Hein b IE BREIT ERREERETT BBUHLR SR \ T B Kia * X RR N + Kin ver D ins ER N In + RER ja H RR 5 “N ware .. x‘ “r Re, Or + \ot$ * 0 RO S N 20 * on + “r A eb * une tet ..% . “er. un. „rs ins ($ * + „re ERROR IRCH . [7 % « # x % * % EN, n ON % D * :i» “: % O8 ur RT [) an SaLecht .. .; . * .-... .n.».e ans .. . .. ..» sn en» +» ee .... ... *r tt .. . „ers . r j . .. “ BuharTeT u FR kl 1‘ MrTLaaN ALL ANS BSR) areeTht eL Nr a, TAFARD PFLUGER® ARCHIV FÜR DIE GESAMTE EHZSIOVOLOGIE DES MENSCHEN UND DER TIERE HERAUSGEGEBEN VON E. ABDERHALDEN A. BETHE R. HÖBER HALLE A. S. FRANKFURT A. M. KIEL 177. BAND MIT 99 TEXTABBILDUNGEN UND 3 TAFELN BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1919 Inhaltsverzeichnis. Mangold, E., und Eckstein, A. Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. (Mit 13. Textabbildungen) .. . „En... n. Ku Eckstein, A. Weitere Untersuchungen zur tierischen Hypnose. Über Muskeltonus, Dauer und Eintritt des hypnotischen Zustandes sowie über die Reflexerregbarkeit während desselben. (Mit 13 Text- OT) ee Ne er NN re Hess, C. Über Lichtreaktionen bei Raupen und die Lehre von den tierischen Tropismen. (Mit 12 Textabbildungen und Tafel I)... . Frey, Prof. Dr. med. Ernst. Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute und seine Verteilung auf Blut und Gewebe. (Mit 4 Textabbildungen) . .... 2.22.22 2.. Frey, Prof. Dr. Ernst. Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. Ein Beitrag zur Lehre von der osmotischen Arbeit der Niere. XIV. MNIGEOANextapbiidungen) un sn a Re Abderhalden, Emil. Beobachtungen zur Frage der morphologischen und funktionellen Asymmetrie des menschlichen Körpers. .... Dusser de Barenne, J. G. Über den Einfluss der Blähung der einen Herzkammer auf die Tätigkeit der anderen. (Mit 2 Textabbildungen) Klinger, R. Versuche über den Einfluss der Hypophyse auf das Wachs- Be re eG OO NE EEE VOR re ER re Trautmann, Privatdozent Dr. Alfred. Die Milchdrüse thyreopriver Ziegen. (Mit 3 Textabbildungen und 3 Abbildungen auf Tafel JI ARTE WATER Var ee ee Te Nee et Storm van Leeuwen, Konservator W., und Le Heux, Assistent J. W. Über den Zusammenhang zwischen Konzentration und Wirkung von verschiedenen Arzneimitteln. (Mit 15 Textabbildungen) Liljestrand, G., van der Made, M., und Storm van Leeuwen, W. Zur Konzentrationswirkungskurve des Skopolamins. (Mit 13 Textabbil- BUNEON Ra Re er See ee ee a ee Meran Storm van Leeuwen, Konservator W., und van der Made, Ässistentin M. Überden Synergismusvon Arzneimitteln. IV.Mitteilung. Skopolamin- Morphin. (Mit 8 Mastabbildungen) were A ea Kahn, Prof. Dr. R.H. Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. I. Über den Zustand der Muskeln der vorderen Extremitäten des Frosches währendeder-Umklammmerungt ng a 20. 2 ee een Tschermak, A. Nachtrag zu meiner Abhandlung: „Bioelektrische Studien an der ea LE a RES 7 re eh er Höber, Rudolf. Ein Verfahren zur Demonstration der Aktionsströme. Bl BRextap bilde)" are Au NETTE FREE VETZELCHIRUSA NIE ee ee er ee ee Seite h; NEAR NUR RER EN Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. Von E. Mangold und A. Eckstein. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Freiburg i. B.) Mit 19 Textabbildungen. (Eingegangen am 21. Mai 1919.) I. Einleitung. Beim Menschen und in gleicher Weise bei den Tieren werden durch die Herbeiführung der als Hypnose bezeichneten Veränderung des physiologischen Normalzustandes verschiedene somatische Erschei- nungen hervorgerufen, die zusammen jenen charakteristischen Sym- ptomenkomplex darstellen, der beim Menschen durch die Suggestion herbeigeführt und von tiefgreifenden Veränderungen des psychischen Verhaltens begleitet wird, während er bei den Tieren allein durch mechanische Beeinflussung ausgelöst wird und keinerlei psychische Begleiterscheinungen im engeren Sinne erkennen lässt. In beiden Fällen besteht der heterobiotische Zustand der Hypnose, wie es an anderer Stelle ausführlich begründet wurde !), physiologisch in einer, durch eine gewisse Summe afferenter Erregungen hervorgerufenen, tonischen Hemmung der Ortsbewegung und Lagekorrektion und. ist ein schlafähnlicher Zustand, in dem charakteristische Veränderungen des Muskeltonus (Erschlaffung und Katalepsie) und der Sinnestätigkeit (Anästhesie, Analgesie) auftreten können ?). Die wesentlichen Ab- weichungen der Seelen- bzw. Lebenstätigkeiten bestehen dabei, wie Kohnstamm ?°) hervorhebt, ohne Beeinträchtigung der Integrität des Organismus. In der menschlichen Hypnose bieten die Erscheinungen von seiten der willkürlichen Muskeln je nach dem verschiedenen Grade ihres Tonus und durch verschiedenartige Kombinationen wechselnde Bilder, die starke Erschlaffung und dadurch leichte passive Beweglichkeit oder wachsartige Biegsamkeit oder tonische Kontrakturen und endlich die Starre des ganzen Körpers zeigen können. Irgendeine dieser Funk- l) Mangold, Hypnose und Katalepsie bei Tieren im Vergleich zur menschlichen Hypnose. Jena, G. Fischer. 1914. 2) Mangold,l.c. S. 78. 3) Kohnstamm, Das Unterbewusstsein und die Methode der hypno- tischen Selbstbesinnung. Journ. f. Psychol. u. Neurol. Bd. 23 S. 294. 1918 Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 177. 1 2 E. Mangold und A. Eckstein: tionsstörungen besteht nach Moll) jedoch in jeder Hypnose, wie in dieser auch alle beliebigen Bewegungszustände durch Suggestion herbei- geführt werden können. Auch die Veränderungen der Sinnestätigkeit, Hypalgesie und sonstige Herabsetzung der Sinnesempfindungen, können in tiefer Hypnose beim Menschen als essentielles Moment ohne besondere daraufhinzielende Suggestion vorkommen ?). Jedoch ist es dabei wie bei den etwa auftretenden Hyperästhesien nicht immer mit Sicher- heit festzustellen, ob dieselben durch Suggestion oder auf andere Weise entstehen ?). Hierauf ist es wohl zurückzuführen, dass über diese funktionellen Zustandsänderungen in der menschlichen Hypnose und insbesondere darüber, wie weit dieselben unabhängig von der Suggestion als rein somatische Faktoren und physiologische Symptome der Hypnose zu betrachten sind, noch keine besonderen Untersuchungen vorliegen. Dies gilt ebenso auch von dem Verhalten der gewöhnlichen Reflexe und der Reflexerregbarkeit in der menschlichen Hypnose, ‘ worüber bisher nur wenige und zum Teil einander widersprechende Angaben vorliegen ?). Während Charcot die Reflexe gesteigert, ebenso Berger den Patellarreflex gesteigert, Vogt denselben herabgesetzt, auch Moll ihn mehrfach verändert fand, sind die Veränderungen der Sehnenreflexe nach Moll nicht eigentlich für die Hypnose charakte- ristisch, vielmehr vom Zustande des Muskelsystems abhäneig und daher bei Muskelerschlaffung gesteigert, bei kataleptischen Stellungen dagegen vermindert. Den Pupillarreflex fand Moll mehrfach in der Hypnose herabgesetzt. Wundt *) spricht bei der Hypnose wie beim Schlaf vor einer allgemeinen Herabsetzung der Erregbarkeit sowohl für die Sinnesreize wie für zentrale motorische Impulse, und bei Forel?°) finden nur die in der Hypnose suggestiv ausgelösten Reflexe verschiedener, auch vasomotorischer und sekretorischer Art, wie auch die Tatsache Erwähnung, dass einzig und allein die rein gangliösen Funktionen und die spinalen Reflexe sowie die äquivalenten Reflexe der Hirnbasis durch die Suggestion nicht oder nur selten und un- wesentlich beeinflussbar zu sein scheinen. Von der früher ausführlich begründeten ®) Überzeugung ausgehend, dass die menschliche und tierische Hypnose trotz der grossen, hin- sichtlich ihrer Herbeiführung und ihres Verlaufes bestehenden psycho- 1) Moll, Der Hypnotismus, 4. Aufl., S. 80. Berlin 1907. 2), Moll; 1.7c:'S..96. 3) Ebenda S. 91. 4) W. Wundt, Hypnotismus und Suggestion. Leipzig 1911. 5) A. Forel, Der Hypnotismus oder die Suggestion und die Psycho- therapie, 7. Aufl. Stuttgart 1918.: 6) Vgl. Mangold, Hypnose und Katalepsie, 1. c. Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. & logischen Unterschiede in rein physiologischer Beziehung wesensgleiche Zustände darstellen, und dass über die die somatischen Veränderungen in der menschlichen Hypnose betreffenden und, wie erwähnt, noch völlig ungeklärten Fragen durch Untersuchungen an Tieren, bei denen höhere psychische Begleiterscheinungen und insbesondere das Moment der psychischen Suggestion nicht die Verhältnisse komplizierend in Betracht kommt, wichtiges Material als Vorarbeit für die weitere Untersuchung am Menschen geliefert werden könne, hatten wir uns die Aufgabe gestellt, das Verhalten der Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Diese Aufgabe schien uns um so mehr der Bearbeitung wert, als die wenigen Arbeiten, die sich bisher mit der Reflexerregbarkeit in der Hypnose bei Tieren beschäftigten, keineswegs zu einem befriedigen- den Ergebnis geführt haben, das etwa eine Klärung der Frage und eine brauchbare Grundlage für die Orientierung und weitere Arbeit der Neurologen gebracht hätte. So hatte auch in der monographischen Zusammenfassung über die Hypnose und Katalepsie bei Tieren !) hinsichtlich des Verhaltens der Reflexerregsbarkeit nur ein kurzer Hinweis auf die verschiedenartigen Angaben früherer Autoren gegeben werden können, ohne dass es bei dem Fehlen neuer Untersuchungen möglich gewesen wäre, das so entworfene Bild zu berichtigen. Diese Möglichkeit sollten uns nun die eigenen Versuche an die Hand. geben, die denn auch zeigten, dass in den früheren Angaben und Versuchs- deutungen mancherlei irrtümliche Anschauungen unterlaufen und dringend der Ergänzung und Berichtigung bedürftig waren. Es kann daher hier auch genügen, kurz an jene bisherigen Arbeiten zu erinnern, in denen die meisten Autoren nur auf Grund beiläufiger Beobachtungen oder einzelner weniger, besonders darauf. gerichteter Versuche ihr Urteil über das Verhalten der Reflexerregbarkeit in der Hypnose niederlegten, während allein von Danilewsky°) grössere einschlägige Versuchsreihen mitgeteilt wurden. Nachdem Preyer°) für die künstliche Bewegungslosigkeit der höheren Tiere allgemein eine Herabsetzung der Reflexerregbarkeit angegeben hatte, äusserte sich Heubel®) für den Frosch im besonderen im gleichen Sinne. Er fand die Reflexerregbarkeit in seinen Versuchen an Temporarien und einigen Eskulenten stets mehr oder minder herab- gesetzt, besonders in den späteren, tieferen Stadien der Hypnose, Mangold, 1.'c. Ss. 1. 2) Danilewsky, Über die Hemmungen der Reflex- und Willkür- bewegungen. Beiträge zur Lehre vom tierischen Hypnotismus. Dieses Archiv Bd. 24. 1831. 3) Preyer, Die Katalepsie und der tierische Hypnotismus. Jena 1878. 4) Heubel, Über die Abhängigkeit des wachen Gehirnzustandes von äusseren Erregungen. Dieses Archiv Bd. 14 S. 158. 1877. 1 4 E. Mangold und A. Eckstein: und schloss dies daraus, dass die Frösche in diesem Zustande nicht auf Fliegen reagierten, Fingerberührung der Haut oder leichten Druck auf die Weichteile, Umbinden eines Bindfadens um den Arm oder Umhertragen des Froschbretts ohne Reaktion geschehen liessen, und dass es zur Auslösung des Hornhautreflexes angeblich mehrfacher Irritation bedurfte. Danilewsky ging bei seinen Froschversuchen mit mehreren Methoden an das in seiner Kompliziertheit von ihm richtig gewürdigte Problem der Reflexerregbarkeit in der Hypnose heran; zunächst mit der Türk’schen Säuremethode, wobei der Frosch normal oder hypnoti- siert auf der Hand lag oder auch in einer Haltevorrichtung sass, in Hypnose auch auf den Tischrand gelegt wurde, und zwar stets so, dass ein Fuss in die Säure herabhing. Er fand dabei den Beinanzieh- reflex auf Säurereiz während der Hypnose stark gehemmt und zur Auslösung entweder stärkere Konzentration oder längere Einwirkung der Säure erforderlich und konnte auch einige Versuchsprotokolle mitteilen, in denen die Verlängerung der Reflexzeit während der Hypnose deutlich hervortritt, während dieselbe in dem der Hypnose gleich wieder folgenden Normalzustand stets wieder verkürzt und mehrfach den normalen Anfangswerten gleich erscheint. Dies Ergebnis suchte Danilewsky dann auch noch auf andere, exaktere Weise zu bestätigen, indem er durch elektrische Reizungen mittels eines meist von 1 Daniell gespeisten Du Bois-Reymond’schen Induktoriums bei jeweiliger Reizdauer von 3—4 Sekunden den Schwellenwert der Reizstärke be- stimmte, der für die Auslösung einer minimalen Reflexbewegung erforderlich war, und diese Werte für normale Sitzlage und Hypnose in Rückenlage verglich. Während das Reizminimum bei normalen Fröschen nur in ziemlich engen Grenzen schwankte, ergaben sich für die Hypnose in Rückenlage Steigerungen der Reizschwelle um 12—22 mm Rollenabstand; bei Hypnose in einer anderen Lage, die er als diejenige & la turque bezeichnete, und die nicht so stark von der gewöhnlichen Sitzlage abwich, war die Herabsetzung der Reflex- erregbarkeit deutlich geringer. Diesen Versuchen gegenüber hat bereits Verworn !) hervorgehoben, dass auch bei völlignormalen Fröschen die Reizschwelle für den Minimal- reflex Schwankungen von 15—20 mm Rollenabstand des mit einem Daniell gespeisten Schlittenapparates aufweisen kann, und dass dem- nach die von Danilewsky gefundenen Unterschiede sich in normalen Grenzen bewegen und nicht im Sinne einer Reflexherabsetzung heran- gezogen werden können. Er selbst erhielt dann auch bei den gleichen Versuchen keine grösseren Unterschiede zwischen Normalzustand und 1) Verworn, Beiträge zur Physiologie des Zentralnervensystems. I. Die sogenannte Hypnose der Tiere, S. 46. Jena, G. Fischer. 1898. Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. 5 Hypnose. Auch Verworn beobachtete aber an hypnotisierten Fröschen bei Stromstärken, die im Normalzustande bereits heftige Bewegungen auslösten, häufig das Ausbleiben der zu erwartenden Reflexbewegung. Diese Erscheinung führte er jedoch zum einen Teil darauf zurück, dass infolge des starken Muskeltonus, in dem sich seine Versuchstiere befanden, die Extremität entweder schon in der Stellung des aus- zuführenden Reflexes lag oder durch den starken Tonus antagonistischer Muskeln an der Bewegung gehindert wurde. Zum anderen Teile führte er das Ausbleiben des Reflexes auf die durch Abwehrbewegungen oder häufige Umdrehversuche bedingte Ermüdung zurück. So kommt Verworn zu dem Ergebnis, dass nach den bis dahin vorliegenden Untersuchungen für den Zustand der Bewegungslosigkeit eine wirkliche Herabsetzung der Reflexerregbarkeit, die nicht allein auf Ermüdung zurückzuführen wäre, nicht behauptet werden kann. In unseren nachstehenden Versuchen konnten wir über diese Er- gebnisse hinaus gelangen, indem wir unsere Frösche nicht im tonischen Kontraktionszustande und auch unter Bedingungen hypnotisierten, die den Einfluss der Ermüdung in dem von Verworn herangezogenen Sinne nachweislich ausschlossen. Dass die Methodik der tierischen Hypnose es gestattet, die hypnotische Akinese auch anders wie lediglich als tonischen Lagekorrektionsreflex, vielmehr auch mit völligem Sinken des Muskeltonus herbeizuführen, konnte in früheren Veröffentlichungen mehrfach gezeigt werden !). Von weiteren, rein beiläufigen Angaben über die reflektorische Reizbarkeit in :den Zuständen der hypnotischen Akinese bei Tieren sei hier noch angeführt, dass Bethe ?) für den Starrkrampfreflex bei Careinus maenas die völlige Reaktionslosigkeit erwähnt, und Babak °) von der teilweisen Verringerung der reflektorischen Erregbarkeit bei den Fischen in Hypnose spricht, während Löhner ?) bei dem Totstell- reflex der Diplopoden angibt, dass von einer Herabsetzung der Erreg- barkeit keine Rede sei, da die Tuliden dabei schon auf leichte Berührung oder Anblasen mit deutlichem Zusammenzucken reagieren. Im übrigen wird meist nur die tiefe Analgesie erwähnt, die ja beispielsweise bei Hühnern so weit geht, dass man an ihnen in Hypnose ohne weiteres eine Laparotomie ausführen kann. I) Mangold, Zur tierischen Hypnose. Dieses Archiv Bd. 150 S. 47. 1913. — Mangold und Eckstein, Ein Apparat zur tierischen Hypnose. Zeitschr. f. biol. Technik u. Methodik Bd. 3 S. 159. 1913. 2) Bethe, Das Nervensystem von Carcinus maenas. Archiv f. mikr. Anat. Bd. 50 I S. 460, II S. 589. 1897. 3) Babak, Bemerkungen über die Hypnose usw. der Fische. Dieses Archiv Bd. 166 S. 203. 1916. 4) Löhner, Untersuchungen über den sogenannten Totstellreflex der Arthropoden. Zeitschr. f. allg. Physiol. Bd. 16 S. 373. 1914. 6 E. Mangold und A. Ecktein: II. Fragestellung und Methodik. Als Versuchstiere wählten wir aus der grossen Reihe der klassischen Objekte für die tierische Hypnose den Frosch um des Vorzugs willen, dass sein Reflexleben, schon näher bekannt und in seiner Abhängigkeit von einzelnen Teilen des Nervensystems und ihren Zustandsänderungen vielseitig untersucht, in mancher Hinsicht besonders einfache und übersichtliche Verhältnisse bietet, wie es als Voraussetzung für unsere Versuche und ihre Deutung unbedingt erforderlich erschien. Über die Fortsetzung dieser Untersuchungen am Meerschweinchen, ihre Methodik und Ergebnisse wird der eine von uns (E.) in einer folgenden - Arbeit berichten. Es kamen Temporarien und Eskulenten zur Verwendung, & und 8, die vor und zum Teil schon im Beginne der Brunstzeit standen, da die Versuche in die Monate Februar und März fielen. Zur Prüfung der Reflexerregbarkeit wurde nicht, wie in Dani- lewsky’s Versuchen, die Intensitätsschwelle des Reizes für eine mini- male Reflexbewegung im Normalzustand und in Hypnose bestimmt. Wir wählten vielmehr, um die Versuche besser vergleichbar zu gestalten, einen zwar komplizierteren, aber infolge seiner biologischen Bedeutung und physiologischen Bahnung leicht ansprechenden Reflex, den Ab- springreflex, den jeder Frosch als Fluchtreflex ausführt, sobald ihn ein entsprechender Reiz von ausreichender Stärke dazu veranlasst. Setzt man einen Frosch auf ein Brettchen, das sich um einige Zenti- meter über der Tischplatte befindet (s. Abb. 1), und reizt ihn mit geeigneten Elektroden durch einen einzelnen Induktionsschlag, so springt er, falls der Reiz die genügende Stärke besitzt, unfehlbar von dem Brettehen auf die Tischplatte herab. Durch schwächere Reize werden dagegen nur schwächere Reflexbewegungen ausgelöst, die in ver- schiedenen Extremitäten auftreten können, und deren Umfang und besonders deren minimaler Beginn keineswegs leicht und auch wohl kaum einwandfrei zu beurteilen ist. Liegt die Reizstärke nahe unter- halb der für den Abspringreflex erforderlichen Schwelle, so dass ein einzelner Induktionsschlag noch nicht den sofortigen Absprung herbei- führt, so kann dieser durch Summation mehrerer aufeinanderfolgender Reize der betreffenden Stärke ausgelöst werden. Dabei kann man dem Frosch sozusagen die steigende Summation an seinem Verhalten ansehen; bei jedem folgenden Schlage zieht er die eine oder andere Extremität mehr heran und setzt sich unter jedesmaligem weiteren Aufrichten besser zum Sprunge zurecht, bis dieser schliesslich auf den nächsten Schlag hin zur Ausführung kommt. Im Anfange jedes Versuchs wurde von uns zunächst durch einzelne, mit unterschwelligen Werten beginnende und in Pausen, die eine Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. AT. Summation ausschliessen, erfolgende Öffnungsschläge unter stufen- weiser Verkürzung des Rollenabstandes der Schwellenwert für die zur Auslösung des Abspringreflexes schon auf einmaligen Reiz hin genügende Reizstärke, die Intensitätsschwelle, in mm R.-A. be- stimmt. Zur Prüfung der Reflexerregbarkeit wurde dann in jedem Versuche durch eine grössere Reihe von Einzelbestimmungen die Reflexschwelle des Abspringreflexes abwechselnd für Normalzustand und Hypnose bestimmt, um die etwaigen Veränderungen derselben im weiteren Verlaufe feststellen zu können. Indessen schien die Intensitätsschwelle für den einzeln wirksamen Reiz als Indikator für die Reflexerregbarkeit ur. 27 Abb. 1. nicht geeignet, da bei dem wiederholten Aufsuchen der wirksamen Reizstärke mit Steigerung derselben von unterschwelligen Werten an jedesmal die Applikation einer grösseren Reihe von Reizungen er- forderlich gewesen wäre, die für den Zustand des Tieres nicht gleich- gültig sein konnten, deren Zahl und Einzelintensität aber nicht wohl genauer zu registrieren und zu vergleichen gewesen wäre. Wir ver- wendeten daher vielmehr zur Prüfung der Reflexerregbarkeit den Schwellenwert der Reizanzahl (Schwellenzahl oder Zahlenschwelle des Reizes), d. h. die Anzahl der zur Auslösung des Abspringreflexes notwendigen Applikationen des anfangs sowohl für Normalzustand wie für Hypnose schon bei einmaliger Anwendung als ausreichend für die Herbeiführung des Abspringreflexes gefundenen 8 E. Mangold und A. Eckstein: Reizes. Falls bei der vorangehenden Bestimmung der Intensitäts- schwelle für den Absprung aus Hypnose etwa ein kürzerer Rollen- abstand wie für denjenigen aus normaler Sitzlage als notwendig ge- funden war, so wurde für den ganzen Versuch diese höhere Reizstärke verwendet. Während des Versuchs wurde die Reizstärke dann nicht mehr verändert und ebensowenig die Frequenz der Reize in der Zeit- einheit. Trat im Verlaufe des Versuches eine Herabsetzung der Erreg- barkeit ein, so kam dies nun in dem Steigen der Schwellenzahl zum Ausdruck, während sich aus der Rückkehr zu einer geringeren Anzahl von Reizungen eine erneute Steigerung der Reflexerregbarkeit ergab. So gelangten wir durch den Vergleich der Werte für die Zahlenschwelle des wirksamen Reizes zu ohne weiteres vergleichbaren Werten für das Verhalten der Reflexerregbarkeit im Normalzustande und in der Hypnose. 2 Die Versuchsanordnung im einzelnen gestaltete sich folgender- massen (s. Abb.1 u.2.): Auf dem zur Aufnahme des Frosches dienenden, Abb. 2. L 8—10 cm messenden und 8,5 cm über der Tischplatte befindlichen Brettchen A ist die eine Elektrode befestigt und bietet durch ein auf 1 cm von der Isolierung freies Drahtende die Gewähr für dauernde Berührung mit der auf dem Brettchen liegenden Bauch- oder (bei Rückenlage) Rückenseite des Frosches. Die andere Elektrode, ebenfalls aus einem 5x5 mm grossen Plättchen bestehend, wird mittels eines leicht beweglichen Drahtes, der an einem Galgen aus dünnen Eisen- stangen über dem Brettchen Halt findet, mit der Hand auf die jeweils obere Seite des Tieres gelegt und in ihrer Lage ständig kontrolliert. Die Elektroden führen zunächst zu einem Stromwender W, mit dem beim Wechsel von Bauch- und Rückenlage jeweils auch die Strom- richtung umgekehrt wird, um auch in dieser Hinsicht einen Unter- schied für die Reizung in beiden Lagen des Tieres auszuschliessen. Als Reize kamen die Induktionsschläge eines mit zwei Akkumulatoren gespeisten Du Bois-Reymond’schen Schlitteninduktoriums zur An- wendung, und zwar wurde eine Vorrichtung U, wie sie von Trendelen- Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. 8) burg!) zur Abblendung der Schliessungsschläge bei Herzversuchen Verwendung fand, in den primären Stromkreis eingeschaltet und ihre beiden Quecksilberkontakte so eingestellt, dass der Stromschluss stets nur ein momentaner war. Die Rotation dieses Unterbrechers wird durch einen an die Hausleitung angeschlossenen Motor M bewirkt, dessen Umdrehungsgeschwindigkeit durch einen verschieblichen Wider- stand verändert werden kann, wodurch zugleich die Frequenz der Öffnungsschläge beliebig reguliert wird. In dem primären Stromkreise befinden sich ferner noch ein Schlüssel Sch und ein elektromagnetisches Signal Si, nach dessen hörbaren Bewegungen die Zahl der angewendeten Reize zu Protokoll genommen wird, die jeweils bis zum Absprunge erforderlich ist, und die daher die Schwellenzahl darstellt. Als Reizfre- quenz wurden stets 21—24 Reize in der Minute‘ ange- wendet, die sich als ausreichend er- wiesen, um Sum- mation herbeizu- führen, und ander- seits keine wesent- liche Ermüdung bedingen konnten. In einigen Ver- suchen wurde auch die graphische Registrierung angewendet, de- App 3 ren Anordnung aus Abb. 1 ersichtlich ist, während Abb. 3—5 einige der erhaltenen Kurven zeigen. Dabei konnte durch einen im Stromkreise eines Ak- kumulators befindlichen und an dem Brettehen angebrachten me- tallischen Kontakt desselben mit einer das Brettchen unterstützenden Metallstange (siehe auch Abb. 7 rechts unterhalb des Kopfes) die durch die Abhebung des Brettchens von der Unterstützung jeweils beim Absprung des Tieres erfolgende Öffnung des Kontaktes im Augen- blicke des Absprungs registriert werden (Abb. I oberster Schreibhebel, Abb. 3—5 oberste Schreiblinie); ferner die einzelnen Reize (Abb. 3—5 zweitoberste Linie. In Abb. I ist der entsprechende reizmarkierende 1) W. Trendelenburg, Über die Summationserscheinungen bei chrono- troper und inotroper Hemmungswirkung des Herzyagus. Archiv f. Physiol. 1902 Suppl. S. 295. 10 E. Mangold und A. Eckstein: Schreibhebel weggelassen); weiter die Zeit in !/, Sekunde (s. Abb. I der Jaquet’sche Chronograph und Abb. 3—5 unterste Linie); und endlich die reflektorischen Bewegungen einer hinteren Extremität des Ver- suchstieres, die durch einen daran gebundenen Faden ihre Bewegungen durch zwei Marey’sche Tamboure auf den Schreibhebel übertrug (Abb. 1 mittle- rer Schreibhebel, Abb. 3—5 zweit- unterste Kurve). So zeigt Abb. 3 im Versuch am Frosch im Nor- malzustande ei- ne reflektorische Beinbewegung auf den ersten Reiz hin und auf den zweiten eine Abb. 4. weitstärkere, die, wie die oberste Linie zeigt, zum Absprung führt. Abb. 4 zeigt die reflektorische Be- wegung und Absprung eines Frosches aus Hypnose in Rückenlage auf den ersten Reiz hin, Abb. 5 die durch Summation dreier aufeinander- folgender Reize beim dritten zum Absprung führenden Beinbewegungen. Da diese graphische Registrierung besonders bei längerer Versuchs- Abb. 5. dauer mit zahlreichen Reizungen zu einer die Übersichtlichkeit er- schwerenden Anhäufung von Kurvenmaterial führte, durch die Kon- trolle der vier Schreibhebel leicht die Aufmerksamkeit von dem Ver- suchstiere ablenkte und doch auch das Protokollieren einer Reihe von wichtigen Beobachtungen nicht überflüssig machte, so nahmen wir von derselben wieder Abstand. Wir legten vielmehr die Versuchs- Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. 11 ergebnisse hinsichtlich Reizstärke, Reizanzahl bis zum Absprung, Zeit ‚und Dauer der Versuche und Einzelheiten in dem Verhalten der Versuchstiere während der gemeinsam angestellten Versuche in über- sichtlichen Protokollen nieder und konnten durch Übertragung der Er- gebnisse auf Millimeterpapiere für jeden Versuch einen klaren Über- blick gewinnen. Zur Erläuterung sei zunächst in Abb. 6 ein Versuch wiedergegeben. Zuvor war die Intensitätsschwelle für die bei einmaliger Reizung zur Auslösung des Absprunges aus der normalen Sitzlage und der hypnoti- schen Rückenlage erforderliche Reizstärke festgestellt und in beiden Fällen auf R.-A. 130 bestimmt. Die Schwellenzahl des Reizes war also zunächst für beide Fälle =1. Im eigentlichen Versuche wird nun der Frosch weiterhin in stetigem Wechsel einmal in normaler Sitzlage Versuch N8; a “ D BIEDINTZERGE NETZE TDETTEIDLZUTDIE ZIELT: 2INI12335,90373.39, und einmalin hyp- : 2u 6 sw EnuRBMEUM 230 EM 36 w eI$ N notischer Rücken- z|8 lage (s. Abb. 7) auf % das Brettchen zwischen dieElektrodengebracht undbeieingeschaltetem » Motor und einer Fre- quenz von 21 Öffnungs- induktionsschlägen in der Minute jedesmal beobachtet, beim wievielten Reize S der Absprung er- Abb. 6. Frosch Er NS Versuch vom folgt. Dies findet sich er in den jeweils 5 mm auf der Abszisse voneinander entfernten Punkten eingetragen. Die ausgezogenen Linien verbinden dabei die für den Normalzustand, die punktierten Linien die für die Hypnose gefundenen Werte. Die Kurve zeigt, dass bei der dritten Hypnose und danach auch bei der fünften und sechsten Prüfung im Normalzustand ein einziger Reiz nicht ausreicht, der Absprung vielmehr erst beim zweiten Reize erfolgt. Während dann im Normalzustande nachher vorübergehend drei Reize und später sieben und sechs notwendig werden, genügt in der neunten Hypnose und nach zweimaliger Remission von der fünfzehnten ab, selbst jeweils die zwanzigmalige Applikation des Reizes von gleich- bleibender Anfangsstärke nicht mehr, um den Absprung herbeizuführen. Eine grössere Zahl als 20, in der Frequenz von 21 bis 24 pro Minute, aufeinanderfolgende Reize wurde in allen Versuchen niemals angewendet, um nicht eine unnötige Be- einflussung und etwaige Ermüdung zu veranlassen, da ja natürlich jede normal. — — — Hypnose in Rückenlage. 12 E. Mangold und A. Eckstein: einzelne Reizung von einer mehr oder minder starken Reflexbewegung beantwortet wurde, die jedoch eben nicht mehr zum Umdrehen und Abspringen führte. Diese Reflexaktionen bestanden vorwiegend in starken Extensionsbewegungen der hinteren Extremitäten, aber auch in Zuckungen der vorderen, und waren oft so stark, dass der ganze Frosch erschüttert und aufgerüttelt wurde. Hierbei verschob sich sehr leicht die Lage der oberen, nur leise aufgelegten Elektrode. Es zeigte sich aber durch die Gesamtheit der Versuche, dass es auf eine völlig gleichbleibende Lage der Elektroden dabei nicht wesentlich ankommt, wenn dieselben nur stets innerhalb des rezeptorischen Feldes für den Umdreh- und Abspringreflex bleiben, deren reflexogene Zone einen kaum auf bestimmte Gebiete beschränkten Umfang hat. Jedenfalls gelang es nie, wenn 20 Reize von einer Stelle aus den Reflex nicht mehr auszulösen vermochten, denselben etwa von einer anderen gereizten Hautstelle aus hervorzurufen. III. Ergebnisse. l. Die Intensitätsschwelle für den Abspring- und Umdreh- reflex im normalen und hypnotischen Zustande. Die in der angegebenen Weise vor jedem Versuche bestimmte Intensitätsschwelle für den Abspringreflex des in normaler Hockstellung auf dem Brettchen sitzenden Tieres zeigte in unseren Versuchen bei verschiedenen Fröschen nur geringe Abweichungen von etwa der gleichen Breite, wie sie auch bei einzelnen Tieren an ver- schiedenen Tagen beobachtet werden konnten. Dies geht aus einer Zusammenstellung der gefundenen Werte, wie sie unsere Tabelle I zeigt, hervor. Während hiernach bei den gleichen Tieren ar- verschiedenen Tagen als grösste Abweichung 20 mm R.-A. gefunden wurden, betrug dieselbe zwischen verschiedenen Tieren 35—45 mm R.-A. Tabelle I. Reizintensitätsschwelle für Absprung bei einmaligem Reiz. Vor dem eigent- Laufende Frosch Datum [lichen Versuch in mm Rollenabstand Nummer Nr. En | Normal- | Hypnose in Hypnose in zustand Rückenlage Bauchlage 1 10 1.8 147 an 2 10 14. 3 130 | = — 3 11 11. 3 130 | 120 | — 4 11 14. 8 135 |, lo. 180 > 11 199 115 | — 100 61) 11 22.3 120 | 115 | — 1) Nach Grosshirnexstirpation. Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. 13 Reizintensitätsschwelle für Absprung bei einmaligem Reiz. Vor dem eigent- Laufende Frosch D lichen Versuch in mm Rollenabstand atum Nummer Nr. TRRSLESRIE orReaNT Normal- Hypnose in Hypnose in zustand Rückenlage Bauchlage Ü 12 8. 3. 127 127 | == 8 13 (ch 0% 150 150 _ 9) 13 11.03: 135 115 | _ 10 3 128. 2130 13 — 11 15 Sh8n 145 145 — 12 15 12. 3. 130 13 | — 3) 1972 18. 3. 105 — 105 14 20 18. 3. 120 — | 120 15 20 1923: 120 120 110 16 22 22. 3. 30 —— 125 17 23 21. 3. 130 E= | 118 15 24 21. 3. 125 — | 125 19 25 22. 3. 120 — | 110 20 26 22. 3. 135 — | 135 Nach dieser Feststellung der Reizintensitätsschwelle für den Ab- springreflex im Normalzustande wurde stets sofort der entsprechende Wert für die Hypnose in Rückenlage (s. Abb. 7) bestimmt. Hierbei Abb. 7. zeigte es sich (s. Tab. I), dass in vielen Fällen eine geringe, sehr oft aber gar keine Verkürzung des Rollenabstandes nötig war, um den Frosch auch aus der hypnotischen Rückenlage auf einmaligen Reiz hin zum Absprung zu veranlassen. Der Unterschied, sofern ein solcher vorhanden war, betrug stets nur 10 bis höchstens 20 mm R.-A. Dieses 14 E. Mangold und A. Eckstein: Ergebnis erschien zunächst überraschend, da ja die Leistung des Tieres dabei eine wesentlich grössere ist und daher auch die erforderliche Reizschwelle grösser erwartet werden konnte. Bei dem Absprung aus der hypnotischen Rückenlage kam ja naturgemäss als Voraussetzung schon die vorherige Ausführung des Umdrehreflexes hinzu, an den sich jeweils der Abspringreflex ohne weiteres und derartig unmittelbar anschloss, dass die ganze Bewegung des Umdrehens und Abspringens für den Beobachter völlig einheitlich erschien. Dass, wie Tab. I er- kennen lässt, im Anfang der Hypnose im allgemeinen kein wesentlich stärkerer Reiz erforderlich ist als im Normalzustande, um den Absprung zu bewirken, ist vielleicht darauf zurückzuführen, dass es sich in beiden Fällen um die Ausführung des biologisch bedeutungsvollen Flucht- reflexes handelt, der normalerweise in jeder Lebenslage des Tieres auf die gleiche Reizstärke eingestellt sein muss, auch wenn im einen Falle die eigentliche durch Wegspringen erfolgende Flucht zunächst erst durch die Korrektion einer abnormen Lage ermöglicht werden muss. Immerhin erschien uns dies Ergebnis bemerkenswert, da der Ab- spring- und der Umdrehreflex verschiedene Reflexzentren besitzen und die Reflexaktion daher in beiden Fällen verschiedene Teile des zentralen Nervensystems in Anspruch nimmt, das eine Mal nur das Zentrum des Abspringreflexes, das andere Mal ausserdem noch vorher dasjenige des Umdrehreflexes. Letzteres ist nach den Untersuchungen von Steiner!) beim Frosch in der Medulla oblongata gelegen; auch Heubel?°) sah den Umdrehreflex erst nach Entfernung des ganzen Gehirns einschliesslich Kleinhirn und Oblohgata verschwinden. Nach den älteren Untersuchungen von Goltz ?) macht ein Frosch erst dann keine Anstrengungen im Sinne des Umdrehreflexes mehr, wenn der Operationsschnitt hinter der Medulla oblongata, oder wenigstens hinter dem physiologisch viel wichtigeren vorderen Drittel derselben, liegt. Auch nach Schrader?) ist der Umdrehreflex nach Entfernung des vorderen Teiles des Kopfmarks noch vorhanden, und. selbst wenn der Schnitt hinter die Trigeminusgruppe fällt, kann die Rückenlage jeweils nach längerer Zeit noch wieder aufgegeben werden. Auch durch eigene Operationen konnten wir bestätigen, dass der Umdreh- reflex bei allein erhaltener Oblongata noch prompt aus- geführt wird, nach Exstirpation derselben dagegen völlig verschwunden ist. Wohl aber vermag ein solcher Rückenmarks- l) Steiner, Untersuchungen über die Physiologie des Froschhirns. Zitiert nach Schrader (siehe unten, Anm. 4). Braunschweig 1835. 2) Heubel,l. e. 3) Goltz, Beiträge zur Lehre von den Funktionen der Nervenzentren des Frosches, S. 77. Berlin 1869. 4) Schrader, Zur Physiologie des Froschgehirns. Dieses Archiv Bd. 41 S. 75. 1887. Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. 15 frosch auf Reizung hin noch einen koordinierten Absprung auszuführen, auch ohne dass hierfür ein stärkerer Reiz erforderlich oder ein schwächerer hinreichend wäre als beim normalen oder hypnotisierten Frosche. Freilich ist es für das Zustandekommen eines glatten Absprunges auf den ersten Reiz beim Rückenmarksfrosch meist notwendig, dem Tiere vorher zur Annahme einer normalen Haltung der Extremitäten zu verhelfen und ihm die Hinterbeine so zurechtzulegen, dass die Plantae mit ihrer Fläche dem Boden des Brettchens anliegen. Ist dies nicht der Fall, so fehlt dem Tiere die mechanische Voraussetzung des Abspringens, die Möglichkeit, sich mit den Füssen von einem Widerlager wirksam abdrücken zu können, und selbst wiederholte Reizung vermag dann nur reflektorische Extensionen der Beine ohne Absprung hervorzurufen. Hiernach- muss jedenfalls angenommen werden, dass beim intakten Frosch der Abspringreflex sein Zentrum im Rückenmarke hat, während das Zentrum für den Umdrehreflex in der Medulla oblongata liegt. Diese ist auch wohl beim Abspringreflex des in- takten Tieres als übergeordnetes Zentrum ebenso wie das Kleinhirn insofern beteiligt, als sie die für die selbständig erfolgende Einnahme der zu einem wirksamen Absprung erforderlichen Haltung not- wendigen Koordinationen vermittelt. Umgekehrt ist natürlich auch beim Umdrehreflex das Rückenmark zum mindesten als Leitungs- organ beteiligt. Vergleichen wir aber die Reflexaktion des Frosches beim Absprung aus normaler Sitzlage und aus Hypnose in Rückenlage, so haben wir im ersteren Falle wohl hauptsächlich mit einer Zentrenfunktion des Rückenmarks, im zweiten Falle vorwiegend mit der der Oblongata zu rechnen. Obwohl dies, wie erwähnt, auf die für den Abspringreflex in beiden Fällen erforderliche Reizstärke im Beginne eines Versuches keinen nennenswerten Einfluss ausübt, so konnte ein solcher doch vielleicht in den weiteren Stadien der Hypnose einen Unterschied bedingen. Um diesen zur besseren Vergleichbarkeit der Ergebnisse bei der Prüfung der Reflexerregbarkeit im Normalzustande und in Hypnose zu vermeiden, wurde in einer grösseren Anzahl von Versuchen auch die Hypnose in der Bauchlage herbeigeführt (Abb. 8), wobei dann ein Umdrehreflex und die Beanspruchung seines Zentrums in der Oblongata nicht in Betracht kam und in beiden Fällen die Reflex- schwelle lediglich für den Abspringreflex allein zu prüfen war. Auch für die Hypnose in Bauchlage war die zunächst für den einmaligen, den Absprung herbeiführenden Reiz erforderliche Intensitätsschwelle nicht wesentlich von derjenigen im Normalzustande verschieden (siehe Tab. I). Der Unterschied betrug vielmehr, sofern überhaupt ein solcher vorhanden war, stets nur 5-15 mm R.-A., erwies sich demnach im 16 E. Mangold und A. Eckstein: allgemeinen als etwas geringer als zwischen Normalzustand und Hypnose in Rückenlage. Die Hypnose in Rückenlage wurde stets durch Ergreifen des Tieres, plötzliches Herumdrehen und Niederlegen ausgeführt, was bei einiger Übung bei den meisten Tieren auch ganz gut ohne stärkere Abwehrbewegungen und Umdrehversuche gelingt, wie sie von den früheren Autoren angegeben und durch die notwendige Unterdrückung für eine von vornherein stattfindende Ermüdung des Tieres verantwort- lich gemacht werden. Freilich erweist sich bei einer grösseren Anzahl von Versuchstieren stets das eine oder andere als zu lebhaft und un- ruhig, um für den Versuchszweck lange genug in der Rückenlage zu Abb. 8. verharren. Derartige Frösche, die stets sofort spontan wieder umdrehen und allerdings nur durch längere Unterdrückung der spontanen Be- wegungen zur völligen Ruhe gebracht werden können, sind für Ver- \ suche wie die vorstehenden zu verwerfen, da bei ihnen nicht mit ge- nügender Sicherheit zu entscheiden ist, ob ein Umdrehen und Ab- springen auf den elektrischen Reiz hin oder aus spontanem Antriebe erfolgt. Das gleiche gilt für die Hypnose in Bauchlage, für deren Herbei- führung ein wesentlich grösseres Maass von Übung von seiten des Experimentators erforderlich ist, um nicht nur ein ruhiges Sitzen in einer der gewöhnlichen Hockstellung ähnlichen Lage, sondern auch wirklich die charakteristische hypnotische Akinese herbeizuführen. Die zweckmässigste Manipulation hierfür besteht entweder darin, das Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. 17 Tier mit einer Hand am Rumpfe und mit der anderen an einem Fuss zu fassen und mit einem gewissen Schwunge plötzlich niederzulegen oder nach Ausführung dieser von oben nach unten schwingenden Bewegung die eine Hand loszulassen und das nun bereits bewegungslose und nur noch an einer Pfote gefasste Tier behutsam niederzulegen. Das Kriterium der Hypnose in Bauchlage gegenüber einer normalen Sitzlage besteht in der Schlaffheit und Tonuslosigkeit des ganzen Tieres, das mit seinem Kopfe flach aufliegt und die Extremitäten in den zufällig gegebenen Stellungen kataleptisch liegen lässt und ins- besondere auch ohne Reaktion gestattet, die Hinterpfoten einzeln zu fassen und ausgestreckt hinzulegen oder an den Körper heranzuschieben. Dieser Art der Hypnotisierung setzt eine viel grössere Zahl von Fröschen als derjenigen in Rückenlage einen nur durch entsprechende manuelle Übung zu überwindenden Widerstand entgegen, indem sie sich leicht wieder aufrichten und in die normale Sitzlage übergehen. Solche Tiere lassen sich aber dann meist noch in einer Art Katzenbuckelstellung hyp- notisieren, bei der sie mit gekrümmten Rumpfe, die Schnauzenspitze auf die Unterlage gesenkt und die Hinterbeine unter den Leib geschoben, plötzlich niedergelegt und bewegungslos gemacht werden. Wir be- gegneten solchen zu lebhaften und besonders in Bauchlage schwer zu hypnotisierenden Fröschen besonders unter den kleinen Temporarien. Im Gegensatz zu derartigen, wegen ihrer zu grossen Lebhaftigkeit kaum zum Versuche geeigneten Fröschen mussten einige wegen ihres von vornherein erschöpften und moribunden Zustandes ausgeschaltet werden. Bei diesen zeigte sich im Besinne des Versuches die zuerst gefundene Intensitätsschwelle für den Abspringreflex sowohl für den normalen wie den hypnotischen Zustand gleich darauf selbst bei einer grösseren Zahl der Reizwiederholung bis zu 20 Malen nicht mehr wirk- sam, und auch die Verstärkung des Reizes bis zu völligem Übereinander- schieben der Rollen in kürzester Zeit ohne eine Wirkung, die dann höchstens noch in schwachen Reflexbewegungen bestand. Die Esku- lenten, an denen dies beobachtet wurde, starben am nächsten bis dritten Tage nach diesem ersten kurzen Versuche, im Anschluss an den sie völlig erschöpft erschienen und kataleptische passive Beweglichkeit ihrer schlaffen Extremitäten mit fibrillären Zuckungen in diesen gezeigt hatten. Bei einer ebenfalls kranken Temporarie musste die Intensitäts- schwelle für die Hypnose in Rückenlage sofort von 110 auf 65 gesteigert werden, und gleich darauf blieb selbst R.-A = 0 unwirksam, während für den Normalzustand auch weiter noch die anfängliche Reizstärke (R.-A. — 120 mm) wirksam blieb. In ähnlicher Weise veränderte sich die Intensitätsschwelle bei einem Temporarienweibchen bei abwechseln- der Prüfung für Normalzustand und Hypnose, für letztere mit sprung- haftem Wechseln zwischen R.-A. — 35, 50, 80, 100, wonach gleich darauf Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 177. 2 18 E. Mangold und A. Eckstein: selbst R.-A.—= 0 unwirksam blieb, während im Normalzustand auch dann noch R.-A. — 120 prompt den Absprung herbeiführte. Bei einer weiteren Eskulente, bei der in einem vorhergehenden Versuche ein auffallend schnelles Sinken der Reflexerregbarkeit durch die auch nach kurzen Erholungspausen immer gleich wieder notwendig werdende Steigerung der Zahl der Reize von gleichbleibender Anfangsstärke für die Auslösung des Abspringreflexes im normalen wie hypnotischen Zustande zutage trat, sank in einem Versuche sieben Tage darauf die Erregbarkeit in. beiden Zuständen gleichmässig so schnell, dass in kürzester Zeit selbst der stärkste Reiz unwirksam blieb und ein eigent- licher Versuch nicht durchgeführt werden konnte. Auch hier schienen die fibrillären Zuckungen in den Extremitäten für den allgemeinen Erschöpfungszustand des Tieres charakteristisch. Gegenüber diesen Versuchen, in denen infolge des schlechten All- gemeinzustandes der Frösche eine so grosse Inkonstanz der Intensitäts- schwelle bestand, dass ein eigentlicher Versuch mit Prüfung der Reflex- erregbarkeit im weiteren Verlauf der Hypnose mittels der Bestimmung der Schwellenzahl, d. h. des Schwellenwertes für die erforderliche Anzahl der Reize, gar nicht ausführbar war, zeigten die gesunden, lebenskräftigen Tiere selbst nach längeren und bis über eine Stunde dauernden Versuchen mit häufigem Wechsel von Normalzustand und Hypnose sowie mit zahlreichen bis mehreren Hunderten von Einzel- reizungen keine wesentliche Veränderung der Intensitätsschwelle gegen- über dem Versuchsbeginne, wie aus einigen in Tab. II zusammen- gestellten Beispielen hervorgeht, deren Versuchsverlauf uns noch im einzelnen beschäftigen wird und in den in der Tabelle angegebenen Abbildungen wiedergegeben ist. Tabelle II. ® | Intensitätsschwelle für | „ = 5 S Ä den Abspringreflex ee &n = m 1 | © Dit zZ = E m [im Normal- in Hypnose | 3 E Se un © 5) = 5 zustand | Sr eis r rS a | » = = 2 z © | vor |nach || vor | nach S S S® = F 2 | dem | dem | dem | dem &, = zZ Ver- | Ver- || Ver- | Ver- | Min. EB S 4 suche, suche, suche | suche | ‘3 1 1l 11.9 11 1 1207120 65 25 16 291 2 11 14. 2. 16 135 130 | 115 120 bp) 26 35 3 3 MS: ) 135 142 115 115 U b) 11 4 13 12.8 6 30 | 180 130 125 26 20 235 5 15 12. o 13 130 | 120 | 130 130 64 50 | 385 m ln LU nn u Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. | 19 2. Veränderungen der Schwellenzahl für den Abspring- und Umdrehreflex in der Hypnose bei Rücken- und Bauchlage. In unseren Versuchen kam es nun darauf an, durch ständig wieder- holte Prüfung der Schwellenzahl (Schwellenwert der Reizanzahl) für den zum Absprung führenden RN Reiz bei regelmässiger Ab- — Tut nk RE 3b nz wechslung von Normalzustand und Hypnose die im weiteren 78 Verlaufe etwa auftretenden Ver- % änderungen der Reflexerregbar- keit aufzufinden und zu be- ,„ | obachten, obdieselben in beiden 38 Zuständen gleichsinnige oder 2 4 verschiedene waren. 5 Bereits in Abb. 6 gaben wir o ein Beispiel für den typischen ——— normal. _ 2 — — — Hypnose in Rückenlage. Verlauf eines solchen Versuches, 4 : > R Abb. 9. Frosch 13. R. esc. &. Versuch bei dem die Kurven für Normal- vom 11. März 1919. zustand und Hypnose bald stark auseinandergehen, indem die Erregbarkeit in der Hypnose erheb- lich sinkt, während sie für Normalzustand nach vorübergehenden Herabsetzungen auch am Schlusse des 26 Minuten währenden und 235 Einzelreizungen umfassenden Versuches noch unverändert er- ae 1 I 7375 17.79 21 23 25 27 29 31.33 35 37 39 1 43 Y5 47 49 31.33 55 57 529 61 03 05 67 09 M 7% % "n 6 2% 0% MIO IB 20 22 24 26 28 30 32 34 36,38 00 42 WU HE IE DO BE SU IO IE BIER U BO 2 TO TE ü IN o Ss 5 R x N 2 N | Su i Sunubradunueei; / \ il Hi | | Fi l A Zah ImazaeiaN]: ed El irahı Al | IR # N ] ir] | } + T Im 4 en! \ je —; 't ma zu! | / I 1ER er, im N \ 7 [ 44 AL 4 + BEN AR HER \ j t FE 1828; En normal. — — — Hypnose in Rückenlage. Abb. 10. Frosch 15. R. temp. &. Versuch vom 8. März 1919. scheint.. Eine ähnliche Kurve ergab ein mit dem gleichen Frosche tags zuvor angestellter Versuch (s. Abb. 9), in dem das starke Absinken der Erregbarkeit für die Hypnose in Rückenlage ebenfalls bei der neunten Hypnotisierung einsetzte, hier aber ohne Remissionen weiter bestehen blieb. 2 * 20 E. Mangold und A. Eckstein: Ein grundsätzlich gleichartiger Verlauf wie in den beiden heran- gezogenen Versuchen konnte als typisch festgestellt werden, wofür die in Abb. 10 und 11 wiedergegebenen Versuche als weitere Beispiele dienen mögen. Dieselben zeigen, dass das Auseinandergehen der Kurven Ver NG: für Normalzustand und Hyp- een Mose infolge Steigens der me \ Schwellenzahl für die Hyp- 78 nose in manchen Fällen schon 2 sehr schnell einsetzen kann, An dass anderseits ein definitives 2 Sinken der Erregbarkeit oft 8 erst nach langer Zeit, so im 6 Versuch der Abb. 10 erst nach £ 34 Minuten und 62 Einzel- . versuchen, darunter 25 auf- normal. _ einanderfolgenden einzelnen — — — Hypnose in Rückenlage. .: : Abb. 11. Frosch 11. R. esc. &. Versuch Kiypnoul ie ungen, ne “ vom 11. März 1919. 400 Einzelreizungen, eintritt. Dieses in allen Versuchen früher oder später einsetzende Auseinanderweichen der Kurven der Reflexerregbarkeit für Normalzustand und Hypnose erfolgt zwar in den- weitaus meisten Fällen, so wie in den bisher an- seführten vier Versuchen, im Sinne einer früheren und stärkeren, manchmal auch alleinigen Steigerung der Schwellenzahl für 5_7S3 9 mM RB 1 77 719 21 23 25 27 29 31 33 35.37.39 41 9 45 2 4 6 S8 Mn M 76 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 bi N © Q K3 S Ss IS} S N} SG normal. — — — Hypnose in Rückenlage. Abb. 12. Frosch 13. R. esc. &. Versuch vom 8. März 1919. den hypnotischen Zustand. Doch erscheinen für die Beurteilung dieses verschiedenen Verlaufes der Reflexerregbarkeit im Normal- zustand und Hypnose von besonderer Bedeutung auch die ab- weichenden Fälle, in denen umgekehrt die Schwellenzahl für den Abspringreflex im Normalzustande früher und beträchtlicher- Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. steigt als in der Hypnose. Der: artige Fälle des Versuchsverlaufes sind in den Abb. 12 und 13 wieder- gegeben. Im ersteren tritt der Unterschied zuungunsten der Re- flexerregbarkeit im Normalzu- stande besonders auffallend und frühzeitig hervor, während die Er- regbarkeitsherabsetzung in der Hypnose in Rückenlage erst viel später auftritt, um dann schnell einen definitiven Wert zu erreichen, bei dem auch je 20 Reize von der ursprüng- lichen Stärke und Frequenz den Absprung nicht mehr herbeizu- führen vermögen. Hi Im zweiten Falle (Abb. 13) zeigen beide Kurven beträchtliche Schwankungen, die nur stellen- weise eine gewisse Parallelität er- kennen lassen, während die Re- flexerregbarkeit im Normalzu- stande dauernd einer höheren Anzahl von Reizen bedarf und ein eigentliches Absinken der Er- regbarkeit selbst nach einer Ver- suchsdauer von 40 Minuten mit 50 Hypnotisierungen und 100 ab- wechselnden Prüfungen mit 388 einzelnen Reizungen weder für den Normalzustand noch für die Hypnose festzustellen war. N Auf diese Fälle möchten wir ‚aus mehreren Gründen mit be- sonderem Nachdruck hinweisen. Denn für das sonst in der Regel stets zuerst erfolgende Absinken der Reflexerresbarkeit in der Hyp- nose in Rückenlage gegenüber dem Normalzustande könnte zunächst immer noch geltend gemacht werden, dass es hier wohl eben 9 mM 13 795 77 79 21 23 25 27 28 31 3335 37 39 41 93 45 47 49 317 53 55 57 539 61 63 65 67 69 71 73 75 77 79 81 83 85 87 89 91 93 95 97 99 701 6 MW 12 14 916_1%_20_22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 WE _ W8 50 52 5% 56 58 60 62 64 66 68 70 72 MW 7% 78 80 82 84 86 88 90 92 WU 96 98 100 102 0, % Ze) \7 Q Versuch W3; 5 3 7 4 6 2 normal. — — Hypnose in Rückenlage. Frosch 15. 2] R. temp. d. Versuch vom 12. März 1919. Abb. 13. 23 E. Mangold und A. Eckstein: die Rückenlage mit der daraus sich ergebenden Addierung des Um- drehreflexes zu dem Abspringreflex und ferner eine hierdurch bedingte Ermüdung sei, die zur Herabsetzung der Reflexerregbarkeit führe. In solchen wie in den zwei letzterwähnten Versuchen zeigte es sich aber klar, dass die Reflexerregbarkeit in der Hypnose in Rückenlage auch grösser sein kann als im Normalzustande, so dass die grössere Leistung, Umdreh- plus Abspringrefiex aus hypnotischer Rückenlage, bei einer geringeren Reizfrequenz, also leichterer. Reizsummation, erfolst als die geringere Leistung, der Abspringreflex allein aus der normalen Sitzlage. Es geht also daraus einmal hervor, dass das einzige völlig Gesetzmässige die tatsächliche Verschiedenheit der Reflex- erregbarkeit in der Hypnose gegenüber dem Normal- zustande ist, dass es aber von weiteren, zunächst noch nicht be- stimmten Faktoren abhängt, ‘ob die Reflexerregbarkeit, wie es die Regel bildet, für den hypnotischen Zustand oder aber für den nor- malen herabgesetzt ist._ Diese Faktoren liegen wohl jedenfalls im jeweiligen physiologischen Zustande des zentralen Nervensystems des Tieres; denn jene beiden angeführten Fälle des abweichenden Versuchs- verlaufes (Abb. 12 und 13) wurden bei den gleichen Fröschen be- obachtet, von denen bereits die in Abb. 6 und 10 wiedergegebenen und der sonstigen Regel entsprechenden Versuche Erwähnung fanden. Für beide Einwände, den der Lage wie der Ermüdung, besitzen wir nun weitere Versuchsergebnisse, die deren Bedeutung für die Veränderung der Reflexerregbarkeit in der Hypnose wider- lesen bzw. auf das denselben zukommende Maass zurückführen. a) Einfluss der Lage. Um den Einfluss der Lage, insbesondere der Rückenlage mit der dadurch bedingten Notwendigkeit des Umdrehens vor dem Ab- springen, auszuschliessen, wurde die Hypnose auch in Bauchlage bzw. in der oben bereits erwähnten Katzenbuckelstellung ausgeführt. Das Ergebnis war grundsätzlich das gleiche wie in Rückenlage; die Reflexerregbarkeit zeigte im weiteren Verlaufe des Versuchs stets eine von der des Normalzustandes abweichende Kurve im Sinne einer Herabsetzung. Als typisches Beispiel sei ein Versuch in Abb. 14 wieder- gegeben, in dem die Kurve für die Hypnose in Bauchlage (meist Katzen- buckelstellung) starke Schwankungen und im allgemeinen eine beträcht- liche Herabsetzung der Reflexerregbarkeit erkennen lässt, während sich diejenige für die Reflexerregbarkeit im Normalzustande trotz einer Versuchsdauer von 40 Minuten mit 53 Einzelprüfungen, 26 Hypnoti- sierungen und 259 einzelnen Reizungen mit denkbarer Vollkommenheit auf der Norm erhält. In anderen Fällen, zum Beispiel dem der Abb. 15 zugrunde liegenden Versuche, liefen beide Kurven teilweise parallel Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. 23 und zum Teil auch durcheinander, im allgemeinen aber wieder mit starkem Überwiegen der Herabsetzung der Erregbarkeit für die Hypnose in Bauchlage. Wie es in diesem Versuche fast erreicht ist, so kehrte in einem anderen (Abb. 16) im weiteren Verlaufe, in dem die Erregbarkeit im Versuch KR 35% 3 73 15 17 19 21 23 25 27 29 31 33 35 37 39 41 43 45 ne e) BES 2° 4 6 75 9 992 7 %6_ 718 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 #8 Si —— normal. — — — Hypnose in Bauchlage. Abb. 14. Frosch 23. d. R. temp. Versuch vom 21. März 1919. Normalzustande nur geringe Schwankungen gezeigt hatte, diejenige für die Hypnose in Bauchlage nach einer Versuchsdauer von 50 Minuten vollends wieder zur Norm zurück. Versuch Be, TERSENO 13 a a ee ne ah a u Hz 6 48 ——— normal. — — — Hypnose in Bauchlaee. - Hypnose in Rükenlage. Abb. 15. Frosch 20. R. esc. ©. Versuch vom 18. März 1919. Von besonderem Interesse schien es uns, die Kurve für den Erreg- barkeitsverlauf nicht nur zwischen dem Normalzustande und je einer Art der Hypnose, sondern zugleich auch zwischen der Hypnose in Rücken- und Bauchlage zu vergleichen. Die in den Versuchen der Abb. 15 und 16 ersichtlichen Eintragungen über die Schwellenzahl . für die Hypnose in Rückenlage gegen Ende der Versuche lassen bereits 24 E. Mangold und A. Eckstein: erkennen, dass auch zwischen diesen beiden Zuständen keineswegs Übereinstimmung besteht. Deutlicher geht dies noch aus Versuchen hervor, in denen schon zu einem früheren Zeitpunkte zwischen die abwechselnde Prüfung im Normalzustande und in Hypnose in Bauch- Versuch W2: 19 2723 25 27 29 31 33 35 37 39 47 43 "z 2, 95 nn 7a 20 22 24 26 28 0 32 4 3 EMO HR 50 52 es S_1S ee Be 20 S En ı r S j Ar SQ She IN rt \ | | \ | 44 > # N ! Klalan | sl usa gene | EB 74 | Tr 7 a = 72 \ Y + t 4 I \ | il | | een 710 m | | 1 = nee Zue Sl In var \ ji I\ ; | 6 r N HN L \ „ N 4 +7 NIIT N le] ji Ale 9% 7 De NZ — lese | 0 A Fe Fr normal. — — -— Hypnose in Bauchlage. dene Hypnoss in Rückenlage. Abb. 16. Frosch 11. R. esc. &. Versuch vom 14. März 1919. lage auch diejenige in Hypnose in Rückenlage eingeschoben wurde. So zeigt Abb. 17 einen dieser Versuche, in denen die Kurve für die Hypnose in Bauchlage nur einen wesentlich geringeren Abstand von derjenigen für den Normalzustand hält, während diejenige für die RI: W2: 79 M 713 7% 717 19 21 23 25 27 29 37 33 35 37 39 41 43 45 2 IENONS, OERR 10 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 Reize 20 ornie hi Fr Bi KERN BEN af 78 H Y F | Eu 76 Beer T 74 { az 72 ie H Da 70 8 I—- Fi 6 ar y 2 al " 2 N a na es : a ef — | normal. — — — Hypnose in Bauchlage. ea RneNieikorfe Hypnose in Rückenlage. Abb. 17. Frosch 24. &. R. temp. Versuch vom 21. März 1919. Hypnose in Rückenlage eine starke Herabsetzung der Erregbarkeit anzeigt. Im Gegensatze zu diesem Versuche wurde in einigen anderen die Erscheinung beobachtet, dass auch die Kurve für die Hypnose in Bauch- lage alsbald stark anstieg, die Reflexerregbarkeit demnach entsprechend an x Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. 25 absank, sobald einmal zwischendurch eine Hypnose in Rückenlage stattgefunden hatte. Es schien sich dabei nicht um ein zufälliges Zusammentreffen, vielmehr um den Ausdruck einer Beeinflussung der Reflexerregbarkeit in der Hypnose in Bauchlage durch die voran- gehende Hypnose in Rückenlage zu handeln, einen Vorgang, den wir auf eine Induktion der Reflexerregbarkeitsherabsetzung durch die Hypnotisierung in Rückenlage zurückzuführen geneigt sind. Die gleiche Induktion spielt ja offenbar auch bei den Versuchen mit Hypnose in Rückenlage allein eine Rolle und lässt sich zur Er- klärung dafür heranziehen, dass die Kurve, die die festgestellten Schwellenzahlen für die Hypnose in Rückenlage verbindet, trotz der zwischen je zwei Hypnosen eingeschalteten Rückkehr zur normalen Sitzlage nicht immer zur Anfangshöhe zurückgeht, vielmehr offenbar infolge eines gebliebenen Rückstandes von den vorhergegangenen Hypnotisierungen sich im allgemeinen auf der einmal erreichten Höhe hält oder weiter, langsamer oder schneller, ansteigt. Die zwischen je zwei Hypnosen eingeschaltete Pause, die durch die Prüfung der Schwellenzahl in Normallage ausgefüllt wird, genüst infolge ihrer Kürze dabei offenbar nicht, um einen Wiederanstieg der Reflex- erregbarkeit zu gestatten, wie er nach längeren, wenigstens einige Minuten lang währenden Versuchspausen oft beobachtet werden kann. Der Vergleich der Prüfungsergebnisse der Reflexerregbarkeit bei Hypnose in verschiedenen Lagen, insbesondere der Rücken- und Bauchlage sowie der Katzenbuckelstellung, mit dem Verhalten im Normalzustande zeigt nach den beschriebenen Versuchen, dass jeden- falls die Lage an sich nicht für die früher oder später eintretende Reflexherabsetzung verantwortlich gemacht werden kann. Wohl aber ergibt sich zugleich, dass zwischen den verschiedenen Lagen, in denen die Hypnose herbeigeführt wird, gewisse regelmässige quantitative Unterschiede in dem Grade der Reflexherabsetzung bestehen. Und zwar erreicht dieselbe ihre höchsten Grade bei der Hypnose in Rücken- lage, während die Hypnose in Katzenbuckelstellung nach unseren Versuchen eine mittlere Stufe einzunehmen schien und jedenfalls bei der Hypnose in glatter Bauchlage im allgemeinen die geringste Reflex- herabsetzung zu beobachten ist. Diese Stufenfolge entspricht auch anderen Unterschieden der hypno- tischen Zustände in diesen verschiedenen Lagen. Denn die Hypnose in Rückenlage ist leichter herbeizuführen, erreicht aber zweifellos die grössere Tiefe, da ein Frosch aus ihr nicht so leicht in den normalen Zustand zurückkehrt, nicht so leicht aufwacht, während. die Hypnose im Bauchlage dagegen nicht so leicht, bei manchen Froschindividuen kaum oder gar nicht auslösbar ist und aus ihr viel eher und leichter das spontane Erwachen erfolgt. Auch bei anderen Tieren lässt 236 E: Mangold und A. Eckstein: sich ja die Hypnotisierung meist leichter in der Rückenlage herbei- führen. Wir kommen demnach zu dem Ergebnis, dass der Grad der Reflexherabsetzung von der Tiefe des hypnotischen Zu- standes abhängig und derselben proportional ist, und dass die Lage, in der die Hypnose herbeigeführt ist, lediglich in diesem Sinne und hierdurch indirekt die Reflexherabsetzung beeinflusst. Primär jedoch ist diese Herabsetzung der Reflexerregbarkeit durch den hypno- tischen Zustand als solchen verursacht. b) Einfluss der Ermüdung. Wenn wir diesen Satz vertreten, so müssen wir auch noch auf die zahlreichen Tatsachen eingehen, die es als ausgeschlossen erscheinen lassen, dass die Reflexherabsetzung in der Hypnose primär durch Ermüdungsvorgänge verursacht würde. Dass bei Tieren mit allgemein starkem Erschöpfungszustande von vornherein eine ungewöhnlich hohe Intensitätsschwelle für den zur Auslösung des Abspringreflexes erforderlichen einmaligen Reiz gefunden wird oder selbst die stärksten Reize unwirksam bleiben, wurde in den Bemerkungen über unsere Methodik erwähnt, ebenso dass wir derartige Frösche von unseren eigentlichen Versuchen ausgeschlossen haben. Andere Tiere zeigten nach länger dauernden Versuchen einen allgemeinen Ermüdungszustand, der in Reaktionslosigkeit, kataleptisch passiver Beweglichkeit, Schliessen der Augen, fibrillären Zuckungen und Herabsetzung des Umdrehreflexes zum Ausdruck kam. Im Gegen- satze hierzu zeigten bereits die in der Tab. II angeführten Beispiele, zu denen der gesamte Versuchsverlauf mit Wiedergabe der Kurven im vorhergehenden beschrieben wurde, dass die Intensitätsschwelle selbst nach den bis über eine Stunde währenden und mit einer grossen Zahl von Hypnotisierungen und Hunderten von einzelnen Reizungen einhergehenden Versuchen nicht oder kaum verändert war. Ferner wies im besonderen auch bereits das Ergebnis jener Versuche (Abb. 12 und 13), in denen die Reflexherabsetzung im Normalzustande höher war als in der Hypnose in Rückenlage, offenbar darauf hin, dass auch eine Ermüdung durch die mit den Versuchen verbundenen Manipu- lationen und. Hypnotisierungen nicht für die Herabsetzung der Reflex- erregbarkeit im weiteren Verlaufe verantwortlich gemacht werden kann. Es wäre sonst nicht einzusehen, wie derartige Fälle vorkommen könnten, in denen ein ermüdetes Tier auf eine geringe Anzahl von Reizen jeweils die grössere Leistung (Umdreh- plus Abspringreflex) ausführt, während es für die geringere Leistung (Abspringreflex allein) einer grösseren Anzahl von Reizen bedarf. Da noch bedacht werden muss, dass für beide Leistungen die gleichen Muskelgruppen beansprucht ER x Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. 27 werden, müsste, wenn eine Ermüdung im Spiele wäre, das Versagen entweder für beide Leistungen zugleich oder ausnahmslos für die grössere zuerst eintreten. Auch derartige Fälle, wie sie der Versuch in Abb. 16 zeigt, be- weisen, dass die Reflexherab- setzung nicht in Ermüdung be- ruhen kann; denn hier geht dieselbe bei Hypnose in Bauch- lage trotz ununterbrochener Fort- setzung des Versuches ohne jede Pause und Gelegenheit zur Er- holung allmählich wieder völlig zur Norm zurück, während sie sich zu gleicher Zeit für die Hypnose in Rückenlage als hochgradig erweist. Ähnlich er- scheinen auch die starken Remis- sionen der Reflexherabsetzung 77 79 8 75 32 54 56.58 60 62 64 66 68 70 72 M TO 78 80 65 60769 71 738 7 2 23 1.83.35.37.39 01.6: ge (Katzenbuckelstellung). der Anzahl der erforderlichen Reize gemessen, besonders für die Hypnose in Rückenlage oft 8 in den Versuchen der Abb. 10 aa und 15 mit der Annahme einer 32 Ermüdung als Ursache des AR Sinkens der Reflexerregbarkeit a unvereinbar. Weiter sahen wir, #32 dass die Reflexherabsetzung, an ee In. Frosch 22. R. temp. &. Versuch vom 22, März 1919. schon ganz kurz nach Versuchs- oo beginn, oder in den Versuchen, Pe D or .. ° JS: in denen zunächst längere Zeit < nur zwischen Normalzustand und Hypnose in Bauchlage ab- gewechselt wurde, gleich bei den \ « ersten Hypnosen in Rückenlage In” zutage trat. Ein solches Ver- halten zeigten die Versuche in Abb. 9, 10, 11, 15, 16 wie ferner auch der in Abb. 18 wiedergegebene Versuch. Hierfür eine bereits eingetretene Ermüdung verantwortlich machen zu wollen, schiene uns nur angängig, wenn man überhaupt jede Hemmung als Ermüdung be- zeichnen will, wobei dann freilich die Ermüdung nicht in dem allgemein üblichen Sinne der Arbeitslähmung gedacht sein würde. Auch dann aber ‚0. 7 SI. 13.19: 19.192.291. 23: 25,.272.29731.33,33. 37. 39 MI US US HT 95 6 M 12 M 716 78 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 W244 US YB 50 28 E. Mangold und A. Eckstein: wäre es schwer verständlich, dass diese Tiere jeweils allein für das Um- drehen und Abspringen aus Rückenlage ermüdet sein sollten; da sie aus Bauchlage oder normaler Sitzlage noch prompt abspringen, müsste dann allein der Umdrehreflex ermüdet sein. Es lässt sich aber nachweisen, dass es dieser nicht ist, auch wenn er aus der Hypnose selbst bei den von uns maximal verwendeten 20 Reizungen der Frequenz 21—24 pro Minute nicht mehr ausgeführt wird. So drehte Frosch 22 (s. Abb. 18), bei dem letzteres der Fall war, in einem eigens zu dieser Prüfung nach der 46. Reflexprüfung des ganzen Versuchs eingeschalteten Kontroll- versuche, bei dem er ohne Pause 20mal hintereinander ohne Hypnoti- sierung in Rückenlage gebracht wurde, jedesmal sofort prompt um, und sofort nach dem Abschluss des ganzen, gerade 1 Stunde währenden Versuches drehte er unter 15 Mal noch 12mal sofort in die Bauchlage zurück. Ebenso konnte Frosch 24 (Abb. 17) noch nach der 40. Reflex- prüfung unter 20 Mal 19mal glatt aus Rückenlage ohne Hypnose um-, drehen. Eine besondere Versuchsreihe zeigte uns, dass der Umdrehreflex selbst bei pausenloser zahlreicher Wiederholung, wie sie in unseren - Versuchen gar nicht einmal in Betracht kam, da ja bei den Versuchen mit Hypnose in Rückenlage zwischen je zwei Hypnotisierungen minde- stens je eine Reflexprüfung in Normallage eingeschaltet wurde, über- haupt nicht so leicht und schnell ermüdet. So drehte Frosch 11, von dem die Versuche der Abb. 11 und 16 stammen, innerhalb 4 Minuten 40mal ohne Hypnotisierung auf den Rücken gelegt, mit nur einem Versager stets sofort prompt wieder um, und bei Fortsetzung dieses Versuchs während im ganzen 6 Minuten 50mal mit nur drei Versagern, bei denen erst ein leiser mechanischer Reiz den Umdrehreflex herbei- führen musste; dabei war nicht auszuschliessen, dass in diesen Fällen bei Hinlegen auf den Rücken doch eine Hypnotisierung stattgefunden hatte, denn es ist für den Experimentator, der das Hypnotisieren von Fröschen einmal im Griffe hat, tatsächlich nicht ganz einfach, einen Frosch, ohne ihn zu hypnotisieren, in Rückenlage zu bringen. Frosch 20 (vgl. Versuch Abb. 15) drehte einmal bei einem der- artigen Versuche in schneller Folge zunächst 44mal hintereinander um, im ganzen in 3 Minuten bei 59maliger Rückenlage stets sofort bis auf fünf Versager. Ein anderes Tier brachte es in 3 Minuten bei 77maligem, pausenlos einander folgendem Umgedrehtwerden auf 75 prompt ausgeführte Umdrehreflexe. Nach all diesen Erfahrungen erscheint es nicht angängig, das Nicht- erfolgen des Umdrehreflexes in unseren Versuchen auf eine isolierte Ermüdung desselben zurückzuführen. Eine solche könnte ja das zentrale oder das periphere Gebiet, das Reflexzentrum allein oder die sensiblen oder endlich die motorischen Endorgane betreffen. Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. 29 Dass die letzteren und die letzte gemeinsame Strecke des Reflexbogens offenbar in der Regel nicht ermüdet wurden und hierdurch eine schein- bare Erregbarkeitsherabsetzung für den hypnotischen Zustand be- dingten, geht aus den erwähnten Versuchen, besonders denjenigen mit der grösseren Herabsetzung für den Normalzustand, hervor, wie ferner daraus, dass auch in den übrigen Versuchen ja in beiden Zu- ständen die gleichen Muskelgruppen durch die Reflexbewegungen in Anspruch genommen wurden und somit eine Ermüdung derselben gleichmässig die Reflexaktion nicht nur für Hypnose, sondern auch für den Normalzustand beeinflussen müsste. Ganz allgemein müsste, wenn eine periphere Ermüdung in unseren Versuchen eine Rolle spielte, in allen Versuchen der Abspring- reflex zur gleichen Zeit im Normalzustande und in Hypnose in Bauch- lage und in Hypnose in Rückenlage nachlassen und versagen, da in allen drei Fällen die Reizaufnahme in dem gleichen und ebenso die Reizbeantwortung ihrerseits in dem gleichen peripheren Gebiete statt- findet und, wie wir sahen, nur bezüglich der Beanspruchung der Reflex- zentren für die Hypnose in Rückenlage die Abweichung besteht, dass hierbei auch das Zentrum für den Umdrehreflex in der Medulla oblongata beteiligt wird, während sonst nur dasjenige für den Abspringreflex in Betracht kommt. Auch eine Ermüdung der sensiblen Endorgane kommt hiernach für unsere Versuchsergebnisse nicht in Betracht. Wäre es der Fall, so müssten ebenfalls die Kurven für die Reflexerregbarkeit in Hypnose und Normalzustand parallel verlaufen. Ausserdem müsste sich die Ermüdung auf die ganze reflexogene Zone erstrecken und alle Stellen der beiden zur Reizung verwendeten rezeptorischen Felder der Rücken- und Bauchhaut einbegreifen, da die Reizungen während eines ganzen Versuches nicht streng auf völlig konstante eng um- schriebene Punkte der Haut lokalisiert bleiben konnten; denn es war unvermeidlich, dass sich die Lage der Elektroden oft von einer zur anderen Reizung veränderte, indem sich besonders durch die stärkeren, noch nicht zum Absprung führenden Reflexaktionen das aufgelegte Metallplättchen der oberen Elektrode auf der Haut des Tieres ver- schob oder abgehoben wurde, und dann jedesmal neu angelegt werden musste, oder indem sich der Frosch dabei selbst gegen die untere in das Brettchen eingelassene Elektrode verschob. Es wurde auch schon erwähnt, dass derartige Lageveränderungen der Elektroden keine wesentliche Rolle spielten, da niemals beobachtet und auch nicht absichtlich herbeigeführt werden konnte, dass bei einem Lagewechsel derselben ein vorher für den völligen Absprung nicht ausreichender Reiz von der neuen Hautstelle aus nun etwa wirksam geworden oder dass auch nur die Zahl der zum Absprung erforderlichen Reize dadurch 30 E. Mangold und A. Eckstein: verringert worden wäre. Vielmehr konnte sich die Lokalisation der Elektroden am Bauch und Rücken bei unseren Versuchen weitgehend verändern, ohne dass sich der Versuchsverlauf dadurch gegen das Verhalten bei genau liegenbleibenden Elektroden verändert hätte. Dies hängt wohl damit zusammen, dass der Umdreh- und Abspring- reflex als Fluchtreflexe ein sozusagen unbegrenztes rezeptorisches Feld besitzen und ziemlich von der ganzen Körperoberfläche her ausgelöst werden können. Endlich muss auch die dritte Frage, ob die in der Hypnose auf- tretende Herabsetzung oder Aufhebung des Umdreh- und Abspring- reflexes einfach auf eine Ermüdung der Reflexzentren zurück- geführt werden kann, unseres Erachtens verneint werden. Auch diese Erklärung bliebe ja mit einer grossen Anzahl von Beobachtungen unvereinbar, die entschieden gegen eine zentrale Ermüdung sprechen. So die Tatsache, dass die Kurven für den Abspringreflex aus Hypnose in Bauchlage und aus normaler Sitzlage stets auseinandergehen und derselbe in ersterer bereits versagen oder nur noch bei einer grossen Reizfrequenz ausgelöst werden kann, während er im Normalzustande nicht oder kaum verändert ist; ebenso für den Umdrehreflex die Tat- sache, dass dieser auch nach Versuchen von langer Dauer, während deren er in Hypnose in Rückenlage längst völlig versagte, unmittelbar darauf aus der ohne Hypnotisierung herbeigeführten Rückenlage noch zahlreiche Male prompt erfolgte. Ferner sind auch hier wieder jene Fälle heranzuziehen (s. Abb. 9, 10, 11, 15, 16, 18), in denen schon ganz kurz nach Versuchsbeginn und ehe eine Ermüdungsmöglichkeit gegeben war, eine starke Reflexherabsetzung gegenüber dem Normal- zustande in der Hypnose in Rücken- oder in Bauchlage festzustellen war; weiter jene, in denen (s. Abb. 15, 16) die Reflexherabsetzung bei Hypnose in Bauchlage trotz ununterbrochener Fortsetzung der Versuchsreihe ohne Erholungspause wieder beträchtlich und fast bis zur Norm zurückging. Endlich kann auch in den Versuchen mit stärkerer Reflexherabsetzung im Normalzustand gegenüber der Hypnose in Rückenlage (s. Abb. 12, 13) die Ursache derselben nicht in einer zentralen Ermüdung liegen, die hier das Zentrum des Abspringreflexes betroffen hätte, da ja der Abspringreflex aus dem Zustand der Hypnose im Anschluss an den Umdrehreflex jeweils noch bei einer viel geringeren Anzahl von Reizen auslösbar war. c) Einfluss des Muskeltonus. Ganz kurz sei noch hervorgehoben, dass auch Veränderungen des Muskeltonus, wie sie von Verworn zur Erklärung des Versagens von Reflexbewegungen in der oben bereits erwähnten Weise für die tierische Hypnose herangezogen wurden, und wie sie nach Moll für die Reflex- Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. 31 veränderungen in der menschlichen Hypnose eine Rolle spielen, nach unseren Erfahrungen nicht. für die Reflexherabsetzung bei hypnoti- sierten Fröschen verantwortlich gemacht werden können. Ein der- artiger Einfluss wäre uns bei den ausgedehnten Versuchsreihen kaum entgangen. Wir konnten indessen für den Abspringreflex aus normaler Hockstellung oder hypnotischer Bauchlage und für den Umdreh- plus Abspringreflex aus hypnotischer Rückenlage im Anfange jedes Versuchs die ziemlich gleiche Intensitäts- und die gleiche Frequenzschwelle des Reizes feststellen, obwohl der Tonus der Körpermuskulatur bei der Hypnose in Bauchlage stets geringer, bei derjenigen in Rückenlage, besonders in den vorderen Extremitäten, vielleicht etwas höher ist als in der normalen Sitzlage. Auch spielte es für die Reflexaktion in hypnotischer Rückenlage keine Rolle, ob die Hinterbeine, die ja hauptsächlich das Umdrehen und Abspringen ausführen, an den Leib herangezogen oder ausgestreckt waren. Und endlich war allgemein im Verlauf eines Versuchs eher eine Abnahme des Muskeltonus an der zunehmenden Schlaffheit des Tieres zu erkennen, während ja die Reflexerregbarkeit im Gegensatze hierzu eine fast ausnahmslose Herab- setzung erfuhr. 3. Die Reflexherabsetzung als hypnotische Hemmungs- erscheinung. Durch die vorangehende ausführliche Darstellung und kritische Betrachtung unserer Versuche wie insbesondere durch den Nachweis, dass weder die Lage, in der die Frösche in die hypnotische Akinese versetzt werden, noch ein Muskeltonus, noch auch periphere oder zentrale Ermüdung des von uns auf ihre Veränderungen hin geprüften Abspring- und Umdrehreflexes primär oder wesentlich an der be- obachteten Reflexherabsetzung in der Hypnose beteilist sind, gelangen wir, zum Teil sozusagen per exclusionem, zur Herausschälung der positiven Versuchsergebnisse, durch die wir glauben unsere Frage- stellung beantworten zu können. Es ergibt sich, dass Frösche, die sich in einem normalen Kräfte- zustand befinden, bei der ersten Prüfung der Reflexerregbarkeit in der Hypnose in Bauch- oder Rückenlage keine oder eine nur sehr geringe Veränderung der Intensitätsschwelle für den Abspring- bzw. Umdreh- plus Abspringreflex gegenüber dem Normalzustande auf- weisen. Falls eine solche in unseren Versuchen vorhanden war, bestand sie in einer für den Abspringreflex aus hypnotischer Bauchlage 5— 15mm Rollenabstand, für den Umdreh- plus Abspringreflex aus hypnotischer Rückenlage 10—20 mm Rollenabstand betragenden Herabsetzung gegen- über dem Schwellenwert für den Abspringreflex aus normaler Sitzlage. Diese Unterschiede halten sich im Rahmen der Abweichungen, die 32 E. Mangold und A. Eckstein: der Schwellenwert für den Abspringreflex aus normaler Sitzlage bei oleichen Tieren an verschiedenen Tagen zeigt (20 mm), und sind geringer als die zwischen verschiedenen Fröschen beobachteten Unterschiede (35—45 mm R.-A.). Da die Reflexprüfungen in jedem Versuche stets mit der, in manchen Fällen demnach um ein geringes höher gelegenen, Intensitätsschwelle für den Reflex aus Hypnose ausgeführt wurden, war die Schwellenzahl für die zum Reflex führenden Reize im Anfange jedes Versuches sowohl für den Abspringreflex aus normaler Sitzlage und hypnotischer Bauch- lage wie für den Umdreh- plus Abspringreflex aus hypnotischer Rücken- lage, —ıl. Wird nun in ununterbrochenem Wechsel weiter jeweils eine Prüfung im Normalzustande und eine in Hypnose ausgeführt, so weichen die so erhaltenen Kurven für die‘ Reflexerregbarkeit im Normalzustand und in Hypnose in allen Fällen sehr bald auseinander, und zwar tritt in der Regel eine Zunahme der Schwellenzahl, also Herabsetzung der Reflexerregbarkeit, in der Hypnose gegenüber dem Normalzustande ein. Diese Herabsetzung zeigt im weiteren Verlaufe eine Zunahme. Diese kann besonders bei Hypnose in Rückenlage entweder sehr schnell erfolgen und zu dem definitiven Grade führen, bei dem auch durch 20 in der Frequenz von 21—24 pro Minute applizierten Reizen kein Umdrehen und Abspringen mehr erfolgt, oder sich langsam entwickeln und auch starke Schwankungen im Sinne von Remissionen mit darauf wieder folgender Herabsetzung erfahren. Bei Hypnose in Bauchlage geht die Zunahme der Reflexherab- setzung in der Regel langsamer vor sich und erreicht auch nicht die hohen Grade wie bei derjenigen in Rückenlage, und zeigt ebenfalls Remissionen, die hier auch zu einem definitiven Wiederanstieg der Reflexerregbarkeit bis fast zur Norm führen können. Auch für den Normalzustand, in dem sich die Reflexerregbarkeit während der ganzen Versuchsdauer meist mit geringen Schwankungen im Sinne einer Herabsetzung auf oder nur wenig unter der Norm hält, und etwas grössere vorübergehende Herabsetzungen meist nur bei längerer Versuchsdauer beobachtet werden, kann in seltenen Fällen die Kurve für die Schwellenzahl von vornherein ansteigen, so dass die Reflexerregbarkeit weit ‚unter diejenige der sich gleichzeitig auf höherem Grade haltenden Reflexerregbarkeit im hypnotischen Zustande sinkt und selbst jenen definitiven Minimalwert erreichen kann. Das die Regel bildende Steigen der Schwellenzahl für den Abspring- reflex aus hypnotischer Bauchlage wie für den Umdreh- plus Abspring- reflex aus hypnotischer Rückenlage muss in einer Veränderung der entsprechenden Reflexzentren seine Ursache haben, die, wie oben gezeigt, nicht in einer Ermüdung im Sinne einer Arbeits- Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose, 33 lähmung bestehen kann, vielmehr in einer Hemmung durch den hypnotischen Zustand und infolge seiner Wiederholungen zu suchen ist. Diese Deutung steht im Einklang mit bekannten Tatsachen, denn, wie wir wissen, „ist nach dem derzeitigen Stande unserer Erfahrungen und des Tatsachenmateriales als die wichtigste physiologische Ver- änderung im zentralen Nervensystem, die zu den Zuständen der tieri- schen Hypnose führt, eine tonische Hemmung anzusehen, die sich in erster Linie auf die Zentren der Ortsbewegung, der Normalhaltung, der Reflexkoordination, insbesondere der Lagekorrektion, kurzum auf .das — beim Frosch in der Medulla oblongata gelegene — Zentrum der Bewegungskoordination erstreckt“ !). Es kann hiernach nicht überraschen, dass während des hypnotischen Hemmungszustandes in diesen Zentren eine Herabsetzung der Reflexerregbarkeit nachweisbar ist, und wir glauben, durch unsere Versuche zum ersten Male diesen Nachweis experimentell erbracht zu haben. Das Zentrum für den Umdrehreflex liegt, wie wir oben sahen, in der Medulla oblongata, während füu den Abspringreflex allein das Rückenmark genügt, wobei aber anzrnehmen ist, dass beim intakten Tiere auch beim Abspringreflex die Medulla oblongata normalerweise beteiligt ist. Hierfür spricht auch unsere Erfahrung, dass der Abspring- reflex beim Rückenmarksfrosch nur dann erfolgen kann, wenn das Tier die dazu erforderliche und gegebenenfalls ihm künstlich zu erteilende Normalhaltung angenommen hat, für deren Einnahme beim intakten Tiere offenbar die Oblongata die notwendigen Koordinationen besorgt. Eine gewisse Abhängigkeit des Abspringreflexes auch von der Oblongata scheint sich aus der nahen Verwandtschaft desselben mit dem Um- drehreflex, der in ihr sein Zentrum hat, zu bestätigen; diese äussert sich darin, dass ein in Rückenlage hypnotisierter Frosch, sofern er durch eine eben ausreichende Anzahl von Reizen zum Umdrehen veranlasst wird, fast ausnahmslos daran anschliessend auch vom Brettehen abspringt, wobei Umdreh- und Abspringreflex den Ein- druck einer völlig einheitlichen Reflexaktion machen. Bei der Hypnose in Rückenlage muss jedenfalls die Reflexherab- setzung durch eine Hemmung des Zentrums für den Umdrehreflex in der Oblongata verursacht sein. Bei der Hypnose in Bauchlage wäre es möglich, die Ursache in einer alleinigen Hemmung des Zentrums für den Abspringreflex im Rückenmarke zu sehen; die angeführten Tatsachen machen es indessen wahrscheinlich, dass auch hierbei die Hemmung eines übergeordneten l) Mangold, Hypnose und Katalepsie bei Tieren im Vergleich zur menschlichen Hypnose, S. 77. Jena, G. Fischer. 1914. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 177. 3 “ 34 E. Mangold und A. Eckstein; Zentrums in der Oblongata beteiligt ist. Dies Zentrum ist aber jeden- falls nicht mit demjenigen für den Umdrehreflex identisch. Denn aus den Versuchen, in denen die Reflexerregbarkeit nicht nur für Normalzustand und Hypnose in Bauchlage, sondern auch zwischen- durch für die hypnotische Rückenlage geprüft wurde, ergibt sich ein unabhängiger Verlauf der Kurve für die Frequenzschwelle des Abspring- reflexes aus Bauchlage und des Umdreh- plus Abspringreflexes aus Rückenlage. Wenn die Reflexherabsetzung für beide durch die Hemmung im gleichen Zentrum bedingt wäre, müssten dagegen die beiden Kurven parallel verlaufen; dabei brauchte für den Umdreh- reflex aus Rückenlage kaum ein gewisser Abstand im Sinne einer grösseren Herabsetzung zu bestehen, da ja, wie wir sahen, auch im Anfange eines Versuches der Umdreh- plus Abspringreflex trotz grösserer Leistung keine höhere Reizschwelle erfordert als der Abspringreflex allein. Da sich die Tatsache des mehr oder minder schnellen Anstiegs der Reflexherabsetzung nicht durch Ermüdungserscheinungen infolge der mit dem Versuche verbundenen Manipulationen und Reizungen befriedigend erklären lässt, muss dieselbe darauf zurückgeführt werden, dass jede erfolgte Hypnotisierung in den beteiligten Reflexzentren einen Rückstand. der Hemmung und dadurch der Reflexerregbarkeits- herabsetzung zurücklässt, der sich jeweils während der eingeschalteten Reflexprüfung in normaler Sitzlage nicht wieder völlig ausgleicht und sich daher zu der Hemmung und Erregbarkeitsherabsetzung durch die gleich darauf folgende Hypnotisierung addiert oder mit ihr poten- ziert. Dieser Vorgang, der sich ebenso bei Hypnose in Rückenlage wie in Bauchlage abspielt, kann auch als eine Induktion der hypno- tischen Reflexherabsetzung durch die vorhergehende Hyp- nose bezeichnet werden. Von einer derartigen Induktion wurde bereits oben gesprochen zur Erklärung der Erscheinung, dass die Reflex- herabsetzung bei Hypnose in Bauchlage in manchen Fällen, wenn sie sich in einem Versuche bis dahin in geringen Grenzen gehalten hatte, durch die Einschaltung einer oder mehrerer Hypnosen in Rücken- lage eine auffallende plötzliche Zunahme erfährt, für die bei dem Fehlen anderer ersichtlicher Ursachen das post hoc ergo propter hoc angenommen werden muss. Die letztgenannte Erscheinung hängt offenbar mit der Tatsache zusammen, dass die Reflexherabsetzung stets und allgemein bei der Hypnose in Rückenlage grösser ist als bei derjenigen in Bauchlage. Es ist dies eine Bestätigung der bekannten und nunmehr auch durch die Prüfung der Reflexerregbarkeit nachgewiesenen Tatsache, dass der hypnotische Zustand in Rückenlage wie überhaupt in abnormen Lagen bei den meisten Tieren eine grössere Tiefe erreicht als in einer Lage, I ee — me SRH nes Pe Ur en Bier en eeg erremme n ee = Se Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. 35 die einer der Haltungen im normalen Zustande ähnlicher oder gleich ist. Dieser Unterschied der Tiefe der Hypnose, wie er schon von Heubel!) für Bauch- und Rückenlage beim Frosche festgestellt wurde, konnte bisher nur an der Dauer der- Hypnose bis zum spontanen Er- wachen gemessen werden. Jedoch glaubte auch Danilewsky 2) bereits einen schwächeren Grad der Herabsetzung der Reflexerregbarkeit beim Frosch für solche Lagen nachweisen zu können, die sich weniger als die Rückenlage von der gewöhnlichen Sitzlage unterschieden. Wir können dieses Ergebnis der, wie wir sahen, im übrigen nicht mit genügender Beweiskraft durchgeführten Untersuchungen von Dani- lewsky vollkommen bestätigen. Den Sitz der Hemmung, durch die die Reflexherabsetzung in der Hypnose verursacht ist, in höher gelegenen Teilen des Zentralnerven- systems zu suchen, scheint Versuch W2: - 365 MR 199 21 23 25 2729 37 33 uns kein Anlass vorzu- x ine 2 In 00 BEE 26 260 32 liegen. Insbesondere zeigte ein Versuch am grosshirn- losen Frosch (s. Abb. 19), dass auch bei diesem der Verlauf sich in grundsätz- lich gleicher Weise gestaltet wie beim intakten Tiere. Nach dem Ergebnis unserer Versuche kann zu den somatischen Erschei- normal. { nungen, die im Verlaufe = = — Hypnose in Bauchlage. » Hypnose in Rückenlage. der Ben cher Hypnose auf Abb. 19. Frosch 11. R.esc. &. Versuch vom treten können, zu den 27. März 1919. charakteristischen Verände- rungen des Muskeltonus (Erschlaffung und Katalepsie) und der Sinnes- tätigkeit (Anästhesie, Analgesie) nun auch die Veränderung (meist Herabsetzung) der Reflexerregbarkeit gerechnet werden. In unseren Versuchen wurde diese nur für ganz bestimmte Bewegungsreflexe und Reflexkoordinationen nachgewiesen, während das Verhalten anderer Reflexe nicht geprüft wurde. Dass die Reflexherabsetzung keine all- gemeine zu sein braucht, lehren bereits frühere Beobachtungen, nach denen Tauben oder Hühner im Zustande der im übrigen vollkommenen Akinese noch kompensatorische Kopfbewegungen und selbst Fress- bewegungen auszuführen imstande sind. I) Heubel,l.c. S. 193. 2) Danilewsky.. c. S. 500. 36 E. Mangold und A. Eckstein: {3} IV. Zusammenfassung. Zur Beantwortung der Frage, ob und in welchem Sinne in der tierischen Hypnose Veränderungen der Reflexerregbarkeit gegenüber dem Normalzustand auftreten, wurde bei Fröschen die Reizschwelle für den Absprung von einem Brettchen bestimmt, den sie auf elektrische Reizung hin reflektorisch ausführen. Im einzelnen Versuche wurde stets zunächst der Schwellenwert der für den Abspringreflex auf einmalige Reizung hin erforderlichen Reizstärke in normaler Sitzlage und in der Hypnose in Rücken- oder Bauchlage bestimmt. Diese Intensitätsschwelle zeigte beim gleichen Tier an verschiedenen Tagen Abweichungen bis zu 20 mm Rollen- abstand, bei verschiedenen Tieren bis zu 45 mm R.-A. Der Unter- schied zwischen den Schwellenwerten für Normalzustand und Hypnose in Rücken- bzw. Bauchlage betrug, sofern ein solcher überhaupt vor- handen war, höchstens 20 bzw. 15 mm R.-A. Im weiteren Verlaufe des Versuches wurden die Frösche in ständigem Wechsel in normale Sitzlage und in hypnotische Rücken- oder Bauch- lage gebracht und die Prüfung der Reflexerregbarkeit jedesmal durch die Bestimmung der Anzahl der zur Auslösung des Abspringreflexes erforderlichen Reizungen (Schwellenzahl) von gleichbleibender Irten- sität vorgenommen; die Reizungen wurden dabei in einer Frequenz von 21—24 pro Minute ausgeführt. Hierbei ergaben sich regelmässig Veränderungen der Reflexerregbar- keit und ein Auseinanderweichen der für die Schwellenzahl des Abspring- reflexes im Normalzustand und in Hypnose gewonnenen Kurven. Die Veränderung bestand im allgemeinen in einer Herabsetzung der Reflexerregbarkeit, die fast ausnahmslos für die hypnotische Akinese gegenüber dem Verhalten im Normalzustande früher und bedeutend stärker auftrat. In einigen Fällen ergab sich umgekehrt ein früheres Sinken der Reflexerregbarkeit für den Normalzustand als für die Hypnose in Rückenlage. Der Vergleich zwischen Hypnose in Rücken- und Bauchlage ergab stets für erstere eine frühere und stärkere Reflexherabsetzung. Der Grad der Reflexherabsetzung ist demnach von der Tiefe des hypno- tischen Zustandes abhängig, die nach der leichteren Herbeiführung und dem späteren Erwachen in Rückenlage grösser ist. Ein wesentlicher Einfluss der Lage (Rücken- oder Bauchlage) sowie der Ermüdung oder des Muskeltonus auf die Herabsetzung der Reflexerregbarkeit in der Hypnose besteht nicht. Insbesondere spielt dabei weder eine Ermüdung des dem Absprung aus Rückenlage vorangehenden Umdrehreflexes noch auch eine peri- Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. 37 phere sensible oder motorische oder eine zentrale Ermüdung eine wesentliche Rolle. Die Herabsetzung der Reflexerregbarkeit in der Hypnose ist viel- mehr auf eine primäre funktionelle Veränderung der Reflexzentren im Sinne einer Hemmung zu beziehen. Zu den somatischen Erscheinungen, die im Verlaufe der tierischen Hypnose auftreten können, sind demnach ausser den charakteristischen Veränderungen des Muskeltonus (Erschlaffung und Katalepsie) und der Sinnestätigkeit (Anästhesie, Analgesie) auch Veränderungen (meist Herabsetzung) der Reflexerregbarkeit zu zählen. Weitere Untersuchungen zur tierischen Hypnose. Über Muskeltonus, Dauer und Eintritt des hypnotischen Zustandes sowie über die Reflexerregbarkeit während desselben. Von A. Eckstein. (Aus dem physiologischen Institut Freiburg i. Br.) Mit 13 Textabbildungen. (Fingegangen am 25. Juni 1919.) In einer früheren Arbeit!) wiesen wir darauf hin, welche grosse Bedeutung für die Herbeiführung der tierischen Hypnose der Ersatz der manuellen Fertigkeit durch eine maschinelle Auslösung hat. Wir konnten damals durch die Konstruktion eines Hypnoseapparates, mit dem das Versuchstier durch Drehung um 180° von der normalen „Bauchlage‘“, worunter wir die natürliche Körperstellung verstehen, in die abnorme ‚„Rückenlage‘“ gebracht wird, beweisen, dass eine Reihe einander widersprechender Beobachtungen und Schwankungen in den Angaben verschiedener Autoren von der Geschicklichkeit, Er- müdbarkeit und sonstigen nicht messbaren Faktoren des Experimen- tators abhängen und sich dadurch erklären. Schon damals beabsichtigten wir, die Abwehrbewegungen des Versuchstieres und sein Verhalten während der Hypnose graphisch zu registrieren, zumal derartige Unter- suchungen in grösserem Umfange noch nicht vorhanden waren. Nun ist die Hypnose ja ein Zustand, der sich nicht etwa nur auf einzelne Organe bzw. Körperteile des Versuchstiers erstreckt, vielmehr scheint der ganze Organismus sich in einer abnormen Reaktion zu befinden. Am auffallendsten zeigt sie sich aber in dem Verhalten der Körper- muskulatur, besonders derjenigen der Extremitäten, die als Organe der Bewegungen in der für die Hypnose eigentümlichen Bewegungs- losigkeit nicht einfach gelähmt sind, sondern Schwankungen von kataleptischer Starre bis zu tonuslosem Herabsinken unterworfen sind. So erscheint es wünschenswert, aus dem vielseitigen Komplexe des hypnotischen Zustandes gerade einmal diese Verhältnisse einer ge- naueren Untersuchung zu unterziehen. 1) E. Mangold und A. Eckstein, Ein Apparat zur tierischen Hypnose. Zeitschr. f. biologische Technik und Methodik Bd. 3 S. 155. 1913. Weitere Untersuchungen zur tierischen Hypnose. 39 Die Tonusschwankungen der Körpermuskulatur während des hypnotischen Zustandes sind schon früher von Verworn!) am frei- gelegten Gemellus surae des Meerschweinchens registriert worden. In- dessen spiegeln diese Versuche nur eine kleine Phase jener Vorgänge wieder; auch ist wohl das Verhalten eines derartig operierten Muskels nicht ohne weiteres mit einem unter natürlichen Verhältnissen be- findlichen zu vergleichen. Wissen wir doch, dass der Wundschmerz an sich schon hemmende Wirkungen ausüben kann, und wie weit diese beim Meerschweinchen durch eine etwaige durch die Hypnose erzeugte Analgesie wieder ausgeglichen werden, ist wohl nicht ohne weiteres zu entscheiden. Die Schwierigkeiten seines Verfahrens hat übrigens Verworn selbst betont. Es lag mir nun vor allem daran, unter möglichst natürlichen Ver- hältnissen zu arbeiten, um so alle störenden Faktoren, die ihrerseits etwa eine nicht beabsichtigte Hemmung auslösen konnten, aus- zuschliessen. I. Methodik. In der Konstruktion des neuen Apparates mit graphischer Regi- “ strierung schloss ich mich im wesentlichen an den früher beschriebenen an. Er wurde bereits im Sommer 1914 gebaut und war ursprünglich für Versuche mit grösseren Tieren (Kaninchen, Hühner, Gänse usw.) vorgesehen. Bei der augenblicklichen Schwierigkeit der Tierbeschaffung habe ich mich aber im wesentlichen auf Versuche mit Meerschweinchen beschränkt. Trotzdem die Maasse des Apparates für diese Tierart zu gross sind, so war es doch leicht möglich, durch Anbringung eines ent- sprechenden Fussgestells den Apparat auch für diese Tiere zu benützen. Der Apparat (s. Abb. 1) besteht zunächst aus einem Fussbrett a (25x 60 em) und einem Rückenbrett b (22x50 cm), an das das Tier in normaler Stellung mittels eines Leibgurtes c befestigt wird. Der Gurt, der durch eine Schnalle c’ an dem Rückenbrett in seiner Lage festgehalten wird, darf stets nur so weit zugezogen werden, als das Tier dadurch nicht belästigt wird. Ich habe dies durch Verlängerung des Gurtes durch ein breites Gummiband erreicht, das infolge seiner Elastizität einen gleichmässigen, nicht zu heftigen Druck ausübt und das Tier doch genügend fixiert. Befindet sich das Tier nach der Um- drehung in Rückenlage, so kann es beim Erwachen aus der Hypnose ohne Schwierigkeit aus diesem Gurt herausklettern. Es ist ja dabei natürlich von Wichtigkeit, dass das Tier nicht länger in der Rückenlage festgehalten wird, als es dem Zustand der Hypnose entspricht. Bei I) Verworn, M., Beiträge zur Physiologie des Zentralnervensystems, I. Teil. Die sogenannte Hypnose der Tiere. Verlag G. Fischer, Jena. 1898. 