 32 200 32 3,4 = Das Beispiel der Unterschiedsschwellen im Bereich des Druck- reizes ist insofern besonders interessant, als gerade an ihnen Weber sein Gesetz aufstellte. \ Dass dieses Gesetz nur eine sehr begrenzte Gültigkeit hat, ist schon früher betont worden, so von Dohrn, und auch die Unter- suchungen von Biedermann und Löwit fielen nicht günstig für das Gesetz aus, doch fehlen nähere Angaben. 240 August Pütter: Die theoretisch entwickelte Anschauung, dass die Unter- schiedsschwelle eine Exponentialfunktion der Reiz- intensität ist, bewährt sich hier auf das beste. Sie eibt zahlen- mässig richtig die Unterschiedsschwellen in dem ganzen Bereich von den schwächsten bis zu den stärksten Reizen. Die umfangreichsten Untersuchungen über das Gesetz der Unter- schiedsschweilen beziehen sich auf den Lichtsinn. In König’s Arbeit sind die Schwellen für Reize bestimmt, die in ihrer Intensität um das 50 Millionenfache voneinander ver- schieden sind. Betrachtet man die Resultate, so ergibt sich folgendes. Wenn wir den schwächsten Reiz, der.angewandt wurde, als Einheit setzen, so beträst für ihn die Unterschiedsschwelle 69,5%. Sie fällt dann mehr und mehr und erreicht schliesslich Werte, die zwischen 1,96 und 1,730 liegen. Nehmen wir diese Unterschiede als mögliche Fehler hin, so könnten wir sagen: Die Unterschiedsschwellen sind bei mittleren Reizintensitäten konstant (und am kleinsten), und zwar umfasst das Gebiet der konstanten Unterschiedsschwellen die Reiz- intensitäten von 250005000000 (in Vielfachen. des schwächsten untersuchten Reizes), d. h. ein Intervall, in dem sich die Reiz- intensitäten wie 1:200 verhalten. Von da an steigt die relative Schwelle langsam, aber stetig und erreicht bei der höchsten untersuchten Intensität von 50 Millionen 3,58 %o. | Der allgemeine Verlauf ist also der gleiche wie bei den Unter- schiedsschwellen des Drucksinnes: Bei schwachen Reizen hohe relative Unterschiedsschwellen und deutliche Änderung mit der Reizintensität, bei mittleren Reizen niedrigster Wert der Schwellen und unmerklicher Einfluss der Reizintensität, bei starken Reizen wieder Anstieg der Schwellen. Ein grosser Unterschied besteht aber in der Grösse des Abstandes zwischen der Nullschwelle und der Gegend der kleinsten relativen Unterschiedsschwelle. Während beim Druckreiz schon bei einer Intensität, die das 50- bis 100fache des Nullschwellenwertes betrug, das Minimum der relativen Unterschiedsschwelle erreicht wurde, ist beim Lichtreiz eine Steigerung auf das 25000fache er- forderlich, um das Gebiet zu erreichen. Es scheint, als liessen sich solche Verhältnisse, wie sie das Auge 'bietet, nieht durch die Theorie erklären. Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 241 Eine einfache Überlegung zeigt aber, dass wir beim Auge noch einem Umstande Rechnung tragen müssen, der für den Druckreiz keine merkbare Rolle spielte. Es ist das die grosse Erregbarkeits- änderung, die das Auge durch Lichtreize erleidet. Eine Änderung der Erreebarkeit kommt darin zum Ausdruck, dass gleiche Reize nicht stets den gleichen Reizerfolg ergeben. Der Reizerfole muss also, damit die Theorie solchen Erscheinungen folgen kann, nicht nur als Funktion der Reizintensität, sondern auch als Funktion des jeweiligen Zustandes des reizbaren Systems erscheinen. Es liegt sehr nahe, sich vorzustellen, dass die Wirkung, die ein bestimmter Reiz ausübt, verschieden ..ist, je nachdem wie hoch die Konzentration der AR-Stoffe im Reizraum, d. h. je nachdem wie gross y ist. Wir hatten oben festgesetzt, dass der Reiz als Einheit gelten sollte, der die Reaktionskonstante q, verdoppelt; denn weiter besagte 'ja unsere Festsetzung nichts, die dahin ging, dass in dem Ausdruck 9—=g(1+%J) die Beizahl = 1,0 sein sollte. Jetzt müssen wir die Festsetzung dahin erweitern, dass wir k = 1,0 setzen, wenn gleichzeitig y den Wert y, hat, der ihm im Grund- umsatz zukommt. Für das Auge bedeutet das also den Wert y=9,9. Wir nehmen also als Einheit die Reizintensität, die g, ver- ‚doppelt, wenn die Konzentration der R-Stoffe im Reizraum — y, ist, d. h. beim Auge durch die Zahl 9,9 gemessen wird. Über den Ausdruck, der die Abhängigkeit der Grösse k von y darstellt, kann man verschiedene Annahmen machen. ‘Welche das Richtige trifft, lehrt der Vergleich von Beobachtung und Rechnung. Nachdem ich zwei andere Ansätze gemacht hatte, die keine ganz befriedigende Übereinstimmung zwischen Beobachtung und Rechnung ergaben, erwies sich die einfachste Auuahme als die beste. Diese einfachste Annahme ist, dass die Wirkung eines Reizes bestimmter Intensität umgekehrt proportional der Konzentration der R-Stoffe, d. h. umgekehrt proportional y sein soll. Bei der Formulierung dieser Bedingung ist zu bedenken, dass nach unserer Festsetzung dem Wert 9, —=9,9 der Wert 1,0 für die 99 Jge Beizahl % entsprechen soll, so dass wir setzen müssen En (allgemein Rn: Wir führen diesen Wert % in die Gleiehung 4=9_(1+%J) ein und setzen 90,01. Der Wert von y, der Pflüger’s Archiv für Physioloeie, Bd. 171. 16 242 u August Pütter: nach unendlich langer Zeit erreicht wird, ergibt sich aus Gleichung 1L (S. 29) und ist Bis a! a wenn wir wie oben für a, p und r die Werte 100, 1,0 und 0,1 setzen.. | (0) 0,01 (\ a J) Y 7) 1+ 0,01 (1 nn Y Daraus ergibt sich also: y= 1000 - 14). . Die Auflösung dieser Gleichung (es ist eine quadratische Gleichung)» ergibt: je (10 — 0,099) J+ Y (10 — 0,099 T)2 + 4,0499: I ZEN) : 2,02 2 15). Nach dieser Gleichung (15) können wir für jeden Wert der: Reizintensität J/ die Konzentration der A%-Stoffe, d. h. die Grösse y,. berechnen. Entsprechend den Annahmen, die sich für das Auge be- währt haben, als wir das Gesetz der Nullschwelle untersuchten, soll der Wert von y im Grundumsatz —=9,9 sein, was die Gleichung: richtig für J=0 ergibt. Ferner soll die Schwelle erreicht sein.. wenn y um 0,99 Einheiten wächst. Die Nullschwelle ist also er- reicht, wenn y—=9,9 + 0,99— 10,98 ist. Dem Werte y= 10,98: entspricht nach Gleichung 3) der Wert J—=0,12. In theoretischem Maass ist also die Intensität der Nullschwelle = 0,12. Wie gross- unter diesen Voraussetzungen die Unterschiedsschwellen bei den ver- schiedenen Reizintensitäten sein müssen, ergibt sich aus den Zahlen- angaben der Tabelle 13, die in derselben Weise berechnet sind: wie oben die Stäbe der Tabelle 10. Die Zahlen dieser Tabelle sind mit den Beobachtungsergebnissen. König’s zu vergleichen. Es ist hierzu nötig, einer der Intensitäten,,. die König angibt, einen bestimmten theoretischen Wert zuzuordnen.. Ich setze im folgenden die Einheit, in der König seine Reiz- intensitäten mitteilt, — 6,3. Diese Festsetzung ergibt richtig, dass. die schwächste Reizintensität, bei der König beobachtete, und die- er 0,02 nennt, den theoretischen Wert 0,126 hat, d. h. einen Wert,. der der Nullschwelle (J== 0,12) sehr nahe liegt. Die folgende Tabelle 14 enthält im ersten Stabe die Reiz-- intensität nach König, im zweiten die entsprechende Intensität in. theoretischem Maass. Im dritten und vierten Stabe sind die absolute- Studien zur Theorie der heizvorgänge. 243 und die relative Unterschiedsschwelle nach König angegeben. Der letzte Stab, der überschrieben ist: Reizintensitäten reduziert für gleiche Bildhelligkeit, wird weiter unten erklärt werden. Tabelle 13. ge | u ee | Ton ae J 0,0 | 9,9 0,12 & 012 10.98 0.13 108 02 11.54 0,136 68 03 1297 0.161 54 05 13.49 0.203 40,6 1,0 15.92 0.265 26,5 2.0 19,67 0.387 19,35 5,0 97,33 0,565 113 10 0,800 80 20 48.42 1,205 6.195 50 72,55 1.860 3,72 100 99,05 2.750 3.75 200 135.2 2.40 2.20 500 202,7 7.20 1.44 1.000 271,6 113 113 2.000 3593 12 1.06 5.000 500.0 2. 4908 0.85 10.000 617,3 37.0 0,87 20 000 731,0 945 1.9295 50.000 8532 350 1.90 100 000 9153 2.660 2,66 200.000 954.0 11.100 555 500.000 980,7 49.000 8,40 1.000.000 991,0 250.000 25.0 2.000 000 995.05 Eine genauere Betrachtung der berechneten und beobachteten Unterschiedsschwellen (Tabelle 13 und 14) zeigt weitgehende Überein- Stimmungen. Dabei ist aber noch folgendes zu berücksichtigen: Die beobachteten Reizintensitäten geben die Lichtstärken an, die das Auge als Ganzes treffen, die berechneten Intensitäten da- gegen die Lichtstärken, die am einzelnen reizbaren Element wirken. Beide Reihen können nicht ohne weiteres aufeinander bezogen werden, denn in dem beobachteten Falle variiert die Helligkeit des Netzhautbildes nicht nur als Funktion der Intensität des einwirkenden Lichtes, sondern auch noch als Funktion der Weite der Pupille. Die Bildhelligkeit ist proportional dem Quadrat des Pupillendurch- messers. Wir müssen also an den beobachteten Lich tintensitäten eine Korrektur anbringen, um aus ihnen die Verhältnisse der Reiz- intensitäten zu bekommen. 16* 244 August Pütter: Wie gross diese Korrektur bei den höchsten Lichtintensitäten ist, ist ohne weiteres klar. Der grösste Durchmesser der Pupille ist etwa 8 mm, der kleinste 3,3, das Verhältnis 2,42. Das Verhältnis der Quadrate der Durchmesser 1:5,9. Die Bildhelligkeit bei schwachen, der Nullschwelle nahen Reizen ist also 5,9 mal so gross wie bei den stärksten Reizen. Um das Verhältnis der Reizintensitäten zu bekommen, müssen also die höchsten Werte durch 5,9 dividiert werden. Der Wert, der in Tabelle 14 zu € 300000 in theoretischem Maass angegeben wurde, reduziert sich also auf 1080 000. Tabelle 14. Reizintensität Nach König Reizintensität S I aan a in theore- ür gleiche Nach König tischem Maass 14 100. EIER Bildhelligkeit 0,02 0,126 0,0139 69,5 0,126 0,05 0,315 0,0242 48,2 0,315 0,1 0,63 0,0377 la 0,63 0,2. 1,26 0,0568 28,3 1,26 0,5 Bl 0,094 18,8 3,115) 1,0 6,3 0,123 125 6,3 2,0 12,6 0,188 9,39 12,6 5,0 31,5 0,298 5,93 3 10 63 0,477 4,77 58 20 126 0,795 3,96 100 50 315 1,62 3,24 197 100 630 2,98 2,98 390 200 1 260 4,44 222 390 500 8150 28 1,92 960 1000 6 300 17,8 1,78 1 620 2.000 12 600 36,2 1,81 2880 5 000 31 500 89,5 1,79 6 300 10 000 63 000 176 1,76 12.000 20.000 126 000 350 75 43 000 50 000 315 000 865 ey 57 800 100.000 630 000 1 950 1,95 108 000 200 000 1 260 000 5 340 2,67 216 000 500 000 3 150 000 13 620 2,73 540 000 1.000 000 6 300 000 35 800 3.98 1 080.000 Die wirksamen Reizintensitäten haben also in König’s Ver- suchen nicht im Verhältnis von 1 zu 50 Millionen zugenommen, sondern nur im Verhältnis von 1 zu 8,5 Millionen. In welcher Weise die Werte mittlerer Reizintensität korrigiert werden müssen, die schon Pupillenverengerung, aber keine maximale, bewirken, ergibt sich aus den Bebachtungen über die Pupillenweite bei verschiedenen Lichtintensitäten. REN EEE RENN Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 245 Nach 15 Minuten Aufenthalt bei der untersuchten Beleuchtung beobachtete Lans: bei 1,6 Meterkerzen einen Pupillendurchmesser von 6,3 mm bei 50-100 H R k BB » 100—500 br} br} 2 N 3,4 n „ 500-1000 A L 3 ee Setzen wir die Intensität von 1,6 M.K.—=315 in theoretischem Maass, so erhalten wir die Zahlen der Tabelle 15. Der letzte Stab eibt das Verhältnis der wirklichen Bildhelligkeit zu der Helligkeit, die er bei maximal erweiterter Pupille haben würde. Rechnet man auf Grund dieser Zahlen die Reizintensitäten der Tabelle 14 (in theoretischem Maass) auf gleiche Bildhelligkeit um, so ergeben sich die Zahlen des letzten Stabes der Tabelle 14. Tabelle 15. Lichtintensität Verhältnis TER 2 der Bildhelligkeit zur theoretisch in M.K. 9 laass | maximalen Helligkeit 0 N) 1.1.0 1,6 315 1:1,6 75 1,8 - 10% 1: 4,65 300 5,8 -104 1:55 > 600 1,06 - 105 1:59 Er Zur bequemen Vergleichung der Werte für die relativen Unter- schiedsschwellen wie sie sich unter Berücksichtigung dieser Korrektur aus den Beobachtungen ergeben mit den für die entsprechenden Lichtintensitäten berechneten Werten, ist die foleende Tabelle 16 zusammengestellt. Die beiden Reihen zeigen so weitgehende Übereinstimmungen, dass man sagen kann, die Theorie stellt die tatsächlichen Verhält- nisse im wesentlichen richtig dar. Gehen wir von den schwächsten Reizen aus, so stimmen für Reizintensitäten von 0,315—31,0 die beobachteten und berechneten Unterschiedsschwellen sehr gut mit einander überein. Die Unter- schiede sind nirgends grösser als die wahrscheinlichen Fehler der Beobachtungen. Für die höheren Reizintensitäten ist die Überein- stimmung nicht so gut. Betrachten wir die Verhältnisse bei den stärksten Reizen, so sind hier die Abweichungen am grössten, denn die relativen Unter- 246 August Pütter: schiedsschwellen steigen bei den Intensitäten von 108000 nach der Rechnung schon sehr rasch an, während die Beobachtung erst, ein langsames Ansteigen, den Beginn der „oberen Abweichung“ des Weber’schen Gesetzes, zeigt. Die Intensitäten, bei denen im beobachteten Falle der rasche Anstieg der Unterschiedsschwellen liegen würde, sind höher: als 1080000. Die Beobachtung hat sich auf sie nicht erstreckt. Tabelle 16. Unterschiedsschwellen für Lichtreize. Reizintensität 100- AI af J in theoretischem Maasse beobachket Dreh I 0,126 69,5 100 0,315 48,2 52,9 0,63 TAT 36,9 1,26 28,3 24,6 3,15 18,8 16,3 6,3 12,3 10,5 12,6 93 72 31,0 3,95 9,25 58 AT 3,60 100 3,96 2,75 197 3,24 22 350 2,98 1,82 550 2,22 1,44 960 1,92 ee 1620 1,78 al: 2 880 1,81 1,0 6 300 1,79 0,86 12000 1,76 0,94 43 000 do, ltr 57 300 1,73 2,0 108.000 90 2,66 216 000 2,67 9,1 - 540.000 2,13 8,9 1.030 000 3,98 25,0 | Die Abweichung der Beobachtung von der Rechnung kann folgenden Grund haben: Die ganze theoretische Betrachtung geht davon aus, dass die Vorgänge, die wir beobachten, der Ausdruck des Geschehens in einem einzelnen reizbaren Element sind. Das trifft aber nicht zu, denn wie wir wissen, ist der Wert der Nullschwelle wie der relativen Unterschiedsschwelle nicht nur eine Funktion des jeweiligen Erregbarkeitszustandes ist, sondern auch noch eine Funktion der Grösse des Objektes. Dieser Einfluss der Objekts- grösse bedeutet, dass die einzelnen Elemente sich gegenseitig be- einflussen, eine Tatsache, der die Theorie in der bisherigen Form nicht: Rechnung träst. In erster Linie kommt diese gegenseitige Beein- Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 247 flussung der reizbaren Elemente darin zum Ausdruck, dass durch sie der Abstand zwischen dem schwächsten und dem stärksten Reiz, bei dem noch Beleuchtungsunterschiede wahrgenommen werden können, vergrössert wird. Die absolute Schwelle liegt für grosse Objekte viel tiefer wie für kleine. Für ein Objekt von zirka 20° Aus- -dehnung ist der Schwellenreiz nur !/ıo des Wertes wie für ein Objekt von 2° Ausdehnung !). In zweiter Linie ändert sich auch ‚die Grösse der relativen Unterschiedsschwelle mit der Objektgrösse. Bei einer Beleuchtung, bei der an Objekten von einigen Bogengraden Ausdehnung Helligkeitsunterschiede von 1,0 °/o wahrgenommen werden, beträst bei einer Objektgrösse von 1’ die relative Unterschieds- :schwelle 15 °/o. Solange diese Einflüsse der Objekterösse nicht in der Theorie ‘berücksichtigt werden, kann sie die wirklichen Verhältnisse nur an- ‚nähernd darstellen. Die Abweichung zwischen Beobachtung und Rechnung - kaun „aber noch einen anderen Grund haben. Es ist daran zu denken, dass für die Stäbchen und die Zapfen je eine solche Abhängigkeit - der Unterschiedsschwelle von der Reizintensität besteht, wie wir sie ‚errechnet haben, dass aber die Schwellenintensität für die beiden ' Elemente verschieden ist, und dass sie bei verschieden hohen Inten- ‚sitäten in das Gebiet kommen, in dem die Unterschiedsschwellen wieder zu steigen beginnen. Unsere Rechnung würde dann für die ‘Stäbchen gelten, die Beobachtung aber würde noch bei Lichtintensitäten, ‚bei denen die Unterschiedsschwellen der Stäbchen schon stark steigen, niedere Unterschiedsschwellen ergeben, die tatsächlich Schwellen der Zapfenzellen sein würden. Welche Momente tatsächlich den Unterschied zwischen Be- -obachtung und Rechnung bedingen, lässt sich zurzeit nicht entscheiden. Eine weitere Abweichung zwischen Beobachtung und Rechnung ‘scheint bei den mittleren Reizintensitäten zu bestehen, bei denen nach der Beobachtung der Wert der relativen Unterschiedsschwelle nur zwischen 1,73 und 1,95°/o schwankt, d. h. praktisch konstant sein soll. Nach der Beobachtung umfasst dieses Gebiet der konstanten relativen Unterschiedsschwellen die Intensitäten von 960 bis 1) Piper, Über die Abhängigkeit des Reizwertes leuchtender Objekte von ihrer Flächen- bzw. Winkelgrösse. Zeitschr. f. Physiol. u. Psychol. d. Sinnes- ‘organe Bd. 32 S. 98—112. 1903. 248 August Pütter: 108000, also eine Spanne, in der sich die begrenzenden Intensitäten wie 1:113 verhalten. In der berechneten Reihe finden wir ein mittleres Intervall, innerhalb dessen die Unterschiedsschwelle den Wert von 1,82% nieht überschreitet. Dieses Intervall reicht von 350—483 000, d.h. es hat einen Umfang von 1:122, also einen Umfang, der mit der beobachteten Ausdehnung des Bereichs der konstanten Schwellen aufs beste übereinstimmt: Der Unterschied zwischen Beobachtung: und Rechnung liegt aber darin, dass die Rechnung im Gegensatz zur Beobachtung zeigt, wie die Schwellen von dem Werte 1,82, den sie: für J—350 hat, langsam weiter fällt und im Minimum 0,85 erreicht,, worauf sie wieder langsam bis 1,77 (bei J=43000) steigt. Zur Bewertung dieser Abweichung zwischen Beobachtung und Rechnung ist folgendes zu bedenken: Die Unterschiedsschwelle von 1,73—1,95, die König als kleinste Schwelle findet, ist auffallend: hoch. - In der Photometrie rechnet man den eben merklichen Unter- schied zu 0,9. Die Angaben über die geringsten wahrnehmbaren Unter- schiede schwanken zwischen 1,0 (Volkmann) und 0,54 (Aubert). Masson gibt 0,83 an, Arago 0,77, Helmholtz 0,6 an. Es müssen also bei König’s Versuchen besondere Bedingungen geherrscht haben, die ihm keine grössere Unterscheidungsfähiskeit als- 1,73 finden liessen. Die Rechnung, die als feinste Unterschieds- schwelle 0,85 ergibt, stimmt mit den bekannten Angaben über die Unterschiedsempfindlichkeit des Auges sehr gut überein. Nach der Theorie soll diese höchste Feinheit der Unterscheidung nur in einem recht engen Bereich möglich sein. Unterhalb 1,0 liegen nur die Unterschiedsschwellen zwischen den Intensitäten 2900 uud 15 000, d.h. in einem Bereich, dessen Grenzintensitäten sich wie etwa 1: 95,8 verhalten. Dass die feinste Unterschiedsempfindlichkeit des Auges in der: Tat an ganz bestimmte Beleuchtungen gebunden ist, betont Helm- holtz: „Sehr zarte, an der Grenze der Sichtbarkeit stehende Schatten. auf Glasphotographien fand er nur in einem ziemlich eng begrenzten Gebiet von Beleuchtungen wahrnehmbar, während sie unmerklich- wurden, wenn die Helligkeit höher oder geringer gemacht wurde !).“ Die Theorie scheint also hier besser als König’s Be- obachtungen der Wirklichkeit zu entsprechen. 1) Zitiert nach v. Kries. Nagel’s Handbuch Bd. >. S. 249. Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 24% Jedenfalls besteht zwischen Beobachtung und Berechnung kein Unterschied, der so beschaffen wäre, dass die Anwendbarkeit der Theorie dadurch in Zweifel gezogen würde. Wie gut die Theorie das Fallen der relativen Unterschieds- schwelle bei schwachen Reizintensitäten, ihre annähernde Konstanz bzw. sehr langsame Änderung mit der Reizintensität bei mittleren. Reizstärken und endlich ihr abermaliges Anwachsen bei sehr starken Reizen darstellt, zeit am besten Fig. 6, in der die ausgezogene- or do m mw: 703 10* 70° 70° Fig. 6. - Kurve die berechneten, die gestrichelte Kurve die beobachteten Werte der relativen Unterschiedsschwelle bildlich darstellt. Die Reizintensitäten sind in logarithmischem Maassstabe aufgetragen. Es sei besonders darauf hingewiesen, dass die Annahmen über die Grössen q, und r (90,01, r—=0,1) und über die Konzentrations- zunahme, die nötig ist, um eine Schwellenreizung zu bewirken [0,99 Einheiten], sowie über die Konzentration der R-Stoffe im Grund- umsatz [y= 9,9], genau dieselben sind, die sich oben bei den Unter- suchungen über das Gesetz der Nullschwelle für das menschliche: Auge bewährt haben. 250 August Pütter: Auch die Untersuchung des Verhaltens der Unterschiedsschwellen des Auges ereibt: Das menschliche Auge verhält sich so, alsobim Grundumsatz in den Netzhautelementeneine Konzentration der R-Stoffe von 9,9 bestünde (wenn 1000 die Konzentration bei unendlich grosser Reizintensität ist), und als ob eine merkliche Zunahme der Erregung einträte, wenn die Konzentration um 0,99 Einheiten (d. h. um 10 °/ des Wertes im Grundumsatz) steigt. Diese Beschreibung ‚des Verhaltens der Netzhautelemente umfasst das Gesetz der Null- schwelle und der Unterschiedsschwellen. Steigt die Konzentration von 9,9 auf 10,89, so haben wir die Schwellenreizung vom ungereizten Zustande aus, .d. h. die Nullschwelle. Steigt die Konzentration von einem beliebigen Betrage von y (zwischen 9,9 und 1000) um 0,99 Einheiten, so werden zwei Reize als verschieden aufgefasst, wir haben die Unterschiedsschwelle. Nach der Theorie sind von der Nullschwelle bis zur Reizhöhe 1010 merkliche Zunahmen der Er- regung möglich. Ergebnisse. 1. Die Unterschiedsschwelle ist eine Exponential- funktion der Reizintensität. Dieser Satz gilt für die absoluten wie für die relativen Unterschiedsschweller. Er bewährt sich dadurch, dass es auf der Grundlage dieser Theorie möglich ist, die Grösse der Unter- schiedsschwellen im Gebiet des Drucksinnes und des Licht- sinnes zahlenmässig richtig zu berechnen. 2, Die Reizschwelle wird erreicht, wenn die Kon- zentration der sensiblen Stoffe (S-Stoffe) in einem reizbaren System um einen konstanten Be- . trag zunimmt. Ist der Ausgangspunkt der Reizung der ungereizte Zustand, so besteht der Reizerfolg darin, dass die Nullschwelle er- “ reicht wird. Geht die Reizung von einem beliebigen Erregungs- zustande aus, so besteht der Reizerfolg.darin, dass die Unter- schiedsschwelle erreicht wird. Wi ab nn Studien zur Theorie der Reizvorgänge. z IV. Das Weber-Fechner’sche Gesetz. Die Untersuchungen über die Theorie der Unterschiedsschwelle, die in der vorigen Abhandlung mitgeteilt sind, behandeln dasselbe Tatsachenmaterial, das durch das Weber-Fechner’sche Gesetz erfasst werden soll. Bei der grossen Rolle, die die Untersuchungen über dieses „Ge- setz“ in der Geschichte der Wissenschaft gespielt haben, und bei der Rolle, die das vermeintliche Gesetz im Unterricht heute noch spielt, ist eine kritische Auseinandersetzung über seine Bedeutung auf Grund der Ergebnisse der vorigen Abhandlung wohl am Platze. Weber glaubte sich nach seinen Versuchen berechtigt, den Satz aufzustellen, dass die relative Unterschiedsschwelle konstant sei. Die Einsicht, dass dieser Satz falsch. ist, ist heute allgemein anerkannt, ‚doch wird die Erkenntnis gewöhnlich nicht in dieser Form ausgesprochen. Die übliche Lehrdarstellung, wie moderne Werke sie geben, ist viel- mehr die, dass man sagt: Das Weber’sche Gesetz gilt für ein Intervall L [eo en - mittlerer Reizintensitäten, innerhalb dessen die relativen Unterschieds- R. a schwellen merklich konstant sind ; es gilt dagegen nicht für sehr schwache und sehr starke Reize. Es besteht eine „obere“ und „untere“ Abwei- chung vom Weber’schen Gesetz, und in ihrem Bereich sind die rela- tiven Unterschiedsschwellen stets höher als in dem mittleren Intervall und steigen gegen die Grenzen der schwächsten und stärksten Reize hin. Wie im vorhergehenden auseinandergesetzt wurde, sind sowohl die relativen wie die absoluten Unterschieds- schwellen Exponentialfunktionen der Reizintensität. x Diese Formulierung umfasst das" ganze Gebiet der Reize von der Nullschwelle bis zur Reizhöhe, aus ihr ergibt sich ohne weiteres, dass die relativen Unterschiedsschwellen bei mittleren Reizintensitäten am kleinsten sein und sich relativ wenig mit der Reizintensität ändern müssen, so dass die experimentelle Prüfung ein mehr oder weniger umfangreiches Intervall ergeben muss, in dem die Unterschiede der Schwellen innerhalb der Grenzen der Beobachtungsfehler liegen. Die übliche Art der Darstellung, die geeignet war, den Anschein zu erwecken, als wäre das Weber’sche Gesetz doch eigentlich gültig, und die „obere“ und „untere“ Abweichung stellten gewisser- maassen nur Korrekturen an dem Grundgesetz dar, hatte so lange eine gewisse Berechtigung, wie man nicht in der Lage war, etwas Besseres an Stelle des als unrichtig erkannten Weber’schen Satzes zu geben. Da aber jetzt durch die vorstehenden Untersuchungen das. 252 August Pütter: Verhalten der Unterschiedsschwellen im ganzen Umfang der wirk- samen Reize nicht nur durch eine einheitliche Formel dargestellt ist, sondern sogar durch eine Formel, die als notwendige Folgerung aus bestimmten einfachen Voraussetzungen theoretisch abgeleitet werden kann, und die sich bei ihrer Anwendung auf das Beobachtungs- material bewährt, hat die bisherige Darstellung keine Berechtigung mehr. Es muss vielmehr gefordert werden, dass das Gesetz der Unterschiedsschwelle nicht mehr in der Weber’schen Form aus- gesprochen und durch „Abweichungen“ eingeschränkt wird, sondern dass es in der allgemeinen Fassung hingestellt wird: Die Unterschiedsschwelle ist eine Exponential- funktion der Reizintensität. | In der Fig. 7 zeigt die stark ausgezogene Kurve S den Wert der Unterschiedsschwelle für einen Beispielsfall!). Die Reizintensi- täten (Abszissen) sowie die Unterschiedsschwel- 70000 len (Ördinaten) sind in logarithmischem Maass- stabe aufgetragen. S(die Schwelle) ist eine EFx- ponentialfunktion von J & " (der Reizintensität). Die relativeUnter- schiedsschwelle erhält man aus der absoluten Unterschiedsschwelle 8, indem man den Wert on bildet. = 7 2 3 ; a. Wenn 8 eine Expo- Fig. 7. nentialfunktion von J ist, so muss auch die relative Unterschiedsschwelle Au: eine Exponentialfunktion der J Reizintensität sein. Ihren Verlauf zeist in Fig. 7 die gestrichelte Ä N Linie (bezeichnet mit I) Ä 1) Die Zählen des Beispielsfalles entsprechen dem Fall, der in der Ab- handlung II S. 33 durchgerechnet wurde. Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 253 Während die absolute Unterschiedsschwelle mit wachsender Reiz- intensität stetig weiterwächst und für J= 0 auch unendlich gross wird, ist die relative Unterschiedsschwelle für J— 0 unendlich STOSS, fällt dann mit steigenden Werten von J, erreicht ein Minimum (bei J=100) und steigt darauf wieder. Fechner leitete aus dem Weber’schen Gesetz, das er auf Grund seiner Beobachtungen für richtig hielt, seine bekannte psycho- physische Maassformel ab. Nachdem wir nicht nur erkannt haben, dass das Weber’sche Gesetz falsch ist, sondern auch eine allgemeine Formulierung des Gesetzes der Unterschiedsschwelle gefunden haben, bedarf die Fechner’sche Gleichung einer kritischen Betrachtung von dem neugewonnenen Standpunkte aus. Zu seiner Gleichung E= logR, nach der die Stärke der Empfindung proportional dem Logarithmus der Reizintensität sein soll, gelanete Fechner unter der Voraussetzung, dass man die Grösse eines eben merklichen Empfindungszuwachses als konstant ansehen könne. Die Annahme ist bestritten. Man braucht sie aber gar nicht als eine, eines Beweises bedürftige Annahme zu betrachten, sondern kann sie als eine zweckmässige Festsetzung ansehen. Lässt man die Festsetzung zu, so ergibt sich die Fechner’sche Formel, wenn man noch die weitere Festsetzung trifft, dass eine eben merkliche Änderung einer Empfindung mathematisch als eine unendlich kleine Grösse aufgefasst werden kann. Die Frage, ob die Fechner’sche oder überhaupt eine psycho- physische Maassformel einen greifbaren Sinn hat, soll hier nicht erörtert werden. Wir wollen uns versuchsweise ganz auf den methodischen Standpunkt Fechner’s stellen und den Gegenstand nur unter Berücksichtigung der Tatsache betrachten, dass das Weber’sche Gesetz falsch ist, und unter Anwendung des neuen Gesetzes der Unterschiedsschwelle, das aussagt: Die Unterschieds- schwelle ist eine Exponentialfunktion der Reizintensität. Fechner foleerte so: l. Die Unterschiedsschwelie ist proportional der Reiz- intensität. 2. Alle eben merklichen Änderungen von Empfindungen sind als gleich anzusehen. 3. Das Verhältnis eines eben merklichen Empfindungszuwachses (dE) zu dem Zuwachs des Reizes, der den Empfindungs- ER - 254 August Pütter: zuwachs bewirkt (d), ist als ein Differentialquotient zu be- trachten. | dE 1 IR ER Integration auf die Gleichung E= log R führt, denn der Differential- Daraus ergibt sich die Differentialgleichung deren quotient des Logarithmus ist = d. h. in diesem Falle = & Wir müssen jetzt die erste dieser drei Voraussetzungen ändern, entsprechend dem Ergebnis der vorstehenden Untersuchungen, nach denen die Unterschiedsschwelle eine Exponentialfunktion der Reizintensität ist. Dementsprechend kommen wir auf eine andere Differentialgleichung, der wir die Form geben können: en te) oder in Worten: Der Differentialquotient der eben merklichen Empfindungsänderung nach der Reizintensiät ist eine Exponential- funktion der Reizintensität. Daraus ergibt sich, dass die Emp- findung selber eine Exponentialfunktion der Reiz- intensität sein muss, denn der Differentialquotient der Ex- ponentialfunktion ist die Exponentialfunktion selber. Wir kommen also zunächst zu der Formulierung E=f(e®), in der die Form der Funktion noch unbestimmt und nur ihr Charakter als Exponentialfunktion betont ist. Welche Form diese Exponentialfunktion haben muss, lässt sich leicht ableiten. Wie gezeigt werden wird, können wir ihr die Gestalt geben: B= (1 -e-h) a io)! Hier bedeutet #& die Empfindungsstärke, AR die Reizintensität, e die Basis der natürlichen Logarithmen und c eine Konstante, deren Sinn weiter unten erläutert werden wird. Diese Gleichung beschreibt die Erscheinungen, die dargestellt. werden sollen, weit besser als die Fechner’scehe Formel. Eine unbefangene Betrachtung der Formel E=log R führt ja ohne weiteres zu dem Ergebnis, dass se nur eine Inter- polationsformel sein kann, denn sie gibt die Grenzfälle falsch. Wenn Fechner auch glaubte, die Tatsache der Nullschwelle dadurch in seiner Formel dargestellt zu haben, dass für 2= 1,0, für den Schwellenreiz, 2=0 wird, so blieben doch die beiden tat- Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 255 sächliehen Grenzfäile ?2=0 und R=o sinnlos, denn nach der Formel sollten allen Werten von A, die kleiner als 1,0 sind, negative Werte der Empfindung entsprechen, die für R=(0 den Wert E= — © annehmen, und dem Werte R— & sollte eine Empfindung E=& entsprechen. Dass Fechner’s Versuche, negativen, ja schliesslich unendlich negativen Empfindungen einen Sinn abzugewinnen, verfehlt waren, ist heute allgemein anerkannt. FEbensowenig findet die Forderung der Gleichung, dass einem unendlichen starken Reiz auch eine un- endliche starke Empfindung entsprechen soll, in den tatsächlichen Beobachtungen irgendwelche Stütze. Eine Gleichung, die für alle möglichen äusseren Reize, auch für die Grenzfällle R=0 und R=, die Beziehung des Reiz- zuwachses zum Empfindungszuwachs wiedergeben soll, muss für den - Reizwert R=0 auch den Empfindungswert E=0 geben und damit der Beobachtung Rechnung tragen, dass es Reize von endlicher "Stärke gibt, die keine Empfindung auslösen, so dass erst einem endlicher Werte von % die Empfindungseinheit E=1 entspricht; d. h. die Empfindung, die wir an der Nullschwelle haben. Sie muss ferner für unendliche Reizintensität einen endlichen Grenzwert erreichen, den wir H nennen wollen, denn sie muss. damit der weiteren Beobachtung entsprechen, dass es eine gewisse endliche Intensität der Empfindung gibt, die Erregungshöhe, die aurch keine Steigerung der Reizintensität überschritten werden kann. Die Exponentialeleichung, die wir eben aufstellten, entspricht diesen Bedingungen vollständig. Für R—=0 wird E=0, und für I co, wird E— = wenn c eine Konstante ist, die für das einzelne reizbare System bezeichnend ist, und die definiert ist durch die Gleichung : = - wo H die Erregungshöhe bedeutet. Wir können die Gleichung also auch schreiben: De ee Re) oder in Worten ausgedrückt: Die Empfindungsstärke E ist abhängig von der erreichbaren Erregungshöhe H und nähert sieh ihr- mit wachsender Reizintensität um so langsamer, je stärker die Empfindung bereits ist. Solange man die Festsetzung gelten lässt, dass alle eben merk- 256 August Pütter: lichen Änderungen einer Empfindung einander gleich zu setzen. und als unendlich kleine Grössen im mathematischen Sinne zu be- trachten sind, wird die Beziehung von Empfindungsstärke und Reiz- intensität vollständig durch die aufgestellte Exponentialgleichung beschrieben. Ohne solche Festsetzungen hat ja, wie nochmals betont sei, eine „psychophysische Maassformel“ überhaupt keinen Sinn. Soweit man aber eine derartige Formel überhaupt verwendet, darf man nicht mehr die Feehner’sche Formel benutzen, sondern nur die Gleichung, nach der die Empfindungs- stärke als Exponentialfunktion der Reizstärke erscheint. Eine genauere Betrachtung mag zeigen, wie gut diese Form der psycehophysischen Maassformel die Beobachtungen wiedergibt. Wir wollen im folgenden die Erregungshöhe HZ 100 setzen. Dann ist die Konstante c, die durch die Gleichung — definiert ist, c—=0,01, und die Gleichung lautet: 2 —00. (est ar Ein Reiz von der Intensität 1,0 löst eine eben merkliche Emp- findung aus, die E=1,0 ist. Dieser Reiz ist der Nullschwellenreiz, und alle Reize sind ausgedrückt in Vielfachen dieses Reizes. Wenn wir der Empfindung einen gewissen Zahlenwert zuordnen, so hat das insofern keinen Sinn, als wir niemals aus der sinnlichen Erfahrung heraus angeben können, eine Empfindung sei ‘10- oder 20 mal, sei n mal so stark wie eine andere. Man kann aber solchen Zahlenfestsetzungen doch einen Sinn geben, nämlich den, dass man sagt, es sind eben merkliche Schritte der Empfindungs- zunahme nötig und hinreichend, um von der Empfindung 1,0 zu der Empfindung » zu gelangen. Die Empfindung 2,0 ist also die Empfindung, die eben merklich stärker ist als die Null- schwellenerregung, der die Empfindung E= 1,0 entspricht, nicht eine Empfindung, die doppelt so stark wie die Empfindung 1,0 ist. Nach der Theorie, die in den vorigen Abhandlungen entwickelt ‚ist, entspricht einem eben merklichen Reizerfolge eine konstante Zunahme der Konzentration der Erregungsstoffe (A-Stoffe).. Das ist die materielle Grundlage für die Reizvorgänge. Die Beziehung zwischen physiologischem Vorgang und Emp- findung lässt sich dann so formulieren, dass man sagt: Ein kon- stanter Zuwachs der Erregungsstoffe in den reizbaren Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 357 Elementen kommt auf der psychischen Seite durch einen eben merklichen Zuwachs der Empfindung zum Ausdruck. In diesem Sinne ist die psychophysische Maassformel aufzufassen. In der Form, in der wir sie zuletzt schrieben, und in der wir H== 100 setzen, enthält sie also die Aussage: Es sind von der Null- schwelle bis zur Erregungshöhe 100 Schritte möglich. Dieser Wert ist nur zu Beispielszwecken gewählt; für das Auge beträgt die Zahl soleher Schritte, wie Theorie und Beobachtung lehren, etwa 1000. Bleiben wir bei dem Beispiel, so sind leicht für die verschiedenen Werte von AR die entsprechenden Werte von E zu berechnen. Zur Übersicht dient Tabelle 17. Man sieht aus ihr, dass für kleine Werte von R die Empfindung direkt proportional der Reiz- intensität steigt. Dem Reiz 2,0 entspricht #=2,0, dem Reiz 5,0 E=4.9. Tabelle 17. Zahl der eben merklichen Empfindunes- Reizintensität a ze NEN schritte von der Nullschwelle an R= wHo Er Steigt die Reizintensität höher, so hält der Zuwachs der Emp- findung nicht mehr Schritt mit dem Reizzuwachs; wir erreichen das Gebiet, innerhalb dessen die Empfindung langsamer als die Reiz- intensität wächst, bis wir schliesslich an einen Punkt kommen, wo selbst ein sehr grosser Zuwachs der Reizintensität keinen merklichen Zuwachs der Empfindung mehr bewirkt. Es ist ohne weiteres klar, dass es zwischen den Reizintensitäten, für die die Empfindung proportional der Reizintensität wächst, und jenen, bei denen die Empfindung selbst durch beliebig grosse end- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 7 258 August Pütter: liche Zunahme des Reizes nieht mehr merklich verstärkt wird, ein Gebiet von Reizintensitäten geben muss, in dem man mit genügender Annäherung die Empfindung proportional dem Logarithmus der Reiz- intensität setzen kann, d. h. ein Gebiet, innerhalb dessen sich die Beobachtung durch die Fechner’sche Formel darstellen lässt. Die Exponentialgleichung lässt also die Fechner’sche Formel als das erkennen, was sie ist, als eine Interpolationsformel, die für einen begrenzten Bereich der Beobachtung hinreicht, ohne dass sie irgendeine tiefere Beziehung zu dem Vorgang hätte, der mit ihrer Hilfe dargestellt werden soll. Eine Gleichung, die die Beziehungen zwischen Empfindung und 'Reizstärke darstellen soll, darf nichts enthalten, was der Nullschwelle die Eigenschaft eines ausgezeichneten Punktes gibt, denn psychologisch wie physiologisch ist die Annahme gleich notwendig, dass die Vorgänge, die unter der Wirkung unterschwelliger Reize vor sich gehen, nur quantitativ, nicht qualitativ verschieden von den Vorgängen sind, die bei Schwellenreizung oder überschwelliger Reizung vor sich gehen. Die Nullschwelle ist ja, wie schon oben betont wurde, gar keine Eigenschaft des reizbaren Systems, sondern eine Eigenschaft des Indi- kators, durch den man sich Kenntnis von den Vorgängen im reiz- baren System verschafft. In der Exponentialkurve entspricht in der Tat der Nullschwelle kein ausgezeichneter Punkt. Dagegen muss eine andere positive Forderung an die Gleichung sestellt werden: Sie muss die unmittelbare Beziehung der Null- sehwelle zur Unterschiedsschwelle erkennen lassen. Die Nullschwelle soll ja nur als Grenzfall der Vergleichung zweier Empfindungen verschiedener Intensität erscheinen, als der Grenzfall, bei dem die eine der verelichenen Intensitäten Null ist. Diese Forderung erfüllt die Exponentialgleichung ebenfalls. Sobald eine Festsetzung über die Grösse der Nullschwelle getroffen ist, ist damit auch die Unter- schiedsschwelle festgelest. Wir setzen die Empfindung, die der Null- schwellenerresung entspricht, als Einheit und haben damit gleich- zeitig festgesetzt, dass der eben merkliche Zuwachs jeder Empfindung eine Einheit betragen soll, denn die Gleichheit der eben merklichen Zunahmen der Empfindungen ist ja eine der grundlegenden Fest- setzungen, die die Entwicklung einer psychophysischen Maassformel erst ermöglichen. | In bezug auf die Grösse der relativen Unterschiedsschwellen Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 359 lässt die Formel, wie oben schon betont, ohne weiteres erkennen, dass sie bei schwachen Reizen mit wachsender Reizintensität ab- nehmen müssen, dass sie dann in einem mittleren Bereich am kleinsten sind und sich hier nur langsam mit der Reizintensität ändern, während bei grossen Reizintensitäten, bei solchen, die Emp- findungen auslösen, die schon der Erregungshöhe nahe stehen, die relativen Unterschiedsschwellen wieder rasch anwachsen. Die Erresungshöhe wird ja theoretisch erst durch unendlich starke Reize erreicht, die Formel lässt aber leicht erkennen, dass sie „praktisch schon ziemlich rasch erreicht wird. So entspricht in der Gleichung 18 einem Reiz von der Intensität 460 schon eine Zahl von 99 eben merklichen Schritten der Empfindungszunahme, d. h.: . die Empfindung, die dieser Reiz auslöst, ist nur gerade noch von der Erregungshöhe zu unterscheiden; ein einziger Schritt der Emp- findungeszunahme führt von der Empfindung, die der Reizintensität R—460 zugeordnet ist, zu der Empfindung der Erregungshöhe, die dem Reiz R—= zugeordnet ist. Die ganze Entwicklung der neuen psychophysischen Maassformel, wie sie hier gegeben ist, gründet sich auf bestimmte einfache physikalisch-chemische Voraussetzungen, die sich bei ihrer Anwendung auf die physiologischen Erscheinungen gut bewährt haben. Physiologisch ergibt sich, dass eine Schwellenerregung eintritt, wenn die Konzentration bestimmter wirksamer Stoffwechselprodukte, die wir Erregunssstoffe oder A-Stoffe nennen, ohne damit über ihre besondere chemische Beschaffenheit etwas auszusagen, um einen konstanten Betrag steigt. Zur Verknüpfung der stofflichen Vorgänge mit den gleichzeitig auftretenden psychischen Erscheinungen, mit den Empfindungen, ge- nüsen die oben entwickelten und bewährten Sätze, die hier wieder- holt seien: 1. Einem konstanten Zuwachs der Konzentration der Er- recungsstoffe in dem reizbaren System entspricht ein eben merklicher Zuwachs der Empfindung. 2. Alle eben merklichen Zunahmen von Empfindungen sind als sleich zu betrachten und mathematisch als Differentiale zu behandeln. Daraus ergibt sich als physiologischer Standpunkt gegenüber den Fragen der gesetzmässigen Beziehung zwischen stofflichen Vor- gängen und Empfindung der Satz: 107, 260 August Pütter: Einem konstanten Zuwachs der Konzentration der Erregungsstoffe im reizbaren System entspricht ein konstanter Zuwachs der Empfindungsstärke, die Emp-: findungsstärke ist direkt proportional der Konzentration der Er- regungsstoffe im Reizraum. | i Ergebnisse. 1. Das Weber’sche Gesetz, wonach die absolute Unterschiedsschwelle proportional der Reiz- intensität, dierelative Unterschiedsschwelle kon- stant sein soll, ist falsch; an seine Stelle ist der Satz zu stellen, der in der vorigen Abhandlung bewiesen wurde, dass die absolute wie die relative Unterschieds- schwelle eine Exponentialfunktion der Reiz- intensität ist. 2. Die Empfindungsstärke ist eine Exponential- funktion der Reizintensität. Dieser Satz ersetzt das Fechner’sche Gesetz, wonach die Empfindungsstärke proportional dem Logarithmus der Reiz- intensität sein soll. Er lässt sich auch so ausdrücken: Die Empfindungsstärke nähert sich einem oberen Grenzwert, der Empfindungshöhe, und hierbei ist der Zuwachs, den die Empfindung durch einen konstanten Zuwachs der Reizintensität erfährt, proportional dem Abstande des jeweiligen Empfindungszustandes von der Emp- findungshöhe. Da sich das Fechner’sche Gesetz auf das falsche Weber’sche Gesetz stützt, ist es selber falsch. An die Stelle der falschen Formulierung der psychophysischen Maassformel : E=logR 2 tritt als vollständiger Ausdruck der Beziehungen von Emp- findungsstärke E und Reizstärke R die Gleichung we) R wenn H die Empfindungshöhe bedeutet. 3. Die Empfindungsstärke ist direkt proportional der Konzentration der Erregungsstoffe in den reizbaren Systemen. Studien zur Theorie der Reizvorgänge. 361 Dieser Satz vermittelt eine physiologische Vorstellung über die stoffliehe Grundlage des psychophysischen Parallelismus. Aus .einer theoretischen Bearbeitung der Reizvorgänge ergibt sich das Resultat, dass die Konzentration der Erreguugs- stoffe in den reizbaren Systemen eine Exponential- funktion der Reizintensität ist. Die Form der gesetz- mässigen Beziehungen zwischen Empfindungsstärke und Reizintensität hängt von der Art und Weise ab, wie das stoffliche Geschehen in den reizbaren Elementen durch die Reize beeinflusst wird. Für die Beziehung der Empfindungsstärke zu dem Zustande des stofflichen Systems, dessen Veränderungen den Empfindungen „parallel“ gehen, ist die einfache Annahme einer direkten Proportionalität hinreichend. Zwei Modelle zur Demonstration des Einflusses der Schwere auf die Blutverteilung. Von Prof. Dr. Robert Stigler, Wien. (Mit 3 Textfiguren.) Schon vor fast 100 Jahren hat Magendie!) Beschwerde er- hoben, dass der Einfluss der Schwere auf den Blutkreislauf von den Physiologen so wenig gewürdigt werde. Dieser Beschwerde kann man sich auch heute noch mit Recht anschliessen. Gleichwohl ist die Lehre vom Einflusse der Schwere auf Blutverteilung und Kreislauf, die man als Hämostatik bezeichnen kann, von grossem physio- logischen und klinischen Interesse, ganz besonders für die Hydro- therapeuten, denen bisher die mechanische Wirkung des Bades hauptsächlich deshalb fast unbekannt geblieben zu sein scheint, weil sie sich mit der Hämostatik nicht beschäftigten. I. Das hämostatische Modell. Zur Demonstration der einfachsten Erscheinungen der Hämo- statik- habe ich ein für den Unterricht bestimmtes Modell konstruiert, welches ich „hämostatisches Modell“ nenne (Fig. 1). Drei Gummifingerlinge (von zweckdienlich ausgewählter Wand- stärke) X, T, B, stellen die Gesamtheit der Blutgefässe des Kopfes (K), der Brust (namentlich des Herzens und der Lungengefässe) (T) und des Bauches samt den unteren Extremitäten (B) dar; sie sind durch die Glasröhren (bzw. Schläuche) A und C mit- einander verbunden, deren untere A etwa doppelt so lang ist wie die obere C, um dadurch die Lage des Herzens an der Grenze zwischen 1) F. Magendie, Lehrb. d. Physiol., 2. Aufl., Bd. 2 S. 295. 1826. Due . Zwei Modelle zur Demonstration des Einflusses der Schwere usw. 263 dem oberen und mittleren Drittel der gesamten Körperlänge an- zuzeigen. Das obere Ende (D) des unteren und das untere Ende (E) des oberen Verbindungsrohres ist kugelig aufgetrieben und an seinem Fig. 1. freien Rande mit einer ringsumlaufenden Rinne versehen, so dass der mittlere Fingerling nach Abkappung seines geschlossenen Endes an beide Verbindungsröhren dieht aufgebunden werden kann. Der mittlere Fingerling 7 ist in einem Glaszylinder 7% ein- geschlossen. dessen beide Enden mit Kautschukpfropfen verschlossen 264 Robert Stigler: sind, welche von den Verbindungsröhren A und © durchbohrt sind. Dieser Glaszylinder 7’h verkörpert die starre Brustwand. Er steht durch eine den oberen Kautschukpfropfen durchbohrende Glasröhre Tr (Trachea) mit der Aussenluft in Verbindung, so dass auf der Ober- fläche des Fingerlings 7’ atmosphärischer Druck lastet. Fig. 2. Das ganze System der drei miteinander verbundenen Fingerlinge wird mit Wasser gefüllt; dazu dienen zwei abklemmbare seitliche Ansätze F und @ der beiden Verbindungsröhren A und ©. Das Verbindungsrohr A hat nebstdem noch einen zweiten seitlichen An- satz zur Verbindung mit einem Wassermanometer M, an welchem der in den Fingerlingen jeweils herrschende Wasserdruck abgelesen werden kann. Das Manometer ist mit seinem unteren Ende mittels Zwei Modelle zur Demonstration des Einflusses der Schwere usw. 205 eines Scharnieres am Grundbrett des Apparates befestigt, so dass man es bei Horizontallagerung des Modelles vertikal aufstellen kann (Fig. 2). Der unterste Fingerling DB ist zum Sehutze gegen Überdehnung mit einem entsprechend weiten Netzbeutel versehen, der oberste Fingerling steckt zum Schutze gegen äussere Schädigungen in einer hinlänglich weiten Glashülle mit einem offenen seitlichen Ansatz. Das Grundbrett des Modelles wird von zwei zusammenklappbaren Eisenträgern (J) getragen, deren Arme bei Horizontallagerung des Modelles zusammengeklappt werden. Das Modell wird in horizontaler Lage mit Wasser gefüllt. Hiezu werden die Klammern von den Ansätzen ? und @ abgenommen und durch einen derselben Wasser mit einer Spritze eingefüllt. Die Luft entweicht dureh den anderen offenen Ansatz. Zurückbleibende Luft- blasen werden mit aufrechtgestellter Spritze angesaugt. Es empfiehlt sich nicht, zur Füllung gefärbtes Wasser zu verwenden, da dieses den Kautschuk schädigt. Die Erneuerung der Fingerlinge, die, je nach der Qualität des Kautschuks, von Zeit zu Zeit nötig ist, bietet keine besonderen Schwierigkeiten. Mit dem hämostatischen Modell können folcende Demonstrationen vorgeführt werden: 1. Wirkung des Lagewechsels auf Blutverteilung und Blutdruck. Das Modell wird in solchem Ausmaasse mit Wasser gefüllt, dass sich bei seiner Vertikalstellung die Wand des obersten Fingerlings ein wenig in Falten legt (Fig. 1). Der unterste Fingerling des vertikalgestellten Modelles ist prall gefüllt, so dass ihm das Netz eng anliest. Der mittlere Fingerling ist weniger als der obere und mehr als der untere gefüllt. Das Wasser im Steigrohre reicht bis zum oberen Ende des Modelles. Der Druck, der an irgendeiner Stelle der drei Fingerlinge auf deren Innenwand lastet, ist natürlich durch den Abstand dieser Stelle vom oberen Ende der Wassersäule im Steisrohre M gegeben. Bei Horizontallagerung (Fig. 2) füllen sich alle drei Fingerlinge gleich stark, d. h. der oberste mehr, der unterste weniger als in vertikaler Stellung, so dass zwischen letzterem und dem Netz ein freier Zwischenraum entsteht. Der Innendruck ist jetzt in allen drei Fingerlingen gleich und, wie am Manometer abzulesen ist, infolge 266 Robert Stigler: der Horizontallagerung im obersten Fingerling gestiegen, im untersten Fingerling gesunken. In gleicher Weise wirkt Lagewechsel auf die Blutverteilung und «len Blutdruck des Menschen: beim Übergang aus aufrechter in liegende Stellung füllen sich Kopf und Brust auf Kosten des Bauches und der unteren Extremitäten mehr mit Blut; der Blutdruck steigt in den Gefässen des oberen (genauer gesagt: über dem „Indifferenz- punkt“ gelegenen) Körperabschnittes und sinkt in denen des unteren. Das Zustandekommen der Ohnmacht durch Erschlaffung der Bauchblutgefässe kann am hämostatischen Modell demonstriert werden, indem man den Netzbeutel vom untersten Fingerling des vertikal- gestellten Modelles entfernt; dann dehnt sich dieser stark aus, während der oberste kollabiert. Durch Horizontallaserung tritt infolge des Freiwerdens eines gewissen Betrages der. elastischen Spannkraft des untersten Fingerlings wieder gleichmässige Verteilung der Flüssigkeit auf alle drei Fingerlinge ein, wodurch die günstige Wirkung der Horizontallagerung eines Ohnmächtigen dargetan wird. 2. Die Wirkung des Bades auf die Blutverteilung und den Blutdruck. Das vertikalgestellte Modell wird in ein entsprechend hohes, mit Wasser gefülltes Glasgefäss eingetaucht. Die Fingerlinge ändern . ihre Gestalt in ähnlicher Weise wie bei Horizontallagerung: der unterste Fingerling erschlafft und pendelt innerhalb seines Netzbeutels, der oberste Fingerling stellt sich infolge seiner pralleren Füllung mehr auf, die Falten seiner Wand verstreichen. Auch das Volumen des mittleren Fingerlings nimmt sichtlich zu, und zwar um so mehr, je tiefer das Modell untergetaucht wird. Dies hat folgenden Grund: Je nach der Tiefe, bis zu welcher der unterste Fingerling eingefaucht ist, wird der auf seiner Innen- fläche lastende Druck durch den äusseren Wasserdruck kompensiert. Infolge der dadurch freiwerdenden Elastizität (Spannkraft) kontrahiert sich der Fingerling und drängt einen Teil seines Inhalts nach aufwärts. Während die Wand des untersten Fingerlings durch den äusseren Wasserdruck unterstützt wird, lastet auf der Aussenseite des mittleren Fingerlings bloss der Luftdruck (da er ja in dem mit der Aussenluft kommunizierenden Zylinder 7% wasserdicht eingeschlossen ist). Das gleiche eilt auch vom obersten Fingerling, solange er nicht selbst unter Wasser getaucht ist. Daher erweitern sich der obere und nn i A En ie a a ae aan a ar, Zwei Modelle zur Demonstration des Einflusses der Schwere usw. 267 mittlere Fingerling, indem sie das aus dem untersten verdrängte Wasser aufnehmen. "T'aucht man nach Abnahme der Glashülse des obersten Fingerlings das Modell so tief ein, dass auch der oberste Finserling unter Wasser steht (wobei aber das Verbindungsrohr Tr noch die Kommunikation des Zylinders 7% mit der Aussenluft aufrecht- erhalten muss), so wird dadurch nur der mittlere Fingerling 7 mehr belastet, nicht aber der oberste oder unterste, weil diese durch den von aussen wirkenden Wasserdruck unterstützt werden. Dieser kompensiert einen bestimmten Teil des auf der Innenwaud des obersten und untersten Fingerlings lastenden Druckes. Infolgedessen ziehen sich letztere zusammen und drängen einen Teil ihres Inhaltes in den mittleren Fingerling. Vor und während des Eintauchens lese man am Manometer den Druck ab, welcher die Innenwand der Fingerlinge belastet! Dieser Druck steigt beim Untertauchen in allen drei Fingerlingen; die Innendruckzunahme wird aber beim untersten Fingerling durch den äusseren Wasserdruck überkompensiert, so dass beim Eintauchen die Wandbelastung des untersten Fingerlings sinkt, die des mittleren und obersten steigt. Der Innendruck im mittleren Fingerling ist, wie das Manometer zeist, bei völligem Eintauchen des Modelles grösser als bei Horizontallagerung desselben }). Taucht man das Modell, entsprechend: der Lage eines in der Wanne badenden Menschen, in schräger Stellung unter Wasser, so ist die Änderung der Flüssigkeitsverteilung und des Druckes in den Fingerlingen im Einklange mit der geringeren Höhe der aussen drückenden Wassersäule geringer, als wenn man das Modell in vertikaler Lage untertaucht. Diesen Versuchsergebnissen eutsprechen bestimmte mechanische Wirkungen des Wasserdrucks auf Blütverteilung und Kreislauf des badenden Menschen, zu deren Verständnis man wissen muss, dass sich der äussere Wasserdruck ungeschwächt auf die Blutgefässe der untergetauchten Körperteile, mit Ausnahme der vom Brustkasten ge- schützten ?), überträgt: 1. Der Druck des Wassers kompensiert entsprechend der Tiefe, bis zu welcher ein Körperteil eingetaucht ist, den Druck, welchen 1) Eine eingehendere physikalische Ableitung der geschilderten Vorgänge werde ich in einer späteren Abhandlung mitteilen. 2) R. Stigler, Die Taucherei. Abderhalden’s Fortschritte d. naturw. Forschung Bd. 9 S. 134 ff. 1913. 268 Robert Stigler: die Schwere des Blutes auf die Inonenwand der eingetauchten Gefässe ausübt. Dadurch wird ein gewisser Betrag der elastischen Spannkraft der untergetauchten Blutgefässe frei und bewirkt die Verlagerung einer bestimmten Blutmenge aus den untergetauchten extrathorakalen Gefässen in die aus dem Wasser herausragenden und die im Brust- kasten eingeschlossenen Körperteile. So bewirkt das Bad relative Hyperämie des Kopfes und der intrathorakalen Organe, namentlich der Lunge. 2. Der mittlere arterielle Blutdruck steigt. 9. Die Wandung der untergetauchten extrathorakalen Blutgefässe wird durch das Bad entlastet, die Wandung der Blutgefässe des Kopfes und der intrathorakalen Organe, namentlich das Herz selbst, belastet. Diese primären mechanischen Wirkungen des Bades werden meist durch sekundäre physiologische Gegenwirkungen des Blutgefässsystems nach einer gewissen Zeit teilweise oder ganz kompensiert. II. Ein. Tauehermodell. Taucht man das hämostatische Modell, bei erhaltener Kommuni- kation des den Thorax darstellenden Glaszylinders 7% und der den obersten Fingerling einschliessenden Glashülle mit der Aussenluft, völlig unter Wasser, so wird, je tiefer das Modell untertaucht, um so mehr Wasser aus dem untersten, hauptsächlich die Bauchblutgefässe darstellenden Fingerling in die beiden anderen gepresst; schliesslich entleert sich der unterste Fingerling völlig, während die beiden oberen immer praller gefüllt werden, gegebenenfalles sogar platzen. Ähnlich würde es den Gefässen eines Tauchers ergehen, der, etwa durch einen an der Wasseroberfläche mündenden steifwandigen Schlauch atmend, untertauchen wollte. Der Wasserdruck würde ihn nicht nur am Atmen hindern, sondern auch seine extrathorakalen Blutgefässe derart komprimieren, dass sie nahezu ihren ganzen Inhalt in den Thorax, namentlich in Lunge und Herz, ergössen. Dieser Gefahr wird bei den modernen Tauchapparaten bekanntlich dadurch vorgebeugt, dass dem Taucher in seinen luftdicht schliessenden Anzug Luft unter hinlänglich hohem Drucke eingepumpt wird, und dass durch Anbringung eines Luftauslassventiles am Taucherhelm dafür gesorgt ist, dass der Druck der vom Taucher geatmeten Luft gleich dem Wasserdruck in Brusthöhe desselben ist. Zwei Modelle zur Demonstration des Einflusses der Schwere usw. 269 Fig. 3. 270 Robert Stigler: Ein Modell eines derartigen Apparates kann man sich aus dem hämostatischen Modell herstellen, indem man die beiden Glasröhren, durch welche einerseits der Thoraxzylinder 7%, anderseits das Schutz- glas des die Kopfblutgefässe darstellenden Fingerlings mit der Aussen- luft kommunizieren, mit je einem Schlauche verbindet, welcher zu einer Luftpumpe führt. Taucht man nun das Modell ganz unter Wasser und pumpt man zugleich Luft in die beiden genannten Glas- hüllen, so kann dadurch eine ungleichmässige Verteilung der Flüssigkeit in den drei Abschnitten des Modelles verhindert werden; nur muss man dafür Sorge tragen, dass der Druck der eingepumpten Luft dem jeweiligen Wasserdruck in der. Höhe des mittleren Abschnittes des Modelles gleich ist. Dies wird durch die Anbringung je eines sich bloss nach aussen öffnenden Ventiles an beiden Glaszylindern und durch überreichliche Luftzufuhr bewerkstelliet, wobei die über- schüssige Luft durch die Ventile entweicht. Ein derart umge- staltetes hämostatisches Modell ist das in Fig. 3 dargestellte Tauchermodell!). ‚Es besteht aus zwei durch eine Glasröhre miteinander kommu- nizierenden Kautschukfingerlingen, deren unterer etwas stark wandiger als der obere ist. Der obere stellt die Gesamtheit der Blutgefässe des Kopfes und der im Thorax enthaltenen Organe, der untere die Gesamtheit der Blutgefässe des Bauches und der unteren Extremi- täten dar. Die Kopf- und Halsgefässe des Tauchers sind dureh den Taucherhelm ebenso gegen den äusseren Wasserdruck geschützt, wie die intrathorakalen Blutgefässe auf natürliche Weise durch den Thorax. Dementsprechend ist der obere Fingerling mit hinlänglichem Spiel- raum in einer Glashülse eingeschlossen, deren nach abwärts gerichtete Öffnung mit einem Kautschukpfropfen verschlossen ist; letzterer ist von drei kurzen Glasröhren durchbohrt, 1. von dem Verbindungsrohr der zwei Fingerlinge, 2. von einem Rohre, welches durch den Schlauch Z die Verbindung des Luftraumes der Glashülse mit der Luftpumpe 2 herstellt, und 3. von einem Rohre, welches durch den Schlauch ® zum Luftauslassventil % führt. Dieses Ventil ist am 1) In der Taucherschule von Siebe & Gormann in London ist ebenfalls ein Taucherapparatmodell in Gebrauch, welches einen kleinen Taucher darstellt, der aus zwei miteinander kommunizierenden Kautschukblasen besteht, deren eine in einer Kapsel steckt, in welche von aussen Luft eingepumpt werden kann. Dieses kleine Modell ist im Diving Manual von Siebe & Gormann (1910) 8.19 abgebildet. A tn Fr u Sie in Zwei Modelle zur Demonstration des Einflusses der Schwere usw. 271 Modell an einem längeren Schlauche angebracht, damit man es in verschiedener Höhe einstellen und so den Einfluss der Einstellung des Luftauslassventiles des Taucherapperates auf den Druck der Atmungsluft und auf die Verteilung des Blutes in der oberen und unteren Körperhälfte des Tauchers zeigen kann. Der Pumpenschlauch Z trägt an seinem oberen Ende ein vier- teiliges Verbindungsrohr; ein Ende steht mit der Luftpumpe P, ein anderes mit einem Hg-Manometer, das dritte mit einem kurzen Schlauch U in Verbindung, welcher während des Versuches ab- seklemmt ist, und nur dazu dient, um nach dem Versuche die in das Modell eingepumpte Luft abzulassen. Zur Füllung der Fingerlinge. mit Wasser dienen zwei: seitliche Ansätze ihres Verbindungsrohres, F und @. Das Tauchermodell ist an einem metallenen Rahmen befestigt, der eine Millimeterteilung trägst, an der die Tiefe, bis zu welcher das Modell untergetaucht wird, und der Stand des Ventiles R ab- gelesen wird; letzteres wird mit einer Klammer auf den Rand des Metallrahmens über der Teilung aufgesteckt. Natürlich benötigst- man zu dem Tauchermodell auch ein ent- sprechend hohes Glasgefäss. Das Tauchermodell wird in folgender Weise gehandhabt: Die beiden: Fingerlinge werden mittels einer Spritze durch den Ansatz F’ oder @ mit Wasser gefüllt, während durch den andern die Luft entweieht, und das Ventil in gewünschter Höhe am Maasstab an- seklemmt. Dann wird das Modell untergetaucht. Je tiefer es unter Wasser kommt, um so mehr entleert der untere Fingerling von seinem Inhalt in den oberen. Nun wird mit Hilfe der Handpumpe P Luft in das Gehäuse des oberen Fingerlings gepumpt und der in der Glashülse herrschende Luftdruck am Manometer abgelesen. So- bald derselbe den Wasserdruck in Ventilhöhe überschreitet, ent- weicht die überschüssige Luft in Form von Blasen aus dem Ventil. Stellt man während der Betätigung der Pumpe das Ventil höher, so füllt sich der obere, stellt man es tiefer, so füllt sich der untere Fingerling praller. Für den Taucher ist die Lage des Ventils von grösster Wichtigkeit, da hievon nicht nur seine Atmung, sondern auch sein Kreislauf ab- hängt. Schon eine verhältnismässig geringe Druckdifferenz (von einigen Dezimetern Wasserdruck) zwischen Atmungsluft und äusserem Wasser- druck in Herzhöhe des Tauchers führt zu einer schweren Erkrankung, 23723 Robert Stigler: Zwei Modelle zur Demonstration usw. die ich als „Druckdifferenzkrankheit“ ") bezeichnet habe, ja selbst zum Tode. Die Druckdifferenzkrankheit ist durch den Austritt von Blut aus Mund, Nase und Ohren des Tauchers, eine Folge der Berstung von Blutgefässen der Lunge und des Kopfes, gekenn- zeichnet. Die beiden hier beschriebenen Modelle sind bei k. k. Universitäts- mechaniker L. Castagna in Wien erhältlich. 1) L. ce. S. 180. 14 Der Zinfluss des Nebenhodens auf die Vitalität der Spermatozoen. Von Prof. Dr. Robert Stigler, Wien. Teilweise nach Versuchen des Herrn cand. med. Renato Pollitzer. Die Spermatozoen des Hodens und Nebenhodens unterscheiden sich, wie schon seit längerer Zeit bekannt ist, durch ihre ver- ‚schiedene Motilität. Hammar!) und Walker?) fanden bei Hunden die Spermatozoen des Hodens und Nebenhodenkopfes bewegunsgslos, die 'Spermatozoen des Nebenhodenschwanzes aber mässig aktiv-beweglich. Walker beobachtete ausserdem, dass sich auf Zusatz von Prostata- :sekret die Spermatozoen des Hodens nur träge, die Spermatozoen des Nebenhodens aber lebhaft bewegen. Zur Erklärung dieses Unterschiedes ist anzunehmen, dass die Spermatozoen während ihres Aufenthaltes im Nebenhoden eine Umwandlung erfahren, welche ihre Beweglichkeit erhöht, und es liest nahe, diese Umwandlung mit dem Sekrete des Nebenhodens in Zusammenhang zu bringen, in dessen Kopfe bekanntlich J. Schaffer?) intraepitheliale alveoläre - Drüsen entdeckt hat. Hammar spricht denn auch die Vermutung aus, dass die Aufgabe des Nebenhodensekretes in der Ernährung der 'Spermatozoen und in der Verdünnung der Samenflüssigkeit bestehe. O0. v. Fürth“) sucht die Hauptbedeutung der Sekrete der ‚akzessorischen Geschlechtsdrüsen in ihrer Alkaleszenz; sein Schüler 1) J. A. Hammar, Über Sekretionserscheinungen im Nebenhoden des ‚Hundes. Arch. f. Anat. u. Entwickl.-Gesch. 1897, anat. Abt., Suppl.-Bd. S. 1—42. 2) G. Walker, Beiträge zur Kenntnis der Anatomie und Physiologie der ‘ ‚Prostata usw. Arch. f. Anat. u. Physiol. Bd. 5/6 S. 313. 1899. 3) J. Schaffer, Über Drüsen im Epithel der Vasa efferentia testis beim Menschen. Anat. Anz. VII S. 711—717. 1892. 4) ©. v. Fürth, Probleme d. physiol. u. pathol. Chemie Bd.1 S. 343. 1912. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 13 274 Robert Stigler: W. Hirokawa!) fand nämlich, dass eine Lösung von 0,002—0,004 Je. NaOH dieselbe bewegungsanregende Wirkung auf die Spermatozoen ausübe wie das Prostatasekret, die Samenflüssigkeit oder entsprechend: verdünntes Blut bzw. Blutserum. Nebenhodensekret selbst hat Hiro- kawa nicht untersucht. Darauf, dass die Spermatozoen während ihres Aufenthaltes im Nebenhoden eine Steigerung ihrer Lebendigkeit erfahren, schien mir: nicht nur der angegebene Unterschied in der Motilität der Sperma- tozoen des Hodens und Nebenhodens, sondern auch bestimmte Be- obachtungen an menschlichen Ejakulaten hinzuweisen. Meine Ver- suche ?) über die Wärmestarre der menschlichen Spermatozoen er-- gaben, dass diese bei einer Temperatur von mindestens 48° C. sofort. wärmestarr werden, dass die Wärmestarre aber auch bei einer Tem- peratur eintritt, welche unterhalb der genannten absoluten Grenze- liest, wenn die Spermatozoen dieser Temperatur lange genug aus- gesetzt werden. Auch Temperaturen von einer Höhe, wie sie im Fieber beobachtet wird, führen nach mehreren Stunden zur Wärme- starre der Spermatozoen. Der Wärmestarre, d. i. dem Wärme- tode der Spermatozoen, geht immer ein Stadium der Bewegungslosig- keit derselben voraus, welches nach entsprechend langer Abkühlung auf Zimmertemperatur wieder verschwindet; diesen Zustand habe ich als- Wärmelähmung bezeichnet. Meine Versuche an menschlichen Fjakulaten ergaben nun einen beträchtlichen Unterschied der Hitze-- widerstandsfähigkeit sowohl verschiedener Spermatozoen des gleichen. Ejakulates, als auch der hitzewiderstandsfähigsten Spermatozoen verschiedener Ejakulate, und zwar sowohl bezüglich des höchsten erträglichen Temperaturgrades, als auch bezüglich der Dauer bis. zum Eintritte der Wärmestarre. Ganz besonders deutlich trat der Unterschied zwischen dem ersten und zweiten, von ein und der-- selben Person am gleichen Tage gelieferten Ejakulate hervor: Wärmelähmung und Wärmestarre traten bei den Spermatozoen des: zweiten Ejakulates bei derselben Temperatur bedeutend früher ein. ‚als bei denen des ersten Ejakulates, Es liegt nahe, diesen Unter- 1) W. Hirokawa, Über den Einfluss des Prostatasekretes und der Samenflüssigkeit auf die Vitalität der Spermatozoen. Biochem. Zeitschr. Bd. 1% S. 291. 1909. 2) R. Stigler, Wärmestarre und Wärmelähmung der menschlichen Sperma-— tozoen. Pflüger’s Arch. Bd. 155 S. 201. 1913. Der Einfluss des Nebenhodens auf die Vitalität der Spermatozoen. 275 schied auf verschieden langen Aufenthalt der Spermatozoen im Nebenhoden zurückzuführen. Hierher gehört auch eine Beobachtung P. na’ So dass sich die Spermatozoen des von einem 30jährigen Manne eine halbe Stunde nach der ersten Kohabitation gelieferten zweiten EjJakulates mit viel geringerer Energie bewesten als die des ersten Ejakulates. Es schien uns deshalb von Interesse, die Widerstandsfähigkeit der Spermatozoen des Hodens und Nebenhodens gegen Wärme zu untersuchen. Als Versuchstiere verwendeten wir weisse Ratten, weisse Mäuse und Meerschweinchen. Unsere Untersuchungen zerfallen in zwei Gruppen: I. Untersuchung der Spermatozoen des zerzupften und in be- stimmtem Grade erwärmten Hodens und Nebenhodens, II. Untersuchung der Spermatozoen des Hodens und Nebenhodens von Tieren, deren Körpertemperatur künstlich gesteigert wurde. Zur Untersuchung wurde ein Stück des Hodens bzw. Neben- hodens in 0,004 °/oiger NaOH-Lösung (ein Teil Y/ıo-Normal-NaOH- Lösung auf 100 Teile Ringer’scher Lösung) zerzupft. In dieser schwach alkalischen Flüssigkeit bleiben nach den Untersuchungen W.Hirokawa’s die Spermatozoen am längsten am Leben. Ich will der Kürze des Ausdruckes halber jene schwach alkalische Lösung in der Folge als „Spermaverdünnungsflüssigkeit“ bezeichnen. Voruntersuchung. ‘Die Beweglichkeit der Spermatozoen des Hodens und Neben- hodens im unverdünnten und im verdünnten Zupfpräparate. Im unverdünnten Zupfpräparate des Hodens einer Ratte, Maus oder eines Meerschweinchens sind die Spermatozoen unbeweglich; in dem des Nebenhodens sind au manchen Stellen sehr schwache Bewegungen der Spermatozoen wahrnehmbar. Nach Zusatz der Spermaverdünnungsflüssigkeit zeigen die Sperma- tozoen des Hodens stellenweise träge Bewegung, die Spermatozoen des Nebenhodens bewegen sich hingegen sehr lebhaft, und zwar nieht nur wie jene des Hodens an Ort und Stelle, sondern sie _ ändern ihren Ort fortwährend. 1) P. Mantegazza, Sullo sperma umano. Rendiconti del reale istituto 'Lombardo. Cl. d. science matematiche e naturali vol. 3 p. 184. 1866. 