nl, " at I N “um “ RT ee ar.” ware, EN, MR #7 4° „ EN Hure . » ” Hr \ arahrah art ai 4 Pi io RE “ EIER RE RR RR betr RTLRLATLRT DERPLRT EN ws aNaresıe “”, Arie wre PR Ge E Yayr insbe ie Pe F Be m ET ge ne Fe eg nn ne Be Di ee PFLÜGER® ARCHIV FÜR DIE GESAMTE PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER TIERE HERAUSGEGEBEN VON E. ABDERHALDEN A. BETHE R. HÖBER HALLE A. 8. FRANKFURT A. M. KIEL 185. BAND MIT 77 TEXTABBILDUNGEN a BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER Ä 1920 i aa = 2 N Er : | RR | | | Be NE Re AR E 2) 5 . ‘ eo \ ws E) | ; an ex i Di er \ a m Die e e { : f : ' Sr re 32 a h # - a E3 | Druck der ' x ‚ j ’ d r i b 2 we de) x \ ü f L ß F . ' D ’ k g .r 5 * wi u I f D > b he F = \ aA ' . e ie eu; w' A er Inhaltsverzeichnis. v. Buddenbrock, W. Über das Vorkommen von Tonusmuskeln ber Insekten Handovsky, Hans. Bemerkungen zu der Arbeit von S.M. Neuschlosz: „Die - kolloidehemisehe Bedeutung des physiologischen Ionenantagonismus und der äquilibrierten Salzlösungen“. (Mit 2 Textabbildungen) ..... Meyerhof, Otto. Die Energieumwandlungen im Muskel. III. Kohlenhydrat- und Milchsäureumsatz im Froschmuskel. (Mit 1 Textabbildung) = Weil, Arthur. Geschlechtsspezifische Wirkungen von Keimdrüsenextrakten. INES VexEinn dungen Te er ee Schäffer, Harry. Beiträge zur Frage der autonomen Innervation des Skelettmuskels. 1. Über die Tiegelsche Contraetur beim Menschen. WE Wextchbilduuepupe 3. Fa sn Nr Steinhausen, Wilhelm. Die Elektronenröhre als großer "reränderlicher Widerstand: Mae Rextahbiklung) U. VE Br 2-2...» Stübel, Hans. Die Wirkung des Adrenalins auf das in der Leber ge- speicherte” Eiweiß. (Mit 3 Textabbildungen) . ......2.... Amsler, €. Über inverse Adrenalinwirkung. (Mit 5 "Textabbildungen) Mittelmann, Bela. Von der stichartigen Mitempfindung. (Mit 4 Text- EN TEEN ET A EEE EEE Rothlin, E. Über die Einwirkung des -Milzextraktes (Lienins) auf die Tatickeit des Froschherzens in situ und des isoliert durchströmten Säugetierherzens. (Mit 6 Textabbildungen) . .. 2. .2.2..2..2.. Hess, W. R., und R. Gundlach. Der Einfluß des Adrenalins auf die Sekretion des Magensaftes. (Mit 11 Textabbildungen)$. .-..... — — Der Einfiuß von Hypophysenextrakt auf die Magensaftsekretion. IN SaBeztahbiitlumpeny 3 cn ac a N re Abderhalden, Emil, und Ludwig Sehmidt. Weitere Beiträge zur Kemt- nis von en Nahrunesstoffen mit spezifischer Wirkung . : v. Hess, (C. Die Rotgrünblindheiten. (Mit 3 Textabbildunsen) ...... Kreidl, A.. und $S. Gatseher. Physiologisch-akustische Untersuchungen. I. Mitteilung. Zur Frage der Entstehung zentraler Schwebungen . Ebbecke, U. Der farbenblinde und schwachsichüge Saum des blinden Flecks — Uber das Augenblicksehen. Mit einer Bemerkung über rückwirkende ENT en ee a a ne ee er aschenann Bhmmerkchen 5.1.00. Kenn Collander, Runar. Versuche zum Nachweis elektroosmotischer Vorgänge BendergPlasuinlyse en 0 Rn ae EL a rn Kolm; Richard, und Ernst P. Piek. Über die Bedeutung des Kaliums E = die Selbststeuerung des Herzens. (Mit 5 Textabbildunsen) .. . Kürten, H. Die Senkungsgeschwindiekeit der roten Blutkörperchen in ihrer Beziehung zu Cholesterin und Lecithin. (Mit 15 Textabbildungen) Gellhorn, Ernst. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Spermatozoen. Sn AL FIRE N TR EB ETF 1 Et 2 v. Hess, C. Die Bedeutung des Ulträviolett für die Lichtreaktionen bei Bicdersabeen Een e Dnlena: 2 SR te: Jordan, Hermann, und Bea Schwarz. Einfache Apparate zur Gas- analyse und Mikrorespirometrie in bestimmten Gasgemischen und über die Bedeutung des Hämoglobins beim Regenwurm. (Mit 2 Textabbil- EINE, Se ea EN EEE 3. SER E Abderhalden, Emil. Der körper-, blut- und zellfremde Zustand ....... ET CH Ge a ee SE Autorenverzeichnis Se DE ES N er N NE Seite f [ h Vera ur Über das Vorkommen von Tonusmuskeln bei Insekten. Von W. v. Buddenbrock. (Aus dem Zoologischen Institut der Universität Berlin.) (Eingegangen am 10. Juli 1920.) Die vorliegenden Zeilen sind ein Ausschnitt aus einer umfangreicheren Arbeit über den Gasstoffwechsel der Stabheuschrecke Dyxippusmoro- sus, die später an anderer Stelle erscheinen wird. Es sollen hier nur einige Experimente kurz erwähnt werden, die allgemeineres physiolo- gisches Interesse beanspruchen dürften. Dyxippus verharrt tagsüber in einem kataleptischen, bewegungs- losen Zustand. Bei demselben sind gewöhnlich alle Beine dicht an den Leib geschmiest, das Tier hängt, durchaus die Form eines Pflanzen- stengels annehmend, im Geäst. Legt man es in diesem Zustand auf den Tisch, so sind wie beim ruhenden Menschen alle Teile des Leibes der Schwerkraft entzogen (Starrelage). Es gelinst nun aber leicht, das Tier in einen sogenannten Starrestand zu versetzen. Hierzu ist nur nötig, dasselbe kurze Zeit zu erwärmen (40°), dann erwacht es, kriecht einige Schritte, und erstarrt von neuem, nun aber derart, daß der Leib 1—2 em vom ‘Boden entfernt von den sechs Beinen getragen wird. In diesem Zustand verharrt das Tier stundenlang, anscheinend ohne zu ermüden. ’ Die Frage liegt nahe, ob in diesem Starrestand, ein Mehrverbrauch von Energie eintritt, wie dies normalerweise beim Wirbeltiermuskel der Fall ist, wenn er dauernd ein Gewicht trägt, oder ob die Muskeln des Insekts als Tonusmuskeln im Sinne Bethes!) und Paulis?) funktio- nieren, d. h. in einer Dauerverkürzung verharren, welche von keiner te- tanischen Erregung begleitet ist, sondern einen Zustand der Ruhe dar- stellt. Die experimentelle Lösung dieser Frage ist möglich durch Ver- gleichung des Stoffwechsels des gleichen Individuums 1. in Starrelage, 2. in Starrestand. Es wurden hierzu zwei gänzlich verschiedene Metho- den angewandt. Einmal wurde die direkte Gewichtsabnahme der Ver- suchstiere, welche*dem Stoffwechsel proportional ist, mit Hilfe der 1) Die Dauerverkürzung der Muskeln. Arch. f. d. ges. Physiol. 14%. 1911. DE Barulı, Über den Zusammenhang von elektrischen, mechanischen und chemischen Vorgängen im Muskel. Kolloidehem. Beihefte III. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 185. 1 2 W. v. Buddenbrock: Mikrowage von Kuhlmann festgestellt. Zweitens wurde die Sauerstoff- aufnahme des Insekts mit Hilfe des Mikrorespirometers von Krogh . volumetrisch bestimmt. Beide Methoden ergaben übereinstimmend, daß der Stoffwechsel im Starrezustand um keine Spur größer ist als in der Starrelage. I. Versuche mit der Mikrowage. Versuch la. Tier im Starrestand, nur die Spitze des Hinterleibes liegt der Bodenfläche auf. Nr. | a Zeit | en | Br Bemerkungen 1 | 1,9060 10h 14’ 20,1 | 60 Das Tier ruht auf einer Glimmer- 2 ı 1,9049| 10539 | 20,1 | 59 platte vom Gewicht 1,07195. 3 1,9041 11200° | 20,1 | 585 | Das Anfangsgewicht d. Insekts beträgt 4 1,9033 1120° | 20,1 585 .| somit 1,9060 — 1,07195 = 0,83405. 5 1,9025 11 42° | 20,1 | 58,5 | Der Leib sinkt zwischen Messung 1 6 | 1,9021 11h 50° 20,1 | 58,5 | und 5 immer tiefer, wird aber stets 7 | 1,9012) 12h12° | 20,1 59 | von den Beinen getragen. Nach 8 | 1,9003 12h 36’ 20,1 59 Messung 5 wird das Tier künstlich | wieder aufgerichtet, hierauf Mess. 6. 1-8 | 0,0057 |2Std. 22Min. - | u Das Tier hat also in 142 Minuten um 5,7 mg abgenommen, durch Wasserverdunstung und Gaswechsel. Dies bedeutet eine stündliche Abnahme von 0,00240 g. Versuch 1b. Das gleiche Tier. aber in Starrelage, mit an den Leib geschmiegten Beinen. Nr. || st Zeit Ir | er Bemerkungen ı| 1,8952 |sn #-| 20,1 | 58 2 1,8940 |3n29° | 20,1 59 3 1,8929 Ei 54’| 20,1 59 Zwischen 3 und 4 Kotentleerung. 4 [1,8907] 14h24’| 20,1 | 60 Kot wird entfernt, neue Messung 5. 5| 1,8853 |4n33’| 20,2 | 60 Messung 4 wird nicht berück- 6|| 1,8846 |4h527| 20,2 | 59 sichtigt. 7|| 1,8838 |5h16| 20,2 | 59 Zwischen 7 und 8 Kotentleerung. Ver- 8 [1.388231 5130 | 20.2 | 60 fahren wie oben. Messung 8 wird 9 T STE | a 902 | 60 nicht berücksichtigt. 10) 1,8767 |6n 97| 20,2 | 60 11 - 1,8759 | 6%307 | 20,27°°60 Das Tier hat in 136 Minuten 5,4 mg abgenommen, pro Stunde 0,00238 g. Der Unterschied zwischen la und 1b beträgt pro Stunde 0,02 mg und liegt innerhalb der Fehlergrenzen der Beobachtung. co Über das Vorkommen von Tonusmuskeln bei Insekten. Versuch 2. A. Starrestand. Der Körper ist horizontal gerichtet und ruht nirgends i dem Boden auf. Gewicht 7 Temp. | Feuch- Nr. “ Zeit | og tigk. % = | 2,0472 | 9h59’40” | 19,7 65 2,0462 10520’ 19,6 64 2,0452 |10540’30” | 19,7 63 2,0442 |11h 1730| 19,7 63 | 2,0432 |11%23’7 ley7 63 Gewichts-Abnahme 0,0040 g in 83'207 HKwbwe \ B. Starrelage, auf dem Rücken ruhend. Nr. er Zeit aa EN l 2,0429 |11%27’50”| 19,7 | 63 2 2,0419 |1147’20”| 19,7 62,5 3 2,0409 |12h 8740” | 19,7 62 4 2,0398 |125 30750” | 19,8 61 5 2,0389 |12449’30” | 19,8 61 Gewichts-Abnahme 0,0040 g in 81’40” In diesen Versuchen erscheint der Stoffwechsel des unbelasteten Tieres sogar um 2%, größer als der des belasteten, indessen dürfte auch diese Differenz zu vernachlässigen sein. Versuch 3. Das Tier befindet sich beidemal in Starrelage; bis 11% 26’ ist es ohne jede Belastung; um diese Zeit wird es über die Wagschale vorgezogen, so daß die Vorderbeine frei vorragen; an dieselben wird in Höhe der Femur-Tibiagelenke ein Gewicht von 0,12 g angehängt, das also von den ausgestreckten Beinen eine Stunde lang frei getragen wird. Feuch- Nr. a Zeit aaa tigk. % | Bemerkungen 1| 5,7170 10h22° | 19,2 | 59 2 5,7160 10543’ | 19,4 Se ohne Belastung 3 5,7150 Bm 54.1 1944|) 59 4 5,7140 1126° | 194 | 59 5 5,7130 11247° | 19,5.| 59 6 5,7120 ars 1915659, mit Belastung 7 5,7110 121253022) 19,50 \0:59 Berechnung ohne Belastung: Gewichtsabnahme 3 mg in 64 Minuten ; mit Belastung: Gewichtsabnahme 3 mg in 64 Minuten. Das Gewicht des. Tieres beträgt am Schluß des Versuches 1,17640 e. Es ist vielleicht nicht unnütz, mit den hier gewonnenen Resultaten die Gewichtsabnahme zu vergleichen, die eintritt, wenn das Insekt wirkliche Arbeit leistet, indem es läuft. Man kann die Stabheuschrecke 1 4 W. v. Buddenbrock: in sehr einfacher Weise zum dauernden Laufen zwingen: Man enthirnt sie, dann erlischt der Starrezustand und die vom Gehirn normalerweise ausgehende Hemmung: Das Insekt läuft dauernd umher, hält es an, so ist es durch die geringfügiste Reizung zur Fortsetzung seines Marsches zu veranlassen. Natürlich muß die Wunde luftdicht verschlossen. wer- den, so daß keine Verdunstung von ihr ausgehen kann. Ich bringe als Beispiel nur einen derartigen Vergleichsversuch.. Das Tier wird aller halben Stunden eingefangen und in einem Drahtgehäuse ge- wogen. Anfaugsgewicht des Tieres 0,9318 g, Gewicht des Drahtgehäuses 4,0776 g. Gewicht : Temp. | Feuch- £ zeit °C |tigk.% 5,0094 9140’ 18,4 60 5,0006 |! 10515’ 18,4 61 4,9955 10448’ 18,4 61 4,9901!) 11417’ 18,4 61 4,9863 1151830” 18,4 61 4,9789 11552’ 18,4 61 4,9737 12h27’ 18,5 60 Gew.-Abn. 0,0357 167° davon Kot 0,0038 Gew.-Abn. d. Atmung 0,0319 Das andauernd auf dem Tisch herumlaufende Tier verliert also an Gewicht pro Stunde 0,0115 g. Das ruhende von etwa gleichem Gewicht nimmt pro Stunde nur um 0,0024—0,003 g ab. Der Einfluß des Herum- laufens ist also ein außerordentlicher, er steigert die Gewichtsabnahme um das 3- bis 4fache. Wenngleich ein Teil dieser Steigerung auf ver- mehrte Wasserverdunstung infolge der Bewegungen zurückzuführen ist, scheint mir der Einfluß der Muskelbewegung und des gesteigerten Gaswechsels immerhin hieraus mit einiger Sicherheit hervorzugehen. Wäre beim Starrestand von einer Muskelanstrengung irgendwie die Rede, so müßte sie, nach diesem Befunde am herumlaufenden Tiere zu urteilen, in der Gewichtsabnahme sehr deutlich in Erscheinung treten. II. Volumetrische Bestimmung der Sauerstoffaufnahme nach Krosh. Bezüglich der Apparatur sei auf die Originalarbeit Kroghs?) verwiesen. Als Tierbehälter diente ein rechteckiges Glasgefäß mit aufgeschliffenem Glas- deckel von 200 cem Inhalt. Das Ausgleichgefäß war von gleicher Größe. In den Tierbehälter wurden drei Tiere gebracht, einmal in Starrelage, das andere Malin !) Kurz vor dieser Messung erfolgte eine Kotabgabe. Der Kot wird auf- gefangen, sein Gewicht zu 0,0038 g bestimmt. ®) Krogh, Ein Mikrorespirationsapparat und einige damit, angeführte Versuche über die Temper-Stoffwechselkurve der Insektenpuppen. Biochem. Zeitschr. 62. 1914. : * Über das Vorkommen von Tonusmuskeln bei Insekten. 5 Starrestand, außerdem ein Schälchen mit Natronkalk zur Absorption der Kohlen- säure. Das Steigen der Flüssigkeitssäule (0,5 mm ©) in dem zum Tierbehälter gehörigen Manometerschenkel gibt ein direktes Maß für den O,-Verbrauch an, kann also unmittelbar zum Vergleiche des Stoffwechsels in Starrelage und Starre- stand benutzt werden. Versuch I. Temp. 23,5° C. Starrelage Starrestand 11625 | 145,8 145,8 ss de 146 35 152,6 45 152,9 45 157,6 55 157,4 55 163,6 2h 05’ 163,6 12h 05° 169,6 | 15 169,9 | das Manometer steigt um 0 = 23,3 mm 0 = 23,9 mm Versuch II. Temp. 15,1°C. Starrelage Starrestand 10h 31° 146,4 146,4 9 00’ 146,4 146,4 35 148,8 5 148 40 150,2 10 150 45 152,2 15 152,5 50 154,3 20 154,5 55 156,3 25 156,5 115 00° 158,3 30 158,5 DR 160,3 35 160,5 10 162,3 40 162,5 15 164,3 45 164,5 0 = 17,9 mm in 44’ 0 = 18,1 mm in 45’ — 18,3 mm in 45° Man ersieht aus beiden Versuchsreihen, daß bezüglich der O,-Auf- nahme des Tieres zwischen Starrelage und. Starrestand nicht der ge- ringste Unterschied ist. Die tatsächlich beobachteten Unterschiede sind so geringfügig (1:228 in Versuch I, 2:181 in Versuch II), daß sie . innerhalb der Fehlersgrenzen bei der Ablesung fallen. Diese Beobachtungen mit den anderen zusammengehalten, die wir an der Mikrowage erhalten haben, ergeben somit das sichere Resul- tat, daß bei Dyxippus, allgemeiner gesagt bei den Insekten Dauer- kontraktionen der Muskeln vorkommen, die nicht mit einer Erhöhung des Stoffwechsels verbunden sind, folglich nicht als tetanische Er- regungen aufgefaßt werden können, sondern als ein Ruhezustand, be- dingt wahrscheinlich dadurch, daß die durch den Reiz gesetzte Muskel- verkürzung nach dem Aufhören des Reizes so lange bestehen bleibt, bis ein andersgearteter ‚„Erschlaffungsreiz‘‘ die Verkürzung wieder auf- hebt. Der Insektenmuskel wäre demnach definitionsgemäß als Tonus- muskel anzusprechen. 6 W.v. Buddenbrock: Über ‘das Vorkommen von Tonusmuskeln bei Insekten. Das sonstige Vorkommen tonischer Dauerkontraktionen bei Insek- ten läßt sich in vielen Fällen mit großer Wahrscheinlichkeit von der Biologie dieser Tiere ablesen. Genau wie Dyxippus dürften sich z. B. die bekannten Spannerraupen verhalten, die tagsüber steif wie ein Zweig meist in einer Haltung dasitzen, die .eine dauernde Kontraktion gewisser Muskeln und gleichzeitiges Tragen der Körperlast zur Vor- aussetzung hat. Es wäre sehr unökonomisch, geschähe dies auf Kosten _ eines vermehrten. Stoffwechsels. Ähnliche Fälle sind nicht selten, nur beachtet man sie gewöhnlich nicht, weil die Erscheinung materiell zu geringfügig ist. Die Schlafstellung der meisten Insektenimagines, z. B. der Stechmücke, der Fliege, Schmetterlinge usw. ist keineswegs eine Ruhelage in unserem Sinne, bei welcher Körper und Glieder der Schwerkraftswirkung entzogen wären: fast stets tragen die Beine während des Schlafs den Leib. Hier überall kann man tonische Dauer- kontraktionen erwarten. Tonusmuskeln sind bis jetzt bekannt geworden von Mollusken [durch Parnas!)], von Säugetieren durch Meyer und Fröhlich?) und durch Roaf?), schließlich hier von Arthropoden. Es können also auch die frequentesten quergestreiften Muskeln als Tonusmuskeln reagieren. Die von F.W. Fröhlich ®) aufgestellte Behauptung, die tonische Dauerver- kürzung sei eine Spezialität langsam reagierender, also glatter Muskeln, weil sie schon schwache und wenig frequente Reize zu einem vollkomme- nen Tetanus summieren könnten, ist also sicherlich unrichtig. Das Vorkommen solcher Dauerverkürzungen am Insektenmuskel scheint mir ein neuer Beweis für die von Bethe, Pauli und zahlreichen an- deren Autoren vertretenen Ansicht zu sein, daß tetanische und tonische Verkürzung zwei grundsätzlich verschiedene Erscheinungen sind. 1) Parnas, Energetik glatter Muskeln. Arch. f. d. ges. Physiol. 134. 1910. ®2) Fröhlich und Meyer, Untersuchungen über die Aktionsströme anhaltend verkürzter Muskeln. Zentralbl. f. Physiol. 26. 1912. ®2) Roaf, H. E., The influence of muscular rigidity on the oxygen intake of decerebrate cats. Quarterly Journ. of experim. Physiol. 6. 1913. *) Handwörterbuch d. Naturwissenschaften. Bd. 6. F.W. Fröhlich. Muskeln (allgemeine Physiologie der Muskeln). Bemerkungen zu der Arbeit von 8. M. Neuschlosz: „Die Kolloid- chemische Bedeutung des physiologischen Ionenantagonismus und der äquilibrierten Salzlösungen‘“. Von Hans Handovsky, Halle a. d. S. Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 25. Juli 1920). In drei Arbeitenim 181. Band dieses Archivs hat Herr Neuschlosz reichliches experimentelles Material für die Frage des Ionenantagonismus geliefert. Er unterscheidet dabei einen einfachen Antagonismus von an sich einzeln gleichsinnig wirkenden Ionen, wenn sie in einem Ionen- gemisch zur Wirkung gelangen, und eine Äquilibrierung der Ionen- wirkung, bei der ‚‚die Salze sich so verhalten, als ob sie gar nicht da wären‘, bei der also die Kolloide in dem gleichen Zustand sein sollen wie in destilliertem Wasser. Ich würde nun, ohne einstweilen eigene Experimente veröffentlichen zu können, wenn ich auch den theoretischen Erklärungsversuchen des Herrn Neuschlosz kaum beipflichten kann, hier zu diesem Thema nicht Stellung nehmen, wenn nicht eine biologisch sehr wichtige Frage eine Kritik — meiner Meinung dach — unbedingt erforderte. Herr Neuschlosz behauptet nämlich, bei der Beeinflussung der Oberflächen- spannung des Lecithins und bei der Hypotoniehämolyse eine Aufhebung der Na-Wirkung durch K und der K-Wirkung durch Na, so wie es Loeb bei der Entwicklung der Funduluseier beobachtet hat, in dem Konzentrationsverhältnis 20 :1, also 1 Na durch !/, K und IK durch !/,, Na, beobachtet zu haben. Das wäre ja nun tatsächlich eine biologisch ungemein wichtige Tatsache, wenn der Antagonismus . zweier Ionen bei der Zustandsmessung einer (willkürlich gewählten) Biokolloidemulsion, bei einer Beeinflussung von roten Blutkörperchen und bei einer andersartigen Beeinflussung von Funduluseiern quan- titativ übereinstimmte. Ich glaube, hier kurz aus dem Versuchs- material des Herrn Neuschlosz darauf hinweisen zu dürfen, daß dieses Verhältnis > oder nn für die Beeinflussung der Ober- flächenspannung seiner 1proz. Lecithinemulsion sicher unbegründet, fast sicher ein Irrtum ist. 8 H. Handovsky: Herr Neuschlosz hat in allen seinen Versuchsserien mit dergleichen ° Gesamtsalzkonzentration gearbeitet, obwohl sich ja aus früheren und seinen eigenen Versuchen deren Bedeutungslosigkeit für den Zustand der Kolloide in Salzgemischen ergab; dadurch sind in allen seinen Ver- suchen stets die Konzentrationen beider Ionen verändert und ein direkter Vergleich der die Oberflächenspannung erniedrigenden Wirkung des einen Ions auf den durch das andere Ion hervorgerufenen Zustand‘ des Kolloids unmöglich. Ich habe darum die Versuche, wie unten be- 94 93 4 NWacl alleın O1n Call, schrieben ist, umgerechnet und dann in Kurven zur Darstellung ge- bracht. Ich möchte zunächst die Ionenkombination Na : Ca besprechen (vgl. Abb. 1). Die Versuche wurden aus Tab. III auf S. 26 der erwähnten Arbeit auf die in jedem einzelnen Versuch faktisch vorhandenen Na- und Ca-Konzentrationen umgerechnet und alle jene, bei denen die gleiche Ca-Konzentration verwendet wurde, in eine Tabelle eingetragen und aus dieser in Abb. 1 dargestellt. Für die Beeinflussung der wässerigen Lecithinemulsion durch eine Kombination von NaCl und CaCl, ist es Herrn Neuschlosz, wie für andere Kolloide schon anderen Autoren!), gelungen, eine vollkommene Aufhebung der Na-Wirkung durch Ca, eine totale Äquilibrierung, !) So hat diese Abb. 1 z. B. eine geradezu verblüffend weitgehende Ähnlichkeit mit der von Pauli und Handovsky, Biochem. Zeitschr. 24, 245 (1910) über die Beeinflussung der Hitzegerinnung von NaOH-Eiweiß durch CaCl,, wo allerdings andere qualitative und quantitative Verhältnisse vorliegen. Vgl. überdies die ausführliche Darstellung Höbers in seiner Physikal. Chemie der Zelle u. Gewebe, 4. Aufl. 1914, S. 529#f. Bemerkungen zu der Arbeit von S. M. Neuschlosz, 9 nachzuweisen. Unleugbar wertvoll ist der meines Wissens zum ersten- mal erbrachte Hinweis, daß diese bei einem Konzentrationsverhältnis Na :Ca = 20 :1 und nur bei diesem zustandekommt. Die Salzionen- Kolloidverbindung hat bei diesem Ionenverhältnis dieselbe Oberflächen- spannung oder — die Oberflächenspannung ist hier wohl ein Maß für die Hydratation des Kolloids — denselben Hydratationsgrad, wie die Leeithinemulsion in destilliertem Wasser; ein Überwiegen des einen oder des anderen Ions steigert die Oberflächenspannung der Verbindung wieder; da wir es hier somit mit einem Minimum zu tun haben, hängt der Hydrationsgrad bei anderen Verhältnissen beider Kationen nicht einfach mit dem Konzentrationsverhältnis der beiden Ionen zusammen, so daß z.B. das Lecithin in ee die gleiche Oberflächen- 0,005 n Ca 0,015 n Na ee ca 0,004 n Na OolEmcı ı, Koomea InNa 0,01n Ca Konzentrationen, die ‚hier nicht zur Darstellung gebracht werden konnten, kommt es somit oft zu einer mitunter beträchtlichen Poten- zierung der Wirkung beider Ionen; wenn das eine Salz durch seine Konzentration an sich schon stark zustandsändernd wirkt, imponiert diese aus der Abbildung ersichtliche Gesetzmäßigkeit in breiten Inter- vallen als mehr minder beträchtlicher, in jedem Falle bei dem er- wähnten Ionenverhältnis maximaler Antagonismus. Die Zustandsemp- findlichkeit der Salz-Kolloidverbindung ist somit für andere, chemisch nahestehende, Ionen überaus groß, so daß z. B. ein Zusatz von 0,25 nNaCl zu 0,25 n NaCl-Leecithin die Oberflächenspannung kaum ver- ändert, was ein Zusatz von 0,25 nCaCl, oder KCl zu dem gleichen NaCl-Leeitihin jedoch in beträchtlichem Ausmaß vermag. Man wird hier daran erinnert, daß Erden, Kohlen, Gewebe u. dgl. von irgend- einem Salz z. B. mehr binden können, wenn sie bereits von einem andern etwas gebunden haben!). Keineswegs so übersichtlich ist auf Grund der vorliegenden Versuche die Einwirkung von NaCl-KCl-Kombinationen auf die Oberflächen- spannung der Lecithinemulsion (vgl. Abb. 2). Infolge der eigentümlichen Versuchsanordnung kann hier von einer Äquilibrierung, oder auch von einem „maximalen“, „optimalen“ Ant- agonismus nicht gesprochen werden, wenigstens. an der Hand der vor- liegenden Versuche nicht mit Sicherheit. Das optimale Konzentrations- spannung hat, wie in einer (extra- poliert) die gleiche wie in einer - Mischung. In niedrigen EN K verhältnis 7 und. liest hier wohl bloß deshalb bei en, weil die 1) Vgl. die interessanten Ausführungen van Bemmelens zu diesem Thema in „Die Absorption‘ (Dresden 1910), S. 441 ft. 10 H. Handovsky: Bemerkungen zu der Arbeit von 'S. M. Neuschlosz. Versuche nicht weiter fortgesetzt wurden, als bis zu diesen Kon- zentrationen. Man kann daher diesen Zustand kaum „optimalen“ Antagonismus nennen. Würde aber eine totale Aquilibrierung I4 | 93 NaCl alleın KCH alleın Se ‚In Wa Sy Wall \ horzsmhot Mac \ODgoR \\ porzsnAtı 025n Nall OR ACL 0057 Wahl 005nKdl. GE 00037 79 4- Act | Do2or Kol 78 t | ! | l = \ \ I Wasser 2 7 Ton N Ss TG 7r — Watt resp. KCL Abb. 23). bei diesem Konzentrationsverhältnis zustande kommen, dann müß- ten die Kurven so weiter verlaufen, wie sie auf obiger Abbil- dung gestrichelt wurden; das ist aber sehr unwahrscheinlich; eine wahrscheinlichere Extrapolation der obigen Kurven würde K 1 Na bei d Verhältnis ca. —, = Spei „ bei dem Verhältnis’ ca Ir dem ca. !/,. ergeben?); ein maximaler Antagonismus der Beeinflussung der Oberflächenspannung der Lecithinemulsion durch ein Ionengemisch N K22 im Verhältnis = oder Nr n und seine biologischen Konse- quenzen bestehen somit derzeit nicht zu Recht. vielmehr einen Antagonismus 1) Die Abszissen bedeuten einerseits Konzentrationen von NaCl für die ver- schiedenen KCl-Konzentrationen und andererseits die Konzentrationen von KCl für die verschiedenen NaCl-Konzentrationen. Hier mußte diese Art der Dar- stellung beibehalten werden. ?) Eine solche Extrapolation ist natürlich nur gerechtfertigt, wenn es über- haupt zu einer totalen Äquilibrierung kommt. Die Energieumwandlungen im Muskel. IH. Kohlenhydrat- und Milchsäureumsatz im Frosehmuskel.!) Von Otto Meyerhof. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Kiel.) (Mit 1 Textabbildung.) (Eingegangen am 4. August 1920.) Inbalt. Einleitung (S. E 1. Methodik (S. 15). 2. Kohlenhydratschwund und Milchsäurebildung bei elektrischer Reizung der Muskeln (S. 18). 3. Kohlenhydratschwund und Milchsäurebildung bei der Ruheanaerobiose (S. 19). 4. Kohlenhydratschwund und Sauerstoffverbrauch in der Ruhe (S. 20). 5. Kohlenhydrat-, Milchsäure- und Sauerstoffumsatz während der Restitution (S. 21). 6. Kohlenhydratschwund und Milchsäurebildung beim Zerkleinern der Muskeln (S. 26). . Beeinflussungen der Milchsäurebildung in der zerkleinerten Muskulatur (S. 29). Ä Zusammenfassung (S. 31). I In den vorhergehenden Arbeiten dieser Serie sind eine Reihe von Größen, die für die Energetik des ruhenden und arbeitenden Muskels von Bedeutung sind, sowohl in ihrem absoluten Betrag festgestellt als in feste und eindeutige Beziehungen miteinander gesetzt; und zwar sind unter den verschiedensten Umständen miteinander verglichen: anaerobe Wärmebildung und Milchsäure; ferner Sauerstoffverbrauch, Milchsäureschwund und Wärmebildung in der oxydativen Erholungs- phase; schließlich isometrische Spannungsleistung und Milchsäure- menge. Es ließen sich gewisse Schlüsse sowohl für die Thermodynamik der Muskelkontraktion als für das chemische Geschehen daraus ziehen. Die wichtigste Folgerung, die sich für das Schicksal der Milchsäure aus dem Vergleich von Sauerstoffverbrauch und Milchsäureschwund in der Restitutionsperiode ergab, war, daß nur 1/,—!/, der Säure ver- brennt, der Rest. sich anaerob zurückverwandelt, wahrscheinlich in 1) Auch dieser Teil der Untersuchungen wurde mit Unterstützung der Jagor- Stiftung Berlin ausgeführt, der auch hier für die geleistete Hilfe mein bester Dank ausgesprochen sei. 12 OÖ. Meyerhof: Kohlenhydrat. Es war nun die Aufgabe, dies direkt festzustellen und sowohl Entstehen wie Verschwinden der Milchsäure mit der Kohlen- hydratbilanz im Froschmuskel zu vergleichen. Über einen Teil der Ergeb- nisse habe ich schon kurz in einem Nachtrag der vorigen Arbeit und auf dem Deutschen Physiologenkongresse in Hamburg (Mai 1920) berichtet. Der Vergleich des Milchsäureumsatzes mit der gleichzeitigen Kohlenhydratbilanz ist von entscheidender Bedeutung für den Chemis- mus des Muskels. Denn damit lassen sich ganz präzis folgende Fragen beantworten: Stammt die Milchsäure bei ihrer Bildung in der Mus- kulatur in allen Fällen aus Kohlenhydrat sowohl bei der elektrischen Ermüdung wie in der Ruhe, bei der Starre und bei der mechanischen Zerkleinerung der Muskeln, und fallen Schwund des Kohlenhydrats und Bildung der Milchsäure überdies auch zeitlich genau zusammen ? Wird andererseits der nicht verbrennende Anteil der Milchsäure in der Erholungsphase wieder zu Kohlenhydrat zurückverwandelt, und zwar gleichzeitig, so daß also der Kohlenhydratgehalt des Muskels dann genau zunimmt um die Menge der jeweils verschwundenen Milchsäure minus dem aus dem Sauerstoffverbrauch in der Erholung berechneten oxydativen Verlust an Kohlenhydrat? Wird endlich die bei dieser letz- ten Annahme gemachte Voraussetzung bestätigt, daß auch der Ruhe- sauerstoffverbrauch im Muskel auf Kosten der Kohlenhydrate geschieht ? Es ist klar, daß aus der eindeutigen Beantwortung dieser Fragen nicht nur hervorgeht, ob die Milchsäure überhaupt aus Zucker stammt und sich wieder dahin zurückbildet, sondern auch ob es eine Zwischenstufe zwichen beiden gibt, die nicht Kohlenhydrat ist und deren Menge bei den in Rede stehenden Vorgängen Veränderungen erleidet. Unter Koh- lenhydrat verstehe ich hier jede durch Säurehydrolyse zu reduzierbarem Zucker spaltbare Verbindung, also auch z. B. Hexosephosphorsäure. Endlich läßt sich das Ergebnis noch genauer präzisieren, wenn wir Glykogen und die niederen Zucker gesondert bestimmen und festzu- stellen versuchen, ob den Änderungen der Milchsäuremenge jeweils gleich große Änderungen des Glykogengehalts entsprechen oder ob ein niederes Kohlenhydrat das Reservoir vorstellt, aus dem die lang- same oder plötzliche Bildung größerer Milchsäuremengen geschieht, etwa die von Fleteher und Hopkins postulierte Milchsäurevorstufe oder das Lactacidogen Embdens. Es sei vorweggenommen, daß diese Fragen hier eine eindeutige Lösung finden in dem Sinne, daßin der Tat unter allen geprüften Bedingungen eine völlige Äquivalenz zwischen Kohlen- hydrat- und Milchsäureumsatz besteht, ferner daß die Ände- rungen beider Substanzen, soweit die Genauigkeit der Methode das zu beantworten gestattet, zeitlich koinzidieren, daß also nirgends. Anhäufung oder Aufzehrung eines Nichtkohlenhydrats weder als Aus- Die Energieumwandlungen im Muskel. III. 13 sangsprodukt noch als Zwischensufe dabei beobachtet wird, und daß endlich die Änderung der Milchsäuremenge ganz wesentlich einer Ände- rung des Glykogengehalts entspricht, während die Menge der übrigen Kohlenhydrate nur geringen Schwankungen unterliegt, die jedenfalls bei weitem nicht ausreichen, um jeweils Bildung oder Schwund der ganzen Milchsäure von sich aus zu ermöglichen. Dieses Resultat sagt nun natürlich nicht, daß das Glykogen direkt in Milchsäure übergeht, vielmehr ist es im höchsten Grade wahrscheinlich, daß vorher ein Abbau zu Glucose stattfindet und sehr wohl möglich, daß noch inter- mediär ein Hexosephosphorsäureester gebildet wird; nur sind solche „Milchsäurevorstufen‘“ nicht als Reservoir der zu bildenden und wieder verschwindenden Milchsäure aufzufassen ; vielmehr ist der einzige Milch- säurespeicher in diesem Sinne das Glykogen selbst. Es ist nicht das erstemal, daß Kohlenhydrat- und Milchsäure- umsatz am Froschmuskel experimentell untersucht wird. Vielmehr haben bereits Parnas und Wagner!) das hier diskutierte Problem in seiner Bedeutung erkannt und auf den verschiedensten Wegen einer Lösung zuzuführen gesucht. Sie haben dazu eine Methode zur isolierten Bestimmung von Glykogen und den sonstigen im Muskel vorhandenen Kohlenhydraten ausgebildet, die, zumeist aller- dings in vereinfachter Form, von mir mit Nutzen verwandt werden konnte. Diese Methode selbst darf innerhalb unvermeidlicher Fehler- grenzen, die wohl von den Autoren zu eng gezogen wurden, als zu- verlässig angesehen werden. Trotzdem weichen ihre Ergebnisse in wesentlichen Punkten von den meinigen ab. Sie folgern nämlich ausihren Versuchen, daß zwar bei der Starre und elektrischen Ermüdung Kohlenhydratschwund und Milchsäurebildung äquivalent sind, daß dagegen beim Auftreten der Milchsäure während der Ruheanaerobiose der Kohlenhydratgehalt keine Änderung erfährt, daß ferner beim Zer- kleinern der Muskeln das Entstehen von 0,18%, Milchsäure von keinem gleichzeitigen Kohlenhydratschwund begleitet wird; dieser vielmehr beim Aufbewahren der zerschnittenen Muskeln erst langsam im Ver- lauf mehrerer Stunden nachfolst; daß ebenso in der Folgezeit das be- reits im Laufe von 5 Stunden erreichte Milchsäuremaximum von 0,4% dem Kohlenhydratzerfall beträchtlich vorhergeht und von diesem erst nach etwa 24 Stunden eingeholt wird. Und schließlich finden sie, daß, während in der oxydativen Erholung Milchsäure schwindet, die Menge der Kohlenhydrate unverändert bleibt. Aus diesen Ergebnissen ziehen sie den Schluß, daß eine Milchsäurevorstufe existiert, die zwar aus Kohlenhydrat gebildet wird, selber aber keins sei. Zu diesen Versuchsergebnissen und Schlüssen sind die Forscher indes durch zwei Umstände gelangt, durch die sich die Abweichungen von 1) Biochem. Zeitschr. 61, 387. 1914. 14 O. Meyerhof: _ meinen Resultaten leicht erklären lassen. Einmal standen ihnen noch nicht die Kenntnisse über Umfang und Verlauf des Restitutionsvor- ganges zur Verfügung, wie sie teils durch die späteren Versuche von Parnas selbst, teils durch meine hier vorhergehenden Untersuchungen eruiert worden sind. Hieraus erklären sich beispielsweise ihre nega- tiven Resultate bezüglich der Kohlenhydratsynthese während der Erholung, worauf ich schon im Nachtrag der vorigen Arbeit ein- gegangen bin. Ferner haben sie in dem größten Teil ihrer Unter- suchungen und, wie mir scheint, in allen hier in Betracht kommen- den nicht selbst die Milchsäure gleichzeitig bestimmt, sondern sich allein mit der Feststellung der Kohlenhydratbilanz begnügt und die Milchsäuremessungen von Fletcher und Hopkins zum Ver- gleich herangezogen. Dabei überschätzten sie in verhängnisvoller Weise sowohl die Genauigkeit‘ der Resultate der englischen Forscher wie ihre allgemeine Gültigkeit für die verschiedensten Bedingungen der Reizung, Froschart usw., indem sie meinen, daß sie ‚in der Bestimmtheit ihrer Bedingungen und ihrer analytischen Exakt- heit geradezu den Charakter von Naturkonstanten besäßen“. Dem ist aber, wie ich bereits in der ersten Arbeit dieser Serie zeigte, durchaus nicht so. Einmal sind die absoluten Werte der englischen Autoren durchschnittlich aus methodischen Gründen etwa alle um 25% zu klein, dann sind in ihrer Arbeit zwar eine große Zahl außerordentlich wich- tiger Beziehungen zwischen Milchsäureumsatz und den verschiedensten Arten der Muskelbehandlung (Ermüduns, Verletzung, Starre, Er- holung usw.) entdeckt und ein Fundament für alle weitere Erforschung dieser Verhältnisse gelegt worden; aber ihre Methodik war doch zu zeitraubend, um alle Variationen von Versuchsbedingungen überhaupt durchzuführen. Parnas und Wagner legen ein besonderes Gewicht auf den Umstand, daß nach Fletcher und Hopkins bei Zerkleine- rung der Muskulatur ‚fast augenblicklich‘ eine Bildung von etwa 0,2%, Milchsäure erfolgt und erst dann im Verlauf mehrerer Stunden ein langsamerer Anstieg bis zum Plateau von 0,4% beim Aufbewahren der zerschnittenen Muskulatur bei 15°, während sich in ihren eigenen Bestimmungen in der zerkleinerten Muskulatur ein allmählich eimsetzen- der und etwa linear verlaufender kontinuierlicher Schwund von Kohlen- hydrat während 24 Stunden ergibt. Nun liest aber über diese ‚sofortige Eintstehung‘“ der Milchsäure in Höhe von 0,185% in der Arbeit von Fletcher und Hopkins nur ein einziger Versuch vor, aus dessen Protokoll sich ergibt, daß allein die Zerschneidung der gesamten Mus- kulatur 70 Minuten beanspruchte, abgesehen von anderen zeitraubenden Manipulationen der Wägung usw., ehe die erste unmittelbare Bestim- mung ausgeführt wurde. In Wahrheit entsteht nun die Milchsäure beim Zerschneiden der Muskeln durchaus nicht sofort in der genannten Die Energieumwandlungen im Muskel. III. 15 Höhe, andererseits schwinden die Kohlenhydrate bei weitgehender Zerschneidung auch erheblich schneller, als es die Zahlen von Parnas und Wagner erkennen lassen, und wie im folgenden gezeigt wird, geht dabei beides zeitlich vollständig parallel. 1. Methodik. Vorbehandlung der Frösche, allgemeine Versuchsanordnung, Milchsäure- bestimmung und Sauerstoffmessung wurden genau nach den in den vorigen Arbeiten gemachten Angaben vorgenommen. Nurüber die Kohlenhydratbestimmung ist noch ein Wort zu sagen. Glykogen und die übrigen zu redyzierbarem Zucker spaltbaren Kohlenhydrate (inkl. präformierter Glucose) wurden stets gesondert be- stimmt — alles als Glucose nach Bertrand. In den ersten Versuchen hielt ich mich hierfür an die Angaben von Parnas und Wagner. Die, wie üblich, in eiskaltem Al- kohol (aber ohne Sand) zerdrückte Muskulatur wird danach noch dreimal mit kochen- dem Wasser extrahiert, der Muskelrückstand auf Glykogen (nach Pflüger) verar- beitet und zunächst der Kochextrakt und der alkoholische Extrakt gesondert behan- delt. Ersterer wird mit Schwefelsäure hydrolysiert, diese mit Barytlauge entfernt (der Bariumüberschuß mit Kohlensäure); der Alkoholextrakt nach Wasserzusatz und Ansäuern eingedampft, neutralisiert und nun in den vereinigten Extrakten die Extraktivstoffe mit Mercuriacetat unter Sodazusatz ausgefällt, Quecksilber mit Schwefelwasserstoff entfernt und nach Eindampfen nochmals mit Salzsäure hydroly- siert, worauf nach Neutralisierung die Zuckerbestimmung ausgeführt werden kann. Ich war bestrebt, diese Methode abzukürzen und mit nur zwei Fraktionen, Be- stimmung des Glykogens im Muskelrückstand und der übrigen Kohlenhydrate in einem Extrakt zum Ziel zu kommen. Einmal, weil das Verfahren sonst allzu zeitraubend ist und beim Verunglücken auch nur eines Extraktes gleich eine ganze Versuchsserie von etwa 12 Einzelbestimmungen verlorengehen kann, dann auch, weil dabei keine scharfe Unterscheidung von Glykogen und „sonstigen“ Kohlen- hydraten möglich ist, weil ein Teil dieser letzteren auch Glykogen ist, das beim Kochen des Muskels in das heiße Wasser übergeht, und schließlich drittens, weil dabei nicht in einem aliquoten Teil der Extrakte der Milchsäuregehalt bestimmt werden kann. Ich ging von der Überlegung aus, daß es möglich sein muß, die gesamten Kohlenhydrate der Muskulatur in zwei Fraktionen zu sondern, in solche, welche in 60 proz. Alkohol löslich sind und solche, die dadurch gefällt werden. Die letzteren wurden dann mit dem Glykogen nach Pflüger verarbeitet, die ersteren werden direkt mit Salzsäure hydrolysiert, nachdem die Extraktivstoffe mit Queck- silbersalz entfernt sind. Das Verfahren gestaltet sich dann folgendermaßen. Die in 96 proz. Alkohol zerriebene Muskulatur wird noch fein zerschnitten, durch Gaze abfiltriert, ausgedrückt, noch dreimal in 60 proz. Alkohol übertragen, wobei sie jedesmal einige Zeit darin steht und wieder durch Gaze ausgedrückt wird (anfangs wurde sie in 60proz. Alkohol aufgekocht, doch gab das keine besseren Resultate). Der Muskelrückstand wird nach der abgekürzten Methode von Pflüger weiter verarbeitet, zum Schluß im Meßkolben von 50 oder 80 cem aufgefüllt und jedesmal eine Doppelbestimmung der Glucose mit je 20 ccm vor- genommen. Der 60 proz. Alkoholextrakt wird unter Zugabe eines Siedesteinchens teilweise eingedampft, filtriert!), im Meßkolben .von 100 ccm aufgefüllt, je nach 1) Der abfiltrierte hauptsächlich aus Eiweiß bestehende geringe Niederschlag hätte mit dem Glykogen verarbeitet werden sollen. Daß das in der Regel nicht geschah, stellt theoretisch einen gewissen Fehler dar, der an dem bei den Kontroll- messungen beobachteten Verlust (s. unten) mit schuld sein kann. 16 O. Meyerhof: Bedarf 10 oder 20 ccm für die Milchsäurebestimmung entnommen, der Rest in einem Porzellanschälchen bis zur Vertreibung des Alkohols eingedampft, etwas Talkum und Äther zugesetzt und dieser verdampft (um die Fette zu koagulieren), durch ein kleines Faltenfilter filtriert; nach wiederholtem Nachspülen zum Filtrat etwas Mercuriacetat in wenig Wasser und so viel Soda zugesetzt, daß der Nieder- schlag schwach gelb wurde (gegen Lackmus annähernd neutral); nach längerem Stehen filtriert, Schwefelwasserstoff durchgeleitet, das Filtrat erst durch einen Luftstrom von Schwefelwasserstoff befreit, dann in einem Porzellanschälchen auf etwa 20 ccm eingedampft, soviel Salzsäure zugegeben, daß die Konzentration 2 proz. wurde, in einem Kölbchen mit aufgesetztem Glasrohr (als Rückflußkühler) 3 Stunden in kochendem Wasserbad erhitzt, neutralisiert, filtriert, in einem Meßkolben auf 50 ccm aufgefüllt und eine Doppelbestimmung der Glucose mit je 20 ccm gemacht. Bei Vergleich dieses erheblich abgekürzten Verfahrens mit der Originalmethode von Parnas und Wagner ergab sich, wie die Übersicht der Tabelle I zeigt, bei 2 Versuchen mit symmetrischen Froschschenkeln ein Defizit meiner Methode von 3—4%,. Dieses, nur leicht die Fehlergrenze übersteigend, dürfte wohl auf die weniger gute Extraktion der nicht alkoholfällbaren Kohlen- hydrate zu beziehen sein (vgl. auch vorige Seite Anm. 1). Bei seiner Konstanz und Geringfügigkeit ist das aber kein großer Nachteil, und wir haben jetzt die Vorteile, einmal im Muskelrückstand tatsächlich das ganze Glykogen für sich zu gewinnen — aus der Tabelle I ist zu ersehen, daß bei der Methode von Parnas etwa 10% des Glykogens in den Wasserextrakt übergeht — und dann ohne weiteres in einem aliquoten Teil die Milchsäure bestimmen zu können. Außerdem fällt das Kupfer- oxydul in meinem Verfahren fast immer als roter Niederschlag gut filtrierbar aus, bei der andern Methode wegen des Salzreichtums der Lösung dagegen als gelbes schlechter filtrierbares Hydroxyd. Tabelle I. Glykogen- und übriger Kohlenhydratgehalt symmetrischer Frosch- schenkel (ungereizt) nach Parnas’ und Wagners Methode und meinem „ab- gekürzten‘‘ Verfahren. Nr. | Muskel- Datum | (Zahl De mg Glucose mg Glucose in 1g Muskel Methode | Beine) i | Gly- | übrige Sa. Gly- | übrige Sa. 1.003 V.21920% 2 kogen | Khdt. kogen | Khdt. | IParnasa vi: | 15,2 (3) | 124 44,6 | 168,6 8,15 2,93 | 11,08 Meine M...... I le). || A) 25,3 165,3 9,15 1,65 10,80 Differenz ..... | +1,00 | — 1,28 | — 0,28 la 1) | | Parnas’ M..... | 18,8(2) | 121 | 44,8 165,8 6,43 | 2,39 8,82 Meine M...... | 18,6 (2) | 139,5 17,0 156,5 7,51 0,92 8,43 Differenz ..... | | | +1,08 | — 1,47 | — 0,39 Um einen genauen Vergleich von Milchsäure- und Kohlenhydratwerten zu ermöglichen, müssen überdies die Gesamtverluste bei beiden Bestimmungen be- rücksichtigt werden. Bei der Milchsäure ergab sich früher ein solcher von 16% für die Verarbeitung des Extraktes und die Fürth-Charnas-Bestimmung und von 4%, für die im Muskelrückstand verbleibende Menge (letztere Größe wurde in den vorigen Arbeiten nicht berücksichtigt). Als Gesamtdefizit wurde dieses Mal 19—20%, angesetzt und daher die Jodzahl, auf n/100 umgerechnet, mit 1,24 4 Die Energieumwandlungen im Muskel. III. 17 multipliziert. Bezüglich des Glykogenverlustes wurde keine besondere Kontrolle angestellt. Nach Nerking entgehen bei der Pflügerschen Methode 3% des Gly- ‚kogens der Bestimmung als Glucose wegen unvollständiger Hydrolyse!). Da nun das Glykogen in meinen Versuchen durchschnittlich etwa ®/, der Gesamtkohlen- hydrate ausmacht und im ganzen gegenüber der Methode von Parnas und Wagner 4%, Verluste auftreten, die auf die übrigen Kohlenhydrate zu beziehen sind, so muß das Gesamtdefizit etwa 6% betragen, vorausgesetzt, daß die Methode im übrigen quantitativ arbeitet. Durch Zusatz von Traubenzuckerlösung zum alkoholischen Extrakt der Muskeln habe ich festgestellt, daß im Vergleich zur direkten Titration nach Bertrand durch sämtliche Prozeduren, die bei der Behandlung des Extraktes vorgenommen werden (Eindampfen, Filtrieren, Queck- silberacetat, Schwefelwasserstoff, 3 Stunden mit 2proz. Salzsäure erhitzen, neu- tralisieren usw.), ein kaum meßbarer Verlust an Zucker auftritt, wie der folgende Versuch zeigt. | Versuch 3; Alkoholischer Extrakt von 5,89 zerschnittener Muskulatur auf 50 cem. Davon a) 15 cem direkt verarbeitet, gibt 1,3 ccm Kaliumpermanganat (Titer 0,102 n) — 4,06 mg Glucose; b) 15 ccm mit Zusatz von 20 ccm Trauben- zuckerlösung: Je 10 ccm dieser Traubenzuckerlösung geben direkt 11,3; 11,25; 11,7 ccm Kaliumpermanganat, Durchschnitt 11,4 — 37,7 mg Glucose oder 0,39%. 'b) Nach Verarbeitung auf 50 ccm aufgefüllt, in je 20 ccm 9,65 und 9,5 Kaliumper- manganat, Durchschnitt 9,58, ab für Kohlenhydratgehalt des Extraktes 0,5 — 9,08 Kaliumpermanganat — 29,6 mg Zucker. Im ganzen in der Ausgangslösung 74 mg zugesetzter Traubenzucker — 0,370%. Im folgenden sind stets die unkorrigierten Versuchszahlen als Kohlenhydrat- werte angegeben. Nur zur Enddifferenz ist in einer besonderen Zeile der korrigierte Wert durch Hinzurechnung von 6% hinzugefügt, während bei der Milchsäure wie bisher gleich die Korrektur mitverrechnet ist. Alle Zahlenangaben beziehen sich auf Glucose. Da es sich zum Teil um nicht sehr beträchtliche Änderungen der Kohlen- hydratmengen handelt, die öfters nur 10—15% des Gesamtgehalts betragen — in der Regel allerdings mehr —, so ist für die Durchführung eines Vergleichs mit dem Milchsäureumsatz außer recht genauen Bestimmungen vor allem erforderlich, daß der Kohlenhydratanfangsgehalt der Muskeln, die vor und nach dem Versuch mit- einander verglichen werden sollen, völlig gleich ist. Das läßt sich nur dadurch er- reichen, daß man die beiden Beine desselben Frosches vergleicht. Für die Vorbestim- mung wurden von dem vorgekühlten Schenkelpaar die Muskeln der einen Seite auf einem eisgekühlten Teller abpräpariert und dann die Beine der andern Seite, nachdem die überflüssigen Knochen abgeschnitten sind, zum Versuch und der nachfolgenden Bestimmung verwandt. Dabei werden die Schenkel vor und nach (der Präparation genau gewogen. Die verarbeitete Muskulatur muß auf O,1g genau bekannt sein. Trotz allem kann der Vergleich von Kohlenhydrat und Milch- säure nur bis zu einem gewissen Grade genau durchgeführt werden. Einmal stimmt der Glykogengehalt der Froschschenkel beider Seiten nach Grode und Lesser?) zwar praktisch überein; immerhin ergeben sich auch bei ihnen Abwei- chungen bis 1,6%. Andrerseits ist auch eine Ungenauigkeit in der Ermittlung des Gesamtkohlenhydrats von etwa 2%, bei der Verarbeitung von wenigen Gramm Muskulatur, wie sie hier benutzt wurden, kaum zu vermeiden, so daß aus diesem Grunde schon ein Fehler von 20—30% bei der Berechnung der Kohlenhydrat- differenz auftritt, wenn diese nur 10%, des Gesamtgehalts beträgt. Mit Abwei- chungen dieses Umfan&es ist also bei Vergleich von Milchsäure, Sauerstoffverbrauch 1) Diese Zeitschr. 85, 321. 1901. 2) Zeitschr. f. Biol. 60, 378. 1913. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 185. [89] 18 OÖ. Meyerhof: und Kohlenhydratumsatz zu rechnen. Für die Zuverlässigkeit der Methode spricht, daß die Unterschiede meist viel geringer sind. In einzelnen Fällen kam es aller- dings bei sehr geringen Zuckermengen der Alkoholextrakte vor, daß bei der Ber- trandschen Bestimmung das Kupferoxydul nicht oder unvollkommen ausfiel. Dann mußte unter Umständen der ganze Versuch verworfen werden. Die Experi- mente wurden entsprechend denen der vorigen Arbeit meist bei 14°, einzelne bei -20—22° angestellt, was im einzelnen nachher angegeben ist. Zu Erholungsver- suchen in Sauerstoff durften nur sehr kleine Froschschenkel verwandt werden, weil bei größeren die Sauerstoffsättigung unvollkommen ist, infolgedessen die Erholungsoxydation herabgesetzt und der Milchsäureschwund verzögert wird. Zu allen Versuchen dienten Esculenten. Nicht gleichzeitig bestimmte, sondern aus Parallelversuchen eingesetzte Milchsäurewerte sind in eckiger Klammer angegeben. 2. Kohlenhydratschwund und Milchsäurebildung bei elek- trischer Reizung der Muskeln. Daß bei der Muskelermüdung durch elektrische Reizung ein Kohlen- hydratschwund stattfindet, der der Milchsäurebildung unter ähnlichen Umständen entspricht, geht bereits aus einer Reihe von Versuchen her- vor, die Parnas und Wagner anstellten. Sie erzeugten unter an- aeroben Bedingungen mehrere Stunden lang kurze Tetani, die sie durch ein Metronom etwa 60 mal pro Minute unterbrechen ließen und fanden danach einen Kohlenhydratschwund von 0,13—0,27%, bezogen auf das Muskelgewicht. Merkwürdigerweise erhielten sie kein klares posi- tives Resultat bei der Reizung mit Einzelinduktionsschlägen. Da in meinen vorangehenden Arbeiten festgestellt war, daß man durch Einzel- reizung (und zweifellos auch bei ebenso häufig unterbrochener tetani- scher Reizung) sehr viel höhere Milchsäuremaxima als bei tetanischer Dauerreizung erhält, so mußte auch hier ein entsprechend großer Kohlenhydratschwund erwartet werden, und dieser tritt auch, wie der folgende Versuch zeigt, in der Tat ein. Damit war zugleich auch für die Versuchsanordnung der folgenden Abschnitte eine Reizung mit Einzelinduktionsschlägen. nahegelegt, um größere Ausschläge zu er- zielen. | Versuch 4. 4. V. 1920. 2 Schenkelpaare. Die Beine einer Seite sofort ver- arbeitet, darauf die andern !/, Stunde indirekt mit Metronom gereizt (60 R. pro 1 Min.; 1 Akkumulator. RA. 18—5 cm). mg Substanz mg Substanz pro 1g Muskel (Glucose) | Vorher | Nachher Vorher Nachher Differenz Muskelgewicht (g) . . ..| 10,9 10,2 Glykogen?. ... ... 53 13,5 10,3 72 — ul Übrige Kohlenhydrate . . | 25,5 | 29 2,35 2,85 0,50 ACER SABINE DIENEN. Sa eg 137,8 102,5 12,65 10,05 — 2,6 Korrigierter Wert .... . | — 2,15 IVilchSsauremer ar — 34,3 [0,20]: | 3,35 | 8315 Die Energieumwandlungen im Muskel. III. 19 3. Kohlenhydratschwund und Milchsäurebildung bei der Ruheanaerobiose. In den vorhergehenden Arbeiten ist angenommen, daß die Milch- säure während der Ruheanaerobiose auf dieselbe Art und Weise ent- steht, wie bei der Tätigkeit, daß einmal der Bildungsmechanismus und dann auch das Ausgangsmaterial gleich ist. Ja, diese Annahme erwies sich sowohl für die Deutung der Wärmegrößen als für die ganze Theorie der Muskelatmung von entscheidender Wichtigkeit. Dagegen meinten Parnas und Wagner beobachtet zu haben, daß während der Anaero- biose (20 Stunden, 12°) die Kohlenhydrate keine Abnahme erfahren. Da die Anoxybiose in den folgenden Versuchen genau so erzeugt wurde wie bisher, nämlich durch vielstündiges Einlegen der ab- sehäuteten Froschschenkel in ausgekochte Ringerlösung, die sich in völlig gefüllten, luftdicht verschlossenen Gefäßen im Thermo- staten befindet, so war es in diesen Versuchen technisch nicht gut mög- - lieh, die Milchsäure mitzubestimmen. Denn die durch die Fortnahme der Beine an der einen Seite entstehenden Muskelfetzen an der Schnitt- fläche mußten zu einer gesteigerten Bildung von Milchsäure führen, die in die Ringerlösung hineindiffundiert. Ich begnügte mich damit, hier nur die Kohlenhydrate zu bestimmen, die Milchsäure aber unter denselben Bedingungen an intakten Schenkelpaaren zu messen bzw. die Werte, die bei derselben Temperatur früher gewonnen waren, zum Vergleich heranzuziehen. Tabelle II. Kohlenhydrat- und Milchsäureumsatz bei der Ruheanaerobiose. Nr. | ER 5 mg Glucose ee N Datum 8 ai & S = 5 Vorher | Nachher| Vorher |Nachher| Differenz 5. 45h Muskelgewicht (g) 10,2 | 10,35 | | 8./10.V. 1920 |14° Glykogen 7712 145:.217555% 24.35, 1223,20 Übrige Kohlenhydrate| 19 | 15,5 | 1,85 | 1,50 | — 0,35 Sa. 96 60,7 | 9,40 | 5,85 | — 3,55 Korrigierter Wert | | | 3,95 5a. 45h |Muskelgewicht (g) 8,6 | | 8./10.V. 1920 | 14° \Milchsäure 24,2 1I[0,20] 2,82 |-- 2,62 6. 64 Muskelgewicht (g) 125 12,5 | 17. VI. 1920 || 22,5° Glykogen 103,5 | 84,0 | 8,28 | 6,72 | — 1,56 Übrige Kohlenhydrate, 20,0 | 21,8 | 1,60 1,724 | 20,14 Sa. 123,5 | 105,8 | 9,88 | 8,46 | 1,42 » |[Korrigierter Wert | | — 1,50 [16. VI. 19!) |22° 61 Milchsäure | +1,20] !) Diese Zeitschr. 182, 257. 20 O. Meyerhof: Es ergibt sich also, daß die Kohlenhydrate entsprechend der Milch- säurebildung abnehmen, und daß wiederum diese Änderung wesentlich das Glykogen betrifft. Auch aus einem anderen Grunde ist diese Fest- stellung von Interesse. Lesser!) hat gezeigt, daß bei einer verhältnis- mäßig sehr kurzen Anaerobiose intakter lebender Frösche bei 20—22°, nämlich während 1—2stündigen Aufenthalts in Stickstoff (Juni und Juli) gut die Hälfte des gesamten Glykogens schwindet, und zwar 0,15—0,2% bezogen auf das Körpergewicht. Was daraus wird, ist nicht festgestellt; es dürfte wahrscheinlich zum überwiegenden Teil zu Glucose geworden sein, zu einem kleineren zu Milchsäure. In dem obigen Ver- such Nr. 6 (in demselben Monat und bei derselben Temperatur) sieht man nun, daß der Glykogengehalt des Muskels außerordentlich viel weniger abnimmt, auf 2 Stunden berechnet bei 22° um 0,05% des Muskelgewichts und etwa äquivalent der gleichzeitigen Milchsäure- bildung. Will man nun nicht die unwahrscheinliche Annahme machen, daß der Muskel im lebenden Tier sich völlig anders verhält, so muß man schließen, daß sich der von Lesser beobachtete Glykogenschwund zum ganz überwiegenden Teil in der Leber abspielt. Die enorme Zu- nahme der diastatischen Wirksamkeit der Leber in der Anoxybiose darf demnach nicht auf den Muskel übertragen werden, in dem viel- mehr auch unter diesen Umständen die Gliykogenhydrolyse mit der Milchsäurebildung gleichen Schritt hält2). Die hier gemachte Feststellung wird ergänzt durch eine vor einiger Zeit veröffentlichte Arbeit von Winfield, daß während der anaeroben Milchsäurebildung der Fettsäuregehalt des Muskels keine Änderungen erfährt). 4. Kohlenhydratschwund und Sauerstoffverbrauch in der Ruhe. Den in der letzten Arbeit entwickelten Vorstellungen lag weiterhin auch die Annahme zugrunde, daß die Ruheatmung genau wie der Tätig- keitsstoffwechsel des isolierten Muskels auf Kohlenhydratverbrennung zu beziehen ist, und daß in beiden Fällen das Ausgangsprodukt das- selbe wäre wie bei anaerobem Zerfall. Dementsprechend finden wir hier mit befriedigender Genauigkeit, daß Sauerstoffverbrauch und Kohlenhydratschwund einander äquivalent sind. Ob diese Äquivalenz 1) Zeitschr. f. Biol. 60, 388. 1913. *) In der Tat ist die bei der Asphyxie bzw. Anoxämie des Warmblüters ein- setzende Hyperglykämie offenbar, wesentlich die Folge dieser Steigerung der diastatischen Leberfunktion. Vgl. dazu C. Kellaway, Journ. of physiol. 5%, proceedings 25. Januar 1919. ®) Journ. of physiol. 49, 171. 1915. Die Energieumwandlungen im Muskel. III. >21 ganz vollkommen ist und nicht ein wenig mehr Sauerstoff verbraucht wird, das zu entscheiden reicht allerdings die Genauigkeit der Methode nicht zu. Es wäre natürlich recht gut möglich, daß nebenbei auch etwas Eiweiß oder Fett verbrannt wird. Versuch 7. 8. VI. 1920. 4 kleine Froschschenkelpaare. Beine einer Seite minus Gastrocnemien direkt verarbeitet; die anderen (minus 2 Gastrocnemien) 451/,8 bei 14° in Sauerstoff. I | % | mg Glucose mg Glucose in 1g Muskel Vorher Nachher Vorher | Nachher Differenz Muskelgewicht (g) | 136 13,2 | Glykogen l B Ne 118 9,62 8,93 — 0,69 Übrige 1 Sohenlkselonke LS 12,5 MAIN 0 II IE SER: 13937 130,5 ll 9,88 193 Konmdeilenter Wert | — 1,30 Atmungsversuch: Von jedem Frosch 1 Gastrocnemius benutzt von 0,48 g; 0,56 g; 0,45 g; 0,7 g, die entsprechend einen stündlichen Verbrauch von 10,4; 14,8; 10,8; 11,2cmm O, besitzen. Im ganzen auf 2,20 g 47,2 cmm OÖ, oder auf 1g 21,5 cmm O,. In 45!/,h 980 cmm O, = 1,40 mg O,. 1,40 mg OÖ, verbrennen 1,31 mg Zucker. Versuch 8!). 26. IV. 1920. 2 Schenkelpaare (keine Sauerstoffbestimmung). Die Beine einer Seite 46!/," bei 14° in Sauerstoff. mg Glucose in 1g Muskel | mg Glucose Vorher | Nachher | Differenz Vorher | Nachher Muskelgewicht (g) .. . . | 9,7 | 10,7 | | Glykogen A ET 70 RE | 6,53 —0,90 Übrige Kahllonhaberie u 22.1.0 32 2,31 | 28, #04 Sarsnln. ERRENIEOLS 99,5 102 1097 | 991 — 0,76 Kommen Wert | | — 0,80 (Sauerstoff nicht bestimmt. Bei dem durchschnittlichen Sauerverstoffver- brauch in dieser Jahreszeit von 17 cmm O0, pro 1g Muskel ergibt sich in 46!/,h 790 cemm — 1,13 mg O,, die 1,06 mg Zucker verbrennen.) 5. Kohlenhydrat-, Milchsäure- und Sauerstoffumsatz während der Restitution. Über die Versuche dieses Abschnittes ist bereits kurz im Nachtrag der letzten Arbeit berichtet und das Resultat eines derartigen Kombi- nationsversuches mitgeteilt. Im folgenden sind noch mehrere andere genau entsprechende, wenn auch weniger vollständige Versuche mit- geteilt und die ganze Versuchsanordnung geschildert. Das bereits, wiedergegebene Gesamtergebnis ist, daß in der Er- holungsperiode eine Kohlenhydratsynthese aus Milchsäure !) Originalmethode von Parnas und Wagner. u) O. Meyerhof: stattfindet, die dem nichtverbrannten Teil der Milchsäure äquivalent ist, welcher sich aus der Differenz des Milch- säureschwundes und des gleichzeitigen Sauerstoffver- brauchs ergibt. | Die Versuchsanordnung ging von der Überlegung aus, daß einmal das Ausgangsmaterial in jedem Versuch einen genau bestimmten Ge- halt an Milchsäure und Kohlenhydrat haben mußte, und daß die Resti- tution sich im Atmungsversuch mit etwa der gleichen Geschwindigkeit vollziehen mußte, wie in den zur chemischen Aufarbeitung dienenden Schenkeln. Ich hatte früher festgestellt, daß bei indirekter Ermüdung der Muskeln sowohl mit Tetani wie mit Einzelzuckungen die Gastro- enemien denselben Milchsäuregehalt wie die übrige Schenkelmuskulatur aufweisen. Es wurde daher von jedem Schenkelpaar ein Gastroenemius abgetrennt und zur Atmungsmessung bei 14° benutzt. An diesem wurde einmal der Gesamtverbrauch an Sauerstoff gemessen und auf 18 Muskel umgerechnet; ferner, wie früher erörtert, die Größe des Ruheverbrauchs nach Ablauf der Erholungsperiode ermittelt und aus beiden Größen der Betrag des Erholungssauerstoffs pro Gewichtseinheit Muskulatur. Gleichzeitig dienten diese Muskeln zur Kontrolle, wann die Restitution abgelaufen und ob sie völlig reversibel war, d. h. der nachträgliche Ruheverbrauch in die normalen Grenzen fiel (bei 14° 14—24 cmm 0,). Leider war das mehrmals in einzelnen Gastro- cnemien nicht der Fall. Die betreffenden Versuche mußten verworfen werden. Unmittelbar nach der Ermüdung wurden die Schenkel auf Eis gekühlt, dann die Muskeln der einen Seite abpräpariert und verarbeitet (außer den Gastrocnemien), die intakten Schenkel genau zurück- gewogen, an einem Drahtgestell aufgehängt, welches unter eine Glas- slocke kam, in die während der ganzen Erholungszeit langsam Sauer- stoff eingeleitet wurde. Diese diente als feuchte Kammer. Die sehr geringfügige Gewichtsabnahme der Schenkel in der Versuchszeit wurde für die Gewichtsberechnung genau ermittelt, zwei Drittel davon wurde auf die Muskulatur, ein Drittel auf die Knochen bezogen. Die Glas- glocke kam unter die Wasserleitung, deren Zufluß so reguliert wurde, daß die Temperatur unter der Glocke die ganze Zeit bei 14° (+ 1°) blieb und also mit der Versuchstemperatur der Sauerstoffmessung übereinstimmte. War die Atmungssteigerung hier abgelaufen, wurden sofort die Schenkel der feuchten Kammer verarbeitet. Dreimal wurde neben Kohlenhydrat Milchsäure und Sauerstoff mitbestimmt. (In einem Fall davon verunglückte die Bestimmung der niederen * Kohlenhydrate.) In einigen anderen Fällen wurde nur Erholungs- sauerstoff und Kohlenhydrate bzw. nur das Glykogen ermittelt. (Vgl. Tabelle III.) { h Die Energieumwandlungen im Muskel. III. 23 Ich bemerke noch zum Schluß, daß es für die Bilanz natürlich gleichgültig ist, ob in der Restitutionsperiode Erholungssauerstoff und Ruhesauerstoff getrennt berechnet werden. Doch ist diese Trennung für das Verständnis des Mechanismus der Erholungsatmung von Wich- tigkeit. Tabelle III. Kohlenhydratsynthese, Milchsäureschwund, Sauerstoffverbrauch in der Restitutionsperiode (14°) nach indirekter Einzelreizung. (Die gleichen Num- mern gehören zu demselben Versuch.) a) Kohlenhydrat- und Milchsäureversuche. © & = mg Substanz mg Substanz prolgMuskel a {7} S Nr. sa & = ELIA 4 S Datum = E 3 E = 3 = = e 5 =|3| & eure > = = | & s 1) =) es) A A N 9, 3.20’ 23h Muskelgewicht (g) 10,0 | 11,6 DIVE Glykogen AuNS 44,7 | 65,3 | 4,47 | 5,63 +1,16 Übrige ohllsnlimelo. 28,8 | 30,0 | 2,88 | 2,59 | — 0,29 SEE IR NOW ARE 73,5 195,3 | 7,35 | 8,22 +0,87 Korrigierter Wert . +0,92 Milchsäure . . . . 125,6 — | 2,56 [0,20], — 2,36 10. 3 15’) 232 | Muskelgewicht (g) 9,8 [11,4 1. v1. Glykogen MORE 33,0 |ı 54,2 | 3,37 | 4,75 +1,38 Übr. Tee dee 19,7 |18,9 | 2,01| 1,66 | — 0,35 Sa eg 52,7 | 73,1 | 5,38 | 6,41 | +1,03 Korrigierter Wert +1,09 Milchsäure . . . . |25,1 | 5,0 | 2,56| 0,44 | — 2,12 111l) 3 25’ 22h | Muskelgewicht (g) 11,9 | 12,1 28. IV. Glykogen Be 47,5 65,2 | 4,00, 5,40 | + 1,40 Übr. olnllanikeriieats 33,0 |34,5 | 2,77 | 2,85 | + 0,08 SEN U 180,5 |99,7 | 6,77| 8,25 | + 1,48 Korrigierter We + 1,5% Milchsaure 2... | [3,0 | 0,2 |— 2,8] 12. 3 |25’231/,b| Muskelgewicht (8) 82 | 9,3 NZ Glykogen BAR 40,7 153,3 | 4,97 | 5,73 | +0,76 Übr. Kolonne 16,3 | —2)| 2051| — Korrigierter Wert | +0,81 Milchsäure . . . . 124,8 | 4,85 3,02 0,52 | — 2,50 13. 3 130’) 22h | Muskelgewicht (g) 10,3 11,3 22N IV. Glykogen . . . . |47,4 167,6 | 4,60| 5,98 | + 1,38 14. 4 |20’ 21% |Muskelgewicht (g) |10,3 |12,3 30. IV. "= |Glykogen .. . .: |53,3 |80,0 |'5;22| 6,50 | + 1,28 !) Originalmethode von Parnas und Wagner. ?) Bestimmung verunglückt. 24 O. Meyerhof: b) Sauerstoffversuche. emm Sauerstoff mg Sauerstoff pro 1g Muskel in & Meßzeit — | Zeit des Kohlenhydratversuchs _ | A) . Ge- 1 1 NE NaLLUD es enter Stdl. Ruhe- | Erholungs- Gesamt. davon Er- Se De g 2 S E rhol.- |Gesamt- such O,-Ver- | verbrauch | sauerstoff | Sauer- holungs u brauch stoff | sauerstoff stoff stoff 9. 0,5 | 28% 630 ital 300 || 0,55 | 577 9,4 307 Ins 0,84 0,55 | 557 8,7 311 10. || 0,65 24h 40’ | 628 10,3 372 10,5 | | 458 8,3 249 ° |,1,30 0,76 0,68 | 1,22 | 0,45 | 429 7,6 238 11. || 0,6 244 3507| 610 | 13,7 270 0,65 715 15,0 340 1,45 0,73 | 0,8 890 | 18,5 437 12. | 0,5 290 527 8,9 269 0.77 0,32 | 221/,h 448 |ca. 7—10| ca. 200°) |r1,60 N 0 90 n \o,rı 1,50 0,5 290 5853 | 112 272 (0) | 13.110,6. 27030775330 92° 280 0,6 598 | 710,2 317 I1.5 0,78 0,6 647 13,2 286 14. | 0,65 | 28645’ | 734 14,7 313 I 0,4. | 465 8,0 235 0,45 | 465 | 82 230 (135 | 075 0,45 | 494 8,7 244 | c) Bilanzberechnung pro 1g Muskel in Milligramm Substanz. | # 2 Gesamter Sauer-) durch ©, ver- Kohlenhydratsynth Ne Milchsäure- | stoffverbrauch | brannte Milch- | _ | schwund dabei Säure berechnet gemessen 9. 2,36 1,48 1,39 0,9% 0,92 10. 2,12 1,22 1,14 0,98 1,09 11. [2,8] 1,45 1,36 1,44 1,5% 12. 2,50 1,50 1,41 1,09 (0,81) °) 13. [2,8] 1,35 1,26 1,54 (1,38) °) 14. [2,8] 1,35 1,26 1,54 (1,28) °) Nachdem hiermit die experimentelle Aufgabe, soweit sie sich auf die intakten Muskeln bezieht, abgeschlossen ist, seinoch mit einem Wort auf die Theorie des Prozesses eingegangen : Der Restitutionsvorgang stellt, wie bereits in der vorigen Arbeit angenommen wurde, sowohl in chemischer wie energetischer Beziehung die Umkehrung des Ermüdungsvorganges vor, abgesehen von der mit dieser Umkehrung gekoppelten Oxydation. !) Umgerechnet auf den nicht ganz vollständigen Milchsäureschwund der übrigen Schenkelmuskeln (Versuch X und XII). ?) Gastroenemius von 0,32 g unvollständig erholt. ®2) Nur Glykogen. Die Energieumwandlungen im Muskel. III. 25 In der Tat ist der ganze Prozeß außer dieser letzteren nichts anderes als die Umwandlung Glykogen 56,0 > 70.0, 730 2. Oxydative Phase. 1.0327.0, 2723.03H502 2.605 26 60, ,615,07 72€ H.0, —= 6 CO, + 10 H,0 + 4/n(C,H,00;)n- b) 1. Anoxydative Phase. 5/a(C,H,00;)n +2 H,0 +8H,PO, — 4C,H.0,.(E,PO,). 120,950, 2 3,0753 85.CH0, 7831,60, 7 ECH 505% 2. Oxydative Phase. 20H,.0, 7 SCH.0, + SH,PO, 760, > 660% + 4C,H,00, (HsPO,); + 14 H,O — 6C0, + 10H,0 + 8H,PO, + 4/n(O,H100,). - Auch bei dieser Formulierung springt die Analogie mit der Vergärung eines Glucosemoleküls in Hefepreßsaft nach den Harden- Youngschen Gleichungen in die- Augen. 1) Diese Zeitschr. 182, 300, Anm. 26 OÖ. Meyerhof: 6. Kohlenhydratschwund und Milchsäurebildung beim Zerkleinern der Muskeln. Nachdem sich bei den bisherigen Versuchen am intakten Muskel keine Anhaltspunkte für die Beteiligung eines Nichtkohlenhydrats an Bildung und Rückverwandlung der Milchsäure gezeigt hatte, bleibt noch die Frage, ob bei der Milchsäurebildung in der absterbenden oder mechanisch verletzten Muskulatur eine Disproportion von Milchsäure und Kohlenhydratbilanz in Erscheinung tritt. Hinsichtlich der Milch- säurebildung bei Chloroform- und Wärmestarre ist diese Frage bereits von Parnas und Wagner in befriedigender Weise in negativem Sinne entschieden, indem sie eine Kohlenhydratabnahme dabei fanden, die etwa der Milchsäurebildung unter diesen Umständen entspricht. Anders aber war ihr Ergebnis, wie schon ulm bemerkt, beim zer- kleinerten Muskel. Ich ging hier in einigen Versuchen in derselben Weise vor wie bisher. Von mehreren Fröschen wurden die Beine der einen Seite sofort auf Milchsäure und Kohlenhydrat verarbeitet. Die Muskeln der anderen Seite auf eisgekühltem Teller zerschnitten, in der Regel entspre- chend der früher von mir benutzten Bezeichnung ‚‚mittelfein‘?), hier- auf eine bestimmte Zeit (ohne Flüssigkeitszusatz) in den Thermo- staten von 15° gehängt, schließlich ebenfalls verarbeitet. In einigen anderen Versuchen, genauer im nächsten Abschnitt mitgeteilt, wurde die Muskulatur zerschnitten-und dann Kohlenhydrate und Milchsäure, zum Teil nur die letztere, bestimmt. Und zwar einmal in einem ali- quoten Teil unmittelbar nach der Zerschneidung und Abwägung der Muskulatur (dies beansprucht etwa 15—20 Minuten) und dann nach längerem Aufenthalt im Thermostaten bei 20°. Diese Versuche unter- schieden sich auch darin von den anderen, daß das zerschnittene Mus- kelgewebe in Flüssigkeit (blausäurehaltiger Phosphatlösung) suspen- diert und geschüttelt wurde. Doch ergibt sich aus der Verwertung beider Versuchsserien eine gute Übersicht über den Verlauf der Milch- säurebildung in der zerschnittenen Muskulatur bei 15° und 20° in den ersten Stunden, wie aus Abb. 1 zu ersehen ist. In Tabelle IV sind zunächst die Versuche bei 15° mitgeteilt. Der Muskelbrei befindet sich hier in unmittelbarer Berührung mit der Luft. Da nun, wie im nächsten Abschnitt näher ausgeführt, die Atmung der zerschnittenen Muskeln auf Kosten der Milchsäure ge- schieht, so muß hierdurch die Menge der Milchsäure im Vergleich zum Kohlenhydratschwund etwas verringert werden; doch kann der Einfluß wegen der mangelhaften Luftversorgung nur gering sein. Immerhin ist es vielleicht kein Zufall, daß eine solche Differenz, die der theoretisch zu erwartenden ungefähr entspricht, im Ver- 1) Diese Zeitschr. 195, 24. 1919. Due ih 1 ee ER TEE NN EE m 5 ‚7 RE ee ee ae Fe re Kar Die Energieumwandlungen im Muskel. III. 3 such 17, der allein hierfür in Betracht kommt, tatsächlich beobachtet wird. In den Versuchszeiten der Tabelle IV ist die Zeit der Zer- schneidung der Muskeln (auf eisgekühltem Teller) eingerechnet. Dies bean- sprucht hier nur 5—10 Minuten. Die Temperatur dabei liegt zwischen 0° und der Zimmertemperatur, welche — im Hochsommer — über 20° betrug. Tabelle IV. Milchsäurebildung und Kohlenhydratschwund in der zerkleinerten Muskulatur bei 15° (in Milligramm). a 5 pro 1g Muskel » ie) rs mg Substanz Q ae 3% Nr. B= ES Aa = Datum E = E Pe E En | = = 5 a ES Er = “# | Differenz > & Or E53 Ne = & >= ns Bi EL DE TEE SRH ESEL ERRLON 15. | 25° | Muskelgewicht (2) ... | 167 | 15,5 | | 22. VI. Glykosense rn: 132 107 7,92, 6,92 | — 1,00 | Übrige Kohlenhydrate | 37,1 | 37,3 | 2,22 | 2,40 Ve ER Da EN RES ER . 1. 169,1 | 144,3 | 10,14 | 9,32 | — 0,82 Korrigierter Wert . . | — 0,8% Milchsäurer er 3a 17,1 | 0,22 | 1,10 | +0,88 16. 40’ | Muskelgewicht (g) 10. VI. Glykogen : Übrige Kohlenhydrate Da ae re | Korrigierter Wert | 1% 2h 5° | Muskelgewicht (g) 5. VII. Glykogen .. .... Übrige Kohlenhydrate Korrigierter Wert Milehsanrer a 20. 2. 18. 2h 40’ | Muskelgewicht (g) 10. VI. Glykogen ...... Übrige Kohlenhydrate Dan DE I an | Korrisierter Wert Der Vergleich der Milchsäure kurz nach Zerschneidung der Muskeln und nach Schütteln des Muskelbreies im Thermostaten von 20° für 1—2 Stunden ergibt sich aus der Tabelle V und der gestrichelten Kurve Abb.1. (Auf der Zeichnung ist von dem Milchsäuregehalt nach Zer- schneidung stets 0,02%, für den Ruhegehalt der intakten Schenkel in Abzug gebracht.) Als Suspensionsflüssigkeit diente in den Versuchen !/.m-Na;,HPO,-Lösung, der zur Hemmung der Oxydation !/,„on-KCN zugesetzt war. Eine besondere Stellung nimmt der Versuch 19 ein. Hier wurden Muskeln von Temporarien verwandt, die seit dem Winter im 28 O. Meyerhof: Keller hungerten und bis zum Hochsommer überlebten, wobei sie aufs äußerste abgemagert waren, so daß die gesamte Muskulatur eines Schen- 0 75' 30' 45' 1% 77.30' ZR30' 3% Abb. 1. Milchsäurebildung und Kohlenhydratschwund in zerschnittener Muskulatur. x ++»-+»- x Milchsäurebildung bei 20°. + + Milchsäurebildung bei 15°. © © Kohlen- hydratschwund bei 15°. Abzsisse: Zeiten von Beginn der Zerschneidung. Ordinate: Milchsäuregehalt und Kohlen- ; hydratschwund in Promille des Muskelgewichtes. 2zRr Konzentration nicht über 0,35% hinaus, völlig verbraucht war, aber doch noch 0,1 Tabelle V. kelpaares von diesen mittel- großen Fröschen nur etwa 28 wog. 8 Schenkelpaare ergaben 189g. Im übrigen waren die Muskeln und ihre Erregbarkeit vollkommen normal. Es wurde daher erwartet, daß die Muskeln jetzt völlig glykogenfrei wären. Dies war aber doch nicht der Fall; immerhin war der Glykogengehalt schon geringer als die Kon- zentration der übrigen Kohlenhydrate. Während sonst in 2 Stunden bei 20° schon eine Milchsäurean- reicherung von 0,5% er- reicht wird, kam hier bei 6stündigem Schütteln die wobei zwar das Glykogen 8%, sonstige Kohlenhydrate Muskulatur bei 20°. < N mg Substanz mg pro 1g Muskel wol aale :5| | ss re Datum NS s3 Sn3 ERS N=2 is 2 © a2 ala 7) A 192 10—15’, 6" | Muskelgewicht (g) 5,8 5,8 12. VIL. Glykogen .......112,4| 0 | 214 Koss a8 | Übrige Kohlenhydrate — 0,51 | | Sa... 2 225,9] 10,545) 1800 202 | Korrigierter Wert . — 2,80 | Milchsäure 4,05 20,0] 0,70 | 3,42 + 2,72 20. 18-10’ | 1% | Muskelgewicht (g) 4,0 | 4,0 23. VL. || Milchsäure 2,56 | 12,0| 0,64 | 3,0 |+ 23,36 21. 20° 1% 20°! Muskelgewicht (g) 4,5 4,5 6. VII. ı Milchsäure 3,74 17,561 0,83 | 3,9 |+ 3,0% 22. 20° | 24 | Muskelgewicht (g) 5,0| 50 | 20. VII. | ‚ Milchsäure 4,0| 27,4| 0,30 | 5,50 + 4,0 Milchsäurebildung und Kohlenhydratschwund in der zerkleinerten | As Me Eu az en ne ine Die Energieumwandlungen im Muskel. III. 29 vorhanden waren. Es ist besonders bemerkenswert, daß auch unter diesen ganz abnormen Umständen Kohlenhydratschwund und Milch- säurebildung völlig äquivalent waren. 7. Beeinflussungen der, Milchsäurebildung in der zer- kleinerten Muskulatur. Wir müssen nun noch die Milchsäurebildung im zerkleinerten Muskel in Verbindung mit der Atmung desselben betrachten. Es wurde in der letzten Arbeit die Annahme gemacht, daß auch hier Milchsäure- bildung und Sauerstoffatmung im Zusammenhang stehen derart, dab die beim Zerschneiden der Muskeln auftretende Milchsäure die enorme Steigerung der Atmung auslöst, die wir in der zerkleinerten Muskulatur in den ersten Stunden finden. Und zwar konnte ich unter optimalen Umständen einen Atmungsanstieg auf den 12fachen Betrag der Ruhe- atmung konstatieren!). Ebenso wie das Auftreten der Milchsäure im intakten Muskel die Oxydationssteigerung hervorruft, die teils zum oxydativen, teils zum anoxydativen Verschwinden der Milchsäure Anlaß gibt, sollte das im Prinzip auch in den zerschnittenen Muskeln der Fall sein, nur daß hier infolge der fortwährenden Nachbildung neuer Milchsäure die Säure nicht zum Verschwinden gebracht wird. Wenn diese Annahme richtig ist, so muß offenbar die Milchsäureanhäu- fung in Luft gegenüber der Anaerobiose verringert sein, und zwar min- destens um den der Oxydation zum Opfer fallenden Betrag an Milchsäure. Da nun die Oxydation der zerschnittenen Muskulatur nur einige Stunden anhält, und auch dies nur in einem günstigen Milieu, und da anderer- seits die Milchsäureanhäufung nicht durch die Menge des Ausgangs- materials, sondern durch die Säurehemmung des Prozesses begrenzt wird, so darf der Versuch nicht allzulange fortgesetzt werden, da nur die Geschwindigkeit, nicht der schließlich erreichte Endzustand der Milchsäureanhäufung festgestellt werden soll. Es wurde eine größere Menge Muskulatur zerschnitten (‚‚mittel‘“ bis ‚fein‘“) in gleiche Ge- wichtsmengen eingeteilt (4—5g für die verschiedenen Versuche); ein Teil sogleich auf Milchsäure verarbeitet, zwei andere unter Zusatz von 10 ccm !/,„m-Dinatriumphosphat bei 20° im Thermostaten an der Luft geschüttelt. Zu der einen dieser Proben wurde 0,1 ccm !/,n-KCN zugesetzt, so daß die Gesamtkonzentration etwa 1/;00-Dlausäure be- trug. Hierdurch wird die Atmung in der Versuchsanordnung etwa 80% gehemmt, wie frühere Versuche ergeben haben. Das Ergebnis der Versuche ist, daß bei Hemmung der Oxydation um ®/, sich in einer Stunde 0,2—0,3% mehr Milchsäure anhäuft. (In Versuch 12a ist die Differenz nur halb so groß.) Dies ist gerade ‚so viel, als sich aus der Oxydationsgröße bei der Versuchs- 1!) Diese Zeitschr. 195, 24. 1919. 30 O. Meyerhof: Tabelle VI. Milchsäureanhäufung in zerschnittener Muskulatur mit und ohne Blausäure. MD nn: 2 mg Milchsäure pro 1g Muskel Nr. © e e » ng Wlllenspine im Versuch gebildet Datum 3 a2 S nachher Differenz | rn | ohne KON | mit KON | ohne KON | pro 1 Sta. 20a. 23. VI. 4,0, 12 | 2,56 12,0 11,1 2,36 DAIESS 0,22 21a. 6. VII. | 4,5 1% 20’) 3,74 17,56 15,6 Sl = 2,63 0,33 222. 20.VIL.| 5,0| 2: 1 40 27,4 26,5 4,70 4,50 0,10 temperatur berechnet. Es ergab sich bei ‚‚mittlerer‘‘ Zerschnei- dung in Luft bei 22° pro Stunde und 1g eine Oxydationsgröße von 170—200cmm Sauerstoff (in 1,5proz. K,HPO, bzw. Na,HPO,); beifeinerer Zerschneidung bis zu 420 cmm Sauerstoff, d. h. 0,24—0,30 mg O, bzw. bis 0,6 mg Sauerstoff!). Dies entspricht bei 20° einer stündlichen At- mung von 0,20 —0,25 mg (bzw. 0,5 mg) O, und gleichen Gewichtsmengen Milchsäure, da 96. Sauerstoff 90 g Milchsäure verbrennen. Und wir finden eine Differenz von 0,2—0,3mg Milchsäure pro Stunde beim Vergleich der ungehemmten mit der um 80% gehemmten Atmung. Mithin ist auch die Atmung des zerkleinerten Muskels nichts anderes als die Oxydation von Milchsäure 2). Dies wurde schon von mir auf Grund älterer Versuche vermutet, da man die Atmung schwach wasserextra- Tee ehe hierten zerschnittenen Muskelgewebes durch Milchsäurezusatz bis zu 100%, steigern kann. Doch ließ es sich damals nicht beweisen. Die Vorstellung, daß diese Atmung mit Milchsäure nichts zu tun hätte, konnte leicht auf Grund der Befunde von Fletcher und Hopkins entstehen, daß An- oder Abwesenheit von Sauerstoff die Anhäufung der Milchsäure in zerschnittener Muskulatur in keiner Weise verändert. Dieser Befund ist indes nur für die von den Autoren benutzten Zeit- räume zutreffend. Sie exponierten die zerschnittenen Muskeln 3%/, Stun- den, ein andermal 28 Stunden in Wasserstoff und darauf in Sauerstoff. 1) Diese Zeitschr. 195, 24. 1919. 2) Bei den im Text mitgeteilten Versuchen ist die Differenz des Milch- säuregehaltes mit und ohne Blausäure nur etwa gerade so groß, als dem oxydierten Anteil der Säure entspricht; diese Differenz müßte aber viel größer sein, wenn gleichzeitig Milchsäure in erheblichem Umfang anoxydativ zurück- verwandelt würde. Inzwischen habe ich festgestellt, daß nun in der Tat, wenn man die Bedingungen für maximale Sauerstoffversorgung noch günstiger gestaltet, mittels Durchleitung von Sauerstoff durch die in Phosphatlösung suspendierte Muskulatur, und anderseits die Atmung der Vergleichsmuskeln komplett hemmt — in einer Wasserstoffatmosphäre —, ferner die Muskeln nur grob zerscehneidet, die Differenz bedeutend größer wird und für die ersten Stunden nach der Zerschneidung das Vierfache der verbrauchten Sauer- stoffmenge betragen kann. Dann sind also in der zerschnittenen Muskulatur die stark gesteigerte Atmung und der Milchsäureschwund in genau derselben Weise verknüpft wie in den intakten Muskeln während des Restitutionsprozesses. Die Energieumwandlungen im Muskel. III. 31 Aber nach 3—4 Stunden ist zumal unter den angewandten Versuchs- bedingungen die Atmung schon ziemlich vollständig aufgehoben. Ähn- liches gilt von einem anderen Versuch, bei dem sie nach maximaler Ermüdung der Muskeln dieselben zerschnitten und bei 22° zum Teil in Sauerstoff, zum Teil in Wasserstoff exponierten. Hier fanden sie in der Tat zunächst eine Differenz von etwa 0,4%, Milchsäure zugunsten der Wasserstoffmuskeln, auf die sie indes keinen besonderen Wert legten, und die sich (was nach den hier entwickelten Vorstellungen theoretisch auch zu erwarten war) späterhin teilweise ausglich. Zusammenfassung. 1. In der Arbeit werden Milchsäureumsatz, Kohlenhydratumsatz und Sauerstoffverbrauch im Muskel miteinander verglichen. Es ergibt sich unter Berücksichtigung der Oxydationen eine völlige Äquivalenz der Änderungen von Milchsäure- und Kohlenhydratbilanz unter allen geprüften Umständen, wobei die Änderung der letzteren ganz wesent- lich das Glykogen betrifft. Im einzelnen gilt: | 2. Wenn bei Erschöpfung mit Einzelinduktionsschlägen sich im Muskel gegen 0,3%, Milchsäure bilden, so schwindet eine äquivalente Menge Kohlenhydrat. 3. Wenn bei 22° und bei 14° sich im Muskel Milchsäure anaerob in der Ruhe anhäuft, so schwindet ebenfalls entsprechend Kohlen- hydrat, und auch hier ändert sich hauptsächlich nur der Glykogen- gehalt, nicht die Menge der übrigen Zucker, was einen Unterschied gegenüber der Leber darstellt, soweit sich hier eine gesteigerte Ver- zuckerung des Glykogens aus den Forschungen anderer Autoren ergibt. 4. Bei derRuheatmung sind Sauerstofiverbrauch und Kohlenhydrat- schwund äquivalent: im isolierten Muskel verbrennt also ausschließ- lich oder mindestens ganz vorwiegend Zucker. 5. Wenn während der oxydativen Restitution des Muskels nach erschöpfender indirekter Ermüdung mit Einzelinduktionsschlägen etwa 0,25%, angehäufte Milchsäure schwindet, wobei nur !/,—!/, derselben verbrennt, so nehmen in dieser Zeit die Kohlenhydrate um genau die Menge zu, die sich aus der Differenz des Milchsäureschwundes und Sauer- stoffverbrauchs in der Erholungszeit (Erholung + Ruheverbrauch) be- rechnet. 6. Auch beim Zerschneiden der Muskeln geht Milchsäurebildung und Kohlenhydratschwund zeitlich genau parallel und ist einander äquivalent. Dies gilt vor allem auch für die erste Zeit unmittelbar nach der Zerschneidung und sowohl für die Temperatur von 15° wie 20°. 32 OÖ. Meyerhof: Die Energieumwandlungen im Muskel. II. 7. Wird bei genügender Sauerstoffversorgung die Milchsäurebildung der fein zerkleinerten Muskulatur bei 20° in den ersten Stunden nach dem Zerschneiden miteinander verglichen mit und ohne Blausäurezusatz, so ist die Milchsäurebildung in Gegenwart von Blausäure etwa um 0,02 bis 0,03% pro 1 Stunde erhöht. Diese Differenz ist etwa ebensogroß, wie sich aus der Größe der ungehemmten Atmung berechnet, wenn man annimmt, daß hierbei die Verbrennung der Milchsäure ihre An- häufung verzögert. Es folgt somit, daß in der Tat auch bei der enorm gesteigerten Atmung der zerschnittenen Muskeln die Oxydation auf Kosten der Milchsäure geschieht. | Geschleehtsspezifische Wirkungen von Keimdrüsenextrakten. Von Arthur Weil. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle.) Mit 8 Textabbildungen. (Eingegangen am 4. August 1920.) Seit den Untersuchungen Brown -Sequards über die Wirkungen von Hodenextrakten auf den menschlichen Körper ist eine große Reihe von Arbeiten entstanden, die sich mit dem Problem befaßten, die Inkrete, welche von den Testes und Ovarien erzeugt werden sollen, zu isolieren. Hierzu war es vor allen Dingen nötig, eine Methode zu besitzen, welche es gestattete, die Wirkung der spezifischen Inkrete nachzuweisen. Es liest in der Entwicklung dieses Forschungsgebietes begründet, daß zunächst versucht wurde, die sekundären Geschlechts- merkmale durch Einspritzung von Extrakten oder Verfütterung ganzer Drüsen zu beeinflussen. Als Versuchstiere dienten entweder Kastraten, wie in den alten Arbeiten Bertholds!) Kapaunen, erwachsene oder jungfräuliche Tiere, bei denen man Brunst- oder Reifeerscheinungen künstlich zu beschleunigen versuchte wie in den Versuchen Nuss- baums und Steinachs an Froschmännchen oder Herrmanns am Uterus und Ovar junger Kaninchen ?). — Neben diesen morphologischen Methoden wurde der Einfluß der Keimdrüsen auf die verschiedensten Lebensäußerungen untersucht; bekannt sind die Arbeiten Loewys und Richters über die Abnahme des Grundumsatzes bei Kastraten und die Beeinflussung durch Keimdrüsenpräparate?), die Versuche Pregls und Zoths über die muskuläre Leistungssteigerung nach Injektionen von Hodenextrakten, Schickeles über die Wirkung der intravenösen Injektion von Ovarextrakten auf den Blutdruck. Gegen die letztere Arbeit ist besonders von Biedl?), Dold5) u.a. der Einwand erhoben, daß es sich hierbei nicht um spezifische Wirkungen, sondern um intra- !) Arch. f. Anat. u. Physiol. 42. 1849. ?) Literatur vgl. bei A. Lipschütz, Die Pubertätsdrüse. Bern 1919. 3) Ältere Literatur bis 1903: A. Loewy, Ergebn. d. Physiol. II. 1903; neuere in A. Biedl, Die innere Sekretion, Bd. II. Wien 1916. E27 0282209 5) Zeitschr. f. Immunitätsforsch. 19, 53. 1911; 22, 561. 1914. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 155. [U] 34 A. Weil capilläre Gerinnungserscheinungen handele, die man mit allen mög- lichen Organextrakten erzielen könne; außerdem sind die Blutdrucks- veränderungen unabhängis vom Geschlecht der Versuchstiere, während bei der ersten Methodengruppe und den Stoffwechseluntersuchungen. geschlechtsspezifische Unterschiede gefunden wurden. Ein Nachteil dieser Arbeitsweisen als Hilfsmittel zur Isolierung geschlechtsspezifischer Inkrete liest darin, daß viele Tage bis Wochen vergehen, ehe die Umstimmung des Organismus nachgewiesen werden . kann, in den Loewy-Richterschen Versuchen 11 Tage bei männlichen, 14 Wochen bei weiblichen Kastraten, und daß die Versuchstiere meist für weitere Untersuchungen dauernd oder für längere Zeit verloren sind. Aus dem ersten Grunde sind auch die Untersuchungen Bertschist) über den respiratorischen Stoffwechsel kastrierter Kaninchen nicht be- weiskräftig genug, um als Widerlegung der von den beiden letzteren Autoren gefundenen Abnahme des Gasstoffwechsels zu dienen. Stellt man die erste Tabelle seiner Arbeit mit der von Loewy - Richter zusammen, so ergibt sich sogar ebenfalls vom elften Tage ab eine Ab- nahme der CO,-Ausscheidung beim männlichen Kastraten, die in der Bertschischen Zusammenstellung nicht zum Ausdruck kommt, da er, abgesehen von einem Additionsfehler bei der Berechnung des Durch- schnittes (1,206 statt 1,243) noch 3 Tage aus der ersten Woche nach der Operation hinzufüst, wodurch natürlich der Durchschnittswert nach oben verschoben wird. — Ich stelle zum Vergleich zwei Tabellen aus diesen Arbeiten zusammen: Loewy - Richter Bertschi Hund | Kaninchen Datum O-Verbrauch pro kg Datum CO,-Abgabe pro kg Minute cem und Stunde g 13.Jbiselka. DET: 6,570— 7,180 7. bis 297 1,234— 1,332 (Durchschnitt 7,028) (Durchschnitt 1,279) 1, I0E, Operation 1 IE 2) Operation DT TE Re NE 6,732 AR. .0n 28% ee 1,222 EUER oo 1,228 29 1ER RA. MIR 5,757 TRETEN EN AD 1,254 TIEREN 1,192 30: TEL Se ee 6,285 134 X Tr Een 1,182 1 a ic ce 1,162 110% an RE 6,169 RD 05 1,230 1 VD a lenken 1,176 Durchschnitt. er 6,070 Durchschnitt er 1,188 29. II. bis 1. IV. 1de Bis 20. x 0% Der zweite Versuch Bertschis (Tabelle X) ist überhaupt nur auf 10 Tage nach der Operation ausgedehnt; die Gewichtsabnahme um 200 8 in der Zeit vom 15. bis 22. XII. deutet auf eine operative Schä- 1) Biochem. Zeitschr. 106, 37. 1920. Geschlechtsspezifische Wirkungen von Keimdrüsenextrakten. 35 digung (Infektion ? Gerade in dieser Tabelle fehlen allein die Tempe- raturangaben). Meine eigenen Versuche sind in bezug auf diese Frage- stellung nicht beweiskräftig, da ich in Zwischenräumen von 4—8 Tagen die verschiedensten Injektionen an den operierten Tieren ausführte. Ein Zwillingsbruderpaar, das am 12. X. 1919 geboren war, und von dem am 19. III. 1920 der eine kastriert wurde, zeigte nach 4 Wochen ohne Injektionen eine Differenz von 2,038 CO, pro kg und Stunde (Kastrat) gegen 2,249 des normalen Tieres. Auf der Suche nach einer Methode, welche es gestattete, den Ein- fluß der verschiedenen isolierten Hoden- und Ovarienpräparate auf die verschiedenen Geschlechter in wenigen Stunden nachzuweisen, und welche den heutigen Verhältnissen entsprechend unblutig mit möglichst geringem Tierverbrauch arbeiten mußte, gelang es mir bei Gasstoffwechseluntersuchungen an Meerschweinchen diesem Ziele nahe zu kommen. Ich benutzte zu meinen Versuchen das Haldanesche Prinzip, wie es in neuerer Zeit von Asher mit Danoff, Hauri und Bertschi wiederho!t auf dem Gebiete der inneren Sekretion angewandt worden ist!), so daß sich wohl eine ausführliche Beschreibung der Apparatur erübrigt, an der ich nur kleine Abänderungen vornahm: U-förmige Röhren zur Absorption des Wassers mit Schwefelsäure-Bimsstein und des Kohlendioxyds mit frischem Natronkalk gefüllt von etwa 2cm Durchmesser und 14 cm Schenkellänge, so daß sie nach dem Anschmelzen eines dünnen Glasfadens bequem auf der analytischen Wage gewogen werden konnten. Statt des Gasmessers verwandte ich einen nach einer Idee Van Slykes und Cullens?) von mir aus zwei Dreiwegstücken, einem gebogenen U-förmigen Glasrohr von etwa 35cm Schenkellänge und einer Capillare von I—-2 mm Durchmesser konstruierten Geschwin- digkeitsmesser, den man in der Werkstatt jeder Gasanstalt an einem Versuchsgasmesser eichen lassen kann. Die lichte Weite der Capillare richtet sich nach dem Durchmesser des übrigen Rohres und nach der Stundengeschwindigkeit, die auf der seitlichen Skala aufgezeichnet wird. Alle Einzelheiten des einfachen Apparates, der zu jeder Zeit die Ge- schwindigkeit der durchströmenden Luft abzulesen gestattet, ergeben sich aus Abb.1. — Ich arbeitete mit 60—120 1 Durchströmungs- geschwindigkeit, je nach der Giöße der Meerschweinchen. Ich wich von dem bisher üblichen Verfahren insofern ab, als ich mich nicht mit 1—3stündigen täglichen Atmungsversuchen begnügte, da der Nachteil dieser Versuchsanordnung darin liegt, daß man, wenn man nicht täglich zu denselben bestimmten Stunden untersucht, ent- sprechend der na der CO,-Ausscheidung im Laufe des Tages 1) Biochem. Zeitschr. 93, 47. 1919; 98, 1. 1919; 106, 37. 1920. ?) Journ. of Biolog. Chem. 19, 211. 1914. 3* 36 A. Weil: Q auch im Hungerstoffwechsel große Differenzen schon bei normalen Versuchstieren erhält und Schwankungen in kurzen Zeiträumen nicht nachweisen kann. Ich ging darum so vor, daß ich in Perioden von etwa 20 zu 20 Minuten die CO,-Ausschei- dung feststellte und gewann so eine Tageskurve, die für jedes Versuchs- tier eine charakteristische Form hatte, so daß grobe Abweichungen leicht festzustellen waren. Auf die Bestimmung der Wasserausschei- dung und damit des respiratorischen Quotienten mußte ich bei dieser An- ordnung verzichten, da ja bei den häufigen Harnentleerungen der Meer- schweinchen der Versuch jedesmal hätte unterbrochen werden müssen. Diese Tiere eignen sich gut für der- artig langdauernde Versuche, da sie sich schnell an den Atmungskasten gewöhnen und, abgesehen von jun- gen Tieren bis etwa 150g, ruhig sitzen. Die störende Angewohnheit, die eigenen Ausscheidungen zu verzehren, hat auf den Verlauf der Kurve keinen Einfluß, da ich mich durch wiederholte Kontrollversuche davon überzeugen konnte, daß die durch die Kauarbeit usw. bedingte vermehrte (CO, - Produktion Versuch 50. 22.0 praktisch vernachlässigt wer- den kann. — Da nach der Injektion häufig vermehrte Unruhe eintritt, schaltete ich nach dieser immer eine Pause von 10 bis 15 Minuten ein. Ein sehr wichtiger Punkt 10T TUN ER TIZEÄEREREITEERBE re bei der Untersuchung von Abb. 2. Ordinate: Gramm CO, pro kg und Stunde. Keimdrüsenpräparaten auf ge- Abszisse: Tageszeit. — x 1 = Injektion von 1,6 ccm schlechtsspezifische Wirkung Testesextrakt. : ES 11: ist die einheitliche Darstellung, die auch die leichte Zersetzlichkeit dieser noch nicht isolierten Pro- dukte, auf die schon Loewy hinweist, berücksichtigt. Ferner müssen die Präparate eiweißfrei sein, um bei wiederholter Injektion Anaphylaxie zu vermeiden, und schließlich muß man immer mit gleichen Konzen- trationen arbeiten, eine selbstverständliche Voraussetzung, die man in der Literatur nicht immer erfüllt findet. — Bei der Anwendung ist die Zur Wasser strahl - II Abb. 1. Bee |t Geschlechtsspezifische Wirkungen von Keimdrüsenextrakten. {eo} intravenöse Injektion zu vermeiden, um nicht die schon obenerwähnten Einwände herauszufordern. — Ich verarbeitete stets frische Rinder- organe des hiesigen Schlachthofes. Nach Zermahlen im Fleischwolfe wurden sie mit dem gleichen Volumen Wasser unter Zusatz von etwa 20 ccm Essigsäure po Liter im Wasserbade bis auf 60° erhitzt und 10 Minuten bei dieser Temperatur gehalten. Nach dem Abkühlen wird abfiltriert und das klare Filtrat im Vakuum mit Hilfe eines Tropf- trichters zur Trockne verdampft. Der Rückstand wird in soviel Wasser gelöst als dem Gewicht des zehnten Teiles der frischen Organe ent- spricht; die goldgelbe Lösung wird unter To!uol aufbewahrt. — In- jiıziert wurden 3 ccm pro kg Körpergewicht unter die Haut des Oberschenkels. Bei der Anwen- dung von so zuberei- teten wässerigen Ho- denextrakten beob- achtete ich nun bei Meerschweinchen in der ersten bis zweiten Stunde nach der In- jektion ganz bestimmte Schwankungen der CO,-Kurve, diegeschlechts- spezifisch waren, d.h. am intensivsten nur bei nicht ge- schlechtsreifen Männchen (Abb. 4), männlichen Kastraten (weibliche wurden noch nicht untersucht) (Abb.3) undträch- tigen Weibchen (Abb. 4) auftraten, nicht aber bei erwachsenen Männchen. (Abb. 8) und Weibchen (Abb. 2, dritte Kurve). Voraus- setzung ist, daß man die oben angegebenen Mengen nicht über- Abb. 3. x 1 und 2=1,6cem, x 3=1cem Testesextrakt. schreitet. "0 A 78 7 2 3 Z 5 In der ersten oder zweiten \ nn 2 R 2 Abb. 4. x 1=1,9ccm Testesopton, x 2=1,9 cem; Periode nach der Einspritzung See TE fälltdie CO,-Ausscheidung p:ötz- lich ab, um dann mehr oder weniger steil über den normalen Durch- schnitt anzusteigen und ebenso plötzlich ‘wieder abzufallen. Wieder- holt man nach 3—4 Stunden die Injektion, so sind die Schwankungen weniger ausgesprochen, der Anstieg erfolgt allmählicher (untere Kurve der Abb. 3 und 4, Injektion 2). 38 A. Weil: Ein anderes Bild ergibt die Injektion von wässerigen ÖOvarien- extrakten; am ausgesprochensten wieder bei Kastraten (Abb. 6, obere Kurve), weniger bei noch nicht geschlechtsreifen Männchen und bei Weib- chen (Abb. 6, mittlere Kurve und 5), keine Wirkung bei erwachsenen Männchen (Abb. 6, untere Kurve): Die CO,-Ausscheidung fällt mehr oder weniger steil ab, um dann allmählich zur Norm zurückzukehren, ohr.e sie bedeutend zu über- schreiten im Gegensatze zu der Wirkung von Hoden- extrakten. -Parallel mit diesen Ver- änderungen des Gasstoff- wechsels gehen bei der An- wendung frischer Extrakte, die nicht älter als 14 Tage sind, bestimmte ner vöse Er- scheinungen: 3—4 Minuten nach der Einspritzung be- ginnen die reagierenden Ver- suchstiere unruhig zu wer- den; in einzelnen Fällen folgen jetzt Würgbewegun- gen, meistens aber klonische Zuckungen der gesamten Körper- muskulatur, die weiter durch isolierte tonisch -klonische Kontrak- tionen der Rückenmuskeln und später durch feinschlägiges, sekunden- lang andauerndes, schüttelfrostähnliches Zittern der Rückenhaut abgelöst werden, um nach etwa 3 Stunden abzuklingen. — Die Körpertemperatur steigt dabei bisweilen um 1—2° an. Ich fand diese Bilder nur bei männlichen Kastraten und bei noch nicht geschlechtsreifen Meerschweinchenmännchen, aber nicht bei erwachsenen Männchen und Weibchen. Wieder- holt man die Einspritzungen schon am nächsten Tage, so treten die nervösen Erscheinungen bedeutend schwächer und verspätet em und können nach wiederholten Injektionen ganz ausbleiben. Ältere Ex- trakte zeigen diese Wirkungen nicht oder nur bei doppelten und noch größeren Mengen; dagegen bleibt die Eigenschaft, den Gasstoffwechsel zu beeinflussen, erhalten. Kurz vor dem Abschluß dieser Arbeit wurde ich auf eine ältere Veröffentlichung von Gräfenberg und Thiess!) aufmerksam, die im Anschluß an Untersuchungen von Dunbar?), der an Fischen gezeigt hatte, daß die Geschlechtszellen biologisch den übrigen Körperzellen fernstehen, die Wirkung von intravenösen Abb.5. x 1=1,7 ccm, x 2= 1 ccm Ovarextrakt. Abb.6. x 1 —- leem,. x2 —1,2eem, 1x 3. 2B3/ccmOyar- extrakt. 1) Zeitschr. f. Immunitätsforsch. 10, 24. 1911. 2) Zeitschr. f. Immunitätsforsch. %, 496. 1910. Geschlechtsspezifische Wirkungen von Keimdrüsenextrakten. 39 Hodenextrakten an Meerschweinchen und Kaninchen prüften. Sie fanden hierbei, daß arteigene Hoden giftiger wirken als fremde, und daß ein streng geschlechtsspezifischer Unterschied zwischen erwachsenen Tieren einerseits, nicht geschlechtsreifen und Kastraten andererseits be- steht. Während für die ersteren die tödliche Extraktmenge etwa 34—40 frischen Kaninchenhoden entsprach (3,4—4 cem meiner Extrakte), waren bei Weibchen 50 g, bei Kastraten 25 g, bei trächtigen Weibchen 28 g nötig, um in kurzer Zeit den Tod herbeizuführen. Die bei subletalen Dosen beschriebenen nervösen Erscheinungen zeigen große Ähnlichkeit mit den nach subcutaner Injektion frischer Extrakte oben geschilderten. Gegen diese Versuche sind ebenso wie gegen die schon erwähnten Schickeles die Einwände erhoben worden, daß es sich hierbei nicht um spezifische Wirkungen, sondern um giftige Eigenschaften handele, die allen. Organextrakten bei intravenöser Injektion zukommen, und daß der Tod durch intracapilläre Gerinnung eintreten solle [Schenck!t)]. Der Unterschied in der Reaktionsart der verschiedenen Geschlechter deutet aber bei den Hodenextrakten schon auf eine Spezifität hin; in einer späteren Arbeit gelang es den beiden Autoren, den Nachweis zu führen, daß das männliche Geschlechtszellenantigen imstande ist, beim Kaninchen die Bindung des Antiserums hervorzurufen, das für männ- liche Meerschweinchen siftiger als für weibliche ist. Auch meine Versuche, die Unterschiede in der Wirkung von Hoden- und Ovarienextrakten, die verschiedene Reaktionsart der einzelnen Geschlechter beweisen, daß es sich bei der Änderung des Gasstoff- wechsels nicht um allgemeingültige Wirkungen von Organextrakten handeln kann. Um die Beweiskette zu schließen, untersuchte ich auch Extrakte aus verschiedenen Geweben, Muskeln, Pankreas, Schilddrüse, die nur in großen Dosen (5—6 cem pro kg) ohne Geschlechtsunterschiede Wirkungen ähnlich denen des Ovarienextraktes hervorriefen: Leichter Abfall der Kurve mit allmählichem Anstieg zur Norm. Als Beispiel diene die Injektion von Schild- drüsenextrakt an einem er- wachsenen männlichen Meer- schweinchen. BL ü Eine weitere Aufgabe war jetzt, den oder die wirksamen Abb.”. x1=1cem, x2=3ccem Schilddrüsen- Stoffe der Extrakte näher zu umgrenzen und zu isolieren. Versuche, die ich mit Testesoptonen an- stellte, die nach Vorschrift von Abderhalden dargestellt_waren, gaben ähnliche Kurven wie die Hodenextrakte (Abb. 4 und 8); sie wirkten nicht bei, erwachsenen Männchen, steigerten dagegen die CO,-Ausscheidung bei Kastraten und trächtigen Weibchen. 1) Zeitschr. f. Immunitätsforsch. 23, 234. 1914. 40 A. Weil: Daß die beobachteten nervösen Erscheinungen, die ähnlich den von Dold!) bei intravenöser Injektion von Organextrakten beschriebe- nen verlaufen, von anderen Verbindungen hervorgerufen werden müssen als die Änderungen Ber des Gasstoffwechsels, ergibt ı- sich schon daraus, daß beim a, Altern der Extrakte die erste Komponente verloren geht, Abb. 8. x1= seem 00% Mc — x2=16cem während die zweite erhalten ! bleibt. Auch längeres Erhitzen auf 60° und Filtration, die bei intravenöser Injektion die Giftwirkung zerstört, waren ohne Einfluß auf die geschlechtsspezifische Wirkung der Hodenextrakte. Ließ ich den mit essigsaurem Wasser extrahierten Organbrei weiter mit Alkohol (gleiches Volumen) ausziehen, so erhielt ich nach dem Eindampfen dieser alkoholischen Extrakte und Auflösen in soviel Wasser wie !/,, des .ursprünglichen Gewichtes entsprach, Lösungen, die doppelt bis dreifach so stark wirkten wie die ersten wässerigen Auszüge. Weitere Versuche, die wirksamen Substanzen durch Fällung mit Pikrinsäure, Ammoniak usw. zu isolieren, führten bis jetzt noch nicht zu eindeutigen Ergebnissen. - Es bleibt schließlich noch die Frage zu erörtern, wie die vermehrte oder verminderte CO,-Ausscheidung zustande kommt. Daß es sich hierbei nicht um Änderung der akzessorischen Atmungsbewegungen handelt, ergibt sich aus der geringen Änderung der Atemfrequenz, die kurz nach der Injektion wohl durch die Aufregung von ca. 70—80 Atem- zügen pro Minute bei Meerschweinchen von 400—500 8 auf 90—100 steigen kann, die aber während der kritischen Perioden kaum ver- ändert ist. Dagegen deutet der Temperaturanstieg bis um 2° auch beim Fehlen der nervösen Erscheinungen darauf hin, daß die Änderung des Gasstoffwechsels auf innere Ursachen zurückgeführt werden muß, sei es nun auf Erregung bestimmter nervöser Zentren oder direkte Be- einflussung des Zellstoffwechsels. Ältere Versuche Dixons?), der nach intravenöser Injektion von Hoden-Kochsalzextrakten Abnahme der Atemfrequenz beschrieb, die er durch direkte* Aufzeichnung des frei präparierten Zwerchfells bei Katzen registrierte, berücksichtigten keine geschlechtsspezifischen Unterschiede und sind wegen des Eiweiß- gehaltes der Präparate und der Art der Injektion nicht beweiskräftig. Zusammenfassend ergibt sich aus der vorliegenden Arbeit: 1. Beschreibung einer neuen Anwendungsart des Haldaneschen Prinzips für Gasstoffwechseluntersuchungen: Aufnahme der CO,- Dal: 2) Journ. of physiol. 26, 244. 1900/01. Geschlechtsspezifische Wirkungen von Keimdrüsenextrakten. 41 Ausscheidung in kurzen 20-Minuten-Perioden, die fortlaufend an- einander gereiht für jedes Tier typische Tageskurven ergeben. 2. Subeutane Injektionen von Rinderhodenextrakten (entsprechend 308 frischem Organ pro kg Körpergewicht) erzeugen bei Meerschwein- chen geschlechtsspezifische Veränderungen der CO,-Kurve: Plötzlicher "Abfall und steiler Wiederanstieg über die Norm innerhalb zweier Stunden nach der Injektion bei noch nicht geschlechtsreifen Männchen, Kastraten und trächtigen Weibchen, keine Wirkungen bei erwachsenen Männ- chen und Weibchen. 3. Extrakte aus Ovarien sind wirkungslos bei erwachsenen Männ- chen, erzeugen bei den übrigen Versuchstieren leichte Senkungen der CO,-Kurve mit allmählichem Wiederanstieg zur Norm, die aber auch mit großen Dosen anderer Organextrakte erreicht werden können, bei diesen aber ohne Unterschied der Geschlechter. 4. Frische Hoden- und Ovarienextrakte rufen bei subeutaner Ein- spritzung typische nervöse Erscheinungen hervor, die ebenso geschlechts- spezifisch sind wie die Änderungen des Gasstoffwechsels, und die mit Temperatursteigerung verbunden sind. Nach etwa 14 Tagen können diese nervösen Erscheinungen nicht mehr hervorgerufen werden, da- gegen bleibt der Einfluß auf die CO,-Ausscheidung erhalten. (Aus der Medizinischen Klinik der Universität Breslau. [Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Minkowskij].) a Beiträge zur Frage der autonomen Innervation des Skelettmuskels. I. Über die Tiegelsehe Contraetur beim Menschen. Von Dr. Harry Schäffer, Assistent der Klinik. Mit 7 Textabbildungen. (Eingegangen am 25. Juli 1920.) Einleitung und Fragestellung. Seit der Begriff des Muskeltonus 1840 von Johannes Müller!) geprägt wurde, ist das Tonusproblem lange Zeit hindurch das Stief- kind der Physiologie geblieben. Wußte man doch noch in den 90er Jahren nicht viel mehr, als daß der Tonus der Skelettmuskulatur reflektorisch unterhalten werde (Brondgeest), ohne die Frage nach seinem Wesen und seiner Bedeutung für die normalen Leistungen des Organismus, geschweige denn für die Klinik und Pathologie auch nur aufgeworfen zu haben. Erst die beiden letzten Jahrzehnte haben diesem Latenzstadium ein Ende gemacht und durch eine große Reihe von Arbeiten eine wesent- liche Förderung unserer Kenntnis gebracht. Botazzi?) versucht zuerst, die Zuckungskurve des quergestreiften Frosch- und Krötenmuskels in ihre tetanische und tonische Kompo- nente zu zerlegen. Der Tonus ist für ihn eine eigene, vom Tetanus prin- zipiell zu trennende Aktionsform und hat seinen Sitz im Sarkoplasma. Mit A. Mosso?) beginnt die Lehre von der autonomen Innervation des Skelettmuskels. Gestützt auf histologische Untersuchungen von Perroncito®) nahm er für den Tonus eine besondere, und zwar sym- pathische Innervation an. !) Joh. Müller, Handb. d. Physiol. d. Menschen, Bd. II, Koblenz 1840, S. 80. 2) Botazzi, Arch. f. Phys. 1901, 8.371. ) A. Mosso, Arch. ital. de biol. 41, 183. 1904. 2) Perroncito, Arch. ital. de biol. 38, 393. 1902. = IH. Schäffer: Beiträge zur Frage der autonomen Innervation usw. 43 Seine Anschauung gewann an Wahrscheinlichkeit, als Boeket) 1909 mit Sicherheit nachwies, daß jede Muskelzelle neben der längst gekannten, kompliziert gebauten Endplatte des motorischen Nerven eine anatomisch wohl charakterisierte, den nervösen Endorganen glatter Muskeln völlig entsprechende Nervenendigung besitzt. Da sie auch nach Degeneration des motorischen Nerven erhalten bleibt, muß sie autonomer Natur sein. De Boer?) unternimmt es, die Frage der sympathischen Tonus- innervation auf experimentellem Wege zu klären. Er modifiziert den Brondgeestschen Grundversuch, indem er beim Frosch die zu einem Bein gehörigen Rami communicantes des Grenzstranges durchschneidet und damit die sympathischen Fasern isoliert ausschaltet. Wurde das Tier nun am Kopf aufgehängt, so fiel das Bein der operierten Seite schlaffer herab als das gesunde, das noch eine gewisse Beugestellung beibehielt. Der Wegfall des Sympathicus hatte also zum Tonusverlust geführt. Seine Ergebnisse konnten jedoch von mehreren Nachunter- suchern nicht bestätigt werden Jansma®), Dusser de Barenne?), E. Th. von Brücke), Kuno®). Demnach kann von einem Beweise dafür, daß der Sympathicus den Tonus der Skelettmuskulatur unterhält, vorläufig keine Rede sein. Ein neues Stadium beginnt für das Tonusproblem, als Frank’) zum erstenmal für das Bestehen einer parasympathischen Inner- vation und Regulation des Tonus eintritt. Zwar finden wir schon bei H. H. Meyer) die Vermutung ausgesprochen, daß der Antagonismus zwischen Curare und Physostigmin möglicherweise auf die Anwesenheit parasympathischer Endigungen in der Muskelfaser zurückzuführen sei. Aber erst Frank faßt eine Reihe neuropathologischer Beobach- tungen und anatomischer Tatsachen unter neuen einheitlichen Ge- sichtspunkten zusammen und verwertet sie in seiner Parasympathiecus- theorie mit Erfolg für das Tonusproblem. Bezüglich der zahlreichen Anwendungen seiner Lehre auf pathologischem Gebiet muß auf die Originalarbeiten verwiesen werden. Jedenfalls bedarf die intuitiv ge- wonnene Erkenntnis noch kritischer experimenteller Fundierung. Hierzu soll die vorliegende Arbeit beitragen. Auf einem bisher unter 1) Boeke, Anatomischer Anzeiger 35, 481. 