40 A. Eckstein: einiger Übung gelingt es aber leicht, das Tier in dieser Weise zu be- festigen. Das Rückenbrett ist mit einer eisernen Achse d versehen und um diese drehbar, und zwar befindet sich das Achsenlager in den beiden Seitenbrettern e und f, 35 em über dem Fussbrett. Die Achse ist um 45 cm über das Seitenbrett f hinaus verlängert und trägt an ihrem Ende einen mit einem Gewinde versehenen Stellring, der seinerseits wieder einen mit einer Öse Y versehenen verschraubbaren Stift besitzt. Ferner führt sie auf der distalen Seite des Seitenbrettes [ eine Kontakt- einrichtung g, mittels deren ein elektrischer Stromkreis der einen Registriermagneten enthält, in Normalstellung (Nullstellung) und bei Drehung des Brettes um 180° geschlossen ist. Auf diese Weise wird Abb. 1. die Umdrehung graphisch registriert (s. Kurven Abb. 3ff.), so dass auch ihre Geschwindigkeit ermittelt werden kann. Ferner ist an der Achse noch ein Bajonettansatz h angebracht, der ihre Bewegung mitmacht. Auf dem distalen Ende des dem Seitenbrett e zugewandten Achsen- teiles ist eine hölzerne Schnurscheibe I (23 em Durchmesser) aufgesetzt, die mittels eines Gewichtes K die Drehung des Rückenbrettes be- wirkt. Die Auslösung dieser Bewegung des Apparates erfolgt dabei durch einen mit einer Feder versehenen Handgriff /, der selbständig wieder zurückschnellt und das Rückenbrett nach seiner Drehung um 180° in dieser neuen Lage festhält. Das Seitenbrett f besitzt drei halb- kreisförmige Ausschnitte, deren Mittelpunkte mit dem Schnittpunkt der Achse d mit dem Seitenbrett f zusammenfallen; sie dienen ebenfalls für Zwecke der Registrierung. Weitere Untersuchungen zur tierischen Hypnose, 4] Das Fussgestell m, das verstellbar ist und auf dem Fussbrett « steht, ist nur bei kleineren Tieren zu benützen. Die Abwehrbewegungen einer hinteren Extremität werden nun da- durch registriert, dass ein an ihr befestigter Faden durch einen der halbkreisförmigen Ausschnitte des Seitenbrettes f und von dort aus durch die Öse y zu einem Marey’schen Tambour T geführt wird, der, stets in der Verlängerung der Achse des Apparates stehend, die etwaigen Bewegungen auf einen Hebel überträgt. Der Bajonettansatz h, der fest auf die Achse aufgesetzt ist und so die Drehung um 180° mitmacht, nimmt dabei den Verbindungsfaden zwangsläufig mit und verhindert so, dass dieser während der Drehung hängen bleibt. Betrachten wir nun die schematische Darstellung Abb. 2. ‘A sei der zu registrierende Punkt einer hinteren Extremität des Versuchstieres, DE die Verlängerung der Achse des Apparates, 7 der Registriertambour, y die Leitöse, die so verschraubbar ist, dass der Ver- bindungsfaden A—T eine gerade Linie bil- det. A’ und Y’ seien die entsprechenden Punkte nach der Dre- hung um 180°, so werden wir aus der Kongruenz der beiden Dreiecke ADT und A'’DT ableiten können, das AT = Abb. 2. A’T ist. Wir regist- rieren also bei der Drehung um 180° nicht Bewegungen des Apparates, da A T auf dem Wege nach A’T einen Kegelmantel beschreibt, dessen Spitze der Punkt T ist. Eine Veränderung von A’T gegenüber AT muss vielmehr auf einer Verschiebung des Punktes A’ gegenüber A beruhen. Wir erhalten daher nur die Bewegungen des Punktes A und damit die der betreffenden Extremität. Die Scheibe 7 ist 8 cm oberhalb der Achse für Registrierzwecke durchlocht (« = 1 em Durchmesser). In der Höhe dieses Loches be- sitzt das Seitenbrett e einen kreisförmigen Ausschnitt ß, dessen Mittel- punkt im Achsenlager liegt, und dessen Radius ebenfalls = 8 cm ist, so dass die geradlinige Verbindungslinie : zu registrierendes Objekt und Loch & der Scheibe i bei der Drehung um 180° nicht beeinträchtigt wird. Verbinden wir nun das Loch « mit einem in der Verlängerung der Achse stehenden Marey’schen Registriertambour T’, so wird die Strecke T’'—a— zu registrierendes Objekt bei der Drehung um 180° nicht verändert. Eine etwaige Veränderung der Strecke « T’ muss 43 A. Eckstein: also durch eine Bewegung des zu registrierenden Objekts bedingt sein. Diese Einrichtung eignet sich besonders zur gleichzeitigen Registrierung von Bewegungen des Kopfes. Die Bewegungen der mit den Marey’schen Tambouen verbundenen Hebel wurden in üblicher Weise auf einem Kymographion aufgezeichnet. Die Zeit wurde dabei in 1’ beschrieben. Betrachten wir nun die Kurven (s. Abb. 3 u. f.), so bemerken wir ein Sinken und Steigen derselben unter bzw. über der Null-Linie, das bei der beschriebenen Art der Aufzeichnung mittels zweier Marey’scher Kapseln einer Anziehung bzw. Ausstreckung oder, wie man zunächst auch sagen könnte, einer Kontraktion bzw. Erschlaffung der registrierten hinteren Extremität entspricht. Wir können dabei nicht ohne weiteres von einem Steigen bzw. Sinken des Tonus der Extremität sprechen, vielmehr ist das Sinken der Kurve unter die Null-Linie streng ge- nommen nur einem Übergewicht der Flexoren über die Extensoren zuzuschreiben und umgekehrt. Nun besteht aber auch schon normaler- weise ein ständiger Wettkampf zwischen dem Tonus der Flexoren und Extensoren, und der gesamte Tonus einer Extremität wird durch das Verhältnis des Tonus der Flexoren zum Tonus der Extensoren mitbestimmt. Die Abweichungen von einem mittleren Tonus können daher im Sinne eines überwiegenden Beugetonus oder Strecktonus er- folgen. In der gewöhnlichen Normalhaltung eines Tieres, zum Beispiel eines Meerschweinchens, können wir wohl von einem mittleren Tonus sprechen. Derselbe kann, wie die weiteren Versuche zeigen, auch in der hypnotischen Rückenlage beibehalten werden. Jede Abweichung im einen oder anderen Sinne kommt bei der angewendeten Methode zur Registrierung, so dass dabei also tatsächlich Tonusschwankungen in der Muskulatur der Extremität verzeichnet werden. II. Tonusschwankungen während des hypnotischen Zustandes. Unter den somatischen Veränderungen während der Hypnose stehen schon seit langem neben der Bewegungslosigkeit oder Akinese (Mangold) diejenigen des Muskeltonus der Extremitäten im Mittelpunkt des Interesses. Verworn!) spricht von ‚‚tonisch kontrahierten Muskeln‘ der Extremitäten während der Hypnose und wirft die Frage auf, ob die Aufstehversuche und damit das Erwachen aus diesem Zustand dadurch zustande kommt, dass die tonisch kontrahierten Muskeln plötzlich erschlaffen, um dann durch eine neue energische Kontraktion die Lagekorrektionsbewegung auszuführen, oder dadurch, dass eine neue starke Kontraktion sich unmittelbar über die Kontraktur super- poniert. An Hand der schon in Abschnitt I erwähnten Versuche ent- 1) Verworn,l. ce. S. 24. | | | ] Weitere Untersuchungen zur tierischen Hypnose. 43 scheidet sich nun Verworn dafür, dass, da der in tonischer Kontraktur befindliche Muskel bei jedem Aufstehversuch plötzlich einen starken Kontraktionszuwachs erfährt, das Ausbleiben der Lagekorrektions- versuche und damit das Eintreten der hypnotischen Bewegungslosig- keit in dem Ausbleiben der motorischen Impulse für die nötigen Be- wegungen begründet ist. Als charakteristisch für jenen Zustand be- zeichnet er daher die Kontraktur der Muskeln in der Stellung des Lagekorrektionsversuchs und das Fehlen stärkerer motorischer Impulse. Mangold!) hat nun darauf hingewiesen, dass der tonische Kontraktionszustand für das Bestehenbleiben der hypnotischen Be- wegungslosigkeit von untergeordneter Bedeutung ist. Er zeigte, dass während des hypnotischen Zustandes fast stets eine Abnahme des Tonus der Extremitäten zu beobachten ist, und schliesst daraus, dass es sich demnach dabei nicht um den Stillstand einer unterbrochenen Lagekor- rektion handeln kann, sondern nur um eine echte Hemmungserschei- nung, die ohne stärkeren ou m an u Abb. 3. Meerschweinchen 1. 15. Januar 1919. latur die spontane Be- 11h 41% vorm: wegungslosigkeit aufhebt. In der vorhergehenden Arbeit?) konnten wir diese Ansicht weit- gehend bestätigen. Betrachten wir nun die bei meinem Verfahren gewonnenen Fr- gebnisse: Die Kurven sind von links nach rechts zu lesen. Mit U wird die Umdrehung des Tieres in Rückenlage bezeichnet. Darunter wird die Bewegung der hinteren Extremität registriert und die Zeit in 1’ an- gegeben. Abb. 3 (Meerschweinchen 1, gravid $, 550 g, 15. Januar 1919, 11h 41’ vorm.) zeigt uns, dass kurz nach dem Abklingen der Abwehr- bewegungen ein langsamer Anstieg der Kurve zum früheren Tonus einsetzt, der nach etwa 8’ wieder erreicht ist, um dann auf derselben l) Mangold, E., Zur tierischen Hypnose. Pflüger’s Archiv Bd. 150 S. 46. 1913. — Hypnose und Katalepsie bei Tieren. Jena, G. Fischer S. 62. 1914. — Mangold, E. und Eckstein, A, 1. ce. S. 159. . 2) Mangold, E. und Eckstein, A., Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose Pflüger’s Archiv Bd. 177 8.1 und Vortrag von Mangold auf der 44. Wander-Versammlung der südwestdeutschen Neuro- logen und Psychiater, Baden-Baden 1919. 44 A. Eckstein: Höhe zu verharren wie vor der Hypnose. Ohne graphische Registrierung wäre hier vielleicht eine scheinbare tonische Kontraktur zu beobachten Abb. 4, Meerschweinchen 6. 13. Januar 1919. 10h 53’ vorm. gewesen, die jedoch, wie die Kurve zeigt, den normalen Tonus tatsächlich gar nicht übersteigt. Abb. 4 (Meerschweinchen 6, 13. Januar 1919, 10% 53’ vorm. 2, 570 g) zeigt uns im Gegensatz dazu, dass auch eine als Rück- stand der Abwehrbewegungen gebliebene Änderung des Tonus im Sinne eines überwiegenden Strecktonus sich kurz nach dem Aufhören der Abwehrbewegungen durch Zurücksinken auf die nor- male Höhe wieder ausgleicht. Wir haben also in dem letzten Fall ein kurzes, über mehrere Se- kunden sich erstreckendes Über- gewicht des Tonus der Extensoren gegenüber dem der Flexoren, in dem ersteren Fall aber das entgegengesetzte Verhalten. Das Wesent- liche scheint mir dabei die Tatsache zu sein, dass in beiden Fällen Abb. 5. Meerschweinchen |]. 11h 30' vorm. 16" 3 15 Januar 191% anderen Tieren in ent- der Tonus der Extremi- tät nach wenigen Se- kunden sich wieder auf dieselbe mittlere Lage einstellt wie vor der Hypnose. Wir haben also in Rückenlage beim hypnotisierten Meer- schweinchen weder eine tonische Kontraktur ge- wisser Muskelgruppen noch ein starkes Ab- sinken des Tonus der- selben, wie wir sie bei sprechender Lage ge- funden haben!). In anderen Fällen können derartige Tonusschwankungen zu Beginn der Hypnose fast völlig ausbleiben (Abb. 5, Meerschweinchen 1, 15. Januar 1919, 11h 30’ vorm.). Das Erwachen aus dem Zustand Weitere Untersuchungen zur tierischen Hypnose. 45 der Akinese, das sich hier durch heftige Abwehrbewegungen dokumen- tiert, erfolgte plötzlich nach 21”. 70” 23” Abb. 6. Meerschweinchen 7. 11. Januar 1919. 10h vormg Dagegen sehen wir in dem Versuche der Abb. 6 (Meerschweinchen 7, 11. Januar 1919, 10% vorm., $ 500 g), bei dem sich die Hypnose über 52” erstreckt, etwas stärkere Tonusschwankungen während dieser Zeit. Diese Schwankungen können nun auch in ‚„un- vollkommene Aufstehver- suche‘ (Verworn) oder, wie man auch sagen kann, „abortive Aufstehver- suche übergehen, wie sie in allen Stadien des hyp- notischen Zustandes zu beobachten sind. Abb. 7 (Meerschwein- chen 6, 13. Januar 1919, 10h 56° vorm.) zeigt sie uns gleich im Anschluss an die durch die Umdrehung ausgelösten Abwehrbewe- gungen. Die Kurve ver- lief hier dann noch während weiterer 1’ 55” fast ohne jede Schwankung. Abb. 8 (Meerschweinchen 6, 13. Januar 1919, 106 30’ vorm.) zeigt einen derartigen abortiven Aufstehversuch nach 58”, wobei das Er- wachen ohne sonstige grössere Schwankungen erst nach weiteren 44’ Abb.7. Meerschweinchen 6. 13. Januar 1919. 10h 56’ vorm. 46 A. Eckstein: eintritt. Man sieht in dieser Kurve, wie langsam sich nach dieser abortiven Bewegung die Rückkehr zum normalen Tonus vollzieht, so dass man fast den Eindruck einer Bewegung glatter Muskulatur er- hält. Dieser langsame Verlauf einer stärkeren Tonusschwankung er- scheint vielfach als geradezu typisch für den Verlauf der „abortiven‘ Bewegung, die üb- rigens nach den Kurven meist mit einer Beugebewe- gung einsetzten. Abb. 9 (Meer- schweinchen 8, 2 500 g, 16. Januar 1919,11& 2’ vorm.) zeigt uns kurz vor der Aufstehbewe- 7 un 10" Abb. 8. Meerschweinchen 6. 13. Januar 1919. 10h 30”. Abortive Bewegung 53” nach der Umdrehung. r gung eine abortive Bewegung, die sich auf etwa 21%’ erstreckt, um dann in die bedeutend schnellere Aufstehbewegung überzugehen. Wir sehen also, im Gegen- satz zu Abb. 5, dass eine Aufstehbewegung nicht immer durch einen „plötzlichen Kontraktionszuwachs“ (Verworn) ausgelöst wird, dass sie vielmehr auch durch eine langsame abortive Bewegung einge- leitet werden kann. Die Versuche zeigen uns durch die Möglichkeit der genaueren Verfol- sung der regist- rierten Tonus- schwankungen, wie insbesondere durch Abb. 9. Meerschweinchen 8. 16. Januar 1919. 112”. den Vergleich der Kurvenhöhe vor und während der Hypnose, wohl eindeutig, dass wir es bei der hypnotischen Akinese des Meerschweinchens nicht mit einer tonischen Kontraktur zu tun haben. Vielmehr be- stätigt sich die Auffassung, dass wir nur Schwankungen des Extremitätentonus vor uns haben, die zum Teil wohl durch die Lage bedingt sind und zum Teil erst durch die Hypnose entstehen. Weitere Untersuchungen zur tierischen Hypnose, 47 III. Dauer der Hypnose. Im Vordergrund des Interesses stand weiter die Frage, ob sich bei den einzelnen Versuchstieren eine gewisse Gesetzmässigkeit in der Dauer des hypnotischen Zustandes beobachten liesse. Mangold!) hat diesen Faktor neben der Eintrittszeit als zweites Kriterium der Disposition zur Hypnose betrachtet. Die einzelnen Tiere zeigten die schon von anderen Autoren (vgl. Mangolds!) ausführliche Angaben) beobachteten individuellen Unter- schiede. Namentlich jüngere Tiere waren äusserst schwer odeı fast überhaupt nicht in den hypnotischen Zustand zu bringen, zum Beispiel Meerschweinchen 23 (3, 270g, 15. Januar 1919, 10b 22’— 105 48’ vorm.), das unter fünfzehn Versuchen nur dreimal zur Akinese gebracht werden konnte, wobei die längste Hypnosedauer nur 4’ betrug. Demgegenüber gab es wieder andere, die sich als klassische Versuchstiere mit Leichtig- keit und absoluter Zuverlässigkeit hypnotisieren liessen; es waren dies meist gravide weibliche Tiere, die an sich schon leichter in eine stabile Rückenlage zu bringen sind. Bei den Versuchen war es von grosser Wichtigkeit, Störungen akustischer, optischer oder mechanischer Art zu vermeiden, um das spontane Erwachen aus der Hypnose nicht durch künstliche Reize zu beschleunigen. Bei Anwendung meines Apparates gelingt dies leicht, und ich betrachte darin einen Hauptvorteil gegenüber der manuellen Methode. Wir haben schon früher?) darauf hingewiesen und konnten auch jetzt öfters Tiere, die wir mit dem Apparat in minutenlange Hypnöse versetzen konnten, mit der Hand nur auf die Dauer von Sekunden hypnotisieren. Der Berührungsreflex beim Wegziehen der Hand, die nicht genügend fixierte Lage, optische und akustische Ein- drücke wirken hier leicht als störende Faktoren. Die längste Dauer der Hypnose beim Meerschweinchen betrug bei meinen Beobachtungen 3’ 30°’ (Meerschweinchen 6, ?, 13. Januar 1919, 115 38’ vorm.), was in den Rahmen der Erfahrungen anderer Autoren hineinfällt. Ich erinnere ferner daran, dass sich bei Meerschweinchen die verschiedenen Zuchtstämme mehr oder weniger leicht hypnotisieren lassen (Mangold). So ist von vornherein mit beträchtlichen indivi- duellen Schwankungen zu rechnen. Eine Abstumpfung durch Wiederholung der Hypnose, die sich etwa in einem Nichtmehrwirken des die Akinese auslösenden Reizkomplexes äussern würde, konnte ich bei meinen Versuchen nicht feststellen, trotzdem diese in kurzen Zwischenräumen über mehrere Stunden fort- gesetzt wurden. — l) Mangold, E., Hypnose und Katalepsie, 1. c. S. 51. 2) Mangold, E. und Eckstein, A., Ein Apparat zur tierischen Hypnose, 1. c. 48 A. Eckstein: Ich glaube, dass wir als Maasstab für die Hypnose die Dauer dieses Zustandes bis zum spontanen Erwachen betrachten dürfen. Als Beispiel für die Schwankungen der Dauer der Hypnose möchte ich Abb. 10 wählen, die von einem Versuch mit Meerschweinchen 18, 500 g, 9, 16. Januar 1919, 10b 5’— 116 34’ vorm. stammt. Die Kurve, die an Hand der Protokolle und registrierten Kurven auf Millimeter- Papier übertragen wurde, ist so angelegt, dass in der Senkrechten zur Null-Linie, also in der Ordinate, je 1 mm 1’ entspricht. Die Versuchs- 145" 125. ae af z RE 700" | ee Kae Area 7514-4 = | ae N = ae 25" io Resereerne Ip’) I MIN ze | UN 0-Linie 1075 8 70 12 18 25 27 28 3032.34. 38 H51P2 4 7 9 12 15 20.2426 28 30 31 333° Abb. 10. Dauer der Hypnose in aufeinanderfolgenden Versuchen. zeiten sind in der obersten Linie entsprechend eingetragen. Um ein anschauliches Bild von den Schwankungen der Hypnosedauer zu er- halten, wurden die einzelnen Versuche miteinander verbunden. Die Dauer der Abwehrbewegungen, d. h. also die Zeit, die von Beginn der Umdrehung an bis zum Einsetzen der Bewegungslosigkeit verstreicht, wurde in entsprechender Weise in einer gestrichelten Linie dargestellt. Die Umdrehungszeit, die selbstverständlich bei allen Versuchen die- selbe sein musste, betrug 0,55”. Wir sehen hier, dass schon beim 7. Versuche das Eintreten des hypnotischen Zustandes nicht erreicht werden konnte, ebenso beim Weitere Untersuchungen zur tierischen Hypnose. 49 9., 10., 18. und 23. Versuche. Bei den 22 übrigen Versuchen aber habe ich jedesmal den gewünschten Zustand erzielt. Die längste und damit wohl auch die tiefste Hypnose (2’ 22”) habe ich beim 13. Versuch, also etwa in der Mitte der Versuchsreihe, erzielt. Dies spricht auch, im Ein- klang mit den Ergebnissen der in der vorigen Arbeit!) beschriebenen Versuchen an Fröschen dagegen, dass wir es hier mit Ermüdungs- erscheinungen zu tun haben, denn wir sehen, dass die Werte auch weiter- hin wechseln und gegen Schluss der Versuchsreihe eher ein geringeres Ansprechen auf den hypnotischen Zustand sich offenbart. Auch geht dies daraus hervor, dass die Abwehrbewegungen während der ganzen Versuchsreihe nur ganz geringe zeitliche Unterschiede zeigen (vgl. Abb. 10, gestrichelte Kurve). Bei den grossen individuellen Schwankungen, mit denen wir, wie schon erwähnt, rechnen müssen, werden wir uns nicht wundern, dass fast jede Versuchsreihe neue Bilder bietet. Das Maximum der Hypnose- dauer findet sich ebenso oft am Anfang einer Versuchsreihe wie am Schlusse derselben; auch ergeben sich aus den dazwischenliegenden Variationsmöglichkeiten weitgehende Schwankungen. So lässt sich also für den Eintritt des Maximums der Hypnosedauer keine Gesetzmässig- keit feststellen. IV. Einfluss des zeitlichen Verlaufs der Umdrehung auf Abwehr- bewegungen und Eintritt der Hypnose. In Abschnitt I habe ich die Kontakteinrichtung beschrieben, mit Hilfe deren wir in der Lage sind, die Umdrehungsgeschwindigkeit des Rückenbrettes zu messen. Diese selbst wird durch verschiedene Ge- wichtsbelastung der Schnurscheibe des Apparates verändert. Bei ganz langsamen Umdrehungen, die sich bis auf Minuten erstrecken können, empfiehlt es sich, die Schnurscheibe manuell zu drehen. Da aus den vorhergehenden Versuchen (Abschnitt III) hervorgeht, dass die Dauer des hypnotischen Zustandes innerhalb der Versuchs- reihe starken individuellen Schwankungen unterliegt, so wird diese hier nicht berücksichtigt, sondern nur das Zustandekommen der Be- wegungslosigkeit als Maasstab für den Eintritt der Hypnose ge- nommen. Die Umdrehungsgeschwindigkeit wurde zwischen 1” und 11,’ varliert. Sehr wichtig ist es auch bei diesen Versuchen, alle optischen, akustischen und mechanischen Reize zu vermeiden. Bei der augenblicklichen Schwierigkeit, die Kurven zu reproduzieren, muss ich mich darauf beschränken, die wesentlichsten Beobachtungen l) Mangold, E. und Eckstein, A., Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose, 1. c. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 177. 4 50 A. Eckstein: so mitzuteilen. Bei einer Versuchsreihe, die von einem Tiere (Meer- schweinchen 6, 9, 570 g, 17. Januar 1919) stammt, erhielt ich bei einer Umdrehungsgeschwindigkeit von 3/,” (11% 41’ vorm.) eine heftige, aber kurze und rasche Abwehrbewegung von 1%1,”, deren Tonus- schwankung sich nach sofort anschliessendem Eintritt der Hypnose langsam wieder ausgleicht. Die Bewegung entsprach ungefähr der in Abb. 9 dargestellten Abwehrbewegung während der Umdrehung. Wurde nun die Umdrehungszeit verlängert, etwa bis zu einer Dauer von 61,” (115 39’ vorm.), was man mit einer gewissen Berechtigung noch nicht als eine übermässig langsame Bewegung ansehen kann, so erhielten wir nur noch abortive Abwehrbewegungen mit allerdings recht beträchtlichen Tonusschwankungen, die aber ebenfalls nach voll- endeter Umdrehung in einen gleichmässigen hypnotischen Zustand übergehen. Wurde nun die Umdrehungszeit weiterhin verlängert, etwa auf 1’ 25’, was schon eine ausserordentlich langsame Umdrehung be- deuten dürfte, so erhielten wir auch hier abortive Abwehrbewegungen, deren Tonusschwankungen nun aber schon nach 31’ aufhörten, also noch 54” vor vollendeter Umdrehung. Wir sehen daraus, dass die Geschwindigkeit der Umdrehung keinen Einfluss auf die Erzielung der Hypnose hat, wohl aber auf die Art ihres Eintritts. Rasche Umdrehungen lösen heftige, aber kurze Ab- wehrbewegungen aus, langsame Umdrehungen dagegen träge und abortive, die mit starken Tonusschwankungen einhergehen. Wir sehen ferner, dass man die Hypnose ‚„einschleichen‘ kann, was wir schon an anderer Stelle!) festgestellt hatten. V. Einfluss der Hypnose auf die Reflexerregbarkeit. A. Elektrische Reize. In der vorhergehenden Arbeit?) haben wir über eingehende Unter- suchungen am Frosche berichtet und sind dort zu dem Resultat ge- langt, dass die Reflexerregbarkeit während der Hypnose in den meisten Fällen stark herabgesetzt, in einigen wenigen Fällen dagegen gegen- über dem Normalzustande relativ gesteigert ist, sich aber stets von derjenigen im normalen Zustand unterscheidet. Wir hatten bei dem verhältnismässig einfachen Reflexleben des Frosches den Vorteil, mit bestimmten Reflexen (Absprung- und Umdrehreflex) arbeiten zu können, die sich in ihrer Art leicht von anderen Reflexgruppen trennen liessen. Bei dem viel komplizierteren Reflexmechanismus des Meerschweinchens liess sich eine derartige scharfe Fassung einzelner Reflexgruppen von 1) Mangold, E. und Eckstein, A., Ein Apparat zur tierischen Hypnose, |. c. S. 59. 2) Mangold, E. und Eckstein, A., Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose, 1. c. Weitere Untersuchungen zur tierischen Hypnose. 51 vornherein nicht erreichen. Auch werden hier Zustandsänderungen in übergeordneten Teilen des Zentralnervensystems eine grössere Rolle spielen und die Deutung der Versuchsergebnisse erschweren. Zu den Untersuchungen benutzte ich dieselbe Versuchsanordnung, wie wir sie schon an anderer Stelle!) beschrieben hatten. Als Elektroden verwandte ich zwei knopfförmige Metallelektroden in einem Abstand von ]l cm, die auf einen Stoffgürtel aufgeheftet waren. Dieser Gürtel wurde dem Tier so angelegt, dass die Elektroden in die Mittelbauch- , gegend zu liegen kamen, die vorher in etwa Talergrösse enthaart worden war. Die zu den Elektroden führenden Drähte wurden durch einen der kreisförmigen Ausschnitte des Seitenbrettes f (vgl. Abb. 1) gezogen und bei der Umdrehung auf dieselbe Weise mitbewegt wie der registrierende Faden. So gelang es, die Elektroden in allen Lagen des Versuchstieres mit einiger Sicherheit an derselben Stelle zu fixieren. Entsprechend den vorhin erwähnten Versuchen am Frosch reizte ich zuerst ebenfalls mit grösserem Reizintervall, das sich höchstens auf Werte von ungefähr 1’ verkürzte. Bei langsamer Reizfolge antwortet nun das Tier im hypnotischen wie im normalen Zustande auf jeden Reiz mit einer reflektorischen Zuckung, sofern die Reizschwelle erreicht ist. Stärkere überschwellige Reize müssen vermieden werden, da sie leicht zu Schädigungen des Organismus führen können. So sah ich in einem einzigen derartigen Fall, in dem ich eine wesentlich schnellere Reizfrequenz anwandte, das Tier innerhalb weniger Minuten unter Krämpfen ad exitum kommen. Eine anscheinende Summation der Reize, wie wir sie beim Frosche leicht beobachten konnten, traf ich hier nur ein einziges Mal (Meer- schweinchen 17, d, 12. Februar 1919, 4h 50’ nachm.). Bei einem Rollenabstand von 95 mm und einem Reizintervall von 0,9” reagierte das Tier auf einen jeden Reiz mit einer Zuckung der Extremitäten; nach 8” erwachte es, nachdem es kurz vorher einen Reiz un- beantwortet liess?). Beachten wir ausser dem seltenen Auftreten dieses Zustandes auch noch die kurze zeitliche Begrenzung der Summation im Vergleich zu den am Frosch erhaltenen Ergebnissen, so werden wir bei der schon erwähnten Kompliziertheit der Reflexvorgänge im Säuge- tierorganismus zu der Annahme geführt, dass hier vielleicht noch andere Ursachen für das Erwachen im Spiele sein dürften. Eine Summation der Reize glaube ich daher in diesem Falle ablehnen zu müssen. Bei schnellerer Reizfolge zeigten sich typischere Erscheinungen. l) Mangold, E. und Eckstein, A., Die Reflexerregbarkeit in der tierischen Hypnose. |. c. 2) Die betreffenden Kurven konnte ich leider aus Platzmangel nicht reproduzieren; sie gleichen im wesentlichen den Kurven unserer früheren Untersuchungen am Frosch. 4* 59 A. Eckstein: Während nämlich Tiere im normalen Zustande kurz nach Einsetzen der Reize mit kräftigen Abwehrbewegungen antworten, so finden wir beim hypnotisierten Tier eine beträchtlichere Latenz von etwa 1’ und ein ebenso langes Überdauern der Abwehrbewegungen, die meist mit einer abortiven Bewegung in eine weitere ruhige Hypnose über- gehen!). Wir haben also hier einen trägeren Ablauf der Reaktion, der jedenfalls wohl in Hemmungen begründet sein dürfte, die den Zustand der Hypnose begleiten. Ausserdem ist es auffallend, dass die Tiere, falls die Reizung nicht zu lange dauert, nach dem Sistieren derselben wieder ruhig im Zustand der Akinese verharren, selbst auch bei öfterer Wiederholung. Wir können also mit elektrischen Reizen zwar Abwehrbewegungen, aber nicht stets ausgiebigere Fluchtversuche hervorrufen, und zwar haben wir nach Abklinsen der Abwehr- bewegungen wieder einen ungestörten hypnotischen Zustand vor uns. Am. bemerkenswertesten erscheint mir dabei die trägere Reaktion während der Hypnose. B. Akustische Reize. Das Auftreten eines Ohrmuschelreflexes beim Meerschweinchen | ergab die Möglichkeit, das Verhalten des hypnotisierten Tieres bei akustischen Reizen einer entsprechenden Prüfung zu unterwerfen. Ich verweise hinsichtlich dieses Reflexes auf Mangold’s?) ausführliche Darstellung. Ich habe die Versuche derart angestellt, dass ich zuerst auf das normale und dann auf das hypnotisierte Tier Reize in verschiedener Stärke einwirken liess, zum Beispiel verschiedene starke Pfiffe oder ein elektrisches Klingelzeichen in wechselnder Entfernung. Hierbei wurde der Ohrmuschelreflex mit einer etwas modifizierten Methode von Aggazoti?°) registriert, indem ich mit einer Nadel einen Seidenfaden durch eine Ohrmuschel legte, was fast nie Schmerz- äusserungen auslöste. Diesen Faden verband ich dann durch das Loch der Scheibe i des Apparates (vgl: Abb. 1) mit einem Marey’schen Tambour 7’, von wo aus die Bewegungen auf einen Schreibhebel übertragen wurden. Ich konnte auf diese Weise den Reflex unabhängig von dem Extremitätenreflex (Tambour T der Abb. 1) aufnehmen. Als wichtig erwies es sich dabei, den Kopf des Versuchstieres zu fixieren, was durch einen der bekannten Operationskopfhalter leicht gelingt. In den Stromkreis der elektrischen Klingel schaltete ich einen 1) Auf eine Wiedergabe der Kurven musste ich ebenfalls aus Platz- mangel verzichten. 2) Mangold, E., Gehörsinn nnd statischer Sinn. Handbuch der vergl]. Physiologie von H. Winterstein. Verlag G. Fischer, Jena. 8.924. 1913. 8) Aggazoti, A., Les mouvements reflexes que produisent les sons dans l’oreille externe des cobayes. Archiv. italiennes de biologie p. 60. 1904. Weitere Untersuchungen zur tierischen Hypnose. 53 Registriermagneten, so dass die jeweilige Reizung auf der Kurve zum Ausdruck kam. Es ergaben sich dabei die schon von anderen Autoren erwähnten | (vgl. Mangold 1. ce.) individuellen Schwankungen, die so bedeutend sein können, dass Tiere auf Pfiffe überhaupt nicht reagieren, dagegen auf Klingelzeichen und umgekehrt. Bei starken akustischen Reizen liess sich ein Zusammenschrecken des ganzen Körpers beobachten, das sich sogar bei einzelnen Tieren in Kieferknirschen, also in einem Masseterenkrampf, äusserte. Auch Richard!) spricht von einer „Schreckstellung‘‘, die normale Meerschweinchen in solchen Fällen einnehmen. Bei der Registrierung der Ohrmuschelreflexe bekommt man daher zweierlei Aufzeichnungen; einmal den eigentlichen Ohrmuschelreflex, bei dem wir keine sonstigen Körperbewegungen beobachten (Kopf- und Extremitätenbewegungen). Wir sehen ihn in Abb. 11 dargestellt. (Meerschweinchen 22, 2, in Hypnose. 24. Februar 1919, 3R 45’ nachm.) Abb. 11. Meerschweinchen 22. 24. Februar 1919. 3h 45’ nachm. Der Reflex wurde hier ausgelöst durch hohe, kurze Pfiffe, etwa in 1 m Abstand vom Kopf des Tieres. Wir sehen bei diesem Tiere, bei dem wie gewöhnlich die Extremitätenbewegungen mitregistriert wurden, keine Bewegung desselben auftreten. Der Kopf des Tieres war durch den Kopfhalter gut fixiert, und durch Beobachtung konnte leicht festgestellt werden, dass auch sonstige Kopfbewegungen nicht stattfanden. Demgegenüber stehen Aufzeichnungen bei stärkeren Reizen, bei denen ich auch Bewegungen der Extremitäten registrierterhielt (Abb. 12), (dasselbe Tier in Hypnose 3b 50’ nachm., 24. Februar 1919); die Hypnose wird aber dadurch nicht gestört. Die Kurve gleicht völlig der Abb. 4 bei Aggazoti, zeigt also, dass wir es dort nicht mit einer reinen Ohrmuschelreflex-Registrierung zu tun haben, dass auch diese vielmehr durch andere gleichzeitige Körperbewegungen (hauptsächlich l) Richard, D., Untersuchungen über die Frage, ob Schallreize adäquate Reize für den Vorhofsbogengangs- Apparat sind. Zeitschr. f£. Biologie Bd. 66 Heft 12 S. 479. Ohr | Bein 1." 54 A. Eckstein: wohl der Kopfmuskulatur) beeinflusst wurde. Seine an derartige Kurven geknüpften theoretischen Folgerungen dürften daher nicht in vollem Maasse zutreffen. Ich konnte nun in keinem einzigen Fall eine Herabsetzung bzw. Steigerung des Ohrmuschel- Alıngel Be ’ © reflexes während der Hyp- nose gegenüber dem nor- malen Zustand beobachten. Abgesehen von individu- ellen Schwankungen inner- dem einen und dem ande- ren Sinn, beantworteten die Tiere sowohl im nor- malen wie im hypnotischen Zustand stets bei gleicher Reizstärke den Reiz mit einer kurzen Zuckung der Ohrmuschel, bei starken Reizen. mit einer Reaktion 2 des ganzen Körpers. Abb.12. Meerschweinchen 22. 24. Februar 1919. :. Wir sehen daraus, dass € h e f D 1 t 1 t K 3h 50’ nachm en Bein untere Kurve, trotz der Hemmung zahl- reicher Reflexe, die zu Ab- wehr- bzw. Fluchtbewegungen führen würden, ein bestimmter anderer Reflex in: der Hypnose nicht gehemmt sein muss. Dieser, hier also der akustische Reflex, kann bei entsprechender Stärke seinerseits aber wieder Abwehr- usw. Reflexe auslösen, sofern offenbar sonst der Zustand hierfür vorbereitet ist. C. Registrierung der Kopfbewegung beim Huhn. Als Gegenstück zu dem eben Besprochenen möchte ich auf die längst bekannte Beobachtung der Kopfbewegungen beim Huhn während der Hypnose aufmerksam machen, die so typisch sind, dass sie häufig als Demonstrationsversuch vorgeführt werden. Ganz besonders schön kommt sie in den Fressbewegungen zum Ausdruck, mit denen das Huhn einzelne vorgeworfene Haferkörnchen ruckartig aufpickt, ohne dass es dadurch aus seinem hypnotischen und im übrigen völlig be- wegungslosen Zustande erwacht. Es empfiehlt sich dabei, das Tier vorher einige Zeit hungern zu lassen, da dadurch dieser Reflex wesent- lich gesteigert wird. Ich habe nun einen derartigen Versuch (Huhn, 26. Februar 1919) in Abb. 13 registriert, indem ich den Kamm mit einem Seidenfaden halb einer Versuchsreihe in or ST Weitere Untersuchungen zur tierischen Hypnose. anschlang und diesen in der schon erwähnten Weise mit dem Tambour' T’ des Apparates (s. Abb. I) in Verbindung brachte. Die Regist- rierung der Extremitätenbewegung erfolgte in gewohnter Weise. Das Tier, das sehr leicht in Hypnose zu bringen war, zeigt in den Kurven keinerlei Veränderungen der Extremitäten. Man kann daraus auf seine ruhige Lage schliessen. Die Kopflinie zeigt jedoch vielfache Schwankungen. Bei ‚Futter‘ zeigt sie sehr schön die ruckartige Auf- piekbewegung, um dann wieder ver- hältnismässig ruhig zu verlaufen. Die Kopfbewegungen treten auch nachher, unabhängig von denjenigen rwachen u e) E 11h vorm, b) Kopfbewegung. 1919 der Extremitäten, wieder auf, bis das = Tier schliesslich aus seinem Zustand E erwacht. Erst beim Erwachen treten & Bewegungen der Extremitäten auf. 5 aa Zusammenfassung. = Die graphische Registrierung es mittels einer neuen Modifikation des Hypnoseapparates ergab bei Versuchen an Meerschweinchen, die in Rückenlage hypnotisiert wurden, folgendes: l. Starke Tonusschwankungen der Muskulatur der Extremitäten während der hypnotischen Bewe- gungslosigkeit. 2. Einen mehr oder minder schnell verlaufenden Tonusausgleich im unmittelbaren Anschluss an die Abwehrbewegungen, die meist zu- nächst einen gewissen Rückstand an verändertem Tonus der Beuge- bzw. Streckmuskeln hinterlassen. Die tonischen Schwankungen können in abortive Abwehr- bewegungen übergehen, die oft sehr langsam verlaufen. Dieselben 13. Abb. “ a) Futter. 56 A. Eckstein: Weitere Untersuchungen zur tierischen Hypnose. können zu Beginn, in der Mitte und am Ende des hypnotischen Zu- standes auftreten. Im letzten Fall können sie das Erwachen einleiten. 3. Auch bei dem anscheinenden Bestehen einer tonischen Kontraktur zeigt der Muskeltonus der Extremitäten gegen den normalen Zustand vor der Hypnose oft keine Veränderung. 4. Eine regelmässige Abstumpfung gegenüber der Hypnose lässt sich beim Meerschweinchen auch in längeren Versuchsreihen nicht nachweisen. Der Einfluss der Ermüdung auf das Zustandekommen der Hypnose ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Der Eintritt des Maximums der Hypnosedauer unterliegt starken Schwankungen und kann zu Beginn oder am Ende einer Versuchsreihe und ebenso in den dazwischenliegenden Stadien erfolgen. 5. Ein Einfluss des zeitlichen Verlaufes des die Hypnose auslösenden Reizes (maschinelle Umdrehung in Rückenlage) ist lediglich auf die Art der Abwehrbewegungen nachzuweisen. Bei schneller Umdrehung erhält man plötzliche und rasch verlaufende, bei langsamer Um- drehung dagegen trägere Abwehrbewegungen oder nur Tonus- schwankungen. In letzterem Fall lässt sich die Hypnose noch während der Umdrehung ohne nennenswerte Reaktion ‚‚einschleichen‘“. 6. Die Prüfung der Reflexerregbarkeit mittels elektrischer Reize ergab bei langsamer Reizfolge keine sichere Herabsetzung derselben während des hypnotischen Zustandes. Bei schnell aufeinanderfolgenden elektrischen Reizen zeigte sich im Vergleich zum Normalzustand während der Hypnose eine trägere Reaktion, die sich im zeitlichen Verlauf der Abwehrbewegungen äussert. 7. Es gibt eine Reihe von Reflexen, die durch den allgemeinen Hemmungszustand während der hypnotischen Akinese keine Ver- änderungen erfahren. Ihre Auslösung kann im Falle stärkerer Reaktion unter Umständen Bewegungen zur Folge haben, die zum Erwachen des Tieres und zum Aufhören der Hypnose führen. Zu diesen Reflexen gehört der Ohrmuschelreflex beim Meerschweinchen und der Kopf- bewegungs-(Fress-)Reflex beim Huhn, die ebenfalls graphisch registriert wurden. Herrn Prof. Mangold bin ich für die Anregung und das grosse Interesse, das er meiner Arbeit entgegenbrachte, zu grossem Danke verpflichtet. en nr FEED EEE Über Lichtreaktionen bei Raupen und die Lehre von den tierischen Tropismen. Von C. Hess. Mit 12 Textabbildungen und Tafel 1. (Eingegangen am 23. Mai 1919.) Inhaltsübersicht. Seite I. Das Verhalten der Raupen zum Lichte im allgemeinen. ... . 57 II. Das Verhalten der Raupen gegenüber farbigen Lichtern . .... 64 Ill. Eine neue Lichtreaktion bei jungen Raupen .......... 69 IV. Uber die Wirkung ultravioletter Strahlen auf das Raupenauge UndeTkre, Messung a We ne ee Eee en 74 V. Zur Theorie des Sehens mit Fazettenaugen. .......... 82 VI. Die Lehre von den tierischen Tropismen ............ 95 DAHRESChlusser Sy EB EI en Eee ei. 108 I. Das Verhalten der Raupen zum Lichte im allgemeinen. In zwei früheren Arbeiten !) habe ich kurz die Gesetze entwickelt, nach welchen die Bewegungen der zum Hellen gehenden Raupen von Lichtstärke und Wellenlänge im sichtbaren Teile des Spektrums abhängen. Ich zeigte damals, dass diese Bewegungen der Raupen zum Lichte in ganz anderer Weise erfolgen, als J. Löb?) auf Grund seiner Hypothese von der Identität der tierischen Bewegungen zum Lichte mit dem Heliotropismus der Pflanzen angenommen hatte. Auch nach dem Bekanntwerden der neuen Tatsachen hält Löb, insbesondere auch für Raupen, an seiner alten Meinung fest. Andererseitsist v. Buddenbrock?°) beiinteressanten Untersuchungen zu dem Ergebnisse gekommen, dass die von ihm untersuchte Raupe überhaupt kein phototropisches Tier sei, und dass sie sich „zwar nach der stärksten vorhandenen Lichtquelle orientiert, nicht aber so, dass l) Untersuchungen über den Lichtsinn bei wirbellosen Tieren. Arch. £. Augenheilkunde. Bd. 64. Ergänzungsheft 1909 und Neue Untersuchungen über den Lichtsinn bei wirbellosen Tieren. Arch. f.d. ges. Physiol. Bd. 136. 1910. Siehe auch Vergl. Physiol. d. Gesichtssinnes. Jena. Fischer 1912. 2) Löb, Tropismen in Handb. d. vergl. Physiol. v. Winterstein 1911. 3) v. Buddenbrock, Die Lichtkompassbewegungen bei den Insekten, insbesondere den Schmetterlingsraupen. Sitzungsber. der Heidelberger Akad. d. Wissensch. Mat.-Naturwissensch. Kl. Abt. B. Biol. Wissenschaften. Jahrgang 1917. 58 C. Hess: sie darauf zukröche, sondern derart, dass sie ihre relative Lage zum Lichtstrahl beizubehalten sucht, den Lichtstrahl folglich stets unter demselben Winkel schneidet‘. Kam diesen, vorwiegend an anscheinend ausgewachsenen Raupen von Vanessa urt. gewonnenen Befunden des ausgezeichneten Forschers allgemeinere Geltung zu, so war alles von mir auf dem Gebiete Ermittelte in Frage gestellt. Bei solcher Sachlage scheint mir ein Bericht über neue systematische Untersuchungen an- gezeigt, die ich im Laufe der letzten Jahre an einer grossen Zahl von Raupen vorgenommen habe !); die Ergebnisse bei den verschiedenen Arten stimmen derart überein, dass es wohl gerechtfertigt ist, "das von mir gefundene Verhalten als ein unter den Raupen überhaupt zum mindesten weit verbreitetes anzusehen. Meine Versuche sind vorwiegend an möglichst jungen Tieren angestellt, bei Nestraupen tunlichst sofort nach Verlassen der Nester, bei den anderen in den allerersten Stunden bzw. Tagen nach dem Ausschlüpfen. Erst dadurch, dass ich systematisch grosse Mengen verschiedener Raupen aus Eiern züchtete, lernte ich eine Reihe sonst nicht beobachtbarer Erscheinungen kennen; denn ebenso, wie ich früher zum Beispiel für Fische, Kopf- füsser und andere Tiere festgestellt hatte, fand ich auch bei vielen Raupen zu genaueren Untersuchungen und insbesondere zu Messungen geeignete Lichtreaktionen vorwiegend oder ausschliesslich bei ganz jungen Tieren. Zunächst seien meine Beobachtungen an zwei leicht in grösseren Men- gen zu beschaffenden Raupenarten, Euproctis und Aporia geschildert. Ich erhielt im Februar und März mehrfach zahlreiche ‚‚kleine Raupen- nester‘‘ des Heckenweisslings (Aporia crataegi), die ich in grossen kubischen Glasbehältern in die Nähe der Heizung brachte; nach wenigen Tagen waren Hunderte etwa 1, cm lange Räupchen, die in den Ge- spinsten überwintern, aus den Nestern gegen die Fensterseite gekrochen und hatten sich in dichten Haufen an der hellsten Ecke ihres Behälters gesammelt, von wo ich sie mittels Haarpinsels in die Beobachtungs- gefässe brachte. Für viele Versuche taten mir folgende Vorrichtungen gute Dienste: Auf eine ebene Glasplatte kittete ich vier Glasleisten von 10 em Länge und 5 mm Höhe so, dass sie einen quadratischen Raum einschlossen, der zur Aufnahme der Tiere diente und leicht der ge- wünschten Wirkung farbiger und farbloser Reizlichter ausgesetzt werden konnte (vgl. Tafel I Abb. 3—5). Eine weitere ähnliche Vorrichtung, die sich mir zweckmässig erwies, liess ich aus mattschwarzem Blech herstellen und mit einem Decke] versehen, der nur wenige Millimeter 1) Ich untersuchte unter anderen folgende Arten: Euproctis chrysorrhoea, Aporia crataegi, Vanessa urticae, Biston Strataria, Pygaera anachoreta, Saturnia pyri, Bombyx mori, Catocala sponsa, Deilephila tiliae, Saturnia pavonia. Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 59 über die Ränder des Behälters vorragte, so dass das Innere des letzteren von oben her bis auf jene schmalen Randteile gleichmässig belichtet werden konnte; in den Deckel war eine durchsichtige Platte aus Uviol- kronglas eingelassen, das die Eigenschaft hat, kurzwellige Strahlen bis zu 309 uu so gut wie vollständig, solche von 280 uu noch zu mehr als der Hälfte durchzulassen (siehe unten). Für wieder andere Versuche hatte ich mir kleine kubische Behälter aus Glas von 5 cm Länge, 2 cm Breite und Höhe hergestellt, deren eine Schmalwand aus dem gleichen, für kurzwellige Strahlen besonders durchlässigen Uviolkronglas ge bildet war. Runde Gefässe, wie die von Löb mit Vorliebe benutzten Reagenzgläser, auch Glasdosen usw. sind zu verwerfen, da an den runden Behältegfeilen das Licht in schwer zu übersehender Weise zurückgeworfen bzw. gesammelt werden kann; manche fehlerhafte Literaturangabe dürfte wesentlich hierauf zurückzuführen sein. Um die Tiere längere Zeit bei jener Temperatur zu halten, bei der ihre Reaktionen am lebhaftesten sind, brachte ich die Behälter in der Regel während der Dauer der Versuche auf einen flachen elek- trischen Wärmer, dessen Temperatur, durch einen Widerstand auf die gewünschte Höhe gebracht, stundenlang genügend konstant blieb. Ich hatte so durch viele Wochen täglich eine grosse Zahl frischer Tiere _ zur Verfügung. Ich bespreche zunächst einige für das Verständnis des Folgenden wesentliche Angaben von J. Löb!). Nach ihm soll die Lebensweise der von ihm untersuchten Raupen (Porthesia chrysorrhoea), die sich nach meinen langjährigen Erfahrungen in allen hier wesentlichen Punkten ebenso wie Euproctis und Aporia verhalten, durch drei Arten von Reizbarkeit wesentlich bestimmt sein: 1. Bewegungen zum Lichte, 2. negativen Geotropismus und 3. Kontaktreizbarkeit. Zu 2 schreibt Löb: ‚‚Wie auch so häufig bei positiv heliotropischen Pflanzenteilen, so finden wir auch bei unseren Raupen negativen Geotropismus, d. h. die Tiere werden durch die Schwerkraft gezwungen, vertikal aufwärts zu kriechen und an der höchsten Stelle des Glases sitzen zu bleiben ... Am einfachsten ist es, das Reagenzglas der Längenachse nach in vertikaler Stellung in die Tasche zu stecken. In wenigen Augenblieken befinden sich die Tiere an der höchsten Stelle des Glases.‘ Im Hinblicke auf die Wichtigkeit dieser Angabe für viele ein- schlägige Fragen habe ich sie häufig mit mannigfachen Abänderungen nachgeprüft, stets mit anderem Ergebnisse als Löb: Ich habe nie eine negativ geotropische Raupenart gefunden. In sorg- 1) Löb, Der Heliotropismus der Tiere. Würzburg 1390. 60 C. Hess: fältig verdunkeltem Raume bleiben die Tiere meist mehr oder weniger unbeweglich sitzen, manche spinnen sich bald ein, nie kriechen sie hier in grösserer Zahl nach oben. Der Irrtum von Löb ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass ihm entging, wie kleine Lichtmengen bei dunkeladaptierten Tieren schon Bewegungen zum Lichte auslösen können, sonst hätte er auch nicht den Versuch mit der Tasche als Stütze seiner Ansicht angeführt; denn es ist selbstverständlich nur mit besonderen Vorsichtsmaassregeln möglich, ein in die Tasche ge- stecktes Reagenzglas genügend vor allem Lichteinfalle zu schützen. Ich brachte Raupen im Reagenzglase einmal im hellen, ein andermal im völlig dunklen Raume in meine Tasche: im letzteren Falle blieben alle unten, im ersteren krochen sie bald nach oben, nicht aber, wenn ich das Glas sorgfältig lichtdicht in schwarzes Papier gewickelt hatte. Weiter macht Löb die Angabe, ‚‚die Raupen von Porthesia chry- sorrhoea verhalten sich gegen eine Wärmequelle umgekehrt wie gegen eine Lichtquelle: sie bewegen sich von der Wärmequelle fort. Befinden sich die Tiere in einem für Lichtstrahlen undurchgängigen Behälter, und bringt man denselben in die Nähe eines geheizten Ofens, so ver- lassen die Tiere die dem Ofen zugekehrte Seite des Behälters.‘ Auch diese Angabe habe ich häufig unter entsprechenden Vorsichts- maassregeln wiederholt und auch sie unrichtig gefunden: Sorgt man für Fernhaltung alles falschen Lichtes, so bewegen sich die Raupen nicht von der Wärmequelle weg. Unter vielen anderen habe ich folgenden Versuch gemacht: Lebhaft bewegliche Tiere brachte ich in Reagenzgläsern und in kubischen Behältern in einen lichtdichten Dunkelkasten, den ich im Dunkelzimmer auf die horizontale Fläche der Heizung bzw. des elektrischen Wärmers stellte, so dass die Raupen nach Löb aus doppeltem Grunde, sowohl infolge der Wärme als infolge ihres angeblichen negativen Geotropismus, nach oben hätten kriechen müssen: nach 24 Stunden zeigten sie noch annähernd die gleiche Ver- teilung im Behälter wie zu Beginn des Versuches beim Übergang aus dem Hellen ins Dunkle, und keinerlei Neigung, nach oben zu gehen, während sie, ans Helle gebracht, in wenigen Minuten nach oben eilten. Für den mit den einschlägigen biologischen Verhältnissen Vertrauten war Löb’s Angabe von vornherein wenig wahrscheinlich: In welchen Widerstreit müssten in der Natur die Raupen fortgesetzt kommen, die so lebhaft nach dem Sonnenlichte eilen und dabei sich doch von der Wärmequelle fortbewegen sollen! Die dritte Art der Reizbarkeit, die nach Löb die Lebensweise unserer Raupen bestimmen soll, und der er für seine Lehre vom ‚‚Stereo- tropismus““ besonderes Gewicht beilest, ist die ‚Kontaktreizbarkeit‘“. Er fand, dass die Tiere, wenn er sie auf einen würfelförmigen Kasten setzte, ‚sich zu Hunderten an einer der oberen Ecken festsetzten ... ) | | i \ Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 61 ein festsitzendes Tier wirkt auf ein kriechendes ebenfalls wie eine konvexe Kante. Dagegen habe ich nie beobachten können, dass die Tiere im Innern von würfelförmigen Kästen an den gegen sie konkaven Ecken sich ansetzten. Daraus folet, dass die Reibung beim Hingleiten über die konvexe Ecke den Reiz ausübt, der das Tier zwingt, sich dort festzusetzen, beim Hingleiten über die konkave Ecke fehlt natürlich diese Reibung‘. Hier unterliegt Löb einem doppelten Irrtum: erstens hat er nicht bemerkt, dass die Tiere auf einem würfelförmigen Kasten im allgemeinen nicht ‚‚an einer‘ der oberen konvexen Ecken sich festsetzen, sondern in der Regelnur oder fast nur an der am meisten dem Lichte zugekehrten Ecke; zweitens hat er übersehen, dass im Innern der gewöhnlichen würfelförmigen Kästen die konkaven Ecken im all- gemeinen die dunkelsten Stellen sind, die die Tiere also möglicherweise nicht aus Gründen der ‚„‚Kontaktreizbarkeit“, sondern nur wegen der Dunkelheit meiden. Um den Versuch einwandfrei zu gestalten, brachte ich also die Raupen in Hohlwürfel aus Glas. Abb. 1 Tafel zeigt, in wie grossen Mengen sie sich an der nach Löb’s Angabe gemiedenen konkaven Ecke ansammeln, wenn diese dem Lichte zugekehrt ist. Damit ist also für unsere Raupen nachgewiesen, dass sie weder eine geotropische noch die fragliche Kontaktreizbarkeit Löb’s zeigen. . Wenn die Tiere ihre aus Blättern gesponnenen ‚‚Nester‘‘ verlassen, bewegen sie sich, wie erwähnt, so gut wie ausnahmslos gegen die dem Fenster zugekehrte Seite ihres Behälters. Wie mächtig dieser Drang zum Hellen ist, zeigt unter anderem der folgende Versuch: Ich steckte in den Glasbehälter, zwischen ihn und den Glasdeckel einen mit kleinen grünen Blättchen versehenen Weidenzweig oder einen dürren Ast so, dass dieser dem Fenster zugekehrt war. Nach kaum 1, Stunde war er von den zur Spitze kriechenden Räupchen bedeckt, nur ein ver- hältnismässig kleiner Teil der Tiere macht an der Spitze kehrt und kriecht den Ast herab wieder zimmerwärts; nun legte ich neben diesen Zweig einen Glasstab, dessen Spitze noch etwa 2 cm über den Zweig hinaus nach dem Fenster zu ragte; nach 1—2 Stunden war der Zweig leer von Raupen; diese hatten sich in so grossen Mengen an der Spitze des Glasstabes gesammelt, dass sie in einem dicken Klumpen von ihm herabhingen, wobei die einzelnen Tiere durch feine Gespinstfäden miteinander verbunden waren (Abb. 2 Tafel I); sie verharren so oft bis zu ihrem Tode, auch wenn man frische Zweige, zum Beispiel von Pfiaumenbäumen, auf welchen sie mit Vorliebe sich aufhalten, in ihrer nächsten Nähe anbringt, sofern nur diese Zweige nicht weiter zum Hellen hinausragen als der Glasstab. Es wird Aufgabe besonderer Untersuchung sein, zu ermitteln, ob und inwieweit dieser Drang zum Hellen, durch den man leicht Tausende 62 GC, Hess: I von Tieren in den Tod treiben kann, auch zur Vernichtung der Raupen in der Natur in grösserem Umfange, benutzt werden könnte. Die Be- dingungen im Freien sind hinsichtlich der Lichtverteilung ja zum Teil andere, auch könnten Temperaturverhältnisse und anderes mehr von Einfluss auf das Ergebnis sein. Löb schreibt weiter, die Reaktionen der fraglichen Raupen gegen Licht erfolgten nur, ‚wenn sie aus dem Gespinst, in welchem sie über- wintert haben, eben auskriechen, und ehe sie gefüttert sind‘, und an anderer Stelle: ‚‚Sobald sie gefressen haben, verschwindet der Helio- tropismus und er ist später kaum mehr nachweisbar, auch wenn man sie hinterher wieder hungern lässt.‘“ Noch 1911 schreibt er, ‚dass _ die Raupen, sobald sic gefüttert sind, ihren ausgesprochenen Helio- tropismus verlieren, und zwar dauernd.“ Auch diese Angaben sind irrig. Richtig ist nur, dass junge Raupen, wenn sie sich sattgefressen. haben, einige Stunden lang in ihren Bewegungen sehr träge sind. Lässt man sie dann aber hungern, so werden sie nach wenigen Stunden wieder viel beweglicher und eilen aufs neue lebhaft zum Lichte. Ein srosser Teil meiner im folgenden mitgeteilten Messungen ist an solchen wiederholt gefütterten Tieren nach mehrstündigem Hungern vor- genommen. | Vanessa urticae, die ich zu Hunderten in grossen Glasbehältern hielt, sammelten sich, wenn ich Brennesseln in letztere brachte, auf diesen; war das Futter zu Ende, so gingen sie von den kahlgefressenen Stielen weg und sammelten sich wieder in der hellsten Behälterecke; dies beobachtete ich nicht nur an jungen, sondern auch an Tieren, die bereits eine Grösse von 2 cm erreicht hatten; erst wenn sie be- trächtlich grösser werden, nimmt ihre Neigung zum Lichte allmählich ab. Für genauere Untersuchung der Lichtreaktionen sind daher, wie schon erwähnt, vorwiegend jüngere Tiere geeignet. Weiter hat Löb angegeben, die Raupen seien gezwungen, den oralen Pol der Lichtquelle zuzuwenden und in der Richtung der Strahlen zur Lichtquelle zu wandern. Dies geschehe auch dann, ‚wenn sie dabei aus dem Hellen ins Dunkle gelangen, vorausgesetzt, dass ihr Körper der Lichtquelle zugewendet bleibt“. Auch das ist unrichtig. Ich habe die Fehler, durch welche Löb zu diesem Irrtum geführt wurde, bereits 1910 !} eingehend erörtert. Die im folgenden geschilderten Beobachtungen über Verdunklungsreaktionen zeigen aufs neue die Irrigkeit seiner Angaben. 1) D. Arch. Bd. 136 S. 286#t. Über Lichtreaktionen bei Raupen.u. die Lehre von den tier. Tropismen. 63 Im Hinblicke auf die oben erwähnten Angaben v. Buddenbrock’s stellte ich noch besondere Versuche an über die Art und Weise, in welcher die Bewegungen der Raupen zum Lichte erfolgen. Infolge ihrer gestreckten Körperform lässt sich hier besonders schön feststellen, wie sie sich auf das Licht zu bewegen, und vermöge ihrer verhältnismässig langsamen Bewegungen eignen sich die Er- scheinungen auch gut für photographische Wiedergabe. Bei der Be- deutung der Frage für unsere ganze Auffassung von den Bewegungen der Tiere zum Hellen dürften einige derartige Aufnahmen von Interesse sein. Sie lehren, dass die von mir vorwiegend untersuchten jungen Raupen nichts von dem Verhalten zeigen, das v. Buddenbrock bei (anscheinend älteren) Vanessa feststellte. Ich brachte eine Anzahl Tiere in den oben (S. 58) geschilderten flachen Behälter, und zwar ausschliesslich in dessen periphere Teile, so dass die Mitte zunächst frei von Tieren war, so wie Tafelabb.3 zeigt!). Nun stülpte ich über den Behälter einen flachen, lichtdicht schliessenden Deckel aus schwarzem Karton, aus dessen Mitte ein kreisrundes Loch von 6 mm Durchmesser ausgeschlagen war, das also über die von Tieren freie Mitte des Behälters zu liegen kam. Mittels eines schräg stehenden Spiegels wurde zerstreutes Himmelslicht senkrecht von oben auf das kleine runde Loch gerichtet. Nach 2 Minuten wurde der Deckel für eine Se- kunde weggezogen und eine Momentaufnahme gemacht, nach 5 Minuten eine zweite usw. Um die Bewegungen der Tiere ununterbrochen ver- folgen zu können, benutzte ich vielfach statt der schwarzen Deckel solche aus farbigen Gelatinepapieren, aus deren Mitte in gleicher Weise runde Löcher von 6 mm Durchmesser ausgeschlagen waren. Man sieht nun, bssonders schön bei roten und gelben Gelatineblättern, durch diese hindurch die Tiere auf die helle Mitte des Behälters zu- kriechen, wobei sie im grossen und ganzen sich so, wie Tafelabb. 4 zeigt, zum Lichte bewegen, zwischendurch aber immer einmal den Verderkörper wie suchend nach I'nks und rechts wenden. Die Aufnahmen zeigen eindringlich, wie die im Dunkel der peri- pheren Behälterteile befindlichen Raupen sofort nach Überstülpen des Deckels lebhaft in der Richtung nach der hellen Stelle in der Be- hältermitte zu laufen beginnen, und aus der radiären Stellung der Mehrzahl ist leicht zu ersehen, wie diese zumeist direkt auf die Licht- quelle zu laufen. Tafelabb. 5 zeigt, eine wie grosse Zahl schon nach 5 Minuten sich so in dem kleinen erhellten Bezirke gesammelt hat. 1) Die Vorrichtung befand sich während dieses Versuches auf dem Boden des Zimmers auf weisser Unterlage, eine photographische Kamera war so aufgestellt, dass in Zwischenräumen von wenigen Minuten unter gleichen äusseren Bedingungen Aufnahmen von oben gemacht werden konnten. Im Verlaufe eines solchen, zirka 20 Minuten dauernden Versuches machte ich neun Aufnahmen, von welchen drei hier wiedergegeben sind. 64 C. Hess: Nimmt man den Deckel von dem Behälter weg, so eilen fast alle Tiere annähernd parallel zueinander auf das Fenster zu; dreht man ihn nun um 180° um seine senkrechte Achse so, dass jetzt die Köpfe der kriechenden Raupen nach dem Zimmer gerichtet sind, so beginnen sofort die meisten, pendelnde Bewegungen ihres Vorderkörpers zu machen. Nach kaum Y,—Y, Minute hat die Mehrzahl die Drehung um 180° vollendet, und es beginnt wieder die geradlinige Wanderung auf das Fenster zu. Derartige Versuche habe ich mit gleichem Erfolge bei verschiedenen Raupenarten, ausser bei Aporia insbesondere auch bei kleinen Vanessa urticae, angestellt. Mehrfach verteilte ich ‚die Tiere auf einem grossen, wagerecht gehaltenen Karton und brachte diesen im Dunkelzimmer in die Nähe einer kleinen, nahezu punkt- förmigen, an ultravioletten Strahlen reichen Lichtquelle (siehe unten); die Tiere kriechen dann von allen Seiten annähernd in geraden Linien auf das Licht zu. ; Löb meint, die Tiere benähmen ‚,sich so, als ob das Licht sie zwänge, den Kopf der Lichtquelle zuzuwenden‘“. ‚Solche Tiere mögen die ver- möge ihrer Lokomotionsmechanik unvermeidlichen pendelnden Be- wegungen des Kopfes oder des Körpers ausführen (wie zum Beispiel die Porthesiaraupen), aber davon abgesehen bewegen sie sich, als ob sie am Lichtstrahl aufgespiesst wären‘ !). Demgegenüber ist nach- drücklich darauf hinzuweisen, dass gar keine Rede davon sein kann, die pendelnden Kopfbewegungen seien ‚‚vermöge der Lokomotionsmechanik unvermeidlich“. Die einfache Beobachtung kriechender Raupen lehrt uns, dass die ‚Mechanik‘ ihnen gestattet, lange Zeit ohne pendelnde Bewegungen vorwärts zu kriechen, und niemals bewegen sie sich, als ob sie am Lichtstrahl aufgespiesst wären, sondern stets nur so, wie etwaein Wesen, das von Zeit zu Zeit durch seine Kopfbewegungen ermittelt, auf welcher Seite es am hellsten ist. Ins- besondere zeigen auch meine weiterhin mitzuteilenden Untersuchungen über das Verhalten der Tiere gegenüber zwei verschiedenfarbigen Licht- quellen, wie auch über die von mir gefundene Verdunklungsreaktion (siehe unten), die Irrigkeit der Angabe, die Tiere bewegten sich, als ob sie am Lichtstrahl aufgespiesst wären. II. Das Verhalten der Raupen gegenüber farbigen Lichtern. Die relativen Reizwerte verschiedenfarbiger Lichter konnte ich in erster Linie am Spektrum, daneben aber auch mit farbigen Glaslichtera, 1) Löb schreibt weiter (1911): Wenn ein solches Tier seitlich vom Licht getroffen wird, so seien die eintretenden Bewegungen analog jenen bei Hunden, welche eine ausgiebige Verletzung einer Hemisphäre erlitten haben, „wenn solche Tiere sich in Bewegung setzen, so haben sie die Neigung, nach der operierten Seite hin aus der geraden Linie abzuweichen. Dasselbe findet bei den heliotropischen seitlich beleuchteten Tieren statt“. Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen, 65 zum Teile sogar mit farbigen Papierflächen, mit einer für viele Zwecke hinreichenden Genauigkeit bei solchen niederen Tieren feststellen, bei welchen für die Helligkeitswahrnehmung vorwiegend oder ausschliess- lich die sichtbaren Strahlen des Spektrums in Betracht kommen. Bei Raupen dagegen spielen, wie das Folgende zeigt, die durch ultra- violette Strahlen bedingten Helligkeitswahrnehmungen eine über- raschend grosse, vielliach ausschlaggebende Rolle, so dass hier, ähnlich wie ich dies zum Beispiel schon gelegentlich meiner Untersuchungen über den Lichtsinn der Krebse (1919) ausführte !), für genaue Unter- suchungen über die Wirkungen verschiedenfarbiger Lichter solche Lichtquellen gewählt werden müssen, die von ultravioletten Bei- mengungen genügend frei sind, also in erster Linie die des Spektrums. Im Hinblicke hierauf liess ich es mir angelegen sein, meine früheren Beobachtungen mit spektralen Lichtern auf möglichst viele verschiedene Raupenarten auszudehnen und durch Ausarbeiten neuer, insbesondere auch messender Methoden zu erweitern. Den Nachweis, dass für Raupen das Spektrum ebenso wie für den total farbenblinden Menschen in der Gegend des Gelbgrün bis Grün am hellsten ist. hatte ich früher für Porthesia und Hyponomeuta mit Hilfe der Verteilungsmethode erbracht: Die im Dunklen am Boden ihres Behälters liegenden Tiere kriechen stets an der für sie hellsten Stelle ihres Behälters zuerst in die Höhe, um so rascher, je heller die betreffende Stelle ist; im. Spektrum kriechen sie in der Gegend des Gelbgrün bis Grün zuerst und angenähert senkrecht nach oben, etwas später beginnen die in der Gegend des Grünblau bis Blau und die im Gelbrot und Rot befindlichen zu kriechen, und zwar gehen diese nicht senkrecht aufwärts, sondern schräg in der Richtung nach dem Gelb- grün bis Grün; so entsteht bald eine Ansammlung von Tieren im gelblichen Grün. Ich habe solche Versuche neuerdings vielfach an verschiedenen Arten mit dem gleichen Ergebnisse wiederholt. Auch hierzu erweisen sich Vanessa urticae vorzüglich gut geeignet. Ich habe mehrfach die mittlere Wellenlänge jener Gegend, in der die Tiere sich zuerst und am dichtesten sammeln, in der Weise bestimmt, dass ich einen schmalen Spalt in einer grossen schwarzen Fläche an diese Stelle des Spektrums brachte; die spektroskopische Bestimmung ergab mir für das durch den Spalt fallende Licht Werte von durch- schnittlich 525—545 uu. Ausser durch die Ansammlung bzw. Verteilung der Raupen konnte ich auch mit Hilfe der im folgenden zu schildernden Verdunk- lungsreaktion die für sie hellste Stelle im Spektrum ziemlich genau feststellen. Entwirft man zum Beispiel auf einer wage- 1) C. Hess, Der Lichtsinn der Krebse. Dieses Archiv Bd. 174 S. 265. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 177. I 66 C©. Hess: rechten weissen Fläche ein Spektrum, so kriechen auch in ihr die Tiere lebhaft und gleichmässig aus dem Rot und Blau nach dem Gelbgrün zu; sobald aber die aus dem Blau kommenden über das gelbliche Grün hinaus in die Gegend des grünlichen Gelb bis Gelb kommen, erfolgt das bei jeder genügenden Helligkeitsverminderung bei ihnen auftretende charakteristische Heben des Vorderkörpers (siehe Abschn. III). Sie biegen dann entweder sofort oder nach kurzen suchenden Bewegungen um, so dass sie bald wieder ins gelbliche Grün zurückkommen; ein gleiches zeigen, nur weniger rasch, die aus dem Rotgelb und Gelb über das Gelbgrün ins Grünblau kriechenden Tiere. Die von mir untersuchten Vanessa urticae reagierten, selbst: wenn sie 1—2 em lang waren, noch so gut, ‘dass ich am Spektrum einige Messungen in der folgenden Weise vornehmen konnte. Die Methode !ehnt sich in der Hauptsache an die früher von mir (1919) zur Unter- suchung von Cladoceren entwickelte an. Ich verweise wegen der Einzel- heiten auf meine dort, S. 24, gegebene Darstellung und gebe hier nur kurz das Prinzip wieder: Ein Winkelspiegel ist so aufgestellt, dass seine linke Fläche von spektralem, die rechte von dem messbar variablen Messlichte getroffen wird (Glühbirne). Die senkrechte Kante des Spiegels stösst an den Glasbehäiter mit den Tieren, der auf seiner dem Spiegel zugekehrten Seite mit einem grossen schwarzen Karton bedeckt ist. Aus der Mitte des letzteren ist ein senkrechter Spalt von etwa 16 mm Breite und 10 em Höhe ausgeschnitten. Durch die linke Hälfte des Ausschnittes kommt also spektrales Licht zu den Raupen, durch die rechte, in scharfer Grenze an erstere anstossende, das Messlicht. Die Vorrichtung ist senkrecht zur Verbindungslinie von Spektrum und Messlicht verschieblich, so dass immer andere spektrale Lichter vom Spiegel in den Spalt zurückgeworfen werden können. Es wird nun die linke Hälfte der Reihe nach von verschiedenen homogenen Lichtern bestrahlt und das Messlicht jedesmal so lange verschoben, bis die Tiere keine ausgesprochene Neigung mehr zeigen, eine der beiden Hälften des Ausschnittes vorzuziehen, was in der Regel sich mit ge- nügender Genauigkeit feststellen lässt. Da durch die linke Hälfte des Ausschnittes immer Lichter verschiedener Wellenlänge nebeneinander eintreten, die für die Tiere noch merklich ver- schiedenen Helligkeitswert haben können, ging ich so vor, dass immer das hellste von den jeweils einfallenden homogenen Lichtern an die Grenze zwischen beiden Hälften des Ausschnittes zu liegen kam, also zum Beispiel hier das Gelb lag, wenn nach links davon noch Gelbrot und Rot eintrat usw.; dann hatten die Tiere naturgemäss immer die Neigung, sich an dieser Grenze anzusammeln und sie erst zu überschreiten, wenn die rechte Hälfte des Ausschnittes deutlich heller für sie wurde als das Gelb. Für Messungen in .der kurzwelligen Spektrumhälfte drehte ich das geradsichtige Prisma um 180°, so dass wieder die dem Grün entsprechenden Spektrumteile der Grenze zwischen den beiden Ausschnitthälften zunächst lagen und an diese sich: jetzt nach links die kürzerwelligen Lichter schlossen. Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 67 Für jede Gleichung bestimmte ich spektroskopisch die Wellen- länge des der Grenze zunächst gelegenen homogenen Lichtes. Die so erhaltene Kurve hat ihren Gipfel in der Gegend zwischen 540 und 525 un und sinkt von da nach dem langwelligen Ende steil, nach dem kurzwelligen Ende weniger steil ab. Die Werte für die hellste Stelle im Spektrum entsprechen fast genau jenen, die ich unabhängig von diesen und zu anderer Zeit bei meinen vorher erwähnten Beobachtungen erhalten hatte, bei welchen, die Ansammlung der Tiere in dem glJeich- zeitig im ganzen sichtbaren Spektrum beobachtet worden war. Setzen wir die zur Herstellung der Gleichung mit einem Lichte von etwa 535 un erforderliche Stärke des Messlichtes = 1, so musste dieses zur Herstellung von Gleichungen mit Lichtern von 560 bzw. 575 und 620 uu auf %, bzw. Y, und !/, herabgesetzt werden, und auch in der kurzwelligen Spektrumhälfte zeigt die Kurve weitgehende Ähnlichkeit mit jener für das total farbenblinde Auge. Die Helligkeitsverteilung in dem für uns sichtbaren Teile des Spektrums stimmt sonach für die Raupen mit jener für den total farbenblinden Menschen überein. mit anderen Worten: auch die Raupen zeigen hier das für totale Farbenblindheit charak- teristische Verhalten. . Für eine Reihe hierher gehöriger Aufgaben können auch farbige Glaslichter zur Untersuchung benutzt werden, doch ist es schon hier im Hinblicke auf die grosse Empfindlichkeit des Raupenauges für Ultraviolett (siehe unten) oft wünschenswert, durch geeignete Maass- nahmen für eine genügende Ausschaltung dieser letzteren Strahlen Sorge zu tragen; dazu genügt bei einer Reihe von Versuchen, eine an Ultraviolett arme Lichtquelle zu benutzen und solche angenähert farblose Gläser vorzuschalten, die, wie das Schwerstflintglas O 198 von Schott (siehe unten), den grössten Teil der ultravioletten Strahlen zurückhalten. Die meisten frei roten sowie viele grüne und blaue Gläser (Grünfilter, Blaufilter von Schott) lassen ohnehin keine hier störend in Betracht kommende Mengen von Ultraviolett durch. Nimmt man bei Anordnung der Versuche auf die angedeuteten Verhältnisse genügend Rücksicht, so kann man sich leicht auch mit frei farbigen Glaslichtern davon überzeugen, dass das Raupenauge auch ihnen gegenüber sich ähnlich oder ganz so wie ein total farben- blindes Menschenauge verhält: das Rot hat einen verhältnismässig sehr kleinen, ein für uns viel dunkleres Blau einen verhältnismässig grossen Helligkeitswert. Durch die von mir bei früheren Gelegenheiten beschriebenen photometrischen Vorrichtungen kann man unschwer eine Art von Gleichungen zwischen roten und blauen Glaslichtern für die Raupen herstellen, die dann auch den Gleichungen für ein total farbenblindes Menschenauge entsprechen. Ich brachte zum Bei- 5* 08 C. Hess: spiel einen kleinen Glasbehälter mit Raupen so in die Mitte des früher von mir beschriebenen, zirka 2 m langen Tunnels !), dass die Tiere einerseits von dem durch ein rotes, andererseits von dem durch ein blaues Glas gegangenen Lichte getroffen wurden und die Lichtstärke eines jeden der beiden farbigen Lichter durch Verschieben der zu- gehörigen Lampe innerhalb weiter Grenzen messend gemehrt oder gemindert werden konnte; die Raupen gingen im allgemeinen auch dann nach dem Blau, wenn dieses meinem helladaptierten Auge viel dunkler erschien als das leuchtend helle Rot; dies war auch der Fall, wenn ich vor das blaue Glas das Schwerstflintglas schaltete, das die ultravioletten Strahlen so gut wie vollständig zurückhält. Entsprechende Vorsichtsmaassregeln gegen eine Mitwirkung ultra- violetter Strahlen bei Untersuchungen über die Wirkung farbiger Lichter sind natürlich auch bei Verwendung farbiger Papiere erforderlich; dass die Versuche mit letzteren an Genauigkeit hinter jenen am Spek- trum und auch hinter den Glaslichtversuchen zurückstehen, bedarf keiner neuen Betonung; ich verweise auch hier wieder auf die Angaben in meiner Arbeit über den Lichtsinn der Krebse, insbesondere aber auf die im folgenden Abschnitte mitgeteilten Versuche. — Löb hat hinsichtlich des Verhaltens der Raupen gegenüber farbigen Reizlichtern, auch nachdem ihm meine Raupenversuche mit spektralen Lichtern bekannt waren, noch angegeben, rotes Glas wirke ‚‚wie ein für Licht nicht durchgängiger, also opaker Körper, während blaues Glas wie ein völlig durchsichtiger Körper wirkt“. Bei den hier vor- liegenden Erscheinungen handle es sich um Heliotropismus, ‚der mit dem Heliotropismus der Pflanzen identisch“ sei. Letztere Behauptung stützt er auf die Angabe, dass ‚die stärker brechbaren Strahlen des uns sichtbaren Sonnenspektrums für die Orientierung der Tiere aus- schliesslich oder doch stärker wirksam sind als die schwächer brech- baren‘, die Abhängigkeit der tierischen Bewegungen vom Lichte sei „Punkt für Punkt die gleiche wie die Abhängigkeit der pflanzlichen Bewegungen von derselben Reizursache‘“, es seien „wesentlich nur die stärker brechbaren Strahlen, welche die Orientierung der Raupen von Porthesia chrysorrhoea bedingen‘. Auch diese Angaben Löb’s sind sämtlich unrichtig. Zur Widerlegung der beiden ersten genügt es, unsere Raupen in ein Glas- gefäss mit zueinander parallelen Wänden zu setzen, dessen eine Hälfte mit einem ‚für Lieht nicht durchgängigen, opaken Körper“, also zum Beispiel mit schwarzem Papier, bedeckt ist, und vor die andere Hälfte ein dunkelrotes Glas zu bringen: die Tiere gehen in kurzer Zeit in die rotbestrahlte Hälfte. Noch besser eignet sich zu solchen 1) Vgl. zum Beispiel dieses Archiv Bd. 163 S. 293. Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 69 Versuchen die eben erwähnte photometrische Vorrichtung, bei der man durch Änderung des Abstandes der Lichtquelle von dem roten Glase einen gewissen Maassausdruck dafür gewinnen kann, innerhalb welcher Grenzen das Rot noch von den Raupen wahrgenommen wird bzw. diese anzuziehen vermag. Durch entsprechende Versuche mit blauen Gläsern überzeugt man sich leicht, wie gross der Unterschied zwischen der Wirkung eines blauen und eines ‚völlig durchsichtigen“ Glases auf die Raupen ist. Dass nicht ‚‚wesentlich nur die stärker brechenden Strahlen für die Raupen wirksam sind‘, zeigen aufs schönste die Versuche im Spektrum, in welchem die Raupen aus dem Rot und aus dem Blau nach dem Gelbgrün bis Grün wandern; Löb’s Irrtum ist wesentlich darauf zurückzuführen, dass er auf Spektrumversuche verzichtete und sich mit Versuchen an nicht genauer definierten roten und blauen Gläsern begnügte. Dass endlich die Raupenbewegungen in ganz anderer Weise von der Wellenlänge abhängen als die Bewegungen der Pflanzen zum Lichte, erwies ich in vergleichenden messenden Untersuchungen nach einer neuen Methode, über die ich bisher nur einen kurzen vorläufigen Bericht gegeben habe !). Ich zeigte, dass für die dem Gelbgrün bis Grün entsprechenden Wellenlängen, bei welchen die Wirkung auf die Raupen ihr Maximum hat, die Wirkung auf die meisten heliotropischen Pflanzen fast ein Mini- mum ist. III. Eine neue Lichtreaktion bei jungen Raupen. Im weiteren Verlaufe meiner Untersuchungen lernte ich eine inter- essante Reaktion kennen, die bei den meisten Raupenarten sofort nach dem Ausschlüpfen aus dem Ei schon durch geringfügige Licht- stärkenabnahmen ausgelöst wird und mir Gelegenheit gab, die mit der Verteilungsmethode gefundenen Ergebnisse über Wirkung von Lichtern verschiedener Stärke und Wellenlänge vunmehr mit Hilfe der Methode der Wechselbelichtung ?) nachzuprüfen und zu erweitern. Ich schildere zunächst die neue Reaktion, wie ich sie an eben ge- schlüpften Seidenräupchen beobachtete, in ähnlicher Weise aber bei fast allen von mir bisher untersuchten, auch (wenngleich weniger leb- haft) bei überwinterten und aus dem Neste kommenden Arten ge- funden habe. Bei der Mehrzahl der von mir untersuchten Raupenarten fand ich an den frisch geschlüpften Tieren gleichzeitig die Verdunklungsreaktion 1) C. Hess, Neue Versuche über Lichtreaktionen bei Tieren und Pflanzen. Münchner med. Wochenschr. 1914. N. 27 S. 1490. 2) Genaueres über dieses Prinzip und seine Vorzüge für Lichtsinnunter- suchungen siehe zum Beispiel in meiner Arbeit über den Lichtsinn bei Krebsen. 10 C. Hess: und eine lebhafte Neigung, zum Lichte zu kriechen; bei anderen, zum Beispiel Bombyx, war erstere allein vorhanden, ohne nennenswerte Neigung zum Lichte, bei wieder anderen vorwiegend die Neigung zum Lichte, während die Verdunklungsreaktion weniger ausgesprochen oder überhaupt nicht nachweisbar war; letzteres war insbesondere bei Nestraupen öfter der Fall, während ich bei frisch geschlüpften Raupen diese Reaktion bisher in keinem Falle vermisste. Wir können hiernach drei verschiedene Arten des Ver- haltens der Raupen zum Lichte unterscheiden. Im Hellen kriechen die meisten jungen Räupchen in ihrer ganzen Länge die Unterlage berührend vorwärts, nur ab und zu sieht man sie den Vorderteil einmal von letzterer erheben. Beschattet man sie aber, zum Beispiel durch Vorhalten der Hand vor die Lichtquelle, so heben, fast augenblicklich oder erst nach 1—2 Sekunden, viele Räupchen Kopf und Vorderkörper stark in die Höhe und bewegen ihn wie suchend nach rechts und links; bei einem Teile der Tiere bleiben fast nur noch die Haftfüsschen des Hinterkörpers mit der Unterlage in Berührung, der ganze übrige Körper ist mehr oder weniger steil in die Luft erhoben und bewegt sich ausgiebig hin und her. Anı schönsten ist diese merkwürdige Erscheinung zu sehen, wenn man etwa einen Karton mit 40—50 Räupchen an der Türe zwischen einem belichteten und einem verdunkelten Zimmer wagerecht zunächst ins Helle hält und dann eine Strecke weit nach dem Dunkelzimmer verschiebt; sofort erhebt die Mehrzahl der Tiere den Körper in der geschilderten Weise in die: Luft. Schiebt man nun den Karton wieder ins Helle zurück, so sinken fast augenblicklich die meisten Räupchen wieder auf die Unterlage herunter, um so rascher und ausgiebiger, je grösser die Lichtstärke ist, der man sie aussetzt. Wenn man sie zum Beispiel im Dunkelzimmer plötzlich mit einer lichtstarken Nernstlampe be- strahlt, so klappen die im Dunkeln erhobenen Körper wie geknickt herunter. Frisch geschlüpfte Seidenraupen zeigen stets die geschilderte Reaktion, dagegen war sie bei etwas grösseren, 1—2 em langen Tieren trotz oft wiederholter Versuche nicht mehr nachweisbar. Ich habe versucht, die Erscheinungen festzuhalten, indem ich (Tafel I Abb. 6 u. 7) eine Gruppe von Tieren auf einen schmalen Papierstreifen brachte und einmal (Abb. 6) im Hellen, das andere Mal kurz nach Beschatten (Abb. 7) Momentaufnahmen machte. Die Bilder können freilich nicht entfernt die schöne Erscheinung des raschenErhebens der Vorderkörper wiedergeben, schon deshalb, weil dieses bei verschiedenen Tieren zu verschiedenen Zeiten erfolgt, in einem gegebenen Augenblicke also immer nur ein Teil erhoben ist; sie lassen aber wenigstens erkennen, wie viel grösser die Zahl der auf- ° gerichteten Raupen im Dunkeln als im Hellen ist. Bei Aufahmen senkrecht von oben (Tafel I Abb. 9) ist die Erscheinung weniger gut zu sehen, immerhin erkennt man auch hier insbesondere an den charakteristischen Schatten der Tiere auf der Unterlage und an ihrer Verkürzung, dass eine grosse Zahl sich im Dunkeln aufgerichtet hat. Abb. 8 zeigt Raupen in einem langen Glasbehälter unmittelbar nach Verdunkelung. Zur messenden Bestimmung der kleinsten Lichtstärkenabnahmen, die eben noch deutlich die geschilderte Reaktion auslösen, benutzte Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 7] ich teils mein Differential-Pupilloskop, teils das folgende verhältnis- mässig einfache, aber gleichfalls ziemlich genaue Messungen gestattende Verfahren: Ein Karton mit einer grösseren Zahl von Raupen wird an das eine Ende eines langen, innen mattschwarzen, wagerecht aufgestellten - Tunnels gebracht, in dem eine 32kerzige Mattglasbirne messbar ver- schieblich ist. Wenn die Tiere bei einem Lampenabstande von 15 cm gleichmässig auf der Unterlage krochen, so fingen bei raschem Zurück - schieben der Lampe auf 20 cm einige Tiere an, den Vorderkörper zu heben; bei Zurückschieben von 15 auf 25 cm war die Reaktion schon deutlich und ausgiebig, bei Zurückschieben von 15 auf 30 cm zeigten viele Tiere starkes und lebhaftes Heben der Vorderkörper. Daraus ergibt sich, dass Lichtstärkenverminderungen im Verhältnis von 1:0,56 bei den Seidenraupen eben merkliche, Verminderungen von 1 auf 0,35 ausgiebige, Verminderungen von 1 auf 0,25 starke Reaktionen aus- lösen. Zum Vergleiche sei angeführt, dass ich für Culexlarven Ver- dunklungssreaktionen bei Lichtstärkenverminderung von 1 auf 0,81, für Daphnia bei solcher von 1 auf 0,93, für Serpula gar bei Verminderung von 1 auf 0,95 nachweisen konnte. Der Versuch zeigt auch, dass die Reaktion nur durch die Lichtstärkenabnahme hervorgerufen wird, nicht aber etwa durch Wahrnehmen einer Bewegung, wie zum Beispiel bei Benutzung eines schattenwerfenden Körpers angenommen werden könnte. Die Richtung des Lichteinfalles ist ohne Belang. Bei einem Teile meiner Versuche brachte ich die Tiere im Dunkelzimmer auf durch- scheinendem Ölpapier (Pauspapier) auf das obere Ende des jetzt senk- recht gestellten Tunnels, in welchem die Belichtungslampe verschieblich war, so dass sie also ausschliesslich von unten her belichtet waren; auch jetzt erfolgte bei Zurückschieben der Lampe um die genannten Beträge das Aufbäumen der Vorderkörper in ähnlicher oder gleicher "Weise wie bei Belichtung von oben oder von der Seite. Ebenso war dies der Fall, wenn die auf einer durchsichtigen Glasplatte kriechenden Tierchen von unten her erst stark und dann durch Zurückschieben der Lichtquelle oder Vorschieben eines Kartons schwächer beleuchtet wurden. Unsere jungen Raupen reagieren also mit der geschilderten Ver- dunklungsmethode nicht auf so kleine Lichtstärkenunterschiede wie andere von mir untersuchte Wirbellose; immerhin sind die Unter- schiede klein genug, um auch mit dieser Reaktion über die relativen Reizwerte verschieden farbiger Lichter für das Raupenauge wert- volle Aufschlüsse zu gestatten. Mit geeigneten farbigen Gläsern konnte ich zum Beispiel feststellen, dass rote Reizlichter für unsere Raupen im allgemeinen einen verhältnismässig sehr kleinen Helligkeits- 72 C. Hess: wert haben, auch wenn sie uns leuchtend hellrot erscheinen: In einem passenden Rahmen ist ein für uns dunkelblaues Glas neben einem für uns hellroten so angebracht, dass beide in feiner Grenzlinie an- einanderstossen. Man belichtet im Dunkelzimmer die Räupchen zum Beispiel mit einer lichtstarken Nernstlampe; schiebt man vor diese das blaue Glas, so heben infolge der Lichtstärkenverminderung viele von den Tieren ihren Vorderkörper; nach einiger Zeit, wenn die An- passung an diese Lichtstärke erfolgt ist, kriechen sie auch im Blau an- genähert gleichmässig und ohne sich stärker zu erheben, vorwärts. Verschiebt man nun rasch den Rahmen so, dass das Blau durch Rot ersetzt wird, so sieht man, obschon letzteres für uns viel heller ist als das Blau, zahlreiche Raupen sich erheben, ganz so, wie sie es sonst nur bei beträchtlicher Lichtstärkenverminderung tun: wird das Rot nun rasch wieder durch das Blau ersetzt, so sinken die Vorderkörper der Raupen auf die Unterlage, so wie sonst bei beträchtlicher Licht- stärkenvermehrung, obschon für uns das Blau viel dunkler ist als das Rot. Sehr gut eignet sich für derartige Versuche, insbesondere auch zur Demonstration, zum Beispiel im biologischen Unterrichte, schon die einfache Vorrichtung, dieich zum Nachweise der relativen Blaublindheit der Tagvögel (vgl. dieses Archiv Bd. 166 S. 393. 1917) vorgeschlagen habe. Ein gewöhnliches Taschenlämpchen wird mit einem Rahmen zur Aufnahme eines Schiebers versehen, der ein rotes und blaues, eventuell noch grünes und gelbes Glas trägt, derart, dass während der Belichtung der Tiere die Farbe der Licht- quelle rasch geändert werden kann. Man kann so leicht zeigen, dass die Vögel selbst in einem sehr lichtschwachen Rot noch lebhaft vor ihnen aus- gestreute Körner picken, damit aber sofort aufhören, wenn das Rot rasch durch ein viel helleres Blau ersetzt wird; umgekehrt zeigen die Räupchen, die im Blau gleichmässig kriechen, bei Vorschieben des Rot alsbald die charakteristische Verdunklungsreaktion. Selbst bei Versuchen mit farbigen Papierflächen konnte ich die Verdunklungsreaktion nachweisen: brachte ich die Tiere zum Beispiel in einen innen mattschwarzen, kubischen, an der vom Fenster ab- gekehrten Seite offenen Behälter und hielt vor diese offene Seite grosse ‘ mattfarbige Papierflächen so, dass vorwiegend das von ihnen zurück- geworfene Licht zu den Raupen gelangte, so erhoben sich bei raschem Ersetzen einer blauen durch eine rote Fläche !) viele Tiere, auch wenn das Rot für uns viel heller war als das Blau. Am Differential-Pupilloskop bestrahlte ich die Tiere ab- wechselnd mit einem lichtstarken farbigen und einem angenähert farblosen Lichte von messbar variabler Lichtstärke und suchte jene Lichtstärken des farblosen Lichtes auf, bei welchen Ersetzen des farbigen durch das farblose Licht und umgekehrt keine deutliche l) Genaueres über das hier benutzte Verfahren siehe zum Beispiel in meiner Arbeit über den Lichtsinn bei Echinodermen. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 160 S. 14ff. 1914. Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 73 Reaktion auslöste; ich habe früher gezeigt, wie genaue Messungen auf diesem Wege bei manchen Wirbellosen sich vornehmen lassen; bei unseren Raupen sind nicht so feine Messungen wie zum Beispiel bei Artemia und anderen möglich, immerhin konnte ich folgendes feststellen: Wirkte auf die Raupen abwechselnd mit Rot ein Grau, das für die Pupille des normalen Menschen gleichen motorischen Reizwert hat, so war für die Raupen der Reizwert des Rot viel kleiner als jener des Grau, es erfolgte Erheben der Körper bei Erscheinen des roten Reizlichtes. Wirkte auf die Tiere abwechselnd mit Blau ein Grau, das für die Pupille des normalen Menschenauges gleichen motorischen Reizwert hat, so war für die Raupen der Reizwert des Blau beträchtlich grösser als jener des Grau, wie das Erheben der Körper bei Erscheinen des farblosen Lichtes erkennen liess. Da die Raupen, wie der folgende Abschnitt lehrt, für ultraviolette Strahlen eine überraschend grosse Empfindlichkeit zeigen, überzeugte ich mich durch besondere Versuchsreihen, dass die durch abwechselnde Einwirkung verschiedenfarbiger Lichter ausgelöste Verdunklungs- reaktion in ähnlicher Weise auch nach Ausschalten des Ultraviolett erfolgt. Bei den farbigen Glaslichtversuchen erhoben sich die Räupchen bei Übergang von Blau zu Rot auch dann, wenn dauernd ein Schwerst- flintglas zwischengeschaltet und dadurch der grösste Teil der ultra- violetten Strahlen ausgeschaltet ist, die übrigens hier, wo es sich meist um Versuche mit dem an solchen Strahlen verhältnismässig armen Glühlichte handelt, eine weniger grosse Rolle spielen. Aber auch bei den Versuchen mit den von Tageslicht bestrahlten farbigen Papier- flächen war das Aufbäumen bei Übergang von Blau zu Rot noch deutlich nachweisbar, wenn während des ganzen Versuches dicht vor den Raupen eine Schwerstflintplatte aufgestellt und damit die Ein- wirkung ultravioletter Strahlen zu einem grossen Teile ausgeschaltet war. Besonders wichtig sind die Versuche über Verdunklungsreaktion mit spektralen Lichtern schon deshalb, weil hier eine Mitwirkung ultravioletter Strahlen überhaupt nicht in Betracht kommt. Ich stellte solche in der Weise an, dass ich ein lichtstarkes Spektrum von zirka 10 cm Breite an passender Stelle entwarf und einen Karton mit Räup- chen rasch aus einem Lichte des Spektrums in ein anderes verschob. Es war besonders deutlich zu sehen, dass bei Verschieben einer Raupe vor Gelb oder Grün nach Rot oder Orange die Tiere vielfach ihren Körper emporhoben; bei Verschieben von Grün nach Blau oder Violett war solches zwar auch gelegentlich zu sehen, aber das Erheben erfolgte bei weniger Tieren und in verhältnismässig geringerem Umfange als bei Übergang vom Grün zum längerwelligen Spektrumabschnitte. In dem hier zum ersten Male beschriebenen Aufrichten junger Raupen bei Lichtstärkenabnahme lernen wir eine 74 ®: Hess: neue, biologisch hochinteressante Verdunklungsreaktiuon kennen, die in ähnlicher Weise zu Messungen über den Lichtsinn unserer Raupen benutzt werden kann, wie ich es früher für Culex, Serpula, Centrostephanus, Daphnia und andere angab. Diese Versuche lehren wieder übereinstimmend, dass auch die Sehqualitäten unserer Raupen von jenen des normalen und des „rotblinden‘“ Menschen in charakteristischer Weise verschieden, dagegen jenen des total farbenblinden Men- schen und aller anderen bisher untersuchten Wirbellosen sehr ähnlich oder gleich sind. IV. Über die Wirkung ultravioletter Strahlen auf das Raupenauge und ihre Messung. Bei systematischen Untersuchungen am Arthropodenauge hatte ich (1911) die überraschende Tatsache gefunden, dass der dioptrische Apparat der von mir untersuchten Insekten und Krebse im ultra- violetten Lichte lebhaft grün fluoresziert !). Ich hob schon damals hervor, dass die Augen der Raupen besonders schöne Bilder bieten, indem sie „im ultraviolettreichen Lichte als hell graugrün schimmernde Kugeln, im ultraviolettarmen als dunkle Flecken auf dem hier fast schwarzen Grunde erscheinen‘. Im Anschlusse hieran begründete ich gegenüber der damals herrschenden Lehre Lubbock’s die Meinung, dass das Verhalten verschiedener Arthropoden gegenüber ultravioletten Strahlen nicht durch direkte Wirkung der letzteren auf die licht- empfindlichen Elemente, sondern vielmehr durch Fluoreszenz der diesen vorgelagerten brechenden Medien zu erklären ist. Meine hierauf ge- gründete Vermutung, dass bei den Raupen eine entsprechend starke Wirkung ultravioletter Strahlen nachweisbar sein dürfte, bestätigte sich in mich selbst überraschender Weise, und ich fand so die lange gesuchte Gelegenheit, die einschlägigen Fragen einer genaueren, ins- besondere auch messenden Untersuchung zu unterziehen. Solange man sich, wie dies bisher der Fall war, darauf beschränken musste, festzustellen, dass das Ultraviolett auf das Arthropodenauge über- haupt wirkt, hatte der Befund fast nur die Bedeutung eines Kurio- sums; erst durch die messende Bestimmung der Grösse der so be- cdlingten Helligkeitsempfindung unter verschiedenen Bedingungen wird es möglich, die Fragen nach Umfang und biologischer Bedeutung jener Wirkung des Ultraviolett für das Sehen der Arthropoden in Angriff zu nehmen. Ich schildere zunächst einige einfache, besonders leicht zu wieder- holende Versuche: 1) Über Fluoreszenz an den Augen von Insekten und Krebsen. Archiv 1.d. ges. Physiologie. Bd. 137. j | | | | Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 75 Ich bringe Raupen von Euproctis chrysorrhoea in ein zirka 10 cm breites und hohes Gefäss aus gewöhnlichem Spiegelglas, dessen zu- einander parallele Wände nur etwa 1 cm voneinander abstehen; das Gefäss wird senkrecht zur Richtung des einfallenden Tageslichtes ans Fenster gestellt und vor die linke Hälfte der Vorderfläche ein angenähert farbloses (sehr schwach gelbliches) Schwerstflintglas (0 198) von Schott gebracht, das die Eigenschaft besitzt, die ultravioletten Strahlen in ziemlich grossem Umfange zurückzuhalten !). Der Be- hälter ist also in seiner linken Hälfte von einem an ultravioletten Strahlen verhältnismässig armen, in seiner rechten von einem an solchen relativ reichen Tageslichte bestrahlt; für unser Auge besteht nur eine kaum nennenswerte Helligkeitsverschiedenheit zwischen beiden Hälften. Die Raupen haben sich nach wenigen Minuten so vollständig, wie es Abb. 10 auf Tafel I zeigt, in der an ultravioletten Strahlen reichen rechten Hälfte gesammelt. Schiebe ich nun die Schwerstflintplatte so weit nach rechts herüber, dass die linke, jetzt leere Behälterhälfte den ultravioletten Strahlen wieder zugängig ist. während zu den Raupen ultraviolettärmeres Licht kommt, so setzen die Tiere sich alsbald in Bewegung und wandern wieder nach der ultraviolettreicheren Behälter- hälfte. Das gleiche Ergebnis erhalte ich, wenn ich vor den ganzen Behälter ein uns schön dunkelblau erscheinendes, für Ultraviolett besonders durchlässiges Blau-Uviolglas (F 3653) von Schott setze und wiederum die eine seitliche Hälfte des Behälters mit dem Schwerst- flintglase verdecke. Bringe ich nun das Blau-Uviolglas oder ein anderes dunkelblaues Glas vor eine Behälterhälfte und lasse die andere unbedeckt, so ver- lassen die Tiere die blau durchstrahlte Hälfte und gehen in den uns farblos erscheinenden Behälterteil. Wenn ich aber die eine seitliche Behälterhälfte mit dem Blau- Uviolglase bedecke und vor die andere das nahezu farblose Schwerst- flintglas so bringe, dass seine Kante unmittelbar an die des Blau- Uviolglases stösst, so gehen die Raupen aus dem für uns farblos hellen Teile unter das für uns dunkle Blau, das also lediglich infolge seines Reichtums an ultravioletten Strah- len auf sie noch stärker anziehend wirkt als das für uns helle, farb- lose, aber des grössten Teiles seiner ultravioletten Strahlen beraubte Tageslicht. Die Versuche verlaufen stets in der geschilderten Weise, auch wenn die Tiere sich dabei in Behältern aus gewöhnlichem Glase be- l) Die genaueren Durchlässigkeitsfaktoren der hier benutzten Gläser sind z.B. in meiner Arbeit: „Neue Untersuchungen über den Lichtsinn bei wirbellosen Tieren“ (Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 136, 1910) ausführlicher mitgeteilt. Hier genüge die Angabe, dass für Strahlen von 405 bzw. 384 uw die Durchlässigkeit meines Schwerstflintglases nur noch =0,475 bzw. 0,104 ist. 76 C. Hess: finden und das zur Untersuchung dienende Tageslicht durch die beiden Glasscheiben des Doppelfensters gegangen, also hier schon des kurz- welligsten Teiles seiner ultravioletten Strahlen (bis zu etwa 313 uw) beraubt ist. Bei meinen Versuchen an Krebsen hatte ich gefunden, dass selbst die durch eine gewöhnliche Fensterglasscheibe zurückgehaltenen kurz- welligsten ultravioletten Strahlen von weniger als 313 un bei Clado- ceren eine genügend starke Helligkeitsempfindung auslösen, um Schwimmen der Tiere zum Lichte hin bzw. vom Lichte weg zu be- dingen. Es war danach von grossem Interesse, zu untersuchen, ob ein gleiches sich auch für die Raupen feststellen lässt. Das Folgende zeigt, dass dies in der Tat der Fall ist. Wir können für unsere Zwecke beim Tageslichte zwei Bezirke von ultra- violetten Strahlen unterscheiden, den der langwelligen, von etwa 400 bis 313 au reichenden, und den der kurzwelligen von 313 bis etwa 291 uu (Nach den üblichen Angaben enthält das Tageslicht ultraviolette Strahlen bis zu etwa 29luu). Durch ein Schwerstflintglas schalten wir also die beiden, durch ein gewöhnliches Fensterglas nur den zweiten Teil der kurz- welligen Strahlen aus. Das obenerwähnte Uviolkronglas 3199, das ich bei den folgenden Versuchen viel benutzte, lässt Strahlen bis zu 309 uu so gut wie vollständig, solche bis zu 280 uu noch zu mehr als der Hälfte durch. Alle drei Glasarten sind für unser Auge so gut wie ganz farblos, nur das Schwerstflintglas schwach gelblich. Die folgenden Versuche dürfen nun nicht mehr hinter geschlossenem, sondern nur am offenen Fenster oder im Freien vorgenommen werden. Ich bringe in den flachen, auf S. 58 geschilderten, mit dem (für die kurzwelligsten Strahlen durchlässigen) Uviolkronglase bedeckten Behälter eine Gruppe frisch aus dem Neste genommener Raupen (Aporia), und bedecke die eine Hälfte des Behälters mit gewöhnlichem Fensterglas. Nach kurzer Zeit sind fast alle Raupen nach dem nur von Uviolkronglas bedeckten Behälterteile ge- gangen; wird nun diese Hälfte mit dem Fensterglase bedeckt, so gehen die meisten Raupen alsbald wieder nach der nicht vom Fenster- glase bedeckten Hälfte. Im Hinblicke auf die Wichtigkeit dieser Ver- suche habe ich sie häufig mit immer neuen Abänderungen in ver- schiedenen Behältern bei bedecktem Himmel wie im Sonnenlichte wiederholt, stets mit wesentlich gleichem Ergebnisse. Wir sehen also, dass hinter geschlossenen Fenstern vorgenommene Untersuchungen über die Wirkung der- ultravioletten Strahlen des Tageslichtes auf das Raupenauge kein genügend vollständiges Bild geben können, und dass die kurzwelligen Strahlen von mehr bzw. weniger als 313 up, die unser Auge nicht wahrnimmt, für ein Raupenauge genügend grosse Helligkeitsunterschiede bedingen können, um eine regelmässige Bewegung nach der kürzerwelligen von beiden Strahlengruppen auszu- lösen. Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 77 Bei den bisherigen Versuchen über die Wirkung des Ultraviolett bediente ich mich nur der Verteilungsmethode; nach den eben mit- geteilten Erfahrungen war es von Interesse, zu untersuchen, ob auch die Verdunklungsreaktion zur Untersuchung der Wirkung ultravioletter Strahlen herangezogen werden könne: Wenn ich Raupen auf einer horizontalen Fläche zum Hellen kriechen lasse und durch rasches Vorhalten einer Schwerstflintplatte den grössten Teil der ultravioletten Strahlen ausschalte, so zeigen in der Tat viele Tiere die im dritten Abschnitte geschilderte Verdunklungsreaktion in ähnlicher, nur nicht so lebhafter Weise, wie bei Ausschalten der für uns sichtbaren Strahlen etwa durch Vorhalten eines schwarzen Kartons. Stelle ich den gleichen Versuch am offenen Fenster mit Vorhalten einer gewöhnlichen Fenster- glasscheibe an, so zeigen frische Tiere auch jetzt eine freilich nur schwache, eben merkliche Verdunklungsreaktion. Weiter bemühte ich mich, die Wirkung ultravioletter Strahlen auf das Raupenauge messend zu bestimmen. Im Hinblicke auf die Wichtigkeit der Frage für unsere Anschauungen vom Sehen der Insekten (siehe unten) seien einige meiner Methoden etwas aus- A führlicher geschildert. = = | N : Ve Zunächst suchte ich mit 4 tz Hilfe weisser bzw. ver- Dr schieden hellgrauer Papier- Abb. 1. flächen eine zahlenmässige Vorstellung von der durch die ultravioletten Strahlen bedingten Wirkung auf folgende Weise zu erhalten: Die Räupchen befinden sich in einem kleinen kubischen Behälter B aus Spiegelglas im Innern eines mattschwarzen Blechgehäuses MH, dessen : Form ausnebenstehendem Schema (Textabb. 1) erhellt: an den kubischen Mittelteil sind beiderseits zwei konisch sich verjüngende, etwa 10 em lange, röhrenartige Ansätze gelötet, so dass zu den in B-befindlichen Tieren das Licht nur durch die Röhrenenden L und R gelangen kann, deren Durchmesser etwa 4 cm beträgt; diesen gegenüber sind, unter gleichem Winkel zum einfallenden Lichte, die Flächen F, und F, auf- gestellt. Vor der Öffnung L kann eine Schwerstflintglasplatte an- gebracht werden; vor der Öffnung R kann bei E ein Episkotister rotieren, der die Menge des von F, kommenden Lichtes ohne Änderung seiner Zusammensetzung nach Bedürfnis abzuschwächen gestattet. Die dieser Fläche zugekehrte Seitenwand des Glasbehälters B ist aus dem für Ultraviolett besonders durchlässigen Uviolkronglase hergestellt. Bei anderen Versuchsreihen wurden nicht zwei einander gegenüber- liegende Seiten des Behälters mit den zu untersuchenden Lichtern bestrahlt, sondern zwei nebeneinanderliegende Teile. Dabei tat 78 C. Hess: besonders die folgende, von mir viel benützte Anordnung gute Dienste (Textabb. 2). Als Behälter dient wieder das auf S. 59 geschilderte flache, mit Uviol- kronglas bedeckte Gefäss, das von oben her durch zwei Spiegel bestrahlt wird, deren jeder unter einem Winkel von 45° das von der Seite kommende Licht gerade nach unten wirft; der eine Spiegel ist gleichfalls aus Uviol- kronglas hergestellt. Die wagrechte Kante, in der beide Spiegel aneinander- stossen, liegt dem Glasdeckel des Behälters eben auf. Über die ganze Vor- richtung wird. ein etwa 20 cm langer, 10 cm breiter, im Querschnitt I]-förmiger tunnelartiger Sturz so gestülpt, wie die punktierte Linie der Zeichnung angibt, und auf diese Weise erreicht, dass die linke Hälfte des Behälters nur von dem an der Fläche F‘, die rechte nur von dem an der Fläche F, zurückgeworfenen Lichte bestrahlt wird. Da der Behälter nur etwa 2 mm hoch ist und die Spiegelkante ihm unmittelbar aufliegt, kommt kein störendes Licht aus der einen in die andere Behälterhälfte. Will man die Wirkung grauer oder farbiger Gläser prüfen, so kann man diese un- mittelbar auf den Deckel auflegen oder aber sie bei L oder R vor die Mündung des Tunnels bringen. Befinden sich in dem durch Abb. 1 veranschaulichten Versuche bei F, und F, zwei gleiche, mattweisse (Papier-)Flächen, so verteilen sich die Raupen ange. nähert gleichmässig im Behälter; wird bei L ein Schwerstflintglas vorge- lest, so sind in 2—3 Mi- nuten alle Raupen nach R gewandert. Ich lasse nun bei F, die weisse Fläche mit dem Schwerstflintglase und bringe an die Stelle von F, der Reihe nach immer dunkler graue Flächen, deren Kreiselwert ich in der üblichen Weise bestimmt habe. Selbst wenn (an einsm trüben Tage) hier ein Grau mit dem Kreiselwerte 43° !) (kurz: „Grau 43°“) sich befindet, das uns schon ziemlich dunkelgrau erscheint, gehen noch alle Raupen nach dieser Seite. Bei dem viel dunkleren Grau 10 gehen sie nach dem Weiss, auch wenn hier das Schwerstflintglas vorgeschaltet ist, ebenso, aber in weniger ausgesprochener Weise, auch bei Grau 20. Mit anderen Worten: Unter den gewählten Bedingungen hat ein für unser Auge helles, aber von Ultraviolett nahezu freies Weiss auf die Augen der Raupen keine grössere Hellig- keitswirkung als ein für uns ziemlich dunkles, aber von seinen ultravioletten Strahlen nicht befreites Grau! Um noch genaueren Aufschluss über die Grenzen zu erhalten, innerhalb deren solche Bestimmungen möglich sind, und um insbesondere unabhängig zu sein von der jeweiligen Zusammensetzung der ver- RN NS) 1) Dies bedeutet, dass das Grau gleich ist einem am Kreisel durch Rotieren eines Sektors von 43° normalweissen Papiers vor lichtlosem Grunde erzeugten Grau. Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier, Tropismen. 79 schiedenen grauen Papiere, deren Remissionsvermögen für ultraviolette Strahlen nicht notwendig genau dem Kreiselwerte entsprechend herab- gesetzt zu sein braucht !), ging ich bei weiteren Versuchen so vor, dass ich beiderseits gleiche mattweisse Flächen aufstellte und vor R einen Episkotister rotieren liess, bei dem ich die Grösse des Ausschnittes von Versuch zu Versuch änderte. Ich füge das Protokoll einer der- artigen Beobachtungsreihe bei, um eine Vorstellung von den Grenzen zu geben, innerhalb deren solche Bestimmungen möglich sind, sowie auch von den Nebenumständen, die hier eine interessante Rolle spielen können. Versuche mit eben geschlüpften Räupchen von Saturnia pyri. An einem trüben Regentage werden beiderseits zwei gleiche mattweisse Flächen aufgestellt; bei Z ist eine Schwerstflintplatte zwischengeschaltet. Bei R rotiert der Episkotister. Bei einem Ausschnitte von 45° gehen die Tiere noch alle nach R. Wird der Ausschnitt des Episkotisters auf 10° verkleinert, so gehen die Tiere fast alle nach L. Wird der Ausschnitt des Episkotisters auf 20° vergrössert, so gehen die Tiere vorwiegend nach L. 3 Tage später werden die gleichen Versuche an einem klaren, sonnigen Tage wiederholt (die Flächen sind aber nicht dem direkten Sonnenlichte ausgesetzt). Bei R-Episkotister — 14°, die Tiere gehen eher mehr nach R. & a — 10°, die Tiere sind bei wiederholten Versuchen gleichmässig verteilt. 20°, die Tiere gehen deutlich nach R. 30°, die Tiere gehen stark nach R. ; 3°, die Tiere gehen alle nach L. r 36°, die Tiere gehen alle nach R. IA An dem trüben Regentage war also das ultraviolettreiche Grau dem ultraviolettarmen Weiss motorisch angenähert gleichwertig, wenn die Lichtstärke des Grau zwischen !/, und !/,, von jener des Weiss lag; am hellen Sonnentage erst, wenn seine Lichtstärke durchschnittlich ungefähr !/,, des Weiss betrug. Für die Helligkeitsempfindung der Raupen kamen also bei den fraglichen Versuchen offenbar noch jene kurzwelligen Sonnenstrahlen wesentlich in Betracht, die im Schwerst- flintglase unter allen Umständen, in der Atmosphäre an trüben Tagen zu einem grossen Teile zurückgehalten werden; an klaren, sonnigen Tagen aber kommen diese reichlich genug bis zur Erdoberfläche, um schon in den geringen Mengen, die jenes dunkle Grau reflektiert, dessen Lichtstärke nur etwa !/,, von jener des Weiss ist, auf die Raupen ebenso stark zu wirken, wie das für uns viel hellere, aber ultra- violettarme Weiss. 1) Vieie graue Papiere zeigen einen, wenn auch unbedeutenden Stich ins Rötliche oder Bläuliche, der für die meisten Aufgaben nebensächlich sein kann, hier aber, wo die Wirkung der ultravioletten Strahlen Gegen- stand der Untersuchung ist, nicht ohne weiteres vernachlässigt werden darf. 80 C. Hess: Ich ergänzte diese Tageslichtversuche noch durch solche, bei welchen als Lichtquelle einerseits eine Schott’sche Quecksilberdampflampe (Uviollampe), andererseits das durch Schwerstflintplatte ultraviolett- arm gemachte Nernstlicht meiner Hammerlampe diente; dieses machte ich durch Vorschalten geeigneter blassblauer Gelatinefolien in seiner Farbe jener des bläulichen Uviollichtes möglichst ähnlich, um beide besser auf ihre Helligkeit vergleichen zu können, wenn ich an den Ott des Glasgefässes mit Tieren einen Bouguer’schen Photometerkeil brachte. Die Uviollampe brannte im Dunkelzimmer in einem lichtdichten Kasten, der in passender Höhe mit einem kreisründen Ausschnitte von 15 mm Durch- messer für den Austritt der Strahlen versehen war; ihr gegenüber befand sich die Hammerlampe in solchem Abstande, dass am Orte des Behälters die Photometerflächen angenähert gleich hell erschienen. Die Tiere waren von rechts her mit dem ultraviolettreichen, von links her mit dem ultra- violettarmen Lichte bestrahlt. Erschienen für mich beide Photometer- flächen gleich hell, so eilten die Raupen lebhaft nach R; rotierte hier der Episkotister mit einem Ausschnitte von 15°, so gingen die Tiere alle nach L. Bei einem Episkotister-Ausschnitte von 60° gingen die Tiere stark nach R. es 5 5 „ 40° gingen sie noch deutlich, aber nicht mehr so stark nach R. 30° verteilten sie sich gleichmässig im Behälter. 36° gingen sie wieder stark nach R. a „ 15° gingen sie stark nach 1. Schaltete ich nun nach rechts eine Schwerstflintplatte vor, so ver- teilten die Tiere sich bei voller Lichtstärke dieser Lichtquelle angenähert gleichmässig in ihrem Behälter, d. h. die für uns gleich hellen Flächen wirkten jetzt, nach Ausschalten des Ultraviolett auf beiden Seiten, auch auf die Tiere wie angenähert gleich helle Lichtquellen. Bei diesen Versuchen musste also die ultraviolettreiche Lichtquelle auf etwa !/, ihrer Lichtstärke herabgesetzt werden, damit sie auf die Tiere ähnliche oder gleiche Wirkung hatte wie eine für uns angenähert gleich helle, aber ultraviolettarme Lichtquelle. Bei einem anderen Versuche mit etwas abweichender Anordnung betrug der gefundene Wert etwa !/,,. Für zwei Tage alte Räupchen von Deilephila tiliae fand ich bei entsprechenden Messungen Werte zwischen !/,, und !/,.. Die mitgeteilten Untersuchungen gelten der Herstellung motorischer Gleichungen zwischen zwei Lichtern, die unserem Auge in angenähert gleicher Farbe erscheinen und sich lediglich durch verschieden grossen Gehait an ultravioletten Strahlen voneinander unterscheiden. Die erhaltenen Werte geben uns zum ersten Male eine zahlen- mässige Vorstellung von der überraschend grossen Wirkung kurzwelliger Strahlen auf die Sehorgane der Raupen und die Bewegungen der letzteren zum Lichte; sie müssen auch unsere Anschauungen von der Art ihres Sehens wesentlich beeinflussen (siehe Abschnitt V). ” » ” ” r Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen, 81 Zunächst sei an einigen Versuchen mit farbigen Papierflächen gezeigt, in welchem Umfange auch hier für die Wirkung der von ihnen zurückgeworfenen Strahlen der Gehalt an Ultraviolett in Betracht kommen kann. An dem durch Textabb. 1 veranschaulichten Apparate werden bei F, und F, statt der grauen Papierflächen farbige aufgestellt, deren farb- losen Helligkeitswert ich in der üblichen Weise bei herabgesetzter Beleuchtung mit dunkeladaptiertem Auge bestimmt hatte. Es bedeutet demzufolge B jo; eine blaue Fläche, die für das total farbenblinde und für das bei herabgesetzter Lichtstärke sehende dunkeladaptierte normale Auge gleich ist einem Grau, das durch Rotieren eines weissen Sektors von 103° vor lichtlosem Grunde entsteht. Steht links Blau 05; rechts Grün s,, und wird, beiderseits eine Schwerstflintplatte zwischengeschaltet, so zeigen die Tiere deutliche, aber nicht sehr starke Neigung, nach dem Grün zu gehen (hier wie bei allen entsprechenden Versuchen zeigte sich, dass, wenn beiderseits die kurzwelligen Strahlen durch Schwerstflintplatten ausgeschaltet sind, die Tiere nur träge und etwa so reagierten, wie sonst bei allgemein herabgesetzter Lichtstärke). Werden beiderseits die Schwerstflintplatten entfernt, so zeigen die Tiere vielleicht eine geringe (doch wenig deutliche) Neigung, nach dem Blau zu gehen. Wird nur beim Blau Schwerstflint vorgeschoben, so sind in 2—3 Minuten alle Tiere nach dem Grün geeilt, wird die Schwerstflintplatte bei Grün vorgeschaltet und jene vor dem Blau entfernt, so eilen die Tiere sofort nach dem Blau. Versuche mit links Rot ,,, rechts Grün ,s, oder Blau |; führen zu entsprechenden Ergebnissen: Sind beiderseits die ultravioletten Strahlen ausgeschaltet, so gehen die Tiere nach dem Grün bzw. Blau; werden aber nur beim Grün bzw. Blau die kurzwelligen Strahlen aus- geschaltet, während das Rot ohne Schwerstflint wirkt, so gehen die Tiere vom Grün bzw. Blau zum Rot!!) Hieraus ergibt sich die interessante Tatsache, dass trotz des geringen Helliskeitswertes, den spektrales Rot für das total farbenblinde Auge hat, das von roten Papierflächen zurückgeworfene Ultraviolett genügen kann, um auf die Raupen stärker zu wirken, als 1) Wird links ein rubinrotes Glas, das fast nur die roten Strahlen von mehr als 600 pw durchlässt, rechts ein Blaufilter (3373 von Schott) und hier ausserdem noch ein Schwerst£flintglas vorgeschaltet und beiderseits ein von heller Sonne bestrahlter weisser Karton aufgestellt, so eilen die Tiere alle nach dem Blau. Auch dieser Versuch zeigt, dass hier die relativ grosse Helligkeit blauer Glaslichter für die Raupen gegenüber roten nicht etwa nur auf den Gehalt der ersteren an ultravioletten Strahlen bezogen werden kann (vgl. auch die auf S. 68 beschriebenen Versuche). Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 176. 6 - 82 C©. Hess: nach Ausschalten dieser kurzwelligen Strahlen die grünen und blauen Papierflächen. Die Versuche lehren aufs neue, wie wichtig es ist, bei einschlägigen Beobachtungen immer wieder auf Spektrum versuche zurückzugreifen, und welchen Irrtümern man ausgesetzt ist, wenn man sich bei Untersuchung des Lichtsinnes der Arthropoden ohne Kenntnis von der tiefgreifenden Wirkung des Ultraviolett auf Versuche mit Glas- lichtern oder gar auf solche mit farbigen Papierflächen beschränken zu dürfen glaubt. Dafür möge nur ein Beispiel Platz finden. Parker machte die folgende Beobachtung: Vanessa antiopa wurde in einem Zimmer, das einerseits durch ein Fenster, andererseits durch eine Glühlampe erleuchtet war, an einer solchen Stelle im Zimmer freigelassen, an welcher die Intensität beider Lichtquellen gleich gross war. Das Tier flog stets zum Fenster; Parker glaubte daraus schliessen zu dürfen, dass bei Vanessa die Grösse der belichteten Fläche für die Reaktion von Bedeutung sei, und dass demgegenüber die Bedeutung der Intensität zurücktreten könne. Nach den eben mitgeteilten Er- fahrungen über die Wirkung ultravioletter Strahlen auf das Arthro- podenauge ist dieser Schluss nicht mehr zulässig: das Tageslicht ist unter allen Umständen wesentlich reicher an Ultraviolett als das der Glühlampe, und so ist die Bewegung der Vanessa zum Fenster nicht sowohl auf die Grösse der belichtenden Fensterfläche als auf deren Ultraviolettreichtum zu beziehen. Unsere Beobachtungen zeigen, wie auch solche Fragen nunmehr einer messenden Behandlung zugängig gemacht werden können: man wird die Tiere etwa in der durch Textabb. 1 oder 2 veranschau- lichten Weise einerseits einem grossen konstanten, andererseits einem kleineren, zum Beispiel mittels Irisblende messbar variablen Lichtfelde aussetzen und solche Versuche einmal mit zwei Lichtquellen von gleich grossem Gehalte an ultravioletten Strahlen, dann mit solchen von verschiedenem Gehalte an diesen anstellen usw. V. Zur Theorie des Sehens mit Facettenaugen. Alle Erörterungen über das Sehen mit Facettenaugen gingen bisher von der Annahme aus, dass auch hier, ebenso wie im Craniotenauge, wesentlich nur solche Strahlen wirkten, die den nervösen Empfangs- apparat direkt zu erregen vermögen. Man glaubte daher, sich mit Konstruktionen des Strahlenganges begnügen zu dürfen, wie man sie den üblichen Darstellungen für das Wirbeltierauge entlehnte. Aus unseren Messungen über die Bedeutung ultravioletter Strahlen für die Helligkeitsempfindungen der Arthropoden im Zusammenhange mit dem Nachweise der starken Fluoreszenz ihrer Augen folgt die Irrigkeit iener Voraussetzungen und damit die Unzulänglichkeit der Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 83 herrschenden Betrachtungsweise. Aus den durch unsere Befunde ge- wonnenen neuen Gesichtspunkten ergibt sich für die einschlägigen physikalischen und physiologischen Verhältrisse eine zum Teil wesent- lich andere als die heute übliche Auffassung; ich beschränke mich zunächst auf die folgenden kurzen Andeutungen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Cranioten- und Arthro- podenauge besteht darin, dass in ersterem der stark fluoreszierende Teil des brechenden Apparates (Linse) hinter der Pupille liegt, derart, dass im allgemeinen ein Lichtstrahl, der die Linse trifft, gleichzeit:g auch zur Netzhaut gelangt, daher das Fluoreszenzlicht hier im all- gemeinen nur störend auf das Sehen wirkt, indem es sich wie ein Schleier über das vom brechenden Apparate entworfene Netzhautbild lest. Im Arthropodenauge dagegen liest ein stark fluoreszierender Teil des brechenden Apparates derart frei zutage, dass er vielfach auch von Strahlen getroffen wird, die nicht direkt zum nervösen Emp- fangsapparate gelangen: diese können aber auf dem Umwege der Fluoreszenz zu einem Reize für den letzteren werden, so dass die gleichen Strahlen, die im Craniotenauge stören, hier durch Erweiterung des Gesichtsfeldes und durch Wahrnehmbarmachen schwacher Lichtreize für das Sehen von Vorteil werden. Die folgenden Darlegungen mögen zeigen, dass Abb. 3a. Abb. 3b. diese Umstände wohl auch für Entwicklung und Ausgestaltung des Sehorgans der Gliederfüsser mit bestimmend gewesen sein können. Ich bespreche zunächst die Verhältnisse im Raupenauge; da ich in den mir zugänglichen Darstellungen keine zutreffende Abbildung finde, sei die Anordnung einiger Augen von Vanessa urticae wieder- gegeben. Abb. 3a und b zeigt einen Teil des Kopfes von vorn bzw. im Profil. Die Raupe hat beiderseits sechs Augen; davon liegen fünf in einem flachen, nach der Medianlinie des Körpers konvexen Bogen, das sechste, nicht mit abgebildete, nach aussen etwa in der Gegend der Mitte des Bogens. Die Augen sind so auf der konvexen Kopfnälfte an- geordnet, dass von der Seite kommendes Licht im allgemeinen vor- wiegend die rechte bzw. linke Augengruppe, nicht aber beide zu- gleich trifft. Die einzelnen Augen sind insofern verschieden, als von den vorderen und hinteren fast nur die Hornhaut aus der Umgebung vorragt, während Ge 34 C. Hess: die mittleren auf einem niederen schwarzen Kegel sitzen, aus welchem die kleine, stark gewölbte halbkugelige Hornhautlinse hervorragt, die in frischen Augen durchsichtig und bei gewöhnlicher Belichtung nicht von der dunklen Umgebung zu unterscheiden ist, dagegen im ultra- violettreichen Lichte als prächtig leuchtende Halbkugel fast wie die Hälfte eines Eies aus dem Becher hervorragt. Wenn das Präparat nicht ganz frisch ist, trübt sie sich leicht etwas und ist dann wohl A auch bei gewöhnlicher Beleuchtung AR als graue Halbkugei zu sehen. |\ ‘ Durch diese Fluoreszenz erhält das Sehorgan der Raupen eine an- sehnliche Vergrösserung des Ge- sichtsfeldes: während die Achsen der einzelnen Augen zusammen nur einen Winkel von kaum mehr als etwa 90° einschliessen, wird schon für eines der fast in der Ebene der Körperoberfläche liegenden Augen das Gesichtsfeld auf 180°, für ein auf dem konischen Stumpfe sitzendes noch mehr erweitert; so wie die Antenne eines Apparatesfür Hertz- sche Wellen die von allen Seiten kommenden, für uns an sich nicht wahrnehmbaren Schwingungen in solche verwandelt, die auf unsere Sinne wirken, werden 'aüch hier die an sich für das Sehorgan der Raupen wirkungslosen ultravio- letten Strahlen an jener den letzteren von allen Seiten zugänglichen Kugel in grünes, auf die Netzhaut wirken- des Fluoreszenzlicht verwandelt. Die nebenstehende Abbildung möge das Gesagte erläutern. Abb. 4 ist der Schnitt durch ein entpigmentiertes Raupenauge von Arctia caja nach Hesse (die Hornhaut war entfernt worden, da es sich wesentlich um die histologischen Verhältnisse der Netzhaut handelte, Abb. 5 gibt einen Durchschnitt durch das noch nicht entpigmentierte Auge von Gastropacha rubi nach Pankrath (1890. Man sieht die (hier viel weniger als bei Vanessa) kugelig vorragende „Cornealinse“, hinter dieser den kleinen rund- lichen Kristallkörper und diesem unmittelbar nach hinten anliegend die Sehfasern („Rhabdome“) in 2 Lagen: einer distalen, dem Kristallkörper in ziemlich grosser Ausdehnung anliegenden, und einer zweiten, von ihm durch die ersten Rhabdome getrennten. In beiden Rhabdomen liegt der Stiftchen- saum angenähert in der Achse des Ocells, also gerade zentralwärts vom Kristallkörper; Abb. 5 zeigt, dass, soweit nur die direkt sichtbaren Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 85 Strahlen desSpektrums in Betracht kommen, jedem Einzelauge nur ein kleines, etwa durch die (von mir eingezeichneten) punktierten Strahlen begrenztes Ge- sichtsfeld zukommen würde. Die Fluoreszenz aber ermög- 3 licht für jedes Auge die Ne Wahrnehmungkurzwelliger >” Strahlen, die es von allen Seiten tangential, also unter einem Gesichtswinkel von im ganzen etwa 180°, treffen und dadurch die Cornea- linsein eine grün’leuchtende Kugel verwandeln, von der . Licht nach allen Richtungen austreten und damit zum mindesten die vordere Seh- zellengruppe ausgiebig er- regen kann. Im Anschlusse an diese Verhältnisse im Raupen- auge gebe ich einen kurzen Überblick über die beträchtlich verwickelteren Bedingungen im zu- sammengesetzten Arthropodenauge, ar der freilich angesichts der Lückenhaftig- ER keit unserer Kenntnisse im wesentlichen nur die Aufgabe haben kann, zu zeigen, in welcher Richtung weitere Unter- Abb. 5. suchungen heute aussichtsvollerscheinen. Nehmen wir zunächst den einfachsten Fall eines angenähert halb- kugeligen Arthropodenauges, zum Beispiel von Hydrometra palustris, wie es Abb. 6 nach Be- dau wiedergibt (Zeit- schr.f. wiss. Zool., Bd.97. 1911). Die für uns sicht- baren Strahlen des Spek- trums werden von einem leuchtenden Punkte je- weilsnurdurch einige Fa- cettenglieder (im Grenz- falle durch ein einziges) zu jenem Teile des zuge- hörigen optischen Emp- fängers gelangen, dessen Facettenglieder mit ih- ren Achsen annähernd in der Richtung der einfallenden Strahlen liegen. Sendet aber der leuchtende Punkt solche kurzwellige Strahlen 86 ©. Hess: aus, die indem brechenden Apparate Fluoreszenz hervorrufen, so werden sämtliche Kristallkegel, die noch eben durch die von jenem Punkte ausgehenden Strahlen, wenn auch nur fast tangential, getroffen werden, dadurch gewissermaassen in selbstleuchtende Körper verwandelt, deren grünes Fluoreszenzlicht wieder auf die zugehörigen optischen Empfangs- apparate zu wirken vermag. Die Zahl der Facetten schwankt bei verschiedenen Insektenaugen zwischen 45 und 30000; es können also bei ultravioletthaltigem Lichte ausser den wenigen vom direkten Lichte gereizten noch Hunderte oder Tausende der nervösen Empfangselemente durch Fluoreszenzlicht gereizt werden. Die Stärke dieses letzteren wird unter anderem von Menge und Wellenlänge der ultravioletten Strahlen und von der spezifischen Fluoreszenzfähigkeit der Kristall- kegel abhängen, die wohl kaum in allen Augen gleichen Wert hat; auch darf man sich nicht vorstellen, dass die Fluoreszenz ausschliess- lich durch ultraviolette Strahlen hervorgerufen werde und an der Grenze des sichtbaren Spektrums etwa scharf abschneide; auch schon die kurzwelligeren violetten Strahlen dürften, in mehr oder weniger srossem Umfange, Flucreszenz erregen, deren Stärke innerhalb ge- wisser Grenzen mit abnehmender Wellenlänge zunimmt; auch hier brauchen die verschiedenen Arthropodenaugen nicht ganz. gleiches Verhalten zu zeigen. Die Helligkeit, in welcher das Fluoreszenz- licht von den Tieren wahrgenommen werden kann, wird ausser von der Stärke auch von der Fluoreszenzfarbe abhängen, die zwar im allgemeinen grünlich, also für die Auslösung von Helligkeitsempfin- dungen im total farbenblinden Auge besonders günstig, aber wohl auch nicht in allen Augen von dem gleichen Tone ist, vielmehr zwischen gelbliehem und bläulichem Grün schwankt. Neben Stärke und Helligkeit des Fluoreszenzlichtes kommt für die uns interessierenden Verhältnisse auch die Ausdehnung der von ihm getroffenen Teile des nervösen Empfangsapparates in Betracht. Hier kann die Form des Auges eine wesentliche Rolle spielen. Das vorher gewählte Beispiel galt den Verhältnissen bei angenähert halb- kugeligen Augen. Handelt es sich um mehr oder weniger geteilte Augen, wie sie bei Insekten und Krebsen nicht selten sind, so können die Bedingungen für ausgiebigere Wirkung des Fluoreszenz- lichtes noch günstiger werden; ich greife a!s Beispiel das Auge von Potamanthus brunneus nach Zimmer (Abb. 7) heraus: ein etwa bei p befindlicher leuchtender Punkt wird nur durch eine kleine Zahl von Facetten des Nebenauges den nervösen Empfangsapparat direkt reizen, während die von p auf die Facetten des Frontauges tangential auffallenden Strahlen eine ansehnliche Zahl von diesen in Fluoreszenz versetzen und damit den zugehörigen Abschnitt des nervösen Empfangs- apparates in entsprechend grosser Ausdehnung erregen können. Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 87 So lernen wir also schon im dioptrischen Teile des Arthropoden- auges eine Reihe von Bedingungen kennen, die ein verschiedenes Ver- halten verschiedener Arten gegenüber fluoreszenzerregenden Reiz- lichtern verständlich machen können. Eine erschöpfende Behand- lung der Frage wird auch die Verhältnisse des nervösen Apparates eingehender berücksichtigen müssen, doch sind hier insbesondere unsere anatomischen Kenntnisse noch viel zu lückenhaft; ich muss mich daher wiederum auf kurze Andeutung einzelner Punkte beschränken, die bei dem augenblicklichen Stande der Frage besonderes Interesse zu haben scheinen. Die gegenseitigen Lagebeziehungen zwischen dem nervösen Emp- fangsapparate und den Kristallkegeln sind in verschiedenen Arthro- podenaugen sehr verschieden, für viele, soweit ich sehen kann, noch nicht genügend geklärt. Betrachten wir zunächst jene Augen, bei welchen der nervöse Empfänger das Rhabdom, sich dem Kristall- „Jo Abb. 7. kegel proximal unmittelbar anschliesst. Bereits 1835 hatte Wagner für Sphinx atropos angegeben, dass ‚‚die Nervenröhre oder das Seh- nervenfädchen die Spitze des Kristallkegels kelchförmig umfasst und dann als Saum an beiden Seiten des Kegels bis zu seiner vorderen Fläche und zur Hornhaut fortgeht; der Nerv bildet also eine wahre Retina, welche den Kristallkegel scheidenartig umgibt“. Ähnliches gaben später Leydig und M. Schultze an; letzterer spricht von einem „schalenartigen Umfassen‘“ des Kristallkegels durch die Fibrillen bei einigen Arten. Neuerdings (1911) wurde ein gleiches von Johnas (Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 97) für das Facettenauge der Lepidopteren beschrieben: er gibt an, dass die Stiftchensäume, ‚nachdem sie in die Kristallkegelhülle eingetreten, ihre Verschmelzung zum Rhabdom aufgeben und als acht Rhabdomere die Kegelspitze becherartig um- schliessen, wie es Hesse für Periplaneta orientalis abgebildet hat, nur dass sie nicht so weit vordringen, sondern nur die Spitze des Kegels umfassen‘. 88 ©. Hess: Die nebenstehenden Abbildungen mögen zeigen, wie grosse Verschieden- heiten im Verhalten des Rhabdoms zu den Kristallkegeln bei verschiedenen Arthropoden vorkommen. Abb. 8 zeigt (nach Johnas) bei Botis verticalis eine Fortsetzung des Stiftchensaumes um die basalen Abschnitte des Kristallkegels. Abb. 9 (nach Hesse) gibt einen Medianschnitt durch ein Omma von Periplaneta orientalis wieder, für das @Grenacher schon 1879 angegeben hatte: „die Retinula weicht an ihrem vorderen Ende becher- förmig auseinander, und daran partizipiert auch das Rhabdom, das sich in vier Strahlen teilt. In die Höhlung senktsich der hintere Teil des Kristall- ‚ kegels ein, so dass er davon umfasst wird, wie etwa eine Blumenkrone I ze von den Kelchblättern“. Bei Gryllo- eıLN talpa wiederum ist „die Teilung des Rhabdoms nur rudimentär, so dass nur die äusserste Spitze des Kristall- kegels sich in die Vertiefung am vorderen Ende desselben einsenkt“. Hierher gehörigen Formen der Retinula begegnen wir nicht nur bei Arthropoden, sondern auch z. B. bei Myriopoden. Abb. 10, a und b zeigt ERSFRENN SE En en würdigen Augen von Scutigera nach Grenacher (Arch. f. mikr. Anat,, Bd. 18. 1880). Er beschreibt hier „einen zwar etwas grossen, sonst aber nicht ge- rade abnormen Kristallkegel hinter jeder Linse, hinter diesem wieder eine Retinula mit ihrem Rhabdom, und wenn auch die beiden letzteren da- durch, dass sie die Mantelfläche des Kegels grösstenteils umhüllen, etwas befremdlich erscheinen, so könnte man doch leicht geneigt sein, darin nur eine eigentümliche Weiterbildung eines Verhaltens zu sehen, das ich schon früher von Periplaneta abge- | bildet habe“.... „Die Retinula mit — lg 4— dem von ihr gebildeten und um- EN schlossenen Rhabdom zeichnet sich Ol durch eine exquisite Trichterform Abb. 8. Abb. 9. aus; mit ihrem nach vorn geöffneten Vorderende umschliessen sie eng an- liegend die inneren zwei Drittel oder drei Viertel des Kristallkörpers“. Die axialwärts gerichtete Fläche trägt den Stiftchensaum; zuweilen fand sich hier eine feine Querstreifung. Man ist zurzeit auf Grund der bekannten Untersuchungen Hesse’s mit Recht geneigt, die ‚„Stiftehensäume“ als die eigentlichen optischen Empfänger zu betrachten. Aber wir wissen noch nichts Sicheres darüber, ob nur sie als solche angesehen werden dürfen, oder ob etwa auch die nach vorn an sie unmittelbar angrenzende, die Kristallkegel um- das anatomische Verhalten der merk- ° Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 89 hüllende Masse, in der bisher keine den Stiftchensäumen entsprechende Bildungen gefunden wurden, Lichtreize aufzunehmen und weiterzu- leiten vermag. Während für das Wirbeltierauge nach meinen Unter- suchungen kein Zweifel mehr darüber sein kann, dass hier aussch liess- lich die Aussenglieder der Stäbchen und Zapfen als optische Emp- fänger anzusprechen sind, fehlen uns für das Arthropodenauge ge- nügende Kenntnisse darüber, was an jener Kristallkegelhülle Empfangs- apparat und was sozusagen optisch indifferente Masse ist. Wir wollen uns im folgenden, schon um eine greifbare Unterlage für weitere Erörterungen zu haben, der Annahme anschliessen, dass wesentlich nur die Stiftchensäume als optische Empfänger dienen. 8 \ Dt 5 Abb. 10b. Bei den Erörterungen über das Sehen mit Facettenaugen hat man sich bisher stets an die übliche Vorstellung gehalten, dass das in den Kristallkegel eintretende Licht diesen vorwiegend oder ausschliesslich an seiner Spitze verlasse, indem es, ähnlich wie bei dem bekannten Versuche mit dem Glasstabe, durch totale Reflexion dorthin gesammelt werde. Dementsprechend hat man bei Erörterung jener Augen, in welchen die Sehzellen bis an die Kristallkegel herantreten, in der Regel sich auf sulche Formen beschränkt, bei welchen die Sehzelle der Kegel- spitze gegenüber gleichfalls spitz endet, wie Abb. 11 (nach Hesse) zeigt. Die nach der üblichen Betrachtungsweise den Kristallkegel vor- wiegend oder ausschliesslich an seiner proximalen Spitze verlassenden 90 C. Hess: Strahlen können also den hier gegenüberliegenden nervösen Empfänger nur auf einer verhältnismässig kleinen Fläche treffen. Ist diese An- nahme über den Gang der Lichtstrahlen im Kristallkegel richtig, so ist schwer zu verstehen, wie es zur Entwicklung jener kelchartigen Empfänger kommen konnte, die den Kegel weit hinauf umschliessen; denn nach der herrschenden Meinung sollen ja wenige oder gar keine optisch verwertbare Lichtstrahlen aus den Seitenteilen des Kristall- kegels austreten; ja, hier austretende Strahlen sollen durch Pigment- absorption unschädlich gemacht werden. Das Vorhandensein jener den Kristallkegel kelchartig umfassenden Rhabdome muss, wie mir scheint, darauf hinweisen, dass, zum mindesten in diesen Augen, viel mehr Lichtstrahlen die Seitenwände des Kristallkegels veriassen, als bisher angenommen wurde, und dass dieses seitlich austretende Licht nicht als schädliches, sondern als nützliches bzw. optisch verwertbares zu betrachten ist. Sind die Kristallkegel aber durch kurzwellige Strahlen, die sie auch nur fast tangential getroffen haben, in Fluoreszenz versetzt und dadurch gewissermaassen selbst leuchtend geworden, so wird. von jedem Punkte des Kegelinneren nach allen Richtungen, also insbesondere auch nach den Seiten hin, Licht aus- treten und hier die Kegelhülle treffen können. Wenn letztere in verschiedenen Augen in verschieden grossem Umfange als nervöser Empfangsapparat fungiert, wie es nach den oben angeführten Befunden doch wohl der Fall sein dürfte, so wird dadurch eine ent- sprechend grössere Menge an sich unsichtbarer Strahlen durch Fluore- szenz Helligkeitsempfindungen vermitteln. Die Menge des sc wahr- genommenen Lichtes wird ausser von den schon oben besprochenen Umständen wesentlich auch davon abhängen, in wie grossem Umfange jene Empfangsapparate die Kristailkegel nach oben umgreifen. Wenn die hier vorgetragene Auffassung richtig ist, so haben wir in der Entwicklung jener Sehzellenkelche nicht etwa einen primitiven oder Rückbildungszustand vor uns, wie von zoologischer Seite an- genommen wird, sondern im Gegenteile eine besonders hohe Ent- wicklungsstufe, die im Interesse möglichst vollständiger Aus- wertung des Fluoreszenzlichtes zur Ausbildung gekommen ist. Im Craniotenauge finden wir das Volumen der einzelnen nervösen Empfangselemente bei Tieren mit vorwiegend nächtlicher Lebensweise oft beträchtlich grösser als bei Tagtieren: man vergleiche zum Beispiel die winzigen Zapfenaussenglieder der Eidechse oder des Huhnes mit den mächtigen Stäbchenaussengliedern eines Nachtvogels. Danach kann man fragen, ob vielleicht auch jene Empfangskelche im Arthro- podenauge hauptsächlich da zur Entwicklung kommen, wo das Be- dürfnis vorliegt, kleinste Lichtmengen nach Möglichkeit auszunutzen, also bei Tieren mit vorwiegend nächtlicher Lebensweise. Für die mir Über Lichtreaktionen bei Raupen u, die Lehre von den tier. Tropismen. 9] bisher bekannten, obenerwähnten Fälle trifft das in der Tat zu: Sphinx atropos, Periplaneta, Gryllotalpa, Botis und Scutigera sind das Dunkel bzw. die Dämmerung liebende Tiere, während wir bei ausgesprochenen Tagtieren, wie Bienen, annähernd solche Verhältnisse beschrieben finden, wie sie Abb. 11 zeigt!). Das kann natür- 4 B lich Zufall sein und genügt noch nicht entfernt zu einem abschliessenden Urteil in der uns be- schäftigenden Frage. Aber schen diese wenigen Andeutungen zeigen, wie interessant und aus- sichtsreich eine systematische anatomisch-physio- logische Untersuchung von Arthropodenaugen aus den neu gewonnenen Gesichtspunkten werden kann. — Für die Frage nach der Wirkung kurzwelliger Strahlungen ist auch jene zweite Gruppe der Arthropodenaugen von grossem Interesse. bei welcher der nervöse Empfangsapparat dem Kri- stallkegel nicht unmittelbar anliegt, sondern von ihm durch einen oft beträchtlichen Zwischenraum getrennt ist (siehe Abb. 12 nach Hesse). Solche Augen zeigen bekanntlich im allgemeinen eine Pismentwanderung derart, dass das ‚‚Lrispigment‘“ im Lichte nach rückwärts wandert und dann dort weit über den Kristallkegel hinausragt: bei dieser Pigmentstellung können also seitlich aus den Kegeln austretende Strahlen nicht optisch zur Wirkung kommen, da sie vom Pigment absorbiert werden. Wenn dieses sich aber im Dunkeln nach vorn zurückzieht, kann die Spitze des Kristall- kegels mehr oder weniger frei aus der Pigment- hülle heraussehen und dann auch aus seinen Seitenwänden Licht austreten lassen. Fluoresziert der Kegel, so kann auch dieses Licht zu den nervösen Empfängern gelangen und hier Hellig- keitsempfindungen auslösen, also wiederum in der Dämmerung, d.h. wenn es sich darum handelt, ge- Abb, 19 ringe Lichtmengen nach Möglichkeit auszunutzen. Entsprechendes gilt, wenn auch in geringerem Umfange, von dem Rhabdom selbst, das von einer bei Belichtung nach vorn, d. h. distal- wärts, vorrückenden Pigmenthülle umgeben ist, die sich in der Dunkel- l) Grenacher gibt an, dass bei der Honigbiene das Rhabdom, das hier als axialer Stab erscheint, abgerundet in nur geringer Entfernung vom hinteren. Ende des Kristallkegels endet. 92 C. Hess: heit zurückzieht. Hierdurch wird das Rhabdom einerseits für die von den Kristallkegeln kommenden Strahlen zugängig, andererseits auch für jene, welche von dem zum Beispiel bei manchen Krebsarten ausserhalb der Pigmenthülle vorhandenen Tapetum ausgehen. Auch für dieses letztere konnte ich starke Fluoreszenz im kurzwelligen Lichte nachweisen, und es ist sonach möglich, dass auch hier eine Helligkeits- empfindung nicht nur durch die am Tapetum zurückgeworfenen Strahlen, sondern auch durch das von ihm ausgehende Fluoreszenzlicht vermittelt wird. Bei jener ersten Gruppe von Augen werden also günstigere Be- dingungen für die Wahrnehmung geringer Liehtmengen wesentlich durch Vergrösserung der nervösen Empfangsfläche — Ausbildung jenes die Kristallkegel umhüllenden nervösen Kelches — geschaffen. Bei dieser zweiten Gruppe werden solche günstige Bedingungen wesentlich dadurch herbeigeführt, dass einerseits die Lichtfläche, die Strahlen zu den Rhabdomen sendet, durch Fluoreszenz vergrössert und anderer- seits durch Rückwandern der das Rhabdom umschliessenden Pigment- hülle der nervöse Empfangsapparat in grösserer Ausdehnung für Licht zugängig wird. In beiden Gruppen von Augen führt die Fluoreszenz zu einer wesentlichen Vergrösserung des Gesichtsfeldes. Je nach den Verschiedenheiten des anatomischen Baues können also die ultravioletten Strahlen bei verschiedenen Arten verschieden grosse Helligkeitswirkung hervorrufen, ja, es erscheint wohl möglich, dass für ein und dasselbe Arthropodenauge das Verhältnis der Wirkung der ultra- violetten Strahlen zu jener des sichtbaren Spektrums nach Dunkelaufenthalt und in der Dämmerung ein merklich anderes ist als nach Hellaufenthalt und im Hellen. In der Frage nach der Art der spezifischen Erregbarkeit der nervösen Substanz im Arthropodenauge war man früher so gut wie ausschliesslich auf theoretische Erwägungen angewiesen, welchen, mehr oder weniger klar ausgesprochen, die Annahme zugrunde gelegt wurde, dass die Welt der Farben den Gliederfüssern ähnlich oder ganz so erscheinen müsse wie dem Menschen. Wäre diese Annahme richtig, so müsste das Spektrum für sie in ähnlicher Ausdehnung und Helligkeitsverteilung sichtbar sein wie für uns. Dass dies nicht der Fall ist, lässt sich mit den von mir entwickelten messenden Methoden leicht zeigen: sie lehren, dass für alle Wirbellosen das Spektrum am roten Ende stark verkürzt, und dass es nicht wie für uns im Gelb oder rötlichen Gelb am hellsten ist, sondern im gelblichen Grün bis Grün. Damit ist die Annahme eines Farbensinnes wie beim normalen oder dem partiell farbenblinden Menschen endgültig ausgeschlossen. Weiter ward auch die An- nahme gemacht, das Spektrum erstrecke sich für manche niedere Tiere nach der kurzwelligen Seite wesentlich weiter als für uns, indem Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier, Tropismen. 98 sie jene für uns unsichtbaren ultravioletten Strahlen als Farben sähen, von welchen wir uns keine Vorstellung machen könnten. Demgegenüber zeigte ich, dass die Ausdehnung des direkt sichtbaren Wellenlängen- bereiches, mit anderen Worten, die spezifische Erregbarkeit der nervösen Substanz des Sehorgans bei allen Wirbellosen (und bei Fischen) eine überraschend ähnliche oder die gleiche ist und. mit jener beim total farbenblinden Menschen nahezu oder ganz übereinstimmt; aber die Arthropoden vermögen diese engen Grenzen nach der kurzwelligen Seite wesentlich zu erweitern, indem sie die an sich auch für sie un- sichtbaren ultravioletten Strahlen in solche von grösserer Wellenlänge umwandeln. Und wie hier am passiven Teile ihres Sehorgans finden wir am nervösen Empfänger selbst in jener becherförmigen Ausbreitung der Retinula über die Linse hin noch weitere Einrichtungen zu mög- lichster Ausnutzung geringer Lichtstärken. Die Aufgabe des brechenden Apparates (Hornhaut plus Linse) im Arthropodenauge ist nach meiner Auffassung eine vierfache. Er dient erstens der Sammlung der für dieses Auge direkt sichtbaren Strahlen, zweitens der Umwandlung‘ der für es unsichtbaren Strahlen durch Fluoreszenz in solche von grösserer Wellenlänge, die für es sichtbar sind, drittens einer beträchtlichen Erweiterung des Gesichtsfeldes ver- möge der von tangential auffallenden Strahlen erzeugten Fluoreszenz, viertens durch Absorption der kurzwelligen Strahlen dem Schutze der nervösen Sehsubstanz des Auges vor diesen. Die Annahme dieser Schutzfunktion gründe ich unter anderem auf die weite Verbreitung eines solchen Schutzes des nervösen Empfangs- apparates vor kurzwelligen Strahlen in der Tierreihe: Die phototrope Pigmentwanderung, der wir bei vielen Arthropoden und in noch grösserem Umfange zum Beispiel auch bei Fischen begegnen, hält bei Fischen im Heller, wenn sie bei Tage in die Nähe der Wasser- oberfläche kommen, ähnlich wie ein vor die lichtempfindliche Schicht der Netzhaut geschobener gelber Schirm kurzwellige Strahlen vom Auge zurück. An Stelle dieses nur zeitweiligen Schutzes ist beim Übergange zum Luftleben vielfach, zum Beispiel bei vorwiegend im Hellen lebenden Sauropsiden (Tagvögeln und Schildkröten) dauernde Ausschaltung selbst der blauen und violetten Strahlen durch Vor- lagerung gelber und roter Ölkugeln vor den optischen Empfangs- apparat getreten !). Im gleichen Sinne wirkt bei Menschen und Affen die Vorlagerung des gelben Pigmentes der Macula lutea vor die Stelle des deutlichsten Sehens. .Die Linse hält im Craniotenauge die ultra- violetter Strahlen ziemlich vollständig und vermöge ihrer (beim Menschen stets vorhandenen) mehr oder weniger stark ausgesprochenen 1) Genaueres hierüber siehe in meinem Aufsatze über den Farbensinn der Tagvögel und die Lehre von den Schmuckfarben. D. Arch. Bd. 166. 94 C. Hess: Gelbfärbung auch blaue und violette Strahler in entsprechendem Umfange zurück. Die auch in unserer Linse durch Absorption der kurzwelligen Strahlen hervorgerufene Fluoreszenz steht hier nicht wie hei den Gliederfüssern im Dienste des Sehens. Das Craniotenauge steht also hinter jenem der Arthropoden insofern zurück, als ihm die Erweiterung der Grenzen des Spektrums nach der kurzwelligen Seite durch Fluoreszenz abgeht. Auf der anderen Seite aber erfolgt bei den Wirbeltieren mit dem Übergange zum Luftleben eine Erweiterung der Grenzen des direkt sichtbaren Spek- trums nach dem lang welligen Ende durch eine tiefgreifende Änderung der spezifischen Erregbarkeit der nervösea Substanz, die insbesondere auch im Auftreten von Farbenempfindung zum Ausdrucke kommt (wir können uns von diesem grossen Unterschiede in der Ausdehnung des sichtbaren Spektralbereiches eine Vorstellung verschaffen, indem wir das langwellige Spektrumende einmal bei höherer Lichtstärke mit helladaptiertem, dann bei herabgesetzter mit dunkeladaptiertem Auge betrachten). In der Ausdehnung der Sichtbarkeit des kurzwelligen Spektrum- endes sind mit dem Übergange zum Luftleben und dem Auftreten farbiger Sehqualitäten im Craniotenauge keine so wesentlichen Ände- rungen erfolgt; zum Teile ist hier sogar, wie wir eben sahen, eine Ver- kürzung des Spektrums durch Vorlagerung eines gelben bis rotgelben Schirmes eingetreten. Somit hat im Wirbeltierauge der Übergang zum Luftleben eine ansehnliche Verschiebung des optisch vorwiegend verwerteten Spektral- bezirkes nach der langwelligen Seite zur Folge gehabt. Die stammes- geschichtliche Entwicklung unserer Sehqualitäten musste unverständ- lich bleiben, solange man sich über die Grösse des Unterschiedes der physikalischen Bedingungen für die Wahrnehmbarkeit von Strahlen verschiedener Wellenlänge beim Leben in Wasser und Luft nicht klar war: Die Wassertiere befinden sich dauernd in einem grünblauen Medium, das die für uns roten und gelben Strahlen in so grossem Umfange absorbiert, dass diese nur wenige Meter unter die Oberfläche dringen, während die kurzwelligen Strahlen in viel grössere Tiefen kommen. So lange also das Leben der tierischen Organismen auf das Wasser beschränkt blieb, fehlte das Bedürfnis nach ausgiebigerer optischer Verwertung jener langwelligen, schon nahe der Oberfläche zurückgehaltenen Strahlen. Mit dem Übergange zum Luftleben ge- langten diese Strahlen nun in wesentlich grösserem Umfange zu der nervösen Substanz des Sehorgans, andererseits führte die gesteigerte Intensität auch der kurzwelligen Strahlen zur Ausbildung jener Schutz- einrichtungen, die zum Teile eine relative Verkürzung am violetten ünde zur Folge hatten: für diese bietet die Erweiterung am lang- Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 95 welligen Ende einen gewissen Ersatz. Dem Arthropodenauge blieb beim Übergange vom Wasser- zum Luftleben jene ausgiebige Ver- wertung ultravioletter Strahlen durch Fluoreszenz erhalten, so dass, trotzdem es hier nicht zur Entwicklung eines Farbensinnes und ent- sprechender Erweiterung des Spektrums nach der langwelligen Seite kam, für die Gliederfüsser der optisch verwertete Spektralbereich angenähert ebenso ausgedehnt ist als für uns und sich nur auf ein etwas anderes Gebiet von Wellenlängen erstreckt: Auf unser Auge wirken unter gewöhnlichen Bedingungen des Sehens Strahlen von ungefähr 760 uu. bis ungefähr 400 uu !), die grösste Helligkeit kommt den Strahlen von etwa 580 un zu. Auf das Arthropodenauge sind unter gewöhnlichen Bedingurgen Strahlen von etwa 665 uw!) bis nahezu 300 uu nachweislich wirksam ?), die grösste Helligkeit kommt solchen von etwa 530 vu zu. VI. Die Lehre von den tierischen Tropismen. J. Löb hat seine Tropismenlehre vor 30 Jahren in der Hauptsache auf Beobachtungen an Raupen gegründet, und das angebliche Ver- halten der letzteren gilt seitdem als besonders wichtige Stütze dieser Lehre. Angesichts der hier mitgeteilten neuen Befunde scheint es von Interesse, den einschlägigen Fragen aus allgemeineren Gesichts- punkten näherzutreten und zu prüfen, was Löb’s Hypothese für die Lehre vom Lichtsinn der Tiere geleistet hat. Descartes hat zuerst vor 300 Jahren die Meinung geäussert, die Tiere seien, zum Unterschiede vom Menschen, lediglich automatische Maschinen. In seinem ‚Discours de la methode etc.‘ schreibt er nach Besprechung der durch menschliche Kunst hergestellten Automaten: ‚Wenn es derartige Mechanismen gäbe, die in ihrer äusseren Gestaltung und in allen Organen einem Affen oder irgendeinem anderen vernunft- losen Tiere durchaus ähnlich wären, so vermöchten wir zwischen ihnen und jenen Tieren in keiner Weise einen wesentlichen Unterschied festzustellen.“ Eine solche Betrachtungsweise, die seitdem wiederholt aufgegriffen wurde, hat in unseren Tagen einen Hauptvertreter in Löb gefunden, der in den Tieren nichts anderes als ‚chemische Maschinen‘ sehen will. Auch von zoologischer Seite werden derartige Anschauungen‘ immer wieder nachdrücklich vertreten: Doflein 4 1) Diese Grenzen hängen selbstverständlich sehr wesentlich von der Lichtstärke ab; die Zahlen sollen nur eine annähernde Vorstellung von den hier bei gleichen Verhältnissen in Betracht kommenden Verschiedenheiten geben. 2) Solche Strahlen können wir natürlich auch für unser Auge durch Fluoreszenz sichtbar machen, aber sie werden nicht, wie bei den Arthro- poden, unter den gewöhnlichen Bedingungen des Sehens von uns wahrgenommen. 96 C. Hess: (Tierbau und Tierleben 1914) spricht zum Beispiel vom Körper der Tiere als einer chemischen Maschine !), und in einem Aufsatze über den Ameisenlöwen bezeichnet er diesen als ‚reinen Reflex- automaten‘, der ‚‚wie eine kleine Maschine funktioniert“; ‚‚wie bei einer Maschine laufen die Vorgänge bei einem Reflexautomaten voll- kommen automatisch ab“. Löb bezeichnet als ‚Tropismen der Tiere‘ ‚die zwangsmässige Orientierung gegen resp. die zwangsmässige Progressivbewegung zu oder von einer Energiemenge“. Wenn Raupen oder Jungfische sich in Scharen zu einer Lichtquelle hin bewegen, so ist dies nach Löb ein „‚Tropismus‘“, und es wäre zunächst lediglich Sache des Geschmackes, ob man statt „die Tiere gehen zum Hellen‘“ sagen will, „sie zeigen positiven Heliotropismus‘, nicht anders, als wenn man etwa von einer Schar Sperlinge, die bei Annäherung des Menschen auffliegt und in einem Baume Schutz sucht, statt zu sagen, sie fliehen vor dem Menschen in Baumzweige, sagen wollte, sie zeigten negativen Androtropismus bzw. positiven Dendrotropismus. An sich besast hier wie dort die eine Bezeichnung nicht mehr als die andere. Im Laufe der Zeit ist aber der Name ‚Tropismus““ zum Kennworte für eine bestimmte Auffassung der Lebensvorgänge bei tierischen Organis- men geworden, die durch Bezeichnungen wie ‚‚monistisch‘“, ‚ratio- nalistisch“ und ähnliche einen gewissen philosophischen Anstrich er- hielt, und die in letzter Linie darauf hinausläuft, den lebenden Organis- mus „als eine chemische Maschine zu definieren‘; und es wird der Anschein erweckt, als ob nur eine solche Ausdrucksweise Anspruch auf strenge Wissenschaftlichkeit machen dürfe. Prüfen wir, inwieweit diese Auffassung dem entspricht, was uns die neuen Untersuchungen über die Sehqualitäten der Tiere gelehrt haben. Löb war bei Aufstellung seiner Hypothese davon ausgegangen, dass Tiere, die zum Hellen gehen, eine solche Bewegung hinter roten Gläsern nur wenig, hinter blauen dagegen deutlich zeigen. Sachs hatte früher gefunden, dass Pflanzen sich hinter roten Gläsern wenig oder gar nicht, hinter blauen dagegen deutlich zum Lichte neigen; daraus zog Löb den ersichtlich unzulässigen Schluss, der tierische Heliotropismus sei mit dem pflanzlichen ‚‚identisch“. Er hält an seinem Irrtume auch noch fest,snachdem ich durch systematische Messungen gezeigt habe, dass beide Vorgänge nicht entfernt ‚‚identisch‘“, vielmehr fundamental voneinander verschieden sind. So schreibt er zum Beispiel, dass „die Bewegungen der Tiere zum Lichte im grossen 1) Aber gleichzeitig spricht er von einem Farbensinne der Bienen, ja einer „Vorliebe“ derselben für bestimmte Farben, sogar für solche, die sie, wie Rot, zugestandenermaassen nicht sehen. Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 97 und ganzen dieselbe Abhängigkeit von der Wellenlänge des Lichtes zeigen wie die heliotropischen Krümmungen der Pflanzenstengel zum Lichte“. Demgegenüber zeigte ich unter anderem, dass für die Be- wegungen der Tiere zum Lichte im Spektrum das Maximum im Gelb- grün bis Grün liest, während für die meisten Pflanzen diese Strahlen des Spektrums fast ein Minimum der Wirkung zeigen und das Maximum für die Pflanzen weiter, zum Teile viel weiter nach dem kurzwelligen Ende liegt als für die Tiere Ferner schreibt Löb, dass ‚für die Progressivbewegungen der Tiere unter dem Einfluss des Lichtes rotes Licht wie ein für Licht nieht durchgängiger, also opaker Körper wirkt, während blaues Glas wie ein völlig durchsichtiger Körper wirkt‘“. Beides ist, wie wir (S. 68) sahen irrig, ebenso seine immer wieder vorgebrachte Angabe, positiv heliotropische Tiere wanderten auch dann zur Lichtquelle, ‚‚wenn sie dabei aus dem Sonnenlichte in den Schatten gelangen“ Die tatsächlichen Angaben, auf die Löb hier seine Tropismenlehre gründete, haben sich somit alle als un- richtig erwiesen. Seine Irrtümer führten ihn dazu, einerseits das Verhalten der Tiere zum Lichte zu Unrecht mit jenem der Pflanzen zu !dentifizieren und andererseits eine tiefe Kluft zwischen den Licht- reaktionen der Tiere und jenen des Menschen in ihrer Abhängigkeit von der Wellenlänge anzunehmen. In Gegensatze hierzu zeigen unsere Messungen, dass die Lichtreaktionen der Tiere weitgehende Über- einstimmung mit jenen des total farbenblinden und des dunkel- adaptierten normalen Menschen zeigen, dagegen von jenen der Pflanzen in ganz charakteristischer Weise verschieden sind. Schon mit diesen leicht auf ihr» Richtigkeit zu prüfenden Tatsachen war der tierischen Tropismenlehre Löb’s hier der Boden entzogen. Zu welchen Widersprüchen mit den Tatsachen jene Lehre führt, sei an einigen Beispielen gezeigt. Wir wissen heute aus zahlreichen neuen Beobachtungen, wie mannisfacher Art die durch das Licht ausgelösten tierischen Bewegungen sind, von welchen nur ein Teil in „Progressivbewegungen“ zum Lichte zum Ausdrucke kommt. Löb trennt diese letzteren als ‚‚Tropismen‘‘ von den übrigen Lichtreaktionen, für die er den Namen ‚‚Unterschiedsempfindlichkeit‘ einführt; dadurch werden ohne Anlass Erscheinungen auseinandergerissen, deren enge Zusammengehörigkeit auch in der von uns festgestellten weitgehenden Übereinstimmung ihrer Abhängigkeit von den Wellenlängen zum Aus- drucke kommt. Ein ebenso unverständlicher Widerspruch liegt für mich in der Annahme, bei Tieren komme diesen Tropismen vielfach keine lebens- erhaltende Bedeutung zu, sie seien vielmehr hier eine gewissermaassen zufällige Erscheinung, während bei dem pflanzlichen Heliotropismus, Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 177. U 98 C. Hess: der doch mit dem tierischen ‚identisch‘ sein ‚soll, seine grosse Be- deutung für die Entwicklung der Pflanzen zugegeben, ja ausdrücklich hervorgehoben wird. Geht doch Löb so weit, die Möglichkeit einer direkt schädlichen Wirkung des ‚‚tierischen Helictropismus‘“ anzudeuten mit den Worten: ‚Bei den Schmetterlingen lässt sich für den Helio- tropismus keine lebenserhaltende Bedeutung nachweisen, eher wäre noch das Gegenteil der Fall, da vielen Nachtschmetterlingen ihr positiver Heliotropismus das Leben kostet‘ 1). Da wir ähnlichen Anschauungen in der neueren, insbesondere zoolo- gischen Literatur mehrfach begegnen, sei mir gestattet, meinen ent- gegengesetzten Standpunkt etwas eingehender zu begründen. Schon aus allgemein biologischen Gründen erscheint mir natur- gemässer als die Löb’sche Auffassung die Annahme, dass, wie die Organe selbst, so auch ihre Funktionen im Interesse ihrer Träger zur Entwicklung gekommen sind, und die Bewegungen der jungen Raupen zeigen, wie ich meine, besonders eindringlich die grosse, ja lebens- erhaltende Bedeutung ihres angeborenen Dranges zum Lichte, der hier durch die merkwürdige Verdunklungsreaktion so wirksam unter- stützt wird. In den ersten warmen Frühlingstagen, wenn ehen die grünen Triebe, zuerst an den meist besonnten Stellen, hervorkommen, kriechen die Räupchen aus den an kahle Stämme und Äste geklebten Eiern; ihre erste Bewegung gilt dem Aufsuchen des Lichtes, und lediglich der Trieb zum Lichte führt sie, wie wir gesehen haben, längs der Äste dahin, wo die noch zarten kleinen Tiere am meisten Aussicht haben, bald ihre Nahrung, junge Blätter, zu finden. Sicherlich gehen dabei viele von ihnen dadurch zugrunde, dass sie auf dürren, abgestorbenen oder noch nicht mit Blättern versehenen Ästen zum Lichte kriechen und an deren Spitzen verhungern (siehe oben); das kann uns aber an der Überzeugung von der Zweckmässigkeit jener Reaktion nicht irre- machen: müssten sie doch ohne den Trieb zum Hellen in noch viel grösserer Zahl, wenn richt gar alle, zugrunde gehen. Gegenüber der von zoologischer Seite geäusserten Meinung, der Flug der Insekten ins Licht sei fast der einzige Fall schädlicher Instinkt- handlung, darf ich darauf hinweisen, dass es wohl überhaupt keine Instinkthandlung gibt, der nicht die Individuen einer Gattung in mehr oder weniger grosser Zahl zum Opfer fallen, obschon die lebens- erhaltende Bedeutung des fraglichen Instinktes unbestreitbar ist. Die 1) Eine solche Betrachtungsweise scheint mir nicht besser, als etwa annehmen zu wollen, auch die Organe, die solche Reaktionen vermitteln und durchführen, Auge und Ohr, Flosse und Flügel, hätten sich gewissermaassen zufällig und ohne direkten Nutzen für den Besitzer entwickelt; könnte man doch auch sagen, dass vielen Tieren ihre Organe „das Leben gekostet“ haben. ® Über Lichtreaktionen bei Raupen u, die Lehre von den tier, Tropismen. 99 Anlockung von Tieren durch Artgenossen vermittels des Geruches, wie bei Schmetterlingen, oder des Gehöres, wie bei Hirsch und Reh, wird vom Jäger und Schmetterlingsammler planmässig zur Vernichtung ungezählter Individuen benutzt, ohne dass wir an der Überzeugung von der Zweckmässigkeit der fraglichen Instinkte irre werden. Niemand wird die vitale Bedeutung des Nahrungstriebes in Frage stellen, weil ihm Millionen Tiere durch Angel und Köder zum Opfer fallen. Geschmack und Geruch, Gesicht und Gehör stehen in allen diesen Fälten unstreitig im Dienste der Erhaltung der Art, und doch führen auch hier, ganz ähnlich wie dort bei den künstlichen Lichtquellen, erst durch den Menschen geschaffene Bedingungen zum Untergange einer grossen Individuenzahl. Aber nicht nur unter diesen künstlich ge- schaffenen, sondern auch unter den in der Natur waltenden Be- dingungen fallen zahllose Individuen einem Triebe zum Opfer — ich erinnere an Nahrungs- und Geschlechtstrieb —, und doch werden wir ihn als arterhaltenden auffassen und anerkennen, sobald sein Nutzen den Schaden überwiegt !). — Die neuen. Beobachtungen an eben geschlüpften Raupen haben mir zum dritten Male Gelegenheit gegeben, Lichtreaktionen der Tiere unmittelbar nach der Geburt zu verfolgen: ich untersuchte solche in den ersten 48 Stunden nach dem Ausschlüpfen aus dem Ei bei jungen Hühnchen, die ich im Spektrum fütterte, und konnte bei Kopffüsser- embryonen bereits 3 Wochen vor der physiologischen Geburt ihr Verhalten gegenüber Lichtern verschiedener Wellenlänge genau be- stimmen. Für die viel erörterte Frage, ob die Sehqualitäten angeboren oder im individuellen Leben erworben sind, ist die Feststellung von be- sonderem Interesse, dass bei allen diesen voneinander so ver- schiedenen Tierarten die Sehqualitäten des Neugeborenen in allen Einzelheiten schon wesentlich gleiches Verhalten zeigen wie beim ausgewachsenen Tier ’?). So, wie bei den Raupen, scheinen mir auch bei vielen anderen Tier- arten die Bewegungen zum Lichte in erster Linie im Dienste der Nahrungssuche zu erfolgen. Für die Jungfische hat man von zoolo- 1) Ich schrieb früher, „die durch Hunger und durch Liebe bestimmten Lebensäusserungen in der Tierreihe sind für die Erhaltung der Art von der höchsten Wichtigkeit; und doch, wie gross ist die Zahl der Individuen, die eben durch sie unter besonderen Verhältnissen zur Vernichtung geführt werden“. Von zoologischer' Seite glaubt man mir entgegenhalten zu sollen, „dass Hunger und Liebe der Natur nicht genügt, das Getriebe zu erhalten“. Ich brauche wohl nicht zu betonen, dass ich niemals die törichte Meinung geäussert habe, dass diese beiden Faktoren zur Erhaltung der Art „genügen“. 2) Durch pupilloskopische Untersuchungen an neugeborenen bzw. wenige Tage alten Kindern konnte ich feststellen, dass auch hier die Sehqualitäten bereits ähnliche oder die gleichen sind wie beim Erwachsenen. TIER 100 u C. Hess: sischer Seite die von mir vertretene Meinung bestritten. Wer die Tiere aufmerksam verfolgt, wird überrascht sein, zu sehen, mit welcher Sicherheit selbst kleinste Fischehen auf winzige, im Wasser vor ihnen schwimmende Gegenstände zuschwimmen und nach ihnen schnappen. Gerade diese letzteren werden aber im allgemeinen um so leichter und aus um so grösserem Abstande wahrgenommen, in je hellerer Umgebung sie gesehen werden. Und so wird man den Drang der Jungfische zum Helien ganz ähnlich wie jenen der kleinen Räupchen auf den Nahrungstrieb zurückführen dürfen, dessen baldige Befriedigung gerade für die kleinen neugeborenen Tiere besonders wichtig und dringlich ist; überzeugt man sich doch leicht, wie viel länger erwachsene Fische und Raupen ohne Schaden hungern können als neugeborene. Gegen meine Meinung, dass das Nahrungsbedürfnis der Fische bei der Entwicklung des Dranges zum Hellen eine wesentliche Rolle gespielt haben dürfte, wollte man die von mir gefundene Tatsache ins Feld führen, dass die jungen Aale, für die ich „eine ausgesprochene, wenn auch nicht sehr lebhafte Neigung, zum Lichte zu schwimmen“, nachgewiesen habe, ihre Nahrung nicht mit den Augen, sondern nach dem Geruche finden. Es ist nicht recht verständlich, wie man hierin einen Widerspruch gegen meine Auffassung von der Bedeutung des Dranges zum Hellen sehen kann: Wenn ein Tier Sinnesorgane besitzt, die ihm ermöglichen, auch im Dunkeln, also unter verhältnismässig ungünstigen Bedingungen Nahrung zu finden, so ist damit doch nicht gesagt, dass die Bedingungen, solche zu finden, nicht im Hellen noch günstiger sein können. Nur nebenbei sei darauf hingewiesen, dass ich wiederholt ausdrücklich hervorgehoben habe, „für die ganze Ent- wicklung des jugendlichen Fischkörpers mag der Einfluss hellen Lichtes von grösserer Bedeutung sein, als man heute wohl vielfach anzunehmen pflegt“; ich regte dabei an, die einschlägigen Fragen aus diesen neuen Gesichtspunkten experimentell in Angriff zu nehmen. In der Zoologie hat man die phototaktischen Erscheinungen auch als „Laboratoriumsprodukt‘‘, als ‚‚,bei den meisten Tieren nur schnell vorübergehende Fluchtbewegungen‘“ und speziell die ‚Phototaxis‘“ der Nachtschmetterlinge als eine solche Fluchtbewegung auffassen wollen, „die beim einzelnen Falter nur dann eintritt, wenn ihn irgendwelche abnormen, Gefahr signalisierenden Umstände beunruhigen“. Wie die Bewegung der Raupe zum Lichte als Fluchtbewegung gedeutet werden könnte, ist mir nicht ersichtlich; was ihre Auffassung als „Labora- toriumsprodukt‘ angeht, so lässt sich hier besonders schön nachweisen, dass die fraglichen Reaktionen im Freien und unter natürlichen Be- dingungen im wesentlichen ebenso vor sich gehen wie im Laboratorium. Die Frage, warum die zum Lichte gehenden Insekten nicht in die Sonne oder den Mond fliegen, ist in der Zoologie vielfach erörtert ' worden und hat zu seltsamen Erklärungsversuchen geführt; so meinte zum ‚Beispiel Romanes, die Tiere flögen nicht auf den Mond zu, weil dieser ihnen bekannt sei, das Licht aber ihre Neugierde reize, und Demoll schreibt gar, das Maassgebende für die Bewegungen der Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 101 Tiere zum Lichte sei nicht das Licht, sondern die Dunkelheit der Umgebung. Die meines Erachtens naheliegende und erschöpfende Erklärung, die ich schon. vor einer Reihe von Jahren angedeutet habe, ist folgende: Die Bewegungen der Tiere zum Lichte sind wesentlich dadurch bestimmt, dass letztere durch sie im allgemeinen unter günstigere Lebensbedingungen kommen; für die Raupen und Fische sahen wir, dass jene durch die Bewegung zur Nahrung geführt werden, diese im Hellen ihre Nahrung leichter sehen können. Für Nachtschmetterlinge wies ich darauf hin, dass sie an den finstersten Stellen von Wald und Gebüsch oft nichts oder nicht genügend sehen, wenn sie aber einer von Mond- oder Sternenlicht wenn auch nur schwach erhellten Stelle zufliegen, mit Hilfe ihrer Augen leichter die Artgenossen finden, den Feind fliehen oder ihrer Nahrung nachgehen können. Damit die Be- wegung zum Heilen dieses Ergebnis habe, ist erforderlich, dass das Tier dabei auch wirklich aus einer weniger lichtstarken in eine lichtstärkere Umgebung komme, ganz so, wie auch wir, wenn wir, etwa an einer dunklen Stelle des Zimmers stehend, einen feinen Gegenstand besser sehen wollen, mit ihm ans Fenster treten, wo es wirklich heller und der Gegenstand entsprechend deutlicher sichtbar wird. Aber so wenig wir, zum Beispiel am Nachmittage im Freien stehend, gegen Westen laufen werden, um der Sonne näher zu sein und deshalb den Gegenstand besser sehen zu können, so wenig werden die Tiere auf Sonne oder Mond zufliegen: denn innerhalb der wenigen Meter, die sie dadurch dieser Lichtquelle näher kämen, ändert sich die Lichtstärke der Umgebung für sie nicht, sie kommen dadurch also nicht aus dunklerem in helleres Gebiet. — Bei allen einschlägigen Untersuchungen darf man aber auch nicht vergessen, dass der Drang zum Lichte im allgemeinen nicht der einzige, sondern zumeist nur einer von mehreren Faktoren ist, die gleichzeitig, aber in verschiedenem Grade die Bewegungen der Tiere beeinflussen. Durch eine solche Betrachtungsweise, die sich unter anderem auch auf den von mir erbrachten Nachweis erstaunlicher Unterschieds- empfindlichkeit für Helligkeiten bei vielen der fraglichen Tiere stützt, verliert das verschiedene Verhalten der letzteren gegenüber der Sonne und künstlichen Lichtquellen das Wunderbare, das man hier finden zu müssen glaubte, und das zu so seltsamen Spekulationen Anlass gegeben hat. — Seine Meinung, die ‚„Tropismen‘ hätten nichts mit Zweckmässig- keit zu tun, stützt Löb auch darauf, dass manche Wassertiere sich in bestimmter Weise gegen einen durch ihren Behälter geschickten galvanischen Strom orientieren (‚Galvanotropismus‘‘); er schreibt: „eine schärfere Widerlegung der Auffassung, dass die Reaktionen der Tiere durch ihre Bedürfnisse oder Interessen bestimmt oder durch 102 C. Hess: natürliche Zuchtwahl erworben sind, könnte es doch nicht gut geben.“ Tatsächlich kommen für eine solche Anschauung die fraglichen Er- scheinungen nicht in Betracht. Erfolgt doch die Einstellung der Tiere zum galvanischen Strom wohl nur deshalb, weil dieser auf sie in letzter Linie ähnlich wirken dürfte wie gewisse Faktoren in ihrer sewohnten Umgebung (zum Beispiele das Strömen des Wassers), auf welche durch eine Orientierung zu antworten im Interesse der Tiere ist. Man kann also den sogenannten ‚Galvanotropismus‘“ nicht wohl als Beweis gegen die Zweckmässigkeit der fraglichen Einstellungen ins Feld führen. Dass die hier in Rede stehende Einstellung der Tiere im besonderen Falle der galvanischen Durch- strömung des Behälters keinen „Zweck“ hat, spricht dagegen ebenso- wenig als der Umstand, dass Motten durch Flug ins Licht zugrunde gehen, gegen die Vermutung spricht, der Drang zum Lichte sei im allgemeinen für ihr Leben von Bedeutung, oder der Umstand, dass ein Tier, das bei Befriedigung seines Nahrungstriebes zugrunde geht, indem es etwa versehentlich giftige Nahrung nimmt, gegen die lebenserhaltende Bedeutung des Nahrungstriebes angeführt werden kann. — | Bei Löb’s Bemühungen, den ‚‚maschinenmässigen‘““ Charakter der Lichtreaktionen der Tiere darzutun, spielt auch ein altes, in der Philo- sophie vielgebrauchtes Beispiel in etwas veränderter Form wieder eine Rolle. Er schreibt: ‚Sind zwei gleich starke Lichtquellen in gleichem Abstande vom, Tiere vorhanden, so bewegt sich dasselbe senkrecht zur Verbindungslinie der beiden Lichtquellen, weil dann beide Augen in gleicher Weise vom Lichte beeinflusst werden. Darin unterscheidet sich, wie Bohn richtig bemerkt, die maschinenmässige heliotropische Reaktion der Tiere von der nicht durch Heliotropismus bedingten Bewegung eines Menschen zu einer von zwei Lichtquellen.“ Ich habe nie ein Tier gefunden, das sich zwei Lichtquellen gegenüber so verhält, wie hier angegeben wird. Die mathematische Gleichheit der Bedingungen, die zur Durchführung des Versuches erforderlich wäre, und die nicht nur mathematisch genau gleiche Lichtstärken und gleichen Abstand der beiden Lichtquellen von dem mathematischen Mittelpunkte zwischen beiden Augen des Tieres, sondern auch genau gleiche physiologische Verhältnisse, gleichen Adaptationszustand der beiden Augen usw. voraussetzt, ist im Versuche praktisch gar nicht herzustellen, schon deshalb nicht, weil die in Betracht kommenden Tiere zumeist dauernd in Bewegung sind, die Raupen zum Beispiel suchend ihren Kopf hin und her bewegen usw. Mit der kleinsten Be- wegung aber sind die Bedingungen für gleiche Wirkung beider Licht- quellen aufgehoben, und die zum Hellen gehenden Tiere werden sich im allgemeinen der jeweils für sie helleren von beiden Lichtquellen Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 103 zukehren, nicht aber senkrecht zur Verbindungslinie von beiden be- wegen. — Die Tropismenlehre besagt ferner, bei den durch das Licht aus- gelösten, Bewegungen handle es sich um einfache ‚Reflexe‘; sie spottet über die Autoren, die eine ‚‚kapriziöse Tierseele‘‘ annehmen oder auch nur von ‚„Helliskeitsempfindungen‘“ bei Tieren reden, ‚als ob die letzteren mit menschlichen Empfindungen ausgestattet seien“ usw. Wenn ein Tier auf einen einzelnen Ton mit einer Bewegung reagiert, so mag man den Vorgang mit einem Anscheine von Recht als einfachen Reflex zu deuten versuchen, aus dem noch nicht geschlossen werden dürfte, dass das Tier ‚Tonempfindungen‘ habe. Wenn aber der Star ganze Melodien, die ihm vorgesungen werden, richtig wiedergibt, und der Papagei vorgesprochene Sätze selbst im Tonfalle richtig wiederholt, so wird auch der konsequenteste Vertreter jener Lehre nicht in Abrede stellen wollen, dass die Tiere ein dem unsrigen ähnliches Gehör haben, dass die für uns verschiedenen Töne für sie in ähnlicher Weise von- einander verschieden sein müssen. Entsprechend kann, solange man etwa nur die durch einen bestimmten Lichtstrahl ausgelösten Be- ' wegungen eines Tieres berücksichtigt, die Auffassung dieser letzteren als einfacher Reflexe einen Schein von Berechtigung haben. Aber wesentlich anders liegen doch die Dinge seit dem Nachweise, dass im ganzen Bereiche des sichtbaren Spektrums alle farbigen Lichter in ihrer relativen Wirkung auf die Augen der Fische und Wirbellosen sich so verhalten wie beim total farbenblinden und beim dunkeladaptierten normalen Menschen, und dass zwei be- liebige farbige Lichter, die für den total farbenblinden Menschen in bestimmtem Sinne ıım einen bestimmten Betrag verschieden sind, es in dem gleichen Sinne und um ähnlichen oder gleichen Betrag auch für jene Tiere sind. Gegenüber diesen Tatsachen ist Löb’s Auffassung nicht mehr aufrechtzuerhalten. Anhänger der Tropismenlehre betonen immer wieder, eine. ver- gleichende Physiologie sei überhaupt unmöglich, denn wir könnten über Licht- bzw. Farbenempfindungen bei Tieren niemals etwas er- fahren; einer ihrer konsequentesten Vertreter, Nuöl, hat diesen Stand- punkt (La vision 1904) in die Worte gekleidet: ‚Wenn es gelänge, einen Affen zu dressieren, die Holmgren’sche Farbensinnprobe zu bestehen, dann würden wir bereit sein, über einen Farbensinn bei diesen Tieren zu reden.‘ Nun ist es mir gelungen!), sogar Vögel so zu dressieren, dass sie eben diese Holmgren’sche Probe be- 1) Vgl. ©. Hess, Experim. Untersuch. zur vergl. Physiologie des Ge- sichtssinnes. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 142. 1911, und: Der Farben- sinn der Vögel und die Lehre von den Schmuckfarben. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 166. 1917. 104 OuEoss: stehen, und ich konnte mit meinem Verfahren den Nachweis liefern, dass derart dressierte Hühner mit voller Sicherheit rote und. grüne Farben unterscheiden, die ein rotgrünblinder Mensch nicht zu unter- scheiden imstande ist. Die Bedingungen, unter welchen die Vorkämpfer der Tropismen- lehre sich zur Annäherung an die von mir vertretene Betrachtungs- weise bereit erklärt haben, sind also nicht nur erfüllbar, sondern tat- sächlich durch meine Versuche sogar für Vögel erfüllt. Wollte man jetzt aber etwa den ‚‚niederen“ Tieren Helliskeits- empfindungen absprechen und solche allein den ‚höheren‘ zugestehen, wo wäre da die Grenze zu ziehen? Wenn der Affe den verschiedenen Farben des Spektrums gegenüber die gleichen Lichtreaktionen seiner Armmuskeln und seines Pupillenspieles zeigt wie der unter gleichen Bedingungen sehende Mensch, sollen wir auch ihn noch als Reflex- maschine oder aber als lebendes und empfindendes Wesen ansehen ? Oder ist die Grenze irgendwo bei den Sauropsiden zu ziehen, bei welchen der Empfangsschicht der Netzhaut ein rotgelbes Filter vorgelagext ist, und die sich in allen meinen Versuchen durchaus so verhielten, wie ein durch rotgelbe Gläser blickender Mensch ® Bei den Amphibien, die jenes Filter nicht besitzen und sich hinsichtlich ihres Farbensinnes so wie normale Menschen, oder bei den Fischen, die sich so wie total farbenblinde Menschen verhalten? Soll etwa die Grenze zwischen Wirbeltieren und Wirbellosen gezogen werden ? Aber auch viele Wirbel- lose verhalten sich hinsichtlich ihres Lichtsinnes und ihrer Licht- reaktionen durchaus so wie unter entsprechenden Bedingungen der total farbenblinde oder dunkeladaptierte normale Mensch. Für eine Reihe von Wirbellosen haben selbst Anhänger der Automatentheorie angenommen, dass sie nicht als Maschinen, sondern als lebende und empfindende Wesen anzusehen sind: Wir sahen, dass Doflein den Bienen nicht nur Farbensinn, sondern sogar ‚Vorliebe‘ für bestimmte Farben zuschreibt, was doch die Annahme eines Reflexautomaten aus- schliesst, während er einen anderen Arthropoden, den Ameisenlöwen, ebenso nachdrücklich für einen reinen Reflexautomaten erklärt. Hier wird also innerhalb der Gruppe der Arthropoden selbst eine Scheidung zwischen Automaten und empfindenden Wesen vorgenommen. Ja vielfach erhält man den Eindruck, als ob manche Autoren sich nicht klar darüber wären, dass die eine Betrachtungsweise die andere aus- schliesst, und sie es für möglich hielten, für ein und dasselbe Tier gleich- zeitig die Tropismenlehre zu vertreten und doch von seiner Helligkeits- und Farbenempfindung zu sprechen. Wer die niederen Tiere als Automaten, als Maschinen ansieht, ist, wie wir sehen, notwendig zu der Annahme gezwungen, dass irgendwo und -wann in der Tierreihe die Maschine zu einem empfindenden Wesen Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 105 wird. Von dem Augenblicke an, wo man sich dieser Notwendigkeit bewusst ist, kann das Problem nicht mehr dadurch gefördert oder geklärt werden, dass man in der Stammesgeschichte der tierischen Lebewesen dem vorher nur maschinenmässig funktionierenden Organis- mus etwas früher oder später die Fähigkeit der Empfindung zugesteht; hat doch die Annahme des mehr oder weniger plötzlichen Auftretens einer solchen irgendwo in der Tierreihe meines Erachtens viel weniger für sich als jene andere, dass mit den Organen bis zu einem gewissen Grade auch deren Funktionen gegeben sein dürften. — So stossen, wie mir scheint, die Vertreter der Maschinentheorie überall auf Schwierigkeiten und Widersprüche, die sich sofort lösen, wenn wir aus den von mir gefundenen Beziehungen zwischen Licht- reaktionen und Wellenlängen bei Fischen und Wirbellosen und aus ihrer Übereinstimmung mit den Helligkeitsempfindungen beim total farbenblinden Menschen den, wie ich meine, notwendigen Schluss ziehen, dass das Licht dort ähnliche oder die gleichen physischen Prozesse auslöst wie hier, und dass diesen dort auch ähnliche oder gleiche psychische Korrelate entsprechen. Wohl der überraschendste unter allen von mir erhobenen Befunden ist die Tatsache, dass, so mannigfach verschieden die Arten der Licht- reaktionen bei den verschiedenen Wirbellosen sind, alle doch die gleiche Abhängigkeit von der Wellenlänge zeigen. Die durch Beschattung in heftige Rotation gesetzten Seeigelkölbchen wie die zur Flucht in die Tiefe veranlassten Culexlarven, die in ihre Röhren sich zurückziehenden Serpulaarten wie die sich aufbäumenden Räupchen, die bei Belichtung unruhig aufschwimmenden Amphioxus wie die sich im Lichte zurück- ziehenden Muschelsiphonen und die sich verengernden Öephalopoden- pupillen, die grosse Schar der dauernd oder nur in gewissen Adaptations- zuständen das Helle bzw. Dunkle aufsuchenden Mücken, Krebse, Würmer usw., so verschieden ihre Existenzbedingungen und die An- passungen ihrer übrigen Lebensäusserungen an jene sind, in der Art der Abhängigkeit ihrer Lichtreaktionen von Strahlen verschiedener Wellenlänge zeigen alle das gleiche Verhalten und eine gewiss nicht ohne weiteres zu erwartende und auch tatsächlich früher nie vermutete Gleichmässigkeit, ja Einförmiskeit. Das deutet wohl darauf hin, dass diese spezifischen Energien einen uralten, durch vieltausendjährige Vererbung gefestigten Besitz bilden, an dem bei den Wirbellosen selbst eine so tiefgreifende Änderung der äusseren Verhältnisse wie der Übergang vom Wasser- zum Luftleben nichts zu ändern vermochte. Auch diese zunächst so überraschenden Erscheinungen werden dem Verständnisse nähergebracht durch die Erkenntnis, in wie wunder- voller Weise die Wassertiere durch jene Art der Abhängigkeit. der Lichtreaktionen von Strahlen verschiedener Länge an die besonderen 106 ©. Hess: Lichtverhältnisse unter Wasser angepasst sind, auf das ja wohl alles tierische Leben durch lange Zeiträume beschränkt war. Der kleine Reizwert der vorwiegend langwelligen Strahlen erklärt sich jetzt leicht aus der starken Absorption, die diese schon durch Wasserschichten von verhältnismässig geringer Dicke erfahren, so dass zum Beispiel die auf uns rot wirkenden kaum wenige Meter tief unter die Oberfläche gelangen. Der relativ so viel grössere Reizwert der Strahlen mittlerer und kurzer Länge entspricht deren Fähigkeit, in viel grössere Tiefen zu dringen. Mit zunehmender Tiefe wird aber auch von ihnen ein entsprechend grösser werdender Teil absorbiert, so dass die Gesamt- lichtstärke im Wasser mit zunehmendem Abstande von der Oberfläche bald abnimmt. Die früher nicht gekannten umfangreichen adaptativen Änderungen, die wir bei den wasserlebenden Wirbellosen nachweisen und sogar messend verfolgen konnten, sind das Mittel, durch das die von der Oberfläche nach der Tiefe schwimmenden Tiere sich an diese raschen Änderungen der Lichtstärke ihrer Umgebung anpassen und so in die Lage kommen, in einem viel grösseren Bereiche verschiedener Tiefen genügende Existenzbedingungen zu finden, als es ohne Adaptation möglich wäre; auch diese erfolgt vorwiegend für die kurzwelligen Strahlen. Ein Bedürfnis zur Entwick’'ung eines Farbensinnes ist bei den Tieren des Meeres im Vergleiche zu den luftlebenden nur in verschwindendem Maasse vorhanden, weil die Wahrnehmung von Rot und Gelb selbst für ein farbentüchtiges Auge nur auf eine wenige Meter tiefe Schicht unmittelbar unter der Oberfläche beschränkt ist. So kann ich auch nicht finden, dass die Gesamtheit der Erscheinungen des Lichtsinnes in der Tierreihe durch eine Maschinen-, Automaten- oder Tropismentheorie dem Verständnisse nähergerückt würde. Sind für uns aber jene Sehorgane bei den niederen Wirbellosen nicht einfach „„Photorezeptoren‘“, sondern Lichtsinnesorgane — und das, was wir heute über ihre Leistungen wissen, berechtigt uns zu solcher Auf- fassung —, dann eröffnet sich nicht nur die Möglichkeit, die unter dem Einflusse des Lichtes in der Tierwelt eintretenden, hier genauer ver- folgten Reaktionen aus einheitlichen Gesichtspunkten zu erklären ; auch an unserem eigenen Auge erschliesst eine solche phylogenetische Be- trachtungsweise das Verständnis für manche früher nicht erklärbare Eigentümlichkeit, wie das Sehen des normalen bei stark herabgesetzter Beleuchtung und die Funktionsweise des total farbenblinden Auges. Noch kürzlich wurde mir vorgehalten, ich beschäftigte mich mit Dingen, die gar nicht Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung sein könnten, denn es sei unmöglich, über die Sehqualitäten der Tiere jemals etwas zu erfahren. Einem solchen, dem oben erwähnten Nuöl- he Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 107 schen verwandten Standpunkte liest wohl, mehr oder weniger aus- gesprochen, die Meinung zugrunde, über die -Art des Sehens des Menschen könnten wir durch die Sprache zuverlässigeren Aufschluss erhalten. Wie irrig eine solche Meinung ist, brauche ich hier nicht ausführlicher auseinanderzusetzen: Wenn ein anderer einen mir rot erscheinenden Gegenstand auch rot nennt, so darf ich daraus bekannt- lich durchaus nicht schliessen, dass er den Gegenstand in der gleichen Farbe sieht wie ich; wissen wir doch, dass zum Beispiel der Rotgrün- blinde den von ihm rot genannten Gegenstand tatsächlich dunkelgelb und ohne eine Spur von ‚Rot‘ sieht usw. Aber auch wenn wir von solchen Störungen des Farbensinnes absehen, kann ich niemals er- fahren, ob einem anderen das, was er rot nennt, ebenso erscheint wie mir das, was ich rot sehe. Man kann nur sagen, dass, bei Bezeich- nung der verschiedenen Farben durch den anderen, gewisse Strahlen oder Strahlgemische bestimmte motorische Reaktionen der Kehlkopf- und. Zungenmuskulatur auslösen, andere Strahlen andere. Über die Art der damit einhergehenden Empfindungen erhalten wir durch Wort und Beschreibung oft nur unsichere, oft nachweislich falsche Kunde. Die Vertreter der Lehre, für welche vergleichende Farbenphysiologie ein Unding ist, müssten daher konsequenterweise auch die Möglichkeit einer Farbenphysiologie beim Menschen in Abrede stellen; aber es lässt sich wohl nicht leugnen, dass diese unter den sinnesphysiologischen Disziplinen eine besonders hohe Entwicklungsstufe erreicht hat. Aller physiologischen Farbenforschung beim Menschen liegt der Analogieschluss zugrunde, dass die verschiedenen Strahlen in ver- schiedenen normalen Menschenaugen unter gleichen Wirkungs- bedingungen ähnliche oder gleiche physische Regungen auslösen, und dass diesen auch ähnliche oder gleiche psychische Korrelate entsprechen. Lediglich unter Hinweis auf die Sprache hier eine prinzipielle Scheidung zwischen Menschen und Tier machen zu wollen, ist nach dem über die Unzuverlässigkeit des Hilfsmittels der Be- schreibung Gesagten nicht mehr angängig. Hier wie dort handelt es sich für den Naturforscher nur um motorische, durch das Licht aus- gelöste Reaktionen, deren ‚‚Erfolgsorgan“ hier die Sprachmuskeln, dort . Pupillenmuskeln, Retraktoren, Schwimmmuskeln usw. sind. Aufgabe meiner Untersuchung war, diese letzteren Reaktionen bei möglichst vielen verschiedenen Tieren unter möglichst vielen verschiedenen Be- dingungen in ihrer Abhängigkeit von Lichtstärke, Wellenlänge und Adaptationszustand systematisch kennenzulernen und so wissen- schaftlich verwertbare Grundlagen für Erörterung der Frage zu er- halten, ob zwischen dem Verhalten des Menschen und der Tiere zu jenen Lichtern Ähnlichkeiten bezw. Verschiedenheiten bestehen und welcher Art diese sind. Was auf dem eingeschlagenen Wege bisher 108 C. Hess: erreicht wurde, berechtigt, wie ich glaube, zu der Überzeugung, nicht nur, dass eine vergleichende Sinnesphysiologie möglich ist, sondern dass sich hier ein fruchtbares und bei richtiger Bearbeitung noch reiche Ernte versprechendes Gebiet eröffnet. VII. Schluss. 1. Es wird der Nachweis erbracht, dass die Bewegungen der Raupen zum Lichte in durchaus anderer Weise erfolgen und von der Wellen- länge abhängen, als dies bisher, vorwiegend, auf Grund der Angaben J. Löb’s, angenommen worden war. 2. Es wird eine bisher nicht bekannte Lichtreaktion bei jungen Raupen beschrieben, die wesentlich in Aufbäumen des Vorderkörpers bei Lichtstärkenabnahme besteht und schon bei so geringfügiger Licht- stärkenabnahme erfolgt, dass auch sie zu genaueren Messungen über die Wirkungen verschiedenfarbiger Lichter dienen kann. 3. Zu systematischen Untersuchungen mit homogenen, mit farbigen Glaslichtern und mit farbigen Papieren wird sowohl die Neigung der Raupen, zum Hellen zu gehen, als die Verdunklungsreaktion benutzt, so dass ihr Verhalten gegenüber Strahlen verschiedener Wellenlänge mit sechs verschiedenen Gruppen von Versuchen untersucht wird. Alle Methoden ergeben übereinstimmend, dass die Raupen ebenso wie alle anderen bisher untersuchten Wirbellosen das für totale Farbenblindheit charakteristische Verhalten zeigen. 4. Es wird der Nachweis erbracht, dass die Raupen für ultraviolette Strahlen in erstaunlichem Maasse empfindlich sind, und durch messende Versuche eine Vorstellung von den durch solche Strahlen ermittelten Helligkeitsempfindungen gewonnen. Es wird gezeigt, dass selbst die durch ein gewöhnliches Fensterglas zurückgehaltenen kurz- welligen Strahlen von weniger als 313 un bei den Raupen eine für ihre Kriechriehtung ausschlaggebende Helligkeitsempfindung hervor- rufen können. | 5. Es wird. gezeigt, wie sich aus den neuen Tatsachen neue Gesichts- punkte für das Verständnis von Bau und Funktion des Facettenauges ergeben, die zu einer teilweise wesentlich anderen als der heute üblichen Auffassung vom Sehen der Arthropoden führen. 6. Die Lehre von den tierischen Tropismen im Gebiete des Licht- sinnes wird einer eingehenden Prüfung unterzogen und der Nachweis erbracht, dass dieselbe einerseits sich grossenteils auf nachweislich “ unrichtige Angaben gründet und andererseits vielfach zu Folgerungen führt, die zu leicht feststellbaren Tatsachen in Widerspruch stehen Pflügers Archiv f. d. ges. Physiologie Bd. 177. ARE C. Heß, Über Lichtreaktionen bei Raupen. Tafel I. ; a ar RN SEITEN EEE | we a a Tr 2 “ g | 7 y | ne, E% ss‘ N iR ad { R - N a | x { { y N‘ 2 BE nr ee Abb. 10. Verlag von Julius Springer in Berlin, Über Lichtreaktionen bei Raupen u. die Lehre von den tier. Tropismen. 109 Erklärung der Abbildungen auf Tafel I. Abb. 1. Raupen in einem kubischen Glasgefäss sich in der dem Licht zu- gekehrten Ecke sammelnd (s. S. 61). Abb. 2. Raupen, aus ihrem Behälter an einem gegen das Fenster gerichteten Glasstabe zum Hellen kriechend, haben sich an der Spitze des Stabes. zu einem dichten Klumpen gesammelt (s. S. 61). Abb. 3—5. Raupen in einem flachen quadratischen Behälter aus der dunklen Peripherie nach der bestrahlten Behältermitte kriechend: Abb. 3: Die Tiere vor Beginn des Versuches in die dunkle Behälterperipherie ge- bracht. Abb. 4: 2 Minuten nach Beginn der Bestrahlung der Mitte; die Tiere kriechen von allen Seiten in angenähert radiärer Richtung auf die Mitte zu. Abb. 5: 5 Minuten nach Beginn des Versuches ist die Mehrzahl in der hellen Mitte angesammelt (s. S. 623). Abb. 6—9. Zur Verdunkelungsreaktion. Abb. 6. Raupen auf einem Karton- streifen im Hellen kriechend. Abb. 7. Die gleichen Tiere eine Sekunde nach Verdunkelung; viele bäumen sich auf (s. S. 70). Abb. 8. Raupen in einem langen Glasbehälter eine Sekunde.nach Verdunkelung. Abb. 9. Raupen auf einem wagerechten Karton eine Sekunde nach Verdunkelung senkrecht von oben aufgenommen. Man erkennt das Aufbäumen an der Verkürzung und der Schattenbildung. Abb. 10. Raupen in einem zur linken Hälfte mit ultraviolettarmen, zur rechten mit ultraviolettreichem Lichte von für uns gleicher Farbe be- strahlten Behälter sammeln sich fast vollständig in der ultraviolett- reichen Hälfte (s. S. 75). Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute und seine Verteilung auf Blut und Gewebe. Von Prof. Dr. med. Ernst Frey, Assistent am pharmakologischen Institut der Universität Marburg a. d. Lahn. Mit 4 Textabbildungen. (Eingegangen am 1. Juni 1919.) Inhalt. Seite I... Binleitang:r. 1.2.22 2 Swen ee ee AN TEEN 110 II Auswertung. der Versuche. . ....0 0 2 a 113 Jr. Mathematische. Hassune:..... a2 de a en 116 IV. Versuchen ce a See a ee ee EN 127 1, Phosphat... 2 ne Er N RE 127 BE SENAETALE N REN EB ee a N a 129 3, 2Bromid.. as. ae WR Rn RR 133 AR Jod ne ee a ee 136 3, DUAL a nee ie a ee ee ee 144 6:7 R.ochsalz u... en en ee ee ee rehe: 146 7. Anhang zu den Protokollen: Die Verteilung nach inneren Kochsalzgabent. urn vn a en ee 147 Vav=Schlüuss ir. rss HR a ann A re 154 I. Einleitung. Das Bedürfnis nach der Beschäftigung mit wissenschaftlichen Problemen hat mich während der wenigen Mussestunden der mili- tärischen Tätigkeit als Garnisonarzt von Warschau, die sich freilich bei der langen Dauer des Krieges summierten, veranlasst, zurück- liegende Versuche von mir rechnerisch zu verfolgen, welche gestatten, die Abwanderung von intravenös gegebenen Stoffen aus dem Blute in die Körpergewebe zu bestimmen. Zurückgekehrt, finde ich in der Literatur, dass dieselbe Fragestellung unterdessen von verschiedenen Seiten eine Bearbeitung erfahren hat. Frühere Versuche beschäftigen sich fast alle mit der Frage der Verteilung der körperfremden Stoffe auf die verschiedenen Gewebe, nicht mit der uns hier interessierenden Abwanderung aus dem Blut, und zwar von dem Gesichtspunkte aus, dass einige besonders giftempfindliche Gewebe mehr von der Substanz an sich reissen, dieselbe speichern, im Gegensatz zu anderen, die eine geringe Affinität dazu besitzen. Insbesondere sind es die im Anschluss IE | % \ y ! Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. ]]] an die Narkosetheorie von Meyer und Overton unternommenen Untersuchungen, die Klarheit über das auswählende Lösungsvermögen der Lipoide oder anderer Körperbestandteile schaffen wollten. So sind besonders die Narkotika daraufhin untersucht worden, ob sie sich im Nervengewebe in höherer Konzentration finden als in anderen Ge- weben. Auch im Sinne der Ehrlich’schen Betrachtungen über die Anlagerung von Giftstoffen ist die Verteilung von Substanzen geprüft worden wie die der Arsenverbindungen. Immer aber handelt es sich dabei um die Frage der Speicherung, der auswählenden Löslichkeit, der Festlegung am Orte der Wirksamkeit; und nur wenige Arbeiten befassen sich mit dem Abwandern der Stoffe aus dem Blute. Auch die neuerdings vielfach untersuchten Verhältnisse der Aufnahme der Digitalissubstanzen berühren die Frage fast alle von dem Gesichts- punkte, ob eine Speicherung im Herzen vorliegt oder nicht. Nur eine Arbeit beschäftigt sich mit der Abwanderung der Strophantine und der Aktivglykoside der Digitaliskörper aus dem Blute; Gottlieb!) fand, dass diese Abwanderung sehr schnell vor sich geht bis auf einen Giftrest von 10%, der sich lange Zeit im Blute hält; wir werden später noch sehen, dass diese Versuchsergebnisse sich dem Gesetz fügen, welches aus meinen Versuchen hervorgeht. Eine zweite Arbeit, die fast gleichzeitig erschien, handelt von der Aufnahme der Jodide vom Darmkanal aus; Buchholtz?) beschreibt die Verteilung folgender- maassen: Die Konzentration des Blutes steht in einem recht kon- stanten Verhältnis zu der Menge Jod, die der ganze Organismus ent- hält, indem sie etwa 21,mal so gross ist, wie sie sein würde, wenn das Jod mit derselben Konzentration über den ganzen Organismus ver- teilt wäre, — ein Verhältnis, welches sich ebenfalls mit meinen Er- gebnissen deckt. Ferner beschäftigt sich eine Arbeit von Bock und Bech Larsen?) mit der Verteilung von Coffein im Körper; sie fanden alle Organe coffeinhaltig. Eine genaue Analyse der abwandernden Mengen von Kochsalz und Wasser nach intravenösen Einläufen iso- tonischer und hypisotonischer Lösung hat Magnus) ausgeführt; sie eignen sich zur Verwendung für unsere Fragestellung nicht so gut, weil die Salzmengen klein, das gleichzeitig gegebene Wasserquantum 1) Gottlieb, Über die Aufnahme der Digitalissubstanzen in die Ge- webe. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 82 S. 1. 1917. 2) Buchholtz, Uber die Resorption der Jodide vom Darmkanal aus. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 81 S. 289. 1917. 83) Bock und Bech Larsen, Über die Verteilung des Coffeins im Körper und sein Verhalten bei der Angewöhnung. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 81 S. 15. 1917. 4) Magnus, Über die Veränderungen der Blutzusammensetzung nach Kochsalzinfusionen und ihre Beziehungen zur Diurese. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 44 S. 68. 1900. 