125 276 Robert Stigler: Um zu sehen, ob diese Verschiedenheit der Motilität von der augenblieklichen Einwirkung des umeebenden Mediums abhänge, wurden im ausgepressten Safte eines Nebenhodens durch Erwärmung auf 42° C. während einiger Stunden alle Spermatozoen getötet. Das abgekühlte Sekret wurde einem in Spermaverdünnungsflüssigkeit zerzupften Hoden beigemengt. Die Motilität der Spermatozoen des- selben wurde dadurch nicht merklich erhöht. Die Ursache der grösseren Beweglichkeit jener des Nebenhodens muss daher haupt- sächlich auf der Veränderung beruhen, welche‘ die Spermatozoen selbst während ihres Aufenthaltes im Nebenhoden erfahren. I. Versuchsgruppe. Der Unterschied in der Wärmewiderstandsfähigkeit der Sperma- tozoen des Hodens und Nebenhodens bei Erwärmung in Sperma- verdünnungsflüssigkeit. Diese Versuche wurden "von Herrn cand. med. R. Pollitzer ausgeführt. Hoden und Nebenhoden wurden in zwei Schälchen mit je etwa 10 cem Spermaverdünnunesflüssigkeit zerzupft. Die dadurch erhaltene Spermatozoenaufschwemmung wurde auf mehrere dünn- wandige kleine Eprouvetten verteilt und diese mit Korken ver- schlossen; in diese waren Thermometer eingesetzt, deren untere Enden in den Inhalt der Eprouvetten tauchten. a) Die höchste Temperatur, welche von den Spermatozoen des Hodeıs und Nebenhodens ertragen wird. Um diese aufzufinden, müssen die Proben sehr rasch er- wärmt werden. Zu diesem Behufe wurden die Eprouvetten in ein Wasserbad von 60—80 ° GC. während verschieden langer, mit einer Stoppuhr abgelesener Zeiten getaucht, die Temperatur jeder Probe notiert und dann aus derselben mit einem Glasstabe ein Tropfen zur Untersuchung entnommen. Die Proben nahmen dabei die maximale, überhaupt in Betracht kommende Temperatur sehr schnell an. Es ergab sich, dass bei sehr rascher Erwärmung (während einiger Sekunden) die Spermatozoen des Hodens von weissen Ratten und Mäusen zwischen 55 und 57° C., die des Nebenhodens aber erst zwischen 61 und 62° C. wärmestarr werden. b) Der Eintritt der Wärmelähmung und Wärmestarre bei all- mählicher Erwärmung der Proben. Der Einfluss des Nebenhodens auf die Vitalität der Spermatozoen. 977 Le Die Proben wurden in einem Wasserbade von Zimmertemperatur gleichzeitig mit diesem erwärmt und in bestimmten kurzen Pausen untersucht. Je langsamer die Erwärmung erfolst, bei um so niedrigerer Temperatur tritt Wärmelähmung und Wärmestarre der Spermatozoen ein. Die Wärmestarre der Spermatozoen des Hodens tritt früher und bei niedrigerer Temperatur ein als die der Sperma- tozoen des Nebenhodens. Beispiel: Hoden Nebenhoden ; Dauer bis zum Ein- X | Dauer bis zum Ein- us tritt d. Wärmestarre manE | tritt d. Wärmestarre ne De ee 31,90 C. | 21/2 Min. | 96,4 ©. | 3 Min. . Bei einer Temperatur von 40°C. wurden die Spermatozoen des Hodens nach 1 Stunde wärmestarr, während sich die Spermatozoen des Nebenhodens noch nach mehreren Stunden lebhaft bewegten. Die Spermatozoen des Nebenhodenschwanzes erwiesen sich wärmewiderstandsfähiger als die des Nebenhodenkopfes. Es steht somit fest, dass die Spermatozoen des Nebenhodens gegen Erwärmung widerstandsfähiger sind als die des Hodens. ce) Ist die grössere Wärmewiderstandsfähigkeit der Spermatozoen des Nebenhodens dadurch bedingt, dass sie während der Erwärmung im Nebenhodensaft aufgeschwemmt sind? Zur Beantwortung dieser Frage hat Herr R. Pollitzer folgende Versuche „ausgeführt. Der mit Spermaverdünnungsflüssigkeit ge- mischte Saft des Hodens und Nebenhodens wurde in einseitig zu- geschmolzenen Röhrchen zentrifugiert, um die Spermatozoen soweit als möglich vom Sekrete zu trennen; dann wurden die Spitzen der Röhrchen abgeschnitten, die darin enthaltenen Spermatozoen mit je 10 cem Spermaverdünnungsflüssigkeit verdünnt; diese Spermatozoen- aufschwemmung wurde dann auf drei Proben verteilt und jeder Teil für sicb im Wasserbad erwärmt. Von Zeit zu Zeit wurden einzelne Tropfen entnommen und untersucht. Zur Feststellung des Eintrittes der Wärmelähmung wurden einzelne Tropfen jeweils auf Zimmertemperatur abgekühlt, wobei, falls noch nicht Wärme- starre besteht, Wiederbeweeung der wärmelahmen Spermatozoen eintritt. Abkühlung einer kleinen Flüssigkeitsmenge auf Zimmertemperatur wäh- rend 10 Minuten 50 Minuten) Keine Wiederbelebung wegungen einzelner Bei den meisten Sperma- tozoen sehr lebhafte Be- wegungen 978 Robert Stigler: Tabelle I. Tem- Spermatozoen Spermatozoen St tur unds pan: des Hodens des Nebenhodens I. Probe. 11h 25’ 42° Bewegung träge Bewegung lebhaft 11h 55 42° Viele unbeweglich, Mehr- | Bewegung lebhaft zahl schwach beweglich 12h 00° 42° Sehr spärliche beweglich Schwache Bewegungen fast aller 12h 3’ 499 Nur einige Spermatozoen | Wenige schwach, sehr spär- in Bewegung liche lebhaft beweglich _ 12h 8’ 420 Im ganzen Gesichtsfeld des | Derselbe Zustand wie vor- Mikroskops nur zwei her Spermatozoen in DBe- wegung 12h 15’ 42 Alle unbeweglich (nach | Noch immer schwache Be- 10h 5’ 41° 105 30’ 41° 10h 45’ 41° 10h 55' 41° 11h 31’ 41° 11h 45’ 41° Abkühlung auf Zimmer- temperatur während 10 Minuten I IB DE Abkühlung wie vorher 11h 8’ 45,50 11h 93’ 45,50 11h 95’ 45,50 Abkühlung während ö Minuten U. Probe. Bewegung träge Derselbe Zustand Sehr wenige beweglich Die meisten unbeweglich Sehr spärliche noch be- weglich Alle unbeweglich (nach 1’/2 Stunden) Keine Wiederbelebung Alle wärmestarr Keine Wiederbelebung III. Probe. Viele unbeweglich Alle unbeweglich (Wärme- starre nach "/s Stunde), bei 10 Min. Abkühlung keine Wiederbelebung Bewegung lebhaft Etwas schwächere Bewe- gungen Viele unbeweglich Wenige schwach, einzelne ziemlich lebhaft beweg- lich Viele noch schwach beweg- lich Noch immer wenigeschwach beweglich Mehrzahl lebhaft beweglich Wie um 11h 45' Viele lebhaft beweglich Lebhaft beweglich Wenige unbeweglich, fast alle schwach, spärliche lebhaft beweglich Mehrzahlunbeweglich (viele mit eingerollten Schwän- zen), einzelne schwach be- weglich Wiederbelebung Spermatozoen einiger er a gas un iu9n 2 ans Der Einfluss des Nebenhodens auf die Vitalität der Spermatozoen. 279 Tabelle I (Fortsetzung). Tem- ER 3 Spermatozoen Spermatozoen une ie N des Hodens des Nebenhodens 11h 35' 45,9° — Fast alle unbeweglich 11h 50’ 45,5 — Fast alle unbeweglich 11h 57' 45,50 — Alle unbeweglich (Wärme- lähmung nach 49 Mi- nuten) Abkühlung während — Spärliche schwach beweg- 5 Minuten lich 125 00’ | 45,5° — Alle unbeweglich (Wärme- Abkühlung während starre nach 52 Minuten) . 10 Minuten == Keine Wiederbelebung Die Spermatozoen des Nebenhodenssindauchdann moch gegenHitze beträchtlich widerstandsfähiger als die Spermatozoen des Hodens, wenn sie durch Zentri- fugieren in Spermaverdünnungsflüssigkeit soviel als möelich vom Nebenhodensaft befreit worden sind. II. Versuchsgruppe. Das Verhalten der Spermatozoen des Hodens und Nebenhodens bei künstlich gesteigerter Körpertemperatur der Versuchstiere. Die Versuchstiere (Meerschweinchen) wurden im Thermostaten ‚bei entsprechend hoher Aussentemperatur (von 33—35,° C.) gehalten und dadurch ihre Körpertemperatur dauernd gesteigert. Nach ‚einigen Tagen wurden sie getötet, ihre Hoden und Nebenhoden in ‚Spermaverdünnungsflüssiekeit zerzupft und untersucht. Als Beispiele führe ieh die Befunde dreier Meerschweinchen an. Meerschweinchen I: Seine Körpertemperatur schwankte während 14 Tagen zwischen 39 und 41° C., betrug also im Mittel 40°C. Das Meerschweinchen befand sieh dabei anscheinend wohl. Nach 14 Tagen wurde es getötet. Spermatozoenbefund.. Hoden: Alle Spermatozoen auch nach Zusatz von Spermaverdünnungsflüssigkeit bewegungslos. Nebenhoden: Im unverdünnten Nebenhodensaft sind alle Spermatozoen bewegunsslos. Auf Zusatz von Spermaverdünnungs- flüssigkeit bewegen sich einzelne Spermatozoen. . Zur Erprobung der Wärmewiderstandsfähigkeit dieser Sperma- tozoen wurde der mit Spermaverdünnungsflüssigkeit gemischte Neben- 280 | Robert Stieler: hodensaft in verkorkten, mit Thermometern versehenen Eprouvettem in einem Ostwald’schen Thermostaten auf 40,5—41,5 ° C. während > Stunden erwärmt. Nach dieser Zeit bewegten sich noch immer einzelne Spermatozoen schwach. Die Samenblase dieses Meerschweinehens war mit einem gelatinösen Inhalt strotzend erfüllt und enthielt einzelne bewegungs- lose Spermatozoen, die sich auch auf Zusatz von Spermaverdünnungs- flüssigkeit nicht rührten. Meerschweinchen II wurde während 48 Stunden bei einer‘ Körpertemperatur von 39,5—41,5° C. gehalten und dann getötet. In Spermaverdünnungsflüssigkeit zeigten die Spermatozoen seines Neben- hodens lebhafte, die Spermatozoen seines Hodens keine Bewegung. - Meerschweinchen II. Seine Körpertemperatur wurde wäh- rend 4 Tagen auf 40—42,5° C. erhalten. Dann wurde das Meer- schweinchen getötet. Hoden: Alle Spermatozoen auch nach Zusatz der Sperma- verdünnungsflüssigkeit bewegungslos. Nebenhoden: Im unverdünnten Saft sind fast alle Sperma- tozoen bewegungslos, nur vereinzelte bewegen sich sehr träge. Nach Zusatz von Spermaverdünnungsflüssiekeit bewegen sich fast alle Spermatozoen lebhaft. Auch ‚nach sechsstündiger Erwärmung auf 40,2—41,5° C. im Wasserbad bewegen sich noch einzelne Sperma- tozoen, allerdings ganz schwach. Samenblase: Strotzend gefüllt mit weisslicher Sulze. Sie enthält einzelne bewegungslose Spermatozoen. Auf Zusatz von Spermaverdünnungsflüssigkeit und Erwärmung bewegen sich einzelne: Spermatozoen schwach. Versuche an weissen Ratten, deren Körpertemperatur bis 45 °C. gesteigert wurde, wobei die Versuchstiere zugrunde gingen, ergaben in analoger Weise die Überlegenheit der Spermatozoen des Neben- hodens über die des Hodens bezüglich der Wärmewiderstandsfähigkeit.. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung Sind: 1. Die Spermatozoen des unverdünnten Saftes des Hodezs von Meerschweinchen, weissen Ratten und Mäusen bewegen sich nieht. Unter denen des unverdünnten Nebenhodensaftes bewegen sich einzelne mässig lebhaft. Nach Zusatz einer 0,004°/oigen Lösung von NaOH (Sperma- verdünnungsflüssigkeit) bewegt sich ein Teil der Spermatozoen des Der Einfluss des Nebenhodens auf die Vitalität der Spermatozoen. 281 Hodens wenig lebhaft, hingegen fast alle Spermatozoen des Neben- hodens sehr lebhaft. 2. Die Spermatozoen des Nebenhodens sind sowohl bezüglich der höchsten, überhaupt erträglichen Temperatur, als auch bezüglich der Wärmestarre herbeiführenden Dauer der Einwirkung einer unter diesem Maximum liegenden Temperatur den Spermatozoen des Hodens überlegen, und zwar sowohl bei Erwärmung ausserhalb, als auch im Körper des lebenden Tieres. 3. Die Spermatozoen des Samenblaseninhaltes stehen bezüglich ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Erwärmung zwischen den Sperma- tozoen des Hodens und denen des Nebenhodens; sie bewegen sich: viel weniger lebhaft und werden eher wärmestarr als letztere. 4. Der Unterschied in der Motilität und Wärmewiderstands- fähigkeit zwischen den Spermatozoen des Hodens und Nebenhodens ist nicht durch das Medium herbeigeführt, in welchem die Sperma- tozoen während ihrer Erwärmung aufgeschwemmt sind, sondern durch die verschiedene Beschaffenheit der Spermatozoen selbst; denn einer- seits bewegen sich die Spermatozoen des mit Spermaverdünnungs- flüssiekeit verdünnten Hodensaftes auch auf Zusatz von Nebenhoden- saft nicht lebhafter als ohne letzteren, anderseits besteht die grössere Wärmewiderstandsfähigkeit der Spermatozoen des Nebenhodens auch nach möglichst gründlicher Abwaschung des ihnen beigemischten Nebenhodensaftes (durch Zentrifugieren in stark verdünnter Auf- schwemmung) weiter. 5. Aus dieser Tatsache geht mit Sicherheit hervor, dass die: Spermatozoen während ihres Aufenthaltes im Nebenhoden eine Um- wandlung (Kräftigung) erfahren, welche ihre Motilität, Wärmewider- standsfähigkeit und voraussichtlich auch noch andere physiologische Eigenschaften steigert. Wahrscheinlich ist dies so aufzufassen, dass. die Spermatozoen erst im Nebenhoden, unter dem Einflusse des. Sekretes desselben, ihre volle Reife erlangen. Da die Spermatozoen des Samenblaseninhaltes, obwohl sie sich doch auch im Nebenhoden aufgehalten haben müssen, gleichwohl an Lebensfähiekeit den Spermatozoen des letzteren nachstehen, so ergibt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit, dass das Sekret des Nebenhodens die Vitalität _ der Spermatozoen fördernde Stoffe enthält, welche dem Sekrete der Samenblase fehlen. Auch der Unterschied in der Lebensenergie der Spermatozoen des ersten und des kurze Zeit später ausgeschiedenen zweiten Eja- 983 Robert Stigler: Der Einfluss des Nebenhodens auf die Vitalität usw. kulates dürfte sich daraus erklären, dass die Spermatozoen des letzteren nur kürzere Zeit im Nebenhoden verweilen und daher nicht zu voller Reife gelangen. Auf die Funktion des Nebenhodens weist schon der Bau desselben hin: Die beträchtliche Länge der vielfach gewundenen Ductuli effe- rentes testis und des Ductus epididymidis haben offenbar eine ähn- liche Bedeutung für die Spermatozoen wie die Länge des Darmes für den Speisebrei. Durch die Epithelbuchten und die Länge der Nebenhodenkanäle wird einerseits die Oberfläche des sezernierenden Nebenhodenepithels vergrössert, anderseits die Aufenthaltsdauer der :Spermatozoen im Nebenhodensekret verlängert. Auch die mehrfache Lage glatter Ringmuskelfasern der Ductuli efferentes erinnert an den Bau des Darmes und wird wohl ähnlichen Zwecken dienen wie die Muskulatur des letzteren, nämlich einer- seits der gründlichen Mischung der Spermatozoen mit dem Neben- hodensekret, anderseits, wahrscheinlich auch durch peristaltische Kontraktionen, der Fortbewegung des Samens während der Eja- kulation. Die bisher meines Wissens noch ausständige chemisch-physio- logische Untersuchung des Nebenhodensekretes dürfte weitere Auf- klärung über die Funktion des Nebenhodens bringen. Voraussichtlich enthält das Nebenhodensekret jene spezifischen Stoffe, welehe, wieFürbringer!)ein wenig mystisch vom Protastata- sekret vermutete, imstande sind, „das in den Spermatozoen schlum- mernde Leben vermöge spezifischer vitaler Eigenschaften auszulösen und ihnen, sit venia verbo, das sichtbare Leben zu geben“. 1) Fürbringer, Über die Prostatafunktion und ihre Beziehung zur Potentia generandi des Mannes. Berliner klin. Wochenschr. 1836 S. 477. Ein Modell des menschlichen Blutkreislaufes. Von Prof. Dr. Robert Stigler. Wien. (Mit 2 Textfiguren.) 3 Das von mir konstruierte Kreislaufmodell dient zur Demonstration der physikalischen Hauptbedingungen des Kreislaufes und ermöglicht, durch den Druck der eigenen Hand einen Flüssigkeitskreislauf herzustellen, welcher quantitativ dem menschlichen Blutkreislaufe näherungsweise entspricht: die gesamte Flüssigkeitsmenge ist gleich der Blutmenge, das mit einem Händedruck weiterbeförderte Quantum gleich dem Schlagvolumen des Herzens, der Gegendruck im Gefäss- rohr gleich dem mittleren arteriellen Blutdrucke und ebenso variabel wie dieser. Der Zusammenhang zwischen Pulsfrequenz, Schlag- volumen und arteriellem Blutdruck kommt in gleichen Zahlen zum Ausdrucke wie beim menschlichen Kreislauf. Ausserdem ist sowohl die Strömung der Flüssigkeit, wie auch das Klappenspiel sichtbar, letzteres überdies auch hörbar. Das ganze Modell ist einfach und fest gebaut, so dass man es jedem Hörer zum eigenhändigen Betriebe überlassen kann. Dass die älteren Kreislaufmodelle gleichen Anforderungen nicht genügen, möge ihre kurze Schilderung dartun: 1. Das älteste und einfachste Kreislaufmodell stammt bekannt- lich von E. H. Weber (1851)!). Es zeigt nur den grossen Kreis- lauf. Arterien und Venen sind durch zwei lange, der linke Ventrikel durch ein kurzes Darınstück, das Kapillarsystem durch die Maschen eines Badeschwammes dargestellt, welcher in einer Glasröhre steckt, die zwischen Arterien- und Venenrohr eingeschaltet ist. Vor und hinter dem Darmstück, welches den Ventrikel versinnbildlicht, ist je eine dreizipfelige, auch aus einem Darmstücke angefertiste, in einem 1) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1851 S. 497, Abgebildet unter anderem in Hermann’s Handb. d. Physiol. Bd. 4 T.1 S. 222, und in Landois-Rose- mann's Lehrb. d. Physiol., 13. Aufl., Bd. 1 S. 134. 284 5 Robert Stigler: Glasrohr befestigte und daher von aussen sichtbare Klappe eingefüst. Zwei seitlich angeschlossene Steigrohre zeigen den Druck im arteriellen und venösen Schenkel an. Der Kreislauf wird durch rhythmisches Zusammendrücken des „Ventrikels“ mit der Hand hergestellt. Dieses einfache Modell zeigt in einwandfreier Weise die Funktion des Ventrikels und der Klappen, die blutdrucksteigernde Wirkung des Strömungswiderstandes und den Unterschied zwischen Strömung und Pulswelle. 2. E. Cyon’s!) Modifikation von Weber’s Kreislaufmodell unterscheidet sich von letzterem in folgenden Einzelheiten: - a) Zur Erzeugung des Druckgefälles in den Kautschukschläuchen, welche hier das Gefässsystem symbolisieren, dienen zwei miteinander dureh ein kurzes Rohr verbundene Kautschukballons, Vorhof und Ventrikel darstellend. Sie werden mit den Händen kurz nach- einander zusammengedrückt. ' b) Als Herzklappen dienen kurze Schlauchstücke, deren Wand an einer Stelle schräg durchschnitten ist, so dass sich ein Lappen bildet, der sich bei Druck von innen her abhebt und die Flüssigkeit ausströmen lässt, bei Rückstauung von aussen her aber an die Öffnung des Schlauchstückes anpresst und dadurch den Rückfluss hemmt. Da die Flüssigkeit aus dem Kautschukballon, der den Vorhof darstellt, näherungsweise mit gleichem Drucke ausgepresst wird, wie aus dem „Ventrikel“, so ist die Anbringung eines dritten Ventiles stromaufwärts vom „Vorhof“ nötig. Das Kapillarsystem wird auch hier durch einen Schwamm verkörpert. Dieses Modell stellt nach meiner Meinung eine Verschlechterung des Weber’schen Schemas dar, und zwar in zweierlei Hinsicht: a) Durch die gleichartige Darstellung des Ventrikels und Vor- hofes wird der Anschein erweckt, als glichen sich diese beiden Herz- abschnitte in ihrem Bau und ihrer Funktion; dies ist aber durchaus nicht der Fall; denn der systolische Druck des Vorhofes ist nur ein geringer Bruchteil des systolischen Drucks des Ventrikels, und der Vorhof ist seiner Hauptleistung nach keine Druckpumpe, sondern bloss ein Blutreservoir für den Ventrikel. Da gegen diese von den bedeutendsten Kreislaufphysiologen ?) anerkannte Tatsache auch von 1) E. Cyon, Methode der physiologischen Experimente und Vivisektionen Ss. 82. 1876. 2) Vgl. u.a. R. Tigerstedt, Lehrb. d. Pbysiol., 5. Aufl., Bd. 1 S. 217, und G. Nicolai in Nagel’s Handb. d. Physiol. Bd.1 8.805. 1909. Ein Modell des menschlichen Blutkreislaufes. 285 ‚Erfindern anderer, später zu keschreibender Modelle gefehlt wurde, so möchte ich noch ganz besonders hervorheben, dass die Ventrikel zum Hauptanteile während der Herzpause, also ohne Betätigung der Vorhöfe, gefüllt werden. Henderson!) kam sogar bei seinen Ver- suchen an Hundeherzen zu dem Ergebnisse, dass durch die Kon- traktion der Vorhöfe in der Regel nur Bruchteile eines Kubik- zentimeter Blutes in die Herzkammer getrieben werden. Deshalb ist auch beim Menschen an der Einmündung der grossen Venen in die Vorhöfe kein Rückschlagventil nötig. b) Bei Cyon’s Modell wird bei der Rückkehr der Kautschuk- ballons zu ihrer Ruhelage nach Cyon’s eigener Angabe Flüssigkeit angesaust. Dies erweckt wieder die unrichtige Vorstellung einer‘ belangreichen Saugwirkung der Ventrikel- und Vorhofdiastole. 3. E. I. Marey’s Kreislaufmodell?) zeigt den grossen und kleinen Kreislauf. Marey stellt die vier Herzabschnitte durch membranöse Taschen, das Gefässsystem durch sich verzweigende und wieder vereinigende Schläuche, die Herzklappen durch Taftsäckchen dar, welche einseitig an die Innenwand eines gläsernen Verbindungs- rohres angeklebt werden, und zwar so, dass das geschlossene -Ende des Säckehens stromaufwärts, das offene stromabwärts liest. Der normal gerichtete Flüssiskeitsstrom drückt die freie Wand des Säckehens an die angeklebte und streicht daneben vorbei, Rück- strömung aber bewirkt Füllung des Säckchens und dadurch Ver- leeung des Rohres. Zur Darstellung der Systole der „Vorhöfe“ und „Kammern“ werden diese durch Quetschklappen komprimiert, welche mit Hilfe einer umständlichen Vorrichtung (exzentrischer Scheiben mit Zug- schnüren und Transmissionsstangen) von einem unterhalb des Modelles verborgenen elektrischen oder hydraulischen Motor zusammen- und auseinandergeklappt werden. Marey verwendet sein Modell auch zur Darstellung von Kreis- laufstörungen und Änderungen des Widerstandes der Gefässbahn. Klappeninsuffizienz wird durch Einfügung einer Spindel zwischen die Klappen und die Gefässwand hergestellt, Stenose durch Kompression der betreffenden Teile des Modelles. Der Hauptfehler dieses komplizierten Modelles ist der hohe 1) Siehe R. Tigerstedt’s Lehrb. d. Physiol., 5. Aufl., Bd. 1 >. 217. 2) Marey, La circulation du sang etc. p. 16, 136, 710 fl. Paris 1881. 286 Robert Stigler: systolische Druck im Vorhof, welcher die Anbringung eines dritten Ventiles an der Einmündung der „;Venen“ notwendig macht. Die Strömung der Flüssigkeit ist nur am Klappenspiel zu erkennen. Marey verwendete sein Modell hauptsächlich zur Aufschreibung der „Pulswellen“ an verschiedenen Stellen der Schläuche. | 4. Anderson Steward, Professor der Physiologie in Sydney, hat ein mehr eigenartiges als zweckentsprechendes Modell des Kreis- laufes konstruiert): Das Gefässsystem ist durch eine liegende Spirale von Schläuchen aus Kautschuk oder Metall dargestellt. In dem oberen Teil jeder Windung ist ein Steigrohr eingesetzt. Die Flüssig- keit in den Steigröhren zeigt nieht nur den Druck in jeder Windung an, sondern sie hat auch die Aufgabe, die Elastizität der Wandung der Spiralen zu ersetzen, indem das Wasser in den Steigröhren hin- und herschwanken kann. An das horizontale Verbindungsstück der beiden Enden der Spirale ist seitlich ein Kautschukballon angesetzt, _ der den Ventrikel darstellt. Vor und hinter der Einmündunssstelle dieses Ballons in das Rohr ist in dieses zur Darstellung der Herz- klappen je ein Metallventil eingeschaltet, welches von aussen nicht sichtbar ist. 5. Das Kreislaufmodell v. Basch’s (1892)?) ist ein kompli- ziertes System und stellt, sowie das Marey’sche Modell, den grossen und kleinen Kreislauf dar. Als Ventrikel dienen kondomähnliche Kautschukbeutel, als Klappen Kegelventile; die Gefässe werden durch Schlauchspiralen repräsentiert, welche luftdicht in Glasröhren mit seitlichen Ansätzen eingeschlossen sind; durch diese seitlichen An- sätze kann Luft in die Glasröhren eingepumpt und dadurch die Schlauchspiralen mehr oder weniger komprimiert werden; dadurch soll der veränderliche Gefässwiderstand zum Ausdruck kommen. Jeder „Ventrikel“ ist in einem mit Wasser gefüllten Glaszylinder eingeschlossen, dessen Inneres durch einen Schlauch mit einem anderen mit Wasser gefüllten Kautschukbeutel kommuniziert. Wird dieser zusammengedrückt, so entweicht Wasser aus ihm in den Zylinder, in dem der „Ventrikel“ eingeschlossen ist, und komprimiert. 1) Anderson Steward, The Circulation-Kymoskope, an arrangement for demonstrating many of the physical phenomena of the eirculation. The Journ. - of Physiol. vol. 12 p. 160. 1891. 2) S. v. Basch, Allgem. Physiologie und Pathologie des Kreislaufes. Wien 189. i ; | j k B i X Ein Modell des menschlichen Blutkreislaufes. 2387 letzteren. So wird die Systole des „Ventrikels“ hergestellt. Die intermittierende Kompression der beiden Kautschukbeutel wird durch eine Quetschklappe besorgt, die mit einer Dampfmaschine betrieben wird. Die „Vorhöfe“ sind mit Flüssigkeit halb gefüllte aufrecht- stehende Glaszylinder; aus ihnen fliesst das Wasser bloss durch den hydrostatischen Druck in den Ventrikel. Die Herzklappen sind durch Ventile veranschaulicht. Insuffizienz der Klappen wird durch kurze Schläuche bewirkt, welche mit Umgehung der Klappen eine direkte Verbindung des Arterien- und Venenrohres herstellen. Normaler- weise sind sie abgeklemmt. Stenose wird durch : Anlegung von Klemmen an die betrefienden Modellabschnitte veranschaulicht. Dieses Modell hat vor dem Marey’s hauptsächlich den Vorzug, - dass in den Vorhöfen nur ein geringer Druck zustande‘ kommt. 6. Das Modell von Moritz") (1899) ist durch verschiedene Umeestaltungen des v. Basch’schen Modelies entstanden. Seine einzelnen Bestandteile sind vor einer grossen schematischen Abbildung des Herzens auf einer Holztafel befestigt. Das Modell besteht aus einem „grossen“ und „kleinen“ Kreislauf. Als Ventrikel und Vorhöfe dienen, ähnlich wie bei v. Basch, Gummifingerlinge, welche in wasserhaltigen Gefässen eingeschlossen sind; den Kork dieser Gefässe durchbohrt je ein graduiertes Steigrohr, welches etwa bis zur Hälfte mit Wasser gefüllt ist; der obere, mit Luft gefüllte Teil dieses Steigrohres steht durch einen Schlauch mit einem hinter dem Modell verborgenen Kautschukballon in Verbindung: wird dieser Ballon, der Systole entsprechend, zusammengepresst, so drückt die aus ihm ausgedrückte Luft das Wasser im Steigrohr in die Flasche mit dem Fingerling hinunter; dadurch wird letzterer teil- weise komprimiert, die Flüssigkeitsmenge, welche er in die „Arterie“ "spritzt, kann am Steigrohr abgelesen werden und stellt das Schlag- volumen dar. Das Zusammenpressen der hinter dem Modell ver- borgenen Ballons geschieht durch einen zweiarmigen Quetschhebel, welcher mit der Hand etwa 30 mal in der Minute hin und her bewegt wird. Vier gleiche Ballons besorgen die Systolen der Vor- höfe und der Ventrikel. Das Schlagvolumen schwankt bei den Versuchen Moritz’ zwischen 2 und S cem. Als Herzklappenventile werden durchbohrte Kautschukstoppel verwendet, deren Bohrung 1) Moritz, Über ein Kreislaufmodell als Hilfsmittel für Studium und Unterricht. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 66 S. 349. 1899. 288 Robert Stigler: dureh ein türflügelähnliches, bis auf einen schmalen peripheren Rest ‚abgekapptes, nicht durchbohrtes Stück des gleichen Kautschukstoppels je nach der Druckrichtung verschlossen oder freigegeben wird. Da hier, ebenso wie beim Cyon’schen Modell, auch die Vor- höfe unter beträchtlichem Drucke entleert werden, so ist die An- bringung eines dritten Paares von Ventilen stromaufwärts von den „Vorhöfen“ notwendige. Der Widerstand der Gefässe kann durch Hähne reguliert werden, welche in den Verlauf der Schläuche ein- geschaltet sind. Auch die Füllung des grossen und kleinen Kreis- laufsystems kann messbar geändert werden. Klappenfehler können durch ähnliche Vorrichtungen wie beim Ben! und Basch- ‚schen Modell hergestellt werden. Die wichtigsten Neuerungen an diesem Modelle sind: Erstens dass das Schlagvolumen messbar ist; zweitens dass der Widerstand der Gefässbahn durch Hähne variiert werden kann; drittens dass die Füllung des Gefässystems messbar abgestuft werden kann. Das Modell ist in seinen Einzelheiten sorgfältig durchdacht und ‚ausgeführt. Ein Fehler desselben scheint mir aber darin zu liegen, ‘dass auch hier, wie bei Cyon und Marey, der „Vorhof“ äusserlich und funktionell dem Ventrikel nahezu gleichgestellt ist. Moritz beabsichtigt zum Ausdruck zu bringen, dass der Vorhof die Haupt- ‚aufgabe habe, „die Anfangsspannung des Ventrikels trotz niedrigen Venendruckes erhöhen und ihm damit ein grösseres Auswurfsvolum geben zu können“ !). Diese Aufgabe der Vorhöfe wird aber wohl kaum durch die Kraft ihrer Systole, sondern durch die von den Vor- höfen hergestellte Strombetterweiterung erfüllt. Ich glaube, dass das ‘Moritz’sche Modell hierüber irrtümliche Vorstellungen erwecken kann. 7. Yandell Henderson?) teilt in einer zehnzeiligen Be- 'merkung mit, dass er gelegentlich eines Vortrages ein neues Modell .des Kreislaufes demonstriert habe, beschreibt dasselbe aber nicht. 8. W. T. Porter (1900 und 1905) beschreibt ein Modell, welches in seiner ursprünglichen Form®) dem Weber’schen Modell ‘sehr ähnlich ist und gleich diesem nur den Körperkreislauf ver- ‚sinnbildlicht. Der Ventrikel wird von einer Kautschukblase ge- B 1) 1. c. 8. 400. 2) Demonstration of working models of the circulation. Americ. journ. of ‘physiol. vol. 10 p. 23. 1904. 3) Science N. S. vol. 14 no. 354 p. 567—570. 1901. Ein Modell des menschlichen Blutkreislaufes. 289 bildet, Arterien und Venen durch je einen Kautschuksehlauch , die | Kapillaren durch das schwammartige Gewebe eines Bambusrohr- stückes, welches aber durch einen, normalerweise abgeklemmten, Verbindungsschlauch zwischen „Arterie“ und „Vene“ umgangen werden kann, wenn eine Strombetterweiterung dargestellt werden soll. Aus der „Vene“ fliesst das Wasser in ein offenes Gefäss, in welches ein mit dem Ventrikelballon kommunizierender Schlauch taucht; aus diesem Gefäss wird das Wasser dureh die Saugkraft des zu seiner Ruhelage zurückkehrenden Ventrikelballons angesaugt. Die Herz- klappen sind durch Schlauchventile dargestellt, welche im Prinzip den -Zuntz’schen Ventilen gleichen. Porter hat sein Modell später !) etwas modifiziert; der Ventrikel- ballon wurde durch einen kleinen Apparat ersetzt, welcher einer Schachtel gleicht, deren Boden und Deckel aus festen Platten, deren Seitenwand aber aus einer Kautschukmembran besteht (etwa wie eine Ziehharmonika); durch Niederdrücken oder Hochziehen des Deckels bei fixierter Grundplatte wird Flüssigkeit ausgepresst bezw. eingesaugt. Die Bewegungen dieses „Ventrikels“ werden, wie beim Marey’schen Kreislaufmodell, durch Drehungen einer exzentrischen Scheibe besorgt, deren verschiedene Radien eine mit dem Deckel des „Ventrikels“ verbundene Stange abwechselnd heben und senken. Manometer sind an verschiedenen Stellen der Strombahn ein- ‚gefüst. Es ist nicht recht verständlich, weshalb dieses Modell von seinem Erfinder „Quantitative Cireulation Scheme“ genannt wird, da es gerade quantitativ der Wirklichkeit durchaus nieht entspricht. Die Anschauungen über den Wert der Kreislaufmodelle sind ge- teilt; die Erfinder komplizierter Modelle, Marey, v. Basch und Moritz, sind der Meinung, dass sich solche Modelle nicht bloss für Schulzwecke, sondern auch für die Forschung eignen. Andere Physiologen leugnen wieder die Verwendbarkeit der Kreislaufmodelle für Forschungszwecke und betrachten sie bloss als Unterrichtsbehelfe. So schreibt Rollett?): „Modelle sind in der Regel nur imstande, gewisse fundamentale Tatsachen zu erläutern. Spricht man mehr von ihnen an, dann bringen sie leicht Gefahr, unrichtige Vorstellungen . 1) Beschreibung im Katalog der Harvard Apparatus Company 1905. ' 2) Hermann’s Handb. d. Physiol. Bd. 4 T.1 S.225. 1880. Pflüger's Archiv für Physiologie. Ba. 171. 19 290 Robert Stigler: zu erwecken. In der angeführten Beschränkung ist E. H. Weber’s Kreislaufschema in seiner Einfachheit unübertroffen und weitaus vor- zuziehen später konstruierten Schemen des Kreislaufs, zum Beispiel jenem von Marey, welches namentlich in bezug auf die Aktion des. Herzens zu den unrichtigsten Vorstellungen Veranlassung zu geben geeignet ist.“ O.Frank!) bestreitet, dass ein Modell, wie Marey behauptet, für die Forschung wertvolle Aufschlüsse geben könne. „Das kann doch nur insofern gelten, als man an einem Modell über die ver-' schiedenen Gründe, die irgendeiner beobachteten Erscheinung zu- Fig. 1. Kreislaufmodell. erunde liegen, aufmerksam gemacht wird. ... Die beste Übersicht. über die Mechanik des Kreislaufes gestattet unter allen Verhältnissen ein mathematisches Modell, d. h. eine Zusammenstellung aller jener: Differentialgleichungen, die das Wesen des Kreislaufes wiedergeben.. Derartige Gleichungen sind von mir (1891) aufgestellt.“ Ich glaube kaum, dass der Hörerschaft durch Frank’s „mathe- matisches Modell“ der Kreislauf verständlich gemacht werden könnte. Der physiologische Unterricht soll durch Anschaulichkeit unmittel- bares Verständnis der Lebensvorgänge vermitteln. Dazu eignen sich „mathematische Modelle“ bestimmt nicht. Mein Kreislaufmodell (Fig. 1) stellt bloss den grossen Kreislauf dar und enthält nur ein Pumpwerk in Gestalt eines weichwandigen 1) Tigerstedt’s Handb. d. physiol. Methodik Bd. 2 Abt. 4 8.320. 1911. anne m m anbauen 00 Ein Modell des menschlichen Blutkreislaufes. 291 Kautsehukballons X von etwa 100 eem Fassungsraum, das den linken Ventrikel verkörpert. Die Gefässe werden durch Kautschukschläuche versinnbildlicht, deren innerer Durchmesser 23 mm beträgt. Zur Darstellung der Wirkung von Änderungen der Gefässweite dient ein Hahn G, welcher am Ende des arteriellen Schenkels eingefügt ist. Dieser Hahn trägt einen Zeiger Z über einer Metallplatte mit Grad- teilung. Steht der Zeiger beim Teilstrich O, so ist der Hahn ganz geschlossen ; steht er auf 90, so ist der Hahn ganz offen. Der Reibungs- widerstand der Strombahn kann also durch verschiedene Einstellung des Hahnes beliebig variiert werden. Da der Reibungswiderstand der Strombahn zur Hauptsache nicht von den Kapillaren, sondern Glas Schlauchansatz \ Ventilklappe <——& Stromrichtung \ RE -Gummidichtung Flanche, an's Glas gekittet. Fig. 2. Ventil zum Kreislaufmodell. von den präkapillaren Arterien geändert wird !), so entspricht die Anbringung des Hahnes am Ende des arteriellen Schenkels den natürlichen Verhältnissen. Aus dem Hahn fliesst das Wasser in eine offene tubulierte Flasche von mindestens 5 Liter Fassungsraum; diese Flasche stellt das im Leben durch Kapillaren und Venen gebildete Blutreservoir dar. Der Tubulus © dieser Flasche steht durch ein kurzes weites Schlauch- stück V mit dem „Ventrikel“ in Verbindung. Zu beiden Seiten des Ventrikels sind an Stelle der Mitral- und Aortenklappe Ventile ein- geschaltet, deren Bild Fig. 2 gibt. Es sind Klappenventile nach Art der von Thiry und Chauveau’) konstruierten. Meine Ventile sind in Glaszylindern eingeschlossen, so dass man das Klappenspiel beobachten kann. Die Öffnung der Ventile hat einen Durchmesser 1) Vgl. R. Tigerstedt’s Lehrb. d. Physiol., 5. Aufl., Bd. 1 S. 28 2) Abgebildet in Tigerstedt’s Handb. d. physiol. Methodik Bd. Br80. 1911. I, 1 195 292 Robert Stigler: von 23 mm. Die Klappen selbst sind aus dünnen und leichten Metallplättehen hergestellt und mit Scharnieren auf einem eigenen Träger befestigt, der an eine mit dem Glaszylinder verkittete metallene Flansche angeschraubt werden kann. Eine Kautschuk- oder Leder- diehtung sichert den wasserdichten Verschluss. Die Ventile müssen eine weite Öffnung haben, um einer dem Schlagvolumen gleichen Flüssigkeitsmenge hinlänglich raschen Durchtritt zu gewähren. Von allen Ventilarten, die ich versuchsweise verwendete, entsprechen die von mir in Fig. 2 abgebildeten den an das Modell gestellten An- forderungen weitaus am besten. Die Zerlegbarkeit der Ventile bietet auch den Vorteil, dass man zur Demonstration ‚verschiedener Klappenfehler beliebig geformte Ventile mit einfacher Manipulation an Stelle der normalen setzen kann, z. B. zur Darstellung einer Insuffizienz ein Ventil mit durch- löcherter Klappe, was den natürlichen Verhältnissen weit mehr ent- spricht, als die von anderen Autoren verwendeten, das Ventil um- gehenden Nebenleitungen. Das Aufschlagen des Ventildeckels gibt ein Geräusch, welches tatsächlich an die Herztöne erinnert. | An den arteriellen und venösen Schlauchschenkel ist je ein seiten- ständiges AHg-Manometer eingesetzt; in Fig. 1 ist nur das arterielle Manometer D dargestellt. Dieses ist durch Einschaltung eines Kapillar- rohres in den Schlauch, welcher die Verbindung mit dem Arterien- rohre vermittelt, gedämpft. Die diastolische Füllung des Ventrikels erfolgt durch den hydro- statischen Druck der Flüssigkeit in der tubulierten Flasche. Man kann diesen Druck ändern, indem man die Flasche mehr oder weniger hoch füllt. Da das tubulierte Gefäss die Gesamtheit der Kapillaren und Venen darstellt, so soll der Druck, unter welchem das Wasser aus ihm fliesst, näherungsweise dem mittleren Kapillar- druck gleich sein (etwa 33 mm He). Deshalb fülle ich das tubulierte Gefäss etwa 40 em hoch mit Wasser. Der Vorhof wird durch das weite Schlauchstück 7 versinnbildlicht. | Die Hauptanforderung, welche ich an mein Modell stelle, ist, dass das Schlagvolumen des Herzens, die Kreislaufgesehwindigkeit und der Blutdruck quantitativ der Wirklichkeit entsprechen. Dies kann nur durch Verwendung von entsprechend weiten Schläuchen .. und Ventilöffnungen erzielt werden. . Der Tubulus C und die Ventil- öffnungen stimmen in ihrer Weite von 23 mm mit dem Durchmesser i . > i Ein Modell des menschlichen Blutkreislaufes. 293 der Vena cava superior und des Arcus aortae überein’). Es ist natürlich kein Fehler, den Tubulus C, das Rohr V und die Öffnung der Ventile noch weiter zu machen (der Durchmesser der Vena cava inferior beträgt 29—34 mm), aber es ist für den angestrebten Zweck, wie meine Versuche zeigten, überflüssig. Wenn man aber das Ver- bindungsstück zwischen Flasche und Ventrikel enger macht, so strömt während der „Diastole“ nicht immer genug Wasser in den Ventrikel, um sein Schlagvolumen auf natürliche Grösse zu bringen. Das Schlagvolumen des menschlichen Herzens ist bekanntlich nicht sicher festgestellt. Loewy und v. Schrötter bestimmten es durchschnittlich mit 52 ecem, Tigerstedt gibt dafür einen Wahr- scheinlichkeitswert von 50—100 g an. Diese Grösse ist maassgebend für den Hohlraum der Ventrikelkautschukblase. Vierordt gibt in seinen Tabellen den Hohlraum des linken Ventrikels erwachsener Männer mit 155, den des rechten Ventrikels mit 72 ecm an. Aus diesen an Leichen gewonnenen Maassen ist aber kein Schluss auf das wirkliche Schlagvolumen zu ziehen. Ich richtete mein Modell für ein maximales Schlagvolumen von 100 ccm ein, d.h. ich verwendete als Ventrikel eine Kautschukblase von 100 cem Inhalt. Nachdem der Ballon mit der Hand zusammengedrückt wird, bleibt immer, je nach der Grösse der Hand und der Stärke der Kompression, mehr oder weniger Flüssigkeit in ihm zurück, und dadurch wird das Schlag- volumen geringer als der Fassungsraum des Ventrikels. Auch das entspricht den natürlichen Verhältnissen, da sich der Herzventrikel bei der Systole auch nicht vollständig entleert?). Bei der eigen- händigen Kompression des Ventrikelballons kommt auch der Einfluss der Herzgrösse auf das Schlagvolumen zum Ausdruck; im allgemeinen kann die Grösse der geschlossenen Faust als ein beiläufiges Maass für die Grösse des Herzens gelten. Frauen und zarte Männer haben nun kleinere Fäuste und auch kleinere Herzen als kräftige Männer und daher wohl auch im Durchschnitte ein kleineres Schlaevolum. Wenn eine kleine Hand den Ventrikelballon komprimiert, so ent- leert er sich auch weniger, als wenn er von einer grossen. Hand zusammengedrückt wird, und so kann denn mit dem Modell der Einfluss des Körperbaues auf das Schlagvolumen recht deutlich ge- zeigt werden. 1) Siehe Vierordt’s Tabellen. 2) Siehe Tigerstedt’s Lehrb. d. Physiol., 5. Aufl., Bd. 1 S. 212. 294 Robert Stigler: Das Schlagvolumen wird am Modell gemessen, indem man die aus dem Hahn G@ während 1 Minute ausströmende Flüssigkeit in einem Messzylinder auffängt und durch die Zahl der „Herzschläge“ dividiert. Bei diesem Versuche wird dem tubulierten Gefässe Wasser entzogen, und infolgedessen sinkt auch der Druck, mit welchem die Flüssigkeit während der Diastole in den Ventrikel strömt. Will man diesen Druck konstant halten, so verwandelt man das tubulierte Gefäss in eine Mariotte’sche Flasche, indem man seinen Hals mit einem Kork verschliesst, welcher von einer Röhre durchbohrt ist, die bis zu bestimmter Tiefe in das Wasser eintaucht. Für die Vor- lesungsdemonstration dürfte sich dies indessen erübrigen. Handhabung des Kreislaufmodelles. Der Hahn G@ wird ganz geschlossen, der Ballon einigemal zusanımengedrückt und dadurch so viel Wasser in den arteriellen Schlauch gepumpt, dass das Manometer D den mittleren arteriellen Blutdruck von 12 em Hg anzeigt. Dann wird der Hahn @ geöffnet und nach dem Schlage eines Metronoms der Ballon etwa 72 mal ih der Minute komprimiert. Während ein Hörer dies besorgt, be- obachtet ein zweiter den Manometerstand, ein dritter das Minuten- volumen. Am Kreislaufmodell kann man Folgendes demonstrieren: 1. Die Funktion der Ventrikel. 2. Das Klappenspiel (der Klappenton des Modells hat natür- lich einen andern Ursprung als die Herztöne). 3. Das gleichmässige Ausströmen des Wassers aus dem Hahne G als Ausdruck der Umwandlung des rhythmischen Ausflusses des Wassers aus dem Ventrikel in ein kontinuierliches Strömen infolge der Elastizität des Schlauches; wenn man mit der Kompression des Ventrikels innehält, so strömt doch noch eine Zeitlang Flüssigkeit aus dem Hahn aus. | 4. Der „Puls“ kann durch Anlegen der Finger an den Schlauch gefühlt werden. 5. Das Manometer zeigt kardiale Schwankungen, und zwar in- folge der Dämpfung in gemässistem Umfange, so dass der mittlere arterielle Blutdruck leicht abzulesen ist. Damit derselbe auf der ge- wünschten Höhe, zum Beispiel 12 cm Hg, verbleibe, muss der Hahn G entsprechend gestellt werden. | 6. Durch Auffangen der aus dem Hahn während einer Minute - ausströmenden Flüssigkeitsmenge in einem Messzylinder wird Minuten- et Bl m re Yan vu an in EEE een a a a Ein Modell des menschlichen Blutkreislaufes. 295 volumen, Schlagvolumen und durch Division der gesamten „Blut- menge“ durch das Minutenvolumen die Kreislaufdauer ermittelt. 7. Die Leistung des Herzens wird durch die rasche Ermüdung der den Ballon zusammendrückenden Hand deutlichst veranschau- ‚licht; ist die Hand einmal ermüdet, so sinkt das Minutenvolumen und der Blutdruck. 8. Blutdrucksteigerung; der Hahn wird mehr zugedreht, infoige- dessen der Strömungswiderstand erhöht und der Versuch mit gleicher „Pulsfrequenz“ fortgesetzt. Der Blutdruck steigt im arteriellen Schenkel umso höher, je enger der Hahn zugedreht ist. Das Schlagvolumen sinkt dabei bald, weil die Hand rasch ermüdet. Dieser Versuch gibt eine klare Vorstellung von der ausserordentlichen Grösse der Herzarbeit bei gesteigertem Blutdrucke. Man drehe den Hahn so weit zu, dass der Blutdruck bei fortgesetzter rhythmischer Kompression des Ballons nach dem Schlage des Metronoms auf 240—300 mm He ansteigt! Auch sehr starke Menschen sind dann nicht imstande, den Kreislauf länger als einige Minuten bei konstanter Geschwindigkeit zu erhalten. 9. Einfluss der Pulsfrequenz; das Metronom, nach dessen Schlag der Ballon komprimiert wird, wird auf eine grössere oder geringere Frequenz eingestellt. Bei sehr niedriger Pulsfrequenz sinkt der Blut- druck trotz konstanten grossen Schlagvolums, und das Ausströmen (der Flüssigkeit aus dem Hahn wird diskontinuierlich. Bei hoher Puls- frequenz wird das Schlagvolunen sehr bald verringert und in seiner ‘Grösse sehr schwankend, weil die Hand ermüdet; das „Herz“ zappelt gewissermaassen. Dies zeigt, dass infolge Steigerung der Pulsfrequenz bei gleichbleibender Weite des Gefässystems der Blutdruck nicht zu steigen braucht, da sich das Herz bei jedem Schlage unvollständig, .d. h. nur zu einem geringeren Bruchteile als normalerweise, entleert; bei sehr hoher Pulsfrequenz sinkt sogar der Blutdruck und das Minutenvolum infolge Insuffizienz des Herzens. 10. Kreislaufstörungen können durch Einsetzen durchlöcherter Ventilklappen (Insuffizienz), durch Anbringung eines Anschlages im Ventil zur Verhinderung der vollständigen Öffnung der Klappe (Stenose) oder durch Kompression des Schlauches demonstriert werden. Das Kreislaufmodell wird von Universitätsmechaniker L. Ca- stagna in Wien geliefert. Ein Projektions - Tachistoskop („Metakontrastapparat“). Von Prof. Dr. Robert Stigler, Wien. (Mit 10 Textfiguren.) ° I i Die Beobachtung des zeitlichen Verlaufes der optischen Erregungs- vorgänge ist zweifellos für das Verständnis der Funktion des Seh- apparates von grösster Bedeutung. Trotzdem mangelt es bisher an einer Vorrichtung zur schulmässigen Demonstration der chrono- photischen!) Erscheinungen. Für diesen Zweck habe ich ein Tachistoskop konstruiert, welches durch Kombination mit einem Projektionsapparate die Projektion bestimmter Lichtbilder während: variabler Dauer gestattet, so dass die chronophotischen Erscheinungen. gleichzeitig einer grossen Anzahl von Beobachtern vorgeführt werden können. Unter den chronophotischen Erscheinungen ist der Meta- kontrast?) eine der verblüffendsten und auffallendsten. Da das hier zu beschreibende Projektions-Tachistoskop speziell zur Demonstration des Metakontrastes eingerichtet ist, so habe ich es Metakontrastapparat genannt. Der Metakontrastapparat gestattet nicht bloss die Dar- stellung des Einflusses der Reizdauer auf die optischen Empfindungen, ' sondern auch die Analyse der zeitlichen Verhältnisse der Erregungs- vorgänge in der Nachbarschaft der primär erresten Teile des Seh- organs. Zu letzterem Zwecke ist die Projektion zweier Nachbarbilder erforderlich. Als solche verwende ich die zwei Hälften eines Kreises oder zwei aneinanderstossende Rechtecke oder einen Kreisring und den von ihm eingeschlossenen Kreis. Am besten eignet sich zur Demonstration chronophotischer Erscheinungen ein Kreis, dessen beide Hälften mit dem Metakontrastapparat in zeitlicher und räumlicher D) Vgl. R. Stigler, Chronophotische Studien über den Umgebuneskontuı Je Pflüger's Arch. Bd. 134 S. 365. 1910. f 2) Pflüger’s Arch. Bd. 134 S. 386. 1910 Ein Projektions-Tachistoskop („Metakontrastapparat“). 297 Unabhängigkeit voneinander projiziert werden können; der Meta- kontrastapparat gestattet die beliebige Änderung: 1. der Expositionszeit eines jeden der beiden Halbkreise, 2. der Pause sowohl zwischen dem Auftreten, als auch zwischen. dem Verschwinden der beiden Halbkreise, 3. des Abstandes der beiden Halbkreise voneinander; ist der- selbe = 0, so ergänzen sich beide Halbkreise bei gleichzeitiger Projektion zu einem Kreise, in jedem andern Falle sind sie von- einander durch einen dunklen Streifen getrennt, dessen Breite mit dem Metakontrastapparat beliebig abgestuft werden kann. Die Platten mit den beiden durch einen hinlänglich breiten Zwischenraum getrennten Teilen der zu projizierenden Figur werden nach Art von Diapositiven in den Metakontrastapparat eingefügt. Die Variation der Expositionszeit jeder der beiden Bildhälften er- folet durch rotierende Scheiben mit variablen sektorenförmigen Aus- schnitten. Knapp vor jeder der beiden zu projizierenden Bildhälften rotiert je eine Sektorenscheibe. Zur Verringerung des Abstandes der beiden auf einen Schirm projizierten Bildhälften, gewünschten Falles bis zur unmittelbaren Berührung derselben, zum Beispiel zur Ver- einigung zweier projizierter Halbkreise zu einem vollen Kreise, dient ein Paar achromatischer Prismen, welehe, je nach ihrer Entfernung vom Linsenkopfe des Projektionsapparates, die projizierten Bilder einander mehr oder weniger nähern. Beschreibung des Metakontrastapparates. [Fige. 1 und 2))]. Der Metakontrastapparat ist mit einem zur optischen Bank des Projektionsapparates passenden Träger versehen und besteht aus folgenden Teilen: - I. Die Projektionsobjekte, auswechselbare Schirme, aus welchen die zu projizierenden Figuren ausgestanzt sind; als solche verwende ich entweder zwei Halbkreise mit vertikalem Durchmesser oder zwei Rechtecke oder einen Kreisring mit dem von ihm ein- geschlossenen Kreis. Je kleiner die Projektionsobjekte sind, umso rascher werden sie durch die Sektorenscheiben in toto auf- bzw. zugedeckt. 1) Der Metakontrastapparat wird von Universitätsmechaniker L. Castagna in Wien geliefert; die zugehörigen Prismen verfertigte die Firma Reichert in Wien. 298 Robert Stigler: Die von mir verwendeten Halbkreise (Fie. 3 I und II) haben einen Durchmesser von 5 mm und einen Abstand (ab) von 7 mm. et ET ni ae er Fe Fig. 1. Der Metakontrastapparat, von der Seite des Projektionsschirmes gesehen. Zu ihrer Herstellung werden aus geschwärzten dünnen Blech- plättehen zwei Kreise ausgestanzt und jeder derselben zur Hälfte durch parallelkantige Metallstreifen abgedeckt (Fig. 3). Wenn sich ; Ein Projektions-Tachistoskop („Metakontrastapparat“). 299 die beiden projizierten Halbkreise mit möglichst wenig sichtbarer Trennungslinie zu einem vollen Kreise ergänzen sollen, so müssen die Fig. 2. Metakontrastapparat, von der Seite der Bogenlampe gesehen. D — Transmissionsscheibe. beiden Kanten « und b der abdeekenden Metallstreifen genauestens parallel stehen. Die präzise Ausrichtung derselben bewerkstelligt man am besten während der Projektion der beiden Halbkreise, indem 300 Robert Stigler: man einen oder beide Metallstreifen um ihre obere Fixationsschraube als Achse dreht, bis sich die beiden projizierten Halbkreise genau zu einem Kreise zusammenfügen; eine solche Einstellung wird durch ein Langloch an der Durchtrittstelle der unteren Fixationsschraube durch den Metallstreifen ermöglicht; nach erfolster Parallelstellung wird die untere Fixationsschraube des Metallstreifens festgezogen. Bei wechseläugigen Untersuchungen, d.h. bei der Untersuchung der Wechselwirkung korrespondierender Nachharteile des rechten und linken Auges, wird dem rechten Auge nur der rechtsseitige, dem linken Auge der linksseitige Halbkreis dargeboten. Sollen sich in der Wahrnehmung beide zu einem vollen Kreise ergänzen, so müssen die beiden Kanten « und b des Projektionsobjektes mit Rücksicht auf die Fig. 3. Projektionsobjekte: die Fig. 4 Projektionsobjekte: der beiden Halbkreise I und Z1. Kreisring a und der von ihm ein- geschlossene Kreis b. haploskopischen Verhältnisse um einen bestimmten kleinen Winkel gegeneinander geneist sein, und zwar, wegen der Umkehr des Bildes am Projektionsschirm, mit den oberen Enden zueinander. Wenn wechseläugige Untersuchungen nicht angestrebt werden, so werden die beiden vertikalen Kanten « und b ein für allemal in paralleler Stellung fixiert. Zur Untersuchung der Wechselwirkung zwischen den durch den inneren und äusseren Teil einer Lichtfläche erzeugten optischen Er- regungen dienen ein Kreis und der diesen umgebende Kreisring als Projektionsobjekte (Fig. 4b und a); beide werden aus Staniolplättchen ausgestanzt und auf Deckgläschen aufgeklebt. Die Zentrierung des projizierten Kreisringes @ und des Kreises b wird durch entsprechende Einstellung und Drehung der achromatischen Prismen leicht erzielt. I. Die Zeitscheiben: 2 Paare gleicher Metallscheiben (Fig. 1A und 5) mit je einem Ausschnitt von etwas weniger als 180 Graden und einer Gradeinteilusg gestatten die Variation der Expositionszeiten; eine grössere, 6mal langsamer laufende Scheibe © Ein Projektions-Tachistoskop („Metakontrastapparat‘). 301 mit einem Ausschnitt von 95 Grad hat die Aufgabe, während je 6 Umdrehungen der beiden kleineren Scheibenpaare dem Lichte den Durehtritt durch das Projektionsobjekt nur einmal zu gestatten, damit die optischen Reize nicht allzu rasch aufeinander folgen. Wenn mit Rücksicht auf eine sehr lange Expositionszeit die Umdrehungs- ‚geschwindigkeit sehr gering sein muss, so kann die grosse langsamer gehende Scheibe abgeschraubt werden, so dass die Pause zwischen zwei aufeinanderfolgenden Projektionen nicht ermüdend lang wird. Die Scheiben rotieren so nahe als zulässig an den Projektionsobjekten. Die Achsen der beiden Scheibenpaare mit variablen Sektoren und die Achse der erösseren langsamer . rotierenden ° Scheibe sind durch Fig. 5. Darstellung der Annäherung der projizierten Bilder durch die Prismen des Metakontrastapparates. 2 = Linsenkopf des Projektionsapparates, P —= Pro- jektionsschirm, / = linker, [I = rechter Halbkreis. — Ohne Prismen bilden sich die Halbkreise bei a und a, (ausgezogene Linien), mit den Prismen in der Stellung 7 bei d und b, (gestrichelte Linien), bei entsprechender Annäherung der Prismen ‚an den Linsenkopf (Stellung 2) ergänzen sich die projizierten Halbkreise c und cı zu einem Kreise (punktierte Linien). Transmissionszahnräder miteinander verbunden (Fig. 2); alle drei Achsen drehen sich im gleichen Sinne. Alle fünf Scheiben sind ‚durch zweckmässig angebrachte Bleiplättehen ausbalaneiert. Die - Variation der Umdrehungsgesehwindigkeit der Scheiben wird durch ‚ein abgestuftes Vorgelege des Motors ermöglicht. Die projizierten Bilder erscheinen und verschwinden nicht plötz- lich, da die auf- bzw. zudeckende Kante des Scheibenausschnittes eine durch die Grösse der Projektionsobjekte und die Umdrehungs- geschwindigkeit der Scheibe bestimmte Zeit zur völligen Auf- bzw. Zudecekung der Objekte braucht. In welcher Weise dadurch die Gesamtwirkung beeinflusst wird, lehrt folgende Betrachtung: 902 Robert Stigler: . Angenommen, eine Drehung der Scheibe um 1° erfolge in der Zeit t, der Zentriwinkel, welchen die den zu projizierenden Aus- schnitt oben und unten tangierenden Radien der Sektorenscheibe einschliessen, sei @°, der offene Scheibenausschnitt —= 5°; die ge- samte Projektion zerfällt dann in folgende Teile (Fig. 6): 1. Allmähliche Aufdeekung des Objektes durch die vorangehende Kante 1 während der Zeit at; die gesamte Lichtmenge, welche während dieser Zeit auf den Projektionsschirm fällt, ist ebenso gross, wie wenn at 2 2. das Objekt wird in toto projiziert während der Zeit (b—.a) t; 3. das allmähliche Verschwinden des Objektes erfolgt während der Zeit a t; die gesamte Lichtmenge, welche während dieser Zeit während der Zeit das ganze Objekt projiziert würde; Fig. 6. Gleichzeitige Projektion beider Haibkreise. 1 == aufdeckende, 2 = zudeckende Kante. auf den Projektionsschirm fällt, ist ebenso gross, wie wenn das ganze Objekt während der Zeit en in toto projiziert würde. Die gesamte Projektion dauert also (@ + b)t, die gesamte Licht- menge, welche während dieser Zeit projiziert wird, ist aber ebenso gross, wie wenn das ganze Objekt plötzlich erschiene, während der Zeit b t projiziert würde und dann plötzlich verschwände. Das allmähliche Ansteigen und Verschwinden des Lichtreizes kann umso mehr vernachlässigt werden, je geringer «at ist, d. h. je kleiner die Projektionsobjekte, je grösser die Scheiben sind, und je grösser ihre Umdrehungsgeschwindigkeit ist. III. Die achromatischen Prismen. An der dem Projektions- schirm zugewendeten Seite des Metakontrastapparates ist ein wag- rechter Eisenschlitten (Fig. 1.E) angeschraubt; dieser stellt die Führung Ein Projektions-Tachistoskop („Metakontrastapparat“). 303 für den Träger zweier achromatischen Prismen dar, welche die Aufgabe haben, die beiden projizierten Bilder einander zu nähern, so dass sie entweder zusammenstossen oder durch einen dunklen Streifen von willkürlicher Breite voneinander getrennt werden. Die Breite des Trennungsstreifens kann durch Annäherung oder Entfernung der achromatischen Prismen vom Linsenkopfe abgestuft werden. Die Prismen müssen achromatisch sein, damit nicht an den einander zu- sewendeten Grenzlinien der projizierten Bilder farbige Streifen auf- treten. Die Träger der beiden Prismen sind durch ein Gelenk zu einer Gabel vereinigt, so dass sie auseinander- oder zusammengeklappt ‘werden können. Die Fassungen der Prismen selbst sind mit ihren Trägern ebenfalls gelenkig verbunden; die Prismen können daher durch entsprechende Drehung in beiden Gelenken gehoben oder gesenkt und um eine parallel zur optischen Bank verlaufende Achse gedreht werden. Dadurch können die beiden projizierten Bilder der Höhe nach gegen- einander verschoben werden. Benötigt man die Prismen nicht, so klappt man ihre Träger auseinander, wie dies in Figur 1 dargestellt ist. Handhabung des Apparates. Der Metakontrastapparat wird nach Art eines diaskopischen Projektionsobjektes zwischen Linsenkopf und Kondensor des Projektions- apparates aufgestellt. Zuerst werden die Bilder der beiden Projektions- objekte ohne Prismen scharf eingestellt und durch Zentrieren des. ganzen Apparates dafür gesorgt, dass sie gleich hell sind. Dann werden die Prismen durch Zusammenklappen ihrer Träger in den Strahlengang gebracht und längs des Schlittens so weit verschoben, dass sich die projizierten Bilder entweder berühren oder durch einen dunklen Streifen von gewünschter Breite getrennt sind. Mit einer Stoppuhr wird die Umdrehungsgeschwindiekeit der Scheiben und daraus die jedem Bogengrad entsprechende Expositionszeit ermittelt. Die Einstellung der Scheibenausschnitte. Die Prismen- sabel wird auseinandergeklappt, die grosse Scheibe so eingestellt, dass ihr Ausschnitt nach unten sieht und die Projektionsobjekte von der. Schirmseite her sichtbar sind. Die axialen Druckschrauben der Sektorenscheibenpaare werden so weit gelockert (nicht ganz auf- geschraubt!), dass sich die zwei Scheiben eines jeden Paares mit geringer Reibung gegeneinander verschieben lassen. Dann werden die der gewünschten Expositionszeit entsprechenden Ausschnitte beider Scheibenpaare eingestellt und die Druckschraube eines Scheiben- 304 Robert Stigler: paares festgezogen. Darauf folgt die Einstellung der Pause zwischen dem Aufleuchten bzw. Verschwinden der beiden Projektionsbilder in folgender Weise: die beiden Scheibenpaare werden so gedreht, dass ihre aufdeckenden Kanten (1) in eine horizontale Linie fallen und _ mitten durch die Projektionsobjekte gehen (wie in Fig. 6); in dieser Stellung wird das bereits mit der Druckschraube fixierte Scheibenpaar festgehalten und hernach das andere Scheibenpaar um den Winkel «& (Fig. 7) zurückgedreht, welcher der zeitlichen Pause zwischen dem Erscheinen der beiden Bilder entspricht; der Winkel « wird an der Gradteilung der Scheiben abgelesen; dann wird das zweite Scheiben- paar mit der Druckschraube fixiert. Die Einstellung der Scheiben möge an einigen Beispielen dar- getan werden: a Fig. 7. Die Halbkreise erscheinen mit einer bestimmten Pause nacheinander. a) Es soll ein voller Kreis während bestimmter Zeit projiziert werden, d. h. beide Halbkreise müssen gleichzeitig erscheinen und verschwinden. Auf beiden Zeitscheibenpaaren werden gleiche Aus- schnitte eingestellt und die Scheiben so gedreht, dass die voran- gehenden Kanten der Ausschnitte (1) horizontal durch die Mitte der Projektionsobjekte gehen (Fig. 6). b) Beide Halbkreise sollen gleichzeitig erscheinen, aber ungleich- zeitig verschwinden. Nachdem die beiden ungleichgrossen Ausschnitte eingestellt worden sind, werden die Scheiben wieder so gedreht, dass die aufdeckenden Kanten, wie in Figur 6, horizontal durch die Mitte (der Projektionsobjekte gehen. c) die Halbkreise sollen mit einer bestimmten Pause nacheinander erscheinen, Halbkreis I soll um @° vor dem Halbkreis II aufleuchten Fig. 7). Nach Einstellen der Aussehnitte werden die Scheiben zu- Ein Projektions-Tachistoskop („Metakontrastapparat“). 305 erst so gedreht, dass die aufdeckenden Kanten einander horizontal gegenüberstehen wie in Figur 6; dann wird die Scheibe II um «° entgegengesetzt dem Sinne der Umdrehurg der Scheiben zurück- gedreht, so dass ihre aufdeckende Kante 1 mit der Verlängerung der aufdeckenden Kante 1 der Scheibe I den Winkel « einschliesst. d) Der Halbkreis II sollunmittelbar nach dem Verschwinden des Halbkreises I erscheinen (Fig. 8). Nach Einstellung der Aus- schnitte wird die Scheibe I so gedreht, dass ihre zudeckende Kante 2 Fig. 8. Der Halbkreis II erscheint unmittelbar nach dem Verschwinden des Halbkreises 7. Fig. 9. Halbkreis II erscheint «° nach dem Verschwinden | des Halbkreises I. den Halbkreis I unten tangiert; Scheibe II wird so gedreht, dass ihre aufdeckende Kante 1 den Halbkreis II unten tangiert. e) Halbkreis II soll mit einer bestimmten Pause nach dem Verschwinden des Halbkreises I erscheinen (Fig. 9). Nach Ein- stellung der Ausschnitte werden beide Scheiben zunächst so ein- gestellt, wie in Figur 8, dass nämlich die zudeckende Kante 2 der Scheibe I den Halbkreis I, die aufdeckende Kante 1 der Scheibe II den Halbkreis II unten tangiert. Dann wird die Scheibe II ent- gegengesetzt ihrer Umdrehungsrichtung um den der Pause ent- sprechenden Winkel & zurückgedreht. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 20 306 Robert Stigler: Falls die beiden projizierten Bilder verschiedene Lichtstärke haben sollen, so kann dies durch Einschaltung entsprechender Rauch- släser oder, wenn der Unterschied gering sein soll, farbloser Gläser in den Verlauf des Strahlenganges des betreffenden Halbkreises erreicht werden. Das Durchlässigkeitsvermögen der zur Abschwächung des Lichtes verwendeten Gläser ist photometrisch zu bestimmen. Wenn die Versuche im Dunkelzimmer angestellt werden, so bedarf man unbedingt einer Fixationsmarke. Dieselbe soll wesen der bekannten spezifischen Wirkung roten Lichtes auf die Fovea cen- tralis rot sein. Zur Herstellung einer projizierbaren roten Fixations- marke habe ich den in Figur 10 dargestellten Apparat konstruiert !): Fig. 10. Apparat zur Projektion einer Fixationsmarke. D == Diaphragma, L = Linse, P = Luftloch. Ein Mignon-Glühlämpehen ist in einen seitlichen Ansatz einer metallenen Doppelröhre eingefügt, welche zur Vermeidung starker Erwärmung gegen Lichtaustritt geschützte Luftlöcher besitzt. Der vordere Teil der Röhre enthält ein Diaphragma zur Abhaltung der Randstrahlen und eine Sammellinse, welche das Bild des elühenden Fadens projiziert. Man kann das Lämpchen so drehen, dass sich der slühende Faden als gerade Linie oder als Bogen abbildet. Durch das Lämpehen schickt man so viel Strom, dass es rot brennt. Der kleine Apparat wird mit einer Rhetortenklemme auf einem Stativ. fixiert und seitlich von den projizierten Bildern aufgestellt, so dass die Fixationsmarke etwa unter einem Winkel von 30—45 Grad auf den Sehirm fällt. | 1) Zu ‚beziehen bei Universitätsmechaniker L. Castagna in Wien. Ein Projektions-Tachistoskop („Metakontrastapparat“). 207 Beispiele von Demonstrationen mit dem Metakontrastapparate. Der Vergleich zweier mit dem Metakontrastapparat projizierter Bilder kann auf zweierlei Weise geschehen: entweder die beiden Bilder werden nacheinander gesehen und gedächtnismässig verglichen, oder sie werden nebeneinander gesehen und gleichzeitig verglichen. Der gedächtnismässige Vergleich nacheinander gesehener Lichtfelder ist sehr ungenau; er hängt von der Pause zwischen dem Verschwinden des ersten’ und dem Auftreten des zweiten Bildes ab. Fullerton und Cattell!) verglichen die Helligkeit eines jedesmal während 1 Sekunde betrachteten Vergleichsfeldes, welches mit variablen Zwischenpausen nacheinander bei verschiedener Lichtstärke exponiert wurde; sie fanden bei einer zwischen je zwei Beobachtungen ein- seschalteten Dunkelpause von 1 Sekunde eine Unterschiedsschwelle von durchschnittlich 13,90, bei einer Pause von 15—61 Sekunden von 33°/o der Lichtstärke der Vergleichsbilder. Mit Rücksicht darauf ist der gleichzeitige Vergleich vorzuziehen. Diesem steht aber wieder die Wechselwirkung zweier gleichzeitig erregter benachbarter Stellen des Sehapparates im Wege; diese kann durch Einschaltung eines schwarzen Trennungsstreifens zwischen beiden Vergleichsfeldern ver- mindert werden, doch sinkt mit der Breite dieses Trennungsstreifens die Genauigkeit des Vergleiches. Einwandfrei ist daher keine der beiden Methoden. Für schulmässige Demonstrationen kommen die genannten Fehler bei der Deutlichkeit der wichtigsten chronophotischen Erseheinungen nicht in Betracht. A. Der zeitliche Verlauf einer Lichtempfindung. 1. Bestimmung der absoluten zeitlichen Schwelle eines Lichtreizes. Es wird ein voller Kreis während sehr kurzer ° Zeit projiziert; die Scheiben müssen sich sehr rasch drehen (etwa 10 mal in der Sekunde). Die Scheibenausschnitte werden so lange verkleinert, bis der projizierte Kreis eben nicht mehr wahrgenommen wird. Durch Projektion der Fixationsmarke ausserhalb des Kreises kann dieser auf einer beliebigen Stelle der Netzhautperipherie ab- gebildet und so deren Lichtempfindlichkeit demonstriert werden. 2. Darstellung des Einflusses der Expositionszeit auf die Helligkeit, des Anstieges der Helligkeit bis 1) On the perception of small differences, Publications of the University of Pennsylvania. Philosophical series no. 2 p. 134ff. May 1892. 20 * 308 Robert Stigler: zur Maximalzeit und ihres Absinkens nach der Maximal- zeit. Der volle Kreis wird zum Beispiel einmal durch 0,001, ein anderes mal durch 0,02 Sekunden projiziert und beide Bilder gedächtnismässig verglichen, oder die beiden Halbkreise werden, durch einen breiten schwarzen Streifen voneinander getrennt, gleichzeitig, der eine während kürzerer, der andere während längerer untermaximaler Zeit projiziert und miteinander verglichen. Zur Demonstration des Abfalles der Helligkeit übermaximal exponierter Bilder muss man solche mit einem näherungsweise während der Maximalzeit projizierten vergleichen. Für die übermaximale Projektion (etwa von 1—2 Se- kunden) müssen die Scheiben entsprechend langsam rotieren. 3. Bestimmung der Maximalzeit eines Lichtreizes. Die verschiedenen Methoden, die zur Bestimmung der Maximalzeit angewendet wurden, habe ich seinerzeit kritisch dargestellt!). Am leichtesten gelingt die Bestimmung der Maximalzeit durch den Vergleich zweier gleichzeitig projizierter, aber durch einen schwarzen Streifen getrennter Lichtfelder von verschiedener Lichtstärke; die Expositionszeit des objektiv helleren Feldes muss natürlich kleiner sein als die des dunkleren, wenn beide gleich hell erscheinen sollen. Die Maximalzeit des lichtschwächeren Feldes wird durch allmähliche Steigerung der Expositionszeit desselben und gleichzeitigen Vergleich mit dem untermaximal exponierten lichtstärkeren Felde ermittelt. Die Bestimmung der Maximalzeit bietet grosse Schwierigkeiten. Es lässt sich jedoch auch einem ungeschulten Auditorium leicht zeigen, dass, wie schon vor 50 Jahren S. v. Exner?) gefunden hat, die Maximalzeit mit wachsender Lichtstärke abnimmt. Die Maximalzeit lässt sich auch mit Hilfe des Metakontrastes ermitteln ?). B. Der Meta- und Parakontrast. 1. Darstellung der Wechselwirkung zweier erregter Nacehbarstellen des Sehorgans durch den Meta- und Parakontrast. Beide Halbkreise werden während untermaximaler gleicher Zeiten (etwa während 0,02 Sek.) unmittelbar nacheinander pro- 1) R. Stigler, Über die Unterschiedsschwelle im aufsteigenden Teile einer Lichtempfindung. Pflüger’s Arch. Bd. 123 S. 170ff. 1908. 3) S.Exner, Über die zu einer Gesichtswahrnehmung nötige Zeit. Wiener Sitzungsber., math.-naturw. Klasse, Abt. 2 Bd. 58. 1868. 3) R. Stigler, Chronophotische Studien über den Umgebungskontrast. Pflüger’s Arch. Bd. 134 8. 409. 1910. Ein Projektions-Tachistoskop („Metakontrastapparat“). 309 jiziert, und zwar so, dass der Halbkreis II in dem Momente erscheint, da der Halbkreis I verschwindet. Es tritt dann in sehr auffallender Weise das von mir als Metakontrast beschriebene Phänomen auf: Halb- kreis I scheint überhaupt nur an seiner Peripherie aufzuleuchten, der an Halbkreis II grenzende Teii des Halbkreises I bleibt dunkel. Der Unterschied wird besonders deutlich, wenn man Halbkreis I während der gleichen Zeit für sich allein projiziert, ohne dass Halbkreis II auf ihn folgt; in diesem Falle erscheint Halbkreis I als homogene weisse Fläche von bedeutend grösserer Helligkeit als beim ersten Versuche. Bei der nacheinanderfolgenden Projektion der beiden Nachbar- kreise zeist sich eine Kontrastwirkung nicht bloss am Bilde des Halbkreises I, sondern auch an dem des Halbkreises II: dieser er- scheint deutlich dunkler, als wenn er während der gleichen Zeit für sich allein exponiert wird. Für diese Verdunkelung des Halbkreises II möchte ich den Namen Parakontrast vorschlagen. Der Metakontrast ist die Auslöschung des das Netzhautbild überdauernden metaphotischen!) Bildes des Halbkreises I durch das homophotische Nachbarbild des Halbkreises Il. Der Para- kontrast ist die Verdunkelung des homophotischen Bildes des Halbkreises II durch das metaphotische Bild des Halbkreises 1. Der Metakontrast ist der Ausdruck der Hemmunse der das Netzhautbild überdauernden Erregung infolge Belichtung der Nachbarschaft, der Parakontrast der Ausdruck einer Herabsetzung der Erregbarkeit in- folge vorhergehender Erregung der Nachbarschaft. 