1909; 44, 343. 1913. ) de Boer, Zeitschr. f. Biol. 65, 239. 1915. 3) Jansma, Zeitschr. f. Biol. 65, 365. 1915. ‚*) Dusser de Barenne, dies Archiv 166, 145. 1916. 5) E. Th. von Brücke, dies Archiv 366, 55. 1916. 6) Kuno, Jouxn. of physiol. 49, 139. 1915. ”) Frank, Berl. klin. Wochenschr. 1919, Nr. 45, 1057; 46, 1090. ®) H. H. Meyer in Meyer - Gottlieb, Lehrbuch der experim. Pharmakol., 3. Aufl. -1914, S. 147. 44 H. Schäffer: diesen Gesichtspunkten kaum beschrittenem Wege, dem der pharma- kologischen Analyse, wird versucht werden, dem Problem der auto- nomen Muskelinnervation näher zu kommen!). Aus den gefundenen Tatsachen werden Anhaltspunkte dafür gewonnen werden, daß beiden Systemen, dem sympathischen sowohl wie dem parasympathischen, Einwirkungen auf eine bestimmte Aktionsform des Muskels, die sog. Tiegelsche Contractur, zukommen, ja daß darüber hinaus, wie an anderen. autonom innervierten Organen, so auch hier, ein funktio- neller Antagonismus beider besteht, derart, daß parasym- pathische Erregung die Contractur fördert, sympathische aber sie hemmt. 1. Frühere Untersuehungen über die Tiegelsche Contraetur. Wird ein Muskel durch Einzelinduktionsschlag oder faradischen Strom zur Kontraktion gereizt, so bleibt auch nach Aufhören des Reizes noch eine Zeitlang ein geringer Grad von Verkürzung bestehen (Ver- kürzungsrückstand von Hermann). Kronecker?) untersuchte diesen Vorgang bei intermittierender Reizung und beschreibt ihn mit folgenden Worten: „Eine absonderliche Reizbarkeitserscheinung bieten manche schwach belastet oder überlastet zuckende Muskeln; sie bleiben auch während der Ruhepausen ein wenig kontrahiert. Die hieraus resul- tierende ‚Abszissenhebung‘ wächst zuerst mit der Zahl der Zuckunger, um eine Weile auf dieser Höhe zu beharren und dann, erst schnell, später sehr allmählich, zu der normalen Abszisse zurückzukehren.‘ Tiegel?) spricht zum erstenmal von Contractur. Er findet sie bei Reizungen mit tetanisierenden Strömen in kurzen rhythmischen Inter- vallen bei manchen Exemplaren von Winterfröschen besonders hoch- gradig ausgeprägt. In seinen Kurven steigt die Contractur, ähnlich wie bei Kronecker, bald im Beginn der Reizung bis zu einer gewissen Höhe an und sinkt dann langsam wieder zur Abszisse ab, von der nun alle weiteren Hebungen ihren Ausgang nehmen. Die Verbindungs- linie aller Fußpunkte der ersten Einzelkurven ergibt also eine nach oben konvexe Linie. Die Entfernung ihres höchsten Punktes von der Abszisse gilt als Maß für die Stärke der Contractur. Diese ist wohl zu unterscheiden von der Kontraktion, die ein kurzer Tetanus ist und deren Stärke in der Höhe der einzelnen Erhebungen zum Aus- !) Seit Fertigstellung dieser Arbeit hat Frank seine Anschauungen auf theo- retischem und experimentellem Wege bedeutend erweitert und auf dem XXXII. Deutschen Kongreß für innere Medizin in Dresden 1920 seine Ergebnisse mit- geteilt. — Dort habe auch ich über diese Arbeit bereits in Kürze berichtet. Vgl. ferner Frank, Berl. klin. Wochenschr. 1920, Nr. 31, 8.725 und H. Schäffer, ebenda 1920, Nr. 31, S. 728. ®?) H. Kronecker, Monatsber. d. Kgl. Akad. zu Berlin 1870, S. 639. ®) E. Tiegel, dies Archiv 13, 71. 1876. i Beiträge zur Frage der autonomen Innervation des Skelettmuskels. 45 druck kommt. Mit der Ermüdung des Muskels scheint die Contractur nichts zu tun zu haben. Zwischen ihrem Auftreten am isolierten und am durchbluteten Muskel ergab sich kein Unterschied. Am Menschen studierte A. Mosso!) die Contractur zuerst mit Hilfe seines Ergographen. Die Ergebnisse sind bereits in seiner grund- legenden Arbeit „Über die Gesetze der Ermüdung“ niedergelest. Er sah sowohl bei Willkürarbeit wie bei direkter und indirekter Reizung des Muskels Contracturen in seinen Kurven auftreten. Die deutlichsten Resultate fanden sich immer bei direkter, schwächere bei indirekter Reizung, die geringsten bei Willkürarbeit. Dabei konnten einzelne Individuen während der Contractur (also in der Pause zwischen zwei Reizen) Gewichte bis zu 3 kg halten. Ceteris paribus trat die Contractur stets um so stärker auf, je schwächer das belastende Gewicht und je inten- siver der tetanisierende Strom war. Mosso gibt bereits an, daß sie leichter erscheint, wenn man während der elektrischen Reizung gleich- zeitig willkürliche Hebungen des Gewichts ausführen läßt. Sie trat in seinen Versuchen stets schon nach den ersten Kontraktionen auf, erreichte niemals exzessive Grade und verschwand bei weiterer Fort- setzung der Reizung wieder spontan. Gelegentlich fiel der Abfall der Contractur mit dem Beginn der Ermüdung zusammen. Mosso sieht in der Contractur einen rein muskulären Vorgang, da sie auch am curaresierten Froschmuskel auftritt (Tiegel), wobei er von der freilich noch unbewiesenen Voraussetzung ausgeht, daß der Prozeß im iso- lierten Tiermuskel mit dem im normalen Muskel des Menschen iden- tisch sei. Besonders bemerkenswert erscheint ihm das überaus ungleiche Hervortreten der Contractur in den Kurven verschiedener Individuen. Während bei der einen Versuchsperson schon relativ schwache Ströme genügen, sie zu erzeugen und schwere Gewichte getragen werden, sind bei anderen die stärksten Ströme, die nur mit großer Willensenergie ausgehalten werden, selbst bei schwacher Belastung kaum ausreichend. Seine Befunde scheinen in der Folgezeit wenig Beachtung gefunden zu haben. Wenigstens konnte ich in der Literatur nirgends weitere Arbeiten über die Tiegelsche Contractur bei klinisch Gesunden auf- finden. III. Methodik. Sämtliche Versuche sind an einer Versuchsperson ausgeführt, die die Tiegel- sche Contractur in ausgeprägtem Maße bot. Die Untersuchung der Muskeln und Nerven des zu allen Versuchen benutzten rechten Armes lieferte fol- gendes Ergebnis: Muskulatur normal entwickelt, von mäßiger Kraft. Aktive Bewegungen werden schnell und öhne Nachdauer der Kontraktion ausgeführt. Beklopfen mit !) A. Mosso, Arch. f. Phys. 1890, S. 89. 46 H. Schäffer: dem Perkussionshammer ruft blitzartige Zuckung des gänzen Muskels ohne lokale Wulstbildung hervor. Mechanische Erregbarkeit der Nervenstämme nicht ge- steigert. Bei der elektrischen Prüfung lag die indifferente Blektrode (60 gem) auf dem Sternum; als differente diente zur Reizung der Nervenpunkte eine Knopf- elektrode, zur direkten Muskelreizung eine Elektrode von 9qcm Fläche. Faradische Prüfung. Galvanische Prüfung. Erbscher Punkt .. . 125mm RA N. medianus: K.S.Z.: 0,6 MA N. musculocutaneus . 140 mm RA (oberer Punkt) A.S.Z.: 1,5 MA N. medianus he A.Ö.Z.: 4,0 MA Oberer Punkt . .. 130mm RA K S T.:_10,0 MA Unterer Punkt .:.. 130mm RA N. ulnaris: K.S.Z.: 0,4 MA Ns ulnarı sun (oberer Punkt) A.S.Z.: 0,83 MA Oberer Punkt . . . 120mm RA NO ZONEN Unterer Punkt .. 115mm RA K.S.T.: 80 MA N. radialis ..... 105mm RA M. flex. earp.'rad.. . 118mm RA M., flex. carp. uln.. . 120mm RA M. flex. dig. prof. .. 115mm RA M. flex. die. sub... 125mm RA Sämtliche Zuckungen erfolgen blitzartig und ohne Nachdauer. Die Aufnahme der Kurven geschah mit einem modifizierten Mossoschen Ergographen. Dieser entsprach bezüglich der Befestigung des Unterarms den Forderungen von Oseretzkowski und Kraepelin!). Doch sah die Volar- fläche der Hand wie bei dem ursprünglichen Mossoschen Modell nach oben, damit die Reizelektroden bequemer auf der Volarfläche des Unterarms befestigt werden konnten. Die beiden letzteren waren gleich groß und rund, 3 cm im Durchmesser und wurden in Abständen von etwa 10cm mit Gummibändern und Schnallen auf den ulnaren Beugemuskeln fixiert. Der Muskel wurde also stets direkt und bipolar gereizt. Zur Erzeugung des faradischen Stromes diente ein du Bois- Reymondsches Schlitteninduktorium mit Akkumulatorenbatterie. Die Zahl der Unterbrechungen betrug 50 pro Sekunde. Da mir einer der komplizierten Apparate zur Herstellung des Kontaktes in bestimmtem Rhythmus bei veränderlicher Stromschlußdauer nicht zur Verfügung stand, modifizierte ich die bekannte Kontaktvorrichtung mittels Metronoms in folgender Weise: Die Pendelstange trägt an ihrem oberen Teil einen halbkreis- förmigen Bügel aus feinem Eisendraht, dessen Kreismittelpunkt in der Pendel- achse liegt. Auf der einen Seite gabelt sich dieser Bügel in zwei Drähte, deren jeder am unteren Ende in einer Platinkontaktspitze endigt. Bei genügender seit- licher Neigung der Pendelstange tauchen diese in zwei parallele unten geschlossene, je Tem lange, etwa 5cm hoch mit Quecksilber gefüllte Glasröhren von 1 cm lichter Weite, die zu Bögen von gleichem Radius wie die Drahtgabel geformt und fest miteinander verbunden sind. In einem geeigneten Halter am Metronom be- festist, können sie letzterer nach Belieben genähert oder von ihr entfernt und in der gewünschten Lage mittels Schraube fixiert werden. Je höher man die Röhren schiebt, um so tiefer taucht die Gabel bei der Pendelschwingung in das Queck- silber ein, um so länger dauert daher der Stromschluß. In jedes Rohr ist am unteren Ende ein kurzer Platindraht eingeschmolzen, der den Kontakt mit dem Quecksilber herstellt. Um die Luftoxydation zu verhindern, wird auf jede Queck- silberoberfläche etwas Alkohol geschichtet. Zur Vermeidung der starken Funken- bildung, die durch Verunreinigung des Quecksilbers sehr schnell zu Kontakt- !) Oseretzkowski und Kraepelin, Kraepelins Psychol. Arbeiten Bd. II. Beiträge zur Frage der autonomen Innervation des Skelettmuskels. 47 fehlern führen kann, empfiehlt es sich, zwischen die beiden Quecksilbergefäße einen Kondensator, etwa von einem kleinen Funkeninduktor, zu schalten, wodurch der Apparat bedeutend zuverlässiger arbeitet. Er wurde mittels Jaquetscher Uhr, elektrischem Zeitmarkierer und Kymographion durch Verschieben des Gewichtes an der Pendelstange und Einstellung der Quecksilberiöhren so geeicht, daß der Kontakt alle zwei Sekunden erfolgte und die Stromschlußdauer jedesmal ?/, Se- kunden betrug. Da pro Sekunde 50 Unterbrechungen erfolgten, erhielt der Muskel jedesmal 30 Schließungs- und Öffnungsschläge. Die Belastung des Ergographen betrug in der Regel 0,5, nur in wenigen Ver- suchen 1,0kg. Die Hemmschraube am Schreibapparat wurde dem Läufer bis eben zur Berührung genähert. Der Lederring lag um das Mittelglied des dritten Fingers und wurde stets an genau gleicher Stelle befestigt. Versuch I. 9.I. 1920. Reizung der ulnaren Beuger durch faradischen Strom im Rhythmus des Metronoms, Rollenabstand (RA) 50 mm, Belastung 0,5 kg (Abb. 3). Schon von der ersten Hebung an tritt die Contractur auf, nimmt bei jeder folgenden zu, um bei der 12. maximal zu werden, d. h. die gleiche Höhe zu er- reichen wie die einzelnen Kontraktionen. Bei a wird der Strom ausgeschaltet und die Kurve sinkt zuerst schnell, dann immer langsamer ab. Bei b wird der Strom von neuem eingeschaltet. Die Contractur ist jetzt so stark, daß schon die 3. He- bung fast vom Gipfel der 2. ihren Ausgang nimmt. Bei c setzt der Strom aus, und die Contractur sinkt langsam zur Abszisse ab. Die zur Hervorrufung dieser Contractur erforderlichen starken Ströme sind jedoch so schmerzhaft, daß sich ein häufiges Arbeiten mit ihnen verbietet. Es mußte daher ein Weg gefunden werden, der auch mit schwachem Strom Contracturen zu erzeugen gestattete. Einen Finger- zeig in dieser Richtung gab die obenerwähnte Angabe Mossos, daß auch schwächere Ströme genügen, wenn man zugleich mit der künst- lichen Reizung willkürlich kontrahieren läßt. Die Kombination von Willkür und elektrischem Impuls begünstigt also das Auftreten der Contractur. Mosso bediente sich einer nicht näher beschriebenen Vorrichtung, die es gestattete, die Dauer der elektrischen Reizung während der Willkürhebung beliebig abzustufen. Ich erreichte das- selbe auf folgendem Wege: Am Schreibapparat des Ergographen befand sich mehrere Zentimeter unter- halb der Gleitstangen und parallel mit diesen angeordnet eine schwache Stahlfeder, die an ihrem zum Gewicht hinsehenden Ende im Bogen nach abwärts gekrümmt und hier isoliert von dem eisernen Grundbrett auf einer Holzunterlage befestigt war, während ihr anderes zum Arm gewandtes Ende in einem kleinen Hartgummi- griff frei endete. Die Holzunterlage mit der Feder konnte in der Längsrichtung des Apparates verschoben und in beliebiger Stellung durch eine Klammer fixiert werden. Von der unteren Fläche des die Schreibfeder tragenden Läufers kam der Stahlfeder ein rechtwinklig gebogenes Messingblech entgegen, dessen untere hori- zontale Fläche sich in solcher Höhe befand, daß sie bei geeigneter Stellung des Läufers mit leichtem Druck auf der oberen Fläche der Feder schleifte. Durch Herabdrücken des mit Hartgummi armierten Endes der Stablfeder ließ sich der Kontakt zwischen beiden sofort aufheben. Diese Vorrichtung wird nun derart in den Kreis des primären Stromes des Induktors geschaltet, daß der eine Draht mit den Metallteilen des Schreibapparates, 48 H. Schäffer: der andere mit der Stahlfeder verbunden wird. Die Reizung beginnt, sobald das Gewicht ein Stück aktiv gehoben ist und dadurch der Messingkontakt am Läufer die Feder berührt. Während der weiteren Hebung bleibt der Kontakt geschlossen und wird erst in dem Moment durch Niederdrücken der Feder gelöst, in dem die Kontraktion ihren Höhepunkt erreicht hat. Künstliche Reizung und Willkür- impuls hören jetzt auf und das Gewicht fällt zurück. Die Hebungen geschehen alle 2 Sekunden nach dem Takt eines Metronoms. Die Zeit, während der elektrisch gereizt wird, ist um so größer, je mehr man die Kontaktfeder zum Gewicht hin anbringt. Es ist klar, daß der Reizstrom dauernd eingeschaltet sein muß, sobald die Contractur des Muskels eine gewisse von der Stellung der Feder abhängige Höhe erreicht hat. Man hilft sich in diesem Fall, indem man die Feder im Takt der Willkürhebung senkt und hebt, was nach kurzer Übung leicht mit genügender Präzision auszuführen ist. Diese Anordnung ist in allen Versuchen benützt, in denen sich der Vermerk findet: Willkür + farad. (bzw. galvan.) Strom. Versuch II. 14.]I. 1920. Belastung 0,5 kg, RA 105 mm. Die Stärke des Stromes ist so bemessen, daß der Finger das Gewicht eben von seiner Stütze abzuheben vermag. Bei Will- kür + farad. Strom tritt bei der 10. Hebung Contractur auf und wird schnell maximal. Der Strom wird jetzt ausgeschaltet, während die willkürlichen Bewe- gungen weiter gehen, und nach den 3 nächsten Kontraktionen hat der Muskel seine Ausgangslänge wieder erreicht. Es wird nun der größte Rollenabstand festzu- stellen gesucht, bei dem gerade noch die Contractur erscheint. Bei RA 120 mm ist der Strom äußerst schwach, wird kaum empfunden und liest dicht oberhalb des Schwellenwertes für die eben sichtbare Bewegung des unbelasteten Mittel- fingers. Von einer Hebung des Gewichtes ist keine Rede mehr. Die Contracetur tritt nach der 10. Hebung auf, erreicht nur geringe Höhe, ist sehr unregelmäßig und sinkt mit dem Eintritt der Ermüdung ab. Noch schwächere Ströme lösen die Contractur nicht mehr aus. Dieser Versuch, der wie alle übrigen nur als Beispiel aus zahlreichen ähnlichen herausgegriffen ist, zeigt folgende auffallende Tatsache: Wird der Muskel von dem doppelten Impuls der Willkür und des faradischen Stromes getroffen, so wird er bereits durch äußerst schwache elektrische Reize in Contractur versetzt. Es genügen unter diesen Bedingungen Ströme, die für sich allein das während der Contractur gehaltene Gewicht überhaupt nicht zu heben vermögen, ja sogar solche, die in der Nähe des Schwellenwertes für den unbelasteten Muskel liegen. Versuch Ill. 15. T. 1920. Hier sollte die Frage entschieden werden, ob auch die Durchströmung mit dem konstanten galvanischen Strom imstande ist, Contractur zu erzeugen. 1. Belastung 0,5kg. Willkür + galvan. Strom 2,0 MA. Von der 1. Hebung an schnell zunehmende und maximal werdende Contractur; nach Aussetzen des Stromes gewinnt der Muskel nach weiteren Hebungen seine ursprüngliche Länge stufenweise wieder. 2. Desgl., doch 0,4 MA. Bei der 4. Kontraktion beginnt die „Abszissenhebung‘“. hält sich kurze Zeit auf mittlerer Höhe und sinkt dann spontan wieder ab. Gleich Beiträge zur Frage der autonomen Innervation des Skelettmuskels. 49 darauf wird eine zweite Willkürkurve aufgenommen, während der Strom aus- geschaltet ist. Es tritt keine Contractur auf. Auch bei Strömen unter 0,4 MA ist sie nicht mehr zu erzielen. Der gleichzeitig bestimmte Schwellenwert für die Zuckung des unbelasteten Mittelfingers lag bei 0,9 MA. Dieser Versuch zeigt noch eindringlicher als der vorhergehende mit faradischem Strom, daß konstante Ströme, die selbst unter dem Schwellenwert liegen, bei gleichzeitiger Willküraktion die Contractüur hervorrufen können. Es stimmt dies gut mit der allgemeinen Annahme überein, daß der galvanische Strom in be- sonderem Maße das Sarkoplasma reizt, das nach dem Vorgang von Botazzi!) ja mit Wahrscheinlichkeit als das spezifische Substrat tonischer Prozesse zu gelten hat. IV. Der Einfluß der Blutleere auf die Tiegelsche Contraetur. Versuch IV. 11.1. 1920. Belastung 0,5 kg. Reizung mit starkem Induktionsstrom von RA 50 mm, ohne Willkürhebung. Die Contractur bildet sich schnell zur größten Höhe heran und sinkt auch nach Aussetzen des Stromes innerhalb der folgenden Sekunden nur sehr wenig ab. Darauf neues Einschalten des Stromes, sofort starke Contractur. Nach dem Ausschalten ganz langsames Absinken, das bis zum Erreichen der Abszisse über 1 Minute dauert. Jetzt wird am Oberarm eine Recklinghausensche Blutdruckmanschette an- gelest, mit Quecksilbermanometer und Gebläse verbunden und auf einen Druck von 170—180 mm Hg aufgeblasen. Da der vorher bestimmte maximale Blut- druck bei 110 mm lag, ist die Zirkulation im Arm jetzt mit Sicherheit ausgeschaltet. Nun wird unter sonst gleichen Bedingungen eine 2. Kurve aufgenommen, während der Manschettendruck konstant bleibt. Der Unterschied gegenüber der vorhergehenden Kurve fällt sofort in die Augen: Bis zur 22. Hebung ist keine Contractur erschienen, erst bei der 23. tritt sie ein, erreicht aber nur eine mäßige Höhe. Versuch V. 13.1. 1920. Willkür + farad. Strom RA 90 mm. Belastung 0,5 kg. Von der 5. Hebung an erscheint die Contractur. Sobald sie vollständig aus- gebildet ist, wird der Strom ausgesetzt. Das gleiche wird noch einmal wiederholt. Gleich darauf wird die Zirkulation wie in Versuch IV unterbunden und die fol- gende Kurve geschrieben. Eine nennenswerte Contractur tritt während des ganzen Verlaufes nicht hervor, trotzdem ist eine gewisse Neigung zur Verkürzung unver- kennbar. Sie zeigt sich außer einer minimalen Hebung der Abszisse in ganz charak- teristischer Weise darin, daß von der 13. Hebung an mit einer Ausnahme jene Zacken fehlen, die an den ersten Hebungen die Abszisse nach unten überragen. Diese finden sich immer dann, wenn der völlig schlaffe Muskel das Gewicht mit hinreichender Geschwindigkeit fallen läßt und sind ein Ausdruck für die Elastizität der den Stoß auffangenden Teile des Apparates. Demgemäß müssen sie fehlen, wenn der Muskel nur langsam erschlafft und das Gewicht mit entsprechend ge- ringerer Geschwindigkeit absinkt. D)Elare: Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 185. 4 50 H. Schäfter: Versuch IV und V zeigen, daß arterielle Anämie die Contractur sofort weitgehend behindert, wenn auch nicht ganz unterdrückt und zwar zu einer Zeit, in der die einzelnen Kontraktionen noch nichts von ihrer Höhe eingebüßt haben. Ja Mossot), der sein Augenmerk besonders auf die Veränderungen der Zuckungshöhe unter dem Ein- fluß der Blutleere richtete, sah diese sogleich nach Aufhebung der Zirkulation bei elektrischer Reizung sogar zunehmen. Ähnlich wirkt die Anlegung der Esmarchschen Binde bei patho- logischen Spasmen verschiedener organischer Genese. Dies gilt für die Späteontracturen der Hemiplegiker (Brissaud, Babinski), für die Spasmen der Paralysis agitans [Foerster?)], aber auch für jene seltenen Contracturen nach Verletzungen peripherer Nerven, die besonders während des Krieges zur Beobachtung kamen [Foerster, Gier- lich?) u. a.]. V. Die Contraetur ist ein peripherer Vorgang. Mosso hielt, wie oben erwähnt, die Contractur für einen rein muskulären Vorgang in Analogie mit den Verhältnissen am Frosch, bei dem sie auch am isolierten curaresierten Muskel auftritt. Für den Menschen steht dieser Beweis noch aus. Im Gegenteil wäre im Hin- blick auf die Arbeiten Sherringtons®) daran zu denken, ob hier nicht unter Mitwirkung des Zentralnervensystems ein propriozeptiver Reflex vorliegt, derart, daß die Kontraktion unter besonderen Be- dingungen im Muskel selbst einen Reiz liefert, der seinerseits die Con- traetur reflektorisch auslöst. Die Entscheidung der Frage wurde erbracht mit Hilfe der sog. Plexusanästhesie. Es stellte sich heraus, daß der hierdurch motorisch und sensibel vollständig gelähmte Muskel die Contractur ebenfalls bot, ja wie es schien, bereits bei Stromstärken, die den normal innervierten Muskel noch nicht in tonische Erregung zu bringen vermögen. Versuch VI. 29. III. 1920. Injektion von 20 ccm 2proz. Novocainlösung ohne Zusatz von Adrenalin in den rechten Armplexus. Erst nach °/, Stunden ist jede Willkürbewegung unmöglich, tiefe Nadelstiche werden nicht mehr empfunden, der Tonus ist vollständig aufgehoben. Der Arm wird jetzt am Ergographen befestigt und in Überlastung ein Gewicht von 1,0kg angehängt. An Stelle der gewöhnlichen Elektroden werden zwei tief in die Muskulatur ein- gestochene Nadeln zur Zuleitung des faradischen Stromes benutzt. Bereits bei 135 mm RA tritt eine Contractur auf, die sich bei fortgesetzter Reizung konstant 1) ]. c. $. 112£. 2) O. Foerster, Die Contracturen bei den Erkrankungen der Pyramiden- bahn. Berlin 1906. 3) Gierlich, Dtsch. Zeitschr. f. Nervenheilk. 63, 145. 1919. *) Sherrington, Integrative action of the nervous system. 1906. Beiträge zur Frage «der autonomen Innervation des Skelettmuskels. 51 auf mittlerer Höhe hält (Abb. 7). Auf die Unterschiede dieser Kurven gegenüber den bisherigen wird später noch eingegangen werden. Da ich keine Versuche mit Nadelelektroden am normalen Arm angestellt habe, fehlen die Vergleichswerte, um mit Sicherheit von einer Herabsetzung der Reizschwelle für den Eintritt der Contractur nach Ausschaltung der zentralen Innervation sprechen zu können. Immerhin sind die gefundenen Werte auffallend niedrig. Der Versuch beweist, daß die Contractur auch beim Menschen einperipheresPhänomen ist. Ob sie rein muskulär zustande kommt oder die Mitwirkung von Nervenendorganen erforderlich ist, bleibt unentschieden. Doch machen die Erfahrungen am Froschmuskel die erstere Annahme sehr wahrscheinlich. VI. Über die Aktionsströme der Contraetur. Zu den typischen Kriterien jeder tetanischen Dauerverkürzung zählt der diskontinuierliche Aktionsstrom, während bei den rein toni- schen Zuständen jede elektrische Begleiterscheinung vermißt wird. Man hat nun gerade in neuerer Zeit eine Anzahl eigenartiger statischer Verkürzungszustände kennengelernt, die man bis dahin scheinbar mit guten Gründen als ausgesprochen tonische angesehen hatte, die aber bei der Untersuchung mit dem Saitengalvanometer lebhafte Aktionsstromschwankungen erkennen ließen. Das gilt z. B.nachP. Hoff- mann!) für die Starre nach Veratrinvergiftung, besonders aber nach Dusser de Barenne?) und Buytendiek?®) für die Enthirnungs- starre Sherrinstons, die nach den Ergebnissen von Roaf*) und Bayliss®) nicht mit Erhöhung des Energieverbrauchs und der Wärme- produktion einhergeht. Man hat daraus den Schluß gezogen, daß hier überhaupt kein. Zustand von Tonuserhöhung, vielmehr ein echter Dauertetanus vorliege; ja einzelne Autoren gehen heute so weit, die Eigenart tonischer Prozesse am quergestreiften Warmblütermuskel überhaupt zu leugnen [P. Hoffmann®), Einthoven?)] und den Tonus ganz allgemein als schwache tetanische Dauererregung zu defi- nieren. Demgegenüber muß betont werden, daß der Verlauf des Elektro- myogramms zwar die Anwesenheit diskontinuierlicher Prozesse mit Sicherheit beweist, daß damit aber das gleichzeitige Bestehen eines echten Tonus keineswegs ausgeschlossen ist, ja nicht einmal gezeigt wird, daß die tetanischen Vorgänge das Wesentliche des Zustandes ausmachen. Jedenfalls darf das Vorhandensein oszillatorischer Aktions- 1) P. Hoffmann, Zeitschr. f. Biol. 58, 55. 1912. 2) Dusser de Barenne, Zentralbl. f. Physiol. 25, 334. 1911. ®2) Buytendiek, Zeitschr. f. Biol. 59, 36. 1913. *) Roaf, Livre jubilaire du Richet, zit. nach Verzär, Ergebn. d. Physiol. 15, 1916. >) Bayliss, Quarterly Journ. of experim. Physiol. 6, 393. 1913. 6) P. Hoffmann, Zeitschr. f. Biol. 69, 517. 1919. ”) Einthoven, Arch. neerland. de Physiol. 2%, 489. 1918. A* 52 H. Schäffer: ströme bei irgendeiner Dauerverkürzungsform niemals als Argument gegen. das gleichzeitige Bestehen einer tonischen Komponente neben der tetanischen dienen. So wenig also einerseits die heute bekannten Tat- sachen dazu berechtigen, die Existenz des Tonus als einer eigenen _Aktionsform schroff abzulehnen, so soll auf der anderen Seite doch zu- gegeben werden, daß auch die obenerwähnten Anschauungen von Botazzi u.a. der Kritik noch manche Angriffsfläche bieten. Immer- hin erscheint es zweckmäßig, im Interesse der leichteren Verständigung vorläufig die Brückesche!) Einteilung‘ nach dem elektrischen Verhalten in Erregungs- und Ruhetonus anzunehmen, ohne damit etwas über das Wesen dieser Zustände zu präjudizieren.. Die Untersuchung der Aktionsströme der Tiegelschen Contraetur wurde sowohl am normalen Arm wie während der Plexusanästhesie mit und ohne Belastung des Muskels vorgenommen. Die Aufnahme der Kurven geschah mit dem Saitengalvanometer und dem Registrierapparat der Fa. Huth (Berlin). Die zu diesen Versuchen benützte Platinsaite wurde aus Wollastondraht durch Abbeizen in Salpetersäure hergestellt, war 34 dick und hatte 3470 2 Widerstand. Vergrößerung der Saite 1000fach, Saitenlänge 95 mm. Kondensation des Nullstroms. Zeit 1/, Sekunde. Versuch VII. 29. III. 1920. 1. Plexusanästhesie des rechten Arms (s. Versuch VI). Ableitung von den ulnaren Unterarmbeugern mittels eingestochener Nadeln. Die Contractur wird durch faradische Reizung bei RA 120 mm hervorgerufen. Sobald sie stark ausgebildet ist, wird der Primärstrom des Induktors unterbrochen Abb. 1. Aktionsströme der durch Plexusanästhesie gelähmten Unterarmbeuger im Zustande der Tiegelschen Contractur. Fadenspannung: 10 mm pro 1 MV. Vor Eintritt der Contractur befand sich die Saite völlig in Ruhe. und mittels eines Umschalters die Verbindung zwischen den Nadeln, die eben noch als Reizelektroden gedient hatten, und dem Galvanometer hergestellt. Der Finger ist unbelastet und bleibt während des ganzen Versuchs in Beugestellung fixiert, so daß der Muskel möglichst entspannt ist. Abb. 1 zeigt das Resultat bei 1) Th. von Brücke, Dtsch. med. Wochenschr. 1918, S. 121 u. 152. | | i Beiträge zur Frage der autonomen Innervation des Skelettmuskels. 53 starker Fadenspannung: 10 mm pro 1 MV. Man erkennt zahlreiche Oszillationen von unregelmäßiger sehr kleiner Amplitude. Die Auszählung sämtlicher Zacken ergibt etwa 70—80 pro Sekunde. Die Kurve Abb. 2 ist bei schwacher Spannung aufgenommen. Vor Eintritt der Contractur waren keine Aktionsströme vom Muskel ableitbar. Sobald man den Mus- kel während der Contrac- tur durch Anhängen von Gewichten an den Fingern passiv in Spannung ver- setzt, werden die Ampli- zes tuden der Schwankungen — ee bedeutend größer, ohne daB MM Fe 4, | Bm! and: eine Änderung der Fre- Alle H Ah AI uud quenz eintritt. VersuchVIII. 28.111. 1920, ‚. Abb. 2. Aktionsstreöome der durch Plexusanästhesie ge- Sn 2. Aufnahme deı lähmten Unterarmbeuger während der Tiegelschen Con- Contractur am norma- tractur. Fadenspannung: 25 mm pro 1MV. Vor Eintritt len Arm. Ableitung mit- der Contractur befand sich die Saite völlig in Ruhe. tels Bandelektroden. Das Resultat ist das gleiche wie am gelähmten Arm mittels Nadelelektroden, so daß auf die Wiedergabe der Kurven verzichtet werden kann. Auch hier tritt bei Be- lastung des Muskels sofort eine Zunahme der Amplitudengröße ein. Resultat: Im Zustande der Tiegelschen Contractur liefert der Muskel Aktionsströme in einer Frequenz von 70—80 pro Sekunde, deren Amplitude mit zunehmender Spannung des Muskels wächst. Da diese Kurve auch nach Wegfall der zentralen Innervation er- halten wird, handelt es sich offenbar um den sog. Eigenrhythmus des Muskels, wie ihn Dittler und Tichomirow!) beschrieben haben. Im übrigen ähnelt das Bild nach Frequenz und Unregelmäßigkeit der Amplituden dem vom Veratrinmuskel und in der Enthirnungs- starre erhaltenen und unterscheidet sich wesentlich von dem 50er Rhythmus der Piperschen Kurven?). b [RE KU VII. Die pharmakologische Beeinflussung der Tiegelschen Contractur. Um dem Problem der Beziehung des autonomen Nervensystems zum Skelettmuskel näher zu kommen, sollen im folgenden die wich- tigsten Substanzen, deren spezifisch erregende oder lähmende Wirkung auf autonome Nervenendorgane feststeht, in ihrem Einfluß auf die Tiegelsche Contracetur untersucht werden. Der Typ eines sympathisch erregenden Mittels ist Adrenalin; parasympathisch erregend wirken 1) Dittler und Tichomirow, dies Archiv 125, 111. 1908. :2) Piper, Elektrophysiologie menschlicher Muskeln. Berlin 1912. H. Schäffer 54 "XI 'SIOA 34 g‘0 Zungsejog. ‘(ww 0g 'Y-"y) wong "perey -urgoreldng Zur g‘[ uoA [ur '980d ‘um g T9änaqwielsyuN Iap AngDeNuo) ayasppdarL 'F "dgqY „O4 9 Snod "XI 'sI9A '349 ‘0 Zungse] og UOMIEZIOAIIU (U Ig "Y-'Y) WONS "peig} uoyIe4s yoınp “Zunssngurag Ayasıdojoyewuieyd auyo JoönaqwreIsguN) A9p ANgoR1Juoj) ayosppdarL 'E 'qqy Beiträge zur Frage der autonomen Innervation des Skelettmuskels. 55 Pilocarpin und Physostigmin, parasympathisch lähmend Atropin und Scopolamin. Die Injektionen wurden stets an beliebiger Stelle subeu- tan bzw. intramuskulär vorgenommen. ISEDiLe Wirkung des Adrenalins auf die Tiegelsche Contractur. . Versuch IX. 10. I. 1920. Reizung der rechten Unterarmbeuger mittels farad. Stroms. Keine Willkür- aktion. RA 50mm. Belastung 0,5 kg. Abb. 3 zeigt die Aufnahme vor Adre- nalin. Die Contractur beginnt mit der 1. Hebung, wird mit der 12. maximal und sinkt nach Ausschalten des Stromes in a zunächst nur ein geringes Stück ab, um dann noch einige Zeit relativ hoch zu bleiben. Bald danach intramus- kuläre Injektion von 1,5mg Suprarenin. synth. von Höchst am linken Oberarm, auf die mit Herzklopfen und mäßigem allgemeinem Tremor reagiert wird. 8 Minuten post inj. wird die Kurve Abb. 4 aufgenommen. Der Unterschied gegenüber der vorigen fällt sofort in die Augen. Von der 1. Kontraktion ab besteht zwar eine geringe Hebung der Fußpunkte, diese bleibt aber bis zur 25. Kontraktion konstant; dann erst beginnt die Contractur ganz allmählich anzusteigen und er- reicht bei der 36. Hebung eine mittlere Höhe. Nach Aussetzen des Stromes in a . sinkt sie schnell bis fast zur Abszisse ab. Versuch X. 13.1. 1920. Willkür + farad. Strom. RA 90 mm. Belastung 0,5 kg. l. Vor Adrenalin. Von der 14. Hebung an besteht maximale Contractur. Der Strom wird dann ausgeschaltet und 6 weitere Willkürhebungen folgen. Jetzt wird von neuem gereizt und bei der 3. Hebung ist die Contractur wieder auf ihrem Höhepunkt. Danach wird der Arm mittels Manschette komprimiert und sogleich die nächste Kurve geschrieben. Bei der 12. Hebung beginnt eine geringe Contractur, die nicht weiter an Stärke zunimmt. Die Anämie vermag die Contractur also nicht vollständig zu unterdrücken. Die Manschette wird entfernt und einige Minuten später eine Normalkurve geschrieben, die wieder die anfänglichen Verhältnisse zeigt. Darauf 1,2mg Suprarenin intramuskulär am linken Arm. 4 Mi- nuten später fehlt jede Spur einer Contractur. Die Kurve gleicht einfachen Willkürhebungen ohne elektrische Reizung. Daß der Muskel nach jeder Hebung ohne die geringste Neigung zur Contractur sofort völlig erschlafft, geht aus den gut ausgeprägten Schleuderzacken hervor, die fast bis zum Ende der Kurve von der Abszisse nach abwärts ragen. Um festzustellen, wie lange diese Wirkung andauert, werden in kurzen Ab- ständen weitere Kurven aufgenommen. 80 Min. post inj. beginnt die Contractur wieder aufzutreten, gewinnt aber nur eine mäßige Höhe und sinkt bei Fortsetzung der Hebungen spontan wieder ab. 85 Min. post inj. wird die Contractur nach unregelmäßigem Anstieg bei der 17. Hebung maximal, und 90 Min. post inj. ist das Ausgangsstadium wieder erreicht. Danach wird die Zirkulation des Arms von neuem unterbrochen. Sofort ist die Contractur bei normaler Höhe der Kontraktionen stark gehemmt, erreicht nur geringe Höhe und verschwindet nach kurzem spontan. Auch jetzt wird sie durch die Anämie nicht völlig vernichtet. 56 H. Schäffer: Aus diesen Kurven, die später noch mehrfache Bestätigung finden werden, geht mit Sicherheit hervor, daß Adrenalin unter den gewählten Versuchsbedingungen die Contractur zu unterdrücken vermag. Es fragt sich zunächst, ob hier eine neue eigenartige Muskel- bzw. Nerven- endwirkung des Adrenalins gefunden ist, oder ob etwa bereits bekannte Einflüsse dieser Substanz zur Erklärung hinreichen. Hier sind folgende Möglichkeiten in Betracht zu ziehen: 1. Wir haben bereits im ersten Abschnitt gezeigt und im Ver- such 10 bestätigt, daß arterielle Anämie im gleichen Sinne auf die Con- tractur wirkt wie Adrenalin. Beruht die Wirkung des letzteren also nur auf der von ihm hervorgerufenen senllacenen Blutversorgung des Arms infolge Vasoconstriction ? 2. Der Widerstand der Haut und wohl auch des Muskels für den elektrischen Strom hängt ab von dem Grade ihrer Durchblutung. Wird diese unter Adrenalin verschlechtert, so muß der Widerstand steigen und die Stromstärke dem ÖOhmschen Gesetz entsprechend sinken. Der schwächere Strom ist aber vielleicht nicht mehr imstande, die Contractur zu erzeugen. Möglicherweise liegt hierin auch die Er- klärung für die Wirkung der Anämie. Letzterer Einwand ist leicht widerlegt, denn diese Versuche ge- lingen ebenso gut, wenn man direkt in den Muskel eingestochene Nadeln zur Reizung benutzt und damit den Hautwiderstand ganz ausschaltet. Exakter noch ist die Anwendung des galvanischen statt des faradischen Stromes. Auch wenn durch Einstellen des Milliamperemeters auf stets gleiche Werte jede Änderung des Gewebswiderstandes sofort aus- geglichen wird, bleibt das Resultat unverändert. Die Wirkung des Adrenalins beruht auch nicht auf der Verschlech- terung der Durchblutung des Muskels. Wir wissen nämlich durch die Arbeiten von Rosenow!) am ‚Menschen [die in Übereinstimmung stehen mit den Ergebnissen von Oliver und Schäfer?) am Tier], daß sehr bald nach Injektion von Adrenalin die plethysmographische Kurve des Armes für einige Minuten ansteigt, da die starke Vasocon- strietion im Splanchnicusgebiet zu einer passiven Verdrängung des Blutes in die Peripherie führt. Schon in diesem Stadium ver- mehrter Blutfülleist diehemmende Wirkungdes Adrenalins auf die Contractur nachweisbar. An meiner Versuchsperson habe ich das Verhalten des Armvolumens unter 1,0 mg Adrenalin intramuskulär nachgeprüft. Als Plethysmo- graph wurde der von Hürthle®) zur Blutdruckmessung am Menschen angegebene Apparat benutzt und die Volumenschwankung mit Marey- 1) Rosenow, Dtsch. Archiv f. klin. Med. 12%, 136. 1918. 2) Oliver und Schäfer, Journ. of physiol. 18, 230. 1895. 3) Hürthle, Dtsch. med. Wochenschr. 1896, Nr. 36, S. 574. Beiträge zur Frage der autonomen Innervation des Skelettmuskels. 57 scher Kapsel verzeichnet. Die gewonnene Kurve zeigte 1 Minute nach der Injektion einen Anstieg, dem erst nach 5t/, Minuten ein Ab- sinken unter das Anfangsniveau folgt. Versuch 10 ist nun 4 Min. nach Adrenalininjektion angestellt. Hier ist also von einer Anämie des Muskels keine Rede, zumal die willkürliche Muskelkontraktion noch zur Verbesserung der Durchblutung beiträgt. In einem anderen Versuch habe ich mich überzeugt, daß die Contractur bereits 2 Minuten post inj. gehemmt wird. Die Wirkung des Adrenalins auf die Contractur geht also seiner Gefäßwirkung keineswegs parallel. Ferner zeigt Versuch 10 mit aller Deutlichkeit, daß unter den gleichen Bedingungen, unter denen Adrenalin die Contractur vernichtet, völlige Aufhebung der Armzirkulation allein dies nicht vermag. Adrenalin übertrifft somit an Wirkungsstärke selbst die völlige Ischämie. Sein Einfluß kann also unmöglich nur auf die letztere bezogen werden. Damit ist bewiesen, daß die Hemmung der Öontractur durch Adrenalin nicht als vasomotorische, sondern als spezifische Muskel- bzw. Nervenendwirkung aufgefaßt werden muß. Auf den Ort des Angriffs wird an späterer Stelle noch einzugehen sein. Dieses Ergebnis ist durchaus unerwartet; vielmehr hätte man nach den Versuchen de Boers vom Adrenalin, dessen Wirkung ja überall im Organismus einer Erregung sympathischer Endapparate gleich- kommt, eher eine Förderung der Contractur annehmen sollen. 2. Die Wirkung des Pilocarpins und Physostigmins auf die Tiegelsche Contractur. Beide Substanzen sind spezifische Erreger parasympathischer Nervenendisungen. Den Einfluß des Pilocarpins zeigt als Beispiel Versuch XI. 15. I. 1920. Willkür + farad. Strom, Belastung 0,5kg. RA 125mm. Die Stromstärke ist so gewählt, daß gerade eine mittelstarke Contractur erscheint, die dann spontan wieder verschwindet. 9h 15’. Contractur in mittlerer Höhe. 9% 207. Desgl. 9h 22. 0,018 Pilocarpin. hydrochl. subcutan. 94 35°. Contractur in mittlerer Höhe. 9 47’. Contractur wird bei der 7. Hebung maximal. Nach kurzem Aussetzen des Stromes und Wiedereinschalten sofort stärkste Contractur. 9 52°. Contractur bei der 6. Hebung maximal geworden. 10% 2°. Contractur schon bei der 4. Hebung auf voller Höhe. 10h 22”. Bei der 6. Hebung wird maximale Contractur erreicht. 10h 37°. Contractur erreicht nur mittlere Höhe und verschwindet spontan. 10h 52’. Desgl. 58 H. Schäffer: Pilocarpin wirkt demnach auf die Tiegelsche Contractur in hohem Maße fördernd. Als Beispiel für die Wirkung des Physostigmins diene Versuch XII. 26. I. 1920. Willkür + farad. Strom. Belastung 0,5kg. RA 122mm (Abb. 5). 11h 50’. Contractur in mittlerer Höhe, verschwindet wieder spontan. 11h 55’. Desgl. 125. 0,5mg Physostigmin. salicyl. subeutan. 12h 10°. - Contractur noch unverändert. 12h 15°. Starke Contractur, bereits bei der 3. Hebung maximal. 12h 20’. Bei der 2. Hebung stärkste Contractur. 12h 30°. Desgi. 12h 35’. Maximal bei der 3. Hebung. 12h 40’. Nach der 8. Hebung starke Contractur. 12h 45°. Mittlere Contractur, wieder spontan verschwindend. 12h 50’. Desgl. Wie Pilocarpin wirkt also auch Physostigmin. Beide ver- mögen die anfangs geringe Contractur in eine maximale überzuführen. Inj. O5mg. Phystigm 12> | 1155 Abb.5. Die Wirkung des Physostigmins auf die Tiegelsche Contractur. R.-A. 122 mm. Vers. XII. Die Wirkung ist beim Pilocarpin in Versuch 11 nach 25 Minuten deut- lich vorhanden, erreicht nach 40 Minuten ihren Höhepunkt und ist nach 75 Minuten abgeklungen. Beim Physostigmin beginnt sie (Ver- such 12) nach 10 Minuten, ist nach 25 Minuten auf der Höhe und nach 40 Minuten verschwunden. Wir haben uns wieder die Frage vorzulegen: Kann der gefundene Effekt auf bereits bekannte Wirkungen dieser Substanzen zurück- Beiträge zur Frage der autonomen Innervation des Skelettmuskels. 59 geführt werden ? Ein Einfluß auf die Gefäße, der zur Erklärung heran- gezogen werden könnte, ist hier nicht bekannt. Wohl aber wäre es denkbar, daß, zumal beim Pilocarpin, die Erregung der Schweißdrüsen den Hautwiderstand infolge stärkerer Durchfeuchtung herabsetzte und der dadurch verstärkte Strom dann die stärkere Contractur er- zeugte. Diese Annahme kann auf zweierlei Art mit Sicherheit wider- legt werden: Einmal liest ein Versuch mit gleichem Erfolg vor (siehe später Versuch 18), bei dem mittels eingestochener Nadeln die Mus- kulatur direkt gereizt wurde. Hier spielt der Hautwiderstand über- haupt keine Rolle. Zweitens gelingen die Versuche genau so gut, wenn man galvanischen Strom anwendet und vor jeder Kurve auf genau gleiche Stromstärke einstellt. Dies wird in späteren Versuchen noch gezeigt werden. Wir kommen daher zu dem Resultat, daß die beiden typischen Erreger parasympathischer Nervenendorgane, Pilocarpin und Physostigmin, den Muskel spezifisch im Sinne einer Förderung der Contractur beeinflussen. 3. Die Wirkung von Atropin und Scopolamin auf die Tiegelsche Contractur. Die Hauptwirkung dieser Substanzen beruht auf der Lähmung parasympathischer Nervenendigungen. Die Beeinflussung der Con- tractur durch Atropin erläutert Versuch XIII. 17.1. 1920. Willkür + farad. Strom. Belastung 0,5kg. RA 110 mm. 6% 23°. Bei der 4. Hebung maximale Contractur. 6h 29’. Desgl. bei der 3. Hebung. 64 34°. Img Atropin. sulf. subcutan. 6% 43’. Bei der 4. Hebung maximale Contractur. 6% 48°. Geringe, schnell spontan verschwindende Contractur. 6h 50°. Andeutung von Contractur. 64 53°. Contractur verschwunden. 42 Desel: 74 13. Trotz Verstärkung des Stromes auf 100 mm RA keine Spur einer Con- traectur. 7" 21’. Mittlere spontan verschwindende Contractur. 726° Wieder maximale Contractur nach der 4. Hebung. . 7230’. Desgl. 7h 32’. Desgl. nach der 5. Hebung. 7h 34’. Desgl. nach der 3. Hebung. Die vorher maximale Contractur wirl also durch 1 mg Atropin aufgehoben. Der Erfolg setzt hier 14 Min. nach der Injektion ein, ist nach etwa 40 Min. auf der Höhe und nach fast 1 Std. verschwun- den. Entsprechend ist das Ergebnis beim Scopolamin: 60 H. Schäffer : Versuch XIV. 19.1. 1920. Willkür + farad. Strom. Belastung 0,5 kg. RA 115 mm (Abb. 6). 11% 15. Nach der 7. Hebung maximale Contractur. 11h 20°. Desgl. nach der 6. Hebung. 114 30°. 0,4mg Scopolamin. Kr drobrom subcutan. 11" 35. Nach der 6. Hebung maximale Contractur. 11h 40’. Contractur vollständig verschwunden. 11h 45’. Desgl. 11% 50°. Desgl. 12h 00°. Desgl. Die Contractur beginnt jetzt erst aufzutreten, wenn man den Strom auf 90 mm RA verstärkt. 124 7°. Mittlere spontan verschwindende Contractur. 12h 10°. Maximale Contractur nach der 5. Hebung. _ 12h 15°. Desgl. nach der 6. Hebung. Scopolamin wirkt ebenso wie Atropin lähmend auf die Contractur. Die Wirkung ist hier bereits nach 10 Minuten deutlich, Abb. 6. Die Wirkung des Scopolamins auf die Tiegelsche Contractur. R.-A. 115mm. Vers. XIV. erreicht nach ca. !/, Stunde ihr Maximum, um nach weiteren 10 Minuten wieder abzuklingen. Der Beweis für das Vorliegen einer spezifischen Einwirkung auf Muskel- bzw. Nervenendorgane ist für diese Substanzen auf die ent- sprechende Weise zu führen wie für Pilocarpin und Physostigmin. Vasomotorische Effekte dürfen ausgeschlossen werden. Die Annahme einer Abschwächung des Stromes infolge Hemmung der Schweiß- drüsensekretion und Erhöhung des Hautwiderstandes wird wider- legt durch einen Versuch mit direkter Nadelreizung der Muskeln sowie Beiträge zur Frage der autonomen Innervation des Skelettmuskels.. 61 durch den völlig gleichen Erfolg bei Anwendung galvanischen Stromes und konstant gehaltener Milliamperezahl. 4. Antagonistische Wirkungen auf die Tiegelsche Contractur. Hier werden einige Versuche Erwähnung finden, die teils der Er- weiterung und Bestätigung des bisher Gesagten dienen, teils auch Beiträge zu der Frage liefern, ob zwischen den genannten, die Con- tractur fördernden und hemmenden Substanzen ein Antagonismus besteht, derart, daß die Wirkung des einen durch die gleichzeitige Anwesenheit des anderen aufgehoben wird. Man könnte hier in der Weise vorgehen, daß man zwei Körper ent- gegengesetzter Wirkung in geeigneter Dosis gleichzeitig injiziert und beobachtet, ob dann jeder Einfluß auf die Contractur ausbleibt. Ich habe es jedoch für zweckmäßig gehalten, erst den Eintritt der Wirkung des einen abzuwarten und dann den anderen nachzuinjizieren. Da die Dauer für die Wirkung einer Substanz allein aus den früheren Ver- suchen bekannt ist, wird es nicht schwer sein zu entscheiden, ob eine gegenseitige Beeinflussung stattgefunden hat oder nicht. Versuch XV. 22.1. 1920. Pilocarpin-Adrenalin. Willkür + galvan. Strom. Belastung 0,5 kg. Stromstärke 1,3 MA. 9h 35°. Mittlere spontan verschwindende Contractur. 9h 40’. Desgl. 9h 45’. Desgl. 94 50’. 0,018 Pilocarpin. hydrochlor. subeutan. 9h 55. Contractur bedeutend höher als vorher, jedoch wieder spontan verschwin- dend. 10h 00°. Maximale Contractur bei der 4. Hebung. 10h 5°. Desgl. 1047’. Desgl. bei der 5. Hebung. 10% 10°. 0,6 mg Suprarenin. synth. intramuskulär. 10% 15’. Maximale Contractur bei der 5. Hebung. 10" 20’. Minimale spontan verschwindende Contractur. 10% 25°. Keine Spur einer Contractur. 10h 30°. Desgl. 10% 35°. Mittlere spontan verschwindende Contractur. 10h 40’. Desgl. Man sieht, daß die auf der Höhe der Pilocarpinwirkung applizierte geringe Adrenalinmenge innerhalb von 10 Minuten nicht nur die Er- höhung der Contraetur beseitigt, sondern sie vollständig zum Ver- schwinden gebracht hat. Es scheint demnach ein echter Antagonis- mus vorzuliegen. Mit mehr als Wahrscheinlichkeit möchte ich diesen Schluß jedoch vorderhand nicht ziehen, da stets die Möglichkeit eines spontanen Abklingens der Pilocarpinwirkung zu der fraglichen Zeit ins Auge zu fassen ist. 62 H. Schäffer: Versuch XVI. 16. I. 1920. Pilocarpin- Atropin. Willkür + farad. Strom. Belastung 0,5kg. RA 125 mm. 10h 10°. Mittlere spontan verschwindende Contractur. 10h 15’. Desgl. 10h 20°. 0,01g Pilocarpin. hydrochlor. subcutan. 10h 30°. Maximale Contractur nach der 9. Hebung. 106 40’. Desgl. nach der 4. Hebung. r- 10h 45’. Desgl. : 10h 48’. Img Atropin. sulf. subceutan. 106 57’. Maximale Contractur bei der 7. Hebung. 11" 5. Mittlere spontan verschwindende Contractur. 11 10°. Geringe spontan verschwindende Contractur. KISS Dess! n 11% 23°. Contractur völlig verschwunden. 11h 30’. Desgl. 11% 38°. Desgl. 11h 47’. Desgl. 11h 55’. Mittlere spontan verschwindende Contractur. 12h 00°. Desel. 12h 10’. Desgl. Auch zwischen Pilocarpin und Atropin scheint ein Antagonismus zu bestehen. Die nach 25 Minuten auf der Höhe befindliche Pilocarpin- contractur ist 9 Minuten nach Injektion von 1 mg Atropin bereits deut- lich abgeschwächt. Versuch XVII. 20. I. 1920. Physostigmin-Atropin. Willkür + galvan. Strom. Belastung 0,5 kg. Stromstärke 1,9 MA. an Mittlere spontan verschwindende Contractur. 2h 5’. Desgl. 5 2h 10°. Desgl. 2h 15’. Desgl. 2h 20. 0,7 mg Physostigmin. salicyl. subcutan. 2h 25’. Contractur noch unverändert. 2h 30’. Starke, doch spontan verschwindende Contractur. 2h 35°. Maximale Contractur nach der 4. Hebung. 2h 40’. Desgl. 2h 45’. Auch bei nur 1,0 MA entsteht stärkste Contractur nach der 4. Hebung. 2h 52°. 1,2mg Atropin. sulf. subceutan. 2h 55°. Maximale Contractur nach der 6. Hebung. Su: Starke spontan verschwindende Contractur. 325’. Bei 2 MA mittlere spontan verschwindende Contractur. 3h 10°. Nur mittlere Contractur auch bei Verstärkung auf 2,6 MA. 38 12’. Contractur verschwunden. 3 15’. Desgl. auch bei 2,6 MA. 38 20’. Desgl. mit 1,9 MA. 30 25’. Desgl. 38 30°. Mittlere spontan verschwindende Contractur. 30739/.. ‚Desgl. Beiträge zur Frage der autonomen Innervation (des Skelettmuskels. 63 Zur Zeit der Atropingabe ist der Physostigminerfolg in voller Aus- bildung. Trotzdem ist die Contractur nach 8 Minuten fast auf den Aus- gangswert reduziert und nach 20 Minuten ganz unterdrückt. 5. Über den Angriffspunkt der pharmakologischen Einwirkungen auf die Tiegelsche Contractur. Es steht nun fest, daß die Gruppe der parasympathisch erregenden Substanzen die Contractur fördert, die Gruppe der parasympathisch lähmenden sowie das sympathisch erregende Adrenalin sie hemmt. Wo greift diese Wirkung an? In Analogie zu dem sonst bekannten Verhalten dieser Substanzen wird man mit überwiegender Wahrschein- lichkeit an die Peripherie denken dürfen. Aber zum Teil kommen der Gruppe der vegetativen Pharmaka ja auch wichtige zentrale Einflüsse zu, so vor allem dem Scopolamin und Atropin. Und obwohl die Con- tractur selbst ein peripherer Vorgang ist, könnte ihre pharmakologische Beeinflussung doch vom Zentrum aus erfolgen. Die Entscheidung brachte die Prüfung der Contractur an dem durch Plexusanästhesie total gelähmten Arm. Das Ergebnis war eindeutig und bewies den peripheren Angriffspunkt. Hierdurch ist zugleich ein Einwand widerlegt, der jeden Versuch trifft, bei dem willkürliche Innervationen der Versuchsperson eine Rolle spielen. Ich meine die Gesamtheit der Fehlerquellen, die sich aus unbewußten suggestiven Beeinflussungen der Versuchsperson seitens des Experimentators ergeben und gerade bei Arbeiten am Ergographen eine eingehende Berücksichtigung verlangen. Da jedoch die Ver- suche am gelähmten Arm jeden Zweifel in dieser Hinsicht beheben, so konnte ich auf die Schilderung von Kontrollversuchen in den früheren Abschnitten verzichten. Versuch XVIII. 29. III. 1920. Plexusanästhesie rechts durch 20 ccm 2proz. Novocain- lösung ohne Adrenalinzusatz. Eintritt völliger motorischer und sensibler Lähmung sowie Aufhebung jedes Tonus nach ®/, Stunden. Reizung mittels eingestochener Nadelelektroden. Faradischer Strom, RA 135 mm. Belastung 1,0kg. (Abb. 7.) 6" 35°. Contractur erreicht mittlere Höhe und bleibt auf dieser konstant. Nach Aussetzen des Stromes langsames Absinken. 6% 39’. Desgl. 641’. 0,85mg Suprarenin. synth. intramuskulär. 6" 44’. Contractur noch auf gleicher Höhe. Da die Lösung nicht mehr frisch war und die sonst bemerkbaren subjektiven Anzeichen der Suprareninwirkung ausblieben, wird noch 648° 0,5 mg frischer Lösung nachinjiziert. 6" 54’. Contractur bedeutend schwächer. x 6N 58°. Jede Reaktion auf den Strom scheint zu fehlen. Die Kurve erhebt sich nicht über die Abszisse. a32 2 Desgl: 64 H. Schäffer: 8 O5 Adr- 67 ns = N E ID 2 2, Q 76) 08 ın olam Die Wirkung von Suprarenin Physostigmin und Scopolamin auf den durch Plexusanästhesie gelähmten Muskel. de hydrabrom:. (GER Abb. a en N 76. 0,8mg Physostigmin. salicyl. subceutan. 7h 11’. Die Contractur tritt wieder in geringer Höhe auf. 74 18°. Anfangshöhe der Contractur wieder erreicht. 7h 24’. Desgl. 7h 30°. Contractur stark erhöht, fast doppelt so hoch wie zu Beginn 7h 35°. Desgl. 7h 40’. Desgl. 7m 45’. 0,5mg Scopolamin. hydrobrom. subcutan. 74 51’. Contractur gerade noch vorhanden. 7h 55°. Contractur vollkommen verschwunden. Beiträge zur Frage der autonomen Innervation des Skelettmuskels. 65 8h 2’. Contractur vollkommen verschwunden. 8h 7°. Contractur tritt wieder in geringer Höhe ein. 8h 14’. Anfangshöhe der Contractur wieder erreicht. 8h 20°. Desgl. 85h 25°. Desgl. Der Ausfall der Reaktionen unterscheidet sich demnach am ge- lähmten Arm prinzipiell nicht von den Verhältnissen der Norm. Der Angsriffspunkt der Pharmaka liegt in der Peripherie. Eigenartig ist die Form der Kurven in diesem Versuch. Da der Strom geringe Stärke besitzt, bewirkt er nur schwache Zu- sammenziehungen. Diese haben aber offenbar ‚nicht den Charakter gewöhnlicher Kontraktionen, vielmehr verharrt der Muskel jedesmal sofort in der einmal gewonnenen Verkürzung und zeigt schon zu Beginn der Reizung keine Neigung zur Erschlaffung. Daraus resultiert der eigenartige stufenförmige Anstieg der einzelnen Kurven. Doch be- stehen hier wieder deutliche Unterschiede zwischen ihnen. Bei den ersten ohne pharmakologische Beeinflussung erhaltenen zeigen zumal die mittleren Stufen kleine Anfangszacken, die beweisen, daß eine, wenn auch minimale Erschlaffung des Muskels nach der Kontraktion doch statthatte. Anders die hohen Kurven nach Physostigmin. Man hat den Eindruck, hier einen Muskel im Zustande des ausgeprägt plastischen Tonus (Sherrington) vor sich zu haben, der unter dem Einfluß des elektrischen Reizes einfach eine höhere Tonuslage einnimmt, ohne indes hierbei an innerer Spannung zuzunehmen und infolgedessen exakt in seinem neuen Gleichgewicht verharrt. Es wird Gegenstand weiterer Untersuchungen sein müssen festzustellen, warum nach Fort- fall der zentralen Innervation die tonische Komponente den Normal- versuchen gegenüber so auffällig in den Vordergrund tritt. Nachdem feststand, daß die gefundenen Reaktionen an peripheren Teilen des neuromuskulären Apparates sich abspielen, blieb noch zu entscheiden, ob das Muskelplasma selbst oder die Nervenendapparate die pharmakologischen Angriffspunkte darstellen. Zwar wissen wir, daß die peripheren Wirkungen der spezifisch vegetativen Mittel durch- weg auf Nervenendigungen bzw. auf die rezeptiven Substanzen Lang- leys!) eingestellt sind. Aber es blieb doch wichtig zu erfahren, wie ein Körper auf die Tiegelsche Contractur wirken würde, der nach den Erfahrungen im Tierexperiment auf rein muskulärem Wege Contrac- turen hervorzurufen imstande ist. Als solchen habe ich das Coffein?) untersucht. Der Erfolg war durchaus negativ. Unter denselben Be- dingungen, unter denen 0,6 mg Physostigmin starke Contractur her- vorrief, blieb 0,28 Coffein. natriobenz. subeutan ohne jeden Einfluß. !) Langley, Journ. of physiol. 33, 375. 1905; 39, 235. 1909. 2) Schmiedeberg, Arch. f. experim. Pathol. u. Ther. 2. 1873, und Lakur, Virchows Archiv 141, 479. 1895. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 185. 5 66 Hi schaften: Man darf hierin einen weiteren Hinweis darauf erblicken, daß sämtliche Einwirkungen auf die Contractur auf dem Wege über nervöse End- apparate bzw. rezeptive Substanzen zustande kommen. Besprechung der Ergebnisse. Als tatsächliches Ergebnis dieser Arbeit haben wir eine Reihe neuer Kenntnisse über die Tiegelsche Contractur zu verzeichnen. Wir sahen, daß diese ähnlich wie beim Tier, so auch am disponierten Menschen maxi- mal werden, d.h. dieselbe Höhe erreichen kann wie die vorausgehende Kontraktion; ferner, daß es unter besonderen Versuchsbedingungen gelingt, sie mit elektrischen Strömen hervorzurufen, deren Stärke nur wenig den Schwellenwert für den betreffenden Muskel überschreitet. Wir wissen, daß Blutleere des Muskels sie schnell unterdrückt, zu einer Zeit, in der die Kontraktionshöhe noch ebenso groß oder sogar größer ist als vor Aufhebung der Zirkulation. Bei der Untersuchuung mit dem Saitengalvanometer liefert sie frequente, diskontinuierliche Aktionsströme. Besonders bemerkenswert erscheint die Beeinflussung der Contrac- tur durch die spezifisch vegetativen Gifte. Die parasympathisch erregenden unter ihnen, Pilocarpin und Physostigmin, fördern sie, die parasympathisch lähmenden sowie das sympathisch erregende Adrenalin hemmen sie. Der Angriffspunkt aller dieser Wirkungen liegt in der Peripherie des neuromuskulären Apparates, denn sie treten ebenso sicher, ja wie es scheint, noch verstärkt auf, wenn man den Muskel (durch Plexus- anästhesie) vollständig motorisch und sensibel gelähmt hat. Die Contraetur selbst ist ein peripherer, wohl mit Sicherheit rein muskulärer Vorgang und nicht an die Intaktheit des Zentralnerven- systems gebunden. Was vermögen wir auf Grund dieser Tatsachen über den eigentlichen, der Contractur zugrunde liegenden Muskelprozeß auszusagen? Man hat die Contractur meist zu den tonischen Zuständen gezählt, ohne jedoch eine Definition des Begriffes Tonus vorausgeschickt zu haben. In der Tat liegt die Vermutung, hier einen durchaus andersartigen Vor- gang vor sich zu haben als die Kontraktion, aus mehrfachen Gründen recht nahe. Wir wissen ja durch die grundlegenden Arbeiten von Bethe!) und Parnas?), daß es Zustände von Dauerverkürzung gibt, die in jeglicher Hinsicht vom Tetanus streng zu scheiden sind. Und auch an Warmblütern sind eine Reihe ähnlicher Vorgänge bekannt, deren Eigenschaften von denen der tetanischen Kontraktion weit verschieden scheinen. Aber die Frage nach dem Wesen der tonischen Prozesse, 1) Bethe, dies Archiv 142, 291. 1911. 2?) Parnas, dies Archiv 134, 441. 1910. N ee ai in ehe nn Beiträge zur Frage der autonomen Innervation des Skelettmuskels. 67 ihre Beziehung zum Tetanus sind noch immer Gegenstand lebhafter Kontroverse. Daraus erklärt es sich, daß die allgemeine Anerkennung der Tonusfunktion als eines Vorganges sui generis in der Physiologie des Warmblütermuskels noch immer auf unüberwindliche Schwierigkeiten stößt. Gerade in neuerer Zeit wieder haben namhafte Autoren[P. Hotf- mann!),Einthoven?)]den Standpunkt vertreten, der Tonus des Skelett- muskels sei nichts anderes als ein schwacher anhaltender Tetanus?). Für die tonische Natur der Contractur würde die Fortdauer der Verkürzung nach Aufhören des tetanisierenden Stromes und das lang- same Verschwinden sprechen; ferner die Tatsache, daß derselbe äußere Reiz Kontraktion und Contractur in verschiedenem, ja direkt ent- gegengesetztem Sinne zu beeinflussen vermag. So bringt z. B. arterielle Anämie bei elektrischer Reizung die Contractur zum Verschwinden, während sie gleichzeitig die Kontraktion unverändert läßt oder sogar anfänglich vergrößert [Mosso®)]. Ganz ähnlich auseinandergehende Reaktionsweisen bieten Kon- traktion und Contractur unter pharmakologischen Reizen. In mehreren Arbeiten am Tier ist gezeigt worden, daß die Kontraktionshöhe des Muskels unter dem Einfluß des Adrenalins zunimmt. Auch für den Menschen liegt eine entsprechende Angabe von Trerotoli5) vor. Ich selbst habe an meiner Versuchsperson in längeren, noch unveröffent- lichten Versuchsreihen zeigen können, daß Adrenalinzufuhr die Fähig- keit zu rhythmischer tetanischer Kontraktion und damit die Arbeits- leistung bei willkürlicher und elektrischer Reizung bedeutend erhöht. Auch diese Erscheinung tritt zu der gleichen Zeit auf wie die Auf- hebung der Contractur. Entsprechendes gilt, nur in umgekehrter Richtung, für die Wirkung des Physostigmins. Ergographische Versuche ergaben, daß die Kontraktionsgröße rhythmischer Einzelhebungen unter seinem Einflusse absinkt, während wir andererseits wissen, daß es die Contractur erheblich verstärkt. Dies alles ist mit der Deutung der Contractur als eines von der Fibrillentätigkeit unabhängigen, echt tonischen, etwa im Sarkoplasma lokalisierten Vorganges recht wohl vereinbar. Und doch können wir dieser Annahme erst dann zuneigen, wenn unsere bisherigen Kennt- nisse vom Mechanismus der Muskelkontraktion zur Erklärung nicht ausreichen. Das ist aber keineswegs der Fall. Wir gelangen nämlich zu einer annehmbaren Vorstellung, wenn wir die Contractur definieren. als die Unfähigkeit des kontrahierten Dinge, SO) ®) Eine eingehende Zusammenfassung aller Argumente, die sich für die Eigen- art tonischer Zustände ins Feld führen lassen, findet sich in einer Arbeit von Frank, Berl. klin. Wochenschr. 1920, Nr. 31, 725. ajnlic: 5) Trerotoli, La Riforma med. 39, 1070. 1911. 5* 68 H. Schäffer: Muskels zu erschlaffen, d.h. die zur Erschlaffung führenden chemischen Prozesse in sich ablaufen zu lassen. So müßte z. B. die Contraetur auf- treten, wenn die in der ersten Phase der Verkürzung gebildete Milch- säure aus irgendwelchen Gründen nicht mehr durch Synthese oder Abbau bis zu den Endprodukten entfernt werden könnte. Der Muskei würde gleichsam im Quellungsstadium verharren, und zwar um so länger, je langsamer die zur Beseitigung der Milchsäure erforderlichen Prozesse vor sich gehen. Wir können diesen Vorgang ganz allgemein auch so ausdrücken: Der jeweilige Verkürzungsgrad des Muskels ist abhängig von dem gegenseitigen Verhältnis seiner dissimilatorischen und assi- milatorischen Prozesse. Er verkürzt sich, wenn die Dissimilation die Assimilation übertrifft; er erschlafft, wenn die Dissimilation hinter der Assimilation zurückbleibt. Man versteht unter dieser Voraussetzung, daß der tetanisch kontrahierte Muskel auch nach Aussetzen des Reizes in Contraetur bleiben muß, wenn entweder die Dissimilation fortdauert oder die Assimilation nicht sofort in dem normalen Umfang einsetzt. Jede Verschiebung des normalen Gleichgewichts zwischen beiden zu- gunsten der Dissimilation kann demnach zur Contractur führen. Eine solche Erklärung ist mit den uns bekannten Eigenschaften der Con- traetur durchaus in Einklang zu bringen. Ein besonderes Interesse beanspruchen die eigenartigen pharma- kologischen Reaktionen der Contraetur. Esgehtnämlich ausihnen mit Bestimmtheithervor, daßinder quergestreiften Muskel- faser diejenigen rezeptiven Substanzen vorgebildet sein müssen, die elektiv auf sympathische bzw. parasympathi- sche Gifte eingestellt sind. Hieraus den Schluß zu ziehen, daß tatsächlich sympathische und parasympathische Nervenfasern im Muskel ihre Endigung finden, scheint zunächst nicht berechtigt. Aber ist es denkbar, daß die Zelle spezifische Receptoren besitzt, ohne zu- gleich über die zur Lieferung des zugehörigen Reizes erforderlichen nervösen Apparate zu verfügen? Berücksichtigt man ferner, daß die Existenz markloser Fasern in der Muskelzelle gesichert ist, zieht man schließlich die klinischen und anatomischen Beweisstücke Franks, nach denen dem Parasympathicus ein Einfluß auf den Muskel zu- kommt, mit heran, so kann man nicht umhin, die tatsächliche Existenz sympathischer und parasympathischer Nerven- endigungen für außerordentlich wahrscheinlich zu halten. Damit erhält zugleich die Parasympathicustheorie von Frank!) eine experimentelle Grundlage 2). 2) Ih ?2) Frank ist neuerdings -bereits zu bestimmten Vorstellungen gelangt über den Verlauf der parasympathischen Bahn vom Zentrum bis zum Muskel. Näheres s. Verhandl. d. Dtsch. Kongr. f. inn. Med. 1920 und Berl. klin. Wochenschr. 1920, Nr. 31, 725. Beiträge zur Frage der autonomen Innervation des Skelettmuskels. 69 Beiden Teilen des autonomen Systems, dem Sympathicus wie dem Parasympathicus, dürften also, wie Frank als erster annahm, Ein- wirkungen auf den quergestreiften Muskel zukommen. Im Sinne der obigen Ausführungen wäre die parasympathische Erregung einer Ver- schiebung des Stoffwechselgleichgewichts zugunsten der Dissimilation, sympathische zugunsten der Assimilation gleichzusetzen. Damit würde auch der Skelettmuskel sich jener heute wohl all- gemein anerkannten Gesetzmäßigkeit unterordnen, nach der der Stoff- wechsel der einzelnen Organe, soweit er nicht willkürlichen Funktionen dient, dem regulatorischen Einfluß des autonomen Nervensystems untersteht. Und wie an den glatten Muskeln des Darmkanals, des Uterus und der Blase, so ist auch hier die Art der Regulation durch den Antagonismusfördernder parasympathischer undhemmen- der sympathischer Impulse charakterisiert. Schlußsätze. 1. Die durch elektrische (galvanische oder faradische) Reizung hervorgerufene und auch nach Aufhören des Reizes kurze Zeit fort- bestehende Verkürzung des quergestreiften Skelettmuskels (sog. Tiegel- sche Contractur) kann auch beim Menschen maximal werden, d.h. die Höhe der sie auslösenden Kontraktion erreichen. 2. Die Tiegelsche Contracetur ist am disponierten Individuum bei gleichzeitiger Willkürarbeit und elektrischer Reizung schon durch sehr schwache faradische und galvanische Ströme auszulösen. 3. Sie wird durch. Blutleere stark gehemmt. 4. Sie liefert am unbelasteten Muskel frequente Aktionsstromschwan- kungen von unregelmäßiger Amplitude; letztere nimmt mit der Span- nung des Muskels zu. 5. Sie tritt auch an dem durch Plexusanästhesie völlig gelähmten Muskel auf, ist also ein rein peripheres Phänomen. 6. Sie wird durch parasympathisch erregende Substanzen (Pilocarpin, Physostigmin) gefördert, durch das sym- pathisch erregende Adrenalin und durch parasympathisch lähmende Mittel (Atropin, Scopolamin) gehemmt. 7. Die der Tiegelschen Contracetur zugrunde liegenden Stoffwechsel- vorgänge des Muskels unterstehen dem’ regulatorischen Einfluß des autonomen Nervensystems. S. Wie an anderen vegetativ versorgten Organen zeigt diese Regu- lation auch am Muskel einen funktionellen Antagonismus zwischen fördernden parasympathischen und hemmenden sympathischen. An- trieben. > Die Elektronenröhre als großer veränderlicher Widerstand. Von Dr. phil. et med. Wilhelm Steinhausen. Assistent am Institut. (Aus dem Institut für animalische Physiologie zu Frankfurt a. M.) Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 26. Juli 1920.) Der elektrische Widerstand physiologischer Präparate ist im all- gemeinen so groß, daß es bis jetzt meist nicht gelang, die Stromstärke in einem solchen Präparat durch Änderung des äußern Ohmschen Widerstandes bei konstanter äußerer elektromotorischer Kraft in wei- teren Grenzen zu variieren. Die Herstellung veränderlicher merklich kapazitäts- und induktionsfreier Draht-Widerstände über 100 000 Ohm ist sehr schwierig. Graphitwiderstände sind schwer in solchen Größen meßbar veränderlich zu machen und sind überdies inkonstant. In Be- tracht kommen daher nur Flüssigkeitswiderstände. Solche Flüssig- keitswiderstände hat bereits Harless?t) zu physiologischen Zwecken be- nutzt. Seine Röhren waren fast 2 m lang, und das ganze Stativ hatte eine Höhe von über 3 m, da zur Regulierung des Widerstandes ein langer Kupferdraht in einer der Röhren verschoben werden mußte. Die Fül- lung bestand aus Kupfersulfat-Lösung bzw. destilliertem Wasser. Später nahm man zur Füllung Mannit-Borsäure-Lösung?) und hielt die Röhren wesentlich enger und kürzer. Die Elektroden bestehen in diesem Fall aus Platin. Oder man wandte als Füllung eine Mischung von Alkohol und Xylol an. Bei allen Flüssigkeitswiderständen stört bei Verwendung von Gleichstrom sehr die Polarisation, der scheinbare Widerstand ändert sich stark mit der Durchströmung. Die neuen Elektronenröhren, die man als Verstärker und Schwin- gungserzeuger in der drahtlosen Telegraphie usw. benutzt, geben nun ein Mittel an die Hand, wie man sich leicht große und veränderliche Widerstände verschaffen kann. Alle drei Größen, Kapazität, Induktion und Polarisation sind hierbei praktisch ausgeschaltet. Durch Variieren der Gitterspannung kann man sich jede beliebige Stromstärke von !) Harless, Abhandl. der bayer. Akad. 8, 320. 1858. ®) Kohlrausch, Lehrbuch d. pr. Physik, 11. Aufl. 1910, S. 466. Vgl. auch Ostwald - Luther, Handb., 3. Aufl. 1910, S. 415. W. Steinhausen : Die Rlektronenröhre als großer veränderlicher Widerstand. tal Null bis zu den stärksten, für die in Frage kommenden physiologischen Versuche brauchbaren Stromstärken herstellen. Die Elektronen- röhre selbst besteht bekanntlich aus einem hochevakuierten mit 3 Elek- troden versehenen Glasrohr. Die eine Elektrode ist ein Wolframfaden, der durch eine Heizbatterie (gewöhnlich 6 Volt) zur Weißglut gebracht wird. Zur Einhaltung einer bestimmten Heizstromstärke schaltet man einen Nernstschen Eisenwiderstand ein, der aus einem Eisendraht in einer Wasserstoffatmosphäre besteht. In dem Zustand der Weiß- glut sendet der Glühfaden Elektronen aus, die sich um den Heizdraht herum ansammeln. Legt man nun an die andere Elektrode, die Anode, eine positive Spannung, so werden die Elektronen nach der Anode hin gezogen werden und es wird in einem Anodenkreis ein Strom fließen können. Zwischen der Anode und dem Heizfaden ist eine dritte Elek- trode, das Gitter, angebracht. Gibt man dem Gitter eine negative Spannung, so werden die Elektronen von dem Gitter abgestoßen werden, es werden also weniger Elektronen die Anode erreichen und der Strom wird schwächer. Umgekehrt, wird dem Gitter ein positives Potential erteilt, so werden die Elektronen beschleunigt werden und es werden mehr Elektronen vom Heizfaden weggezogen, der Strom wird stärker. Dieser Einfluß der Gitterspannung auf. den Strom im Anoden- kreis ist es, der es ermöglicht, die Elek- tronenröhre neben ihren vielen anderen Verwendungsmöslich- keiten !) auch als ver- änderlichen Wider- stand für physiolo- 705 Volt A] e gische Zwecke zu be- 2 nutzen Heizbafferie : Abb. 1. Die Schaltung ist am besten aus beiliegendem Schema (Abb. 1) zu ersehen. Es ist, wie man sieht, eine gewöhnliche Kennlinienschaltung. E ist die Elektronenröhre mit röhrenförmiger Anode A?). @G ist das Gitter, 1) Über die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten der Elektronenröhren und die Einzelheiten der Konstruktion und Theorie der Röhren vgl. H. G. Möller, „Die Elektronenröhre‘“, Sammlung Vieweg Tagesfragen auf den Gebieten der Natur und Technik; Barkhausen, „Die Vakuumröhre und ihre technischen Anwen- dungen‘, Hirzel Leipzig. Eine Sammlung von Schriften über die Elektronenröhre findet sich außerdem»im Jahrbuch der drahtlosen Telegraphie und Telephonie, 14. Bd., 1919. ?) Ich benutzte eine R. J. W.-Röhre (Seddig). 12 ’ W. Steinhausen: H der Heizfaden. Im Anodenkreis liegt das Galvanometer (Vorlesungs- Spiegelgalvanometer mit Shunt [Hartmannu. Braun])), die Batterie (105 Volt) und das Präparat. Das Galvanometer wird nur eingeschaltet zur Aufnahme der Kennlinie und zur Widerstandsbestimmung des Präparates. Im ersteren Falle ist das Präparat kurz geschlossen. Zwischen Präparat und Röhre liest der Kontakt S$[ Platin-Fallschlüssel 3)]. Sp ist die Spannungsquelle für das Gitterpotential. Durch die Ab- zweigung Z kann man sich jede beliebige Spannung zwischen O0 und 6 Volt abgreifen,. durch die Wippe W kann überdies das Gitterpotential entweder auf positiven oder negativen Wert gebracht werden. An dem Punkt y!) sind alle drei Kreise, Gitter-, Galvanometer- und Heizkreis miteinander verbunden. Je nach der angelegten Gitterspannung wird nun ein verschieden starker Strom im Anodenkreis fließen, d.h. die Elektronenröhre stellt einen mit der Gitterspannung variablen Ohmschen Widerstand dar. Die Eichung der Röhre gibt die Tabelle. Gittergegenspannung Stromstärke Widerstand Volt Amp. 10-$ 108 Q — 6 1,3 sl — 5,8 1,9 55 56 2,6 40 — 5,4 3,4 31 — 5,2 4,7 22 — 5,0 6,5 16 — 4,8 8,5 12 — 4,6 10,8 9,7 — 4,4 14 7 — 4,2 16 6,6 — 4,0 23 4,6 — 3,4 41 2,6 — 3,0 57 1,8 99: 100 1 — 1,4 150 0,7 In Abb. 2 ist ein Teil der Werte in Kurvenform dargestellt. Als Abseissen sind die Gitterspannungen, als Ordinaten links die Strom- stärken in 10°% Amp., rechts die Widerstandswerte in 10% Ohm auf- getragen. Für Versuche mit dem isolierten Froschsartorius kommen die Stromstärken von etwa 6 bis 25.10 °® Amp. in Frage, also Gegenspan- nungen von etwa 5—4 Volt am Gitter. Die Elektronenröhre stellt dabei einen Widerstand von etwa 16 bis 5.106 Ohm dar. Bei diesen hohen Widerständen ist eine sorgfältige Isolation erforderlich. 3) Vgl.: Garten, Elektrophysiologie; Tigerstedts Handbuch II, 364, und Leduc, Zeitschr. f. Elektrother. 5. Jg. 1903, H. 4, S. 374. Einen Einfluß des Ortes des Kontaktes in der Strombahn auf den Reizerfolg, wie er von Leduc und Garten behauptet wird, habe ich in meiner Anordnung nicht feststellen können. Die Elektronenröhre als großer veränderlicher Widerstand 13 Bei Reizungsversuchen ist es nun nicht nötig, jedesmal am Galva- nometer die Stromstärke abzulesen, wie man das bei den bisherigen Versuchsanordnungen tun muß, wobei das Präparat stark leidet. Viel- Amp 10° 700 TEE ET ET BETEN ET BTEN lan Abb. 2. mehr genügt es, am Voltmeter V die Gitterspannung abzulesen und aus der Eichkurve direkt die Stromstärke zu bestimmen. Dabei ist die Voraussetzung gemacht, daß der Röhrenwiderstand groß ist gegen die übrigen Widerstände im Anodenkreis, was bei den meisten physio- logischen Versuchen der Fall sein dürfte. Für genauere Messungen müßte man natürlich den scheinbaren Widerstand des Präparates in Rechnung ziehen. Man liest zu diesem Zweck die Stromstärke am Gal- vanometer einmal mit Präparat und dann ohne Präparat ab. Ist © die Stromstärke ohne Präparat und # die Stromstärke mit Präparat, E die Anodenspannung, so ist der scheinbare Widerstand des Präpa- rates unter Vernachlässigung der Kennlinienänderung Ei —i) “fr (7 Dieser scheinbare Widerstand des Präparates ist also zu dem aus der Tabelle bei der angewandten Gitterspannung abgelesenen Röhren- widerstand hinzuzuzählen, daraus und aus der Ahhodenspannung ist dann die wirklich durch das Präparat hindurchgegangene Stromstärke zu bestimmen. Auf die Veränderung dieses scheinbaren Widerstandes mit der Durchströmung wird an anderer Stelle eingegangen werden. 1) Vgl. Jaeger, Über Kennlinienaufnahmen. Jahrb. f. drahtl. Tel. 14, 367. 1919. Die Wirkung des Adrenalins auf das in der Leber gespeicherte Eiweiß. Von Hans Stübel. (Aus der physiologischen Anstalt der Universität Jena.) Mit 3 Textabbildungen. (Eingegangen am 9. August 1920.) Bereits vor einer Reihe von Jahren konnte Berg!) auf mikroche- mischem Wege den Nachweis erbringen, daß in der Leber bei reichlicher Ernährung mit Eiweißkörpern eine Speicherung von Eiweiß eintritt. Berg fand einen charakteristischen Unterschied im Verhalten der Leber- zellen vor allem beim Salamander und Kaninchen, wenn er einerseits stark mit Eiweiß gefütterte Tiere, andererseits nicht mit Eiweiß oe- fütterte oder Hungertiere untersuchte. Der Unterschied besteht darin, daß beim mit Eiweiß gefütterten Tier die Leberzellen mit ziemlich großen, tropfenförmigen Gebilden erfüllt sind, die sich besonders schön durch Färbung von Schnittpräparaten mit Methylgrün-Pyronin darstellen lassen, da sie durch Pyronin leuchtend rot gefärbt werden, während der übrige Zelleib farblos bleibt oder nur eine schwache Rotfärbung annimmt. Diese Gebilde zeigen auch die Millonsche Reaktion. An Präparaten von Hungertieren oder von solchen Tieren, die nicht reichlich mit Eiweiß gefüttert wurden, sind diese durch Pyroninfärbung darstellbaren Körper nicht wahrnehmbar. Berg konnte auch nachweisen, daß das Auftreten und Verschwinden der mit Pyronin färbbaren Körper nicht der Aus- druck verschiedener durch Gallenabsonderung bedingter Tätigkeitszu- stände der Leber ist. Berg und Cahn - Bronner?) haben dann weiter- hin gezeigt, daß man durch Fütterung mit vollständig abgebautem Ei- weiß bzw. mit Aminosäuregemischen die Entstehung dieser Korper gleichfalls hervorrufen kann. Ich habe in einer Reihe von Versuchen die Angaben Bergs aha prüft und kann dieselben, insbesondere soweit es sich um Versuche an der Ratte handelt, durchaus bestätigen. Die ersten Versuche, die ich am Frosch und am Kaninchen anstellte, lieferten negative Ergebnisse. Die Untersuchungen am Frosch wurden in der Weise angestellt, daß die 1) W. Berg, Anatomischer Anzeiger 42, 251. 1912; Biochem. Zeitschr. 61, 428. 1914. ?2) W. Berg und C. Cahn-Bronner, Biochem. Zeitschr. 61, 434. 1914. H. Stübel: Wirkung des Adrenalins auf das in der Leber gespeicherte Eiweiß. 75 Versuchstiere — mittelgroße Exemplare von Rana temporaria — 8 bis 14 Tage lang täglich mit !/,—1 g Froschfleisch gefüttert wurden, indem ihnen das Fleisch in den Oesophagus eingeschoben wurde. Es wurde so- dann ein Stück der Leber zur mikroskopischen Untersuchung verwendet und mit der Leber eines nicht gefütterten Kontrolltieres verglichen. Ein Unterschied zwischen gefüttertem Tier und Kontrolltier ließ sich nicht feststellen. Diesem negativen Ergebnis ist schon deshalb wenig Bedeutung beizumessen, als die Versuche im Winter vorgenommen wurden, zu einer Zeit, in der normalerweise der Frosch überhaupt keine Nahrung aufnimmt. — Ebenso negativ verliefen analoge Versuche an zwei Kaninchen, die eine Woche lang täglich 10 g Nutrose (in wässeriger Lösung, mittels Schlundsonde) und daneben noch reichlich Rüben er- halten hatten. Auch hier zeigte sich am mikroskopischen Präparat der Leber kein Unterschied zwischen mit Eiweiß gefüttertem und normal gefüttertem Kontrolltier, indem die von Berg beschriebenen mit Pyronin färbbaren Körper in keinem Falle gefunden werden konnten. Von weite- ren Untersuchungen an Kaninchen, die sich nach Berg besonders gut zum Nachweise der Eiweißspeicherung in der Leber eignen, mußte aus Mangel an Tiermaterial abgesehen werden. Gegenüber diesen negativen Ergebnissen erwies sich nun die weiße zahme Ratte als besonders geeignet zur Wiederholung und Bestätigung der von Berg angestellten Versuche. Es wurden Präparate von Tieren, die vorwiegend mit Semmel und von Tieren, die vorwiegend mit Fleisch gefüttert worden waren, und weiterhin von Hungertieren miteinander verglichen. Die Fleischfütterung wurde stets mindestens eine Woche lang durchgeführt, und zwar wurde den betreffenden Versuchstieren neben möglichst reichlichen Fleischmengen stets noch etwas Semmel und häufig auch Speck verabreicht. Von der Leber wurden kleine Stücke entsprechend den Angaben von Bergin Zenker -Formol (Zenkersche Flüssigkeit + 10%, Formaldehyd. sol.) und andere Stücke in Alkohol absolutus fixiert. Die mikroskopi- schen Bilder, die mit Hilfe dieser beiden Fixierungsmethoden erhalten wurden, unterschieden sich nicht voneinander. Es wurde deshalb in späteren Versuchen nur noch die. Fixierung mit Alkohol absolutus (12 bis 24 Stunden lang) angewendet, da nach Alkoholfixierung die Ein- bettung in Paraffin erheblich rascher vollzogen werden kann. Von den Paraffinblöcken wurden 5 u dicke Schnitte hergestellt. Zur Färbung wurde ein Gemisch von Methylgrün und Pyronin in wässeriger Lösung verwendet!). Die Schnitte blieben etwa 1 Stunde lang in dem Farbge- 1) Lösung I: Methylgrün 1,0, Acid. carbolic. liquefact. 0,25, Aq. dest. 100,0; Lösung II: Pyronin. pur. 1,0, Acid. carbolic. liquefact. 0,25, Ag. dest. 100,0. 15 Teile von 1 werden Mit 35 Teilen von II gemischt (nach Grawitzaus Weiden- reich, „Blut“ in Enzyklopädie der mikroskopischen Technik, 2. Aufl., 1910, Bd. I, S. 129. 76 H. Stübel : misch. Hierauf erfolgte eine kurze Differenzierung in 70 proz. Alkohol, die unter dem Mikroskop nachgeprüft wurde. Da die Differenzierung sehr rasch eintritt, muß vor der mikroskopischen Prüfung der 70 proz. Alkohol erst wieder durch destilliertes Wasser abgespült werden. Zur Beobachtung der Differenzierung leistete mir die neue Zeisssche Wasser- immersion @Q, num. Apert. 0,85, 90fache Öbjektivvergrößerung, be- sonders gute Dienste. Nach ganz kurzem Abspülen des sorgfältig mit Fließpapier abgetrockneten Präparates in Alkohol absolutus wurden die er : IR ' ar « PR a Tl x BR “= ar ei ‚nl BP | = DE lb Wa. X ar “na i FRE f Lone 2 Re , | m. ve RR ER: “ B De 7 ey} KW) Der. er nr Ge “ax Ü vw x eo" MN ya 2 ne nr® % wi yi8 DR #e Abb.1. Leber einer reichlich mit Fleisch gefütterten Ratte. Fix. Alcohol. absol., Paraffinschn. 5. Methylgrün-Pyronin. Zeiss, apochrom. Immers. 2 mm, num. Ap. 1,3, Zeichenapparat nach Abbe. Schnitte in Xylol gebracht und dann in Canadabalsam eingeschlossen. Da die Methylsgrün-Pyroninfärbung gegen Säure sehr empfindlich ist, wurde ausschließlich ein in Xylol gelöster Canadabalsam verwendet, der speziell zur Benutzung nach dieser Färbung von der Firma Dr. Grüb- ler & Co. in Leipzig geliefert wird. Betrachtet man auf diese Weise angefertigte Präparate der Leber von Ratten, die nach einwöchiger Fleischfütterung geschlachtet wurden, so erhält man folgendes Bild (Abb. 1): Die Leberzellen sind an sich groß, ihre Grenzen verhältnismäßig undeutlich. Die Lebercapillaren sind eng. Auch die Zellkerne sind groß; neben dem grün gefärbten Chromatinnetz Die Wirkung des Adrenalins auf das in der Leber gespeicherte Eiweiß. 77 tritt stets das mit Pyronin leuchtend rot gefärbte Kernkörperchen deut- lich hervor. Von der gar nicht oder nur ganz blaßrosa gefärbten Substanz des Zellkörpers heben sich die von Berg beschriebenen Produkte der Eiweißspeicherung als schollen- oder tropfenförmige Gebilde von un- regelmäßiger Form und Größe ab; diese Eiweißschollen sind ebenso leuchtend rot gefärbt wie die Kernkörperchen. Meist liegen sie isoliert voneinander, doch gewahrt man häufig auch eine Verbindung einzelner Körper durch rot gefärbte Substanzbrücken. In vier Fütterungsver- suchen zeigten sich gänzlich übereinstimmende Bilder. Vergleicht man hiermit Leberpräparate von Tieren, die nicht mit besonders eiweiß- reichem Futter ernährt wurden (Semmelfütterung), so gewahrt man unter Umständen überhaupt keinen Unterschied. Bei näherer Betrach- tung — es wurden im ganzen acht Kontrolltiere untersucht — finden sich jedoch geringe, wenn auch sehr charakteristische Unterschiede zwischen vorwiegend mit Fleisch und vorwiegend mit Semmel gefütterten Tieren und Unterschiede zwischen den einzelnen Tieren der letzteren Kategorie, wobei man jedoch immer verschiedene Gesichtsfelder eines Präparates, besser noch außerdem verschiedene Schnitte desselben Leber- stückes zum Vergleich heranziehen muß. Die mit Pyronin rot gefärbten Körper sind bei den vorwiegend mit Semmel gefütterten Tieren der Zahl nach spärlicher. Sie füllen dann nicht die ganze Zelle aus, sondern finden sich hauptsächlich in der Umgegend des Kernes. Auch ihre Größe ist geringer als nach reichlicher Fleischfütterung. Dabei ändert sich oft zugleich die Form, indem die Körper aus der mehr oder weniger kuge- ligen Schollen- und Tropfenform zuweilen in eine längliche Stäbchenform übergehen. In einem solehen Präparat können sich einmal spärlich große oder spärlich kleine rot gefärbte Körper oder aber auch reichlich kleine rot gefärbte Körper vorfinden. Diese verschiedenen Möglichkeiten sind in den verschiedenen Zellen ein und derselben Leber zuweilen alle neben- einander vertreten, so daß man oft an einem Schnitt sehr wechselnde Bilder sehen kann; andererseits verhalten sich die Zellen eines und des- selben Leberläppchens in der Regel alle gleichmäßig. Während man also bei reichlich mit Eiweiß gefütterten Tieren in allen Leberzellen gleichmäßig dasselbe Bild hat: zahlreiche, große, schollenförmige Körper, kann ein vorwiegend mit Semmel gefüttertes Tier verschiedene Bilder zeigen. Unter diesen ist jedoch das zuerst be- schriebene: große schollenförmige Körper, aber in geringerer Zahl als beim mit Eiweiß gefütterten Tier, das bei weitem am häufigsten, typische. Untersucht man die Leber von Hungerratten, so beobachtet man ganz charakteristische Veränderungen an den ‚‚Eiweißschollen‘‘ in dem Sinne, daß die Eiweißschollen immer spärlicher und weiterhin immer kleiner werden. An Stelle kompakter mehr oder weniger kugeliger Schollen tre- ten oft die stäbchenförmigen Körper auf, die sich hier und da auch schon 78 H. Stübel: beim mit Semmel gefütterten Tiere zeigen. Zuweilen erscheint beim Hungertier die stark mit Pyronin färbbare Substanz nur noch in Form einer feinen, staubartigen Verteilung im Zellkörper (vgl. hierzu Abb.2). Im äußersten Falle ist schließlich alle stark mit Pyronin färbbare Sub- stanz verschwunden. In dem Maße als beim Hunrgertier die „Eiweißschollen“ an Zahl und Größe abnehmen, ändert aber auch die übrige Substanz des Zelleibes ihr Verhalten in bezug auf die Färbbarkeit mit Pyronin. Die Grund- substanz des Zelleibes, die beim normalen Tier mit Pyronin gar nicht oder nur ganz schwach rosa gefärbt wird, nimmt allmählich eine immer intensivere Rosafarbe an, erreicht aber auch in den äußersten Fällen niemals den leuchtend roten Farbton der ‚Eiweißschollen‘‘, so daß Ver- wechslungen ausgeschlossen sind. Bei einem verhungerten Tier erscheint schließlich der Zellkörper als aus einer gleichmäßig kräftig rosa gefärbten, mehr oder weniger stark vakuolisierten Substanz bestehend. Neben diesem allmählichen Verschwinden der ‚Eiweißschollen‘“ werden jedoch auch andere histologische Veränderungen an der Leber im Hungerzustande bemerkbar. Die Zellen werden stark verkleinert, und zwar beteiligt sich hieran sowohl der Zelleib als in geringerem Maße auch der Zellkern. In fortgeschrittenem Hungerzustande bekommt letzterer eine mehr oder weniger gerunzelte Oberfläche. Das Chromatin- gerüst wird stärker färbbar und zeigt mehr dicke Körnchen anstatt feinerer Fäden. Dabei finden sich verhältnismäßig mehr Kerne mit 2, ja auch 3 Kernkörperchen als beim normalen Tier, wo vorwiegend Zellen mit nur 1 Kernkörperchen vorhanden sind. Je länger das Tier gehungert hat, um so weiter wird das Lumen der Capillaren auf Kosten der Zellgröße (Abb. 3). Dementsprechend sieht man makro- skopisch an der frischen Leber, daß die Leber des Hungertieres bedeu- tend blutreicher ist als die des normalen und an Stelle der normalen rot- braunen eine dunkelblaurote Färbung annimmt. In einem Falle war bereits nach einer Hungerzeit von 8 Stunden eine deutliche Abnahme der ‚Eiweißschollen‘‘ sowohl hinsichtlich ihrer Zahl als ihrer Größe nach zu. bemerken. In einem anderen Versuche verhun- gerte eine ausgewachsene Ratte binnen 31/, Tagen (84 Stunden); eine Hungerzeit von 8 Stunden ist demnach für die Ratte schon verhältnis- mäßig lang, dürfte aber noch nicht Veränderungen in der Leber be- dingen, die als abnorm zu bezeichnen sind, da die zahmen weißen Ratten, die im Laboratorium in Käfigen gehalten wurden, hauptsächlich bei Nacht fraßen und tagsüber oft S Stunden und länger kein Futter zu sich nahmen, obwohl ihnen solches zur Verfügung stand. In voller Übereinstimmung mit Berg ergeben also die bis jetzt mit- geteilten Versuche an Ratten, daß in den Leberzellen schollen- oder tropfenförmige, stark mit Pyronin färbbare Gebilde vorkommen, die Die Wirkung des Adrenalins auf das in der Leber gespeicherte Eiweiß. 79 nach Eiweißfütterung besonders groß und reichlich auftreten, im Hunger- zustande allmählich immer spärlicher und kleiner werden, bis sie schließ- lich verschwinden. Desgleichen konnte ich die Angabe von Berg bestätigen, daß die Schollen sich mit Millonschem Reagens rosa färben. Zu diesem Zwecke wurden auf Objektträger aufgezogene entparaffinierte Schnitte einige Minuten in Millonschem Reagens erwärmt. — Von Pepsinsalzsäure werden die Schollen vollkommen verdaut. Diese Befunde sind nicht anders zu deuten, als daß die Schollen ganz oder wenigstens im wesent- lichen aus Eiweißkörpern bestehen müssen. Die Eiweißschollen werden auch von anderen Plasmafarbstoffen als von Pyronin gefärbt. So erhält man z. B. auch zum Vergleich der bei Eiweißfütterung und im Hungerzustand auftretenden Veränderungen brauchbare Präparate, wenn man mit Eosin und Hämalaun nach P. Mayer färbt. Jedoch ist das Pyronin für unseren Zweck vorzuziehen, da diesem Farbstoff ein elektives Färbevermögen für die Schollen zu- kommt. Im Hinblick auf weiterhin mitzuteilende Versuche wurde außerdem die an und für sich unwahrscheinliche Möglichkeit geprüft, ob die Schollen vielleicht im wesentlichen nicht aus Eiweiß, sondern aus Gly- kogen bestehen könnten. Zu diesem Zwecke wurde ein Paraffinschnitt eines Leberstückes genommen, das einer reichlich mit Eiweiß gefütterten Ratte entstammte, und mit wässeriger Jodjodkaliumlösung behandelt, worauf in allen Zellen die charakteristische Reaktion auf Glykogen ein- trat, indem große, braunrote, fast den ganzen Zellkörper erfüllende Schollen sichtbar wurden. Hierbei stellte sich heraus, daß die Jodreak- tion erheblich deutlicher ausfiel und auch in Zellen die Anwesenheit von Glykogen anzeigte, in denen sonst kein’ Glykogen nachweisbar war, wenn man die durch Xylol entparaffinierten und durch absteigenden Alkohol in Wasser geführten Schnitte nicht sofort, sondern erst nach etwa 10 Minuten langem Erwärmen in destillierttem Wasser von 80—90° mit Jodjod- kaliumlösung behandelte. Das Glykogen wird somit durch die Erwär- mung noch nicht oder wenigstens noch nicht in wesentlichen Mengen aus dem Schnitt herausgelöst, sondern vielmehr in einen reaktions- . fähigeren Zustand (Quellung?) übergeführt. Weitere Schnitte desselben deutlich Glykogenreaktion gebenden Leberstückes, von denen ein Teil vorher in der üblichen Weise mit Methylgrün-Pyronin gefärbt worden war, wurden nun eine halbe Stunde lang bei 37° mit frischem, filtrierten, unverdünnten Speichel behandelt. Hierauf zeigte sich, daß die vorgefärbten Schnitte ihre Färbung nach der Speichelverdauung nicht verändert hatten. Von den nicht vorgefärbten Schnitten wurde nach halbstündiger Speichelverdauung ein Teil der Jodreaktion unterworfen, der andere mit Methylgrün-Pyronin gefärbt. so H. Stübel: Während bereits nach halbstündiger Speichelverdauung die Jodreaktion gänzlich negativ ausfiel, blieb die Färbbarkeit der Schollen mit Methyl- grün-Pyronin bestehen. Allerdings darf man die Verdauung nicht viel länger bei Körpertemperatur ausdehnen, da dann die Färbbarkeit mit Methylgrün-Pyronin verloren geht. Nicht nur die Schollen des Zelleibes, sondern auch die Kernkörperchen lassen sich dann nicht mehr mit Pyronin färben, bzw. sie verlieren ihre leuchtende Farbe, wenn es sich um vor- gefärbte Präparate handelt. Jedoch bleiben die Schollen auch nach 24stündiger Behandlung mit Speichel bei 37° noch als stärker licht- brechende Differenzierungen des Zellkörpers deutlich wahrnehmbar. Aus diesen Versuchen geht hervor, daß die mit Pyronin färbbaren Schollen nicht aus Glykogen bestehen. Das Glykogen erscheint in ande- rer Verteilung, nämlich in Form bedeutend größerer Schollen als die mit Pyronin färbbare Substanz in der Zelle. Das Glykogen wird durch Speichel rasch verdaut, während die mit Pyronin färbbaren Schollen nicht verdaut werden. Ferner ließ sich feststellen, daß Präparate, deren Zellen alle reichlich mit Pyronin färbbare Schollen enthielten, unter Umständen fast frei von Glykogen waren, soweit sich dies durch die Be- handlung mit Jodjodkaliumlösung vor und nach Erwärmung des Schnit- tes nachweisen läßt. In den meisten Fällen wurde sofort nach Tötung des Versuchstieres ein frisches Zupfpräparat der Leber in Ringerlösung bei starker Ver- größerung untersucht. Deutliche Unterschiede im Aussehen der Leber- zellen zwischen Präparaten von nach vorwiegender Fleischfütterung und Präparaten von nach vorwiegender Semmelfütterung getöteten Tieren ließen sich nicht feststellen. In beiden Fällen sind die Zellen prall mit den bekannten mehr oder weniger stark lichtbrechenden und mehr oder weniger großen Granula angefüllt. Die Zellgrenzen sind wenig deutlich, ebenso tritt der Kern nicht sehr deutlich hervor. Im vorge- schrittenen Hungerzustande sind die Zellen verkleinert, Zellgrenzen und Kern treten schärfer hervor, aber auch hier zeigen die Granula des Zellkörpers keine besonders deutlichen Unterschiede in bezug auf Größe und Verteilung gegenüber der normalen Zelle. Ebensowenig wurde durch Eiweißfütterung oder Hunger eine charakteristische Veränderung des Zelleibes bei Fixierung und Säurefuchsinfärbung der Leber nach dem Altmannschen Granulaverfahren bemerkbar. Man könnte auf Grund der Untersuchungen von Berg die Meinung gewinnen, daß das von ihm meines Erachtens einwandfrei in den Leber- zellen nachgewiesene Reserveeiweiß auch in der lebenden Zelle in Form von ‚Tropfen‘ enthalten ist, ebenso wie es uns am fixierten und mit Pyronin gefärbten Präparat erscheint. Auf Grund der Befunde an frischen Zupfpräparaten und Altmann -Präparaten kann ich dieser Anschauung nicht beipflichten. Bei Betrachtung dieser Präparate Die Wirkung des Adrenalins auf das in der Leber gespeicherte Eiweiß. 81 drängt sich sofort unwillkürlich die Frage auf, wo die „Eiweißschollen“ in der mit Granula dicht erfüllten Zelle noch Platz haben. Man wird um so mehr geneigt sein, die ‚„‚Eiweißschollen‘ in gewissem Sinne als Kunstprodukte anzusehen, als sich zwischen den frischen Leberzellen von vorwiegend mit Eiweiß und vorwiegend mit Semmel gefütterten Tieren keinerlei charakteristische Unterschiede wahrnehmen lassen. Es ist viel wahrscheinlicher, daß die ‚Eiweißschollen‘ Produkte einer durch die Fixierung hervorgerufenen Gerinnung besonderer Ei- weißkörper sind, und es läßt sich nicht entscheiden, ob die Eiweißschollen aus Bestandteilen der Granula der lebenden Zellen oder aus der mehr flüssigen intergranulären Substanz des Protoplasmas hervorgegangen sind. Damit wird der Wert und die Bedeutung der Pyroninfärbung als einer mikrochemischen Reaktion auf Eiweißspeicherung in den Leberzellen keineswegs herabgesetzt. Auf jeden Fall läßt sich mit Hilfe der Pyroninfärbung nachweisen, daß tatsächlich Eiweißkörper in der Leber gespeichert werden, ebenso wie dies für die Speicherung von Kohlenhydraten in Form von Glykogen schon lange bekannt ist. Es liegt nun nahe, sich die Frage vorzulegen, unter welchen Umständen dieses ‚Reserveeiweiß‘‘ der Leber wieder mobilisiert und dem Kreislauf zugeführt wird. Daß diese Mobilisierung im Hungerzustande ebenso wie beim Glykogen eintritt, ist bereits durch die Versuche von Berg erwiesen. Wenn man feststellt, daß das Glykogen der Leber im Hungerzustande von den Zellen wiederum zu Traubenzucker zerlegt und dem Kreislauf zugeführt wird, so ist damit noch nichts über die eigentliche Ursache oder besser über den Reiz, auf Grund dessen diese Mobilisierung des Gly- kogens erfolgt, ausgesagt. Bis jetzt wissen wir nur, daß das Glykogen der Leber durch Adrenalin mobilisiert werden kann. Es erhebt sich nun die Frage, ob der Reiz, den das Adrenalin auf die Leberzellen ausübt, nicht nur eine Mobilisierung des Glykogens, sondern auch eine Mobili- sierung des Reserveeiweißes der Leberzellen zur Folge hat. Um diese Frage zu prüfen, wurde in einer Reihe von Versuchen Ratten subeutan Adrenalin eingespritzt, und zwar sowohl Ratten, die vorwiegend mit Fleisch (5 Versuche) als solchen, die vorwiegend mit Semmel gefüttert waren (6 Versuche). Dann wurden die Ratten, sofern die verabreichte Adrenalinmenge nicht tödlich war, nach einer Reihe von Stunden (3—8) geschlachtet und die Leber in der beschriebenen Weise fixiert, geschnitten und gefärbt. Zur Verwendung gelangte Suprareninum hydrochloricum synthetie. Höchst im Verhältnis von 1: 1000 in 0,9 proz. Kochsalzlösung gelöst. Die verabreichte Menge, die bei subeutaner An- wendung des Adrenalins bedeutend höher sein kann als beiintravenösert), wurde auf das Gramin Körpergewicht berechnet. Bei dieser Anwendung 1!) Vgl. hierzu Biedl, Innere Sekretion, I, 521. 2. Aufl., 1913. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 185. 6 82 H. Stübel: liegt die Maximaldosis, die eben noch vertragen wird, bei etwa 0,005 mg pro Gramm Körpergewicht. In einem scheinbar atypischen Falle starb das Versuchstier nach Injektion von nur 0,004 mg pro Gramm Körper- gewicht bereits nach einer halben Stunde unter allgemeinen Krämpfen. Wurden höhere Dosen als 0,005 gm pro Gramm Körpergewicht verab- reicht, so starben die Tiere nach 4—5 Stunden. Oft schon wenige Mi- nuten nach der Adrenalininjektion änderten die Tiere ihr Verhalten, saßen erst ruhig mit gesträubten Haaren im Käfig und zeigten eine sehr angestrengte Atmung. Später trat motorische Unruhe ein, dabei war Abb. 2. Leber einer reichlich mit Fleisch gefütterten Ratte 4 Stunden nach Einspritzung von Adrenalin. Technik s. Abb.1. aber eine Lähmung der hinteren Körperhälfte zu beobachten. Vor dem Tode wurden die Tiere schließlich apathisch. War die verabreichte Adre- nalinmenge nicht tödlich, so waren die soeben beschriebenen Krankheits- erscheinungen bedeutend geringer und gingen nach 2—4 Stunden völlig zurück. Wurde den Versuchstieren eine nicht tödliche Menge verab- reicht, so wurden sie 3—8 Stunden nach der Einspritzung geschlachtet. Bei der Sektion der mit Adrenalin behandelten Ratten bestand die auffallendste stets vorhandene Änderung in einer starken Hyperämie der Leber. Die Leber war dunkelblaurot gefärbt und ihre Gefäße waren prall mit Blut gefüllt. Das mikroskopische Bild der Leber von mit starken Adrenalindosen (über 0,003 mg pro g Körpergewicht) behandelten Ratten zeigte sehr auf- Die Wirkung des Adrenalins auf das in der Leber gespeicherte Biweiß. 83 fallende und in sämtlichen Versuchen übereinstimmende Veränderungen, wenn man die betreffende Leber mit derjenigen eines normalen — sei es vorwiegend mit Semmel oder vorwiegend mit Fleisch gefütterten — Tie- res vergleicht. Und zwar verändert sich bereits innerhalb ganz kurzer Zeit (z. B. nach 3 Stunden) die Leber genau in demselben Sinne, wie sie sich im Hungerzustande verändert. Die mit Pyronin leuchtend rot ge- färbten Eiweißschollen werden kleiner und spärlicher; gegenüber den Abb. 3. Leber einer verhungerten Ratte. Technik s. Abb. 1. kompakten Schollen treten mehr stäbchenförmige Gebilde auf. Weiter- hin kommt es zu einer nur noch staubartigen Verteilung (Abb. 2) und schließlich zu einem völligen Verschwinden der mit Pyronin leuchtend rot gefärbten Substanz. In einem Versuche waren nach Einspritzung von nur 0,003 mg Adrenalin pro Gramm Körpergewicht die Eiweiß- schollen gänzlich verschwunden, so daß in dieser Beziehung die Leber der eines verhungerten Tieres gleichkam (vgl. Abb. 3). In anderen Fällen zeigten sich alle die bei den verschiedenen Stadien des Hungerzustandes vorkommenden Abstufungen in bezug auf Menge und Form der Ei- weißschollen. Wurden die mit Adrenalin behandelten Tiere 8 Stunden nach der Einspritzung geschlachtet, so bestand stets ein ganz unverkenn- barer Unterschied zwischen der Leber dieser Tiere und derjenigen von 6* 84 H. Stübel: Tieren, die nach einer einfachen Hungerzeit von 8 Stunden geschlachtet worden waren. Auch die Einspritzung von 1 ccm 0,9proz. Kochsalz- lösung ohne Adrenalinzusatz hatte keinen Einfluß auf das mikroskopische Bild der Leberzellen. Neben der Veränderung der Eiweißschollen fanden sich an der Leber nach Adrenalineinspritzung auch weiterhin die für den Hungerzustand charakteristischen Veränderungen: eine stärkere diffuse Färbbarkeit des Zelleibes, ein Hervortreten der Zellgrenzen, eine deutliche Verkleine- rung der Zellen und eine der makroskopisch wahrnehmbaren Hyperämie entsprechende starke Erweiterung der Capillaren. Diese letztere Er- scheinung ist bereits an mit Adrenalin längere Zeit behandelten Kanin- chen von Grober!) wahrgenommen worden. Die Veränderungen an den Eiweißschollen waren an Tieren, die vorwiegend mit Fleisch ernährt worden waren, also vor der Adrenalin- einspritzung besonders reichlich Eiweißschollen in ihren Leberzellen be- sitzen mußten, ebenso stark ausgeprägt als bei Tieren, die vorwiegend mit Semmel gefüttert worden waren. Um ein möglichst einwandfreies Vergleichsmaterial zu erhalten, wurde bei zwei Tieren, einem mit Fleisch und einem mit Semmel gefütterten, die Leber vor und nach der Adrenalininjektion mikroskopisch unter- sucht. Es wurde in Äthernarkose die Laparotomie gemacht und ein klei- nes Stück Leber herausgeschnitten. Der hierbei eintretende Blutverlust ist ganz gering, auch tritt, wie man sich späterhin bei der Sektion über- zeugen kann, keine merkliche Nachblutung aus der Leberwunde ein. Nach sorgfältiger Schließung der Laparotomiewunde wurde subceutan Adrenalin eingespritzt. Nach weiteren 3 Stunden wurde das Tier ge- schlachtet und ein zweites Stück Leber zur mikroskopischen Unter- suchung entnommen. Beide Leberstücken wurden in genau derselben Weise fixiert, eingebettet, geschnitten und gefärbt. Das Ergebnis dieser Versuche war ein völlig eindeutiges. Die normale Leber des mit Fleisch gefütterten Tieres enthielt sehr reichlich, die des mit Semmel gefütterten Tieres in etwas geringerer Menge große Eiweißschollen. Nach der Be- handlung mit Adrenalin fehlten bei dem mit Fleisch gefütterten Tier die Eiweißschollen in manchen Zellen vollkommen, in anderen waren sie noch vorhanden, aber nur ganz fein verteilt und in sehr geringer Menge (vgl. Abb. 2). Bei dem mit Semmel gefütterten Tier waren die Eiweiß- schollen aus allen Zellen gänzlich verschwunden (vgl. Abb. 3). In beiden Fällen waren die Lebercapillaren stark erweitert. Um eine Täuschung auszuschließen, die etwa durch eine Schädigung der Leber infolge der Äthernarkose und der Operation hätte bedingt werden können, wurde außerdem bei zwei weiteren Ratten genau dieselbe Operation ausgeführt, !) Grober, Zentralbl. f. inn. Med. 1908. Die Wirkung des Adrenalins auf das in der Leber gespeicherte Fiweiß. 85 ohne daß darauf Adrenalin eingespritzt wurde. Es zeigte sich hierbei, daß das erste, durch die Operation gewonnene Leberstück und das zweite, nach der 3 Stunden nach der Operation erfolgten Tötung des Tieres ge- wonnene Leberstück makroskopisch und mikroskopisch keinerlei er- kennbare Unterschiede aufwiesen. Eine Beeinflussung des histologischen Bildes der Leber durch Äthernarkose oder Operation war also nicht zu beobachten. Zusammenfassung. Bei der Ratte verschwindet nach subcutaner Einspritzung von Adrenalin das in der Leber gespeicherte mikroskopisch nachweisbare Eiweiß. + (Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Wien.) Über inverse Adrenalinwirkung. Von C. Amsler, Assistent am Institut. (Ausgeführt mit Unterstützung der Fürst Liechtenstein-Spende.) Mit 5 Textabbildungen. (Eingegangen am 14. August 1920.) Dale!) zeigte 1906, daß große Dosen Ergotoxin die blutdruck- steigernde Wirkung des Adrenalins in eine den Blutdruck herabsetzende verwandeln und erklärte dies als Folge einer Lähmung der vasokonstrik- torischen Nervenendigungen durch das Mutterkorngift, während die Endapparate der Gefäßerweiterer intakt bleiben. Später ist die gefäß- erweiternde Komponente der Adrenalinwirkung noch mehrfach auf- gedeckt worden. So besonders durch Pearce?2), welcher namentlich nach Degeneration der Vasokonstriktoren Umkehr der Adrenalinwirkung, d. h. Blutdrucksenkung nach Adrenalininjektion erzielte. Dieselbe inverse Wirkung des Adrenalins haben kürzlich Kolm und Pick®) sowohl am Straubschen Froschherzen, als auch am isolierten Gefäßsystem des Frosches, sowie am Magnusschen Magendarmpräparat von Kalt- und Warmblütern nach Acetylcholin nachgewiesen und die Erscheinung auf folgende Weise gedeutet. Adrenalin wirkt nicht nur auf die Endigungen des Sympathicus, sondern auch auf die des Vagus. In der Norm jedoch verdeckt die Wirkung auf die ersteren den Einfluß auf die vagalen Endapparate, weil unter physiologischen Bedingungen die Erregbarkeit des Sympathicus die des Vagus in bezug auf Adrenalin übertrifft. Dadurch, daß die vagalen Endigungen durch Acetylcholin in einen Zustand größerer Erregbarkeit versetzt werden, gewinnt die auf den Vagus gerichtete Wirkung des Adrenalins die Oberhand über die sympathische, und es tritt Vaguserregung durch Adrenalin ein. Für die !) Journ. of physiol. 34, 163. 1906. 2) Zeitschr. f. Biol. 62. 1913. 3) Kolm und Pick, Über Änderung der Adrenalinwirkung nach Erregung der vagalen Endapparate. Dieses Archiv, 1920. u Be ee C. Amsler: Über inverse Adrenalinwirkung. 