112 Ernst Frey: ein grosses ist und Kochsalz schon ein normaler, in recht beträchtlicher Menge vorhandener Körperbestandteil ist; aber Magnus hat schon mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die Ausscheidung der Niere nicht im Sinne eines zweckmässigen Regulationsorgans für das gegenseitige Verhältnis von Wasser und Salz arbeitet — ein Verhalten, auf das auch ich früher nach meinen Versuchen schon mehrfach hin- wies —, weil die Einlaufdiurese etwas Unphysiologisches, dem Körper Aufgezwungenes ist, die mit ihrer Gefässerweiterung unter allen Um- ständen eine Filtration veranlasst. Zweitens hat Magnus betont, dass der Durchtritt durch die Kapillarwand nicht ein Filtrationsprozess sein kann, weil sich manchmal Wasser und Salz in entgegengesetztem Sinne bewegen, Verhältnisse, von denen noch später die Rede sein wird. In einer zweiten Arbeit findet Magnus!) die Abwanderung von Kochsalz und Sulfat ungefähr gleich schnell; nur wird Sulfat viel schneller ausgeschieden; die Mengen von Sulfat in Blut und Gewebe verhalten sich wie 0—1 zu etwa 10, offenbar, weil die Rückwanderung von‘ Sulfat aus den Geweben langsam, die Ausscheidung aber schnell vonstatten geht. Dann enthält eine Arbeit von Münzer?) Angaben über die Verteilung von Kochsalz, Nitrat, Phosphat und Dextrose: diese Stoffe treten nach fortgesetzten Gaben schnell in die Ge- webe. Von früheren Arbeiten beschäftigt sich von Brasol?) mit der Zuckerverteilung, Klikowicz*) mit der Sulfatverteilung. Beide Stoffe halten sich etwas länger im Blute. Im allgemeinen wandert also intra- venös gegebener Stoff schnell aus der Blutbahn. Der lebhafte Austausch zwischen Blutplasma und Gewebe wird, von den einen als Diffusion, von den anderen als Sekretion angesehen. Zunächst wird natürlich das physikalische Geschehen Platz greifen, und wenn Zelltätigkeiten vorhanden sind, so können sie den physikali- schen Vorgang modifizieren; wenn wir also Abweichungen von dem Diffasionsprozess antreffen, so betätigen sich dabei noch andere Vor- gänge, die wir bei der Unkenntnis ihrer physikalischen oder chemischen Einordnung als Zelltätigkeit zusammenfassend, bezeichnen. Bei der Verteilung eines intravenös eingespritzten Stoffes zwischen Blutplasma und, Gewebe kann aber ein Diffusionsprozess leicht dadurch verdeckt werden, dass in einzelnen Organen Speicherungen eine ungleichmässige 1) Magnus, Über .Diurese. Il. Mitt. Vergleich der diuretischen Wirkung isotonischer Salzlösungen. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 44 S. 396. 1900. h 2) Münzer, Zur Lehre von der Wirkung der Salze. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 41 S. 74. 1898. R 3) von Brasol, Wie entledigt sich das Blut von einem Überschuss von Traubenzucker? Arch. f. Anat. u. Physiol., Physiol. Abt., Jahrg. 84 S. 211. 4) Klikowicz, Die Regelung der Salzmengen des Blutes. Arch. f. Anat. u. Physiol., Physiol. Abt., Jahrg, 86 S. 518. Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute 113 Verteilung bewirken, trotzdem die Abwanderung aus dem Blute, das Durchdringen der Kapillarwand selbst, ein reiner Diffusionsprozess ist. Zur Verfolgung eines solchen Vorganges müssen wir über die Kon- zentration im Blute und im Gewebe orientiert sein; da letztere nicht direkt zu ermitteln ist, kann sie nur durch eine Differenzrechnung erschlossen werden, nämlich aus der Differenz der Menge der ein- gespritzten Substanz und der noch im Blute verbliebenen. Ausserdem verliert aber der Körper ständig durch den Harn einen Teil der in- jizierten Menge, der von der Gesamtsumme in Abzug zu bringen ist. Es muss daher auch die Ausscheidung im Harn quantitativ verfolgt werden. Dabei können wir die Blutmenge und die Menge Gewebs- wasser nur schätzen, was freilich beim Blute mit einiger Genauigkeit möglich ist, aber beim Gewebswasser zunächst willkürlich ist; erst ein einfaches wiederkehrendes Versuchsresultat wird uns darüber belehren, dass diese Schätzung einigermaassen der Wirklichkeit entspricht. In meinen Versuchen habe ich die Konzentration der intravenös injizierten Substanz vor und nach dem eigentlichen Versuch, nämlich der Ver- folgung der Harnausscheidung, bestimmt und letztere fortlaufend untersucht, so dass also die Blutkonzentratior und die gesamte im Körper verbliebene Menge bekarnt sind. Ich habe nun die Gewebs- konzentration aller verwendbaren Versuche meiner Arbeiten berechnet und will dabei bemerken, dass ich der objektiven Wiedergabe wegen keinerlei Auswahl der Versuche getroffen habe, sondern alle Versuche verwende, natürlich, soweit in ihnen die Blutkonzentration bestimmt wurde, die ja für diese Berechnungen zu kennen nötig ist. Es sind dies Versuche, die ich zum Studium der Ausscheidung der Jodide, Nitrate, Sulfate, Phosphate, Bromide und Chloride gemacht habe, deren ‚Ver- öffentlichung jahrelang zurückliegt, und die ohne Rücksicht auf diese Fragestellung angestellt wurden; da die damaligen Versuchsprotokolle nur die Wiedergabe objektiver Daten sind, so sind sie auch für die jetzige Fragestellung ohne weiteres verwertbar und werden uns eine brauchbare Antwort auf die Frage der Natur des Vorganges der Ab- wanderung aus dem Blute geben. II. Auswertung der Versuche. Wir müssen also gleichzeitig die Blutkonzentration und die Ge- webskonzentration verfolgen. Unter Blutkonzentration müssen wir dabei die Konzentration des Blutplasmas an dem injizierten Stoffe verstehen und die Blutkörperchen den Geweben zurechnen. Ich habe dabei den Gehalt des Blutplasmas gleich dem des Serums gesetzt, in dem die Analysen ausgeführt wurden, was ohne nennenswerten Fehler geschehen kann. Der Plasmagehalt wurde durch einen Kurvenzug ermittelt zwischen den drei bekannten Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 177. 8 114 Ernst Frey: Punkten der Kurve: der anfänglichen Konzentration bei der Injektion, derjenigen bei der kurz darauf vorgenommenen ersten Analyse und der am Schluss des Versuches gefundenen. Es kann also die Blut- konzentration als ziemlich sicher gelten. Etwas anderes ist dies bei der Gewebskonzentration. Zu ihrer Be- rechnung müssen wir die Menge Stoff kennen, welche die Gewebe ent- halten, und die Menge Gewebswasser. Bei Feststellung beider Grössen sind wir auf Annahmen angewiesen, die bei der Stoffmenge durch zahlreiche Erfahrungen gestützt werden, bei der Wassermenge zunächst willkürlich sind. Die Anzahl Gramme im Gewebe lassen sich ermitteln durch Abzug des Harnverlustes und der im Blute verbliebenen Menge von den anfänglich injizierten Grammen. Die mit dem Harn aus- geschiedene Menge kann durch Zusammenzählen der einzelnen Analysen- resultate gewonnen werden, und ich habe, um Verwechslungen vor- zubeugen, in den folgenden Tabellen immer Gesamtharn geschrieben, weil früher stets die Harnmenge einer Niere in 5 Minuten in den Pro- tokollen angeführt ist. Die im Blute verbliebene Menge erfahren wir aus Blutkonzentration und Blutmenge. Die Blutkonzentration wurde, soweit dies wegen des Blutverlustes bei solchen Versuchen möglich ist, durch die Analyse ermittelt und stellt auch in den Zwischen- zeiten ziemlich zuverlässige Werte dar. Über die- Blutmenge nach intravenösen Injektionen sind wir durch eine Anzahl von Arbeiten orientiert, wie zum Beispiel durch die von Magnus!) und von ‚ von Brasol?). Wir wissen, dass nach einer Injektion die injizierte Flüssigkeitsmenge sehr schnell die Blutbahn wieder verlässt, so dass auch nach erheblichen Eingriffen die Überfüllung des Gefässsystems in kurzer Zeit wieder zurückgegangen ist, also zum Beispiel nach 11, Stunde. Gerade dies ist für die vorliegende Berechnung von Wichtig- keit, weil gerade nach einiger Zeit das bemerkenswerteste Resultat dieser Versuche sich zeigt und Bedenken beim Ansatz der Blutmenge gerade zu dieser Zeit die Beweiskraft erschüttern würden. Aber dann ist die Blutmenge wohl mit Sicherheit wieder normal geworden, be- sonders da es sich fast immer um die Injektion kleiner Flüssigkeits- mengen handelt. Anfangs kann die Blutmenge eine erhebliche Steigerung erfahren, die bis zum dreifachen des Normalwertes gehen kann. Und zwar ist es dabei gleichgültig, ob wir das Wasser mit der Injektion dem Blute zuführten, oder ob wir durch eine stark konzentrierte Lösung einen Einstrom von Wasser aus dem Gewebe veranlassten. Aber auch 1) Magnus, Über. die Veränderungen der Blutzusammensetzung nach Kochsalzinfusionen und ihre Beziehungen zur Diurese. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 44 S. 68. 1900. x 2) von Brasol, Wie entledigt sich das Blut von einem Überschuss von Traubenzucker? Arch. f. Anat. u. Physiol., Physiol. Abt., Jahrg. 84 S. 211. Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute 115 am Anfang des Versuches, wo eine mehr oder minder grosse Vermehrung der Blutmenge eintritt, sind die Berechnungen keiner starkenWillkür unterworfen, denn auch bei Durchrechnung von zwei in Betracht kommenden Annahmen der Blutmenge schwankt die daraus errechnete Gewebskonzentration in engen Grenzen, weil — wie gleich zu besprechen sein wird —, die Menge Gewebswasser kleiner angesetzt wird, wenn man die Plasmamenge hoch greift und gleichzeitig auch die Menge injizierter Stoff im Gewebe kleiner wird, wenn man viel dem Blute zuerkennt, so dass die Konzentration keine so grossen Schwankungen erfährt. Und gerade auf die Konzentration des Gewebes kommt es ‘an. Die normale Blutmenge habe ich zu !/,, des Körpergewichtes gerechnet und. die Plasmamenge zu 65% der Blutmenge, so dass Plasmamenge gleich 5% des Tieres ist. — Auf eine Schätzung allein sind wir bei Festlegung der Menge Gewebswassers angewiesen. Zu- nächst dürfen wir keinesfalls das gesamte Wasser, das im Körper sich vorfindet, in Rechnung setzen, weil sicherlich nur ein Teil davon sich an dem raschen Austausch der Stoffe beteiligt, während ein Teil des Wassers erst sehr spät, erst nach Ausscheidung des Stoffes durch die Nieren, nennenswerte Mengen davon aufgenommen hätte. Dies gilt besonders für das Wasser in schlecht durchbluteten Organen, wie Nervengewebe, Knochen, Glaskörper, Hornhaut. Hauptsächlich für die Aufnahme von Giftstoff kommt die Lymphe der einzelnen Organe und vielleicht auch die Zellen gut durchbluteter Organe in Betracht; aber gerade die Konzentration in diesem Wasser ist es, nach der wir fragen, wenn wir eine Entscheidung zwischen Diffusion und Sekretion an der Wand der Kapillaren treffen wollen. Die Gesamtmenge des Wassers wird zu ungefähr zwei Drittel des Körpergewichtes angegeben; ich habe für alles verfügbare Wasser 50%, des Tiergewichtes angenommen. Als Gewebswasser würde also für den Anfang der Versuche 50 %— 5%, nämlich minus der Plasmamenge, in Betracht kommen, und zwar ohne Rücksicht auf die Ernährung des Tieres. Vom Anfang des Ver- suches an habe ich aber dann alle Wasserzufuhr (Injektion) und allen Wasserverlust (Harn und Blutentzug zur Analyse) in Rechnung ge- stellt; nur in einigen Versuchen, wo die Tiere bei Nahrung im Käfig gehalten wurden, habe ich ihren Wassergehalt als dauernd normal angesehen, also wie am Beginn aller Versuche zu 50%, angenommen. Die Zeit ist immer in Perioden zu 5 Minuten angegeben, weil in diesem Intervall die Ablesungen erfolgten; freilich war nicht immer in 5 Minuten so viel Harn geflossen, dass er zu einer Analyse ausreichte, so dass also mehrere solcher Perioden zusammengefasst werden mussten. Die Häufigkeit der Analysen und damit auch die Folge der Zeitpunkte für die Berechnung ist also von der Harnmenge abhängig. Ich habe - nun immer die Berechnungen an den mittleren Zeitpunkten ausgeführt, ES 116 Ernst Frey: also zum Beispiel zur Zeit 15, wenn der zur Analyse kommende Harn vom Zeitpunkt 13—17 geflossen war, um eine Gegenüberstellung von Harn- und Blutkonzentration zu ermöglichen; natürlich ist dabei dem Harnverlust von vorher nur die halbe Menge des zur Analyse stehenden Harnes zugezählt worden. In den Tabellen habe ich noch das gegenseitige Verhältnis der Konzentrationen aufgenommen, und zwar in der Weise, dass beide Konzentrationen zusammengenommen gleich 100 gesetzt wurden und die Gewebskonzentration in Bruchteilen dieser Hundert angegeben wurde, so dass 25 soviel heisst, als die Gewebskonzentration verhält sich zur Plasmakonzentration wie 25:75; 50 würde dann heissen: der Stoff hat sich so verteilt, dass Plasma und Gewebe gleich konzentriert sind. Diese Zahl gibt-ein anschauliches Bild von der Verteilung, weil sie der Ausdruck für das gegenseitige Konzentrationsverhältnis ist. Die Zahlenwerte sind in meinen Veröffentlichungen niedergelegt: 1. Jodid, Nitrat, Sulfat, Phosphat werden durch Sekretion in den Harnkanälchen ausgeschieden. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 139. S. 512. 1911. — 2. Die Ursache der Bromretention. Ein Vergleich der Brom- und Chlorausscheidung durch die Nieren. Zeitschr. f. exp. Path. u. Therap. Bd. 8. 1910. — 3. Die Rückresorption von Wasser in den Harn- kanälchen, der Gesamtkonzentration entsprechend. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 139. S. 465. 1911. Diese Arbeit enthält die Kochsalz- versuche des Anhanges. Die Nummern der Versuche sind dieselben wie in den früheren Arbeiten, um ein rasches Auffinden zu ermöglichen. III. Mathematische Fassung des Vorganges. Untersuchen wir nun, ob der Vorgang des Abwanderns aus dem Blute eine Diffusion ist oder eine Sekretion, so können wir prüfen, ob er den Gesetzen der Diffusion folgt oder nicht. Eine Diffusion verläuft in der Weise, dass ihre Geschwindigkeit zu jeder Zeit pro- portional der Konzentrationsdifferenz ist. Am sinnfälligsten zeigt sich ein Diifusionsvorgang als solcher, wenn nach längerer Zeit, wo der Prozess schon zum Stillstand gekommen ist, beide Konzentrationen einander gleich geworden sind. Diese Zeit ist sicherlich verschieden lang, und ob sie innerhalb der Beobachtungszeit erreicht wird — oder überhaupt während der Zeit des Verweilens der Substanz im Körper —, hängt von der Geschwindigkeit des Wanderns, eben der Diffusions- geschwindigkeit, ab. Kommt es während dieser Zeit zu einer Speicherung in einem Organ, so wird. die Konzentration im Gewebe höher ausfallen, da ja das speichernde Organ mit zum Gewebe rechnet. Wenn wir nun diese Verhältnisse rechnerisch verfolgen, so ergibt sich die Forderung — falls der Prozess eine Diffusion ist —, dass die Geschwindigkeit ab- hängig ist von dem jeweiligen Konzentrationsunterschied: die Wande- Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. 117 rungsgeschwindigkeit muss proportional sein der Differenz Blut- konzentration minus Gewebskonzentration. Oder die in der Zeiteinheit übertretende Menge Stoff ist gleich einer Geschwindigkeitskonstanten dx mal dem Konzentrationsunterschied, also a K (% Blut — %,Ge- webe), wenn { die Zeit und x die Menge Stoff im Gewebe darstellt. Wir können nun nicht einfach die Prozentzahlen einsetzen, weil eine gewisse absolute Menge Stoff im Blute eine höhere Konzentration besitzt als im Gewebe, welches die grössere Wassermenge repräsentiert, also im Blut mehr Prozente darstellt als im Gewebe und beim Übertritt in die Gewebe an Bedeutung verliert. Wir müssen daher auf die ab- soluten Mengen zurückgreifen. Dann ist, wenn die Anfangsmenge mit a bezeichnet wird, die im Blute vorhandene Menge gleich a— x und die Menge im Gewebe gleich x. Die Konzentration im Plasma (= b) ist da—X T also gleich und die im Gewebe (=g) gleich -—. Somit nimmt unsere Gleichung die Form an: = — ya - = & Die Anfangs- menge Stoff wird aber durch die Ausscheidung der Niere dauernd verringert; wir können also die Anfangsmenge a nicht als konstant ansehen, sondern müssen sie in Abhängigkeit von der Zeit definieren, d. h. als Funktion der Zeit darstellen. Nun kennen wir das Gesetz der Ausscheidung der Stoffe durch die Niere nicht oder doch nur unter bestimmten Bedingungen, die hier nicht immer zutreffen. Aber wir gelangen zu brauchbaren Resultaten, wenn wir ein ungefähr zutreffendes Gesetz zugrunde legen, und wenn nur jedesmal zu ersehen ist, ob ein solcher Wert wie die Anfangsmenge konstant oder mit der Zeit variabel ist. Michaelis!) fand, dass bei der Ausscheidung der Borsäure von der fünften Stunde an die Abscheidung sich sehr genau dem Gesetze fügt, dass die in der Zeiteinheit ausgeschiedene Menge immer ein be- stimmter Teil der noch im Körper vorhandenen Menge ist. Dies Ge- setz gilt dann, wenn die Verteilung des Stoffes im Körper eine end- gültige geworden ist und. keinerlei Diurese besteht. Trotzdem diese Vorbedingungen hier nicht zutreffen, können wir dies Gesetz anwenden, da wir in unserer Gleichung immer nur den Ausdruck für die jeweils noch im Körper vorhandene Menge brauchen und wir beim späteren Ersatz der mathematischen Werte durch die Versuchszahlen nur den Wert für die noch vorhandene Menge brauchen, und auch wenn die Konstanten der Gleichung nicht konstant sind, richtige Werte für die noch im Körper vorhandene Menge erhalten; nur dürfen wir für den 1) Michaelisund Maass, Biochemische Zeitschrift 4. 542. — 5. 8.1. 1907. 118 Ernst Frey: wechselnden Wert der Gesamtmenge eben nicht den Anfangswert a, sondern einen ebenfalls mit der Zeit wechselnden Wert setzen. Die mathematische Formulierung eines solchen Vorganges ist nun folgende: Bezeichnen wir (jetzt neu) die Anfangsmenge mit a, den ausgeschiedenen Teil mit x, so ist die noch im Körper vorhandene Menge gleich a—r. Es soll nun immer die Geschwindigkeit der Ausscheidung oder die in 2 dx einem kleinen Zeitteilchen ausgeschiedene Menge Pr gleich einem be- stimmten Teil der noch vorhandenen Menge sein, also = c(a—x), wobei c eine Geschwindigkeitskonstante ist. Integriert man diese dx Gleichung, so ergibt Trennung der Variablen —— = cd!; wenn wir dy für a—x y einsetzen, so ist = —1, also dt = —dy, somit — —- y 1 dx = cdt, oder integriert: —/ny = ct + Const. Den ursprünglichen Wert für y wieder eingesetzt, ergibt — In (a—x) = ct +Const. Den Wert Const. finden wir zur Zeit null, wo nicht nur { = 0, sondern auch x = 0 ist und wo die Gleichung lautet: —/na = const. Dieser Wert macht die allgemeine Gleichung in unserem Falle zu: —/n (a—x) = ct — Ina a oder In : — ci oder = e“. Daher ist die jeweils im Körper A = oder ae“! Nach diesen Ab- e noch vorhandene Menge a—ı = schweifungen zur Definition der noch im Körper vorhandenen Menge als Funktion der Zeit kehren wir wieder zu unserer ersten Gleichung zurück und setzen in derselben für die konstante Menge a die wechselnde dx Be Menge ae”*!; sie lautet also ie K — :). Sie deti- finiert die Verteilung zwischen Plasma und Gewebe zu allen Zeiten, auch dann, wenn der Stoff ins Blut zurücktritt, nachdem die Niere die Blutkonzentration unter die des Gewebes erniedrigt hat, aber sie rechnet die Niere mit zum Blut. Wir können aus ihr den Wert K nicht einfach errechnen. Dies lässt sich erreichen, wenn wir die Niere als Teil des Gewebes betrachten, müssen dann aber die Gleichung als Gleichung der Abwanderung des Stoffes aus dem Blut bezeichnen, da sie für den Austausch der Gewebe untereinander durch das Blut hindurch nicht mehr gilt, ein Fall, der eben eintritt, wenn das Blut an Stoff verarmt ist und an die Niere nicht mehr von seinem Über- schuss hergibt, sondern aus dem Gewebe schöpft. Dann betrachten wir die Niere als Teil des Gewebes, und es wird dann nicht nur von der Gesamtmenge Stoff durch die Niere ausgeschieden, sondern auch von der in die Gewebe übergetretenen Menge, d. h. der Zuwachs, den Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute ]]9 x durch den Übertritt in der kleinen Zeit dt erfährt, wird verringert durch die Menge, welche die Niere (als Organ) in dieser Zeit abgibt. Der gesamte Verlust, den der Körper in der Zeit dt erfährt, ist nach unserer Definition — cae”“{, und wenn ebensoviel Prozent von dem Anteil der Gewebe ausgeschieden werden wie von der Gesamtmenge, wäre der Gewebsverlust —cx. Wir würden dann den Verlust auf Blut und Gewebe gleichmässig verteilen; von beiden Anteilen würde der- selbe Prozentsatz ausgeschieden. Wir würden dann gewissermaassen den Verlust durch den Glomerulus auf das Konto des Blutes, den durch die Epithelien der Niere auf das Konto der Gewebe setzen. Nun ist der Anteil, der durch Sekretion in den Kanälchen ausgeschieden wird, immer dann sehr gross, wenn die Ausscheidung im ganzen gross ist, also am Anfang des Versuches, und wir kommen den tatsächlichen Verhältnissen näher, wenn wir anfangs den Verlust der Gewebe höher bewerten als später. Wir können dies in folgender Weise machen: wenn die Diffusion, die wir hier voraussetzen, zu Ende ist, so sind die Konzentrationen in Blut und Gewebe gleich, und die Geschwindigkeit des Übertrittes ist gleich null geworden; unsere Gleichung wird also dene links gleich null, daher auch rechts; dann ist Er = A x ist 1 — ct J 9 . —ct g 15 also gleich ae -— — und —cx ist daher gleich — cae See gez D g+b dann ist also der Verlust gleichmässig verteilt, betrifft Blut und. Gewebe nach gleichen Prozenten. Wenn wir nun den Verlust der Gewebe anfangs höher ansetzen wollen, so können wir dies dadurch, dass wir ihn so hoch bemessen, als sei schon sehr viel in die Gewebe übergetreten, als sei schon das Ende der Diffusion erreicht; mit anderen Worten, wir rechnen den Verlust nicht so hoch, als betreffe er die wirklich übergetretene Menge x, sondern wir rechnen ihn so hoch, als wenn sie schon bis zur endgültigen Verteilung in die Gewebe über- +b nach dem Konzentrationsausgleich ist. Wir müssten dann während der ganzen Zeit des Versuches den Harnverlust der Gewebe gleich getreten wäre, also gleich ae” wäre, wie sie es tatsächlich erst — cae*t setzen, wie er bei gleichem Prozentverlust erst nach a geworden ist. In Wirklichkeit verteilen wir dann den Harnverlust in der Weise, dass wir ihn während des ganzen Versuches zu 90 %, den Geweben zusprechen und nur zu 10%, dem Blute. Dieses Verhältnis ist für die einzelnen Stoffe verschieden; gewöhnlich aber ist der Anteil der Sekretion, also der endgültigen Verteilung ist, wo x = ae ®! 120 Ernst Frey: hier der Gewebe, noch höher zu bemessen. Wir kommen also durch diese Annahme den tatsächlichen Verhältnissen so nahe, wie wir es durch die Annahme eines Gesetzes nur können. Unsere endgültige Fassung der Verteilungsgleichung lautet also: dx face X g Zehn ; BO: Einige Punkte bedürfen noch der Erwähnung. Bei dieser Rechnung sind die Mengen von Blutwasser sowohl wie von Gewebswasser als konstant angesehen worden, was eigentlich nicht der Fall ist. Doch würde eine mathematische Formulierung nicht für alle Fälle möglich sein, sondern sich jeweils ändern müssen, je nachdem wir eine konzentrierte oder isotonische Lösung injizieren. Daher ist von einer Veränderung der Menge des Lösungsmittels ab- gesehen worden und für Blutplasma und Gewebswasser konstante Grössen gesetzt worden. Natürlich ist dies nur geschehen, soweit die Berechnung der Formel erfolgte, d. h., wie wir gleich sehen werden, soweit es sich um Berechnung des Wertes AK aus der Formel handelt; wenn dann für die allgemeinen Zahlen die Werte der Versuche ein- gesetzt wurden, sind selbstverständlich die Werte der einzelnen Ver- suchsphasen dafür gesetzt worden oder Durchschnittswerte, die die Versuche lieferten. Ebenso ist hier bei Aufstellung der Formel von einer späteren Coffeininjektion zum Beispiel abgesehen worden; es sind die paar Kubikzentimeter unberücksichtigt geblieben, nicht aber beim Ersatz von & durch die Anzahl Kubikzentimeter Ge- websflüssigkeit usw. Ein zweites Moment ist bisher nicht berücksichtigt worden; das ist die Oberfläche, die für die Wanderung des Stoffes in Frage kommt, also die Gesamtoberfläche des Kapillarsystems. Diese ist abhängig von der Gefässweite, dem Füllungszustande des Gefässystems. Da die Diffusionsgeschwindigkeit proportional der Oberfläche ist, so wird zuerst, wo das Gefässystem überfüllt ist, die Wanderung schneller vonstatten gehen als später; wir werden also für den Faktor K zuerst höhere Werte erhalten als später; er wird anfangs zu hoch erscheinen. Um eine rechnerische Korrektur anzubringen, fehlen uns aber alle Grundlagen. Natürlich könnten wir die Schwankungen der Oberfläche leicht berechnen, wenn wir den Inhalt des Gefässystems kennen würden, d.h. wenn wir wüssten, wieviel von der injizierten Flüssigkeit sich im Kapillarsystem vorfindet, wieviel in den Venen; die Arterien werden wohl dafür weniger in Betracht kommen, da der Blutdruck nicht an- steigt oder doch nur ganz unerheblich. Und für den Austausch von gelöstem Stoff oder Lösungsmittel kommen doch nur die Kapillaren oder höchstens die kleinen Gefässe in Betracht, nicht die grossen Blut- — Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. 12] leiter. Trotz dieser Unkenntnis wird es von Vorteil sein, sich die Grösse der Schwankungen klarzumachen, welche durch einen Wechsel der Grösse der Austauschoberfläche bedingt sein können, damit man weiss, um welchen Betrag der Wert von K durch Schwankungen der Ober- fläche variieren kann. Nimmt man hohe Zahlen an, zum Beispiel es habe die Plasmamenge von 200 auf 300 cem zugenommen, so hat, wenn sich der Zuwachs gleichmässig auf grosse Gefässe und Kapillaren verteilt, auch der Inhalt des Kapillarsystems von 2 auf 3 zugenommen. Wenn der Inhalt eines geraden Rohres wächst, so wächst die Seiten- fläche dieses Rohres, eben unsere Austauschoberfläche, im Verhältnis der Quadratwurzeln beider Inhalte, also von 1 auf zweite Wurzel aus = ungefähr auf 1,3. Ist das Rohr gewunden, so wächst die Ober- fläche noch etwas stärker; wenn in den Kapillaren nicht der gleiche Zuwachs wie in den grossen Gefässen statthat, sondern sich mehr von der injizierten Menge im Kapillarsystem vorfindet, so wird die Schwan- kung der Oberfläche noch grösser. Es könnten also unsere Werte von K im Verhältnis von 1 auf 1,5, vielleicht aber noch in weiteren Grenzen durch Wechsel der Oberfläche des Kapillarsystems schwanken. Ein dritter Punkt ist bisher noch ausser Betracht geblieben, das ist der Wiedereinstrom der Lymphflüssigkeit in das Venensystem. Durch diesen Einstrom wird ein Teil der übergetretenen Substanz wieder dem Blute zugeführt, gleichzeitig aber auch ein Teil des Ge- webswassers. Dadurch wird an der Konzentration des Gewebes also nichts geändert und wenigstens in späteren Stadien auch an der Plasma- konzentration fast nichts. Aber wir können unter der Konstanten K nicht einfach die Diffusionskonstante verstehen, sondern das, als was sie ermittelt wurde, die Konstante der Verteilungsgeschwindigkeit; die Konstante der Diffusion wird also etwas grösser sein als die der Ver- teilung, weil mehr übergetreten ist, als sich bei der jeweiligen Verteilung vorfindet. Das gilt wenigstens für die späteren Stadien des Versuches. Denn gleich am Anfang wird die Lymphe bei ihrem langsamen Fliessen noch wenig in das Blut zurückbefördert haben, dann aber ist unsere Konstante etwas hoch wegen der grossen Oberfläche, wie eben be- sprochen. In späteren Zeiten des Versuches wird unsere Konstante kleiner sein als die Diffusionskonstante. Durch diese Verhältnisse des Rückströmens wird aber unsere Konstante selbst mit der Zeit niedriger, oder, besser gesagt, eine spät ermittelte Konstante wird kleiner sein müssen als eine ganz am Anfang festgestellte, ehe der mit Gift be- ladene Lymphstrom die Vene erreichte. Aber wir können trotzdem von einer solchen Geschwindigkeitskonstante sprechen, gerade so, wie wir von Blutmenge reden, trotzdem es sich dabei nur um ein dynamisches Gleichgewicht handelt und die . tatsächlichen Flüssigkeitsmengen 122 Ernst Frey: dauernd wechseln. Für gewöhnlich ist ja die Menge der in 5 Minuten ins Blut zurückfliessenden Lymphe sehr gering, wird aber durch die hier in Betracht kommenden Verhältnisse erheblich gesteigert. Wir müssen also vor Augen haben, dass unter K die Konstante der Ver- teilungsgeschwindigkeit, nicht die Diffusionskonstante zu verstehen ist. Endlich muss noch die Frage erörtert werden, warum bei dem gleich- zeitigen Übertritt von Flüssigkeit,und von gelöstem Stoff der Vorgang nicht als Filtration definiert wurde. Wenigstens der normale Vorgang der Lymphbildung ist ein Prozess, der einer Filtration sehr ähnlich sieht. Bei einer Filtration geht die Wanderung der Substanz eng ver- knüpft mit der des Lösungsmittels vor sich, und zwar ist die treibende Kraft ein hydrostatischer Druck. Beides trifft offenbar für die Lymph- bildung zu; der Vorgang ist aber wohl so zu verstehen, dass das Primäre der hydrostatische Druck ist, welcher etwas Flüssigkeit durch die Kapillarwand treibt, dass aber bei dem langsamen Strome der gelöste Stoff Zeit hat, durch Diffusion dem Lösungsmittel nachzukommen, so dass tatsächlich eine ganz blutähnliche Flüssigkeit in die Gewebe wandert. Wenn die Lymphbildung also für gewöhnlich einer Filtration sehr nahe kommt, so geht die Wanderung von gelöstem Stoff un- abhängig von der des Wassers vor sich, sobald wir durch Injektion eines Stoffes in die Blutbahn das Verhältnis der sonst sehr ähnlichen Zusammensetzung von Blut und Gewebswasser ändern, oder sobald die Tätigkeit der Organe Konzentrationsdifferenzen schafft. Dann tritt Diffusion und Osmose an Stelle der anscheinenden Filtration, einer Filtration, die nur durch das abgewogene Zusammenwirken beider als solche erscheint. Für gewöhnlich geht eben die Wasserwanderung, die der hydrostatische Druck veranlasst, sehr langsam vor sich, und die Diffusion, die natürlich sofort einsetzen muss, wenn etwas Wasser ausgetreten ist, hat Zeit, dem Lösungsmittel nachzukommen, so dass . eine Filtration anscheinend vorliegt. Dies würde einem Prozess an einer Diffusionsmembran gleichen, an welcher ein ganz geringer Über- druck, bei gleicher Konzentration aussen und innen, etwas Lösungs- mittel und daher auch von gut diffusiblen Körpern gelösten Stoff durch die Membran hindurchtriebe, was zwar keine Filtration ist, aber einer solchen sehr nahe kommt. An einer solchen Membran aber könnten sich sofort die Erscheinungen der Osmose und der Diffusion (zum Beispiel in umgekehrter Richtung) zeigen, wenn Konzentrations- unterschiede da sind oder in unserem Falle künstlich herbeigeführt werden. Wenn an einer Membran dauernd solche Konzentrations- unterschiede fehlen und an ihr ein hydrostatischer Druck die Flüssig- keit in annähernd ungeänderter Zusammensetzung hindurchtreibt, so reden wir von Filtration wie bei der Absonderung des Glomerulus. Der eigentliche Vorgang mag dabei derselbe sein wie bei der Lymph- Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. 123 bildung ; nur ist dort der gleichzeitige Übertritt von Lösungsmittel und gelöstem Stoff permanent, während bei der Lymphbildung dies nur beim Fehlen von Konzentrationsunterschieden der Fall ist. Wir haben also eine Differentialgleichung gewonnen, welche die Geschwindigkeit der Abwanderung des injizierten Stoffes aus dem Blute definiert. Und zwar handelt es sich um eine Gleichung, die lediglich aussagt, dass die übertretende Menge immer proportional dem Konzentrationsunterschied ist, d. h. dass der Übertritt eine Diffusion ist. Die Korrekturen, welche wir an der einfachen Diffusionsgleichung anbrachten, waren bedingt durch den Verlust, den die injizierte Menge durch die Harnausscheidung erfährt und auch der ins Gewebe über- getretene Anteil. Dabei wurde ein möglichst einfaches Gesetz der Nierenausscheidung zugrunde gelegt. Unsere Aufgabe besteht nun darin, zunächst den Wert für ÄX aus- zurechnen und sodann die Werte von x und sie mit denen der Ver- suche zu vergleichen. K bedeutet einen Geschwindiskeitsfaktor, dessen Zahlenwert von den Einheiten abhängt, in denen wir Menge Stoff (in Grammen), Flüssigkeit (in Kubikzentimetern) und Zeit (in Perioden zu 5 Minuten, also {=5 Min.: 2 f = 10 Min.) messen. Rechnung. (oO ar x xK(g+b pre (> N ') Bean) b b g g+b gb ide b(g+b) Trennung der Variablen ist nicht möglich, daher x K b K b) — gbc dz- | Sun) Ve er = lee 9 je: — (0. gb b(g-+b) Dies ist kein vollständiges Differential, wird es aber durch Multi- IK (g-+b) plikation mit dem integrierenden Faktor e er tK(g-+b) E IK (g-+b) gb E (J+b) GER e dx - .e gb K@+b)—gbe are. b(g+b) 0. 124 Ernst Frey: un Be denn e 22 nach / differentiiert — en. e 22 un 7 -_. g 9 EITRIO + b) 5 "2 9b nach x differentiiert ebenso. Daher wird integriert nach der Formel: dfudx udx + = _—.) dy = Const.; also: IK(g+b) IK(g-+b) xe u 2 ee ler I 08 7 Mr an b(g-+b) IK (g+b) IK) 5 b g Pre 4 xe ——— de — (onst. Van Zur Zeit 0 wird 1 =0 und auch x = 0: daher zur Ermittlung der Integrationskonstanten: 9 5 { 5 — —— + a = (onst.; dieser Wert eingesetzt, ergibt: gb z . IK (9+b) Wo, ; gb 9 gb g xe — Le. gie -— — —-,.0. g+b g+b l. Berechnung von K: IK (g+b) IK(g+b) _.; De ee le. 00 Er ge ed g+b IR (g+b) ee EB ‚ae | 2 0) g+b g+b y a IK (g + b) — A x TE gb, Ge Bar { ESBAUNR ae et NR Bar g+b g+b 9 A IKG+b) „9 +b gb ae ei a de g+b Ka, at EDS tale: { A g+b 9 mn m ann ann mn nn nn ph en nn nn Das Gesetz der Abwanderungintravenös injizierten Stoffes ausdem Blute. ]25 2. Bereehnung von t: IK(g+b) IK(grb) ,, a A 2 g+b g+b I . — lau ZZ 9 . q . ae “ geb. WER ERD) EIRLAOS a Den Me N g+b ee) ee Der Wert für K ergibt recht einfache Verhältnisse, wenn wir uns die Bedeutung der einzelnen Grössen klarmachen. Im Logarithmus steht ein Zahlenverhältnis: im Zähler die Konzentration, die man er- hält, wenn man die Anfangsmenge auf alles verfügbare Wasser verteilt, im Nenner der Unterschied zwischen der Konzentration von noch vor- handenem Stoff, auf alles Wasser verteilt, und der Gewebskonzentration. Diese Differenz wird mit der Zeit immer kleiner werden, bis sie bei gleicher Verteilung gleich null wird; daher wird der Logarithmus immer grösser, gleichzeitig nimmt aber die Zeit zu, durch die der Logarithmus dividiert wird; daher ist es möglich, das K konstant bleibt. Bei der Berechnung von K wurde die Anfangsmenge für a, die noch im Körper vorhandene Menge, d. h. Anfangsmenge minus Harnverlust, für ae! x gesetzt; für b und für g + b ein Durchschnittswert; für = die wirk- 9 liche Gewebskonzentration. Es machen übrigens bei diesen Berechnungen einige Kubikzentimeter wenig aus, besonders am Schluss nicht, wo die Konzentrationen beinahe gleich geworden sind, aber auch sonst ändern sich die Werte für X nur wenig, wenn man die Rechnung mit verschiedenen Kubikzentimetern durchführt. Etwas anderes ist es mit der genauen Ermittlung des Zeitpunktes null, und dies führt zu Schwierigkeiten in der Bestimmurg von K. Denn jede Injektion dauert einige Zeit, besonders wenn man grössere Flüssigkeitsmengen einlaufen lässt, und. so ist es schwer, anzugeben, ob genau 5 resp. 10 Minuten verflossen sind, als die erste Blutanalyse gemacht wurde, da man im Zweifel sein kann, ob man den Anfang oder das Ende der Injektion als Zeitpunkt derselben betrachten soll. Nun würde sich ja der genaue Wert für X sehr leicht aus der zweiten Blutbestimmung am Schluss des Versuches ergeben — denn dort spielte es keine Rolle, ob man durch 39 oder 40 dividiert —, aber dort ist häufig schon Gleichheit der Konzentrationen eingetreten, so dass diese Analyse für die Bestimmung von K, für die Bestimmung der Geschwindigkeit, mit welcher diese Gleichheit erreicht wird, in Wegfall kommt. Wenn aber 126 Ernst Frey: dieser Zeitpunkt zur Ermittlung von K nicht benutzt werden kann, liefert er uns doch eine Tatsache von viel grösserer, fundamentaler Bedeutung, nämlich die Tatsache des Gleichwerdens der Konzentrationen, woraus schon allein hervorgeht, dass der Vorgang eine Diffusion ist. Wenden wir uns zu dem zweiten Wert, den uns unsere Gleichung liefert, nachdem wir den Wert von K aus der Arfangsanalyse und Schlussanalyse ermittelt haben, ‚nämlich zu dem Wert x. Derselbe ist gleich ea ae, — en . Der zweite Bruch in der en go Klammer wird mit der Zeit sehr schnell null werden, weil die Zeit im Exponent des Nenners steht, desto schneller, je grösser die Verteilungs- konstante K ist. Dann bleibt in der Klammer nur noch die Grösse ae°t, also die noch im Körper vorhandene Menge injizierten Stoffes; diese wird multipliziert mit dem Verhältnis Gewebswasser durch Ge- samtwasser, d. h. x ist so gross, wie einer Verteilung auf das gesamte verfügbare Wasser entsprechen würde. Am Anfang kommt davon eine schnell kleiner werdende Grösse in Abzug. Ich habe nun diese Werte für x in der letzten Säule der Tabellen verzeichnet; man wird sehen, dass sie recht genau mit den Versuchen übereinstimmen, manchmal etwas höher liegen als diese, wenn auch nur unbedeutend. Dies liegt daran, dass der Wert für X am häufigsten aus der ersten Blutanalyse bestimmt wurde, wo er eben wegen Auf- füllen des Kapillarsystems und der dadurch vergrösserten Austausch- oberfläche etwas höher berechnet wird, als er für den späteren Verlauf des Versuches ist. Ich bin immer wieder erstaunt gewesen, wie genau sich die Zahlen in dieses Gesetz einfügen, besonders deswegen, weil eine Anzahl von Grössen doch nur geschätzt sind. und bei Ausführung der Versuche eine ganz andere Fragestellung zur Diskussion stand. Freilich sind gerade bei der wichtigsten Tatsache, nämlich der schliesslichen Gleich- heit der Konzentrationen, Willkürlichkeiten ausgeschlossen, da nach so langer Zeit die Plasmamenge sicherlich wieder normal geworden ist, so dass ein Fehler in der Annahme der Plasmamenge nicht unter- laufen kann. So brachte der Phosphatversuch eine Überraschung; ich wusste ohne jede Literatur den Kristallwassergehalt des Natrium- phosphats nicht auswendig und nahm ihn gleich dem des Sulfates an, was unstimmige Werte ergab. Als ich dann auf dem Sanitätsdepot telephonisch nach dem Kristallwassergehalt fragte, ergab die Rechnung nach vollzogener Verteilung das Verhältnis der Konzentrationen von 50:50, also Gleichheit. Übrigens muss bemerkt werden, dass nicht etwa der Schluss ein umgekehrter war, dass etwa die Gleichheit der Konzentrationen vermutet wurde und danach die Menge verfügbaren Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. 197 Wassers ausprobiert wurde, sondern dass der Wert von 50%, des Tier- gewichtes aus theoretischen Überlegungen geschätzt wurde und sich dann die Übereinstimmung ergab, so wie die Berechnung hier ge- schildert wurde. Anfangs hatte ich die Rechnung gar nicht nach der Gleichung der Diffusion durchgeführt, sondern nach der einer nur dx teilweise verlaufenden Reaktion, welche hier ge K, (% Blut) — K, (% Gewebe) lauten würde, wobei also die Geschwindigkeit des Übertrittes von zwei Vorgängen abhängig wäre von dem Austritt aus dem Blut und dem Zurücktritt ins Blut hinein, die beide eine ver- schiedene Geschwindigkeit hätten, als deren Differenz sich dann die wirkliche Wanderung des Stoffes darstellen würde. Es liegt aber hier der Spezialfall der Diffusion vor, wo beide Konstanten einander gleich sind, daher auch das Verhältnis der Konzentrationen nach endgültiger Verteilung, daher war der Vorgang eine Diffusion. All diese Betrachtungen gelten natürlich nur so lange, als eine Verschiebung des Stoffes von Gewebe zu Gewebe auf dem Blutwege nicht in Frage kommt, also nur bis zum Zeitpunkt der endgültigen Verteilung. Dann wird durch die Nierentätigkeit das Blut an körper- fremdem Stoff ärmer und gleichzeitig freilich auch das Gewebe, aber nur ein Teil davon, und von nun an schöpft die Niere nicht mehr aus dem Überschuss des Blutes, sondern verringert das eingestellte Niveau, das sich aus dem anderen Körpergewebe wieder auffüllt. Die Gleichung stellt also die Gleichung der Abwanderung intravenös injizierter Sub- stanzen aus dem Blute dar. Immerhin bleibt die Gleichheit der Kon- zentrationen fast bei allen Substanzen annähernd bestehen, wenn sie einmal eingetreten ist. IV. Versuche. 1. Phosphat. Die Menge Phosphat im Gewebe nimmt zuerst zu, später wieder ab, weil die Harnabsonderung inzwischen einen Teil der übergetretenen Menge entfernt hat. Auch die Konzentration im Gewebe ist gesunken, einerseits wegen des Verlustes mit dem Harn, sodann aber auch, weil eine geringe Menge Wasser äus dem Blute wieder ins Gewebe zurück- getreten ist. Der Ausgleich der Konzentrationen zwischen Plasma und Gewebe ist dabei schon nach 1%, Stunden vollzogen; die Plasma- prozente betragen 0,0260 und die im Gewebe 0,0253 oder, wie die drittletzte Kolumne angibt, die Konzentrationen verhalten sich wie 49,31 : 50,59. Es ist also Gleichheit der Gewebskonzentration mit der Plasmakonzentration eingetreten. Diese Tatsache wird erhärtet durch die Schlussanalyse: zu dieser Zeit, 31, Stunden nach der In- 128 Ernst Frey: jektion, verhält sich die Gewebskonzentration zur Plasmakonzentration wie 50,19 : 49,81. Zu dieser Zeit ist aber jede Willkür bei dem Ansatz der Plasmamenge ausgeschlossen, weil die Blutmenge sicherlich wieder normal geworden ist. Durch diese Tatsache aber ist erwiesen, dass der Vorgang ein Diffusionsprozess ist. Vergleichen wir nun die Zahlen der durch den Versuch gefundenen Werte mit denen von der Formel verlangten, also die siebente ‘Reihe mit der letzten, so sollen 0,1368 = 0,1369, 0,1536 = 0,1541, und 0,1438 = 0,1425 sein. Die Übereinstimmung ist also eine sehr weitgehende. Versuch Phosphat 9: Kaninchen Ö 1350 g; 10 cem 10% Na,HPO, + 12 H,O = 0,1983 g P,O, intravenös. oe Rense Tee = Be 3 BE I(52=18_12 | = E<| 8 2 OS NT ei el 8 S + Ho o|> Aare = Sm 2 Plasma (= b) E eria Mn 5< BTeSsK 8 or oo, Ei jetz 21; 31185 ||a li: +! | mE |2 8195 O8 8 = zsle27| io sea 22 lan se S en | P BES ||? Su Ps ! o \o o/oP,a0,|cem |gP,0;, |gP,0,;| gP50;| —g (A)| ccm| ccm = © 1 0.0600) ei) 0,0540 0,0075[0,1368| 1,5] 594 [0,02301[27,71|0,1908| 0,1369 Blutentzug 0,0060 N) Coffeininjektion +15 18 |0,0260| 70 /0,01820,0060/0,0184|0,1557| 6 614 |0,0253[49,31|0,1739| 0,1559 41 [0,0220 68 .0,01500,0060[ 0,0320 |0,1453] 11 611 [0,0237 ]51,86 [0,1603] 0,1441 ; a Gead Berechnung: von A zur. Zeit I; — -- = 0,0289, = 0,0278; | ; (+) (9 +) also K = 139,62 = 140. ' b Berechnung von ‚2: Zur” Zeit. 1: K'=140; 7 =; an = 684 RL(g 5) a 0,1953 —— = 0,0128; ——— = 1,792; e 1:79? = 6,001; = so em I 172 6,001 a 9 =.0,0330: von 2er, :(.0:.1908)2 ab 7.041578 7. mal \ (9 + b) 0,868 ergibt 0,1369. KUgEb) Zur Zeit 18 ist e db schon unendlich geworden; also x = ( 614 ER. mal ae°! oder — = 0,897 mal 0,1739 ergibt 0,1559. (4 +b) 684 Zur Zeit 41: — ee = nn — 0,899 mal 0,1603 ergibt 0,1441. | g+b) 679 Die zweite Plasmaanalyse kann hier nicht zur zweiten Berechnung von K herangezogen werden, weil zu dieser Zeit (31, Stunden nach der Injektion) der Endzustand der Diffusion eingetreten ist, aus dem nicht mehr auf die Geschwindigkeit geschlossen werden kann, mit der der Vorgang nach diesem Ziele strebte; mathematisch gesprochen: Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. 129 es ist die Zeit unendlich geworden, der Nenner des Bruches im Loga- rithmus gleich Null, daher der Bruch unendlich gross und ebenso sein Logarithmus; K hat also den unbestimmten, Wert » :». Immerhin würde die Übereinstimmung in diesem Versuch nur aus- sagen, dass Gleichheit zwischen Plasma- und Gewebskonzentration zur % Blur oO =g Gen. gef x=g » ber Verhaltmıs % Blur % Gewebe — ni 5östrıch her " Abb. 1. Phosphat 9. Zeit 18 und 41 eingetreten ist, denn die Übereinstimmung zur Zeit 1, wo die Diffusion noch im Gange ist, muss vorhanden sein, weil zu dieser Zeit der Wert K errechnet wurde, also das Stimmen des Wertes für x nur aussagt, dass kein Rechenfehler untergelaufen ist. Immerhin ist gerade das Gleichwerden beider Konzentrationen das grundsätzlich Wichtige und die anschaulichste Tatsache, die eine Diffusion beweist. 2. Nitrat. Es wiederholt sich nun dasselbe Bild immer wieder: erst Ansteigen der gim Gewebe, dann Abfallen, ebenso verhält sich die Konzentration ; die Plasmakonzentration stürzt dabei rapide ab, um sich dann längere Zeit auf demselben Niveau zu halten. Versuch Nitrat 7: Kaninchen 5 20008; 30 ccm 10 % NaNO, intravenös. BO EN Se lö°s Saale S 323 SE Ss| as BR#l:s|8 IT| SS [2 =|S2 [7 8- arm| Plasma (=) | a an z =“ an N a AE 2 u 2:8 Öo8 Be 3-| 87 [0° I |8-]2S5°| 25 |= ElS= 635 Se a |° [wP 88 'lsg |[s>2| os 3” N %/oNaNO, com | & NaN0, |gNa\0, | 5 Na\0, N ecm| cem el ET ee 2 [0,3088 160/0,4941 0,4000|2,1059] 30 | 840 |[0,2507|44,81 [2,6000] 2,1030 Blutentzug 0,0401 — 13 2,5257| 2,1821 2,4569] 2,2055 2,3595[ 2,1191 6 [0,2700|130 0,3510 [0,0401|0,4342|2,1747| 33 | 854 [0,2546 48,53 13 [0,2500| 100 0,2500 |0,0401| 0,5030] 2,2069| 39 | 878 |0,2513[50,13 21 |0,2400 100 0,2400 |0,0401[0,6074]2,1125| 45 | 872 [0,2422|50,22 Coffeininjektion IT 37 10,2300/100 0,2300 0,0401] 0,7158]2,0141| 54 | 872 [0,2309] 50,09 45 0,2270 100 0,2270 0,0401] 0,7290] 2,0039| 56 | 870 |0,2303] 50,36 Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 177. 2,2441| 2,0132 2,2309] 2,0009 ARE, Ne) 130 Ernst Frey: [Berechnung von K aus der Zeit 2: b = 160; g = 840; 9+b = 1000; ‚—ct = 0,2913; —— — = 0.2600; also K = 231,5 — 231. (+ b) (9+ b) Berechnung von x: (g + b 9 Kt(g+b) g (9 7 ) | Kt Fr b) er | 7 = 5; | also & 0,00744 | 3,4373 31,1 0,84 | 2,1030 0,00886 12,2841 216 000,0 0,8679 | 2,1821 0,01117 | 0,8977 . 2,2059 0,011146 0,8981 2,1195 0,011146 0,8971 . 2,0132 0,01115 0,8969 2,0009 ] Die Gleichheit der Blut- und Gewebskonzentration tritt sehr schnell ein, die errechneten Werte (letzte Reihe) stimmen überaus genau mit Verhaltrmıs % Blur % Gewebe = 8 Strich Abb. 2. Nitrat 7. den aus dem Versuch bestimmten (Reihe 7). Der Wert von K kann hier nur aus den Zahlen zur Zeit 2 bestimmt werden, nicht zur Kon- trolle nochmals aus denen zur Zeit 45, also zur Zeit der zweiten Blutanalyse,, weil nach 33, Stunden Gleichheit der Konzentrationen eingetreten ist. Ganz dasselbe zeigt der Versuch Nitrat 8. Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. 131 Versuch Nitrat 8: Kaninchen ? 1950 g; 25 cem 10% NaNO, — 2,5 g intravenös. — H) | %o b (975 +25 —b SER) 00-NaNO, Plasma (= b) ( zu 5 Min. im Gewebe 100 -%/0 Gew. g NaNO, im Körper g NaNO, im LE) Ges.-Harn ZEN) II g NaNO, S Gewebe — u (] es.-Harn H (Gew.-Wass = Blutentzug Zeit in Per. Gewebe nach Formel O/oNaN0 1 %oNah0z] com |g NaNO; [5 NaNO; | g NaNO, | cm] cem| cm | "Il IF 5 NaN0, |g NaNQ,| & NaN0, | 4] ccm| ccm Blutentzug 0, 0475 4 |0,2800|130 0,3640 0, 0475]0,2328] 1.3757] 23 | 834 [0,2249] 44,54|2,2197 | 1,9105 1,8755| 29 38 [0,2238 148,25 9.1635 1,8924 3 10,2400 120 0, 2880 [0,0475] 0,2390 16 10, 2200 108 0,2376 0. 047510,3752|1,5397| 44 35 [0,2196 50, 0312,0773] 1,8394 teen 23 10,2200 100/0,2200 J0,0475] 0,4320 25 10, 9900 1000, 9200 0, 0475 0,4919 . 26 0,2180 100) 0,2180 [0 ‚0475]0, 5265 1,8005] 61 | 834 [0,2155]49,51[2,0205]| 1,5041 1,7406] 72 | 823 [0,2114]49, ‚ool1 ‚9606| 1,7457 1,7080| 78 | 817 [0,2090 48 ‚00] 1,9260] 1,7159 2 [0,3650 150/0,5475 0, jap Ehe 20 | 830 10,2111]36,64|2,3000| 1,7485 a | Berechnung VOonWRT Zur Zeit 22a 150507830: alsor (4 + b) x . — 10.25; e — 0 2EP TR Zalsonise MAIS 2150: b Berechnung von x: jedesmal die obigen Werte von on ein- gesetzt, also: (g+b) | Kt(g+b) | KEN | INN | also x gb gb en (9 + b) 0,00787 2,361 10,62 0,8469 1,7485 0,00889 5,334 207,0 0,8651 1,9105 0,00952 - 11,426 91 700,0 0,8747 1,8924 0,01046 Al: RN 0,8855 1,8394 0,01115 a = 0,8929 - 1,8041 0,01122 = = 0,8914 1,7457 0,01122 Aa = 0,8969 171590 2] Schnelles Gleichwerden der Plasma- und Gewebskonzentration, gute Übereinstimmung der Zahlenwerte. Der Wert der Geschwindigkeitskonstanten ist hier kleiner als im vorigen Versuch; verschiedene Werte für K (gleiche Substanzen, Mengen und Kubikzentimeter vorausgesetzt, beruhen wohl auf wechseln- den Verhältnissen bei der Injektion, deswegen, weil jede Injektion g* 132 Ernst Frey: einige Zeit dauert und andererseits die Annahme eines Zeitpunktes null notwendig ist; dazu kommt noch. dass die Verteilung des Stoffes in der Blutbahn, die Mischung der Injek- De. tionsflüssigkeit mit ° =, Gem gef dem Blute vielleicht = g ber Tr . 5 e nicht immer eine ganz % Bit Verhaifmıs gleich verlaufende ist, da wohl verschieden starke, wenn auch nur kurze Blutdrucksen- kungen dabei vorkom- men. Diese Schwan- kungen lassen sich nicht umgehen; ver- Anb a Na meidet man jede Blut- drucksenkung, so dau- ert die Injektion länger, die Festsetzung des Zeitpunktes Null wird also ungenauer; injiziert man schnell, so geht es ohne Blutdruck- senkung nicht ab. Ich glaube, dass der kleinere Wert für K, also 150, der richtigere ist. % Gewebe Versuch Nitrat 6: Kaninchen 2 1700 g; 25 cem 10%, NaNO, — 2,5 g intravenös. 5 &n fe SoNDla ; „IS z Eir,, 5 = O2... ee BE „ 180 Nr = NZ sc ao“ sca|a I! or 5 *»o© |. 8 oe SR elSn|e © os z „| Plasma (2) | 87, An zs| = a ©) ee Allee Des Ss] iS [e2ulso[857| #2 || » 828 Ss “| Plasma 2) | 3° | 58 s23]E8 2° 1152 6 HlS5]; “= s I) „1 Jo; 1 ere|e5 le; aer ne u Ei a a | BR DI As SIE: CE = 7 —g(b) es —ZE SO a ae %uNaBr|cem'g NaBr Is NaBrig NaBr| — 9 (H)| cem = ii 5 I ER | 240 [0,2060 | 73 0,1504 0,6316] 1,4680 | 725 10,2251[52,21[1,6184| 1,4566 g 652 Berechnung von x: ae “t,n ° — — = 1,6184 - -—— = 1,6184 (+5) 125 0,899 = 1,6184 - 0,9 = 1,45656.] Versuch NaBr 25: Kaninchen ö 2000 g; Runkelrüben als Nahrung; 50 ccem 9% NaBr = 4,5 $ in die Ohrvene und 20 Stunden darauf 135 ccm Wasser in den Magen. (Wegen der weiteren Nahrungszufuhr darf der Harn nicht vom verfügbaren Wasser des Tieres abgezogen werden, weil sich ersteres aus den wasserreichen Rüben wieder er- setzt.) Blutanalyse 23 Stunden nach der Injektion. (A Blutplasma — 0,549.) i AUT ei) = „o°Ilg Ö > .S Eier, = = Kara. ds a NS ri B) ©: Ss |#s Betlssles”| #3 [23 | „3 [88 @@| Plasma &3) [85 |E® Ede en 1a O1: d |, 28 Fin s21821w8 1[51]328|75 | E| 28 #5 ER =), ee les 0 NaBr|eem| gNaBr g NaBrig NaBr Im cem er 52 | 5S &5 on |bensı um oem han 2,8713 | 900 Ins 53,42 sunleaus ! a ( Berechnung von rt: ae” “t,,, " — —:= 3,1494 - —— = 2.8354. | | S 230, (gap) 1000 134 Ernst Fre'y: Versuch NaBr 11: Kaninchen Ö 2600 g; 50 cem 9% NaBr = 4,5 g intravenös. ne Ss | ss |se8lsg|eörl| se [2° | #2 l& 37 3] Plasma = | © je asale ne .<|@8 6 4185)6 58 Fin 3 | 8-05 18]: 2]25 8 2] #8 725 28 a I5 |-0]® 1esl2: | | 85 |we® N = ] ] — g(E Sn ee az a oNaBricemig NaBr | gNa Br |g NaBr| — 7(H)| ccm cem ln o ze | 3 0,4120 200 0,8240 0,600013,0760| 50 | 1100 [0,2796]40,4313,9000] 2,9876 | Blutent abentzug. || 61s is A-0139 | 19 10,41201130/ 0,5356 | 0,0618[0,6701]3,2325| 57 | 1148 |0,2903]41,47]3,7681]| 3,1878 (A070) a rech ; h itt: ba 21300:05. 2008. _ | Berec nung: Durchschnitt: g + 300; 0: ) oe are ; N ÜTDERTALSON LAN re NA U Tee — a (+b) (g + b) 1300 ae et 159,2994 = 159. Zur Zeit 19: m b) — 0,2899: %, Gewebe = 0,2903; also gleich. K b Berechnung von t: a I — 0,846; 4 & ) — 0,9395. (1 + b) gb Kt(g+b) Ki(g9+b) a | iyag: | Feen | raten Wert Klammer x 3 2,8185 | 16,76 0,2685 3,5315 2,9876 19 | 3,7681 | 3,1878] In den ersten beiden Versuchen erhielten die Tiere auch nach der Injektion.noch Nahrung; es wurde also der Wassergehalt der Tiere als normal angesehen und der Harn während des Versuches nicht in Abzug gebracht. Es handelt sich dabei um sehr wasserreiche Tiere; denn sie erhielten Runkelrüben als Futter, und kurz vor dem Versuch wurde ihnen Wasser in den Magen gegeben. Trotzdem habe ich davon Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. 135 Abstand genommen, diese Wassermengen mit in Rechnung zu ziehen, weil man über die Resorption aus dem Magen nicht orientiert ist. Durch die Gefrierpunktbestimmung des Plasmas sind wir aber über den Wasserreichtum der Tiere ungefähr unterrichtet; er schwankt be- kanntlich in ganz engen Grenzen während normaler Verhältnisse. Hier betrug er 0,57 gegen den gewöhnlichen Wert von 0,58 beim Kaninchen; in Versuch 25 war er sogar auf — 0,54 gestiegen; es handelt sich also um sehr wasserreiche Tiere. Daher sehen wir auch nach der Verteilung im Gewebe bei der Ausserachtlassung dieses Wasserreichtums, wie es bei der Berechnung geschehen ist, etwas mehr Prozent Bromnatrium im Gewebe als im Plasma, weil wir dabei die Gewebswassermenge etwas zu klein angenommen haben; und zwar in Versuch 26 52,21 und in Versuch 25 53,42 gegen die erwartete Zahl 50. Nach der Gefrierpunktserniedrigung ist ja auch das zweite Tier das wasser- reichere. £ Der Versuch 11 gestattet uns nun auch das Berechnen der Kon- stanten der Verteilungsgeschwindigkeit: aus den Zahlen zur Zeit 3 berechnet, ergibt sie sich von der Grössenordnung 159. Hier müssen wir, wenn wir eine Kontrollrechnung für ÄK ausführen wollen, für die Werte des Gewebswassers und Plasmawassers Durchschnittswerte nehmen, die eben für die ganze Dauer des Versuches Geltung haben. Dann erhalten wir zur Zeit 19 schon Zahlen, wie sie dem Endzustand entsprechen; dies müssen sie auch, denn die Differenz im Nenner des In muss sehr klein sein, wenn wir überhaupt eine ungefähr zutreffende Zahl für K erhalten wollen. Mit anderen Worten, diese Differenz, der Nenner, ist sehr klein, liegt hinter der vierten Stelle hinter dem Komma und ist infolgedessen absolut ungenau, da wir ja nur bis zur vierten Stelle die Zahlen verfolgt haben. Es muss sich also immer, wenn die Rechnung stimmen soll, für diese Differenz praktisch der Wert Null ergeben, wenn die Zeit einigermaassen lang ist. Und dies trifft auch für alle diese Berechnungen zu. Eine eigentliche Kontrolle können wir deshalb gar nicht durchrechnen, sondern können nur fest- stellen, ob diese Differenz tatsächlich Null ist, wenn wir die Durch- schnittswerte für die wirklichen Wassermengen einsetzen. Dass aber zu dieser Zeit noch nicht Gleichheit der Konzentrationen eingetreten ist, wie es doch eigentlich sein müsste, liegt daran, dass mit dem in- jizierten Stoff Wasser aus der Blutbahn in die Gewebe übergetreten ist, so dass also wieder eine Verdünnung auf der Gewebsseite eintritt. Dieser geringe Unterschied zwischen Berechnung und Versuch beruht auf unserer Annahme der Konstanz der Menge des Plasmawassers und Gewebswassers. Es verteilt sich also auch Bromid recht schnell auf Gewebe und Plasma in gleicher Konzentration. 136 Ernst Frey: 4. Jodid. Versuch Jod 5: Kaninchen 5 1600 g; 5 cem 10% JNa = 05 g intravenös. 5 Amer errze], = =] = 3” IE © =. St = 8.0.15 an se o|E-< Hi © A| Pinsma | 38 [Eur sakre- 1|286 41851885 ie 21 [z1lesılsir.+el el s|S& res = ee aa ml 88 1: se] | &8 0/0 Bis £ gs JNa le JNa|—9g(H)lecm| ccm zul 4 2 10 ‚0880, 90 lo, 0792 0,0200]0,4008]| 10 | 705 10,0568139,22]0,4800| 0,3908 Blutentzug A ons 19.0044 as Coffeininjektion +3 | 6 10,0600 | 85 0,0510] 0,00 4410,0254]0,4192] 13 | 705 1[0,0594|49,74[0,4702| 0,4136 7 10,0580 | 84 0,0487 0,0044,0,03 3210 „41371 20 | 699 ]0,0593]50,55]0,4624] 0,4069 8 10,0560 | 83 0,0465] 0,0044[0,0390]0,4101| 24 | 696 [0,0589[51,2610,4566| 0,4018 9 10,0550| 82 0,0451] 0,0044|0,0458] 0,4047 | 28 | 693 |0,0584/51,49|0,4498] 0,3958 10 [0,0530 | 82 0,0435| 0,0044]0,0514| 0,4007] 32 | 689 [0,0582152,33]0,4442] 0,3909 11 [0,0520 | 81 |0,0422| 0,0044[0,0556[ 0,3978] 34 | 688 0,0576,52,64]0,+200 0,3872 12 [0,0510 81 0,0413] 0,0044|0,0578|0,3965| 36 | 686 [0,0573[53,13]0,4378] 0,3350 14 0,0500 81 0,0405] 0,0044|0,0752[0,3919] 39 | 683 [0,0573[53,40|0,4324] 0,3805 17 [0,0480 80 |0,0384| 0,0044]0,0752]0,3820| 45 | 678 |0,0563153,97]0,4204| 0,3699 18 W vn 80 0,0379] 0,0044[0,0816]0,3761| 48 | 675 10,0557]54,02]0,4140] 0,3643 19 [0,0470 | 80 0,0376 0,0044]0,0862] 0,5718] 51 | 672 |0,0553]54,0510,4094] 0,3603 20 [0,0465 | 80 0,0372] 0,0044|0,091010,3674| 55 | 668 10,0550[54,18[0,4046| 0,3560 >1 |0,0462 | so |0,0369| 0,0044Jo,0966l0,3621| 58 | 665 [0,0544154,07I0,3390| 0,3511 22 0,0460 80 ,0,0368| 0,0044|0,1022]0,3566| 61 | 662 [0,0538[53,90|0,3934] 0,3478 Plasma = A= — 0,68° [Bereehnung: Durchschnitt: g = 690; b = 80; 9+b = 780; —ct en — 0,0641; at — 0,0615; % Gewebe = 0,0568; also 1 a der X gb lm ——: E 2 |) — 1,305031; —-—— = 70,77; also 2 g+b) Lg+b) g (9 +5) K = 92,56, abgekürzt 92 (nach der Zeit 2 berechnet). Berechnung von t: K = 9; 9 = D) = 0,01413; also Az = 1,29996 = 1,3; also zur Zeit 2: e2:13 — 13,46; 7 IT, 03 | | | Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. 137 g von ae“, (= 0,4800) ab = 0,0029; (eh) — 0,884; also 0,88 ab- gekürzt; daher x, — 0,3908. Zur Zeit 6: ed 13 —_ eT3 — 2430,0; = 0,0002, von ae®4, (= 0,4702) ab = 0,4700; also 2, = 0,4136. e ’ Von da ab immer ae” °! mal 0,88.] In diesem Versuch trat die Gleichheit der Konzentrationen — bei unserer Annahme von der Hälfte des Tiergewichtes als. verfüg- bares Wasser — sehr schnell ein, sie ist fast nach !/, Stunde er- reicht worden. Trotzdem ergibt sich ein niedrigerer Wert der Ver- teilungskonstanten, als wir ihn für Phosphat, Nitrat oder Bromid fanden. (Und er wird noch etwas geringer werden, wenn wir den Über- tritt verdünnter Lösungen verfolgen; naturgemäss: denn durch den gleichzeitigen Übertritt von Flüssigkeit aus dem Plasma ins Gewebe steigt die Blutkonzentration wieder, und die Plasmakonzentration sinkt. Dadurch wird aber der Zeitpunkt des Gleichwerdens beider Kon- zentrationen weiter hin- ausgeschoben.) Ausser dieser Kleinheit des ar Wertes für K deutet das % Blut schliessliche Einstellen des Konzentrationsver- hältnisses auf 54 statt auf 50 darauf hin, dass % Gemebe | wir es hier mit einem Appar Sjodıs: wasserreichen Tier zu tun haben. Dagegen spricht hier der Gefrierpunkt, der am Schluss des Versuches normal liest, natürlich nicht, im Gegenteil; denn er müsste jetzt bei einem Tier, dessen Plasma am Anfang, vor der Injektion, den normalen Gefrierpunkt gehabt hätte, sich weiter von Null entfernt haben. Das Tier hat ja eine konzentrierte Lösung injiziert erhalten, keine Nahrung aufgenommen und 61 cem Harn verloren, der nur wenig konzentrierter war als das Blut. Ich habe schon. früher betont, dass die Niere allein eine Anreicherung des Körpers mit Salz nicht ausgleichen kann, da sie auf emen Zuwachs von Salz im Blute mit einer Glomerulusdiurese antwortet, welche die Filtrationsvorgänge in den Vordergrund treten lässt (wie zum Beispiel auch beim Diabetes, denn der Zucker wirkt wie Salz), und der Orga- nismus auf dem Umwege des Durstreflexes den Konzentrationsausgleich durch Wasseraufnahme besorgt, während beim Überschwemmen des Körpers mit Wasser jede subjektive Empfindung fehlt, auch über- flüssig ist, weil die Niere durch eine Wasserdiurese, die eine Kanälchen- diurese ist, das Plus an Wasser allein ausscheiden kann. Hier hat der Verhaltmıs 138 Ernst Frey: Körper zur Ausscheidung eines Teiles der injizierten Salzmenge schon erheblich mehr Wasser von seinem Bestande hergeben müssen, als er an Lösungsmittel durch die Injektion erhalten hat, weil die Salzinjektion sowohl wie die Coffeingabe eine Glomerulusdiurese erzwang, die mit ihrer Filtration die Wasserregulation stört. — Die Übereinstimmung der errechneten Werte mit den gefundenen ist recht gut. (Letzte Reihe und siebente Reihe.) Versuch Jod 2: Kaninchen 5 1550 8; 200 cem 2,2% NaJ (A = —0,58°) — 4,4 g intravenös. Hi = RS a = _[&_|e2:]5-|äl&| ‚= |sle| 8 |.® 5 Plasma (= b) E n HS SE3 it es | FE 5 |+ en le 0:5 E la les all: ra] 2 [2 ,:|S8 se ee Ben, al, bel = u 2 |» 0/0 |eem er sg JNalg JNa|—9(H)lcem | ccm m = o 2 0,8400 160 1,3440 I6.350o[2.7060| 251 790 [0,3425] 28,69 14,0500]| 2,7339 Blutentzug: 27 cem Blut — 18 cem Plasma ("= — 0,619] — 18 4 10,7000 1135| 0,9450 |0,1512]0,4020]2,9018] 29] 793 |0,3659]34,32]3,8468 | 2,5650 6 [0,6300 125 0,787510,1512]0,511412,9499| 34 | 798 0,37081 37,05 3,7374] 3,1408 9 10,5500 118 0,6490 [91512 0,6048] 2,9950] 44| 793 [0,3777140,7113,6440| 3,2038 12 |0,5200 1110| 0,572010,1512[0,7110]2,9558| 53] 794 [0,3723141,73[3,5378] 3,1129 | 15 [0,5100 |105| 0,5355 [0,1512]0,8223[2,8910| 63] 7839 10,3664|41,87 3,4265] 3,0153 | 19 [0,5000 100 0,5000 10,151210,9489]2,7999| 71| 786 [0,3562]41,60[3,2999] 2,9039 | 24 10,4750| 97|0,4608]0,1512]1,0929[2,6951| 80| 780 [0,3455]42,10[3,1559] 2,7772 | 29 10,4700 | 93|0,437110,1512]1,2789[2,5328] 89] ‚775 10,3268]41,0112,9699] 2,6135 33 [0,4600 | 91|0,4186[0,1512[1,3359] 2,4943] 94| 770 [0,3239141,32]2,9129| 2,5633 Coffeininjektion +5 36 [0,4500 | 90! 0,4050 [0,1512]1,3734[2,4704| 100 | 771 |0,3203141,58| 2,8754] 2,5304 39 |0,4400 | 90) 0,396010,1512]1,3959] 2,4569| 103 | 769 [0,3195 |42,06 | 2,8529] 2,5106 Plasma: A = — 0,65° [Berechnung von K: Durchschnitt siehe 12: g+b = 904; g = 794; b b b = 110; ne — 96,6; gr — 2001039: en — (0,878 = (+b) 9 (+5) 0,88 Berne 0,4867 a 0,4469 I In 4,661 0,769 > 3 Se ’ 5 Tee > ee n > Sa > 5 (4 +b) (g +b) 2 gb : Mens 3 mal ——— - = K = 74,6. Berechnung zur Zeit 39: N ISHE (9 + b) (g + b) x 2. — 0,3195; also K ebenso. Ri) Berechnung von x: BER —.0.1692— 0,12. Also zur Zeit 2- e2 10,77 usw. Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. 139 Zeit u nn D | = , ae 2 Peune 0% | dieses e dieses e e | 2 4,665 | “0,9432 | »,10088 | 2,7339 4 21, 76 0. 2021 3,2447 2,8650 6 101,5 0,0433 3,6941 3. 1408 9 317 0,0033 3,6407 3,2038 12 10 300 0, 0004 3,9474 3.1129 15 0 daher fernerhin &—=«e “mal 0,88 wie oben. ] Hier dauert der Ausgleich längere Zeit, und dementsprechend ist auch die Konstante der Verteilungsgeschwindigkeit kleiner, hat den x (6) 2 ° 2 O je) x x (6) x O ®) x [6] x x o =g Gen. gef. S 8 ° x=g ber Verhaltnıs % Blur | [2) POS RESELLER IS EEE Lt et WA % Gewebe % Gewebe nn nn | Abb. 4b. Jod 2 Zahlenwert von 74,6. Nun sind in diesem Versuch grosse Flüssigkeits- mengen in die Blutbahn gegeben worden, und dies muss, wie oben auseinandergesetzt, zu einer Verzögerung des Konzentrationsausgleiches führen. Übrigens spricht der Gefrierpunkt zur Zeit 2 und am Schluss des Versuches, dass von der isotonischen Lösung zuerst Wasser unter Hinterlassung von gelöstem Stoff aus der Blutbahn in die Gewebe übergetreten ist, eine Tatsache, die,ich im Hinblick auf die eingangs erwähnte Auffassung von der Lymphbildung hervorhebe, — die Auf- fassung nämlich, dass zuerst ein hydrostatischer Druck Wasser aus der Blutbahn befördert, dass darauf der gelöste Stoff wegen des ent- stehenden Konzentrationsgefälles nachdiffundiert, so dass ein Vorgang 140 Ernst Frey: resultiert, der einer Filtration desto ähnlicher wird, je langsamer er stattfindet. Für dieses Nachwandern von Stoff kommen natürlich die leicht diffusiblen Körper zuerst in Frage, und es scheint das Kochsalz dabei eine Hauptrolle zu spielen und vielleicht allen anderen Stoffen überlegen zu sein. So geht aus früheren Versuchen mit Bromiden hervor, dass zuerst nach der Bromidinjektion Kochsalz die Blutbahn verlässt und das Bromnatrium langsamer folgt!). Die Übereinstimmung der errechneten Werte mit den gefundenen ist eine recht genaue. Versuch Jod 3: Kaninchen ö 1600 g; 50 cem 21% (A = — 0,58°) —= 1,05 g intravenös. . &n ei ol Io 2 E= ® ns jeosle ala: 22.27 0205 ME Ss |Se B88läckes | s8 |2° | »2 [33- | Plasma (= b) 4 HP &< al es |\5: +] 28 |, «= te 5 2 de) | 3 I 5 ZB I ESS 5 ns 5 2 (do .S | o| on ss 0 or Ba =: Jg ER %o |eem gs |g2JNa|g JNa|—9(H)|cem | cem el fd) Re | ) | [1,0500 850 1.0500) 1 10,3720 120] 0.4464 0,0562] 0,5474] 6 | 724 |0,0756] 16,39 0,9933 0,5330 Blutentzug: 10 ceem=6cem Plasma (A=— 710) —6 2 3 [0.1800 102'0,1836|0,0223l0,1328l0,7113| 12 | 730. |0,0974135,11|0,8649 | 0,7416 4 [0,1700 97 0,1649 |0,0223]0,1728[0,6970| 14 | 733 [0,0942|35.65|0,8549 | 0,7354 5 [0.1600 95|0,1520 |0,0223|0.1956[0,6801| 15 | 734 |0.0926|36,64|0.8321| 0,7200 9 0,6332] 19 | 738 [0.0855 |38,77 [0,7507] 0,6605 0,6062] 22 | 737 [0,0822[40,45 [0,7091] 0,6240 0,5730] 25 | 737 |0,0777|40,32|0,6673| 0,5872 0,5362| 28 | 735 [0,0729[40,97 0.6213] 0,5467 0,5037| 31 | 733 [0,0687 [41,21 [0,5821[ 0,5122 22 10,0920| 83|0,0734|0,0223[0,5164[0,4349| 40 | 726 10,0599]39,49 [0,5113] 0,4499 23 10,0900| 82|0,073810,0223]0,5482]0,4057| 51 | 716 Br 38,68] 0,4795] 0,4220 9 10,1350, 87|0,1175|0,022310,2770 11 10,1210| 85 0,1029 |0,0223]0,3194 13 [0,1150 82) 0,0943 |0,0223[0,3604 16 |0,1050 | 81) 0,0851 |0,0223]0,4064 19 |0,0980| 80) 0,0784 |0,0223[0,4456 Coffeininjektion 5 ccm 24 10,0890 | 81)0,072110,0223]0,5686[| 0,3570| 57 | 711 25 [0,0880 | 80 0, ‚0704 |0,0223]0 3sco 0,3713] 63 | 706 0,0870 80 0. 0696 10,022310,6002 Plasma: A —=—0,61°. 0,0544] 37,93 [0,4591 | 0,4040 0,0525 [37,36 |0.4417| 0,3887 oo 68 | 701 Ne 0 0,3762 0,2000 1107 0,2140 E | ‚.185] 9 | 728 [0,0987]33,06 [0,9325] 0,6955 [Berechnung: Durchschnitt: Plasma (= b) = 100; Gewebswasser gb (g +b) 1,05 1,05 (= 9) = 730,7 — = 88,7 = 0,01137: a = — _ — al +) ob Para) 80 0,9938 % =1,0,1265: zur Zeit IT aesıch — 60.1194, = — 2.0:01965 830 ; wie 9ı K 88: 1 Un 88 - 1,052434 88. Zur Zeit 26: 27% 22 (00119700756) ee a — — — = 0,0515; % Gew.., =:0,0515, also gleich; mithin K-ebenso, 1) E. Frey, Die Ursache der Bromretention. Ein Vergleich der Brom- Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. 41 (+ b) K(g+b) b Berechnung von t: K = 88; 001135 also zur Zeit 1: e!, zur Zeit 2: e?, zur Zeit 3: e?, das heisst 2,718, 7,389, a 20,09 usw.; also x, zum Beispiel: 2 ae — zn). also (9 A b) CD , 20,09 Klammer 0,0001, weiterhin gleich 0. Dann ist der Wert für x gleich 0,88 mal den im Körper verbliebenen g.] 0,88 - (0.9325 _ ) — 0,7416. Bei 9 ist das zweite Glied der Auch hier geht der Ausgleich langsam vor sich und hat zum Schluss des Versuches sein Ende noch nicht erreicht. Auch ist hier eine grössere Menge von Flüssigkeit eingelaufen, wenn auch nicht soviel wie im vorigen Versuch. Wir sehen, dass die Verteilungskonstanten in den drei Versuchen 92, 75 und 88 sind, bei den Injektionsmen- gen von dcem) 10 %), 200 eem (isotonisch) und 50 cem (isoto- nisch), dass also mit steigender Blutüber- schwemmung mit Wasser die Ge- | u schwindigkeit des Abb. 4c. Jod. 3. Übertrittes von ge- löstem Stoff abnimmt, auch wenn wir das Vermehren der Blut- menge durch die konzentrierte Lösung dabei bedenken. Auch in diesem Versuch ist, wie im vorigen, zunächst Wasser ausgetreten, die Gefrierpunktserniedrigung steigt trotz des isotonischen Einlaufes an. Nach 5 Minuten beträgt sie — 0,71 gegenüber der normalen von — 0,58; aber nach 2 Stunden und 10 Minuten ist sie schon wieder etwas gesunken, wenigstens auf — 0,61, während sie im vorigen Versuch, in dem 200 ccm, also viermal soviel wie in diesem, gegeben wurde, noch nach 34, Stunden ein Ansteigen zeigte. — Die Übereinstimmung ist hier, wenn auch nicht absolut, so doch leidlich, und dies kommt, wie erwähnt, daher, dass in der Rechnung die Wassermengen als konstant _ angenommen wurden in Form von Durchschnittswerten, während in Wirklichkeit Wasser aus dem Blute in die Gewebe übertritt. Verhöltnıs % Blur % Gewebe und Chlorausscheidung durch die Nieren. Zeitschr. f. exp. Path. u. Therap. Bd. 8. 1910. 142 Ernst Frey: Versuch Jod 1: Kaninchen 5 1500 g; 20 cem 10% JNa = 2 g intravenös. . 8.1. a I ee . 2 a = =) 82.:1H 2 | u En S) Die NO sc 7 0* SCHS NS 2 o © Is a: Plasma (= b) 8 ni BEA ul es | > O+ ne a B= 2l sl las ılalle+al 52 |212158 8: = a, HE > > |E| >= [35 45 al ae ee ee ee SH— —9(B) Sc 3130| 3 |as 9% sem] g &JNaleJNa|—9(H)|cem| cem |. &) 1 |0,6600 130, 0,8580 — h. cool osıs|. 81 6 louzııloos 9|1,9398| 1,0566 3 0,3800 10010 "3800 — 10,159511,4605| 21 ı 649 10,2266137,5211,8405 1.5409 7 0,3200 85|0.2720 — 2350 1.4921 28 | 657 0,2271 41,51[1,7641| 1,5508 Coffeininjektion +5 11 10,3100 moi] — , [0,2996|1,4617| 33 | 665 10,2198]41,48|1,7004| 1,4964 3 10,3080| 75/0,23101 — 10,3520] 1,4170] 36 I 664 10,2154141,1511,6480| 1,4502 Plama: | A= —0,68° | dere | Berechnung: 2 =,665;b = 100; 9 7b — 165; - = — 0.2154: (4 +b) %s ebenso; also K angenommen zu 88, wie früher. (g +b) j K(g-+b Berechnung von x: a — 0,0115 und K = 88; also nn = 1,012 = 1,0; also zur Zeit 1: e!, zur Zeit 3: e® usw., also, da (6) — 0,88 ist: 2.2. et — N we et 2. | & | a 1 2,718 0,7391 1,2007 1,0567 3 20,09 0,0995 1,7510 1,5409 7 1 097 0,0018 1,7623 1,5508 11 59 880 0,0 1,7004 ° 1,4964 13 — — 1,6480 1,4502] Hier wurde anfangs keine Blutanalyse gemacht, so dass wir nur auf die Schlussbestimmung angewiesen sind. Aus ihr können wir aber,. wie oben auseinandergesetzt, eine genaue Berech nung von K nicht vornehmen wegen der absoluten Kleinheit der: Werte, die jeder Ge- nauigkeit entbehren würden. Ich habe daher die Konstante wie in Versuch 3 zu 88 angenommen. Die letzten beiden Zahlen sind von ihr unabhängig, sie stimmen (wie auch die von ihr abhängigen) gut. Gleichheit der Konzentration ist hier, wie zu erwarten war, nach 1 Stunde noch nicht eingetreten. Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. 143 Versuch Jod4: Kaninchen $ 1300 g; vor 4 Stunden 10 cem 10% NaJ = 1,0 gintravenös. (Durch einen Schreibfehler zwischen Protokoll und Rein- schrift ist in. der früheren Veröffentlichung 20 ccm geschrieben worden.) & Ey = FEN = ie 2 |E ® a © Cr=| nel 8 [7 LEI SIE = Re) S © = KH: ] a8, = ER Seinem | Se + es l495 =| Plasma(=b) | 5 an, et 2 N © © = sl sl (5 Ja FI 902 (2 EI RS ER ae s-| o—- I18-|8© Sn M Ia 25 er) oO — 9b) 23 | = = 5 an Et: CE u N alzelg ae N 0/0 INa|cem | gIJNalgJNa|g JNa| —g(H)|cem| ccm ul A 48 0,0330 65 ‚0,0215 0,124710,8538| 58 | 537 [0,1589] 82,80 [0,3753] 0,7790 Blutentzug, ) — 3 75 |0,0342| 65 ‚0,0222 0.0006 0,1294|0,8478| 63 | 529 1[0,1602]82,40|0,8700| 0,7743 Plasma: A =—0,63° In diesem Versuch wurde die Injektion 4 Stunden vor dem Versuch vorgenommen, also sehr lange Zeit vor den Blutanalysen. Und es stellt dieser Versuch auch eine Abweichung von allen bisherigen dar, insofern, als die Gewebskonzentration erheblich höher liegt als die des Blutes. Offenbar ist hier der Vorgang der Abwanderung aus dem Blute schon abgeschlossen, und wir haben das Stadium vor uns, in dem nun durch die Nierenausscheidung das Blut an injiziertem Stoff verarmt und die Bewegung rückgängig ist, aus den Geweben eine Stoffwanderung durch das Blut zur Niere eintritt. Dies wird bei allen Stoffen deutlich in die Erscheinung treten, bei denen die Ausscheidung durch die Niere schnell vor sich geht, der Austausch zwischen Blut und Gewebe aber langsam ist. Dann gibt es ein späteres Stadium, in dem die Gewebs- konzentration höher liegt als die des Blutes, und die Differenz wird um so grösser; je grösser dieser Unterschied zwischen beiden Ge- schwindigkeiten (der Ausscheidung und des Austausches) ist. Und dies trifft für Jodnatrium zu, wie es auch für das Sulfat gilt, wo es sich in den Versuchen von Magnus gezeigt hat, wie wir gleich sehen werden. Möglich ist auch hier beim Jod, dass Speicherungen der Ge- webe vorliegen, insonderheit die der Schilddrüse, die die Differenz noch vergrössern. So kann dieser Versuch als ein Beispiel gelten, wie sich die Verhältnisse gestalten, wenn die Abwanderung aus dem Blut beendet ist und nun nur noch die Ausscheidungsvorgänge das Bild beherrschen. — Die errechneten Zahlen stimmen hier natürlich nur in gröbster Annäherung, da unsere Gleichung für diese Vorgänge keine Gültigkeit mehr hat. Jodnatrium verhält sich also wie die anderen Salze, nur ist der Übertritt in die Gewebe ein langsamerer wie der der Phosphate, Nitrare oder Bromide. Besonders langsam erfolgt er nach der In- jektion grösserer Flüssigkeitsmengen, weil deren gleichsinniger Über- tritt die Konzentration im Plasma erhöht, im Gewebe erniedrigt. 144 Ernst Frey: Diese Versuche stimmen mit denen von Buchholtz!) überein; er fand bei innerer Eingabe, dass sich im Blut 2,5mal soviel (genauer 2,4mal soviel) vorfindet, als wenn das Jod, mit gleicher Konzentration auf das ganze Tier verteilt wäre. Nach unseren Befunden der gleichen Verteilung auf alles verfügbare Wasser (50 %, des Tiergewichtes) würden wir nach der Buchholtz’schen Rechnung ungefähr 2mal soviel er- warten als im ganzen Tier. Nun wird in den Versuchen des Autors die Verteilung noch keine vollständige gewesen sein, da nach innerer Eingabe, wie wir im Anhang noch sehen werden, die Verteilung sehr langsam vor sich geht und der Stoff sich im Blute sehr lange hält. 49 10,1052| 670,0705 [0,0140] 0,0736 | 0,0903 Ib 0,0154 12,77 [0,1472] 0,1295 Plasma: A=— 0, 61° 5. Sulfat. Versuch Sulfat 9: Kaninchen $ 1350 g; 10 cem 10%, Na,SO,+10H,0 = 0,2484 g SO, intravenö (A = — 1,179). ST SEE | = “MH. 5 = _ oe = _|o,?2 © BI=& = © og S>| & Oo 8 ad 2 [oe „® 3038 AS Plasma (=D) Es iR ro male 55 SE Dan ko ne aa ll sl a ll -O5| 20 2|E n'9© SER Rs: Ele 8]: 27] eo IE|E| „ER 5 CE a ar Kae > 9/6 uber le en ze ee g so, g SO,| g SO; |—9(H)| ecm s— ser el AR ä B 0,1396 cc! 0,0938 566 Io.oısı 10,59 le ee Blutentzug De EN 0,0140 = Coffeininjektion [Berechnung von K: 1. Zur Zeit 3: Durchschnitt: g = 580; b = 80; — ct a — 0,0316; rn —.. 0,0353; 2 = 10,303. :— 70; also (+ b) (+) (+) zieh, K =11,34. 2. Zur Zeit 49: ebenso, nur n 2 3 — 0,0223; K = 2,41983. g i Ki(g-+b) Berechnung von x: Angenommen K = 11; SE —= 0,4686; es _ 1007, 0 01006 088 2 007. Zu 9 ’ 1,627 ’ ’ (g ae b) ’ : . 9 Zeit 49: = — — - ae"! = 0,88 - 0,1472 = 0.1295. | (9 +b) Sulfat verteilt sich ausserordentlich langsam auf die Gewebe. So bewegen sich die Verhältniszahlen der gegenseitigen Konzentrationen zwischen 10—12, es findet sich also die Hauptmenge noch im Blute. Der Wert der Verteilungskonstanten ist daher sehr klein, er schwankt : 1) Buchholtz, Über die Resorption der Jodide vom Darmkanal aus. Arch. £f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 81 S. 289. 1917, Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. 145 zwischen 11 und 2,4. Dass er anfangs grösser erscheint als später, rührt von den schon erwähnten Verhältnissen her, d. h. einmal von der grösseren Austauschoberfläche, die durch die anfängliche Blutver- dünnung veranlasst wird, zweitens von der Zunahme des Gewebswassers durch den Wassereinstrom in die Gewebe hinein, und drittens wohl auch von dem Rückstrom der Lymphe, die anfangs beiihrem langsamen Fliessen noch nicht erhebliche Mengen ins Blut beförderte. Wir finden ja diese Verhältnisse überall wieder, nur treten sie hier bei der absoluten Klein- heit der Werte deutlicher in ihrem relativen Verhältnis vor Augen. Diese Verhältnisse hat vor längerer Zeit Klikowiez!) studiert und gefunden, dass bei Hunden immer noch &rössere Mengen im Blute nach intravenöser Zufuhr sich finden. Rechnet man dort die gegen- seitigen Konzentrationen aus — und die angegebenen Daten gestatten es —, so findet man Blutwerte von 2—3mal so hoher Konzentration, als sie den Geweben zukommen. In den Versuchen von Magnus?) ist das Gegenteil der Fall. Dort verhalten sich die absoluten Mengen wie 0—1 : 9, während nach unserer Rechnung nach vollzogener Verteilung das Verhältnis 1:9 ungefähr gefordert würde. Dass der Blutwert etwas niedriger liegt, beruht wohl darauf, dass in diesen Versuchen schon das Stadium ein- getreten ist, in dem die Niere nicht mehr aus dem Blutüberschuss schöpft, sondern der Verlust des Blutes aus den Geweben durch Zu- rücktreten des Stoffes ins Blut hinein gedeckt wird. Dies wird am deutlichsten bei einem Stoff sein, welcher schnell von der Niere aus- geschieden wird, aber nur langsam zwischen Blut und Gewebe (in beiden Richtungen) wandert, was wohl für das Sulfat zutrifft. Natür- lich kann sich dies erst in späteren Stadien zeigen, nachdem die Ver- teilung bis zur Gleichheit der Konzentrationen vollzogen war. Man könnte vielleicht meinen, wenn man diesen Gedankengang weiter ver- folgt, es sei gar nicht der Ausgleich bis zur Konzentrationsgleichheit das Ziel der Abwanderung von Stoff aus dem Blute, sondern es wandere nur etwas Stoff aus dem Blut heraus, und nun muss, wie gross auch immer dieser Anteil sein möge, einmal ein Zeitpunkt kommen, wo der Verlust des Blutes durch den Harn so gross geworden ist, dass die Konzentration des Blutes bis auf die der Gewebe gesunken ist; es muss also einmal die Konzentrationsgleichung eintreten, auch wenn nur wenig Stoff das Blut verlässt. Dann ist diese Konzentrationsgleichheit nur ein zufälliger Zeitpunkt, aber nicht das Ziel der Wanderurg. Da- gegen spricht der enorm schnelle Absturz der Blutkonzentration am 1) Klikowiez, Die Regelung der Salzmengen des Blutes. Arch. £. Anat. u. Physiol. Physiol. Abt. Jahrg. 86 S. 518. 2) Magnus, Über Diurese. Il. Mitt. Vergleich der diuretischen Wirkung isotonischer Salzlösungen. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 44. S. 396. 1900. Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 177. 10 146 Ernst Frey: Anfang, zweitens das lange annähernde Gleichbleiben der Kon- zentrationen, die doch in so vielenVersuchen nach recht verschiedenen Zeiten gefunden wurde, und endlich die Übereinstimmung der er- rechneten Werte mit den gefundenen. Gerade um diesem Einwand der Zu- fälligkeit entgegenzutreten, wares notwendig, den Vorgang mathematisch zu formulieren und das Zutreffen der rechnerischen Ergebnisse zu zeigen. Sulfat tritt also sehr langsam nach intravenöser Gabe in die Ge- webe über. 6. Kochsalz. Endlich finden sich in meinen Arbeiten noch zwei Versuche mitintra- venöser Kochsalzinjektion vor, in welchen das Serum analysiert wurde. Der eine Versuch (NaCl 2) scheidet für unsere Fragestellung aus, weil das 2000 g schwere Tier zur Zeit der Blutanalyse, d. h. 5 Stunden nach der Injektion von 2,5 g Kochsalz, mit dem Harn schon 2,6730 g, also etwas mehr, als der Gabe entspricht, ausgeschieden hatte; es hatte während dieser Zeit Runkelrüben als Nahrung erhalten, und so war der Salzüberschuss schnell ausgeschieden worden, und es bestand zur Zeit der Analyse schon wieder ein Wasserreichtum des Tieres, kenntlich an der Wasserdiurese der letzten Harnportion (Blasenharn: A = — 0,48°, also höher als das Serum; Kochsalz = 0,16%). In dem anderen Versuch (NaCl3) wurde eine Blutanalyse nach 15 Minuten gemacht: zu dieser Zeit war schon Gleichheit der Kon- zentration eingetreten. VersuchNaCl3: Kaninchen ö 19008; 40 ccm 5%, NaCl = 2,0g intravenös. R © le) jesele ja 2) 221.20 0002 Se Selsg BarRlsslet: 88 l2°|=8 [88 HS Plasma (=b) | $ iR Sen je SER = + SE 388 3 sl| sl Barlslle+i] © [2je] a8 |2 &® #5 ale er.o ke, Sleejo, cc= EIS) N Eis os MS Ein 8 = %0NaCl|cem |g NaCl gs NaCl|g NaCl nr ccm| cem ccm SZ A — [0,6000 95/0,5700 5,1300 855 |0,6000 5,7000 0 |Injektion + 40 7,7000 f a Y [0.0936 as 5 |0,7200|14011,0080 [0,0936] 0,6602] 5,9382] 46| 791 |0,7507151,04|6,9462| 5,8338 _ 6 |0,7200 130 0,9800 [0,0936[0,7048]5,92161 51] 796 |0,7439|50,81]6,9016| 5,9354 3 [0,7200 117/0,842410,0936| 0,7956 5,9684] 61] 799 |0,7469[50,91|6,3108| 5,8573 9 10,7200 11210,8064|0,09361 0,8337 5,9663] 65] 800 [0,7457 150,8716,7727| 5,9600 12 [0,7200|10010,72000,0936] 0,9187 15.9677] 73] 804 [0,7421|50,75 6,6877] 5,8852 15 [0,7200 99|0,7128[|0,0936]1,0815]5,8121] 80| 798 [0,7283]50,28 [6,5249] 5,8072 17 |0.7200. 98.0.70560.0936[1.123215,7776| g1| 788 |0.7332150.45|6.4832| 5,7700 20 [0,7200 96.0.6912|0,0936|1.1723|5.7429| 96| 785 |0,7315150.39|6.4341| 5,7263 23 0,7200) 95.0,6840|0,0936] 1,2095|5,7129]| 99 | 783 [0,7296 |50,3316,3969| 5,6932 26 [0.7200| 95 0.6840 |0,09361 1.2432] 5,6792] 105 | 777 |0.7309|50.37|6.3632]| 5,6632 sl 10,7200) 9510,6840 [0,0936] 1,283115;6395| 111] 771 [0,7314] 50,39 [6,3233] 5,6277 37 |0,7200| 95.0,6840 0,0936] 1,3069] 5,6155] 117 | 765 [0,7340 150,4816,2995]| 5,6066 41 |0,7200 95.0,684010,0936[ 1,3188] 5,6036 1120 | 762 [0,7353150,52]6,2876 | 5,5960 Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. 147 Daher ist eine Berechnung der Verteilungskonstanten nicht mög- lich. Das Übereinstimmen der errechneten Zahlen mit den gefundenen sagt nur aus, dass während der ganzen Beobachtung die Gewebs- konzentration gleich der Plasmakonzentration war. Es erübrigt sich also eine Umformung unserer Gleichung wegen der schon in Plasma und Gewebe vorhandenen Konzentration, welche durch die Injektion nur erhöht wird. Jedenfalls tritt Kochsalz sehr schnell aus dem Plasma ins Gewebe über und verteilt sich in gleicher Konzentration auf Blut und Gewebe. 7. Anhang zu den Protokollen: Die Kochsalzverteilung nach innerer Eingabe. Anhangsweise füge ich noch einige Versuche bei, in denen Kochsalz in den Magen gegeben wurde. Sie sind für unsere Fragestellung nur nebenbei heranzuziehen, weil wir die Blutkonzentration allmählich anwachsen sehen und gleichzeitig die Abwanderung ins Gewebe erfolgt. Aber sie gestatten eine Gegenüberstellung der Verteilung bei ver- schiedener Applikationsart, und dies ist deswegen von Bedeutung, weil dadurch, wie wir gleich sehen werden, ein Vergleich der Resorptions- geschwindigkeit mit der Abwanderungsgeschwindigkeit aus dem Blute möglich wird. Da wir nun über den Stand der Resorption nicht unter- richtet sind, ist eine Berechnung in der früheren Form ausgeschlossen, und man kann, um die Verteilung zu verfolgen, nur Zahlen verwenden, wie sie sich aus dem Versuch ergaben, also die Summe der eingegebenen. Menge und der Menge des Körperkochsalzes, den Harnverlust und. die Mengen im Plasma am Schluss bei der Blutanalyse. Bei der allmählichen Resorption sind wir über den Prozentgehalt des Blutes nur in groben Zügen orientiert, und ich habe den Anstieg der Plasmakonzentration in schematischer Weise als linear von der Eingabe an bis zur Schluss- analyse angenommen, eine Annahme, welche den Verlauf der Blut- konzentration annähernd wiedergibt. Allzu gross ist ja beim Kochsalz der Anstieg des Niveaus im Blute nicht, und daher genügte diese An- näherung, geradeso, wie sie früher genügt hat, um die Blutkonzertration mit der Harnkonzentration zu vergleichen. Gar keine Rolle spielt diese Ungenauigkeit hier, wo die Unkenntnis der Resorptionsverhältnisse eine strenge Rechnung ausschliesst. Denn den Mageninhalt habe ich bei der Scheidung von Plasma und Gewebe ja nur beim Gewebe buchen können, trotzdem er ja noch nicht ein Teil des Gewebes ist. Und so muss sich bei dieser Schreibart — denn dies ist keine „Rechnung“ im vorigen Sinne — ergeben, dass das Gewebe eben wegen Hinzuzählen des Mageninhaltes zunächst als die kochsalzreichere von beiden Flüssig- keiten, Plasma und Gewebe, erscheint. Es findet hier also scheinbar der entgegengesetzte Vorgang statt; Stoff tritt scheinbar aus dem Ge- 10 * 148 Ernst Frey: webe ins Blut, scheinbar, denn in der Tat wandert der resorbierte Stoff doch zum allergrössten Teil auf dem Umwege der Blutbahn in die Gewebe. Und, dabei ergibt sich nun ein Vergleich zwischen Re- sorptionsgeschwindigkeit mit der Austrittsgeschwindigkeit durch die Kapillarwand. Und dies ist der Grund, weswegen ich diese Versuche anfüge, und auch der Grund für das Zuzählen des Mageninhaltes zum Gewebe. Verfolgen wir den Vorgang näher: Zunächst wandert bei der Resorption Kochsalz in die Blutbahn, von dort durch die Leber- gefässe, wo ein Teil in die Leber, also ins „Gewebe“, übertritt, und der Rest mit dem Blutstrom zur Lunge, wo wieder ein Teil in das Lungen- gewebe übertritt, usf. Gleichzeitig wandert aber auf einem zweiten - Stromwege, den Chylusgefässen, ein Teil der resorbierten Menge zur Blutbahn und tritt nun von dort wieder ins Gewebe. So findet hier ein Anreichern des Blutes mit Stoff nicht nur dadurch statt, dass immer ein Teil der übertretenden Mengen wieder mit dem Lymphstrom ins Blut zurückkehrt — wie auch sonst bei intravenöser Injektion —, sondern neben der eigenen Resorption befördert auch noch die Re- sorption auf dem Lymphwege des Darmes den Stoff ins Blut. Es handelt sich also hier noch ausgesprochener wie sonst um ein dynamisches Gleichgewicht, mit anderen Worten: die Blutkonzentration wird be- stimmt durch die gegenseitige Geschwindigkeit der Aufnahme und des Verlustes an die Gewebe, und von der jeweiligen Geschwindigkeit dieser beiden Prozesse hängt das Wachsen oder Fallen des Kochsalz- gehaltes des Blutes ab. Nun kommt für die Abwanderung das gesamte Kapillarsystem in Frage, mit Abzug der Darmkapillaren, und für die Aufnahme eben dies letztere, also nur eine, wenn auch grosse Provinz der Gefässe. Bei gleicher Geschwindigkeit würde wohl also die grössere Austauschoberfläche, d. h. die Körperkapillaren mit Ausschluss des Darmes, überwiegen, und daher die Abwanderung. Andererseits wissen wir, dass im Darm bei der Resorption Triebkräfte vorhanden sind, die neben der Osmose und Diffusion in der Richtung der, Aufnahme wirken, indem allemal die Prozesse aus dem Darm ins Blut hinein eine Förderung erfahren. Es wird also von dem Verhältnis der Auf- nahme und Abwanderung abhängen, ob das Blut höher konzentriert werden kann als die Gewebe. Wenn immer die Abwanderung schneller verläuft als die Resorption, so wird der Ausgleich der Konzentration zwischen Blut und Gewebe immer schon erreicht sein, ehe grössere Salzmengen zur Resorption kommen. Bleibt dagegen die Abwanderung hinter der Resorption zurück, so kann das Blut konzentrierter werden als die Gewebe. Bei unserer Schreibart, wobei wir den Mageninhalt den Geweben zuzählen, haben wir zunächst, was selbstverständlich ist, eine hohe (hier sogenannte) Gewebskonzentration, sie wird all- mählich absinken, wenn die Resorption in Gang kommt und fort- Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. 149 schreitet; das wird sich bei der Berechnung der gegenseitigen Kon- zentrationen in dem früheren Sinne (also Gewebskonzentration in Prozenten beider) darin ausdrücken, dass wir zunächst über 50%, in den Geweben finden. Diese Zahl muss sinken, wenn das Blut durch Resorption Salz aufnimmt. Ist nun die Resorption grösser als die Abwanderung aus dem Blute, so muss nach einiger Zeit eine höhere Prozentzahl Salz für das Blut als das Gewebe resultieren, daher diese Verhältniszahl unter 50 sinken. Ist die Abwanderung grösser als die Resorption, so wird diese Zahl niemals unter 50 fallen können. Auch dadurch nicht, dass etwa Blutwasser in den Magen-Darm-Kanal in reichlicher Weise abgegeben würde und so die Blutkonzentration in die Höhe ginge; denn wenn wir die Blutmenge im Versuch NaCl 9 nur zu 10 cem annehmen, eine doch gewiss zu kleine Zahl, so ergibt sich bei der Zuzählung der Darmmenge Kochsalz zum Körpergewebe immer bloss der Prozentsatz von 0,62%, im Gewebe, er liegt also immer noch tiefer als die Blutprozente von 0,85. Also auch die unmöglichsten Annahmen können das Sinken der Zahl des Konzentrationsverhältnisses nicht erklären, sondern es bleibt immer nur als Erklärung das Zu- rückgreifen auf die Verschiedenheit der Resorptionsgeschwindigkeit und Abwanderungsgeschwindigkeit. — Es eröffnet also die Betrachtung dieser Versuche nach Eingabe in den Magen die Möglichkeit des Ver- gleiches zwischen Darmresorption und Abwanderung aus’ dem Blute, und deswegen reihe ich diese Versuche, die für unsere eigentliche Frage- stellung ungeeignet wären, hier noch an. Dabei konnten nur solche Versuche verwendet werden, in denen wir über die Harnausscheidung unterrichtet sind, in denen also von der . Eingabe an die Harn- ausscheidung verfolgt wurde. Dies ist nicht in allen Versuchen ge- schehen, weil es sich damals nur darum handelte, mit Kochsalz an- gereicherte Tiere zu erhalten, und so häufig als Vorbereitung vor dem eigentlichen Versuch schon Kochsalz in den Magen gegeben wurde. Nun lassen sich die ausgeschiedenen Salzmengen bei einiger Erfahrung schätzen ; aber ich habe davon Abstand genommen, wenn etwas längere Zeit seit der Eingabe verflossen war. Sind nur 5 oder 10 Minuten vergangen, so kann man nach dem später beobachteten Salzgehalt des Harnes die Menge ziemlich genau beurteilen ; wo eine.solche Schätzung vorgenommen wurde, ist jedesmal zur Kontrolle die Rechnung noch mit einer anderen Zahl, zum Beispiel der doppelten Menge als Harn- ‚verlust, durchgeführt worden, um festzustellen, welche Fehlergrösse in Betracht kommen kann. Diese ist sehr gering; es ergibt sich zum Bei- spiel bei der Annahme der doppelten Menge ein Unterschied von 2% bei der Berechnung der Verhältniszahl, also 52 statt 50, was für den daraus gezogenen Schluss unerheblich ist; und so gross können ja die Schätzungsfehler nicht sein. Sobald aber eine etwas längere Zeit nach 150 Ernst Frey: der Eingabe verflossen ist, ist eine Schätzung nicht mehr zulässig, weil die absolute Grösse des Harnverlustes dann doch ins Gewicht fällt und der Willkür unterliegt. Daher habe ich von der Verwendung solcher Versuche abgesehen, andererseits aber auch keinen ausgelassen, der eine Schätzung zuliess, um nicht Gefahr zu laufen, durch Weg- lassen unbequemer Versuche bei den Schlussfolgerungen einer Täuschung zu unterliegen. Versuch NaCl 14: Kaninchen 5 1900 g; 150 ccm 3% NaCl =45g in den Magen zur Zeit 0. Blutanalyse zum Schlus: A = — 0,720; NaCl = 0,79%. (Der Inhalt des Magendarmkanals wird hier mit als Gewebe gerechnet.) | ka jese|le je) „I, 8 Sn BES | Er 2 AERO eo ie 2 _S| Plasma (—b) ME Ei = era se H BE An I IS 1| 8-2 |es5°| #5 || 28 » 6) DS. 5 oo. | o A) R S B—— ea See sol ve °%/o NaCl com! gNaCl|jg NaCl) gü+ | ccm | ccm a Bl — | 0,6000 | 95 | 0,5700 5,1300 855 | 0,6000 0 | Injektion (+ 4,5 g) + 150 10,2000 23 I 0,3120 20 25 | 0,6990 | v5 0,6641 | 0,3551 [9,1708 | 23 | 982 [0,9339 | 57,19 27 | 0,7070 | 95 | 0,6717 | 0,4450 | 9,0s33| 31 | 974 [0,9223 | 56,67 29 | 0,7150 | 95 | 0,6793 | 0,5459 | 8,9748 | 39 966 10,9291 | 56,51 31 | 0,7230 | 95 | 0,6869 | 0,6526 | 8,8605 | 47 958 [0,9249 | 56,12 33 1 0,7310 | 95 | 0,6945 | 0,7542 | 8,7513 | 55 950 | 0,9212 | 55,75 35 | 0,7390 | 95 | 0,7021 | 0,8533 | 8,6446 | 63 942 10,9177 | 55,39 37 | 0,7470 | 95 | 0,7097 | 0,9515 | 8,5388 | 70 935 | 0,9132 155,01 39 | 0,7540 | 95 | 0,7163 | 1,0507 | 8,4350 | 78 | 927 vonon a4 a1 ! 0,7620 | 95 0,7239 | 1,1597 1s,3224! ss | 919 10,9056 154,31 3 | 0,7700 | 95 | 0,7315 | 1,2543 [s2142| 94 | 911 [0,9016 | 53,93 45 ı 0,7780 | 95 | 0,7391 | 1,3533 | 8,1076 | 101 904 |0,8969 | 53,29 47 | 0,7860 , 95 , 0,7467 | 1,4554 | 7,9979 | 109 896 | 0,8926 | 53,43 48 | 0,7900 | 95 | 0,7505 | 1,5072 | 7,9423 | 113 892 | 0,8904 | 52,98 Hier sehen wir also, wie eben auseinandergesetzt, ein langsames Sinken der Zahlen der vorletzten Reihe, weil das den Geweben zu- gerechnete, in den Magen gegebene Salz allmählich resorbiert wird und so auch ins Plasma kommt. Daher sinkt die scheinbar hohe Ge- webskonzentration ab, und zwar ohne die Zahl des Endgleichgewichtes von 50 zu erreichen. Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. 151 Versuch NaCl 12: Kaninchen 2 1750 g; 150 cem Wasser mit 4,0 g NaCl in den Magen. Verfügbares Wasser anfangs: 50% des Gewichtes 875 cem + 150 cem = 1025 cem; anfangs Kochsalz 875 0,6 = 5,25 + 4,0 — 9,2500 g. Blutanalyse zum Schluss: A = — 0,73°; NaCl = 0,789. (Der Inhalt des Magen-Darm-Kanals ist hier dem Gewebe zugezählt.) a5 2 = S 7 S & = > . ER 4 = Sr = vs & Se fand WS 2 5° > Plasma (= b) is | Sa Er ae | FR Bileı- | 4 {eb} © Q An sl |=2. [811287 | %3 |el; a8 en = ea < =: leo S [% NaCl’ cem gNa0l | g NaCl 5 ccom| ccm Ta NS 12 | 0,6640 | 87,5 |, 0,5910 | 0,0485 | 8,6105 8 | 929,5 | 0,9285 | 58,30 19 | 0,7010 } 87,5 | 0,6134 | 0,0922 | 8,5444 | 14 | 923,5 | 0,9252 | 56,89 23 | 0,7220 | 87,5 | 0,6318 | 0,1457 | 8,4725 | 20 | 917,5 | 0,9234 | 56,12 26 | 0,7380 | 87,5 | 0,6458 | 0,2006 | 8,4036 | 26 | 911,5 | 0,9219 | 55,53 29 | 0,7540 | 87,5 | 0,6598 | 0,2481 | 8,3421 | 3 905,5 | 0,9212 | 54,93 33 | 0,7750 | 87,5 | 0,6781 | 0,3085 | 8,2634 | 3 900,5 | 0,9176 | 54,21 34 | 0,7800 | 87,5 | 0,6825 ‚»249 | 8,2426 | 40 | 897,5 | 0,9183 | 54,07 Das gleiche sehen wir in diesem Versuch, Sinken der scheinbar hohen Gewebskonzentration, so dass die Verhältniszahl von 58 auf 54 fällt. Dieses Sinken geht also verhältnismässig langsam vor sich. Versuch NaCl 10: Kaninchen 1050 g; 125 cem 2,66 %, NaCl = 3,3250 g in den Magen. Anfangs ers bares Wasser: 50% des Gewichtes —= 5254125 = 650 ccm; anfangs NaCl: 525-0,6 = 3,15 + 3,325 — 6,4750 g. Blutanalyse am Schluss: A = — 0,73°; NaCl = 0,975 %. (Der Inhalt des Magen-Darm-Kanals ist hier dem Gewebe zugezählt.) Ba Ei | äslis|ieel -2 |Es = Plasma (= b) Fels! I enlas e.. | er 5 + de El enlale esse o AS Si een ee SE Ä — See = |so %o NaCl| cem | g NaCl |g NaCl 5 ccm | ccm EN 15 | 0,7500 | 52,5 | 0,3885 0,3650 5,1215 | 25 5725 | 0,9993 | 57,45 36 | 0.9250 | 52,5 | 0,4856 1,0520 4,9374 ı 67,5 550 0.9315 | 50,16 42 | 0,9750 | 52,5 | 0,5389 1.3740 4.5621 | 8 512,5 | 0,8901 | 47,72 l Hier sinkt die hohe Zahl der scheinbaren Gewebskonzentration etwas unter die Plasmakonzentration, so dass die Verhältniszahl kleiner als 50 ist, freilich liegt dieses Sinken auf 47, wie wir jetzt aus den anderen Versuchen wissen, wohl noch an den Fehlergrenzen der Berechnungen. Immerhin deutet dieser Befund an, wenn er sich wiederholen sollte, dass bei innerer Eingabe die Blutkonzentration höher sein kann als die Gewebskonzentration. 152 Ernst Frey: Versuch NaCl 13: Kaninchen & 1700 g; 31, Stunden vorher 125 cem 2,66%, NaCl = 3,3250 g NaCl in den Magen; zur Zeit 0: 150 ccm 2,66%, NaCl = 3,9900 g NaCl in den Magen. Bis zur Zeit 0: 50 ccm 1,68%, NaCl mit dem Harn ausgeschieden = 0,84 g; also zur Zeit 0: im Körper 850 ccm 0,6% =5,1g + 3,325 g — 0,84 g+ 3,99g = 11,57508. Verfügbares Wasser zur Zeit 0: 850 cam + 125 com — 50 cem + 150 ccm — 1075 cem. Bei Anfang des Versuches also: g im Körper — 11,5750; Wasser = 1075. Blutanalyse zum Schluss: A = — 0,85%; NaCl = 1,17%. (Der Inhalt des Magen-Darm-Kanals wird also hier dem Gewebe zugezählt.) 5 .