2. Beweis, dass die Helligkeit eines durch einen. untermaximalen Reiz erzeugten optischer Eindruckes nach dem Verschwinden des Netzhautbildes noch weiter ansteigt: Halbkreis I wird während einer bestimmten unter- maximalen Zeit projiziert, nach seinem Versehwinden taucht um eine variable Pause später Halbkreis II auf. Die Pause wird so lange vergrössert, bis Halbkreis I einen Augenblick als homogene Fläche aufleuchtet, um hernach mit dem typischen Metakontrastbilde zu verschwinden. Die Pause sjbt dann die Zeit an, welche das metaphotische Bild: des Halbkreises I braucht, um die ihm gemäss der Lichtstärke und Expositionsdauer des Netzhautbildes zukommende 1) Vgl. R. Stigler, Chronophotische Studien über den Umgebungskontrast. BC. 3.200. 310 Robert Stigler: Ein Projektions-Tachistoskop („Metakontrastapparat“). Helligkeit zu erreichen. Wenn der objektive Lichtreiz entsprechend gering und kurzdauernd ist, so braucht das metaphotische Bild, wie sich mit dem angegebenen Versuche leicht zeigen lässt, eine die Fxpositionsdauer vielfach übertreffende Zeit zu seiner vollen Ent- wicklung (die Wahrnehmung einer vom Blitz beleuchteten Gegend kommt zum Beispiel erst verhältnismässig sehr lange nach dem Verschwinden des Blitzes zustande). Ist die Pause, welche man zwischen dem Verschwinden des Halbkreises I und dem Aufleuchten des Halbkreises II eingeschaltet hat, kürzer als die Zeit, während deren die Helligkeit des meta- photischen Bildes ansteigt, so erscheint Halbkreis I nicht als homogene Fläche, sondern .als Metakontrastbild, d. h. mit hellem peripheren Saume und dunkler Mitte. Über andere interessante Demonstrationen mit dem Metakontrast- apparat wird eine spätere Mitteilung berichten. Versuche über den Lernvorgang bei den weissen Ratten während der Ruhe- bzw. Aktivitätsperioden')). Von Dr. 3. S. Szymanski (Wien). (Aus dem physiologischen Institut der Universität Wien.) (Mit 1 Textfigur.) Die meisten Tierarten weisen in einem 24stündigen Zyklus einerseits Stunden einer besonders lebhaften Aktivität (Hauptperiode der Aktivität), andererseits solche einer besonders tiefen Ruhe (Hauptperiode der Ruhe) auf. Die Frage, welcher ich in der vorliegenden Abhandlung nach- gehen wollte, bestand in der Untersuchung, ob es Unterschiede im Verlaufe eines Lernvorganges während der beiden Hauptperioden gibt. Ich wollte also feststellen, ob der Verlauf einer rezeptorisch- motorischen Assoziationsbildung durch den Zustand der Ruhe bzw. ‚der Aktivität irgendwie beeinflusst sein würde. Für die Durchführung dieser Versuche schienen mir die weissen Ratten und die Labyrinthmethode besonders geeignet zu sein. Die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei weissen Ratten habe ich bereits in einer früheren Arbeit ?) genau untersucht. Es stellte sich heraus, dass die Ratten in den Abend- und Nacht- stunden besonders aktiv sind und in den Morgen- und Nachmittags- stunden meistens der Ruhe pflegen. Die Häufigkeitskurve der Aktivität®) hat ferner gezeigt, dass einer der Gipfel der besonders lebhaften Aktivität auf 6—8 Uhr 1) Herrn Prof. Dr. A. Kreidl gebührt wie immer mein herzlichster Dank für die stete Förderung meiner wissenschaftlichen Bestrebungen. 2) Vgl. meine Abhandlung über „Die Verteilung der Ruhe- und Aktivitäts- perioden bei weissen Ratten und Tanzmäusen“. Pflüger’s Arch. Bd. 171 S. 324, 8) Vgl. l. c. die betreffende Kurve. 312 J. S. Szymanski: abends und einer der Gipfel der besonders tiefen Ruhe auf 7—10 Uhr vormittags fällt. Ich wählte nun zehn etwa 6 Monate alte Ratten von einem Wurf und verteilte dieselben in zwei Gruppen. Da ich alle .die Ratten, welche sich während der zwei ersten Versuche als scheu erwiesen bzw. im Labyrinthe keine Lust zum Laufen zeigten, ent- fernte, blieben in einer jeden Gruppe bloss drei Tiere (18, 28, 32 und Ad,B2,CQ). Im weiteren Versuchsverlaufe sind die Tiere 1 und B zugrunde gegangen, so dass ich die Versuche bloss mit je zwei Ratten in einer jeden Gruppe zu Ende bringen konnte. Die Tiere jeder Gruppe mussten nun täglich einmal, aber zu verschiedenen Tageszeiten, im Labyrinthe laufen, und zwar die Ratten 1—3 (Aktivitätsratten) um 7 Uhr abends, also während der Hauptperiode der Aktivität, und die Ratten A—B (Ruheratten) um 9 Uhr morgens, also während der Hauptperiode der Ruhe. Als. Antrieb zur Erlernung der Handlung wurde der Hunger angewendet: die Ratten erhielten Futter und Wasser bloss einmal täglich, und zwar, nachdem sie zu dem im Labyrinthzentrum aufgestellten Wohn- käfig gelangten. Während "/ Stunde nach dem Versuche durften die Ratten fressen; daraufhin wurde das Futter und Wasser weg- ‘genommen und die Ratten erst bei dem nächsten Versuche am folgenden Tage gefüttert usw. N Das Labyrinth und die detaillierte Versuchsanordnung blieben. bei diesen Versuchen die gleichen wie in meinen früheren ähnlichen Untersuchungen '), so dass ich von dem näheren Beschreiben an dieser Stelle Abstand nehmen und mich auf die Hinweisung auf die diesbezüglichen Abhandlungen beschränken darf. Es bleibt hier bloss hinzuzufügen, dass die Versuche in einer: Dunkelkammer bei Beleuchtung von einer fünfkerzigen Lampe statt- anden. Die Resultate dieser Versuche sind in den Tabellen 1 und 2 (s. den Anhang) niedergelegt und in der Fig. 1 graphisch dargestellt.. 1) Ein experimenteller Beitrag zur Analyse der bei Entstehung neuer Ge- wohnheiten mitwirkenden Faktoren (in meinen „Abhandlungen zum Aufbau der Lehre von den Handlungen der Tiere“, Sep.-Bd. von Pflüger’s Arch.) und Ver- suche über die Wirkung der Faktoren, die als Antrieb zum Erlernen einer Handlung dienen können (Pflüger’s Arch. Bd. 171 S. 374). Versuche über den Lernvorgang bei den weissen Ratten usw. 313 Wie die Kurven I bis III erkennen lassen, war der Lernvorgang bei den beiden Gruppen gleich. Denn weder die Zeit-, noch die Wes- und Fehlerkurven von beiden Gruppen zeigen in ihrem Ver- Jauf ireendwelche nennenswerte Unterschiede; sämtliche Versuchs- ratten, ob im Zustande der Aktivität, ob im Ruhezustande, er- lernten ungefähr in der gleichen Zeit und auf die gleiche Weise, Fig. 1. Der Verlauf des Lernvorganges bei weissen Ratten: Kurve I = Weg- kurve, Kurve II = Zeitkurve, Kurve III = Fehlerkurve, Kurve IV = Ge- schwindigkeitskurve.. Auf den Abszissen sind eingetragen: I —= Zentimeter, I = Sekunden, III = Anzahl der Fehler, IV = Zentimeter (wieviel Zentimeter in 1 Sekunde haben die Ratten zurückgelegt); auf den Ordinaten sind in sämt- lichen Kurven die Versuchstage eingetragen. Die gestrichelte Linie bezieht sich auf jene Ratten, welche während einer Ruheperiode untersucht wurden; die aus- gezogene Linie bezieht sich auf jene Ratten, welche während einer Aktivitäts- periode untersucht wurden. Die Bemerkung zur Kurve I: 339 cm betrug der kürzeste Weg, auf dem die Ratte vom Vorhof bis zum Labyrinthzentrum mit dem Wohnkäfig gelangen konnte. das Labyrinth auf dem kürzesten Weg zu durchlaufen, um zum Wohnkäfig und Futter zu gelangen. Den einzigen Unterschied im Verhalten beider Gruppen zeigt die Kurve IV, in der die durchschnittliche Geschwindigkeit, mit der 314 Je S. Szymanski: die Ratten das Labyrinth bei einem jeden Versuche durchliefen, auf- gezeichnet ist. Aus dieser Kurve geht hervor, dass die Ruheratten bis zum inkl. 13. Versuche im Labyrinthe langsamer als die Aktivitätsratten liefen; vom 14. Versuche an bis zum Ende (bis zum inkl. 37. Ver- suche) war die Fortbewegungsgeschwindigkeit beider Gruppen im Labyrinth fast gleich. Denn, wenn wir die Geschwindigkeit der Aktivitätsratten mit G.ı und jene der Ruheratter mit Gr bezeichnen, so war, wie sich dies leicht aus den im Anhange beigefügten Tabellen berechnen lässt, bis inkl. 13. Versuch: Gi 2.836,59 1,25 CH 55990 02 1.00 und ab dem 14. Versuche bis zum Ende (bis zum inkl. 37. Versuche): Gi 64,39 0,97 6, 26597 1.00 Dies bedeutet, dass die Aktivitätsratten zu Beginn der ganzen Versuchsserie sich schneller als die Ruheratten fortbeweeten. Diese bedeutendere Geschwindigkeit der Aktivitätsratten lässt sich auf die durch die Aktivitätsperiode bedingte Erregungserhöhung zurückführen. Desgleichen lässt sich die geringere Geschwindiekeit der Ruhe- ratten durch die durch die Ruheperiode bedingte Erregungsherab- setzung erklären. Im weiteren Verlaufe der Assoziationsbildung erhöhte sich die Geschwindigkeit derart, dass zum Schluss die Aktivitäts- wie auch die Ruheratten sich im Labyrinth gleich schnell und bedeutend schneller als zu Beginn der ganzen Versuchsserie fortbewegten. Diese Tatsachen weisen zunächst darauf hin, dass eine in Ent- stehung begriffene lebenswichtige rezeptorisch-motorische Assoziation im allgemeinen die Erregung während der Ausübung der betreffendeu motorischen Reaktion erhöht. Nachdem die Assoziation sich ge- bildet hat, bleibt diese Erregung bei der Ausübung der erlernten Handlung erhöht, vorausgesetzt, dass der Antrieb zur Ausführung der neu erlernten Handlung der gleiche wie während des Erlernens dieser Handlung bleibt. Bei den Aktivitätsratten bewirkte die fortschreitende Assoziations- bildung bloss eine Erhöhung jener Erregung, die dank der Aktivitäts- periode bereits bestand. a A ne a ee el NE ee Bei den Ruheratten wurde die Erhöhung der ursprünglichen geringen Erregung im Verlaufe der ganzen Versuchsserie noch be- Versuche über den Lernvorgang bei den weissen Ratten usw. 315 deutender, so dass der Zustand der relativen, durch die Ruheperiode bedingten Trägheit überwunden, ja weit überholt wurde. Das allgemeine Resultat dieser Versuche lässt sich in dem Satz zusammenfassen, dass die Ausführung einer lebenswichtigen Handlung nicht nur eine bereits vorhandene Erregung bei den Aktivitätstieren erhöht, sondern selbst die geringe Erregung bzw. die Trägheit der Ruhetiere in das Gegenteil umschlagen lässt. Da indes meine Versuche bloss an einer geringen Anzahl von den Tieren ausgeführt wurden, bedarf diese Schlussfolgerung einer Nachprüfung und weiteren Ereründung. Dabelle 1. 8 Ratte A, & Ratte B, 9 Ratte C, & | Durchschnitt von A—C = | | | Geschwin- @ Zeit! Weg Fehler |Zeit' Weg | Behler [Zeit Weg Fehler |Zeit Weg | Fehler | digkeit cm rS 5 1. 1174 1287|) 4 |227|1499| 6 | 96, 649| 2 |166|1145| 40 | 6,8 2. |553 | 2997| 10 |369|4309 18 |167|1649| 7 136312985 | 11,66 | 8,2 8. | 50) 3893| 1 [213|3331| 13 | 28| 6355| 1 | 97/1453 | 5,0 | 14,9 4.| 3383| 83 3 | 5911597) 4 | 62/1055 | 4 | 53/1162 | 3,66 21,9 51 93/1889| 6 | 15|) 6855| 1 | 96 1857| 9 | 68|1460| 5,33| 21,4 6. | 89/1757 | 7 | 51| 8383| 3 | 30| 85| 3 | 57/1148 | 4,33 | 20,1 7.| 58. 15558| 5 | 10| 685, 1 | 26| 8833| 3 | 30.1007, 3,0 | 33,6 8 | 61 [1889| 6 | 2383| 8391| 3 | 2383| 8383| 3 | 36.1204 | 4,0 | 33,4 9. | 1769| 2| —| —| — | 15| 6711| 2 | 16| 660| 23,0 | 41,3 10.1 19) 5857| 21 —| —ı — | 24, 83: 3 | 21, 8345| 25 | 40,2 11.] 15 6449| 2| —| — | — |.20| 671) 2 | 17| 660| 2,0 | 38,8 12.| 10| 3383| 1| —| — | — | 3| 671 2 | 1l| 532, 15 | 48,0 13. | 3211449| 4 | — | — | — 9| 487 1 | 20| 968| 2,5 | 48,4 14. | 18/1019| 31 —| — | — | 10) 671| 2 | 14| 845| 2,5 | 60,3 15.| 10 5011| 1| —-| —| — 6 413| 1 8| 457| 1,0 | 57,0 16.113 7090| 21 — | —\ı — Tre 1. | 10 598| 15 || 59,8 7. 23 9391| 2| —| — | — | 10| 597| 2 | 11) 764| 2,0 | 694 13.| 14 9 2|-—-| —| — 7.1 48700 0210.10,°.409%E Lo. 11709 19. | 11 7099| 2| —| —| — 8| 413.1 9| 5861| 1,5 | 62,3 20.| 15| 5857| 21 —| — | — | 10| 5838| 1 | 12, 690| 1,5 | 57,6 21. 6| 39| 0 | —| — | — 5| 3839| 0 5| 339| 0 67,8 22.1 5) 3939| 0 | —| —| — 7| 4837| 1 6 4135| 0,5 | 688 23. 5139| 01 —| — | — 7) 43| 1 6 2376| 0,5 | 623,6 24.| 83) 5011| 1| —| —| — 7| 4158| 1 7) 4572| 1,0 | 65,2 25. 7| 3 01 —-| —| — | 10 597| 2 8| 468| 1,0 | 585 26.I6 383 1| —| —| — 8 413| 1 7| 403| 1,0 | 57,5 27.1 5139| 0|I| —ı —| — 6| 4187| 1 >| 4183| 0,5 | 82,6 28. 513839 01-1 —| — 6 43| 1 5| 8376| 0,5 | 75,2 29.| 8 47 1|-—-ı —| — | 1| 671| 2 2959 0.1,9. 1.621 30. 4| 39 0|I|-—-| —| — 4, 833 0 4, 3839| 0 84,7 3.| 5 39) 0| —-| —| — 7| 4897| 1 6413| 0,5 | 688 32. 6 33 1I-ı — | — 5| 3839| 0 | 366 | 0,5 | 73,2 31 6) 39| 01 —-| —| — 6| 3839| 0 6.1 389.0 756,8 34. 2? 3 0I-ı —-| — 6| 339) 0 6| 339| 0 56,5 8.1 '5| 39| 01 —| —| — 8| 487| 1 6| 4183| 0,5 | 68,8 .| 6 3910| -—-| —| — 5| 3389| 0 5| 339| 0 67,3 81.1 -6| 39) 01 —| —| — 6| 487) 1 6, 4153| 0,5 | 688 3 J. S. Szymanski: Versuche über den Lernvorgang usw. Tabelle 2. | .S Ratte 1, & Ratte 2, & Ratte 3, 2 Durchschnitt von 1—3 © = =) = Geschwin- = 5 |Zeit| Weg Fehler |Zeit| Weg | Fehler | Zeit Weg | Fehler | Zeit, Weg | Fehler | digkeit zr ı .. @m 3 ISek.| cm Sek. cm Sek. cm: Sek. cm Sek. 1. |497 2495 | 10 |449 | 2647 | 11 |881|5896 | 21 1609 | 3679 | 14,0 6,0 2.1 3427561 1 1163 | 1553 6 1241 3163| 11 114611759) 6,0 | 12,0 3.1 821191 5 1208| 2707 | 11 54 | 1057 5 1115 11652 | 70 | 14,3 4. | 96 | 1315 4 | 59.981 3 | 43|1333| 4 | 66 1210| 3,66 | 18,3 5. | 521 1149 3 | 56 | 1333 5 251 Gl 3 | 44/1131| 3,66 | 25,9 6. | 371017 4 I 45 | 1407 4 | 20| 833 3 | 3411086 | 3,66 | 31.9 7.1 2811075), 2 | 421569 3. 3 | 28 | 1140| 3,33 | 41,0 & | nl) Alayz 1 17 \ 855 3 14| 741 3 | 14| 694| 2,33 | 49,6 9 12 829 21 29|1407| 4 24 |1093 3 | 2111026 3,0 | 48,8 h 9| 671 > 14 | 671 2 12 | 685 2 | 12| 676| 2,0 | 56,3 9 559 3 233 | 1017 4 12 68 2 | 15) 754| 3,0) 50,3 4| 3391| 0 | 26 | 1385 4 11 68 2 | 14| 803) 23,0 | 573 4 | 487 1 171 95) 4 11) 68 2 | 11! 699| 2,33| 63,5 4\| 839 0 12| 763 3 118338 = on BI 20450: 0 20a 4| 339 0 10 | 505 % 8| 393 1 7| 412| 1,0 | 58,8 6| 487 1 9| 597 3 s| 501 1 8| 528| 1,33 | 66,0 | 389 0 12| 689 3 10) 501 | .1 | 10| 510| 1,33 | 51,0 13| 59% 2 20 | 965 5 Vak Sr 2 | 16| 713 30 | 445 — | {| — 7339 0 12| 597 2 9| 468, 1,0 | 52,0 — | — 12 | 689 3 22.1155 3 | 17| 922| 3,0 | 54,2 —|ı | — 11| 873 4 5| 393 il 812563311. 2,0. 2]° 19.1 ll 7| 339 0 6| 393 1 6| 366 0,5 | 61,0 1 — 17| 763 3 7 501 1 120.632. 2:02592:6 | — 11| 593 2 10 577 2 | 10| 585| 2,0 | 585 | | — 7 43l 1 9| 633 3 8| 5832| 2,0 | 66,5 —|ı 0 — | — 7| 485 1 8 633 2 7| 559| 1,5° | 79,8 — 2 6| 431 il 8| 487 1l 7| 4559| 10 | 65,5 — ii -| — 6 481 1 | -28 | 1681 4 | 17/1056 25 | &2,1 —ı- | — 6339 0 5| 8339 0 5! 3389| 0 67,8 —| | — 5| 339 0 3! 339 0 5| 3359| 0 67,8 ——|l | — 6| 339 0 5| 839 0 5| 3359| 0 67,8 —| —| — 10| 523 1 51899120 7| 431) 05 | 615 —|ı — | 5| 3389| 0 5| 3839 0 5| 3359| 0 67,8 —_—ı —- | — 6| 431 1 4\ 339 0 3 Be —ı —- | — 4\ 38 0 Ho 0) 4| 3359| 0. 84,7 : — | — 518339,|220 5| 3839 0 5) 8589| 0 67,8 ; — | — Se. WM 5| 893 1 5| 366 | 0,5 | 73,2 ‘ a en a rt ne Versuche über die Fähigkeit der Hunde zur Bildung von optischen Assoziationen !). Von Dr. 3. S. Szymanski (Wien). (Aus dem physiologischen Institut der Universität Wien.) (Mit 1 Textfigur.) Auf Grund meiner früheren Versuche über die optische Re- zeptionsfähigkeit der Hunde?) bin ich zum Schluss gekommen, dass die Hunde nicht imstande sind, feinere optische Rezeptionen zur Assoziationsbildung zu verwerten. Ich wollte nun diese Frage weiterverfolgen, und zwar unter- suchen, ob die Hunde eine optische Rezeption von in Bewegung begriffenen Körpern in dieser Hinsicht besser als eine Rezeption von unbeweglichen Gegenständen auswerten können. Diese Versuche habe ich in einem grösseren Raum, in dem eine Art von zwei Käfigen mit bloss schmalen Eingängen angebracht waren, in denen sich ein elektrischer Boden befand, angestellt. Falls das Versuchstier den richtigen Käfig betreten hatte, so fand dasselbe dort Futter, an dem es sich satt fressen konnte. War der Hund hingegen in einen unerwünschten Käfig hineingelaufen, so erhielt er einen elektrischen Schlag. Da die genaue Beschreibung dieser Versuchsanordnung (des Versuchsraumes, der Käfige usw.) in der oben zitierten Arbeit ge- geben ist (s. zweite Versuchsserie), brauche ich nicht alle Einzel- heiten hier anzuführen. 1) Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Prof. Kreidl meinen herz- lichen Dank für die stete Förderung meiner Untersuchungen an dieser Stelle auszusprechen. 1) Vgl. Abhandlungen zum Aufbau der Lehre von Handlungen der Tiere. . Sep.-Bd. Pflüger’s Arch. S. 127 ft. 818 J. S. Szymanski: Bloss in zweierlei Hinsicht unterschied sich die jetzige Versuchs- anordnung von der früheren. Der erste Unterschied bestand darin, dass in den früheren Versuchen geometrische Fiseuren, die die Hunde voneinander unterscheiden lernen sollten, als Reiz dienten. Bei der vorliegenden Untersuchung verwendete ich als Reiz weisse Scheiben (19,5 em im Durchmesser), die paarweise miteinander derart. verbunden waren, wie dies die Fig. 1 veranschaulicht. Je ein Paar seleher Scheiben war derart auf der rückwärtieen Wand jedes Käfiges in der Höhe von etwa 1.20 -m angebracht (an der Stelle der früheren geometrischen Figuren), dass die Scheiben sich dem Zugang zu den Käfigen gegenüber befanden und dem Hund deutlich sicht- bar waren. Jedes Scheibenpaar konnte durch einen Elektromotor der für den Hund vollständig verdeckt war, um die Achse « mit beliebiger Geshwindigkeit gedreht werden. Der zweite Unterschied be- stand in folgendem: In den frü- oa. 7 heren Versuchen wurde in jeden Hier 1. Versuchskäfig ein Napf voll Futter gestellt. In dem Käfig, in dem gleichzeitig jene Figur angebracht war, die der Hund mit dem Futter assoziieren sollte, war der Futternapf ganz frei gelassen; in dem anderen jedoch war- derselbe in einem Kasten mit durchbrochenem Deckel eingeschlossen. Da ich Verdacht hegte, dass bei dieser Versuchsanordnung im „falschen* Käfig zum Futter- geruch noch der Geruch dieses Kastens hinzutreten könnte und auf diese Weise für den Hund als ein osmatisches Erkennungs- zeichen dienen könnte, verfuhr ich bei den jetzigen Versuchen derart, dass ich zwei ganz gleiche Kasten mit durchbrochenem Deckel anfertigen lies. Jeder Kasten blieb konstant in einem immer gleichen Käfig, so dass jetzt der immer gleiche Kastengeruch in beiden Käfigen auf den Versuchshund wirken musste. Vor jedem Versuch wurde nun in jedem Kasten je ein Futternapf untergebracht; in dem Käfig, zu dem der Hund nach dem Versuchsplan gerade an diesen Versuchstag hinlaufen sollte, wurde der Deckel offen ge- Er 5 Versuche über die Fähigkeit der Hunde zur Bildung von opt. Assoziationen. 319 lassen, im anderen Käfis hingegen geschlossen. Durch diese Ver- suehsanordnung hoffte ich, Geruchreize nach Möglichkeit konstant an einen bestimmten Käfig zu bannen. Da nun die Reihenfolge der Käfige, in der dem Hund das Futter bei den Versuchen freigegeben wurde, unregelmässig wechselte, wirkten indes bestimmte Geruchsreize von dem bestimmten Kasten immer im gleichbleibenden Käfig; (dadurch hoffte ich dem Hunde die Möglichkeit zu nehmen, sich nach dem Kastengeruch orientieren zu können. Als Reiz dienten in diesen Versuchen Umdrehungen der be- schriebenen Scheibenpaare. Die Umdrehungsgeschwindigkeit beider Paare war verschieden: das eine Paar machte eine volle Umdrehung in 29 Sekunden, das andere in 4 Sekunden. Das letztere Scheiben- paar drehte sich demnach mit einer siebenmal grösseren Geschwindig- keit als das erstere. Der Hund sollte nun erlernen, zu dem Käfig, in dem das Scheibenpaar sich langsamer drehte, zu laufen. Denn in diesem Käfig blieb bei jedem Versuch der Futterkasten offen, so dass das Futter ihm zugänglich war. In dem Käfig hingegen, in dem gleichzeitig sich das Scheibenpaar mit der grösseren Geschwindigkeit drehte, war stets der Deckel vom Futterkasten gesperrt; ausserdem erhielt der Hund, falls er den zu dem letzteren Käfige führenden Gang betreten hatte, einen elektrischen Schlag. Selbstredend wirkte der wirksam sein sollende Reiz (geringere Geschwindigkeit) ganz unregelmässig, manchmal vom linken, manch- mal vom rechten Käfig aus. Die Reihenfolge war die gleiche wie in der früheren Untersuchung. Die Versuche habe ich an einem Hund, der in den früheren diesbezüglichen Versuchen (]. e.) sich als. der gelehrsamste erwies (Nr. 3), ausgeführt. Der Hund erhielt das. Futter bloss einmal in 24 Stunden, nachdem er den richtigen Käfig aufgefunden hatte; täglich (mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen) wurde ein Versuch (um 10 Uhr morgens) ausgeführt. Hinsichtlich aller anderen Einzelheiten verweise ich auf die schon öfters er- wähnte Arbeit. Da der Hund nach 56 Versuchen keine Spur einer Ent- stehung der gewünschten Assoziation (grössere Geschwindigkeit — kein Futter und Schlag, geringere Gsschwindiekeit — Futter und kein Schlag) erkennen liess, vereinfachte ich die Versuchsanordnung in der Weise, dass von nun an (vom 57. Versuche ab) dasjenige- Scheibenpaar, das im Futterkäfige untergebracht war, stets still stand 320 J. S. Szymanski: (Geschwindigkeit — 0); das andere, das sich im falschen Käfig befand, drehte sich hingegen mit einer 3,5 grösseren Geschwindigkeit (eine Umdrehung in 2 Sekunden) als bis nun )). Nachdem diese Versuche zu Ende gebracht worden waren, stellte ich noch fünf Kontrollversuche an, die darin bestanden, dass während dieser letzteren Versuche beide Futterkästen und -näpfe entfernt worden waren. Sie wurden durch zwei gleiche ganz neue Näpfe, in welche ganz gleiche Mengen von demselben Futter gegeben worden waren, ersetzt; diese Näpfe wurden ohne weitere Kästen in beide Käfige gestellt. Während der Koutrollversuche bekam der Hund keinen Schlag, ob er richtig oder falsch lief. Den ganzen Verlauf dieser Versuche zeigt die nächstfolgende Tabelle. In dieser bedeutet: + richtige Handlung (Hinlaufen zum richtigen Käfig), — ‚unrichtgie Handlung (Hinlaufen zunächst zum falschen und dann erst zum richtigen Käfig), S. elektrischer Schlag. Nupmer | Wirkeumer |Sonyelehet| Bewesungs-| Zeit in | sun Warpamelnes Reiz denen richtung Sekunden Kleine Ge- . [ schwindigkeit \ | u „> 2. do.' ip, — ? & do. IL _ 29 4. do. 1. +: 24 5% do. T! — ? 6. do. iB, ze Br 8 do. ' 1. SL 39° 8. do. T. = 18 9, do ıB 2 19 10. do Ik BE 9 Jul, do Ti — 30 12. do. . — 27 13. do. l. — 20 14, do F- — 18 15. do. ms — 20 16. do. 1. + 14 17, do. it — ? 18. do. I — ? S. 19. do. IL, .z 22 DD. do. T. — ? S. al. do. ie — AT S. 29. do Be — ? S. Der do IL + 402 Da. do Ik + 63 95. do r. —_ — S. 26. do T. ? — Die do 1. + 227 1) Ich verfuhr also nach der Methode der fortschreitenden Vereinfachung des einwirkenden Reizkomplexes. (Vgl. 1. c.) Versuche über die Fähigkeit der Hunde zur Bildung von opt. Assoziationen. 321 Fortsetzung der Tabelle. a Wilbsamer Ste komme| Bewegungs | Zeit in | gehts nehes eiz a JB richtung Sekunden RN Kleine Ge- H es: { schwindigkeit \ y B4 _ 8. 29. do. Y + 93 30. do. | — : 983 S. 31. do. I — 29 SE 2 do 1 + 95 33. do 1 - 52 34. do r 70 S. 3. do r + 49 36. do l + 40 Te do 1 + 32 38. do | + 3 39. do 1 a 5 40. do 1 —_ 2 S. 41. do 1 + 56 42. do r 4 41 42. do 1 + 32 44, do l + 44 45. do. T. AL 40 46. do. Tr. 2n 39 An. do. l —_ 39 S. 48. do. j + 45 49. do. r en 40 : 50. do. | — 44 S. Hulk do. r an 38 52. do. | + 38 Da do l ? ? 54. do. T — 39 S. Da) do. r + 24 56. do. l _ 53 S. > Unbewegliche N 9 2T { Scheibe \ n- + 38. do. 1. + 24 59. do 1. — 30 S. 60. do 7 + 49 61. do 1. + 42 62. do iR + 237 63. do. " — 3 S. 64. do. 1. + 3 62. do r. + 49 66. do ir + 40 67. do h — am S. 68. do jB — 70 S. 69. do. T. — 64 S. 70. do. Ile + 52 zul, do. T. + 74 72 do. 1. + 42 13. do 1. — 45 S- 714. do r — 107 S. a8 do L _ 120 S. 76. do 1. ? ? Tr do L. + 93 78. do. 1. + 6 19. do. 1 + 95 80. do. 1 + 48 | Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 21 32393 J. S. Szymanski: Fortsetzung der Tabelle. N o V BAN a Wirksamer S On Bewegungs- Zeit in Schlag Verche: Reiz Ale Na richtung Sekunden Unbewegliche en s1 ö { Sn \ 1. + Ye) 82 do. jB, EI 66 28 do. N + 107 4. do. Ih — 95 S. 8. do r: ? ? S6. do. Tr. u «175 87. do. Ik + 114 Ss. do. ıE, ze 66 89. do. 58, SL 110 D. do. lL + 116 91. do. it + 71 92. do. 1. + 52 93. do. iR — 79 SR. 94, do. % Bu 142 9. do. " + 96 9%. do 1. + 61 97. do. T» + sl 98. do. je + 40 99, do Ik _— 64 S. 100. do. iE — 77 S.. 101. do. 1. + 18 102. do. r. + 83 103. do. 1. + 42 104. do. 1. E 60 105. do. 1% + 5l 106. do. ”% — 74 S.. 107. do Il, + 40 108. do. I + 50 109. do. ie = 52 110. do. 1. + a, hl do. v. - 30 112. do Jo + 60 113. do. h + & 47 114. do. Y. + 23 115. do. m + 7 116. do. 15 + 20 alize do. 1 + 21 118. do. l. + 28 ’ 119. do. }. + 15 120. do. Tr. —_. 24 S.- all, do. 1. + B: 122. do. T; + 17 123. do. 1. + 32 124. do. l. — 27 S. 125. do. T. + 37 126. do. 7 —_ 5 Se 127. do. 1. + 34 128. do. = -H 27 129. do. se, + 28 130. do. Il — 70 Se al, do. Ir + 47 13 do. l. + 50 133. do. 1 + 48 134. do. r. + 41 135. do. r. + 21 a Versuche über die Fähigkeit der Hunde zur Bildung von opt. Assoziationen. 323 Fortsetzung der Tabelle. ir \ 1 . . ne: Wirksamer er Bewegungs- Zeit in Schlag Versuches Reiz der Reiz richtung Sekunden e Unbewegliche | x. | 136. { Scheibe \ 1. + | 30 137. do. Y + 34 138. do. 1 _- 23 139. | do. ] ? | ? Unbewegliche | ACH 5% | vo { Scheibe \ = | 32 141. do. l: ? 142. do. IB —_ 11 143. do. IE = 12 144. do. l. + 14 Wie aus der Tabelle hervorgeht, lief der Hund während der letzten 63 Versuche (Nr. 77—139) 52 mal richtig (82,50). Sein Verhalten war indessen stets recht unsicher; er lief nie nach dem Prinzip der kürzesten Bahn!) direkt vom Vorkäfig zum richtigen Käfig, sondern erreichte den letzteren stets nach vielen Umwegen. Dies erweckte bereits den Verdacht, dass der Hund sich nicht nach den optischen, sondern nach etwaigen anderen, wahrscheinlich osmatischen Reizen, deren Quelle möglicherweise in den Futterkästen und -näpfen lag, orientierte. * Die Kontrollversuche (Nr. 140—144) mit den neuen Futter- näpfen und ohne Futterkästen erhoben diese Vermutung zur Sicher- heit. Denn in diesen fünf Kontrollversuchen lief der Hund viermal falsch und bloss ein einziges Mal richtig. Der Hund erlernte also nieht zwischen einem stillstehenden und einem sich mit grosser Ge- sehwindigkeit (eine Umdrehung in 2 Sekunden) drehenden Scheiben- paar zu unterscheiden. Dieser Befund bestätigt von neuem meine frühere Vermutung, dass Hunde kaum fähig sind, feinere optische Rezeptionen zum Bilden von Assoziationen zu verwerten. Der Verlauf und die Resultate beider Versuchsserien mahnen zur grössten Vorsicht in der Deutung von derartigen Versuchen. Denn die Hunde als ausgesprochen osmatische Tiere können derart fein abgestufte Geruchsreize, die wir gar nicht wahrzunehmen ver- mögen, noch als Erkennungszeichen verwerten. 1) Vgl. über dieses Prinzip meinen gleichbetitelten Aufsatz im Biologischen Zentralblatt. 21 Die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei weissen Ratten und Tanzmäusen!). Von 3. S. Szymanski (Wien). (Aus dem physiologischen Institut der Universität Wien.) (Mit 10 Textfiguren.) Die vorliegende Abhandlung bezweckte, erstens die Verteilung der Ruhe- (Schlaf-) und Aktivitätsperioden in einem 24stündigen Zyklus bei weissen Ratten und Tanzmäusen zu untersuchen, und zweitens den Einfluss einiger Faktoren (Hunger, Licht und Dunkelheit) auf die Änderungen der motorischen Aktivität zu prüfen. Alle diese Untersuchungen wurden mit der von mir bereits früher beschriebenen Methode?) ausgeführt. Diese Methode bestand in einer graphischen Registrierung der Bewegungen auf einem Kymo- graphion mit der 24stündigen Umlaufzeit. Dieses Registrieren wurde dadurch ermöglicht, dass das. Versuchstier in einen besonders kon- struierten Apparat (Aktograph) gesetzt wurde. Fast für jede Tierart war es nötige, einen besonderen Aktograph zu konstruieren. ' Im weiteren will ich die Untersuchungen an weissen Ratten und Tanzmäusen getrennt behandeln. [) 1) Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Prof. A. Kreidl meinen be- sonderen Dank für das ständige Interesse, das er meinen wissenschaftlichen Be- strebungen entgegenbringt, an dieser Stelle erneuert auszusprechen. 2) Vgl. hierzu meine diesbezüglichen Arbeiten: Eine Methode zur Unter- suchung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei Tieren (Pflüger’s Arch. Bd. 158). Die Haupttiertypen in bezug auf die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden im 24 stündigen Zyklus (Biol. Zentralbl. Bd. 36), Die Schwankungen des Geo- tropismus beim Laubfrosch und die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei Ringelnattern (die zwei letzteren in Abhandlungen zum Aufbau der Lehre von den Handlungen der Tiere. Sep.-Bd. von Pflüger’s Arch.). Die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei weissen Ratten usw. 325 Weisse Ratten. Der Aktograph für weisse Ratten war folgendermaassen kon- struiert!) (Fig. 1): | Auf einem Brett (Fig. 1 Abb. I_A.D) wurde ein Käfig (12 em hoch, 22 cm breit, 22 em lang) aus Drahtnetz (Abb. I EDC) auf vier Federn gestellt; bei der Erschütterung drückte der Käfig einen Schreiber F'G nieder, und der letztere verzeichnete auf der Kymo- graphiontrommel HZ eine Marke. Die Federn EF', auf denen der Käfig ruhte, wurden je über eine Vertiefung BD im Brett C befestigt Fig. 1. Aktograph für weisse Ratten. (Fig. 1: Abb. II); auf der korrespondierenden Stelle des Käfig- bodens @H wurde ein Stift AB angebracht, der in die Feder- spiralen eingriff. Der Schreiber bestand aus einem Hebel CB (Fig. 1 Abb. III), der bei A seinen Drehpunkt hatte; der innere Hebelschenkel lief in einen Haken D aus, der frei dem Käfigboden E anlag; der äussere Hebelschenkel trug eine Schreibspitze C. . Der Verlauf eines einzelnen Versuches war folgender: Nachdem der Käfigboden mit Sägespänen bestreut und Futter, Wassernapf und etwas Watte (für ein Nest) hineingegeben worden waren, wurde eine Versuchsratte in den Käfig gesetzt und 24 Stunden 1) Sämtliche in dieser Abhandlung beschriebene Apparate hat Herr L. Castagna, Universitätsmechaniker, konstruiert. 326 - J. S. Szymanski: lang drinnen sitzen gelassen. Täglich um 11 Uhr vormittag!) wurde die Kurve abgenommen, der Käfig gereinigt und frisches Futter und Wasser hineingegeben. ‘Nach 10 Versuchstagen, während welcher das Versuchstier un- unterbrochen Tag und Nacht im Aktograph verblieb, Hunde eine Versuchsserie mit einem Tier abgeschlossen. Die Versuche fanden bei gewöhnlicher Zimmertemperatur und normalem Tag- und Nacht-Lichtwechsel statt. Im ganzen habe ich vier erwachsene Ratten (Nr. 1 und 3 Männchen, Nr. 2 und 4 Weibchen) untersucht, so dass man zum Schluss 40 Kurven erhalten hat. Die Arten der Kurven, welche die Schreibspitze 'aufzeichnete, waren zweierlei (Fig. 2 Abb. D): / 1. Eine gerade Linie mit vielen kleinen vertikalen Strichen (Fig. 2 Abb. I, untere Kurve); diese Linie entsprach dem Zustand der Ruhe. Da, wie ich dies durch direkte Beobachtungen feststellen konnte, der Ruhezustand der Ratten in der Regel mit dem Schlaf verbunden ist, darf diese Kurve als Schlafkurve angesehen werden. Sie zeigt, dass der Schlaf der Ratten recht oberflächlich, öfters durch einzelne kleine Bewegungen unterbrochen ist. 2. Eine Linie, die aus dieht nebeneinanderstehenden vertikalen Strichen bestand (Fig. 2 Abb. I, die obere Kurve); diese Linie ent- sprach dem Zustande der motorischen Aktivität. Die Verteilung der Schlaf- und Wachperioden ergab, dass weisse Ratten polyphasische?) Tiere sind, und zwar erleben sie in einem 24 stündigen Zyklus je im Durchschnitt 10 Wach- und Schlafperioden (siehe Anhang Tabelle 1). Die Dauer der einzelnen Perioden indessen war nicht gleichmässig: sie hängt von der Tages- bzw. Nachtzeit ab. In der Zeit nämlich von 6 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags wiesen die Ratten lange Schlafperioden und kurze Wachperioden, 2 bis 4 Perioden, auf; die Dauer dieser letzteren betrug von 15 Minuten bis höchstens 1 Stunde. 1) Sämtliche in dieser Arbeit erwähnten Stunden wurden nach der astro- nomischer (Winter-)Zeit angegeben. 2) Als polyphasische bezeichnete ich jene Tiere, welche mehr als eine Ruhe- und eine Aktivitätsperiode in einem 24stündigen Zyklus aufweisen. Mono- phasische Tiere hingegen jene, die in einem 24stündigen Zyklus bloss eine Ruhe- und eine Aktivitätsperiode aufweisen. Die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei weissen Ratten usw. 327 S C morgen 6 Uhr ten die Ratten lange Wachperioden und kurze Schlafperioden 5 bis 7 Perioden; die Schlafperioden währten von 15 Minuten Zeit von 4 Uhr nachmittags bis bis höchstens und ausnahmsweise 3 Stunden. In der ’ zeig "do.1J070yd Aryesgu J19Z uasrıqn aop ur *doay -oJoqd Aryısod aeg aıp em (2 pun Ai—ir) soeryugoeu "um GT AqN G SIq "um Gy Auf) F U0A J19Z Aap UI SSOJJ "UauULWOUIS -[n® SU9STOUL "UI GT AuNM 9—C UAYasImz °g pun °7 ‘sseyptwgpeu "um 08 au € sıq "wm SI AıyN F Uayssımz uopınM vr pun IT uagalaydse8 ®r pun °r "nzq "y pun !T uaaımy 9Ip uap.ınM oz JA9y919]8 NZ "YPUTIIIZIS NE SyRyM U9JaJyonaT 9 wOUTD uoA purs’®y pun "Tr uaaany dp ‘uofoyunpıoA UaUT9 UOA puis °7 pun I! usaany Ag (zZ IN SNey) 'VAıny odo13030yA4 "IL — (6 ynsıoA 'Z IN ey) "Iep apontodaeyny A9uta uoA Yıuyos -qy uour (sSdepIwmgdeu ıyNn C—E uayos -IMZ) 9AAny 9aayun ap “oponıadsyeyramyvy A9UT9 UOA YIuUya9sqYy UouLe [948 (SU9S.1OW um GF ayn g SIq um GP Ay 8 UOOSIMz) 9AINy 919g0 AI "Uay4ey UASssIaM UoA oAıny aygasıqydeado9yvy °T '3 ‘84 RETURN er GE finand Nadine a — n EEE a DS NEBEARBERREEN NEL NE SET 5 NED \ ISBRT ) VORER Ye 328 J. S. Szymanski: Einen typischen Fall der Verteilung der Schlaf- und Wachperioden bei weissen Ratten zeigt das Aktogramm in Fig. 3 Abb. 1. Fig. 3. I. Ein typisches Aktogramm für weisse Ratten. Auf dem inneren Kreis sind die Ruhe- (R), auf dem äusseren Kreis die Aktivitätsperioden (A) eingetragen. Die obere 12 bedeutet Mittag, die untere 72 Mitternacht. (Ratte 3, Versuch 5: Zahl der Perioden 10. Q = _ —= 0,74.) — II. Verlauf von Phototropismus in einem 24stündigen Zyklus. Auf dem äusseren Kreis ist der positive (+), auf dem inneren der negative Phototropismus (—) eingetragen. (Ratte Nr. 2.) Um sich ferner Rechenschaft über die Gesamtaktivität in einem 24stündigen Zyklus geben zu können, habe ich, wie in meinen früheren diesbezüglichen Arbeiten, für jeden Versuch den Bewegungs- quotienten Q@ berechnet, d. h. ich dividierte die Zahl der Stunden, während welcher das Tier in Bewegung war, durch die Zahl der Ruhestunden in je einem 24stündigen Zyklus. Zahl der Perioden| @ (Beweglichkeits- N is a q |(Durchschnittszahl | quotient) (Durch- Geschlecht von 10 Versuchs- schnittszahl von enge tagen) 10 Versuchstagen) 3 a 1 (Männchen) | 10,8 | 0,680 — 1425 \ e 10,16 2 (Weibchen). . . 10,7 0,735 —= 13,84 \ 11,50 2 (Ma Q DANS 9 3 (Männchen). . . 8,8 0,927 — 12,50 3,00 / S 6) EN E) 4 (Weibchen). ae | 2) | 0,601 I 15,00 ’ a 10,16 Durehschnittszall . | 9,9 | ITS = 13,84 Die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei weissen Ratten usw. 329 Dieser Quotient war für die sämtlichen vier untersuchten Ratten im Durchschnitt jest — (0,735, d. h. die Ratten waren in einem 24stündigen Zyklus durchschnittlich etwa 10 Stunden in Bewegung und etwa 14 Stunden in Ruhe. Geschlechtliche Unterschiede waren nicht festzustellen, wie dies die umstehende Tabelle zeigt (vgl. auch den Anhang Tab. 1). Schliesslich berechnete ich zwecks der Ermittlung der Zeit, in der die Tiere besonders häufig rege Beweglichkeit aufwiesen, für- jede Ratte die Häufiskeit der Aktivität in jedem 24 stündigen Zyklus. Ich verfuhr dabei derart, dass ich jeden Fall, in dem sich ein Tier wenigstens eine Viertelstunde bewegte, durch einen Strieh in einer- Tabelle, deren jede Rubrik die Zeit zwischen zwei aufeinanderfolgenden. Stunden in einem 24stündigen Zyklus zeigte, markierte. (Vel. den Anhang Tab. 2.) Auf Grund dieser Tabelle konnte ich die nächstfolgende- Häufigkeitskurve der Aktivität aufzeichnen (Fig. 4). Fig. 4. Häufigkeitskurve der Aktivität. Auf den Abszissen sind die Nacht- und Tagesstunden, auf den Ordinaten die Zahl der beobachteten Fälle (der Versuchs- tage) eingetragen. Zwischen 11—12 Uhr vormittags wurde täglich der Käfig ge- reinigt und das Futter hineingegeben. Die obere 72 bedeutet Mittag, die untere 12 Mitternacht. Aus der Kurve ergibt sich, dass die Ratten in der Zeit der erhöhten Beweglichkeit (von 4 Uhr nachmittags bis 6 Uhr morgens) zwei Gipfel, und zwar zwischen 6—8 Uhr abends und 3—5 Uhr morgens, aufweisen. Die häufige Beweglichkeit zwischen 11—12 Uhr 330 J. S. Szymanski: = vormittags ist eine zufällige Erscheinung, die sich dadurch erklären lässt, dass der Käfig um diese Zeit gereinigt und frisches Futter der Ratte dargeboten wurde. Dies hatte eine in der Regel eine Viertel- ‚stunde währende Beweglichkeit des Versuchstieres zur Folge. | Nachdem diese Versuche abgeschlossen waren, habe ich nun an denselben Tieren den Einfluss des Hungers auf die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden und auf den Betrag der Gesamtaktiviät - untersucht. In dieser Versuchsserie führte ich Versuche an zwei Tieren ‚(immer gleichen Geschlechtes) zu gleicher Zeit aus, indem ich zwei identische Aktographen benützte, die derart nebeinandergestellt waren, dass zwei Kurven übereinander gleichzeitig auf den Kymo- -graphion aufgezeichnet werden konnten (Fig. 1 Abb. IV). Diese Versuche wurden folgendermaassen ausgeführt: Nachdem ein Tier zwecks Gewöhnung 24 Stunden in dem Apparat verbracht hatte, .liess ich während der nächsten 24 Stunden 'bei vollem Futter eine Kurve schreiben (Kontrollversuch). Nach dem Abschluss des Kontrollversuches entfernte ich das Futter und das Wasser und beliess das Tier noch zwei Tage im Apparate (1. und ‘2. Hungertag). Die Ergebnisse dieser Versuche sind in der nächstfolgenden Tabelle niedergelegt. an we a Erster Hungertag | Zweiter Hungertag seien [in] eo ji] e ji @ 1 NElamahen) || Il 2 nal 0 . 99 | 14 Ta 9,31 2 Weibchen) | 11 > 100 10. 0 12 — 0,54 3 (Männchen) | 10 1500 = | 10 2 —0,68 | 10 an —0,62 4 (Weibchen) | 7 re im ni —0,68 | 16 En 0,60 Wie die Tabelle zeigt, war die Gesamtaktivität der Tiere mit Ausnahme der Ratte Nr. 1 unter dem Einflusse des Hungers nicht erhöht: der Beweglichkeitsquotient (0) an den Hungertagen änderte sich bei Nr. 2,3, 4 nieht nennenswert im Vereleich zu dem am Tage des Die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei weissen Ratten usw. 331 Kontrollversuches. Bloss die Ratte Nr. 1 zeigte eine starke Erhöhung der Mobilität (um 6 Stunden) an den Hungertagen. Die Anzahl der Perioden war bei den meisten Tieren (Nr. 1, 2, 4) vermehrt; und zwar waren ebenfalls die langen Schlafperioden (zwischen 6 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags) öfters als bei den gesättigten Tieren durch mehr oder weniger lange Wachperioden, wie auch die langen Wachperioden (zwischen 4 Uhr nachmittags und 6 Uhr morgens) ‘öfters durch mehr oder weniger kurz andauernde Schlafperioden unterbrochen. Hiermit äusserte sich der Einfluss eines zweitägigen Hungers in ‚diesen Versuchen, ‚welche lediglich der ersten Orientierung dienen sollten, weniger in der Erhöhung der Gesamtmobilität als in der ‘Steigerung der allgemeinen Erregbarkeit, was ihren Ausdruck in der Vermehrung der Wach- bzw. Schlafperioden fand, die die langen ‘Schlafperioden öfters unterbrachen, d. h. der Hunger übte haupt- sächlich einen Einfluss auf die Verkürzung der langen Schlaf- bzw. Wachperioden. Zum Schluss wurden noch die Versuche an den gleichen Tieren über den Einfluss von Dunkelheit bzw. von Licht auf die Verteilung der Perioden und die Änderungen :der Gesamtmobilität ausgeführt. Die allgemeine Versuchsanordnung war die gleiche wie in den früheren Versuchen, mit der Ausnahme, dass den Tieren in den Apparat stets genügend Futter und Wasser gegeben wurde. Alle ‚diese Versuche wurden in den gleichen Räumen ausgeführt, so dass die Temperatur (gewöhnliche Zimmertemperatur) gleich blieb. Nachdem jede Ratte 24 Stunden im Apparat bei normalen Tag- und Nachtlichtwechsel gehalten worden war, wurde sie nun zunächst 24 Stunden in einem vollständig verdunkelten und dann ebensolange in dem gleichen aber durch zwei Lampen (32 und 100 HK) hell be- Jeuchteten Raum untersucht. Die Resultate gibt die auf S. 332 stehende Tabelle wieder. Wie aus der Tabelle hervorgeht, war die Zahl der Perioden in ‚der Dunkelheit im Durchschnitt 15,5, statt 10 bei normalem Tag- und Nachtlichtwechsel. Der Beweglichkeitsquotient A war gleich 1,17 (statt 0,735), d. h. die Ratten bewegten sich 13 Stunden (statt 10 Stunden 15 Minuten) und blieben 11 Stunden (statt 13 Stunden 45 Minuten) in der Ruhe. Diese Zahlen beweisen, dass die Dunkelheit auf die Ratten im Sinne der Erhöhung der Mobilität wirkte. 392 J. S. Szymanski: Nummer . Dunkelheit Ei Licht | a Q 1 Manmehen) la En BR 1519 14 nn el el yeipchen) rl ae I NA 12 959 em), | 18 ns 10° 1 — 1,08 ee ee 1 = 99 16 EN — 0,60 Durchschnitt | 155 117 IB 0,77 Die Lichtversuche ergaben, dass die motorische Aktivität nicht er- höht war; denn @ war gleich 0,77, d. h. die Ratten waren 10 Stunden. 50 Minuten in Bewegung und 13 Stunden 30 Minuten in der Ruhe. Die Zahl der Perioden (13) war dagegen etwas grösser, welcher Umstand wahrscheinlich auf die gesteigerte allgemeine Erregbarkeit zurückzuführen ist. Die Ratten sind ja negativ-phototrope Tiere; das Lieht muss- demnach auf sie erregend wirken. Um endlich den Phototropismus der Ratten näher zu untersuchen. wurden zwei gleiche Apparate so nebeneinander angebracht, dass zwischen den beiden einander zugekehrten Käfigwänden bloss ein kleiner‘ Zwischenraum übrigblieb. Dieser Raum war jedoch gross genug, um bei den Erschütterungen bzw. bei der Neieung eines der beiden. Käfige eine gegenseitige Berührung zu verhindern. In den beiden erwähnten Käfigwänden war unten je ein kleines Fenster (6,5 X 6 em): derart ausgeschnitten (Fig. 1 Abb. IV x und y), dass die Ratte aus: einem Käfig in den anderen nach Belieben wandern konnte. Wie die Beschreibung der Versuchsanordnung zeigt, zeichneten die Schreibspitzen beider Käfige gleichzeitig Kurven auf. Dabei schrieb stets eine, und zwar die, welche dem zur Zeit leeren Käfig gehörte, eine gerade Linie; die andere Schreibspitze, die dem zur: Zeit von der Ratte besetzten Käfige gehörte, markierte eine Ruhe- bzw. Aktivitätskurve. Da das Kymographion derart konstruiert war, dass die Trommel sich nach dem Verlaufe von 12 Stunden senkte und die Kurve von den nächstfolgenden 12 Stunden sich über jene von den ersten 12 Stunden lagerte, so erhielt man nach 24 Stunden vier Die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei weissen hatten usw. 333 übereinanderliegende Kurven, von denen einerseits die erste (von unten) und die dritte, anderseits die zweite und die vierte gleichzeitig aufgeschrieben worden waren. Durch den Vergleich dieser Kurven konnte man leicht schliessen, wann und wie lange eine Ratte in einem der Käfige verweilte. Die Abb. II in der Fig. 2 gibt ein Beispiel von dem Ablesen dieser Kurven wider. Bei den Versuchen, die in einem, die ganze Versuchszeit (24 Stunden) hindurch beleuchteten (32 x 100 HK) Raum stattfanden, war stets über einem Käfis (mit der Ausnahme des Fensters) eine Kappe aus schwarzem Papier gestülpt. Der andere Käfig war da- gegen der vollen Lichtwirkuug ausgesetzt. Zu Beginn eines jeden Versuches wurden in beide Käfige gleiche Mengen von Futter, Wasser und Watte (für ein Nest) hineingegeben. Die Ratte, die vorher zwecks Gewöhnung 24 Stunden im Apparate verbringen musste, wurde stets in den beleuchteten Käfig gesetzt. Gleich nachdem dies geschehen war, lief die Ratte in den ver- dunkelten Käfig. Während der ersten Versuchsstunden schleppte sie in der Regel Futter (Brot) und Watte aus dem beleuchteten in den verdunkelten Käfig. Jede Versuchsratte wurde wie in den früberen Versuchen 24 Stunden lang im Apparate belassen. Die Versuchsresultate fasst die nächstfolgende Tabelle zusammen. Wie viel Stunden von Zwischen welchen Stunden Nummer i ündi Nas Tisres us A war der positive Phototropismus und Phototropismus ? zu beobachten? Geschlecht u —_ morgens | vorm. | nachm. | abends Bi a 1 Männchen) |. 250 | 2150. | ..5=6 len ; Ä 2—3 6— 7 2 (Weibchen) 2,00 22,00 Bl ar { 4-6 11-12 3 (Männchen) | 5,5 |. 18,8 0 Me 8— 9 | | ol ae gs 4 (Weibchen) | 175 | a5 | 2-3{ 172 Bee Aus der Tabelle geht hervor, dass die Ratten!) in einem 24stündigen Zyklus durchschnittlich 22 Stunden negativ und bloss 2 Stunden positiv phototrop’ waren. 1) Bei allen weiteren Betrachtungen lasse ich die Ratte Nr. 3, die stark auf- geregt und scheinbar nicht ganz normal war, ausser acht. 334 J. S. Szymanski: Die Zeitabschnitte, in denen die Ratte positiv phototrop war, fielen in der Regel meistens auf die Stunden, in denen die Ratte ge- steigerte Aktivität zeigte (von 4 Uhr nachmittags bis 6 Uhr morgens) !). Denn die Ratten waren in dieser Zeit im Durchschnitt 1 Stunde 30 Minuten positiv phototrop und wechselten zweimal so oft das. Vorzeichen des Phototropismus, als in der Zeit der herabgesetzten. Aktivität (von 6 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags:) in dieser | letzteren Zeit waren sie im Durehschnitt bloss 30 Minuten. positiv phototrop. Einen typischen Verlauf von der phototropenKurve ver- anschaulicht das Diagramm II in der Fig. 3; aus diesem Diagramm ist auch zu er- sehen, dass die Umkehr des. Vorzeichnens des Phototro- pismus bei den Ratten etwa fünfmal in einem 24stündigen Zyklus stattfand, und dass die jedesmalige Dauer des. positiven Phototropismusbloss. relativ kurz war. Tanzmäuse. Der Aktograph für Tanz- mäuse war folgendermaassen konstruiert: Auf einer Feder A war Fig. 5. Aktograph für Tanzmäuse. ein zylinderischer Käfig BD ohne Deckel, aus schwarzem Karton, 19 em im Durchmesser, 17 cm hoch, aufgehängt. Zwischen den Spiralen der Feder wurde ein Schreibhebel /H derart ein- geschoben, dass das in einem Haken I auslaufende Ende desselben frei inmitten der Feder hinaufragte: dadurch wurde ein Heraus- fallen des Schreibhebels aus der Feder verhindert. 1) Das gleiche Resultat ergaben meine früheren Untersuchungen über die Tropismen der Küchenschaben und Laubfrösche (vgl. 1. c.). ne ee a ae an Die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei weissen Ratten usw. 335 Der Hebel bewegte sich um den Drehpunkt @ und zeichnete- auf der Kymographiontrommel X Bewegungen des Versuchstieres, das sich im Käfige 5 befand, auf. | Der Ausschlag der Kurve konnte durch das Einschieben des- Schreibhebels zwischen die oberen bezw. unteren Spiralen nach Be- lieben reguliert werden. Um die rotatorischen Bewegungen des Käfies zu verhindern,. wurden am Käfigboden zwei gleiche Ringe D und D, befestigt; in je einen Ring wurde ein Stäbchen aus Eisendraht E und E, derart hineingeschoben, dass die Ringe bei der Ruhestellung des Käfigs die Stäbchen nicht berührten; bei den Bewegungen des Käfigs hinderten ‘sie das Rotieren des Käfies. Bei jedem Versuch wurde der Käfig mit Sägespänen bestreut und ausser dem Versuchstier noch Futter, Milch, ein Wattebausch: (für das Nest) und ein kleines Häuschen aus schwarzem Karton in denselben hineingegeben. Jedes Tier wurde zunächst vor dem Versuchs- beginn in der Regel zwei Tage lang im Apparate sitzen gelassen, um sich an den Käfig zu gewöhnen; erst daraufhin liess ich das Tier ununterbrochen ein bis drei 24stündige Kurven aufzeichnen. Jeden: Tag um 10 Uhr wurde die Kurve abgenommen und Futter und Milch: gewechselt. Auf diese Weise habe ich fünf junge, jedoch erwachsene: Tanzmäuse untersucht. Die Kurvenarten, die die Schreibspitze auf der Trommel auf- zeichneten, waren folgende (Fig. 6): l. eine gerade Linie mit nur wenigen vertikalen Strichen (Fig. 6, die untere Linie rechts und in der Mitte): diese Linie entsprach dem Ruhezustand, der sich bei den Tanzmäusen mit dem Schlaf deckt. Diese Kurve zeigt demnach, dass der Schlaf der Tanz- mäuse im Gegensatz zu dem der Ratten und der anderen Mäuse- arten recht ruhig und tief ist’); 2. eine Linie mit vielen kleinen vertikalen Strichen (Fig. 6 links- unten und rechts oben): diese Linie entspricht dem Zustande- der Aktivität, und zwar dem Fressen bezw. dem Putzen usf. ;. 1) „Die Tanzmäuse reagieren auf keine Schalleindrücke“. (Alexander und: Kreidl, Anatomisch-physiologische Studien über das Öhrlabyrinth der Tanzmaus.: Pflüger’s Arch. Bd. 85 S. 539). Möglicherweise ist die Taubheit, einer der- Faktoren, die die bedeutende Schlaftiefe dieser Tiere mit bewirkt. J. S. Szymanski: >. eine Linie mit vielen langen vertikalen Strichen (Fig. G in der Mitte und links): diese Linie entspricht gleichfalls dem Zustande der Aktivität, und zwar den Tanzbewegungen. Fig. 6. Kurvenarten von Tanzmäusen. Die untere Kurve (zwischen 2 Uhr 15 Mi- nuten bis 3 Uhr 30 Minuten nachmittags) stellt eine Ruhe-(Schlaf-)Periode, die ‚obere Kurve (zwischen 3 Uhr bis 4 Uhr 15 Minuten morgens) einen Abschnitt von einer Aktivitätsperiode dar. Die grossen Zacken bedeuten Tanzbewegungen, die kleinen (auf der unteren Kurve links und auf der oberen rechts) Putz- bezw. Fressbewegungen. (Tanzmaus Nr. 1: Versuch 3.) | Die Resultate dieser Versuche sind in den Tabellen 3 und 4 (siehe den Anhang) niedergelegt. Wie aus der Tabelle 3 ersichtlich ist, war die Anzahl der Perioden in einem 24stündigen Zyklus im Durehsehnitt rund neun. Die Aktivitätsperioden bei Tag, von etwa 5 Uhr morgens bis 6 Uhr nachmittags, waren meistens kurz; die Be- weglichkeit war wenig intensiv (vgl. Fig. 6 die untere Kurve links). In den Nachtstunden, etwa von 6 Uhr abends bis 5 Uhr morgens, waren bloss eine grosse oder zwei durch eine kurze Ruheperiode ge- trennte Aktivitätsperioden zu be- obachten. Die Beweglichkeit in dieser grossen Aktivitätsperiode war ununterbrochen sehr intensiv (Tanzbewegungen, vel. Fig. 6 die 12 Fig. 7. Ein typisches Aktogramm für Tanzmäuse. Auf dem inneren Kreis sind die Ruhe- (R), auf dem äusseren die Aktivitätsperioden (A) eingetragen. Die obere 12 bedeutet Mittag, die antere 12 Mitternacht. (Tanzmaus 2, ‘Versuch 1. Zahl der Perioden = 10. 14,00 Q 10,00 1,40. obere Kurve). Ein typisches Aktogramm für Tanzmäuse stellt die nebenstehende Fig. 7 dar. Die Tanzmäuse lassen sich demnach in Hinsicht auf die Ver- teilung der Ruhe- und Aktivitäts- Die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei weissen Ratten usw. 337 perioden als polyphasische Tiere mit einer vorwiegenden Aktivitäts- tendenz in den Nachtstunden charakterisieren. Der vorwiegend nächtliche Charakter der Aktivität dieser Tiere Jässt sich noch deutlicher aus der Häufigkeitskurve der Aktivität, ‚die auf Grund der Tab. 4 (siehe den Anhang) aufgezeichnet wurde, ‚erkennen (Fig. 3). Die Kurve zeigt, dass die Aktivität bereits in den Nachmittags- stunden zu steigen beginnt; sie bleibt bis ungefähr 4 Uhr morgens Fig. 8. Häufigkeitskurve der Aktivität. Auf den Abszissen sind die Nacht- und "Tagesstunden, auf den Ordinaten die Zahl der beobachteten Fälle (der Versuchs- tage) eingetragen. Die obere 12 bedeutet Mittag, die untere 12 Mitternacht. «(im Juni) auf der gleichen Höhe, um dann allmählich zu sinken, bis ‚sie in den Vormittagsstunden den Tiefstand erreicht hat. Die Haupt- periode der Aktivität dauert demnach von etwa 6 Uhr nachmittags ‚bis etwa 4 Uhr morgens an. Was den Gesamtbetrag der Aktivität betrifft, so war der Be- 'weglichkeitsquotient ® im Durchschnitt gleich 1,423, d. h. die Mäuse ‘waren in einem 24stündigen Zyklus durchschnittlich ungefähr 14 Stunden in Bewegung und 10 Stunden in Ruhe. Zum Schluss sei noch folgende Tatsache erwähnt. Wenn man den Gesamtbetrag der Aktivität in einem 24 stündigen Zyklus gleich a Stunden, die Getamtaktivität in der Hauptperiode der Aktivität :gleich 5 Stunden und die Gesamtaktivität während der übrigen Zeit Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 22 338. J. S. Szymanski: eines 24stündigen Zyklus (also «a — b) gleich c setzt, so wird, wie dies die beigefüste Tabelle 1) zeigt, = + = konstant. Nummer Nummer des des 1a Lan ah SL Denen konst.. Tieres Versuches b € b € 1 1 1,5 | 3,0 4,5 1 2 1.2 3,9 4,8 2 1 1 4,0 5,3 2 2 1,4 34 4,8 3 1 1.3 4,2 9,9 3 2 1,2 4,1 5,9 4 1 1,2 44 5,6 4 2 1,2 4,8 6,0 5 ll 10 4.6 5,8 er Er = Diese Tatsache beweist, dass die Tiere einen bestimmten. Aktivitätsbetrag in einem 24stündigen Zyklus absolvieren müssen. Ist die Hauptperiode kürzer, so bewegen sie sich dafür in der übrigen. Zeit länger, so dass eine bestimmte und für alle Tiere ziemlich kon- stante Menge von Aktivität doch geäussert wird; und umgekehrt, währt die Hauptperiode länger, so bewegen sie sich dafür in der- übrigen Zeit kürzer, so dass schliesslich wiederum die für eine Art. normale Menge der Aktivität absolviert wird. Dies aber besagt, dass die Aktivität als solehe nicht durch: äussere Reize, sondern durch innere Impulse notwendigerweise be-- wirkt wird. ; - Zusammenfassung. 1. Weisse Ratten sind polyphasische Tiere (10 Perioden in einem: 24 stündigen Zyklus), jedoch mit einer vorwiegend nächtlichen. Aktivitätstendenz. 2. Der Gesamtbetrag der Aktivität ist bei weissen Ratten gleich: 10 Stunden; die übrigen 14 Stunden eines 24 stündigen Zyklus ver-- bleiben sie in der Ruhe. 3. Zwei Tage langer Hunger vermehrt die Zahl der Perioden. ohne den Gesamtbetrag der Aktivität wesentlich zu ändern. 4. Dunkelheit vermehrt die Zahl der Perioden und erhöht den. Gesamtbetrag der Aktivität. 1) In der Tabelle fehlt der Versuch 3 vom Tiere 1. Da die betreffende Kurve: nicht ganz unversehrt war, verzichtete ich lieber auf ihre Verwertung für diese- _ Berechnungen. a il on an ea ni. Die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei weissen Ratten usw. 339 5. Licht vermehrt die Zahl der Perioden, ohne den Gesamtbetrag der Aktivität zu ändern. 6. Weisse Ratten waren in einem 24stündigen Zyklus durch- schnittlich 22 Stunden negativ und 2 Stunden positiv phototrop. Die Zeit, in der die Ratten positiv phototrop waren, fällt in die Stunden der Hauptperiode der Aktivität. 7. Tanzmäuse sind polyphasisch (9 Perioden) mit einer vor- wiegenden Aktivitätstendenz in den Nachtstunden; der Gesamtbetrag der Aktivität ist gleich 14 Stunden in einem 24stündigen Zyklus. Nachtrag zur Untersuchung über die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei Kanarienvögeln. In einer meiner früheren Arbeiten untersuchte ich den Einfluss der permanenten Dunkelheit auf die Ruhe- und Aktivitätsperioden bei Kanarienvögeln !). Ich wollte nun umgekehrt untersuchen, wie sich die Kanarien- vögel verhalten, wenn der Versuchsraum während der ganzen Dauer des Versuches beleuchtet wurde. Ich habe mit drei Vögeln, gleichen Geschlechts (lauter Weibchen) und gleicher Rasse (deutsche Rasse) wie in den früheren Versuchen und mit dem gleichen Apparat gearbeitet; die Versuche wurden Ende Mai und Anfang Juni ausgeführt. Der Verlauf eines einzelnen Ver- suches mit einem Vogel war folgender: Nachdem ein Vogel zunächst während 24 Stunden im Apparat, zwecks Gewöhnung an denselben, verblieben war, liess ich das Ver- 1) Vgl. oben „Eine Methode usw.“ S. 375 ff. to DD * we A Kontrollversuche Lichtversuche des Beginn | Beginn Beginn | Beginn Tieres Q der Tages- der Nacht- Q der Tages- der Nacht- aktivität ruhe aktivität ruhe 1 _ 1,59 | 4h 00’ | 65h 45’ en —=146 | 5h 15’ | 7500’ ’ I : 2 on 1,90 | 4» 00° | mn 45’ 336 3n 30° | gu 00’ ’ > 3 — —=1,9 | 4 00’ | 6h 45’ . —1,35 | unbest. | unbest. ’ 9 19 | 340 J. S. Szymanski: suchstier während der nächsten 24 Stunden seine normale Kurve bei vollem Futter und bei dem gewöhnlichen Tag- und Nachtlichtwechsel aufzeichnen. Daraufhin war der Vogel in einem anstossen- den verdunkelten Raum, der durch elektrische Lampen (32% 100 HK) permanent be- leuchtet war, untergebracht; das Versuchstier blieb hier bei vollem Futter die nächst- folgenden 24 Stunden, wäh- rend welcher es seine Ruhe- und Aktivitätsperioden regi- strieren musste. Auf diese Weise habe ich drei Vögel untersucht; die auf S. 339 abgedruckte Tabelle gibt die Übersicht der Resultate. Aus der Tabelle geht zunächst hervor, dass weder der Beeinn der Tagesaktivität noch der Beginn der Nacht- ruhe bei zwei Individuen (Nr. 1 und 2) dieser mono- phasischen Tiere durch die permanente Beleuchtung we- sentliche Verschiebungen er- litten hat. Hingegen waren bei dem Vogel Nr. 3 die Übergänge zwischen der Tagesaktivität und der Nacht- ruhe vollkommen verwischt. Die Nachtruhe war bei den sämtlichen Vögeln recht ober- flächlich (die Ruhekurve wies öfters kleine Zacken auf) und öfters durch mehr oder weniger kurze Perioden der Aktivität unter- brochen, was?unter normalen Bedingungen nicht vorkommt. (Fig. 9.) permanenten Lichtes auf die Herabsetzung t aber bei der normalen Nachtbeleuchtung gel in der gleichen Nachtzei (Kanarienvogel Nr. 3.) aufgenommen, dient zum Vergleich. Fig. 9. Die Kurve II (zwischen 1—3 Uhr nachts) zeigt den Einfluss des der Schlaftiefe, die Kurve I vom gleichen Vo | | | j | | I = } 2; L j Die Verteilurg der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei weissen Ratten usw. 341 Die Einschaltung der Aktivitätsperioden während der Nacht- stunden war bei dem Vogel Nr. 3 derart regelmässig und häufig, dass die normale Monophasie dieser Vogelart in die Polyphasie umgewandelt wurde; zum weiteren Verwischen der Monophasie trug ferner das Fehlen von schroffen Übergängen zwischen Nacht- ‘ ruhe und Tagesaktivität und umgekehrt bei. (Fig. 10.) Fig. 10. Das Aktogramm zeigt den Finfluss permanenten Lichtes auf die Vermehrung der Periodenzahl bei einem Kanarienvogel (Nr. 3). Zum Schluss sei noch erwähnt, dass der Gesamtbetrag der Aktivität, wie dies aus den Werten für den Beweglichkeits- quotient (Q) ersichtlich ist, bei den Vögeln Nr. 1 und Nr. 5 im Vergleich zum normalen nicht wesentlich verändert war, bloss bei dem Vogel Nr. 2 erhöhte sich die Aktivität um ca. 3 Stunden im Vergleich zum normalen. 342 J. S. Szymanski: Anhang. Tabelle. Summer | Kun: 0 re des Datum (Beweglichkeits- Ruhe-) Perioden schlecht | Versuches ee quotient) im ne N. 1 22.23. März nn gr 12 5 2 93.94 . ale nn BE 3, 9, ns 0,71 7 A. os 065 14 5 2.07. , 500 — 0,60 1 6 omas Er — 0,68 9 7. 28.29. , — 0,74 14 8. DEN ER — 0,62 8 9. 30.31. „ Er — 0,84 13 |» ee | Be | 2, re, A in — 1,04 13 . 2. Dann en 971 13 3, Ba = his 10 4. en nn — 0,60 7 5. ee we _ 07 13 6. Be 37 — 0,74 9 7. se > — 0,68 11 8. a va 0,9 10 2 9.100 > Ba _ 0,7 9 10. 10 N en — 0,60 12 Die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei weissen Ratten usw. 343 Tabelle 1 (Fortsetzung). Ah de Nummer | Nummer Aktivitäts- (bzw. «des Tieres Datum 16, ‚75 Ei de- des N Ruhe-) Perioden schlecht | Versuches 2 ne a quotient) im ee ee 3. 1 14.—15. April De 0,77 8 8 2 9, Dee 10 9 3, 1er En N —_ 1,00 7 Wa Bn- — 1,00 12 5, et) en 2 — 074 10 6. ee . 65 8 1. aa 5 D- — 0,92 9 2 | Tan n-01 7 9. 2,3. , v > 1,13 10 10. 23.4. , 5 Je 0,92 8 4. 1 24-25. Apıil | 043 8 ? u 2. 9 08 8 le RS N 0,71 A lo - —_047 9 5 28.29. , 2 n 011 9 6. 9-30. , Br —_ 0,74 8 1. 20. April bi Be 2 0,65 9 8. a un 11 10. 2 125 _ 0,42 11 344 Tabelle 2. J. S. Szymanski:- SedaL], SOp dagwumN a au -— ger -—i —_ = = = ef © n - | Im |- Hrmmean | rare ss ler) < {or} aa IH |-- || |ı ArrHmeaHmnmarmm & [0,0] q & Hrn eek a zieren dem eeTerTren [No) PTrrrmrermeHrmHmnmn „| Ir |armmo Ne) PRAR: on = ae) ; = I AR) Sl] ee A SI R nn nienireietriing ler bes - a Sell lee — [os] ü Hmmm HmHmnmee Hmmm | m —_ = I ze ee a ein ka lee {=1 0) — Ss >= o SU lee ln ls = el) - [or] & z {or} a Krk lei le [0,6] ü KEN) ol) IS | Dane: PURE ROSS RA NDEFTN TENNIS BENR SER NL BERNIE | [S WIRRBPRN DNA SEE RN" TREE "DE RER 1.1 de} Ne) \ = eo |HmmmHmmm Seeds F an = = 3 1 Hreanm Ilm | Armenien en) (SP) e © =! au Ie-| | | Hrn HHrHrHrHHrmHmHnmm a ı -||- | | | mr |HHrmHrHrmHnm — -— v hu } soqausıo‘ sap BRIERSN a N A m m | j Tabelle 2 (Fortsetzung). Die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei weissen Ratten usw. 345. [os] Mn = a & B Re — fi — ge) o EL ER m] ım) = ’ Mr HmHmHrmrHmnm „lH HmrHmnn B <= » — a an a Kara ÄTreHrHmHrmHmemrdnm a oo. X EN PMrmHHrmHrmHmHmHmnmen Prem = En [or it PrmeHmHmeHnmHmenm |H mm HH a a BEUTE ER TOSTEEETREEETER {e10] S = Se el FRERRE ln = = BR Be op) ee keeneı- | ler 2 BEZEERERER ee | = - a Bela ln le le = ho | N - N f AHrHeHHrmHmHmHe HA Hmmm | = Z z Er 2 le elllel lea x an m Sen Bere rkeklle le - [op) ®} er 7 less len Kerne = X Al | lee an) = - an Frese nl rule = m KL en m Hrn HTrHeHmHmHrmrmHire & = 3 arten Armen oo 8 z ° er =! AT HHeHmHmHmnm | Hrn Si [es] A HreeHmHnm |Hrmm -- | |HHHrm | 2 er er u, a Hassissrucis | Haissinsrucg | REEL SadaLL, Ssop . h = a9uumN ” = ve 346 J. S. Szymanski: Tabelle 3. Anzahl Nummer | Nummer D Q der Aktivitäts- des des aan (Beweglichkeits- | "zw. Kuhe-) Tieres | Versuches quotient) im 24 stündigen 1917 Zyklus 1. Ya | 93. Mai — oe 6 9, Bo en — 1,74 9 5) 3, en. 118 | 10 9, 1, 29.—30. Mai nn — 1,40 On 5 | 9, a ns Zum 11 3, 1. Se m SE 1,59 8 2. a a, —, m 9 4. . ST nm __ 2 rl 9. ee 3 — 1,52 8 a 12,75 5. 1 | 9.10. Iumi | 5 ul | 8 Durchschnitt | — — 1,493 87 ? RE Sr“ 347 Die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei weissen Ratten usw. Tabelle 4. ı au — = = = z fr ee el FR 5 [e>) on m | 5 lo Be >| °7 een m = fer) = 1 en el: | el] Se oQ — 7 | -- |- Ar | > 13 II a Er Bu Ba u ea Ba ne Be x Ne) = | | | | ee Ne) Ve) > Hrn | --m -- [00) ) -— -— = 2 AL Km DE um Dh mu | Nun Di | Ru Di u | mm - (>) ii | SOTINSIO A R 1 = es “ sop „so Ima | Ass „nal|lrm Pro gwumN S:*r SOA9LL, SOP i ; : i = aommumN — a ap) = Ve) a Tabelle 4 (Fortsetzung). [os | | ai rm. -- a -- - fer) _ - - ä rm mr „| | fer) — ) DE EEE [EEE | o o er! r-e m -- --m - oO =) A =, TAN ES Bee z {or} l mm m-m mm Arm - oO oo - [0.0) I Km a Be} me -- -A- - [e>) = - ED o u rMrer ir -- | | - = eo) ı rer - -- | - [60) Ne) Ne) J rm |rHaI|rr |- | (0) {=]0) ee - = 5} = = al men Im || | & — \s' S & R=| ap) [2} i r-- rm- rm. Ir 06) Ss N 2 = [ex] ı | | -n- en | - 62) m - au mm | | |-| | > Ku | SOyonsIoA ho sap Has Im | Aa (Aa Id Je a9uwumN 32” © SOLL, SOp : . 2 e im) a (op) = 19 in ,D J9WIUImN = Über Umdrehreflexe bei den Käfern'). Von J. S. Szymanski (Wien). (Aus dem physiologischen Institut der Universität Wien.) (Mit 2 Textfiguren.) Wenn man das Leben und Treiben der Insekten in ihrem natür- lichen Lebensraum aufmerksam verfolgt, so macht man die Beobachtung, dass die Vertreter dieser Tierklasse beim Erklimmen eines Gras- halmes und dergleichen öfters auf den Rücken fallen. Die vorüber- gehende Rückenlage ist demnach bei den Insekten eine häufige und nicht ganz unnatürliche Erscheinung. Um sie überwinden zu können, musste ein Mechanismus Ausgebildet werden, der es dem Tiere er- möglicht, in die Bauchlage zurückzukehren. Diesen Mechanismus — .die Umdrehreflexe — zu untersuchen, bezweckte diese Arbeit. Ich bringe zunächst eine Beschreibung des Mechanismus des. Umdrehens. Es schienen mir ferner die Umdrehreflexe recht ge- eignet zu sein, um den Begriff der vielseitig determinierten Hand- lungen im Gegensatz zu den einseitig determinierten zu präzisieren.. Schliesslich wird der Versuch unternommen, einen Zusammen- hang zwischen den Umdrehreflexen, der sogenannten tierischen Hypnose bei Insekten und dem Sich-Totstellen festzustellen. Meine Untersuchungen habe ich an über 60 Insektenarten, von denen die weitaus überwiegende Mehrzahl zu den Käfern gehörte, ausgeführt. Im weiteren soll jedes der oben aufgezählten Probleme getrennt behandelt werden. 1) Herrn Prof. A. Kreidl möchte ich an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank für sein stetes Entgegenkommen und die Förderung meiner Untersuchungen aussprechen. — Auch den Herren Kustos Handlirsch und Dr. Holdhaus aus dem k. k. naturkistorischen Hofmuseum gebührt mein bester Dank für das Bestimmen der unten erwähnten Wanze bzw. der Käferarten. u ET EEND A ee EEE N SR WEST URN ee nr” a Über Umdrehreflexe bei den Käfern. 349 Mechanismus der Umdrehreflexe. Um die Umdrehreflexe bei einer Insektenart zu untersuchen, setzte ich das zu prüfende Tier in der Rückenlage auf den Hand- teller. Diese Unterlage erwies sich als sehr geeignet für meine Zwecke, denn durch eine schwächere bzw. stärkere Streckung der Finger konnte ich den Handteller zu einer rauheren bzw. glatteren Fläche gestalten. Um ein Insekt rasch und ohne Schädigung in die Rückenlage zu bringen, erwies sich als praktisch, das Tier zunächst in die Hohl- hand zu schliessen und diese dann unter gleichzeitiger leichter Er- sehütterung um 180° zu drehen. Von Zeit zu Zeit öffnete man die Hand: lag das Insekt in der gewünschten Lage und auf der ge- wünschten Handstelle, so konnte die Untersuchung beginnen. Bei den sehr flinken Insekten, bei denen das Umdrehen im normalen Zustand des Organismus sich kaum verfolgen liess, be- feuchtete ich das Insekt, legte es auf den Rücken und untersuchte es dann erst. Bei diesem Verfahren, das die Geschwindiekeit des Umdrehens bedeutend herabsetzte, liess sich das Umdrehen genau verfolgen. se Jedes Insekt untersuchte ich viele Male nacheinander, bevor ich zum Aufschreiben der Resultate geschritten bin. Die Umdrehungsarten, die ich bei den von mir untersuchten Arten beobachtete, waren folgende: 1. Die Schnellkäferarten drehen sich mittels des Schnellens, das durch den wohlbekannten Apparat ermöglicht wird, um. 2. Das Insekt klammert sich mit den Beinen an einer Seite auf der Unterlage fest, stösst mit den Beinen der anderen Seite (kontralateralen) von der Unterlage ab und kippt meistens auf ' die Seite um, an der die Beine sich festgeklammert haben (Fig. 1 Abb. ]). Das abstossende Hinterbein wirkt dabei derart, dass der Tarsus eines auf dem Rücken liegenden Insektes nach unten schlägt, also mit der Tibia einen spitzen, gegen den Insektenleib offenen Winkel bildet, die Unterlage berührt und von derselben abstösst. (Besonders schön bei den Rüsslern zu sehen.) Wie das sich festklammernde Bein wirkt, lässt sich besonders deutlich bei dem Rosskäfer (Geotrupes silvaticus) verfolgen. Der Tarsus des Hinterbeines schlägt nach unten, so dass er mit der Tibia einen gegen den Insektenleib offenen 350: J. S. Szymanski: Winkel bildet. Daraufhin klammern sich seine (d. h. des Tarsus) Klauen an der Unterlage fest; der Tarsus stellt hiermit den Stütz- punkt dar. Als Drehpunkt dient das Gelenk zwischen Tibia und Femur, denn der Insektenleib beschreibt in diesem Gelenke einen Winkel von 180° und kommt also in die Rückenlage. Gleichzeitig hiermit löst sich das abstossende Bein von der Unter- lage los und beschreibt den gleichen Winkel (180 9). Als Beispiele dieser Umdrehart, die wohl zur verbreitetsten bei den Käfern gehört, seien folgende Insekten angeführt: Pterostichus aethiops Panz., Acmaeops-Sp., Harpalus-Sp., Pidonia lurida F., Staphylinus-Sp., Otiorrhynchus-Sp., Silpha obscura L., Rhagonycha nigriceps Waldtl., Daseillus eervinus Z., Anoncodes-Sp., Hoplia philanthus Füssl., Trichius faseiatus Z., Cryptieus quisquilius Z., Adimonia tanaceti Z., Liparus (Molytes) glabrirostris Küst., Acmaeops- pratensis Zaich., Oedemera-Sp., Geotrupes silvaticus Panz., Silpha (Oeceoptoma) thoraciea Z., Potosia cuprea F., Carabus coriaceus ZL., Carabus auronitens /.; ausserdem einige Spinnenarten (Kreuzspinne ?), viele Arten von Wanzen (mit dem schmalen Körper, auf den Blumen lebende, meistens grün oder grünlich gefärbte Arten), eine flügel- lose Heuschrecke, Biene und Hummel (beide letzteren Arten im: halberstarrten Zustand, in dem sie die Flügel nicht entfalten konnten). 3. Das Insekt dreht sich um wie in No. 2; die abstossende Kraft der kontralateralen Beine spielt jedoch die Hauptrolle, zum Beispiel Ötiorrhynehus-Sp., Pachyta quadrimaeulata, Phyllobius glaueus Scop. (?); ausserdem eine Ameise (Campanotus-Sp.?) 4. Das Insekt klammert sieh mit den homolateralen Beinen auf der Unterlage fest und kippt auf die gleiche Seite um (Fig. 1 Abb. II), zum Beispiel Byrrhus fasciatus Forst., Chrysomela fastuosa Scop., Chrysomela-Sp., Orina-Sp., Lina populi Z., Coceinella septempunctata. (manchmal), Phylodeeta-Sp. 5. Das Insekt schlägt die ausgestreckten Einfetbeme anieie und abwärts, klammert sich mit denselben an der Unterlage fest und kippt um, indem der Kopfabschnitt einen Winkel von 180 ° beschreibt. (Fig. 1 Abb. II), zum Beispiel Phyllopertha hortieola Z. 6. Das Insekt zieht die in den tibio-femoralen Gelenken gebeugten. Hinterbeine gegen den Rumpf hin und kopfwärts zurück, stösst mit denselben plötzlich von der Unterlage ab und fällt vom Kopie schwanzwärts auf die gespreizten Mittelbeine; die Vorderbeine bleiben dabei zurückgezogen (Serica brunnea). Über Umdrehreflexe bei den Käfern. 