87 Richtigkeit dieser Auffassung spricht die Aufhebung der negativen Adrenalinwirkung nach Acetylcholin durch Atropin. ı Bereits im Januar 1917 habe ich Umkehr der Adrenalinwirkung am nach Straub isolierten Eskulentenherzen nach dessen Vergiftung mit Nicotin festgestellt und deutete damals die Erscheinung damit, daß ich eine stimulierende Wirkung des Adrenalins auf den Vagus annahm, deren Angriffspunkt aber nicht in die vagalen Endigungen verlegte, sondern in die Synapsen des Vagus und mir vorstellte, das Nicotin ver- dränge während seiner erregenden Wirkung auf diese das Adrenalin daraus, wovon die Lähmung der Synapsen die Folge wäre. Werde dann Adrenalin zugesetzt, so könne das Nicotin aufs neue erregend angreifen, bis das zugesetzte Adrenalin wieder verdrängt sei. Die Deutung, welche Kolm und Pick ihren inversen Adrenalin- befunden gaben, veranlaßte mich, meine diesbezüglichen Versuche, welche einstweilen zurückgestellt worden waren, wieder aufzunehmen, da die Vermutung nahelag, daß die Umkehr der Adrenalinwirkung nach Nicotin ebenfalls auf veränderter, d.h. gesteigerter Erregbarkeit der Vagus- endigungen beruhe. Ich teile die Experimente im folgenden kurz mit. Was die einschlägige Literatur betrifft, kann ich im besonderen auf die Zusammenstellung derselben beiKolm und Pick verweisen, Ich arbei- tete ausschließlich am Straubschen Herzen und verwandtenur Eskulenten. a) Umkehr der Wirkung des Adrenalins auf den Ventrikel von Rana esculenta nach dessen Vergiftung mit Nicotin. Vergiftet man den Ventrikel von Rana esculenta mit großen Dosen Nieotin und setzt im Stadium der ganglionären Vaguslähmurg etwas I ee \l) Abb. 1. Bei a befindet sich das Herz im Zustand der Vaguslähmung nach Zusatz von 2 Tropfen 5°/.. weinsauren Nicotins. Bei b 2 Tropfen 1.°/,, Adrenalin. Bei ce Eintreten spontaner Erholung. Bei d 1 Tropfen Adrenalin, \ Adrenalin (1%/,,, Barke-Davis) zu, so ist die Wirkung des Adre- nalins invers (Abb. 1)!), d. h. der Ventrikel geht, je nach Empfindlich- 1) Die Kurven sind von rechts nach links zu lesen. 88 C. Ansler: keit, in vollentwickelte Diastole über, oder nähert sich der diastolischen Einstellung mehr. weniger, um sich nach kürzerer oder längerer Zeit, während welcher das zugesetzte Adrenalin. zerstört wird, wieder zu erholen. Diese negative Wirkung des Adrenalins betrifft die Inotropie stets in höherem Grade, als die Chronotropie. Bei weiterem Zusatz von Adrenalin wiederholen sich die Erscheinungen solange, als Nicotin in genügender Konzentration in der Ringerlösung vorhanden ist. Wird (Abb. 2) das Adrenalin unmittelbar vor dem Nicotin zur Nährlösung f N Abb. 2. Bei a 2 Tropfen 1°/,, Adrenalin. Bei b 2 Tropfen 5°/,, weinsaures Nicotin. Bei € spontane Erholung. zugesetzt, so ist die Zeit, welche bis zum Hervortreten der durch das Nicotin bewirkten Vaguslähmung verstreicht, doppelt und mehrfach so lang, alsin den Fällen, in denen nur Nicotin gegeben wird. (Abb. 2a.) Auch hier handelt essich um die Folge inver- ser Adrenalinwirkung, die mit dem Zu- satz des Nicotins eintritt und dessen diastolischen Effekt auf den Ventrikel ihrerseits fortsetzt, d. h. die zweite Phase der Nicotinwirkung, die gang- lionäre Lähmung des Vagus, solange verdeckt, bis das Adrenalin zerstört ist. In dem Maße, als dieses schließlich verschwindet, tritt die Vaguslähmung Abb. 2a. Gewöhnliches Verhalten nach hervor. Bo Bekanntlich kann man mit großen Dosen Adrenalin an sich das Froschherz diastolisch beeinflussen. Die Dosen, welche zur Auslösung dieser negativen Wirkung des Adrenalins nötig sind, übertreffen jedoch die Mengen, mit denen ich nach Nico- tinisierung Umkehr der Adrenalinwirkung erzielte, um das 5—6fache. An sich genügten die von mir angewandten Dosen in den Kontroll- versuchen nicht zur Auslösung der Inversion. Über inverse Adrenalinwirkung. 89 ınıoo 55 @ xs SR 2 tu HM Kr sea = . Se ze s Srar3 ma>2efs x8 eNnS5>2%5 [= I re) o=a82 . © Bos5Am1sH x@a oPN Se - ao Hosen Bis BSR SIE aSu8 35 nee = 5 © [1 SEEN, ES sd oo mm Sea BR Dan SElsjers ea säEH <.spP 2a b) Atropin hebt dieinverseWir- kung des Adrenalins auf den nicotinisiertenEskulentenven- trikel auf. Gibt man sogleich nach dem Ein- setzen der inversen Adrenalinwirkung nach Nicotin Atropin zur Nährlösung, so verschwindet die Adrenalinhem- mung augenblicklich und Erholung der Ventrikelfunktion stellt sich ein, um nach weiterem Zusatz von Adre- nalin nicht etwa wieder nachzulassen, sondern im Gegenteil sich noch mehr zu entwickeln (Abb. 3). Daß es sich hiebei tatsächlich um eine Wirkung des Atropins handelt und nicht um ein Nachlassen der Adrenalinhem- mung infolge Zerstörung des Adre- nalins, geht mit voller Deutlichkeit aus Abb. 4 hervor, wie denn auch Atropin, zur Zeit der Vagusläihmung durch Nicotin unmittelbar vor dem Adrenalin zugesetzt, die Hemmung der Ventrikelfunktion durch Adre- nalin verhindert. Aus diesen Tatsachen muß geschlossen werden, daß die in Frage stehende inverse Wirkung des Adrenalins auf den mit Nicotin vergif- teten Eskulentenventrikel die Folge einer. Erregung der Endigungen des Herzvagus durch Adrenalin ist. Besonders lehrreich ist in dieser Beziehung Abb.3, wo Adrenalin vor Atropinisierung invers, nach Atropin aber wieder in gewohnter Weise wirkt. Einsetzen der spontanen Erholung. Bei ce YTropfen Adrenalin. Bei d 1 Tropfen Atropin. sulfuric. 2 %/go- Abb. 4. Bei a 2 Tropfen 1°/,, Adrenalin bei ausgebildeter Lähmung des Vagus nach 2 Tropfen 5°/,, weinsauren Nicotins. 90 C. Amsler: Auf eine weitere Analyse des Vorgangs bezüglich des Hauptangriffspunktes der Vagushemmung am Herzsystem trete ich hier nicht näher ein. Ich möchte nur noch bemerken, daß es sich, dem bloßen Anschein nach, höchstwahrscheinlich um eine hemmende Einwirkung sowohl auf die atrioventrikuläre Reizleitung, als auch auf die intraventrikuläre Reizübertragung handelt, denn in den Fällen, in welchen es zu einem völligen Stillstand des Ventrikels in Diastole kommt, schlagen Sinus sowohl wie Vorhöfe unbeeinflußt weiter, während esin anderen, wo sich der Ventrikel nur der diastolischen Einstellung mehr weniger nähert, zu Wühlen und Wogen desselben, also wohl zu intraventrikulärer Dissoziation kommt. c) Die Wirkungdes Adrenalinsaufden Eskulentenventrikel nach Ergotamin. Nachdem Kolm und Pick inverse Adrenalinwirkung als Folge peripherer Vaguserregung durch Adrenalin nach Erregbarkeitssteigerung der Vagusendigungen durch Acetylcholin festgestellt hatten und auch die Umkehr der Adrenalinwirkung in meinen Fällen als auf Erregung des peripheren Herzvagus durch Adrenalin beruhend nachgewiesen werden konnte, lag es sehr nahe, sie ebenfalls als Folge gesteigerter Erregbarkeit der Vagusendigungen aufzufassen und den hypertoni- schen Zustand derselben durch Lähmung der sympathischen Nerven- endigungen nach hohen Nicotindosen zu erklären. In der Literatur finden sich nur sehr spärliche Stellen, welche auf eine lähmende Einwirkung des Nicotins auf periphere Sympathicusapparate hin- weisen könnten. So zeigten Wertheimer und Colas!) am Säuge- tier, daß Nicotin den Rhythmus des atropinisierten Herzens noch mehr beschleunigt, wie wenn der Accelerans elektrisch gereizt würde. Man müsse also annehmen, daß Nicotin auch die herzbeschleunigenden Fasern errege. Nach ihrer Durchschneidung bei gleichzeitiger Durch- trennung der Vagi werde durch Nicotin der Puls dennoch beschleunigt, womit der periphere Argriffspunkt am Sympathicus erwiesen sei. Wenn nun aber Nicotin die sympathischen Nervenendigungen erregt, so ist es sehr wohl denkbar, daß es sie in großen Dosen auch lähmt. Dagegen könnte eingewendet werden, daß es sich hier gar nicht um direkte periphere Erregung des Sympathicus durch Nicotin handle, sondern um indirekte Wirkung des Nicotins über die Nebennieren. Dale und Laidlaw?) zeigten nämlich, daß der hemmende Einfluß von Nicotin auf den Katzenuterus in situ ausbleibt, wenn die Neben- nieren entfernt worden sind und erklären daher die in Frage stehende Hemmung des Nicotins so, daß sie eine Reizung der Nebennieren durch Nicotin annehmen, wodurch der Sympathicus des Uterus erregt würde. Demgegenüber wäre zu bemerken, daß Dale und Laidlaw noch die 1) Wertheimer und Colas, Contribution & l’etude de l’action de la nicotine sur la eireulation. Arch. de Physiol. 1891. 2) Dale und Laidlaw, The significance of the supra-renal capsules in the action of certain alcaloids. Journ. of physiol. 45, H.1—2, S. 1—26. 1912. Über inverse Adrenalinwirkung. 91 isolierte Katzeniris mit Nicotin erweitern konnten und daher auch eine direkt erregende Wirkung des Nicotins auf die Sympathicusendigungen feststellten. Ferner scheint mir ein Befund von Dale und. Dixon?) für die Möglichkeit einer Lähmung der Sympathicusendigungen durch Nicotin zu sprechen. Dale und Dixon isolierten aus faulendem Fleisch zwei Basen: Phenyläthylamin und p-Hydrophenyläthylamin, welche deutliche ‚Adrenalinwirkung‘““ auf Blutdruck und sympathisch inner- vierte Organe aufweisen. Die Wirkung beider kann durch Nicotin vermindert werden, was wohl nur durch die Annahme verständlich wird, daß Nicotin Jähmend auf die durch obige Körper erregten sympathischen Nervenendigungen einwirkt. Weitere Anhaltspunkte für eine lähmende Wirkung des Nicotins auf den peripheren Sympathicus finden sich in der Literatur nicht. Ich prüfte daher noch die Wirkung des Adrenalins nach Vergiftung des Ventrikels mit Ergotamin (Sandoz, 1 cem = 0,0005 g Ergot.), d. h. mit einer Substanz, von der angenommen werden durfte, daß sie wie Ergotoxin wirke, welches nach Dale sympathische Nerven- endigungen lähmt. Wirkte Adrenalin auch nach Ergotamin invers, so konnte nach Analogie geschlossen werden, daß der die Umkehr der Adrenalinwirkung nach Nicotin bedingende Mechanismus derselbe sei, wie nach Ergotamin, d.h. auf einer Lähmung der Endigungen des Herzsympathicus durch Nicotin beruhe, Versetzt man ein Herz bei optimaler Funktion mit Adrenalin, so bleibt Zusatz von Ergotamin auch in sehr großen Dosen ohne Wirkung. Setzt man dagegen Ergotamin ohne vorherige Adrenalinisierung zu, so kommt es zu einer, wenn auch schwachen Depression der Herztätig- keit, welche durch Atropin nicht auf- gehoben werden kann. Diese Tatsachen bestätigen, daß Ergotamin, wie zu er- warten war, lähmend auf den periphe- ren Sympathicus einwirkt. Nachdem dies festgestellt war, wurde das Ver- halten des Adrenalins nach Ergotamin geprüft. Wie aus Abb. 5 hervorgeht, 3 ä tritt auch nach Ergotamin, wie nach Abb. 5. Bei a 1 Tropfen 1°/,, Adrenalin Nieotin, inverse Adrenalinwirkung ein. im aberen der Se nn Sie ist ebenfalls durch Atropin aufheb- ei b Binsetzen der spontanen Erholung. bar. Man darf daher wohl den Schluß ziehen, daß Nicotin in so großen Dosen, wie sie hier dem isolierten Herzen zugesetzt wurden, die sympathischen Nervenendigungen lähme und daß infolgedessen der Tonus der vagalen Endapparate 1) Dale und Dixon, The action of pressor amines produced by putrefaction. Journ. of physiol. 39, I., S. 25. 99 C. Amsler: Über inverse Adrenalinwirkung. indirekt steige, so daß jetzt die für gewöhnlich durch die Erregung des Sympathicus verdeckte vagale Wirkung des Adrenalins zur Geltung kommel). Zusammenfassung. Fasse ich, was vorstehend entwickelt wurde, kurz zusammen, so ergibt sich: }. Nieotin und Ergotamin in großen Dosen lähmen die Endapparate des Herzsympathicus. 2. Nach Nicotinisierung des Ventrikels von Rana esculenta, sowie nach Vorbehandlung desselben mit Ergotamin, wirkt Adrenalin invers und bewirkt entweder diastolischen Stillstand oder negative Ino- und Chronotropie. 3. Diese Umkehr der Wirkung des Adrenalins läßt sich durch Atro- pin aufheben und beruht somit auf einer Erregung der vagalen Nerven- endigungen durch Adrenalin. Diese ist die Folge ihrer gesteigerten Erregbarkeit nach Lähmung der yamelilsehen Antagonisten durch Nicotin und Ergotamin. !) Ich möchte hier erwähnen, daß ich schon vor Jahren am atrcpinisierten und zugleich adrenalinisierten, nach Straub isolierten Froschherzen mit Muscarin systolische Wirkung erzielte, offenbar deswegen, weil der Sympathieus sowohl funktionell, als auch chemisch hochgradig gereizt worden war,so daß das Muscarin erregend auf ihn wirkte. Von der stichartigen Mitempfindung. | Von Bela Mittelmann, stud. med. (Aus dem Physiologischen Institut der deutschen Universität in Prag [Vorstand: Prof. A. Tschermak].) Mit 4 Textabbildungen. (Eingegangen am 2. Juli 1920.) I. Vorbemerkung. Kowalevsky*) hat einige an sich selbst angestellte Versuche mit- geteilt, die für die Existenz reiner Mitempfindungen sprechen!). Wenn er die Nerven der Haut oder der Haarbälge mechanisch reizte, bemerkte er unter gewissen Umständen zugleich mit einer kurzdauernden Schmerz- empfindung am gereizten Orte in einer mehr oder weniger entfernten Region der Haut ebenfalls eine momentane, blitzartige, scharf (was den Ort anbetrifft) begrenzte Schmerzempfindung, die qualitativ von der primären Schmerzempfindung sich durch gar nichts unterscheidet. Nachdem der Ort der Reizung und der Ort der Mitempfindung ange- merkt worden war, wiederholte er den Versuch nach einiger Zeit (nach einigen Monaten) und fand die Mitempfindung genau an derselben Stelle. Bei Veränderung des Ortes der Reizung erschien die Mitempfin- dung auch gewöhnlich an einem anderen Orte. Um den Effekt zu erhalten, ist eine bestimmte Stärke der Reizung nötig, die man jedesmal durch den Versuch findet. Man erhält leichter den Effekt, wenn die Haut warm, etwas mit Schweiß "bedeckt ist. Die Wiederholung der Reizung an einer und derselben Stelle in kurzen Zwischenräumen drückt das Auftreten des Effektes herab. Was die Topographie der Mitempfindungen betrifft, gelang es ihm, folgende Gesetzmäßiskeiten zu konstatieren. 1. Die Mitempfindung erscheint stets auf derselben Seite des Körpers, auf welcher die Reizung stattgefunden hat. 2. Bei Reizung an symmetrischen Orten der rechten und linken Körperhälfte sind die Mitempfindungen nicht überall symmetrisch. 3. Die Mitempfindungen erscheinen gewöhnlich in Regionen, die ihre Nerven von höher gelegenen Wurzeln des Rückenmarkes im Vergleich *) Über den russischen Aufsatz von N. Kowalevsky ist ein Referat in Hofmann-Schwalbe, Jahresbericht über die Fortschritte d. Anat. u. Physiol. 13 (II), S. 26. 1886 (Literatur 1884) erschienen, welches ich wörtlich zitiere. - / 94 B. Mittelmann: zu der ursprünglich erregten Stelle erhalten (wiewohl es auch Ausnahmen von dieser Regel gibt). 4. Größtenteils gruppieren sich die Mitempfindungen an der hinteren Seite des Körpers. in der Umgegend des Oberarmes und des Schulter- blattes. 5. An den Orten größter Empfindlichkeit kann man von einander sehr nahen Punkten voneinander sehr entfernte Mitempfindungen erhalten. 6. Wahrscheinlich kann manchmal eine Stelle zwei Mitempfindungen an voneinander sehr entfernten Orten geben. Die beschriebenen Erscheinungen der Mitempfindung können nicht durch Reflexbewegungen der darunter oder in der Nähe liegenden quer- gestreiften Muskeln erklärt werden. Gegen eine solche Erklärung spricht: 1. die äußerste Eingeschränktheit des von der Mitempfindung einge- nommenen Raumes, der sozusagen auf einen einzelnen Punkt reduziert sein kann; 2. das Auftreten von Mitempfindungen mit derselben Inten- sität sowohl an Stellen, die an sehr kräftige Muskeln grenzen, als auch an Stellen, in deren Nachbarschaft die Muskulatur vollkommen unent- wickelt ist (Ohrläppchen); 3. die schmerzliche Qualität der Mitempfin- dung, die nichts Gemeinsames mit den Empfindungen hat, die selbst durch kräftige Muskelbewegungen hervorgerufen werden. In ähnlicher Weise können die angeführten Mitempfindungen nicht erklärt werden durch reflektorische Kontraktionen der glatten Muskel- fasern der Haut oder durch vasomotorische Vorgänge. Gegen eine solche Erklärung spricht: 1. das ungemein schnelle Auftreten und Verschwinden der Mitempfindung; 2. die Unilateralität der Mitempfin- dungen und ihre Beschränktheit auf einen Punkt bei bedeutender Ent- fernung des Ortes derselben vom Orte der Reizung — was keineswegs der mehr diffusen Kontraktion der Gefäße und der Mm. arrectores pi- lorum in Versuchen mit Reizung sensibler Nerven an Tieren entspricht; 3. die schmerzliche Qualität der Mitempfindungen, die nichts Gemein- sames hat mit den Empfindungen, die auftreten selbst bei sehr starker Kontraktion der glatten Muskeln der Haut und bei vasomotorischen ° Vorgängen in der letzteren. Man muß also auf dem Wege des Ausschließens die beschriebenen Erscheinungen als reine Mitempfindungen anerkennen. II. Eigene Versuche. Dieselbe Erscheinung habe ich an mir selbst noch vor Kenntnis- nahme der Angaben Kowalevskys beobachtet. Die ersten Beobach- tungen fallen in ein Alter von 15—16 Jahren. 4 Jahre später, nach ein- schlägigen Angaben suchend, stieß ich auf die Mitteilung Kowalevskys. Die sekundäre Empfindung (Mitempfindung) war mit Ausnahme eines Falles rein schmerzhaft, bei mechanischer Reizung der primären u Der ro in u re m a De en al ann dd a u Dem na ad aut el Zum. | | Von der stichartiren Mitempfindung. | 95 Stelle stechend und punktartig wie bei Kowalevsky. Zuweilen gesellt sich zu der stechenden Empfindung etwas Brennendes. Reizen wir die primäre Stelle nur kurze Zeit, so ist die Mitempfindung blitzartig (Kowalevsky), nachher tritt aber diffuses Jucken auf, welches Kratzen auslöst. Lösen wir die sekundäre Empfindung mehrmals nacheinander aus, so wird das Jucken stärker. Das Kratzen tritt auch dann auf, wenn die Aufmerksamkeit der untersuchten Person durch Gespräch abgelenkt ist. Die Beschreibung des Juckens fehlt bei Kowalevsky gänzlich, aber sowohl bei mir als auch bei meinen anderen Versuchspersonen war es unverkennbar. K. experimentierte nur an sich; wahrscheinlich entging das Jucken dadurch seiner Aufmerksamkeit. Auch ich habe es zuerst konstatiert, als ich an einem anderen experimentierte. Als nämlich die Mitempfindung auftrat, sagte er plötzlich, wie überrascht: ‚Jetzt habe ich es gefühlt!‘ Danach kratzte er. Auf die Frage, warum er kratze, antwortete er: „Es juckt.‘ Eine schematische Kurvendarstellung dieses Verhaltens müßte demnach zuerst einen steilen Schmerzgipfel auf- weisen — gefolgt von einem trägen Buckel, der den Verlauf des nach- folgenden Juckens versinnbildet. Die durch Goldscheider mit Gad?2), später durch Alrutz?), dann durch Thunberg*) beschriebene doppelte Schmerzempfindung ist von dieser Erscheinung verschieden. Üben wir mit der Spitze einer Nadel auf die Haut einen Stoß aus, so fühlen wir meistens eine Stichschmerzempfindung und nach einem empfindungslosen Intervall eine zweite Empfindung, die schmerzhaft, aber auch juckend ist. Hier hat also die zweite Empfindung, wenngleich juckend, eher aber ein schmerzhaftes Gepräge, und sie ist viel stärker, als das von mir beschriebene Jucken. Ebenso unterscheidet sich meine Beobachtung von dem von v, Frey?) und von Winkler$®) beschriebenen Nachjucken. Die v. Frey- sche Erscheinung besteht in folgendem: Berühren wir mit einer Borste unseren Rücken, so tritt einige Sekunden nach der Tastempfindung ein Jucken auf. Die Winklersche Erscheinung: wir kleben eine Borste an eine Stimmgabel, lassen die letztere schwingen, halten jetzt die Borste an unsere Lippe und empfinden ein Vibrieren, nach Fortnahme der Borste tritt nach einigen Sekunden Jucken auf. Hier ist also die erste Empfindung tastend, und nicht schmerzhaft. Der zentrale Nervenapparat, welcher die Mitempfindung vermittelt, ist von der primären wie von der sekundären Stelle her erschöpfbar. Von der primären aus in zweifacher Weise. Lösen wir die Mitempfindung wiederholt aus, so wird sie sukzessive schwächer, endlich bleibt sie aus; d. h. der sie vermittelnde Nervenapparat wird ermüdet. 96 B. Mittelmann: Die sekundäre Empfindung kann aber auch aufhören, wenn wir an der primären Stelle einen Dauerreiz wirken lassen. Reizen wir mit einer Nadel, welche wir am primären Punkte einstechen und eingestochen halten, so dauert die schmerzhafte Mitempfindung ungefähr so lange, als wir auch an der primären Stelle den Nadelstich fühlen. Viel besser ist aber das Aufhören der sekundären Empfindung untersuchbar durch eine primitivere Reizungsart. Wenn wir die Kante unseres Nagels in die Haut eindrücken, so fühlen wir an der sekundären Stelle eine scharfe, punktartige, lebhafte Stichschmerzempfindung, die, wie sie weiter und weiter dauert, unangenehm abgestumpft wird, sich langsam abschwächt und endlich ausbleibt, worauf kein Jucken folgt. Untersuchen wir jetzt, wie die Erscheinung durch verschiedene Zustände der sekundären Stelle beeinflußt wird. Reiben wir die sekun- däre Stelle mit der Kante unseres Nagels schmerzhaft, so wird dieselbe nach einer Zeit hyperästhetisch. In diesem Falle verliert die Mit- empfindung ihre Punktartigkeit, wird schmerzhafter, breitet sich aus, und das Jucken nach ihr fällt nach einer Zeit weg. Wenn die sekundäre Stelle durch direkte Reizung endlich anästhetisch wird, ist auch die Erscheinung nicht mehr auslösbar; wir haben den Nervenapparat der Mitempfindung ermüdet. Nach 1—2 Minuten Erholung der sekun- dären Stelle ist sie wieder auszulösen. Machen wir die sekundäre Stelle durch Infiltrieren mit Novocain- Adrenalin anästhetisch, so läßt sich die Mitempfindung noch auslösen; sie verliert aber an Schärfe, stumpft sich ab, und das Jucken bleibt aus. Auch konnte ich folgende Beobachtung machen. Von einem pri- mären Punkte aus versuchte ich durch die Wärmewirkung von mittels einer Linse gesammeltem Licht die sekundäre Empfindung auszulösen. Der Versuch hatte keinen direkten Erfolg; es entstand über dem pri- mären Punkte eine Blase. Übte ich nun darauf einen Druck aus, so meldete sich zunächst noch kein lokaler Schmerz und schon trat an der sekundären Stelle — wenn auch stumpfer als gewöhnlich — der sekun- däre Schmerz auf. Der primäre Punkt lag einige Zentimeter über der Brustwarze, der sekundäre in der Mitte der lateralsten Linie des Halses. Wenn ich eine stärkere, raschere Bewegung mit meinem Kopfe machte, fühlte ich einen Schmerz um die sekundäre Stelle, der natürlich wegen der begleitenden Empfindungen ein diffuser war. An der jenseitigen Stelle des Halses fehlte jeder Schmerz. Die oben gemachten Angaben beziehen sich auf alle untersuchten Punkte bis auf einen. Dieser Punkt gibt auf mechanische Reizung keine Mitempfindung, sondern ausschließlich auf Kältereiz. Von der sekundären Empfindung kann ich nicht sicher entscheiden, ob sie un- angenehme Kälte oder Kälteschmerzempfindung ist; eher das erstere. Es tritt danach kein Jucken auf. Dieser Punkt liest an der Grenze Von der stichartigen Mitempfindune. 97 des mittleren und unteren Drittels des linken Oberschenkels, etwas lateral — der sekundäre Punkt 1 em weit links vom Nabel. Die Erklärung aller dieser Erscheinungen folgt später. Zu welchem Sinne gehören die primären und sekundären Punkte? Da die sekundäre Empfindung, den erwähnten Spezialfall ausgenom- men, eine rein schmerzhafte ist, können wir sicher annehmen, daß sie durch die sekundäre Erregung eines schmerzempfindenden Nerven- elements entsteht. Bei dem einen Ausnahmefall, wo die Mitempfindung nur durch Kältereiz auslösbar war, handelt es sich um Miterregung eines schmerz- oder eher eines kälteempfindenden Nervenelementes. Die Zu- gehörigkeit des sekundären Punktes ist also im allgemeinen klar. Zu welchem Sinne gehört der primäre Punkt? Der obenerwähnte einzige Punkt, von welchem die sekundäre Empfindung nur durch Kältereiz auslösbar ist, ist unzweifelhaft ein kälteempfindendes Element — und zwar aus folgenden Gründen: 1. Suchen wir die kälteempfind- lichen Stellen in der Gegend dieses primären Punktes auf, so finden wir, daß auch der primäre Punkt kälteempfindlich ist. Dieser primäre Punkt fällt eben mit einem Kältepunkt zusammen; 2. die sekundäre Empfin- dung ist durch Kältereiz auslösbar, und zwar schon bei mäßiger Inten- sität, z. B. mit einem 15° C-Metallzylinder; 3. mechanischer und Wärme- reiz gibt weder in geringer noch in größerer Intensität die Erscheinung. Zu welchem Sinne gehören die anderen Primärpunkte? Zur Ent- scheidung dieser Frage untersuchte ich, in welcher Beziehung die Punkte des Wärme-, Kälte- und Tastsinnes zu den zunächst festgestellten Primär- punkten stehen. (Zum Aufsuchen der Punkte des Schmerzsinnes haben wir noch keine sichere Methode.) Zur Stelle der Untersuchung habe ich die Oberschenkel gewählt, wo bekanntlich die Sinnespunkte sich in rela- tiv geringerer Dichte finden. Mein Verfahren war das folgende. Ich suchte mit dem -Fingernagel die Gegend einer primären durch die schmerzhafte Mitempfindung charakterisierten Stelle auf. Dann um- grenzte ich dieselbe mit einem Quadrat von 4-5 cm?. An den nächsten Tagen suchte ich mit der v. Freyschen Borste die Tastpunkte dieser Ge- gend auf; dann bestimmte ich mit einer Nadel punktuell die Stelle des pri- mären Punktes. Ebenso bin ich bezüglich der Kälte- und Wärmepunkte vorgegangen. Ich habe sie sowohl mit massivem Metallkonus wie mit einem von Wasser durchströmten Metallzylinder auf die gewöhnliche Weise aufgesucht. Der Zweck dieses Verfahrens war, daß die Kenntnis des Primärpunktes mich im Aufsuchen der Sinnespunkte nicht stören sollte. Da die Bestimmung der Sinnespunkte auf Nadelspitz-Punktu- alität kaum möglich ist, bezeichnete ich sie mit je einem ausgedehnteren Punkte. 5 Primärpunkte untersuchte ich auf diese Weise. Unter den Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 185. 7 98 B. Mittelmann: 5 Punkten fielen 4 weder mit Tast-, noch mit Kälte-, noch mit Wärme- punkten zusammen. Einer fiel jedoch mit einem Tastpunkte, aber mit keinem Kälte- oder Wärmepunkte zusammen. Außerdem unter- suchte ich die Gegend von 3 anderen Primärpunkten, aber nur nach Tastpunkten. Unter diesen fielen 2 Punkte mit Tastpunkten zusammen, 1 nicht. Die erwähnten 4 Primärpunkte können also weder Tast-, noch Kälte-, noch Wärmepunkte sein. Daß sie aber in der Tat Schmerz- punkte sind, zeigt sich dadurch, daß wir bei Stechen eines der primären Punkte mit einer Nadel Schmerz an derselben Stelle empfinden. Aber auch unter Absehen von der Punkttheorie ist es beweisbar, daß unter den Primärpunkten sich schmerzempfindende befinden. Von diesen Punkten aus ist die sekundäre Empfindung durch Kälte- und Wärmereize unter der schmerzhaften Stärke (unter + 15° und über + 50° C) nicht auslösbar. Verwende ich nun mechanische Reizung, so kann diese auf die Kälte- und Wärmeapparate keine so starke Ein- wirkung ausüben als ihr adäquater Reiz, der Wärmereiz. Ist nun die sekundäre Empfindung durch nichtschmerzhafte Wärmereize nicht auslösbar, so ist es unmöglich, anzunehmen, daß dieselbe durch den Nadelstich von den wärmeempfindlichen Apparaten aus hervorgerufen wurde. Also kann der Primärpunkt kein Wärmepunkt sein. Es bleibt also nur Tast- und Schmerzsinn. Da aber an vielen Primärpunkten, mit der Nadel einstechend, rein tastempfindungslose Schmerzempfin- dung auftritt, ist die Frage entschieden. Die Größe der Stelle, von welcher aus die sekundäre Empfindung auslösbar ist, ist bei jeder Untersuchung beim ersten Auslösen sozusagen punktartig. Nachher erscheint die Stelle größer, ungefähr scheibenförmig, mit etwa 1/,—1 mm Radius. Ob der primäre Punkt auch ein Tastpunkt sein kann, ist nicht ausschließbar, aber auch nicht bewiesen. Das scheinbare Zusammenfallen des Primärpunktes mit einem Tastpunkte beweist nichts. Es kann auch ein Schmerzpunkt sein ganz nahe neben einem Tastpunkte. Oder können vielleicht manchmal in das Nervengeflecht rings um die Haarwurzelscheide auch schmerzempfindliche Fasern eintreten ? Man könnte vermuten: im Falle eines Tastprimärpunktes löse ein Reiz schon bei kleinerer Intensität die Erscheinung aus, als im Falle eines Schmerzprimär- punktes. Aber nur die zum ersten Auslösen der Erscheinung notwendige Reiz- intensität könnte in Frage kommen. Nach öfterem Auslösen der Erscheinung nämlich, wobei die Miterregung der Bahn des Sekundärpunktes von jener des Primär- punktes aus schon auf einem „gebahnten‘“ Weg geschieht, könnte auch im Falle eines Schmerzprimärpunktes schon eine schwächere Intensität genügen. Das zu beobachten wäre sehr schwer. Es könnte ein anderes Verfahren geben; von dem aber später. Am primären Punkte wären auch noch andere Experimente durchzuführen. Bei Anästhesie mit Novocain (hauptsächlich bei regionaler) hört nämlich zuerst die Wärme-, dann die Schmerz-, zuletzt die Tastempfindlichkeit auf. Es wäre zu untersuchen, in welchem Stadium der Anästhesie die Auslösbarkeit der sekundären Empfindung aufhört. Ebenso bei Coffeininjektion®). So wäre zu entscheiden, ob es Tastprimärpunkte gibt. Außerdem könnte man feststellen, wie sich einzelne Primärpunkte gegenüber verschiedenen Reizungsarten verhalten, speziell gegen- Von der stichartigen Mitempfindung. 99 über schmerzhaften Wärme-, Kälte-, chemischen und elektrischen Reizen. Auch die Reaktionszeit der sekundären Empfindung wäre noch zu bestimmen. Das Verhalten gegenüber schon schmerzhaften Wärmereizen habe ich bis zu einem gewissen Maße untersucht. Einmal benutzte ich aus Versehen die zum Aufsuchen der Wärmepunkte benützte Metallkuppe in zu warmem Zustande, und als ich damit meine Haut berührte, wurde die sekundäre Empfindung aus- gelöst. Dieselbe Stelle war empfindlich auf mechanische Reizung. Weiter unter- suchend fand ich folgendes: Nicht alle auf mechanische Reizung ansprechenden Punkte geben eine Mitempfindung auf Wärmereizung. Auch die auf schmerzhafte Wärmereize antwortenden geben eine solche nur unterhalb einer gewissen Größe der Reizfläche. Eine Reizfläche mit einem Radius von !/,—!/;—1l mm ist noch wirksam, eine mit einem von 1,5 mm nicht mehr. Die durch schmerzhafte Wärme- reize ausgelöste sekundäre Empfindung ist auch eine brennende und keine stechende. Je kleiner die Reizfläche ist, um so näher steht die sekundäre Empfindung der stechenden. Diese Angaben sind jedoch wegen der Unvollständigkeit der Experi- mente nicht zu Schlußfolgerungen geeignet. Was das Jucken und Kitzelgefühl betrifft, nimmt die Mehrzahl der Forscher für diese Empfindungen keine besonderen Apparate an — ausgenommen Alrutz?)*). | Lokalisation der primären und sekundären Punkte. Hinsichtlich der Lokalisation der primären und sekundären Punkte seien aus meinen Ergebnissen nur folgende, wiederholt geprüfte herausgehoben (vgl. die nur einige Punktpaare heraushebenden Schemata Abb. 1 u. 2): Kopf (rechte Seite): Primärpunkt. Sekundärpunkt. Beim unteren Rande des Arcus zygom. 3cm über dem oberen Rande der 2!/,cm weit von dem Ohre (ec) Scapula in der Mittellinie der r. Seite der Regio nuchae (c’) (07 } 4—2—2 C, 4cm über, Icm vor dem Öhre (a) lcm über der Brustwarze (a’) C, 10—2=38 D; 4cm über der Spitze des Ohres (5) Proc. corac. scapulae (b’) GC, 4—-2—-2 C, (linke Seite): 2cm weit vor dem unteren Ende des Am höchsten Punkte der vorderen Ohres Wand der Fossa axill. C, 10 oder besser**) 6— 2 = 4 D, 4cm über, 3cm vor der Spitze des Beim Angulus med. scapulae Ohres C, 10 oder besser 6 — 2 —= 4 D, 4cm links und ein wenig rückwärts In der Mitte des ulnaren Randes des vom Scheitel Unterarmes (0 8—2—=6 (07 *) Stransky beschreibt (Wien. klin. Rundschau 1901, Nr. 24, 25, 26, S. 165) eine Mitempfindung: Wenn wir manche Stellen der Haut mit stumpfer Spitze oder abgestumpfter Kante quetschen, tritt an einer fernliegenden Hautgegend ein Jucken-Brennen auf. Auch diese Mitempfindung ist bei mir auszulösen, aber von einer Primärstelle für das Stranskysche Phänomen war das Kowalevskysche nicht auslösbar. **) Die schematische Abrechnung von 4 Cervicalsegmenten geschieht in diesen Fällen mit Rücksicht auf das unmittelbare Aneinandergrenzen der Haut- gebiete von C, und D, an der Brustfläche. Ze 100 B. Mittelmann: Oberarm (rechter): Am Ellbogen (g) Amlateralsten Punkte derCrista iliaca(g’) D, 11—2=9 Dy1 (linker): 5cm über dem Ellbogen beim lat. Beim unteren Rande der 10. Rippe Rande ganz lateral 2,65 18 —5=13 Dr Unterarm (rechter): 4cm unter dem Ellbogen am rad. Am lateralsten Punkte des unteren Rande (l) Randes der 7. Rippe (!’) (0A 14 —6=8 ID 4cm unter dem Ellbogen am uln. 5cm unter der Brustwarze (k’) Rande (k) ‚ D, 61-5 ID An der dors. Fläche an der Grenze des Bei dem vorderen Ende der 7. Rippe mittleren und unteren Drittels 07 14 —6=38 D; Hand (linke): ‚4. Finger, an der ulnaren Seite, /,;cm 2cem weit von dem vorderen Ende oberhalb des 2. Interphalangeal- der 10. Rippe gelenkes © Ge D,; (rechte): 4. Finger, an der uln. Seite, !/,cm Bei dem vorderen Ende der 7. Rippe unterhalb des Metakarpophalangeal- (m’) gelenkes (m) 07 14 —8—6 D; Rumpf (rechte Seite): In der Linea axill. ant., 2cm abwärts Beim unteren Rande der 12. Rippe, von deren höchstem Punkte lateral DD), 10 —4=6 1% In der Mittellinie der Scapula, 2cm In der Linea axill. post., beim oberen abwärts von der Spina (x) . Rande der 12.Rippe, ein wenig lateral (x’) 195 11—2=9 Da In der Linea axill. ant., 4cm weit von Inder linken Fossa supraclavicularis, deren höchstem Punkte (g) l em über der Clavicula, 2 cm medial- wärts von derem Ende (g’) D; 11 oder besser 7—3=4 (0 In der Linea axill. ant., in der Höhe Beim Epicond. med. humeri der 6. Rippe D, 6—i=5 Di} In der Linea axill. post, in der Höhe In der lateralen Linie des Halses, 1 cm der 8. Rippe unter deren Mitte D,;, 16 oder besser 12 — 2 = 10 C, Beim vorderen Ende der 8. Rippe Beim Ansatz des. Deltoideus am Hu- merus D* 15—5=10 (& In der Linea axill. ant., beim unteren Beim oberen Rande der Clavicula, in Rande der 9. Rippe deren Mitte D,;, 15 oder besser 11—3=8 Cz Von. der stichartigen Mitempfindung. 101 In der Linea paravertebralis, in der In der Mitte der Helix des Ohres Höhe des 2. Lendenwirbels D,ı 19 oder besser 15 — 1 = 14 C, (linke Seite): In der Linea axill. ant., 3em weit von In der Linea parasternalis, 1!/, cm deren höchsten Punkte unter dem Nabel Dean: 1—3=8 Dy1 Über der Mitte der Margo med. scapulae 3cm einwärts von der Articulatio (i) acromioclavicularis (%) D; 11 oder besser 7 —4=3 Q, In der Linea axill. ant., in der Höhe lcm über dem Epicondylus med. der 8. Rippe (s) humeri (s’) 4cm über der Brustwarze (e) In der Mitte der lateralsten Linie des Halses (e’) D, 10 oder besser 6—2—= 4 G, Linea axill. post., in der Höhe der 1cm über der Mitte der Clavicula (A’) 8. Rippe (A) D, 15 oder besser 11—3=8 07 In der Linea axill. ant., in der Höhe In der Mitte des Ohrläppchens (d’) der 5. Rippe (d) D, 13 oder besser 9I—2 = Sp In der Linea axill. ant., beim oberen 3cm über dem Epicondylus lat. hu- Rande der 7. Rippe (t) meri (f’) Oberschenkel (rechter): 4cm über der Kniescheibe Beim Angulus inf. scapulae L,; 23 130110 D, lmm weit von demselben Orte 1!/,cm weit links vom Nabel L; 23 ren 18 = 5 Di 3 cm unterwärts von der Fossa inguina- In der Mitte der dors. Fläche des Ober- lis in der Mediallinie armes L, 21 —10=11 D, An der Grenze des oberen und mitt- Beim Ansatz des Deltoideus leren Drittels, lateral, an der vor- deren Fläche L; 22 a 5 = 17 C, (linker): An der Grenze des oberen und mitt- Am Unterarme, 3em unter dem Ell- leren Drittels, an der vorderen Fläche bogen, ganz lateral L, 22 —6= 16 C, An der vorderen Fläche, 5cm über der In der Linea axill. ant., 3cm weit von Kniescheibe, ganz lateral deren höchstem Punkte L, 22 1111 D3 An der hinteren Seite in der Medial- In der Linea paravertebralis, in der linie, 2cm unter der*Glutealfalte Höhe des 10. Brustwirbels 102 B. Mittelmann: Unterschenkel (rechter): An der Grenze des mittleren und unteren In der Linea axill. med., am oberen Drittels, ganz lateral Rande der 8. Rippe L; 25 — 15 = 10 ID, 4cm über dem Fußknöchel, medial In der Linea axill. med., beim unteren Rande der 7. Rippe L, 24 eh 15 — 9 1D)- (linker): In der Höhe der Articulatio talocruralis Am höchsten Punkte der vorderen in der Mitte, vorn Wand der Achselhöhle L, 24 — 10 = 14 D, 2cm unter der Kniescheibe, 2em In der Mitte der Scapula lateralwärts von der Mittellinie L, 24—11=13 ° D; Fuß (rechter): In der Mitte der großen Zehe, ganz Im der Linea parasternalis, in der Mitte medial zwischen dem Proc. xyph. und dem Nabel Sı 26 — 16 = 10 D; Zwischen dem I. und II. Metatarsus-- Im der Linea mammillaris, in der Höhe knochen, lcm weit von der Artic. der 7. Rippe metatarsophalangea (linker): An der 2. Zehe an der med. Seite, lem Beim vorderen Ende der 11. Rippe weit vom Nagel L; 23 — 17=8 Ds An der großen Zehe, !/;,cm vor dem 1cm unter und links vom Nabel Nagel, ganz medial Sı 26 3 18 > 8 Dy Ander kleinen Zehe, an der med. Seite, Bei dem vorderen Ende der 12. Rippe lcm vor dem Nagel Ich habe öfter folgende Beobachtung gemacht: !/,—/, Stunde nach dem Essen, wenn auf ein paar Sekunden schmerzhafte Empfindungen im Epigastrium und der Nabelgegend auftraten, konnte ich am höchsten Punkte der vorderen Wand der Achselhöhle eine typische Mitempfin- dung bemerken, ebenso, wenn rechts vom Nabel Schmerzen auftraten, eine Mitempfindung in der Mitte der dorsalen Seite des rechten Unter- armes. Wir können also annehmen, daß Mitempfindung gebende Punkte auch an der Schleimhaut des Magendarmkanals oder am Peritoneum vorkommen. 1. Aus diesen Ergebnissen läßt sich für die Lokalisation der primären und sekundären Punkte die Regel ableiten, daß sowohl Primär- wie auch Sekundärpunkte nur auf Hautgebieten der spinalen Nerven vor- kommen, nicht aber auf der reinen Trigeminusfläche. Von der stichartigen Mitempfindung. 103 Einige auf dem Schema (Abb. 1 und 2) bezeichnete Punkte fallen in das ‚‚Trige- minusgebiet‘‘. Dasist aber nur nach diesem Schema so. Es ist ja bekannt, daß die Größe des Trigemi- nusgebietes bei ein- zelnen Individuen verschieden ist. Auch besteht ein Ineinan- dergreifen des Gebie- tes der spinalen Ner- ven und des Trigemi- nus*). W.Seiffer!P), dem das Schema ent- nommen ist, teilt selbst die Schemata Häckels und Bar- delebens über das Ausbreitungsgebiet des Trigeminus mit; nach der Abb. 38 ist unsere Regel richtig. Ich habe an mir und an noch 3 anderen Personen die zweifel- lose Trigeminusfläche in diehten Zwischen- räumen mit dem Na- gel wiederholt durch- forscht, doch waren Primärpunkte in die- ser Gegend nicht zu finden. Auch fand ich von den Sekun- därpunkten keinen einzigen daselbst. Wendezone 7 e 7+.C8+D". .. \- L3 Sa \ - > Ze in a (6) N \ ® > Abb. 1. Schema der Lage von Primärpunkten (rot; abis y mit gleichzeitiger Verzeichnung der Sekundärpunkte a’ bis y’; sonstige Primärpunkte — ohne Verzeichnung der zugehörigen Sekundärpunkte — durch einfache rote Punkte markiert) und von Sekundärpunkten (schwarz; a’ bis y’) auf der Vorderseite bei B.Mittelmann. (UnterZugrundelegung desSchemasvonSeiffer.) 2. Die Sekundärpunkte der (ungefähr) über dem IlI. Dorsalsegmente liegenden Primärpunkte sind in einem tieferen, die Sekundärpunkte der *) Häckel und Bardeleben, Arat. Atlas 1908, Abb. 35—38. 104 B. Mittelmann: unter dem III. Dor- salsegmente liegen- den Primärpunkte sind in einem höhe- ren Segmente zu fin- den alsihre primären. Sehr schön ist das an dem nebenstehen- Wendezone { den Schema nach u Seiffer(Abb.1u.2) or an sichtbar. Auch die F \ $ Ergebnisse Kowa- levskys zeigen das, (s. S. 105) obgleich seine Regel eine an- dere war. Die meisten der Primärpunkte Ko- walevskys lagen — natürlich — unter dem III. Dorsalseg- mente. Er stellte da- her die Regel auf, daß die Sekundär- . punkte meistens in einem höheren Seg- mente liegen als die Primären. Doch müssen wir noch auf mehrere Umstände Rücksicht nehmen. Einerseits te ee S1 sind dieAusbreitungs- gebiete der einzel- R L5_P nen Spinalsegmente ©, “ nicht punktuell ge- Abb. 2. Schema der Lage von Primärpunkten (rot; abisy nau sichergestellt ‚die mit gleichzeitiger Verzeichnung der Sekundärpunkte a’ bis yr ; son- - . stige Primärpunkte — ohne Verzeichnung der zugehörlgen Sekun- Ergebnisse der For- därpunkte — durch einfache rote Punkte markiert) und vonSekun- scher sind diesbezüg- därpunkten (schwarz; a’ bis y’) auf der Hinterseite bei B.Mittel- hi h hied A mann, (Unter Zugrundelegung des Schemas von Seiffer.) ich verschieden. D- dererseits decken die Hautbezirke gewisser Spinalsegmente einander — wenigstens teilweise; jede ausgedehntere Hautfläche wird von etwa 3 Segmenten versehen!!). Von der stichartigen Mitempfindung. 105 Nach Kowalevsky: Primärpunkt. Sekundärpunkt. a) Auf der hinteren Seite des linken Auf dem Rücken, neben dem unteren Vorderarms, an der Grenze des Rande des Schulterblattes, der Spina oberen und mittleren Dritteis, ab- scapulae gegenüber seits von der Mittellinie nach der Radialseite 07 10 —7=3 D, b) Auf der hinteren Seite des linken Auf dem Rücken oberhalb der Lende Vorderarms, an der Grenze des mittleren und unteren Drittels D, es D, Dennoch ist unsere Regel nachweisbar. Es gibt ja Gegenden, die nach den Ergebnissen aller Forscher von Wurzeln über bzw. unter dem III. Dorsalsegmente versorgt werden. Andererseits liegen die ein- zelnen Sekundärpunkte so weit ab von ihren Primären, daß die höhere bzw. tiefere Lage der zugehörigen Spinalsegmente unstreitig nachweisbar ist. Subtrahieren wir unter den Segmentnummern der primären und der sekundären Punkte die kleinere von der größeren, so bleibt fast immer mehr als 3 (vel. die obige Tabelle). Zur anatomischen Deutung unserer Befunde sei mit anderen Autoren angenommen, daß einer Hinterwurzel bzw. einer Schmerzpunktfaser mehrere spinale Endigungs- oder Synapsensegmente zugehören!P). Wenn wir schematisch für jede Wurzel 3 Rückenmarks- segmente rechnen, so ist in dem Falle die höhere bzw. die tiefere Lage des dem Sekundärpunkte (gegenüber dem Primärpunkte) zugehö- rigen Spinalsegments sicher, wenn zwischen den größeren und kleineren Segmentnum- mern der Unterschied wenig- stens 5 beträgt. Dem ent- spricht der größere Teil der Punkte. Dies wird durch das nachstehende Schema für die Degmentalbeziehung von ae a Schematische Segmen- Haut bzw. Schmerzpunkten, segmente segmente talgliederung der Haut Spinalwurzeln und Rücken- Abb. 3. ee dien Seemenielbezieinus von Haut, men (Abb. 3) dargelest: Die pinalwurzeln und Rückenmark. das Hautsegment a eines Primärpunktes noch versorgende unterste Wurzel reicht im Rückenmarke bis zum Segmente © hinunter, die das Hauptsegment feines Sekundärpunktes noch versorgende oberste Wurzel 106 B. Mittelmann: reicht bis zum Segmente D hinauf. Das zugehörige Spinalniveau liegt also tiefer als das zu a gehörige. In manchen Fällen muß die Zwischenzahl noch größer sein; vorne und zum Teil auch hinten liegen nämlich an der Halsrumpfgrenze das (,,- und das D,-Segment nebeneinander. Steht die Sache hinsichtlich des größeren Teils der Punkte so, daß die Regel richtig ist, so können wir deren Richtigkeit wohl auch für die zunächst fragliche Minderzahl vermuten. Beim Untersuchen anderer Personen habe ich vereinzelt Primär- punkte über dem III. Dorsalsegmente gefunden, deren sekundäre Punkte höher gelegen waren als sie selbst. Wir glauben die Ursache dafür in der Versorgung eines Hautsegmentes durch 3 Spinalsegmente suchen zu dürfen. Solcher Punkte gab es zwei. S. Vajda. Rechte Seite: Primärpunkt. Sekundärpunkt. Am rechten Unterarme in der Mitte Am rechten Oberarme, beim Ansatz der dors. Seite des Deltoideus Möglich: C, C, Di Möglich: C,, D, Wahrscheinlich: C, Wahrscheinlich: D, T. Wertheimer. Rechte Seite: Primärpunkt. Sekundärpunkt. An der rechten Seite des Rumpfes, Beim Collum scapulae in der Höhe des III. Brustwirbels Möglich: C,, Ds, D; Möglich: C,, ©, D; Wahrscheinlich: C, Wahrscheinlich: D, 3. Die primären und die sekundären Punkte liegen meistens auf der- selben Körperseite. Es gibt aber auch Ausnahmen von dieser Regel. In der Tabelle ist (S. 100—D,C,) ein Primärpunkt verzeichnet, dessen Sekundärpunkt unzweifelhaft auf der entgegengesetzten Körperhälfte zu finden ist; ein anderer (S. 101—L,D,,) stellt wahrscheinlich nur darum eine Ausnahme von der Regel dar, weil die Segmente die Median- linie überschreiten. Auch bei S. V. fand ich eine unbestreitbare Ausnahme. Primärpunkt. u Sekundärpunkt. Am linken Oberarme in der Mitte des In der Mitte der rechten Fossa axillaris. Deltoideus Nach alldem gelange ich zu folgender Stellungnahme zu den Regeln Kowalevskys: 1. „Die primären und die sekundären Punkte liegen immer auf der- selben Körperseite.‘“ Nach meinen Beobachtungen kommen auch Aus- nahmen vor. 2. „Auf beiden Körperseiten besteht zwischen den Punkten keine Symmetrie.‘ Von der stichartigen Mitempfindung. 107 Ich habe es ebenso gefunden. Aber man kann nicht entscheiden, ob an beiden Körperseiten derselbe Punkt gereizt wurde! 3. „Der Sekundärpunkt liegt meistens in einem höheren Segmente als der Primärpunkt.‘“ Ich finde: Das Djp-Segment bildet eine Wendegrenze. 4. „Der Sekundärpunkt liegt meistens an der hinteren Körperober- fläche.“ Dem stimme ich nicht zu. 5. „Einander sehr nahe liegende Primärpunkte können an von- einander sehr entfernten Orten Mitempfindung geben.“ Dies bestätige ich. 6. „Wahrscheinlich hat manchmal ein Primärpunkt mehrere Sekun- därpunkte.“ Es scheint sich dabei um Ergebnisse roher Untersuchung zu handeln. Mit der Nadel nachsuchend sind immer zwei oder mehrere Primär- punkte sehr nahe beieinander nachweisbar. Die Möglichkeit einer Doppelmitempfindung ist aber nicht ausgeschlossen. Theorie der Erscheinung. Kowalevsky sagt, die Mitempfindung könne weder von glatten, noch von quergestreiften Muskeln stammen ; sie müsse rein neurotischen Ursprunges sein. Das ist m. E. zutreffend, denn die Erscheinung kommt auch bei gänzlicher (Novocain-) Anästhesie des sekundären Punktes zustande. Wir können also an drei Möglichkeiten denken. Alle drei formulierte bereits Joh. Müller!!). 1. Jeder Primärpunkt und der ihm entsprechende Sekundärpunkt haben ein gemeinsames zentrales ‚Nervenelement“. Wird dieses gereizt, so fühlen wir auf einmal zwei Punkte. Diese Vorstellung ist nicht an- nehmbar. Es müßte ja die Mitempfindung auch umgekehrt vom Sekun- därpunkte her am primären Punkte auslösbar sein ! 2. Wird die Erregung auf der Nervenbahn des Primärpunktes zu groß, so ‚springt‘ dieselbe eventuell bei einer Nervenzelle, von der ge- wöhnlichen Nervenleitung abweichend, auf die Umgebung bzw. auf die Bahn des sekundären Punktes über. Das ist auch nicht annehmbar. Auf die Erregung eines einzigen Punktes antwortet ein anderer einziger Punkt. Es ist undenkbar, daß eine so präzise Erscheinung auf solche Art zustande käme; die entstehende Empfindung müßte eine mehr diffuse sein. 3. Zwischen den Bahnen des primären und des sekundären Punktes besteht irgendwo eine einseitige Verbindung etwa in folgender Weise (vgl. Abb. 4). In dem zentralen Element 1 entsteht die Empfindung für den Hautpunkt 1, in der Zelle 2 jene für Hautpunkt 2. Von der Leitungs- bahn 1 her ist durch eine Kollaterale und durch Zwischenschaltung 108 —_B. Mittelmann: einer Intersegmentalzelle*) (JZ) die homologe Schaltzelle der Leitungs- bahn 2 erregbar — nicht aber Bahn 1 von Bahn 2 her. Ein solches , Verhalten gilt ja allgemein für Nervenzellketten, wie n speziell A. Tschermak ausführt**). Diese Lösung nehmen Müller!!), Quinckelß2), auf die das obige Schema im wesentlichen zurück- geht, und fast alle anderen Forscher an. Sie erscheint 1 als die einzige annehmbare Lösung. _ Dieses Schema erklärt, daß die Erscheinung nur eine Richtung hat (vom primären Punkte zum sekundären); daß die sekundäre Empfindung meistens stärker ist als die primäre, da die vom Primär- punkte herkommende absichtlich ausgelöste Erre- gung und die vom Sekundärpunkte herkommende 7 2 _unterschwellige Erregung bzw. Erregbarkeitssteigung N sich summiert; daß im Falle einer Blase an der Primär- und Sekundär- primären Stelle eine sonst nicht schmerzhafte Be- et rührung der sekundären Stelle schmerzlich wird — auch wegen der Summation; daß das erste Auslösen der Mitempfin- dung eine größere Intensität des Reizes erfordert als das spätere, wenn der Weg der Miterregung schon ‚„gebahnt“ ist; daß nach öfterem Auslösen die schmerzhafte Mitempfindung bereits bei nicht schmerz- hafter Intensität des Reizes eintreten kann (Summation); daß im Falle von Novocain-Anästhesie des Sekundärpunktes die Mitempfindung eine schwächere ist; daß die Ermüdung ebenso vom primären wie vom sekundären Punkte her herbeizuführen ist. Die Punktartigkeit der Erscheinung deutet darauf hin, daß wenig- stens ein Teil des Schmerznervensystems sehr feine, fast punktartige Rezeptoren besitzt. Warum Jucken rach der Stichem pfir dung besteht, ist nicht sicher zu erklären. Wir weisen nur auf den immer mehr eingenommenen Standpunkt hin, daß das Nerverelement des Schmerzes urd des Juckens dasselbe ist oder in sehr naher Be- ziehung zueinander steht!?). Auf stetigen Reiz oder bei steigender Ermüdung, bei unangenehmer Hyperästhesie bleibt das Jucken aus; solche Veränderungen im entsprechenden Teile des Nervensystems heben offenbar die Juckempfindlich- keit auf. Bei Anästhesie des Sekundärpunktes bleibt das Jucken aus; somit hat auch die vom Sekundärpunkte herkommende Erregung einen Anteil am Ent- stehen des Juckens. Vielleicht summiert sich der ‚„Nachklang‘“‘ des Stechens mit der unterschwelligen Erregung des sekundären Punktes und ruft so das Jucken hervor. *) ‚Weniger wahrscheinlich ist eine direkte Kollateralverbindung von Leitungsbahn 1 mit Leitungsbahn 2. Andererseits könnte die Verbindungs- brücke mehrere Intersegmentalzellen umfassen. **) A.v. Tschermak, Julius Bernsteins Lebensarbeit. Pflügers Arch. 174, 1, spez. S. 48. 1919; auch sep. Berlin 1919. Von der stichartigen Mitempfindung. 109 Für eine Lokalisierung im Rückenmarke spricht die Beobachtung, daß die Erscheinung nur in der Gegend der spinalen Nerven vorkommt. Ferner besteht hinsichtlich der Lokalisation der primären und der sekundären Punkte eine Regel, die der Segmentation der spinalen Nervenversorgung entspricht; es bestünde kaum eine solche Regel, wenn die Verbindung höher oben erfolste. Wahrscheinlich rufen die intersegmentalen Neuronen die Erscheinung hervor. Eben mit Rücksicht auf diese glauben wir, daß die obige zweite Regel (Di - Segment als Wendezone) auch auf das Rückenmark zu be- ziehen ist. Über das Verhalten verschiedener Versuchspersonen. Mich einbesriffen habe ich 9 Individuen untersucht, unter denen die Erscheinung nur bei einem fehlte. Die Untersuchung geschah mit dem Nagel, da er eine größere Reizfläche repräsentiert. 8 Fälle waren positiv, unter diesen 2 Ärzte, 4 Mediziner, 2 Gymnasiasten. Die Reaktion der Untersuchten (die Erscheinung war ihnen ja ganz neu), das Anzeichen des Juckens, das Kratzen, sind so charakteristisch, daß auch das ob- jektive Identifizieren der Erscheinung unzweifelhaft ist. Nach dem Untersuchen fanden die Versuchspersonen auch von selbst solche Punkte. Die obige zweite und dritte Regel war überall gültig. Die erste habe ich in 4 Fällen untersucht und richtig befunden. Reizen wir bei verschiedenen Versuchspersonen primäre Punkte mit derselben Lokalisation, so fragt sich, ob auch die zugehörige Mit- empfindung immer dieselbe Lokalisation hat oder nicht. Es ist sehr schwer das zu beantworten. Denn wie können wir von Punkten auch mit derselben objektiven Lokalisation entscheiden, ob sie wirklich ein- ander entsprechen? So wäre nur ein positives Ergebnis entschei- dend. Aber die Zahl und Anordnung der Primärpunkte ist bei verschiedenen Individuen ganz verschieden. In größter Zahl fand ich sie an mir selbst. Bei anderen Personen mußte ich manchmal 5 Minuten lang suchen, bis ich einen solchen Punkt fand. Wenn wir aber von größeren Oberflächen reden, können wir die Frage im ganzen bejahend beantworten, es ergab sich z. B. daß, wenn der Primärpunkt auf den oberen Extremitäten lag, die Mitempfindung meistens am Rumpfe auftrat und hinsichtlich eines Teils des Rumpfes das Umgekehrte galt. Oftmals, wenn ich mit dem Nagel einen Primärpunkt aufgesucht hatte, lokalisierte ich ihn punktuell mit einer Nadel, ließ dann die Augen des Untersuchten schließen und machte in der Nähe Probestiche. Eine Mitempfindung bekam ich auch dann nur vom Primärpunkte aus; _ von dort war sie aber bei Eliminierung störender Umstände immer aus- zulösen. 1aK0) B. Mittelmann: Von der stichartigen Mitempfindung. Zusammenfassung. 1. Es gibt schmerz- bzw. kälteempfindende Endorgane, die eine charakteristische, punktartig lokalisierte Schmerz- bzw. Kältemit- empfindung geben. Der Schmerzempfindung folgt meistens ein leises Jucken. | 2. Die Primär- wie auch die Sekundärpunkte finden sich nur a) in der spinalen Nervenregion und b) auf derselben Seite des Körpers vor; c) das Dim-Segment bildet eine Wendegrenze, so daß höher ge- legenen Primärpunkten tiefer gelegene Sekundärpunkte ent- sprechen und umgekehrt. Mitempfindung gebende Punkte kommen wahrscheinlich auch an der Schleimhaut des Magendarmkanals oder am Peritoneum vor, 3. Die Erscheinung entsteht durch eine besondere, einsinnige Art der Ausbreitung der Erregung von der Bahn des primären Punktes auf jene des Sekundärpunktes. Die Punktartigkeit der Erscheinung deutet darauf hin, daß dem Schmerzsinn wenigstens zum Teil sehr feine, fast punktartige Rezeptoren zukommen. 4. Unter 9 Personen 'war die Erscheinung bei 8 auslösbar. Zum Schlusse möchte ich Herrn Prof. Dr. Armin Tschermak für seine freundliche Mithilfe meinen innigsten Dank ausdrücken. Literaturverzeichnis. 1) N. Kowalevsky, Zur Lehre von den Mitempfindungen. Ärztlicher An- zeiger 1884, Nr. 3. 4. Russisch. — ?) A. Goldscheider, Ges. Abh. 1898, Bd. I. S. 79. —°) S. Alrutz, Doppelte Schmerzempfindung. Skandinav. Arch. f. Physiol. 1%, 414. 1905. — *) Th. Thunberg, Skandinav. Arch. f. Physiol. 12, 344. 1901. — >) M. v. Frey, Berichte d. Kg]. Sächs. Ges. d. Wiss. Leipzig. Math.-Naturwiss. Abt. 1894. XLVI, S. 192. — ®) F. Winkler, Arch. f. Dermatol. u. Syphilis 99; 273. 1910. —?) A. Goldscheider, Ges. Abh. 1898, Bd. I, S. 256. —®) Fr. Hacker, Zeitschr. f. Biol. 64, 189 u. 224. 1914. — ?) S. Alrutz, Kitzel und Jucken. Skan- dinav. Arch. f. Physiol. 20, 671. 1908. — 1%) W. Seiffer, Arch. f. Psych. 34. H.2. 1901. — wo auch andere Quellen angegeben sind. — 1!) Joh. Müller, Handbuch d. Physiol. d. Menschen. Bd. I, S. 603. 4. Aufl. 1844. — )H. Quincke, Zeitschr. f. klin. Med. 1%. 1890. — '%) Rothmann, Gyögyäszat (Heilkunde) 1919, Aug. (ungar.). Über die Einwirkung des Milzextraktes (Lienins) auf die Tätig- keit des Froschherzens in situ und des isoliert durehströmten Säugetierherzens. Von E. Rothlin. (Aus dem Physiologischen Institut Zürich.) Mit 6 Textabbildungen. (Eingegangen am 1. August 1920.) Eingehende Untersuchungen von Stern und Rothlin!) über die Wirkungsweise von Milzextrakten auf überlebende Organe mit glatter Muskulatur: Gefäße, Magen, Darm, Uterus, Blase usw. haben ergeben, daß aus der Milz ein aktives Prinzip gewonnen werden kann, welches stets und in der Regel eine sehr ausgeprägte Tonuserhöhung der glatten Muskulatur der genannten Organe bewirkt. Das regelmäßige Vorhanden- sein dieses aktiven Prinzips auch im ganz frischen, soeben dem Körper entnommenen Organe, das stete Vorkommen desselben, da aus der Milz der verschiedensten Tierarten extrahierbar, die hohe Wirksamkeit in relativ geringen Dosen, dies alles sind Faktoren, welche die Vermutung nahelegen, daß es sich zum mindesten um ein spezifisches Stoffwechsel- produkt, wenn nicht um ein Produkt mit der Bedeutung und der Funk- tion eines Hormons der Milz handelt. Diese Ansicht darf um so eher ausgesprochen werden, als neuerdings durch die Arbeiten von Richet?), Danoff®), Dubois*) und Streuli®) die funktionelle Bedeutung der Milz für den Stoffwechsel und die Hämatopoese in ein neues Licht gerückt 1) Stern und Rothlin, Action des extraits de tissus animaux sur les organes & fibres musculaires lisses. Journ. de Physiol. et de Pathol. gener. 18, 441. 1919. Idem: Actions des extraits de rate sur les organes & fibres museculaires lisses. Ibidem 18, 753. 1919. 2) Richet, Ch., Des effets de l’ablation de la rate sur la nutrition. Ibidem 14, 685. :1912 und 15, 579. 1913. ®2) Danoff, N., Einfluß der Milz auf den respiratorischen Stoffwechsel. Biochem. Zeitschr. 93, 44. 1919. 4) Dubois, M., Über das Zusammenwirken von Milz, Schilddrüse und Knochen- mark. Ibidem 82, 141. 1917. \ 5) Streuli, H., Das Verhalten von schilddrüsen- und milzlosen Tieren bei O,-Mangel, zugleich ein Beitrag zur Theorie der Bergkrankheit. Ibidem 8%, 559. 1918. 112 E. Rothlin: worden ist. Ferner erscheint nach den zwei zuletzt genannten Autoren in gewisser Beziehung zwischen der Milz und der Thyreoidea geradezu ein Antagonismus vorzuliegen. Ob bei unseren Versuchen bei Organen mit glatter Muskulatur und den Stoffwechseluntersuchungen der ge- nannten Autoren dasselbe aktive Prinzip der Milz als wirksames Agens- anzusprechen ist, kann heute noch nicht ausgesagt werden, ein Ent- scheid darüber bleibt dem Experiment vorbehalten. Das von uns aus der Milz extrahierte und untersuchte aktive Prinzip haben wir Lienin genannt, wodurch über dessen chemische Konstitution nichts präjudi- ziert wird. Unsere Versuche am Gefäßsystem: an isolierten Gefäß- streifen der verschiedensten Gefäßgebiete, am isolierten Kaninchenohr, am künstlich durehströmten Frosch: und Meerschweinchen, haben zu der Annahme geführt, daß Lienin eine ausgesprochen vasoconstrieto- rische Wirkung auf alle Gefäße im überlebenden Zustande ausübt. Neuerdings ist es mir gelungen, bei isolierter Durchströmung des Mesen- terialgefäßgebietes beim Frosche unter gewissen Bedingungen eine Gefäßerweiterung zu erzielen. Es ist dies eine Wirkungsweise durch Lienin, wie ich sie ebenso durch ß-Imidazolyläthylamin und Pituglandol bei denselben Versuchsbedingungen nachweisen konnte. Zufolge dieser vasoconstrictorischen Beeinflussung der Gefäßmuskulatur durch Lienin ist man geneigt, in vivo nach intravenöser Injektion von Lienin eine Blutdrucksteigerung zu erwarten, insofern nicht das Herz als wesentlicher, integrierender Bestandteil für die Aufrechterhaltung des Blutdruckes durch Lienin ungünstig beeinflußt wird oder die nachgewiesene primäre vasoconstrictorische Gefäßwirkung am überlebenden Organe durch Lienin vom Zentralnervensystem aus (inklusive autonomes Nerven- system) durch einen Hemmungsmechanismus eine Beeinträchtigung, eventuell sogar eine Umkehr erleidet. Eindeutige Resultate über das Verhalten des Blutdruckes nach intravenöser Injektion von Lienin haben wir, trotz der vielen Versuche, bisher nicht erzielt. Denn bald trat eine Blutdrucksenkung, oft mit nachfolgender ‘"Blutdrucksteigerung, bald nur eine leichte Blutdrucksteigerung auf. Ein regelmäßiger Unter- schied bei den verschiedenen untersuchten Tierarten,’ Kaninchen, Katze und Hund, konnte nicht beobachtet werden, wie dies Dale und Laid- law!) für das ß-Imidazolyläthylamin nachgewiesen haben. Da aber das Lienin noch nie in reiner Form zur Untersuchung gelangte, so scheint es nicht ausgeschlossen, daß diese noch etwas unsicheren Resultate durch die Verunreinigungen, welche dem Produkte anhaften, getrübt wurden. Immerhin sah ich mich durch obige Überlegungen veranlaßt, die Untersuchungen der peripheren Gefäßwirkung mit Lienin am über- lebenden Organe durch eine Prüfung der Einwirkung des Lienins auf !) Dale und Laidlaw, The physiological action of £-iminazolyläthylamin. Journ. of physiol. 41, 318. 1910—11 und 43, 182. 1911—12. Über die Einwirkung des Milzextraktes [Lienins] usw. 113 die Herztätigkeit zu vervollständigen. Das Resultat dieser Untersuchung sollte die Analyse über den Anteil der zwei den Blutdruck hauptsächlich bedingenden Komponenten, Herz und Gefäße, jener Erscheinungen erleichtern, welche der Blutdruck auf Lieninapplikation erfährt. Zu diesem Zwecke habe ich am Froschherzen in situ und am isolierten, künstlich durchströmten Säugetierherzen von Katzen und Kaninchen Versuche unternommen, worüber in vorliegender Arbeit berichtet werden soll. 1. Versuche über die Wirkung des Lienins auf das Froschherz. Die hierzu verwendete Versuchsanordnung ist die einfache Engel- mannsche Herzsuspensionsmethode. Der Frosch wird leicht curaresiert, sodann das Herz freigelegt und der Ventrikel mit dem Suspensionshebel verbunden. Die zu untersuchende Flüssigkeit wird dann mit einem Tropfenzähler auf das Herz geträufelt und das Herz nach abgelaufener Wirkung mit Froschringerlösung ausgiebig gewaschen. Die verwendeten Milzextrakte sind teils sog. wässerige, teils alkoholische Extrakte. Die Beschreibung der Herstellung dieser Extrakte wurde in einer frühe- ren Arbeit!) ausführlich gegeben. In folgenden Abbildungen gebe ich Aufschluß über den Einfluß des wässerigen und des alkoholischen Milzextraktes. Der Einfluß sowohl des wässerigen als des alkoholischen Milzextraktes auf das Herz des curaresierten Frosches ist ein ganz typischer und regel- mäßig wiederkehrender. Wir können dabei zwei Phasen der Wirkung unterscheiden. Die erste Phase beruht in einer Herabsetzung des Tonus des Herzmuskels und einer Abnahme der Hubhöhe der Herzkontrak- tionen. Die zweite Phase ist charakterisiert durch eine meist rasch zunehmende Verstärkung der Herzkontraktionen, welche von einer Abnahme der Schlagfrequenz begleitet ist. Der Rhythmus des Herzens wird wohl etwas langsamer, bleibt aber regelmäßig, vorausgesetzt, daß nicht zu starke Dosen des Milzextraktes zur Anwendung gelangen. Die Dauer der ersten Phase ist relativ kurz, sie beträgt für die ange- wandten Dosen 10—20 Sekunden. Die zweite Phase dagegen ist viel anhaltender und dürfte als die charakteristische Erscheinung der Be- einflussung des Froschherzens durch Lienin betrachtet werden. Die Abnahme des Herzmuskeltonus tritt in der ersten Phase ein und über- dauert dieselbe lange, wie dies in beiden Abbildungen 1 und 2 zum Aus- druck kommt. Diese Erscheinung am Froschherzen nach Applikation von Lienin kann an demselben Testobjekte mit demselben Erfolge mehrmals wiederholt werden, es tritt somit keine rasche Gewöhnung 1) Stern und Rothlin, Action des extraits de rate sur les organes & fibres musculaires lisses.“ Preparation et nature du prineipe actif. Journ. de Physiol. et de Pathol. gener. 18, 753. 1919. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 155. 8 E. Rothlin: 114 an die Substanz ein. Noch ausgesprochener ist der Einfluß des Lienins auf das schlecht schlagende Froschherz. Denn eben noch registrierbare Herz- -jwnesgue]laA Ioly yone PiM snwug4yy Tod "INIBISI9A ysıqayı9 zued uEuUoryeijuoyzIoH Jap usyoyqnH 3Ip uspıaM Sıyozyara]3 pun Snu09zIaH Iap INUIS uue| 'U9UOLNEIJuUOoyNZIaH 9IaydeMyos Hdlule 9819 U93J0J sy Ieizıidde ZIaH Sep ne SoyqeıgxazjIm UOYOSITOYoNTe soul uaJdoI] zZ USPIeM T ayıeM 19p Ieg 'uepunyeg zZ alle Zunısiyrewgrez "uuewfoesum yosu aysıyegzIeg Aop Zundergsidayg "JaaıssıeInd ‘yosorg 3 "day "Auessue]laA SseM49 sSnwuyugAyIzIoH I9p PIM ZIazy9la]3 pun ulo UAUOTJYEIJUONZIIH I9ap ZunyIeIsıaA Jaul9 Pfeq 92995 uugq ’uauoryyeiyuoyziog I9p ayoyqnH Iap 9IMos ‘snuogjaysnuzıoH sop Aawyeuqy Jule 4519 93]0J19 8 "OFnEIII3 zIaH Sep Fne Sagqeıgxazıım USSLIOISSEM soul uoJdoIL Z UAPIeM 9 9yıleW 19p Tag ‘uapungyas ajle ZunIsmyIewymaz - "'uuewjedug yoeu oyStyegJzIiaH I9p ZSundalıgsıdayg NIoIsoIeımd ‘y9sorg I 'qqYy exkursionen werden durch Applikation von Lienin wieder kräftig. Der: Effekt ist aber ebenfalls nur vorübergehend wie beim normalen Herzen. Froscehherz mit anderen Substanzen, welche chemisch mit dem Lienin vielleicht ver-- Zum Vergleich der Wirkung des Lienins auf das Uber die Einwirkung des Milzextraktes [Lienins] usw. 115 wandt sein dürften, sollen hier zwei Kurven angeführt werden, welche den Einfluß von f-Imidazolyläthylamin (Imido Hoffmann La Roche) und von Pituglandol von derselben Firma!) wiedergeben. Abb. 3. Frosch, euraresiert. Registrierung der Herztätigkeit nach Engelmann. Zeitmarkierung in Sekunden. Bei der Marke 1 werden 2 Tropfen /-Imido 1 proz. auf das Herz getropft. Es erfolgt eine Tonusabnahme des Herzmuskels und einige schwächere Herzkontraktionen. Darauf tritt eine erhebliche Verstärkung der Hubhöhe der Herzkontraktionen ein. Der Rhythmus ist nach der Applikation der Substanz nur wenig verlangsamt. Der Herztonus erholt sich allmählich wieder. | \ || \ | U- | \ 1 Abb. 4. Frosch, curaresiert. Registrierung der Herztätigkeit nach Engelmann. Zeitmarkierung alle Sekunden. Bei der Marke 1 werden 3 Tropfen Pituglandol auf das Herz getropft. Es tritt sofort eine Abnahme des Herztonus und etwas geringere Hubhöhe der Kontraktionen ein, Nach ca. 12 Sekunden erfolgt eine erhebliche Verstärkung der Herzkontraktionen, der Herz- rhythmus wird dabei etwas verlangsamt. Ein Vergleich der Versuchsresultate mit Lienin einerseits, mit ö-Imida- zolyläthylamin und Pituglandol anderseits ergibt, daß die Wirkung der 3 Substanzen auf das Herz des curaresierten Frosches eine ganz über- einstimmende ist. Denn auch bei P-Imido, wie beim Pituglandol er- kennen wir die zwei für die Lieninwirkung als typisch beschriebenen Phasen, nämlich erst eine Herabsetzung des Herzmuskeltonus und gleich- zeitig geringe Abnahme der Hubhöhe der Herzkontraktionen, dann die rasch zunehmende Verstärkung der Herzkontraktionen, wobei die Schlagfrequenz bei regelmäßig verbleibendem Rhythmus etwas ab- nimmt. Auch durch Imido wird das schlecht schlagende Froschherz wieder zu kräftigen Kontraktionen angeregt. Ferner habe ich mich überzeugt, daß dieselbe Wirkung des Imido sowie des Pituglandols an demselben Froschherzen mehrmals erzielt werden kann. a 8 ® 1) Die beiden Produkte wurden mir von der Firma Hoffmann-La-Roche freundlich zur Verfügung gestellt. x ( 116 E. Rothlin: 2. Versuche am freischlagenden Säugetierherzen. Die Versuche am freischlagenden Kaninchen- und Katzenherzen sind im Prinzip mit der von Langendorff angegebenen Versuchs- anordnung durchgeführt. Als Durchströmungsflüssigkeit diente eine Traubenzucker enthaltende, mit O, gesättigte Tyrodelösung. Die Appli- kation des Milzextraktes wurde durch direkte langsame Injektion in das Durchströmungssystem durch einen Gummischlauch etwas oberhalb der Aortenkanüle vorgenommen. Folgendes sind die experimentellen Ergebnisse über den Einfluß des Lienins auf das freischlagende Säugetier- herz. | Der Einfluß des Lienins auf die Herztätigkeit beim künstlich durch- strömten Säugetierherzen ist in erster Linie dadurch gekennzeichnet, daß der Herzmuskel eine Tonuserhöhung erfährt, die Schlagfrequenz sowie die Hubhöhe der Herzkon- traktionen herabgesetzt wird. Die zwei letzteren Erscheinungen sind von flüchtigem Charakter, denn schon nach Verlauf von ca. 10 Sekunden (Abb. 5 u. 6) wird die an- Abb.5. Freischlagendes Kaninchenherz. Zeitmarkierung in fängliche Schlagfrequenz Sekunden. Druck im Durchströmungssystem 50 mm Hg. sowie Hubhöhe der Kon- Bei der Marke y wird 1 ccm 1proz. Lösung eines alko- & c S holischen Milzextraktes injiziert. Es erfolgt unmittelbar traktionen wiedererreicht, ein ziemlich scharfer Anstieg des Herzmuskeltonus mit und nun werden diese gleichzeitiger Abnahme der Schlagfrequenz, sowie der 2 5 Hubhöhe der Herzkontraktionen. Darauf wird die Her- beiden letzteren Eigen- tätigkeit rasch beschleunigt und die Hubhöhe verstärkt, schaften der Herztätig- diese erreicht mehr als das Vierfache. Die zweimalige E : Sr S Wiederholung ergibt dasselbe Resultat. keitgleichzeitigund gleich- sinnig beeinflußt. Die Schlagfrequenz wird gesteigert und die Hubhöhe verstärkt. Wie aus diesen Resultaten erhellt, verläuft die Wirkung des Lienins auf das freischlagende Säugetierherz wie beim Froschherzen in situ ebenfalls in zwei Phasen, von denen die erste auch hier von flüchtiger Dauer ist. Die wiederholte Applika- tion des Lienins auf dasselbe Herz hat prinzipiell denselben Einfluß, nach jeder Injektion treten dieselben Erscheinungen in der genannten Reihen- folge auf. Aber während die Erscheinungen der ersten Phase bei wieder- holter Injektion immer ausgesprochener hervortreten, werden jene der zweiten Phase immer schwächer. Äußerst prägnant kommt aber bei jeder Wiederholung die Erhöhung des Herzmuskeltonus zum Ausdruck. Ich habe ferner nachgewiesen, daß Lienin auch auf das schlechtschlagende Säugetierherz einen günstigen Einfluß ausübt, indem sogar ein still- Uber die Einwirkung des Milzextraktes [Lienins] usw. Ik Abb. 6a, b, c. Freischlagendes Katzenherz. Zeit- markierung alle Sekunden. Ange- wandter Druck 60 mm Hg. Bei der Marke 2 wird lcem lproz.Lösung eines alkoholischenMilz- extraktes injiziert. Wieder stellt sich neben der Erhö- hung des Herzmus- keltonus eine Ab- nahme der Schlag- frequenz und der Hubhöhe der Herz- kontraktionen ein. Schon nach ca. 10 Sekunden er- folgt die Beschleu- nigung und Ver- stärkung der Herz- tätigkeit. Die In- jektion in dersel- ben Dosis wird noch dreimal wie- derholt. Die Herz- tätigkeit wird je- desmal in dersel- ben Weise beein- flußt. Aber wie Abb. 6b zeist, ist die Hubhöhe und die Schlagfrequenz geringer geworden. Bei der Marke 6 wird Icem /-Imid- azolyläthylamin 1:10000 injiziert. DerHerztonus wird erhöht, die Hub- höhe etwas herab- gesetzt, ebenso die Schlagfrequenz. Darauf folgt eine Zunahme der Fre- quenzundderHub- höhe der Herz- kontraktionen, Abb. 6e ist die Fortsetzung von 6b. Beider Marke 8 wird wieder 1 ccm 1 proz. Lieninlösg. wie bei6 a injiziert, wieder treten die obengenannten Er- scheinungen auf. Abb. 6a. Abb. 6b. Abb. 6c. 118 BE. Rothlin: stehendes Herz zu neuer regelmäßiger Herztätigkeit angeregt werden kann. Auch unter diesen Umständen wird der Herzmuskeltonus regel- mäßig erhöht. Die Dauer der Lieninwirkung ist ferner bei dem schlecht- schlagenden Säugetierherzen länger. Wird Lienin bei einem Herzen mit unregelmäßiger arhythmischer Herztätigkeit appliziert, so kann ein regelmäßiger Herzrhythmus erzielt werden. Dies war die Regel. Ich beobachtete aber auch das Auftreten der Gruppenbildung, wie sie von Luciani beschrieben wurde. Diskussion der Resultate. Das wirksame Prinzip des Milzextraktes, Lienin, hat sowohl auf das Froschherz in situ als auf das künstlich durchströmte Säugetierherz einen mehrfachen Einfluß, der sich bei beiden Versuchsobjekten auf den Herzmuskeltonus, die Schlagfrequenz und die Hubhöhe der Herz- kontraktionen erstreckt: Wie die experimentellen Daten ergeben, besteht in der Wirkungsweise des Lienins auf die genannten Testobjekte keine vollständige Übereinstimmung. Gemeinsam ist der Verlauf der Lieninwirkung in zwei Phasen. Aber während das Froschherz in der ersten Phase durch Lienin eine Herabsetzung des Herzmuskeltonus erfährt, wird derselbe der untersuchten Säugetierherzen erhöht. In der zweiten Phase der Lieninwirkung ist die Verstärkung der Hubhöhe gemeinsam, die Schlagfrequenz wird aber beim Froschherzen etwas herabgesetzt, diejenige beim Säugetierherzen dagegen stark erhöht. Wie die Versuche in den Abb. 1—4 dartun, ist die Beeinflussung des Froschherzens durch Lienin ganz analog derjenigen, wie wir sie durch Pituglandol und f-Imidazolyläthylamin erzielen. Herring!) hat den fördernden Einfluß des Pituitrins auf das Froschherz auch nachgewiesen, und Einis?) konstatierte in seinen Versuchen mit Pituitrin und P- Imidazolyläthylamin ganz analoge Erscheinungen. Einis glaubt aber, daß die primäre Herabsetzung des Herzmuskeltonus des Froschherzens nicht durch Pituitrin selbst, sondern durch den dem Pituitrin zur Konservierung zugesetzten Chloreton verursacht sei. Das Pituglandol Hoffmann-La-Roche, welches bei meinen Untersuchungen zur An- wendung kam, enthält aber kein Chloreton, die Tonusherabsetzung des Herzmuskels war aber stets eine charakteristische Erscheinung der Wirkungsweise des Pituglandols auf das Froschherz. Qualitativ be- stehen somit für die drei Substanzen Lienin, Pituglandol und f-Imidazo- lyläthylamin auf das Froschherz keine wesentlichen Unterschiede. P-Imidazolyläthylamin überwiegt aber in quantitativer Hinsicht sowohl !) Herring, J. P., The action of pituitary extract on the heart and the circulation on the frog. Journ. of physiol. 31, 429. 1904. 2) Einis, W., Über die Wirkung des Pituitrins und Imidazolyläthylamins (Histamins) auf die Herzaktion. Biochem. Zeitschr. 52, 96. 1913. Über die Einwirkung des Milzextraktes [Lienins] usw. 119 über das Pituglandol als über das Lienin; es wirkt in geringerer Dosis. Dies erklärt sich wohl dadurch, daß wir es beim Hypophysenextrakt nicht mit einer einheitlichen Substanz, sondern mit einem Gemisch verschiedener biologisch wirksamen Körper zu tun haben. Ferner ist das Lienin bzw. das wirksame Prinzip des Milzextraktes bisher nie rein dargestellt worden, weshalb ein quantitativer Vergleich un- möglich ist. Die experimentellen Ergebnisse mit Lienin auf das isolierte Säuge- tierherz sind ebenfalls analog denjenigen mit ß-Imidazolyläthylamins. Vergleiche die Abb. 6b und c. Einist), welcher das P-Imidazolyläthyl- amin auch auf das isolierte Säugetierherz untersucht hat, schreibt 5.110: „ß-Imidazolyläthylamin bewirkt also am mit Ringerlösung ge- speisten Herzen eine sehr starke vorübergehende Erhöhung der Fre- quenz mit nachfolgender Abnahme der Kontraktionszahl und schließ- lich Herabsetzung der Frequenz. Der Zunahme der Kontraktionshöhe geht eine geringe kurz dauernde Abnahme voraus.‘ Aus meinen Ver- suchen muß aber ferner geschlossen werden, daß in der ersten Phase der Beeinflussung des Herzens durch P-Imidazolyläthylamin außer der Abnahme der Kontraktionshöhe auch die Frequenz verlangsamt wird und der Herzmuskeltonus ansteigt. Es sind dies ebenso typische Merk- male für den Einfluß des f-Imidazolyläthylamins auf das Säugetier- herz, wie die von Einis konstatierte Abnahme der Kontraktionshöhe. Wie die Versuche von Stern und Rothlin?) ergeben haben, werden isolierte Gefäßstreifen von Herzkranzgefäßen wie jene anderer Organ- gebiete der Kuh, durch Lienin kontrahiert, und ich konnte mich neuer- dings?) davon überzeugen, daß ein gleiches Verhalten für die isolierten Herzkranzgefäße beim Pferd und Schwein vorliest. Zwei Versuche am künstlich durchströmten aber stillstehenden Katzenherzen ergaben auf Lienin erst eine Abnahme der Durchflußmenge, nach ca. 15 Sek. trat aber eine Vermehrung derselben auf. Das vorher stillstehende Herz hatte aber von diesem Zeitmomente der Zunahme der Durch- flußmenge seine Tätigkeit wieder aufgenommen. Diese Resultate scheinen mir angetan, die anfängliche Abnahme der Hubhöhe, sowie der Schlagfrequenz des Säugetierherzens zu erklären, da es zufolge der Kon- traktion der Herzkranzgefäße zu einer schlechteren Durchströmung des Herzmuskels kommt. Die Zunahme des Herzmuskeltonus durch Lienin wie auch durch P-Imidazolyläthylamin ist offenbar durch eine direkte Wirkung der Substanzen auf den Herzmuskel bedingt. N Binis, Wi, lc 8 US, ”) Stern und Rothlin, 1. e. S. 113. ®2) Rothlin, E., Experimentelle Studien an überlebender Gefäßmuskulatur unter Anwendung der chemischen Reizmethode. II. T. Über die Wirkungsweise einiger chem. vasotonisierender Substanzen organ. Natur. Biochem. Zeitschr. 1920. 120 E. Rothlin: Unsere vergleichende Analyse über die Wirkungsweise des Lienins, P-Imidazolyläthylamins und Pituglandols ergibt.im wesentlichen ein übereinstimmendes biologisches Verhalten dieser drei Substanzen auf die Tätigkeit des curaresierten Froschherzens, sowie auf das isolierte künstlich durchströmte Säugetierherz. Diese analoge Wirkungsweise der drei Substanzen läßt vermuten, daß es sich in allen drei Fällen um ein identisches wirksames Prinzip handelt. Durch die Arbeiten von Fühnert!) ist es doch recht wahrscheinlich geworden, daß im Hypophysenextrakt f-Imidazolyläthylamin, bzw. Derivate desselben vorkommen und einen Teil des wirksamen Prinzips im Hypophysen- extrakte ausmachen. Im Milzextrakte konnte bisher ß-Imidazolyl- äthylamin nicht nachgewiesen werden, doch besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür nicht nur zufolge der übereinstimmenden Wirkung auf die Herztätigkeit mit -Imidazolyläthylamin, sondern eine ebensolche habe ich auch für die vasotonisierenden Eigenschaften auf die verschiedensten überlebenden Gefäße nachgewiesen?). Es wäre selbstredend zu gewagt, aus der biologischen Übereinstimmung in der erwähnten Richtung ohne weiteres auf die Identität der wirksamen Substanzen im chemischen Sinne zu schließen. Denn es könnte sich ebenso gut um eine Substanz im Lienin handeln, deren chemische Konstitution von jener des ß-Imidazolyläthylamins verschieden ist und in den bisher untersuchten biologischen Eigenschaften mit demselben übereinstimmt. Schließlich können wir die in der Einleitung gestellte Frage, in welcher Hinsicht die Wirkungsweise des Lienins auf den Herzmuskel und dessen Tätigkeit die Erscheinungen des Blutdruckes nach intra- venöser Injektion von Lienin zu beeinflussen vermag, in folgender Weise beantworten. Während der ersten Phase der Lieninwirkung hat die Herztätigkeit wegen der Abnahme der Hubhöhe und der Fre- quenz der Herzkontraktionen einen primären Abfall des Blutdruckes zur Folge, welcher in der zweiten Phase durch die Verstärkung der Hubhöhe der Herzkontraktionen und der gesteigerten Frequenz in einen blutdrucksteigernden Effekt übergeht, insofern nicht die Wirkung des Lienins auf die Gefäße auf direktem oder indirektem Wege dieser Beeinflussung des Blutdruckes von seiten des Herzens durch eine Gefäßerweiterung entgegenwirkt. Zusammenfassung. 1. Die Wirkungsweise des Lienins auf das curaresierte Froschherz in situ und das künstlich durchströmte Herz von Kaninchen und Katze 1) Fühner, H., Das Pituitrin und seine wirksamen Bestandteile. Münch. med. Wochenschr. Nr. 16, S. 853. 1912. Über die isolierten wirksamen Substanzen der Hypophyse. Dtsch. med. Wochenschr. Nr. 11, S. 491. 1913. 2) Ro:tchllin, DB. rer Send! Über die Einwirkung des Milzextraktes [Lienins] usw. 121 äußert sich in der Beeinflussung des Herzmuskeltonus, der Frequenz des Herzschlages und der Hubhöhe der Herzkontraktionen. Bei beiden Versuchsobjekten verlaufen die Erscheinungen in zwei Phasen. 2. Das Froschherz weist in der ersten Phase eine Abnahme des Herzmuskeltonus, sowie Verlangssamung der Schlag- frequenz und Herabsetzung der Hubhöhe der Kontraktionen auf. In der zweiten Phase erfolgt eine Abnahmeder Schlagfrequenz mit gleichzeitiger Verstärkung der Hubhöhe der Herzkontrak- tionen. Der Herzmuskeltonus erholt sich während dieser zweiten Phase wieder, aber langsam. 3. Beim künstlich durchströmten Säugetierherzen ist die erste Phase der Lieninwirkung charakterisiert durch eine ziemlich scharf einsetzende Erhöhung des Herzmuskeltonus und gleichzeitiger Abnahme der Schlagfrequenz, sowie der Hubhöhe der Herz- kontraktionen, ihre Dauer ist wie beim Froschherzen kurz, 10 bis 15 Sekunden. In der zweiten Phase sehen wir eine Zunahme der Schlagfrequenz mit gleichzeitiger Verstärkung der Herzkon- traktionen. 4. Diese Wirkungsweise des Lienins kann sowohl beim Herzen des Frosches als beim Kaninchen und der Katze mehrmals hintereinander mit demselben Erfolge wiederholt werden. Das schlechtschlagende bzw. stillstehende Herz kann durch Lienin eventuell wieder zu kräftiger Herztätigkeit angeregt werden. 5. Lienin, P-Imidazolyläthylamin und Pituglandol stimmen in ihrer Wirkung auf das Herz des curaresierten Frosches in situ und auf das künstlich durchströmte Säugetierherz in qualitativer Hinsicht gut überein, in quantitativer Beziehung überwiegt das P-Imidazolyläthyl- amin über die beiden andern Substanzen. Diese biologische Über- einstimmung der drei Substanzen läßt daran denken, daß im Lienin und Pituglandol eventuell f-Imidazolyläthylamin als aktives Prinzip vorkommt. Der Einfluß des Adrenalins auf die Sekretion des Magensaftes. Von W. R. Hess und R. Gundlach. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Zürich.) Mit 11 Textabbildungen. (Eingegangen am 10. Juli 1920.) Zu den Organen, deren Funktion durch Adrenalin beeinflußt werden, gehören, wie seit den Untersuchungen Langleys bekannt ist!), auch verschiedene Drüsen. Nach einem früheren negativen Resultat von Oliver und Schäfer erhielt Langley auf intravenöse Adrenalininjek- tion einen vermehrten Speichelfluß, und zwar bei allen Speicheldrüsen des Mundes. Der Effekt war allerdings nur sehr kurz in der Dauer zwischen !/, und 9 Minuten schwankend. Er kam nur bei relativ sehr hohen Dosen zum Vorschein und konnte unter Umständen ausbleiben, auch wenn der Blutdruckeffekt noch sehr prägnant war. Der Speichel treibende Einfluß des Adrenalines ist seither von Barcroft und Piper?) wieder bestätigt worden. Auch in der Tätigkeit der Schleim produzierenden Elemente von Mund-, Oesophagus- und Trachealschleimhaut wurde eine Sekretionsver- mehrung beobachtet, desgleichen an der Tränendrüse. Analoge Resultate ergaben Versuche: in bezug auf Gallen- und Bauchspeicheliluß. Der letztere erwies sich allerdings als quantitativ inkonstant, vielleicht in- folge einer gestörten Ansprechbarkeit der Bauchspeicheldrüse in einzel- nen Versuchen. Auch in bezug auf die Stimulierung von Leber und Pankreas war der Effekt flüchtig, d. h. nur nach Minuten zählend. — Langley untersuchte ferner den Einfluß des Adrenalins auf die Schweiß- drüsen. Hier ergab sich ein durchaus negativer Befund. In die Untersuchungen Langleys nicht einbezogen war der Einfluß des Adrenalins auf die Tätigkeit der Magendrüsen. Zwei Argumente lassen es jedoch sehr wünschenswert erscheinen, daß wir auch hierüber unterrichtet sind. Es ist dies einmal die Frage nach aen Inner- vationsverhältnissen mit Rücksicht auf den thorakalen Abschnitt des 1) J. N. Langley, Observations on the physiological action of extracts of the supra renal bodies. Journ. of physiol. 28, 237. 1901. ?) Barcroft, G. and Piper, H., The gaseous metabolism of the submaxil- lary gland with reference especially to the effect of adrenalin and the time relation of the stimulus to the oxydation process. Journ. of physiol. 44. 1912. W.R. Hess und R. Gundlach: Einfluß d. Adrenalins auf die Sekretion usw. 123 autonomen Nervensystemes, über dessen Bedeutung für die Magen- sekretion wir bis heute noch sehr wenig wissen. Wegen der Be- ziehung zwischen jenem System und Adrenalin ist aus dem Studium des Adrenalineinflusses ein Beitrag zur Klärung dieser Frage auf die Masensekretion zu erwarten. Ein zweiter Grund, welcher eine derartige Prüfung nahelest, besteht in der Frage nach der Art der Assoziation der motorischen und sekre- torischen Funktion des Magens. Wenn Adrenalin im physiologischen Geschehen bei der Regulierung der Tätigkeit der sympathisch inner- vierten Organe eine wesentliche Rolle spielt, so ist ein gleichsinniger Einfluß auf Motilität und Sekretion wohl verständlich ; sollte sich aber ein gegensinniger als bestehend erweisen, so empfangen wir eine An- regung, nach dem organisatorischen Grund dieser antagonistischen Assoziation zu forschen. Tatsächlich ist von Yukawa, dem einzigen Forscher, welcher, soweit wir aus der Literatur ersehen, die Frage experi- mentell zu beantworten versucht hat, ein sekretorischer Effekt beob- achtet worden. Die Beobachtungen Yukawas erstrecken sich auf den gesunden und kranken Menschen und auf einen Nebenmagenhund. Die Menschen erhielten im Versuche Wasser mit Weißbrot unter Beigabe von Adrenalinlösung, nachdem ein Testversuch vorausgeschickt worden war ohne Adrenalinzusatz. Bei der Titration des nach bestimm- ter Zeit ausgeheberten Mageninhaltes wurde in den Fällen, wo die Test- versuche nicht vollständiges Fehlen der Salzsäure ergaben, eine Ver- mehrung der letzteren durch Adrenalinverabreichung konstatiert. Beim Nebenmagenhund wurde in analoger Weise eine Versuchsserie durchgeführt. Als Indicator für den Effekt diente hier die Sekret- menge, welche aus dem Nebenmagen abfloß. Eine Titration fand nicht statt. Als Totalsekretmenge ergab sich bei den Testversuchen ein Mittel von 12,80 ccm gegenüber 15,92 cem mit Adrenalingaben per os. Zu diesen Resultaten ist die auffällige Tatsache zu erwähnen, daß im Testversuch der Hund 200 cem Milch erhielt, nachdem ihm 10 Minuten früher 40 ccm Aqua dest. verabreicht worden waren. Im Adrenalinversuch bekam er dagegen 200 ccm Wasser. Das Adrenalin, S Tropfen einer 1prom. Lösung, war, mit Aqua dest. zu 40 cem ergänzt, ebenfalls 10 Minuten früher zugeführt worden. In einer zweiten Versuchsserie am Nebenmagenhund wurden die 8S Tropfen Adrenalinlösung, mit Aqua dest. auf 1 ccm verdünnt, intravenös appliziert. Per os erhielt der Hund 200 cem Wasser. Die vorangeschick- ten Testversuche stimmten hierin überein, nur daß in diesen Fällen das destillierte Wasser ohne Adrenalinzusatz injiziert worden war. Als Resultat ergab sich wieder eine Vermehrung der vom Neben- magen produzierte Sekretmengen. Die Durchschnittswerte einer Reihe von Einzelversuchen sind nachstehend reproduziert. 124 W.R. Hess und R. Gundlach: Earbie,llenT. Durchschnittswerte aus den Versuchen Yukawas am Nebenmagenhund. Zeitpunkt der Sekretentnahme in Stunden nach Versuchsbeginn | la ı | Ule | z ol Mestversuche ... | 3,76 |.3,72 | 348 | 3,52 | 13,48 Adrenalin 2 2.0.22. 4,08 124.091, 37702 | 23.1180 15100 Die Tabelle zeigt, daß sich die Vermehrung auf die ganze Sekretions- zeit erstreckt, dementsprechend auch in der Totalsekretmenge zum Aus- druck kommt. ‚Sie ist allerdings in keinem Falle sehr ausgesprochen. — I TER Abb. I. Radiogramm vom Nebenmagenhund in seitlicher Ansicht; links ist kranial. Die Tren- nung von Haupt- und Nebenmagen ist eine absolute. Auch bei dieser Versuchsserie war von einer Titration Umgang genommen worden. Der Autor stellte lediglich durch die Günzburgsche Reaktion schätzungsweise fest, daß eine Herabsetzung der HCl-Konzentration die Sekretvermehrung nicht begleite, so daß auch auf eine Vermehrung der Totalproduktion der Salzsäure geschlossen wird. Zur Frage nach dem Einfluß des Adrenalines auf die Magensekretion bringen die eben referierten Untersuchungen keine definitive Entschei- dung. Zum mindesten sollte neben der Sekretmenge Genaueres über die Zusammensetzung des Sekretes festgestellt sein. Wünschenswert ist ferner die Einteilung der ganzen Versuchsdauer in kleinere Intervalle speziell mit Rücksicht auf die von Langley festgestellte Tatsache, daß Der Einfluß des Adrenalins auf die Sekretion des Magensaftes. 125 bei den übrigen Drüsen die Periode der Sekretionssteigerung nur sehr flüchtig ist. Dringend zu wünschen ist ferner eine Variation in bezug auf den Zeitpunkt der Adrenalinapplikationen; denn es ist durchaus nicht gesagt, daß die Ansprechbarkeit des Magens in den verschiedenen Phasen der Verdauung quantitativ und qualitativ immer dieselbe sei. Das oben begründete doppelte Interesse des diskutierten Themas hat uns veranlaßt, die eben genannten Lücken auszufüllen. Dabei war unter uns die Arbeit so verteilt, daß H. die Versuchsdispositionen gab und den operativen Teil der Untersuchungen ausführte; G. machte die im Protokoll niedergelegten Beobachtungen an dem im Versuche stehen- den Hunde und besorgte die Umrechnung und graphische Darstellung der Resultate. — Als Versuchsobjekt diente ein jüngerer Hund von ca. 15 kg Gewicht mit Pawlow- schem Nebenmagen. Die Opera- tion und Rekonvaleszenz waren ohne jede Komplikation. Bereits am 4. Tage fraß der Hund wieder mit ordentlichem Appetit. Die in Abb. 1 reproduzierte Röntgenauf- nahme gibt die Kontrolle des Operationsresultates.. Der Hund hatte unmittelbar vor der Auf- nahmeFleischhascheemit Barium- sulfatzusatz gefressen. Der Neben- magen kontrastiert durch eine Füllung mit halbflüssigem Stärke- kleister-Bariumgemisch, das wir mit gelindem Druck durch eine Schlauchsonde eingefüllt hatten. Die Ausführung der Aufnahme verdanken wir dem Röntgeninsti- tut am Kantonsspital (Leiter Dr. B Abb. 2. Vorrichtung zur Entnahme des Neben- Schinz). magensekretes. $S = Schlauchdrain (im Neben- Das Sekret wurde durch einen magencavum). X = Verbindungskanüle (im Aus- > führungsgang). Z=Zapfen zur Fixation des gelochten Schlauchdrain ($) nach Anfangsröhrchens R. K = dünne Korkplatte, mit außen abgeleitet, der an seinem Z fest verbunden, gibt diesem Halt, ist selbst Z % fixiert durch Bernetbinde 2. unteren Ende zu einem zungenför- migen Fortsatz ausgeschnitten ist. Die genannte Zunge läuft wie Abb. 2 zeigt in eine kurze Glaskanüle (X) hinein, die ca. lcm tief in die Mündung des Nebenmagens versenkt wird. Die Glaskanüle steckt an ihrem unteren Ende an einem Korkzapfen (Z), auf den ein kleines Reagensröhrchen (®) aufgesetzt wird. Den Halt bekommt die ganze Abzugsvorrichtung durch eine um den Leib geführte elastische Binde (B), 126 W.R. Hess und R. Gundlach: welche das Glasrohr durch Vermittlung einer kleinen Korkplatte (P) als Zwischenstück zwischen Schlauchdrain und Reagensröhrchen in ihrer Situation festhält. Die Funktion der beschriebenen Abzugsvorrich- tung wurde öfters durch Wechseln des Drains kontrolliert. Es ist dabei nie eine Sekretionsstauung beobachtet worden. Auch sonst funktionierte die Vorrichtung ausgezeichnet. Über die verschiedenen Faktoren, welche für die Bewertung der Versuchsresultate noch Bedeutung haben, ist folgendes zu berichten: Unser Hund war äußerst sensibel in bezug auf Freude und Ärger. Vor dem Anstellen der zu verwertenden Versuche war er während 4 Wochen an das Untersuchungsgestell gewöhnt worden. In dieser Vor- bereitungszeit und in den Versuchen erhielt er immer dieselbe Nahrung: 400 ccm Milch mit 150 g Brot als Frühstück zwischen 7 und 8 Uhr mor- gens, und 150—200 g Muskelfleisch plus 250—300 g Brot plus 250 bis 300 ccm Wasser als Mittagsmahl zwischen 12 und 2 Uhr. An kalten Tagen war die Nahrung etwas vorgewärmt. Sowohl nach dem Früh- stück, als auch nach dem Mittagsmahl wurde der Hund regelmäßig 4 Stunden im Gestell gehalten. In der Untersuchungsperiode lieferte der Nebenmagen bei Normal- fütterung ca. 20 ccm Sekret. Es wurde in viertelstündigen Intervallen abgenommen und untersucht. Die Feststellung des Volumens erfolgte durch Aufsaugen aus einem Spitzglas in eine graduierte Pipette unter Kontrolle im Spiegel. Die Volummessung war auf plus oder minus 0,025 cem genau. Die Titration erfolgte mit !/,,n-Natronlauge. Als Um- schlagspunkt für Methylorange galt das Verschwinden des letzten Restes eines rötlichen Tones. Den Phenophtahleinumschlag markierte eine deut- liche Rosafärbung. Beide Indicatoren wurden in sehr kleinen Mengen zugesetzt, und zwar, wenn nötig unter Ergänzung während der Titration ungefähr proportional dem titrierten Endvolumen. Die kleinste zur Titration genommene Sekretmenge Kekse 0,2 ccm. Das erste, auch gelegentlich noch das zweite Röhrchen, enthielten im Sekret einzelne größere Schleimflocken, die offenbar aus der Zeit der Sekretionsruhe stammten und vom ersten Sekret ausgeschwemmt worden waren. Die Flocken wurden mittels eines feinen Glashäkchens vor der Titration herausgefischt. Spätere Röhrchen zeigten oft keine, oder dann nur sehr kleine Flöckchen, die im Sekret belassen wurden Eine Vermehrung der Schleimflockenbeimischung unter Adrenalinwir- kung konnte nicht konstatiert werden. Wir heben dies besonders hervor, weil ja nach den Untersuchungen von Langley eine vermehrte Tätig- keit anderer Schleimhäute zu beobachten ist. Für die Prüfung der Adrenalinwirkung wurde die Sekretion nach der Mittagsmahlzeit verwendet. Die Applikation des Adrenalins erfolgte in verschiedenen Phasen der Verdauung u. a. auch in der Der Einfluß des Adrenalins auf die Sekretion des Magensaftes. 197 Verdauungsruhe. Diese Variation wurde für angezeigt gehalten in der Meinung, daß der Sekretionszustand für die Reaktionsweise der Drüsen von Einfluß sein könnte. Zwischen die Adrenalinver- suche wurden Kontrolltage gelegt, welche wiederholt den unbeeinflußten Sekretionsablauf feststellten und Testtabellen mit Testkurven für die Bewertung der Adrenalinwirkung lieferten. Zur Verwendung kam Supra- reninum Höchst 10/,, in Mengen von 0,5—1,0 cem. Zur Injektion war es kurz aufgekocht. In den ersten Versuchen wurde es ohne weitere Präparation in eine Ohrvene injiziert, was aber nur unter Sträuben des Tieres möglich war. Ein Kontrollversuch mit Scheininjektion erwies, daß dabei ein erheblicher Sekretionseffekt lediglich schon auf das Konto der psychischen Erregung zu setzen ist. Um diese Störung soweit als möglich zu umgehen, wurde beidseits der Nervus auric. magnus durch- trennt und ein Stück desselben excidiert. Trotzdem war aber das Tier erst mehrere Wochen nach erfolgter Heilung dafür zu haben, daß es ohne Widerstand den Kopf zur Injektion in eine Ohrvene halten ließ. In diese Zwischenzeit fielen die Versuche mit intramuskulärer Injektion. Hierbei wurde die vorher abgemessene Menge aus der kleinen in der Hohlhand versteckten Spritze unvermutet aber nicht brüsk in die Glutäal- muskulatur injiziert. Die Prozedur ging so schnell vor sich, daß der Hund auf den Stich oft nur einen kurzen Laut gab, oft überhaupt nicht rea- gierte. Trotzdem wurde natürlich der Kontrollversuch mit Kochsalz- injektion nicht versäumt. Eine der intramuskulären Injektionen hatte für 3 Tage eine schmerzhafte Schwellung im Gefolge; der entsprechende Versuch ist von der Verwertung ausgeschlossen worden. Resultate. l. Testversuche. Der Sekretionsablauf nach einer Mittagsmahlzeit bei Fehlen irgend- einer Beeinflussung wurde in neun Versuchsserien kontrolliert. Über ihn ist folgendes zu sagen: In der ersten Zeit, d. h. 14 Tage bis 3 Wochen nach der Operation treffen wir nach einem Mittagsmahl eine Nebenmagensekretmenge von ca. 16 ccm total. Die Gesamtacidität entsprach in dieser Phase einem Verbrauch von ca. 92 cem !/,„n-NaOH auf 100 ccm Sekret berechnet. Diese Zahl, zur Vergleichung mit der freien HCl ebenfalls in Salzsäure gerechnet, entspricht einem Prozentwert von 0,34. Die Sekretion beginnt regelmäßig sehr intensiv mit bald folgendem raschem Abfall. Im weiteren Verlauf sehen wir sowohl die 15 Minutenvolumina, als auch die Aciditäts- grade ziemlich schwankend. Eine aus dieser Rekonvaleszenzzeit stam- mende Kurve möge dazu dienen, den stetigen Sekretionsverlauf, auf welchen sich der Nebenmagen nach und nach einstellte, in Prägnanz 128 W.R. Hess und R. Gundlach: zu setzen. Von der dritten Woche nach der Operation an sehen wir die Werte sich im ganzen in eine ruhigere Kurve einordnen und die Acidität auf ein noch etwas höheres Niveau sich erheben (ca. 120 ccm NaOH-Verbrauch und einer Gm entsprechend ca. 0,45% HCl). Die zeitliche Verteilung der Produktion des Sekrees schwankt allerdings auch jetzt noch. Es lassen sich mit Deutlichkeit zwei Sekretionskurventypen, wie sie durch Tab. Ilund durch Abb. 4 und 5 illustriert sind, AS) [8 Sekr -Val. (om?) u. Gesammtacıd (%) IS = 1 unterscheiden. 03 Zwischen diesen 02 beiden Extremen 2 stellen sich alle ON Det AR, 2% 3% +” übrigen Testkur- Abb. 3. Sekretionsablauf nach Verfütterung des Normalfutters in der ven ein. Der Ty- Rekonvaleszenzzeit. - Sekretvolumen. -------- Gesamtacidität. pus 1 (Abk. 4) (Publ.-Nr. 1) ist dadurch gekennzeichnet, daß in sehr raschem Anstieg; die Sekretion (nach einer Latenzzeit von 3—5 Minuten) aufschnellt zu einem 15Minutenvolumen von ca. 3,6 cem. Schon nach einer halben Stunde ist der Höchstwert erreicht und in leicht zackigem Abfall senkt sich die Sekretproduktion, so daß nach 4 Stunden dieselbe dem Versiegen nahe ist. Die Gesamtaeidität erreicht ebenfalls in einer halben Stunde ein Maximum mit ca. 0,5% als freie HCl gerechnet, stellt sich dann in leichter Senkung auf einen sehr konstanten Wert von ca. 0,43%, ein, um nach der zweiten Stunde noch um ein weniges zurückzugehen. Die Konzentration der freien HCl Sl Sekr—-Vol. (cm) u. Gesamtacid. (%) [SS IS & o N oa Q D 05 weist das Maximum etwas O4 > 5 5 später auf. Die folgenden 02 Werte sind etwas schwanken- 01 der; sieliegen zwi- oh Zeit —— + Zr Ei „r schen 0,35 und Abb. 4. Sekretionsablauf nach Verfütterung des Normalfutters: Test- 0,4%. Die Gesamt- versuch. Sekretvolumen. --------- Gesamtaeidität. (Tab. I, sekretmensee lieot Versuch Publ.-Nr. 1.) 5 5 um 20 cem. Tabelle II. Konzentrationen der freien HCl. Die zu einer Serie gehörenden Zahlen beziehen sich auf das in viertelstünd- lichen Intervallen entnommene Sekret. — Der erste nach der Injektion gemessene Wert ist jeweils mit *) gekennzeichnet. — Die zugehörigen Sekretvolumina und die Der Einfluß des Adrenalins auf die Sekretion des Magensaftes. 1239 Daten betreffend Gesamtaeidität sind aus den reproduzierten Kurven abzulesen, zu welchen diese Tabelle eine Ergänzung darstellt. — Am Schluß jeder Serie findet sich Gesamtsekretvolumen (GSV.), ferner der Durchschnittswert für freie Salzsäure (D.-W. HCl) und der Durchschnittswert für die Gesamtaeidität als freie HCl gerechnet (D.-W. GA.). Bei der Berechnung der Durchschnittswerte sind die Einzelsekretvolumina mit in Berechnung gezogen, Diejenigen Serien, bei welchen die Durchschnittswerte und Gesamtsekretvolumina nicht aufgeführt werden, sind wegen der Umstimmung des Magens durch Röntgenversuche in der absoluten Sekretleistung mit den übrigen Versuchen nicht vergleichbar. Der andere Kurventypus zu den Testversuchen (Tab. II, Publ.-Nr. 2, Abb. 5) läßt den initialen sehr hohen Gipfel vermissen. Wir treffen nur ein relatives Maximum. Die Sekretion geht von diesem langsamer zurück. nn & Jekr-Vol. (cm3) u. Gesammtacidl(%) N oa S or Zeit — ıh 2h 3% yh Abb. 5. Sekretionsablauf nach Verfütterung des Normalfutters: Testversuch. Sekret- volumen. +---+----- Gesamtacidität. (Tab. II, Versuch Publ.-Nr. 2,) Erst nach Ablauf der zweiten Stunde setzt ein steilerer Abfall ein, welcher nach der dritten Versuchsstunde dem Nullpunkt nahe ist. Die Konzen- * Anm.: Nr. 1u. 2sind „Testversuche‘‘; 2, 4 u. 5 beziehen sich auf den ‚„‚psy- chischen Effekt“; 6—10 sind Adrenalinversuche. Bei Nr. 6 sind zum Vergleich mit den übrigen Versuchen sowohl die ersten 4 Stunden als auch (in der folgenden Zeile) die ganze Versuchsdauer zur M.-W.-Berechnung herangezogen. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 185. j } 9 | Zeitpunkt der Sekretentnahme mit Intervall von 15’ GSV. ENUON NW ı HCI | GA | | 10,25 | 0,41 | 0,44 0,40 0,40 | 0,85 | 0,40 0,43 | 0,36 | 0,36 | 0,36 | 0,30 0,20 | 0,20 | 0,08 19,6 0,383 | 0,43 110,23 | 0,40 | 0,40 0,41 0,42 0,40 |0,39 | 0,41 [0,42 | 0,40 | 0,39 | 0,32 25,1 | 0,884 | 0,437 110,27 | 0,31*| 0,42 |0,40 | 0,41 | 0,40 | 0,37 | 0,40 | 0,38 | 0,40 | 0,32 | 0,31 | 0,27 | 0,16 | 0,16 | 0,18 19,15 | 0,36 | 0,406 0,17) 0,34 | 0,38 |0,39 | 0,39 | 0,40 | 0,39 | 0,39 | 0,39 | 0,37 | 0,31 | 0,38 | 0,30 0,30 ; 26,3 | 0,36 | 0,443 010,20 | 0,29 | 0,31 0,31 0,31 | 0,34 | 0,31 | 0,29 | 0,27 | 0,28* | 0,25 | 0,26 | 0,28 | 0,28 | 0,23 | 0,25 E= _ — /0,14*| 0,25 | 0,24 [0,25 | 0,12 | 0,06 | 0,07 | 0,06 | 0,06 | 0,09 0,15 0,20 | 0,24 | 0,23 | 0,30 10,36 | 10,75 | 0,208 | 0,292 "10,36 | 0,36 | 0,31 0,33 0,31 | 0,30 | 0,33 24,15 | 0,284 | 0,378 110,12* 0.25 0,26 | 0,26 | 0,21 | 0,26 | 0,26 [0,25 | 0,26 | 0,26 | 0,27 | 0,26 | 0,25 | 0,24 | 0,22 14,1 | 0,238 | 0,292 110,25 | 0,28.| 0,21*| 0,25 | 0,28 | 0,29 | 0,30 | 0,30 | 0,28 | 0,27 | 0,27. | 0,27 | 0,26 | 0,25 | 0,26 | 0,20 I |. — _ [0,28 | 0,23 0,0 0,0) "0,03 | 0,03 | 0,0 |0,0* 0,0 130 W.R. Hess und R. Gundlach: trationswerte sind nicht wesentlich verschieden von den beim anderen Typus beschriebenen. 2. Sekretion unter Adrenalinwirkung. In den insgesamt 14 Adrenalinversuchen erfolgte, wie bereits oben- erwähnt, die Applikation auf verschiedenem Wege und zu verschiedenen Zeiten. Die Resultate der ersten intravenösen Injektionen müssen, wie gesagt, als durch den psychischen Effekt der Injektion beeinflußt angesehen werden. Es ergibt sich das aus der Tab. IT und Abb. 6, wo zur Kontrolle eine Scheininjektion (Festhalten des Kopfes und Anstechen des SS & Sekr-Vol. (cm3) u. Gesamtacid! (Yo) & D&D on N a — oR NZ ah ar 3R un Abb. 6. Wirkung einer Scheininjektion ins nichtentnervte Ohr auf die Magensaftsekretion. Sekretvolumen. --------- Gesamtacidität. Die Scheininjektion erfolgte bei A, d.h. !/, Stunnde nach der Fütterung. (Tab. II, Versuch Publ.-Nr. 3.) Ohres) gemacht worden ist. Die Sekretionskurve zeigt eine prägnante Störung gegenüber den Testkurven. Beachtenswert ist die Tatsache, daß aber nur die zeitliche Verteilung der Sekretproduktion verändertist,kaumaber dieGesamtproduktiondes Sekretes und die durehschnittliche Säurekonzentration, indem die Wirkung der sekretorischen Depression nachträglich wieder kompensiert wird. Von den. Resultaten dieser ersten Adrenalinversuchen ist im übrigen zu sagen, daß der der Injektion folgende Absturz der Sekretproduktion den rein psychischen Effekt erheblich übertrifft, indem es in bezug auf die Gesamtsekretmenge als auch auf die durchschnittliche Konzen- tration zu einem Defizit kommt. Wenn diese Versuche wegen des psychischen Effektes nur bedingt ausgewertet werden können, erleidet die Deutung der Adrenalinkurven Gesamtacid.(Yo) (>) DL Öehr-Vol.(em3) DO S & Der Einfluß des Adrenalins auf die Sekretion des Magensaftes. 131 mit intramuskulärer Injektion keine Einschränkung. Denn die Kontrolle mit intramuskulärer Kochsalzinjektion liefert eine durchaus unkomplizierte Normalkurve wie Tab. II und Abb. 7 zeigen. Tatsäch- ms Ss a & sekn-Vol. lem?) u. Gesamtacid (%o) & » (4) a o Q > 057, 04 SSHO«K SO & Na Zeit — ıh ah 3A um Abb. 7. Wirkung einer intramuskulären Kochsalzinjektion auf die Magensaftsekretion. Sekretvolumen. --------- Gesamtacidität. Die überraschende Injektion von 0,5 ccm 0,9% NaCl-Lösung erfolgte bei A, d.h. während der Fütterung. (Tab. II, Versuch Publ.-Nr. 4.) lich machen die Injektionen, in der oben angeführten Weise über- raschend durchgeführt, auf den Hund kaum Eindruck. Die Versuche Publ.-Nr.6 und 7 in Tab. Il, Abb. 8 und 9, Versuche vom 23. III. und 24. III lassen uns über den Effekt des Adrenalines 08 Zeit — 1 Abb. 8. Wirkung einer intramuskulären Adrenalininjektion auf die Magensaftsekretion. Sekretvolumen. --------- Gesamtacidität. Die Injektion erfolgte bei A, d.h. während der Fütterung. Injiziert wurde l1ccm Adrenalin "oo. (Tab. II, Versuch Publ.-Nr, 6.) außer Zweifel. Im erstgenannten (Versuch Publ.-Nr. 6) werden zweimal 0,5 cem Adrenalin im Abstand von 2 Minuten während des Fressens intramuskulär injiziert. Das Röhrchen der ersten Viertelstunde zeigt hier noch eine ziemliche Sekretmenge, gegenüber den Normalverhält- 9* 132 W.R. Hess und R. Gundlach: nissen allerdings um 1/,—!