| E See 2 |de| as | Ele == Plasma (— b) u ar m el SE + te en | = © | il 8 zZ © il e een e 28 ee SS perzg © le %o NaCl|cem |g NaCl|g Na0l 5 ccm | ccm | a | ni 2 | 0,9430 | 85 0,8016 | 0,0617 | 10,7117 4 986 | 1,0762 | 53,29 5 | 0,9580 | 85 \ 0,8143 | 0,1832 | 10,5775 | 10 980 | 1,0793 | 52,97 10 | 1,0500 | 85 | 0,8925 | 0,2775 | 10,4050 | 16 974 | 1,0680 | 50,42 18 | 1,0680 | 85 | 0,9078 | 0,3903 | 10,3769 ı 21 969 ı 1,0701 | 50,04 27 | 1,1300 ı 85 | 0,9605 | 0,4902 | 10,1243 | 27 963 | 1,0513 | 48,79 31 1 1,1700 | 85 | 0,9945 | 0,5314 | 10,0491 | 29 961 1,0456 | 47,19 Auch hier tritt ein geringes Sinken der Verhältniszahl ein, d. h. ein Ansteigen der Plasmakonzentration über die Gewebskonzentration. Versuch NaCl 11: Kaninchen 1100 g; 75 ccm 2% NaCl = 15 gin den Magen. Anfangs verfügbares Wasser: 50% des Gewichtes — 550 +75 = 625 ccm; anfangs Kochsalz : 550:0,6 = 3,3+1,5 = 4,88. Blutanalyse zum Schluss: A = — 0,65°; NaCl = 0,86 %. (Der Inhalt des Magen-Darm-Kanals ist hier dem Gewebe zugezählt.) | 5. Ei | > E|= B= an — © |S HS Plasma (= b) mr ar An Se | SE S|+ B= 1) | © | an | s> zZ eb} |, 25 Szene aa. - wo Ss | gs |sß N [0 NaCl | com | gs NaCl|g NaCl 16) ccm | ccm a m el en 11 | 0,7100 55 | 0,3905 0,3200 4,0895 25 545 0,7503 | 51,37 24 | 0,8300 | 55 | 0,4565 | 0,7440 | 3,5995 60 510 | 0,7057 | 45,95 27 | 0,8600 | 55 | 0,4730 | 0,8480 | 3,4790 70 500 | 0,6958 | 44,72 In diesem Versuch ist der Unterschied zwischen Plasmaprozenten und Gewebsprozenten schon deutlicher, die Verhältniszahl sinkt auf 44. Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. 153. Versuch NaCl 9: Kaninchen $ 1550 g; 150 ccm Wasser mit 2,0 g NaCl in den Magen. Blutanalyse nach 8 Stunden: A = — 0,62°; NaCl= 0,85 %. Anfangs verfügbares Wasser: 50% von 1550 = 775+150 = 925 ccm; Anfangskochsalz: 775:0,6 = 4,65+2,0 = 6,6500 g. (Der Inhalt des Magen-Darm-Kanals ist hier dem Gewebe zugezählt worden.) E =) x = 2 | © Sie Se sn. | E85 |. |EE Kerl == Plasma (= b) ga ae ale | SE |6+ Be 17} | © | a | RC = Zoo |, Er 8 232 [84 [237] @e |= 8 CHS = © Sa |go& N [%0NaCl| ccm 'g NaCl|g NaCl (6) ccm | cem i3 | 18 | 0,6460 | 77,5 | 0,5006 | 0,4320 | 5,7174 | 30 | 817,5 | 0,6993 | 51,98 54 I 0,7400 | 77,5 | 0,9735 1,1407 | 4,9358 | 82,5 | 765 0,6452 | 46,57 84 | 0,8180 | 77,5 | 0,6340 | 1,4952 | 4,5208 1112 35,5 | 0,6146 | 42,90 96 | 0,8500 | 77,5 | 0,6588 1,5729 | 4,4183 [119 728,5 | 0,6064 | 41,63 In diesem Versuch ist die Differenz wohl doch so gross, dass sie nicht mehr als Fehler betrachtet werden kann. Die Verhältniszahl sinkt bis auf 41. Die Plasmakonzentration beträgt 0,85% gegenüber der Gewebskonzentration von 0,6%. Es besagen also diese Versuche nach innerer Eingabe von Koch- salz, die ich anhangsweise anführe, dass das Blut während der Re- sorption mehr von dem Salz als die Gewebe enthalten kann, mit anderen Worten, dass der Übertritt aus dem Blute in die Gewebe langsamer vor sich geht als die Resorption aus dem Darm. Natürlich können diese Verhältnisse schon viel früher eingetreten sein, als es bei dieser Art der Ausrechnung erscheint, weil wir die eingegebene Menge dem Ge- webe zugezählt haben; und erst wenn die Resorption so weit vor- geschritten ist, dass trotz des Zuzählens des im Darm befindlichen Restes der eingegebenen Menge, die Gewebe geringer konzentriert erscheinen als das Blutplasma, geben unsere Zahlen diesem Verhalten Ausdruck. Sie sind, also wohl um so beweisender für ein zeitweises höheres Niveau der Chloride im Blut als im Gewebe, ein höheres Niveau, das sicherlich schon länger besteht, ehe es in unseren Zahlen zum Aus- druck kommt. Ich habe daher in der Überschrift aller Versuche auf die Art der Auswertung hingewiesen, um zu zeigen, dass es sich dabei um die scheinbare Gewebskonzentration handelt, nicht um die tat- sächliche; wenigstens um die letztere erst dann, wenn die Resorption zum Abschluss gekommen ist. Aber diese Zahlen für die scheinbare Gewebskonzentration ermöglichen uns überhaupt erst ein Feststellen dieser Tatsache, die doch nicht ganz des Interesses entbehrt, und sie sind unbedenklich, wenn man dazu bemerkt, was sie in Wahrheit be- deuten, und sie beweisen die Tatsache a fortiori. — Woran liegt es 154 Ernst Frey: nun aber, dass die Resorption schneller vor sich geht als die Ab- wanderung aus dem Blute? Es könnte ja sein, dass die Triebkraft der Darmresorption darin ihren Ausdruck fände, die eben bei der Darm- resorption sich zu der einfachen Diffusion dazugesellt, welche die Ab- wanderung aus dem Blute darstellt, so dass erstere grösser als letztere erscheint. Aber man wird sich vor zu weitgehenden Schlüssen hüten müssen, da wir die Grösse der beiden Austauschoberflächen in ihrem gegenseitigen Verhältnis nicht kennen. Ferner wäre der einzige ver- gleichbare Ausdruck die Wanderungskonstante, und man sieht hier vielleicht am deutlichsten den Zweck einer mathematischen Be- handlung. Denn wir können nur dann die beiden Wanderungen von Stoff vergleichen, wenn in beiden Fällen die gleiche Konzentrations- differenz vorhanden wäre; der Konzentrationssprung der konzentrierten Lösung im Darm zum Blut ist aber grösser als der jeweilige zwischen Blut und. Gewebe, und. deswegen muss, wenn es sich um den gleichen Vorgang handelt, die Geschwindigkeit der ersten Art der Wanderung, der Resorption, grösser sein als der Austausch zwischen Blut und Gewebe. Erst eine verschiedene Geschwindigkeitskonstante wäre be- weisend für einen Unterschied des Geschehens selbst, weil sie die tat- sächlichen Geschwindigkeiten auf die gleichen Vorbedingungen re- duziert. — Jedenfalls dauert es bei der inneren Eingabe von Salz- lösungen recht lange, ehe ein Ausgleich der Konzentrationen erreicht ist, und es vergeht eine längere Zeit, während welcher das Blut höher konzentriert ist als die Gewebe. Wir verstehen auch jetzt, warum Buchholtz!) die Konzentration höher fand, als wir sie nach vollzogener Verteilung zu erwarten haben; er fand das Blut 2,4mal so konzentriert, als wenn der Stoff auf das ganze Tier gleichmässig verteilt wäre; wir würden bei endgültiger Verteilung ungefähr das Verhältnis 2 erwarten; aber die innere Eingabe schiebt eben das schliessliche Gleichgewicht hinaus, noch mehr, wenn es sich um einen Stoff handelt, der so langsam übertritt wie das Jodnatrium. V. Schluss. Es geht also aus diesen Versuchen zweifelsfrei hervor, dass sich die Vorgänge bei der Abwanderung eines injizierten Stoffes den Ge- setzen der Diffusion fügen. Ist deswegen aber auch wirklich der Vor- gang eine Diffusion? Ja! Man könnte zweierlei einwenden. Einmal könnte derjenige, welcher der Übereinstimmung errechneter Zahlen mit denen des Versuches keine absolute Beweiskraft zuerkennt, sondern nur die auffälligste Tat- sache des Gleichwerdens der beiden Konzentrationen, des Plasmas 1) Buchholtz, Über die Resorption der Jodide vom Darmkanal aus. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 31 S. 289. 1917. ne ieh ae Das Gesetz der Abwanderung intravenös injizierten Stoffes aus dem Blute. 155 und der Gewebe, im Auge hätte, meinen, diese Tatsache sei ein Zufall der Art, dass ein solches Gleichwerden ja zu einem Zeitpunkt immer eintreten müsste, wie auch immer die Verteilung sei, dass also diese Gleichheit nicht das Ziel, der Endpunkt des Vorganges sei. Denn, wenn die Gewebe nur sehr wenig von dem injizierten Stoff aufnehmen, so wird doch durch den Harnverlust die Blutkonzentration sinken und sich schliesslich der irgendwie hoch liegenden Gewebskonzentration nähern müssen, bis in einem Augenblick die Plasmakonzentration eben- so gross ist wie die Gewebskonzentration. Dann wäre das Gleichsein der Konzentrationen eine zeitliche Zufälliskeit. Dem widerspricht aber die in den verschiedensten Versuchen zu ganz verschiedenen Zeiten festgestellte Gleichheit der Konzentrationen, wenn man schon von dem Einfügen in das Gesetz absehen will. Zweitens könnten andere von einer Zufälligkeit reden, welche an- nehmen, dass nicht nur geringe Mengen in die Gewebe übergetreten sind, wie es eben beim ersten Einwurf notwendig war, sondern im Gegenteil sehr viel, dass eine Speicherung in irgendwelchen Organen stattfände; dass sich also die Konzentrationsgleichheit nur zeigte, weil das verfügbare Wasser zu 50%, des Tiergewichtes angenommen wurde. Es müsste sich dann ein anderes — freilich auch konstantes — Ver- hältnis der Konzentrationen ergeben, wenn das Gewebswasser zu einem anderen Prozentsatz geschätzt worden wäre. Nehmen wir einen zwar unwahrscheinlichen Fall an, dass sich nur 25%, des Tiergewichtes an dem raschen Austausch beteiligten, dann wären die Konzentrationen am Schluss immer das Doppelte der Plasmakonzentrationen, und. wir müssten annehmen, dass entweder eine Speicherung im Gewebe vorläge oder dass die Kapillarwand eine Sekretion in die Gewebe hinein aus- übte, die immer nach der Erreichung einer doppelt so hohen Kon- zentration strebte. Dies ist aber in höchstem Grade. unwahrscheinlich ; denn es müssten sonst bei den verschiedensten Salzen immer die gleichen Speicherungsverhältnisse oder Sekretionstendenzen vorliegen, was offen - bar eine kompliziertere Annahme ist als die einer einfachen Diffusion. Aber noch mehr. Gottlieb!) fand bei der Abwanderung der Digitalis- stoffe, dass nach kurzer Zeit die Hauptmenge der Digitalissubstanzen die Blutbahn verlassen hat, bis auf einen „Giftrest von 10%“, der sich lange Zeit im Blut hält. Berechnen wir diese Verteilung, wie es hier geschehen ist, und nehmen ein 2000 g-Tier als Beispiel: so hat es verfügbares Wasser 50% = 1000 cem und davon 100 cem Plasma und 900 ccm Gewebswasser. Das Gift verteilt sich so, dass 10%, Gift- rest im Blute bleiben, die Giftmenge 1 also ist bis auf 0,1 ins Gewebe getreten, also zu 0,9 im Gewebe. Dann ist die Konzentration des l) Gottlieb, Über die Aufnahme der Digitalissubstanzen in die Ge- webe. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 82 S. 1. 1917. 156 Ernst Frey: Das Gesetz der Abwanderung intravenösinjizierten Stoffes. Giftes im Blut 0,1 durch 100, die der Gewebe 0,9 durch 900, also sind beide gleich. Es müssten sich also die Digitaliskörper bei der Ab- wanderung ebenso verhalten wie eine Anzahl Salze. Dies spricht wohl doch dafür, dass wir es beim Abwandern aller dieser chemisch so ver- schiedenen Substanzen mit einer Diffusion zu tun haben, die die Ver- hältnisse in der einfachsten Weise erklärt, und nicht mit lauter spezi- fischen Zellprozessen, die gerade alle dieselbe Sekretionstendenz auf- weisen — auch wenn man von der Einfügung des Vorganges in die Diffusionsgesetze absehen will. Dass neben dieser gleichmässigen Verteilung noch an einzelnen Stellen Verschiedenheiten vorkommen können, ist wohlanzunehmen, aber in groben Zügen ist doch die Verteilung eine gleichmässige, — deswegen, weil die Abwanderung aus dem Blute durch Diffusion bedingt ist. Der Vorgang des Übertrittes von intravenös injizierten Substanzen aus der Blutbahn ist also ein Diffusionsprozess, d.h. seine Geschwindig- keit ist dem jeweiligen Konzentrationsunterschied proportional, und schliesslich verteilt sich die Substanz mit gleicher Konzentration auf Plasma und Gewebe. Man kann sich mechanisch den Vorgang so vorstellen, als wenn zwei Tonnen am Boden durch ein Rohr verbunden sind, und nun Wasser aus der einen Tonne, der kleineren, in die zuerst leere grössere durch das Rohr fliesst. Maassgebend für die Geschwindig- keit ist einmal die Niveaudifferenz zwischen beiden Tonnen, die sich dauernd verringert, zweitens ein Faktor der Geschwindigkeit; dieser ist abhängig von den Widerständen, wie der Enge des Rohres, der inneren Reibung des Wassers, und er stellt den reziproken Wert dieser Widerstände dar. Es wirkt also die Höhe des Wasserstandes in der kleineren, ursprünglich gefüllten Tonne in positivem Sinne fördernd auf die Geschwindigkeit ein, die Höhe des Wasserstandes in der grossen Tonne in negativem Sinne. Das Wasser stellt dabei die Menge Substanz dar, der Wasserstand die Konzentration. Das Fassungsvermögen der Tonnen versinnbildlicht die Mengen Wasser des Tieres; der Raum- inhalt der kleineren Tonne entspricht der Anzahl Kubikzentimeter Plasma, der der grossen Tonne den Kubikzentimetern Gewebswasser Dabei entspricht zwar ein Liter Wasser in der kleinen Tonne einem Liter Wasser in der grossen, aber in seiner Bedeutung für die Strömungs- geschwindigkeit verliert dieser Liter auf dem Wege von der kleinen zur grossen Tonne an Bedeutung, da er in der kleineren das Niveau stärker erhöht als in der grossen. Stellen wir uns nun vor, dass beide Tonnen nicht ganz dicht sind, sondern lecken, so haben wir ein ziemlich vollständiges Bild von der Wanderung des Stoffes aus dem Blut in die Gewebe neben dem Verlust durch die Niere. Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. Ein Beitrag zur Lehre von der osmotischen Arbeit der Niere. XIV. Von Prof. Dr. Ernst Frey, Assistent des pharmakolosischen Instituts der Universität Marburg a. d. Lahn, Mit 6 Textabbildungen. (Eingegangen am 1. Juni 1919.) Inhalt. Seite eh inleitungeRe ea. RR a nee EN ia DER 157 H. Grundlagen für die Aufstellung eines Gesetzes . ........ 160 II midunletiverliBeil. a later ne aM er Male en 169 17 Kesamtausscheidune ls an u zn. N N 2. Sekretion und Bintkenzenation N REN RR Man | 3. + UNO berflächepr te Amel en naar eine 179 4. 5 „ Harneinengung . un nun. 181 5. Streben nach einem absoluten Maximum der Konzentration . 184 6. „.. relativem 5 > 190 % Ser ekien en schon vorhandene no ration und zwar direkten Eroportonaltat ee Ren 2. 196 IV eduktiversleila Be a ee ee 207 Nee ısammentassunger gr. ee ehe Keane se 211 I. Einleitung. Man kann als feststehend. annehmen, dass die Harnbereitung in der Weise erfolgt, dass vom Glomerulus ein Filtrat des Blutes — ähn- lich den Vorgängen bei der Lymphbildung — herabrinnt, welches nach zwei Richtungen in den Harnkanälchen eine Änderung erfährt. Einmal wird die Gesamtkonzentration geändert, indem für ge- wöhnlich der Harn durch Rückresorption von Wasser eingeengt wird oder bei der Wasserdiurese durch Dazufügen von Wasser verdünnter wird. Dieser Vorgang dient der Regulation des Wasserhaushaltes des Körpers, d. h. zur Regulierung des Verhältnisses von gelöstem Stoff zum Lösungsmittel, und zwar für gewöhnlich in ausreichendem Maasse. Nur bei Überschwemmen des Körpers mit festem Stoff versagt diese Regulation durch das Einsetzen einer Glomerulusdiurese, die mit ihrer einfachen Gefässerweiterung eine unphysiologische Form der Diurese ist und die Niere zu vermehrter Filtration zwingt, d.h. zur Absonderung eines blutähnlichen Harnes, — geradeso wie beim Diabetes, wo die : Wasserregulierung durch den Durstreflex erreicht wird, während die 158 Ernst Frey: Überschwemmung des Körpers mit Wasser von der Niere allein reguliert werden kann und ohne jede subjektive Empfindung verläuft. Für dieses physikalische Wandern von Wasser kann man physikalische Grössen als Erklärung heranziehen, und ich!) habe gezeigt, dass man in dem hydrostatischen Druck eine treibende Kraft zur Erklärung besitzt, die trotz ihrer geringen Grösse ausreicht, deswegen, weil ein hydrostatischer Druck sich sofort auf alle Flüssigkeit fortpflanzt, während der osmotische Druck nur allmählich anwächst, — sowohl von Kranz zu Kranz der Epithelzellen, wie auch durch die Zelle hin- durch nach dem Blute zu. Wir werden später noch sehen, dass die Epithelzellen in ihrer Gesamtkonzentration zwischen dem Harn und dem Blute jeweils die Mitte halten. Dieser hydrostatische Druck liegt‘ vom Glomerulus her einmal auf dem Harn der Tubuli, andererseits auf dem sogenannten zweiten Kapillarsystem der Niere, den Blut- kapillaren um diese Harnkanälchen herum, und wenn der Druck innen grösser ist als aussen, wird Wasser zurückgedrückt, zurückresorbiert, — wenn er aussen grösser ist als innen, wird Flüssigkeit dazu geliefert. Der Harn ist in ersterem Falle konzentrierter als das Blut, im zweiten verdünnter. Bei Gleichheit des osmotischen Druckes innen und aussen ist auch, wie Messungen des Ureterendruckes ergaben, der hydrostatische Druck innen und aussen gleich. Für diese physikalischen Verhältnisse genügen physikalische Kräfte zur Erklärung. Etwas anderes ist es bei der chemischen Seite der Harnbereitung. Eine zweite Veränderung erleidet das Blutfiltrat in den Harn- kanälchen, das ist die Anreicherung des Harnes mit Produkten des Stoffwechsels oder körperfremden Giften! Schon durch die Einengung des Harnes werden diese Stoffe der Ausscheidung konzentrierter im Harn als im Blut auftreten, aber diese Konzentrierung ist verhältnis- mässig gering, da wir annehmen müssen, dass die Rückresorption des Wassers nur in dem Ausmaass erfolst, wie es der Gesamtkonzentration entspricht, wie es also der Gefrierpunkt anzeigt ?). Eine solche quantitativ begrenzte Anreicherung genügt nur bei der Kochsalzausscheidung, wobei nur bei ganz kochsalzreichen Tieren eine entsprechende Kon- zentrierung an Kochsalz erfolgt, sonst wird Kochsalz zum Teil rück- resorbiert?). Bei allen anderen Stoffen (mit Ausnahme von Brom- natrium, das die Niere wie Kochsalz behandelt!), ist aber ein spezifischer Prozess an der Anreicherung beteiligt?), den wir mit den Worten l) E. Frey, Der Mechanismus der Salz- und Wasserdiurese. Arch. f. d.. ges. Physiol. Bd..112:8. 71.2.1906. 2) E. Frey, Die Rückresorption von Wasser in den Harnkanälchen, der Gesamtkonzentration entsprechend. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 139 S. 465. 1911. 3) E. Frey, Die Kochsalzretention, eine Austauscherscheinung zwischen filtriertem und sezerniertem Stoff. Ebenda Bd. 139 S. 532. 1911. 1 Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 159 von Koranyi’s?) als Molekularaustausch bezeichnen. Denn einer- seits ist das Glomerulusprodukt ein Blutfiltrat*), andererseits ist der Harn, wenn man von seiner Einengung absieht, ihn also so verdünnt, dass seine Gesamtkonzentration der des Blutes gleich wird (und auch sein Gefrierpunkt dem des Blutes), kein Blutfiltrat mehr, sondern es sind darin harnfähige Substanzen gegen Kochsalz ausgetauscht. Wenn man diese Verdünnung rechnerisch ausführt, so ergibt sich, dass diesem Molekularaustausch der wesentliche Anteil bei der Ausscheidung der meisten Stoffe zufällt. Ich hatte früher darauf hingewiesen, dass die .Rückresorption von Wasser tatsächlich in dem Ausmaass erfolst, wie es der Gesamtkonzentration des Harnes, also seinem Gefrierpunkt ent- spricht, und zwar in der Weise, dass ich die Konzentration eines Stoffes bestimmte, der im Glomerulus filtriert, aber in den Harnkanälchen ' weder rückresorbiert, noch sezerniert wird. Ein solcher Stoff muss dann in doppelt so hoher Konzentration im Harn sein als im Blut, wenn der Harn doppelt so tief unter Null gefriert als das Blut; kurz: die Einengung des Blutfiltrates nach der Gefrierpunktserniedrigung muss der Einengung nach der Konzentration an diesem Stoff ent- sprechen. Dieser Stoff ist nun das Kochsalz bei sehr kochsalzreichen Tieren. Die Kochsalzkonzentration steigt im Harn nie höher, als einem bis zum Gefrierpunkt des Harnes eingeengten Blutfiltrat entspricht; Kochsalz wird. also lediglich durch Filtration ausgeschieden. Und auch nur bei sehr kochsalzreichen Tieren ist die Ausscheidung maximal, sonst wird immer ein Teil wieder zurückresorbiert, wohl hauptsächlich deswegen, weil immer Stoffe der Ausscheidung harren, die nur im Austausch gegen Kochsalz eliminiert werden können. — Wir können daher berechnen, wieviel von einem Stoff filtriert und. wieviel durch Sekretion in den Harnkanälchen ausgeschieden wird, weil uns die Menge des Glomerulusfiltrates, des provisorischen Harnes, bekannt ist. Denn ihn können wir aus der Menge definitiven Harnes und den Ge- frierpunkten von Harn und Blut berechnen. Es ist der provisorische Harn gleich dem Produkt aus definitiver Harnmenge und dem Ver- hältnis von A Harn zu A Blut. Und wenn wir die Blutkonzentration an dem betreffenden Stoffe kennen, so wissen wir auch, wieviel mit dem provisorischen Harn vom Glomerulus herabgeflossen ist, und l) E. Frey, Die Ursache der Bromretention. Ein Vergleich der Brom- und Chlorausscheidung durch die Nieren. Zeitschr. f. exp. Path. u. Therap. Ba. 8. 1910. 2) E. Frey, Jodid, Nitrat, Sulfat, Phosphat werden durch Sekretion in den Harnkanälchen ausgeschieden. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 139 S. 512. 1911. 3) von Koranyi, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 33 S. 1. 1897. 4) E. Frey, Das Glomerulusprodukt ist ein Blutfiltrat. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 139 S. 435. 1911. 160 Ernst Frey: daher auch weiterhin, wieviel noch die Harnkanälchen dazugefügt haben, wenn wir die Gesamtmenge des Stoffes im Harn bestimmt haben. Wir haben dadurch die Möglichkeit, die Menge des von den Kanälchen sezernierten Anteils eines körperfremden Stoffes zu ver- folgen, und können ihre Abhängiskeit von einer Anzahl von Bedingungen prüfen. So kann man zum Beispiel eine Antwort auf die Frage erhalten, ob eine Diurese zu einer vermehrten Tubulussekretion führt, oder ob eine bestimmte Abhängigkeit von der Blutkonzentration besteht, oder ob die Sekretion abnimmt, wenn schon eine erhebliche Anreicherung im Harn zustande gekommen ist, u.a. m. Ferner kann auf diese Weise die Frage entschieden werden, ob die Einengung -des provisorischen Harnes schon bei gleichzeitigem Molekularaustausch in den Tubulis contortis stattfindet, oder ob beide Prozesse getrennt nacheinander verlaufen, etwa der Molekularaustausch, die eigentliche Sekretion, in den gewundenen Kanälchen, die Wasserrückresorption später in den geraden oder der Henle’schen Schleife. So gestattet uns die rechnerische Verfolgung des von den Tubulis gelieferten Anteils eine Anzahl von Beziehungen zu prüfen und Fragen zu beantworten, auch wenn uns der Vorgang selbst unbekannt ist und zunächst die Aufstellung eines Gesetzes nicht möglich ist. Ich habe also im ersten Teil eine Anzahl von Fragen aufgeworfen und an der Hand von früheren Versuchen zu beantworten gesucht. Dabei liess ich mich von den sich ergebenden Beziehungen leiten. Im zweiten Teil habe ich dann auf Grund von Überlegungen eine Vorstellung von dem Vorgange der Sekretion selbst zu gewinnen versucht und diese Vorstellung mit der sich ergebenden Gesetzmässigkeit verglichen. II. Grundlagen für die Aufstellung eines Gesetzes. Zur Berechnung dienten die in der Arbeit über das Gesetz der Ver- teilung körperfremder Substanzen auf Blutplasma und Gewebe!) an- geführten Versuche, in denen die Harnabsonderung injizierter Stoffe quantitativ verfolgt wurde und gleichzeitig die Konzentration im Blut- plasma vor und nach dem Versuch bestimmt wurde. Die zwischen beiden Blutanalysen liegenden Blutwerte wurden durch einen Kurvenzug gewonnen und durch das in der eben erwähnten Arbeit angeführte Gesetz kontrolliert. Dabei sind die Blutwerte immer für die mittlere Zeit angegeben worden, während deren der zur Analyse stehende Harn seflossen war, so dass dieser Blutwert für den Harn durckschnittliche Geltung hat. Es wurde also die Konzentration des Harnes, der von dem Zeitpunkt 13 bis 17 geflossen war, mit der Blutkonzentration zur Zeit 15 verglichen und die in 5 Minuten von einer Niere filtrierten 1) Siehe die vorhergehende Arbeit. Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 161 oder sezernierten Mengen zur Zeit 15 aus diesem Harn berechnet. Der Gefrierpunkt des Blutes wurde als geradlinig aus den beiden Blut- analysen ermittelt, er schwankt ja nur in sehr engen Grenzen. Bei diesem Vergleich zwischen Blut und Harn ergibt sich der Hauptfehler der ganzen Zusammenstellung, der darin besteht, dass wir die Harn- menge, die ausfliesst, als zugehörig zu der analysierten Harnportion betrachten müssen, während in Wirklichkeit zum Beispiel beim Ein- setzen einer Diurese der nun in reichlicher Menge fliessende Harn erst den von vorher in den tieferen Harnwegen befindlichen Harn verdrängt, so dass also die schon reichliche Harnmenge zu einem noch recht konzentrierten Harn als zugehörig betrachtet werden muss. Es ist dies ein Fehler, der sich nicht umgehen lässt, weil wir den Harn nicht direkt aus der Niere auffangen können, sondern erst nach Passieren eines „‚toten‘‘ Raumes, des Nierenbeckens, der Ureteren und des Harn- blasenstumpfes mit eingebundener Kanüle. Aber wollte man hierbei rechnerisch eine Korrektur anbringen, würden doch recht erhebliche Unsicherheiten oder Willkürlichkeiten unterlaufen können. Aus diesem Grunde sind streng genaue Zahlen für die Harnabsonderung nicht zu erhalten. Jedenfalls stellt dies den Hauptfehler bei diesen Zusammen- stellungen dar, gegen den die anderen sogenannten Versuchsfehler, _ wie Analysenfehler und Ähnliches, garnicht ins Gewicht fallen. Immerhin ist das Erkennen einer Gesetzmässigkeit dabei nicht allzu schwer; — wenn man zwei einander widersprechende Annahmen macht und beide durchrechnet, so wird man kaum im Zweifel sein, welche Entscheidung man zu treffen hat; wir werden dies bei den Gegenüberstellungen bald sehen. Über einige Grundwerte noch ein paar Worte, sie ersparen spätere Wiederholungen. Wir bestimmen also die in 5 Minuten von einer Niere gelieferte Harnmenge und. Menge injizierten Stoffes nach der Harn- analyse; dann den provisorischen Harn aus der definitiven Harnmenge mal dem Verhältnis der Gefrierpunkte von Harn und Blut; die Menge filtrierten Stoffes aus der Blutkonzentration und dem provisorischen Harn; die Menge des von den Tubulis sezernierten Stoffes durch Sub- traktion der filtrierten Menge von der Gesamtmenge Stoff, den wir in 5 Minuten von einer Niere erhielten. Die Zeit ist immer in Perioden zu 5 Minuten angegeben. Bei einigen Berechnungen freilich müssen wir die Zeit in anderer Weise definieren, nämlich immer dann, wenn wir den Vorgang der Veränderung des provisorischen Harnes mit der Zeit betrachten, also verfolgen wollen, was mit der Zeit bei dem Fliessen des Harnes vom Glomerulus durch die Harnwege allmählich geschieht. Dann wird die umformende Tätigkeit der Harnkanälchen lange einwirken, wenn der Harn langsam fliesst, — nur kurz, wenn der Harn schnell durch die Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 177. 11 162 Ernst Frey: Kanälchen strömt. Die Zeit der Veränderung ist dann abhängig von der Harnmenge; ist in 5 Minuten ein grosses Quantum eines verhältnis- mässig wenig veränderten Harnes geflossen und in den nächsten 5 Minuten nur wenig Harn, der gegen das Blut stark verändert er- scheint (stark eingeengt und. stark angereichert mit Ausscheidungs- stoffen), so ist zwar in beiden Fällen die Zeit von 5 Minuten gleich, aber die Zeit, während welcher der Harn der modifizierenden Tätigkeit der Harnkanälchen ausgesetzt war, ist doch verschieden lang- gewesen, und zwar umgekehrt proportional der Harnmenge. Wir würden dann nicht den Vorgang so verfolgen, als betrachteten wir, was die Niere in 5 Minuten sezerniert, sondern wir würden das Schicksal eines Tropfens, der vom Glomerulus bis ans Ende der sezernierenden Abschnitte der Harnwege herabrinnt, verfolgen. Die räumliche Begrenzung dieses Tropfens ist dabei eine recht grosse, denn wir können immer nur eine grössere Menge Harn der Analyse unterwerfen, zum mindesten einige Kubikzentimeter. Wir addieren also dabei die hintereinander fliessenden Tropfen, oder anders ausgedrückt, wir stellen uns die Veränderung der einzelnen Tropfen gleichzeitig vor, nicht zeitlich nacheinander, wie sie tatsächlich stattfindet. Denn in Wirklichkeit ist der erste Tropfen schon etwas verändert, wenn der zweite gerade am Anfang seiner Umwandlung steht. Wir stellen uns also den Vorgang so vor, als be- fänden sich alle hintereinander fliessenden Tropfen in derselben Phase der Anreicherung. Dadurch wird offenbar nichts an der Betrachtung geändert; wir lassen nur die Perlenkette der Tropfen nicht in der Längs- richtung, den Vorgang durchlaufen, sondern gleichzeitig alle Perlen in querer Richtung. Oder bildlich gesprochen: wir erwärmen ein Ver- brennungsrohr nicht dadurch, dass wir es langsam durch den Ver- brennungsofen der Längsrichtung nach ziehen, sondern wir führen es quer über die einzelnen Bunsenbrenner hinweg, wodurch der Er- wärmungsvorgang für jeden Abschnitt des Rohres der gleiche bleibt, nur dass er gleichzeitig für alle Teile des Rohres erfolst. Dann ändert sich nur das eine: im ersten Falle wird der einzelne Abschnitt durch die verschiedenen Bunsenbrenner nacheinander erwärmt, das zweitemal durch denselben während der ganzen Zeit. Aber, wenn in beiden Fällen die Zeit der. Erwärmung dieselbe bleibt, so wird jeder Abschnitt des Rohres dieselbe Zeit der Erhitzung durch einen Bunsenbrenner aus- gesetzt sein, und er wird erst kalt der Flamme gegenübertreten, dann schon etwas vorgewärmt usf. Es wird nur einmal immer ein neuer Bunsenbrenner sein, der die angefangene Erwärmung fortsetzt, das andere Mal erhitzt derselbe Bunsenbrenner dieselbe Stelle immer stärker: aber die Temperatur des ganzen Rohres wird bei beiden Prozessen dieselbe sein, wenn wir sie nachher messen (vorausgesetzt, dass das Rohr nicht abkühlt). — Wenn wir zwei verschieden lange Rohre haben, | | | | | | { | Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 163 die durch ein und denselben Verbrennungsofen in 5 Minuten erwärmt werden sollen, so kann der Erwärmungsvorgang nicht die ganze Zeit hindurch die ganze Länge des Rohres betreffen, sondern wir müssen bei doppelt so langem Rohre die eine Hälfte desselben die ersten 21, Minuten erwärmen, die zweite Rohrhälfte den Rest der 5 Minuten. Dabei istes wiederum gleichgültig, ob wir die Erwärmung so vornehmen, dass wir beide Hälften in der Längsrichtung durch den Ofen ziehen oder in querer Richtung. Das heisst also: der rechnerische Wert der Zeit muss nicht nur den Zeitraum erfassen, den der Umwandlungs- prozess dauert, sondern auch die Länge der Perlenkette der Tropfen ; bei doppelter Harnmenge verweilt der Harn nur halb so lange in den Kanälchen und unterliegt nur halb so lange der modifizierenden Tätig- keit der Epithelien. Wir müssen also bei allen Betrachtungen, welche die Umwandlung des Glomerulusfiltrates mit der Zeit betreffen (freilich auch nur bei solchen), die immer gleich bleibende Zeiteinheit von 5 Minuten, auf die wir alle Grössen berechnen, durch die Harnmenge dividieren. Wir können zum Beispiel fragen, ob die Niere in der Zeit- einheit immer dieselbe Menge Stoff sezerniert, und wir müssen dabei als Zeitraum unsere Einheit von 5 Minuten setzen; wenn wir aber fragen, ob die Niere immer bei der modifizierenden Tätigkeit in den Kanälchen die doppelte Konzentration an auszuscheidendem Stoff her- stellen will, so müssen wir die Zeit von 5 Minuten durch die Harn- menge dividieren, um die wirkliche Zeit zu erhalten, während welcher der Umwandlungsprozess vor sich geht. Oder mit anderen .Worten: wenn es sich um absolute Werte handelt, kann auch die Zeit nur in absolutem Maass als Zeit (5 Minuten) angesetzt werden; wo es sich aber um prozentische Veränderungen handelt, muss die Zeit in relativem Maass gemessen werden. Um das Beispiel des Verbrennungsofens nochmals heranzuziehen, wenn wir von Kalorien reden, also absoluten Wärmemengen, muss die Zeit in absolutem Maass angegeben werden, da es offenbar gleichgültig ist, ob die Kalorienmenge sich auf ein langes oder kurzes Rohr verteilt; wenn wir aber von der Temperaturzunahme reden, so müssen wir die Zeit in relativem Maass, also Zeit, dividiert durch Rohrlänge, angeben. Wir werden also gut tun, wenn möglich, immer auf absolute Mengen zurückzugreifen, um die Möglichkeit zu haben, die Zeit als solche in Rechnung zu stellen. Ein anderer Punkt muss noch bei diesen Betrachtungen berück- sichtigt werden, soweit sie die Tätigkeit der Harnkanälchen schildern sollen, das ist das Schwanken der Oberfläche, an welcher der Austausch stattfindet. Denn wir wissen aus dem anatomischen Bild der Niere, dass die Weite der Harnkanälchen wechselt je nach der Harnmenge, die darin enthalten ist; ferner muss bei den langen, engen und ge- wundenen Wegen eine erhebliche Stauung bestehen, eine Stauung, al 164 Ernst Frey: die zu einer Drucksteigerung daselbst führt, weswegen wir einen Innen- druck im Kanälchen annehmen müssen, welcher für das Zurückpressen von Wasser verantwortlich gemacht wurde. Mit dem wechselnden Volumen schwankt aber auch die Oberfläche. Die Grösse dieser Ober- fläche kennen wir nicht. Wohl aber sind die Schwankungen dieser Oberfläche vorstellbar. Wenn das Harnkanälchen ein gerades Rohr wäre, so würde die Seitenfläche dieses Rohres mit dem Radius der Grundfläche wachsen; der Inhalt des Rohres wächst mit dem Quadrat des Radius der Grundfläche; denn der Umfang des Kreises beträgt 2 rc, die Seitenfläche ist also gleich dem Rechteck 2 r x mal s (= Seiten- länge); der Inhalt ist gleich Grundfläche (=r?r) mal Höhe (= s), also gleich r?rs. Es verhalten sich demnach bei gleicher Länge zwei verschiedene Füllungsgrade des Rohres wie die Quadrate des Radius, die zugehörigen Seitenflächen wie die Radien selbst; oder mit anderen Worten: wenn die beiden Inhalte bekannt sind, so verhalten sich die beiden Seitenflächen wie die Quadratwurzeln aus den Inhalten. Da wir nun die Inhalte kennen, so können wir auch die Werte für irgend- einen Prozess auf dieselbe Oberfläche reduzieren, wir müssen sie nur jedesmal durch die Quadratwurzel des Inhaltes dividieren. Wenn zum Beispiel — was ja nicht zutreffen kann —der Austausch ein Diffusions- prozess wäre, so wäre die Geschwindigkeit proportional der Oberfläche, und wir müssten bei verschiedenen Geschwindigkeiten, die wir ver- gleichen wollen, den ‚Fehler‘, der durch die verschiedenen Ober- flächen bedingt ist, ausgleichen, und wir könnten dies dadurch, dass wir die Geschwindigkeiten jedesmal durch die Quadratwurzel der Harnmenge dividierten; dann erhielten wir relative vergleichbare Werte, die auf dieselbe Oberfläche reduziert sind. — Nun ist das Harn- kanälchen sicher in seinem wirksamsten Teile kein gerades Rohr, sondern ein stark gewundenes. Wir werden daher ohne grossen Fehler ein mathematisches Gebilde für die Form des Harnkanälchens setzen können, zum Beispiel ein ringförmig geschlossenes Rohr oder der Einfachheit halber einen Rotationskörper, den wir erhalten, wenn wir ein Quadrat um eine Achse rotieren lassen, welche durch eine Ecke geht und auf der Diagonale des Quadrates senkrecht steht. Dann er- halten wir über der als horizontal gedachten Diagonale einen Krater und unter derselben einen ebensolchen. Ein solcher Krater stellt also die Hälfte des Inhaltes des Rohres dar. Er ist die Differenz eines geraden Kegels von der Höhe der Diagonale des ursprünglichen Quadrates und zwei gerader Kegel von der Höhe der halben Diagonale des ur- sprünglichen Quadrates. Bezeichnen wir die Diagonale des ursprüng- lichen Quadrates mit a, so ist der Radius des grossen Kegels gleich a, f | I seine Höhe ebenfalls a, also sein Inhalt - =: 1rch } gleich ni ara > Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 165 1 oder gleich „- a®r. Der Doppelkegel, der davon in Abzug kommt, oO » 2 1a a 2 a ist gleich 2° (er „ oder gleich 2 (S)>r. also der Inhalt eines _ Il Kraters gleich a. ar — 19 47 oder gleich ni a?r und der beiden Krater = 5: a®?r. Die Oberfläche des Gebildes berechnen wir ebenso: Die Oberfläche des oberen Kraters setzt sich zusammen aus der Aussen- seite des Kraters, d. i. der Differenz der Seitenfläche des grossen Kegels, und der Seitenfläche eines kleinen Kegels; die Innenfläche des Kraters ist gleich der Seitenfläche eines kleinen Kegels; also ist die Oberfläche des Kraters gleich dem Mantel des grossen Kegels (=rrs), wenn wir, wie selbstverständlich, die. Grundfläche des Kraters weglassen, weil auf ihr der untere umgekehrte Krater sitzt. Der Radius des grossen Kegels war a, seine Seitenlinie a V2, also sein Mantel ar V2. Somit ist die Oberfläche des Doppelkraters, unseres ringförmigen Gebildes, gleich 2a?z V2. — Das heisst aber: wächst der Inhalt, so wächst er selbst mit dem Kubus der Grösse a, aber die Oberfläche wächst nur mit dem Quadrat. Dies gilt für alle ähnlichen Gebilde. Mit anderen Worten: Die Oberflächen verhalten sich wie die Kubikwurzeln aus den Quadraten der Inhalte. Oder um den ‚Fehler‘ der schwankenden Oberfläche auszuschalten, müssen wir zum Beispiel eine Geschwindigkeitskonstante durch die dritte Wurzel aus dem Quadrat des Inhaltes dividieren ; dann reduzieren wir sie auf dieselbe Oberfläche. Als Inhalt gilt hier natürlich die Harnmenge, und wir setzen stillschweigend voraus, dass der Inhalt der Harnwege mit der Harnmenge proportional wächst. Dabei können wir unter Harnmenge keineswegs die definitive Harn- menge, also die in der Zeiteinheit geflossene Menge Harn verstehen, sondern die Menge des Harnes, welche die Harnwege passiert. Diese ist verschieden je nach der Vorstellung, die wir uns von der Harn- einengung machen. Wir müssen den provisorischen Harn dafür setzen, wenn wir glauben, dass er selbst in voller Quantität die Umwandlung in den gewundenen Harnkanälchen erleidet und erst später in den tieferen Teilen eingeengt wird. Wenn wir dagegen glauben, dass der Harn schon gleichzeitig mit dem Molekularaustausch in den Tubulis contortis zurückresorbiert wird, müssen wir für die Harnmenge das Mittel aus dem Glomerulusfiltrat und der definitiven Harnmenge setzen, also zum Beispiel den angenäherten Wert von provisorischer Harn plus definitiver Harn, durch 2. Wir werden sehen, dass die letztere Auffassung die richtige ist. Aber wir können diese mittlere Harnmenge noch genauer bestimmen, 166 Ernst Frey: und zwar auch wieder je nach den Vorstellungen, die wir von der Ein- engung uns gemacht haben. Eine solche Betrachtung ist nicht nur zur Ermittlung der mittleren Harnmenge und somit zur Auswertung der Oberflächenschwankung notwendig, sondern auch zur Feststellung des Einengungsvorganges selbst, den wir bei allen Betrachtungen der Sekretionsgeschwindigkeit brauchen; weil nämlich die Geschwindigkeit gleich Menge durch Zeit ist, müssen wir auch den Einengungsvorgang als Funktion der Zeit definieren. Nun könnte man glauben, es werde jedesmal ein bestimmter Teil der Flüssigkeit rückresorbiert, also immer P%; dann müssen wir uns diesen Vorgang in einzelne Etappen zerlegt denken, zum Beispiel in n Teile; es würde dann in jedem Zeitteilchen En Ä 2 E /, zurückresorbiert werden und der osmotische Druck um no steigen; der Gefrierpunkt würde also dann nach dem ersten Zeitteilchen D von A Blut auf A Blut (1 ) gesunken, nach dem zweiten Zeit- 1 i DN\- teilchen auf A Blut \1l+-} , und so fort, bis zum Schluss A Harn n gleich A Blut (i ee) ist. Wenn sich n nun dem Unendlichen nähert, d.h. wenn wir uns den Vorgang nicht in lauter einzelnen Zeit- teilchen, sondern fortlaufend vorstellen, so wird der Wert (i r gleich eP und in der Zeit ! gleich eP!, und wir erhalten für A Harn den Ausdruck A Blut-eP! und für pi demnach den Wert In —— Dann haben wir eine Abhängigkeit des jeweiligen Gefrierpunktes von der Zeit in der Weise, dass der jeweilige A Harn während seiner Bildung gleich A Blut-eP! ist. Es würde also die Einengung nach einem Exponentialgesetz erfolgen, d. h. es würde fortgesetzt ein grösserer Arbeitsaufwand, nötig werden; dies ist aber in hohem Grade unwahr- scheinlich. Ich habe nur dieser Anschauung Ausdruck verliehen, weil es zunächst naheliegen könnte, anzunehmen, dass immer gleich viel Prozente der Flüssigkeit resorbiert würden. Zeichnen wir uns nach der oben aufgestellten Gleichung in eine Kurve die Gefrierpunkte des Harnes als Ordinaten und die Zeit als Abszissen auf, so resultiert daraus eine Kurve, welche erst langsam, dann immer schneller ansteigt; der Druck wächst also immer schneller bei Zunahme der Zeit. Dies trifft aber, wie gleich mitgeteilt werden wird, tatsächlich nicht zu. — Eine zweite Vorstellung wäre die, dass immer derselbe absolute Betrag von Flüssigkeit resorbiert würde, also immer c ccm des provisorischen Harnes, dann würde der Harn gleich Prov. Ham (1—ci) sein, und Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 167 die Kurve, welche den osmotischen Druck in Abhängigkeit von der Zeit darstellte, müsste ebenfalls immer steiler ansteigen, mit der Zeit in einem nach oben konkaven Bogen in die Höhe gehen. Auch dies trifft nicht zu. — Eine dritte Vorstellung, die, wie es scheint, den tat- sächlichen Verhältnissen entspricht, ist endlich die, dass mit der Zeit der Druck immer um einen bestimmten Betrag zunimmt, etwa so, wie der Druck eines Gases mit steigender Temperatur immer um den- selben Betrag wächst (bei gleichem Volumen). Dann steigt der Druck von ABlut auf ABlut (l-+ci), und wir erhalten für das jeweilige Volumen, das jeweilige Quantum Harn V = Provisorischer Harn durch (1--ct). -Dann nimmt in einer Kurve der Gefrierpunkte diese Kurve mit der Zeit einen geradlinigen Verlauf, wächst als proportional der Zeit geradlinig an. Das Volumen nimmt mit der Zeit ab, und zwar in einem nach oben konkaven Bogen, also immer langsamer. Einengung des Harnes nach der Zeit. Abb. 1a. I. Osmotischer Druck. Die Abb. 1b. II. Volumen. x Arithm. Versuchswerte \ entscheiden für das Mittel [zu hoch]. dritte Gesetz. Tragen wir uns nun aus irgendeinem Versuch als Abszisse die reziproken Werte der mittleren Harnmenge als „Zeit“ auf und als Ordinate die Gefrierpunkte, so resultiert eine Kurve, welche fast geradlinig ansteigt, später etwas weniger schnell steigt, also nach der Horizontalen ab- biegt. Diese empirische Kurve entscheidet also unter unseren Voraus- setzungen für die letztere Annahme und widerspricht den beiden ersten. Es findet also die Einengung in der Weise statt, dass jedesmal der osmotische Druck um denselben Betrag mit der Zeit zunimmt. Und dies ist auch theoretisch zu fordern. Denn wenn der hydro- statische Druck das Wasserabpressen besorgt (und zwar ohne Gegendruck, wie oben auseinandergesetzt), so muss eben der Druck proportional der Zeit anwachsen, also die Kurve muss geradlinig verlaufen. Der hydrostatische Druck, der in Frage kommt, ist der Blutdruck, der vom Glomerulus her auf dem provisorischen Harn lastet, vermindert um den Druck, den die Kapillaren des zweiten Kapillarsystems um die Kanälchen von aussen ausüben. Dieser letztere ist gleich dem Ureterendruck, wie früher auseinandergesetzt wurde). Wenn 1) E. Frey, Der Mechanismus der Salz- und erde Arch. d. ges. Physiol. Bd. 112 S. 71. 1906. 168 Ernst Frey: nun eine Diurese einsetzt, und wenn durch eine Gefässerweiterung der Druck sich in ausgiebigerem Maasse auf die Kanälchenepithelien (von aussen) fortpflanzt, so wird die Differenz: Glomerulusdruck minus Druck im Kapillarsystem der Kanälchen sinken, und die treibende Kraft der Ein- engung wird geringer. Daher bleibt der Anstieg der Kurve nicht gerad- linig, sondern sie steigt später langsamer, wendet sich in der Richtung der Horizontalen, wenn auch immer noch ein Steigen bemerkbar ist Rechnerisch ist diese Kurve deswegen nicht zu verfolgen, weil wir bei einer Gefässerweiterung nicht nur den Druck im zweiten Kapillarsystem wachsen sehen, der durch den Ureterendruck messbar ist, sondern auch im Glomerulus selbst, so dass die Differenz der beiden Drucke sich etwas ver- mindert, aber nicht so stark, als wenn der Glomerulusdruck gleichge- blieben wäre. Man kann dies aus den Zahlen ersehen, die man aus den Versuchen mit Messung des Ureterendruckes berechnet; es ist dann der Zuwachs an osmotischem Druck, und zwar AHarn— ABlut gleich einer Konstanten mal dem mittleren Harn mal der Druckdifferenz (Glomerulus- druck — Kapillardruck); diese Gleichung stimmt aber nur dann, wenn man während einer Gefässerweiterung auch den Glomerulusdruck als vermehrt annimmt; da man aber diese Vermehrung nicht berechnen kann, so ist ein Verfolgen des osmotischen Druckes auf Grund dieser Gleichung nicht möglich; übrigens ist das Ansteigen dieses Glomerulusdruckes während einer Gefässerweiterung sehr gering. Es ist ja auch von vornherein an- zunehmen, dass bei einer Erweiterung der kleinen Arterien der Niere, wie sie bei der Glomerulusdiurese statthat, der Druck im arteriellen Wunder- netz sowohl wie auch im darauffolgenden Kapillarsystem zunimmt, und zwar wird die Zunahme im Glomerulus geringer sein als im Kapillarsystem. Wern wir also von dieser Abnahme der wirksamen Druckdifferenz absehen, die recht gering ist, so würde eine geradlinige Zunahme des Gefrierpunktes mit der Zeit zu erwarten sein, wie sie erstens tatsächlich beinahe ist, und zweitens nach der obigen Vorstellung zu erwarten ist. Wir müssen also annehmen, dass immer derselbe osmotische Druckzuwachs in jedem Zeit- teilchen erfolgt, und dass die Abhängigkeit der Harneinengung von der Zeit durch die Gleichung dargestellt wird: AHarn = A Blut mal (l + ct) und die Veränderung des Volumens durch die Gleichung: Y= PH durch (1+.ct). Wollen wir nun die mittlere Harnmenge berechnen, so stellt diese nicht das arithmetische Mittel aus Anfangs- und Schlusswert, also provisorischer Harn plus definitiver Harn durch 2 dar, sondern die durchschnittliche Höhe der Kurve des Volumens, wenn wir uns als Abszisse die Zeit auftragen. Die durchschnittliche Höhe einer Kurve lässt sich aber in folgender Weise berechnen: Der Inhalt der Fläche, der von der Kurve, den beiden Ordinaten und der Abszissenachse begrenzt wird, ist einerseits gleich dem Wert des bestimmten Integrals. andererseits gleich dem Rechteck aus mittlerer Höhe und der Differenz der beiden Abszissen. Die mittlere Höhe, nach der hier gefragt wird, \ ale... ist also gleich dem bestimmten Integral aan divadiert Dar (1-+.ci) durch die Differenz der Zeiten {—0. Der Wert des bestimmten PH Integrals ist gleich Sen) mal /n (1 + ct), die mittlere Kurvenhöhe Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 169 een ct gleich h ‚le TR 3 unTı Ile —— also gleich ei mal In ( - S gleich ABle : A 3 also die mittlere Harnmenge gleich VTE mal /n —. Wir werden JAN später diesem Wert noch wiederholt begegnen, schon deswegen, weil wir die Oberfläche als die dritte Wurzel aus dem Quadrat des mittleren Harnes definiert hatten. Zu bemerken ist dabei noch, dass 1 bei Gleichheit von AHarn und ABlut der Ausdruck RE - mal © A A In N den unbestimmten Wert 0 annimmt; dieser Wert ist gleich 1, FAN wie man leicht durch Berechnen ähnlicher Werte findet. Ich habe übrigens die Rechnungen nicht nur mit diesen Werten für die Ober- fläche, sondern auch mit denen durchgeführt, die als mittleren Harn das arithmetische Mittel voraussetzen; die Zahlen weichen nur wenig voneinander ab, untereinander ist ihre Übereinstimmung die gleiche. Derartige Berechnungen erscheinen auf den ersten Blick vielleicht gekünstelt. genau, weil man meinen könnte, es käme bei der Ungewiss- heit unserer Vorstellungen von dem Geschehen in der Niere nicht darauf an, welchen Wert man den einzelnen Grössen beilegte. Dem ist aber nicht so; denn wir sahen soeben, dass sich schon für die Ein- engung eine Abhängigkeit von der Zeit des Verweilens des Harnes in den Harnwegen finden lässt, und dass der Vergleich solcher errechneter Kurven mit dem tatsächlichen Verlauf eine sichere Entscheidung zwischen verschiedenen Vorstellungen zulässt. Nach diesen allgemeinen Vorbemerkungen wollen wir die Versuche selbst befragen und uns von den sich ergebenden Beziehungen in unserer weiteren Fragestellung leiten lassen. Ill. Induktiver Teil. Wenn wir nach einer Gesetzmässigkeit suchen, welcher die Sekretion in den Harnkanälchen gehorcht, so müssen wir danach streben, Be- ziehungen zwischen der sezernierten Menge und anderen Grössen zu finden, wie Zeit, Blutkonzentration oder Harnmenge. Um Wieder- holungen zu vermeiden, gebe ich zunächst die durch die Versuche ermittelten Zahlenwerte, welche in den folgenden Betrachtungen ver- wertet werden sollen. Ich habe dabei, wie immer, alle in Betracht kommenden Versuche angeführt, um nicht durch Weglassen scheinbar nicht stimmender Versuche getäuscht zu werden. Die Zahlen sind in meinen jahrelang zurückliegenden Veröffentlichungen festgelegt. 170 Ernst Frey: Die Jodid- und Nitratversuche entstammen der Arbeit: Jodid, . Nitrat, Sulfat, Phosphat werden durch Sekretion in den Harnkanälchen ausgeschieden. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 139. S. 512. 1911. Die im folgenden angeführten Versuche mit Bromid sind der Arbeit: Die Ursache der Bromretention. Ein Vergleich der Brom- und Chlor- ausscheidung durch die Nieren. Zeitschr. f. exp. Path. u. Therap. Bd. 8. 1910 entnommen. Die Nummern der Versuche sind. dieselben, wie sie die damaligen Arbeiten tragen, damit man beim Nachschlagen die Versuche findet; sie sind also nicht neuerdings durchnumeriert. An diesen Stellen sind auch nähere Angaben über Blutdruck usw. aufgeführt. Das für den augenblicklichen Zweck Wesentliche ist hier jedesmal bemerkt worden. Versuch Jod 3: Kaninchen Ö 1600 g; 50 cem 2,1% JNa (= — 0,58°) — 1,05 g intravenös zur Zeit 0. Zeit| °/o JNa E N DR g JNa in | | IA ) |Prov e- | fil- | sezer- 5 Min. a ma arm Plasma| Harn A@®) Harn Elan ee N 1 1 0,3720 | 0,95 |— 0,71| —0,93 | 1,31 | 3,05 | 4,00 | 0,0281 | 0,0148 | 0,0133 2 | 0,2000 | 1,30 10,70 — 1.10 157 | 15 | 2,36 | 0.0195 | 0,0047 | 0,0148 3 10,1800 | 1,57 1 — 0,70 | — 1,14 | 1,63 | 1,2 2,00 | 0,0188 | 0,0036 | 0,0152 4 | 0,1700 | 1,60 10,701 1.25, 1,79 | 1,25 | 2,24 | 0,0200 | 0,0038 | 0,0162 5 [0,1600 | 1,70 [—-0,69|-—-1,42 | 206 | 07 | 1.44 | 0,0114 | 0,0023 | 0,0091 9 [0,1350 | 1,70 [—0,67|—- 141 | 2}10 | 0,55 | 1,16 | 0.0093 | 0.0016 | 0,0077 11 [0,1210 | 1.77 10,66 —142| 216 | 0,7 | 1,51 | 0.0115 | 0,0018 | 0,0097 13 |0,1150 | 1,57 |-- 0.66 | 1,45 | 2,20 | 0,6 | 1,32 | 0,0094 | 0,0015 | 0,0079 16 10.1050 | 1,68 |— 0,65 | — 1,53 | 236 | 0,42 | 0,99 | 0,0068 | 0,0010 | 0,0058 19 0,0980 1,94 —0,64|—1,62| 2,53 | 0,35 | 0,89 | 0,0064 | 0,0009 | 0,0055 offeininjektion 22 | 0,0920 | 0,52 I — 0,63|—0,91, 1,44 | 4,35 | 6,26 | 0,0226 | 0,0058 | 0,0168 3 [0,0900 | 0,30 |—0,62|--0,85 | 1,37 | 53 | 7,26 | 0,0159 | 0.0065 | 0,0094 24. | 0,0890 | 0,32 | — 0,62 | — 0,5 | 1,37 | 3,2 4,35 | 0,0102 | 0,0039 | 0,0063 25 | 0,0880 | 0,30 |— 0,611 —0,90, 1,47 | 29 | 4,26 | 0.0087. | 0,0037 | 0,0050 26 [0,0870 0,29 | 0,61 | — 0,92 | 1,51 | 2,45 | 3,70 | 0.0071 0.0032 | 0,0039 Versuch Jod 5: Kaninchen ö 1600 g; 5 cem intravenös zur Zeit 0. 10% JNa. = 0,5 g Zu | an ma 2 en ee en AH) Prov ge- fil- sezer- 5 Min. Plasma Harn Dan Harn IA®) Harn Harn funden| triert sezer 21.0.0880.) 2.070) 01 I Coffeininjektion | | 6 1 0,0600 | 0,160 | — 0,70 — 0,72 | 1,03 | 1,7 | 1,75 | 0,0027 | 0,0010 | 0,0017 7 10,0580 | 0,126 | — 0,70 | —.0,70 | 1,00 | 33 3,3 [| 0,0039 | 0,0019 | 0,0020 s 10.0560 | 0,132 | 0,70 —0,72. 1.03 | 225 , 232 | 0.0029 , 0.0013 | 0.0016 9 [0,0550 | 0,172 | 0,70, — 0,74 1,06 | 20 | 2,12 | 0,0034 | 0,0012 | 0,0022 Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 171 Det %o JNa "N YN cm BES: JNa u ACH) 'Prov. Bel El seven > D N s 5 Min.jPlasma| Harn |Plasma' Harn Al B) Harn Harn R: den Ne 10 | 0,0530 | 0,162 | — 0,69 | —.0,80 | 1,16 | 1,75 | 2,03 | 0,0028 | 0,0011 10.0017 11 | 0,0520 | 0,172 |- - 0.69 | — 0,82 | 1,17 | 1,25 | 1,46 | 0,0021 | 0,0008 | 0,0013 12 | 0,0510 | 0,160 | — 0,69 — 0,85 | 1,23 | 0,75 | 0,92 | 0,0012 | 0,0005 | 0,0007 14 | 0,0500 | 0,185 | — 0, 69 | — 0,84 | 1,22 | 0,9 1,10 | 0,0016 | 0,0006 | 0,0010 17 1 0,0480 | 0,205 | — 0. 681 — 0. 80| 1,17 | 14 1,63 | 0,0028 | 0,0008 | 0,0020 18 | 0,0474 | 0,206 | — 0.68 |— 0,86 | 1,26 | 1,6 | 2,02 | 0,0032 | 0,0010 | 0,0022 19 | 0,0470 | 0,163 | — 0,68 | — 0,79 | 1,16 | 1,45 | 1,68 | 0,0023 | 0,0008 | 0,0015 20 | 0,0465 | 0,190 | — 0,68 —0, 9 1.168,13 1,51 | 0,0024 | 0,0007 | 0,0017 21 | 0,0462 0, 190 | — 0,68 — 0, 81 1,19 | 1,5 | 1,79 | 0,0028 | 0, "0008 0,0020 22 | 0,9460 | 0,200 u — 0,80! 1,17 | 14 | 1,64 | 0,0028 | 0, "0008 0,0020 Versuch Jod 1: Kaninchen ö 1500 g; 20 cem 10%, JNa = 2 g intravenös zur Zeit 0. Zeit 2/0 JNa A ccm g INa in = | Be ER EN (H N) SER [8 FEST CoRRN ; | BE EN) Be ge- | fil- | sezer- 5 Min.|Plasma Harn IAkıme) Harn | \ (B) Harn Harn funden! a | en ı !0,6600 | 0,748 | 0,88 |— 0,81 | 1,20 | 403 | 481 | 0,0301 | 0.0317 0,0016 3 | 0,3800 | 0,752 | — 0,68 — 0,79, 1,16 | 2,60 | 3,02 | 0,0196 | 0,0115 | 0,0081 7 | 0,3200 | 0,736 |— 0,68 —0,85| 1,25 | 0,85 | 1,06 [0,0063 | 0,0035 | 0,0028 Coffeininjektion | | | | 11 [0,3100 | 0,544 | — 0,68) — 0,75, 1,10 | 1,87 | 2,06 | 0,0102 | 0,0063 0,0039 8 men | > ee ya ME Re Versuch Jod 2: Kaninchen 5 1550 g; 200 cem 2,2%, INa (= A —= —0,58°) = 4,4 g intravenös. Zeit) ENIL LEE MR EL DA Ben Nar ae: en AM |Prov.| ge- | fil- |sezer- 5Min. |Plasma Harn | Plasma, Ham IA@) Harn, heise „ Ra | ot, 6 1 0,6300 | 1,41 | — 0,61 0,66 1,08 | 1,85 | 2,00 | 0,0260 | 0,0126 | 0,0134 9 10,500 | 1,40 | — 0,61 | —0,66 | 1,08 | 2,05 | 2 21 0,0287 | 0,0122 | 0,0165 12 1 0,5200 | 1,37 | — 0,62 | —.0,66 | 1,06 | 1,61 | 1,71 0,0220 | 0,0089 | 0,0131 15 [0,5100 | 1,27 | — 0,62 —.0,66 1,06 | 1,66 | 1.76 0,0214 | 0,0090 | 0,0124 19 1 0,5000 | 1,23 | — 0,62 | —.0,67 1,06 | 1,43 | 1,53 | 0,0157 | 0,0077 | 0,0080 24 | 0,4750 | 1,45 | — 0,63 | —.0,66 | 1,05 | 0,38 | 0,92 | 0,0159 | 0,0044 | 0,0115 29 [0,4700 1,42 | — 0,64 | —0,67 | 1,05 | 0,70 | 0,74 | 0,0129 | 0,0035 | 0,0094 33 | 0,4600 \ 1,00 | — 0,64 | —0,64 | 1,00 | 0,68 | 0,68 | 0,0070 | 0,0032 | 0,0038 Coffeininjektion | 36 | 0,4500 | 0,82 | — 0,65 | — 0,66 | 1,01 | 0,97 | 0,98 [| 0,0075 | 0,0034 | 0,0041 39 | 0,4400 | 0,65 | — 0,65 | — 0,67 | 1,03 | 0,68 | 0,70 | 0,0045 | 0,0031 | 0,0014 172 Ernst Frey: Versuch Nitrat 6: Kaninchen 5 1700 g; 25 com 10%, NaNO, = 2,58 intravenös zur Zeit 0. Zeit | % Nano, A) com Enno H nd a A| Er ie er s Ne { ge- | - | sezer- 5 Min.|Plas ma Harn Plasma Harn AB) Harn Harn fünden ee | 14 | 0,2900 |1,0325 07 — 1,46. 1,97 | 0,16 | 0,32 | 0,0018 | 0,0009 | 0,0009 26 0.2800 0,7883 — 0,74|— 1,50 | 2,02 | 0,39 | 0,79 | 0,0031 | 0,0022 | 0,0009 3 0.2780 ‚0,5591 20.15 I—141| ' 1,88 | 0,35 | 0,66 | 0,0021 | 0,0018 | 0,0003 Ooffeininjektion | 40 | 0,2750 |0,4575] — 0,75 — 1 16 1,54 | 1,01 | 1,56 | 0,0046 | 0,0043 | 0,0003 49 0,2720 0.4792 0, 76 — 1.26 1,65 | 0,18 | 0,30 | 0,0009 | 0,0008 | 0,0001 56 0,2713 | 0,76) | | | | Versuch Nitrat 8: Kaninchen 2 1950 g; 25 ccm 10% NaNO, = 2,5 g intravenös zur Zeit 0. zu | Pen | A a cm | _ENano, Am 'Prov. ge- | £fil- |sezer- 5) Min Plasma ie Harn. IA) Harn Harn funden| triert | niert | 4 | 0,2800 I; ooss]| U), 68 — 1,16) 1,70 | 0,81 | 1,38 | 0,0082 | 0,0033 | 0,0044 ) 0,8195] — 0, os 1 ‚07 1,58 | 0,71 | 1,12 | 0,0058 | 0,0027 | 0,003 16 2200 0, 7488| — 0, 6 1,27 | ' 1,87 | 0,61 | 1,14 | 0,0046 | 90025 0,0021 Gekteinslicktion | 23 1 0,2200 | 0,5286] — 0,68 | — 0,96 | 1,41 | 2,5 25 | 0,2200 [0,5785 | — 0,68 | — 0,93. 1,37 | 2,8 26 | 0,2180 | — 0, 68 0. ‚96| 1,41 | 3,0 60 1 0,0135 | 90 ‚0079 | 0,0056 90 } 0,0165 0, ‚0086 | 0,0079 05 | 0,0178 | 0,0094 | 0, ‚0084 Versuch Nitrat 7: Kaninchen ö 2000 g; 30 ccm 10%, NaNO, = 3,0 g intravenös zur Zeit 0. - Zei| %NaNO | A | cm | Enns un | | AM) ‚Prov.| ge- | £il- | sezer- 5 Min.|Plasma| Harn |Plasma| Harn IA) Harn urn funden triert een J 87 | 0,0057 9,0024 | 0,0033 73 | 0.0043 0.0018 | 0.0025 70 | 0.0039 | 0.0017 | 0.0022 ‚23 | 0,0007 | 0,0005 | 0,0002 6 0.2700 1,0849] — 0,70 | le‘ 13 [0,2500 1,1348] — 0,70 |— 1,35) 1,93 | o; 21 | 0.2400 0.012.148 211.0: 0 Coffeininjektion 37 0,2300 | 0,5186 | — 0,70 — 1,16 | 1,66 1. Gesamtausscheidung. Trotzdem uns die Gesamtausscheidung kein Bild von der Sekretion geben kann, weil eine Trennung zwischen filtriertem Anteil und sezerniertem Anteil nicht möglich ist, will ich die Gesamtausscheidung kurz mit ein paar Worten erwähnen, weil an ihr zum erstenmal der Versuch gemacht wurde, eine Gesetzmässigkeit zu prüfen, die unte- Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 173 gewissen Bedingungen zutrifft. Michaelis!) hat für die Borsäure nachgewiesen, dass ihre Ausscheidung von der fünften Stunde an sich sehr genau dem Gesetz fügt, dass die in der Zeiteinheit ausgeschiedene Menge ein bestimmter Teil der noch im Körper vorhandenen ist; dass also immer ein bestimmter Prozentsatz der noch im Körper vorhandenen Menge zur Elimination kommt. Die Bedingung für diese gleichmässige Ausscheidung ist offenbar, dass die Verteilung der körperfremden Substanz definitiv geworden ist, dass der Stoff keiner erheblichen Wanderung mehr unterliegt, zum Beispiel vom Blut ins Gewebe hinein, und dass die Gesamttätigkeit der Niere gleichmässig geworden ist, dass also zum Beispiel keine Diurese mehr besteht oder keine Blut- drucksenkung oder Ähnliches. Diese Bedingungen treffen bei meinen Versuchen nur zum Teil zu, da meist direkt nach der intravenösen Injektion die Beobachtung begann. Sind sie also zur Prüfung dieses Gesetzes ungeeignet, so bieten sie auf der anderen Seite den Vorteil, die Ausscheidung bei verschiedener Blutkonzentration an demselben Tier zu verfolgen. Ferner hatte ich fast immer nach Abklingen der anfänglichen, durch die Injektion bedingten Diurese eine Zeit die Aus- scheidung verfolgt und später eine Coffeininjektion gemacht, worauf die Harnmenge wieder anstieg. Dies gestattet uns jetzt die Entscheidung zu treffen, ob eine anfänglich erhebliche Ausscheidung auf der hohen Blutkonzentration beruht oder auf der Diurese, da wir in demselben Versuch noch eine zwei® Diurese beobachten können, welche bei geringer Blutkonzentration an injiziertem Stoff zum Ablauf kommt. Aus allen diesen Gründen wird aber das von Michaelis angegebene Gesetz nur annähernd zum Ausdruck kommen. Dieses Gesetz hat die Fassung einer monomolekularen Reaktion: Bezeichnet man mit a die Anfangsmenge, mit x die ausgeschiedene Menge, so ist die im Körper noch verbleibende Menge gleich a — x; nun soll die Ausscheidungsgeschwintdligkeit, also die in dem kleinen dx Zeitteilchen di ausgeschiedene kleine Menge dx, mithin - dt immer proportional sein der noch vorhandenen Menge, also gleich X (a— x); dx diese Differentialgleichung ergibt integriert: ) —uKdt, also: — In (a— x) = Kt -+Üonst. Die const. finden wir aus den Verhältnissen zurzeit Null, dann ist auch x = 0, also — Ina = Const.; dieser Wert 1 a eingesetzt, ergibt Ina — In (a — x) =Kt oder K = 7 In PaRE Dieser Wert A ist nun in meinen Versuchen anfangs nicht konstant, I) Michaelis und Maass, Biochem. Zeitschr. Bd. 4 S. 542. — Bd.5 S.1. 1900. 174 Ernst Frey: ! weil die Bedingungen nicht erfüllt sind, er nähert sich aber einem konstanten Wert immer mehr, je mehr die Verteilung dem Endzustand nahe kommt. Als Beispiel führe ich zunächst den Versuch Jod 3 an. Versuch Jod 3: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; Anfangsmenge (a) zuerst für die Zeit 1 = 1,0500 g; später (nach Blutentzug) = 1,0277 g: x = Gesamtverlust mit dem Harn; /g mit der Basis 10. 5 a ® Zeit a x | a— & () 1g K 1 1,0500 0,0562 0,9938 1,056 0,02366 0,0236 2 1,0277 0,0952 0,9325 1,102 0,0422 0,0211 3 1,0277 0,1328 0,8949 1,148 0,0599 0,0166 4 1,0277 0,1728 0,8549 1,202 0,0799 0,0199 5 1,0277 0,1956 0,8321 1,235 0,0917 0,0183 9 1,0277 0,2770 0,7507 „68 0,1361 0,0151 11 1,0277 0,3186 0,7091 1,449 0,1611 0,0146 13 1,0277 0,3604 0,6673 1,540 0,1875 0,0133 16 1,0277 0,4064 0,6213 1,654 0,2185 0,0136 19 1.0277 0,4456 0,5821 1,765 0,2478 0,0131 Cotfeininjektion 22 1,0277 0,5164 0,5113 2,009 0,3030 0,0137 3 1,0277 0,5482 0,4795 2,143 0,3310 0,0144 24 1,0277 0,5686 0,4591 2,238 0,3498 0,0145 25 1,0277 0,5860 0,4417 2,326 0,3666 0,0146 26 1,0277 0,6002 0,4275 2,439 0,3872 0,0148 9 Dass diese beiden Bedingungen, Endzustand der Verteilung zwischen Blut und Gewebe und gleichmässige Diurese, maassgebend sind für das Konstantwerden des Geschwindigkeitsfaktors AK, geht aus dem zweiten Beispiel Versuch Jod 5 hervor, wo bei Zeitpunkt 7 der End- zustand der Verteilung zwischen Blut und Gewebe, wie aus den an- geführten Protokollen der vorhergehenden Arbeit zu ersehen ist, schon eingetreten ist und die Harnmenge wenig schwankte: A ist von dieser Zeit an annähernd konstant. Versuch Jod 5: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; Anfangsmenge (a) zuerst = 0,5 g, später (nach Blutentzug) = 0,4956 g; © — Gesamt- verlust mit dem Harn; /g mit der Basis 10. Zeit a x a—%& & = en) Lg | K 2 0,5000 | 0,0200 | 0,4800 | 1,0416 0,01770 0,00885 Blutentzug und Cofteininjektion 6 0,4956 0,0254 | 0,4702 1,0540 0,02284 0,00380 ii 0,4956 0,0332 0,4624 1,0718 0,03011 0,00430 3 0,4956 0,0390 0,4566 1,0854 0,03559 0,00445 ) 0,4956 0,0458 0,4498 1,1018 0,0422 0,00448 10 | 0,4956 | 0,0514 0,4442 | 1,115 0,0473 0,00473 | 1 Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien, 175 Zeit [7 | He | aA—% | en | lg | K 11 0,4956 0,0556 | 0,4400 1,126 | 0,0515 | 0,00468 12 0,4956 0,0578 0,4376 1,132 0,0539 0,00449 14 0,4956 0,0632 0,4324 1,143 0,0580 0,00413 117, 0,4956 0,0752 0,4204 1,178 0,0712 0,00418 18 0,4956 0,0816 0,4140 1,197 0,0781 0,00434 19 0,4956 0,0862 0,4094 1,215 0,0846 0,00445 20 0,4956 0,0910 0,4046 1,224 0,0878 0,00439 21 0,4956 0,0966 0,3990 1,242 0,0941 0,00457 22 0,4956 0,1022 0,3934 1,259 0,1001 0,00455 Bei Versuch Jod 2 trifft dies nicht zu; die Diurese nimmt ab, die Verteilung ist nicht beendet, daher X inkonstant. Versuch Jod 2: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; Anfangsmenge (a) — 4,4 g am Anfang, später (nach Blutentzug) = 4,2488 g; x = Ge- samtverlust durch den Harn; /g mit der Basis 10. ; a x Zeit a x a— & en) lg | K 2 4,4000 0,5500 4,0500 1,086 0,03583 0,01791 Blutentzug 4 4,2488 0,4020 3,8468 1,104 0,04297 0,01076 6 4,2488 0,5114 3,1374 1,136 0,05538 0,00923 5) 4,2488 0,6048 3,6440 1,166 0,06670 0,00741 12 4,2488 0,7110 3,9978 1,201 0,07954 0,00663 15 4,2488 0,8223 3,4265 1,239 0,09307 0,00620 19 4,2488 0,9489 3,2999 1,284 0,10857 0,00571 24 |- 4,2488 1,0929 3,1559 1,346 0,12905 0,00538 29 4,2483 1,2789 2,9699 1,436 0,15715 0,00543 33 4,2488 1,3359 2,9129 1,458 0,16376 0,00496 Coffeininjektion 36 4,2488 1,3734 2,8754 1.447 0,16047 0,00445 39 4,2488 1,3959 2,8529 1,485 0,17173 0,00440 Das gleiche gilt von Versuch Nitrat 7. Versuch Nitrat 7: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; Anfangsmenge (a) zuerst = 3,0 g, später (nach Blutentzug) = 2,9599 g; «© = Gesamt- verlust durch den Harn; /g mit der Basis 10. Zeit 7 ”C da—% RE lg | K (a) ; 2 3,0000 | 0,4000 2,6000 1,154 0,0622 0,0311 Blutentzug 6 2,9599 0,4342 2,5257 1,168 0,0675 0,0112 13 2,9599 0,5030 2,4569 1,204 0,0806 0,0062 21 2,9599 0,6074 2,3595 1,254 0,0986 0,0047 Coffeininjektion 3 2,9599 0,7158 2,2441 1,318 0,1199 0,0032 | 45 2,9599 0,7290 2,2309 1,326 0,1226 0,0027 176 Ernst Frey: Ferner kommen hier drei Versuche mit Bromnatrium in Betracht, wo längere Zeiten nach der Injektion verflossen sind: Versuch Bromnatrium 25: Während des Versuches Runkelrüben als Nahrung; Zeit in Perioden zu 5 Minuten; Anfangsmenge (a) = 4,5 g; xt = Gesamtverlust durch den Harn; /g mit der Basis 10. ° a = Zeit a T a—% | en) lg | K 156 4,5000 | 0,9074 3,3926 1,252 0,0976 0,000626 180 4,5000 1,0292 3,4708 1,296 0,1126 0,000625 240 4,5000 1, ‚1892 3,3108 1,359 0,1333 0,000555 Wassereingabe in den Magen 252 4,5000 1,2411 3,2589 1,383 0,1408 0,000559 267 4.5000 1,3232 3,1768 1,416 0,1509 0,000565 376 | 4,5000 | 1,3506 | 3,1494 1.429 0.1579 | 0,000572 In Versuch Bromnatrium 25 ist nur ein geringes Absinken des Wertes K zu konstatieren. Versuch Bromnatrium 26:. Während des Versuches Runkelrüben als Nahrung; Anfangsmenge (a) = 2,25 8; x = Gesamtverlust durch den Harn; Zeit in Perioden zu 5 Minuten; /g mit der Basis 10. a d—% =—-— I I | EC Zeit a x Be 192 2,2500 0,5148 1,7352 1,297 0,1129 0,000588 204 2,2500 0,5405 1,7095 1,316 0,1193 0,000585 Wassereingabe in den Magen 219 2,2500 0,5642 1,6858 1,33: 0,1223 0,000558 230 2,2500 0,5807 1,6693 1,348 0,1297 0,000564 234 2,2500 0,6011 1,6499 1,364 0,1948 0,000576 240 2,2500 | 0,6316 1,6154 1,390 0,1430 0,000595 In Versuch Bromnatrium 26 ist er annähernd konstant. Versuch Bromnatrium 12: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; An- fangsmenge (a) = 3,6 8; x = Gesamtverlust durch den Harn; /!g mit der Basis 10; während des Versuches Runkelrüben als Nahrung. 2,7994 0, ‚006 4,497 0,6529 N 0.000283 2,8560 0,7440 4,839 0,6847 0,000260 « [40 Kt Zeit a | 4 a—ıa GE lg | K 2388 3,6000 1,4230 2,1770 1,656 0,2191 0,000761 576 3,6000 11929 1,5425 1,953 0,2907 0,000505 864 3,6000 2,1334 1,4666 2,454 0,4072 0,000471 1152 3,6000 2,3229 1,2771 2,1758 0,4402 0,000382 1440 3,6000 2,4728 1,1272 3,194 0,5042 0,000350 2016 3,6000 2,1248 0,8752 4 ‚113 0,6141 0,000304 2592 3,6000 | Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 177 Setzt man den zweiten Tag als ersten und rechnet von der Zeit 288 ab als 0, so wird die Anfangsmenge (a) = 2,1770 g und die anderen Zahlen: Zeit a | x | UL | N | lg | K (a—x) 288 | 2,1770 0,3345 1,8425 1,181 0,0723 | 0,000251 576 2,1770 0,7104 1,4666 1,484 0,1715 0,000296 864 | 2,1770 0,8999 1,9771 1,704 0,2314 | 0,000268 1152 2,1770 1,0498 1,1272 1,931 0,2858 0,000248 1728 2,1770 1,5018 0,8752 2,487 0,3957 0,000229 2016 2,1770 1,3764 0,8006 2,719 0,4344 0,000215 / 2304 2,1770 1,4330 0,7440 2,926 0,4663 0,000202 In Versuch Bromnatrium 12 ist K nicht konstant, wohlaber, wenn man die Zeit Null erst dann ansetzt, wenn die Verteilung definitiv geworden ist und die Salzdiurese doch schon sehr nachgelassen hat, nämlich wenn man den zweiten Tag als ersten annimmt, ähnlich, wie dies schon Michaelis getan hat. Dass die Genauigkeit bei der Bromnatrium- ausscheidung keine so grosse ist, wie sie Michaelis bei der Borsäure fand, liegt daran, dass die Bromausscheidung in enger Beziehung zur Chlorausscheidung steht oder, besser gesagt, zur Chloraufnahme mit der Nahrung, eine Tatsache, die ja durch viele Untersuchungen sicher- gestellt ist, und für die ich den ursächlichen Zusammenhang in der Arbeit, aus welcher der Versuch stammt, darlegen konnte. Diese Gesetzmässigkeit besagt uns aber nichts Näheres über die Sekretion selbst, sondern drückt nur aus, dass die Gesamtausscheidung, filtrierter + sezernierter Anteil, proportional dem Angebot ist. Sie kommt also auch dort zustande, wo gar keine Sekretion erfolgt, wie es beim Bromnatrium der Fall ist. 2, Sekretion und Blutkonzentration. Wenn die Ausscheidung immer der noch im Körper vorhandenen Menge proportional ist, so liegt es nahe anzunehmen, dass der sezernierte Anteil abhängig ist von der jeweiligen Blutkonzentration. Um eine solche Abhängigkeit zu prüfen, müssen wir die in 5 Minuten von einer Niere sezernierten Gramm durch die Plasmaprozente an: auszuscheiden- dem Stoff dividieren; da ergibt sich keineswegs eire konstante Zahl. Ich führe als Beispiel Versuch Jod 3 und Nitrat 8 an. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 177. 12 178 Ernst Frey: Versuch Jod 3: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; g sezerniert = 9 einer Niere, in 5 Minuten sezerniert; also g gefunden — g filtriert; 9% Plasma ‚—.%, Blut. F A g sez. Zeit | g sez. | /o Blut | 0 Blut 1 0,0133 0,3720 0,036 Blutentzug 2 0,0148 0,2000 0,074 3 0,0152 0,1800 0,084 4 0,0162 0,1700 0,099 5 0,0091 0,1600 0,056 0,0077 0,1350 0,057 11 0,0097 0.1210 0,080 13 0,0079 0,1150 0,068 16 0,0058 0,1050 0,054 19 0,0055 0,0980 0,056 Coffeininjektion 22 0,0168 0,0920 0,182 23 0,0094 0,0900 0,104 24 0,0063 0,0390 0,071 25 0,0050 | 0,0850 0,057 26 0,0039 0,0870 0,045 Versuch Nitrat 8: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; g sezerniert = g einer Niere, in 5 Minuten sezerniert, also g gefunden — g filtriert; % Blut = % Plasma. : A g sez. Zeit | g sez. | /o Blut | 5/0 Blut 4 0,0044 0,2800 0,016 8 0,0031 0,2400 0,013 16 0,0021 0,2200 0,009 Coffeininiektion 23 0,0056 0,2200 0,025 25, 0,0079 0,2200 0,036 26 0,0084 0,2180 0,039 Auch wenn man, was im folgenden Abschnitt geschehen ist, die sezernierten Mengen auf dieselbe Oberfläche reduziert und mit der Plasmakonzentration vergleicht, ergibt sich keine konstante Zahl; es kann also einfache Proportionalität zwischen Blutkonzentration und sezernierter Menge nicht bestehen. Aber auch andere Beziehungen fehlen in durchsichtiger Weise; so geht auch die sezernierte Menge nicht proportional dem Quadrat der Blutkonzentration oder ähnliches. Es ist: hier der Ort, auf eine Vorstellung einzugehen, welche aie Sekretion in Verbindung bringi mit Gebilden, welche im anatomischen Bilde der Epithelzelle in Form von Granula oder Vakuolen auftreten, und die man als Speicherungsstätten auszuscheidender Stoffe an- \ ‚ l | | Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 179 gesehen hat. Es sollen dann die mit dem körperfremden Stoff beladenen Granula in den Harn ausgestossen werden und so eine Ausscheidung zustande kommen, indem sich der Stoff aus dem Tropfen guten Lösungs- mittel wieder entfernt und in das Harnwasser übertritt. Abgesehen davon, dass durch den dauernden Verlust dieser Tropfen guten Lösungs- mittels bald eine Verarmung daran eintreten müsste, wodurch die Sekretion aufhörte, abgesehen davon, dass die verschiedenartigsten Stoffe durch diese Granula zur Ausscheidung kommen müssten, ab- gesehen davon, dass sich diese Speicherung nur bei einigen Farbstoffen wie auch sonst an Körperzellen zeigt, und abgesehen davon, dass diese Betrachtung der Rückresorption von Kochsalz keine Rechnung trägt, ist dieser Vorstellung durch die Arbeit von von Möllendorff!) der Boden entzogen worden, welcher gleichzeitig mit der Granulafärbung die Ausscheidung der Farbstoffe verfolgte und fand, dass die Aus- scheidung unabhängig von der Färbung erfolgt, dass die Ausscheidung schon zur Zeit der stärksten Färbung vorüber ist. Wenn aber wirklich ein solcher Speicherungsvorgang Anteil an der Ausscheidung der körperfremden Stoffe hätte, so müsste er wohl nach dem empirischen Gesetz dieser Speicherungsvorgänge verlaufen und einer Potenz der Blutkonzentration proportional sein. Dies ist aber nicht der Fall, denn dann müsste sich eine Proportionalität zwischen dem Logarithmus der Blutkonzentration und der sezernierten Menge ergeben, die durchaus fehlt. Also sind solche Speicherungsprozesse an der Ausscheidung nicht beteiligt. e 3. Sekretion und Oberfläche. Wenn die Änderung der Blutprozente die Schwankungen der sezernierten Mengen nicht erklären kann, so kommt vielleicht ein anderes Moment — hauptsächlich oder gleichzeitig — in Frage, welches bei dem Sekretionsprozess von Bedeutung sein muss, das ist die Variation der Oberfläche, an welcher dieser Prozess stattfindet. Wir wissen, dass bei der Resorption der Darmschleimhaut die Entfaltung der Oberfläche eine befördernde Rolle spielt, indem bei Vergrösserung des Innendruckes auch ein Anwachsen der Resorption statthat, wobei der Druck als solcher wohl nicht die Hauptrolle spielt?). Um den Wechsel der Oberfläche zu berücksichtigen, habe ich die Werte der sezernierten Mengen auf die gleiche Oberfläche reduziert, indem ich 1) von Möllendorff, Die Dispersität der Farbstoffe, ihre Beziehungen zu Ausscheidung und Speicherung in der Niere. Ein Beitrag zur Histo- physiologie der Niere. Anatomische Hefte von Merkel und Bonnet. Heft 159 (53. Bd.) S. 89. 1915. 2) Siehe Höber, Physikal. Chemie der Zelle und der Gewebe S. 198 (Versuche von’ Reid). 1902. 1272 180 Ernst Frey: die Anzahl Gramm, welche von einer Niere in 5 Minuten sezerniert werden, durch die Oberfläche dividierte. Dabei wurde die Oberfläche gleich der dritten Wurzel aus dem Quadrat des mittleren Harnes ge- setzt (s. allg. Teil). In der folgenden Tabelle ist unter K die Sekretion der Oberflächeneinheit zu verstehen; sie ist keineswegs konstant. Auch wenn wir diesen Wert K durch die Blutkonzentration dividieren, so erhalten wir, wie Kolumne 5 zeigt, keineswegs konstante Zahlen; also auch nach Reduktion auf dieselbz Oberfläche zeigt sich eine Abhängig- keit von der Blutkonzentration in irgendeiner durchsichtigen Weise nicht. Warum wir der Berechnung der Oberfläche den mittleren Harn und nicht den provisorischen Harn zugrunde legten, wird aus dem folgenden Abschnitt hervorgehen, in dem wir sehen werden, dass die Einengung des Glomerulusfiltrates schon in den gewundenen Harn- kanälchen vor sich geht, also daselbst nicht mehr der provisorische Harn in ganzer Menge vorhanden ist. (Die beiden letzten Kolumnen werden im folgenden Abschnitt besprochen werden.) Versuch Jod 3: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; Oberfläche = 3. Wurzel aus Quadrat des Mittleren Harnes; Mittlerer Harn (= MH) PH. A £ — In —; sez. = g sezerniert mal 100; /n = log nat; B = Plasma. eng A Zeit sez. 1 MH: K Be = | N — 0/0 B — = .00B | JAN | N 1 1,33 2,296 0,579 1,55 0,442 1.18 Blutentzug 2 1,48 1.515 0,977 4,88 0,621 3,06 "3 1,52 1,339 1,135 6,30 0,697 3,86 4 1,62 1,396 1,160 6,82 0,648 3,81 5 0,91 0,9953 0,914 5,71 0,443 2,77 9 0,77 0,8484 0,907 6,72 0,432 3,20 11 0,97 1,000 0,970 8,01 0,449 3,70 13 0,79 0,9088 0,869 7,55 0,395 3,48 16 0,58 | 0,7294 | 0,795 7,57 0,336 3,20 19 0,55 0,6620 0,830 8,47 0,328 3,34 Coffeininjektion ; 22 1,68 2,994 0,561 6,09 0,389. 4,23 23 0,94 3,364 0,279 2,69 0,203 1,96 24 0,63 2,402 0,242 2,72 0,176 1,98 25 0,50 2,300 0,217 2,46 0,147 1,66 26 0,39 2,074 0,188 2,16 0,124 1.43 | | y h Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 181 Versuch Nitrat 8: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; Oberfläche — 3. Wurzel aus Quadrat des Mittleren Harnes; Mittlerer Harn (= MH) PH JAN h = In —; sez. = g sezerniert mal 100; /n = log nat; B = Plasma. A A ——]1 A x K K Zeit sez y MR: K &_ BA; RR “ % B = 210° N ZN 2 Be 4 0,44 1,016 0,433 1,54 0,254 0,905 3 0,31 0,9200 0,337 1,40 0,213 0.886 16 0,21 0,8756 0,239 1,09 0,128 0,582 Coffeininjektion 23 0,56 2.086 0,268 1,22 0,190 0,865 95 0,79 2,220 0,355 1,61 0,269 1,175 96 0,84 2,346 0,358 1,64 0,253 1,163 . Die Zahlen stimmen also durchaus nicht. Was aber das Bemerkens- werteste ist. ist das Verhalten der Zahlen während der Coffeindiurese: die sezernierte Menge ist, auf die gleiche Oberfläche berechnet, nicht grösser geworden, sondern kleiner; mit anderen Worten: es hat bei der Vergrösserung der Austauschoberfläche zwar die absolute Menge sezernierter Stoff zugenommen, aber nicht entsprechend, die Sekretion hat mit der Vergrösserung der Oberfläche nicht gleichen Schritt ge- halten, es müsste eigentlich mehr sezerniert worden sein; die Sekretion pro Oberfläche hat während der Diurese abgenommen. 4. Sekretion und Harneinengung. Allen von der Blutkonzentration ist also die Sekretion nicht ab- hängig. Es muss daher noch etwas anderes in Frage kommen, und dies wäre wohl zunächst die Einengung des Harnes. Es wäre also die Frage zu beantworten, ob zwischen Harneinengung und. Sekretion eine Be- ziehung besteht oder nicht. Dies gibt uns gleichzeitig eine Antwort auf die Frage, ob beide Funktionen der Niere räumlich und zeitig getrennt verlaufen oder gleichzeitig — oder anders ausgedrückt: wenn die Sekretion in den gewundenen Harnkanälchen, die Einengung später in den geraden vor sich ginge, so könnten gesetzmässige Beziehungen zwischen Sekretion und Einengung nicht besteben. Finden sich aber solche, so liegt ein räumlicher und zeitiger Zusammenhang auf der Hand. Ich füge als Beispiel die Zahlen aus Versuch Jod 3 und Nitrat 8 an, und zwar einerseits A Harn durch A Blut und andererseits %, Harn durch % Blut an Jodnatrium oder Natriumnitrat; zum Schluss sind beide Grössen durcheinander dividiert, um eine Beziehung festzustellen. 182 Ernst Frey: o Man sieht auf den ersten Blick, dass r und % sich gleichsinnig 70 ändert, dass irgendein Zusammenhang bestehen muss. Der Deutlich- keit halber habe ich unten beide Werte in eine Kurve eingetragen, auf der man ohne weiteres ein Parallelgehen sieht; freilich bedeutet dies nicht etwa, dass zwischen beiden Grössen Proportionalität be- steht, dagegen sprechen die Zahlen der letzten Säule und auf der Kurve, dass die Schwankungen des Prozentverhältnisses grösser sind als die des Verhältnisses der Gefrierpunkte. Aber eine gleichsinnige Änderung ist augenscheinlich. Versuch Jod 3: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; %, Blut = %, Plasma; A Blut = A Plasma; H = Harm; B = Blut oder Plasma. ß YNCH 2 5 %H %o H- AB Zeit | NB /o Harn /o Blut TB BEE 1 1:31 0,95 0,3720 2,554 1,949 Blutentzug 2 1,57 1,30 0,2000 6,500 4,140 3 1,63 1,52 0,1800 8,722 5,351 4 1,79 1,60 0,1700 9,412 5,253 5 2,06 1,70 0,1600 10,525 5,157 S) 2,10 1,70 0,1350 12,592 5,996 11 2,16 1,70 0,1210 14,628 6,772 3 2,20 1,57 0,1150 13.652 6,205 16 2,36 1,68 0,1050 16,000 6,779 19 2,53 i 1,94 0,0980 19,775 7,816 Coffeininjektion 22 1,44 0,52 : 0,0920 3,652 3,924 23 1,37 0,30 0,0900 3,333 2,433 24 1,37 0,32 0,0590 2,595 2,624 25 1,47 0,30 0,0880 3,409 2,319 26 1,51 0,29 0,0870 3,339 2,207 VersuchNitratS: Zeitin Perioden zu 5 Minuten; % Blut= % Plasma; A Blut = A Plasma; H' = Ham; B = Blut oder Plasma. \ INH %H %aH.AB Zeit AB 0% Harn %o Blut %B % B-AH 2 le 0,3650 4 1,70 1,0083 0,2800 3,601 2,118 8 1,58 0,8195 0,2400 3414 2,167 16 1,87 0,7488 0,2200 3,404 1,820 Coffeininjektion 23 1,41 0,5286 0,2200 2,403 1,704 25 1,3 0,5785 0 2200 2.630 1,919 26 1,41 0,5826 0.2180 2,672 1,595 Wir können also daraus schliessen, dass Sekretion von körper- tremdem Stoff und Wasserrückresorption beide in den gewundenen Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 183 Harnkanälchen vor sich gehen und in irgendeiner Abhängigkeit von- einander stehen. Damit ist auch die Frage entschieden, ob wir für die durchschnittliche Harnmenge, welche die Harnwege erfüllt, den pro- visorischen Harn oder das Mittel aus provisorischem und. definitivem Harn setzen müssen. Der Mittelwert ist der richtige. Und wie wir zu einem genauen Mittelwert bei der Einengung des provisorischen Harnes zum definitiven gelangen, wurde im allgemeinen Teile auseinander- gesetzt. — Es ergibt sich also ein gleichsinniges Wachsen und Fallen der Anreicherung und der Einengung. Soweit es sich um den filtrierten Anteil des körper- fremden Stoffes han- delt, ist dies ja selbst- verständlich; für den sezernierten Anteil ist dies gleichsinnigeVer- halten überraschend. Aber die Zahlen geben uns in dieser Form noch keinen Auf- schluss über die Be- ziehungen von Ein- engungund Sekretion; zu diesem Zweck müssen wir die sezer- nierten Mengen selbst, die ja bisher nur in der Gesamtanreiche- Abb.2. Kurve Jod 3. Gleichsinniger Verlauf der Kurven, nur die Schwankungen der Anreicherung zung enthalten waren, grösser als die der Einengung. S. a. Kurve auf betrachten; ich habe Seite 195. daher in der Tabelle des vorigen dritten Abschnittes unter der Bezeichnung % Harn % Blut die DD auf die gleiche Oberfläche reduzierten Gramme sezernierten Stoffes durch die Einengung dividiert: Kolumne 6 ergibt Zahlen einer ge- wissen Ähnlichkeit, die freilich nicht konstant sind. Die letzte Säule belehrt uns darüber, dass die Werte auch dann nicht konstant werden, wenn wir sie ausserdem durch die Blutkonzentration dividieren; aber sie liegen doch schon viel näher, so dass eine gewisse Abhängigkeit der Sekretion (pro Oberflächeneinheit) von Einengung und Blut- konzentration nicht zu leugnen ist. Diese Abhängigkeit ist aber nicht eine direkte Proportionalität, sondern wir können nur sagen, es wirke nicht nur eine hohe Blutkonzentration fördernd auf die Sekretion, 184 Ernst Frey: sondern auch eine starke Einengung des Harnes. Und zwar handelt es sich hier um die absoluten Mengen sezernierten Stoffes, nicht etwa um Prozente, die ja naturgemäss durch eine Einengung in die Höhe getrieben werden. (Denn man könnte vielleicht meinen, es wäre der Zusammenhang so, dass eine starke Sekretion nicht nur die Prozente, sondern auch die Gesamtkonzentration in die Höhe triebe, wenn man auf dem Boden der Sekretionstheorie steht; dann würde eine primäre, gänzlich unregelmässige Sekretion zwar auch zur Erhöhung der Ge- samtkonzentration beitragen, aber sie würde nur bei sehr konzentriertem Harn den wesentlichen Anteil der Gesamtkonzentration ausmachen, bei viel Harn würde das Kochsalz diese Rolle spielen, das bei wenig Harn fehlt und dessen Stelle durch den körperfremden Stoff ein- genommen wird, weswegen man eben von einem Austausch von körper- fremdem Stoff gegen Kochsalz nicht absehen kann.) Diesen Ver- hältnissen begegneten wir schon oben bei der Reduktion der sezernierten Mengen auf die gleiche Oberfläche, dass nämlich während einer Diurese, wo der Harn wenig eingeengt war, weniger Gramm sezerniert werden. Es ist auf den ersten Blick überraschend, dass die Tubuli dann am meisten (in Gramm) sezernieren, wenn der Harn stark eingeengt ist, also doch schon eine hohe Konzentration an auszuscheidendem Stoff enthält. Man würde eher vermuten, dass zum Beispiel beim Einsetzen einer Diurese, wo ein dünner Harn die Harnwege herunterfliesst, die Epithelzellen mehr Gramm in 5 Minuten liefern könnten, als wenn der Harn schon konzentriert ist, wozu noch als fördernd die bessere Durch- blutung während der Diurese käme. Aber gerade das Gegenteil ist der Fall, und wir werden weiterhin noch sehen, dass wir immer die- selbe Antwort erhalten, von welcher Fragestellung wir auch ausgehen mögen. — Wir werden im folgenden noch sehen, welcher eigentliche Zusammenhang besteht, werden aber hier schon auf denselben hin- gewiesen. Auf der Kurve auf S. 195 habe ich die Einengung und gleich- zeitig die Anreicherung aufgetragen, indem für beide Werte das Niveau im Blut als Einheit diente: man ersieht daraus, wie mit der Zeit des Verweilens des Harnes in den Harnwegen beide Kurven ansteigen, aber die der Sekretion viel stärker, so dass der Hauptanteil für die hohen Harnprozente in dem durch Sekretion ausgeschiedenen Anteil zu suchen ist. 5. Streben nach einem absoluten Maximum der Konzentration. Nach diesen anfänglichen Nebeneinanderstellungen prüfte ich nun die Verhältnisse der Sekretion in mathematischer Form. Und zwar ging ich zunächst von der Vorstellung aus, dass zuerst die Sekretion sehr flott vonstatten geht, aber mit wachsender Anreicherung nach- Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 185 lässt. Bei maximaler Anreicherung müssten alle anderen Moleküle aus dem Harn verschwinden und zurückresorbiert werden und nur noch Moleküle des auszuscheidenden Stoffes darin sein. Mit anderen Worten: die Niere könnte danach streben, eine reine Jodnatrium- lösung (zum Beispiel) herzustellen, und die Geschwindigkeit würde dann proportional dem noch an diesem Maximum fehlenden Anteil sein. Es hat diese Vorstellung deswegen etwas Verlockendes, weil sie zwei verschiedene Grössen voneinander trennt, einmal das Streben nach einem Maximum und zweitens die Geschwindigkeit der An- reicherung. Man könnte zum Beispiel daran denken, dass eine ver- schiedene Ausscheidungstendenz, eine verschiedene Harnfähigkeit be- steht, in der Weise, dass die Niere von einem unerträglichen Stoff das Maximum der Konzentration herzustellen strebte, also eine Jod- natriumlösung von der Konzentration des Harnes, von einem anderen Stoff, der für den Körper eher zu verwenden wäre, nur die Hälfte dieses Maximums, und dass trotzdem die Geschwindigkeiten (unter den- selben Bedingungen) der Ausscheidung zum Beispiel lediglich von der Diffusibilität des betreffenden Stoffes abhinge; dann würden wir eine Trennung erhalten von physikalischem Geschehen und von Zellstreben, und wir könnten beides rechnerisch auseinanderhalten. Daher habe ich berechnet, ob sich eine solche Gesetzmässigkeit finden lässt. Es wäre also dann die Geschwindigkeit der Sekretion, d. h. der in dx einer kleinen Zeit sezernierte Anteil, —. analog dem Gesetz der di Auflösung eines festen Stoffes gleich einer Geschwindigkeitskonstanten mal der Differenz zwischen Sättigung und schon erreichter Kon- zentration, also gleich X (Sättigungsmaximum — vorhandener Kon- zentration).. Das Maximum wird dargestellt durch eine mit dem jeweiligen Harn isotonische Lösung des körperfremden Stoffes, also der blutisotonischen Lösung mal der jeweiligen Einengung, d. h. A Harn A Blut’ schon erreichte Konzentration ist gleich der filtrierten Menge + se- zemierten Menge, auf die jeweilige Harnmenge verteilt, also gleich ul x .. (fill + x) 2/2 PH oder gleich a De A EN mit der Zeit ändert, ihn als Funktion der Variabeln f definieren; dies geschieht, wie im allgemeinen Teil gezeigt wurde, durch das Ge- ERTBNGRE \ : € E i ; S mal wobei In ein mit der Zeit variabler Wert ist. Die 5 P JAN Nun müssen wir, da sich der Wert R A setz AHarn = ABlut (1-+.ct), also EN 1+ct. Die Geschwindig- 186 Ernst Frey: keit ist ausserdem noch proportional der Oberfläche, die während der 5 Minuten als konstant angesehen wird, ebenso wie die Blutkonzentration. Wir erhalten also bei Oberfläche = 0 die Gleichung: dx ? ee) : — —-K-0: (; DE (1-+ch). di Rechnung. N) pe Se Hey. Trennung der Variablen ergibt: dt K-.0 SE PH (in. DD 1+chdt. Integriert: K-0 (I —1 S-PH - [fi — t ) 2 ZU Lil + x) PH ( is 5 + Const IS RO POP (2 + ct) + Const. Zur Zeitt=0ist auch 2 =0, also: -—In (S-PH -fil) = Const.; daher wird die allgemeine Gleichung in unserem Falle zu: S-PH- fü RU PH Zar A Harn IN Nu U Spt RER NEN DR ı) fil K RE 0 SB Bu, Top 2 IN S-PH-— (fil-+x) A lex (2+1):0 (2+1)-0 2 Da K PH S—- % Blut ec ) vn %, Harn —+1J-0 S$S—- —— A A 187 Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. ul Denn I ist die Konzentration des provisorischen Harnes, also die des Blutes, und fil + x ist die Gesamtmenge gefundenen Stoffes; diese Menge wird auf den provisorischen Harn verteilt, es ist also fi' + x durch PH gleich % Harn dividiert durch z Unter S ver- stehen wir dabei eine dem Blut isotonische Lösung von dem körper- fremden Stoff in %, und da der Gefrierpunkt des Blutes zum Beispiel in Versuch Jod 3 etwas wechselt, so mussten auch etwas wechselnde Werte für S eingesetzt werden, wie es in Kolumne 2 geschehen ist. Die K Geschwindigkeitskonstante K der Tabelle entspricht 5 der Gleichung. Versuch Jod 3: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; S = Blutisotonische A AH Jodnatriumlösung in %,; Ne AB’ PH = Provisorischer Harn in ccm; el A MH = Mittlerer Harn = R - In N 3. Wurzel aus MH zum @-) A , Quadrat = Oberfläche; /g mit der Basis 10; In = log nat. i 2 —_0d —— ll m 2 € Zeit| u 9 IA ,,lA,, | #2 |foe| & ns AN IA 1 | 2,5707 | 1,137 |0,05576 | 1,7316 | 0,09655 | 3,4791 | 2,296 | 0,0420 | 0,112 Blutentzug 2 1 2,5358 | 1,660 |0,22011| 0,9185 | 0,20217 | 1,8655 | 1,515 | 0,1334 | 0,667 3 12,5358 | 1,497 |0,17522 | 0,7605 | 0,13325 | 1,5482 | 1,339 | 0,0995 | 0,552 4 | 2,5358 | 1,440 | 0,15836 | 0,8028 | 0,12713 | 1,6515 | 1,396 | 0,0910 | 0,535 5 [2,4983 | 1,398 [0,14551| 0,4703 | 0,06843 | 0,9929 | 0,9953 | 0,0687 | 0,429 9.1 2,4258 | 1,355 |0,13194 | 0,3742 | 0,04937 | 0,7782 | 0,8484 | 0,0582 | 0,431 11 | 2,3896 | 1,445 |0,15987 | 0,4178 | 0,06679 | 1,0000 | 1,0000 | 0,0668 | 0,552 13 | 2,3596 | 1,356 | 0,13226 | 0,4125 | 0,05456 | 0,8664 | 0,9088 | 0,0603 | 0,524 16 | 2,3534 | 1,369 |0,13640 | 0,2946 | 0,04018 | 0,6235 | 0,7294 | 0,0550 | 0,523 19 [2,3172 | 1,431 10,15564 | 0,2521 | 0,03924 | 0,5387 | 0,6620 | 0,0592 | 0,604 Coffeininjektion 22 | 2,2810 | 1,140 10,05690 | 2,5656 | 0,14598 | 5,0716 | 2,994 | 0,0482 | 0,524 23 | 2,2448 | 1,063 | 0,02653 | 3,0632 | 0,08127 | 6,1642 | 3,364 | 0,0241 | 0,267 24 1 2,2448 | 1,071 10,02979 | 1,8481 | 0,05505 | 3,7111 | 2,402 | 0,0229 | 0,256 25 | 2,2084 | 1,057 |0,02407 | 1,7247 | 0,04151 | 3,4863 | 2,300 | 0,0180 | 0,204 26 | 2,2084 | 1,052 |0,02207 | 1,4741 | 0,03253 | 2,9841 | 2,074 | 0,0157 | 0,180 18 Ernst Frey: [0.0] Versuch Nitrat 8: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; S = Blutisotonische A IN! Natriumnitratlösung in %; Br FB; PH = Provisorischer Harn i 3 PH A in cem; MH = Mittlerer Harn = ———— I!n —; 3; Wurzel aus Br MH zum Quadrat = Oberfläche; /g mit der Basis 10; In = log nat. PHIBRH ; 18 906:.B aa) per - K Zeit| 8 TH re Van +1 Ay MH \mn® K BR A X 2 Bintaneue 4 [1,6648 | 1,292 |0,11126 | 0,5111 | 0,05705 | 1,0239 | 1,016 | 0,0561 | 0,200 8 | 1,6648 | 1,243 10,09447 | 0,4341 | 0,04101 | 0,8823 | 0,9200 | 0,0464 | 0,193 16 | 1,6648 | 1,146 |[0,05918 | 0,3972 | 0,02351 | 0,8194 | 0,8756 | 0,0268 | 0,122 Coffeininjektion 23 | 1,6648 | 1,120 ]0,04922 | 1,4937 | 0,07352 | 3,0130 | 2,086 | 0,0352 | 0,160 25 1,6648 1 1,163 10,06558 | 1,6455 | 0,10791 | 3,3084 | 2,220 | 0,0456 | 0,218 26 | 1,6648 | 1,155 [0,06258 | 1,7842 | 0,11166 | 3,5994 | 2,346 | 0,0475 | 0,218 Die Zahlen sind. so wechselnd, dass eine Gesetzmässigkeit nicht in Frage kommt. Aber sie fallen dauernd ab, so dass es möglich wäre, dass die Sekretionsgeschwindigkeit nicht nur von dem in Rede stehenden Wert, sondern ausserdem noch von der (ja ebenfalls ab- fallenden) Blutkonzentration abhängig ist. Ich habe daher die K-Werte durch die Blutkonzentration dividiert: auch diese in der letzten Säule stehenden Zahlen sind sehr verschieden. Um aber über die Fehler solcher Rechnungen, d. h. darüber Aufschluss zu erhalten, inwieweit Unregelmässigkeiten vorkommen, die eine etwaige Gesetzmässigkeit verdecken, habe ich ausserdem die Abhängigkeit in elementarer Weise durch Durchschnittswerte in einer Kurve dargestellt; einmal wurden die auf dieselbe Oberfläche und Blutkonzentration reduzierten Gramme sezernierten Stoffes aufgetragen, zweitens die Differenz S-Harn- konzentration, welche nach der Annahme in diesem Kapitel mäass- gebend sein sollten für die Sekretionsgeschwindigkeit, indem wir der Niere das Streben unterschoben, einen möglichst konzentrierten Harn, an auszuscheidendem Stoff reichen Harn (d. h. eine dem Harn isotonische Lösung von körperfremdem Stoff) herzustellen. Dabei müssen wir für die Harnprozente die mittleren Harnprozente einsetzen, also zum Bei- spiel den angenäherten Wert von Blutprozenten + Harnprozenten durch 2. Dies ergibt geringe Schwankungen, deutlicher werden sie, wenn man die durch die Analyse gefundene Menge auf den mittleren Harn verteilt, was einen etwas höheren Wert darstellt, so dass auf der Kurve die Ausschläge deutlicher werden. Dieser Wert wird von en —n Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 189 dem tatsächlichen nicht allzu weit entfernt liegen; doch kommt es hier bei dem Vergleich der Durchschnitte in Kurvenform ja nur auf den Sinn (ob steigend oder fallend) an. Auf einer solchen Kurve fallen Gesetzmässigkeiten besser ins Auge als in einer Tabelle, weil wir auf der Kurve die kleinen Schwankungen durch ‚Fehler‘ von den Gesetz- mässigkeiten unterscheiden können, während es bei Berechnungen zwar der Rechnende kann, nicht aber auf den ersten Blick der Leser. Versuch Jod 3: Zur Kurvendarstellung: Sezernierte Menge und der sez. Wert S— M®% im Harn. Dabei wird unter zo die auf dieselbe Oberfläche reduzierten sezernierten Mengen, unter S eine 2,3 Yige Lösung und unter Mittleren Harnprozenten die gefundenen Gramm, auf den mittleren Harn verteilt, verstanden. R sez. 0/0 sez. 10 Zeit 0 im Blut NROHNTED S-M /o H 1 0,579 0,372 1,55 1,49 2 0.977 0.200 4.88 196 3 1,135 0,180 6,25 1,09 4 1,160 0,170 6,82 1,09 5 0,914 0.160 5.71 1,16 9 0.902 0.135 6.68 111 11 0,97 0,121 8,01 1,15 13 0,869 0,115 7,59 1,22 16 0,795 0,105 7,97 1,21 19 0,830 0,098 8,46 1,12 22 0,561 0,092 6,09 1,86 23 0,279 0,090 3,10 2,05 24 0.242 0,089 9,72 2.03 95 0,217 0.088 2.46 2.05 26 0,188 0,087 2,16 2,07 Versuch Nitrat 8: Zur Kurvendarstellung: Sezernierte Menge und sez. .der Wert S— M% im Harn. Dabei wird unter 108 die auf dieselbe Oberfläche reduzierte sezernierte Menge, unter S eine 1,66%,ige Lösung und unter Mittleren Harnprozenten die Menge gefundener Gramm, auf den mittleren Harn verteilt, verstanden. 2 Ssez. %/o sez. ; n Zeit 0 Bio! 0.% RB 1» M °%oH 4 0,43 0,28 1,53 0,86 8 0,33 0,24 1,37 1,00 16 0,23 0,22 1,05 1,10 23 0,26 0,22 1,18 1,26 25 0,36 0,22 1,64 1,16 26 0,36 0,218 1,65 1,17 > 190 Ernst Frey: Man sieht auf der Kurve sofort, dass die hier erörterte Gesetz- mässigkeit nicht besteht, sondern dass im Gegenteil die beiden Kurven entgegengesetzt verlaufen; die Epithelien sezernieren also nicht viel, wenn der Harn noch: wenig körperfremden Stoff enthält, sondern sie sezernierengerade dann = reichlich, wenn der N Harn schon eine hohe Konzentration an kör- perfremdem Stoff auf- weist. Wir finden also u i ein schon oben an- RUE. a le sedeutetes Verhalten i wieder. Auch wenn man für das erstrebte Maximum nicht die | sez. Isotonie setzt, sondern 0% Blut die halbe usw., so er- Zeit Jod 3. 5 (9-% Harn) \ hält man keine stim- menderen Werte, im Nitrat 8. Gegenteil. Die hier entwickelte Abhängigkeit besteht also in Wahrheit nicht. 5 382 0.% Blut .- .- .- .- .- .-- ._-- ee 6. Streben nach einem 5 (5-96 Harn) relativen Maximum. Man könnte nun auch zu der Vorstellung neigen, als strebe die Zen Niere immer nach | | | | | | . . re einem Maximum der Abb. 3. Entgegengesetzter Verlauf der Kurven Art dass sie immer von sezernierter Menge pro Flächeneinheit durch ? 