351 7. Das Insekt stösst mit den Hinterbeinen und den kräftigen, sehr langen Fühlhörnern von der Unterlage ab und kippt um, indem der Vorderkörper einen Winkel von 180° beschreibt. Ein Tier mit völlig amputierten Fühlern konnte sich entweder überhaupt nicht oder erst nach vielen Versuchen und mit grosser Mühe umdrehen (Fig. 1 Abb. IV), zum Beispiel Monochamus sutor Z., Leptura rubra. 8. Das Insekt entfaltet die Flügeldecken, stösst mit denselben von der Unterlage ab und kippt um, indem der Hinterkörper einen Winkel von 180° beschreibt (Fig. 1 Abb. V), zum Beispiel Eros-Sp., Coeeinella septempunetata (manchmal), Cassida-Sp., ausserdem Zy- gaena-Sp., Hummel (im normalen, nicht geschwächten Zustand). 9. Das Insekt stützt sich auf die hintere und vordere Leibspitze, krümmt bogenartig den Leib abwärts und dreht sich entlang der Längsachse um 180°, zum Beispiel Larve von Silpha-Sp., Larve von Coceinella-Sp. 10. Bei den Staphylinidae kann die Rückkehr in die Bauchlage ausser durch Umdrehen nach Art der Nr. 2 sich derart vollziehen, dass der Käfer seinen langen Bauchabschnitt abwärts krümmt und von hinten nach vorn umkippt. ll. Der Ohrwurm kommt in die Bauchlage zurück, indem er mit der gespreizten Schwanzgabel bei dem abwärts gekrümmten. Hinterleib von der Unterlage abstösst. 12. Sämtliche untersuchten Insekten klammern sich in der Rückenlage sofort an eine vertikale Stütze an, falls solche vorhanden ist, kriechen auf derselben hinauf, und kehren auf diese Weise in die Bauchlage zurück (Fig. 1 Abb. VI). Bei sämtlichen Umdrehungsarten kann die Leibesspitze helfend eingreifen, indem dieselbe von der Unterlage abstösst. Wie diese Übersicht der Arten, in denen sich das Umdrehen vollzieht, erkennen lässt, wird der für eine Tierart charakteristische- Umdrehreflex durch den Körperbau dieser Art bedingt. Es lässt sich dabei allgemein sagen, dass die von mir untersuchten Insekten. sich im Prinzip so umdrehen, wie dies gemäss den morphologischen Besonderheiten ihrer Körperform in der mechanisch einfachsten Weise geschehen konnte. Folgende Beispiele sind geeignet, diese Regel- mässiekeit zu bekräftigen: Wenn ein Insekt alle Beine ungefähr gleich und so lang hat, dass sie in der Rückenlage bis zum Boden reichen können, so dreht sich das insekt um, indem es mit den Beinen einer Seite sich an der 392 J. S. Szymanski: Unterlage festklammert und auf die homolaterale Seite umkippt. Wenn (z. B. Chrysomelidae) die Beine zu kurz sind, so dass sie in der Rückenlage kaum bis zum Boden reichen, so dreht sich das Fig. 1. Die Hauptarten, in denen sich das Umdrehen vollziehen kann, sind folgende (schematisch): Abb. I: Das Insekt klammert sich mit den homolateralen ‚Beinen (häufig hauptsächlich mit dem Vorderbein a) auf der Unterlage fest, 'stösst von derselben mit den kontralateralen Beinen (hauptsächlich mit dem Hinterbein b) ab und kippt auf jene Seite um, an der die Beine sich fest- :geklammert haben. (In Aufsicht.) — Abb. II: Das Insekt klammert sich mit den homolateralen Beinen auf der Unterlage fest und kippt auf die gleiche ‘Seite um. — Abb. III: Das Insekt klammert sich hauptsächlich mit den Fuss- ‚krallen von beiden Hinterbeinen an der Unterlage fest und kippt um, indem der Vorderkörper einen Winkel von 180° beschreibt. — Abb. IV: Das Insekt stösst 'mit den Hinterbeinen und den starken und langen Fühlhörnern von der Unter- lage ab und kippt um, indem der Vorderkörper einen Winkel von 180° be- ‚schreibt. — Abb. V: Das Insekt stösst mit dem Flügeldecken von der Unterlage ab und kippt um, indem der Vorderkörper einen Winkel von 180° beschreibt. — Abb. VI: Das Insekt umklammert das vertikale Stäbchen und kriecht entlang demselben hinauf. ee Über Umdrehreflexe bei den Käfern. 353 Insekt um, indem es die Flügeldeckel entfaltet, mit denselben von der Unterlage abstösst und in die Bauchlage umkippt (z. B. Coecei- nellidae). Wenn das Insekt die Hinterbeine viel länger als die Vorder- und Mittelbeine hat, so stösst es mit einem Hinterbein von der Unter- lage ab, klammert sich mit den kontralateralen Beinen auf der Unter- lage fest und kippt auf die Seite der sich festklammernden Beine um (die meisten Käferarten). Bei einigen Arten mit Jangen Hinterbeinen erfolgt das Umdrehen durch das gleichzeitige Sichfestklammern mit den beiden Hinter- beinen und das Umkippen von hinten und vorn (zum Beispiel Fhyllopertha). Die Insekten mit langem, schmiegsamem Körper drehen sich mittels Biegungen des letzteren (zum Beispiel die Larven von Coceinellidae, Larve von Silpha) um. Die Insekten, die lange, kräftige und steife Fühlhörner besitzen, be- nützen diese mit zum Umdrehen (zum Beispiel einige Bockkäferarten). Die Ohrwürmer, die eine Schwanzgabel haben, benutzen diese mit zum Umdrehen. Wie wir weiter unten noch sehen werden, hängen die Abarten eines Umdrehreflexes bei der gleichen Art von der Unterlage ab: Diese Abhängigkeit ist gleichfalls derart, dass stets jene Abart, in der das Umdrehen sich gegebenenfalls in einer mechanisch ein- fachsten Weise vollziehen könnte, auch tatsächlich zu beobachten ist. Alle diese Tatsachen berechtigen zu dem Schlusse, dass der Vorgang des Umdrehens bei den von mir untersuchten Insekten dem Prinzip der kürzesten Bahn!) folgt. Der Begriff der vielseitig determinierten Handlungen im Gegensatz zu den einseitig determinierten. Beobachten wir zum Beispiel die Putzreflexe bei einer Insekten. art. Mit Ausnahme von bloss einigen Arten putzt das Insekt seine Fühlhörner bzw. die Augen stets in einer völlig. gleichen Weise. , "Unabhängig von der Reizqualität, von der Körperlage usw. wird der stereotype Putzreflex stets in gleicher Weise ausgelöst, wenn bloss ‚die Vorbedingungen durch einen Hauptreiz gegeben sind. So putzt zum Beispiel eine Küchenschabe stets das Fühlhorn 1) Vgl. meinen Aufsatz über „Das Prinzip der kürzesten Bahn“. Biol. : Zentralbl. Bd. 37 S. 382ff. 1917. RA NUN EM Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 23 394 J. 8. Szymanski: mit den Mundwerkzeugen, nachdem sie dasselbe stets mit dem kontra- lateralen Vorderbein in den Mund gebracht hatte, die Ameise zieht ihre Fühlhorn stets in der gleichen Weise durch die Putzvorrich- tung des homolateralen Vorderbeines; die Baumwanze nimmt stets die gleiche Putzstellung ein und wischt das Fühlhorn gleichzeitig mit. beiden Vorderbeinen ab usw. usw.!). 5 Anders verhält es sich mit den Umdrehreflexen. Wenn auch ein für eine Insektenart charakeristischer Umdrehreflex ausgelöst wird, falls der Hauptreiz (die Rückenlage) vorhanden ist, so lassen sich hier nichtsdestoweniger einige Abarten dieses Reflexes für jede Tierart wahrschenilich in Abhängigkeit von dem Nebenreiz (die Be- schaffenheit der Unterlage) beobachten. Ich habe folgende Abarten eines für eine Insektenart a ristischen Umdrehreflexes feststellen können; sie konnten im Laufe eines und desselben Umdrehvorganges sukzessive angewendet werden, bis endlich eine von ihnen zum Endeffekt geführt hat. I. Bei den Insekten, die sich nach Nr. 2 (s. 0.) umdrehen können, also die sich mit den Beinen an einer Seite festklammern und mit den kontralateralen Beinen von der Unterlage abstossen, konnte ich folgende Abarten des Umdrehens beobachten: 1. Die Beine der linken Seite wirken abstossend, jene der rechten Seite klammern sich fest. 2. Die Beine der rechten Seite wirken abstossend, jene der linken Seite klammern sich fest. Das Insekt kann umkippen ausser auf die Seite der sich fest- klammernden Beine auch von hinten nach vorn. 4. Wenn eine vertikale Stütze (Stäbchen, Grashalm usw.) mit den Beinen erreichbar ist, so kriecht das Insekt hinauf. 5. Das Insekt kann sich mit den Flügeldecken helfen, von der Unterlage abzustossen. | II. Bei den Marienkäfern und dergleichen sind folgende Abarten des Umdrehens zu beobachten: | 1. Das Umdrehen nach Nr. 2 also, das Sich-Festklammern mit (6) den Beinen einer Seite und das Abstossen mit den kontra- lateralen Beinen. 1) Vgl. hierzu die Abhandlung „Über die Putzreflexe bei Insekten“ in meinen „Abhandlungen zum Aufbau der Lehre von den Handlungen der Tiere“. Pflüger’s Arch. Bd. 170 S.1. 191S. ae Zu Ben = y & Über Umdrehreflexe bei den Käfern. 355 3. Wenn das nicht zum Ziele führt, stösst das Insekt mit den Flügeldecken von der Unterlage ab, so dass der Hinterkörper einen Winkel von 180° beschreibt und das Insekt in die Bauch- lage kommt. | 3. Wenn eine vertikale Stütze mit den Beinen erreichbar ist, so kriecht das Insekt hinauf. III. Bei einer Baumwanze (Jugsendform von Pieromerus bidens L.) liessen sich folgende Abarten des Umdrehens beobachten. 1. Das Insekt klammert sich mit den beiden Vorderbeinen fest, stösst mit den Hinterbeinen von der Unterlage ab, so dass der Hinterleib einen Winkel von 150° beschreibt und das Tier in die Bauchlage zurückkommt. Die Hauptrolle spielt dabei die stützende und gleichzeitig heranziehende Wirkung der Vorderbeine. Falls dabei die Beine einer Seite mehr Kraft als jene der anderen Seite entfalten, kippt das Insekt auf die betreffende . Seite um. Das Insekt stösst mit den Hinterbeinen vom Kopf schwanz” wärts und kippt um, indem der Vorderleib einen Winkel von - 180° beschreibt. 4. Das Insekt klammert sich bloss mit den Beinen einer Seite fest und kippt auf die gleiche Seite um. D > Wie diese Beispiele!) zeigen, kann jeder Umdrehreflex in den verschiedenen Abarten ausgeführt werden; hingegen bleibt die Aus- führungsart eines Putzreflexes, wenigstens bei der überwiegenden Mehrzahl der Insekten, stets konstant. Der Putzvorgang bei den Insekten ist demnach eine einseitig determinierte, der Umdrehvorgang eine vielseitig determinierte Handlung. Um nun den Begriff der einseitig und vielseitig determinierten Handlungen, den man bei der Analyse der Reflexe der Insekten gewonnen hat, genau zu präzisieren, lässt sich folgende Definition dieser Handlungen aufstellen: Die einseitig determinierte Handlung ist eine angeborene Hand- 1) Anmerkung bei der Korrektur: Sehr hübsch hat A. Hase die Abarten "des Umdrehreflexes bei der Bettwanze in einer soeben erschienenen Abhandlung beschrieben (A. Hase, Die Bettwanze S. 67 fl. 1917). {9} 232 396 J. 8. Szymanski: lung, bei der ein von vornherein wirksamer Reiz zu einem stets gleichen Endeffekt und unabhängig von anderen variablen Faktoren in einer stets konstanten Weise führt. Der Mechanismus dieser Handlung ist ein einfacher, stets konstant verlaufender Reflex. Die vielseitig determinierte Handlung ist eine angeborene Handlung, bei der ein von vornherein wirksamer Reiz zu einem stets gleichen Endeffekt, jedoch je nach den Umständen in ver- schiedener Weise führt. Der Mechanismus dieser Handlung ist eine Reihe von einfachen Reflexen, die vikariierend eintreten können, bis schliesslich einer derselben zum Endeffekt führt. Es ist nötig, die vielseitig determinierten Handlungen von so- senannten „Probierbewegungen“ zu scheiden. Während diese eine durch die Organisation, durch die Fortbewegungsgeschwindigkeit und durch die unvollkommene Rezeptionsfähigkeit der Sinnesorgane be- dinste Bewegungsart ist!), ist für -die vielseitig determinierten Handlungen bezeiehnend, dass sie durch eine bestimmt wirkende Reizgruppe hervorgerufen werden, die stets zum gleichen Endeffekt, jedoch je nach den Umständen in verschiedener Weise führt. Auch unterscheiden sich die vielseitig determinierten Hand- lungen grundsätzlich von den „überflüssigen Bewegungen“, die bei dem Lernen nach der Methode des „Irrtums und Versuches“ aus- geführt werden. Bei den zuletzt genannten Bewegungen ist nämlich der repräsentative Reiz, obzwar rezeptionsfähig, jedoch noch unwirk- sam; erst im Verlaufe des Lernvorganges bildet sich die gewünschte ‚Assoziation zwischen dem Reiz und der Reaktion aus. Bei den viel- seitig determinierten Handlungen ist der Reiz von vornherein wirk- sam und führt auch stets zum gleichen Endeffekt, jedoch je nach den Umständen in verschiedener Weise. | Das Auseinanderhalten der vielseitig determinierten von den ein- seitig determinierten Handlungen ist insofern von Interesse, als jene für höhere, diese für niedere Tiere bssonders charakteristisch sind. Beobachten wir zum Beispiel einen knochenfressenden Hund. Wieviel Abarten dieses Vorganges lassen sich aufzählen! Wie mannisfaltig können die Variationen sein, wie der Knochen ge- halten wird; wie viele verschiedene Stellungen nimmt der Hund ein, bevor er den Knochen sich mundgerecht gemacht hat, usw. 1) Vgl. hierzu meinen „Beitrag zur Frage über tropische Fortbewegung“. Pflüger’s Arch. Bd. 154 S. 343ff. 1912. Über Umdrehreflexe bei den Käfern. 357 Wie gleichförmig verläuft demgegenüber der Fressvorgang bei einem Insekt, zum Beispiel einer Afterraupe (Arge ustulata). Diese Raupe sitzt rittlings auf dem Blattrand ihrer Nährpflanze und frisst in dem Blatt, mit dem Kopf von vorn nach rückwärts fahrend, halbmondförmige Vertiefungen aus!). Dieser Vorgang verläuft stets in gleicher Weise, so dass keine Variationen sich verzeichnen lassen. Das Überwiegen der vielseitig determinierten Handlungen bei einer Tierart verleiht dieser Art für einen unkritischen Beobachter den Eindruck des rationellen Handelns; dies aber führte zu den vielen und bedauerlichen Missverständnissen bei der Interpretation des tierischen und zuweilen auch menschlichen Verhaltens. Der Zusammenhang zwischen dem Umdrehreflex, der sogenannten tierischen Hypnose und dem Sich-Totstellen, Ausser dem Untersuchen des Mechanismus der Umdrehreflexe widmete ich meine Aufmerksamkeit der Frage, ob nicht ein Zu- sammenhang zwischen dem Umdrehreflex einerseits und der so- senannten tierischen Hypnose und dem Sich-Totstellen anderseits bestünde. Ich wollte zunächst untersuchen, ob zwischen der Geschwindigkeit, mit der das Umdrehen erfolgt, und der Fähigkeit, sich totzustellen, tatsächlich ein Zusammenhang besteht; und zuletzt wollte ich fest- stellen, ob das wiederholte vorausgehende Umdrehen, ohne etwaige andere Eingriffe seitens des Beobachters, genügen würde, um ein sich nicht totstellendes Insekt schliesslich in der Rückenlage regungslos (d. h. in der sogenannten Hypnose) verharren zu lassen. Zwecks Beantwortung dieser Fragen untersuchte ich zunächst bei jeder Insektenart, ob sie sich in der Rückenlage sofort totstellt oder nicht. In dem letzteren Falle prüfte ich weiter, ob das Insekt nach vielen wiederholten Umdrehungen doch schliesslich in der Rückenlage regungslos liegen bleibt oder nicht. Die Resultate dieser Untersuchungen sind in der Beßersfenenden Tabelle zusammengefasst. Aus der Tabelle ist zunächst ersichtlich, dass die langsam be- wegenden Insekten sich in der Regel totstellen ; die mittelmässig beweg- 1) Vgl. hierzu meinen Aufsatz „Zur Analyse der sozialen Instinkte“. Biol. Zentralbl. Bd. 33 S. 652ff. und Fig. 6. 1913. . J. S. Szymanski 398 “(z) 'S 9 'T ‘Oase ISA) NZIOIg 1099 ozueMyyag aIp yony :anyyfpıroy] A9p Tag Sunyaowuy (Z -uogon KoJsFungaA gorssoryds y9oPp sy A9sOIp (gUoIsTHW arm Ko]fe) asıum uopanMm yonsaaA 19219893107 A99M yooU Wwop 1og osTaMaayoLsomN (1 (wesSuef Purs uo)Iy uoJjyeZonjne doIy UOJSTOLW 9LK]) ‘(gouurds -2091)]) UaJıy - uauurds osrurd °rdg-eypapoykyug "IT e9adnd vBISoJoT °T EOTDe1oyJ (eWL04d09990) eydgs "dgs-waou -9P90 "7 e9uunaq voLIag "ds -wung "dg-epıssen ""dg-ejout -oskayg “7 Imdod wur "dg -ep9woskaun °'doog Bsonyse} ej9wosAay) eyeyoundwogdas ejfpumaog "Ädg-sagorasy "ds -SOIH] "480,7 SUYerose} snyaıkg "SmoreApIs sOdnt}oaN °T mooeue} (SoJAJoM) Snuedr] “doss smonej3 Snıgofiyd ‘rt ejoor1oy vyJaodokyd ("y91SaMmag Sıssyu purs uojıy uoUWzosnE dar] UOISTOLL OLCT) -dg-wuowälz : ‘(„uozuemuowngg PNoITSomMog Sısseur 9dıur °°7 Aons snw -BD0UOMN °7 Ho9euey vıIuow -ıpy ‘7 snıpnbsinb snoydAay “dg-wydiıs UOA AA] 'SmurA -199 sSnfjIOSe] "eanosqo eydgg “zum sdorygoe Ssny9LSso1oId (zu purs uoyay UHI[UPZISTNE AOL UOJSTOWL OLG) "Oy99ıyoS -n9H 9Sopfasng Jura “u9zueMm -uoumjg oyurg odture ‘(ec sngou -vduueg)) 9stauLy “7 suopluoane snqeaeg) °°T SNIIELIOd snq -BACı) "BagnıeınJdaT eryepnoaeut -tıpenb eyAypeg °yoımT sıs -uoyead sdoaeway "wanMaug ‘f SnYeIIse] SNIUALLL ""ISSR snyyueytyd eıdopg ‘"ds-s9po9 -uouy ‘pp AM sdoatısıu Byd -Auoseyy "dg-snurkydegs IT eprang eruoprg "dg-sdooeumy UIUTIT UHUSKOZIFUTI SITOA u 90} J1o70s odejuoyony Jap UL Y9IS Y][898 Yosuf Seql uaurag U9UANOZODUTI yoru ed "MZA 9SIOM]LE} An yıur 304 I0JoS asejuoyany d9p UT yoIS 37]948 PIOSUJ Seq uasaL] sojsoundga adejuoyany d9p ur Jesu Sep Jqroyq usdunyaapun) uSLuU yaeN („ uoygsapnzum A9paIM y9Is “oyonsıoA Jydeur udop -uos ‘ugdeıf sojsdundet Iyoıu 99%] -u9Nony Aap UT Iosu] sep Jqtofq usgunysipwf) uofeIA yoeu I8q[ps SII9qeL Über Umdrehreflexe bei den Käfern. 359 lichen Insekten bzw. solehe mit schwach entwickelten Beinen (und _ Körper?) liegen bereits nach einigen Umdrehungen, wenn wieder in die Rückenlage gebracht, regungslos auf der Unterlage (sind „hypnotisiert“); und schliesslich bleiben die flinken Insekten bzw. solche mit kräftig entwickeltem Körper und Beinen nicht regungs- los liegen, sondern drehen sich sofort um, sobald sie selbst nach vielen unmittelbar vorangegangenen Umdrehungen wieder in die Rückenlage gebracht worden waren. Es besteht ferner ein Zusammenhang zwischen der Fortbewegungs- geschwindigkeit und dem Umdrehen in dem Sinne, dass, je träger ein Tier ist, es um so mehr Zeit bedarf, sich umzudrehen und um so schneller sich totstellen bzw. hypnotisieren lässt. Die schnell beweglichen Tiere drehen sich hingegen schnell um und stellen sich nicht tot, lassen sich auch nicht hypnotisieren. Es lässt sich somit vermuten, dass das Totstellen, wie dies bereits ausgesprochen worden ist, ein Ersatz für Flucht ist). Die sogenannte Hypnose bei den Insekten wäre aber nichts anderes als der Ausdruck für die Unmöglichkeit, sich weiter zu bewegen. Wenn ich zum Schluss auf den Unterschied zwischen dem Sich- Totstellen und der sogenannten tierischen Hypnose der Insekten etwas genauer eingehe, so muss ich zunächst hervorheben, dass das hypnoti- sierte Insekt niemals seine Beine zurückzieht, sondern mit in die Luft ragenden Extremitäten daliest; ausserdem kann es in ver- schiedenen Stellungen (halb aufeerichtet bzw. halb umgedreht usw.) ' liegen bleiben. | Das letztere ist nie bei den sich totstellenden Insekten zu beobachten. Auch ziehen mit wenigen Ausnahmen die Arten der sich tot- stellenden Insekten die Beine zurück; bloss bei wenigen sich tot- stellenden Arten ragen die Beine frei in die Luft empor. Ein weiterer Unterschied zwischen diesen beiden Erscheinungen besteht darin, dass die plötzlichen und kurz andauernden mechanischen Reize bei den „hypnotisierten“ Insekten neue Umdrehversuche auslösen, bei den sich totstellenden Insekten, die im Begriffe waren, sich um- zudrehen, das sofortige Totstellen bewirken. 1) Zu der gleichen Auffassung gelangte auch L. Löhner in seinen „Unter- suchungen über den sogenannten Totstellreflex der Arthropoden“. Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. 16 S. 373ff. 1914. 360 J. 8. Szymanski: Der Hauptunterschied liegt jedoch darin, dass die sogenannte Hypnose bei den Insekten eine passive Erscheinung ist, die auf der mehr oder weniger stark ausgesprochenen Unmöglichkeit, die Glied- maassen noch weiter und andauernd zu bewegen, basiert. Das Sich- Totstellen beruht hingegen auf einer aktiven Hemmung der Bewegung durch das Tier selbst. Eine Stütze für diese Auffassung bildet der Umstand, dass bei, den „hypnotisierten“ Insekten sich keine anatomische bzw. funktionelle Anpassung an den Zustand der Regungsiosigkeit in der Rückenlage vorfindet; die diesbezüglichen Insekten liegen mit hochragenden Beinen, nicht eingezogenen Fühlhörnern!), öfters in halb auf- gerichteter bzw. halb umgedrehter Lage usw. Anders verhält es sich mit den sich totstellenden Insekten; wir begegnen hier einer stets fortschreitenden Vervollkommnung in der anatomischen und funktionellen Anpassung an das immer wirksamere Sich-Totstellen. Auf der tiefsten Stufe in der Ausbildung des Sich. Totstellens stehen jene Insektenarten, die im Zustande des Totstellens sich da- durch kennzeichnen, dass sie mit noch nicht eingezogenen Beinen liegen bleiben (Beispiele siehe die Tabelle). In diesem Falle könnte man etwa von einem „Sich-Totstellen ersten Grades“ sprechen. Eine höhere Stufe nehmen jene Arten ein, die im Zustande des Sich-Totstellens mit eingezogenen Beinen und Fühlhörnern liegen bleiben. („Totstellen zweiten Grades“. Beispiele siehe oben die Tabelle.) Die höchste Stufe erreichen schliesslich jene Insektenarten, bei denen der ganze Körperbau eine ausgesprochene Anpassung an das Sich-Totstellen zeigt. („Totstellen dritten Grades“, z. B. Marienkäfer, einige Chrysomelidae.) Um nun bloss an einem Beispiele zu erläutern, wie weit die Anpassung der äusseren Körperformen an das Sich- Totstellen gehen kann, sei bloss Byrrhus faseiatus Forst. etwas genauer beschrieben. Im Zustande des Sich-Totstellens stellt dieser Käfer eine Walze mit abgerundeten Enden dar, von der sich weder Kopf noch Beine abheben (Fig. 2 Abb. ID). Diese Körperform wird dadurch erreicht, 1) Vgl. hierzu die Abbildung einer „hypnotisierten“ Schabe in meiner Arbeit: „Die sogenannte tierische Hypnose: bei einer Insektenart“ (Pflüger’s Archiv Bd. 166 S. 529). Über Umdrehreflexe bei den Käfern. 361 Fig. 2. Vollkommene An- passung der äusseren Körperformen bei dem Totstell- Reflex von Byr- rhus fasciatus Forst, — Abb. I: Der. ganze sich totstellende Käfer in An- sicht von der Bauchseite aus: X Kopf, a Hals- schild, b Brustschild (zwi- schen denzweiten unddrit- ten Beinpaaren), ce Schild für das dritte Beinpaar, d Bauchringe, I, II, III drei Beinpaare.— Abb.II: Der Kopf eines sich tot- stellenden Käfers von der Bauchseite aus: a Schild für das erste Beinpaar, b Halsschild, hinter dem der untere Kopfteil (punk- tiert) sich zurückzieht, I und II das erste und zweite Beinpaar. Das Fühlhorn liegt in der Furche zwischen « und 5 und weiter unten (punk- tiert) unter dem ersten Beinpaar. Die Schilde « und 5 berühren sich mit ‘ den aneinander gekehr- ten Rändern, so dass das Fühlhorn nicht in eine Furche, sondern in einen Kanal zu liegen kommt. — Abb. III: Ein Bein eines sich totstellenden Käfers von der Dorsalseite = Tibia (7) liegt dicht dem Femur (F)) an; der Fuss ö (P) liest auf der dorsalen Tibiafläche. — Abb. IV: Die drei Glieder eines Beines sind auseinander- gehalten, um die Aushöh- lung a an der Femur zu zeigen, in die der Lei- sten b der Tibia bei dem Totstellen hineingreift; in die Vertiefung ce der Tibia. kommt der Fuss zu liegen (von der Dorsalseite ge- sehen). — Abb. V: Die Ausköhlungen an der Brust zur Aufnahme der Beine (schraffiert): « überhängende Schilde, bei & sind die Ansatzstellen von Beinen. dass der Kopf sich senkt; sein unterer Teil wird hierbei hinter dem Halsschild versteckt. Die Fühlhörner legen sich in ihren medialen Teilen in die Furchen zwischen dem Halsschild und dem Schild für das erste Beinpaar; in ihren proximalen Teilen in die Vertiefungen für die ersten Beinpaare, und sie werden nachträglich durch die 362 J. S. Szymanski: Über Umdrehreflexe bei den Käfern. letzteren zugedeckt. Da auch die beiden oben erwähnten Schilde zuletzt sich mit den einander zugekehrten Rändern berühren, werden die Fühlhörner in ihrer ganzen Länge verdeckt (Fig. 2 Abb. ID). Die einzelnen Beinglieder, die auffallend ahgeplattet sind, legen sich derart scherenartig aneinander, dass eine Leiste der Tibia in eine für dieselbe bestimmte Vertiefung des Femur eingreift (Fig. 2 Abb. IV). Am ersten Beinpaar liegt die Tibia an dem Vorderbein, am zweiten und dritten Paar an dem hinteren Femurrand. Der Tarsus beschreibt einen Winkel von 180° und lest sich in eine für denselben prädisponierte Vertiefung auf der dorsalen Seite der Tibia (Fig. 2 Abb. III und IV). Die solcher- art zusammengelegten Beine ziehen sich schliesslich in für diesselben bestimmte Aushöhlungen auf der Brust zurück (Fig. 2 Abb. V). Hierbei wird ausserdem das erste und dritte Paar mit einem überhängenden Schild teilweise bedeckt; dem zweiten Paar geht ein solcher ab). Bei dieser Käferart sind also besondere anatomische Vor- richtungen für das Sich-Totstellen ausgebildet, und ihr Funktionieren wird durch die Erregung der betreffenden Zentren bewirkt?). — Zusammenfassend kann man also zum Schluss sagen, dass das Sich- Totstellen ein aktiver Verteidigungsreflex ist. Die sogenannte tierische Hypnose bei den Insekten ist hingegen ein passives Ver- harren in der Unbeweglichkeit; dieser vorübergehenden Unbeweglich- keit geht indessen eine gewisse biologische Bedeutung nicht völlig ab. Denn sie beschleunigt die Erholung und begünstigt die darauf- folgenden neuerlichen Umdrehungsversuche. 1) Ob diese morphologische Anpassung an das Sich-Totstellen in den Werken über die Systematik der Chrysomelidae genau beschrieben ist, weiss ich nicht; in der biologischen Literatur und auch in den speziellen Abhand ungen über das Totstellen habe ich eine diesbezügliche Beschreibung nicht finden können. 2) Auch andere Autoren sehen im Totstellen nicht Lähmung, sondern „Erregungs- bzw. Hemmungsvorgänge“. (Vgl. Löhner, |. c.) Einige Bemerkungen über die biologische Bedeutung akustischer Reize!) Von J. S. Szymanski (Wien). (Aus dem physiologischen Institut der Universität Wien.) (Mit 5 Textfiguren.) Wenn man die taktilen ?) Tiere ausser acht lässt, so gibt es, wie wohl bekannt, zwei Tierarten in bezug auf die Wichtigkeit der osmatischen bzw. optischen Sinnesorgane für das Rezipieren der Umwelt. Je nach dem, welches von beiden Sinnesorganen rezeptionsfähiger ist, unterscheidet man osmatische und optische Tiere. Es ist eine weitere, wohlbekannte Tatsache, dass bei den meisten Tierarten bloss eines von diesen beiden Organen gut ent- wickelt ist; hingegen ist das andere mehr oder weniger schwach ausgebildet, so dass man bei optischen Tieren in der Regel gut ent- wickelte Augen und eine schlecht funktionierende Nase, bei osmati- schen eine funktionstüchtige Nase und schlecht entwickelte (oder keine) Augen antrifft. Anders verhält es sich mit den Ohren; denn schon eine flüchtige Beobachtung weist darauf hin, dass ebenso diese wie auch jene Tier- arten lebhaft auf akustische Reize reagieren können. Wenn also die meisten betreffenden Tierarten in bezug auf optische bzw. osmatische Reize einseitig spezialisiert sind, so scheinen die akustischen Reize von beiden Tierarten mehr oder weniger gleich- scharf rezipiert zu werden. 1) Herrn Professor A. Kreidl gebührt mein bester Dank für sein stetes hilfreiches Entgegenkommen. 2) Vgl. meinen Aufsatz „Über taktile Tiere“. Biol. Zentralbl. 364 J. S. Szymanski: Schon diese Tatsache deutet darauf hin, dass den akustischen Rezeptionen möglicherweise eine abweichende biologische Rolle im Leben der Tiere (bzw. des Menschen) zukommt. Um dieser Frage näher zu kommen, habe ich eine Reihe von Versuchen an je einer Art von osmatischen (junge weisse Ratten). und optischen Tieren (wenige Tage alte Hühnchen) ausgeführt. Diese Versuche bezweckten, den Einfluss einerseits der akusti- schen, andererseits der optischen bzw. osmatischen Reize auf den Zustand der Ruhe bzw. 1 :der Beweglichkeit der Tiere festzustellen. Der Apparat, den ich zu meinen Versuchen be- nutzte, war von dem Uni- versitätsmechaniker Herrn L. Castagna konstruiert (il Wie die Fig. 1 Abb. I zeigt, bestand dieser Appa- rat aus einem Käfig A, der auf einer feinen Feder BD auf der Stange xy auf- re gehängt war. Die Schwin- sungen der Feder, die durch die Bewegungen des Tieres im Käfige bewirkt wurden, über- trugen sich mittels eines Schreibhebels DE auf die Kymographion- trommel £. Mit Hilfe des Stäbchens ©, das in der Hülse D ver- schiebbar montiert war, konnte die Höhe des Schreibers reguliert werden. Das freie Ende des Schreibers 5 wurde einfach zwischen zwei übereinanderliegende Spiralen der Feder eingeschoben; durch die Lage des Schreibers zwischen den oberen bzw. unteren Spiralen konnte der Ausschlag der Schreibspitze vermindert bzw. vergrössert. werden. Um die Nachschwingungen dieses ausserordentlich empfindlichen 4 Apparates zu dämpfen, wurde am Käfigboden ein Stäbchen @ mit einer Scheibe befestigt; die Scheibe wurde in ein Gefäss HZ mit diekem Paraffınöl eingetaucht. i Die Versuche fanden in einer Dunkelkammer bei voller Dunkel- heit bzw. bei einer Beleuchtung von 32 HK. statt. 7 Einige Bemerkungen über die biologische Bedeutung akustischer Reize. 365 - An jeder Tierart wurde zunächst die Einwirkung der akustischen Reize untersucht. Als Reize verwendete ich bei diesen Versuchen den Schlag einer fallenden Kugel, ein Mundsignal (Inspiration bei zusammengepressten Lippen) und die Töne einer Galton- Pfeife. Bloss die beiden ersten Reizmodalitäten erwiesen sich als wirksam. Da ich bei allen Versuchen hauptsächlich den Schlag einer fallenden - Kugel (Messingkugel, Gewicht etwa 23 g, Durchmesser etwa 13 mm, Fallhöhe etwa 0,5 m) verwendete, wollte ich gleichzeitig den Moment der Berührung der Kugel mit der Unterlage (eine Kupferplatte) an der Kymographiontrommel markieren. Um dies zu erreichen, war (die Kugel B (Fig. 1 Abb. II) mittels eines biegsamen dünnen Kabels in eine Kette eingeschlossen, deren andere Glieder ein elektro- magnetisches Signal (B), ein Akkumulator (A) und eine Kupfer- platte (©) waren, so dass bei der Berührung der Platte durch die Kugel das Signal jedesmal eine Marke aufzeichnete. Bei den Ver- suchen war die Platte in der Entfernung von etwa 0,5 m von dem Käfıg und auf der gleichen Höhe mit demselben untergebracht. Der Käfig, der bei den Versuchen mit den Ratten in Verwen- dung stand, war aus Aluminium mit einem Deckel aus feinem Draht- netz, 8,5 em im Durchmesser und 5 cm hoch. Der Käfig für die Hühnchen war aus schwarzem Karton, ohne Deckel, 19 em im Durch- messer und 17 cm hoch. Es wurden 25 einige Wochen alte weisse Ratten und 3 wenige Tage alte Hühnchen untersucht. Zwei Reihen der Versuche wurden ausgeführt, und zwar liess ich in der ersten Reihe den akustischen Reiz (fallende Kugel) auf die in Bewegung begriffenen und in der zweiten Reihe auf die ruhenden Tiere einwirken. Die Resultate dieser Versuche zeigen die beiden Kurven (Fig. 2). Die Kurven, deren grössere Anzahl aufgeschrieben worden war, und welche gleiche Resultate ergaben, lassen erkennen, dass der akustische Reiz sowohl bei den Ratten (osmatische Tiere) wie auch bei den Hühnchen (optische Tiere) eine Hemmung der Bewegung bzw. das Verbleiben im Ruhezustand bewirkte. Der Einfluss der Reizeinwirkung äusserte sich zunächst in einem plötzlichen Zusammen- zucken des ganzen Körpers, worauf Bewegunsslosigkeit folgte. Dabei nehmen die Tiere, wie ich dies bei den Ratten in ihren Wohnkäfigen, bei den Hühnern auch in der freien Natur beobachten (dB) (@R) (op) J. S. Szymanski: a re Gh Fig. 2. Bewegungshemmende Wirkung akustischer Reize. Abb. I bis einschl. IV etwa A Wochen alte weisse Ratten, Abb. V und VI 7 Tage altes Hühnchen. In Abb. I, IL und V waren die Tiere vor der Reizeinwirkung in Bewegung; in Abb. III, IV und V! in der Ruhe. In sämtlichen Fällen trat nach einem Zusammenzucken des ganzen Körpers Bewegungslosigkeit ein. Eine Zeitmarke — 1 Sekunde. NE Einige Bemerkungen über die biologische Bedeutung akustischer Reize. 367 konnte, die Bereitschaftsstellung ein, die durch Einstellung der "Sinnesorgane auf den zu erwartenden Reiz sich charakterisieren lässt. Der Unterschied zwischen Ratten und Hühnchen bestand bloss darin, dass der gleiche Versuch bei den Ratten sich öfters wieder- holen liess. Bei den Hühnchen hingegen konnte ich bloss bei der erstmaligen Einwirkung jeder Reizmodalität (fallende Kugel, Mund- signal u. a.) den hemmenden Effekt der akustischen Reize beobachten. Bei weiteren Reizeinwirkungen blieb die Reaktion meistens aus. Diese rasche Gewöhnung auf die akustischen Reize bei den. Hühnchen ist vielleicht als eine Folge der Domestikation anzusehen. Um nun zum Vergleich auch andere Reizqualitäten heranziehen. zu können, habe ich weiter die Wirkung des Lichtes (plötzliche Be- leuchtung von oben mit 32 bzw. 100 HK, etwa 30 em) untersucht. Zwecks Markierung der Reizdauer wurde in dem gleichen Stromkreis- eine Lampe, ein Signal und ein Schlüssel eingeschaltet. Die Resultate dieser Versuche sind aus den nächstfolgenden Kurven zu ersehen (Fig. 3). Wie die Fig. 3 veranschaulicht, beeinflussten die angewandten Lichtreize (schroffer Übergang von Dunkelheit zum Licht und um- gekehrt) in der Regel nicht den momentanen motorischen Zustand beider untersuchten und hell adaptierten Tierarten, d. h. einerseits. fuhren die bereits in Bewegung begrifferen Tiere fort, sich zu be- wegen und andererseits liessen sich die ruhenden Tiere in ihrer Ruhe nicht stören. Ein Zusammenzucken, wie bei der Einwirkung von akustischem Reize, habe ich nie beobachten können. Wenn diese Versuchsergebnisse für die optisch relativ indifferenten Tiere, wie Ratten, als ganz selbstverständlich anzusehen sind, so: können sie für die Hühnchen, deren mächtig ausgesprochener Licht- sinn sich sehon in starkem positiven Phototropismus offenbart, auf den ersten Blick befremdend erscheinen. Wenn man jedoch berücksichtigt, dass es in der freien Natur solehe unmittelbare und vollkommene Übergänge zwischen Licht und Dunkelheit kaum gibt, so liegt der Gedanke nahe, dass das motorische Verhalten der Hühner an derartige Reizeinwirkungen nicht an- gepasst ist. Um weiteres Vergleichsmaterial zu gewinnen, untersuchte ich zum Schluss bei den Ratten, als Vertreter der osmatischen Tiere, die Einwirkung von osmatischen Reizen. Es wurde die Einwirkung von Ratten- bzw. Hundeexkrementen und von Moschus untersucht. J. S. Szymanski: AUEUVSERNBRENERENEEUUGHERERNG| UEUNTNIENBREENENUNEREETEENNEUEERGER BE | Er 1 RESP ERTEILT SET IETT- EN Dre Se - ‚Wirkung des Lichtes. So- wohl bei den etwa 5 Wochen hl an N Ir IN deli ı alten Ratten wie auch bei. den » ! Ai 8 Tage alten Hühnchen beein- -Hussten die Lichtreize (Licht bzw. Dunkelheit) (100 bzw. 32 HK, etwa '0,5 'm) nicht den 'momentanen motorischen Zustand ‚der Tiere. : Abb. I, II ‚Ratten, III, IV Hühn- chen. In Abb. I und IV waren | die Tiere in Bewegung, in Abb. II ‘und III in der Ruhe. Die Reiz- einwirkung (X) änderte nicht den motorischen. Zustand der Tiere. _ -Die "Tiere waren hell adaptiert. Eine Zeitmarke —= 1 Sekunde. Einige Bemerkungen über die biologische Bedeutung akustischer Reize. 359 HURERERENEEEEERNNENENENEENEE N Une | Kin » \ Kia rl A hal ah el) art h ES. = EBEERERRNNUNEHRUEEEE [HIENNEEEUERUREUUUNSURUUUNE. V Sy Fig. 4. Bewegungsauslösende Wir- kung der osmatischen Reize bei ratten. In Abb. I, II und V war die etwa 6 Wochen alte Ratte in Bewegung. In Abb. II und IV war sie in der. Ruhe; in sämtlichen Fällen bewirkte der osmatische Reiz (in Abb. I und II Ratten- exkremente; in Abb. III und IV Hundeexkremente, in Abb. V Moschus) Bewegung. Bloss in tiefer Ruhe (Schlaf) bleibt der Reiz un- wirksam (Abb. VI). Die Reiz- einwirkung (von & bis y) währte so lange (mit Ausnahme von Abb, V]), bis erste schnüffelnde Bewegungen und das Kopfwenden gegen die Reizquelle hin bemerkt wurden. | Eine Zeitmarke = 1 Sekunde. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 24 Bl ee .2..%.8. Szymanski: Die Reizapplikation geschah derart, dass ich auf einen sterilisierten Wattebausch etwas von dem zu untersuchenden Stoffe brachte und mit einer Pinzette in einer Entfernung von etwa 2 em über den Käfigdeekel so lange hielt, bis ich deutliche, schnuppernde Be- wegungen der Ratte und ein Kopfwenden in der Richtung zu der Reizquelle hin bemerkte. Der Anfangs- und Endmoment der Reiz- einwirkung wurde durch ein elektromagnetisches Signal auf der Trommel markiert. Die Resultate zeigten die Kurven der Fig, 4 Wie aus den Kurven hervorgeht, wirkten die osmatischen Reize auf die Ratten Bewegung auslösend, d. h. die bereits in Bewegung begriffenen Ratten fuhren fort, sich zu bewegen; die ruhenden Tiere hingegen gaben ihre Regungslosigkeit auf und setzten sich allmählich in Bewegungs. Ein Zusammenzucken konnte ich dabei nicht be- obachten. Bloss die schlafenden Tiere zeigten keine motorische Re- aktion. Wenn ich nun die allgemeinen Ergebnisse dieser Versuche zu- sammenfasse, so komme ich zum Sehlusse, dass die akustischen Reize von mittelstarker Intensität in meinen Untersuchungen einen leichten Schock (Zusammenzucken) mit gleichzeitiger Hemmung etwaiger Be- wegungen und der Anspannung der Aufmerksamkeit!) hewirkten. Ob- wohl diese Erscheinungen nicht als etwas ganz Spezifisches für die Ein- wirkung von akustischen Reizen aufzufassen sind und sich möglicher- weise auch bei der plötzlichen Einwirkung von anderen Reizqualitäten ab und zu hervorrufen liessen, so scheint jedoch, dass in der plötzlich auftretenden Bereitschaftsstellung und der Anspannung der Aufmerk- samkeit die biologische Bedeutung dieser Reize begründet ist. Die akustischen Reize unterscheiden sich von den optischen und osmatischen in zweifacher Hinsicht. | Erstens sind sowohl die optischen wie auch die osmatischen Reize für die optischen bzw. osmatischen Tiere viel inhaltsreicher als die akustischen. Diese Tiere erkennen ja die Umwelt haupt- sächlich durch die betreffenden Sinne. Demgegenüber entbehren die akustischen Reize in den meisten Fällen des bestimmten Inhalte. Bloss wenige Laute sind für das 1) Über den biologischen Begriff der Aufmerksamkeit siehe den Aufsatz „Körperstellungen als Ausdruck der inneren Zustände der Tiere“ in meinen „Ab- handlungen zum Aufbau der Lehre von Handlungen der Tiere.“ Pflüger’s _ Arch. Bd. 170. 1918. n Einige Bemerkungen über die biologische Bedeutung akustischer Reize. 571 Tier,. sei es durch, angeborene Anlage, sei es durch eine im Laufe - des individuellen Lebens erworbene Erfahrung, mit einem sofort er- kennbaren Inhalt verknüpft. Es bleibt aber eine ganze Menge von Geräuschen, die, für das Tier, inhaltsleer sind, d. h. sie erlauben dem Tier nicht, die Art der. Reizquelle zu erkennen; und dennoch dienen sie als Signal für eine aufgetretene Veränderung in der nächsten Umgebung. Welcher Art diese Veränderung ist,. dies ermöglichen ihm erst, die optischen bzw. osmatischen Sinnesorgane zu erkennen. Das Tier stellt also seine Bewegungen ein und spannt die Aufmerk- samkeit an, um mit einem für ein genaueres Erkennen besser ge- eigneten Sinnesorgan die Reizquelle zu rezipieren. Erst die Re- zeptionen dieser letzteren Sinnesorgane lösen die motorische Reaktion entweder im positiven oder im negativen Sinne hinsichtlich der Reiz- quelle aus. Und zweitens unterscheiden sich die akustischen Reize vom optischen bzw. osmatischen in Hinsicht auf die Dauer der Reiz- einwirkung und auf die Ungenauigkeit der Lokalzeichen. Denn sie wirken in der Regel bloss eine kurze Zeit ein und entbehren einer strengen Lokalisation im Raum. Also selbst in den Fällen, in denen ein akustischer Reiz für das Tier mehr oder weniger inhaltsreich ist, bedarf dasselbe noch andersartiger Rezeptionen, um die Reizquelle ausfindig zu machen. Demnach ergibt sich wiederum die Notwendigkeit, die Bewegungen einzustellen und die Aufmerk- samkeit anzuspannen, um den optischen bzw. osmatischen Reizen bessere Wirkung zu gewähren. Noch ein Umstand kommt in Betracht. Die akustischen Reize lassen sich um so besser rezipieren, je stiller es ist. Jede Be- wegung, und insbesondere für das dieselbe ausführende Individuum, verursacht eine mehr oder weniger ausgesprochene Störung der Ruhe. Das Tier stellt also reflektorisch die Bewegungen ein, um akustisch besser rezipieren zu können. Dass dieser letztere Umstand indessen nicht die einzige Ursache der reflektorischen Bewegungshemmungen bei der Einwirkung der akustischen Reize ist, beweist das gleichzeitige Vorhandensein auch anderer Erscheinungen und insbesondere das Zusammenzucken des ganzen Körpers. Denn dieses Zusammenzucken ist wahrscheinlich eine Folge der Veränderung im affektiven Zustand des Tieres (Schreck) ; wenigstens viele introspektiven Beobachtungen (Unheimlichkeit, die durch unbekannte Geräusche bewirkt wird, usw.) machen. diese Deutung wahrscheinlich. j 24* 372 J. S. Szymanski: Auf Grund dieser Überlegungen kann man also vermuten, dass der Rezeption von unbestimmten akustischen Reizen von mittelstarker Intensität die Bedeutung von blossen Signalen zukommt, durch die das Tier (bzw. der Mensch) veranlasst wird, die anderen,‘ zum genaueren Rezipieren der Umwelt besser geeigneten Sinnesorgane in Wirksam- I IL TUN TITU N NITDNInnnrTNINItTmmTmNNnnmneNn Fig.5. Atmungskurven. Abb.I. Etwa 4 Wochen alte weisse Ratte. Abb.II. Kanarien- weibchen. Abb. III. 8 Tage altes Hühnchen. Eine Zeitmarke — 1 Sekunde. keit treten zu lassen; die Rezeptionen, die diese letzteren Organe | vermittein, lösen erst eine hinsichtlich der Reigzuelle positive bzw. negative motorische Reaktion aus. Anhang. Der Apparat, mit dem ich die oben beschriebenen Versuche ausgeführt habe, war so empfindlich, dass er es mir erlaubte, die Atmungsbewegungen zu registrieren. Einige Bemerkungen über die biologische Bedeutung akustischer Reize. 373 Um die Atmung registrieren zu können, genügt es, das Ende B des Schreibers BE (Fig. 1 Abb. I) zwecks der Vergrösserung der Ausschläge zwischen zwei tiefer gelegenen Spiralen einzuführen und als Dämpfungsflüssiekeit statt Paraffin Wasser zu verwenden; auch ohne jede Dämpfung kann man gut auskommen. Diese Methode der Registrierung von Atmungsbewegungen hat insofern grosse Vorzüge, als das Tier ganz frei und ungestört im Käfig sitzen darf. Die Fig. 5 gibt einige Beispiele dieser Registrierung. Ich habe versucht, den Einfluss der in diesen Versuchen un- wirksamen (zum Beispiel Licht bei Ratten) bzw. wenig wirksamen Reize (zum Beispiel Töne einer Galton-Pfeife, die bei einer ruhenden Ratte bloss den Ohrreflex hervorriefen) auf die Atmung zu unter- suchen. Das Resultat war völlig negativ: weder die Frequenz noch der Charakter der Atmungsbewegungen wurden verändert. Versuche über die Wirkung der Faktoren, die als Antrieb zum Erlernen einer Handlung dienen können!) 4% Von Dr. 9. S. Szymanski (Wien). (Mit 2 Textfiguren.) Die vorliegende Arbeit ist der Untersuchung jener Faktoren ge- widmet, die als Antrieb zum Erlernen einer Handlung dienen können. Bereits in einer früheren Abhandlung), die die Analyse der bei der Entstehung neuer Gewohnheiten mitspielenden Faktoren zum Gegen- stand hatte, bin ich zum Schluss gekommen, dass für das Erlernen einer Handlung eine aktive, durch vitales Interesse bewirkte Anteil- nahme des Tieres unentbehrlich ist. In diesen Versuchen hat sich nämlich herausgestellt, dass bloss das hungrige Tier — und Hunger wär als Antrieb zur Handlung ausgewählt — die Labyrinthgewohnheit ausbilden kann. Um nun dieses Resultat nachzuprüfen und auch andere Faktoren, die eventuell als Antrieb zum Erlernen der Labyrinthgewohnheit dienen konnten, zu untersuchen, wurden die unten zu beschreibenden Versuche aus- geführt. Sämtliche Versuche wurden an den gleichen Tieren (weissen Ratten) mit der identischen Methode (Labyrinthmethode), unter der eleichen Versuchsbedingungen und mit dem gleichen Apparat wie ° 1) Diese Versuche wurden im physiologischen Institute der Wiener Univer- sität (Abt. des Herrn Prof. A. Kreidl) ausgeführt. Dem Herın Prof. A. Kreidl möchte ich an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank für seine stete Förderung meiner Bestrebungen aussprechen. 2) Vgl. die Abhandlung: „Ein experimenteller Beitrag zur Analyse der bei Entstehung neuer Gewohnheiten mitwirkenden Faktoren“ in meinen „Abhandlungen zum Aufbau der Lehre von den Handlungen der Tiere“. (Als Separatband Pflüger’s Arch.) | | Versuche über die Wirkung der Faktoren usw. 375 die Versuche in der oben! zitierten 'Arbeit ausgeführt, so dass ich von der nochmaligen Beschreibung der Versuchsanordnung äbsehen kann. Die erste Versuchsreihe bezweekte nachzuprüfen, ob wirklich ein Tier -nur dann das Labyrinth auf dem kürzesten Wege durch- zulaufen erlernt, wenn ein vitales Interesse es zu dieser Handlung treibt. Es lag nun der Gedanke nahe, zu untersucken, ob das ‚Tier sich im Labyrinthe wirklich passiv verhalten würde, falls ein lebenswichtiger Antrieb zum Durchmessen des Labyrinthes auf dem kürzesten Wege (vom Vorhof bis zur Labyrinthsmitte) fehlen würde. Diese Versuchsreihe wurde derart ausgeführt, dass das Tier in den Vorhof gesetzt wurde und erlernen sollte, zur Labyrinthmitte, in der sich ein leerer, tunlichst geruchloser, also dem Tiere unbe- kannter und für diese kein vitales Interesse bietender Käfig befand. Bei dieser Versuchsanordnung. fehlte der Antrieb zum Erlernen des Labyrinths vollkommen. Die Resultate dieser Versuche, die an zwei Weibchen (Nr. 3, 4) und zwei Männchen (Nr. 1, 2) (täglich ein Versuch zwischen 1—2 Uhr nachmittags) ausgeführt worden waren, ergaben, dass die gesättigten Tiere nieht nur das Labyrinth nicht erlernt haben, sondern meistens sich überhaupt nicht bewegten und regungslos im Vorhof während der ganzen Dauer der Einzelversuche sassen. (Vel. den Anhane Tab. 1). Nachdem ich mich überzeugt hatte, dass die Ratten das Labyrinth ohne einen lebenswichtigen Antrieb nicht „erlernen“ konnten, habe ich nun an den anderen Ratten eine neue Versuchsserie, in der als Antrieb das „Zum-Wohnkäfig-gelangen“ dienen sollte, angestellt. Die Versuchsanordnung war folgende. Nachdem die gesättigte Ratte in der Versuchszeit (1—2 Uhr nachmittags) aus dem Wohn- käfıg herausgenommen und in den Vorhof gesetzt worden war, wurde der Wohnkäfig mit der heraufgeschobenen betreffenden Wand in der Labyrinthmitte untergebracht. Falls das Tier zum Wohnkäfig gelangt 1) Zum Verständnis dieser und anderer weiter unten folgenden Tabellen ist zu bemerken: Wenn eine Ratte sich im Verlaute eines Einzelversuches während 300 Sek. nicht bewegte, so wurde sie aus dem Labyrinth herausgenommen, in den Wohnkäfig zurückgesetzt, und der Versuch wurde als abgeschlossen betrachtet (in den Tabellen sind derartige Fälle mit )300- bezeichnet), Wenn die Ratte das Labyrinth nach 40 Versuchen nicht erlernt hatte, so wurde die ganze Versuchs- serie als abgeschlossen betrachtet; denn wie die früheren Versuche mit dem gleichen Labyrinth mich belehrt haben, „erlernen“ die hungrigen Ratten dieses Labyrinth am frühesten nach 16 und am spätesten nach 40 Versuchen. 376 J. S. Szymanski: war und den letzteren betreten hatte, wurde die Käfigwand wieder hinabgeschoben und der Käfig aus dem Labyrinth entfernt. Hiermit war der Einzelversuch abgeschlossen. 61 derartige Versuche wurden an zwei Männchen (Nr. 1, 2) und einem Weibchen (Nr. 3) ausgeführt. Wie aus der Tabelle Nr. 2 (vgl. Anhang Tab. 2, Versuche 1—61) zu ersehen ist, waren die Resultate vollkommen negativ. Der Reizkomplex, den der Wohnkäfig auf die gesättisten Ratten aus- übt, erwies sich als nicht genügend stark, um als Antrieb zum Er- lernen des Labyrinthes dienen zu können. Nachdem dieses Resultat gewonnen worden war, setzte ich dennoch diese Versuche fort, jedoch mit dem Unterschied, dass ich fortab nicht wie bisher mit gesättisten, sondern mit hungrigen Ratten arbeitete. Die Ratten wurden also nicht wie bei den früheren Versuchen etwa 3 Stunden vor dem Versuche gefüttert und das Futter den ganzen Tag im Wohnkäfig gelassen, sondern sie erhielten das Futter erst bei dem Versuche, nachdem sie den Wohnkäfie erreicht hatten. Etwa 2 Stunden nach dem Versuche wurde das Futter und der Wassernapf wieder entfernt und die Tiere erst beim nächst- folgenden Versuche, also nach 24 Stunden, wieder gefüttert. Diese Versuche bezweckten festzustellen, ob die Ratte, welche das Labyrinth wiederholt aktiv durchlaufen und doch mangels eines genügend starken Antriebes nicht gelernt hatte, auf dem kürzesten Wege zum Wohnkäfig zu gelangen, doch das Labyrinth so weit kennen lernte, dass sie jetzt durch einen genügend starken Antrieb getrieben (Hunger!), sofort ohne weitere Versuche imstande wäre, das Labyrinth fehlerlos durehzulaufen. Mit anderen Worten, ob die frühere Erfahrung, welche nicht zum Ziele führte, sich jetzt bei einem lebenswichtigen Antrieb doch geltend machen würde. Die Resultate ergaben, dass die meisten Ratten bereits nach ein bis zwei Versuchen das Labyrinth in der Regel fehlerlos durch- liefen (vgl. den Anhang Tab. 2, Versuche 61—88). (Fig. 1.) Es hat sich hiermit herausgestellt, dass die frühere scheinbar umsonst, jedoch aktiv gemachte Erfahrung dem Tiere zum Nutzen kommt, wenn der genügend starke Antrieb das Tier jetzt zur richtigen Ausführung der Handlung treibt. Wie meine früher angeführten Versuche ergaben (l. e.), erwies. sich im Gegenteil eine frühere, passiv gemachte Erfahrung ohne Nutzen für die nachträgliche richtige Ausführung der Handlung. ee RE WERE EN Versuche über die Wirkung der Faktoren usw. 37 Die Unwirksamkeit des Antriebes „zum Wohnkäfig-gelangen“ ermöglichte die Ausführung einer dritten Versuchsreihe. I “oo 200 20 ee £o 36 “40 Jo Fig. 1. I = Zeitkurve. II = Wegkurve. III = Fehlerkurve. Auf der Ordinate sind eingetragen: In I Sekunden, in ZI Zentimeter, in III die Anzahl der Fehler; auf der Abszisse sind in sämtlichen Kurven die Versuchstage ein- getragen. Die gestrichelte Linie trennt die Versuche, in denen das „Zum-Wohn- käfıg-gelangen“ als Antrieb diente. Zur Kurve II: 339 cm betrug der kürzeste Weg, auf dem das Tier den Wohnkäfig bzw. das Futter erreichen konnte. Sämtliche Kurven stellen den Durchschnitt von den Ratten 1—3 dar. Angerest durch Herrn Prof. Kreidl untersuchte ich nämlich, inwiefern der Muttertrieb als Antrieb zum Erlernen des Labyrinthes dienen kann. au we u 28. Baymanski: . .r a. Eon che "Der Verlauf dieser Versuche wär folgender: Nachdem ein Weibchen die: Jungen en hatte, wurde! es den nächsten Tag ganz in Ruhe gelassen... Vom 3. Tage an wurde das gesättigte Weibchen zweimal täglich (9—10 Uhr vormittags und 1—2 Uhr nachmittags) in den Vorhof des Labyrinthes gesetzt; in der Mitte des Apparates befand sich der Wohnkäfig mit den Jungen. Die Ratte, welche, wie gesagt, im gesättigten Zustande (Brot und Milch) gehalten wurde, sollte nun erlernen, den Käfig mit den Jungen auf dem kürzesten Wege zu erreichen; vorausgesetzt, dass der Muttertrieb sich als genügend starker Antrieb für das Zustande- kommen der richtigen Ausführung der Handlung erweisen sollte. Drei Weibchen wurden auf diese Weise untersucht: Nr. 1 mit zwölf Jungen, Nr. 2 mit sechs Jungen und Nr. 3 mit sieben Jungen. Das Alter der Weibehen war mir unbekannt; schätzungsweise waren Nr. l1 älter, Nr. 2 und 3 jünger. Das blosse Beobachten der Tiere im Wohnkäfig zeigte einen durchgreifenden Unterschied im Verhalten der Weibchen Nr. 1 und 3 einerseits und des Weibchens Nr. 2 andererseits. Während die Weib- chen Nr. 1 und 3 sich die ganze Zeit hindurch nicht im geringsten um ihre Jungen kümmerten, zeigte das Weibchen Nr. 2 gleich in der 1. Stunde nach der Geburt ein ganz anderes Verhalten gegenüber seinen Jungen. Die ganze Mutterpflege der Weibchen Nr. 1 und 3 bestand darin, dass sie im Nest sassen und sich von den Jungen saugen liessen. Das Weibchen Nr. 2 kümmerte sich um seine Nachkommenschaft obendrein noch auf eine andere Art. Es trug nämlich öfters die -Jungen im Maul von einer Ecke des Käfigs in eine andere (sie suchte wahrscheinlich auf diese Weise, die Jungen auf eine besonders ruhige und geschützte Stelle zu bringen). Aber auch im Verlaufe der Versuche trug das Weibchen, nach- dem es den in der Labyrinthmitte untergebrachten Käfig erreicht hatte, die Jungen aus dem letzteren heraus, um sie in einem der Labyrintbgänge niederzulegen. Entsprechend diesen Unterschieden i in der Ale run des Mutter- triebes waren auch die Versuchsergebnisse bei den verschiedenen Weibchen abweichend. Die Weibehen Nr. 1 und 3 erlernten nicht die Labyrinthmitte, in der sich der Käfig befand, auf dem kürzesten Wege zu erreichen. (Vgl. den Anhang Tab. 3 und 5.) Versuche über die Wirkung der Faktoren usw. 379 ‚Dass jedoch das Labyrinth ihnen nicht fremd blieb, zeigte das Ver- halten. des Weibehens Nr. 3. . Dieses Weibchen, ‚welehem während der Versuchsserie eine Hinterpfote gelähmt wurde: und welches sich doch auf den drei Beinen 'ganz gut fortbewegen konnte, zeigte bei einigen Versuchen keine Neigung zum. alas des Vorhofes: . „.Wenit ich es f en \ nach dem Schluss des : ‚Versuches durch Trom- auf den Labyrinth- deckel aufgescheucht hatte, lief es auf dem kürzesten Wege zum Käfig. Dieses Verhalten habe ich zum ‚Beispiel beiden Versuchen Nr. 15, in 32, 37,38 ‚be- obachtet. Im Gegensatz zu die- sen zwei Tieren hat das ‘Weibchen Nr. 2, das sei- nen Kindern die grössere Pflege angedeihen liess, erlernt, das Labyrinth auf dem kürzesten Wege zu. durchlaufen. (Vgl. den Anhang Tab. 4, Ver- suche 27—36.). Das fehlerlose Durch- laufen des Labyrinthes. währte so lange, bis die Jungen selbständiger ge- worden sind (vom33.Ver- suche an sind die Augen der Jungen geöffnet wor- den, und sie fingen an, im Käfige umherzulaufen). ...2000+. meln mit den. Fingern a 2 © a N 1500 | ; e [2 ; [2 “7 - Ab Fig. 2. Weibchen II. I= Zeitkurve. II= Weg- » kurve. /Il = Fehlerkurve. Auf der Ordinate sind eingetragen: In / Sekunden, in ZI Zentimeter, in III die Anzahl der Fehler; "auf der Abszisse sind in sämtlichen Kurven die Versuchsnummern ein- getragen. Zur Kurve II: 339 cm betrug der kürzeste Weg, auf dem das Tier den Wohnkäfig mit den Jungen erreichen konnte. \ Um diese Zeit herum (vom 35. Versuche an) hat das Weibchen ‚aufgehört, die Jungen im Maul umherzutragen und säugte sie be- deutend seltener (oder gar nicht mehr?). 380 J. S. Szymlanski: In Übereinstimmung mit diesem Verhalten änderte sich auch das Benehmen des Weibchens im Labyrinthe: es lief (vom 37. Ver- suche an) im Labyrinth nicht mehr auf dem kürzesten Wege, sondern auf vielen Umwegen zum Käfig. (Vgl. den Anhang Tab. 4, Ver- suche 37—56.) (Fig. 2.) Falls sich diese Versuchsergebnisse an einer grösseren Anzahl von Weibchen bestätigen, würden sie beweisen, dass selbst ein so elementarer Trieb wie der Muttertrieb in seiner Intensität grossen individuellen Schwankungen unterworfen sein kann, und dass er nicht immer genügt, als Antrieb zum Erlernen einer Handlung dienen zu können. Wenn dennoch das letztere der Fall ist, so dauert die richtige Ausführung der Handlung bloss so lange an, bis mit dem Selbständigwerden der Jungen der Muttertried herabgesetzt wird bzw. ganz erlischv Denn mit dem Verschwinden dieses Triebes macht sich das Fehlen des Antriebes zur Handlung geltend, und diese letztere wird nicht mehr richtig ausgeführt. Zusammenfassung. Wenn ich nun die bisher bekannten Faktoren, die als. Antrieb zum Erlernen einer Handlung dienen können, auf Grund meiner Arbeiten und der experimentellen Untersuchungen einiger anderer Forscher zusammenstelle, so komme ich zu foleenden Schlussfolge- rungen: 1. Der Hunger!) gibt einen genügend starken Antrieb, um eine Handlung zu erlernen und richtig auszuführen (Labyrinthgewohnheit bei weissen Ratten, bei Hunden). 2. Der Schmerz gibt einen genügend starken Antrieb für das Erlernen einer Handlung (weisse Mäuse vermeiden die Stellen, wo sie einen elektrischen Schlag früher wiederholt erhalten haben; Kanarienvögel vermeiden die Sitzstange, wenn sie bei früherer Be- rührung derselben einen Schlag erhalten haben). 3. Eine Umgebung, die die Bewegungsfreiheit (und möglicher- weise Atmung) erschwert, gibt einen genügend starken Antrieb für 1) Vgl. hierzu folgendes: „Bei Erziehungsversuchen an geistig zurück- gebliebenen Kindern hat man beobachtet, dass sie denjenigen Eindrücken am meisten zugänglich sind, welche zu ihren vegetativen Funktionen, insbesondere zur Nahrungsaufnahme, in Beziehung stehen, und dass sich an sie noch das verhältnismässig erfolgreichste Lehren und Lernen anschliesst.“ (W. Peters, Einführung an die Pädagogik S. 42. 1916.) Versuche über die Wirkung der Faktoren usw. 381 das Erlernen einer Handlung (Labyrinthgewohnheit bei Goldfischen in seichtem Wasser). 4. Der soziale Trieb gibt einen genügend starken Antrieb zum Erlernen einer Handlung (Labyrinthgewohnheit bei Ameisen nach Field, dasselbe bei Kücken nach Thorndicke). 5. Das „Zum-Wohnkäfig-gelangen* genügt bei weissen Ratten nicht, um eine Handlung zu erlernen. 6. Muttertrieb genügt bei einigen (nicht allen!) Rattenweibehen, die Junge haben, um eine Handlung zu erlernen. 7. Eine fest erlernte Handlung (das Labyrinth auf der kürzesten Bahn durchzulaufen) wird nicht mehr richtig ausgeführt, falls der Antrieb, unter dessen Einfluss diese Handlung erlernt worden war, sich nieht mehr geltend machen kann (die Ratten, die durch Hunger getrieben, das Labyrinth perfekt erlernt haben, laufen im hungrigen Zustand richtig, im gesättigten hingegen falsch, das Rattenweibchen läuft im Labyrinth nicht mehr richtig, nachdem der Muttertrieb mit dem Selbständigwerden der Jungen erloschen ist). 8. Wenn ein Tier (weisse Ratte) durch das Labyrinth auf der kürzesten Bahn passiv getrieben worden war, so beschleunigt dies nicht die nachträgliche Ausbildung der Labyrinthgewohnheit, die nun infolge eines genügend starken Antriebes (Hunger) in Entstehung be- griffen ist. 9. Wenn ein Tier (weisse Ratte) das Labyrinth während der früheren Ausbildung der Labyrinthgewohnheit, die wegen des unge- nügend starken Antriebes („Zum-Wohnkäfig-gelangen“) nicht ent- stehen konnte, wiederholt aktiv durchlaufen musste, so beschleunigt dies die nachträgliche Ausbildung dieser Gewohnheit, die nun unter einem genügend starken Antrieb (Hunger) zustande kommt. Anhang. Tabelle l. ER= Ratte 1 Ratte 2 Ratte 3 Ratte 4 #5 | Zeit | Weg |Fehler Zeit |Weg|Fehler| Zeit | Weg |Fehler Zeit | Weg | Fehler lo Ineonı = — Isola. el lea |1a0o 6 2 |Ss0o0| — | — |assıseel 4 |Ssool — | — | sıı| sw| 3 lesen 19. 18500. 02: | 3500 2% u 2 Paso | Se | 8 so oo | sn. [Sseo u... | 125. |:2805 1418 ana ls = |ssool. ı [elta os 382 A J. S. Szymanski: Tabelle 1 (Fortsetzung). Er= Ratte 1 Ratte 2 Ratte3° | Ratte 4 2 & Zeit | Weg Fehler| Zeit |WegjFehler| Zeit | Weg |Fehler Zeit | Weg | Fehler 6 13551593] 9 [300.1 — 1: — 193001 — | —.. 1: 44811977). 6 7 | 117| 6499| 2 oo — | — [)800| — | — | 567 | 2217 ) 8 | 1483| 7577| 3 [)30| — | — | 49211445) 6° |:99612143| 13 - 9 | 80611921) 11 |)300| — | — | 423 |1364| 8 638 2331| 12 10 [3300| — | — 19)300| — | — | 485|1357| 7 ? ? ? 11 198001 — | — [9800| — — [2300| — | — |: 436 |2127| „11 12019500 0 > a _— | — — | — [9800| — | — 3 13300) — | — [2300| — | — [3930| — — 692 | 2125| 10 14 1800| — | — [9300| —.| — [2300| — | — 00 | — | —. 15 1)300 | -- — 1330| — — [2300| — | — en ul 16::| 625 [2079| 11: :| 9300, — | — 1)300| — | — [300 | — _.: 17 133001 — |. — [9800| — — [9300| — | — [2300| — | — 18. |)300| — | — [)300| —ı — [)30| — | — [)300| — | — 19 13300. — | — [2300| — | — .| 470.|1235| :& t 620. 1061 4 20 [3300| — | — [9800| — — on —| RS Da 21 | 50811628) 6 1)3800| — | — 1)300| — | — | 690 | 1869 MN 22 13900) — | — [)800) — | — [)8300| — — on — —: 23 1 3800| — | — o —ı — [9330| — | — [)00| — | — 24 193001 — | — 1938001 — | — 1930| — | — [)800| — | — 25 300 — |. — [9300| — | — [9300| — | — 1930| — | — 26 |33800| — | — [)300| — | — 1930| — | — en a 2019300, 0 u n 0 9300. 28 | 3300| — | — 1930| — | — 1)300| — | — 123001 — | —. 29 |3300.1| — | — [3800| — | — [2300| — | — 19300 — | — 30- | 23800 | — — I-|—-| — I%30| — | — |30| — | — | 31. 1)30017 =, — — em — un 200 m | 321300) Zen 3001 — | — [9300| ,— ı — | 3 13301 — | — I|— |—| — [9900| — | — 1330| — .| — | 34 1380| — | — | — !— | — [2300| — | — [9300| — | — | 5 | | — N — |, | >= 36 1930| — | — | = |— | — [2300| — ı — 3000| — | — 37 1980| — | — 1 — | — |: — | 498 1181| 4 |)300| — | — 38 1280| — | — | — | — | — | 8&0,2229| 9 | 460| 855 3 39 1330| — | — | — | — | — | 3455| 987) 5 [3300| — | — 40 | 481)1195 | 3° — | — | — | 521:1559| . 9 629 | 1741 6 Tabelle 2. 2a Ratte 1 Ratte 2 Ratte 3 Durchschnitt Ze Zeit | Weg |Eehler | Zeit | Weg Fehler | Zeit | Weg | Fehler | Zeit | Weg | Fehler 1 382 1819: 27 mn — | — | 36 | 25 0 | -— | — | — 2] 360 | — | — | 900 | — | — [ 22! 17) 5I—-— | — | — 321026002... — n — | 2, 797lı 21— | — |— 4:1 32040 | — | — | 30 | — | — | 4283 /35| 7I— | — | — 3 | el — N — | - I30| — | - I|- | — | — 6 34 | 339| 0 3200| — | — I230| — | — I-|—- |— 7 33 501 | 1 300 | —'| — 1380| — . — | — (| — 8 341649 | 2 3001| — | — [30 — | — | - | — | — ) 29 | 7ı1r |) 3.1930 — | -— |30| — | — I- | —- | — 10 ? 1967| 3.139301 — | —'| 301. | — I — | —|— 11 21|47| 11)50| — | - I 1383| — | —- | - .— | — Versuche über die Wirkung der Faktoren usw. 383 Tabelle 2 (Fortsetzung). = Ratte 1 Ratte 2 Ratte 3 Ratte 4 zZ e Zeit | Weg |Fehler | Zeit | Weg Fehler | Zeit | Weg Fehler | Zeit Weg | lehler Bands 1 3800.17 2 1, | 192.1, 949 7A I a) —e — 18129 |;671| 2[300| — | — [20 | ' — | — .— I nis As, 719500. =. 1319 | 1189| 6 || — — I eos or. 2 114511943 |. 5.1.6506 12058 | & | 383 1392 5 16.1014 | 3839|. 0 > Mana 2 11. 18411005 I 3 || 955 12 5461|: 1.66: ern | 200 115, 5 1.1 18 2229050 11232129 5, |} 22513,859 1° 3: |) 1225 11.776. | 2,66 ee | 2181165 5 | 281.) 1041 | 5 |: 184 | | 873. 3,66 20.1) 17.) 487| 1 6152! 58 5a le 21 0 15.359) © | 2274| 1889| 9 | 106 1151 | 4 | 182 | 1196 | 4,33 2971.13, 487 |: 1 ee 1 ae 2a Asz| 1 Zi, 9672| 31: 2252237 | 9 | 104 | 1980. 433. 24 Zr 323150 SU za 3.2, .186.1002 15,4 1.277 13708 02 Da 242 As 1 48117528. 1 49 | 501 | 1| 40 | 504 | 1 26 &1.359\ 0 a er! 95 MIlOR 32 | 69182605 BER A883 5 SE 47, 501) 1 ]).48 | 612 1,66 38 | 7511863] 4 Aa ot 87| 7235| .3 | 68 | 830 | 2,66 29 1,16 | 4872| 1 | 1231055 | 4 | 1731487 | 6 | 104 | 1010 | 3,66 8071.10) 339 0 42 508 07 1 153 10172 % 4 769,619. 21:66: 31 .1:00821839:1..50 Saas 2a irn .e 1 10% 08 Sr 6. 2. | 10511098 |. 3 Ber | 878002 eo 2.1.335..1613 | 7 5 119,501 |: 1, 1159. 1928| 3,83 32 | 10) 3359| 0 | 100855] 3 |. 151| 819|. 3.| 87 | 671| 2 35 SE 233 0110 1065 A Tor cin. 301.85 701 288 So 5213685. 1. |) 320.) 1241 \°°5 55| 671] 2 | 135 | 849 | 2,66 30 | 40.\ 4158| 1 | 109| 6385| 1 | 1801 8885| 4| 9 | 648| 2 38 1198 | 8555| 3 | 190 !11l5! 5 90| 65 | 2 | 159 | 885 | 3,33 sg I 40 K 6zl|ı 21 160| 8831| °3 | 171) 9938| 2 | 124 | 8832| 2,33 40 | 245 | 895| 4 | 583 12685 | 10 | 246 725 | 8 | 358 | 1435 | 5,66 20030, 5253| 1 8572649. .29. 12 119) 1.763 |... 20] 278 | 625 | 1,66 497159594 2 2 0833, 3 | 1871317 6 | 103. 916 78,66 43 en os 199.1 0759 | 783 | 145 5338| 1 E1tz) 540.01,88 AA od 2| 175 808.1..4 871195, 5 | 84 | 890 | 3,66 Aa ao. 45| 6711| 2 231 W528 le 7352| 2.6227, 1,66; 400 41, 6158| 1: 1.2101. | 838) 4 | »97 1671| 2.|. 80: |. 705 | 2,33 47 | 10 | 339| 0 29.1.3855. 3u| 148 967,8. 79,700 9 48 | 66 | 8883| 3 | 10011155 | 5 14| 339 0 | 60: | 779 | 2,66 Age. Tar 61l 2 75| 7658| 4 38 ol 2220602 | 70221,9766 50 29er 2 98,855, 3, 114) 8555| 3 | 80 | 7942| 2366 a 60| 7399| 2 56 sale 2 |, 59 11.6941 9 Bolsa, 5931| 9 97| 8555| 3 | 139|1743| 6 | 96 | 1040 | 3,66 58 1185| 58| 1 | 134 1079| 5.| 168 1017 | 4 | 14 |'873 | 3,33 Saa066. 500 1 24| 339| 0 | 1389| 1195 | A | 76 | 678 1,66 9a 0615| 2. | 169 | 768 8 ja 685.1 2.1.1909: 7.688) 2,33 56 | 20 | 339) 0 60, "A311 |. 186,1,85921.. 31.1708 10543 | 133 57 | 580 12987 | 18 | 152 1017 4 | 416 | 10538 | 5 | 389 | 1686 | 9 Soll 8683|, 31,105) 769 |: 4.1 800| — U. | =. — Sal 75. | 685... 2 Sal sad Or los Rang 558 |:188 60 | 205 | 833| 4 901 649 | 2 33| 339| 0 | 109 | 607 | 2 Bis 64 615 ass, 2 A are A| 127 759 | 235 B2 1.601.795) 08 4350, | 1 %5| 8733| A | 69 |, 700 | 23,67 63:1. 18 | 339.0 5| 8383| 4 339 0 0 520 | 1,33 64 | 3| 231| ı 50| 339| 0 13.389) 0 | 32 | 370 | 0,33 65 | 10.| 3389| 0 11 | 8339| -0 35| 4711| ı | 19 | 3838| 0,83 384 J. S. Szymanski: Tabelle 2 (Fortsetzung). ei) SS 2 258 Fehler | Zeit > 1 0) N) 0 0 1 0 0 2 69 9 0 4 1 70 6 0 0 1 71 6 0 0 1 72 7 0 0 0 173 8 0 0 0 74 | 15 0 1 1 75 | 33 1 0 1 76 8 0 0 0 77 9 0 0 2 18 7 0 9 0 1 791 11 1 ) 0 72 | 339 0 80 7 0 9 0 ? | 839 0 sl ? 0 ? 2 ? | 339 0 82 6 0 46 1 8 ı 339 0 83 6 0 8 0 | 18 | 501 1 S4 6 0 9 0 ? | 839 0 85 6 0 8 0 7 8339 0 . 86 6 0 8 0 9 | 523 1 871 6 0 9 0 6 | 339 0 88 6 0 9 0 10 | 501 1 Weibchen I. Tabelle 3. "Nr. Nr. des Ver- Zeit Weg Fehler |des Ver- Zeit suches suches 1 152 1223 6 21 22) 2 85 1299 5 22 56 3 145 1151 5 23 318 4 57 833 NE 24 420 5 ? 1163 5 25 197 6 ? 1351 4 26 90 7 22 523 1 27 343 8 3300 — — 28 118 9 128 1017 4 29 225 10 95 183 2 30 497 11 35 501 1 al )300 12. ? 501 1 32 242 13 31 501 1 33 3600 14 176 649° 2 34 )300 15 )300 P= — 35 ? 16 . 3300 — —- 36 174 17 )300 — — 37 3300 18 38 523 1 38 157 19 3300 — — 39 3300 20 ‚92 689 2 40 179 = oscocoooo > = _ wu wu nn GER GES SR = SSoo0000 Be) nn. .w. 2 [24 Fehler v»|w|eo| || wwwowmunewo 1 Versuche über die Wirkung der Faktoren usw. 385 Weibchen II. Tabelle 4. Nr. IN des Ver- Zeit Weg Fehler | des Ver- Zeit Weg Fehler suches suches 1 173 1477 6 29 M 339 0 2 346 2169 10 B 11 339 0 3 161 873 4 Sl 43 487 1 4 114 1041 4 32 19 339 N) 5 42 197 2 33 19 339 0 ‚6 188 1615 7 34 10 33 0 7 97 8 3 35 28 339 0 8 429 1539 5 36 34 339 0 g 105 803 3 37 75 671 2 10 246 183 2 38 3 1005 2 11 295 671 2 39 73 109 2 12 - ! 300 — — 40 41 339 0 13 300 | — — 41 16 413 1 14 )600 — n— 42 11 339 0 15 )300 _ _ 43 21 339 0 16 310 1149 5 44 18 501 1 17 290 931 3 45 145 361 1 18 54 893 4 46 110 1115 2 19 40 685 2 4A 5 76 833 3 20 38 759 3 48 172 1149 6 21 14 501 1 49 88 1277 3 22 13 501 il 50 60 961 1 23 28 649 2 51 18 655 2 24 25 923 1 92 136- 893 3 25 12 525 3 53 166 541 2 26 15 561 1 54 201 1409 8 27 13 339 0 by) 34 987 4 28 22 501 1 96 342 1001 4 Weibchen Ill. Tabelle >. Nr. Nr. des Ver- Zeit Weg Fehler |desVer- Zeit Weg Fehler suches suches 1 )300 — _ 21 297 819 2 Er, 104 717 3 22 (6) 671 2 3 190 649 2 23 92 339 0 4 128 967 3 24 139 1017 4 5 79 635 gl 25 )300 — — 6 177 1245 6 26 84 523 1 % )300 — — 27 61 505 2 8 229 967 3 28 88 sol 1 3) )300 — — 29 237 615 2 10 nn — —_ 30 249 873 4 11 300 — —_ al 196 819 EZ 12 )300 — —_ 32 )300 —_ —_ 13 )300 — — 33 92 819 2 14 )300 = _ 34 54 963 2 15 )300 _ — 39 398 671 2 16 280 1149 6 36 437 1277 3 17 )300 — — 37 500 — — 18 )300 — E= 38 300 _ —_ 19 )300 — _ 39 94 523 1 20 266 685 2 40 175 707 2 Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 25 Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. | Von Dr. Karl Kautsky (Frankfurt a. M.). Die Regulation der Zirkulationsgrösse. Die Bedeutung des extrakardialen Kreislaufs nur die Dynamik des Herzens. Wir haben an anderer Stelle‘) klinische Beobachtungen über das Zusammentreffen von Gravidität mit Herzerkrankungen veröffent- licht. Die dabei gemachten Erfahrungen waren nicht gut mit den. heute unter den Geburtshelfern herrschenden Anschauungen über den Zusammenhang zwischen Generationsvorgängen und Zirkulations-- system in Einklang zu bringen; es machte sich daher für uns die Notwendigkeit fühlbar, von einer breiteren physiologischen Basis aus- die fraglichen Kreislaufprobleme zu betrachten. Wir stiessen in- dessen auch hierbei bald auf Schwierigkeiten; die Kreislauftheorien,. wie sie die Physiologie und die innere Klinik heute lehren, er- schienen uns nicht ausreichend, um alle beobachteten Phänomene: restlos zu erklären. Eine Revision erschien uns nötig, wie sie von manchen Klinikern und Physiologen schon weitgehend angebahnt ist,. denen wir uns im folgenden an vielen Stellen anschliessen werden. Es war uns leider infolge der Kriegsumstände nicht möglich, selbst tierexperimentell zu arbeiten; wir hoffen aber, dass selbst in. unserer heutigen, so experimentierfreudigen Zeit auch klinischen Be- obachtungen .und der gedanklichen Verwertung von anderen ge- wonnener Erfahrungen noch ein gewisser Wert zuerkannt werden mag, und dass es uns gelungen ist, einen kleinen Baustein zu einer- neuen, einheitlichen, harmonischen Kreislaufstheorie zu liefern. Wir wollen. uns im folgenden mit einigen Problemen aus der allgemeinen Physiologie des Kreislaufs beschäftigen, ohne dabei ein erschöpfendes Referat liefern zu wollen. Wir gehen nur so weit auf 1) Kautsky, Arch. f. Gynäkol. Bd. 106. 