/, reduziert. In der nächsten Viertelstunde sehen wir die Sekretion weiter absinken und es geht in der Folge die Sekretion immer mehr zurück, so daß nach 2 Stunden beinahe kein Magensaft fließt. Von diesem Zeitpunkt an kommt die Sekretion all- mählich wieder in Gang und es bildet sich nach der 4. Stunde ein relativ gut ausgeprägtes Maximum aus. Von hier ab sinkt die Sekretion wieder. Nach 6!/, Stunden finden wir dieselbe auf dem niederen Niveau von 0,42 ccm pro Minute angelangt. Die Konzentrationsveränderung der freien Salzsäure geht dem Volum im ganzen parallel, ebenso die Gesamtacidität. Nur liegen die Maxima zeitlich etwas später. Tabellen und Kurven lehren uns also eindeutig, daß unter der Adre- nalinwirkung eine intensive Hemmung der Sekretion zustande kommt. Die Hemmung ist in bezug auf die insgesamt produzierte Säure (Sekretvolumen x Prozentgehalt) | 100 von ca. !/, Stunde bestätigt das Resultat des Kochsalzinjektionsver- suchs: es kann sich nicht um einen psychischen Effekt handeln. Die Verspätung der Wirkung ist erklärlich, weil es sich um eine intramusku- läre Injektion handelt. Diese Kurve ist für uns in bezug auf die Zeit- dauer der Adrenalinwirkung sehr lehrreich. Sie erstreckt sich auf rund 3 Stunden. Interessant ist auch die Tatsache, daß nach deren Ablauf sich der Magen noch zu einer ziemlich profusen Sekretion aufschwingt. Offenbar ist infolge des Sekretmangels die Speise im Magen fast unver- ‘ daut liegen geblieben, und es bricht nach Aufhören der Adrenalinwirkung der von der Magenschleimhaut ausgehende Sekretionsreflex schließ- lich doch durch und bringt eine der normalen sehr ähnliche Se- kretionsperiode zustande. Im Versuch Publ.-Nr. 7 der Tab. IT und Abb. 9 ist der Adrenalineffekt im Prinzip übereinstimmend, im einzelnen dagegen etwas verschieden vom eben beschriebenen. Hier wurden nur 0,5 ccm Adrenalin — ebenfalls während des Fressens — injiziert. Der erste Anstieg der Sekretion ist etwas weniger steil. Die Produktion fällt im weiteren Verlauf nicht ab, sondern wird nur am weiteren Anstieg verhindert, so daß die viertelstündlich gemessenen Mengen um ein nied- riges Niveau von ca. 0,95 ccm pro 15 Minuten schwanken. Auch die Säurekonzentration bleibt niedrig, wie das aus den Mittelwerten ersehen werden kann. Ein Anschwellen in später Stunde wird ebenfalls vermißt. Die Hemmung der Sekretionsproduktion im allgemeinen und der Salz- säurekonzentration im speziellen ist dennoch auch hier eklatant. Ent- sprechend der halben Injektionsdosis ist der Effekt aber quantitativ weniger ausgesprochen. Es fließt auch unter der Adrenalinwirkung immer etwas Sekret. Der Abschluß der Adrenalinwirkungsperiode findet des- halb hier nicht, wie im vorangehenden Versuch, einen fast unverdauten noch ausgeprägter. Die Latenzdauer - Der Einfluß des Adrenalins auf die Sekretion des Magensaftes. 133 Mageninhalt, welcher nachträglich Anlaß zur Inszenierung einer aus- giebigen Sekretion geben könnte. Deutlich sprechen die Zahlen, welche als Mittel aus den Tabellen ausgerechnet wurden. So ergibt sich im Versuch Publ.-Nr. 6 vom 23. III. in den ersten 4 Stunden, in welche die Adrenalinwirkung fällt, ein Ge- samtsekretvolum von 10,75 ccm, also die Hälfte der normalen Menge [SUR 3 [ Gesamtacıd. (%) N on S nn =----— _____ EN > I > SSSO SS E SENSE Sekr-Vol (cm3) + + — - 9° a lie ar 3r ur Abb. 9. Wirkung einer intramuskulären Adrenalininjektlon auf die Magensaftsekretion. Sekretvolumen. --------- Gesamtacidität. Die Injektion von 0,5 ccm Adrenalin !/,ooo erfolgte bei A, d.h. während der Fütterung. (Tab. II, Versuch Publ.-Nr. 7.) dieser Zeit. Im Versuch von Publ.-Nr. 7 vom 24. III. wurden 14,1 ccm abgenommen. Beachtenswert ist der kompensatorische Einfluß der nach- träglich einsetzenden Sekretion im Versuch Publ.-Nr. 6 vom 23. III.; durch sie wird die gesamte Sekretmenge mit 24,1 ccm reichlich auf die volle Norm gebracht. Als mittlere Konzentration aus den ersten 4 Stunden ergibt sich für die freie Salzsäure 0,208% bei zweimaliger Injektion von 0,5 ccm, dagegen bei einmaliger Injektion dieser Menge 0,238%. Die Konzentrationswerte für die Gesamtacidität sind in beiden Fällen (im Verlauf der ersten 4 Stun- den) 0,292%. Der Vergleich der auf das Sekretvolum und auf die freie Salzsäure sich beziehenden Daten zeist also, daß der Adrenalin- effekt dosierbarist. Schön geht dies aus dem Vergleich der Kurven hervor. Die eben beschriebenen Versuche finden ihre Ergänzung auch in den intravernösen Injektionen, die nach der Entnervung der Ohren ausgeführt worden sind. Die Wunden, welche von der Nervenexcision herrührten, waren in diesem Zeitpunkt längst geheilt; der Hund hatte die Erinnerung an die früheren Injektionen verloren und war durch Dressur dahin ge- bracht, daß er ganz willig und ruhig den Kopf für eine Injektion in eine Ohrvene darbot. Beim Nadelstich äußerte er auch nicht das geringste Zeichen des Schmerzes, wohl aber, wenn man durch das Ohr hindurch stechend die Innenrfläche des Ohres verletzte. (S. Versuch Publ.-Nr. 5 in Tab. II, Abb. 10). 134 W.R. Hess und R. Gundlach: Da auf eine intravenöse Injektion eine flüchtigere Wirkung erwartet wurde als auf intramuskuläre Applikation, erfolgte die Sekretabnahme unmittelbar nach der Injektion in Intervallen von 5 Minuten. Zur Ein- Go S & & N [S, Sekr-Vol tem) u. Gesamtacid.(%) na an SER SS SQ S sw SQ SR S —— SS NS oh Zeit — 1% Zr ! gr 4m Abb. 10. Wirkung einer intravenösen Kochsalzinjektion ins entnervte Ohr auf die Magensaft- sekretion. Sekretvolumen. --------- Gesamtaeidität. Die Injektion von 0,5 cem 0,9% NaCl Lösung erfolgte bei y, d.h. 2!/, Stunden nach der Fütterung. (Tab. II, Versuch Publ.-Nr. 5.) tragung in die Kurven mußten die gemessenen Volumwerte selbstver- ständlich auf 15 Minuten umgerechnet werden. Auch hier treffen wir eine eklatante Hemmung der Sekretion in bezug auf das Sekretvolumen, IS NS oa N m _---—o Se ———-—-1--_ 5 == o-- —-- —--- SUR son Yollems)u Gesamtacid(%) SS SS SS Q > ok 1Zer— 1 ah 3% Abb.11. Wirkung einer intravenösen Adrenalininjektion auf die Magensaftsekretion. Sekret- volumen. --------- Gesamtacidität. Die Injektion ins entnervte Ohr erfolgte bei A, d.h. 25 Mi- nuten nach der Fütterung. (Tab. II, Versuch Publ.-Nr. 8). weniger stark ausgesprochen in bezug auf die Konzentration der freien HCl und die Gesamtaeidität (Abb. 11, Tab. II, Versuch Publ.-Nr. 8). Bei dieser Versuchsserie fällt noch auf, daß die Werte im allgemeinen auf ein relativ niedriges Niveau eingestellt sind, sowohl das Sekretvolum als auch die die Konzentration messenden Zahlen. Dies hängt mit Ver- Der Einfluß des Adrenalins auf die Sekretion des Magensaftes. 135 suchen zusammen, für die der Hund in der Zwischenzeit noch benützt worden war, über die an anderer Stelle berichtet wird!). Die relative Bewertung des Adrenalineffektes wird durch die inzwischen stattgefun- dene Umstimmung nicht gestört, wohl aber ein Vergleich des Total- sekretvolumens und der mittleren Konzentration mit den entsprechen- den Werten früherer Test- und Adrenalinversuche, weshalb diese Daten hier nicht ausgerechnet werden. Durch zwei Versuchsserien wurde noch die Frage erledigt, ob das Adrenalin zur Zeit der Sekretionsruhe appliziert, evtl. eine Stimu- lation zur Folge habe. Mit dieser Möglichkeit muß gerechnet werden. Sie könnte in Erscheinung treten, wenn der thorakale Abschnitt des autonomen Nervensystems neben sekretionshemmenden in be- schränktem Maße sekretionsfördernde Fasern nach dem Magen ent- sendet. In der Zeit profuser Tätigkeit wären die Bedingungen nur für ein Hervortreten des Hemmungseffektes günstig. Zur Zeit der Sekre- tionsruhe könnten auch allfällige leise sekretionsfördernde Einflüsse erkennbar werden. Als günstiger Moment für diese Kontrolle wurde die Zeit 1 Stunde vor dem normalen Mittagsmahl angesehen, wo der Magen bereits wieder eine hohe Sekretionsbereitschaft aufweist. Dem seit 2 Stunden im Ge- stell gehaltenen Hunde werden 0,5 ccm Adrenalin intravenös gegeben. Der Versuch Publ.-Nr. 10 in Tab. II zeigt das Resultat. Wir erkennen, daß von einer Stimmulation zur Sekretion keine Rede ist. Im Gegenteil sehen wir, daß das bißchen Sekret, welches viertelstündlich im Röhrchen vorgefunden wird, vollends verschwindet. Damit stimmt auch die Beob- achtung bei intravenöser Applikation am Ende einer normalen Mittags- sekretionsperiode überein! Versuch Nr. 9. Zusammenfassung der Resultate und Schlußfolgerung. Wir haben in allen Versuchen übereinstimmend einen prägnanten Einfluß des Adrenalins auf die Magensekretion im Sinne einer Hem- mung festgestellt! Sie tritt in Erscheinung, gleichgültig in welcher Phase der sekretorischen Tätigkeit das Agens appliziert wird, ebenso ob intra- muskulär oder intravenös. Die Intensität der Wirkung ist abhängig von der Menge des applizierten Agens. Der Effekt dauert wenigstens 15 Mi- nuten (intravenöse Applikation), und höchstens 200 Minuten (intra- muskuläre Applikation). Im allgemeinen drückt sich die Hemmung in der Gesamtmenge des Sekretes aus, ebenso in den durchschnitt- lichen Konzentrationswerten. Diese Daten sind aber weniger eindeutig als die zu einer Tabelle oder Kurve vereinigten Reihen der Einzeldaten, weil gelegentlich der Sekretionsausfall nachträglich ganz oder teilweise kompensiert werden kann. 1) Miescher und Gundlach, erscheint in der Strahlentherapie. 136 W.R. Hess und R. Gundlach: Der Einfluß des Adrenalins usw. Aus ‚welchen Gründen Yukawas Versuche einen gegenteiligen Befund ergeben haben, ist nach den mitgeteilten Resultaten rätselhaft. Eine Diskussion über diese Frage ist kaum möglich; die Angaben Yu- kawas über die Versuchsbedingungen sind allzu spärlich und die Kontrollen des Sekretionsproduktes zu lückenhaft. Ausgeschlossen ist, daß die Diskrepanz durch einen hemmenden psychischen Effekt in un- seren Untersuchungen bedingt ist. Die Kontrollversuche schließen eine solche Deutung aus! Wenden wir das Gesetz Langleys über die Beziehung zwischen Adrenalinwirkung und sympathischer Innervation auf unsere Resultate an, so ergibt sich die Schlußfolgerung, daß dem thorakalen Teil des auto- nomen Nervensystems ein sehr ausgesprochener Einfluß auf die sekre- torische Tätigkeit der Magendrüsen zukommt, und zwar im antago- nistischen Sinn zur Hauptkomponente der Vaguswirkung. Im weiteren ergibt sich, daß in bezug auf den Magen die sekretorische und motorische Funktion gleichsinnig assoziiert sind, soweit die Regulierung beider Funktionen der physiologischen Adrenalinzufuhr zum Blute unterworfen ist. Der Einfluß von Hypophysenextrakt auf die Magensaftsekretion. Von W.R. Hess und R. Gundlach. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Zürich.) Mit 3 Textabbildungen. (Eingegangen am 10. Julı 1920.) Neben den bekannten motorischen Effekten wird bekanntlich dem Hypophysenextrakt auch ein sekretorischer Einfluß zugeschrieben, nämlich auf Milchdrüse!) und Niere?) im Sinne einer Förderung. Die Speichelsekretion, vorher chemisch oder elektrisch angeregt, soll durch Hypophysenextrakt eine Hemmung erfahren®). Über den Einfluß des Hypophysenextraktes auf andere Verdauungsdrüsen sind, ab- gesehen von einem nicht weiter verwendeten Einzelversuch Po pielskis*) mit unphysiologischer Dosis, unseres Wissens noch keine Untersuchungen angestellt worden. Die richtige Einschätzung der physiologischen Be- deutung der Hypophyse lassen die Wünschbarkeit einer Ergänzung in dieser Richtung als selbstverständlich erscheinen. Auch die häufige therapeutische Anwendung aus der Hypophyse hergestellter Organ- präparate verlangt, daß wir darüber orientiert sind, ob und inwieweit bei deren Applikation mit sekretorischen Begleiterscheinungen von seiten des Magendarmtraktus zu rechnen ist. Denn es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, daß in dieser Beziehung eine so prägnante Wirkung zu- stande kommt, daß diese für die Verwendung des Extraktes neue Indi- kationen oder Kontraindikationen begründet. Dies sind die Gründe, welche uns veranlaßten, den in der vorangehen- den Arbeit als Testobjekt benützten Nebenmagenhund für die Beant- wortung der hier aufgeworfenen Frage zu benützen. Die Versuchs- anordnung und die Versuchsbedingungen decken sich vollständig mit den bereits beschriebenen, weshalb auf jene Ausführungen verwiesen t) Ott und Scott, The action of infundibulin upon the mammary secretion. Proc. Soc. for Exp. Biol. and Med. 1910, S. 48. ?) Schäfer und Herring, The actions of pituitary extracts upon the kidney. Phil. transact. ser. 199. 1907. 3) Solem and Lommen, Influence of the extract of the posterior lobe of the hypophysis upon the secretion of saliva. Amer. journ. of physiol. 38, 3, S. 339. 4) Popielski, %-Imidazolyläthylamin als mächtiger Erreger der Magen- drüsen. Pflügers Arch. Bd. 178, S. 214. 138 W.R. Hess und R. Gundlach: werden kann (8.125). Auch hier wurde das Experiment nach der Art der Applikation (intramuskulär und intravenös) und nach dem Zeitpunkt derselben in bezug auf die Sekretionsphase variiert. Entweder erfolgte die Beibringung des Mittels gleich mit dem Fressen oder erst nachdem die Sekretion bereits eine gewisse Zeit in Gang gekommen war. Schließ- lich wurde die Prüfung auch auf die Zeit der Sekretionsruhe verlegt. Zur Anwendung kam ‚Pituglandol‘ der Firma Hoffmann-La Roche. Es wurde jeweils 0,5 com gegeben, d. h. entsprechend 0,1 g frische Drüse (Infundibularteil). Für die Bewertung des unter Wirkung des Hypophysenextraktes zustandegekommenen Sekretionsverlaufes können dieselben Testversuche herangezogen werden, die schon für die Adrenalin- versuche verwendet worden sind, die sich auf-S. 128 u. 129 reproduziert und diskutiert finden. Tabelle I. Konzentrationen der freien HCl. Erläuterungen wie zu Tabelle II der vorhergehenden Arbeit betreffend Adrenalin. — 10,25 10,24 0,24 10,25 | | Über die Resultate der Versuche orientiert Tab. I. Sie führt die Daten auf, wie sie an dem viertelstündlich abgenommenen Sekret fest- gestellt worden sind in bezug auf Sekretvolumen, Kon- zentration der freien Salzsäure und die Gesamtacidität (diese zum Vergleich ebenfalls als Salzsäure gerechnet, in Prozenten ausgedrückt). Der Zeitpunkt der Injektion ist durch * gekennzeichnet. Das Kreuzchen ist denjenigen WO 3 ww ‚ Sekr-Vol. (cm>2) u. Gesormtacid.(%o) 2 Zahlen beigesetzt, die sich auf das 15 erste unter der In- % jektionswirkung an zastandegekom- 0,4 03. EN N a NG mene Sekret be- 02 ziehen. Abk. 1 za und 2 veranschau- 8 IR 2R IR 4% ]ichen den Sekre- Abb. 1. Wirkung einer intramuskulären Pituglandolinjektion auf tionsablauf in be- die Magensaftsekretion. Sekretvolumen. --------- Gesamt- zug auf Sekret- acidität. Die Injektion erfolgte bei A, d. h. während der Fütterung. volumen und Ge- (Tab. I, Versuch Publ.-Nr. 1.) samtaeidität. Die Durchprüfungder Resultate ergibt, daß bei keiner unserer Untersuchungsserien, d. h. weder bei intravenöser noch bei intramusku- lärer Applikation ein prägnanter Einfluß zutage getreten ist. Wohl er- E = | Zeitpunkt der Sekretentnahme GSV. E 1 |0,10* 0,27 0,38 |0,37 \0,38 0,88 0,36 | 0,36 | 0,34 | 0,35 | 0,37 | 0,35 | 0,33 | 0,31 | 0,29 0,27 22,7 | 0,330 | 0, 2 10,14 |0,34 0,37 0,38 0,37 0,37 \0,33 | 0,36 | 0,29*| 0,32 | 0,34 | 0,29 | 0,30 | 0,31 | 0,35 0,26 | 23,1 10,328 70 3 0,27 0,28 | 0,28 | 0,25 | 0,22 | 0,20 | 0,18*| 0,15 | 0,19 | 0,20 0,20 021] — — - Der Einfluß von Hypophysenextrakt auf die Magensaftresektion. 139 kennen wir dort, wo die Applikation nach bereits eingesetzter Sekretion erfolgte, eine kurz dauernde Depression an Sekretvolumina und Säurekon- zentrationen. Das Defizit ist aber so gering, daß es mit der in der voran- stehenden Arbeit beschriebenen Wir- kung des psychi- schen Effektes in gleicher Ordnung steht und als solche zu deuten ist (vgl. Tab. II und Abb. 6 auf S. 130). Durch diesen Befund wird der Erfolg der Adre- nalininjektion un- terstrichen, der zu einer quantitativ und zeitlich weitin- &OQO Si} & Sekr-Vol (cm3) u. Gesamtacid.(%o) Sr SF IT SS S ic SSS n & nr 017 oh Zeit — ıh Zr 3h ‚ur Abb. 2. Wirkung einer intramuskulären Adrenalininjektion in bezug auf die Magensaftsekretion. Sekretvolumen. --------- Gesamt- acidität. Die Injektion erfolgte bei A, d.h. 2 Stunden nach der Fütterung. (Tab. I, Versuch Publ.-Nr. 2.) tensiver ausgesprochenen Depression führt. Das Ausbleiben irgendeines deutlichen Effektes geht besonders schön aus Kurve 1 hervor. Diese selbst stimmt nämlich in größter Annäherung mit den Testkurven überein. Zum Vergleich kann mit Vorteilauch Abb.2 dieser Publikation herangezogen wer- den, welche von dem Versuch des darauffolgenden Tages stammt. Bis nach Ablauf der zweiten Sekretions- stunde ist der durch Kurve Nr. 2 illustrierte Sekre- tionsverlauf unbe- einflußt. Wir er- kennen bei der ent- Su [SS3 —n oa IQ WR Sokn-Vol.tcm3)u. Gesamtacid. N IS) SS ” -----— —-—._ =—__ — a en ———n =. ASZAS) DS or Zeit —> 17 23R IN EVD un Abb. 3. Wirkung einer intravenösen Injektion von Pituglandol auf die Magensaftsekretion. Sekretvolumen. --------- Gesamt- acidität. Die Injektion ins entnervte Ohr erfolgte beiA, d.h. 23/, Stun- den nach der Fütterung. (Tab. I, Versuch Publ.-Nr. 3.) sprechenden Phase von Kurve Nr. lhöchstensein leichtes Zurückblei- ben der Sekretvokımina und der HClI-Konzentrationen, das man nicht mit Sicherheit als außerhalk der zufälligen Variation deuten kann. 140 W.R. Hess und R. Gundlach: Der Einfluß von Hypophysenextrakt usw. Zum Versuch Publ.-Nr. 3 (vgl. Tab I, Abb. 3) ist noch zu bemerken, daß die absoluten Werte wegen der auf S. 134 schon erwähnten Ver- änderung der Sekretionsbereitschaft des Magens nicht mit den Test- werten verglichen werden dürfen. Das Resultat deckt sich vollständig mit dem schon beschriebenen, abgesehen von dem allgemeinen Tiefstand der Sekretion, welchen auch die Testversuche aus dieser späteren Zeit (Ende Mai) aufweisen. Die zwei von uns durchgeführten Versuchsreihen, bei welchen die intramuskuläre Verabreichung von Pituglandol in der Phase der Sekretionsruhe erfolgte, verliefen ebenfalls negativ, d.h. ohne die Andeutung eines Sekretionsreizes. Wir dürfen also auch nicht auf eine so geringfügige sekretionsfördernde Komponente schließen, daß sie in der Phase stärkerer Tätigkeit übersehen werden wäre. Entsprechend der geführten Diskussion kommen wir zu dem Schluß, daß Hypophysenextrakt (Pituglandol) auf die Magensekretion höchstens einen ganz leicht depressorischen Effekt ausübt. Diese Erfahrung ist derjenigen gegenüberzustellen, welche Rothlin und Gundlach!) ebenfalls an unserem Hund mit Histamin machten. Die intramuskuläre Applikation dieser Substanz in einer Menge von 0,5 mg führt zu so pro- fuser Sekretion, daß die gelegentlich schon vermutete Gegenwart von Histamin im Hypophysenextrakt in unseren Versuchen nicht hätte verborgen bleiben können; man müßte denn annehmen, daß andere Substanzen die Histaminwirkung kompensieren. Da diese Kompensation in jeder einzelnen Phase des ca. 60 Minuten dauernden Effektes eine quantitative sein müßte, ist deren Supposition nichts weniger als naheliegend. Nachtrag von W.R. Hess. Die vorliegenden zwei Arbeiten waren eben fertiggestellt, als der Mit- arbeiter Reinhold Gundlach durch Unglück in den Bergen seinen Tod fand. Es ist uns dadurch ein angehender Physiologe von unge- wöhnlichen Fähigkeiten verlorengegangen. 1) E. Rothlin und R. Gundlach, L’influence de l’Histamine sur la secre- tion gastrique. Journ. de Physiol. et de Pathol. gener. 1920. Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungs- stoffen mit spezifischer Wirkung. III. Mitteilung. Von Emil Abderhalden und Ludwig Schmidt. (Aus dem Physiologischen: Institut der Universität Halle a. S.) (Eingegangen am 10. August 1920.) In der letzten Mitteilung!) ist die Frage aufgeworfen worden, ob die Feststellung, wonach geringe Mengen von Hefe als Beinahrung zu geschliffenem Reis gegeben, über viele Monate hinaus Tauben bei Wohlbefinden zu erhalten vermögen, darauf zurückzuführen ist, daß in der Hefe enthaltene Stoffe die Gewebsatmung in günstigem Sinne beeinflussen. Diese Vorstellung über die Wirkungsweise der Hefe bzw. der in ihr enthaltenen Nutramine schien durch die Beobachtung eine Stütze zu erhalten, daß die Muskulatur von an alimentärer Dystrophie er- krankten, stark abgemagerten Tauben einen außergewöhnlich geringen Gaswechsel aufweist. Nun wissen wir aus den Versuchen von Meyer- hof?2), daß Hefekochsaft die Atmung von Muskeln, denen diese Fähig- keit durch Auslaugen mit Wasser genommen worden ist, wieder in Gang bringen kann. Eine Reihe von noch nicht veröffentlichten Beob- achtungen an niederen Tieren, Eizellen, Kaulquappen usw. hatten ergeben, daß im Hefekochsaft und vor allem auch im Hefemacerations- saft und ferner in durch Ausziehen mit Alkohol aus Trockenhefe ge- wonnenen Produkten Stoffe vorhanden sind, die einen Einfluß auf den Gaswechsel verschiedener Zellarten besitzen. Es kommt allerdings wesentlich auf die Konzentration an, in der die Hefepräparate an- gewendet werden. Auf Grund der erwähnten Erfahrungen prüften wir die Atmung von Muskeln von normalen Tauben, ferner von solchen, die nach ausschließ- licher Ernährung mit geschliffenem Reis an alimentärer Dystrophie erkrankt waren und ferner von Tauben, die aus anderer Ursache sehr stark abgemagert waren. 1) Emil Abderhalden, dieses Archiv 1%8, 260. 1920. ?2) Meyerhof, Zeitschr. f. physiol. Chemie 101, 165. 1918; 102, 1, 185. 1918; dieses Archiv 1%0, 367, H. 28. 1918; 1795, 20. 1919. 142 E. Abderhalden und L. Schmidt: Weitere Beiträge zur Kenntnis Die Gewebsatmung wurde mittels Barcroftscher Manometer be- stimmt!). Hervorgehoben sei noch, daß die Manometer ständig auf Dichtigkeit geprüft wurden, weil die Erfahrung gezeigt hatte, daß unter Umständen Undichtigkeiten an den Hähnen auftreten können. Größte Sorgfalt wurde ferner auf möglichst gleichmäßige Zerkleinerung der Muskulatur verwendet. Von ausschlaggebender Bedeutung ist ferner die Zeit, in der die Muskulatur nach erfolgter Tötung des Tieres zur Anwendung kommt. Wir haben zu den vergleichenden Versuchen die Muskulatur sofort nach erfolgter Tötung der Tiere bzw..nach er- folgter Entfernung der Muskulatur aus dem Körper zerkleinert und verwendet. l. Sauerstoifverbrauch vom Brustmuskel einer nor- malen Taube mit und ohne Einwirkung von Hefekochsaft. Tabelle]. Muskel- 2 cmm 0, pro g menge Medium an abgelesen Muskel und g In: Stunde 0,5 1,8 Ringer 20 104 | 592,2 1,2 Ringer 2) 0,5 0,6 Helekochsatt a 9,7 wel Wie die vorstehende Tabelle zeigt, hatte der Zusatz von Hefekochsaft zu der Ringerschen Lösung keinen großen Einfluß auf den Sauerstoff- verbrauch. In anderen Versuchen war der Einfluß noch viel geringer. 2. Sauerstoffverbrauch vom Brustmuskel von an ali- mentärer Dystrophie erkrankten Tauben ohne und mit Zusatz von Hefekochsaft bzw. von Muskelkochsaft. Tabelle II, Taube Nr. 37. Muskel- N cmm 0, pro g menge Medium Va abgelesen Muskel und g an Stunde 0,5 1,8 Ringer 30 | 7,0 306,8 1,2 Ringer | 9) z E VI | 09 Eee 30 5,3 3676 2 1,2 Ringer } us 0,6 Hefekochsaft = 12 N !) Vgl. Siebeck im Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden Bd. VIII, S. 33—38. Die Ausschläge des Thermobarometers sind in den folgenden Tabellen jeweils schon berücksichtigt. von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. III. 143 Tabelle III, Taube Nr. 44. Muskel- En cmm 0, pro g menge Medium Verzuehszeit abgelesen Muskel und Min. g Stunde 0,364 4,0 Ringer 30 | 0,6 USA 0,309 4,0 Ringer 30 07 111,8 4,0 Kochsaft aus normalem 0,392 Taubenmuskel 30 1,7 226,0 0,387 4,0 alkoholischer Hefeextrakt 30 1,6 194,6 Der Sauerstoffverbrauch von Muskeln von an alimentärer Dystrophie im Gefolge ausschließlicher Ernährung mit geschliffenem Reis er- krankten Tauben war stark herabgesetzt. Durch Zusatz von Hefekoch- saft und ferner von Kochsaft aus normalem Taubenmuskel und endlich auch von alkoholischem Hefeextrakt aus hydrolysierter Hefe wurde der Sauerstoffverbrauch ganz bedeutend gesteigert. Die in Tabelle III angeführten absoluten Werte des Sauerstoffverbrauches sind kleiner ausgefallen als die in den beiden ersten Tabellen mitgeteilten ent- sprechenden Werte. Es liegt dies offenbar daran, daß bei den beiden ersten Versuchen der Muskel in kleine Würfel von etwa 1 mm Seiten- länge geschnitten worden war, während beim dritten Versuche Streifen von den ungefähren Maßen 1,7 zu 0,2 cm zur Verwendung kamen. - Die Tauben, deren Muskeln zu Versuch II und ILI verwendet worden waren, hatten vor ihrer Tötung die charakteristischen Krämpfe der alimentären Dystrophie gezeigt. Die Tiere waren außerordentlich stark abgemagert. Sie hatten 39 bzw. 35%, des Gewichtes verloren, das sie beim Beginn der Verfütterung von geschliffenem Reis besessen hatten. Es war nun zu prüfen, ob die sehr starke Abmagerung in Zusammen- hang mit der verminderten Muskelatmung stand oder aber, ob sie als charakteristischer Ausdruck für die im Gefolge der ausschließlichen Verfütterung von geschliffenem Reis auftretenden Erscheinungen war. Eine ‚Reihe von sehr stark abgemagerten Tauben, die an einer eigen- artigen, mit Schleimhautbelägen einhergehenden Krankheit litten, gaben uns Gelegenheit zu vergleichenden Studien. Es zeigte sich, daß auch hier (vgl. Tabelle IV) der Sauerstoffverbrauch der Muskulatur sehr stark herabgesetzt war. Auch hier ist der Einfluß des Zusatzes der oben erwähnten Art vorhanden. Tabelle IV, Taube Nr. 38. Muskel- | R cmm 0, pro g menge Medium Versuchszeit | gpgelesen | Muskel und g Min. Stunde 0,247 | 2,0 Ringer a3 Co 168 0,261 | 2,0 alk6holischer Hefeextrakt | 33 Da 185,4 0,216 | 2,0 alkoholischer Hefeextrakt 33 2,3 232,8 144 E. Abderhalden und L. Schmidt: Weitere Beiträge zur Kenntnis Tabelle V, Taube Nr. 52. Muskel- v nd lemm 0,prog_ menge Medium DE; ıszeit abgelesen Muskel nnd € 3 1: Stunde 0,331 ‘4,0 Ringer 30 0,11 18,2 0,320 | 4,0 alkoholischer Hefeextrakt 30 205 333 4,0 Kochsaft von normalem | 0,317 Taubenmuskel 30 | 1,70 —_ In Tabelle V ist der Sauerstoffverbrauch von Muskeln angegeben, die von einer Taubs stammten, die im Anschluß an die Ernährung mit geschliffenem Reis sehr stark abgemagert war — sie hatte 44%, des Anfangsgewichtes verloren —, die jedoch keine Krampferscheinungen aufwies. Die Körpsrtemperatur war auf 34,5° gefallen. Daß die Krampferscheinungen, die für die alimentäre Dystrophie im Gefolge von Reisernährung charakteristisch sind, in keiner direkten Beziehung zur Gewebsatmung bzw. zur Muskelatmung stehen, ergibt sich am deutlichsten aus den folgenden Beobachtungen. Tauben zeigen oft sehr schwere Krämpfe, obwohl das Körpergewicht noch nicht be- trächtlich abgenommen hat und vor allen Dingen der Brustmuskel noch recht gut im Stande ist. Der Brustmuskel solcher Tauben zeigte keine Herabsetzung des Sauerstoffverbrauches, Zusatz von Hefe- kochsaft bzw. von alkoholischem Hefeextrakt bzw. des in Aceton löslichen Anteils der mit Alkohol aus hydrolysierter Hefe ausgezogenen Produkte hatte in diesen Fällen keinen Einfluß (vgl. Tabelle VI—VIIE). Tabelle VI, Taube Nr. 53. Muskel- RS { cmm 0; pro g menge Medium Versuchszeit an abgelesen Muskel und Mi nun Stunde 0,218 4,0 Ringer 30 25 538 0,243 4,0 Ringer 30, 2a 988 492 0,224 4,0 alkoholischer Hefeextrakt 30 Dal | 440 0,227 | 4,0 Hefekochsaft N 30 1,8 0 380 Tabelle VII, Taube Nr. 55. Muskel- 5 { cmm O0; pro g menge Medium Versuchszeit abgelesen Muskel und g Min. Stunde 0,335 | 4,0 Ringer 30 2,5 | 370 0,304 | 4,0 Ringer 30 2,4 396 0,360 | 4,0 alkoholischer Hefeextrakt 30 | 2,8 366 von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wirkung. 145 Tabelle VIII, Taube Nr. 51. Muskel- Y hszeit cmm O0, pro £ menge Medium Let abgelesen Muskel und g Min. | Stunde 0,250 3,0 Ringer | 30 97 230 0,248 3,0 Ringer 30 245 228 0,230 3,0 Ringer | 30 2,6 255 0,208 3,0 Ringer | 30 2555 237 0,228 | 3,0 alkoholischer Hefeextrakt 30 17 163 3,0 acetonlöslicher Anteil des| | on | Hefehydrolysates | > | n 220 Wir haben schließlich folgende Versuche ausgeführt: Einer Taube, die an heftigen Krämpfen litt, die jedoch relativ wenig abgemagert war, wurde in leichter Äthernarkose ein Bein amputiert. Hierauf wurde der Sauerstoffverbrauch des M. gastrocnemius und des M. soleus festgestellt. Die Taube erholte sich rasch. Sie erhielt zur Be- kämpfung der Krämpfe 3mal je 1 ccm einer lproz. Lösung. von al- koholischem Hefeextrakt. Diese Lösung war als sehr wirksam erprobt. Die Krämpfe ließen in kurzer Zeit nach. Nachdem die Taube nach dem äußeren Befund vollständig normal erschien, wurde sie getötet und nun der Sauerstoffverbrauch der gleichen Muskeln des am Tier verblie- benen Beines festgestellt. Ein Unterschied im Sauerstoffverbrauch der untersuchten Muskeln vor und nach der Einspritzung des Hefeextraktes war nicht feststellbar. Es ergibt sich somit aus den vorliegenden Versuchen, daß die schwe- ren Störungen, die insbesondere von seiten des Nervensystems, aber auch von seiten der Verdauungsorgane und des gesamten Stoffwechsels bei der alimentären Dystrophie nach ausschließlicher Ernährung mit geschliffenem Reis bei Tauben zu beobachten sind, sich nicht aus einer herabgesetzten Gewebsatmung, soweit die Muskulatur in Frage kommt, erklären lassen. Ebensowenig kann die Hefewirkung von aus Hefe ge- wonnenen Stoffen mit der Beeinflussung der Muskelatmung in Zu- sammenhang gebracht werden. Damit ist noch nicht gesagt, daß nicht andere Gewebsarten, insbesondere das Nervensystem, in ihrer Atmung beeinträchtigt sind. Weitere Versuche müssen hier Klarheit schaffen. Anhangsweise sei noch der Beobachtung gedacht, daß Muskeln, deren Sauerstoffverbrauch stark herabgesetzt ist, nur dann von Hefe- kochsaft bzw. von alkoholischem Hefeextrakt günstig beeinflußt werden, wenn sie frisch sind. Läßt man die Muskeln nach erfolgter Entnahme aus dem Körper bzw. nach eingetretenem Tode 2 bzw. 19 Stunden liegen, dann hemmt der erwähnte Zusatz den Sauerstoffverbrauch ganz wesentlich. Vgl. die Tabellen IX und X. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 185. { 10 146 E. Abderhalden und L. Schmidt: Weitere Beiträge zur Kenntnis usw. Tabelle IX, Taube Nr. 37._ Muskel- Fa cmm 0,p menge Medium euch ze abgelesen | Muskel EN Min. g Mi lc " Stunde 0,5 1,8 Ringer 30 6,2 229,6 0,5 1,8 Ringer 30 7,3 315,6 1,2 Ringer 02 0,6 Hefekochsaft 2 13 55,2 1,2 Ringer ® 0,5 0,6 Hefekochsaft s0 1,4 54,4 Tabelle X, Taube Nr. 37. Muskel- De cmm 0, pro g menge Medium N abgelesen Muskel und g in: Stunde 0,5 1,8 Ringer 30 3,2 140,2 0,5 1,8 Ringer 30 22 zit 1,2 Ringer ’ 33 0,6 Hefekochsaft S 02 en | 1,2 Ringer u» 0,6 Hefekochsaft 30 12 —. Die Rotgrünblindheiten. Von C. von Hess in München. Mit 3 Textabbildungen. (Eingegangen am 16. August 1920.) Helmholtz hatte, ebenso wieschon Thomas Young, die Meinung vertreten, die angeborene partielle Farbenblindheit könne durch Fehlen bzw. Funktionsunfähigkeit einer der von ihm angenommenen drei Faserarten erklärt werden. Den Unterschied zwischen den beiden Hauptgruppen wollte er ursprünglich durch die Annahme erklären, der einen fehlten die rotempfindenden, der anderen die grünempfindenden Fasern; nachdem sich dies als nicht angängig erwiesen hatte, griff man zu der Leber-Fickschen Hilfshypothese, nach welcher der rotempfinden- den Faserart beim Rotgrünblinden die gleiche ‚„Erregbarkeitskurve‘“ zukommen sollte, wie der grünempfindenden; diese später von Helm- holtz selbst übernommene Hypothese wurde bekanntlich auch zur Erklärung der physiologischen Farbenblindheit der peripheren Netz- haut herangezogen. Ihre prinzipielle Unzulässigkeit und tatsächliche Unzulänglichkeit hat Hering (1880, 1889, 1890) eingehend dargetan, so daß sie hier nicht erneut zu besprechen ist. Auch ist kaum anzu- nehmen, daß angesichts der im folgenden mitzuteilenden neuen Tatsachen man noch an jenen Hilfshypothesen wird festhalten wollen. Wir verdanken Hering auch die für alle weiteren Forschungen grundlegende Feststellung, daß Rotblinde wie Grünblinde beide rot- grünblind sind; er unterschied sie als relativ Gelbsichtige und relativ Blausichtige. Zur Erklärung der Verschiedenheiten zwischen beiden Gruppen wies er unter anderem auf das Vorkommen verschieden starker Absorption in Linse und Macula sowie auf die Möglichkeit hin, „daß das Vermögen der lichtempfindlichen Netzhautschicht, das auf- treffende Licht teilweise in optische Erregung umzusetzen und also zu absorbieren, in bezug auf Lichter bestimmter Wellenlänge ein ab- norm großes oder kleines wäre, so daß größere bzw. kleinere Bruchteile der bezüglichen terminalen Lichter zu physiologischer Verwendung kommen würden als im normalen Auge.“ Schon 1885 betonte Hering ausdrücklich, daß. auch noch andere Faktoren große individuelle Verschiedenheiten des Farbensinnes bedingen. Im Hinblick auf fort- 10% 148 C. v. Hess: gesetzte falsche Wiedergabe seiner Darstellungen führe ich folgende Sätze an. (Lotos, Bd. VI, S.46.) „Neben den durch das Maß der Pigmentierung der Macula und der Linse veranlaßten Verschiedenheiten des Farbensinnes bedingt besonders das verschiedene Verhältnis, in welchem die drei Empfindungspaare des Lichtsinnes, nämlich die Weiß- Schwarzempfindung, die Blau-Gelbempfindung und die Rot-Grün- empfindung zueinander stehen, große individuelle Verschiedenheiten des Farbensinnes.“ Dies wird dann von Hering eingehend begründet, insbesondere auch im Hinblick auf die von ihm zuerst aufgedeckten Analogien zu den beiden Empfindungspaaren beim Rotgrünblinden. Eine befriedigende Erklärung der Verschiedenheiten zwischen den beiden Gruppen der Rotgrünblinden konnte bisher nicht gegeben werden; eine Förderung der Frage war nur von neuen Beobachtungen zu erwarten. Ich berichte im folgenden kurz über einige von mir zu dem Zwecke entwickelte Verfahren; sie geben die Möglichkeit, einige der wichtigsten einschlägigen Aufgaben auch messender Behandlung zu- gängig zu machen!). I. Untersuchung Grünblinder?), Rotblinder und total Farbenblinder am ‚Tunnel‘. Der von mir zu Farbensinnuntersuchungen viel benutzte, mannig- facher Anwendung fähige ‚Tunnel‘ ermöglicht in einfacher Weise die Herstellung von Gleichungen zwischen zwei freifarbigen Flächen, deren Lichtstärken durch Verschieben der zugehörigen Lichtquelle unab- hängig voneinander innerhalb weiter Grenzen meßbar variiert werden können. Die Anordnung, deren ich mich .zur Untersuchung der Farben- blindheiten vorwiegend bediene, ist aus nebenstehendem Schema (Abb. 1) zu entnehmen, in dem ich auch alle Hilfsvorriehtungen ein- getragen habe, von welchen je nach der vorliegenden Aufgabe so, wie das Folgende zeigt, bald diese, bald jene herangezogen wird. In einem etwa 2 m langen Tunnel sind die beiden Lampen Z, und Z, verschieb- lich, deren jede die betreffende Fläche des in der Tunnelmitte befindlichen matt- weißen Photometerkeiles P belichtet. Bei Gr. und R. steht eine freigrüne bzw. rote Glasplatte. Nach spektroskopischer Bestimmung läßt die erstere unter den hier in Betracht kommenden Verhältnissen vorwiegend Strahlen von etwa 550—530 tu !) Einige prinzipiell besonders wichtige Fälle von unvollständiger Rotgrün- blindheit, die ich im Anschlusse an diese Untersuchungen hier mitteilen wollte, müssen aus äußeren Gründen an anderer Stelle in einem besonderen Aufsatze erörtert werden. ?) Hinsichtlich der von mir benutzten Bezeichnungen verweise ich auf meine früheren Abhandlungen (vgl. insbesondere Arch. f. Augenheilk. 86, 318). Hier genüge, daß ich der Kürze halber die herkömmliche Bezeichnung ‚Rotblinde“ für die Rotgrünblinden mit Verkürzung des Spektrums am langwelligen Ende benutze, die Bezeichnung ‚„‚Grünblinde‘ für jene Rotgrünblinden, die das Spektrum am roten Ende ebenso weit oder noch weiter sehen als wir. Die Roterünblindheiten. 149 durch, letztere vorwiegend solche von 650—630 tt. Der rechten, roten Fläche kann mittels der Lampe L, angenähert farbloses bzw. schwach gelbliches Licht zugemischt werden, dessen Menge durch einen vor L, verschieblichen Graukeil sich nach Bedürfnis kontinuierlich variieren läßt. Der bei B sitzende Beobachter sieht durch ein innen geschwärztes Rohr und einen rechteckigen Ausschnitt in dem schwarzen Karton (C' die beiden der feinen senkrechten Kante unmittelbar Lz Gr. R La anliegenden Abschnitte des Photo- meterkeiles. Bei X läßt sich ein (elek- ING trisch betriebener) Episkotister ein- schieben. Der Abstand des Beobach- RS ters von dem Karton € betrug im H | | N sh Olz allgemeinen 70cm, der Ausschnitt in diesem war 1,5cm breit, 2cm a — hoch. Bei einigen Versuchen wurde erso klein gewählt, daß das Feld bei zentraler Fixation ganz foveal abge- bildet wurde. Ich habe dem Appa- 5 rate, der sich mir seit langer Zeit 8 gut bewährt, die geschilderte einfache Abbil. Form in erster Linie im Hinblicke auf die zur Zeit so großen Schwierigkeiten der Materialbeschaffung gegeben. Andern- falls würde ich die Regulierung der Lichtstärken wohl durch Linsenkombinationen und Irisblenden an Stelle des Tunnels herbeiführen. Er würde dadurch kompendiöser werden, in der Bequemlichkeit der Handhabung sowie der Einfachheit und Genauig- keit der Messungen wäre er wohl kaum zu übertreffen. Bei einschlägigen Untersuchungen legt man vielfach besonderen Wert auf Prüfung mit möglichst „gesättigten‘ Farben, während eine Reihe theoretisch wie praktisch wichtiger Abweichungen viel besser oder überhaupt nur mit mehr oder weniger stark mit Weiß bzw. Grau verhüllten (‚„ungesättigten‘‘) Farben aufgedeckt werden kann. Um am Tunnel bei möglichster Helladaptation, also verhältnismäßig hohen Lichtstärken kontinuierlich variable Weißverhüllung (s. u.) herbeizuführen, gehe ich in folgender Weise vor: Zwischen den Photometerkeilen und der vor ihnen stehenden kleinen Blende bei C wird eine ebene Glasplatte Sp unter einem Winkel von 45° aufgestellt; diese -wirft das Licht einer daneben vertikal stehenden Mattglasplatte M zurück, die von rückwärts mittels der „Hammerlampe‘“ H auf großem Felde gleichmäßig erhellt ist. Zwischen Hammerlampe und Mattglas ist wieder ein Graukeil X derart mit Zahntrieb verschieblich, daß die Lichtstärke des Mattglases innerhalb weiter Grenzen kontinuierlich (erforderlichen Falles auch bis zu einem gewissen Grade meßbar) variiert werden kann. Wenn ohne diese Zuspiegelung für den Be- obachter z. B. freies Rot und Grün oder Gelb und Blau sichtbar ist, so erscheint bei Zuspiegeln des ungeschwächten Hammerlampenlichtes für uns nur ein sehr helles Feld, in dem wir zunächst gar keine Farbe erkennen; wird nun der Graukeil so vor die Hammerlampe H gebracht, daß seine kantennahen Teile vor dieser stehen, so wird bei einer gewissen Keilstellung infolge der Minderung der zugespie- gelten Lichtmenge für. den Beobachter eben merkliches, noch sehr stark mit Weiß verhülltes Rot und Grün bzw. Gelb und Blau sichtbar, die Farben werden in dem Maße freier, als man den Graukeil vorschiebt. Auf diese Weise läßt sich leicht 150 ©. v. Hess: % ziemlich genau feststellen, ob für den Untersuchten die Farben angenähert gleich- zeitig oder aber merklich früher bzw. später sichtbar und unsichtbar werden als für uns, ob also unter den gegebenen Bedingungen Unterwertigkeitoder Über- wertigkeit für die betreffenden Farben besteht. Man kann dem Rot und Grün leicht solche Freiheitsgrade geben, daß bei zu- nehmender Weißverhüllung beide für uns angenähert gleichzeitig farblos werden oder aber die eine Farbe merklich früher als die andere usw. Die Beobachtungen dürfen selbstverständlich jeweils nur 1—2 Sekunden dauern; um das lästige Vor- halten und Wegziehen eines schwarzen Kartons auszuschalten, brachte ich an einem gewöhnlichen Metronom einen Karton mit passenden Ausschnitten an und stelle die Vorrichtung so auf, daß die Felder bei langsamem Schwingen des Pendels immer nur für etwa 1/,—1 Sekunde sichtbar und dann etwa 1 Sekunde lang unsichtbar sind. Von vielen Messungen mögen hier nur einige für unsere Frage besonders wichtige Platz finden. Es wird gleichzeitig ein Grün- blinder (Gr.), ein Rotblinder (R) und ein total Farbenblinder (T) in der Weise untersucht, daß auf der rechten Seite die Lampen L, und Z/, für das rote und das zugemischte, angenähert farblose Licht während der ganzen Versuchsdauer unberührt bleiben, alle Veränderungen also lediglich durch Verschieben der Lampe Z, für das Grün herbeigeführt werden. Ich stelle zunächst eine Gleichung für Gr. ein, dazu muß die Lampe L, im Mittel 22 cm entfernt stehen (Verschiebungen im Betrage von l cm genügen oft schon, um die Gleichung aufzuheben); der Rotblinde R. sieht die beiden Felder sehr verschieden; aber es genügt Zurück- schieben der Lampe auf 35 —36 cm, um für ihn eine in bezug auf Hellig- keit und Farbe genaue Gleichung herzustellen. Der total Farbenblinde sieht auch jetzt das linke Feld noch beträchtlich heller als das rechte; zur Herstellung einer Gleichung für ihn muß die Lampe auf 41—45 cm zurückgeschoben werden. Unter den gegebenen Verhältnissen wird also eine für den Grün- blinden gültige Gleichung zwischen freiem Rot und Grün lediglich durch Herabsetzen der Lichtstärke des Grün auf etwa 2/, (genau = 0,39) in eine Gleichung für den Rotblinden, und durch Herabsetzen auf etwa !/, (genau = 0,26) in eine solche für den total Farbenblinden umgewandelt. | In anderen Versuchsreihen untersuchte ich gleichzeitig 2 Rotblinde und 2 Grünblinde bei verschiedenen Lichtstärken und entsprechend verschiedenen Adaptationszuständen; auch hier wurden wieder alle Änderungen lediglich durch Variieren der Lichtstärke des Grün herbei- geführt. Für die beiden Rotblinden bestand Gleichung, wenn die Grün- lampe in 39—40 em Abstand sich befand, den beiden Grünblinden erscheinen beide Hälften sehr verschieden ; sie nennen die linke ‚„‚dunkel- grün“, die rechte ‚gelb‘ oder ‚orange‘. Bei Heranschieben der linken Die Roterünblindheiten. 151 Lampe auf 23 cm erklären beide Grünblinde, daß jetzt völlige Gleich- heit in bezug auf Helligkeit und Farbe für sie bestehe. Wird nun die Lichtstärke beider Hälften durch Zwischenschalten eines Episkotisters von 2° auf 1/180 herabgesetzt, so erklären beide Grünblinde bei Betrachten mit entsprechend dunkeladaptiertem Auge die linke (grüne) Hälfte als zu hell. Bei Zurückschieben der linken Lampe auf 35 cm erscheinen ihnen beide Hälften gleich. (Ich sehe jetzt mit mäßig dunkeladaptiertem Auge links dunkles Grün, rechts ein wenig helleres Rot.) Für die gleich lange dunkeladaptierten Rotblinden wird die von ihnen bei voller Lichtstärke eingestellte Gleichung durch Dunkeladaptation und Herabsetzung der Lichtstärke auf 1/180 auf- gehoben: das linke Feld erscheint ihnen jetzt ein wenig zu hell. Der- artige Versuche wurden mit verschieden starker Herabsetzung der Lichtstärken und verschiedenen Adaptationszuständen häufig wieder- holt. Diese Versuchsgruppe lehrt die wichtige Tatsache, daß eine bei verhältnismäßig hohen Lichtstärken und entsprechender Helladaptation vom Rotblinden eingestellte Gleichung bei gleichmäßiger Minderung der Lichtstärken beider Feld- hälften zur Gleichung für den ents a nd dunkeladap- tierten Grünblinden wird. II. Untersuchungen am Spektrum. Zur Untersuchung der mich beschäftigenden Fragen am Spektrum benutze ich unter anderem das folgende Verfahren, das neben seiner Einfachheit den großen Vorzug hat, daß man Rot- und Grünblinde gleichzeitig nebeneinander prüfen und ihre Angaben bzw. Einstellungen mehreren mitbeobachtenden Normalen vor Augen führen kann. Ich entwerfe mit einer 500kerzigen Nernstlampe ein etwa 20 cm breites Spektrum von ca 6 cm Höhe auf einer mattweißen Fläche, die ich schräg zum Gange der Strahlen so aufstelle, daß die etwa 1 m entfernt sitzenden Beobachter angenähert senkrecht auf die Fläche blicken. Zwischen dieser und dem Prisma ist eine senkrecht stehende polierte stählerne Strieknadel seitlich so verschieblich, daß ihr scharfer Schatten an jede Stelle des Spektrums gebracht werden kann. Ich lasse zu- nächst bei hoher Lichtstärke den Rotblinden den Schatten so ein- stellen, daß er für ihn mit dem langwelligen Ende des Spektrums zu- sammenfällt. Er bringt ihn in ein für uns schon ziemlich gelbliches Rot, so, daß wir auf der langwelligen Seite des Schattens noch ein an- sehnliches Stück vom roten Spektrumende sehen. Die dem Schatten entsprechenden Strahlen des Spektrums werden an der Oberfläche der Nadel zurückgeworfen und erscheinen uns als feine glänzende farbige 152 C. v. Hess: Linie; ein mit Wellenlängenskala versehenes Spektroskop ermöglicht für die vorliegenden Zwecke genügend genaue Bestimmung der Wellen- länge jener Strahlen, die der Gegend der Grenze des Spektrums»für den Rotblinden entsprechen. Oft wiederholte solche Bestimmungen er- gaben durchschnittlich Werte von etwa 650 uu bei solcher Lichtstärke des Spektrums, bei der dieses für den Normalen bis zu etwa 675 uu reicht. Mehrere gleichzeitig bei gleichem Adaptationszustande unter- suchte Grünblinde gaben an, das Spektrum wesentlich weiter zu sehen als die Rotblinden; mit der Nadel machten einige annähernd die gleichen Einstellungen wie wir, jedenfalls war auf diese Weise bei ihnen keine Verkürzung des Spektrums wahrzunehmen, für einige Grünblinde war es noch etwas weiter nach der langwelligen Seite sicht- bar als für uns. Versuche, die ich bei Tageslicht an einem geradsich- tigen Spektroskop mit Wellenlängenskala anstellte, ergaben den eben mitgeteilten entsprechende Verschiedenheiten zwischen Rotblinden und Grünblinden. Ich erwähne diese Versuche insbesondere auch, weil zu Unrecht behauptet worden ist, die Untersuchung der Grenze des Spektrums am langwelligen Ende sei eine „überaus unsichere“. Daß Lichtstärke und Adaptationszustand auf die Grenzen der Sichtbarkeit des Spektrums von großem Einflusse sind und daß daher vergleichende Versuche nur bei gleichen Lichtstärken und möglichst gleichen Adaptationszuständen vorzunehmen sind, bedarf als allgemein bekannt keiner erneuten Erörterung. Sind aber diese selbstverständlichen Voraussetzungen erfüllt, so lassen sich, wie das Vorstehende und auch das Folgende zeigt, mit genügender Genauigkeit vergleichende Bestimmungen anstellen, die nach verschiedenen Richtungen wichtig sind. In einer zweiten Versuchsreihe wurden die Rotgrünblinden auf- gefordert, den Schatten der vertikalen Nadel an die für sie hellste Stelle eines lichtstarken Spektrums zu bringen. Der Rotblinde stellte regelmäßig den Schatten in die Gegend des grünlichen Gelb ein, ent- sprechend einer mittleren Wellenlänge von etwa 550 uu, während die Grünblinden mehr ins Gelb oder leicht rötliche Gelb von etwa 580 bis 585 uu einstellten. Bei dieser letzteren Einstellung gab der Rotblinde an, daß das Spektrum für ihn rechts (d. h. nach der kurzwelligen Seite) von dem Schatten noch eine Strecke weit an Helligkeit zunehme, während umgekehrt bei der Einstellung des Rotblinden der Grünblinde angab, das Spektrum werde für ihn links vom Schatten noch eine Strecke weit heller. \ Nun wurde die Lichtstärke des Spektrums mittels Episkotisters mehr oder weniger stark herabgesetzt und für viele verschiedene Stär- ken bei verschieden weit vorgeschrittener Dunkeladaptation in gleicher Weise wie vorher die hellste Stelle für die Rotgrünblinden ermittelt. Das übereinstimmende Ergebnis zahlreicher derartiger vergleichender Beobachtungen war, daß schon bei mäßiger Abnahme der Lichtstärke Die Rotgrünblindheiten. 153 und entsprechender Zunahme der Dunkeladaptation die für den Grün- blinden hellste Stelle merklich nach der kurzwelligen Seite rückt, so daß sie immer näher zu jener herankommt, die fü_ den relativ helladaptierten Rotblinden die hellste war. Dies ist schon der Fall, wenn wir das Spektrum noch schön farbig sehen. Setzt man die Lichtstärke noch etwas mehr herab und läßt den Grünblinden noch etwas länger dunkeladaptieren, ‘so fällt die hellste Stelle für ihn dahin, wo das lichtstarke Spektrum für den helladaptierten Rotblinden am hellsten ist, oder sie rückt noch weiter grünwärts von dieser Stelle. Für den kurz dunkeladaptierten Rotblinden hat sich bei dieser Licht- stärke die hellste Stelle nur verhältnismäßig wenig grünwärts von der früheren verschoben, so daß jetztindem von beiden noch farbig gesehenen Spektrum die für sie hellsten Stellen nahezu zusammenfallen. Eine Vergleichung mit dem normalen Auge wird bei abnehmender Lichtstärke dadurch erschwert bzw. unmöglich, daß, wie Hering bemerkte, das lichtschwächere Spektrum sich vom lichtstärkeren in auffallender Weise dadurch unterscheidet, daß es röter und grüner erscheint, als das lichtstarke: ‚Im Spektrum von mittlerer Lichtstärke sieht man das reine Gelb ein wenig grünwärts von der Linie D, und das reine Blau etwas violettwärts von der Linie #. Im lichtschwachen Spektrum aber ist an den eben genannten Stellen das Urgelb und Urblau kaum erkennbar, vielmehr geht an der einen Stelle ein rötliches Gelb ohne deutliche Einschaltung von Urgelb in ein grünliches Gelb über, an der anderen Stelle ein grünliches Blau ebenfalls scheinbar unmittelbar in ein Rötlichblau über.‘“ So sah ich bei jenen Versuchen mit mäßig herabgesetzter Lichtstärke, wo die Rotgrünblinden noch deutlich Blau und Gelb sahen, vorwiegend Rot und Grün im Spektrum. Wird die Lichtstärke noch weiter gemindert und die Dunkeladap- tation genügend weit fortgesetzt, so sehen schließlich Normale und Rotgrünblinde das Spektrum farblos; dann ist es, wie bekannt, für alle drei an der gleichen Stelle, in der Gegend des gelblichen Grün bis Grün, am hellsten. Also auch bei diesen Versuchen über die Lage der hellsten Stelle im Spektrum wird, ebenso wie bei jenen am Tunnel, die für den hell- adaptierten Grünblinden charakteristische Art des Sehens lediglich durch mäßige Herabsetzung der Lichtstärke und ent- sprechende Dunkeladaptation in die für den helladap- tierten Rotblinden charakteristische übergeführt. Seebeck bemerkte (1837), daß Gleichungen zwischen 2 Pigmentflächen, die ein Rotblinder bei Tageslicht hergestellt hatte, einem Grünblinden bei Tage sehr ungleich erschienen, aber des Abends mit fortschreitender Dämmerung für ihn immer besser zutrafen. Die Beobachtung ist für die uns beschäftigenden Fragen nicht ohne weiteres zu verwerten, da die Möglichkeit einer während der langen Versuchsdauer erfolgten Änderung der Zusammensetzung des Tageslichtes nicht auszuschließen ist; erklärte doch Seebeck selbst seine Befunde aus einer solchen von ihm angenommenen Änderung im Sinne relativer Zunahme der kurz- 154 C©. v. Hess: welligen Strahlungen mit fortschreitender Abenddämmerung!). Nach unseren Befunden ist anzunehmen, daß bei jenen Beobachtungen Seebecks adaptative Änderungen wesentlich mitspielten, wenn nicht ausschlaggebend waren. III. Blaugelb-Unterwertigkeit der Rotblinden und ihre Messung. , Beobachtungen mit den vorher beschriebenen sowie insbesondere mit meinen farbenpupilloskopischen und perimetrischen Methoden hatten mich zu der Überzeugung geführt, daß bei den Rotblinden aus- gesprochene Unterwertigkeit für Blau und Gelb besteht. Hering hatte gelegentlich seiner grundlegenden Untersuchungen über individuelle Verschiedenheiten des Farbensinnes (1885) wohl erwähnt, daß unter den Farbentüchtigen die von ihm als relativ blausichtig Bezeichneten auch eine im Vergleich zur Weißempfindung weniger energische Rot- grün- und Blaugelb-Empfindung zu haben schienen und fügte hinzu: „Die analoge Beobachtung machte ich an Rotgrünblinden. Alle die- jenigen, bei welchen ich eine stärkere Absorption durch das gelbe Pigment annehmen mußte, schienen mir auch eine relativ kräftigere Blaugelb-Empfindung zu haben.“ Die Frage ist aber bisher nie Gegenstand genauerer Untersuchung gewesen. Da sie, wieich meine, für das ganze Problem der Rotgrünblindheiten und darüber hinaus auch für das der individuellen Verschiedenheiten des Farbensinnes von ein- schneidender Bedeutung ist, habe ich sie von verschiedenen Seiten in Angriff genommen und konnte den Nachweis einer Blaugelb-Unter- wertigkeit der Rotblinden mit 6 verschiedenen Methoden führen; mehrere von diesen gestatten auch eine gewisse messende Be- stimmung des Grades einer solchen. 1. Bei perimetrischen Untersuchungen mit den von mir entwickelten Methoden {Arch. f. Augenheilk. 86, 222 u. 317) hatte ich die überraschende Tatsache gefunden, daß alle Rotblinden merklich engere Grenzen für Blau und Gelb zeigen, als der Normale, während bei Grünblinden die Grenzen mit jenen beim Normalen zu- sammenfallen oder sogar wesentlich weiter peripher liegen als bei uns. Da ich ander- seits feststellen konnte, daß einer Einschränkung der Grenzen für eine bestimmte Farbe (auch bei nicht erworbenen Störungen) stets eine Unterwertigkeit auch in den mittleren, farbentüchtigen Teilen entspricht, so folgt schon aus jenen perimetrischen Messungen die Blaugelbunterwertigkeit des Rotblinden, !) Er schreibt (Poggend. Annalen XII) über die der zweiten von ‚hm beschrie- benen Gruppe Angehörigen (d. s. die Rotblinden): „Sie haben, was bei der ersten Klasse nicht der Fall ist, nur eine geschwächte Empfindung von den wenigst brechbaren Strahlen. Dieser letztere Umstand ist es allein oder vorzugsweise, auf welchem der Unterschied zwischen beiden Klassen beruht... Inder Dämmerung verschwinden bekanntlich die wenigst brechbaren Strahlen zuerst aus dem Lichte der Atmosphäre, wodurch die bekannten Veränderungen in dem Aussehen der Farben entstehen. Hier muß also, wenn der Mangel an Empfindung für jene Strah- len den Unterschied beider Klassen begründet, der Zustand der ersten Klasse in den der zweiten übergehen.‘ Die Roterünblindheiten. 155 und der Grad der Einschränkung kann einen gewissen Maßausdruck für den Grad (der Unterwertigkeit geben. Die Einschränkung ist nach meinen bisherigen Erfah- rungen für Blau und Gelb angenähert gleich, es besteht also nach der von mir vorgeschlagenen Bezeichnungsweise keine nennenswerte Blaugelbungleichheit (während bei vielen individuellen Verschiedenheiten des Farbensinnes mehr oder weniger hohe Grade von Rotgrünungleichheit häufig sind). 2. Es war bisher nicht versucht worden, die sogenannte „spezifische Schwelle“ für Blau und Gelb bei Rotgrünblinden zu bestimmen, d. h. die kleinsten Mengen von Blau bzw. Gelb zu ermitteln, die einem Grau zugemischt werden müssen, ‚damit der Untersuchte dieses mit den mittleren Netzhautteilen eben farbig sieht. Das Folgende zeigt, von wie großem Werte messende Methoden zu vergleichender Bestimmung dieser Schwellen bei Normalen und Rotgrünblinden für die Frage der Blau-Gelbwertigkeit Rotgrünblinder sind. Von mehreren Verfahren, die ich zu Abb. 2. dem Zwecke durchprüfte, haben sich mir schließlich die beiden folgenden am besten bewährt; ich schildere sie etwas eingehender, da sie mir auch bei messender Unter- suchung der individuellen Verschiedenheiten des Farbensinnes gute Dienste tun. Unter meinen farbigen Papieren fand ich ein Gelb und ein Blau, die, am Kreisel in passenden Mengen gemischt, farbloses Grau (ohne merkliche Rötlichkeit oder . Grünlichkeit) geben, so daß genaue Gleichungen mit einem grauen Papier meiner Sammlung möglich sind. Zu dem Zwecke wird letzteres, auf einen Karton ge- spannt und mit einer kleinen runden scharfrandigen Öffnung von 0,52 mm versehen, um seine senkrechte Achse drehbar so aufgestellt, daß der Beobachter ‚dieses Grau als ‚Umfeld‘ sieht, in welchem durch das kleine Loch das am Kreisel K aus Blau und Gelb gemischte Grau als „‚Infeld‘ sichtbar wird (Abb. 2: 8). Durch leichtes Drehen des grauen Schirmes S zum einfallenden Lichte bringt man beide auf gleiche Helligkeit, so daß also Infeld und Umfeld genau gleich erscheinen. Es ist jetzt nur das Werhältnis von Blau zu Gelb auf den Kreiselscheiben K so lange zu variieren, bis dem Beobachter das Infeld eben merklich bläulich bzw. gelb- lich erscheint, wenn es durch passendes Drehen der grauen Fläche zum Lichte 156 C. v. Hess: mit dieser auf gleiche Helligkeit gebracht ist. Um das lästige und zeitraubende Wechseln und Abmessen der jeweiligen Sektorengrößen zu vermeiden, bediene ich mich der folgenden Methode. Die eine, z. B. gelbe Scheibe wird nicht, wie üblich. in einer radiär verlaufenden Geraden aufgeschnitten, sondern in einer Kurve von solchem Verlaufe, daß die von den verschiedenen Punkten derselben zur Scheibenmitte -gezogenen Radien für je einen Millimeter Abstandsunterschied je einen Winkel von 1° einschließen!). Wenn also bei passender Verbindung dieser- gelben mit der blauen Scheibe an den dem Scheibenmittelpunkte zunächst ge- legenen Stellen z. B. 140° Blau mit 220° Gelb gemischt sind, so sind an einer 2,5 cm bzw. 5cm oder 9cm von der Mitte entfernten Stelle die Mengen des Blau 165° bzw. 190° und 230° usw. Rotiert die Scheibe bei diesem Blau-Gelb-Verhältnis, so sieht man in den mittleren Scheibenteilen farbloses Grau, dasnach dem Scheiben-- mittelpunkte hin allmählich in ein mit Grau verhülltes, weiterhin etwas freier werdendes Gelb, nachı der Scheibenperipherie hin in ebensolches Blau übergeht. Verschiebt man nun vor dem Kreisel den grauen Schirm S mit der kleinen zentralen Öffnung seitlich so, daß durch letztere der Reihe nach verschieden weit von der Achse entfernte Stellen der rotierenden Scheibe sichtbar werden, so läßt sich bei passender Anordnung leicht ermitteln, innerhalb welcher Grenzen der Verschiebung von verschiedenen Beobachtern das Loch mit dem umgebenden Grau gleich gesehen wird, bzw. wann es eben anfängt merklich bläulich oder gelblich zu werden. (Unter den von mir gewählten Bedingungen ist der Übergang von Grau zu Gelb bzw. Blau so allmählich, daß das Loch stets an allen Stellen gleichmäßig grau bzw. gleich gefärbt erscheint.) Zu vergleichenden Messungen ist nun nur noch erforderlich, daß die Stellung der verschiedenen: Beobachter zu Fläche und Kreisel genau die gleiche sei, was durch eine Kopfstütze- mit passender Visiervorrichtung leicht erreicht wird?). Das Auge des Beobachters folgt bei unveränderter Kopfhaltung den Bewegungen des grauen Schirmchens 8, das ca. 25 cm vor dem Auge senkrecht zur Verbindungslinie zwischen diesem und der Scheibenmitte mittels des Zahntriebes Z meßbar seitlich verschoben wird und so äufgestellt ist, daß es die etwa 15 cm hinter der grauen Fläche befindlichen Kreiselscheiben nicht beschattet. Der Träger des grauen Schirmes $ ist mit einem Zeiger versehen, der bei der Seitenverstellung längs einer unter dem Kreisel an- gebrachten Skala gleitet, an der man für jede Stellung des Loches in dem grauen: Schirme unmittelbar abliest, welche Stelle der rotierenden Scheiben eben durch das Loch sichtbar ist. Das Verfahren ist leicht zu handhaben und gibt auch bei weniger Geübten überraschend genaue Resultate. Ich habe damit eine größere Zahl von Normalen und Rotgrünblinden untersucht®). Die Grenzen, 1) Bei anderen Versuchsreihen benutzte ich Scheiben, bei welchen für jeden Zentimeter Abstandsunterschied die Sektorgröße nur um 3° variierte. ?) Ich benutze dazu das in der Abbildung wiedergegebene Stativ einer Zeib- schen Binokuijarlupe. 3) Über meine Messungen mit roten und grünen Scheiben an dem Apparate bei verschiedenen Formen der individuellen Verschiedenheiten des Farbensinnes werde ich in anderem Zusammenhange berichten. Das Verfahren ist, zum Unter- schiede von den üblichen Methoden für die Rayleighgleichung, nicht nur zur Diagnose selbst geringer Abweichungen von der Norm besonders geeignet, sondern ergibt auch den Grad der Abweichung im Sinne einer Rotgrünverschiedenheit; außerdem läßt es etwa bestehende Über- oder Unterwertigkeiten, und zwar nicht nur für Rot und Grün, sondern auch für Blau und Gelb erkennen, was alles mit den bisher üblichen Methoden nicht möglich war. Die Rotgrünblindheiten. 157 innerhalb deren das Verhältnis des gelben Sektors zum blauen geändert werden kann, ohne daß die Mischung auf- hört, grau gesehen zu werden, sind beim Grünblinden jenen beim Normalen ähnlich oder gleich, zum Teile merklich enger als bei uns, dagegen bei den von mir untersuchten Rotblinden merklich weiter als beim Normalen, m.a. W.: Die „spezifische Schwelle‘ für Blau und Gelb ist beim Rot- blinden im Vergleiche zu jener beim Grünblinden und beim Normalen merklich erhöht, es bestehteeine zahlenmäßigaus- drückbare Blau-Gelb-Unterwertigkeit. Die folgenden Beispiele mögen eine Vorstellung von den in Betracht kommenden Werten geben. In einer vergleichenden Messungsreihe konnte für mein Auge der Blausektor nur zwischen 205° und 210° variiert werden, ohne daß das Infeld aufhörte, rein grau zu erscheinen, bei weniger als 205° sah ich es gelblich, bei mehr als 210° bläu- lich; bei 2 Rotblinden dagegen konnte der Blausektor zwischen 197° und 214° variiert werden, ohne daß ihnen das Infeld merklich farbig erschien. Innerhalb des Gebietes von 197° bis 205° Blau sah ich also das Infeld deutlich gelb, während es den Rotblinden noch farblos erschien, innerhalb 210° und 214° sah ich es blau, der Rotblinde noch farblos. Ähnliche Werte fand ich bei 3 anderen Rotblinden, während für alle von mir untersuchten Grünblinden die Werte den meinigen ähnlich oder gleich waren, zum Teile sich noch innerhalb merklich engerer Grenzen bewegten, als für mich. Entsprechende Ergebnisse erhielt ich bei Benutzung des Lummer-Brodhunschen Würfels an Stelle des grauen Schirmes in der sogleich zu besprechenden Anordnung. Die geschilderte Einrichtung hat den großen Vorzug Besonders einfacher und leichter Handhabung auch für weniger Geübte, aber den kleinen Nachteil, daß die Ränder des Ausschnittes im Schirme 8 auch bei sorgfältigem Ausschlagen immer noch als feiner schwarzer Kontur sichtbar sind, der, insbesondere bei direktem Sehen, die Be- obachtung etwas erschweren kann. Um auch dies zu vermeiden, be- nütze ich vielfach einen Lummer-Brodhunschen Würfel, durch dessen etwa 4 mm messendes Infeld die rotierenden Scheiben sichtbar werden, während das Umfeld hier von dem an einem seitlich aufgestellten weißen Karton zurückgeworfenen Lichte erhellt wird. Dieser ist um . seine senkrechte Achse drehbar und man gibt ihm daher leicht solche Stellung zum einfallenden Lichte, daß er genau gleiche Helligkeit mit dem farblosen Infelde hat; jetzt sind überhaupt keine Konturen mehr zu sehen, Infeld und Umfeld bilden eine gleichmäßige Fläche. Man verfährt also bei dieser zweiten Methode zum Messen in ähnlicher Weise wie früher, nur bestimmt man hier die Grenzen, innerhalb deren das Infeld bei wechselndem Blau-Gelb- (bzw. Rot-Grün-) Verhältnis für verschiedene Beobachter vollkommen verschwindet. Das Ver- fahren ist wohl das vollkommenste und bewährt sich auch gut bei Be- stimmung der Gesichtsfeldgrenzen. (Vgl. auch Zeitschr. f. Augenheilk. 43, 36, 1920.) ö 158 C. v. Hess: 3. Ein weiteres zur messenden Bestimmung der Blaugelb-Unter- wertigkeit von mir benütztes Verfahren lehnt sich an eine (Zeitschr. f. Augenheilk. 43, Festschrift für Kuhnt) von mir beschriebene Methode an, der ich für meine besonderen Zwecke folgende Form ge- geben habe. (Abb. 3.) | Zwei mit Grau verhüllte blaue und gelbe Flächen F werden dicht über- einander aufgestellt, ein in passender Entfernung stehendes doppelbrechendes (Senarmontsches) Prisma P steht so, daß das außerordentliche Bild der gelben sich mit dem ordentlichen der blauen Fläche deckt; durch Drehen eines Nicol N variiert man meßbar die Intensitäten des Gelb und Blau!). Der Beobachter sieht durch ein kurzes mit Lupe versehenes Rohr R einen grauen Schirm S, aus dessen Z RK Abb. 3. Mitte ein rundes, scharfrandiges Loch ausgeschlagen ist, das sich genau vor der Mitte des Nicol befindet, die richtige Blickrichtung wird durch eine kreuzförmige Blende gesichert, in deren Mitte das Schirmloch gesehen werden muß. Durch Drehen des grauen Schirmes zum Lichte gibt man diesem gleiche Helligkeit mit dem Infelde, das bei Drehen des Nicol bald rein grau, bald mehr oder weniger ausgesprochen gelblich bzw. bläulich gesehen wird. Lokale Adaptation läßt sich wieder durch die oben geschilderte Pendelvorrichtung vermeiden. Es wird ermittelt, innerhalb welcher Grenzen der Nicol gedreht werden kann, ohne daß das Infeld aufhört, dem Beobachter farblos grau zu erscheinen. Einer Tabelle entnimmt man für jede Nicolstellung die jeweilige Intensität der Strahlungen. Ich habe für den vor- liegenden Zweck ein stark mit Grau verhülltes Blau und Gelb benützt, weil bei freierem Gelb und Blau für den Beobachter schon Nicoldrehungen von kleinen !) Die beiden Flächen F stelle ich unabhängig voneinander zum einfallenden Lichte drehbar auf, um so beiden das für die jeweilige Beleuchtung usw. zweck- mäßigste Lichtstärkenverhältnis geben zu können. Die Rotgrünblindheiten. 159 Bruchteilen eines Grades genügen können, um den Übergang von Blau zu Gelb her- beizuführen, was die Ablesungen unnötig erschwert!). Auch hier zeigt sich bei vergleichenden Messungen, daß für den Grünblinden die gleiche Größe der Nicoldrehung wie für uns (oder eine noch kleinere) genügt, um das Infeld deutlich bläulich bzw. gelb- lich erscheinen zu lassen, während es für den Rotblinden auch bei merklich größeren Nicoldrehungen noch farblos grau erscheint; auch dieses Verfahren gestattet leicht genaue Messungen, die mir, zu verschiedenen Zeiten wiederholt, merklich gleiche Ergebnisse lieferten. So konnte z. B. in einer Versuchsreihe für mein Auge der Nicol nur zwischen 44° und 45° gedreht werden, ohne daß das Infeld aufhörte grau zu erscheinen, während für 2 Rotblinde Drehungen zwischen 42° und 47° erfolgen konnten, bevor das Infeld anfing, gelblich oder bläulich zu werden. Die entsprechende Intensität der blauen Strahlung liegt für mein Auge zwischen 0,94 und 1, für das der Rotblinden zwischen 0,81 und 1,14. 4. Handelt es sich nicht um genauere messende Bestimmung der Blau-Gelb-Unterwertigkeit, sondern nur um Feststellung des Vor- handenseins einer solchen, so benutze ich gern den Tunnel mit der oben (Seite 149) geschilderten Zuspiegelungsvorrichtung. Es wird im Tunnel ein freies Gelb und Blau sichtbar gemacht und diesem zunächst so viel angenähert farbloses Licht zugespiegelt, daß der untersuchte Rotblinde ein helles, völlig farbloses Feld zu sehen angibt. Nun wird das zugespiegelte Licht durch Graukeilverschiebung allmählich so weit gemindert, bis der Rotblinde angibt, eben die ersten Spuren von Blau ‚oder Gelb zu sehen, und hierauf wieder so viel farbloses Licht mehr zugespiegelt, bis er angibt, daß eben die letzte Spur von Farbe für ihn geschwunden sei. Der Normale sieht dann noch deutliches, wenn auch stark mit Weiß verhülltes Blau bzw. Gelb. Grünblinde, in der gleichen Weise untersucht, zeigen auch hier keine Unterwertigkeit, verschiedene geben an, noch Gelb oder Blau zu sehen, wenn für uns keine deutliche Spur mehr davon sichtbar ist. 5. Endlich habe ich auch am Spektrum hierher gehörige Versuche an- gestellt. Zunächst ging ich so vor, daß ich im Dunkelzimmer ein licht- starkes Spektrum entwarf und dieses allmählich durch Spaltverengerung abschwächte und die gleichzeitig ins Dunkelzimmer gekommenen, also angenähert gleich dunkeladaptierten Rotblinden und Grünblinden auf- forderte anzugeben, wann bei abnehmender Lichtstärke das: Gelb, das bei dem von mir benutzten Spektrum’ länger sichtbar bleibt als das !) Auch zu messender Untersuchung der Hemeralopie bei verschiedenen Belichtungsstärken aus den von mir entwickelten Gesichtspunkten (Arch. f. Augen- heilk. 8%. 1920) ist der Apparat vorzüglich geeignet; es ist dazu nur erforderlich, die bunten Täfelchen @urch ein schwarzes und weißes bzw. hell- und dunkel- graues zu ersetzen. 160 C. v. Hess: Blau, für sie farblos bzw. unsichtbar wird, und umgekehrt, wann es bei allmählicher Erweiterung des geschlossen gewesenen Spaltes wieder auftaucht. Ich konnte bei solchem Vorgehen keine sicheren Unter- schiede zwischen den Rotblinden und Grünblinden feststellen; wohl aber traten solche regelmäßig deutlich hervor, wenn ich entsprechende Versuche bei relativ helladaptierten Rotgrünblinden vornahm. Ich öffnete zu dem Zwecke den Laden des Dunkelzimmers so weit, daß die Fläche, auf der ich das Spektrum entwarf, ohne letzteres hell weiß gesehen wurde; öffnete ich nun den Spalt für das Spektrum, so erschien mir dessen langwellige Hälfte auf dem weißen Schirme als stark mit Weiß verhülltes Rot bzw. Orange, Gelb und grünliches Gelb, bei Spaltverengerung wurde die Weißverhüllung bald so stark, daß ich auf dem hellen Grunde keine Farben mehr unterscheiden konnte. Unter diesen Bedingungen gaben die Rotblinden regelmäßig an, keine Farbe mehr zu sehen, wenn die Grünblinden noch deutliches Gelb sahen. Wurde umgekehrt der geschlossene Spektrumspalt all- mählich geöffnet, so gaben regelmäßig die Grünblinden an, daß auf der weißen Fläche schwaches Gelb auftauche, wenn die Rotblinden davon noch nichts sahen. Diese Erfahrungen waren für mich wesent- lich mitbestimmend, bei vergleichender Untersuchung Rotblinder und Grünblinder weiterhin vorwiegend solche Methoden auszuarbeiten, bei welchen die weißverhüllten blauen und gelben Farben bei möglichst hohen Lichtstärken sichtbar gemacht werden (s. 0.). 6. Über meine pupilloskopischen Untersuchungen an Far- benblinden wird in anderem Zusammenhange ausführlicher zu be- richten sein; hier muß folgendes genügen. Die pupillomotorischen: Werte verschiedenfarbiger Lichter konnte ich in der Weise bestimmen, daß ich mit dem zu dem Zwecke von mir konstruierten Differential- Pupilloskop ein in seiner Stärke konstant bleibendes freifarbiges Glas- licht und ein in seiner Stärke kontinuierlich und meßbar variables an- genähert farbloses Licht in raschem Wechsel auf das untersuchte Auge wirken ließ. Auf diese Weise werden bei Einhalten der erforderlichen Vorsiehtsmaßregeln genaue Messungen möglich. Nebenstehende Tabelle gibt einige wenige von den so erhaltenen Werten wieder!). (Die Zahlen bedeuten die Menge des jeweils zum Auge gelangenden farblosen Lichtes in Prozenten der Stärke der zu den Versuchen dienenden Lichtquelle.) Total Farben- Normaler Grünblinder KRotblinder Binder GelplichespRotemen 9—11 911 1222 <0,6 Rötliches Gelbe wen a 16—20 16—20 13,2 6 Blau:n 8. ar 1,5 2,5 155-2,5 2—4 9,9—11,8 Die motorischen Werte für Rot und Blau sind beim Grünblinden im allgemeinen jenen beim Normalen ähnlich oder gleich (bei einigen !) Genaueres über die Methode s. Arch. f. Augenheilk. 80, 4. 1916. Die Rotgrünblindheiten. 161 Grünblinden fand ich für Rot etwas größere motorische Werte); beim Rotblinden dagegen sind die Werte für Rot wesentlich kleiner, jene für Blau in der Regel merklich größer als beim Normalen; beim total Farbenblinden sind jene für Rot noch kleiner, die für Blau noch größer als beim Rotblinden; also auch hinsichtlich dieser pupillo- motorischen Werte steht der Rotblinde zwischen dem Grün- blinden und dem total Farbenblinden. Ferner scheinen mir die folgenden neuen Befunde am Pupillo- skop von großem Interesse:. Wirkt auf ein normales Auge ein blaues und ein gelbes Lieht im raschen Wechsel, so erfolgt innerhalb gewisser Grenzen bei Auftauchen eines jeden von beiden Pupillenverengerung, eine Erscheinung, die wir kurz als Wechselverengerung bezeichnen wollen. Für eine bestimmte Stärke beider Lichter ist die Wechsel- verengerung bei Erscheinen des Blau ebenso groß wie bei Erscheinen des Gelb. Wird nun die Stärke des einen farbigen Lichtes allmählich gemehrt bzw. gemindert, so bleibt die Wechselverengerung zunächst noch sichtbar, nur verengt sich bei Erscheinen dieses Lichtes die Pu- pille merklich mehr bzw. weniger als bei Erscheinen des anderen. Es läßt sich so unschwer die obere und untere Grenze der Lichtstärke bestimmen, bei der die Wechselverengerung noch eben merklich ist; das Lichtstärkengebiet, innerhalb dessen sie erfolgt, bezeichne ich als Breite der Wechselverengerung. Systematische Messungen er- geben, daß diese c. p. um so größer ist, je freier (gesättigter) die be- nützten farbigen Lichter sind; sie kann also einen gewissen Ausdruck für die Freiheit geben, in der eine Farbe bzw. ein Farbenpaar von dem untersuchten Auge gesehen wird. Eine annähernde Vorstellung von dem etrage der hierbei in Betracht kommenden Verschiedenheiten kann man auf folgende Weise erhalten: Im normalen Auge nimmt bekannt- lich e. p. mit»zunehmender Dunkeladaptation die Freiheit der Farben ab, da hierbei die Weißempfindlichkeit allein oder doch verhältnis- mäßig viel mehr zunimmt als die Farbenempfindlichkeit. Ich be- stimmte die Breite der Wechselverengerung für verschiedene farbige Glaslichter bei verschieden stark herabgesetzter Lichtstärke und ent- sprechend vorgeschrittener Dunkeladaptation an meinem normalen Auge. Eine gesetzmäßige, z. T. beträchtliche Abnahme der Breite der Wechselverengerung läßt, sich schon bei verhältnismäßig geringer Abnahme der Lichtstärke und entsprechend geringer Zunahme der Dunkeladaptation feststellen und messend kennzeichnen. In einer Versuchsreihe an meinem Auge entsprach der motorische Wert des benutzten Rot bei voller Lichtstärke 11,1%, bei Herabsetzung der Lichtstärke auf 1/& (Episkotister — 60°) 4,3% ; die Breite der Wechselverengerung war bei voller Lichtstärke — 4,1, nach Herabsetzung auf !/;, und entsprechender Dunkeladap- tation nur noch 1,6. Für ein Blau und Gelb war die Breite der Wechselverengerung bei voller Lichtstärke — 2,7, nach Herabsetzung der letzteren auf !/, und Dunkel- Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 155. 11 N 162 C. v. Hess: adaptation nur noch = 1,2. (Beim total Farbenblinden fehlt die Wechselver- engerung.) Vergleichende Bestimmungen bei Normalen, Grünblinden und Rot- blinden ergaben mir nun, daß unter gleichen Bedingungen hinsichtlich Lichtstärke und Adaptation usw. die Breite der Wechselverenge- rung für Blau-Gelb beim Grünblinden jener beim Normalen ähnlich (z.T. sogar größer), dagegen bei allen von mir unter- suchten Rotblinden kleiner ist als beim Normalen; mit anderen Worten: Die Bestimmung der Breite der motorischen Wechselverengerung gestattet unabhängig von den An- gaben des Untersuchten die Feststellung, daß blaue und gelbe Lichter vom Rotblinden weniger gesättigt gesehen werden als c.p. vom Normalen. Eine Reihe zum Teil schon bekannter, im vorstehenden kurz be- rührter, zum Teil von mir gefundener Erscheinungen, für die eine befriedigende Erklärung bisher nicht möglich war, wird durch die neuen Beobachtungen leicht verständlich. Ich muß mich hier auf einige kurze Andeutungen beschränken. A.v. Tschermak wies (1898, 1900) auf den relativ hochgradigen Einfluß der Adaptation auf das Farbensehen der Grünblinden gegen- über dem verhältnismäßig geringen bei Rotblinden hin. Er vermutete danach, der typische Unterschied zwischen beiden Gruppen könne durch verschiedenes Verhalten der Hell-Dunkel-Adaptation beider er- klärt werden. Lastzteres hat sich nicht bestätigt, unsere Befunde machen aber verständlich, wie leicht eine solche Vermutung aufkommen konnte; denn das Verhältnis zwischen farbiger und farbloser Emp- findungskomponente könnte an sich durch verschieden rasche bzw. verschieden ausgiebige Dunkeladaptation zum Teil in ähnlicher Weise geändert werden, wie es tatsächlich infolge der besprochenen Unter- schiede der Stärke der Blau-Gelb-Empfindung bei .Rotblinden und ie blinden der Fall ist. — Mache ich an meinem Apparate zur klinischen arena des Farbensinnes (Arch. f. Augenheilk. 86, 228) die um ihre wage- rechte Achse drehbare graue Fläche mit einem Loche von etwa 0,5 bis 1 mm Durchmesser und durch dieses ein reines Blau sichtbar und bringe durch Drehen der grauen Fläche zum Lichte letztere mit dem für mich schön blauen Pünktchen für eine bestimmte extramaculare Netzhautstelle auf möglichst gleiche Helligkeit, so erscheint dem Rot- blinden bei gleicher Exzentrizität das Pünktchen, das er als bläulich- grau oder als fast farblos bezeichnet, im allgemeinen etwas heller als die graue Fläche. In der von ihm zwischen Fläche und Pünktchen ein- gestellten Helligkeitsgleichung sehe ich das blaue Pünktchen meist dunkler Die Rotgrünblindheiten. 163 als die Fläche. Das Umgekehrte gilt für Gelb: In der vom Rotblinden eingestellten Helligkeitsgleichung sehe ich das gelbe Fleckchen merk- lich heller als die graue Fläche, in der von mir eingestellten Gleichung sieht der Rotblinde das gelbe Fleckchen meist dunkler als das um- gebende Grau. — Wenn wir für den total Farbenblinden Gleichungen z. B. zwischen einem Lichte aus der Nähe des langwelligen Spektrumendes und an- deren homogenen Strahlungen herstellen, erhalten wir die aus Herings klassischen Untersuchungen bekannte Kurve der relativen Helligkeiten mit dem Maximum im Gelbgrün (in der Gegend der Linien E und b) und dem charakteristischen steilen Abfalle nach dem langwelligen Spektrumende. i Wenn nun in einem solchen, zunächst als total farbenblind an- genommenen Auge eine äußerst schwache, nur eben merkliche Blau- Gelb-Empfindung auftritt, und wir stellen wiederum derartige Glei- chungen zwischen einem Lichte vom roten Spektrumende und anderen homogenen Strahlungen der langwelligen Hälfte des Spektrums her, so muß sich eine Kurve ergeben, die jener des total Farbenblinden sehr ähnlich, deren Gipfel aber ein wenig nach der langwelligen Spektrum- seite gerückt ist, um so mehr, je mehr die Blau-Gelb-Empfindung im Verhältnis zur farblosen Empfindungskomponente hervortritt. Für die Lage des Kurvengipfels werden diese Verhältnisse am eindringlichsten durch die oben geschilderten Spektrumversuche veranschaulicht. Schreiten wir so allmählich bis zu einer besonders kräftigen Blau-Gelb- Empfindung!) vor, so lassen sich in dem in Rede stehenden Spektral- gebiete bekanntlich noch immer genügende Gleichungen der fraglichen Art herstellen; bei den sich jetzt ergebenden Kurven wird der Gipfel immer mehr nach dem langwelligen Spektrumende verschoben sein. . Kurz, wir erhalten für alle denkbaren Übergänge vom total Farbenblinden 'zum Rotgrünblinden mit relativ starker Gelbempfindung eine unendlich große Zahl von Kurven zwischen der für den total Farbenblinden und der für jene blaugelbüberwertigen Grünblinden charakteristischen. Zwei von diesen Kurven entsprechen den als ‚„Eichwertkurven‘“ der Ver- teilung der ‚„Rotwerte‘ im Spektrum für ‚Deuteranopen‘“ und ‚Pro- tanopen‘“ beschriebenen; die Kurve für letztere liegt zwischen der für „Deuteranopen“ und der für total Farbenblinde charakteristischen, ganz so, wie der Fall sein muß, wenn im Verhältnis zur Schwarz-Weiß- !) Hering schrieb schon 1880: „Rotgrünblinde, denen das Spektrum nicht verkürzt erscheint, sehen wahrscheinlich statt des Spektralrot ein Gelb von größerer Sättigung, als wir es jemals sehen können, dern für uns ist das tonreine Spektral- gelb stark mit Weiß vermischt und schon im Orange erscheint uns das Gelb mit Rot versetzt, welches dann das Gelb mehr oder weniger übertönt.‘“ 11* 164 C. v. Hess: Die Rotgrünblindheiten. Empfindung die Blau-Gelb-Empfindung des ‚‚Protanopen‘“ hinter jener des ‚„‚Deuteranopen‘‘ entsprechend zurücksteht. Also auch in diesen „Eichwertkurven‘‘ kommt lediglich zum Ausdrucke, daß Rotblind- heit eine Zwischenstufe zwischen Grünblindheit und totaler Farbenblindheitist. (Damit steht in Einklang, daß bei Gleichungen zwischen einem homogenen und einem aus Kot und Blau gemischten Lichte für die Blauwerte kein konstanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen der Rotgrünblinden besteht. ) IV. Zusammenfassung. l. Es werden mehrere neue Methoden, in erster Linie zu messender Untersuchung der verschiedenen Formen der Rotgrünblindheit ent- wickelt. | 2. Es wird auf 6 verschiedenen \Vegen der Nachweis erbracht, daß der Rotblinde sich vom Grünblinden wesentlich durch eine deutliche Unterwertigkeit für Blau und Gelb unterscheidet, daß er also zwischen dem Grünblinden und dem total Farbenblinden steht; für die Grünblinden wird nachgewiesen, daß sie hinsichtlich ihrer Blau-Gelb-Empfindung dem Normalen zum Teil gleich, zum Teil ihm merklich überlegen sind. Letztere sind somit als blau- selbüberwertige, die Rotblinden als blaugelbunterwertige Rotgrün- blinde zu bezeichnen. FR 3. Es wird der Nachweis erbracht, daß eine bei hoher Lichtstärke für helladaptierte Rotblinde hergestellte Gleichung zwischen einem be- stimmten freien Rot und Grün unter den oben angegebenen Bedingungen lediglich durch Mehrung der Lichtstärke des Grün um das 2—3fache zur Gleichung für helladaptierte Grünblinde wird, und daß anderer- seits die für den helladaptierten Rotblinden bei hoher Lichtstärke hergestellte Gleichung auch zu einer Gleichung für den Grünblinden wird, wenn die Lichtstärke beider Felder gemeinsam mittels Episkotisters gleichmäßig herabgesetzt und die Gleichung vom Grünblinden mit entsprechend dunkeladaptiertem Auge betrachtet wird. | Physiologisch-akustische Untersuchungen. 1. Mitteilung. Zur Frage der Entstehung zentraler Schwebungen. Von A. Kreidl und $. Gatscher, Wien, (Aus dem Institut für allgemeine und vergleichende Physiologie der Universität in Wien. [Vorstand: Professor Dr. Alois Kreidl].) (Eingegangen am 9. August 1920.) Der Streit zwischen den Anhängern und Gegnern der Theorie über die Entstehung zentraler Schwebungen scheint uns bei genauer kritischer Prüfung der von beiden Seiten bisher erbrachten Argumente noch nicht entschieden. Wir hatten bei Fortführung unserer seit längerer Zeit an- gestellten Untersuchungen auf physiologisch-akustischem Gebiet!) Veranlassung, auch dieses Problem näher ins Auge zu fassen und einer Analyse zu unterwerfen. Im vorliegenden Bericht über unsere Erfahrungen halten wir es für zweckmäßiger, die bezügliche Literatur über diesen Gegenstand erst bei Besprechung unserer eigenen Ergebnisse zu würdigen, möchten aber doch zur Orientierung für den Leser mit wenigen Worten die Streitfrage präzisieren. Der zuerst von Dove?) ausgeführte Versuch hat gezeist, daß zwei gegeneinander verstimmte.Stimmgabeln, die vor einem Ohr gehalten, in diesem Schwebungen hervorrufen, zu demselben Phänomen führen, wenn jede von ihnen vor je einem Ohr schwingt, auch dann noch wenn jeder Ton nur in dem der Stimmgabel benachbarten und nicht von dem anderen (durch Luftleitung) gehört werden kann. Es gibt nun zwei Möglichkeiten, diese Erscheinung zu erklären. Wirkt jeder Schall iso- liert nur auf das direkt getroffene Ohr, so können die Schwebungen nur zentralen Ursprunges sein. Wenn man jedoch die Möglichkeit des letzte- ren leugnet, weil man die dafür zu fordernde akustische Isolierung der miteinander knöchern verbundenen Gebörapparate für unwahrschein- lich hält, dann .verliert das Phänomen seinen rätselhaften Charakter, da es sich ja dann im wesentlichen um in beiden Ohren hervorgerufene monotische Schwebungen handelt. 1)S. Gatscher und A, Kreidl, Beobachtungen über Kombinationstöne an kranken und gesunden Ohren. Zentralbl. f. Physiol. 34 (1/2), 1. 2) Dove, Repertorium d. Physik 3. 1839. Pilügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 185. 12 166 f A. Kreidl und S. Gatscher: Bei dem Phänomen der diotischen Schwebungen ist wegen der ge- ringen Intensität dieser leisesten Töne von Stimmgabeln jedes Ohr auf dem Wege der Luftleitung für den dem anderen Ohr zugeführten Ton als akustisch isoliert anzusehen. Es müssen die Gegner der Annahme der zentralen Entstehung daher den Beweis erbringen, daß auf dem Wege der Knochenleitung die beiden Stimmgabeltöne monotisch zur Schwebung kommen, wobei es sich um äußere oder innere Knochenleitung, bzw. um beide handeln kann. Da nun die äußere Knochenleitung bei diesen leisen Tönen als Faktor der Überleitung auf das andere Ohr ausge- schlossen werden kann, so spitzt sich die Frage der zentralen Schwebun- gen für die Gegner schließlich auf den strikten Nachweis einer Über- leitung auf dem inneren Knochenweg — von -Felsenbein zu Felsenbein — selbst für leiseste Töne zu. Die Anhänger aber müssen das Fehlen einer solchen beweisen. Weder der eine noch der andere Beweis ist nach unserer Ansicht von den Vertretern dieser beiden Anschauungen ein- wandsfrei erbracht. Die bisher ausgeführten sinnreichen Experimente, die wir wieder- holten, und von uns angestellte mannigfache Variationen derselben führten zu keiner befriedigenden Beantwortung der in Rede stehenden Frage. Wir haben daher neben dem alten Weg, an Ohrgesunden zu experimentieren, einen neuen betreten, indem wir passend ausgewählte einseitig Ohrkranke zum Versuch herangezogen haben. Es waren natür- lich Personen, die genügend intelligent und beobachtungsfähig waren und auf dem gesunden Ohr in bezug auf Tonempfindung den gestellten Anforderungen zur Genüge entsprachen. Auf die möglichen Einwände, die sich aus der Heranziehung derartiger Versuchspersonen zur Ermittlung physiologischer Verhältnisse ergeben und die wir uns selbst gemacht haben, werden wir bei der Verwertung der an ihnen erhobenen Befunde ausführlich eingehen. Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß gerade auf dem Gebiete der Physiologie des Innenohres bzw. des Vestibular- apparates Untersuchungssergebnisse an Ohrkranken (Taubstummen) als Grundlage für theoretische Erwägungen benutzt wurden. Es schien uns also dieser Weg auch für den Versuch einer Lösung dieses Problemes sangbar. Wir berichten zunächst über die Beobachtungen, die wir in der Hauptsache an uns selbst, zum Teil an einigen anderen Ohrgesunden gewonnen haben, im Anschluß daran an jene bei pathologischen Fällen. Die anderen Ohrgesunden haben wir sozusagen zur Kontrolle der an uns gewonnenen Beobachtungen verwendet, da wir uns infolge unserer leich- ten Unterhörigkeit bei der Beurteilung von Phänomenen, die sich an der Grenze der Hörfähigkeit bewegen, vielleicht nicht für alle Versuche als vollkommen geeignet betrachten konnten. Bisher liegen in der Literatur keine genauen Angaben darüber vor, ob Unterschiede und welcher Art in den Gehörseindrücken bestehen bei Physiologisch-akustische Untersuchungen. TI. 167 monotischer oder diotischer Zuleitung der beiden primären Töne. Wir haben zur einleitenden Orientierung die beiden Gehörseindrücke genau analysiert und miteinander verglichen in der Voraussetzung, über das Wesen ihrer Entstehung Anhaltspunkte zu gewinnen. Darüber konnten wir folgende Feststellungen machen. 1. Die Zahl der monotischen und diotischen Schwebungsstöße in der Sekunde ist gleich. Das Phänomen ist monotisch viel deutlicher als diotisch. 2. Schwebungen, die bei diotischer Zuleitung der Töne kaum oder nicht mehr gehört werden, sind monotisch deutlich erkennbar. 3. Während bei monotischer Zuleitung der Toncharakter zurücktritt und namentlich beim Ausklingen der Stimmgabeln fast nur die Schwe- bungen gehört werden, verdecken die Töne bei diotischer Zuleitung bis zum Ausklingen die Schwebungen. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich, daß die beiden Phänomene nicht ohne weiteres gleichgestellt werden können, wenngleich die Tat- sache der Übereinstimmung in der Zahl der einzelnen Stöße auf dieselbe Ursache der Entstehung hinzuweisen scheint. Noch in einer Beziehung besteht im Verhalten der monotischen und diotischen Schwebungen ein Unterschied, wie folgender Versuch lehrt. Läßt man von zwei Stimmgabeln, deren Töne deutlich schweben, eine so abklingen, daß ihr Ton nicht mehr perzipiert wird, so treten monotisch und diotisch eine Zeit hindurch deutliche Schwebungen auft). Dabei ist immer zu konstatieren, daß die so auftretenden Schwebungen monotisch viel länger gehört werden als diotisch, so zwar, daß die diotisch nicht mehr gehörten morotisch noch deutlich erkannt werden. Im diotischen Ver- such werden sie stets nur in jenem Ohr lokalisiert, dem der überschwellige Ton zugeführt wird. Dieses Phänomen kann man leicht in folgender Weise zur Anschauung bringen. Man hält dicht vor jedes Ohr eine Stimm- sabel und entfernt eine so weit, bis eben noch Schwebungen erkannt werden. Bringt man jetzt die dicht am Ohr stehende Stimmgabel außer Hörweite, so kann man konstatieren, daß man die andere nicht hört. Monotisch ergibt sich die gleiche Feststellung durch entsprechende Ein- stellung der beiden Gabeln. Außer diesen bisher beschriebenen, als quantitativ zu bezeichnenden Unterschieden verfügen wir aber auch über Beobachtungen, aus denen hervorgeht, daß man bei der Beurteilung des Wesens der Schwebungen auch das physiologische Zusammenwirken der Ohren beim diotischen Hören gegenüber dem monotischen berücksichtigen muß. Folgende Ver- suche mögen das Gesagte veranschaulichen. Bringt man eine Stimmgabel 1) Thompson (Phil. Magazine a. Journ. of science, 4, 274) hat, wie wir auch fanden, gezeigt, daß selbst dann Schwebungen diotisch gehört werden, wenn beide Töne unterschwellis sind. 127 168 A. Kreidl und S. Gatscher: vor ein Ohr, so wird die in diesem hervorgerufene Tonempfindung deut- lich verstärkt, wenn dem anderen Ohr eine gleich- oder nahezu gleich- gestimmte Stimmgabel genähert wird. Umgekehrt erscheint der Ton wieder schwächer, wenn die zweite Stimmgabel von dem anderen Ohr weiter entfernt wird. Man sollte glauben, daß der Gehörseindruck in seiner Intensität ver- doppelt erscheint. Bei genauer Beobachtung läßt sich jedoch feststellen, daß” die auftretende Tonverstärkung nicht der Summe der einzelnen Töne, sondern einer Summe von zwei wesentlich stärkeren Toneindrücken entspricht, daß also der Ton in jedem Ohr um vieles lauter gehört wird. Dieser Eindruck ist dem diotischen Hören eigentümlich, durch den Syner- gismus der Ohren offenbar infolge gegenseitiger Beeinflussung hervor- gerufen, da bei monotischer Zuführung der beiden Stimmgabeltöne, wenn überhaupt, nur eine mäßige Tonverstärkung auftritt. Am deutlichsten ist die Erscheinung bei stärker tönenden Stimmgabeln. Macht man dieselben Versuche mit schwebenden Gabeln, so wird es klar, warum, wie früher mitgeteilt, diotisch die Schwebungen gegen die Töne zurücktreten, monotisch aber die Schwebungen deutlicher er- scheinen. ha Die oben mitgeteilten Tatsachen liefern immerhin schon Anhalts- punkte für eine Entscheidung über das Wesen der diotischen Schwebun- gen, und es geht zugleich aus ihnen hervor, daß bei der Erklärung ihrer Entstehung neben physikalischen Momenten auch physiologische wahr- scheinlich in Betracht zu ziehen sind. Zur weiteren Klarstellung haben wir uns, wie gesagt, entschlossen, Versuche an einseitig Ertaubten auf Grund folgender Überlegungen anzustellen. Wenn die diotischen Schwebungen dadurch entstehen, daß die Schallwellen durch die innere Knochenleitung von einem Ohr zum anderen gelangen, d.h. ihre Entstehung rein physikalischen Ursprungs ist, so müßte ein einseitig Ertaubter bei diotischer Zuführung der Stimm- gabeltöne mit dem funktionierenden Ohr diese hören. Wenn dagegen die Entstehung diotischer Schwebungen nur davon abhängt, daß jedes Ohr den Ton hört, ohne daß er auf das andere einwirken kann, dann dürfte ein einseitig Ertaubter die Schwebungen nicht wahrnehmen. Es standen uns zur Lösung des Problems mit dieser Methode bisner drei Individuen zur Verfügung, von denen eines auf dem rechten Ohr eine reine Labyrinthtaubheit aufwies, während der Schalleitungsapparat normal war, soweit ein solches Krankheitsbild in seinen Emzelheiten sich ohrenärztlich feststellen läßt. Die beiden anderen waren ebenfalls rechts taub, und zwar einer nach operativer Ausräumung des Mittelohrs allein, der andere nach Ausräumung dieses und nach Labyrinthoperation. Bei diesen drei Fällen ergab nun die Untersuchung, daß bei mono- tischer Zuleitung der Töne zum hörenden linken Ohr wie beim normalen Physiologisch-akustische Untersuchungen. 1. 169 Schwebungen erkannt wurden. Wenn jedoch die zwei Stimmgabeln auf beide Ohren verteilt waren, so gaben alle drei übereinstimmend an, keine Schwebungen zu hören, sondern nur den Ton der vor dem linken Ohr schwingenden Stimmgabel. Brachte man aber die eine Stimmgabel statt vor das rechte taube Ohr auf den Scheitel und beließ die zweite vor dem linken Ohr, so wurden Schwebungen von allen drei Versuchs- personen wahrgenommen. Beide Stimmgabeln, auf den Schädel auf- gesetzt, riefen im linken Ohr ebenfalls Schwebungen hervor. Die beiden Operierten wußten überhaupt nicht, daß eine Stimm- sabel vor ihrem rechten Ohr töne, wenn sie bei geschlossenen Augen ge- prüft wurden, der dritte (mit nicht funktionierendem rechten Innenohr) erst bei Abschluß des linken OÖhres nicht. Man könnte nun in den Befunden an den einseitig Ertaubten eine wesentliche Stütze für die Annahme einer zentralen Entstehung der Schwebungen erblicken, denn sie hören keine Schwebungen. Bei genauer Überlegung zeigt es sich aber, daß diese Tatsache zu einer solchen Schluß- folgerung nicht ohne weiteres berechtist. Man muß folgendes berück- sichtigen. Wir konnten, wenn wir von den beiden Operierten zunächst absehen, bei dem dritten Fall immerhin annehmen, daß seine Taubheit einhergehe mit vollständig ungestörten anatomischen Verhältnissen in bezug auf die Schallfortleitung zum anderen Ohr. Dies vorausgesetzt, wäre sein Verhalten ein Beweis für die Möglichkeit der Entstehung zen- traler Schwebungen und gleichzeitig ein solcher gegen die Annahme einer Überleitung des Schalles von einem Ohr zum anderen als restlose Er- klärung. Bevor wir das Ergebnis an diesem Falle in bezug auf seine Be- weiskraft für oder gegen die Annahme zentraler Schwebungen weiter analysieren, wollen wir in bezug auf die innere Knochenleitung einige Betrachtungen anstellen. Unter normalen Verhältnissen wird das Schallgquantum leiser und leisester Töne, das von dem direkt getroffenen Ohr zum anderen durch innere Knochenleitung hinübergelangt, gering sein, welche Rolle immer _ dem Schalleitungsapparat bei der Aufnahme, Modifikation und Weiter- leitung der Schallwellen auf das Labyrinth zufällt. Bei noch leiseren Tönen, die als unterschwellig in dem direkt getreffenen Ohr nicht mehr perzipiert werden, aber doch irgendeine Zustandsänderung im perzipierenden Apparat hervorrufen, kann die auf das andere Ohr hin- übergelangte Schallmenge als verschwindend klein angesehen werden. Trotzdem tritt das Phänomen der Schwebung auf, und zwar in dem ent- fernteren Ohr, das den ihm direkt zugeleiteten Ton deutlich wahr- nimmt, nicht aber in dem, das den unterschwelligen Ton empfänst!). !) Man lokalisiert immer bei den durch die verschiedene Entfernung der Gabeln von den Ohren bedingten Intensitätsunterschieden der Töne die Schwe- bungen in dem Ohr, in dem die Tonempfindung die stärkere ist. 170 A. Kreidl und S. Gatscher: Es muß also diese verschwindend kleine Schallmenge mit der viel stärkeren zur Interferenz kommen, wie auch der monotische Versuch lehrt, daß ein starker Ton mit einem unterschwelligen Schwebungen ersibt. Ist diese Annahme richtig, dann muß die innere Knochenleitung die Bedeutung, die ihr zugesprochen wird, immer haben, also auch in dem Falle einer einseitigen Taubheit ohne nachweisbare Veränderungen des Leitungsapparates. Selbst wenn man die Möglichkeit eines hochgradigsten Hindernisses in dem tauben Ohr für die Aufnahme, Modifikation und Weiterleitung der Schallwellen zugibt, ein geringes Quantum dieser letzteren müßte bei einer stark angeschlagenen Stimmgabel doch zu dem anderen Ohr hinüber- kommen und Schwebungen verursachen. Tatsächlich fehlen sie aber. Will man die Bedeutung der metotischen Fortleitung auch für diesen Fall aufrecht erhalten, dann muß man annehmen, daß der Krankheits- prozeß in dem tauben Ohr zu Veränderungen geführt hat, die einem absoluten Schallhindernis gleichzusetzen sind. Bevor wir dieses gewiß sehr bemerkenswerte Verhalten der einseitig Tauben zu weiteren Folgerungen heranziehen, wollen wir auf die be- zügliche Literatur eingehen. Am entschiedensten haben sich Wundt?!) mit seiner Schule und R. Ewald?) für die Theorie der zentralen Schwebungen eingesetzt im Gegensatz zu den älteren Autoren wie Seebeck®), Mach*) und Thompson), die das Phänomen der diotischen Schwebungen durch intrakranielle Leitung von Ohr zu Ohr erklärten. Mach sowohl als Seebeck sprechen wohl außerdem von einer Sympathie der Gehör- nerven, halten sie aber nach ihren Versuchen für sehr unwahrscheinlich. Später hat dann Bernstein$) die Frage wieder aufgenommen, ohne zu einem entscheidenden Resultat zukommen. Schäfer”), derin mehreren Arbeiten dieses. Problem behandelt, hat als entschiedenster Gegner der zerebralen Theorie diotischer Schwebungen Versuche angestellt, die gewiß bisher als die beweisendsten für die intrakranielle (wie er sie nennt, metotische) Knochenleitung anzusehen sind und in seinen Ausführungen berechtigte Kritik an den Versuchen geübt, die als Beweise gegen ihre Bedeutung geführt wurden. !) Wundt, Philosoph. Studien 8, 461. ?) Ewald, Die zentrale Entstehung von Schwebungen zweier monotisch sehörter Töne. Diese Zeitschr. 5%, 80. 3) Poggendorffs Annalen 68. *) Mach, Sitzber. d. Wiener Akad. 50, Abt. 2, 356. 1864. SILKE, 6) Bernstein, Über die. spezifische Energie des Hörnerven usw. Diese Zeitschr. 5%, 475. ?) Schäfer, Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorg. 1, 81; ebenda 2, 111 und diese Zeitschr. 61, 544. Physiologisch-akustische Untersuchungen. I. eat! Aber auch seine Versuchsergebnisse lassen noch eine andere Deutung zu. Während es Mach nicht gelungen war, aus dem einen Ohr einer Ver- suchsperson durch einen Gummischlauch den Ton herauszuhören, der dem anderen Ohr dieser Person zugeführt wurde, hat Schäfer bei An- wendung eines ‚möglichst kurzen Hartsummi-Schaltstückes“ in dem- selben Versuch den Ton gehört. Es ist bei dieser Versuchsanordnung die Möglichkeit doch nicht ganz von der Hand zu weisen, daß ein scharf hörendes, geübtes Ohr den Ton jetzt durch äußere Knochenleitung hört. Uns und den an den Versuchen beteiligten Normalhörenden ist es trotz Verwendung ganz kurzer Schaltstücke nicht gelungen, den Ton zu hören, ja auch dann nicht, wenn wir direkt mit dem Ohr das der Versuchs- person. auskultierten. Ohne auf die Polemik zwischen Schäfer und Scripture!) hier einzugehen, möchten wir bemerken, daß bei der Wiederholung des zwei- ten Schäferschen Versuches (Verschluß eines Ohres bei Zuleitung eines leisen Tones in das andere) die von ihm beobachtete Tonverstärkung und Verschiebung des Tones gegen die Medianebene von einigen urserer Versuchspersonen nicht wahrgenommen wurde. Vergleichen wir nun die Ergebnisse unserer eigenen und der in der Literatur mitgeteilten Versuche an Normalhörenden mit jenen an den einseitig Ertaubten, so läßt sich das Verhalten der letzteren schwer in Einklang bringen mit der heute herrschenden Anschauung, daß die diotischen Schwebungen peripher (durch innere Knochenleitung) ent- stehen; vielmehr könnte man es bei der diotischen Zuführung der zwei Töne bei ihnen, wie bereits oben gesast, als direkten Beweis für die zen- trale Entstehung der Schwebungen ansehen. Dieser Beweis wäre erbracht, wenn die Taubheit gleichzusetzen ist einem Zustande, wie er durch experimentelle Ausschaltung des Acusti- cus geschaffen wird: nämlich Ausfall der Nervenfunktion bei erhaltener Funktion aller übrigen Teile des Gehörorganes. Bei unserem nicht ope- rierten Falle können wir allerdings nicht behaupten, daß dieser Zustand vorliegt, sondern nur nach dem Ergebnis der klinischen Untersuchung den Schalleitungsapparat mit Wahrscheinlichkeit als normal annehmen. Unterscheidet sich ein solcher Mensch von einem Normalen physi- kalisch in bezug auf die innere Knochenleitung? Wenn nicht, dann ist nicht einzusehen, weshalb keine Schallwellen zu dem gesunden Ohr fortgeleitet werden sollten. Wie soll man sich nun vom Standpunkt der ‚‚metotischen‘ Theorie das Fehlen der Schwebungen erklären? Man könnte zunächst glauben, daß doch neben der Taubheit noch Veränderungen im Schalleitungs- apparat mit im Spiele sind, die eben nicht nachweisbar sind. 1) Seripture,*Ist eine zentrale Entstehung von Schwebungen möglich. Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinne. 4 349, 1893. 