20: %/o Blutund von Defizitan harnisotonischer Lösung, das Zweifache oder das Dreifache der Blutkon- zentration herstellen wollte, und dass sie bei diesem Streben nur durch die Geschwindigkeit des Harn flusses gehindert würde. Dann müsste das erstrebte Maximum höher liegen, als es der höchste Betrag unseres Harnes anzeigt, denn es würde ja erst bei unendlich langem Verweilen des Harnes in den Kanälchen erreicht werden. Nehmen wir wieder Versuch Jod 3, in dem wir die grössten Schwankungen der Harnkonzentretion und Harnmenge haben, so weist zur Zeit 19 der Harn einen Prozentgehalt von 1,94 gegen ‚eine Blutkonzentration von 0,098% auf, hat also noch nicht ganz das u nn —— er. a nn En a Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 191 Zwanzigfache der Konzentration erreicht; dabei sind 0,35 cem Harn von einer Niere in 5 Minuten geliefert worden. Es könnte also die Nierenzelle immer nach dem Wert des Zwanzig- oder Fünfundzwanzig- fachen der Blutkonzentration streben. Dann wäre die Geschwindigkeit abzuleiten aus der Gleichung unvollständig verlaufender Reaktionen, wo der Endzustand dadurch charakterisiert ist, dass das gegenseitige Verhältnis der Konzentrationen der beiden Stoffe, welche in Gleich- gewicht kommen wollen, dem Verhältnis der beiden Geschwindigkeits- konstanten der beiden gegeneinander verlaufenden Reaktionen gleich ist. Auf unsere Verhältnisse angewandt: bei der Konzentrierung des Harnes würde als fördernd die Blutkonzentration, als hemmend die Harnkonzenration in Betracht kommen; jede dieser Grössen multi- pliziert mit einem Geschwindigkeitsfaktor, deren Verhältnis den End- zustand ergibt. Wenn der Endzustand durch eine 25fache Kon- zentration im Harne dem Blut gegenüber dargestellt wird, so ist dx K,: RK, = 25; und die Geschwindigkeit der Sekretion Fr ist gleich X, % Blut — K, % Harn. Rechnung. Dabei ist die Blutkonzentration gleich g filtriert durch PH, also il gleich . und die Harnkonzentration gleich [il + x, durch den A PH U DER jeweiligen Harn, also durch — ; also Harnkonzentration — PH N ; JAN Hi m (fil + &) nr I Jaher — — = ‘ —— da — = mist: daher 7 Kı pp 1 PH oder- da 2 1+ ct ist dv K fl 9 fil+x)(l+ci) a DER Trennung der Variablen ist hier nicht möglich, also: K,e(l+tch RflÜ(ll+ch JE, | AR PH PH Dre Dies ist kein vollständiges Differential, wird es aber durch Multi- Kst(2+ cl) plikation mit dem integrierenden Faktor e 2'PH 192 Ernst Frey: = Kut@rrich) Klarnot) : en ne E aaeRernre Eh | K,fil(l1 + cite 2'PR R PH PH 2 Kıtarch Kjılse, 2 BE In P Denn es ist: Kutlarch) Karch Ve EEK .che, a0 St PH ee) Kl nee Kyta+ct) PH Koll -rei)e 2 EN unde ae PH : dSudx also gleich. Daherintegriert nach der Formel Su da + [(v - ae dy — Const.: - Kol(24 cl) Kyt(2 +ct) u fill che erh ) Ka jene % e “ = ne = = -- = a - x un Be Kach — (Üonst. [Das Integral in der Mitte ergibt, wenn man substituiert: y=1-+ cl; d 1 = ie: di — —dy;t Se, l C C R@—1)y+D KR, @—1) fan 2:PH : _ [raten 2. PH i e c- PH a oNDH 2 a EUR fil-y- 2 a ce PH.2ra® (2y? 2.2, Pad =SC Substituiert man — ZEN UN 7 K, KR, fül Er: Ben i ER,M ä a ee we dz c- PH-e2'PH:c 193 Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. ul IL nez ie En wel. e2:PH- c Die ursprünglichen Werte wieder eingesetzt, machen das Integral in der Mitte zu: K;, y? K;(1+ct): K. PS 2-PH-c fü e » a — fil- e2' 2-PH:.c e fil- e2-PH:e [d-+eN?-1] 126, Nez Sp rer ıyarck 1) Nun er 5,“ Also wird unsere Gleichung integriert zu: K,t(2-+ct) K,t2-+et) K,t(2-+ct) K, fit: Pr ve en ee Ze Be ze „1+cHh Zur Zeit {=0 wird auch =0; also fil — - fill = Const.; dieser Xo Wert für Const. eingesetzt, ergibt: K,t(2+ct) eK fil 2 ru (v ee )- (vi - 2 rt). tötet) ) DT su (i Em, ) Pos und da |] [= —— ına da —C \ Bir r Es ergibt sich nun aus folgender Tabelle, wenn wir den Wert = noch durch die Oberfläche dividieren und unter diesem Wert die Zahl X der Tabelle verstehen, keineswegs eine annähernd konstante Zahl Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 177. 13 194 Ernst Frey: Versuch Jod 3: Oberfläche = 3. Wurzel aus Quadrat des Mittleren PH K Harnes; Mittlerer Ham (= MH) = ——— —— 1 DENT, 0 Schlloge oh A !g = mit der Basis 10; In = log nat; Zeit in Perioden zu 5 Minuten; 25: PH { ih pa Zeit|l| A Yun: ZN Bruch | /g (Bruch) | A le — en a EN ZN AN 1 1,7816 2,296 18.09 | 1,396 | 0,14489 | 0,25089 | 0,113 Blutentzug 2 0,9185 1,515 . 15,32 1,072 0,29491 0,27087 | 0,175 3.1 0,7605 1.339 1434 | 2373 | 037530 | 028542 | 0213 4 | 0,8028 1.396 12.96 | 2763 | 044138 | 035434 | 0.253 5 0,4703 0,9953 11,13 3,807 0,44824 0,21081 | 0,212 9 0,3742 0,8484 10,90 3,958 0,47100 0,17625 | 0,207 11 0,4178 1,000 10,57 4,645 0,66699 0,27867 | 0,278 B) 0,4125 0,9088 10,36 4,737 0,67550 0,27864 | 0,304 16 0,2946 0,7294 9,99 6,316 0,80044 0,23581 | 0,323 19 1 0,2521 0,6620 8,88 8,640 0,93651 0,23609 1 0,356 Coffeininjektion 22 2,5656 2,994 16,36 1,654 0,21854 0,56069 | 0,190 3 3,0632 3,064 17,24 1,917 0,28262 0,86572 | 0,257 24 1,8481 2,402 17,24 1,537 0,18667 0,34498 | 0,143 25 | 17247 2.300 16.00 | 1.638 | 021431 | 0.386962 | 0.160 26 1,4741 2,074 15,55 1,674 0,22376 0,32984 | 0,158 Versuch Nitrat 8: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; Oberfläche — 3. Wurzel aus Quadrat des Mittleren Harnes; Mittlerer Ham PH A 2 . UNE = In —; lg =.log "mit ‘der Basis 10: In? = los A JAN — — 1 JAN hr nabeı ,. —16: Le PH K, 1 DH Bi i Er | = NER r Zeit| A I MH: 2 Bruch | !g (Bruch | A 1 K IN A ZN 2 Blutentzug 4 0,5111 1,0160 2,118 5,277 | 0,72239 0,36921 | 0,363 8 0,4341 0,9200 2,197 3,000 | 0,47712 0,20712 | 0,225 16 0,3972 0,8756 2,208 3,676 | 0,56538 0,22457 | 0,256. Coffeininjektion 23 1,4937 2,086 3,255 1,966 | 0,29358 0,43852 | 0,210. 26 1,7842 2,346 3,255 3,852 | 0,58569 1,04499 | 0,445 25 | 1,6455 2,220 3,381 2,028 0,30707 0,50528 | 0,227 Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 195 Die Niere strebt also nicht danach, den Harn so anzureichern, dass seine Konzentration immer ein bestimmtes Vielfaches der Blut- konzentration ist. Wenn wir noch einen Augenblick bei der Anreicherung in dieser N oe: Weise verweilen, so wird es zweckmässig sein, die Werte %, in eine o Kurve einzutragen, und zwar als Ordinaten, während man gleichzeitig als Abszissen die Zeiten aufträgt, die der Harn in den Harnwegen ver- weilt. Dies ist aus dem Grunde er- forderlich, um festzustellen, nach r welchem Wert K’ d. h. nach wel- % chem Maximum der Wert © mit zu- 7 Anreicherung 0 e durch 1 5 . ekrehon nehmender Zeit zustrebt; denn man a EoR könnte einwenden, dass die Zahlen : = engung des nur deswegen nicht stimmen, weil der Wert des Fünfundzwanzigfachen nicht richtig gewählt sei. Eine solche Kurve N ‚durch müsste anfangs steil nach oben ver- ll) Einengung lauf | h ? i | |||des Alffıerfen P WW fox j ‚elle IH . 2 aufen, dann immer weniger ansteigen, erden um schliesslich bei annähernd hori- " Milere Harnmenge zontalem Verlauf sichin der Unendlich- An ade. keit mit dem Maximum zu treffen. Eine solche Kurve sei hier gegeben, und man sieht, dass die Kurve 10) der —-Werte dauernd. mit der Zeit, annähernd geradlinig ansteigt, % /O dass sie nicht zur Horizontalen umbiegt, dass ein Streben nach einem Maximum durchaus fehlt. Es wird. also immer weiter sezerniert, auch wenn die Konzentration schon hoch ist. Versuch Jod 3: Zur Darstellung der Abhängigkeit der Anreicherung und der Einengung von der Zeit, während welcher der Harn in der Niere verändert wird: Es wird als Abszisse diese Zeit, welche gleich der Zeiteinheit dividiert durch die mittlere Harnmenge ist, aufgetragen, %, Harn A Harn als Ordinate die Werte ——— und ———., % Blut A Blut « IN 0), Zeitraum RR 07% 0,28 1,31 | 2,55 0,53 1,57 6,50 0,64 | 1,63 | 8,72 196 Ernst Frey: Tin EN %/o Zeitraum N 7, 0,60 1,79 9,40 1,00 2,06 10,62 1,28 2,10 12,59 1,00 2,16 14,63 1,15 2,20 3,65 1,60 2,36 16,00 1,85 2,53 19,78 0,20 1,44 5,65 0,16 1,37 3,90 0,27 1,37 3,60 0,28 1,47 3,41 0,33 1,51 BR35) = 7. Sekretion und schon vorhandene Harnkonzentration, und zwar direkte Proportionalität. Immer wieder begegneten wir bei den verschiedenen Fragestellungen, welche die Abhängigkeit der Sekretion von einer Anzahl Grössen prüfen sollten, einem zunächst unerwarteten Resultat, dass nämlich erstens die Einengung und die Grösse der Sekretion gleichsinnig ver- läuft, dass also die Sekretion bei stark eingeengtem Harn am grössten ist; dass zweitens bei Betrachtung der Kurven, welche die Grösse | der Sekretion und andererseits die noch an der isotonischen Lösung fehlenden Prozente des körperfremden Stoffes darstellen, sich ein gegen- sätzliches Verhalten zeigt, dass also bei geringer Konzentration des Harnes die Sekretion nur sehr gering ist und erst in konzentrierte Lösungen hinein flott vonstatten geht; und dass drittens die An- reicherung des Harnes durch Sekretion dann am grössten ist, wenn sie schon durch die Einengung des Harnes gross geworden ist. Wenn wir uns also in diesem induktiven Teil der Arbeit von den Tatsachen leiten lassen wollen, so müssen wir zu dem Schluss kommen, dass die Sekretion dann am grössten ist, wenn der Harn schon eine hohe Kon- zentration an diesem Stoff ausweist. Wir müssen also annehmen, dass die Sekretionsgeschwindigkeit, also die in einem kleinen Zeitteilchen sezernierte Menge, von der schon erreichten Harnkonzentration an diesem Stoff abhängig ist. Rechnung. dx Es ist also die Absonderungsgeschwindigkeit dt proportional der jeweiligen Harnkonzentration oder gleich einem Geschwindigkeitsfaktor | mal der jeweiligen Harnkonzentration, daher = K (Harnkonzentration). ' Diese letztere ist gleich der filtrierten + sezernierten Menge (= fill + 2), Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 197 auf das jeweilige Harnquantum verteilt, also dividiert durch Er K-(fl + x) = Pd lelo Wir erhalten also die Gleichung: en = Ausserdem dx ist die Geschwindigkeit proportional der Oberfläche O0, also Ir q ee JAN Kl % J Harn DIE Nun ist RER als Variable der Zeit definiert — 1--ct; daher nimmt unsere Gleichung die Form an: dx K 205 (fil + %) as ct) di hl: Trennung der Variabeln ergibt: dx Kr0 Integriert: ’ 7 K-o0 (: 2) : K-0-t(2+ ci) n (fi u. x) = PH Ton + Const. = %. PH —+ Vonst. Zur Zeit! =0 ist auch x = 0; wir erhalten also Const. = In (fil); also ÜHz K:0-.1@+c) In Til _ 2. PH oder d/=1lund1l-+ci = = ist: K-0 Ze vs (2 u 1): daher ist R, Ill fül+ x Huc ln: 2 fil (2+1) 0 Ich gebe nun die Zahlen aller in Betracht kommender Versuche wieder, und. zwar unter Berechnung der mittleren Harnmenge nach ihrem genauen Wert PH - In = dividiert durch - — 1 und da- hinter nach dem angenäherten Wert PH --H dividiert durch 2. Man sieht durch diese Gegenüberstellung, in welchem Betrage die Zahlen durch solche doch recht unerhebliche Verschiedenheiten der Annahme 198 Ernst Frey: schwanken; natürlich sind die Werte K, die richtigen. K bedeutet K in dieser Tabelle 5 der obigen Gleichung. Versuch Jod 3: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; Obtl. = Oberfläche = 3. Wurzel aus dem Quadrat des Mittleren Harnes (= MH); £ ea A Obfl. 1 = Werte bei MH = —- In N Obfl. 2 = Werte bei K MH = PH + H durch 2; K, in dieser Tabelle gleich a der obigen Gleichung bei Obfl. 1; K, ebenso bei Obfl. 2;1g = log mit der Basis 10; In = log nat. Iarlal JEIER Er De En | ae en ae 5 fl | til me. SPEER EI Sr re Pate ee 1 1,898 0,27830 1,7316 0,49190 | 2,296 | 2,316 0,214 | 0,212 Blutentzug 2 4,148 0,6174 0,9185 0,56768 1,515 1,550 0,375 1 0,366 3 I 5,222 0,71784 0,7604 0,54585 1,339 | 1,368 0,408 | 0,399 4 | 5,263 0,72123 0,8023 0,57900 | 1,396 1,450 0,415 0,399 5 | 4,956 0,69513 0,4703 | 0,32692 1 0,9871 | 0,9008 I 0,330 | 0,312 9 5,812 0,76433 0,3742 0,28601 0,8484 | 0,9008 | 0,335 | 0,315 11 6,388 0,30536 0,4178 0,33648 1,001 1,069 0,337 | 0,314 13 6,266 0,79699 0,4125 0,32685 1 0,9088 I 0,9731 I 0,360 I 0,335 16 | 6,8 0,83251 0,2946 0,24516 | 0,7294 | 0,7921 | 0,336 | 0,309 19 | 7,143 0,85388 0,2521 0,21526 | 0,6620 | 0,7271 | 0,325 | 0,295 Coffeininjektion 22 | 3,896 0,59062 2,2656 1,51529 | 2,994 3,042 0,506 | 0,497 23 | 2,446 0,39094 3,0632 1,19753 | 3,364 | 3,413 0,356 | 0,350 24 | 2,615 0,41747 1,8481 0,77153 | 2,406 2,431 0,321 I 0,317 25 2,351 0,37125 1,7247 0,64029 | 2,300 | 2,340 0,278 | 0,273 26 | 2,213 0,34596 1,4741 0,50998 | 2,074 | 2,115 0,246 | 0,241 Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 199 Versuch Jod 5: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; Obfl. — Oberfläche — 3. Wurzel aus dem Quadrat des Mittleren Harnes (= MH); N PH A 2 ©Obfl. 1 = Werte bei MH = 7 In N Obfl. 2 = Werte bei il A K MH = PH + H durch 2; K, in dieser Tabelle gleich — der obigen K Gleichung bei Obfl. 1; A, gleich >, der obigen Gleichung bei Obfl. 2; !g = log mit der Basis 10; In = log nat. s pH | PH, | Zeit En 0 2%, | Ay |oaropnalın. X | En 2 | Blutentzug und Üoffeininjektion 67 1°2,7 0,43136 0,362 0,37183 | 1,437 1,438 0,258 | 0,258 7 2,023 0,31239 1,65 0,51544 2,217 2,053 0,232 | 0,251 8 2,231 0,34850 1,142 0,39799 1,732 1,735 0,229 | 0,229 9 | 2,833 0,45225 1,029 0,46537 1,619 1,619 0,287 | 0,287 10 2,545 0,40569 | . 0,94 0,38135 °| 1,524 1,529 0,250 | 0,249 11 2,626 0,41913 0,673 0,28207 1,220 1,224 0,231 | 0,230 12 2,4 0,38021 | 0,412 0,21665 0,9225 | 0,9005 | 0,234 | 0,245 14 | 2,666 0,42586 0,495 0,21080 | 0,9954 | 1,0 0,212 | 0,211 17 3,9 0,94407 0,751 0,40360 1,313 1,319 0,311 | 0,309 18. | 32 0,50515 0,594 0,45160 1,477 1,485 0,305 | 0,304 19 | 2,85 0,45484 0,777 0,35340 1,343 1,348 0,263 | 0,262 20 | 3,428 | 0,53504 | 0,700 0,37453 | 1,215 | 1,254 | 0,299 | 0,298 210 178,0 0,54402 0,817 0,44446 | 1,389 1,394 0,319 | 0,318 22 3,9 0,54402 0,755 0,41074 1,318 1,322 0,511 | 0,310 Versuch Jod 1: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; Obfl. = Oberfläche = 3. Wurzel aus dem Quadrat des Mittleren Harnes (= MH); JalEl N Obfl. 1 = Werte bei MH = , In R: Obfl. 2 = Werte bei ——1 A z F ‘MH = PH -+H durch 2; K, in dieser Tabelle gleich = der obigen Gleichung bei Obfl. 1; K, ebenso bei Obfl. 2;/g = log mit der Basis 10; -In = log nat. I ee, Zeit |f 2 2, A Jopnr one. 2 | 7. 3 | 1704 | 023145 | 1,398 | 032357 | 1,986 | 1,991 | 0,162 | 0,162 7 | 1800 | 025527 | 04711 | 012026 | 0.9630 | 0.9697 | 0.124 | 0.124 Coffeininjektion 11 Va 0,20925 0,9714 0,20327 | 1,567 | 1,569 | 0,129 | 0,129 200 Ernst Frey: Versuch Jod 2: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; Obfl. = Oberfläche = 3. Wurzel aus dem Quadrat des Mittleren Harnes (= MH); 3 PH A Obfl. 1 = Werte bei MH = Re In N’ Obfl. 2 = Werte bei N A & f MH.— PH + H durch 2; K, in dieser Tabelle gleich — obiger Gleichung bei Obfl. 1; K, ebenso bei Obfl. 2; /g = log mit der Basis 10; In = log nat. »PH.|\| PH Sr ä —, Zeit N 2 0 Zge A a 9 |opn.ılops.2| %; | & A| \ | Blutentzug ) 6 | 2,063 | 0,31450 | 0,9615 | 0,0239 | 1,507 | 1,548 | 0,200 | 0,195 9 | 2,352 | 0,7144 | 1,078 | 0,40041 | 1,614 | 1,655 |! 0,248 | 0.242 ı2 | 2472 | 0.39305 | 0,8301 | 0,32627 | 1,363 | 1,402 | 0239 | 0.239 15 | 2,377.| 0,37608 | 0,8541 | 0,32117 | 1,402 | 1,480 | 0,229 | 0,224 19 | 2.0388 | 0,30920 | 0,7427 | 0,22964 | 1,268 | 1,299 | 0,181 | 0,177 24 | 3,386 | 0,52969 | 0,4488- | 0,23772 ! 0,9183 | 0,9322 | 0,258 | 0.254 29 | 3,686 | 0,56656 | 0,3610 | 020453 | 0,7883 | 0,8033 | 0,259 | 0.254 BE 2,1838 | 0,34005 0,34 0,11562 | 0,7733 | 0,7733 | 0,149 | 0,149 Coffeininjektion h 36 | 2,206 | 0,34861 0,4875 0,16751 | 0,9399 | 0,9832 | 0,178 | 0,170 39 | 1,451 0,16167 0,3448 0,05574 | 0,7733 | 0,7808 | 0,072 | 0,071 }) Versuch Nitrat 6: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; Obfl. = Oberfläche — 3. Wurzel aus dem Quadrat des Mittleren Harnes (= MH); } PH A : Obfl. 1 = Werte bei MH = en In n: Obfl. 2 = Werte bei —1 A K MH = PH + H durch 2; K, in dieser Tabelle gleich > der obigen Gleichung bei Obfl. 1; K, ebenso bei Obfl. 2; /g = log mit der Basis 10; In = log nat. \ PH PH > 01 Re EB DER | Zeit | ne „En? Ze a ne = ; ZZ A 1 | 20 | 030103 | 0,1077 | 0,03242 | 0,3682 | 0,3862 | 0,088 | 0,084 3) 26 | 1,009 | 014891 | 0,2615 | 0,03894 | 0.6715 | 0.7035 | 0.058 | 0.055 34 | 1,166 | 0.068670 | 0.2291 | 0,01528 | 0,6006 | 0.6356 | 0,025 | 0.025 Coffeininjektion 40 | 1,069 49 1,125 0.023898 | 0,6141 | 0,01788 [1,158 | 1,182 | 0,015 | 0,015 0,05115 | 0,1132 | 0,00579 | 0,3763 | 0,3862 | 0,015 | 0.015 1) Sehr wenig Harn. \ 2) Absolute Mengen sehr klein, in der letzten vierten Stelle. Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 201 Versuch Nitrat 8: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; Obfl. = Oberfläche = 3. Wurzel aus dem Quadrat des Mittleren Harnes (= MH); \ PH A : Obfl. 1 = Werte bei MH = ———- In —; Obfl. 2 = Werte bei N A a IN = K MH = PH -+ H durch 2; K, in dieser Tabelle gleich = der obigen . Gleichung bei Obfl. 1; K, ebenso bei Obfl. 2; /g = log mit der Basis 10; In = log nat. a DE | ra Zeit |f — A A 9 (opi1.1]optl.2| x, K, r aA A | | 2 | Blutentzug 4 |:2,158 | 0,32405 | 0,5111 | 0,1707 [1016 | 1,082 [0,168 | 0,161 8 | 2148 | 0,33203 | 0.4341 | 0,1441 | 0,9200 | 0,9425 | 0,156 | 0,155 ı6 | 134 | 026482 | 0.3972 | 0.1062 | 0,8756 | 0.9148 | 0.121 | 0.113 Coffeininjektion 23 | 1,708 | 0,23249 | 14937 | 0,3473 | 2,086 | 2,115 | 0,166 | 0,164 >5 | 1.919 | 028307 1 1.6455 | 04658 | 2220 | 2'250 | 0.209 | 0.207 26 | 1,893 | 027715 | 1.7842 | 0,4937 | 23346 | 2381 | 0.210 | 0,208 | Versuch Nitrat 7: Zeit in Perioden zu 5 Minuten; Obfl. = Oberfläche = dritte Wurzel aus dem Quadrat des Mittleren Harnes (= MH); > 3 2lal ZN Ä Obfl.e. 1 = Werte bi MH = ———— In —; Obfl. 2 = Wert bei A 1 JAN EL INES PH H durch 2; KG in dieser Tabelle gleich „ obiger Gleichung bei Obfl. 1; AK, ebenso bei Obfl. 2; /g = log mit der Basis 10; In = log nat. ae (der || 2aRt,, Zeit", |0° 12,1, |A,, Jopılome| © | & ZN AN | 2 | Blutentzug 6 |. 2,375 0,37566 0,3296 0,12382 | 0,7557 | 0,7906 | 0,163 | 0,157 ı3 | 2388 | 037803 | 0.2491 | 0.09347 | 0.6429 | 0.6753 | 0.145 | 0,137 21 | 2,294 0,36059 0,2251 0,08117 | 0,6048 | 0,6508 | 0,134 | 0,126 Cotfeininjektion 37 | 1,387 | 0,14208 0,0864 0,01228 | 0,3145 | 0,3247 | 0,039 | 9038 D) 1) Dauernde Blutdrucksenkung von 80 auf 49 mm. 202 ‚gSeZermm Jod 5. - %hlarn . San SETg, sezermierrt Jod. Fa Be Sn 9 sezermert Zeit Jod: Abb. 5. Gleichsinniger Verlauf der Kurven. Ernst Frey: Wir sehen also, dass diese Zahlen an- nähernd konstant sind, soweit wir bei solchen Versuchen überhaupt konstante Zahlen erhalten können. Und wir sehen aufs deutlichste, dass sie sich von den anderen Werten der negativ verlaufenen Berechnungen abheben, noch deutlicher wird dies auf der Kurvendarstellung sein. Der Grund für die Schwankungen liegt hauptsächlich in dem Vorhandensein eines „toten‘‘ Raumes, d. h. daran, dass man die Harnmenge gleich misst, wenn sie fliesst, aber erst erhält nach Verdrängung des vorherigen Harnes aus den tieferen Harnwegen. Daher treten die Schwan- kungen besonders zur Zeit der Verände- rungen der Harnmenge ein, beim Anstieg erhält man zu hohe, beim Abfall der Diurese zu niedrige Zahlen; meist sind nach 5 Minuten die Unregelmässigkeiten wieder ausgeglichen, dann ist zum Bei- spiel der konzentrierte Harn von vorher durch den verdünnten verdrängt. Sonst treten Unregelmässigkeiten auf, wenn die Tätigkeit der Niere im ganzen versiegt, zum Beispiel durch Darnieder- liegen des Blutdruckes, wie es einmal in Versuch Nitrat 7 oder zum Schluss in Versuch Jod 2 eintrat. Sonst aber fügen sich die Zahlen recht genau dem geforder- ten Gesetz, besonders wenn man bedenkt, dass die Zahlen eine sehr geringe absolute Grösse haben und aus einer Anzahl berechneter Werte sich zusammensetzen, die selbst wieder als Grundlage eine grössere Zahl von Analysen haben. Es geht also daraus hervor, dass die Sekretionsgeschwindig- keit proportional ist der schon vorhandenen Harnkonzentration an körperfremdem Stoff. — Um dies Verhalten zeichnerisch darzustellen, habe ich nebeneinander Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 203 die in der Zeiteinheit (5 Minuten) von den Epithelien sezermierten Mengen in Gramm, auf die gleiche Oberfläche reduziert, eingetragen und ausserdem die mittleren Harnprozente. Nimmt man als mittlere Harnprozente das arithmetische Mittel aus Glomerulus-Produkt- konzentration (= Blutprozenten) und den Prozenten des definitiven Harnes, so erhält man proportionale Werte, d. h. die der Nullinie näher liegende Kurve weist auch die kleineren Schwankungen auf. “Auf den ersten Blick als besser stimmend imponieren Kurven, die parallel verlaufen, gleich hohe Schwankungen haben ohne Rücksicht auf die Nullinie. Ich habe daher wie früher, als mittlere Harnprozente die Anzahl der tatsächlich gefundenen Gramme, auf die mittlere Harn- menge verteilt, eingetragen, wodurch die Veränderungen der Harn- prozente deutlicher werden und womit wir den tatsächlichen Ver- hältnissen ziemlich nahe kommen werden. Es ist also die vierte Säule der Tabelle mit der siebenten zu ver- gleichen; ihre Schwankungen verlaufen gleichsinnig; der letzte Stab muss dann annähernd konstante Zahlen ergeben. Versuch Jod 3: Elementare Durchschnittsrechnung zur Kurvendar- stellung: Mittlere Harnprozente und g sezerniert, auf dieselbe Ober- fläche reduziert. M %, = Mittlere % = g gefunden durch MH. Zeit in Perioden zu 5 Minuten. zen 2a, | 00 | an | gr, | om | 5 loser, 1 2,81 3,479 0,81 1,33 2,296 0,579 0,71 2 1,95 1,865 1,04 1,48 1,515 0,977 0,94 3 1,88 1,548 1,21 1,52 1,339 1,135 0,93 4 2,00 1,651 1,21 1,62 1,396 1,160 0,96 b) 1,14 0,993 1,14 0,91 0,957 0,914 0,80 9 0,93 0,778 1,19 0,77 0,848 0,902 0,76 11 1,15 1,000 1,15 0,97 1,001 0,97 0,84 13 0,94 | 0,866 1,08 0,79 0,909 0,869 0,80 16 0,68 0,624 1,09 0,58 0,729 0,795 0,73 19 0,64 | 0,539 1,18 0,55 0,662 0,830 0,70 Coffeininjektion 22 2,26 5,072 0,44 1,68 2,994 0,561 1,27 23 1,59 6,164 0,25 0,94 3,964 0,279 1,11 24 1,02 3,711 0.27 0,63 2,402 0,242 0,89 25 0,87 3,486 0,25 0,50 2,300 0,217 0,87 26 0,71 2,984 0,23 0,39 2,074 0,188 0,81 204 Ernst Frey: Versuch Jod. 5: Elementare Durchschnittsrechnung zur Kurvendar stellung: Mittlere Harnprozente und g sezemiert, auf dieselbe Ober fläche reduziert. M %, = Mittlere %, = g gefunden durch MH. Zeit in Perioden zu 5 Minuten. e 4 gef. n 4 sez. sez 3 Zeit ee So] MH M% | = 100, | Ol. ”|Er6| Sn | 35 le GE Er 2 ee und Eee 6 0,27 1,723 0,15 0,17 1,437 0,119 0,79 7 0,39 3,300 0,12 0,20 2,216 0,089 0,74 3 0,29 2,284 | 0,12 0,16 1,732 0,092 0,77 9 0,34 2,057 0,16 0,22 1,619 0,135 0,84 10 0,28 1,881 0,15 0,17 1,524 0,111 0,74 il 0,21 1,347 0,13 0,13 1,220 0,106 0,81 12 0,12 0,827 0,14 0,07 0,923 0,075 0,53 14 0,16 0,993 0,16 0,10 0,995 0,100 0,62 17 0,28 1,504 0,18 0,20 1,313 0,152 0,84 18 0,32 | 1,794 0,17 0,22 1,477 0,149 0,88 19 0,23 1,557 0,14 | 0,15 ‚43 0,111 0,79 20 | 0,24 1,399 0,17 0,17 | 1,251 0,136 0,80 21 0,28 1,637 0,17 0,20 1,389 0,144 0,85 22 | 0,28 1,513 0,18 0,20 | 1,318 | 0,144 0,80 Versuch Jod 2. Elementare Durchschnittsrechnung zur Kurvendar- stellung: Mittlere Harnprozente und g sezerniert, auf dieselbe Ober- fläche reduziert. M %, = Mittlere % = g gefunden durch MH. Zeit in Perioden zu 5 Minuten. Zeit MH | M ®%o & 100) Obtl. | am 5, Er 2 Blutentzug | | 6 | 3,60 1,85 1,40 1,34 1,507 | 0,88 0,62 9 | 287 2,05 1,40 1,65 1,614 1,02 0,72 ı2 | 220 1,61 1,36 1,31 1,363 0,96 0,70 15 | 214 1,66 1,29 1,24 1,402 0,88 0,68 9 | 157 1,43 1.09 0,80 1,268 0.64 0,58 24 | 1,59 0,88 1,80 1,15 0,9183 1,25 0,69 391 1,29 0,70 1,84 0,94 0,7883 1,19 0,64 33 | 070 0,68 1,03 038 | 0,7733 0,49 0,47 Coffeininjektion | 05 | 09 0,66 0,41 0,9799 0,63 39 | 085 | 0,68 0.66 0,14 0,7733 0,27 Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 205 Versuch Jod 1. Elementare Durchschnittsrechnung zur Kurvendar- stellung: Mittlere Harnprozente und g sezerniert, auf dieselbe Ober- fläche reduziert. M %, = Mittlere % = g gefunden durch MH. Zeitin Perioden zu 5 Minuten. a L = TIRZUR SE god | . r gef. 0 9 Sez. 6) BEZ I SSzn Zeit (= 100) | MH M °%o (< 100) IbE. ob. lo-m 3 1,96 2,189 0,70 0,81 1,936 0,41 0,58 7 0,63 0,945 0,66 0,28 0,963 ‚29 0,44 Coffeininjektion 0,52 0.39 1,556 0,25 0,48 an 1,02 | 1,942 Versuch Nitrat 8. Elementare Durchschnittsrechnung zur Kurven- darstellung: Mittlere Harnprozente und g sezerniert, auf dieselbe Ober- fläche reduziert. M %, = Mittlere % = g gefunden durch MH. Zeitin Perioden zu 5 Minuten. gef. ' ro g sez. | sez sez. Zeit ( 100) MH M fo (< 100) Obfl. | Obfl 0.Mih 2 Blutentzug 4 0,82 1,024 0,80 0,44 1,016 0,43 0,54 ) 0,58 0,882 0,66 0,31 0,920 0,33 0,50 16 0,46 0,819 0,56 0,21 0,876 0,23 0,41 Coffeininjektion 25 1,35 3,013 0,40 0,56 2,086 0,26 0,85 25 1,65 3,908 0,50 0,79 2,22 0,36 0,72 0,73 26 1,78 | 3,599 0.49 0,84 2,346 0.36 i Versuch Nitrat 7. Elementare Durchschnittsrechnung zur Kurven- darstellung: Mittlere Harnprozente und g sezerniert, auf dieselbe Ober- fläche reduziert. M %, = Mittlere % = g gefunden durch MH. Zeit in | Perioden zu 5 Minuten. Zeit| 2 Sn) au | m% | 2 | Obi | oO low | | 2 Blutentzug 6 0,57 0,6571 0,86 0,33 0,7557 0,43 0,50 13 0,43 0,5155 .0,83 0,25 0,6429 0,38 0,45 91 | 039 0,4703 0,82 0.22 0,6048 0,36 0,44 Coffeininjektion 37 0,07 . 0,1764 0,37 0,02 0,3145 0,06 0,15 206 Ernst Frey: Versuch Nitrat 6. Elementare Durchschnittsrechnung zur Kurven- darstellung: Mittlere Harnprozente und g sezerniert, auf dieselbe Ober- fläche reduziert. M % = Mittlere % = 9 gefunden durch MH. Zeit in Perioden zu 5 Minuten. | 1 9. gef. 10 g Ssez. | sez. sez. Zeit &< 100) MH | M °o (= 100) Obfl. | Opa. jo: % 14 0,18 | 0,223 0,80 0,09 0,368 0,24 0,30 26 0,31 | 0,544 0,57 0,09 0,672 0,13 0,23 34 0,21 0,473 0,44 0,03 0,601 0,05 0,11 Cotfeininjektion ° 40 0,46 1,249 0,37 0,03 1,158 0,03 0,08 49 0,09 0,231 0,38 0,01 0,376 0,03 0,08 Man sieht ohne weiteres, dass hier eine Gesetzmässigkeit vorliegen muss, eine Abhängigkeit der Sekretion von der schon vorhandenen Harnkonzentration an aus- Nitrat 8. Faktor K bedeutet dabei eine Geschwindiekeitskon- % Harn stante,und zwar einen Durch- schnittswert, da wir ja nicht wissen, ob alle Teile der Harnkanälchen gleich stark an der Sekretion beteiligt sind. Man könnte glauben, die Abhängigkeit der Se- kretion von der schon vor- o%MH. b SR NR handenen Harnkonzentration „9 sezermert . ee L erfordere ein stärkeres Ar- beiten der tieferen Teile, "og sezermiert LI ITg gezerme Nitrat 7. Sal während doch manches dafür: Nitrat. 6 spricht, dass die oberen Teile die aktiveren sind; dem ist aber nicht so. Unsere .. Be- ziehung gilt nur des Vorganges, und I sezermert tative Beteiligung der einzelnen Ab. schnitte wird, dadurch nichts ausgesagt oder doch nur so viel, dass eben bei doppelter Harnkonzentration alle Abschnitte doppelt. Abb. 6. Gleichsinniger Verlauf der Kurven. zuscheidendem Stoff. — Der: Or für die Gesamtheit. über die quanti- | | Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 207 soviel in der Zeiteinheit dazu [sezernieren, als sie sonst (bei halber Harnkonzentration) sezernieren würden; wie sie sich aber unter- einander in diese Arbeit teilen, können wir daraus nicht erschliessen. Der Geschwindigkeitsfaktor K hat also durchschnittliche Bedeutung für die Gesamtheit der Sekretion der Harnkanälchen. Der Reiz für die Sekretion körperfremder Stoffe wird also durch die schon vorhandene Harnkonzentration an dem körperfremden Stoffe gegeben, die Harnkanälchen sind. also gewissermaassen nach innen orientiert. Eine Vorstellung von dem Vorgang der Sekretion selbst können wir durch ein weiteres Verfolgen der Versuchsergebnisse nicht erlangen, sie haben uns nur Beziehungen erkennen lassen, die sich in die Form eines Gesetzes bringen liessen. Eine weitere Vorstellung von dem Ge- schehen in der Nierenzelle können wir nur durch Überlegungen er- langen; ich habe sie daher, in einem besonderen Teil, dem deduktiven Teil der Arbeit, angestellt. Sie werden die gefundene Gesetzmässigkeit fordern. IV. Deduktiver Teil. Die Sekretion in den Harnkanälchen in den Harn hinein findet im Innern der Harnkanälchen ein Filtrat des Blutes vor, das die meisten Stoffe in der Konzentration des Blutes enthält. Dieser provisorische Harn wird nun allmählich eingeengt, und gleichzeitig findet ein Aus- tausch von Molekülen in der Weise statt, dass Kochsalz zurück ins ' Blut durch die Zelle hindurchwandert, der auszuscheidende Stoff in umgekehrter Richtung in den Harn hinein. Es findet also ein Vorgang statt, der entgegengesetzt der Diffusion verläuft und eben das Rätsel der Sekretion darstellt. Betrachten wir die Verhältnisse in räumlicher Hinsicht vom Glomerulus abwärts und sehen zunächst von der Ein- engung des Harnes durch Rückresorption von Wasser ab, stellen wir uns also den Vorgang von Kranz zu Kranz der Epithelzellen bei einem Harn vor, der dauernd die gleiche Gesamtkonzentration aufweist wie das Blut. Dann ist an der Innenseite des ersten Kranzes der Epithel- zellen ein blutähnlicher Harn, auf der Aussenseite ein rasch vorbei- strömendes Quantum Blut, also gewissermaassen ein unendlich grosses Quantum einer gleich zusammengesetzten Flüssigkeit. Denn von der Veränderung des Blutes wollen wir bei der kurzen Zeit unserer Be- trachtung absehen. Dann befördert dieser erste Kranz der Epithel- zellen eine gewisse Menge körperfremden Stoffes, zum Beispiel Jod- natrium, in den Harn hinein und entnimmt ihm dafür in molekularem Verhältnis Kochsalz; d. h. es wandert Kochsalz vom Harn hinein in die Zelle, Jodnatrium vom Blut ans in die Zelle, und diese tauscht. 208 Ernst Frey: nun beides füreinander aus in der Weise, dass sie Kochsalz ans Blut, Jodnatrium an den Harn abgibt. Es muss also die Zelle imstande sein, den beiden Molekülen eine Wanderungsrichtung zu geben, und zwar eine entgegengesetzte. Dass dieser Vorgang stattfindet, wird man nicht gut bezweifeln können; denn tatsächlich entnimmt ja die Zelle dem Harn Kochsalz und fügt ihm Jodnatrium zu, und zwar in moleku- larem Verhältnis. Wie dies die Zelle zustande bringt, ist eigentlich nur die Frage. Und diese hier gegebene Darstellung der Sekretionstätigkeit ist nur eine Beschreibung der Vorgänge, keine Theorie derselben. Auf welche Kräfte eine solche Richtung der Wanderung, ein solches Ver- teilenwollen der Stoffe in der Zelle zurückzuführen ist, wissen wir nicht. Man müsste ihr Kräfte zuerkennen, welche in ähnlicher Weise wie bei Ionen elektrische Kräfte wirksam wären, die dort die Ionen sortiert und die eine Art an die Seite, die andere nach der anderen Seite treibt. Oder man könnte an Vorgänge der Oberflächen- erscheinungen denken; einige Stoffe werden in der Oberfläche an- gereichert, andere finden sich daselbst in geringerer Konzentration als in der Lösung selbst. Wenn nun die Epithelzelle durch einen kapillaren Bau an der zum Harn zu liegenden Innenseite des Kanälchens mehr den Charakter der Oberfläche darböte als an der Aussenseite, so würden Oberflächenkräfte eine Anreicherung oder Verarmung da- selbst erstreben. Ist zum Beispiel für irgendeinen derartigen Prozess das Molekulargewicht maassgebend, so könnte das Kochsalz wegen seines geringen Molekulargewichtes — nur die Fluoride sind noch kleiner — eine Ausnahmestellung der Art einnehmen, dass es immer von der Oberfläche zurückwiche und anderen Stoffen Platz machte, die dann eben gegen Kochsalz ausgetauscht würden. Die Harnfähigkeit eines Stoffes würde sich dann aus dem Unterschied der Oberflächen- anhäufung von körperfremdem Stoff und Kochsalz und zweitens aus der Diffusionsgeschwindigkeit des körperfremden Stoffes zusammen- setzen. Diese Erwägungen sollen nur zeigen, dass man sich einen solchen Prozess in irgendeiner Weise vorstellen kann, ihn sich plausibel machen kann. Wenn man annehmen wollte, dass es sich hier um unergründliche Zweckmässigkeiten handelt, indem die schädlichen oder unbrauchbaren Stoffe von der Niere ausgeschieden werden, die brauchbaren und nötigen aber zurückgehalten würden, so dass irgendeine Sortierung nach physikalischen Kräften ausgeschlossen ist, so könnte man die Gegenfrage stellen, warum denn die Niere häufig mit der Ausscheidung heftiger Giftstoffe so lässig ist und im Einzelfall zum Beispiel Koch- salz ausscheidet und Bromnatrium zurückresorbiert oder Zucker eliminiert, und man kann behaupten, dass wir für diesen Vorgang nur den Ausdruck Harnfähigkeit eingeführt haben, der sich keineswegs mit Giftigkeit, Schädlichkeit oder Unbrauchbarkeit deckt. Wenn wir Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 309 aber sehen, dass einerseits die Nierenzelle ein solches Vermögen zur Richtung der Wanderung besitzen muss, andererseits die Harnfähigkeit von irgendeiner Eigenschaft der Stoffe abhängt, die sich durch Zweck- mässigkeit nicht begründen oder gar erklären liesse, so kann man nicht gut die Vorstellung abweisen, dass hier Kräfte der Zelle vor- liegen, welche auf bestimmte Eigenschaften der Stoffe mit Richtung ihrer Bewegungen antworten, auch wenn wir die Kräfte der Zelle und die Eigenschaften der Stoffe nicht kennen. Man könnte vielleicht fragen, ob es einen Zweck hat, diese Verhältnisse so weit theoretisch zu verfolgen, als unsere Kenntnisse es heute gestatten, aber man würde bei Verneinung dieser Frage übersehen, dass allemal das Feststellen der Grenze unserer Erkenntnis zu neuen Fragestellungen führt und so dem weiteren Fortschritt dienlich ist, sodann, dass jedes Ausdenken einer Vorstellung bis zur Grenze des Bekannten eine Klärung unserer Anschauung mit sich bringt, und wie wir gleich sehen werden, in mancher Hinsicht Folgerungen zulässt, die einer experimentellen Bestätigung zugänglich sind und die uns beweisen, dass wir uns von dem Vorgang eine richtige Vorstellung gemacht haben. Wir stellen uns also vor, dass die Epithelzelle der gewundenen Harnkanälchen die Fähigkeit hat, die Molekularbewegungen zu richten, das Kochsalz, welches aus dem Harn zurückresorbiert wird, auf die Blutseite zu, den körperfremden Stoff, der aus dem Blute aufgenommen wird, auf die Innenseite des Röhrchens, also auf den Harn zu, zu treiben, und zwar in molekularem Verhältnis. Dann bedingt dieses Richten der Bewegungen keine Wasserwanderung durch Osmose innerhalb der Zelle, sondern hat nur die Diffusion zu überwinden. Wenn aber der Stoff aus der Zelle austreten soll, so ist den richtenden Kräften eine Grenze am Ende der Zelle gesetzt, und der Austritt muss nach physi- kalischen Gesetzen erfolgen. Er muss also entlang dem Konzentrations- gefälle erfolgen. Es muss also die Nierenzelle, wenn sie den körper- fremden Stoff wirklich hinaustreiben will, ihn in einer so grossen Kon- zentration besitzen, dass er durch Diffusion in den Harn. übertreten kann. Und wenn in dem zweiten, dritten usw. Kranz der Epithel- ‘zellen der Harn schon mit fremdem Stoff angereichert ist, so muss nun auch die Epithelzelle ihrerseits den Stoff in dieser Konzentration — oder in einer etwas höheren — in Bereitschaft halten, damit er in der Richtung wandern kann, welche ihm die Zelle anweist. Die gleiche Betrachtung gilt für Kochsalz; auch dies muss in der Kon- zentration des Blutes — oder in einer etwas höheren — in der Epithel- zelle vorhanden sein, damit es der richtenden Tätigkeit der Zelle nach- geben kann. Dann erst, wenn der körperfremde Stoff in der Kon- zentration des Harnes in der Zelle vorhanden ist und Kochsalz in der des Blutes, kann die Wanderung in der erstrebten Richtung wirklich Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 177. 14 210 Ernst Frey: erfolgen, ohne dass Unterschiede im osmotischen Druck in der Zelle eintreten. Dann erst wird aber auch ein Einströmen in ungewollter Richtung verhindert, so dass dann immer das Kochsalz in der Zelle aus dem Harn, der körperfremde Stoff aus dem Blute stammt. Es. erübrigt sich also, eine Art von Ventileigenschaft der Zelle anzunehmen, wenn man dieser Vorstellung folgt; nur ist dann die Forderung un- erlässlich, dass der auszuscheidende Stoff in einer Konzentration in der Zelle vorhanden ist, die gerade eine Spur höher liest als seine Kon- zentration im Harn. Urd gerade eine Ventileigenschaft der Zelle ist recht schwer vorstellbar. — Es muss also-von Kranz zu Kranz der Epithelzellen die Konzentration an körperfremdem Stoff in der Zelle selbst wachsen; und auch wenn in einer bestimmten Höhe der Harn- wege der Harn durch Wasserrückresorption konzentrierter an der zu eliminierenden Substanz geworden ist, muss es auch die dort gelegene Epithelzelle sein. Diese gesteigerte Bereitstellung des auszuscheidenden Stoffes wird nun zunächst längere Zeit erfordern, dann aber, wenn sie erreicht ist, wird an der Grenzmembran Zelle-Harn derselbe Kon- zentrationsunterschied herrschen, der gerade ausreicht, um Stoff durch die Membran durch Diffusion zu treiben. Es sind dann die Verhältnisse ähnlich wie bei einem Wehr, wo immer eine bestimmte Menge Wasser oberhalb zufliesst und sich über das Wehr ergiesst. Wird das Wehr höher eingestellt, so wächst das Niveau vor dem Wehr, aber schliesslich wird doch dieselbe Menge über das Wehr hinüberfliessen, wie von oben zuströmt. Danach wäre dann die Absonderung — oder es wären die Schwankungen der Absonderung — nicht von den Verhältnissen an der Grenzmembran Harn-Zelle abhängig, sondern nur von der Geschwindigkeit, mit welcher die Bereitstellung des Stoffes in der Zelle vor sich geht; oder doch nur indirekt, indem durch die Harn- konzentration die Zellkonzentration beeinflusst wird. Wir wissen, dass die Bereitstellung in der Zelle in molekularem Verhältnis mit dem Koch- salz erfolgt. Es kommt alse in letzter Linie darauf an, mit welcher Geschwindigkeit die Bereitstellung von körperfremdem Stoff erfolgt, wenn dieser Stoff in der Zelle in der Konzentration des Harnes (denn. eher wird sie ihn nicht los) und wenn Kochsalz in ihr in der Kon- zentration des Blutes (sonst kann auch dies nicht übertreten) vorhanden. ist. Es handelt sich dabei also um eine Art Reaktion. Sie findet in. molekularem Verhältnis statt, und zwei Moleküle beteiligen sich daran, die in verschiedener Konzentration vorhanden sind. Es handelt sich also um eine vollständig verlaufende bimolekulare Reaktion. Ihre: Geschwindigkeit ist proportional dem Produkt aus beiden Kon- zentrationen, d. h. gleich einem Geschwindigkeitsfaktor mal dem Pro- dukt der beiden jeweiligen Konzentrationen. Nun können wir ohne grossen Fehler die Konzentration des Kochsalzes im Blut dauernd Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. 311 gleich setzen, so dass seine Konzentration gleich einer Konstanten wird, die dann in der Geschwindigkeitskonstante des Vorganges mit- enthalten ist. So kommen wir zu dem Schluss, dass die Ausscheidungs- geschwindigkeit proportional ler Konzentration des jeweiligen Harnes an auszuscheidendem Stoff ist, also gleich einer Geschwindigkeits- konstanten mal der jeweiligen Harnkonzentration des betreffenden Stoffes. Dieses Gesetz ist im zweiten Teile dieser Arbeit auf induktivem Wege gefunden worden. Es muss daher angenommen werden, dass diese Vorstellungen den tatsächlichen Verhältnissen sehr nahe kommen. V. Zusammenfassung. 1. Wern man an der Hand verschiedener Annahmen die Einengung des provisorischen Harnes der Zeit nach verfolgt, welche der Harn in den Harnkanälchen verweilt, so entscheiden die Versuchsergebnisse für die Abhängigkeit des Gefrierpunktes von der Zeit (f) in der Weise, dass AHarn = ABlut (1-+.ct) ist, wobei c eine Konstante darstellt — und dass die Veränderung des Harnvolumens nach der Gleichung vor sich geht: cem Harn = cem (Provisorischer Harn) dividiert durch (1-+ct); es wird also in jedem Zeitteilchen der osmotische Druck um denselben Betrag erhöht. 2. Es verläuft die Einengung des Harnes und die Anreicherung mit körperfremdem Stoff durch Sekretion gleichsinnig; also sind beide Vorgänge nicht räumlich und zeitig getrennt, sondern beide, Wasser- rückresorption wie auch Sekretion, finden in den Harnkanälchen gleich- zeitig statt. 3. Die Sekretion eines körperfremden Stoffes ist abhängig von der schon vorhandenen Konzentration des Harnes an diesem Stoff, und zwar ist die Sekretionsgeschwindiskeit direkt proportional der schon vorhandenen Harnkonzentration. Bezeichnen wir die Menge sezernierten ' Stoffes in einer bestimmten Zeit. (£) in Grammen- mit tz, so ist die Sekretionsgeschwindigkeit gleich einer Konstanten mal der jeweiligen Harnkonzentration (mal der Grösse der Sekretionsfläche 0); es ist also dz Ki(fii+x2)0 AHam Mo: PH ABlut’ unter PH den provisorischen Harn und unter AHarn den A des jeweiligen Harnes verstehen — oder wenn wir dafür die Zeit einführen: dz Kefil-+x)0 Da PH Wege gefunden. Es stellt also die schon vorhandene Harnkonzentration an aus- zuscheidendem Stoff den Reiz für die weitere Sekretion der Kanälchen 14 * wenn wir unter fil die filtrierten Gramme, -(1-+.ct). Dieses Gesetz wurde auf induktivem 212 Ernst Frey: Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. dar; die Kanälchen sind also gewissermaassen nach innen, nach der Harnseite, orientiert. 4. Die Nierenzelle verfügt über die Fähigkeit, die körperfremden Stoffe in molekularem Verhältnis gegen Kochsalz auszutauschen, ihrer Bewegung eine entgegengesetzte Richtung zu geben. Damit an der Grenze der Zelle diese Stoffe durch Diffusion austreten können, und damit eine Wanderung eintreten kann, ohne dass osmotische Druck- differenzen auftreten, muss der körperfremde Stoff in der Harn- konzentration, das Kochsalz in der Blutkonzentration in der Zelle vorhanden sein. Dann findet der Austausch nach Art einer Reaktion statt. Ihre Geschwindigkeit ist proportional dem Produkt der beiden Konzentrationen, und da die Kochsalzkonzentration des Blutes kon- stant ist, proportional der Harnkonzentration an körperfremdem Stoff Diese Überlegung erfordert also das oben empirisch gefundene Gesetz. Beobachtungen zur Frage der morphologischen und funktionellen Asymmetrie des menschlichen Körpers. Von Emil Abderhalden, Halle a. S. (Eingegangen am 10. Juni 1919.) In einer interessanten Abhandlung hat F. OÖ. Guldberg!) eine ganze Reihe von Beobachtungen über Zirkularbewegungen von Menschen und Tieren gesammelt. Menschen und Tiere, die aus irgendeinem Grunde der Orientierung mittels ihrer Sinnesorgane beraubt sind, sei es, dass die Umgebung als solche keine Anhaltspunkte gibt, sei es, dass Dunkel- heit, Schneestürme, Nebel usw. den Gebrauch des Gesichtssinnes un- möglich machen, kehren im Bogen zur Ausgangsstelle zurück. Als Ursache der Kreisbewegung wird die morphologische und funktionelle Asymmetrie des Körpers angeführt. Guldberg fasst die Kreisbewegung als eine der wichtigsten Bedingungen für die Erhaltung des Lebens auf. Die jungen Tiere treffen wieder auf die Alten, sofern diese in der Nähe der Ausgangsstelle des Wanderns sich aufhalten. Kürzlich ist Pintner ?) der Ursache nachgegangen, die dem Um- stande zugrunde lag, dass die Verordnung in Wien, links zu gehen, fortwährend durchbrochen wurde. Immer wieder wurde trotz aller Verordnungen und aller Ermahnungen die rechte Gehrichtung gewählt. Während das Rechtsgehen und Rechtsausweichen ohne besondere Willensanstrengung sich ganz von selbst einstellt, brauchen die weitaus meisten Menschen, um links zu gehen, eines besonderen, und zwar starken Willensimpulses. Auch hier spielt zweifellos die Asymmetrie des Körpers in morphologischer und funktioneller Hinsicht die aus- schlaggebende Rolle. SE Ich konnte in den letzten Jahren eine grosse Zahl von Beobach- tungen ausführen, die im gleichen Sinne liegen. Zum physiologischen Institute der Universität Halle führen zwei breite, bequeme, steinerne Treppen. Die Treppenanlage ist genau symmetrisch gebaut. Die eine Treppe führt rechts, die andere links herauf. Es war nun von Interesse, l) F.O. Guldberg, Die Zirkularbewegung als tierische Grundbewegung, ihre Ursache, Phänomenalität und Bedeutung. Zeitschr. f. Biologie Bd. 35 S. 419. 1897. 2) Pintner, Vorträge des Vereins zur Verbreitung naturwissenschaftl. Kenntnisse in Wien, Jahrg. 58, Heft 1. 1918, nach einem Referat in der Naturwissenschaftl. Wochenschr. Bd. 34 S. 226. 1919. 214 Emil Abderhalden: festzustellen, wie oft die rechte und wie oft die linke Treppe benutzt wird. Zu diesem Zwecke zählte ich in den einzelnen Semestern — be- sonders in den ersten Tagen — die Zahl der’Studenten, die die rechte oder linke Treppe emporstiegen. Die Ergebnisse waren ganz eklatant. Die bei weitem grösste Zahl der Studierenden benutzte regelmässig die rechte Treppe. Nur ganz wenige erklommen die linke. Am ein- deutigsten war das Resultat, solange Einzelpersonen ankamen. Wurde der Andrang stärker, dann benutzten manche die linke Treppe, um rascher emporzukommen. Interessant war, dass die Linkshänder mit wenigen Ausnahmen die linke Treppe benutzten. Einige Beobachtungen mögen das Mitgeteilte belegen: Rechte Treppe. Linke Treppe. 86 (0 Linkshänder) 10 (3 Linkshänder) tete) 11 90 8 72 6 68 2 70 8 72 6 46 3 47 4 85 6 86 5 117 (0 Linkshänder) 19 (4 Linkshänder) 115 16 125°. 20 129 . 18 131 19 130 19 132 16 Noch grösser werden die Unterschiede, wenn diejenigen Perioden fortgelassen werden, während deren ein grosser Andrang stattfand, und infolgedessen mancher die linke Treppe wählte, nur um rascher empor- zukommen. | So benutzten zum Beispiel, gezählt vom ersten Ankömmling an, 41 Studierende die rechte Treppe und nur einer (ein Linkshänder) die linke. Dann folgte ein grosser Andrang, wobei die Treppe in Gruppen. erstiegen wurde. 55 Personen kamen die rechte Treppe herauf und 16 die linke. Dann liess der Andrang nach. In der Folgezeit benutzten 43 Personen die rechte und nur 2 die linke Treppe. Ein Unterschied Beobachtungen zur Frage der morpholog. u. funktionellen Asymmetrie. 215 im Verhalten der beiden Geschlechter war nicht feststellbar. Es kamen zum Beispiel 11 Studentinnen rechts und 2 links herauf. Es sei noch ausdrücklich betont, dass nicht etwa die eine oder andere Treppe in der Richtung der Ankommenden liest. Vielmehr stehen die Treppen im rechten Winkel zu einer kleinen, beiden gemein- samen Anfangstreppe. In sehr grossem Umfange konnten auch Beobachtungen an einem gemischten Publikum gemacht werden. Im physiologischen Institut ist die Geschäftsstelle des Bundes zur Erhaltung und Mehrung der Volks kraft untergebracht. Sie wird zum Zweck der Ackerpachtung oder der Abholung von Sämereien usw. in gewissen Zeiten von Hunderten von Personen besucht. Ferner fanden wiederholt Sitzungen und Vorträge im physiologischen Institute statt. Es seien einige dieser Beobachtungen mitgeteilt: Rechte Treppe. Linke Treppe. 568 65 227 33 890 72 212 26 145 (darunter 1 Linkshänder). 27 (darunter 8 Linkshänder). 98 12 714 23 58 2 64 1 168 (darunter 0 Linkshänder). 24 (darunter 7 Linkshänder). 171 12 415 26 Die Feststellung, ob linkshändig oder rechtshändig, liess sich leider nur selten durchführen. Es mussten die Leute beim Heraufkommen beobachtet und gezählt werden. Gleichzeitig mussten für die auf der linken Seite ankommenden Personen bestimmte Merkmale der Kleidung oder des Aussehens vermerkt werden. Dann wurde fest- gestellt, ob sie mit der rechten oder linken Hand sich in Listen ein- trugen. ‘Die einfache Aufforderung, zu melden, ob links- oder rechts- händig, hatte kein eindeutiges Resultat: Interessant ist nun die Feststellung, dass’ beim Verlassen des Institutes der Unterschied in der Benutzung der rechten oder linken Treppe fast ganz fortfällt. So benutzten von 146 Personen 72 die rechte und 74 die linke Treppe. Auch dann, wenn in grossen Abständen Einzelpersonen die Treppe benutzten, wurde keine Seite ausgesprochen bevorzugt. Es stellte sich allmählich eine Gewöhnung ein. Bestimmte Personen gingen immer rechts, andere immer links herunter. Das 216 Emil Abderhalden: a Emporsteigen erfordert mehr Anstrengung als das Herabsteigen. Es ist wohl möglich, dass dieser Umstand das verschiedene Verhalten bestimmt. Interessant war mir auch, dass Maueranschläge immer rechts und nie links vom Treppenaufgang angebracht wurden. Die Personen, die sie anbrachten, rechneten offenbar damit, dass die meisten Personen die rechte Treppe benutzen. Schon vor mehreren Jahren (1899) machte ich Versuche mit Links- und Rechtshändern, deren Augen verdeckt waren, im freien Gelände, um festzustellen, ob der zurückgelegte Bogen in beiden Fällen ver- schieden, d. h. das eine Mal rechts- und das andere Mal linksherum geschlossen wurde. Die Ergebnisse waren nicht eindeutig, weil die Geländeflächen zu klein waren. Die Versuchspersonen liefen an Hinder- nisse und orientierten sich dann. Immerhin schien ein Unterschied vorhanden zu sein. Es müsste nicht schwer sein, dieser Frage beim Rudern auf einem grossen See bei verbundenen Augen nachzugehen (wobei allerdings nur die Arme in Frage kämen) oder auf einer grossen Sand- oder Eisfläche. Interessant wäre es auch, an einem grossen Material zu prüfen, welches Bein beim Tasten benutzt wird. Geht man im Dunkeln an einem unbekannten Orte, dann prüft man häufig mit den Beinen, ob ein Hindernis droht. Es ist dies besonders dann der Fall, wenn in einem Gang eine Treppe zu erwarten ist. Ich persönlich verwende das rechte Bein. Sobald man sein Augenmerk ausdrücklich auf die Verwendung der Beine zu Tastzwecken wendet, dann ist die unvorein- senommene Beobachtung gestört. Aus diesem Grunde ist es schwer, ausreichende Beobachtungen zu sammeln. Über den Einfluss der Blähung der einen Herz- kammer auf die Tätigkeit der anderen. Von J. G. Dusser de Barenne. (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.) Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 19. Juni 1919.) I. Einleitung. Der isolierte Herz-Lungen-Kreislauf nach Starling ist in den letzten Jahren mit grossem Vorteil zum Studium von mehreren Fragen der Physiologie und pathologischen Physiologie. des Herzens benutzt worden, zum Beispiel von Starling !) und seinen Mitarbeitern, Ch. Socin ?), P. W. Schram ?), Hermann Straub *). Die dynamisehen Verhältnisse der einzelnen Herzabschnitte lassen sich an diesem Kreis- lauf nicht nur verhältnismässig einfach überblicken, sondern auch be- liebig ändern, womit das Studium der Dynamik des Herzens nach ver- schiedenen Richtungen einwandsfrei ermöglicht wird. Das ganze System besteht, ausser dem Herzen und den Lungengefässen, nur aus einem künstlichen Kreislauf. Auf der arteriellen Seite lassen sich die dynamischen Verhältnisse für den linken Ventrikel ganz einfach durch Änderung des künstlichen Kapillarwiderstandes, auf der venösen Seite des Kreislaufs durch Änderungen der Höhe des venösen Reservoirs bzw. des Durchschnitts des zuleitenden Schlauches die Bedingungen für den rechten Ventrikel beliebig ändern. 1) Von den verschiedenen Mitteilungen Starling’s seien hier nur an- geführt: H. Fühner und E. H. Starling, The influence of variation in temperature and blood-pressure on the performance of the isolated mam- . malian heart, Journal of Physiology Bd. 47 S. 286. 1913. — S. W. Patter- son, H. Piper und E. H. Starling, The regulation of the heart beat. Journal of Physiology Bd. 48 S. 465. 1914. 2) Ch. Socin, Experimentelle Untersuchungen über akute Herzschwäche. Pflüger’s Archiv Bd. 160 S. 132. 1914. 8) P. W. Schram, De dynamica van het zoogdierenhart by aortain- sufficientie, Inaugur.-Dissertat. Utrecht. 1915. 4) Hermann Straub, Dynamik des Säugetierherzens. Deutsches Archiv f. kiin. Medizin Bd. 115 S. 531. 1914. — Dynamik des Säugetier- ‚herzens II, Dynamik des rechten Herzens. Deutsches Archiv £. klinische Medizin Bd. 116 S. 409. 1914. — Über den kleinen Kreislauf I. Der Ein- fluss des grossen Kreislaufs auf den Blutgehalt der Lungen. Deutsches Archiv f. klinische Medizin Bd. 121 S. 394. 1917. - 218 J. G Dusser de Barenne: Als eine der Grundtatsachen, die sich aus den schon ziemlich zahl- reichen Untersuchungen ergibt, ist zu betrachten, dass die linke Herz- kammer innerhalb einer breiten Zone - bei wechselndem arteriellem Widerstand ihr Schlag- und Zeitvolumen konstant erhält. Erst wenn ein von Fall zu Fall wechselndes Maximum des arteriellen Wider- standes erreicht ist, nehmen diese beiden Grössen ab. Dann aber treten nach Schram auch Druckänderungen im linken und rechten Vorhof auf; nach Straub ist dies sogar bei jeder Widerstandserhöhung für den linken Ventrikel der Fall. Wie dem auch sei, in diesen Ver- suchen kommen (nach Straub also eher als nach Schram) Änderungen auf der venösen Seite des Kreislaufs durch Änderungen der Tätig- keitsbedingungen für den linken Ventrikel zustande. Noch deutlicher zeigt sich bei Änderung des venösen Zuflusses zum rechten Herzen eine entsprechende Arbeitseinstellung des linken. Vermehrung des venösen Zuflusses zum rechten Ventrikel hat sofort eine starke Vergrösserung des Zeitvolums und des systolischen Maximal- druckes der linken Herzkammer zur Folge. Dass ein vermehrter Zu- strom des venösen Blutes eine Vergrösserung des Schlagvolums des rechten Ventrikels zur Folge hat, ist ohne weiteres verständlich, dass aber dadurch auch sofort eine 'entsprechende Zunahme des Schlag- volums der linken Herzkammer verursacht wird, ist doch sehr merk- würdig; denn bei den grossen Schwankungen, denen das Strombett der Lungen unterliegen kann, würde es doch gar nicht zu verwundern sein, wenn dieses Kapillargebiet viel mehr den wechselseitigen - Be- ‚einflussungen entgegenwirken, gewissermaassen viel mehr als Puffer wirken würde, als offenbar der Fall ist. Wie die Verhältnisse hier tat- sächlich liegen, ist noch keineswegs sicher bekannt. Wir kennen eben die Blutverschiebungen durch den Lungenkreislauf unter verschiedenen Bedingungen für das linke und das rechte Herz noch sehr wenig. Straub hat in seiner letztzitierten Mitteilung damit begonnen, diese Frage am Starlingpräparat experimentell zu behandeln, wobei er die gegenseitigen Blutverschiebungen zwischen grossem und. kleinem Kreislauf graphisch festzulegen versuchte. Er macht dort darauf auf- merksam, dass sich aus seinen Kurven ergäbe, dass diese Blut- verschiebungen im kleinen Kreislauf relativ langsam vonstatten gehen. So deutlich, wie dies nach Straub sein soll, finde ich es in den von ihm angeführten Kurven in Abb. 4 und 6 seiner betreffenden Arbeit über den kleinen Kreislauf nicht ausgeprägt, auch nicht, dass die Druck- kurven in den Herzhöhlen sich viel plötzlicher ändern als die Ver- hältnisse im Lungenkreislauf. Jedenfalls aber tritt eine Pufferwirkung des Lungenkreislaufs, dessen Stromgebiet zweifellos grossen Schwan- * kungen unterliegen kann, in Versuchen am Starling-Apparat unter verschiedenen Versuchsbedingungen merkwürdig wenig zum Vorschein. Über den Einfluss der Blähung der einen Herzkammer usw. 219 Die Frage drängt sich somit auf, ob nicht bei diesen wechselseitigen Beeinflussungen der beiden Herz- und Kreislaufhälften eventuell ein anderer Faktor mit im Spiele sei, nämlich ein direkter Einfluss des einen Ventrikels bei Änderung seiner dynamischen Verhältnisse auf den anderen. Um so mehr wäre an die Möglichkeit dieses Sachverhalts zu denken, als in einer kürzlich erschienenen Mitteilung von G. Pietr- kowski!) aus dem Laboratorium von W. Straub gezeigt wurde, dass sich am ausgeschnittenen Froschherzen durch Blähung der Vor- höfe eine systolische Kontraktur der Kammern hervorrufen lässt, ein Beispiel also einer direkten Funktionsänderung eines Herzabschnittes durch Änderung des Zustandes eines anderen Teiles des Herzens. Es wäre nun möglich, dass am Starling-Präparat ein ähnlicher Faktor vorhanden ist. Bei der Bedeutung dieser Frage für unsere Kenntnisse von der Dynamik des Herzens und speziell des kleinen Kreislaufs ist es erwünscht, eine, bestimmte Antwort auf diese Frage zu erhalten. Die Fragestellung, zu deren Beantwortung die vorliegenden Ver- suche angestellt wurden, war somit: Welchen direkten Einfluss hat die Änderung der Funktionsbedingungen des einen Ventrikels auf die Tätigkeit des anderen, ohne dass dafür Änderungen der zirkulatorischen Verhältnisse verantwortlich zu stellen sind, oder mit anderen Worten: Üben Zustandsänderungen des einen Ventrikels einen direkten Ein- fluss auf den anderen Ventrikel aus? Die betreffenden Versuche sind in zwei Gruppen zu verteilen, erstens solche am nach Langendorff durchströmten Herzen, zweitens solche am isolierten Herz-Lungen-Kreislauf mit leerschlagendem rechten Herzen, eine Abänderung des Starling’schen Präparates, auf die wir ausführlich bei der Besprechung der mit dieser Methode gemachten Versuche eingehen werden. Wir gehen jetzt über zur Besprechung der Versuche am Langendorff-Präparat. II. Versuche am nach Langendorff durchströmten Herzen. In einer ersten Versuchsreihe wurde hierbei eine Blähung des rechten Ventrikels vorgenommen und der Einfluss dieser Maass- nahme auf die Tätigkeit des linken Ventrikels studiert, unter Rück- sichtnahme auf etwaige quantitative Änderungen des Koronarkreislaufs. Es ist natürlich ohne weiteres deutlich, dass das Koronarblut gemessen werden musste, um, falls sich ein Einfluss der Blähung des einen Ventrikels auf den anderen zeigen würde, aussagen zu können, ob 1) G. Pietrkowski, Einfluss experimenteller Vorhofsdehnung auf den Tonus der Ventrikelmuskulatur. Archiv für experiment. Pathologie und Pharmakologie Bd. 81 S. 35. 1917. 2320 J. G. Dusser de Barenne: (und eventuell inwieweit) eine durch die Blähung mechanisch bedingte: Änderung der Koronardurchströmung dafür verantwortlich zu stellen wäre. Dann wurden auch noch einige Versuche gemacht, wobei die Blähung am linken Ventrikel ausgeführt und der Einfluss der- selben auf die rechte Herzkammer untersucht wurde. Bei diesen Langendorff-Versuchen wurde folgende Methodik benutzt. Experimentiert wurde an Herzen von jungen Hunden, die nach dem Langendorff’schen Prinzip gespeist wurden. Das Tier wurde aus einer Karotis verblutet, das Blut sorgfältig defibriniert, filtriert und dann mit 9—10 Liter Ringer-Lösung, die zuvor mit Sauerstoff gesättigt worden war, verdünnt. Das Herz hing an der Aortakanüle über einem Glastrichter, woraus die aus dem rechten Vorhof strömende, vom Koronarkreislauf' stammende Flüssigkeit in die von Condon!) angegebene Stromuhr abfloss. Diese schloss jedesmal nach Austliessen einer bestimmten Flüssigkeitsmenge: durch Umkippen des Rezipienten einen elektrischen Kontakt. Hierdurch. war eine exakte quantitative Messung des Koronarkreislaufs möglich. Nachdem das Herz an der Aortakanüle befestigt worden war, wurde in den rechten und den linken Ventrikel durch das entsprechende Herzohr je ein kleiner Gummiballon eingeführt. Als solcher wurde das geschlossene Ende eines dünnwandigen Fingerkondoms benutzt, der wasserdicht an einer- geeigneten Ansatzkanüle befestigt worden war. Nachdem die Ballons richtig. in den beiden Ventrikeln angebracht waren, wurde die gläserne Ansatz- kanüle am Herzohr durch Tabaksbeutelnaht festgebunden. Jetzt wurde: die Aortakanüle mit dem Herzen an den Langendorff-Apparat an-- geschlossen. Dann wurde der Ballon im linken Ventrikel und die Ansatz- kanüle luftblasenfrei mit ausgekochtem destilliertem Wasser gefüllt und mit einem Frank-Manometer durch Bleirohr in Verbindung gebracht. Auch das Manometer sowie das Bleirohr waren mit destilliertem Wasser luftfrei gefüllt. Das Manometer 'schrieb die Druckänderungen im Innern des Ventrikels auf ein Brodie-Russkymographion. Der Ballon im rechten Ventrikel stand durch Ansatzkanüle, T-Stück und Glasrohr einerseits mit einem gewöhnlichen Hg-Manometer, anderseits mit einer Druckflasche in. Verbindung. Auch dieses ganze System wurde luftblasenfrei mit ausge-- kochtem destilliertem Wasser gefüllt. Die Verbindungen der Glasröhren wurden von möglichst kurz gehaltenen dickwandigen Gummischläuchen gebildet. Es war somit möglich, durch ein Gebläse den Druck in der- Druckflasche allmählich zu steigern und hierdurch eine Dehnung des Gummi- ballons im rechten Ventrikel zu bewerkstelligen. Dadurch wurde ganz. einfach eine Blähung des am Langendorff-Apparat leerschlagenden rechten Ventrikels vorgenommen, während der jeweils im Innern dieses. Herzabschnittes herrschende und beliebig zu regelnde Druck am Hg-Mano- meter abgelesen werden konnte. Die Druckflasche wurde in solche Höhe. gestellt,‘ dass der statische Ruhedruck in diesem System Nullwert hatte. Erst wenn alle Systeme richtig gefüllt waren und nochmals die gute Lagerung der beiden Ballons in den Ventrikeln geprüft war, wurde die- Durchströmung des Herzens in Gang gesetzt; nach kurzer Zeit fing dann das Herz zu schlagen an, und die Condon’sche Stromuhr ergab die Grösse: des Koronarkreislaufs. Unter der Kurve der Druckschwankungen im linken Ventrikel markierte nämlich ein Signal jedesmal den Moment, wenn das. Messgefäss der Stromuhr kippte; unmittelbar über diese Kurve wurde die - 1) N. C. Condon, A magnet tipper for recording outflow. Journal of Physiology Bd. 46, Proceedings of the physiological Society, 28. Juni. 1913.. | | Über den Einfluss der Blähung der einen Herzkammer usw. 221 ‚Zeit in Sekunden und 10 Sekunden geschrieben. Am Ende jedes Versuches wurde durch mehrfache Probebestimmungen festgestellt, wieviel Kubik- zentimeter Flüssigkeit dem einmaligen Umkippen der Stromuhr entsprachen und zuletzt noch eine genaue statische Eichung des Frank-Manometers vorgenommen. Das Ergebnis war in allen drei Experimenten ganz eindeutig, näm- lich dass die Drucksteigerung im rechten Ventrikel erst bei exzessiv hohen Werten eine deutliche Änderung der Tätig- keit der linken Kammer zur Folge hatte. Das Protokoll sowie die Kurven von einem dieser Versuche mögen hier angeführt werden. 12. IX. 1918. Kleiner Hund unter Äthernarkose verblutet. 80 cem defibriniertes Blut mit 9 Liter Ringer-Lösung verdünnt, die zuvor durch zweistündiges Durchleiten von O0, mit diesem Gase gesättigt worden war. Blut-Ringer in zwei Reservoirs von je 6 Liter Inhalt, von wo die Durch- strömungsflüssigkeit durch eine im Wassermantel erwärmte Spirale zur Aortakanüle floss. Durchströmungsdruck durch Hg-Ventil sehr genau konstant erhalten. Unter dem Herzen, das von dem Glastrichter umgeben, an der Aortakanüle hängt, befindet sich die Condon’sche Stromuhr, die automatisch die Grösse des Koronarkreislaufs am Kymographion schreibt. Als Mittelwert eines Umschlags ergibt sich aus fünf Bestimmungen von je fünf Umschlägen in diesem Versuche 45 ccm. Der Ballon im linken Ventrikel wird mit dem Frank-Manometer in Verbindung gesetzt, der Ballon im rechten Ventrikel mit dem Hg-Mano- meter sowie mit der Druckflasche verbunden. Der Durchströmungsdruck für den Koronarkreislauf wurde während des ganzen Versuches auf 79 mm Hg gehalten. Temperatur der Durchströmungsflüssigkeit am Anfang des Versuches 33° C, am Ende 36° ©. Es wurde mit einem Druck von 0 mm Hg im rechten Ventrikel an- . gefangen und sprungweise um 25—30 mm Hg der Druck in diesem Herz- abschnitt durch Aufblasen des Ballons erhöht. Nachher wurde dann unter Bezugnahme auf die statische Eichung des Frank’schen Manometers aus der Kurve für jede Versuchsperiode der systolische und diastolische Druck im linken Ventrikel berechnet sowie die Grösse des Koronarkreislaufs während der betreffenden Versuchsabschnitte gemessen. Das Ergebnis dieses Versuches geht aufs deutlichste aus der unten _ wiedergegebenen Abb. 1 sowie aus der Tabelle I hervor. Tabelle I. Br Zeitvolumen | Systolischer | Diastolischer De ax des Koronar- Druck im Druck im Per entkellin kreislaufs in li nk en li nk en = ME Ta ccm Ventrikel in | Ventrikel in BIEOZZ 5 pro Minute mm Hg mm Hg | 135,9 | 1375 75,2 | 141.8 | 38 | 133,7 | 76,4 N D _ -] 222 J. G Dusser de Barenne: Zeitvolumen | Systolischer | Diastolischer Druck im des Koronar- Druck im Druck im nn kreislaufs in linken linken Bulsfreguenz: eh 2 cem Ventrikel in | Ventrikel in pro Minute 5 pro Minute mm Hg mm Hg 10090 | 135,9 82,2 20,7 | 120 sl | 120115 | { ns \ | 85,5 | 20,7 | 17 140128 | { I } | 86,6 | 20,7 | 117 7) 145,5 | | 160142 143,1 87,7 20,7 119 145,5 | 112,2 i anfangs 109, 200180 | f 1350} | 106,8 50 ech Aus Abb. 1 und Tabelle I geht deutlich hervor, dass bis zu einem Drucke im rechten Ventrikel von etwa 160 mm Hg, also Werten, die im normalen Leben nie eintreten), die Tätigkeit des linken Ventrikels nicht wesentlich durch die Blähung der rechten Herzkammer beeinflusst wird. Bis zu dieser Grenze blieben Frequenz und diastolischer Druck ganz unverändert, und auch der systolische Druck stieg im Bereiche der Druckwerte im rechten Ventrikel von 75—160 mm He fast gar nicht. Im ganzen wurden auf diese Weise drei Versuche ausgeführt, die, wie gesagt, alle ganz eindeutig dasselbe Resultat ergaben. Dann wurden noch zwei Versuche gemacht, wobei der Druckballon nicht, wie bisher, im rechten, sondern im linken Ventrikel angebracht wurde und das Manometer den Druck nicht im linken, sondern im rechten Ven- trikel aufschrieb. Auch diese beiden Versuche fielen ganz eindeutig im selben Sinne aus wie die erstangeführten Experimente. Das. Protokoll und die betreffende Tabelle eines dieser Versuche mag das illustrieren. 80. IX. 1918. Junger Hund. Verblutet. Defibriniertes Blut zu 8,5 Liter Ringer-Lösung gefügt. Versuchsaufstellung, was die Apparatur betrifft, wie im Versuch vom 12. IX. Jeder Umschlag der Stromuhr zeigt in diesem Versuche 34 cem Koronarblut an. Im linken Ventrikel der Druckballon. Im rechten Ventrikel der Ballon für das Frank’sche Manometer. Durch- 1) Bei Straub (l. c.) finden wir in einem Versuche bei Abklemmung der Aorta als höchsten Druck im rechten Ventrikel einen solchen von 100 mm Hg angegeben. Über den Einfluss der Blähung der einen Herzkammer usw. 2923 strömungsdruck durch Hg-Ventil konstant auf 62 mm Hg erhalten. Tem- peratur der Durchströmungsflüssigkeit konstant auf 31° C. 200—180 Abb. 1. In allen Figurabschnitten ist: oberste Kurve die der Druck- schwankungen im linken Ventrikel, mittlere Kurve die Zeit in Sekunden und 10 Sekunden, untere Kurve die Markierung des Kippens der Stromuhr. Distanz von je zwei Marken entspricht in diesem Versuche 45 ccm Blut-Ringer aus dem Koronarkreislauf. Die Zahlen unter den einzelnen Figurabschnitten geben die jeweils im rechten Ventrikel ange- brachten Druckwerte in Millimeter Hg wieder. Tabelle II ergibt sehr deutlich das Versuchsresultat, das genau das- selbe ist wie das der vorhergehenden ‚‚spiegelbildlichen‘“ Versuche. 2924 J. G. Dusser de Barenne: Tabelle 11. Dneklin Zeitvolum Systolischer | Diastolischer Rn des Koronar- Druck im Druck im Pils Ventrikel in | Kreislaufs in rechten rechten DS A 7 SH ccm Ventrikel in | Ventrikel in DIOR UNE Bu 5 pro Minute mm Hg mm Hg 0 | 392 | 40,5 | 4,8 | 94 50 | 257,95 | 40 | ag | 90 65—100 E | im Mittel so ]| 2062 | N Ds | u 140160 | 360 | 39,6 | 6,6 | 93 150180 | 349 | 49,8 | ni | 96 - 200-220 | 126 | 40,05 | 73 | 9 Der systolische Druck im rechten Ventrikel ändert sich nicht. Der diastolische Druck im rechten Ventrikel bleibt bis 50 mm unverändert, geht dann langsam um 2,2 mm in die Höhe. Die Herztätigkeit bleibt bis 150—180 mm Hg im linken Ventrikel praktisch ungeändert. Erst bei 200—220 mm nimmt der Koronarkreislauf ab (bei einem Durch- strömungsdruck von 62 mm Hg!). Es zeigt sich also auch hier die hochgradige Unabhängigkeit der Tätigkeit des rechten Ventrikels von einer Blähung des linken. III. Versuche am isolierten Herz-Lungen-Kreislauf mit leer- schlagendem rechtem Herzen. Nachdem diese am Langendorff-Apparat angestellten Versuche das erwähnte Resultat ergeben hatten, wurde dieselbe Frage unter Versuchsbedingungen untersucht, welche mehr den natürlichen Kreis- laufsverhältnissen entsprechen. Es wurde dafür das Starling-Präparat benutzt, das aber zu diesem Zwecke entsprechend abgeändert werden musste. Das Einführen eines Druckballons in den rechten Ventrikel und. besonders die Aufblähung desselben ist natürlich mit dem Fort- bestehen eines ungestörten Herz-Lungen-Kreislaufs unvereinbar. Es musste deshalb eine Modifikation des Kreislaufs vorgenommen werden, wobei der rechte Ventrikel leer schlägt. Dazu musste das Blut, das am gewöhnlichen Starling-Präparat durch die Vena cava dem rechten Herzen zugeleitet wird, von dem venösen Reservoir direkt in die Lungenarterie geführt werden. Dann wird das rechte Herz um- gangen und schlägt leer. Das einzige Blut, das dann noch in den rechten Vorhof gelangt, stammt vom Koronarkreislauf, kann aber leicht durch Über den Einfluss der Blähung der einen Herzkammer usw. 295 “ eine Kanüle nach aussen abgeleitet und wieder in das venöse Reservoir zurückgebracht werden. I | Damit ist die Möglichkeit gegeben, durch das rechte Herzohr und den rechten Vorhof einen Druckballon in den leer schlagenden rechten Ventrikel einzuführen und nun dem Einfluss der Blähung dieses Herz- abschnittes auf die Fähigkeit des linken Ventrikels unter diesen Ver- suchsumständen nachzugehen. Ich werde die Methodik so, wie sie sich mir in diesen Versuchen schliesslich am zweckmässigsten ergeben hat, ausführlich beschreiben, nicht: nur weil sie zum Zwecke der hier anhängigen Fragestellung dienlich ist, sondern auch, weil sie sich vorzüglich eignet zu einer ganz exakten Messung des Koronarkreislaufs. Im Laufe der letzten Jahre sind am Starling-Präparate von Starling und seinen Mitarbeitern mehrere experimentelle Bestimmungen der Grösse des Koronar- kreislaufs unter wechselnden Bedingungen, besonders bei Änderungen des arteriellen Blutdruckes, ausgeführt worden. Ganz exakt sind, aber diese Messungen nicht und. können es auch nicht sein, wie Starling selbst betont, weil seine Methodik nicht die Bestimmung von all dem Blut, dass die Koronargefässe passiert hat, gestattet. Er misst diese Blutmenge durch Einführung einer Kanüle in den Sinus coronarius (Methode von Morawitz und Zahn)!); weil aber ein Teil des Koronarblutes sich ausserdem direkt in den rechten Vorhof ergiesst, kann Man auf diese Weise nur einen Teil des Koronarblutes messen und muss, um die Gesamtmenge zu bekommen, eine Schätzung der Blutmenge machen, welche nicht durch die Kanüle geht. Er schätzt nun die Quantität Blut, die durch den Sinus coronarius abfliesst, auf drei Fünftel des totalen Koronarblutes. Mit der in meinen Versuchen benutzten Methodik aber kann man die ganze Koronarblutmenge einwandsfrei messen. Auch aus diesem Gesichtspunkt ist somit das hier benutzte Verfahren von Nutzen. Auch könnte es noch mit Vorteil benutzt werden bei Untersuchungen über die Physiologie der Papillarmuskeln; denn mit dieser Methodik lassen sich die Papillarmuskeln des rechten Herzens nach Eröffnung des leer schlagenden rechten Ventrikels bei ungestörter Tätigkeit des linken Herzens und normaler Durchblutung der Kammerwände direkt zugänglich machen und ihre Bewegungen, auch in ihren zeit- lichen Verhältnissen zu den Kontraktionen der Kammerwände, regi- strieren. Soweit mir bekannt, ist dies bis jetzt noch nicht geschehen. Die in dieser Hinsicht vorliegenden Untersuchungen sind entweder am Langendorf-Herzen oder unmittelbar nach dem Anschneiden 1) P. Morawitz und A. Zahn, Untersuchungen über den Coronar- kreislauf. Deutsches Archiv für klinische Medizin Bd. 116 S. 364. 1914; siehe auch Zentralblatt f. Physiologie Bd. 26 Nr. 11. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 177. 15 226 J. G Dusser de Barenne: und Eröffnen des Ventrikels am Herzen im natürlichen Kreislauf, bei der dieser dann aber im Momente des Eröffnens sistiert (Hering), vorgenommen. Die Methode Starling’s zur Herstellung seines künstlichen Kreislaufs dürfte allgemein bekannt sein, so dass eine nochmalige ausführliche Be- schreibung sich erübrigt. Zum guten Verständnis der späteren Manipulationen kann ich mich darauf beschränken, die Verhältnisse dieses Herz-Lungen- Kreislaufs zu schildern, so wie sie sind, wenn das Starling-Präparat fertig ist. Aus der Anonymakanüle strömt dann das Blut durch den arteriellen Teil des Systems mit dem ingeniösen künstlichen Kapillarwiderstand und über die Condon’sche Stromuhr in das venöse Reservoir und von da durch die Cavakanüle in den rechten Vorhof, von wo es durch den rechten Ventrikel, Pulmonalarterie, Lungenkapillaren und Pulmonalvene zum linken Vorhof und Ventrikel strömt, wo es wieder in den arteriellen Abschnitt des Kreislaufs befördert wird. Das Einströmen des Blutes in das rechte Herz findet ganz einfach dadurch statt, dass der venöse Blutbehälter sich in gewisser Höhe, im allgemeinen 20—35 cm, über dem Herzen befindet. Der Druck im Kapillarwiderstand wird so eingestellt, dass ein arterieller Blutdruck von 80-110 mm Hg vorhanden ist; dann funktioniert der Starling-Kreislauf, richtige Temperaturregelung in der Spirale und richtige Versuchstechnik vorausgesetzt, lange Zeit tadellos. Es wurde nun in meinen Versuchen angefangen mit der Herstellung des Starling-Präparates. Nachdem das Herz kürzere oder längere Zeit richtig geschlagen und sich vom operativen Eingriff erholt hatte, fing der zweite Akt des experimentellen Eingriffs an, wodurch die rechte Herzhälfte aus dem Kreislauf ausgeschaltet wird. Der Ausgangspunkt dafür ist also, dass ein ordentlicher Starling-Kreislauf im Gang ist. Es muss in die Pulmonalarterie, und zwar lungenwärts, eine Kanüle eingebunden werden. Dabei erwies es sich als zweckmässig, die Einbindung der Kanüle in zwei Tempi auszuführen, d. h. den Starling-Kreislauf zweimal durch Abklemmen des venösen Zuflusses zu unterbrechen. Das. erstemal, um zwischen Aorta und Pulmonalarterie hindurch, um das letztere Gefäss herum zwei Fadenschlingen zu legen, die proximal liegende zum Abbinden des Pulmonalstammes, die mehr distal liegende Ligatur zum Ein- binden der Kanüle. Dieses lässt sich leichter bei leerer als bei prall ge- füllter Art. pulmonalis ausführen. Vor dem Einbinden der Kanüle aber ist es gut, die Abklemmung des venösen Schlauches zu lüften, damit der Kreislauf noch einmal in Gang kommt und das Herz sich von dieser ersten Absperrung des Blutes erholen kann. Auch wenn man auf die Technik eingeübt ist und somit das Ein- binden der Pulmonalkanüle in weniger als 2 Minuten fertig gebracht werden kann, habe ich doch den Eindruck bekommen, dass man bessere Resultate erhält, wenn man diese Manipulation in zwei Zeiten ausführt. Das Anlegen der zwei Fäden zwischen Aorta und Pulmonalis nimmt, besonders wenn diese Gefässe nicht prall gefüllt sind, nur wenige Sekunden in Anspruch. Dann wird, nachdem der Kreislauf für einige Zeit wieder freigegeben ist, nochmals der venöse Schlauch dichtgeschraubt und jetzt schnell die Pulmonal- arterie proximalwärts abgebunden und nach Anlegen einer Klemme unmittel- bar vor der Bifurkation des Hauptstammes die Pulmonalkanüle in die Arterie eingeführt und festgebunden. Diese wird dann mit Blut ge- füllt und der venöse Schlauch (vom venösen Reservoir und der Spirale kommend) luftblasenfrei an diese Kanüle angeschlossen. Sodann wird der Tisch, auf dem das Tier festgebunden ist, heruntergeschraubt, und der Über den Einfluss der Blähung der einen Herzkammer usw. 997 venöse Zufluss wieder freigegeben. Das Tier muss jetzt viel tiefer gestellt werden als beim Starling-Präparat, weil das venöse Blut nicht mehr vom rechten Ventrikel weiterbefördert wird, sondern direkt (passiv) in die Pulmonalarterie einströmt; hierfür muss ein grösserer statischer Druck vorhanden sein, und es hat sich gezeigt, dass dieser Kreislauf mit leer- schlagendem rechtem Herzen am besten funktioniert, wenn das venöse Reservoir sich etwa 60 cm über dem Niveau der Pulmonalkanüle befindet. Das entspricht einem konstanten, nicht mehr durch die Ventrikelsystolen rhythmisch wechselnden Pulmonaldruck von etwa 46 mm Hg. Das einzige Blut, das jetzt noch in den rechten Vorhof einströmt, ist das Koronarvenenblut, das aus der Vena cava-Kanüle, die zuvor beim Starling-Kreislauf mit dem venösen Schlauch in Verbindung stand, nach aussen strömt, in einer Schale aufgefangen und von Zeit zu Zeit in das venöse Reservoir zum Kreislauf zurückgegossen wird. Nachdem auf diese Weise erreicht ist, dass das rechte Herz nunmehr leer schlägt, wird durch das rechte Herzohr und den rechten Vorhof der Gummiballon in den rechten Ventrikel vorgeschoben, mit aus- gekochtem, destilliertem Wasser gefüllt und mit der Druckflasche und dem Hg-Manometer in Verbindung gebracht. Die Stromuhr registriert am Kymographion das Zeitvolumen des linken Ventrikels. Die Grösse des Koronarkreislaufs wurde durch direktes Auffangen und Messen des aus der Vena cava abfliessenden Blutes periodenweise bestimmt und daraus das Zeitvolum pro Minute berechnet!). Es wurden nun in jedem Experimente Bestimmungen des Minutenvolums des linken Ventrikels und des Koronarkreislaufs bei wechselndem Druck im rechten Ventrikel ausgeführt, ausserdem auch noch bei wechselndem Kapillarwiderstand. Natürlich wurde dieser letztere während der einzelnen Versuchsperioden mit schrittweise steigendem Druck im rechten Ventrikel auf einem konstanten Niveau gehalten. Auch unter diesen experimentellen Umständen, die mehr den natürlichen Zirkulationsverhältnissen des Herzens entsprechen, als am Langendorff-Apparat der Fall ist, liess sich genau dasselbe Er- gebnis nachweisen. In allen drei Versuchen wurde ein unzweideutiger Einfluss der Blähung des rechten Ventrikels auf die Tätigkeit des linken erst bemerkbar bei exzessiv hohen, im normalen Leben nie eine Rolle spielenden Druckwerten. Es seien die Protokolle zweier dieser Versuche sowie einige Kurven- ausschnitte vom ersten derselben hier mitgeteilt. Versuch vom 8. Januar 1919. Junger Hund. Herz-Lungen-Kreislauf mit leerschlagendem rechtem Herzen in der oben angegebenen Weise hergestellt. Durchströmung durch die Pulmonalkanüle fertig um 3 Uhr 20’ p.m. 500 ccm defibriniertes Hundeblut mit 100 ccm Ringer auf 600 cem Blut-Ringer verdünnt im Kreislauf. Am Ende des Versuches um 5 Uhr p.m. noch 535 ccm Flüssigkeit im Kreislauf, durch Verdunstung und geringes Lungenödem also 65ccm verloren. Arterieller Blutdruck während zwölf Versuchsperioden konstant auf 73mm Hg gehalten. Pulmonaldruck während des ganzen Versuches konstant auf 600 mm Blut, l) In späteren Versuchen über den Koronarkreislauf, worüber in einer zweiten Mitteilung berichtet werden wird, wurde die Grösse dieses Zeit- volumens noch einfacher bestimmt, indem elektrisch auf der Kurve markiert wurde, jedesmal wenn innerhalb einer Versuchsperiode 50 cem Koronar- blut ausgeflossen waren. 15 * 398 J. G. Dusser de Barenne: d. ı. etwa 46 mm Hg. Temperatur der Durchströmungsflüssigkeit am An- fang 37,50 C., am Ende, also nach mehr als anderthalb Stunden, 37° €. Jedes Kippen der Stromuhr entspricht in diesem Versuche 36 cem. Eigent- licher Versuch angefangen um 3 Uhr 45’ mit Normalperiode A, d.h. bei einem Nulldruck im rechten Ventrikel. Periode A. Druck im rechten Ventrikel 0mm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 486 cem. „ Koronarkreislaufs: 66 ccm. Periode B. Druck im rechten Ventrikel 40 mm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 432 ccm. „ Koronarkreislaufs: 55 ccm. Periode ©. Druck im rechten Ventrikel SO mm He. Minutenvolum des linken Ventrikels: 459 cem. „ Korönarkreislaufs: 72,25 ccm. Periode D. Druck im rechten‘ Ventrikel 115 mm 1Bleych Minutenvolum des linken Ventrikels: 450 ccm. „ Koronarkreislaufs: 68,74 ccm. } Periode E. Druck im rechten Ventrikel 115 mm Hg.. nachdem er einen Augenblick auf 135 mm gebracht worden ist, aber sofort spontan, also wahrscheinlich durch weitere Dehnung des Ventrikels, zurückgegangen ist auf 115 mm He. Minutenvolum des linken Ventrikels: 446 ccm. „ Koronarkreislaufs: 72,15 ccm. Periode F. Druck im rechten Ventrikel 30 mm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 124,8 ccm. „ Koronarkreislaufs: 81,2 ccm. Periode G. Druck im rechten Ventrikel 110 mm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 442,3 ccm. „ Koronarkreislaufs: 74,7 ccm. Periode H. Druck im rechten Ventrikel 0 mm He. _ Minutenvolum des linken Ventrikels: 428,4 cem. „ Koronarkreislaufs: 84,1 ccm. Periode K. Druck im rechten Ventrikel 85mm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 432 ccm. „ Koronarkreislaufs: 77 ccm. Periode ). Druck im rechten Ventrikel Omm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 428,4 ccm. „ Koronarkreislaufs durch Versehen nicht gemessen. Periode L. Druck im rechten Ventrikel 120—200 mm Hg (starke Schwankungen des Hg-Manometers) später auf 160 mm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 280,8 cem. „ Koronarkreislaufs: 33,25 ccm. Periode M. Druck im rechten Ventrikel 73mm He. Minutenvolum des linken Ventrikels: 421,2 ccm. % „ Koronarkreislaufs: 115,9 ccm. Hieraus ergibt sich, dass bei sehr verschiedenen Druckwerten im rechten Ventrikel (bis 115 mm Hg!) das Minutenvolum des linken Herzens sowie des Koronarkreislaufs von der Blähung der rechten Herzkammer praktisch unbeeinflusst bleibt. Besonders überzeugend ist in dieser Hinsicht der Vergleich der Perioden A, C, E und G, von denen die betreffenden Kurvenausschnitte in Abb. 2 reproduziert sind. Nur bei exzessiv hohen Druckwerten erfolet eine Abnahme des Zeit- Über den Einfluss der Blähung der einen Herzkammer usw. 229 volums, die aber höchstwahrscheinlich, jedenfalls grösstenteils, ihre Erklärung finden dürfte in der dann zugleich auch zu beobachtenden starken Abnahme des Koronarkreislaufs. Dass eine bedeutende Ver- ringerung der Durchströmung des Herzmuskels einen ungünstigen Faktor für die Tätigkeit des Herzens darstellt, ist ja genugsam bekannt. So- lange die Koronarkapillaren nicht mechanisch von der Blähung dicht- gedrückt werden und dadurch die Durchblutung des Herzens leidet, so lange bleibt auch die Funktion des linken Ventrikels, nach ihrem Zeitvolumen beurteilt, unbeeinflusst. Minutenvolum d Vinken. Venrr: ; Koronarkreislauf 108 cM? © - Minufenvolun d. linken Ventr Ä Koronarkreıslauf 120cM H a a ee re u ee eV EFERFENERBEH Minufenvolum cd. Iınken Ventr. Abb. 2. Der Druck im rechten Ventrikel war in den Versuchsperioden A, C nnd E 0,80 und 115 mm Hg. Das unterste Reizsignal markiert das Kippen der Stromuhr, dem je 36 com Blut in diesem Versuche entspricht. Sehr demonstrativ ist auch der folgende Versuch vom 18. März 1919. Junger Hund. Gewicht des Tieres 7,1 kg. Gewicht des Herzens am Ende des Versuches 80 g. Pulmonaldruck konstant auf 61 cm Blut, d. i. etwa 47 mm Hg gehalten. Temperatur des Blutes 34,5°—33°C. Arterieller Druck in den verschiedenen Versuchsperioden wechselnd, in Versuchs- periode I 70 mm Hg, in II 56 mm Hg, in III 90 mm Hg. Jedes Kippen der Stromuhr —= 30 ccm. Periode I mit arteriellem Blutdruck von 70 mm Hg. A. Druck im rechten Ventrikel = 0 mm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 459 ccm. 5 „ Koronarkreislaufs: 47 ccm. B. Druck im rechten Ventrikel = 24-30 mm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 489 cem. „ Koronarkreislaufs: 45,6 ccm. 230 J. G. Dusser de Barenne: C. Druck im rechten Ventrikel = 50 mm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 495 ccm. „ Koronarkreislaufs: 56,5 ccm. D. Druck im rechten Ventrikel =80—120 mm Hg, später = 75—100 mm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 247,5 ccm. „ Koronarkreislaufs: 35 ccm. Das Herz schlug, nachdem dieser Druck angebracht worden war, un- regelmässig, auch als der Druck im rechten Ventrikel auf 0 mm zurück- gebracht worden war, und das Zeitvolum des linken Ventrikels nahm stark ab. Rhythmische Herzmassage half auch nicht. Darum wurde 0,25 mg Adrenalin im venösen Reservoir zum Blute gefügt. Darauf fing das Herz wieder richtig und kräftig zu schlagen an. Somit wurde jetzt begonnen mit der Periode II mit arteriellem Blutdruck von 56 mm Hg. A. Druck im rechten Ventrikel = 0 mm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 360 ccm. „. Koronarkreislaufs: 60,65 ccm. B. Druck im rechten Ventrikel — 60-80 mm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 372 ccm. „ Koronarkreislaufs: 60,3 ccm. Druck im rechten Ventrikel — 120100 cem He. Minutenvolum des linken Ventrikels: 429 ccm. „ Koronarkreislaufs: 60,7 ccm. D. Druck im rechten Ventrikel — 120-140 mm He. Minutenvolum des linken Ventrikels: 390 ccm. N „ Koronarkreislaufs: 61 cem. ei Periode III mit arteriellem Blutdruck von 90 mm He. A. Druck im rechten Ventrikel = 0 mm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 429 ccm. „ Koronarkreislaufs: 85,5 ccm. B. Druck im rechten Ventrikel = 100—140 mm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 447 ccm. „ Koronarkreislaufs: 98,9 ccm. C. Druck im rechten Ventrikel — 0 mm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 450 ccm. R „ Koronarkreislaufs: 96,2 cem. Periode IV mit arteriellem Druck von 108—100 mm Hg. A. Druck im rechten Ventrikel =0 mm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 435 cem. »„ Koronarkreislaufs: 110,2 ccm. B. Druck im rechten Ventrikel = 10085 mm Hg. Minutenvolum des linken Ventrikels: 423 ccm. a „ Koronarkreislaufs: 122,9 ccm. Auch aus diesem ‘Versuche geht sehr deutlich hervor, dass die Blähung des rechten Ventrikels und die Drucksteigerung innerhalb dieser Herzhöhle keinen nennenswerten Einfluss auf die Tätigkeit des linken Ventrikels ausübt. Es ergibt sich aus diesen Versuchen am Säugetierherzen sowohl am Langendorff-Apparat als auch. im isolierten Herz-Lungen-Kreislauf, Über den Einfluss der Blähung der einen Herzkammer usw. 231 dass eine direkte Wirkung des einen Ventrikels auf den anderen sich nicht nachweisen lässt. Die in der Einleitung erwähnten Beeinflussungen der hämo- dynamischen Verhältnisse der einen Herzhälfte durch Veränderungen in der Tätigkeit der anderen müssen also ihre Erklärung finden in Änderungen der hämodynamischen Verhältnisse im Gebiet des kleinen Kreislaufs. Allerdings wäre beim intakten Tier auch noch an die Möglichkeit einer reflektorischen Beeinflussung der einen Herz- hälfte durch die andere zu denken, welche beim Starling-Präparat und im Langendorff-Versuche ausgeschaltet ist und, somit nicht zum Ausdruck kommen könnte. Ob derartige Reflexe wirklich eine Rolle spielen, ist noch zu untersuchen; doch sind sie, wie alle Versuche am Starling-Präparat lehren, für ein richtiges Funktionieren des Kreislaufs nicht nötig. Jedenfalls aber können wir nach dem Ergebnis dieser Versuche sagen, dass ein direkter Einfluss des einen Ventrikels auf den anderen nicht mit im Spiele ist. Versuche über den Einfluss der Hypophyse auf das Wachstum. Von R. Klinger. (Aus dem Hygiene-Institut der Universität Zürich, Dir. Prof. Silberschmidt.) (Eingegangen am 3. Juli 1919.) Beim Studium der Wirkungen, welche künstlich zugeführte Hypo- physensubstanz im Organismus entfaltet, wurden bisher meist Extrakte verwendet, die nicht der ursprünglichen chemischen Zusammensetzung der Drüsenzellen entsprechen, sondern durch verschiedene, oft tief- greifende Behandlung derselben gewonnen wurden. So erhielt man zwar die bekannten, physiologisch gut charakterisierten Lösungen, welche aber höchstens einer Teilwirkung, nicht der Gesamtfunktion des Organs entsprechen können. Wollen wir diese letztere steigern, d. h. experimentell einen Zustand von Hyperpituitarismus erzeugen, so muss die möglichst unveränderte Substanz der Drüse in ge- eigneter Weise zugeführt werden. Es ist klar, dass hierbei nur der parenterale Weg in Betracht kommt, sei es, dass ganze Drüsen implantiert oder als Zellbrei injiziert werden. Die Transplantations- versuche, wie sie namentlich von A. Exner!) an Ratten ausgeführt wurden, haben gezeigt, dass eine Einheilung mit Weiterfunktion nicht - einzutreten pflegt, die übertragenen Drüsen vielmehr allmählich zer- fallen und resorbiert werden. Das Resultat nähert sich daher dem- jenigen der blossen Zellbreiinjektionen, welch letztere aber dieser Methode gegenüber den Vorteil haben, dass sie eine schnellere Re- sorption noch wenig veränderten Drüsenmaterials ermöglichen; sie können ausserdem technisch viel leichter ausgeführt werden und sind ein für das Tier schonenderer Eingriff, was namentlich bei längere Zeit hindurch fortgesetzter Behandlung derselben Tiere ins Gewicht fällt. Die bisherigen Ergebnisse ähnlicher Versuche waren zum Teil widersprechende, indem von manchen Autoren eine positive, von andern eine negative Beeinflussung der Gewichtskurve (Fettansatz, Knochenwachstum usw.) verzeichnet wurde. Da hierbei vielfach die Hypophysen grösserer Schlachthaustiere zu Injektionen kleinerer Ver- “suchstiere (Kaninchen usw.) Verwendung fanden, kam ausserdem, wie von verschiedener Seite mit Recht betont wurde, neben einer eventuellen 1 Z.-Bl. f. Physiol. Bd. 24. 1910. Versuche über den Einfluss der Hypophyse auf das Wachstum. 233 organ-spezifischen noch die artspezifische Wirkung des fremden Eiweisses als störender Faktor in Betracht. Es schien mir daher von Interesse, diese Versuche mit arteigenen Hypophysen unter Bedingungen zu wiederholen, welche eine nicht zu langsame Resorption des frischen Zellbreis gestatten und die Wirkung derartiger Injektionen an noch wachsenden Tieren durch längere Zeit zu verfolgen. Da wir im Institute wöchentlich zweimal gesunde Meer- schweinchen für die Komplementgewinnung zur W.R. durch Kopf- abschneiden töten, stand mir ein genügendes Material von frischen Meerschweinchen-Hypophysen zur Verfügung; dasselbe wurde in den im folgenden näher beschriebenen Versuchen in der Weise verwendet, dass junge Meerschweinchen wöchentlich einmal mit einer durch kurzes Verreiben der herauspräparierten Drüsen in physiologischer Kochsalz- lösung hergestellten Emulsion intraperitoneal injiziert wurden. Es wurde die Gewichtskurve dieser Tiere mit derjenigen gleich ernährter Kontrolltiere verglichen, welche an Stelle von Hypophysen eine Leber- emulsion injiziert erhielten. Nach 2—4monatiger Dauer wurden alle Tiere getötet und die inneren Organe, speziell auch die Hypophysen näher untersucht. Ausserdem habe ich, um die von A. Exner an Ratten mit Trans- plantation gemachten Beobachtungen zu überprüfen, in einer Versuchs- serie den Meerschweinchen jeweils in Hauttaschen am Rücken 1— 11, Hypophysen implantiert (mit der für Tumorüberimpfung üblichen Technik; Näheres s. unten). Auch hier trat, wie die spätere Sektion zeigte, eine glatte Resorption dieser Implantate auf. Um eine eventuelle Wirkung zu steigern, habe ich mich nicht mit einmaliger Implantation begnügt, sondern in S—1lOtägigen Zwischenräumen denselben Tieren im ganzen sechsmal frische Hypophysen in dieser Weise unter die Haut gepflanzt. Ä An Einzelheiten der Versuchstechnik sei noch folgendes erwähnt: In jeder Versuchsserie wurden jeweils 4—5 Meerschweinchen im Anfangs- gewicht von 160—260 g verwendet und jedem Tiere einmal wöchentlich intraperitonal soviel Emulsion injiziert, als jeweils einem Drittel bis einer Drüse entsprach. Die Injektionen mussten intraperitoneal gemacht werden, da nach subkutaner Applikation häufig ausgedehnte Nekrosen der Haut auf- treten, die ganz wie die Schorfe aussehen, welche nach Diphtherie-Toxin- Injektionen beobachtet werden. Sie heilen zwar unter Narbenbildung und ohne stärkere allgemeine Erkrankung relativ rasch aus; die Tiere werden dadurch aber doch etwas geschädigt und können gelegentlich an Sekundär- infektionen zugrunde gehen. Bei steriler Verarbeitung des Materials ist da- gegen die intraperatoneale Injektion ganz ohne Nebenwirkungen und wird von den meisten Tieren auch bei längerer Versuchsdauer gut ertragen. Es sei noch erwähnt, dass in den zwei hier beschriebenen Versuchen, eben weil die intraperitoneale Injektion ausschliesslich angewendet wurde, derartige Nekrosen nicht resp. nur ganz vereinzelt in geringer Ausdehnung auftraten, wenn ein Teil der Injektionsflüssigkeit aus Versehen ins subkutane Gewebe 234 R.)Klinger: gelangte. Eine Beeinflussung unserer Gewichtskurven durch dieses Moment ist daher auszuschliessen. Die Sektionen zeigten ausserdem, dass die intra- peritonealen Injektionen ganz ohne Schädigung des Peritoneums gemacht worden sind, da’in der Bauchhöhle keine Zeichen chronischer Entzündung usw. zu bemerken waren. Die Tiere wurden wöchentlich vor der jeweiligen In- jektion gewogen. Ich verzichte, um Raum zu sparen, auf eine Wiedergabe der Gewichtskurven und der einzelnen Wägungsresultate und habe bloss die durchschnittlichen Gewichtszunahmen der Tiere (pro Woche) sowie einige wichtige Daten aus jedem Versuch zusammengestellt. Nach dieser Methode wurden zwei gleichartige Versuche mit im ganzen 9 Tieren hintereinander ausgeführt, so dass mein Material umfangreich genug sein dürfte, um ein Urteil zu ermöglichen. Das Ergebnis dieser Versuche war folgendes: Versuch A. = o- © = R i| 3 2 | E > = > S er) ae ee se NS x A 8 g | g El | 8 Hypophysentiere. 