1916. Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs, 337 die Fragen ein, als es uns für spätere Mitteilungen notwendig erscheint, die sich mit der normalen und pathologisch veränderten Zirkulation in der Gravidität befassen sollen. Wir hoffen, mit der Behandlung dieser Spezialfrage den Wert unserer theoretischen An- schauungen auch für klinische Probleme dartun zu können. I. Azidose und Zirkulationsgrösse. Über die Art, wie die Zirkulation sich den Änderungen des Stoffwechsels quantitativ anpasst und durch sie reguliert wird, haben wir erst in den allerletzten Jahren Aufschluss bekommen, seit wir Untersuchungsmethoden besitzen, die uns gestatten, die Zirkulations- srösse, auch am Menschen, zu messen [Plesch!), Bornstein?), Kroeh urd Lindhard°)]. Da das Problem der Zirkulationsgrösse mit dem der Lungenventilationserösse in untrennbarer Verbindung steht und dieses länger und besser erforscht ist, so möge unsere Darstellung mit diesem beginnen. Lange Zeit war man über die Natur des Reizes im unklaren gewesen, der der Regulation der Atmung dient. Wir müssen es uns versagen, näher auf die Entwicklung dieses hochinteressanten Gebiets einzugehen (vgl. hierzu vor allem C. G. Douglas) und wollen uns mit einigen wenigen notwendigen Angaben begnügen, Schon lange war die Tatsache bekannt gewesen, dass sowohl eine Vermehrung der Kohlensäure in der Inspirationsluft als auch Sauerstoffmangel zu einer Zunahme der Atemgrösse führen könne. 1905 sprachen dann Haldane und Priestley°) auf Grund der von ihnen ausgeführten Alveolargasanalysen die Ansicht aus (in Durchführung einer schon 1885 von Miescher geäusserten An-. nahme), dass normalerweise die Kohlensäurespannung des arteriellen Blutes den Regulator der Atmung darstelle. Sie konnten durch eine Reihe von Experimenten mit Veränderung des GO,-Prozentgehaltes der Atemluft nachweisen, dass schon eine Er- höhung der alveolaren CO,-Tension um 2 mm Hg ausreichte, um die Alveolarventilation gegenüber dem Ruhewerte zu verdoppeln. 1) Plesch, Zeitschr. f. exp. Path. u. Ther. B1. 6. 1909. 2) Bornstein, Pflüger’s Arch. Bd. 132. 1910. 8) Krogh u. Lindhard, Skand. Arch. Bd. 27. 1912. 4) Douglas, Ergebn. d. Physiol. Bd. 14. 1914. 5) Haldane u. Priestley, Journ. of Physiol. vol. 32. 1905. 29* 388 Karl Kautsky: 1906 stellten N. Zuntz!) und seine Mitarbeiter fest, dass in - srossen Höhen die CO,-Spannung des Blutes stark abnimmt und starke Hyperpnöe auftritt. Sie nahmen an, dass die unvollständige O,-Versorgung zu mangelhafter Verbrennung saurer Produkte führe (in Anlehnung an eine von Pflüger schon 1868 ausgesprochene Ansicht). Diese Säuren regen das Atemzentrum mächtig an und bewirken eine Steigerung der CO,-Abdünstung durch die Lungen und damit eine Senkung der CO,-Tension im Blute. Neuerdings ist dann endlich die Theorie aufgestellt worden |Winterstein®), Hasselbalch?°)], dass nicht eine spezifisch wirkende Säure, sondern die Gesamtazidität des Blutes, seine Wasserstoffionen-Konzentration (Cu) die Atmungsregulation besorge. Neue Untersuchungen von Hasselbaleh*) und von Campbell, Douglas, Haldane und Hobson?°) haben diese Anschauung durchaus bestätigt. Dank einer neuen Untersuchungsmethode, wie sie dureh Hoeber‘) in Gestalt der Gasketten in die Physiologie eingeführt worden ist, sind wir imstande, die „wahre“ Reaktion einer orga- nischen Flüssigkeit, d. h. ihren Gehalt an freien H- oder ÖH-Ionen zu bestimmen. Verbesserungen der Methodik, die wir Hassel- baleh und Michaelis’) verdanken, gestatten es uns jetzt, auch im Blute bei seinem normalen Gasgehalt die Cu zu messen. Dabei hat sich herausgestellt, dass die wahre Reaktion des Blutes nahezu die einer neutralen Flüssigkeit ist, mit einer mini- malen Verschiebung nach der alkalischen Seite hin (Cu = 0,44 - 107", Con =5,8 - 107 im Blute bei 37° gegenüber Cu = Con = 1,6 - 1077 in reinem Wasser). Diese normale Cr ist eine physiologische Konstante, die der Organismus mit grosser Zähigkeit aufrechtzuerhalten bestrebt ist. Jede Erhöhung der Cu im Blute setzt Mechanismen in Tätigkeit, 1) N. Zuntz, Löwy, Müller u. Caspari, Höhenklima und Berg- wanderungen. 1906. 2) Winterstein, Pflüger’s Arch. Bd. 138. 1911. 3) Hasselbalch, Biochem. Zeitschr. Bd. 46. 1912. 4) Hasselbalch, Biochem. Zeitschr. Bd. 74. 1916. 5) Campbell, Douglas, Haldane u. Hobson, Journ. of Physiol. vol. 46. 1913. 6) Höber, Deutsche med. Wochenschr. 1917. Nr. 18. 7) Michaelis, Wasserstoffionen-Konzentration. Berlin 1914. Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 389 die das gestörte Gleichgewicht aufs: feinste wiederherstellen. Vor allem ist schon das Blut selbst vermöge seiner chemischen Be- schaffenheit dazu imstande [vgl. Lawrence Henderson‘)]. Es ist reich an sogenannten „Puffern“, wie.Bikarbonaten, Dialkaliphosphaten, die als Salze schwacher Säuren mit starken Basen bei der Titration als Alkalien imponieren. Zusatz einer starken, d. h. an freien H-Ionen reichen Säure führt zur Bildung eines neutralen Salzes zwischen starker Base und starker Säure, wobei die CO, ausgetrieben wird und Dinatriumphosphat in das saure Mononatriumphosphat ver- wandelt wird. Da es sich hier jedoch nur um schwach dissoziierte Säuren handelt, so ist der Zuwachs an freien H-Ionen nur gering, so dass die Azidität des Blutes keine wesentliche Änderung erfährt. Allerdings wird dabei Alkali gebunden und geht für die CO,-Aufnahme aus den Geweben verloren; das Blut hat eine geringere Bindungs- fähigkeit für CO; [vel. Morawitz?)]. In vielen Fällen von Säurebildung kommt es, um den Ausfall an fixem Alkali zu decken, zu einer Stoffwechseländerung: ein Teil der Säuren wird durch Ammoniak neutralisiert, das nicht, wie sonst, weiter in Harnstoff verwandelt wird. Eine grosse Rolle für die Aufrechterhaltung der normalen Cr spielt ferner die Niere, die dem Körper mit dem Harn dauernd Säuren entführt. Sie arbeitet dabei so elektiv, dass sie aus einem schwach alkalischen Ausgangs- material ein saures Endprodukt herstellt: von den Alkalien, die zur Bildung neutraler Salze im Blute verwendet werden, kann die Niere über ein Viertel retinieren, während die dazugehörigen Säuren aus- geschieden werden [Lawrence Henderson?)]. Als letzten Faktor haben wir schliesslich die Atmung zu be- trachten, die vor allem für die Entfernung der Kohlensäure in Frage kommt. Diese wird dauernd im Organismus gebildet und würde bei fehlender Ausscheidung die Cu des Blutes immer mehr steigern. Das Atemzentrum*) begegnet aber diesem Versuche sofort mit einem Impuls, den es an die spinalen Zentren der Atemmuskeln aussendet: 1) Lawrence Henderson, Ergbn. d. Physiol. Bd..3. 1909. 2) Morawitz, Biochem. Zeitschr. Bd. 60. 1914. 8) Lawrence Henderson |. c. S. 319. 4) Den regulierenden Reiz für das Atemzentrum gibt die Ca des Blutes. Seine Reizbarkeit hängt von mancherlei Faktoren ab, die wir z. T. noch nicht kennen. Hier spielen vor allem psychische Einflüsse eine grosse Rolle (Vergrösserung der Atmung bei Psychosen, Aufregung usw.), dann kennen wir Intoxikationen, die die 390, Karl Kautsky: durch die Atmung wird die CO, ausgeschieden, die Cz des Blutes sinkt, der Atemreiz erlischt, bis das Zentrum von neuem gereizt wird. Bleibt die CO,-Erzeugsung konstant, so bleibt es auch die Grösse der Lungenventilation.e Wird nun aber das Blut plötzlich wie in den Haldane-Priestley’schen Versuchen mit CO, oder, wie im Hochgebirge, mit Säuren überladen, so wird ein stärkerer Atemreiz als vorher gesetzt, die Lungenventilation überschreitet das vorher dauernd eingehaltene Niveau, sie wird „grösser“. Damit steigt die CO,-Ausscheidung, es sinkt die CO,-Spannung des Blutes und der Alveolarluft, die Cp nähert sich der Norm. Es kombinieren sich also Ventilationsvergrösserung und Herabsetzung der Kohlen- säurespannung; auf die „grosse Atmung“ als klinisches Symptom einer Säurevereiftung hat als erster Kussmaul hingewiesen; wir finden sie klassisch ausgeprägt bei der Azidose der Diabetiker. Damit sind wir bei einem Worte angelangt, das in der modernen Pathologie eine ungeahnte Bedeutung bekommen hat. Unter Azidose verstehen wir einen Zustand, bei dem Salze nicht flüchtiger organischer Säuren in ungewöhn- licher Menge im Blute kreisen. | Mit dem Ausdruck Azidose wird also nicht gesagt, dass die Azidität des Blutes, seine Cr, erhöht sein muss, dass die Reaktion des Blutes saurer geworden ist. Denn wie wir eben gesehen, ver- mag der Körper seine Cu konstant zu erhalten, die Azidose also zu kompensieren. Wohl aber muss bei bestehender Azidose die CO,-Spannung des Blutes sinken, da fremde Säuren die Alkalien mit Beschlag belegen und der CO,-Überschuss durch die vergrösserte Atmung entfernt wird. Wenn wir daher die Ca des Blutes in solchen Fällen bestimmen, so finden wir, dass die „aktuelle Azidität“ des Blutes gleichge- blieben ist. Anders dagegen, wenn wir die Cy bei einer CO,-Spannung des Blutes bestimmen, die der Norm entsprieht und nicht durch die Erregbarkeit des Zentrums herabsetzen können (Morphium), schliesslich scheint aber auch die Cu des Blutes selbst wirksam zu sein. So ist es durch grosse Alkalidosen möglich, die Erregbarkeit des Atemzentrums herabzudrücken (Hassel- balch u. Gammeltoft, Biochem. Zeitschr. Bd. 68 S. 242. 1915), andererseits kann bei Zuständen von „Azidose“ die Erregbarkeit des Zentrums so stark steigen dass die Lüftung des Blutes zu ausgiebig wird. Es kann dann die On unter die Norm sinken, die „Azidose“ hat die „Azidität“ herabgesetzt. (Hasselbalch, Biochem. Zeitschr. Bd. 74 8.57. 1916; vgl. auch Porges, Biochem. Zeitschr. Bd. 54. 1913. x Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 391 Regulationsmechanismen herabgesetzt ist, also bei dem abgerundeten Durchschnittswert des Menschen von 40 mm Hg. Die derart „fixierte Azidität“ ist infolge der Anwesenheit fremder Säuren neben der normalen Kohlensäure erhöht; wir haben also in der Messung der „fixierten Azidität“ einen Weg, das Bestehen einer Azidose festzustellen. Die bei 40 mm CO,-Tension gemessene Cr bezeichnet Hasselbalch!) als „reduzierte Wasserstoffzahl“ gegenüber der durch die Regulations- mechanismen tatsächlich geschaffenen „regulierten Wasserstoffzahl“. Erst wenn die Regulation versagt, wenn die Säureproduktion übermächtig wird, kommt es zu einer Erhöhung der Ca. Erst die -dekompensierte Azidose führt zu einer Steigerung der Azidität und ‚einem wirklichen Saurerwerden des Blutes, wie bei Diabetikern, ‘Urämischen und Säuelingen mit Intoxikation ante mortem nach- ‚gewiesen worden ist. Dies ist natürlich für den Organismus von grösster Bedeutung; denn wir müssen annehmen, dass die normale ‘Cs ein Optimum für das „Milieu Interne“ darstellt, dass z. B. die Reaktionsgeschwindigkeit vieler fermentativer Prozesse durchaus von ihr abhängt. Eine Störung der Cu muss da die schwersten Folgen haben; aus der Klinik wissen wir ja auch zur Genüge, welche schwere ‚Erscheinungen die Dekompensation mit sich bringt. Wir wollen im folgenden kurz das klinische Bild des azidotischen ‘Symptomkomplexes zu umreissen suchen. Dabei werden wir sehen, ‚eine wie grosse Rolle die Azidose in der menschlichen Physiologie und Pathologie spielt: eine Reihe scheinbar ganz heterogener Zu- ‚stände lassen sich harmonisch unter diesem Gesichtspunkte zu- 'sammenfassen, die wieder ganz spontan in mehrere Gruppen zer- fallen ?). Einmal kann es sich um exogene Versiftungen handeln, 1) Hasselbalch, Biochem. Zeitschr. Bd. 74. 1916. 2) Den Nachweis, dass es sich hier tatsächlich um Azidosen handelt, ver- danken wir Barcroft, The respiratory function of the blood. Cambridge 1914 (Veränderungen der O,-Dissoziationskurye im Höhenklima und bei Diabetes und Urämie); H. Straub, Münch. med Wochenschr. 1914. Nr. 27; ferner Poulton u. Ryffel, Journ. of Physiol. (Proc. Physiol. Soc.) vol. 46. 19i3 (Veränderungen derselben Grösse bei Urämie), Morawitz und seinen Schülern, 1. c. (Herabsetzung der CO,-Bindungsfähigkeit des Blutes bei Anämien und Urämien); Kraus, Er- müdung als Maass der Konstitution. Bibl. med. Bd. 1. 1907 (derselben Verände- rung bei Zirkulationsstörungen); Höber, 1. c. (direkten Cn-Bestimmungen bei allen möglichen Azidosen); Ylppö, Zeitschr. f. Kinderheilk. Bd. 14. 1916 (On-Be- stimmungen bei Säuglingen mit alimentärer Intoxikation); Hasselbalch und Gammeltoft, 1. c. (Cu-Bestimmungen bei Graviden). 392 Karl Kautsky: bei denen ein Übermaass an Säuren dem Körper direkt zugeführt wird oder die durch Erkrankungen der antiazidotischen Schutzorgane, vor allem der Leber, zur Azidose führen (Phosphor, Arsen, Blei).. Dann können Säuren im Übermaass im Körper selbst gebildet werden, und zwar infolge von primären Stoffwechselerkrankungen (Diabetes, alimentäre Intoxikation der Säuglinge) oder infolce von starker Steigerung der Stoffwechselvorgänge (Körperarbeit, Gravidität, Fieber); beide Arten von Azidose gehen mit Bildung von Azetonkörpern (8-Oxy- buttersäure, Azetessigsäure) oder von Milchsäure einher. Unbekannt dagegen sind die Säuren, die bei Zuständen von Anoxämie, von mangelnder Sauerstoffversorgung (Herz- und Lungenkrankheiten,. Anämien, Bergkrankheit, Asphyxie) entstehen; hier geht vielleicht eine spezifische Unterproduktion von Ammoniak nebenher, sc dass. es zu einer Azidose durch Alkalimangel kommt. Sehliesslich kann eine Störung der Säureausscheidung vorliegen (Urämie). Als klassisches Symptom der Azidose haben wir die „grosse- » Atmung“ und das gleichzeitige Sinken der CO,-Tension im arteriellen Blute und der Alveolarluft anzusehen!). Subjektiv kann sich das. Gefühl der Dyspnöe einstellen. Bei allen Zuständen mit Verstärkung der Lungenlüftung findet die Respiration von einer höheren Mittel- lage aus statt. Residual- und Reserveluft nehmen zu, der Unter- druck im Thorax sinkt noch mehr, erleichtert den venösen Rückfluss und erhöht die Blutfülle der Lunge. Die grosse Rolle der Nieren als Säureausscheider wird hell beleuchtet durch Veränderungen des Urins: er wird saurer, es. können organische Säuren auftreten (Milchsäure, Aminosäuren, Azetessig- und ß-Oxybuttersäure), Harnsäure kann ausfallen. Ein Symptom, das fast allen Fällen von Azidose zukommt, ist die Albuminurie. Nach M.H. Fischer’s Anschauung?) bringt die ge- 1) Den Nachweis der herabgesetzten CO,-Spannung haben geführt für: Körperarbeit Douglas u. Haldane, Journ. ot Physiol. vol. 38. 1909; für Herz-- insuffizienz Kraus, 1. c.; für Anämien Plesch, l.c.; für das Höhenklima N. Zuntz, ]l. c.; für das Fieber Fridericia u. Olsen, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 107. 1912; für den Diabetes mit Azidose zuerst Beddard, Pembrey u. Spriggs, Journ. of Physiol. (Proc. Physiol. Soc.) vol. 31. 1904; für die Urämie H. Straub u. Schlayer, Münch. med. Wochenschr. 1912. Nr. 11; für die Säuglingsazidose Howland u. Mariott, Bull. ofthe John Hopkins Hosp. vol. 27, Nr. 301, März 1916; für die Gravidität Leimdörfer, Noväk u. Porges Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 75. 1912. 2) M. H. Fischer, Die Nephritis. Dresden 1912. Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 393 steigerte Säureausfuhr das Eiweiss der Nierenzellen in Lösung; durch Fällung dieses Eiweisses kommt es zu Zylinderbildung. Interessant ist es dabei, dass die Stärke der Albuminurie von der Harnazidität abhängt (Hoesslin!). In diesem Zusammenhang mag auch die auffallende Tatsache Erwähnung finden, dass Straub und Schlayer?) in einem Falle von Urämie ein Parallelgehen der Albuminurie mit dem Sinken der alveolären CO,-Spannung beobachtet haben. Je tiefer die CO,Tension, je stärker also die Azidose, um so höher der ausgeschiedene Albumenwert. Eine bemerkenswerte Erscheinung bei vielen Azidosen ist das Ansteigsen der Ammoniakausscheidung im Harn; und zwar nimmt dabei der prozentische NH;-Anteil am Gesamtstickstoff im Harn, die „Ammoniakzahl“, zu. Charakteristisch für die Azidose ist, dass bei ihr die Ammoniakzahl an sich, wenn auch oft, so doch nieht stets absolut erhöht ist; wohl aber ist sie immer der Norm des betreffenden Organismus gegenüber gesteigert, wenn man sie auf eine bestimmte Harnazidität reduziert [Hasselbalch?°)]l. Die „redu- zierte Ammoniakzahl“ eines Menschen ist eine ähnlich konstante Grösse, wie etwa seine alveolare CO,-Spannung, die auch bei Jahre auseinanderliegenden Untersuchungen eine bemerkenswerte indivi- duelle Unveränderlichkeit aufweist. Das Ansteigen der reduzierten Ammoniakzahl findet sich gesetzmässig bei allen Azidosen, die durch Säureüberschuss erzeugt sind; parallel damit geht das Sinken der alveolaren CO,-Spannung, beide zusammen bezeugen die Minderung der Alkali-, vor allem der Na-Reserven der Organismus. Bei den anoxämischen Azidosen dagegen, bei denen auch eine Minderproduktion von NH, stattfindet, sinken CO,-Spannung und reduzierte Ammonik- zahl eleichmässig. Der feinste Indikator einer Azidose ist das Nervensystem, das schon auf minimale Cz-Änderungen mit grossen Ausschlägen reagiert [vel. hierzu Bethe %)]. So genügt eine Steigerung der Cr im arteriellen Blute um 0,013 - 10-7, wie sie durch Erhöhung des CO,-Druckes in der Inspirationsluft um 2 mm erzeugt wird, um das Atemzentrum so weit zu erregen, dass die Ventilationsgrösse ver- 1) Hösslin, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 105. 1911. 2) Straub u. Schlayer,.c. 3) Hasselbalch, Biochem. Zeitschr. Bd. 74. 1916. ‘4) Bethe, Pflüger’s Arch. Bd. 163. 1916; Bd. 127. 1909. Festschrift für Rosenthal. Leipzig 1916. 394 Karl Kautsky: doppelt wird. Ebenso werder die vasomotorischen Zentren beeinflusst [Mathison?)]. Stärkere Cn-Steigerungen wirken auf das dem Atemzentrum be- nachbarte Brechzentrum, anscheinend auch auf das Wärmezentrum (Hyperthermie nicht nur im Fieber, sondern auch in grossen Höhen, bei schwerer Körperarbeit, bei höhergradigen Anämien, bei Urämien). Weiter kommt es zur Reizung der Hirnrinde (Kopfschmerzen, Schwarzwerden vor den Augen, motorische Unruhe, Krämpfe, Psychosen) und schliesslich zur Lähmung (Koma). Natürlich be- teiligt sich auch das Rückenmark an den Veränderungen, Reflex- steigerung tritt auf, nachher Erlöschen. Wir haben langdauerndes. Verschwinden der Patellarreflexe mit Blasen- und Mastdarmstörungen bei schweren posthämorrhagischen Anämien beobachtet. Ein besonders wichtiges Symptom, das uns den Einfluss der Azidose direkt vor Augen führt, ist die Retinitis und Neuritis optica. Wir treffen sie bei Schrumpfnieren, bei azidotischen Diabetikern, bei schweren Anämien, bei Schwangeren und schliesslich bei Sepsis, und zwar auch ohne eitrige Metastasierung, als Folge der allgemeinen Intoxikation. Als Zeichen einer Störung des Fettstoffwechsels finden wir oft Lipämie — so vor allem bei Diabetes und Gravidität, dann auch bei Anämien [Morris und Boggs?)], bei Phosphorvergiftung — und Verfettung parenchymatöser Organe. Auch der Kohlehydrat- stoffwechsel ist oft beteiligt; Glykosurie ist häufig bei Säurever- eiftungen (z. B. Oxalsäure), bei Asphyxie (z. B. CO-Vereiftung), bei der alimentären Intoxikation der Säuglinge, in der Gravidität. Zum Zeichen der gesteigerten Atem- und, wie wir gleich hinzu- fügen wollen, Zirkulationsarbeit, vielleicht aber auch infolge einer spezifischen Erhöhung des Grundumsatzes, ist der Sauerstoff- verbrauch pro Kilogramm Körpergewicht gegenüber der Norm gesteigert. Bei Anämien, im Höhenklima, bei schwerem Diabetes, ist dies direkt nachgewiesen worden [Plesch°), N. Zuntz), Magnus-Levy°)]; bei Fieber, Gravidität und allgemeinen Zirku- 1) Mathison, Journ. of Physiol. vol. 41. 1910. Bd. 42. 1911. 2) Morris u. Boggs, Journ. of exper. Med. 1909. Bd. 2. Zitiert nach Milne, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 109. 1913. 8) Plesch, Ic. | EN ZI UmWZER SC. 5) Magnus-Levy, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 56. 1905. Bd. 60. 1906. Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 395 lationsstörungen kann der O,-Bedarf zunehmen, bei Körperarbeit geht dieser Fäktor in der allgemeinen Steigerung des O,-Verbrauches verloren. Ferner scheint es zu einer Reizuug des Knochenmarkes zu kommen: die kompensierte Azidose kann zur Vermehrung der roten und’ der polynukleären weissen Blutzellen führen (Steigerung der Erythroeyten im Höhenklima, bei chronisch dekompensierten Vitien (Polyeythämie) und schliesslich auch bei Anämien, dann bei Körper- arbeit und chronisch hypertonischen Nephritiden); Leukocytose im Fieber, nach Blutungen usw. Eine Kombination mehrerer, zu Azidose führender Prozesse scheint sich in einer für den Körper ungünstigen Weise zu summieren. Bekanat ist der infauste Einfluss fieberhafter Erkrankungen auf azidotische Diabetiker oder die Neigung Anämischer zu Fieber bei ganz leichten Infekten. Körperarbeit begünstigt den Eintritt der Bergkrankheit, sie führt auch leicht zu einem Versagen der Zirku- lation und Atmung bei Anämischen und Fiebernden, so dass derartige Kranke jede überflüssige Bewegung ängstlich vermeiden, da sie sie sofort ausser Atem bringt. Zustände von Azidose können also, vor allem wenn sie schwerer Art sind und länger anhalten, die Akkommbodationsbreite des Körpers Anforderungen aller Art gegenüber, wie seine Widerstandskraft gegen Infektionen herabsetzen, da sie alle Regulierungsvorrichtungen stark belasten und für Extraansprüche keinen Raum mehr lassen. Andererseits können freilich mässige Azidosen durch Übung all der genannten Mechanismen eine Er- höhung der Resistenz hervorrufen. Nochmals sei ausdrücklich betont, dass sich trotz schwerer klinischer Störungen die „regulierte Wasserstoffzahl“ nicht nach der sauren Seite zu verschieben braucht. Es genügt anscheinend die vermehrte Neutralisierung der Puffer und das Sinken des CO,;- Bindungsvermögens des Blutes, um doch eine wenn auch noch so geringe Säurestauung in den Geweben zu veranlassen. Als deren direkte Folge haben wir die geschilderten Symptome, vor allem von seiten des Nervensystems, aufzufassen. - Wir haben nicht die Absicht, mehr als diesen vielleicht etwas schematischen Hinweis auf einen inneren Zusammenhang der eben besprochenen Zustände und mehr als eine Aufzählung der allen ge- meinsamen Symptome zu geben. Auf die grossen Verschiedenheiten der Krankheitsbilder einzugehen, die durch spezifische Anionenwirkung. 396 Karl Kautsky: (8#-Oxybuttersäure als Erregerin des Coma diabeticum!) oder durch gleichzeitig wirksame zahllose andere Faktoren (Störungen der Osmo- regulation usw.) erzeugt werden, haben wir keine Veranlassung. Das Wichtigste ist für uns, zu sehen, ob wir als letztes Glied ent- sprechende Änderungen der Zirkulationsgrösse unserer Symptomen- kette der Azidose einfügen können. Wir haben oben gesehen, dass bei Azidosen die Alkalien stärker dureh nieht flüchtige Säuren mit Beschlag belest werden und die CO,-Bindungsfähigkeit des Blutes damit sinkt. Die normale Cu kann infolgedessen bei gleichbleibender CO,-Produktion im Körper nur (ladurch aufrechterhalten werden, dass eine vermehrte Lüftung des Blutes durch Verstärkung der Atmung die CO,-Tension im Blute herabsetzt. Damit aber die verminderten Alkalien als Transporteure der CO, überhaupt die unveiänderte CO,-Menge wie früher in der Zeiteinheit aufnehmen können, müssen sie die CO,-Bildungsstätten, die Gewebe, öfters als normalerweise in der Zeiteinheit passieren, die Blutstromgeschwindigkeit muss erhöht werden. Ebenso ist die Tätigkeit der Lungen und Nieren als Säure- ausscheider nicht gut denkbar, wenn nicht bei Steigerung der Säure- produktion den Exkretionsorganen auch mehr von den zu eliminierenden Stoffen in der Zeiteinheit zugeführt wird. Nun wird, wie schon gezeigt, einerseits die Cr nahezu konstant erhalten, dieselbe Blut- menge kann in der Zeiteinheit also nicht je nach Bedarf beliebig srosse Mengen freier H-Ionen mit sich führen; und damit kann das Säuregefälle, vor allem in den Nieren nicht ad libitum gesteigert werden. Andererseits müsste ein dauernder Verbrauch der puffernden Bikarbonate und Dialkaliphosphate bei der Neutralisierung abnorm srosser Säuremengen in kurzer Zeit zur Alkaliverarmung des Orga- nismus führen. Es wird daher nicht die Zahl der zu eliminierenden H-Ionen in der Stromvolumeinheit beliebig gesteigert, sondern die in der Zeiteinheit strömende Blutmenge bei nur wenig erhöhtem Säuregehalt und unter Schonung des kostbaren fixen Alkali. Da nun eines der Ausscheidungsorgane, die Lungen, von dem gesamten Körperblut durchflossen wird, so muss die Erhöhung der Stromstärke allgemein werden. Es geht also parallel der Steigerung der Ventilationsgrösse eine Erhöhung der Zirkulationsgrösse [vel. Douglas‘). Da die Gesamt- l) Douglas, 1. c. S. 418. Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 397 kapazität des Gefässsystems unverändert bleibt, bedeutet die Er- höhung des Stromvolums gleichzeitig eine Steigerung der Strom- geschwindigkeit, die, wenn sie auch in der Peripherie durch lokale Strömungsänderungen verdeckt sein kann, in den grossen, zentralen Gefässen zum Ausdruck kommen muss. In der Tat ist nun mit den modernen gasanalytischen Metho- den!) bei einer Reihe der obengenannten azidotischen Zustände eine Steigerung der Zirkulationsgrösse nachgewiesen worden, so für die Anämien von Plesch?), für die Muskelarbeit vor allem von Kroch und Lindhard?°), für das Höhenklima von Kuhn‘), für eine Steigerung der CO, in der Inspirationsluft, also für eine exogene Säurevergiftung von Boothby°). Die nachgewiesenen Steigerungen können ganz enorm sein: Krosh und Lindhard haben bei schwerer Körperarbeit Minuten- volumia von 21 Litern nachgewiesen gesenüber dem zwischen 2 und ‚8 Litern schwankenden Ruliewert; die Blutstromgeschwindickeit kann so stark zunehmen, dass trotz dem gewaltigen Anschwellen des O,- Verbrauches die Ausnutzung des Blut-O, sinkt und das Blut sogar mit höherer O,-Spannung ins rechte Herz zurückkehrt als im Ruhezustand (Loewy und v. Schroetter). Auch Plesch findet bei seinen Anämischen Stromgeschwindigkeiten, die bis zun Fünffachen des Nor- malen gehen, und Boothby bei einer Steigerung der CO,-Spannung in der Inspirationsluft um 2 mm, die die Ventilationsgrösse etwa verdoppelt, eine Steigerung seiner eigenen Zirkulationsgrösse von 3,3 auf 6,6 Liter in der Minute. 1) Das Prinzip dieser Methoden ist kurz folgendes: Nach vorhergehender Bestimmung der in den Lungen eingeschlossenen Gesamtluft wird von einem indifferenten Gas (N, N;0) in bekanntem Prozentgehalt tief inspiriert. Nach einigen Sekunden wird kurz exspiriert, aber nicht vollständig, und eine Probe dieser Expirationsluft untersucht. Dann wird der Atem für einige Sekunden angehalten und dann völlig exspiriert, wobei wieder eine Luftprobe entnommen wird. Der Unterschied im Gasgehalt gibt an, wieviel Gas pro Kubikzentimeter Luft absorbiert worden ist. Kennt man den Absorptionskoeffizienten des Gases im Blut, so kann man daraus die in die Versuchszeit vorübergeflossene Blut- menge berechnen. 2) Plesch, |.c. 3) Krogh u. Lindhard, l.c. Vgl. auch Loewy u. v. Schroetter, Zeitschr. f. exp. Path. u. Ther. Bd. 1. 1905. 4) Kuhn, Zeitschr. f. exp. Path. u. Ther. Bd. 14. 1913. 5) Boothby, Amer. Journ. of Physiol. vol. 37. 1915. 398 Karl Kautsky: Schon früher hat Boothby!) nachgewiesen, dass starke Lüftung des Blutes durch foreierte Atmung, die durch Auswaschune der Kohlensäure zu einer Herabsetzung der Azidität des Blutes führt, nicht nur, wie schon bekannt, Apnöe erzeugt, sondern auch die Zirkulationsgrösse herabsetzt. Boothby hat auf Grund seiner Experimente ganz klar die auch. logisch notwendig zu postulierende Ansicht ausgesprochen, dass die Wasserstoffionen-Konzentration des. Blutes den Regulator nicht nur der Ventilationsgrösse, sondern auch den der Zirkulationsgrösse darstellt: es werden also Atmung und Zirkulation gleichsinnig von demselben, vom Stoffwechsel direkt. abhängigen Hormon beherrscht. II. Zur Dynamik des Herzmuskels. Wir haben nun vor allem zwei Fragen zu beantworten: Wie kommt die Erhöhung des Stromvolums zustande, und wie beeinflusst sie das Herz? Dabei müssen wir auf die Rolle des peripheren Gefässsystems und die Dynamik des Herzmuskels eingehen; denn nur so können wir überhaupt hoffen, einen Einblick in diese unendlich komplizierten Verhältnisse zu erhalten. Mit dem neuerdings so be- liebten apodiktischen Ausspruch: „Auf den Herzmuskel kommt alles an“ können wir ohne genauere Analyse der vom Myokard ge- forderten Leistungen und seiner Fähigkeit, auf sie zu reagieren, so gut wie gar nichts anfangen. Zweckmässigerweise beginnen wir mit der Besprechung der Dynamik des Herzmuskels. Es sind Otto Frank’s klassische Untersuchungen am Frosehherzen?), die einmal zu einer: Revolution der Registriermethoden geführt und dann als Frucht ihrer praktischen Anwendung uns tiefe Einblicke in die Arbeitsweise des Herzmuskels haben tun lassen. Moritz°®) hat theoretisch ge- zeigt, dass die Frank’schen Gesetze auch für das Warmblüterherz 5 gelten müssten, ein Vorgehen, dessen Berechtigung H. Straub‘) und andere (Piper, de.Heer°) im Tierexperiment erwiesen haben. Wir können uns kurz fassen und verweisen dringend auf Straub’s Darstellung, die mit einwandfreier, auf Frank’schen 1) Boothby, Journ. of Physiol. vol. 45. 1912. 2) Frank, Zeitschr. f. Biol. 1895—1901. 3) Moritz, Krehl-Marchands Handtb. d. allgem. Path. Bd.2 T.2. 1913. 4) H. Straub, Deutsches .Arch. f. klin. Med. Bd. 115; Bd. 116. 1914. 5) de Heer, Pflüger’s Arch. Bd. 148.. 1912. \ Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 399 Prinzipien basierter Technik den Vorzug grosser Vielseitigkeit der Betrachtungsweise verbindet. Es hat sich gezeigt, dass zwischen Skelett- und Herzmuskel in ihrer Dynamik weitgehende Übereinstimmung herrscht. Was wir beim Skelettmuskel als Länge und Spannung registrieren, tritt uns beim Herzen als Füllung und Druck entgegen. Freilich gelingt es nicht, wie beim Skelettmuskel, die Zuckungsform des Herzmuskels. auf die beiden Grenzfälle der isometrischen und isotonischen Zuckung im strengen Sinne zurückzuführen. Es kommt innerhalb einer Herz- revolution zu einer Kombination verschiedener Zuckungsperioden, von. denen einige rein isometrisch (Anspannungs-, Erschlaffungszeit), einige fast rein isotonisch (ein Teil der Diastole) verlaufen, während sich z. B. bei der Austreibungszeit Länge und Spannung gleichzeitig ändern. Alles in allem könnte man vielleicht die Zuckungsform des Herz- muskels mit einer „Unterstützungs“- oder „Überlastungszuckung“* vergleichen; das Herz würde also wie ein Skelettmuskel arbeiten, bei dem ein angehängtes Gewicht in einer bestimmten Höhe unterstützt ist, so dass der Muskel nicht in dem Maasse gedehnt und gespannt wird wie ein gleich belasteter, aber frei hängender. Die Kontraktion dieses Muskels wird sich in zwei Etappen vollziehen, zuerst einer isometrischen, in der er seine Spannung ohne Längenänderung so weit erhöht, als dem angehängten Gewicht entspricht, und dann einer iso- tonischen, in der er sich ohne weitere Spannungsänderung kontrahiert und das Gewicht hebt. Der Länge und „Anfangsspannung“ des belasteten und unter- stützten Skelettmuskels entsprechen Volum und Druck :des Herzens am Ende der Diastole. Der arterielle Druck, als ideelle Einheit ge- nommen, würde dem durch die Semilunarklappen „unterstützten“ Gewicht entsprechen. Da der venöse Druck, unter dem das Herz gefüllt wird, kleiner ist als der arterielle Druck, gegen den es sich entleert, der Ventrikel also im Verhältnis zu der ihm diastolisch er- teilten Anfangsspannung „überlastet“ ist, so muss er zu Beginn der Systole erst seine Spannung so weit erhöhen, bis sein Binnendruck imstande ist, den arteriellen Widerstandsdruck zu überwinden. Die Systole verläuft also während der „Anspannungszeit“ rein isometrisch. Wäre der arterielle Druck eine einheitliche Grösse, die sich nicht von Moment zu Moment während des Einströmens des Blutes in die Arterie zugleich mit der Wandspannung der Arterie selbst änderte, 400 | Karl Kautsky: so könnte man die „Austreibungszeit“ als isotonische Periode be- zeichnen. Der Hubhöhe des Skelettmuskels entspräche dann das Schlagvolum, seinem Längenüberschuss über die Hubhöhe der Rest- blutgehalt des Ventrikels, der sich durchaus nicht, wie bisher an-- genommen, bei jeder Systole vollständig entleert. Beim überlasteten Skelettmuskel wird nun innerhalb gewisser Grenzen die Zuckung um so höher, je grösser die Anfangsspannung im Verhältnis zur Überlastung ist (Santesson!). Dementsprechend steigt beim Herzen das Schlagvolum bei erhöhter An- fangsspannung und unverändertem Widerstandsdruck. Dagegen nimmt es ab bei Steigerung des arteriellen Widerstandes’) und Gleichbleiben der Anfangsspannuns. Ebenso natürlich umgekehrt. Daraus ergeben sich folgende, für uns wichtige Verhältnisse, die auch zugleich zeigen, wie im natürlichen Kreislauf die Kompensation zustande komme. Steigt z. B., nehmen wir an, infolge experimenteller Verengerung der Aorta, der Widerstand, gegen den sich der linke Ventrikel entleeren muss, so setzt er sein Schlagvolum herab, ebenso wie der Zuckungsgipfel des Skelettmuskels niedriger wird, wenn man bei gleichbleibender Anfangsspannung das angehängte, aber unter- stützte Gewicht vergrössert. Bleibt nun der venöse Zufluss gleich, so ist am Ende der Diastole die Füliung grösser als bisher. Diese Erhöhung der Anfangsfüllung bedeutet bei gesundem Herz- muskel gleichzeitig eine Erhöhung der Anfangsspannung. Dementsprechend wächst das Sehlagvolum, es erreicht seine frühere Höhe wieder, die Wirkung des erhöhten Widerstandsdruckes ist also kompensiert. Die gesteigerte Anfangsspannung befähigt den Ventrikel momentan, erhöhte Arbeit zu leisten. Umgekehrt wächst beim unterstützten Skelettmuskel der Zuckungs- eipfel bei sinkender Überlastung, wobei sich der Muskel immer mehr zusammenzieht. Beim Herzen geschieht dieses stete Kleinerwerden auf Kosten des Restblutgehaltes, der bei fallendem Widerstand immer mehr verringert wird und das Schlagvolum vermehrt. 1) Santesson, Skand. Arch. Bd. 4. 1893. 2) Allerdings scheinen uns zwischen dem im Tierexperiment und an Kreis- laufsmodellen angewandten Widerstandsdruck und dem im natürlichen Kreislauf 'bestehenden grosse Unterschiede zu herrschen, denen bisher noch nicht genügend Rechnung getragen ist und die die Übertragung auf den Lebenden nur mit Vor- sicht gestatten. Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 401 Aus diesen beiden Beispielen erhellt schon die grosse Bedeutung des Restblutgehaltes des Ventrikels für die Dynamik des Herzmuskels. Er stellt einerseits dem Ventrikel ein ständiges Reservequantum Blut zur Verfügung, auf das dieser bei unvorhergesehenen Ausgaben, wie bei sinkendem Widerstande, augenblicklich zurückgreifen kann; auf .der anderen Seite sorgt er als ein Regulator der Anfangsfüllung für die nötige Anfangsspannung zur Überwindung des arteriellen Widerstandes. Der zweite Wege, die Anfangsfüllung und damit die Anfangs- spannung zu erhöhen, ist Steigerung des venösen Zuflusses. Erhöhen wir beim Skelettmuskel die Anfangsspannung, indem wir ihn bei ‚gleichbleibendem Gewicht niedriger unterstützen, so nimmt die Hub- höhe zu. Ebenso führt beim Herzen eine Vergrösserung der Anfangs- füllung bei eleichbleibendem Widerstand zu einer Vermehrung des 'Schlagvolums. Nach Straub’s Feststellungen kommen beide Modi, den dia- stolischen Minimaldruck zu erhöhen, im natürlichen Kreislauf zur An- wendung; dabei ist noch folgendes bemerkenswert: Solange das Herz suffizient ist, steiet der systolische Maximaldruck stets um mehr als der -diastolische Minimaldruck; mit steigender Anfangsspannung pimmt die Druckamplitude zu. Natürlich kann das nicht ad infinitum weitergehen: angenommen, der Widerstand wüchse immer mehr, so wird das Schlagvolum kon- :stant bleiben, solange eine Steigerung der Anfangsspannung möglich ist, sei es durch Steigerung des Zastroms oder des Restvolums. In- ‚dessen wird die Grenze, innerhalb deren dies möglich ist, immer ‚enger, bis schliesslich ein Punkt erreicht wird, jenseits dessen eine Drucksteigerung unkompensierbar bleibt: das Schlagvolum „sinkt. Dieser Punkt, an dem eben noch das Schlagvolum gegen grössten "Widerstand ausgeworfen wird, bezeichnet das Maximum an: äusserer Arbeit bei diesem Schlagvolum. Jedes Überschreiten dieses Punktes führt zum Sinken des Schlag- ‘volums, zur Insuffizienz des Hersmuskels dem erhöhten Widerstand gegenüber. Trotzdem ist der Herzmuskel befähigt, noch höhere ‚Spannungen aufzubringen, wenn auch bei stets fallendem Schlagvolum, bis schliesslich der Grenzfall der isometrischen Zuckung erreicht ist, ‘bei dem kein Blut mehr den Ventrikel verlässt, die äussere Arbeit .also gleich Null ist. Auf der anderen Seite kann selbstverständlich auch die venöse Anfangsfüllung und damit das Schlagvolum nicht beliebig gesteigert Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 26 x 402 | Karl Kautsky: werden; sie finden schliesslich ihre natürliche Beschränkung in der anatomischen Kapazität des Ventrikels. Auch hier existiert eine Grenze, bei deren Überschreitung trotz steigender Anfangsfüllung das Schlaevolum abnimmt; ähnlich etwa wie eine gefüllte Gummiblase:- durch zunehmende Dehnung zu immer grösserer Arbeitsleistung be-- . fähigt wird bis zu dem Moment der Überdehnung, in dem die auf-- - gespeicherte potentielle Energie sinkt. Die Erhöhung der Anfangsfüllung führt natürlich zu einer: Dilatation des betreffenden Herzteils. Ist sie Folge er- höhten venösen Zuflusses, so wird die Dilatation, da sich ja das. Herz systolisch ebensoweit zusammenzieht wie früher, und das: Residualblutquantum unverändert bleibt, nur während der Diastole- sichtbar. Kämpft dagegen das Herz gegen erhöhten Widerstand, so steigt, auch bei unverändertem Schlagvolum, der Restblutgehalt. Wir könnten diese zweite, auch während der Systole bestehen bleibende: Dilatation des Herzens als „systolische“ der rein „diastolischen Dilatation“ gegenüberstellen. Wir haben in beiden Arten dieser Dilatation, als der Ursache gesteigerter Anfangsspannung, einen im Sinne der Erhaltung der Zirkulationsgrösse durchaus: zweckmässigen Vorgang zu erblicken. Sie ist also keineswegs ein. Zeichen einer Schwächung der Herzmuskulatur, sondern eine An- . passungserscheinung, die nach Aufhören der besonderen, sie hervor- rufenden Bedingungen wieder restlos verschwindet. Man spricht: daher von „akkommodativer“ oder, wie Moritz, von „tonogener“ Dilatation !). | = Bei chronischen Zuständen, wie bei Klappenfehlern, die dauernd einer abnormen Anfangsspannung benötigen, sehen wir die Dilatation ihre Aufgabe oft lange Zeit restlos erfüllen. Um so.besser noch, wenn gleichzeitige Hypertrophie die oben geschilderte Einengung der: Grenze, innerhalb deren das Schlagvolum bei wechselnden Widerstands-- drucken konstant bleibt, wieder erweitert, so dass durch Zunahme der absoluten Kraft der hypertrophische Herzteil seine alte Akkomodations-- breite wiedergewinnt. Stets aber ist die Dilatation das Primäre; die 1) Neben der Anfangsspannung als fundamentalem mechanischem Regu-- lator des Schlagvolums scheinen als physikalisch-chemischer Änderungen der Ca zu fungieren. Hier sei nur kurz auf die Arbeit von Jerusalem u. Starling (Journ. of Phys. Bd. 40. 1910) über die Einwirkung von CO, auf das Warmblüter-- herz und auf die Arbeiten von Carlson (Ergebn. d. Phys. Bd. 8. 1909) über die- Einwirkung von Säuren auf das Kaltblüterherz verwiesen. ae ln an an, a 7 ne u Be Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 403 Hypertrophie erscheint bedingt durch die als formativer Reiz wirkende Erhöhung der Anfangsspannung. Bei akuten, einmaligen Leistungen ist das Herz ganz auf die Vererösserung der Anfanesfüllung angewiesen, und ihre momentane Zunahme, sei es durch gesteigerten Zufluss, sei es durch Erhöhung des Residualblutes, erklärt die wunderbar anmutende Anpassungs- fähigkeit des Herzens an brüske Anforderungen. Indessen besteht hier doch die grosse Gefahr, dass die oben gezeichnete Grenze über- .schritten wird, bei der trotz maximaler Dilatation das Schlagvolum sinkt, dass es zu einer Überdehnung des betreffenden Herzabschnittes kommt. Im Tierexperiment können wir derartige Veränderungen leicht erzeugen, doch spielen sie sicher auch in der menschlichen Pathologie eine grosse Rolle. Bei gut arbeitenden Herzen kann die Dilatation nach Aufhören der übermässigen Beanspruchung unter Umständen restlos zurückgehen, oft sieht man aber doch, dass das . Herzvolum abnorm gross bleibt, dass nunmehr jedoch die Vermehrung der Anfangsfüllung nicht mehr mit einer gesteigerten Anfangsspannung Hand in Hand geht [(vgl..Straub))]. Es ist klar, dass bei einem primär muskelkranken Herzen der Moment der übermässigen Dilatation leichter eintritt. Moritz be- zeichnet daher diese nicht mit einer gesteigerten Anfangsspannung einhergehende, von einem Versagen der Muskulatur herrührende Dilatation, die sog. Stauungsdilatation, als „myogen“ im Gegensatz zu der oben erwähnten zweckmässigen „tonogenen“. Uns würden, da die vermehrte oder verminderte Anfangsspannung das ausschlag- gebende Kriterium darstellt, und da_oft eine Muskelerkrankung gar nicht nachweisbar ist, die Namen „pleotonisch“ und „meiotonisch“ als zweckmässiger erscheinen. Wenn aber auch Herzmuskelerkrankungen in erster Linie zu meiotonischer Dilatation disponieren, so müssen wir doch mit aller _ Entschiedenheit daran festhalten, dass, wie das Tierexperiment sicher lehrt, auch der anatomisch intakte Herzmuskel lediglich durch über- mässige Beanspruchung versagen, ja irreparabel dilatiert werden kann. Wir wissen ja vor allem von Aschoff und Tawara°), „dass für die überwiegende Zahl aller Herzklappenfehler die Herzschwäche nicht durch den Umfang der anatomischen Läsionen in 1) H. Straub, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 121 S. 408. 1917. 2) Aschoff u. Tawara, Grundlagen der Herzschwäche S. 72. Jena 1906. 26 * 404 Karl Kautsky: irgendeinem beachtenswerten Umfange erklärt werden kann“. Wir müssen die wesentliche Ursache der Herzschwäche „in einer funktionellen Schädigung erblicken, bedingt durch die zunehmende Steigerung der Anforderungen, für welche die Quellen sowohl am Klappenapparate’ des Herzens als ausserhalb des Herzens in reichstem Maasse zu finden sind“. Für gewöhnlich gibt man sich mit einer leichthin angenommenen toxischen Schädigung des Myokards zufrieden in Fällen von Herz- dilatation, wo ein Grund für diese weder anatomisch nachweisbar, noch in einer arteriellen Blutdrucksteigerung zu finden ist, so bei Fiebernden und Anämischen. Man bedenkt nicht, dass eine Herzdilatation auch vom venösen Kreislauf her möelich ‚ist, dass jede durch Stoffwechseländerungen erzeugte Stromvolum- erhöhung notwendigerweise zu einer Erweiterung der Ventrikel führen muss, die eben bei einem Übermaass zugeführten Blutes schliesslich meiotonisch werden kann [s. u. S. 420 Stolnikow’s Versuch]. Wichtig erscheint auch die experimentelle Feststellung, dass Er- müdung des Herzmuskels zu übermässiger Dilatation disponiert bei Leistungen, die der frische Muskel zu vollbringen imstande ist [(Bruns!)]. Dieser Faktor käme vor allem dann in Frage, wenn einem an der oberen Grenze seiner Akkomodationsbreite arbeitenden Herzen plötzlich eine grosse Arbeit aufgeladen würde, wie etwa der Partus bei einem in der Gravidität eben noch kompensierten Vitium. Schliesslich können auch bei einem Herzteil, der ein starkes Hindernis nur durch dauernde Erhöhung der Anfangsfüllung zu über- winden imstande ist, durch die stete starke Dehnung anatomische . Veränderungen der Herzwand sekundär erzeugt werden, die ihrerseits wiederum die Nachgiebigkeit_ verstärken und die zweckmässige pleo- tonische in die meiotonische, Dilatation überführen (Myofibrose der überdehnten Vorhöfe bei Mitralstenosen mit Arrhythmia perpetua). — Es fragt sich nun, welcher Faktor von beiden, der venöse Zufluss oder der arterielle Widerstand, im Organisınus normaler- weise eine grössere Rolle spielt, oder ob beide gleich einzuschätzen sind. Nach Straub’s Untersuchungen wäre für die Dynamik der beiden Herzhälften vor allem der jeweils angrenzende Teil des grossen Kreislaufs maassgebend, für den linken Ventrikel das Aortensystem mit seinem Widerstand, für den rechten das Venensystem und der 1) Bruns, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 113. 1914. IE REIIT IR ES en Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 405 venöse Zufluss. Wir hatten uns eigentlich rur die Aufgabe gestellt, den Einfluss des venösen Zustroms auf das Herz zu untersuchen. Trotzdem wollen wir hier gleich hervorheben, was wir weiter unten noch ausführlich belegen werden, dass uns Änderungen des arteriellen Widerstandes von uneleich geringerer Bedeutung zu sein scheinen als solche des venösen Zuflusses. Sehr im Gegensatz zur land- läufigen Meinung, die den arteriellen Blutdruck bisher bei allen Kreislauffragen viel zu sehr in den Vordergrund geschoben hat, wenn auch aus leicht erklärlichen technischen Gründen, da er der klinischen Untersuchung leicht, die Grösse des venösen Zuflusses und damit die Zirkulationsgrösse dagegen bisher kaum zugänglich gewesen ist. Der venöse Zufluss stellt die Verbindung der arbeitenden Organe mit dem Herzen her; und nicht umsonst scheint uns der Anfang des Reizleitungssystems am Herzen nicht an der Aortenmündung, sondern am Hohivenensinus zu liegen, ein Beweis, dass von hier aus die verschiedenen dynamischen Koeffizienten des Herzens regu- liert werden. Bei der Betrachtung des venösen Zuflusses sind vor allem Krogh’s!) und Straub’s 2) Arbeiten von grosser Bedeutung, denen wir uns im folgenden anschliessen. Für gewöhnlich ist beim ruhenden Menschen oder Tier die Füllung des Ventrikels keine maximale, seinem anatomischen Fassungs- vermögen „adäquate“. Bei kleinem venösen Zufluss füllt sich der Vorhof gleichmässig während der ganzen Diastole; der Druckunterschied zwischen Venensystem und Vorhof bleibt dauernd fast konstant, da ebensoviel wie in den Vorhof zufliesst, während der ganzen Zeit in den erschlaffenden Ventrikel abfliesst. Da der Ventrikel am Ende der Vorhofsdiastole noch nicht maximal gefüllt ist, so wird die Atriumsystole noch eine beträchtliche Menge Blut in den Ventrikel pressen können, während sie kein Blut in die Venen zurücktreibt. Das Stromvolum ist in diesem Falle der inadäquaten Füllung nur vom venösen Zufluss abhängig, während Änderungen der Schlag- fregquenz kaum einen Einfluss haben. ‘Denn je höher die Pulszahl, um so kürzer die Füllungszeit, um so kleiner das Schlagvolum. Das Produkt aus Schlagvolum und Frequenz, das Stromvolum, bleibt fast konstant. 1) Krogh, Skand. Arch. Bd. 27 S. 126 u. S. 227. 1912. 2) Straub, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 116. 1914 u. Bd. 121. 1917. 406 Karl Kautsky: Anders dagegen bei grossem venösen Zufluss, wie wir ihn bei allen Zuständen von gesteigerter Zirkulationsgrösse finden. Hier stürzt das Blut unter hohem Druck in Vorhof und Ventrikel, die Kammer wird schon in dem allerersten Teil der Diastole maximal gefüllt,. das Gefälle zwischen ihr und den Venen hört auf und damit auch der Zufluss in den Ventrikel. Die Vorhofssystole kann in den maximal gefüllten Ventrikel kein Blut mehr pumpen, so dass in der Volumkurve des Ventrikels bei adäquater Füllung die Vorhofssystole nicht als distinkte Zacke auftritt. Dafür ergiesst das Atrium sein Blut in die klappenlosen grossen Venen: ein aurikulärer, atrium- - systolischer Venenpuls tritt auf. Ist der Ventrikel schon zu Beginn der Diastole gefüllt, so wird eine Verkürzung der Diastole der Füllung keinen Abbruch tun. Es wird also bei adäquater Füllung des Ventrikels möglich sein, das Stromvolum durch eine Erhöhung der Frequenz noch zu steigern. Natürlich darf die Steigerung’ der Pulszahl nicht so weit gehen, dass die kurze Füllungsperiode beeinträchtigt wird. Wir sind also an ein bestimmtes Optimum der Schlagzahl gebunden, die das mögliche Maximum des Stromvolums gewährleistet. Die Folgen erhöhten venösen Zuflusses für das Herz sind, noch- mals kurz zusammengefasst, folgende: es kommt zur diastolischen Dilatation des Herzens; diese führt zu einer Steigerung der Anfangs- spannung und befähigt dadurch das Herz zu erhöhter Arbeitsleistung, zur Förderung eines grösseren Schlagvolums. Der diastolische Mini- mal- und noch mehr der systolische Maximaldruck im Herzen nehmen zu. Solange der Herzmuskel suffizient und der Entleerungswiderstand unverändert bleibt, solange zieht sich das Herz systolisch ebensoweit zusammen wie vorher: es handelt sich also um eine diastolische pleotonische Herzdilatation. Diese kann natürlich klinisch nachgewiesen werden, wenn sie bedeutend genug ist. Nebenher haben wir noch manche andere Symptome, die wir, ganz im Sinne unserer Ausführungen über den venösen Rückfluss zum Herzen, zur Feststellung eines gesteigerten Venenstroms, wenn auch mit Vorsicht, verwerten können; vor allem kommen hier in Betracht der präsystolische (aurikuläre oder negative) Venenpuls und die Tachykardie. Ersterer ist ein ziemlich eindeutiges, letztere ein sehr vieldeutiges Symptom. Dass der aurikuläre Venenpuls tatsächlich die ihm von uns zu- geschriebene Bedeutung hat, Indikator einer adäquaten Ventrikel- E | E $ ni E “ E Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 407° “füllung zu sein, geht aus klinischen Beobachtungen, vor allem von Mackenzie, hervor. Wie er auf S.110 seines Lehrbuches schreibt !), ist ihm eine Verstärkung des physiologischen Venenpulses nicht nur 'bei dekompensierten Vitien mit Arrhythmie und Stauung, sondern wor allem auch bei schweren Anämien und bei einer grossen Reihe ‘von Graviden aufgefallen. Freilich fügt er hinzu, dass er sich das ‘individuell wechselnde Zustandekommen oder Ausbleiben der ver- ‚stärkten Venenpulsation nicht erklären könne. Doch wissen wir ja ‘von Krogh und Lindhard?), welchen Schwankungen die Zirku- Jlationsgrösse, selbst des Ruhenden, ausgesetzt ist. Wir haben das Phänomen ausser bei schwereren Anämien vor ‚allem bei Hochfiebernden, bei Schwangeren, insbesondere bei hyper- “tonischen, bei Urämien gesehen, also stets bei Fällen, bei denen ‘wir — als Folge einer Azidose — eine Steigerung des Stromvolums annehmen mussten. Krogh’s auf Tierversuche und theoretische Schlussfolgerungen aufgebauter Gedankengang findet -damit durch die Klinik seine Bestätigung, gibt uns aber auf der ‚anderen Seite wieder die Sicherheit, dass die von uns postulierte ‚Steigerung der Zirkulationsgrösse in der Gravidität wirklich besteht. Dass das Auftreten des Venenpulses bei dekompensierten Herz- kranken natürlich nicht auf eine Erhöhung des Stromvolums hin- ‘weist, brauchen wir wohl nicht zu betonen. Denn eigentlich ist er ‚ja nur das Zeichen der adäquaten Füllung des Ventrikels, und wir haben eben gesehen, dass beim versagenden Herzen die Füllung sogar übermässig sein kann. Aber suffiziente Zirkulation voraus- gesetzt, findet sich eine adäquate Füllung des Ventrikels eben nur bei Erhöhung des Stromvolums. : Das andere Symptom, die Tachykardie, finden wir in diesem Zusammenhange nur, wenn eine noch stärkere Erhöhung: der Zirku- Jationsgrösse eintreten soll, als der Maximalkapazität des Ventrikels ‘bei langsamer Schlagzahl entspricht. Das isolierte Herz wirft bis ‚zur Grenze seiner Kapazität alles Blut, das es von den Venen her erhält, ohne Frequenzänderung aus [Knowlton und Star- ling?)]. So enorme Minutenvolumina jedoch, wie sie etwa Kroch und Lindhard bei schwerster Muskelarbeit finden, sind ohne starke 1) Mackenzie, Lehrbuch der Herzkrankheiten. Deutsche Übersetzung. ‚Berlin 1910. 2) Krogh u. Lindhard, l.c. -3) Knowlton u. Starling, Journ. of Phys. vol. 44. 1912. % 408 Karl Kautsky: « Steigerung der Pulsfrequenz natürlich gar nicht denkbar. Bei einem Minutenvolum von 211 und einer Pulsfrequenz von etwa 160 be- rechnet sich das Einzelschlagvolum auf etwa 125 cm; diesem Wert dürfte wohl die grösste anatomische Fassungskraft des Ventrikels. entsprechen, während wir das Ruheschlagvolum auf etwa 60 ccm 'veranschlagen. Die Tachykardie ist indes ein individuell sehr wechselndes. Symptom, die von mannigfachen anderen Faktoren (Temperatur, Psyche usw.) beeinflusst wird. Kraus!) bezeichnet es als charakte- ristisch für den Gesunden, Kräftisen, Geübten, dass er sein Strom- volum vor allem durch Steigerung des Einzelschlagvolums erhöht, im Gegensatz zum Schwachen und Ungeübten, der rascher zur Puls- frequenzerhöhung greift, vielleicht noch lange bevor er die oberste: Kapazitätsgrenze seines Ventrikels erreicht hat. Bei Herzkranken mit meiotonischer Dilatation, also mit über- srosser Anfangsfüllung und verminderter Entleerung des Ventrikels, ist Erhöhung der Pulsfrequenz oft das einzige Mittel, um die- sinkende Zirkulationsgrösse aufrechtzuerhalten. So sehen wir oft der völligen Dekompensation ein Stadium der Tachykardie vor- ausgehen. Alles in allem kann man vielleicht sagen, dass wenigstens die Neigung zu Tachykardie allen azidotischen Prozessen eignet, dass. die Erhöhung der Pulsfrequenz aber nicht unbedingt zur Diagnose: des gesteigerten Stromvolums gehört. Noch ein drittes klinisches Symptom möge in diesem Zusammen- hange Erwähnung finden, nämlich die Verstärkung des zweiten. Pulmonaltons. Wir sind gewohnt, in ihr ein Zeichen erhöhten Widerstandes im kleinen Kreislauf zu sehen, ausgehend von der Er- fahrung, dass bei allen möglichen Zuständen, die zu einer Mehr- belastung des rechten Ventrikels, zu seiner Dilatation und Hyper- trophie führen, wie bei Mitralfehlern, chronischen Eungenerkrankungen (Emphysem usw.), Kyphoskoliosen eine Akzentuation des zweiten Pulmonaltons auftritt. Wie sollen wir aber seine so häufige Verstärkung etwa bei Anämien oder im Fieber erklären? Tritt ein systolisches Geräusch hinzu, so wird in der Regel einfach die Diagnose „relative Mitral- 1) Kraus, Ermüdung als Maass der Konstitution. Bibl. med. Bd.I. 1897. Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs.. 40% insuffizienz“ gestellt, aus ihr eine vermehrte Belastung der Lungen- bahn abgeleitet uud damit die Akzentuation als eindeutig erklärt angenommen. Wir müssen offen gestehen, dass uns diese so leichthin diagnosti- zierten Mitralinsuffizienzen stets verdächtig erschienen sind. Denn wir haben einerseits bei einer Reihe echter, auch röntgenoloeisch festgestellter und durch den weiteren klinischen Verlauf bestätigter- Mitralinsuffizienzen die Akzentuation des zweiten Pulmonaltons ver- misst, auf der anderen Seite aber bei diesen anämischen Herzen nie die für Mitralfehler typischen Vorhofsveränderungen im Röntgen- bilde gesehen, die bei jenen echten, wenn auch leichten Vitien. deutlich ausgeprägt sind. Es ist uns auch immer merkwürdig erschienen, dass diese zahl-- losen Mitralinsuffizienzen nie mit Trikuspidalinsuffizienzen vergesell- schaftet sind. Man sollte doch annehmen, dass der um so viel schwächere rechte Ventrikel unter dem Einfluss derselben myocard- schädigenden Noxe weit eher dilatiert sein müsste als der muskel- starke linke; doch haben wir in solchen Fällen positiven Venenpuls oder Leberpuls niemals angetroffen. Ja, wir haben diese beiden Symptome der Trikuspidalinsuffizienz ebenso wie auch ein systo- lisches „Insuffizienz“-Geräusch selbst bei röntgenologisch sicher ge- stellter sehr starker, überwiegender Dilatation des rechten Ventrikels. vermisst, wie wir sie zum Beispiel bei Osteomalazie beobachten konnten. Im Tierexperiment sehen wir Insuffizientwerden der Mitralis nur bei Dilatation allerstärksten Grades bei den höchsten Über- lastungsdrucken, wie sie intra vitam, wenn überhaupt, so sicher nur- ganz ausnahmsweise vorkommen. R Eine andere Frage ist, ob denn ein Hindernis von diesem ge- ringen Umfange, wie es so eine relative Mitralinsuffizienz darstellen- würde, überhaupt zu einer Drucksteigerungin der Pul- monalis führt, die sich uns durch die Akzentuierung des zweiten Pulmonaltons zu erkennen gäbe. Wir müssen uns also vor allem darüber klar werden, von welchen Faktoren der Druck in der Pul- monalis abhängt. i Schon lange ist die Tatsache bekannt, dass im Experiment die- Ausschaltung selbst grosser Lungengefässgebiete nicht zu einer Druck- erhöhung in der Pulmonalis führt. Schon 1876 hat Lichtheim diese Beobachtung gemacht, und sie ist oft genug bestätigt worden. In Straub’s Experimenten über die Dynamik des Säugetierherzens- 410 Fer eRautsky: treffen wir sie wieder [Straubt)]: Abklemmung der ganzen linken Arteria pulmonalis, der linken Lungenwurzel oder sämtlicher. linker Lungenvenen bei ihrem Eintritt in den linken Vorhof führen zu keiner irgendwie nennenswerten Änderung des Druckablaufs im rechten Herzen. Auch ein Aufblasen der Lunge von der Trachea aus, das einen erheblichen Druck auf die Lungenkapillaren ausübt, erzeugt darin keine Änderung, ebensowenig eine Erhöhung des Aortenwiderstandes, die -zu starker Dilatation des linken Ventrikels führt. Nur bei Stenosierung des Hauptstammes der Pulmonalis selbst kommt es zu erheblicher Zunahme des Rest- blutgehaltes, entsprechend. zu Vermehrung des diastolischen Minimal- und starker Steigerung des systolischen Maximaldruckes im rechten Ventrikel. = Normalerweise jedoch hänst „die absolute Höhe des Pul- monalisdrucks wesentlich von der Höhe des venösen Zuflusses ab. Mit wechselndem Zufluss erhöht sich der diastolische und noch mehr der systolische Pul- monalisdruck, die Pulsamplitude wächst“ [Straub?)]. Also nieht Erhöhung des Widerstandes, sondern Erhöhung des venösen Zuflusses führt unter physiologischen Verhältnissen in der Pulmonalis zur Drucksteigerung. Daraus folgt ganz eindeutig, dass ‘wir aus einer. Akzentuation des zweiten Pulmonaltons nicht so ohne weiteres auf Vermehrung der Widerstände in der Lungengefässbahn ‚schliessen dürfen, sondern a priori eigentlich nur auf eine Erhöhung des Schlagvolums der rechten — und damit natürlich auch der linken — Kammer. Der Grund, warum es oft nur zu einer Verstärkung des zweiten Pulmonal- und nicht auch des zweiten Aortentons kommt, liegt darin, dass, wie auch Experimente von Wiesel?°) lehren, die dünnere Wand der Pulmonalis weit eher und stärker in Schwingungen gerät als die kräftige Aortenwand und infolgedessen der durch ihre Schwingungen erzeugte zweite Ton viel leichter einen klappenden oder gar klingenden Charakter erhält als der zweite Aortenton. Auch ist naturgemäss bei’den von vornherein in der Aorta herrschen- den höheren Minimalspannungen der relative Spannungszuwachs 1) Straub, Deutsch. Arch. f. klin, Med. Bd. 116 S.429 ff. 1914. 2) Straub, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 116 S. 435. 1914. - 3) Wiesel, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 102. 1911. s alas ann ia Saas u a A ra Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 411 nicht so bedeutend wie in der Pulmonalis, dementsprechend auch nicht die von der Wandspannung abhängige Stärke des Klappentons. Das systolische Geräusch über Herzspitze und Pulmonalis fassen wir wie das Nonnensausen über den grossen Venen mit Sahli als Zeichen beschleunigter Blutströmung und damit als wichtiges klinisches Symptom erhöhten Stromvolums auf. Sein Vorkommen bei Anämien und im Fieber, bei Gravidität und Hypertonien ent- ‚spricht dem durchaus. ‘II. Die Dynamik des extrakardialen Kreislaufs. 1. Der Lungenkreislauf. Im vorigen Abschnitt ist uns die rätselhafte Tatsache aufgefallen, ‚dass Ausschaltung selbst ausgedehnter Partien der Lungengefässbahn nieht zur Druckerhöhung in der Pulmonalis führt. Wenn man die herrschende Anschauung annimmt, dass die tonische Einstellung der 'Gefässe auf eine bestimmte Weite den Widerstandsdruck reguliere und die Gefässe wie elastische Schläuche der Fortleitung des Blutes dienen, wenn man also den Gefässen eine mechanisch eindeutige Funktion zuschreibt, so ist uns diese Tatsache unerklärlich. Da jede Rückstauung im rechten Herzen ausbleibt, da der Druck in der Pulmonalis sich nicht ändert, so folgt, dass bei gleich- bleibendem venösem Zufluss dasselbe Stromvolum wie bisher die Lunge passieren muss. Wäre nun nur die Gefässweite das Ent- scheidende bei der Regulierung des Blutstroms, so müsste sich bei einer Ausschaltung von drei Vierteln der Lungengefässbahn der über- bleibende Teil um das Vierfache erweitern, um den viermal .so grossen Blutstrom ohne Widerstandsänderung durchzulassen; so müsste sich also der eine übrig bleibende Lungenlappen etwa- auf das Volum der Gesamtlunge ausdehnen. Nun kann davon in den Experimenten gar keine Rede sein; selbst wenn man annimmt, dass ‚der gesamte alveolare Luftraum durch erweiterte Kapillaren aus- gefüllt würde, wäre diese Erweiterung des Strombetts: nicht aus- reichend. Zudem hat Straub nach Aufblasen der Lunge von der Trachea her, wobei die Kapillaren stark zusammengequetscht werden, den Pulmonaldruck unverändert gefunden. Da ausserdem Straub und andere Autoren bei ihren Versuchen mit eröffnetem ‚Thorax und konstantem Insufflationsdruck gearbeitet haben, so fällt infolge Aufhebung des Don.ders’schen Unterdrucks die Möglichkeit einer aktiven kompensatorischen Erweiterung der 412 Karl Kautsky: nicht unterbundenen Lunge, eine Erhöhung ihrer Mittellage voll- ständig fort. Die bisherige, auch in die Lehrbücher übergegangene Annahme, die Druckkonstanz in der Pulmonalis erkläre sich durch die STOSSe kompensatorische Dehnbarkeit der Lungengefässe, steht also auf sehr schwachen Füssen. Bei konstantem Stromvolum und starker Einengung der Gefäss- bahn muss die Stromgeschwindigkeit stark zunehmen. Da nun der Druck in der Pulmonalis und im linken Vorhof, damit also das Druckgefälle in der Lungenbahn gleichbleibt, so muss irgendeine neue Kraft auftreten, die die Strombeschleunigung erzeust. Da Verengerung der Arteria pulmonalis selbst zu Stauung im rechten Herzen führt, so folgt daraus, dass ein Teil des Lungen- kapillargebietes, vielleicht auch der dazugehörigen Arterien und Venen, erhalten sein muss, soll die Strombeschleunigung auf- treten und die Drucksteigerung ausbleiben. Daraus müssen wir ganz logischerweise den Schluss ziehen, dass es das Gefäss- system’der Lunge selbst ist, das der Fortbewegung des Blutes unabhängig von der Herzkraft dient. Und zwar hat es einerseits die Fähigkeit, den arteriellen Widerstands- druck zu erniedrigen, da es die unter rein mechanischen Ver- hältnissen sicher zu erwartende Drucksteigerung im rechten Herzen nicht aufkommen lässt, andererseits dient es der venösen Füllung, indem es dem linken Vorhof das volle Stromvolum zu- führt, das unter rein mechanischen Verhältnissen sicher sinken würde. Wir haben damit in nuce schon das Prinzip des extracardialen Kreislaufbetriebs kennengelernt; bevor wir aber untersuchen, ob dieselben Gesetze auch für den grossen Kreislauf Geltung haben, wollen wir das Bild für den kleinen noch klarer abrunden. Wir haben schon oben angeführt, dass im allgemeinen aus einer Verstärkung des zweiten Pulmonaltons auf eine Erhöhung des Wider- standsdruckes in der Lungenbahn geschlossen wird, dass diese An- sicht aber generaliter sicher falsch ist. Und doch spricht nicht nur lange klinische Erfahrung, sondern auch der anatomische Befund einer Hypertrophie des rechten Ventrikels bei Prozessen, die sicher nicht mit einer Erhöhung des Stromvolums und dadurch vermehrten Anfangsspannung in der rechten Kammer einhergehen, durchaus da- für, dass intra vitam eine Widerstandsvermehrung bestanden hat. : Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 413 Werfen diese am Menschen gewonnenen Erfahrungen nicht die schönsten Tierversuche, die uns den fehlenden Widerstand der Lungenbahn demonstrieren, über den Haufen? Sehen wir uns einmal diese fraglichen Zustände genauer an. Es handelt sich in erster Linie um Mitralstenosen, auch solche mit langer ausreichender Kompensation, um Mitralinsuffizienzen mit chronisch fehlender Kompensation durch den linken Ventrikel, also kombiniert mit schweren Myocardprozessen, um Emphyseme höheren Grades, um chronische, schrumpfende Lungenprozesse, um schwere Kypho- skoliosen und dann noch um seltenere Affektionen, wie Missbildungen des Herzens, die wir nicht weiter zu besprechen brauchen. Was ist das Moment, das in diesen Fällen doch zu einer Mehr- belastung des rechten Herzens führt? Ist unsere Ansicht von der Rolle des peripheren Gefässsystems richtig, so muss irgendeine Affektion die Lungengefässe verhindern, die ihnen zugeschriebene Funktion, der Fortbewegung des Blutes aktiv zu dienen, auszuüben. Und diese Affektion existiert tatsächlich: bei all den oben- genannten Zuständen mit Hypertrophie des rechten Ventrikels finden wir eine ausgedehnte Sklerose der Pulmonalgefässe, nicht nur-der Arterien, sondern auch der Venen [Ljungdahl!)]. Die . Sklerose ist nach unserer Anschauung der anatomische Ausdruck für eine tiefgehende Störung der selbständigen Funktion der Ge- fässe, und wir werden weiter unten, bei der Besprechung derselben Veränderungen im- grossen Kreislauf, auf sie zurückkommen. Vorläufig genügt uns die Feststellung, dass das periphere Ge- fässsystem imstande ist, selbständig in der Richtung des Kreislaufs zu wirken, und zwar druckerniedrigend in den Arterien, druck- erhöhend in den Venen. Das bedeutet für die Dynamik des Herzens Vermehrung der Anfangsspannung, Verminderung des Widerstandes; also beides Veränderungen, die das Herz für das Auswerfen eines bestimmten Schlagvolums unter möglichst günstige Bedingungen bringen. 2. Der Venenstrom. Schon dieses eine Beispiel, mit dem wir. die Behandlung des extrakardialen Kreislaufs eröffnet haben, hat uns in schärfsten Widerspruch mit der heute gelehrten Theorie der Hämodynamik ge- bracht. Diese fasst als einzigen Motor das Herz auf, während die 1) Ljungdahl, Arteriosklerose des kleinen Kreislaufs. Wiesbaden 1916. 414 Kae) Remeialssr: Blutgefässe, wie schon gesagt, nur passive Leitungsbahnen darstellen: . und allerhöchstens durch tonische Kontraktion der Blutverteilung- dienen; die Regulation des Blutstroms zu den einzelnen Organen und im ganzen wird durch statische Veränderungen der Gefässweite- besorgt. ; Nun mehren sich in neuester Zeit die Stimmen, die diese: mechanische Theorie als unbefriedigend ablehnen, da sie einer Reihe: physiologischer und vor allem pathologischer Erscheinungen nicht. gerecht wird. An ihre Stelle soll, anknüpfend an zum Teil schon recht alte Anschauungen, eine neue Theorie treten, die mit einer aktiven Mitarbeit der Gefässe am Blutstrom als einem wichtigen, vielleicht unersetzlichen, lebensnotwendigen Faktor rechnet, und zwar nicht mehr nur im Sinne des alten Gefässtonus, sondern einer aktiven, rhythmischen Tätigkeit des peripheren Gefässsystems. Von: Klinikern, wie Rosenbach, Bier, Hasebroek!) inauguriert,. sind neuerdings auch namhafte Physiologen, wie Grützner°), Mares?) für diese Theorie eingetreten, während sie bei der Mehr- zahl der Physiologen und kliniker eine scharfe Ablehnung erfährt. .[vgl. zum Beispiel Hess*), Huerthle?°), F.v. Müller®)]. Wir wollen im folgenden einige Beispiele aus dem grossen Kreis-. lauf anführen, die, so einfach sie sind, uns nach der alten mechanischen: _ Theorie unerklärlich scheinen. Zweckmässigerweise beginnen wir mit der Besprechung des venösen Rückflusses zum Herzen; der Venenstrom bietet übersichtlichere Verhältnisse, da die vom. Herzen stammende arterielle Pulswelle hier, in der Peripherie weniestens, fortfällt, die zu mancherlei Verwirrung Anlass ge- geben hat. Nach der bisherigen Anschauung musste das Herz das Blut bis. in die Venen treiben. Es müsste also logischerweise nach Unter- brechung der kardio-arteriellen Bahn zu einem Druckausgleich im. Blutgefässsystem und damit zum Aufhören der Strömung kommen. Tatsächlich finden wir jedoch, dass es eine Förderung des Blutes. 