172 A. Kreidl und S. Gatscher: Physiologisch-akustische Untersuchungen. T. Um diesen Faktor ausschließen zu können, haben wir Versuche an zwei Personen mit Schalleitungserkrankungen durchgeführt. Es hat sich gezeigt, daß eine Mittelohreiterung auf dem einen Ohr und ein Narbenprozeß nach einer solchen auf dem anderen das Phänomen nicht beeinflussen. Bei dem zweiten Kranken mit einem sehr großen Defekt des einen Trommelfelles verbunden mit teilweiser Zerstörung des Ham- mers war das Phänomen gleichfalls wie bei Normalen auszulösen. Daraus ergibt sich wohl, daß trotz Veränderungen des Schalleitungsapparates weitgehender Natur die innere Knochenleitung nicht beeinträchtigt wird. Wenn wir nun auf Grund dieser Feststellung das Ergebnis beim einseitig Tauben weiter analysieren, so bleibt, wenn man an der peripheren Ent- stehung der diotischen Schwebungen festhalten will, nur übrig anzu- nehmen, daß Veränderungen im Labyrinth die Fortleitung verhindern. Wir stehen somit vor der Wahl, diese letztere, nicht sehr wahrschein- liche Annahme zugunsten der „metotischen“ Knochenleitung als Er- klärung einzuführen oder diese Annahme fallen zu lassen und als Ursache des Fehlens der Schwebungen die Taubheit anzusehen. Wenn nun die Taubheit wirklich die Ursache ist, was für ein Schluß ergibt sich daraus für das diotischeSchwebungsphänomen beim Normalen ? Entweder man greift auf die Ansicht von Wundt zurück, daß diese Schwebungen zerebral bedingt sind, oder auf die auch schon früher von Seebeck erwogene, jedoch von ihm abgelehnte Möglichkeit eines Zu- sammenwirkens der Hörnerven bei diesem Phänomen. Wir können derzeit eine Entscheidung nicht treffen. Weitere Unter- suchungen an Fällen mit einseitiger Taubheit, die mit Sicherheit oder größter Wahrscheinlichkeit auf eine reine Acusticuserkrankung bezogen werden kann (z. B. Acustieustumor), werden uns vielleicht eine solche ermöglichen. Wenn also diese Untersuchungen für das in Rede stehende Problem kein abschließendes Urteil, nach unserer Meinung, gestatten, so wollen wir doch einer Ansicht Ausdruck geben, die man aus ihnen ableiten könnte. Wir können uns mit Rücksicht auf die von uns hervorgehobene zahlenmäßige Gleichheit der monotischen und diotischen Schwebungs- stöße in der Zeiteinheit, die auf die gleiche Entstehungsursache hinzu- weisen scheint, schwer entschließen, die ‚‚metotische‘‘ Theorie aufzu- geben. Die Befunde zwingen jedoch, bei Entstehung binotischer Schwe- bungen eine beiderseitige Nervenerregung, also neben dem physika- lischen Moment auch ein physiologisches zu fordern. Das wäre nach unserer Ansicht so zu denken, daß die Hinüberleitung von Schallwellen allein auf das andere Ohr nicht genügt, Schwebungen hervorzurufen, sondern daß parallel damit eine sympathische Zustandsänderung im Acusticus dieses Ohres vor sich gehen muß, die durch die primäre Erre- gung des Nerven im direkt getroffenen Ohr bedingt ist. Der farbenblinde und schwachsichtige Saum des blinden Flecks. Von U. Ebbecke. (Aus dem Physiologischen Institut in Göttingen.) (Eingegangen am 20. September 1920.) Betrachtet man, mit einem Auge und bei fixiertem Kopf, einen bunten Fleck vor hellem Hintergrund, etwa eine rote Rose gegen den blauen Himmel, so, daß das Bild auf den blinden Fleck fällt und ver- schwindet, und bewegt das Auge vorsichtig langsam nach der Seite, bis das Bild soeben wieder zum Vorschein kommt, so erscheint das Bild dunkel und erhält erst bei weiterer Seitwärtsbewegung seine Farbe wieder. Das liest zum Teil daran, daß das zunächst auftauchende Stück des Bildes noch zu klein ist und die Raumschwelle für Farbempfindung noch nicht erreicht, zum Teil aber daran, daß die nächste Umgebung des blinden Flecks farbenblind oder genauer nicht voll farbentüchtig ist. Da solche Farbenblindheit bei Physiologen und Ophthalmologen, soviel ich feststellen konnte, unbekannt und in den Lehr- und Hand- büchern der physiologischen und pathologischen Optik nicht erwähnt ist, habe ich die Erscheinung, auf die ich gelegentlich stieß, weiter ver- folgt. Sie ist, wie ich dann fand, schon von Haycraft!) beschrieben, der ein besonderes Skotometer mit Schraubenverschiebung des Test- objekts in horizontaler und vertikaler Richtung benutzte. Auch H. Werner?) erwähnt, ‚daß im allgemeinen um den blinden Fleck herum die Farbentüchtigkeit stark abnimmt, so daß bei vielen Menschen die Farben sich in ein mehr oder weniger helles Grau verwandeln.“ Die Tatsache der Farbenblindheit des Saumes erscheint danach genügend gesichert. Im folgenden sollen eine einfache Demonstrationsmethode und einige weitere Finzelheiten über das Sehvermögen des Saumes- angegeben werden, da der Befund, wie ich glaube, zu einer Erklärung führt und nach zwei Richtungen, für die Frage des Farbensinns im Verhältnis zum Lichtsinn und für die Frage der Sichtbarkeit und Un- sichtbarkeit des blinden Flecks, von Wichtiskeit ist. !) J. B. Haycraft, The colourblind margin of the blind spot and the skoto- meter. Journ. of physiol. 40, 492. 1910. - 2, H. Werner, "Untersuchungen über den blinden Fleck. Arch. f. d. ges. Physiol. 153, 486. 1913. al U. Ebbecke: Zur ersten Orientierung genügt es schon, wenn man bei aufgestütztem Kopf ein buntes Papierschnitzel von !/,—/, cm Durchmesser auf weißes Papier vor sich hin auf den Tisch legt und die Spitze eines danebengehaltenen Bleistifts fixiert, der allmählich und gleichmäßig in nasaler Richtung bewegt wird. Dann zieht das Bild des Papierstückchens über den blinden Fleck hinweg. Oder man legt ein Lineal mit Millimetereinteilung neben das Papierschnitzel und läßt das Auge langsam an den Teilstrichen entlanggleiten. Daß hier in Umkehrung des gewöhn- lichen Verfahrens das zu beobachtende Bild ruht und der Blickpunkt bewegt wird, hat den Vorteil, daß es das Fixieren und die feine Abstufung des Verschiebens erleichtert. Es gelang mir so, mehreren, nicht weiter geübten Versuchspersonen gleich beim erstenmal die Erscheinung zu zeigen. Zugleich kann man dabei die Stelle, an der die Buntheit, und die, an der das ganze Objekt verschwindet, mar- kieren und daraus, nach Messung des Objektabstands, Gesichtswinkel und Netz- hautdimension berechnen!). Die Breite des farbenblinden Saumes pflegt über einen Winkelgrad zu betragen, wobei aber große individuelle Verschiedenheiten vorkommen. Zur Unterscheidung von der bekannten allgemeinen Farbenuntüchtig- keit der peripheren Netzhaut ist es nötig, Objektgröße, Farbsättigung, Beleuchtung und besonders auch das Helligkeitsverhältnis von Objekt und Hintergrund so zu wählen, daß die bunte Farbe jenseits des blinden Fleckes wieder zum Vorschein kommt. Andrerseits ist eine gewisse Dämpfung der Farbsättigung durch Hellig- keitskontrast erwünscht, damit das Objekt sich innerhalb des Saumes dunkel auf hellem oder hell auf dunklem Untergrunde abhebt. Um den Einwand auszu- schließen, daß nur das Objekt allmählich soweit in den blinden Fleck verschwinde, bis das hinausragende Ende räumlich unterhalb der Farbenschwelle bleibe, ist eine genauere Versuchsanordnung erforderlich. Zunächst werden die Grenzen des blinden Flecks bestimmt und der Umriß des blinden Flecks aufgezeichnet, auf weißem Papier in Lese- entfernung oder besser noch, weil in etwa achtfacher Vergrößerung, auf einer in 2 m Abstand aufgestellten Papptafel?), wokei sich die oben und unten austretenden Gefäßstämme eine Strecke weit gut verfolgen lassen. Indem man sich ausgeschnittene Figuren des blinden Flecks anfertigt, kann man dann auf jedem beliebigen Untergrund den blinden Fleck genau markieren und nun den außerhalb des Flecks gelegenen Saum untersuchen. Nimmt man einen ausgestanzten oder ausgeschnitte- nen bunten Kreis von 1° Winkelsröße und führt ihn um den Blickpunkt als Zentrum mit dem Abstand des inneren Saumes als Radius rinos- herum, so ist deutlich, wie das Objekt seinen Farbton ändert oder ganz verliert, sobald es in den Saum gerät. Sah es vorher leuchtend rot aus, so wird es dort düster-schmutzigrot oder schwarz auf weißem Grunde oder sieht auf schwarzem Grunde nur noch weißlich aus. Schneidet man sich einen 1° breiten Saum des blinden Flecks aus buntem Papier aus und legt ihn um den Umriß herum, so erscheint der ganze Bezirk, einschließlich des blinden Flecks, in gleichmäßigem Grau oder nur noch !) Dem Gesichtswinkel 1° entspricht in Im Abstand die lineare Dimension von 17,5 mm, in Leseweite rund 5 mm, in 15 mm Abstand (= Entfernung zwischen Knotenpunkt und Augenhintergrund) 0,26 mm. 2) Als Testobjekt diente mir ein an dünnem Draht befestistes, schwarzes, J sten, 5x5 oder 7 x 7mm großes Quadrat. Der farbenblinde und schwachsichtige Saum des blinden Flecks. 175 ganz matt getönt. Verschiebt man nun die Figur weiter seitlich, so leuchtet sie farbig auf als schmaler, einen hellen Bezirk umschließender Streifen. Dieser Versuch ist besonders überraschend. Sucht man sich zu einem bunten Testobjekt unter einer Serie fein abgestufter Grau- papiere dasjenige Grau aus, das die gleiche Helliekeit hat und auf dem im peripheren Sehen das Objekt verschwindet, ohne den Übergang durch Hell oder Dunkel gezeigt zu haben, und prüft auf diesem Unter- grunde den blinden Fleck, so findet man, besonders bei etwas unvoll- kommener Sättigung der Testfarbe, die Grenzen des blinden Flecks wesentlich erweitert. Das letztere Verfahren ist am besten geeignet, die Ausdehnung des ia:benblinden Saumes zu bestimmen. Zugleich zeigen sich hierbei die gemeinsamen Eigenschaften im Sehvermögen jenes Saumes und der äußersten Netzhautperipherie. Der Helligkeitswert einer Farbe im peripheren Sehen ist derselbe wie im Sehen des Saumes. Ein Testscheibchen z. B. aus einer roten Farbe, die im Vergleich zu einem Blau für das helladaptierte Auge heller, für das dunkeladaptierte Auge dunkler aussieht, hebt sich sowohl am Saum wie an der Peripherie hell auf dem blauen Grunde ab. Ferner handelt es sich in beiden Fällen nicht um eine absolute Farbenblindheit. So wie es bei genügender Größe und Leuchtkraft der bunten Fläche noch am äußersten Rande des Gesichtsfelds möglich ist, die Farbe zu erkennen, so bleibt das Testobjekt auch am Saum des Fleckes bunt, wenn für sehr helle Beleuchtung und starke reine Färbung gesorgt und die verhüllende Kontrastwirkung zwischen Untergrund und Objekt durch Ausgleich ihrer Helligkeiten vermieden ist. Umgekehrt ist es ja leicht, ein schwachgesättigtes schwarzverhülltes Testobjekt zu wählen, das schon im paracentralen Sehen farblos wird. Wichtig ist nur, daß lie "arbentüchtigkeit nicht gleichmäßig von der Mitte zur Peripherie abnimmt, sondern die Umgebung des blinden Flecks weniger farben- tüchtig ist als die weiter peripher gelegenen Bezirke, daß also sowohl am äußersten Rande des Gesichtsfeldes wie am Rande des blinden Flecks dem völligen Verschwinden das Verschwinden des Farbtons vorangeht. Weiter unterliegen sowohl Netzhautrand wie Papillen- umgebung besonders stark der Wirkung des Helligkeitskontrastes. Eine Farbe, deren Helligkeitsunterschied im mittleren Gesichtsfeld unwesentlich erscheint und unauffällig ist, hebt sich nach Verschwinden des Farbtons in Saum und Peripherie deutlich dunkel oder leuchtend hell vom Grund ab. Daß dies nicht nur daran liegt, daß vorher der Farbunterschied den Helligkeitsunterschied verdeckte, zeist folgender Versuch: Nimmt man ein Testobjekt von ziemlich hellem Grau auf weißem Grunde, so sieht es am Saum dunkler aus als an einer anderen, gleich weit vom Blickpunkt entfernten Stelle und ebenso dunkel wie in der äußeren Peripherie. Beide Stellen unterliegen auch besonders stark 176 U. Ehbecke: der Ermüdung oder Lokaladaptation; die Zeit, in der ein kleines, anfangs gut sichtbares Objekt bei fixiertem Blick verschwindet, ist dort kleiner als anderswo. Daher rührt es auch, daß bei Untersuchung der Grenzen des blinden Flecks mit kleinem, sehr langsam bewestem Objekt die Aus- sagen schon in der Umgebung des Flecks anfangen, unsicher zu werden; das Bild taucht auf und unter, ist nur für kurze Zeit sichtbar. Während die Angaben der Versuchsperson am. inneren Rand des Flecks recht exakt und prompt erfolgen können, ist diese Unsicherheit besonders am äußeren Saum auffällig — die oberen und unteren Grenzen bieten wegen der austretenden Gefäßstämme Schwierigkeiten —, so daß eine ziemlich breite Zone zwischen dem Urteil ‚Nicht mehr deutlich“ und „Ganz weg‘ gelegen ist. In der Zone wird von Form und Umriß nichts mehr erkannt, sondern das Objekt erscheint nur als verwaschener Fleck. Auch in dieser Beziehung erweist sich der Saum des blinden Flecks als allgemein schwachsichtig. Bei einer Erörterung der festgestellten Tatsachen wird man nach einer Erklärung dieser physiologischen Farbenblindheit suchen. Wäh- rend für die Netzhautperipherie die Farbenblindheit auf das Fehlen der farbempfindlichen Zapfen zurückgeführt zu werden pflest, ist diese Erklärung auf den Papillensaum nicht anwendbar, da hier von einem Zurücktreten der Zapfen gegenüber den Stäbchen nichts zu sehen ist. Aber auch an der Netzhautperipherie fehlen ja die Zapfen durchaus nicht völlig, wenn sie auch spärlicher sind. Das Gemeinsame im Sehen des Saums und der Peripherie wird darin liegen, daß die Zapfen schlechter funktionieren und weniger erregbar sind. Schon der histologische Be- fund zeigt, daß die nächste Umgebung der Papille in mancher Hinsicht schlechter gestellt ist als die umliegenden Teile. Da fehlt die Chorio- capillarmembran, und auch das Pigmentepithel reicht nicht ganz bis an die Grenze heran; in ganz besonders dicker Schicht sind hier die sich von der Papille ausbreitenden, lichtzerstreuenden und verhältnis- mäßig undurchsichtigen Nervenfasern dem Sehepithel vorgelagert. Und zwar zeigt sich der dem Augenmittelpunkt abgekehrte Teil des Papillenrandes histologisch am meisten benachteiligt; entsprechend ist hier bei der Funktionsprüfung die schwachsichtige Zone am breitesten und auffälligsten. Auch histologisch erscheint demnach die Farbenblind- heit des Saumes als ein Symptom einer allgemeinen Funktionsherab- setzung. Wenn einerseits das Verhalten des Papillensaums dem des Netzhaut- randes entspricht, so stimmt es anderseits mit dem Verhalten patho- logischer Skotome überein. Wie klinisch bekannt, können die verschie- densten Erkrankungen der Netzhaut, Sehbahnen oder Sehzentren zu relativen und absoluten Farbenskotomen führen, und sehr häufig ist eine Gesichtsfeldlücke, ein erworbener ‚blinder Fleck‘, innerhalb Der farbenblinde und schwachsichtige Saum des blinden Flecks. Te dessen nichts gesehen wird, umgeben von einer Zone, in der zwar Schwarz und Weiß empfunden, Farben aber nicht mehr unterschieden werden. Allgemein pflest unter allerlei Schädigungen der Farbensinn früher und stärker zu leiden als der Lichtsinn. Der Vergleich mit den Sensibilitäts- störungen liest nahe, wo bei der Narkose, bei Rückenmarksleiden, Nervenschädigungen oder Lokalanästhesie, also aus zentralen oder peripheren Ursachen, Schmerz- und Temperaturempfindungen früher schwinden als Tastempfindungen oder ein inselförmiger anästhetischer Bezirk der Haut umgeben ist von einem Gürtel mit erhaltener Tastempfindung und aufgehobener Schmerz- und Temperaturempfin- dune. Wie man bei der Haut von einer dissoziierten Anästhesie spricht, so könnte man beim Auge von einer dissoziierten Anopie sprechen. Überblicken wir die Bedingungen, unter denen Sonst normalerweise ‚Aufhebung der Farbempfindung bei erhaltener Lichtempfindungs vor- kommt, so findet sich außer dem Farblossehen des dunkeladaptierten Auges im Dämmerlicht das farblose Intervall zwischen der Erkennung des Lichteindrucks und des Farbeindrucks, wenn die Expositionszeit von Tausendstelsekundenlänge allmählich verlängert oder wenn der eben noch erkennbare Lichtpunkt räumlich vergrößert wird. Kurz gesagt, sind Intensitätsschwelle, Zeitschwelle und Raumschwelle für den Farbensinn höher als für den Lichtsinn. Wenn bei unbewegtem Blick die Gegenstände, namentlich im. peripheren Sehen, anfangen zu ver- schwimmen und zu verschwinden, so verlieren sich zuerst nur die Farben, und ein roter Fleck auf weißem Grunde sieht nur noch dunkel aus, bevor er durch Ermüdung oder Lokaladaptation ganz ausgelöscht wird. Auch durch Kontrasterhellung oder Kontrast- verdunklung unterliest die Buntempfindung leicht der Weiß- oder Schwarzempfindung. Für Schmerz- und Temperatursinn ist der Grund bekannt, weshalb ihre Empfindung leichter beeinträchtigt oder verhindert wird als die Tastempfindung. Denn während die Tasterregung auf langen Bahnen mit verhältnismäßig wenigen Zwischenstationen zur Stätte des Bewußt- seins geleitet wird, begegnet die Schmerzleitung auf ihrem Wege durch die kurzen intraspinalen Bahnen zahlreichen Unterbrechungen in der grauen Substanz, und sobald die Schmerzerregung unter eine gewisse Stärke herabsinkt oder die Widerstände in der Kette der Neuronenglieder größer werden, gelangt die Schmerzleitung nicht mehr bis zur psycho- physischen Sphäre. Es liest nun nahe, von den Verhältnissen bei der dissoziierten Anästhesie auf die dissoziierte Anopie zu schließen, und so ‚werden wir zu der die Tatsachen zusammenfassenden und erklärenden Annahme geführtadaß in die Leitungfür dieBuntempfindungen mehr Neuronenglieder mit ihren Unterbrechungen und Wider- 178 "= ..D. Ebbecke: ständen eingeschaltet sind als in die für die Schwarz - Weiß- empfindungen, so daß eine Erregung unterhalb einer gewissen Stärke auf jenem Wege schon stecken bleibt, auf diesem noch durch- gelassen wird. Wenn also auch ein Zapfen sowohl Lichtempfindung wie Buntempfindung vermitteln kann, so würde doch jede der beiden Erregungen einen getrennten Weg einschlagen. Vielleicht liest hierin auch die geringere Latenz- und Anstiegzeit der Weißempfindung gegenüber einer Buntempfindung begründet, ähnlich wie für den Reflexbogen aus der Reflexzeit ein Schluß auf die Zahl der Synapsen gezogen wird. Die zweite Frage, für die der hier geschilderte Befund über den farbenblinden und schwachsichtigen Saum des blinden Flecks verwert- bar ist, betrifft die Sichtbarkeit des blinden Flecks. Denn nachdem seit Mariotte’s Entdeckung die Forschung sich angelegen sein ließ zu erklären, warum wir die große Lücke in unserem Gesichtsfeld nicht bemerken, wurde es umgekehrt notwendig zu erklären, warum doch unter bestimmten Bedingungen — es gibt zahlreiche Methoden der subjektiven Demonstration — der blinde Fleck gesehen werden kann. Von der ausgebreiteten Literatur, die hierüber existiert, seien nur die letzten Arbeiten von A. Brück.nert), H. Werner?), K. L. Schaefer?) und Th. Wassenaar?) angeführt. Da hier nicht der Ort ist, darauf einzugehen, möchte ich nur wieder auf die Analogie mit dem Hautsinn hinweisen. So wenig wir eine körnige Temperaturempfindung haben oder die ‚„temperaturblinden“ Lücken des Hautfeldes bemerken trotz der sehr spärlichen Verteilung der Temperaturpunkte, so wenig haben wir eine körnige Farbempfindung beim Betrachten einer farbigen Fläche, obwohl in der Netzhautperipherie die einzelnen Farbpunkte verhältnis- mäßig weit voneinander entfernt sind. Allgemein wird die Strecke zwischen zwei benachbarten, nicht durch andere getrennten Farb- oder Sehpunkten der Netzhaut als gleichmäßig ausgefüllt empfunden. Die Ortsbeziehung der Punkte ist davon unabhängig und durch die Verschmelzung benachbarter Empfindungen wenig beeinträchtigt. In diesem Sinn sind aber auch zwei gegenüberliegende Sehpunkte am Rande der Papille einander benachbart, da ja andere Seh- punkte zwischen ihnen nicht vorhanden sind. Das bedeutet, daß der !) A. Brückner, Über die Sichtbarkeit des blinden Flecks. Arch. f. d. ges. Physiol. 135, 610. 1910. ®2) H. Werner, Untersuchungen über den blinden Fleck. Ibid. 153, 486. 1913. 3) K.L. Schaefer, Über die Kongruenz des psychophysiologischen Ver- haltens der unerregten Netzhautgrube in der Dämmerung und des blinden Fleckes im Heller. Ibid. 160, 572. 1915. *) Th. Wassenaar, Une contribution a l’etude de la tache aveugle. Archives neerlandaises 1919, mit ausführlicher Zusammenstellung der Literatur. Der farbenblinde und schwachsichtige Saum des blinden Flecks. 179 ganze Bezirk der Papille im Gesichtsfeld als einheitliche Fläche erscheint mit der Helligkeit und Tönung, wie es der Erregung der Sehpunkte am Saum der Papille entspricht. Tatsächliche Belege dafür geben einfache bekannte Versuche. Zeichnet man genau den Umriß des eigenen blinden Flecks auf weißes Papier und verbreitert die Umrißlinie zu einem Saum, so erscheint der ganze Fleck als gleichmäßig ‚ausgefüllte‘ graue Fläche. Fällt der blinde Fleck auf den Kreuzungspunkt eines schwarzen und eines weißen Streifens oder auf die Stelle, wo zwei schwarze und zwei weiße Quadrate schachbrettartig angeordnet aneinanderstoßen, so erscheint ein Wechsel von Verschmelzung und Wettstreit, wie er sonst vom binokularen Wettstreit her bekannt ist. Fällt der blinde Fleck auf die vertikale Grenze einer weißen und schwarzen Fläche, so über- wiegt meist die Erregung des sehtüchtigeren inneren, dem Blickpunkt zugekehrten Saumes. Nun ist aber durch unsere Untersuchungen fest- gestellt, daß der Saum der Papille unempfindlicher und schwächer erreg- bar ist und daher mehr dem Einfluß der Umgebung unterliegt, sei es daß sich dieser anfangs als Verschärfung der Gegensätze (Simultan- kontrast), sei es, daß er sich danach als Ausgleich lokaler Verschieden- heiten (‚lokale Adaptation‘‘ oder „gleichsinnige Induktion‘) äußert. So kommt es, daß beim Blick auf eine ohnehin mattbeleuchtete Fläche der schwächer reagierende und in der Wechselwirkung der Sehfeldstellen mehr passive Papillensaum zunächst dunkler sieht als seine Umgebung. Da seine Erregung für die ganze zwischenliesende Fläche maßgeblich ist, erscheint jener Bezirk dem Gesichtsfeld als schattiger Fleck. Dem subjektiven Bild entspricht also die Papille samt ihrem ganz schmalen, sie unmittelbar umschließenden schwachempfind- lichen Saum, ganz ähnlich wie bei dem erwähnten Versuch der Umriß- zeichnung des blinden Flecks mit der etwas verbreiterten Umrißlinie. Daß dabei der Simultankontrast dort scharfe Grenzen schaffen kann, wo in Wirklichkeit fließende Übergänge der Erregungshöhe bestehen, ist von vielen anderen Beispielen her bekannt. Nicht lange danach aber, um so schneller, je heller die Beleuchtung ist, setzt der Ausgleich benachbarter konstanter Erregungsunterschiede ein, infolgedessen der gesehene Fleck verschwindet. Die Bedingungen, unter denen der blinde Fleck subjektiv zu Bewußtsein kommt, z. B. die Günstigkeit plötz- lichen Belichtungswechsels, die Tatsachen, daß er nur für kurze Zeit gesehen wird und häufig, aber nicht immer, Kontrastfärbung zeigt, daß er auch nicht immer gleich groß erscheint und daß er unter Umständen auch als leuchtend helle Scheibe auf dunklem Grund gesehen werden kann, lassen sich mit Hilfe der soeben auseinander- gesetzten Vorstellung einheitlich verstehen, und Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des blinden Flecks werden auf ein und dasselbe Prinzip zurückgeführt. 180 U. Ebbecke: Der farbenblinde und schwachsichtige Saum des blinden Flecks. Zusammenfassung. Es werden einige einfache Verfahren angegeben zur Demonstration der Farbenblindheit und Schwachsichtigkeit des Papillensaums. Papillensaum und Netzhautperipherie stimmen in ihrem Sehvermögen überein. Aus der physiologischen Farbenblindheit wird, mit Berücksichtigung der übrigen Fälle von normal oder pathologisch aufgehobener Farben- unterscheidung bei erhaltenem Lichtsinn, gefolgert, daß in die Leitung der Bunterregung mehr Zwischenglieder eingeschaltet sind als in die Leitung der Schwarzweißerregung. Auf die Untererregbarkeit des Papillensaums wird zurückgeführt, daß unter allerlei Umständen der blinde Fleek subjektiv sichtbar wird, während gewöhnlich die Erregungsunterschiede zwischen unmittelbarer und weiterer Umgebung der Papille durch lokale Adaptation aus- geglichen sind. Über das Augenblicksehen. Mit einer Bemerkung über rückwirkende Hemmung. Von U. Ebbecke. (Aus dem Physiologischen Institut in Göttingen.) (Eingegangen am 20. September 1920.) Unser gewöhnliches Sehen ist ein Sehen mit wanderndem Blick. Sobald das Auge unnatürlicherweise verhindert wird, über die Gegen- stände des Gesichtsfeldes zu gleiten und sie gleichsam abzutasten, stellen sich allerlei Störungen in der Gesichtsempfindung ein. Bei starrem Fixieren fängt das Gesehene an zu verschwimmen, indem die Unter- schiede von Helligkeit und Farbentönung sich verlieren, und es treten Nachbilder auf. Umgekehrt wird der optische Eindruck ungenau oder verändert, wenn das Auge nur ganz kurz einen optischen Gegenstand er- haseht. Für Theorie und Verständnis des Lichtsinns sind die Erscheinun- sen bei ungewöhnlich langer unveränderter Exposition recht wichtig ge- worden, indem die Lehre von den gegensinnigen Reizwirkungen und den Stoffwechselvorgängen der ‚Sehsubstanzen‘ darauf aufgebaut ist. Es soll nun versucht werden, die Erscheinungen bei ungewöhnlich kurzer Exposition für die Physiologie des normalen Sehens zu verwerten und in dieser Hinsicht zu untersuchen. Von den bisherigen Untersuchungen über die Wirkung kurz dauernder Netzhautreizung verfolgten die tachistoskopischen Darbietungen das andere, psychologische Ziel, Auffassungszeit und Umfang des Bewußt- seins zu messen; auch die periodischen Nachbilder, die sich an die kurze Reizung anschließen können, sollen hier zunächst außer Betracht bleiben; dagegen stehen die von Exner!), Kunkel?) u.a. angestellten Versuche in Beziehung zum Thema, die dazu dienten, den Kurvenverlauf einer Erregung mit Anstieg, Maximum und Abstieg zu bestimmen °). 1) 8. Exner, Über die zu einer Gesichtswahrnehmung nötige Zeit. Sitzungs- ber. d. Wiener Akad. d. Wiss. 58, 601. 1868. 2) A. Kunkel, Über die Abhängigkeit der Farbenempfindung von der Zeit. Arch! f. d. ges. Physiol. 9, 197. ’ 3) Vgl. ferner H. J. Watt, Über die Helligkeit einmaliger und periodisch wiederkehrender Lichtreize. Archiv f. d. ges. Physiol. 10%, 591. 1905. — A. Zahn, Über die Helligkeitswerte reiner Lichter bei kurzen Wirkungszeiten. Zeitschr. f. . Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorg. 46, 287. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 185. 13 182 U. Ebbecke: Im folgenden sollen die Veränderungen der Gesichtsempfindungen beschrieben werden, die man bemerkt, wenn man statt des gewöhnlichen Sehens die geschlossenen Augen nur für einen Augenblick öffnet und gleich wieder schließt, wenn also das Auge sozusagen Blitzlicht- oder Momentaufnahmen macht. Wo es auf genauere Bestimmung der Ex- positionszeit ankommt, wird ein Momentverschluß, wie er sich an photo- graphischen Apparaten findet, der die Belichtungszeit zwischen I und U 00 Jekunde zu variieren gestattet, lichtdicht vors Auge gehalten und mit seiner Hilfe das Augenblicksbild entworfen. Das einfache, durch die un- günstigen Arbeitsverhältnisse bedingte, Verfahren hat den Vorteil, daß es jederzeit bei den verschiedensten Gelegenheiten anwendbar ist, zumal die Technik bei dieser Art Untersuchungen nicht in der Apparatur liegt, sondern in der Einstellung des Beobachters, der durch Übung allmählich lernt, die flüchtigen Erscheinungen aufzufassen und zu sehen. Änderungen von Helligkeit und Farbsättigung. Werden abwechselnd kurz hintereinander Moment- und Zeitbelich- tungen vorgenommen, während das Auge gegen eine gleichmäßige Fläche gerichtet ist, und die Versuche mehrmals wiederholt, so bemerkt man, wie Helliskeit und Färbung im Augenblicksbild anders erscheinen als im Zeitbild. Am besten betrachtet man dabei die helle Fläche durch die kreisförmige oder quadratische Öffnung eines in einiger Entfernung vom Auge befindlichen schwarzen Pappschirmes. Schlägt man die geschlossenen Augen gegen ein solches Objekt auf und hält sie geöffnet, so erscheint die Helligkeit von Anfang an konstant. Unterbricht man aber die Belichtung oleich wieder, so wird das Anklingen und Abklingen der Helligkeits- empfindung schon mit diesen einfachen Mitteln leicht demonstrierbar: Bei matter, dämmeriger Belichtung der Kreisfläche ist das Augen- blicksbild dunkler als das Zeitbild; bei starker Belichtung ist das Augenblicksbild heller als das Zeitbild. Das bedeutet, daß im ersten Fall die Belichtung unterbrochen wurde, bevor die Er- regung ihr Maximum erreicht hatte, im zweiten Fall, bevor die Erregung durch ‚„Ermüdung‘ oder Adaptation schon wieder abgesunken war. Bei gleicher Expositionsdauer wird deutlich, wieviel träger die Reaktion auf schwache Lichtreize ist als auf starke. Daß dieses Absteigen und Ansteigen für gewöhnlich nicht bemerkt wird, obgleich es immer vor- handen ist, bedarf einer besonderen Erklärung. Da die Änderung sehr rasch und kontinuierlich vor sich geht, wirkt, wenn man sich die Zeit in kleinste Abschnitte zerlegt denkt, der Zustand jedes Zeitabschnittes auf den vorangehenden als Löschreiz durch rückwirkende Hemmung, worauf im Anhang noch einzugehen sein wird; erst bei Ausschaltung der folgenden Zeitabschnitte wird der zur Zeit der Unterbrechung erreichte Zustand ungehemmt aufgefaßt. Nur wenn die Helligkeitsunterschiede Über das Augenblicksehen. 183 sehr groß sind, nach längerer Dunkeladaptation, kann man das in größter Geschwindigkeit sich vollziehende Absinken der Helligkeitsempfindung schon beim einfachen Augenaufschlag bemerken. Ist die Lichtstärke der betrachteten Kreisöffnung möglichst groß (die helle Fläche sei ein direkt besonntes weißes Papier), so ist der Helligkeitsunterschied im Zeitbild und Momentbild nicht mehr deutlich, und eher erscheint snun das Zeitbild heller oder wenigstens unangenehm blendend. Dies dceheint zunächst ein Widerspruch, da bekannt ist, daß das Maximum der Erregung um so schneller erreicht und überschritten wird, je heller die Belichtung ist, ist aber vermutlich ein Zeichen dafür, daß unter den gegebenen Bedingungen die das Auge schützende Leistung der Adaptation nicht mehr ausreicht. Färbt man die Öffnung des Pappschirmes durch eingeschaltete Lichtfilter (bunte Glas- oder Gelatineplatten), so zeigt das Moment- bild im Vergleich zum Zeitbild eine verminderte Sättigung. Ist die Farbe auch im Zeitbild ungesättigt und die Belichtung stark, so kann im Momentbild der Farbton völlig verschwinden. Das bedeutet nicht ohne weiteres, daß die Expositionszeit für die Farbempfindung unter- halb der Zeitschwelle lag, denn bei gleicher objektiver Sättigung und geringerer Helligkeit und sogar bei kürzerer Expositionszeit kann die Farbe noch erkannt werden, wohl aber, daß die Helliskeitsempfindung auf ihrer Höhe die in anderer Weise verlaufende Farbempfinduns zeitweilig völlig verdrängt. Daß dabei außer Sättigungsverminderung auch Änderungen des Farbtones vorkommen, sei an dieser Stelle nur erwähnt. Bringt man das eine Auge vorher in ausgiebige Dunkel- adaptation und vergleicht die beiden Augen in Moment- und Zeit- belichtung, so ist die zur Farberkennung nötige Expositionszeit im Dunkelauge größer als im Hellauge. Das Auslöschen einer Farbempfindung durch Hellig- keitsempfindung läßt sich an einem anderen Fall besonders anschau- lich verfolgen. Blickt man mit geschlossenen Augen gegen die Sonne oder gegen eine dicht vorm Auge befindliche elektrische Birne, so wird das Auge durch die perpalpebrale Belichtung allmählich rotadaptiert und chromatisch verstimmt. Während anfangs das Gesichtsfeld bei einfachem Augenschluß leuchtend hellrot, bei festem Augenschluß in tiefem gesättigtem Rot erscheint, wird es bei mehrmaligem Wechsel zwischem festem und losem Lidschluß so weit verändert, daß schließ- lich hinter den lose geschlossenen Lidern ein leuchtendes Hellgrün gesehen wird, ein recht auffälliges Beispiel für die Stärke chromatischer Verstimmung. Schägt man in diesem Stadium die Augen gegen eine ganz matt beleuchtete weiße Fläche auf, so erscheint sie zunächst grün- lich, gleich danach aber weiß. Ist die Beleuchtung der weißen Fläche stärker, so wird von dem anfänglichen Grün nichts mehr bemerkt. 197 184 : U. Ebbecke: Daß es aber doch vorhanden, nur nicht aufgefaßt war, zeigt die Moment- belichtung, wo wieder Grün gesehen wird. Die Umwandlung der Ret- adaptation in die Helladaptation geschieht bei der stärkeren Belichtung so schnell, daß die chromatische Verstimmung nur bei Ausschaltung des Löschreizes noch entdeckt wird. Als Nebenbefunde bei diesem Versuch seien erwähnt: Bei Abdunklung des einen Auges gibt die Innenwendung des anderen perpalpebral belichteten Auges Erheilung, die Außenwendung Verdunklung. Bei mehrfachem Wechsel von Innen- und Außenwendung des Auges wird das Gesichtsfeld das eine Mal hell- grün, das andere Mal dunkelrot. Dabei sehe ich ‘die Stelle des blinden Flecks als deutliche Scheibe sich vom gleichmäßigen Hintergrunde abheben, und zwar das eine Mal dunkelblau mit ziemlich scharfer Begrenzung und zuweilen hellerer: Umrandung und mit einer je nach der Stärke der Innenwendung konzentrisch erweiterten oder verengten Fläche, das andere Mal hellrötlich mit verwaschenen Grenzen. Hier wirkt also neben dem Helligkeitskontrast für die Färbung auch noch die Eigenempfindung des schwächer empfindlichen Papillensaumes mit. Bei Rückkehr des Auges in die Ruhestellung erfolgt ein deutlicher Umschlag, demzufolge die Scheibe nach Innenwendung heller, nach Außenwendungs dunkler als die Umgebung erscheint. Setzt man die perpalpebrale Belichtung herab, indem man die geschlossenen Augen etwa einer weniger hellen Seite des Himmels zu- wendet, so ergibt der feste Lidschluß ein Violett, der einfache Lidschluß ein recht gesättigtes, aber etwas trübes Grün. Bei völliger Abdunklung schimmert das Gesichtsfeld in bläulichem Dunkel mit zahlreichen winzigen, tanzenden urd zitternden Lichtpünktchen. S Irradiation. Für die Schnelligkeit, mit der sich die Umstimmung des Auges vollzieht, gibt auch die Beobachtung der Irradiation bei Moment- und Zeitbelichtung ein Beispiel. Wählt man die Öffnung des Papp- schirmes ziemlich klein, bei mittlerer Belichtunssstärke und stellt den Versuch in einem sonst verdunkelten Zimmer mit dunkeladaptiertem Auge an, so sieht man im Momentbild den leuchtenden Kreis von einem weiten hellen Irradiationshof umgeben. Der Hof ist kleiner, wenn die Belichtung zu kurz wird, bei !/,oo Sekunde wesentlich. kleiner als bei !/,, Sekunde. Im Zeitbild dagegen ist der Zerstreuungshof schmal und wegen seiner matten Helligkeit ganz unauffällig, oder es fehlt eine erkennbare Irradiation ganz. Ein leuchtender Gegenstand, eine Kerze, ein Glühlämpchen, ein heller Reflex auf gewölbter spiegelnder . Fläche wird infolge der Irradiation bei Momentbelichtung breiter, mit undeutlichen Konturen und mehr kreisförmig gesehen. Versucht man im Irradiationshof Einzelheiten zu erkennen, wie es allmählich bei mehrmals hintereinander wiederholter Momentbelichtung gelingt. sa kann man einen inneren dunkleren und einen äußeren helleren Teil unterscheiden, welche unter Umständen recht scharf voneinander abgesetzt sind, so daß die leuchtende Mitte erst von einem schmalen dunklen Ring und weiter von einem hellen, schwach rötlich getönten, Über das Augenblicksehen. 185 sich unscharf nach den Seiten verlierenden Saume umgeben. scheint. Auch hier lehrt die Momentbelichtung, wie die im ersten Augenblick auf Grund der physikalischen Aberration sich entwickelnde Irradiations- wirkung sehr schnell durch Adaptation ausgeglichen wird, so schnell, daß ihr Schrumpfen gewöhnlich beim einfachen Augenaufschlagen unmerklich ist und erst durch die methodische Hilfe zu Bewußtsein kommt. Umgekehrt fängt ein Lichtpunkt, den wir unverwandt fixieren, schon nach kurzer Zeit an zu zerfließen, um so rascher, je heller er ist, indem durch gleichsinnige Induktion die Erregung auf die Umgebung übertragen wird. Unser gewöhnliches Sehen hält sich in der Mitte zwischen beiden Stadien. Zugleich zeigt die Beschaffenheit des Irra- diationshofes, daß etwa gleichzeitig mit der Irradiation eine Kontrast- wirkung einsetzt. Gerade im Augenblicksehen ist der Simultankontrast besonders deutlich, so daß er in den meisten Fällen genügt, die Wirkung der Irradiation zu überwiegen und auszuschalten. Simultankontrast. Betrachtet man beispielsweise ein durch mehrere hellsestrichene Stäbe in kleinere Rechtecke geteiltes Fenster gegen den hellen Himmel im Momentblick, so zeigen die Rechtecke einen schmalen leuchtenden Rand um die weniger helle, etwas graue Binnenfläche. Selbst im Nach- bild sind häufig noch diese Helliskeitsdifferenzen der durch Rand- kontrast erhellten und durch Binnenkontrast verdunkelten Teile zu bemerken. Die im Zeitbild grauen Fensterstäbe sehen im Moment- bild schwarz aus. Es genügt schon, ein weißes Papier auf dunklem Grunde oder ein schwarzes Täfelchen auf weißem Papier im Augen- blicksbilde zu betrachten, um den starken Randkontrast zu erkennen, der beim gewöhnlichen Sehen nicht bemerkt wird. Wenn schon die ver- schiedene Anstiegszeit starker und schwacher Erresungen den Unter- schied von Hell und Dunkel eines momentan gesehenen Gegenstandes vergrößern kann, so kommt dazu die Wirkung des Simultankontrastes, der die Verschiedenheit aneinandergrenzender Flächen im ersten Augenblick noch übertreibkt. Das gleiche gilt für die Farbenkonstraste. Verlegt man z. B. die Öffnung des Momentverschlusses durch ein oder mehrere Blättchen srüner Gelatine und betrachtet wie vorhin die Fensterstäbe im Momentblicke, so haben sie einen rötlich-violetten Ton, während sie im Zeitblick schwach dunkelgrün getönt sind. Oder man verlege die kreisförmige Öffnung des schwarzen Pappschirmes zur Hälfte mit rotem Glas, zur anderen Hälfte mit etwa gleich hellem Mattglas; dann sieht im Zeitbild das Mattglas grau, im Momentbild dagegen deutlich grünlich getönt aus. So bestätigen diese Beobach- tungen sehr deutlich die Angabe Hering’s, die er bei seinen Versuchen über Simultankontrast verschiedentlich betont hat, wonach der Rand- 90. U. Ehbecke: kontrasteffekt anfangs am stärksten ist und während der Betrachtung rasch abnimmt!). Natürlich spricht der Befund wie auch andere Gründe für die physiologische und gegen die psychologische Natur des Simultan- kontrastes. Daß die Geschwindigkeit, mit der der Simultankontrast sich verliert und in die gleichsinnige Induktion übergeht, übereinstimmt mit der Geschwindigkeit, mit der sich die anfängliche Helligkeits- empfindung abschwächt, deutet auf eine Verwandtschaft dieser lokalen und allgemeinen Adaptation, die weiter zu berücksichtigen ist. Wenn sich die hier angewandte Augenblicksmethode oder Zwinker- methode dem einfachen Augenaufschlagen dort überlegen zeigte, wo es darauf ankam, die allerersten, im gewöhnlichen Sehen unbemerkten Stadien zu analysieren, die eine optische Erregung durchläuft, so ist sie aus demselben Grunde auch geeignet, einige entoptische Er- scheinungen subjektiv sichtbar zu machen, wie im folgenden ge- zeigt werden soll. Es ist bekannt, daß ein im Verschwinden begriffenes Nachbild wieder aufgefrischt wird durch einen plötzlichen Wechsel der Belichtung, also beim Schließen der geöffneten oder beim Öffnen der geschlossenen Augen im ersten Augenblick deutlich wird, um sich gleich wieder zu verlieren. Das Gleichgewicht, das sich zwischen den in verschiedenen Erregungszuständen befindlichen Netzhautstellen ausgebildet hatte, wird gestört durch den Belichtungswechsel und dann ein anderes Gleich- gewicht hergestellt. Noch vorteilhafter muß es für manche Zwecke sein, das Zustandekommen des zweiten Gleichgewichtes abzuschneiden durch eine ganz kurze Dauer der Belichtungsänderung. Wenden wir diese Überlegung auf die Untersuchung entoptischer Erscheinungen an, so bestätigt sie sich schon bei der Betrachtung der Gefäßfigur. Entoptische Erscheinung von Gefäßiigur und blindem Fleck im Augenblicksehen. Unter den mannigfachen Möglichkeiten, die Purkinjesche Ader- figur entoptisch zu sehen --- diasclerale oder transpupillare Belichtung mit bewegter Lichtquelle, Hin- und Herbewegen einer vors Auge ge- haltenen stenopäischen Öffnung — ist eine die, daß man morgens nach dem Erwachen ein Auge gegen die weiße Zimmerdecke aufschlägt. Man sieht dann den etwas elliptischen längsgestellten Kreis des blinden Flecks und. von ihm ausgehend, in gleicher grauer Schattenfarbe die !) E. Hering, Zur Lehre vom Lichtsinn. 1873. — E. Hering, Eine Methode zur Beobachtung des Simultankontrastes. Arch. f. d. ges. Physiol. 4%, 239. 1890. — E. Hering, Beitrag zur Lehre vom Simultankontrast. Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorg. 1, 28. 1890. — Kuhn, Arch. f. Ophthalmol. 2%, 1. — A. Tschermak, Über Kontrast und Irradiation. Ergebn. d. Physiol. II, 2, S. 748. Über das Augenblicksehen. 187 größeren Gefäßstämme. Doch ist das Gefäßbild nur ganz kurz im ersten Anfang sichtbar und verschwindet, während das Bild des blinden Flecks sich viele Sekunden halten kann, bevor die Erresungsunterschiede durch die lokale Adaptation verdeckt sind. Nun ist für unser Thema wichtig zu bemerken, daß eine bestimmte Lichtstärke zum Gelingen erforder- lich ist. Ist die weiße Fläche, auf welche die Figur projiziert wird, nur schwach belichtet, so sieht man nichts als den blinden Fleck, wie gewöhnlich, wenn man die einige Zeit geschlossenen Augen gegen den matten Abendhimmel aufschlägt; ist sie stärker belichtet, so sieht man weder blinden Fleck noch Gefäßfigur. Das liest bei der schwa- chen Belichtung daran, daß die, physikalisch bedingte, Erregungsver- schiedenheit zwischen belichteten und beschatteten Netzhautstellen unterhalb der Unterschiedsschweiie bleibt, während die größere, phy- siologisch kedinste, Krregungsverschiedenheit zwischen dem schwach erregbaren Papillensaum und seiner Umgebung, worauf die Sichtbar- keit des blinden Flecks beruht!), die Schwelle überschreitet. Bei der stärkeren Belichtung aber wird die Gefäßfigur im Augenblicksehen sicht- bar, und zwar sehr deutlich. Wie hieraus hervorgeht, war nur die Auf- fassung des Gefäßbildes beim einfachen Augenaufschlagen verhindert durch den auf den ersten Eindruck unmittelbar folgenden und ihn verdrängenden zweiten Eindruck der gleichmäßig weißen Fläche, wie sie das inzwischen helladaptierte Auge sieht. Wird der zweite Ein- druck und die völlige Helladaptation durch sofortiges Wiederverschließen des Auges hintangehalten, so wird der ersts- Eindruck für sich deutlich. Daher kann auch der Zwinkerversuch in kleinen Pausen wiederholt und das Gefäßbild mehrere Male hintereinander gesehen werden, während sonst beim einfachen Augenaufschlagen erst eine lang dauernde Dunkeladaption vorangehen muß, bevor das entoptische Bild zum zweiten Male zu beobachten ist. So zeigt der Versuch wieder sowohl die rückwirkende Hemmung als die Geschwindigkeit der adaptativen Veränderungen, die, wie schon der Versuch mit dem chromatisch verstimmten Auge ergab, um so größer ist, je stärker die Belichtung ist. Ist die Belichtung sehr stark bei Projektion gegen den hellen Him- mel, so sind auch im Augenblicksehen die Gefäßstämme nicht mehr zu erkennen, sondern nur die feinsten capillaren Verästelungen mehr oder minder scharf angedeutet, die den gefäßlesen Hof in der Gegend des Blickpunktes umgeben. Als allgemeiner Satz kann demnach aufgestellt werden, daß Er- regungsunterschiede der Netzhaut am besten durch einen plötzlichen und kurzdauernden Belichtungswechselzum !) Ebbecke,. Der farbenblinde und schwachsichtige Saum des blinden Flecks. Arch. f. d. ges. Physiol. 185, 113. 1920. 188 U. Ebbecke: Ursache der Erregungsunterschiede im Auge oder außerhalb des Auges liegt, ob sie physikalisch durch Belichtungsverschiedenheiten oder phy- siologisch durch Erregbarkeitsunterschiede bedingt sind, so wäre hier- aus zu folgern, daß es, ebenso wie ein Nachbild bei plötzlicher Er- - hellung dunkel auf hellem Grunde, bei plötzlicher Verdunklung hell auf dunklem Grunde erscheint, so auch möslich sein muß, jedes ent- optische Bild ebensogut hell auf dunklem Grunde wie dunkel auf hellem Grunde sichtbar zu machen. Wir haben in diesem Satz ein Leit- motiv für die folgenden Beobachtungen. Für die Gefäßfigur findet sich eine Bemerkung’ S. Exners!), dem es gelang, bei plötzlicher Verdunklung seine Aderfigur hell aufblitzen zu sehen. Ähnlich gibt es Stigler?) an. Den Versuch zu wiederholen ist mir lange nicht gelungen; doch fand ich zwei Verfahren, mit deren Hilfe mir leicht die sonst als Gefäßschatten wahrgenommenen Figuren hell auf dunklem Grunde sichtbar werden. Im einen Fall wird dem Versuch eine Blutstauung des Auges vorausgeschickt; sind durch mäßigen Druck auf den Augapfel die Venen eine Zeitlang gestaut und erweitert, so daß sie einen entsprechend breiten Schatten werfen, so heben sie sich nach Aufhören des Druckes ohne weiteres beim Blick gegen den Himmel als dunkle Streifen ab; wird während des Druckes das ge- öffnete Auge rasch geschlossen und wieder geöffnet (Zwinkern), se blitzen sie als helle Linien auf. Das zweite Verfahren ist einfacher und auch ungeübten Versuchspersonen leicht zugänglich. Man fixiere während 10—30 Sekunden .ein direkt besonntes Blatt weißes Papier und entwerfe das Nachbild auf eine mäßig helle Fläche. Während beim gewöhnlichen Aufschlagen des Auges das Nachbild gleichmäßig dunkel gefärbt ist, kommt im Augenblicksbild die feine Zeichnung der Äder- chen rings um den mittleren gefäßlosen Hof in hellen Linien zum Vor- schein; ist das Nachbild gefärbt, so heben sie sich in Kontrastfarbe, grünlich glänzend auf dunkelviolettem Grunde ab. Nachdem ich mich so geübt hatte, erkenne ich die aufblitzenden Linien auch schon, wenn ich mit einem geöffneten und einem geschlossenen Auge, im mäßig erhellten Zimmer gegen eine gleichmäßige Fläche schauend, ‚as ge- öffnete Auge plötzlich schließe. Von diesem Standpunkt lassen sich auch die ... über den blinden Fleck ordnen, der ja ohne Schwierigkeit bei einer mäßigen Belichtungssteigerung — etwa, wenn die festgeschlossenen Lider des gegen den Himmel gerichteten Auges plötzlich entspannt werden, so daß das Auge durch die dünnere Gewebsschicht stärker beleuchtet 1) 8. Exner, Über einige neue subjektive Gesichtserscheinungen. Arch. f. d. ges. Physiol. 1, 378. 1868. Fußnote. 2) R. Stigler, Beiträge zur Kenntnis der entoptischen Wahrnehmung der Netzhautgefäße. Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorg. 39, 327. 1905. Über das Augenhlicksehen. 189 wird — als dunkle Scheibe gesehen wird, aber auch bei Wechsel von ‚Verdunklung und Erhellung abwechselnd.heller und dunkler als seine Umgebung erscheinen kann, wie schon Charpentier!) und Brück- ner?) angeben. Entoptische Erscheinung des zentralen Flecks im Augen- blicksehen. Am wichtigsten ist es wohl, die Sonderstellung des zentralen schärf- sten Sehens gegenüber dem parazentralen und peripheren Sehen im Augenblicksbild zu prüfen, wobei sich einige neue Einzelheiten er- geben. Die Sichtbarkeit des zentralen Flecks (Maxwellscher Fleck mit Löweschem Ring, entoptische Macula, entoptische Fovea) ist von vielen Autoren beschrieben und untersucht, am eingehendsten von Gull- strand?) und von Dimmer®), auf deren Mitteilungen hier verwiesen sei. Auch Helmholtz’) gibt eine ausführliche Schilderung. Unter Umständen erscheint der Fleck beim Aufschlagen des dunkeladap- tierten Auges gegen eine matt belichtete weiße Fläche rötlich oder gelblich gefärbt; für gewöhnlich wird er dunkel gesehen, am besten beim Aufschlagen des Auges gegen den Abendhimmel, wenn die ersten Sterne zu erscheinen anfangen, oder tags bei Betrachtung durch ein blaues Lichtfilter, wenn etwa, nach Gullstrand, ein Absorptionsgefäß mit konzentrierter ammoniakalischer Kupfersulfatlösung vor das Auge gehalten wird. Man sieht entweder nur einen dunklen, für die meisten Beobachter etwas rhombischen, quergestellten Fleck von wechselnder Größe, so groß wie die entoptische Papille oder so groß wie der gefäßlose Hof, der nach der Purkinjeschen Methode durch Bewegen einer stenopäischen Öffnung vor dem Auge sichtbar wird, oder bei größerer Lichtstärke erscheint ein kleinerer dunkler Fleck in dem größeren, zuweilen mit einem hellen Kernpunkt und mit einer matthellen, verwaschenen, breiten Umrandung. Soweit stimmen die ver- schiedenen Beobachter ziemlich gut überein. Die Erklärung ist strittig. Es wird eine physikalische Verschiedenheit des auf die Netzhaut auffallenden und des zur Wirkung in den Sinnesepithelien gelangenden, terminalen Lichtes in der Macula- gegend angenommen, die entweder auf die selektive Absorption durch das in der Gehirnschicht vorgelagerte gelbe Pignient zurückgeführt oder der Brechung und Zerstreuung und der Polarisation zugeschrieben wird, die das Licht beim Über- gang vom Glaskörper in die gekrümmte Fläche der Netzhautgrube mit ihren radial angeordneten Nervenfasern erleidet und die am meisten die kurzwelligen Strahlen betrifft. !) A. Charpentier, Compt. rend. de la soc. de biol. 1898, S. 1634. 2) Brückner, Über die Sichtbarkeit des blinden Flecks. Arch. f. d. ges. Physiol. 135, 656ff. 1910. £ 3) Gullstrand, Die Farbe der Macula centralis retinae. v. Graefes Arch. f. Ophthalmol. 62, 1. 1905; 66, 141. 1907. *) Dimmer, ker zur Anatomie und Physiologie der Macula lutea des Menschen. Wien 1894. — Derselbe, Die Macula lutea der menschlichen Netz- haut und die durch sie bedingten entoptischen Erscheinungen. v. Graefes Arch. f. Ophthalmol. 65,.486—544. 1907. 5) Helmholtz, Physiologische Optik. 3. Aufl. 2. Bd., S. 254ff. 190 U. Ebbecke: Durch das Augenblicksehen wird die Beobachtung der beschriebenen Erscheinung wesentlich erleichtert, zumal wenn die Momentbelichtung mit kurzen Pausen mehrn.als hintereinander vorgenommen wird. Denn einmal beeinträchtigt die Momentbelichtung weniger den Dunkel- adaptationszustand des Auges, der eine Vorbedingung ist, und zweitens isoliert sie die Erscheinung von den Veränderungen, die sie sonst durch die lokale Adaptation rasch erfährt. Als neu kommt bei dieser Methode hinzu, daß es nun gelingt, den zentralen Fleck auch als glän- zend hellen Fleck entoptisch zu sehen. Während sonst der Fleck als farbig oder dunkel beschrieben ist, erwähnt nur Helmholtz (l. e. S. 256), daß ihm zuweilen ein helles Aufblitzen des gelben Fleckes vor- komme, ohne daß er es willkürlich herbeiführen und erklären könne. Mit dem Augenblicksehen ergibt sich: Wendet man das durch den vorgehaltenen Momentverschluß verdeckte und kurze Zeit dunkel- adaptierte Auge gegen eine helle Fläche, etwa den gleichmäßig beleuchteten Tageshimmel oder ein gut belichtetes weißes Papier, und exponiert für Bruchteile einer Sekunde — die günstigste Belich- tungsdauer ist von Fall zu Fall auszuprobieren —, so sieht man den zentralen Fleck leuchtend hell auf weniger hellem Grunde. Beim gewöhnlichen Aufschlagen des Auges ist hiervon nichts zu sehen. Daß die Erscheinung nicht etwa darin ihren Grund hat, daß bei der Exposition die Mitte der Öffnung früher und länger ge- öffnet wurde, läßt sich leicht daran erkennen, daß der helle Fleck bei anders gerichtetem Blickpunkt ebenfalls seine Stellung ändert und sich beliebig verlegen läßt. Hierbei zeigt sich eine deutliche Abhängig- keit vom Adaptationsgrade, indem der Fleck bei fortgeschrittener Dunkeladaptation beträchtlich größer ist mit unscharfer Begrenzung als bei geringer Dunkeladaptation. wo er ungefähr die scheinbare Größe der Sonne am Himmel (1/, Winkelsrad) hat oder sogar nur als kleiner leuchtender Kern gesehen wird. Wollte man diese neue Erscheinung ebenfalls physikalisch erklären, so wäre umgekehrt zu sagen, daß die Gegend des gelben Fleckes nicht durch Absorption der kurzwelligen Strahlen weniger, sondern vielmehr wegen der größeren Dünne der vorgelagerten Schichten mehr Licht empfänst als die Umgebung. Dabei ist hervorzuheben, daß der Fleck auch auf einer beliebig ge- färbten blauen, grünen, gelben, roten Fläche sichtbar wird, gleich- farbig, nur heller als die Umgebung, sofern die Fläche nur genügend stark beleuchtet ist. Aber viel näher liegt die physiologische Erklärung: Die Netzhautmitte ist in ihrer Erregbarkeit so beschaffen, daß sie auf starke Belichtung besser und auf schwache Belichtung schlechter reagiert als ihre Umgebung. Die Unterschiede nehmen im Verlauf der Dunkeladaptation zu. Setzt man solche Versuche im Laufe eines Nachmittages fort bis Über das Augenblicksehen. 191 die Nacht hereingebrochen ist, so verändert sich während der Zeit kontinuierlich Belichtungsstärke und Adaptationsgrad. Zwischen dem Stadium, in dem der Fleck bei Momentbelichtung hell, und jenem, wo er dunkel erscheint, gibt es nun ein mittleres, in dem der Fleck sowohl hell als dunkel gesehen werden kann. Schon während einer mäßig hellen Nacht läßt sich sehen, daß der Fleck im Augenblicksbild auf eine weiße Häuserwand projiziert heller, auf eine dunkelsraue Wand projiziert dunkler ist als seine Umgebung. In beiden Fällen ist die Lichtmenge recht gering; dennoch sind im ersten Fall die Erregungs- bedingungen für das zentrale, im zweiten für das periphere Sehfeld etwas besser, und da wir beim Sehen nicht die absoluten Helliskeiten, sondern die Erregunssunterschiede beurteilen, die zudem durch Kon- trast verstärkt werden, so genügt die Erregungsdifferenz zur Erkennung des zentralen Fleckes. Interessanter noch ist die Erscheinung bei be- ginnender Abenddämmerung, wenn der Himmel noch ziemlich hell ist. Dann ist beim einfachen Aufschlagen der kurze Zeit geschlossenen Augen der Fleck noch nicht zu sehen; bei einer Belichtungsdauer von !/,—!/,, Sekunde erscheint er als helle Scheibe, bei einer Exposition von !/,o Sekunde als grauer Schatten. Eine phy- sikalische Erklärung muß hier versagen; physiologisch bedeutet, wie ich meine, der Befund, daß die Netzhautmitte bei einer bestimmten Beleuchtung und Adaptation zwar träger reagiert als ihre Umgebung, daß ihre Erregung aber auf ihrem Höhepunkte die der Umgebung übertrifft. Auch Hess!) hat mit der Methode bewegten Reizlichtes gefunden, daß die Erregung im dunkeladaptierten Auge ihr Maximum foveal später als extrafoveal erreicht, und erklärt damit die verschiedenen Erscheinungsweisen des zentralen Fleckes. Bei der gleichen Dämmer- belichtung und Exposition wie im vorigen Versuch kann man es dazu bringen, den als hell gesehenen Fleck als etwas größere dunkle Scheibe zu sehen, wenn man inzwischen das Auge eine Zeitlang völlig ab- gedunkelt hatte, worin sich wieder der Einfluß der Dunkeladaptation zeigt. Unter Umständen kann sich die Erscheinung komplizieren durch das Spiel von Wirkung und Gegenwirkung, die Andeutung einer rhythmischen Reaktion, wie sie von der Wirkung kurz dauernder Netzhautreize bekannt ist, worauf die Helmholtzsche Beobachtung zurückzuführen ist. Als dritten Hauptpunkt bei den Erscheinunssweisen des zentralen Fleckes möchte ich folgende Beobachtung schildern. Hält man das ge- öffnete Auge gegen den gleichmäßigen, mattbeleuchteten Abend- himmel gerichtet und schließt es für einen Augenblick, um es gleich wieder zu öffnen, so erscheint der Fleck während des momen- !) C. Hess, Untersuchungen über den Erregungsvorgang im Sehorgan. Arch. f. d. ges. Physiol. 101, 226. 1904. 192 U. Ebbecke: tanen Augenschlusses als helle, oft recht gut begrenzte, Scheibe. Vorher und nachher ist vom zentralen Fleck nichts sichtbar. Auch bei Tage, am besten morgens nach dem Erwachen, gelinst es zuweilen, indem man die lose geschlossenen durchleuchteten Lider einen Augen- blick fest schließt und gleich wieder entspannt, während des momen- tanen festen Lidschlusses den zentralen Fleck hell aufleuchten zu sehen. Der Befund erinnert an die von Gullstrand beschriebenen Nach- bilderscheinungen des zentralen Fleckes. Nur ist in diesem Falle von einem Vorbild nichts zu bemerken, und auch dann wäre es noch schwierig zu sagen, welches von beiden das Nachbild oder welches das positive und welches das negative Nachbild sein soll. Aber wiederum führt der Befund zu der allgemeinen Formulierung: Zwischen der zentralen Netz- haut und ihrer Umgebung bestehen, am meisten im dunkeladaptierten Auge, Unterschiede der Erregung und Erresbarkeit, die gewöhnlich durch Lokaladaptation unmerklich sind, aber bei plötzlicher und kurz dauernder Belichtungsänderung merklich werden; ein Satz, der ja ähnlich auf die Sichtbarkeit des blinden Fleckes’ anwendbar ist. Als Grund für die Verschiedenheiten der Erregung, die auch individuell variieren, kommen zum Teil physikalische Faktoren in Betracht — Verteilung des gelben Pisments, Dicke der Netzhautschicht, Form der Netzhautgrube, Polarisation —, großenteils aber sind es die inneren Bedingungen, die hier maßgebend sind. Wieweit die hier hervor- gehobenen physiologischen Faktoren mit der Theorie des Stäbchen- und Zapfensehens in Beziehung zu setzen sind, ist eine weitere Frage, die über das hier gestellte Thema hinausgeht. Rückwirkende Hemmung. Wie sich immer wieder bei den geschilderten Beobachtungen zeigte, bestand der Vorteil des Augenblicksehens gegenüber dem gewöhnlichen Sehen bei der Analyse des optischen Erregungsverlaufes und bei der Erkennung flüchtiger entoptischer Erscheinungen darin, daß der erste sanz kurze Eindruck unter Umständen nur dann bewußt und auf- gefaßt wird, wenn der ihm unmittelbar folgende andersartige Eindruck ausgeschaltet wird. Es ist bekannt, wie empfindlich schwache sub- jektive Gesichtserscheinungen gegen allerlei störende Ablenkungen sind, so daß sie wegen der größeren Deutlichkeit der objektiven Ge- sichtserscheinungen gewöhnlich unbemerkt bleiben; aber es ist doch auffallend, daß eine solche Störung und Hemmung auch von einem erst nachträglich einsetzenden Eindruck ausgehen kann. Hier ist auf die Versuche von Baxt!) hinzuweisen, der zuerst die Wirkung eines 1) Baxt, Über die Zeit, welche. nötig ist, damit ein Gesichtseindruck zum Bewußtsein kommt, und über die Größe (Extension) der bewußten Wahrnehmung bei einem Gesichtseindruck von gegebener Dauer. Arch. f. d. ges. Physiol. 4, 325. 1871. _ Über das Augenblicksehen. 193 „Löschreizes‘ ‚feststellte. Er fand, daß bei einer kuzen Expositions- zeit, die ausreicht, um die dargebotenen Buchstaben wahrzunehmen, durch einen kurz darauf folgenden allgemeinen Lichtreiz das Sehen jener Buchstaben verhindert oder sehr beeinträchtigt wird. Andere Autoren, die mit Löschreiz experimentierten, sind Cattell!), F. Schu- mann?), Becher?), Baade*). Obgleich in unserem Falle ein und der- selbe äußere Reiz einwirkt, dessen Reizerfolg sich nur infolge der raschen adaptativen Änderung verschiebt und sich gedanklich in zwei Teilabschnitte zerlegen läßt, so ist doch die Ähnlichkeit mit den Lösch- reizversuchen unverkennbar. Wenn ich die Bezeichnung rückwirkende Hemmung; wähle, so geschieht das einerseits, um den Vorgang in den al'gemeineren Begriff der Hemmung einzureihen — so fand ich früher bei der Analyse der Temperaturempiindungen’), daß bei einer ther- mischen Reizung sowohl Wärmeerregung wie Kälteerregung zugleich entstehen und die stärkere von beiden die schwächere zu verdrängen p!lest, auch wenn sie der Lage der Temperaturorgane nach, um ein weniges später entstanden war —, und anderseits im Anschluß an Müller und Pilzecker®), die für das Auswendiglernen sinnloser Silbenreihen fanden, daß das Behalten einer Reihe beeinträchtigt wird, wenn wenige Minuten, besser noch wenige Sekunden auf das Ein- prägen der ersten Reihe die Darbietung einer zweiten Reihe oder eine andere aufmerksame Beschäftigung folet. Wahrscheinlich liest auch da ein ähnlicher Vorgang zugrunde, wenn es auch im Fall der Ge- dächtnisversuche nur die ‚„Residuen“ oder die nachklingenden und abklingenden psychophysischen Erregungen sind, die gehemmt werden. Übrigens wissen manche Menschen aus eigener Erfahrung, daß es ihnen am besten gelingt, einen sehr flüchtigen Gesichtseindruck, etwa die Stellung eines Tennisspielers im Augenblick des Ballschlagens, auf- zufassen, wenn sie, sobald der zu beobachtende Vorgang eingetreten ist, die Augen schließen. Das erklärt sich durch Ausschalten der rück- wirkenden Hemmungen. ‚Psychologische Anwendung. Nachdem ich gezeigt habe, daß die rückwirkende Hemmung keine künstliche Versuchsbedinsung, ‚sondern ein im gewöhnlichen Sehen jeden Augenblick vorkommendes 1 ) Cattell, Phil. Stud. 3, 105. 1886, ®) F.Schumann, Zeitschr. f. päd. Psychol. u. exp. Päd. 1, 21893: ) ) w Becher, Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorg. 36, 16. 1904. Baade, Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorg. %9, 68 u. 97. 1917. >) Ebbecke, Die Temperaturempfindungen in ihrer Abhängigkeit von der Hautdurchblutung und von den Reflexzentren. Arch. f. d. ges. Physiol. 169, 299. 197. 6) Müller und Pilzecker, Experimentelle Beiträge zur Lehre vom Gedächtnis. Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorg. 1900, Ergänzungs- band 1. 4 194 U. Ebbecke: Ereignis ist, kann man auch auf anderen Gebieten nach diesem psycho- physischen Mechanismus Umschau halten und ergibt sich hier, wie ich meine, eine Möglichkeit, das unlogische Assoziationsbeispiel des Traum- lebens im Vergleich zum geordneten wachen Denken zu verstehen. Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der Träume, daß sich die Vor- stellungen in ihnen nach einfachen Assoziationsregeln auf Grund irgend- welcher, oft ganz äußerlicher Ähnlichkeiten und Beziehungen ‚‚ideen- flüchtig‘ aneinanderreihen und abspielen. Dabei stellen sich Zu- sammenhänge her und fallen uns Gedanken ein, die wir im wachen Leben sofort als unsinnig zurückweisen und verdrängen würden, ja, auf die wir im wachen Leben überhaupt nicht kommen würden. Das Wort: „Dergleichen fällt mir nicht im Traume ein“, soll den höchsten Grad von Unwahrscheinlichkeit bezeichnen. Weshalb aber haben wir im wachen Leben scheinbar weniger, jedenfalls nicht solche Einfälle? Die Regeln, nach denen eine Erregung andere Erregungen assoziativ nach sich zieht und heraufführt, sind im Wachen und Träumen die- selben. Nur sind die Erregungen, die sich an eine Ausgangserregung anschließen, bei der höheren Bewußtseinslage zahlreicher als bei der herabgesetzten. Während im Träumen einige wenige Erregungen, die infolge der jeweiligen zufälligen Konstellation in. Bereitschaft ge- setzt sind, auftauchen und verhältnismäßig isoliert bestehen, sind im Wachen die angeregten und aufsteigenden Komplexe so zahlreich, daß sie sich schon im Entstehen hemmen (,generative Hemmung‘) und nur die von mehreren Seiten her durch „konvergente Anregung“ unterstützten sich im Bewußtsein durchsetzen. Dabei können. wie hier betont werden soll, selbst später entstehende, weniger naheliegende, aber durch inneren Zusammenhang gestützte Erregungen die Oberhand gewinnen. Geschieht dies langsam, so wird uns der Vorgang als nach- trägliches Bezweifeln und Korrigieren oder absichtliches Zurückweisen bewußt; geschieht es aber schnell — und dies ist das Gewöhnliche —, so werden die einfachsten, nächstliegenden, durch eine Art Kurzschluß verbundenen Erregungen, wie sie der Traum kennen lehrt, schon über- holt und gehemmt, bevor sie bewußt werden konnten. Von den vielen Korrekturen und Sichtungen, die normalerweise dauernd stattfinden und mit höherer Wachstufe immer größere Ausdehnung haben, merkt dann der Mensch nichts mehr. In ihrer Unwillkürlichkeit sind sie aber nicht weniger wirksam und äußern sich in ‚„Feinfühliskeit“ und ‚Takt- gefühl‘ oder als ‚‚intuitives“ Erkennen des Richtigen. So liefert der hier geschilderte Mechanismus der rückwirkenden Hemmung einen Beitrag zum Verständnis der als Kritik, Selbstkontrolle, Selbst- beherrschung bezeichneten und im Traumleben fehlenden Denkvor- gänge. Über das Augenblicksehen. 195 Zusammenfassung. Das Sehen bei Momentbelichtung begünstigt im Vergleich zum ge- wöhnlichen Sehen die Analyse der ersten Stadien einer optischen Er- regung und die Beobachtung entoptischer Erscheinungen. Es lassen sich die größere Helligkeit und geringere Farbsättigung des Moment- bildes gegenüber dem Zeitbild, das anfängliche Überwiegen von Irra- diation und Simultankontrast und die Geschwindigkeit der lokalen und allgemeinen Adaptation demonstrieren. Einige entoptische Er- scheinungen von Gefäßfigur und zentralem Fleck werden beschrieben. Im Anhang wird der bei den Versuchen beobachtete Mechanismus der rückwirkenden Hemmung besprochen und eine psychologische An- wendung gegeben. Über das Sehen im Flimmerlicht. Von U. Ebbecke. (Aus dem physiologischen Institut in Göttingen.) (Eingegangen am 20. September 1920.) Über die Wirkung intermittierender Netzhautreize gibt es zahl- reiche Arbeiten, die sich hauptsächlich mit der Verschmelzungsfrequenz und ihrer Beeinflussung durch verschiedene Faktoren, wie Lichtstärke, Farbton, Kontrast und Adaptation, beschäftigen und in der Flimmer- und Flickerphotometrie eine praktische Anwendung gefunden haben. Bleibt die Schnelligkeit des Lichtwechsels unterhalb der Verschmel- zungsfrequenz, so stellen sich allerlei subjektive Erscheinungen ein, die Lichtschattenfigur Purkinje’s!), die subjektiven Farben rotieren- der schwarzweißer Scheiben von Fechner?), die von Brücke?°) be- schriebenen Helligkeitsänderungen, die subjektiven Gesichtserschei- nungen Exner’s®), die Farbänderungen, auf die Bidwell°). hinge- wiesen hat, eine Reihe seltsamer, nur unvollkommen erklärter Er- scheinungen®). Wenn ich diese Reihe nun durch einige neue Beob- achtungen ergänze, so geschieht das einmal, weil die Tatsachen mit Hilfe der hier angewendeten einfachen Methode leicht anschaulich demonstrierbar sind, und zweitens, weil sie auf Grund der voran- gehenden Arbeit über das Augenblicksehen erklärbarer und über- 1) J. Purkinje, Beiträge zur Kenntnis des Sehens in subjektiver Hinsicht. Prag 1819. 2) G. Th. Fechner, Über eine Scheibe zur Erzeugung subjektiver Farben. Poggendorffs Annalen 45, 227. 1838. 3) BR. Brücke, Über den Nutzeffekt intermittierender Netzhautreizungen. Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wiss. Wien 49, II, 128. 1864. 4) S. Exner, Über einige neue subjektive Gesichtserscheinungen. Arch. f. d. ges. Physiol. 1, 375. 1868. \ 5) S. Bidwell, On subjective colour phenomena attending sudden changes of illumination. Proc. Roy. Soc. 60, 368. 1896. — S. Bidwell, On the negative after-images following brief retinal exeitation. Tbid. 61, 268. 1897. — S. Bidwell, On negative after-images and their relation to certain other visual phenomena. Ibid. 68, 262. 1901. 6) Vgl. dazu Helmholtz, Physiol. Optik, 3. Aufl. Bd. 2, S. 192£. und S. 216 bis 218. — v. Kries, in Nagels Handb. 3, 230—232. — Rivers, in Schaefers Textbook 2, 1074—-1076. U. Ebbecke: Über das Sehen im Flimmerlicht. 197 sichtlicher werden. Es zeigt sich, daß die Veränderungen, die das Ge- sehene bei rhythmischer Belichtung gegenüber der gewöhnlichen Dauerbelichtung erfährt, übereinstimmen mit denen bei Moment- belichtung und nur durch die periodische Wiederholung auffälliger zum Vorschein kommen. Die Methode, die sonst bei den Flimmerversuchen meist benutzt wurde, ist die Betrachtung rotierender Scheiben mit schwarzen und weißen Sektoren. Statt der episkopischen Betrachtung ist hier die diaskopische, stroboskopische gewählt, weil dadurch der Unterschied von abwech- selndem Hell und Dunkel viel stärker gemacht werden kann und weil es leicht ist, die Beleuchtung beliebig zu variieren und die verschie- densten Objekte in ihrem Aussehen bei Flimmerlicht und gewöhn- lichem Licht zu vergleichen. Es wird etwa der Himmel, eine Land- schaft, ein Licht oder irgendeine Fläche betrachtet durch eine schwarze rotierende Scheibe, die mit im Kreis angeordneten Löchern oder mit sektorenförmigen Ausschnitten versehen ist. Je schwerer die Scheibe, (Metallscheibe, Holzscheibe mit umgebendem Bleiring), um so gleich- förmiger ihre Rotation und um so langsamer ihr Auslaufen, wenn sie einmal in Schwung gesetzt wird. Für viele Zwecke genügt eine Pappscheibe von etwa 25cm Durchmesser mit 2 oder 4 Sektoren- ausschnitten, die, auf einen langen Nagel als Achse gesteckt und mit der Hand an diesem Nagel vor den Augen gehalten, mit der anderen Hand in Schwung gesetzt wird. Noch einfacher und oft völlig aus- reichend ist es, die gespreizten Finger oder einen, in einen kleinen schwarzen Pappschirm geschnittenen Lichtspalt von bestimmter Weite dicht vor dem beobachtenden Auge hin und her zu bewegen; im Regulieren von Geschwindigkeit und Umfang der rhythmischen Hand- bewegung erlangt man bald die gewünschte Sicherheit. Oder der in Leseentfernung betrachtete Gegenstand selbst (Papptäfelchen, elastische Stange, ausgespannter Strick, Saite) wird auf irgendeine Weise in rhythmische zitternde, vibrierende oder langsamer schwingende und pendelnde Bewegung gebracht. Wo es auf Zeitbestimmungen ankam, wurde die Scheibe auf einem Farbkreisel angebracht oder auf einem Elektromotor, dessen Umdrehungsgeschwindigkeit durch Verschieben des eingeschalteten Rheostatwiderstandes variiert wurde!). Die Be- stimmung der Umdrehungszahl geschah, je nach den Umständen, optisch nach einer nahe dem Scheibenzentrum angebrachten Marke, akustisch nach dem rhythmischen Anschlag eines am Scheibenrande angebrachten Sporns oder mittels Tourenzählers. Projiziert man durch die Ausschnitte einer so betriebenen Blechscheibe, die einer kinemato- graphischen Blende ähnlich sieht, das Licht eines elektrischen Bogens !) Für die Eniteihung eines elektrisch betriebenen Stroboskops möchte ich auch hier Herrn Prof. Pohl vom physikalischen Institut besten Dank aussprechen. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 185. 14 198 U. Ebbecke: auf einen weißen Schirm im sonst verdunkelten Raum, so kann man einen Teil der Erscheinungen einem größeren Zuschauerkreis zugleich sichtbar machen. Die im Flimmerlicht bemerkbaren Erscheinungen lassen sich ord- nen in Helligkeitsänderungen, Färbungsänderungen, Wirkungen von Irradiation und Kontrast und solche Wirkungen, die sich auf Struk- turen des inneren Auges, auf den Unterschied des zentralen und peri- pheren Sehens und die Helldunkeladaptation beziehen. Helligkeitsänderungen. Bewegt man den wenige Millimeter breiten Lichtspalt vor dem Auge so, daß Erhellung und Verdunkelung einer Netzhautstelle etwa achtmal in der Sekunde wechseln — die pendelnde Hand macht dabei vier Doppelschwinsungen in der Sekunde, Aufstellen eines Metronoms ermöglicht die Bestimmung der Frequenz — und beobachtet vom Hintergrund des Zimmers aus den weißen Vorhang eines von hellem Tageslicht beleuchteten Fensters, so sieht man statt der gleichmäßigen Helligkeit das unstete Flimmern, Flackern, Zittern, Schimmern, Schil- lern, Glitzern, das für das Auge ungefähr den Eindruck macht wie der Haut ein Bürsten und Kratzen oder dem Ohr ein schriller, kreischen- der Ton. Das Licht bekommt etwas Grelles, Belästigendes, und der Beobachter ist geneigt, schon nach kurzer Zeit das Auge zu schließen und zu reiben. Vergleichbar ist auch der Eindruck, der bei gleich- zeitiger ster- oskopischer Darbietung eines weißen und schwarzen Bildes entsteht. Das Glänzen, im einen Fall durch den Wechsel und Wett- streit der Sehfelder bedingt, beruht im anderen Falle auf dem äußeren Wechsel der Belichtung wie bei einem bewegten seidenen Gewand oder einer besonnten leichtgekräuselten Wasserfläche. Wie hieraus hervorgeht, ist die Erscheinung des Glanzes sowohl binokular wie monokular möglich; beide Arten sind nahe miteinander verwandt und im natürlichen Sehen meist miteinander verbunden. Hat sich das Auge an den Eindruck gewöhnt und vergleicht nun die Helligkeit beim Schauen durch den bewegten und den ruhenden Lichtspalt, so wird, besonders nach mehrmals hintereinander ange- stelltem Vergleich, der Helligkeitsunterschied sehr auffällig. Trozdem es noch nicht zu einer völligen Verschmelzung der Einzeleindrücke kommt, hat doch die flimmernde Fläche eine deutliche Gesamthellig- keit, und sobald der Spalt sistiert wird, sinkt die Helliskeit plötzlich ab, schrumpft sozusagen, so rasch etwa, wie die Tonhöhe einer unweit vom Ohr vorübersausenden Gewehrkugel absinkt. Es wird hier deutlich, daß die Flimmerhelligkeit nicht nur, wie Brücke fand, größer ist als die nach der Verschmelzung zum kontinuierlichen Gesamteindruck erreichte, sondern sogar größer als die Helligkeit Über das Sehen im Flimmerlicht. 199 des ohne Unterbrechung auf das Auge einwirkenden Lichtes. Das Licht wird heller durch rhythmische Verdunkelung. Zum Vergleich der Helligkeit vor und nach erreichter Verschmelzung kann eine Scheibe dienen, aus der innerhalb eines schmalen Ringbezirks vier gleich weit voneinander entfernte Sektorstücke von 20° und in einem benachbarten konzen- trischen Ring ein Sektorstück von 20° ausgeschnitten sind. Wird die Scheibe vor einem hellen Hintergrund bis zur Verschmelzung des ersten Ringes rotiert, so erscheint trotz der vierfach geringeren Lichtmenge der aus einiger Entfernung betrachtete flimmernde Ring heller als der verschmolzene. Zum: Vergleich der intermittierenden und der dauernden Lichtwirkung läßt man eine Scheibe aus vier schwarzen Sektoren von 45°, zwischen denen die gleich großen Sektoren aus- geschnitten sind, dicht vor den Augen mit Flimmerfrequenz rotieren und sieht abwechselnd durch die Scheibe und neben der Scheibe auf den hellen Hintergrund. Oder man setze ein rechteckiges schwarzes Täfelchen oder eine schmale schwarze Leiste gegen einen gleichmäßig hellen Hintergrund in schwingende Bewegung; dann sieht man statt der einen Tafel entsprechend den Umkehrpunkten der Pendel- bewegung zwei rechts und links, die sich nach den Seiten unscharf verlieren, und zwischen ihnen, von ihren dunklen, scharf abgegrenzten Innenrändern einge- schlossen, ein helles Feld, das, bei passend gewähltem Hintergrund, hell flimmert und heller aussieht als der stetig einwirkende Hintergrund. Freilich gilt der Satz von der Helligkeitszunaime im Flimmerlicht nur für eine gewisse mittlere Beleuchtung. So leicht es ist, ihn zu bestätigen für ein in guter Zimmerbeleuchtung auf dem Schreibtisch liegendes weißes Blatt Papier, für das Mattglas eines Fensters oder, bei künstlichem Licht, für eine kleine, vor eine Glühlampe gehaltene Mattscheibe, deren Weiß im Flimmern heller leuchtet, so wenig gelingen die Versuche bei herannahendem Abend, bei trübem Wetter oder sonst gedämpfter Beleuchtung, wo die rhythmische Verdunklung bei noch so langsamem Flimmern die Helligkeit immer nur herabsetzt. Bemer- kenswerterweise gilt der Satz aber auch nicht mehr bei einer maximalen, blendenden Lichtstärke. So kann man bei naher Betrachtung eines sonnenbeleuchteten weißen Papiers im Wechsel von Flimmerlicht und Dauerlicht unmittelbar die Verdunkelung während des Flimmerns sehen. Oder besieht man im sonst dunkeln Zimmer aus der Nähe eine Glühbirne, deren glühende Kohlenfäden infolge der Irradiation einzeln nicht scharf kenntlich sind, so werden diese Fäden beim Flimmern sogleich deutlich, weil Helligkeit und Irradiation abnehmen. | Für die der Flimmerhelliskeit günstigste Unterbrechungs- frequenz ist ebensowenig eine feste Zahl anzugeben wie für die Ver- schmelzungsfrequenz; beide steigen mit zunehmender Lichtstärke, und wenn Brücke seinerzeit die Zahl von 17—18 Reizen in der Sekunde für den ‚Nutzeffekt‘“ optimal nannte, so bezieht sich das natürlich nur auf die zufällig von ihm gewählte Beleuchtung. Im ganzen wirken alle die verschiedenen Einflüsse, die die Verschmelzungsfrequenz ver- ändern, auch auf die optimale Flimmerfrequenz, so daß sie hier keiner besonderen Erwähnung bedürfen, und bleibt das gegenseitige Verhält- 1: 200 U. Ebbecke: nis annähernd so, daß die Reizzahl für das hellste Flimmern die Hälfte bis ein Drittel der zur Verschmelzung nötigen Reizzahl beträgt, bei mäßigen Helligkeiten sogar so niedrig ist, daß kaum noch die Einzel- reize zum Gesamteindruck zusammengehn. Dazu kommt, daß die Hel- ligkeit bei längerer Einwirkung des Flimmerlichtes sich verschiebt, und daß sie größer ist, wenn die bestimmte Geschwindigkeit der Um- drehung durch Herabmindern von der Verschmelzungsgrenze her, als wenn sie durch Anwachsen von der Ruhelage her erreicht war. Darin kommt als weitere wichtige Vorbedingung der jeweilige Adaptationszustand des Auges zum Ausdruck. Nachdem mir aufgefallen war, daß die Veränderungen, welche die Gegenstände im Flimmern erfahren, oft weniger deutlich waren bei den Versuchen unter freiem Himmel als im Zimmer, und in Fensternähe weniger als vom Hintergrund des Zimmers aus, ließ sich leicht als allgemein gün- stigste Bedingung feststellen das Flimmern von einem verhältnismäßig dunkeln Standort aus zu einem hell beleuchteten Gegenstand hin. Doch ist ein Dunkelraum, wie er sonst bei Laboratoriumsversuchen benutzt wird, hier ‘nicht nötig. Ähnlich wie ein dunkler Standort wirkt das Vorsetzen einer Dunkelröhre oder das Vorhalten eines großen schwarzen Pappschirms mit Kreisöffnung. Daher wirkt es auch stärker, wenn die durchbrochene schwarze Scheibe dicht vor dem beobachten- den Auge rotiert, als wenn durch die in einiger Entfernung aufgestellte Scheibe hindurch beobachtet wird. So versteht sich, warum bei der episkopischen Betrachtung einer rotierenden schwarz-weißen Scheibe manche Erscheinungen nicht oder undeutlicher bemerkbar sind. Denn wenn dabei auch die Flimmererscheinungen mit der Belichtung stärker werden, am stärksten im direkten Sonnenlicht, so werden doch von der Belichtung sowohl die weißen wie die schwarzen Sektoren und auch die ganze Umgebung getroffen und wird durch das von allen Seiten einfallende ‚Nebenlicht‘‘ das Auge des Beobachters dauernd in einem Zustand von Helladaptation erhalten, der für das Flimmern ungünstig ist. Durch die Feststellung des Einflusses von Reizzahl, Beleuchtung und Adaptation auf die Flimmerhelliskeit sind die Daten vorhanden, die zur Erklärung führen können. Zunächst läßt sich, in Analogie mit den Befunden der vorhergehenden Arbeit, das Flimmersehen als ein in rascher Folge wiederholtes Augenblicksehen auffassen. Da der Verlauf einer optischen Erregung bei Dauerbelichtung eine Kurvenform hat, deren Einzelheiten zunächst noch unbestimmt bleiben können, mit Anstieg, Maximum und Absinken, so ist der Hellig- keitseindruck dann am größten, wenn die Kurve bei erreichtem Maxi- mum abgebrochen wird, da der im Moment der Unterbrechung vor- handene Erregungszustand zum Bewußtsein kommt, also dann, wenn die Über das Sehen im Flimmerlicht. 201 Expositionszeit der periodisch aufeinanderfolgenden Reize der Zeit bis zur Erreichung des Maximums entspricht. Diese Zeit ist, wie be- kannt, für starke Lichtreize kürzer als für schwächere und kann für recht schwache Reize so lang werden, daß sie auch bei geringer Unter- brechungsfrequenz nicht erreicht und eine Helligkeitszunahme im Flimmern nicht mehr möglich ist. Bei der Dauerbelichtung aber stammt der Helligkeitseindruck aus einer Zeit, in der die Kurve schon be- trächtlich abgesunken ist. So betrachtet verliert die Helligkeitszu- nahme durch rhythmische Verdunkelung ihren zunächst befremdenden Charakter. Aus dem für maximale oder besser übermaximale Licht- reize abweichenden Befund aber (S. 199) kann nun die neue Lehre gezogen werden, daß der Wirkungsgrad solcher blendend hellen Reize während der Belichtungsdauer zunächst nicht rasch absinkt, ja sogar noch weiter ansteigt, so daß eine rhythmische Unterbrechung immer nur Abnahme der Helligkeit zur Folge hat. Hierbei würde auch das Absinken der Erregung nach Unterbrechung des Reizes weniger steil sein; denn nach Grünbaum!) steigt zwar zunächst mit Zunahme der Helligkeit die Verschmelzungsfrequenz, nimmt aber bei noch größeren Lichtstärken schließlich wieder ab, und die dann erreichte Gesamt- helligkeit nach der Verschmelzung ist größer als dem Talbotschen Gesetz entspricht. In der starken Nachwirkung, die vielleicht einer von photochemischen Zersetzungen außerhalb des Körpers bekannten Hysteresis vergleichbar ist, unterscheiden sich diese Reizgrade von den übrigen, bei denen nach Unterbrechung die Kurve um so steiler absinkt, je höher sie war — daher ihre höhere Verschmelzungsfrequenz und Zackengröße?) —, wenn auch die gesamte, nach dem ersten raschen Absinken noch fortbestehende Nacherregung kontinuierlich mit Zu- nahme der Reizstärke zunimmt, wie die Dauer des positiven Nach- bildes anzeigt. Daß das rasche Absinken bei hochgradiger Reizung fehlt, spricht gegen die Deutung der Abnahme als einer Ermüdung und Erschöpfung, die, je stärker die Zersetzung, um so schneller ein- treten müßte, und spricht mehr dafür, sie als eine auf antagonistischen Vorgängen beruhende Regulation aufzufassen, die versagt, wenn die Grenze der Regulierungsfähigkeit überschritten wurde. In der Erklärung der Helligkeitswirkung des Flimmerns auf Grund der Kurvenform des Erregungsablaufes ist aber der wichtige Einfluß der Adaptation noch unberücksichtigt geblieben. Geht man von dem auf S. 199 geschilderten Versuch mit dem in Schwingung versetzten Täfelchen aus, so ist die nächstliegende Erklärung: Das Auge sieht den Hintergrund zwischen den beiden Endstellungen der Tafel heller, a) OÖ. Grünbaum, Journ. of physiol. 2%, 433. 1898. 2) Vgl. die Ausführungen von Fick über den zeitlichen Verlauf der Netzhaut- erregung, Hermanns Handb. d. Physiol. 3, I, 211#f. 202 U. Ebbecke: weil es ihn im negativen Nachbild sieht. Auf einer weißen, stark be- lichteten Scheibe mit kleinem schwarzen Sektorstück wird bei lang- samer Umdrehung ein hellerer Ring sichtbar, der ab und zu durch das dunkle Stück unterbrochen wird, oder kann durch ein rotes Sektor- stück ein grünlicher, zeitweilig unterbrochener Ring erhalten werden. Eine ähnliche Wirkung besteht bei allen Arten der Flimmerreizung. Das Auge wird durch die vorangehende, wenn auch sehr kurze, kaum oder gar nicht zu Bewußtsein kommende Verdunkelung so weit dunkel- adaptiert, daß nun die Belichtung stärker wirkt. Wird durch Neben- licht die Dunkeladaptation eingeschränkt (S. 200), so ist die Flimmer- wirkung geringer. Danach ist das Flimmersehen ein Sehen mit relativ dunkeladaptiertem Auge. Stellen wir die beiden Erklärungen, das Flimmersehen ein Sehen mit relativ dunkeladaptiertem Auge und das Flimmersehen ein in rascher Folge wiederholtes Augenblicksehen, nebeneinander, so ist ersichtlich dieselbe Sache auf zwei verschiedene Arten ausgedrückt, und ihre Vereinigung führt zu dem Schluß: Das bei Dauerreizung rasch eintretende Absinken der Helligkeitsempfindung beruht auf der Helladaptation, die durch die rhythmische Verdunkelung an ihrer vollen Entwicklung verhindert wird, ebenso wie die rhythmische Er- hellung verhindert, daß die Dunkeladaptation einen den lichtlosen Intervallen entsprechenden Grad erreicht. Beide, Hell- und Dunkel- adaptation, geschehen momentan. Wir enden so bei dem von Hering aufgestellten und noch verhältnismäßig wenig zur Gel- tung gekommenen Begriff der Momentanadaptation, die von diesem Standpunkt aus der negativen Nachbildwirkung gleichzusetzen ist. Gerade weil bei den Untersuchungen über Dunkeladaptation be- tont zu werden pflegt, daß sie erst nach etwa zehn Minuten starke Wirkungen zu entfalten anfängt und nach über einer halben Stunde sich ihrem Höhepunkte nähert, scheint es mir wichtig, auf das sofortige Einsetzen auch der Dunkeladaptation hinzuweisen, die, worauf auch augenärztliche Untersuchungen hindeuten!), als primäre Dunkeladap- tation von der später hinzukommenden sekundären Dunkeladaptation zu trennen ist und wahrscheinlich ihre stärkste Wirkung innerhalb der ersten Sekunden hat. Farbenänderungen. Außer den Helligkeitsänderungen zeigen sich im Flimmern allerlei Farbenänderungen, indem teils die gefärbten Flächen ihren Farbton verlieren oder verändern, teils ungefärbte Flächen subjektiv farbig werden. !) Vgl. Th. Axenfeld, Lehrbuch der Augenheilkunde, Jena 1915, S. 165—167. Über das Schen im Flimmerlicht. 203 Daß helle Farben im Flimmern ungesättigter und weißlicher wer- den, bemerkte schon Brücke und nahm zur Erklärung die Ver- mischung mit einem, sich an den Einzelreiz in bestimmtem Zeitabstand anschließenden positiven, komplementärgefärbten Nachbild an. Für farbige Lichter gibt auch Brücke die größere subjektive Helligkeit des flimmernden gegenüber dem kontinuierlich einwirkenden Lichte an. Daß für Brücke die Erscheinungen weniger ausgeprägt waren, liegt an der geringen Intensität der ihm zur Verfügung stehenden Licht- quelle (Öllampe). Sobald man nur die Helligkeit genügend groß wählt, kann man mit meinem Verfahren leicht sehen, daß eine sogar recht intensiv farbig aussehende Fläche im Flimmern völlig weiß wird. Man halte etwa eine bunte dünne Gelatine vors Auge und sehe von dunklem Standort gegen den gleichmäßig hellen Himmel durch die Lücken einer rotierenden Scheibe oder der hin und her bewesten gespreizten Finger, so kann man jede Farbe durch Helligkeit auslöschen. Am auffällissten und recht überraschend gestaltet sich der Versuch, wenn man während des Flimmerns das Auge abwechselnd bis auf einen kleinen Lichtspalt schließt und wieder voll öffnet: Dem halbgeöffneten und dadurch abgedunkelten Auge erscheint auch im Flimmern die ur- sprüngliche Färbung, dem voll geöffneten verschwindet sie. Es zeigt ‚der Versuch mit großer Bestimmtheit, daß das Verschwinden der Farbe nicht, wie man meinen könnte, an der zu kurzen, unterhalb der Zeit- schwelle bleibenden Expositionszeit liegt, da die Verdunkelung oder auch die Steigerung der Unterbrechungsfrequenz bis zur Verschmelzung genügt, den Farbton wieder herzustellen. Demnach erklärt sich der Befund wie beim Augenblicksehen als ein nur besonders ausgeprägter Fall von Sättigungsverlust durch Helligkeitszunahme. Durch eine einfache Modifikation meiner Versuche tritt an Stelle der Weißverhüllung die Schwarzverhüllung. Man halte eine etwa 3x3 cm große farbige Pappscheibe in ca. 1 m Entfernung gegen einen mäßig hellen Hintergrund und betrachte sie abwechselnd in Flimmer- und Dauerbelichtung, so wird die Farbe, die im gewöhnlichen Sehen gut erkennbar ist, im Flimmern tiefdunkel oder schwarz, zeigt also dieselbe Veränderung, wie sie einer objektiv bedingten Helligkeits- zunahme!) der Umgebung entspricht. Der Farbton wird im Flim- mern durch Helligkeitszunahme überblendet, so daß der farbige Gegenstand, falls er selber leuchtend hell ıst, weiß verhüllt, falls er dunkler ist als seine Umgebung, schwarz verhüllt wird. Eine Farbe, die bei genügender Sättigung diesem Einfluß nicht unter- liegt, erfährt eine Änderung des Far btons, keine Farbe so auf- !) Vgl. C. Hess, Untersuchungen zur Lehre von der Wechselwirkung der Sehfeldstellen. Arch. f. d. ges. Physiol. 1%9, 50. 1920, 204 U. Ebbecke: fällig wie das Gelbrot. Eine helle gelbrote Fläche sieht im Flim- mern leuchtend grün oder gelblich grün aus. Man betrachte eine große gelbrote, von der Sonne bestrahlte Papierfläche, eine an das Fenster geheftete große Gelatinescheibe, gegen den Himmel, eine helle Haus- wand oder ein dahintergelegtes Pergamentpapier gesehen, oder im dunkeln Zimmer einen von der Rückseite hell durchleuchteten Stoff oder Glas. Sobald nur die Vor- bedingungen, gute Helligkeit des Objektes und dunklerer Standort des Beobachters, gewahrt sind, genügt das Hin- und Herbewegen der gespreizten Finger, das Rotieren einer vors Auge gehaltenen, mit der Hand in Schwung gesetzten schwarzen Scheibe, aus der zwei oder vier gegenüberliegende Sektoren ausgeschnitten sind, um sofort den Farbenumschlag herbeizuführen. Bei der künstlichen Beleuchtung kann man die Scheibe dicht an die durchleuchtete gelblichrote oder hellbräunliche Fläche halten und mehreren Umstehenden gleichzeitig den leuchtend grünlichen flin mern- den Kreisbezirk in rötlicher Umgebung zeigen. Aueh mit der Projektionslampe, einem hellroten Lichtfilter und einer rotierenden Scheibe ist die Erscheinung gut auf dem Projektionsschirm demonstrierbar. Versucht man, einen mittels eines Spektrums auf weißem Schirm entworfenen gelbroten Streifen zum Flimmern zu bringen, so gelingt der Umschlag nicht wegen zu geringer Helligkeit des reflek- tierten spektralen Lichts, wohl aber, wenn das spektral zerlegte Licht der Pro- jektionslampe auf einer Mattscheibe aufgefangen und das durchfallende Licht- bündel zum Flimmern gebracht wird. Auch monochromatisches Licht zeigt den Farbenumschlag. Ist man auf ihn aufmerksam geworden, so sieht man ihn sogar bei ein- facher, einzelner Momentbelichtung. Wieder ist der Versuch lehrreich, die flimmernde Fläche abwechselnd durch den engen Spalt der halbgeschlossenen Lider und mit offenem Auge zu betrachten: bei Helligkeitsherabsetzung kehrt sofort die ursprüngliche rote Farbe in eher noch größerer Sättigung wieder, bei voller Öff- nung schlägt sie ins Grüne um. Ein ganz gesättigtes tiefes Rot ist schwer in genügender Helligkeit herzustellen und bekommt im Flim- mern nur einen fahlen, gelblich-bräunlichen oder ziegelfarbenen Ton. Tiefes gesättigtes Gelb wird im Flimmern ebenfalls grünlich. Grün wird hauptsächlich blasser, fahler, heller, bekommt aber eine bläu- liche Beimischung und kann unter Umständen ins Violette gehen; ungesättigtes Grün zeigt im Flimmern einen Stich ins Gelbliche. Blau wird im Flimmern, außer der Helligkeitszunahme, mehr zum Violetten verschoben, Violett ins Bläuliche, so daß die Flimmerfarbe von Blau und Violett ziemlich gleich ist. Ret mit etwas bläulichem Ton wird deutlich Violett. Welche Regel in diesen Farbenumschlagserscheinungen steckt, ist zunächst nicht zu sehen. Zum mindesten handelt es sich nicht um Komplementärfarben. Die einzige Farbe, die beim Um- schlag eine saubere intensive Flimmerfarbe gibt, ist das Gelbiot und Rotgelb. Ich kam so in meinen Beobachtungen über die Farbänderungen, die großenteils noch aus den für Fachliteratur unzugänglichen Jahren des Kriegsaufenthalts stammen, zu Resultaten, die in mancher Be- Über das Sehen im Flimmerlicht. 205 ziehung den Befunden Bidwells!) ähneln, auf dessen Arbeiten hier verwiesen sei. Nach Bidwells Beobachtungen ergeben beim Flim- mern in kurzer Zusammenstellung: Äußerstes Rot-Grünblau, reines Rot-Blaugrün, Orange-blasses Blaugrün, Gelb-fast neutral, Grün-Purpur, Blaugrün-Purpur, Blau - undeutlich Lachsfarben oder Orange, Vio- lett - undeutlich Rosa oder gelblich, Purpur - Blaugrün. Bei ihm sind also die hauptsächlichen Flimmerfarben — er nennt sie „pulsierende Nachbilder‘‘ zum Unterschied von den gewöhnlichen Nachbildern — Blaugrün und Purpur; läßt er das ganze Spektrum auf einmal flim- mern, so sieht er Blaugrün und Purpur sehr deutlich, alle anderen Farben schwach; Rot und Grün geben die intensivsten Flimmerbilder, kommen aber selbst unter den Flimmerfarben nicht vor. Daß die Bidwellschen Beobachtungen mit den meinigen außer in der Tatsache des Farbenumschlags in keinem Punkte übereinstimmen, liegt natürlich nicht an einer Unrichtigkeit, auch nicht in individuellen Verschiedenheiten der Augen — soviel ich feststellen konnte, stimmen unter wirklich gleichen Bedingungen die Aussagen der verschiedensten farbentüchtigen Versuchspersonen überein —, sondern muß in der Verschiedenheit der Methodik begründet sein. Bidwell schickt mit Hilfe einer sinn- und kunstvollen Anordnung. vieler Linsen, verstellbarer Spalten, Spiegel und Schirme das Licht einer Bogenlampe teils durch ein Prisma, teils unzerlegt durch Spaltöffnungen, richtet es aber so ein, daß beide Wege sich auf dem Beobachtungsschirm wiedertreffen, und erreicht es mit Hilfe einer rotierenden Scheibe mit Ausschnitten, daß bei der meist verwendeten Umdrehungsgeschwindigkeit (6 Umdrehungen in der Sekunde) !/,; sec. Farbe, 1/js sec. Weiß und !/,, sec. Schwarz aufeinander folgen in periodischer Wieder- holung, wobei die Intensität des farbigen und des weißen Lichts unabhängig von- einander variiert werden können. Für einfachere Versuche gibt er eine Blech- . scheibe an, die einen Ausschnitt von 70° trägt und im übrigen halb mit weißem Papier, halb mit schwarzem Samt bespannt ist. Da schon Bidwell bemerkt, daß die Ergebnisse sich ändern, wenn er seine Scheibe in umgekehrte Richtung rotieren läßt — er sieht dann die Originalfarben mit einer bläulichen Beimischung, was er auf eine Nachwirkung des weißen Lichts zurückführt —, so unter- suchte ich, wie sich die Erscheinung verhält, wenn ich statt meines einfachen, mit zwei oder vier Sektorausschnitten versehenen, an ihrer Achse vor den Augen gehaltenen und manuell in Schwung gesetzten schwarzen Scheibe eine ebensolche weiße Scheibe verwendete und nicht gegen das Licht, sondern mit dem Lichte betrachtete, das heißt auf den Farbreiz Helligkeit statt Dunkelheit folgen ließ. Das Ergebnis, kurz zusammengestellt, war: Reines Rot gibt ausgesprochenes helles, ein wenig bläuliches Grün, Gelbrot ein verwaschenes, schmutzig dunkles Grünlich, Schwefelgelb mattes Rosa, Grün ausgesprochenes 1) S. Bidwell, “On negative after-images and their relation to certain other visual phenomena. Proc. Roy. Soc. 68, 262. 1901. 206 U. Ebbecke: helles Rosa, Blau schmutziges Braungelb, Violett fast Schwarz mit undeutlicher düster olivgrüner Fleckung. Die Farben erschienen dabei wie hinter einem weißlichen Schleier, das Hellgrün der roten und das Rosa der grünen Farbe kamen aber deutlich zum Vorschein. Unter meinen Versuchsbedingungen — große bunte Fläche (Heringsches Buntpapier oder mit bunter Gelatine überdecktes weißes Papier) auf dem Tisch nahe dem Fenster liegend, der Beobachter mit dem Rücken gegen das offene Fenster gekehrt, helle Tagesbeleuchtung, weiße Scheibe in Leseentfernung — behielt auch im Flimmern ein schmaler Saum der bunten Fläche ihre ursprüngliche Färbung, eine Folge des noch später zu besprechenden Randkontrasts. Wie hieraus hervorgeht, stellt sich der Farbenumschlag schon unter einfachen Bedingungen ein, wird aber durch die Abweichungen der Versuchsanordnung in seinem Farbton wesentlich modifiziert. Darin kommt zum Ausdruck, daß zu dem Erfolg eine Kombination mehrerer, unabhängig voneinander variabler Faktoren zusammenwirkt. Suchen wir nun nach einer Erklärung der Erscheinung und nach den in Betracht kommenden Faktoren, so bieten sich als solche dar die Änderung eines Farbtons bei Helligkeitsänderung, die für die einzelnen Farbkomponenten verschiedene Zeit des ‚Anklingens“ und ‚„Ab- klingens“ und das positive komplementäre Nachbild. Da es sich bei dem Farbenumschlag zwar nicht um die genaue Kontrastfarbe, wohl aber um eine Farbe aus dem gegenüberliegenden ‘Bezirk des Farben- kreises handelt, wird der letztgenannte Faktor der stärkste sein, und schon Brücke legte bei seinen Untersuchungen über subjektive Farben auf dieses positive komplementärgefärbte Nachbild ein Hauptgewicht. Er sowohl wie Helmholtz!) sahen bei Betrachtung einer rotierenden schwarzweißen Scheibe mittels eines vor die Augen gehaltenen roten Glases die Scheibe ‚‚perlmutterartig‘‘ gefleckt oder zwischen Rot und Grün hin und her schillernd. Von hier ist es nur noch ein Schritt zum völligen Umschlag, und tatsächlich läßt sich der Übergang ganz lang- sam vollziehen, wenn man nur die Intensität des Farbreizes immer mehr steigert. Auch Bidwell faßt, ohne daß er die Untersuchungen von Brücke heranzieht, die Erscheinung als Nachbildwirkung auf. Da wir, wie Bidwell sagt, nur wegen des positiven Nachbildes für gewöhnlich bei einfacher, etwa !/,, Sekunde dauernder Exposition von grünem Licht schon ein Grün sehen, werde durch die nachträgliche Belichtung das positive Nachbild ins negative verwandelt, indem das Grün in der kurzen Zeit zwar noch keine Bewußtseinswirkung, wohl aber schon eine Ermüdungswirkung gehabt habe?). Die Auffassung wird dadurch widerlegt, daß ich zeigen konnte, daß schon die einfache Momentbelichtung zum Farbenumschlag des Gelbrot in Grün genügt. 1) Physiol. Optik, 3. Aufl., II, S. 218. 2) „The fatigue to which the negative image is due must have been set up during the latent period when no image at all was actually perceived.‘ Über das Sehen im Flimmerlicht. 207 Dieser Versuch, der sich durch die Einfachheit seiner Bedingungen auszeichnet und zu dessen Verständnis die vorangegangenen syste- matischen Untersuchungen über das Augenblicksehen beitragen kön- nen, läßt sich noch ein wenig weiter verfolgen. Man halte, im Hintergrund des Zimmers stehend, den Moment- verschluß dicht oder in einiger Entfernung vor das Auge und richte den Blick fest gegen die zunächst durch den Verschluß verdeckte, intensivfarbige und lichtstarke gelbrote Fläche, die große Gelatine- scheibe, die über einem ebenso großen Bogen durchscheinenden Perga- mentpapiers ans Fenster geheftet und von hellem Tageslicht durch- leuchtet ist. Während man 1, !/;, !/; Sekunden exponiert, sieht man ohne weiteres die Färbung ebenso wie bei Dauerbelichtung, zwischen !/. und !/,, Sekunden wird das Urteil unsicher, die Fläche wird heller, weißlich und etwas fleckig, bei weiterer Verkürzung erfolgt der Um- schlag, und zwischen !/,, und */,.o Dekunden ist die Fläche vollkommen . grün. Achtet man dabei auch noch auf die Zeit unmittelbar nach der Exposition, so kann man ein lichtschwaches aber doch positives, düster rotes Nachbild erkennen. Bei weiterer Verkürzung der Be- lichtungszeit erfolgt schließlich von neuem der Umschlag in ein Rot, das, im Vergleich zu dem bei Dauerbelichtung ge- sehenen, etwas lichtschwächer aber wesentlich gesättigter und mehr zum reinen Rot hin verschoben ist. An dem Befund befremdet vielleicht am meisten, daß er bisher noch nicht beobachtet wurde, trotzdem er unschwer zu bestätigen ist und trotz der zahlreichen Untersuchungen über die Wirkung kurz- dauernder Netzhautreize. So hätte beispielsweise Kunkel!) bei seinen so sorgfältigen Beobachtungen _ auf die Erscheinung gestoßen sein müssen, der bereits gefunden hat, daß die Spektralfarben bei sehr kurzer Exposition an Sättigung zunehmen und sich auf der lang- welligen Seite zum Rot, auf der kurzwelligsen zum Blau verschieben. Aber es ist zu bedenken, daß die Laboratoriumsversuche mit Spektral- farben im Dunkelraum angestellt zu werden pflegen, wo einerseits die Lichtintensität viel geringer ist als die hier verwendete — die Kunkel- schen Versuche sind sogar am Spektrum einer Petroleumlampe vor- genommen — und andererseits die Dunkeladaptation und damit wahr- scheinlich die Trägheit der Netzhautreaktion viel größer ist als hier. Wirklich bestätigt sich der Einfluß der Lichtstärke. Bringt man dicht vor das beobachtende Auge eine stenopäische Öffnung, die kleiner ist als die Pupille, so wird die Erscheinung noch nicht wesentlich ver- ändert — damit ist zugleich eine Beteiligung des Pupillenreflexes an diesen Adaptationserscheinungen ausgeschaltet —; macht man die 1) J. Kunkel, Über die Abhängigkeit der Farbenempfindung von der Zeit. Arch. f. d. ges. Physiol. 9, 197. \ 208 U. Ebbecke: Öffnung und damit die Lichtstärke ganz klein, so ist bei keiner Exposi- tionszeit ein Farbenumschlag zu sehen, nur daß die Helligkeit mit Ver- kürzung der Belichtung immer geringer wird. Bei einer dazwischen- liegenden Blendenweite aber findet man beispielsweise, daß der Farben- umschlag schon bei !/, Sekunden beginnt, bei !/,, Sekunden vollkommen ist und zwischen !/,, und !/,o Sekunden die | ursprüngliche Farbe in der größeren Sättigung wiederkehrt. Wegen der Abhängiskeit der Zeitwerte vom Helligkeitswert ver- zichte ich zunächst darauf, bestimmte Zahlen anzugeben, obgleich eine genauere Verfolgung mit ausführlichen Zahlentabellen sehr erwünscht ist und, wie ich hoffe, später noch gegeben werden soll. Für die quali- tative Demonstration genügt es schon, einen schwarzen Pappschirm mit einem etwa 2 mm breiten Spalt zuerst langsam, dann bei den späteren Malen immer schneller mit der Hand an dem fest gegen die bunte Fläche gerichteten Auge vorbeizubewegen. Mit diesem Versuch ist nun die Frage nach dem Farbenumschlag auf ihre einfachste Form gebracht und auch die Antwort gegeben. Ein intensives rötliches Reizlicht wird nach den ersten Tausendstel Sekunden seiner Wirkung als ein ziemlich gesättigtes und reines, lichtschwaches Rot empfunden, wird dann heller, sieht Grün aus, wird weißlich und be- kommt erst nach !/,, Sekunden die etwas hellere und weniger gesättigte rötliche Farbe, in der wir es gewöhnlich sehen. Es ist nachzusehen was dieser zunächst empirisch festgestellte Befund bedeutet. R Durch die Erörterungen von Brücke und Bidwell liegt es am nächsten, an Nachbildwirkungen zu denken. Da eine Ermüdung durch nachfolgendes weißes Licht nicht vorliegt, kommen nur die periodischen Nachbilder in Betracht, die gerade in neuerer Zeit ‘eingehende Be- arbeitung gefunden haben!). Dann wäre das grüne Bild dem positiv- komplementären Nachbild gleichzusetzen, dem sekundären Bild oder der Phase 3 der abklingenden Erregung nach kurzdauernder Reizung, und das düsterrote Nachbild der im Farbenumschlag grün gesehenen Fläche entspräche dem tertiären Bilde. Zwar sind die zeitlichen Ver- hältnisse anders, das sekundäre Bild pflegt dem primären in einem Ab- stande von etwa !/. sec zu folgen, aber es ist bekannt, daß dieser Ab- stand mit wachsender Reizstärke immer geringer wird, so daß schließ- lich das sekundäre Bild mit dem primären verschmelzen kann. Aber doch stimmt vieles nicht zu der Erklärung. Die periodischen Nach- bilder werden sonst nur im Dunkelraum beobachtet, für Tageslicht sind sie zu schwach, und hier genügt es, daß der Beobachter sich im !) Vgl. die Zusammenstellung bei v. Kries, Nagels Handb. d. Physiol. 3, 220—226. ° Über das Sehen im Flimmerlicht. 209 Hintergrund eines im übrigen tageshell beleuchteten Zimmers aufhält und aus einiger Entfernung gegen eine dunkle, momentan belichtete Fläche blickt. Warum auch treten diese Nachbilder nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, nicht bei kürzerer und nicht bei längerer Be- lichtung auf, wo doch ein periodisches Abklingen sowohl nach ganz kurzer als nach einer 1—2 Sekunden dauernden Reizung beobachtet werden kann? Vor allem aber ist es in den vielen hier beschriebenen Fällen ‚von rückwirkender Hemmung und ihrer Ausschaltung im Augenblick- sehen niemals vorgekommen, daß sich eine erst nachträglich ein- setzende Wirkung des primären Reizes gezeigt hätte, vielmehr bestand gerade der Vorteil des Augenblicksehens vor dem gewöhnlichen Sehen darin, daß der im Stadium der Reizunterbrechung erreichte Erregungs- zustand ungehindert zu Bewußtsein kam. Es liegt kein Grund vor, hier eine Ausnahme zu sehen. Das Nachbild hat sich also nicht nach, sondern während der Reizung in einem bestimmten Stadium des Erregungsverlaufs entwickelt, also ist es kein Nachbild. Diese zunächst überraschende Konsequenz, daß der Farbenumschlag einen in einem bestimmten Reizstadium erfolgenden Rückschlag bedeutet, wurde mir zur Gewißheit durch den Vergleich mit den Arbeiten von Heß!) und durch Übertragung der mit unbewegtem Reizlicht gewonnenen Ergeb- nisse in die Form, die sie bei bewegtem Reizlicht annehmen. Da zeigt sich, daß der Farbenumschlag nicht dem sekundären Bild angehört, sondern den von Heß beschriebenen Veränderungen der primären Phase zu- zurechnen ist. Die größere Sättigung des rötlichgetönten Reizlichts im Beginn der Erregung und das darauffolgende Weißlichwerden zeigen sich in der Heßschen Methode der bewegten Streifen, als Phase Ia und Ib zum Nebeneinander ausgezogen, genau so wie in meinen Momentver- suchen. Es folgt daraus, daß der vorher beschriebene Sättigungsverlust oder das Verschwinden des Farbtons bei weniger gesättigten Farben im Augenblicks- und Flimmersehen nichts anderes ist als der Effekt einer Gegenwirkung, welche die ursprüngliche Wirkung nur kompen- siert, nicht überwiegt, womit nunmehr jene Beobachtungen ihre Er- klärung finden. Am überzeugendsten ist der Vergleich des hier für Farbreizung beschriebenen Befundes mit dem von Heß für weißes Licht gegebenen Befund (Abb. 8 seiner beigefügten Tafel), wo er un- mittelbar auf den schmalen weißen Streifen der breiten hellbelichteten, bewegten Fläche einen schmalen dunklen Streifen folgen sieht und erst dann wieder eine etwas geringere Helliskeit. Genau so wie Heß für diesen dunklen Streifen findet, daß er um so später einsetzt und um so länger dauert, je lichtschwächer der Reiz ist, hatte es sich bei den eben geschilderten zeielichen Verhältnissen des Farbenumschlags gezeigt. 