1[2 1230| 5. Nov. |475 | 14. März | 245 |18,5]13,2] getötet 2| 9 |225| 3. Dez. [375|14. „ [150|14,5[103| , 3lalı75[| 3 „ Is95|1. „ J22olıs5l152| „ 4|& | 87] 17. Sept. [3855| 4. Febr. |300[20,0115,0) , Kontrolltiere. 5[ & [230| 5. Nov. [525] 11. März|295 | 18 [16,4] getötet 6[2 [2380| 5. „ [430| 7. Jan. |eoo| 9 [22,2] 635 [11.Febr.[5 | 41 lo |240| 3. Dez. [420 | 11. März | 180 | 15 |12,0[getötet Sun slslı5| 3 „ Jaslıı. „ |250| 15 Jısc| „ 9] & | 87117. Sept. |440 | 4. Febr. [353] 20 [17,7 is Die beiden Tiere 4 und 9 waren Zwillinge und wurden am längsten und frühesten behandelt. Zuerst gingen die Gewichtskurven vollständig zu- sammen (8. Oktober beide 180 g), später blieb das Hypophysentier etwas zurück (5. November 200 gegen 235 g der Kontrolle), und dieser Unterschied blieb dauernd bestehen. Durchschnittliche Gewichtszunahme aller mit Hypophysen in- jizierten Tiere: 53,7 :4 = 13,4 g pro Woche. Durchschnittliche Gewichtszunahme aller mit Leber injizierten Tiere: 84,9 :5. = 17,0 g pro Woche. Versuche über den Einfluss der Hypophyse auf das Wachstum. 235 Versuch B. E o2 = | 3 = | &s| = => = 3 = E s ä 3 2: : = s| 58 al = |a| le. | 82.2 alee zi@ela = Ss = si o1|a3 S Sl s a =) & = NleEıes| & Bun E | 2 la A Ss| 8 Bi < Ss = = 8 8 ln g Hypophysentiere. 101 & |228| 7.Febr. |445 | 23. Mai [21715 | 14 |getötet 1118 1155| %. „ 4401.23. „ 1285[15 | 19 5 1212 123028. „ [45] 7. „ [185]13: |14| 535 | 27. Mai | 3] 40 gravid. Tao. 1801 77.1, 1450| 7. „ 12701118 3| 21 17580 3. Juni| 4 Si sravi 14|9 |185|21. „ |335]| 14. April|150| 7,5] 20 | 375 | 30. Mai |16| 12%) Kontrolltiere. 15] 2 [220 | 7. März |465| 29. Mai.|245| 12 [20,4] getötet 16] & | 160 | 7. Febr. |400| 27. „ 1240| 16 [15,0 hs ITS 169177. 1480-20. 52 1315116 [20,0 1831 3 |270| 7. „. |490| 27. „ 1220| 16 114,2 5 19|2 |165|21. „ -|410| 30. „ 1245| 14 |17,5 Durchschnittliche Gewichtszunahme aller mit Hypophysen in- jizierten Tiere: r 88:5 = 17,6 g pro Woche. Durchschnittliche Gewichtszunahme aller mit Leber injizierten Tiere: 87,1:5 = 17,4 5 pro Woche. Die dritte Serie wurde, wie schon erwähnt, nicht mit Hypophyse- emulsionen, sondern mit Implantation ganzer Drüsen unter die Haut ausgeführt. Es wurden bei sieben Meerschweinchen jeweils 1—1Y, Vor- derlappen mit dem für Tumorimpfungen üblichen Trokar einige Zenti- meter tief in das lockere subkutane Gewebe eingeführt. Ein achtes Tier erhielt ebenfalls subkutan die Hinterlappen (je 3—4 gleichzeitig), während einige andere unbehandelt als Kontrolltiere blieben. Die Impfungen verliefen stets mit glatter Wundheilung und ohne merk- 1) Tier 14 entwickelte sich zunächst normal, wurde später aber krank, so dass das Gewicht um 40 g abnahm und erst nach einigen Wochen wieder stieg. Der Durchschnittswert für die ganze Versuchsdauer (die Injektionen wurden mit bloss einmaligem Auslassen fortgesetzt) ist daher zu klein (12 g) und wurde deshalb nicht berücksichtigt. 236 R. Klinger: liche Beeinträchtigung des Gesamtzustandes der Tiere. Diese wurden, im Gegensatz zu den ersten Serien, nach Beendigung der Implan- tationen (welche im ganzen sechsmal zwischen 10. Mai und 7. Juli 1918 stattfanden) noch einige Zeit am Leben gelassen und wöchentlich weiter gewogen; dies geschah in der Absicht, eine eventuell erst all- mählich hervortretende Wirkung auf das Wachstum nicht zu übersehen. Versuch €. Implantation von Hypophyse. = : rn = ıS SU) D © 2 Eee lei. Ss slee|: & = EI ps 8 I& = = - N IS 3 em 3 = eb) ä N 2 N & 8 g | $ | 8 8 20] & [230] 10. Mai | 336 | 12.Juli | 106 | 12 395 |9.August| 15 _—- 2ı| 9 I2a0lıo. „ I350|12. „ |ııo|ıa | 528 |. „ | 45 [trächtig 221 ©: 1212110. „13601122: „1148, 17 .| 470 19.1, 28 n 23] & 1|246[10. „ |380|-12. „ [134] 15 460.190 =, 20 m 2a| & |240|ı0. „ Isszlıe. „ fıırlıs | “eo B. „ |3 Ar 25| & 1264|10. „ [386|12. „ 1122| 135] 434 19. „ 12 _ 26) 2 [226|10. „ 322112. „| 96| 10,7] 460 19. „ 35 | trächtig 27|9 Hi1227|10. „ j340112. „ 1112| 125] 520 19. „ 45 » 28] 2 K |260] 10. „ 1394112. „ 1134| 15 552.19 „ 40 N 29|@ K|243|10. „ |390|12. „ |147| 16,3 |getötet| — _ — Hi (Nr. 27): das mit Hinterlappen behandelte Tier. Nr. 28 und 29: Kontrolltiere. Durchschnittliche Zunahme aller Hypophysentiere: | 103,2 :7 = 14,7 g pro Woche. | Nach Aufhören der’Implantationen nahmen die vier nicht graviden Tiere wöchentlich um durchschnittlich 18 g zu, die graviden um 37 g. Die Kontrollen ergaben: 31,3 :2 = 15,8 g; — mit dem Hinterlappentier, | welches ebenfalls als Kontrolle gelten kann, zusammengenommen da- | gegen nur: 43,8:3 =14,6 g. Später nahmen die beiden graviden unter diesen Tieren durchschnittlich 45 g zu, das entzollue: 29, männ- lich, wurde getötet. Überblicken wir die Ergebnisse dieser drei Versuchsreihen, so zeigt sich kein irgendwie nennenswerter Unterschied der mit Hypophysen Versuche über den Einfluss der Hypophyse auf das Wachstum. 237 behandelten Tiere gegenüber den Kontrollen. In Versuch B ist über- haupt keine Differenz in den Durchschnittsgewichten hervorgetreten ; in Versuch © kommt nur dann ein kleiner Unterschied heraus, wenn die ganz unversehrt gelassenen Tiere mit den implantierten verglichen werden. Zusammen mit dem Hinterlappentier (welches von Anfang an als Kontrolle gedacht war, da ja der Hinterlappen bekanntlich nichts mit Akromegalie zu tun hat) ergeben die Kontrollen dagegen nahezu denselben Mittelwert wie die Hypophysen-Tiere, und auch in dem den sechs Implamtationen folgenden Monat trat keine Wirkung auf das Wachstum zutage. Nur in Versuch A besteht ein kleiner Unter- schied in beiden Serien, wobei allerdings die Kontrollen (Leber-Tiere) ‘die bessere Gewichtszunahme aufwiesen. Im Hinblick auf die Einzel- werte, welche auch hier grosse, individuelle Ungleichheiten erkennen lassen) sowie auf die beiden anderen Versuche kann dieser Differenz keine Bedeutung beigemessen werden. Wir dürfen vielmehr das Gesamtergebnis dahin zusammenfassen, dass trotz der lange Zeit wiederholten Injektionen oder Implantationen frischer Hypophysensubstanz keinerlei Wirkung auf das Wachstum der Tiere zutage trat. Der Sektionsbefund zeigte ebenfalls keine Besonderheiten, speziell waren weder die Hypophyse noch andere endokrine Drüsen makroskopisch verändert (Schilddrüse, Nebenniere usw.), auch der Fettansatz nicht merklich vermehrt. Dass die Funktion des Genital- apparates eine normale blieb, geht aus den Protokollen (Gravidität der meisten weiblichen Tiere) hervor. Ich habe ausserdem die Hypo- physe sowie die Schilddrüse der Tiere der Serien A und B nach Fixierung in Müller-Formol geschnitten und dieselben histologisch ganz un- verändert gefunden, so dass es nicht möglich war, aus dem Präparat allein die Zugehörigkeit des Tieres zu der einen oder andern (Kontroll-) Gruppe zu erkennen. Diese Versuche schienen mir, trotz ihrem negativen Ergebnis, mitteilenswert, weil’sie einerseits die Angaben früherer Autoren (die zum Teil freilich mit etwas anderer Versuchsanordnung gearbeitet hatten) ergänzen resp. richtigstellen, andererseits weil sie uns doch auch gewisse Schlüsse auf die Funktion der Hypophyse gestatten. Man nimmt ziemlich allgemein an, dass die mit Akromegalie einher- gehenden Hypophysen-Tumoren eine Hyperfunktion der Organe be- deuten und dass eine vermehrte Abgabe des für die Drüse spezifischen „Hormones“ die bekannten Wirkungen (Grössenwachstum, Funktion anderer Drüsen usw. veranlassen. Aus unseren Versuchen geht jedenfalls hervor, dass eine so einfache Beziehung zwischen der Hypophyse und dem übrigen Organismus, wie sie dieser Annahme zugrunde liegt, kaum besteht, zum mindesten 38 R. Klinger: Versuche üb.d. Einfluss der Hypophyse auf das Wachstum. experimentell nicht nachweisbar ist. Ein das Wachstum be- einflussendes Hormon müsste ja, wie jedes andere innere Sekret, ein relativ feindispers löslicher Stoff sein, damit er aus den Drüsenzellen heraus und durch die ‚„Kolloid-impermeable‘‘ Membran in andere Zellen eintreten kann. In Betracht kommen daher nur Spaltprodukte von Eiweiss oder Lipoiden der Zellen, und gerade solche hätten bei der von uns gewählten Versuchsanordnung in grösserer Menge auftreten und ihre Wirkung entfalten müssen. Das Ausbleiben jeder deutlichen Beeinflussung der mit Hypophyse behandelten Tiere dürfte dagegen ein Beweis sein, dass der chemische Mechanismus, durch welchen dieses Organ normalerweise und namentlich bei pathologischer Ver- grösserung auf das Wachstum einwirkt, ein komplizierterer ist; wahr- scheinlich kommt die Wirkung erst auf dem Umwege über das Nerven- system zustande. Die Existenz eines (vom Vorderlappen gebildeten) Hormones ist — wofern man nicht jede chemische Wechselwirkung verschiedener Organe unter diesen Begriff bringen will — wenigstens für die Vorgänge des Grössenwachstums noch nicht erwiesen. Zusammenfassung. Bei jungen Meerschweinchen war bei 2—5 Monate langer paren- teraler Zufuhr artgleicher Hypophysensubstanz (Injektion frischer Emulsionen oder Implantation ganzer Vorderlappen in wöchentlichen Zwischenräumen) ein Einfluss auf das Wachstum im Vergleich zu den Kontrolltieren nicht zu bemerken. Die Milehdrüse thyreopriver Ziegen '). Von Privatdozent Dr. Alfred Trautmann. (Aus dem physiologischen Institute der Tierärztlichen Hochschule zu Dresden. Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. med. et med. vet. et phil. Ellenberger.) Mit 3 Textabbildungen und 3 Abbildungen auf Tafelllund Il. (Eingegangen am 3. Juli 1919.) Gelegentlich von Untersuchungen, die sich mit den nach der Thyreoid- ektomie auftretenden krankhaften Erscheinungen beschäftigten, wurde im physiologischen Institut der Tierärztlichen Hochschule zu Dresden von Zietzschmann (Beiträge zum Studium der Folgen der Thyreoidektomie bei Ziegen. Arch. f. wiss. Tierhlkd. 33. 1907 und Ein Beitrag zum Studium der Folgen der Schilddrüsenexstirpation, Mitt. Grenzgebieten der Medizin 19. 1908) und später von mir (Hypo- physe und Thyreoidektomie. Frankfurt. Zeitschr. f. Pathologie 18. 1916) bei Ziegen festgestellt, dass auch die Milchdrüsen in ganz be- sonderer Weise klinisch zu beobachtende Erscheinungen aufwiesen, die nur als Folgen der Schilddrüsenexstirpation zu deuten waren. Bei thyreoidektomierten Ziegen, die in der Laktation standen, trat schon sehr bald nach der Operation ein Nachlassen?) in der Menge der ab- gesonderten Milch ein, das weiter anhielt und das sich bei den einzelnen Individuen in verschiedener Art äusserte. Hand in Hand mit der Milehabnahme ging eine Veränderung der Farbe und der Zusammen- setzung der Milch; die Milch nahm_mit der Zeit einen stark gelblichen Ton an, um kurz vor dem Eintritt der Agalaktie einem schmutzig grauen Platz zu machen; ausserdem trat mit der Milchabnahme eine Atrophie der Mamma und der Zitzen ein, die sich nach der Agalaktie noch in grossem Maasse steigerte. Die Oberfläche des Euters und der Zitzen war dann mit seborrhoeischen, dicken Auflagerungen voll- kommen bedeckt und zeigte stets ein runzeliges, welkes Aussehen. 1) Dienachstehenden Ausführungen sind das Ergebnis von Untersuchungen, die in unserem Institut über den in Frage stehenden Gegenstand angestellt wurden. Infolge des Krieges konnte erst in letzter Zeit das von mir ge- sammelte reiche, bisher nur zum Teil bearbeitete Material weiter ausgiebig verwertet und dadurch die von mir in einer früheren Arbeit (Frankf. Zeitschr. f. Path. 1916) niedergelegten Befunde wesentlich erweitert worden. '2) Nach Zietzschmanns Angabe hat auch Lanz (Progenitur thyre- opriver. Arch. f. klin. Chir. Bd. 74. 1904) ähnliche Verhältnisse festgestellt. 240 Alfred Trautmann: Bei Ziegen, die lange Zeit nach der Operation getötet wurden, konnte festgestellt werden, dass stellenweise die Zitzen um drei Viertel ihrer Länge verkürzt waren. Diese in unserem Institute an der Milchdrüse gemachten klinischen Befunde wiesen darauf hin, die Struktur der Mamma nach der Thyreoidektomie zu untersuchen. Die Untersuchungen wurden an den Milchdrüsen thyreoidektomierter Ziegen vorgenommen; das Material entstammt den gleichen Tieren, die ich vor einigen Jahren bei meinen Untersuchungen über die klinischen Folgeerscheinungen der Thyreoidektomie und den Unter- suchungen über die strukturelle Veränderung der Hypophyse nach der Schilddrüsenexstirpation verwandt habe. Infolge der sinnfälligen Veränderungen, die bei meinen Unter- suchungen bei Ziegen nach der Thyreoidektomie sowohl bezüglich der Milchmenge wie der Milchbeschaffenheit erkannt wurden, bestand von Anfang an die Absicht, die Milch thyreoidektomierter Ziegen zu analysieren und die veränderten Sekretionsverhältnisse näher zu studieren. Die von der chemisch-physiologischen Abteilung unseres Instituts nach dieser Richtung in Aussicht genommenen Arbeiten mussten infolge des Krieges unterbleiben. Inzwischen ist von dem früheren Assistenten der chemisch-physiologischen Versuchsstation des physiologischen Instituts der Tierärztlichen Hochschule zu Dresden, jetzt an dem Landwirtschaftlichen Institut der Universität Königs- berg befindlichen Herrn Professor Dr. Grimmer, der die Veränderungen in der Milchsekretion thyreopriver Ziegen bei meinen Untersuchungen zu beobachten reichlich Gelegenheit hatte, in begrüssenswerter Weise die Bearbeitung dieser Frage in Angriff genommen worden. Die vorliegenden, in der biochemischen Zeitschrift Bd. 48, 1918 veröffentlichten Untersuchungen Grimmer’s, „Beiträge zur Milch schilddrüsenloser Ziegen“, sind als der Anfang einer grösseren Reihe von Versuchen, deren Fortführung beabsichtigt ist, zu betrachten. Vorläufig wurden von Grimmer nur an einer Ziege Untersuchungen angestellt. Die Untersuchung bei diesem Tiere bezog sich auf die Wägung der Milchmenge in bestimmten Zeitabschnitten, die Be- stimmung des spezifischen Gewichtes, des Fettgehaltes und der Ge- samtanalyse der Milch. Die Laktationsperiode wurde durch die Thyreoid- ektomie in zwei annähernd gleich grosse Zeitabschnitte zerlegt, deren erster die Zusammensetzung der Milch unter normalen Verhältnissen, deren zweiter die Folgen der Operation auf die Milchsekretionsverhält- nisse widerspiegelt. Gleich mir hat auch Grimmer als Folgen der Thyreoidektomie zu- nächst eine rapide Abnahme der Milchmenge beobachtet, die er wohl mit Recht als eine Reaktion auf die Operation an sich zu betrachten geneigt ist, und die mit dem eigentlichen Ausfall der Funktion der Schilddrüse Die Milchdrüse thyreopriver Ziegen. 241 nichts zu tun haben dürfte; dies folgt schon daraus, dass nach wenigen Tagen sich die Milchmenge wieder steigerte. Erst nach. der zweiten Woche nach der Operation sank sie ziemlich rasch und gleich- mässig. Hinsichtlich der Zusammensetzung der Milch änderte sich zunächst noch sehr wenig. 6 Wochen nach der Schilddrüsenexstirpation wurde die Milch hinsichtlich ihres Fett- und Stickstoffgehaltes wesentlich ge- haltreicher als vorher, während der Gehalt an Milchzucker im grossen und ganzen unverändert blieb. Die einzige sofort eintretende Ver- änderung erlitt der Aschengehalt der Milch, der bis zum Laktationsende erhöht blieb. Der prozentische Phosphorsäuregehalt der Asche blieb bis zum Ende der Laktation dauernd wesentlich erhöht, während der Kalkgehalt der Asche sich nur geringfügig über die Norm erhob. Ausser- ordentlich geringfügig waren die Veränderungen, die in der Verteilung des Stickstoffs auf die einzelnen Bestandteile zum Ausdruck kamen. Die Reaktion der Milch wurde durch die Thyreoidektomie nicht un- wesentlich beeinflusst. Die normalerweise nur geringe Azidität stieg und erhielt sich nach achtwöchentlichem Bestehen des thyreopriven Zustandes fast dauernd auf 9 Säuregraden (nach Soxhlet-Henkel). Das plötzliche Ausbleiben der Peroxydasenreaktion mit Guajaktinktur etwa von der sechsten Woche nach der Operation an und der im Laufe der Zeit in viel schwächerem Maasse auftretenden Rothenfuser schen und Benzidinreaktion der Milch wie auch die Änderung in der Zu- sammensetzung der Milchasche deuten im vorliegenden Falle auf eine zweifelsfreie, wenn auch geringgradige Funktionsstörung der Milch- drüse infolge Schilddrüsenexstirpation hin. Da die Milch jedoch bis zum Schlusse der Laktation ihr normales Aussehen, das sie vor der Operation aufwies, behielt und nicht die an den meisten der von mir verwandten Ziegen, von Grimmer selbst gesehene, verschiedene äussere Beschaffenheit der normalen Milch an- nahm, so glaubt Grimmer, dass mit grosser Wahrscheinlichkeit an- zunehmen ist, dass bei der operierten, aber aus bestimmten Gründen noch nicht getöteten Ziege akzessorische Schilddrüsen vorhanden. sein werden, die durch Hypertrophie kompensatorisch für die operativ ent- fernten eingetreten sind. Das würde ganz meinen Befunden ent- sprechen; denn ich stellte fest, dass bei Ziegen, die längere Zeit nach der Thyreoidektomie reichlicher Milch von normalem Aussehen sezernierten, bei der Sektion regelmässig Glandulae thyreoideae acces- soriae vorhanden waren. Dass bei Ziegen akzessorische Schilddrüsen häufig vorkommen, ist eine Tatsache, die ausser- von mir auch früher schon von Zietzschmann festgestellt wurde. Interessant wäre es, zu wissen, ob sich in der Zeit, in der die Milch nach der Thyreoidektomie untersucht wurde, an dem Grimmer’schen Versuchstiere auch Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 177. 16 242 Alfred Trautmann: klinische Folgeerscheinungen gezeigt haben, wodurch die Grimmer’sche Vermutung sich zum Teil bekräftigen liesse. Weitere Untersuchungen der Zusammensetzung der Milch rot dektomierter Tiere sind zurzeit nicht vorhanden, desgleichen konnten auch keine sonsti- gen Angaben in der Literatur über die strukturelle Verän- derung der Milch- drüse nach der Thy- roeidektomie ge- funden werden. An den Milch- drüsen thyreoidek- tomierter Ziegen konnte folgendes festgestellt werden: Nach der Schild- -drüsenexstirpation Abb. 1. Mammargegend einer Ziege 27 Monate nach tritt bei Ziegen, die der Thyreoidektomie. in der Laktätion stehen, sehr baldein erheblicher Abfall der Milchproduktion ein.” Die Agalaktie entsteht viel früher als bei nicht thyreopriven Tieren. Hand in Hand mit dem Abb. 2. Mamma von Ziegen 10 Monate (A) und 27 Monate (B) nach der Thyreoidektomie. Abbildung B ist eine stärkere Vergrösserung der Abb. 1. raschen und erheblichen Abfall der, Menge alas täglich produzierten Milch geht eine Veränderung in der-Farbe und Zusammensetzung der Milch. Neben der Minderung der Milchsekretion lässt sich eine Die Milchdrüse thyreopriver Ziegen. 243 Atrophie der Mamma und ihrer Zitzen erkennen, die sich nach Ein- tritt der Agalaktie noch erheblich steigert. Der atrophische Zustand des Futers kann so weit fortschreiten, dass die sonst sackartig zwischen beiden Hintersshenkela tief herabhängende, deutlich sicht- bare Milchdrüse samt Zitzen so weit reduziert wird, dass sie der Bauch- wand dergestalt anliegt, dass weder von der Seite noch von hinten ein Euter sichtbar ist. Die Oberfläche der Mammagegend zeigt in solchen Fällen ein welkes, runzeliges Aussehen, die Zitzen sind erheblich verkürzt, die Oberfläche des Euters und der Zitzen ist dann mit zum Teil starken seborrhosischen Auflagerungen bedeckt (Abb. 1 und 2 A und B). Während bei Ziegen, bei denen de: thyreoprive Zustand kürzere Zeit besteht, das makroskopische Aussehen und die Struktur der freigelegten Milchdrüse und ihres Parenchyms, soweit sie mit blossen Augen erkennbar ist, an der Oberfläche und auf Schnittflächen sich nicht wesentlich von dem normalen Verhalten unterscheidet, bietet die Betrachtung der Schnittfläche durch das Euter von Ziegen, welche längere Zeit (8 Monate und mehr) nach der Thyreoidektomie getötet und untersucht wurden, ein erheblich anderes als normales Aussehen. In solchen Fällen ist die Läppchenbildung des Organs nur undeutlich und verwischt oder gar nicht zu erkennen. Die normale gelblich-weisse Farbe des Parenchyms hat sich in der Regel in einen mehr grau-weissen Ton verwandelt. Die normaliter deutlich körnige Beschaffenheit des sezernierenden Milchdrüsengewebes ist gänzlich verschwunden. Die straffe, festweiche Konsistenz des normalen, durch das Sekret feuchten Gewebes hat einem verschieden weichen, fast trockenen Platz gemacht. Man glaubt, eine bindegewebige Masse vor sich zu haben, die von Kanälen, den Ausführungsgängen, durchzogen ist. Die Zisternen- und Zitzenschleimhaut liest stark in Falten und ist mit schuppenartigen Häutchen bedeckt. Mikroskopisch zeigt das Milchdrüsengewebe von laktierenden Tieren, bei denen der thyreoprive Zustand erst kürzere Zeit bestanden hat, aber eine deutliche Verminderung der täglich sezernierten Milch- menge während des Lebens der Tiere festzustellen war, neben normalen Läppchen von dem bekannten Aufbau (TafelII Abb. 1a) solche, die durch eine ausserordentlich grosse, in den Alveolen gelegene Anzahl von Kon- krementen auffallen (Abb. 2b—f). Manche Läppchen sind geradezu übersät mit diesen Bildungen. In der normalen sezernierenden Milch- “ drüss lassen sich zwar auch manchmal einzelne solcher Geriansel, die als Kaseinkonkremente aufzufassen sind, feststellen, und zwar dann, wenn die Entleerung der Drüse durch irgendwelche Umstände (psychische Erregungen usw.) auch nur während eines Tages ver- 16 244 Alfred Trautmann: langsamt oder plötzlich unterbrochen wird. Nach der Thyreoidektomie trete.ı diese Gebilde aber selbst bei gewissenhaftester Behandlung des Euters und sorgfältigster Ausführnng des Melkaktes immer in erheb- licher Zahl auf. In einzelnen Milchdrüsenläppchen sind sie nur ver- einzelt, in anderen dagegen massenhaft zu finden. Die Konkremente, die durch irgendwelche unbekannte, durch die Schilddrüsenexstirpation verursachten Vorgänge, wahrscheinlich infolge Eindickung des Milch- sekretes oder spärlicher Sekretion von wässerigen Bestandteilen in die sie anfangs nicht ganz erfüllenden Alveolen entstehen, werden ent- weder von dem Alveolarepithel oder direkt vom Bindegewebe um- geben. In ersterem Falle sind die mehr oder weniger von den Kon- krementen gedrückten Drüsenzellen im mikroskopischen Bilde teils in der ganzen Zirkumferenz der Konkremente erhalten (Fig. 2c, c’) und können die verschiedensten Gestalten von der niedrig-zylindrischen bis ganz platten Form aufweisen, teils trifft man solche nur auf einer kürzeren oder längeren Strecke (Abh. 2d, d’) oder nur vereinzelt an. Wenn sie ganz fehlen, dann werden die Konkremente von dem peri- alveolären Bindegewebe (der Alveolenhülle) und dem Interalveolargewebe in der Regel lamellenartig umhüllt. Es ist dann auch die Membrana | propria der Alveolen ganz oder zum Teil geschwunden. Die Grösse der Konkremente ist ganz verschieden. Man begegnet hier und da sehr grossen Bildungen und daneben kleineren und ganz kleinen. In bezug auf ihre Gestalt ist zu bemerken, dass in der Regel kugelige und eiförmige Formen vorherrschen, daneben finden sich aber auch ganz unregelmässige Gestalten, namentlich dann, wenn das Alveolar- epithel nicht mehr erhalten ist, und wenn nach der Schilddrüsen- exstirpation beıeits eine längere Zeit vergangen ist. Manche dieser Bildungen ähneln dann bezüglich der Beschaffenheit der Oberfläche einer unregelmässig gestalteten Brombeere. Die Konkremente zeigen eine starke Neigung, sich mit basischen Farbstoffen, zum Beispiel mit Haematoxylin, zu tingieren. In der Affinität zu den Farbstoffen bestehen viele Übergänge. Eine besonders intensive Cyanophilie weisen die direkt vom Bindegewebe ohne Vorhandensein von Alveolarepithel umhüllten, längere Zeit bestehenden Konkremente auf. Ein Teil der Konkremente erscheint vollständig homogen und zeigt überhaupt keine Struktur, andere lassen eine hellere zentrale Partie und eine dunkler gefärbte periphere Schicht oder umgekehrt erkennen, wieder andere sind konzentrisch geschichtet; auch finden sich solche, in denen heller und dunkler tingierte Zonen regellos abwechseln. Die Läppchen, in denen diese Konkremente in grösserer Zahl auftreten (Tafel IT Abb. 1b), machen nicht der Eindruck des Gewebes. das in der normalen laktierenden Milchdrüse angetroffen wird. Bei der Anwesenheit grösserer Konkremente sind die Alveolen Die Milchdrüse thyreopriver Ziegen. 245 unverhältnismässig stark erweitert oder zystisch aufgetrieben. Der durch die dauernde Vergrösserung der Konkremente auf das Alveolen- epithel ausgeübte Druck bedingt eine Abplattung und Atrophie der Zellen und schliesslich ein volles Schwinden der gesamten Alveolenwand. In solchen Läppchen treffen wir bei längerer Dauer des thyreoidektomierten Zustandes viele Stellen, an denen die Struktur und Textur der Drüse vollkommen verschwunden ist. Es finden sich dann an verschiedenen Stellen der Läppchen einzelne zugrunde gehende, einst die konkrementhaltigen Alveolen auskleidende Zellen oder Gruppen solcher, an deren Stelle später mit Leukoeyten durchsetztes Bindegewebe tritt. Durch die auf diese und andere Weise entstandene Vermehrung des intralobulären Bindegewebes wird von diesem, durch reichliches, zelliges Infiltrat ausgezeichnetes Interalveo- largewebe andauernd ein Druck auf die noch vorhandenen normalen Alveolen. der Läppchen ausgeübt; die Alveolen werden dadurch ver- kleinert, obliterieren, stellen ihre milchbildende Funktion ein und gehen schliesslich zugrunde. Man findet deshalb in einem, an Konkrementen reichen Läppchen neben einzelnen, durch Konkremente erweiterten Alveolen auch Alveolen, die sehr klein sind und recht oft überhaupt keih Lumen erkennen lassen. An den niedrigen und unregelmässig gestalteten Zellen dieser Alveolen sind Zeichen irgendwelcher Funktions- tätigkeit nicht wahınehmbar. Im Gegenteil lassen an solchen Stellen die oft pyknotischen Kerne der Milchdrüsenzellen auf allmählichen, histolytischen Zerfall der Zellen schliessen. Der für die tätigen Milch- drüsenzellen so spezifische und charakteristische Vorgang der Fett- bildung und Ablagerung der Fettkörnchen in den Drüsenzellen geht in den von der beschriebenen Alteration ergriffenen Läppchen gänzlich verloren. Durch die Vermehrung des interalveolären (intralobwlären) und darauf auch des interlobulären Bindegewebes wird das Parenchym der Milchdrüsenläppchen atrophisch. Das Interstitialgewebe zeigt somit eine Zunahme auf Kosten des Parenchyms. Mit der längeren Dauer des thyreopriven Zustandes werden immer mehr Lobuli er- griffen. Man begegnet dann neben wenigen Milchdrüsenläppchen von annähernd normalem Bau einer grossen Anzahl solcher Läppchen, die sich durch geringe Ausdehnung, also durch ihre Kleinheit, auszeichnen, durch viel interstitielles, an elastischen Fasern und Fettgewebe armes Bindegewebe getrennt sind und somit weit auseinander liegen. Diese Läppchen lassen die ursprüngliche drüsige Struktur vermissen; diese wird auch durch die zahlreich intraepithelial, interalveolär und inter- lobulär auftretenden Leukocyten verwischt, deren überreichliches Vor- kommen in der laktierenden Milchdrüse bei nicht normalen Zuständen der Drüse oft vorkommt. Wenn noch reichlicher Milch abgesondert 246 Alfred Trautmann: wird, dann sind immer einige Läppchen von normalem Bau im Milch- drüsengewebe vorhanden. Beim Herabgehen der Milchproduktion auf wenige Kubikzentimeter pro Tag — ein Zustand, der durchschnittlich “immer relativ schnell eintritt — sind dagegen ganz normale Drüsen- Jäppchen kaum noch anzutreffen. Fast immer sind scheinbar normal sich präsentierende Lobuli dennoch in irgendeinem Abschnitte alteriert. In einem Teil der Lichtungen der Alveolen scheinbar normaler Läpp- chen, wie auch intraepithelial trifft man nicht selten eine reiche Zahl immigrierter Leukocyten an. Die intralobulär gelegenen Zentralräume (Sekretsammelräume) bzw. -gänge und die interlobulär liegenden Ausführungsgänge weichen im Gewebe des laktierenden Euters thyreoidektomierter Ziegen am wenigsten von der normalen Beschaffenheit ab. Die mehrfach erwähnten und beschriebenen Konkremente finden sich niemals in deren Lumen, dagegen aber finden sich in ihren Hohlräumen, namentlich nach längerem Bestehen der Schilddrüsenexstirpation, Haufen abgelöster Drüsen- epithelien und leukocytärer Elemente (Tafel I! Abb. 2a). Letztere lagern in diffuser Verteilung auch oit in dem subepithelialen Gewebe der Zentral- und Ausführungsgänge (Tafel IT Abb. 3a, e). Nach Eintritt des agalaktischen Zustandes der Milchdrüse, welcher sich bei thyreoidektomierten Ziegen in der Regel bei weitem früher einstellt als bei normalen Ziegen, steigert sich der atrophische Zustand des Parenchyms in hohem Maasse. Man begegnet dann in den mikro- skopischen Bildern niemals mehr Milchdrüsenläppchen, deren Alveolar- epithel irgendwelche sekretorische Erscheinungen aufweist (Abb. 2, 3). Die Läppchen, welche auch ein ganz anderes Aussehen als die einer normalen, trocken stehenden Ziege haben, werden noch kleiner, das interalveoläre, leukocytenreiche Bindegewebe vermehrt sich immer mehr; deutlich alveoläre -Bildungen sind im Läppchen nur noch ab und zu, also sehr selten, zu bemerken, bis schliesslich bei langem Leben thvreoidektomierter agalaktischer Ziegen ein Bild resultiert, in welchem die zum Teil noch erhaltenen, aber atrophierenden intralobulären Zentralgänge, umgeben von leukocytenreichem Bindegewebe und einzelnen kleinen Alveolen oder Alveolarzellresten die früher vor- handenen Läppehen noch andeuten (Abb. 3b). Konkrementen (Abb. 2c), die sich durch einen relativfesten Aggregat- zustand auszeichnen, begegnet man in den infolge der Schilddrüsen- exstirpation agalaktischen Eutern nicht mehr in solcher Menge wie in- noch laktierenden Milchdrüsen. Das ist ja auch verständlich, weil einmal infolge des Mangels an normalen sezernierenden Milchdrüsen- läppchen Konkremente nicht mehr gebildet werden, und weil ferner die in der Laktationsperiode entstandenen teilweise resorbiert werden. Die in solehen Drüsen noch vorkommenden 'selteneu Konkremente Die Milchdrüse thyreopriver Ziegen. 247 sindin den meisten Fällen nicht mehr von den Epithelzellen der Drüsen- alveolen umgeben, sondern liegen frei im interalveolären Bindegewebe. Ausserdem ist ihre Grösse, da sie durch Resorption verkleinert wurden, nicht mehr so erheblich wie bei Tieren, bei welchen der thyreoprive Zustand nicht so lange Zeit bestanden hat und die Milchdrüse noch sezernierte. Infolge der beginnenden Resorption der Konkrement- substanz, die an den einzelnen Stellen der Konkremente verschieden- gradig abläuft, trifft man in Drüsen solcher Tiere viel häufiger als in der laktierenden Milchdrüse thyreoidektomierter Ziegen fast keine kugeligen Konkrementformen mehr, sondern solche von den ver- "schiedensten Formen mit ganz ungleichmässigem Tinktionsvermögen. Längere Zeit nach der Schilddrüsenexstirpation (20 Monate und mehr) trifft man überhaupt keine Konkremente mehr an. Das interstitielle, interlobuläre Bindegewebe ist in nicht mehr laktierenden Milchdrüsen stark entwickelt (Abb. 2, 3d). Es ist fast frei von elastischen Gewebselementen und Fettzellen. Um die Gefässe liegen starke adventitielle, bindegewebige Scheiden (Abb. 2 d’). Die Milchdrüsen von thyreoidektomierten, längere Zeit nicht mehr laktieren- den Ziegen machen einen stark eirrhotischen Eindruck. An den Zitzen thyreoidektomierter Ziegen fallen, besonders ‚lange Zeit nach der Operation, am Integumentblatte die Zeichen der Seborrhoe auf. Die Zisterne verhält sich strukturell ähnlich wie die Ausführungssänge. Von ganz besonderem. Interesse ist die Tatsache, dass an einem schwangeren Tiere sich Zeichen der Vergrösserung des Euters weder während bzw. gegen Ende der Schwangerschaft noch auch nach der Geburt bemerkbar machten. Das Euter dieses Tieres, welches 20 Tage nach der Geburt eines 24 Stunden post partem gestorbenen kretinoiden Jungen nur 10—20 ccm Milch pro Tag sezernierte, wies neben dem stark ausgeprägten bindegewebigen inter- und intralobulären Stütz- gerüst fast nur Läppchen mit in der Ruhe befindlichen Alveolen auf. Alveolen mit tätigen Zellen waren nur in geringer Menge vorhanden. Ihnen fehlten aber die bei normalen Verhältnissen reichlich in den Drüsenzellen vorhandenen Fettkörnchen fast ganz, wie äuch in dem im Lumen der Alveoli befindlichen Sekrete fast gar keine Fettröpfchen zu sehen waren. Besonders zahlreich waren Kaseinkonkremente vor- handen. Der thyreoprive Zustand der betreffenden Ziege und die schon während der Schwangerschaft eingetretenen Strukturveränderungen der Milchdrüse haben offenbar das Eintreten der Sekretionsvorgänge an den Zellen und der mit ihnen einhergehenden hypertrophischen Verhältnisse nicht zugelassen. In diesem Zusammenhang ist nicht un- interessant, darauf hinzuweisen, dass von mir öfter beobachtet wurde, dass thyreoidektomierte Ziegen nur selten brünstig wurden 248 Alfred Trautmann: und konzipierten, und dass sie, wenn letzteres eiutrat, in der Regel abortierten. Auf die Milchdrüse jungfräulicher Tiere hat die Thyreoidektomie, soweit aus dem vorhandenen, in dieser Richtung geringen Material geschlossen werden kann, keinen Einfluss. Wenigstens konnten nach der gleichzeitigen Tötung von drei Ziegen eines Wurfes, von welchen bei der einen Zieg> die Schilddrüse total, bei deı zweiten nuı der Lobus dexter thyreoideae entfernt wurde, die dritte aber als Kontrolltier diente, keine Unterschiede in der Struktur der Milchdrüse festgestellt werden. Weiter ist bemerkenswert, dass bei thyreoidektomierten Ziegen, bei de..en sich bei der Sektion Glandulae thyreoideae accessoriae von wesentlichem Umfange vorfanden, in der histologischen Struktur der Milchdrüse keineilei Abweichungen von dem normalen Verhalten sich feststellen liessen. Die Milchdrüse solcher Tiere sezernierte in ge- wöhnlicher Weise. Die Agalaktie stellte sich unter den gleichen Ver- hältnissen wie bei nicht operierten Tieren ein. Aus den Untersuchungen scheint weiter hervorzugehen, dass bei älteren laktierenden Tieren, bei denen nach meinen Befunden im allgemeinen der Abfall der täglich produzierter Milchmenge schneller in die Erscheinung tritt als bei jüngeren in der Laktätion stehenden, die oben erwähnten Alterationen in der Struktur sich früher erkennen lassen und auch schneller und intensiver fortschreiten als bei jungen Tieren. Bei erwachsenen gleichaltrigen Tieren ist der Umfang des veränderten Milchdrüsengewebes verschieden. Es besteht kein gesetz- mässiges Verhalten in der Weise, dass die Grösse ‘der Veränderungen von deı Länge der nach der Thyreoidektomie verstrichenen Zeit ab- hängt, dass also die am spätesten nach der Thyreoidektomie zur Unter- suchung gelangte Milchdrüse die grössten Alterationen zeigt. Jedoch ist immer bei längerem Bestehen der Schilddrüsenexstirpation, zumal wenn die Tiere nicht mehr laktierten, die Reaktion der Milchdrüse auf die Thyreoidektomie erheblich. Auch bei gleichaltrigen, nach gleicher Zeit nach der Thyreoidektomie getöteten Tieren ist das mikro- skopische Bild nicht gleichartig. Bei einem Tier erfolgt‘ die Reduktion des Parenchyms der Mamma schneller und ausgiebiger als bei einem anderen. Es bestehen somit erhebliche individuelle Verschiedenheiten in bezug auf die nach der Thyreoidektomie eintretenden Folgen, und zwar bei der Milchdrüse namentlich in bezug auf die Schnelligkeit des Eintritts und die Grösse der reaktiv nach der Thyreoidektomie eintretenden strukturellen Veränderungen. Es besteht aber kein Zweifel, dass mit der Länge der Zeit bei jeder thyreoidektomierten Ziege die In- und Extensität der Strukturveränderungen gleichmässig | Pflügers Archiv f. d. ges. Physiologie Bd. 177. Tafel II. ul x Pr, PR ZIHIG Abb. 1. Milchdrüse einer 2 Jahre alten laktierenden Ziege 4 Wochen nach der Thyreoidektomie. a Normales Milchdrüsenläppchen; b In Veränderung befindliches Milchdrüsenläppchen; e Milch- drüsenalveolen mit beginnender Konkrementbildung (Alveolarepithel noch vollständig vorhanden); c’, e bei stärkerer Vergrößerung; d Konkremente in einer Milchdrüsenalveole mit teilweise fehlen- dem Alveolarepithel; d’, d bei stärkerer Vergrößerung; e Konkremente im intraalveolärem Binde- gewebe (Alveolarepithel ganz zugrunde gegangen); e’, e bei stärkerer Vergrößerung; £ Milchdrüsen- alveole mit ausgefallenem Konkrement; & Interlobuläres Bindegewebe. Abb. 2. Milchdrüse einer dreijährigen Ziege zirka 12 Monate nach der Thyreoidektomie. a Zentralkanal (Sekretsammelraum) eines Milchdrüsenläppchens; b Milchdrüsenläppchen; e Konkre- ment; d Interlobuläres Bindegewebe; d’ Bindegewebige adventitielle Scheiden um Blutgefäße. Trautmann, Milchdrüse thyreopriver Ziegen. Verlag von Julius Springer in Berlin, Tafel II, Pflügers Archiv f. d. ges. Physiologie Bd. 177. VOAIMISIPUIT SOIYINIOLIOJU] P :Sueäszunaungsny 9 :uoysddejussnapysftw q !uouunT wm UOJUHWOLT UOSI]OZ US[OTA YTur su9ygaddrfussnipyafl SsOuTD (TWUINBIPTUBSPANIS) LuUeNTeIuszZ 8 STLWOPFIPIOSLÄYL, IOP Yawu HrUoN 7a PILZ 9B9TZ uofe Hayup 9 doum osnapyafım € "qgY 4 () P inger in Berlin. Verlag von Julius Spr Trautmann, Milchdrüse thyreopriver Ziegen, Die Milchdrüse thyreopriver Ziegen. 249 zunehmen. Zwischen dem Ende des Auftretens der nach der Thyreoid- ektomie wahrnehmbaren klinischen Erscheinungen und der Intensität der in der Mamma sich vorfindenden Veränderungen lassen sich keine Parallelen ziehen. Immerhin lässt sich sagen, dass bei einer thyreopriven Ziege mit hochgradigen klinischen Erscheinungen auch die Struktur der Milchdrüse ganz wesentliche Zeichen von Atrophie des Drüsen- gewebes aufweist. zumal wenn die Athyrie längere Zeit bestanden hat. Ziegen, denen nach der Thyreoidektomie Thyreoidintabletten ver- abreicht wurden, lassen vermutlich nicht so schnell und nicht so er- hebliche Veränderungen des Milchdrüsengewebes erkennen wie solche, denen keine Tabletten gegeben werden. Aus den oben angeführten Alterationen, die nach der Thyreoidektomie in der Milchdrüse entstehen, lässt sich schliessen, dass der Ausfall der Funktion der Thyreoidea schädigend auf die Struktur der laktierenden Milchdrüse und damit auf ihre Funktion wirkt. Die in ihr ablaufenden Veränderungen sind degenerativer Natur. Uber den Zusammenhang zwischen Konzentration und Wirkung von verschiedenen Arzneimitteln. Von W. Storm van Leeuwen, Konservator, und J. W. Le Heux, Assistent am pharmakologischen Institut. (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.) Mit 18 Textabbildungen. (Eingegangen am 15. Juli 1919.) Der Zusammenhang zwischen der Konzentration, in welcher ein Gift im menschlichen oder tierischen Organismus anwesend ist, und der Wirkung, welche es auf denselben ausübt, ist nicht bei allen Giften gleich. Man kann drei Hauptformen unterscheiden, welche in Abb. 1,2 und 3 schematisch dargestellt sind. In Abb. 1 ist diejenige Hauptform dar- gestellt, bei welcher sich das Verhältnis zwischen Wirkung und Konzentration fol- KITTS H, gendermaassen gestaltet: wenn für eine ı Dosis des Gjffes pro 4gler Wirkung 1% a eine Konzentration (oder Dosis Abb.1. Schema einer Kon. PlO Kilogramm Tier) 2 nötig ist, so hat zentrationswirkungskurve. eine Konzentration 4 auch eine doppelt - so grosse Wirkung a. Ist das Verhältnis so, wie in Abb. 2 und 3 dargestellt, so geht die Steigerung der Wirkung nicht parallel mit der Steigerung der Kon- des Giffes 9 Wırkum 5 j | | I | I I | I | | I I | | | I I | 5, 2 " S SF & 8 S EST, j %o 25 N S j C; sh | I SS j \ RS Ic | h Ss2 j Ic ! j ! j 77 | 12 SS ER FE or des Eyes pro ng, Der Dosıs des Giffes pro kg Tier Abb.2. Schema einer Konzentrations- Abb.3. Schema einer Konzentrations- wirkungskurve. wirkungskurve. zentration. In beiden Abbildungen gibt es ein Stadium, in welchem bei geringer Steigerung der Konzentration die Wirkung stark zu- Über den Zusammenhang zwischen Konzentration und Wirkung usw. 251 nimmt, und eines, in welchem starke Steigerung der Konzentration eine nur geringe Erhöhung der Wirkung zur Folge hat. In Abb. 2 kommt im Anfang das erste und dann das zweite Stadium vor, in Abb. 3 ist die Reihenfolge umgekehrt. Bevor wir diese Verhältnisse näher besprechen, muss erst unter- sucht werden, ob dieselben bei der Einwirkung von verschiedenen Giften auf den tierischen Organismus tatsächlich vorkommen. Ein Verhältnis zwischen Konzentration und Wirkung, wie es in Abb. 1 dargestellt ist (Typus I), kommt unter anderem bei einer Anzahl lipoidlöslicher Narkotika vor. Als Beispiel hierfür ist in Abb. 4 der Einfluss von verschiedenen Konzentrationen von Urethan auf die Reflexerregbarkeit von Tieren in Kurve gebracht. Man sieht, dass diese gebogene Linie sich der geraden von Abb. I nähert. Auch bei anderen Narkotizis, wie Äther, Chloralhydrat und anderen, wurden 700 & N & St 5 No x DIN NIS IS 72 n IN St 70 Ss SS IN RS SS 50 SI SS se SD 375 SI” Ss IN30 SS25 ER Q SU Se N.20 ‚N Oo 8 m SS, £ Zt | | GERIEEZEIHSENE SEEN 76 70 OSTEN TEZER ZEIT SERY —>/osıs Urefhan pro Kg Vier —> Dosis Mg BY 0, ‚pro Ag Jrer Abb. 4. K.-W.-Kurve von Urethan. Abb. 5. K.-W.-Kurve von MgSO.. 45 5 55 ungefähr dieselben Verhältnisse beobachtet. Auch bei Magnesium- sulfat, welches unter den Narkotizis eine sehr besondere Stelle ein- nimmt, wurde eine beinahe gerade Linie gefunden (siehe Abb. 5). In einer ganz geraden Linie verläuft eine derartige Konzentrations- wirkungskurve niemals, an einem bestimmten Punkt nimmt die Linie stets eine horizontale Richtung an, da für jedes Gift eine Konzentration besteht, wobei seine Wirkung maximal ist, so dass eine höhere Kon- zentration nicht eine noch grössere Wirkung ausübt. Abgesehen hier- von kann man bei den äusserst komplizierten Reaktionen, welche ausgelöst werden, wenn ein Gift auf ein Tier einwirkt, nicht erwarten, _ dass immer genau die gleichen Verhältnisse gefunden werden wie die schematisch dargestellten. Und schliesslich besteht für jedes Gift natürlich eine Dosis, die zu klein ist, um irgendeine wahrnehmbare Wirkung auszuüben, deshalb wird eine K.-W.-Kurve die Abszisse niemalsim Nullpunkt, sondern immer etwasmehr nach rechts schneiden. j 252 W. Storm van Leeuwen u. J. W. Le Heux: In unseren Versuchen war aber diese subminimale Dosis immer so. klein, dass dieser Umstand vernachlässigt werden kann. Hans Meyer geht in einem Aufsatz „Bedingungen der Arzneiwirkung“ im „Lehrbuch der experimentellen Pharmakologie“ von Meyer und Gott- lieb auf diese Verhältnisse ein. Er weist darauf hin, dass die im Tierkörper zur Wirkung gelangende Menge eines Giftes nicht proportional der Wirkung ist, denn „unterhalb einer gewissen Höhe der Giftdosis, der ‚Schwellenhöhe‘, bleibt überhaupt jede merkbare Wirkung aus, d.h. sehr geringe chemische Störungen werden von der lebenden Zelle ebenso unmerklich ertragen — viel- leicht durch selbststeuernde Einrichtungen ausgeglichen — wie etwa die ge- » wohnten täglichen und stündlichen Schwankungen der osmotischen Spannung, der Temperatur und: der sonstigen Faktoren ihres normalen Milieus. Es muss daher der unwirksame oder eben erst wirksame Schwellenwert von den jeweils angewandten Dosen eines Medikaments in Abzug gebracht werden, um in dem Verhältnis der so erhaltenen Differenzen nun erst das- jenige der wirksamen Dosen zu finden.“ Nach diesem Prinzip würde also in unseren Kurven von den auf der Abszisse eingetragenen Werten immer der „Schwellenwert“ abgezogen werden müssen. Dieser Schwellenwert ist aber in unseren Versuchen stets so klein, dass ein derartiges Verfahren nichts Wesentliches an dem Verlauf unserer Kurven ändern würde. Dies kommt daher, dass wir immer die Wirkung der Gifte auf möglichst fein reagierende Funktionen der Organe oder der Tiere untersucht haben, so dass der „Schwellenwert“ sehr klein ist. Meyer’s damals ausgesprochener Satz, „verschiedene Wirkungsintensitäten direkt messend zu vergleichen, haben wir übrigens kein Mittel, ausser etwa bei der Vergiftung von roten -Blutkörperchen, deren Vergiftungsgrad sich un- mittelbar nach der Höhe ihres Farbstoffverlustes bemisst,“ gilt für unsere Fälle nicht mehr. Verhältnisse, wie auf Abb. 2 (Typus II) dargestellt, findet man bei einer anderen Gruppe von Arzneimitteln, nämlich bei Alkaloiden und anderen basischen Giften. Beispiele hierfür geben Abb. 6 und 7. In - Abb. 6 ist die Wirkung von Morphin auf die Reflexerregbarkeit beim dezerebrierten Kaninchen, in Abb. 7 die Wirkung von Histamin auf den, überlebenden jungfräulichen Meerschweinchen-Uterus in Kurve gebracht. Ob in unkomplizierten Fällen Verhältnisse vorkommen, wie auf Abb. 3, ist uns nicht bekannt. Höchstwahrscheinlich dürfte die schlaf- erzeugende Wirkung von einer bestimmten Gruppe von Schlafmitteln, wie Veronal und Sulfonal, einen solchen Verlauf haben. In derartigen Fällen bezieht sich diese Kurve nicht auf die Reaktion eines einzelnen. Organs, sondern auf die Reaktion des ganzen Tieres auf das Gift. Die Kurve dürfte dann wahrscheinlich zustande kommen durch die Kombination der auf Abb. 1 und 2 dargestellten Wirkungen, wobei zum Beispiel der Einfluss auf die Atmungszentren sekundär die Erregbarkeit des Nervensystems erniedrigt. 5 Eine Konzentrationswirkungskurve wie in Abb. 3 kann unter anderem entstehen, wenn sich bei stets zunehmender Dosis eines Giftes zu der ursprünglichen Wirkung eine schädliche Nebenwirkung gesellt. Dies geschieht zum Beispiel, wenn während der allmählichen Vertiefung Über den Zusammenhang zwischen Konzentration und Wirkung usw. 255 der Narkose das Narkotikum einen schädlichen Einfluss auf das Herz auszuüben beginnt und nun infolge der hierdurch entstandenen schlechten Blutzirkulation sekundär auch das Nervensystem benachteiligt wird. Ein Beispiel für < einenderartigenFall EU en wird der Einfluss 37% Dan von Chloralhydrat 2 auf die Reflexerreg- bakeit des dezere- brierten Kaninchens wiedergegeben. Die ersten Dosen Chlo- ralhydrat haben auf die Grösse der Re- flexe wenig Einfluss. Bei a wird plötzlich schnell eine etwas grössere Dosis eingespritzt, das Herz wird da durch geschädigt, und die Reflexe verschwinden innerhalb 2 Minuten vollständig. Diese in Abb. S dargestellte Kurve veranschaulicht also, was bei einer während einer Chloroformnarkose auftretenden Synkope vorgeht. Lässt man die Verhältnisse von Abb. 3 vorläufig ausser Betracht, so kann man also zwei Typen I und II unterscheiden. So wie auf N SIISSS Einfluß auf homolaterale Beugerefk SSR SOO0OS Ur ON 30 Dosıs Morphin ın mg Abb. 6. Morphin. S 0 S S 90 x 1 S 0 RI S 0 SS 70 S 50 Q „00 S N Ss 90 S 850 :3 TI 7, STH S Ss S 30 130 S EN <= 20 NS „20 => ‚Q SO =» Sn a N j 0 9102 03 0# 05 06 97 08 09 DNNEZZIEUSN ELSE 720 797 > Ahonzenlration des Histamins —>Dos15 Chloralhydraft pro kg Jıer Abb. 7. K.-W.-Kurve von Abb. 8. Abnorme K.-W.-Kurve von Histamin. Chloralhydrat. Abb. 1 (Typus I) verhalten sich eine Anzahl Narkotika der Fettreihe, _ während eine Anzahl von Alkaloiden und auch das Histamin ein Ver- halten aufweisen wie das in Abb. 2 dargestellte (Typus II). Es sei kurz darauf hingewiesen, dass es von grossem Nutzen wäre, wenn der genaue Verlauf der Konzentrationswirkungskurven für die wichtigsten Arzneimittel bekannt sein würde. Bei einer Anzahl von 354 W. Storm van Leeuwenu. J. W. Le Heuxs: Giften wäre eine solche Untersuchung verhältnismässig einfach durch- führbar. Wirkungen jedoch, wie diejenige von Atropin auf das Auge, Digitalis auf das Herz, und andere mehr, sind äusserst schwierig in Zahlen auszudrücken, und man muss sich dabei bezüglich des Verlaufes der Kurven auf Vermutungen beschränken. Reid Hunt!) hat schon im Jahre 1909 mitgeteilt, dass der Einfluss von Thyreoidin auf die Empfindlichkeit von Mäusen gegen Acetonitril ebenfalls derartig ab- hängig ist von der Konzentration, dass eine Kurve, die das Verhältnis zwischen Dosis und Wirkung angibt, den Verlauf einer Parabel hat, also Typus II entspricht ?). Eine genaue Kenntnis des Verhältnisses zwischen Wirkung und Konzentration bei verschiedenen Arzneien wäre für den Arzt schon deshalb von grosser Bedeutung, weil er dann häufig, falls er die Wahl hat, derjenigen Arznei den Vorzug geben würde, deren Konzentrations- wirkungskurve wie auf Abb. 1 verläuft. Sind doch hierbei die Ver- hältnisse am bequemsten zu übersehen und zu beherrschen, weil ein allmählicher Übergang von der therapeutischen zur toxischen Wirkung stattfindet. Die Wirkungsbreite des Giftes ist dabei die grösste und der Verlauf regelmässig. Verhältnisse, wie in Abb. 2 und 3 geben bei der Therapie viel mehr Schwierigkeiten. Hierauf ausführlicher einzugehen, ist im Rahmen dieser Mitteilung nicht möglich. Es sei nur darauf hingewiesen, dass durch die Tatsache, dass die K.-W.-Kurve von Äther und Chloroform solch einen einfachen Verlauf hat, der allgemeine Gebrauch dieser Narkotika teilweise erklärt wird. Frappant ist auch der Unterschigd im Verlauf der K.-W.-Kurven von verschiedenen Schlafmitteln. Einerseits hat man die Gifte, bei denen die Verhältnisse einfach sind und die Kurve sich einer geraden Linie nähert, welche die Achse nahezu im Nullpunkt schneidet ?). Zu dieser Gruppe gehören Urethan, Chloralhydrat und vermutlich Amylenhydrat. Andererseits hat man Gifte, wie zum Beispiel Veronal und Sulfonal, deren K.-W.-Kurve sicher sehr unregelmässig verläuft. Mit einer mässigen Dosis. Veronal kann schon eine gute schlaferzeugende Wirkung erreicht werden; erhöht man die Dosis um ein weniges, dann wird die Wirkung etwas stärker; jedoch schon bei einer Dosis, welche die therapeutisch gebräuchliche nur um ein geringes übersteigt, treten 1) Reid Hunt and A. Seidell, Studies on thyroid. Bull. No. 47. Hyg. Lab. U. S. Pub. Health & Mar. Hosp. Serv. Wash. 1909. 2) Vergleiche auch die vor kurzem erschienene Mitteilung von O. Hart- mann. Über den Einfluss von Temperatur und Konzentration auf die Giftig- keit von Lösungen, besonders von Elektrolyten. Pflüger’s Arch. Bd. 170 S. 585. 1918. Hartmann fand für das Verhältnis zwischen Mischung von verschiedenen Salzen auf Cladoceren und Konzentration Beziehungen, welche denen von Abb. 2 sehr ähnlich sind. 3) Vgl. die Bemerkung auf S. 251. Über den Zusammenhang; zwischen Konzentration und Wirkung usw. 255 andere Wirkungen ein und kann Todesgefahr drohen, ohne dass eine tiefe Narkose einzutreten braucht. Die minimal letale Dosis dieses Giftes liest ganz dicht bei der wirksamen Dosis. Der unregelmässige Verlauf der K.-W.-Kurve von Veronal erhellt unter anderem auch daraus, dass während einer akuten Veronal- vergiftung manchmal Krämpfe auftreten, so dass von einem allmäh- lichen Übergang von der schlaferzeugenden in die narkotische Wirkung keine Rede sein kann. Deutlich ist dies auch zu sehen, wenn einem Kaninchen Veronal gegeben wird: eine Dosis, durch welche nur eine leichte Narkose hervorgerufen wird, verursacht schon den Tod des Tieres. Abgesehen von anderen Erwägungen wird also bei den Schlaf- mitteln aus der ersten Gruppe die Dosierung viel leichter und weniger gefährlich sein als bei denen aus der zweiten Gruppe. Von grossem Einfluss kann der Verlauf der K.-W.-Kurve auch sein bei der Anwendung von Kombinationen von Arzneimitteln. Be- kanntlich kommt es vor, dass Mischungen von gleich wirkenden Arznei- mitteln eine Wirkung hervorbringen, welche nicht in Übereinstimmung ist mit der Summe der Wirkung der Bestandteile. Ist diese Wirkung grösser, so spricht man von Potenzierung. Wenn man nun genaue Angaben über den Verlauf der K.-W.-Kurve der beiden Arzneien zur Verfügung hat, so kann man im voraus vermuten, wie die Wirkung der Kombination sein wird. Hierbei sind folgende drei Fälle denkbar: a) Beide Gifte haben eine K.-W.-Kurve wie in Abb. 1 (gehören also beide zu Typus I). b) Beide Gifte haben eine K.-W.-Kurve wie in Abb. 2 (Typus II). c) Das eine Gift hat eine K.-W.-Kurve wie in Abb. 1, das andere wie in Abb. 2. ad a) In diesem Falle ist keine Potenzierung, sondern nur eine einfache Addition der Wirkung beider Gifte zu erwarten. Tatsächlich findet man bei Kombinationsversuchen mit derartigen Giften nur eine reine Addition der Wirkung, wie zum Beispiel für die Kombina- tionen Äther-Chloroform, Urethan-Magnesiumsulfat usw. von Le Heux!) und Storm van Leeuwen ?) nachgewiesen wurde. Bürgi®), der sich schon seit mehreren Jahren mit dem Studium der Wirkung von Arzneikombinationen beschäftigt und der auch die Bezeichnung „Potenzierung‘ eingeführt hat, steht ebenfalls auf dem ae dass bei Kombination von Narkotizis aus der Fettreihe 1) J. Le Heux, Über den Synergismus von Arzneimitteln. II. Mitt. Pflüger’s Arch. Bd. 174 S. 105. 1919. 2) W. Storm van Leeuwen, Über den Synergismus von Arznei- mitteln. I. Mitt. Pflüger’s Arch. "Ba. 166 S. 65. 1916. 3) E. Bürgi, Die Wirkung der Arzneigemische. Rektoratsrede. Bern 1914. 2356 W. Storm van Leeuwen u. J. W. Le Heux: | (welche, insoweit es untersucht worden ist, alle dem Typus I angehören) keine Potenzierung auftritt. In seiner 1914 gehaltenen Rektorats- rede hat er n. 1. folgende Regel aufgestellt: ‚‚Arzneien der gleichen Reihe, die denselben pharmakologischen Angriffspunkt haben, addieren bei Kombination ihre Wirkungen; Arzneien der gleichen Reihe, die verschiedene pharmakologische Angriffspunkte besitzen, zeigen dagegen bei Kombination einen potenzierten Gesamteffekt.‘ ad b) Gehören beide Gifte zu Typus II und haben die Gifte über- dies einen verschiedenen Angriffspunkt, so ist mit grosser Wahrschein- lichkeit zu erwarten, dass bei Kombination bestimmter Dosen eine Potenzierung auftritt. Eine Dosis I des ersten Giftes (vgl. Abb. 2) hat zum Beispiel eine Wirkung 1, b. Die zweimal grössere Dosis II übt jedoch nur eine Wirkung 3/, b aus. Bestehen nun dieselben Ver- hältnisse für ein zweites Gift und haben beide Gifte einen verschiedenen Angriffspunkt, so muss erwartet werden, dass die Dosis I des ersten Giftes + die Dosis I des zweiten Giftes eine Wirkung b hat, also eine grössere Wirkung als von der Dosis II eines der Gifte allein aus- geübt wird. Ganz sicher, dass in diesem Falle eine Potenzierung der Wirkung auftritt, ist man natürlich nicht, denn es ist immer möglich, dass das erste Gift die Wirkung des zweiten in irgendeiner Weise stört. Gehören beide Gifte Typus II an, und zwar so, dass die K.-W.- Kurve nicht nur qua Typus, sondern auch quantitativ vollkommen gleich sind, und haben die Gifte dabei denselben Angriffspunkt, so ist — wenigstens auf Grund dieser Überlegungen — keine Potenzierung zu erwarten. ! ad c) Gehört das erste Gift zu Typus I und das zweite Gift zu Typus 11, so ist sehr wohl möglich, dass eine Potenzierung auftritt. Hat n. l. eine Dosis II des ersten Giftes eine Wirkung 1, a, so würde die Zufügung einer Dosis I des zweiten Giftes die Wirkung unver- hältnismässig höher steigern können. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir nicht meinen, dass man in allen Fällen auf Grund unserer Überlegungen vorher- sagen kann, ob bei einer bestimmten Kombination eine Potenzierung auftreten wird oder nicht, und noch weniger sind wir der Meinung, dass alle Fälle von Potenzierung aus unseren Schemata zu erklären seien, denn die Potenzierung von den Kombinationen Nikotin-Lobelin!) und Physostigmin-Pilocarpin ?) zum Beispiel beruhen höchstwahrschein- 1) W. Storm van Leeuwen and ©. de Lind van Wyngaarden On the effect of lobelin on the rise of blood pressure by nicotin. Kon. Akad. v. Wetenschappen Proc. Vol.20 No.5 p. 630. 1917. 2) L. Moldowskaja, Die Wirkung der Physostigmin- und Pilocarpin- kombination auf den überlebenden Darm. Zeitschr. f. exp. Path. Bd. 18 , Über den Zusammenhang zwischen Konzentration und Wirkung usw. 257 lich auf anderen Umständen. Immerhin ist es beachtenswert, dass bei einer ganzen Reihe von Stoffen, welche keine Potenzierungs- erscheinungen aufweisen (die Gifte der Fettreihe), eine K.-W.-Kurve wie in Abb. 1 gefunden wird, und dass bei sämtlichen Kombinationen, in denen eine Potenzierung bis jetzt mit Sicherheit nachgewiesen ist, mindestens eins von den beiden Giften zu Typus II gehört. Wie schon oben angedeutet wurde, deckt sich unsere Auffassung teilweise mit der von Bürgi gegebenen Regel, denn wir kommen ebenso wie Bürgi zu der Annahme, dass bei Kombinationen von Arzneimitteln der Lipoidreihe keine Potenzierung auftritt, und über- dies ist auch für uns die Frage, ob beide Gifte denselben — oder einen verschiedenen — Angriffspunkt haben, von grosser Bedeutung. Im ‚ganzen aber weicht unsere Auffassung von Bürgi ab. Wenn wir Bürgi !) richtig interpretieren, so lautet seine Auf- fassung folgendermaassen: Haben beide Arzneimittel denselben Angriffspunkt, so besteht keine Potenzierung. Haben beide Arzneimittel einen verschiedenen Angriffspunkt, so hesteht eine Potenzierung. Wir kommen aber zu folgender Auffassung: Haben beide Gifte denselben Angriffspunkt, so sind drei Fälle zu unterscheiden: a) beide Gifte gehören zu Typus I: keine Potenzierung; b) beide Gifte gehören zu Typus II, und der Verlauf der beiden Kurven ist genau identisch: keine Potenzierung; c) beide Gifte gehören zu Typus II, haben aber eine verschiedene Kurve, oder das eine Gift gehört zu Typus I und der andere zu Typus II: eine Potenzierung in bestimmten Regionen der K.:-W.-Kurve ist möglich. Haben beide Gifte einen verschiedenen Angriffspunkt, so sind ebenfalls drei Fälle zu unterscheiden: a) beide Gifte gehören zu Typus I: keine Potenzierung; b) beide Gifte gehören zu Typus II: eine Potenzierung ist wahr- scheinlich;; c) das eine Gift gehört zu Typus I, das andere zu Typus II: eine Potenzierung ist möglich. Es sei noch darauf hingewiesen, dass Bürgi in den angeführten und anderen Mitteilungen auch schon die Aufmerksamkeit darauf lenkt, dass bei manchen Giften die halbe Dosis nicht die halbe Wirkung 8.31. 1916. — W. Storm van Leeuwen und C.v.d. Broeke, Über den Synergismus von Arzneimitteln. V. Mitt. Erscheint in Pflüger’s Archiv. 1) E Bürgil. ce. \ Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 177. 17 358 W. Storm van Leeuwen u. J. W. Le Heuxs: ausübt, und dass dieser Umstand beim Zustandekommen der Poten- zierung von Bedeutung sein kann. Wenn man also als Tatsache annimmt, dass bei gewissen Gruppen von Giften das Verhältnis zwischen Wirkung und Konzentration so ist wie in Abb. 1 und bei anderen so wie in Abb. 2 — wobei noch- mals betont werden muss, dass keineswegs vorausgesetzt wird. dass mit diesen zwei Schemata alle Möglichkeiten erschöpft seien —., so ist die Frage naheliegend, welchen Ursachen dieser Verlauf zu- geschrieben werden muss. Der einfachste und am leichtesten begreifliche Verlauf ist jeden- falls der auf Abb. 1 dargestellte. Auffallend ist, dass zu dieser Gruppe gerade diejenigen Arzneimittel gehören (eine Ausnahme bildet nur das Magnesiumsulfat), welche in Lipoid leicht löslich sind. Unter- sucht man, in welcher Weise diese Stoffe sich zwischen Lipoid und Wasser verteilen, so stellt sich heraus, dass sie dabei ungefähr dem Gesetz von Berthelot und Jungfleisch folgen. Dieses Gesetz besagt bekanntlich, dass, wenn ein Stoff sich in zwei Lösungsmittel löst, welche sich nicht mischen, dieser Stoff sich immer — also un- abhängig von der Menge der verschiedenen Komponenten — in einem konstanten Verhältnis zwischen den beiden Lösungsmitteln verteilt. Die hier in Betracht kommenden Narkotika verteilen sich also vermutlich im Körper zwischen lipoidreichen und lipoidarmen Ge- weben nach einem Verhältnis, welches, in Kurve gebracht, die gerade Linie von Abb. 1 ergibt. Es liegt auf der Hand, einen Zusammen - hang zu suchen zwischen dem identischen Verlauf der Kurve, welche die Verteilung dieser Stoffe zwischen Lipoid und Wasser angibt, und ihrer K.-W.-Kurve. Bevor man dies jedoch tun kann, muss.erst mit Sicherheit festgestellt werden, dass diese beiden Kurven tatsächlich einen gleichen Verlauf haben. Wie schon oben bemerkt, nähert sich die K.-W.-Kurve von einigen Narkotika der Fettreihe derjenigen von Abb. 1, weicht jedoch in allen Fällen mehr oder minder davon ab. Die Frage ist nun, ob angenommen werden kann, dass diese Abweichungen Fehlern bei den Versuchen und nebensächlichen Umständen zugeschrieben werden können, und ob in einem idealen Fail tatsächlich eine vollkommen gerade Linie gefunden werden würde. Um hierüber ein klares Urteil zu erhalten, haben wir eine Reihe von Versuchen angestellt, in welchen die Fehler auf ein Minimum reduziert wurden. In dieser Serie wurde die Wirkung von Chloralhydrat auf den gleichseitigen Beugereflex (isoliertes Rectus- femoris-Präparat) beim Kaninchen untersucht. Aus Abb. 9 ist er- sichtlich, dass die Kurve sich tatsächlich viel mehr der geraden Linie von Abb. 1 nähert, wenn Fehler nach Möglichkeit vermieden werden. In dieser Kurve gibt jeder Punkt den Durchschnittswert von zehn Über den Zusammenhang zwischen Konzentration und Wirkung usw. 259 Versuchen. Es geht aus dieser Versuchsreihe hervor, dass mit dem Genauerwerden der Versuche die Übereinstimmung mit der Kurve von Abb. 1 zunimmt. Eine zweite Frage ist, ob die hier besprochenen Narkotiks sich tatsächlich nach dem Gesetz von Berthelot und Jungfleisch zwischen Wasser und Lipoid verteilen. Lange Zeit hindurch wurde angenommen, dass dies der Fall sei. 100 Zweifel erhoben sich in 1912 nach 290 einer Untersuchung von Loewe N, (Biochemische Zeitschrift Bd. 42 5 70 S. 190. 1912), welcher zeigte, dass x Chloroform und andere Narkotika N der Fettreihe sich in den Gehirn- So lipoiden nicht auflösen, sondern von N 30 ihnen adsorbiert werden. Loewe Sg untersuchte zum Beispiel die Ver- 2 QS teilung von Chloroform zwischen Wasser und einer Suspension von £ Gehirnlipoiden in Wasser. Er fand een dabei Verhältnisse, wie sie in Abb. 10, welche seiner Mitteilung entnommen ist, dargestellt sind, woraus er schloss, dass hier ein Adsorptionsprozess im Spiele sei und das Gesetz von Berthelot und Jungfleisch nicht gelte. Mit Rück- sicht auf, unsere Auffassung von dem Zusammenhang zwischen der Verteilung der Narkotika undihrer „, K.-W.-Kurve, war es für uns von Wichtigkeit, Loewe’s Ergebnisse nachzuprüfen. Um jedoch eine 30 grössere Übereinstimmung mit den natürlichen Verhältnissen im Körper zu erzielen, haben wir N untersucht, wie ein Narkotikum == 700 200 Im 7 der Fettreihe sich im Körper Apb. 10. V erteilung von Chloroform zwischen zwei Phasen, von wel- zwischen Wasser und Hirnlipoiden hend ine Imoidneieh wrdch (getrocknet) nach Loewe (Biochem. chen die eine lipoidreich und die Zeitschr. Bd. 42). andere - lipoidarm ist, verteilt. Studiert wurde die Verteilung von Chloroform zwischen Blutzellen und Blutplasma beim Hund. Zu diesem Zweck wurde ein Hund mit Chloroform narkotisiert und ihm dann in verschiedenen Stadien der Narkose Blut entnommen; um Gerinnung zu verhüten, wurde diesem Blut Kaliumoxalat hinzugefügt und dasselbe dann in geschlossenen Röhren zentrifugiert, wonach der Chloroformgehalt von Plasma und Zellen getrennt bestimmt wurde. Das Ergebnis dieser Untersuchung IN/E- —> Dosis pro kg Tier 40 260 W. Storm van Leeuwenu. J. W. Le Heux: ist aus Abb. 11 zu ersehen. Auf der Abszisse ist der Chloroform- gehalt des Plasmas in Gewichtsprozenten und auf der Ordinate der- . . } jenige der ;Blutzellen ange- Sl 008% RN $ N mn geben. Die vier auf der Kurve an gi . 7 . SS] 9006 % verzeichneten Punkte sind IIEN ; = 7 N 0052 % jeder der Durchschnitt von So Ss s X f} N Pr “ ® I J > Ss 0 sechs oder mehr Beobach- S i IE Se tungen. Ohne Zweifel wird in 4 3: diesem Fall das Gesetz von h | \ } | 0077 0093 2.0157 0082175 —> (Chloroformgehalt von Plasma ın Gew-% Berthelot und Jungfleisch Abb. 11. Verteilung von Chloroform vollkommen befolgt. ü zwischen Plasma und Zellen. Auf Grund dieser Unter- suchungen meinen wir mit aller Wahrscheinlichkeit annehmen zu können, dass der eigenartige Verlauf der K.-W.-Kurve von den durch uns untersuchten Narkotika von der Tatsache abhängig ist, dass diese Gifte sich zwischen lipoid- O2m 2002 Konzentration des Pilocarpins. Abb. 12. Einfluss verschiedener Konzentrationen Pilocarpin auf den über- lebenden Dünndarm. armen und lipoidreichen Geweben nach dem Gesetz von Berthelot und Jungfleisch verteilen. Nun fragt sich, inwiefern eine Erklärung der K.-W.-Kurve der Alkaloide, deren Verlauf in Abb. 2 dargestellt ist, gefunden werden Über den Zusammenhang; zwischen Konzentration und Wirkung usw. 261 kann. Wie schon mitgeteilt, verläuft die K.-W.-Kurve von Morphin (Einfluss auf die Reflexe beim Kaninchen) und von Histamin (Kon- traktionen des isolierten Uterus) wie die in Abb. 2 dargestellte. Dem kann noch hinzugefügt werden, dass für die Wirkung von Pilokarpin und Physostigmin auf den überlebenden Dünndarm und für Nikotin, Adrenalin und Pituitin auf den Blutdruck bei der dekapitierten Katze derselbe Verlauf ge- funden wurde, wie aus Abb. 12, 13 und 14 er- sichtlich ist. In Abb. 12 ist der Einfluss von ‚verschiedenen Konzentrationen von Pilokarpin auf ein und dasselbe Stück Katzendarm wieder- gegeben. Deutlich ist zum Beispiel der Unter- schied zwischen der Wirkung von 0,08 mg und 0,1 mg Pilokarpin, welche beide zu 75 ccm Flüssigkeit hinzugefügt wurden. In Abh. 13 ist der Verlauf von zwei derartigen Ver- suchen in Kurve gebracht. In Abb. 14 ist die Wirkung von 2 ccm, von 1,5 ccm und von 90 ng auf den —> überlebenden Kalzendünndarm SERIEIEIES Wırku IST LeTT SEES a S 0 0192 03 0% 05 06 —> Honzentrakon des Pılocanpıns Abb. 13. K.-W.-Kurven von Pilocarpin. l cem einer Nikotinlösung auf den Blutdruck einer dekapitierten Katze nach vorhergegangener Atropineinspritzung verzeichnet. INVWWEWVVWVWWWWWNWN 2 ümmenwN! ai Zcem 15 ccm Abb. 14. Einfluss von verschiedenen Dosen einer Nikotinlösung auf den Blutdruck bei der decapitierten Katze (nach Atropininjektion). Bei näherer Betrachtung der K.-W.-Kurven dieser Stoffe fällt natürlich sofort ihre Übereinstimmung mit den Adsorptionsisothermen von verschiedenen Stoffen, wie zum Beispiel von Farbstoffen, an Tier- 2062 W. Storm van Leeuwen u. J. W. Le Heusxs: kohle auf. Dadurch entstand die Frage, ob vielleicht der typische Verlauf der K.-W.-Kurve der Alkaloide dadurch zustande kommt, dass diese Stoffe, bevor sie auf das Organ einwirken, adsorbiert werden und diese Adsorption sich nach denselben Gesetzen vollzieht wie die Adsorption von Farbstoffen an Tierkohle. Wenn sich diese Vor- stellung als richtig erweist, so wäre damit die Frage auf eine einfachere Form zurückgebracht, denn dann würde auch für die Alkaloide gelten, dass ihre Wirkung in letzter Instanz parallel ist zu der Menge, welche an der Stelle anwesend ist, wo diese Wirkung entfaltet wird. Nun ist es eine bekannte Tatsache, dass eine Anzahl Gifte in ver- schiedenen Organen aufgespeichert werden kann. Dies könnte auf einen Adsorptionsprozess hindeuten. Untersucht man jedoch in diesem Sinne die Wirkung von Pilokarpin, Atropin und Histamin auf den überlebenden Darm oder Uterus, so stellt sich heraus, dass in dem Augenblick, in welchem das Gift seine maximale Wirkung entfaltet, keine in Betracht kommenden Mengen des Giftes durch das Organ aufgenommen worden sind. Bei nachträglicher Betrachtung ist es sehr begreiflich, dass eine merkbare Menge dieser Alkaloide nicht von einem kleinen Stück Darm adsorbiert werden kann. Wäre es wirklich der Fall, dass ein kleines Stück Darm zum Beispielx0,01 mg Pilokarpin adsorbieren könnte, so würde das heissen, dass im Tierkörper eine grosse Anzahl Rezeptoren für das Pilokarpin vorhanden wären. Dann wäre es aber vollständig ausgeschlossen, dass einige Millisramm ‚dieses Giftes im Körper eines Menschen ausser auf den Darm auch noch auf andere Organe eine Wirkung ausüben könnten, denn nach Einverleibung des Giftes würde es fast vollständig in der Darmwand gebunden werden. Die Tatsache also, dass sehr kleine Mengen von Alkaloiden im Körper eine grosse Wirkung entfalten, beruht gerade darauf, dass dieselben durch den grössten Teil der Gewebe nicht adsorbiert werden. Dass von einem Stoff wie Chloroform Gramme erforderlich sind, um einen Menschen zu töten, während mit einem Gift wie Skopolamin bloss einige Milli- gramme dasselbe zuwege bringen, beruht nicht hauptsächlich daraut, dass ein Chloroformmolekül tausendmal weniger wirksam ist als em Skopolaminmolekül, sondern darauf, dass Chloroform in sehr viele Gewebe übergeht, während Stoffe wie Skopolamin von den meisten Geweben schlecht adsorbiert werden. Dies alles tut jedoch der Auffassung keinen Abbruch, dass der eigenartige Verlauf der K.-W.-Kurve der Alkaloide abhängig sein kann von der Tatsache, dass diese Stoffe adsorbiert werden, bevor sie einwirken ; nimmt ein Darmstück auch keine nachweisbaren Mengen des Alkaloids auf, so können doch an denjenigen Stellen, wo das Gift seine Wirkung entfaltet, relativ grosse Mengen aufgenommen worden Über den Zusammenhang zwischen Konzentration und Wirkung usw. 263 sein. Man muss demnach eine sehr spezifische Adsorption des Giftes annehmen an denjenigen Stellen, wo es seine Wirkung entfaltet. Es muss nun untersucht werden, ob die hier besprochenen Alkaloide tatsächlich leicht adsorbiert werden können. Nach Freundlich!) ist unter Adsorption zu verstehen die Er- scheinung, dass eine Anzahl Stoffe, wie Farbstoffe, Säuren, Alkaloide usw., an bestimmte Substrate gebunden werden, wobei bestimmte Gesetz- mässigkeiten befolgt werden. Freundlich gibt als Kennzeichen der Adsorption folgendes ?): Die Gültigkeit der Adsorptionsisotherme: die rasche Einstellung des Gleichgewichts; die Abnahme der auf- genommenen Menge mit steigender Temperatur; eventuell noch die geringe Abhängigkeit von der Natur des Adsorbens. Die Adsorptionsisother- | me ist die graphische Dar- stellung des Verhältnisses zwischen der Konzentra- tion des gelösten Stoffes {(adsorbierbarer Stoff) und der bei dieser Konzen- tration adsorbierten Menge pro Einheit des Adsorbens. Ist dabei edie gesamtadsor- bierte Menge, m die Menge des Adsorbens, c die Konzentration des adsor- bierten Stoffes nach Einstellung des Gleichgewichtes, so gilt die Gleichung X £ & \ l — = acer, wobei « und n Konstanten sind. Der Wert — beträgt ‚m n 1 meistens zirka 3: Beispiele derartiger Adsorptionsisothermen gibt Abb. 15 (dem Buche Freundlich’s entnommen), worin die quantitativen Verhältnisse bei der Adsorption von Bensoesäure in Benzol und Bernsteinsäure in Wasser an Tierkohle veranschaulicht werden. “ Wird die obenstehende Gleichung logarithmiert und in der graphi- schen Darstellung derselben auf der Abszisse log c und auf der Ordinate log — eingetragen, so bekommt man eine gerade Linie. m Um feststellen zu können, inwieweit bei der Bindung der Alkaloide in der Tat Adsorptionsprozesse eine Rolle spielen, war zu prüfen, ob bei der Bindung von Alkaloiden an Organe obenstehende Regeln für 1) H. Freundlich, Kapillarchemie. Leipzig 1909. 2) Freundlich, Artikel Adsorption im Handwörterbuch der Natur- wissenschaften. Bd. I S. 59. 1912. 2364 W. Storm van Leeuwen u. J. W. Le Heuxs: die Adsorption befolgt werden. Eine derartige Prüfung kann nicht direkt an überlebenden Organen angestellt werden, weil — wie schon oben betont wurde — die N Mengen des Alkaloids, wel- Se chein derartigen Versuchen SS an die Organe gebunden IR werden, meistens zu klein - ss sind, um quantitativ ge- NE messen werden zu können. SR Deshalb haben wir — um $| eine Einsicht in die Ad- Ri sorptionsverhältnisse der SI Alkaloide überhaupt zu be- Liter kommen — uns vorläufig Abb. 16. Adsorptionsisotherme von Pilocarpin damit begnügt, für zwei an Tierkohle in Tyrodelösung. Alkaloide, Pilokarpin und Nikotin, die Adsorptions- isotherme an Tierkohle zu bestimmen !). In beiden Fällen geschah dies unter Zuhilfenahme von physiologischen Methoden, d. h. Lösungen von Pilokarpin und Nikotin wurden nach Hinzufügun einer gemessenen Menge Tierkohle während einer be- stimmten Zeit geschüttelt und dann zentrifugiertt. Nach dem Zentri- fugieren wurde die obenstehende Flüssigkeit abgegossen und mittels physiologischer Wertbestimmung ihr Alkaloidegehalt festgestellt. Für Pilo- karpin wurde von der Wirkung auf den überlebenden Darm [Neu - kirch?)], für Nikotin von der blut- drucksteigernden Wirkung bei der Katze [Storm van Leeuwen?)] —( =Konzentrafion Pilocarp Iydrochl!' ın mgr p. —= (=Nonzentration des Mikotins ‘ Gebrauch gemacht. In den Abb. 16 u. Abb. 17. Adsorptionsisotherme von 17sind die Adsorptionsisothermen der Nikotin an Tierkohle. Gifte dargestellt. Beide Kurven ent- sprechen der Adsorptionsgleichung. Wird die Gleichung logarithmiert, so entsteht eine gerade Linie, wiein Abb. 18 veranschaulicht ist. 1) Späterjist uns auch die Bestimmung der Isotherme für die Adsorption von Pilokarpin an Gewebsbestandteile gelungen. (Siehe eine spätere Mitteilung.) 2) P. Neukirch, Physiologische Wertbestimmung am Dünndarm. Pflüger’s Archiv Bd.-147 S. 153. 1912. 3) W. Storm van Leeuwen, Über den Nikotingehalt im Rauche Über den Zusammenhang; zwischen Konzentration und Wirkung usw. 265 Auch das zweite Kennzeichen der Adsorption, die rasche Ein- stellung des Gleichgewichtes, trifft für unseren Fall zu, denn im all- gemeinen tritt die Wirkung der Alkaloide auf überlebende Organe sehr rasch nach der Zugabe des Giftes ein. Zu dem dritten Punkt von Freundlich, die meistens gering- gradige Abnahme der Adsorption mit steigender Temperatur, ist ‘folgendes zu bemerken. Im allgemeinen findet man bekanntlich bei der Untersuchung von Lebensprozessen eine beträchtliche Zunahme der Intensität mit steigender Temperatur, welche häufig der van’t Hoff’schen Regel folgt. Entgegen diesem Verhalten haben wir nun bei der Untersuchung von der Wirkung des Histamins auf den überlebenden Meerschweinchen- uterus gefunden, dass die Intensität der Wirkung einer gleichbleibenden Dosis Histamin bei Steigerung der Temperatur von 28 auf 38° nur sehr unbeträchtlich zunimmt und in einigen Fällen sogar abnahm. Der Eintritt der Wir- kung ist bei niederer Temperatur — wohl infolge der geringeren Diffusionsgeschwindig- keit — etwas verzögert. | AufeinähnlichesVer- halten weisen die Ver- suche von Githens !) hin, der zeigen konnte, Abb. 18. Adsorptionsisotherme (logarithmiert) dass die Wirkung des Pilocarpin an Tierkohle in Tyrodeflüssigkeit. Strychnins am Frosche \ bei niedriger Temperatur zwar später eintritt, aber intensiver ist als bei höherer Temperatur (das Optimum der Wirkung lag bei 5° C.). Das letzte Kennzeichen der Adsorption, die Unabhängigkeit von der Natur des Adsorbens, gilt sicher für unsere Prozesse nicht, denn bei der Wirkung der Alkaloide muss, wenn die von uns angenommene Adsorption besteht, dieselbe sicher eine sehr spezifische sein, sonst wäre es unmöglich, dass verschiedene Alkaloide ganz verschiedene Angriffs- punkte im Tierkörper haben. Absolut gegen eine Adsorption spricht übrigens diese Tatsache nicht, denn auch bei der Adsorption von Säuren an feste Stoffe finden sich Beispiele von spezifischer Adsorption. So konnten Wöhler und Pluddemann ?) zeigen, dass erhitztes /og WE VON ON > schwerer, leichter und „nikotinfreier“ Zigarren. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 84 S. 282. 1918. . 1) Th. S. Githens, The influence of temperature on the action of strychnin in frogs. The journ. of exp. Med. vol. 18 p. 300. 1913. 2) P. Wöhler und W.Pluddemann, Zeitschr. f. phys. Chemie Bd. 62, (zitiert nach Freundlich). 266 .W. Storm van Leeuwen u. J. W. Le Heux: Eisenoxyd (ebenso wie Tierkohle) Benzoesäure etwa zehnmal stärker adsorbiert als Essigsäure, während Chromoxyd beide annähernd gleich stark adsorbiert. Hierzu muss noch bemerkt. werden, dass in allen Fällen, wo man biologische Reaktionen von kolloiden Stoffen (zum Beispiel bei Immwnitätsreaktionen) auf Adsorptionsprozesse zurück- führen kann, immer eine starke Spezifizität des adsorbierenden Ver- mögens des Adsorbens anzunehmen ist [vgl. Landsteiner!}]. Diese’ Fälle sind übrigens nicht direkt mit unserem Fall vergleichbar, denn bei den von uns beschriebenen Prozessen wird ein nicht kolloider Stoff (das Alkaloid) an einen festen Stoff (Tierkohle) oder an ein Emulsionskolloid (im Tierkörper) adsorbiert. Bei den Immunitäts- reaktionen sind sowohl die Adsorbentia wie die adsorbierten Stoffe Suspensionskolloide. Fiir eine Adsorption bei der Wirkung von Alkaloiden auf über- lebende Organe spricht noch folgende Beobachtung: Wird zu der Flüssigkeit, in welcher sich ein überlebender Darm / oder Uterus befindet, eine kleine Menge Säure hinzugefügt, so nimmt die Wirkung von Alkaleiden und Histamin — also basischen Stoffen — um ein erhebliches ab, während Hinzufügung von einer kleinen Menge Bikarbonat die Wirkung verstärkt. Auch dieses lässt sich mit der Adsorptionsauffassung in Einklang bringen. Natürlich ist es auch mösclich, dass diese Erscheinung auf der zunehmenden hydrolytischen Dissotiation des Alkaloidsalzes bei Zunehmen der alkalischen Reaktion beruht, wie dies Gross ?) für die Wirkungszunahme der Lokalanästhe- tika nach Zusatz von Natriumbikarbonat angenommen hat. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass es einen Umstand gibt, welcher mit der Adsorptionsauffassung vielleicht weniger gut in Über- einstimmung zu bringen ist. Wenn man nämlich aus der Flüssigkeit, in welcher sich das überlebende Organ befindet, das Gift entfernt, so hört seine Wirkung sehr schnell auf, so dass das Organ innerhalb einiger Minuten wieder in seinen vorigen Zustand zurückkehrt. Nach den Anschauungen, die in der Kolloidehemie über Adsorption gelten, ist es allerdings theoretisch möglich, den adsorbierten Stoff wieder gänzlich auszuwaschen, aber praktisch geht dies äusserst langsam. Diese eine Tatsache weist darauf hin, dass eine Adsorption, voll- kommen übereinstimmend mit derjenigen von Farbstoffen an Tier- kohle, in unseren Fällen nicht stattfindet. Es muss nur noch bemerkt werden, dass die Wirkung von Pilokarpin auf den Darm beim Aus- waschen nur dann schnell vorübergeht, wenn sehr kleine Konzen- 1) Landsteiner. Aufsatz im Handbuch der pathogenen Mikroorganis- men. Kolle und Wassermann. Bd. II. P 2) 021Gr083s, Über die Narkotika und Lokalanästhetika. 2. Mitt. Schmiedeberg's Arch. Bd. 63 S. 80. 1910. Über den Zusammenhang zwischen Konzentration und Wirkung usw. 267 trationen zur Verwendung gekommen sind. Inwiefern bei der Adsorp- tion von Farbstoffen an Tierkohle bei Verwendung derartiger kleiner Konzentrationen analoge Erscheinungen stattfinden, ist vermutlich äusserst schwierig zu untersuchen. Diese Überlegungen zeigen, dass tatsächlich sehr viel dafür spricht, dass Alkaloide und ähnliche Stoffe an bestimmten Strukturen der ‚Zelle und Gewebe adsorbiert werden. Der Schluss liegt daher nahe, dass der eigenartige Verlauf der K.-W.-Kurve Typus II hierauf be- ruht, mit anderen Worten, dass bei steigender Konzentration die von den Geweben aufgenommenen Giftmengen der Adsorptionsisotherme entsprechen, und dass die Giftwirkung in den Organen bis zu einem gewissen Maximum proportional der adsorbierten Giftmenge verläuft. Bei dieser Untersuchung hat sich also herausgestellt, dass der Zusammenhang zwischen Konzentration und Wirkung bei verschiedenen Arzneimitteln verschieden ist, und dass zwei Hauptformen zu unter- scheiden sind, Typus I und II. Zu den Stoffen, welche sich so ver- halten, wie in Abb. 1 dargestellt, gehören vor allen Dingen die Nar- kotika, welche leicht in Lipoid löslich sind. Da die Verteilung dieser Stoffe zwischen lipoidreichen und lipoidarmen Geweben nach derselben Linie verläuft wie ihre K.-W.-Kurve, so ist es sehr wahrscheinlich, dass ihre Wirkung im geraden Verhältnis steht zu der Menge, welche an der Stelle im Körper anwesend ist, wo das Gift seine Wirkung entfalten muss. Die Stoffe, welche sich so verhalten, wie in Abb. 2 dargestellt, sind, soweit «lie Untersuchungen bisher reichen, Basen. Ihre Adsorp- tionsisotherme hat einen Verlauf, welcher mit Abb. 2 übereinstimmt. Es ist möglich, dass zwischen diesen zwei Erscheinungen insofern ein Zusammenhang besteht, dass diese Alkaloide an den Stellen, wo sie einwirken, spezifisch adsorbiert werden. Wenn dem so ist, so gilt mit der grössten Wahrscheinlichkeit für diese Gifte auch, dass ihre Wirkung in geradem Verhältnis steht zu der Menge des Giftes an der Stelle, wo es einwirkt. Wenn diese Betrachtungen sich als richtig erweisen, so ist damit der Vorteil erreicht, dass der grosse Unterschied im Verlauf der K.-W.- Kurven der in Lipoid löslichen Narkotika einerseits und der Alkaloide andererseits erklärt ist. Zum Schluss sei noch bemerkt, dass, obwohl unserer Meinung nach aus der Weise, in welcher die Stoffe sich zwischen Lipoid und Wasser verteilen bzw.durch Gewebsbestandteile adsorbiert werden, in manchen Fällen ihre K.-W.-Kurve erklärt werden kann, wir keineswegs auf dem Standpunkt stehen, dass die Erklärung der Wirkung von Arznei- 368 W.Storm vanLeeuwenu.J.W.Le Heux: Überden Zusammenhang. mitteln, wie Overton und Meyer sie in ihrer ursprünglichen Lipoid- theorie, Loewe in seiner Adsorptionstheorie oder Traube in seiner Oberflächentheorie geben, richtig seien. Överton und Meyer meinten, dass der Grad der Wirkung eines Giftes nur von seiner Löslichkeit in Lipoid abhängig sei, Traube meint, dass ausschliesslich die Veränderung der Oberflächenspannung ausschlaggebend sei. Diese Meinung teilen wir nicht, aber wir aner- kennen gern, dass die Lipoidtheorie einen der Faktoren kennen lehrt, welche die Verteilung der lipoidlöslichen Stoffe im Körper beherrschen. Für die Alkaloide kann nach unserer Auffassung die Verteilung durch Adsorptionsprozesse beherrscht werden. Ausser den hier untersuchten Gruppen von Giften gibt es noch zahlreiche andere, bei denen der Zusammenhang zwischen Konzen- tration und Wirkung von grosser Bedeutung ist. Es sei unter anderem hingewiesen: auf die zahlreichen Versuche, die Erscheinungen der Toxin- und Antitoxinwirkungen auf Adsorptionsprozesse zurückführen zu wollen (vgl. unter anderem Landsteiner im Handbuch der patho- genen Mikroorganismen von Kolle und Wassermann). » Zur Konzentrationswirkungskurve des Skopolamins. Von G. Liljestrand, M. van der Made und W. Storm van Leeuwen. (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität Utrecht.) Mit 13 Textabbildungen. (Fingegangen am 15. Juli 1919.) In der vorhergehenden Mitteilung von Le Heux und Storm van Leeuwen!) ist darauf hingewiesen worden, dass im allgemeinen die Kurve, welche die Beziehung zwischen Konzentration und Wirkung eines Alkaloids angibt, einen eigenartigen Verlauf hat, der dem Verlauf einer Adsorptionsisotherme ähnlich ist. Zu Untersuchungen über den Synergismus von Skopolamin und Morphin war es für uns notwendig, den Verlauf der Konzentrations- wirkungskurven dieser beiden Gifte genau zu kennen. Die K.-W.-Kurve von Morphin war schon festgelegt worden, diejenige von Skopolamin fehlte aber noch. Nachdem wir nun letzteres bestimmt hatten, zeigte sich, dass der Verlauf dieser Kurve so sehr dem erwarteten entsprach, dass es uns angezeigt erschien, sämtliche Kurven dieser Untersuchung mit der daraus berechneten K.-W.-Kurve in einer besonderen Arbeit zu veröffentlichen. Versuchsanordnung. Die Versuchsanordnung war dieselbe, wie sie auch schon in früheren Versuchen benutzt wurde. Es wurde ausschliesslich an dezerebrierten Kanin- chen gearbeitet. Bei diesen Tieren wurde auf die schon früher beschriebene Weise?) ein isoliertes Rectus-femoris-Präparat verfertigt. Durch Reizung des freigelegten N. Peroneus wurde in verhältnismässig grossen Zeitinter- vallen (ca. 3 Minuten) ein homolateraler Beugereflex im Rectus femoris ausgelöst. Dieser Reflex wurde mit einem senkrechte Linien schreibenden Keith-Lucas-Hebel auf einem Kymographion registriert. Die genaue Grösse der Reflexe konnte dann nach jedem Versuch ausgemessen werden. Sämtliche Werte jedes Versuches wurden in einer Kurve dargestellt, und zwar wurden hierzu die Werte in der Weise umgerechnet, dass die Hub- höhe des Schreibhebels in der Normalperiode immer im Mittel der Zahl 100 entsprach. Dadurch kann aus jeder Abbildung immer sofort abgelesen werden, 1) J. W. Le Heux und W. Storm van Leeuwen, Über den Zu- sammenhang zwischen Konzentration und Wirkung von verschiedenen Arznei- mitteln. Pflüger’s Arch. Bd. 177 S. 250. 2) J. W. Le Heux, Über den Synergismus von Arzneimitteln. II. Mitt. Pflüger’s Arch. Bd. 174 S. 105. 1919. 970 G. Liljestrand, M. van der Made u. W. Storm van Leeuwen: um wieviel Prozent die Reflexe nach einer bestimmten Dosis des Giftes abs oder zugenommen haben. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass unter Berticksichtigung früher beschriebener Kautelen die Reflexe bei Kontrollversuchen längere Zeit auf konstanter Höhe blieben (vgl. Abb. 1), wurde in den weiteren Versuchen den Tieren nach Aufzeichnung einer genügend langen Normalperiode Skopo- lamin intravenös eingespritzt. Meistens wurde dann nach genügend langer Beobachtungsdauer eine zweite Injektion gegeben. Die eingespritzten Dosen variieren von 0,07 bis 21,5 mg Skopolamin pro Kilogramm Tier. Die Resultate sämtlicher Versuche 779 % sind aus Abb. 2—11 ersichtlich. In ” nebenstehender Tabelle I ist für jede ” Dosis Skopolamin angegeben, um wie- Re viel Prozent die Reflexe danach kleiner Ss oder grösser geworden sind. Ss In Tabelle II sind die Werte von Su Tabelle I gruppenweise zusammenge- T stellt, und_zwar sind für jede Gruppe [ die Mittelwerte des Skopolamins und EA BEE ! oe An die Mittelwerte der Erniedrigung der Abb. 1. Dezerebriertes Kanin- Reflexe angegeben. Bei der Berech- chen. Homolatere Beugereflexe des isolierten M. Rectus femoris auf faradische Reizung des N. Peroneüus. Im primären Kreis ein Akkumulator. Im sekun- aären Kreis ist ein extra Widerstand von 120000 Ohm eingeschaltet. Dauer jeder Rei- zung: 2\/e Sekunden. Reizung jede. 3 Minuten. OD Normal Ver- such: die Reflexe bleiben wäh- rend 56 Minuten gleich gross. OD Abszisse: Zeit. OD Ordinate: Hubhöhe der Reflexe. Die wirk- lichen Hubhöhen sind in sämt- lichen Kurven derartig ver- grössert, dass die Höhe der Normalperiodeimmer ungefähr der Zahl 100 entspricht. nung der‘prozentigen Erniedrigung der Reflexhöhe nach den verschiedenen Skopolamingaben wurde in folgender Weise vorgegangen. Zuerst wurden die Hubhöhen der letzten sieben Reflexe vor der ersten Skopolamininjektion aus- gemessen und davon der Mittelwert als Normalwert angenommen. Die ersten drei Reflexe nach der Einspritzung wurden ausser Betracht gelassen, weil sich herausgestellt hatte, dass es nach der Skopolamininjektion meistens zirka, 10 Minuten dauert, bis der Einfluss auf die Reflexgrösse el geltend macht. ‚Die nach en drei Reflexen folgenden sieben Reflexe wurden wieder gemessen und der Mittelwert hiervon vom Normalwert -ab- gezogen. war, fache Berechnung. Weil der Normalwert meistens auf zirka 100 angenommen ergab sich die prozentuale Reflexerniedrigung durch eine ein- Schliesslich ist in Abb. 12 aus den Werten von Tab. II die. Kon- zentrationswirkungskurve von Skopolamin dargestellt. Bei dieser Dar stellung sind — wie das auch in früheren Mitteilungen geschah — auf der Abszisse die Dosen Skopolamin pro Kilogramm Zur Konzentrationswirkungskurve des Skopolamins. 2371 Tabelle I. Einfluss verschiedener Dosen Skopolamins auf die Hubhöhe des homo- lateralen Beugereflexes beim Kaninchen. Versuchs. | P°sis Skopol- | Minfluss auf die Hubhöhe Nr. nummer ann. des Reflexes in Prozenten in mg pro kg 1 II 0,07 12 °%o Erniedrigung 2 VII 0,17 4 9% “ 3 VI 0,25 35 % 5 4 vi 0,26 4 % ; 5 XI 0,30 28 % N 6 II 0,41 31,5 Vo % 7 III 0,50 12 % ‘ 8 IX 0,53 48 %o ; 9 X 0,55 8 % 10 VI 4,00 40 °%%o " 11 V 4,40 11 % Erhöhung 12 IV 4,50 7 % 3 x 6,00 15 %o Erniedrigung 14 IX 10,6 50 Po 15 v1 11,5 8 0% Erhöhung: 16 vi 12,9 3 oo 17 RU 21,5 60 % Erniedrisune Tabelle II. Mittelwerte aus Tabelle I. Gnee: ’ Dosis Skopolamin ? Erniedrigsung „Nitelwort im Mittel der Reflexe im in mg pro kg Mittel I 5 0,21 17 %% 6— 9 0,5 25 0% 10—13 AR 7 90/9 14—16 137 13 %o Tier eingetragen (Dosis pro Kilogramm Tier wird hier gleich Kon- zentration genommen). Auf der Ordinate ist die Wirkung eingetragen, d. h. es ist angegeben, um wieviel Prozent die Reflexe nach einer bestimmten Dosis kleiner geworden sind. Aus den Tabellen und Abbildungen geht folgendes hervor: Kleine Dosen Skopolamin haben bereits einen deutlich lähmenden Einfluss auf die Rückenmarksreflexe des Kaninchens. Bei grösseren Dosen — in unseren Versuchen bis zu 0,5 mg pro Kilogramm Tier — wird die Wirkung noch etwas stärker. Werden jedoch die Dosen noch höher genommen (4,7 mg und höh er), so wird die narkotische Wirkung wieder geringer, die K.-W.-Kurve 9793 G.Liljestrand, M. van der Made u. W. Storm van Leeuwen: zeigt eine ausgesprochene Senkung. Diese Senkung der K.-W.-Kurve kommt teilweise hierdurch zustande, dass nach grossen Dosen Skopol- N V) < 7 i T 80 Ian 1 2 N! ai 7 70 -—— IS! 4 S N SIR | 60— -L 50 + ni — on a | le [ 830 + \ Bu SE ea x “ 3 J „Te un 0 6 NR RB U 30 36 4 RB 54 60 66 m IM Abb.2. Nach 0,07 mg Skopo- amin pro Kilogramm nimmt die Hubhöhe der Reflexe um 12% ab; nach weiteren 0,34 mg beträgt die Ernie- drigung 31,5 /o. amin manchmal die Reflexe, statt kleiner zu werden, etwas an Grösse zunehmen (Abb. 4, 5, 7, 8). 700 179 Ss —>fejlergröße D Ss 70 f je) 4 | | Al | 0 6 72 78 24 30 36 42 48 50 60 06 72 78 BU 90. —— Abb. 3. Nach 0,5 mg Skopolamin pro Kilogramm: Erniedrigung der Re- flexe um 12 %0. ‚aan röße Ss ex: £ —> fe S [7 6E 20 24 30 36 Rn W 54 60 66_,72 0 6 TR RB USER HE SU BO 66 7. — ld ER UM Abb. 4. Nach 4,5 mg Skopolamin pro Kilogramm tritt innerhalb der Beobachtungszeit eine Ernie- drigung der Reflexe um 7 °o ein. Nachher, 39 Minuten nach der Injektion des Skopolamins, folgt plötzlich eine weitere Erniedri- gung. Ein derartiges Verhalten ist kein konstanter Befund (vgl. Abb. 5). Abb. 5. Nach 44 mg Skopolamin pro Kilogramm nimmt die Hubhöhe der Reflexe um 11°/o zu. 45 Minuten nach der Injektion sind die Reflexe immer noch etwas höher als vor der Injek- tion. Dies kann kein Zufall sein, da ohne Zufügung irgendeines reizenden Giftes die Reflexe nie spontan grösser werden (spontanes Kleiner werden der Reflexe wird öfters beobachtet). lich Zur Konzentrationswirkungskurve des Skopolamins. 273 Die aus den Mittelwerten sämtlicher Versuche dargestellte K.-W.- Kurve zeigt durchaus den erwarteten Verlauf. Nach kleinen Dosen Skopolamin tritt beim Kaninchen eine leichte narkotische Wirkung ein. Bei höheren Dosen wird die Narkose tiefer. Daher entspricht 770 so S S — > Äeflexgrobe IS Ss 0 56 NN ZH 30 35 RE WE 54 60 66 TE TB EU 90 96 12 WB MM 120 126 Sue ZU Abb. 6. Nach 0,25 mg Skopolamin pro Kilogramm nimmt die Hubhöhe der Reflexe um 35°/o ab. Nach Injektion von weiteren 3,75 mg bleibt das Niveau ungefähr gleich hoch. l ! 70 [7 6 2 98 24 30 36 4 #8 54 60 66 N Fe UN 0 6 7278 M 30 36 © 48 34 60.06 Abb. 7. Nach 0,26 mg Skopolamin ERRE 4 pro Kilogramm nimmt die Hubhöhe Abb. 8. Nach 0,17 mg Skopolamin der Reflexe nur um 4% ab. Nach pro Kilogramm: Erniedrigung der weiterer Injektion von 12,6mg werden Hubhöhe nur 4°. Nach weiteren die Reflexe erst etwas grösser, und 11,4 mg: Erhöhung der Reflexe um danach sinkt das Niveau wieder ab. 8%. die in Abb. 12 gegebene K.-W.-Kurve im Anfangsteil Typus II der in der vorstehenden Mitteilung angegebenen Schemata !). In Abb. 12 l) W. Storm van Leeuwen und J. W. Le Heux, Über den Zu- sammenhang zwischen Konzentration und Wirkung von verschiedenen Arznei- mitteln. Pflüger’s Archiv Bd. 177 S. 250. Pflüger's Archiv für Physiologie. Bd. 177. 15 274 6. Liljestrand, M.van der Made u. W.Storm van Leeuwen: ist mit einer punktierten Linie eine Kurve Typus II schematisch an- gegeben. Gibt man einem Kaninchen sehr grosse Mengen Skopolamin, so kann die narkotische Wirkung noch zunehmen (vgl. Versuch II), aber kd—> degp si Bamgr 1 + 700 700 n El 5 80 ae 80 70 4 ii NS + 70 BS 60 r + 60 5sot— = il 50 & RN) S 40 S 40 930 830 S Q 320 _— Sn 20 < < 70 an 18 10 N 0 6 RT ME SE H2 MR 54 60 66 Nee TUR 0 6 "WTB ZU 30 36 #2 48 54 60 66 72 rerggng: la Abb. 9. Nach 0,53 mg Skopolamin Abb. 10. Nach 0,55 mg Skopolamin pro Kilogramm: FErniedrigung der proKilogramm: Erniedrigung der Re- Reflexe um 48°. Nach weiterer In- flexe um 8°. Nach weiterer Injek- jektion von 10,6 mg pro Kilogramm tion von 5,5 mg pro Kilogramm wird tritt keine vermehrte Senkung auf. das Niveau nur sehr wenig niedriger. in der Regel tritt nach derartigen Dosen beim Kaninchen eine ge- steigerte Reflexerregbarkeit (neben einer gewissen Benommenheit) auf, [7 6 72 1824 30 36 4 48 54 60 66 WR 78 84 90 FH un Abb. il. Nach 0,3 mg Skopolamin pro Kilo- gramm: Erniedrigung um 28%. Nach weiterer Injektion einer grossen Dosis Skopolamin: Er- niedrigung bis auf 60 %0. wie das auch für Mor- phin mitunter der Fall ist. Diese Reflexsteige- rung brinst im Verlauf der Kurve, welche die Mittelwerte gibt, natur- gemäss eine Senkung zu- stande. Ob schliesslich bei den höheren Dosen eine deutliche Steige- rung der Reflexe sich dauernd zeigen wird oder noch eine geringe nar- | kotische Wirkung bleibt, das hängt von indivi- duelien Unterschieden der Versuchstiere ab. Inwieweit aus dem Verlauf der K.