1) Hasebroek, Extrakardialer Kreislauf. Jena 1914. 2) Grützner, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 89. 1906. 3) MareS, Pflüger’s Arch. Bd. 165. 1916. 4) Hess, Pflüger’s Arch. Bd. 163. 1916. 5) Huerthle, Deutsche med. Wochenschr. 1917. 6) Fr. v. Müller, Bezeichnung und Begriffsbestimmung auf dem Gebiete: der Nierenkrankheiten. Veröffentl. aus d. Militärsanitätswesen. Berlin 1917. u ne En a a a ta U 2 Ar Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 415: . aus den Kapillaren durch die Venen zum Herzen gibt, die von der Herztätigkeit unabhängig ist. „Wie mächtig diese Förderung sein kann, das zeigt ein schon von Harvey angestellter und seit- dem vergessener Versuch. Wird bei einem Frosche das Herz, ohne Blutverlust, entblösst und der Truncus arteriosus unterbunden, - so füllt sich das Herz allmählich prall mit Blut, das herauszutreiben es sich vergeblich durch ‘immer häufigere Systolen anstrengt. Trotz des im Herzen immer mehr ansteigenden Druckes füllt es sich immer mehr, bis es gleichsam zu bersten droht. Mit solcher Gewalt wird das Blut in das Herz hineingepresst. Eine ebensolche Überfüllung des Herzens mit Blut kommt zustande, wenn man den Frosch in eine Kohlensäureatmosphäre bringt. Da schwächen sich die Herz- systolen allmählich ab, bis sie ganz aufhören. Das Herz füllt sich aber immer mehr mit schwarzem Blut, so dass der Körper nahezu in sein Herz’ verblutet. Das sauerstofflose und mit Kohlensäure be- ladene Blut wird also mächtig von ‘den Kapillaren und Venen zum Herzen getrieben“ [MareS!)]. Wir sehen hier also, dass gegenüber dem stetig steigenden diastolischen Minimaldruck und trotz völligem Ausfall der Herzkraft als Vis a tergo eine unbekannte, aber mächtige Kraft das Blut durch” die Venen zum"Herzen treibt. Die Bewegung findet erst ihr Ende,, wenn der Peripherie das Schöpfmaterial ausgeht, da ja aus dem Herzen nichts mehr in den Kreislauf gelangt. Auch beim Warmblüter hat das Gefässsystem die Fähigkeit zu einer derartig im Sinne des Kreislaufs gerichteten Aktion. So findet Straub?) nach Abschnürung der Aortenwurzel bei der Katze ein rasches Ansteigen der Herzfüllung, die das Herz zu hohen iso-- metrischen Spannungen befähigt. Besonders hervorzuheben ist, dass diese Zunahme der Anfangsfüllung gegen- über einem stetig steigenden diastolischen Druck stattfindet, der von 10 bis auf 24 mm Hg anwächst. Wie schon’ gesagt, hat das Herz nach der alten Theorie die Aufgabe, das Blut durch die gesamte Zirkulation wieder zum Herzen zurückzuführen, und ist dabei, bis auf akzessorische Hilfskräfte, die für den Kreislauf durchaus nicht lebensnotwendig sind (Donders- scher Druck, Muskelpumpe), ganz auf seine eigene Kraft angewiesen.. 1) MareS, l.c. 8.175. Harvey bat den Versuch an einer Schlange an-- gestellt (Schluss des zehnten Kapitels seiner Abhandlung über den Blutkreislauf).- 2) Straub, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 115 S. 60. 1914. A416 Karl Kautsky: Lässt nun die Herzkraft nach, nehmen wir an, wegen primärer Myokarderkrankung, so sänke damit auch die Vis a tergo, die das Blut ins Herz zurückführt. Nun ist die echte Herzinsuffizienz mit einer Verkleinerung des Stromvolums verknüpft; dieses kann jedoch unter ein gewisses, absolut lebensnotwendiges Minimum nicht herunter- ‚gehen, so dass ein bestimmtes Maass unter allen Umständen gefördert werden muss, soll das Leben erhalten bleiben. Nach dem, was wir oben gesagt haben, ist das geschwächte Herz aber nur imstande, ein einigermaassen normales Stromvolum bei gleichbleibendem Widerstande auszuwerfen, wenn es seine An- fangsfüllung und damit auch seine Anfangsspannung erhöht. Nach ‚der bisherigen Anschauung hätte sich das Herz selbst schon normaler- weise durch das ganze Gefässsystem hindurch seine eigene Anfangs- spannung zu erteilen; dieses Postulat ist vielen Autoren, wohl rein :gefühlsmässig, als so unwahrscheinlich erschienen, dass sie die Lehre von der „aktiven diastolischen Ansaugung“ erfunden haben. Nun wissen wir aber einwandfrei aus Straub’s!) und de Heer’s?) Untersuchungen, dass der erschlaffende Ventrikel nicht ansaugt, sondern von dem unter Druck ausden Venen einströmen- denBlute gedehnt wird. Auch die angeführten Tierversuche an Fröschen und Katzen haben gezeigt, dass das Herz trotz ständig zu- nehmendem diastolischen Druck gefüllt werden kann. Nach der alten Anschauung kann dieser Druck nur die Folge der. Herzkraft selbst sein; damit erscheint aber die absurde -Forde- rung gestellt, dass das kranke Herz kräftiger arbeiten muss als das normale, nur um sich selbst eine höhere Anfangsspannung zu er- teilen, die es notwendig hat, weil es schwächer ist als in der Norm. Dass das geschwächte Herz tatsächlich unter höherem Druck gefüllt wird und damit eine höhere Anfangsspannung erteilt be- kommt, steht fest: bei Dekompensation ist der Venen- druck erhöht [Moritz und Tabora°)|. Diese immer wieder festgestellte Tatsache ist nach der heute herrschenden Theorie eigent- lich unerklärlich. Denn eine rein passive Rückstauung infolge unvollkommener Aufnahme und Weitergabe des Blutes durch das Herz kann in einem geschlossenen System bei konstanter Blutmenge nicht wohl zu Druck- "Hr Straub, Pflüger’s Arch Ba443 S 85.10. 2) de Heer, |.c. i 3) Moritz u. Tabora, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 98. 1910. Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 417 «erhöhung vor dem Herzen führen, wenn das Herz der alleinige Motor ist. Nimmt die als einzig wirksam supponierte Vis a tergo, die Herzkraft, ab, so kommt es eben zu Druckabnahme im ganzen System, zu Stromverlangsamung und schliesslich zum Stillstand, nie aber zu einer Drucksteigerung, die logischerweise die Einführung einer neuen Kraft erfordert. Unseres Erachtens sprechen auch die anatomischen Veränderungen an den Stauungsorganen, etwa an der Leber, dafür, dass ein ge- waltiger Druck im Venensystem herrschen muss, wie er als rein passive Stauungsfolge nicht auftreten könnte. Das Blut wird aktiv von hinten her mit Gewalt ins Venensystem gepresst, doch vor ihm sitzt das Hindernis im Herzen, sei es als Klappenfehler oder als muskuläre Insuffizienz: irgendwohin muss sich das Blut einen Weg bahnen, es sucht seine Bande zu sprengen und presst die nach- giebigen Zellen der parenchymatösen Organe zusammen. Aber diese ‘von rückwärts her wirkende Kraft kann nie und nimmer allein das ‚schwache Herz sein. Wenn es im Lungenkreislauf bei einer Mitralstenose zu einer gewaltigen Druckerhöhung kommt, die zwar zu den schweren Organ- veränderungen der Stauungslunge führt, aber doch die Zirkulation ‚als Ganzes aufrechterhält, so wird für gewöhnlich diese Druck- ‚steigerung nicht als passive Rückstauungsfolge vor dem Hindernis ‚angesehen, sondern sie gilt als Werk des hypertrophischen rechten Ventrikels. Wenn aber bei versagendem rechten Ventrikel die Zirkulation trotzdem erhalten bleibt, so wird schweigend die Tat- ‚sache des gesteigerten Venendruckes anerkannt, ihre Ursache jedoch ‚als Mehrarbeit des Gefässsystems ienoriert. Dieselbe Überlegung -gilt natürlich für die Trikuspidalstenose [vel. Volhard!)]. ; Am krassesten erscheinen uns die Verhältnisse beim akuten Lungenödem infolge Versagens des linken Ventrikels. Trotzdem hier die Kraft des linken Ventrikels gegen die Norm klein ist, wird ‚das Herz doch dauernd mit Blut von der Peripherie her versorgt, -das der rechte Ventrikel unermüdlich in den Lungenkreislauf pumpt, ‘bemüht, die Anfangsspannung des geschwächten linken Ventrikels zu steigern, wenn auch vielleicht auf Kosten des Lebens des Organis- mus. Gegen die enorme Überlastung im Lungenkreislauf kann der rechte Ventrikel nur infolge einer gewaltigen Zunahme der Anfangs- 1) Volhard, Berl. med. Wochenschr. 1904, Nr. 20 u. 21. Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 171. 27 418 Karl Kautsky: spannung ankämpfen, die ihm niemals der versagende linke Ventrikel; sondern nur das periphere Gefässsystem gewähren kann. Zur Gegenprobe wollen wir noch ein anderes Beispiel anführen,. das uns den deletären Einfluss des Ausfalls der aktiven Gefäss- mitarbeit zeigen soll. Die sogenannte „Verblutung in das Splanch-- nieusgebiet“ wird gewöhnlich als Folge des Verlustes der tonischen Kontraktion der Abdominalgefässe angesehen, wie er bei Peritonitis und bei schwereren mechanischen Einwirkungen auf das Abdomen (Ileus, stumpfe Gewalt, Goltz’scher Klopfversuch) lokal bedingt !), bei Sepsis und anderen schweren Infektionskrankheiten (Pneumonie) infolge Lähmung des Vasomotorenzentrums auftritt. Die tonische Verengerung dieses mächtigen Gefässgebietes soll durch Aufrechterhaltung des arteriellen Blutdruckes die Zirkulation. ‘gewährleisten. Angenommen, diese Ansicht bestünde zu Recht, was- würde bei Verlust dieses Tonus geschehen? Die Gefässhöhle als- Ganzes ist innerhalb des engen Spielraums, den die Möglichkeit rascher Wasserabgabe und -aufnahme gewährt, praktisch als un- veränderlich anzusehen; denn einerseits ist das Volum des flüssigen Inhalts weder expansibel noch kompressibel, andererseits aber ist die Möglichkeit unvorstellbar, dass etwa intra vitam eine Partie des Gefässsystems plötzlich leer wird, wie wir es post mortem sehen. wo die grossen Arterien tatsächlich leer sind und in ihnen unter- atmosphärischer Druck herrschen kann. Die Elastizität des um- gebenden Gewebes garantiert beim Lebenden eine lückenlose Füllung der Gefässhöhle, ein Nachströmen von Gewebsflüssigkeit muss jedes- Defizit sofort decken, so dass rein hydro-dynamisch das Verhältnis- zwischen Gefässhöhle und Inhalt ungestört bleibt. Bleibt aber die Gesamtkapazität unverändert, so ist es für das- Herz ganz gleichgültig, wohin es sein Blut pumpt; für ein Erlöschen. der Zirkulation liegt, da das Herz ja bei manchen diese Affek- tionen oft gar nicht direkt geschädigt wird, eigentlich gar kein Grund vor. Im Gegenteil, wir wissen, dass das Herz einem geringeren. Widerstande gegenüber ein grösseres Schlagvolum auswirft; es. müsste also zu einer Zirkulationserleichterung kommen, wenn wir das Herz als einzige Triebkraft annehmen und der Peripherie nur die statische Veränderung der Gefässweite überlassen. 1) Die Gefässlähmung im Splanchnicusgebiet beim Goltz’schen Klopf- versuch kommt beim Frosch auch noch nach Zerstörung der medullären Zentren: zustande, wenn der Vagusstillstand des Herzens ausbleibt. Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 419 Wäre die.Gefässweite der einzige, die Blutstromgeschwindiekeit regulierende periphere Faktor, so müssten wir bei Erweiterung eines anderen, noch grösseren Gefässgebietes als des des Splanchnieus eine noch schwerere Zirkulationsstörung erwarten. Wir wissen zum Bei- spiel, dass sich beim arbeitenden Kaninchen im Gefässgebiete der Körpermuskulatur bis zwei Drittel der Gesamtblutmenge befinden können [Ranke!)], dass es also auch hier zu einer starken Gefäss- erweiterung kommt. Das Splanehnieusgebiet des Kaninchens nimmt dagegen bei Pfortaderunterbindung maximal etwa 30/0 des Körper- blutes auf [Hoffmann?)]l. Warum führt nun das eine Mal die Gefässerweiterung zum Versagen der Zirkulation, trotzdem sie nicht so ausgesprochen ist wie in dem anderen Falle, in dem sie mit einer Steigerung der Zirkulationsgrösse verknüpft ist? Es muss sich hier offenbar um zwei ganz verschiedene Vorgänge handeln, und der Unterschied wird uns sofort plausibel, wenn wir die Umstände bedenken, unter denen jeweils die Gefässdilatation auftritt. Das eine Mal herrscht intensivste Stoffwechselsteigerung, die eine stete Erneuerung der Blutversorgung erheischt, auf der anderen Seite Lähmung. Da die Gesamtgefässkapazität bei beiden Prozessen notwendigerweise gleich, da das Herz bei beiden Zuständen intakt sein soll, so müssen wir auch hier wieder eine selbständige Tätigkeit des peripheren Gefässsystems für die Fortbewegung des Blutes annehmen, die einmal gesteigert, das andere Mal geschwächt ist. Trotzdem das Herz sich beim peritonäalen Schock eine aus- reichende Kontraktilität und tonogene Anpassungsfähigkeit bewahrt hat, ist es. allein absolut nicht imstande, die Zirkulationsgrösse auf- rechtzuerhalten. Es kann eben im besten Falle nicht mehr tun, als -alles auswerfen, was es von den Venen her bekommt. Da es nicht aktiv ansaugt, sondern rein passiv gefüllt wird, ist seine An- fanssfüllung ganz auf den venösen Zufluss angewiesen. Hinge dieser nur von der Kraft des linken Ventrikels als vis a tergo ab, so wäre seine Aufgabe bei dem stark gesunkenen Splanchnicustonus wesent- lich erleichtert; da die Zirkulationsgrösse trotzdem sinkt, so müssen wir den Ausfall einer bei der Herzfüllung normalerweise wirksamen, lebensnotwendigen Kraft annehmen. 1) Ranke, Blutverteilung und Tätigkeitswechsel. 1871. Zitiert nach Hasebroek. 2) Hoffmann, zitiert nach Krogh. Skand. Arch. Bd. 27 5. 251, Anm. 1912. 27* 420 Karl Kautsky: Die grosse Bedeutung des Pfortadergebietes für «len Rückstrom zum Herzen erhellt auch aus vielen klinischen Störungen, die Huchard unter dem Namen „Hypertension portale“ zusammen- fasst!). Er weist darauf hin, dass alle Zustände, die zu einer Be- einträchtigung des Pfortaderkreislaufes führen (Pylephlebitis, Leber- zirrhose, Thrombose der Mesenterialvenen) schwere Störungen der alleemeinen Zirkulation hervorrufen, die sich aus ungenügender Ver- sorgung des Herzens mit Blut erklären und bei akutem Auftreten an das Krankheitsbild einer schweren inneren Blutung erinnern. Der enorme Blutzufluss zum Herzen, den wir nach Anlegen einer Eck’schen Anastomose zwischen Pfortader und Cava inferior und völliger Ausschaltung oder Exstirpation der Leber sehen [Stol- nikow2)], ist wohl nicht rein mechanisch darauf zu beziehen, dass die sonst als Sicherheitsventil funktionierende Leber eliminiert ist. Mit der Entfernung oder Ausschaltung der Leber erfährt die Blut- menge des Körpers ja keine Vermehrung; denn zugleich mit dem grossen Gefässgebiet der Leber wird auch das sie erfüllende Blut mit- entfernt oder vom Kreislauf abgesperrt, so dass das Verhältnis zwischen Gesamtblutmenge und Gesamtgefässhöhle keinerlei Änderung erfährt. Rein mechanisch hat der Eingriff auf die Zirkulationsgrösse also nicht den geringsten Einfluss. Die Leberexstirpation führt vielmehr zu schwerer Azidose, und als deren Folge haben wir die mit enormer Herzdilatation einhergehende Erhöhung des Stromvolums zu deuten. Wir haben, wie wir zuversichtlich hoffen, den überzeugenden Nachweis geführt, dass wir bei unseren Vorstellungen über den venösen Rückfluss zum Herzen der Annahme einer aktiven Mitarbeit des extrakardialen Gefässsystems, und zwar seines venösen Ab- schnittes, nicht entraten können®). Das bedeutet, dass ebenso wie 1) Huchard, Maladies du Ceur. Arteriosclerose. Paris, Bailliere, p. 431. 1910. 2) Stolnikow, Plüger’s Arch. Bd. 28. 1882. 3) Es ist merkwürdig, dass man anderen Hilfskräften des venösen Rück- flusses schon längst seine Aufmerksamkeit geschenkt hat, trotzdem sie — so bedeutungsvoll sie an sich sind — uns für die Erhaltung des Kreislaufbetriebs nicht unentbehrlich zu sein scheinen. Wie die Kreislaufsexperimente am ge- öffneten Thorax bei künstlicher Überdruckrespiration lehren, ist der Donders’sche Unterdruck für die Füllung des Herzens nicht notwendig; wir können ihm daher nicht die überragende Rolle für das Zustandekommen der Stromvolum- vergrösserung zubilligen, die ihm zum Beispiel Plesch vindizier. — Die. Muskelpumpe kommt natürlich nur bei Körperarbeit in Betracht, und ie 5 [7 ® 1 v Sa Ta a Een & WEEISIIET GE * — ie Par 9 T ; Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 491 im kleinen Kreislauf, so auch im grossen, die Peripherie dem _ Herzen Anfangsfüllung und damit Anfangsspannung und Schlag- volum vorschreibt. — Es erhebt sich nun die Frage, wie wir uns diesen Vorgang zu denken haben, und von welchen Einflüssen er reguliert wird. Merk- würdigerweise hat man sich mit dem Problem des venösen Zuflusses bisher kaum befasst. Einer der wenigen Bahnbrecher auf diesem Gebiete ist Krogh!); wir verdanken ihm einen sehr interessanten Versuch, die Regulierung des venösen Zuflusses zum rechten Herzen durch tonische Kontraktionsänderungen der Gefässe zu erklären. Nach seiner Auffassung, die er durch ein. sinnreiches Modell in die Praxis umsetzt, ist vor allem das Pfortadersystem der grosse Regu- lator; durch eine Kontraktion der Eingeweidearterien und der Pfort- aderwurzeln wird zum Beispiel, wenn Körperarbeit eine Stromvolum- erhöhung verlangt, eine Woge von Blut in das Herz geschleudert und erzeugt dort eine Zunähme des Schlagvolums. Aber ist damit wirklich schon die Möglichkeit zu einer dauernden Stromvolumerhöhung gegeben ? Wohl steigert die zunehmende An- fangsfüllung die Anfangsspannung im Herzen, da aber der ganze, hierzu führende Vorgang die tonische Verengerung eines grossen Gefässgebietes voraussetzt, so steigt im selben Maasse wie die An- fangsspannung auch der Widerstandsdruck in den Arterien, der an sich das Schlagvolum zu verkleirern strebt. Dadurch wird die Er- höhung der Anfangsspannung illusorisch gemacht, das Schlagvolum bleibt, wie es gewesen. Die Erhöhung des Restblutgehaltes im linken Ventrikel befähigt diesen wohl dazu, das alte Schlagvolum dem höheren Widerstands- druck gegenüber auszuwerfen — aber nur einmal; nach Abfuhr der einmaligen, ins Herz geschleuderten Blutwelle sinkt die Zufuhr aus dem verengten Gefässgebiet wieder, damit auch die Anfangs- spannung. Das im Übermaass zugeführte Blut staut sich in den Lungen und dem linken Herzen. schliesslich ist die ursprünglich von Ozanam nachgewiesene, neuerdings von Hasebroek hervorgehobene Rolle der Arterienpulsation für die Förde- rung des Venenstroms, so interessant sie ist, wohl kaum hoch zu veranschlagen, da ja auch bei fehlender oder nicht auf die Arterien fortgeleiteter Herzpulsation die Beschleunigung des venösen Rückflusses stattfindet. Wir müssen daher den Kräften der Venen selbst das Hauptgewicht zuerkennen. I; Kroch, lc. 422 Karl Kautsky: Kommt es andererseits gleichzeitig mit der Kontraktion der Splanchnieusgefässe zu einer statischen Vasodilatation im Muskel- gebiet, so muss, wenn sich das Blut in dem neu eröffneten Gefäss- gebiete verteilt hat, logischerweise die zum Herzen zurückkehrende Blutmenge wieder eine Abnahme erfahren. Es ist also innerhalb eines Kreislaufs das alte Verhältnis wiederhergestellt, da der ein- malige Überschuss an Blut, der in das Arteriensystem geschleudert wird, sich durch die kompensatorische Erweiterung wieder verliert. Es käme also bei diesen Änderungen der tonischen Innervation, die die herrschende Theorie als einzigen Aktionsmodus der peri- pheren Gefässe gelten lässt, stets nur zur Verschiebung eines ge- wissen Blutquantums von einem Gefässgebiete in ein anderes. Den einzigen Ausweg aus dieser Verlegenheit scheint uns nur eine Annahme zu bieten: die von der aktiven rhythmischen Mit- arbeit des Gefässsystems am Blutstrome. Wenn wir uns den von Krogh skizzierten Vorgang nicht als einmaliges Vorkommnis denken, sondern ihn sich rhythmisch stetig wiederholen lassen, und zwar so, dass vor der Blutwelle Widerstandserniedrigung durch Erschlaffung, hinter ihr Kontraktion stattfindet, so wird die Möglichkeit einer dauernden Stromvolumerhöhung unserem Verständnis nahe gerückt. Freilich besteht zwischen unserer und Krogh’s Annahme noch ein fundamentaler Unterschied: Nach seiner Ansicht ist die Kon- traktion im Splanchnicusgebiet das Primäre bei der Erhöhung des Stromvolums, etwa bei Muskelarbeit. Wodurch sie hervorgerufen sein soll, bleibt dunkel). Für uns hingegen ist die Steigerung der Zirkulationsgrösse die Folge der Gefässeigentätigkeit im arbeitenden Organ. Wären die Muskelgefässe nach der herrschenden Ansicht erschlafft 1) Noch auf einen kleinen Irrtum bei Krogh sei hier aufmerksam gemacht (Krogh, Skand. Arch. Bd. 27 S. 232, Anm. l). Er vergleicht die Vorgänge im Splanchnicusgebiet mit der Gefässreaktion bei der Erektion der Penis. Nach ihm führt Erweiterung der Penisarterien zu Druckabfall in der Arterie, Druck- erhöhung im kavernösen Gebiete und Drucksenkung in den Penisvenen. Nun wissen wir aber durch Eckard und Francois-Franck, dass bei der Erektion der Druck in den Venen steigt; also das Gegenteil von Krogh’s Annahme. Auch auf diesem Gebiete hat sich die Lehre von der statischen Gefässdilatation als Ursache der Erektion als unhaltbar erwiesen (vgl. Mares, Pflüger’s Arch. Bd. 165 S. 87. 1916). Der N. erigens ist kein Vasodilatator, sondern ein „Vasorhythmisator“, er veranlasst die Penisgefässe zu verstärkter rhythmischer Aktion. ö ; F j b E i j ö Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 423 nd erweitert, ohne selbst mitzuarbeiten, so müsste sich das Splanch- „icussystem auch bei rhythmischer Verengerung und Erweiterung ‚bald leer pumpen, wenn der überwiegende Teil des Blutes sich im peripheren Gefässgebiet ansammelt. Anders dagegen bei Aktion der Gefässe im tätigen Muskel- gebiete. Wenn sich dieses mächtige, zwei Drittel des Körperblutes zu enthalten fähige Gefässsystem rhythmisch mit immer steigender Kraft ins Herz entleert, so muss das Stromvolum immer stärker an- :schwellen. Wir wissen, dass die Venen mit eigenen, stellenweise besonders - in der Adventitia stark entwickelten Muskeln versehen sind, die von besonderen vasomotorischen Nerven (Venomotoren, Mall) -versorgt werden. Das anatomische Substrat für eine aktive Bewegung wäre damit gegeben. Wir wissen auch, dass die Venen sich selbsttätig verengern und erweitern können, dass sie auf lokal gesetzte Reize reagieren können. Denken wir uns nun Kontraktion und Dilatation sich rhythmisch abwechselnd, so muss eine einseitig gerichtete Strömung zustande kommen, um so eher, als ja vielerorts Venen- klappen den Rückfluss verhindern. Dass bei Warmblütern tatsächlich eine derartige rhythmische "Tätigkeit der Venen vorhanden ist, die als wichtiger, Kreislauf fördernder Faktor wirkt, lehrt uns das Beispiel eines hochorgani- sierten Säugetieres. Bei Fledermäusen finden sich in der Flughaut grosse Venenstämme, die pulsieren; man kann geradezu von Venen- herzen sprechen [vgl. Karfunkel‘)]). Hier möge auch eine An- gabe von Albrecht von Haller?) Platz finden, der bei Hunden, Katzen und Kaninchen eine selbständige Pulsation der Hohlvenen („verus pulsus venosus“) beobachtete, die den Stillstand des Herzens „überdauern konnte („venae cavae motum pertinacem esse... etiam post plenam cordis quietem superesse“). Auch Knoll hat solche Venenpulse beschrieben ?). y Wichtig erscheint uns bei der Beobachtung der Fledermaus- venenherzen vor allem die Feststellung, dass die Kraft, mit der sie arbeiten, von dem Füllungsdruck im Venensystem abhängt, dass also auch im peripheren Gefässsystem die Anfangs- 1) Karfunkel, Arch. f. [Anat. u.] Phys. 1905. 2) Haller, Elem. Phys. corp. hum. t.I. p. 400. Lausanne 1757. 3) Knoll, Pflüger’s Arch. Bd. 68. 1897. 424 Karl Kautsky: spannung den dominierenden Faktor darstellt [Luch- singer!). Der Rhythmus, in dem diese Herzen schlagen, ist so- wohl vom Herzen wie vom Zentralnervensystem unabhängig; ebenso: ist auch bei den anderen Wirbeltieren und, wie wir annehmen. dürfen, auch beim Menschen die Venentätigkeit relativ selbständig im Rhythmus, denn die oben erwähnten Hohlvenenpulsationen können beim absterbenden Herzen frequenter sein als die Atriumkontrak- tionen („in animalibus languentibus saepius venam cavam pulsare, donee unicus aurieulae ictus succedat“). Normalerweise ist vielleicht die Anfangsspannung im Venensystem nur gering, so dass die Kon- traktionen relativ Jangsam ablaufen können und den Herzrhythmus. nicht erreichen. Dagegen sehen wir, dass bei intensiver Organ- arbeit, bei der die Blutdurchströmung stark zunimmt, der Druck in den abführenden Venen so hoch werden kann, dass sie isorhythmisch mit dem Herzen pulsieren. So hat Quincke?) bei starker Tätig- keit der Haut in hoher Aussentemperatur echten zentripetalen Venen- puls beobachtet; die Venen in den Speicheldrüsen beginnen zu pul- sieren, wenn die Drüse in Funktion tritt. In den grossen, herznahen Venen führt auch die rückläufig vom Herzen aus erzeugte Pulsation durch intermittierende Stauung des Abflusses, unter Umständen auch durch Zurückwerfen von Blut aus dem Vorhof, zu einer Dehnung der Gefässwand und infolgedessen vielleicht zu einer reaktiven Kontraktion der Vene, die ihrerseits. noch als blutstromfördernd in Betracht käme. Hohlorgane mit glatter Muskulatur, wie zum Beispiel der Ureter reagieren auf Erhöhung: des Binnendrucks mit rhythmischen Kontraktionen. Für die Vena cava finden wir Haller’s Angabe: „...impulso aere aut sanguine: lacessita se constringat.“ Die oben erwähnte, bei Zuständen erhöhter Zirkulationsgrösse. so oft manifest werdende Verstärkung des physiologischen Venen- pulses wäre in diesem Sinne auch ein Zeichen verstärkter aktiver Venentätigkeit. Vielleicht dürfen wir hier aber noch einige, wenn auch selten gemachte Beobachtungen anführen: Bei manchen Fällen. schweren peritonäalen Schocks, bei denen die Zirkulationsgrösse sicher subnormal, die Füllung des Ventrikels also nicht adäquat ge- wesen ist, haben wir deutlich verstärkten präsystolischen Venenpuls. 1) Luchsinger, Pflüger’s Arch. Bd. 26. 1881. 2) Quincke, Berl. klin. Wochenschr. 1890. Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 425 gesehen. Es ist möglich, dass in diesen Fällen, in denen peripher schon Gefässlähmung bestanden’ hat, doch die widerstandsfähigeren zentralen Venen (,...saepe omnino ea vena ultima in toto animale- vitae signa edat“, Haller) noch versucht haben, durch Verstärkung ihrer pulsatorischen Tätigkeit die sinkende Anfangsfüllung des Herzens zu heben. — Es ist nun von fundamentalster Bedeutung, zu wissen, welcher Reiz diese von uns nicht nur mit logischer Notwendigkeit postu- lierte, sondern auch tatsächlich beobachtete aktive Venentätigkeit reguliert; eine Frage, der bisher noch viel zu wenig Aufmerksam- keit geschenkt worden ist. Überblicken wir unsere oben angeführten Beispiele, in denen wir eine aktive Verstärkung des Venenstroms annehmen mussten, so handelt es sich einmal um Zustände verminderter Sauerstoff- versorgung (Aortenunterbindung, Kreislaufinsuffizienz, Lungenödem) andererseits um solche von Säurevergiftung (CO,-Intoxikation des Frosches). Diesen selben Zuständen sind wir aber schon bei der Besprechung der Azidose begegnet: Es handelt sich in allen Fällen, wo die Venentätigkeit verstärkt wird, um azi- dotische Prozesse. Damit ist auch die Antwort auf unsere Frage nach dem Zustandekommen der Stromvolumerhöhung gegeben: sie ist das Werk der dureh saure Stoffwechselprodukte an- geregten Steigerung der aktiven Gefässwandtätigkeit im Venen- system. Wir können annehmen, dass der Reiz die Venenwand und die in ihr gelegenen Ganglien direkt und nicht auf dem Umweg über ein nervöses Zentrum beeinflusst. Wissen wir doch aus Ver- suchen von Rona und Neukirch!) am überlebenden Darm, wie- intensiv die Bewegungen der glatten Muskulatur durch das Milieu, insbesondere die herrschende Wasserstoffionenkonzentration beeinflusst werden; ganz geringe Verschiebungen der Cr sind ausreichend, die Frequenz der Darmbewegungen auf das empfindlichste zu ändern. Nun ist kein Organ derartig jähen Schwankungen der Cu ausgesetzt wie gerade die Venen, in denen sich alle Stoffwechselschlacken in erster Linie sammeln, um den Ausscheidungsorganen zugeführt zu werden. Ist auch vielleicht die aktuelle Azidität des Venenblutes gleich der des arteriellen geblieben, so ist doch seine „fixierte 1) Rona u. Neukirch, Pflüger’s Arch. Bd. 148. 1912. 426 Karl Kautsky: Azidität“ eine andere geworden. Die neugebildeten Säuren belegen ‚die Puffer mit Beschlag und neutralisieren die Bikarbonate und ‚sekundären Phosphate; es sinkt die CO,-Bindungsfähigkeit des Venen- blutes. Damit sinkt auch das CO,-Gefälle zwischen den Muskel- zellen der Venenwand und dem sie versorgenden Blute, es kommt zu einer Säureanhäufung in der Muskelzelle selbst, und diese haben wir als den Reiz anzusehen, der die Venenwand zu verstärkter ‚Arbeit zwingt. 3. Der arterielle Blutdruck. Wir kommen nun zur Besprechung des arteriellen Blut- ‚druckes. Trotzdem mit keiner anderen physiologischen Grösse so viel gearbeitet wird wie mit dem Blutdruck, scheint uns doch gerade hier an den Grundlagen so manches nicht zu stimmen. Zum grössten Teil ist hieran die unvollkommene Technik schuld, mit deren Hilfe .die ersten Kenntnisse auf diesem Gebiete gewonnen worden sind; einerseits können die alten, trägen Manometer den so ausserordent- lich raschen Druckänderungen im arteriellen System in keiner Weise gerecht werden, sondern liefern durch Eigenschwingungen und zahl- lose andere Störungen entstellte Zerrbilder, die die Theorie in ver- hängnisvoller Weise beeinflusst haben. Zweitens aber haben wir uns auf Grund elektrischer Reizversuche ein ganz falsches Bild von der Arbeitsart der glatten Muskeln gemacht; wir haben uns daran gewöhnt, die dauernde Kontraktion des glatten Muskels als seine adäquate Reaktionsform zu betrachten, so dass die ganze herrschende vasomotorische Theorie auf derartige unnatürliche Reizversuche auf- gebaut worden ist. Geburtshilflich gesprochen, hätte man bei ana- logem Vorgehen den Tetanus uteri zur Normälform der Gebärmutter- bewegungen erheben und die Wehen darüber vergessen müssen. Als dritter, verhängnisvoller Faktor wäre noch einer zu er- wähnen, auf den MareS!) mit aller Schärfe hingewiesen hat: Man hat die ersten vasomotorischen Beobachtungen am Hautorgan- ge- macht. Erröten und Erblassen weisen deutlich auf dauernde Er- weiterung und Verengerung der Gefässe hin, dasselbe lässt sich durch Nervenreizung und Nervenlähmung erzielen; so ist man dazu gekommen, die tonische Arbeitsart des Gefässmuskels als die einzig mögliche anzusehen und zu behaupten, dass vermehrte Organtätig- keit stets mit dauernder Vasodilatation einhergeht. Dass die Arbeits- ]), Mares lac-; nn ar wi ae a ie an Fe a u int al m a na ide a De En ze -Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 427 dilatation nur für die Tätigkeit gewisser Organe (Haut, Muskeln, Eingeweide) gilt, für andere kaum oder nur in geringem und nicht notwendigem Maasse (Nieren, Gehirn, Speicheldrüsen), wollen wir weiter unten besprechen. Bei der alten Anschauung, dass der arterielle Blutdruck ein zuverlässiges Maass für die Güte der Zirkulation darstellt, sollte man sich eigentlich nicht mehr aufzuhalten brauchen. Sowohl von physiologischer wie von klinischer Seite [Tigerstedt!), Otfr. Müller?)] ist immer wieder mit erösstem Nachdruck darauf hin- gewiesen worden, dass die Kenntnis des Blutdruckes allein ohne gleichzeitige Kenntnis der Zirkulationsgrösse uns über die Leistungs- fähigkeit des Kreislaufs nicht das mindeste sagen kann, dass bei demselben arteriellen Mitteldruck ebensowohl sehr grosse wie sub- normale Stromvolumina gefördert werden können. Wir wollen uns mit diesen allgemeineren Fragen nicht weiter befassen, sondern uns gleich zu unserem engeren Thema wenden. Uns kommt es darauf an, nachzuforschen, ob, wie im kleinen Kreis- lauf, so auch im grossen, extrakardiale Triebkräfte imstande sind, nieht nur, wie schon nachgewiesen, die Anfangsspannung im rechten Herzen zu erhöhen, sondern auch den "Widerstandsdruck herab- zusetzen, gegen den der linke Ventrikel zu arbeiten hat. Nach der herrschenden Theorie sind die arteriellen Gefässe, vor allem die Arteriolen, tonisch kontrahiert; das Herz hat sich diesem dauernden Widerstand gegenüber zu entleeren, der arterielle Blut- druck, das Produkt aus Herzarbeit und Widerstand, wird vorwiegend von letzterem maassgeblich beeinflusst. Der im Arteriensystem herrschende Druck wird damit stillschweigend als einheitliche Grösse anerkannt,. die von den Aortenklappen bis zu den Arteriolen herrscht. Denn kleine Druckunterschiede in den einzelnen Gefässprovinzen müssen sich in einem derartigen System kommunizierender Röhren bei einigermaassen stabilen Verhältnissen — und diese werden ja durch die tonische Innervation vorausgesetzt — rasch ausgleichen, etwa wie in einem Strom, der sich in mehrere Arme gabelt, welche einzeln bei etwa gleichem Gefälle und gleicher Breite durch hohe Schleusen oder Wehre gestaut werden. Und der Zweck dieses hohen Druckes im Arteriensystem? An- geblich der, jederzeit genügend Blut zur Verfügung zu haben, falls 1) Tigerstedt, Ergebn. d. Phys. Bd. 6. 1907. 2) Otfr. Müller, Ergebn. d. inn. Med. u. Kinderheilk. Bd. 2. 1908. 428 ° Karl Kautsky: in einem arbeitenden Organ der Zufluss erhöht werden soll. Dort erweitern sich dann die Gefässe — natürlich statisch, dauernd —, die Schleusen werden aufgezogen, und das Blut stürzt unter hohem Druck in das arbeitende Organ. Es muss also das Herz, nur weil edlesenklith einmal ein höherer Druck benötigt wird, dauernd grössere Spannungen aufbringen, als eigentlich dem Ruhebedürfnis der Zirkulation angemessen wäre. Während wir sonst gewöhnt sind, den Organismus bis auf die Pro- duktion der Fortpflanzungszellen möglichst sparsam arbeiten zu sehen, wird dieser Brauch hier in so merkwürdiger Weise missachtet. Das Verhalten der Gefässe, wie es die herrschende Theorie schildert, mutet einen geradezu boshaft an: Im Moment, wo man eine erhöhte Tätigkeit von ihnen erwarten sollte, erschlaffen sie, stellen also die Arbeit ein, während sie andererseits zu Zeiten, wo sie dem Herzen Ruhe gönnen sollten, dieses durch dauernde Verengerung belasten. Dass die Gefässe auch anders als nur durch tonische Dauerkontrak- tion tätig sein könnten, diese Möglichkeit wird von der herrschenden Theorie gar nicht in Betracht gezogen. So schliesst man zum Bei- spiel daraus, dass bei allen möglichen gegen die Lungengefässe ge- richteten Reizen keine Druckerhöhung in der Pulmonalis stattfindet, einfach darauf, dass die Lungengefässe keine Vasomotoren haben [Knoll!)]. Denn hätten sie welche, so müssten sich die Lungen- sefässe statisch kontrahieren, und der Druck hinter ihnen, in der Pulmonalis, müsste steigen. Dass die Lungengefässe ihre Eigen- arbeit eben durch das Gleichbleiben des Druckes aufs schlagendste dokumentieren, dieser Gedanke kommt der herrschenden Theorie gar nicht. Grützner?°) hat eine Menge von Einwänden gegen die alte Anschauung zusammengestellt, auf die wir dringend verweisen. „Es bestände hier also die unsinnigste Vergeudung von Kraft an dem lebenswichtigsten Muskel des ganzen Körpers, dem Herzen... Man schaltet doch... nicht Widerstände ein, um die Stromstärke zu erhöhen, sondern man erhöht die Stärke des stromgebenden Apparates oder setzt die Widerstände herab. Ich glaube nun nie und nimmer, dass die Muskeln der Gefässe und die Muskeln des Herzens einander entgegenarbeiten sollten, um nichts zu erreichen. Ich bin vielmehr der Meinung, dass die 1) Knoll, Pflüger’s Arch. Bd. 73. 1898. 2) Grützner, l.c. S. 139. Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 429 Muskeln der Gefässe (ganz abgesehen von der Verteilung des Blutes an verschiedene Organe) die Arbeit des Herzens unterstützen und erleichtern, und dass in den Gefässen selbst Kräfte tätig sind, welche unabhängig vom Herzen das Blut vorwärts bewegen, so wie es das Herz tut, nur nicht mit derselben Kraft.“ Für das Venensystem haben wir solche Kräfte nachgewiesen ; sehen wir zu, ob wir auch für das Arteriensystem ihre Tätigkeit ausfindig machen können. Im Lungenkreislauf kommt, wenn ein gewisser Minimalteil seines Gefässsystems intakt ist, eine Unter- stützung der Zirkulation durch das Gefässsystem selbst zustande, die einseitie, in der Richtung des Kreislaufs wirkt. Wir müssen also im Arteriensystem eine Art peristaltischer Welle erwarten, die am Aorten- ostinm ihren Anfang nimmt und der vom Herzen erzeugten Puls- . welle das Blut in die Peripherie treiben hilft. Haben wir nun Anhaltspunkte, die uns solche extrakardialen Hilfskräfte erschliessen lassen? Schon lange ist eine auffallende Tat- sache bekannt, die man früher auf Manometerfehler bezog, die aber auch durch die neuesten Frank’schen Spiegelmanometer nach- gewiesen worden ist: In der Peripherie desArteriensystems kann höherer Maximaldruck herrschen als unmittel- bar hinter dem Kraftspender selbst, dem Herzen am Aortenursprung. Frank!) selbst hat diesen Befund am Hunde erhoben: der Maximaldruck ist in der Femoralis höher als in der Aorta. Dasselbe gilt für die Tibialis; ebenso herrscht in der unteren Aorta ein höherer Druck als am Anfang [Dawson?)]. Es ist merkwürdig, wie wenig Gewicht man auf diese Tatsachen gelegt hat. Im Banne der alten Auffassung befangen, hat man eine Erklärung ersonnen, die, so gezwungen sie erscheinen mag, doch fast allgemeine Anerkennung gefunden hat, die Lehre .von den Reflexwellen. Die Druckerhöhung kommt nach ihr einfach dadurch zustande, dass sich eine in der Peripherie reflektierte Welle mit der neu- ankommenden kreuzt, dass also durch Interferenz ein Druckzuwachs hervorgebracht wird, wenn Wellenberg und Wellenberg aufeinander treffen. Diese Erklärung ist physikalisch unanfechtbar; es fragt sich nur, 1) Frank, Zeitschr f. Biol. Bd. 46. 1905. 2) Dawson, Amer. Journ. of Phys. vol. 15. 1906. Zitiert nach Hewlett, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 116. 1914. 430 Karl Kautsky: ob sie für den Organismus gilt. Auffallend erscheint vor allen Dingen, dass bei diesen Druckkurven die Kreuzung mit der zentri- petalen Welle stets im selben Augenblick stattfindet, nämlich im Moment des höchsten Druckes, so dass stets nur das Druckmaximum erhöht erscheint. Die Bahnlänge, die die Welle zu durchmessen hat; sowohl auf dem Hin- wie auf dem Rückwege, variiert jedoch ausser- ordentlich, je nach dem Punkte, an dem die Kurve aufgenommen wird. Wieso kann dieselbe Reflexwelle an der Tibialis, der Femoralis und an der Bauchaorta zur selben Zeit, nämlich der des Druck- maximums der rechtläufigen Welle eintreffen, wo sie doch rückläufig ist? Und doch ist der Befund typisch; niemals trifft die Reflexwelle zur Zeit des Minimums oder sonst irgendwann ein, so dass sich — merkwürdig genug — eine eigentliche Reflexwelle dem Nachweis völlig entzieht. Wir wollen durchaus nicht die Möglichkeit des Auftretens von Reflexwellen bestreiten, obwohl es uns zum mindesten unwahrschein- lich ist, dass es bei dem steten Breiterwerden der arteriellen Bahn. als Ganzes zu einem Zurückwerfen der Wellen kommt. Aber wir können dann wenigstens verlangen, dass die Welle als solche nach- gewiesen und nicht nur aus der konstanten Druckerhöhung an stets dem gleichen Punkte erschlossen wird. Solange dieser Nachweis aussteht — für den Druckablauf in der Aorta ist sogar das Fehlen von 'Reflexwellen ausdrücklich als charakteristisch angegeben —, so: lange sind wir verpflichtet, nach einer anderen, weniger gezwungenen und unwahrscheinlichen Erklärung zu suchen. Gleichzeitig mit der Steigerung des Maximaldruckes in der Peripherie sinkt der Minimaldruck, es nimmt also die Pulsamplitude- zu; ebenso verändert sich die Inzisur des Aortenpulses zur di- kroten Welle der Peripherie. Beide Erscheinungen sind, wenn wir die Reflektionstheorie als zu unwahrscheinlich fallen lassen, un- erklärlich, wenn wir den Gefässen der Pulswelle gegenüber nur die Rolle von passiven, im wesentlichen als elastischer Windkessel tätigen. Sehläuchen zubilligen wollen. In ihrem Anfangsteil entspricht die Aorta etwa einem derartigen: elastischen Schlauch; je’ weiter peripherwärts wir aber kommen, um. so mehr nimmt die Gefässmuskulatur an Mächtiekeit zu. Sollte- - nicht diese eine Tatsache in einem Zusammenhang mit jener anderen. stehen, sollten nicht vielleicht die Gefässmuskeln am -Zustande- kommen der Druckerhöhung aktiven Anteil haben? ” Der u ui a 5 BD: ‚ a la nd la ae an he m ln nun Ma man ia Mall dl el Zul Dun Keen cm ae nn Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 433 Wir werden gleich weiter sehen, in welcher Weise man sich diese Gefässmuskeltätigkeit vorstellen kann. Uns kam es hier ledig- lich darauf an, Beobachtungen anzuführen, die uns schon normaler- weise tätige, extrakardiale Triebkräfte in den Arterien annehmen lassen dürfen. Es ist nun weiter zu überlegen, ob diese Triebkräfte, die wir als gegeben betrachten wollen, imstande sind, in der Richtung der Zirkulation zu wirken, alko ein vom Herzen weg gerichtetes Druckgefälle zu erzeugen. Es ist natürlich ausserordentlich schwierig, neben der vom Herzen er- zeugten Pulswelle eine Arterientätigkeit nachzuweisen. Wohl aber gelingt dies vielleicht, wenn man die Pulswelle ausschalten kann. Dieses Experiment macht die Natur selbst tagtäglich; mit dem Tode hört die Herzpulsation auf. Was geschieht mit dem in den Arterien befindlichen Blut? Es wird durch eine peristaltische Aktion der Arterienmuskulatur venenwärts getrieben, bis die Arterien leer von Blut sind. Das in die Venen übergetretene Blut wird ins Herz weitergepresst und füllt den rechten Ventrikel oft noch mit Blut. Hört die Arterienkontrak- tion auf, so kann das Blut wegen der Klappen nicht mehr zurück in die Arterien fliessen; aber auch die Kapillaren und klappenlosen Venen halten das in ihnen enthaltene Blut fest, durch welche Kräfte, ist nicht leicht zu verstehen. Denn, wie Matthes!) nachgewiesen hat, wird oft nach dem Tode der Druck in den Arterien unter- atmosphärisch. Die starke Ringmuskulatur erschlafft, die elastischen Lamellen federn auseinander und halten das Lumen offen. Lest man die Arterie frei, so wird sie vom äusseren Luftdruck platt gedrückt; in ihr finden sich wahrscheinlich durch den unteratmo- sphärischen Druck freigemachte Blutgase, die den Binnendruck höher erscheinen lassen, als er wirklich vorher gewesen ist. Aus diesem Beispiel sehen wir zweierlei: Einmal ist das Arteriensystem tatsächlich imstande, eine einseitig gerichtete Strömungsarbeit zu vollbringen, und zweitens kann es den Druck vor dem linken Ventrikel erniedrigen, — wenn kein Blut aus dem Herzen nachströmt, sogar unter Atmosphärendruck. Man wende nicht ein, dass Leichen- versuche nichts besagen; für die Erkenntnis des Kontraktionsvorganges beim quergestreiften Muskel ist die Untersuchung der Totenstarre . fruchtbringend genug gewesen. 1) Matthes, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 89. 1907. 432 Karl Kautsky: Dass aber auch am Lebenden die gleichen Kräfte tätig sind, be- weist uns vor allem die Drucksenkung in den zuführenden Arterien arbeitender Organe, die wir noch ausführlich besprechen müssen, dann vor allem die schon zitierten Versuche von Unterbindung der Aorta, die natürlich nicht nur für das Venensystem Gültigkeit haben. Auch Grützner bringt prägnante Beispiele‘); kurz, es gibt Tat- ‚sachen die Menge, die im Sinne unserer Forderung sprechen. Interessant erscheint es uns, dass auch Autoren, die entweder die Selbständigkeit der Peripherie ablehnen möchten oder ihrer gar nicht Erwähnung tun, doch unbewusst damit rechnen, dass eine Konstriktion etwa der kleinen Arteriolen das Blut stets venenwärts weiterschiebt, nieht rückläufie. So nimmt Krehl?) bei der Be- ‚sprechung der arteriosklerotischen Hypertonie dies ohne weiteres an, und Krozsh’s?) Vorstellungen über die Steigerung der Zirkulations- grösse bei Muskelarbeit, die er durch eine Konstriktion des gesamten ‘Splanchnieusgebietes erklärt, basieren völlig auf der Vorstellung, dass diese Verengerung das Blut canz selbstverständlich in die Venen vorwärts- und nicht in die Arterien zurücktreibt. Es ist daher von Bedeutung, auf den Einwand vön Hess), eine derartig einseitig gerichtete Aktion der Arterien sei schon rein physikalisch nieht möglich, hinzuweisen. Da wir dabei vielleieht zu einer plausiblen Erklärung des ganzen Vorganges kommen können, sei näher auf diesen Einwand eingegangen. Hess führt an, dass in einem elastischen Schlauche Druckerhöhung durch Kontraktion der Wand an einer Stelle stets nach beiden Seiten gleichmässie wirken müsse. Nur das Vorhandensein von Klappen oder Kontraktion bis zum Ver- ‚schwinden des Lumens hinter einer fortschreitenden Welle könne eine einseitige Strömung erzielen, da dann eben die rückläufige Welle auf ein unüberschreitbares Hindernis stosse. Nun sind Klappen in den Arterien ausser den Semilunarklappen am Aortensprung nicht vorhanden, und wir haben keinen Beweis dafür, dass die Arterie sich hinter der Pulswelle bis zum Verschwinden des Lumens kontrahiert, so dass der stromauf wirkende Druckzuwachs vernichtet würde. Daraus folgert er, dass eine Unterstützung der Pulswelle durch eine ‚aktive Arterienkontraktion ganz nutzlos sei, da sie den gleichen l) Grützner, 1. c. S. 140. ; 2) Krehl, Erkrankungen des Herzmuskels. 2. Aufl., S. 394. 1913. 3) Krogh, l.c. S. 227. 4) Hess, l. c. = Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 433 Druckzuwachs, den sie stromab der Pulswelle mitgäbe, auch strom- ‚aufwärts erzeugen müsse, der nächsten Pulswelle entgegen. Nun gilt der Einwand von Hess ja nicht nur für die supponierte Peristaltik der glatten Arterienmuskulatur, sondern für die aller öhrenförmigen Organe überhaupt, deren Wand aus glatter Musku- latur besteht, wie den Magen-Darm-Kanal, den Ureter. Auch hier haben wir keine Klappen, auch hier kontrahiert sich der Schlauch, wie man sich bei Röntgenbeobachtung, etwa des Magens, überzeugen kann, hinter dem fortzubewegenden Inhalt nicht bis zum völligen Verschwinden des Lumens, und trotzdem beweet sich der oft flüssige Inhalt, von seltenen Ausnahmen abgesehen, immer nur in einer Richtung. Ebenso verlaufen die langsamen Spontanbewegungen der Arterien am Kaninchenohr stets vom Zentrum nach der Peripherie hin, wobei sich die Arterie oft fast bis zum Verschwinden des Lumens -zusammenzieht. Bei der Darmbeweeung löst der eirgeführte Fremdkörper im ‚oralen Darmstück Kontraktion, im aboralen Erschlaffung aus, so dass ‚er durch diese stets von neuem auftretende Druckdifferenz vorwärts ‚bewegt wird; dasselbe ist mit dem flüssigen Inhalt des Ureters der Fall. Der Einwurf von Hess entbehrt aß@r um so mehr der Berech- tigung, da ja für das arterielle System die Aortenklappen da sind, ‚die einem Stromaufwärtsfliessen des Blutes letzten Endes Halt ge- 'bieten. Da das Blut selbst inkompressibel ist, muss eine nach rück- wärts wirkende Kraft zu einer Dehnung der zwischen Kontraktions- ‚stelle und Klappen gelegenen Gefässwand führen; Hess nimmt nun ‚ohne weiteres an, dass die Gefässwand stromaufwärts ebenso dehn- ‘bar ist wie stromabwärts, dass also eine durch aktive Arterien- xkontraktion erzeugte Welle nach beiden Seiten hin, stromab- wie ‚stromaufwärts gleichen Widerstand findet. Diese Annahme von Hess erscheint uns nun nichts weniger als ‚begründet; im Gegenteil, das Beispiel von Darm und Ureter lässt uns etwas prinzipiell Ähnliches auch für die Arterien erwarten. Die Gefässwand braucht bloss vor der Pulswelle zu erschlaffen, sich ‘hinter ihr zu kontrahieren und eine kleine Zeitspanne kontrahiert zu bleiben, so ist der Widerstand stromaufwärts viel grösser als :stromabwärts und damit ein einseitig gerichteter Strömungsantrieb gegeben. Berechtigt zu dieser Annahme sind wir durch die Beobachtung Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 28 434 Karl Kautsky: am Kaninchenohr, in dem eine Arterie in selbständigem, vom Herzen: unabhängigem Rhythmus pulsiert. Die Erweiterung erfolgt rasch, die Verengerung dagegen langsam und allmählich und schreitet stets- von dem Grunde des Ohres nach der Spitze fort [Sehiff!)]. Ähn- lich können wir uns den Vorgang bei der von uns angenommenen. Beteiligung der Arterienwand am Pulse vorstellen. Die Raschheit der Dilatation bei der Ohrarterie lässt daran. denken, dass es sich hier vielleicht um einen im wesentlichen . elastischen Vorgang handelt, dass die Erschlaffung der Ringmuskulatur- vor dem Pulsstosse zu einem Aufspringen der federnden Elastica- lamellen führt2). Als Reaktion auf die Dehnung tritt dann eine- Kontraktion der Arterie auf, die längeranhaltend verläuft, so dass stromaufwärts die Wand weniger dehnbar bleibt, einem Rückwirken der Pulswelle also ein starkes Hindernis in den Weg lest. Bayliss°®) hat derartige Reaktionen plethymographisch unter-- sucht: „Gesetzt, dass der arterielle Druck durch irgendein Mittel. erhöht wird, zum Beispiel durch Reizung des Splanehnieus, so wird das (plethymographisch untersuchte) Glied zuerst selbstverständlich passiv gedehnt; aber sobald der Blutdruck bei Aufhören des Reizes- sinkt, beobachtet man, dass nicht nur das Volumen des Gliedes zu seinem ursprünglichen Wert zurückkehrt, sondern beträchtlich unter- diesen Wert sinkt und langsam wieder zu ihm zurückkehrt.“ Man hat gegen die Übertragung der Bayliss’schen Versuche- auf die natürlichen Verhältnisse eingewandt, dass die glatten Muskeln nicht dazu befähigt seien, so rasch, wie es im natürlichen Kreislauf notwendig wäre, auf Reize-zu reagieren. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, dass wir mit unseren plumpen elektrischen Reizversuchen wohl kaum imstande sind, den adäquaten Reiz hervorzubringen, auf‘ den diese Millionen glatter Muskeln eingestellt sind, auf den Reiz. der Pulswelle. 1) Schiff, Ges. Beiträge z. Physiol. Bd. I S. 131. 1894. 2) Die Dilatation ist in der arbeitenden, mit Nerven versehenen Arterie- grösser als in einer entnervten. Dies bezeugt uns, dass die Erweiterung neben der elastischen eine aktive muskuläre Komponente besitzt. Nun sprechen die- Vasodilatatoren auf schwächere Reize an als die Konstriktoren; vielleicht beruht die Erweiterung vor der Pulswelle auf eirer Dilatatorenreizung, die, von den frei- werdenden elastischen Expansionskräften der Gefässwand unterstützt, zu rascher- Erweiterung der Gefässe führt. Dieser verstärkte Expansionsreiz erzeugt dann: die reaktive Konstriktion hinter der Pulswelle. 3) Bayliss, Ergebn. d, Physiol. Bd. 5. 1906. Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 435 Schliesslich, wenn wir am Säugetierureter bei seiner Tätigkeit über 20 Pulse in der Minute beobachten können [Sokoloff und Luchsinger!)], warum sollen wir dann dem Gefässsystem nicht die Fähigkeit, S0O—100 Pulse zu produzieren, zubilligen, zumal da die in den Arterien herrschende Anfangsspannung gegenüber der im Ureter ganz enorm ist? Zu allem Überfluss sehen wir bei den aus elatter Muskulatur bestehenden Dorsalherzen der Insekten bis zu 140 Pulsationen in der Minute auftreten [zitiert nach Escherich?)]. Wenn wir also eigentlich keinen prinzipiellen Einwand gegen die Möglichkeit so rascher Betätigung der glatten Muskeln anerkennen können, so wollen wir uns auf der anderen Seite einen Einwand er- lauben: Wir wissen, dass jedes Hohlorgan, dessen Wand aus glatter Muskulatur besteht, auf eine Vermehrung des Binnendruckes mit Kontraktion reagiert; wir wissen, dass am Ureter mit zunehmendem Füllungsdruck die Frequenz der Kontraktionen ansteigt; wir wissen, dass die Venenherzen auf wachsende Füllung mit verstärkter, häufigerer Tätigkeit antworten; wir wissen also mit einem Wort, dass sieh kein glatter Muskel es gefallen lässt, gedehnt zu werden, dass er stets auf diesen adäquaten Reiz an- spricht. Woher nehmen wir die Berechtigung, gerade der Arterie, diesem hochdifferenzierten Organ, diese Tätigkeit abzuerkennen ? Wir glauben, der Nachweis, dass die Arterie das Blut wie ein elastisches Rohr fortleitet, ohne mit ihrer Muskulatur auf die Puls- welle zu reagieren, dürfte schwerer zu erbringen sein als der der von uns behaupteten aktiven Mitbeteiligung. Denn letztere können wir aus ihrer Wirksamkeit erschliessen, und das ist eben der Druck- zuwachs in der Femoralis gegenüber der Aorta. Fassen wir die Funktion der Arterien in dieser Weise auf, so ist der in einer Arterie gemessene Maximaldruck in der Hauptsache als rein lokal bedingt anzusehen durch die lokal angreifende Arterien- arbeit. Damit entfällt aber die Möglichkeit, aus dem peripher ge- messenen Maximaldruck einen direkten Rückschluss auf den Druck in der Aorta und damit auf die Beeinflussung des Herzens zu ziehen. Was das bedeutet, werden wir gleich sehen bei der Besprechung der Hypertonie. Nebenbei bemerkt, erscheint es uns auch durchaus nieht zulässig, die Grösse der Herzarbeit einfach durch Multiplikation 1) Sokoloff u. Luchsinger, Pflüger’s Arch. Bd. 26. 1831. 2) Escherich, Handwörterb. d. Naturw. Bd. V. 3. 474. Jena 1914. 28* 436 Karl Kautsky: von Schlagvolum als Gewicht und maximalem peripheren Blutdruck als Hubhöhe zu berechnen. Die Druckverhältnisse sind schon im Anfanesteil der Aorta sehr kompliziert, indem ausser dem Aorten- öffnungsdruck die Dehnbarkeit der Aorta, ihre Restfüllung, die Grösse des geförderten Schlagvolums, die Raschheit des Druckablaufs und die Pulsfrequenz eine Rolle spielen. In der Peripherie kommt nun noch der Einfluss lokaler Gefässmuskeltätigskeit dazu, um das Ganze recht unübersichtlich zu gestalten. Ferner bietet uns die Messung des Maximaldruckes auch nicht die Möglichkeit, auf ein peripheres Hindernis zu schliessen. Wir haben beim Ureter, beim Darm, schliesslich auch in der Arteria pulmonalis gesehen, dass die Höhe des Maximaldruckes weit mehr‘ von dem geförderten „Schlagvolum“ abhängt als von einem ima- einären Hindernis, das, wie die Unterbindung des Pulmonalis- stammes lehrt, nur in Ausnahmefällen besteht. Weit eher geeignet, ein Abflusshindernis aufzuzeigen, sollte der Minimaldruck sein!). Der Minimaldruck zeigt uns an, wie stark die Spannung nach dem Vorbeieilen der Pulswelle noch ist; je grösser nun die Füllung vor Eintreffen der neuen Pulswelle,. um so höher ceteris paribus die Spannung. Ist zum Beispiel der Zufluss im Ver- hältnis zum Abfluss gross, so wird sich das in einem Ansteigen des Minimaldruckes kundtun. Umgekehrt wird er sinken bei Erleichte- rung des Abflusses. Wir haben oben gesehen, dass das Druck- minimum in der Femoralis niedriger ist als in der Aorta; daraus können wir unseres Erachtens schliessen, dass hier der Abfluss im Verhältnis zum Zufluss leichter stattfindet als in der Aorta. Hydro- dynamisch ist dies bei der steten Verbreiterung des Strombettes auch durchaus plausibel. ° Ist dieser Schluss richtig, so folgt daraus aber auch, dass nicht die distalsten Teile der Arterien, die Arteriolen, den Abflusswider- stand maassgebend bestimmen. Wäre die einzige Aufgabe der Arterien eine nach der Peripherie mit dem Anwachsen des Muskelmantels stets zunehmende tonische Kontraktion und damit eine Barrieren- bildung gegenüber dem Blutstrom, so könnte die Druckamplitude D Wir vermeiden absichtlich die Ausdrücke „systolischer“ und „diasto- lischer“ Druck, da sie leicht zu Missdeutungen Anlass geben können. Denn der niedrigste Druck fällt nicht mit der grössten Ausdehnung des Gefässes zusammen, ebensowenig wie der höchste Druck mit dem geringsten Durchmesser, da die Pulswelle vom Herzen her sowohl ausdehnend als auch drucksteigernd wirkt. 2 THE a Sie lan Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 437 niemals zunehmen, je weiter peripherwärts wir kommen. Der einzige Kraftspender ist nach der alten Theorie das Herz; die von ihm der Pulswelle mitgeteilte Kraft wird langsam aufgebraucht, infolgedessen sinkt bei gleichbleibendem Hindernis die Fähigkeit, es zu über- winden; der Abfluss wird schwerer im Verhältnis zum Zufluss. Da- mit müsste aber der Minimaldruck ansteigen oder zum mindesten eleichbleiben, je mehr wir uns der peripheren Schleuse nähern, während gleichzeitig durch Abschleifung die Wellenhöhe und damit der Maximaldruck sinken. Beide Druckwerte müssten sich gegen- seitig nähern, die Amplitude kleiner werden, bis dann jenseit des Wehrs beide zugleich rapid abnehmen. In Wahrheit sinkt der Minimaldruck stetig, bis er den Kapillar- druck erreicht hat, während der maximale nach anfänglicher Zunahme bei der stets breiter werdenden Strombahn rasch zum Kapillardruck absinkt, unter dem ein kontinuierliches Fliessen stattfindet. Je nach der Tätigkeit der zuführenden Arterie kann die Pulsation, also eine Welle mit Maximal- und Minimaldruck, schon lang vor den Kapillaren erlöschen, unter Umständen jedoch sich bis auf die Kapillaren fort- setzen und dabei die Strömung beschleunigen. Die jetzigen Anschauungen über den relativ gleichmässigen Druck im Arteriensystem bis zu den Präkapillaren sind hauptsächlich auf der alten Messung des Mitteldruckes begründet. Dieser ist jedoch alles andere als eine physiologische Grösse, und gerade hier - konnten die alten Manometer alle ihre Untugenden zur Geltung bringen. Bei einem trägen Manometer und langsamer Pulsfrequenz muss sich ein ganz anderer Mitteldruck ergeben als bei. rascher Schlagfolge,; wieder ein anderer in beiden Fällen bei einem träg- heitsfreien Manometer. Was uns immer noch fehlt, ist eine mit den modernsten Manometern aufgenommene zuverlässige Drucktopographie des gesamten Arteriensystems im Tierversuch. Es erscheint uns freilich zweifelhaft, ob wir in der Erkenntnis der Kreislaufsprobleme durch blosse, wenn auch noch so getreu auf- genommene Druckmessungen noch viel weiter kommen werden, wenn wir nicht auch gleichzeitig die Stromstärke des Blutes in derselben Arterie feststellen können. Die Druckmessung allein ist ein trüge- rischer Indikator für die Güte der Zirkulation: Der Seitendruck einer Arterie kann sinken, einmal wenn. die Propulsivkraft strom- aufwärts von der Messstelle abnimmt; gleichzeitig nehmen auch ‘Menge und Geschwindigkeit des durchfliessenden Blutes ab.‘ Er 438 Karl Kautsky: sinkt aber ebenso, wenn das Blut von weiter distal gelegenen Gefäss- abschnitten rascher abgeführt wird; dabei nimmt das Stromvolum zu. Noch komplizierter sind Druckmessungen in den grossen Venen. Diese werden bei geschlossenem Thorax durch die saugend wirkende Kraft des Donders’schen Unterdrucks im Brustkorb stärker aus- gespannt und erweitert, als dem Seitendrucke des Venenblutes ent- sprechen würde. Da im geschlossenen Kreislauf die Kontinuität der Strömung gewahrt sein muss und ein Vakuum nicht geduldet werden kann, so wird der leere Raum stets mit neu nachströmendem Blute gefüllt, genau wie der luftleere Raum der geschlossenen Pleurahöhle ja auch nie leer, sondern stets von Lunge ausgefüllt ist, so dass die Pleurahöhle eigentlich gar nieht existiert. Die „Überdehnung der Intrathorakalvenen“ zeigt sich an dem Fehlen des Seitendrucks; er- öffnen wir eine der grossen Venen, so saugt sie, ebenso wie die Pleura- höhle beim Pneumothorax, Luft an: es kommt zur Luftembolie. Aus dem fehlenden oder sogar unteratmosphärisch werdenden Seiten- druck dürfen wir aber nicht schliessen, dass das Venenblut ohne Druck im Herzen ankommt. Wir haben oben gesehen, dass während der Diastole der Herzmuskel ganz passiv vom Druck des einströmenden Blutes gedehnt wird. ; Ebenso sehen wir ja auch bei der Wasserstrahlpumpe, dass der Seitendruck des strömenden Wassers unteratmosphärisch werden kann, so dass Luft angesaugt wird. Trotzdem ist das Wasser kraft seiner kinetischen Energie imstande, noch Arbeit zu leisten, etwa eine leere Gummiblase zu dehnen. Diese Saugkraft strömender Flüssigkeiten müssen wir noch beim Zustandekommen der Luftembolie, ebenso natürlich auch bei den Druckmessungen berücksichtigen; sie erklärt die von Goltz und Gaule gefundenen und lange für die Ansicht von der aktiven diastolischen Ansaugung des Herzens an- geführten unteratmosphärischen Druckwerte im Herzen während der Diastole.e De Heer konnte dieselben negativen Druckwerte aber auch während der Systole erzielen und führte sie ganz richtig auf Messfehler zurück. .Sehliesslich ist noch der Winkel maassgebend, in dem wir das . Manometer in das Gefäss einführen: Im Arteriensystem gehen die Seitenäste, in die wir die Messkanülen einbinden, stumpfwinklig vom Hauptstamm ab, das Blut dringt mit starkem Überdruck in den Manometerast hinein. In den Venen dagegen münden die Seiten- äste spitzwinklig in den Stamm, das Manometer liegt nicht der Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 439 Stromrichtung entgegen wie in den Arterien, sondern ihr fast parallel. Hier wird die Saugwirkung der strömenden Flüssigkeit überwiegen. Nach dem Prinzip der Pitot’schen Röhren müssen wir in den Arterien zu hohe, in den Venen eher zu niedrige Drucke messen. — Der arterielle Blutdruck setzt sich nach unserer Anschauung aus zwei Komponenten zusammen: einer kardialen und einer idio- arteriellen. Ein bestimmter, vom Herzen unter allen Umständen aufzubringender Druck ist nötig im Arteriensystem; dieser ist durch nichts, durch keine noch so intensive Gefässeigenarbeit, ersetzbar. Wir wissen, eine wie grosse Rolle im gesamten Gefässsystem die ‚Anfangsspannung spielt; wie mit steigender Füllung beim Ureter Kraft und Frequenz der Bewegungen zunehmen, so sicher auch bei der Muskeltätigkeit der Arterien. Doch macht der Organismus von der rein elastischen Wind- 'kesselfunktion der Arterien ebenfalls weitgehenden Gebrauch. Wie Trautwein!) in klaren hydrodynamischen Auseinandersetzungen gezeigt hat, wird ein elastischer Schlauch durch stets sich steigernde intermittierende Wellenerregungen schliesslich so weit gedehnt, dass die Restspannung hinreicht, auch nach Aufhören der Welle den flüssigen Inhalt in konstantem Strom vorwärts zu bewegen. Ceteris paribus ist natürlich die Füllung der Arterie abhängig von der Zirkulationsgrösse.. Je grösser Schlagvolum und Puls- frequenz, um so höher die Restspannung im Schlauche, um so stärker aber auch die reaktive Kontraktion der Arterienwand. Ist das Arteriensystem allein stark genug, den ganzen Zufluss abzuführen, so braucht der Minimaldruck am Ende der Pulsperiode nicht höher zu sein als normal; ist die Abfuhr zu klein, so steigt die Restfüllung und damit die Restspannung in der Arterie. Wie beim Herzmuskel findet also bei Entleerungswiderständen eine Zunahme des Residual- blutes statt, die, zum neu ankommenden Schlagvolum gesellt, eine erhöhte Anfangsspannung ergibt. Als Zeichen der erhöhten Rest- spannung ist der Minimaldruck gesteigert ?). 1) Trautwein, Virchow’s Arch. Bd. 221, 1916; Bd. 224, 1917. 2) Hier nur ein Wort zur Blutdruckbestimmung am Menschen. Sowohl die "Maximal- wie die Minimaldruckmessung sind vom wissenschaftlichen Standpunkt aus durchaus ungenau, wenn sie auch für die Klinik absolut unentbehrlich sind. Wir rechnen den Maximaldruck von dem Zeitpunkt ab, bei dem beim Aufblasen der Gummimanschette der Puls in der Peripherie verschwindet. Dabei vergessen wir nur, dass trotz Verschwinden der fühlbaren Pulswelle die Zirkulation ja, » 440 Karl Kautsky: Wie im Venensystem, ist jedoch auch in den Arterien noch eim zweiter Regulator vorhanden, der die Kraft der Wandreaktion be- herrscht, der physikalisch-chemische: auch hier müssen wir Ände- rungen der Wasserstoffionen-Konzentration eine ausschlaggebende- Rolle beimessen. Der arterielle Blutdruck wird, soweit er vom Vasomotorenzentrum abhängt, in weitgehendem Maasse durch die Cr. reguliert: Mathison!) ist es gelungen, nicht nur durch Sauerstoff- ‚mangel und Kohlensäureüberfluss, sondern auch durch Injektion von verdünnten Säuren Blutdrucksteigerungen zu erzielen. Weiter wissen. wir auch, dass die Spontanbewegungen überlebender Arterien von der Cr ihres Mediums abhängig sind. O. B. Meyer?) sah bei Sauerstoffmangel rhythmische Bewegungen von Arterien- streifen auftreten, die in körperwarmem Serum beobachtet wurden.. O,-Zufuhr liess die Bewegungen aufhören. Full?) sah eine Hemmung der Bewegungen durch CO,-Zufuhr, doch ist hier wahrscheinlich gleich- das zweite Stadium der Säureintoxikation, das der Lähmung erreicht worden, während das erste, das der Erregung, bei der angewandten CO,-Konzentration übersehen worden sein dürfte oder infolge narko- tischer Anionenwirkung gar nicht zum Ausdruck gelangt ist*). wenn auch für uns unfühlbar, immer noch in kontinuierlichem Strome fortbestehen: kann, und dass der vollständige Verschluss der Arterie erst an einem ganz un- berechenbaren und bei verschieden dicken und harten Arterien auch sicher ganz. verschiedenen Zeitpunkt eintritt. Den Minimalpunkt haben wir nach Korotkow auskultatorisch mit dem Phonendoskop bestimmt. Der alten Marey’schen An-- nahme folgend, dass das lauteste Klopfen in der Arterie eben dann zustande kommt, wenn Aussen- und Binnendruck einander gleich sind, so dass die frei-- schwingende Arterienwand die grössten Amplituden ausführt, haben wir diesen. Moment, wo bei der Dekompression das laute Klopfen in ein leises Geräusch übergeht, als Minimaldruck angenommen. Wie wir uns an Tausenden von Blut-- druckmessungen überzeugt haben, ist die Korotkow’sche Methode klinisch als- hervorragend brauchbar zu bezeichnen. Bei breiter Recklinghausenscher Man-- schette und Sahlischem Quecksilbermanometer sind die Maximalwerte 105 — 130 mm, die Minimalwerte 50°—90 mm Hg. DNDachison,er 2) ©. B. Meyer, Zeitschr. f. Biol. Bd. 61. 1913. 3) Full, Zeitschr. f. Biol. Bd. 61. 1913. 4) Wie Carlson an den Herzen von Wirbellosen gefunden hat, geht gerade bei CO, eine sehr kurze Reizperiode dem Stadium der Lähmung voraus. Auch bei anderen Säuren sind schwache Konzentrationen notwendig, um die primär reizende Wirkung auf die Ganglien zu zeigen (Carlson, Ergebn. d. Physiol. Bd.8 S. 443 u. 453. 1909). u dd ne Di a a Eu ein | im ann = ’ Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 441 Es kann unmöglich ein Zufall sein, dass die Arterien, genau wie die Theorie es fordert, rhythmisch auf Cn-Änderungen reagieren. Dass dieser Rhythmus so langsam ist, ist eigentlich selbstverständlich, denn der zweite Hauptrhythmisator der glatten Muskulatur, die An- fangsspannung, fehlt bei diesen ausgeschnittenen Gefässstreifen über- haupt. Im Kreislauf jedoch, wo die Azidose auch das Schlagvolum vergrössert, steigt zugleich mit dem chemischen auch der mechanische Reiz; beide kombinieren sich zur Erreichung desselben Zieles, zu dem der arteriellen Hypertonie. Nebenher können noch lang- samere Arterienkontraktionen verlaufen, ähnlich denen am Kaninchen- ohr, die nicht von der Pulswelle und ihrer rhythmischen Erhöhung der Anfanesspannung, sondern anscheinend rein von Cn-Änderungen abhängie sind [Traube-Hering’sche Wellen; Atembewegungen des Gefässsystems, vgl. MareS!)]. Überhaupt sind die Verhältnisse gerade im Arteriensystem unglaublich kompliziert; neben der lokalen Beeinflussung der Gefässwand und ihrer Ganglien durch Änderung der Spannung und des Säuregefälles zwischen Blut und Muskularis- kommt noch eine nervöse vom Vasomotorenzentrum aus in Frage; Gefässreflexe (Lov&nreflex, Depressor) spielen mit, ferner kostikale Einflüsse, die synergetisch mit der Organinnervation wirken und selbst ohne entsprechende Tätigkeit des Organs seine Blutdruck- strömung weitgehend verändern können. Diese verschiedenen Fak- toren können einander unterstützen oder widerstreben oder gar auf-- heben, dazu sind schliesslich die Folgen der experimentellen Ein- sriffe oft unübersehbar, so dass wir bei unserer Darstellung, um überhaupt den uns wesentlich scheinenden Kern herauszuschälen,, vielleicht etwas schematisch verfahren sind. Die Bedeutung der beiden Regulatoren, der Cu und der An- fangsspannung, kann je nach der Eigenart des Organismus ganz ver- schieden sein. In manchen Fällen, wo eine Schwächung der An- fangsspannung im arteriellen System zu Kreislaufsstörungen und da- mit zu Azidose geführt hat, kann der azidotische Reiz so überwiegen, dass trotz gesunkener Anfangsspannung das Gefässsystem verstärkt arbeitet (Hochdruckstauung); in anderen Fällen dagegen sinkt trotz der anoxämischen Azidose der arterielle Druck infolge fehlender Anfangsspannung (Niederdruckstauung). 1) Mares, 1. c. S. 19. 