2) C. Heß, Üßlersuchungen über den Erregungsvorgang im Sehorgan bei kurz und bei länger dauernder Reizung. Arch. f. d. ges. Physiol. 101, 226. 1904. 210 U. Ebbecke: Wiederholt man nun den Versuch mit der Heß’schen Methode, indem man eine breite orangefarbene sonnenbeleuchtete Fläche vor dunklem Hintergrund mit passender Geschwindigkeit an dem un- bewesten Auge vorüberführt, so sieht man in der Tat nahe dem Rande einen ziemlich breiten leuchtend fahlgrünlichen Streifen, wenn auch hier die Beobachtung wegen der Flüchtiskeit der Er- scheinung weniger leicht ist als mit der Flimmermethode. Der Rückschlag, wie ich diese Gegenwirkung bezeichnen möchte, kommt in dem Schwarzrückschlag von Heß und in dem Grünrückschlag von mir gleichermaßen zum Ausdruck. Beide Befunde unterstützen sich gegenseitig zum Beweis des phasischen Ablaufs der Erregung und der physiologischen Natur der Gegenfarben. Denn die Vorgänge, die hier nur unter besonders günstigen Bedingungen zu Bewußtsein gebracht werden, müssen sich natürlich normalerweise bei jeder optischen Erregung abspielen, wo sie durch die späteren Stadien für das Bewußtsein verdeckt sind. Dadurch wird aus der einfachen Kurve mit Anstieg und Abstieg ein Hin und Her von Wirkung und Gegenwirkung. Da ferner der Rückschlag nichts mit Ermüdung zu tun hat und auch foveal und extrafoveal gleich gut zu sehen ist, muß er eine aktive Gegenwirkung sein. Die bald zu beschreibenden Kontrasterscheinungen im Flimmerlicht werden eine weitere Stütze dieser Auffassung geben. Es bleiben freilich noch allerlei Fragen zu stellen. Es wäre zu fragen, warum Flimmerfarbe und Komplementärfarbe nicht oder nicht immer übereinstimmen, worin der Unterschied in der Flimmerwirkung der schwarzen, der Bidwellschen und der weißen Scheibe begründet und weshalb die Bidwellsche Anordnung im ganzen für Flimmerfarben am günstigsten ist, worauf die Sonderstellung des Rot und Grün mit deutlichsten, des Blau und Gelb mit undeutlichsten Flimmerfarben beruht, welchen Ursprung und Sinn überhaupt die während und nach einer Reizung auftretenden, hier als aktive Gegenwirkung aufgefaßten entgegengesetzten Vorgänge haben, lauter Fragen, die einstweilen nur aufgeworfen werden können und für später im Auge zu behalten sind. Die subjektiven Flimmerfarben bei Reizung mit weißem Licht, denen wir uns nun zuwenden, sind seit Fechner!) bekannt, auch von Helmholtz?) ausführlich mitgeteilt und pflegen mit dem eben- falls seit Fechner mehrfach untersuchten farbigen Anklingen der Erregung und dem farbigen Abklingen der Nachbilder nach neutralem Lichtreiz in Zusammenhang gebracht zu werden. Mit meinem dia- - 1) Fechner, Über eine Scheibe zur Erzeugung subjektiver Farben. Poggen- dorffs Annalen 45, 227. 1838. 2) Helmholtz, Physiol. Optik, 3. Aufl., Bd. 2, $ 23. Über das Sehen im Flimmerlicht. DAT [#7 skopischen Verfahren, wo die Gegensätze von Licht und Dunkel stärker werden, sind die Flimmererscheinungen, sowohl die Farben wie die Purkinjesche Musterung (,‚Lichtschattenfigur‘“), sehr lebhaft, wenn auch dem Auge lästig. Hier möchte ich nur erwähnen, daß bei einer geringeren Untersuchungsfrequenz die zitternden, hin- und herspringen- den Figuren sich leuchtend gelb auf dunklerem blauen Grunde ab- zeichnen und bei einer größeren Frequenz für kurze Zeit im mittleren Bezirk ein rotgrünes fleckiges Schillern erscheint; es treten also immer gleichzeitig Gegenfarben auf. Als vorläufige Erklärung möchte ich annehmen, daß die Netzhaut durch längere Zeit fortgesetzten raschen Belichtungswechsel — die Erscheinungen entwickeln sich während der Dauer des Flimmerns immer mehr — auf benachbarten Bezirken in Zu- stände verschiedener Erregung und Erregbarkeit gerät und diese Ver- schiedenheiten, durch Simultankontrast verstärkt, bei wiederholter Momentbelichtung wie auch sonst entoptische Bilder deutlicher zum Vorschein kommen, wobei in der in Reihen oder Rosetten gestellten, schachbrettartigen Felderung mit immer feinerer Unterteilung die individuell verschiedene Gruppierung und Anordnung der Zapfen an- deutungsweise zur subjektiven Anschauung kommen mag!). Für den Einfluß der Zapfenanordnung auf das Sehen wären die Versuche mit den feinen geraden schwarzen, subjektiv geschlängelt erscheinenden Streifen oder dem Gitterwerk auf hellem Grund zu vergleichen?) 3). Während diese Erscheinungen bei diaskopischer Betrachtung nicht anders sind als bei episkopischer, ermöglicht das diaskopische Ver- fahren, ein intensives gleichmäßiges rötliches Violett her- zustellen. Eine schwarzweiße Scheibe, deren Rotationsfrequenz gesteigert wird, bekommt in heller Belichtung, dicht bevor die Verschmelzungsfrequenz erreicht ist, einen graublauen Gesamtton, dem eine durcheinander fließende violett-rosa Fleckung zugemischt sein kann, wie mehrfach beobachtet. Blickt man durch die rotierende Stroboskopscheibe auf eine besonnte weiße Fläche bei einer jenseits der Ver- schmelzungsfrequenz liegenden Geschwindigkeit und setzt durch Verschiebung des Rheostaten die Umdrehungszahl langsam herab, so fängt über das graue Gesichtsfeld eine prächtige violette Tinte an zu fließen, die sich ausbreitet wie eine capillare Flüssigkeitsschicht zwischen zwei Glasscheiben und das ganze Gesichts- feld ausfüllt. Die Helligkeit ist dabei nicht wesentlich verändert, sicher nech nicht gesteigert, auch das Flimmern ist nur zart angedeutet, so daß der Eindruck verhältnismäßig stetig ist. Erst bei weiterer Heraksetzung der Umdıehungs- geschwindigkeit beginnt, unter Verschwinden der violetten Farbe, die Helligkeits- zunahme, das lebhafte, immer grobschlägiger werdende Flimmern, wobei sich dann schließlich die Purkinjesche Musterung entwickelt. 1) Vgl. dazu E. Thomsen, Über Johannes: Evangelista Purkinje und seine Werke. Skandinav. Arch. f. Physiol. 3%, 1. 1918. 2) Helmholtz, Physiol. Optik, 2, 31, 32. ®) Bergmann, Henle und Pfeufers Zeitschr. f. ration. Med. 2, 88. 2312 U. Ebbecke: Zur Demonstration der Purpurfarbe ist Sonnenlicht und eine regu- lierbare Stroboskopscheibe erforderlich. Dagegen zeigt schon die ein- fache Betrachtung bei gewöhnlicher Tagesbelichtung hinter den be- wegten gespreizten Fingern den bläulichen Schimmer, den kalten bläulichen Glanz, der als Gesamttönung jeden weißen Gegenstand. zugleich mit der Helligkeitszunahme im Flimmern überzieht. Dieser blaue Gesamtton ist auf Flächen von geringerer Helligkeit zum Grünen, auf Flächen stärkster Helligkeit zum Violett und Purpur verschoben, ist aber selbst der bei weitem häufigste und am leichtesten, auch schon, nachdem die Aufmerksamkeit darauf gelenkt ist, bei einer einzelnen Momentbelichtung, bemerkbar. Er gibt dem flimmernd gesehenen Objekt, wie manche Versuchspersonen spontan äußern, etwas Unheimliches, Zauberhaftes, Gespenstiges, wie es dem blauen Glanz der Geistererscheinungen auf der Bühne anhaftet. Es ist derselbe blaue Ton, den im Dunkeln das Auge beim Druckphosphen sieht oder der in Vollmondnächten auf blanken Dächern und weißen Häuserwänden liegt, das Blau des Gesichtsfeldes, das nach gleich- mäßiger allgemeiner Belichtung plötzlich völlig verdunkelt wird, und das Blau der ersten Phase eines farbig abklingenden positiven weißen Nachbilds. Es ist zugleich der Farbton des „sekundären“ Bildes nach kurzdauernder Netzhautreizung mit weißem Licht, wie ihn die ver- schiedenen Beobachter übereinstimmend angeben. Irradiation und Kontrast. Nach den Helliskeitsänderungen und Farbänderungen läßt sich eine dritte Gruppe von Erscheinungen zusammenfassen, die zu der Veränderung flimmernd gesehener Objekte beitragen und auf der gesteigerten Wirkung von Irradiation und Kontrast beruhen. Um die Irradiation anschaulich zu demonstrieren, empfiehlt sich folgender kleine Versuch: Man betrachte einen horizontalgestellten, hell durchleuchteten Lichtspalt (A) aus etwa 1 m Entfernung durch einen zweiten, dicht vors Auge gehaltenen, horizontalen Spalt (B), dessen Weite rasch verändert werden kann. Dann macht A scheinbar die Bewegungen von B mit, ist schmaler, wenn B sehr eng ist, und breiter, wenn B erweitert wird. Schon bei diesem Versuch kann man zuweilen bemerken, daß A, durch Erweiterung von B breiter geworden, gleich darauf ein wenig zurückschrumpft, und ist zunächst geneigt, dies allein auf die rasch einsetzende Pupillenreaktion zurückzuführen. Im Anfang einer Lichtreizung ist die Irradiation am größten, um unmittelbar danach abzunehmen. Das zeigte schon das Augenblick- sehen, und wird noch deutlicher bei der Flimmerbetrachtung etwa einer Kerze, einer mattierten Lampenkugel, einer aus einiger Entfernung gesehenen kleinen gutdurchleuchteten Kreisöffnung im Pappschirm. Es sei gleich erwähnt, daß das Vorhalten einer kleinen Blende mit Über das Sehen im Flimmerlicht. 213 kleinerem als Pupillendurchmesser vor das Auge die Erscheinung bei hinreichender Helligkeit nicht wesentlich ändert, daß sie also nicht ausschließlich auf der wegen Dunkeladaptation zu großen Pupillenweite beruht. Auch finde ich bei der entoptischen Pupillenmessung nach A. Fick!) die Schwankungen der Pupillenweite bei Wechsel von Flim- merlicht und stetigem Licht nicht größer, als sie sonst schon infolge der Pupillenunruhe vorkommen. Nehmen wir zur Demonstrierung der Irradiation den Vollmond am Nachthimmel, so sieht er hinter dem Spalt der hin und herbewegten Finger beträchtlich größer aus, um, sobald der Spalt sistiert wird, zur Anfangsgröße zurückzuschrumpfen. Sieht man genauer zu, so erkennt man in dem großen bläulich flimmernden Kreise noch Einzelheiten. Der Rand der Mondscheibe hebt sich als hellere Linie von einem schmalen tiefdunklen Saume ab, und erst jenseits dieses Saumes ist ein breiter Irradiationshof, der wieder gegen die dunkle Umgebung ver- hältnismäßig scharf abgesetzt ist. Wenn der Hintergrund, von dem das leuchtende, flimmernde Objekt sich abhebt, weniger dunkel ist — so bei Betrachtung eines Lichtes vor der Zimmerwand —, so verliert sich der noch ausgedehntere Irradiationshof unscharf in die Umgebung mit mattem, rötlich-gelblichem Farbenton. Die scharfen Begrenzungen rühren also von der gleichzeitig stark ausgeprägten Kontrastwirkung her. Es wird durch diesen Versuch anschaulich demonstriert, wie die physikalische Wirkung der Irradiation, obgleich sie in der unmittel- baren Umgebung des leuchtenden Gegenstandes am stärksten ist, doch dort dem Simultankontrast unterliegt, in weiterer Entfernung dagegen ihn übertrifft. Vielleicht am auffälligsten wird die Irradiationswirkung des Flimmerns in folgendem Versuch: Man hefte ein mehrere Quadrat- zentimeter großes Stückchen bunter Gelatine an ein Fenster und be- trachte es gegen den hellen Hintergrund des Himmels oder der Straße aus etwa 3m Entfernung durch die rotierende Stroboskopscheibe, deren Geschwindigkeit von der Verschmelzungsfrequenz herab ganz allmählich abnimmt. Bei Verschmelzung stetig und bunt auf grauem Grunde, wird die kleine Fläche im Flimmern schwarz auf hellem Grund; nach einiger Zeit, während die Flimmerhelliskeit immer mehr zunimmt, verschwindet sie wie weggeblasen, taucht ab und zu auf, um gleich wieder vom blendenden Glanz der Umgebung überleuchtet zu werden, und ist beim Anhalten der Scheibe sogleich in natürlicher Farbe da. Oder man betrachte einen ganz gleichmäßig breiten Stab gegen ein mäßig helles Fenster so, daß er sich an einer Stelle mit dem dunkleren Hintergrund eines Balkens vom Fensterkreuz optisch schnei- det; dann erfahren an dieser Stelle die geraden Grenzlinien, die der Stab im gewöhnlichen Sehen zeigt, beim Flimmern eine Ausbauchung !) A. Fick, Arch. f. Ophthalmol. 2, 70. 1856. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 185. 15 214 U. Ebbecke: nach beiden Seiten, ein Zeichen dafür, daß der Stab an allen übrigen Stellen durch Irradiation von der Umgebung her eingeenst ist. So wie durch ein feines Astwerk die Sonne hindurchscheint, als wären die Ästchen an dieser Stelle nicht vorhanden, weil die Irradiation über die dunkeln Linien hinübergreift, so irradiiert auch die, wenn auch nur subjektiv gesteigerte Flimmerhelligkeit. Indem dabei Helles heller und im Kontrast dazu Dunkles dunkler wird als vorher, werden feinere Einzelheiten, Tönungen und Schattierungen ausgelöscht und die gröberen Unterschiede herausgehoben. Eine Ausnahme machen nur solche Helligkeiten, die ohnehin maximal sind, wo, etwa bei naher Betrachtung der Fäden einer Glühlampe, wie schon erwähnt (S. 199), Helligkeit und auch Irradiation im Flimmern abnehmen und die Fäden schärfer werden. Der neue Befund der im Flimmern gesteigerten Irradiationswirkung bestätigt den vorher auf S. 202 aufgestellten Satz, daß das Flimmer- sehen ein Sehen mit mehr dunkeladaptiertem Auge sei, und entspricht dem unmittelbaren Gefühlston, der den Eindruck flackernden hellen Lichtes begleitet und als ein unangenehmes, manchmal fast. schmerz- haftes Blendungsgefühl bezeichnet werden muß. Immerhin überrascht die Feststellung der gesteigerten Irradiation deswegen, weil doch ihr Gegenpart, die Simultankontrastwirkung, welche die Irradiation beim gewöhnlichen Sehen kompensiert (Hering), ebenfalls im Anfang einer Lichtreizung am größten ist, um unmittelbar danach abzunehmen. Der gesteigerte Kontrasteffekt gilt für das Flim- mersehen genau wie für das Augenblicksehen, so daß auf das dort darüber Gesagte verwiesen werden kann, und ist nur im Flimmersehen noch ausgeprägter, wodurch jede helle Fläche auf dunklerem Grunde weiß umrandet, jede dunkle Fläche auf hellerem Grunde schwarz um- randet erscheint und auch gefärbte Flächen in Flimmerfarbe und Farbenumschlag im selben Sinne modifiziert werden, als ob eine ob- jektiv größere Helligkeit oder Dunkelheit des Randes vorläge. Hier ist nur neu hinzuzufügen, daß es auch gelingt, den Kontrasteffekt für sich unter Ausschaltung der Irradiation und relativen Dunkeladaptation zu untersuchen, wenn man nur statt der schwarzen durchbrochenen Scheibe eine ebensolche weiße wählt und mit dem Licht statt gegen das Licht beobachtet. Auch dann wird an den durch den weißlichen Schleier der Scheibe hindurch gesehenen Gegenständen Helles heller und Dunkles dunkler als vorher. Betrachtet man auf diese Weise unter freiem Himmel durch die in Leseentfernung gehaltene rotierende weiße Scheibe den grünlichen Rasen, der einem zu Füßen liegt, so blitzt in zarten Linien ein überaus zierliches Muster durcheinander geflochtener heller Fäden auf, wie auf die Scheibe gestreut oder gespritzt, an Eis- blumen eines Fensters erinnernd; es sind die hellbeleuchteten. durch- Über das Sehen im Flimmerlicht. 215 einanderwachsenden Halme, wogegen die dunkleren Halme und der Grund der Erde ganz zurücktreten —, ein Versuch, der schon wegen seiner sinnfälligen Anmut empfehlenswert ist. Ein anderes einfaches Demonstrationsverfahren besteht darin, daß man ein in Lesseentfernung betrachtetes weißes (oder schwarzes) Papptäfelchen, etwa durch klonische Handgelenksbewegungen, in rhythmische Schwingung versetzt. Dann erscheint der Zwischenraum zwischen den beiden Endstellungen in gleich- mäßigem Grau oder Flimmern, der obere freie Rand aber hinterläßt eine weiße (oder schwarze) Linie, die zuweilen wie ein Sporn zu beiden Seiten angesetzt scheint, als Zeichen für die durch Randkontrast gesteigerte Helliskeits- (oder Dunkelheits-) Wirkung. Darauf beruht es auch, daß eine so bewegte kreisförmige Öffnung oder eine mit runden Löchern versehene rotierende Scheibe ein gleich- mäßig graues Band gibt, weil die objektiv vorhandenen Belichtungsunterschiede der Randpartien durch Randkontrast ausgeglichen werden. Die bisher geschilderten Erscheinungsgruppen, Helliskeitsänderung, Farbänderung, Wirkung von Irradiation und Kontrast, sind durch künstliche Vereinfachung der Versuchsbedingungen gewonnene und isolierte Einzelzüge der Veränderungen, die gesehene Objekte im Flimmerlicht erfahren. Da es lehrreich ist, auf die Analyse die Syn- these folgen zu lassen und damit den Weg zu dem ersten Ausgangs- punkt der Untersuchungen zurückzugehen, seien einige kleine Gesamt- bilder als leicht zu vermehrende Beispiele angeführt. s Eine elektrische Glühlampe, von der Zimmerdecke herabhängend und von einem Umhang aus weißem Schleierstoff mit eingestickten Sternchen umgeben, sieht im Flimmern bläulich-violett aus, der Lampenschirm wird grünlich, die vorher grauweißlich aussehenden Sternchen werden zu kleinen dunklen, fast schwarzen Kreisen. Aus einem nach Norden gelegenen und wenig Licht einlassenden Zimmer sah ich auf eine dicht vorm Hause stehende sonnenbeleuchtete hohe Baum- gruppe. Im Flimmern verschwand die grüne Farbe der Blätter, ich sah die Blätter schwarz und dazwischen blendend hell und glitzernd bläulich-violette Flecke und hatte den Eindruck, durch das Laubwerk der Bäume gegen den grell leuchtenden Himmel zu sehen. Wie ich danach feststellte, schien der Himmel an keiner Stelle durch das dichte Laub; die hellen Flecke stammten von den Reflexen der be- lichteten Blätter, die dunklen Flächen entsprachen den weniger belichteten Blättern. Im Freien, mit dem Rücken gegen eine schattengebende Deckung, betrachte man hinter dem bewegtem Lichtspalt die Landschaft. Am Himmel gehen die kleinen Wolken und Schattierungen in der allgemeinen Helligkeit unter, die be- waldeten Hügel am Horizont werden dunkler und sind mit doppelter, schwarzer und weißer, Umrandung gegen den Himmel abgesetzt. Die Flächen der Wiesen und Äcker und Wege sind nur in großen Zügen-hingelagert, die Farben treten hinter den Helligkeitsunterschieden zurück, einige helle Stellen, beleuchtete weiße Häuserwände, blitzen auf. Das Ganze macht den Eindruck einer Landschaft „in greller Sonne‘, obgleich keine Sonne scheint, oder einer ,„Mondscheinlandschaft‘ In den beiden nur scheinbar sich widersprechenden, spontan geäußerten Urteilen mehrerer Versuchspersonen kommt einesteils das Überblenden aller Einzelheiten, andernteils der bläuliche Gesamtton zum Ausdruck. Im Walde, nah® dem Waldrand stehend, betrachte man das sich gegen den Himmel abhebende untere Astwerk der Bäume. Im Flimmern sieht man ein 19% 216 U. Ebbecke: schwarzes Arabeskenwerk auf hellem Grunde. Dadurch, daß die Unterschiede im graueren oder brauneren Farbton der Rinde und in der sonstigen Beschaffenheit der Äste durch Schwarz ausgelöscht werden, entfällt für das Auge die Nötigung zum perspektivischen Sehen, und es projiziert die Gegenstände ebenso, wie bei dem Versuch mit dem Rasen hinter der weißen Scheibe (S.214) auf eine Fläche. Die Äste erscheinen als schwarze Streifen, die dünneren sehen bräunlich-rötlich aus, besonders am Rande, dazwischen kommen unter Umständen einmal schöne rote Linien vor, worauf später noch zurückzukommen sein wird. Zu den Flimmeränderungen, die gesehene Objekte erfahren, kom- men schließlich als vierte Gruppe hinzu die Erscheinungen, die . auf der Beschaffenheit des Augenhintergrunds beruhen und bei Betrachtung einer gleichmäßigen Fläche sichtbar werden. Daß unter Umständen dabei die Aderhautgefäße oder die Blut- strömung. der Netzhautgefäße zum Vorschein kommen (Vierordt, Laiblin, Zehender), sei hier nur erwähnt. Netzhautgefäße treten in kleinen Teilstrecken, der blinde Fleck verhältnismäßig selten im flim- mernden Gesichtsfeld hervor und bieten bei mir gegenüber dem Augen- blicksehen nichts Neues Der zentrale Fleck dagegen ist besonders leicht und deutlich zu sehen als der bald helle, bald dunklere Mittel- punkt der Purkinjeschen Musterung nach den in der vorhergehenden Arbeit besprochenen Gesetzmäßigkeiten. So scharf sich der zentrale Kern oder die zentrale Scheibe von der Umgebung abheben kann, so ist die scharfe Begrenzung doch nur durch Kontrastwirkung vorgetäuscht, während in der Beschaffenheit der Netzhaut allmähliche Übergänge bestehen. Das lehren die folgen- den Beobachtungen, die den Unterschied des zentralen und peripheren Sehens und zugleich den Einfluß der Adaptation charakterisieren. Statt der sonst meist von mir verwendeten Scheiben von 20—25 cm Durch- messer benutzte ich zu diesen Versuchen eine größere Pappscheibe von 40 cm Durchmesser, die nahe ihrem Rande zwölf je 1 cm breite und 2'/, cm lange acht- eckige Öffnungen trug und bei der schon durch einmaligen Anstoß leicht die Verschmelzungsfrequenz erreicht wird. Für genauere Regulierung diente mir eine durch Elektromotor betriebene Stroboskopscheibe mit Rheostat. Nimmt die Geschwindigkeit der Scheibe von der Verschmelzungs- frequenz her ganz allmählich ab, so fließt auf die zunächst stetig ge- sehene Fläche — am besten eignet sich ein heller gleichmäßiger Him- mel — der subjektive Purpur von den Rändern her, so daß ein sich ziemlich regelmäßig, wenn auch nicht ganz konzentrisch ein- engender mittlerer stetig grauer Bezirk übrig bleibt, bis auch er über- flutet wird. Ebenso beginnt die mit dem deutlicheren Flimmern ein- setzende Helligskeitszunahme am Rande, so daß nunmehr ein immer enger werdendes mittleres Feld violett und noch ziemlich stetig in hell- flimmernder Umgebung steht. Erst wenn die ganze Fläche hell flim- mert, entwickeln sich die zunächst feinmaschigen, dann grobmaschiger werdenden Purkinjeschen Muster. Es kommt hierin zum Ausdruck, Über das Sehen im Flimmerlicht. DT was zuerst Exner!) und Bellarminoff?) auf andere, nicht so an- schauliche Weise zeigten, als sie die Verschmelzungsfrequenz auf kleinen peripher gesehenen Flächen größer fanden als auf gleichgroßen und gleichbeleuchteten zentral gesehenen. Es ist nicht leicht zu sagen, ob dies auf einem etwas geringeren Grad von Helladaptation in den peripheren Netzhautbezirken beruht, der zufolge die Helligkeits- wirkung dort größer wäre als in der Mitte, oder auf einer trägeren Reaktion der mittleren Bezirke. Immerhin ist bemerkenswert, gerade weil von manchen Seiten viel Gewicht auf die trägere Reaktion der Stäbchen im Vergleich zu den Zapfen gelegt wird®), daß aus den ent- optischen Erscheinungsweisen des zentralen Flecks schon im Augen- blicksehen eine unter Umständen trägere Reaktion des zentralen Sehens hervorging. Ist das Stadium des gleichmäßigen subjektiven Purpur erreicht und wird die bestimmte Umdrehungsgeschwindigkeit beibehalten, so genügt ein Augenzwinkern, kurzes Schließen und Wiederöffnen des Auges, um einen mittleren, annähernd kreisförmigen grauverschmolze- nen Bezirk entstehen zu lassen, der gleich wieder von den Seiten über- flossen wird. Etwa wie ein Stein, auf eine ruhige, mit einer zäheren Öberflächenschicht bedeckte Wasserfläche fallend, ein Loch hinterläßt, das sich gleich wieder schließt. Dieser recht auffällige Befund läßt sich, soviel ich sehe, kaum anders deuten, als daß durch den kurzen Augen- schluß eine etwas größere Dunkeladaptation erzeugt wurde und in die- sem Zustand die Verschmelzungsfrequenz niedriger, die Reaktion träger war im mittleren Bezirk als im peripheren. Jedenfalls geht aus diesem Versuch wieder der Einfluß der Momentanadaptation hervor, der für den mittleren Bezirk mindestens nicht kleiner ist als für den peripheren. Von der Vorstellung ausgehend, daß das Flimmersehen ein Sehen mit relativ dunkeladaptiertem Auge sei, versuchte ich, ob vielleicht das Purkinjesche Phä- nomen, die Helligkeitsverschiebung zwischen Rot und Blau, auch im Flimmern zu bemerken wäre, und war zunächst enttäuscht, es nicht zu finden. Färbt man die Kreisöffnung eines schwarzen, vor hellen Hintergrund gehaltenen Pappschirms durch hintergelegte Lichtfilter halb rot und halb blau, so daß die beiden Hälften gleich hell aussehen, so werden im Flimmern beide Farben heller, aber ohne merk- lichen Helligkeitsunterschied. Besieht man aber den flimmernden blau-roten Kreis parazentral, mit 5—10 Grad seitlich gerichtetem Blick, so erscheint das Blau glänzend hell und nahezu tonfrei, während das Rot farbiger und weniger hell bleibt und zeitweilig von der weißen Hälfte überblendet wird. Betrachtet man 1) Exner, Über die Funktionsweise der Netzhautperipherie und den Sitz der Nachbilder. Graefes Arch. f. Ophthalmol. 3%, 1. 1886. 2) Bellarminoff, Über intermittierende Netzhautreizung. Graefes Arch. f. Opthalmol. 35, 25. 1889. 3) M. Schaternikoff , Über den Einfluß der Adaptation auf die Erscheinung des Flimmerns. Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. 29, 241. 1902. DS U. Ebbecke: im dunklen Zimmer drei in geringer Entfernung nebeneinander angebrachte mattierte Glühbirnen durch ein blaues Farbkfilter, so ist im Flimmern die jeweils fixierte Birne bläulich neben den beiden anderen, die ein grelles, nahezu tonfreies Licht ausstrahlen und stärker flimmern. Mit anderen Farben gelingt der Versuch nicht. Vermutlich steht der Befund im Zusammenhang mit der gelben Färbung der Macula; indem dadurch die Wirkung des Blau zentral gedämpft wird, ist seine subjektive Helligkeit im Flimmern zentral kleiner und entsprechend seine Sättigung größer. Dann würde es sich nicht um ein echtes Purkinjesches Phänomen handeln, was noch weitere Untersuchungen erfordert. Wenn wir an dieser Stelle Halt machen, um rückschauend die bisherigen Untersuchungen zu betrachten, so tragen alle die hier für das Flimmersehen geschilderten Erscheinungen dazu bei, das Bild des normalen Verlaufs einer optischen Erregung klarer zu machen. So wie die Untersuchung der intermittierenden Reize in Verschmelzungsfrequenz uns mit den allerersten Stadien des normalen Erregungsverlaufs bekannt gemacht hat, so enthüllt nun die Unter- suchung der intermittierenden. Reize in Flimmerfrequenz die unmittel- bar darauffolgenden Stadien, die ebenfalls für das gewöhnliche Sehen unbemerkt bleiben müssen, aber gewiß nicht ohne Bedeutung sind. Wenn wir sowohl die Irradiation als den Simultankontrast in diesen, durch das Flimmersehen isolierten Anfangsstadien auffällig stark fan- den, so kann das für die physikalisch bedingte Irradiation nur bedeuten, daß ihre Wirkung für gewöhnlich sehr schnell abgeschwächt wird. Es nimmt da, nach der üblichen Ausdrucksweise, die Empfindlichkeit der Netzhaut ab, weil die Netzhaut ‚‚ermüdet‘‘. Tatsächlich nimmt sie, wie hier gezeigt wurde, nicht deshalb ab, weil die sie sonst kompen- sierende Randkontrastwirkung stärker würde. Aber doch ist es un- zweckmäßig, einen Vorgang, der die Störung korrigiert und die Seh- schärfe fördert, als Ermüdung zu bezeichnen, abgesehen davon, daß eine so momentan eintretende Ermüdung etwas recht Ungewöhn- liches wäre. So wenig wie die dabei mitwirkende, die Lichtwirkung physikalisch herabsetzende Pupillenreaktion als Ermüdungserscheinung aufgefaßt wird, so wenig darf das für die Empfindlichkeitsabnahme geschehen. Zu dem äußeren Adaptationsmechanismus kommt der innere Adaptationsmechanismus hinzu. Dasselbe gilt, mit umge- kehrtem Vorzeichen, für die sogenannte Erholung. Es wird Nieman- dem einfallen, das Flimmersehen als ein Sehen mit erholtem ‘Auge zu bezeichnen, wie es konsequenterweise geschehen müßte. Jedenfalls. bekommen dem Auge die vielen kleinen Erholungspausen, die zwischen die Reizung eingeschoben werden, recht schlecht, wie sich in den lästigen Empfindungen, die das Flimmern begleiten, und bei länger fortgesetzten Versuchen in Lichtscheu, Augen- und Kopfschmerzen äußert. Für die im selben Tempo verlaufende Abnahme der anfänglich stärksten Randkontrastwirkung ist der Ausdruck Ermüdung eben- : Über das Sehen im Flimmerlicht. 219 sowenig am Platz. Ohne daß wir uns hier über die Wechselwirkung ‘der Sehfeldstellen genauer äußern können, ist es doch klar, daß die dem direkt gereizten Netzhautbezirk benachbarten Teile, die anfangs verhindert waren, auf das sie betreffende, physikalisch aberrierende Nebenlicht zu reagieren, ihrerseits immer empfindlicher werden. Aber alle die Erscheinungen lassen sich jetzt ganz kurz zusammenfassen. Der noch während der Reizung in frühen Stadien normaler- weise eintretenden Helligkeitsabnahme, der Abnahme der Irradiation und der Abnahme des Kontrasts liegt dasselbe Prinzip zugrunde, das bei dem Farbenumschlag nur be- sonders auffällig zum Vorschein kommt, und auf das früher schon die periodischen positiven Nachbilder hin- gedeutet hatten, nämlich die rasch einsetzende, die pri- märe Wirkung dämpfende, sie teils kompensierende, zu- weilen sogar überkompensierende aktive Gegenwirkung. Die Natur dieser Gegenwirkung bleibe einstweilen dahingestellt. „Farbeninduktion durch weißes Licht!!).“ Von dem so gewonnenen Standpunkt aus lassen sich nun auch einige, von anderen Autoren beschriebene Erscheinungen überschauen, die bislang zu den ‚sehr eigenartigen und einer Erklärung vorläufig nicht zugänglichen Erscheinungen“ (v. Kries 1.c.) gehörten, die Farben der Benham’’schen Scheibe, die Bidwell’schen roten Linien und die von Helmholtz (l. c. S. 216) und vielen anderen auf langsam rotierenden schwarzweißen Scheiben gesehenen Farben. Das Rotaufleuchten schwarzer Linien, auf das ich bei meinen Flimmerversuchen wiederholt gestoßen war, findet sich bei Bidwell?) bis in seine einzelnen Bedingungen untersucht. Freilich ist die Deu- tung, daß es sich um das sympathische Mitreagieren der nicht direkt gereizten, aber dem gereizten Bezirk unmittelbar benachbarten Rot- _ fasern handele, nur ein Notbehelf, da anderweitige Anhaltspunkte für eine solche Annahme sich nicht finden lassen. Dagegen möchte ich den Satz unterschreiben, daß das subjektiv entstandene Rot sich genau so verhält wie ein objektiv erzeugtes, und möchte sogar zu zeigen versuchen, daß es sich dabei in der Tat um objektives, das heißt physi- kalisch vorhandenes rotes Licht handelt. Der Gedanke stellte sich zunächst rein gefühlsmäßig ein, weil ich in jenem Rot die eigenartige, schöne, rubinrotleuchtende, tiefgesättigte Farbe wiedererkannte, die ich früher gesehen hatte, wenn ich, im Freien lesend, die Sonne so seit- lich stehen hatte, daß sie das Augeninnere diascleral erleuchtete — !) Vgl. den betreffenden Abschnitt in v. Kries, Nagels Handbuch der Phy- : Erle = x siologie 3, 245. 246. ?) Proc. Roy. Soc. 60, 368. 1896; 61, 262. 1897. 220 \ U. Ebbecke: dann erscheinen die Buchstaben rot auf weißem Papier —, oder wenn ich, durch das Mikroskop sehend, das Objektiv mit der Finger- beere verdunkelte. In beiden Fällen sieht man die von’dem durch- leuchteten Gewebe herrührende, aus den spektroskopischen Unter- suchungen bekannte Blutfarbe. Ist nun etwas derartiges auch bei dem subjektiven Rot im Spiel? Es ist weiter daran zu erinnern, daß die langwelligen Strahlen diejenigen sind, die der Zerstreuung bei der chromatischen Aberration am wenigsten unter- liegen, so daß ihre Wirkung in der unmittelbaren Nachbarschaft noch am konzen- triertesten ist. Ein ähnliches Rot zeigt, aus einfachen physikalischen Gründen, der Rand eines dunklen Stabes, oder besser noch ein dünner schwarzer Faden, der aus einiger Entfernung gegen einen hellen En rezund mit in die Ferne ak- kommodiertem Auge besehen wird. Das Rot des Augeninnern pflegen wir deshalb zu vernachlässigen oder zu unterschätzen, weil wir es im gewöhnlichen Sehen gar nicht bemerken. Aber mit derselben Stärke, wie wir das Auge eines anderen Menschen beim Augenspiegeln rot oder gelbrot aufleuchten sehen, muß doch auch unser eigenes Auge in dem gewiß nicht schwächeren Tageslicht erleuchtet sein, wobei das Licht zum Teil durch die Sclera hindurchgedrungen, zum anderen größeren Teil vom Augenhinter- grund diffus reflektiert ist. Kann ja doch, nach den bekannten Unter- suchungen H. Müllers, sogar der Reflex einer von außen beleuchteten kleinen Netzhautfläche die Lichtquelle sein, als deren Schatten wir die Netzhautgefäße sehen. Daraus folgt, daß das weißbelichtete Auge sich jederzeit in einem Zustand recht erheblicher Rotverstimmung oder Rotadaptation befindet, welcher man auch bei feineren Farb- beurteilungen Rechnung trägt und welche man durch Vorhalten einer Dunkelröhre einschränkt. Daraus folgt aber auch, daß wir, wenn die Rotadaptation durch einige Zeit der Verdunkelung aufgehoben ist, im ersten Augenblick der Belichtung nicht die Wirkung weißen Lichts haben, sondern die Wirkung eines Lichts, dem ein gewisser Anteil roten Lichts zugemischt ist. Die Wirkung des diffus reflektierten roten Lichts wird in der unmittelbaren Nachbarschaft einer belichteten Netz- hautstelle am stärksten sein. Der Grad der Rotadaptation und die Schnelligkeit ihres Eintretens sei durch folgenden Versuch veranschaulicht: Man halte einen Dunkelkasten mit kreis- förmiger Öffnung (die ausgezogene Kamera eines photographischen Apparates nach Entfernung von Mattscheibe und Objektivlinse) dicht ans Gesicht, und zwar so, daß das eine Auge R seitlich abgeblendet, das andere Auge L seitlich frei ist, stelle sich im Zimmer so auf, daß das Licht des hellen Fensters nur auf das freie Auge L fällt, und betrachte durch die Kreisöffnung hindurch eine entferntere graue Fläche. Dann sieht man einen grünlichen und einen rötlichen Kreis. Es ist das nur eine praktische Modifikation des bekannten Seitenfensterversuchs von Smith und Fechner. Das Grün des einen Kreises ist eine Folge der Rotver- stimmung, das Rot des anderen durch binocularen Kontrast entstanden. Dreht man sich nun um 180° und läßt R das seitlich freie, L das abgeblendete Auge Über das Sehen im Flimmerlicht. 221 sein, so ist man nur kurze Zeit in seinem Farburteil zweifelhaft und sehr bald, um so schneller, je stärker das seitliche Licht ist, hat sich auch die Farbtönung in den beiden Gesichtsfeldern umgekehrt. Wenn nach vorhergegangener Dunkeladaptation die erste Licht- wirkung zugleich eine Rotwirkung sein muß, warum sehen wir dann das Rot des Augeninnern nur auf schmalen dunklen Linien und nur innerhalb der ersten Zehntelsekunde nach Beginn der Lichtreizung ? Die kurze Empfindungsdauer beruht auf der Momentanadaptation; schalten wir diese und damit die rückwirkende Hemmung durch gleich wieder folgende Verdunkelung aus, so kommt die Empfindung deut- licher zu Bewußtsein. Daß schmale Linien erforderlich sind, liest daran, daß nur in der unmittelbaren Nachbarschaft eines belichteten Netzhaut- bezirkes die diffuse Reflexion (und die sie vielleicht noch unterstützende Irradiation) des roten Lichts stark genug ist. Daß dunkle Linien er- forderlich sind, hat denselben Grund, der bei der diascleralen Sonnen- belichtung auch nur die dunklen Buchstaben aufleuchten läßt; eine verhältnismäßig schwache Rotwirkung verschwindet hinter einer starken Weißwirkung, übrigens auch hinter einer starken Schwarz- wirkung, wofür kürzlich Heß!) quantitative Messungen erbracht hat. Daß die Erscheinung im gelben Licht besser als im weißen, am besten in einem Licht, das reichlich rote Strahlen enthält, und gar nicht in rotfreiem, grünem oder blauem Licht zu sehen ist, bedarf nun keiner Erklärung mehr. Das Blaugrün auf der Benhamschen Scheibe ist hier- nach nichts anderes als die Kontrastfarbe, in die nach Aufhören des rotadaptierenden Lichtreizes oder sogar, wie ich gezeigt habe, schon während des Reizes die Erregung umschlägt, wobei auf engen Linien ein Simultankontrast den Sukzessivkontrast unterstützt und die Um- drehungsgeschwindigkeit der Scheibe dem zeitlichen Abstand des sekundären Bildes vom primären Bilde angepaßt sein muß. Ist die Dunkeladaptation hinreichend fortgeschritten und hat sich reichlich Sehpurpur angehäuft, so färbt sich bei Weißbelichtung das diffuse Reflexlicht des Augeninneren purpurn, und es wird so der eigene Sehpurpur, in Mischung mit der Blutfarbe, entoptisch sichtbar. Eine Bestätigung gibt (das Experiment: für ein längere Zeit gut dunkel- adaptiertes Auge sieht ein stark belichteter Lichtspalt im Augenblick- sehen intensiv violett aus. Die Tatsache, daß auch eine starke Schwarzempfindung eine ver- hältnismäßig schwache Buntempfindung auslöscht, muß als eine weitere Versuchsbedingung berücksichtigt werden. Sie kommt darin zum Ausdruck, daß bei der Kries’schen Modifikation der Benhamschen Scheibe das Rot erst in dem von dem schwarzen Stück hinterlassenen 1) C. Heß, Untersuchungen zur Lehre von der Wechselwirkung der Sehfeld- stellen. ' Arch. f. d. ges. Physiol. 199, 50. 1920. 222 U. Ebbecke: Grau als Schweif sichtbar wird, ferner besonders deutlich darin, daß für die Erkennung der subjektiven Farben einer ziemlich langsam rotierenden Scheibe, deren unscharf werdende Sektorenwände für das unbewegte Auge ein vorauslaufendes Rötlichgrau oder Mattrosa und ein nachlaufendes angedeutetes Blaugrün zeigen, die episkopische Betrachtung die sonst vorteilhaftere diaskopische Betrachtung über- trifft und daß zur Demonstration von Flimmerfarben im ganzen die Bidwellsche Scheibe geeigneter ist als die durchbrochene weiße oder schwarze Scheibe, die die Versuchsbedingungen zunächst verein- fachen. Denn wo die Gegensätze von Licht und Dunkel zu sehr über- wiegen, sind die Buntempfindungen beeinträchtigt. Freilich muß dabei das hinter der Bidwellschen Scheibe gesehene Objekt stärker belichtet sein als das Weiß der Scheibe, genauer gesagt, auf den Farbreiz folgt ein Grau, nicht ein Weiß, wodurch die Gegensätzlichkeit gemildert wird, und erst dann folgt zur Herstellung einer gewissen Dunkel- adaptation eine Zeitlang möglichst vollkommene Verdunkelung. Im übrigen sind die subjektiven Farben auf der einfachen schwarzweißen, langsam rotierenden Scheibe, oder auch schon auf einer vor dunklem Hintergrund vorbeibewegten weißen Fläche, die gleichen und beruhen auf den gleichen Ursachen wie auf der günstigere Bedingungen und aus- seprägtere Farben liefernden Benhamschen Scheibe. Das Ergebnis der letzten Ausführungen, die freilich noch mancher Ergänzungen bedürfen, ist: Im Augeninnern herrscht auch bei rein weißem Außenlicht eine ausgesprochene rote oder gelbrote Beleuchtung, so daß das Auge normalerweise stark rotadaptiert ist. Wird durch Dunkeladaptation, auch schon durch Momentanadaptation, die chro- matische Verstimmung beseitigt oder vermindert, so kommt die Rot- wirkung mit dem sekundären Umschlag in Blaugrün oder Grünblau zum Vorschein, wie bei der rotierenden Scheibe mit langsamer Auf- einanderfolge von Erhellung und Verdunkelung und, unter besseren Bedingungen, in der Benhamschen und Bidwellschen Anordnung. Zusammenfassung. Das Sehen im Flimmerlicht ist ein Sehen mit relativ dunkel- adaptiertem Auge. Die Wichtigkeit der Momentanadaptation (Hering) wird hervorgehoben. Das Sehen im Flimmerlicht ist ein periodisch wiederholtes Augen- blicksehen. Aus technischen Gründen, zur Abstufung der Reizdauer, und aus psychologischen Gründen, zur Erleichterung der Auffassung ist die rhythmische intermittierende Reizung der einzelnen Moment- belichtung überlegen. So wie die Untersuchung der intermittierenden Reizung in Ver- schmelzungsfrequenz die allerersten Stadien im aufsteigenden Teil der Über das Sehen im Flimmerlicht. 223 Erregungskurve gezeigt hat, so lehrt die Untersuchung der intermit- tierenden Reizung in Flimmerfrequenz die unmittelbar darauffolgenden Stadien des normalen Erregunssverlaufs kennen. Durch die in einem bestimmten Zeitpunkt erfolgende Unterbrechung des Reizes kommt, durch Ausschaltung der rückwirkenden Hemmung, der an diesem Punkt erreichte Erregungszustand zu Bewußtsein. Nach dem anfänglichen, ziemlich geradlinigen, der Reizdauer und Reizstärke, also der einwirkenden Lichtmenge proportionalen Anstieg erreicht die Erregung einen gewissen Höhepunkt, auf dem Helliskeit, Irradiation und Simultankontrast größer sind als vorher und nachher. Bei farbiger Reizung von hinreichender Intensität findet in diesem Stadium ein Farbenumschlag in eine annähernd komplementäre Farbe statt; erst einige Zeit später tritt wieder die ursprüngliche, aber weniger gesättigte und hellere Farbempfindung auf. Der Befund wird mit den periodischen positiven Nachbildern und den Befunden von Heß in Beziehung gebracht und dient als Beweis für den phasischen Verlauf der optischen Erregung und für die physiologische Natur der Gegen- farben. Das rasche Abnehmen von Helligkeit, Irradiation und Simultan- kontrast ist nicht eine Ermüdung, sondern ist ebenso wie der Farb- umschlag eine während der Reizung einsetzende aktive Gegenwirkung zum Zweck einer die Sehleistung verbessernden Momentanadaptation. Eine Anzahl eigenartiger Flimmererscheinungen wird beschrieben. Einige Fälle von Farbeninduktion durch weißes Licht werden auf die Rotverstimmung des Auges zurückgeführt. Versuche zum Nachweis elektroosmotischer Vorgänge bei der Plasmolyse. Von Runar Collander. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Kiel.) (Eingegangen am 21. September 1920.) Einleitung. Bei der Bestimmung des osmotischen Drucks von Blektrolyt- lösungen unter Anwendung mehr oder weniger semipermeabler Mem- branen sind seit langem sehr beträchtliche Abweichungen von den osmotischen Gesetzen, wie sie durch van t’ Hoff formuliert sind, beob- achtet worden (Dutrochet, Graham). Man spricht von abnormen bzw. — wenn der Flüssigkeitsstrom von der konzentrierteren zur verdünnteren Lösung gerichtet ist — von negativen Osmosen. Mit der Theorie dieser Erscheinungen hat man sich erst in neuerer Zeit, doch noch ohne vollen Erfolg, beschäftigt. Girard!) berichtet über Versuche, in denen zwei isotonische Lösungen durch Schweinsblase voneinder getrennt waren. Er findet, daß die Richtung der hierbei eintretenden Osmose abhängt erstens von der elektrischen Potentialdifferenz, die infolge ungleicher Ionengeschwindigkeit oder lonenadsorption zwischen den beiden Seiten der Membran entsteht, und zweitens von der Ladung der Flüssigkeit inner- halb der Membran in bezug auf die Membransubstanz selbst. Die Strömung faßt er auf als eine Elektroosmose unter dem Einfluß der an der Membran bestehenden elektromotorischen Kraft. Zu ähnlichen Vorstellungen gelangte Bartell?) bei seinen Untersuchungen, die vornehmlich an Porzellandiaphragmen ausgeführt wurden. Durch die von Frl. Hamburger?) (beiHöber) mit Membranen aus Schweinsblase ausgeführten Untersuchungen wurde bestätigt, daß die Ladung der Membran eine bedeutungsvolle Rolle bei der Osmose spielt. Sie fand nämlich, daß kleine Mengen capillaraktiver Elektrolyte, den Lösungen zu beiden Seiten der Membran zugesetzt, einen gewaltigen Einfluß auf die Größe und Richtung der Osmose ausüben. So z. B. war in einem bestimmten Fall (l. ec. S. 404) die Steighöhe einer reinen "/jo BaCl,-Lösung — 10 mm, bei Zusatz von ”/;oo Ce(NO,), dagegen + 710 mm und bei Zusatz von Ferro- oder Ferrieyanid — 27 mm. Dagegen kam Frl. Ham - burger zu dem Ergebnis, daß die Richtung des Diffusionspotentials keine Bedeu- tung für die Osmose hat. Sehr auffallende abnorme Osmosen hat in jüngster Zeit !) Compt. rend. de l’Acad. 151, 99. 1910; 153, 401. 1911. 2) Journ. Amer. Chem. Soc. 36, 646, 1914 und 38, 1036. 1916; Proc. Nat. Acad. of Sciences U. S. A. 6, 306. 1920. %) Zeitschr. f. physikal. Chemie 92, 385. 1917. R. Collander: Versuche zum Nachweis elektroosmotischer Vorgänge usw. 225 Jacques Loeb!) an Kollodiummembranen beobachtet. Als Beispiel diene folgende Zusammenstellung des osmotischen Zugs einiger Salzlösungen von fast gleichem Gefrierpunkt; die zweite Spalte gibt an, welche Rohrzuckerkonzentration nötig ist, um dem Zug der Salzlösung die Wage zu halten: [4 ”/gg BaCl, "/g, Zucker "/1es MgSO, "a2 » . hm EIh Zn "256 AICI, DR > ae Ke-@itrate ke Sehr auffallend ist auch die Beobachtung Loebs, daß bei vielen Elektrolyten der osmotische Zug nicht mit steigender Konzentration stetig zunimmt, sondern daß der Zug zwar anfangs wächst bis zur Erreichung eines Maximums (gewöhn- lich etwa bei "/gs6 bis "/z15), von da aber bei steigender Konzentration sinkt (nicht nur relativ, sondern sogar absolut), um erst etwa von "/, ab wieder zu “steigen. Einen Überblick über diese abnormen Osmosen gewinnt man, wenn man sich vorstellt, daß das Wasser in den Membranporen angezogen wird von dem ihm entgegengesetzt geladenen Ion, abgestoßen von dem gleichsinnig geladenen Ion, und daß diese beiden Wirkungen mit der Wertigkeit des betreffenden Ions steigen, außerdem aber noch von einem bisher unbekannten für das jeweilig ver- wendete Ion charakteristischen Faktor sowie von der Konzentration des Salzes abhängen. Eine befriedigende theoretische Erklärung ist allerdings auch damit nichtgegeben. Auch an Ferrocyanidkupfermembranen kann man nach Bernstein?) negative Osmosen nachweisen, wenn man eine mit K,Fe(CN),-Lösung gefüllte Pfeffersche Zelle in eine schwach hypertonische CuSO,-Lösung hineinstellt. Zur Erklärung dieser und ähnlicher Beobachtungen nimmt Freundlich?°) an, daß innerhalb der Membran in den Poren und der Wandsubstanz elektrische Lokal- ströme zirkulieren, welche eine Elektroosmose bewirken, und daß die Arbeit für diese Osmose entweder durch die Diffusion geleistet wird oder durch eine chemische Reaktion, welche sich in der Membran zwischen den zu beiden Seiten befindlichen Ionen abspielt. Durch die erwähnten Beobachtungen wird die Frage nahegelest, ob nicht elektroosmotische Vorgänge auch beim Flüssigkeitsaustausch zwischen lebenden Zellen und dem umgebenden Medium eine Rolle spielen. Für Pflanzenzellen liegen bisher keine sichergestellten Bei- spiele derartiger Erscheinungen vor (Stern), für tierische Zellen haben wir aber positive diesbezügliche Angaben u.a. von Girard°). Er gibt an, daß Blutkörperchen, die in einer Rohrzuckerlösung suspendiert sind, zum Schwellen gebracht werden können nicht nur durch An- säuerung der Lösung, sondern auch durch Zusatz kleiner Mengen eines Salzes mit dreiwertigem Kation (La , Ce ). Hieraus, sowie 1) Journ. of General. Physiol. 1, 717. 1919; 2, 87, 173, 255, 273, 387. 1919, 1920. 2) Elektrobiologie, Braunschweig 1912, S. 162 ff. 3) Kolloid-Zeitschr. 18, 11. 1916. 4) Ber. d. Deutsch. bot. Ges. 3%, 334. 1919. 5) Compt. rend. de l’Acad. 156, 1401. 1913; Compt. rend. de la Soc. de Biol. %4, 520. 1913; %6, 1914. 226 R. Collander: aus seiner Beobachtung, daß der Wirkung der H-Ionen durch Fe(CN), und der der dreiwertigen Kationen durch OH’ ent- gegengewirkt wird, schließt Girard, daß Größe und Sinn der elek- trischen Ladung der Plasmahaut eine fundamentale Rolle für den Wasseraustausch zwischen den Blutkörperchen und der umgebenden Lösung spielen: Verminderung oder Umkehrung der natürlichen negativen Ladung bewirkt Schwellung, Vergrößerung der negativen Ladung verursacht dagegen Schrumpfung der Zellen. Wie Höber!) betont hat, sind jedoch die Beobachtungen Girards größtenteils viel- deutig, denn die Wirkung der H- bzw. OH-Ionen kann durch ihre quellende bzw. entquellende Wirkung auf die Zellkolloide erklärt werden, und der scheinbare Antagonismus ‚zwischen OH’ einerseits und La ° bzw. Ce andererseits beruht vielleicht nur auf der Bildung der schwerlöslichen Hydroxyde. Aus der vorangehenden Übersicht ergibt sich ein zweifacher Aus- sangspunkt für die vorliegende Arbeit. Erstens sollte untersucht werden, welche Rolle die an leblosen Membranen so oft beobachteten elektroosmotischen Vorgänge bei der Plasmolyse von lebenden Pflanzen- zellen spielen. Dabei boten Salze mit dreiwertigen Ionen sowie stark verdünnte Elektrolytlösungen das größte Interesse, da eben in solchen Fällen die größten Abweichungen beobachtet worden sind, und da auch bisher nur wenig Untersuchungen inbezug auf die plasmolytische Wirkung solcher Lösungen vorliegen. Zweitens sollte mit derselben Methode festgestellt werden, ob die von Girard betreffs Blutkörper- chen behauptete Abhängigkeit des Zellvolumens von dem elektrischen Ladungszustand der Plasmahaut auch für die Pflanzenzellen gilt, bei denen quellende und entquellende Wirkungen auf die Zellkolloide fast ohne direkten Einfluß auf das Versuchsergebnis sind, weil das Zyto- plasma nur einen dünnen Schlauch um den großen kolloidarmen Saft- raum herum bildet. Die vorliegende Arbeit macht nicht Anspruch, mehr als eine vor- läufige Orientierung über die angeschnittenen Fragen zu geben. Sie wurde auf Anregung und unter Leitung von Herrn Professor Dr. Höber ausgeführt. Für die mir geleistete liebenswürdige Unterstützung sage ich ihm meinen ergebensten Dank. Methodisches. Bei der Ausführung der Versuche habe ich in allem Wesentlichen die Vor- schriften befolgt, welche Fitting?) auf Grund seiner reichen Erfahrung gegeben !) Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe, Leipzig und Berlin 1914, S. 254 ff. 2) Jahrb. f. wissenschaftl. Botanik 56, 1. 1915; 5%, 553. 1917; 59, 1. 1919. Versuche zum Nachweis elektroosmotischer Vorgänge bei der Plasmolyse. 227 hat. Als Versuchsobjekt dienten ausschließlich die Epidermiszellen der Blattmittel- rippe von Rhoeo discolor !). Um die plasmolytische Wirkung verdünnter Elektrolytlösungen untersuchen zu können, war ich im allgemeinen gezwungen, nicht mit reinen Lösungen, sondern mit Gemischen aus einem Elektrolyten und einem Nichtelektrolyten zu arbeiten. Da Plasmolyse und Deplasmolyse bei verschiedenen Stoffen mit verschiedener Geschwindigkeit erfolgt, darf man dabei nicht ohne weiteres beliebige Plasmo- Iytika miteinander kombinieren. In einigen Fällen (Methode A) habe ich daher zwei solche Stoffe (z. B. Rohrzucker und Natriumeitrat oder Harnstoff und KCl) gemischt, bei denen der Verlauf dieser Prozesse möglichst ähnlich ist, so daß man annehmen kann, daß im Gemisch die plasmolytischen Wirkungen der beiden Stoffe sich glatt addieren werden. In anderen Versuchsreihen (Methode B) habe ich zunächst je zwei Schnitte in Rohrzuckerlösungen steigender Konzentration ein- getragen und übertrug, als die Plasmolyse nach etwa 100 Minuten ihr Maximum beinahe oder eben erreicht hatte, jeden zweiten Schnitt in eine Zuckerlösung der- selben Konzentration, aber mit Zusatz einer konstanten Menge des betreffenden Elektrolyten; da die in Rohrzuckerlösung plasmolysierten Protoplasten stunden- lang ihr Volumen nicht ändern, kann in dieser Weise die plasmolytische Wirkung des zugesetzten Elektrolyten genau studiert werden. Da bei der Verwendung von Aluminium- oder Lanthansalzen eine Erstarrung der Protoplasten möglich er- schien?), war es bei diesen Salzen nötig, das Plasmolysegleichgewicht von zwei ver- schiedenen Seiten aus zu erstreben. Einige Versuche wurden daher nach der Methode A oder B ausgeführt, andere aber so (Methode C), daß zuerst sämtliche Schnitte in Rohrzuckerlösung plasmolysiert wurden und dann teils in reine Zucker- lösungen fallender Konzentration und teils in Gemische aus Zucker fallender Konzentration plus dem betreffenden Salz gebracht wurden, um die stattfindende Deplasmolyse zu beobachten. Eine Erstarrung des Protoplasmas wurde jedoch bei meinem Objekt nie wahrgenommen. Alle Konzentrationen sind in Grammolekül pro Liter Lösung angegeben. Die Konzentrationsdifferenzen zwischen den einzelnen Lösungen betrugen 0,005 bis 0,008 G.-M. Rohrzucker bzw. Harnstoff. Um die Art der Berechnung klar zu machen, diene folgendes Beispiel. Ich fand in 0,168 0,160 0,152 0,144 GM Zucker + 0,01 GM AlCl, ale 3/,—%s La keine Zellen plasmolysiert und in 0,200 0,192 0,184 0,176 GM Zucker alle 3/,—%/; a fast keine Zellen plasmolysiert. 0,16 GM Zucker + 0,01 GM AICI, entspricht also 0,192 GM Zucker, d. h. 0,01 GM AICI, entspricht 0,032 GM Zucker. Hieraus berechnet sich der osmotische Koeffizient des Aluminiumchlorids zu 3,2. Sorgfältige Herstellung der Lösungen vorausgesetzt, wird die Ungenauigkeit der Messungen hauptsächlich durch die Fehler bei der Schätzung der Plasmolyse bzw. durch die Unterschiede in der Plasmolysierbarkeit verschiedener Schnitte bedingt. Ich schätze die möglichen Fehler bei den hier mitgeteilten Versuchen durchschnittlich zu höchstens + 0,005 GM. Die Reinheit des verwendeten Rohrzuckerpräparats wurde durch Messung !) Für die bereitwillige Übersendung von Rhoeo- Pflanzen bin ich Herrn Prof. Dr. Fitting zu großem Dank verpflichtet und ebenso dem Vorsteher des Botanischen Gartens zu Kiel, Herrn Geh. Rat Prof. Dr. Reinke für die Erlaubnis, die Versuchspflanzen*im Botanischen Garten kultivieren zu lassen. 2) Szücs, Jahrb. f. wissensch. Botanik 52, 269. 1913. 228 R. Collander: der elektrischen Leitfähigkeit kontrolliert. Die, Leitfähigkeit einer 10 proz. Lösung entsprach derjenigen einer 0,0001 molaren KCl-Lösung. Das Natriumeitrat wurde durch Mischen von äquivalenten Mengen Na,CO, und Citronensäure und Austreiben der Kohlensäure bereitet. Die übrigen Präparate stammten von Kahlbaum oder Merck. Sämtliche Versuche wurden in der Zeit von Juni bis September ausgeführt. Experimentelle Ergebnisse. Bei der Verwendung von Salzen mit dreiwertigem Kation als Plas- molytika hätte man nach den früher zitierten Erfahrungen Loebs er- warten können, abnorm große osmotische Koeffizienten zu finden, während umgekehrt auf Grund der Angaben Girards an Blutkörper- chen abnorm kleine oder sogar negative osmotische Koeffizienten zu. erwarten sind. Wie aus folgendem hervorgeht, traf keine dieser beiden Voraussetzungen zu. Versuche mit Aluminiumchlorid!) führten zu folgendem Ergebnis: Versuch | Methode We 2 a a Osmot. Koeff. 1 (A) 20 0,06 0,184 3,07 & 0,1 2. (©) 0 0,06 0,184 3,07 + 0,1 3 B 6 0,01 0,032 32 205 4 C 4 0,01 0,028 297 32.08 5 C 0 0,01 0,028 9,32. 42:05 6 SB 0 0,01 0,032 32 &05 In den Versuchen 1 und 2 wurden reine AlCI,-Lösungen ohne Bei- mischung von Zucker verwendet. Nach 2!/, stündigem Verweilen in diesen Lösungen konnten die meisten Protoplasten noch eine vorsichtig eingeleitete Deplasmolyse durchmachen. In den Lösungen von Zucker + 0,01 GM AICI, war dies sogar noch nach 15 Stunden der Fall. Ein deutlicher Rückgang der Plasmolyse infolge des Eindringens von Plasmolytikum wurde nicht beobachtet. Um den plasmolytisch gefundenen osmotischen Koeffizienten mit dem aus kryoskopischen Daten sich ergebenden isotonischen Koeffi- zienten vergleichen zu können, muß man zuerst die volumnormal aus- gedrückten Konzentrationen in gewichtsnormale umrechnen. Unter Benutzung zweier von Renner?) angegebenen Formeln findet man (wenn man die Dichte einer 0,06 m AlCl,-Lösung zu 1,005 annimmt?) 0,06,,. GM AIC], = 0,062,, GM und 0,184, GM Zucker — 0,1917 GM. Für die gewichtsnormalen Lösungen ist demnach der plasmo- Iytisch gefundene osmotische Koeffizient i,n — 3,18. Da die molekulare !) Die Konzentrationen der AlCl,- und LaCl;-Lösungen wurden durch Titrieren mit Silbernitrat bestimmt. 2) Biol. Centralbl. 32, 494 u. 499. 1912. ®) Landolt- Börnstein, Physik.-chem. Tabellen, Berlin 1912, S. 254. Versuche zum Nachweis elektroosmotischer Vorgänge bei der Plasmolyse. 229 Gefrierpunktsdepression für 0,06 GM AICl, etwa 5,92 beträgt ') und für 0,191,n GM Zucker?) 1,876, ist also der kryoskopisch gefundene isoto- nische Koeffizient i,, = 3,16. Die plasmolytisch und kryo- skopisch gefundenen isotonischen (bzw. osmotischen) Koeffi- zienten des Aluminiumchlorids stimmen also innerhalb der Fehlergrenzen vollständig miteinander überein. Mit Aluminiumsulfat im Gemisch mit Rohrzucker wurden einige orientierende Versuche nach der Methode A ausgeführt. Die Salzkon- zentrationen betrugen 0,004, 0,008 und 0,016 GM. Eine normale posi- tive Osmose trat immer ein. Folgende Versuche zeigen den Einfluß von Lanthanchlorid: Versuch | Methode | a | a Osmot. Koeff. Ren | 0,0226 | 0,072 3,19 + 0,2 3 | Ö | 0,0226 0,071 I Eyıkl Se ME GI TER 20,0226 | 0,073 Die Schnitte waren ungewässert. Um die positive Aufladung der Plasmahaut zu fördern, kamen die Schnitte im Versuch 9 zuerst auf 20 Stunden in 0,2proz. Clupeinsulfatlösung, und außerdem enthielten in diesem Versuch die LaCl,-Zuckerlösungen 0,1%, Clupeinsulfat. Eine Beschädigung der Zellen durch das La-Salz trat nicht ein, dagegen waren die Zellen an den Rändern der mit Clupeinsulfat behandelten Schnitte abgestorben. Deplasmolyse infolge Eindringens des Plasmoly- ticums wurde nicht beobachtet. Ein genauer Vergleich des plasmolytisch gefundenen osmotischen Koeffizienten mit dem theoretisch zu erwartenden Wert ist für LaCl, nicht möglich, weil Angaben über die Gefrierpunktserniedrigung bei diesem Salz fehlen. Soweit aber ein Urteil auf Grund kryoskopischer Daten über Lanthannitratlösungen®) oder auf Grund der Angaben von R. J. Meyer und Hauser) über die Äquivalentleitfähigkeit von La(l, möglich ist, stimmt der von mir gefundene Wert mit dem physikalisch- chemisch berechneten Koeffizienten überein. "Im Anschluß an die in der Einleitung erwähnte Beobachtung von Frl. Hamburger, daß BaCl,-Lösung mit Zusatz von "/;yo Ce(NO,), einen außerordentlich viel größeren osmotischen Druck entwickelt als eine reine BaÜl,-Lösung, und daß ein Zusatz mehrwertiger Anionen den Druck verringert, wurde in zwei Versuchen die plasmolytische Wirkung von reinen BaCl,-Lösungen verglichen mit derjenigen von BaCl, + 1) Landolt- Börnstein |. ce., S. 801. ?2) Roth, cit. nach Fitting, Jahrb. wissensch. Botanik 5%, 574. 1917. 3) Landolt- Börnstein, |. c., S. 809. *#) R. J. Meyer und O. Hauser, Die Analyse der seltenen Erden und der Erdsäuren. Stuttgart 1912, S. 34. ” Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 185. 16 230 R. Collander: 0,002 GM La(NO,),;, bzw. von BaCl, + 0,002 GMK,Fe(CN),. Beide Salzzusätze hatten aber dieselbe Wirkung, sie steigerten nämlich die plasmolytische Wirkung der Lösung ebensoviel wie 0,0025 + 0,002 GM BaQ],. Für Weinsäure, Citronensäure und Äpfelsäure hat bereits de Vries!) festgestellt, daß sie sich den Protoplasten von Begonia manicata gegen- über normal verhalten. Er fand ihre isotonischen Koeffizienten zu 1,07 bzw. 1,07 und 1,05 (umgerechnet auf Rohrzucker = ]). Von mir ausgeführte Plasmolyseversuche nach der Methode B mit 0,002, 0,006 und 0,02 GM Weinsäure + Rohrzucker ergaben auch nichts Auffallendes. 0,020 GM Weinsäure entsprach 0,022 GM Zucker, woraus sich der osmotische Koeffizient zu 1,1 + 0,2, berechnet. Nun dringen aber, wie Brenner?) nachgewiesen hat, die drei obengenannten Säuren kaum oder doch nur mit großer Schwierigkeit in unbeschädigte Protoplasten ein. Andererseits gibt es aber eine Anzahl von Beobachtungen, die darauf hindeuten, daß Säuren eben beim Ein- dringen in die Zelle deren osmotischen Druck abnorm erhöhen?). Es schien daher wichtig, Plasmolyseversuche auch mit relativ leicht permeierenden Säuren vorzunehmen. Als Beispiel einer solchen wurde die Milchsäure gewählt?). Bei Anwendung von 0,02 GM Milchsäure nach der Methode B tritt die Plasmolyse schnell ein und erreicht nach etwa 30 Minuten ihr Maximum, das 0,016 + 0,005 GM Zucker ent- spricht. Bald nachher fängt die Plasmolyse an, unter Rotfärbung des Zellsaftes zurückzugehen. Hierbei platzen zahlreiche Zellen, während andere, ohne ihren Farbstoff austreten zu lassen, zu kollabieren anfangen. Da hierdurch die meisten Zellen verlorengehen, habe ich nicht mit Sicher- heit entscheiden können, ob irgendwelche Protoplasten ihr ursprüng- liches Volumen überschreiten. Als Beispiel eines Salzes, bei dem Loeb besonders auffällige Ver- änderungen der osmotischen Wirkung mit der Konzentration beobachtet hat, wurde Trinatriumeitrat gewählt). Ich bestimmte nach der Methode 1) Jahrb. wissensch. Botanik 14, 427. 1884. ?) Ofversigt af Finska Vetensk.-Soc. Förhandl. 60, A. Nr. 4. 1917—1918. 3) De Vries, Jahrb. wissensch. Botanik 16, 465. 1885; Klemm ibid. 28, 627. 1895; Sternl. c. 4) Brennerl. c. >) Für Lösungen dieses Salzes fand Loeb 20 Minuten nach Versuchsbeginn etwa die folgenden Steighöhen im Osmometerrohr (berechnet nach der graphischen Darstellung bei Loeb Il. c. 2, S. 177): Konz. "/gıos "/aoe "/z0as "/roza "/sı2z "/2s6 "/ı2s "/ea "/s2 "is mm 5590 12 178 235 272 285 244 195 195 le a er ai 246 340 402 525 Bei steigender Konzentration des Salzes also erst ein kräftiges Steigen des osmotischen Zugs, bei "/jss ein ausgesprochenes Maximum (”/i3, Na,-Citrat Versuche zum Nachweis elektroosmotischer Vorgänge bei der Plasmolyse. 231 A die plasmolysierende Wirkung verschiedener Citratkonzentrationen, verglichen mit Rohrzucker. In reinen Natriumeitratlösungen erreicht die Plasmolyse ihr Maxi- mum erst nach 1!/,—2 Stunden. Ein deutlicher Rückgang der Plas- molyse konnte bei langer Versuchsdauer nie beobachtet werden. Die Protoplasten scheinen also, hiernach zu urteilen, impermeabel für das Salz. Wie die folgende Zusammenstellung zeigt, bleibt der osmo- tische Koeffizient bei Konzentrationen zwischen 0,004 und 0,0575 GM innerhalb der Fehlergrenzen konstant. (Vermut- lich steigt der Koeffizient etwas bei zunehmender Verdünnung infolge gesteigerter Dissoziation des Salzes. Die gleichzeitig anwachsende Fehlergröße läßt dies aber nicht zutage treten.) Versuch Be a Osmot. Koeff. 10 0 0,0575 0,166 2,89 + 0,1 11 2 0,0575 0,162 2,82 + 0,1 12 20 1:7.0:032 0,088 2,755 + 02 13 O2 7710:.032 0,094 2,94 + 0,2 14 7 0,016 0,046 | 29 +03 15 20 0,016 0,052 32 +03 Kor 24 0,008 0,023 2,9 + 0,6 17 | 0 0,008 0,027 34 + 0,6 18... 0 0,004 0,012 30 +12 19 24 0,004 0,012 30 +12 a 20 en 0,110 0,200 1,82 + 0,005 21 6 0,090 0,168 1,87 + 0,005 22 20 0,098 0,185 1,89 + 0,005 23 13 0,0312 0,052 1,66 + 0,2 24 15 0,0312 0,058 1,85 + 0,2 25 0 0,0312 0,058 1,85 + 0,2 26 6 0,0156 0,030 1,9 + 0,3 on 6 0,0156 0,028 1,8 + 0,3 28 7 0,0156 0,026 1,7 + 03 29 6 0,0078 0,016 2,0 + 0,6 30 15 0,0078 0,014 1,8 + 0,6 31 f 0,0078 0,014 1,8 + 0,6 32 18 0,0031 0,008 2,6 + 16 33 20 0,0031 0,004 1,3 + 16 34 17 0,0031 0,003 | 1,0 + 16 gibt denselben Zug wie 13/,,m Rohrzucker, woraus sich der isotonische Koeffi- zient zu 117 berechnet!), dann merkwürdigerweise eine bedeutende Abnahme des Zugs, bis bei etwa "/,s das normale Steigen der Osmose mit der Konzentration schließlich einsetzt. 10: 232 R. Collander: Als Beispiel eines verhältnismäßig leicht eindringenden!) Salzes wurde das Verhalten von Kaliumchlorid bei verschiedenen Konzen- trationen untersucht. Dieses Salz wurde allein für sich (Versuche 20—22 auf der vorigen Seite) sowie nach Methode A im Gemisch mit Harnstoff verwendet (Versuche 23—34). Aus der Zusammenstellung ist ersichtlich, daß auch bei diesem Salz der osmotische Koeffizient bei verschiedenen Verdünnungen innerhalb der Fehlergrenze konstant bleibt. Loeb?°) hat dagegen mit seinem Kollodiumosmometer folgende Werte bekommen: Entsprech. 3 KCl Zuckerkone: De K.oeff.?) 100 ken | Dir | 0.16 ( ) 10 en | Die | 1,6 "/ıas | Ne 16 "/320 "/s 40 | m "/es0 l is 40 "/oc0 | "/a2 30 Besprechung. Aus den angeführten Versuchen geht erstens hervor, daß bei den Epidermiszellen von Rhoeo, im Gegensatz zu den Angaben Girards über das Verhalten von Blutkörperchen, eine merkliche Steigerung des osmotischen bzw. des elektroosmotischen Wasseranziehungsvermögens bei der Einwirkung von H-, Al- oder La-Ionen nicht vorkommt. Alu- miniumchlorid und -sulfat, Lanthanchlorid und -nitrat sowie Weinsäure wirken vielmehr in genau derselben Weise wasserentziehend d. h. plasmolysierend wie andere Elektrolyte, und dasselbe scheint auch für Milchsäure zu gelten, nur mit dem Unterschied, daß ihre plasmoly- sierende Wirkung infolge des Eindringens des Plasmolyticums von kürzerer Dauer ist. Wie soll dieser Unterschied zwischen dem Verhalten von Blut- körperchen einerseits und Rhoeo-Zellen andererseits erklärt werden? Eine Erklärung wäre die, daß bei meinem Objekt im Gegensatz zum Verhältnis bei den Blutkörperchen die Umladung der Plasmahaut unter den obwaltenden Versuchsbedingungen nicht eingetreten wäre. Ob dieser Erklärungsversuch zutreffend ist, kann nur durch direkte Be- stimmung des Ladungszustandes der Plasmahaut (etwa durch Kata- phorese isolierter, nackter Protoplasten) entschieden werden. Immer- hin kommt es einem in Anbetracht der leichten Umladbarkeit der Blutkörperchen recht unwahrscheinlich vor, daß die elektrische Ladung 1) Fitting l.c, 56, S. 47. le c21,,743: 3) Von mir berechnet. Versuche zum Nachweis elektroosmotischer Vorgänge bei der Plasmolyse. 233 der Rhoeo-Zellen bei Einwirkung von z. B. 0,06 GM Al Cl, nicht merklich verändert wäre. Einstweilen muß daher, scheint es mir, auch mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß die Ergebnisse Girards durch Quellungs- und Entquellungserscheinungen und vielleicht auch noch durch andere Fehlerquellen bedingt seien. Eine erneute Untersuchung des Verhaltens der Blutkörperchen sowie eine Ausdehnung dieser Untersuchungen auf andere tierische Zellen!) wird also nötig sein. Zweitens haben wir gesehen, daß die großen Abweichungen von den Gesetzen van ’tHoffs, welche bei Anwendung verschiedener Membranen aus totem Material beobachtet worden sind, beim Experi- mentieren mit lebenden Plasmamembranen vermißt werden ?). Die Theorie der abnormen Osmosen ist noch zu unsicher, als daß es möglich wäre, mit Bestimmtheit die Ursachen dieses Unterschiedes zu erklären. Ich muß mich darauf beschränken, einige Umstände anzudeuten, die in dieser Hinsicht von Bedeutung sein können. Vor allem dürfte es wichtig sein, daß die Kollodiummembranen von Loeb, die Porzellanmembranen von Bartell und wohl alle Membranen, an denen die sehr großen Abnormitäten beobachtet worden sind, nur sehr unvollkommen halbdurchlässig sind, so daß eine beträchtliche Diffusion des gelösten Elektrolyten durch die Membran hindurch gleichzeitig mit der Osmose stattfindet. Die Plasmahaut dagegen dürfte bei Elektrolyten nis der Sitz eines derartig lebhaften Diffu- sionsstromes sein. Für Natriumcitrat, Aluminiumchlorid und wahr- scheinlich auch für Lanthansalze ist sie nach meinen Beobachtungen zu urteilen praktisch impermeabel, und ähnliches gilt nach Brenner (l.e.) auch für die Weinsäure. Aber auch wenn es sich um relativ leicht permeierende Elektrolyte (wie KCl oder Milchsäure) handelt, ist doch die pro Flächeneinheit diffundierende Menge recht klein. (Daß überhaupt merkliche Mengen in die Zellen eindringen können, beruht eben in erster Linie auf der enormen Oberflächenentfaltung der mikro- skopisch kleinen Protoplasten.) Dieser Unterschied zwischen den künstlichen Membranen und den Plasmamembranen ist für die uns ‚Interessierende Frage wahrscheinlich von großer Bedeutung; denn wie Freundlich (l. c.) hervorgehoben und auseinandergesetzt hat, sind die Bedingungen für das Auftreten von abnormen Osmosen bei nicht halbdurchlässigen Membranen besonders günstig. Man wird also von !) In einigen Versuchen von vorläufig orientierendem Charakter konnte ich bei Froschsartorien keine Gewichtszunahme bei der Einwirkung von La(NO,), feststellen. ®) Wie Fitting gefunden hat, kommen tatsächlich kleine Unterschiede zwischen den physikalisch-chemisch berechneten und den plasmolytisch gefundenen isotonischen Koeffizienten sehr häufig vor, Ob sie aber etwas mit elektrischen Erscheinungen zu tur>haben, ist unsicher, da ähnliche abnorme Koeffizienten auch bei Nichtelektrolyten (Glycerin, Harnstoff) vorkommen. 234 R. Collander: Versuche zum Nachweis elektroosmotischer Vorgänge usw. vornherein eine bessere Übereinstimmung erwarten können, wenn man das osmotische Verhalten der Plasmahaut nicht etwa mit Kollodium- oder Porzellanmembranen, sondern mit streng semipermeablen Mem- branen vergleicht. In der Tat liegen für Membranen der zuletzt genannten Art nur wenige Beobachtungen über abnorme Osmosen vor. Zu den bekanntesten gehören die früher erwähnten Versuche von Bernstein an Ferrocyankupfermembranen. Die Größe des negativen osmotischen Druckes betrug dabei aber im Höchstfalle > 340 mm wässerige Lösung. Rechnen wir mit einem Druck von sogar 400 mm Wasser, so entspricht er immerhin weniger als 0,002 GM eines Nichtelektrolyten, und er würde somit auch bei sorgfältigem Arbeiten nach der plasmolytischen Methode die Fehlergrenzen nicht überschreiten. Wenn es also wahrscheinlich ist, daß das Ausbleiben der an leblosen Membranen so auffallenden abnormen Osmosen bei der Plasmolyse vor allem der Schwäche der Diffusion durch die Plasmahaut hindurch zuzuschreiben ist, so können doch auch andere Ursachen dabei in Frage kommen. Möglicherweise ist z. B. der Umstand, daß die Dicke der Plasmahaut molekulare Dimensionen wohl nicht überschreitet, dem Zu- standekommen von großen abnormen Osmosen ungünstig. Zusammeniassung. Capillaraktive Elektrolyte (Säuren, Aluminum- und Lanthansalze, Natriumeitrat), welche bei Anwendung von Membranen aus totem Material besonders auffällige abnorme Osmosen verursachen, verhalten sich bei der Plasmolyse von Rhoeo-Zellen normal. Über die Bedeutung des Kaliums für die Selbststeuerung des Herzens. | Von Riehard Kolm und Ernst P. Pick. (Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Wien.) (Ausgeführt mit Unterstützung der Fürst Liechtenstein-Spende.) Mit 5 Textabbildungen. (Eingegangen am 24. September 1920.) Seit Ringers Untersuchungen ist es bekannt, daß das Ionengleich- gewicht der Nährflüssigkeit Voraussetzung für den ungestörten Ablauf der Herzarbeit darstellt und aus zahlreichen neueren Arbeiten wie jenen von Böhmt), Burridge?), Loewi°), Clark®), Hofmann?) u.a. wissen wir, daß schon durch geringe Verschiebungen des Ionenverhält- nisses schwere Störungen der Herztätigkeit eintreten. Trotz zahlreicher Versuche, diese Erscheinungen eingehend zu analysieren, sind unsere Kenntnisse der Beteiligung der einzelnen Herzabschnitte an der durch die Ionenverschiebung erzeugten Schädigung noch mangelhaft. Wohl hat schon Hofmann die Meinung vertreten, daß man mit der Auf- stellung eines Konzentrationsoptimums für die Nährflüssigkeit des Gesamtherzens das Auskommen nicht finden könne, daß dieses vielmehr für die einzelnen Herzabschnitte verschieden sei, wofür auch die Befunde Sakais®) sprechen, der fand, daß am Froschherzen die Sinusautomatie Salzen gegenüber viel widerstandsfähiger sei als die Ventrikelautomatie. Es ist auch wahrscheinlich, daß das Ionenbedürfnis von Sinus, Vorhöfen und Kammern nicht allein verschieden ist, sondern 1) R. Böhm, Über das Verhalten des isolierten Froschherzens bei reiner Salzdiät. Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. %5, 230. 1914. ®2) W. Burridge, Researches on the Perfused Heart: The Effects of Inorganie Salts. Quarterly Journ. of Experim. Physiol. 5, Nr. 4, 347. ®) OÖ. Loewi, Über den Zusammenhang zwischen Digitalis- und Caleium- wirkung. (III. Mitt.) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 83, 366. 1918. *) A. J. Clark, The action of jons and lipoids upon the frogsheart. Journ. of physiol. 4%, 66. 1913/14. 5) F. B. Hofmann, Die Wirkung einiger anorganischer Salze und des Chinins auf die Tätigkeit des Säugetierherzens. Zeitschr. f. Biol. 66, 293. 1916. 6) T.Sakai, Über die Wechselwirkung der Na-, Ka- und Ca-Ionen am Froschherzen. Zeitschr. f. Biol. 64, 505. 1914. 236 R. Kolm und E. P. Pick: auch von der jeweiligen Beanspruchung der einzelnen Herzteile, sowie von extrakardialen Nerveneinflüssen abhängt. Daß die Erregbarkeit der sympathischen und parasympathischen Nervenendigungen im Herzen durch seinen Ionengehalt mannigfach beeinflußt wird, geht aus ander- weitig mitzuteilenden eigenen Versuchen hervor; daß aber auch um- gekehrt Beziehungen zwischen Erregung der Herznerven und Ionen- wanderung bestehen, ist seit Howells!) Untersuchungen, der zeigte, daß sowohl die Reizung des Vagus als auch die des Sympathicus eine . Verschiebung der Kalium- bzw. Calciumionen zur Folge habe, wahr- scheinlich. Obwohl bereits eine große Literatur über die Wirkung der Kalium- salze auf das Herz vorliegt, ist die Rolle derselben in ihrer Zusammen- wirkung mit den anderen Ionen, im speziellen mit Kalk nicht genügend durchsichtig. Im allgemeinen gelten die Kalisalze als schwere Herz- gifte und es genügt schon die Erhöhung der Blutkonzentration an KCl von 0,03% auf 0,07—0,08%, um das Säugetierherz zum Stillstand zu bringen. Schon ältere Beobachter [wie Aubert und Dehn?), sowie Böhm?°)] haben darauf hingewiesen, daß nach Einwirkung sicher töd- licher Kalisalzdosen sowohl der Herzmuskel wie auch die nervösen Apparate noch lange ihre Erregbarkeit bewahren. Speziell Vorhöfe und Sinus sind gegenüber KCl bedeutend weniger empfindlich als der Ventrikel und schlagen weiter, selbst wenn letzterer seine Tätigkeit bereits eingestellt hat [Mathison*), Böhm]. Nach Martin?) ist die Sinusautomatie noch erhalten bei einer sechsmal größeren Kaliumkonzen- tration als jene ist, welche die Ventrikel lähmt. Aber neben diesen lähmenden Wirkungen des Kaliums wurden von anderen Autoren [Aubert und Dehn, Braun®), Tetens Hald’) und Hering?)] auch erregende beobachtet und schon Tetens Hald führt an, daß er am Williamsschen Froschherzapparat durch Steigerung des KCl-Gehaltes der Nährlösung auf 0,3%, das Pulsvolumen über 200°, vermehren konnte. !) Howell, Amer. journ. of physiol. 15, 280. 1905/06; s. auch Howell u. Duke, das. 21, 5l. 1908. ?2) Aubert und Dehn, Arch. f. d. ges. Physiol. 9, 122. 1874. 3) R. Böhm, Über Wiederbelebung nach Vergiftungen und Asphyxie. Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 8, 68. 1878. *) G.C. Mathison, The effects of potatium salts upon the circulation and their action on plain muscle. ‚Journ. of physiol. 4%, 471. 1911. >) E.G. Martin, An experimental study of the rhythmie activity of isolated strips of the heart muscle. Amer. journ. of physiol. 11, 103. 1904; 16, 211. 1906. 6) L. Braun, Über die Wirkung der Kalisalze auf das Herz und die Gefäße von Säugetieren. Arch. f. d. ges. Physiol. 103, 476. 1904. ”) Tetens Hald, Die Wirkung der Kalisalze auf die Kreislauforgane. Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 53, 227. 1905. °) H. E. Hering, Über erregende Wirkung des Kaliums auf das Säugetier- herz. Arch. f. d. ges. Physiol. 161, 544. 1915. Über die Bedeutung des Kaliums für die Selbststeuerung des Herzens. 237 Böhm, A. J. Clark, sowie Sakai sahen am Froschherzen bei Erhöhung des Kaliumgehaltes der Nährlösung Beschleunigung eintreten, Tetens Hald solehe am Kaninchen und Hering vermochte sowohl bei Hunden, leichter noch an Kaninchen durch Infusion von Kaliumchlorid Tachy- kardie auszulösen. Weiter geht aus den Arbeiten von Burridge und Loewi hervor, daß nach Vorbehandlung der Herzen mit Calcium bzw. mit Strophanthin Zusatz von KCl zur Nährflüssigkeit Contractur auslösen könne. Bei unseren Versuchen, die Wirkung kleiner, für das Gesamtherz noch nicht schädlicher Kaliumdosen auf die einzelnen Herzabschnitte festzustellen, gingen wir von der Frage aus, worauf die contractur- auslösende Wirkung der Kalisalze beruhe, in der Hoffnung, daß in der Beantwortung dieser Frage eine Möglichkeit läge, die Erkenntnis der Bedeutung der Kalisalze für den normalen Herzschlag zu fördern. Als Versuchsobjekt diente uns das Esculentenherz zunächst in der Straubschen oder der von Amsler!) angegebenen Versuchsanordnung. Letztere erschien uns namentlich dann vorteilhaft, wenn es sich um gleichzeitige Registrierung der Vorhof- und Kammerpulse handelte, da sie eine Doppelregistrierung ohne Anbringung von Rollen gestattet. Weiter wurden Versuche an Herzstreifenpräparaten und an Frosch- herzen in situ nach der Engelmannschen Methode angestellt. A. Analyse der „Kalicontractur” am isolierten Froschherzen. Wird das Herz mit einer K- freien Ringerlösung gespeist, so zeigt sich in der Mehrzahl der Fälle zunächst infolge Überwiegens des Kalks eine Neigung zur Contractur, welche sich in verlängerten Systolen (Kuppenbildung) und Verkürzung der Diastolen, Erschwerung der Reizleitung (Halbierung) äußert. Dieser Zustand ist nur solange zu beobachten, als noch Spuren von Kaliumchlorid im Herzen vorhanden sind. Wird durch fortgesetztes Waschen auch der letzte Rest von Kalium aus dem Herzen entfernt, so verschwindet die Contracturbereitschaft und durch einen weiteren Zusatz von Calciumchlorid (0,1 ccm einer . lproz. Lösung) geht das Herz in diastolischen Stillstand über (s. Abb. la). Diese die Herztätigkeit schädigende Wirkung des über- schüssigen Kalks beruht wahrscheinlich, wie schon aus den Arbeiten von Clark und Sakai hervorgeht?), einerseits auf einer Schwächung der vom Sinus ausgehenden Impulse, andererseits auf einer Erschwerung der Reizleitung, während die mechanische Erregbarkeit der Muskulatur erhalten bleibt (s. Abb. 1b). Wird in dem Augenblicke, wo die Con- tracturbereitschaft völlig geschwunden ist oder sich ein diastolischer 1) Amsler, ©. Schweiz. med. Wochenschr. 1920. ®) Siehe auch Rutkewitschs und Hofmanns (l.c.) Versuche an Säuge- tierherzen. Rutkewitsch, Die Wirkung der Calcium- und Strontiumsalze auf das Herz und Blutgefäßsystem. Arch. f. d. ges. Physiol. 129, 487. 1909. 238 R. Kolm und E. P. Pick: Stillstand entwickelt hat, Kaliumchloridlösung (0,1—0,2cem einer 0,2—0,4proz. Lösung) hinzugefügt, so tritt allmählich die typische Kalkcontractur ein. Bei gesonderter Registrierung von Vorhöfen und Ventrikel, wie sie beider Amsler-Strau bmethode leicht möglich ist, sieht man, daß vor Einsetzen der Ventrikelcontractur die Vorhöfe, die bis dahin entweder stillgestanden oder nur mit sehr geringem Tonus gearbeitet haben, nunmehr kräftig zu schlagen beginnen; der Tonus und die Inotropie der Vorhöfe steigen immer mehr an und letztere a) €) uf f MEIN j Nam n \ 3 } untur* NAAR LARMAAANAAUANAANAANAANANAN AV A B C Abb.1. Straub-Amsler. R.escul. Oberste Zeile Ventrikel, mittlere Vorhof, unterste Zeit- markierung in Sekunden. a) Speisung des Herzens mit K-freiem Ringer: bei A Zusatz von 0,05 cm? 1% iger CaCl,-Lösung: diastolischer Ventrikelstillstand und Abnahme der Vorhofsino- tropie. — b) Fortsetzung von a: Vorhof- und Ventrikelstillstand durch Caleciumüberschuß, bei 5 mechanische Reizung des Ventrikels, bei € werden einige Tropfen 4°/ „iger KCl-Lösung auf den Vorhof getropft: sofortiges Einsetzen der Vorhofcontractur mit nachfolgender Ventrikel- contractur. — c) Dasselbe Herz nach StanniusII und nach Zusatz von 0,2 cm? 1%iger CaCl,-Lösung zur Ringerlösung. Bei D erzeugt Zusatz von 0,1 cm? 4°/ „iger KCl-Lösung nun- mehr Verlangsamung der Automatie, bei £ Application von 2 Tropfen der gleichen KCI-Lösung diastolischen Stillstand. (Von links nach rechts zu lesen.) nähern sich nunmehr einer Contracturstellung; eine Änderung der Chronotropie tritt dabei nur selten ein. Erst auf der Höhe dieser Vorhof- contractur beginnt der Ventrikel zu schlagen und geht allmählich in Contractur über (s. Abb. 1b u. 2). Hervorzuheben ist, daß es genügt, die Kaliumchloridlösung auf die Vorhöfe aufzutropfen, um die Ventrikel- contractur auszulösen. Die Applikationsweise der Kalisalze auf das Froschherz von außen wurde auch von Bottazzi!), Astolfoni?) und Tetens Hald verwendet und hierbei namentlich von letzterem eine enorme Vermehrung der Kontraktionshöhe und Vergrößerung des Pulsvolumens bis 150% beobachtet. Vor kurzem hat auch Beccari?) !) Bottazzi, Arch. de physiol. norm. et pathol., V. ser., 8, 882. 1896. ?) Astolfoni, Arch. internat. de pharmakodyn. et de therap. 11, 381. 1903. ®) L. Beccari, Azione del potassio e degli omologhi rubidio e cesio sul cuore. Arch. di scienz. biol. 1, 22. 1919. Über die Bedeutung des Kaliums für die Selbststeuerung des Herzens. 239 durch Auftropfen einer Kaliumchloridlösung auf den Sinus des Frosch- herzens eine mächtige Anregung der Inotropie gesehen. Aus den angeführten Beobachtungen ist zu ersehen, daß die Aus- lösung der Ventrikelcontractur an mit Kalk vorbehandelten Herzen durch Kaliumsalze im wesentlichen dadurch zustande kommt, daß letztere durch Verstärkung der Sinusimpulse den durch Kalk in ‚Con- A Abb.2. Straub-Amsler. R.escul. Obere Zeile Ventrikel, untere Zeile Vorhof. Speisung mit K-freier Ringerlösung. Vorheriger Zusatz von 0,1cm? 1% iger CaCl,-Lösung erzeugt diasto- lischen Ventrikelstillstand, während der Vorhof anscheinend unverändert bleibt; bei A Zusatz von 0,2 cm? einer 2°/ „igen KCI-Lösung. Entwicklung einer Vorhofcontractur: auf der Höhe derselben folgt Ventrikelcontractur nach. (Von links nach rechts zu lesen.) tracturbereitschaft‘‘ [Fröhlich und Pick!)] versetzten Ventrikel in Contractur überführen. Da die Kaliumsalze, wie aus den weiter unten anzuführenden Versuchen zu ersehen ist, die Tätigkeit des Ventrikels im Sinne einer Zunahme der Inotropie unmittelbar nicht beeinflussen können, und außerdem die Verstärkung der Sinus- und Vorhofarbeit stets zeitlich vor dem Einsetzen der Ventrikelcontractur erfolgt, so kann die ‚„Kalicontraetur‘ nicht zurückgeführt werden auf eine Sensi- bilisierung des Ventrikels durch Kalisalze für Kalk, sondern es handelt sich hier um einen speziellen Fall der von Fröhlich und Pick auf- 1) Fröhlich und Pick, Über Contractur des Froschherzens. Zentralbl. #. Physiol. 33, 225. 1918. 340 RaRKolm undaBr BrrPick: gestellten allgemeinen Regel, daß an einem in Contracturbereit- schaft befindlichen Ventrikel durch Verstärkung der Sinus- und Vorhof- impulse, sei es durch mechanische Reize — wie sie auch die Vorhof- -dehnung nach Pietrkowski!) an strophanthinvorbehandelten Herzen darstellt —, sei es durch chemische Reize (z. B. durch Adrenalin, Coffein, Ammoniak), die Öontractur ausgelöst werden kann. Die weiteren Stützen für diese Auffassung ergeben die im folgenden zu beschreibenden Ver- suche. Doch möge hier erwähnt werden, daß auch für die Auslösung der Strophanthincontractur durch Kalium (Loewi) ein ähnlicher Wirkungsmechanismus vorauszusetzen ist. | Die eingangs erwähnte, negativ inotrope und dromotrope Wirkung des Kalks auf das Oberherz, auf welche allein der diastolische Stillstand des Gesamtherzens bei Überschuß von Kalksalzen zurückzuführen ist, beruht daher auf Grund der angeführten Beobachtungen auf dem abso- luten Mangel oder der relativen Verminderung von Kalisalzen im Öberherzen. Das Auftreten der Kalkcontractur ist daher ohne einen gewissen, dem Kalkgehalte angepaßten Kaliumgehalt nicht mög- lich und wir besitzen infolgedessen in der Verschiedenheit der Wirkunss- weise der Kali- und Kalksalze auf das Oberherz eine durchaus befrie- disende Erklärung für die Notwendigkeit eines physiologischen Gleich- gewichtes zwischen diesen beiden Ionen; daraus geht aber auch gleich- zeitig hervor, daß es sich nicht um ein konstantes, für alle Erregungs- zustände des Herzens geltendes Ionenkonzentrationsverhältnis handeln könne, sondern daß dieses, wie es schon Hofmann vermutet hat, nach dem Zustande des Herzens wechseln müsse. B. ÜberKaliwirkung am automatisch schlagenden Ventrikel. Zu diesen Versuchen bedienten wir uns des Straubschen Frosch- herzens; nach Anlegung der Ligatur an der Atrioventrikularfurche (Stannius II) wurde abgewartet, bis der Ventrikel von selbst automatisch zu schlagen begann oder aber die Ventrikelautomatie wurde durch ein wenig Bariumchlorid (1—2 Tropfen einer 2proz. Lösung) angeregt, das sofort wieder durch Wechsel der Nährlösung entfernt wurde. Wurde nun dem automatisch schlagenden Ventrikel Calciumchlorid zugesetzt, so konnte trotz Kalimangels niemals eine Schädigung der Inotropie oder gar Stillstand des Ventrikels beobachtet werden, wie es häufig der Fall ist, wenn ein Überschuß von Kalk dem ganzen Herzen bei Fehlen von Kalisalzen zugesetzt wird. Im Gegenteil bewirkte der Zusatz von Calciumchlorid in diesen Fällen, daß der automatisch schlagende Ventrikel vielfach eine Tonussteigerung erfuhr und leicht in Contraetur- !) G. Pietrkowski, Der Einfluß experimenteller Vorhofdehnung auf den Tonus der Ventrikelmuskulatur. Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 81, 35, 1917. 241 Über die Bedeutung des Kaliums für die Selbststeuerung des Herzens. Ein Zusatz von Kaliumchlorid in der gleichen Konzen- tration, in welcher beim systematisch schlagenden ganzen Herzen stellung geriet. ("UOKIL NZ 8IY99T yoeu syum UoA) "7 Toq SunsoT-I IM 19319), zWUI L‘'ü UOA zYBsuZ Yamp u9I9JZI2[ Op Fungeymy sofedsng INJoBL4uog Tapuazjogydsu Yu eluwogny [oNTIyusA UEPUAY9IESIIIIS we PIIM (7 1oq) SunsgT-gred uodr %,z Aura u9Jdor], g ma 'q UOA ZunzyosMoT (0 — UI PurIsj[l4s Toyasıogserp pun oyewomy I9p ZunwuygT 44114 Z19Zy9Ta]S ‘PIIM usgoUaq NIOJos H Teq (ZunsorT 1981%/,z ‚wo T‘0) TOM USInp ayaToMm ‘ınyoeayuo,) IHUTD UAZIIAKUMM Iyawmunı :3249893nZ FUnsgT-Ied 1931 %T sum To T Eq pum Zunsoflodumg AoTalf-M UT OlygwognejoyLIYusA A9p U9ZIAKUIT pun (II SnruuwIg) ayaımy-A-V Iop uw anyedlT 19p uodofuy UOeN :® UOA ZunzyasgloT (Q — ',„Ingoeaguoogey“ :SunsoT-[I4 1931%/,z ww ]‘ü UOA ZYesnz F 19 IMJoRBIFUo,) 9UuloM ‘ZunsoT-[Ie9) 1951 %T zu I‘ UoA zyesnz F I0A zmy 'Sunsoplodug I9Ialf-y] uw 4sT9dsas ziofm (e "mass "y "qneıyg 'g'gay SITTFETTITTTETTERT! TITEHNTTTNTEERDTHTOTTTTTT TIPRFTTTTTTe ET gelöst werden konnte, hatte dagegen sofortigen Stillstand des automatisch schlagenden Ventrikels in Diastole zur Folge (s. Abb. 3 u. Ice). die durch Kalk vorbereitete Contractur aus 242 R. Kolm und E. P. Pick: War an dem automatisch schlagenden Ventrikel durch Kalk eine Contractur eingetreten, wurde diese durch Kaliumchloridzusatz unter Aufhören der Automatie gelöst. Wie stark die lähmende Wirkung des Kaliumchlorids auf die automatischen Ventrikelzentren ist, geht daraus hervor, daß Kaliumchlorid in kleinen Dosen sogar imstande ist, die durch Bariumchlorid hervorgerufene Ventrikelcontraetur auf- zuheben und die mächtig gesteigerte ventrikuläre Automatie ruhig zu stellen (s. Abb. 3ec). Die. Tatsache, daß KCl am automatisch schlagenden Ventrikel _ nieht imstande ist, nach Vorbehandlung mit Kalk eine Contractur auszulösen, ist ein weiterer Beweis dafür, daß die beschriebene ‚„‚Kali- contractur‘ an das Vorhandensein des Oberherzens gebunden ist. Es blieb noch zu entscheiden, ob der Angriffspunkt der Kalisalze im Sinus oder in den Vorhöfen gelegen ist. Zu diesem Zwecke wurde am Straubherzen eine Ligatur an der Sinusvorhofgrenze angelegt (Stannius I). Das Herz schlägt dann zuweilen in normalem Rhythmus unter Führung der im Vorhof gelegenen selbständigen Zentren. Wird einem solchen Herzen Calciumchlorid in der von uns verwendeten Konzentration zugesetzt, so ist manchmal zu beobachten, daß die im Ventrikel gelegenen tertiären Zentren angeregt werden und nun der Ventrikel unabhängig vom Vorhof schlägt. Ein solches Herz verhält sich dem Kaliumchlorid gegenüber naturgemäß wie eines, an dem die Ligatur an der A-V-Furche angelegt worden war, d. h. KCl ist nicht imstande, nach Kalkvorbehandlung die Contractur auszulösen. Behalten jedoch die Vorhofzentren die Führung, dann löst Kalium wie am intakten Herzen die Kalkcontractur aus. Wir müssen daher daraus schließen, daß die Vorhöfe ebenso wie der Sinus durch Kalisalze erreg- bar sind. Doch unterscheidet sich die Kaliwirkung auf das vom Sinus abgetrennte Herz von der Wirkung auf das intakte insofern, als die Wirkung am Stannius-I-Herzen eine schwächere ist. C. Versuche an Herzstreifen. Die Methode der Untersuchung an Herzstreifen wurde mit Erfolg von Amsler und Pick!) zur Analyse der Strophanthinwirkung ver- wendet. Die Präparation der Herzstreifen erfolgt in der Weise, daß durch einen Längsschnitt das Herz derart geteilt wird, daß der eine Herzstreifen die linke Ventrikelhälfte mit Vorhöfen und Sinus, der andere die rechte Ventrikelhälfte ohne Vorhöfe umfaßt. (Siehe Näheres über die Technik bei Amsler und Pick.) Der eine Streifen schlägt dann im Sinusrhythmus, der andere automatisch, so daß sich letzterer wie 1) C. Amsler und E.P. Pick, Über die Strophanthincontraetur der ge- trennten Kammerhälften des Kaltblüterherzens. Arch. f. d. ges. Physiol. 184, 62. 1920; Zentralbl. f. Physiol. 34, Nr. 7. 1920. Über die Bedeutung des Kaliums für die Selbststeuerung des Herzens. 243 ein Ventrikel nach Anlegung der Ligatur an der Atrioventrikular- grenze verhält. Zu unseren Versuchen wurden nur solche Streifen ver- wendet, welche in ununterbrochenem Rhythmus ohne Gruppenbildung schlugen, was ohne weiteres gelingt, wenn die Präparation derart erfolgt, daß der Schnitt zur Abtrennung des automatisch schla- \INIIINNIIN genden Streifens ih )) Se Ju )I\))h) vom Vorhof nicht zu tiefgeführt wird. ns Es gestattet diese Methode gleichzei- tig eine und die- selbe Lösung auf automatisch und im Sinusrhythmus schlagende Herz- teile einwirken zu lassen. Dadurch ist es sehr leicht möglich, nicht nur zu entscheiden, ob irgendein die Herz- tätigkeit beeinflus- sendes Mittel sei- nen Angriffspunkt im Oberherzen oder TER im Ventrikel hat, 4 N sondern auch, ob NINO. Ba sa Abb.4. Herzstreifen nach Amsler-Pick. Obere Zeile linke Ven- q trikelhälfte mit Vorhöfen und Sinus (schlägt im Sinusrhythmus), die Muskulatur untere Zeile rechte Ventrikelhälfte (schlägt automatisch); beide Strei- fen schlagen in K-freier Ringerlösung. a) Bei A Zusatz von 1 cm? 0,2% iger KCI-Lösung: oben Zunahme der Chronotropie, unten diasto- lischer Stillstand. — b) Beide Herzstreifen in K-freier Lösung: bei B oder die nervösen Herzapparate An- griffspunkte des Zusatz von 1 cm® 1% iger CaCl,-Lösung: diastolischer Stillstand des Gif dl u im Sinusthythmus schlagenden Streifens; Automatie des vorhoffreien tes darstellen. Ventrikelstreifens (unten) bleibt erhalten. Bei C Zusatz von 0,2 cm® Die Streifen KCl-Lösung 0,4% ig: umgekehrte Wirkung. (Von rechts nach links zu lesen.) wurdenzunächstin einem ca. 10—12 ccm esaıdlen Gefäße in K-freiem Ringer sus- pendiert: Beide Streifen, der vorhofhaltige und vorhoffreie, schlagen in dem ihnen eigentümlichen Rhythmus. Auf Zusatz von lccm einer 0,2 proz. KCl-Lösung wurde an dem im Sinusrhythmus schlagenden Streifen eine bedeutende Beschleunigung beobachtet, während der automatisch (ohne= Vorhof) schlagende sofort durch diese Kalidosis still gestellt wurde (s. Abb. 4a); bei Auswaschen des Kaliums durch 244 R. Kolm und E. P. Pick: Ersatz mit kalifreier Ringerlösung tritt rasch Erholung der Automatie ein und Verlangsamung des im Sinusrhythmus schlagenden Herz- streifens. Erfolgte vor Zusatz von Kaliumchlorid eine Vorbehand- lung der beiden Herzstreifen mit genügender Menge von Caleiumchlorid, dann zeigte analog dem ganzen Herzen der vom Sinus geführte Herz- streifen Contractur, während der automatisch schlagende stillgestellt wurde. In umgekehrter Weise wie durch Kaliumchlorid wurden die Herz- streifen von Calciumchlorid beeinflußt. Wie bereits früher erwähnt, schädigt ein Überschuß von Kalk in kalifreier Ringerlösung die Tätig- keit des im Sinusrhythmus schlagenden Herzens derart, daß Abnahme der Inotropie und auch diastolischer Herzstillstand eintritt. Auch bei den hier besprochenen Versuchen konnte an dem mit Vorhof und Sinus schlagenden Streifen durch Zusatz von Calciumchlorid diastolischer Stillstand hervorgerufen werden. Der andere Streifen hingegen, welcher von den Vorhöfen abgetrennt worden war, wurde durch Kalk nicht geschädigt; vielmehr wurden die tertiären Zentren des Ventrikels, wenn sie durch Kaliumchlorid gelähmt worden waren, durch Oalcium- chloridzusatz angeregt (s. Abb. 4b). Diese Versuche zeigen, daß Kaliumchlorid das Oberherz und den Ventrikel in scharf gegensätzlicher Weise beeinflußt, das Oberherz erregt, den automatischen Ventrikelapparat lähmt; die Kalksalze dagegen erregen die Ventrikelautomatie und hemmen die Tätigkeit des unter Sinusführung schlagenden Herzens, woraus neuerlich hervorgeht, daß ein Überschuß von Kalk vorzüglich das Oberherz ungünstig beein- flußt. Je nach dem Überwiegen der Führung des einen oder anderen Herzabschnittes muß naturgemäß die Wirkung ein und derselben Salzdosis verschieden sein, in dem einen Fall eine erregende, in dem anderen eine lähmende; man kann sogar aus der Art der Wirkung speziell der Kaliumsalze häufig erkennen, welche Herzteile die Führung haben, was bei der Analyse von Rhythmusstörungen von Vorteil sein . kann. | Aus der Tatsache, daß das Kaliumchlorid in derselben Lösung aufgehängte Herzstreifen verschieden beeinflußt, indem nur der auto- matisch schlagende stillgestellt wird, geht mit voller Sicherheit hervor, daß diese die Automatie schädigende Wirkung der Kalisalze ihren An- eriffspunkt nicht in der Muskulatur, sondern in den nervösen Apparaten besitzt. Damit soll selbstverständlich nicht geleugnet werden, daß größere Kalidosen, welche das Gesamtherz schädigen, nicht auch auf die Muskulatur wirken. In gleicher Weise wie die durch Caleiumchlorid geweckte Kammer- automatie läßt sich auch die durch Bariumchlorid angeregte durch Zusatz von Kaliumchlorid sofort hemmen. Diese durch Kaliüberschuß Über die Bedeutung des Kaliums für die Selbststeuerung des Herzens. 245 aufgehobene Automatie vermag ein Überschuß von Bariumchlorid wieder anzuregen (s. auch Abb. 3e). D. Einfluß der Kalisalze auf das Kammerflimmern. Für die Erhaltung des normalen Herzschlages ist Grundbedingung, daß die Impulse von den Zentren im Sinus ausgehen und bei ungestörter Reizleitung zu den Ventrikeln gelangen. Die im Ventrikel gelegenen tertiären Zentren müssen hierbei ruhig gestellt bleiben, da ihre Er- regung unter Umständen zu schweren Schädigungen der Herztätigkeit (ventrikuläre Extrasystolien, Kammerflimmern) führt. Es scheint, daß den Kalisalzen im Blute und in der Herzwand die Aufgabe zufällt, die Sinuszentren, welche im normalen Herzschlage die Führung be- sitzen, zu erregen und eine Erregung der im Ventrikel gelegenen Zentren zu verhindern; es geht daraus die Bedeutung der Kalisalze für die Selbststeuerung des Herzens ohne weiteres hervor. Da das Kaliumchlorid, wie aus den bisherigen Versuchsergebnissen zu ersehen ist, einerseits die nomotopen Reizzentren im Sinus zu er- regen, die heterotopen im Ventrikel gelegenen zu lähmen vermag, mußte dem Kalium die Fähigkeit zukommen, Kammerflimmern, welches nach den Vorstellungen von Hering!), sowie von Roth- berger und Winterberg?) mit dem Entstehen der heterotopen Reizbildung im Ventrikel in ursächlichem Zusammenhange steht, zu unterdrücken. Schon Ringers?) Untersuchungen zeigten, daß Kalium die refraktäre Periode des Herzens verlängert und Sakai, sowie F. B. Hofmann wiesen eine Verstärkung der Hemmungswirkung der Extra- systolen durch Kalium sowohl an isolierten Froschherzen, wie auch an Katzenherzen nach. In Übereinstimmung mit diesen Tatsachen stehen die Befunde von Hering*), daß jedes Kammerflimmern durch Kaliumchlorid beseitigt werden kann; nach seiner Meinung handelt es sich hierbei um Herabsetzung der Muskelerregbarkeit. Unsere diesbezüglichen Versuche wurden systematisch an Frosch- herzen in der Engelmannschen Anordnung durchgeführt. Das ‚Wühlen““ und „Wogen“ des Froschherzens, welches dem Kammerflimmern des Säugetierherzens entspricht, wurde nach dem Vorgange von Haber- 1!) H. E. Hering, Über plötzlichen Tod durch Herzkammerflimmern. Münch. med. Wochenschr. 1912, Nr. 14 u. 15. — Zur Erklärung des plötzlichen Todes bei Angina pectoris. Ebd. 1915, Nr. 44. 2) Rothberger und Winterberg, Über Entstehung und Ursache des Herzflimmerns. Zentralbl. f. Herz- u. Gefäßkrankh. 1914, Nr. 23 u. 24, und Dieselb. Das Flimmern der Herzkammern. Zeitschr. f. d. ges. experim. Med. 4, 407. 1916. 3) Ringer, Journ. of physiol. 18, 425. 1895; 6, 361. 1885. 4) H.E. Hering, Über die Wirksamkeit des Accelerans auf die von den Vorhöfen abgetrennten Kammern isolierter Säugetierherzen. Zentralbl. f. Physiol. 1%, 1. 1904. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 185. 117% 246 R. Kolm und E. P. Pick: landt!) durch kurze faradische Reizung des Atrioventrikulartrichters hervorgerufen; das Flimmern, welches sich auf der Kurve als Ventrikel- stillstand äußert, überdauerte die Reizung ca. 20 Sekunden. Wurde vor der Reizung 0,3— 0,5 ccm einer 0,4 proz. Kaliumchloridlösung in die Bauch- vene injiziert, so trat zunächst ein 3—5 Minuten dauernder Herzstillstand ein, worauf das Herz wiederum völlig normal schlug. Die nunmehr ein- a) Abb.5. Esculenteuiherz nach Eugelmann suspendiert: oberste Zeile Vorhof, mittlere Ven- trikel, unterste Zeitmarkierung mit Reizmarke. Injektionskanüle in der Vena abdomin. a) Bei 4 5 Sekunden dauernde Reizung (RA=2 cm): 22 Sekunden die Reizung überdauerndes Ventrikel- {limmern. — b) 10 Minuten vorher in die Vena abdomin. Injektion. von 0,3 em® KC1 4°%/,,ig; völlige Erholung der Herztätigkeit: hei 3 15 Sekunden dauernde Reizung bei gleicher Stromstärke wie vorher; nach Aufhören der Reizung normale Herztätigkeit. (Von rechts nach links zu lesen.) setzende Reizung mit Strömen derselben Stärke und der gleichen oder längeren Dauer wie vorher erzeugte jetzt kein Ventrikelflimmern mehr, das Herz schlug nun unbehindert weiter (s. Abb. 5). Diese Schutzwirkung des Kaliums gegen Kammerflimmern verschwindet völlig nach ca. einer halben Stunde. Nach 15 Minuten nimmt sie deutlich ab, wie aus dem kurzdauernden Flimmern nach Reizung des A-V-Trichters zu ersehen ist. 1) n. Haberla ndt, Zur Entstehung des Herzflimmerns. Zeitschr. f. Biol. 66, 327. 1916; s. daselbst auch die früheren Arbeiten. Über die Bedeutung des Kaliums für die Selbststeuerung des Herzens. 247 Zusammenfassung. . 1. Kaliumchlorid erregt die Reizerzeugung im Ober- herzen, was sich in der Zunahme der Inotropie, zuweilen auch in der der Chronotropie äußert. 2. Caleciumchlorid verursacht an kalifrei gewaschenen Herzen diastolischen Stillstand; das Auftreten der Calciumcontractur ist an die Anwesenheit von Kalium im Herzen gebunden. 3. Kaliumchlorid lähmt die tertiären Zentren des auto- matisch schlagenden Ventrikels schon in Dosen, welche für das Gesamtherz ungiftig sind und die Sinus- und Vorhoftätigkeit sogar anregen; es ist imstande, die durch Oalciumchlorid und Bariumchlorid gesetzte Erregung der automatischen Ventrikelzentren aufzuheben. 4. Die Fähigkeit des Kaliums, an mit Kalk vorbehandelten Herzen Contractur auszulösen, beruht auf der Verstärkung der Impulse, welche vom Öberherzen (Sinus und Vorhöfen) dem durch Kalk in Contracturbereitschaft befindlichen Ventrikel zugehen. 5. Am automatisch schlagenden Ventrikal ist KCl nicht imstande, die durch CaCl, gesetzte Contracturbereitschaft in Contractur überzuführen; vielmehr wird eine durch CaCl, oder BaCl, erzeugte Contractur des automatisch schlagenden Ventrikels durch KClI-Zusatz gelöst. | - 6. Kalisalze sindimstande, durch Verstärkung der nomo- topen Reize und Hemmung der tertiären Ventrikelzentren das Kammerflimmern zu verhindern. 7. Der Kaligehalt des Blutes und der Herzwandungen ist für die Selbststeuerung des Herzens eine der wichtigsten Vorbedingungen. Wien, 14. September 1920. Die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen in ihrer Beziehung zu Cholesterin und Leeithin. Von Dr. med. H. Kürten. (Aus dem Pbysiologischen Institut der Universität Halle a. S. [ Direktor: Geheimrat Professor Dr. Abderhalden].) Mit 15 Textabbildungen. (Eingegangen am 1. Oktober 1920.) Das Phänomen der beschleunigten Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen ist in den letzten beiden Jahren Gegenstand vielfacher Untersuchungen gewesen. Die Erscheinung an sich war ja auch früher nicht unbekannt. Ihre genaue und erweiterte Kenntnis jedoch verdanken wir erst dem Schweden Fahraeus, der (Hysiea 1918) auf das häufigere Vorkommen einer vermehrten Senkungs- geschwindigkeit der roten Blutkörperchen unter sehr verschiedenen Umständen hinwies. Fahraeus ist dann seinen Beobachtungen unter Höber weiter nachgegangen!). Auf seinen Ergebnissen aufbauend hat Linzenmeier?) das Problem — gleichfalls unter Höber — weiter untersucht. Und neuerdings hat Abderhalden dem Phänomen ein- gehende Untersuchungen gewidmet. Er hat feststellen können, dab die Senkungsbeschleunigung der Erythrocyten mit den Eiweißbau- steinen, den Aminosäuren nicht zusammenhängt?). Von den Peptonen hat er dagegen, wie Linzenmeier von der Gelatine, Gummi arabicum, Mucin u.a. Mitteln, eine gewisse Beschleunigung der Sedimentierung gefunden. Durch die Tatsache, daß eine vermehrte Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen sich nicht nur im Schwangerenblut, sondern auch bei entzündlichen und fieberhaften Erkrankungen findet, daß ferner auch im normalen weiblichen Blut eine schnellere Sedimen- tierung statthat als im normalen männlichen Blut, ist das Phänomen der gesteigerten Senkungsgeschwindigkeit der Blutzellen aus einem bloßen Schwangerschaftsdiagnosticum zu einem allgemein zellphysio- !) Fahraeus, Biochem. Zeitschr. 89, 355. 1918. 2) Linzenmeier, Archiv f. d. ges. Physiol. 181, 169. 1920. Dort auch weitere Literatur. 3) Abderhalden, Fermentforschung. Bd. IV. H. Kürten: Die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen usw. 249 logischen Problem geworden. Das häufige Vorkommen der Erschei- nung einer beschleunigten Sedimentierung im physiologisch-normalen wie im pathologischen Blute legt es nahe, ihre Ursachen in solchen Substanzen und Vorgängen zu suchen, die sich einmal in den Säften und Geweben — speziell in dem Blutplasma und seinen Zellen — finden und dann auch bei den erwähnten Fällen in abweichenden Ver- hältnissen auftreten. Wir wissen nun seit längerer Zeit, daß das Cholesterin, das im normalen Blute — sowohl in den Zellen als im Plasma — gefunden wird, während der Schwangerschaft ganz bedeutend zunimmt und daß es dadurch zu einer Hypercholesterinämie kommt!). Durch die Ar- beiten Brinkmans und van Dam?) ist uns jetzt weiterhin ‚‚das Verhältnis Lecithin: Cholesterin als eine wichtige celluläre Konstante bekannt geworden, von der die Ionenpermeabilität der Zelloberfläche, der Wassergehalt der Gewebe, die elektrische Isolation der Zelle und die Resistenz der roten Blutkörperchen direkt abhängig sind“. Diese beiden Forscher haben gefunden, daß das Lecithin die Resistenz der Blutkörperchen erniedrigt, das Cholesterin aber als sein Antagonist wirksam ist, mithin die Resistenz vergrößern muß. Da mir schon früher auf Grund von eigenen Untersuchungen an roten Blutkörperchen, die aber in einer anderen Richtung unter- nommen wurden, die verhältnismäßig starke Resistenz von Erythro- cyten aus Schwangerenblut aufgefallen war?®), so lag es nach diesen Vor- gängen nahe, die Wirkung von Cholesterin und seines Antagonisten Leecithin auf die Stabilität der Blutzellen in ihrem Plasma zu unter- ‚suchen. Wenn der Schluß richtig war, dann durfte zunächst erwartet werden, daß das Cholesterin es ist, welches die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen bedingt ®). Die Anordnung der Versuche war so getroffen, daß je drei Röhr- chen von gleicher Weite vor einem Blatt Millimeterpapier aufgestellt waren. Sie wurden dann einzeln mit so viel Blut beschickt, daß der Spiegel in allen gleich hoch stand, und zwar wurde das Zusatzblut mit einer Probe normalen und einer graviden Blutes verglichen, indem ‚alle 10 Minuten die Höhe der sich senkenden Blutkörperchensäule abgelesen wurde. Die Zusätze wurden stets zu dem Gesamtblute gemacht Als solche dienten Emulsionen von Cholesterin und Lecithin in 1 proz. !) Adrien Grigaut, Le Cycle de la Cholesterinemie. Paris 1913. Zit. nach Abderhalden, Physiologische Chemie 1, 330. 