-W.-Kurve, wie sie im Anfangs- teil von Abb. 12 dargestellt wurde, auf die Wahrscheinlichkeit einer potenzierenden Wirkung bei Kombinationsversuchen geschlossen werden kann, ist früher schon besprochen. x Zur Konzentrationswirkungskurve des Skopolamins. 2375 Auf Abb. 12 bezeichnet die punktierte Linie die angenommene K.-W.-Kurve ven Skopolamin, wenn dieses Gift allein lähmende Wirknng auf das Zentralnervensystem hätte. Die ausgezogene Linie gibt die tatsächlich gefundene K.-W.-Kurve, welche nach unserer N olamıns auf dens S ng des Skgpi / elex di dezerebrierten Kominchens SS en IS S S Lahmende Wirkun hamal. Beug SeueS TREE RESET ER EEE GET ETTE72732 77%, —> Dosıs Skopolamın pro kg Tter Abb. 12. Gezogene Linie: Konzentrationswirkungskurve des Skopolamins. Abszisse: Dosis Skopolamin pro Kilogramm Tier. Ordinate: Wirkung = Er- niedrigung der Hubhöhe des homolateralen Beugereflex beim dezebrierten Kaninchen. Punktierte Linie: Schema einer K.-W.-Kurve Typus Il. Annahme dadurch zustande kommt, dass grössere Skopolamindosen gleichzeitig erregende Wirkungen am Zentralnervensystem entfalten. Die Differenz zwischen der punktierten und der tatsächlich gefundenen SS 2] N se| Ss IS) S & Ss rereflex al dezerebrierten Kaminchens & Ss S £rregende Wirkung des Skopolamıns auf den homol: Beug SssiS STETTEN ZEIG ON HERAB TH & ———-Dosis Skopolamın pro kg Tier Abb. 13. \ Kurve muss demnach ein (ungefähres) Mass für die jeweiüge erregende Komponente abgeben. Aut Abb, 13 ist üie Grösse dieser Erregung nach den Werten von Kurve 12 aufgezeichnet. Man sieht, dass sich auch für die erregende Wirkung des Skopolamins auf das Zentralnervensystem eine K.-W.-Kurve ergibt, welche durchaus dem Typus Ii entspricht. 18* Uber den Synergismus von Arzneimitteln. IV. Mitteilung: Skopolamin - Morphin. Von W. Storm van Leeuwen, Konservator des Instituts, und M. van der Made, Assistentin. (Aus dem pharmakologischen Institut der Reichsuniversität in Utrecht.) Mit 8 Textabbildungen. (Pingegangen am 15. Juli 1919.) Nachdem Schneiderlin !) in Jahre 1900 die Skopolamin-Morphin- Narkose in die Praxis eingeführt hatte, sind sehr zahlreiche Arbeiten hierüber veröffentlicht worden. Ausführliche Literaturangaben findet man unter anderen bei Hauckold ?) und Eckert). : Als dann Bürgi von neuem auf das Bestehen einer Potenzierung bei dem Gebrauch verschiedener Arzneigemische hingewiesen hatte, untersuchte einer seiner Schüler — Hauckold ?) — das Skopolamin- Morphin-Gemisch in dieser Richtung. Hauckold, der seine dies- bezüglichen Versuche nur als zur „vorläufigen Orientierung‘ dienend betrachtet, kam zu dem Ergebnis, dass bei der Skopolamin-Merphin- Narkose ein potenzierender Synergismus stattfindet. „5 Zehntelmiili- gramm Skopolamin verstärken‘ nach ihm (loc. eit. S. 756)’ ‚die Morphiumwirkung um ungefähr das. Vierfache“. | Nachdem Hauckold zusammen mit Lindemann festgestellt hatte, dass 0,01 g Morphium subkutan beim Kaninchen keine Narkose hervorruft — auf die Unrichtigkeit dieser Angabe ist schon in der III. Mitteilung hin- gewiesen*) —, wurden 2 Kaninchen mit 10 mg Morphin und gleichzeitig !/a mg Skopolamin pro Kilo Tiergewicht injiziert. Beide Tiere kamen nach ca. 30 Minuten in tiefe Narkose. Ein drittes Tier bekam 10 mg Morphin + !/ıo mg Skopolamin und zeigte keine Narkose. Mit 5mg Morphin + '/» mg Skopolamin wurde jedoch wieder 1 Schneiderlin, Eine neue Narkose. Ärztl. Mitt. aus u. für Baden. Mai 1900, zitiert nach Hauckold. — Derselbe, Die Skopolamin-Morphin- ‘Narkose. Münch. Med. Wochenschr. 1903. Nr. 9 S. 371. 2) E..Hauckold, Über die Beeinflussung von Narkotisis durch Skopo- lamin. Zeitschr. f. exp. Path. u. Ther. Bd. 7 S. 748. 1910. 3) F. Eckert, Über die Pantopon-Skopolamin-Narkose. Inaug.-Diss. Leipzig 1911. 4) W.Stormvan Leeuwen, Über den Synergismus von Arzneimitteln. 11]. Mitt. Pflüger’s Arch Bd. 174 8. 120. 1919. Über den Synergismus von Arzneimitteln. IV. DT Narkose erzielt, während 5 mg Morphin + !/ıo mg Skopolamin keine Nar- kose hervorrief. !/; mg Skopolamin konnte also die Wirkung von 5 mg und von 10 mg verstärken, so dass tiefe Narkose eintrat. "/ıo mg Skopolamin reichte hierzu nicht aus. „Wir sehen also hieraus,‘‘ schliesst Hauckold, „dass das Skopo- Jamin, obwohl an sich beim Kaninchen nicht narkotisch, doch imstande ist, eine an und für sich nicht narkotische Gabe von Morphium zu einer wirksamen zu machen.“ Als Beleg für die Annahme, dass Skopolamin an sich nicht narkotisch wirkt, bringt Hauckold zwei Versuche, in denen einem Kaninchen 100 resp. 200 mg Skopolamin subkutan verabfolgt wird, ohne dass es zu einer eigentlichen Narkose kommt. Es tritt — neben Augensymptomen usw. — nur eine Parese des Hinterkörpers ein. Weil uns die Potenzierungsfrage gerade für die Skopolamin-Morphin- Mischung wegen der nicht selten bei dieser Narkose auftretenden Misserfolge sehr wichtig schien, und Hauckold’s Versuche aus später zu erörternden Gründen nicht als ganz einwandfrei betrachtet werden können, haben wir die Frage experimentell geprüft. Unsere Versuchsanordnung war dieselbe, wie sie im hiesigen Institut schon wiederholt tür ähnliche Zwecke benutzt worden ist. Es wurde bei dezerebrierten Kaninchen ein isoliertes Rectus femoris-Präparat hergestellt und die Wirkung von Morphin, Skopolamin und Skopolamin- Morphin-Gemischen auf den homolateralen Beugereflex studiert. Weil Katzen auf Morphin oft mit Erregung reagieren und überdies Hauckold seine Versuche an Kaninchen angestelit hatte, haben wir letztere Tiere für unsere Versuche benutzt. Hierbei zeigte sich anfangs die Schwierig- keit, dass die jede Minute ausgelösten Reflexe schon ohne Zufuhr eines Narkotikums oft kleiner wurden, so dass — besonders weil die Narkoseerscheinungen sowohl bei Skopelamin als bei Morphin erst längere Zeit nach der Injektion auftreten — keine unzweideutigen Schlüsse aus diesen Versuchen gezogen werden konnten. Schon früher !) ist darauf hingewiesen worden, dass bei länger dauernden Versuchen die Reflexe oft allmählich etwas kleiner werden, ohne dass dieser Umstand bei Untersuchungen über die Wirkung rasch wirkender Gifte störend wirkt. In diesen Versuchen an Kaninchen hatten wir noch den Nachteil, dass erstens die dezere- brierten Kaninchen offenbar in dieser Hinsicht viel empfindlicher sind als die dezerebrierten Katzen, und dass zweitens die Gifte erst längere Zeit nach der Injektion zur Wirkung kommen. Die Methode schien also nicht brauchbar, aber schliesslich gelang es, die Ursache ‘ l) W. Storm van Leeuwen, Quantitative pharmakologische Unter- suchungen über die Reflexfunktionen des Rückenmarks bei Warmblütern- 1. Mitt. Pflüger’s Arch. Bd. 154 S. 307. 1913. WI. Mitt. Pflüger's Arch. Bd. 165 S. 84. 1916. 278 W. Storm van Leeuwen u. M. van der Made: für das (scheinbar) spontane Kleinerwerden der Reflexe aufzufinden. Es zeigte sich nämlich, dass oft die von uns immer benutzte Sherring- ton’sche Elektrode den Nerv etwas drückt, wo durch die Reizleitungsfähig- keit sehr schneil gestört wird, und überdies stellte sich heraus, dass das de- zerebrierte Kaninchen ein zu häufiges Auslösen von Reflexen nicht erträgt. Wenn jede Minute gereizt wird, nimmt schon dadurch ott die Erregbarkeit des .%, Rückenmarkes ab. Wird ' jedoch nur alle 2—3 Mi- nuten gereizt mit nicht zu starkem faradischen Strom, und wird peinlichst darauf geachtet, dass üie Elektrode den Nerv nicht drückt, so werden auch beim Kaninchen gute Resultate erhalten. Bei Be- achtung der genannten Kautelen gelang es nämlich, bei dezere- brierten Kaninchen die Reflexe mindestens 40 Minuten lang an- nähernd konstant zu erhalten, so dass sie im Mittel nur 9% an Grösse abnahmen. Unsere Versuchsanordnung war nun folgende: 4Kaninchenbexamenkein Narko- tikum unddientenals Kontrolle, 5 Kaninchen bekamen 0,5 mg Sko- polamin pro Kilogramm Tier, 6 Kaninchen bekamen 5 mg Mor- phin pro Kilogramm Tier, 5 Kaninchen bekamen 0,5 mg Sko- ne Kund polamin und etwa 10—20 Min. Abb. 2. später 5 mg Morphin pro Kilo- gramm Tier. Die Kurven von jedem Versuch wurden ausgemessen und das Resultat graphisch dargestellt, wie das in früheren Arbeiten auch immer geschah !) Beispiele derartiger graphischer Darstellungen geben y Stopolamın Img g Abb. 1. F | — A I\ Er : a 1) W. Storm van Leeuwen, Quantitative pharmakologische Unter- Über den Synergismus von Arzneimitteln. IV. 279 Abk. 1 für Skopolamin, Abb 2 für Morphin, Abk. 3 für Skopolamin- Morphin, während in Abb. 4 ein Kontroilversuch veranschaulicht ist, wo die Reflexe längere Zeit nahezu gleich gross bleiben. Um das Resultat — bezüg- lich der Potenzierungsfrage — u beurteilen zu können, wurde in % \/\ jedem Falie gemessen, um wie- 80 viei Prozent die Reflexe nach einer bestimmten Zeit kleiner # geworden waren. Das Ergebnis 50 sämt}icher Messungen ist in Tab. I[—IV zusammengestellt. Hierzu ist folgendes zu be- merken: In Tat. I sind die Kontroil- versuche zusammengestellt. In R App jedem Versuch ist ausgemessen, um wieviei Prozent die Reflexe 40 Minuten nach Beginn des Ver- suches kleiner geworden sind. Es wurde diese Zeit deshalb gewähit, weil die späteren Untersuchungen mit den Narkotisis auch ea. 40 Mi- nuten dauerten. Wie aus Tab. I hervorgeht, wurden die Reflexe ın den Kontrollversuchen in 40 Minuten im Mittel um 9%, kleiner. In den Skopolaminversuchen wurde die Re- flexgrösse 40 Minuten nach Zufuhr des Skopolamins ausgemessen. Im Mitte: waren die Reflexe (vgl. Tak. II) um 37% kleiner geworden. Wird hiervon 9% (der Mittelwert der Kon- trollversuche) abgezogen, so bleibt für die Skopolaminwirkung 23 % : übrig. Die Morphinwert: wurden 20 Minuten nach Zufügung des Giftes bestimmt, im Mittel (siehe Tab. IIT) 15% Herabsetzung. Von dieser Zahl ° . IE ENTE EERUONZTENEN ist höchstens 4%, abzuziehen, weil ABB: in den Normalversuchen die Reflexe nach 30 Minuten im Mittel 4%, an Grösse abgenommen hatten. Es bleibt also für den Morphinwert im Mittel 15 —4 = 11%. oße ES HER —>feflex IS suchungen über die Reflexfunktionen des Rückenmarks bei Warmblütern. I. Mitt. Pflüger’s Arch. Bd. 154 S. 307. 1913. 380 W. Storm van Leeuwen u. M. van der Made: Tabelle I. Kontrollversuche. Versuchs- | Zeit nach Beginn | Reflexgrösse mit nummer des Versuches %/o vermindert 26,0 | 40 Min. 0% 29 40 , 15/0 30 40 5, 0% 36 AO 20 %o Mittel 9% Tabelle il. Skopolaminversuche. Versuchs- Dosis Skopo- Zeit nach Beginn Reflexgrösse mit nummer lamin pro kg des Versuches %/o vermindert 25 0,5 mg 40 Min. 50 %o 27 Wa 40 ,„ 25%0 28 ES 40 .,„ 35 0/o 3l 0,9%, 40 „ 60 %0 34 0,52%, 40 „ 1790 Mittel 370 Tabelle II. Morphinversuche. Versuchs- Dosis Morphin Zeit nach Reflexgrösse mit nummer pro kg Morphininjektion °%/o vermindert 14 5 mg 20 Min. 38/0 18 3... 20,2, 200/0 20 Dh 200 0/0 2l EN 207, 20 %/0 37 DR 20.0, 150 38 DI 20305 20 9/0 Mittel 150 Tabelle IV. Skopolamin-Morphinversuche. Versuchs- Dosis Dosis | Zeit nach Skopo- | Reflexgrösse mit nummer | Skopolamin Morphin | lamininjektion °/o vermindert 24 0,5 mg | 5 mg 40 Min. So 32 IR) 9. 40 , 310 33 05 „ Da 40 ° ,„ 40 9/0 35 05, Dit A 20 %0 Mittel 32%0 2‘ Über den Synergismus von Arzneimitteln. IV. h 281 In den Kombinationsversuchen wurde zuerst 0,5 mg Skopolamin pro Kilogramm Tier gegeben, 10—20 Minuten später 5 mg Morphin, und 40 Minuten nach der Skopolamineinspritzung wurde die Reflex- srösse bestimmt. Wie aus Tab. 4 hervorgeht, waren die Reflexe nach dieser Zeit im Mittel um 32% kleiner geworden. Wird hiervon 9%, (Mittelwert des Kontrollversuches) abgezogen, so bleibt 23%. Es wurde also gefunden: nach Skopolamin Reflexgrösse vermindert mit 28%, ‚ Morphin Reflexgrösse vermindert mit 11%, „„ Skopolamin-Morphin Reflexgrösse vermindert mit 23%. Hieraus ergibt sich also, dass bei dieser Versuchsanordnung sicher keine Potenzierung besteht. Es wurde in den Kombinationsversuchen ein Wert gefunden, der sogar niedriger war, als der Summe der Wirkung beider Alkaloide entspricht. Worauf dieses beruht, lässt sich noch nicht sagen. Vielleicht findet diese Tatsache eine Erklärung in dem Umstande, dass sowohl das Skopolamin wie das Morphin eine sehr unregelmässige Konzentrationswirkungskurve haben können, so dass a priori schon unwahrscheinlich war, dass eine reine Addierung der Wirkungen dieser Alkaloide auftreten würde. Der Unterschied ist aber zu gering, um hieraus bestimmte Schlüsse ziehen zu können, besonders weil beide Werte aus einer relativ geringen Anzahl von Versuchen gewonnen sind. Aus diesen Versuchen kann also geschlossen werden, dass eine Potenzierung auf die Rückenmarksreflexe bei unserer Versuchs- anordnung für die Skopolamin-Morphin-Narkose nicht besteht. Aus den schon beschriebenen und anderen Versuchen liess sich noch folgern, dass die Annahme vieler Autoren — dass Skopolamin in kleinen Dosen beim Kaninchen nicht narkotisch wirke — nıcht richtig ist. Die Reilexerregbarkeit des Rückenmarks wird deutlich durch 0,5 mg Skopolamin verringert. Die narkotische Wirkung wird aber bei höheren Dosen offenbar nicht im entsprechenden Verhältnis stärker, sonst könnten die Tiere, denen Hauckold 100—200 mg (allerdings subkutan) einspritzte, nicht ohne deutliche Narkose-Erscheinungen geblieben sein. Wir haben übrigens auch in Versuchen an dezerebrierten Kaninchen bei intravenöser Injektion grösserer Mengen Skopolamin feststellen können, dass die Reflexe nicht ganz verschwanden. In einer Versuchsreihe, welche wir zusammen mit Dr. Liljestrand anstelltent), ist der Eintluss von verschiedenen Mengen Skopolamin auf die Rückenmarksreflexe am dezerebrierten Kaninchen noch besonders 1) Vgl. Liljestrand, v. d. Made und Storm van Leeuwen, Zur ‚ Konzentrations-Wirkungskurve des Skopolamins. Pflüger’s Arch. Bd. 177 S. 269. 1919. 282 W. Storm van Leeuwen u. M. van der Made: geprüft. Die Konzentrationswirkungskurve, welche dabei für das Skopol- amin gefunden wurde, ist in Abb. 5 dargestellt (ausgezogene Linie). Dass auch der Verlauf der Morphinkurve sehr unregelmässig ist, und wie leicht das Bestehen derartiger Verhältnisse zu irrigen % Schlüssen bezüg- 080 2 ö NN lich Potenzierung N 20 führen kann, ist 5” schon in einer frü- S . 250 heren Arbeit her- Sr 4 23% vorgehoben !). = 30 Als weiterer Be- Ss leg für die Auf- N S fassung, dass seblst SQ N 1 srosse Gaben Mor- Is { : DV a ET RN BER, phin die Reflexe —> Dosis Skopolamin pro kg Tier nicht immer ganz Abb. 5. - aufheben, erwäh- nen wir Versuch 14, wo — wie aus Abb. 6 ersichtlich ist — die Reflexe bei einem dezerebrier- ten Kaninchen nach 105 mg Morphin noch nicht verschwunden waren. Schliesslich sei noch erwähnt, dass es Kaninchen gibt, welche auf Morphin mit einer Erregung des Rückenmarks statt mit einer Lähmung reagieren; als Beispiel diene Abb. 7. 700 größe ex S Ss — an Roh S [7 7020 30 40 50 60 70 80 %0 00 MO 720 730.140 die Empfindlichkeit verschiedener Kaninchen gegen Morphium sehr stark variieren kann. | | Mit Sicherheit geht also auch aus diesen Versuchen hervor, dass | { | | 1) W. Storm van Leeuwen, Über den Synergismus von Arznei- mitteln. III. Mitt. Pflüger’s Arch. Bd. 174 S. 120. 1919. ” Über den Synergismus von Arzneimitteln. IV. 283 In Abb. 8 ist der Verband zwischen Morphindosis und Wirkung auf den homolateralen Beugereflex kurvenmässig zusammengestellt. Diese Kurve bezieht sich auf die Versuche der vorliegenden Arbeit, 740 50 SS &W SIESIESEES —> Reflergroße 40 50 60 70 80 % Abb. 7. ‚wo den Kaninchen 5 mg Morphin pro Kilogramm intravenös gegeben wurde. Nach etwa 20 Minuten gaben wir jedesmal eine zweite Dosis von 30 mg Morphin und nach etwa 20 Minuten abermals 30 mg Morphin. 20 Minuten nach jeder Einspritzung wurden die Reflexe ausgemessen. Die Werte dieser Versuche sind in Tab. V zusammen - gestellt. Weil — wie oben erwähnt — auch ohne Zu- fügung eines Narkotikums die Reflexe allmählich kleiner werden, sind die gefundenen Werte dem- entsprechend korrigiert. Die Mittelwerte der Tab. V sind in Abb. 8 ange- geben. Es zeigt sich, IN INS IS) Einfluß auf Reflergröße S==S RE 35 65 mgr —> Dosıs Morphium pro kg ler Abb. 8. Konzentrationswirkungskurve des Mor- phins auf den homolateralen Beugereflex beim dezerebrierten Kaninchen. dass dieser Konzentrationswirkungskurve Typus II einer früheren Mitteilung entspricht. Weil sich also mit dieser unserer Versuchsanordnung keine Poten- zierung nachweisen liess, haben wir auch Versuche mit Hauckold’s Methode vorgenommen. 384 W. Storm van Leeuwen u. M. van der Made: Tabelle V. Versuchs: Reflexgrösse vermindert in °/o AUTTRSE nachlb me: | nach 35 me | nach 65 mg 14 u |. 500 2500 16 = | — | 55 0/0 18 0% | 2390 | — 20 0 %o | 0°%o | 0% 21 20 %0 30 9/0 | ‚31 0/0 22 20/0 33 0/0 | 63 0/0 38 20le | 2090 | = Mittel || 1800. 1789600 221. 7890% Die Versuchsanordnung war die gleiche, wie wir sie bei der Unter- suchung von Morphium-Urethan-Kombinationen in der III. Mitteilung durchgeführt haben. 6 Kaninchen bekamen 10 mg Morphin pro kg subkutan, 6 5 5 img Skopolomin pro kg subkutan, R > 5 mg Morphin, 0,5 mg Skopolamin pro kg subkutan. Es wurden sämtliche Tiere nacheinander injiziert und jede Viertelstunde wurde jedes Tier untersucht. Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist in Tabelle VI zusammengestellt. Tabelle VI. Skopolamin-Morphin. Subkutane Injektion bei Kaninchen. N Nartiosetiefe nach kopo- artiosetiefe n a8 Skopo- | Morphin ee ne Ks les = Ss min ln mp | Morphin |E = 25 nn se E je in mg op in m nın 2 Kal 2 & = pro kg 5 | ee = > "| pro kg Rele pro,ke | 22 |00 No ee) | | jarsr 1 0. a 2 10 ee a a 3 10 — + HH ++ HH HH 4 10 le N i Es U et 5 10 N 6 | | In ee | | | | | | | | l | 1 le a er ee 8 1 —ı—| + — N er | 1 Sl ee 10 1 elle | Sal | 11 1 | Er re er y 1 er — lee ’ re | | | 13 05+5 I-|1—-| — - 41) |- 14 +5. 1-4, #+ | + | -| + || 15 05+5 .|— —, + RN a se 16 05+5 I +| — IK u ll es 17 De ee le 18 Gt 0 ee Über den Synergismus von Arzneimitteln. IV. 285 Le ‘Ebenso wie in der III. Mitteilung bedeutet: ++ + Tier liegt spontan in Seitenlage, reagiert schwach auf Kneifen in die Pfote, aber bleibt dabei liegen. + + Tier liegt spontan in Seitenlage, aber auf Kneifen in die Pfote setzt es sich, oder Tier nicht spontan in Seitenlage, aber wenn es in Seiten- lage gebracht wird, behält es diese Lage und bleibt darin, auch wenn in die Pfote gekniffen wird. + keine spontane Seitenlage, erträgt aber Seitenlage, auf Pfotenkneifen setzt es sich. — Tier sitzt normal, erträgt keine Seitenlage, reagiert auf Pfotenkneifen. Aus Tab. VI geht hervor, dass auch bei dieser Versuchsanordnung keine Potenzierung nachzuweisen ist, denn fände ein potenzierter Synergismus statt, so wäre zu erwarten, dass nach 5 mg Morphin + 0,5 mg Skopolamin die Narkose tiefer wäre als nach 1 mg Skopolamin oder 10 mg Morphium an sich. Dies war jedoch sichtlich nicht der Fall. Weder mit der schon öfters von uns verwendeten Me- thode (Einfluss auf die Reflexe bei dezerebrierten Tieren) noch mit der von Hauckold gefolgten Methode war also eine Potenzierung bei der Morphin-Skopolamin-Narkose nachzuweisen. Im. Gegenteil, das Ergebnis unserer sämt- lichen Versuche wies auf eine reine Addition der Wir- kung hin. | Wiewohl in unseren Versuchen sicher keine Potenzierung da war, schien eine Potenzierung unter gewissen Umständen auftreten zu können. Kochmann!) hatte nämlich schon 1903 mitgeteilt, dass bei einem 6—7 kg schweren Hunde mit 10 mg Morphin + 0,5 mg Skopolamin „ein tiefer mehrstündiger Schlaf‘ hervorgerufen wurde, während 10 mg Morphin an sich nur ‚eine gewisse Benommenheit“ verursachte und 0,5 mg Skopolamin allein einverleibt keine anderen Symptome als einen kurzen, sehr oberflächlichen Schlaf ohne eine Spur von Analgesie hervorrief“. Kochmann’s Schüler Ludewig hatte ähnliche Beobachtungen am Kaninchen gemacht ?). Er stellte fest, dass nach SO mg Skopolamin pro Kilogramm Kaninchen sich keinerlei narkotischeWirkungen zeigten, dagegen „lässt sich in Verbindung mit Morphin durch 20—30 mg Morphin und etwa ebensoviel Skopolamin ein narkoseähnlicher Zustand mit Seitenlage und Analgesie hervorrufen“. Wir-haben oben schon hervorgehoben, dass kleine Mengen Skopol- amin beim Kaninchen regelmässig eine geringe narkotische Wirkung ‘ ausüben (und also nicht unwirksam sind, wie das meistens angenommen 1) M. Kochmann, Über die therapeutischen Indikationen des Skopola- ninum hydrobromicum. Die Therapie der Gegenwart. 1903 S. 202. 2) M. Ludewig, Über kombinierte Narkose. V. Mitt. Arch. intern. de pharmacod. et de therap. vol. XXII-XXII. 1913. 286 W.Storm van Leeuwen u. M. van der Made: wird), während auch grössere Dosen oft eine narkotische Wirkung haben (Abb. 5). Ausserdem gibt es Fälle, wo grosse Dosen Skopolamin. eine Reflexsteigerung hervorrufen !). Dass also in bestimmten Fällen das Skopölamin die narkotische Wirkung des Morphins etwas steigert, kann nicht wundernehmen, besonders wenn man in Betracht zieht. dass zwar die narkotische Wirkung des Skopolamins,' die sich am Rückenmarksreflex zeigen lässt, sehr klein ist, dass aber immer eine derartige Wirkung eine gewisse Höhe erreichen muss, um überhaupt wahrnehmbar zu sein. Wir leugnen also keineswegs, dass in bestimmten Fällen Morphin —+ Skopolamin etwas stärker narkotisch wirken kann als Morphin allein, aber wir meinen, dass das auf einer Addition der Wirkung beruht, und dass eine Potenzierung dieser Gifte beim Kaninchen nicht besteht und jedenfalls bis jetzt nicht bewiesen ist (vgl. S. 285). Beim Hunde aber sollte nach. Kochmann eine Potenzierung statt- finden. Nun bezieht sich Kochmann’s Angabe auf Versuche an zwe Tieren, wobei nur ein Tier die Erscheinung der Potenzierung: zeigte. Wir haben deshalb die Wirkung von Morphin-Skopolamin- Gemischen an einer Anzahl Hunden genau untersucht. Kochmann gab seinen Hunden 10 mg Morphin und 0,5 mg Skopol- amin und erreichte damit in einem der beiden Fälle eine tiefe Narkose. Kochmann gibt nicht an, ob die von ihm angegebenen Dosen pro Kilogramm Tier berechnet sind; wenn dies nicht der Fall ist, so würde durch seine Versuche sicher das Bestehen einer Potenzierung be- wiesen sein. Unsere Versuche gestalteten sich folgendermaassen. - Es wurden jedesmal Serien von 3—6 Hunden untersucht. Einige Tiere bekamen Morphin bzw. Skopolamin allein und die anderen Morphin + Skopolamin. Alle Tiere einer Serie wurden zu gleicher Zeit injiziert und während der nächsten zwei Stunden wurde jede Viertelstunde der Zustand der Tiere beobachtet und genau proto- kolliert. In der ersten Serie wurden fünf Hunde untersucht mit folgendem Ergebnis: HundI: 45 kg, 24 45, 45 mg Morphin subkutan, also 10 mg Mor- phin pro Kilogramm. 250’ Erbrechen; 2h 55’ liegt auf der Seite, reagiert auf Reiz?); 3h 15’ liegt mit aufgerichtetem Kopf, genau wie Hund III; 3h 35’ id.; 3h 45’ id.; 4h 5’ id., setzt sich auf länger dauernden Reiz auf; 6h liegt auf der Seite, aber setzt sich auf Reiz. 1) Als „Reiz“ wurde in allen diesen Versuchen Kneifen in die Pfoten des Tieres angewandt. Manchmal auch wurde statt dessen leicht mit.der Fusssohle auf die Pfote des liegenden Tieres getreten. Hob das Tier dabei den Kopf, so wurde „reagiert auf Reiz“ (r. a. R.) notiert. Folgte eine mehr intensivere Reaktion, so wurde das besonders vermeldet. Über den Synergismus von Arzneimitteln. IV. 287 Hund II: 4 kg, 2h 50’ 4 mg Skopolamin subkutan, also Img Sko- polamin pro Kilogramm. 35 setzt sich; 35 15’ steht und erbricht; 3h 35’ sitzt; 3b 45’ steht und heult, geht etwas schwierig; 4b id.; 6 liegt ab und zu auf der Seite. Hund III: 5,5 kg, 2h 50° 5 mg Morphin + 05mg Skopolamin pro Kilogramm subkutan. 2155’ erbricht; 3 b liegt auf der Seite; 35 5 erbricht; 3h 15’ liegt auf der Seite, Kopf aufgerichtet, genau wie I; 3 b 35’ liegt mit Kopf aufgerichtet; 3t& 45’ id.; 4h 5’ id., Zustand wie I; 6h liegt auf der Seite, Kopf aufgerichtet, reagiert auf Reiz, setzt sich ab und zu. Hund IV: 35 kg (sehr mager), 250° 5mg Morphin +0, mg Sko- polamin pro Kilogramm subkutan. 2h 55’ liegt auf der Seite, r. a. R.; 3h 5’ id.; 35 15’ liegt auf der Seite, die Pfote gestreckt, r. a. R.; 3h 35’ liegt Kopf aufgerichtet; 34 45’ id.; 4h 5’ id., ist vielleicht etwas mehr nar- kotisiert als I; 6 h sitzt, reagiert nicht stark a. R., heult ab und zu. Hund V: 45 kg, 2b 55’ 05 mg Skopolamin pro Kilogramm; 3h setzt sich; 35 10’ erbricht; 35 15’ sitzt, hat nochmals gebrochen; 3 h 35. sitzt; 3h 45’ id; 4h 5’ id.; 6% id., heult. In dieser Versuchsreihe wurde also erstens die bekannte Tatsache bestätigt, dass Skopolamin beim Hunde zwar eine gewisse Benommen- heit hervorruft, aber daneben auch Reizerscheinungen erzeust; zweitens stellte sich heraus, dass 5 mg Morphin + 0,5 mg Skopolamin (pro Kilogramm) ungefähr dieselbe narkotische Wirkung ausübt als 10 mg Morphin allein. Dieses würde also darauf hinweisen, dass das Skopol- amin, wiewohl es an sich sehr wenig narkotisch wirkt, doch die Wirkung von 5 mg Morphin so verstärkt, dass der Effekt von 10 mg Morphin erreicht wird. In der nächsten Versuchsreihe zeigte sich aber, dass diese Schlussfolgerung nicht richtig ist. Es wurde hier nämlich die Wirkung von 5 mg Morphin allein untersucht, und dabei stellte sich heraus, dass zwischen der narkotischen Wirkung von 5 mg Morphin und 10 mg Morphin kein wesentlicher Unterschied wahr- nehmbar war. Die abgekürzten Protokolle dieser Versuche folgen hier. Hund VI (Fox): 6 kg, 35 5° 5 mg Morphin pro Kilogramm. 4h 15’ sitzt schläfrig; 4 25’ liegt auf dem Bauch, Kopf auf dem Boden, r. a. R.; 45 35’ liegt auf der Seite, Kopf auf dem Boden, r. a. R.; 4h 50’ - liegt, r. a. R.; 55 5’ hat den Kopf aufgerichtet; 5h 20’ sitzt mit Bauch auf dem Boden, hebt den Kopf ab und zu; 5 15’ liegt halb, Kopf meistens auf dem Boden, r. a. R.; 5 h 50’ id.; 6 id. Hund VII (schwarzer): 10,2 kg, 454 50° 5 mg Morphin pro Kilo- gramm subkutan. 4h 6’ erbricht; 4h 15’ steht; 4h 25’ liest mit Bauch flach auf dem Boden, Kopf auf dem Boden, r. a. R.; 4b 35’ liegt auf der Seite, Kopf auf dem Boden, r. a. R.; 4h 50’ id.; 5h 5’ id.; 5h 20’ id.; 5 h 35’ id.; 5h 50’ id.; 6% id. Hund VIII (Fox): 42 kg, 4b 2? 5 mg Morphin subkutan pro Kilogramm. 4h6' erbricht; 4h 15’ sitzt schläfrig; 4 h 20' Defäkation; 4h 25’ liegt, r. a. R.; 44h 35’ liegt auf der Seite, r. a. R.; 4 50’ liegt auf der Seite, Kopf etwas gehöben, r. a. R.; 5h 5’ id.; 5h 20’ id.; 5 h 35’ id., Kopf meistens auf dem Boden; 5 h 50’ id.; 6 h id. Nachdem sich also herausgestellt hatte, dass 5 mg Morphin und 10 mg Morphin eine ungefähr gleich starke Narkose hervorrufen, wurde 288 W. Storm van Leeuwen u. M. van der Made: in der dritten Versuchsreihe die Wirkung von 2,5 mg Morphin und von 2,5 mg Morphin + 0,5 mg Skopolamin untersucht. Hund IX (brauner): 7,5 kg, 11h 40" 25 mg Morphin pro Kilo- gramm subkutan. 11h 45 erbricht; 12h liegt mit dem Bauch auf dem Boden, Kopf aufgerichtet; 12h 15’ liegt mit Bauch auf dem Boden, Kopf auf dem Boden, r. a. R.; 12h 30’ liegt auf der Seite, Kopf auf dem Boden, r. schwach a. R.; 12 b 45’ id., reagiert a. R., mehr als X und XI; 1 liegt Kopf auf dem Boden, r. a. R.; 14 15 liegt mit Bauch auf dem Boden, Kopf auf dem Boden, r. a. R.; 15 30’ id.; 15 45’ liegt auf der Seite, Kopf auf dem Boden, r. a. R.;; 2b liegt mit Bauch auf dem Boden, Kopf auf dem Boden, r. a. R.; 2b 15’ id.;.2b 30’ id.; 2b 45’ id.; 3 setzt sich; 3:h 1sX id.; 3h 30’ liegt Bauch auf dem Boden, Kopf auf dem Boden, r. a. R.; 3h 45 id.; 4h 15’ id.; 6 h schläft: Hund X (Fox): 65 kg, 11h 45’ 2,5 mg Morphin pro Kilogramm subkutan. 12h liegt auf der Seite, Pfote gestreckt, Kopf auf dem Boden, r.a. R.; 12h 15’ id., steht auf Reiz auf; 12 4 30’ liegt Bauch auf dem Boden, Kopf auf dem Boden, r. a. R.; 12h 45’ id., r. a. R., (etwas stärker als XI); ih id.; 1 15’ id., auf Reiz steht er auf; 1b 45’ liegt Bauch auf dem Boden, Kopf auf dem Boden, r. a. R.; 2% 15’ id., a. R. Steht er auf; 3% liegt auf dem Bauch, Kopf aufgerichtet, r. a. R.; 3h 15’ id.; 3h 45’ id.; 45 15’ id.; 6h schläft. Hund XI (brauner): 6,7 kg, 114 50° 25 mg Morphin + 05 mg Sko- polamin pro Kilogramm subkutan. 11% 55 erbricht; 12 h liegt Bauch auf dem Boden, Kopf aufgerichtet; 12h 15’ id., r. a. R. (schwach); 12 b 30’ id.; 12h 45’ id., r.a. R., weniger als X und IX; Ihid.; 1b 15’ liegt mit Bauch auf dem Boden, versucht sich aufzurichten, r. a. R.; Ih 30’ liegt Bauch auf dem Boden, Kopf auf dem Boden, reagiert schwach auf Reiz; 1445’ id,r.a. R;2bid,r, a. R. (stark); 2b 5’ liegt auf der Seite, Kopf auf, r. a. R.; 2h 15’ liegt, ist unruhig; 3% geht herum, fällt dabei ab und zu; 3a 15’ id.; 35h 35 liegt Bauch auf dem Boden, r. a. R.; 3 h 45” id. 41h 15’ id.; 6b geht heulend herum. ‘ Hund XII (Fox): 6 kg, 11% 50° 2,5 mg Morphin + 0,5 mg Skopo- lamin pro Kilogramm subkutan. 11555’ erbricht; 12 4 steht; 12h 15’ liegt auf der Seite, Kopf auf dem Boden, auf Reiz richtet er sich auf; 12h 30’ liegt auf der Seite, heult, auf Reiz heult er stark, richtet Kopf spontan ab und zu auf; 12h 45’ steht ab und zu, heult fortwährend; Ih id.; 1b 15’ id.; 14h 30’ id.; 14 45’ id.; 2h id. bis 4h 15’ liegt und steht ab- wechselnd, heult fortwährend; 6 h schläft, aber heult ab und zu. Aus diesen Versuchen geht hervor, dass nach 2,5 mg Morphin pro Kilogramm die Narkose-Erscheinungen wieder ungefähr dieselben sind wie nach 5 mg Morphin. Nach 2,5 mg Morphin + 0,5 mg Skopolamin war die Narköse bei Hund XII zweifellos weniger tief als bei IX und X, welche nur Morphin bekommen hatten. Hund XI war 3%, Stunden nach der Einspritzung mit Morphin + Skopolamin etwas tiefer narkotisiert als IX und X. Später (nach 2—3 Stunden) war das Ver- halten eher umgekehrt. Um 12 Uhr 30 Min. wurden die Hunde beobachtet durch einen Assistenten, der nicht wusste, was den Tieren eingespritzt worden war. Sein Urteil lautete, dass XI am tiefsten narkotisiert war, danach "IX und X, während XII sicher am wenigsten tief war. Über den Synergismus von Arzneimitteln. IV. 2389 Be} Hund XII war also die Morphindosis nicht hoch genug ge- wesen, um die Skopolaminerregung zu beseitigen. Bei Hund XI hatte scheinbar das Skopolamin die Morphinwirkung etwas verstärkt. Um zu untersuchen, ob in der Tat nach kleinen Mengen Morphin (+ 0,5 Skopolamin) die Skopolaminerregung immer mehr zutage tritt, erhielten in der vierten Serie zwei Tiere 1,5 mg Morphin pro Kilo- gramm, das eine Tier bekam überdies noch 0,5 mg Skopolamin pro Kilogramm. Als Kontrolle bekam noch ein Hund 6 mg Morphin und ein Hund 6 mg Morphin + 0,5 mg Skopolamin. Die abgekürzten Protokcelle folgen hier: »- Hund XIII (brauner): 5,5 kg, 11435 6 mg Morphin pro Kilo- gramm subkutan. 11h 45 liegt Bauch auf dem Boden, Pfote gestreckt nach vorn, Kopf auf dem Boden; 11h 55’ id., r. a. R.; 12h 15’ liegt auf der Seite, Pfote gestreckt, Kopf auf dem Boden, r. a. R.; 12h 50’ liegt Bauch auf dem Boden, Pfote gestreckt, Kopf auf dem Boden, r.a. R.; 12h 45’ id., heult ab und zu ein wenig; 1 id., heult nicht mehr; 2h id., Kopf etwas aufgerichtet. Hund XIV (Fox): 55;kg, 114 35’ 6 mg Morphin +05mg Skopol- amin pro Kilogramm subkutan. 11h 45’ liegt Pfote gestreckt nach vorne, Kopf aufgerichtet; 11 b 55’ liegt Bauch auf dem Boden, Kopf auf dem Boden, r. a. R.; 12h 15’ id.; 12h 30’ id.; 12 h 45’ id., etwas tiefer nar- kotisiert als XIII; 1hid.. etwas tiefer als XIII; 2h liegt auf der Seite, r.a. R. Hund XV (Fox): 6 kg, 11b 40’ 1,5 mg Morphin pro Kilogramm subkutan. 115 50’ erbricht; 11h 55’ sitzt; 12h 15’ liegt auf der Seite Pfote gestreckt, Kopf auf dem Boden, r. a. R. und setzt sich dabei für kurze Zeit; 12 b 30’ id.; 12 h 45’ id., hebt ab und zu spontan den Kopf; Ih liest auf der Seite, Kopf aufgerichtet,' r. a. R., ist tiefer narkotisiert als XVI; 2% liest auf der Seite, Kopf aufgerichtet, r. a. R. Hund XVI (Fox): 535 kg, 11h 45’ 1,5 mg Morphin + 0,5 mg Skopol- amin pro Kilogramm |subkutan. 11h 48 defäziert; 11h 55’ steht, geht ab und zu herum, heult; 12h 15’ sitzt, heult; 12 h 30’ id.; 12h 45’ id.: 1: id.; 24 geht herum, sitzt ab und zu, heult. Beobachtungen von einem Assistenten, der nicht weiss, welche Gifte eingespritzt worden sind: 12h 15’ XIII gleich tief als XIV. XV tiefer als XVI. 12h 30° XIV tiefer als XIII. XV tiefer als XVI. XV deutlich weniger tief als XIII. 12h 35’ XIH tiefer als XIV. - Diese Versuchsreihe zeigt, dass 1,5 mg Morphin deutlich weniger stark wirkt als 6 mg. Aus vorigen Versuchen war bekannt, dass von 2,.5—10 mg Morphin pro Kilegramm sehr wenig Unterschied in der Wirkung auftritt. Wenn nun 1,5 mg eine deutlich schwächere narko- tische Wirkung zeigt, kann angenommen werden, dass die Konzen- trationswirkungskurve des Morphins bei Dosen von 1—2,5 mg pro Kilogramm einen steilen Verlauf hat und bei höheren Gaben sehr flach verläuft, also Typus II [siehe meine Arbeit über das Verhältnis zwischen Wirkung und Konzentration !)] entspricht. 1) W. Storm van Leeuwen und J. W. Le Heux, Über den Zu- Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 177. 19 290 W. Storm van Leeuwen u. M. van der Made: Die Vermutung, dass kleine Dosen Morphin nicht imstande sind, die erregende Wirkung des Skopolamins zu beseitigen, hat sich in dieser Versuchsreihe bestätigt. Weil aber die Injektionen mit den kleinen Dosen Morphin nur an zwei Tieren gemacht werden konnten, wurden in Serie V diese Versuche an vier Tieren wiederholt. Wie aus untenstehenden Protokollen hervorgeht, waren die Resultate genau dieselben wie in der IV. Reihe. Hund XVII (schwarzer): 4,5tkg, 3b 50° 15 mg Morphin pro Kilo- gramm subkutan. 4h 5’ sitzt; 4h 15’ liegt Bauch auf dem Boden, Vorderpfote gestreckt, Kopf aufgerichtet, r. a. R., ziemlich stark; 4 h 30 id.; 44 45’ id.; 5h 5’ liegt auf der Seite, Kopf aufgerichtet, r. a. R. (stark) ; 5h 20’ id., heult; 5b 45’ id.; 65 40’ schläft, r. a. R. Hund XVIII (brauner): 10 kg, 4b 15 ms Morphin pro Kilo- gramm subkutan. 4h 5’ sitzt; 45h 15’ id.; 45 30’ liegt, Kopf auf dem Boden, r. a. R. (wenig); 4b 45’ id., r.a. R. (stark); 5h 10’ id. r.a. R.; 55h 20’ id., r. a. R.; 5h 45’ liest Kopf aufgerichtet, r. a. R.; 6 id. Hund XIX (sehr mager, Fox): 2,5 kg, 35 55’ 15 mg Morphin + 05 mg Skopolamin pro Kilogramm subkutan. 4h defäziert; 4h 5' sitzt, heult; 4b 15" id.; 4 h 30’ id., auf Reiz heult er sehr stark; 4h 45’ id., geht ab und zu; 5h 5’ id.; 5h 20’ id.; 6 h 40’ id. Hund XX (Fox): 9,5 kg, 3455 15 mg Morphin + 0,5 mg Skopol- amin pro Kilogramm subkutan. 4h sitzt; 4h 15’ liegt Bauch auf dem Boden, Kopf aufgerichtet, r. a. R.; 4b 30’ id., setzt sich auf Reiz auf 4h 45’ sitzt auf Hinterbeinen, Kopf und Vorderpfote flach auf dem Boden, r. a. R.; 5h 10’ sitzt ab und zu; 5b 20’ id.; 5% 45’ liegt auf dem Dodas Kopf aufgerichtet, T.a. R.; 68 40" sitzt. Beobachtungen: 5h 55" XVII ist am tiefsten narkotisiert, dann folgt XVII, darnach erst XX und XIX. Das Ergebnis sämtlicher Versuche an Hunden ist also folgendes: Skopolamin in den angewendeten Dosen (0,5—1 mg pro Kilogramm) gibt etwas Narkose-Erscheinungen,. aber daneben wirkt es deutlich erregend. Morphin wirkt narkotisch. In den kleinen Dosen (bis 2,5 mg pro Kilogramm) nimmt bei steigender Dosierung die Wirkung ziemlich rasch an Intensität zu. Bei grösseren Dosen (2,5—10 mg pro Kilo- gramm) nimmt bei Steigen der Dosen die Wirkung nur sehr wenig zu. Ein derartiger Verlauf der Konzentrationswirkungskurve kann sehr leicht zu irrigen Schlussfolgerungen in bezug auf Potenzierung führen. Werden kleine Dosen Morphin (1,5 und 2,5 mg pro Kilogramm), nit Skopolamin kombiniert, so erhält man die algebraische Summe der Wirkungen, d. h. die narkotische Wirkung des Morphins hebt die erregende Wirkung des Skopolamins nur teilweise auf. Werden grössere Dosen Morphin (5—10 mg pro Kilogramm) mit Skopolamin kombiniert, so stört die erregende Wirkung des Skopol- sammenhang zwischen Konzentration und Wirkung von verschiedenen Arzneimitteln. Pflüger’s Arch. Bd. 177 S. 250. = ERETRTEE 4 x 1 y EEE Zu Er FESTER Über den Synergismus von Arzneimitteln. IV. 291 amins die narkotische Wirkung des Morphins nicht, es scheint sogar eine Andeutung von einer geringen Verstärkung der Morphinwirkung da zu sein. Letzteres ist gewiss theoretisch interessant, lässt aber keines- wegs die Schlussfolgerung zu, dass bei der Kombination von Morphin und Skopolamin eine potenzierende Wirkung auftritt. Die Voraus- setzung bei der Anwendung der Morphin-Skopolamin-Kombination war diese, dass durch die Kombination von zwei Giften, welche an und für sich keine allgemeinen Narkotika für das ganze Zentralnerven- system sind, eine tiefe Narkose hervorgerufen werden sollte. Etwas derartiges war in keinem von unseren Versuchen nachweisbar. Wiewohl nun im Tierversuch bis jetzt kein experimenteller Beweis für das Bestehen einer Potenzierung von Morphin-Skopolamin-Kem- binationen gebracht worden ist, so scheint etwas derartiges bei der Anwendung am Menschen doch zu bestehen. Schneiderlin!) hat mit der Schärfe eines wohlgelungenen Tier- experiments am Menschen nachgewiesen, dass die Kombination beider Arzneimittel einen anderen — und zwar einen stärker narkotischen — Effekt hat, als mit Morphin oder Skopolamin allein erreicht werden kann. Er gab einigen Patienten erst eine grosse Dosis Morphin, nach einigen Tagen eine grosse Dosis Skopolamin und wieder einige Tage später die Hälfte der Morphindosis und die Hälfte der Skopolamin- dosis. Hierbei stellte sich heraus, dass nach der Kombination die Patienten in Allgemeinnarkose kamen, während nach Morphin oder Skopolamin allein dies nicht der Fall war. Nachstehende Tabelle ist einer Mitteilung von Schneiderlin entnommen !). Tabelle VII. Patient Einspritzung Unempfindlich As. 12:2 Dezbr. 2202150 2:mol sk. m u _- N Ta ee or tEl57 Arco Mo a. er _ = 18. & 3h6cgMo.. . ö (sehr unruhig) > 20. 20, Ana lEme, Sk: + 3.08 re, . 1 55 20° bis 7b 40’ Br. by = 4h2 mg Sk.+2cg N Mo. EHE 6h bis 6h 45° 2 BE WARTN EIS K N SS ER a2. - 5 12. 55 EIS I N a De _ 5 TEE a er Ko — = 16. a 6.cg Mo. - —= 20. 4h 50’ 2 mg Sk. n: 3.08 Mor . 159545 bis $h 15’ » l) Schneiderlin, Die Skopolamin(Hyoszin)-Morphium-Narkose. Münch. Med. Wochenschr. 1903. STandl® 19° 299 W.Storm van Leeuwen u. M. van der Made: Patient Einspritzung men Ba. 6. Novbr. 2h 30’ 1 mg Sk. +2 cg Mo. 2h 45 bis 7h 40’ a 12. Dezbr. 2 mg Sk. KR De _ „ Io.0y „derer uMOR N. Be — % 20. „. 4540 1 mg Sk. +9 cg Mo. 5b 30° bis 7b 45’ Be. 19. 2.0.8. mo ok. DR Are = 5 14: 2,90 7460°.Mio.:\ ..: era ne ee. — „ 16. , brcei Moss. i.r 2 FRENCH == 5 20. „45380 1LYa mg Sk. + 3 Ude Mo. 5h 25’ bis 6b 40 E. 5. Novbr.4h 1 mg Sk. +2 cg Mo... 5h bis 7h 45’ 5 12% Dezbr.-2’m£ Sk.) me. _ 5 16. H, Alice.) Mo.S. 1.00 : —_ I 20. : 4h40'’ Img Ssk+2cg Me 5h 25 bis 84 30 9:57,12 sımgiok: Br RT — 5 14. 4’c2=Mo. X. SLR — 5 20. „4545 11e mg Sk. +2 Mo. 5h 20’ bis Sh 15° He. 4. Novbr. 4h 11/e mg Sk. +2 cg Mo.. 5h 15’ bis 8h 45’ 5 12.:Dezbr»3.m2 Ska na se rer. . A 18... Ss hncs=Moe N. = 20.2... 40 90.52 1n0,8k. + 3 e Mo. 5h 25 bis Ih 25 Die Versuche dieser Tabelle deuten zweifellos auf eine Potenzierung. Nur scheint bei der Skopolamin-Morphin-Narkose am Menschen diese Potenzierung nicht immer aufzutreten, sonst würden mit dieser Methode nicht soviel Misserfolge (ungenügende Narkosetiefe) beobachtet sein (vgl. W. B. Müller, Narkologie, S. 596). Es ist in dieser Arbeit schon öfters hervorgehoben, dass bei der Wirkung von Morphin auf die Reflexerregbarkeit des Kaninchens, wie auch auf die Reizbarkeit der Grosshirnrinde beim Hunde die Kon- zentrationswirkungskurve dieses Giftes Typus II einer früheren Arbeit entspricht ). Bei Kaninchen hat Skopolamin eine ähnliche Kurve, bei Hunden hat es hauptsächlich eine erregende Wirkung. Bei Menschen wirkt Skopolamin viel mehr narkotisch und morphinähnlich, ohne dass dabei vorausgesetzt werden darf, dass die Konzentrations- wirkungskurve des Skopolamins derjenigen des Morphins ganz analog verläuft. Schon dadurch ist (vgl. die vorangehende Mitteilung) }) schon eine Bedingung für eine Potenzierung gegeben. Man muss sich also vorstellen, dass eine derartige Potenzierung bei Menschen sich zeigen kann, weil da das Skopolamin an sich eine genügend nar- kotische Wirkung hat, während bei Hunden, wo die erregende Wirkung 1) W. Skosın van Leeuwen und J. W. Le Heux, Über den Zu- sammenhang zwischen Konzentration und Wirkung von verschiedenen Arzneimitteln. Pflüger’s Arch. Bd. 177 S. 250. Über den Synergismus von Arzneimitteln. IV. 293 des Skopolamins in den Vordergrund tritt, die Potenzierung fehlt. Bei Kaninchen würde vielleicht bei ganz bestimmten Dosierungen eine Potenzierung zu finden sein, das ist aber bis jetzt noch nicht nachgewiesen. Im allgemeinen besteht bei diesen Tieren eine Poten- zierung sicher nicht. Zusammenfassung. Bei Menschen ist durch Schneiderlin eine Potenzierung der narkotischen Wirkung von Morphin + Skopolamin für bestimmte Fälle nachgewiesen. Sie scheint aber kein konstantes Ergebnis zu sein. Bei Kaninchen besteht weder bei Untersuchung der Grosshirn- narkose, noch bei Untersuchung der Rüekenmarksreflexe eine Poten- zierung. Bei Hunden besteht ebenfalls bei Untersuchung der Gross- hirnnarkose keine Potenzierung. Die Wirkung von kleinen Dosen Morphin wird durch die erregende Wirkung des Skopolamins sogar abgeschwächt. Die Wirkung von grösseren Dosen Morphin scheint durch Skopolamin etwas verstärkt zu werden, es wird dabei offenbar die erregende Wirkung des Skopolamins unterdrückt. Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. I. Über den Zustand der Muskeln der vorderen Extremitäten des Frosches während der Umklammerung. Von Prof. Dr. R. H. Kahn. (Aus dem physiologischen Institut der deutschen Universität in Prag.) (Eingegangen am 21. Juli 1919.) Erscheinungen des Stoffwechsels, Kreatingehalt, Verhalten der Aktionsströme und besondere Innervationsverhältnisse des Muskels werden bekanntlich in neuerer Zeit miteinander in bestimmten Zu- sammenhang gebracht und in ihren Beziehungen zu sogenannten tonischen, d. h. anhaltenden Verkürzungszuständen desselben lebhaft diskutiert. Über die hier vorliegende Literatur geben die Unter- suchungen und Zusammenstellungen von OÖ. Riesser!) sowie die zusammenfassenden Darlesungen von v. Brücke?) vollkommenen Aufschluss. Man wird beim Studium der bisherigen Angaben zweifellos den Eindruck gewinnen, dass vorläufig ein relativ geringes Material vor allem in der Hinsicht vorliegt, dass einerseits die Zahl der bisher untersuchten physiologisch vorkommenden dauernden Verkürzungs- zustände des Muskels bisher nicht gross ist, ‘andererseits aber der normale Ruhetonus des Muskels noch weiterer Untersuchung nach mancherlei Richtungen bedarf. Im Folgenden wird zunächst über Untersuchungen an einem besonderen Falle lange andauernder so- genannter tonischer Muskelaktion berichtet, wobei gleich von vorn- herein zu bemerken ist, dass die Eigentümlichkeit des Objektes nur eine gelegentliche Untersuchung durch relativ kurze Zeit gestattet. Es müssen also diese Experimente, so oft sich Gelegenheit dazu bietet, fortgesetzt und erweitert werden. Ein typisches Beispiel von Dauerverkürzung schien mir immer die Tätigkeit der Brust- und Armmuskulatur des Frosches während der Umklammerung des Weibchens zu sein. Hierbei verharren die Muskeln unermüdlich viele Tage lang in gleichmässiger Zusammen- 1) ©. Riesser, Über Tonus und Kreatingehalt der Muskeln usw. Arch. f. exp. Path. Bd. 80 S. 183. 1916. 2) E. Th. v. Brücke, Neuere Anschauungen über den Muskeltonus. D. med. Wochenschr. 1918 Nr. 5/6. Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. I. 295 = ziehung und bieten Erscheinungen einer Störung dieses ‚„Ruhe- zustandes‘“ eigentlich nur dann, wenn das Tier durch äussere Ein- griffe zu einer Verstärkung der Umklammerung als Ausdruck reflek- torischer Abwehr veranlasst wird. Die nähere Untersuchung des während der Umklammerung herrschenden Zustandes der Muskulatur hat mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass ja das Phänomen nur kurze Zeit, meistens nur wenige Tage, zu beobachten ist, und dass es nicht leicht bewerkstelligt werden kann, schwerere Eingriffe vor- zunehmen, ohne die Situation dauernd zu stören. Es wurde also zunächst an Rana fusca, deren Umklammerung bekanntlich im Laboratorium ohrie weiteres und mit Erfolg vor sich geht, der Kreatingehalt der hierbei tätigen Muskeln mit jenem hier nicht in Betracht kommender verglichen. Zu solchem Zwecke ist es nötig, die Methode der geringen, zur Kreatinbestimmung zur Ver- fügung stehenden Muskelmenge anzupassen. Es wurde also folgender- maassen verfahren: Von der in Betracht kommenden Muskulatur wurde je 1 & abgewogen, mit der Schere sorgfältig und rasch zer- kleinert und in einen Brei verwandelt. Dieser wurde in einem kleinen Kölbehen in 5 cem siedende 5 %ige Kochsalzlösung, welche mit einem Tropfen 10 %iger Essigsäure angesäuert war, gebracht, durch Schütteln zersprengt und durch eine Minute aufgekocht. Nun wurde durch ein kleines Filter filtriert, dieses letztere in den Kolben zu dem Koagulum gebracht und Beides neuerlich mit 5 cem Wasser gekocht. Nach Fil- tration wurde dieser Prozess noch viermal wiederholt. Die Filtrate wurden sodann mit 0,25 cem 25 %iger Salzsäure angesäuert und durch 3 Stunden auf dem Wasserbade eingeengt. Nach Abkühlung wurde die Kreatininlösung, welche fast farblos war, auf 5 cem gebracht und je 1 cem davon zur Kreatininbestimmung verwendet. Zur Herstellung der Pikraminsäure wurde 1 ccm der Flüssigkeit mit 1,5 cem einer 1,2% igen Pikrinsäurelösung und 0,5 ccm Natron- lauge (12%) versetzt und je 1 ccm davon nach 10 Minuten mit 9 cem Wasser verdünnt. Diese Lösung wurde nach einem neuen und sehr bequemen Verfahren !) kolorimetriert. Ein Fleischl’sches Hämometer wird derart adaptiert, dass man an Stelle der Skala (etwa durch Überklebung) eine Millimeterskala anbrinst, welche sich über die ganze 10 em messende Längsseite des Keilrahmens erstreckt. Füllt man nun die Kammerhälfte über dem Rubinglaskeile mit einer 1,2%igen Lösung von Pikrinsäure, so erhält man bei Beleuchtung des Apparates mit gelbem elektrischem Glüh- 1) Über die kolorimetrische Kreatininbestimmung orientiert man sich aus den Arbeiten von .J. Feigl (Über das Vorkommen von Kreatinin und Kreatin im Blute. Biochem. Zeitschr. Bd. 81 S. 14. 1917) und G. Weber (Physiolog. zur Kreatininfrage. A. e. P. Bd. 58 S. 93. 1908). 296 R. H. Kahn: lichte genau jene charakteristische Färbung, welche die Lösungen der Pikraminsäure in entsprechender Verdünnung darbieten. Durch Verschiebung des Glaskeiles unter der Pikrinsäure erzielt man inner- halb der durch Färbung und Dicke des Keiles gegebenen Grenzen zu- bzw. abnehmende Rötung bei gleichzeitiger geringerer oder grösserer Lichtdurchlässigkeit der Kombination, also Erscheinungen, welche den wechselnden Konzentrationen der Pikraminsäure in der Pikrin- säurelösung bei der Jaffe’schen Reaktion sehr befriedigend ent- sprechen. Der Vorgang des kolorimetrischen Verfahrens mit Hilfe des so adaptierten Kolorimeters ist dann folgender. Nach Füllung der Keilhälfte der Kammer mit Pikrinsäure und der freien Hälfte mit der zu bestimmenden Lösung von Pikraminsäure wird ein Deck- glas aufgelegt und das Gesichtsfeld durch eine dem Deckglase auf- liegende schwarze Blende mit 7 mm im Durchmesser messendem zentralen Loche eingeengt. Es ist nötig, das Loch genau konzentrisch zum kreisförmigen Kammerumfange einzustellen. Die Beobachtung erfolgt, indem man die durch das Loch begrenzte, durch die Kammer- scheidewand geteilte gelbrote Fläche unokular betrachtet, und zwar mit dem beobachtenden Auge genau vertikal auf die Mitte des die beiden Felder trennenden schmalen schwarzen Striches blickt. Dabei wird der ganze Apparat zweckmässig mit einem schwarzen, seitliches Licht abblendenden Schirme umgeben. Auf solche Weise ist die Einstellung auf Gleichheit der -beiden kleinen halbkreisförmigen Felder eine sehr genaue und das Kolori-, meter stellt einen sehr verlässlichen, leicht zu reinigenden und stets bereiten Apparat zur quantitativen Kreatininbestimmung dar. Dabei erledigt man die ganze Aufgabe nur mit Zuhilfenahme des unveränder- lichen Keiles, einer konzentrierten Pikrinsäurelösung und einer 12 %igen Lösung von Natronlauge. Es ist natürlich notwendig, die Konzentration der Pikraminsäure in jenen Grenzen zu halten, deren Färbung bei der gegebenen Schicht- dicke der Farbe des Keiles entspricht. Das sind bei bestimmter An- wendung der Jaffe’schen Reaktion Werte von 0,001—0,01 % Kreatinin. Um höhere Kreatininkonzentrationen kolorimetrieren zu können, ist es nötig, die Pikraminsäurelösung entsprechend zu verdünnen. Dabei zeigt sich die auch von anderen Kolorimetern bekannte Tatsache, dass der Vorgang der Herstellung der Pikraminsäurelösung bis in alle Einzelheiten genau eingehalten werden muss, um die richtigen Werte am geeichten Kolorimeter abzulesen. Das heisst, die Eichung des Apparates bezieht sich stets auf einen ganz bestimmten Vorgang der Herstellung der zu bestimmenden Farblösung. Hat man beispiels- weise den Keilwert für die in konzentrierter Pikrinsäurelösung durch 0,05 mg Kreatinin gebildete Pikraminsäure festgestellt, so gilt der Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. I. 397 [ gleiche Wert nicht für die zehnfache Verdünnung der durch 0,5 mg Kreatinin unter sonst gleichen Verhältnissen erzeugten Pikraminsäure. Daher führt man die Eichung am besten für einige kestimmte Vor- eänge der Reaktion durch, welche jene Konzentrationen von Kreatinin zu kolorimetrieren gestatten, die für die vorzunehmenden Unter- suchungen in Betracht kommen. Die so gewonnenen Eichungskurven dürften bei den verschiedenen, in Gebrauch befindlichen Apparaten einander kaum genau entsprechen. Es ist aber zu erwarten, dass diese alle annähernd innerhalb derselben Grenzen zur kolorimetrischen Kreatininbestimmung brauchbar sein dürften. Die Empfindlichkeit des Apparates ist sehr befriedigend. Sie nimmt mit wachsender Keildicke allmählich ab, ohne unter einen gut brauchbaren Wert herabzusinken. Sie bietet zum Beispiel für einen bestimmten Vorgang der Herstellung und Anwendung der Pikraminsäurelösung Kreatinin-Skalenwerte von 1 mm = 0,001 bis 0,002 Kreatinin. Dabei ist der Ablesefehler sehr gering. Er beträgt kaum mehr als I mm der Skala, natürlich genügende Übung voraus- gesetzt. Dabei ist aber hervorzuheben, dass er mit zunehmender Keildicke etwas wächst. Daher ist es zu empfehlen, die zu bestimmen- den Kreatinin- bzw. Pikraminsäurekonzentrationen derart zu halten, dass man das diekste Ende des Keiles nicht zur Bestimmung benützt. Mittels dieses Apparates wurden nun die nach dem oben beschriebenen Verfahren hergestellten Lösungen aus Froschmuskeln kolorimetrisch bezüglich ihres Kreatiningehaltes bestimmt. Es stellte sich im Verlaufe der durch mehrere Jahre im Frühjahre durchgeführten Untersuchungen zunächst heraus, dass beim Frosche der Kreatingehalt der Muskeln der Arme und der Brust mit jenem der Muskulatur der Hinterbeine sehr genau übereinstimmt. Als mittlerer Wert kann 3,5 mg Kreatinin pro 1 Muskelsubstanz bezeichnet werden. Das entspricht einem Kreatingehalte von etwas über 4 me = 0,406%, ein Wert, welcher mit den von Pekelharing und van Hoogenhuyze!) erhobenen sut übereinstimmt. Nun wurde an einer Reihe von umklammernden Exemplaren von Rana fusca so verfahren, dass unmittelbar nach der Tötung des Tieres je 1 g Muskulatur der Vorder- und Hinterbeine verarbeitet wurde. Als-bei der Umklammerung tätige Muskeln wurden vornehmlich ver- wendet: die Beuger am Vorderarme, der Musc. coracoradialis, die oberen Portionen des muse. pectoralis und eventuell die abdominale Portion . dieses Muskels. An Hinterbeinmuskeln wurden vergleichend geprüft: die Adduktorengruppe des Oberschenkels, der Quadriceps cruris und 1) C.A. Pekelharing und C. J.C. van Hoogenhupyze, Die Bildung des Kreatins im Muskel beim Tonus und bei der Starre. Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 64 S. 262. 1910. 298 R. H. Kahn: die Unterschenkelmuskulatur. Dabei wurden nur solche Tiere ver- wendet, welche bereits mehrere Tage (bis zu einer Woche) um- klammerten. Die Resultate der - Kreatininbestimmung waren ganz überein- stimmend, aber sehr unerwartet. Es stellte sich nämlich heraus, dass der Kreatingehalt der umklammernden Muskeln regel- mässig wesentlich geringer war als jener der ruhenden. In der folgenden Tabelle sind für verschiedene Muskeln der Hinter- beine einige Beispiele eingesetzt. Inlg Kol: „ee Ferrari Kreatın > Wert |Kreatinin Kreatin Differenz De lang 0/0 Fiinterbein......... 68 8:99. : |.,: 4,58 0,458 (Adduktoren) 0,064 Vorderbein. .... 62 3,40 3,94 0,394 Hinterbein. .. . . 67 BB dd 0,447 ( Se ern) 0,116 Vorderbein £ B3) 2,802. Nu Sol 0,331 Hinterbein... 2... 68 3,95 4,58 0,458 (Quadr icepn) 0,087 Vorderbein : 60 320 | 311 0,371 Hinterbein. . . .. 68. [1 8,95 7 A58 0,458 (Gastrokn.Tibial. 21) 0,116 Vorderbein .. 56 2,95 3,42. 0,342 Wie man sieht, ist die Differenz zuungunsten der Muskeln der um- klammernden Vorderbeine sehr bedeutend. Es ist also der tagelang andauernde Zustand der Verkürzung, welcher die Muskeln des Vorder- beines während der Umklammerung charakterisiert, nicht nur von keiner Vermehrung des Muskelkreatins begleitet, sondern der Kreatin- gehalt des Muskels stellt sich gegenüber jenem in untätiger Muskulatur als vermindert heraus. Der tonusartige Zustand der Muskeln während der Umklammerung ist also nicht durch Zunahme des Muskelkreatins charakterisiert. Freilich kann nicht ausser acht gelassen werden, dass im blutdurchströmten Muskel der Kreatingehalt nichts über die Kreatin- bildung auszusagen braucht. Denn eine regere Blutdurchströmung der vorderen Extremitäten, welche ja in unserem Falle geradezu erwartet werden darf, kann auch bei regerer Kreatinbildung zu einer Verarmung des Muskels an Kreatin führen. Es wäre daher sehr zu wünschen, dass es gelänge, den Blutkreislauf überhaupt oder wenigstens in den vorderen Extremitäten während der Umklammerung auszuschliessen. Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. I. 299 Vielfache Versuche, welche ich zur Erreichung eines solchen Zustandes unternommen habe, sind vorläufig resultatlos geblieben. Eine aus- reichende Unterbindung der Blutgefässe wenigstens einer vorderen Extremität während der Umklammerung gelingt nicht, und die Exstir- pation des Herzens ist zwar möglich, aber die Umklammerung bleibt nach diesem Eingriffe nur ganz kurze Zeit (bis zu einer Viertelstunde) bestehen. Bei dieser Sachlage war es von Interesse, auch einen zweiten wich- tigen Punkt zu untersuchen, welcher bei den neueren Betrachtungen über den Muskeltonus eine wesentliche Rolle spielt. Bekanntlich wird für gewisse dauernde Verkürzungs- bzw. Spannungszustände des Muskels ein Fehlen der den Muskeltetanus charakterisierenden rhyth- misch verlaufenden Aktionsströme angegeben. Es wurde also das umklammerte Weibchen an den Extremitäten auf ein Operationsbrett gebunden. Durch kleine Einschnitte an den Streckseiten der Ober- arme beim umklammernden Männchen wurden die mit Ringer ge- tränkten Seile unpolarisierbarer Elektroden auf die Muskulatur unter die Haut geschoben. Die Elektroden wurden mit dem Saitengalvano- meter verbunden und die Saite bei starker Vergrösserung beobachtet. Sie zeigte während des Andauerns der Umklammerung völlige Ruhe. Um die Anordnung zu kontrollieren, erhielt das Männchen eine leichte Strychninvergiftung. Sofort traten die charakteristischen Erscheinungen im Saitengalvanometer bei einer jeden zur Zeit der allgemeinen Reflex- krämpfe stattfindenden Verstärkung der Umklammerung ein. Die Saite zeigte durch Unruhe und Zittern die bekannten rhythmischen Aktionsströme des Strychnintetanus. Auch die elektrische Reizung des Nervus brachialis erzeugte ganz prompt die entsprechende Saiten- unruhe. Trotzdem nun solche Untersuchungen unter verschiedenen Modifikationen (schwache Saitenspannung, wechselnde Lage der Elek- troden) durchgeführt wurden, gelang es nicht, am ruhig umklammern- den Tiere Muskelaktionsströme nachzuweisen. Dagegen wurde die Saite deutlich unruhig, wenn, während ruhiger Umklammerung das Tier durch Kneiten oder durch den Versuch, es loszureissen, sehr be- unruhist wurde. Indessen sind solche Versuche nicht ganz rein, da es dabei zu stärkeren reflektorischen Abwehrbewesungen kommt, deren Wirkuns auf die Galvanometersaite sich nicht gut übersehen lassen }). Es hat also den Anschein, als würde die Muskeltätigskeit bei der Umklammerung ohne das Auftreten von Aktionsströmen vor sich 1) Ich glaube in der Erinnerung zu haben, als hätte ich vor Jahren das Referat einer ausländischen (französischen?) Arbeit gelesen, in welcher das elektrische Verhalten der umklammernden Muskulatur geprüft wurde. Leider kann ich weder in meinen Notizen noch in der Literatur etwas hierüber finden. Auch ist mir das Resultat nicht mehr recht erinnerlich. 300 R. H. Kahn: gehen, während eine Vermehrung des Muskelkreatins nicht konstatiert werden kann. Es erübrigt, noch über eine Versuchsreihe zu berichten, welche in der kurzen verfügbaren Zeit der Umklammerungsperiode im heurigen Frühjahre angestellt wurde, um der Frage näherzutreten, wie weit für die umklammernde Muskulatur eine sympathische Innervation angenommen werden darf. Diese Frage wird sich vermutlich durch allerdings komplizierte Versuche mit Nervendurchschneidung genauer lösen lassen. Vorläufig wurde in einer Reihe von Experimenten die Wirkung der Curarevergiftung auf das umklammernde Männchen untersucht. Bei rein sympathischer Innervation des dauernden Ver- kürzungszustandes der Umklammerungsmuskeln liesse sich erwarten dass eine entsprechend genau dosierte Vergiftung mit Curarin das seltsame Phänomen des motorisch gelähmten umklammernden Frosches zutage fördern könnte. Leider stand zu den Versuchen kein Curarin zur Verfügung, sondern es musste mit einem Dekokte von Topfeurare gearbeitet werden, so dass eine genaue Dosierung des Giftes unmöglich war. Es stellte sich heraus, dass sich am curarisierten Frosche die Umklammerung etwa zur Zeit des Eintrittes der allgemeinen motori- schen Lähmung zu lockern beginnt. Nach völliger Lähmung des Tieres werden auch die Vorderextremitäten schlaff, allerdings, wie es scheint, etwas später als die übrige Körpermuskulatur. Eine be- stimmte Aussage lässt sich auf Grund dieser Versuche vorläufig nicht machen. Bei nächster Gelegenheit müssen dieselben mit neuen Modi- fikationen wieder aufgenommen werden. Es lässt sich also vorläufig Folgendes über den Zustand der um- klammernden Muskulatur beim Frosche aussagen: Eine Kreatin- vermehrung findet hierbei im Muskel nicht statt, vielmehr erscheint der Kreatingehalt vermindert, Aktionsströme werden während ruhiger Dauerverkürzung vermisst. Eine Beteiligung sympathischer Inner- vation ist vorläufig nicht sichergestellt. Anhang. Die Richtigkeit der oben erörterten Tatsache der Verminderung des Kreatingehaltes der umklammernden Muskulatur des Frosches hat offenbar zur Voraussetzung, dass bei der kolorimetrischen Kreatinin- bestimmung der wechselnde Gehalt der zu untersuchenden Flüssigkeit an Zucker keine störende Rolle spielt. Denn die Methode der Dar- stellung der Kreatininlösung aus Muskeln zur kolorimetrischen Be- stimmung bringt schliesslich alles im Muskel jeweils enthaltene Kohle- hydrat als Zucker in die Reaktion hinein. Nun wird allgemein ver- sichert, dass das Vorhandensein von Traubenzucker die kolorimetrische Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. 1. 301 Kreatininbestimmung nicht störe. So gibt Jaffe!) selbst an, dass ‚der Zucker die Reaktion mit Pikrinsäure und Natronlauge bei gewöhn- licher Temperatur nicht oder erst nach langem Stehen gebe, während allerdings beim Erwärmen sofort die bekannte blutrote, auf Reduktion der Pikrinsäure beruhende Farbe auftrete. Andere [zum Beispiel af Klerker ?)] erwähnen, dass Glykose mit Pikrinsäure und NaOH eine starke Rotfärbung erzeuge, die jedoch bei gewöhnlicher Tem- peratur erst nach längerer Zeit erscheine, bei Erhitzung dagegen augen- blicklich. S. Weber) gibt an, dass der Traubenzucker in der Re- ‚aktionszeit von 10—15 Minuten die Reaktion nicht störe. Greenwald*) hat festgestellt, dass Traubenzucker bis zu 5% keinen Einfluss auf die Kreatinbestimmung nach der Folin’schen Methode nimmt. In diesen Fällen handelt es sich um die Untersuchung von Harn. Immerhin scheint mir doch das Auftreten von Trauben- zucker als Folge eines Eingriffes einige Vorsicht zu erfordern, nament- lich wenn das Verhalten des Harnkreatinins ebenfalls als Folge dieses Eingriffes untersucht werden soll. So wären doch offenbar zum Beispiel in solchen Untersuchungen, welche sich mit dem Verhalten des Harn- kreatinins nach Phlorhidzingaben beschäftigen °), gewisse Kontroll- ‘versuche angezeigt gewesen. Denn es stellt sich bei der Anstellung der Reaktion mit Trauben- zucker heraus, dass seine Anwesenheit für die gleichzeitige Kreatinin- bestimmung nicht unter allen Umständen bedeutungslos ist. Der Traubenzucker bewirkt nämlich bei der beschriebenen Art der An- stellung der Reaktion sogleich und bei Zimmertemperatur eine Rot- färbung durch Reduktion der Pikrinsäure, welche einer geringen Kreatininmenge entspricht. Nun kommt es darauf an, wie viel Krea- tinin in der zu prüfenden Flüssigkeit vorhanden ist. Wenn nämlich eine Flüssigkeit, von welcher nur wenig zur Kolori- metrie zur Verfügung steht, wenig Kreatinin neben einem gewissen . Zuekergehalte besitzt, dann ist die kolorimetrische Kreatininbestimmung kaum durchzuführen. Ein Beispiel, das genau untersucht wurde, mag 1) M. Jaff&, Über den Niederschlag, welchen Pikrinsäure in normalem Harn erzeugt und über eine neue Reaktion des Kreatinins. Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. X S. 391. 1886. 2) K.O. af Klerker, Beitrag zur Kenntnis des Kreatins und Kreatinins im Stoffwechsel des Menschen. Biochem Zeitschr. III S. 45. 1907. 3) S. Weber, Physiolog. z. Kreatininfrage. Arch. f. exp. Pathol. Bd. 58 S. 93. 1908. 4) J. Greenwald, The estimation of creatinine and ereatine in diabetic urines. Journ. of biol. chem. XIV p. 87. 1913. 5) R. A. Krause and W. Cramer, The occurence of creatin in diabetic urine. Journ. of physiol. (Proc.) XL p. LXI. 1910. — E.P. Cathcart and M. Ross Taylor, The influence of carbohydrate and fat on protein meta- bolism. Ebenda XLI p. 276. 1910. 302 R..H.Kahn; dies erläutern. Die Punktion der Vorderkammer des Kaninchenauges ergibt eine Kammerwassermenge von etwa 0,3 cem. Um die Kammer- hälfte des Kolorimeters zu füllen und die Pikraminsäurereaktion ent- sprechend anzustellen, ist es nötig, 0,2 ccm des Kammerwassers mit 0,83 ccm Wasser, also fünffach zu verdünnen. Nun wird mit 1 cem der Verdünnung, 1,5 cem Pikrinsäure und 0,5 ccm Lauge die Reaktion angestellt und die Pikraminsäurelösung kolorimetriert. Das für diese Art der Reaktionsanstellung geeichte Kolorimeter ergibt einen Wert von etwa 0,001 % Kreatinin, welcher nicht sehr konstant ist. Nun enthält das normale Kammerwasser als regelmässigen Bestandteil Traubenzucker in einer Menge von 0,1—0,15%, und darüber. Es ist also zu prüfen, ob dieser Zuckergehalt überhaupt eine Kreatinin- bestimmung zulässt. Ein Beispiel: Eine Lösung von Kreatinin in Wasser wird wie oben angegeben kolorimetriert. Angewendet 0,0012 %, gefunden 0,0012 %. Eine Lösung von 0,05% Traubenzucker gibt nach 10 Minuten bei Zimmertemperatur (20°C.) den gleichen Wert. Auch eine Lösung von Kreatinin und Zucker in den angegebenen Konzen- trationen entspricht im Kolorimeter demselben Kreatininwerte. Eine Zuckerlösung von 0,2%, aber besitzt einen Kreatininwert von 0,0025 %, und eine Lösung von 0,0012% Kreatinin und 0,2%, Zucker ebenfalls. Man bestimmt also eine Kreatininlösung von geringer Konzentration je nach dem Zuckergehalte ganz verschieden. Eine Kreatininbestim- mung im Kammerwasser scheitert also an dessen Gehalt an Trauben- zucker. Ob es möglich sein wird, um diese Fehlerquelle herum- zukommen, müssen weitere Versuche entscheiden. Denn eine exakte kolorimetrische Kreatininbestimmung im Kammerwasser des Auges wäre vermutlich ein Mittel, sich in einfacher Weise über das Verhalten des Kreatins und Kreatinins im Blute zu orientieren, ebenso wie das bezüglich des Zuckergehaltes beider Flüssigkeiten der Fall ist!). Auch bei der Kreatininbestimmung im Muskel spielt der Trauben- zucker eine Rolle. Denn die zur Kolorimetrie gelangenden Lösungen sind ja in vielen Fällen nach bestimmten Eingriffen sehr verschieden zuckerhaltig.. Die oben beschriebene Verminderung des Kreatinin- wertes in der umklammernden Muskulatur des Frosches könnte man geneigt sein, auf eine Verminderung des Muskelglykogens zurück- zuführen, falls es nicht gelänge, eine störende Wirkung des Zuckers bei der betreffenden Art der Reaktionsanstellung auszuschliessen. Däs gelingt tatsächlich in diesem Falle. Denn dort handelt es sich um stärkere Konzentrationen an Kreatinin, welche eine der Kolorimetrie- 1) R. H. Kahn, Eine Methode, sich rasch und einfach über das Ver- halten des Blutzuckers zu orientieren. Zentralbl. f. Physiol. Bd. 25 S. 106. 1911. — F. Ask, Über den Zuckergehalt des Kammerwassers. Biochem. Zeitschr. Bd. 59 S. 1. 1914. Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. I. 303 rung vorhergehende Verdünnung der Pikraminsäure nötig machen. Hierbei kommt dann die geringe Reduktionswirkung des Trauben- zuckers in der Kälte und nach 10 Minuten nicht störend in Betracht. So wurde in grossen Versuchsreihen gefunden, dass Kreatininlösungen von jenen Konzentrationen, wie sie nach der oben beschriebenen Methode aus Froschmuskeln dargestellt werden, genau kolorimetrisch bestimmbar sind (nach dem oben angegebenen Verfahren), trotzdem der Lösung ein Gehalt von 0,1—3% Traubenzucker gegeben wurde. Die Kolorimeterwerte werden dabei von dem wechselnden Zucker- gehalte gar nicht beeinflusst. Das liegt wohl der Hauptsache nach daran, dass in diesen Fällen der relativ hohe Gehalt an Kreatinin eine intensive Rotfärbung erzeugt, welche zum Zwecke unseres kolori- metrischen Verfahrens durch Verdünnung auf einen brauchbaren Wert gebracht wird. Hierbei wird der Effekt der in der Kälte stets anfänglich geringen Reduktionswirkung des Zuckers unter die Fehlergrenze herab- gedrückt. Aus diesen Erörterungen scheint wohl hervorzugehen, dass bei kolorimetrischen Kreatininbestimmungen jedesmal für die verwendete Methode der eventuelle Einfluss des Vorhandenseins von Zucker fest- gestellt bzw. ausgeschlossen werden muss. Ergebnisse. Es wird eine Methode beschrieben, um Kreatinin gegen einen Rubinglaskeil zu kolorimetrieren. 2. Mit dieser Methode wird der Kreatingehalt der umklammernden Muskulatur des Frosches untersucht. 3. Die Muskeln der vorderen Extremitäten des Frosches während der Umklammerung weisen gegenüber der übrigen Muskulatur eine Verminderung des Kreatingehaltes auf. 4. Während ruhiger Umklammerung sind an der in dauernder Verkürzung bzw. Spannung befindlichen Muskulatur der vorderen Extremitäten keine Aktionsströme nachweisbar. 5. Durch Untersuchung des Kammerwassers des Auges sowie durch Prüfung von Kreatinin-Zuckerlösungen wird gezeigt, dass ein Gehalt von Kreatininlösungen an Traubenzucker je nach den Einzel- heiten der Methode vernachlässigt werden kann oder die kolorimetrische Kreatininbestimmung stört. Es ist daher in jedem Falle der Einfluss des Zuckergehaltes der Lösung durch Kontrollversuche zu prüfen. Die obigen Angaben über den Kreatingehalt des Muskels sind durch diese Komplikation nicht betroffen. Nachtrag zu meiner Abhandlung: „Bioelektrische Studien an der Magenmuskulatur‘. I. Mitteilung (dieses Archiv Bd. 175 S. 165. 1919). Von A. Tschermak, Prag. (Aus dem physiologischen Institut der deutschen Universität in Prag.) (Eingegangen am 22. Juli 1919.) In der Literaturübersicht sind infolge der Unruhe, unter welcher die Niederschrift erfolgte, durch ein bedauerliches Versehen die Untersuchungen von H. Stübel, Der Erregungsvorgang in der Magenmuskulatur nach Versuchen am Frosch- und am Vogelmagen, Pflüger’s Arch. Bd. 143 S. 381. 1912 (vgl. auch Zentralbl. f. Physiol. 25. Jahrg. S. 1098. 1912) unberücksichtigt geblieben, was in der II. Mit- teilung ausführlicher nachgeholt werden soll. H. Stübel gehört die Priorität, bei sogenannt tonischer Kontraktur wie bei’ Peristaltik an dem in situ befindlichen oder ausgeschnittenen Froschmagen (mittels des Thomson’schen Spiegelgalvanometers) bioelektrische Er- regungsströme nachgewiesen zu haben. Ebenso hat er am sogenannt tonisch kontrahierten Vogelmagen mittels des Saitengalvanometers den Ablauf rhythmischer Aktionswellen festgestellt und damit die Entstehung des Rhythmus der Magenmuskulatur in der Magenwand selbst erwiesen. Ebenso bedart es eines nachträglichen Hinweises auf die Beobachtung R. Dittler’s. dass die spontanen peristaltischen Wellen am glattmuskeligen Kropfe der Aplysia von Einzelaktions- strömen einbegleitet sind, also Einzelerregungen, nicht kurzen Tetani entsprechen (Über den Erregungsablauf am Kropfe der Aplysia. Pflüger's ‚Arch. Bd. 1418. 527. 1911): In..der; nun kurz, ge streiften Tonusfrage war Vollständigkeit der Literaturnachweise nicht erstrebt. Ein Verfahren zur Demonstration der Aktionsströme. Von Rudolf Höber. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Kiel.) Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 1. August 1919.) Während des Krieges hat die Technik in der Verstärkerröhre ein Gerät geschaffen, mit dem es auf sehr einfache Weise gelingt, schwache Wechselströme, wie sie dem Telephon zugeleitet werden, in fa-t be- liebigem Grade zu verstärken. Dies hat mich auf den Gedanken ge- bracht, die Röhre beim Abhören der oszillatorisch verlaufenden Aktions- ströme mit dem Telephon zu verwenden. Der Gebrauch des Telephons zu dem genannten Zweck ist bekanntlich nicht neu. Schon im Jahre 1881 haben Bernstein und Schönlein') mit unpolarisierbaren Elektroden vom Frosch-Gastrocnemius zu einem Siemens- schen Telephon abgeleitet. Bei Reizung des Ischiadicus mit einem In- duktionsapparat vernahmen sie bei gleichzeitiger Anwendung von 4-6 Muskeln ein knatterndes Geräusch, das mit der Ermüdung an Deutlichkeit abnahm, während sie bei Ableitung von nur einem Muskel nichts hörten. Der freigelegte Wadenmuskel eines Kaninchens gab unter den gleichen Be- dingungen einen Ton, dessen Höhe der Frequenz des Unterbrechers ent- sprach; dabei wurde mit einem „Akustischen Unterbrecher“ die Zahl der Reize bis zu 700 pro Sekunde hinauf variiert. Im Strychnin-Tetanus hörten Bernstein und Schönlein einen „tiefen singenden Ton“. Wedensky°) verwendete im Jahre 1883 ebenfalls ein Siemens’sches Telephon. Ihm gelang es schon mit einem ausgeschnittenen Gastrocnemius, die Aktionsströme zu hören, allerdings bei jedem Muskel nur I—2mal, da das Phänomen rasch verschwindet. Viel dauerhafter fand er die Muskelströme bei Ableitung von dem durchbluteten, nur von der Haut entblössten Muskel, wobei er als Elektroden eingestochene Nadeln verwendete. Bei Frequenzen bis zu etwa 200 pro Sekunde stimmte die Höhe des Muskeltons im all- gemeinen mit dem des Unterbrechers überein, oberhalb von 200 war der Ton eine Quinte bis eine Oktave tiefer; bei Frequenzen von 2500—5000 ver- nahm Wedensky nur ein gleichmäßig hauchendes Geräusch, und zwar sowohl beim Kaltblüter- wie beim Warmblütermuskel. Die Töne nahmen bei Verstärkung des Reizes ebenfalls an Stärke zu, mit der Erınüdung des Muskels schwanden sie allmählich und verwandelten sich in ein ungleich- mässiges Geräusch. Bei den natürlichen Kontraktionen (Spontan- und 1) Bernstein und Schönlein, Sitzungsberichte der Naturforschenden Gesellschaft zu Halle. 1381. 2) Wedensky, Arch. für Physiologie. 1883 S. 313; Archives de Phy- siologie. 1891 S. 58; Zentral-Blatt für die medizinischen Wissenschaften. 1883 Nr. 26. Siehe ferner v. Frey, Arch. für Physiologie. 1883 S. 43. Pflüger’s Archiv für Physiologie. Bd. 177. 20 306 Rudolf Höber: Reflexbewegungen) von Kröten, Kaninchen, Hunden und Menschen hörte. Wedensky ein tiefes Rauschen, „wie ein von fern gehörter Wasserfall“, aber nicht einen „tiefen singenden Ton“ wie Bernstein und Schönlein. Das Geräusch stimmte mit dem durch frequente Reizung künstlich zu er- zeugenden Hauchen überein. Auch vom Nerven liessen sich die Aktions- ströme abhören; ein Frosch-Ischiadicus wurde an seinem einen Ende mit 250 Schwingungen pro Sekunde erregt; man vernahm bei Ableitung am andern Ende einen musikalischen Ton, der sich gegenüber dem Muskelton durch seine längere Dauer auszeichnete, entsprechend der geringeren Er- müdbarkeit des Nerven. Ich gehe nun zu den eignen Beobachtungen über. Mir wurden für kurze Zeit einige Verstärkerröhren der Gesellschaft für drahtlose Telegraphie zur Verfügung gestellt, die ich zunächst dazu benutzte, die Beobachtungen von Bernstein und Schönlein und von We- densky zu wiederholen. Meine Anordnung war die übliche (siehe Abbildung): an die Glüh- kathode K wird durch drei Akkumulatoren eine Spannung von sechs Volt zum Heizen der Ka- thode angelest ; dieSpannung et für den Anodenkreis liefert ee: : ware eine kleine Hochspannungs- 2. batterie von 100 Volt: die m Wechselfrequenz wird durch 77 a | [ Transformierung (T) auf den a Abb. 1. V = Vakuumröhre K = Glüh- „Gitterkreis“ übertragen. kathode. A= Anode. G — Gitterelektrode. Drei Röhren sind hinter- en = Pluspol der Heizspannung von 6 Volt. S sale { : ea = Pluspol der Anodenspannung von einander gekoppelt; da eine 100 Volt. T—= Transformator. Elektronenröhre den bei T induzierten Strom bzw. die Spannung auf das 10—15fache verstärkt, so wird durch Koppelung von drei Röhren der Strom um das 1000—3000fache, also die Leistung auf das mehr als Millionenfache gesteigert. Eine noch grössere Verstärkung durch weitere Röhren hat im allgemeinen keinen Zweck, da bei weiterer Steigerung die Störungen durch allerlei äussere schwer kontrollierbare Einflüsse oder durch die Röhre selbst (zum Beispiel infolge von Selbst- erregung von Schwingungen) so stark bemerkbar werden, dass die Verstärkung keine Verbesserung bedeutet. Es zeigte sich nun, dass sich mit dieser Anordnung die Aktions- ströme, die unter gewöhnlichen Umständen mit einem Telephon nur bei aufmerksamer Beobachtung in einem stillen Arbeitsraum zu hören sind, so verstärken lassen, dass sie mit Leichtigkeit demonstriert werden können. 1. Beobachtungen an Froschmuskeln. Ein Ischiadieus- unterschenkelpräparat wird möglichst hoch oben vom Nerven aus mit Wechselströmen von verschiedener Periode gereizt. Hierzu wurde Ein Verfahren zur Demonstration der Aktionsströme. 307 eine Wechselstrommaschine mit einer Periodenzahl von in maximo 3600 verwendet. Die Wechselfregquenz wurde auf die Primärspule eines du Bois’schen Schlittens übertragen und durch Akhören der Sekundärspule mit einem Telephon und Vergleich des Tones mit einem Satz König’scher Stimmgabeln ermittelt. Von dem Unter- schenkel wurde mit unpolarisierbaren Elektroden oder zinfach mit durchgestochenen Nadeln abgeleitet. Auf diese Weise fand ich in Übereinstimmung mit Wedensky, dass der- Muskel mit periodischen Oszillationen etwa bis zu der Frequenz von 200—250 antwortet; zum Beispiel: 160 Schwingungen: lauter, etwas schnarrender Ton, unisono mit dem Wechselstrom ; 210 Re Ton höher. 256 as Ton blasend, geräuschartig, etwa eine Terz nie- driger als der Erregerton; 350 R lautes, hauchendes Geräusch; 9 St desgleichen ; 100 er sehr lauter, brummender Ton, unisono mit dem Erregerton; 50 6 lautes Trommeln ; 210 “ geräuschartiger, schabender, hoher Ton, fast so hoch wie der Erregerton. Die grosse Überlegenheit meiner Anordnung über dis ältere, einfache, ergibt sich etwa durch das Folgende: Beim Abhören der Aktionsströme ohne die Verstärkerröhren mit Telephonen von sehr verschiedenem Widerstand (6, 336 und ca. 4000 Ohm) erhielt ich immer nur einen ganz leisen Eindruck gegenüber den lauten Schallen bei Einschaltung der Röhren. Leitet man zu gleicher Zeit von sechs Unterschenkeln ab, so erzeugen diese bei 50—160 Schwingungen einen dröhnend lauten Ton, und setzt man noch einen Graimmophon-Schalltrichter auf das Telephon, so hört man den Schall mehrere Meter weit. Wedensky gab an, man höre die Aktionsströme eines Gastro- cnemius nur ein- bis zweimal, dann seien sie infolge der Ermüduns des Muskels erloschen. Bei Einschaltung der Elektronenröhren ver- nimmt man dagegen den Ton auch bei oftmaliger Reizung. Allerdings macht sich auch so die Ermüdung geltend; der laute, brummende Ton, welcher der Frequenz von etwa 100 entspricht, geht bei andauern- der Reizung in ein scharrendes Geräusch über, das allmählich zu einem leisen Hauchen ausklingt. Lässt man dem Muskel dann kurze Zeit Ruhe, so hört man den anfänglichen Ton für kurze Zeit noch einmal; er klingt wiederum rasch in das Geräusch ab. Die Veränderung der Tonhöhe im Verlauf der Ermüdung, welche Wedensky angibt, habe ich nicht bemerkt. 3 "20% 308 Rudolf Höber: Auch im folgenden stimme ich mit Wedensky überein: bei mecha- nischer Reizung des Nerven vernimmt man ein Rascheln; bei Ab- leitung von den durchbluteten Muskeln eines ganzen Frosches sind die Oszillationen viel anhaltender zu hören als bei ausgeschnittenen Muskeln; Reflexbewegungen unter natürlichen Bedingungen oder nach Strychninisierung erzeugen ein lautes, .chabendes Geräusch von genau dem gleichen Charakter, wie das Geräusch bei frequenter Reizung. 2. Beobachtungen am Froschnerven. Nach Wedensky besteht der einzige Unterschied zwischen den telephonisch hörbaren Muskel- und Nerventönen in der grösseren Erschöpfbarkeit der ersteren. Wedensky reizte aber anscheinend nur mit der einen Frequenz von 250. Ich beobachtete mehrmals folgendes: 100 Schwingungen: brummender Ton; 210 a, höherer, ziemlich lauter Ton; 512 iR hoher Ton, eine Oktave tiefer als der Erresi ton, daneben Geräusch; 850 > schnarrender Ton, etwa zwei Oktaven tief-r alk der Erregerton; 1000 7 blasendes Geräusch ; 256 h, brummender Ton, minutenlang während der Reizung anhalteng. Bringt man zwischen Reiz- und Ableitungselektroden einen Tropfen Ammoniak auf den Nerven, so verschwindet der Ton sofort. Der Nerv ist also nicht bloss durch geringere Ermüdbarkeit aus- sezeichnet, sondern offenbar liegt auch die Frequenzgrenze, bıs zu der hinauf er periodisch mitschwingt, höher als beim Muskel. 3. Beobachtungen am Wadenmuskel der Katze. Unter den Ischiadicus wurden möglichst hoch oben Ludwig’sche versenkte Elektroden geschoben, vom Gastrocnemiu: wurde durch die Haut mit eingestochenen Nadeln abgeleitet. Bei einer Frequenz von 512 vernimmt man noch einen lauten, schnarrenden Ton von der Höhe des Erregertons, bei 1000 Schwingungen ist dem Ton ein lautes Ge- räusch beigemischt und die Tonhöhe bleibt beträchtlich hinter der Höhe des Erregertons zurück; bei 1250— 1400 Schwingungen vernimmt man ein reines, schabendes Geräusch. Reflexbewegungen verursachen lautes Rascheln, nicht den ‚‚tiefen, singenden Ton“, den Bernstein und Schönlein für die Strychninkrämpfe des Kaninchens angaben. Das Rascheln ähnelt dem Geräusch bei frequenter Reizung. Ich kann also die Angaben der älteren Autoren bestätigen; nur erhält man mit meiner Anordnung statt der leisen Töne und hauchenden Geräusche mächtige Schalleindrücke. 4. Beobachtungen am Menschen. Zur Ableitung dienten mit Flanell überzogene Streifen aus Kupferdrahtgewebe, die mit kon- Ein Verfahren zur Demonstration der Aktionsströme. 309 zentrierter Kochsalzlösung angefeuchtet und um die Extremitäten gewickelt wurden. Bei willkürlicher Anspannung hört man so ein lautes Rascheln, das um so stärker ist, je kräftiger die Muskeln innerviert werden. Das- selbe Geräusch vernimmt man, wenn die Wadenmuskulatur durch Er- heben aufdie Zehen reflektorisch angespannt wird; beim Wippen aufder Fussspitze schwillt das Rascheln an und ab. Bei künstlicher Erregung des Nervus medianus und Ableitung vom Unterarm fand ich folgendes: 50 Schwingungen: lauter Brummton; 100 & Ton wie der eines Ceilos; | 160 s höherer, lauter Ton, unisono mit dem Erregerton; 256 > Ton etwas tiefer ale der Erregerton, Geräusch beigemischt; 210 %; Ton mit Geräusch, Ton von der Höhe des Er- regertons; 512 % lautes Geräusch; 256 ER Ton mit Geräusch, tiefer als der Erregerton ; y lauter Celloton; 8350 2 lautes, schabendes Geräusch. Die Grenze der Wechselfrequenz, oberhalb deren kein Ton mehr, sondern nur noch ein Geräusch zu hören ist, liegt also bei etwa 250 Schwingungen. Das ist auffallend, da die Grenze für den Katzenmuskel erheblich höher, etwa bei 1000, gefunden wurde. Vielleicht hängt dies damit zusammen, dass bei der kräftigen elektrischen Reizung\ die Muskulatur unabsichtlich angespannt wird. S Bevor ich in der Mitteilung meiner Beobachtungen fortfahre, sei ein Vergleich des bisher Gesagten mit den Aufnahmen der Aktionsstrom-Oszil- lationen durch das Kapillarelektrometer und das Saitengalvanometer ein- geschaltet. F.Buchanan!) fand bei ihren bekannten Kapillarelektrometer- Registrierungen der Aktionsströme des Froschsartorius, dass dieser bis zur Erregerfrequenz von 50 meist vollkommen synchron schwingt; bei der Fre- quenz von 100 oszilliert er ebenfalls noch vielfach synchron, aber statt dessen oder zeitweilig auch mit der halben bis fünftel oder auch mit der doppelten Frequenz; bei 270 Schwingungen pro Sekunde sind die Muskel- ströme nur noch ausnahmsweise für kurze Zeit mit dem Erregerton gleich- gestimmt, im übrigen sind die Oszillationen unregelmässig oder überhaupt nicht vorhanden; oberhalb 500 Schwingungen fehlt jeder Synchronismus. Bei den Reflexbewegungen, speziell beim Strychnin-Reflex sind nach Buchanan zwei Wellensysteme übereinander gelagert, eine langsamere Periode von 4—12 pro Sekunde, mit hoher Amplitude und mit innerhalb ein und derselben Kontraktion wechselnden Frequenz, und eine schnellere Periode von 40—100 pro Sekunde und mit kleinerer Amplitude. Die Strom- kurve kann man wohl danach als eine Geräuschkurve ansprechen. Für die menschlichen Muskeln ist mit dem Saitengalvanometer durch Piper?) festgestellt, dass bei künstlicher Reizung der Unterarmflexoren l) F. Buchanan, Journal of Physiology. Vol. 27 p. 95. 1901. 2) Piper, dies Arch. 119, 301. 1907. 310 Rudolf Höber: vom Nervus medianus aus mit 54 Reizen pro Sekunde die Aktionsströme in der gleichen Periode oszillierten. Bei der willkürlichen Kontraktion derselben Muskeln zeigt die Stromkurve meist 47—50 Hauptzacken von un- gleichem Abstand und zahlreiche Nebenzacken’); die Kurve hat also aus- gesprochenen Geräuschcharakter. Aus all dem folgt, dass die Telephonbeobachtungen mit den elektro- graphischen Registrierungen im wesentlichen übereinstimmen. 5. Beobachtungen bei einigen klinischen Fällen. Neben den Tetari, deren elektrischer Ausdruck osziilatorisch ist, gibt es be- kanntlich Dauerkontraktionen, während deren der Quarzfaden des Saitengalvanometers, zu dem man ableitet, ruht. Dies gilt nach A. Fröhlich und H. H. Meyer ?) zum Beispiel für die durch Tetanus- toxin hervorgerufene Starreverkürzung der Muskeln einer Katze und wurde kürzlich durch Liljestrand und Magnus °) bestätigt. Wird - jedoch der erstarrte Muskel kräftig gedehnt, so produziert er rhyth- mische Aktionsströme. Entsprechende Beobachtungen machten Se- merau und Weiler ) beim tetanuskranken Merschen. A. Fröhlich und H. H. Meyer fanden ferner ?), dass auch die Dauerkontraktion des Schliessmuskels einer Muschel von keinen Stromschwankungen begleitet ist. Hier lehrt auch der Mangel jeder Stoffwechselsteigerung bei Steigerung des Tonus, dass es sich nicht um echten Tetanus handelt (Bethe®), Parnas) ”). In analoger Weise vermissten Fröhlich und Meyer®) den Schwund des Glykogens während der Tetanusstarre des Muskele. Auch während der spastischen Kontraktur bei amyo- trophischer Lateralsklerose werden nach Bornstein und Sänger?) keine Aktionsströme erzeugt; die Steffwechselsteigerung vermisste Grafe1P) bei spastischer Spinalparalyse und bei Katatonie, Born- stein) bei den starken Beugerkontrakturen eines Hydrocephalen, Roaf!?2) bei der experimentell erzeugten Enthirnungsstarre. In letz- 1) Siehe besonders Piper, Zeitschrift für Biologie Bd. 50 S. 393. 1908 und Arch. für Physiologie. 1909 S. 491. Garten, Zeitschr. für Biologie. Bd.'59 8. 29.1910: 2) A. Fröhlich und H. H Meyer, Zentralblatt f. Physiol. Bd. 26 S. 269. 1912. 3) Liljestrand und Magnus, dies Arch. 176, 168. 1919. ; 4) Semerau und Weiler, Zentralbl. f. Physiol. Bd. 33 8. 69. 1918. 5) A. Fröhlich und H. H. Meyer,l. cc. 6) Bethe, dies Arch. Bd. 142 S. 291. 1911. 7) Parnas, dies Arch. Bd. 134 S. 441. 1910. 8) A. Fröhlich und H. H. Meyer, Arch. f. experm. Pathol. Bd. 79 S. 55. 1915. 9) Bornstein und Sänger, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde Bd. 52.8.1. : 1914: 10) Grafe, Deutsches Arch. f. klin. a Bdr102.S. 13. 19H 11) Bornstein, dies Arch. Bd. 174 S. 352. 1919. 12) Roaf, Quarterlv Journal of een. Physiology vol.5 p. 31. 1912; vol. 6 p. 39. 1913. Ein Verfahren zur Demonstration der Aktionsströme. 311 ‚terem Falle wurden freilich von Buytendyk!) andauernde, schwache Aktionsstromwellen mit dem Saitengalvanometer festgestellt. Ich untersuchte mit der Verstärkerröhre folgende Fälle: a) Spastische Kontraktur nach Apoplexie: Vor zwei Jahren rechtsseitige Hemiplegie, infolgedessen starke Beugerkontraktur in Hand- und Fingermuskeln; die Hand kann nur gegen starken Wider- stand passiv geöffnet werden, wobei die schon vorher gespannte Unter- armmuskulatur sich noch stärker anspannt. Arm und Hand sind nicht atrophisch; auf faradische Reizung des Nervus medianus erfolgt kräftiger Schluss der Hand. Ableitung vom rechten Unterarm volar: kein Geräusch; bei passiver Öffnung der Hand ziemlich lautes Rascheln, aber nicht so stark wie bei willkürlicher Innervation links. Wird links willkürlich die Kontrakturstellung eingenommen, so hört man anhaltendes Rascheln. b) Spastische Lähmung nach Encephalitis: Erkrankung vor mehr als 20 Jahren. Linker Arm in starkem Spasmus der Flexoren und Extensoren, Biceps kräftig vorspringend, Oberarm muskulöser als auf der normalen Seite. Ableitung vom Oberarm: leises, abgesetztes Rauschen, vielleicht in Zusammenhang mit leichten Zitterbewegungen des Vorderarms und besonders der Hand. Unter Nachhilfe mit dem gesunden Arm kann der kranke im Ellbogen ein wenig gebeugt werden, wobei der Biceps sich stärker wölbt; das Geräusch nimmt dabei zu. c) Katatonie: Seit 14 Monaten in der Nervenklinik. Äusserst abgemagert; trotz reichlicher Nahrungsaufnahme sinkt das Körper- gewicht andauernd. Ausgesprochene Flexibilitas cerea. Ableitung vom Vorderarm volar: hängt der Arm in Ruhestellung herab, so ist nichts zu hören. Bei Flexionsstellung in Hand- und Finger- gselenken anhaltendes Rauschen, ebenso bei starker Dorsalflexion der Hand, während bei mittlerer Stellung nichts zu hören ist. Ableitung vom Oberarm: Hebung in der Schulter und Beuguns im Ellenbogen bewirkt Rauschen, aber leiser als bei Ableitung vom Unterarm; der Arm sinkt während des Haltens langsam herab. Bei hängendem Arm: Ruhe. Elektrische Reizung des Nervus medianus mit 70—160 Schwin- gungen: Flexion in Ellenbogen und Hand und lauter, brummender Ton. Diese wenigen Beobachtungen lehren, dass die spastische Kon- traktur nach Apoplexie in Fall a (vielleicht auch in Fall b) anscheinend nicht von Aktionsströmen begleitet ist, während in dem Fall von Katatonie die Spasmen offenbar Tetani sind, womit die fortschreitende / 1) Buytendyk, Zeitschr. f. Biologie Bd. 59 S. 36. 1913. 312 Rud olf Höber: Ein Verfahren zur Demonstration der Aktionsströme. Abmagerung gut übereinstimmen würde. Leider konnte ich die Unter- suchungen: nicht weiter fortsetzen, da mir die Apparatur nicht länger zur Verfügung stand. Zusammenfassung. l. Mit Hilfe von Verstärkerröhren lassen sich die mit einem Telephon eben hörbaren Aktionsstromschwankungen von Muskeln und Nerven so verstärken, dass sie mehrere Meter weit wahrgenommen werden können. 2. In Übereinstimmung mit Bernstein und Schönlein und mit Wedensky wird gefunden, dass bei Erregung mit Wechselströmen die Periode der Aktionsströme bei Froschmuskeln bis zur Frequenz von 200-250, bei Säugetiermuskeln bis zu etwa 1000 Schwingungen mit der Periode des Erregers übereinstimmt. Bei höherer Frequenz vernimmt man dagegen statt des Tons ein Geräusch. Eben solch ein Geräusch ist auch bei reflektorischen und bei willkürlichen Kontrak- tionen von den Muskeln abzuhören. 3. Der Froschnerv folgt der Periode des Erregers bis über 850 Schwin- gungen hinaus, seine geringere Ermüdbarkeit äussert sich in der Dauer- haftigkeit der Schwingungen bei längerer Reizung. 4. Während der posthemiplegischen spastischen Kontraktur werden anscheinend keine abhörbaren Aktionsströme erzeugt, wohl aber bei der Starre des Katatonikers. Nachtrag. Es gelingt mit Hilfe der Elektronenröhren auch, die Herztöne einem grösseren Auditorium zu demonstrieren. Leitet man den Strom, welcher ein von den Herztönen erregtes Mikrophon passiert, durch den Verstärker und setzt auf das Telephon einen Schalltrichter, so hört man weithin deutlich den Rhythmus, ebenso eine eventuell vorhandene Arythmie und die Akzentuierung des ersten oder zweiten Tones; in einem Fall liess sich auch ein präsystolisches Geräusch ganz gut demonstrieren. Leider störten bisher starke Nebengeräusche die feinere Beobachtung. Ich werde jedoch sobald als möglich versuchen, die Methode zu vervollkommnen. 2 3 Bi ! ' Autorenverzeichnis. Abderhalden, Emil, Beobach- tungen zur Frage der morpho- logischen und funktionellen Asym- metrie des menschlichen Körpers. S. 213. Dusser de Barenne, J. G., Über den Einfluss der Blähung der einen Herzkammer auf die Tätigkeit der anderen. S. 217. Eckstein, A,., Weitere Unter- | ! | 1} | Kahn, Prof. Dr. R. H., Beiträge zur Lehre vom Muskeltonus. I. Über den Zustand der Muskeln der vorderen Extremitäten des Frosches während der Umklammerung. S. 294. Klinger, R. Versuche über den Einfluss der Hypophyse auf das Wachstum. S. 232. ' Liljestrand,G.,„vanderMade,M., suchungen zur tierischen Hypnose. | Über Muskeltonus, Dauer und Ein- tritt des hypnotischen Zustandes sowie über die Reflexerregbarkeit während desselben. S. 38. Frey, Prof. Dr. med. Ernst, Das Gesetz der Abwanderungintravenös injizierten Stoffes aus dem Blute | und seine Verteilung auf Blut und | Gewebe. S. 110. Frey, Prof. Dr. Ernst, Das Gesetz der Sekretion der Nierenepithelien. Ein Beitrag zur Lehre von der os- motischen Arbeit der Niere. XIV. S. 157. Hess, C., Über Lichtreaktionen bei | Raupen und die Lehre von den tierischen Tropismen. S. 57. Höber, Rudolf, Ein Verfahren zur Demonstration der Aktionsströme. S. 305. und Storm van Leeuwen, W.. Zur Konzentrationswirkungskurve des Skopolamins. S. 269. Mangold, E., und Eckstein, A., Die Reflexerregbarkeit in der tie- rischen Hypnose. S. 1. Storm van Leeuwen, W. und Le Heux, J. W., Uber den Zu- sammenhang zwischen Konzen- tration und Wirkung von ver- schiedenen Arzneimitteln. S. 250. Storm van L eeuwen, W., und van der Made, M. Über den Synergismus von Arzneimitteln. IV. Mitteilung: Skopolamin-Mor- phin. S. 276. Trautmann, Privatdozent Dr. Alfred, Die Milchdrüse thyreo- priver Ziegen. S. 239. Tschermak, A., Nachtrag zu meiner Abhandlung: „BioelektischeStudien an der Magenmuskulatur“. S. 304. Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co. in Altenburg. ES He Saar vu“ = er sn Ei = 2 > z De eo Se en BUT SE WEEZE Be er we BI ee Ce ä Ex ne i En. = 2 SB, ee IE ee 2 = = SER : a Hr : 5 SEE EB BA ee ie > en Bere Me I EB N ee EN > SE ER BE Be x ee w BR > er Se 7 ee Ku 3 En Hei a in . N . Aueh H CArN 1 a * ii s I Me ) Be nen I 3 ra ee et Pa . -F- Fe u z ee N Te ea Se 2a en ER 33 nt )# Mans) Ai BETEN Fe RR ch KR ale RE BONES “ u . . KM Kalt MN RE Ri RE Braune SL RR Era rs A % ! r% ER ER Be Bun \ Ni Auen .\ N in ni Ha Ra RR >> - SE . Eee * Air N Ai DR N Bu \ a HORSE HICH k NR . ale H 4% “. “ % } ! [ N Fi uote GERELDER RN * Eee In ar Kr * en RR) “% Bi . LAG N ralan N ni Bier c* ala , \ “ ei Kate Y 18 a Baur dan in . Bahn \ . #4 eS N: A \ N | ara eR N i | hi . . Ai Masaette RRach BENRIRRERRRRRN ER „ i Rn \ je N Kit ‚a ah Ra ie ! IHN, ee SR . RER en EN u u rn Koch RR jare ira na AIR I ne 2et4 Tatir men? AN, 4 2 er. t al 0% EN dans Hal) Oiatatl BR # u Wr. BR) RR an A RR Bi „ N f Ku RS ER are . # f ik Ts En u a n RR Ri iahe Dy & tun N “ un ae Hin „. 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