449 Karl Kautsky: 4. Die arterielle Hypertonie. Die Frage der arteriellen Hypertonie ist für die Beurteilung des extrakardialen Kreislaufs von fundamentaler Bedeutung. Hier kann nicht genug auf Hasebroek’s Arbeiten hingewiesen werden, die in durchaus origineller Weise neue Wege zur Erkenntnis ge- bahnt haben, die klinisch sowohl wie theoretisch weiter zu führen scheinen als die alten. Bei der Betrachtung der Hypertonie wird es ganz gut sein, ein wenig Teleologie zu Hilfe zu rufen. Teleologie natürlich nicht im alten mystisch-theologischen Sinne verstanden, sondern als Zweck- mässigkeit vom Standpunkt des untersuchten Organismus aus. Nur wenn wir die Hypertonie als eine im Sinne des Körpers zweckmässige Re- aktion betrachten, werden wir zu ihrem Verständnis gelangen können. Dass die Hypertonie wirklich für den Körper nutzbringend ist, lehrt uns die klinische Erfahrung, die uns zeigt, dass es bei vielen Hypertonikern mit dem Augenblick, wo der Blutdruck sinkt, zur Dekompensation, zur Urämie kommt [vgl. Fr.v. Müller!)]. Welches ist nun ihr Zweck? Doch offenbar der, die Stromgeschwindigkeit zu erhöhen. Dass dieser Zweck tatsächlich erreicht wird, lehren uns die Inspektionsversuche von Weiss?), der an den der direkten Be- sichtigung zugänglichen Kapillaren des Nagelbetts bei Hypertonikern deutliche Strombeschleunigung gefunden hat. Über die Art und Weise, wie das Ziel erreicht wird, gibt uns die bisherige Theorie nur unbefriedigende oder eigentlich so gut wie gar keine Auskunft. Ganz allgemein, bis in die neueste Zeit, wird ‚die Hypertonie zurückgeführt auf eine Gefässverengerung, und zwar im wesentlichen auf einen Spasmus der Arteriolen. So schreibt Krehl?®): „Ihre (der kleinen präkapillaren Arterien) Zusammenziehung erhöht auf der einen Seite den Widerstand für den Abfluss des Blutes. Auf der anderen Seite wird aber durch die Verkleinerung so umfangreicher Stromgebiete, wenn nicht die Venen ausreichend sich erweitern, und das scheint nicht der Fall zu sein, dem Herzen mehr Blut zugeführt. Die linke Kammer entleert sich nun zwar gegenüber dem erhöhten Widerstand in den Arterien wohl in der Regel nicht völlig, aber sie wirft bis zu einer gewissen Grenze doch eine grössere Blutmenge aus als vorher. Das arterielle l) Fr. v. Müller, |. c. S. 66. 2) Weiss, Münch. med. Woch. 1917, Nr. 19. 3) Krehl, |. c. 8. 394. Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 443 Reservoir, dessen Wandspannung gesteigert, aus dem der Abfluss er- :schwert ist, wird also auch noch stärker gefüllt. Der Druck in dem Reservoir steigt.“ Ä Huchard sagt‘): „L’elevation de la tension arterielle par le fait de l’augmentation du tonus vasculaire et des resistances situses 'a la peripherie du systeme eirculatoire, est d&montree experimentale- ment par la ligature de l’aorte, par l’exeitation des nerfs vaso- eonstrieteurs et des centres vasomoteurs. Ces r6sistances periph6riques, sorte de frein vasculaire, sont ..... necessaires pour une bonne eireulation ....“ Hier zeigt sich eigentlich so klar wie nur möglich die Insuffizienz der alten Theorie. Behalten wir den Zweck im Auge, dem die Hypertonie dienen soll, nämlich die Beschleunigung der Kapillar- durchblutung, so ist er nach diesen Erklärungen nicht erreicht. Krehl selbst schreibt zweimal, dass der Abfluss des Blutes aus dem arteriellen Reservoir erschwert wird. Hier :spukt eben immer noch die alte Anschauung, dass der arterielle Blutdruck für die Zirkulation alles bedeute, und dass Erhöhung des Druckes im Arteriensystem auch eine Verbesserung der Zirkulation mit sich führe. Es kommt doch aber wahrhaftig nicht auf die ‚absolute Druckhöhe an irgendeiner Stelle des Kreislaufs an, sondern ‚auf das Druckgefälle und die Stromgeschwindigkeit im Kapillarsystem. In Wahrheit hätte diese Drucksteigerung durch allgemeine Arterien- verengerung die einzige Aufgabe, den sie erzeugenden erhöhten präka- pillären Widerstand zu brechen, während sie dem Strom in den Ka- pillaren nicht im mindesten zugute käme. Man stelle sich doch nur vor, dass das Hindernis näher dem Herzen sitzt, um sich die Unhalt- barkeit der Anschauung klarzumachen. Verengerung des Pulmonalis- stammes führt zu starker Stauung im rechten Herzen, aber doch nieht zu einer Beschleunigung des Lungenblutstroms. Trotzdem wird die Blutdrucksteigerung im natürlichen Kreislauf ohne weiteres mit der nach Stenosierung der Aorta descendens auftretenden identifiziert). Ins Groteske übersetzt: die Druckerhöhung im linken Ventrikel bei einer Aortenstenose wäre danach das geeignete 1) Huchard, 1. c. S. 420. 2) Wie inkonsequent die alte Theorie ist, zeigt sich schlagend bei diesem Versuch. Wäre die Herzkraft die einzige Triebkraft im Kreislauf, so müsste nach Unterbindung der Aorta thoracica die Zirkulation in der gesamten unteren Körperhälfte stillstehen, das Blut aus ihr also für die Füllung des Herzens ver- A444 Karl Kautsky: Mittel, die Stromgeschwindigkeit im Kapillargebiete zu steigern! Schliesslich kennen wir auch Krämpfe der gesamten Arterien- muskulatur, die den Blutdruck allerdings gewaltig in die Höhe treiben und mit einer förmliehen Bluteindickung durch Wasserverlust einhergehen können. Aber bei diesen Zuständen sehen wir gerade, dass infolge der mächtigen Tonuserhöhung die Zirkulation in ver- hängnisvollster Weise lahmgelegt wird, so dass es zur Insuffizienz der Organdurchblutung und zu schwersten klinischen Störungen kommt. Klassische Beispiele hierfür sind Eklampsie und Urämie, dann vor allem die Bleikoliken, Strychninkrämpfe usw. Aber alle diese Zustände sind eben Gefässkrämpfe, die mit der normalen Funktion nichts zu tun haben. Es wird doch niemandem einfallen, Trismus und Opisthotonus und andere‘ tetanische Krampfzustände als charakteristische Normalform der Muskelbewegung zu bezeichnen! Und wenn wirklich die Hypertonie durch Steigerung der Wand- spannung im Arteriensystem zustande kommt, woher dann die mächtigen Pulsationen, etwa der Carotiden, die Vergrösserung der Exkursionen der angeblich weniger nachgiebigen Gefässwand, die wir bei schweren Hypertonien, bei Urämien sehen? Der Hypertoniker leidet nicht an dem hohen Druck in seinen Arterien, sondern an ihrem Klopfen, an ihrer verstärkten pulsatorischen Tätigkeit. — Aber auch die andere Annahme, dass nur bestimmte Gefäss- sebiete sich verengern, um anderen bessere und raschere Durch- lorengehen. Da demnach in der oberen Hälfte die gleiche Blutmenge wie vorher zirkulierte, dürften sich die Druckverhältnisse nicht ändern, da ja auch das für diese Blutmenge ursprünglich verfügbare Gefässsystem keinerlei Einschränkung erfährt. Dass es trotzdem zu einer enormen Blutüberfüllung in der oberen Körper- hälfte kommt, die zu einer gewaltigen Drucksteigerung führt und sogar Vagus- pulse auslösen kann (Biedl u. Reiner, Pflüger’s Arch. Bd. 73. 1898; Bd. 79. 1900), ist nur unter Durchbrechung der alten Theorie erklärlich. Die Aorten- unterbindung führt zu akuter Asphyxie der unteren Körperhälfte, das asphyktische Blut strömt mächtig zum Herzen, das Schlagvolum steigt enorm und findet jetzt allerdings ein viel zu kleines Gefässgebiet vor, das die Fülle des neuen Blutes kaum zu fassen vermag. Zudem ist das Blut asphyktisch, der Vagus wird also mechanisch und chemisch gereizt, schliesslich auch noch vom Depressor her. Unterbände man, was ja nach der alten Theorie gleichgültig sein müsste, gleichzeitig mit der Aorta die Cava inferior, so würde jede Wirkung auf den Blutdruck in der oberen Körperhälfte ausbleiben. Nicht die Blutdrucksteigerung führt zu Hyperämie des Gehirns und zu Hirndrucksymptomen, sondern die gewaltige Zunahme der Zirkulationsgrösse bei gleichzeitiger Verengerung der Strombahn. ee Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 445 blutung zu gewähren, erscheint uns unhaltbar. Wie schon oben bei Besprechung von Krogh’s Ansicht über den venösen Rückfluss auseinandergesetzt, kann Verengerung eines Gefässgebietes niemals die Stromgeschwindiekeit dauernd erhöhen, da gleichzeitig mit der Steigerung der Zirkulationsgrösse der Widerstand wächst, und da das verdrängte Blut als inkompressible Flüssigkeit irgendwo Platz finden muss und sich entweder in Lungen und Herzen oder einem anderen, sich erweiternden Gefässgebiete ansammelt. Und schliesslich, welche Gefässe sollen sich denn verengern, welche erweitern? Da für gewöhnlich die Raschheit der Nierendurehblutung in Frage kommt, so wird natürlich ohne weiteres angenommen, dass sich die Nieren- gefässe erweitern. Nun finden wir in den Nierengefässen oft die schwersten Veränderungen, die wir mit F. v. Müller als „Arteriolo- sklerose“ bezeichnen wollen. Diese Veränderungen werden als Folge des auf den Nierengefässen dauernd lastenden Druckes aufgefasst. Wir finden aber genau dieselben Veränderungen schliesslich in allen anderen Organen auch, im Gehirn, der Milz, dem Darm, dem Pankreas usw. Welches ist nun das druckerzeugende Gefässsystem, wenn in allen die Spuren passiv ausgehaltenen Druckes gleichermaassen zu finden sind ? Es scheint uns, als ob jeder Untersucher eines bestimmten Ge- fässgebietes annimmt, dass bei Blutdrucksteigerung gerade sein Organ besser durchblutet werde; dies gilt von der Niere und anderen Drüsen, vom Gehirn usw. Gewöhnlich aber ist das Splanchniecus- gebiet an allem schuld; es bildet quasi den Notanker in allen Kreislaufs- und Blutdruckfragen. Dies ist leicht verständlich: denn einmal ist der Splanchniecus ein bequemer Experimentiernerv, der für Reizung eines grossen umschriebenen Gefässgebietes sehr ge- eignet ist. Die- gewaltigen Gefässkrämpfe , die nach tetanischer Reizung des Nerven auftreten, und die natürlich zu grossen Blut- verschiebungen führen, identifiziert man ohne weiteres mit den Blut- (drucksteigerungen im natürlichen Kreislauf. Auf der anderen Seite sieht man, dass ein Versagen des peripheren Gefässsystems gewöhn- lich zuerst im Splanchniecusgebiet beginnt, nicht nur bei lokalen Ein- wirkungen auf das Peritonäum, sondern auch bei zentraler Lähmung; dies allerdings, wie uns scheint, aus dem Grunde, weil das Pfort- adergebiet die so schwierige Aufgabe hat, nach Überwindung eines Kapillarsystems, wobei der vom Herzen stammende Druck zum grössten Teile aufgebraucht wird, noch ein zweites, das Leber- kapillarsystem, aus eigener Kraft zu bewältigen. 446 Karl Kautsky: Hier zeigt sich also eher eine gewisse Schwäche des Splanch- nieussystems im natürlichen Kreislauf, die nicht recht zu der alles beherrschenden Rolle passen will, die man dem Splanchnicus so gern zuschreibt. Auch bei anderen Gelegenheiten tritt diese Schwäche zutage: die Geschwindigkeit im Pfortaderkreislauf ist, besonders beim aufrechtgehenden Menschen, von einer Reihe extrazirkulatorischer- Faktoren abhängig (Spannung der Bauchdecken, Zwerchfellstand und -tätiekeit), deren Schwächung (Enteroptose) zu einer Stromverlang- samung im Splanchnicusgebiet führen kann (Splanchnie stasis).- Schliesslich zeigt auch das Zustandekommen des hämorrhagischen Infarktes bei Verschluss einer Mesenterialarterie, dass trotz der an- scheinend so gut ausgebildeten Anastomosen der Darmarterien doch jede Arterie eben nur so viel Kraft aufbringt, wie zur Durchströmung ihres eigenen Versorgungsgebietes gehört. Dagegen ist.sie nicht im Stande, ein notleidendes Nachbargebiet so rasch zu durchbluten, dass dort eine asphyktische Lähmung der Kapillaren mit Stase und hämorrhagischer Infarzierung ausbliebe.. Und diese so relativ schwachen Gefässe sollen die Durchblutung ihnen ganz fernstehen- der Körperprovinzen gewährleisten ! Wie wenig mit rein mechanischen Verengerungs- und Erweite- rungsanschauungen anzufangen ist, lehrt schlagend ein Versuch von Grützner!) und Heidenhain. Sie „fanden, dass Reizung sensibler Nerven, welche nach Ludwig den allgemeinen Blutdruck wesentlich durch Verengerung der Gefässe des Splanchniceusgebietes in die Höhe treibt, diese Wirkung auch dann hat, wenn das ganze Splanchnieus- gebiet durch Unterbindung der Aorta über der Cöliaca und der Vena cava inferior über den Nierenvenen vollkommen ausgeschaltet ist. Hierbei sollte nach Heidenhain ein derartiger Eingriff die Gefässe der Haut durch reflektorische Reizung ihrer Hemmungs- nerven erweitern, dasselbe sollte eintreten mit den Muskelgefässen.. Welche Gefässe sollten sich dann da verengern und durch ihre Ver- engerung den Blutdruck in die Höhe treiben? Die Gefässe des. Unterleibes waren ausgeschaltet, die anderen noch vorhandenen. sollten sich erweitern, und doch stieg der Blutdruck.“ Schliesslich ist es ja gar nicht einmal eine ausgemachte Tatsache, dass sich ein Gefässgebiet wirklich: durch Verengerung eines anderen. passiv dehnen lässt. Gerade für die Niere, für die ja alle diese. mechanischen Erklärungen in erster Linie erfunden worden sind, I) Grützner, |. c. S. 143. Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 447 hat Bayliss') gezeigt, dass sie sich einer Blutdrucksteigerung gegenüber, wie sie eine Reizung des N. splanchnicus ergibt, nach kurzdauernder passiver Dehnung energisch kontrahiert, selbst auf der Höhe der Blutdrucksteigerung, und erst bei Rückkehr normaler Druckverhältnisse ihr ursprüngliches Volumen wieder annimmt. Und Grützner zitiert einen Versuch von Ostroumoff (8. 136), der folgendes fand: „Einem Hunde ist der linke Ischiadieus durch- schnitten, demzufolge ist die linke Pfote sehr warm. Jetzt wird bei dem ceurarisierten Tiere ein sensibler Nerv, zum Beispiel der Vagus zentral gereizt, dessen Reizung den Blutdruck gar nicht bedeutend zu erhöhen braucht, ja ihn sogar herabsetzen kann. Niehtsdestoweniger wird jetzt die normale Pfote stärker durehblutet und viel wärmer als die gelähmte. Dies findet aber nicht statt, wenn der allgemeine Blutdruck auf eine andere Art in die Höhe getrieben wird, wie ihn zum Beispiel Reizung‘ des Splanchnieus zur Folge hat, also durch Verengerung der Gefässe der Bauchhöhle. Ich (Grützner) betone diesen Punkt deshalb ganz besonders, weil neuerdings vielfach die Meinung ausgesprochen worden ist, dass Erhöhung des Blutdruckes durch Verengerung grösserer Gefässgebiete andere Gefässgebiete durchaus erweitern müsse. Wenn es sich einfach um Kautschuk- schläuche handelte, wäre dies der Fall; die Gefässwandungen, nament- lich die normal innervierten Gefässe, lassen sich in ihrer Weite aber für gewöhnlich sehr wenig durch verschieden hohen Blutdruck be- einflussen.“ Noch ein Grund spricht endlich gegen Spasmen in bestimmten Gefässgebieten als’ Ursache der kompensatorischen Hypertonie, die jahrelang bestehen kann, ohne sich klinisch bemerkbar zu machen. Wir kennen Gefässspasmen von den allerverschiedensten Organen 'her, aber stets sind diese Krämpfe mit den schwersten klinischen - Störungen verknüpft. Wohl kommen diese Spasmen mit Vorliebe gerade im Verlauf hypertonischer Krankheitsbilder vor —, wenn auch spät und erst bei schweren Veränderungen der Gefässe — aber sie sind doch etwas fundamental anderes als die dauernde Hypertonie: sie verhalten sich zu ihr wie die Kolik zur normalen Darmbewegung. Charakterisiert sind sie durch furchtbare Schmerzen und durch die „Meiopragie“, die funktionelle Minderwertigkeit der zugehörigen Organe. Angina pectoris, Raynaud’sche Krankheit, Dyskinesia. 1) Bayliss, l.c. 448 Karl Kautsky: intermittens jeglicher Lokalisation gehören in diese Gruppe. Von einer Minderwertiekeit eines Gefässsystems gegenüber einem anderen kann aber beim gut kompensierten Hypertoniker gar nicht die Rede sein. Angenommen, das Splanchnicussystem sei das fragliche Ge- biet, so müsste die Verdauung des Hypertonikers notleiden — und gerade die ist in der Regel ausgezeichnet, fast zu gut. Auch hört die Hypertonie, gemessen in der Brachialis, keineswegs auf, wenn sich das angeblich den Hochdruck erzeugende Splanchnieusgebiet während der Verdauung erweitert, ebensowenig wie etwa die mächtige Erweiterung der Gefässe im arbeitenden Muskel beim Hypertoniker zur Blutdrucksenkung führt, sondern im Gegenteil die Hypertonie noch steigert. Weiter ist gerade die Tatsache, dass bei den Arterien- krämpfen wie bei den Spasmen anderer glattmuskeliger Hohlorgane {Darm-, Nierenbecken-, Gallenkoliken) so intensive Schmerzen auf- treten, die wir bei normaler oder verstärkter Tätigkeit nicht sehen, für uns ein schwerwiegendes Argument dafür, der Arterienmuskulatur keine Sonderstellung vor den anderen glatten Muskeln einzuräumen. Erfordert schliesslich nicht die Annahme, dass für eine Strom- veschleunigung in der Niere oder im Gehirn sich ein anderes, ganz unbeteiligtes Gefässgebiet verengert, nicht mehr metaphysische Teleo- logie als unsere Auffassung, nach der das arbeitende Organ durch seine Stoffwechselschlacken selbst seine Blutversorgung reguliert? Der Vorwurf, die neue Lehre grabe den „Archaeus“ wieder aus (sic! C. Trautwein), sie huldige einem längst überwundenen Vita- lismus, weil sie die an sich richtigen Gesetze der Hydrodynamik in ihrer reinen Form als unanwendbar für den Organismus ansieht und physikalisch noch nicht fassbare Eigenkräfte der lebenden Substanz notwendig annimmt, gilt schliesslich für die ganze moderne Physio- logie. Vieles, was mechanisch eindeutig gelöst schien, die Lymph- bildung, die Nierensekretion, hat sich als unendlich viel komplizierter herausgestellt. Damit soll nicht einem metaphysischen Neovitalismus das Wort geredet werden, der die lebende Substanz als etwas der unbelebten Natur diametral Gegenüberstehendes betrachtet, sondern “wir sollen nur offen zugeben, dass der Organismus über Kräfte ver- fügt, die wir rein physikalisch noch nicht verstehen können, ohne doch daran verzweifeln zu müssen, sie jemals restlos zu klären, d.h. sie auf bekannte, einfachere Formen zurückzuführen. Wie auf allen anderen Gebieten der Blutdruckforschung, scheint uns gerade auf dem der Hypertonie die Technik eine ausschlag- Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 449 zebende Rolle für das Zustandekommen der Theorie gespielt zu haben. Es ist Hasebroek’s!) grosses Verdienst, immer wieder auf die Bedeutung der Art der Druckmessung hingewiesen und den fundamentalen Unterschied zwischen der am Lebenden natürlicher- weise vorkommenden und der künstlich erzeugten Blutdrucksteige- zung hervorgehoben zu haben. Eine Drucksteigerung in einem rein elastischen, nieht mit eigenen "Wandkräften begabten Schlauch durch Verengerung der Peripherie, durch Hemmung des Abflusses “führt niemals zu einer Vergrösserung der Pulsamplitude, stets zu einer Verkleinerung. Als Beispiel sei auf die Kurven in Straub’s Arbeiten hingewiesen?), der mit einem verstellbaren Kapillarwiderstand arbeitete. Hier sind diese Verhältnisse klar zu sehen: einem Minimaldruck von 60 entspricht eine Amplitude von etwa 110, einem solchen von 120 eine von nur 80. Hingegen geht die hypertonische Drucksteigerung im Organismus ‚stets mit einer Vergrösserung der Pulsamplitude einher. Wenn die klinischen Blutdruckmessungen nur einigermaassen brauchbar sind, vor allem die Minimaldruckbestimmungen, so ist diese Tatsache ganz evident, dass der Maximaldruck stets viel stärker steigt als der minimale, vorausgesetzt natürlich, solange Suffizienz der Zirkulation besteht. Wir sind um so mehr geneigt, dieses Wachsen der Amplitude ‚als wirklich bestehend anzunehmen, als Straub dasselbe einwand- frei für den Druck in der Pulmonalis nachgewiesen hat?). Dass schliesslich das Herz in derselben Weise, mit einer Erhöhung der Druckamplitude, auf eine Steigerung des Minimaldruckes reagiert, scheint uns einer der wichtigsten Beweise für die prinzipielle Ähn- liehkeit in der Dynamik von Herzmuskel und Arterienwand. Nirgends hat sich die Messung des Mitteldruckes in verhängnis- 'vollerer Weise für unsere Anschauungen geltend gemacht als gerade hier. Für die Mitteldruckmessung ist es unter Umständen ziemlich gleichgültig, ob die Blutdrucksteigerung mit Vergrösserung oder Ver- kleinerung der Amplitude einhergeht — sie kann beide Male eine Druckerhöhung anzeigen. Daher schloss man umgekehrt, dass. eine ‚Erhöhung des Mitteldruckes, wie man sie experimentell bei künst- l) Hasebroek, |. c. 2) Zum Beispiel H. Straub, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 115. 71914, Fig. 8. 3) H. Straub, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 116 S. 335. 1914. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 29 450 Karl Kautsky: lichen Nervenreizversuchen oder Arterienunterbindungen hatte auf- treten sehen, stets eine Abflusserschwerung bedeute, und baute darauf die heute herrschende Theorie der Blutdrucksteigerung auf. Dabei zeiet sich heute immer mehr, ein wie grosser Unterschied: _ auch sonst zwischen der künstlich-mechanisch erzeugten „toten“ Drucksteigerung, die mit Einengung der Amplitude einhergeht, und der biologisch auftretenden, durch Vergrösserung der Amplitude charakterisierten „lebenden“ Drucksteigerung besteht. Wie Asher: gezeigt hat, ist es nicht möglich, durch tote Blutdrucksteigerung‘ (tetanische Reizung des Splanchniecus oder der durchschnittenen. Medulla oblongata, Druck auf das Abdomen) die Lymphbildung zu: ‘erhöhen ; wohl aber geschieht dies durch Anwendung von Adrenalin, das, solange es nicht zu Arterienkrämpfen führt, ebenfalls die Druck- amplitude vergrössert. Beim Adrenalin wissen wir aber, dass es auf Drüsen, Herz und Muskeln als Stoffwechselaktivator wirkt und zum Beispiel zu einer starken Steigerung des O,-Verbrauches in den Speicheldrüsen [Bareroft und Piper!)] und dem Herzmuskel [Evans und Ogawa?)] führt, dass also hier die Blutdrucksteigerung die Begleiterin einer Stoffwechselerhöhung ist. Denselben Unterschied zwischen toter und lebendiger Drucksteigerung finden wir bei der Absonderung der Liquor cerebrospinalis, indem die erste kaum, die zweite, von Änderungen der C; abhängige (Asphyxie, CO,-Vereiftung) zu enormer Steigerung des Oerebrospinaldruckes führt [Dixon und Halliburton?)]. Überblicken wir. alles in allem die Bausteine der heutigen Theorie der Hypertonie, so müssen wir zugeben, dass sie auf recht schwachen Füssen steht. Nicht nur wird sie vielen Tatsachen nicht gerecht, sie ist auch logisch unhaltbar, wenn man als ihr Endziel die Strombeschleunigung im Kapillargebiet ansieht. Wir wollen dem unsere eigene Auffassung gegenüberstellen, die, soviel wir sehen, alle Tatsachen in befriedigender Weise vereinigt. Als Beispiel wollen wir das klinische Krankheitsbild der „essentiellen“ Hypertonie wählen.. Es wird heute viel darüber gestritten, ob der Hypertonie eine primäre Nieren- oder Gefässerkrankung zugrunde liest. Dem muss. man das alte Huchard’sche Wort über die arterielle Hypertonie entgegenhalten: „Elle commence par l’intoxication, elle continue par 1) Barcroft u. Piper, Journ. of Physiol. vol. 44.- 1912. 2) Evans u. Ogawa, Journ. of Physiol. vol. 47. 1913/14. 8) Dixon u. Halliburton, Journ. of Physiol. vol. 48. 1914. BET RE 1 SE EN RE EEE Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 451 Yintoxieation, elle finit par l’intoxieation.“ Die Intoxication ist das A und O des gesamten Krankheitsbildes, mag sie nun alimentär bedingt sein (Fleischkost im Verein mit Alkohol und Nikotin) oder gewerblich (Blei) oder endogen-familiär (Gicht, Diabetes) oder in- fektiös (Lues) oder schliesslich auch durch primäre Erkrankungen der Nieren (Glomerulonephritis). Die Art der vergiftenden Agens ist nicht für alle Fälle genauer bekannt, doch dokumentiert sich die ganze Störung klar als Azidose. Wie schon erwähnt, hat Hasselbaleh durch reine Fleischdiät eine deutliche Zunahme der Cu im Blute gegenüber Pflanzenkost erzielt (0,47 x 107" bei 40 mm CO,-Spannung gegenüber 0,55x 1077), die durch Atmungsvergrösserung und Senkung der CO,-Tension aus- geslichen wird (38,9 mm gegenüber 43,3 mm alveolär). Dann haben Bareroft und seine Schüler die O,-Dissoziationskurve im Blute solcher Patienten untersucht und auch auf diesem Wege bei abnorm tiefer CO,-Tension das Bestehen einer Azidose bestätigt. Diese zeigt sich klinisch ferner in der vergrösserten Atmung, der „toxi-alimentären Dyspnöe“ Huchard’s, die sich .anfallsweise zum Asthma cardiale steigern und zu quälender Schlaflosigkeit Ver- anlassung geben kann. Neben dieser Verstärkung der Lungen- tätigkeit führt die Azidose vor allem zu einer Mehrbelastung des anderen Säureausscheiders Kat’ exochen, der Niere. Die Harn- azidität steigt, Harnsäure kann ausfallen. Der Kreislauf beteiligt sich auf folgende Weise: Ganz gleich, ob die Säuren von aussen resorbiert oder im intermediären Stoff- wechsel gebildet oder schliesslich infolge einer Krankheit der Säure- ausscheider nieht eliminiert werden, auf alle Fälle kehrt ein abnorm säurehaltieges Venenblut zum Herzen zurück. Da nun die fraglichen Säuren nicht durch die Lungen ausgeschieden werden, gehen sie in das Arterienblut über, natürlich eleichmässig in das Blut sämtlicher Körperarterien. Um die Cn herabzusetzen, muss der Säuretransport zu den Nieren und die Stromgeschwindiekeit in den Nieren gesteigert werden. Die Arterien, direkt durch die Cr-Änderung gereizt, be- teiligen sich durch verstärkte Pulsation an der Beschleunigung des Blutstroms, und da alle gleichermaassen’ von demselben Reiz ge- troffen werden, so übernimmt das gesamte Arteriensystem diese Mehrarbeit.e Die Blutdruckamplitude wächst durch Steigen des arteriellen Maximaldrucks, es kommt zur Hypertonie. Diese muss in allen Arterien nachweisbar sein, auch in der Peripherie, wo sie 29 * 452 Karl Kautsky: der klinischen Messung zugänglich ist. Ebenfalls an der Peripherie können wir uns davon überzeugen, dass die von uns als Zweck der Hypertonie geforderte Beschleunigung des Kapillarblut- stroms tatsächlich erreicht ist, wie Weiss bei direkter Inspektion der Nagelbettkapillaren beschrieben hat. Wir haben demnach in dieser mit erhöhter Blutstromgeschwindig- keit einhergehenden, durch Vergrösserung der Druckamplitude charakterisierten Form der Hypertonie einen für den Körper zweck- mässigen kompensatorischen Vorgang zu sehen. Das Normal- bleiben des Reststickstofispiegels im Blute beweist, dass die Kompen- sation tatsächlich vollkommen ist, dass alle Schlacken ausgeschieden werden. Wir haben nicht das Recht, auf Grund des normalen Rest-N-Befundes einen ursächlichen Zusammenhang zwischen N- haltigen Schlacken und Hypertonie abzulehnen, der ja einmal aus Experimenten mit künstlicher Einverleibung solcher Stoffe, andrer- seits aus klinischen Fällen mit Versagen der Kompensation und konsekutivem Steigen des Rest-N klar hervorgeht. Ebenso könnten wir auch bei der Azidose die Bedeutung der Säurevergiftung leugnen, da die Cu in weiten Grenzen konstant bleibt; trotzdem macht sich die Azidose allerorten fühlbar, in der Atemvergrösserung, dem Sinken der CO,-Tension usw., wenn sie auch durch eben diese Mechanismen kompensiert und damit scheinbar zum Verschwinden gebracht wird. Es sei nochmals betont, dass nach unserer Anschauung eine primäre Nierenerkrankung für die Erklärung der Hypertonie nicht notwendig ist: ebenso wie ein Zuwenig an Ausscheidungsmöglichkeit. kann ein Zuviel an Zufuhr des Auszuscheidenden wirken. Es sind auch tatsächlich in neuerer Zeit Fälle genug beschrieben worden, die klinisch auf Grund langdauernder hochgradiger Hypertonie als Schrumpfnieren angesprochen worden sind, bei der Sektion jedoch normale Nieren ergeben haben. — Das Herz ist bisher durch die Hypertonie nur insofern beteiligt worden, als das Schlagvolum vielleicht eine geringe Erhöhung er- fährt; der arterielle Widerstand ändert sich trotz Steigens des Maximal- drucks nicht, das Arteriensystem ist stark genug, die Strom- beschleunigung im Kapillargebiet aus eigener Kraft zu bestreiten. Indessen hat diese Kraft eine Grenze. Von einem gewissen Moment ab kann die Stromgeschwindigkeit durch die Eigenarbeit der Arterie nicht mehr gesteigert werden; hält die Azidose trotzdem an und Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 453 führen die Venen ihr Blut unverändert weiter dem Herzen zu, so wird in die Arterien mehr Blut geschleudert, als sie abzuführen ver- mögen. Es kommt vor der insuffizienten Stelle zu einer Stauung und zu einem Sinken des von dem betreffenden Abschnitte geförderten Stromvolums; „ wie aber beim Herzen das Überschreiten einer ge- wissen maximalen Anfangsfüllung zu einem Sinken des Schlae- volums, einer starken Steigerung des diastolischen Ventrikeldrucks und einer kompensatorisch wirkenden Mehrfüllung des Vorhofs führt, genau so im Arteriensystem. Die Stauung führt zu einer Zunahme der Restspannung der Arterienwand, des Minimal- drucks, stromaufwärts von dem insuffizienten Abschnitt, und diese Steigerung der Anfangsspannung befähigt das höher gelegene Gebiet unmittelbar zu einer Mehrleistung, die sich in gesteigerter Zunahme des Maximaldrucks äussert. Im ferneren Verlaufe greift diese Er- höhung der Restspannung immer weiter herzwärts zurück, bis schliesslich der Moment kommt, wo sich der linke Ventrikel einem er- höhten Aortenöffnungsdruck gegenüber zu entleeren, gegen wachsende Überlastung anzukämpfen hat. Von nun an gelten alle Gesetze un- eingeschränkt, die Straub und andere über die Bedeutung des Widerstandsdruckes für den linken Ventrikel abgeleitet haben. Diese Gesetze stellen also eigentlich einen Spezialfall dar; sie treten in Kraft, sowie das periphere Gefässsystem nicht mehr durch seine Eigentätigkeit dem Herzen Arbeit abnimmt. Der von Straub ge- fundene Unterschied zwischen dem Verhalten des grossen und kleinen Kreislaufs gegenüber Änderungen des Widerstandsdrucks findet unseres Erachtens seine Erklärung darin, dass Straub bei seinem Herzlungenkreislauf das Aortensystem -durch einen künstlichen wenn auch elastischen Widerstand ersetzt, während er im Lungenkreislauf das natürliche, lebendige Gefässsystem bestehen lässt. Den erhöhten Widerstand kann der linke Ventrikel nur durch eine Steigerung seiner Anfangsspannung überwinden. Diese gewährt ihm jetzt eine Vermehrung seines Restblutgehaltes; es kommt zur “ systolischen pleotonischen Dilatation des linken Ventrikels mit all ihren klinischen Symptomen, wie verbreitertem, hebendem Spitzen- stoss, Verbreiterung der Herzdämpfung nach links und unten; zum Zeichen, dass der Widerstand in der Peripherie erhöht ist, steigt der arterielle Minimaldruck, der zweite Aortenton wird akzentuiert. Noch immer indessen ist die Kompensation der Azidose ungestört. Anders ist es, wenn der Kreislauf plötzlich mit einer grossen Menge 454 Karl Kautsky: von Schlacken überschwemmt wird, ihre Ausscheidung jedoch stockt, wie es zum Beispiel bei der akuten Glomerulonephritis der Fall ist. Führten vorher die Schlacken zu einer Funktionssteigerung des peripheren Gefässsystems, so kann jetzt ihr Übermaass einen Krampfzustand, vor allem der Arteriolen, erzeugen. Dieser bildet natürlich ein schweres Hemmnis für die Blutdurchströmung, es kommt zu starker Steigerung des arteriellen Minimaldrucks, zu akuter Herzdilatation. Als Spiegelbild der gehemmten Nieren- durchblutung sehen wir in den Hautkapillaren ebenfalls eine Zirku- lationsstörung: die zuführenden Arterien sind eng kontrahiert, in den Kapillaren herrscht träge, „körnige“, d.h. nicht kontinuierlich, sondern mit Unterbrechungen verlaufende Strömung (Weiss); Ähn- liches kennen wir von der Netzhaut. Die von der Blutdurchströmung der Niere abhängigen Ausscheidungsfunktionen erlahmen, Olig-, ja Anurie tritt ein, der Rest-N. schnellt rapid in die Höhe. Wir be- wegen uns in einem Cireulus vitiosus: die Niereninsuffizienz führt zur Retention von Stoffen, die infolge eines Gefässkrampfes zur Verschlechterung der Nierendurchblutung führen und dadurch wieder die Niereninsuffizienz verstärken. Wird dieser Ring nicht irgendwie gesprengt, so kommt es zur absoluten Dekompensation, der Urämie. Steigt der diastolische Druck im linken Ventrikel, so dass auch der Vorhof gegen erhöhten Widerstand anzukämpfen hat, so tritt als klinisches Zeichen verstärkter Atriumtätigkeit Galopprhythmus auf. Versagt schliesslich auch der Vorhof, so kann es zu Lungen- ödem kommen, um so eher, wenn auch die Lungengefässe selbst geschädigt und insuffizient sind. Alle die angeführten Erscheinungen am Zirkulationsapparat sind reversibel, noch nicht anatomisch fixiert. Mit Ausheilen der akuten Nephritis können sie restlos verschwinden; bei den chronisch-hyper- tonischen Zuständen indessen bleiben auf die Dauer sichtbare Nach- wirkungen nicht aus: der dilatierte Ventrikel erstarkt unter dem Ein- fluss der dauernd erhöhten Anfangsspannung, er hypertrophiert. Das Gefässsystem hypertrophiert ebenfalls; es kommt zur elastisch-hyper- plastischen Intimaverdickung und zur Verstärkung der Media, beson- ders in den kleinen Arterien. Bei unserer Anschauung von dem engen funktionellen Zusammenhang der spezifischen Arbeitszellen eines Or- gans mit seinem Gefässsystem , von dessen Eigenarbeit ihre Ver- sorgung und damit ihre Leistungsfähigkeit in erster Linie abhängen, ist es natürlich, dass die geschilderten Veränderungen in den auf Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 455 «das höchste in Anspruch genommenen Nieren auch am meisten aus geprägt sind. Mit der Zeit fallen nun die hypertrophischen Gefässwände einem Degenerationsprozess anheim, den wir als Folge der Überarbeit an- ‚zusehen haben: es kommt zur Arteriosklerose. Unter Arterio- -sklerose wäre hier der von Huchard scharf umrissene klinische Degriff zu verstehen, der mit dem rein anatomischen, den er ‚als Atherom zusammenfasst, wenig zu tun hat. F. v. Müller hat dafür den Ausdruck Arteriolosklerose vorgeschlagen, der nur diese eine Form, die Degeneration vor allem der muskelstarken kleinen Arterien in sich begreift. Sekundär kann jetzt wieder die Arteriolosklerose zu allen mög- lichen Störungen führen; die Durchblutung, vor allem während der ‘Organtätigkeit, ist infolge der Schwächung der Arterienarbeit und der durch Intimaverdieckung verengerten Gefässe eingeschränkt, so ‚dass es zu einer funktionellen Minderwertigkeit, einer „Meiopragie“ -der Organe kommt. Ihren höchsten Ausdruck findet sie in der Dyskinesie, in schmerzhaften Krämpfen der übermüdeten Arterien mit Asphyxie des versorgten Gebietes. Hier interessieren uns vor allem die Nieren. Auch bei anatomisch intakten Nieren kann der Blutdruck hoch sein, wenn nur das 'Schlackenangebot gross gerug ist. Nun kann aber die Niere noch selbst Schaden leiden, und zwar auf zweierlei Arten. Einmal führt die Arteriolosklerose, die ja niemals nur an die Gefässwände gebunden ist, sondern stets mit anatomischen Veränderungen des zugehörigen ‘Stromgebietes verknüpft ist, zu einer Verödung von Glomerulis und schliesslich zur Nephrosklerose. Schon in diesem Stadium, in dem ‚die Nierenfunktion noch intakt sein kann (benigne Form nach Vol- hard-Fahr), kann das Individuum am Versagen seines Zirkulations- ‚systems oder an Apoplexie zugrunde gehen. Zweitens ‚aber haben wir schon oben geseheu, einen wie dele- tären Einfluss die Azidose auf die Nierenfunktion selbst ausüben kann. Die Azidose schädigt ebenso wie die Gefässe die Niere selbst: so kommt es zur malignen Form der Nephrosklerose, der Volhard- schen Kombinationsform, bei der die Niereninsuffizienz das Bild be- herrscht. Diese steigert ihrerseits wieder die Azidose, so dass wir die schwersten klinischen Störungen und die höchsten Blutdruck- werte infolge dieses Circulus vitiosus gerade bei den malignen Schrumpfnieren antreffen. Absolute Insuffizienz der Säureausscheidung, 456 Karl Kautsky: die sich noch mit einer Retention von Harnstoff, Indikan usw. kombi- niert, führt endlich zur Urämie, an der bei dieser Form der Exitus erfolgt. Bei dieser letzten Form, die wir als chronische Dekom- pensation der vorher besprochenen akuten gegenüberstellen wollen, ist die Hypertonie teils durch Eigenmehrarbeit der Arterien, teils- durch Krampfzustände oder durch anatomische Verengerung der Ge-- fässe und dadurch erzwungene Mehrarbeit des Herzens bedingt. Es- kombinieren sich hier sozusagen „lebendige“ und „tote“ Druck- steigerung; Minimal- und Maximaldruck sind gleichermassen enorm erhöht. Der Rest-N ist gesteigert, die Kapillarströmung in Haut und Retina mühsam; trotzdem hat die Hypertonie immer noch kompensatorische Bedeutung. Versagen Herz und Gefässe, sinkt der Druck, so ist das Schicksal des Kranken in der Regel endgültig. besiegelt, die Urämie unabwendbar. Wir wohnen hier dem überwältigenden Schauspiel bei, wie nach: und nach der ganze Körperkreislauf dazu herangezogen werden kann, ein Stoffwechselprodukt, dessen Verbleiben im Körper schädlich wirkt, zu eliminieren, und wie eben dieses Stoffwechselprodukt das Hormon: darstellt, das die Gefässtätigkeit reguliert. Es wird uns daher nicht: wundern, wenn wir auch sonst noch Azidosen mit Hypertonie ver- gesellschaftet finden (Asphyxie, dekompensierte Vitien mit Hoch- druckstauung, Gravidität, schwere Muskelarbeit). Dass die Blutdruck-- steigerung natürlich in Fällen dekompensierter Azidose (Bergkrankheit, Toxikose der Säuglinge usw.) ausbleiben kann, ist erklärlich; denn die Dekompensation ist ja eben die Folge des Versagens, sei es des- Kreislaufs, sei es der Säureausscheider. Ebenso kommt es in, den letzten Stadien der Asphyxie zu paralytischer Drucksenkung in. den Arterien. Zu besprechen bleibt aber doch noch, warum in manchen Fällen eutkompensierter Azidose die Hypertonie scheinbar , ausbleibt; so: vor allem bei fieberhaften Frkrankungen. Wir meinen hier nicht septische Erkrankungen aller Art, mit toxischer Gefässlähmung,. . sondern leichtere Fälle mit energischer Abwehrreaktion eines voll- kräftigen Organismus. Die Zirkulationsgrösse ist im Fieber erhöht; es kommt also zu. einer doppelten Reizung des Arteriensystems, zu einer mechanischen durch die Erhöhung des Schlagvolums und zu einer chemischen durch die Azidose. Trotzdem bleibt die Hypertonie, gemessen an. Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 457 der Brachialis!), aus — allerdings nur in einem gewissen Stadium des Fiebers: wenn die Haut lebhaft arbeitet, wenn sie stark durchblutet und feucht ist. Messen wir dagegen zu einer Zeit, wo die Haut blass ist, also im Stadium inerementi, so kann der Blut- druck hoch sein, ja er kann im Schüttelfrost bis auf 130 mm Hg ansteigen |F. v. Müller?)], ohne dass wir, wie Müller will, hier einen Krampf der Hautgefässe anzunehmen haben, der mechanisch die Drucksteigerung erzeugt. Erst wenn jetzt das Hautorgan in Aktion tritt, um die Ent- wärmung des Körpers zu besorgen, fällt der Druck. Auf welche Weise? Zeigt sich hier nicht doch, dass die alte Theorie die Ge- schehnisse einfacher erklärt durch die Annahme, die Hautgefässe- erschlaffen paralytisch und führen dadurch zur Drucksenkung? An- genommen, es wäre So, so müsste sich in dem stark erweiterten Hautgebiete das Blut ansammeln; da der arterielle Druck sinkt, so ist das nach der alten Theorie ein Zeichen dafür, dass sich kein anderes arterielles Gebiet gleichzeitig kontrahiert. Woher stammt. nun das Blut, das in die Peripherie strömt? Als Reservoir kommen noch die Lungen und das venöse System in Frage. Die Lungen arbeiten indessen im Fieber verstärkt, mit erhöhter Mittellage, also auch mit grösserer Blutfülle; bleibt nur noch das Venensystem. Wenn das Venensystem aber an Blut verarmt, woher nimmt dann das Herz das Schöpfmaterial, um die Stromvolumerhöhung zu bestreiten ? Da der arterielle Widerstand angeblich sinkt, muss das Herz ein grösseres Schlagvolum auswerfen; ist sein Residualblut aber auf- gebraucht — und das ist mit ein paar Schlägen der Fall — und sinkt der Zufluss, so hilft die stärkste Kontraktion dem Herzen nichts mehr: das Stromvolum sinkt, die Zirkulation wird langsamer, und schliesslich bleibt die Maschine stehen. Ist wirklich Gefäss- erweiterung und Gefässerweiterung stets dasselbe, so ist eben der Peritonäalschock das Urbild der Organdurchblutung; er zeigt uns aber, dass die paralytische Erweiterung eines grossen Gefässgebietes nicht zur Strombeschleunigung, sondern zur Verlangsamung führt. 1) Am Herzen ist sie unter Umständen nachweisbar. Ortner (Kongr. f. inn. Med. 1905) macht darauf aufmerksam, dass bei Typhus abdominalis auch bei weichem dikrotem Fieberpuls der 2. Aortenton und die Resistenz des Herz- spitzenstosses vermehrt sind. 2) Fr. v. Müller, l.c. S. 68. 458 Karl Kautsky: 5. Der Blutstrom in den Organen. Wir werden, glaube ich, zu einem besseren Verständnis der Drucksenkung im Fieber gelangen, wenn wir uns vor Augen halten, dass die Arteria brachialis oder radialis, an der wir klinisch den Blutdruck messen, die zuführende Arterie zu einem grossen Organ- gebiete, zu dem der Haut, bildet. Von diesem Gesichtspunkte aus ist die Drucksenkung. in der Brachialis genau dasselbe wie die Drucksenkung, die wir auch sonst in den Arterien arbeitender Organe auftreten sehen. Sie ist nachgewiesen bei der Glandula submaxillaris, bei der Niere, beim sich erigierenden Penis und schliesslich auch in manchen Fällen von Muskelarbeit, vor allem bei trainierten Sports- leuten und arbeitsgewohnten Tieren (Pferd). Zugleich mit der Druck- senkung in der Arterie kommt es zu einer Drucksteigerung in der Vene und zu starker Strombeschleunigung im Kapillargebiet, die sich dadurch kundgibt, dass arterielles, hellrotes Blut im Strahl, ‘oft sogar pulsierend, aus der Vene hervorspritzt. Beim Anschneiden der Organe sieht man überall kleinste Gefässe rhythmisch hoch auf- spritzen; der bis auf die Venen übergehende Puls wird auch in den Kapillaren deutlich (Kapillarpuls am Nagelbett im Fieber). Ist es nun möglich, diese Tatsachen durch eine einfache Gefässerweite- rung im arbeitenden Organ zu erklären? Es erscheint uns schon rein hydrodynamisch nicht leicht zu verstehen, wie Vasodilatation in einem Organ zu Strombeschleunieung führen soll. Für gewöhnlich heisst es doch in der Physiologie, dass die Stromverlangsamung und das Erlöschen der Pulswelle im Kapillar- gebiet Folge der steten Verbreiterung der Strombahn ist. Und nun soll es auf einmal zu einer Strombeschleunigung und zu verstärkter "Pulsation kommen, wenn sich die Kapillaren erweitern, die Strom- bahn also noch breiter wird! Dieser Irrtum scheint uns wieder durch falsche Anwendung physikalischer Gesetze entstanden. In einem einzelnen Kapillarrohr nimmt die Stromgeschwindiekeit im Quadrat zur Vergrösserung des Röhrenradius zu; nun setzt man auf den schematischen Zeichnungen einfach das Kapillarsystem einer geraden kapillären Röhre gleich, in die der Strom direkt aus einem weiteren Rohr einmündet. Dabei vergisst man ganz, dass der Ge- samtquersehnitt des Kapillarsystems doch ein viel grösserer ist als der der zuführenden Arterie, dass also bei einer schematisierenden Zusammenfassung des Kapillargebietes in ein Rohr das Poiseuille’sche Gesetz in keiner Weise anwendbar ist. Man stelle sich doch nur Zur normalen und pathologischen Physiologie_des Kreislaufs. 459 vor, an eine Röhrenleitung sei ein Schwamm angeschlossen, der von Wasser durchflossen wird. Es wird natürlich zu einer starken Ver- lanssamung des Stromes gegenüber der Geschwindigkeit im. Zu- leitungsrohr kommen; nun denke man sich die Spalträume des Schwammes noch erweitert, sein Volumen noch vergrössert: eine Beschleunigung der Strömung dadurch ist nicht gut vorstellbar. Ebensowenig wie die Steigerung der Stromgeschwindigkeit scheint uns die Druckerhöhung in der abführenden Vene möglich bei rein statischer Erweiterung des Kapillargebietes. Krogh hat z. B. an seinen Modellversuchen bei Erweiterung des „Pfortadergebietes“ Drucksenkung in der Arterie, Drucksteigerung im Kapillargebiete und Drucksenkung in der abführenden Vene gefunden; dasselbe, behauptet er, finde bei der Erektion des Penis statt. Wir haben oben erwähnt, dass letztere Behauptung nicht den Tatsachen ent- spricht, dass sich der lebende Organismus anders verhält als das tote Modell. Überhaupt scheint uns die ganze Frage, ob bei Er- weiterung eines grossen Kapillargebietes mit enger Zuflussröhre die verlangsamende Wirkung der Erweiterung des Gesamtquerschnittes oder die beschleunigende der Erweiterung der einzelnen Kapillare überwiegt, noch einer rein physikalischen Untersuchung zu harren; solange sie nicht gelöst ist, wird jeder Streit an der Hand von schematischen Zeichnungen unfruchtbar bleiben. Wie nun, wenn wir uns die vorläufig ganz sterile hydrodyna- mische Auseinandersetzung über die Weite des Kapillarsystems sparen könnten, wenn wir an Hand von Beobachtungen nachweisen könnten, dass der Gefässweite der Kapillaren bei weitem nicht die funda- mentale Bedeutung zukommt, die ihr die heutige Theorie vindiziert ? Wenn wir zeigen könnten, dass die Tätigkeit vieler Organe gar nicht zwangsläufig mit Gefässerweiterung verknüpft ist, sondern dass diese nur etwas Akzidentelles darstellt und nur bestimmten Organen vor- behalten ist, die gleichzeitig mit der Erhöhung der Stromgeschwindig- keit auch einer Steigerung der Durchflussmenge bedürfen !)? Hier sind in erster Linie die Befunde von Natus?) anzuführen, die er am Pankreas des lebenden Kaninchens erhoben hat. Nach seinen Feststellungen führt Berieselung mit allen möglichen reizenden Substanzen erst zur Gefässerweiterung mit Beschleunigung der 1) Hierzu vgl. vor allem Mares, Pflüger’s Arch. Bd. 165. 1916. 2) Natus, Virchow’s Arch. Bd. 199. 1910. 460 Karl Kautsky: Strömung, weitere Reizung dann zu spastischer Gefässverengerung mit Stromverlangsamung und schliesslich wieder zu Gefässerweiterung, bei der nach anfänglicher Beschleunigung sich die Blutströmung immer mehr verlangsamt, um schliesslich bei weit offenen Kapillaren stillzustehen. Trotzdem also die arterielle Trieb- kraft ungehindert wirken kann, trotzdem die Venen geöffnet sind, bewegt sich das Blut nicht weiter, es kommt zur Stase und dabei unter Umständen zur Blutung per diapedesin. Da die Stase sich wieder „lösen“ kann, ist man wohl nicht berechtigt, in diesen Fällen ein mechanisches Abflusshindernis wie Thrombenbildung anzunehmen. Ähnliches sehen wir in der Umgebung entzündlicher Herde: in der weiteren Peripherie flammende Rötung, Erweiterung der Kapillaren mit maximaler Erhöhung der Blutstromgeschwindiekeit; je näher wir | dem Herde kommen, um so langsamer wird die Strömung, das Rot geht in Violett und Blau über, schliesslich sehen wir auch hier Still- stand des Blutstromes bei offenen und erweiterten Kapillaren. Wir sehen also, dass die Weite der Kapillaren und der arterielle Druck nieht das mindeste mit der Stromgeschwindiekeit zu tun haben, dass hier ganz andere Faktoren am Werke sind als hydrodynamische. Der arterielle Blutdruck allein scheint nicht ausreichend, das Blut durch ein Organ zu treiben, wenn dessen Kapillaren ihm die Mithilfe versagen. Einen anderen Beweis für die geringe Bedeutung der Gefäss- weite bietet uns die Blutdurchströmung in Organen, die nicht er- weiterungsfähig sind. Es hat sich herausgestellt, dass es voll- kommen gleichgültig für die Stomgeschwindiekeit etwa der Niere. oder der Speicheldrüse ist, ob man das Organ frei untersucht oder ihm jede Möglichkeit der Erweiterung genommen hat. Henderson und Löwi!) haben gefunden, dass bei der Coffeindiurese das Blut rein arteriell aus der Nierenvene schiesst, die Niere also mit stark _ erhöhter Stromgeschwindigkeit durcheilt, ganz gleich, ob man der Niere gestattet, sich auszudehnen, oder ob man sie fest eingipst. Dasselbe haben sie an der Glandula submaxillaris nach Chordareizung beobachtet. _ Schliesslich haben wir auch im Gehirn ein Organ, das von Natur aus in eine starre, unnachgiebige Kapsel eingeschlossen ist, so dass sein Blutgehalt als nahezu konstant zu betrachten ist. Über den Eigenbetrieb des Blutstromes im Gehirn hat MareS?) ganz be- stimmte Vorstellungen entwickelt, auf die hier dringend verwiesen sei. 1) Henderson u. Löwi, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 53. 1905. 2) Mares, ]l.c. 8. 400. “ Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 461 Hier sei nur noch auf einen sehr fruchtbaren Gedanken hin- gewiesen, den MareS an der genannten Stelle weiter ausspinnt. Die Drucksenkung in der Arterie, die Strombeschleunigung im Kapillargebiet sind wohl erklärlich, wenn man sich vorstellt, dass das Parenchym der arbeitenden Organe sozusagen am Blutstrom saugt und durch eigene Kräfte einen Wasserstrom vom Blut in die Gewebe ableitet. Tatsächlich sehen wir denn auch, dass alle Organe über derartige Saugvorrichtungen verfügen, die aufs engste mit dem jeweiligen Grad des Stoffwechsels verknüpft sind und deren Wirk- samkeit von Stoffwechselendprodukten reguliert wird. Wir haben schon erwähnt, dass die Diurese der Durchblutungs- geschwindigkeit in den Nieren einigermaassen parallel geht, und es ist sicher kein Zufall, dass dieselben Nierenerkrankungen, die durch die Hypertonie ihre grossen Ansprüche an die Blutstromgeschwindig- keit kundtun, auch mit einer starken Vermehrung der Diurese, mit einer Polyurie, einhergehen. Dasselbe wie für die Niere gilt für die Speicheldrüsen, die Leber, in denen spezifische Sekrete durch Wasser- abpumpung aus dem Blut gebildet werden, das Gehirn — hier wirkt die Sekretion des Liquor cerebrospinalis, die von der Cn des Blutes reguliert wird, saugend und drucksenkend auf die Arterie (Dixon und Halliburton) —, die Haut mit ihren Schweissdrüsen !), den Darm mit seinen Verdauungsdrüsen, die Muskeln mit ihrem Lymphstrom. Wie hoch übrigens auch die Ableitung von Wasser- strömen aus einem bestimmten Organ in der Therapie lokaler Zirkulationsstörungen geschätzt wird, zeigt die Bewertung von 1) Die Bedeutung der Schweisssekretion für den Blutstrom geht aus den zwei anscheinend paradoxen Anlässen hervor, bei denen es zum Schwitzen kommt. Einmal bei stark arbeitender hyperämischer Haut und dann bei erlahmender peripherer Zirkulation, beim Peritonäalschock, in der Agone als „kalter“ Schweiss. Beide, auf den ersten Blick-so verschieden anmutenden Prozesse beruhen auf der- selben Grundlage. Bei schwerer Muskelarbeit, bei hoher Aussentemperatur wird eine grosse Arbeitsleistung von der Haut verlangt, die Entwärmung des Körpers. Dazu muss eine mächtige Menge azidotischen Blutes die Hautgefässe passieren; je weniger diese geübt sind, um so mehr sind sie auf die Hilfe der Schweissdrüsen angewiesen. In der Agone dagegen, in der es zur Anstauung des Blutes im zu- erst erschöpften Splanchnicussystem kommt, wird die Haut blass und schlecht durchblutet, und zwar von einem säurereichen, sauerstoffarmen Blut. Diese Azidose reizt die Schweissdrüsen zu erhöhter Aktion, und sie versuchen durch ihre Saug- tätigkeit die Durchblutung der Haut zu fördern. Beim Gesunden wird in der Kälte die Haut ebenfalls blass, aber sie schwitzt nicht, da hier die Blutbeschaffen- heit normal ist. 462 Eu Karl Kautsky: Sehwitzprozeduren oder der Karlsbader Kuren bei Verlangsamung des Pfortader-Kreislaufs, bei Splanchnie stasis. Und doch scheint uns auch dieser wichtige Hilfsmechanismus nieht unbedingt notwendig zu sein zur Erklärung der Strom- beschleunigung: auch die atropinisierte Speicheldrüse, die gar kein Sekret ausstösst, reagiert auf Reizung der Chorda tympani mit der- selben Strombeschleunigung im Kapillargebiete; auch in ihr kommt es zur Drucksteigerung in der Vene, die ja überhaupt durch die Saugung im Kapillargebiet nicht erklärlich ist. Wir werden also: wieder dazu gedrängt, die Gefässwände selbst als die treibenden Kräfte anzusprechen, die durch eigene pulsatorische Tätigkeit den Blutstrom beschleunigen. Mit dieser Annahme lassen sich alle Be- funde restlos erklären: das Primäre ist die Stoffwechselerhöhung im Organ, die durch ihre Endprodukte die Kapillarwände zu verstärkter Tätigkeit anrest. Diese treiben das Blut rascher aus sich heraus in die Venen und zwingen diese dureh Erhöhung der Anfangsspannung und der Cr!) zur Teilnahme an der Beschleunigung der Blutströmung. Gleichzeitig stellt die raschere Entleerung des Kapillargebietes ein grösseres Druckgefälle vor den Arterien her, das Blut strömt aus. diesen rascher nach, der Druck in der Arterie sinkt. Diese selbständige Tätigkeit der Kapillaren ist es, deren Aus- fall zu der von Natus studierten Stromverlangsamung und Stase führt, ganz unbekümmert um die Weite der Gefässbahn und den in den Arterien herrschenden Druck. Diese selbe Tätigkeit ist es, die, unter dem Reize der Asphyxie, die Bildung des Kollateralkreislaufs bei Verschluss der zuführenden Arterie besorgt. Nicht stets ist das pheriphere System stark. genug zur Erfüllung dieser Aufgabe; ent- weder ist es schon von Natur aus schwach und eben nur für die Versorgung des eigenen Gebietes ausreichend wie beim Darm, oder aber es ist pathologisch geschädigt und hat die Fähigkeit zu selb- ständiger Arbeit verloren wie in der Stauungslunge, in der sich der Ausfall der Gefässtätigkeit, wie schon erwähnt, in der Pulmonal- sklerose kundgibt. In diesen Fällen kommt es zum hämorrhagischen Infarkt; die benachbarten Arterien tun, was in ihren Kräften steht, 1) Schwarz und Lemberger (Pflügers Arch. Bd. 141. 1911) haben bei Durchströmung der entnervten Speicheldrüse mit verdünnten Säurelösungen eine: konstante Zunahme der Durchflussmenge pro Zeiteinheit gefunden, ebenso Bay- liss [Jour. of Phys. (Proc. Phys. Soc.), Bd. 26. 1901, S. XXXII] bei Durch- strömung isolierter Froschextremitäten mit CO, gesättigter Ringer-Lösung. Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 463 um das notleidende Gebiet zu versorgen; sie können aber auf die Dauer die schwere asphyktische Schädigung im ausgeschalteten Ge- fässeebiet nicht hintanhalten, die anfänglich gereizten Kapillaren stellen in maximaler Dilatation die Tätiekeit ein, es kommt zur Stase und Diapedesisblutung. Auch hier spielt also die Asphyxie, d. h. die Azidose, die regulierende Rolle. Erst wirkt sie reizend, die Kapillarwandtätigkeit erhöhend, die Durchblutung fördernd, in zweiter Linie lähmend, zur Stase führend. Es sind dies die beiden selben Stadien, die wir in der Umgebung von Entzündungsherden sefunden haben, die also als lokalazidotische Prozesse aufzufassen sind; ihre Verallgemeinerung führt zu allgemeiner Azidose, zum Fieber, das mit erhöhter Blutstromgeschwindigkeit im übrigen Körper einhergeht. Ebenso kombinieren sich in der Gravidität, gleichfalls einem azidotischen Zustand, allgemeine Stromvolumerhöhung und lokale Stromverlangsamung bei erweiterten Gefässen am Orte der Säureerzeugung, im Uterus und seiner Umgehung, die mit ihrer strotzenden Füllung und ihrer tiefdunklen Zyanose wie gestaut aus- sehen, trotzdem, zumindest in den ersten Schwangerschaftsmonaten, von einem Abflusshindernis keine Rede sein kann. Das von den Anhängern der rein mechanistischen Kreislaufs- theorien anscheinend gänzlich vernachlässigte Stadium der Strom- verlanesamung bei erweiterten Gefässen ist klinisch von grosser Wichtiekeit. Bier schreibt ihm die Hauptheilkraft bei der Ent- zündung zu und sucht es durch künstliche Stauung zu verstärken. Naehdrücklich sei aber nochmals betont, dass es auch ohne Abfluss- hindernis, wie es die Staubinde oder Thromben setzen mögen, zur Stromverlangsamung kommen kann trotz ungehemmter arterieller Triebkratft. Allerdings liegen bei diesem Heilmittel sozusagen therapeutische und toxische Dosis eng bejeinander. Der Weg von der Funktions- steigerung zur Lähmung ist kürzer als der vom ruhenden Organ aus. So gelingt zum Beispiel der Goltz’sche Klopfversuch am Frosch leichter, wenn man das Peritonäum vorher in einen Zustand ent- zündlicher Reizung versetzt hat. Beim verdauenden Menschen mit starker aktiver Hyperämie der Bauchorgane kommt es eher als beim nüchternen zu Splanchnieuslähmung; die plötzlichen Todesfälle bei kaltem Baden rasch nach dem Essen beruhen sicher auf einem plötz- lichem Versiesen des venösen Zuflusses zum Herzen. Auch scheinen uns die Erfolge der vielleicht unbewusst inaugurierten Hungertherapie- A6A Karl Kautsky: bei akuter Peritonitis eher in diesem Sinne verständlich als durch eine angeblich erwünschte Ruhigstellung des Darms, die wir ja durch Hypophysenpräparate und Lichtbäder eher zu vermeiden trachten, ebenso wie wir den ersten Flatus als Zeichen der wiederkehren- den Darmbewegung mit erleichtertem Seufzer begrüssen. — Dass die geschilderte Auffassung des hämorrhagischen Infarktı die richtige ist, dass die Füllung des Gebietes von den Nachbar- arterien her erfolgt und nicht, wie in den Lehrbüchern zumeist steht, rückläufig von den Venen her, beweist uns am besten der anämische Infarkt. Hier ist eine Füllung des ausgeschalteten Gebietes von be- nachbarten Arterien her nicht möglich, da das Gebiet von End- arterien versorgt wird. Trotzdem der Weg nach den Venen zu offen bleibt, fliesst kein Blut ins Kapillargebiet zurück, ein Beweis, dass das periphere System nicht der Stromrichtung des Blutes entgegen- ‚arbeitet und eher stirbt, ehe es venöses aber immer noch genügend O,-haltiges Blut von rückwärts aspieriert. Venöses, d.h. säurehaltiges Blut setzt eben stets einen venenwärts gerichteten Mechanismus in Tätigkeit. Dieser Mechanismus ist es auch, der am Sterbenden dem Blute den Weg aus den Kapillaren in die Arterien zurückverwehrt. — Zum Schluss ist es vielleicht ganz reizvoll, zu untersuchen, ob sich nicht zwischen Venen und Arterien doch gewisse Unterschiede ergeben. Schon rein anatomisch bestehen grosse Differenzen, auf die wir nicht näher einzugehen brauchen. Das Venensystem er- scheint uns seiner ganzen Art nach als das ursprünglichere, phylo- genetisch ältere. Das „primitive Herzgewebe“ Mackenzie’s bildet seine direkte Fortsetzung und gleichzeitig den Grundstock bei der Bildung des Herzens. Die Arterien erscheinen demgegenüber viel höher differenziert, vor allem wohl zur Besorgsung des Betriebs im jeweiligen Einzelorgan. Die Venen werden unmittelbar von den Stoffwechselschlacken getroffen, vor allem von der CO,; diese ist ausgeschieden, bevor sie in die Arterien gelangt. Entsprechend dieser ständigen Beeinflussung erscheinen die Venen viel widerstandsfähiger als die Arterien: im zweiten Stadium der Asphyxie kommt es zu paralytischer Druck- senkung in den Arterien, während der Venendruck dauernd steigt. Die grössere Empfindlichkeit der Arterien gegenüber Cr-Änderungen geht auch aus Versuchen von Dale und Thacker!) hervor, nach denen, je weiter wir vom Sinus venosus zum Aortenbulbus beim Froschherzen fortschreiten, die reizende, Automatie erzeugende Cr Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs, 465 immer geringer wird, so dass am Sinus nicht mehr angreifende Konzentrationen an der Aorta noch wirksam sind. Freilich kommt bei der asphyktischen Senkung des Aorten- druckes in Betracht, dass die Arterien viel mehr als die Venen auf eine bestimmte, vom Herzen kommende Anfangsspannung angewiesen »» sind. Fehlt diese, so bedarf es ganz besonderer intensiver Reize, um die Arterien zu kompensatorischer Mehrarbeit zu veranlassen. Bei der Erzeugung der arteriellen Hypertonie sind anscheinend vor allem solche Schlacken bedeutsam, die durch die Nieren ausgeschieden werden, während im Venensystem vielleicht mehr die durch die Lunge auszuscheidenden, Zyanose erzeugenden Faktoren reizend wirken. In den Venen spielt dabei der physikalisch-chemische Reiz die überwiegende Rolle, während die Anfangsspannung demgegenüber in den Hintergrund tritt, Das Nervensystem und vielleicht auch die endokrinen Sekrete scheinen auf die Arterien mehr Einfluss zu haben als auf die relativ unabhängigen Venen, die direkten Reizen zugänglicher sind. Das ist auch erklärlich, denn während im arbeitenden Organ die Vene direkt durch die Stoffwechselschlacken gereizt wird, wird die Arterie durch die beschleunigte Blutabfuhr aus dem Organ und die dadurch bedingte Drucksenkung unter niedrigere Anfangsspannung gesetzt, damit also der adäquate Reiz abgeschwächt. Um die Arterie har- monisch an der Blutversorgung des Organs mitwirken zu lassen, führt derselbe Nervenreiz, ofi auch dasselbe Hormon, das die Organ- tätigkeit veranlasst, zu erhöhter Tätigkeit der Arterie, die sich in Verstärkung ihrer Pulsation äussert. Bei der grossen Bedeutung des Nervensystems für den Blut- strom überhaupt möchten wir uns aber doch Knoll’s?) Anschauung nicht anschliessen: die Venen besässen, wenn überhaupt, so nur eine minderwertige vasomotorische Innervation analog dem Lungenkreis- lauf. Die Venen haben schon Nerven, sie wirken nur nicht so, wie es sich die alte Theorie vorstellt, die einem so wundervollen, exakt arbeitenden Mechanismus wie dem Venen- oder Lungengefässsystem nur eine untergeordnete nervöse Versorgung zugestehen mag, da sie nicht in ihr Schema passt. Genau wie im kleinen Kreislauf, der überhaupt viele Ähnlichkeit mit dem Venensystem aufweist — schon 1) Dale u. Thacker, Journ. of Physiol. vol. 47. 1913/14. 2) Knoll, Pflüger’s Arch. Bd. 68. 1897; Bd. 73. 1898. Pflüger’s Archiy für Physiologie. Bd. 171. 30 466 FEN. Karl Kautsky: früh wurde die Pulmonalarterie als „Arteria venosa“ bezeichnet —, ‘ wirken die Venennerven bei Reizung nicht tetanisch, den Blutstrom absperrend, wie die viel empfindlicheren Arteriennerven im grossen Kreislauf, und dadurch den Druck in den grossen zentralen Venen senkend, sondern im Gegenteil, sie befördern den Blutstrom rascher ins Herz. IV. Zusammenfassung. Das Primäre bei allen Kreislaufsänderungen ist stets eine Stoff- wechseländerung, die im arbeitenden Organ ihren Ausgang nimmt und die Cn des Blutes zu steigern trachtet. Diese Erhöhung der Ca erfordert eine Mehrleistung vom Kreislauf, um die ungestörte CO,-Abgabe der Gewebe zu gewährleisten, den Ausscheidungs- organen mehr Säuren in der Zeiteinheit zuzuführen und damit die Azidose zu kompensieren: die Wasserstoffionen-Konzentration ist der chemische Regulator der Zirkulationsgrösse. Die Kreislaufsänderung kommt durch eine Verstärkung der Tätigkeit des gesamten Gefässsystems, vor allem des zuführenden Venensystems zustande. Als wirksamer zweiter Regulator erweist sich, vor allem im Herzen und den Arterien, ein mechanischer: die Anfangsspannung der Muskulatur des betreffenden Zirkula- tionsabschnittes. Diese hängt vor allem von der jeweiligen Füllung, in zweiter Linie von dem anatomischen Zustande der Muskulatur und ihrem nervösen Erregungszustande ab. Die Mehrleistung des Kreislaufs vollzieht sich nach ganz einfachen Gesetzen: bei Tätigkeit eines einzelnen Organs sowohl wie bei all- gemeiner Erhöhung der Zirkulationsgrösse infolge Generalisierung der Azidose tritt durch selbständige Mehrarbeit des extrakardialen Gefäss- systems und dadurch beschleunigte Blutabfuhr aus dem Kapillargebiet des arbeitenden Organs stets Drucksenkung in der Arterie, Druck- erhöhung in der Vene auf. Das Herz wird durch beide Faktoren unter günstigste Arbeitsbedingungen gesetzt: die Drucksteigerung und Zuflusserhöhung von den Venen her steigert die Anfangsspannung des Herzmuskels, die beschleunigte Abfuhr des Blutes nach den Ar- terien hin erniedrigt den Widerstandsdruck. Beide Faktoren gemeinsam erzeugen eine Vergrösserung des Schlagvolums und bei gleichbleibender oder bis zu einem Optimum steigender Pulsfrequenz auch eine Steigerung des Stromvolums. Die Zufuhr des säurehaltigen Blutes regt das Herz direkt zu verstärkter Tätigkeit an. x } Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. 467 Dabei spielt normalerweise, bei suffizientem extrakardialem “Betrieb für die Dynamik des Herzens lediglich der venöse Zufluss eine Rolle; von. ihm allein hängt die Grösse des Schlag- und Zeit- volums ab. Seine Zunahme führt zur pleotonischen diastolischen Dilatation der Ventrikel, zur Vergrösserung der Pulsamplitude in den grossen Arterien, vorwiegend in der dehnbareren Pulmonalis, zur Akzentuation des zweiten Pulmonaltons, eventuell zum Auftreten eines negativen, präsystolischen Venenpulses und des Nonnensausens über den grossen Venen. Bei immer steigender Zirkulationsgrösse kann die drucksenkende Wirkung in den Arterien scheinbar verschwinden durch die Zunahme des. Maximaldruckes, der uns indes nicht das mindeste über den Abflusswiderstand in der Peripherie aussagt. Neben dem mecha- nischen Faktor der wachsenden Anfangsspannung wirkt der che- mische der C#-Änderung auf die Arterienwand, die Pulsamplitude im Aortensystem nimmt zu, es kommt zur arteriellen Hypertonie. . Erst wenn das periphere System eines Organs, vor allem das der Niere, insuffizient wird für die gesamte Abfuhr des Blutes, kommt es zu einer Minderung der Säureausscheidung und damit zu einem erneuten Reiz für das Venensystem. Der Blutstrom nach dem Herzen schwillt stärker an, und dieses Blut staut sich nun quasi vor den insuffizienten Kapillaren in den Arterien. Diese Stauung führt zu einer Zunahme der Restspannung in der betreffenden Arterie und pflanzt sich immer weiter zentralwärts auf höher gelegene Ab- schnitte des Arteriensystems fort, diese durch die gesteigerte Rest- spannung zu vermehrter Mitarbeit zwingend: der Minimaldruck ‘ steigt, noch mehr der Maximaldruck. Schliesslich gelangt diese relative Stauung bis zum Herzen und macht sich hier als Entleerungs- widerstand fühlbar. Soll jetzt noch die gesteigerte Stromgeschwindig- keit aufrechterhalten werden, so muss der Ventrikel durch erhöhten Restblutgehalt seine Anfangsspannung steigern, es kommt zur systo- lischen pleotonischen Dilatation des Ventrikels. Die hierdurch erzielte Erhöhung der Anfanesspannung kann unter Umständen auf Jahre hinaus ausreichen, um den Arterienbetrieb suffizient zu erhalten; _ um so mehr noch, wenn durch gleichzeitige Hypertrophie die Ventrikel- muskulatur die alte Akkommodationsbreite wieder gewinnt. Diese ‘erosse Reservekraft ist es, die dem Herzen sein Über- gewicht über das extrakardiale System verleiht; es ist sozusagen 30 * 468 Karl Kautsky: Zur normalen und pathologischen Physiologie usw. als Stossfänger zwischen Arterien und Venen eingeschaltet, um bei plötzlichen grossen Anforderungen Stauungen vor dem abführenden Venensystem zu verhüten. Die zweite Aufgabe des Herzens, die es ebenfalls unersetzbar macht, ist die Aufrechterhaltung einer gewissen Anfangsspannung im Arteriensystem, die notwendig ist, um den Kapillaren eine unbedingt erforderliche minimale Blutstromgeschwindig- keit zu gewährleisten. : Das Herz ist dabei einem Transformator vergleichbar, der einen Strom niederer Spannung in einen hochgespannten überführt; freilich nicht, wie die tote Maschine, auf Kosten der Stromstärke. Die Strom- stärke bleibt infolge der vom Muskel geleisteten zusätzlichen Arbeit unverändert. Das Herz gibt normalerweise alles weiter, was es emp- fängt; auf die Menge dessen, was es empfängt, hat es keinen Einfluss, wenn man von dem das Herz durchströmenden Koronarblute absieht. Das Herz ist in seiner Füllung ganz vom Venensystem, nicht dieses vom Herzen abhängig. Als primäre Verbindung zwischen arbeitendem Organ und Schlackenausscheidungsorganen ist der Venen- strom der Hauptregulator der Dynamik des Kreislaufs; das Reiz- leitungssystem des Herzens beginnt an den Mündungen der Hohl- venen, das Ultimum moriens im Körper ist das zentrale Venensystem. Kommt es zu einer Störung der Blutabfuhr aus dem Herzen, sei es infolge von primärer Muskel- oder Klappenerkrankung, sei es infolge von zu grossem arteriellen Widerstande, so greift als letzte, höchste Reserveinstanz das Venensystem ein: es steigert den Venendruck, um die meiotonische Herzdilatation in die pleotonische zu verwandeln. Selbst nach dem Tode noch sucht es seiner Aufgabe gerecht zu werden. Den biologisch wichtigsten Teil des Gefässsystems stellen die Kapillaren dar: sind sie auch auf prompte Zu- und Abfuhr des Blutes durch Arterien und Venen angewiesen, so schalten sie doch souverän mit dem ihnen zur Verfügung gestellten Blute und regulieren aus eigenen Kräften Menge und Geschwindigkeit des sie durchströmenden Blutes. Ihre Weite ist dabei ohne Einfluss auf die in ihnen herrschende Stromgeschwindigkeit. Herrn Professor MareS (Prag) bin ich für freundlichst erteilte Ratschläge zu grösstem Danke verpflichtet. Abgeschlossen September 1917. Über die Wirkung von Narkotieis auf den Froschnerven unter dem Einfluss von Temperaturänderungen. Von Prof. Dr. H. Moral (Rostock). (Mit 13 Textabbildungen.) Die Bestrebungen, durch Kombination mehrerer anästhetisch wirkender Stoffe die Nebenwirkungen jedes einzelnen durch Ver- kleinerung der Dosis zu umgehen, sind zum Teil von Erfolg gewesen. Das theoretische Studium der Arzneikombinationen hat dabei inter- essante Einzelheiten ergeben hinsichtlich der Verstärkung der Wirkung, indem zum Teil eine einfache Summation stattfand, zum Teil eine Wirkung eintrat, die in ihrer Intensität über die Summe der beiden Arzneiwirkungen hinauseing, was man Potenzierung der Wirkung nannte. Den nämlichen Gedanken hat seinerzeit schon Overton bei seinen Studien über die Narkose geäussert. „Es liegt in der Tat sehr nahe, die unerwünschten Nebenwirkungen eines Narkotikums durch die entgegengesetzten Nebenwirkungen eines anderen Narko- tikums teilweise aufzuheben oder, wenn dies nieht möglich ist, wenigstens die lästigen Nebenwirkungen dadurch zu vermindern oder unschädlich zu machen, dass man durch Anwendung kleinerer Dosen eines Narkotikums zunächst sowohl seine narkotische Wirkung wie auch seine Nebenwirkungen verkleinert, dann aber durch Hinzufügen eines zweiten Narkotikums mit etwas anderen Nebenwirkungen die Narkose zu einer vollständigen mackt und die verschiedenen Neben- wirkungen der beiden Narkotika, aber in geschwächter Form, in Kauf nimmt.