1920. 2) Brinkmann und Frl. E. van Dam, Biochem. Zeitschr. 108. 1920. 3) Weitere Untersuchungen sind im Gange. '*) Das Material zu meinen Untersuchungen — Blut von normalen und schwangeren Frauen — verdanke ich der Liebenswürdigkeit meines Kollegen, Herrn Dr. Horn ven der hiesigen Universitäts-Frauenklinik, das Pferdeblut Herrn Dr. Gebhardt von der Tierklinik des Landwirtschaftlichen Instituts. 250 H. Kürten: Die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen Konzentration. Von ihnen wurde je nach der Menge des Blutes 0,1 bis 0,3 ccm diesem zugesetzt und die Vergleichsproben mit Ringerlösung aufgefüllt. Zuerst setzte ich normalem Frauenblut Cholesterin!) in Emulsion zu. Der Ausfall dieser Versuche bestätigte die Annahme, daß das Cholesterin die Senkungsgeschwindigkeit beschleunigen müsse. Wie aus Tabelle I und II und noch deutlicher aus den Kurven 1 und 2 hervorgeht, wird durch die Zusätze die Sedimentierung des normalen Frauenblutes so sehr beschleunigt, daß ihre Kurve nicht nur diejenigen des graviden erreicht, sondern sie sogar in ihrem späteren Verlaufe — wie in I — noch übertrifft. Tabelle 1. “ Tabelle II. | I | IT | III | I | u a Mi | Normales | Schwangeren- en: T || Normales | Schwangeren- pn onar. | Blut \ blut | eaterin Blut blut En ] I f 10° | Re 5 | 3 10’ | De 1 a 20’ IN 7 5 20 >, 4 3 307 Sa 11 1 307 | 5 10.8 8 40° | | 14 15 40° | 7 14 ae 50° || Omen 17 20 50.| 9 17 1 ls 602 IE ae 1 2] 601 11 a 70° | 14 20 23 70 | 13 24 2220 80! 16 22 35 sol 15 28 21 oo 17 24 26 0 16 30 23 100° | 19 25 26 100° 18 Be 0 7% 20 30 40 50 60 70 80 90 100 0 %0_20 30 #40 50 _50 70 80 390 _100 . Kurve 1. Normales Blut + Cholesterin. Kurve 2. Normales Blut + Cholesterin. Einen ähnlichen Ausfall zeigten Versuch 3 und 4, in denen eine gleiche Menge Cholesterin wie bei 1 dem Schwangerenblut zugesetzt war: Weitere Senkungsbeschleunigung der an sich schon verhältnis- mäßig rasch fallenden Blutkörperchen. !) Aus Gallensteinen. in ihrer Beziehung zu Cholesterin und Leeithin. 251 Tabelle Ill. Tabelle IV. j I | II MEET T | u III Ir | “ae” eneeren | sn IN | | a” Be | | Cholesterin | | Cholesterin 10° 0 | 2 | 3 107 ] 0 2, 20” Dr] 5 7 20°) 4 Dash] 6 30° Are 9 11 30°) 10 5 14 4021,56 Van a) 14 7 20 50° Schill 17 19 507 |) 17 EN 02) BORN | 19 23 60° 21 1 N 2 707 | 12 un) 20 | 24 70% 24 on 29 SO 22 25 80 28 No a a 0 la 902 age dan.) 2032 100° | 20 N 100220 San H1s 32 [dl _0 20 T 40 50 60 70 80 9% 100 N N | Üh Ü Ra | um (Mm fen Kurve 3. Schwangerenblut + Cholesterin. Kurve 4. Schwangerenblut + Cholesterin. 0 _ 90 20 30 4 50 60 70 80 90 100 NIS! Durch Abderhalden kennen wir die senkungsbeschleunigende Wirkung der Peptone, durch Linzenmeier die gewisser klebriger Stoffe, wie Gelatine, Gummi arabicum, Mucin u.a. Eine so intensive Wirkung wie durch das Cholesterin ist jedoch meines Wissens mit keiner Substanz unter ihnen bekannt geworden: Blutkörperchen nor- malen und graviden Blutes zeigen stets in ihrem Eigenplasma aus- nahmslos dasselbe Ergebnis einer vermehrten Sedimentierungs- geschwindigkeit der roten Blutkörperchen. Wenn nun das Lecithin auch hier, wie in den oben erwähnten Fällen, seinen bekannten Antagonismus bewährt, dann dürfte wohl schon fest- stehen, daß die Stabilität bzw. Instabilität der Erythrocyten in ihrem Plasma abhängig ist von dem Verhältnis Lecithin: Cholesterin im Blute. Da diese Lipoide im Blut und in der Blutzelle stets zusammen- gefunden werden, so wird eine Hypercholesterinämie notwendigerweise eine Beschleunigung, das verhältnismäßige Vorherrschen der Lecithin- komponente dagegen eine Hemmung der Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen zur Folge haben. Auch dieses letztere ist 252 H. Kürten: Die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen tatsächlich der Fall und ließ sich in häufig wiederholten Versuchen mit ausnahmsloser Regelmäßigkeit dadurch erzielen, daß sowohl dem normalen als auch dem Schwangerenblut, in gleicher Weise wie bei dem Cholesterin eine Lecithinemulsion!) zugesetzt wurde. Tabelle V. I u | Ir T' || Schwan- Normales Schwangeren- gerenblut Blut blut + Lecithin 10° | I 0 | 0 2020004 2 | 1 30°! 10 5 4 40° 14. 7 5 50’ | 17 1) 7 60° 21 11 8 70° 24 13 ) 9 80’ 28 15 | 11 90° 30 16 12 Kurve 5. Schwangerenblut + Leeithin. 100’ | 31 18 14 geben einen solchen Versuch mit Schwangerenblut. Tabelle VI. 0 RW 20, 30:40 50 60 70 80 30 100 Mm een III T’' || Schwan- | Normales | Normales Blut gerenblut | Blut + Leeithin 10 1 0 (N) 20° | 4 2 ii 30’ 10 5 2 40°’ | 14 7 3 50° | 17 | N) 4 60. 20 m 5 701 24 I 6 80’ 28 15 7 90° | 30 16 8 Kurve 6. Normales Blut + Lecithin. 100°; 31 18 9. einen ebensolchen mit normalem Blut wieder. Einen weiteren Fall gibt Linzenmeier?) für das Schwangerenblut, wenn auch in einem anderen Zusammenhang. So untersteht es nun keinem Zweifel mehr, daß das Verhältnis Cholesterin: Lecithin im Blute maßgebend ist für die größere oder geringere Suspensionsstabilität der Blutkörperchen. Dadurch, daß wir die eine oder andere Komponente verstärken, können wir die Stabilität beliebig verändern. iz !) Leeithin ex ovo, frisch. .ı 2) Linzenmeier, Archiv f. d. ges. Physiol. 481, 174. 1920. in ihrer Beziehung zu Oholesterin und Leeithin. 253 - en Mir a NN 60_70_80_90 100 I II Im S T’ |' Schwan- en Schwangeren- gerenblut 1 Cholest. blut + Leecithin 10° 1 2 | 0 202 204 6 1 30’ 10 14 | 4 40° 14 20 | 5 50° 17 23 7 60° 21 27 8 70’ 24 29 | 1%) 80’ 28 31 | 11 90 30 | 32 | 12 Kurve 7. 100° 3 32 14 Schwangerenblut + Cholesterin + Leeithin. So stellt in Kurve 7 die mittlere Kurvenlinie die Senkungs- geschwindigkeit für Schwangerenblut dar, die obere die Sedimentie- rung der gleichen Blutprobe bei Leeithin-, die untere eine ebensolche bei Cholesterinzusatz. Auch bei dem normalen Blut läßt sich die Stabilität in der an- gegebenen Weise willkürlich variieren, wie das aus Tabelle und Kurve 8 unzweideutig hervorgeht. Tabelle VIII. I RN IH T’ || Normales ne Normales Blut | Blut |, Chalet. + lecitin 0_m_ 2 30 0 50 60 70 &0 90 10 10’ 0 | 1 0 20” 2 | 3 1 30° 5 RS) | 2 40° 7 I 11 3 50° 9a 1 4 60° Il 3» 0%008 | 5 70° 13 I 20 6 80’ 15 21 7 90” 16 | 23 | 8 Kurve 8. 100’ 18 24 9 Normales Blut + Cholesterin + Leeithin. Die bisher angeführten Versuche sind ausschließlich mit Frauen- blut durchgeführt. Es war darum von großem Interesse, zu sehen, wie sich das Pferdeblut, dessen große Instabilität ja längstens bekannt ist, gegenüber einem Zusatz von Cholesterin bzw. Lecithin verhalten würde. Zunächst stellte ich Versuche an, in denen ich die Sedimen- tierungsgeschwindigkeit des schwangeren Frauenblutes mit der des Pferde- blutes verglich. Tabelle IX und Kurve 9 geben dafür ein Beispiel und zeigen die bedeutend größere Senkungsgeschwindigkeit des Pferdeblutes.. 254 NH. Kürten: Die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen 0 9% 20 30 #0 50 60 70 80 30 700 Tabelle IX. m I II Schw angerenblut Pferdeblut | 10° 1 | 2 207 || 4 | 13 307 || 10 | 24 40° 14 28 50’ | 187 | 30 60 ||| 21 31 0cee| 24 32 80% |E 2.98 | 32 90 30 | 32 Kurve 9. 100° | 31 | 3 Schwangerenblut (oben), Pferdeblut (unten). ? Wenn man nun diesem Pferdeblut mit seiner so stark ausgeprägten Instabilität der Blutzellen noch Cholesterin zusetzt, so wird dadurch die Sedimentierung in keiner Weise mehr beeinflußt. Auch dann nicht, wenn man die Menge des zugesetzten Cholesterins verdoppelt. Wie aus Tabelle X und XI hervorgeht, fällt die Kurve des normalen und des Zusatzpferdeblutes stets zusammen. Tabelle X. Tabelle XI. Im I Ir RER au en E un - m | | oTmales 17 Normales Normales Normales TE | \ormales | Pferdeblut Nesmales Peerdehint a Rn Pferdeblut |+ doppeltes nn 2 | Cholesterin DO | 2 0 | Da 3 0 10200102 2 1 102. ..12° 1 00 15 19 19° > 2 1540025 25020 El 27 3 20% u. 2 835.0 m 3 0 25 | 3020 130 | 5 25 | 39 39. von 304 00250,0.5,730 | 7 307. |,,.40: 12,240 1 3541.30, 30 8 35... al, 8 2 402) ..2.30..1.. 30 10 AU 2 as 030° |, 50 11 1, a | 41 3 50° | 30 3 11 5041| A 3 Es muß darum angenommen werden, daß im Pferdeblut die Kör- perchen eine Maximalsenkungsgeschwindigkeit haben und somit auch nicht mehr im fördernden Sinne beeinflußt werden können. | Dagegen erhellt mit großer Deutlichkeit aus den Kurven 10 und 11 der große Einfluß des Leeithins, der so stark sein kann, daß sich — wie aus Kurve 11 ersichtlich — die Suspensionsstabilität der Blutkörperchen während der Beobachtungsdauer kaum "merklich: ändert. in ihrer Beziehung zu Cholesterin und Lecithin. 255 Zur weiteren Feststellung des quantitativen Verhältnisses, in dem sich die antagonistischen Wirkungen des Cholesterins und Lecithins gegenseitig wieder aufheben, wurden Versuche am Normalblut gemacht. Gleiche Mengen des gut durchgeschüttelten Blutes wurden zu diessm Zweck genau abpipettiert und mit in ihrem Verhältnis variierten Quan- ten einer 1 p’roz. Cholesterin- und Leeithinemulsion gemischt. Dann wurde ihre Senkungsgeschwindigkeit abgelesen und mit derjenigen des zusatzfreien, durch Ringerlösung auf ein gleiches Volumen gebrachten Blutes verglichen. Das Ergebnis zeigt die Tabelle XII (S. 256). Aus der Tabelle geht zunächst hervor, daß die Senkungsgeschwindigkeit Stab2 — d.h. also im Cholesterinblut — am größten ist und auf Zusatz von Lecithin in wachsender Konzentration eine Abnahme erfährt. In der graphischen Darstellung (Kurve 12) fällt sofort in die Augen, wie sich die Werte aus Stab 1 und 4 decken, oder mit anderen Worten, daß die beobachtete Senkungsgeschwindiskeit des zusatzfreien Blutes und desjenigen, dem Cholesterin und Leeithin in einem Verhältnis von 5:1 zugefügt waren, dieselbe ist. 0 0 20 _ 0 9 50 0 mw © 9 ma N Mer ae \ Kurve10. Pferdeblut + Lecithiu (oben) -+ Chol- Kurve 11. Pferdeblut+ Lecithin (oben) + Chol- esterin (unten). Fällt mit zusatzlos zu- esterin, doppelte Menge (unten). Fällt mit : sammen. zusatzlos zusammen. Die Kurve 3 für das Verhältnis Cholesterin: Lecithin = 10:1 ist durch das Ziehen des Mittels zwischen Kurve 2 und 4 gewonnen. Ihre Werte liegen durchgehend schon tiefer als diejenigen für das Ver- hältnis 10:2 und würden im Experiment noch tiefer gefunden. Aus den übrigen Kurven, bzw. Stäben, der Tabelle XII ist ersicht- lich, wie mit dem Zunehmen des Leeithins und dadurch mit dem Ver- ‚schieben des Verhältnisses von Cholesterin: Lecithin zugunsten des letzteren die Stabilität der Blutkörperchen weiterhin sprunghaft zu- nimmt. 256 NH. Kürten: Die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen Tabelle XI. Jede Pan ch enthält 1,00 cem Blut, dazu in | | | I u IIa III IV | \% VI VII | VII IX x |; Re |. g|ı- E|$ 5|;.|385|88|8s 2, = oo on oA oS5 oc oc ® "8 |: 5832 |832 |532 882 5aa |s5 9-54 85 a mal sage „ee os ee on. Sehe Ss | es | eos | sc |Tes| ESS |Säöc| Sc | Sc | eos | << 10! 5| 7 6 3 2 1 0:5. 11010103 0 0 20 11 | 14 12,5 11 4 2 1 05,0 0 0 30° 14 | 18 16 14 6 3 2 1. 0,5010 0 40’ 16 | 20 18 16 7 4 3 2...) 122,005, 60 50 ıs| 20 | 85 m 9 Re) De 0,5. 0 60° 20 | 22 21 20 10 5 3° 72 27, 1,50 200 70° 22 | 24 225 0122 10020 ,5 3 2. oe 0,5 80° 23 | 25 23:5, 110.230, 19.2 111.16 4 ea 0,5 90°) 24 | 26 Da 24 13.1.6 4 3,00, 0,5 1007| 25 | 26 25.5007 025 1a... 0.1.3.0 2 lo Bei einem Verhältnis Cholesterin : Leeithin = 1:9 wird die Senkung der Blutkörperchen fast vollständig aufgehoben. In einer zweiten Versuchsserie mit normalem Blut wurde die An- ordnung so geändert, daß das gefundene Verhältnis, in dem der Anta- gonismus von Chol- 022210222002 30B80N30) 6070680 90100 esterin nen sich in seinen Wir- kungen aufhebt, auf verschiedene Weise variiert wurde. Und zwar — Stab IV, IX und X — in den Zusammensetzungen Cholesterin : Lecithin wie 10:2, 5:1 und 15:3. Sie alle hatten wiederum das gleiche Ergebnis eines Zusammenfallens mit der Senkungskurve des zusatz- freien Blutes. Dieses geht aus der Tabelle XIII (S. 257) und den beiden Kurven 13 und 13a noch deutlicher hervor. Vergleichen wir nun diese Versuchsergebnisse mit den in der Lite- ratur vorhandenen Angaben über das Verhältnis von Cholesterin zu Leeithin beispielsweise im Pferdeblut, so ergibt sich da ein Wider- spruch mit unseren bisherigen Resultaten. Denn wir finden, daß die Gesamtmenge des Cholesterins im Blute mit 0,56 und die des Lecithins mit 2,98 pro 1000 Pferdeblut angegeben wird!), mithin einen bedeu- Kurve 1£. !) Abderhalden, Zeitschr. f. physiol. Chemie %5, 65. in ihrer Beziehung zu Cholesterin und Leeithin. 257 Tabelle XIII. Jede Probe enthält 1,00 cem Blut, dazu in | I II III IV \% VI vıI VIII IX .< Ba |öHB| E 1558 |5H8 | One 5A 55 |5AAl55 “Hz |=882| a 14882 |-835|-38 | -33| „„ |833|338 So oo o lEOF I SIE oo SOS SZ FRI re 10’ 7 6 a 3.0 DENN 6 207 | 12°) 10 9 ROSE. .6 3. 2207.1..10 10 302. 0 14 12:2, 1370 0127 2.10 Se 13.1013 207210220 01a 5 le ae 1 So 200 100 a ler 1a 2° 18 602 | nam 022, 1920 ler 166 2 20 | 2% 70° | 26 | | a 7 2 22110022 807 | 200 250 7280 0 2400,.23 2.20, 8 2 214 | 24 90° 28 20.10.2400 25.01.0230, 8911.29 2 3» 2 100° ı 28 | 27 | 2% 267 112244, 29 9 % 26 26 tenden Überschuß an Leeithin. Der Wider- spruch ist jedoch nur ein scheinbarer darum, weil diese Angaben über den Phosphatid- gehalt des Blutes nach Hoppe-Seyler aus der Bestimmung des Gehaltes an pyrophos- phorsaurer Magnesia im . alkoholätherlös- lichen Extrakt und nachfolgender Multi- plikation des gefunde- nen Wertes mit 7,27 gewonnen wurden. Dieserso berechnete Gehalt an Phosphati- den wird — reichlich summarisch — mit dem Lecithingehalt des Blutes identifiziert. Wir haben somit — nach Bang!) — augen- blicklich keinen siche- ı 1 OEETONRZOEESOFRYOESONEOONTONEONEIOE NEO I See Kurve 13. Kurve 13 und 13a. Die Werte der Senkungsgeschwindigkeit bei der Zusammensetzung Cholesterin : Leeithin = 10:2, 5:1, 15:3 (innerhalb der schraffierten Kurven). !) J. Bang, Chemie und Biochemie der Lipoide. 1911. S. 52. 358 H. Kürten: Die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen ren Überblick über die Verbreitung des Leeithins in den Zellen und Geweben. Der Einfluß des mit Lecithin behandelten Blutes läßt sich teilweise wieder aufheben, indem man dem so vorbehandelten Pferde- und Menschenblut Cholesterin zusetzt. Dadurch wird erneut eine stärkere Instabilität der Körperchen herbeigeführt, Sie ist jedoch in keinem Falle so groß, als sie vor dem Zusatz war, und vor allen Dingen erfolst die Sedimentierung in beträchtlich längerer Zeit. Dasselbe ist von dem vorbehandelten Cholesterinblut zu sagen. Eine weitere Frage war nun. die: Wo greifen die beiden Lipoide, die eine so entgegengesetzte Wirkung entfalten — wie in anderer Hin- sicht vielfach schon bekannt ist — im Blute an? Bei einzelnen Blutproben war mir wiederholt aufgefallen, daß nach 24stündigem Stehen — also nach vollständigem Absinken der Blut- körperchen — die Blutsäule des Lecithinblutes stets eine größere war. Daraus hätte man auch auf ein größeres Volumen der Blutkörperchen schließen können. Um dies zu entscheiden, nahm ich eine mikrosko- pische Untersuchung der einzelnen Blutproben vor. Das Ergebnis war überraschend: Es zeigte sich zwar ein auffallender Größenunter- schied zwischen den Cholesterin- und den Lecithinblutkörperchen ; aber so, daß die ersteren stets beträchtlich größer waren als die letz- teren. Die Cholesterinblutkörperchen erschienen besser konserviert, hatten also keine oder doch nur ganz vereinzelte Stechapfelformen aufzuweisen und waren deutlich bikonkav. Die Lecithinblutkörperchen des Menschenblutes jedoch waren klein und zeigten fast ausnahmslos Stechapfelform. Noch ein weiterer unverkennbarer Unterschied im mikroskopischen Bild des Cholesterin- und des Lecithinblutes ergab sich: Das war die rein flächenhafte Ausbreitung des letzteren im Gesichtsfeld und eine stets ausgesprochene Geldrollenbildung und Hämagglutination der ver- hältnismäßig bedeutend vergrößerten Cholesterinblutscheiben. Diese eben geschilderten spezifischen Veränderungen der Blut- körperchen durch Zusatz von Cholesterin und Lecithin zum Gesamt- blut treten nun aber nicht erst im Verlaufe von 24 Stunden, sondern unmittelbar nach Vereinigung des Blutes mit der Emul- sion auf. Der Unterschied war stets in beiden Fällen ein so charakteristischer, daß man sehr gut von einem „Cholesterin-“ und einem ‚Lecithinblut“ sprechen könnte. Ihre hier gegebene Charakteristik bezieht sich auf das Schwangerenblut, zu dem die Zusätze gemacht waren. Vergleicht man sie mit einem normalen Schwangerenblut ohne jeglichen Zusatz, so ergibt sich für das letztere — wie man a priori erwarten könnte — das typische Bild des Cholesterinblutes. “in ihrer Beziehung zu Oholesterin und Leeithin. 259 '- "Auch zwischen dem Blutbild des normalen und graviden Cho- lesterin- bzw. Lecithinblutes besteht kein grundsätzlicher, sondern nur ein gradueller Unterschied und zwar in dem Sinne, daß im nor- malen Blut die geschilderten Kennzeichen nicht ganz so ausschließ- lich vorherrschen als im Schwangerenblut. Das Blutbild des normalen zusatzlosen Blutes ist gegenüber dem zusatzlosen Gravidenblut mehr mit Stechapfelformen untermischt. Hier soll gleich mit erwähnt werden, daß auch das mikroskopische Bild des Pferdeblutes als normales Cholesterin- und Lecithinblut durch- aus dem jeweils oben geschilderten Typus entspricht. Namentlich die Haufenbildung der Blutzellen und ihre relative Größe im einen Falle, wie die flächenhafte Ausbreitung der verhältnismäßig kleinen Erythro- eyten im anderen ist ganz charakteristisch. Nur die Stechapfelformen werden vermißt. Kehren wir nun zu der weiter oben geschilderten Tatsache zurück, daß in den Proberöhrchen die Körperchensäule des Lecithinblutes nach 24 Stunden stets noch höher stand als der Spiegel des Cholesterin- blutes. Übrigens besteht dieser Unterschied bemerkenswerterweise auch zwischen dem zusatzfreien graviden und normalen Blut, denn die Körperchensäule des normalen Blutes mit seiner größeren Stabilität ist höher. Wir wissen also, daß wir den erwähnten Umstand nicht als Folge einer Volumenvergrößerung der Körperchen im Leecithinblut anzusehen haben, sondern daß wir ihn als ein Zeichen für die größere Stabilität der Zellen im Lecithinblut ansprechen müssen. Zur Deutung dieser Befunde möchten wir die kolloidehemische Auffassung heranziehen. Es ist in der Kolloidchemie eine allgemeine Anschauung, daß die Stabilität der Sole, .d.h. der suspendierten, bzw. emulsierten Teilchen mit ihrer elektrischen Ladung einhergeht. Sie wird durch die zahlreichen Arbeiten von Wo. Ostwald!), ferner durch die experimentellen Er- gebnisse einer Reihe anderer Autoren?) gestützt. Wir können nun das Blut als eine Suspension von Zellen (disperse Phase) im Plasma (Dispersionsmittel) auffassen und danach den Maß- stab kolloidehemischer Betrachtung für die Stabilität dieser Suspension anwenden. !) Siehe W. Ostwald, urundriß der Kolloidehemie. 1919. ®2) Freundlich, Capillarchemie 1909. — Sven Oden, Kolloidzeitschrift 10, 119. 1912. — Michaelis Rona und Pinkussohn, Biochem. Zeitschr. 2, 219, 251. 1906. — Powis, Zeitschr. f. physikal. Chemie 89, 186. 1914. — Lindner und Picton, Journ. Chem. Soc. 6%, 63. 1895; 8%. 1906. — Mayer, Schaeffer und Terroine, Compt. rend. de l’Acad. franz. 145, 918. 1907. — Gann, Kolloid- chem. Beihefte 8, 127. 1916. — Perrinund Constantin, Compt. rend. de l’Acad. franc. 158, 1168, 1171. 1914. — Billiter, Kolloidzeitschrift 1, 225. 1907. 260 NH. Kürten: Die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen In dem Dispersionsmittel sind z. B. Salze, Eiweiß und seine Bau- steine, sowie Lipoide verteilt, die je nach ihrer aufladenden Eigen- schaft auf die Suspensionsstabilität der Blutkörperchen!) eine Wechsel- wirkung ausüben werden. Eine wichtige Rolle unter diesen so ge- arteten Substanzen haben auf Grund unserer Versuche?) die — auch in dieser Hinsicht antagonistischen — Lipoide Cholesterin und Leecithin. Von diesen hat das Cholesterin eine entladende Wirkung, die ganz allgemein zu einer Aggregation der Teilchen — in unserem Falle zur Asgglutination der Blutkörperchen — und damit zu einer beschleunigten Senkung führt. Das Lecithin hingegen besitzt eine aufladende Kraft, welche die größere Dispersion und höhere Suspensionsstabilität zur Folge hat. Dabei wollen wir nach dem heutigen Stand der kolloidehemischen Forschung unentschieden lassen, ob es sich hier um direkte Wir- kungen auf die Zelle oder um indirekte — durch die vorherige Ver- änderung eines so hoch differenzierten Dispersionsmittels handelt wie es das Plasma darstellt). Aus allen diesen Beobachtungen geht nun hervor, daß sich die antagonistischen Wirkungen der Lipoide Cholesterin und Leeithin an der Oberfiäche der Blutzellen abspielen. Brinkman und van Dam haben in ihren anentke zitierten Ar- beiten auch über Methoden berichtet, mit deren Hilfe es möglich sein soll, Lecithin (durch Ringerlösung) und Cholesterin (durch 8proz. Rohrzuckerlösung) dem Blute zu entziehen. Wäre dieses ohne jede Nebenwirkung zu erreichen, dann könnte man Schwangerenblut, Cholesterin- und normales Blut lecithinärmer machen, was nach allen früheren Versuchsergebnissen in dem einen Fall zu einer verlang- samten, im anderen zu einer beschleunigten Senkung der Blutzellen führen müßte. Gerade das Gegenteil ist aber der Fall, wie aus den Tabellen XIV und XV und übersichtlicher aus den Kurven XIVund XV hervorgeht. Die mit Rohrzuckerlösung ausgewaschenen Erythrocyten fallen bedeutend schneller, wenn sie wieder dem Eigenplasma zugesetzt wer- den und die mit Ringerlösung behandelten Blutkörperchen sind im Eigenplasma beträchtlich stabiler. Jedenfalls wird außer der Ent- fernung von Lecithin und Cholesterin durch die Auswaschung auch der kolloide Zustand der Zellgrenzschicht so weitgehend verändert. daß es zu einem derart paradoxen Verhalten kommt. 1) Sie haben nach Höber eine negative Ladung. 2) Für das Lecithin hat Linzenmeier (l.c.). unter Höber den Wahr- scheinlichkeitsbeweis schon erbracht. 3) Abderhalden und Fodor ventilieren diese Frage in Fermentforschung, Bd. IV. in ihrer Beziehung zu Öholesterin und Leeithin. 261 Tabelle XIV. Tabelle XV. I 100 III I II II T’ |'Normales| Schwan- en, Ti Schwan- | Normales en Ei gern 8%, Rohrzuckerlösg. gurenDi Di mit Ringerlösg. 10 3 7 5 104 7 3 4. 20’ 7 12 29% a 1 7 7 30’ 14 21 33 300 14 10 40° 18 28 37 40° | 28 18 | 12 5020 23 31 38 50° | 31 330° | 15 60’ 27 34 38 60’ 34 27 17 70’ 29 37 38 70° | 37 A| 19 80’ 3l 33 38 807 I 38 ai 23 90’ 34 38 39 90° | . 38 34 23 100° | 35 38 39 100° | 38 35 25 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 _100 0 0 20 30 _ 40 50 60 70 80 90 100 Ihm Kurvel4. Schwangerenblut, ausgewaschen mit Kurve 15. Normales Blut, ausgewaschen mit 8% Rohrzuckerlösung. Ringerlösung. Zusammenfassung. 1. Die Suspensionsstabilität der roten Blutkörperchen im Eigen- plasma steht in Beziehung zu dem Verhältnis von Cholesterin: Leci- thin im Gesamtblut. 2. Cholesterin und Lecithin sind antagonistisch wirksam: Chole- sterin beschleunigt, Lecithin hemmt die Sedimentierung. 3. Das Verhältnis, in dem sich diese Wirkungen aufheben, ist ein bestimmtes. ’ 4. Der Angriffspunkt beider Antagonisten ist die Blutzelle, und zwar — wie aus den mikroskopischen Befunden wahrscheinlich wird — die Grenzfläche Zellinneres und Plasma. Pflügers Archiv f, d. ges. Physiol, Bd. 185. 18 Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Spermatozoen. I. Mitteilung. Von Ernst Gellhorn. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a. S.) (Eingegangen am 4. Oktober 1920.) Die im folgenden mitgeteilten Versuche wurden zunächst in der Absicht angestellt, bei einer Reihe anorganischer Substanzen sowie von Organextrakten die Konzentration festzustellen, in der in mehrstündiger Dauer keine wesentliche Beeinträchtigung der Beweglichkeit der Sperma- tozoen eintritt. Mit diesen Stoffen sollten dann die Spermatozoen vorbehandelt und darauf normale Eier befruchtet werden, wie dies O. Hertwig!) bereits mit einigen chemischen Substanzen und mit Radiumstrahlen ausgeführt hat. Da aber die Beeinflussung der Sperma- tozoen hinsichtlich ihrer Beweglichkeit und Lebensdauer durch ver- schiedene Agenzien zu Ergebnissen führte, die des Interesses vom Stand- punkte der allgemeinen wie der vergleichenden Physiologie nicht ent- behren, so seien die Versuche kurz mitgeteilt. Die Experimente wurden an den Spermatozoen von Warmblütern (Meerschweinchen), im Süßwasser (Rana esculenta, temporaria, arvalis und Bufo vulgaris) und im Meerwasser (Echinus miliaris) lebenden Tieren angestellt. Zu diesem Zwecke wurde bei den Meerschweinchen die Kastra- tion ausgeführt und die im Nebenhoden befindlichen Spermatozoen benutzt. Die Hoden von Rana, Bufo und Echinus wurden zerkleinert und in etwa lccm der Kontrollflüssigskeit aufgeschwemmt und von dieser Aufschwemmung zu 2cem der zu untersuchenden Flüssigkeiten, die sich in Uhrschälchen befanden, 1—2 Tropfen hinzugefügt. Die Uhrschälchen wurden mit den darauf passenden Uhrschälchen zugedeckt, um eine starke Verdunstung zu verhindern. Sie wurden bei Zimmertem- peratur aufbewahrt, direkte Sonnenbestrahlung aber verhindert. Die Beob- achtung erfolgte mit einem Mikroskop Zeiss (Okular 2, Objektiv D). !) Oscar Hertwig, Veränderung der idioplasmatischen Beschaffenheit der Samenfäden durch physikalische und durch chemische Eingriffe. Sitzungsber. d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wissensch. 20. Juni 1912. — Keimesschädigung durch chemische Eingriffe. Ebenda 12. Juni 1913. — Vgl. auch Paula Hertwig. Zeitschr. f. induktive Abstammungs- u. Vererbungslehre 19, H. 1/2. 1918. Tabelle Il. E. Gellhorn : Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Spermatozoen. 19. VII. 20. 263 I. Vergleichende Untersuchungen über die Einwirkung von Neutralsalzen auf die Beweglichkeit und Lebensdauer von Spermatozoen. Die an den Spermatozoen von Echinus miliaris durchgeführten Untersuchungen ergeben in dieser Hinsicht folgendes. Setzt man zu einem bestimmten Quantum Seewasser so viel CaCl,, SrCl,, MgCl, oder KCl hinzu, daß die Konzentration des hinzugefügten Salzes 0,1% beträgt, so zeigt sich (vgl. Tab. I u. II), daß die Lebensdauer der Sperma- tozoen in diesen Salzlösungen beträchtlich größer ist als im Meerwasser selbst. Und zwar erweist sich MgCl, und CaCl, am wirksamsten. Dann folgt SrCl,. In dem Versuche der Tab. II steht aber auch SrCl, hinter dem CaCl, an Wirksamkeit nicht zurück. Von geringerer Wirksamkeit 11h | I | 1 | | { k ih 2,30h 5) | man 8,15h 104 1. Seewasser sehr gut bewegl.| sehr gut |sehr gut be-| sehr gut | sehr gut | gut be- - + ®/j0ooo NaOH ‚noch lebhafter als| beweglich weglich. . beweglich beweglich! weglich in der Kontrolle 2. Seewasser sehr gut “ 1; " In 5 + 0,1% CaC], beweglich 3. Seewasser ER ” ) N unbewegl. — + 0,1% SrQl, ei 4. Seewasser 5 5 gut beweglich gut " — & +01%K0Cl | beweglich 5. Seewasser unbeweglich — — = ae R E + 0,1% Ball, | i 6. Seewasser sehr gut sehr gut | schwach be-|unbeweg- — — h beweglich beweglich wegl., bereits lich ’ ‚viel. unbewgl. r Tabelle II. 22. VII. 20. Ih vom. |) 12h 1,30h 3,30h 5,30h 7,30h 10,155 | 11,30% | Ih nachts Seewasser | sehr gut | sehr gut | sehr gut | gut be- |beweglich beweglich beweglich unbe- 2) 000 NaOH beweglich beweglich beweglich| weglich ., weglich Seewasser ; | n “> sehr gut, gut be- | “ 5 beweglich + 0,1% CaQl, beweglich weglich 3% Seewasser > 5 a ‚beweglich “ un Y + 0,1% SrCl, | 4. Seewasser beweglich vereinzelt | unbe- — | — — 40,1% BaCl, ‚beweglich | weglich | | 3. Seewasser sehr gut gut be- gut be- | gut be- beweglich! beweglich beweglich unbe- i + 0,1% KCl |beweglich beweglich weglich | weglich | weglich 6 Seewasser 5. sehr gut | sehr gut | sehr gut En ss beweglich 7 +0,1%MsCl, ‚beweglich beweglich |beweglich | . Seewasser 5 ' gut be- gut be- |beweglich unbeweg- — —_ — "s weglich ‚ weglich lich | 18; 264 E. Gellhorn: ist KCl. Aber auch dieser Zusatz vermag in dem Versuch der Tab. II die Lebensdauer der Spermatozoen gegenüber dem normalen Seewasser um 3 Stunden zu vermehren. In diesem Versuche konnte eine Lebens- dauer von 14 Stunden durch Zusatz der erwähnten Salze erzielt werden, während die Spermatozoen in der Seewasserkontrollösung nach 81/, Stun- den abgestorben waren. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in den Lö- sungen mit Zusatz von CaCl,, SrÜl, oder MgCl, die Beweglichkeit der Spermatozoen noch nicht erloschen war und nur aus äußeren Gründen der Versuch nach 14stündiger Beobachtung abgebrochen werden mußte. Nach Krümmel!) setzt sich nun der Salzgehalt des Meerwassers folgendermaßen zusammen: NaCl 26,862 KO al ser 0,582 Men. 3,239 MoSO, ae 2,196 GaSsO, na are 1,350 Vest an an 0,070 Sa 34,299 in 1000 Ag. Hieraus ersieht man, daß unter den geprüften Salzen Ca, Mg und K als Chloride bzw. Sulfate in erheblicher Menge im Meerwasser vor- handen sind. Strontium ist zwar nach Krümmel auch nachgewiesen, kommt aber in nennenswerter Menge im Meerwasser nicht vor. Daß es dennoch im Gegensatz zu anderen, gleich zu besprechenden Salzen eine ähnliche Wirkung wie die Salze besitzt, für die eine Anpassung des Seeigelspermatozoons angenommen werden muß, dürfte wohl durch die nahe chemische wie auch physiologische Verwandtschaft, die zwischen Ca und Sr besteht, genügend erklärt sein. In letzterer Hinsicht seien die bekannten Versuche von Loeb und Wasteneys?) an Fundulus- und Seeigeleiern wie auch die Untersuchungen von Hoeber?°) an Säugetier- blutkörperchen und am Froschmuskel erwähnt, in denen Ca durch Strontium vertretbar ist. Während aber in diesen Versuchen Ca außer durch Sr noch durch eine Reihe anderer Kationen ersetzt werden kann, geht aus neueren Versuchen von Hoeber*) über die Bedeutung von Ca für die indirekte Muskelerregbarkeit und die Erhaltung der Contractilität von Herz und Magen des Frosches hervor, daß in diesen Fällen Ca nur durch Sr und Ba ersetzt werden kann, daß also Sr eine nähere physiologische Verwandtschaft zum Ca besitzt als die Mehrzahl der übrigen Kationen, die nur in den an Säugetierblutkörperchen durchgeführten Hämolyseversuchen das Calcium zu vertreten imstande !) Krümmel, Handbuch der Ozeanographie. Stuttgart 1907. Bd. TI, S. 218. ) J. Loeb und Wasteneys, Biochem. Zeitschr. 33, 480. 1911. 3) Hoeber, Dieses Arch. 166, 531. 1917. ) Hoeber, Dieses Arch. 182, 104. 1920. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Spermatozoen. 265 waren. Auch in gemeinsam mit Abderhalden!) durchgeführten Ver- suchen am Herzstreifen nach Löwe konnte die große Ähnlichkeit der physiologischen Wirkung von Ca und Sr dargetan werden. Es ergibt sich mithin aus unseren Versuchen, daß die Vermehrung der Konzentration von CaCl,, KCl, MgCl, im Meerwasser um 0,1% sowie die Hinzufügung von SrCl, in der gleichen Konzentration eine erregende Wirkung auf die Spermatozoen von Echinus miliaris ausübt, die sich in lebhafterer Beweglichkeit einerseits, in einer Verlängerung der Lebensdauer andererseits dokumentiert. Von anderen Salzen, die noch hinsichtlich ihrer Beeinflussung der Lebensdauer von Spermatozoen geprüft wurden, sei erwähnt, daß BaCl, die Beweglichkeit herabsetzt und die Lebensdauer verkürzt (vel. Tab. I u. II). In analoger Weise wurde nun der Einfluß der auf die Lebensdauer und die Beweglichkeit der Spermatozoen von Echinus miliaris erregend wirkenden Salze (CaCl,, SrCl,, KCl, MgCl,) an den Spermatozoen von Rana esculenta, arvalis und temporaria sowie Bufo vulgaris geprüft. Es geht aus diesen Versuchen (vgl. Tab. III u. IV) deutlich hervor, daß SrCl, und KCl eine lähmende Wirkung besitzen, und zwar KÜl in stärkerem Maße als SrCl,. Aber auch in einer Verdünnung von 0,01% hemmen sie die Beweglichkeit und verkürzen die Lebensdauer. CaCl, wirkt im entgegengesetzten Sinne. Auch in einer Konzentration von 0,01% vermag es die Spermatozoen bedeutend länger am Leben zu erhalten als dies in der in Brunnenwasser befindlichen Kontrolle Tabelle III. Versuche an den Spermatozoen von Rana esculenta. | 8. III. 9SEIT: | #210: 701% * 6,30b nachm. 9h vorm. 12h 3h | 520 9,30h vorm. 12,30h 1 | | 1. Brunnen- gut gut | gut vereinzelt | unbeweg- _ wasser || beweglich \ beweglich | beweglich \ beweglich lich 2. Brunnen- | gut \ gut beweglich | gut | gut gut unbeweg- wasser 2,0 beweglich | etwas besser ı beweglich beweglich | beweglich lich CaCl, 0,0002 | | als 1 | 3. Brunnen- | gut | £ gut gut gut 1 gut vereinzelt wasser 2,0 ' beweglich beweglich ' beweglich | beweglich ı beweglich | beweglich CaCl, 0,002 | | 4. Brunnen- | beweglich beweglich, | beweglich, unbeweg- — | — wasser 2,0 | schlechter | schlechter lich | SrCi1, 0,0002 | Mealshl 3 als 3 5. Brunnen- ' beweglich, beweglich beweglich, unbeweg- gu er “ wasser 2,0 || etwas besser schlechter | schlechter lich SrCl, 0,002 | als 4 | als 1—3 als 4 6. Brunnen- gut | beweglich beweglich | unbeweg- er un wasser 2,0 beweglich "schlechter schlechter | lich KC1 0,0002 | als 1-5 als 1-5 | 7. Brunnen- unbeweglich | —_ | _ — —_ _ \ wasser 2,0 | | | KCl 0,002 | 1) Anden kalliem und Gellhorn, Dieses Arch. 183, 303. 1920. 266 E. Gellhorn: Tabelle IV. Versuche an den Spermatozoen von Rana arvalis. SORTE RT I | 330 u. | 25. 1X. Ban, x 2%. IX) 9,45h | 10,451 12h BEN | Dan | 12306 6,30% 7,30h 9h 1. Brunnen- " sehr gut gut gut beweglich | beweglich vereinzelt unbeweg- | unbewej, wasser beweglich beweglich | beweglich | schwach bewegl. lich lich 2, Brunnen- | = Es a % | N beweglich beweglich ee wasser 2,0 | | | | | MgCl, 0,0002| | | 3. Brunnen- | ER , sehr gut sehr gut sehr gut sehr gut | gut beweglich gut PR wasser 2,0 | | beweglich | beweglich | beweglich | beweglich : beweglich MstCl, 0,002 | | | | 4. Brunnen- | 33 | N ss a 3 | sehr gut sehr gut |gut bew‘ wasser 2,0 . | beweglich beweglich lich |. MsCl, 0,006 | 5. Brunnen- | 5 In Nr. 4 u.5 er ” | gut | gut beweglich gut einzeln) wasser 2,0 | äußerstlebh. beweglich beweglich | bewegli . MgCl, 0,01 | Bewegung | 6. Brunnen- | beweglich, | beweglich | beweglich ganz unbeweg- — | = = wasser 1,0 | schlechter vereinzelt lich | NaCl 0,9% 1,0 als 1-5 beweglich | 26. IX. 1,30%. Nr. 4 out beweglich. Nr. 5 vereinzelt beweglich. beobachtet wird. Noch stärker wirkt aber MgCl,. Während in einer Ver- i ie dünnung von 0,01% nur eine geringe Besserung in der Beweglichkeit I 5 E e 5 f der Spermatozoen beobachtet wird, zeigt es in Konzentrationen von I 0,1—0,5% eine bedeutende Steigerung sowohl der Beweglichkeit wie \ auch der Lebensdauer der Spermatozoen. So wurde noch nach 52 Stun- j den in einem Versuche an Rana arvalis in der 0,3proz. MsCl,-Lösung | lebhafte Bewegung der Spermatozoen festgestellt — natürlich. waren zu dieser Zeit ein großer Teil der Spermatozoen unbeweglich —, wäh- rend in der Kontrollflüssigkeit (Brunnenwasser) die Spermatozoen bereits nach 34 Stunden abgestorben waren. In einigen Versuchen an den Spermatozoen von Rana esculenta wurde jedoch die lebens- verlängernde Wirkung von MgÜl, vermißt. Dagegen trat die Steigerung I der Beweglichkeit in den ersten Stunden des Versuches deutlich hervor. | BaCl, wirkt ebenfalls lähmend in etwa gleichem Maße wie KCl sowohl in 0,1 proz. wie 0,01 proz. Konzentration. Endlich wurden die erwähnten Salze auch in Versuchen an den Spermatozoen des Meerschweinchens angewendet. Die Versuche wurden bei Zimmertemperatur vorgenommen, daessich in diesen Untersuchungen ja nur um die Feststellung der relativen Lebensdauer im Vergleich zur Lebensdauer der Spermatozoen in der Kontrollflüssigkeit handelt. In einer Versuchsreihe wurden die zu untersuchenden Salze zu einer Ringerschen Flüssigkeit mit der Zusammensetzung Na. nee a 2050 KOleı 2 nr20078 NaHOO5Serr eo Ag. dest. ad 1000,0 CaCl, Mrs 0 hinzugefügt (vgl. Tab. V), in einer zweiten Versuchsserie trat an Stelle von Ringerscher Flüssigkeit 0,6proz. bzw. 0,9proz. NaCl-Lösung (Tab. VI). Aus der letztgenannten Versuchsserie geht hervor, daß die ng ee En — u nn aa ce nn fa" E11. 1a. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Spermatozoen. 267 Tabelle V. Versuche an den Spermatozoen des Meerschweinchens, 1045 | 'ı2n ıh | 2,301 | 4h 5,45h 6,15% Th | | [ 1. Ringer 2,0 | gut gut beweglich gut beweglich | beweglich schwach unbeweg- | beweglich beweglich beweglich lich 2. Ringer 2,0 || Pe beweglich beweglich schwach schwach vereinzelt unbeweg- BaCl, 0,002 beweglich | beweglich beweglich lich schlechter als 1 8. Ringer 2,0 | 5 r en unbeweglich — — _ KC1 0,002 | | 4. Ringer 2,0 | ss ” .s schwach |ganz verein- unbeweglich — KC1 0,0002 beweglich |zelt bewegl. 5. Ringer 2,0 he N schwach schwach unbeweg- — = StCl, 0,002 beweglich | beweglich lich 6. Ringer 2,0 . » vereinzelt |unbeweglich n— | — — CaCl; 0,002 | beweglich | 7. Ringer 2,0 | gut beweglich gut gut gut beweglich, beweglieh MeCl, 0,002 besser als Nr. 1 | beweglich | beweglich | beweglich | besser als Nr.1 Tabelle VI. eanah an den SpEnDale zen des Meerschweinchens. 10,15 h 11,30 b 12,30 2h 3,30 h 4, ‚on h " 5,30 h 6,30 8 1. Warmblüter- | gut gut beweglich | beweglich schwach | vereinzelt | unbeweglich ringer | beweglich | beweglich beweglich | beweglich 2, Froschringer | gut gut gut beweglich schwach | vereinzelt | unbeweglich beweglich | beweglich | beweglich beweglich beweglich 3. 0,015 NaCl ı beweglich schwach schwach vereinzelt | unbeweglich — — Aq. dest. ad 23,0 | | beweglich | beweglich | beweglich | 4. 0,015 NaCl | beweglich schwach schwach | unbeweglich‘ — — — 0,002 Call, | | beweglich | beweglich | Aq. dest. ad 2,0 | 5. 0,018 NaCl beweglich | schwach schwach | unbeweglich — — — 0,002 SrCl, beweglich | beweglich Ag. dest. ad 2,0 | | | | 6. 0,018 NaCl gut gut beweglich schwach | unbeweglich E | == 9,002 MgCl, beweglich | beweglich, | beweglich, | Aq. dest. ad 23,0 | | besser als besser als ’ | | Nn.35 | Nr. 3 7. 0,018 NaCl beweglich | schwach | schwach vereinzelt | unbeweglich — _ 0,002 KCl | beweglich | beweglich | beweglich | Aq. dest. ad 2,0 Ss. 0,0185 NaCl -beweglich schwach einzelne vereinzelt ! unbeweglich — _ 0,002 BaCl, | beweglich | beweglich |- beweglich Aq. dest. ad 2,0 || | | x 9. 0,012 NaCl beweglich | schwach | schwach vereinzelt | unbeweglich | — — Ad. dest. ad 2,0 beweglich | beweglich | beweglich | 10. 0,012 NaCl beweglich | schwach | schwach vereinzelt | unbeweglich | — — 0,002 CaCl, | | veweglich | beweglich | beweglich | I Aq. dest. ad 2,0 | | 0,012 NaCl beweglich | schwach schwach vereinzelt | unbeweglich | — — 0,002 SrCl, , beweglich | beweglich | beweglich | ” Aq. dest. ad 2,0 2. 0,012 NaCl beweglich, | beweglich | beweglich schwach vereinzelt | unbeweglich — 0,002 MsCI, besser als | beweglich, beweglich Aq. dest. ad 2,0 Nr.9 | besser als | | | Nr. 9-11 13. 0,012 NaCl beweglich | schwach | schwach | vereinzelt | unbeweglich — — 0,002 KCl beweglich | beweglich | beweglich Aq. dest. ad 2,0 | | 0,012 NaCl schwach | vereinzelt | vereinzelt | vereinzelt | unbeweglich = = 0,002 BaC], beweglich beweglich | beweglich beweglich Aq. dest. ad 2,0 | | | | 268 - E. Gellhorn: | genannten Salze in einer Konzentration von 0,1%, die Lebensdauer und Beweglichkeit der Spermatozoen gegenüber der Kontrollflüssigkeit nicht sehr erheblich beeinflussen. Dennoch läßt sich sowohl in den Ver- suchen mit 0,6proz. wie auch mit 0,9proz. NaCl-Lösungen ein för- dernder Einfluß von MgCl, auf die Beweglichkeit feststellen, der be- sonders in den Versuchen mit 0,9proz. NaCl-Lösung hervortritt, wäh- rend in den Versuchen mit 0,6proz. NaCl-Lösung auch eine geringe Ver- längerung der Lebensdauer verzeichnet werden kann. In der ersten Versuchsreihe (Tab. V), in der der Salzzusatz zu einer Ringerlösung erfolgt, tritt die Wirkung im gleichen Sinne, nur deutlicher, ein. Wäh- rend aber in den Kochsalzversuchen eine lähmende Wirkung von CaCl,, SrCl,, KCl und BaCl, nicht deutlich zutage tritt und nur in ein- zelnen Versuchen eine geringere Beweglichkeit als in der Kontrollflüssig- keit beobachtet wird, zeigen die Versuche mit Ringerscher Flüssigkeit eine eklatante Wirkung. Denn CaCl,, SrCl, und KCl bewirken eine er- hebliche Verkürzung der Lebensdauer der Spermatozoen, während die lähmende Wirkung von BaCl, nur in einer Beeinträchtigung der Beweg- lichkeit zum Ausdruck kommt. Gegenüber den Versuchen am Sperma- tozoon des Frosches zeigt sich insofern ein bemerkenswerter Unterschied, als in jenen Versuchen sich BaCl], als etwa ebenso stark lähmend wie KCl erweist, während es am Warmblüterspermatozoon nur in geringem Maße die Beweglichkeit vermindert. Als Ergebnis der mitgeteilten Versuche läßt sich also feststellen, daß MgCl, auf alle untersuchten Spermatozoen, mögen sie normaler- weise im Meer- oder Süßwasser oder im Genitaltraktus eines Warmblüters ihre physiologische Funktion erfüllen, erregend einwirkt und sowohl die Lebensdauer verlängert wie die Beweglichkeit vermehrt. Selbst in einer Konzentration von 0,5% zeigt es noch diese Wirkung am Frosch- spermatozoon, obgleich eine NaCl-Lösung gleicher Konzentration bereits stark lähmend wirkt (vg]. Tab. IV). Als optimale Konzentration ergibt sich für das Spermatozoon des Frosches eine 0,3proz. MeCl,-Lösung. Während aber die Spermatozoen sich gegenüber dem MsCl, gleich- mäßig verhalten, besteht in folgendem ein prinzipieller Unterschied zwischen den Spermatozoen von Echinus einerseits und den Sperma- ' tozoen von Rana, Bufo und Warmblütern (Meerschweinchen) anderer- seits. Die im Meerwasser vorhandenen Salze KCl, CaCl, sowie das dem Ca physiologisch nahestehende Sr wirken auf die Beweglichkeit der Echinusspermatozoen fördernd ein, während am Kaltblüter (Frosch, Bufo) nur Ca in diesem Sinne von Einfluß ist und die übrigen Salze lähmend wirken und endlich am Warmblüter alle 3 Salze die Beweg- lichkeit der Spermatozoen vermindern und ihre Lebensdauer verkürzen. Und diese lähmende Wirkung besteht z. B. für KCl und SrCl, am Frosch- spermatozoon noch bei Anwendung dieser Salze in einer Verdünnung Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Spermatozoen. 269 von 1 : 10 000, während sie am Seeigelspermatozoon sogar noch in einer Konzentration von 1 : 1000 stark fördernd wirken. Da aber die Spermatozoen des Seeigels durch Salze (BaCl,, FeCl,, ZnSO,), die im Meerwasser normalerweise nicht oder nur in Spuren zu finden sind, in völlig gleicher Weise wie die Spermatozoen des Frosches und des Meerschweinchens gelähmt werden, muß das differente Verhalten der Seeigelspermatozoen im Sinne einer Anpassung der Spermatozoen an diese Salze erklärt werden. Die physiologischen Grundlagen dieser Anpassung dürften folgende sein. Der Unterschied zwischen Reiz und Lebensbedingung ist, wie Verworn!) dargetan hat, nur ein quantitativer. Während ein Gehalt von 2,6% NaCl Lebensbedingung für das Spermatozoon des Seeigels ist, da NaCl in der angegebenen Menge im Meerwasser normalerweise vorhanden ist, bedeutet die gleiche Menge NaCl einen sehr starken Reiz für die Spermatozoen des Frosches und des Warmblüters und bewirkt sofort, daß die Beweglichkeit der Spermatozoen sistiert. Deshalb muß auch zum Verständnis der ungleichen Wirkung bestimmter Salze an den Spermatozoen des Seeigels auf der einen, dem Samen des Frosches oder Warmblüters auf der anderen Seite nicht die absolute Menge des zugesetzten Salzes berücksichtigt werden, sondern vielmehr die Größe der Änderung in seiner Gesamtkonzentration. Dann ersieht man, daß, wenn man z. B. zum Meerwasser KCl 1 : 1000 hinzufügt, der KCl-Gehalt des Meerwassers nur um etwa !/, erhöht wird, während der gleich große Zusatz von KCl zum Brunnenwasser eine enorme relative Vermehrung des KCl-Gehaltes des Wassers bedeutet. Analoge Unterschiede bestehen zwischen dem Salzgehalte des Meerwassers und dem des Uterussekretes, dessen Salzgehalt von dem des Serums oder der Ringerschen Flüssig- keit, diein unseren Versuchen als Kontrollflüssigkeit diente, kaum wesent- lich verschieden sein dürfte. Hieraus folgt also, daß der Zusatz von 0,1 proz. Salzlösung zum Meerwasser nur einen relativ geringen, zum Brunnenwasser bzw. zur Ringerschen Flüssigkeit einen relativ sehr starken Reiz bedingt. Hierbei bleibt noch die Frage offen, ob die rela- tive Vermehrung eines Kations oder aber die hierdurch gesetzte Ände- rung des Ionengleichgewichts die Ursache der erregenden oder lähmenden Wirkung ist. Die weiter unten mitgeteilten Versuche über die Wirkung von NaHCO, und Na,CO, auf die Lebensdauer von Warmblütersperma- tozoen sprechen für die erste Annahme. Doch können die Verhältnisse bei verschiedenen Ionen und Spermatozoen verschieden liegen. Erst weitere Versuche, in denen untersucht werden soll, ob bei gleichem Mengenverhältnis bestimmter antagonistischer Ionen gleiche Wirkungen entstehen, werden diese Fragen entscheiden können. Die Tatsache aber, daß die genannten Salze am Seeigelspermatozoon erregend, am Warm- !) Verworn, Allgemeine Physiologie. 4. Aufl. Jena 1903. S. 373ff. 270 E. Gellhorn : blütersamen dagegen lähmend wirken, dürfte sehr gut mit der allgemeinen pharmakologischen Erfahrung übereinstimmen, daß gerade elektiv lähmende Gifte, wie z. B. die Narkotica, in schwächerer Konzentration erregend, in stärkerer lähmend wirken!). Im Sinne dieser Theorie kann auch der Befund gedeutet werden, daß BaCl,, das normalerweise weder im Brunnenwasser und Blutserum noch im Seewasser vorkommt, an den Spermatozoen der drei untersuchten Tierklassen die gleiche, läh- mende Wirkung hervorruft. Daß BaCl, die Warmblüterspermatozoen in geringerem Maße lähmt als die Frosch- und Seeigelspermatozoen, dürfte ebenso wie die erregende Wirkung des CaCl, auf die Froschsperma- tozoen auf physikalisch-chemische Unterschiede der Spermatozoen der verschiedenen Tierklassen hinweisen, wenn man nicht etwa für den letztgenannten Befund den relativen Kalkreichtum des Wassers in Halle und Umgebung verantwortlich machen will. Von allgemeinphysiologischem Interesse dürfte der Nachweis einer erregenden Wirkung von KCl auf die Seeigelspermatozoen sowie von Mg(Cl, auf die Spermatozoen aller von uns untersuchten Tiere insofern sein, als von beiden Salzen bisher erregende Wirkungen nicht bekannt sind?). II. Die Ursache der Überlegenheit der Ringerschen Flüssig- keit gegenüber einer isotonischen NaCl- Lösung hinsichtlich der Lebensdauer von Warmblüterspermatozoen. In einer Reihe von Versuchen wurde an Meerschweinchenspermato- zoen stets festgestellt, daß die Lebensdauer derselben in Ringerscher Flüssigkeit bedeutend größer ist als in einer mit dieser isotonischen Kochsalzlösung. Es fragte sich nun, ob dies durch den Salzgehalt der Ringerschen Flüssigkeit oder ihre Alkalescenz oder beides bedingt sei. Zu diesem Zwecke wurde der in Tab. VII wiedergegebene Versuch angestellt, in dem zu einer 0,6proz. Kochsalzlösung jedes der in der Ringerschen Flüssigkeit enthaltenen Salze einzeln oder zu zweien in der gleichen Konzentration, wie diese Salze in der Ringerlösung ent- halten sind, zugesetzt wurde. Außerdem wurde auch die Bedeutung der Wasserstoffionenkonzentration durch Zusatz von "/ıooo- NaOH untersucht. Aus diesem Versuch ergibt sich, daß der Zusatz von NaHCO, allein genügt, um eine gleichgroße Lebensdauer der Spermatozoen zu bewirken, wie diese in Ringerscher Flüssigkeit zeigen. Wird zu der Kochsalzlösung außer NaHCO, Chlorkalium oder Chlorcalcium hinzu- gesetzt, so wird hierdurch die Lebensdauer etwas verringert, und zwar durch CaCl, in stärkerem Grade als durch KCl. Damit stimmt gut über- 1) Vgl. Hans ‚Winterstein, Die Narkose. Berlin 1918. S. 12ff. ?) Vgl. Meyer- Gottlieb, Lehrbuch der experimentellen Pharmakologie. 3. Aufl. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Spermatozoen. 271 ein, daß CaC], allein zu der 0,6proz. NaCl-Lösung hinzugefügt stärker lähmend wirkt als KC1 (vgl. Versuch Nr. 1 u.3 in Tab. VII). Kochsalz -+ Chlorcaleium + Chlorkalium vermag die Lebensdauer der Spermatozoen gegenüber-einer reinen Kochsalzlösung oder einer solchen, die nur eines dieser Salze enthält, nicht zu vergrößern. Da nun in früheren Versuchen auch ein günstiger Einfluß von "/;ooo- NaOH festgestellt werden konnte, so wurde diese den verschiedenen Salzgemischen beigegeben. Der Erfolg dieser Vermehrung der Hydroxylionen ist aber nur ein geringer. Die Beweglichkeit der Spermatozoen ist zwar anfangs gegenüber den neu- tralen Lösungen zuweilen besser; aber die Lebensdauer wie in den NaHCO,-haltigen Salzgemischen wird nicht annähernd erreicht. Tabelle VII. Versuche an den Spermatozoen vom Meerschweinchen. 6. IX. 20. [02] 10. 10,45 h 0,012 NaCl 0,00015 KCl Ag. dest. ad 23,0 0,012 NaCl 0,00015 KC1 0,00008 NaOH Ag. dest. ad 2,0 ‘0,012 NaCl 0,0002 CaCl, Aq. dest. ad 2,0 0,012 NaCl 0,0002 CaCl; 0,00008.Na0H Aq. dest. ad 3,0 0,012 NaCl 0,0002 NaHCO, Ag. dest. ad 2,0 0,012 NaCl 0,00015 KC1 0,0002 CaCl, Aq. dest. ad 2,0 | 0,012 NaCl 0,00015 KCl 0,0002 CaCl, 0,00005 NaOH Aq. dest. ad 2,0 0,012 NaCl 0,0002 NaHCO, 0,00015 KCl Ag. dest. ad 2,0 . 0,012 NaCl 0.0002 NaHCO, 0.0002 CaCl, 0,012 NaCl 0,0002 NaHCO, 0,0002 CaCl; 0,00015 KC1 12h sehr gut beweglich sehr gut beweglich sehr gut beweglich sehr gut beweglich sehr gut beweglich sehr gut beweglich sehr gut beweglich sehr gut beweglich sehr gut beweglich sehr gut | beweglich | Ag. dest. ad 2,0 || = Ringersche Flüssigkeit den Frosch für | | ih | 2,30 h 4h | 4,50 h 5,30 h | 6,154 beweglich, | vereinzelt unbeweglich u — | _ | aber viele | bewegliche | | | unbeweg- | | liche j | | | | | gut ‚unbeweglich — _ _ | — ' beweglich beweglich unbeweglich — | — — | — | wie Nr. 1 | | | | . N 1 gut ‚ beweglich | vereinzelt | vereinzelt |unbeweglich — beweglich | | bewegliche | bewegliche gut gut |, beweglich | beweglich | beweglich beweglich beweglich | beweglich | | | | gut ı schwach unbeweglich _ — = beweglich | beweglich gut | schwach lunbeweglich = — | = beweglich | beweglich | | | | gut | beweglich | beweglich | beweglich | beweglich |unbeweglich beweglich | | gut \ beweglich | beweglich | beweglich, [unbeweglich — beweglich | aber schlechter als Nr. 8 gut gut \ beweglich | beweglich | beweglich | beweglich beweglich | beweglich | Du E. Gellhorn: Dieses Verhalten ist deshalb bemerkenswert, weil wir aus zahlreichen Untersuchungen, von denen hier nur die von Jacques Loeb!) am Seeigelei, ferner die Versuche von Wolfgang Ostwald am Süßwasser- gammarus?) und die von W. J. Osterhout?) an Süßwasseralgen an- geführt seien, wissen, daß die Integrität der Lebenserscheinungen nur in sogenannten äquilibrierten Salzlösungen garantiert ist, in denen die Salze in bestimmten Gewichtsverhältnissen derartig gemischt sind, daß die Giftwirkungen der einzelnen Kationen aufgehoben sind. Aus diesen Versuchen wissen wir, daß z. B. K und Ca Antagonisten in viel- facher Hinsicht sind und sie sich. gegenseitig entgiften können. Ein derartiger Ionenantagonismus dürfte aber für die Warmblütersperma- tozoen, wie die vorliegenden Versuche zeigen, nicht bestehen. Zu der gleichen Anschauung kommt auch Hirokawa®) auf Grund seiner Versuche an Rattenspermatozoen, da z. B. auch an diesen Sper- matozoen eine NaCl-Lösung, der KCl + CaCl, hinzugefügt ist, einer reinen NaCl-Lösung sich nicht überlegen erweist. Im Gegensatz zu den Versuchen dieses Autors aber ist in unseren Versuchen die Ringersche Flüssigkeit stets der isotonischen Kochsalzlösung bedeutend überlegen. Aus den Versuchen Hirokawas sei noch der interessante Befund erwähnt, daß die Lebensdauer der Spermatozoen in einer ®/,- NaCl- Lösung und einer ®/,-KCl-Lösung die gleiche ist, während äqui- molekulare Lösungen von NH,Cl, LiCl, MsCl,, BaCl, und CaCl], giftiger wirken. Daß MgCl, in diesen Versuchen keine erregende Wirkung besitzt, kann an der zu großen Konzentration liegen, andererseits muß in Betracht gezogen werden, daß die Versuche Hirokawas und unsere Versuche insofern unvergleichbar sind, als wir MgsCl, in den Ver- suchen an Waımblüterspermatozoen stets zu einer NaCl- bzw. Ringer- lösung zusetzten. Aber eine andere Frage ergibt sich aus unseren Versuchen. Es gilt nämlich zu entscheiden, ob die günstige Wirkung des Zusatzes von . NaHCO, lediglich auf die Wasserstoffionenkonzentration zurückzuführen oder ob den Carbonationen eine spezifische Wirkung zuzusprechen ist. Wie aus der Tab. VIII ersichtlich ist, fördert der Zusatz von NaHCO, in 0,1 proz. und 0,01 proz. und von Na,CO, in 0,01 proz. die Lebensdauer und Beweglichkeit von Warmblüterspermatozoen. Na,0O, in 0,1 proz. Lösung zeigt in manchen Versuchen vorübergehend eine Steigerung der Beweglichkeit, etwa im Verlaufe der ersten Stunde des Versuches; !) Jacques Loeb, Untersuchungen über künstliche Parthenogenese. Leipzig 1916. 2) Wolfgang Ostwald, Dieses Arch. 106, 568. 1905. ®) Zitiert nach Abderhalden, Lehrbuch der physiologischen Chemie. 3. Aufl. 2. Teil. S. 908. Berlin 1915. *“) Hirokawa, Biochem. Zeitschr. 19, 290. 1909. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Spermatozoen. 273 Tabelle VIII. Versuche an Meerschweinchen-Spermatozoen. 1lh 1h 3h 4h 5,30 1. 0,012 NaCl beweglich unbeweglich —_ —_ 2.0 Agq. dest. 2. 0,012 NaCl beweglich, beweglich beweglich beweglich 0,0002 NaHCO, | besser als 1. 2.0 Ag. dest. 3. 0,012 NaCl beweelich, beweglich beweglich unbeweglich 0,002 NaHCOz besser als 1. 2,0 Ag. dest. | - 4. 0,012 NaCl | beweglich, beweglich beweglich beweglich 0,0002 NasC0, besser als 1. 2,0 Agq. dest. & 0,012 NaCl sehr lebhaft | unbeweglich — _ 0,002 Na5,CO, beweglich 2,0 Aq. dest. darauf tritt aber eine lähmende Wirkung auf die Beweglichkeit der Spermatozoen ein, so daß eine NaCl-Lösung -- 0,1% Na,CO, niemals die Lebensdauer gegenüber einer reinen Kochsalzlösung zu verlängern vermag. Die Wasserstoffionenkonzentration dieser Lösungen variiert — sie wurde nach der Indicatorenmethode festgestellt — fur 0:0195..NaHCO; 9 - 75 0,1 % NaHC0, p4 = 8 0,01% Na,C0, Pr = 10,5 DIE NCOF pr zwischen 94 = 7,5 und ?, =11. Setzt man nun zu einer Kochsalzlösung "/,ooo- bis "/ıoo000 - NaOH hinzu, so findet man eine annähernd ebenso gute Wirkung, wie sie 0,01 proz. NaHCO, besitzt, für %/\ooo- NaOH, d. h. 9 = 11. "0000 bzw. "/jooooo-CaOH zeigen nur eine geringe, in manchen Versuchen . keine fördernde Wirkung auf die Lebensdauer der Spermatozoen. Besonders instruktiv geht dies Verhalten aus einer Versuchsreihe hervor, in der zu der Kochsalzlösung ein Gemisch von Glykokoll und NaOH als Regulator zugesetzt wurde. Die Wasserstoffionenkonzen- tration variiert zwischen ?% =7 und pa = 11. Es zeigt sich, daß Pa =11l, d. h. also ”/,ooo- NaOH die optimale Wirkung entfaltet. Da nun die optimale Wirkung durch Carbonationen -bei einer [H ] von ?a = 7,5 (NaHCO, 0,01%) und p?4 = 10,5 (Na,CO, 0,01%) erhalten wurde, so muß man schließen, daß hier eine spezifische Ionenwirkung vorliegt, zumal eine weitere Vermehrung der Carbonationen durch Zu- satz einer 0,1 proz.:Na,CO,-Lösung keine fördernde Wirkung mehr be- sitzt. Obwohl diese dieselbe Wasserstoffionenkonzentration (?4 = 11) wie eine Kochsalzlösung, der ”/ooo- NaOH zugesetzt ist, enthält, ist sie indifferent, “während die letztere von optimaler Wirkung ist. Die 274 E. Gellhom: optimale Wirksamkeit der Carbonationen liegt zwischen pH = 7,5 und ?p = 10,5; das Optimum der OH-Ionen bei ?p = 11. Auch das Optimum durch Zusatz von NaOH bei ?% = 11 ist dadurch charak- terisiert, daß bei schwächerer und stärkerer Konzentration die Beweg- lichkeit der Spermatozoen sehr schnell abnimmt. Denn bei p4 = 10 ist die Beweglichkeit und Lebensdauer der Spermatozoen nicht wesent- lich besser als in reiner Kochsalzlösung, bei ?p = 12 aber tritt nach vorübergehend gesteigerter Beweglichkeit Lähmung ein, die sich in einer gegenüber der Kochsalzlösung verminderten Lebensdauer äußert. Eine interessante Parallele zu diesen Ergebnissen bilden die Versuche von Abderhalden und Fodort), die fanden, daß das Optimum der Polypeptidasewirkung der Hefe bei einer Wasserstoffionenkonzentration liegt, die unter dem Einflusse bestimmter Salze gesetzmäßige Ände- rungen erfährt. III. Die Wirkung von ÖOptonen auf die Lebensdauer der Spermatozoen. In einer weiteren Versuchsreihe wurde der Einfluß von abgebauten Organen (sogenannten ‚„Optonen“, Abderhalden) untersucht. Abder- halden?) hatte an Kaulquappen nachgewiesen, daß die Verfütterung von abgebauter (eiweißfreier) Thyreoides und Thymus die gleichen Wirkunger: hervorruft wie die Verwendung der unveränderten Drüsen- substanz selbst und hatte daraus den Schluß gezogen, daß die wirksamen Inkretstoffe nicht Eiweißkörper sein können, sondern vielmehr ein- facher gebaute Stoffe sein müßten. In weiteren Studien zeigten dann Abderhalden und Gellhorn?) in Versuchen an überlebenden Organen die Spezifität der aus Drüsen mit sogenannter innerer Sekretion ge- wonnenen Optone. Es war nun interessant zu prüfen, ob eine spezifische Optonwirkung auch in der Beeinflussung der Lebensdauer und Beweg- lichkeit von Spermatozoen zum Ausdruck komme. Die Optone wurden den Lösungen in einer Konzentration von 0,1% zugesetzt. Die Resul- tate zeigen (vgl. die Tab. IX— XI), daß in den Versuchen an den Sperma- tozoen von Echinus miliaris und von Rana esculenta die Optone aus Testis und Ovar sich scharf von denjenigen anderer Organe unterscheiden. Während diese nämlich Lebensdauer und Beweglichkeit von Sperma- tozoen in keiner. Weise beeinflussen, bewirken Testis und Ovarial- opton — und zwar letzteres in der Mehrzahl der Versuche in stärkerem Maße — eine bedeutende Erhöhung der Beweglichkeit und Verlänge- ‚ rung der Lebensdauer. Letztere beträgt bei den Echinusspermatozoen oft 4 Stunden, d.h. die Lebensdauer wird gegenüber der Norm um mehr !) Abderhalden und Fodor, Fermentforschung. Bd. IV. ®?) Abderhalden, Dieses Arch. 162, 99. 1915; 176, 236. 1919. 3) Abderhalden und Gellhorn, Dieses Arch. 182, 28. 1920. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Spermatozoen. 275 als 50% erhöht. Am Spermatozoon des Frosches wurde einmal sogar durch Zusatz von Ovarialopton eine Lebensdauer von mehr als 38 Stun- den beobachtet. Die Spermatozoen zeigten sogar noch eine lebhafte Beweglichkeit, während in der Kontrollflüssigkeit schon nach 14 Stun- den die Mehrzahl der Spermatozoen unbeweglich waren und 19 Stunden nach Beginn des Versuches nur ganz vereinzelte bewegliche Spermatozoen gefunden werden konnten. Das Opton des Corpus luteum zeigte keine günstige Wirkung. Tabelle IX. Versuche an den Spermatozoen von Echinus miliaris. 10. VIII. 1920. 4,10h | 4,30h 6h 7,30h 8,20h 10,50h rn = —— n = — —— — .— mn 1. Seewasser + 0,1% Te-| sehr gut gut beweglich, | wenig beweg- \unbeweglich — stisopton beweglich |aberbereitszahl- liche | reiche unbeweg- | | liche 2. Seewasser +0,1% Ova- , sehr gut |sehr gut beweg- sehr gut beweg-, sehr gut sehr gut rialopton beweglich |lich, keine un-| lich, wie 6h beweglich | beweglich beweglichen 3. Seewasser + 0,1% Cor- || sehr gut wie Nr.1. unbeweglich junbeweglich — pus-luteum-Opton beweglich 4. Seewasser +0,1% Thy- || sehr gut wie.Nr. 1. vereinzelt be- |unbeweglich —_ reoideaopton beweglich wegliche, schlechter als Kontrolle 5. Seewasser || sehr gut | gut beweglich, | wenig beweg- \unbeweglich — beweglich aber bereitszahl-|liche, wie Nr. 1, reiche unbeweg- liche Tabelle Xa. Versuche an den Spermatozoen des Frosches. (Rana temporaria). SL Versuchstag 10,30h vorm. 11,30 h 3,20 h 4,50h 2. Versuchstag 9,30h 1. Brunnenwasser . Brunnenwasser 2,0 Testisopton 1,0% 0,2 3. Brunnenwasser 2,0 . Testisopton 0,1%, 0,2 D 4. Brunnenwasser 2,0 Ovarialopton 1,0% 0,2 5. Brunnenwasser 2,0 Ovarialopton 0,1% 0,2 6. Brunnenwasser 2,0 Corpus-lut.-Opton 1% 02 . Brunnenwasser 2,0 Corpus-lut.-Opton 0,1% 0.2 . Brunnenwasser 2,0 | = .{5) . Brunnenwasser 2,0 Hypophysisopton 0,1% 0,2 1 | ı n ‚ gut beweglich Hypophysisopton 1% 02 gut beweglich sehr gut beweg- lich, besser als 1 gut beweglich gut beweglich, | etwasbesseralsi, „» gut beweglich | gut beweglich gut beweglich, besser als 1 gut beweglich wenig bewegliche „ gut beweglich, | aber schlechter als 1 „ unbeweglich gut beweglich gut beweglich, an Zahl weniger als in 2 vereinzelt bewegliche unbeweglich | | 276 “ E. Gellhorn: | Tabelle Xb. Rana esculenta. 2. Versuchstag 3. Versuchstag 5 hst h : ; h 1. Versuchstag 5h nachm aneittags on 12,30 1. Brunnenwasser gut beweglich einzelne beweglich unbeweglich 3. Brunnenwasser 2,0 sehr gut beweglich | sehr gut beweglich, | sehr gut beweglich Testisopton 1% 0,2 bedeutend besser als 1 3. Brunnenwasser 2,0 5 sehr gut beweglich > Ovarialopton 1% 0,2 4. Brunnenwasser 2,0 gut beweglich, einzelne beweglich, unbeweglich Corpus-lut.-Opton 1% 0,2 etwas besser als 1 wie 1 ’ Tabelle XI, Meerschweinchenspermatozoen. 9,45h 1,30 n 2,30h 4h 5h 6,10h 7,30h 1. Ringer 2,0 gut beweglich |. vereinzelt unbeweglich — — s beweglich beweglich 2. Ringer 1% 2,0 ||sehrlebhaft | sehr gut gut beweglich | beweglich | beweglich Testisopton 1% 0,2 beweglich | beweglich | beweglich 3. Ringer 2,0 gut gut vereinzelt |unbeweglich _ — Ovarialopton 1% 0,2 beweglich | beweglich | beweglich 4. Ringer 2,0 gut gut beweglich | beweglich | beweglich \unbeweglich Hypophysisopton 1% 0,2 || beweglich | beweglich 5. Ringer 2,0 sehr gut sehr gut 2 He vereinzelt = Thymusopton 0,2 beweglich | beweglich beweglich 6. Ringer 2,0 sehr gut wenig unbeweglich — — - Corpus-lut.-Opton 1% 0,2 || beweglich | beweglich Nicht so gleichmäßige Ergebnisse gehen aus den Versuchen mit den Spermatozoen des Meerschweinchens hervor. Eine bevorzugte Stellung nehmen in diesen Experimenten die Optone der Generations- organe nicht ein. Vielmehr zeigte es sich, daß die Resultate in den verschiedenen Versuchen etwas schwankten und daß ein deutlicher positiver Effekt im Sinne einer Anregung der Beweglichkeit auch durch Hypophysis- und Thymusopton erzielt werden konnte. Wenn auch eine sichere Entscheidung über die Ursache des gleich- mäßigen Verhaltens der Optone in ihrer Einwirkung auf die. Beweg- lichkeit der Spermatozoen des Meerschweinchens vorerst nicht gegeben werden, während in den Versuchen am Seeigel- und Froschspermatozoon eine sehr deutliche spezifische Wirkung der Optone der Generations- organe in Erscheinung tritt, so liest in folgendem eine Erklärungsmög- lichkeit. Vielleicht wirken die Optone, die zum größten Teil aus Aminen und Aminosäuregemischen bestehen dürften, in den Versuchen am Warmblüterspermatozoon als Nährlösungen und bedingen dadurch eine erhöhte Beweglichkeit und eine geringe Verlängerung der Lebens- dauer, und dieser unspezifische Effekt verhindert, daß die Wirkung der spezifischen Inkretstoffe stärker , hervortritt. Hierüber werden erst weitere Versuche, in denen die Einwirkung organischer Stoffe auf die Beweglichkeit der Spermatozoen geprüft werden soll, Aufschluß geben. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Spermatozoen. DAT IV. Ergänzungen und Berichtigungen zur Literatur. Im folgenden seien noch kurz die Resultate zahlreicher Versuche an- geführt, die zur Berichtigungeiniger Angaben in.der Literatur dienen sollen. An den Spermatozoen des Frosches wurden Versuche mit NaCl- Lösungen von 0,05—0,6%, ausgeführt. Die Versuche ergaben, daß NaCl, insbesondere die in der Literatur häufig als indifferent für Frosch- spermatozoen bezeichnete 0,3proz. NaCl-Lösung lähmend wirkt. Die Wirkung, die in einer Herabsetzung der Beweglichkeit schon bei einer 0,05proz. NaCl-Lösung gegenüber der in Brunnenwasser befindlichen Kontrollflüssigkeit deutlich erkennbar ist, nimmt mit steigendem NaCl-Gehalt zu. So waren in einem Versuch die Spermatozoen von Rana temp. in NaCl 0,6%, nach 1 Stunde, in NaCl 0,3% nach 6 Stunden, in Brunnenwasser dagegen erst nach 12 Stunden unbeweglich. Relativ unempfindlich erwiesen sich in einem Versuche die Spermatozoen von Rana arvalis, da in 0,45proz. NaCl-Lösung eine Lebensdauer von 24 Stunden beobachtet wurde. Aber auch in diesem Versuche war die Lebensdauer der Spermatozoen in Brunnenwasser beträchtlich länger (33 Stunden). Daß aber eine spezifische Giftwirkung vorliegt und nicht etwa der gegenüber dem Brunnenwasser erhöhte osmotische Druck für die geringere Lebensdauer verantwortlich zu machen ist, zeigt ein Versuch, in dem durch eine 0,45proz. MgCl,-Lösung sogar eine be- deutend längere Lebensdauer (52 Stunden) erzielt wird und diese Lösung doch einer 0,55proz. NaCl-Lösung isotonisch ist. Auch in den Versuchen an Warmblüterspermatozoen ist die giftige Wirkung der NaCl-Lösung evident. Die Lebensdauer der Spermatozoen in. Kochsalzlösungen ist viel geringer als in Ringerscher Flüssigkeit. Daß die Überlegenheit der Ringerschen Flüssigkeit nur auf ihren Gehalt an NaHCO, beruht, wurde schon dargelegt. Weitere Versuche ergaben, daß auch für Seeigelspermatozoen eine reine, dem Meerwasser isotonische NaCl-Lösung giftig ist. Welches der Salze des Meerwassers entgiftend wirkt, wird Gegenstand weiterer Versuche sein. Ferner bedarf die Behauptung Engelmannst), daß es für die Flimmerbewegung und dementsprechend auch für die Spermatozoen- bewegung keine spezifischen Gifte gäbe, nicht unwidersprochen bleiben. Denn wir konnten in häufigen Versuchen immer wieder finden, daß Atropin. sulf. noch in einer Verdünnung von 1 : 10 000 lähmend wirkt — die Beweglichkeit der Spermatozoen dauerte ir solchen Lösungen nie länger als 3—4 Stunden —, und auch in Atropinlösungen 1 : 100 000 war eine Herabsetzung der Beweglichkeit von Froschspermatozoen (Rana temporaria) unverkennbar. Demgegenüber bewirkte Pilocarpin !) Hermanns Handbuch der Physiologie, Bd. I, S. 403, und Engelmann, Die Flimmerbewegung. Berlin. 1868. Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 185. 19 278 BLEUR E. Gellhom: in 0,1 proz. Lösung eine Verstärkung der Beweglichkeit, die Lebensdauer blieb aber unbeeinflußt. Pilocarpin in 0,01 proz. Lösung verhielt sich indifferent. An den Spermatozoen des Frosches wurden auch einige Farbstoffe (Methylenblau, Trypanblau und Neutralrot) untersucht mit dem Fr- gebnis, daß Methylenblau und Neutralrot lähmend wirken (letzteres sogar noch in einer Verdünnung von 1 : 1 000 000), während dem Trypan- blau eine erregende Wirkung zukommt. In einer Konzentration -von 1:2000 bis 1 ::100000 ist die Bewegung der Froschspermatozoen (Rana temporaria) lebhafter als in der Kontrollflüssigkeit, und in einigen Versuchen wurde auch eine Verlängerung der Lebensdauer beobachtet. Ferner kommt dem Kupfersulfat eine lähmende Wirkung auf die Spermatozoen des Frosches noch in einer Verdünnung von 1 : 100 000 bis 1 :1000 000 zu. Hinsichtlich des Verhaltens der Spermatozoen gegenüber Säuren und Laugen bestehen zwischen den See- und Süßwassertieren bedeutende Unterschiede. In Bestätigung der erregenden Wirkung von Säure auf die Bewegung der Froschspermatozoen (vgl. Engelmann |. ce.) konnten wir feststellen, daß nicht nur die Beweglichkeit der Spermatozoen in Brunnenwasser, dem H,SO, in einer Konzentration von "/;ooo oder "0000 zugesetzt ist, lebhafter ist als in reinem Brunnenwasser, sondern daß auch die Lebensdauer gegenüber der Kontrollflüssigkeit bedeu- tend verlängert ist. Dagegen zeigt sich NaOH (?/,ooon und ?/;oo0o) als ziemlich indifferent. In einem Teil der Versuche wurde an den Spermato- zoen von Rana esculenta aber ebenfalls eine Verlängerung der Lebens- dauer gegenüber der Kontrolle festgestellt. An den Spermatozoen des Seeigels konnte, wie an den Meerschweinchenspermatozoen, Erhöhung der Beweglichkeit und Verlängerung der Lebensdauer durch "/,ooo- NaOH erreicht werden, während ?/,ooo-HCl lähmend wirkt und "/,oooo- HCl auf die Seeigelspermatozoen ohne Einfluß blieb. Genauere Untersuchungen über die Bedeutung der Wasserstoffionenkonzentration auf die Lebens- dauer der Spermatozoen seien einer weiteren Mitteilung vorbehalten. Endlich sei noch erwähnt, daß unsere Versuche mit den Ergebnissen Galeottis!) in Widerspruch stehen. Dieser Autor gibt nämlich an, daß die Spermatozoen von Tieren mit innerer Befruchtung gegen Veränderungen des osmotischen Druckes weniger widerstandsfähig seien als solche von Tieren mit äußerer Befruchtung, und Galeotti sieht in diesem Verhalten die Wirkung einer Anpassung des Spermato- zoenprotoplasmas. Unsere Versuche ergaben aber, daß die Lebensdauer der Meerschweinchenspermatozoen in 0,9—0,3 proz. NaCl-Lösung nicht verschieden ist. Andererseits zeigten aber Versuche an Seeigelsperma- !) Zitiert nach Godlewski in Wintersteins Handbuch der vergleichenden Physiologie. Jena 1910—1914. Bd. III. 2. Hälfte. S. 585. Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Spermatozoen. 2379 tozoen, daß eine stärkere Verdünnung des Seewassers als bis auf 50% des normalen Salzgehaltes lähmend wirkt. In den geschilderten Versuchen wurde gezeigt, daß von einer ganzen Reihe von Substanzen die Beweglichkeit der Spermatozoen erhöht und ihre Lebensdauer, als deren Kriterium die Beweglichkeit angesehen wurde — von Versuchen, bereits unbewegliche Spermatozoen durch bestimmte Substanzen wieder beweglich zu machen, wurde abgesehen!) — verlängert wurde. Berücksichtigt man nun, daß optimale Wirkungen für Warmblüter und Echinusspermatozoen z. B. bei einer pr = 11 gefunden wurden, während wir sonst aus zahlreichen Untersuchungen wissen, daß das Optimum der Lebenserscheinungen an eine annähernd neutrale Reaktion gebunden ist und diese Reaktion von den Körper- flüssigkeiten sogar mit großer Zähigkeit festgehalten wird — es sei nur an die Ergebnisse der Messung der Wasserstoffionenkonzentration bei der Säurevergiftung erinnert —, so liegt der Gedanke nahe, daß die gesteigerte Beweglichkeit und Verlängerung der Lebensdauer nicht sichere Anhaltspunkte für die physiologische Integrität der Sperma- tozoen liefern. Denn es ist sehr wohl denkbar, daß die bei Zusatz von %/ooo- NaOH in lebhaftester Bewegung befindlichen Spermatozoen nicht mehr imstande sind, normale Eier zu befruchten und zu einer normalen Entwicklung zu bringen. Unsere bisherigen Versuche sind an Zahl noch zu klein, um diese Frage entscheiden zu können. Sie bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten. Ergebnisse. 1. Magnesiumchlorid erhöht die Beweglichkeit und verlängert die Lebensdauer der Spermatozoen; Bariumchlorid wirkt im entgegen- gesetzten Sinne. 2. Caleiumchlorid, Kaliumchlorid und Strontiumchlorid fördern Beweglichkeit und Lebensdauer von Seeigelspermatozoen. Auf die Spermatozoen des Frosches wirkt nur Caleiumchlorid erregend, Kalium- chlorid und Strontiumchlorid dagegen lähmend ein. Die 3 genannten Salze wirken auf die Warmblüter- (Meerschweinchen-) Spermatozoen lähmend. 1) Vgl. hierüber die Versuche von Kölliker, Zeitschr. f. wiss. Zool. %, 201 ff. 1856, und Engelmann, die zahlreiche Versuche über die Wiederbelebung bereits unbeweglicher Spermatozoen ausführten. Kölliker hat bereits eine große An- zahl von Salzen und organischen Stoffen in ihrem Einfluß auf die Beweglichkeit der Spermatozoen geprüft. Er verwendete aber so stark konzentrierte Lösungen (1—10% und darüber) und seine Beobachtungszeit erstreckte sich nicht bis zum Aufhören der Beweglichkeit, sondern meistens nur über wenige Minuten, daß aus seinen Versuchen keine Schlüsse über den Einfluß der Salze auf die Lebens- dauer, insbesondere innerhalb der physiologischen Salzkonzentratienen, gezogen werden können. 192 280 FE. Gellhorn: Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Spermatozoen. 3. Die Sonderstellung der Seeigelspermatozoen hinsichtlich der Einwirkung der sub 2 genannten Neutralsalze wird durch Anpassung an die Salze des Meeres erklärt, die sich nicht nur auf diese selbst, sondern auch auf das dem Calciumchlorid chemisch und physiologisch ver- wandte Strontiumchlorid bezieht. 4. Die Überlegenheit der Ringerschen Flüssigkeit gegenüber einer ihr isotonischen Kochsalzlösung für die Meerschweinchenspermatozoen beruht lediglich auf ihrem Gehalt an Natriumbicarbonat. Die Wirkung der Carbonationen ist spezifisch, da bei Zusatz von Natronlauge ein Optimum hinsichtlich Lebensdauer und Beweglichkeit der Warmblüter- spermatozoen erst bei viel stärkerer Alkalität (?g = 11) gefunden wird. 5. Die eiweißfreien Optone, die durch Autolyse und fermentativen Abbau aus Testis und Ovar gewonnen sind, zeigen im Gegensatz zu den Optonen aus Thyreoidea, Thymus und Hypophyse eine Erhöhung der Beweglichkeit und Verlängerung der Lebensdauer von Spermatozoen des Frosches und Seeigels. An den Spermatozoen des Meerschweinchens tritt keine spezifische Wirkung der aus den Generationsorganen her- gestellten Optone hervor. 6. Reine isotonische Kochsalzlösung ist für die Warmblüter-, See- igel- und Froschspermatozoen giftig. Gegenüber Veränderungen des osmotischen Druckes besteht kein Unterschied der Widerstandsfähig- keit zwischen Tieren mit innerer und solchen mit äußerer Befruchtung. 7. Laugen fördern die Beweglichkeit und Lebensdauer der Warm- blüter- und Seeigelspermatozoen. Säuren und in einem Teil der Ver- suche auch Laugen wirken im gleichen Sinn auf die Spermatozoen des Frosches. 8. Atropin, Methylenblau, Neutralrot wirken am Froschspermato- zoon lähmend, Pilocarpin, Trypanblau erregend. Die Versuche an Echinus miliaris werden in der Zoologischen Station in Helgoland ausgeführt. Herın Dr. Hagmeier bin ich für sein Inter- esse zu besonderem Danke verpflichtet. Bei einem Teil der Versuche hatte ich mich der Mitarbeit meines leider verstorbenen Kollegen Dr. Wiihelm Brammertz zu eıfreuen. Die Bedeutung des Ultraviolett für die Liehtreaktionen bei Gliederfüßern. Von (. von Hess, München. (Eingegangen am 5. Oktober 1920.) Inhalt. I. Das Verhalten von Polyphemus gegenüber farblosen Strahlgemischen (S. 282). II. Das Verhalten von Polyphemus gegenüber farbigen Strahlgemischen (S. 291). III. Der Liehtsinn der Ameisen ($. 295). IV. Wirkung des Ultraviolett auf das Bienenauge (S. 301). V. Wirkung des Ultraviolett auf Chironomuslarven (8. 304). VI. Einige Folgerungen für die Frage nach einem Farbensinne bei Arthro- poden (S. 307). Mit Versuchen über die Lichtwirkung von Strahlen verschiedener Wellenlänge auf Raupen und Krebse!) konnte ich zum ersten Male durch Messung eine Vorstellung von der Größe der Wirkung ultra- violetter Strahlen bei diesen Arthropoden erhalten und fand, daß so- . gar solche von etwa 313 wu, die von einer gewöhnlichen Glasplatte zurückgehalten werden, auf deren Lichtreaktionen noch von Einfluß sind; letzterer ist also wesentlich größer als bisher allgemein an- genommen wurde. Von vielen neuen Fragen, vor die wir uns da- durch gestellt sehen, erörtere ich einige im folgenden an der Hand systematischer Versuche bei Bienen, Ameisen, Krebsen und Larven der Zuckmücke (Chironomus). Die Beobachtungen an Krebsen sind zum Teile an Daphnien, vorwiegend aber an Polyphemus pediculus angestellt, einer kleinen, merkwürdigerweise bisher nie auf ihre Licht- reaktionen untersuchten, zu den Cladoceren gehörenden Krebsart, die sich für meine Zwecke durch ihr großes Auge mit mächtigen Krystall- kegeln, wie durch die Lebhaftigkeit ihrer eigenartigen Reaktionen besonders eignete.e Von dem reichen Beobachtungsmaterial, das ich im Laufe der Jahre sammelte, wird hier nur mitgeteilt, was im Augen- blicke für schwebende Fragen nach dem Lichtsinne der Arthropoden von besonderem Interesse scheint. !) Vgl. Arch. f. d. ges. Physiol. 194. 1919; 14%. 1920. Ferner: Über die Grenzen der Sichtbarkeit des Spektrums in der Tierreihe, in: Die Naturwissenschaften, März 1920. 282 C. v. Hess: I. Das Verhalten von Polyphemus gegenüber farblosen Strahlgemischen. Aus einem Teich am Starnberger See fing ich vom Frühjahr bis Herbst Polyphemus in großen Mengen mit einem nahe der Oberfläche bewegten Netze; in der Regel enthielt dieses außer den Polyphemus noch Daphnien. Fülle ich eine große Porzellanschüssel bis zum Rande. mit dem die Tiere enthaltenden Wasser, so sind stets schon nach 1 bis 2 Minuten beide völlig voneinander getrennt: Die Daphnien schwim- men vorwiegend in den tieferen Wasserschichten mit ihrer Körper- ' achse gegen die Sonne gerichtet in kleinen Stößen ein wenig aufwärts und sinken dann wieder herunter, so daß sie bei konstant bleibender Belichtung im großen und ganzen fast immer an der gleichen Behälter- stelle bleiben. Die Polyphemus dagegen sammeln sich sofort näher der Oberfläche und eilen stets in der Richtung einer Sehne des vom Wasser- rande gebildeten Kreises senkrecht zur Richtung der Achse der Daph- nien hin und her, und zwar so, daß sie jedesmal etwa 2—6 cm weit in gerader Linie vorwärtsschwimmen, dann rasch erstaunlich gewandt den Körper um 180° um ihre senkrechte Achse werfen und nun in der entgegengesetzten Richtung schwimmen; so geht es ununterbrochen von früh bis spät, nur die Richtung der Sehne ändert sich mit dem Gange der Sonne so, daß die Tiere jedesmal auf der der Sonne zuge- kehrten Behälterseite angenähert senkrecht zur Richtung der einfallen- den Sonnenstrahlen hin und herschwimmen. Beschattet man den Behälterteil, in dem die Tiere schwimmen, mit der dicht darüber ge- haltenen Hand, so eilen sie sofort lebhaft nach den nicht beschatteten Teilen. Mit einbrechender Abenddämmerung gehen sie allmählich auf den Boden des Behälters; wenn man nach 2-3 stündiger Dunkelheit eine Taschenlampe an dessen Rand hält, sieht man zu- nächst alle Krebse nahe der Mitte des Bodens liegen. Fast augenblick- lich beginnen kleine Muschelkrebse, die bisweilen neben den anderen Arten vorhanden sind, sich aus dem Gemenge von Tieren zu lösen und eilen am schrägen Schüsselrande hinauf zum Lichte. Bald darauf beginnen die Daphnien in großen Mengen nach dem Licht zu schwimmen, wäh- rend die Polyphemus zunächst noch eine kleine Weile fast bewegungs- los am Boden bleiben und erst später zum Lichte zu schwimmen be- ginnen. Wird nun eine Glühbirne an den Schüsselrand gehalten, so sind nach etwa 5 Minuten die Polyphemus ebenso stark wie die Daph- nien auf das Licht zugegangen und folgen bei Bewegen der Lampe dieser ebenso lebhaft wie jene. Bringe ich die Schüssel 5 Minuten in ein dunkles Zimmer und halte nun eine helle Lampe an den Rand, so fahren Daphnien wie Polyphemus zunächst einige Sekunden lang mit äußerster Schnelligkeit in kleinen senkrechten und schrägen Kreis- bahnen nach allen Richtungen herum und zeigen also selbst nach so Die Bedeutung des Ultraviolett für die Lichtreaktionen bei Gliederfüßern. 283 kurzer Dunkeladaptation in den ersten Sekunden der Belichtung noch: keine Neigung zum Lichte. Erst nach etwa 1—3 Minuten schwimmen wieder zuerst die Muschelkrebse, danach die Polyphemus und erst merklich später die Daphnien zum Lichte. Belichtet man die Tiere in ähnlicher Weise nach längerer Dunkel- adaptation, z. B. im Laufe der Nacht (aber auch bei Tag nach längerem vollständigen Verdunkeln), so zeigen die Daphnien regelmäßig jenes tolle Umherjagen, während die Polyphemus häufig zu Beginn der Belichtung wie tot am Boden liegen; erst nach 1—3 Minuten zeigen sie, und zwar immer zuerst die kleinsten (jüngsten) Tiere!), zitternde Bewegungen, nach 4—8 Minuten fangen auch die größeren an, sich zu bewegen, oft sieht man jetzt nur die kleinsten zum Lichte, die mitt- leren und größeren dagegen vom Lichte gehen. Werden Polyphemus, die über Nacht im Dunkeln gestanden hatten, früh ans offene Fenster gebracht, so gehen sie hier zunächst stark vom Hellen zum Zimmer, nach etwa 10 Minuten, während deren ich sie an der gleichen Stelle stehen lasse, schwimmen sie zum Hellen; auch hier sieht man oft die _ kleinen Polyphemus, ebenso auch die im gleichen Behälter befind- lichen Daphnien, früher zum Lichte gehen als die großen. Die meisten der im folgenden geschilderten Versuche stellte ich in einem Zimmer mit hellen Wänden an, das durch eine große, nach Süden gerichtete Türe mit einem offenen Balkon verbunden war; mußte doch, nachdem ich den Einfluß gewöhnlichen Fensterglases auf die Art der Bewegungen unserer Krebse festgestellt hatte, ein großer Teil meiner Versuche unter freiem Himmel angestellt werden. Den Einfluß eines Wechsels der Stärke der Belichtung ohne hier in Betracht kommende Änderung der Zusammensetzung des Lichtes prüfte ich vielfach so, daß ich die Behälter mit den Tieren vom Balkon mehr oder weniger weit ins Zimmer brachte oder umge- kehrt. Dabei zeigte sich oft, daß schon Änderungen des Abstandes vom Fenster um 1m genügen können, um die Verteilung der Tiere in ihren Glasbehältern wesentlich zu ändern bzw. umzukehren: In einem Behälter mit Polyphemus, der z.B. im Grunde des Zimmers steht, ist die Mehrzahl der Tiere auf der Fensterseite angesammelt; wird er näher zum Fenster gebracht, so gehen sie sofort von der Fensterseite weg nach der Zimmerseite; in den Grund des Zimmers zurückgebracht; sind bald wieder die meisten auf der hellen Behälterseite. Umgekehrt 1) Diese kleinsten Tiere sind zumeist solche, die erst im Behälter zur Welt gekommen, also erst: 1/,;,—1, höchstens 2 Tage alt sind; ich habe immer wieder gefunden, daß solche vielfach zum Lichte gehen unter Bedingungen, wo die gleich adaptierten größeren vom Lichte schwimmen; bei diesen jungen Tieren sind die Zwischenräume zwischen den Krystallkegeln hellgrün gefärbt, bei den älteren gelb bis braun, das ganze Auge erscheint daher im auffallenden Lichte bei von erwachsenen Tieren gelbbraun, bei den jungen leuchtend hellgrün. 284 ©. v. Hess: gehen Polyphemus, die vorher auf dem Balkon 'gestanden hatten, im Zimmer in der Nähe des Fensters, da, wo jene ersten sich auf der dunklen Seite gesammelt hatten, stark nach der hellen und bleiben dort längere Zeit. Tiere, die eine Stunde im Dunklen gehalten worden waren, liegen, rasch in die Nähe des Fensters gebracht, zunächst wie scheintot am Boden, nach 2—3 Minuten fangen sie an, sich zu bewegen und schwimmen stark von der Fensterseite weg. Auch hier zeigen die alten und die jungen oft verschiedenes Verhalten. Nachdem der Be- hälter eine Viertelstunde in der Nähe des Fensters gestanden hatte, . sind fast alle großen auf der Zimmerseite angesammelt, während sich auf der Fensterseite viele kleinste und einige wenige mittelgroße finden: auf der Zimmerseite ist kein einziges kleines Tier zu sehen. Ebenso ist oft das Verhalten der in dem gleichen Behälter unter gleichen Adaptationsbedingungen gehaltenen Polyphemus und Daph- nien zum Lichte so verschieden, daß erstere an dem einen, letztere an dem anderen Ende des (nur 4—5cm langen) Behälters gesammelt sind!). Die Ansammlung der Tiere an einer Seite bei Änderung der Belichtung ist unmittelbar nach einer solchen besonders ausgesprochen. Vielfach erfolgt weiterhin mehr gleichmäßige Verteilung der Tiere, oft aber bleibt die Ansammlung stunden-, ja tagelang fast unverändert. Das Verhalten der Polyphemus gegenüber den ultravioletten Strahlen des Tageslichtes untersuchte ich im Freien unter ande- rem in folgender Weise. Um den größeren Teil der ultravioletten Strahlen auszuschalten, benützte ich 3mm dicke Platten des Schott- schen Schwerstflintglases 0198, (im folgenden kurz mit Sfl. bezeichnet) das in der angegebenen Dicke fast nur Strahlen von mehr als 400 u u Wellenlänge, diese aber nahezu vollständig durchläßt?); es erscheint unserem Äuge fast farblos, nur ganz schwach gelb gefärbt. Nachdem ich gefunden hatte, daß auch die kurzwelligsten ultravioletten Strahlen des Tageslichtes auf unsere Krebse noch beträchtliche Wirkung haben, untersuchte ich den Einfluß des Zwischenschaltens gewöhnlichen Fensterglases, das in Scheiben von 1-3 mm Dicke im allgemeinen Strahlen bis zu etwa 313 «u durchläßt. Ich benutzte hier vorwiegend das direkt von oben auf die Wasserfläche fallende Tageslicht. Um auch die Wirkung seitlich einfallender ultravioletter Strahlen verfolgen zu können, ließ ich Glasbehälter herstellen, bei welchen eine Wand aus dem Schottschen Uviolkronglas 3199 hergestellt war, dessen Durchlässig- !) So waren z. B. Polyphemus und Daphnien, die ich unmittelbar vor Ver- suchsbeginn auf dem Balkon gehalten hatte, im Glasbehälter im Grunde des Zimmers beide auf der Lichtseite gesammelt; in der Nähe des Fensters gingen die Daphnien stark vom Lichte weg, während die Polyphemus noch auf der Lichtseite blieben usw. 2) Genauere Angaben über die Durchlässigkeitsfaktoren der verschiedenen von mir benutzten Glasarten sind in meinen früheren Arkeiten zu finden. Die Bedeutung des Ultraviolett für die Lichtreaktionen bei Gliederfüßern. 285 keit für Strahlen von 309 bzw. 280 uu noch = 0,95 bzw. 0,56 ist. Durch besondere Versuche überzeugte ich mich, daß die von diesen Glase zurückgehaltenen Strahlen keine nachweisliche Wirkung mehr auf die Schwimmbewegungen unserer Tiere haben. Halte ich eine reine, durchsichtige Platte gewöhnlichen Fenster- glases über eine flache Porzellanschüssel mit Polyphemus, so eilen die Tiere, die bis dahin in der oben geschilderten Weise in einer bestimmten Wasserschicht hin- und hergeschwommen waren, augenblicklich gerad- linig nach oben, etwas näher zur Wasseroberfläche, und schwimmen dann hier hin und her. Stand die Schüssel im Zimmer in der Nähe des offenen Fensters, so gehen die Tiere, die schon vor Überdecken der Glasplatte vorwiegend auf der dem Fenster zugekehrten Behälter- seite schwammen, noch näher zum Fenster hin. Dieses Heranschwim- men zum Fenster wird noch lebhafter, wenn man zwei Glasscheiben statt einer vorschiebt. Sobald diese weggezogen werden, machen die Tiere kehrt und schwimmen rasch eine Strecke weit vom Fenster weg und nach unten. Die im gleichen Behälter befindlichen Daphnien reagieren bei diesen Versuchen ähnlich, aber meist schwächer. Da- gegen ist bei folgenden Versuchen eine Wirkung des . Fensterglases auf die Bewegungen der Daphnien deutlicher: Ein rechteckiger flacher Behälter mit nur etwa l cm hohem Rande wird mit Polyphemus und Daphnien gefüllt, die Tiere stehen nahe der offenen Balkontüre. Nun wird eine große Scheibe aus Fensterglas so zwischen den Behälter und die offene Türe gehalten, daß vom Fenster her nur das durch die Glas- scheibe gegangene Licht zu den Tieren gelangen kann; nach etwa 5 Minuten sind beide Krebsarten angenähert gleichmäßig im Behälter verteilt oder zeigen leichte Ansammlung auf der Lichtseite. Wegziehen der Glasscheibe hat rasches Fortschwimmen und Ansammlung in der dunklen Behälterhälfte zur Folge. Wird die Glasscheibe wieder vor- gehalten, so gehen die Polyphemus sofort, die Daphnien nach einigen Sekunden zum Lichte, letztere aber so viel weniger lebhaft als die Poly- phemus, daß bald eine völlige Trennung zwischen den stärker zum Lichte gegangenen Polyphemus und den zum Teile — zuweilen voll- ständig — noch in der anderen Behälterecke gebliebenen Daphnien zustande gekommen ist. Nach Wegziehen der Glasplatte gehen wieder alle Tiere vom Lichte weg und sammeln sich in der dunkleren Hälfte. Bei einem anderen Versuche waren Polyphemus und Daphnien im Uviolkronglasbehälter alle auf der Fensterseite angesammelt; hielt ich hier eine halbe Minute ein 3mm dickes Fensterglas vor und zog es dann weg, so eilten die Polyphemus jetzt rasch bis ans andere Ende des Behälters vom Lichte weg, die Daphnien aber schwammen nur einige Millimeter weit weg, kehrten dann um und gingen wieder zum Lichte. “ 286 C. v. Hess: Bringe ich über eine große flache Schale mit Polyphemus eine Fensterglasplatte so, daß sie sich dicht über der Wasserfläche befindet, und lege über die Glasplatte ein kleines quadratisches Stück Sfl.-Glas von 4 cm Seitenlänge, so sammeln sich bald ziemlich große Mengen von Polyphemus unter dem Sfl.-Glase: wird dieses verschoben, so gehen die Polyphemus mit und man kann daher so eine beträchtliche Ansamm- lung von Tieren unter der Sfl.-Platte herbeiführen. Zu Versuchen mit seitlich einfallendem Lichte benutzte ich vielfach den oben erwähnten Behälter mit Uviolkronglaswand und ließ Tageslicht durch einen schräg gestellten Spiegel aus dem gleichen Uviolkronglase einfallen: wiederum schwammen die Tiere jetzt vom Lichte weg, nach Zwischenschalten eines gewöhn- lichen Fensterglases aber sofort auf das Licht zu. Alle diese Versuche gelingen mit relativ helladaptierten Tieren besonders gut, während nach längerem Dunkel: aufenthalte die Polyphemus oft weniger oder gar nicht auf Zwischenschalten der Glasplatte reagieren. Die Versuche mit Fensterglas hatten vorwiegend den Zweck, nach- zuweisen, daß kurzwellige Strahlen bis zur Gegend von 313 uu noch merklich auf.das Auge unserer Krebse wirken. Wesentlich ausgesproche- nere Wirkung haben etwas längerwellige ultraviolette Strahlen bis zu etwa 400 uu. Diese lassen sich durch Vorschalten eines Sfl.-Glases ziemlich vollständig ausschalten, so daß uns in letzterem ein besonders wertvolles Hilfsmittel zur Verfügung steht, die Wirkung der fraglichen Strahlen auf die Augen unserer Krebse ohne hier in Betracht kommende Änderung der Stärke und Zusammensetzung der sichtbaren Strahlen des Spektrums zu untersuchen. Ich schildere wiederum zunächst nur das Verhalten unserer Tiere gegenüber ultraviolettreichem bzw. -armem Tageslichte. Wenn man bei einem Glasbehälter, in dem die Tiere angenähert gleichmäßig verteilt sind, durch Vorhalten von Sfl. das Ultraviolett des Tageslichtes aus- schaltet, so eilen die Polyphemus stark nach der Seite des einfallenden Lichtes. Hat man das Sfl. nur !/,—!/, Minute vorgehalten, so schwimmen sie nach Weg- ziehen des Sfl. lebhaft vom Lichte weg. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie lange etwa diese Umkehr des Verhaltens zum Lichte lediglich durch Adaptation' an jene ultravioletten Strahlen dauert, stellte ich Versuche in der folgenden Weise an. Zwei gleiche Glasbehälter mit frisch gefangenen Tieren werden auf weißer Unterlage auf den Balkon an die Sonne gestellt. Der eine davon (im folgenden mit II bezeichnet) wird allseitig mit Sfl. umgeben, die Tiere in I sind also von ultra- violettreichem, die in II von ultraviolettarmem, für uns nicht merklich anders aussehendem Tageslichte bestrahlt. Nach !/, Stunde zeigen die Tiere in beiden Behältern angenähert gleiche Ansammlung auf der Sonnenseite. Nun werden die Sfl.-Platten um den Behälter II rasch weggenommen. Die Tiere in diesem eilen sofort rasch von der Sonne weg und sammeln sich an der entgegengesetzten Ecke des Behälters zu einem dichten Haufen. Selbst nach 15 Minuten zeigen sie noch das gleiche Verhalten. Nach 20—25 Minuten fangen sie an, sich mehr gleich- mäßig im Behälter zu verteilen. 40 Minuten nach Entfernen der Sfl.-Platten von II bringe ich beide Behälter vom Balkon ins Zimmer in die Nähe der Türe; die Tiere in I gehen stark nach der Lichtseite, die in II bleiben vorwiegend auf der entgegengesetzten. Polyphemus und Daphnien zeigen auch hier oft ver- Die Bedeutung des Ultraviolett für die Lichtreaktionen bei Gliederfüßern. 287 schiedenes Verhalten, insofern bei Vorschalten von Sfl. zwar beide zum Lichte gehen, wenn ersteres nach 1—2 Minuten weggezogen wird, nur die Polyphemus vom Lichte wegschwimmen, die Daphnien aber vielfach weiter auf der Lichtseite bleiben. Polyphemus, die wenige Minuten im Dunkeln gehalten waren, gehen, an die Sonne gebracht, im allgemeinen vom Lichte weg, auch wenn die meisten ultravioletten Strahlen durch Sfl. ausgeschaltet wer- den. Zieht man das Sfl. weg, so drängen sie sich noch mehr auf der vom Lichte abgekehrten Seite zusammen. Schon das Vorüberziehen einer Wolke vor der Sonne genügt aber oft, um lebhaftes Schwimmen zum Lichte hervorzurufen. Lange dunkeladaptiert gewesene Tiere gehen auch im Zimmer vom Lichte weg, selbst wenn der ganze Behälter mit Sfl. überdeckt ist. Zieht man letzteres rasch weg, so werden die Tiere auffallend unruhig, gehen nach unten und schwimmen oft wie rasend in den oben geschilderten kleinen Kreisbahnen umher; nach Überdecken des Sfl. werden sie sofort wieder ruhiger, schwimmen aber zunächst nicht . auf das Licht zu, wie es helladaptiert gewesene zu tun pflegen. Schon nach Helladaptation von 2 Minuten schwimmen die Polyphemus bei Vorhalten des Sfl. stürmisch zum Lichte, gleich lange helladaptierte Daphnien aber nur langsam und in geringer Zahl. Das Vorhalten von Fensterglas ist in diesem Stadium noch so gut wie unwirksam. Von weiteren interessanten Versuchsreihen seien die folgenden angeführt. Eine flache Schüssel mit Polyphemus wird auf dem nach Süden gehenden Balkon aufgestellt, das Wasser mit einem in der Richtung des Uhrzeigers bewegten Stabe in mäßige kreisende Bewegung gebracht; es dauert etwa 2—3 Minuten, bis letztere aufhört, aber schon in den ersten Sekunden, nachdem ich den Stab aus dem Wasser gezogen habe, schwimmen alle Polyphemus parallel zueinander, den Kopf nach Süden gerichtet, auf jener Seite des Behälters, in der sie dem Strom entgegen nach Süden kommen. Kreist das Wasser in der Richtung des Uhrzeigers, so schwimmen alle Polyphemus bald auf der Westseite des Behälters vorwärts, wenn das Wasser in entgegengesetzter Richtung kreist, sind bald alle in der Ost- hälfte und schwimmen hier dem Strom entgegen; zunächst ist dieser noch so stark, daß die Tiere von ihm zurückgerissen werden; nach !/,—1 Minuten aber schwimmen sie angenähert ebensoviel vorwärts, als sie vom Wasser zurückgetrieben werden, so.daß sie eine Zeitlang auf einer Stelle bleiben; noch etwas später kommen sie langsam vorwärts. Schiebe ich nun von Süden her eine Glasplatte von unten über den Behälter, ohne mit der Hand Schatten zu machen, so werden die Schwimm- bewegungen augenblicklich viel lebhafter, so daß die Tiere jetzt rascher vorwärts kommen. Sobald ich die Glasplatte zurückziehe, werden die Schwimmbewegungen träger und die Tiere werden wieder zurückgeworfen. Nach 1—2 Minuten sind sie wieder alle am Südrande der Schüssel gesammelt und schwimmen an der gewohnten Stelle, so lange das Wasser in Bewegung ist, diesem entgegen, sobald es zur Ruhe gekommen ist, in der oben geschilderten Weise hin und her. (Bei anderen Krebs- arten war ein Schwimmen gegen den Strom wohl auch andeutungsweise zu sehen, aber nicht entfernt so schön, wie bei den Polyphemus.) Die folgenden Versuche geben eine Vorstellung davon, wie ver- wickelt die Dinge sich gestalten können, so daß ohne genaue 288 : .@: 'v.@Hless: Kenntnis jener Wirkungen kurzwelligen Lichtes die N kaum möglich wäre. Bei Vorhalten eines schwarzen Kartons vor die Fensterseite eines Behälters mit Polyphemus fliehen diese rasch zimmerwärts. Wenn ich in gleicher Weise einen Bogen dünnen ‚weißen‘, im durchfallenden Lichte schwach gelblichen Schreibpapieres oder Pauspapieres vor die Fensterseite halte, eilen die Poly- phemus äußerst lebhaft zum Fenster, noch lebhafter, als sie es bei Vorhalten von Glas oder Schwerstflint taten! Sobald ich das Papier wegziehe, sinken sie stark nach unten und eilen weg. (Daphnien zeigen ähnliches Verhalten, nur weniger ausgesprochen.) Bıinge ich nun die Schüssel vom Zimmer auf den. Balkon ins Helle (nicht an die Sonne), so gehen sofort alle Polyphemus und Daphnien auf den Grund der Schüssel und werden in dem hier angesammelten Detritus fast ganz unsichtbar; ins Zimmer zurückgebracht, eilen die Polyphemus sofort wieder dicht unter die Wasseroberfläche an der Fensterseite; nach längerem Stehen im Zimmer bleiben sie zwar an der Fensterseite, aber nicht nur an der Ober- fläche, sondern auch in den tiefer gelegenen Wasserschichten. Auch im Freien hat Vorhalten eines oder zweier Bogen dünnen Schreibpapiers im Süden oder Westen lebhaftes Heraneilen der Polyphemus, und auch, wenngleich weniger lebhaft, der Daphnien zur Folge; wird dagegen das Schreibpapier in 3 oder 4 Lagen vorgehalten, so eilen beide davon weg. Halte ich einen Bogen Schreibpapier vor, und sind die Tiere darauf zugeeilt, und ich bıinge nun hinter diesen weißen Bogen einen schwarzen Karton, so eilen die vorher angesammelten Tiere weg, Beweis, daß nicht das von der Vorderfläche zurückgeworfene, in diesem Falle ja unverändert weiter wirkende Licht das Heraneilen der Tiere bedingte, sondern das vom Papier durchgelassene wesentlich mitwikte. Bei Vorhalten von Pauspapier gehen die Tiere gleichfalls, wenn 1 oder 2 Lagen vorgehalten werden, auf das Papier zu, bei 4 Lagen Pauspapier ist weder deutliches Heranschwimmen noch Fliehen der Tiere zu sehen, wenn ich diese Versuche nach- mittags um 4 Uhr anstelle; die gleichen Versuche abends !/,7 (Juni) im diffusen Hell ergeben, daß die Tiere jetzt auf eine Lage Pauspapier heranschwimmen, von 2 Lagen aber schon deutlich wegschwimmen. Photometrische Bestimmung der Lichtdurchlässigkeit dieses Pauspapieres am Lummer-Bredhunschen Photo- meter ergab mir, daß eine Lage davon ungefähr 0,6 des auffallenden (Lampen-) Lichtes durchließ, zwei Lagen etwa 0,36, vier Lagen nur etwa !/,„—!/, dieses Lichtes. Fast noch schöner ed Versuche mit einem 8 x 16cm großen Graukeilt), der alle Übergänge von hellem zu sehr dunklem Grau zeigt. Schiebe ich diesen von unten her über den der Sonne zugekehrten Rand einer Porzellanschüssel mit Polyphemus, so eilen bei Erscheinen des hellsten Grau die Tiere lebhaft auf dieses zu; wird mit allmählichem Vorschieben das Grau dunkler, so wird die Neigung der Tiere, nach dem Keile zu schwimmen, schwächer, hört weiterhin auf, und bei noch weiterem Vorschieben schwimmen die Tiere lebhaft vom Grau weg nach den seitlichen, nicht beschatteten Behälterteilen. In einer dritten Gruppe von Versuchen brachte ich die Tiere in einen kubi- schen Glasbehälter von ca. 5cm Seitenlänge, den ich bis zum Rande mit Wasser füllte. Im hellen Zimmer an einer nicht direkt von der Sonne beschienenen Stelle zeigen die Polyphemus leichte Neigung, nach dem Fenster zu gehen, das nach Westen gerichtet ist. Halte ich auf der Westseite einen quadratischen Bogen Pauspapier von etwa 10cm Seitenlänge vor, so gehen sie lebhafter als vorher nach Westen. Nun lege ich das Pauspapier vorn und seitlich um den Behälter. 1) Siehe S. 291. Die Bedeutung des Ultraviolett für die Lichtreaktionen bei Gliederfüßern. 289 Die Tiere eilen nun noch viel lebhafter als vorher nach der Fensterseite. Klappe ich das seitlich vorgehaltene Papier wieder zurück, so daß es nur vor der West- seite steht, so zeigen sie deutliche Neigung, vom Fenster zurück und zimmerwärts zu gehen. Ziehe ich das Pauspapier nun ganz weg, so eilen die Tiere lebhaft vom Fenster weg. Bringe ich den Behälter so nahe ans Fenster, daß er von der im Westen stehenden Sonne direkt beschienen ist, so eilen die Tiere stark nach der Zimmerseite. Wird dieser kubische Glasbehälter ohne Vorhalten von Pauspapier an die ‚Sonne gebracht, so sammeln sich die Daphnien auf der Fensterseite, die Poly- phemus auf der Zimmerseite; bei Vorhalten eines schwarzen Kartons auf der Fensterseite gehen alle Tiere nach der Zimmerseite; die Polyphemus, die schon vorher vorwiegend dort angesammelt waren, drängen sich noch mehr zimmer- wärts. Ähnliches ist der Fall, wenn man statt schwarzen Kartons ein rotes Glas vor die Fen:terseite hält. Bringe ich abends !/,7 Uhr den kubischen Glasbehälter an die helle Sonne, so gehen, wenn das Pauspapier selbst in vierfacher Lage vorgehalten wird, die Tiere noch deutlich fensterwärts, aber lange nicht so lebhaft, als wie bei Vorhalten nur einer Lage. Bei zwei Lagen gehen sie noch stark zum Fenster; ebenso im diffus Hellen bei Vorhalten von vier Lagen; bei Vorhalten von acht Lagen dagegen eilen sie stark zimmerwärts. Um den Einfluß des Ultraviolett bei gleichzeitiger Wirkung zweier farbloser Liehter von verschiedener Stärke auf unsere Tiere bis zu einem gewissen Grade messend zu verfolgen, kann das auf S. 291 kurz geschilderte Verfahren dienen. Bringe ich die Tiere unter den [}-förmigen Sturz und stelle beiderseits eine mattweiße Fläche auf, so verteilen sie sich angenähert gleichmäßig im Behälter; wird auf einer Seite Sfl. vorgehalten, so schwimmen sie nach dieser. Werden nun beiderseits verschieden hell graue Flächen aufgestellt, so schwimmen die helladaptierten Tiere auch jetzt nach der durch Vorschalten des Sfl. ultraviolettarm gemachten Seite, selbst dann noch, wenn auf einer Seite reines Weiß steht, auf der anderen ein Grau von dem Kreisel- werte 42°, das also nur etwa !/, der Lichtstärke des Weiß hat!). Eine ähnlich große Verschiedenheit der Wirkung farbloser Lichter mit ver- schiedenem Gehalte an Ultraviolett habe ich bisher noch bei Raupen und Bienen (s. u.) feststellen können; diese gehen aber stets nach der relativ ultraviolettreicheren Lichtquelle, auch wenn diese für unser Auge merklich dunkler ist; die Polyphemus dagegen bei den fraglichen Versuchen nach der relativ ultraviolettarmen, wenn auch für uns dunkleren, obschon beide Tierarten bei Ausschluß ultravioletter Strahlen, z.B. in dem für uns sichtbaren Spektrum, stets zum Hellen gehen. Im Hinblick auf vielerörterte biologische Fragen dürften die folgenden Beob- achtungen von Interesse sein. Bıringe ich einige Hundert fiisch gefangene Polyphemus in ein bis zum Rande gefülltes gewöhnliches Trinkglas, so zeigen die Tiere nach einigen Minuten eine bestimmte, von der allgemeinen Belichtung usw. ma 2, 2 1) Zuweilen gelingen solche Versuche auch mit noch dunklerem Grau. 290 C. v. Hess: abhängige Verteilung; in der Regel halten sie sich anfänglich vorwiegend nahe dem Boden auf. Lege ich nun ein Sfl.-Glas, das kaum größer ist, als der Durchmesser des Trinkglases, auf letzteres, so daß also fast nur die gerade von oben kommenden Strahlen ultraviolettärmer gemacht werden, so zeigen die Polyphemus (und auch die im Behälter mitenthaltenen Daphnien) lebhafte Neigung, nach oben zu schwim- men. Lege ich ein Stück schwarzes Papier oder rotes Glas auf das Trinkglas, so gehen die Tiere rasch nach unten — noch rascher bei Überdecken eines Blau- uviolglases —, und sammeln sich in kurzer Zeit fast alle am Boden. Ersetze ich . das rote Glas durch das für Ultraviolett besonders durchlässige dunkelblaue Blauviolglas, so machen sie jedesmal, wie erschreckt, eine rasche, zuckende Bewegung und bleiben am Boden des Behälters. Ersetze ich aber das rote Glas durch Sfl., so steigen insbesondere die Polyphemus äußerst lebhaft und rasch in fast geraden Linien nach oben, ‚‚wie Kohlensäureperlchen‘‘, meinte ein Zuschauer. Ganz ähnlich, nur etwas weniger lebhaft, waren die Erscheinungen auch noch, wenn ich die Tiere in ein 25 cm hohes, zylindrisches Gefäß brachte und in gleicher Weise wie vorher das von oben kommende Ultraviolett mehrte bzw. minderte; solche Versuche gelingen selbst des Abends bei weit vorgeschrittener Dämmerung (z. B. Ende August gegen 8 Uhr abends), wenn schon die Sterne sichtbar sind und ein Lesen nicht mehr möglich ist. Sie zeigen, wie geringe Intensitäten des Ultraviolett von entsprechend adaptierten Arthropoden noch wahrgenommen werden. Die Versuche lassen erkennen, von wie großem Einflusse der Ultra- violettreichtum der von oben kommenden Strahlungen für die Ver- teilung unserer Tiere ist, wenn auch gewiß dieser nicht allein hierfür maßgebend ist, sondern wohl auch Temperaturverhältnisse, Sauer- stoffgehalt des Wassers und anderes mitspielen werden. Der relative Reichtum des zu den oberflächlichen Wasserschichten gelangenden Tageslichtes an Ultraviolett ändert sich mit der Tageszeit und dem Zustande der Atmosphäre innerhalb ziemlich weiter Grenzen, er ist z.B. an trüben Tagen und bei tiefstehender Sonne geringer als bei hohem Sonnenstande und blauem Himmel. Mit zunehmendem Ab- stande von der Wasseroberfläche ändert sich das Verhältnis der ultra- violetten zu den sichtbaren Strahlen, denn jene der kurzwelligen Spek- trumhälfte und wohl auch die langwelligen ultravioletten dringen in größere Tiefen, wo die durchschnittliche Gesamtlichtstärke infolge der starken Absorption eines großen Teiles der längerwelligen Strahlen beträchtlich herabgesetzt ist; schon in verhältnismäßig kleinem Ab- stande von der Oberfläche kommen somit die ultravioletten Strahlen im Verhältnis zur Gesamtmenge der sichtbaren merklich ins Über- gewicht. Es wäre wohl von Interesse, die Probleme der Vertikal- wanderung der Arthropoden aus solchen Gesichtspunkten erneut in Angriff zunehmen. Jedenfalls zeigt schon das Gesagte, daß diese Fragen nicht mehr ohne Rücksicht auf die Rolle des Ultraviolett und die adapta- tiven Änderungen des Sehorgans erörtert werden dürfen, wie dies bis- her üblich war. Die Bedeutung des Ultraviolett für die Lichtreaktionen bei Gliederfüßern. 291 II. Das Verhalten der Polyphemus gegenüber farbigen ultravioletthaltigen Strahlgemischen. Angesichts des großen Einflusses des Ultraviolett auf die Licht- reaktionen unserer Krebse müssen bei Untersuchung der Wirkung sichtbarer Strahlen verschiedener Wellenlänge alle jene kurzwelligen sorgfältig ausgeschaltet sein, es muß also in erster Linie mit spektralen Lichtern gearbeitet werden. Über das Ergebnis solcher Untersuchungen "habe ich früher berichtet und gezeigt, daß in dem für uns sichtbaren Spektrum die Polyphemus sich wie alle anderen bisher untersuchten Wirbellosen verhalten, d.h. die für totale Farbenblindheit charakte- ristischen Reaktionen zeigen. Im folgenden schildere ich Versuche mit farbigen Glaslichtern, die ich in erster Linie wieder im Hinblicke auf die Frage nach dem Einflusse des Ultraviolett anstellte und die insbesondere auch die Frage nach einem Farbensinne der Arthropoden aus neuen Gesichtspunkten zu erörtern gestatten (s. Abschnitt VI). Sehr zweckmäßig finde ich, auch für etwaige Nachprüfung, folgende . einfache Anordnung: Auf ein ebenes Stück Weißblech werden 4 Blech- leisten von 1 cm Höhe so gelötet, daß sie einen quadratischen Raum von 7 cm Seitenlänge einschließen. In diesen werden einige hundert frisch gefangene Polyphemus gegeben. Die Wirkung farbiger und farbloser Lichter kann leicht geprüft werden, indem man 1-2 cm breite Streifen der betreffenden Gläser so auflegt, daß sie sich dicht über der Wasserfläche befinden und den Behälter im allgemeinen etwa in 3 Abschnitte teilen, deren mittlerer von den farbigen, die seitlichen von einem andersfarbigen oder farblosen Lichte bestrahlt werden. Besonders gute Dienste leisteten mir dabei farbige Glaskeile!), die ich mir teils in Form 18 cm langer, 2 cm breiter Streifen, teils in Form 4x 10 cm großer Platten herstellen ließ. Sie haben den großen Vorteil, die farbigen Lichter in ganz allmählichen Übergängen von sehr blassem, stark mit Weiß verhülltem Blau, Rot usw. zu freien (‚‚gesättigten‘“), dunkleren Farben aufzuweisen, die man durch einfaches Verschieben der Keile über dem Behälter in der gewünschten Weise auf die Tiere wirken lassen kann. Andere Keile geben alle Übergänge von sehr hellem zu tief dunklem Grau; für jede Keilstelle ist die Menge des durch- gelassenen Lichtes bekannt. In einer zweiten großen Gruppe von Versuchen wurde der kleine Blechbehälter mit einem breiten, | ]-förmigen Sturz aus Blech oder schwarzem Karton bedeckt, so daß nur von seitlich oben Licht zu den Tieren gelangen konnte. Auf beiden Seiten wurden große weiße bzw. graue, schwarze oder bunte Papierflächen so auf- gestellt, daß nur das von diesen zurückgeworfene Licht zu den Tieren gelangte. das zudem mittels Episkotisters meßbar geschwächt weıden konnte. ")) Genaueres „hierüber s. z. B. in meiner Arbeit „‚Einfache Apparate zur Untersuchung des Farbensinnes‘. Arch. f. Augenheilk. 86, 227. 1920. _ 292 G. v. Hess: j Beide Verfahren haben den großen Vorzug, daß die Strahlen, deren Wirkung auf die Tiere untersucht werden soll, direkt zu diesen gelangen, ohne erst eine Glaswand passiert zu haben; die nur wenige Millimeter dicke Wasserschicht hat auf die Zusammensetzung des terminalen Lichtes keinen hier zu berücksichtigenden Einfluß. Es ist mir wiederum nicht möglich, eine auch nur einigermaßen voll- ständige Übersicht über mein umfangreiches Beobachtungsmaterial zu geben, schon deshalb nicht, weil dazu erforderlich wäre, alle durch Verschiedenheiten des Adaptationszustandes, der jeweiligen Beleuchtung (klarer oder bedeckter Himmel, Mittags- oder Abendsonne), des mehr oder weniger hellen Grundes auf dem ich die Tiere beobachtete, usw. bedingten Verschiedenheiten zu schildern. Ich beschränke mich auf einige Hauptversuche, die ein Bild von den wichtigsten der interessanten Erscheinungen geben können. Legt man einen 2cm breiten Streifen gewöhnlichen farblosen Fen- sterglases quer über die Mitte des Blechbehälters mit helladaptierten Polyphemus, so sammeln sich diese bald unter dem Streifen und schwimmen parallel zu seinen Rändern lebhaft hin und her. Noch rascher und vollständiger erfolgt diese Ansammlung, wenn man statt des Fensterglases einen Streifen Sfl. benützt: hier zeigen die Tiere unter dem Glase meist ausgesprochene Neigung, sich an der der Licht- quelle, im Freien also der Sonne zugewendeten Seite des Streifens in größeren Mengen zu sammeln. Schiebt man einen farbigen Glaskeil von der Mitte einer Seite her über den Rand des Behälters langsam so vor, daß zunächst die unge- sättigtesten Keilstellen, weiterhin gesättigtere und dunklere über die Wasserfläche kommen, so sieht man etwa folgendes: Bei Rot zeigt sich keine Neigung der Tiere, unter den farbigen Streifen zu gehen, im Ge- genteil eilen sie, sobald dieser etwas vorgeschoben wird, aus dem roten Schatten heraus, so, wie sie es sonst bei starker Verdunkelung z. B. mittels eines schwarzen Papierstreifens von gleicher Breite tun. Bei einem Gelbkeile, der an seinem einen Ende stark mit Weiß verhülltes Gelb zeigt, ist sehr geringe Neigung der Tiere vorhanden, sich unter letzterem zu sammeln. Vorschieben des Keiles um wenige Zentimeter genügt, um die Tiere wieder ähnlich wie bei Rot und Schwarz nach den Seiten zu treiben. | Bei einem ziemlich hell grünen Keil zeigen gut helladaptierte Tiere (die eine Zeitlang an der Sonne gestanden hatten) starke Neigung, sich unter dem Keile zu sammeln; hier gehen sie dann meist vorwiegend unter die hellsten Keilpartien. Ähnlich, nur weniger lebhaft, gehen die Tiere unter einen hellen Blaukeil. Bei flüchtiger Beobachtung könnte man also hier an eine Wirkung der betreffenden Farbe denken; wird doch immer wieder der Versuch gemacht, die Annahme eines Farbensinnes bei Krebsen durch den Hinweis darauf zu stützen, daß Daphnien sich bei gewissen Versuchen mit blauen und gelben Farb- lösungen diesen beiden gegenüber gegensätzlich verhalten; man spricht von einer ‚spezifischen‘, ‚positivierenden” bzw. ‚‚negativierenden‘“ Die Bedeutung des Ultraviolett für die Lichtreaktionen bei Gliederfüßern. 293 Wirkung der Strahlen von der langwelligen bzw, kurzwelligen Spek- trumhälfte usw. Es ist selbstverständlich unzulässig, die mit Farb- lösungen usw. erhaltenen Ergebnisse als gleichwertig mit solchen am Spektrum hinzustellen, wie dies von zoologischer Seite geschieht; ab- gesehen davon läßt sich bei unserer Versuchsanordnung besonders schön zeigen, daß jene gegensätzliche Wirkung der vorwiegend lang- welligen und kurzwelligen Strahlgemische auf unsere Krebse nicht Aus- druck einer „spezifischen“ Wirkung ist: Die Ansammlung der Tiere unter dem grünen und dem blauen Streifen bleibi vollständig aus, sobald man das Ultraviolett durch Über- legen einer Sfl.-Platte über den Behälter ausschaltet. Die Tiere, die sich unter einem grünen oder blauen Streifen gesammelt hatten, stieben dann, obschon für unser Auge dadurch weder Hellis- keit noch Farbe der benützten Lichter sich nennenswert ändert, so- fort nach allen Seiten hervor und gehen in den nur von Sfl. be- deckten Behälterteilen nach der hellen Seite. Sobald die Sfl.-Platte wieder weggezogen wird, gehen sie wieder unter den blauen bzw. grünen Streifen, besonders lebhaft, wenn über diesen noch ein gleich breiter Streifen Sfl. gelest wird. Wenn ich einen meiner grünen Keile-in der Nähe des offenen (nicht direkt der Sonne ausgesetzten) Fensters über den Behälter lege, sind regelmäßig in wenigen Sekunden fast alle Tiere unter ihm angesammelt. Schiebe ich den Be- hälter aber nur einen Meter weit vom Fenster ins Zimmer, so eilen die Tiere nach beiden Seiten unter dem Grün hervor in die nicht bedeckten Abschnitte, so daß der Raum unter dem Grün bald leer ist. Es läßt sich leicht eine allgemeine Belichtungsstärke finden, bei der die Polyphemus auch dann unter den grünen Keil gehen, wenn die übrigen Behälterteile mit Graukeilen bedeckt sind, die alle Übergänge von hellem zu dunklerem Grau zeigen; ja die Tiere sammeln sich unter dem grünen Keile dann ebensowohl, wenn die beiden seitlichen Behälterteile ganz unbedeckt als auch wenn sie mit schwarzem Karton abgedeckt sind. Die Ansammlung unter dem Grün erfolgt also, gleichgültig, ob die Um- gebung ebenso hell, heller oder dunkler ist, als der grün durch- strahlte Bezirk. Wiederum genügt jetzt UÜberdecken einer nahezu farblosen Sfl.-Platte über den ganzen Behälter, damit die Tiere nach allen Richtungen aus dem Grün hervorkommen. Auf die Bedeutung dieses Versuches für die Frage nach einem Farbensinne bei Arthropoden kommen wir unten zurück. Mit einem meiner Blaukeile konnte ich mehrfach nur geringe oder überhaupt keine merkliche Ansammlung der Polyphemus herbeiführen, wenn ich die Ver- suche um die Mittagszeit im Freien (aber nicht bei direkter Besonnung) anstellte. Dagegen erfolgte auch hier starke Ansammlung unter dem Blau, wenn ich die Versuche des Abends nach Sonnenuntergang bei klarem Himmel anstellte. Diese Andeutungen mögen eine Vorstellung davon geben, wie mannig- fache Umstände auf den Verlauf der Erscheinungen von Einfluß sein können. Es läßt sich wohl nicht schlagender als durch diese Versuche zeigen, daß die Ansammlung unserer Krebse hinter dem Blau und Grün nichts mit einer „spezifischen Farbwirkung zu tun hat. Und so bestätigen auch diese Befunde wieder meine früheren Beobachtungen, durch Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 185. 20 294 C. v. Hess: die ich eine totale Farbenblindheit der Krebse mit den Lichtern des Spektrums nachgewiesen habe. Da Polyphemus nicht leicht zu erhalten ist, sei erwähnt, daß Versuche mit Daphnien zu ähnlichen Ergebnissen führen, nur sind die Reaktionen bei diesen letzteren weniger lebhaft, die Ergebnisse entsprechend weniger eindringlich. Hält man einen Streifen Schottschen Blaufilterglases (Nr. 3873) über den Behälter, so zeigen die Tiere deutliche, aber nicht eben starke Neigung, sich unter dem Blau zu sammeln; diese wird viel lebhafter, wenn man über den Blaufilter- streifen einen gleich breiten Sfl.-Streifen lest. In anderen Versuchen bedeckte ich eine Hälfte des Behälters mit Blauuviol- glas (Nr. 3653), die andere mit Kobaltglas (Nr. 3654); beide sind für mich tief dunkelblau, ersteres noch etwas dunkler, mit einem leichten Stich ins Rötliche; beide lassen die kurzwelligen Strahlen bis zu 332 «u vollständig durch; von 309 uu läßt das Blauuviol noch 0,81, das Kobalt 0,58 durch.‘ Die Tiere sammeln sich in großen Mengen unter dem Kobaltbau; sobald ich aber bei dem dunkleren Blau- uviolglase das Ultraviolett durch Sfl. ausschalte, sammeln die Tiere sich alle unter dem Blauuviol. Der Versuch ist von besonderer Wichtigkeit, da er wiederum eindringlich die starke Wirkung auch der kurzwelligsten ultravioletten Strahlen des Tageslichtes zeigt (das im allgemeinen nur noch Strahlen bis 291 «u enthält). Diese Wirkung ist also auch dann auffällig, wenn ein großer Teil der sichtbaren Strahlen durch eben jene dunkelblauen Gläser ausgeschaltet ist. , Es war nicht ganz leicht, aus der großen Mannisfaltigkeit der oft einander anscheinend widersprechenden Befunde, von welchen ich nur einen kleinen Teil wiedergeben konnte, das Gesetzmäßige herauszu- finden. Unter Übergehen alles nicht unmittelbar Hierhergehörigen läßt sich etwa folgendes sagen: Nach völligem Ausschalten der ultra- violetten Strahlen, also im Spektrum, verhalten sich die Polyphemus bei den von mir benützten Lichtstärken gegenüber den für uns sicht- baren Strahlen des Spektrums so, wie ein zum Hellen gehendes total farbenblindes Wesen. Bei Wirkung ultravioletthaltiger Strahl- semische ist das Verhalten der Tiere abhängig: 1. von Intensität und Wellenlänge der für uns sichtbaren Strahlen des Gemisches; 2. von Intensität und Wellenlänge der ultravioletten Strahlen des Gemisches; 3. sehr wesentlich auch vom Adaptationszustande der Tiere. An helles Tageslicht adaptierte Polyphemus schwimmen im allgemeinen zum Lichte, auch zu solchem von verhältnismäßig hoher Intensität, ce. p. um so stärker und lebhafter, je geringer der Gehalt des einwirkenden Strahlgemisches an Ultraviolett ist. Ein ultravioletthaltiges, für uns angenähert farbloses Strahlgemisch, z. B. Tageslicht von mittlerer In- tensität, wirkt auf die Polyphemus anziehend, wenn diese an ein ultra- violettreicheres Gemisch adaptiert waren, dagegen abstoßend, wenn sie vorher einem ultraviolettärmeren ausgesetzt waren. Bei gleich- zeitiger Wirkung zweier uns gleich erscheinender Strahlgemische gehen die Polyphemus zu dem ultraviolettärmeren; letzteres ist innerhalb Die Bedeutung des Ultraviolett für die Lichtreaktionen bei Gliederfüßern. 295 gewisser Grenzen selbst dann noch der Fall, wenn das ultraviolett- ärmere für uns merklich weniger hell ist als das andere. Somit wird also (innerhalb gewisser Grenzen) die stärkste Bewe- sung zum Lichte im allgemeinen erfolgen, wenn gut helladaptierte Tiere von einer Seite her ultraviolettarmem bzw. -freiem Lichte von mäßiger Stärke ausgesetzt werden. Die lebhafteste Bewegung vom Lichte weg zum Dunkeln erfolgt im allgemeinen, wenn dunkeladaptierte Tiere ultraviolettreichem Lichte von hoher Stärke ausgesetzt werden (ab- gesehen ist hier von der starken Blendungswirkung bei sehr lange dunkel- adaptierten Tieren) (S. 287). Unter den gewöhnlichen Lebensbedingungen sind unsere Krebse stets einem an Ultraviolett verhältnismäßig reichen Lichte ausgesetzt; aus unseren Versuchen geht hervor, daß dieses, ähnlich wie ich es für Raupen nachwies, auch für die Schwimmrichtung der Polyphemus vielfach wesentlich mit bestimmend sein muß und ihm daher auch im Lebenshaushalte unserer Krebse eine viel größere Rolle zukommt, als bisher allgemein angenommen wurde. III. Der Lichtsinn der Ameisen!). Seitdem Lubbock vor 40 Jahren.eine Wirkung des Ultraviolett auf Ameisen festgestellt hat, bedient man sich zur Untersuchung ihres Lichtsinnes der Neigung, ihre Puppen ins Dunkle zu tragen. Ich habe seit 10 Jahren Versuche mit vielen verschiedenen Modifikationen vorgenommen und berichte hier zunächst über systematische Beob- achtungen an Formica rufa?) mit besonders einfachen Verfahren. Die gleichen kleinen, quadratischen Blechbehälter von 7cm Seitenlänge und 1 cm Höhe, die mir zu den Versuchen an Krebsen dienen (S. 291), werden mit einer gewöhnlichen Glasplatte oder, falls es sich um Untersuchung des kurzwellig- sten Ultraviolett handelt, mit einer Uviolkronplatte bedeckt. In den Behälter bringe ich 10—20 Puppen und etwa 5—10 Ameisen. Über die Glasplatte lege ich die auf ihre Wirkung zu prüfenden farbigen oder grauen Gläser, teils in kleinen Stücken auf die mittleren Behälterteile, teils so, daß sie dessen eine Hälfte be- decken, während die zweite frei gelassen oder mit einem anderen, auf seine Wirkung mit dem ersten zu vergleichenden Glase bedeckt wird. Auch hier leisteten mir die verlaufenden farbigen und grauen Filter (s. S.-291) besonders gute Dienste. Meist sind in wenigen Minuten, nicht selten schon nach einigen Sekunden die Puppen an einer Behälterstelle zusammengetragen. Wenn nach Bedecken beider Hälften mit zwei verschiedenen Gläsern unter beide angenähert gleich viele Puppen getragen werden oder bei öfterer Wiederholung eines Versuches bald die eine. bald die andere Hälfte bevorzugt wird, kann man von einer Art von Gleichung zwischen den betreffenden Lichtern sprechen. Sind die Ergebnisse derartiger Versuche auch nicht so genau, wie z. B. die mit Raupen oder Polyphemus zu erzielenden, so erhält man doch bei genügender Variation einen gewissen Über- blick über die Sehqualitäten der Ameisen. !) Literatur s. Hess, Vergleichende Physiologie des Gesichtsinnes. Jena 1912. ?) Weitere Versuche habe ich, mit wesentlich gleichen Ergebnissen, an Lasius niger, Lasius flavus und Camponotus ligniperdus angestellt. 20* 296 C. v. Hess: Die wichtigsten Versuche sind folgende: 1. Wird eine Behälter- hälfte mit gewöhnlichem Glase, die andere mit dem angenähert farb- losen, aber für Ultraviolett fast undurchlässigen Schwertflint überdeckt, so sind bald alle Puppen unter letzterem; wird eine Hälfte mit einer _Sfl.-Platte, die andere mit zweien (alle je 3mm dick) bedeckt, so wer- den alle Puppen unter diese getragen. Wird der ganze Behälter mit Uviolkronglas, darauf eine Hälfte noch mit gewöhnlichem Fenster- glase überdeckt, so zeigen die Tiere keine Neigung, unter letzteres zu gehen; selbst wenn ich 5—6 Objektträger übereinander auf eine Be- hälterhälfte lege, wird diese nicht bevorzugt: zum Unterschiede von Polyphemus (S. 284) konnte ich hier also keine Wirkung der fraglichen kurzwelligsten Strahlen auf die Ameisen feststellen (womit natürlich nicht gesagt ist, daß diese von ihnen nicht wahrgenommen werden). Wird eine Hälfte mit Sfl., die andere mit einem Graukeile überdeckt, der von sehr hellem Grau in der Nähe der Kante zu mittelhellem an der Basis übergeht, so tragen die Ameisen dennoch regelmäßig die Puppen unter das für uns viel hellere Sfl. Erst wenn ich einen be- trächtlich dunkleren Graukeil nehme, werden die Puppen aus dem Schwerstflint regelmäßig in dieses dunkle Grau getragen; dazwischen befindet sich also ein (für uns schon ziemlich dunkles) Grau, das auf die Ameisen ähnlich wirkt, wie das für uns viel hellere, aber ultra- violettarme Sfl. Wird die eine Hälfte mit Sfl., die andere mit einem schwarzen Karton bedeckt, so sind bald alle Puppen unter letzterem. 2. Es ist bisher nicht versucht worden, einen Maßausdruck für die Größe der Wirkung ultravioletter Strahlungen auf das Ameisen- auge zu gewinnen; und doch können wir im Verständnis der biologi- schen Bedeutung der letzteren nicht vordringen, so lange wir keine Vorstellung von der Größe dieser Wirkung im Verhältnis zu jener der sichtbaren Strahlen des Spektrums haben. Aus solchen Gesichtspunkten stellte ich folgende Versuche an: Die eine Hälfte des Behälters wurde mit dem angenähert farblosen Sfl. be- deckt, die andere der Reihe nach mit verschieden dunklen Rauchglasplatten, deren Absorption ich photometrisch ermittelt hatte. Um das Ergebnis wenigstens einigermaßen mit dem bei Krebsen und Raupen von mir erhaltenen vergleichen zu können, bestimmte ich die Absorptionen vorwiegend am Episkotister, d.h. ich verglich das durch ein bestimmtes Grauglas gesehene Weiß einer mattweißen Fläche mit einem durch Mischen aus schwarzen und weißen Sektoren am Kreisel hergestellten Grau. In der folgenden Darstellung bedeutet also z. B. Graug, ein Grauglas, durch das eine weiße Fläche so gesehen wird, wie vom unbewaffneten Auge ein aus 90° Weiß und 270° Schwarz gemischtes Grau; Grau,, bedeutet ein entsprechend dunkleres Grau usw. In Versuchsreihen, die sich jeweils über mehrere Tage erstreckten, wurden nun abwechselnd verschieden hell- und dunkelgraue Gläser über die eine Nesthälfte gelegt, und so die Grenzen ermittelt, jenseits deren die Puppen regelmäßig unter das Grau bzw. das Sfl. getragen wurden. Die Bedeutung des Ultraviolett für die Lichtreaktionen bei Gliederfüßern. 297 Bei Versuchen mit Formica rufa wurden bei Auflesen von Grau,,, ' das für uns schon ziemlich dunkel ist, die Puppen noch alle unter das Schwerstflint getragen, bei dem etwas dunkleren Grau,, dagegen oft unter das Grau. Bei Versuchen mit Lasius flavus wurden selbst bei noch wesentlich dunklerem Grau die Puppen zuweilen noch unter das Sfl. getragen, so z. B. einmal bei einem Grauglase, das nur etwa !/ys des auffallenden Lichtes durchließ; zuweilen gehen sie hier aber auch unter das Grau. Die Versuche machen nicht auf große Genauigkeit Anspruch, denn die grauen Gläser sind bekanntlich im allgemeinen nicht ganz farblos, sondern zeigen meist einen wenn auch nur schwa- chen gelblichen bis rötlichen oder bläulichen Ton. Demnach wird die Menge des gleichzeitig durchgelassenen Ultraviolett im letzteren Falle verhältnismäßig etwas größer sein können als im ersteren. Weiter reagieren die Ameisen, insbesondere, wenn mit verhältnismäßig ge- ringen Lichtstärken gearbeitet wird, nicht entfernt auf so kleine Lichtstärkenunterschiede, wie z. B. Krebse und Raupen, es ist ihnen also innerhalb eines gewissen Spielraumes gleichgültig, ob die eine Hälfte des ohnehin schwach belichteten Nestes etwas heller oder dunkler ist als die andere!). Immerhin geht aus unseren Messungen hervor, daß auf die Ameisen ein für uns sehr dunkles, aber relativ ultraviolett- reiches Grau nicht anders wirkt, als ein ultraviolettarmes, für uns viel helleres Weiß. Weitere Versuche zu einer messenden Kennzeichnung der Ultraviolettwirkung stellte ich in der folgenden Weise an: Eine Nesthälfte wurde mit dem Lichte einer Gundelachschen Quecksilber- dampflampe bestrahlt, die zweite, von der ersten durch eine schmale senkrechte Scheidewand getrennte und mit Sfl. bedeckte Hälfte erhielt Licht von einer Nernstlampe, deren Stärke teils durch Zurückschieben in einem Tunnel, teils durch Vorsetzen rauchgrauer Gläser von bekannter Absorption meßbar gemindert werden konnte. Die Puppen werden in diese letztere Hälfte getragen, obschon sie für uns neben der anderen fast leuchtend hell erscheint, ja selbst dann noch, wenn für mein Auge die Lichtstärke der ultraviolettarmen Hälfte etwa 200 mal größer ist, als die der ulträviolettreichen! Wenngleich es sich auch hier nicht um viel mehr als Schätzungen handelt, können doch auch diese Ver- suche eine Vorstellung von der erstaunlich großen Helligkeitswirkung des Ultraviolett auf unsere Tiere geben. Durch ein ähnliches photometrisches Verfahren, bei dem aber beide Nest- hälften von Strahlgemischen gleicher Zusammensetzung (beide von Nernstlicht) bestrahlt wurden, konnte ich durch Ändern des Abstandes einer der beiden Lampen die kleinsten Lichtstärkenunterschiede ermitteln, die im allgemeinen er- forderlich sind, damit die Ameisen konstant in die schwächer belichtete Hälfte 1) Die übliche Angabe, daß die Puppen immer an die dunkelste Stelle des Nestes getragen werden, ist also nur mit der aus obigem sich ergebenden Einschränkung richtig. 298 ©. v. Hess: gehen. Bei einigen solchen Versuchen war dies der Fall, wenn die Lichtstärke der helleren Hälfte das 1,4fache von jener der dunkleren betrug. 3. Von vielen Versuchsreihen mit farbigen Lichtern sei zunächst folgendes berichtet: Sind die ultravioletten Strahlen des Tageslichtes durch eine über den ganzen Behälter gelegte- Sfl.-Platte annähernd ausgeschaltet, so werden nach Auflegen eines beliebigen farbigen Glases über eine Behälterhälfte zumeist alle Puppen in die farbige Hälfte ge- tragen, am raschesten bei dunklem Rot und Gelb, am wenigsten rasch bei sehr hellem Blau. Nach Auflegen farbiger Glaskeile über den ganzen Behälter werden die Puppen im allgemeinen unter die basalen Keil- partien getragen; wird eine Hälfte des Behälters mit Sfl. bedeckt, die andere mit einem farbigen Glaskeile, so werden bei dem roten, gel- ben und einem sehr dunkel grünen Keile die Puppen auch jetzt unter das farbige Glas getragen, bei einem ziemlich hellen Blaukeile dagegen unter das für uns hellere, angenähert farblose Sfl. Man findet leicht auch solche blaue Gläser, die für uns noch ziemlich dunkel blau sind, “ bei welchen aber die Puppen doch noch immer in die für uns viel hellere, ultraviolettarme, nur mit Sfl. bedeckte Behälterhälfte getragen werden. Legt man aber jetzt über den ganzen Behälter oder nur über die mit blauem Glase bedeckte Hälfte S£l., so werden die Puppen augen- blicklich sämtlich in diese letztere getragen!); selbst unter ein für uns ziemlich dunkel blaues, für Ultraviolett besonders durchlässiges Blauuviolglas werden die Puppen nicht getragen, wenn die andere Be- hälterhälfte mit Sfl. bedeckt ist; sobald ich letzteres wegziehe, kommen die Puppen rasch unter das Blau. Für das eben erwähnte dunkelblaue, für Ultraviolett sehr durchlässige Blau- uviolglas bestimmte ich den relativen Helligkeitswert zu etwa 9° Weiß, d.h. wenn eine durch dasselbe betrachtete weiße Fläche bei herabgesetzter Licht- stärke mit dunkeladaptiertem Auge farblos gesehen wurde, erschien sie so dunkel, wie eine Kreiselmischung aus etwa 9° Weiß mit 351° Schwarz dem unbewaffneten Auge. Trotzdem wurden die Puppen, wenn die eine Hälfte mit diesem, die andere nur mit Sfl. bedeckt war, regelmäßig unter das helle Sfl. getragen! Solche ‚Umkehrversuche‘“ sind prinzipiell von besonderer Wichtigkeit und wurden daher von mir immer wieder in. mannig- fachster Weise variiert; ich führe nur zwei Beispiele an. Eine Be- hälterhälfte wird mit einem für uns mittelhellen Blauglase bedeckt, die andere mit einem Graukeile, der für unser dunkeladaptiertes, farb- !) Eine Grenze für die Genauigkeit bei solchen Versuchen ist erstens dadurch gegeben, daß es noch nicht möglich ist, die verschiedenen Bezirke des Ultraviolett in einer für unsere Zwecke genügenden Weise scharf voneinander zu sondern und isoliert zur Wirkung zu bringen, anderseits dadurch, daß die Fluorescenz, die, wie ich glaube, die Wirkung der ultravioletten Strahlungen auf das Arthro- podenauge vermittelt, nicht nur durch die unsichtbaren ultravioletten, sondern, innerhalb gewisser Grenzen, auch durch die kurzwelligsten sichtbaren Strahlen hervorgerufen werden kann. Die Bedeutung des Ultraviolett für die Lichtreaktionen bei Gliederfüßern. 299 los sehendes Auge an seiner Basis deutlich dunkler, an seiner Kante deutlich heller ist, als das Blau. Dazwischen ist also ein Grau, das dem total farbenblinden Menschenauge ebenso hell erscheint, wie das Blau. Die Puppen werden aber regelmäßig unter das Blau ge- tragen, wenn ich dessen Ultraviolett durch Überlegen eines gleich sroßen Sfl.-Glases ausschalte. Wird letzteres vom Blau auf den Grau- keil hinübergeschoben, so sind in kürzester Zeit alle Puppen unter diesem. Entsprechende Versuche kann man mit gleichem Ergebnisse sogar mit einem Gelbkeile anstellen, der an seinen kantennahen Teilen ein sehr ungesättigtes, helles Gelb zeigt. Zunächst wird der ganze Behälter mit einer Sfl.-Platte und dar- über eine Hälfte mit einem Graukeile bedeckt, auf dieandere Hälfte kommt der Gelb- keil so, daß er mit seinen kantennahen, hellen Abschnitten etwa die Hälfte dieses Teiles (also ein Viertel des ganzen Behälters) deckt. Die Puppen sind in kurzer Zeit alle unter dem Graukeile. Nun wird das Sfl. weggezogen, so daß jetzt hier ein entsprechend ultraviolettreicheres Strahlgemisch zu den Tieren gelangt: augen- blicklich werden die Puppen sämtlich unter das Gelb getragen. Sobald das Sfl. wieder aufgelegt wird, kommen die Puppen wieder aus dem Gelb ins Grau. Man kann die Ameisen also leicht dazu bringen, jedesmal die’ blaudurchstrahlte Behälterhälfte zu bevorzugen, auch wenn die andere alle Übergänge von einem für das total farbenblinde Menschenauge viel helleren zu einem für dieses viel dunkleren Grau, somit auch ein dem Blau glei- ches Grau aufweist. Daß auch diese Bevorzugung des Blau aber nicht auf eine „spezifische‘‘ Wirkung, d.h. auf Blauempfindung zu beziehen ist, zeigen schlagend unsere verschiedenen ‚Umkehrversuche‘ mit Ausschalten bzw. Zulassen des Ultraviolett. Ähnliches wie für Blau gilt auch für ein helles, mit Weiß verhülltes Gelb. — Weitere ausgedehnte Beobachtungsreihen, die mich lange beschäf- tigten, galten der messenden Bestimmung der relativen Helligkeitswerte verschiedener farbiger Lichter für die Ameisen. Für diese Aufgaben, die bisher noch nie in Angriff ge- nommen waren, kamen Versuche mit spektralen Lichtern nicht in Betracht, weil in dem für uns sichtbaren, ultraviolettfreien Spektrum auch stärkere Nernstlichtquellen nicht genügen, um regelmäßig eine so ausgesprochene Verteilung der Puppen herbeizuführen, wie es für meine Zwecke erforderlich war; bei Bogenlampen aber ist die Licht- stärke für solche länger dauernde Versuche nicht gleichmäßig genug. Ich ging daher so vor, daß ich bei etwa 20 verschiedenen freifarbigen Gläsern meiner Sammlung deren farblosen Helligkeitswert für mein dunkeladaptiertes Auge photometrisch bestimmte, indem ich wieder ‚ähnlich, wie oben für die grauen Gläser beschrieben wurde, die farblose Helligkeit einer von dem betreffenden farbigen Lichte bestrahlten weißen Fläche,für das dunkeladaptierte, farblos sehende Auge mit jener eines am Kreisel aus schwarzen und weißen Sektoren gemischten Grau 300 ©. v. Hess: verglich. Das im folgenden z. B. mit R,, bezeichnete rote Glas läßt also ein Strahlgemisch durch, das für den total Farbenblinden unter den in Betracht kommenden Verhältnissen einer weißen Fläche ähnliche Helligkeit verleiht, wie sie eine Kreiselmischung aus 15° Weiß und 345° Schwarz zeigt usw. Indem ich wieder von zwei aneinander- grenzenden Behälterhälften die erste mit einem der farbigen, die zweite mit andersfarbigem oder mit grauem Glase von bekanntem farblosen Helligkeitswerte bedeckte und solche Versuche teils mit, teils ohne Überdecken von Sfl. über das Ganze, d.h. mit und ohne . Ausschalten des Ultraviolett vornahm, erhielt ich einen annähernden Überblick über die relativen Helligkeiten der farbigen Glaslichter für unsere Ameisen. Einige Beispiele mögen das Gesagte erläutern. Wirkt ein für uns nicht sehr dunkles Rot R,, neben einem für den Farbentüchtigen deutlich dunkleren Grün Grj, auf die Ameisen, so werden die meisten Puppen unter das Rot getragen. Nach Überdecken von $fl. über das Ganze finden wir die Puppen angenähert gleichmäßig im Behälter verteilt, d.h. nach Ausschalten des Ultraviolett haben ein Rot und ein Grün, die dem Normalen verschieden, dem total Farbenblinden aber angenähert gleich hell erscheinen, auch auf die Ameisen angenähert gleiche Wirkung. Wirkt einerseits ein für den Farbentüchtigen noch ziemlich helles Rot R;5o- anderseits ein für uns beträchtlich dunkleres Blau B,, auf die Ameisen, sc werden alle Puppen unter das Rot getragen. Dies ist auch dann der Fall, wenn durch Überdecken von Sfl. der größte Teil der ultravioletten Strahlen ausgeschaltet ist. Dies zeigt, daß das Blau auch wenn es annähernd frei von Ultraviolett gemacht wird, für die Ameisen einen im Vergleich zu Rot sehr großen Helligkeitswert hat, ähnlich so, wie für das total farbenblinde und ganz anders wie für das normale Menschenauge. Daß auch hier das Rot nicht etwa infolge „spezifischer‘‘ Wirkung oder ‚„Vor- liebe‘ für die rote Farbe besucht wird, kann man leicht zeigen, indem man ein dunkleres Blau neben dem gleichen oder einem etwas helleren Rot wirken läßt. Ich konnte so z. B. erreichen, daß bei Wahl zwischen R,, und einem sehr dunklen Blau ohne Sfl. die Puppen alle ins Rot, nach Überdecken von Sfl. über das Ganze aber ins Blau getragen wurden. Wirkt neben einem relativ hellen Rot R,, ein wesentlich dunkleres R,, so sind bald alle Puppen unter R,. Der geringe Helligkeitswert des Rot für Ameisen ist schon aus den oben angeführten Beispielen ersichtlich; er kommt ferner auch darin zum Ausdrucke, daß in einem Behälter, der zur einen Hälfte mit einem schwarzen Karton, zur anderen mit einem dunkelroten Glase bedeckt ist, die Puppen angenähert gleichmäßig in beide Behälterhälften verteilt gefunden werden. Wirkt neben diesem Dunkelrot ein für den Farbentüchtigen ziemlich dunkles Grau Grj,, so werden alle Puppen ins Rot getragen. Wirkt neben R,. oder R,; ein Gr;>. so werden die Puppen bald mehr im Rot, bald mehr im Grau gefunden usw. Mit dem geschilderten Verfahren läßt sich also zeigen, daß auch für die Ameisen die relativen Helligkeitswerte möglichst ultraviolett- frei gemachter farbiger Glaslichter keine merklich anderen, als für die übrigen bisher genügend untersuchten Arthropoden und den total farbenblinden Menschen, dagegen in charakteristischer Weise von jenen Die Bedeutung des Ultraviolett für die Lichtreaktionen bei Gliederfüßern. 301 für den normalen und den partiell farbenblinden Menschen verschieden sind. Eine besondere Widerlegung der Ansichten Lubbocks, Gra- bers und Forels über Farbensinn, ‚Farbengefühl“, ‚Qualitätseinfluß“ usw. bei Ameisen ist danach nicht mehr erforderlich. IV. Wirkung des Ultraviolett auf das Bienenauge. Nachdem ich mich bereits früher überzeugt hatte, daß auch Bienen lebhaft auf Ultraviolett reagieren, war ich bemüht, auch sie aus ähn- lichen Gesichtspunkten zu untersuchen, wie Krebse und Ameisen. Es gelang mir, alle bei den Ameisen angestellten Versuche mit entsprechen- dem Ergebnisse auch bei Bienen zu wiederholen; diese gehen unter allen hier in Betracht kommenden Verhältnissen an die jeweils hellste Stelle ihres Behälters. Am zweckmäßigsten ‘finde ich folgende Verfahren!); An einem warmen, sonnigen Tage bringe ich 20—60 Bienen in einen rechteckigen, 20 cm langen, 10 cm breiten, 8cm hohen Behälter aus Spiegelglas. Diesen hülle ich rasch in ein großes Stück mattschwarzen Kartons so, daß ein etwa 40 cm langer Tunnel ent- steht, in welchem die vordere Schmalseite des Behälters genau mit dem Vorder- rande des Tunnels abschneidet, während dessen hinteres Ende etwa 20 cm weit nach rückwärts über den Behälter ragt, wodurch dem Einfalle falschen Lichtes von rückwärts genügend vorgebeugt wird. Der Beobachter verfolgt das Verhalten der Tiere von rückwärts durch diesen hinteren Tunnelabschnitt. Der Behälter wird in die Nähe des offenen Fensters gestellt (er kann auch direkter Sonne aus- gesetzt werden), die Tiere zeigen bald starke Neigung, nach der Fensterseite und hier nach aufwärts zu laufen. Wird vor die rechte Behälterhälfte?) eine Sfl.-Platte geschoben, so geht in wenigen Sekunden die große Mehrzahl der Tiere nach der linken Hälfte, meist bleiben nur wenige oder fast gar keine Tiere hinter dem für uns so gut wie unsichtbaren Sfl. In ähnlicher Weise, nur noch leb- hafter, gehen die Bienen, wenn statt des Sfl. ein rubinrotes Glas oder ein schwarzer Karton vor eine Behälterhälfte geschoben wird, nach der freien anderen Hälfte. Bedecke ich eine Hälfte mit Sfl., die andere mit schwarzem Karton, so eilen die Bienen nach dem Sfl., wird dieses weggezogen, so wird ihre Neigung, nach der unbedeckten Seite zu laufen, noch ausgesprochener. Brachte ich vor die eine Behälterhälfte das Sfl., vor die andere einen Episkotister mit veränderlichem Ausschnitte, so ergab sich in einer Versuchs- reihe folgendes: bei einem Ausschnitte von mehr als 45° sammelten sich die Bienen vorwiegend in dieser Hälfte, bei einem solchen von weniger als 40° gingen sie in größerer Zahl hinter das Sfl., bei einer Größe von 40—45° verteilten 1) Ich schildere wieder vorwiegend besonders einfache Methoden, die auch von dem mit der Physiologie wien Vertrauten, ja selbst vom Laien leicht wieder- ‚holt werden können. 2) Selbstverständlich werden bei allen: Versuchen abwechselnd die rechten und linken Hälften bedeckt; dies, sowie andere naheliegende Vorsichtsmaßregeln werden im folgenden nicht mehr besonders erwähnt. 302 C. v. Hess: sie sich angenähert gleichmäßig in beiden Hälften. Unter diesen besonderen Umständen (trüber Tag, Behälter aus gewöhnlichem Glas) hatte also das auf 1/—!/, seiner Stärke herabgesetzte ultravioletthaltige Tageslicht auf die Bienen noch ähnliche oder gleiche Wirkung wie das für uns viel hellere, aber ultra- violettarm gemachte. Verdecke ich eine Hälfte mit dem für Ultraviolett besonders durch- lässigen dunkelblauen Blauuviolglase, so gehen die Bienen nach der unbe- deckten Hälfte, wird aber letztere jetzt mit Sfl. bedeckt, so eilen die unter allen Umständen die hellste Behälterstelle auf suchenden Bienen aus der mit Sfl. bedeckten, für uns sehr hellen in die für uns viel dunklere, mit Blauuviol bedeckte Hälfte. Im Hinblicke auf die Frage nach einer etwaigen Verwertbarkeit der sog. Dressurversuche für das Farbensinnproblem sind die folgenden, von mir oft vorgeführten Versuche von besonderem Interesse. Vor eine Behälterhälfte bringe ich einen ca. 5cm breiten, 10 cm hohen Blaukeil, der im durchfallenden Lichte an seiner Basis ver- hältnismäßig dunkles, gesättigtes, an seiner Kante sehr helles, weiß- liches Blau zeigt; er stehe z. B. mit der Basis unten vor dem Behälter, vor dessen andere Hälfte ich einen Graukeil bringe, der alle Übergänge von dunklem zu hellem Grau zeist. Für die Bienen sind also einerseits alle Übergänge von dunklem zu hellem Blau, anderseits alle solche von hellem zu dunklem Grau sichtbar. Vor dieses Grau bringe ich die Sfl.-Platte. In wenigen Sekunden sind die meisten Bienen im Blau; wenn sie hier am Boden des Behälters zum dunklen Blau gekommen sind, laufen sie senkrecht nach oben zu dem hellen Blau, oben angekommen, gehen oder fliegen sie etwas nach rückwärts, dann herunter und laufen nun wieder nach vorne, so daß bald eine dichtgedrängte Schar von Bienen im Blau aufwärts läuft, während die andere, farblose und für uns z. T. viel hellere Hälfte ganz oder fast ganz frei von Tieren ist. Wird das Sfl. und das Grau von der anderen Hälfte weggenommen, so gehen die Bienen sofort aus der blauen in die farblose Hälfte. Bei den ‚‚Dressurversuchen‘ der Zoologen wird den Bienen ein bestimmtes farbiges, z. B. blaues Papier zwischen verschieden hell- und dunkelgrauen geboten. Die von mir gewählte Anordnung, bei der die blauen und grauen Farbenimdurch- fallenden Lichte sichtbar sind, hat vor jener mit auffallendem unter anderem folgende Vorzüge: Einmal kann ich mit wesentlich freieren (,„gesättigteren‘“) farbigen Lichtern arbeiten, zweitens ohne jede Unterbrechung des Versuches leicht die gewählten farbigen Lichter gegen andere vertauschen, überhaupt eine viel größere Mannigfaltigkeit der Kombinationen herbeiführen und Ultraviolett bei jedem Lichte durch Vorschieben bzw. Zurückziehen des Sfl. zulassen oder aus- schalten, ohne daß in dem Aussehen der beiden zu vergleichenden Lichter für unser Auge etwas geändert wird. Ferner sind bei der von mir gewählten An- ordnung nicht, wie dort, nur einzelne blaue zwischen einigen grauen Feldern sicht- bar, sondern unendlich viele verschiedene Blau in allmählichen Übergängen von Dunkel- zu Hellblau neben unendlich vielen Grau in allmählichen Übergängen Die Bedeutung des Ultraviolett für die Dichtreaktionen bei Gliederfüßern. 303 von Dunkel- zu Hellgrau. Während also dort günstigenfalls jedesmal nur eine genaue oder (zumeist) nur angenäherte Gleichung für total Farbenblinde zwischen dem einen blauen und einem der grauen Papiere möglich ist, haben wir hier un- endlich viele genaue Gleichungen zwischen den verschiedenen Blau und Grau. Aus dem Umstande, daß bei jenen ‚Dressur‘ versuchen unter ge- wissen Bedingungen die Bienen in größerer Zahl das blaue Papier be- suchen, schließt man in der Zoologie auf Farbensinn der Bienen. Wer einen solchen Schluß überhaupt für zulässig hält, müßte erst recht auf Farbensinn bei letzteren schließen, wenn diese regelmäßig alle die verschiedenen Blau aufsuchen, die ihnen neben ebenso hellem, dunklerem und hellerem Grau sichtbar sind. Meine Versuche zeigen aber schla- gend, daß man leicht eine Ansammlung der Bienen auf Blau herbeiführen kann, die nicht das Geringste mit Farbensinn zu tun hat. Daher kann aus jenem Besuche blauer Papiere durch Bienen nicht auf Farbensinn geschlossen werden. Die geschilderten Beobachtungsreihen habe ich noch nach zwei Richtungen ergänzt und erweitert. Einmal benützte ich als Licht- quelle statt Tageslicht eine an Ultraviolett besonders reiche Queck- silberdampflampe (Uviollampe von Schott), die im Dunkelzimmer in einem lichtdichten, nur mit kleiner Öffnung versehenen Kasten auf- gestellt war. Dicht vor letzterem befand sich der Behälter mit den Bie- nen, die Versuche wurden in ähnlicher Weise und mit wesentlich gleichem Ergebnisse wie jene bei Tageslicht wiederholt. Um Aüfschluß über die Wirkung der kurzwelligsten ultravioletten Strahlen des Tageslichtes zu erhalten, brachte ich die Tiere in einen kubischen Glasbehälter von 10 cm Seitenlänge, dessen Seiten wieder mit schwarzem Karton umgeben waren; auf die nach oben gerichtete Öffnung legte ich eine Platte von dem für Ultraviolett besonders durchlässigen Uviolkron- glas. Die Bienen sammelten sich bald reichlich unter diesem an; wurde nun eine Hälfte mit einer gewöhnlichen Glasplatte bedeckt, so war keine besondere Ansammlung der Tiere in der freien Hälfte nachzu- weisen. Die Bienen wurden also, ähnlich wie die Ameisen, aber anders 'als wie die Raupen und Krebse, durch die vom Fensterglase durch- - gelassenen Strahlen von 313 uu und weniger nicht merklich in ihrer Bewegungsrichtung beeinflußt!). !) Selbstverständlich darf daraus nicht etwa geschlossen werden, daß die fraglichen Strahlen überhaupt ohne Wirkung auf die Bienen seien. Wenn ich einen Behälter mit Bienen in die Mitte meines Zimmers stelle und den Deckel soweit lüfte, daß die Tiere einzeln herauskönnen, so fliegen sie sämtlich direkt auf das Fenster zu. Dieses besteht in dem fraglichen Raume aus doppelten Scheiben, die in drei Gliedern angeordnet sind und im ganzen eine Breite von 180 cm haben; öffne ich nun den mittleren Teil in einer Breite von nur 45 cm, so eilt die übergroße Zahl der Bienen vom Behälter aus in gerader Liniedurch diese Lücke ins Freie, nur sehr wenige fliegen Segen die Scheiben. Ich halte es für möglich, daß hierfür der verhält- nismäßig große Reichtum der scheibenfreien Teile an Ultraviolett mitbestimmend ist. 304 CO. v. Hess: Seitdem ich vor neun Jahren das Verhalten der Bienen gegenüber farbigen Lichtern zuerst mit spektralen Strahlungen untersuchte, wurden hierher gehörige Fragen wiederholt von zoologischer Seite erörtert, im wesentlichen mit folgendem Ergebnisse: Man nimmt heute z. T. noch Vorliebe der Bienen für Rot an, Graber dagegen meint, Rot sei deren „absolute Unlustfarbe“; auch nachdem ich den Nachweis erbracht hatte, daß Rot auf die Bienen nicht anders wie sehr dunkles Grau bzw. Schwarz wirkt — auch meine schroffsten Gegner haben sich mir hierin angeschlossen —, wird von einer Autorität auf dem Gebiete der Bienenbiologie noch die Meinung vertreten, die schwarze Farbe „erzürne“ die Bienen; auf den Hinweis, daß man mit meinen Methoden sich leicht von der Irrigkeit dieser An- gabe, wie überhaupt der Annahme einer Vorliebe oder Abneigung gegen gewisse Farben überzeugen kann, kam der Autor kürzlich abermals auf die „Stiche verur- sachende schwarze Kleidung‘ zurück und meint, es scheine, als ob dabei ‚‚vielleicht die Farbe als solche wirksam ist‘; doch erkennt er nunmehr an, es sei „sehr wohl möglich, daß lediglich Geruchsdifferenzen in Frage kommen“, und fährt fort: „Die schwarze Kleidung ist meist ein Festgewand, dessen Träger sich gewöhnlich in angeregter Verfassung befindet, schon hierdurch sind erhöhte Körpergerüche wirksam‘ usw. Er bezeichnet diese seine Arbeitsweise gegenüber der meinen als „biologische Forschung‘“. Weiter hat man aus den oben erwähnten ‚Dressur‘'versuchen geschlossen, die Bienen zeigten ‚in allen wesentlichen Punkten‘ das Verhalten eines ‚Prot- anopen“, könnten also Blau und Gelb voneinander und von Grau unterscheiden. Aufmerksame Durchsicht der fraglichen Versuchsprotokolle läßt aber, wie ich früher eingehend zeigte (Arch. f. d. ges. Physiol. 1%0, 347), leicht erkennen, daß bei jenen Versuchsreihen die Bienen weder Blau noch Gelb von Grau unterschieden. Von zoologischer Seite werden meine Ausführungen als „Redensarten“ und als „logischer Saltomortale‘“ bezeichnet. Der physiologisch Geschulte erkennt leicht das Zwingende meiner Beweisführung !), erneute Erörterung ist daher übeıflüssig; zeigen ja doch auch meine neuen Ultraviolettversuche, daß jene üblichen „Dressur‘methoden für die Frage nach einem Farbensinne der Bienen überhaupt nicht in Betracht kommen. 6 V. Wirkung des Ultraviolett auf Chironomuslarven. Auf die große Lichtempfindlichkeit der Chironomuslarven habe ich früher 2) aufmerksam gemacht und gezeigt, wie ihre Neigung, mit den bekannten peitschenartig schnellenden Bewegungen zum Hellen zu schwimmen, genauerer Untersuchung ihrer Sehqualitäten dienstbar gemacht werden kann. Im weiteren Verlaufe meiner Untersuchungen fand ich die im folgenden beschriebene merkwürdige Reaktion bei Änderung der Menge des Ultraviolett in einem auf die Larven wirken- den Strahlgemische. Die verschiedenen Arten sind für unsere Zwecke nicht gleich gut geeignet. Am besten reagierten Tiere, die ich im August im Starnberger See reichlich auf Tannwedeln fand. Brachte ich letztere unmittelbar aus dem Wasser in ein großes !) Von allen den Zoologen, die auf dem Gebiete der physiologischen Optik so schroff gegen mich Stellung nehmen, hatte nicht einer das Bedürfnis, sich auch nur mit den Anfangsgründen dieser Wissenschaft vertraut zu machen. ?) Vergleichende Physiologie des Gesichtssinnes (1912), S. 96 und Arch. f. d. ges. Physiol. 183, 147. 1920. Die Bedeutung des Ultraviolett für die Lichtreaktionen bei Gliederfüßern. 305 Glas, das ich ans Fenster stellte, so hatten sich in wenigen Minuten auf dem Boden des Behälters auf dessen Fensterseite zahlreiche kleinste, nur I—2 mm lange Larven gesammelt, die ich mittels Hebers in die Untersuchungsgefäße brachte. Leider sind die Tiere sehr hinfällig und mußten daher in den ersten Stunden nach dem Fange untersucht werden; nur einen kleinen Teil der Versuche konnte ich noch am folgenden Tage vornehmen. Stellt man einen rechteckigen, etwa 5 cm langen, 2 cm breiten und hohen Behälter aus Spiegelglas mit 50—100 Larven so ans offene Fen- ster, daß man sie im durchfallenden Lichte mit der Lupe bequem beob- achten kann, so zeigt sich folgendes: Die Tiere steigen, wenn der Behälter einige Zeit ruhig gestanden hat, mit lebhaften schnellenden Bewegungen nach oben, ihre große Empfindlichkeit für Lichtstärken- unterschiede zeigt sich dabei darin, daß, wenn der Behälter z. B. nur ein wenig schräg zum einfallenden Lichte steht, sie lebhaft nach der Fensterseite eilen; an der Oberfläche angekommen, hängen sie sich dort mit ihren Atemröhren fest und bleiben als senkrechte Stäbchen hängen, bei Erschütterung gehen sie rasch nach unten, fangen aber sehr bald wieder an, nach oben zu schnellen. Schaltet man das Ultraviolett des Tageslichtes durch Vorhalten einer großen Sfl.-Platte vor die. Fensterseite des Behälters aus, so werden in den nächsten Sekunden die Bewegungen der Larven auffallend viel lebhafter, so daß man bei günstiger Anordnung fast nur die stark gekrümmten oder fragezeichen- förmigen, rasch bewegten Gestalten sieht. Zieht man die Sfl.-Platte weg, so hören nach etwa einer Sekunde die Bewegungen bei einer großen Zahi der Tiere auf, letztere erscheinen jetzt gerade gestreckt, stäbchen- förmig und sinken langsam nach unten. Nach mehreren Sekunden fangen dann die schnellenden Bewegungen nach oben wieder an, im allgemeinen aber viel weniger lebhaft als es nach Ausschalten des Ultra- violett der Fall war. Besonders hübsch gestaltet sich die Erscheinung, wenn man eine Sfl.-Platte zunächst vor den ganzen Behälter schiebt und sie, wenn die Tiere in allen seinen Teilen gleichmäßig nach oben gehen, seitlich nur soweit zurückzieht, daß die eine Behälterhälfte von ultraviolettreichem, die andere von ultraviolettarmem, für uns aber . gleich aussehendem Tageslichte durchstrahlt ist: In ersterem sieht man dann vorwiegend die geraden, langsam sinkenden Stäbchen, in letzterem zumeist die gekrümmten, nach oben schnellenden Formen. Noch schöner, doch weniger bequem zu beobachten sind diese Er- scheinungen, wenn man die Tiere in flache Schalen bringt, so daß das Tageslicht direkt, ohne vorher durch die Glaswand des Behälters ge- gangen zu sein, zu ihnen gelangt, und dann die Sfl.- Platte schräg über die Schale hält bzw. wegzieht. Solche Beobachtungen stellt man am besten unter einer Präparierlupe an. Vorschieben bzw. Wegziehen yon Fensterglas hatte keinen sichtbaren Einfluß auf unsere Larven. ’ 306 ©. v. Hess: Hält man statt der Sfl.-Platte ein rubinrotes Glas zwischen das Fenster und die Tiere, so zeigt sich oft eine ähnliche vermehrte Neigung nach oben zu gehen und nach Wegziehen der roten Platte eine Verlangsamung oder vorübergehend völliges Aufhören der Schwimmbewegung; bei Beschatten der Tiere durch Vor- schieben eines dunklen Kartons bzw. nach Zurückziehen des letzteren kann man Ähnliches sehen. Besonders auffällig werden die geschilderten Erscheinungen, wenn man einen großen Teil der sichtbaren Strahlen des Tageslichtes durch das für Ultraviolett besonders durchlässige dunkelblaue Blauuviolglas ausschaltet, Hält man ein solches gleichzeitig mit Sfl. vor den Behälter, so werden die Be- wegungen der Larven äußerst lebhaft, bei Wegziehen des Sfl. hören sie oft für einige Sekunden fast vollständig auf. Wir lernen hier abermals eine neue merkwürdige Reaktion kennen, für die der Gehalt des einwirkenden Strahlgemisches an Ultraviolett wesentlich ist; sie unterscheidet sich von mehreren anderen von mir beschriebenen Reaktionen dadurch, daß sie auf die Neigung der Tiere, zum Hellen zu gehen, ohne sichtbaren Einfluß ist. Dies zeigen besonders eindringlich die folgenden, auch in anderer Hinsicht für das Verständnis unseres Problems wichtigen Parallelversuche. Von drei gleichen, rechteckigen, kleinen Spiegelglasbehältern wird der eine mit frisch gefangenen Daphnien, der zweite mit Chironomuslarven, der dritte mit Polyphemus beschickt. Sie werden jedesmal mit der Längsachse parallel zum Fenster aufgestellt, auf beiden Seiten steht unter einem Winkel von 45° zur Be- hälterachse je eine mattweiße Fläche, die rasch gegen eine dunkelgraue vertauscht werden kann. Durch einen [ ]-förmigen Sturz, der über den Behälter geschoben wird und beiderseits I—2cm über dessen Seiten hinausragt, ist erreicht, daß nur das von den weißen bzw. dunkelgrauen Flächen zurückgeworfene Licht zu den Tieren gelangen kann. In der nebenstehenden Tabelle ist das Ergebnis eines derartigen Parallelversuches zusammengestellt, bei dem abwechselnd die Daphnien, Chironomus und Polyphemus unter gleichen äußeren Bedingungen den be- zeichneten Strahlgemischen ausgesetzt wurden. Kontrollversuche wurden jedes- mal in der Weise vorgenommen, daß ich die weiße und dunkelgraue Fläche jeweils vertauschte und die Sfl.-Platte einmal vor das linke, einmal vor das rechte Ende des Sturzes hielt. Nach je zwei Minuten wurde die Verteilung der Tiere verzeichnet. von links wirkt | von rechts wirkt |, ie Chironomuslarven die Daphnien!) : | schwimmen | schwimmen ERS Zz I 1. Dunkles Grau | Weiß | nach rechts vorwiegend nach links 2: Weiber anne. Weiß und nach beiden Seiten | fast alle nach rechts Schwerstflint gleichmäßig 3. Dunkles Grau | dunkles Grau nach beiden Seiten | fast alle nach rechts ‚ und Schwerstflint | gleichmäßig 4. Dunkles Grau Weiß und | alle rechts fast alle rechts Schwerstflint DEIWEID 2.2.0.0. | dunkles Grau alle links fast alle rechts | und. Schwerstflint 2) Die Poliphems schwammen bei 1. nach rechts, im übrigen zeigten sie gleiches Verhalten wie die Daphnien. Die Bedeutung des Ultraviolett für die Lichtreaktionen bei Gliederfüßern. 307 Die Versuche lehren, daß die Chironomuslarven jedesmal nach der helleren von beiden Flächen schwimmen, einerlei ob sie verhältnismäßig reich oder arm an Ultraviolett ist; die Daphnien dagegen schwimmen jedesmal nach derultraviolettärmeren Seite, einerlei ob sie für uns wesentlich heller oder dunkler ist als die andere, Ich führe nur diese Versuche mit sehr großen Lichtstärkenunterschieden an, welche für die uns zunächst interessierenden Fragen von besonderem Interesse sind. Auf dem angedeuteten Wege lassen sich gerade mit den so fein reagierenden Chironomuslarven unschwer auch genauere, messende Versuche anstellen, z. B. so, daß man z. B. beiderseits gleiche weiße Flächen aufstellt und dann auf der einen Seite in der früher von mir beschriebenen Weise einen Episkotister mit wechselnden Ausschnitten rotieren läßt, oder, wenn es auf weniger große Genauig- keit ankommt, einen Graukeil (s. oben) von geeigneten Abmessungen und be- kannter Absorptionskurve vor dem Sturz verschiebt, auf der anderen gleichfalls einen grauen Keil, wenn es sich um Bestimmung der Unterschiedsempfindlichkeit für Helligkeiten handelt, oder ein farbiges Glas, wenn die relativen Helligkeiten farbiger Lichter für unsere Larven messend bestimmt werden sollen. Unter den Schmetterlingen fand ich den kürzlich als farbentüchtig beschriebenen Taubenschwanz (Macroglossa stellatarum). besonders ge- eignet, um auch hier totale Farbenblindheit und starke Ultraviolett- wirkung nachzuweisen; ich werde darüber in anderem Zusammenhang eingehender zu berichten haben. VI. Einige Folgerungen für die Frage nach einem Farben- sinne bei Arthropoden. Nachdem ich die totale Farbenblindheit bei Arthropoden durch Spektrumversuche erwiesen hatte, ließ sich das Problem nicht mehr fördern durch fortgesetzte Wiederholung der Behauptung, jene ‚Dres- sur“versuche bei Bienen bewiesen einen Farbensinn. Vielmehr konnte jetzt die Frage nur noch lauten: Wann und wodurch vermögen Augen ohne Farbensinn gewisse für uns farbige Strahl- semische von farblosen zu unterscheiden? Diese Aufgabe ist durch die vorliegende Untersuchung für eine Reihe von Gliederfüßern gelöst und damit ein Weg gezeigt, auf dem die Untersuchung weiterer Arten wohl keine nennenswerten Schwierig- keiten mehr bieten wird. Zur Feststellung totaler Farbenblindheit im Menschenauge dient uns vorwiegend die Methode der Gleichungen zwischen zwei für den Normalen farbigen oder einer farbigen und einer grauen Fläche. Damit eine farblose Fläche dem total Farbenblinden mit einer gegebenen farbigen gleich erscheine, muß man der ersteren eine bestimmte Licht- . ' stärke geben. Diese ist bei passender Wahl der farbigen Lichter für totale Farbenblindheit charakteristisch und eben durch das Fehlen der farbigen Empfindungskomponente bestimmt. 308 C. v. Hess: Bei solchen Feststellungen sind wir auch beim Menschen nicht notwendig auf Äußerungen des Untersuchten angewiesen: Jene charakteristischen Helliskeiten, in welchen bei den eben erwähnten Versuchen die farbigen Lichter gesehen werden, kommen auch in ent- sprechendem Verhalten des Pupillenspieles bei abwechselnder Wirkung eines farbigen und farblosen oder zweier farbiger Lichter am Pupilloskop zum Ausdrucke. Man kann also auch beim Menschen totale Farbenblindheit objektiv feststellen auf Grund der Lichtstärken, die man farblosen Lichtern zur Herstellung der pupillomotorischen Glei- chung mit bestimmten farbigen geben muß. Bei partieller Farbenblindheit, Rot- oder Grünblindheit, muß, sofern überhaupt eine Gleichung zwischen dem betreffenden farbigen und dem farblosen Lichte möglich ist, dem letzteren eine wesentlich andere Stärke gegeben werden, als bei totaler Farbenblindheit. Dieses Prinzip der Gleichungen läßt sich, wie ich gezeigt habe, bei Beachtung entsprechender Vorsichtsmaßregeln auch auf niedere Tiere anwenden: Untersuchen wir geeignete Gliederfüßer in ultraviolett- freiem Lichte, also z.B. im Spektrum oder mit passenden farbigen Glaslichtern, so zeigt sich, daß die Gleichungen des total farben- blinden Menschen auch für sie Gleichungen sind, nichtaber die ‘ Gleichungen des Rotblinden. Die von zoologischer Seite immer wiederholte Behauptung, die Bienen verhielten sich in allen wesent- lichen Punkten wie solche ‚Protanopen‘“, ist also nachweislich unrichtig. Ein zweites charakteristisches Merkmal der totalen Farbenblindheit ist die Unabhängiskeit der für ein solches Auge eingestellten Gleichungen von Lichtstärke und Adaptationszustand, während im farbentüchtigen und im partiell farbenblinden Auge die relativen Helligskeiten zweier farbiger Lichter mit Lichtstärke und Adaptation gesetzmäßig in be- trächtlichem Umfange variieren (Purkinjesches Phänomen). Auch diese Erscheinungen konnte ich mehrfach zur Untersuchung von Licht- und Farbensinn bei Tieren benutzen und z. B. mit meinen pupilloskopischen Methoden das Vorhandensein eines Purkinjeschen Phänomens bei Tagvögeln, das Fehlen eines solchen bei Cephalopoden, Arthropoden u. a. nachweisen. Die Verwirrung, die trotz alledern in der Frage nach einem Farben- sinne bei Arthropoden noch immer in weiten Kreisen herrscht, ist, soweit ich sehen kann, wesentlich auf zwei Irrtümer zurückzuführen. Der eine betrifft die Folgerungen aus der Tatsache, daß die fraglichen Wirbellosen den verschiedenen Strahlen des uns sichtbaren Spektrums gegenüber das für totale Farbenblindheit charakteristische Verhalten zeigen. Selbstverständlich kann hieraus nur geschlossen werden, daß sie total farbenblind sind. Die Bedeutung des Ultraviolett für die Lichtreaktionen bei Gliederfüßern. 309 Immer wieder möchte man sich hierüber mit der Wendung hinwegsetzen, man könne diesen „Schluß“ ‚nicht als zwingend anerkennen‘. Wenn auch beim ' Menschen die fragliche Helligkeitsverteilung für Farbenblindheit charakteristisch sei, könne ein Tier, das diese Helligkeitsverteilung zeigt, doch ‚auch‘ Farbensinn haben, ja sogar in allen wesentlichen Punkten Übereinstimmung mit dem Ver- halten eines „Protanopen‘ zeigen, für den doch eine ganz andere Helligkeitsver- teilung charakteristisch ist. Der Fehler, den man hier begeht, ist von ähnlicher Art wie jener, auf den die bekannte Frage zielt, was schwerer sei, ein Pfund Blei oder ein Pfund Watte. Denn jene Argumentation ist nicht viel besser, als die eines Mannes, der etwa sagen wollte, wenn beim Blei charakteristisch sei, daß das Pfund 500g wiege, könne;man den „Schluß“ doch nicht als zwingend anerkennen, es müsse bei der Watte ebenso schwer sein; vielleicht könne es hier doch leichter sein als dort. Von anderer Art ist der zweite Irrtum, der viele veranlaßt, an der üblichen Annahme eines Farbensinnes bei Gliederfüßern, speziell bei Bienen, noch festzuhalten. Wenn diese unter gewissen Umständen sich besonders zahlreich z.B. auf für uns vorwiegend blauen Papieren niederlassen, die ihnen zwischen verschieden hell- und dunkelsrauen geboten werden, meint man, diese blauen Papiere könnten sich, wie - für uns, auch für die Bienen nur durch die Farbe von den grauen unterscheiden. Dieser Analogieschluß vom Menschen- auf das Bienen- auge hat zur Voraussetzung, daß eine für das normale und das total farbenblinde Menschenauge gültige Gleichung zwischen farbigen oder farblosen Flächen unter allen Umständen auch eine Gleichung für total farbenblinde Arthropoden sein müsse. Unsere Versuche haben die Unrichtigkeit dieser Voraussetzung eindringlich dargetan: Einmal konnte ich für sieben verschiedene Arthropoden (Raupen, Bienen, Daphnien, Polyphemus, Ameisen, Chironomuslarven und Schmetterlirge), mehrfach sogar durch Messung, den Nachweis bringen, daß zwei farblose oder zwei farbige Lichter, die unserem Auge gleich erscheinen, auf jene Arthropoden verschieden wirken könren, falls das von dem einen Lichte ausgehende Strahlgemisch einen anderen Gehalt an Ultraviolett hat als das zweite. Sahen wir doch, daß schon Vorhalten bzw. Wegziehen gewöhnlichen Fensterglases genügen kann, um die Bewegungsrichtung verschiedener Krebsarten umzukehren, ob- schon für unser Auge dieses Glas das Aussehen der Lichtquelle nicht merklich ändert. Zweitens konnte ich zeigen, daß mehrere Arthro- podenarten sich regelmäßig z. B. bei einem bestimmten Blau sammeln, gleichgültig, ob das die übrigen Behälterteile bestrahlende farblose Licht dem total farbenblinden Menschenauge gleich hell, heller oder dunkler als das Blau erscheint; sie verhalten sich darin also ganz ähnlich wie die Bienen bei jenen ‚Dressur‘versuchen. Daß dieses Aufsuchen des für uns farbigen Lichtes aber nichts mit Farbensinn zu tun hat, lehren besonders eindringlich z. B. die „Um- kehrversuche‘ bzw. Versuche mit Aus- oder Einschalten des Ultraviolett Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 185. 21 310 €. v. Hess: Die Bedeutung des Ultraviolett für die Lichtreaktionen usw. ohne hier in Betracht kommende Änderung der Zusammen- setzung des für uns sichtbaren Strahlgemisches, wodurch allein jene Ansammlung im Blau sofort aufgehoben wird. Allen Äußerungen über eine angebliche Beweiskraft von ‚‚Dressur“- versuchen auf bestimmte Farben ist der Boden entzogen durch den Nachweis, daß man dabei von falschen Voraussetzungen ausgeht. Man kann nicht einwenden, aus dem Umstande, daß die untersuchten Krebse, Ameisen, Bienen und Schmetterlinge das fragliche Verhalten zeigen, dürfe noch nicht geschlossen werden, daß ein Gleiches für alle anderen Arthropoden gelte; ließe sich doch einem solchenEinwande unter anderem entgegenhalten, daß der Analogieschluß von einem Arthropodenauge auf ein anderes mindestens ebenso zulässig ist wie der von Menschen- auf Arthropodenaugen. Aber nicht darum handelt es sich, ob alle Gliederfüßer gewisse farbige Lichter von farblosen in der gleichen Weise unterscheiden wie Krebse, Ameisen, Raupen, Bienen und Schmetterlinge, sondern um die wichtige Feststellung, daß auf eine ganze Reihe verschiedener Arthro- poden zwei für uns gleich aussehende Lichter sehr ver- schieden wirken können. Denn hieraus folgt, daß zwei für uns nur durch ihre Farbe verschiedene Lichter, die auf Arthropoden ver- schieden wirken, nicht notwendig auch für diese nur durch die Farbe verschieden sein können, daß also die Fähigkeit, zwischen 'be- stimmten farbigen und farblosen Lichtern zu unterscheiden, bei Arthropodenaugen kein charakteristisches Merkmal für Farbensinn ist. Darum ist es aussichtslos, die Frage nach einem Farbensinne der Gliederfüßer mit den in der Zoologie noch immer üblichen „Dressur‘methoden lösen zu wollen. Einfache Apparate zur Gasanalyse und Mikrorespirometrie in bestimmten Gasgemischen, und über die Bedeutung des Hämo- globins beim Regenwurm. Von Hermann Jordan und Bea Schwarz. (Mededeelingen uit het zoölogisch laboratorium der ryks-universiteit te Utrecht. NE 53) Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 14. Oktober 1920.) I. Die Apparate von H. Jordan. Einige sehr einfache Apparate, die ich für Unterrichtszwecke kon- struierte, möchte ich hier beschreiben, weil sie auch für.rein wissen- schaftliche Zwecke Dienst tun können, und weil wir ihrer Beschreibung in unserer zweiten Abhandlung, über die Bedeutung des Hämoglobins beim Regenwurm bedürfen. Wenn man eine größere Anzahl Schüler in irgendein Teilgebiet der (vergleichenden) Physiologie einführen will, dann müssen die benutzten Apparate gewissen Ansprüchen genügen. Sie müssen billig sein, so daß man einem jeden Schüler ein Exemplar in die Hand geben kann. Sie müssen einfach sein, d.h. ihr Ergebnis muß ohne weiteres ins Auge fallen, muß ‚‚demonstrativ‘ sein. Endlich. das bestätigt sich leider bei jedem Zusammenarbeiten in Form eines Kursus, die Bedienung des Apparates muß wenig Übung voraussetzen. Übung gewinnt der Student fast nur in Einzelarbeit. Für die biologische Gasanalyse ist durch Kroghs bewundernswerte Apparate den dargetanen Ansprüchen in vielen Beziehungen Genüge getan. Kroghs Mikrotonometer ist ein Apparat für Gasanalyse, wie er einfacher kaum gedacht werden kann. Er besteht bekanntlich aus einer feinen graduierten Capillare, die an einem Ende verschließbar, am anderen Ende aber etwas erweitert ist. In der Nähe des verschließ- baren Endes befindet sich ein angeschmolzenes Seitenrohr, welches mit einer Quecksilberschraube endet. Mit Hilfe dieser Schraube kann man den Inhalt der geeichten Capillare beliebig hin- und herbewegen. Hier- durch kann man diese erst mit Wasser füllen, sodann kleine Gasmengen einsaugen und messen. Nunmehr kommt Flüssigkeit in die offene Er- weiterung der @apillare, die eines der Gase absorbiert, dessen relative 91* H. Jordan und B. Schwarz: Menge innerhalb der ersterwähnten Gasprobe man wissen will. Also etwa Kalilauge für Kohlensäure usw. Man treibt mit der Schraube das Gas in die Abb. 1. Flüssigkeit, und saugt es nach Absorption wieder zurück, mißt aufs neueund berechnet den relativen Gehalt an ab- sorbiertem Gas aus dem Unterschiede beider Messungen. Der Temperaturkonstanz wegen steckt die Capillare in einem weiten, wassergefüllten Glasrohr mit Thermometer. Dieses Instrument. dessen Dimensionen vollkommen an seine tonometrischen Aufgaben angepaßt sind, ist ziemlich teuer; völlig ungeübte Studenten können in der Regel nicht mit ihm umgehen, einmal der Kleinheit der analysierbaren Gasmengen, dann der Form jener offenen Erweiterung wegen; endlich wird in ihren Händen die Quecksilberschraube nur zu bald undicht. Ich benutze für einfache Gasanalyse (ganz abgesehen zunächst von Tonometrie, auf die ich noch zurückkomme) eine vereinfachte Modifikation des Kroghschen Apparates. Die Capillare (X) hat einen Durchmesser von 1/,—1 mm je nach Verwendung, meistens wähle ich 1 mm. Erleich- ‘ terung der Arbeit, sowie geringerer Fehler durch an der Wand hängenbleibende Flüssigkeitsmengen ist hiervon der Hauptvorteil. An Stelle der Quecksilberschraube befindet sich am geschlossenen Ende der Capillare ein Stück starkwandigen Gummischlauches (?), der an seinem freien Ende durch einen Glasstab (St) geschlossen ist. Am Gummischlauch befindet sich ein Schraubenquetsch- hahn (Q), dessen Schraube die nämliche Bedeutung zukommt, wie der Quecksilberschraube des Kroghschen Apparates, denn unser Schlauch wirkt als Pipette. Man hat bei dieser einfachen Vorrichtung einen großen Spiel- raum, da man durch Eindrücken und Ausziehen des Glasstiftes die Wirkung der Schraube beliebig vergrößern kann. Die Capillare geht an ihrem offenen Ende in eine Erweiterung (@) über, die viel größer ist als die des Kroghschen Apparates. Sie hat Glockenform und trägt seitlich ein schräges Ansatzröhrchen (A), dessen vielseitige Verwendung teilweise besprochen werden soll, wenn wir die Benutzung dieses Apparates beschreiben. Die Capil- lare ist kalibriert. Ausführung einerLuftanalyse. Den Pipettgummischlauch (P), an einer Seite durch den Glasstift verschlossen, füllen wir voll- ständig mit Wasser. Dann setzen wir ihn auf die Capillare. Hierdurch Einfache Apparate zur Gasanalyse und Mikrorespirometrie usw. 313 wird auch diese mit Wasser vollkommen gefüllt. Mit Hilfe der (zuvor angezogenen) Schraube oder des Stiftes saugen wir eine Luftprobe in die Capillare, bringen sodann etwas Wasser auf die Mündung der Capillare in der Glocke, saugen auch dieses Wasser ein, und nun ist die zu ana- lysierende Gasmenge abgeschlossen. Sie wird bei bestimmter Tem- peratur gemessen: Der Apparat kommt in ein Gefäß !) mit Wasser (Thermometer) und nach einiger Zeit wird abgelesen und von der gefundenen Länge die Werte abgezogen, die man nach der Absorption erhält. Die Absorption erfolgt für Kohlensäure?) in Kalilauge 2—5%, für Sauerstoff in folgender Mischung, der ich vor Pyrogallol den Vor- zug gebe: 5 Teile Seignettesalz 30%, 1 Teil Kalilauge 60%, eine Lö- sung, die bewahrt werden kann. Diesem Gemisch wird vor dem Ge- brauch 1 Teil Eisensulfat (Ferrosulfat) 40% zugesetzt. Die Glocke wird mit einem Gummistöpsel geschlossen und die Absorptionsflüssigkeit, die in einer Bürette stets bereit steht, mit aus- gezogener Glasspitze durch die Seitenröhre A in die Glocke eingelassen. Jede Luftblase muß vertrieben werden, die Flüssigkeit muß mindestens zur Hälfte in der Seitenröhre stehen. Nun neigen wir den Apparat etwas, die Seitenröhre nach unten haltend, und schrauben die Analysen- luft in die Glocke und saugen sie nach vollendeter Absorption wieder zurück). Die Verwendung dieses einfachen und billigen Apparates, mit dem sich bei einiger Übung große Genauigkeit erzielen läßt, ist außerordent- lich mannigfach. Es ist kaum eine Messung kleiner Gasmengen denkbar, die mit dieser Vorrichtung nicht auszuführen wäre. Die Art, wie wir das Gas in der Glocke auffangen und hernach abschließen, und wie wir dabei die einzelnen Teile des Apparates verwenden, ist naturgemäß sehr verschieden. Hier nur einige Beispiele: 1. Proben eines Gasstromes. Der Apparat wird an einem gewöhn- lichen Stativ, die Glocke nach oben befestigt und diese mit doppelt durchbohrtem Gummistöpsel geschlossen. Zwei Glasröhren leiten in das !) Wir nehmen weiße Schüsseln, in denen der Apparat auf einem mit Eisenlack schwarz gemachten Streifen liegt. Um auch mit Quecksilber leicht arbeiten zu können, verdient beim Ablesen die horizontale Lage den Vorzug. ?) Bei Luftanalysen kommt Kohlensäurebestimmung nicht in Betracht. Bei Respirationsgasen muß stets erst mit Lauge gearbeitet werden; in diesem Falle muß man mit Quecksilber statt Wasser arbeiten. Pipette und oberer Teil der Capillare darf ruhig Wasser enthalten, wenn es nur nie mit dem Gas in Be- rührung kommt. Bei genauen Arbeiten mit Kohlensäure vermeide man jedes Wasser. Alsdann verwendet mian für die Pipette dickwandigen Schlauch, wie er bei Saugpumpen Verwendung findet. ?) Einzelheiten lasse ich beiseite. Fehler muß man durch die Erfahrung lernen zu vermeiden (Verlust der Analyseluftblase usw.). Die zur Absorption nötige Zeit stellt nian durch wiederholtes Messen der Gasmenge fest. Kohlensäure geht sehr schnell, Sauerstoff in wenigen Minuten. 314 H. Jordan und B. Schwarz: Innere der Glocke. Die äußeren Enden der beiden Glasröhren sind mit zu- und ableitendem Gummischlauch versehen, welche beide durch den nämlichen Quetschhahn abgeschlossen werden können. Das Seitenrohr trägt ein kurzes Stück Schlauch, das am freien Ende mit einem Glas- stift geschlossen und mit der Absperrflüssigkeit gefüllt ist. Wenn der Gasstrom lang genug durch die Glocke gegangen ist um alle Luft ver- trieben zu haben, schließen wir Zu- und Ableitung, saugen eine Probe in die Capillare, bringen durch einen Druck auf den Schlauch des Seiten- rohres Absperrflüssigkeit (49) auf die Mündung der Capillare, saugen auch diese ein und analysieren. Die Zusammensetzung ausgeatmeter Gase läßt sich derart recht gut zeigen. Doch beschreibe ich bei einer anderen Gelegenheit eine speziale Modifikation für die Analyse von Proben aus Gasströmen. Tonometrie. Es gibt eine Anwendung der Tonometrie, bei der man mit ziemlich weiter Capillare (0,5—1l mm Durchmesser) arbeiten kann, wenn man nur kurze Luftblasen wählt. Das ist die Unter- suchung des Sauerstoffgehaltes von Gewässern. Mit Hilfe unseres ein- fachen Apparates können wir in der Tat in Gewässern, die bei dem be- treffenden Druck gasgesättigt sind, sehr genau den. Sauerstoffgehalt bestimmen. In unserem hiesigen Exkursionsgebiete entsprachen alle untersuchten Gewässer der Grundbedingung der Tonometrie, da sie ihre evtl. Sauerstoffarmut stets dem Umstande verdanken. daß der Sauerstoff durch Sumpfgasblasen ‚„ausgewaschen“ wird: Es herrscht inihnen daher normaler Gasdruck. Die Zahlen stimmten bei unseren Versuchen mit den nach Winkler gefun- denen sehr gut überein. In allen Fällen wurde der Apparat in das zu untersuchende Wasser getaucht, die kleine Luftblase (wie bei der Ab- sorption) in die Glocke geschraubt, nach 5—10 Min. zurückgesogen und analysiert. Bei hydrobiologischen Exkursionen leistet diese Methode vortreffliche Dienste. Der Apparat als Mikrorespirometer für Untersuchung der Atmung in bestimmten Gasgemischen. Wir kommen nun zu der Aufgabe, deren Lösung Gegenstand unserer zweiten Mitteilung ist. Die gebräuchlichen Mikrorespirometer, mit Ausnahme des großen Apparates von Thunberg, lassen die Unter- suchung der Atmung in abnormen Gasgemischen ohne weiteres nicht zu !). Unsere zu beschreibende Vorrichtung erschien uns einfacher als andere, und unter den unserer Fragestellung entsprechenden Bedin- gungen auch durchaus einwandfrei. Zur Not kann man unsere be- schriebene Gaspipette ohne weiteres gebrauchen, doch, da es sich bei Respirometrie um genau bekannte Gasvolumina handelt, so benutzen. !) Siehe hierzu T. Gaarders Methode, um Kroghs Mikrorespirometer mit Gasgemischen zu füllen. Biochem. Zeitschr. 89, 48. 1918. Einfache Apparate zur Gasanalyse und Mikrorespirometrie usw. 3 wir eine Modifikation, bei der die Glocke @ einmal länger ist als bei der gewöhnlichen Pipette, dann aber kann die Glocke durch einen Glasstöpsel (W) verschlossen werden. Dieser Glasstöpsel ist — wie das bei den Flaschen von Winkler (Titrieren des Sauerstoffgehaltes von Wasser) der Fall ist — schräg abgeschliffen, so daß ohne nennenswerte Druck- erhöhung die gefüllte Glocke abgeschlossen werden kann. Eine Feder (F) hält den Glasstöpsel in der zum Verschlusse nötigen Lage. Das Seitenrohr A der Glocke kann durch einen Hahn verschlossen werden. Allgemeines über die Benutzung dieses Apparates. Wenn es sich darum handelt, die ab- solute Menge Sauerstoff festzustellen, die ein Tier in einer bestimmten Zeit verbraucht, so verwenden wir stets Kroghs Mikrorespirometer, der zumal in Verbindung mit Wintersteins Prinzip fast ohne Rechnung die gewünschten Werte liefert. Unsere Pipette dagegen eignet sich dazu, um folgende Frage zu entscheiden: Bis zu welchem Grade vermag ein bestimmtes Tier den Sauerstoff seiner Umge- bung auszunützen? Ich kann in die Glocke ein Tier bringen, dieses unter Verschluß bei konstanter Tem- peratur eine Zeitlang darin lassen, später (Kohlen- säure- und) Sauerstoffgehalt einer Gasprobe fest- stellen. An sich sagt der Wert noch nichts. Wenn ich nun aber den gleichen Versuch mit einem an- deren Tier gleichen Volumens, oder mit dem gleichen Tiere unter anderen Bedingungen anstelle, dann kann ich die zwei Zahlen relativen Sauerstoff- verbrauches ohne weitere Rechnung miteinander vergleichen. Auf die Gleichheit der Gasvolumina in beiden Versuchen muß naturgemäß genau geachtet werden. Nun kann man in der Glocke auch beliebig gemischte Gase auffangen, z. B. Stickstoff mit weni- gen, genau festgestellten Prozenten Sauerstoff. Man kann endlich dem Gasgemisch eine kleine Menge Kohlenoxyd zusetzen, welches man zuerst in die Capillare gebracht hat, um sie genau zu messen, und die man dann dem Inhalte der Glocke beimenst. "Dies geschieht mit der Pipettschraube. Sn een Beschreibung eines Versuches mit Benutzung von Gas- mischungen. Ob man als Absperrflüssigkeit Wasser oder Queck- 316 H. Jordan und B. Schwarz: silber wählt. hängt von den zu untersuchenden Gasen ab. (In der Capillare befindet sich Quecksilber.) Wenn man sich für die Kohlen- säure interessiert, so darf man lediglich Quecksilber nehmen. Bei Anwendung von Gasgemischen, die sehr arm an Sauerstoff sind, und bei Versuchen, bei denen es lediglich auf den Sauerstoff ankommt, empfiehlt es sich, ausgekochtes Wasser zu nehmen. In der Glocke wird — mit geschlossenem Hahn — das Gas unter der Sperrflüssigkeit auf- gefangen. Nun kommt das Objekt in die Glocke, nachdem in der Sperr- flüssigkeit Luftbläschen von seiner Oberfläche entfernt wurden. Kurze . Zeit läßt man die Sperrflüssigkeit innerhalb der Glocke abiaufen (gebogene Pinzette). Dann kommt der Glasstöpsel auf die Öffnung, der mit einer Drahtfeder festgeklemmt wird (Winklerverschluß). Nun öffnet und schließt man unter Wasser den Hahn des Seitenrohres (Druckausgleich, unter Quecksilber neige man den Apparat), und stellt die Pipette in ein Gefäß mit Wasser von konstanter Temperatur. Nach der gewünschten Zeit entnimmt man der Glocke eine Gasprobe wie folgt: Man hält den Apparat mit der Glocke nach oben, schraubt aus der Capillare ein wenig Quecksilber in die Glocke und neigt die Pipette etwas zur Seite. Nun saugt man die Probe ein, hält die Pipette sodann wieder senkrecht, so daß der Quecksilbertropfen auf die Öft- nung der Capillare fällt, saugt auch diesen ein. Nunmehr öffnet man vorsichtig den Hahn, entfernt Glasstöpsel und Tier und analysiert die Gasprobe!!). II. Die Bedeutung des Hämoglobins beim Regenwurm. (Nach Ver- suchen von Bea Schwarz.) Es ist eine, den Biologen geläufige Tatsache, daß Hämoglobin bei solchen Wirbellosen vorkommt, welche normalerweise in sauerstoff- armer Umgebung leben?). Daß eine feste Beziehung zwischen beiden Faktoren besteht, kann als bewiesen betrachtet werden, einmal durch die zitierten, dann aber durch Untersuchungen, auf die wir weiter unten zu sprechen kommen. Als wir unsere Untersuchungen planten, kannten !) Falls man die Volumenveränderung in der Glocke durch die Atmung des: Tieres messen will, so kann man das mit dem Inhalte der Capillare tun. Statt des Glasstiftes kommt dann oben auf das Stück Gummischlauch ein Glashahn, den man beim Versuch (horizontale Lage der Pipette!) offen läßt. Auch die Differentialmethode (Thermobarometerprinzip) ist leicht anzuwenden. Doch verzichte ich hier auf eine Beschreibung dieser und anderer Modifikationen der Pipette. 2) Ray Lankester, E., A Contribution to the Knowledge of Haemoglobin. Proc. R. Soc. London 21, 70. 1872/73. — Thienemann, A., Intern. Rev. Hydrobiol. 1913, S. 243. — Pause, Johannes, Beiträge zur Biologie und Phy- siologie der Larve von Chironomus Gregorius. Zool. Jahrbücher 36. Abt. allg. Zool., Physiol. 1918, S. 339. Einfache Apparate zur Gasanalyse und Mikrorespirometrie usw. 317 wir lediglich die zitierte Literatur. Es schien uns interessant zu sein, das Problem von einer neuen Seite in Angriff zu nehmen. Gewiß bedarf ein Regenwurm in seinen sauerstoffarmen Gängen des roten Farbstoffes, um sich die Reste des lebenswichtigen Gases an- eignen zu können. Es interessierte uns jedoch die Frage, ob auch beim Sauerstoffpartiärdrucke der Luft unser Wurm auf das Hämoglobin angewiesen sei. Ist dies nicht der Fall, so wird durch diesen Nachweis nicht lediglich die Beziehung zwischen sauerstoffarmer Umwelt und Hämoglobinbesitz weiterhin bestätigt; wir erfahren dann auch, daß der Regenwurm keine Ausnahme von der Regel ist, daß die niederen Tiere bei reichlicher Sauerstoffzufuhr eines so mächtigen Mittels des inneren Sauerstofftransportes nicht bedürfen!),. Um unser Ziel zu erreichen, stellten wir die Sauerstoffausnützung fest bei hohem und niedrigem Partiardruck, und zwar durch normale sowie durch solche Regen- würmer, bei denen durch Kohlenoxyd das Hämoglobin ausgeschaltet worden war. Die Ausschaltung des Hämoglobins durch Kohlenoxyd. Um in zuverlässiger Weise aus dem gesamten Farbstoff des Regen- wurms Carboxyhämoglobin zu machen, muß man nach unserer Er- fahrung die Tiere längere Zeit in dem Gas lassen. Man kann hierbei ruhig reines CO zur Anwendung bringen; denn für unsere Fragestellung spielt die Tatsache, daß nach längerer Anoxybiose die Würmer gestei- gerte Sauerstoffzehrung haben, keine Rolle. Denn wenn man den Sauerstofferwerb beeinträchtigt, so ist ein Mehrverbrauch ausgeschlossen. Dem dargetanen Einwande begegnet man leicht durch Kontrollversuche, bei denen man dem CO Sauerstoff zusetzt. Wir ließen die Würmer 22 Stunden lang in Kohlenoxyd. Der Auf- enthalt in diesem Gase ist für Lumbricus (sp.?) schädigend (Tonus- verlust, zuweilen Tod am folgenden Tage). Alolobophora ist nicht so empfindlich. Tonus und Beweglichkeit leiden nicht, die Tiere bleiben meist am Leben und haben nach etwa 4—5 Tagen wieder normales Blut. Ob für Lumbricus der Aufenthalt in CO oder (wahrscheinlicher!) in einem Glasgefäß ohne feuchte Erde das schädigende Moment ist, haben wir nicht untersucht. Die Behauptung Krukenbergs, daß „Regenwürmer“, die er einige Stunden in CO ließ, später innerhalb 24 Stunden zugrunde gingen, ist wissenschaftlich sicherlich bedeutungs- los (zitiert nach v. Fürth, Vergleichende chemische Physiologie der niederen Tiere, Jena 1903, S. 54). Um uns davon zu überzeugen, daß wir es mit Carboxyhämoglobin zu tun hatten, stand uns lediglich folgendes Hilfsmittel zur Verfügung: _ Unsere Spektroskope liefern ein zu kleines Spektrum; das Carboxy- !) Auf die, Beziehung zwischen Gesamtsauerstoffkapazität des Blutes zu Größe und Stoffwechsel des Tieres soll anderwärts eingegangen werden. 318 H. Jordan und B. Schwarz: hämoglobinspektrum konnte mit Sicherheit nicht ohne weiteres als solches festgestellt werden. Wir fügten daher unter dem Spektroskop unserer Blutprobe etwas Flüssigkeit von Stokes hinzu und sprachen von Carboxyhämoglobin, wenn das Spektrum unverändert blieb. Ver- glichen mit Kroghs neuester Methodik !), auf die wir sogleich zu sprechen kommen, ist dies ein primitives Verfahren! In einer hinreichenden Zahl von Fällen wurde unter ‚Standard‘“- Bedingungen?) gearbeitet, d. h., es wurden die Würmer in Alkohol 10% gebracht, bis zum Eintritt hinlänglicher Narkose. Unsere Resul- .tate lassen sich kurz wie folgt zusammenfassen: Bei hoher Sauerstoff- spannung (bis zu normaler Luft) vermag das normale Tier dem ihm zur Verfügung stehenden Gasgemisch nicht nachweislich mehr Sauerstoff zu entziehen als das CO-Tier. 3). Bei sehr niedriger Sauerstoffspannung ist das wohl der Fall. Beispiele: In einem Gasgemisch, das 3% O, ent- hält, finden wir, nachdem 4 Stunden lang ein normales Tier darin gelebt hat, noch 1% O,. Handelte es sich um ein gleich schweres CO-Tier, so fanden wir noch 2,6%. In 19—20 Stunden hatte ein normales Tier den Sauerstoff eines 4,4proz. Gemisches (fast) restlos verbraucht, während ein CO-Tier ° ein Gemisch von 2,7% übriggelassen hatte (s. Tabelle). Unsere Versuche waren abgeschlossen, als August Krogh die Freundlichkeit hatte, uns die Publikationen seines Laboratoriums zu senden. Hier fanden sich zwei Arbeiten, welche für unsere kleine Mit- teilung besondere Bedeutung haben #). Wir waren von der Überzeugung ausgegangen, daß ein Regenwurm bei normaler Temperatur und nor- malem Sauerstoffdrucke auch dann dem Milieu den nötigen Sauerstoff zu entziehen imstande sein müßte, wenn er an Stelle von einer Hämo- globinlösung lediglich Wasser, mit seinem physikalischen Sauerstoff- bindungsvermögen, als Sauerstoffaufnahme und -transportmittel be- sitze. Der statistisch erwiesene Zusammenhang zwischen Sauerstoff- armut der spezifischen Umwelt und dem Besitze von Hämoglobin hatte uns ein Recht gegeben, die Überlegenheit der normalen über die !) August Krogh, The Spectrocomparator. An Apparatus designed for the Determination of the Percentage Saturation of Blood with Oxygen or Carbon monoxide. Journ. Physiol. London 52, 281. 1919. ?2) Krogh, The Respiratory Exchange of Animals and Man. London 1916, S. 56. Unsere Fragestellung machte weitere Anwendung dieser Methode über- flüssig. s) Bei einigen Versuchen wurde beim CO-Tiere dem Gasgemisch weiterhin CO hinzugefügt, aus bekannten Gründen; O,-Analyse in diesem Falle mit Pyro- gallol! ; 4) J. Leiteh, The Function of Haemioglobin in Invertebrates with special reference to Planorbis and Chironomus Larvae. Journ. Physiol. London 50, 370. 1916. — A. Krogh and J. Leitch, The Respiratory Function of the Blood in Fishes. Journ. Physiol. London 52, 288. 1919. Einfache Apparate zur (Grasanalyse und Mikrorespirometrie usw. 319 Dale may vo aa zn IX ° x xI Ver- Tem- Ge- Ver- Vertüg- Lane EM Verfügbarer Verbrauch- en, Suche: pera- wicht | Zustand suchs- barer O;| ner 0, | ter O, O, in mg im ter O,in mg pro g Tier Nr. turin| Tier in Tier dauer in in In in Apparat pro g Tier pro Stunde °C g Stunden % % % mg mg mg 1 |13,5 | 0,480 |narkotisiertı 3 Luft | 20 | 09 [2,917 0,261694 | 0,08723 2 |14 0,548 |narkotisiert 31), es 29 |2,82956 10,71645 | 0,2047 3 |14,4 0,545 |narkotisiert 3 192 2282956 0.421710 (0.,14056 4 16 0,425 normal 3 n 195 | 1,4 .\1.3641 0,214995 | 0,071665 5 16 [0,375 normal 3l/a 1; 18 2,90, 715321625 0,5090 0,14543 6 116 10,445| COhäm. 4 nn 19 1) AT 0.2631 0,065775 7 |16 |1,228 co 3 „ | ız6 | 33 [143037 |0,183913 | 0,0613043 8 I16 [1,265 co 31, „186 | 23 1128365 |0,111672 | 0.033535 9 |16 |1,462 CO 3°/a = 20,2 10,7 |1,43037 0,032768 | 0,00873825 10 |16 10,445 co 4 2 or 9 105857 006310 100 11 19,5 |0,341| normal ler/s 1.075220 0,75 ,0,0456622 |0,13391 | 0,0073055 12 |19,5 | 0,620 co 20 Oro 12 — .0,0483633 — — 13 | 19,5 | 0,900 (610) 23 Oo — | 0.04925275 — — 742 015221.0:965 norm. 4°/; 3 1 72 0,226074 |0,156146 | 0,032873 15 |15 10,965 Co 41); 3 2,6 | 0,4 10,198145 |0,0273775, 0,0064417 16 15 0,922) normal 24!/, tot| 3 1,6 1,4 0,200095 |0,101230 | 0,0041337 17 \15 10,615 | normal 25 tot | 3 0,91 | 2,09 ' 0,22391 0,254853 | 0,0101942 18 |15 | 0,605 (6/6) 23/1 tot 3 > 1 | 0.185509 |0,102207 | 0,0043035 19 |15 | 0,600 (610) 24 tot | 3 245 0,5 0,184896 |0.05136 |0,00214005 20 13,5 | 0,645 | normal So 03 1,6 1,7 10,204452 |0,1632922| 0,0088263 21 |13,5|0,445| normal | 18% | 33 | 16 | 17 10249924 |0,284337 | 0,0154307 22 13,5 0,300 | normal a2 38 0) ne 0,227829 |0,76238 | 0,0390964 23 ||13,5 | 0,550 co re 172 23 2 LOD1I10 0,253506 | 0,014486 24 13,5 | 0,717 co aaa — /0,205124 = = 25 |14,5 1,130) normal ein di 2 1,7. |0,267257 1|0,100516 | 0,0052216 26 114,5 0,995 | normal gay | 1,6 2,4 10,301886 |0,18242 |0,0092172 27 |14,5 |0,890 normal 20 4 1,6 2,4 |0,27518 0,185517 | 0,0092758 28 14,5 | 1,192 (60) 18, 4 3 1 0,247747 |0,051965 | 0,0028474 29 || 14,5 | 1,583 (610) 18!/, tot] 4 1,7 2,3 | 0,26465 0,095130 | 0,00519625 30 || 14,5 | 0,670 (6/6) 19 4 1,6 2,4 10,246956 ı0,221155 | 0,01164 31 14,5 |0,595| normal a‘ 0 4 0,267257 |0,44917. | 0,0246122 32 |14,5 10,850) normal 193,004 248) 1,7. |0,301886 |0,150945 | 0,0076426 33 14,5 | 0,650 | normal 20a 04 2 2 0,301886 |0,18446 | 0,0091146 34 114,5 | 0,617. (6/0) 181, | 4 2.5 1,5 0.246956 |0,150093 | 0,00811317 35 | 14,5 | 0,515 (610) 19 4 2,6 1,4 | 0,26465 0,17986 |0,0119173 36 14,5 | 1,290 (60) KO A 113 2,7 |0,309921 |0,162152 | 0,00831633 37 15 10,590) normal 19%), | 4,4 0,6 33 10.272075 |0,398264 | 0,020424 38 |15 |0,388| normal 20 4,4 2,4 2 0,3315 0,388355 | 0,00194177 39 |15 1|0,850) normal 20%, | 4,4 0 4,4 |0,33258 0,40036 |0,0192952 40 15 10,580 Co Non Aa Zul 1,7 | 0,290607 |0,19359 | 0,0106076 41 |115 | 0,405 (00) 18°/, | 4,4 2 2,4 1027118 0,365225 | 0,0194787 42 16,5 10,401) normal | 18%, 58 | 2 3.8 [0.377892 |0,617414 | 0,0329293 43 |16,5|1250° co 18, | 58 | 44 | 1.4 |0,36510 |0,0688967| 0,0037752 Anmerkung: Die Kolonnen IX, X, XI sind reduziert auf 0°C und 760 mm Druck. Die in ihnen enthaltenen Zahlen wurden ohne Berücksichtigung der kleinen Volumenveränderungen (respiratorischer Quotient) berechnet. dienen hier nur zur Vergleichung, wenn sie sich von den absoluten Werten auch nur wenig entfernen dürften. Sie 320 H. Jordan und B. Schwarz: CO-Tiere bei niedrigen Sauerstoffspannungen, und nur bei diesen, zu ver- . muten. Wir konnten sie ja dann auch experimentell feststellen. Ganz anders Krogh und seine Schülerin. Sie gingen aus von den Resultaten der Untersuchungen von Barcroft!) und seinen Schülern. Aus der Dissoziationskurve des Oxyhämoglobins hatte sich das Problem er- geben, wie bei den verhältnismäßig hohen Sauerstoffspannungen in unseren Organen hinreichend Sauerstoff ausgetrieben werden könne, um den Zellen den nötigen Sauerstoff zuzuführen. Reines Hämoglobin würde niemals den betreffenden Ansprüchen genügen, denn dieses gibt. erst bei einer Sauerstoffspannung von 8 mm Hg so viel Sauerstoff ab, daß es nurmehr zu 50% als Oxyhämoglobin auftritt. Krogh drückt dies so aus: Die Entladungsspannung {, von reinem Hb ist bei 38° — 8 mm Hg. Die Sauerstoffspannung unserer Gewebe aber ist 27 mm und darüber. Ganz anders verhält sich unser Blut, welches bei 38° eine Entladungsspannung von 27 mm hat. Kohlensäure, Oxydations- wärme und die anwesenden Elektrolyte erhöhen die Entladungsspannung des Hb. Dieses unser Blut würde nun wieder für Kaltblüter wertlos sein, denn es hat bei 15° eine Entladungsspannung von etwa 0,67 mm Hg. Das Blut vom Kabeljau aber entlädt bis auf 50% allen Sauerstoff, bei 15° bei einer Sauerstoffspannung von 13 mm. Schon Barcroft hatte verstanden, daß Kaltblüter besonderer Hilfsmittel bedürfen, um ihre Entladungsspannung zu erhöhen. Krogh und seine Schülerin zeigen, daß er recht hat, und mehr als das, daß bei verschiedenen Tieren, die in verschiedener Umwelt leben, die Eigenschaften des Blutes andere sind, und sich genau richten nach den Eigenschaften der Umwelt. Fische, die in sauerstoffarmer Umgebung leben, haben eine niedrigere Entladungs- spannung als solche aus sauerstoffreichem Wasser. Krogh vermutet, daß die besonderen Hilfsmittel, welche die Entladungsspannung nach Bedarf erhöhen, in den Blutkörperchen vorhanden sind. Mit dieser letzten Vermutung stimmen die Befunde Leitchs über- ein. Die von ihr (und uns) untersuchten Tiere besitzen bekanntlich keine roten Blutkörperchen, und ebensowenig das Vermögen bei hoher Sauer- stoffspannung aus ihrem Hämoglobin Sauerstoff zu erlangen. Erst bei niedriger Sauerstoffspannung können sie vom Hämoglobin Gebrauch machen. Z.B. bei Planorbis weist Leitch nach, daß bei einem Sauer- stoffpartiardruck entsprechend 7,7%, das Hämoglobin durchaus nicht reduziert wird, erst bei 7,2% (also etwa 50 mm Hg) fängt der Sauerstoff- verbrauch, d.h. die Reduktion des Hämoglobins an. Die ‚Entladungs- spannung‘, bei der also der Oxyhämoglobingehalt auf 50% herabsinkt, liegt noch viel niedriger, nämlich bei 7,4 mm Hg (20° © allerdings ohne Kohlensäure!). 1) J. Barcroft, The Respiratory Function of the Blood. Cambridge Univ. Press. 1914. Einfache Apparate zur (rasanalyse und Mikrorespirometrie usw. 321 Ganz anders noch liegen die Dinge bei der Larve von Chironomus. Diese, aus sehr sauerstoffarmem Milieu stammenden Larven, reduzieren ihr Hämoglobin erst dann, wenn in ihrer Umgebung eine Sauerstoff- spannung herrscht entsprechend 1%, oder 7,7 mm Hg, die Entladungs- spannung bei 20° beträgt 0,17 mm, ist also außerordentlich niedrig. Auch wir konnten ähnliches zeigen. Anfang der Reduktion oder Ent- ladungsspannung festzustellen, vermochten wir mit unseren Hilfsmitteln nicht. Allein auch wir zeigten, daß bei höherer Sauerstoffspannung das Hämoglobin bedeutungslos ist für den Regenwurm, und daß der Farb- stoff erst bei niederer Spannung Bedeutung erhält. Während man früher lediglich einen statistisch feststellbaren Zusammenhang zwischen sauer- stoffarmem Milieu und dem Vorkommen von Hämosglobin bei Inverte- braten kannte, wurde nunmehr gezeist, daß in der Tat das Hämoglobin dieser Invertebraten nur bei niederer Spannung Bedeutung haben kann, und daß umgekehrt bei solchen niederen Spannungen, die Ausnützung dieses Sauerstoffes und damit (auf die Dauer) die Lebensmöglichkeit, vom Besitze des Hämoglobins abhängt. Kommen derartige Tiere nun in atmosphärische Luft, dann müssen sis sich verhalten wie andere Tiere, die keinerlei Blutfarbstoffe besitzen. In einer folgenden Publi- kation aus unserem Laboratorium wird Frl. van Dishoeck zeigen, daß bei solchen Tieren nur die Anwesenheit großer Blutmengen die Sauerstoffzufuhr zu allen Gewebszellen gewährleistet. In der Tat konnte (unabhängig von unserem Gedankengange) Leitch zeigen, daß auch Planorbis und die Chironomuslarve über große Blutmengen verfügen. Planorbis besteht zu !/,, Chironomus zu !/, aus Blut. Beim Regenwurm ließen sich die entsprechenden Zahlen noch nicht gewinnen. Wenn man die Ergebnisse einer wissenschaftlichen (kausalen) Analyse biologischen Geschehens zu einer vorurteilslosen Synthese verwendet, dann kommt man zu Beziehungen, welche von anderer Dignität sind als unmittel- bare kausale Beziehungen. Sie haben mit den teleologischen Speku- lationen früherer Zeiten nichts mehr gemein, da sie eben nicht auf Vorurteil, sondern auf wissenschaftlich begründetem Urteil beruhen. Ihr Resultat ist die Beziehung einer Summe von Faktoren zu den logisch erkennbaren Ansprüchen, die das Leben schlechthin, und das Leben unter spezifischen Umweltbedingungen stellt. Nur durch diese Synthese kommen wir zu einer wissenschaftlichen Beschreibung lebender Wesen als Systeme, dem Endziele der Biologie. Denn niemals kann (kausale) Analyse das Endziel einer Wissenschaft sein, da diese letztere erst durch die Beziehungen aus den Einzeltatsachen, also durch Synthese, gemacht wird. - In diesem Geiste wünschen wir obige Abhandlung aufgefaßt zu wissen. Und wenn man unsere Resultate in diesem Geiste auffaßt, so entspringt aus ihnen eine Fülle neuer Fragestellungen, die wir bereits in Angriff genommen haben, und über die wir in absehbarer Zeit hoffen, berichten zu können. Der körper-, blut- und zelliremde Zustand. Von Emil Abderhalden, Halle a. S. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a. S.) (Eingegangen am 12. November 1920.) Der von Hamburger - Graz geschaffene und in weit ausschauender Weise verwendete Begriff artfremd und arteigen ist ebenso, wie die von mir geschaffenen Vorstellungen über zelleigene und bluteigene bzw. zellfremde und blutfremde Stoffe im wesentlichen unter dem Gesichtspunkte der Konstitution der in Frage kommenden Stoffe betrachtet worden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß es Verbindungen gibt, die z. B. deshalb blutfremd wirken, weil sie unter normalen Um- ständen im Blute nicht anzutreffen sind. So ist beispielsweise der Rohr- zucker blutfremd, weil er unter normalen Verhältnissen nie jenseits des Darmes anzutreffen ist. Ein Stoff kann in gewissem Sinne auch „quantitativ blut- oder zellfremd wirken. Dieser Fall tritt dann ein, wenn ein zwar normalerweise im Blute vorhandener Stoff in zu großer Menge auftritt. So kann man von diesem Gesichtspunkte aus die Hyperglucämie als einen Zustand auffassen, bei dem das Zuviel an Glucose blutfremd wirkt. Es unterliegt nun wohl keinem Zweifel, daß es noch eine „Fremdheit“ gibt, die auf dem physikalischen Zustand von dem Blut und den Zellen an und für sich zugehörigen Stoffen beruht. Wir wissen, daß sowohl im Biute als in den Geweben und Zellen die einzelnen Stoffe in verschiedenen Zustandsformen vor- kommen. Wir treffen auf Ionen mit ihren besonderen, diesem Zu- stande eigenen Eigenschaften bis hinauf zu Produkten, die dem kolloiden Zustande angehören. Es fehlt uns noch die Sprache, um die mannigfaltigen Zustandsformen mit ihren Wechselbeziehungen zu- einander zu bezeichnen. Wir wissen, daß mit jedem Zustande bestimmte Eigenschaften, wie elektrische Ladung, Hydratation usw., verknüpft sind. Es ist uns bekannt, daß die Teilchengröße mit der verschiedenen Oberflächenentwicklung von ausschlaggebender Bedeutung für be- stimmte Funktionen ist. Unter normalen Verhältnissen zeigt jede Zelle einen Inhalt, in dem die einzelnen Produkte nach Art und Zustand in gewissem Sinne festgelegt und aufeinander abgestimmt sind. Eine unübersehbare Fülle von Einzelheiten in der Art dieser Beziehungen und in den Zustandsformen ist möglich. Die Gesamtheit des chemischen und physikalischen Zustandes gibt dem Protoplasma Eigenschaften, die seine Funktionen gewährleisten. Das gleiche gilt natürlich auch. für das Blut mit seinen mannigfaltigen Bestandteilen. E. Abderhalden: Der körper-, blut- und zellfremde Zustand. 323 Manche Störung bestimmter Funktionen ist zweifellos auf eine Abänderung von Zustandsformen zurückzuführen. Die von fremden Zellen, wie Infektionserregern, Carcinomzellen usw. hervorgebrachten, entschieden artiremden und damit auch blut- und zellfremden Stoffe brauchen nicht nur in der Art schädlich zu wirken, daß sie infolge ihrer ganzen, fremdartig wirkenden Konstitution Störungen verursachen, vielmehr können sie durch Beeinflussung des Zustandes im übrigen blut- und zelleigener Stoffe Fremdartiges erzeugen und damit Störungen bewirken. Es kann der Dispersitätsgrad bestimmter, im kolloiden Zustand befindlicher Stoffe sich ändern, es kann zu einer Adsorptionsverdrängung kommen, oder es können auf anderen Wegen Oberflächenwirkungen zustande kommen, die für den nor- malen Ablauf bestimmter Funktionen störend sind. Die neuen Zustands- verhältnisse bedingen einen veränderten Ablauf bestimmter Reaktionen. Er ist als solcher für den neuen Zustand selbstverständlich ‚‚normal‘“. Hat die Strukturchemie und vor allem die Betrachtung der Kon- figuration der mit asymmetrischen Kohlenstoffatomen ausgestatteten Verbindungen uns ein Bild über die Mannigfaltiskeit im Aufbau zu- sammengesetzter Verbindungen gegeben, so läßt ein Blick auf die durch den physikalischen Zustand gegebenen Möglichkeiten des Vor- kommens der in Lösung befindlichen Stoffe uns einstweilen nur ahnen, wie unendlich groß die Fülle der Beziehungen der Zustandsform zu den einzelnen Funktionen ist. Wir sprechen vom ionalen, molekularen und kolloiden Zustande und wissen, daß mit jedem davon ganz be- stimmte Eigenschaften verknüpft sind, wir wissen aber auch, daß der Begriff kolloider Zustand eine große Summe von einzelnen Zuständen umfaßt. Jede Teilchengröße hat ihre besonderen Eigenschaften. Finden sich in einer Lösung mannigfaltige Zustandsformen, dann beeinflussen sich diese und bedingen zum Teil neue. Die moderne Therapie hat Beobachtungen gezeitigt, die mit größter Wahrscheinlichkeit auf Beeinflussungen bestimmter Zustandsformen zurückzuführen sind. Die Feststellung, daß die pärenterale Zufuhr von Serum, Milch, Casein usw. bei mannigfachen Störungen Erfolge aufweist, die zum Teil in überraschend kurzer Zeit feststellbar sind, läßt die Vermutung zu, daß Wirkungen entfaltet werden, die mit dem Zustand von Blut- und vielleicht auch Zellbestandteilen zusammenhängen. Auch bei den Erscheinungen der Anaphylaxie dürften ‚fremde‘ Zu- standsformen eine Rolle spielen. Die Schaffung des Begriffes zustandsfremd soll dazu anregen, über die Vorstellung von Fremdartigem, dem fremdartige Strukturen ‚usw. zugrunde liegen, hinaus auch dem physikalischen Zustand der normalerweise im Organismus vorkommenden Stoffe die gebührende Berücksichtigung zu sichern. Druckfehlerberichtigung zu der Arbeit: Studien über die von einzelnen Organen hervorgebrachten Stoffe mit spezifischer Wirkung. Von Emil Abderhalden und Ernst Gellhorn. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle a. d. S.) Archiv f. d. ges. Physiol. 182, 28. 1920. Auf 8. 37 zweite Zeile von unten, ferner 8. 38 siebente Zeile von unten und $. 39 zweite Zeile von oben muß es Hypophysisopton statt Thymusopton heißen. Abb.1b zeigt die Vergrößerung der Pulseole durch 0,3 proz. Hypophysisopton. Autorenverzeichnis. Abderhalden, Emil. Der körper-, blut- und zellfremde Zustand. 5.322. — und Ludwig Schmidt. Weitere Beiträge zur Kenntnis von organischen Nahrungsstoffen mit spezifischer Wir- kung. 8. 141. Amsler, ©. Über inverse Adrenalin- wirkung. °S. 86. v. Buddenbrock, W. Über das Vorkommen von Tonusmuskeln bei Insekten. 8.1. Collander, Runar. Versuche zum Nachweis elektroosmotischer Vor- gänge bei der Plasmolyse. S. 224. Ebbecke, U. Der farbenblinde und schwachsichtige Saum des blinden Hlecks. 8. 173. — Über das Augenblicksehen. einer Bemerkung über rückwirkende Hemmung. S. 181. — Über das Sehen im Flimmerlicht. S. 196. Gatscher, S. siehe Kreidl, A. Gellhorn, Ernst. _ Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Sper- matozoen. I. Mitteilung. S. 262. Gundlach, S. siehe Hess, W.R. Handovsky, Hans. Bemerkungen zu der Arheit von S. M. Neuschlosz: „Die kolloidchemische Bedeutung des physiologischen Ionenantagonismus und der äquilibrierten Salzlösungen.“ DT eeldke,sis, 0: E29. 147. — Die Bedeutung des Ultraviolett für die Lichtreaktionen bei Gliederfüßern. 3.281. Hess, W.R., Die Rotgrünblindheiten. und R. Gundlach. Der Einfluß des Adrenalins auf die Sekretion des Magensaftes. S. 122. — — Der Einfluß von Hypophysen- extrakt auf die Magensaftreaktion. Ss ler. Mit | Meyerhof, Jordan, Hermann, und Bea Schwarz. Einfache Apparate zur Gasanalyse und Mikrorespirometrie in bestimmten Gasgemischen, und über die Bedeutung des Hämoglobins beim Regenwurm. S. 311. Kolm, Richard, u. ErnstP.Pick. Über die Bedeutung: des Kaliums für:die Selbststeuerung des Herzens. S. 255. Kreidl, A., und S.Gatscher. Phy- siologisch-akustische Untersuchungen. I. Mitteilung. Zur Frage der Ent- stehung zentraler Schwebungen. S.165. Kürten, H. Die Senkungsgeschwin- digkeit der roten Blutkörperchen in ihrer Beziehung zu Cholesterin und Leeithin. S. 248. Otto. Die Energie- umwandlungen im Muskel. III. Koh- lenhydrat- und Milchsäureumsatz im Froschmuskel. S. 11. Mittelmann, Bela. Von der stich- artigen Mitempfindung. S. 93. Pick, Ernst P. siehe Kolm, Richard. Rothlin, E. Über die Einwirkung des Milzextraktes (Lienins) auf die Tätiekeit des Froschherzens in situ und des isoliert durchströmten Säuge- tierherzens. 8. 111. Schäffer, Harry. Beiträge zur Frage der autonomen Innervation des Skelettmuskels. I. 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