“ - Solche Kombinationen hat man mit den Lokalanästhetieis vielfach ausgeführt und zum Teil auch gute praktische Resultate damit erzielt; so hat sich zum Beispiel die Kombination des Novokains mit den Nebeznierenpräparaten einen dauernden Platz in der Chirurgie er- worben. In neuerer Zeit haben Zorn und Kochmann über die potenzierte Wirkung einer Kombination von Novokain mit Kalium- 470 H. Moral: sulfat berichtet, die sich, wie Hoffmann’s Versuche ergeben haben, auch praktisch verwerten lässt. Seit langer Zeit ist es nun bekannt, dass Kälte imstande ist, Lokalanästhesie zu erzeugen, die klinisch Verwendung finden kann (Ätherspray u. s. f.), und es liegt daher der .Gedanke sehr nahe, zu untersuchen, was sich ergibt, wenn man ein Anästhetikum und gleich- zeitig Kälte auf einen Nerven einwirken lässt. Die folgenden Versuche sind alle am Ischiadieus des Frosches angestellt, und zwar betreffen sie zunächst Lösungen von Novokain, die verschieden temperiert auf den Nerven zur Wirkung gelangten. Sodann wurden noch andere Stoffe zum Vergleiche herangezogen, und zwar von den basischen Narkotieis noch das Kokain als salz- saures Salz, von den indifferenten Alkohol, Chloralhydrat, Monacetin und Salieylamid, ferner das zu keiner der beiden Gruppen gehörige Kaliumchlorid. Die Auswahl dieser Stoffe geschah mit Rücksicht auf die Feststellung von Hans Meyer, dass die Narkose am gänzen Tiere. eine Verschiedenheit der Intensität je nach der Temperatur aufwies und dass diese verschiedene Wirkungsstärke der Narkotika parallel mit dem Teilungskoeffizienten ging, der sich mit der Tempe- ratur ändert. Die Substanzen gelangten naturgemäss in Lösungen zur Verwendung, die dem Blutserum des Frosches isotonisch waren und am einfachsten durch Auflösen der betreffenden Menge des Narkotikums in Ringer-Lösung!) erzielt wurden, denn der osmotische Druck des Novokains und Kokains kommt nicht in Betracht, wie seinerzeit nachgewiesen wurde. Beim Kaliumchlorid, dessen osmotiseher Druck mit in Rücksicht genommen werden musste, wurde die Isotonie durch Vermischen von Ringer-Lösung mit isotonischer Kalium- chloridlösung gewahrt. Die Versuche wurden, wie üblich, am Nervus ischiadieus des Frosches angestellt, und das Bedenken, dass man hier statt eines sensiblen einen motorischen Nerven als Testobjekt benutzt, und dass sich daraus falsche Schlüsse ergeben müssten, ist unbegründet, denn es ist bekannt, dass wohl ein quantitativer, nicht aber ein qualitativer Unterschied besteht. Das Kokain ist in dieser Beziehung genau untersucht, und es steht fest, dass bei seiner Anwendung auf den 1) Die Ringer-Lösung ist folgendermaassen zusammengesetzt: NaCl 6,25, KCl 0,25, Oall, 0,25, Aqu. dest, 1000,0. Über die Wirkung von Narkotieis auf den Froschnerven usw. 471 gemischten Nerven zunächst die Sensibilität, dann erst die Motilität erlischt. „Das Kokain wirkt bei gleicher Konzentration auf die sensiblen Fasern des gemischten Nerven stärker als auf die motorischen ein‘ (Meyer und Gottlieb). Man muss also bei der Deutung der später zu beschreibenden Kurven immer bedenken, dass hier nur die Einwirkung auf die motorischen Elemente des Nerven sichtbar gemacht wird. Die Versuche wurden folgendermaassen angestellt: Nach Tötung des Frosches wurde ein Nervmuskelpräparat hergestellt und zu diesem Zwecke der Ischiadieus in seiner ganzen Länge frei präpariert und an Seinem zentralen Ende in Verbindung mit der Wirbelsäule gelassen, um eine Austrocknung von dorther ausschliessen zu können. Am - anderen Ende blieb er in Verbindung mit dem Musculus gastrocnemius. Dieser wurde an seiner Sehne vom Knochen gelöst, der Oberschenkel und der Unterschenkel zum grössten Teil entfernt, und nachdem an dem sehnigen Teile des Muskels ein Faden befestigt war, wurde das ganze Präparat mittels eines Knochenstumpfes an einen Galgen, der auf einer Grundplatte montiert war, aufgehängt‘). Der Nerv wurde auf eine kleine Kautschukplatte gelegt, auf der sich zwei Paar Platin- elektroden befanden und ausserdem ein Loch; um einen Teil des Neryen in Schleifenform hindurch nach unten ziehen zu können. Durch ein kleines Gewicht aus Glas wurde die Nervenschleife gespannt gehalten. Über das Ganze wurde eine Glasglocke gestülpt und so eine feuchte Kammer hergestellt, die die Austrocknung des freiliegenden Nerventeiles und des Muskels verhinderte. Ein Loch in der Grund- platte der Kammer gestattet dem obengenannten Faden den Durch- tritt und ermöglicht es, an diesem einen Schreibhebel anzubringen, der auf einer rotierenden berussten Trommel die Zuckungen des Muskels aufzeichnete, wenn ihn ein Reiz traf. Ein Gummischlauch, der mit seinem einen Teile durch die Grundplatte ins Innere der feuchten Kammer eintrat, trug an beiden Enden ein kleines Glasgefäss, von denen sich also das eine innerhalb, das andere ausserhalb befand; das innere Gefäss konnte man durch Heben und Senken des äusseren füllen. Da in das innere Gefäss die Nervenschleife hineinragte, so war es möglich, ohne die Glasglocke jedesmal abnehmen zu müssen, 1) Der hier beschriebene Apparat ist nach den Angaben von Herrn Prof. Gürber durch den Mechaniker Stock in Marburg ausgeführt worden. 472 = H. Moral: die verschiedenen Giftlösungen auf den Nerven einwirken zu lassen. Vor und hinter der Schleife lag der Nerv auf einem Elektrodenpaar auf, mit dem man in der Lage war, diesen vor bzw. hinter der Gifteinwirkungsstelle zu reizen. Reizte man den Nerven zentral von der Gifteinwirkungsstelle, so konnte man feststellen, wann die Strecke, die das Narkotikum umspülte, leitungsunfähig geworden war; reizte man dann den Nerven muskelwärts von der vergifteten Stelle mit Hilfe der anderen Elektroden, so konnte zur Kontrolle festeestellt werden, Abb. 1. ob der Muskel nicht gelitten hatte. Wenn dann das Gläschen, in dem die Nervenschleife lag, statt mit Giftlösung mit Ringer-Lösung gefüllt wurde, konnte bei allmählich einsetzender Erholung mit dieser Einrichtung festgestellt werden, ob die Erholung eine vollständige war oder nicht. Um einen bequemen Wechsel der Reizstellen vorzunehmen, waren die Elektrodenpaare mit einer Pohl’schen Wippe verbunden (Abb. 1). Sobald nun das Präparat zum Versuche hergerichtet war, ‚wurde die sekundäre Spule eines Schlitteninduktoriums so zur primären eingestellt, dass der Öffnungsschlag noch eben eine maximale Zuckung ergab. Das Schliessen und Öffnen des primären Stromes geschah mit Hilfe eines Motors, der gleichzeitig die Schliessungsinduktions- Über die Wirkung von Narkotieis auf den Froschnerven usw. 473 schläge abblendete.. Dies wurde in .der Weise erreicht, dass auf einer gemeinsamen Achse zwei Scheiben sassen, die beide einen Nocken trugen; dieser stiess einen Platinkontakt in einem Stiefelchen vor sich her, bis zur Berührung mit einem Platinplättchen; war der Noceken dann an dem Platinkontakt vorbei, so federte er zurück von dem Plättehen, so dass der Strom unterbrochen wurde. Dadurch, dass Abh. 1a. der primäre Strom stets nach dem sekundären geschlossen und ge- öffnet wurde, war im Moment der Schliessung des primären Stromes der sekundäre Strom kurzgeschlossen, so dass der Induktionsschlag nicht zum Nerven kam; bei der Öffnung des primären Stromes war dagegen der sekundäre nicht mehr kurzgeschlossen, daher erreichte der Öffnungsinduktionsschlag den Nerven. Bei den letzten Versuchen wurde aus äusseren Gründen an Stelle des Motors eine Pendeluhr benutzt, die in bestimmten Zeitintervallen den Stromkreis öffnete und schloss; hier war eine Abblendungs- 474 H. Moral: vorriehtung des Schliessungsschlages nicht. vorgesehen; es ergab sich im Laufe der Versuche, dass dies nicht hinderlich oder störend ein- wirkte. Während des Versuches wurde mehrmals der Nerv hinter der Gifteinwirkungsstelle gereizt, um festzustellen, ob der Muskel auch nicht gelitten hatte. Lässt man auf ein derartiges Nervenmuskelpräparat die Lösung eines Anästhetikums einwirken, so tritt nach einer bestimmten Zeit eine Abnahme der Leitungsfähigkeit des Nerven ein, die sich dadurch bekundet, dass die Exkursionen auf der berussten Trommel immer 00 kleiner werden und schliesslich - zZ ae z ganz erlöschen. Dieser Moment immlili ° ee: wurde als Eintritt der vollen & el. Anästhesie angesehen. Wenn Ä | Be man die Giftlösung entfernt und = RE = den Nerv mit einer Ringer- a & x "Lösung umspült, dann tritt a b d - “ nach einiger Zeit wieder eine an kleine Zuckung auf, die bald eo: a = Bine an an Grösse zunimmt; das Auf- (in der Horizontalen auf "/s verkleinert.) treten der ersten Zuckung Aph. 2. wurde als das Aufhören der Anästhesie bezeichnet. Ich lasse hier eine Kurve folgen, die erzielt wurde durch die Einwirkung einer 2°/oigen, den Gewebsflüssigkeiten des Frosches isotonischen Lösung von Novokainchlorhydrat. Bei a Abb.2 wurde am 28. Januar 1913 um 9 Uhr O0 Min. p. m. der Nerv mit dem Anästhetikum umgeben, bei d trat um 9 Uhr 24 Min. Anästhesie ein; gleichzeitig wurde das Anästhetikum entfernt und der Nerv mit Ringer-Lösung umspült ‘und dann in Ringer-Lösung gelassen. Bei d erlosch' die Anästhesie, und der Nerv wurde wieder in steigendem Maasse für den Reiz durehgängig. Das Eintreten der Anästhesie ist kein ganz gleich- mässiges, denn man sieht aus der Kurve, dass immer einige Zuckungen dieselbe Höhe haben, ehe die nächste Gruppe mit geringerer Höhe folgt. Die Kurve fällt also beim Eintreten der Anästhesie treppen- förmig. ab und steigt beim Erlöschen dieser wieder ebenso an. Dies gilt ganz besonders für konzentriertere Lösungen; hier sind die Kurven ganz charakteristisch. Je dünner hingegen die Giftlösungen sind, um so langsamer und also auch gleichmässiger tritt die Anästhesie Über die Wirkung von Narkotieis auf den Froschnerven usw. ein. Ist eine volle Erholung des Nerven in Ringer-Lösung erfolgt, dann muss die Zuekung eben die- selbe Höhe erreichen wie die, die durch eine Reizung jenseits der Gift- einwirkungsstelle erhalten wird. Hat der Versuch nicht zu lange gedauert, und nähert man sich nicht der Grenze der Überlebungs- dauer des Präparates, dann müssen die Zuckungen, die jetzt erhalten werden, dieselbe Höhe haben wie die, die zu Anfang des Versuches erzielt worden sind. Aus der schliesslichen Höhe der Zuckung: kann man einen Schluss ziehen, wieweit eine irreversible Schädi- gung zurückgeblieben ist. So verläuft die Kurve, wenn: man dafür Sorge trägt, dass die Temperatur während des ganzen Versuches immer die gleiche bleibt‘ Wenn man aber untersuchen will, ob der Nerv in dieser ganzen Zeit oder zu einzelnen bestimmten Zeit- punkten gegen Änderungen der Temperatur empfindlich ist, dann ist es nur notwendig, das innere Gefässchen mit der betreffenden temperierten Lösung zu füllen. Einen solchen Versuch veranschau- licht Abb. 3. Auf den nicht an- ästhesierten Nerven, der zu Beginn des Versuches eine Temperatur von 17,5° C. hatte und in eine Ringer-Lösung eintauchte, die dieselbe Temperatur besass, wirkt bei b eine kalte (3° C.), ihm C Novokain 2%0 in Ringer- d Zimmertemperatur 17,50 C. —= Ringer-Lösung 34° C. 0°C. C ng Abb. 3 (verkleinert). e = Ringer-Lösu Ringer-Lösung 3° C. il Je b Lösung 3° C. Ringer-Lösung 17,5° ( [4 475 476 H. Moral: isotonische Lösung, die keine Giftsubstanz enthält (Ringer- Lösung) ein, mit dem Erfolge, dass die Leitungsfähigkeit abnimmt, was man an der geringeren Zuckungshöhe erkennen kann; eine volle Anästhesie tritt aber nicht ein. Ist die Temperaturdifferenz, wie bei b nur gering, ca. 15°C., dann ist der Unterschied auch ein ziemlich kleiner, benutzt man aber Lösungen, die eine grosse Temperaturdifferenz ermöglichen (27° C.), dann findet man, dass der Unterschied bedeutend an Grösse zunimmt; es ist also hier der Abfall der Zuckungshöhe der Temperaturdifferenz entsprechend. Die Änderungen, die durch die Temperatur bedingt sind, unterscheiden sich von denen, die durch ein Anästhetikum hervorgerufen werden, da- durch wesentlich, dass die‘ Wirkung der Temperatur- änderung ein sehr viel schnelleres Abfallen {der A 4 A : : a b ax Kurve, vielfach ein momen- 10h 47' 10% 50’ tanes, zur Folge hat. Es ist a = Novokain 2% in Ringer-Lösung 155°C. - : — Ringer-Lösung 3° C. Zimmertempe- im vorliegenden Versuch ratur 15,50 C. ganz gleich, ob man statt Abb. 4. der Ringer-Lösung eine abgekühlte Novokainlösung benutzt. Bei d wurde die Ringer-Lösung durch eine gleich kalte, 2 %Joige isotonische Novokainlösung ersetzt, und es ist zunächst keine Änderung der Zuckungshöhe zu erkennen; das erst nach längerer Zeit eintretende Abfallen dieser ist nicht mehr durch die Temperatur allein, sondern durch die kombinierte Wirkung dieser mit der des - Novokains bedingt. Das wird noch deutlicher und sicherer dadurch, dass es. gelingt, die durch kalte Lösung hervorgerufene Erniederung der Zuckungshöhe fast momentan zum Schwinden zu bringen, wenn man die kalte Lösung durch eine warme ersetzt. Dass auch diese Zunahme nur eine Äusserung des Temperatureinflusses ist, geht daraus hervor, dass man sowohl durch warme Ringer- Lösung (Abb. 3*) wie auch durch warme Novokainlösung (Abb. 4*) dasselbe erreichen kann. Wenn es hier nur zu einem Ansteigen oder Abfallen der Kurve gekommen ist, dann ändern sich die. Verhältnisse etwas, wenn man kurz vor dem Eintreten der vollen Anästhesie steht. Lässt man, um dies festzustellen, ein Anästhetikum, zum Beispiel Über die Wirkung von Narkoticis auf den Froschnerven usw. 477 9, °/pige Novokainlösung!), eine bestimmte Zeit einwirken, entfernt sie jedoch kurz vor dem Momente, wo volle Anästhesie erreicht würde, und ersetzt sie durch eine kalte Ringer-Lösung (Abb. 3**), dann sieht man, wie zu erwarten, dass die Kurve plötzlich abfällt, und, wenn der Zeitpunkt gut gewählt war, dann tritt auch eine volle Anästhesie ein (Abb. 3**); auch hier ist der Vorgang noch reversibel, man kann durch erwärmte Lösung noch eine Zuckung erhalten (ebenda ***). Dieses Phänomen der Reversibilität durch Änderung der Temperatur kann man noch deutlicher machen, wenn man sich von vornherein einer kalten Lösung bedient. Man kann durch häufiges Spülen mit der kalten Lösung die Temperatur im inneren Gläschen eine ziemlich lange Zeit hindurch niedrig halten. Wenn nun unter solchen Bedingungen eben eine Anästhesie eingetreten ist, und man entfernt dann sogleich die kalte Lösung und ersetzt sie durch eine warme gleich konzentrierte desselben Giftes, dann kann - man sofort wieder eine Zuckung bekommen (Abb. 6*), ein Beweis dafür, dass der Nerv nun wieder für den Reiz durchgängig geworden ist. Diese Erholung kann man durch Zuführung einer kalten Ringer- Lösung (Abb. 37) oder auch kalten Giftlösung (Abb. 6*x) so- fort wieder ausgleichen. So ist man denn in der Lage, abwechselnd durch Zuführen warmer und kalter Lösungen die Leitungsfähiekeit des Nerven herzustellen bzw. aufzuheben. Man kann das Phänomen mehrere Male hintereinander wiederholen. Es ist schon oben gesagt worden, dass es gleichgültig ist, ob man eine kalte Ringer-Lösung oder eine kalte Giftlösung hierzu benutzt, und dass es ebenso gleich- sültig ist, wenn man an Stelle der warmen Ringer-Lösung eine warme Giftlösung verwendet. Wenn man aber den Veısuch mehrere Male hintereinander wiederholt, dann bemerkt man doch einen ver- schiedenen Verlauf, der von den gelösten Substanzen abhängig ist. _ Wenn man, wie zu Anfang beschrieben, die Leitungsfähigkeit durch warme Ringer-Lösung wiederherstellt, dann durch kalte Ringer- Lösung Ahästhesie schafft, also Lösungen benutzt, die von Giftsub- stanzen frei sind, dann nimmt, je weiter der Versuch fortschreitet, die Zuckungshöhe dauernd zu, und schliesslich gelingt es nicht mehr, auf diese Weise eine Anästhesie zu erzielen. Verwendet man jedoch während des ganzen Versuches nur eine und dieselbe Giftlösung, deren 1) Die zunächst beschriebenen Versuche beziehen sich alle auf diese Lösung. 478 5 H. Moral: einen Teil man gekühlt, deren anderen man erwärmt hat, dann nimmt mit Fortschreiten des Versuches die Zuckungshöhe dauernd ab, und schliesslich ist es nieht mehr möglich, durch die erwärmte Lösung Leitungsfähigkeit zu schaffen. Wenn man nun jetzt den Nerven einige Zeit in Ringer-Lösung belässt, dann erholt er sich wieder so weit, dass das Spiel von neuem beginnen kann. Ebenfalls gelingt es in dem vorletzten Falle das Phänomen wieder zu zeigen, wenn man den Nerven einige Zeit hindurch von neuem der Einwirkung eines An- ästhetikums aussetzt. Diese Beobachtung findet wohl ganz ungezwungen darin ihre Erklärung, dass im ersten Fall nach und nach der grösste Teil des Novokains aus dem Nerven in die Ringer-Lösung über- getreten ist und dass auf diese Weise die Konzentration des Giftes im Nerven zu gering geworden ist, um selbst unter Anwendung von Kälte noch eine Anästhesie zu geben. Im zweiten Falle ist schliess- lich immer mehr und mehr Novokain in den Nerven eingedrungen und macht ihn vollständig leitungsunfähig. Daraus geht hervor, dass die Novokain-Narkose des Nerven durch Kälte verstärkt, durch Er- wärmen gemindert wird, oder mit anderen Worten: Novokain wirkt in der Kälte intensiver alsin der Wärme. Durch die Einwirkung von kalter, giftfreier Lösung allein, also zum Beispiel von kalter Ringer-Lösung, die keine tiefere Temperatur als 0° hat, gelingt es selbst bei lang andauernder Einwirkung nicht, eine vollständige Leitungsunfähigkeit zu erzielen. Wenn man statt der kalten Lösung warme (33—834° C.) auf den Nerven einwirken lässt, dann nimmt offenbar das Leitungsvermögen des Nerven zu, denn die Zuckungen werden ausgiebiger; ja man sieht sogar, dass selbst dann eine erhöhte Zuekung eintritt, wenn man hinter der Wärme- einwirkungsstelle reizt (Abb. 5). Es ist wohl zuerst Gross gewesen, der darauf aufmerksam gemacht hat, dass die Giftlösung sich von der Applikationsstelle aus an dem Nerven entlang ausbreitet; ein Ähn- liches scheint auch hier in bezug auf die Wärmeausbreitung vor- zuliegen. Aus der Beobachtung, dass man mit reiner gekühlter Rin ger- Lösung nicht imstande ist, Leitungsunterbrechungen zu erzielen, er- hellt, dass die Giftlösung eine bestimmte Konzentration haben muss; anderseits zeigt die Beobachtung, dass zu konzentrierte Lösungen eine schlechte oder erst nach längerer Zeit eine Erholung geben. Wird der Nerv durch das Anästhetikum in seinem anatomischen Auf- Über die Wirkung von Narkotieis auf den Froschnerven usw. 479 bau geschädigt, wie zum Beispiel dürch Chloralhydrat, das ja bekannt- ‚lieh organische Substanzen aufzulösen imstande ist, dann kann die Erholung auch bei Anwendung veränderter Temperaturen keine ganz normale mehr sein. Wenn wir nun die Erholung. genauer betrachten, wie sie durch Belassen des Nerven in Ringer-Lösung bei Zimmertemperatur gesehen wird, wenn also das Anästhetikum und die Ringer-Lösung dieselbe Temperatur haben (Abb. 2), dann findet man, dass es immerhin ge- raume Zeit dauert, bis der Nerv sich ganz erholt hat, d. h. bis die Zuckung dieselbe Höhe wie die Kontrollzuckung zeigt; in der Zwischen- zeit ist der Nerv teils noch leitungsunfähig, teils findet man kleinere Zuckungen, die lang- sam zur Normalhöhe aufsteigen. Die Erholung geht unter diesen Bedingungen nicht gleichmässig, sondern stufenförmig vor sich. Im Gegensatz hierzu tritt die b u > . Reizung muskelwärts von der Giftein- Erholung bei Anwendung von wirkungsstelle. D— Alkohol (Äthylalkohol) Wärme sehr viel schneller ein, 5 Vol.-Proz. 34° C. _ auch erreicht sie schneller die Abb. 5. volle Höhe (Abb. 3); sehr häufig ist schon die nächste Zuckung nach Einführung der warmen Lösung ebenso hoch wie die Kontrollzuckung; in gleicher Art tritt dann meist auch die Lähmung ein, so dass häufig der eine Reiz noch eine maxi- male Zucekung, der nächste schon gar keine mehr auslöst (Abb. 317); es fallen hier gewissermaassen die Übergänge fort. Ist aber durch die Einwirkung einer anästhesierenden Lösung bei Zimmertemperatur eine Anästhesie eingetreten, ohne dass eine künstliche Abkühlung vorgenommen wurde, dann kann man zu- nächst durch eine erwärmte Lösung keine Zuckung erzielen. Es ist notwendig, dass man nach Eintreten der vollen Anästhesie die Nervenschleife eine bestimmte Zeit in der Ringer- Lösung lassen muss, ehe der Nerv sich so weit erholt hat, dass er durch Wärmezufuhr wieder für den durch einen elektrischen Schlag ausgelösten Reiz durch- gängig geworden ist. Es muss also durch Ringer-Lösung ein Teil des Novokains entfernt "werden, bis die Narkose für den weiteren Versuch schwach genug geworden ist. 480 H. Moral: Aus leicht einzusehenden Gründen konnte die höchste Temperatur nicht über 34° C., die niedrigste nicht unter 0° Ci gewählt werden. _ Es wurde auch versucht, am ganzen, durch Novokain gelähmten Tiere ein ähnliches Temperaturphänomen nach- zuweisen, und es gelang, an Enchy- treen dieselbe Erscheinung zu finden, wenngleich die Unterschiede nicht so deutlich waren und sich derselbe Ver- such an einem und demselben Tier nicht so häufig wiederholen liess. Die Tiere wurden in eine 2 oige Novo- kainlösung gebracht und so lange darin gelassen, bis jede Bewegung aufhörte. Dann wurden sie in eine Ringer- . Lösung überführt, die dieselbe Tempe- = ‘ratur besass, und kurz vor der Zeit, = .; zu der sie aus der Narkose erwachen 5 S mussten (diese Zeit wurde durch Kon- S =“ trollversuche festgestellt), in warmes E Brunnenwasser oder in eine warme En „ Ringer-Lösung getaucht. Einige R £ Tiere wurden jedoch in der kalten ösung zurückgelassen. BRegelmässig trat dann bei den in warme Lösung überführten Tieren schneller Bewegung ein, die meist auch ausgiebiger war und die sofort sistierte, sobald die Tiere in Wasser von niederer Temperatur gebracht wurden. Auch hier wurde ein möglichst grosses Temperaturinter- vall gewählt: 30—34° C. auf der einen, 4—6° C. auf der anderen Seite. — Es lag natürlich der Gedanke nahe, ein Ähnliches möchten auch die anderen Narkotika zeieen,und es wurden daher von basischen ausser dem Novokain noch das Kokain, von den indifferenten der Äthylalkohol, das Chloralhydrat, das Monacetin und das Salieylamid, schliesslich Novokain Y/e% in Ringer-Lösung 0—-3° 0. b = Novokain 1/e% in Ringer- Lösung 34—35 ° C. Über die Wirkung von Narkoticis auf den F'roschnerven usw. 481 auch noch das zu keiner dieser Gruppe gehörende Kaliumchlorid unter- sucht. Da Meyer gezeigt hat, dass für die Narkose der Teilungs- koeffizient des betreffenden Medikamentes von weitgehender Bedeutung ist, so wurden gerade jene vier indifferenten Narkotika gewählt, weil bei ihnen der Teilungskoeffizient und seine Abhängigkeit von der Tempe- ratur genau bekannt ist. Es zeigte sich nun, dass beim Kokain in der gleichen Weise wie beim Novokain bei Zufuhr von Wärme die An- ästhesie aufgehoben wird (Abb. 7 T), während eine kalte Lösung schneller zur Anästhesie führt. Es wurde bei Versuchen mit Kokain Ringer- 4 AHA A ; a a b b 12h 30’ 12h 44’ 12146’ 121 48’ Da .a = Kokain 1% in Ringer-Lösung 0—2°C. b —= Kokain 1% in Ringer- Lösung 35° C. Zimmertemperatur 18U/2° C. Abb. 7 'Lösung gänzlich vermieden und die Leitungsunterbrechung resp. deren Wiederherstellung durch eine und dieselbe Kokainlösung verschiedener Temperatur erzielt. Von den vier indifferenten Narkotieis zeigte Äthylalkohol und :Chloralhydrat genau das entgegengesetzte Verhalten wie Salieylamid and Monacetin. Letztere verhielten sich ganz analog dem Novokain und Kokain, so dass man also bei ihnen durch eine Erhöhung der "Temperatur Zuckungen erhalten konnte (Abb. 3 u. 9), die sofort wieder verschwanden, wenn der Nerv in eine kalte Lösung eingetaucht ‘wurde; auch hier wie bei allem Folgenden wurden Versuche an-. ‚gestellt, bei denen Ringer-Lösung vollständig vermieden wurde, so ‚dass dieselbe Lösung gekühlt und gewärmt zur Anwendung ge- _ langte. Beim Äthylalkohol und beim Chloralhydrat findet man nun, ‚dass die warme Lösung das Eintreten der Anästhesie be- sehleunigt (Abb. 10 u. 11), während durchdie kalte Lösung Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 171. Sl 482 : H. Moral: eineErholungerzielt wird. Die = Art, wie die Kurve sonst verläuft, der > Abfall der Zuckungshöhe und der 3 Wiederanstieg derselben, die Einwir- 5 kung zu konzentrierter Lösung und = die durch Ringer-Lösung ermöglichte ES Auswaschbarkeit zeigen gegenüber den. S früheren Versuchen keinerlei Unter- = schied. Beim Chloralbydrat, das das- = organische Gewebe des Nerven schädigt, R findet aus diesem Grunde nur eine ox| mangelhafte Erholung statt; auch kann e, man daher hier die Versuche nicht so- häufig wiederholen wie zum Beispiel: beim Alkohol. Um eine Erklärung dieser Befunde- und ihres scheinbaren Widerspruches. geben zu können, muss ich auf die Versuche von H. Meyer und Over- ton eingehen. Overton untersuchte den Einfluss- der Temperatur auf die Äthernarkose- und machte dazu folgenden Versuch. Er brachte in eine Flasche, in der sich: eine bestimmte Menge Äther in Dampf-- form befand, also eine bestimmte: Ätherkonzentration vorhanden war, ein Uhrschälchen, in dem Kaulquappen- schwammen, und fand nun, dass ber niederer Temperatur die Konzentration. der Ätherdämpfe in der Luft geringer- sein durfte, um eine Narkose zu er- zielen, als wenn der Versuch bei höherer Temperatur ausgeführt wurde. Die Versuche mit Chloroform ergaben genau das entgegengesetzte Resultat. Die Ursache für dies eigenartige Phä- nomen findet Overton darin, dass Abb. 8 (verkleinert). 9 = Salicylamid kalt gesättigt 34° C. Zimmertemperatur 171/20 C, 2°C. f = Salicylamid kalt gesättigt 0 % Über die Wirkung von Narkoticis auf den Froschnerven usw. 483 das Wasser und auch das Blutserum der Tiere bei niederer Temperatur einen grösseren Absorptionskoeffizienten für Äther zeigt, während beim Chloroform der Absorptionskoeffizient des Serums bei höherer Temperatur grösser ist, dass also der Widerspruch, der in der geringeren Kon- zentration der Ätherdämpfe in der Luft liegt, nur ein scheinbarer ist. Von Hans Meyer ist im Jahre 1901 ein Versuch beschrieben worden, der gleichfalls den Finfluss der Temperatur zeist und der mit dem hier vorliegenden in mancher Beziehung verglichen werden kann. Meyer fand nämlich, dass Kaulquappen, die von einer — n. Chloralhydratlösung bei 30°C. völlig narkotisiert waren, aus der Nar- kose erwachten, wenn sie abgekühlt wurden. Ein gleiches Verhalten, wie C C 4 BAAR A 4 € dere dc d € c = Monacetin Y/a%/o 0--2° C. d== Monacetin !/20/o 34°C. Zimmertemperatur 17'/2°C. Abb. 9. es hier das ganze Tier, also in erster Linie das Zentralnervensystem zeigt, kann auch am peripheren Nerven gesehen werden, wie aus den oben mitgeteilten Versuchen über Chloralhydrat und Alkohol hervorgeht. Hätte Hans Meyer statt der Chloralhydratlösung sich einer Monacetin- oder Salicylamidlösung bedient, dann wären vermutlich die Kaulquappen, die in einer kalten Lösung narkotisiert worden waren, durch Erwärmen der Lösung aus der Narkose erwacht. Dies wird durch die theoretischen Erwägungen Meyer’s, die seinen Chloral- hydratversuch erklären, in hohem Maasse wahrscheinlich. Ein solcher Versuch liesse sich mit dem oben mitgeteilten Versuchen über das Novokain vergleichen. - .Es wäre nun interessant, zu wissen, ob die Versuche an Kaul- quappen und am isolierten Nerven, die äusserlich so viel Ähnlichkeit haben, auch auf derselben theoretischen Grundlage beruhen. — — — 3l* "IT 'dqV 9 05161 Inyersdusjıawmuz *) 061 Sunso]-aodurg = > '0 „0 Bunsorf-aodury ur 0/3 yerpiqeıorgy = Q 0 098 Zunso]-zedury ur 0/g apdygexogg — » : aan dq » %) q » qq» q D yrYrvv r Y yYvvrv r Y 0) 0) 0) "GAOUTONISA) OL "44V n 06T ımerodulsg -0wuNZ °0 g0 Junsgr[-aoduryg ur zo1g-"[oA ST [Oyogekyy —Y '0 098 SunsgT-ıoSurg ur 'z0ag- [oA GT TOyoamekmy — ? 9 o6L Imdsodgoamp Sunsorf-aoduıy m jewurr —Y °)061 SünsoT-aaduıy—=P °) ,0 Sunsor[-ıaSuryg ur 'z01g-JoA 8 [0goye -Kpy = / °D 098 JunsgT-aodurg u 'zoag-[oA g Toyoxefkygy = 2 9 08 Zunsg[-1odury ur 'zoag-[oA 8 Toyorreikyyy — pP %* yo u { I NH ..2.63K% Du Eh Y a ER, H. Moral: / le a! Ve ent 2 p vyvyvrvvvrvvvrv Y v +2 ‚484 Über die Wirkung von Narkotieis auf den Froschnerven usw. 485 Man teilt die Narkotika bekanntlich ein in indifferente und basische, die zum Teil denselben Gesetzen folgen, wie Gross nachgewiesen hat. Gottlieb definiert die indifferenten Narkotika folgendermaassen : „Es sind jene Kohlenwasserstoffe, Alkohole, Äther, Ester usw., welche als indifferente Verbindungen weder sauerer, noch alkalischer , noch salziger Natur, weniger durch chemische als durch physikalische Affinität zu bestimmten Bestandteilen des Protoplasmas charakterisiert sind.“ Zu dieser Gruppe gehören also von den hier untersuchten Stoffen Alkohol, Chloralhydrat, Monacetin und Salieylamid. Hans Meyer und unabhängig von ihm Overton haben nun die feineren Vorgänge beim Zustandekommen der Narkose untersucht, und das Ergebnis beider Forscher fasst man unter der Meyer-Overton’schen Theorie der Narkose zusammen. Es hat sich gezeigt, dass die indifferenten Narkotika zunächst in Wasser löslich sein müssen, damit sie vom Blutplasma aufgenommen werden können. Diese Aufnahme geschieht zufolge des Henry-Dalton’schen Gesetzes über die Ab- sorption von Gasen durch Flüssigkeiten. Das von dem Blutplasma aufgenommene indifferente Narkotikum gelangt zu den Körperzellen und dringt in den cholesterin- und leeithinhaltigen Teil der Zelle ein, diesen physikalisch verändernd und dadurch eine Narkose be- wirkend. „Sehr wahrscheinlich ist auch, dass die indifferenten Nar- kotika in erster Linie ihre Wirkung auf die cholesterin- und lecithin- artigen Bestandteile der Zelle ausüben, aber nicht in der von Bibra und Harless angenommenen Weise, sondern derart, dass sie den physikalischen Zustand, in dem diese Bestandteile sich unter normalen Verhältnissen in der Zelle befinden, verändern, ohne aber das Austreten dieser Bestandteile aus der Zelle zu veranlassen“ (Over- ton). Da nun speziell die Nervenzellen reich an solchen Cholesterinen und Lieithinen (Gehirnlipoiden) sind, so ersieht man daraus, dass die elektive Wirkung auf die Nerven eine Folge der Beziehung der Nar- kotika zu den Lipoiden ist. Je mehr ein indifferentes Narkotikum in den Lipoiden gegenüber dem Wasser löslich ist, um so bedeutender wird seine narkotisierende Wirkung sein. Dieses gegenseitige Lösungs- Lipoide Wasser’ Da man nun schlecht das Verhältnis der Löslichkeit in den Lipoiden zu der im Wasser bestimmen kann, so bedient man sich statt dieser Körper in der Regel des Öles und spricht dann von einem Teilungs- verhältnis bezeichnet man als den Teilungskoeffizienten: 486 H. Moral: koeffizienten SAUER Dieser Teiluneskoeffizient stimmt annähernd Wasser mit dem zwischen Gehirnlipoiden und Blutplasma überein. Der Teilungskoeffizient ändert sich vielfach mit der Temperatur, steist bald mit dieser, fällt bald mit dieser. In ersterem Sinne bewegt er sich zum Beispiel beim Chloralhydrat und Athylalkohol, in letzterem Sinne zum Beispiel beim Salieylamid, Benzamid usw. Die zuerst genannten Körper sind also bei höherer Temperatur mehr lipoidlöslich, werden also stärker narkotisch wirken als bei niederer Temperatur. So erklärt sich der Versuch Meyer’s durch die Änderung des Teilungskoeffizienten; es mussten seine Kaulquappen beim Abkühlen aus der Narkose erwachen, weil bei niederer Tempe- ratur sich das Lösungsvermögen des Chloralhydrates zugunsten des ‚Wassers resp. Blutplasmas verschiebt. Beim Salieylamid wären die Tiere wahrscheinlich in Narkose gefallen, wenn man sie abgekühlt hätte, weil bei diesem Körper sich das Lösungsvermögen beim Ab- kühlen zugunsten der Gehirnlipoide verschiebt. Unter basischen Narkotika versteht man jene Gruppe organische Narkose bewirkender Verbindungen, die ausgezeichnet ist durch die Leichtigkeit, mit der man sie zur Salzbildung veranlassen kann; zu dieser Gruppe muss man das Novokain und das Kokain rechnen. Gross hat die Gesetze, die das Zustandekommen der lokalen Narkose bei Anwendung solcher Körper beherrschen, untersucht und gefunden, „dass die Lokalanästhetika in vielen Punkten die gleiche Wirkung und Eigenschaften haben wie die Narkotika“. Nun fand man aber, dass der Teilungskoeffizient der salzsauren Salze der Lokalanästhetika — in welcher Form diese gewöhnlich zur Anwendung kommen — sehr klein ist, so dass sich daraus gar nicht ihre Wirkung erklären lässt. Gross zeigte, dass der Teilungskoeffizient der freien Basen um vieles grösser ist. Das stimmt auch mit der Annahme Overton’s überein: „Bei der Mehrzahl jener Verbindungen, welche zu der zweiten Gruppe der Narkotika (basische) gehören, kann es nicht zweifelhaft sein, dass auch in dem Falle, wo sie dem Organismus in Form von Salzen zugeführt werden, es allein der basische Bestand- teil des Salzes ist, welcher die narkotische Wirkung bedingt. Dies ist zum Beispiel ganz sicher der Fall bei den Salzen des Morphiums und ähnlicher Alkaloide. Die Salze der meisten Alkaloide können als solehe ohne eine besondere Tätigkeit des Protoplasmas der be- Über die Wirkung von Narkoticis auf den Froschnerven usw. 487 treffenden Zellen überhaupt nicht in die lebenden Pflanzen- und Tier- zellen eindringen. Diese Salze werden aber durch das Alkali des Blutes (eventuell des Darmsaftes) zum grossen Teile zerlegt, und ‚alle lebenden Pflanzen- und Tierzellen sind für die freien Alkaloide durchlässig, und zwar mit wenigen Ausnahmen .... sehr leicht durchlässig.“ Aus alledem ersieht man, dass man bei der Beurteilung der oben ‚angeführten Versuche den Teilungskoeffizienten zu berücksichtigen hat, da er es ist, der vor allem den Mechanismus der Narkose ‚beherrscht und, wie Gross’ Untersuchungen zeigen, auch für den Mechanismus der Lokalanästhesie wahrscheinlich von sehr weitgehender Bedeutung ist. Hans Meyer hat nun bei einer Reihe von Stoffen ‚den Teilungskoeffizienten bei niedriger Temperatur (3° C.) und er- höhter Temperatur (30° C.) bestimmt. Aus der folgenden (dem Lehr- ‚buch von Meyer und Gottlieb entnommenen) Tabelle kann man mit Leichtigkeit erkennen, dass beim Äthylalkohol, Chloralhydrat and Aceton der Teilungskoeffizient mit steigender Temperatur zunimmt, dass also beim Abkühlen ein Erwachen aus der Narkose eintreten muss, dass hingegen beim Salicylamid, Benzamid und Monacetin, wo ‚der Teilungskoeffizient mit steigender Temperatur sinkt, beim Ab- kühlen kein Erwachen stattfinden kann, ja, dass hingegen beim Ab- ‚kühlen eine Narkose leichter eintreten wird. Teilungs- Öl Verbindung ' koeffizient Wasser bei 39 C. bei 30° C. Salkeylamıda al ac. ee. 2,23 1,40 Benzamuid.z.... > Meran 0,67 0,43 IMonacetinet rs. oe. 0,093 0,066 Nthylalkohols en. ur. ..u: 0,024 0,046 Chloralhydeat 2.2.0... . 0,053 0,236 ANNE 0,140 0,195 Es liegt nun nahe, alle diese für die allgemeine Narkose :geltenden Beziehungen ohne weiteres auch auf die Lokalanästhesie . zu übertragen und die oben beschriebenen Erscheinungen nur auf Rechnung des Teilungskoeffizienten zu setzen. Jedoch ist hierbei zu bedenken, dass 488 | H. Moral: 1. die Temperaturwirkung fast momentan eintritt, 2. auch beim nicht anästhesierten Nerven ein deutlicher Einfluss der Temperatur gesehen werden kann. Es entsteht nun die Frage, ob eine vollständige Parallele besteht: zwischen den obengenannten Versuchen von Overton, denen von Meyer und den hier geschilderten, oder ob es noch andere Faktoren gibt, die beim Zustandekommen der Erscheinung eine Rolle spielen- Durch Gross ist bewiesen worden, dass im allgemeinen eine weit- gehende Übereinstimmung zwischen den indiffererten Narkotieis und den Lokalanästhetieis besteht, und es liegt nahe, auch hier nach einer‘ Übereinstimmung zu suchen. Bei den Versuchen von Overton handelt es sich lediglieh um eine durch die Temperaturänderung bedingte: Änderung des Absorptionskoeffizienten des Wassers bzw. des Blut- serums. Meyer erklärt den Ausfall seiner Versuche mit der Änderung des Teilungskoeffizienten bei Änderung der Temperatur in dem oben. auseinandergesetzten Sinne. Aus den obengenannten Punkten scheint hervorzugehen, dass es: sich bei den beschriebenen Versuchen zum Teil um eine von dem. Anästhetikum unabhängige Erscheinung, also um eine allgemeine: Lebenserscheinung des Nerven handeln müsse. Nun kann man zwar annehmen, dass der Nerv durch das Anästhetikum so beeinflusst wird, dass er auf eine Änderung der Temperatur stärker reagiert wie zuvor, mit anderen Worten, dass der Nerv „empfindlicher“ geworden ist. Dies wäre ohne weiteres auch einleuchtend, wenn es sich überall um: dasselbe Phänomen handelte; dem steht jedoch entgegen, dass je nach dem Medikament der Einfluss der Temperatur ein verschiedener ist, und es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die einzelnen Medikamente den Nerv in verschiedener Richtung „empfindlich“ machen. Auch die Dissoziation, wie sie die basischen Narkotika, zum Bei- spiel Novokainchlorhydrat, in ihrer Eigenschaft als Salze haben müssen, die ja bekanntermaassen mit fallender Temperatur bedeutend sinkt, kann man nicht ohne weiteres allein für die Erscheinung verantwort- -Jich machen, schon deswegen nicht, weil nicht die Salze, sondern . die freien Basen für die Wirkung in Betracht kommen. Dazu käme, dass auf diese Weise das zum Teil widersprechende Verhalten der indifferenten und basischen Narkotika nicht einheitlich erklärt werden könnte. Über die Wirkung von Narkotieis auf den Froschnerven usw. A489 Von all den genannten Punkten genügt demnach keiner allein zur Erklärung der Erscheinung, und es macht den Eindruck, als ob- hier nicht ein einzelner Faktor, sondern mehrere im Spiele sind, durch deren Kombination erst das Gesamtbild erzielt wird. Chloralhydrat und Alkohol zeigen bei Erhöhung der Temperatur eine Narkose, und wenn man bedenkt, dass aus den Meyer’schen Versuchen hervorgeht, dass die beiden Körper in der Wärme einen srösseren Teilungskoeffizienten haben als in der Kälte, dann kann man sich ganz gut vorstellen, dass unter dem Einfluss der erhöhten Temperatur so viel von dem Narkotikum in den Lipoiden des Nerven gelöst wird, dass eine Leitungsunterbrechung eintreten muss, und dass anderseits beim Abkühlen, wenn also der Teilungskoeffizient sich zu- sunsten des Wassers verschiebt, so viel von dem Nerven in das Wasser hin abwandert, dass die Leitungsunterbrechung wieder aufhört. Wenn wir in dem vorliegenden Falle die Erscheinung allein auf den Teilungs- koeffizienten zurückführen, dann kann man auch ganz gut verstehen, dass es ganz gleich sein muss, ob man abgekühlte Ringer- Lösung: oder Chloralhydratlösung verwendet; denn in dem Falle, dass Ringer- Lösung verwandt wird, ist es ohne weiteres klar, dass das Gift vom Nerven weg zum Wasser wandert; im Falle der abgekühlten Chloral- hydratlösung ergibt sich aus der Definition des Teilungskoeffizienten,. der für Chloralhydrat besagt, dass bei niederer Temperatur das Ver- hältnis Lipoide:Wasser gegenüber dem bei höherer Temperatur bestehenden Gleichgewicht so verschoben ist, dass die Gift-Moleküle vom Nerven fort in die umgebende Giftlösung wandern müssen, das Phänomen allein. Das Abwandern wird so lange andauern, bis der für diese Temperatur geltende Gleichgewichtszustand erreicht ist, und dabei sinkt die Konzentration des Giftes im Nerven, während sie in der umgebenden Flüssigkeit steigt, trotzdem der Nerv mit der Lösung eines Narkotikums umgeben ist, die dieselbe Konzentration hat wie die, mit der er narkotisiert wurde. Für den Fall, dass durch erwärmte Ringer-Lösung bei Ein- wirkung von Chloralhydrat Narkose eintritt, kann man sich das Phänomen so erklären, dass in den Nervenscheiden und in dem Binde- gewebe zwischen den einzelnen Nervenfibrillen noch so viel des Giftes- zurückgeblieben war, dass dann, wenn durch Änderung des Teilungs- koeffizienten die Löslichkeit zugunsten des Nerven verschoben wird, das hier zurückgehaltene Gift wieder, und zwar sehr-schnell in 490 H. Moral: den Nerven eindringen kann. Der Umstand, dass auf eine erhöhte Temperatur hin die Chloralhydratnarkose sehr schnell eintrat, spricht nieht gegen die Annahme des Teilungskoeffizienten, denn da ‚der Nerv schon eine gewisse Menge des Gifts enthielt, so kann in kurzer Zeit genügend weiteres Gift eindringen, um eine Narkose zu bewirken. Diesen Erörterungen gegenüber könnte man einwenden, ‚dass doch Wärme am nicht anästhesierten Nerven eine Erhöhung der Zuckung bedingt, dass also, wenn beide Faktoren gleichzeitig wirken, sie sich eventuell gegenseitig aufheben, zum mindesten schwächen müssten. Hierzu ist zu bemerken, dass in der Tat die Wirkung, wie wir sehen, sehr wohl aus beiden Faktoren kombiniert sein kann. Wenn das zuträfe, dann würde die Zuckung, die wir an der Kurve ablesen können, der Erfolge zweier entgegengesetzt wirkender Faktoren sein; in diesem Falle würde es sich um eine Differenz der Wirkungen handeln. Beim Novokain, Kokain, Monacetin und Salicylamid liegen die Verhältnisse nun gerade entgegengesetzt und dadurch wesentlich ein- facher, denn die durch die kalte Lösung bedingte Narkose kann man hier als die Summe zweier in gleicher Richtung wirkender Faktoren ‚ansehen; denn einmal wirkt die Kälte an sich lähmend ein, zum andern ist für Monacetin und Salieylamid von Hans Meyer nachgewiesen worden, dass der Teilungskoeffizient mit sinkender "Temperatur steigt, dass also in diesem Falle die Lipoide mehr von dem Narkotikum aufnehmen können als in der Wärme. Die anderen Erörterungen, warum am fast anästhesierten Nerven durch kalte Ringer-Lösung eine Narkose eintritt, warum durch warmes Novokain ‚die Narkose unterbrochen werden kann, sind ganz entsprechend den oben für das Chloralhydrat gemachten. Auf diese Weise ist eine einheitliche Erklärung der indifferenten und basischen Narkotika möglich, wenn man nämlich annehmen will, dass der Teilungs- koeffizient des Novokains und Kokains sich genau so verhält wie der ‚des Monacetins und Saliceylamids. Eine andere Möglichkeit, die sehr wohl berücksichtigt werden muss, ist noch darin zu sehen, dass durch die Änderung der Tempe- ratur eine Änderung des Giftes im Nerven selbst statt hätte, so dass das Narkotikum dann je nach seinem Wesen bald eine bessere, bald eine schlechtere Angriffsart zeigt. In diesem Falle würde das Gift zwar nicht aus dem Nerven abwandern, sondern in ihm liegen bleiben, Über die Wirkung von Narkotieis auf den Froschnerven usw. aber nur bei bestimmter Temperatur (bestimmte Konzentration voraus- gesetzt) in anästhesierendem Sinn wirken können, so dass also dann, wenn die Temperatur nicht günstig ist, das Gift zwar auch im Nerven liest, aber in bezug auf Narkose sich so verhält, als ob es gar nicht da wäre, und erst dann, wenn die Tem- peratur. sünstig wird, seine Wirkung entfalten kann. Diese Annahme würde auch. die schlagartige Wirkung er- klären und gleichzeitig für alle hier in Betracht kommenden Substanzen, unbekümmert darum, wie der Teilungs- koeffizient ist, eine einheitliche Klä- rung geben. Mit einem Wort darf vielleicht noch auf die Narkose durch Kalium- chlorid eingegangen werden. Dieses zeigt ein ähnliches Verhalten wie das Novokain, insofern, weil auch hier durch Kälte eine Anästhesie schneller eintritt, die durch Wärme wieder unterbrochen werden kann (Abb. 12). Da das Kaliumchlorid zu keiner der beiden obengenannten Gruppen von Narkotieis gehört, so stösst die Erklärung hier auf eine gewisse Schwierigkeit... Das Kaliumchlorid ist ein Salz, und daher kann sehr wohl die Änderung der Dissoziation, die von der Temperatur abhängig ist, hier eine wichtige Rolle spielen. Inwieweit noch andere Faktoren beim Kaliumehlorid in Betracht kommen, wage ich nicht zu ent- scheiden. — 0C 491 Kaliumchlorid 1,0/100,0 + Ringer-Lösung 400,0 35% C. b Ringer-Lösung 19° C. Zimmertemperatur 199 C. —= C Kaliumchlorid 1,0/100,0 + Ringer-Lösung 400,0 0—2° C. U = Abb, 12 (verkleinert). 492 H. Moral: Ob sich die hier mitgeteilten Beobachtungen am isolierten Frosch- nerven für die Praxis verwenden lassen, muss einer späteren Zeit zur Untersuchung überlassen bleiben. Es wäre nicht undenkbar, dass. man einerseits mit einer geringeren Menge des Anästhetikums aus- kommt, anderseits eine bereits im Abklingen befindliche Novokain- oder Kokainanästhesie unter Anwendung der Temperaturerniedrigung; verlängern könnte. Erklärung zu den Abbildungen. Abb. 1. Schematische Darstellung des Apparates: Das Stativ ist aus Eisen, die Grundplatte aus Kautschuk gefertigt; sie ist mittels einer Klemme am Stativ befestigt und kann gehoben und gesenkt werden. In eine Rille der Grundplatte greift der freie Rand der Glasglocke ein, um das Abgleiten unmöglich zu machen. Die Glasglocke ist auf der Innenseite mit angefeuchtetem Papier ausgelegt, um so eine feuchte Kammer herzustellen. Das äussere und auch das innere Glasgefäss kann gehoben und gesenkt werden, ersteres am bequemsten, indem man es aus der Klemme, die es hält, herausnimmt und dann die Klemme auf die jeweils nötige Höhe einstellt. Das innere Glassgefäss bleibt während des ganzen Versuches an seinem Platze. Die Nervenschleife, die durch das Glasgewicht gespannt gehalten wird, muss möglichst weit in das Gefäss hineinreichen; doch darf das Gewicht nicht den Boden berühren, weil sonst die Spannung der Schleife verloren geht, sich beide Schenkel der Nervenschleife aneinanderlegen können und dadurch leicht Versuchsfehler entstehen. Man muss beim Füllen des Gefässes darauf achten, dass es nicht zu voll wird und dass keine Flüssigkeit an die kleine Kautschukplatte kommt, die die Elektroden trägt; sonst breitet sich die Flüssigkeit leicht zwischen diesen aus und führt zu Kurzschluss und damit zu Fehlern. Der Nerv soll beim Durchziehen nicht gedreht werden, weil es sonst leicht vorkommt, dass sich nachher die Nerven- schleife besonders beim Zuführen und Entfernen der Flüssigkeit in ihrer Form nicht. erhält, indem sich beide Schenkel aneinanderlegen. Es muss immer darauf geachtet werden, dass die Elektroden hohl liegen; alle Flüssigkeitstropfen, die sich zwischen ihnen niederschlagen, sind sorg- fältig durch Fliesspapier zu entfernen. Mittels der Pohl’schen Wippe kann man den Nerven je nach Bedarf vor oder hinter der Gifteinwirkungs- stelle reizen. Während des Versuches darf die senkundäre Spule nicht gegen die primäre verschoben werden. Abb. 1a. Photographische Wiedergabe des Motors und der Abblende- vorrichtung. Diese Abbildung entstammt Thayss: Diss. Marburg 1916. Die nun folgenden Kurven wurden mittels weisser Tusche auf schwarzen Karton gezeichnet. Dabei ist das Original möglichst genau kopiert worden; es sind nur ganz unwesentliche Korrekturen notwendig gewesen, wo die Ungenauigkeiten des Originals, sei es mangelhafte Be- russung, Extrazuckungen und dergleichen, dies forderten. Anstatt der schwach gekrümmten Bogen, die die Zuckungslinien eigentlich darstellen, Über die Wirkung von Narkoticis auf den Froschnerven usw. 493 wurde eine gerade Linie gewählt. Es wurden nicht immer die ganzen Kurven kopiert, sondern zumeist nur Bruchstücke, soweit dies gerade notwendig war. Es wurden überall natürliche Verhältnisse gewahrt, nur bei Abb. 2 wurde eine Ausnahme gemacht. Durch Pfeile ist möglichst genau der Moment gekennzeichnet, wo irgendeine besondere Manipulation vorgenommen wurde. Sämtliche Kurven sind von Frau Schultz-Henke- Berlin gezeichnet, ausser Abb. 5, die Herr Lange-Rostock zeichnete. Abb. 2. Diese Kurve veranschaulicht die Einwirkung einer 2 Jo igen Novokainlösung auf den Nerven bei konstanter Temperatur. Sie ist in der Horizontalen verkürzt gezeichnet, indem nur jede dritte Zuckung “des Originals, übertragen wurde. Daher ist denn die Horizontale auf ein Drittel verkleinert. Die Zuckungshöhe ist getreu dem Original un- verändert übertragen. Charakteristisch ist der stufenförmige Abfall der Zuckungshöhe beim Eintreten der Anästhesie und das ebenso geartete Ansteigen beim Er- löschen dieser; gewöhnlich haben mehrere Zuckungen dieselbe Höhe, ehe die nächste Gruppe mit anderer Zuckungshöhe folgt. Die Höhen- unterschiede zwischen den einzelnen aufeinanderfolgenden Gruppen sind häufig bedeutend. Nach Entfernen des Novokains nach vollständig ein- getretener Anästhesie und Zuführen von Ringer-Lösung dauert es 9 Minuten, bis wieder die erste Zuckung auftritt. C bedeutet hier, wie in allen folgenden Versuchen, eine Kontrollzuckung; diese wurde erreicht, indem man nach Umstellen der Pohl’schen Wippe den Induktions- schlag muskelwärts der Gifteinwirkungsstelle wirken liess. $ Abb. 3. Diese Kurve veranschaulicht die Einwirkung kalter und warmer Ringer-Lösung auf den Nerven; bei b (erstes b von links) tritt durch die kalte Ringer-Lösung eine Abnahme der Zuckungshöhe ein, die aber auf Zufuhr von warmer Ringer-Lösung wieder aus- geglichen wird. Es wird wieder die alte Zuckungshöhe erreicht. Bei d ‘wird die kalte Ringer-Lösung durch kalte Novokainlösung ersetzt; es tritt zunächst keine Änderung der Zuckungshöhe ein. Bei e (erstes e von links) wird durch weitere Zufuhr von Kälte eine vorzeitige Anästhesie erzielt; dann erwärmte sich die Lösung ein wenig im Glase, und es musste wieder von neuem kalte Lösung zugeführt werden, um die Anästhesie wieder herzustellen. Bei c (zweites und drittes ce von links) treten auf Zufuhr von Wärme Zuckungen auf; an letzter Stelle ist die Zuckungshöhe grösser, weil mit der Dauer des Versuches immer mehr Novokain in die Ringer-Lösung überging. Hier wurde also am fast anästhesierten Nerven durch Zufuhr von kalter Ringer-Lösung eine vorzeitige Anästhesie erzielt, die durch warme Ringer-Lösung aus- geglichen wurde. Abb.4. Diese Abbildung soll zeigen, dass man beim fast anästhesierten Nerven imstande ist, eine durch kalte Ringer-Lösung hervorgerufene Abnahme der Zuckungshöhe durch warme Novokainlösung wieder annähernd auszugleichen (a*). Wenn man nun die warme Novokain- lösung in Gläschen belässt, dann tritt nach einiger Zeit ein weiteres Abnehmen der Zuckungshöhe ein, die schliesslich zur vollen Anästhesie führt. Diese letzte Anästhesie wäre allein durch das Novokain bedingt. 494 H. Moral: Abb. 5. Hier wurde während des ganzen Versuches muskelwärts: von der Gifteinwirkungsstelle gereizt, um zu zeigen, dass die Wärme sich am Nerven entlang ausbreitet. Dieser Versuch ist für die Gift- wirkungsuntersuchung des Alkohols unbrauchbar und hätte gerade so gut mit Ringer-Lösung ausgeführt werden können. Abb. 6. Diese Abbildung soll zeigen, dass man durch eine und die- selbe Novokainlösung imstande ist, bald Anästhesie zu erzeugen, bald diese zu unterdrücken. Da die Lösung ziemlich dünn ist, so ist die Kurve nicht sehr charakteristisch; es findet kein deutlicher stufen- förmiger Abfall statt, sondern ein mehr gleichmässiger. Bei bx und b. gelingt es, durch warme Novokainlösung die Anästhesie zu unterbrechen. Bei a xx führt eine kalte Novokainlösung momentan zur Anästhesie; die bei db eingetretene Erholung ist nur von kurzer Dauer, denn die "sehr bald einsetzende neue Anästhesie ist nicht durch die kalte Lösung be-- dingt, sondern durch das Novokain allein, dessen Konzentration im Nerven zu sehr gestiegen ist. Dass der Muskel und Nerv nicht gelitten hat, geht aus der Kontrollzuckung hervor. Abb. 7 zeigt die Verhältnisse beim Kokain, die ganz denen des. -Novokains entsprechen. Der Abfall der Kurve ist zum Schluss ein ziemlich steiler; auch hier gelingt es, durch warme Lösung zweimal die Anästhesie zu unterbrechen ; ausserdem kann man die schnelle Einwirkung kalter Kokainlösung erkennen, Bei diesem Versuch ist nur Kokainlösung verwandt worden; Ringer-Lösung wurde ganz vermieden. Abb. 8 zeigt die narkotische Wirkung eines indifferenten Narkor tikums auf den Froschnerven. Das Salicylamid verhält sich ganz so wie das Novokain und das Kokain. Kalte Lösungen begünstigen die Narkose, warme rufen eine Unterbrechung hervor. Nachdem zum zweiten. ‚Male auf diese Weise die Leitungsfähigkeit wiederhergestellt war, sank. die Kurve doch ab, trotzdem nochmals mit warmer Lösung gespült wurde (9%). Daraus erhellt, dass die Giftkonzentration im Nerven zu hoch gestiegen war. Durch Auswaschen mit Ringer-Lösung (e) er- holt sich der Nerv wieder, und noch einmal kann man den Einfluss der: Kälte und Wärme -zeigen, dann ist wiederum die Konzentration zu. hoch: nach Ausspülen mit Ringer-Lösung (e*) erholt sich der Nerv nochmals nach einiger Zeit. Aus der schnell eintretenden Anästhesie und aus dem Umstande, dass man den Versuch nicht oft wiederholen: kann, scheint hervorzugehen, dass die Salicylamidlösung ein wenig zu konzentriert war. Abb. 9. Das Monacetin verhält sich genau wie das Salicylamid. Es war möglich, die Leitungsunterbrechung und die . Leitungswieder-- herstellung dreimal hintereinander zu wiederholen. Auch hier wurde: Ringer-Lösung gänzlich vermieden. Abb. 10. Das Alkohol zeigt das entgegengesetzte Verhalten wie die bisher besprochenen Körper. Die anfänglich benutzte 3 volum-- prozentige Lösung wurde später durch die 1,5 volumprozentige ersetzt,. da aus dem ersten Teil der Kurve hervorzugehen scheint, dass die Lösung zur Demonstration der Wärme- und Kältewirkung nicht geeignet war.. Nach Eintreten der ersten Anästhesie war es nicht möglich, durch kalte: Über die Wirkung von Narkotieis auf den Froschnerven usw. 495 Lösung eine Erholung zu erzielen (f*). Unter dem Einfluss von Ringer- Lösung (9) traten dann sehr bald Zuckungen auf. Durch erwärmte Lösung e (zweites e von links) konnte dann volle Anästhesie erzielt werden; auf Zufuhr kalter Lösungen tritt eine Erholung ein. Nachdem es noch einmal gelang, das Phänomen auszulösen, war die Konzentration zu sehr gestiegen; nach Spülen mit Ringer-Lösung (h) trat eine Er- holung ein. Nun wurde die 1,5 /oige Lösung verwandt, und es liess sich das Phänomen mit Leichtigkeit zehnmal wiederholen, ohne dass der Nerv wesentlich gelitten hätte, wie aus den Kontrollzuckungen hervor- geht. Es mag diese Kurve ein Beispiel dafür sein, einmal, dass die Konzentration des Giftes nicht zu gross sein darf, anderseits, dass unter geeigneten Bedingungen das Phänomen sich häufig wiederholen lässt. Abb. 11. Das Chloralhydrat verhält sich genau wie der Alkohol, nur mit dem Unterschiede, dass hier zum Schluss des Versuches die Zuckungen wesentlich an Höhe abnehmen, ein Zeichen, dass der Nerv ziemlich weitgehend geschädigt sein muss. Nachdem zum dritten Male die Anästhesie durch kalte Lösung unterbrochen war, kehrte sie ohne Zuführung von Wärme wieder, und erst nach Spülung mit Ringer- Lösung und Verweilen des Nerven in dieser traten wieder Zuckungen auf. Abb. 12. Das Kaliumchlorid verhält sich ähnlich wie das Novokain, insofern man auch hier den Versuch häufiger wiederholen kann. Nach- dem zum fünften Male durch kalte Lösung Anästhesie eingetreten war, liess sich durch warme Lösung b (fünftes d von links) keine Zuckung erzielen. Nach Auswaschen mit Ringer- Lözung ; konnte der Versuch in gewohnter Weise fortgesetzt werden. Es sei mir gestattet, Herrn Prof. Dr. Gürber, in dessen Institut die vorliegende Arbeit ausgeführt wurde, und Herrn Prof. Dr. Frey für die freundliche Hilfe, die sie mir jederzeit zukommen liessen, auch: an dieser Stelle meinen allerherzlichsten Dank auszusprechen. Beiträge zur Physiologie des Sehens. VI. Mitteilung. Subjektive Farbenerscheinungen. Flimmererscheinungen und Ursache derselben. Subjektives und objektives Empfinden. Von €. Baumann (Wiesbaden). (Mit 5 Textabbildungen.) Die Versuche mit den umlaufenden weiss und schwarzen Scheiben für die Farbenerscheinungen, wie solche in Bd. 146 S. 543—552, 1912, und Bd. 166 S. 212—217, 1916, dieses Archivs beschrieben sind, habe ich noch zu dem Zwecke fortgesetzt, um die Spektralfarben zu erzeugen. Möglicherweise hat G. T. Fechner hieran auch gedacht, denn er schrieb 1838 (Poggendorff’s Annalen Bd. 45 S. 227): „Es ist zur Genüge bekannt, dass man durch Drehung einer mit Farben in an- ‘gemessener Weise bemalten Scheibe Weiss oder Grau erzeugen kann. Seltsam scheint es mir, dass man ein Phänomen noch nicht wahr- genommen hat, was gewissermaassen die Umkehrung des vorigen ist.“ Die Versuche, die Spektralfarben zu erzielen, stossen auf viele ‚Schwierigkeiten; ausserdem darf man von vornherein nicht mit zu hohen Erwartungen an die Sache herantreten in bezug auf die Klar- heit der Farben; denn ebensowenig wie wir bis jetzt mit den mate- riellen Farben ein reines Weiss erzielen können, ebensowenig wird ‘es im vorliegenden Falle möglich sein, die Spektrumfarben rein hervor- zubringen. Sehr hinderlich für die Reinheit und Klarheit der Farben ist das ‚Auftreten der Flimmererscheinungen in den Sektoren, welche allseitig von Weiss umgeben sind. Dieselben führen sich nach meinen Be- obachtungen darauf zurück, dass die Einwirkung des Weiss im Auge noch nicht verschwunden ist, wenn der schwarze Sektor bereits wieder einwirkt. Am besten lässt sich das feststellen bei der Beobachtung mit der Anwendung eines einzelnen Sektors, wie in Abb. 1. Beiträge zur Physiologie des Sehens. 497° Aa Ahr A Abb. 5. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 171. 3 [897 498 C. Baumann: Am besten erscheinen die Farben hei Linksdrehung der Scheiben und den Anordnungen von Abb. 2 und 3. In Abb. 2 haben- alle Sektoren eleichmässig 65°, während in Abb. 3 eine um 5° bemessene Winkelabnahme von 75° bis auf 45° hin getroffen ist. In Abb. 4 ist die Ausdehnung der einzelnen Farben eines Prismaspektrums zugrunde gelegt. Abb. 5 gibt die Farben entsprechend der Verkleinerung der Kreisabschnitte minder kräftig wieder. Wir dürfen bei diesen Versuchen nicht übersehen, dass wir es. mit Erscheinungen zu tun haben, die durch vielerlei Ursachen beein- flusst werden. — Da sind zunächst Unterschiede in der Lichtstärke zu erwähnen. Dass bei Anwendung direkten Sonnenlichtes keine Farben zur Geltung kommen, ist von mir bereits 1912 erwähnt worden. Schon das Licht, welches von einer sonnenbeleuchteten weissen Wand unbehindert auf die sich drehende Scheibe fällt, lässt die Erscheinung nur matt, wenn überhaupt, hervortreten. Für den Versuch ist ein gleichmässiges zerstreutes Licht am günstigsten. Ein weiterer Einfluss wird durch vermehrte oder verminderte Drehungsgeschwindiekeit ver- ursacht. Dazu gesellt sich die Anordnung und Ausdehnung der Sek- toren, ferner der Abstand des Beobachters von der Scheibe sowie die Grösse der Scheibe und zu dem allem noch die Augenbeschaffenheit. des Beobachters. — Es kommt also nieht nur eine Beziehung zwischen zwei Dingen in Frage, sondern viele zwischen mindestens drei Dingen ; es sind also Ursachen genug vorhanden, welche das Auftreten der Erscheinung sowie ihre Beständigkeit beeinflussen. Daher die vielen Schwankungen, die sich beim Beobachten ergeben. Die Eigenschaft der umlaufenden Scheibe, im Sonnenlichte keine Farben zu zeigen, hängt meines Erachtens damit zusammen, dass in diesem Augenblicke das objektive Bild so stark auf die Netzhaut einwirkt, dass das subjektive Bild nicht daneben aufkommen kann; das objektive Empfinden als das stärkere unterdrückt das subjektive Empfinden. Der gleiche Fall trat bei der Drehung der 50 em Scheibe ein bei dem Beobachtungsabstand von 10 m, über welche in Bd. 166, S. 212, 1916 berichtet worden ist; auch dabei wurde die schwächere Empfindung, die subjektive, durch die stärkere Empfindung, die ob- jektive, zurückgedrängt. — Ferner ist auch der Mangel an zarten Farben — und Lichtübergängen, über welche ich in der gleichen Arehivnummer berichtete, nur auf die stärkere objektive Wirkung zurückzuführen. Beiträge zur Physiologie des Sehens. 499 Dieses Zurückdrängen der schwächeren Empfindung durch die stärkere ist in der Beschaffenheit des Auges zu suchen und findet durch die auch bereits erwähnten Untersuchungen von Prof. Dr. Fröhlich vollständige Aufklärung. Jeder Netzhautteil leitet den vom Lichte in ihm hervorgerufenen elektrischen Strom zum Zentral-Nervensystem. — Wenn wir durch einen einzelnen Draht die von mehreren Elementen erzeugte elektrische Energie zu einem Punkte hinleiten, so gelangt nur ein einziger Strom an diesen Punkt hin, in dem alles vereinigt ist, was zusammengeführt worden ist. — Die von den Netzhautteilen ausgehenden Nervenfasern wirken ganz ebenso wie die Drähte der Elemente, und zum Zentral-Nervensystem gelangt von einem Netzhaut- teile immer nur ein einziger Strom, gleichgültig ob dieser durch eine einzelne oder durch mehrere gleichzeitige Einwirkungen hervor- gerufen worden ist. Für die Klarheit des zu unserm Bewusstsein gelangenden Bildes gibt es auch keine andere Möglichkeit, wenn das Bild nicht die Ver- schwommenheit der Speichen eines rasch rollenden Rades haben soll. In dieser Beziehung unterscheidet sich die Einrichtung des Gesichts- sinnes wesentlich von dem des Gehörs, aber, wie wir erkennen, zu einem ganz bestimmt beabsichtigten Zwecke, 32* Autorenverzeichnis. Basler, Prof. Dr. Adolf. Über die ‚. Blutbewegung in den Kapillaren. S.134. Baumann, C. Beiträge zur Physio- logie des Sehens. VII. S. 496. Boden, E. Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetier- und Menschenherzen bei direkter und in- direkter Ableitung. S. 146. Fleisch, Alfred. Experimentelle Untersuchungen über die Kohlensäure- wirkung auf die Blutgefässe. S. 86. Karplus, Prof. Dr. J. P. Gehirn und Sympathicus. S. 192. Kautsky, Dr. Karl. Zur normalen und pathologischen Physiologie des Kreislaufs. S. 386. von Knaffl-Lenz, E. Über die kolloidchemischen Vorgänge bei der Hämolyse. 8.51. Kreidl, Prof. Dr. A. Gehirn und Sympathicus. S. 192. Moral, H. Über die Wirkung von Narkoticis auf den Froschnerven unter dem Einfluss von Temperaturände- rungen. S$. 469. ; Neukirch, P. Elektrokardiographische Studien am isolierten Säugetier- und Menschenherzen bei direkter und in- direkter Ableitung. S. 146. Pütter, August. Studien zur Theorie der Reizvorgänge. S. 201. Stigler, Prof. Dr. Robert. Zwei Modelle zur Demonstration des Ein- flusses der Schwere auf die Blut- verteilung. S. 262. Stigler, Prof. Dr. Robert. Der Ein- fluss des Nebenhodens auf die Vitalität der Spermatozoen. 8. 273. Stigler, Prof. Dr. Robert. Ein Modell des menschlichen Blutkreis- laufes. $. 283. Stigler, Prof. Dr. Robert. Ein Pro- Jektions-Tachistoskop „(Metakontrast-. apparat“). S. 296. Szymanski, J. S. Versuche über den Lernvorgang bei den weissen Ratten während -der Ruhe- bzw. Aktivitäts- perioden. 8.311. Szymanski, J.$. Versuche über die Fähigkeit der Hunde zur Bildung von optischen Assoziationen. 8. 317. Szymanski, J. S. Die Verteilung der Ruhe- und Aktivitätsperioden bei weissen Ratten und Tanzmäusen. S8.324.. Szymanski,J.S. Über Umdrehreflexe bei den Käfern. S. 348. Szymanski, J. 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NEE MEERE TE EHE HMMM NIE er eg es I EI TN AUSHALTEN KEN , “erttann 2 BEE SEE Ba Due NEE SE SE NE SEE SE u u r rege ++ KERZE AZ UK ZEICHNER UEH ) ® BE HK Ha ® u SE I SE SE EN N i DEU a ESF UHKEN EL ERKEN ‘ ® « . Dr etz e ats TEE III EEE . . s SERCH « r EB SE N 3 > * wenn ee ur ad re rer *.. tt 3) A E VE T RR or, .. EIKE ENR KEN AN IHREN KERN EN EEE A EU RR! .. 2. ?, ® DER . ER ra tete EMI ee a Wen tötete! etc 2 . “ x rar A . ware wa 4 ee nn A 1 £ . Di tt tete EFF FERN ARENA FERN RFARNES, 2 .. EAU y. rs EN EER ENTE KH NUM EN By ERHALT E EN) Fett EHE NE NEBEN IE RR REIHE Se CHEN VER: ses, were r ne . . 4 .u..o0% RUE ISLUN KEN SELLER UF KEN TTS “ne ® LENNY NEN | ° N SEND RK MR RE TE PCR MEHR HER Wo LACH | 4 waratan nun ar nt rs . EEE De De IE N a u EC 3) & area r en re ee EEE ES ER LERNT ES FLAT rR N DE ee EEE ETC HEHE NEE ME FE DE BE u Sc Dr ui ..; A et x era ht AI KFFHFARA TUR 8 j RR ER ee lae ne Ba HC EWR KAMAHR, ED EEE ER) AAARFER eat KARAHNER s EURER RER ANA RE “sr EUCH I rer : REITER RIERER N sen De DE BEE A ES ee ERHEUUEKITAHEE KR RL EHER SERIE NLBL BE RICH ee TE EEE 2. tet ee ee DEM a RN KK) er rar KA) . ee ur RR . ie x a. .. \ . EERTEET BR NRRERREREEEFRRESTREIERERRRENDRERBRRR ER 3 ? TEEN retatrte tr tetnieiage RER EREEN, tn, t RRE sa erst tt, 5 h £ ” f “ ‚ er ICH tat RER) REF "ern" tan .4 et ae er RE Ti te De EEE RICH ICH EN ER EFT IDEEN PHRAFIOH RAR FRA) EATT RAR re “> era tthe RISK ARFSRRAHFER RAR ARFARRPRAR eh RE RR ne 5 RR, REF ur ar $ RAR KIT N ae re . ae PR DEE RR SC IRE IE Dr ERE SC HC 3 ER TEN ne * ner .r1 a 4 ?. I I RA ce} ar rer ö AH) fi KLAR MINEN .. PEN MEER ER % PBRFERALNEKHTF aa LE ee SC BEN ne Re * arten ir j rÄ; » * RD DR DL BR Se : . UHR IE SE ER ex R rs SF; es De RKAN : 5 ER HEREEN x dr .. I) Y nt TER, NR KERFRHEHEKAR ee Er ee ER RS i * “Rue en» ra. a ans . A = ern a ah “- or e0en 1 RE REN ERENTO ER h RI HERRN KR en x era A ER ER aR, Bi ere . .. DES USE NEN WET ”. ’ e i Ran nr “nr EEE NEE SEE BEE Mae De I DE Ye er ES En 3 3 3 ni VCyeneN : anne EN De error RYYTTESTENAN “ ER) ze... RC SCH air. Er at DRIN “e REES y) . 0 > te te SR era a ee nr .. ai e ": rt 2er. ® DER > De DER * RER RT) ae ern ee " Sant tere re RHEIN a". IR .. A, RO EN RR UFER Sache Da ar DE WE PER IE DENN MEERE? RANSTE . a .r were [223 Rn a a a N er EEE TR „* .. Du CHRR e" x I eine‘ IS WE ee Re tt, ar RR ATKR, a ER 5 a: I ee... t = n'. * . ae “ Cr} . € \ KANKUKEN Fa) : d elle SEERSURERURTTN 2er RO es ee EEE ee “ nr ar LEHNEN EI FF er ER ER HR HE x, PRESCHEHESE RUE SCH 37 Me BEI DUICHEBEDENL ER HEN ER ER ER ARR ER ER RER RENTNER BENZER ee vr: 2. De SEE u ME Be a KHZHRERAF errang “rar er ERRIE CERAHFHHKL HEN KH “s . RAR, BEN EHE DE) ea Mer RENT RE AREA ET te ur. RE 1 I I ICH RERHSEHRAHARFF re EFF R ARENA AR ANA N AN) 5 CE RR bar a du SEO MER ME SE DENE EUKKAME HENKE er RENTEN FR TI I Er ae ar ren Tee BC a BE e uryr 3 was ta eins er regen te ee er ee ET, ” Fe wenn UL R een ER ne ee WETTE EL EMCHEIEN RC BEH N I BENCR RL OEE) ARME URKN URN IRN DEE EL AR KENT UN EX A es ee ER, RAN A FARB ABK ER HFURH a en NN IKEXEX EVEN IHK EN HAUFE SAT EN N ® ne: re ee a a EI Te N AN Fre ENTE I ZEN EN EEE NS ET TEE 2 =. Kuda RB 5 BE DEZE Du DE DE SE 3) I De A FA RUN EEFARFLANN “er £ $ r er s ‘* un UNE, er ee ® NER . eat DER RHEIN HERE ne . H x BE a a SE a Er EEE ein Bee ERERLEISE REDEN RICH REN tete MELHLTR Kr Sc ae ae a ar} - ER er r warte BON) „ RR, ODER: RR er DH) ‘ I s. N N et ” EN ’ \ CasL ” ELITE ET ee AN \ 2% ar un “ un RER RS SEITEN en it .. 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